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German Pages 598 [608] Year 1996
Afflerbach · Falkenhayn
Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 42
R. Oldenbourg Verlag München 1996
Falkenhayn Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich
Von Holger Afflerbach
2. Auflage
R. Oldenbourg Verlag München 1996
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Afflerbach, Holger: Falkenhayn : Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich / von Holger Afflerbach. - 2. Aufl. - München : Oldenbourg, 1996 (Beiträge zur Militärgeschichte ; Bd. 42) Zugl.: Düsseldorf, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-486-56184-7 NE: GT
Θ 1994 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i.Br. Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-56184-7
Inhalt
Vorwort des Herausgebers
IX
Zum Geleit
XI
Danksagung
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Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr? I. Herkunft, soziales Umfeld, Laufbahn bis 1896 II. China (1896-1903) 1. Warum Falkenhayn nach China ging — Vorgeschichte 2. Als Militärinstrukteur bei Chang-Chih-tung 3. Im Boxerkrieg a) Im Ostasiatischen Expeditionskorps b) In der Provisorischen Regierung von Tientsin 4. Rückkehr nach Deutschland — Bilanz der Zeit Falkenhayns in China III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913 1. Ein »Friedenssoldat« wider Willen a) Braunschweig b) Betrachtungen zum Russisch-Japanischen Krieg c) Falkenhayns Anglophobie d) Betrachtungen zur Ersten Marokkokrise 2. Im Generalstab (1906-1907) 3. Beim XVI. Armeekorps in Metz (1907-1911) a) In Metz b) Falkenhayns Ansichten zum Problem der »Reichslande« c) In Paris (Januar—Februar 1910) d) Politische Betrachtungen 1908—1910 4. Im Schatten der Zweiten Marokkokrise a) Kommandeur des 4. Garde-Regiments zu Fuß (1911—1912) b) Die Zweite Marokkokrise — Kriegspsychose in Europa 5. Beim IV. Armeekorps in Magdeburg (1912—1913) 6. Falkenhayns chinesische Pläne a) Falkenhayn als militärischer Cicerone des Prinzen Tsai-t'ao b) Falkenhayn und die deutsch-chinesische Beraterfrage c) Falkenhayn soll als deutscher Gesandter nach China
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VI
Inhalt 7. Politische Ansichten Falkenhayns 1912—1913 8. Falkenhayns Ernennung zum preußischen Kriegsminister
IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914) 1. Falkenhayn als preußischer Kriegsminister 2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre« 3. Falkenhayn und das Offizierkorps 4. Falkenhayn und der Antisemitismus in der Armee 5. Aufrüstungsfrage und Wehrverein 6. Falkenhayn und die Sozialdemokratie 7. Bilanz V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916) 1. Julikrise und Kriegsausbruch 2. Erste wirtschaftliche, personelle und politische Maßnahmen/»Burgfrieden« in der Armee 3. Das Scheitern des Schlieffenplans — Falkenhayn wird Generalstabschef 4. Beginnender Stellungskrieg — Wettlauf zum Meer — Ypern: Das endgültige Scheitern der Westoffensive 5. Falkenhayns neue strategische Konzeption: Kampf gegen England ... 6. Mißstimmung in der Armee gegen Falkenhayn 7. Intrigen gegen Falkenhayn 8. Entscheidungsstrukturen der deutschen Kriegführung unter Falkenhayn a) Der Einfluß des Kaisers auf Falkenhayns Kriegführung b) Primat der Politik — Falkenhayn und Bethmann Hollweg c) Die Zusammenarbeit zwischen Falkenhayn und Conrad d) Falkenhayns Kriegsalltag in der Obersten Heeresleitung 9. Falkenhayns Strategie und Kriegsziele im Winter 1914/15 10. Falkenhayn und die Neutralität Italiens a) Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien b) Falkenhayn und das »schlesische Angebot« c) Der drohende Kriegseintritt Italiens und sein Einfluß auf die Strategie der Mittelmächte 11. Der Durchbruch im Osten: Die Schlacht bei Gorlice-Tarnow 12. Sieg oder Separatfrieden? Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915 und seine strategischen Ziele a) Falkenhayns Drängen nach einem Separatfrieden mit Rußland .. b) Falkenhayns begrenzte militärische Ziele im Osten — Streit mit »Oberost« c) Eine polnische Armee gegen Rußland
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Inhalt
VII
13. Falkenhayns Vorschlag der Militarisierung der Rüstungsindustrie ... 14. Falkenhayns Mitteleuropa-Plan 15. Die Balkankriegführung — Spannung zwischen den Mittelmächten 16. Offener Konflikt zwischen Falkenhayn und Conrad 17. Falkenhayns strategische Planung für 1916 18. Verdun 19. Falkenhayn und der unbeschränkte U-Boot-Krieg 20. Falkenhayns Lagebeurteilung im Mai 1916 21. Der Allfrontenangriff der Entente im Sommer 1916 und Falkenhayns Abwehrstrategie a) Die Brussilow-Offensive b) Die Westfront im Sommer 1916 — Sommeschlacht und Verdun c) Falkenhayns Abwehrstrategie 22. Bethmann gegen Falkenhayn — Die Oberbefehlsfrage im Osten .... 23. Falkenhayns Ablösung 24. Falkenhayn als Generalstabschef — eine Bilanz 25. Falkenhayns Ablösung — Reaktionen in Diplomatie, Armee und Öffentlichkeit
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VI. Armeeführer (September 1916—Januar 1919) 1. Falkenhayn in Rumänien a) Oberbefehlshaber der 9. Armee in Rumänien b) Falkenhayns Betrachtungen zum Friedensangebot der Mittelmächte und zur Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges 2. Falkenhayn in der Türkei a) Falkenhayn als türkischer Marschall b) Falkenhayn verhindert ein Judenpogrom in Palästina 3. Falkenhayn in Weißrußland a) Oberbefehlshaber der 10. Armee in Weißrußland b) Falkenhayns Betrachtungen zur Westoffensive 1918, zur Niederlage und zur Revolution VII. Nach dem Kriege (Januar 1919-April 1922) 1. Der Versailler Vertrag a) Reflexionen Falkenhayns zur Kriegsschuldfrage und zum Abschluß des Versailler Vertrages b) Falkenhayn und die Auslieferungsfrage 2. Die Reflexion: Falkenhayn als Autobiograph und Militärschriftsteller 3. Politische Betrachtungen 1919—1922 a) Außenpolitische Betrachtungen b) Innenpolitische Betrachtungen 1919—1922 4. Falkenhayn als Pensionär — Krankheit und Tod
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Inhalt
УШ. Schlußbetrachtung
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Exkurs: Ist die »Weihnachtsdenkschrift« von 1915 ein authentisches Dokument?
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Abkürzungsverzeichnis
547
Archivalien- und Literaturverzeichnis
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Personenregister
565
Ortsregister
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Kartenskizzen Das östliche China um die Jahrhundertwende Die Ostfront 1914 bis 1916 Die Westfront 1914 bis 1916 Die Schlacht von Verdun Der Feldzug gegen Rumänien 1916 Das Osmanische Reich 1914—1918
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Abbildungen
nach
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Korrigenda zur 2. Auflage Seite IX, Zeile 3: 1896-1902 statt 1893-1896. Foto Abb. 4, Bildunterschrift: Falkenhayn mit seiner Tochter Erika (statt: Uta). S.566: Bongiovanni, Luigi (1866-1941), Oberstleutnant, 1914-1915 italienischer Militärattache in Berlin. S. 567: Falkenhayn, Erika von, Lebensdaten: 1904-1974 statt 1904-1970. S. 572: Moltke, Helmuth Johannes Ludwig von, Generaloberst, war kein Graf.
Vorwort des Herausgebers
Die Person Erich Georg von Falkenhayns (1861—1922) steht für eine bemerkenswerte Karriere: Nach seiner Erziehung im Kadettenkorps und nach Absolvierung der Kriegsakademie wurde er in den Generalstab versetzt. 1893 bis 1896 hielt er sich als Militärberater in China auf, wo er anschließend im Generalstab des ostasiatischen Expeditionskorps Dienst tat. Nach seiner Verwendung als Generalstabschef des XVI. Armeekorps in Lothringen war er von 1913 bis Anfang 1915 preußischer Kriegsminister. Im November 1914 löste er den jüngeren Moltke als Chef des Generalstabs des Feldheeres ab, nachdem sich der Vormarsch an der Marne festgelaufen hatte. Falkenhayns Name ist unauflösbar verknüpft mit den verlustreichen Materialschlachten besonders an der Westfront, von denen Verdun zum Symbol eines mörderischen Ringens um wenige Geländegewinne wurde. Seine umstrittene Kriegführung führte schließlich zu seiner Ablösung im Jahre 1916 und zur Bildung der 3. OHL unter Hindenburg und Ludendorff. Als Kriegsminister war ihm schon im Januar 1915 Generalleutnant Wild von Hohenborn gefolgt. Falkenhayn übernahm Aufgaben als Armeeführer in Rumänien, in der Türkei und schließlich in Weißrußland. Bislang fehlte eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie dieses sowohl in seinem Charaktereigenschaften als auch in seinen militärischen Fähigkeiten nicht nur zu seinen Lebzeiten höchst kontrovers beurteilten Offiziers. Die vorliegende Arbeit füllt diese Lücke. Der Autor vermochte die spärlich überlieferten persönlichen Zeugnisse Falkenhayns durch umfangreiche Quellenrecherchen zu kompensieren und stieß dabei auf bislang unbekanntes Material, das wesentlich dazu beiträgt, ein differenziertes Bild Falkenhayns zu zeichnen. Die sein militärisches, aber auch politisches Denken stark prägende Zeit in China, seine Stellung zu Kaiser Wilhelm II., seine Rolle in der Kriegszieldiskussion, sein Verständnis des neu aufgekommenen industrialisierten Krieges und generell für die Kriegspolitik und Kriegführung im Ersten Weltkrieg sind Schwerpunkte dieser sich als politische Biographie verstehenden Falkenhayn-Studie. Mit der Veröffentlichung dieser Arbeit, die als Dissertation bei Professor Dr. Wolfgang J. Mommsen an der Universität Düsseldorf entstand, setzt das Militärgeschichtliche Forschungsamt seine Veröffentlichungen zu Persönlichkeiten fort, die Politik und Militär gleichermaßend prägten. Dr. Günter Roth Brigadegeneral und Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
Zum Geleit
Die hier der Öffentlichkeit vorgelegte Studie gilt einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des Kaiserreichs, dem General von Falkenhayn, der 1913, in einem Augenblick zugespitzter parlamentarischer Auseinandersetzungen über die Rüstungsfragen und die Stellung des Heeres innerhalb des politischen Systems, zum Kriegsminister und nach dem Scheitern des Schlieffenplans im September 1914 auch zum Nachfolger des jüngeren Moltke berufen wurde und die deutsche Kriegsführung bis zum Herbst 1916 verantwortlich geleitet hat. Das Bild Falkenhayns ist in der Forschung bis heute umstritten. Einerseits wird ihm mehr Augenmaß und Verständnis für die Grenzen der militärischen Möglichkeiten des Deutschen Reiches zugesprochen, als dies beim Gros der hohen Militärs der Fall war, einschließlich von Hindenburg und Ludendorff, denen er schließlich nach dem Scheitern der Verdun-Offensive Platz machen mußte. Andererseits galt er vielfach als leichtsinniger Spieler, der mit seinen allzu oft wechselnden Lagebeurteilungen, die von grenzenlosem Optimismus bis hin zu sogenannten »Schwarzseherei« reichten, allen Kredit verspielt habe. Die hier der wissenschaftlichen Öffentlichkeit unterbreitete Arbeit, die aus einer Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hervorgegangen ist, zeichnet ein detailliertes biographisches Profil Falkenhayns, unter Heranziehung eines reichen, teilweise aus den archivalischen Quellen und Privatnachlässen neu erschlossenen, Materials. Erstmals wird die frühe Karriere Falkenhayns als Militärberater in China und seine Rolle als Offizer im Ostasiatischen Expeditionskorps in den Jahren 1896 bis 1903, und späterhin als Berater des Prinzen Tsao-t'ao eingehend geschildert, ebenso wie Falkenhayns frühe Karriere als ungewöhnlich erfolgreicher Truppenkommandeur. Es wird gezeigt, daß Falkenhayns Chinaerfahrung seine spätere Karriere maßgeblich beeinflußt hat; auf diese Weise kam er bereits früh in unmittelbare Verbindung mit Kaiser Wilhelm II., der den eleganten und, wie man sagen darf, schneidigen Offizier mit gutem Aussehen, glanzvoller militärischer Laufbahn und relativer Weitläufigkeit ganz nach seinem Geschmack fand. Ertragreich ist insbesondere die Darstellung des politisch-ideologischen Weltbilds Falkenhayns, das unter anderem durch eine ausgesprochene Anglophobie gekennzeichnet war. Aufgrund bisher unbekannter Quellen ergibt sich, daß Falkenhayn seit 1904, insbesondere aber während der 2. Marokkokrise entschieden für einen Krieg plädierte und die deutsche politische Führung ebenso wie den Kaiser selbst im Grunde »schlapp« fand. Auch späterhin gab er sich wiederholt entschieden kriegsgeneigt. Insgesamt kann jedoch gesagt werden, daß Falkenhayn, ungeachtet seiner Chinaerfahrung, dazu neigte, alle Ereignisse des Tages ganz überwiegend aus der Perspektive seiner militärischen Karriere zu betrachten; mehr als andere darf er als Prototyp militärischen Kastendenkens im Kaiserreich gelten. Vielleicht eben deshalb wurde er 1913 einigermaßen überraschend zum preußischen Kriegsminister berufen, um insbesondere dem Reichstag Paroli zu bieten, der
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Zum Geleit
im Gefolge der großen Heeresvermehrung seinen Einfluß auf die Militärfragen hatte steigern können. Falkenhayn tat dies, wie hier anschaulich gezeigt wird, denn auch mit großer Entschiedenheit und jener Kombination von forschem Auftreten und Arroganz, die zwar die Führer der Parteien vor den Kopf stieß, dafür aber bei Hofe und im Offizierkorps mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Die vergleichsweise guten Beziehungen zum Kaiser haben denn auch bei seiner Berufung zum Nachfolger Moltkes im September 1914 eine wesentliche Rolle gespielt. Wilhelm II. blieb auch dann noch, als der Reichskanzler Bethmann Hollweg die Berufung von Hindenburg und Ludendorff betrieb, mit denen er, wie er einigermaßen irrtümlich annahm, allenfalls auch einen Verhandlungsfrieden hätte schließen können, eine wesentliche Stütze des Generalstabschefs. In personellen Fragen hatte, wie sich ergibt, das »persönliche Regiment« Wilhelms II. auch während des Ersten Weltkrieges keineswegs ausgespielt, obschon sich dieser zunehmend von allen Sachentscheidungen zurückgezogen hatte. Falkenhayns Entscheidungen während des Ersten Weltkrieges als Chef der Obersten Heeresleitung erfahren eine im ganzen überaus kritische Würdigung, nicht zuletzt unter Heranziehung der zeitgenössischen Äußerungen in seiner militärischen Umgebung. Falkenhayn war schon früh zu der Auffassung gelangt, daß der Krieg mit rein militärischen Mitteln nicht gewonnen werden könne. Bereits seit Nobember 1914 hielt er eine Entscheidung durch einen großen strategischen Schlag, sei es im Westen oder im Osten, nicht mehr für erreichbar. Demgemäß verlegte er sich im Innenverhältnis vielfach auf Finassieren und Taktieren, teilweise unter absichtlicher Irreführung selbst der Spitzen der politischen Leitung, insbesondere mit seinem Eintreten für den angeblich kriegsentscheidenden unbeschränkten U-Bootkrieg, und für die Schaffung eines mitteleuropäischen Zollverbandes, der die gegnerischen Mächte mit ihren Blockadeplänen entmutigen sollte. Er drängte auch immer wieder auf eine politische Lösung. Falkenhayn darf in hohem Maße als repräsentativ für die Mentalität der militärischen Führungselite des Deutschen Reiches in der wilhelminischen Epoche gelten; er wußte sich souverän in der halbkonstitutionellen Verfassungswirklichkeit des Kaiserreichs zu bewegen und die Gunst des Kaisers zu nutzen, um den großen Spielraum der militärischen Instanzen innerhalb des politischen Systems erfolgreich zu verteidigen und zu vermehren. Erst im Kriege wurde nach und nach deutlich, daß sich mit den traditionellen Methoden militärischer Führung weder kriegsentscheidende militärische Erfolge erzielen noch die politischen Probleme meistern ließen. Gleichwohl suchte Falkenhayn mit der ungeheuer verlustreichen Offensive bei Verdun noch einmal die Wende des Kriegsglücks zu erzwingen; nach dem Scheitern der Verdun-Offensive hoffte er auf eine Wende durch die Politik. Die Darstellung wird abgerundet durch eine Analyse von Falkenhayns übrigens überaus erfolgreicher Rolle als Armeeführer nach seiner Entlassung und seiner Tätigkeit als türkischer Marschall, die dem Versuch galt, die wankende Front in der Türkei wieder zu stabilisieren. Insgesamt wirft diese Biographie Erich von Falkenhayns aus vielerlei Blickwinkeln neues Licht auf die Geschichte des wilhelminischen Deutschland.
Düsseldorf, im November 1993
Wolfgang J. Mommsen
Danksagung
Viele haben mir in freundlicher und uneigennütziger Weise geholfen, diese Arbeit zu erstellen; ich möchte allen herzlich danken und um Verständnis bitten, daß ich nur wenige hier namentlich nennen kann. Für Hinweise und Hilfestellungen verschiedenster Art, besonders die Bereitstellung von Quellen aus Privatbesitz, möchte ich mich bei Uta Freifrau v. Aretin, Frau Konstanze Lange v. Hanneken, General Jürgen v. Falkenhayn sowie dem in der Zwischenzeit leider verstorbenen Lt. Col. Roger Arlabosse ganz herzlich bedanken. Meinen Dank sage ich Prof. Dr. Wolfgang J. Mommsen, der meine Dissertation betreut hat, für seine Ratschläge und seine Hilfe. Danken möchte ich auch Dr. Peter Broucek vom Kriegsarchiv Wien, Dr. Rudolf Jerabek vom Staatsarchiv Wien, Prof. Dr. Rudolf Hiestand von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Gerd Krumeich von der Universität Freiburg, Klaudia Rudolph und Hermann Groth von der Universitätsbibliothek Düsseldorf, Dr. Vera Schmidt von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Helmut Otto vom ehemaligen Militäiarchiv der NVA in Potsdam sowie den zahlreichen Archiven, die ich benutzen durfte, und allen Archivaren für ihre freundliche Hilfsbereitschaft. Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn hat mir ein Promotionsstipendium gewährt und dadurch die Erstellung dieser Arbeit ermöglicht. Ich danke dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg i.Br., daß es meine Arbeit in seine Schriftenreihe aufgenommen hat, besonders Prof. Dr. Wilhelm Deist, dem Leitenden Historiker des MGFA, für vielfältige Hilfestellung und zahlreiche gute Ratschläge, Dr. Wolfgang Michalka und Dr. Arnim Lang für die aufwendige Bearbeitung sowie Dr. Johannes Hürter für die engagierte und sachkundige Lektorierung des umfangreichen Manuskripts. Dieses Buch ist meinem Vater in Dankbarkeit gewidmet.
Düsseldorf, im Dezember 1993
Holger Afflerbach
Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr?
Erich v. Falkenhayn ist eine der führenden Persönlichkeiten des späten Wilhelminismus. Er war von September 1914 bis August 1916 als Generalstabschef de facto der Oberbefehlshaber des deutschen Heeres und der Verantwortliche für die Kriegführung des Deutschen Reiches. Allein schon durch die von ihm initiierte Schlacht von Verdun hat er sich die Aufmerksamkeit der Nachwelt bis zum heutigen Tage erhalten. Seine Absetzung als Generalstabschef Ende August 1916 wird von Gerhard Ritter im Hinblick auf seine Nachfolger Hindenburg und Ludendorff als »epochaler Abschnitt« gewertet1. Uber die Bedeutung Falkenhayns als einem der führenden Vertreter der militärischen Führungsschicht im Deutschland Kaiser Wilhelms II. und als des Verantwortlichen der Kriegführung in der 2. Obersten Heeresleitung besteht kein Zweifel. Trotzdem fehlt bis heute eine kritische Biographie, die nicht nur über den äußeren Rahmen seines Werdeganges, sondern auch über seine innere Entwicklung und sein politisches Denken Auskunft gibt. Alistair Hörne beschreibt in seiner Analyse der Schlacht von Verdun deren Initiator Falkenhayn: »Wir bekommen es mit einer der seltsamsten Gestalten des Krieges zu tun, deren persönliche Eigenschaften und Absichten bis zum heutigen Tage ein Geheimnis geblieben sind 2 .« Nach einer Schilderung der Stationen von Falkenhayns Laufbahn kommt Hörne zu dem Schluß: »Uber Falkenhayn wissen wir absolut nichts 3 .« Nicht nur der Engländer Hörne beklagte das Fehlen ausreichender Informationen über Falkenhayn. Bereits in der Zwischenkriegszeit galt Falkenhayn als rätselhafte Figur. Dabei findet er in der Memoirenliteratur dieser Jahre reiche Erwähnung. Er wird unter anderem in den Erinnerungen der Reichskanzler Fürst Bülow und v. Bethmann Hollweg, der Generäle v. Freytag-Loringhoven, Groener, v. Gündell, Hoffmann, v. Loßberg, dem jüngeren Moltke, Wild v. Hohenborn, der Kronprinzen Wilhelm und Rupprecht sowie der Admirale v. Müller, v. Pohl und v. Tirpitz — meist ausführlich — beschrieben 4 . Trotzdem trauten sich viele der damals noch lebenden Zeitzeugen kein Urteil über den »einsamen Feldherrn«, wie Falkenhayn in einem Buch aus den 30er Jahren genannt wurde, zu 5 . Das galt auch für die engsten Mitarbeiter wie die Generäle Groener, Tappen und Wild v. Hohenborn, die sich in der Beurteilung von Falkenhayns letzten Zielen einge1
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Ritter, Staatskunst III, S. 249. Die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. In allen folgenden Anmerkungen sind die Literaturhinweise nach vorstehendem Kurztitelthema einheitlich behandelt, also immer nur der Autorenname und in der Regel das erste Hauptwort des Titels genannt. Hörne, Lohn, S. 50. Ebd., S. 55. Die einzelnen Titel stehen im Literaturverzeichnis. Ziese-Behringer, Feldherr.
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Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr?
standenermaßen unsicher waren und das Gefühl hatten, von ihm nicht ins Vertrauen gezogen worden zu sein. Auch von Wilhelm II. gibt es ähnliche Äußerungen. Einer der führenden Mitarbeiter des Reichsarchivs in Potsdam, Wilhelm Solger, mußte in seiner kleinen biographischen Skizze über Falkenhayn ebenfalls die Grenzen des Erkenntnisstandes einräumen: »Die Eigentümlichkeiten Falkenhayns, seine Mängel und Vorzüge sind indessen schwer zu erkennen, weil die Begründung seiner Maßregeln in seinen Dienstschriften entweder nicht enthalten ist oder die angegebenen Beweggründe nur mit Vorsicht als die wirklichen übernommen werden dürfen und weil außer einigen Mitteilungen beobachtender Zeitgenossen außerordentlich wenig Material an Briefen und dergleichen vorliegt6«. In ähnlichem Sinne äußerte sich Wolfgang Foerster, ebenfalls einer der profiliertesten Mitarbeiter des Reichsarchivs7. Das einzige größere biographische Werk über Erich von Falkenhayn wurde Mitte der 20er Jahre von dem General a.D. Hans v. Zwehl geschrieben8. Diese Biographie, erschienen 1926, ist auch heute noch eine wichtige Quelle, da Zwehl heute verlorenes Material, besonders Aufzeichnungen Falkenhayns, verwertete. Das Buch will und kann aber den Blickwinkel eines kaiserlichen Generals nicht verleugnen. Das Leben Falkenhayns bis zu seiner Ernennung zum Kriegsminister ist recht knapp behandelt. Die politischen Ansichten Falkenhayns zu durchleuchten, lag nicht in Zwehls Absicht. Vorwiegend auf der Biographie Zwehls bauen verschiedene kleine Arbeiten über Falkenhayn auf, zu nennen sind die Beiträge Reymanns9 und Hillers v. Gaertringen10. Andere Bücher, wie das des italienischen Brigadegenerals Adriano Alberti11 oder die Biographie des Reichsarchiv-Mitarbeiters Wienskowski12 behandeln fast ausschließlich Falkenhayns Tätigkeit im Ersten Weltkrieg. Das gleiche gilt für die erwähnte Arbeit Wolfgang Foersters. Hermann Ziese-Behringer schließlich analysiert in seiner zweibändigen Untersuchung von 1934 ausschließlich Falkenhayns Plan des Angriffs auf Verdun13. Die Zahl der Bücher und militärischen Studien, in denen operative Einzelentscheidungen Falkenhayns untersucht werden, ist natürlich sehr groß. Das bezieht sich nicht nur auf die Schlacht von Verdun, die im Mittelpunkt des historischen Interesses stand und steht. Auch die von Falkenhayn zu verantwortende Schlacht bei Ypem 1914, die Abwehrschlachten in der Champagne 1915 und an der Somme 1916, der Durchbruch bei Gorlice 1915, die Ereignisse auf dem Balkan, die Frage des unbeschränkten U-Boot-Krieges sowie das Verhältnis zwischen 2. Oberster Heeresleitung, Kaiser und Kanzler sind Gegenstand zahlreicher Einzeluntersuchungen geworden, ebenso wie sie in jedem übergreifenden Werk über das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg nicht fehlen. 6 7 8 9 10 11 12 13
Solger, Falkenhayn, S. 72. Foerster, Schlieffen, S. 83—86. Zwehl, Falkenhayn. Reymann, Falkenhayn. Hiller v. Gaertringen, Falkenhayn. Alberti, Falkenhayn. Wienskowski, Falkenhayn. Ziese-Behringer, Feldherr.
Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr?
3
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es nur vereinzelte Stimmen, die Falkenhayns Strategie des »Maßhaltens« gegenüber der Maßlosigkeit der 3. Obersten Heeresleitung mit Ludendorff als treibender Kraft lobten. Hier ist vor allem der Militärhistoriker Hans Delbrück hervorzuheben 14 . Auch die Werke von Alberti und Zwehl sind in diesem Zusammenhang zu nennen, ebenso wie Generalmajor Wilhelm Marx, der 1938 versuchte, Falkenhayns Handeln gerechter zu würdigen als die vorherrschenden Ludendorff-Apologeten15. Zumeist aber wurde Falkenhayn hart kritisiert als minderwertiger Stratege, der weit gegen seine Nachfolger abfalle. Nicht nur die Ludendorff-Anhänger unter den Militärschriftstellern in Deutschland, wie Foerster oder Haeften, hatten eine ausgesprochen negative Sicht von Falkenhayns Fähigkeiten. Auch der bekannte englische Militärschriftsteller Basil Liddell Hart warf Falkenhayn vor, ein Feldherr der »half measures« gewesen zu sein, ein Mann, der sich nicht zu großangelegten Operationen entschließen konnte, der »pennywise, but pound-foolish« war16. Auch in Frankreich gab es kritische Stimmen 17 . Die amtliche deutsche Geschichtsschreibung bemühte sich in der Zwischenkriegszeit, die operativen Planungen und Entscheidungen Falkenhayns detailliert nachzuzeichnen. Das Reichsarchiv untersuchte die Geschichte des Ersten Weltkrieges sehr genau und verfaßte ein vierzehnbändiges Werk, das durch das reichhaltig verwendete Quellenmaterial bis heute seinen Wert behalten hat 18 . In dieser umfassenden und sehr detailreichen Rückschau auf den Weltkrieg spielt natürlich Falkenhayn als Chef der 2. Obersten Heeresleitung eine herausragende Rolle. Das Reichsarchiv konnte sich jedoch nicht zu einer objektiven Beurteilung Falkenhayns durchringen. Das lag nicht zuletzt daran, daß es lange Zeit unter der Leitung des Generals v. Haeften stand, der seit dem Herbst 1914 als Adjutant Moltkes und glühender Verehrer Ludendorffs ein erbitterter Gegner Falkenhayns war. Die schon vom Umfang her nur schwer überschaubare und eine ungeheure Menge an Quellen verarbeitende Darstellung ist tendenziös und gegen Falkenhayn eingenommen 19 . Das Reichsarchiv versuchte zwei Tatsachen nachzuweisen: Falkenhayn habe nicht den Mut gehabt, die deutschen Kräfte zu einem Entscheidungsschlag an der Ostfront zusammenzuziehen und durch einen Sieg gegen Rußland — der, wie das Reichsarchiv in Aneignung der Thesen Ludendorffs immer wieder unterstellt, möglich gewesen wäre — den Krieg mit einem deutschen Sieg zu beenden; denn nach dem Sieg an der Ostfront hätten auch die Westmächte besiegt oder zum Einlenken gezwungen werden können.
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Delbrück, Ludendorff. Dieses Buch, das sich sehr kritisch mit Ludendorffs Kriegführung auseinandersetzt, erregte bei seinem Erscheinen 1920 erhebliches Aufsehen.
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Marx, Wertleistung. Liddell Hart, History, S. 273, urteilt über Falkenhayn: »Falkenhayn was history's latest example of the folly of half measures; the ablest and most scientific general — penny wise, pound foolish — who ever ruined his country by a refusal to take calculated risks.«
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So etwa Dupont, Haut commandement. Petain, Bataille, äußert sich dagegen sehr gemäßigt über Falkenhayn.
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Der Weltkrieg 1914—1918. Die ersten 12 Bände erschienen zwischen 1925 und 1939, Bd 13 und 14 sind während des Krieges gedruckt und nur einem begrenzten Benutzerkreis zugänglich gemacht worden; beide Bände wurden in den 50er Jahren vom Bundesarchiv nachgedruckt.
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Das wird zusätzlich in den heute im BA-MA Potsdam (dem ehemaligen Militärarchiv der D D R ) aufbewahrten Forschungsarbeiten des Reichsarchivs deutlich.
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Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr?
Dieser Vorwurf mangelnder Willenskraft und fehlenden Feldherrnmuts wurde erweitert durch die — im Gegensatz dazu stehende — Behauptung, Falkenhayn sei bis an die Grenze des Erträglichen leichtsinnig gewesen und habe vor allem an der Westfront mehrfach viel zu hohe Risiken in Kauf genommen. Die Mitarbeiter des Reichsarchivs griffen zu psychologischen Erklärungsmustern, um Falkenhayns strategische Grundlinie zu klären, neigten zu einer Uberschätzung der Bedeutung des Feldherrnwillens und der Möglichkeiten operativer Führung und unterschätzten dabei die Bedeutung der Zahlenverhältnisse und der ökonomischen Stärke. Die Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte sich zunächst im Rahmen umfassender Darstellungen mit Falkenhayns Tätigkeit als Generalstabschef. Hier sollen die herausragenden Werke von Gerhard Ritter20, Egmont Zechlin21 und Fritz Fischer22 genannt werden. Bei Fischer und Zechlin wird Falkenhayn recht knapp behandelt. Das Schwergewicht liegt dort auf der Darstellung der Motive der politischen Führung. Ritter geht ausführlicher auf Falkenhayn ein und schildert ihn als tüchtigen General, der seine Aufgabe bestmöglich zu verrichten suchte und dabei auch mit einigem Erfolg agierte, sich vor allem von seinen Nachfolgern Hindenburg und Ludendorff vorteilhaft abhob. Die Darstellung von Ritter hat zweifellos ihre Verdienste, doch wird Reichskanzler v. Bethmann Hollweg in ihr zu Lasten seines militärischen Gegenspielers durchgängig zu positiv beurteilt. Der Versuch, Bethmann als den von einer nationalistisch aufgepeitschten Öffentlichkeit und radikalen Militärs getriebenen, eigentlich immer das beste wollenden Kanzler darzustellen, ist in der Forschung auf berechtigte Kritik gestoßen. In besonderer Weise beschäftigte sich Ritter-Schüler Karl-Heinz Janßen mit Falkenhayn. Zunächst in einem Aufsatz23, dann in einer Monographie24 untersuchte er — darin in der Nachfolge Ritters — den Gegensatz zwischen Staatskunst und Kriegshandwerk während der 2. Obersten Heeresleitung und zeigt dabei Falkenhayn in einem erheblich vorteilhafteren Licht als die zumeist ablehnende Literatur der Zwischenkriegszeit. Janßens Studie, in der das amtliche Quellenmaterial akribisch aufgearbeitet ist, beschäftigt sich mit Falkenhayn als Person aber nur soweit, wie es das eigentliche Thema — die Analyse des Verhältnisses zwischen dem Generalstabschef und Bethmann — erfordert. Im Vordergrund stehen die Motive Bethmann Hollwegs, die Motive Falkenhayns treten demgegenüber etwas zurück. Janßens Arbeit ist bis heute die ausführlichste und erschöpfendste Studie zu Militär und Politik während der 2. Obersten Heeresleitung. Intensiv mit Falkenhayn und seiner Strategie setzen sich die Arbeiten von Heinz Kraft auseinander25. Die Uberbewertung von Falkenhayns Feldherrnbegabung bekam dabei aber eine zunehmend apologetische Tendenz und muß mit kritischer Distanz zur Kennt-
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Ritter, Staatskunst II, III. Zechlin, Friedensbestrebungen. Fischer, Griff. Janßen, Wechsel. Janßen, Kanzler. Kraft, Problem Falkenhayn; ders., Problem von Staatsräson; ders., Staatsräson.
Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr?
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nis genommen werden. Dagegen gibt die biographische Skizze Lothar Hilberts eine scharfsinnige Zusammenfassung des bisherigen Kenntnisstands über Falkenhayn26. Ausschnitte der Tätigkeit Falkenhayns werden in zahllosen Werken über den Ersten Weltkrieg beschrieben. So zum Beispiel in der dreibändigen Geschichte des Ersten Weltkrieges aus der DDR, die, abgesehen von der unumgänglichen Verbeugung vor der marxistischen Ideologie, in den Kapiteln über den operativen Kriegsverlauf das Wesentliche gut schildert und auch zu Falkenhayn ein im Großen treffendes Urteil abgibt27. Eine gute Darstellung Falkenhayns findet sich auch in der Geschichte des Ersten Weltkrieges von Graf Kielmansegg28. Falkenhayn wird noch in wichtigen anderen Untersuchungen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges erwähnt. Hier soll zunächst nur noch auf Jehuda Wallach verwiesen werden29, der Falkenhayn sehr negativ bewertet — meiner Ansicht nach zu negativ30. Eine umfassende Biographie Falkenhayns fehlt bis heute. Der Grund dafür liegt nicht nur in einer — inzwischen überwundenen — Krise der deutschen Biographik31. Er liegt auch in der schwierigen Quellenlage. Falkenhayn war ein sehr reservierter Mann. Seinen Mitarbeitern begegnete er mit großer Zurückhaltung. Seine Memoranden und Dienstschriften tragen offiziösen Charakter, erst recht seine beiden Bücher über seine Tätigkeit als GeneralstabscheP2 und über den von ihm geleiteten Feldzug in Rumänien33. Das gilt in besonderem Maße für seinen Zeitschriftenaufsatz über die Schlacht von Verdun34. Deshalb war die Forschung auf die Zeugnisse und Memoiren seiner Mitarbeiter angewiesen. Bei Falkenhayns Verschlossenheit stieß die Aussagekraft der auch nicht immer unbedingt verläßlichen und oft parteiischen oder geschönten Erinnerungswerke an enge Grenzen, die es unmöglich erscheinen ließen, über die von Zwehl analysierten Quellen wesentlich hinauszukommen. Von Interesse waren besonders die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen Falkenhayns, die Zwehl für sein Buch ausgewertet hatte. Diese befanden sich zusammen mit seinem Nachlaß im Schlößchen Lindstedt bei Potsdam und sind seit 1945 verschollen. Es wird angenommen, daß die Papiere bei der vollständigen Plünderung des Schlößchens im April 1945 verlorengingen. Nach anderen Auskünften aus der Familie Falkenhayns sind die Papiere — unter denen sich vielleicht auch die Manuskripte zweier unveröffentlichter Bücher befanden — schon in den Dreißiger Jahren von Falkenhayns Witwe, Ida v. Falkenhayn, in einer exzentrischen Laune verbrannt worden35. So oder so, diese Papiere müs26 27 28 29 30
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Hilbert, Falkenhayn. Deutschland im ersten Weltkrieg. Kielmansegg, Deutschland. Wallach, Dogma. Wallachs Urteil resultiert aus Falkenhayns Strategie vor Verdun, die in der Tat nicht geeignet ist, dem General Anhänger zu verschaffen. Seine negative Einschätzung Falkenhayns wird auch deutlich in: Wallach, Anatomie. Die Krise der deutschen Biographik konstatiert Thoß, Weltkrieg, S. 48. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung. Falkenhayn, Feldzug. Falkenhayn, Verdun. Mitteilung Uta v. Aretins, der Enkelin Falkenhayns, an den Verfasser.
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sen als verloren angesehen werden. Das gilt auch für die Akten des Heeresarchivs, das im April 1945 nach einem Luftangriff völlig ausgebrannt ist. Beide Verluste können teilweise ersetzt werden durch die Arbeit Zwehls, der Auszüge aus dem Tagebuch abgedruckt hat, und die Darstellung des Reichsarchivs, die in umfangreicher Weise auf die Bestände des Heeresarchivs zurückgreift. Außerdem ist überraschenderweise eine Abschrift aus Falkenhayns Tagebuch aus der Julikrise 1914 wieder aufgetaucht. Für den Hinweis auf diese Quelle habe ich Prof. Otto (Berlin) herzlich zu danken. Dürftig waren bisher vor allem die Informationen über Falkenhayns politisches Denken und seinen Aufstieg bis zum Kriegsminister. Auch seine Ansichten zur Revolution von 1918, zum Versailler Vertrag und zur Weimarer Republik waren unbekannt. Nach längeren Recherchen erwies sich das Quellenmaterial über Falkenhayn trotz des verlorengegangenen Nachlasses weit umfangreicher als bisher angenommen. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn fanden sich Aktenbestände, die biographische Details über Falkenhayns fast siebenjährige Tätigkeit in China geben. Außerdem zeigen sie eine bisher unbekannte Beteiligung Falkenhayns an diplomatischen Verhandlungen zwischen Deutschland und China, die in der deutsch-chinesischen Beraterfrage 1912 und in dem Vorschlag, Falkenhayn zum deutschen Gesandten in China zu ernennen, gipfelten. Da diese Vorgänge in engem Zusammenhang mit Falkenhayns »kometenhaftem« Aufstieg zum preußischen Kriegsminister gesehen werden müssen, bieten sie neue Gesichtspunkte, die Falkenhayns Karriere erklärbarer machen. Von größter biographischer Bedeutung war ein Brieffund, der einen ausführlichen und vor allem authentischen Einblick in Falkenhayns Denken gestattet. Es handelt sich um Briefe Erich von Falkenhayns an seinen Freund Constantin von Hanneken, einen einflußreichen deutschen Geschäftsmann in Tientsin/China. Falkenhayn hatte Hanneken während seines China-Aufenthaltes kennengelernt. Der Briefwechsel beginnt nach seiner Rückkehr aus China Mitte 1903 und erstreckt sich bis in den Juni 1914 hinein. In insgesamt 27 erhaltenen Briefen, 2 Telegrammen und einer Postkarte (die Antworten Hannekens sind verloren) gibt Falkenhayn einen reichen Einblick in seine Hoffnungen und Ängste, sein Karrieredenken, seine politischen Ansichten zum Zeitgeschehen. Dabei wird deutlich, in welch intensiver Weise sich Falkenhayn mit den chinesischen Verhältnissen auseinandersetzte. Es spiegelt sich aber auch — und das macht diese Korrespondenz wichtig — die immer krisenhaftere internationale Lage in seinen Anschauungen wider. Der Briefwechsel wurde durch den Krieg unterbrochen und im März 1919 wiederaufgenommen. Hanneken war mit seiner Familie nach Deutschland zurückgekehrt und hatte sich zunächst in Hannover niedergelassen. Auch in den Nachkriegsbriefen kommt Falkenhayn immer wieder auf die Politik zu sprechen. Der letzte Brief trägt das Datum des 19. März 1922 — knapp drei Wochen später starb Falkenhayn. Dieses neue und bisher unbekannte Material aus Privatbesitz zeichnet ein neues Bild Erich v. Falkenhayns, vor allem von seiner politischen Einstellung und seinen Erwartungen. Diese Briefe enthalten eine Selbstbeschreibung Falkenhayns, die reichen Aufschluß über sein politisches Denken gibt. Die Kapitel über seine Zeit als Kriegsminister
Einleitung: Falkenhayn — Der rätselhafte Feldherr?
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und Generalstabschef werden zeigen, daß das politische Handeln den vor dem Krieg geäußerten Gedanken entsprach. Für die Zeit als Generalstabschef erwiesen sich vor allem das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (PA-AA) und das Kriegsarchiv Wien (OStA-KA) als sehr ergiebig. Außerdem fanden sich im Bundesarchiv-Abteilungen Potsdams (BA-P, vormals Zentrales Staatsarchiv der D D R ) und im Bundesarchiv-Militärisches Zwischenarchiv Potsdam (BA-MA-P, vormals Militärarchiv der D D R ) aus zufällig überlieferten, verloren geglaubten Beständen des Reichsarchivs eine Fülle neuer Quellen über den Ersten Weltkrieg — und auch zu Falkenhayn 36 . Von besonderem Wert ist dabei das wiederaufgetauchte Tagebuch des kaiserlichen Generaladjutanten v. Plessen. Eine zu enge Beschränkung der Darstellung auf Falkenhayn selbst war in den Teilen, die sich mit seiner Amtszeit als Kriegsminister und Generalstabschef befassen, weder sinnvoll noch möglich. So ist es zum Verständnis seiner Maßnahmen im Ersten Weltkrieg nötig, immer wieder die Rahmenumstände, aber auch seine Mitstreiter und Gegenspieler zu berücksichtigen. Der Kaiser, der Reichskanzler, der österreichisch-ungarische Generalstabschef Conrad v. Hötzendorf, Kriegsminister Wild v. Hohenborn, sein Vorgänger, der jüngere Moltke, sowie seine Nachfolger Hindenburg und Ludendorff nahmen Einfluß auf seine Entscheidungen — oder behaupteten, es zu tun —, und es war notwendig, die Größe ihres Einflusses festzustellen. Die Einbeziehung der Umgebung Falkenhayns in die Darstellung wurde auch durch die Quellenlage nahegelegt. Viele der relevanten Zeugnisse, die Auskunft über Falkenhayn geben, stammen nicht vom ihm, sondern von seinen Mitstreitern und Gegenspielern. Und schließlich verbot auch die dieser Arbeit zugrundeliegende Zielsetzung eine zu enge Zentrierung auf die Person Falkenhayn. Denn schließlich geht es hier vorrangig um die Tätigkeit der 2. Obersten Heeresleitung — um einen entscheidenden, von Falkenhayn geprägten Abschnitt der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts. Die bisherige Forschung zu Falkenhayn und die Beschaffenheit des Quellenmaterials, das zu vielen ermüdenden Wiederholungen gezwungen hätte, erlaubten keine thematische Biographie. Quellen und Forschungsstand legten eine »klassische« Vorgehensweise, eine im wesentlichen chronologisch aufgebaute Darstellung nahe. Diese soll helfen, Schwankungen und Kontinuitäten in Falkenhayns politischem und strategischem Denken, unter Berücksichtigung der stets wechselnden äußeren Umstände, aufzeigen und deuten zu können. Leben und Wirken Erich v. Falkenhayns sollen hier die ihnen zukommende historische Darstellung finden.
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Weitere Archive: Archivalien- und Literaturverzeichnis.
I. Herkunft, soziales Umfeld, Laufbahn bis 1896
Nicht Universalität, sondern Einseitigkeit macht schneidig für den Zweck. General v. Roon
Erich v. Falkenhayn entstammte einer westpreußischen Adelsfamilie. Seine ursprünglich aus Thüringen stammende Familie hatte sich im 14. Jahrhundert in der Mark Brandenburg angesiedelt und von dort nach Schlesien und Preußen ausgebreitet. Unter den Vorfahren der Falkenhayns finden sich Deutsch-Ordensritter, preußische und österreichische Generäle, hohe Soldaten und Beamte. Die Falkenhayns waren Offiziere, Gutsbesitzer oder Verwaltungsbeamte seit Generationen — geradezu eine Modellfamilie für die typisch preußische Form des Dienstadels, der unter dem Schlagwort »Junkertum« oft beschrieben, bewundert und auch kritisiert worden ist — wie vor allem von Theodor Fontane1. Erich Georg Sebastian Anton v. Falkenhayn wurde am 11. September 1861 als sechstes von sieben Kindern auf dem Familiengut Burg Belchau im Kreis Graudenz der Provinz Westpreußen geboren. Sein Vater Fedor (1814—1896) war zunächst Referendar, später Herr auf Gut Belchau. Seine Mutter Franzisca, geboren 1826, entstammte der ebenfalls westpreußischen Familie der Rosenbergs. Sein Großvater väterlicherseits war Rittmeister a. D. und Gutsherr, dessen Vater preußischer Landrat in Flatow. Sein Großvater mütterlicherseits war Gutsbesitzer und Generallandschaftsdirektor von Westpreußen. Diese Tradition von Offizieren und Beamten in der Familie Falkenhayn setzte sich in Erichs Generation fort. Hier kam jedoch ein sehr starker militärischer Einschlag der Familie zum Tragen, von dem nicht nur Erich, sondern alle seine Brüder und sogar seine Schwester erfaßt worden sind. Ein Blick auf die Biographie der sieben Geschwister zeigt, wie sehr ihr Leben vom Dienst in der Armee geprägt wurde. Erich v. Falkenhayns ältere Brüder Anton, geboren 1849, und Georg, geboren 1852, brachten es bis zum Rittmeister a.D.; beide starben schon vor dem Ersten Weltkrieg. Seine einzige Schwester Olga, geboren 1851, heiratete einen Soldaten, den späteren Generalmajor Moritz v. Bock. Ihr Sohn Fedor wurde ebenfalls Soldat: Er war einer der bekanntesten deutschen Feldmarschälle des Zweiten Weltkriegs2. Erichs älterer Bruder Eugen, geboren 1853, wurde General der Kavallerie3. Neben einer Reihe wichtiger Funktionen bekleidete er das Amt des Oberhofmeisters der Kaiserin 1
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Hier sollen nur Theodor Fontanes Werke »Vor dem Sturm«, »Schach v. Wuthenow«, »Effi Briest« und »Der Stechlin« hervorgehoben werden — die alle in einem aristokratischen, militärischen und preußischen Milieu angesiedelt sind und viel von Theodor Fontanes ambivalentem Verhältnis zu dieser Klasse erkennen lassen. Zum Junkertum: Carsten, Geschichte; Demeter, Offizierkorps; StolbergWernigerode, Generation. Zu Moritz v. Bock siehe die Biographie in der NDB. Zu Eugen v. Falkenhayn siehe das Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Berlin 1934.
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und war Militärgouverneur des Kronprinzen. Im Ersten Weltkrieg führte er als Kommandierender General das XXII. Reservekorps — das vor Ypern zum Einsatz kam. Sein Bruder Artur, geboren 1857, wurde Beamter und kam als Wirklicher Geheimer Rat ins preußische Innenministerium. Er unterrichtete den Kronprinzen Wilhelm über preußisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Außerdem arbeitete er an der preußischen Wahlreformvorlage mit. Vor dem Ersten Weltkrieg mußte er gelegentlich im Reichstag und im preußischen Landtag zu Regierungsangelegenheiten sprechen und erwarb sich bei den Linksparteien und der liberalen Presse den Ruf eines uneinsichtigen Reaktionärs4. Darüber hinaus war Artur Reserveoffizier — der Major d. R. begleitete während des Ersten Weltkrieges seinen Bruder Erich als Ratgeber in Verwaltungsangelegenheiten nach Rumänien, Kleinasien und Rußland. Falkenhayns jüngerer Bruder Kurt, geboren 1863, wurde Oberstleutnant bei der Marineinfanterie. Die Geschwister Falkenhayns hielten ihr Leben lang eng zusammen. Bindeglied und Treffpunkt der Brüder bildete Schwester Olga v. Bock, die in Berlin lebte. Ein besonders enges Verhältnis — zumindest nach dem Ersten Weltkrieg — hatte Erich v. Falkenhayn zu seinem Bruder Artur, den er meist mit leichter Ironie den »Geheimrat« nannte5. Die Familienbeziehungen waren den Brüdern bei ihrer Karriere bestimmt nicht von Schaden. Im Mai 1914 behaupteten die Sozialdemokraten im Reichstag sogar, daß Falkenhayn seinen raschen Aufstieg zum preußischen Kriegsminister der Tatsache verdanke, daß zwei seiner Brüder Erzieher des Kronprinzen waren6. Die Familie Falkenhayn besaß mit ihrer Burg Belchau, zu dem noch ein weiteres Gut im Kreis Thorn kam, Grundbesitz von beträchtlicher Größe 7 . Der junge Erich verlebte seine Kindheit auf dem väterlichen Gut. In seiner Familie herrschte ein »altpreußisch«-konservativer Geist 8 . Gerne erinnerte man sich an die soldatischen Traditionen der Familie und an verschiedene Episoden, die sich auf Gut Belchau während der napoleonischen Kriege abgespielt hatten und an die Falkenhayn zeitlebens gern zurückdachte. Der als lebhaft und aufgeweckt beschriebene Knabe erhielt den ersten Unterricht im elterlichen Haus. Dort hörte der Heranwachsende auch die Siegesmeldungen aus dem 4 5 6
Siehe das Pressearchiv des Reichslandbundes, Artur v. Falkenhayn, in: BA-P. Siehe die Briefe Falkenhayns an seinen Adjutanten Engelbrecht, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Reichstagsrede des SPD-Abgeordneten Schulz (Erfurt) vom 5.5.1914, in: RT, Bd 294, S. 8458. Schulz unterstellte in seiner Rede, daß Falkenhayn durch die Protektion des Kronprinzen, dessen Bekanntschaft er durch seinen Bruder Artur gemacht habe, Kriegsminister geworden sei. Diese Behauptung ist, wie sich noch zeigen wird, unrichtig.
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Nach Ziolkowski, Handbuch, S. 102, betrug die Größe von Gut Belchau 1504 ha, davon 1113 ha Ackerland, 59 ha Wiesen, 321 ha Holzungen und 11 ha Wasserflächen; der Grundsteuerreinertrag betrug 14420 RM. Nach diesen Daten zu urteilen, müßte die Familie Falkenhayn ausgesprochen wohlhabend gewesen sein. Die Quellen lassen das jedoch nicht erkennen; später galt Falkenhayn sogar als vermögenslos und bezeichnete sich selbst als »arm wie eine Kirchenmaus« (siehe unten). Möglicherweise war das Gut infolge von Erbteilung und nötigen Auszahlungen mit Hypotheken belastet, was den Widerspruch erklären könnte.
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Zwehl, Falkenhayn, S. 16.
I. Herkunft, soziales Umfeld, Laufbahn bis 1896
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preußisch-österreichischen Krieg 1866 und aus dem deutsch-französischen Krieg 1870/71. Im Alter von elf Jahren wurde er dann in das Kadettenhaus in Culm geschickt. In seinem Elternhaus hatte Erich v. Falkenhayn nach dem Urteil eines zeitgenössischen Biographen eine »altpreußische Gesinnung« 9 vermittelt bekommen. Welche Art von Erziehung sich hinter diesem Begriff verbarg, kann mangels anderer Quellen nur vermutet werden. Wahrscheinlich sind die Wurzeln seines politischen Weltbildes schon in seiner Kindheit angelegt worden: sein straffes militärisches und politisches Ordnungsdenken, die Beurteilung anderer Völker nach ihrer militärischen Leistungsfähigkeit, deshalb auch die Verachtung Österreichs, das sich im Kriege von 1866 — wie schon mehrfach in der preußischen Geschichte — als unterlegen gezeigt hatte, und die Verachtung Frankreichs nach dem Kriege von 1870/71, in dem sich ein für allemal gezeigt zu haben schien, daß auch dieser Nachbar mit Preußen-Deutschland nicht mehr konkurrieren konnte. Quellenmäßig belegt ist, daß in seinem westpreußischen Elternhaus die traditionelle russisch-preußische Freundschaft einen hohen Stellenwert besaß. Das Familiengut Belchau lag in überwiegend polnisch besiedeltem Gebiet. Während der napoleonischen Kriege war Belchau schon einmal dem als Großherzogtum Warschau kurzfristig wiedererstandenen polnischen Staat zugefallen, woran sich die Familie noch gut erinnerte. Ein selbständiges Polen lehnten die Falkenhayns schon aus Familientradition ab10. Die beste Garantie gegen eine Wiederholung dieses Vorganges war eine feste deutschrussische Freundschaft. Daß Erich v. Falkenhayn schon frühzeitig in die Kadettenschule geschickt wurde, war nicht untypisch für den Sohn aus einer preußischen Adelsfamilie. Die Kadettenanstalten vermittelten eine Verbindung von schulischer und vormilitärischer Ausbildung. Die schulischen Anforderungen entsprachen denen eines Realgymnasiums 11 . Die Kadetten wurden darüber hinaus zum »offiziergerechten Denken und Handeln« erzogen 12 . Die Ausbildung mußte nicht im Soldatenberuf enden, war aber ganz auf ihn ausgerichtet; das Kadettenkorps war ein Zweckinstitut für die Heranbildung von Offizieren 13 . Oder, wie der preußische Kriegsminister Roon es ausdrückte — auch seine militärische Laufbahn hatte in der Culmer Kadettenanstalt begonnen: »Nicht Universalität, sondern Einseitigkeit macht schneidig für den Zweck 14 .« Mehr als jedes normale Internat prägte die Kadettenanstalt ihre Zöglinge. Sie bekamen frühzeitig das Gefühl vermittelt, später als Offiziere zur Elite der Gesellschaft zu gehö'Ebd. A m 1 0 . 1 0 . 1 9 1 9 ging Erich v. Falkenhayn in einem Brief an seinen Freund Constantin v. Hanneken auf die Verhältnisse auf dem Familiengut Burg Belchau ein. Dieses war durch die Gebietsabtretungen nach dem Ersten Weltkrieg polnisch geworden. Falkenhayn erwähnt, daß sich sein Urgroßvater nach dem Tilsiter Frieden in derselben Lage befunden habe und durch ein Schreiben Friedrich Wilhelms III. zum Aushalten ermuntert worden sei. In: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Siehe auch Kap. VII, 4. 11 Zur Bildung des wilhelminischen Offiziers: Messerschmidt, Militär; Stolberg-Wernigerode, Generation, S. 310. 12 Breit, Staats- und Gesellschaftsbild, S. 15. 13 Stolberg-Wernigerode, Generation, S. 311. 14 Ebd. 10
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I. Herkunft, soziales Umfeld, Laufbahn bis 1896
ren, und verinnerlichten den Korpsgeist und den Ehrbegriff des Offizierkorps 15 . Auch die frühe Eingliederung in eine militärische Hierarchie — bewährte Kadetten erhielten Befehlsgewalt über ihre Kameraden — und die Einseitigkeit der Ausbildung blieben nicht ohne Folgen für die Entwicklung der Heranwachsenden. Falkenhayn-Biograph Solger mutmaßte in den Dreißiger Jahren sogar, daß der von Natur aus lebhafte Knabe Erich v. Falkenhayn in der Kadettenanstalt seine kindliche Art zu frühzeitig habe unterdrücken müssen und dadurch einen seelischen Schaden genommen habe 16 . Er verwies auf den Gegensatz zwischen Falkenhayns natürlichem Temperament und der geradezu eisigen Reserve und Unnahbarkeit, die viele seiner späteren Mitarbeiter an ihm bemerkten. Außerdem machte Solger die Kadettenanstalt für Falkenhayns rein militärische Interessen verantwortlich — das wohl mit Recht. Außer der Jagd hatte Falkenhayn auch später keine ausgeprägten Liebhabereien, die nicht irgendwie mit dem Soldatischen in Beziehung standen. Das Militärische ging ihm — wie nahezu allen ehemaligen Kadetten — in Fleisch und Blut über. In dieser frühen Festlegung lag die wohl größte Gefahr der Kadettenschulen. Im Alter von elf Jahren, als er noch nicht fähig war, eine solche Entscheidung selbst zu treffen, wurde der bereits im Elternhaus in diesem Sinne erzogene Knabe auf den Soldatenberuf festgelegt. Ein Hauptziel der Erziehung in den Kadettenanstalten war es — um es mit den Worten Friedrichs II. zu sagen — »denen Cadets eine vernünftige Ambition beizubringen« 17 . Theodor Schieder definiert in seiner Friedrich-Biographie den Begriff der Ambition als »fundamentalen Wertbegriff [...], in dem Verschiedenes mitschwingt: Ruhm, Ehrgeiz, Führungswille, Streben nach Auszeichnung« 18 . In diesem Sinne war Falkenhayn zeitlebens hochambitioniert. Dem normalen Ausbildungsgang der Kadettenschulen folgend, kam Erich v. Falkenhayn mit vierzehn Jahren in die Hauptkadettenanstalt Lichterfelde. Die Hauptkadettenanstalt wurde in der Regel mit dem Fähnrichsexamen oder dem schwereren Abschlußexamen der Selecta verlassen; die Kadetten konnten aber auch das Abitur ablegen. Erich v. Falkenhayn Schloß mit der Selecta ab und wurde am 17. April 1880 als Second-Leutnant der 1. Kompanie des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91 zugeteilt. Zu diesem Zeitpunkt war er achtzehn Jahre alt. Der junge Falkenhayn lebte sich in Oldenburg gut ein19. Er war nach Ansicht eines zeitgenössischen Biographen der »Typus des frischen, [...] aber auch leichtlebigen Leutnants« 20 . Worin sich diese Leichtlebigkeit ausdrückte, verschweigt die Quelle leider; anzunehmen ist, daß die zählebige Behauptung, Falkenhayn habe einen Hang zum Glücksspiel, ihre Wurzel in seiner Leutnantszeit hat. Sie sollte ihm später bei seinen Feinden den 15 16 17 18 19
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Über Falkenhayns soldatischen Ehrbegriff siehe S. 50 f.; S. 128 f. Solger, Falkenhayn, S. 74. Schieder, Friedrich der Große, S. 60. Ebd. Falkenhayns späterer Adjutant Hans Henning v. Pentz schrieb in einem Brief vom 12.11.1959 an Karl-Heinz Janßen: »Mein Vater, der mit Falkenhayn zusammen Leutnant in Oldenburg war, sprach stets mit der größten menschlichen Anerkennung von Falkenhayn [...].«In: BA-MA, Nachlaß Pentz. Reymann, Falkenhayn, S. 56.
I. Herkunft, soziales Umfeld, Laufbahn bis 1896
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Spitznamen »Der Spieler« eintragen21. Die Behauptung, Falkenhayn sei als junger Offizier ein notorischer Glücksspieler gewesen, entzieht sich der historischen Nachprüfbarkeit. Es ist quellenmäßig belegt, daß Falkenhayn sich schon zu Beginn seiner militärischen Laufbahn als Soldat bewährt hat. Sein Regiments-Kommandeur, Oberst Graf v. Hertzberg, beurteilte den Zweiundzwanzigjährigen am 1. Januar 1884 folgendermaßen: »Ein junger Offizier von recht eleganter äußerer Erscheinung und gewandten, sicheren Formen. Geistig und körperlich außergewöhnlich begabt, eifrig und für seine Jugend besonders brauchbar im praktischen Dienst, hat er schon nach zweijähriger Dienstzeit zum Bataillonsadjutanten ernannt werden können, in welcher Stellung er ebenfalls recht Gutes leistet22.« Noch im gleichen Jahr stieg Falkenhayn zum Adjutanten des Landwehrbezirkes auf. Im Jahre 1886 heiratete Erich v. Falkenhayn die damals neunzehnjährige Ida Selkmann, die Tochter des Wirklichen Geheimen Rates und Oldenburgischen Bundesratsbevollmächtigten in Berlin, Wilhelm Selkmann. Nach den Aussagen ihrer Verwandten und nach den Photographien zu urteilen, war Ida v. Falkenhayn »ein graziles, hübsches junges Mädchen. Sie war kapriziös, egozentrisch und sehr verwöhnt« 23 — Eigenschaften, die Falkenhayn an der Neunzehnjährigen entzückten, die ihn im Laufe seines Ehelebens jedoch mehr und mehr enervierten. Als 1914 Bekannte zum achtundvierzigsten Geburtstag seiner Frau gratulierten, meinte Falkenhayn nur trocken: »Meine Frau nähert sich auch mit diesem Geburtstag wieder mehr dem Backfischstadium24.« Ihren repräsentativen Pflichten kam Ida jedoch mit Meisterschaft und Enthusiasmus nach, wie Bekannte der Falkenhayns häufig feststellen konnten 25 . 1887 wurde Falkenhayn zum ersten Male Vater. Sein Sohn Hans starb unter unglücklichen Umständen schon 1901 26 . Sohn Fritz, geboren 1890, war im Ersten Weltkrieg Hauptmann und arbeitete im Generalstab als technischer Leiter der Fliegertruppe. Nach
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Besonders der kaiserliche Gesandte v. Treutier machte diesen Spitznamen populär. Janßen, Exzellenz, S. 169. Siehe auch Kap. II, 1.
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Diese und alle folgenden Personalbeurteilungen Falkenhayns entstammen einem Manuskript Kurt v. Priesdorffs über Erich v. Falkenhayn, das wahrscheinlich für die nicht erschienenen Fortsetzungsbände seiner Biographiensammlung »Soldatisches Führertum«, Bd 1—10, Hamburg 1936—1942, bestimmt war. In diesem Manuskript — einer Kurzbiographie von 29 Schreibmaschinenseiten — verwertete Priesdorff die heute vernichteten Personalunterlagen des Heeresarchivs. Das Manuskript befindet sich im Besitz von General Jürgen v. Falkenhayn, Wentorf.
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So beschreibt die Enkelin Falkenhayns, Frau Uta v. Aretin, ihre Großmutter. Im Besitz Frau v. Aretins befinden sich auch Fotoaufnahmen Ida v. Falkenhayns.
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Brief Falkenhayns an Elsa v. Hanneken vom 1 6 . 6 . 1 9 1 4 (im Besitz Uta v. Aretins). So berichtet etwa die Literatin und Botschaftergattin Elisabeth v. Heyking in ihrem Tagebuch mehrmals von dem guten Eindruck, den das Ehepaar Falkenhayn auf sie gemacht habe (vgl. Heyking, Tagebücher, S. 229). Zwehl, Falkenhayn, S. 26, spricht von »herzlicher, fröhlicher Gastfreundschaft« im Hause Falkenhayns während dessen Zeit in Metz. In der Familie Falkenhayn sind noch die genauen Schilderungen Ida v. Falkenhayns lebendig, die — weit über neunzig — erst 1963 starb.
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Der Junge beging Selbstmord, während Falkenhayn in China war. Die Ursache waren vermutlich schulische Schwierigkeiten. Auskunft von Frau Uta v. Aretin.
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I. Herkunft, soziales Umfeld, Laufbahn bis 1896
dem Krieg machte er als Geschäftsmann Karriere27. Eine Tochter starb 1893 nur drei Monate nach der Geburt. Das vierte Kind wurde 1904 geboren28. Uber das Falkenhaynsche Familienleben zu jener Zeit ist wenig bekannt. Erst nach der Jahrhundertwende wissen wir mehr, und wir sehen ein Familienleben mit den normalen Problemen: Umzugssorgen wegen der häufigen dienstlichen Versetzungen, Schulproblemen der Kinder, Sorgen um Gesundheit und Wohlergehen, dem Wunsch nach Komfort und den jährlichen Sommerferien an der Nordsee. Auch die junge Ehe wird nicht viel anders gewesen sein — bis auf das Geld, denn erst das Gehalt eines Hauptmanns ermöglichte ein angemessenes Leben ohne Zuschüsse von Eltern und Verwandten29. Die nächste Etappe in Falkenhayns dienstlicher Laufbahn war die Kriegsakademie, die er von 1887—1890 besuchte. Auf der Kriegsakademie wurden die zukünftigen Generalstabsoffiziere und der größere Teil der höheren militärischen Führer ausgebildet. Ihre Absolventen wurden rascher befördert als ihre Kameraden im Truppendienst und kamen in ihrer militärischen Laufbahn weiter, einer Laufbahn, die sie zumeist in höhere Adjutantenfunktionen, in den Großen Generalstab oder aber in den Truppengeneralstab führte30. Für die Aufnahme mußten sich die Leutnante selbst bewerben. Aus ungefähr dreihundert bis vierhundert Bewerbern wurden jährlich die hundert Besten ausgesucht. Der Besuch der Kriegsakademie umfaßte drei Jahre intensiven Studiums, das neben militärtechnischen Fächern auch eine Fremdsprache und Militärgeschichte umfaßte31. Aus den Memoiren von Gustav v. Freytag-Loringhoven, dem späteren »Lieblingsschüler Schlieffens«, der mit Falkenhayn im selben Jahrgang auf der Akademie war, kennen wir einige von den Offizieren, die damals in der Kriegsakademie unterrichteten. Lehrer für angewandte Taktik im ersten Jahr war Major v. Hindenburg, der spätere Feldmarschall. Geheimrat Koser, später Direktor der preußischen Staatsarchive, unterrichtete die Offiziere in Geschichte32. Falkenhayn schnitt auf der Akademie gut ab. Seit 1889 Premierleutnant, konnte er die Akademie im darauffolgenden Jahr mit einem »glänzenden Zeugnis« verlassen33. Unter 27
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Fritz v. Falkenhayn wurde später Aufsichtsratsvorsitzender der Auto-Union. Die Entwicklung zum Kaufmann wurde von seinem Vater mit Sorge betrachtet. Siehe S. 49. Stolberg-Wernigerode, Generation, S. 323; Breit, Staats- und Gesellschaftsbild, S. 9 f. Stolberg-Wernigerode, Generation, S. 314. Ebd., S. 313. Besonders ausführlich informiert über den militärischen Bildungsgang Poten, Geschichte I—V. Zur Ausbildung an der Kriegsakademie ebd., IV, S. 291—307. Freytag-Loringhoven, Menschen, S. 54 ff. Priesdorff, Manuskript Falkenhayn (in Privatbesitz). Zwehl, Falkenhayn, S. 17, druckt drei Urteile des Lehrers in der angewandten Taktik (Hindenburgs?) ab. Die Urteile einer Prüfung lauten: »PremierLeutnant Lauenstein [...]. Ungemein klar durchdacht, korrekt und sicher in der Form. Gutes, scharfes Urteil auch in der mündlichen Besprechung. [...] Premier-Leutnant Frhr. v. Freytag-Loringhoven. Schlußarbeit sehr wohl durchdacht und von ernster Auffassung zeugend, hier und da etwas umständlich. [...] Second-Leutnant v. Falkenhayn, vom Infanterie-Regiment 91. Zeigt frischen Sinn und doch klare Überlegung, auch in der Redeform gewandt. Schlußarbeit zeigt große Kühnheit und Entschlußfähigkeit und im allgemeinen richtige Befehlsform, arbeitet rasch und gewandt.« — Zwehl schreibt: »Unter diesen drei als die besten seiner Abteilung [Hörsaal? Dann wären es 50 Schüler.] bezeichneten Offizieren rangierte nach dem Urteil des Lehrers Lauenstein an erster, Falkenhayn an dritter Stelle.«
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den Absolventen von Falkenhayns Jahrgang befanden sich außer den späteren Generälen Freytag-Loringhoven, Lauenstein und Below auch der zukünftige kaiserliche Gesandte v. Treutier, der mit Falkenhayn in jener Zeit nach eigenem Bekunden gut bekannt war34. Er berichtete über Falkenhayns Privatleben, daß jener »an dem etwas leichteren Ton der damaligen Zeit« teilgenommen habe und dabei in finanzielle Schwierigkeiten gekommen sei. Damit spielte Treutier auf Falkenhayns angebliche Neigung zum Glücksspiel an. Es gelang Falkenhayn, nach dem Besuch der Kriegsakademie für zwei Jahre in den Großen Generalstab kommandiert zu werden, an dessen Spitze noch der Graf Waldersee stand. Von allen Absolventen der Kriegsakademie glückte nur einem Drittel dieser Sprung, und von diesen erreichte es nur die Hälfte, nach der zweijährigen Probezeit fest im Generalstab eingeplant zu werden. Der 1893 zum Hauptmann beförderte Falkenhayn gehörte zu diesen wenigen. Während seiner zweijährigen Kommandierung arbeitete Falkenhayn in der topographischen Abteilung 35 , später befaßte er sich mit eisenbahntechnischen Fragen36. Es war üblich, die Offiziere nach einer gewissen Zeit in den Truppendienst zurückzuversetzen, damit sie im Generalstab nicht »frontfremd« wurden. Falkenhayn wurde 1894 zunächst in den Generalstab des IX. Armeekorps nach Altona versetzt, dessen Chef seit 1891 Graf Waldersee war. Die Führung des Großen Generalstabs hatte jetzt Graf Schlieffen übernommen, der in seinen fünfzehn Jahren als Generalstabschef die sogenannte Schlieffenschule begründete — ein operatives Denken, das hauptsächlich auf dem Gedanken der Umfassungs- und Vernichtungsschlacht aufgebaut war 37 . Falkenhayn wurde zu früh aus dem Generalstab versetzt, um von der Schlieffen-Prägung erfaßt zu werden 38 . Ebenfalls ganz dem üblichen Muster entsprach Falkenhayns Versetzung im Jahre 1895 nach Thorn. Er wurde dort Kompaniechef im Infanterie-Regiment Nr. 21. Denn auch Generalstäbler mußten für mindestens ein Jahr eine Kompanie führen. Doch Falkenhayn sollte nur knappe neun Monate in Thorn — das ganz in der Nähe des Familiengutes Burg Belchau lag — bleiben.
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Janßen, Exzellenz, S. 169. Hiller v. Gaertringen, Falkenhayn, S. 12. Zwehl, Falkenhayn, S. 26. Siehe dazu Wallach, Dogma, der sich sehr kritisch mit dem geistigen Erbe Schlieffens in der deutschen Armee auseinandersetzt. Falkenhayn wurde wegen angeblicher Mängel in seiner Generalstabsausbildung während und nach dem Ersten Weltkrieg hart angegriffen. Auch mit diesem Thema beschäftigt sich Wallach in seinem Buch ausführlich. Siehe dazu auch Kap. V, 6, bes. S. 2 1 2 f .
II. China (1896-1903)
Falkenhayn hatte das, was man in der streng korrekten deutschen Armee eine bewegte Vergangenheit nannte. »Ein Stabsoffizier« in der »Weltbühne«
1. Warum Falkenhayn nach China ging — Vorgeschichte Bisher hatte Falkenhayn die typischen Karrierestationen eines befähigten preußischen Offiziers durchlaufen. Jetzt aber, im Juni 1896, verließ er diese Laufbahn, nahm seinen Abschied, wenn auch mit der Aussicht auf spätere Wiedereinstellung, und ging als Militärinstrukteur nach China. Es war für einen deutschen Offizier ungewöhnlich, in ausländische Dienste zu treten. Das lag vor allem daran, daß deutscherseits eine weltweite imperiale Politik erst seit dem Beginn der Achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts betrieben wurde — ein zu kurzer Zeitraum, als daß sich eine Tradition des Dienstes in den Kolonien oder bei Militärmissionen hätte etablieren können. Eine Ausnahme bildete die Türkei, in der sich seit den Tagen des älteren Moltke immer wieder im deutschen Heer hochangesehene Soldaten als Militärberater aufhielten 1 . In England und Frankreich lagen die Dinge anders; dort war der Dienst in den Kolonien normal und auch eine Abstellung auf Zeit als Militärausbilder nicht ungewöhnlich 2 . Unter den hohen deutschen Offizieren des Ersten Weltkrieges nahm Falkenhayn durch seinen Auslandsdienst jedoch eine Sonderstellung ein. Sein Ubertritt in chinesische Dienste war für einen erfolgreichen preußischen Offizier so ungewöhnlich, daß sich viele Zeitgenossen und Historiker verwundert fragten, was ihn dazu bewogen haben könnte. Die gängige Erklärung lautete, daß Falkenhayn wegen Spielschulden den Dienst habe quittieren müssen, um nach einer gewissen Zeit im Fernen Osten »mit völlig reiner Weste zurückzukehren« 3 . Diese Annahme schien schon deshalb nicht abwegig, weil nicht selten jüngere Offiziere durch Verschwendung oder Spielschulden in Not gerieten und den Dienst quittieren mußten 4 .
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Zu den deutschen Militärmissionen im Ausland siehe: Schmidt-Richberg, Regierungszeit, S. 16—18, besonders S. 16. Dort auch weitere Literaturhinweise. Zur deutschen Militärmission in der Türkei siehe Wallach, Anatomie. Siehe auch Kap. VI, 2. Zwei Beispiele: Falkenhayns spätere Gegenspieler Haig und Joffre verbrachten große Teile ihrer Laufbahn in den Kolonien. Janßen, Exzellenz, S. 168. Die These von den Spielschulden erwähnt Solger, Falkenhayn, S. 76. Ein Verzeichnis der Anspielungen auf Falkenhayns Spielleidenschaft in: Wild von Hohenborn, Briefe, S. 29, Anm. 2. Stolberg-Wernigerode, Generation, S. 323 f.
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Bei der Annahme, Falkenhayn sei durch seine Spielschulden zum Übertritt in chinesische Dienste gezwungen worden, handelt es sich wahrscheinlich um eine hartnäckige Verleumdung von Kameraden, die sich nicht vorstellen konnten, daß ein preußischer Offizier nur aus einem »unbestimmten Wandertriebe«5 heraus den Dienst quittieren und nach China gehen könnte. Seine späteren Gegner nutzten den Vorwurf vom »Spieler« Falkenhayn, um ihn nicht nur als Strategen, sondern auch als Charakter herabsetzen zu können 6 . Die Frage, unter welchen Umständen Falkenhayn die preußische Armee verließ, ist von biographisch herausragendem Interesse. Im folgenden soll daher vor dem Hintergrund der deutsch-chinesischen Beziehungen jener Zeit untersucht werden, ob Falkenhayn als am Spieltisch gescheiterte Existenz nach China ging — oder ob es nicht vielleicht ganz andere Erklärungen für diesen Schritt gibt. Der chinesisch-japanische Krieg von 1894/95 hatte für China zu einer Kette schwerer militärischer Niederlagen geführt. Der profilierteste chinesische Staatsmann der Epoche, der Generalgouverneur (»Vizekönig«) Li Hung-chang (1823—1901), war von zwei deutschen Beratern auf die Idee gebracht worden, die chinesische Armee durch deutsche Offiziere reformieren zu lassen. Gustav Detring 7 , der in der Seezollverwaltung in Tientsin — Li's Amtssitz, der Hauptstadt der Provinz Chihli — arbeitete, sowie dessen Schwiegersohn Constantin v. Hanneken 8 , der Li als Militärberater und Festungsbaumeister diente, hatten im Herbst 1894 einen Plan zur militärischen Stärkung Chinas entwickelt. 2500 deutsche Offiziere und Unteroffiziere sollten engagiert werden und den Kern einer neuen chinesischen Armee schaffen, die sich durch weitere Selbstausbildung der Chinesen im Schneeballsystem auf eine moderne 100000-Mann-Armee vergrößern sollte9. Gerade die japanischen Erfolge waren ein überzeugender Beweis für die Wirksamkeit deutscher Ausbildung — das japanische Heer war von deutschen Instrukteuren unter der Leitung des damaligen Majors Jakob Meckel nach preußischem Vorbild geschult worden. Aus verschiedenen Gründen — finanzieller wie politischer Art — konnte die Reform auf der Ebene Gesamtchinas nicht realisiert werden. Der Abbruch des Vorhabens im Januar 5 6
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Solger, Falkenhayn, S. 75 f. Ludendorff schrieb in einem Brief vom 2.1.1915 an Helmuth v. Moltke: »Der Herr v. Falkenhayn ist ein Unglück für uns, er ist ein Spieler sein lebenlang gewesen und kennt nur seinen Ehrgeiz, nicht das Vaterland. [...] Excellenz kennen mein Empfinden, ich kann hassen und diesen Mann hasse ich.« In: Zechlin, Krieg, S. 200. Siehe auch Kap. V, 6. Falkenhayns Familie hält die Behauptung, Falkenhayn sei wegen seiner Spielschulden nach China gegangen, für falsch. Angabe von Uta Freifrau v. Aretin und General Jürgen v. Falkenhayn. Zu Gustav Detring siehe die Biographie von Vera Schmidt. Zu Constantin v. Hanneken (1854—1925) siehe Roemer, Hanneken, S. 265 und Foto Nr. 49. Ausführlicher Schmidt, Aufgabe, besonders S. 36—41. Siehe auch unten. Dieser Plan wird erläutert bei Schmidt, Aufgabe, S. 38—41; Powell, Rise, S. 71 ff. Der Plan wurde zwar in dieser Form nicht ausgeführt, hatte aber unter seinen Auswirkungen die Gründung der Peiyang-Armee, aus deren Reihen später eine Reihe führender chinesischer Staatsmänner und »warlords« hervorgegangen sind. Siehe Powell, Rise, S. 79f. Vermutlich aus der Zeit 1896/97 stammt Detrings und Hannekens »Denkschrift an den Tu pan Chün wu chu über die Bildung einer chinesischen Armee«, in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz), in der noch einmal diese geschilderten Vorschläge aufgegriffen werden.
1. Warum Falkenhayn nach China ging — Vorgeschichte
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1895 kam jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem die Idee in China einflußreiche Anhänger gefunden hatte und in Deutschland bereits Offiziere angeworben worden waren. Li Hung-changs Konkurrent Chang-Chih-tung, seit Herbst 1894 Generalgouverneur der unteren Yangtze-Provinzen, griff den Gedanken der Erneuerung seiner Provinz-Armee durch deutsche Instrukteure auf. Chang-Chih-tung (1837—1909) gehörte ebenso wie Li Hung-chang zu den konservativen Reformern< in den Spitzen der chinesischen Verwaltung. Obwohl er selbst ganz im Geiste des Konfuzianismus erzogen war, glaubte er an die Notwendigkeit einer Modernisierung Chinas durch Übernahme westlicher Technik, um die Fundamente der alten chinesischen Kultur retten zu können10. Nach dem Desaster des chinesisch-japanischen Krieges schien ihm eine militärische Stärkung Chinas dringend erforderlich. Deshalb wollte Chang-Chih-tung nach dem Scheitern des großen gesamtchinesischen Militär-Reorganisationsplans zumindest die Streitkräfte der von ihm verwalteten mittelchinesischen Provinzen modernisieren. Noch unter der Drohung einer japanischen Invasion ließ Chang in der zweiten Jahreshälfte 1895 eine »Selbst-StärkungsArmee« 11 von 13 Bataillonen in Nanking, Chinas alter Hauptstadt, aufstellen. Die neugeschaffene Truppe orientierte sich am Modell der deutschen Armee und wurde von 35 deutschen Offizieren und Unteroffizieren ausgebildet. Die Leitung hatte ein deutscher Major12. Die deutschen Ausbilder waren teils von dem verworfenen größeren Projekt übernommen, teils durch den chinesischen Gesandten in Berlin im Auftrage ChangChih-tungs, teils über die Vermittlung der Firma Krupp engagiert worden13. Alle Ausbilder waren über einen Privatvertrag nach China gekommen, nicht durch die offizielle Vermittlung des Deutschen Reiches. Das Nahziel dieser Reorganisation war eine moderne, deutsch trainierte Armee in Brigadestärke14. Die chinesischen Mannschaften hatten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen. Chang-Chih-tung wollte es nicht mit der Aufstellung dieser Armee bewenden lassen, sondern künftig auch chinesische Offiziere einer wissenschaftlichen Ausbildung nach deutschem Vorbild unterziehen. In einer Denkschrift vom Februar 1896 befürwortete Chang-Chih-tung die Einrichtung einer Militärakademie in Nanking mit folgender Begründung: »In reorganizing an army for defense, the ability of the officers is of utmost importance. The reason why the German army is first among the Western powers comes from the fact that all men of the country are soldiers, but, even more important, among its troop commanders there is none who has not been graduated from a military academy15.« Chang-Chih-tung wollte in dieser neuzugründenden Militärakademie Angehörige der alten, konfuzianisch erzogenen Elite zu Offizieren ausbilden lassen — eine Absicht, die zeigt, wie eng sich Tradition und Fortschrittsstreben bei diesen chinesischen Modernisierungsbemühungen verbanden. Zunächst sollten 150 gut ausgesuchte Kadetten mit dem 10 11 12 13 14 15
Powell, Rise, S. 53. Ebd., S. 6 0 - 7 1 . Ebd., S. 62. Ebd., S. 62, Anm. 25. Ebd., S. 65. Die Armeestärke sollte 1 0 0 0 0 Soldaten betragen. Denkschrift Changs vom 2 . 2 . 1 8 9 6 (zit. nach ebd., S. 67).
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chinesischen Literaturexamen durch deutsche Offiziere militärwissenschaftlich ausgebildet werden. Das Literaturexamen war als Zeichen des sozialen Ansehens von großer Wichtigkeit. Bisher genossen Militärmandarine in China kein Sozialprestige. Nur diejenigen, die das für den Zivil-Mandarindienst abzulegende Examen nicht bestanden hatten, schlugen die militärische Laufbahn ein. Die erfolgreicheren Zivilbeamten sahen auf ihre militärischen Kollegen mit Verachtung herab16. Eine erfolgreiche militärische Selbststärkung Chinas mußte die Offiziere aus ihrem Ghetto der Minderwertigkeit hervorheben. U m das Militär schlagkräftiger zu machen, sollten Angehörige der alten Elite die nötige Ausbildung erhalten und entsprechende Posten in der Armee übernehmen. In einem dreijährigen Zyklus sollten die Kadetten in Strategie und Taktik von Infanterie, Kavallerie, Feld- und Festungsartillerie, Ingenieurwesen, Topographie, Vermessungswesen und auch in Deutsch unterrichtet werden17. Diese Schule orientierte sich am Modell der deutschen Generalstabsausbildung auf der Kriegsakademie. Als Chang im Februar 1896 als Generalgouverneur nach Wu-ch'ang versetzt wurde, wollte er auch dort eine solche Akademie wie in Nanking gründen18. Er beauftragte den chinesischen Gesandten in Berlin, die deutsche Regierung um Entsendung von geeigneten Offizieren für diese Kriegsschule zu bitten19. Auch das Deutsche Reich war an der Anstellung deutscher Militärinstrukteure in China interessiert — wenn auch aus völlig anderen und keineswegs uneigennützigen Gründen. Die deutsche Politik gegenüber China bewegte sich seit dem chinesisch-japanischen Krieg auf zwei Ebenen. Einerseits verlangte die deutsche Diplomatie von China eine Belohnung für den Einspruch von Shimonoseki von 1895. In diesem Einspruch hatten Rußland, Frankreich und Deutschland zusammen die unmäßigen japanischen Friedensbedingungen gegenüber China auf ein vernünftigeres Maß zurechtgestutzt — wohl eher, um Japan nicht zu stark werden zu lassen, als aus Mitleid für China 20 . Als Gegenleistung forderte das Deutsche Reich nun von China die »freiwillige« Abtretung eines Flottenstützpunktes — mit Methoden, die nur noch als imperialistische Erpressung zu bezeichnen sind und für deren besonders massive Form nicht zuletzt der damalige deutsche Gesandte in China, Edmund v. Heyking, verantwortlich zu machen war21. 16
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Als zeitgenössische, wenn auch nicht immer zuverlässige Quelle über das chinesische Beamten- und Bildungswesen in dieser Zeit siehe Scheiben, Krieg I, S. 280—319. Scheiben schildert die Zustände des chinesischen Bildungswesens aus eigener Anschauung. Powell, Rise, S. 67. Ebd., S. 70. Ebd. Heyking spricht später in einem Bericht an den Reichskanzler vom 15.5.1897 von »unserefn] Offizierefn], denen auf Bitte der chinesischen Regierung an hoher Stelle gestattet worden war, ein Engagement für China einzugehen«. In: PA-AA, China 5, Bd7, A 1846, S. 13. Das zeigt sich schon daran, daß Rußland in den folgenden Jahren schrittweise die japanische Beute selbst annektierte (z.B. Port Arthur), — was zum Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 führen sollte. Heykings Methoden werden noch am Beispiel Falkenhayns sehr deutlich. Er überspannte den Bogen aber, wie führende, selbst annexionistisch gesonnene Vertreter der deutschen Marine und der Diplomatie meinten, und wurde nachher in Mexiko, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte, »kaltgestellte Zu Heykings Auftreten siehe Lee, Politik, S. 128 ff., besonders S. 131.
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Andererseits versuchte die deutsche Regierung — ebenso wie alle anderen Mächte — in China durch Berater informellen deutschen Einfluß im Lande gewinnen und ausbauen zu können. Das war schon allein deshalb wichtig, weil das Deutsche Reich — ebenso wie die anderen Großmächte — davon ausging, daß China möglicherweise bald in Einflußzonen aufgeteilt werde. Für diesen Fall wollte Deutschland einen Fuß in der Tür haben und bei der Teilung Chinas, das vor allem als Absatzmarkt sehr interessant war, auf berechtigte deutsche Interessen verweisen können. Vor diesem Hintergrund war es sehr ungünstig, daß die bisher privat angeworbenen deutschen Militärinstrukteure in Nanking keineswegs geeignet waren, das deutsche Prestige bei den Chinesen zu erhöhen. Diese Instrukteure waren nicht das beste, was die deutsche Armee zu bieten hatte — im Gegenteil. Nach Berichten des Korvettenkapitäns Holtzendorff, dem Kommandanten der in Ostasien stationierten Kreuzerkorvette »Prinzeß Wilhelm« (im Ersten Weltkrieg war Holtzendorff Chef des Admiralstabs!) handelte es sich um »gescheiterte Existenzen«, deren militärische Laufbahn in Deutschland einen Bruch erlitten habe und die deshalb als letzten Ausweg diese Privatverträge mit China eingegangen seien22. Holtzendorff schilderte die Militärinstrukteure als weit überbezahlt, völlig undiszipliniert und untereinander heillos zerstritten. Der Leiter des Projektes, ein Major Reitzenstein, könne sich keine Autorität verschaffen, die Offiziere und Unteroffiziere stünden sich feindselig gegenüber; die militärische Hierarchie werde von den privat angeworbenen Instrukteuren nicht beachtet. Schlimmer noch war, wie amerikanische Augenzeugen berichten, der Alkoholmißbrauch; betrunkene Instrukteure belästigten sogar die chinesische Bevölkerung23. Mit der Bevölkerung und den anderen, weniger gut bezahlten chinesischen Truppen der regulären Armee kam es im Mai 1896 zu Streitigkeiten und sogar zu Tätlichkeiten, die eine Entsendung deutscher Kanonenboote zur Folge hatten24. Die Vertreter der Marine — das waren der Chef des Kommandos der ostasiatischen Kreuzerdivision, Konteradmiral Tirpitz (!), und der schon erwähnte Holtzendorff, der die Vorgänge in Nanking direkt miterlebte — waren entsetzt über diese Vertreter deutschen Soldatentums in China. Sie befürchteten eine nachhaltige Schädigung des deutschen Prestiges, wenn sich das Verhalten der deutschen Instrukteure nicht grundlegend änderte. Auf Vorschläge von Tirpitz und Holtzendorff hin25 — die sich mit ähnlichen Eingaben Detrings und Hannekens an das Auswärtige Amt deckten — wurden folgende Verbesserungen beschlossen: Künftige deutsche Instrukteure sollten nicht mehr privat geworben, sondern von Deutschland gestellt werden, feste Dienstgrade erhalten und ausgesucht gute Leute sein. Darüber
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Bericht Holtzendorffs aus Nanking vom 26.6.1896, in: PA-AA, China 1, Bd40, Anl. zu A 9679. Powell, Rise, S. 68, Anm. 39. Ebd., S. 68; Schmidt, Aufgabe, S. 40. Uber die Schwierigkeiten zwischen Instrukteuren und Bevölkerung siehe: Zeitungsbericht der »Täglichen Rundschau« vom 10.5.1896, in: PA-AA, China 1, Bd 39, A 4932. Bericht vom 20.3.1896 über einen Uberfall der chinesischen Bevölkerung auf die Instrukteure, ebd., A 5310 Anl. Bericht der »Vossischen Zeitung« vom 4.6.1896 aus Nanking, ebd., A 50, Anl. vom 20.3./10.4.1896. Bericht mit Verbesserungsvorschlägen von Tirpitz, in: PA-AA, China 1, Bd 40, A 9679, Anl. vom 6.7.1896. Bericht Holtzendorffs aus Nanking vom 26.6.1896, ebd.
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II. China ( 1 8 9 6 - 1 9 0 3 )
hinaus sollte ein hoher deutscher Militär als Berater des chinesischen Kaisers nach Peking gehen und als Leiter einer deutschen Militärmission die neu ausgesuchten Militärinstrukteure unter straffer Kontrolle halten. Für diese Aufgabe wurde Oberst Liebert — der später in die Politik gehen und dort noch eine Rolle spielen sollte — ausgesucht. Fünf Tage vor Lieberts geplanter Abreise nach China traf Mitte November 1896 ein Telegramm aus St. Petersburg ein. Rußland forderte von Deutschland wie von China die Aufgabe dieses Plans, und beide gaben nach 26 . Liebert ging statt dessen als Gouverneur nach Ostafrika. Die Entsendung Lieberts war unterblieben, nicht jedoch die schon zuvor erfolgte von zwei ausgesuchten Offizieren, die als erste einer neuen Generation von Instrukteuren für Chang-Chih-tungs neue Kriegsschule in Wu-ch'ang bestimmt waren — ein Premierleutnant Gentz und — Hauptmann Erich v. Falkenhayn. Falkenhayn unterzeichnete am 19. Juni 1896 in Berlin den Vertrag27. Die Kontraktbedingungen waren für junge, ambitionierte Offiziere sehr interessant. Falkenhayn wurde der chinesische Rang versprochen, der dem eines Obersten der preußischen Armee entsprach, Gentz sollte Majorsrang erhalten. Die Bezahlung war gut, Wohnungs- und Umzugskosten sollten großzügig vergütet werden. Außerdem wurde Falkenhayn die volle Selbständigkeit bei der Organisation der Schule zugesichert. Ihm sollte jederzeit freier Zugang zum Generalgouverneur Chang-Chih-tung gewährt werden. Auch von deutscher Seite wurde der Ubertritt von Falkenhayn und Gentz in chinesische Dienste gefördert. Bisher war es eine Flucht für Gescheiterte, als Instrukteur in die chinesische Armee einzutreten; ein Schritt, der ohne Rückendeckung amtlicher Stellen erfolgte. Das war jetzt anders. Zwar verließen Falkenhayn und Gentz den Dienst in der preußischen Armee, aber sie erhielten Aussicht auf Wiederanstellung nach Kontraktende. Auch in der Zwischenzeit sollten sie nicht auf sich allein gestellt sein. Der deutsche Gesandte in China wurde angewiesen, mit den beiden Offizieren Kontakt zu halten und sie, wenn nötig, zu unterstützen 28 . Falkenhayns Entsendung nach China fand das Interesse der höchsten deutschen Stellen. Der Kaiser selbst empfing ihn vor seiner Abreise in Privataudienz und gab ihm unter anderem den Auftrag, regelmäßig aus China zu berichten 29 . Aus dem Vorausgegangenen kann man den Schluß ziehen, daß der Ubertritt Falkenhayns in chinesische Dienste nicht die Flucht eines am Spieltisch gescheiterten Offiziers war, der sich in der preußischen Armee nicht mehr hätte halten können. In Wahrheit bot sich ihm überraschend eine ungewöhnliche Chance zur Bewährung und zum Geldverdienen, die er mit kaiserlicher Ermutigung nutzte. 26
Zu dem Notenaustausch zwischen Rußland, Deutschland und China siehe Schmidt, Aufgabe, S. 7 8 - 8 0 .
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Das geht aus einem Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 6.12.1896 hervor, in: PA-AA, China 5, Bd 7, A 160, S. 5.
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Ebd., S. 1. Heyking verweist auf eine kaiserliche Order vom 3 . 9 . 1 8 9 6 (Order: III 26430).
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Diese Angabe entstammt dem ersten Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 8 . 8 . 1 8 9 6 , in: PA-AA, China 5, Bd 7, Anl. zu A 1820 vom 12.2.1897. Über den Empfang beim Kaiser gibt es keine anderen Quellen.
Wenn ich [...] von einer Reorganisationsarbeit hier nicht viel erhoffen kann, so fasse ich unsere Aufgabe mehr dahin auf, daß es darauf ankommt, deutschen Einfluß im Allgemeinen zu verbreitern und zu vertiefen. Falkenhayn am 24. Dezember 1896
2. Als Militärinstrukteur bei Chang-Chih-tung Im Juli 1896 verließ Falkenhayn zusammen mit Gentz Deutschland. Ein Lloyd-Liniendampfer brachte sie in die chinesische Hafenstadt Wu-sung, wo sie Anfang August eintrafen. Bevor die beiden Offiziere nach Wu-ch'ang weiterreisten, wurden sie Zeugen eines Vorfalls, der für die bisherigen deutschen Instrukteure bezeichnend war. Liu K'un-i, der Nachfolger Changs als Generalgouverneur der unteren Yangtze-Provinzen, hatte die Reformarmee nach den Zwischenfällen im Mai 1896 von Nanking in das isolierter gelegene Wu-sung verlegt, um weitere Störungen dieser Art zu vermeiden 30 . Nun waren die deutschen Instrukteure mit ihren neuen Wohnungen in Wu-sung unzufrieden. Der Streit nahm solche Ausmaße an, daß der deutsche Konsul aus Shanghai kommen mußte, um zwischen den chinesischen Stellen und den Instrukteuren zu vermitteln. Korvettenkapitän Holtzendorff, der an dieser Zusammenkunft teilnahm, berichtete von »ziemlich erregten Debatten, die zum Theil höchst unmilitärisch geführt wurden«. Holtzendorff mißbilligte den größten Teil der Forderungen31, noch mehr aber den Ton, in dem sie vorgetragen wurden. Beides bestätigte ihm wieder einmal die »Zerfahrenheit und Disziplinlosigkeit der deutschen Instrukteure«. Falkenhayn und Gentz, die beide an dieser Zusammenkunft teilnahmen, hoben sich von den bisherigen Instrukteuren, die viel forderten und wenig leisteten, vorteilhaft ab. Holtzendorffs erster Eindruck von den Neuangekommenen: »Gegenüber dem unerfreulichen Bilde, das die deutsche Militärleitung der Nanking-Truppen z.Zt. macht, erfüllt es mit Genugthuung, in den beiden neu angeworbenen, für Hankow (Wu-chang) bestimmten deutschen Offiziere gediegen gebildete, selbstbewußte Vertreter ihres Standes und ihrer Aufgabe zu begrüßen. Was sie als Zuschauer von den Vorgängen in Wu-sung beobachten konnten, ist ebenso befremdend wie lehrreich für sie gewesen. Es ist alle Aussicht vorhanden, daß die deutsche Militärarbeit in Hankow einen besseren Anlauf nehmen wird als es in Nanking leider geschehen ist32.« In Wu-sung schifften sich Falkenhayn und Gentz auf einem Flußdampfer ein, der sie auf dem Yangtze nach Wu-ch'ang bringen sollte. An Bord des Schiffes schrieb Falkenhayn seinen ersten Bericht aus China an den Kaiser 33 . Natürlich galt der Hauptteil die30
Powell, Rise, S. 68.
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Holtzendorff war der Ansicht, daß die Unterkünfte zwar in manchem nicht europäischen Standard entsprächen, aber nach chinesischen Verhältnissen großzügig bemessen seien.
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Bericht Holtzendorffs vom 6 . 8 . 1 8 9 6 , in: PA-AA, China 5, B d 6 , Anl. zu A 11446.
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Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 8 . 8 . 1 8 9 6 , in: PA-AA, China 5, Bd 7, Anl. zu A 1820 vom 12.2.1897.
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II. China ( 1 8 9 6 - 1 9 0 3 )
ses Berichts den Zuständen in der Nanking-Reformarmee. Falkenhayn schilderte zunächst die Ausrüstung, Organisation und Ausbildung dieser neuen Truppe. Falkenhayns Urteil über die einfachen chinesischen Soldaten in der Brigade war günstig: Er war der Ansicht, daß sie nach entsprechender Ausbildung zu guten Leistungen fähig seien. Harte Kritik übte er dagegen — ebenso wie Holtzendorff — am deutschen Personal. Dieses sei nicht mit Sorgfalt ausgewählt worden. Fehlende Subordinationsverhältnisse hätten zu Reibungen geführt, die der Leiter des Projekts, Major Reitzenstein, bisher nicht in den Griff bekommen habe. Besonders die Unteroffiziere seien weit überbezahlt und daher zu selbstbewußt geworden. In der Verlegung der Truppe von Nanking nach Wu-sung sah Falkenhayn für die deutschen Absichten auf verstärkte Einflußnahme in China einen positiven Effekt: »Auch vom national-deutschen Standpunkt aus scheint die Besetzung der wichtigen Yangtze-Mündung durch in deutscher Hand befindliche Truppen nicht unvorteilhaft zu sein.« Die Reise der beiden Offiziere ging nach Wu-ch'ang, der Hauptstadt Chang-Chih-tungs, in der auch die Kriegsschule eingerichtet werden sollte. Wohnen sollte die Familie Falkenhayn jedoch in Hankow, der Schwesterstadt Wu-ch'angs am Yangtze, in der sich seit 1860 eine Ausländerkolonie direkt am Fluß befand. Als Falkenhayn und Gentz in Wu-ch'ang ankamen, wurden sie direkt von Chang-Chihtung empfangen. Nahezu zwei Stunden lang fragte Chang Falkenhayn aus, wobei sich — nach Falkenhayns Urteil — herausstellte, daß der Generalgouverneur »von europäischen Dingen so gut wie nichts wußte« 34 . Nur über den Kaiser und seine Familie zeigte sich Chang gut unterrichtet — und voller Bewunderung 35 . Falkenhayn führte die Verwendung deutscher Instrukteure im Militär- und Ingenieurwesen auf eine persönliche Vorliebe des Generalgouverneurs zurück, nicht auf breite prodeutsche Sympathien in der Bevölkerung. Falkenhayns Urteil über Chang-Chih-tung war zwiespältig. Zwar sei Chang integer, aber zu sehr in traditionellen Vorstellungen verhaftet, werde von seinen Beamten nicht genug unterstützt und sei vor allem zu wenig beharrlich, um ein Reformator großen Stils zu sein. Eine weitere Schwierigkeit der Reformvorhaben sah Falkenhayn im chronischen Geldmangel. Deshalb zog er in einem Bericht vom Dezember 1896 — knapp vier Monate nach seinem Eintreffen in Wu-ch'ang — folgende negative Bilanz für Changs Reformvorhaben: »Aus diesen finanziellen Bedenken allein ist es mir höchst zweifelhaft, ob hier je vernünftige Reorganisationen, die doch nun einmal Geld kosten, zu Stande kommen werden. Es sprechen aber noch andere gewichtige Gründe dagegen. Zunächst der unbeschreibliche innere Dünkel jedes einzelnen Angehörigen dieses Volkes, der in so merkwürdigem Gegensatz zu der äußeren Höf54 35
Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 2 4 . 1 2 . 1 8 9 6 , ebd. Man könnte das für eine schmeichelnde Ubertreibung Falkenhayns halten, wenn nicht auch die Berichte Heykings voll mit Andeutungen wären, daß die Chinesen den deutschen Kaiser und seine Familie bewunderten. Ein Beispiel findet sich in Heykings Bericht an den Reichskanzler vom 27.11.1896, PA-AA, China 5, Bd 7, A 2940. Heyking zitiert eine Äußerung Li Hung-changs: »Unser Kaiser kann sich mit seiner Majestät dem deutschen Kaiser gar nicht vergleichen: der deutsche Kaiser beschäftigt sich mit seiner Armee, sorgt und thut alles für sie, — seine Majestät ist ja ganz anders als unser Kaiser.« (Bemerkung Wilhelms II. unter der Seite: So is et!)
2. Als Militärinstrukteur bei Chang-Chih-tung
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lichkeit, ja Unterwürfigkeit steht und die Aufnahme anderer menschlicher Errungenschaften nahezu ausschließt. Sodann der Mangel an logischem Denken in Verbindung mit der völligen Vernachlässigung der Stählung der physischen Kräfte, — beides Folge der ganz verrotteten Erziehungsart 36 .« Doch die größten Schwierigkeiten erwuchsen Falkenhayn durch die Haltung der chinesischen Militär- und Zivilbehörden, mit denen er zusammenarbeiten mußte. Die Untergebenen Chang-Chih-tungs versuchten die Reformprojekte ihres Vorgesetzten zu unterlaufen, und Chang selbst hatte nach kurzer Zeit offenbar nur noch ein mäßiges Interesse daran, sich persönlich um die Kriegsschule zu kümmern 37 . Seit seinem Eintreffen in Wu-ch'ang unterhielt Falkenhayn eine rege Korrespondenz mit dem deutschen Gesandten in Peking, Edmund v. Heyking. Heyking legte seine Politik darauf an, die Chinesen »schuldig werden zu lassen«, um von ihnen die Abtretung des gewünschten Stützpunktes zu erpressen38. Sein Verhalten den Chinesen gegenüber ging von der Drohung bis hin zur persönlichen Unhöflichkeit 39 . Heyking hatte — wie schon erwähnt — aus Berlin die Anweisung bekommen, sich um Falkenhayn und Gentz zu kümmern, und er benutzte deren Schwierigkeiten in Wu-ch'ang, um auf die Chinesen Druck ausüben zu können. Falkenhayn beklagte sich bei Heyking bald schon über eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die ihm trotz des freundlichen Empfangs bei Chang von Anfang an ein geregeltes Arbeiten unmöglich machten. Die Militärschule, an der die beiden Offiziere unterrichten sollten, existierte noch gar nicht, als sie in Wu-ch'ang eintrafen. Eine andere Beschäftigung wurde ihnen aber auch nicht zugewiesen. Von Falkenhayn ausgearbeitete Organisationsvorschläge für die Schule blieben ohne Antwort, und ihm wurde der Zutritt zum Generalgouverneur verweigert. Nicht einmal einen Dolmetscher hatten die Chinesen ihm zugestanden. Falkenhayn bemühte sich zwar, die Sprache zu lernen, war aber auf einen Ubersetzer angewiesen. Falkenhayn hatte einen Einfall, der für sein Selbstverständnis bezeichnend war: Er bat Heyking um die Erlaubnis, preußische Uniform tragen zu dürfen, wohl in der Meinung, dann von den Chinesen ernster genommen zu werden. Heyking glaubte aber nicht an den Erfolg einer solchen Maßnahme, sondern hielt nur eine weitreichendere Blamage für wahrscheinlich und lehnte ab 40 . Schon im November 1896 — nach drei Monaten — war Falkenhayn so niedergeschlagen, daß er China wieder verlassen wollte. Heyking machte ihm Mut, noch abzuwarten,
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Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 2 4 . 1 2 . 1 8 9 6 , ebd., Anl. zu A 1820 vom 12.2.1897. Zur zeitgenössischen Betrachtungsweise des chinesischen Bildungswesens siehe Scheibert, Krieg, S. 280—318.
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Chang-Chih-tung war außerdem in zunehmendem Druck, gegenüber dem Tsung-li Ya-men — dem »Regierungskollegium für die Auswärtigen Angelegenheiten Chinas« —, dessen Funktionen in etwa mit denen des Auswärtigen Amtes zu vergleichen waren, die Kosten für die deutschen Instrukteure zu rechtfertigen. Dazu Powell, Rise, S. 66.
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Lee, Politik, S. 128; Schmidt, Aufgabe, S. 83 f.
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Lee, Politik, S. 131, schildert Heykings drohendes, sogar schon grobes Auftreten.
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Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 6 . 1 2 . 1 8 9 6 , in: PA-AA, China 5, Bd 7, A 160, S. 2f.
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und intervenierte bei hohen chinesischen Stellen zu Falkenhayns Gunsten. Zuerst unterhielt Heyking sich — noch im November — mit Li Hung-chang über die Probleme in Wu-ch'ang und betonte noch einmal den Unterschied zwischen den privat geworbenen Nanking-Instrukteuren und Falkenhayn, der ein »ausgesucht vorzüglicher Offizier« sei41. Dann intervenierte Heyking im Tsung-li Ya-men, dem »Regierungskollegium für die auswärtigen Angelegenheiten Chinas« 42 . Man solle Falkenhayn eine »würdige Stellung« geben und ihm den Empfang bei Chang zusichern, andernfalls würden Falkenhayn und Gentz die chinesischen Dienste verlassen. In dem Bericht, den Heyking über seine Maßnahmen Anfang Dezember an den Reichskanzler schrieb, war der Gesandte der Ansicht, daß ein vorzeitiges Weggehen Falkenhayns für die deutsche Sache sehr nachteilig sei. Falls es dazu käme, müsse die deutsche Diplomatie Mittel und Wege finden, den Chinesen die »frivole Spielerei« mit deutschen Offizieren zu verleiden. Dem Generalgouverneur Chang-Chih-tung unterstellte Heyking, sich zwei deutsche Offiziere als »seltene Prunkstücke« wie kostbare Porzellanvasen halten zu wollen, ohne die Absicht zu haben, praktischen Nutzen aus ihrem Können zu ziehen43. Heykings Intervention verbesserte die Lage Falkenhayns erheblich44. Chang empfing ihn und nahm seinen Entwurf eines Reglements der Schule entgegen. Zum Winteranfang wurde die Schule schließlich eröffnet. Sie umfaßte vier Klassen mit je dreißig Schülern im Alter von sechzehn bis vierzig Jahren. Die Schüler besaßen keinerlei militärische Vorbildung, dafür entstammten sie den angesehenen Ständen der Literaten ersten und zweiten Grades. Das entsprach dem Versuch Changs, dem bisher verachteten Offizierberuf gesellschaftliches Ansehen zu verschaffen. Bisher hatten Offiziere — auch die deutschen Instrukteure waren da nicht ausgenommen — in China eine geringe Reputation. Falkenhayn zweifelte freilich an einem durchgreifenden Erfolg des endlich angelaufenen Projektes. Noch im Dezember 1896 kam er aber in seinem Bericht an Wilhelm II. zu dem Schluß, daß er der Sache trotz der chinesischen Finanz- und Mentalitätsprobleme dienen könne: »Wenn ich aus den soeben allerehrfurchtsvoll geschilderten Bedenken heraus von einer Reorganisationsarbeit hier nicht viel erhoffen kann, so fasse ich unsere Aufgabe mehr dahin auf, daß es darauf ankommt, deutschen Einfluß im Allgemeinen zu verbreitern und zu vertiefen.« Falkenhayn hatte dem Generalgouverneur das Versprechen abringen können, aus der Schule nach einem Jahr eine Mustertruppe zu entwickeln, die dann fünf Jahre unter deutscher Leitung stehen sollte. Neben der bereits vorhandenen Nanking-Reformarmee hätte es dann eine zweite modern ausgebildete und deutsch geführte Truppe in Mittelchina gegeben. Doch von solchen Fernzielen war die Kriegsschule in Wu-ch'ang noch weit entfernt. Die durch das Eingreifen Heykings entstandene Besserung in den Arbeitsbedingungen 41 42 43
44
Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 27.11.1896, ebd., A 2940. Die Definition stammt von Otto Franke, Li hung-tschang, S. 505. Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 6.12.1896, in: PA-AA, China 5, B d 7 , A 160, S. 2, S. 5 f. Das geht klar aus dem Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 24.12.1896 hervor, ebd., Anl. zu A 1820 vom 12.2.1897. Dort auch die folgenden Schilderungen.
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dauerte nur kurze Zeit. Am 18. Januar 1897 mahnten Falkenhayn und Gentz zwei Verstöße gegen ihren Kontrakt an: Ihnen waren bisher weder der ihnen zugesagte chinesische Dienstgrad verliehen, noch die Miet- und Einrichtungskosten erstattet worden 45 . Hinzu kamen Spannungen zwischen Falkenhayn und Changs Sekretär Tsien46, der die Organisation der Schule überwachte und die Deutschen auf ihre Rolle als Lehrer beschränken wollte. Während Falkenhayn für die finanziellen Nöte des Generalgouverneurs noch ein gewisses Verständnis aufbrachte, ließ er sich Eingriffe in die ihm zugesicherten Kompetenzen nicht gefallen; er wollte die Schule so führen, wie er es für richtig hielt. Außerdem waren die von Chang abgesegneten Maßnahmen des Sekretärs Tsien, der immer mehr die Intendantur der Schule an sich nahm, von Schikanen begleitet, wie zum Beispiel dem Entzug der kurz zuvor bewilligten Dolmetscher. Deshalb wollten Falkenhayn und Gentz im Februar 1897 wieder aufgeben. Eine erneute Intervention Heykings im Tsung-li Ya-men hatte keinen nachhaltigen Erfolg. Im März erließ Chang ein neues Reglement der Schule, das von dem bisherigen, von Falkenhayn ausgearbeiteten abwich und die Befugnisse der beiden deutschen Offiziere weiter einengte. Das war für Falkenhayn und Gentz zuviel, und sie wollten ihre Absicht, die chinesischen Dienste zu verlassen, nunmehr wahrmachen. Da ihre Beschwerde vom Januar unbeantwortet geblieben war — was gegen § 6 ihres Kontraktes verstieß — erhoben sie wegen der alten und neuen Kontraktbrüche der Chinesen Anspruch auf Entschädigung — gemäß § 10 ihres Vertrages. Nichts geschah. Anfang April wurde Falkenhayn dann der Dienstgrad eines »Fu-Tsiang« und Gentz der eines »Yo-Ki« verliehen: chinesische Dienstgrade, die damals mit »Oberst« und »Major« übersetzt wurden 47 . Allerdings sei diese Ubersetzung übertreibend, ja falsch, monierten die beiden Offiziere. Diese Dienstgrade entsprächen nicht »dem Rang und dem Ansehen der entsprechenden Dienstgrade in der preußischen Armee« 48 . In China hätten Offiziere nur ein geringes Ansehen, deshalb müsse der Rang entsprechend höher sein als der angebotene. Folgerichtig lehnten sie die Annahme dieser Dienstgrade ab. Außerdem wollten sie sich jetzt nur noch mit einer generellen Erledigung ihrer Beschwerden zufriedengeben. Der Gesandte v. Heyking unterstützte den Protest der Offiziere: In einem Bericht an den Reichskanzler ging er besonders ausführlich auf die Frage des angebotenen Dienstgrades ein. Er stimmte Falkenhayn und Gentz zu, daß die erwähnten chinesischen Dienstgrade nicht denen in der preußischen Armee entsprächen. Zu den Ubersetzungsproblemen schrieb Heyking: »Alle Ubersetzungen chinesischer Rangbezeichnungen und Titulaturen sind höchst willkürlich gewählt: die meisten dieser Uebertragungen stammen von einem alten englischen Dolmetscher, der chinesische Grammatiken und Lexikas [!] verfaßt und viel Unheil angerichtet hat: er hat die chinesischen >Marquis< erfunden und veranlaßt, daß in England Li hung chang als >Earl< und sein Sohn mit >Lord< tituliert wird, das schlimmste, was er verschuldet hat, ist, daß die Präfekten oder General-Gouverneure chinesischer Pro45 46
47 48
Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 15.5.1897, ebd., S. 6f. Name und Schreibweise entstammen den Berichten Heykings; Tsien konnte ansonsten nicht weiter identifiziert werden. Die Vokabeln »Fu-Tsiang« und »Yo-Ki« konnten nicht identifiziert werden. Dies und das folgende aus ebd., S. 1—15.
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vinzen mit dem Titel >Vicekönig< belegt worden sind: in Deutschland weiß man am besten, welcher Unfug im vergangenen Jahre mit diesem vermeintlichen Titel verübt worden ist. [Heyking spielt auf die Europareise Li Hung-changs von 1896 und dessen Empfang in Deutschland an.] Dieselbe vergrößernde und übertreibende Tendenz bei Übertragung chinesischer Titel ist ohne Zweifel auch bei Ubersetzung der Bezeichnungen chinesischer militärischer Grade von Einfluß gewesen.« Diese Schilderung Heykings zeigt, welchen Stellenwert schon rein sprachliche Probleme in den deutsch-chinesischen Beziehungen aufwerfen mußten. Beide Seiten konnten sich in diesem Streitfall im Recht fühlen und als die Betrogenen vorkommen. Heyking beurteilte Anfang Mai die Lage der beiden Offiziere in Wu-ch'ang als »unhaltbar«49. Die Rangfrage sei nur ein »einzelnes Symptom in dem gesamten feindseligen und illoyalen Verhalten der chinesischen Autoritäten gegenüber unseren Offizieren, denen auf Bitte der chinesischen Regierung an hoher Stelle gestattet worden war, ein Engagement für China einzugehen«. Der Gesandte legte sich selbst und seiner vorgesetzten Behörde in Berlin schon die Frage vor, mit welchem Nachdruck die deutsche Diplomatie den Anspruch der beiden Offiziere auf Entschädigung unterstützen solle. Ende Mai 1897 kam es jedoch zu einem erneuten Umschwung der Lage. Heyking — der in dieser Zeit schon zunehmend Druck auf die Chinesen ausübte, dem Deutschen Reich endlich den gewünschten Stützpunkt zu überlassen — intervenierte massiv im Tsung-li Ya-men. Er setzte Prinz Kung — einem Mitglied des Yamen — »sehr ruhig aber ernst auseinander, welche üblen Folgen es für das Ansehen der chinesischen Regierung haben müsse, wenn in Deutschland bekannt würde, daß die Absicht der höheren chinesischen Regierungsorgane, für die Armeereform die Dienste guter deutscher Offiziere in Anspruch zu nehmen, durch kleinliche Intriguen [!] untergeordneter Bureaubeamten vereitelt würde«. Die Drohung wirkte. Der Prinz versprach eilig, »er wolle den Generalgouverneur Chang-Chi-Tung sehr eindringlich ermahnen lassen« 50 . China war zu dieser Zeit schon ängstlich bemüht, Deutschland keinen Vorwand für die Annexion eines Stützpunktes zu liefern51. Die chinesische Regierung mußte befürchten, daß nach einer solchen Annexion — noch mehr nach einer »freiwilligen« Abtretung eines Stützpunktes — alle anderen Mächte ebenfalls Anspruch auf chinesische Gebietsabtretungen erheben würden. Deshalb konnten die Chinesen in dieser Frage nicht nachgeben. U m trotzdem erträgliche diplomatische Beziehungen zum Deutschen Reich aufrechtzuerhalten, versuchten sie jede andere Streitigkeit möglichst schnell aus dem Wege zu räumen. Heykings Auftreten profitierte von dieser chinesischen Zwangslage. Das Einlenken der Chinesen wurde für die beiden deutschen Offiziere in Wu-ch'ang sofort spürbar. Als Chang ein Schreiben des Tsung-li Ya-men erhielt, änderte sich die Lage für Falkenhayn und Gentz schlagartig. Chang empfing unverzüglich die beiden Offiziere, dankte ihnen für ihren Einsatz, bat sie, nicht fortzugehen, denn sie seien für 49 50 51
Ebd., S. 14. Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 2.7.1897, ebd., A 110. Siehe dazu Lee, Politik, S. 119ff.
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ihn unentbehrlich, und gestand ihnen volle Befehlsgewalt in ihrer Schule zu. Das Lehrpersonal sollte sogar um zwei weitere deutsche Offiziere verstärkt werden52. Ab Mai 1897 konnte Falkenhayn seine Arbeit an der Militärakademie von Wu-ch'ang ungestört fortsetzen. Doch waren deshalb nicht alle Schwierigkeiten ausgeräumt. Bisher hatten Reibungen zwischen Falkenhayn und den chinesischen Behörden die Arbeit behindert, jetzt traten die Probleme mit den Schülern der Akademie in den Vordergrund. Im September 1897 kam Falkenhayn zu der Einsicht, daß Changs Vorhaben, »Literaten und Civilbeamte zu Offizieren zu machen«, undurchführbar sei". Seine 120 Schüler seien zwar zu »mechanischem Lernen« befähigt, aber völlig verweichlicht, Unwillens und unfähig, sich anzustrengen. Das sei eine Folge der »erbärmlichen chinesischen Erziehungsweise«, die Bürgergelehrte heranzüchte, aber die Heranbildung des Charakters vernachlässige. Weder durch Strafe noch durch Belohnungen seien seine Schüler zu motivieren. Sein Fazit lautete, daß mit seinen Schülern, Akademikern und verweichlichten Literaten, kein längerfristiger Erfolg zu erzielen sei. Mit der Ausbildung zum Offizier müsse schon im Knabenalter begonnen werden, bevor sich der Einfluß chinesischer Bildung schädlich auswirke. Damit gab Falkenhayn dem Versuch Changs, aus Angehörigen der alten Elite eine neue, militärisch-technische Elite zu bilden, keine Chance mehr. Da die alte Elite einerseits das Militär verachte, andererseits dessen Funktionen weder übernehmen wolle noch könne, sei ein Fortschritt nur von einer Revolution zu erwarten. Denn der einfachen, unverbildeten Landbevölkerung gestand Falkenhayn militärische Brauchbarkeit zu: Sie sei gutes »Menschenmaterial«. Aber gerade darin sah Falkenhayn eine Gefahr. Die Chinesen empfänden zwar keinen Haß, aber eine »natürliche Antipathie« gegen die Ausländer. Wenn sie militärisch erstarken sollten, dann könnte das für die Europäer gefährlich werden. Die Chinesen könnten, ähnlich wie Japan, bloß in vergrößertem Ausmaß, erstarken und ihren Markt dichtmachen. Doch sei bei den gegenwärtigen Verhältnissen ein wirklicher Erfolg der militärischen Ausbildung nicht zu erwarten. Falkenhayns Ansichten sind symptomatisch für die deutsche »Hilfeleistung« bei der Modernisierung Chinas. Die deutschen Militärinstrukteure hatten Angst vor möglichen Erfolgen ihrer eigenen Ausbildung. In den kommenden Monaten verschlechterte sich die Lage Falkenhayns in Wu-ch'ang infolge der wachsenden Spannungen zwischen Deutschland und China wieder. Das Drängen des Deutschen Reiches nach der Überlassung eines Stützpunktes wurde immer heftiger. Nach Prüfung verschiedener Häfen durch Expertenkommissionen hatte sich spätestens ab Mai 1897 der Vorschlag von Admiral Tirpitz durchgesetzt, die Kiaochow-Bucht 52
Abschrift eines Briefes Falkenhayns an Heyking, 2 1 . 6 . 1 8 9 7 , den dieser seinem Bericht an den Reichskanzler vom 2 . 7 . 1 8 9 7 beifügte, in: PA-AA, China 5, B d 7 , Anl. zu A 110. Falkenhayn spricht in diesem Brief nicht nur von einem beabsichtigten Ausflug mit seiner Schule auf einem Kriegsschiff auf dem Yangtze und von seiner Situation in Wu-ch'ang, sondern auch von chinesischen Waffenfabriken, dem Eisenbahnbau und dem Gerücht, daß Chang-Chih-tung nach Canton versetzt werden solle. Der Brief ist in optimistischer Stimmung gehalten.
53
Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 19.9.1897, in: PA-AA, China 5, B d 8 , Anl. zu A 13074.
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zu wählen 54 . Sie war für die Anlage eines Stützpunktes von allen Möglichkeiten die beste, eisfrei, gut zu befestigen, wirtschaftlich entwicklungsfähig und noch nicht Vertragshafen irgendeiner anderen Macht 55 . Auch der Kaiser hatte diesem Vorschlag zugestimmt und drängte auf Realisierung der deutschen Stützpunktaspirationen. Doch bevor die Bucht annektiert werden konnte, mußten eventuelle russische Ansprüche — denn die russische Flotte benutzte die KiaochowBucht gelegentlich, um dort zu überwintern — aus der Welt geschafft werden. Bei einem Besuch Kaiser Wilhelms im August 1897 beim Zaren in St. Petersburg kam das Thema zur Sprache. Zar Nikolaus zeigte sich konziliant, versicherte, daß Rußland kein eigenes Interesse an der Bucht habe, und stimmte einem deutschen Erwerb zu56. Nun fehlte nur noch ein Vorwand für die Annexion. In China waren alle — Heyking, aber auch die deutschen Marineoffiziere — in gespannter Erwartung, wann Berlin endlich energische Schritte in der Angelegenheit einleitete57. Ende Oktober 1897 unternahm Heyking eine Fahrt, die ihn zunächst nach Kiaochow, dann nach Hankow und Wu-ch'ang führte 58 . Von einem Essen im dortigen deutschen Konsulat berichtete Frau v. Heyking: »Zum Diner in das Konsulat kamen mehrere der Offiziere Falkenhayns. Herr von Falkenhayn ist, wie so viele Leute, mit großen Hoffnungen nach China gekommen und ist enttäuscht, hier nichts erreichen zu können, weil er eben an chinesischem Dünkel, Mißtrauen und Fremdenhaß scheitert. Die Marineherren sind ebenso freudig im Gedanken an die Flottenstation herausgekommen, aber Monat um Monat vergeht, es geschieht nichts. [...] Wenn es doch Edmund [v. Heyking] gelingen wollte, in Berlin etwas Schneid und Unternehmungsgeist wach[zu]rufen59.« Die Gelegenheit dazu sollte sich schneller bieten, als Frau v. Heyking ahnte. Heyking wurde von dem deutschen Kreuzer »Cormoran« in Hankow abgeholt und in das nahegelegene Wu-ch'ang gebracht, wo er dem Generalgouverneur Chang-Chih-tung unter anderem noch einmal eindringlich wegen der Behandlung Falkenhayns ins Gewissen reden wollte 60 . Falkenhayns Gehilfe, der Leutnant Gentz, hatte einige Offiziere der »Cormoran« zum Frühstück eingeladen, und sie setzten mit einer Barkasse des Kreuzers an Land.
54
Lee, Politik, S. 126 f., sowie S. 134 (Anm. 47).
55
Ebd., S. 119.
56
Ebd., S. 135ff. Rußland befürchtete nach türkischen Greueln in Armenien englische Versuche, das Osmanische Reich aufteilen zu wollen, hatte aber kein Interesse an einer englischen Machterweiterung im Nahen Osten. In dieser Frage brauchte Rußland deutsche diplomatische Unterstützung und zeigte sich deshalb in der chinesischen Stützpunktfrage konziliant.
57
Die Memoiren von Elisabeth v. Heyking spiegeln diese gespannte Erwartung wider. Sie folgen ihrem Tagebuch (Heyking, Tagebücher). Elisabeth v. Heyking errang später durch ihr Buch »Briefe, die ihn nicht erreichten« literarischen Ruhm; das Werk spielt in China während des Boxeraufstandes.
58
In Hankow machte das Ehepaar Heyking die Bekanntschaft des Ehepaars Falkenhayn (»zwei reizende Menschen«, Heyking, Tagebücher, S. 229), sie besichtigten das europäische Settlement und die ganze Stadt, die den Heykings durch ihre Lage am Fluß und ihr freundliches Stadtbild sofort gefiel.
59
Tagebucheintrag vom 2 7 . 1 0 . 1 8 9 7 , in: Heyking, Tagebücher, S. 229 f.
60
Tagebucheintrag vom 2 8 . 1 0 . 1 8 9 7 , ebd., S. 230f.
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Auf der Straße wurden diese Offiziere vom Volk mit Steinen beworfen, ebenso Falkenhayn und Gentz, die dazukamen. Auch das Beiboot der »Cormoran«, auf dem die deutsche Flagge gehißt war, wurde zum Ziel von Steinwürfen. Dieser Vorfall, obwohl nur eine Bagatelle, bot Heyking den ersehnten Anlaß, China in eine Zwangslage bringen und die Überlassung der Kiaochow-Bucht fordern zu können. Während Kaiser und Auswärtiges Amt noch überlegten, wie sie den Vorfall am besten ausschlachten sollten, stellte Heyking eigenmächtig, ohne vorherige Rücksprache mit den übergeordneten Stellen, ein barsches Ultimatum an Generalgouverneur Chang-Chihtung, in dem er unter anderem einen Salut vor der deutschen Fahne sowie eine Entschuldigung forderte. Die Chinesen wußten, worauf das hinauslaufen sollte, da sie die deutschen Vorbereitungen für die Übernahme der Kiaochow-Bucht schon seit Monaten beobachten konnten. Zur großen Enttäuschung Heykings gaben sie deshalb nach und erfüllten das Ultimatum. Die Ermordung zweier deutscher Missionare in Shantung am 1. November 1897 — nur zwei Tage nach dem »Cormoran«-Zwischenfall — lieferte außerdem einen viel besseren Vorwand für die Besetzung von Kiaochow. Am 14. November landeten deutsche Marineeinheiten und besetzten nahezu kampflos die Bucht. Der deutsch-chinesische Pachtvertrag wurde am 6. März 1898 unterzeichnet. Die Vorgänge beim Besuch der »Cormoran« boten jedoch Falkenhayn und Gentz den erwünschten »äußeren Anlaß« zum sofortigen Ausscheiden aus chinesischen Diensten, den beide »mit Freude ergriffen«, zumal die Chinesen ihnen nach der Besetzung der Kiaochow-Bucht in offener Feindseligkeit entgegentraten. In seinem abschließenden Bericht an den Kaiser vom 22. November 1897 erläuterte Falkenhayn die Gründe seines vorzeitigen Ausscheidens aus den Diensten Chang-Chih-tungs61. Nach seinen Erfahrungen war Falkenhayn der Ansicht, daß eine Tätigkeit deutscher Berater nur in selbständiger Stellung erfolgversprechend sei. Der Einfluß europäischer Berater (»Rother Teufel«) sei übrigens weit geringer, als man meinen sollte. Das gelte selbst für exponierte Vertreter der Modernisierungsbewegung wie Chang-Chih-tung, der europäische Neuerungen nur sehr oberflächlich und ohne inneres Verständnis übernehme 62 . Die Unruhe der Chinesen nach der Annektierung der Kiaochow-Bucht bewertete Falkenhayn positiv, obwohl sie sich gegen Deutschland richtete. Denn er sah darin ein erstes Anzeichen patriotischen Denkens und eines Zusammengehörigkeitsgefühls in China. 61
62
Abschließender Bericht Falkenhayns an den Kaiser vom 22.11.1897, in: PA-AA, China 20, Nr. 1, Bd 29 geheim, AS 527, zu AS 145. Interessant ist, daß dieser Bericht im Geheimordner China 20, Nr. 1 »Erwerbungen der Großmächte in China« abgeheftet wurde, statt, wie Falkenhayns andere Berichte, unter China 5 »Militär- und Marineangelegenheiten Chinas«. Der Bericht ist das handschriftliche Original Falkenhayns, nicht, wie die anderen Berichte, eine Abschrift des Auswärtigen Amtes oder der Gesandtschaft in Peking. Ebenso wie die Modernisierer in anderen Ländern, wie ζ. B. Ismail in Ägypten, haben auch die chinesischen Reformer wie Chang-Chih-tung oder Li Hung-chang die Schwierigkeiten einer industriellen oder militärischen Erneuerung unterschätzt und sich dabei vor allem finanziell verkalkuliert. Siehe dazu Scheibert, Krieg, S. 142 ff., besonders S. 143 f.
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Falkenhayn und Gentz baten um eine Verwendung in der neuzubildenden Schutztruppe von Kiaochow. Der Kaiser bewilligte diese Bitte am 12. Januar 1898 — am selben Tag, an dem Falkenhayn die chinesische Armee verließ. In den kommenden Monaten siedelte die Familie Falkenhayn nach Kiaochow über. Damit war der erste Abschnitt von Falkenhayns Chinaaufenthalt zu Ende. Große Erfolge hatte Falkenhayn nicht erzielen können. Allerdings waren seine Möglichkeiten, als Einzelner in letztlich untergeordneter Stellung wirklich etwas zu erreichen, von vornherein begrenzt. Auch die gespannten deutsch-chinesischen Beziehungen verhinderten eine gewinnbringende Zusammenarbeit. Auf der chinesischen Seite wurde seine Arbeit durch wachsende Fremdenfeindlichkeit und fehlende Koordinierung behindert. Manches von Falkenhayns Kritik an den politischen Zuständen in China — unter denen die chinesische Bevölkerung selbst am meisten zu leiden hatte — traf sicher zu. Auf der anderen Seite kam Falkenhayn mit einem Anspruch und einem Selbstverständnis nach China, das die Chinesen nur schwer ertragen konnten. Sein Einfühlungsvermögen in die Verhältnisse seines Gastlandes war sehr begrenzt. Falkenhayns Leistungen als militärischer Fachmann wurden zumindest auf deutscher Seite sehr positiv bewertet. Prinz Heinrich, als Chef des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders und als Staatsgast 1898/99 in China, besuchte im April 1899 die von Falkenhayn begründete Militärschule in Wu-ch'ang und urteilte anschließend: »Persönlich stehe ich unter dem Eindruck, daß trotz manch unerfreulicher Verhältnisse auf dem Gebiete militärischer Schulung Unglaubliches von unseren Offizieren schon jetzt geleistet wurde [...]. Von den Militärerziehungsanstalten deutschen Musters kann nur gesagt werden, daß dieselben in technischer wie praktischer Beziehung recht gute Resultate aufzuweisen haben, ganz besonders unter ihnen die Militärschule zu Wu Chang, welcher der jetzige Major von Falkenhayn bis vor kurzem vorstand 63 .« In dieser Zeit erwarb sich Falkenhayn das Wohlwollen des Prinzen Heinrich, der ihn im weiteren Lauf seiner Karriere noch kräftig fördern sollte64. Im März 1899 zog Edmund v. Hey king eine enttäuschende Bilanz aus der bisherigen deutschen Militärhilfe: »Die stets mit den Militärinstrukteuren in China gemachten Erfahrungen erbringen einen weiteren Beweis dafür, daß den Chinesen nicht zu helfen ist, da sie sich dagegen sträuben, sich helfen zu lassen65.« So aussichtslos schien Falkenhayn die Idee der Militärreform in China nicht zu sein. Der Gedanke einer Reorganisation — aber großen Stils — hatte ihn gepackt, und bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges versuchte er immer wieder, nach China zurückzukommen und in einer besser vorbereiteten Aktion größeren Maßstabes an entscheidender Stelle mitwirken zu können. Doch jetzt, im Januar 1898, war Falkenhayn froh, aus Wu-ch'ang wegzukommen und sich und seine Familie im deutschen Machtbereich in Kiaochow in Sicherheit zu wissen. 63 64 65
Zwehl, Falkenhayn, S. 20. Siehe Kap. III, 6, c. Bericht Heykings an den Reichskanzler vom 2 1 . 3 . 1 8 9 9 , in: PA-AA, China 5, Bd9, A 5411.
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Ausgelöst von der Annexion Kiaochows ging eine Lawine ausländischer Forderungen auf China nieder. Rußland verlangte und erhielt Talienwan mit dem Kriegshafen Port Arthur 66 . England erhielt einen langfristigen Pachtvertrag für den Hafen Wei-hai-wei, Frankreich für Kuang-chou-Wan. In China mußte der Eindruck entstehen, daß die Großmächte das Land nach und nach mit Hilfe der Meistbegünstigungsklausel 67 unter sich aufteilen wollten. Dadurch wuchsen die fremdenfeindlichen Strömungen — allen voran der Geheimbund der »Boxer« — sehr an. Die innenpolitischen Spannungen nahmen durch den Konflikt zwischen einer Reformpartei und konservativen Kräften stark zu. In Anbetracht dieser Entwicklung kam es Falkenhayn sehr gelegen, mit seiner Familie nach Kiaochow übersiedeln zu können. Dort konnte er seine neuerworbenen Landeskenntnisse nutzbringend anwenden und war trotzdem im deutschen Machtbereich. Bis zu seiner Wiederanstellung im deutschen Heer im März 1899 verbrachte Falkenhayn seine Zeit damit, zusammen mit einem Marineoffizier das Gebiet um Kiaochow zu vermessen — eine Aufgabe, für die er nach zwei Jahren in der topographischen Abteilung des Generalstabs gut qualifiziert war. Der Empfang durch die Offiziere des Gouvernements Kiaochow war zunächst alles andere als herzlich. Gnädig wurde dem unbekannten und »etwas zweifelhaften« Kameraden erlaubt, in der Offiziersmesse zu essen. Erst als »ein Telegramm aus Berlin kam mit der Meldung, er sei Generalstabsoffizier beim Gouvernement geworden, da merkten Alle, daß er doch etwas anderes sei als der übliche, halb gescheiterte chinesische Instrukteur« 68 . In der Zwischenzeit war Constantin v. Hanneken, der erwähnte deutsche Berater Li Hungchangs, nach China zurückgekommen und siedelte sich zunächst in Kiaochow an. Hanneken hatte eine bemerkenswerte Laufbahn hinter sich. 1854 in Trier geboren, war er als preußischer Artillerie-Leutnant wegen eines Ehrenhandels 1877 aus der Armee ausgeschieden und studierte einige Semester Ingenieurwesen. Sein Vater, ein preußischer General, vermittelte ihn dann über Beziehungen zu Gustav Detring nach China. Dort wurde Hanneken Instrukteur bei den Truppen Li Hung-changs und später dessen Adjutant. Hanneken betätigte sich auch als Festungsbauingenieur und ließ die Kriegshäfen Port Arthur und Wei-hai-wei durch Erdwälle befestigen. Ferner war er an der Abwicklung chinesischer Waffenkäufe beteiligt. A m chinesisch-japanischen Krieg nahm Hanneken aktiv teil. Er überlebte schwimmend den Untergang eines Truppentransporters, wodurch er in China zur populären Gestalt wurde. In der Seeschlacht vor der Yalu-Mündung übernahm er nach dem Ausfall des Admirals nach eigener Darstellung69 das Kommando über 66
67
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Auf dieses Gebiet hatte Japan nach dem chinesisch-japanischen Krieg einen Anspruch erhoben, der nur wegen des erwähnten Eingreifens der europäischen Mächte nicht erfüllt wurde. Japan fühlte sich um seine Beute betrogen. Die dadurch entstandenen Spannungen in Ostasien sollten zum RussischJapanischen Krieg von 1904/05 führen. Die Meistbegünstigung war eine dehnbare Formel aus dem Handelsrecht. Die Chinesen bezeichnen diese Periode »freiwilliger« Abtretungen als die Epoche der »ungleichen Verträge«. Zu den Zuständen in China während der Reformperiode der »Hundert Tage« siehe Hsü, Rise, besonders S. 355—407. Dort auch weitere Literaturhinweise. Ein Stabsoffizier, Heer, S. 725. So schildert Hanneken selbst seine Erlebnisse in einer Artikelserie (Hanneken, Episoden). Siehe auch Schmidt, Aufgabe, S. 3 8 f.
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die chinesische Flotte. Danach zum General ernannt, nahm er kurze Zeit später seinen Abschied und begleitete Li Hung-chang nach Europa. Von ihm stammte der Plan einer großangelegten Militärreform Chinas. Er hatte in Deutschland schon begonnen, Offiziere anzuwerben. Gleichzeitig verhandelte er mit Krupp über seine Erfindung eines überschweren Geschützes mit Selbstladeeinrichtung 70 . Hanneken war ein self-made-man, der es trotz nicht allzu günstiger Voraussetzungen zu einem beträchtlichen Vermögen und einer beeindruckenden Stellung gebracht hatte. Sein Unternehmungsgeist verfehlte nicht seinen Eindruck auf Erich v. Falkenhayn. Hanneken wurde einer der wenigen engen Freunde des sonst sehr reservierten Mannes 71 . Im März 1899 wurde Falkenhayn als Major »ä la suite des Generalstabes« wiederangestellt und als Generalstabsoffizier zum Gouvernement Kiaochow kommandiert. Seine Vorgesetzten waren mit ihm sehr zufrieden. Nicht nur Prinz Heinrich, der sich in Kiaochow aufhielt, hatte ein günstiges Urteil über Falkenhayn, sondern auch der ferne Graf Schlieffen, der am 1. Januar 1900 folgende Beurteilung in die Personalakte schrieb: »Ein vortrefflicher, vielfach brauchbarer Offizier von guter Begabung, tüchtiger Ausbildung und großer Leistungsfähigkeit 72 .« Anfang 1900 ging Falkenhayn nach Deutschland zurück. Zuerst kam er in den Großen Generalstab und dann in den Generalstab des XVI. Armeekorps in Karlsruhe. Im März fuhr Falkenhayn nach Kiel, um Heyking, der jetzt als Gesandter nach Mexiko gehen sollte, zum Geburtstag zu gratulieren. Im Hause Heyking herrschte Katzenjammer: Die Versetzung nach Mexiko sei eine Strafe, und man hatte sich doch für die Erwerbung Kiaochows eine Belohnung versprochen. Auch Falkenhayn sei schließlich »mit großem Avancement« nach Karlsruhe versetzt worden 73 . Die neue Stellung in Karlsruhe war eine Beförderung für Falkenhayn und für längere Zeit gedacht. Doch die Ereignisse in China machten diese Planungen zunichte.
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Ebd., S. 40. Dieser Freundschaft verdanken wir den Briefwechsel Falkenhayn-Hanneken, der ganz wesentlichen Aufschluß über Falkenhayns politische Gedanken gibt. Siehe Kap. III und VII. Priesdorff, Manuskript Falkenhayn (in Privatbesitz). Tagebucheintrag Elisabeth v. Heykings vom 16.3.1900, in: Heyking, Tagebücher, S. 313. Der Schwiegersohn des Ehepaars v. Heyking, Hans v. Raumer, urteilt in einem Brief vom 2 5 . 1 . 1 9 6 5 an Falkenhayns ehemaligen Adjutanten Hans Henning v. Pentz, daß »Falkenhayn ein guter Freund meiner Schwiegereltern« gewesen sei (im Besitz von General Jürgen v. Falkenhayn, Wentorf). In dieser Form scheint das jedoch nicht richtig zu sein. Wie aus einem Schreiben Elisabeth v. Heykings an Falkenhayn aus dem Oktober 1916 hervorgeht, hatte sich der Kontakt offensichtlich weit vor dem Krieg wieder verloren. In: BA-P, Nachlaß Falkenhayn.
Major v. Falkenhayn ist ein hoch intelligenter, charaktervoller Offizier, der jede Aufgabe richtig erfaßt, vor keiner zurückschreckt, und auch die schwierigsten zielbewußt und mit Energie durchführt. Aus Falkenhayns Personalakte, Dezember 1902
3. Im Boxerkrieg a) Im Ostasiatischen Expeditionskorps Falkenhayn war erst wenige Monate wieder in Deutschland, als die Spannungen in China im Boxer-Aufstand ihren Höhepunkt fanden. Schon im Frühjahr 1900 war es in Peking zu Unruhen gekommen, und im Mai hatten die europäischen Gesandtschaften in Peking um militärischen Schutz gebeten. Am 18. Juni 1900 wurde der deutsche Gesandte Klemens v. Ketteier, der Nachfolger Heykings in Peking, von einem chinesischen Unteroffizier ermordet. Bei Bekanntwerden der Tat Anfang Juli brandete in ganz Europa eine Welle der Empörung auf. Deutschland reagierte mit der sofortigen Entsendung von zwei Seebataillonen (Marineinfanterie) nach China. Außerdem wurde als deutscher Anteil an einem internationalen Expeditionskorps unter der Führung von Feldmarschall Graf Waldersee eine Freiwilligenbrigade aufgestellt. Sie sollte die Stärke einer mobilen Infanteriedivision von 12000 Soldaten erhalten. Zum Befehlshaber des Verbandes wurde Generalleutnant v. Lessei ernannt 74 . Bei der Aufstellung der Brigade Lessei wurde natürlich auf die wenigen Offiziere im deutschen Heer zurückgegriffen, die über Ostasienerfahrung verfügten. Major v. Falkenhayn wurde schon am 9. Juli in den Generalstab des Ostasiatischen Expeditionskorps versetzt75. Brigadekommandeur Lessei vertraute ihm eine wichtige Aufgabe an: Er wurde zum Führer des Vorkommandos ernannt, das vorausfahren und in China alles auf die Ankunft des Hauptheeres vorbereiten sollte. Außer Falkenhayn reisten im Vorkommando, das eine Stärke von hundertvierzig Mann hatte, zwei weitere Offiziere mit Ostasienerfahrung 76 und der neue Gesandte für Peking, Mumm v. Schwarzenstein, mit. Das Vorkommando reiste am 20. Juli mit dem Zug nach Genua, um von dort mit dem Liniendampfer »Preussen« nach Ta-ku zu fahren. Ta-ku, an der Mündung des Pei-ho gelegen, war nach verschiedenen Überlegungen zum Ausschiffungsort des Expeditionskorps gewählt worden. Das ursprünglich vorgesehene Tsingtao wäre zwar ein sichrerer Landeplatz gewesen als die umkämpfte Ta-ku-Reede, war jedoch zu weit von Peking entfernt. Außerdem wollte die Marine den wirtschaftlichen Aufschwung des neuen Stützpunktes nicht durch die Einquartierung eines großen Truppenverbandes behindern. 74
75 76
Siehe hierzu Binder v. Krieglstein, Kämpfe; Scheiben, Krieg; Lessei, Böhmen. Letzteres sind die interessanten Memoiren des Kommandierenden des Ostasiatischen Expeditionskorps, Generalleutnant v. Lessei. Priesdorff, Manuskript Falkenhayn (in Privatbesitz). Neben Falkenhayn waren das ein Major Brixen, vorher Instrukteur in China, und ein Hauptmann Freiherr v. Buttlar, zuvor Kompaniechef beim Seebataillon in Tsingtao. Angaben aus Lessei, Böhmen, S. 174 f.
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II. China ( 1 8 9 6 - 1 9 0 3 )
Die Ausreise des Vorkommandos glich einem Triumphzug. Die gemeinsame Strafaktion gegen die Chinesen hatte ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt, das sich in Jubel und Enthusiasmus für die ausrückende Truppe niederschlug. Wo Falkenhayns Zug auch hielt, überall wurde er von jubelnden Menschenmengen begrüßt77. Am 24. Juli schiffte sich das Vorkommando auf der »Preussen« ein78. Nach achtunddreißigtägiger Fahrt ankerte die »Preussen« am 31. August auf der Ta-kuReede, und das Vorkommando begann mit seiner Arbeit. Es ging darum, Unterkunft und Verpflegung für die Truppen bereitzustellen und die eintreffenden Pferde zu versorgen79. Der Führer des Expeditionskorps, General v. Lessei, landete am 14. September, und Falkenhayn berichtete ihm im Salonwagen auf der Fahrt vom Landungsort T'ang-ku nach Tientsin »über die Lage und die von ihm getroffenen Vorbereitungen«. Lessei war zufrieden: »Wie sich in den nächsten Tagen herausstellte, hatte er [Falkenhayn] seine Aufgabe vortrefflich gelöst80.« Das Expeditionskorps war zu spät gekommen, um an den Kampfhandlungen noch teilnehmen zu können. Pekings »Hafenstadt« Tientsin war nach heftigen Kämpfen am 14. Juli in europäische Hand gefallen und auch die Gesandtschaften in Peking waren am 16. August entsetzt worden. Die internationalen Truppen unter Admiral Seymour hatten die eigentliche Arbeit schon erledigt; jetzt galt es nur noch, die Demarkationsgebiete zu überwachen und ruhig zu halten. Das mit der chinesischen Regierung vereinbarte Demarkationsgebiet umfaßte die Hauptstadt Peking, die Hafenstadt Tientsin und das umliegende Gebiet bis zur Küste, das zur Provinz Chihli gehörte. Li Hung-chang, Generalgouverneur dieser Provinz 81 , wurde von der geflohenen chinesischen Regierung beauftragt, die Verhandlungen mit den Mächten zu führen. 77
D e r deutsche Generalkonsul in Mailand berichtete über den Empfang des Zuges, der mitten in der Nacht nur eine Stunde Aufenthalt hatte, folgendes: Als der Zug am 2 7 . 7 . 1 9 0 0 um halb zwei U h r nachts in Mailand eintraf, wurde er von achttausend jubelnden Zuschauern empfangen, die die Bahnsteige und Waggondächer säumten und von den Carabinieri zurückgehalten werden mußten. A m Bahnsteig warteten die Spitzen der Gesellschaft, General Ferrero und sein Stab, Vertreter der deutschen Kolonie, der deutsche Generalkonsul sowie Militärkapellen, die wieder und wieder die Nationalhymnen beider Länder anstimmten. Im Wartesaal Erster Klasse, geschmückt durch Büsten beider Monarchen, war für die Offiziere ein Buffet aufgebaut. Im Wartesaal Zweiter Klasse wurden die anderen Soldaten durch deutsch sprechende italienische Mannschaften unterhalten. Nachdem etliche Toasts auf die Monarchen beider Länder ausgebracht worden waren, erhob sich Falkenhayn und dankte »mit einigen markigen Worten« für den Empfang. Bericht des deutschen Generalkonsuls in Mailand, v. Herff, vom 2 3 . 7 . 1 9 0 0 , in: PA-AA, China 24, Bd 137, A 9853. Zu der allgemeinen Begeisterung siehe auch Lessei, Böhmen, S. 175 f. Ahnliche Szenen ereigneten sich auf der ganzen Strecke, in Verona und auch am Einschiffungsort Genua.
78
Sogar beim fahrplanmäßigen Halt der »Preussen« in Neapel kam wieder ein deutsch-italienisches Begrüßungskommitee an Bord.
79
Die Pferde wurden durch Agenten in Australien und Kalifornien angekauft und nach China transportiert, da sie den Schiffstransport durch das Rote Meer nicht lebend überstanden hätten. Dazu Lessei, Böhmen, S. 172, 174. Zunächst hatte Lessei daran gedacht, selbst mit dem Vorkommando zu reisen, diesen Gedanken dann aber verworfen. Dazu auch Gündell, Tagebücher, S. 8 ff.
80 81
Lessei, Böhmen, S. 188. Li Hung-chang war 1895 politisch weitgehend ausgeschaltet und im Süden Chinas eingesetzt worden. Im Sommer 1900 rief ihn die Regierung in seine alte Stellung zurück.
3. Im Boxerkrieg
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Das Expeditionskorps sollte zunächst in Tientsin Quartier finden. Doch die Ausschiffung war sehr kompliziert. Der Pei-ho, der Tientsin mit dem Meer verbindet, hatte an seiner Mündung bei Ta-ku eine riesige Sandbank angeschwemmt, die Seeschiffen das Einlaufen in den Hafen unmöglich machte. Deshalb mußten die auf der Ta-ku-Reede liegenden Transportschiffe geleichtert werden. Falkenhayn verfaßte Ende September einen Bericht für Lessei, in dem er mit Rücksicht auf die schlechten Eisenbahnverbindungen zwischen T'ang-ku und Tientsin vorschlug, die Truppen und das Gerät mit Leichtern über den Pei-ho direkt nach Tientsin bringen zu lassen, statt sie nur an Land zu setzen. Sein Vorschlag wurde jedoch nicht berücksichtigt. Das Ausladen erwies sich dann doch als überaus schwierig. Manche Schiffe konnten bis zum Ende der Aktionen in China überhaupt nicht entladen werden. Die Erfahrungen mit dieser ersten großen Landeaktion der deutschen Marine waren, obwohl Feindeinwirkung fehlte und nur natürliche Hindernisse zu überwinden waren, nicht sehr ermutigend 82 . Mitte Oktober 1900 teilte Lessei das Expeditionskorps auf, um das Demarkationsgebiet bestmöglich absichern zu können: Die 1. Brigade wurde in Peking, die 2. in Pao-ting-fu und die 3. in Tientsin stationiert. Major v. Falkenhayn blieb als 2. Generalstabsoffizier beim Korpskommando in Tientsin, wo er auch in die Provisorische Regierung der Mächte eintrat. Im November regte Falkenhayn die Aufstellung einer mit Ponys ausgerüsteten Polizeitruppe gegen marodierende chinesische Soldaten und Boxer an83. Anfang Dezember unternahm er zusammen mit dem Kommandeur der 3. Brigade, Oberst v. Rohrscheidt, einen Vorstoß nach Tsanghsien, um dort gemeldete Truppen des Generals Mai aus der Provinz Chihli zu vertreiben. Da die Chinesen sich in südlicher Richtung zurückzogen, kam es zu keiner Kampfberührung, und auch eine Verfolgung des Gegners über die Demarkationslinie hinaus verlief ergebnislos84. Seit der Jahreswende 1900/1901 begleitete Falkenhayn häufig den 1. Generalstabsoffizier des Expeditionskorps, Oberstleutnant Erich v. Gündell, auf die Besprechungen zwischen den Mächten, die in Peking unter der Leitung Graf Waldersees stattfanden. Er nahm auch an den wichtigen Sitzungen im April 1901 teil, als über die dauernden Besatzungen, die in China verbleiben sollten, beraten wurde. Außerdem erstattete Falkenhayn im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in der Provisorischen Regierung von Tientsin an Waldersee regelmäßig Bericht. A m 13. April 1901 befahl Waldersee dem Expeditionskorps einen Vorstoß an die Grenze des Demarkationsgebietes. In Huailu hatten französische Einheiten eine chinesische Armee in der Stärke von ungefähr zwanzigtausend Mann gemeldet, die unter der Führung von General Liu-Kwangsai85 die Demarkationslinie überschritten hatte. Diese chinesische Armee sollte wieder hinter die große Mauer, die hier die Demarkationslinie bildete, zurückgedrängt werden. Der Befehlshaber der französischen Verbände, General
Zu den Entladeaktionen siehe Lessei, Böhmen, S. 186ff. Dort auch weitere Literatur in den Fußnoten auf S. 186 und S. 190. w Ebd., S. 226f. 84 Ebd., S. 232. General Mai konnte nicht weiter identifiziert werden. 85 General Liu-Kwangsai konnte nicht weiter identifiziert werden. 82
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II. China ( 1 8 9 6 - 1 9 0 3 )
Voyron, konnte aber nicht versprechen, von seiner Regierung die Erlaubnis zum Mitkämpfen zu erhalten. Deshalb wurde vom deutschen Expeditionskorps ein knapp viertausend Mann starkes Kontingent bereitgestellt86, das mit eventueller französischer Hilfe gegen die Chinesen vorgehen sollte. Die deutschen Truppen versammelten sich in Tinghsien, wo die im Bau befindliche Eisenbahn Peking-Hankow damals endete. Falkenhayn nahm als Generalstabsoffizier an dem Vorstoß teil. Er war für die Planung der Operationen zuständig. Außerdem mußte Falkenhayn für Kartenmaterial sorgen. Das Gebiet war kartographisch unerschlossen, und Skizzen mußten nach »Eingeboreneninformationen« angefertigt werden 87 . Als für den Weitermarsch im unwegsamen Gelände jede Orientierungshilfe fehlte, organisierte Falkenhayn in einer chinesischen Behörde Aufzeichnungen und Wegbeschreibungen von Jesuiten, die zwar zwei- bis dreihundert Jahre alt waren, aber ihren Zweck erfüllten. Vom 21. bis zum 25. April kam es zu den Gefechten in den Shansi-Pässen, bei den Orten Kiangsekuan und bei Kuchan. Hier, wie sonst auch, stießen die Deutschen nur auf Nachhuten des Gegners, der sich mit seinem Gros bereits wieder über die Demarkationslinie zurückgezogen hatte, oder auf örtliche Milizverbände. Kriegsberichterstatter v. Binder-Krieglstein beurteilte den deutschen Vorstoß — an dem sich die Franzosen nicht beteiligt hatten — als militärischen Fehlschlag, da der chinesische Rückzug bei Eintreffen der deutschen Truppen schon fast ganz durchgeführt war. Die Aktion hatte deshalb ihren Sinn verloren 88 . In den Gefechten in unwegsamen Gebirgsschluchten hatten die deutschen Truppen sechzig Ausfälle zu beklagen: Vier Mann waren tot, zwanzig schwer und die restlichen leicht verwundet 89 . Bei ernstem Widerstand der Chinesen hätte die Bilanz weit schlimmer aussehen können. In diesen Gefechten erhielt Falkenhayn seine »Feuertaufe«. Von Anfang Mai 1901 an begannen die leitenden deutschen Stellen den Abzug des Expeditionskorps zu organisieren. Waldersee war seine Aufgabe wegen der ständigen Differenzen zwischen den Besatzungsmächten ebenso leid wie Lessei, der die ganze Expedition nur eine »Mißgeburt von Krieg« nannte 90 . In den Verhandlungen war den Chinesen versprochen worden, Peking bis zum 25. Juni 1901 zu räumen. Das Oberkommando in Peking, das Korpskommando in Tientsin, das Kriegsministerium in Berlin und das Auswärtige Amt verhandelten über Stärke und Organisation der Truppen, die nach Abzug des Expeditionskorps gemäß den Bedingungen des Friedensvertrages in China zurückbleiben sollten. Dabei kam es zu manchen Verzögerungen. Ende Mai wurde das Expeditionskorps aufgelöst und Graf Waldersee reiste am 3. Juni 1901 aus China ab. Die Planung für die zurückbleibenden Truppen war noch in vollem 86
87 88 89
90
Gündell, Tagebücher, S. 52, gibt folgende genaue Zahlenangaben über das deutsche Kontingent: 117 Offiziere, 3618 Unteroffiziere und Mannschaften, also zusammen 3735 Mann, sowie 1862 Zug- und Reittiere sowie 274 chinesische Karren. Lessei, Böhmen, S. 271. Binder-Krieglstein, Kämpfe, S. 1 9 8 - 2 0 5 . Ebd., S. 198. Lessei, Böhmen, S. 277, nennt ähnliche Zahlen: Gesamtverlust 6 Offiziere und 60 Mann an Toten und Verwundeten. Ebd., S. 266.
3. Im Boxerkrieg
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Gange. Diese Truppen in der Stärke von zwei Regimentern und der Gesandtschaftswache in Peking erhielt den Namen »Ostasiatische Besatzungsbrigade« und sollte Sicherungsaufgaben in einem weit ausgedehnten Gebiet übernehmen. Einheiten dieser Truppe sollten in Peking, Tientsin, aber auch in Shanghai und anderen Orten die deutschen Interessen sichern91. Dementsprechend wurde die Brigade aufgeteilt. Falkenhayn war der erste Generalstabsoffizier, der sich freiwillig für den Dienst in der Brigade meldete. Brigadekommandeur wurde der inzwischen zum Generalmajor beförderte Rohrscheidt. Als Sitz des Stabes, in dem Falkenhayn die Funktion des 1. Generalstabsoffiziers versehen sollte, wurde Tientsin beibehalten. b) In der Provisorischen Regierung von Tientsin Das von den Seymour-Truppen am 14. Juli 1900 eingenommene Tientsin war während der heftigen Kämpfe in den Ausländervierteln teilweise zerstört worden. In den Auseinandersetzungen mit den Boxern war die zivile Gewalt in Tientsin schon vor der Einnahme durch die Europäer zusammengebrochen. Nach der Eroberung wurde deshalb in der Stadt eine Provisorische Regierung eingesetzt, die aus Offizieren der verschiedenen Truppenkontingente bestand. Diese Regierung war zunächst nur als Ubergangslösung gedacht, um die Stadt für kurze Zeit zu verwalten. Als auf Befehl Waldersees Major v. Falkenhayn im Oktober 1900 in den Rat der Provisorischen Regierung eintrat, hatte sich deren Zielsetzung aber bereits geändert. Im Rat der Regierung saßen bei Falkenhayns Eintritt ein englischer, ein italienischer, ein japanischer, ein amerikanischer sowie ein französischer Offizier, nach anderen Quellen auch ein russischer General 92 . Die Offiziere entstammten den Stäben der in Tientsin liegenden Truppen. Da im Laufe der Zeit Truppenteile verlegt oder ausgewechselt wurden, wechselten auch die Offiziere im Rat der Provisorischen Regierung — bis auf drei, die den festen Kern bildeten: der Italiener Commandante Mario Casanova, der französische Lieutenant Colonel Louis Eugene Arlabosse und Major Erich v. Falkenhayn. Die
91 92
Ebd., S. 281. Nach Angaben Zwehls, Falkenhayn, S. 22, befanden sich in der Provisorischen Regierung von Tientsin »ein russischer General, ein englischer Oberst, ein japanischer Major, unterstützt von Subalternoffizieren und verschiedenen Persönlichkeiten der fremden Zivil-Bevölkerung«. Verschiedene Dokumente der Provisorischen Regierung aus dem Jahre 1901/02 tragen die Unterschriften: Major v. Falkenhayn; Lt. Col. L. Arlabosse; M. Casanova; H. Bower, Lieut. Colonel; Lt. Col. Harold (vgl. PAA A , China 24). Demnach gehörten dem Rat ein deutscher, ein französischer, ein italienischer, ein englischer und ein amerikanischer Offizier an. Eine weitere, schwer lesbare Unterschrift scheint diejenige eines japanischen Offiziers zu sein. Ein Foto von 1900, im Privatbesitz von Falkenhayns Enkelin, zeigt die Offiziere in Tientsin an einem Tisch. Unter dem Foto steht: »1900. Die internationalen Gouverneure der Chinesenstadt Tientsin«. Auf der Rückseite befinden sich folgende Namen: O'Sullivan, Engl.; Arlabosse, Fr.; M. Casanova, It.; Falkenhayn, Dt.; Japan?; Denby, U.S.A. Durch die häufigen Veränderungen in der Provisorischen Regierung ist es schwierig, die personelle Zusammensetzung lückenlos zu rekonstruieren. Später trat noch ein österreichisch-ungarischer Offizier hinzu.
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II. China ( 1 8 9 6 - 1 9 0 3 )
Offiziere trafen sich in recht zwanglosem Rahmen zumeist bei Arlabosse, um über die Verwaltungsangelegenheiten zu beraten 93 . Die Provisorische Regierung herrschte über eine der bedeutendsten Städte Nordchinas. Tientsin war ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, vor allem aber ein wichtiger Hafen. Der Kaiserkanal, der bei Tientsin endete, verband die Stadt mit dem Yangtze und dadurch mit ganz Mittelchina. Durch den Pei-ho wurde Tientsin mit dem ungefähr sechzig Kilometer entfernten Meer verbunden. Für jede Binnenwasser- und Seeverbindung war die Stadt der Hafen Pekings. Seit 1860 war Tientsin als Handelsplatz den Europäern zugänglich gemacht worden. Ein großes Ausländerviertel war entstanden, das der Stadt in weiten Teilen ein unchinesisches Aussehen verlieh. Li Hung-chang hatte als Generalgouverneur der nördlichen Provinzen Tientsin zu seiner Residenz ausgebaut, da von hier aus die Hauptstadt Peking gut erreichbar war. Die Provisorische Regierung von Tientsin verdankte ihre zweijährige Existenz — denn sie wurde erst im August 1902 aufgelöst — einem militärischen Bedürfnis. Leitende Stellen des Expeditionskorps, besonders Graf Waldersee, wollten künftige Interventionen der Mächte in Tientsin erleichtern und deshalb den Pei-ho für Kanonenboote schiffbar machen. Das Pei-ho-Mündungsdelta war voll mit verschlungenen, unübersichtlichen Flußbiegungen, die jeden Verkehr erschwerten. Die Sandbank vor seiner Mündung bei Ta-ku behinderte zusätzlich die Schiffahrt und ermöglichte es nur kleinen Schiffen mit einer Tonnage unterhalb von tausend Tonnen, den Fluß bis Tientsin zu befahren. Der Pei-ho war im Laufe der langen Geschichte Tientsins schon mehrfach ausgebaut worden, um die Versandungen zu beseitigen. Seit dem zunehmenden ausländischen Druck auf China von der Mitte des 19. Jahrhunderts an gaben die Chinesen diese Bemühungen auf, besonders um ausländischen Kriesgsschiffen die Einfahrt in den Pei-ho zu verwehren. Die natürliche Barriere war ein wirkungsvollerer Schutz als die Taku-Forts, wie zuletzt die Anlandeschwierigkeiten des deutschen Expeditionskorps gezeigt hatten. Die europäischen Mächte wollten die Gelegenheit jetzt nutzen und den Pei-ho durch die Provisorische Regierung von Tientsin ausbauen lassen. Die Flußbiegungen sollten begradigt werden, die dadurch erhöhte Fließgeschwindigkeit des Flusses einen Teil der Sandbank abbauen, der andere Teil durch Dauerbaggerung weggeschafft werden. Den Chinesen wurde unterstellt, zu einer solchen Flußregulierung aus Mangel an Energie oder aus bösem Willen, wahrscheinlich aus beidem, nicht in der Lage zu sein. Deshalb wollten die Mächte diese Aufgabe selbst in die Hand nehmen. Darüber hinaus war es auch für den Handel vorteilhaft, wenn Seeschiffe künftig bis nach Tientsin fahren konnten. Die Mitglieder der Provisorischen Regierung empfanden sich nicht nur als ausführendes Organ für die Flußregulierung, sondern als »Internationale Gouverneure der Chinesenstadt Tientsin« 94 . Gedeckt von ihren übergeordneten Kommandobehörden, die auf den Pei-ho-Ausbau nicht verzichten wollten, führten sie ein zweijähriges Eigenleben. Natürlich wurden die Offiziere sofort in das gesellschaftliche Leben im Ausländerviertel Tientsins einbezogen. Falkenhayn schloß hier mehrere Freundschaften, die seine Zeit 93
Mitteilung des Sohnes von Arlabosse, Lt. Col. Roger Arlabosse, vom 2 7 . 6 . 1 9 8 7 an den Verfasser.
94
Siehe Anm. 92.
3. Im Boxerkrieg
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in China überdauerten. So zum Beispiel mit Gustav Detring, dem erwähnten Seezolldirektor Tientsins und Berater Li Hung-changs, der dort mit seiner Familie wohnte. Auch dessen Schwiegersohn Constantin v. Hanneken, Falkenhayns Freund aus Tsingtao, war nach Tientsin übergesiedelt, um seinen Geschäften — er betätigte sich inzwischen als Bergbauunternehmer — besser nachgehen zu können. Freundschaft Schloß Falkenhayn auch mit dem französischen Offizier Louis Arlabosse 95 . Arlabosse hatte eine reiche Kolonialerfahrung hinter sich. 1856 geboren, hatte er einen Großteil seiner militärischen Laufbahn in Ubersee verbracht. Auch mit den ostasiatischen Verhältnissen war er vertraut, da er bereits mehrfach in Französisch-Indochina stationiert war. Bei diversen Kämpfen in den afrikanischen Kolonien war Arlabosse hoch dekoriert worden. Wie Falkenhayn bei seinem Oberkommandierenden Graf Waldersee, so fand Arlabosse Unterstützung und Anerkennung bei dem französischen Oberkommandierenden, General Voyron. Die beiden Offiziere wurden zur treibenden Kraft in der Provisorischen Regierung von Tientsin und nutzten die Gelegenheit zum selbständigen Handeln nach Kräften aus. Zwischen den Offizieren im Rat der Provisorischen Regierung herrschte ein gutes Einvernehmen, sogar Freundschaft, die im Falle Arlabosse-Falkenhayn über die gemeinsamen Jahre in China hinaus Bestand hatte. Einflußreiche Leute aus dem Ausländerviertel Tientsins erkannten in der Provisorischen Regierung eine einmalige Chance zu städtebaulichen Verbesserungen in der Stadt. Seezolldirektor Detring hatte schon in den achtziger Jahren seinem Vorgesetzten Li Hungchang verschiedene Verbesserungen vorgeschlagen, sich aber nicht durchsetzen können. Jetzt schlug er Falkenhayn vor, der Provisorischen Regierung mit diesen Verbesserungen ein Denkmal zu setzen. Dabei handelte es sich zunächst um die Niederlegung der Stadtmauer, um eine breite Umgehungsstraße anlegen zu können. Dann sollten die Straßen in ganz Tientsin gepflastert werden, nach dem Vorbild der Straßen in den Ausländervierteln. Das Geld dazu sollte durch Besteuerung chinesischer Waren im Hafen von Tientsin beschafft werden. Außerdem wollte Detring ein großes Auffangbecken zum Sammeln des Regenwassers während der Regenzeit mit einer entsprechenden Kanalisation anlegen lassen96. Falkenhayn war gerne bereit, diesen Vorschlägen Detrings zu folgen, zumal sie durch die vorgeschlagene Besteuerung auch finanziert werden konnten. Da auch die übrigen Mitglieder des Rates diesen Projekten zustimmten, wurde mit den entsprechenden Arbeiten begonnen. Die Provisorische Regierung war auch recht erfinderisch bei der Erschließung neuer Geldquellen. So führte sie im März 1901 eine Salzsteuer ein, um Geld für ihr Hauptanliegen, die Pei-ho-Regulierung, zusammenzubekommen 97 . Eine Vielzahl anderer Steuern schloß sich an.
95
Zu Louis-Eugene-Auguste Arlabosse siehe den Artikel von Colonel Boudot, in: Dictionnaire de Biographie francaise, Paris 1933 ff.
96
Handschriftliches Memorandum Detrings, vermutlich ein Konzept, aus der Zeit der Provisorischen Regierung: »Memo on the Tientsin Native City Roads«, in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz).
97
M u m m an das Auswärtige Amt, 3 0 . 3 . 1 9 0 1 , in: PA-AA, China 24, Nr. 11, Bd 1.
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II. China ( 1 8 9 6 - 1 9 0 3 )
Als der deutsche Gesandte Mumm v. Schwarzenstein Ende Oktober 1901 Tientsin einen Besuch abstattete, konnte er eine ganze Reihe bereits durchgeführter Verbesserungen bewundern. Besonders imponierte ihm ein breiter Boulevard, der anstelle der niedergerissenen Stadtmauer entstanden war, und noch mehr, daß die dazu erforderlichen Arbeiten nur 12000 R M gekostet hatten 98 . Geld für den Pei-ho-Ausbau war außerdem in den Pekinger Friedensverhandlungen im Frühjahr 1901 durch chinesische Zahlungen zugesichert worden. Außerdem hatte die Provisorische Regierung 10000 chinesische Arbeiter angestellt, die schon damit beschäftigt waren, unterhalb von Tientsin Flußbiegungen zu durchstechen. Das Geld dazu hatte sie ebenfalls aus eigener Kraft aufgebracht". Mumm hatte den Eindruck, daß die Bevölkerung mit der Provisorischen Regierung, als deren führende Persönlichkeit er Falkenhayn ansah, ganz zufrieden sei100. Auf diplomatischer Ebene wurde die Provisorische Regierung dagegen langsam zum Ärgernis. Während die militärische Leitung — also Waldersee — die Provisorische Regierung in Tientsin bis zum Abschluß der Pei-ho-Regulierung auch weiterhin für unbedingt erforderlich hielt 101 , hatte das Auswärtige Amt ganz andere Sorgen. Diese wurden drängend, als Yüan Shih-k'ai im November 1901 als Nachfolger des gerade verstorbenen Li Hung-chang Generalgouverneur der Provinz Chihli wurde und von den Mächten seine Residenzstadt Tientsin zurückforderte. Yüan Shih-k'ai (1859—1916) war nicht nur in dieser Hinsicht der Nachfolger Li Hung-changs 102 . Er war der kommende starke Mann Chinas und Günstling der mächtigen Kaiserin-Witwe Ts'u-hsi. Nach dem chinesisch-japanischen Krieg hatte Yüan die Militärreform in Nordchina durchgeführt, aus der dann die berühmte Pei-yang-Armee hervorgegangen ist 103 . Er war ein Modernisierer, der anders als Chang-Chih-tung oder auch als Li Hung-chang nicht in der konfuzianischen Tradition verwurzelt war. Yüan war ein Technokrat mit deutlich machiavellistischen Zügen. Das Wohlwollen der Mächte hatte er dadurch erworben, daß er bereits vor dem Eingreifen ausländischer Truppen energisch versucht hatte, die Boxerunruhen zu unterdrücken. Der Gesandte Mumm hatte von Yüan einen sehr positiven Eindruck gewonnen und wollte ihm den Wunsch, in seine Residenz Tientsin zurückkehren zu können, gern erfüllen. Dafür mußte aber zuerst die Provisorische Regierung aufgelöst werden. Einwände von 98
Mumm an das Auswärtige Amt, 26.10.1901, in: PA-AA, China 1, Bd 48, A 17187. In diesem Bericht schilderte Mumm seine Eindrücke, die — was die administrativen Aufgaben der Provisorischen Regierung betrifft — sehr positiv waren.
99
Der damalige Hauptmann in der topographischen Abteilung der ostasiatischen Besatzungsbrigade Rethe behauptet, daß am Pei-ho-Ausbau eine Million (!) chinesischer Arbeiter auf Betreiben der Provisorischen Regierung beschäftigt gewesen seien (Rethe, Falkenhayn, Sp. 1819 f.). Vermutlich hat Rethe in seiner Erinnerung die Anzahl der chinesischen Arbeiter überschätzt.
100 D i e Frage nach den tatsächlichen Leistungen der Militärregierung könnte natürlich nur unter Zuhilfenahme chinesischer Quellen zufriedenstellend beantwortet werden. 101
Waldersee an das Auswärtige Amt, 8.4.1901, in: PA-AA, China 1, Bd 47, A 7989. Ein weiteres undatiertes Telegramm ebd., A 7992.
102
Otto Franke, Yuan Schi-kai. Franke gibt einen kurzen und informativen Abriß von Yüans Leben, Charakter und politischem Wirken.
к» Powell, Rise, S. 71—82.
3. Im Boxerkrieg
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militärischer Seite vermochten die Auflösung jedoch hinauszuzögern104. Im Januar 1902 nahm sich der Reichskanzler selbst der Angelegenheit an. Bülow trug dem Kaiser Yüans Wunsch vor und empfahl, den Chinesen die Stadt zurückzugeben 105 . In den folgenden Monaten begann die Auflösung der Provisorischen Regierung, obwohl sie noch versuchte, Vertreter in die gesamtchinesische Fluß-Regulierungskommission zu entsenden. Doch diese Zivilbehörde lehnte es ab, Vertreter des Militärs aufzunehmen 106 . Im August 1902 wurde die Provisorische Regierung von Tientsin schließlich aufgelöst und die Stadt der chinesischen Regierung zurückgegeben. Der Pei-ho konnte nur bis Tientsin von Kanonenbooten befahren werden, was jedoch nach Ansicht mancher Kritiker schon vor der Flußregulierung möglich gewesen war. Für Falkenhayn war die Zeit in der Provisorischen Regierung in Tientsin ein Höhepunkt seines bisherigen Lebens. Hier hatte er die Möglichkeit gefunden, sein Organisationstalent voll einsetzen zu können, ohne von einer übergeordneten Hierarchie kontrolliert oder eingeengt zu werden. Auch das internationale Flair in der Regierung sagte dem sprachlich und gesellschaftlich gewandten Falkenhayn sehr zu. Seine Offizierskameraden und er erhielten in der Provisorischen Regierung in Tientsin die Möglichkeit, einmal nach ihren Vorstellungen regieren zu können. Obwohl sie im Auftrag imperialistischer Mächte handelten, hatte manche ihrer Maßnahmen auch das Wohl der chinesischen Bevölkerung im Auge 107 . Sie führten in Tientsin einige Verbesserungen ein, die ihre Zeit überdauerten. Viele Pläne blieben aber unvollendet. So faßten etwa Detring und Falkenhayn gerade die Einführung einer Straßenbahn in Tientsin ins Auge, als die Regierung aufgelöst wurde108. Falkenhayn glaubte auch später, sich durch sein tüchtiges Zupacken in Tientsin unter den Chinesen Freunde gewonnen und »als Soldat einen nicht allzu schlechten Eindruck« hinterlassen zu haben 109 . In diesem Punkt war Falkenhayn aber einer Selbsttäuschung erlegen. Die Chinesen, zumindest aber Yüan Shih-k'ai, behielten noch lange eine sehr 104
A m 16.12.1901 forderte der führende China-Experte Ferdinand v. Richthofen die »schnelle Durchführung der von der Provisorischen Regierung in Angriff genommenen Regulierung des Pei-ho, so daß dieser bis Tientsin für Kanonenboote sicher schiffbar wird«. In: PA-AA, China 24, Nr. 11, Bd 1. Nur die Provisorische Regierung der Mächte, niemals aber die Chinesen würden die Regulierung durchführen. Mit diesem Argument vermochte die militärische Seite die Auflösung hinauszuschieben.
105 106
Bülow an Wilhelm II., 2 4 . 1 . 1 9 0 2 , in: PA-AA, China 1, Bd 48, zu A 7 6 6 / 7 6 7 . Siehe PA-AA, China 24, Nr. 11, Bd 1. Dort befindet sich ein Telegrammwechsel über die Auflösung der Provisorischen Regierung von Tientsin von Anfang Mai 1902 (7.5.1902) und über den Versuch der Provisorischen Regierung, einen Offizier in die Fluß-Regulierungskommission zu entsenden.
107
Hier fehlen zur sicheren Beurteilung aber die chinesischen Quellen. Aus dem Bericht Mumms vom 2 6 . 1 0 . 1 9 0 1 (PA-AA, China 1, Bd 48, A 17187) läßt sich zumindest der Eindruck ersehen, den der Regierungsstil der Provisorischen Regierung auf nichtchinesische Beobachter machte. Auch aus der lebhaften Mitarbeit Detrings, der als ausgesprochener Chinesenfreund galt, läßt sich schließen, daß Falkenhayn und seine Kameraden die Bevölkerung nicht unnötig drangsalierten. Siehe Schmidt, Aufgabe, S. 1 0 9 - 1 1 1 .
108
Falkenhayn an Detring, 27.11.1903, in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz).
109
Falkenhayn an Hanneken, 2 7 . 9 . 1 9 0 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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gemischte Erinnerung an den »zu schneidigen« Falkenhayn 110 . Falkenhayns Erinnerung an seine Zeit in Tientsin war immer von einer gewissen Wehmut überschattet. Im März 1907 dachte er an diesen Abschnitt seines Lebens zurück — bezeichnenderweise im Zusammenhang mit einem Kanalbauprojekt Hannekens: »Ihr Kanal ist ein glänzender Gedanke, an seine Ausführung war aber wohl nur unter dem Prov. Gov.t. zu denken. Ja, unser Gouvernement ephemere hatte doch seine Vorzüge! Aber wer erinnert sich jetzt noch daran? Hier hat jedenfalls kein Mensch eine Ahnung, was einst da drüben von 5 einfachen Landsknechten erstrebt und erreicht worden ist. An dieser Erinnerung wärme ich mich im Stillen [...] 1U .« In der Ostasiatischen Besatzungsbrigade versah Falkenhayn, parallel zu seiner Tätigkeit im Rat der Provisorischen Regierung, die Arbeit eines Chefs des Stabes. Daß er sich nicht leicht wieder an die deutschen Verhältnisse gewöhnte, zeigte sich im Umgang mit seinen Offizieren 112 . Mit beißender Ironie kritisierte er deren fehlende Weltgewandtheit und wies sie darauf hin, daß sie die Gelegenheit zum Fremdsprachenstudium energischer nutzen müßten. Er selbst konnte auf diesem Felde brillieren, sprach ein sehr gutes Englisch und Französisch, sogar etwas Chinesisch, und bewegte sich mit'größter Selbstverständlichkeit auf internationalem Parkett. Es verwundert daher nicht, wenn Falkenhayns Brigadekommandeur, Generalmajor Rohrscheidt, mit dem Falkenhayn auch nach seiner Rückkehr aus China kameradschaftlichen Kontakt pflegte, über seinen 1. Generalstabsoffizier im Dezember 1902 eine wahre Lobeshymne in die Personalakten schrieb: »Major v. Falkenhayn ist ein hoch intelligenter, charaktervoller Offizier, der jede Aufgabe richtig erfaßt, vor keiner zurückschreckt, und auch die schwierigsten zielbewußt und mit Energie durchführt. Er hat seinen Posten als Erster Generalstabsoffizier, indem er zugleich die Obliegenheiten eines Chefs des Stabes wahrnehmen mußte, ganz vortrefflich ausgefüllt. Im Rat der Provisorischen Regierung von Tientsin hat er eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Mit großem Ehrgeiz verbindet er unermüdliche Arbeitskraft. Er beherrscht die Sprache in Wort und Schrift, neben der deutschen auch die französische und englische und dank seiner Weltkenntnis und Klugheit die Leichtigkeit des Umgangs mit Fremden. Eine jugendlich elegante Erscheinung, mit ausgezeichneten Formen im Verkehr, ein Offizier von vornehmer Gesinnung und großem Takt, ein Mann von Schneid und Nerv. Er wird in jeder Stellung mit großem Nutzen Verwendung finden, namentlich als Chef des Stabes eines Armeekorps. Für spätere Verwendung in China auf selbständigem und verantwortungsvollem Posten besonders geeignet113.« Eine solche Verwendung wäre höchstwahrscheinlich sehr in Falkenhayns Sinn gewesen, sollte sich aber infolge des schrittweisen Abbaus der Ostasiatischen Besatzungsbrigade nicht realisieren lassen.
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Über diese Äußerung Maltzans vom 2 8 . 9 . 1 9 1 2 siehe S. 95. Falkenhayn an Hanneken, 8—14.3.1907, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Rethe, Falkenhayn, Sp. 1 8 1 9 f . Priesdorff, Manuskript Falkenhayn (in Privatbesitz).
Kosmopolitische Weichheit war das letzte, was man ihm vorwerfen konnte. General Kabisch über Falkenhayn
4. Rückkehr nach Deutschland — Bilanz der Zeit Falkenhayns in China Erich v. Falkenhayn kehrte Mitte 1903 mit gemischten Gefühlen nach Deutschland zurück. Er hatte an den Aufgaben in China Gefallen gefunden und mit seinem Freund Constantin v. Hanneken und dessen Schwiegervater Detring, der Falkenhayn väterlichwohlwollend gesonnen war, die verschiedensten Pläne für eine chinesische Armeereform erörtert. Die hervorstechendste Idee war die einer großen »military academy of Peking«, deren Leiter Falkenhayn werden sollte. Der Reformversuch Chang-Chih-tungs in Wuch'ang sollte im großen auf der Gesamtebene Chinas wiederholt werden. Auf die bei seinem zweiten China-Aufenthalt erworbene Selbständigkeit verzichtete Falkenhayn nur sehr ungerne. Jede militärische Tätigkeit als Major in Deutschland konnte nicht annähernd dieselben Befugnisse und Freiheiten umfassen wie seine Stellung als 1. Generalstabsoffizier in der Ostasiatischen Besatzungsbrigade, ganz zu schweigen von den Gestaltungsmöglichkeiten in der Provisorischen Regierung in Tientsin. Deshalb ist es ganz verständlich, daß Falkenhayn schon bald nach seiner Rückkehr den Wunsch hatte, erneut nach China zu gehen. Dabei beschränkte er sich nicht auf rein militärische Aufgaben, mehrfach dachte er daran, sich — wenn auch auf Zeit — als Geschäftsmann in China niederzulassen. Für seine Laufbahn sollte sich entscheidend auswirken, daß er in China dem Kaiser und dem Prinzen Heinrich positiv aufgefallen war und von seinen Vorgesetzten die glänzendsten Beurteilungen erhalten hatte. Darin liegt ein wesentlicher Grund für seinen späteren raschen Aufstieg zum Kriegsminister und Generalstabschef. Schon die Zeitgenossen stellten fest, daß es seit der Rückkehr aus China mit Falkenhayns »Karriere steil aufwärts« ging114. Falkenhayn kam mit einem politischen Weltbild aus China zurück, das sich in den großen Linien bis zu seinem Tod nicht mehr verändern sollte. Er war ein ausgeprägter Sozialdarwinist 115 . Die Welt war für ihn ein Kampf der Nationen um Absatzmärkte. Äußere Stärke war für jedes Volk, das sich in diesem »Daseinskampf« behaupten wollte, unbedingt notwendig. Auch die Innenpolitik sah Falkenhayn ganz unter diesem Aspekt. Er legte äußersten Wert auf Autorität und straffe Gliederung. Mangelnde Disziplin und Uneinigkeit waren ihm ein Greuel; darin sah er ein ausgesprochenes Verfallssymptom. Zwar war dieses innenpolitische Harmoniestreben für das politische Denken der Wil114 115
Janßen, Exzellenz, S. 169. Diesen Verdacht äußert Hilbert, Falkenhayn, passim. Hilbert untermauert diese Erkenntnis mit einer Analyse des Vokabulars, das Falkenhayn in seinen Kriegserinnerungen verwendet (ebd., S. 50f.). Dieser Verdacht kann hier zur Gewißheit erhärtet werden, wie sich in den nächsten Kapiteln zeigen wird.
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helminischen Epoche ohnehin charakteristisch 116 , aber die aus der chinesischen Uneinigkeit herrührende Schwäche und die dadurch provozierten imperialistischen Aktionen der Großmächte hatten ein Weltbild von auf- und absteigenden Nationen, dem »Kampf ums Dasein«, in dem der Schwächere gnadenlos unterliegt, sowie dem reinen Machtprinzip bestätigen und verfestigen können. Nicht ohne Folgen blieb auch die in Ostasien besonders präsente englische Stärke. Falkenhayn kehrte mit einer ausgesprochenen Englandfeindlichkeit aus China zurück. Die Quellenlage gestattet allerdings keine Rückschlüsse darüber, wie Falkenhayn die Briten vor 1896 eingeschätzt hatte. In der gesamten Folgezeit, über den Ersten Weltkrieg hinaus bis zu seinem Tod, sah er in England ökonomisch und machtpolitisch den Hauptfeind des Deutschen Reiches. Dagegen trat die Gegnerschaft anderer Mächte, wie etwa des traditionellen Feindes Frankreich, aus noch näher zu erläuternden Gründen in den Hintergrund. Falkenhayn blieb an China und den chinesischen Verhältnissen zeitlebens außerordentlich interessiert. Er hatte während seiner sechs Jahre die persönliche Bekanntschaft einflußreicher Leute gemacht, die das politische Leben in China bestimmten und auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland weiter bestimmen sollten. Das bezog sich nicht nur auf Chang-Chih-tung als Vertreter des traditionellen, sondern auch auf Yüan Shih-k'ai als Vertreter des neuen Chinas. Yüans Laufbahn verfolgte Falkenhayn mit um so größerem Interesse, weil Hanneken durch seine Minengesellschaft häufig mit Yüan zu tun hatte und in seinen Briefen an Falkenhayn von seinen Auseinandersetzungen mit ihm berichtete. Durch den Kontakt zu Detring und Hanneken, der nicht abreißen sollte, erhielt Falkenhayn Hintergrundinformationen aus China, die er auf anderem Wege niemals hätte erhalten können. Mehrfach erwies er sich als besser informiert als das Auswärtige Amt und wurde bei komplizierten Fragen, etwa während der chinesischen Revolution, um seine Meinung über die verwickelten Machtverhältnisse in China gebeten. Falkenhayns Verhältnis zu den Chinesen war zwiespältig und Schwankungen unterworfen. Wie seine Berichte an den Kaiser gezeigt haben, hatte er keine Sympathien für die alte chinesische Kultur und Erziehung. Diese hatte er allerdings in ihrem Niedergang kennengelernt, in ihrem ungelösten Widerspruch zwischen den eigenen Traditionen und der Modernisierung nach europäischem Vorbild, die nötig war, wenn China seine Selbständigkeit retten wollte 117 . Für Falkenhayn blieb ein gewisses Gefühl der Fremdheit immer erhalten, ja einmal bekannte er sogar, daß er »zu keinem Mandeläugigen« Vertrauen haben könne 118 . Den Gegensatz zwischen asiatischen und europäischen Staaten begründete er kulturell; ein Rassist war Falkenhayn nicht 119 . Eigentümlich bleibt Falkenhayns Schwanken zwischen einer gewissen Sympathie für die chinesische Sache und 116
Siehe dazu Doerry, Ubergangsmenschen; Rohkrämer, Militarismus. Die in diesen beiden Arbeiten zur Mentalitätsgeschichte des Kaiserreiches herausgearbeiteten Phänomene lassen sich auch in manchen Dingen bei Falkenhayn beobachten, so etwa das Harmoniestreben in innenpolitischen Fragen und die Konfliktlosigkeit als Ideal.
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Dazu auch Osterhammel, China. Falkenhayn an Hanneken, 5 . 1 2 . 1 9 0 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Zu seiner Haltung zum Judentum siehe S. 130—132.
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4. Rückkehr nach Deutschland — Bilanz der Zeit Falkenhayns in China
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der Forderung nach deutscher Machtpolitik. Je nach Weltlage verlangte er die Aufteilung Chinas zwischen den europäischen Mächten 120 oder befürwortete eine deutsch-chinesische Zusammenarbeit, vertrat dann sogar die Auffassung, man solle den Status von Kiaochow diskutieren und den Stützpunkt für die Chinesen durch eine tiefgreifende Liberalisierung erträglich machen 121 . Falkenhayn hatte viel von der Welt gesehen, als er nach Deutschland zurückkehrte. Er kannte nicht nur große Teile von China, sondern auch die Mandschurei, Korea, war in Japan gewesen122 und kannte die asiatischen Teile Rußlands. Er hatte Soldaten, Beamte und Diplomaten aus den unterschiedlichsten Ländern kennengelernt. Mit manchen blieb er noch jahrelang in Kontakt. Das gilt nicht nur für seinen Freund Arlabosse, sondern auch für verschiedene russische Offiziere wie zum Beispiel den russischen Militärattache in Peking, General Wogack. Ein Gefühl ritterlicher Verbundenheit bestand selbst in den Extremsituationen des Ersten Weltkriegs weiter. Als während der Champagneschlacht im Herbst 1915 ein englischer General in deutsche Gefangenschaft geriet, bezeichnete Falkenhayn ihn als seinen »persönlichen Freund aus China« 123 . Trotz aller Weltläufigkeit trifft die Annahme, Falkenhayn habe »in ostasiatischen Diensten seinen Horizont geweitet«124, aber nur teilweise zu. Falkenhayn war weit gereist, eine elegante und gewandte Erscheinung und — wie selbst seine Feinde zugaben — ein sehr intelligenter Mann. Aber er war und blieb ein soldatischer Kopf. Ein späterer Untergebener urteilte: »Kosmopolitische Weichheit war das letzte, was man ihm vorwerfen konnte 125 .« Denn wie sich noch zeigen wird, war Falkenhayn nicht als Befürworter der Völkerverständigung aus China zurückgekehrt.
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Falkenhayn an Hanneken, 2 4 . 1 0 . 1 9 0 4 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Zu dieser Zeit glaubte Falkenhayn an einen russischen Sieg und die anschließende Aufteilung Chinas. Ähnliches in einem Brief vom 2 7 . 1 . 1 9 1 3 , in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz). Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn stand zu dieser Zeit unter dem Eindruck der russischen Niederlage im russisch-japanischen Krieg. Treutier war von 1895—1898 Geschäftsträger in Yokohama und berichtet ohne Angabe des genauen Zeitpunktes, Falkenhayn dort auf der Durchreise getroffen zu haben. Janßen, Exzellenz, S. 169. Bethmann Hollweg an Auswärtiges Amt, 4 . 1 0 . 1 9 1 5 , in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 23: »[...] ein Divisionsgeneral, persönlicher Freund Falkenhayns aus China, gefangen. Dieser hat ganz offen über Unbrauchbarkeit seiner Armee geklagt.« Der Name des englischen Offiziers ist nicht überliefert. Janßen, Kanzler, S. 16. Kabisch, Falkenhayn.
III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1 9 0 3 - 1 9 1 3
Niemand ist so unvernünftig, den Krieg dem Frieden vorzuziehen. Herodot
1. Ein »Friedenssoldat« wider Willen a) Braunschweig Falkenhayn schied im Oktober 1902 aus der Ostasiatischen Besatzungsbrigade aus. Der Kaiser hatte veranlaßt, daß jedem Offizier, der aus Ostasien zurückkehrte, auf Wunsch ein längerer Urlaub und ein Reisekostenzuschuß gewährt werden sollten1. Falkenhayn nutzte dieses Angebot, blieb zunächst noch einige Zeit in Tientsin und reiste dann zusammen mit Hanneken in die Mandschurei und nach Korea. Schließlich traten beide mit der transsibirischen Eisenbahn die Heimreise nach Deutschland an2. Im Juli 1903 war Falkenhayn wieder bei seiner Familie, die er während seines China-Aufenthaltes in Deutschland zurückgelassen hatte. Nach seiner Ankunft wurde Falkenhayn in das Infanterie-Regiment Nr. 92 nach Braunschweig versetzt, wo er kurze Zeit später Bataillonskommandeur wurde. In seinem Regiment fiel er »durch Straffheit, Korrektheit und Sicherheit« auf3. Er führte seine Aufgaben als Bataillonskommandeur zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten aus4 und wurde am 15. September 1905 zum Oberstleutnant befördert. Falkenhayn kam mit dem Gefühl nach Hause, in China viel erlebt und auch geleistet zu haben. Lang und ausgiebig erzählte er seiner Frau und seinem Sohn von seinen Erlebnissen im Boxerkrieg und in Tientsin5. Im September 1904 wurde Falkenhayn erneut Vater. Sein Kind, eine Tocher, wurde auf den Namen Erika getauft und Eta genannt6. Das Kind war für den nunmehr dreiundvierzigjährigen Falkenhayn, der bei aller sonstigen Nüchternheit sehr kinderlieb war, ein unerschöpflicher Quell der Freude7. 1 2
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Lessei, Böhmen, S. 284. Hanneken hatte geschäftlich in Deutschland zu tun, kehrte aber schon kurze Zeit später nach China zurück. Solger, Falkenhayn, S. 76. Priesdorff, Manuskript Falkenhayn (in Privatbesitz), der diesmal den genauen Text der Beurteilung nicht abdruckt. Falkenhayn an Detring, 2 7 . 1 1 . 1 9 0 3 , in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz). Erika v. Falkenhayn vermählte sich 1926 mit Henning v. Tresckow, dem späteren Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Falkenhayn geriet jedesmal ins Schwärmen, wenn er in seinen Briefen über seine Tochter berichtete.
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
Falkenhayn war auch außerhalb seiner Familie vom Flair des Exotischen umgeben — eine Rolle, an der er sichtlich Gefallen fand. Belustigt über die allgemeine Unwissenheit schrieb er im November 1903 an Detring: »Jetzt gerade macht die Schauermär die Runde, daß in Kiang-li in einem Ort 400 junge Mädchen von der hungernden Bevölkerung aufgefressen seien. Auf der Trambahn fragte mich heute der Kondukteur, ob derartige Greuel in China alljährlich vorkämen. Ich sagte ihm zum Entsetzen des mitfahrenden p.t. Publikums, daß so etwas jeden Tag passierte und daß ich häufig mitgegessen hätte8.« Doch schneller, als er es für möglich gehalten hatte, begannen die Eindrücke aus China zu verblassen9. Nach kurzer Zeit fühlte sich Falkenhayn durch den Routinebetrieb in seinem Bataillon gelangweilt. Die Funktion eines Bataillonskommandeurs — einer Dienststellung zwischen Kompaniechef und Regimentskommandeur — galt im Offizierkorps ohnehin als uninteressant10. Doch ödete Falkenhayn der militärische Routinebetrieb generell an. Im Oktober 1904 — ein Jahr nach seiner Rückkehr aus China — schrieb er an Hanneken: »[...] meine Tage [gehen] in öder maschinenmäßiger Tätigkeit ohne rechten Zweck, jedenfalls ohne mir erkenntlichen Zweck, dahin. Nicht daß ich nicht wüßte, daß auch in der treuen Erfüllung der täglichen engen Berufspflichten etwas Großes liegt — mir geht nur leider der Sinn für diese Größe stark ab. Meine Erholung bilden die Jagdtage; dann lasse ich meine Gäule gehen, was sie laufen können, und bilde mir ein, daß Sorgen und Langeweile hinter mir bleiben wie der Schmutz, den die Gäule zurückwerfen11.« Falkenhayn konnte sich mit dem ereignislosen Leben einer Armee im Frieden nicht abfinden. Immer wieder stellte er mißmutig fest: »Die geschäftige Faulheit, die das Schicksal jedes Friedenssoldaten ist, hat auch mich in ihre Banden geschlagen [,..]12«. Oder: »Ich besitze wohl Philosophie genug, um die Bedeutung des Friedenssoldaten zu würdigen, aber habe nicht genug Mangel an Temperament, um selbst einer zu sein13.« Er hoffte während seiner militärischen Friedenslaufbahn immer, »daß aus dem ewigen Vorbereiten und Spiel noch einmal Ernst« werde14. Er meinte, daß er als Soldat auch die Gelegenheit erhalten müsse, seine Tapferkeit beweisen und zeigen zu können, »daß ihm die Ehre höher steht als das Leben«. Seine Auffassung von soldatischer Ehre bestand im Kern aus dem Nachweis physischen Mutes — was für die Vorstellungen seiner Zeitgenossen cha-
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Seiner Umgebung fiel immer wieder auf, wie herzlich er Kindern gegenüber war. Das berichteten dem Verfasser auch Falkenhayns Enkelinnen und die Tochter Constantin v. Hannekens, Frau Constanze Lange v. Hanneken. Gräfin Hardenberg, geborene v. Oven, schilderte in einem Telefongespräch vom 5 . 1 0 . 1 9 8 6 die Herzlichkeit, die Falkenhayn ihr entgegenbrachte, nachdem ihr Vater im Ersten Weltkrieg gefallen war. Auch Major Engelbrecht, Falkenhayns Adjutant in Rumänien und in der Türkei, bezeugte diese auffallende Kinderliebe. Sein Bericht, in dem Falkenhayn gut charakterisiert wird, ist abgedruckt bei Zwehl, Falkenhayn, S. 337. Falkenhayn an Detring, 2 7 . 1 1 . 1 9 0 3 , in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz). Ebd. beklagte sich Falkenhayn darüber, wie schnell seine neuen Eindrücke verblaßten, obwohl er sie mit ganzem Herzen in sich aufgenommen habe. So berichtet Ludendorff, Werdegang, S. 105 f. Falkenhayn an Hanneken, 2 4 . 1 0 . 1 9 0 4 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn an Hanneken, 1 . 8 . 1 9 0 5 , ebd. Falkenhayn an Hanneken, 9.5.1909, ebd. Falkenhayn an Hanneken, 9.5.1909, ebd. Auch die »Frankfurter Zeitung« vom 1 3 . 4 . 1 9 2 2 unterstellte Falkenhayn, danach gestrebt zu haben, sein »Können mit der Wirklichkeit zu messen«.
1. Ein »Friedenssoldat« wider Willen
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rakteristisch war15. Nach Falkenhayns Ansicht hatte die Armee nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie tatsächlich auch einmal in einem Krieg ihre Notwendigkeit und Leistungsfähigkeit nachweisen könne. Auch das war eine in seiner Epoche nicht ungewöhnliche Auffassung16. Er gehörte zu jener Altersklasse des wilhelminischen Deutschland, die sich wünschte, eine den Einigungskriegen ebenbürtige militärische Leistung vollbringen zu können17. Falkenhayn war allerdings selbst für damalige Verhältnisse ein extremer Vertreter dieser Ansichten. Die ständige Passivität des »Friedenssoldaten« schien ihm derart unerträglich, daß er sie 1912 sogar für den Tod eines seiner Neffen, der durch Leichtsinn mit seinem Flugzeug abgestürzt war, verantwortlich machte. Dieser, ein blendender junger Offizier voll jugendlicher Kühnheit (»Hardiesse«) sei durch die von oben verordnete Untätigkeit und Gefahrlosigkeit seiner soldatischen Existenz vollkommen entnervt und deshalb zu gefährlichen Manövern mit seinem Flugzeug verleitet worden18. Die fortschreitende Verschärfung der internationalen Lage, die im Ersten Weltkrieg münden sollte, hatte große Auswirkungen auf Falkenhayns Einstellung. Allerdings übertrug sich auch die tiefe Unzufriedenheit mit seinen persönlichen Verhältnissen auf die Beurteilung innen- und außenpolitischer Ereignisse. b) Betrachtungen zum Russisch-Japanischen Krieg Mit besonderem Interesse verfolgte Falkenhayn die wachsenden Spannungen zwischen Rußland und Japan. Beide Mächte konnten sich nicht über die Abgrenzung ihrer gegenseitigen Interessensphären in der Mandschurei einigen. Nach seiner Rückkehr aus China hielt Falkenhayn einen Konflikt im Fernen Osten zunächst offenbar für unwahrscheinlich, wie er seinem Freund Detring im November 1903 anvertraute: »An einen Krieg Japans mit Rußland glaube ich nicht. In beiden Lagern sind die verantwortlichen Leute ohne Zweifel entschieden gegen jede gewaltsame Lösung des ja nicht wegzuleugnenden Problems. Es müßte also doch schon sonderbar zugehen, wenn die Chauvinisten die Oberhand gewinnen sollten. Unsere Politik wird sich bestimmt ganz zurückhalten19.« 15
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Dazu Demeter, Offizierkorps, S. 116—153. Falkenhayn meinte am 1 3 . 3 . 1 9 1 4 im Reichstag, daß Mut eine Eigenschaft sei, »die der Soldat als die Voraussetzung seiner Existenzberechtigung [...] aufs höchste zu schätzen gewohnt ist« (RT, Bd 294, S. 8069—8071). Siehe auch Kap. IV, 3, bes. S. 128. Rohkrämer, Militarismus, S. 246 ff. Ebd., passim, besonders S. 251 £. »Mais, dans се centre de l'aviation, il у a beaucoup plus de jeunes hommes qui aiment a risquer leur vie que des machines d'etat. Ca se comprend facilment, puisque la direction est dans les mains de cet espere de bureaucrates qui ne sont pas accoutumes a risquer quoique ce soit, pas meme l'argent. Mon pauvre neveu, exaspere par l'inactivite constante, essagait un vol sur un aeroplane dont le moteur trop puissant, il ne savoit pas encore maitriser.« Falkenhayn an Arlabosse, 3 0 . 6 . 1 9 1 2 , in: Nachlaß Arlabosse (in Privatbesitz). Falkenhayn an Detring, 2 7 . 1 1 . 1 9 0 3 , in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz). Einschränkend muß festgestellt werden, daß Falkenhayn Detring weit weniger offen entgegentrat als Hanneken und es deshalb, ähnlich wie in den Briefen an Arlabosse, zu Verfälschungen seiner wahren Ansichten gekommen sein kann. Siehe Kap. III, 4, b.
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
Falkenhayns Voraussage sollte sich aber nicht bewahrheiten. Im Februar 1904 lösten die Japaner durch ihren Überraschungsangriff auf Port Arthur den Russisch-Japanischen Krieg aus. Die Gebiete, die Falkenhayn noch vor wenigen Monaten als Tourist durchfahren hatte, wurden jetzt zum Schauplatz eines erbitterten Kampfes, der in vielem — zum Beispiel in den monatelangen Stellungskämpfen, hohen Verlusten und dem ungeheuren Materialeinsatz — die Erscheinungsform des Ersten Weltkrieges vorwegnahm. Falkenhayn verfolgte den Krieg in der Zeitung und anhand von Informationen, die ihm Hanneken aus Ostasien zusandte, aufmerksam. Allerdings empfand er, wie er seinem Freund in einem Brief vom Oktober 1904 schrieb, dessen »Kritiken der russischen Leistungen im Kriege [als] nicht ganz gerecht«20. In fast überschwenglicher Weise unterstrich Falkenhayn die bisherigen russischen Abwehrerfolge: »Anerkennen muß man doch die meiner Ansicht nach grandiose Tätigkeit auf der sibirischen Bahn. Der Fürst Chilkow hat sich dabei ein Monumentum aere paerennius gesetzt, wie man es sich stolzer wirklich nicht vorstellen kann. Bedenken Sie doch, daß Pt. Arthur im März weder verproviantiert noch mit Munition versehen war, daß es Wladiwostock ganz ähnlich ging, daß sich noch nicht 60000 M[ann] russischer] Feldtruppen damals in Ostasien befanden. Und halten Sie dagegen, was in der Zwischenzeit von einer eingleisigen in der Mitte unterbrochenen, auf mehrere 1000 km vom Gegner bedrohten Bahn herangeschafft worden ist!! Solche Großtaten in Verbindung mit der Verteidigung von Pt. Arthur — three cheers for Stoessel21 — und dem Rückzug von Liaujang nach dem Scha ho sind Beweis genug, daß im russischen Volk die ungeheuren Kräfte tatsächlich, wenn auch nur latent vorhanden sind, die klar blickende Männer bei uns dort immer als vorhanden angenommen haben.« Die bisherigen japanischen Erfolge zählte Falkenhayn nicht; sie erschienen ihm als reine Uberraschungssiege. Kritisch beurteilte er aber das unzureichende russische Nachrichtenwesen — Rußland sei zeitweilig ein blinder Riese — und die »Jammerlappen der Flotte«. Auch für die Fehler der bislang nicht besonders erfolgreichen russischen Führung hatte Falkenhayn sehr viel Verständnis: »Hand auf's Herz! Glauben Sie, wir würden in einem Kriege gegen einen so gefährlichen, für den Europäer unberechenbaren Gegner wie es Japan ist andere Erfahrungen machen? Ich nicht! Freilich würden unsere Vorbereitungen gründlicher und zuverlässiger sein, dafür ständen unsere Gamaschenknöpfe noch viel verdutzter vor dem gelben Phänomen als irgend ein russischer Führer. Vide Hererokrieg. Was wir dort im Kleinen erleben, ist ein Menetekel für das, was uns im Großen in einer Lage wie der russischen blühen würde.« Am 22. Oktober 1904 hatte die russische Ostseeflotte, die zur Verstärkung nach Ostasien verlegt wurde, den Belt passiert. Auch eine Kritik am langen Zurückhalten der Flotte empfand Falkenhayn als ungerecht: »Natürlich wird wieder ein großes Schimpfen beginnen. In der Tat konnte [... die baltische Flotte] aber nicht früher abgehen, denn Rußland war gar nicht sicher, ob England und wir nicht sofort die Gelegenheit benutzen würden, um zu quetschen. Sicherheit dagegen ist erst vor wenigen Tagen gegeben, wir haben endlich den einzig richtigen Entschluß gefaßt: Uns auf die Seite Rußlands zu stellen.« 20 21
Falkenhayn an Hanneken, 2 4 . 1 0 . 1 9 0 4 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. General Anatoly Michaylowitsch Stoessel (1848—1915) war der Leiter der Verteidigung von Port Arthur.
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Diese Entwicklung erfüllte Falkenhayn mit kriegerischen Hoffnungen: »Ich bin kreuzvergnügt darüber, und auch Sie werden, obwohl schon ihre Geschäfte vorübergehend wohl leiden werden, nicht betrübt sein. Denn Sie werden mit mir Freude darüber empfinden, daß in dieser Konstellation wenigstens die Möglichkeit enthalten ist, zu ernstem Kampf zu kommen. Und einen struggle for life mit allen seinen Schrecken aber auch allen seinen herrlichen Entwicklungen müßten wir haben, wenn nicht alles hier in Lüge, Selbstberäucherung und Trägheit erschlaffen und endlich ersticken soll. Wenn es nur nicht schon zu spät ist22!« Falkenhayns — vielleicht damals auch nicht ganz ehrlich gemeinte — Einschätzung »chauvinistischer« Ansichten vom November 1903 hatte sich also ein knappes Jahr später in ihr Gegenteil verwandelt. Politische und persönliche Hoffnungen verbanden sich dabei sehr eng. Er versprach sich von dem lebhaft befürworteten Kriegseintritt Deutschlands auf russischer Seite die »Möglichkeit zu ernstem Kampf« für die deutsche Armee, eine Gesundung der ihm als »widerlich verheuchelt« erscheinenden deutschen Innenpolitik durch den »Jungbrunnen« Krieg und auch einen politischen Erfolg 23 . Die Russen waren für Falkenhayn der Wunschpartner des Deutschen Reiches, und für die Japaner, die er als den verlängerten Arm Englands betrachtete, empfand er ohnehin eine lebhafte, politisch bedingte Abneigung 24 . Er hielt im Oktober 1904 den »endlichen Sieg der Russen« für sicher. Auch deshalb schien es Falkenhayn machtpolitisch das Geschickteste, sich auf ihre Seite zu schlagen und auch im fernen Osten von den Ergebnissen des deutschrussischen Bündnisses zu profitieren. Es war für Falkenhayn eine unangenehme Überraschung, daß entgegen seiner Voraussage und Hoffnung die Japaner den Krieg dann doch gewannen. Der Fall Port Arthurs am 2. Januar 1905, die russische Niederlage in der Schlacht bei Mukden im Februar und März, besonders aber die Vernichtung der russischen Ostseeflotte in der Seeschlacht bei Tsushima am 27. Mai 1905 besiegelten die militärische Katastrophe. Der Ausbruch der ersten russischen Revolution, die durch den unpopulären Krieg gegen Japan hervorgerufen wurde, machte Rußland die Weiterführung des Kampfes vollends unmöglich. Das Erstaunliche war geschehen: Der japanische Zwerg hatte den russischen Riesen besiegt und war als nichteuropäische Macht in den Kreis der Großmächte aufgestiegen. Das erschütterte nicht nur Rußland, sondern ganz Europa in seinem Selbstwertgefühl. Im August 1905 widmete sich Falkenhayn in einem Brief an Hanneken noch einmal diesem Krieg, der zu diesem Zeitpunkt schon entschieden war: »Was sagen Sie nur in Ostasien zu dieser Anhäufung von Fäulnis, Erbärmlichkeit und Kleinlichkeit?« Falken-
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Ebd. Wie sehr Falkenhayn mit diesen Theorien dem Zeitgeist verhaftet war, soll folgendes Zitat aus der konservativen Zeitung »Die Post« aus dem Jahr 1912 belegen: »Wenn wir, ganz allgemein gesprochen, den Krieg und damit die größte nationale Kraftanstrengung, deren ein Volk fähig ist, als im Interesse unseres Volkes liegend erachten, so geschieht dies lediglich aus dem Gedanken heraus, daß es das einzige Mittel ist, das uns heute noch als Nation vor unserer rettungslos harrenden physischen und psychischen Erschlaffung und Entnervung retten kann.« Zit. nach: Mommsen, Topos, S. 198.
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Falkenhayn an Hanneken, 2 4 . 1 0 . 1 9 0 4 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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Falkenhayn bezeichnete die Japaner in seinen Briefen häufig als »Japsen« — der einzige Fall, in dem er eine solch abwertende Bezeichnung mehrfach benutzte.
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Ш. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
hayn bemühte sich aber bei aller Kritik, den Russen trotzdem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Zum Beispiel lehnte er den Vorwurf der »schmählichen Kapitulation« von Port Arthur ab, da die Festung nach dem Fall der benachbarten Anhöhen und der dadurch ermöglichten Beschießung nicht mehr zu halten gewesen sei25. Trotz der Niederlage befürwortete Falkenhayn auch weiterhin eine deutsch-russische Zusammenarbeit und meinte, daß Deutschland dem Zarenreich beim wirtschaftlichen Wiederaufbau helfen solle. Im Oktober 1904 hatte er im Falle eines russischen Sieges mit einer anschließenden Aufteilung Chinas gerechnet. Selbst jetzt schien ihm eine feste deutsch-russische Freundschaft die beste Garantie dafür, dem »deutschen Wort in Peking« auch weiterhin die chinesische Achtung zu erhalten. Den japanischen Sieg wertete Falkenhayn als gesamteuropäische Katastrophe. Unter dem starken Eindruck des Geschehens schrieb er in diesem Brief: »Das Prestige der Weißen Rasse ist in Ostasien für ein Jahrhundert vernichtet. Der Kampfruf >Völker Europas usw.26< gewinnt jetzt Bedeutung. Natürlich glaube ich nicht an einen Mongolensturm nach Westen. Der Schluß der dortigen Märkte für unsere Industrie, die Verbreitung der Uberzeugung in allen Volkskreisen bei uns, daß es weder der weißen Kultur noch der Unterstützung des Christengottes bedarf, um unvergleichliche Erfolge zu erringen, werden genügen, um eine Erschütterung des alternden Europa in seinen festesten Grundlagen zu verursachen27.« In der Endphase des Russisch-Japanischen Krieges machte sich Falkenhayn auch Gedanken darüber, wie Deutschland seinen chinesischen Stützpunkt Kiaochow angesichts der völlig verschobenen Machtverhältnisse in Ostasien behaupten könne 28 . Deutschland müsse mit den Chinesen zusammenarbeiten, um sie mit dem deutschen Stützpunkt zu versöhnen — und zwar zumindest so lange, bis die »große Abrechnung« in Europa vorüber wäre. Falkenhayn wandte sich gegen die Ansicht, Kiaochow müsse befestigt werden. Für diese Meinung führte er eine interessante Begründung an, die ein bezeichnendes Licht auf seine strategischen Vorstellungen wirft: »Die Entscheidung über unsere Zukunft fällt in Europa, in der Nordsee und dem Atlantik. Wir würden gegen den ersten Grundsatz der Taktik und Strategie verstoßen, wenn wir unsere Kräfte auf Nebenkriegsschauplätzen zersplitterten. Daß wir starke Truppen in Südwestafrika lassen, stärkere als wir gegen die Hereros und Wilboois gebrauchen, ist verständlich. Sie werden wir im Kapland stets fruchtbar einsetzen können. Im Kiaotschou-Gebiet können wir aber England nicht schädigen und auch nicht Japan, nur von ihnen geschädigt werden29.« Mit diesen Vorstellungen einer weltweiten Kriegführung gegen England entwarf Falkenhayn ein Gesamtkriegsszenario, das auch die Marine miteinschloß und für ihn in mehrfacher Hinsicht charakteristisch war. Das betrifft vor allem den politischen Hintergrund seiner Kriegspläne — den kommenden weltweiten Kampf gegen England. 25 26
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Siehe dazu auch S. 363. Falkenhayn spielt auf die Sentenz Wilhelms II. »Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter« an, die der Kaiser unter ein von ihm entworfenes und gegen China gerichtetes Bild hatte setzen lassen. Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Diese Sorge soll auch Schlieffen gepeinigt haben. Ritter, Staatskunst П, S. 139, zitiert Schlieffen: »Dieses Kiaotschou kann einem schlaflose Nächte machen.« Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
1. Ein »Friedenssoldat« wider Willen
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c) Falkenhayns Anglophobie Falkenhayns Abneigung gegen England darf nicht isoliert von den Zeitströmungen und dem wachsenden deutsch-englischen Gegensatz betrachtet werden30. Das deutsch-englische Verhältnis hatte sich etwa seit 1880 immer weiter verschlechtert, zunächst wegen der Abneigung Bismarcks und seiner Anhänger gegen den englischen Liberalismus, seit der Mitte der 80er Jahre wegen der beginnenden imperialen Konkurrenz in Ubersee und — besonders wichtig — als Folge der rasanten industriellen Entwicklung in Deutschland. Im Zeitalter sozialdarwinistischer Theorien vom gnadenlosen Kampf der Nationen um Absatzmärkte erzeugte die ökonomische Konkurrenz in beiden Ländern auch eine politische Feindschaft. Große politische Gruppierungen in England argwöhnten, das bedrohlich wachsende Deutschland wolle Großbritannien wirtschaftlich erdrücken, und verlangten, das Empire durch Schutzzölle abzuschütten. In Deutschland war hingegen die Ansicht weit verbreitet, daß die Engländer den unbequemen Rivalen entweder durch einen Krieg oder durch wirtschaftliche Strangulation beseitigen wollten, solange sie dazu noch imstande waren; auf jeden Fall würde England, vom »Handelsneid« getrieben, einen weiteren Aufstieg Deutschlands zu verhindern suchen. Ein »Kalter Krieg« war zwischen Deutschland und Großbritannien entstanden. Die Scharfmacher auf beiden Seiten konnten in der Publizistik und den öffentlichen Verlautbarungen der Gegenseite mit Leichtigkeit immer wieder Beweise für deren schlechte Absichten finden. Hervorragender Repräsentant dieser Strömungen war auf deutscher Seite der Großadmiral v. Tirpitz, dessen Flottenbauprogramm als weiterer, wesentlicher Grund für die sich verhärtende englische Haltung anzusehen ist. Tirpitz wollte die Engländer durch seine Flotte politisch und militärisch mattsetzen und ohne Krieg aus ihrer Weltmachtstellung verdrängen; Deutschland sollte dann der Nachfolger Großbritanniens als führende Weltmacht werden. Die zunehmende deutsche Isolierung in Europa — bedingt durch das gespannte Verhältnis zu Frankreich, die Entfremdung zu Rußland und den wachsenden Gegensatz zu Großbritannien — wurde in Deutschland einseitig auf englische Initiative, besonders die »Einkreisungsdiplomatie« König Edwards VII., zurückgeführt. Zumindest bei den extremen Vertretern einer anglophoben Linie — Tirpitz, aber auch Falkenhayn gehörten dazu — hatte England die Rolle des »Erzfeindes« übernommen, des Zentrums aller gegen Deutschland gerichteten Bestrebungen 31 . Falkenhayn nahm an, daß England Deutschland durch die hinterhältigsten politischen Manöver schädigen wolle. So glaubte er etwa im August 1905, daß Großbritannien versuche, »Deutschland sobald wie möglich in einen Konflikt mit China und Japan zu verwikkeln, in dem es sich elend verbluten würde, während England händereibend zusähe«32. Dieses Bild von England als einem Land, das nicht selbst kämpfe, sondern sich seiner »Werkzeuge« bediene und lieber andere gegeneinander ausspiele, stammte im Kern aus 30
Siehe dazu: Kennedy, Rise; Berghahn, Tirpitz-Plan, dort bes. S. 173—201; Ritter, Staatskunst Π, Kap. 8.
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Zum anglophoben Weltbild von Tirpitz siehe dessen Erinnerungsbände (vgl. Literaturverzeichnis). Falkenhayns und Tirpitz' Weltbild haben evidente Ähnlichkeit. Dazu und zu ihrem persönlichen Verhältnis siehe S. 200—202.
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Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
früheren Jahrhunderten und ging auf die Interpretation der »Kämpfe Englands gegen die Niederlande, Spanien, Frankreich und Napoleon« zurück 33 . Falkenhayn bezog in seinen Wunsch nach der »Abrechnung« mit England auch Frankreich, den traditionellen Gegenspieler des Deutschen Reiches, mit ein. Beide Mächte waren seit 1904 durch die »Entente Cordiale« miteinander verbunden. Die Franzosen galten im Wilhelminischen Deutschland jedoch nicht mehr als gleichrangige Gegner; auch Falkenhayn fürchtete sie nicht34. Sie waren für ihn — nicht von ihrem politischen Anspruch, wohl aber von der Gefährlichkeit her — eine Macht zweiten Ranges und nur als Bundesgenosse des eigentlichen Gegners Großbritannien von Bedeutung. Jede Annäherung an England schien Falkenhayn ein großer politischer Fehler zu sein. In dieser Frage war er absolut intransigent. Als beim Kaisermanöver 1906 englische Manöverbesucher eingeladen wurden, war Falkenhayn »wütend«, weil ihm diese Geste als »Friedensschluß mit England« erschien35. Ein zentrales Problem im Kampf gegen England war die britische Überlegenheit zur See. Diese hatte selbst die überzeugtesten Englandgegner wie Tirpitz dazu bewogen, dem Krieg mit Großbritannien für die absehbare Zukunft lieber aus dem Wege gehen zu wollen 36 . Der Admiralstab hielt 1905 einen Krieg mit England für aussichtslos 37 . Auch die Armeeführung kam spätestens 1909 zur Einsicht, daß ein Krieg mit Großbritannien aus militärischen Gründen vermieden werden müsse. Der Chef des Generalstabes v. Moltke meinte am 3. Juni 1909: »Da die Marine einen Krieg gegen England nicht mit Aussicht auf Erfolg führen könne, müsse dieser Krieg eben vermieden werden. [...] Er sähe auch nicht, wann sich diese unglückliche Lage einmal ändern könne, denn unsere Marine bliebe immer wesentlich schwächer als die englische38.« Falkenhayn hatte zu dieser Frage eine grundsätzlich andere Ansicht. Er wollte den Krieg gegen England, obwohl er sich über die maritime Unterlegenheit des Deutschen Reiches vollkommen im klaren war. Die Tirpitz-Flotte hielt er ohnehin für eine militärische Fehlentwicklung. Wahrscheinlich inspiriert von einer gerade erschienenen Broschüre des Vizeadmirals Galster39 über militärische Alternativen zum Schlachtflottenbau, forderte Falkenhayn im März 1907 den baldigen Kampf gegen England: »Und der Tag der Abrechnung [mit England und Frankreich] wird doch kommen, mögen sie bei Friedenskonferenzen 33 34 35 36 37
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Dazu auch Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 177, 180 f. Zu Frankreich Kap. III, 3, c; Krumeich, Declin. Falkenhayn an Hanneken, 18.9.1906, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Dazu Berghahn, Tirpitz-Plan, S. 197-201. Der sächsische Militärbevollmächtigte in Berlin, v. Salza, schrieb am 6.9.1905: »Der Chef des Admiralstabes der Marine [Büchsei], welcher überhaupt mit großer Besorgnis einem etwaigen Kriege gegen die englische Flotte entgegensieht, [...] glaubt, daß die Ereignisse zu Wasser sich so schnell abspielen werden, daß englische Truppen den Nordostsee-Kanal bereits in Händen haben können, bevor die erwartete Entscheidung zu Lande gefallen sein wird.« In: BA-MA-P, Berichte des sächsischen Militärbevollmächtigten in Berlin und aus dem Großen Hauptquartier. Ritter, Staatskunst II, S. 197. Ebd., S. 192. Galster hatte sich scharf gegen den Sinn der Tirpitzschen Schlachtflotte ausgesprochen und statt der großen Schiffe Torpedoboote, U-Boote und schnelle Kreuzer zur Störung des englischen Handels im Kriegsfall gefordert.
1. Ein »Friedenssoldat« wider Willen
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auch noch so viel über Abrüstung und ähnliches Blech quatschen. Wo und wie dann unsere Marine sein wird, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht verraten. Einer Leitung, die es fertig bekommen hat, die beste Waffe des Schwächeren zur See: das Unterseeboot und die Mine, systematisch zu schneiden, weil diese Kriegsmittel >unritterlich< wären, und die sich nicht scheut, jedem Bootsmannsmaat die heilige Uberzeugung einzuimpfen, daß wir noch in Jahrzehnten nicht daran denken dürften, gegen England zu fechten — einer solchen Leitung und der von ihr geleiteten Organisation traue ich alles d.h. Nichts zu. Ich bin wirklich kein Phantast und gebe zu, daß rein mathematisch das Ubergewicht der Engländer zur See über uns erdrückend zu sein scheint. Aber ich weiß auch, daß es nicht nur von uns allein abhängt, ob und wann der Entscheidungsgang ausgefochten werden soll und daß es daher ein Verbrechen ist, die Seelen unserer braven Blaujacken zu vergiften, und Nicht alles, was irgendwie dazu dienen könnte, uns zu helfen, auszunutzen. Eine Landung in old England mag vorläufig aussichtslos sein. Nicht aussichtslos ist jedoch der Versuch mit Minen, Untersee- und Torpedobooten sowie schnellen Kreuzern englischen Handelsschiffen Wochen, ja Monate lang gehörig aufzuspielen. Was dann wohl die city sagen würde40!« Falkenhayn bezog bei seinen weltumfassenden Kriegsplänen gegen England die Marine mit ein. Auch wenn hier der Charakter einer privaten Äußerung berücksichtigt werden muß, ist das doch bemerkenswert, da Schlieffen und Moltke einerseits, Tirpitz und die Marine andererseits ihr militärisches Kalkül auf die eigene Teilstreitkraft reduziert und die Idee der bewaffneten Macht als Einheit aus dem Auge verloren hatten41. Falkenhayns Grundgedanke, daß die nüchtern und kaufmännisch rechnende englische Oberschicht — die »city« — den Krieg abbrechen würde, wenn er England selbst zu teuer werde und nicht nur auf den Rücken kontinentaler Verbündeter ausgefochten werden könne, war jedoch eine eklatante Fehleinschätzung britischer Verhaltensweisen und sollte noch gravierende Folgen haben42. Falkenhayn war der Ansicht, daß der von ihm gewünschte Krieg gegen England nicht durch andere politische Abenteuer gefährdet werden dürfe. Allenfalls solle Deutschland die Chance einer »Abrechnung« mit Frankreich ausnutzen. Auch könne ein Krieg nicht wegen einer Bagatelle, sondern nur zur Verfechtung zentraler Interessen begonnen werden. Deshalb stand er den Vorgängen um die Erste Marokkokrise mit spürbarer Reserve gegenüber. d) Betrachtungen zur Ersten Marokkokrise Die Ereignisse wurden durch einen Besuch des Kaisers in Tanger im März 1905 und sein Versprechen, die Unabhängigkeit Marokkos gegen die französischen Infiltrationsversuche verteidigen zu wollen, ausgelöst. Der Kaiser war erst nach einigem Widerstreben von der Wilhelmstraße zu dieser Aktion überredet worden. Reichskanzler Bülow und Geheimrat Holstein vom Auswärtigen Amt hofften, Frankreich zu unbedachten Reaktionen provozieren und dann demütigen und gefügig machen zu können. Das mit Frankreich verbündete Rußland war durch den verlorenen Krieg und die Revolution von 1905 geschwächt und zu 40 41 42
Falkenhayn an Hanneken, 8.3.1907, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Dazu auch Deist, Wilhelm II., passim. Dazu Kap. V, 17; bes. Kap. V, 19.
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
Hilfeleistungen nicht fähig. Auf diese Weise versuchte die deutsche Diplomatie, die Entente auf politischem Wege zu sprengen, erwog aber auch, wie der Generalstab, die günstige internationale Lage zu einem Präventivkrieg gegen Frankreich auszunutzen 43 . Falkenhayn waren diese internen Überlegungen unbekannt. Er sah im »Marokkozwischenfall [...] Nichts als ein divertissement S.M.! Sie werden es kaum glauben wollen, aber es ist wirklich so. Reale Interessen, um die wir allein einen Krieg führen könnten, haben wir in Marokko nicht. Es war deshalb von vornherein klar, daß ein so nüchterner Mann wie der Fürst Bülow die Sache nicht inauguriert haben konnte. [...] Wenn Sie sich das unter Bülows Leitung zu Stande gekommene Programm für die Konferenz (zwischen Deutschland und Frankreich vereinbart) genau ansehen, so werden Sie nicht bestreiten können, daß wir den Franzosen alles einräumen, was sie wollen und brauchen. Die ganze durch den Besuch S.M.'s angerichtete Aufregung ist umsonst gewesen, wie sie umsonst sein mußte, wenn wir nicht entschlossen waren, die Gelegenheit zum endgültigen Abrechnen mit Frankreich zu benutzen. Davon sind unsere leitenden Kreise, vor allem der Allerhöchste aber soweit entfernt, wie die Sonne von der Erde. Und die Franzmänner wußten das sehr wohl. Sie durchschauten unseren Bluff genau, gingen jedoch so weit darauf ein, wie sie eingehen konnten, ohne sich zu schädigen, um sich die Kooperation mit den deutschen Banken bei der Aufbringung der russischen Kriegskosten nicht unmöglich zu machen. [...] Die ganze Marokko-Angelegenheit ist jetzt schon begraben, auf der Konferenz [von Algeciras] werden nur noch einige Schaufeln Sand mehr darauf geworfen werden44.« Besonders hart kritisierte Falkenhayn das Verhalten des Kaisers, in dem er zu Unrecht den Alleinschuldigen des Marokko-Debakels vermutete und dem er Inkonsequenz und fehlenden Wirklichkeitssinn vorwarf. Am 22. März 1905, unmittelbar vor dem Antritt der Reise nach Tanger, hatte Wilhelm II. eine versöhnliche Rede gehalten, in der er unter anderem sagte: »Ich habe mir gelobt, auf Grund meiner Erfahrungen niemals nach einer öden Weltherrschaft zu streben. [...] Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, daß vor allem das neugeschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absoluteste Vertrauen als eines ruhigen, ehrlichen Nachbarn genießen soll45.« Diese Rede stand nach Falkenhayns Ansicht nicht nur in unüberbrückbarem Gegensatz zu dem anschließenden Versuch, die Franzosen mit Marokko zu erpressen, sondern überzeugte ihn auch davon, daß der Kaiser dem Krieg aus dem Wege gehen, nicht einmal mit ihm drohen wolle. Falkenhayn urteilte: »Wir haben wieder einmal gezeigt, was wir der staunenden Welt schon im Transvaalkrieg und in China 1900/1902 offenbarten, daß wir überhaupt nicht mehr mit Wirklichkeiten, sondern nur noch mit phantastischen Hirngebilden arbeiten, vide die >berühmte< Friedensrede in Bremen vor Antritt der Marokkokrise. Sie ist für mich geradezu erschütternd gewesen, wenn sie mir auch insofern wenig Neues brachte, als ich diese Entwicklung eines reichen (überreichen leider) Geistes stets gefürchtet habe46.« Seit der Ersten Marokkokrise 43
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Craig, Geschichte, S. 281 f.; Bericht des sächsischen Militärbevollmächtigten in Berlin, 6.9.1905, in: BAMA-P, Berichte des sächsischen Militärbevollmächtigten in Berlin und aus dem Großen Hauptquartier. Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Rede Kaiser Wilhelms II. anläßlich der Enthüllung des Kaiser-Friedrich-Denkmals in Bremen am 22.3.1905, in: Reden III, S. 2 4 0 - 2 4 4 . Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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verfestigte sich bei Falkenhayn ein negatives Urteil über den nach seiner Ansicht zu friedliebenden Kaiser, dem er die Fähigkeit zu entschlossener Machtpolitik absprach. Falkenhayn war mißmutig. Nicht nur die Außenpolitik, sondern auch die innenpolitischen Verhältnisse in Deutschland boten ihm Anlaß zur Klage. Wie er an Hanneken schrieb, verbrachte er seine Anwesenheit auf dem China-Erinnerungsfest 1904 damit, mit seinen Kameraden aus dem Boxerkrieg »herzhaft auf die Verhältnisse im lieben Vaterlande schimpfen« zu können47. Alles schien ihm korrupt, träge, verlogen, es werde »rücksichtslos Interessenpolitik unter widerlicher Heuchelei [...] getrieben«. Die Innenpolitik war für Falkenhayn ein noch größeres Greuel als die Außenpolitik. Trotz seiner äußerlich erfolgreichen Karriere hatte er auch am Militärbetrieb vieles auszusetzen. Das Kaisermanöver 1904 wertete er gar als »zum Himmel schreiend« und stellte es mit den unerfreulichen politischen Ereignissen auf eine Stufe48. So ist es nicht verwunderlich, daß der rundum unzufriedene Falkenhayn nach Möglichkeiten Ausschau hielt, Deutschland erneut den Rücken zu kehren. Schon im Jahre 1904 bot er Hanneken an, in dessen chinesische Firma als Stellvertreter oder Kompagnon einzusteigen. Als ihn Hanneken im Herbst 1905 informierte, daß die Chinesen eine »military academy of Peking« gründen wollten — mit deutschen Instrukteuren und unter der Leitung eines deutschen Offiziers — sah Falkenhayn eine konkrete Möglichkeit, als Soldat nach China zurückkehren und die mit Hanneken und Detring entworfenen Reformideen für die chinesische Armee realisieren zu können. Hanneken hatte ihn auch von dem unmittelbar bevorstehenden chinesischen Ersuchen um Entsendung einiger deutscher Offiziere für diese Akademie unterrichtet. Falkenhayn war enthusiastisch und fuhr direkt nach Berlin, um bei verschiedenen einflußreichen Leuten in eigener Sache vorzufühlen. Er glaubte, die letztlich für seine Berufung maßgeblichen Instanzen — Kaiser und Militärkabinett — in seinem Sinne beeinflussen zu können, obwohl er annahm, daß »Schlieffen, d.h. der Generalstab [...] darin eine Art von Untreue oder Fahnenflucht sehen würde«49. Zunächst jedoch geschah nichts. Im Mai 1906 mutmaßte Falkenhayn, das »Sinken des deutschen Einflusses in der Welt« nach der Marokkokrise von 1905 habe auch diesen Plan zu Fall gebracht. Obwohl er zwischendurch wieder Hoffnung faßte, war das Projekt fehlgeschlagen. Ende 1906 schrieb ihm Hanneken, daß der Plan an »japanischen Intrigen« gescheitert sei. Doch war damit unter die Angelegenheit nur ein vorläufiger Schlußstrich gezogen. In der gesamten Folgezeit strebte Falkenhayn mit großer Hartnäckigkeit eine abwechslungsreiche und — was nicht unwesentlich war — auch gutbezahlte Position als hochrangiger militärischer Ratgeber in China an. Dort sah er die Chance, die ihm in Deutschland verwehrt blieb: Er glaubte, sich beim Aufbau moderner chinesischer Streitkräfte soldatisch und organisatorisch bewähren zu können. Außerdem spekulierte er auf das voraussichtlich hohe Gehalt, das ihn zum wohlhabenden Mann gemacht hätte. Denn unabhängig davon, wie hoch Falkenhayn im Rang stieg — reich konnte er als Soldat in Deutschland niemals werden.
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Falkenhayn an Hanneken, 2 4 . 1 0 . 1 9 0 4 , ebd. Ebd. Falkenhayn an Hanneken, 2 2 . 1 1 . 1 9 0 5 , ebd.
Ich sitze hier immer noch im Stab am grünen Tisch und schlage papierne Schlachten, die mich nicht im mindesten interessieren. Falkenhayn am 18. September 1906
2. Im Generalstab (1906-1907) Im April 1906 wurde Falkenhayn in den Großen Generalstab nach Berlin versetzt. Er bezeichnete seine neue Aufgabe in der »Großen Bude« — er war als »Abteilungs-Chef« für die Ausbildung der Generalstabsoffiziere und Fortentwicklung des Generalstabs zuständig — in einem Brief vom 24. Mai 1906 als »zwar ehrenvoll aber auch recht eintönig und insofern unbefriedigend, als ihr Hauptausdruck natürlich auf kritischem Gebiet liegt. Warum man gerade mich Unglückshuhn auf dies Pöstchen gestellt hat, bin ich nicht in der Lage, Ihnen zu verraten. Verstehen tue ich, der ich ja gar kein richtiger Generalstäbler bin, jedenfalls so gut wie Nichts davon. Vielleicht ruht aber hierin die Lösung des Rätsels, man wollte möglicherweise einmal jemand zum Richter haben, dessen Urteil nicht durch Sachkenntnis getrübt wird. Trifft das zu, dann werde ich meinen Mann stehen50.« Falkenhayn war, wie der Militärschriftsteller Wolfgang Foerster in den Zwanziger Jahren urteilte, »weniger der Mann theoretischer Kenntnisse und Studien als praktischer Arbeit mit hervortretender organisatorischer Begabung« 51 . Falkenhayns Briefe aus seiner Zeit im Generalstab lassen vermuten, daß er selbst dieser Einschätzung voll zugestimmt hätte. Der spätere Generalstabschef empfand einen lebhaften Widerwillen gegen Generalstabsarbeit. Sein Posten in der »Großen Bude« gefiel ihm ebenso wenig wie seine bisherige Stellung als Bataillonskommandeur in Braunschweig. An seiner Ablehnung änderte sich auch nicht viel, nachdem er sich in seine neuen Aufgaben eingearbeitet hatte: »Ich sitze hier immer noch im Stab am grünen Tisch und schlage papierne Schlachten, die mich nicht im mindesten interessieren52.« Schon nach wenigen Monaten drängte Falkenhayn auf die Versetzung in eine praktischere Tätigkeit. Die ihm in Aussicht gestellten Posten — Chef des Stabes eines Armeekorps entweder in Königsberg oder in Metz — reizten ihn wegen der ungünstigen Standorte aber auch nicht sonderlich. Sein Fernweh blieb ungebrochen und er stellte sich seinem Freund Hanneken »nach wie vor [...] für alle chinesischen Abenteuer — welcher Art sie auch sein mögen — zur Verfügung« 53 . Im September 1906 fand das jährliche Kaisermanöver — diesmal in Schlesien — statt. Falkenhayn gehörte als Angehöriger des Generalstabs zu den Schiedsrichter—Truppen. Während er das Kaisermanöver von 1904 als »zum Himmel schreiend« bewertet hatte, war er diesmal mit dem Ablauf sehr zufrieden. 50 51 52 53
Falkenhayn an Hanneken, 24.5.1906, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Foerster, Schlieffen, S. 86. Falkenhayn an Hanneken, 18.9.1906, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Ebd.
2. Im Generalstab (1906-1907)
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Die Verbesserung der Kaisermanöver war Schlieffens Nachfolger als Generalstabschef, dem jüngeren Moltke, zu verdanken. Zu Schlieffens Zeiten beteiligte sich der Kaiser persönlich an den Manövern und übernahm die Führung einer Partei. Schlieffen vertrat die Ansicht, daß, wenn der Kaiser mitmache, er auch gewinnen müsse. Deshalb wurde in Manöverunterbrechungen die Lage immer so verändert, daß der kaiserlichen Partei der Sieg zufallen mußte und dem Kaiser die mühelose Umzingelung ganzer Armeen gelang. Außerdem liebte der Kaiser großartige Kavallerieangriffe, die zwar mit der militärischen Realität nicht mehr viel zu tun hatten — wie der Kaiser selbst eingestand54 —, aber ein prachtvolles Schauspiel boten. Besonders spannend waren die Manöver natürlich nicht, da von vornherein der Sieger feststand. Besonders bei den Offizieren der Gegenpartei aus dem Generalstab löste diese Art von Kriegsspiel, die sie zum ewigen Verlierer machte, Arger und Verbitterung aus. Der jüngere Moltke führte seit 1905 die Kaisermanöver. Er hatte dem Kaiser klargemacht, daß dieser auf die persönliche Teilnahme an den Manövern verzichten müsse55. Moltke stellte eine Ausgangslage, und die Manöver entwickelten sich nach den Leistungen der teilnehmenden Truppen selbständig weiter. Dadurch wurden die Kriegsspiele realitätsnäher56 und für die Teilnehmer viel interessanter. Falkenhayn berichtete über das Manöver von 1906: »Die Kaisermanöver in Schlesien verliefen in herrlicher Gegend sehr spannend, da man zum ersten Mal versucht hatte, den Führern volle Freiheit des Handelns zu geben. Sie nutzten sie weidlich aus: 4 Tage und 3 Nächte wurde ununterbrochen gefochten, marschiert und manövriert. Die Kehrseite der Medaille war aber, daß nun auch weder Leitung und Schiedsrichterstab, zu dem ich gehörte, noch die Truppe, noch endlich die Bevölkerung 4 Tage zur Ruhe kamen. Sie können sich denken, welche Gestalten unter den 50jährigen verbrauchten Stabsoffizieren zum Schluß des Festes zu beobachten waren, wie die Äcker und Gärten aussahen. Viel toller kann es bei Liau jang oder am Scha Ho 5 7 auch nicht zugegangen sein.« Zu dem Manöver waren auch englische Beobachter eingeladen worden — eine versöhnliche Geste, die der anglophobe Falkenhayn scharf ablehnte. Er schrieb: »Hier waren zum Zeichen unseres neuen Friedensschlusses mit England, über den ich natürlich wütend bin, der Duke of Connaught und der General Ian Hamilton dabei und machten zu meiner Freude ziemlich verblüffte Gesichter. Wenn ich nur wüßte, warum wir die Zeit, in der wir noch auf unsere Armee bauen können, nicht besser ausnutzen58!« Wie verlief das Leben des Oberstleutnants v. Falkenhayn in dieser Zeit? Die Familie hatte sich eine Wohnung weit außerhalb des Zentrums in Berlin-Charlottenburg genommen. Im März 1907 beschrieb Falkenhayn seinen Tagesablauf: »Von Berlin sehe ich so gut wie gar Nichts, sondern verbringe meine Zeit, abgesehen von dem frühen Morgen-
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Kürenberg, Leben, S. 288. Schmidt-Richberg, Regierungszeit, S. 60. Siehe aber die Kritik Churchills an den deutschen Manövern von 1906 und 1909, in: Hochhuth/Koch, Kaiserzeit, S. 294—313. Siehe auch die Kritik des »Times«-Korrespondenten Oberst Repington am Kaisermanöver 1911, in: Schulte, Armee, S. 15—33. Die Engländer kritisierten unter anderem aus ihren Erfahrungen im Burenkrieg die deutsche Infanterietaktik; ihnen schien, daß die Wirkung moderner Infanteriewaffen zu wenig in Rechnung gestellt wurde. Schlachten des Russisch-Japanischen Krieges. Falkenhayn an Hanneken, 18.9.1906, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
ritt auf dem Hippodrom, zwischen den Wänden meiner Wohnung, der Stadtbahn und des Bureaus. Daß einem dabei nicht viel Geistreiches einfällt, werden Sie begreifen. Dennoch hat das Leben seine Vorzüge. In der Wohnung fühlen wir uns sehr behaglich. Sie liegt nicht nur nett, wenn auch in der Nähe der Laubenkolonien, und ist nicht nur geräumig sondern auch mit einer Menge von Annehmlichkeiten ausgestattet. [...] Was sagen Sie zu: Lift, Zentralheizung, ununterbrochener Heißwasserleitung, Telefon, elektr. Licht, Dienstbotenbad, Wintergarten, Mottenkammer, elektr. Normaluhr und at last but not at all at least! zum eingebauten safe59!!!« Falkenhayn war nach wie vor mit seiner Aufgabe im Generalstab unzufrieden. Seine Versetzung nach Metz oder Königsberg verzögerte sich jedoch auch weiterhin. U m die Jahreswende 1906/1907 erwog er deshalb sogar, in argentinische Dienste zu treten. Da aber die Kontraktbedingungen Argentiniens nicht sehr attraktiv waren, ließ er den Plan wieder fallen60. Im März 1907 hatte sich Falkenhayn zwischen den beiden Posten als Korpsstabschef klar entschieden und war mit einer Versetzung zum III. Korps nach Königsberg einverstanden. Vor dem Dienst beim XVI. Armeekorps in Metz hatte er dagegen »einen Horror«, obwohl ihn der dortige Kommandierende General v. Prittwitz und Gaffron, Falkenhayns ehemaliger Stabschef aus Altona, gerne dort haben wollte61. Uber Falkenhayns Gründe für diese Wahl kann nur spekuliert werden. Wahrscheinlich hatte sie persönliche Ursachen — Prittwitz war ein schwieriger Vorgesetzter. Möglicherweise spielte hier aber auch die Präferenz des evangelischen Westpreußen Falkenhayn für das ostpreußische Königsberg anstelle des katholischen, französischen Metz eine Rolle. Die Versetzung zog sich über ein halbes Jahr hin — bis Ende März 1907. Das lag nicht zuletzt daran, daß Falkenhayn sich im Generalstab eine Aufgabe gestellt hatte, die er vor seiner Versetzung noch zu Ende bringen wollte. Diese Aufgabe nannte er seinen »großen Autoplan«. Falkenhayn hatte immer ein besonderes Interesse für logistische Probleme. Im Generalstab mußte er sich »auch mit dem Generalstabsdienst im Rücken der Armeen beschäftigen und kam sehr bald dahinter, daß wir da mit dem Nachschubwesen tüchtig festsitzen. Bei den Massen, die von ihm heute zu tage zu befördern sind, genügt seine Organisation keineswegs mehr. Ja, es reicht wohl keine Organisation mehr aus, die auf dem Gebrauch von Fuhrwerk basiert ist. Da andererseits der Eisenbahnbau einer modernen Armee, die schnell operieren soll, trotz aller Fortschritte doch nicht schnell genug zu folgen vermag, bleibt als einziger Ausweg der Gebrauch von Lastautomobilen.« Da er sich über die »ungeheuerlichen Kosten« im klaren war, die durch die Beschaffung dieser Fahrzeuge entstehen würden, hatte er sich folgendes Requirierungssystem ausgedacht: Zivile Unternehmer sollten durch staatliche Prämien angeregt werden, sich Lastkraftwagen anzuschaffen, und diese im Frieden benutzen. Im Krieg sollten die Fahrzeuge dann der Armee zugeteilt werden. Den Vorteil sah Falkenhayn nicht nur in den verminderten Kosten, sondern auch darin, daß so keine Armeelastwagen unbenutzt in Depots veralteten und verrotteten. 59 60 61
Falkenhayn an Hanneken, 8—14.3.1907, ebd. Ebd. Ebd.
2. Im Generalstab ( 1 9 0 6 - 1 9 0 7 )
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Kraftwagen und Krafträder waren erstmals im Kaisermanöver von 1899 verwendet worden. Ab 1907 wurde eine Versuchsabteilung eingerichtet, die Lastwagen für den Truppentransport ausprobieren sollte. Vorher schon war ein »Freiwilliges Automobil-Korps« eingerichtet worden, dessen Mitglieder Uniformen erhalten hatten. Auch ein Prämiensystem wurde eingeführt, wie es Falkenhayn vorgeschlagen hatte. Die Entwicklung einer deutschen Kraftfahrtruppe war bereits im Gange, als Falkenhayn sich mit dem Problem auseinanderzusetzen begann, er verlieh ihr aber neue Impulse. 1909 bezeichnete sich Falkenhayn in einem Brief sogar als »Vater oder wenigstens gute[n] Onkel des jetzt bei uns in der Armee sehr vielfach und ausgiebig verwendeten Lastkraftwagentransportes«62. Da Falkenhayn durch seinen »Autoplan« eine Aufgabe hatte, die seinem Betätigungsdrang besser entsprach, urteilte er kurz vor seinem Fortgang auch milder über die anderen Aspekte seiner Arbeit im Generalstab. Sie sei »zwar [im wesentlichen] kritischer, nicht schaffender Natur, aber sie gibt mir doch einen Uberblick über das ganze geistige Leben in der Armee, wie man ihn sonst kaum erhalten kann« 63 . Im Zusammenhang mit der Durchsetzung seines »Autoplans« ließ es Falkenhayn auch an scharfer Kritik an seinen Mitarbeitern im Generalstab nicht fehlen. Ohne jemanden namentlich zu nennen, beklagte er sich über unzureichende Unterstützung und mangelndes technisches Verständnis bei unenergischen Bürokraten, die immer nur ihr Minimum leisteten und durch »unglaubliche Routinebeschränkung« abgestumpft seien64. Auch kritisierte er Mängel bei der Kavallerie sowie bei der Ausrüstung und Bekleidung des Heeres. Das harte Urteil dämpfte Falkenhayn ein wenig durch die Feststellung, »daß der erste scharfe Schuß alle Nebel verscheuchen und den gesunden Unterbau hervortreten lassen wird. Wenn der Schuß nur bald fiele! Damit sieht es leider sehr windig aus. Wir sind eben friedliebend genug, um ruhig mitanzusehen, wie Onkel Eddy uns im tiefsten Frieden langsam aber sicher die Gurgel zuschnürt 65 .« »Onkel Eddy« — König Edward VII. von England — war in Falkenhayns Augen einer der Hauptakteure bei der politischen und wirtschaftlichen »Einkreisung«, die Deutschland sich nicht mehr lange gefallen lassen dürfe. Mit tiefer Enttäuschung sah er die Passivität und Unentschlossenheit der deutschen Außenpolitik. Die politische Situation beurteilte er ohnehin pessimistisch. In der Algeciras-Konferenz über die Zukunft Marokkos hatte sich Deutschlands zunehmende diplomatische Isolierung gezeigt. Frankreich hatte durch alle anderen Mächte Rückendeckung erhalten, Deutschland und Österreich-Ungarn standen allein. Die Erste Marokkokrise endete für die Zweibundmächte mit einer schweren außenpolitischen Niederlage. Falkenhayn sparte nicht mit Kritik am bisher gelobten Reichskanzler Fürst Bülow und tadelte dessen »böse Taten im Gebiet der auswärtigen Politik«. Er nahm an, daß über kurz oder lang der industrielle Konkurrenzkampf zwi62
Falkenhayn an Hanneken, 9 . 5 . 1 9 0 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Zu diesen Problemen auch: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft I, S. 282 f.
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Falkenhayn an Hanneken, 8,—14.3.1907, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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Falkenhayn argwöhnt ebd., daß bei seinen Mitarbeitern das Motto gelte: »Der Bureaukrat tut seine Pflicht — von 10—2, mehr tut er nicht!«
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
sehen Deutschland und Großbritannien zum Krieg führen müsse. Voller Ungeduld und Unmut konstatierte er im Mai 1906: »Meiner ehrlichen Überzeugung nach geht die Karre nur noch, weil der wirtschaftliche Aufschwung andauert. Sobald in dieser Beziehung ein fühlbarer Rückschlag eintreten sollte, werden wir einen üblen Kladderadatsch erleben. Dieser Rückschlag aber muß über kurz oder lang kommen, denn es ist, soweit ich sehen kann, ausgeschlossen, daß die Industrie eines so großen Reiches wie Deutschland die selben Exportmöglichkeiten behält, ganz zu schweigen von den größeren, die mit der Bevölkerungszunahme doch kommen sollten, wenn die Achtung, die politische Geltung desselben Reiches stetig abnimmt. Die Farce in Marokko (Algeciras) hat den Ausgang gehabt, den ich mir erlaubte, Ihnen vorher zu sagen und den sie nehmen mußte. Wir haben in der Tat Nichts, auch nicht das Geringste erreicht, aber für alle absehbare Zeit die Möglichkeit verloren, uns entweder mit Frankreich zu verständigen oder ihm an den Hals zu gehen. Jetzt sind wir im Begriff, uns mit Rußland und England wegen der Bagdad-Bahn in die gleiche angenehme (?) Situation zu setzen. Die Bande geht über uns fort, als ob wir gar nicht vorhanden wären. Anstatt daß man nun aber dreinschlägt oder, wenn das nicht möglich ist, das Maul völlig hält und seine Zeit abwartet, bellen wir wie die feigen Köter, von denen, wie von uns, jeder weiß, daß sie nicht beißen. Natürlich ist der einzige Erfolg der, daß man uns auslacht und uns den Futterkorb immer höher hält66.« Nicht nur die Außen-, sondern auch die Innenpolitik von Reichskanzler Bülow unterzog Falkenhayn einer scharfen Kritik. Dieser hatte im Dezember 1906 den Reichstag aufgelöst und für den Januar 1907 Neuwahlen angesetzt, weil er sich mit dem Zentrum und der Sozialdemokratie nicht über den Kolonialetat einigen konnte — Ursache des Streits war der Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika gegen die Hereros und WitboiHottentotten. Er polemisierte gegen die Sozialdemokratie, aber auch gegen das Zentrum, warf ihnen nationale Unzuverlässigkeit vor und versuchte mit Erfolg, eine neue Parteienkonstellation im Reichstag zu bilden. Der »Bülow-Block« — die rechts- und linksliberalen Parteien und die Konservativen — sollte ein besseres parlamentarisches Fundament für seine Weltpolitik bilden und das Zentrum dabei isolieren. Diese Politik gegen das Zentrum hielt Falkenhayn für verkehrt: »Den bösen Taten im Gebiet der auswärtigen Politik hat [Bülow] jetzt im Gebiet der inneren eine noch viel schlimmere folgen lassen, indem er uns mit seiner Wahlparole gegen das Zentrum eine Art von Neuauflage des Kulturkampfs bescherte. Sie lieben, wie ich glaube, die im Zentrum verkörperte Verquickung von Politik und Religion so wenig wie ich. Indessen darf man doch nicht vergessen, daß das Zentrum ein Machtfaktor in der Politik ist, gegen den auf die Dauer nicht regiert werden kann. Um so weniger als bei der unglücklichen Verteilung der Parteien im Lande die Erkaltung der Beziehungen zwischen Zentrum und Reichsregierung gleichzeitig eine Erweiterung der Kluft bringt, die zwischen Nord und Süd, Ost und West noch immer klafft67.« Im Zeichen äußerer Bedrohung schien Falkenhayn die Einigkeit im Inneren besonders wichtig68, und er lehnte alles ab, was diese Einigkeit hätte gefährden können. 66 67 68
Falkenhayn an Hanneken, 24.5.1906, ebd. Falkenhayn an Hanneken, 8,—14.3.1907, ebd. Zu Parlamentarismus und Stärke nach außen siehe S. 113.
Ich würde also ganz zufrieden sein können, wenn nicht eben mittlerweile jede Hoffnung, daß aus dem ewigen Vorbereiten und Spiel noch einmal Ernst werden könnte, geschwunden wäre. Falkenhayn am 9. Mai 1909
3. Beim XVI. Armeekorps in Metz (1907-1911) a) In Metz A m 22. März 1907 erfolgte schließlich die lang erwartete Versetzung. Falkenhayn wurde zum Chef des Stabes des XVI. Armeekorps in Metz ernannt. Daß er seine neue Aufgabe mit Bedenken antrat, lag möglicherweise auch an der Person des dortigen Kommandierenden Generals v. Prittwitz und Gaffron, der allgemein als sehr schwieriger und nicht sonderlich befähigter Offizier galt6', und den Falkenhayn noch aus den Jahren 1894/ 95 kannte, als beide in Altona im Stab des Armeekorps unter dem Kommando des Grafen Waldersee zusammengearbeitet hatten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in der Literatur vermutet, Falkenhayn habe unter dem unfähigen Prittwitz »bittere Stunden« 70 durchmachen müssen. Doch war Prittwitz nach dem Urteil kritischer Quellen 71 trotz seiner Fehler guten Ratschlägen gegenüber nicht völlig unzugänglich. Zwischen Prittwitz und Falkenhayn spielte sich dann auch bald ein für beide Seiten tragbarer modus vivendi ein. Falkenhayn erkannte die Autorität von Prittwitz an, der ihm dafür die tatsächliche Leitung des Korps überließ. Prittwitz delegierte die anfallende Arbeit an seinen neuen Stabschef. Zwar mußte Falkenhayn deshalb, wie er 1912 in der Rückschau sagte, »wie ein Pferd arbeiten« 72 , aber er konnte auch seine eigenen Vorstellungen in großem Maße durchsetzen.
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Zu Generaloberst v. Prittwitz und Gaffron (1848—1917) siehe: Herwig/Heyman, Dictionary, S. 289; Zwehl, Falkenhayn, S. 25; Kabisch, Streitfragen, S. 65. Das fast übereinstimmende Urteil über Prittwitz war negativ. Ein Prasser, nervös, zu Untergebenen schroff, mehr auf der Jagd als am Schreibtisch, vom Auftreten her ein Landsknecht, scheint er militärisch keine große Begabung gewesen zu sein. Von seinen Soldaten wurde er allgemein nur »der dicke Soldat« genannt (Herwig/Heyman, Dictionary, S. 289). Zu Beginn des Ersten Weltkrieges sollte Prittwitz noch eine wichtige Rolle spielen. Er war Kommandierender General der 8. Armee, die Ostpreußen vor den anrückenden russischen Armeen verteidigen sollte, während das Gros der deutschen Streitkräfte im Westen gebunden war. Prittwitz wollte sich vor der russischen Ubermacht hinter die Weichsel zurückziehen und Ostpreußen preisgeben. Daraufhin wurde er in verletzender Form des Kommandos enthoben und durch Hindenburg ersetzt, der zusammen mit Ludendorff auf der Basis der vorgefundenen Lage die Schlacht bei Tannenberg schlug. Die Operation war jedoch, wie der Generalstabsoffizier der 8. Armee, Max Hoffmann, berichtet, noch unter Prittwitz' Führung eingeleitet worden; Hoffmann, Aufzeichnungen, S. 19—34. Prittwitz starb als gebrochener Mann 1917 in Berlin. Kabisch, Streitfragen, S. 65; Zwehl, Falkenhayn, S. 25. Siehe die Schilderung von Hoffmann, Krieg. Falkenhayn an Hanneken, 22.3.1912, in: Nachlaß Detring/v. Hanneken (in Privatbesitz).
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III. Laufbahn, Aufstieg, Politische Ansichten — Falkenhayn 1903—1913
Er organisierte Festungsübungen, Kriegsspiele und Manöver aller Art. Dabei wurde er vor allem von seinem ersten Generalstabsoffizier, Major Hans v. Hammerstein, unterstützt73. Der Stab arbeitete gut zusammen. Es gelang Falkenhayn, seine Offiziere zu motivieren. Im Generalkommando herrschte eine »hochgespannte Kriegsfreudigkeit«, eine »kriegerische Stimmung« und ein »froher kecker Ton«, den Falkenhayn durch »geistreiche Hinweise« auf die Nähe der französischen Grenze und entsprechend angelegte Kriegsspiele weiter förderte74. Jedes Frühjahr fand im Bereich der Festung Metz eine große Festungsübung statt, an der auch der Kaiser teilnahm, als dessen Protege Falkenhayn damals schon galt75. Von der Festungsübung im Jahre 1909 wird berichtet, daß der Schiedsrichter aus dem Generalstab, Oberquartiermeister Deines, an Falkenhayns kühnen Truppenmanövern einige Kritik vorgebracht habe76. Falkenhayn fühlte sich in Metz wohler als vorher im Generalstab. Im Mai 1909 äußerte er sogar eine gewisse Zufriedenheit mit seiner Stellung — mit der bekannten Einschränkung: »Ich würde also ganz zufrieden sein können, wenn nicht eben mittlerweile jede Hoffnung, daß aus dem ewigen Vorbereiten und Spiel noch einmal Ernst werden könnte, geschwunden wäre. Das hat mir den Wind aus den Segeln genommen77.« Seinen Posten als Stabschef füllte Falkenhayn zur vollen Zufriedenheit des Generals v. Prittwitz aus, der am 1. Dezember 1907 folgendes Urteil in die Personalakte schrieb: »Ein hervorragend begabter, tüchtiger und frischer Offizier mit besonders gewandten Umgangsformen. Klar und bestimmt im Urteil, immer tätig, vorausdenkend und unermüdlich. Er genießt als Chef des Generalstabes mein volles Vertrauen und eignet sich zur Beförderung78.« Am 18. Mai 1908 wurde Falkenhayn zum Oberst befördert. Falkenhayn machte sich als Stabschef des XVI. Armeekorps einen Namen. Dazu trug auch das Gelingen einer großen Generalstabsreise bei, die er 1908 organisieren mußte. Ein Untergebener, der spätere General Marx, urteilte über Falkenhayns Leistungen in Metz, »daß er ferner gerade durch diese Tätigkeit als Korpschef, durch seine Leitung von Übungsreisen, Kriegsspielen usw. sich einen so großen Ruf bei uns (ich stand damals 73
Hans Freiherr v. Hammerstein-Gesmold, der später zum General aufstieg, war vor und im Ersten Weltkrieg u.a. Militärattache in Bukarest und ab 1917 Soldat in Kleinasien, wo Falkenhayn — als Marschall in türkischen Diensten — erneut sein Chef werden sollte. Falkenhayn und Hammerstein schlossen in Metz Freundschaft. Auch später förderte Falkenhayn den jüngeren Offizier, der ihn dafür nach seinen eigenen Worten in »größter Verehrung« ergeben war (Zwehl, Falkenhayn, S. 29). Aus erhaltenen Briefen Ida v. Falkenhayns an ihre Tochter aus der Zeit während und nach dem Ersten Weltkrieg geht hervor, daß Hammerstein enge Beziehungen zur Familie Falkenhayn unterhielt, die er auch über den Tod Erich v. Falkenhayns hinaus pflegte. Briefe im Besitz Uta v. Aretins.
74
Zwehl, Falkenhayn, S. 26. Zwehls Darstellung über Falkenhayns Dienstzeit in Metz baut auf Berichten Hammersteins auf, wie Zwehl ebd. angibt. Ebd., S. 25; Janßen, Exzellenz, S. 166. Treutier äußert dort die Ansicht, daß Falkenhayns Stern nach seiner Rückkehr aus China »wie ein Komet« gestiegen sei. Zwehl, Falkenhayn, S. 27. Falkenhayn an Hanneken, 9 . 5 . 1 9 0 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Priesdorff, Manuskript Falkenhayn (in Privatbesitz).
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im X V I . A.K.) verschafft hat, wie ihn sonst der im Schatten des Kommandierenden stehende und der Truppe meist ziemlich unbekannte Chef nicht besitzt« 79 . Falkenhayn wurde auch über den Bereich seines Korps hinaus als »Muster eines Generalstabschefs«80 gepriesen. Diese Erfolge machten ihn aber nicht so zufrieden, daß er deswegen seine Auslandspläne aufgegeben hätte. Obwohl inzwischen Oberst und erfolgreicher Stabschef eines Korps, war er nach wie vor bereit, nach China zurückzukehren. Im Mai 1909 bot er sich Hanneken als »Headman oder Gentleman-Kompagnon« 81 an. Dabei sprach wohl die Hoffnung mit, in kurzer Zeit viel Geld verdienen zu können. Auch hielt er weiterhin an seinen militärischen China-Plänen fest82. b) Falkenhayns Ansichten zum Problem der »Reichslande« Die Stationierung in Metz brachte Falkenhayn mit den Problemen der »Reichslande« Elsaß-Lothringen in Berührung, die ihn als Kriegsminister während der »Zabern-Affäre« noch besonders beschäftigen sollten83. Die Situation gerade in Lothringen war gespannt. Zwischen dem Generalkommando, der Verwaltung und der französischen Bevölkerung kam es immer wieder zu Streitigkeiten und Reibungen. Der kaiserliche Bezirkspräsident, Graf Zeppelin 84 , versuchte einen Kurs des Ausgleichs. Die französische Opposition bediente sich des konfessionellen Gegensatzes — das stationierte preußische Militär war evangelisch, die Bevölkerung katholisch — um ihrem Unmut über die als Besatzung empfundene deutsche Herrschaft Luft zu verschaffen. Das Generalkommando vertrat hingegen eine harte Linie gegen die Franzosen und sah in Zeppelin geringschätzig einen »weichlichen Aristokraten mit französischen Neigungen« 85 . Vor allem der rauhbeinige Prittwitz wollte die Bevölkerung durch hartes Durchgreifen »in die straffen preußischen Formen zwingen«86. Falkenhayn war vorsichtiger und taktvoller, bremste Prittwitz und versuchte zu vermitteln. Aber auch Falkenhayn war ein Vertreter der harten Linie gegen die Lothringer. Mit Befriedigung sah er das Erstarken des deutschen Elementes in Lothringen. Im Mai 1909 berichtete Falkenhayn seinem Freund Hanneken, dessen Vater General in Metz gewesen war, über die Situation in Lothringen: »Metz ist überhaupt nicht mehr das Nest, das Sie kannten. [...] Innerlich ist es jetzt ganz deutsch, jedenfalls viel deutscher als z.B. Straßburg. Dem Druck der riesigen Militärkolonie — mehr als 25000 Mann — hat das Franzosentum nicht standhalten können. Ebenso wenig wie Metz würden Sie Lothringen wiedererkennen. Dank der Erfindung des braven Herrn Thomas 87 , die es erlaubt, aus dem lothringischen Erz (Minette) guten Stahl zu machen, sind links
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Marx, Wertleistung, S. 20.
80
Hiller v. Gaertringen, Falkenhayn, S. 12.
81
Falkenhayn an Hanneken, 9 . 5 . 1 9 0 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
82
Dazu Kap. III, 6.
83
Siehe Kap. IV, 2.
84
Nicht identisch mit dem bekannten Luftschiff-Konstrukteur!
85
Zwehl, Falkenhayn, S. 28.
86
Ebd.
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Falkenhayn meint den Thomas-Konverter.
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der Mosel in den Quertälern der Orne und, besonders, der Tientsch kolossale Eisenhütten und Walzwerke entstanden, die abgesehen von dem uralten de Wendel'schen Besitz in Hayingen in deutschen Händen sind. Franzosen gibt es da gar nicht mehr, sondern ein merkwürdiges Gemisch aus deutschen Beamten, Vorarbeitern und gelernten Arbeitern sowie andererseits stupiden italienischen Kulis. Auch rechts der Mosel gewinnt der Germane, hier als Kohlengrubenbesitzer und Landwirt, Boden88.« Die letzte Stütze des Franzosentums sah Falkenhayn im katholischen Klerus. Es kam gelegentlich zu religiösen Streitereien, etwa bei der Beisetzung eines evangelischen Soldaten auf einem Ortsfriedhof89. Falkenhayn kritisierte mit bitterer Ironie den Versuch des katholischen Klerus, einen Keil zwischen die überwiegend protestantischen Soldaten und der katholischen Bevölkerung zu treiben. Er setzte seinen Bericht an Hanneken fort: »Der Franzose würde längst ganz verdrängt sein, wenn nicht hier wie anderwärts die Beichtväter unserer Frauen unbedingt auf Seiten der Deutschfeinde ständen. Unsere hochwürdige bischöfliche Gnaden hat sich erst vor wenigen Wochen in einem Hirtenbrief über die Mischehen dahin geäußert, daß er den Eltern nur empfehlen könne, ihre Kinder von dem Verkehr mit denen Irrgläubiger streng zurückzuhalten, um sie vor der Verführung zu genannter Todsünde zu behüten. Gemeint sind, wie hier jeder weiß, die Kinder der Franzosen und der Deutschen!« c) In Paris (Januar—Februar 1910) Den Januar und Februar 1910 verbrachte Falkenhayn in Paris. Er hatte sich die vergleichsweise ungünstige winterliche Jahreszeit gewählt, um einen zweimonatigen Urlaub erhalten und die Metropole richtig kennenlernen zu können. Falkenhayn folgte der Einladung seines Freundes Arlabosse, seines Kameraden aus der Provisorischen Regierung in Tientsin, der inzwischen ebenso wie Falkenhayn zum Oberst befördert war und in Paris ein Regiment kommandierte. Arlabosse und Falkenhayn hatten seit ihrer gemeinsamen Zeit in China den Kontakt aufrechterhalten. Mehrfach schickten sie sich in den Sommerferien ihre Söhne, Falkenhayn seinen Sohn Fritz nach Frankreich zu Arlabosse, dieser seinen Sohn Marcel zu seinem deutschen Kameraden. Obwohl Falkenhayn den potentiellen Gegner Frankreich nicht als gleichwertig anerkannte, hatte er große Sympathie und auch Achtung vor dem einzelnen Franzosen. Besonders respektierte er das ausgeprägte französische Ehrgefühl90. Außerdem sah er in der Kenntnis der französischen Lebensweise eine unbedingte Notwendigkeit für einen Mann mit Lebensart. Falkenhayn legte viel Wert darauf, seinen Sohn Frankreich kennenlernen und auch Französisch lernen zu lassen; er selbst bemühte sich sehr, sein eigenes (sehr gutes) Französisch bei jeder Gelegenheit anzuwenden.
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Falkenhayn an Hanneken, 9.5.1909, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Zwehl, Falkenhayn, S. 28. Dazu auch Kap. V, 19.
3. Beim XVI. Armeekorps in Metz ( 1 9 0 7 - 1 9 1 1 )
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Falkenhayn und Arlabosse, die sich gegenseitig sehr schätzten, berichteten in ihren Briefen91 immer wieder über die Schwierigkeiten, die sich ihren militärischen Karrieren in den Weg stellten. Besonders die Beförderungsverhältnisse und die häufigen Versetzungen, die Bürokraten in den Armeeverwaltungen und die Politiker gaben ihnen immer wieder Anlaß zur Klage. In ihrer Korrespondenz gab es auch einen politischen Gedankenaustausch. Dieser war allerdings weit weniger offen als in den Briefen an Hanneken, weil Falkenhayn sich gegenüber Arlabosse in politischen Fragen verständlicherweise Zurückhaltung auferlegte92. Schon länger hatten Arlabosse und seine Frau Falkenhayn gedrängt, sie in Paris zu besuchen, und schließlich folgte er dieser Aufforderung93. Neben dem Leben in Paris, das er als das »Babylone moderne« bezeichnete, genoß er auch das Zusammentreffen mit alten Freunden aus seiner Chinazeit. Bei Arlabosse traf er einen weiteren Bekannten: den russischen Baron Gabriel de Gunzburg, den Abkömmling aus einer im Krimkrieg reichgewordenen Spekulantenfamilie, der in Fernost als russischer Offizier gedient hatte. Das Gespräch drehte sich, wie Falkenhayn später an Hanneken berichtete, um die chinesischen Verhältnisse, um Hannekens chinesische Kohleminen — Günzburg hatte vor dem Russisch-Japanischen Krieg selbst Grundbesitz in Fernost —, aber auch um die Aussichten eines bevorstehenden Krieges in Europa. Günzburg behauptete steif und fest, ein solcher Krieg sei unwahrscheinlich, »weil niemand den Mut hätte, mit Deutschland anzufangen«. Falkenhayn mißtraute jedoch diesen Äußerungen und zog aus dem Zusammentreffen mit Günzburg und einer Beinahe-Begegnung mit dem ehemaligen russischen Militär-Attache in Peking, General Wogack, seine eigenen Schlüsse: »Nachdem ich diese beiden Kunden wieder auf der Bahn des Lebens getroffen habe, ist nach dem alten Spruch >Wo das Aas liegt, sammeln sich die GeierIU mal e t « ! 4 mit Uem unnjeit I B e i p i n n i f l o u f t ä u m e n l "
« U n b b a « p u f f e r t einem in ^ e e n f e e n ü "
Abb. 5: „Und so etwas geschieht einem in Preußen" (Falkenhayn-Karikatur anläßlich des Rosa-LuxemburgProzesses 1914 von Olaf Gulbransson, Simplicissimus, 2 0 . 7 . 1 9 1 4 , S. 264)
Abb. 6: OHL 1914. Nach einem Gemälde von Schwarmstaedt, das Falkenhayn als Weihnachtsgeschenk für seinen Stab malen ließ (Zwehl, Falkenhayn, nach S. 176)
Abb. 7: Falkenhayn und Conrad in Teschen 1915 (Zwehl, Falkenhayn, vor S. 177, oben)
Abb. 8: Falkenhayn als Generalstabschef (Privatbesitz)
Abb. 10: Falkenhayn erläutert Erzherzog Friedrich den Verlauf der Schlacht bei Hermannstadt (Zwehl, Falkenhayn, nach S. 240)
Abb. 12: Falkenhayn als Oberbefehlshaber der 10. Armee 1918 (Zwehl, Falkenhayn, vor S. 289, oben)
Abb. 14: Falkenhayn, vermutlich 1921 (Privatbesitz)
Der Fall Zabern hat den Beweis erbracht, daß der überwiegende Teil der elsaß-lothringischen Bevölkerung in seiner Gesinnung noch nicht soweit gefestigt ist, um nicht nationalistischen Einflüssen zu unterliegen. Falkenhayn am 19. Januar 1914
2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre« Am 26. November 1913 stellte sich Falkenhayn dem Reichstag als neuer Kriegsminister vor und erntete mit seiner Versicherung, er werde allen Vorschlägen ein offenes Ohr leihen — je moderner, desto besser — den Beifall der Reichstagsmehrheit und den Spott der traditionell gegen den Kriegsminister eingenommenen Sozialdemokratie. Kritik erhielt er von der liberalen Presse, als er als erstes eine Verschärfung der Spionagegesetzgebung forderte und auch der Publizistik keine Ausnahmestellung dabei einräumen wollte14. Nur zwei Tage später mußte der Kriegsminister im Reichstag zu Vorgängen Stellung nehmen, die sich in dem elsässischen Städtchen Zabern ereignet hatten15. Wie Falkenhayn in seiner Zeit als Stabschef des XVI. Armeekorps in Metz selbst beobachtet hatte, waren in den »Reichslanden« Elsaß-Lothringen die Beziehungen zwischen Deutschen und Einheimischen trotz der Versöhnungsversuche gespannt. Mit Zufriedenheit hatte er die Erfolge der Germanisierung in den Reichslanden betrachtet und wenig Sympathie für das französische Element in Elsaß-Lothringen bekundet16. In Zabern, das als die deutschfreundlichste Stadt im ganzen Elsaß galt, waren zwei Bataillone des Infanterie-Regiments Nr. 99 stationiert. In der Kaserne ermahnte ein Leutnant v. Forstner am 28. Oktober 1913 einen seiner Soldaten in Gegenwart der ganzen Korporalschaft, sich nicht mehr, wie in der Vergangenheit mehrfach geschehen, in Streitereien mit Zivilisten einzulassen. »Wenn Sie aber angegriffen werden, dann machen Sie von Ihrer Waffe Gebrauch. Wenn Sie dabei so einen Wackes niederstechen, dann bekommen Sie von mir noch zehn Mark17.« Das Wort »Wackes« war die elsässische Bezeichnung für einen rauflustigen Vagabunden und wurde als schwere Beleidigung empfunden, wenn es von Altdeutschen auf die ElsaßLothringer angewendet wurde. Ein Regimentsbefehl von 1903 untersagte ausdrücklich seine Verwendung; der Befehl wurde alle Monate neu vorgelesen, und Forstner hatte seine Kenntnis schriftlich bestätigt18. Trotzdem bezeichnete der Leutnant, ein unreifer, nicht einmal volljähriger junger Mann, der bei seinen Rekruten schon vorher sehr unbeliebt war, seine elsässischen Soldaten andauernd als »Wackes«19. 14 15
RT, Bd 291, S. 5985 f. Uber die Vorgänge in Zabern und ihre Folgen vor allem: Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 581—603; Schenk, Fall; Schoenbaum, Zabern; Wehler, Fall; Zmarzlik, Bethmann Hollweg.
16
Siehe S. 67 f.
17
Nach der offiziellen Darstellung des Generalkommandos, zit. bei Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 583. Ein Unteroffizier aus Forstners Zug erhöhte die »Stechprämie« noch um drei Mark.
18
RT, Bd 291, S. 6140f., Ausführungen des Abgeordneten Röser am 3 . 1 2 . 1 9 1 3 .
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IV. Preußischer Kriegsmiriister (Juli 1913—Juli 1914)
Doch diesmal war er zu weit gegangen. Seine Äußerungen wurden von einigen Rekruten an die Presse weitergegeben und erschienen am 6. November 1913 im »Zaberner Anzeiger«. Sie sorgten für beträchtliche Unruhe und tägliche Protestkundgebungen vor Forstners Wohnung, die im Kern durch entlassene Soldaten aus Forstners Kompanie geschürt wurden. Der Leutnant konnte sich bald nicht mehr auf der Straße sehen lassen, ohne von einer johlenden und höhnenden Menge umgeben zu sein. Doch er wurde aus dem Schaden nicht klug. In einer Instruktionsstunde über die Fremdenlegion sagte der Leutnant am 14. November zu seinen Rekruten, sie könnten, wenn es nach ihm ginge, auf die französische Fahne »scheißen«20. Dieser auch international sehr ärgerliche Vorfall wurde von drei Soldaten an die Presse weitergegeben und von dieser natürlich in großem Maßstab aufgegriffen. Doch sollte sich diese Äußerung für Forstner zum Bumerang entwickeln. In Zabern wurde behauptet, der Offizier habe bei den vorangegangenen Herbstmanövern im Rausch sein Bett verunreinigt. Wo er sich auch in Zabern sehen ließ, wurde er von einer großen Menschenmenge, vorwiegend von Jugendlichen, verfolgt, mit Steinen beworfen, als »Bettschisser« verhöhnt. Forstner hatte gegen eine ganze Reihe von Vorschriften und Befehlen verstoßen und sich auch ansonsten sehr ungeschickt verhalten. Er wurde wegen seiner Vergehen zu Arrest verurteilt. Doch nach außen hin wollte die Armee zeigen, daß sie interne Vorfälle ohne die Öffentlichkeit zu klären beabsichtige, und gab die Strafe nicht bekannt Diese Vorgänge in Zabern waren nur einer von zahlreichen Fällen des vorschriftswidrigen Verhaltens militärischer Vorgesetzter, die vor allem von der SPD immer wieder aufgegriffen und im Reichstag kritisiert wurden. Besonders ärgerlich war in diesem Fall die Beschimpfung der Elsaß-Lothringer, die sich ohnehin im Reich nicht heimisch fühlten. Bei der Verletzung von landsmannschaftlichen Besonderheiten wurden Offiziere normalerweise schnell bestraft. Beispielsweise wurde ein Offizier, der seine Rekruten als »Oldenburger Ochsen« bezeichnet hatte, sofort strafversetzt21. Eine Versetzung des Leutnants, die die Lage sofort erheblich entspannt hätte, wurde jedoch vom Kommandierenden General in Straßburg, General v. Deimling, scharf abgelehnt. Trotz dieser Haltung der verantwortlichen Militärs, die den Zivilisten die Unabhängigkeit der Armee beweisen wollten, konnte den Vorfällen bis dahin jedoch nur eine lokale Bedeutung zugemessen werden. Am 28. November 1913 wurden die Vorgänge in Zabern zum Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage. Der Abgeordnete Thumann erklärte im Reichstag, ein Offizier habe sich »gegenüber elsaß-lothringischen Soldaten höchst beleidigende und die Gefühle der gesamten elsaß-lothringischen Bevölkerung auf das schwerste verletzende Ausdrücke 19 20
21
Ebd., S. 6141. Nach der amtlichen Untersuchung wurde zunächst nur festgestellt, daß Forstner gesagt haben soll: »Auf den Dienst in der Fremdenlegion könnt ihr scheißen.« Das wurde als »eine unpassende Äußerung, aber nicht strafbar« eingestuft. Dazu die Untersuchungsakten der Ministerial-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums, in: BA-MA-P, W-l0/50172. Siehe auch: Der Statthalter von Elsaß-Lothringen, Graf Wedel, an Bethmann Hollweg, 27.11.1913, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 170. RT, Bd 291, S. 6154, Ausführungen des Abgeordneten Hauß am 3 . 1 2 . 1 9 1 3 .
2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre«
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[...] zu schulden kommen lassen, ohne daß die Militärbehörde für genügende Sühne gesorgt« habe, und fragte den Reichskanzler, was er tun wolle, »um die elsaß-lothringischen Soldaten vor solchen Insulten und die Bevölkerung Elsaß-Lothringens vor derartigen Herausforderungen zu schützen« 22 . Die Beantwortung dieser Frage übernahm der Kriegsminister. Falkenhayn leitete seine Ausführungen mit der Feststellung ein, daß nach den Bestimmungen des Militärstrafgesetzes beleidigende Ausdrücke gegenüber Untergebenen bestraft würden; die Bestrafung sei jedoch die Aufgabe der militärischen Vorgesetzten und somit ein armeeinterner Vorgang. Er als Vertreter der Heeresverwaltung sei nicht befugt, auf die Bestrafung des Offiziers im Reichstag näher einzugehen. Auf seine vierjährige Tätigkeit in Metz anspielend, behauptete er, daß er den Ausdruck »Wackes« hin und wieder gehört habe, daß ihm die Bedeutung des Wortes trotzdem »vollständig fremd« gewesen sei. Zwar wolle er »hier nichts beschönigen und nichts entschuldigen«. Aber er wolle zu bedenken geben, daß es sich um die Verfehlung eines sehr jungen Offiziers handele und die Angelegenheit zu hoch aufgehängt worden sei. Die Aufregung sei entstanden, weil Soldaten, statt mit einer Beschwerde den Dienstweg einzuschlagen, den Vorfall in die Öffentlichkeit getragen hätten; dort seien die Vorgänge »in maßlosester und aufreizendster Weise ausgebeutet worden« 23 . Damit schien die Angelegenheit zunächst abgeschlossen zu sein. Weit schwerere Soldatenmißhandlungen als diese waren im Reichstag schon zur Sprache gekommen, manchmal sogar Schikanen mit Todesfolge. Doch die Situation in Zabern verschärfte sich weiter. Eine Hauptursache dafür war, daß der Leutnant v. Forstner, der auf die Zaberner Bevölkerung wie ein rotes Tuch wirkte, nicht einfach versetzt wurde, sondern, ständig umgeben von einer vier Mann starken Eskorte, sich immer wieder in der Stadt zeigte. Auch bildete sich in der Stadt, provoziert vor allem durch den »Zaberner Anzeiger«, der ständig Polemiken zu dem Thema veröffentlichte und vor allem Forstner verächtlich zu machen suchte, eine immer größere Mißstimmung gegen die deutschen Offiziere. Eine johlende und höhnende Menschenmenge versammelte sich regelmäßig dort, wo die Offiziere vorbeikommen mußten24. Der Regimentskommandeur, Oberst v. Reuter, versuchte zunächst zu schlichten. Als die Bevölkerung den Spott nicht ließ, wurde er jedoch immer ungeduldiger und gereizter. Die zuständige Zivilbehörde — der Kreisdirektor von Zabern — griff jedoch trotz Reuters Drängen nicht so durch, wie es der Oberst für nötig hielt. Reuter wurde von seinem Kommandierenden General, v. Deimling, förmlich unter Druck gesetzt, etwas zu unternehmen. Deimling erteilte dem Oberst »persönlich den Auftrag [...], selbst energisch durch Verhaftungen einzugreifen und bei Widerstand rücksichtslos zum Waffengebrauch zu schreiten, falls die Anpöbelungen der Offiziere kein Ende nehmen und sich herausstelle, daß die Zivilbehörden [deren Verhalten Deimling als >schlapp 22 23 24
Ebd., S. 6040. Ebd., S. 6041. Schenk, Fall, S. 24 f. Die Vorgänge in Zabern werden hier verhältnismäßig breit geschildert, weil zwar die Zabern-Affäre in der Forschung viel diskutiert wird, aber auf einer abstrakten verfassungsrechtlichen Ebene, die den Vorgängen nicht immer gerecht werden kann.
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und untätig< kritisierte] nicht im Stande [seien], dieselben zu verhindern und dem Zustande ein Ende zu machen«25. Unabhängig von den Vorgängen in Zabern hatte Reuter aus gesundheitlichen Gründen seine Verabschiedung beantragt. Als diese verweigert wurde, fühlte sich der Oberst bei seinem weiteren Vorgehen allerhöchster Rückendeckung sicher. Er wollte der Armee wieder den Respekt verschaffen, der ihr seiner Meinung nach zustand, begann wohl auch ernstlich an die Möglichkeit eines Aufstandes zu glauben. Auf jeden Fall wollte er nicht mehr dulden, daß seine Offiziere auf offener Straße von der Menge derart angepöbelt wurden, daß er ihnen eine Eskorte mitgeben mußte. Reuter forderte den Kreisdirektor immer nachdrücklicher auf, etwas gegen die Verspottung seiner Offiziere zu unternehmen. Er bot ihm an, in der Stadt den Belagerungszustand zu verhängen, um sein Offizierkorps gegen die Beleidigungen besser schützen zu können. Der Kreisdirektor lehnte diesen Vorschlag ab, denn damit wären dem Militär reine Polizeiaufgaben übertragen worden. Auch das Angebot militärischer Hilfe zur Verstärkung der schwachen Polizeikräfte in Zabern wurde abgeschlagen. Von seinem Kommandierenden General unter schweren Druck gesetzt, verlor Reuter angesichts der ständigen Verhöhnungen und der scheinbaren Passivität der Zivilbehörden die Geduld. Am 28. November 1913 — dem Tag, an dem Falkenhayn die ZabernAnfrage im Parlament beantwortete — ließ er eine Versammlung von Bürgern auf der Zaberner Hauptstraße, die dort die Vorfälle diskutierten, durch seine Soldaten auflösen. Uberaus erregt über die Tatsache, daß sein Offizierkorps zum Gespött des Ortes geworden war, meinte er, jetzt regiere Mars die Stunde, und gab den Befehl, jeden, der lache, zu verhaften26. Der Kreisdirektor von Zabern war nicht in der Stadt; sein Stellvertreter, der den Oberst vor den möglichen schweren Folgen seines Vorgehens warnte, wurde von Reuter schroff abgewiesen: »Jetzt kommandiere er und er wolle seine Offiziere nicht weiter beschimpfen lassen, er betrachte es im Gegenteil als ein Glück, wenn jetzt Blut fließe, denn so könne es nicht weiter gehen.« Erst auf die Versprechung hin, daß die Gendarmerie die Ordnung gewährleisten werde, ließ sich Reuter etwas besänftigen27. Das Vorgehen Reuters war die Tat eines Mannes, der nicht mehr wußte, wie er auf andere Weise Herr einer komplizierten Situation werden konnte, und der sich bemühte, dem Wunsch seiner Vorgesetzten nach energischem Durchgreifen zur Wahrung der »Ehre« der Armee zu genügen. Dementsprechend planlos verliefen die Verhaftungen. Eine größere Zahl von Zivilisten wurde wahllos festgenommen; 26 von ihnen wurden für eine Nacht im Kasernenkeller eingekerkert. Außerdem ließ er die Redaktion des »Zaberner Anzeigers« auf verdächtiges Material durchsuchen. Damit hatte der Oberst seine Kompetenzen bei weitem überschritten und sich Befugnisse der zivilen Verwaltung angemaßt, wie sogar sein sehr wohlwollender Vorgesetzter General v. Deimling zugeben mußte28. 25 26 27 28
Bericht Deimlings vom 3 0 . 1 1 . 1 9 1 3 , in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 170. Schenk, Fall, S. 28; »Frankfurter Zeitung« vom 2 8 . 1 1 . 1 9 1 3 . Bethmann Hollweg an Treutier, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 3 , in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 170. Bericht Deimlings vom 3 0 . 1 1 . 1 9 1 3 , ebd.
2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre«
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Die großen Zeitungen sprachen von der »Militärdiktatur« in Zabern. Im ganzen Reich brandete eine Woge der Empörung über die Eigenmächtigkeit des Militärs auf, das scheinbar lieber eine Stadt besetzen als einen zu forschen Leutnant bestrafen und versetzen wollte. Bethmann Hollweg war ebenso wie der Statthalter in den Reichslanden, Graf v. Wedel, der Ansicht, Reuter müsse abberufen werden. Der Kaiser, auf Jagdausflug in Donaueschingen, stand auf seiten des Militärs — des Generals v. Deimling und des Oberst v. Reuter, von denen er auch in tendenziöser Weise über die Vorfälle unterrichtet worden war. Falkenhayn war der Ansicht, daß sich die Zaberner Bevölkerung sehr bedenkliche armeefeindliche Exzesse habe zuschulden kommen lassen. Es war jedoch offensichtlich, daß Reuter mit dem Ubergreifen auf reine Polizeiaufgaben seine Kompetenzen überschritten hatte. Die armeeinterne Untersuchung der Vorfälle hatte ergeben, daß für die Inhaftierung im Kasernenkeller keine rechtliche Grundlage existierte29. Trotzdem sollte die Bestrafung des Obersten und des Leutnants auch jetzt noch eine armeeinterne Angelegenheit bleiben. Der Reichskanzler bat Falkenhayn, den Kaiser um die Entsendung eines Offiziers nach Zabern zu ersuchen, der die Verhältnisse beruhigen sollte, sowie um die Beurlaubung Reuters30. Falkenhayn kam am 30. November 1913 nach Donaueschingen, um mit dem Kaiser das weitere Vorgehen zu besprechen. Er erwirkte die Entsendung des Generalmajors Kühne, die allerdings im Reichstag nicht bekanntgegeben werden solle, »da es eine reine Angelegenheit der Kommandogewalt sei«31. Außerdem gab Wilhelm II. seinem Kriegsminister die Parole zum »Durchhalten« mit — dem Reichstag sollten keine Zugeständnisse gemacht werden, die irgendeinen Einfluß auf die Kommandogewalt hätten32. Beide Wünsche des Kaisers entsprachen offensichtlich Falkenhayns eigenen Ansichten und bestimmten auch weiterhin seine Haltung gegenüber dem Reichstag in der Zabern-Affäre. Der entscheidende Punkt für die beteiligten Militärs, mochten sie Reuters Vorgehen billigen oder nicht, wurde die Verteidigung der kaiserlichen Kommandogewalt. Mißstände in der Truppe zu bekämpfen, sollte die alleinige Angelegenheit der vom Kaiser befehligten und vom Reichstag unabhängigen Armee bleiben. Die große Erbitterung der Öffentlichkeit war inzwischen durch weitere Ereignisse in Zabern — der Leutnant v. Forstner hatte einen lahmen und von elf bewaffneten Soldaten umringten Schustergesellen mit seinem Säbel niedergeschlagen — weiter angewachsen, und auch der Reichstag befand sich in erregter Stimmung, als die Zabern-Affäre am 3. Dezember 1913 im Parlament verhandelt wurde33. Der Abgeordnete für Zabern, Röser von der Fortschrittlichen Volkspartei, der Sozialdemokrat Peirotes und der Elsässer Hauß griffen das Vorgehen des Militärs stark an, verhöhnten Forstner, kritisierten Reuter und Deimling, ließen aber auch die Regierung — Reichskanzler und Kriegsminister — ihren Unwillen spüren. 29 30 31 32 33
Kommentar zu Reuters Bericht, Akten des Preußischen Kriegsministeriums, in: BA-MA-P, W-l0/50172. Zmarzlik, Bethmann Hollweg, S. 117. Treutier an Bethmann Hollweg, 1 . 1 2 . 1 9 1 3 , in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 170. Zmarzlik, Bethmann Hollweg, S. 117. RT, Bd 291, S. 6 1 3 9 - 6 1 7 1 .
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Bethmann Hollweg war in seiner Antwort an vielfache Hemmnisse gebunden. Vor der Sitzung hatte ihm der Kaiser die Verteidigung der Kommandogewalt aufgetragen, während Falkenhayn nochmals die Missetaten der Zaberner Bevölkerung hervorgehoben und sich aus nicht sehr einleuchtenden Gründen geweigert hatte, wenigstens den Ausdruck »Wackes« armeeweit verbieten zu lassen34. Deshalb konnte der Reichskanzler dem Parlament nichts bieten, obwohl er, wie seine internen Stellungnahmen beweisen, das Vorgehen Reuters scharf verurteilte und Falkenhayn vergeblich zu überzeugen versucht hatte, die Entlassung Forstners aus der Armee durchzusetzen 35 . In seiner Rede verurteilte Bethmann Hollweg das Verhalten Forstners, bestritt aber, daß jener die französische Fahne beleidigt habe, und betonte, daß solche Beleidigungen nicht geduldet würden, drohte dann auch den Rekruten, die den Vorfall ohne Beachtung des Dienstweges an die Öffentlichkeit gebracht hatten, mit Bestrafung. Die Vorfälle in Zabern bezeichnete er als »unerfreulich, aber doch nicht weltbewegend«. Er kritisierte die öffentliche Aufregung und die übermäßige Empfindlichkeit der Elsaß-Lothringer. Die Aktionen des Oberst v. Reuter gab Bethmann nur verklausuliert preis. Zwar seien sie rechtswidrig gewesen, aber schließlich habe die Armee sich die fortgesetzten Beleidigungen der Bevölkerung nicht gefallen lassen können. Er versuchte sogar — gemessen an seinen internen Stellungnahmen wider eigenes Empfinden —, für das Einschreiten des Militärs Verständnis zu wecken, und meinte: »Der Rock des Königs muß unter allen Umständen respektiert werden.« Gemäß dem Willen von Kaiser und Kriegsminister erwähnte er nicht die Strafe, zu der Leutnant v. Forstner für sein Fehlverhalten verurteilt wurde; denn das war ihrer Ansicht nach eine Kommandofrage, die den Reichstag nicht zu interessieren hatte. Doch damit enttäuschte er die Abgeordneten, die durch eine Strafankündigung gegen Forstner milder gestimmt worden wären. Nach dem Reichskanzler sprach der Kriegsminister. Und er sprach direkt den Punkt an, der ihm besonders am Herzen lag: die kaiserliche Kommandogewalt. Er habe weder in seiner Stellungnahme vom 28. November noch jetzt zusichern können, »daß sich die Militärbehörden den von lärmenden Tumultuanten [!] und hetzerischen Preßorganen aufgestellten Forderungen...«. Diesen Satz konnte Falkenhayn nicht zu Ende bringen. Ein Entrüstungssturm entbrannte, den er zusätzlich dadurch schürte, daß er den Satz noch einmal wiederholte und dadurch die Erregung des Reichstags weiter steigerte. Ein Protest erhob sich, wie ihn das Parlament in seiner Geschichte noch nicht erlebt hatte36. Die Sozialdemokraten stürmten nach vorne; sie schienen Falkenhayn vom Rednerpodest herunterreißen zu wollen. Der Abgeordnete Ledebour gab mit seinem empörten Zwischenruf dem Empfinden der Mehrheit des Reichtags Ausdruck: »Sie sprechen wie ein agent provokateur!« Minutenlang konnte der Kriegsminister nicht weiterreden. Der Proteststurm hatte ihn offensichtlich überrascht, doch statt nachzugeben, verlas er sein Manuskript weiter und 34
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 2.12.1913, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 170. Falkenhayn meinte, es gebe zu viele Beleidigungen wie »Wackes«, um sie alle verbieten zu können, und ein Einzelverbot für den Ausdruck »Wackes« würde wie ein Freibrief für andere Beschimpfungen wirken.
35
Bethmann Hollweg an Treutier, 29.11.1913, ebd. »Frankfurter Zeitung« vom 4.12.1913.
36
2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre«
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wurde noch schärfer als ursprünglich beabsichtigt 37 . Nach seinem Verfassungsverständnis wollte sich der Reichstag in der Zabern-Affäre in die inneren Angelegenheiten der Armee einmischen und somit ein Feld betreten, das der Kommandogewalt des Kaisers reserviert war. Bei seinem Bemühen, diesen Versuch des Reichstags abzuwehren und die Erregung den Zaberner Demonstranten und der Presse in die Schuhe zu schieben, erweckte er jedoch den Eindruck, hinter den Aktionen Reuters und sogar Forstners zu stehen und eine angemessene Bestrafung der beiden Offiziere nicht zu beabsichtigen. Auch wäre die kaiserliche Kommandogewalt nicht sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, wenn er zu Beginn seiner Rede die fällige Bestrafung zumindest Forstners angekündigt hätte. Der alleinige Verweis auf die armeeinterne Bereinigung der Vorfälle reichte in dieser Situation jedoch nicht mehr aus. »Auch der Blödeste im Lande weiß«, behauptete Falkenhayn unter den Ohorufen der linken Seite des Reichstags, »daß die Verfehlungen des Leutnants und seiner Rekruten in den festen Händen der Vorgesetzten ihre gesetz- und ordnungsgemäße Erledigung finden werden«. Doch es ginge bereits um anderes — »um den ausgesprochenen Versuch, durch Pressetreibereien, durch Aufläufe, durch systematische Beschimpfungen von Militärpersonen [...] einen ungesetzlichen Einfluß auf die Entscheidung der zuständigen Behörden zu erringen«. In diesem Versuch sah Falkenhayn »eine nicht zu ertragende Anmaßung«. Zwar hätte ein Zurückweichen vor diesen Bestrebungen für den Augenblick Ruhe schaffen können, jedoch käme der Appetit mit dem Essen und der einmal geglückte Versuch würde bald unzählige Nachfolger haben. Gerade die Ausbeutung der »läppischen Geschichten in der Kaserne« zeige, daß sich ein Anlaß immer finden werde. Im übrigen relativierte Falkenhayn die von Forstner gemachten Fehler: »Die Armee braucht die jungen Führer so sehr, daß sie gern die Begleiterscheinungen, die von den manchmal etwas täppischen Äußerungen ihres jugendlichen Blutes unzertrennbar sind, in den Kauf nimmt.« Er schloß seine Ausführungen mit der Feststellung, die Armee sei eine furchtbare Waffe; sie habe nicht die Aufgabe, Polizei- und Sicherheitsdienste außerhalb ihres eigenen Bereiches zu verrichten, doch wenn sie einmal einschreiten müsse, so seien »Härten dabei ganz unvermeidlich«. Mit keinem Wort hatte Falkenhayn sich von dem Vorgehen Reuters distanziert und auch für Forstner sehr viel — nach Ansicht des Reichstags viel zu viel — Verständnis gezeigt. Den entscheidenden Punkt — daß es dem Militär nicht zustehe, eigenmächtig Polizeiaufgaben zu übernehmen — hatte er gar nicht erst angesprochen. Gemäß dem Wunsch des Kaisers, sein Kriegsminister solle die Kommandogewalt unbedingt verteidigen, hatte er dem Reichstag gegenüber das Problem auf die öffentliche Hetze gegen die Armee reduziert. Aus seiner Sicht war die Hauptaufgabe — dem Reichstag jede Einmischung in die kaiserliche Kommandogewalt zu verwehren — damit gelöst. Im Laufe der Debatte nahm Falkenhayn noch zweimal das Wort, einmal, um zu betonen, daß Forstner für seine Vergehen »sehr schwer bestraft worden« sei. Allerdings sei er nicht berechtigt, »über disziplinarische Maßnahmen hier eine öffentliche Erklärung abzugeben« 38 . Doch auch solche nachträglichen Einschübe konnten den negativen Eindruck seiner Rede nicht ver-
57 38
Zwehl, Falkenhayn, S. 48 f. RT, Bd 291, S. 6167.
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wischen. Sogar manche seiner Offizierskameraden mußten später zugeben, daß er die Frage nicht sehr feinfühlig behandelt habe. Nach Ansicht des konservativen Generals v. Zwehl wäre die äußerste Erregung des Reichstages vermieden worden, wenn sich der Kriegsminister vom Verhalten Forstners deutlicher distanziert hätte39, und Oberst Groener betonte sogar, Falkenhayn gesamtes Auftreten während der Zabern-Affäre habe ihm nicht gefallen40. Die Äußerungen Falkenhayns brachten auch das Mißtrauen gegen den Reichskanzler voll zum Ausbruch. Noch am 3. Dezember brachte die Fortschrittliche Volkspartei den Antrag ein, der Reichstag möge beschließen, daß die Behandlung der Zaberner Angelegenheit nicht den Anschauungen des Reichstags entspreche41. Dieses Mißbilligungsvotum richtete sich gegen Bethmann Hollweg, da ein solcher Antrag gegen den Kriegsminister satzungsgemäß nicht möglich war. Der Reichskanzler erweckte am nächsten Tag durch seine Äußerung »Ich stehe in vollem Einvernehmen mit dem Herrn Kriegsminister«42 den erneuten Unwillen des Reichstags, der diese Worte als vollkommene Ubereinstimmung mit Falkenhayns Ausführungen vom Vortag auslegte43. Auch die Nationalliberalen beschlossen daraufhin, dem Mißtrauensvotum zuzustimmen. Bethmann Hollweg erlitt im Parlament eine vernichtende Niederlage. Da nur die Konservativen für ihn stimmten, verlor er die Abstimmung mit 293:54 Stimmen bei vier Enthaltungen. Zwar hatte dieses Votum dank der parlamentsunabhängigen Stellung des Reichskanzlers keine unmittelbaren Auswirkungen, doch mußte Bethmann befürchten, bei den nächsten Budgetverhandlungen des Reichstags zu Fall zu kommen. Der Reichskanzler hatte einen großen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit zu beklagen. Große Zeitungen spekulierten in diesen Tagen über seinen Rücktritt, da seine Stellung unhaltbar geworden sei. Es war nicht unbemerkt geblieben, daß sogar die Konservativen ihn nur halbherzig unterstützt hatten und aus ihrer Abneigung gegen Bethmann Hollweg kaum noch einen Hehl machten 44 . Der Kanzler verfügte Anfang Dezember 1913 über keinen parlamentarischen Rückhalt mehr. Seine bisher verfolgte »Politik der Diagonale«, sich für die einzelnen politischen Vorhaben jeweils andere politische Mehrheiten zu sammeln, schien angesichts der Gegnerschaft der Reichstagsmehrheit in Zukunft unmöglich zu sein. Diese politische Zwangslage hatte er nicht zuletzt Falkenhayns Auftritt vor dem Parlament zu verdanken. U m so ärgerlicher mußte es für Bethmann sein, daß manche Zeitungen ausgerechnet in dem Kriegsminister seinen möglichen Nachfolger sahen. Die »Vossische Zeitung« schrieb am 4. Dezember 1913: »Der Kriegsminister war ebenso schneidig wie der Reichskanzler schwächlich. [...] Vielleicht ist er [Falkenhayn] berufen, ehestens dem Philosophen von Hohenfinow die Würde und die Bürde des Amtes abzunehmen 45 .« 39 40 41
42 43 44 45
Zwehl, Falkenhayn, S. 48 f. Groener, Lebenserinnerungen, S. 139 f. Mißbilligungsantrag nach § 33 der Geschäftsordnung in: RT, Bd 291, S. 6171. Dazu auch Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 588. RT, Bd 291, S. 6175. Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 588; Schenk, Fall, S. 50. »Berliner Tageblatt«, 4.12.1913. Vietsch, Bethmann Hollweg, S. 168. »Vossische Zeitung«, 4.12.1913.
2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre«
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Die großen liberalen Zeitungen verrissen Falkenhayn und Bethmann Hollweg vollkommen. Nicht zu Unrecht bemerkte die »Frankfurter Zeitung«, daß sich beide in einem parlamentarischen System bei solcher Mißbilligung des Reichstags keine Stunde mehr hätten halten können46. Trugen ihm auch die Liberalen und die Sozialdemokraten sein Verhalten in der Zabern-Affäre lange — bis über seinen Tod hinaus47 — nach, so hatte er doch beim Kaiser mit seinem dogmatischen Beharren auf der »Kommandogewalt« Pluspunkte sammeln können. Obwohl sich die Zabern-Debatten bis in den Januar 1914 hineinzogen, hatte die Aufregung nach dem Mißbilligungsantrag ihren Höhepunkt überschritten. Der Kanzler erstattete dem Kaiser am 5. Dezember in Donaueschingen Bericht und erwirkte, daß die beiden Bataillone aus Zabern auf einen Truppenübungsplatz verlegt wurden, bis sich die Gemüter beruhigt hatten. Trotz seiner parlamentarischen Niederlage trat der Reichskanzler nicht zurück48. Weitergehende Forderungen der Sozialdemokraten vom 8. Dezember 1913, der Reichstag solle den Reichskanzler über die Ablehnung aller Gesetzesvorschläge und des Etats stürzen und den »Fetisch des persönlichen Regiments« des Kaisers beseitigen, erschreckten die bürgerlichen Parteien und erreichten das Gegenteil des Gewollten. Das Zentrum und die Nationalliberalen kehrten zur parlamentarischen Zusammenarbeit mit dem Kanzler zurück. Im Dezember 1913 und Januar 1914 wurden die Vergehen des Militärs in Zabern gerichtlich verhandelt. Forstner wurde wegen seines Säbelhiebs in erster Instanz zu 43 Tagen Gefängnis verurteilt, in zweiter Instanz, wenn auch unter Umständen, die seine Tapferkeit in keinem guten Licht erscheinen ließen, freigesprochen. Das Bekanntwerden vor allem des ersten Urteils in der Öffentlichkeit, in Verbindung mit relativ milden Strafen für Forstners Rekruten, die sich vorschriftswidrig an die Presse gewandt hatten49, konnte jedoch die öffentliche Aufregung über den Freispruch Oberst v. Reuters nicht mindern. Dieser hatte sich nämlich auf eine Kabinettsorder des preußischen Königs von 1820 berufen, die dem Militär »im Fall der Untätigkeit der Zivilbehörden inneren Unruhen gegenüber«50 das Recht gab, auch ohne Anfrage der Zivilbehörde einzugreifen und die Ordnung wiederherzustellen. Diese Kabinettsorder aus der Reaktionszeit war in die »Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs« von 1899 aufgenommen worden. Unter der Begründung, dem Oberst habe zumindest das subjektive Unrechtsbewußtsein gefehlt, sprach ihn das Militärgericht in Straßburg frei. Selbst wenn der Text der Order, auf den sich Reuter zu seiner Verteidigung stützte, in seiner Gültigkeit anerkannt wurde, war jedoch der Freispruch juristisch stark umstritten51. Der Ausgang des Prozesses wurde in weiten Teilen der Öffentlichkeit als Skandal empfunden. Reuters eigenmächtiges Vorgehen mit wahlloser Festnahme von Zivilisten sollte straflos bleiben? Direkt nach dem Prozeß wurde beschlossen, die Rechtsverbindlichkeit 46 47 48 49 50 51
»Frankfurter Zeitung«, 4 . 1 2 . 1 9 1 3 . Siehe S. 536f. RT, Bd 291, S. 6281. Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 594. Ebd., S. 596. Siehe unten.
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IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914)
der Kabinettsorder von 1820 zu prüfen. Auch im Reichstag erhob sich Protest: Am 15. Januar 1914 interpellierten der Abgeordnete Payer und andere, was der Reichskanzler unternehmen wolle, »um den dringenden und ständigen Gefahren zu begegnen«, welche sich aus dem Recht des Militärs, ohne Anforderung der Zivilbehörde die polizeiliche Gewalt an sich zu nehmen, ergeben müßten 52 . Die Kabinettsorder von 1820 wurde auch Gegenstand einer lebhaften Diskussion innerhalb des preußischen Staatsministeriums. Der Kriegsminister auf der einen, Justizministerium und Reichskanzlei auf der anderen Seite waren sich nicht einig, ob die Kabinettsorder von 1820 angesichts der Bestimmungen der preußischen Verfassung über die innenpolitische Intervention des Militärs noch Verbindlichkeit beanspruchen könne 53 . Falkenhayn jedoch vertrat drei Tage nach Prozeßende gegenüber dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des Reichs-Justizamts die Ansicht, daß »der gegenwärtige Zeitpunkt zu einer Änderung der [...] bestehenden Bestimmung nicht geeignet« sei, empfand auch die Kabinettsorder von 1820 als »durchaus zweckmäßige Instruktion« für die Militärund Zivilbehörden 54 . Am 3. Februar 1914 trat das preußische Staatsministerium zusammen. Falkenhayn ergriff als erster das Wort und räumte ein, daß der entsprechende Abschnitt der Kabinettsorder von 1820, die ein requisitionsloses Eingreifen des Militärs erlaubte, nicht unbedingt vonnöten sei: »Die Heeresverwaltung könnte an sich [den Bedenken gegen die entsprechende Passage] zustimmen, da auch ohne [sie] in der Praxis auszukommen sei.« Jedoch schränkte er direkt wieder ein und kehrte zu der Haltung zurück, die für ihn während der ganzen Zabern-Affäre charakteristisch war: »Politisch sei es aber sehr bedenklich, daß aus den Vorschriften ein Absatz wörtlich herausgestrichen werden solle, gegen den sich gerade die heftigsten Angriffe gerichtet hätten 55 .« Er wollte wie-
52
RT, Bd 291, S. 6517.
53
Der heftig angegriffene Passus der Kabinettsorder von 1820 lautete: »Zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze sind die Militärbefehlshaber auch ohne Anforderung der Zivilgewalt selbständig einzuschreiten befugt und verpflichtet, nämlich a.) wenn bei Störung der öffentlichen Ruhe durch Ausschreitungen, der Militärbefehlshaber, bei Beobachtung des Auftritts, nach Pflicht und Gewissen findet, daß die Zivilbehörde mit der Anforderung um Militärbeistand zu lange zögert, indem ihre Kräfte nicht mehr zureichen, die Ruhe herzustellen.« Der entsprechende Artikel der preußischen Verfassung (§ 36) besagte hingegen: »Die bewaffnete Macht kann zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und Formen und auf Requisition der Zivilbehörde verwandt werden. In letzterer Beziehung hat das Gesetz die Ausnahmen zu bestimmen.« Nur wenn die Kabinettsorder von 1820 als Gesetz anerkannt wurde, konnte sie dem Militär das Recht zum Eingreifen geben; das Reichsjustizamt bestritt das in einer ausführlichen Denkschrift (der Staatssekretär des Reichs-Justizamts an den Kriegsminister, 20.1.1914, in: BA-MA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 1271) und war der Ansicht, der Order käme nur der Charakter einer Dienstanweisung zu. Falkenhayn wiederum behauptete, die Order könne als Gesetz gelten (Falkenhayn an Bethmann Hollweg und den Staatssekretär des Reichs-Justizamts, 1 2 . / 1 3 . 1 . 1 9 1 4 , ebd.). Der letzte Passus der A.K.O. von 1820 — daß die Kräfte der Zivilbehörde nicht mehr ausreichen dürften, um die Ordnung wiederherzustellen — traf in Zabern objektiv nicht zu.
54
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 13.1.1914, mit Anlage: Falkenhayn an den Staatssekretär des Reichs-Justizamts, 12.1.1914, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 1271.
55
Protokoll der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 3 . 2 . 1 9 1 4 , ebd.
2. Falkenhayn und die »Zabern-Affäre«
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der zeigen, daß sich das Militär nicht dem Druck der über Reuters Freispruch entsetzten Öffentlichkeit beuge. In einer weiteren, auf seinen Wunsch einberufenen Sitzung des Staatsministeriums verteidigte Falkenhayn am 12. März 1914 gegen den Widerstand seiner Kollegen — sogar Großadmiral v. Tirpitz hielt Falkenhayns Bedenken offenbar für übertrieben — die bisherigen Befugnisse des Militärs und argumentierte, eine Neufassung der Vorschriften ohne unmißverständlich definierte Bedingungen für den Eingriff des Militärs notfalls ohne Anfrage der Zivilbehörden würde weniger klar und somit schlechter sein als die bisherigen Vorschriften 56 . Falkenhayn wurde im Staatsministerium überstimmt, die Vorschrift gründlich überarbeitet. Am 19. März 1914 erschien die neue Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs. Ausdrücklich wurde dem Militär untersagt, eigenmächtig Vergeltung zu üben oder ohne Anfrage der Zivilbehörde die »Rolle der Polizei« zu übernehmen 57 . Ein neuer Fall Zabern war nach der neuen Vorschrift rechtlich nicht mehr zulässig. Falkenhayn selbst ging am 6. Mai 1914 im Reichstag auf die neue Vorschrift ein und gab — wenn auch etwas gewunden — zu, daß sie notwendig geworden sei58. Falkenhayn wandte sich aber auch gegen die elsaß-lothringischen Rekruten, die nach seiner Einschätzung nicht diszipliniert genug waren und durch die Veröffentlichung interner Vorgänge der Armee großen Schaden zugefügt hatten. Nachdem schon vorher weniger als 2 5 % der reichsländischen Rekruten in Elsaß-Lothringen selbst ihren Wehrdienst ableisten konnten — nach Falkenhayns Interpretation war der Austausch »im Interesse der Germanisierung Elsaß-Lothringens [...] erwünscht« — bewegte der Kriegsminister den Reichskanzler am 10. Februar 1914, Rekruten aus Elsaß-Lothringen generell außerhalb der Reichslande zu verwenden. »Der Fall Zabern hat den Beweis erbracht, daß der überwiegende Teil der elsaß-lothringischen Bevölkerung in seiner Gesinnung noch nicht soweit gefestigt ist, um nicht nationalistischen Einflüssen zu unterliegen59.« Der Reichskanzler und der Kaiser waren sofort einverstanden. Falkenhayn bedauerte im April 1914 nur, daß es nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht möglich sei, neben den elsaß-lothringischen Wehrpflichtigen auch die Einjährig-Freiwilligen zwangsweise außerhalb der Reichslande verwenden zu können — eine Ungleichbehandlung, die ihm angesichts der militärischen Notwendigkeiten vertretbar und geboten schien 60 .
56
Protokoll der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 18.3.1914, ebd.; siehe dazu auch Schoenbaum, Zabern, S. 162.
57
Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 601 f.
58
RT, Bd 294, S. 8510.
59
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 19.2.1914, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 169. Siehe auch Zmarzlik, Bethmann Hollweg, S. 129.
60
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 16.4.1914, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 169.
Zum Schluß, meine Herren, darf ich nicht verschweigen, daß ich persönlich eine Ausrottung der Anschauungen von Ehre, die noch hin und wieder leider sogar zum Duell führt, für kein Glück halten würde. Falkenhayn vor dem Reichstag am 13. März 1914
3. Falkenhayn und das Offizierkorps Die Zabern-Affäre war für Falkenhayns Haltung als Kriegsminister charakteristisch. Im Reichtag pflegte er Mißstände in der Armee zu relativieren und zu bagatellisieren, glaubte es der kaiserlichen Kommandogewalt schuldig zu sein, dem Parlament möglichst wenig nachzugeben. Intern bemühte er sich, kritisierte Mißstände auf dem Verwaltungsweg durch Verordnungen zu beseitigen. In seine Amtszeit fiel auch die Reform des drakonisch harten Militärstrafgesetzes, dessen Neufassung jedoch schon unter Heeringen im Zusammenhang mit der Wehrvorlage beschlossen worden war. Für Falkenhayn war höchstes Gebot, die Unabhängigkeit der Armee zu wahren und beim Reichstag nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, daß er erfolgreichen Druck auf die Militärbehörden ausüben könne. Besonders wichtig war ihm die Aufrechterhaltung einer möglichst großen Effektivität der Armee. Empfahl es sich als militärisch nützlich, war Falkenhayn auch zu schweren Verstößen gegen das Gerechtigkeitsprinzip bereit. Vor allem achtete er darauf, die Armee und besonders das Offizierkorps in ihrer Sonderstellung und inneren Homogenität zu erhalten. Der Kriegsminister mußte sich im Reichstag vorwiegend mit der Beantwortung von Anfragen zu Heeresangelegenheiten befassen, die durch die Abgeordneten an den Reichskanzler gestellt und zur Beantwortung an den Kriegsminister weitergegeben wurden. Dabei blieb es nicht aus, daß er sich mit Problemen auseinandersetzen mußte, die auch den meisten seiner Vorgänger zu schaffen gemacht hatten. Die Weise, wie er diese Angelegenheiten behandelte, läßt gut erkennen, daß er der traditionellen Linie der preußischen Kriegsminister folgte. Ein Dauerbrenner im Reichstag waren die Verhältnisse im Offizierkorps, die Vorrechte der Garde und des Adels sowie der Ehrenkodex der Offiziere. Als Falkenhayn im Mai 1914 vorgeworfen wurde, es würden überproportional viele Gardeoffiziere Zugang zur Kriegsakademie erhalten, wehrte er ab: Man habe im vergangenen Jahr einen Versuch mit anonymisierten Eingangstests gemacht, und als Resultat sei der Anteil der Gardeoffiziere im Vergleich zu den Vorjahren sogar noch angestiegen61. Ein besonders heftig debattierter Streitpunkt zwischen Reichstag und Kriegsminister war das Duellwesen im Offizierkorps62. Duelle waren strafrechtlich verboten. Allerdings sah das Strafgesetzbuch für ein Duell mildere Strafen als für ein entsprechendes Körperverletzungs-Delikt vor. Eine kaiserliche Kabinettsorder vom 1. Januar 1897 untersagte 61 62
RT, Bd 294, S. 8513, Ausführungen Falkenhayns am 6 . 5 . 1 9 1 4 . Allgemein zu diesem Problem: Frevert, Ehrenmänner, S. 89—132.
3. Falkenhayn und das Offizierkorps
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Duelle in der Armee und empfahl, Ehrenfragen durch den Ehrenrat und das Ehrengericht klären zu lassen63. Ein Offizier, der vom Ehrengericht für schuldig befunden wurde, die Ehre seines Kameraden verletzt zu haben, konnte aus der Armee ausgeschlossen werden. Damit hatte der Beleidiger seine Satisfaktionsfähigkeit verloren, das Duell erübrigte sich und die Ehre des Beleidigten konnte ohne Waffengang wiederhergestellt werden. Die Praxis in der Armee sah anders aus. Zwar war das Duellwesen, das angesichts der gewandelten gesellschaftlichen Umstände immer anachronistischer anmutete, stark zurückgegangen. Trotzdem übten die oberen Kommandobehörden der Armee Druck auf die Offiziere aus, sich in Ehrenfragen zur Not auch zu duellieren64. Das Ehrengericht übernahm in Einzelfällen sogar die Rolle des Scharfmachers und zwang widerstrebenden Offizieren zur Verteidigung ihrer vermeintlich angegriffenen Ehre ein Duell auf65. Den überlebenden Duellanten drohte für ihr Vergehen nur eine vergleichsweise milde Strafe. Sie erhielten Festungshaft statt Gefängnis. Offiziere, die ein Duell ablehnten, mußten hingegen mit ihrer Entlassung rechnen66. Kaum ein preußischer Kriegsminister war um die Erörterung der Duellfrage herumgekommen, und auch Falkenhayn mußte sich mit dieser Frage beschäftigen. Am 2. März 1914 forderten drei Zentrumsabgeordnete 67 vom Reichskanzler eine Stellungnahme zu einem tödlich verlaufenen Duell zwischen zwei Offizieren des Infanterieregiments Nr. 98 in Metz auf. Ein Leutnant Haage hatte einem Leutnant v. la Valette Saint George eine Faschingsliebelei mit seiner Frau unterstellt. Außer sich vor Wut wollte er zunächst den Beleidiger seiner Familienehre einfach niederschießen, beschloß dann aber, ihn zum Duell zu fordern. Leutnant La Valette wandte sich an den Ehrenrat, der sich aber außerstande sah, den Streit zu schlichten; er müsse vor einem Ehrengericht verhandelt werden. Dort hätte La Valette, sollten sich die Vorwürfe des Gatten als berechtigt herausstellen, die Verabschiedung gedroht. Der Ehrenrat unternahm jedoch nichts, um das Duell bis zur Klärung der Vorwürfe zu unterbinden, und entsandte sogar einen Beobachter zum Kampfplatz. Er hatte nur eine Minderung der von Leutnant Haage verlangten, sehr scharfen Duellbedingungen durchgesetzt, die den sicheren Tod eines der Duellanten bedeutet hätten. Trotz entschärfter Regelungen starb Leutnant Haage am 26. Februar 1914 auf dem Kampfplatz 68 . Die interpellierenden Zentrumsabgeordneten waren über den Zwischenfall empört und forderten Aufklärung. Immerhin hatte der Ehrenrat nichts unternom-
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Kitchen, German Officer Corps, S. 52 ff. Slawig, Kampf, S. 296 f. 65 Kitchen, German Officer Corps, S. 53. «• Ebd. 67 Die Angeordneten Gröber, Spahn und Speck. 68 Darstellung des Abgeordneten Gröber im Reichstag am 13.3.1914, in: RT, Bd 294, S. 8062. Leutnant Haage wollte zunächst einen Kugelwechsel bis zur Kampfunfähigkeit, mindestens jedoch 5 Schüsse auf 15 Schritt Entfernung mit gezogenen Pistolen mit Visier. Durchgeführt wurde der Zweikampf auf 25 Schritt mit Pistolen ohne Visier und dreimaligem Schußwechsel. Haage fiel beim zweiten Kugelwechsel. 64
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IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914)
men, um das Duell, eine Straftat, zu verhindern, obwohl er genaue Kenntnis davon besaß und sogar das Reglement bestimmt hatte. Die Abgeordneten wollten ebenfalls wissen, was der Reichskanzler — angesprochen war in diesem Fall der Kriegsminister — unternehmen wolle, »um dem Zweikampf im Heere wirksam entgegenzutreten«69. Die Geduld der Mehrheit des Reichstags war in dieser Frage schon seit langem erschöpft. Sie wollte nicht mehr länger hinnehmen, daß die Offiziere mit ihren Duellen fortlaufend schwere Verstöße gegen das geltende Strafrecht begingen und dabei der Duldung ihrer vorgesetzten Behörden sicher sein konnten. Die Interpellation wurde am 13. März 1914 im Reichstag behandelt. In den Debatten wurde von den Abgeordneten auch der Fall eines Gardeleutnants zur Sprache gebracht, der in einer Diskussion aus religiösen Gründen das Duell abgelehnt hatte und daraufhin unter dem Vorwand mangelnder Entschlußkraft aus der Armee verabschiedet wurde 70 . Das widersprach einem Beschluß des Reichstags von 13. Mai 1912, daß ein Offizier, der ein Duell ablehne, auf keinen Fall aus der Armee entlassen werden dürfe 71 . In seiner Antwort bestritt Falkenhayn, daß es im Heer einen Duellzwang gebe, lehnte aber ein militärisches Duellverbot ab. Schon heute wisse jeder Fordernde ganz genau, daß er gegen göttliches und menschliches Recht verstoße. Er gab außerdem zu bedenken, daß die Zahl der Duelle im Heer erheblich abgenommen habe und man auf den Wandel der Anschauungen vertrauen müsse: »Das Duell, meine Herren [...] ist ein gänzlich untaugliches Mittel, den Schuldigen zu bestrafen, und ebenso untauglich zur Ausübung der Rache. Derartige Gedanken spielen bei ihm auch, wenn überhaupt, nur eine nebensächliche Rolle. [Der Beleidigte] glaubt, durch das Duell vor der Welt zeigen zu können, daß ihm die Ehre höher steht als das Leben. Gewiß [...] gehört der Mut, der so gezeigt wird, mehr in das physische als in das moralische Gebiet, aber es ist doch Mut, also eine Eigenschaft, die der Soldat als die Voraussetzung seiner Existenzberechtigung, als die Vorbedingung seiner Existenzberechtigung aufs höchste zu schätzen gewohnt ist. Solche Anschauungen, mag man sie für richtig oder für unrichtig halten, niedrig zu erachten, hat niemand ein Recht;'sie ändern sich nicht durch Gewalt, aber sie ändern sich durch die Zeit. [...] Was kein Verbot und keine drakonische Strafandrohung früherer Tage vermocht hat, hat die Zeit mit ihrem Wechsel der Lebensanschauungen bei uns getan; sie hat das Duell auf eine ganz kleine Zahl zurückgeschoben [...].« Er versuchte im Laufe seiner Ausführungen mehrfach den Ehrenrat zu rechtfertigen. Immerhin sei das Duell besser als die »ungeregelte Selbsthilfe« — schließlich habe Haage seinen Rivalen zunächst einfach niederschießen wollen. Und dann sei ja vom Ehrenrat eine wesentliche Milderung der Duellbedingungen durchgesetzt worden, so daß nicht mehr behauptet werden könne, der Zweikampf habe auf den Tod eines der beiden Kontrahenten abgezielt. Schließlich erklärte Falkenhayn sogar, daß er das aristokratische Ehrgefühl der Offiziere für bewahrenswert halte: »Zum Schluß, meine Herren, darf ich nicht verschweigen, daß ich persönlich eine Ausrottung der Anschauun69 70 71
Interpellation Nr. 1422, in: RT, Bd 306, S. 2920. RT, Bd 294, S. 8081, Ausführungen des Abgeordneten Blunck am 13.3.1914. Slawig, Kampf, S. 298.
3. Falkenhayn und das Offizierkorps
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gen von Ehre, die noch hin und wieder leider sogar zum Duell führt, für kein Glück halten würde72.« Diese wenn auch eingeschränkte und verklausulierte Rechtfertigung des Duells als Ausdruck des erhaltenswerten Ehrempfindens im Offizierkorps bekräftigte Falkenhayn auch in einem Schreiben, das er am 3. April 1914 an die Mitglieder des preußischen Staatsministeriums versandte. Der Kriegsminister wies den Reichskanzler und seine Ministerkollegen darauf hin, daß das Duell im Ehrenkodex der Armee fest verankert sei; dieser Ehrenkodex wiederum sei, besonders für das Offizierkorps, von unersetzlichem Wert. Der Reichstag, zumindest sein »demokratischer« Teil, wolle mit seiner Kritik am Duell weniger dieses selbst als vielmehr den Ehrenkodex des Offizierkorps und der ihm nahestehenden Kreise treffen. Er halte es für seine Pflicht, allen Versuchen des Parlaments, direkt oder indirekt auf Ideale und Geist des Offizierkorps einzuwirken, entgegenzutreten73. Die Geschlossenheit des Offizierkorps in seiner aristokratisch-junkerlichen Tradition war für Falkenhayn sehr wichtig und bestimmte seine Haltung auch gegenüber einem anderen Problem: Ob Juden in der preußischen Armee Offiziere werden sollten.
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RT, Bd 294, S. 8069—8071. Falkenhayns soldatischer Ehrbegriff hatte viel mit dem Nachweis physischen Mutes zu tun und entspricht der klassischen Definition von Demeter, Offizierkorps, S. 116—153; Kitchen, German Officer Corps, S. 49—63. Siehe auch hier S. 50 f. sowie RT, Bd 291, S. 6159, Rede Falkenhayns vom 3.12.1913. Zit. bei: Kitchen, German Officer Corps, S. 49 f.
Daß der gegenwärtige Zustand mit Recht von den israelitischen Mitbürgern beklagt wird, wird jeder begreifen; ich beklage ihn auch. Falkenhayn vor dem Reichstag am 19. Mai 1914
4. Falkenhayn und der Antisemitismus in der Armee Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts gewinnt die Frage nach der Haltung der kaiserlichen Eliten zu den Juden eine außerordentliche Brisanz. Deshalb ist es auch von biographisch herausragendem Interesse, wie Falkenhayn zum Judentum stand. Die wenigen Quellen gestatten immerhin, seine Haltung anhand eines militärischen Problems aus seiner Kriegsministerzeit — der Frage der jüdischen Offizierbewerber — zu analysieren. Nach dem Buchstaben des Gesetzes hätte sich diese Frage gar nicht stellen dürfen, da die Juden in Preußen den Christen juristisch in allem gleichgestellt waren. Dieser Gleichheitsgrundsatz galt auch — zumindest nach dem Wortlaut der Bestimmungen — für die Armee. In der preußischen Armee herrschte seit den Einigungskriegen jedoch ein verdeckter Antisemitismus. Es war für jüdische Bewerber seit 1880 immer schwieriger und schließlich unmöglich geworden, in der preußischen Armee aktiver oder Reserve-Offizier zu werden. Dagegen gelang es manchen jüdischen Einjährig-Freiwilligen, in das weniger elitäre Unteroffizierkorps aufzurücken. Die entscheidende Klippe für jeden jüdischen Offizierbewerber waren die Aufnahmemodalitäten: Um Reserveoffizier werden zu können, mußten die Bewerber zunächst einen Regimentskommandeur finden, der sie akzeptierte. Dann mußten sie durch das Offizierkorps des Regiments gewählt werden. Das preußische Offizierkorps war sich in seiner überwältigenden Mehrheit jedoch darin einig, keine Juden in seinen Reihen zu dulden, und jeder jüdische Bewerber wurde unter oft schwammigen Vorwänden selbst bei ausgezeichneter Beurteilung durch seine Vorgesetzten abgewiesen, vornehmlich wegen der sehr dehnbaren Ernennungsbestimmungen über die charakterliche Eignung der Bewerber. Obwohl seit 1880 kein Jude mehr Reserveoffizier geworden war, hob Kriegsminister v.Heeringen 1910 hervor, daß kein einziger Reserveoffizierbewerber aus religiösen Gründen abgelehnt worden sei, mußte aber zugeben, daß bei der oft angegebenen Begründung »Charakterschwäche« die Bewerber auch nicht, wie häufig geschehen, vorher zum Unteroffizier hätten befördert werden dürfen. Ein Blick auf die Juden in den anderen Armeen verdeutlicht die diskriminierende Praxis in Preußen: In Österreich-Ungarn gab es im Jahre 1910 2179 jüdische Offiziere, einschließlich eines Feldmarschalls, in Italien 500, in Frankreich trotz der Dreyfus-Affäre 720, in Preußen hingegen keinen einzigen74. In der bayerischen Armee wurden vereinzelt jüdische Bewerber zu Reserveoffizieren ernannt; 1909 dienten in ihr 46 Reserveoffiziere und 42 Landwehroffiziere jüdischen Glaubens75.
« Ebd., S. 40f.
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Ebd., S. 46.
4. Falkenhayn und der Antisemitismus in der Armee
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Falkenhayns Vorgänger als Kriegsminister, die Generäle v. Einem und v. Heeringen, hatten im Parlament diesen Zustand bedauert und offen zugegeben, daß ein latenter Antisemitismus die Beförderung von jüdischen Bewerbern zu Offizieren verhindere. Sie mußten eingestehen, daß die faktische Nichtzulassung jüdischer Bewerber zur Offiziersoder Reserveoffizierslaufbahn gegen die Verfassung und gegen die Armeevorschriften verstoße76. Die einzige Möglichkeit, diesen Zustand zu ändern, lag in einer Änderung der Auswahlmodalitäten. Doch daran hatte kein preußischer Kriegsminister ein wirkliches Interesse. Sie wollten die Geschlossenheit des Offizierkorps bewahren und nahmen an, diese würde durch die Aufnahme von Juden Schaden leiden. Auch befürchteten sie, daß jüdische Vorgesetzte von ihren Soldaten nicht wirklich akzeptiert würden und darunter die Disziplin und das Ansehen der Offiziere bei den Mannschaften leiden könnte. Lieber nahmen sie die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sowie des Leistungsgedankens in Kauf. Kriegsminister v. Einem stellte 1907 fest: Obwohl »unter Umständen auch ein Jude einmal ein guter und selbst hervorragender Offizier sein könnte, so sei doch der ganze jüdische Charakter, die ganze Denk- und Handlungsweise des Einzelnen sowie ihrer Sippe gerade von der im deutschen Offizierkorps glücklicherweise noch durchgängig vorhandenen Sinnesart zu grundverschieden, daß ein Eindringen jüdischer Elemente in das aktive Offizierkorps nicht nur für schädlich, sondern für direkt verderblich zu erachten sei«77. Falkenhayn hatte zu diesem Thema vergleichbare Ansichten. Ohne ein radikaler Judenhasser oder Rassist zu sein, betrachtete er die jüdische Religion als gesellschaftlichen Makel. Zwar räumte der General fast mitleidig ein, daß die einzelnen Juden schließlich an ihrer Konfession keine Schuld trügen und für diesen Makel nichts könnten78. Er meinte aber trotzdem, daß Juden keine Zier für eine gute Familie seien — und in seinen Augen wohl noch weniger für das elitäre Offizierkorps. Und ebenso wie viele andere liebte auch er das damals beliebte, diskriminierende Scherzwort von den »krummen Nasen«79. Wie alle preußischen Kriegsminister mußte sich auch Falkenhayn in seiner Amtszeit mit parlamentarischen Vorwürfen wegen der Diskriminierung von Juden in der Armee auseinandersetzen. In den Etatberatungen am 8. Mai 1914 warf der Abgeordnete Gothein (von der Fortschrittspartei) der Armee die verfassungswidrige Diskriminierung jüdischer Offiziersaspiranten vor. Falkenhayn mußte zugeben, daß schon seit langer Zeit 76 77
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RT, Bd 295, S. 8564, Ausführungen des Abgeordneten Gothein am 8 . 5 . 1 9 1 4 . Unterredung Einems mit dem bayerischen Militärbevollmächtigten in Berlin, v. Gebsattel; Bericht Gebsattels an den bayerischen Kriegsminister vom 1 4 . 1 . 1 9 0 7 , abgedruckt in: Vogel, Stück, S. 63 ff. Falkenhayn schrieb anläßlich der Verlobung von Hannekens Schwägerin mit einem Juden am 9.5.1909 an Hanneken: »In der Detring'schen — verzeihen Sie das harte Wort — etwas buntscheckigen Familie fehlte der jüdische Konkurrent und Eidam gerade noch. Im übrigen wäre ich der Letzte, der ihm etwas vorzuwerfen wagen würde, wofür er wirklich Nichts kann [...]«. In: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Plessen-Tagebuch, 1 2 . 1 2 . 1 9 1 4 in: BA-MA-P, W-10/51063; Verwendung des Ausdrucks bei Einem: Einem-Tagebuch, 1 7 . 2 . 1 9 1 5 , in: BA-MA-P, W-10/50934.
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IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914)
kein jüdischer Soldat selbst bei Tüchtigkeit mehr zum Reserveoffizier befördert worden sei, und fügte hinzu: »[...] daß der gegenwärtige Zustand mit Recht von den israelitischen Mitbürgern beklagt wird, wird jeder begreifen; ich beklage ihn auch. Indessen handelt es sich um einen tatsächlichen Zustand. Daß dieser Zustand an sich verfassungswidrig ist80, muß ich natürlich zugeben; daß er aber durch irgendwelche solche Maßnahmen aufrecht erhalten wird, das bestreite ich [...]. Ich kann hinzufügen, nachdem ich mich informiert habe, daß nicht der leiseste Zweifel daran bestehen kann, daß ein Israelit, sobald er die für alle Reserveoffizieraspiranten ganz gleichmäßig vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt, anstandslos zum Offizier befördert werden würde81.« Damit zog sich Falkenhayn auf die traditionelle Verteidigungsposition der preußischen Kriegsminister zurück: Einerseits gestand er die offenkundige Tatsache ein, daß es seit 1885 keine jüdischen Reserveoffiziere mehr gegeben habe, meinte dann aber relativierend, es bestünden keine juristischen Hindernisse für Juden, Offiziere zu werden. Und er weigerte sich, gegen den erklärten Willen von Truppe und Offizierkorps die Beförderungsmodalitäten zu ändern. Da Falkenhayn anders als seine Vorgänger Einem und Heeringen im Reichstag das Vorhandensein eines latenten Antisemitismus in der Armee nicht eingestanden, geschweige denn wirksame Abhilfe versprochen hatte, folgert der Historiker Martin Kitchen, daß er »impeccably anti-semitic« gewesen sei82. Kitchen hat darin recht, daß Falkenhayn die Vorbehalte der wilhelminischen Führungsschicht gegen das Judentum83 teilte und es deshalb ablehnte, durch entsprechende Maßnahmen das Gleichheitsgebot der Verfassung in der Armee durchzusetzen. In Falkenhayns übriger Biographie deutet aber vieles darauf hin, daß er kein prinzipieller Antisemit gewesen ist. So ernannte er 1914 ganz unbürokratisch den jüdischen Industriellen Walther Rathenau zum Chef der Kriegsrohstoffabteilung, was sich mit antisemitischen Grundüberzeugungen nicht in Einklang bringen ließ. Und 1917 rettete er die jüdischen Siedlungen in Palästina vor der Zerstörung durch die türkischen Behörden, was er als Antisemit wohl kaum getan hätte84. Obwohl Falkenhayn dem Judentum nicht in der wünschenswerten Neutralität gegenüberstand, war seine Haltung in der Frage der jüdischen Offizierbewerber nicht durch Antisemitismus, sondern durch sein Bestreben, die Geschlossenheit von Offizierkorps und Armee zu erhalten, motiviert.
Falkenhayn änderte aber später im Stenogramm »ist« in »scheint«, relativierte seine Äußerung dadurch wieder. RT, Bd295, S. 9104 f. «ι Ebd., S. 8580. 82 Kitchen, German Officer Corps, S. 45. 83 Zu Bethmann Hollwegs und Jagows Haltung zu Juden und Polen siehe S. 326 f. 84 Dazu S. 483—485. 1920 schrieb Falkenhayn im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb von Anteilen an einer Olbohrgesellschaft: »Ungeklärt bleibt die Frage, warum die Gesellschaft das ihr erforderliche Kapital nicht durch Anleihe bei einer Großbank auftreibt. Die mir gewordene Auskunft, sie wolle sich nicht in Knechtschaft begeben und judenrein bleiben, verdient nur mäßigen Glauben.« Falkenhayn an Hanneken, 17.4.1920, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Wäre Falkenhayn »impeccably anti-semitic« gewesen, etwa im Ludendorffschen oder im nationalsozialistischen Sinne, hätte er diese Auskunft wohl kaum mit solchem Sarkasmus kommentiert. 80
Angesichts des Fehlens gut ausgebildeter Führer und Unterführer käme eine neue Heeresvermehrung einer Verwässerung und Verschlechterung gleich. Sie wäre also zwecklos. Falkenhayn am 8. Juli 1914
5. Aufrüstungsfrage und Wehrverein Ein ähnliches Motiv — die innere Geschlossenheit der Armee unbedingt bewahren zu wollen — bestimmte auch Falkenhayns Haltung zur Aufrüstungsfrage. Eine seiner ersten Aufgaben als Kriegsminister war die Durchführung der im Juni 1913 beschlossenen großen Wehrvorlage. Der Kaiser hatte ihn bei seiner Ernennung darüber hinaus aufgefordert, neue Armeekorps aufzustellen, »um nach mehreren Richtungen das Schwert zu entscheidendem Schlage [...] führen« zu können. »Auf jeden Fall müssen wir unseren voraussichtlichen Gegnern ebenbürtig bleiben85.« Doch schon bald teilte Falkenhayn die Bedenken seines Vorgängers v. Heeringens gegen die quantitative Aufrüstung86. Wenig mehr als einen Monat nach seinem Amtsantritt, am 19. August 1913, erklärte er, daß es Deutschland nach Einführung der dreijährigen Dienstpflicht in Frankreich in absehbarer Zeit nicht mehr gelingen werde, »die zahlenmäßige Überlegenheit über auch nur einen seiner Nachbarn im Westen und Osten zu gewinnen«. Nachdem Frankreich durch die Einführung der dreijährigen Dienstpflicht »soeben einen überwältigenden Beweis von der in ihm lebenden Gesinnung gegeben« habe, müsse Deutschland sich sogar anstrengen, um »die zur Zeit anzunehmende innere Überlegenheit seiner Armee dauernd bewahren« zu können, und »alles daran setzen, den inneren Wert der Armee zu steigern«87. Maßnahmen wie Festungs- und Eisenbahnbau, zweckmäßigere Mobilmachungsbestimmungen und vor allem eine verbesserte Ausbildung der Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten sollten die Leistungsfähigkeit der deutschen Armee erhöhen. Diesem Ziel gab Falkenhayn vor jeder zahlenmäßigen Verstärkung des Heeres — die außerdem auf heftigen Widerstand des Reichstages stoßen mußte — den Vorrang. Am 5. Mai 1914 gab er während der Etatberatungen im Reichstag bekannt, daß trotz des Mehrbedarfs von 72000 Soldaten infolge der Wehrvorlage von 1913 38000 voll tauglich gemusterte Wehrpflichtige nicht eingezogen werden konnten88. Damit war die Forderung des Generalstabs aus dem Jahre 1912, jeden Tauglichen auch tatsächlich einzuziehen, trotz der letzten Heeresvergrößerung noch nicht erreicht worden. Generalstabschef v. Moltke, der sich zu jener Zeit große Sorgen um einen kommenden Krieg machte, wandte sich im Mai 1914 mit seinem Anliegen an den Kaiser. Im Hinblick auf die gro85 86 87
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Siehe S. 109 f. Dazu Förster, Militarismus (aber nur bis Juli 1913). Verfügung des Kriegsministers vom 19.8.1913, in: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, S. 206. Auch bei seiner Antrittsrede im Reichstag am 2 6 . 1 1 . 1 9 1 3 hob Falkenhayn als eine seiner Hauptaufgaben hervor, die »Schlagbereitschaft der deutschen Wehrmacht« gegen alle dagegen gerichteten Bestrebungen erhalten zu wollen. RT, B d 2 9 1 , S. 5975. RT, Bd 294, S. 8455; Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, S. 197.
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ßen französischen und russischen Heeresvermehrungen forderte Moltke, »daß wir jeden wehrfähigen deutschen Mann zum Waffendienst ausbilden, soll uns nicht dereinst der vernichtende Vorwurf treffen, nicht alles für die Erhaltung des Deutschen Reiches und der deutschen Rasse getan zu haben. Denn daß es sich bei einem Zukunftskrieg um Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes handeln wird, darüber kann wohl ernstlich ein Zweifel nicht mehr bestehen.« Er betonte, daß 38000 nicht eingezogene, voll taugliche Rekruten der Stärke eines Armeekorps entsprächen, das Deutschland für den »Entscheidungskampf der Völker« verlorengehe. Zur Finanzierung des gewaltigen Vorhabens konnte der Generalstabschef nur sehr allgemeine Vorschläge machen: »Die erforderlichen Geldmittel, die — soweit ich unterrichtet bin — im Lande reichlich vorhanden, müssen dafür beschafft werden, ich weise hierzu nur auf die ungeheuren Summen hin, die das deutsche Volk jährlich für Genußmittel wie Getränke und Tabak verausgabt89.« Diese Initiative stieß auf die Ablehnung Falkenhayns. Am 8. Juli 1914 — zehn Tage nach dem Attentat von Sarajevo — erklärte sich der Kriegsminister nur dazu bereit, die Qualität der Armee durch geeignete Maßnahmen zu erhöhen, lehnte aber die von Moltke für sofort geforderte tatsächliche Einziehung jedes Tauglichen zur Armee ab. Diese Aufgabe sei nur in einem zehnjährigen Zeitraum zu verwirklichen. Die Armee brauche »unbedingt noch einige Zeit Ruhe, um sich mit den Folgen der großen Wehrvorlage von 1913 abzufinden. Angesichts des Fehlens gut ausgebildeter Führer und Unterführer käme eine neue Heeresvermehrung einer Verwässerung und Verschlechterung gleich. Sie wäre also zwecklos.« Falkenhayn verwies auch darauf, daß »unser voraussichtlicher Gegner im Osten« jede Heeresvermehrung überbieten könne, weshalb diese nur dann Zweck habe, wenn die Qualität nicht geschädigt werde. Der Beurlaubtenstand, vor allem die Offiziere und Unteroffiziere, müsse besser ausgebildet und verjüngt werden. Außerdem wolle er »Maßnahmen zur Abwehr der heeresfeindlichen Propaganda« treffen und verhindern, daß »antinationale und heeresfeindliche Bestrebungen Hand in Hand mit den Wirkungen einer überfeinerten Kultur Körper und Seele« der Soldaten vergifteten90. Zum Ärger des Generalstabs, der ihm vorwarf, zuviel über die Kosten nachzudenken91, wies Falkenhayn auf die großen Finanzierungsprobleme hin. Schon die Wehrvorlage von 1913 weise eine Finanzierungslücke von 500 Mio. Mark auf. Weitere Mittel für eine Heeresverstärkung im Etat 1915 einzufordern, würde auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. Das wollte Falkenhayn erst für den Etat 1916 in Aussicht stellen. Die weitere Vermehrung der Armee könne dann am 1. Oktober 1916 einsetzen und im Frühjahr 1917 wirksam werden — was dem Generalstab zu spät war. Gleichzeitig wandte sich Falkenhayn gegen die Marine, die zur Durchführung ihres Flottenbauprogramms »recht erhebliche Mittel« des Etats für 1915 beanspruche. Schon seit einigen Jahren hielt Falkenhayn den Flottenbau für unsinnig. Jetzt als Kriegsminister konnte er versuchen, den 89 90
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Moltke an Bethmann Hollweg, Mai 1914, in: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, Anlage Nr. 65. Siehe dazu die These von Förster, Militarismus, daß die Kriegsminister aus Angst vor einer sozialdemokratischen Überfremdung der Armee zu große Aufrüstungen und die vollständige Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht ablehnten. Oberstleutnant Tappen, der Chef der Aufmarschabteilung, schrieb neben die folgenden Einwände: »Es ist nicht Aufgabe des Kriegsministers, den Reichsschatzsekretär zu spielen.«
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Reichskanzler davon zu überzeugen, die knappen Haushaltsmittel lieber in den Ausbau des Heeres zu investieren92. Generaloberst v. Moltke, der sich zur Kur in Karlsbad aufhielt, wandte sich am 18. Juli gegen die Ausführungen Falkenhayns und versicherte, daß angesichts der »mehr oder weniger verdeckt angedeuteten kriegerischen Absichten [unserer Gegner] für das Jahr 1916« die Heeresverstärkung nicht erst 1916, sondern sobald wie möglich, spätestens jedoch am 1. Oktober 1915 begonnen werden müsse93. Auch dieser Antrag Moltkes wurde von Falkenhayn abgelehnt94. Die Auseinandersetzung über eine neue Heeresverstärkung fand durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein abruptes Ende. Auch weiterhin hätte Falkenhayn den Aufrüstungsplänen des Generalstabs energischen Widerstand entgegengesetzt. Für ihn zählten Qualität und innerer Zusammenhalt der Armee mehr als ihre zahlenmäßige Stärke. Die vom Generalstab geforderte vollkommene Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erfüllte Falkenhayn auch deshalb mit Skepsis, weil dann nicht mehr die brauchbarsten und politisch zuverlässigsten Rekruten eines Jahrgangs ausgesucht werden konnten. Auch nach dem Krieg machte er die allgemeine Wehrpflicht für einige unerfreuliche Erscheinungen in der deutschen Armee verantwortlich. Falkenhayn erklärte sich Probleme in der Führung eines längeren Bewegungskrieges, Zuchtlosigkeiten und Plünderungen der deutschen Armee in Rumänien mit der Tatsache, daß die »aus der allgemeinen Wehrpflicht hervorgegangenen Truppen [...] neben den besten Elementen des Volkes auch seine Hefe umfassen [...]. So lange die alten Führer, die ihre Verbände zusammenzuhalten und zu übersehen vermögen, und die bessere Klasse der Mannschaft vorhanden sind, leistet die Truppe alles95.« Im Zusammenhang mit der Aufrüstung der deutschen Armee spielte auch der »Deutsche Wehrverein« unter der Leitung des verabschiedeten Generals Keim eine große Rolle. Dieser war vor allem den Linksparteien wegen seiner militaristischen Hetze verhaßt, aber auch dem Kriegsministerium wegen der radikalen und unerfüllbaren Rüstungsforderungen sehr unbequem. Als der Kriegsminister im Reichstag auf den Wehrverein angesprochen wurde, versuchte er das Kunststück, sich von dessen Methoden zu distanzieren, seine Ziele jedoch im Grundsatz gutzuheißen: »Die Heeresverwaltung hat zu dem Wehrverein keine Beziehung und lehnt es entschieden ab, in irgendeiner Weise für ihn verantwortlich gemacht zu werden oder dazu gebraucht zu werden, einen Einfluß auf ihn auszuüben.« Unter dem Gelächter des Reichstags fügte Falkenhayn hinzu: »Wahrscheinlich würde übrigens ein solcher Versuch kläglich ablaufen; denn, soweit ich un92
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Falkenhayn schrieb: »Die Entscheidung [über das Flottenprogramm] liegt selbstverständlich in den Händen der Reichsleitung. Ich würde es aber doch mit Dank begrüßen und für nützlich halten [...], bei den Etatsverhandlungen mich darüber äußern zu dürfen, inwiefern durch diese Maßnahme die meiner Ansicht nach im Interesse unserer Weltstellung ebenso unbedingt wie in Rücksicht auf die innere Lage gebotene Entwickelung der, Armee beeinflußt werden könnte.« Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 8 . 7 . 1 9 1 4 , in: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, Anlage Nr. 66. Moltke an Bethmann Hollweg, 1 8 . 7 . 1 9 1 4 , ebd., Anlage Nr. 67. Ebd., S. 210. Falkenhayn, Feldzug, S. 102.
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terrichtet bin, sind die Herren des Wehrvereins auf ihre Unabhängigkeit ganz außerordentlich stolz 96 .« Wahrscheinlich belächelte Falkenhayn den Wehrverein und dessen teilweise bizarren Vertreter. Trotzdem wollte er das »allgemeine Ziel des Wehrvereins, Hebung der Wehrkraft des Reichs«, nicht der Lächerlichkeit preisgeben, betonte vielmehr, daß es sich mit der »vornehmsten Aufgabe der Heeresverwaltung« decke. Jedoch strebe der Wehrverein dem gemeinsamen Ziele auf Wegen zu, »die nicht die der Heeresverwaltung und nicht die einiger Parteien sind« 97 . Trotz aller Unterschiede in der Aufrüstungsfrage zwischen Wehrverein und Kriegsministerium war es in Falkenhayns Augen ein Gebot der Kameradschaft, dem in den Spitzenfunktionen großenteils aus hochrangigen Veteranen zusammengesetzten Wehrverein im Reichstag nicht in den Rücken zu fallen.
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RT, Bd 294, S. 8511, Rede Falkenhayns vom 6.5.1914. Das Verlangen einiger Abgeordneter, den Wehrverein von Seiten der Armee »fallenzulassen«, lehnte Falkenhayn ab, weil von der Armee nicht verlangt werden könne, die Verbindung zu alten Kameraden abzubrechen, solange sie nichts Unehrenhaftes getan hätten — und die Tätigkeit im Wehrverein sei nicht unehrenhaft.
Sie zeigen uns nicht, wie wir es besser machen sollen, Sie zeigen uns nur das, was wir allein schon Schlechtes an uns wissen, und vergröbern es und verallgemeinern es, tragen es ins Volk und verhetzen das Volk gegen uns. Falkenhayn an die SPD im Reichstag am 6. Mai 1914
6. Falkenhayn und die Sozialdemokratie Ebenso wie seine Vorgänger war Falkenhayn ein scharfer Gegner der Sozialdemokratie. Er war jedoch kein extremer Reaktionär wie etwa der General v. Einem, der 1906 im preußischen Staatsministerium ein Gesetz zur Bekämpfung der sozialdemokratischen Verhetzung beantragt hatte98. Bei seinen Standesgenossen, wie z.B. seinem Departementsdirektor im Kriegsministerium, Generalmajor Wild v. Hohenborn, galt er sogar als innenpolitisch »modern« 99 . Seine Abneigung gegen die Sozialdemokratie beruhte nicht vorwiegend auf deren sozialen und innenpolitischen Zielen. Für ihn war entscheidend, daß die SPD eine Partei war, die sich ganz offen die Umformung der Armee zum Ziel gesetzt hatte und, in den Augen Falkenhayns, eine zersetzende Wirkung auf den Wehrwillen des deutschen Volkes hatte. Tatsächlich war die Sozialdemokratie im Parlament die schärfste Kritikerin der Armee, der Monarchie und der kaiserlichen Kommandogewalt. Sie strebte die Umwandlung der Armee in ein Milizheer nach Schweizer Vorbild mit nur kurzer Dienstzeit an 100 . Auch der erklärte Internationalismus der Sozialdemokratie erweckte Falkenhayns Mißtrauen. Er wandte sich im Reichstag scharf gegen den »Dämon des verschwommenen Weltbürgertums, des unklaren Internationalismus und des Materialismus«, gegen die »falschen Propheten der internationalen Verbrüderung auf Kosten des eigenen Landes« 101 . In allem — vor allem aber in bezug auf die Armee — glaubte Falkenhayn der SPD eine defätistische Haltung zum Vorwurf machen zu müssen: »Sie zeigen uns nicht, wie wir es besser machen sollen, Sie zeigen uns nur das, was wir allein schon Schlechtes an uns wissen, und vergröbern es und verallgemeinern es, tragen es ins Volk und verhetzen das Volk gegen uns 102 .« Falkenhayn ließ es nicht bei der Polemik gegen die Sozialdemokratie bewenden, sondern scheute auch nicht vor der harten Konfrontation zurück. Gelegenheit dazu bot ein Vorgang, der sich schon im Januar 1913 ereignet hatte. Zunächst ohne nähere Begründung war dem sozialdemokratischen Redakteur Walter Stoecker aus Köln die be98 99 100 101 102
Schmidt-Richberg, Regierungszeit, S. 113. Tagebuchaufzeichnung Wilds V.Hohenborn, 1.1.1917, in: Wild von Hohenborn, Briefe, S.210. Schmidt-Richberg, Regierungszeit, S. 111 ff. RT, Bd 295, S. 8581 A, Ausführungen Falkenhayns am 8.5.1914. RT, Bd 294, S. 8514 C, Ausführungen Falkenhayns am 6.5.1914. Er warf den Sozialdemokraten vor, die Soldatenmißhandlungen zu überzeichnen und damit Stimmung gegen die Armee zu machen. Ähnlich: ebd., S. 8509.
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IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914)
reits zuerteilte Berechtigung zur Ableistung des einjährig-freiwilligen Militärdienstes wieder abgesprochen worden. Der einjährig-freiwillige Militärdienst war ein Privileg für Wehrpflichtige mit höherer Schulbildung; sie mußten nur ein Jahr Militärdienst leisten, nicht zwei, und wurden in dieser Zeit meist zum Reserveoffizier oder -Unteroffizier ausgebildet. Nicht zu Unrecht empfand Stoecker den Entzug der ihm laut Gesetz zustehenden Vergünstigung als Diskriminierung. Er wandte sich zunächst an die Militärbehörden, um über den Grund des Entzugs informiert zu werden. Mündlich wurde ihm schließlich mitgeteilt, daß diese Maßnahme wegen seiner »agitatorischen Tätigkeit in der sozialdemokratischen Partei« erfolgt sei103. Auf ihn war eine gesetzliche Bestimmung angewandt worden, die einen Bewerber vom einjährig-freiwilligen Militärdienst dann ausschloß, wenn er vorbestraft war oder es ihm an der »nötigen moralischen Qualifikation« fehlte104. Der nicht vorbestrafte Stoecker erhob Beschwerde beim Kriegsministerium. Diese Bestimmung — der § 93 der Wehrverordnung — sei auf ihn nicht anwendbar, da agitatorische Betätigung bei den Sozialdemokraten keine unmoralische Handlung sei und ihn nicht moralisch disqualifizieren könne. Sein zuständiges Generalkommando bestätigte jedoch am 20. Oktober 1913 die Entscheidung, daß jemand, der sich wie Stoecker »in besonderem Maße in staatsfeindlichem Sinne agitatorisch betätigt, die für den freiwilligen Eintritt ins Heer erforderliche moralische Qualifikation nicht mehr besitzt«105. Zu diesem Zeitpunkt nahmen sich die sozialdemokratischen Abgeordneten Hofrichter und Schulz (Erfurt) der »geradezu ungeheuerlichen Entscheidung«106 der Militärbehörden an und richteten in der Reichstagssitzung vom 16. Januar 1914 die Anfrage an die Adresse des Reichskanzlers, ob ihm bekannt sei, »daß einem jungen Mann namens Walter Stöcker [...] der Berechtigungsschein für den einjährig-freiwilligen Militärdienst mit der Begründung entzogen worden ist, daß er sich als Sozialdemokrat >in besonderem Maße in staatsfeindlichem Sinne agitatorisch betätigt habe«, und ob er ihn wieder in den Besitz der ordnungsgemäß erworbenen Berechtigung bringen wolle107. Der Fall Stoecker hatte bereits vorher eine Kontroverse im preußischen Staatsministerium ausgelöst. Innenminister v. Dallwitz meinte, man könne die staatsbürgerlichen Rechte von Sozialdemokraten nicht beschneiden, solange die Partei selbst keinen Einschränkungen unterworfen sei. Gegen diese Auffassung nahm Falkenhayn in einem Rundschreiben an alle preußischen Staatsminister vom 11. Januar 1914 scharf Stellung: Bei Stöcker handele es sich um einen Mann, »der die Verneinung der Autorität des Staates als Beruf betreibt und in Wort und Schrift den Geist der Auflehnung predigt«. Mehrere dieser »staatsfeind103 104
Ebd., S. 8469ff., Ausführungen des Abgeordneten Schulz (Erfurt) am 5 . 5 . 1 9 1 4 . Gemäß § 93, Ziffer 2, Absatz 2 der Wehrverordnung in Verbindung mit einer geheimen Verfügung der Ministerialinstanz vom 2 1 . 5 . 1 8 9 5 , die Stöcker nicht bekanntgegeben wurde und die vermutlich die Bestimmung enthielt, daß eine Betätigung in der sozialdemokratischen Partei als Fehlen der moralischen Qualifikation im Sinne des entsprechenden Paragraphen der Wehrverordnung zu verstehen sei. Ebd., S. 8470.
i°5 Ebd. 106 Schulz am 5 . 5 . 1 9 1 4 , ebd. 107 Reichstagssitzung vom 1 6 . 1 . 1 9 1 4 , in: RT, Bd 291, S. 6549f.
6. Falkenhayn und die Sozialdemokratie
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liehen Elemente« im selben Truppenteil könnten die Truppe »in ihren Grundfesten erschüttern [...]. Hierin erblicke ich, besonders für den Ernstfall, die Hauptgefahr108.« Die Frage wurde auch auf einer Sitzung des Staatsministeriums vom 28. Januar 1914 erörtert. Falkenhayn bekräftigte, daß es verhängnisvoll wäre, nicht einmal »solchen Leuten [...] die Vorrechte und das Ansehen des einjährig-freiwilligen Dienstes nehmen zu können«. Dallwitz hingegen war der Ansicht, der beste Ausweg sei, nachzuweisen, daß »die Art der Agitation Stoeckers bedenklich gewesen sei«. Der entsprechende, in diesem Fall angewandte Erlaß müsse später abgeändert werden; nicht mehr die »Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei oder die Tatsache der Betätigung als Sozialdemokrat, sondern die Art der Agitation müsse entscheidend sein«. Dieser Vorschlag wurde vom Kabinett angenommen. Bethmann Hollweg hatte noch einmal bekräftigt, daß die Entscheidung im Fall Stoecker »unter allen Umständen [...] aufrecht erhalten werden müsse, damit man den sozialdemokratischen Ansprüchen gegenüber nicht zurückweiche«109. Entsprechend beantwortete der Kriegsminister die Anfrage der Abgeordneten Schulz und Hofrichter. Falkenhayn bestätigte Schulz in einem persönlichen Schreiben am 18. Februar 1914, daß Stöcker nach dem Wehrgesetz die »nötige moralische Qualifikation« für den freiwilligen Militärdienst nicht besitze. Die Sozialdemokraten fanden sich mit dieser Entscheidung Falkenhayns nicht ab. Der Abgeordnete Schulz richtete in der Reichstagssitzung vom 5. Mai 1914 nach einer detaillierten Schilderung des Falls Stöcker schwere Vorwürfe an die Adresse des Kriegsministers. Schulz empfand die Ansicht, daß »sozialdemokratische Betätigung moralisch minderwertig macht«, als »objektive Beleidigung«110, und stellte die provokante Frage, ob die wahrscheinlich 200000 sozialdemokratischen Soldaten — er rechnete den Anteil der sozialdemokratischen Wähler im Reich auf das Heer um — bei dieser Einstellung dann nicht nach Hause geschickt werden müßten111. Falkenhayn verteidigte die Entscheidung seiner Behörde und ging seinerseits zum Angriff über. Anhand des Protokolls einer sozialdemokratischen Jugendversammlung von 1907, das er, wie später der Verfasser, der SPD-Reichstagsabgeordnete Liebknecht, nachwies, teilweise auch noch falsch zitierte, versuchte der Kriegsminister nachzuweisen, daß die Sozialdemokratie den »militärischen Geist des deutschen Volkes zermürben und zersetzen wolle« und »einen Haß gegen das Heer nähre«. Stoecker war seiner Ansicht nach ein Agitator, der im zersetzenden Sinne die Armee bekämpfen wolle. Bei der Ernennung dieses Mannes zum Offizier oder Unteroffizier würde sich die Armee lächerlich machen112. Falkenhayn bemerkte jedoch einschränkend, daß die von der Sozialdemokratie als beleidigend empfundene Passage über die »nötige moralische Qualifikation« nicht im Sin-
Falkenhayn an die preußischen Staatsminister, 1 1 . 1 . 1 9 1 4 , zit. bei: Stoecker, Walter Stoecker, S. 72. Ebd., S. 73. RT, Bd 294, S. 8470. ι» Ebd., S. 8472. 112 Ebd., S. 8513.
108 109
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IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914)
ne von Sittlichkeit oder Unsittlichkeit, sondern nur im Sinne der Heeresverfassung ausgelegt werden dürfe. Er verstand den Begriff demnach in Hinblick auf die militärische Brauchbarkeit. Zwar beharrte Falkenhayn auf der einmal getroffenen Entscheidung im Fall Stöcker und kritisierte erneut die Destruktivität der Sozialdemokratie gegen die Armee, versuchte dann aber, die Wogen zu glätten. Er betonte ausdrücklich, daß er nicht am Patriotismus der sozialdemokratischen Soldaten zweifle, und sagte unter dem Beifall des Reichstags: »[...] wir können uns darauf verlassen, daß, wie unsere Väter gefochten haben, so auch unsere durch die Schule der Dienstzeit gegangenen Söhne tapfer im Felde stehen werden, mögen sie nun sozialdemokratischen oder anderen Familien entstammen — das ist ganz gleich. Es sind deutsche Soldaten, und sie werden deutsche Mannhaftigkeit, deutsche Kraft und deutsche Treue hochhalten113.« Als die Sozialdemokraten, die wenig Grund hatten, mit Falkenhayns Entscheidung zufrieden zu sein, ihm auch weiterhin vorwarfen, er habe ihnen fehlende moralische Qualifikation vorgeworfen, betonte Falkenhayn, daß er »nicht die Sozialdemokratie unmoralisch genannt« habe, sondern »die Bestrebungen, das Heer, den Schutz unseres Vaterlandes, zu desorganisieren«114. Falkenhayn betrachtete es ebenso wie Bethmann Hollweg als selbstverständlich, vor den »Roten« im Reichstag nicht zurückzuweichen115. Er versuchte jedoch auch außerhalb des Parlaments gegen die sozialdemokratische Kritik an der Armee vorzugehen, die sich besonders gegen die Mißhandlung von Soldaten durch ihre Vorgesetzten richtete. Dieser Vorwurf war für das Kriegsministerium höchst unangenehm, da jeder ehemalige Soldat wußte, daß der Umgangston zwischen Vorgesetzten und Untergebenen oft sehr rauh war116. Doch während die Offiziere aufgedeckte Übergriffe von Vorgesetzten oft mit der Ansicht, die Armee erziehe nun mal keine »Tugendbolde [...], sondern temperamentvolle Soldaten«117, entschuldigten, sahen das die betroffenen Mannschaften selbstverständlich anders. Das Kriegsministerium neigte dazu, bekannt gewordene Vorkommnisse zu bagatellisieren und als Produkt der Verhetzung durch die Presse zu bezeichnen, ähnlich, wie Falkenhayn das in der Zabern-Affäre versucht hatte. Die Militärkritiker, besonders die Sozialdemokraten, griffen jedoch solche Vorfälle begierig auf, um die Armeeführung im Parlament scharf anzugreifen. Falkenhayn stellte am 6. Mai 1914 im Reichstag fest, daß die Mißhandlungsrate in der Armee sich nicht von der Rate von Körperverletzungsdelikten in der gleichen Altersklasse im Zivilleben unterscheide. Man kämpfe also »gegen allgemein menschliche Fehler und Schwächen«, was jedes Vorgehen gegen das Übel erschwere. Im übrigen versicherte er: »Der Kampf gegen die systematischen Mißhandlungen wird in der ganzen Armee unaufhörlich geführt118.« 113
Ebd., S. 8514.
114
Ebd., S. 8551.
115
Falkenhayn an Elsa v. Hanneken, 7 . 6 . 1 9 1 4 , im Besitz U t a v. Aretins.
116
Dazu Wiedner, Soldatenmißhandlungen.
117
Goltz, Denkwürdigkeiten, S. 281; siehe auch Breit, Staats- und Gesellschaftsbild, S. 38—41.
118
RT, Bd 294, S. 8508 f.
6. Falkenhayn und die Sozialdemokratie
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Diesen verdeckt zugegebenen Mißstand versuchte Falkenhayn energischer zu bekämpfen, als seine politischen Gegner annahmen, die diese Absichtserklärung für ein reines Lippenbekenntnis hielten. Er sah sich zum Handeln gezwungen, weil es in den ersten Monaten des Jahres 1914 zu einer aufsehenerregenden Häufung von Zwischenfällen in der Armee gekommen war: Ein Sergeant wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er seinem Soldaten befohlen hatte, einen Spucknapf auszutrinken; ein Unteroffizier beging nach einem Streit mit seinem Hauptmann Selbstmord; ein Dragoner starb nach Mißhandlungen seiner dienstälteren Kameraden (der »Alten Leute«); zwei Burschen eines Generalmajors ließen sich nach einem Konflikt mit ihrem offenbar schikanösen Vorgesetzten von einem Eisenbahnzug enthaupten; und außerdem starb der erwähnte Leutnant Haage aus Metz im Duell 119 . Bei dieser Bilanz und der Kritik des Reichstags und der Presse, aber auch, weil er deren Berechtigung anerkannte — natürlich ohne es nach außen zuzugeben — ging Falkenhayn energisch gegen die Soldatenmißhandlungen vor. In einem Rundschreiben vom 28. Mai 1914 an die preußischen Generalkommandos sprach er sich scharf gegen die Mißhandlung Untergebener aus; diese hätten in der letzten Zeit »in der Öffentlichkeit berechtigtes Aufsehen erregt und zu schweren Angriffen gegen das Heer und seine Einrichtungen geführt«. Deshalb wies Falkenhayn noch einmal auf die »energische Bekämpfung des schweren Übels« hin. Er forderte die Militärgerichte auf, härter durchzugreifen. Sie gingen bei der Verurteilung mißhandelnder Vorgesetzter zunehmend von »vorschriftswidriger Behandlung« statt von Mißhandlung Untergebener aus, begründeten ihre Milde damit, daß der Mißhandelte »keinen oder keinen dauernden Nachteil für seine Gesundheit davongetragen« habe, und verhängten über die schuldigen Vorgesetzten »unter Annahme minder schwerer Fälle« die Mindeststrafe. Diese Haltung verurteilte Falkenhayn: »Eine derartige Milde bei den in Rede stehenden Vergehen schädigt das Vertrauen zur Militärrechtspflege und damit das Ansehen der Militärgerichte; sie ist auch nicht geeignet, die Mißhandlungen einzuschränken und warnend zu wirken. Hierzu bedarf es strenger Bestrafungen und da, wo es angezeigt ist, der Entfernung des Schuldigen aus seiner Dienststelle [...]. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß nur die gebotene rücksichtslose Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen nach ihrer vollen Schärfe durch die Gerichte das schwere Vergehen der systematischen Mißhandlungen auszurotten geeignet ist 120 .« Daß Falkenhayn intern massiv gegen die Soldatenmißhandlungen vorgehen wollte, gab er jedoch in der Öffentlichkeit nicht bekannt, da es sich um eine armeeinterne Angelegenheit handelte. Ein weiterer schwerer Fall von Soldatenmißhandlung war der mysteriöse Tod eines Rekruten in Metz, der möglicherweise durch die Prügel seines Unteroffiziers, vielleicht aber auch durch Selbstmord wegen der Schikanen seines Vorgesetzten ums Leben gekommen war. Dieser Vorfall wurde von einer besonders vehementen Kritikerin der Armee aufgegriffen. Die Sozialdemokratin Rosa Luxemburg121 erhob am 7. März 1914 in einer Rede
119
Auflistung im »Vorwärts« vom 3 . 3 . 1 9 1 4 .
120
Demeter, Offizierkorps, S. 315 ff.
121
Rosa Luxemburg war gerade wegen eines Aufrufs zur Kriegsdienstverweigerung vom Oktober 1913
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IV. Preußischer Kriegsminister (Juli 1913—Juli 1914)
in Freiburg schwere Vorwürfe: »Was auch in Metz passiert ist — eins ist klar: Es ist sicher eins der Dramen, die tagaus, tagein in den Kasernen sich abspielen und bei denen das Stöhnen der Beteiligten nur selten an unsere Ohren gelangt«122. In dieser Äußerung sah Falkenhayn eine Verleumdung, da Rosa Luxemburg doch offensichtlich unterstellte, daß täglich in deutschen Kasernen Soldaten zu Tode geprügelt würden. Hier schien sich die Gelegenheit zu bieten, gefahrlos einen Prozeß wegen Verleumdung anzustrengen und der fortgesetzten armeefeindlichen Propaganda der Sozialdemokratie einen schweren Dämpfer zu versetzen. Er verklagte Frau Luxemburg wegen Beleidigung der Offiziere, der Unteroffiziere und der Soldaten der deutschen Armeen. Doch Falkenhayn hatte einen schweren Fehler gemacht. Der »Vorwärts« rief seine Leser dazu auf, ihnen bekannt gewordene Soldatenmißhandlungen der Redaktion zu melden, damit Rosa Luxemburg vor Gericht Beweismaterial vorlegen könne. Der Prozeß in Berlin-Moabit wurde für Falkenhayn und die Staatsanwaltschaft zum vollkommenen Fiasko. Staatsanwalt Hagemann versuchte, Rosa Luxemburg auf den Nachweis schwerster Verfehlungen festzunageln. »Schläge, Stöße, Puffe oder Jagdhiebe« sollten seiner Ansicht nach ausgeschlossen werden. Unter »Dramen« verstand er — ebenso wie Falkenhayn, der am Prozeß nicht persönlich teilnahm — nur Delikte wie »schwere Soldatenmißhandlungen, Peinigungen, Quälereien bis zum Selbstmord«. Doch eine solche Einschränkung lehnte die Verteidigung verständlicherweise ab. Rosa Luxemburg betonte mehrfach, daß jede Form der Soldatenmißhandlung ein Drama sei, nicht nur die allerschwersten Fälle, und lehnte die Verharmlosung leichterer Verstöße ab. Zum Entsetzen von Anklage und Kriegsministerium kündigte die Verteidigung an, 30000 Fälle von Soldatenmißhandlung nachweisen zu können. Der Versuch des Staatsanwalts, diesen Beweisantrag mit Hinweis auf die Verfahrensdauer niederzuschlagen, scheiterte. Am nächsten Verhandlungstag präsentierte die Verteidigung fast 1000 Zeugen, die von einer Vielzahl von Schikanen und teilweise schweren Soldatenmißhandlungen berichteten. Diese Fälle wurden im »Vorwärts« seitenlang aufgeführt. Auch die bürgerliche Presse gewann den Eindruck, daß Falkenhayn einen riesigen Fehler gemacht habe. Die »Frankfurter Zeitung« konstatierte am 3. Juli 1914, daß der Kriegsminister eine größere Ungeschicklichkeit als eine solche Anklage gegen Rosa Luxemburg gar nicht hätte begehen können. Nun stehe der radikalen Kritikerin, die in den bürgerlichen Zeitungen nicht sehr wohlwollend dargestellt wurde, ein Podium zur Verfügung, von dem aus sie ganz Deutschland erreichen könne. Falkenhayn war offenbar inzwischen zu derselben Ansicht gelangt. Er setzte nunmehr alles daran, die öffentliche Diskussion der Soldatenmißhandlungen und den unglücklich verlaufenden Prozeß wieder zu stoppen. Der Staatsanwalt verlas am dritten Prozeßtag ein Schreiben Falkenhayns, in dem der Kriegsminister die Vertagung des Prozesses verlangte, um die Anschuldigungen nachprüfen zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden, die sie jedoch erst nach der noch ausstehenden Bestätigung durch das Reichsgericht anzutreten hatte. '22 »Vorwärts«, 3 0 . 6 . 1 9 1 4 .
6. Falkenhayn und die Sozialdemokratie
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zu können: »Wenn ich auch nicht die Notwendigkeit der Beweisaufnahme, soweit sie über die letzte Zeit und die schweren Fälle von Mißhandlungen, sogenannter Kasernendramen, hinausgeht, einsehen kann, so möchte ich die einseitigen Darstellungen der von der Verteidigung geladenen Zeugen nicht ungeprüft lassen, andererseits aber die Fälle zur kriegsgerichtlichen Untersuchung ziehen, soweit Verjährung noch nicht eingetreten ist123.« Die sozialdemokratischen Prozeßbeobachter argwöhnten, Falkenhayn wolle die Angelegenheiten an die von der Öffentlichkeit nicht zu kontrollierende Militärgerichtsbarkeit überweisen und auf diese Weise verschleppen124. Auf jeden Fall wollte Falkenhayn die publik gemachten Fälle dort verhandeln, wo sie nach seiner Meinung hingehörten: vor die Gerichtsbarkeit der Armee. Seinem Erlaß nach zu urteilen, hatte er gegen eine strenge Bestrafung schuldiger Vorgesetzter nichts einzuwenden, wohl aber dagegen, daß es der Presse gelungen war, sich in eine reine Armeeangelegenheit einzumischen. Der Prozeß wurde vertagt und nie wieder aufgenommen. Falkenhayn hatte eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. In der Öffentlichkeit entstand der nachteilige Eindruck, daß der Kriegsminister trotz anderslautender Versprechungen im Reichstag125 nicht gerade energisch gegen die Mißhandlungen von Untergebenen vorgehe und diese zudem systematisch bagatellisiere. Doch wurde diese Diskussion durch die Julikrise von 1914 — Erzherzog Franz Ferdinand war einen Tag vor Prozeßbeginn in Sarajevo ermordet worden — abrupt beendet. Eine Wandlung von Falkenhayns schroffer Haltung gegenüber der Sozialdemokratie wird nach der Ausrufung des »Burgfriedens« sichtbar. Als er sicher sein konnte, daß die Sozialdemokratie fest hinter Staat und Armee stand, zeigte er mehr politisches Entgegenkommen als viele seiner Kollegen im preußischen Staatsministerium12'.
123 124 125 126
»Vorwärts«, 4.7.1914. Ebd.; Kitchen, German Officer Corps, S. 185. Siehe S. 140. Siehe S. 176-178.
Es handelt sich nicht um Sittlichkeit oder Unsittlichkeit; davon ist gar keine Rede. Falkenhayn am 5. Mai 1914
7. Bilanz Falkenhayns Amtszeit als preußischer Kriegsminister im Frieden war nur kurz, die Quellenlage aus dieser Zeit ist vergleichsweise schlecht. Trotzdem werden bei der historischen Analyse bestimmte Grundlinien seiner Amtsführung sichtbar. Generell bleibt festzustellen, daß Falkenhayn, der »junge« Kriegsminister, sich weitgehend auf den Bahnen seiner Vorgänger bewegte. Das betraf vor allem sein Verhältnis zum Reichstag und sein Verständnis der kaiserlichen Kommandogewalt. Mit aller Härte und Energie versuchte er gegen die Parlamentarisierung der Militärpolitik anzukämpfen, wofür sein Verhalten in der Zabern-Affäre typisch war. Die Kommandogewalt legte er gänzlich im Sinne seiner Vorgänger aus: Der Reichstag hatte bei Armeeangelegenheiten kein Mitspracherecht und sollte auch keines bekommen. Mit seinem sturen und provokanten Beharren auf der traditionellen Auslegung der Kommandogewalt richtete er in der Zabern-Affäre unübersehbaren Schaden an. Allein durch ein geschickteres Taktieren hätte Falkenhayn dem Kanzler ohne Preisgabe der kaiserlichen Privilegien die schwerste parlamentarische Niederlage seiner Laufbahn ersparen können. Beim Kaiser wird Falkenhayn durch dieses entschlossene Eintreten für die Kommandogewalt hingegen Pluspunkte gesammelt haben. Dieses Verfahren — armeeinterne Vorgänge grundsätzlich nur innerhalb der Armee verhandeln und eine Beteiligung von Reichstag und Öffentlichkeit nicht zulassen zu wollen — kehrte sich in der Luxemburg-Affäre gegen ihn. Intern ging er massiv gegen die Soldatenmißhandlungen vor — allerdings sollte dies, da es sich erneut um einen armeeinternen Vorgang handelte, in der Öffentlichkeit nicht bekannt werden. Diese glaubte deshalb auch nicht, daß Falkenhayn tatsächlich etwas gegen die Mißstände unternehmen wolle. Die Gerichtsverhandlung gegen Rosa Luxemburg und die öffentliche Diskussion von Tausenden von Soldatenmißhandlungen hätte für Falkenhayns Stellung als Kriegsminister unabsehbare Folgen haben und sein Ansehen schwer in Mitleidenschaft ziehen können, wenn ihre Fortsetzung nicht durch den Kriegsausbruch verhindert worden wäre. In der Aufrüstungsfrage stand Falkenhayn ebenfalls in der Traditionslinie der preußischen Kriegsminister: Qualität und »innere Überlegenheit« der Armee gingen vor Quantität. Dabei verlor er das politisch und finanziell Machbare nicht aus dem Auge. In einem Punkt wich er von der Linie seiner Vorgänger ab: Er wollte massiver gegen die Flottenrüstung vorgehen, die er für unsinnig hielt und die er zugunsten des Heeresetats reduziert sehen wollte. Doch konnte er dieses Vorhaben in der kurzen Zeit nicht mehr durchsetzen. Während seiner gesamten Amtszeit bis zum Kriegsausbruch läßt sich ganz deutlich ein individueller Zug Falkenhayns beobachten: Er war ein militärischer Utilitarist, ein »Armee-
7. Bilanz
145
egoist« 127 , der die politischen Vorgänge ausschließlich unter militärischen Aspekten beurteilte. Was nach seiner Ansicht der Armee nützte, fand seinen Beifall; was ihr schadete, bekämpfte er, ohne sich dabei erkennbar von sonstigen politischen oder sozialen Vorlieben oder Abneigungen leiten zu lassen. Diese Haltung hatte während seiner Amtszeit vorwiegend negative Effekte und führte zu diskriminierender Ungleichbehandlung politischer, ethnischer und religiöser Minderheiten. Weil es ihm nützlich schien, hielt Falkenhayn an der Benachteiligung von Sozialdemokraten, Elsaß-Lothringern und Juden in der Armee fest. Symptomatisch für seine Einstellung war die Äußerung während der Behandlung des Falles Stöcker, daß er den Terminus der »nötigen moralischen Qualifikation« nicht im Sinne von Sittlichkeit oder Unsittlichkeit, sondern nur im Sinne der Heeresverwaltung, das heißt im Sinne des militärischen Nutzens, verstehe. Allerdings ließ sich absehen, daß Falkenhayn in anderen politischen Konstellationen ebenfalls das tun würde, was der Armee nütze — auch wenn er damit gegen die Interessen anderer politischer Gruppen, und sei es der Konservativen, verstoße. Tatsächlich ist ein solcher Fall bald nach Kriegsausbruch eingetreten; er wird noch zu besprechen sein128.
127 128
Diese Bezeichnung ist von Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 95. Siehe S. 176-178.
V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
Wenn wir auch darüber zu gründe gehen, schön war's doch. Falkenhayn am 4. August 1914
1. Julikrise und Kriegsausbruch Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajevo durch den bosnischen Terroristen Princip ermordet. Das Attentat kam der deutschen Führung, deren Außenpolitik sich in einer schwierigen Situation befand, nicht ungelegen. Ihre Einkreisungsängste hatten 1914 einen neuen Höhepunkt erreicht. Bethmanns »Weltpolitik ohne Krieg«, die auf friedliche Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Überlegenheit Deutschlands und einen allmählichen Ausgleich mit Großbritannien setzte, schien gescheitert, als im Juni 1914 britisch-russische Verhandlungen über ein Marineabkommen bekannt wurden1. Ende Mai 1914 hatte Generalstabschef v. Moltke die Reichsleitung eindringlich vor den Rüstungen der Entente gewarnt. Er ging fest davon aus, daß die Entente für das Jahr 1916 einen Krieg plane, dem das Deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt, vor allem wegen der dann gewaltigen russischen Überlegenheit, nicht mehr gewachsen sein werde2. Moltke empfahl deshalb einen Präventivkrieg. Anfang Juni 1914 erklärte er: »Wir sind bereit, und je eher, desto besser für uns3.« Bethmann Hollweg fühlte sich durch diese pessimistische Lagebeurteilung veranlaßt, mehr noch als bisher alles — auch das Äußerste — zu versuchen, um die Entente und damit die »Einkreisung« zu sprengen. Die internationale Entrüstung über den Mord von Sarajevo bot ihm die Gelegenheit, die Entente unter Druck zu setzen. Ein österreichischer Krieg gegen das mit Rußland verbündete Serbien würde den russischen Kriegswillen prüfen können; es bot sich die Chance, einen Keil zwischen die Serben und die mit ihnen verbündeten Russen einerseits und die Westmächte andererseits zu treiben4. Das schloß die Bereitschaft Deutsch1
Die Bedeutung dieser Gespräche und ihre Wirkung auf die deutsche Regierung ist in der Forschung umstritten. Siehe dazu Fischer, Krieg, S. 627 ff.; Zechlin, Krieg, S. 160 ff.; Mommsen, Krise, S. 93 ff.; Rauh, Marinekonvention.
2
Siehe dazu Egmont Zechlin, Motive und Taktik der Reichsleitung 1914, in: Zechlin, Krieg, S. 95—102, bes. S. 97—99 mit der Wiedergabe eines Gesprächs zwischen Moltke und Jagow im Frühjahr 1914 über den Präventivkrieg, auch bei Mommsen, Imperialismus, S. 161 f.; Lutz, Politik, S. 193 f.
3
Tuchman, August 1914, S. 36.
4
Diese Absichten werden am besten in der Tagebuchaufzeichnung Kurt Riezlers vom 8 . 7 . 1 9 1 4 zusammengefaßt: »Kommt der Krieg aus dem Osten, so daß wir also für Österreich-Ungarn und nicht Ost[erreich]-Ungarn für uns zu Felde zieht, so haben wir Aussicht, ihn zu gewinnen. Kommt der Krieg
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes Quli 1914—August 1916)
lands zum Krieg zusammen mit Osterreich gegen Rußland, vielleicht aber auch gegen Frankreich mit ein. Entscheidend für diese Strategie war, daß Osterreich mit aller Härte gegen Serbien auftrat. Daß Bethmann die Österreicher massiv zu einem entsprechenden Schlag gegen die Serben ermunterte und auch deutsche Unterstützung gegen Rußland zusagte, hat Fritz Fischer überzeugend nachweisen können 5 . Die diplomatische und politische Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges ist ebenso wie das Kalkül Bethmann Hollwegs schon vielfach untersucht worden 6 . Im folgenden soll nur der Anteil Falkenhayns an den komplexen Vorgängen der Julikrise analysiert werden, wobei immer wieder ein Seitenblick auf Moltke, den zweiten Vertreter der Armee in der Führungsspitze, nötig sein wird 7 . Als wichtigste Quelle steht dabei Falkenhayns Tagebuch zur Verfügung, das in Auszügen für den gesamten Zeitraum sowie erstmals vollständig für die Tage vom 26. Juli bis zum 4. August 1914 vorliegt 8 . nicht, will der Zar nicht oder rät das bestürzte Frankreich zum Frieden, so haben wir doch noch Aussicht, die Entente über diese Aktion auseinanderzumanövrieren.« In: Riezler, Tagebücher, S. 184. 5 Fischer, Krieg, S. 686 ff. 6 Uber die Ziele, die der Reichskanzler außenpolitisch erreichen wollte, besteht in der Forschung keine Einigkeit. Ritter, Staatskunst II, bes. S. 397—399, behauptet, der Reichskanzler habe den Krieg nicht gewollt, aber durch gewagte diplomatische Aktionen die »Einkreisung« zu durchbrechen versucht. Seine Risikobereitschaft sei durch den Kriegsfatalismus ohnehin sehr groß gewesen. Siehe auch Mommsen, Topos. Mommsen, Krise, betont besonders die Furcht vor Rußlands künftiger Stärke und weist auf die »antirussische Massenhysterie« (S. 91) im Frühjahr 1914 hin, die auch den Kanzler nicht unbeeindruckt gelassen habe. Vietsch, Bethmann Hollweg, S. 179—200, unterstreicht hingegen die Rolle des eher passiv treibenden Reichskanzlers. Ahnlich Jarausch, Chancellor, S. 148 ff. Fischer, Krieg, und Röhl, Schwelle, unterstellen dem Kanzler ein aggressives Expansionsprogramm, den »Griff nach der Weltmacht«, dessen Realisierung durch einen mindestens seit 1912 vorbereiteten großen europäischen Krieg erreicht werden sollte. Aus der unübersehbaren Literatur zur Julikrise sollen hier nur wenige, zentrale Titel genannt werden: Joll, Ursprünge; Mommsen, Topos; Hillgruber, Theorie; Tuchman, August 1914; Albertini, Origins; Wegerer, Ausbruch; Lutz, Politik. Verwiesen werden soll auch auf die entsprechenden Abschnitte in: Fischer, Krieg; Mommsen, Krise; Ritter, Staatskunst Π; Deutschland im ersten Weltkrieg; Kielmannsegg, Deutschland. Dokumentensammlung: Geiss, Julikrise. Dort sind auch die zahlreichen Dokumentensammlungen zur Julikrise verzeichnet. 7 Dieser Aufgabe hat sich zuletzt Ritter, Anteil, unterzogen, ist dabei aber zu den sehr verharmlosenden Schlüssen gekommen, daß »im Berliner Großen Generalstab im Juli 1914 keineswegs Kampffreudigkeit und Siegeszuversicht herrschten« (S. 79). Es wäre »sehr ungerecht, wollten wir an dem ehrlichen Friedenswillen und der strengen Gewissenhaftigkeit der Männer zweifeln, die damals die Leitung unseres Reiches und unseres Heeres in den Händen hielten« (S. 91). Diese Position ist von der Forschung inzwischen eindeutig überholt. 8 Eine Abschrift aus Falkenhayns Tagebuch, die 1927 von dem Reichsarchiv-Mitarbeiter Generalmajor v. Tieschowitz vorgenommen wurde, ist zufällig im Militärarchiv in Potsdam wieder aufgetaucht (BA-MA-P, W-10/50635). Für den Hinweis auf diese Akte bin ich Prof. Otto vom Militärarchiv Potsdam und Prof. Deist vom MGFA sehr zu Dank verpflichtet. Sie enthält die Abschrift der Eintragungen vom 26.7.-4.8.1914. Bisher waren die Auszüge aus Falkenhayns Tagebuch bekannt, die Hans v. Zwehl 1926 in seiner Falkenhayn-Biographie veröffentlicht hat. Ein Vergleich zeigt, daß dort trotz ausführlicher Zitate Sinnentstellungen durch Weglassungen entstanden sind. Zwehl arbeitete selektiv; er ließ alle Attacken Falkenhayns auf den Kaiser (»Er hält wirre Reden«) wie überhaupt alle Dinge weg, deren Veröffentlichung ihm als taktlos erschien. Dadurch entstanden Lücken, die den Wert seiner Auszüge erheblich mindern. Manche von Falkenhayns Angaben schienen den Bearbeitern der
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Anfang Juli 1914 gedachte der Reichskanzler sein riskantes diplomatisches Spiel allein durchzuführen. Der Kaiser befürwortete in seiner Empörung über das Attentat ohnehin ein hartes Vorgehen der Österreicher gegen Serbien und versprach ihnen deutsche Unterstützung. Auch die Militärs — Moltke und Falkenhayn — wollte Bethmann zunächst nicht über seine Absichten aufklären. Uber seinen Versuch, die Österreicher zur Aktion zu drängen, wurden sie im unklaren gelassen. Eher den Charakter einer Formsache hatte vor diesem Hintergrund die Sitzung im Neuen Palais am 5. Juli 1914, in der sich Falkenhayn in seiner Eigenschaft als preußischer Kriegsminister zum ersten Mal mit dem Mord in Sarajevo auseinandersetzen mußte. Der Kaiser verlas dem Reichskanzler, Falkenhayn, Militärkabinettschef v. Lyncker und seinem Generaladjutanten v. Plessen eine österreichische Denkschrift sowie ein Handschreiben Kaiser Franz Josephs, die ihm vormittags durch den österreichischen Botschafter überbracht worden waren. In der Denkschrift wurde vorgeschlagen, das unsichere Bündnis mit Rumänien durch eine enge Zusammenarbeit mit Bulgarien und der Türkei zu ersetzen; ein Zusatz betonte die Notwendigkeit eines entschlossenen Vorgehens gegen Serbien. In dem Begleitschreiben verwies Kaiser Franz Joseph auf die panslawistische Agitation, die sich gegen den Bestand seines Reiches richte und die er auch für das Attentat verantwortlich machte, wenn er auch die Schwierigkeit eingestand, die »Komplizität der serbischen Regierung nachzuweisen«. Um diese existenzbedrohende Gefährdung der Donaumonarchie auszuschalten, müsse er bestrebt sein, Serbien zu isolieren und zu verkleinern. Dazu solle auch das neue Bündnis mit Bulgarien dienen9. Aus diesen beiden Schreiben, die Kaiser Wilhelm den Anwesenden verlas, und aus seiner Wiedergabe der mündlichen Erläuterungen des österreichischen Botschafters ging hervor, daß Österreich gegen Serbien Sanktionen verhängen, erforderlichenfalls auch in Serbien einrücken wolle, selbst dann, wenn Serbiens Verbündeter Rußland nicht nachgeben würde. Für diesen Fall benötigte die Donaumonarchie aber die deutsche Unterstützung. Auch ein großer Krieg war nicht mehr auszuschließen. Der Kaiser stellte Falkenhayn die Frage, ob das Heer für alle Fälle bereit sei. Falkenhayn erinnerte sich später: »Meiner Uberzeugung entsprechend bejahte ich dies ohne jede Einschränkung ganz kurz und fragte meinerseits nur noch, ob irgendwelche Vorbereitungen zu treffen seien. S.M. lehnte ebenso kurz ab und entließ mich10.« Zwischenkriegszeit sogar in offenem Widerspruch zu den anderen Quellen zu stehen, siehe Lutz, Politik, S. 205, Anm. 2. Die von Zwehl vorgenommenen Tagebuchauszüge werden in Albertinis Standardwerk über die Julikrise mit Zurückhaltung gewertet. »It must be said that Falkenhayn's diary contains many inaccuracies even when speaking of occasions when he was present [...]«. In: Albertini, Origins Π, S. 439. Alfred v. Wegerer, dem keine Direkteinsicht in die Unterlagen Falkenhayns gewährt wurde, war sich in der Einstufung gewisser Informationen sehr unsicher. Diese Zweifel beruhten vor allem darauf, daß Falkenhayn offenbar selbst versucht hat, seine Notizen nach dem Krieg chronologisch zu ordnen, und ihm dabei ein Fehler unterlaufen ist. Siehe Wegerer, Ausbruch II, S. 182. Dieser Fehler — eine geringfügige Falschdatierung der Bemühungen, die formelle Kriegserklärung an Rußland zurückzuhalten, um einen Tag zu spät auf den 2 . 8 . 1 9 1 4 — hat jedoch keine weitere Bedeutung. » Fischer, Krieg, S. 6 8 7 - 6 9 4 ; Wegerer, Ausbruch I, S. 126 f. Ebd., S. 132; Falkenhayn an den parlamentarischen Untersuchungsausschuß [Dezember 1919], in: Quellen zur Entstehung des Ersten Weltkrieges, S. 308 f.
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Falkenhayn war nach dieser Sitzung keineswegs besonders beunruhigt. Er ordnete — entsprechend der Weisung des Kaisers — keine militärischen Vorbereitungen und Rüstungen an11. Abends schrieb er einen Brief an Generalstabschef v. Moltke, der sich in Karlsbad zur Kur aufhielt, um ihm über die Besprechung beim Kaiser zu berichten. Aus dem Schreiben geht klar hervor, daß Falkenhayn die Bedeutung der Vorgänge erheblich unterschätzte — weil er glaubte, daß Österreich-Ungarn sich doch nicht zu einem energischen Vorgehen gegen Serbien entschließen könne12, aber auch, weil er von dem hartnäckigen Drängen Bethmanns in Wien nicht unterrichtet worden war. Mit einer verhaltenen Ironie, die sehr an die Klagen über die Entschlußlosigkeit und Friedensliebe der Politiker in den Briefen an Hanneken erinnert, schrieb er in der Mitteilung an Moltke: »S.M. glaubten diese Absicht [Österreich-Ungarns, notfalls den Krieg mit Rußland riskieren zu wollen, um Serbien zu bestrafen, und somit auch für Deutschland den Bündnisfall eintreten zu lassen,] aus den Worten des österreichischen Botschafters entnehmen zu sollen, als dieser heute mittag ein Memorandum der Regierung in Wien und ein Handschreiben des Kaisers Franz Joseph überreicht hatte. Dies Gespräch habe ich nicht mit angehört, kann mir also kein Urteil darüber erlauben.« Aus dem vom Kaiser vorgelesenen Memorandum und dem Handschreiben Kaiser Franz Josephs hatte Falkenhayn die »Uberzeugung von einem festen Entschluß der Wiener Regierung nicht« gewinnen können. Er glaubte nur, daß die Wiener Regierung sich angesichts der existenzbedrohenden »panslawistischen Treibereien« zu »>energischem< politischem Handeln« entschlossen habe — besonders durch das geplante Bündnis mit Bulgarien, vor dessen Abschluß nach seiner Ansicht mit einer Entscheidung nicht zu rechnen war. Er schrieb: »Der Herr Reichskanzler, der auch in Potsdam war, scheint ebensowenig wie ich daran zu glauben, daß es der österreichischen Regierung mit ihrer immerhin gegen früher entschiedeneren Sprache Ernst ist.« Der Kanzler hatte dem Kaiser den planmäßigen Antritt seiner Nordlandreise empfohlen. Die nächsten Wochen würden keine Entscheidung bringen, meinte Falkenhayn; deshalb brauche Moltke seine Badekur nicht abzukürzen. Diesen Brief habe er nur für den Fall einer immer möglichen Überraschung zu Moltkes Information geschrieben. Falkenhayns Skepsis wird in seinen Formulierungen sehr deutlich. Zu diesem Zeitpunkt glaubte er, auch diese Krise werde so ausgehen wie die vorangehenden — ohne »festes, entschlossenes Handeln« der Politik — und das, obwohl er den Eindruck gewonnen hatte, daß der Kaiser den Krieg wolle13. Wilhelm II. glaubte an eine internationale Isolierung Serbiens wegen der einhelligen Abscheu über das Attentat und war deshalb der Ansicht, daß eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Österreich und Serbien auf den Balkan beschränkt bleiben würde. Deshalb ermunterte er den Bundesgenossen zum Losschlagen und beteuerte nach der Konferenz wiederholt seine Absicht, notfalls auch gegen Rußland Krieg zu führen14. Im übrigen könne das Deutsche Reich nach der jüngsten Heeresvermehrung und dank sei» Ebd. 12 Ebd., S. 309f. » Falkenhayn-Tagebuch, 2 8 . 7 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-10/50635. 14 Fischer, Krieg, S. 692.
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пег Überlegenheit an schwerer Artillerie auch dem unwahrscheinlichen Fall eines Krieges mit Ruhe entgegensehen. Mit Falkenhayn war sich der Kaiser einig, daß Österreich das Ultimatum an Serbien stellen solle und daß Deutschland im Falle eines russischen Eingreifens seinem Bündnispartner beistehen müsse15. Der bei der Besprechung am 5. Juli ebenfalls anwesende Generaladjutant des Kaisers, Generaloberst v. Plessen, notierte als Ergebnis der Beratungen in seinem Tagebuch: »Bei uns herrscht die Ansicht, daß die Österreicher je früher je besser gegen Serbien losgehen und daß die Russen — obwohl Freunde Serbiens — doch nicht mitmachen16.« Auch wenn Plessen und Falkenhayn aus der Besprechung unterschiedliche Eindrücke mitgenommen hatten — Plessen glaubte im Gegensatz zu Falkenhayn an ein energischeres österreichisches Vorgehen gegen Serbien — bleibt ein wichtiges Faktum festzuhalten: Die Bedeutung der Vorgänge und die Ziele des Reichskanzlers sind offenbar von den militärischen Teilnehmern an der Konferenz des 5. Juli 1914 falsch eingeschätzt worden. Am Abend des 8. Juli 1914 trat Falkenhayn eine Dienstreise an; anschließend machte er vierzehn Tage Urlaub, die er wie in den Vorjahren mit seiner Familie auf der Nordseeinsel Juist verbrachte17. Auffallend viele hohe Militärs und der Kaiser gingen im Juli 1914 in den Urlaub. Es entstand im nachhinein der Verdacht, daß die deutsche Diplomatie damit ein Täuschungsmanöver beabsichtigt habe — sei es zur Beruhigung der Kriegsfurcht, sei es zur Tarnung militärischer Vorbereitungen. Wenn das so war, dann handelte es sich um ein Spiel des Reichskanzlers, das ohne Mitwissen der Militärs durchgeführt wurde. Falkenhayn glaubte tatsächlich daran, daß keine unmittelbare Kriegsgefahr bestehe, ebenso Moltke. Darauf deutet auch die gerade in diesen Tagen geführte Diskussion zwischen Moltke und Falkenhayn über Aufrüstungsschritte, die erst ab 1916 greifen sollten18. Ermutigt durch das deutsche Drängen und das Versprechen, bei russischem Eingreifen in den Krieg einzutreten, stellte Österreich-Ungarn den Serben am 23. Juli 1914 ein scharfes Ultimatum, dem Serbien weitgehend, nach dem Versprechen russischer Hilfeleistung aber nicht vollständig nachzukommen bereit war. Daraufhin brach Wien die diplomatischen Beziehungen zum Balkankönigreich ab. Inzwischen war den Großmächten klargeworden, welche Folgen ein serbisch-österreichischer Krieg haben mußte. Die Bündnisverpflichtungen zwangen Rußland zur Hilfe für Serbien, Deutschland zur Hilfe für Österreich, Frankreich zur Hilfe für Rußland. Nur England und Italien hatten innerhalb ihrer vertraglichen Bindungen einen größeren Spielraum. Schlimmer noch war, daß es für die europäischen Mächte auch ein Gebot des politischen Uberlebens zu sein schien, nicht tatenlos zuzusehen, wie der gegnerische Staatenblock ihre Bündnispartner besiegte. 15
16 17
18
Nach einem Bericht über eine Unterhaltung des Kaisers am 6 . 7 . 1 9 1 4 mit Generalleutnant v. Bertrab, dem zu dieser Zeit rangältesten Offizier des Generalstabs, siehe Fischer, Krieg, S. 690 f.; Wegerer, Ausbruch I, S. 134. Deutschland im ersten Weltkrieg I, S. 220. Schreiben des Zentralamts des Reichswehrministeriums vom 1 6 . 1 0 . 1 9 1 9 , in: Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch I, S. X X f. Die entsprechenden Briefe vom 8.—18.7.1914 wurden bereits behandelt: S. 133—135.
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Was Falkenhayn über die politische Lage dachte, während er auf Juist Ferien machte, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich glaubte er nicht an den kurz bevorstehenden Ausbruch eines Krieges. Hatte doch vor drei Jahren auch die Zweite Marokkokrise nicht zum Krieg, sondern nur zu einer schweren Niederlage der — nach Falkenhayns Ansicht entschlußschwachen und mutlosen — deutschen Diplomatie geführt. Diesmal waren außerdem weder England noch Deutschland direkt in den Konflikt verwickelt, sondern nur Osterreich-Ungarn und Rußland, und dem ersteren traute Falkenhayn offensichtlich keine entschlossene Politik zu. Aus den Memoiren anderer hoher Offiziere des Generalstabs geht hervor, daß die militärische Führungsspitze des Deutschen Reichs die Wahrscheinlichkeit eines Krieges als nicht sehr groß ansah19. Auch Falkenhayn machte da — wie aus dem Brief an Moltke hervorgeht — keine Ausnahme. Außerdem wurde der Krieg allgemein nicht als eine große Gefahr angesehen — dazu war das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Armee zu fest20. Falkenhayn hatte nach der Zweiten Marokkokrise den Krieg sogar dann befürwortet, wenn er machtpolitisch keinen Gewinn bringen könne21. Nach dem Krieg wurde — sicher zu Recht — behauptet, Falkenhayn habe sich danach gesehnt, sein militärisches »Können mit der Wirklichkeit zu messen«22. Ethische Bedenken gegen den Krieg erschienen ihm, dem ausgeprägten Sozialdarwinisten, als unerlaubte Gefühlsregung. Er wollte den Krieg als Ereignis an sich, aus machtpolitischen Gründen, als Jungbrunnen für die inneren und äußeren Verhältnisse. Immer wieder hatte er die Langeweile und Ode des militärischen Friedensbetriebs beklagt und sich leidenschaftlich den richtigen Einsatz gewünscht, den ersten scharfen Schuß ersehnt. Mit dieser Einstellung war Falkenhayn kein Einzelfall; ebenso wie er sahen viele Europäer des Jahres 1914 dem Krieg mit einer Mischung aus Sportsgeist und Enthusiasmus entgegen23. 19
Groener, Lebenserinnerungen, S. 141, berichtet über die Sorglosigkeit des Generalstabs bis zum 23. Juli — dem Tag des österreichischen Ultimatums, seit dem er den Krieg für »kaum vermeidbar« gehalten habe. Generalleutnant v. Freytag-Loringhoven war zusammen mit dem Kaiser an Bord der »Hohenzollern« auf Nordlandreise. In seinen Memoiren behauptet auch er, den Ernst der Lage erst bei Bekanntwerden des österreichischen Ultimatums begriffen zu haben. Freytag-Loringhoven, Menschen, S. 187. Der bayerische Militärbevollmächtigte, General v. Wenninger, schrieb im Sommerurlaub in Bornholm in sein Tagebuch: »Eine friedlichere Sommeridylle als in den Klippen von Bornholm habe ich noch nie erlebt. Der Fürstenmord von Sarajevo gehörte anscheinend der Geschichte an. Sommer-Ruhe im internationalen Blätterwald. Da kam am 24.7. [1914] das österr. Ultimatum.« Wenninger-Tagebuch, 2 4 . 7 . 1 9 1 4 , in: BHStA-KA, HS 2546. Auch Oberstleutnant v. Wrisberg aus dem Kriegsministerium spricht in seinen Memoiren von einem »harmlosen« Urlaub an der Nordsee. Wrisberg, Heer, S. 1.
20
Lutz, Politik, S. 343, zitiert einen Bericht Lerchenfelds über die »absolut zuversichtliche« Stimmung der »hiesigen militärischen Kreise« bei Kriegsausbruch. Siehe auch ebd., S. 193 f., sowie die Tagebuchaufzeichnungen Wenningers (BHStA-KA, HS 2546), dort zahlreiche Belege für eine höchst optimistische Stimmung.
21
Siehe S. lOOf. Die »Frankfurter Zeitung« vom 13.4.1922 schrieb in einem Nachruf auf Falkenhayn: »In Friedenstagen sehnten sich fähige Generale danach, ihr Können mit der Wirklichkeit zu messen. Das ist menschlich verständlich; gefährlich wurde dieses Streben nur dann, wenn es — auch auf unsichtbarem Wege — auf die Politik Einfluß gewann.« Joll, Ursprünge, S. 286.
22
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Am 24. Juli kehrte Falkenhayn aus Juist zurück und trat am nächsten Morgen seine Geschäfte wieder an. Inzwischen hatte Österreich-Ungarn die serbische Antwort auf sein Ultimatum abgelehnt, die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und eine gegen Serbien gerichtete Teilmobilmachung eingeleitet. Falkenhayn begriff nunmehr, daß die Donaumonarchie tatsächlich Ernst machen wollte. Er kommentierte die Ablehnung der auf den ersten Blick sehr weitgehenden serbischen Zugeständnisse in seinem Tagebuch mit der Feststellung, daß Osterreich diese serbische Antwort für unzureichend erklärt habe, »wie es jede [Antwort] für unzureichend erklärt haben würde. Es will eben die große Abrechnung24.« Bis zum Erlaß des Ultimatums an Serbien hatten Reichskanzler und Auswärtiges Amt den österreichischen Bundesgenossen vorwärtsgedrängt, den Kaiser in seiner harten Haltung bestärkt und das Risiko eines Kontinentalkrieges mit Rußland bewußt einkalkuliert. Als dann deutlich wurde, daß Rußland nicht nachgeben und von Frankreich unterstützt werde, daß auch Großbritannien nicht neutral bleiben wolle, schreckte die zivile Reichsleitung zurück und versuchte einen mäßigenden Einfluß auf Osterreich auszuüben. Das Vorwärtsdrängen übernahmen nun die Militärs, die bisher vom Reichskanzler nicht beteiligt worden waren und keine führende Rolle hatten spielen können. Am 26. Juli erschien Moltke aus Karlsbad und sprach noch am selben Abend mit Falkenhayn. Moltke hielt jedoch »irgendwelche Maßnahmen unsererseits für verfrüht«25. Am 27. Juli kam auch Wilhelm II. nach Berlin zurück. Er wurde zunächst vom Reichskanzler, vom Generalstabschef, von den Kabinettchefs und dem Chef des Admiralstabes über die Lage informiert. Falkenhayn, der an den Besprechungen nicht teilnahm, hörte anschließend »unter der Hand«, daß nun beschlossen sei, die Sache durchzufechten, »koste es, was es wolle«26. Doch diese Information war nicht richtig. Zwar hatte der Kaiser Anfang Juli die Österreicher zum harten Vorgehen gegen die Serben ermuntert und seine Bereitschaft zum Krieg beteuert27, schrieb jetzt aber unter die serbische Antwortnote: »Eine brillante Leistung für eine Frist von bloß 48 Stunden. Das ist mehr als man erwarten konnte! Ein großer moralischer Erfolg für Wien; aber damit fällt jeder Kriegsgrund fort. [...] Darauf hätte ich niemals Mobilmachung befohlen28.« Am Morgen des 28. Juli schrieb Wilhelm II. an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, v. Jagow, daß angesichts der »Kapitulation demüthigster Art« Serbiens »jeder Grund zum Kriege« weggefallen sei. Die österreichische Armee solle sich darauf beschränken, ein Faustpfand, zum Beispiel Belgrad, als Garantie für die Erfüllung der Zugeständnisse zu besetzen29. Er ließ auch Moltke schriftlich mitteilen, daß durch die Erfüllung der österreichischen Forderungen 24
Zwehl, Falkenhayn, S. 56.
25
Ebd.
26
Falkenhayn-Tagebuch, 2 7 . 7 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W - l 0 / 5 0 6 3 5 .
27
Fischer, Krieg, S. 691 f.
28
Marginalie des Kaisers unter der Abschrift der serbischen Antwortnote, Fischer, Krieg, S. 703; Wegerer, Ausbruch I, S. 374.
29
Ebd., S. 375.
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durch Serbien »für Österreich-Ungarn der Anlaß zum Kriege fortfällt«. Dem englischen Wunsch nach Vermittlung wollte er deshalb nachkommen30. Hier war genau jene Situation eingetreten, die Falkenhayn in seinen Briefen an Hanneken immer wieder, besonders nach der Agadirkrise, beklagt hatte: Es bestand seiner Ansicht nach die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Krieges, aber der Kaiser versuchte ihn aus moralischen Erwägungen zu verhindern. Mehr als einmal hatte er gefordert, daß der »>große< Friedenskaiser« Wilhelm II. durch seine Ratgeber zum Krieg gedrängt werden solle31. Im Juli 1914 war Falkenhayn selber Ratgeber des Kaisers und konnte den Versuch unternehmen, den bremsenden Monarchen und die Diplomatie zu überspielen, um den Kriegsausbruch zu beschleunigen. Bereits am 27. Juli hatte Falkenhayn auf die Gerüchte hin, daß eine kompromißlose Linie beschlossen sei, alle Garnisonen, die noch nicht zu den Truppenübungsplätzen abgerückt waren, in ihren Standorten festgehalten, die Eisenbahnbehörden zum »Bahnschutz« veranlaßt sowie im westlichen Aufmarschgebiet »Weizen in großem Umfang« einkaufen lassen32. Einen Tag später versuchte er beim Reichskanzler durchzusetzen, daß auch die sich schon außerhalb der Kasernen befindlichen Truppen zu ihren Standorten zurückbeordert wurden. Als Bethmann ablehnte, fuhr Falkenhayn zum Neuen Palais nach Potsdam und erwirkte dort die Zustimmung des Kaisers33. Obwohl er sich mit seinem Vorschlag gegen den Kanzler durchgesetzt hatte, beurteilte Falkenhayn die Haltung des Kaisers sehr ungünstig. Er schrieb in sein Tagebuch: »Er hält wirre Reden, aus denen nur klar hervorgeht, daß er den Krieg jetzt nicht mehr will und entschlossen ist, um diesen Preis selbst Osterreich sitzen zu lassen. Ich mache ihn darauf aufmerksam, daß er die Angelegenheit nicht mehr in der Hand hat34.« Daß dies in der Tat so war, lag nicht zuletzt an der Verselbständigung des militärischen Apparates in Deutschland wie auch in den anderen Ländern. So dienten die von Falkenhayn veianlaßten Maßnahmen — Bahnschutz, Weizenankauf, Rückführung der Truppen von den Übungsplätzen in die Garnisonen — bereits schon der Vorbereitung der Mobilmachung, ließen sich aber noch geheimhalten. Nicht zu verbergen war dagegen der »Zustand drohender Kriegsgefahr«, eine Vorstufe der Mobilmachung, die schon durch ihren Namen bestimmte Erwartungen wecken mußte, und die Falkenhayn bald energisch bei Kaiser und Kanzler durchzusetzen versuchte. Schon in diesem Stadium zeigte sich deutlich das Dilemma, das den Spielraum der Diplomatie zunehmend einzuengen begann: Militärisch konnten frühe Gegenmaßnahmen gegen fremde Vorbereitungen sinnvoll sein; politisch waren sie jedoch verhängnisvoll, Ebd., S. 376. Anfang 1913 hatte er bedauert, daß Moltke allein mit Wilhelm II. um den Krieg kämpfen müsse und deshalb einen schweren Stand habe. Siehe Kap. III, 7. 32 Falkenhayn-Tagebuch, 2 7 . 7 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-l0/50635. 33 Der bayerische Militärbevollmächtigte, General v. Wenninger, schrieb am 2 9 . 7 . 1 9 1 4 an den bayerischen Kriegsminister: »Nur mit Mühe gelang es dem Kriegsminister, gestern die Zustimmung des Reichskanzlers zur Zurückberufung aller Truppenteile in die Standorte durchzusetzen; es gelang dies nur durch den Hinweis auf die gleiche Maßregel in Frankreich.« In: Geiss, Julikrise II, Dok. 704. " Falkenhayn-Tagebuch, 2 8 . 7 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-l0/50635. 30 31
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weil sich die Aktionen der Großmächte gegenseitig hochschaukelten und zur Verschärfung der internationalen Krise beitrugen. In dieser Phase hat Falkenhayn sehr viel schärfer als Moltke auf diese kriegsvorbereitenden Anordnungen gedrungen35. Am 28. Juli 1914 erfolgte die österreichische Kriegserklärung an Serbien. Rußland war nun entschlossen, eine militärische Unterwerfung seines serbischen Verbündeten nicht hinzunehmen36, und traf entsprechende militärische Vorbereitungen, die sich gegen Osterreich richteten: die russische »Kriegsvorbereitungsperiode«, die im wesentlichen dem von Falkenhayn avisierten deutschen »Zustand drohender Kriegsgefahr« entsprach. Vier russische Militärbezirke wurden mobilgemacht, in anderen diese Maßnahme vorbereitet. Diese Schritte Rußlands beunruhigten vor allem die Militärs. Moltke konstatierte in einer Denkschrift vom 28. Juli, daß die russischen Vorbereitungen sich gegen die österreichische Teilmobilmachung richteten. Sobald Osterreich in Serbien einmarschiere, werde Rußland mobilmachen und dadurch die österreichische Vollmobilmachung auslösen. Wegen des dann drohenden Konflikts zwischen Österreich und Rußland trete für Deutschland und danach auch für Frankreich der Bündnisfall ein. »Dieser schreckliche Krieg«, wie Moltke in der Denkschrift schrieb, »der die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus vernichten wird«, war in drohende Nähe gerückt37. Luigi Albertini schließt in seiner umfassenden Analyse der Julikrise aus diesen Sätzen zu Recht, daß Moltke »have been somewhat more cautious than the War Minister Falkenhayn« 38 . Das wird deutlich, wenn diese Äußerungen des von Skrupeln geplagten Moltke dem Drängen Falkenhayns nach Vorbereitungen für die Mobilmachung entgegengestellt werden. Er notierte am 29. Juli 1914 in sein Tagebuch: »Morgens sichere Nachrichten, daß Frankreich und England (letzteres mit Flotte) mobil machen und wir sitzen ruhig!!! Sitzung beim Reichskanzler über Kriegszustand in Berlin. Er bleibt natürlich dabei. Mit Moltke zum Reichskanzler, um ihn für Ausübung des mil. Schutzes von wichtigeren Verkehrskunstbauten zu gewinnen. Dies Vorschlag Moltkes während ich mehr für Ausspruch der >drohenden Kriegsgefahr bin. Reichskanzler natürlich für ersteren Vorschlag. Mit Moltke zu S.M., er hörte auf Reichskanzler39. Bei S.M. Stimmung wieder umgeschlagen. Glaubt, wie er sagt, daß Kugel, die ins Rollen gekommen, nicht mehr aufzuhalten ist. Stimmt dem entsprechend meiner Ansicht zu, fällt aber, als ihn Reichskanzler und verwunderlicherweise auch Moltke im entgegengesetzten Sinn beeinflussen, um. Es bleibt also beim Beschluß. Übrigens habe ich Verständnis für diese Entscheidung; denn wer noch an die Erhaltung des Friedens glaubt, oder sie wenigstens wünscht, kann natürlich dem Ausspruch der drohenden Kriegsgefahr bei uns nicht beitreten. Frei-
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Dieser Meinung ist auch Albertini, Origins II, S. 491: »Since in the talk on the morning of the 29th Moltke did not at all support the extremist views of Falkenhayn.« Allerdings wechselten Moltkes Ansichten zum Kriegsausbruch in diesen Tagen mehrfach. Fischer, Krieg, S. 4 0 7 - 4 0 9 . Wegerer, Ausbruch II, S. 71 f.; Lutz, Politik, S. 2 0 1 - 2 0 3 . Albertini, Origins II, S. 490; Lutz, Politik, S. 191 ff. Bei dieser Sitzung am Nachmittag des 29. Juli war beim Kaiser im Neuen Palais in Potsdam die politische und militärische Führungsspitze des Deutschen Reiches versammelt: Bethmann Hollweg, Falkenhayn, Moltke, Lyncker, Tirpitz, Müller, Pohl.
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lieh kommen wir durch diese Entscheidung militärisch in Nachteil, aber wenn das Moltke zu vertreten in der Lage ist, kann ich mich nicht widersetzen40.« Falkenhayn war sich also über die Verschärfung der internationalen Lage durch deutsche militärische Vorbereitungen sehr wohl im klaren, wollte dies aber bewußt in Kauf nehmen. Bethmann mußte versuchen, sich dem Drängen Falkenhayns nach Ausrufung des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« so lange wie möglich zu entziehen, wenn noch Spielraum für Verhandlungen gewonnen werden sollte. Schon am 18. Juli hatte er sich zu den negativen politischen Auswirkungen des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« geäußert und befürchtet, daß sie nicht durch ihren militärischen Nutzen ausgeglichen werden könnten 41 . Diese Vorstufe der Mobilmachung war tatsächlich mit weitgehenden innenpolitischen Folgen verbunden: Die ausführende Gewalt ging von den Zivilbehörden auf die Stellvertretenden Generalkommandos über, womit Deutschland für die Dauer des Belagerungszustandes den »Charakter einer Militärdiktatur« annahm, wie der preußische Innenminister v. Loebell 1916 in einer Denkschrift feststellte42. Unter anderem konnten die Militärbehörden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Beschlagnahme von kriegswichtigen Gütern, Lebensmittelverteilung, Einrichtung von Stand- und Kriegsgerichten sowie eine Pressezensur verhängen. Dadurch besaßen sie die Möglichkeit, gegen politische Unruhen vorzugehen. Seit 1906 wurden sogar Listen sozialdemokratischer Funktionäre angefertigt, die bei Ausrufung des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« verhaftet werden sollten, und ständig auf den neuesten Stand gebracht43. Derart einschneidende Maßnahmen konnten nicht lange ohne Grund verhängt werden; deshalb war nach zwei Tagen die Ausrufung der Mobilmachung fest eingeplant44. Die Mobilisierung der deutschen Armee mußte bei drohendem Zweifrontenkrieg nach Urteil der Experten zum Krieg führen, weil der Aufmarsch nach dem Schlieffenplan die rasche Einleitung militärischer Aktionen auf fremdem Territorium vorsah und der Diplomatie so gut wie keinen zeitlichen Spielraum mehr ließ. Moltke selbst stellte in einem Gespräch mit dem österreichischen Verbindungsoffizier Fleischmann am 30. Juli fest, daß, im Gegensatz zu den häufigen russischen (Teil)mobilisierungen, die deutsche Mobilmachung unausweichlich den Krieg bedeuten müsse45. 40
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Falkenhayn-Tagebuch, 29.7.1914, in: BA-MA-P, W-10/50635; siehe auch Wegerer, Ausbruch II, S. 73; Zwehl, Falkenhayn, S. 56. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vergleich mit dem Bericht des württembergischen Gesandten v. Varnbüler. Dieser hatte von dem Militärbevollmächtigten, General v. Graevenitz, erfahren, daß es in dieser Sitzung scharfe Auseinandersetzungen zwischen ziviler und militärischer Gewalt gegeben habe. Falkenhayn und Moltke hätten angesichts der französischen Kriegsvorbereitungen und der russischen Mobilmachung dringend deutsche Gegenmaßnahmen gefordert — gemeint ist die Ausrufung des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« —, was der Kanzler abgelehnt habe, um noch weitere Zeit zum Verhandeln zu retten. In: Wegerer, Ausbruch, II, S. 112. Fischer, Krieg, S. 698. Deutschland im ersten Weltkrieg II, S. 414. Zum Belagerungszustand siehe ebd., S. 412ff. Deutschland im ersten Weltkrieg I, S. 127. Lutz, Politik, S. 231, Anm. 2, verweist auf eine entsprechende Äußerung des bayerischen Militärbevollmächtigten v. Wenninger. Albertini, Origins II, S. 672.
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Die führenden Militärs des Kriegsministeriums — Falkenhayn und seine Mitarbeiter — wurden bei ihrem Drängen um weitergehende Vorbereitungen von verschiedenen Motiven geleitet: Einerseits hatten sie die Befürchtung, gegenüber den anderen Mächten in Rückstand zu kommen, beurteilten die Maßnahmen der Entente-Staaten nach ihren stark schematisierenden Vorschriften über die »Anhaltspunkte für das Erkennen von Kriegsvorbereitungen«46, betrachteten den Krieg als unausweichlich und hielten eine Verzögerung der Vorbereitungen für unverantwortlich. Andererseits wußten Falkenhayn und die hohen Offiziere des Kriegsministeriums jedoch genau, daß die von ihnen verlangten Maßnahmen wie die Rückberufung der Urlauber und der Bahnschutz die internationale Krise weiter verschärfen und zur Mobilmachung und damit unaufhaltsam in den Krieg führen mußten. Dieser Entwicklung sahen sie offenbar mit einer gewissen Zufriedenheit und Zuversicht entgegen. Am 29. Juli sagte Generalmajor Wild v. Hohenborn, der als Departementsdirektor im Kriegsministerium einer der engsten Mitarbeiter Falkenhayns war, zum sächsischen Militärbevollmächtigten Leuckart: »Wir gleiten langsam aber sicher in eine Mobilmachung47.« Die Auseinandersetzung, ob die russische Teilmobilmachung vom Vortag durch einen entsprechenden deutschen Schritt beantwortet werden müsse, wurde am Abend des 29. Juli im Reichskanzlerpalais fortgesetzt. Falkenhayn notierte in sein Tagebuch: »Abends Besprechung beim Reichskanzler mit Moltke und Jagow über die Frage, ob die von Rußland für die Militärbezirke Moskau, Kasan, Odessa, Kiew ausgesprochene Mobilmachung für uns ein Anlaß sei, auch zu mobilisieren. Sie wird gegen leises, sehr leises48 Widerstreben Moltkes vom Reichskanzler verneint, weil er der Ansicht ist, daß, da nach einer Mitteilung Sasonows an Pourtales [den deutschen Botschafter in Petersburg] die Mobilisierung Rußlands noch nicht den Krieg bedeute, der Bündnisfall noch nicht gegeben sei. Wir müßten aber das Eintreten dieses Falles abwarten, weil wir sonst die öffentliche Meinung weder bei uns noch in England für uns haben würden. Letzteres sei erwünscht, denn nach Ansicht des Reichskanzlers würde England nicht auf Seiten Rußlands stehen können, wenn dieses durch einen Angriff auf Osterreich die allgemeine Kriegsfurie entfessele und damit die Schuld für den großen Kladderadatsch auf sich nehmen würde. Dazu ist zu sagen, daß England noch stets da gestanden hat, wo sein Vorteil war, und daß ich persönlich die Mitteilungen Sasonows für direkte Lüge halte, ebenso wie die Eröffnung des russischen Kriegsministers und Generalstabschefs an den Militärattache v. Eggeling in Petersburg. Ich habe dies aber nicht etwa dem Reichskanzler erwidert, denn es ist seine Sache, die Politik zu leiten, und er darf darin nicht durch militärische Ratgeber gestört werden, solange nicht ein wesentliches militärisches Interesse in Frage kommt49. Das ist aber nicht der Fall, denn es ist anzunehmen, daß unsere Mobilmachung, auch wenn sie 2—3 Tage später als die russische und österreichische erfolgt, immer noch schnel46 47 48 49
BA-MA-P, OHL 895. Geiss, Julikrise II, Dok. 705. Von Falkenhayn zweimal unterstrichen! Bei Zwehl, Falkenhayn, S. 57, irrtümlich: »[...] denn es ist nicht meine Sache, die Politik zu leiten, und darf darin nicht durch militärische Ratgeber gestört werden [...].«
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ler verläuft als diese. Wenn wir entschlossen gehandelt hätten, würden wir entsprechend meinem Vorschlage heute früh die drohende Kriegsgefahr verhängt haben. Jetzt kommt es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an 50 .« Diese Tagebucheintragung belegt, wie sehr der Reichskanzler aus innen- wie außenpolitischen Gründen darauf aus war, Rußland die Kriegsschuld zuzuschieben51, und daß Falkenhayn mit der sicheren Gegnerschaft Englands in einem Konflikt rechnete und deshalb die Bemühungen um die englische Neutralität für zwecklos hielt. Am nächsten Tag — dem 30. Juli — war eine Sitzung des Staatsministeriums anberaumt. Bethmann Hollweg gab einen Uberblick über die politischen Verhandlungen und die wahrscheinlichen russischen Absichten. Rußland habe erklärt, »seine Mobilmachungsmaßnahmen seien mit den westeuropäischen nicht zu vergleichen. Die russischen Truppen könnten in diesem Mobilmachungszustand wochenlang stehen bleiben. [...] Die Erklärung der drohenden Kriegsgefahr [in Deutschland] bedeute [hingegen] die Mobilmachung und diese unter unseren Verhältnissen — Mobilmachung nach beiden Seiten — den Krieg.« Auf jeden Fall legte er »größten Wert darauf [...], Rußland als den schuldigen Teil hinzustellen«, was nach der entgegenkommenden serbischen Antwortnote um so nötiger sei, um die Kritik von Österreich-Ungarns harter Haltung abzulenken. Bethmann meinte, daß »die Mehrheit der Völker an sich friedfertig sei, aber es sei die Direktion verloren und der Stein ins Rollen geraten«. Trotzdem wolle er seine Bemühungen um Erhaltung des Friedens nicht aufgeben. Der Reichskanzler lehnte deshalb den von der militärischen Seite geforderten »Zustand drohender Kriegsgefahr« ab52. Die beiden anwesenden Militärs, Falkenhayn und Tirpitz, versuchten, die Notwendigkeit des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« vor diesem Gremium zu verhandeln, was Bethmann Hollweg jedoch zu verhindern wußte. Noch während der Sitzung bat der Kanzler Tirpitz und Falkenhayn, der auch Moltke hinzuholen ließ, zu weiteren Besprechungen ins Reichskanzlerpalais, um die Frage militärischer Vorbereitungen in diesem kleinen Kreis klarzustellen. In der erregten Debatte verlangte Falkenhayn die Anordnung des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« und bezeichnete es als »allmählich unerträglich, daß wir einerseits von den Beschlüssen der Österreicher und andererseits uns davon abhängig machen, was Rußland tut, obgleich dessen Land hermetisch abgeschlossen ist, und wir gar nichts davon erfahren«. Die Berater des Reichskanzlers hofften — so Falkenhayn — auf ein Wunder; Demarchen seien allerdings genug im Gange, aber daß sie wirken würden, glaube er kaum 53 . Am Abend schlug Moltkes Stimmung um. Zusammen mit Falkenhayn erstritt er vom Reichskanzler ein wichtiges Zugeständnis: die Erklärung des »Zustandes der drohenden Kriegsgefahr«. Falkenhayn vermerkte in seinem Tagebuch: »Am späten Abend beim Reichskanzler eine Auseinandersetzung zwischen ihm und Moltke darüber, wer die Verantwortung für einen etwaigen Krieg zu tragen hat. Moltke und ich setzen schließlich 50 51 52
53
Falkenhayn-Tagebuch, 29.7.1914, in: BA-MA-P, W-l 0/50635. Dazu Fischer, Krieg, S. 711. Protokoll der Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 30.7.1914, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 1269/1. Falkenhayn-Tagebuch, 30.7.1914, in: BA-MA-P, W-10/50635.
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durch, daß spätestens morgen mittag die Entscheidung über die Erklärung der drohenden Kriegsgefahr ergehen muß. Moltke spricht sich in sehr entschiedener Weise für den Krieg sans phrase aus. Seine Stimmungswechsel sind kaum oder gar nicht zu erklären 54 .« In der Nacht sah Moltke, dem die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewußt war, den Weltkrieg kommen 55 . Unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehend, schilderte er seinem Adjutanten, Major v. Haeften, die Situation. Sollten die Russen gegen Osterreich mobilmachen, trete für Deutschland der Bündnisfall ein. Durch die deutsche Mobilmachung werde der Krieg unvermeidlich. Diplomatische Verhandlungen könnten den Ausbruch des Konfliktes zwar noch verzögern, es aber den dann gerüsteten Gegnern gestatten, den Krieg gleich zu Beginn in deutsches Gebiet zu tragen. Auch England werde in den Konflikt eingreifen, der sich dadurch zum Weltkrieg weite. Morgen müsse er dem Kaiser angesichts der russischen Kriegsvorbereitungen die Mobilmachung anraten56. Unter dem Vorzeichen der beschlossenen Verhängung des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« waren alle Beteiligten am nächsten Morgen — dem 31. Juli 1914 — sehr nervös. Besonders, weil der Generalstabschef schlechte Nachrichten mitbrachte. Falkenhayn notierte: »Moltke teilt mit, er habe Nachricht über Ausspruch der Mobilisierung in verschiedenen Grenzorten des Königreichs Polen. W i r treffen uns beim Reichskanzler. Es stellt sich heraus, daß die Moltkeschen Nachrichten noch nicht nachgeprüft sind. W i r beschließen, daß dies sofort geschehen soll und wenn Bestätigung erlangt, die >drohende Kriegsgefahr ausgesprochen wird. Moltke leider sehr nervös. (Gespräch mit Alienstein!) Mittags wieder zum Reichskanzler. Moltke hat noch keine Bestätigung. Während wir sprechen, trifft eben das Telegr[amm] von Pourtales mit der Nachricht ein, daß Rußland um Mitternacht die Mobilisierung des ganzen Heeres und der ganzen Flotte angeEbd. Moltke hatte im Bewußtsein der Konsequenzen lange gebraucht, sich klar für den Krieg zu entscheiden. Der sächsische Militärbevollmächtigte, General v. Leuckart, hatte schon am 29.7.1914 geschrieben: »Zweifelsfrei steht fest, daß der Herr Chef des Generalstabes für den Krieg ist [...]«. Geiss, Julikrise II, Dok. 705. Auch Wenninger bemerkte am 29.7., Moltke setzte »seinen ganzen Einfluß darein, daß die selten günstige militärische Lage zum Losschlagen genützt werden solle«, ebd., Dok. 704. Die Ursachen seiner schwankenden Haltung hat die Literatur der Zwischenkriegszeit lebhaft beschäftigt. Siehe etwa Lutz, Politik, S. 191, der annimmt, daß Moltkes Haltung ohnehin geschwankt habe und am 30.7.1914 durch die Angst vor einem möglichen Abspringen Österreichs beeinflußt worden sei. Siehe auch ebd., S. 206, 230 ff.; Wegerer, Ausbruch II, S. 129; Zwehl, Falkenhayn, S. 57 f. 55 Wegerer, Ausbruch II, S. 122 f. 56 Die Ursache von Moltkes Unruhe war eindeutig die beschlossene Verkündigung des »Zustandes der drohenden Kriegsgefahr« mit all ihren Konsequenzen. Dieser Beschluß ist allein aus Falkenhayns Tagebuch bekannt. Auch über diese Frage — warum Moltke so besorgt gewesen sei — spekulierte die Literatur der Zwischenkriegszeit in Unkenntnis dieser Quelle. Wegerer, Ausbruch II, behauptet unter Berufung auf die Darstellung Haeftens, daß Moltke schon zu diesem Zeitpunkt Agentenmeldungen von der russischen Mobilmachung bekannt gewesen seien. Die Ausführungen von Albertini, Origins III, S. 25, sind in sich schlüssiger. Albertini gibt zu bedenken, daß Moltke relevante Nachrichten über den tatsächlich am Abend des 30.7. erfolgten russischen Mobilmachungsbefehls nicht nur seinem Adjutanten mitgeteilt hätte. Tatsächlich sprach Moltke nur von weitgehenden russischen Kriegsvorbereitungen. Siehe auch ebd., S. 26, mit einem Bericht des Chefs des deutschen Nachrichtendienstes, Major Nicolai, der angibt, daß Moltke erst am Morgen des 31.7. von der russischen Mobilmachung erfahren habe. 54
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ordnet hat. Sofort wird vom Kaiser telefonisch der Befehl erbeten, wodurch der Zustand drohender Kriegsgefahr über das Reich verhängt wird57. Auch wird ihm vorgeschlagen, jetzt nach Berlin in's Schloß zu kommen. An Rußland soll ein 12stündiges Ultimatum abgehen, entweder es verpflichtet sich sofort alle Maßnahmen gegen uns und Osterreich einzustellen, oder wir würden mobilisieren, was den Krieg bedeute. Bei Frankreich wird mit 18stündiger Frist gefragt, wie es sich bei einem Krieg zwischen Deutschland und Rußland stellen würde. Antwortet es ausweichend oder neutral, so soll es aufgefordert werden, uns Toul und Verdun als Faustpfand für die Dauer des Krieges einzuräumen58.« Der »Schwarze Peter«59 der ersten Mobilmachungserklärung war zur großen Zufriedenheit der deutschen Regierung bei Rußland gelandet. Die Militärs konnten jetzt die von ihnen gewünschten Maßnahmen in Richtung auf eine Mobilmachung veranlassen und die Politiker, allen voran Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, wie gewünscht die Russen im In- und Ausland als die Schuldigen am Krieg, als die Angreifer hinstellen. Die deutsche Diplomatie ging auch fest davon aus, daß Frankreich seine Bündnisverpflichtungen gegenüber Rußland erfüllen werde und es deshalb keine Neutralitätserklärung abgeben könne. Sollte es wider Erwarten doch dazu kommen, mußte die provokante und für Frankreich unannehmbare Forderung nach der Überlassung von Toul und Verdun einen französischen Kriegseintritt selbst dann unausweichlich machen, wenn die Franzosen den besten Willen zur Neutralität gehabt hätten60. Wilhelm II. konnte sich jetzt nicht mehr den Forderungen der Militärs widersetzen, für Deutschland den »Zustand drohender Kriegsgefahr« zu verkünden. Der bayerische Militärbevollmächtigte v. Wenninger hat überliefert, daß dem Kaiser diese Entscheidung von Falkenhayn »abgerungen« worden sei61. Dies trifft aber nicht zu. Ein Meinungsumschwung des Monarchen nach Eintreffen der Nachricht von der russischen Mobilmachung machte es überflüssig, ihm diesen Entschluß »abringen« zu müssen. Die Stimmung bei der Unterzeichnung der Order schildert Falkenhayn in seinem Tagebuch: »Zwischen 2 und 3 Uhr zu S.M. in den Sternensaal. Er [gibt] ein Expose über die Lage, in dem Rußland die ganze Schuld zugeschoben wird. Seine Haltung und Sprache hier würdig eines deutschen Kaisers! würdig eines preußischen Königs. Die Ordre über die drohende Kriegsgefahr wird auf meiner Hand im Stehen unterzeichnet. Danach liest Moltke den von dem Major v. Haeften verfaßten Entwurf zu einem Aufruf an das Volk vor, der so, mit zuweilen fast von Tränen erstickter, aber doch energischer Sprache vorgetragen, einen vortrefflichen Eindruck macht. An dem von demselben Verfasser entworfenen und mir von Moltke übergebenen Aufruf an das Heer werden sehr erhebliche Korrekturen nötig sein. Den Aufruf an das Volk übernimmt, mittlerweile erschienen, der Reichskanzler, wobei er seinem Unmut, daß Moltke ihm da in das Handwerk gepfuscht hat, deutlichen Ausdruck gibt, was zu einem 57 Der Kaiser willigte telefonisch ein; die Order ist von Falkenhayn um 13.00 Uhr erlassen worden. 58 Falkenhayn-Tagebuch, 3 1 . 7 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-l0/50635. 59 Geiss, Julikrise II, S. 339. 60 Siehe auch: Deutschland im ersten Weltkrieg I, S. 281. 61 Wenninger-Tagebuch, 3 1 . 7 . 1 9 1 4 , in: BHStA-KA, HS 2546. Teile des Wenninger-Tagebuchs bei Felix Schulte, Dokumente; der genannte Tagebucheintrag ebd., S. 139 f.
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Zusammenstoß des Reichskanzlers mit S.M. führt. [...] Bei allen diesen Verhandlungen ist der Prinz Heinrich, der Reichskanzler, Plessen, Lyncker, Moltke und ich zugegen. Bemerken muß ich, daß während derselben ein Telegramm des Zaren einläuft, in dem er S.M. beschwört den Frieden zu wahren. Rußlands Mobilisation müsse aus technischen Gründen fortgeführt werden, aber der Zar gebe sein heiligstes Ehrenwort, daß die russischen Truppen keinerlei provokatorische Handlung gegen Deutschland vornehmen würden 62 .« Bezeichnenderweise freute sich Falkenhayn über die Rede des Kaisers, obwohl er sie offensichtlich für sachlich unzutreffend hielt. Seine Formulierung, daß der Kaiser Rußland »die ganze Schuld zugeschoben« habe, ist da sehr vielsagend. Auch kommentierte er die Friedensbeteuerung des Zaren — anders als zum Beispiel die Mitteilungen Sasonows zwei Tage zuvor — nicht etwa als »Lüge«. Falkenhayn bejahte unzweifelhaft die schnellstmögliche Mobilmachung und wünschte sich den Krieg, sah aber die Verantwortlichkeiten dort, wo sie tatsächlich lagen. Das Tagebuch General v. Wenningers gibt ein bezeichnendes Stimmungsbild, wie die kaiserliche Order von Politik und Militär aufgenommen wurde. In der Bundesratssitzung wurde er gefragt, »was das hieße >drohende Kriegsgefahr [...und] erklärte kurz das Merkmal dieses Zustandes mit dem Wort: >Es ist eben Zabern im ganzen Reich.< Alles lacht und ist orientiert 63 .« Ahnlich leicht wurde die Ausrufung des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« in Falkenhayns Ministerium aufgenommen. Wenninger schrieb: »Ich eile ins Kriegsministerium. Uberall strahlende Gesichter, Händeschütteln auf den Gängen, man gratuliert sich, daß man über den Graben ist. Gerüchte von dem Ultimatum auch an Frankreich — einer meint, ob dies denn nötig sei, sich auch Frankreich aufzupacken, das sich doch wie ein Karnickel drücke; General v. Wild meint: >Nur wir möchten die Brüder doch auch dabei haben64.«< Diese Bemerkung zeigt, wie niedrig die französische Armee eingeschätzt wurde, und mit welcher Leichtfertigkeit die militärischen Planer einem großen europäischen Krieg entgegensteuerten. Nach dem Erlaß des »Zustandes drohender Kriegsgefahr« waren sich Falkenhayn und Moltke vollkommen einig, daß nunmehr alles für eine rasche Mobilisierung getan werden müsse. Auch in den deutsch-österreichischen Absprachen ging es nicht mehr um die Frage nach Krieg oder Frieden, sondern um diplomatische Positionsverbesserungen. Der Schlieffenplan bedingte rasches Handeln, ohne eine geschickte politische Vorbereitung bei den Verbündeten Italien und Rumänien noch weiter zuzulassen. Seit dem 30. Juli drängte Moltke den österreichisch-ungarischen Generalstabschef zu energischen Kriegsvorbereitungen, und zwar so heftig und so im Gegensatz zu der da noch eher bremsenden Politik Bethmanns, daß der österreichisch-ungarische Außenminister Berchtold erstaunt ausrief: »Wer regiert in Deutschland? Moltke oder Bethmann 65 ?« 62 63
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Falkenhayn-Tagebuch, 31.7.1914, in: BA-MA-P, W-10/50635. Wenninger-Tagebuch, 31.7.1914, in: BHStA-KA, H S 2546. Zu den innenpolitischen Auswirkungen des Belagerungszustandes und den entsprechenden Maßnahmen Falkenhayns als Kriegsminister siehe Kap. V, 2. Wenninger-Tagebuch, 31.7.1914, ebd. Schulte, Dokumente, S. 140, liest: »Nun, wir möchten [usw.]« Siehe Conrad, Dienstzeit IV, S. 153; Albertini, Origins II, S. 673 ff., Zitat S. 674.
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Falkenhayn versuchte inzwischen auf Bethmann Hollweg einzuwirken, »um ihm die militärischen Nachteile einer Verzögerung der Mobilmachung erneut und eindringlich klar zu machen«66. Diese war durch die Ultimaten an Rußland und Frankreich tatsächlich unausweichlich geworden. Der 1. August 1914 war der Tag, an dem die deutsche Mobilmachung und die Kriegserklärungen an Frankreich und Rußland den Bankrott der Bethmannschen Diplomatie vervollständigten und die Wünsche der Militärs in Erfüllung gehen ließen, wenn auch nicht ohne dramatische Entwicklungen. Falkenhayn, der aus taktischen und propagandistischen Gründen am Vormittag zusammen mit Moltke vergeblich bei Jagow die »törichte vorzeitige Kriegserklärung an Rußland zu verhindern« gesucht hatte67, schildert die Vorgänge des 1. August in seinem Tagebuch: »Da von Rußland, trotzdem das Ultimatum um 12 Uhr ablief, bis 4 Uhr nachmittags keine Antwort da ist, fahre ich zum Reichskanzler, um ihn zu veranlassen, mit mir zum Kaiser zu gehen und den Erlaß des Mobilmachungsbefehls zu erbitten. Nach längerem Sträuben sagt er zu, und wir telephonieren an Moltke und Tirpitz. Währenddessen ruft S.M. selbst an und fordert uns auf, mit dem Mobilmachungsbefehl zu ihm zu kommen68.« Vor dem Schloß hatten sich Tausende von Jublern versammelt. Die ankommenden Militärs mußten sich durch die Menschenmenge drängen und wurden mit Hochrufen empfangen. Zumindest auf den Straßen herrschte die chauvinistische Hochstimmung, von der Europa erfaßt worden war. Die Unterzeichnung der Mobilmachungsurkunde durch den Kaiser beschreibt Falkenhayn in seinen Aufzeichnungen: »Um 5 Uhr nachmittags Unterzeichnung der Order durch Seine Majestät auf dem Tisch, der aus dem Holz der >Victory< Nelsons geschnitzt ist. Ich sage dabei: >Gott segne Eure Majestät und Ihre Waffen, Gott schütze das geliebte Vaterland.< Darauf drückt mir der Kaiser lange die Hand, in unserer beider Augen stehen Tränen. Zugegen Reichskanzler, Moltke, Tirpitz, Lyncker, Plessen.« Die Mobilisierung war im Hinblick auf die noch immer ausstehende russische Antwort auf das deutsche Ultimatum erfolgt. Der deutsche Botschafter in St. Petersburg hatte den Auftrag, um 17.00 Uhr eine bereits vorbereitete Kriegserklärung zu übergeben — der Krieg mit Rußland war besiegelt! 66
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Falkenhayn-Tagebuch, 3 1 . 7 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-10/50635; Wegerer, Ausbruch II, S. 141; dort Verweis auf Zwehl, Falkenhayn, und einen Bericht Wenningers. Falkenhayn-Tagebuch, 1 . 8 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-10/50635: »Bewege Moltke, mit mir zu Jagow zu gehen, um die törichte vorzeitige Kriegserklärung an Rußland zu verhindern. Antwort ist: zu spät.« Falkenhayn hatte nicht den Krieg verhindern wollen, hielt aber die Kriegserklärung für verfrüht und propagandistisch ungünstig. Seine Beweggründe sind als rein taktisch einzustufen, ähnlich wie die von Tirpitz, der ebenfalls die Notwendigkeit dieser Kriegserklärung bezweifelte, da vor Abschluß der deutschen Mobilmachung ohnehin keine militärische Aktionen auf russischem Gebiet möglich waren. Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 10—15; Zwehl, Falkenhayn, S. 58. In einem Brief an Bethmann Hollweg vom 1 3 . 6 . 1 9 1 9 behauptete Falkenhayn, er habe am 2 . 8 . , nicht am 1 . 8 . 1 9 1 4 , versucht, die Kriegserklärungen zurückzunehmen. Dabei handelt es sich jedoch offenbar um einen Irrtum, der nicht in die Chronologie der Ereignisse paßt. Bethmann Hollweg erinnerte sich jedoch nicht mehr genau (Brief vom 14.6.1919), und auch Jagow nicht (Brief vom 26.6.1919), in: PA-AA, Nachlaß Jagow, Bd 6. Falkenhayn-Tagebuch, 1 . 8 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-10/50635.
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Nach dem Unterzeichnen der Mobilmachungsurkunde durch den Kaiser erschien Jagow aus dem Auswärtigen Amt und kündigte »eine sehr wichtige Depesche von England« an69. Trotz dieser Ankündigung wollten Moltke und Falkenhayn die Depesche nicht abwarten. Sie waren voller Ungeduld, die unterschriebene Mobilmachung in die Tat umzusetzen70. Schließlich war der deutsche Kriegsplan auf größtmögliche Schnelligkeit aufgebaut. Außerdem hatten sie offenbar die Befürchtung, daß der Kaiser aufgrund irgendwelcher neuer Nachrichten die Mobilmachung, die nach ihrer Auffassung bereits überfällig war, erneut verschleppen werde. Zu einem amerikanischen Diplomaten sagte Falkenhayn wenige Tage später: »Those peace-people at the palace had held back mobilization for nearly forty-eight hours after he himself had thought it necessary because of russian mobilization71.« Ihre Befürchtung sollte sich bald schon bewahrheiten. Tirpitz schrieb in seinen Erinnerungen: »Zehn Minuten nach Weggang der beiden Armeespitzen kam das amtliche Telegramm des englischen Kabinetts, das im wesentlichen den Inhalt hatte, daß Frankreich und England neutral bleiben wollten, wenn Deutschland Frankreich nicht angriffe. Kaiser, Kanzler und Jagow nahmen die Depesche mit großer Freude auf, waren der Meinung, [...] daß die Triple-Entente damit gesprengt sei.« Unter den Anwesenden brach einhelliger Jubel aus. »Großes, aber freudiges Erstaunen!« notierte Admiral Müller. Lyncker schrieb: »Diese Nachricht wirkte wie eine Bombe.« Tatsächlich schien diese Neuigkeit zu schön, um wahr sein zu können. England wollte Frankreich zurückhalten, beide Mächte neutral bleiben, Deutschland und Osterreich müßten demnach nur gegen Rußland und Serbien Krieg führen. Damit stand der Sieg fest! Aber gerade weil diese Nachricht so viel versprach, hatten die Anwesenden sofort die Angst, es könne sich um einen »Bluff« handeln. Trotzdem waren sich alle einig, daß dieses unverhoffte englische Angebot ausgelotet werden mußte. Falkenhayn und Moltke wurden sofort zur erneuten Besprechung ins Schloß zurückgerufen. Falkenhayn war unterdessen ins Kriegsministerium gefahren und hatte dort dem Chef der Armeeabteilung, Oberstleutnant v. Wrisberg, der für die Bekanntgabe der Mobilmachung in der Armee verantwortlich war, in Gegenwart der Departementsdirektoren und Abteilungschefs die Mobilmachungsurkunde übergeben. Er hielt eine kurze Rede, die er mit den Worten Schloß: »Gott schütze und erhalte das deutsche Heer72!« Im Kriegsministerium herrschte helle Begeisterung und Jubel. Die Mobilmachung war der Krieg — und zwar nicht nur im Osten, sondern auch gegen Frankreich! Daran zweifelten weder Falkenhayn noch die Beamten und Soldaten seines Ministeriums73. 69
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Die nun folgenden Vorgänge bei der Anordnung der Mobilmachung durch den Kaiser sind von allen Anwesenden in ihrer Wichtigkeit hoch eingeschätzt worden. Deshalb gibt es von mehreren der Anwesenden Aufzeichnungen über die Vorgänge, die im Detail etwas voneinander abweichen. Siehe Geiss, Julikrise II, S. 555—563 (Dok. 1000). Dort sind die im folgenden zitierten Auszüge aus den entsprechenden Memoiren und Tagebüchern abgedruckt. Albertini, Origins III, S. 171. Ebd., S. 169 f. Wegerer, Ausbruch II, S. 191; Nach Wrisberg, Heer, S. 3, hat Falkenhayn gesagt: »Gott schütze das deutsche Heer.« Zur Stimmung im Kriegsministerium siehe Wrisberg, Heer, S. 3; Wenninger-Tagebuch, in: BHStAK A , HS 2546; Schulte, Dokumente, S. 140.
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Falkenhayn ahnte wahrscheinlich Schlimmes, als der Kaiser ihn telefonisch ins Schloß zurückbestellte. Wollte Wilhelm II. der Mobilmachung in letzter Minute neue Steine in den Weg legen, die den deutschen Aufmarsch erheblich verzögern müßten? Wollte der »>große< Friedenskaiser«74 in letzter Minute den Krieg verhindern, den Volk und Armee einmütig mit Jubel zu begrüßen schienen? Auch Moltke war zurückgerufen worden. Falkenhayns Bericht läßt die Dramatik des Augenblicks erahnen: »Als der Mobilmachungsbefehl ergangen ist, werde ich wieder telephonisch zu Seiner Majestät befohlen. Dort ist soeben ein merkwürdiges Telegramm des Botschafters Lichnowsky eingegangen, in dem er behauptet, von der englischen Regierung beauftragt zu sein, zu fragen, ob wir uns verpflichten würden, französisches Gebiet nicht zu betreten, wenn England die Neutralität Frankreichs in unserem Konflikt mit Rußland verbürgen wollte. Ich diktiere nach heftiger Szene zwischen Reichskanzler und Moltke dem Staatssekretär Jagow auf Befehl des Kaisers das Antworttelegramm 75 .« Bei dieser »heftigen Szene« handelte es sich um eine bemerkenswerte Auseinandersetzung um die militärischen und politischen Automatismen des Schlieffenplans. Lyncker schrieb 76 : »Zum allgemeinem Erstaunen erklärte Moltke, daß der Aufmarsch nach Westen nicht mehr aufzuhalten und daß trotz allem Frankreich mit Krieg überzogen werden müßte. Hierüber entspann sich nun eine äußerst lebhafte und dramatische Diskussion, Moltke, sehr erregt, mit bebenden Lippen, beharrte auf seinem Standpunkt; vergeblich redeten der Kanzler und der Kaiser und gelegentlich alle anderen auf ihn ein [...].« Moltke erinnerte, wie er in seinen Memoiren berichtet, an die Unmöglichkeit, den Westaufmarsch nachträglich abzuändern, und gab zu bedenken, »daß es für uns eine Katastrophe herbeiführen müßte, wenn wir mit unserer gesamten Armee nach Rußland hineinmarschiert wären, mit einem mobilen Frankreich im Rücken. [...] Wie hätte England es jemals — selbst den guten Willen vorausgesetzt — verhindern können, dass Frankreich uns in den Rücken fiel! — [...] Die Stimmung wurde immer erregter, und ich stand ganz allein da.« Nach den Memoiren Admiral ν. Müllers sagte Moltke außerdem, daß sich Deutschland jeder Erfolgschance beraube, wenn es seinen Aufmarsch durcheinanderbringe, die Patrouillen seien schon in Luxemburg eingerückt, die 16. Division aus Trier folge gleich nach. Und er fügte hinzu: »Jetzt fehlte nur noch, daß auch Rußland abschnappt.« Moltke hatte sich nach anfänglichem Schwanken inzwischen völlig auf die große Auseinandersetzung eingestellt. Er wollte jetzt den Krieg mit Rußland, da er wegen der russischen Aufrüstung den jetzigen Zeitpunkt für geeigneter als einen möglichen späteren hielt. Aber er wollte nicht gegen Rußland vorgehen, während ein kriegsbereites Frankreich im Rücken lauerte. Der Schlieffenplan gab ihm schließlich ein Instrument in die Hand, das den Sieg auch gegen beide kontinentale Gegner in kurzer Zeit zu verheißen schien. Seiner Uberzeugung nach würde auch das Eingreifen Großbritanniens bei der
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Siehe S. 79. Falkenhayn-Tagebuch, 1.8.1914, in: BA-MA-P, W-10/50635. Die folgenden Zitate und Paraphasierungen um die Diskussion des englischen Angebots nach der Zusammenstellung in: Geiss, Julikrise II, S. 555—563 (Dok. 1000).
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Schwäche der englischen Armee nichts an diesem Ausgang ändern können. Moltke glaubte an dieses Siegesrezept mit einer Leidenschaft, die bei den anderen kaiserlichen Ratgebern kein Verständnis mehr fand. Der Kaiser ließ sich durch Moltkes hartnäckiges Beharren auf seiner militärischen Planung nicht beeindrucken. Er ließ nach Trier den Befehl durchgeben, daß die 16. Division nicht in Luxemburg einrücken solle. Als Moltke den Kaiser bestürmte, den Einmarsch nach Luxemburg und damit die planmäßige Besetzung der luxemburgischen Eisenbahn nicht zu verhindern, fertigte ihn der Kaiser mit der Bemerkung ab, er solle statt ihrer andere Bahnen benutzen. Auch Bethmann Hollweg nahm an der Debatte teil und erklärte, die politische Verantwortung für die Ablehnung des englischen Angebots nicht übernehmen zu wollen. Die von Moltke verlangten militärischen Maßnahmen — vor allem die Grenzverletzungen — müßten unterbleiben. Dieser erklärte daraufhin, dann könne er seinerseits für den Kriegsverlauf die Verantwortung nicht übernehmen. Als Garantie für die französische Neutralität müsse er zumindest die Besetzung der französischen Grenzfestungen Toul und Verdun als Pfand verlangen — was von den anderen als Brüskierung Englands abgelehnt wurde77. Die Anwesenden waren sich in ihrer Opposition gegen Moltke einig. Ihnen war klar, daß man auf das englische Anerbieten eingehen müsse, selbst wenn es sich hinterher als Bluff herausstellen sollte. Doch zunächst waren die Hoffnungen größer als der Zweifel, vor allem beim Kaiser, der voller Enthusiasmus glaubte, den Weltkrieg vermeiden und außerdem einen gewaltigen diplomatischen Erfolg erringen zu können. Der Generalstabschef wurde bei seiner Weigerung, den Aufmarsch abzuändern, nach Ansicht des Großadmirals v. Tirpitz »etwas, wenn auch schwach, sekundiert vom Kriegsminister«78. Falkenhayn wollte den Krieg bestimmt nicht weniger als Moltke. Er nahm jedoch als sicher an, daß die Engländer auf Seiten von Deutschlands Gegnern stünden79 und sich schon bald die wahren — schlechten — englischen Absichten herausstellen würden. Deshalb wartete er kühl ab, wie sich die Angelegenheit entwickelte, statt wie Moltke einen aussichtslosen Kampf gegen die Mehrheit der Anwesenden und den Kaiser zu führen. Außerdem war er Pragmatiker genug, um die Gunst dieses Angebots — sollte es sich als substantiell erweisen — ausnutzen zu wollen; in diesem Fall hätte er es als schweren politischen Fehler der Engländer eingeschätzt. Falkenhayn bat den Kaiser, Moltke einmal kurz allein sprechen zu dürfen. Er nahm ihn in eine Ecke des Sternensaals; dort fand, nach der Erinnerung Lynckers, eine ruhigere Aussprache statt. In Falkenhayns Tagebuch ist ihr Inhalt überliefert: »Er (Moltke) behauptet, völlig gebrochen zu sein, weil diese Entscheidung des Kaisers [die 16. Division nicht nach Luxemburg hineingehen zu lassen] ihm zeige, daß dieser immer noch auf Frieden 77
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Vergleiche aber die vorher gestellten Bedingungen für den Fall, daß Frankreich nach dem Ultimatum seine Neutralität zugesagt hätte — nämlich die Auslieferung von Toul und Verdun. Nach der — nach eigener Einschätzung jedoch unsicheren — Erinnerung Jagows vom 2 6 . 6 . 1 9 1 9 war Falkenhayn sogar auf Seite der Moltke-Gegner: »[...] Falkenhayn und wenn ich mich recht erinnere auch Tirpitz unterstützten uns.« Jagow an Bethmann Hollweg, 2 6 . 6 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, B d 6 . Siehe oben, seinen Tagebucheintragung vom 2 9 . 7 . 1 9 1 4 .
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hofft. Ich tröste Moltke. [Man beachte die herablassende Ironie in diesen Worten!] Seine Idee über die Gedanken Seiner Majestät teile ich, kann aber darin nichts für Moltke Verletzendes finden, wenn auch einige seiner Anordnungen zeitweise zurückgehalten werden, und den Kaiser ehrt das menschliche Denken nur. Freilich glaube ich keinen Augenblick daran, daß das Telegramm irgend etwas an dem ungeheuren Drama, das um 5 Uhr begonnen hat, ändern wird 80 .« U m 17.00 Uhr hatte der Kaiser die Mobilmachung unterzeichnet, ein Schritt, dem Falkenhayn entscheidendere Bedeutung als der russischen Mobilmachung beimaß. Diese Einschätzung ließ ihn anders als Moltke ruhig bleiben. Nach dieser Aussprache einigten sich Moltke und Bethmann Hollweg, der englischen Regierung ein Telegramm zu schicken, in dem bedauert wurde, daß die Depesche erst nach angelaufener Mobilmachung angekommen sei. Der Aufmarsch an der französischen Grenze sei nicht mehr abzuändern; sollte England aber bis zum 3. August die französische Neutralität garantieren, so werde auch Deutschland keine Grenzverletzungen vornehmen und seine Truppen dann anderweitig verwenden. Diese Depesche wurde im Nebenraum von Bethmann Hollweg, Falkenhayn und Moltke verfaßt81. Unterdessen entwarfen Wilhelm II., Tirpitz und Müller eine Depesche ähnlichen Inhalts an den König von England. Nur wenig später traf eine neue Mitteilung aus London ein. Admiral ν. Müller schrieb: »Dann kam ein neues erstaunliches Telegramm aus England, worin Sir Edward Grey die englische Neutralität auch für den Fall in Aussicht stellte, daß Deutschland mit Frankreich in Krieg geraten sollte. Welch fabelhafter Umschwung! Der Kaiser war sehr glücklich und ließ Sekt kommen. Tirpitz meinte — meiner Ansicht nach sehr deplaciert — >Der Risikogedanke wirkt.< Sicher lag für England kein Grund vor, das Risiko zu scheuen, das seine Flotte bei einem Krieg gegen uns lief. Eher das Gegenteil.« Unter den Anwesenden machte sich Begeisterung über diese Wendung der Dinge breit. Sogar der anglophobe Tirpitz war offensichtlich froh, der Auseinandersetzung mit der überlegenen englischen Flotte entgangen zu sein. Falkenhayn nahm als einziger die Nachricht sehr reserviert auf. Er schrieb in sein Tagebuch: »Übrigens läuft kurze Zeit später ein neues Telegramm Lichnowskys ein, Grey würde baldigst Bedingung mitteilen, unter der England in einem Kriege Deutschlands gegen Frankreich und Rußland neutral bleiben wolle. Das zeigt entweder, daß Lichnowsky in seinem Dusel für England Grey zuerst falsch verstanden hat, oder daß dieser seine Ansicht mittlerweile geändert hat. Auf das zweite Telegramm soll nicht geantwortet werden.« Falkenhayns Skepsis gegenüber dem englischen Angebot sollte sich bald schon als berechtigt erweisen. Nur wenige Stunden später zog Grey sein Angebot wieder zurück 82 . In einem Telegramm, das um 23.11 Uhr einging, zerstörte Lichnowsky die Illusionen von der englischen Neutralität, die Grey fälschlich bei ihm erweckt hatte83. 80 81
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Falkenhayn-Tagebuch, 1.8.1914, in: BA-MA-P, W-10/50635. Falkenhayn behauptet in seinem Tagebuch, die Depesche Jagow diktiert zu haben (siehe oben); wie auch immer, er hatte seinen Anteil an ihrem Entstehen. Bisher ging die Forschung immer von einem Mißverständnis zwischen Lichnowsky und Grey aus, jedoch irrtümlich; die Offerte Greys beruhte auf den Schwierigkeiten, die Unterstützung des britischen Kabinetts für einen Krieg zu erhalten, siehe Mommsen, Kaiserreich, S. 40. Geiss, Julikrise, D o k . 1011.
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Moltke war nach der Sitzung in den Generalstab gefahren und vergoß dort »Tränen der Verzweiflung« über das Verbot des Kaisers, nach Luxemburg vorrücken zu dürfen. Er fürchtete um die Ordnung des Aufmarschplans, in dem die luxemburgischen Bahnen fest eingeplant waren. Er weigerte sich sogar, den schriftlichen Stillhaltebefehl an die 16. Division zu unterzeichnen. Kurz nach 23.00 Uhr wurde Moltke aus seiner »dumpfen Stimmung« erlöst. Wilhelm II. ließ den Generalstabschef erneut ins Schloß kommen. Er gab ihm die Antwortdepesche des englischen Königs, die ihn über die tatsächliche Haltung der englischen Regierung aufklärte, und sagte erregt zu Moltke: »Nun können Sie machen, was Sie wollen.« Als erstes gab Moltke der 16. Division den Befehl, planmäßig in Luxemburg einzumarschieren. Um 2.30 Uhr nachts traf sich die Spitze von Armee, Marine und Außenpolitik beim Reichskanzler, um diese neuen Entwicklungen zu besprechen84. Aus Rußland lag noch immer keine Reaktion auf die Kriegserklärung vor. Dann wurde die Kriegserklärung gegen Frankreich diskutiert. Tirpitz war der Ansicht, daß schon die Kriegserklärung gegen Rußland verfrüht gewesen sei; warum solle denn jetzt auch Frankreich der Krieg erklärt werden, solange deutscherseits noch keine aktiven Feindseligkeiten vorgesehen waren? Der Versuch Bethmanns, die völkerrechtliche Notwendigkeit einer Kriegserklärung an Frankreich zu diskutieren, ließ Falkenhayn die Geduld reißen. Wie Tirpitz notierte, war Falkenhayn »etwas brüsk gegen den Kanzler, der Krieg sei nun da und die Frage einer Kriegserklärung an Frankreich sei gleichgültig.« Dann brachte Bethmann den beabsichtigten Einmarsch in Belgien zur Sprache. Er machte auf Tirpitz — zu Unrecht — den Eindruck, von dem geplanten Durchmarsch nichts zu wissen85. Er versuchte jetzt halbherzig, den Bruch der belgischen Neutralität zu verhindern. Eine juristische Debatte zu dem Thema wies Moltke jedoch schroff zurück. Dabei wußten der Reichskanzler, das Auswärtige Amt und auch Tirpitz genau, daß der Einmarsch in Belgien den englischen Kriegseintritt auf Seiten der Entente unabwendbar zur Folge haben werde. Als sich dann noch herausstellte, daß Osterreich nicht gefragt worden war, ob es überhaupt gegen Rußland mitkämpfen wolle, und daß Italien noch nicht über die deutsche Kriegserklärung an Rußland informiert war, bildete sich bei den Militärs der Eindruck der »gänzlichen Kopflosigkeit der politischen Leitung«. Tirpitz schrieb: »Beim Herausgehen [sind] Moltke und Kriegsminister und ich entsetzt über diese Deroute. Moltke meint, er müsse jetzt die politische Leitung in die Hand nehmen86.« Mit der Kriegserklärung an Rußland entwickelten sich die Verhältnisse so, wie sie Moltke in seiner Denkschrift vom 28. Juli vorausgesagt hatte. Der Kontinentalkrieg war da, schlimmer noch, mit einem englischen Kriegseintritt war sicher zu rechnen. Die Engländer hatten mehrfach eindringlich vor einer Verletzung der belgischen Neutralität gewarnt. Doch Moltke war, wenn es um das »unfehlbare« Siegesrezept des Schlieffenplans ging, eisern. Außerdem hatte der Generalstab keine Alternativplanungen zur großen Westoffensive, 84
Anwesend waren: Bethmann, Jagow, Zimmermann und ihre Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt; Moltke, Tirpitz und Falkenhayn. Siehe auch den Bericht in: ebd., Dok. 1019.
85
Lutz, Politik, S. 395. Bethmann Hollweg war über diese Folge des Schlieffenplans schon seit 1912 informiert.
86
Bericht von Tirpitz, in: Geiss, Julikrise II, Dok. 1019.
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wie Tirpitz bei der Besprechung mit Erstaunen feststellen mußte87. Die Engländer wurden von Moltke sträflich unterschätzt88. Während Tirpitz und die Marine große Bedenken hatten, weil mit England eine weitere Großmacht gegen Deutschland kämpfen wollte, nahm Moltke das Problem nicht sonderlich schwer. Der Schlieffenplan verhieß den raschen Sieg über Frankreich, an dem auch das kleine britische Heer nichts ändern konnte. Nachdem sich das deutsche Heer die Rückenfreiheit im Westen erkämpft hatte, konnte es sich dem Osten zuwenden und mit Hilfe Österreich-Ungarns Rußland bezwingen. Gegen England sollte dann unter Zuhilfenahme der günstigen Ausgangsbasis der belgischen und französischen Küste die Marine mit Seestreitkiäften, U-Booten und Minen vorgehen. Selbst wenn ein entscheidender Seesieg ausblieb, mußten die Engländer dann irgendwann den gegen sie unter deutscher Führung versammelten Kräften ganz Europas nachgeben. So dachte Moltke, der an den Erfolg des Schlieffenplans glaubte, und so dachte auch Falkenhayn, der in England den eigentlichen Gegenspieler des Deutschen Reiches sah. Eines war Falkenhayn klar: Den Krieg konnte jetzt nichts mehr aufhalten. Er schrieb in sein Tagebuch: »Kronprinz kommt mit der Frage i u mir, ob Pourparlers89 mit London an dem Mobilmachungsbefehl etwas ändern würden. Ich sage ihm: daran sicher nichts, und nach Menschenwissen leider auch am Kriege nichts, wobei das >leider< im Sinne S.M. und der Menschlichkeit im allgemeinen gut gemeint sei90.« Die Bemerkung ist kennzeichnend für den Zynismus, mit dem Falkenhayn den begreiflichen Wunsch des Kaisers, den Frieden zu erhalten, als unerlaubte Gefühlsschwäche abtat. Man fühlt sich an seine verächtlichen Kommentare über den »>großen< Friedenskaiser« erinnert. Falkenhayns aufrichtige Antwort an den Kronprinzen hätte lauten müssen: »Zum Glück ist am Kriege nichts mehr zu ändern.« Mit einer solchen Meinung stand Falkenhayn im Deutschland und Europa des August 1914 nicht allein — im Gegenteil. In allen kriegführenden Staaten war die Bevölkerung der festen Uberzeugung, für die gerechte Sache der nationalen Verteidigung in den Krieg zu ziehen. Die allgemeine Aufbruchstimmung läßt sich duch eine Erleichterung über die endliche Entladung lang angestauter politischer Spannungen sowie durch das Gefühl erklären, gegen einen ungerechten Überfall ins Feld zu ziehen und einen verbrecherischen Angreifer strafen zu müssen. In der Führungsspitze des Deutschen Reiches sah man die Dinge doch etwas anders. Trotz seiner Beteuerungen Anfang Juli 1914, den Österreichern auch dann gegen Serbien zu helfen, wenn daraus ein Krieg gegen Rußland hervorgehen sollte91, wollte der Kaiser den Krieg nicht, wenn er auch immer wieder schwankte. Für den Reichskanzler war der ausgebrochene Krieg ein »Sprung ins Dunkle und dieser schwerste Pflicht«92. Der Entschluß zum Krieg war bei Bethmann Hollweg aus ver87 88
89 90 91
Ebd. Die Warnungen vor der Landung des englischen Expeditionskorps quittierte er mit dem Ausspruch: »Die arretieren wir.« Tirpitz, Erinnerungen, S. 251; Deutschland im ersten Weltkrieg I, S. 309; siehe dazu auch Wallach, Dogma, S. 2 0 1 - 2 2 9 . Pourparlers = Verhandlungen. Falkenhayn-Tagebuch, 1 . 8 . 1 9 1 4 , in: BA-MA-P, W-10/50635. Fischer, Krieg, S. 692, zitiert den Ausspruch Wilhelms II. vom 6.7.1914: »Diesmal falle ich nicht um.«
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meintlichen machtpolitischen Notwendigkeiten geboren und mit handfesten imperialistischen Absichten93 verbunden, aber alles andere als eine leichte Entscheidung. Generalstabschef v. Moltke hatte seit Jahren einen Präventivkrieg gefordert, um den Rüstungen der Gegner zuvorzukommen94. Jedoch gab es bei ihm ausgeprägte moralische Skrupel an der Richtigkeit seines Tuns, und auch er trug sichtlich schwer an seiner Verantwortung, was schon durch sein langes Schwanken zwischen Krieg und Frieden dokumentiert wurde. Bei aller harten Kritik an seinem Verhalten in der Julikrise billigte der Sachverständige des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Hermann Lutz, Moltke zu, daß er »ein vornehmer Charakter und an sich ganz und gar kein kriegslüsterner Eisenfresser« gewesen sei95. Wiederholt hatte er vom »furchtbaren Krieg« gesprochen, in dem die europäische Kultur für Jahrzehnte vernichtet würde. Er glaubte jedoch, mit Hilfe des Schlieffenplans die deutsche Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent begründen und sämtliche Bedrohungen Deutschlands durch die Einkreisung der Entente für alle absehbare Zukunft beseitigen zu können. Deshalb fühlte er sich verpflichtet, die politische Leitung zu einem großen Kontinentalkrieg zum jetzigen Zeitpunkt drängen zu müssen. Für Moltke — wie für Bethmann Hollweg — war ein dem Zeitgeist entsprechendes Pflichtgefühl gegenüber der scheinbaren nationalen Notwendigkeit der Existenzsicherung ausschlaggebend. Anders Falkenhayn. Auch er sah in dem Krieg eine nationale Notwendigkeit, empfand aber auch die Freude am Krieg an sich. Eher als Moltke verdient er das Attribut des »kriegslüsternen Eisenfressers«. Allerdings müssen der Kriegswille und die tatsächlichen Verantwortlichkeiten voneinander getrennt betrachtet werden. Moltke hatte durch seine ständigen Warnungen vor dem für 1916 erwarteten Angriff der dann drückend überlegene Entente entscheidend dazu beigetragen, bei Bethmann die Bereitschaft zu höchstem Risiko zu steigern96. Bethmann wiederum hatte zwar bisher in seiner Amtszeit das Ziel der »Weltpolitik ohne Krieg« verfolgt, war aber nun zur Sprengung der Entente das bewußte Kriegsrisiko eingegangen und hatte die Österreicher gedrängt, die Krise zu einem Krieg gegen Serbien auszunutzen. Ebenso wie Moltke war es auch ihm gelungen, wie Hermann Kantorowicz als Gutachter des Reichstags feststellte, seine »moralischen Hemmungen [...] in allen 92 93
94
95 96
Riezler-Tagebuch, 1 4 . 7 . 1 9 1 4 , in: Riezler, Tagebücher, S. 185. Fischer, Krieg, S. 712; Fischer, Griff, S. 85; Deutschland im ersten Weltkrieg I, S. 254f., verweisen auf die deutschen Absichten, nach Kriegsende französische Kolonien annektieren zu wollen. Lutz, Politik, S. 191 ff. Seine Äußerungen vom Mai 1914 hatte er während der Julikrise noch mehrfach bekräftigt. Der bayerische Gesandte in Berlin, Lerchenfeld, berichtete am 3 1 . 7 . 1 9 1 4 an Hertling, daß der gegenwärtige Zeitpunkt nach Ansicht Moltkes wegen diverser militärischer Vorteile besonders günstig sei, in: Geiss, Julikrise Π, Dok. 918. Siehe auch die Berichte Wenningers und Leuckarts, ebd., Dok. 704, 705. Lutz, Politik, S. 192. Wenn Pogge von Strandmann, Warum die Deutschen den Krieg wollten, in: »Die Zeit« vom 4.3.1988, S. 40, zu Recht feststellt, daß »die anderen Mächte gar nicht die Absicht hatten, gegen Deutschland einen Krieg vom Zaun zu brechen«, so ist das objektiv richtig. Moltke hingegen hatte den subjektiven — wenn auch falschen — Eindruck gewonnen, die Entente rüste für einen großen Angriffskrieg, der nach dem Ende ihrer Aufrüstung 1916 losbrechen solle.
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Fällen erfolgreich niederzukämpfen«' 7 . Bei ihm liegt eine wesentliche Verantwortung für den Kriegsausbruch, auch wenn er in der Endphase der Krise versucht hatte, die Militärs, die unter dem Druck ihrer minutiösen Planungen auf rasches Losschlagen drängten, zu bremsen. Für die unglückliche diplomatische Ausgangslage des Deutschen Reiches bei Kriegsbeginn, wesentlich verursacht durch seine Politik nach dem Attentat von Sarajevo, war Bethmann ebenfalls verantwortlich 98 . Falkenhayn hatte sich durch die bewußte Ausklammerung der Militärs durch Bethmann in der ersten Phase der Julikrise erst nach Ablauf des serbischen Ultimatums in die Ereignisse einschalten können, sich dann aber bemüht, den Kriegsausbruch durch militärische Sachzwänge unvermeidlich zu machen. Die von ihm geförderten und schließlich durchgesetzten Mobilmachungsmaßnahmen sah er aber auch militärisch als unbedingt notwendig an. Falkenhayns Drängen auf rasches militärisches Handeln hatte einen bedeutsamen Einfluß auf den Ablauf der Julikrise. Ressortbedingt haben dennoch Bethmann und Moltke in diesen Tagen eine zentralere Rolle spielen können. Der 4. August 1914 war für Bethmann Hollweg ein schwarzer Tag. England stellte ein Ultimatum wegen des deutschen Einmarschs in Belgien, Italien verwies auf die Defensivklausel des Dreibundes und verweigerte die Bündnishilfe — beides Auswirkungen des überhasteten deutschen Vorgehens nach dem Schlieffenplan. Der Reichskanzler soll dem Kaiser an diesem Tage sogar seinen Rücktritt angeboten haben, den dieser ablehnte". Falkenhayn genoß den Kriegsausbruch hingegen in leichtfertiger Weise. Für Bethmann war es sehr befremdlich, ihn an diesem Tage über den großen europäischen Konflikt sagen zu hören: »Wenn wir auch darüber zu gründe gehen, schön war's doch 100 .« Diese Worte — die Falkenhayns eigenstem Bedürfnis entsprangen, den Krieg um des Krieges willen zu erleben und vom Enthusiasmus des Volkes mitgerissen zu werden — erschien dem von Zweifeln gequälten Reichskanzler als unverantwortliche Frivolität, und er erinnerte sich noch Monate später an diesen Ausspruch 101 . Daß Falkenhayn die Folgen des englischen Kriegseintritts nicht gering veranschlagte, geht aus einem Gespräch hervor, das er in den ersten Augusttagen mit dem amerikanischen Diplomaten Henry White führte. Bei einem Essen im Kriegsministerium kam Falkenhayn auf den englischen Kriegseintritt zu sprechen: »[...] of course they (those peace people at the palace) never expected for one moment that England would enter the war.« »Those peace people«, damit meinte Falkenhayn den Kaiser und seine Ratgeber, wohl auch den Kanzler. Sich selbst nahm er davon aus, womit er zu verstehen geben wollte, daß er eine englische Neutralität niemals für möglich gehalten habe102. Auch machte sich Falkenhayn, 97 98
Zit. bei Fischer, Krieg, S. 693. Zu Moltke: Lutz, Politik, S. 191 ff. Dabei war er nicht nur ein Opfer des Schlieffenplans und der belgischen Frage geworden. Nicht einmal zur Sicherung der lebenswichtigen englischen Neutralität hatte er gegenüber der britischen Diplomatie auf den Erwerb französischer Kolonien verzichten wollen (siehe Anm. 93).
99
Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. X ; Vietsch, Bethmann Hollweg, S. 194. Der Kaiser soll zu Bethmann Hollweg gesagt haben: »Sie haben mir die Geschichte eingebrockt, nun müssen Sie sie auch ausfressen.«
100
Riezler-Tagebuch, 22.11.1914, in: Riezler, Tagebücher, S. 228. Riezler gegenüber am 22.11.1914, ebd. Siehe oben. Nach seinen Aufzeichnungen könnte diese Behauptung durchaus zutreffen. Bereits am
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wenn man den Angaben Whites trauen darf, keine Illusionen über die Folgen des englischen Schritts für die deutschen Aussichten auf einen Sieg: »[...] the coming in of England had made all the difference in the world, both to the probable duration of the war (which he thought >was likely to last at least three or four yearsSchlesien< offerieren und zwar 30000 Einwohner. Als ich bei diesem Gedanken meine ganze Entrüstung kundgab, behauptete Falkenhayn aus wirtschaftlichen Gründen könnten wir es mit Italien und Rumänien nicht zum Bruch kommen lassen, andernfalls würde Deutschland verhungern!«.
591
Zechlin, Angebot, S. 245. Der Grund hierfür geht aus den Akten nicht hervor, deshalb kann nur gemutmaßt werden. Monticone, Deutschland, S. 96, Anm. 33, und S. 101, nimmt, wahrscheinlich zu Recht, an, daß Bethmann Hollweg in einem letzten Anlauf versuchen wollte, die Österreicher zur Abtretung ohne deutsche Beteiligung zu überreden. Zechlin, Angebot, S. 245, glaubt, daß Bethmann Hollweg vor dem wachsenden Widerstand bei Kaiser und preußischen Ministern die Courage verloren habe oder aber daß seine Unterredung mit Falkenhayn ergebnislos verlaufen sei. Vielleicht wollte auch Falkenhayn seinen Kopf nicht hinhalten, da der Reichskanzler entschlossen war, sich bei öffentlicher Bekanntgabe der Abtretung auf ihn zu berufen und ihm somit die alleinige Verantwortung für den Gebietsverlust zuzuschieben.
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ehern, damit diese Druck auf die Habsburgermonarchie ausübe. Abtretungen nach dem Nationalitätenprinzip lehnte Burian energisch ab; das würde den Anfang der Auflösung des Reiches bedeuten. Conrad unterstützte Burians Haltung, obwohl er zugeben mußte, daß ein italienischer und rumänischer Kriegseintritt die sichere Niederlage der Mittelmächte zur Folge haben werde. Gegen die »österreichische Halsstarrigkeit«593 konnte sich die deutsche Seite auf der Sitzung nicht durchsetzen. Obwohl die militärische Lage auch deutsche Konzessionen erfordert hätte, brachten die Deutschen nur ihren alten Standpunkt in die Debatte ein. Es war deshalb auch nicht verwunderlich, daß das Besprechungsergebnis gleich Null war und die Österreicher keine Verhandlungsbereitschaft erkennen ließen. Offenbar pokerten beide Seiten und hofften, der andere würde zuerst die Nerven verlieren und unter dem Eindruck der Gefahr nachgeben. Zu diesem riskanten Spiel kam es, weil sich die Bündnispartner durchaus nicht partnerschaftlich verhielten. Die Österreicher beklagten die deutsche Großzügigkeit mit österreichischem Territorium594 und versuchten deshalb im Gegenzug, die deutsche Regierung unter Druck zu setzen, indem sie ihr eine harte, unnachgiebige Haltung vorspielten. In Wahrheit waren auch sie von der Notwendigkeit von Abtretungen überzeugt, wollten diese aber so gering wie nur irgend möglich halten und die Verhandlungen mit Italien nach Möglichkeit in die Länge ziehen. »Zwei kleine Tatsachen am Rande« der Besprechung machten Bethmann und Falkenhayn aber doch Hoffnung auf eine künftige gütliche Einigung595. Conrad meinte beim Abschied zu Falkenhayn, daß er nicht glaube, daß Burian in der Trentinofrage ganz und gar unnachgiebig sei. Und der Vertreter des k.u.k. Außenministeriums bei der österreichischen Obersten Heeresleitung, Graf Thum, deutete Bethmann Hollweg gegenüber an, daß Österreich die Abtretung leichter fiele, wenn Deutschland eine Beteiligung an dem Opfer anböte. Die Abtretung von deutschem Gebiet halb so groß wie jenes, das Österreich zur Erhaltung des Friedens Italien überlassen müsse, könnte der Donaumonarchie die schwere Entscheidung erleichtern. Damit sah sich Bethmann Hollweg wieder mit der unbequemen Abtretungsfrage konfrontiert. Nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt und dem Zentrumsabgeordneten Erzberger, der unter Zuhilfenahme zahlloser persönlicher Kontakte im In- und Ausland eine Art Nebenaußenpolitik betrieb, wollte er jedoch seinen Joker — das »schlesische Angebot« — noch immer nicht aus der Hand legen596. Statt dessen bot Bethmann Hollweg der Donaumonarchie russisches Gebiet an: Das Steinkohlebecken von Sosnovice sollte nach Friedensschluß Österreich zugeschlagen werden. Anfang März 1915 wurde im deutschen Hauptquartier bekannt, daß die Österreicher auf Basis dieses Angebots mit Italien weiterverhandeln wollten597. Das Handschreiben 593
594 595 596 597
Monticone, Deutschland, S. 97; der Besprechungsverlauf entstammt dem Bericht Bethmann Hollwegs vom 2 2 . 2 . 1 9 1 5 , in: PA-AA, Deutschland 128, N r 1 geheim, Bd43, A S 7 0 1 . Siehe Stürgkh, Hauptquartier, S. 51. Monticone, Deutschland, S. 98. Mommsen, Frage, S. 302. Plessen-Tagebuch, 5 . 3 . 1 9 1 5 , in: BA-MA-P, W-l0/51063.
10. Falkenhayn und die Neutralität Italiens
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Kaiser Wilhelms II. an Kaiser Franz Joseph mit dem »schlesischen Angebot«, das am gleichen Abend unterzeichnet worden war, brauchte nicht abgesandt zu werden. Die Osterreicher beschlossen in einer Ministerratssitzung am 8. März, den Ausgleich mit Italien auf Basis der Abtretung des Trentinos anzustreben558. Das lange Zögern der Mittelmächte hatte jedoch die Chancen für eine italienische Neutralität stark herabgesetzt. Selbst die zur Neutralität neigenden Parteien und Persönlichkeiten Italiens — allen voran Giolitti — begannen an der Aufrichtigkeit der österreichischen Verhandlungsbereitschaft zu zweifeln. Den politischen Kräften in Italien, die den Frieden erhalten wollten, wäre durch ein rechtzeitiges österreichisches Entgegenkommen sehr geholfen worden. Der schleppende Verlauf der Verhandlungen und die österreichische Unnachgiebigkeit führten jedoch dazu, daß die Neutralität Italiens immer unwahrscheinlicher wurde. Am 3. März 1915 hatten Salandra und Sonnino der Entente das Angebot eines italienischen Kriegseintritts unterbreitet, falls ihnen bestimmte weitgehende Territorialforderungen auf Kosten Österreich-Ungarns zugestanden würden599. Das »schlesische Angebot« war auch in London bekannt geworden und trieb den Preis für Italiens Kriegseintritt weiter nach oben. Diplomatischer Druck Englands auf Rußland sorgte dafür, daß das selbst an der Adriaküste politisch interessierte Rußland seinen Widerstand gegen die italienischen Forderungen aufgab. Dank der innenpolitischen Konstellation in Italien schienen sich zwar immer noch Chancen für die Diplomatie der Mittelmächte zu bieten. Die Lage hatte sich jedoch stark zugunsten der Entente verändert, da Salandra entschlossen war, gegen Osterreich in den Krieg einzutreten. Die diplomatischen Verhandlungen mit den Zentralmächten ließ er weitgehend nur noch zum Schein weiterlaufen600. Das Angebot des Kohlenreviers von Sosnovice an Österreich-Ungarn war eine ausgesprochene Verlegenheitslösung, um die noch problematischere Abtretung eigenen Territoriums zu vermeiden. Bethmann Hollweg selbst hatte in der Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 17. Februar 1915 zugegeben, daß das Angebot der Überlassung russischen Territoriums an Österreich-Ungarn den Versuch, mit Rußland einen Separatfrieden auszuhandeln, sehr erschweren müsse. Wenn sich eine Möglichkeit biete, »mit Rußland Frieden [zu schließen, müsse man] diese sofort ergreifen, um für den Westen freizuwerden. Dann dürfen wir nicht durch Landforderungen Frieden erschweren601.« In der Zwangslage war dieser Widerspruch für den Reichskanzler aber leichter zu ertragen als die innenpolitischen Unruhen, die bei Bekanntwerden des »schlesischen Angebots« in Deutschland losbrechen mußten.
5,8
Zechlin, Angebot, S. 254 f.
5"
Ebd., S. 261 f. Siehe die Briefe Salandras an Sonnino aus dem März 1915, zit. bei Zechlin, Angebot, S. 262f. Daß er damit aus der Risorgimento-Tradition heraus in eklatanter Weise gegen die Interessen seines Landes verstieß, ist nicht unser Thema. Zur italienischen Geschichtsschreibung über die Politik Italiens im Ersten Weltkrieg siehe den Forschungsüberblick von Giorgio Rochat, in: Rohwer, Forschungen, S. 177—188. Vgl. auch die neuere Untersuchung von William S. Renzi. Nach einem stichwortartigen Protokoll des Unterstaatssekretärs Heinrichs, zit. bei Mommsen, Frage, S. 302 f.
600
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c) Der drohende Kriegseintritt Italiens und sein Einfluß auf die Strategie der Mittelmächte Nach dem Fehlschlagen der Winteroffensive gegen Rußland mußten Conrad und Burian einsehen, daß sich die italienische Gefahr nicht durch Erfolge gegen das Zarenreich entschärfen ließ. Die Lage an der österreichischen Ostfront verschlechterte sich fortlaufend. Die Situation in der von 130000 österreichischen Soldaten verteidigten galizischen Festung Przemysl wurde zunehmend dramatisch, weil alle Entsatzvorstöße steckenblieben und Munition und Vorräte allmählich zur Neige gingen. Angesichts dieser krisenhaften Situation an der österreichischen Ostfront nahm die Neutralität Italiens an Bedeutung weiter zu. Falkenhayn erkannte die Gefahr, daß die russischen Erfolge und die österreichische Schwäche Italien ermutigten, seinerseits einen Krieg gegen die Doppelmonarchie zu beginnen. Daher verlangte er immer wieder von der deutschen Diplomatie, die kriegswichtige italienische Neutralität zu sichern. Am 5. März 1915 ließ er Staatssekretär v. Jagow durch den Gesandten Treutier mitteilen, daß die militärische Lage an der Ostfront, speziell in der Bukowina, »eine rasche Entscheidung in der italienischen Frage erfordere«602. Falkenhayn bedrängte auch Conrad v. Hötzendorf, auf die schwierige Kriegslage Rücksicht zu nehmen. Er gab in einem Telegramm vom 10. März 1915 zu, daß die friedliche Verständigung mit Italien natürlich einen bitteren Nachgeschmack hinterlasse, dafür aber militärischen Nutzen auf dem Balkan und in Rumänien bringe. Er bat Conrad, ebenso wie er es selbst tue, auf die Politik im Sinne einer Verständigung Druck auszuüben603. Conrad bestritt gar nicht, daß die Kompensationen an Italien sinnvoll und notwendig seien, verlangte aber eine deutsche Beteiligung an den Abtretungen 604 , die ihm Falkenhayn auch zugestand. Er antwortete am 13. März: »Wie sehr ich die Größe und Schwere des Opfers, das Österreich-Ungarn bringt, mitfühle, wissen Euer Exzellenz aus unseren Besprechungen. Ganz gewiß werde ich auch alles fördern, was dieses Opfer erträglicher zu machen geeignet ist. [...] Übrigens herrscht meines Wissens über die von Ihnen beregte [!] Beteiligung unsererseits an dem Opfer zwischen den beiden Leitern der Politik volles Einverständnis auf Grund eines von Deutschland selbst gemachten Anerbietens 605 «. So eindeutig, wie Falkenhayn glaubte, war jedoch die Opferbereitschaft Bethmann Hollwegs nicht. Mit Mühe hatte er sich zu der Abtretung des russischen Sosnowice durchgerungen — ob er jetzt bereit war, wieder auf das ungeliebte »schlesische Angebot« zurückzukommen, muß bezweifelt werden. Falkenhayn hingegen war zu diesem Opfer nach wie vor bereit, ohne die schweren innenpolitischen Auswirkungen der Abtretung zu verkennen606. Berichte des deutschen Militärattaches in Rom, v. Schweinitz, erweckten bei Falkenhayn die Hoffnung, Italien vielleicht sogar über die reine Neutralität hinaus zum Bundesge602
Treutier an das Auswärtige Amt, 5 . 3 . 1 9 1 5 , Telegramm Nr. 119 in: PA-AA, Deutschland 128, Nr. 1
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Falkenhayn an Conrad, 10.3.1915, O P . N r . 7 9 5 7 , in: ÖStA-KA, A O K 5 1 2 .
geheim, B d 4 3 , AS 872. Zit. auch bei Monticone, Deutschland, S. 104. Wenn schon, dann von weiter nördlich her über die obere Weichseb Diesen Unsinn habe ich dann mit Freytag drei Tage lang bekämpft, und die napoleonische Idee war geboren. La recherche de la paternite est interdit! — Schluß! Die Tapferkeit der Truppe war die Hauptsache f...]666.« « Der Weltkrieg 1914-1918, B d 7 , S. 353. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 66, Anm. 6. Zitat aus einem Brief Tappens an das Reichsarchiv vom 16.11.1927, in: BA-MA, Nachlaß Tappen. 665 Wild meint wahrscheinlich das erwähnte Telegramm Cramons vom 1.4.1915, das den Conradschen Gedanken eines begrenzten Entlastungsvorstoßes an der Karpatenfront enthielt. 6
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11. Der Durchbruch im Osten: Die Schlacht bei Gorlice-Tarnow
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Generalquartiermeister v. Freytag-Loringhoven konnte Falkenhayn aus eigener Kenntnis weitere Hinweise geben. Bis zum Januar 1915 war er als Vorgänger Cramons Vertreter der Obersten Heeresleitung im österreichisch-ungarischen Generalstab gewesen und kannte durch zahlreiche Reisen das Operationsgebiet. In seinen Erinnerungen heißt es lapidar: »[Ich gab Falkenhayn] vor Einleitung der Gorlice-Operation über Galizien, von wo ich gekommen war, Auskunft. [...] Allerdings habe ich ihm von einer Operation über die versumpfte Nida, die er vorübergehend ins Auge gefaßt hatte, dringend abgeraten667.« Mitentscheidend für die Festlegung des genauen Angriffspunktes war eine Analyse Cramons vom 8. April 1915, in der er Falkenhayns Fragen über eine Offensive bei Gorlice wie folgt beantwortete: »Ich möchte mein Urteil dahin abgeben, daß die russische Armee [...] einem mit Überlegenheit [...] gefühlten Stoß nicht gewachsen ist.« Durch einen Durchbruch mit starken Kräften bei Gorlice-Tarnow im frontalen Angriff und der Operationsbasis Gorlice-Jaslo könnten die besten Kräfte der russischen Armee, deren Reserven vollständig durch die verlustreichen Angriffe gegen die österreichische Karpatenfront gebunden seien, zum Rückzug gezwungen werden. Vier deutsche Korps würden genügen. Auch technisch — vor allem transporttechnisch — sei ein rascher Aufmarsch möglich. Angesichts dieser Vorschläge des sachkundigen Cramon und der weitgehend übereinstimmenden Ratschläge von Wild, Tappen und Freytag entschied Falkenhayn sich definitiv für den Angriff zwischen Oberer Weichsel und Beskidenfuß, und zwar wegen verschiedener militärischer Vorteile, die diese Angriffsstelle bot, vor allem wegen der Geländebeschaffenheit im Frontabschnitt bei Gorlice. Die angreifenden Truppen wurden durch das günstige Gelände beim Vormarsch vor Umfassung geschützt und hatten keine großen Ströme wie die Weichsel zu überwinden. Den russischen Armeen wiederum wurden schnelle Verlegungen durch die Ungunst ihrer derzeitigen Kräfteverteilung und ihrer durch den Weichselbogen und die Karpaten behinderten rückwärtigen Verbindungen erschwert668. Unter Zuhilfenahme der Angaben Cramons ließ Falkenhayn den Aufmarsch von Feldeisenbahnchef Groener bearbeiten. Conrad, über die Planungen immer noch nicht informiert, kam auf seine eigene Idee eines begrenzten Vorstoßes bei Gorlice nicht zurück und erbat statt dessen zwei Divisionen für lokale Einsätze zur Verteidigung der Karpaten. Am 7. April 1915 schlug er seinem deutschen Kollegen einen neuen grandiosen Umzingelungsplan vor: Deutsche Verbände sollten von Norden an Warschau vorbeistoßen, die österreichischungarische Armee gleichzeitig von Süden her aus den Karpaten heraus angreifen. Beide Heere sollten sich dann hinter Warschau vereinigen und auf diese Weise einen Großteil Wild an seine Frau, 7.6.1915, in: Wild von Hohenborn, Briefe, S. 65f. Wild schrieb schon am 13./14.4.1915 in einem Brief an seine Frau von einem »Coup im Osten« und erwähnte, eine »Operation von Krakau aus nördlich der Karpaten in den Rücken der russischen Karpathenfront vorgeschlagen« zu haben, ebd., S. 61. 667 Freytag-Loringhoven, Menschen, S. 269. 668 In seinen Erinnerungen schildert Falkenhayn ausführlich die Gründe, die ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatten. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 68 f. Die Behauptung Oberst Bauers, daß der Major i. G. v. dem Bussche, Offizier in der Operationsabteilung, als erster den Gedanken hatte, bei Gorlice durchzubrechen, ist hier ohne Bedeutung. Selbst wenn Bussche im privaten Gespräch solche Ansichten zur Operationsführung in Galizien geäußert haben sollte, blieb sie für den Entscheidungsprozeß belanglos. Siehe Bauer, Krieg, S. 105. 666
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der zaristischen Armee einschließen. Ein solcher Plan, der im Kern auch der nur mäßig erfolgreichen »Winterschlacht in Masuren« im Februar und März 1915 zugrundegelegen hatte, schien Falkenhayn wirklichkeitsfremd; folgerichtig lehnte er ihn ab. Außerdem hatte er von Cramon erfahren, daß die österreichisch-ungarische Armee, besonders im Abschnitt der k.u.k. 2. Armee, kaum noch in der Lage war, ihren Teil der Front zu verteidigen669. Am 10. April 1915 wurde der Kaiser über den geplanten Durchbruch bei Gorlice-Tarnow unterrichtet 670 . Plessen notierte nach dem Vortrag: »Falkenhayn bringt eine neue Verstärkung von Ost mit 4 A[rmee]K[orps] in Anregung und zwar eine Offensive in den Rücken der Russen auf dem rechten Weichselufer, den Nordrand der Karpathen entlang. Eine forsche Unternehmung. Werden wir dadurch im Westen nicht zu schwach671?« Erst am 13. April wurde schließlich auch Conrad v. Hötzendorf über Falkenhayns Absichten informiert672. In seinen Erinnerungen machte Falkenhayn kein Hehl daraus, daß er seinen österreichischen Kollegen erst sehr spät über den Angriff informiert habe: »Um die Geheimhaltung zu wahren, wurde bei den Vorbereitungen mit besonderer Vorsicht gearbeitet. Selbst dem k.u.k. A.O.K, wurden die entsprechenden Vorschläge erst Mitte April bekanntgegeben, als schon die Truppen verladebereit an den Bahnhöfen standen und Munitionszüge in der Richtung nach Galizien rollten. Man konnte so verfahren, da man der Zustimmung der Verbündeten sicher sein durfte. Hatten sie doch soeben erst wieder und wiederholt deutsche Kräfte zur Stützung der Front [...] in Westgalizien und [...] in dem Gebirgsgelände südöstlich von Gorlice angefordert. [...] Diese Vorschläge waren nicht annehmbar gewesen, da sie keine ganze Arbeit bedeutet hätten673.« 669 670
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Siehe hierzu: Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , B d 7 , S. 356ff. Ebd., S. 360. Noch lange nach dem Krieg erinnerte sich der Kaiser gerne an die Schlacht bei GorliceTarnow und renommierte mit seinem Anteil an der Beschlußfassung, siehe das Gespräch Niemanns mit Wilhelm II. am 25.2.1934 in D o o m , in: BA-MA-P, W-l0/50705. Plessen-Tagebuch, 10.4.1915, ebd., W-10/51063. Der deutsche Generalstabschef schickte ihm folgendes Telegramm: »Euer Exzellenz wissen, daß ich eine Wiederholung des Versuches, die äußersten russischen Flügel zu umfassen, nicht für angezeigt halte. Ebensowenig vorteilhaft scheint mir die weitere Verteilung deutscher Truppen auf die Karpatenfront, lediglich um diese zu stützen. Dagegen möchte ich folgenden Operationsgedanken zu Ihrer Erwägung stellen, bemerke aber, daß ich ihn mit Rücksicht auf die dringend nötige Geheimhaltung selbst in meinem Stabe noch nicht habe bearbeiten lassen. Eine Armee von wenigstens acht deutschen Divisionen wird mit starker Artillerie hier im Westen verfügbar gemacht und auf MuczynGrybow-Bochnik abtransportiert, um dann aus der ungefähren Linie Gorlice-Gromnik in der allgemeinen Richtung auf Sanok vorzustoßen. [...] Eure Exzellenz bitte ich mir baldigst Ihre allgemeine Stellungnahme zu diesem Gedanken und nachfolgenden Fragen zukommen zu lassen.« Es folgten eine Reihe von Fragen über die Verkehrsverbindungen im Angriffsraum und der Vorschlag eines Treffens am nächsten Tag, dem 14. April 1915, in Berlin. Falkenhayn Schloß den Brief mit einem Hinweis auf Italien, der wieder einmal die enge Verbundenheit zwischen der italienischen Frage und jeder Operation an der Ostfront deutlich machte: »Vorbedingung für die Durchführung der Operation bleibt natürlich neben strengster Geheimhaltung, daß Italien durch weitestes Entgegenkommen veranlaßt wird, mindestens bis der Schlag unsererseits geführt ist, Ruhe zu halten. Wie ja Euer Exzellenz überhaupt bekannt ist, daß mir kein Opfer zu groß erscheint, wenn Italien dadurch während des jetzigen Krieges niedergehalten würde [...].« In: Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 7, S. 360; Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 70 f.; Originalakte in: ÖStA-KA, A O K 5 1 2 . Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 69 f. Zur Nachkriegskontroverse zwischen Falkenhayn und Conrad zu diesem Thema siehe S. 507 f.
11. Der Durchbruch im Osten: Die Schlacht bei Gorlice-Tarnow
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Das österreichisch-ungarische Armeeoberkommando war glücklich über die geplante deutsche Offensive und befürwortete sie dringend; der Einsatz so starker deutscher Kräfte war mehr, als Conrad zu hoffen gewagt hatte. Die Freude darüber, daß die brüchige österreichische Ostfront endlich entlastet werden sollte, hinderte ihn jedoch nicht, Falkenhayn am 14. April eine Frage vorzulegen, die in der Folgezeit immer wieder auftauchte und das Verhältnis zwischen den verbündeten Heeresleitungen bis hin zum offenen Bruch belastete: die Frage nach dem Oberbefehl über große deutsche Verbände, die im österreichischen Frontabschnitt eingesetzt werden sollten. Conrad war prinzipiell der Ansicht, daß die Einheiten an einer Front untereinander durch ein einheitliches Oberkommando koordiniert werden müßten und nicht durch zwei verschiedene Zentralen gesteuert werden dürften. Außerdem hielt er es aus Prestigerücksichten für sehr wichtig, die Eigenständigkeit Österreich-Ungarns gerade in Kommandofragen immer wieder zu betonen. Falkenhayn wiederum wollte sich das Verfügungsrecht über seine kostbaren Reserven nicht aus der Hand nehmen lassen. Er mußte befürchten, daß seine Truppen zum Stopfen der Löcher an den österreichischen Fronten eingesetzt und für andere Aufgaben nicht mehr verfügbar sein würden. Uber den zukünftigen Einsatz der deutschen Reserven wollte er aber selbst entscheiden. Bei ihrer Besprechung in Berlin einigten sich Falkenhayn und Conrad am 14. April 1915 auf folgende Regelung: Die acht Infanteriedivisionen bildeten eine neue Armee, die deutsche 11. Armee. Sie wurde unter den Befehl des Generalobersten v. Mackensen gestellt, der auch das Kommando über die k.u.k. 4. Armee erhielt. Seine Weisungen sollte er vom österreichischen Armeeoberkommando, also von Conrad, erhalten, das sich wiederum vor wichtigeren Entscheidungen mit der deutschen Obersten Heeresleitung, also Falkenhayn, »ins Benehmen« zu setzen hatte. Zur Sicherheit formulierte Falkenhayn diese Vereinbarung zwei Tage später schriftlich und sandte eine Kopie nach Teschen an Conrad674. Beide Generalstabschefs versuchten bis zum Angriffsbeginn am 2. Mai 1915, die Angriffsarmee auf Kosten des anderen noch stärker zu machen675. Das russische Oberkommando hatte die deutschen Absichten nicht klar erkannt. Die starken Verschiebungen von der West- an die Ostfront waren zwar nicht unbemerkt geblieben, aber trotzdem war kein klarer Schwerpunkt einer möglichen deutschen Offensive ersichtlich. Ein Angriff am deutschen Teil der Ostfront wurde für möglich, aber nicht für wahrscheinlich gehalten. Obwohl schon Bedenken auftauchten, daß ein deutsch-österreichischer Flankenstoß die Karpatenfront schwer gefährden könnte, hielt das russische Oberkommando an seinen bisherigen strategischen Planungen fest. Die Absprachen der 674 675
Falkenhayn an Conrad, 16.4.1915, in: ÖStA-KA, A O K 5 1 2 , S. 232. Conrad schlug Falkenhayn am 22.4. vor, noch ein deutsches Korps mehr einzusetzen, und verwies auf den Eindruck, den ein großer militärischer Erfolg gegen Rußland auf die italienische Politik machen müsse, siehe: Conrad an Falkenhayn, 22.4.1915, OP.Nr. 727b, ebd., S. 237. Das lehnte Falkenhayn noch am selben Tag ab. Eine weitere Verstärkung sei nicht möglich. Jetzt komme es auf die Überraschung und deshalb auf die baldige Durchführung des Angriffs an. Und am 2.5., dem Angriffstag, lehnte er nochmals die Verlegung deutscher Truppen von der West- an die Ostfront ab. Diese sei militärisch zu riskant wegen der bevorstehenden Angriffe der Westmächte. Dagegen könnten die Österreicher, solange das Hochwasser der Donau einen größeren serbischen Angriff unmöglich machte, ein Armeekorps der an der Donau liegenden k.u.k. 5. Armee abziehen und damit die Angriffsarmee verstärken, siehe: Falkenhayn an Conrad, 22.4.1915, ebd., S. 239; 2.5.1915, ebd., S. 244.
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
Entente-Staaten sahen vor, daß ein kombinierter Angriff Rußlands, Italiens und Serbiens die Donaumonarchie bis Ende Mai 1915 endgültig niederwerfen sollte. Deshalb wollte das russische Oberkommando trotz ernsten Munitionsmangels und großer Erschöpfung der Truppen die österreichische Front in den Karpaten erneut angreifen. Diese Absicht führte dazu, daß große Teile der russischen Armee weiterhin in Angriffsstellung in den Karpaten standen und dem Offensivstoß der Mittelmächte in ihre Flanke lange nichts entgegensetzen konnten. Zu großen Verschiebungen wäre es bei den schlechten russischen Verbindungen hinter der Front in Galizien wahrscheinlich ohnehin zu spät gewesen676. Die Voraussetzungen für einen Erfolg der Offensive waren günstig. Nicht nur das Gelände, sondern auch das zahlenmäßige Verhältnis begünstigte die Angreifer. Obwohl an der Ostfront insgesamt etwa 1,8 Mio. russische Soldaten rund 1,3 Mio. Soldaten der Mittelmächte gegenüberstanden677, war es Falkenhayn und Conrad gelungen, am Angriffsort eine lokale Überlegenheit herzustellen. Den siebzehn Infanterie- und dreieinhalb Kavalleriedivisionen der Mittelmächte lagen die fünfzehneinhalb Infanterie- und zwei Kavalleriedivisionen der 3. russischen Armee gegenüber. Das zahlenmäßige Verhältnis war noch günstiger: 3 5 7 4 0 0 Mann traten gegen 2 1 9 0 0 0 Mann auf russischer Seite an. Der deutschen Armee war es zwar gelungen, an der Westfront ihre Stellungen gegen noch viel größere Ubermacht zu verteidigen. Die deutschen Soldaten waren aber besser motiviert und vor allem auch besser ausgebildet als die Soldaten der zaristischen Armee. Besonders entmutigend mußte für die russischen Soldaten die erdrückende artilleristische Überlegenheit des Angreifers wirken678. Die Durchbruchsschlacht wurde durch nächtliches Störfeuer am Abend des 1. Mai 1915 eingeleitet, in der Nacht erfolgten die letzten Vorbereitungen zum Sturmangriff. Der russische Verteidiger konnte dem um 6.00 Uhr morgens einsetzenden, vierstündigen Wirkungsschießen des Angreifers nichts entgegensetzen679. Die russische Artillerie schwieg. Die zaristische Armee war durch ernsten Munitionsmangel behindert, der nicht nur durch die unzureichende Menge an Munition, sondern auch durch schwere Mängel in ihrem Organisationsund Verteilungssystem verursacht wurde. Die vorhandene Munition war nicht dort, wo sie gebraucht wurde. Wahrscheinlich hätte allein eine bessere Verteilung der vorhandenen Munition in der russischen Armee ausgereicht, um die schlimmsten Engpässe zu vermeiden680. Der nach dem Wirkungsschießen stürmenden Infanterie wurde punktuell erbitterter Widerstand entgegengesetzt, der den taktischen Durchbruch jedoch nur verzögern, nicht mehr verhindern konnte. Auf einem Angriffsstreifen von 45 Kilometern gelang es den deutschen und österreichischen Truppen, innerhalb von drei Tagen die drei russischen Abwehrstellungen zu überrennen. Die russische Führung glaubte zunächst nur an einen lokalen Mißerfolg und zog die Truppen nicht rasch genug auf eine neue Verteidigungsli676 677 678
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Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , B d 7 , S. 3 6 5 - 3 6 7 ; Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S . 6 8 f . Deutschland im ersten Weltkrieg II, S. 75. Hier einige Zahlen zur Ausrüstung der Truppen mit Artillerie (nach ebd., S. 76): 1272 leichten Geschützen der Mittelmächte standen nur 675 leichte Geschütze des russischen Verteidigers gegenüber, den 334 schweren Geschützen der Mittelmächte sogar nur 4 russische. Den 96 Minenwerfern der Mittelmächte konnten die Russen nicht einen einzigen entgegenstellen. Das Verhältnis an Maschinengewehren hingegen war ausgeglichener (660:607). Der Weltkrieg 1914—1918, Bd7, S. 3 6 7 - 4 4 3 , zum Schlachtbeginn, S. 378ff. Siehe dazu: Stone, Front, passim.
11. Der Durchbruch im Osten: Die Schlacht bei Gorlice-Tarnow
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nie zurück. Deshalb gelang es, die zaristische Armee bis Mitte Mai 1915 von der Mitte der Karpaten bis nördlich der Weichsel um 180 Kilometer zurückzudrängen. Der Sieg bei Gorlice wuchs vom taktischen Durchbruch zum strategischen Erfolg an. Der Plan der Entente, die Donaumonarchie durch den Kriegseintritt Italiens und einen gleichzeitigen russischen und serbischen Großangriff endgültig aus dem Felde zu schlagen, war gescheitert. Italien hatte sich zwar schon vertraglich gebunden und konnte nun nicht mehr zurück, mußte aber jetzt einer erheblich gestärkten österreichischen Armee gegenübertreten. Der günstigste Zeitpunkt einer italienischen Intervention war vorüber. Auch psychologisch war der Durchbruch von Gorlice für die Mittelmächte bedeutsam. General v. Cramon beschrieb in seinen Erinnerungen die Stimmung in Österreich-Ungarn: »Nur wer die tiefe Depression nach der Karpatenschlacht miterlebt hat, kann so recht aus Herzensgrund empfinden, was Gorlice bedeutete: die Befreiung von schier unerträglichem Druck, ein Aufatmen nach schwerster Sorge, wiedererwachte Hoffnung und lockende Siegesaussicht681.« Angesichts des großen Erfolges bei Gorlice und einer möglichen Erweiterung des bisherigen Einbruchs beschloß die deutsche Oberste Heeresleitung, Teile des Großen Hauptquartiers nach Pleß in Schlesien zu verlegen. Kaiser, Generalstabschef, größere Teile des Stabes und des Gefolges siedelten am 8. Mai 1915 in das Schloß des Fürsten Pleß um. Wenig später folgte der Kriegsminister682. Pleß lag nur eine Autostunde vom k.u.k. Armeeoberkommando in Teschen entfernt, was die Zusammenarbeit der Generalstabschefs, die sich zu Besprechungen über die Lage an der russischen Front und über die Haltung Italiens häufig zu mündlichen Beratungen treffen mußten, erleichterte. Die Verlegung des Großen Hauptquartiers brachte auch die Einschätzung der Lage durch Kaiser und Generalstabschef zum Ausdruck, daß in der nächsten Zukunft die entscheidenden Operationen im Osten zu erwarten seien. Die Durchbruchsarmee unter Führung von Generaloberst v. Mackensen und seinem Stabschef, Oberst v. Seeckt, hatte am 9. Mai 1915 ihr Angriffsziel erreicht — die Eroberung des Lupkow-Passes in Galizien und die Zurückdrängung der östlich davon stehenden russischen Karpatenfront. Die Schlacht von Gorlice ist damit als gelungene Durchbruchsschlacht in die Geschichte des Ersten Weltkrieges eingegangen und hat den Jüngern der Schlieffenschen Umfassungstaktik die Möglichkeiten eines Frontalangriffes demonstriert. Falkenhayn hatte in der militärischen Zwangslage des Frühjahrs 1915 den richtigen Entschluß gefaßt und auf diese Weise den bedeutendsten militärischen Sieg seiner Laufbahn errungen. Nach dem großen Erfolg bei Gorlice, der sein Ansehen beim Kaiser weiter hob und seine Stellung als Generalstabschef mehr festigte als jemals zuvor, mußte Falkenhayn sich Gedanken über die weiteren Operationen machen. Bereits am 9. Mai 1915 bat er Conrad um eine Meinungsäußerung, was Mackensens erfolgreiche Armee an der Ostfront unter dem k.u.k. Oberkommando jetzt tun könne683. Beide Generalstabschefs kamen schnell überein, in einer rücksichtslosen Verfolgung der russischen Armeen die San-Linie zu erreichen und ihren Erfolg in Galizien weiter auszubauen.
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Cramon, Bundesgenosse, S. 15; Deutschland im ersten Weltkrieg II, S. 77. Zur Datierung der Umsiedlung siehe Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 7, S. 420; Janßen, Kanzler, S. 107, Anm. 11: 7.5.1915, nach Wild von Hohenborn, Briefe, S. 62f., Anm. 1, irrig. Falkenhayn an Conrad, 9.5.1915, in: ÖStA-KA, A O K 5 1 2 , S. 258.
Eine Vernichtung des Feindes ist von den laufenden Operationen im Osten niemals erhofft worden, sondern lediglich ein den Zwecken der Obersten Heeresleitung entsprechender entscheidender Sieg. Falkenhayn am 14. August 1915
12. Sieg oder Separatfrieden? Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915 und seine strategischen Ziele a) Falkenhayns Drängen nach einem Separatfrieden mit Rußland Falkenhayn war nach den bisherigen Erfolgen des Angriffs in Galizien sehr optimistisch. In einer Denkschrift an den Reichskanzler verkündete er am 10. Mai 1915: »Die russische Armee ist morsch.« Der »wuchtige Schlag« der deutschen und österreichischen Armeen habe Rußlands Offensivkraft »für absehbare Zeit gelähmt« und den Mittelmächten die Möglichkeit zurückgegeben, ihre Streitkräfte dort zu verwenden, wo sie es für nötig hielten'84. Aufgrund des fortwährenden Drängens des Auswärtigen Amtes auf Freikämpfung des Verbindungsweges in die Türkei erwog Falkenhayn zunächst, den Angriff in Galizien einstellen und die neue Frontlinie durch ein Minimum an Truppen — vorwiegend Österreichern — verteidigen zu lassen, um auf dem Balkan aktiv werden zu können. Doch entschloß er sich dann mit Nachdruck, der strategisch erstrangigen Ausnutzung des Erfolgs an der Ostfront den absoluten Vorrang vor allen anderen militärischen Erfordernissen zu geben685. Der Vormarsch der Durchbruchsarmee an der Ostfront hatte zwar manche Krise zu überstehen, führte aber zu großen Siegen über die zaristische Armee, zumal trotz des italienischen Kriegseintritts am 23. Mai 1915 keine Kräfte aus Galizien zur Verstärkung der neuen Front abtransportiert wurden686. Seiner Grundlinie getreu, kam Falkenhayn direkt nach den ersten großen Siegen auf seinen Wunsch nach einem Separatfrieden mit Rußland zurück. Am 20. Mai 1915 ließ er dem Reichskanzler durch den Gesandten Treutier mitteilen, daß er vor Beginn einer Operation gegen Serbien »unter allen Umständen erst den galizischen Sieg voll zur Reife« bringen wolle, »um dadurch auf den Balkan zu wirken und eventuelle russische Friedenswünsche zu stärken«687. Und drei Tage später — Italien war gerade in den Krieg eingetreten — verlangte er die »baldige Einleitung von Verhandlungen mit Rußland«688. Diese Forderung war nach dem großen Sieg in Galizien eindrucksvoller als nach den Niederlagen des November 1914, wenn auch seine Zuversicht, Rußland werde sich schon 684 685 686 687 688
Janßen, Kanzler, S. 117; Ullrich, Entscheidung, S. 45. Siehe dazu Kap. V, 15, bes. S. 336 f. Siehe Wendt, Kriegsschauplatz, S. 267 ff. Ullrich, Entscheidung, S. 46. Ebd. Zitat aus: Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 23.5.1915.
12. Sieg oder Separatfrieden? Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915
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in den nächsten Tagen von der »Aussichtslosigkeit seines militärischen Kampfes« überzeugen, zu optimistisch war. Wenig Aussicht auf Erfolg versprach auch seine Idee, an Nikolaus II. zu appellieren, in der Annahme, daß die »Zarenfamilie die Niederträchtigkeit des Treubruchs Italiens anwidern muß«689. Immerhin hatte der Zar die wiederholten dänischen Vermittlungsangebote bisher unter anderem mit der Begründung zurückgewiesen, er könne gegenüber seinen Verbündeten nicht wortbrüchig werden. Der Reichskanzler reagierte zunächst nicht auf diese Vorschläge. Am 3. Juni 1915 gelang den Truppen der Mittelmächte mit der Rückeroberung der österreichischen Festung Przemysl, die am 22. März verlorengegangen war, ein spektakulärer Erfolg. Da die Haltung der Balkanneutralen nach dem Kriegseintritt Italiens weiterhin sehr unsicher war, forderte Falkenhayn den Reichskanzler noch am selben Tag erneut auf, »die momentan günstige Lage des Feldzuges gegen Rußland auszunutzen und den ernsten Versuch zu machen, zu einer Einstellung der Feindseligkeiten zwischen uns und Rußland zu gelangen«. Er regte an, dem Zaren durch die Vermittlung des Königs von Dänemark nach einer sehr positiven Schilderung der militärischen Lage der Zentialmächte folgendes Friedensangebot zu machen: »Wir wollen nur dem sinnlosen Morden, das zwischen unseren Völkern eine Kluft schafft, ein Ende machen, ehe die Uberzeugung, daß unsere Interessen sich nirgends wirklich kreuzen, völlig schwindet. Wir schlagen deshalb vor, daß zwischen Rußland und uns die Feindseligkeiten eingestellt werden. Wir verlangen keinen Treubruch, falls Rußland sich an die Verbündeten gebunden fühlt. Der Friede braucht erst geschlossen zu werden, wenn auch unsere übrigen Gegner Frieden haben wollen oder wenn die Abmachung vom 4. September [1914]690 durch den Austritt eines der Verbündeten hinfällig wird. Militärisch wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn wir serbischen Aspirationen, an die Adria zu kommen, Gewähr leisten6'1.« Falkenhayn war mit der Uberzeugung, daß der Krieg zwischen Rußland und Deutschland ein »sinnloses Morden« sei und sich die deutsch-russischen Interessen »nirgends wirklich kreuzen«, seiner politischen und strategischen Grundlinie treu geblieben. Er versuchte Rußland in jeder Beziehung goldene Brücken zu bauen. Gerhard Ritter kommentiert Falkenhayns Separatfriedenswünsche mit Erstaunen über seine Mäßigung: »So wenig lag ihm an einem militärischen Triumph über Rußland, so einseitig suchte er noch immer die eigentliche Entscheidung im Westen692!« Für das Zarenreich bestand jedoch im Fall eines Separatfriedens, selbst wenn die Bedingungen sehr günstig waren, die Gefahr der diplomatischen Isolierung. England und Frankreich hätten sich mit dem russischen Kurswechsel nicht zufriedengegeben und wahrscheinlich gewaltigen Druck auf Rußland ausgeübt. Die ehemaligen Verbündeten wären zu Feinden geworden und Rußland wäre für die absehbare Zukunft auf die Freundschaft der Mittelmächte angewiesen gewesen. Aus diesen Gründen stieß jeder deutsche Separatfrie689
6.0
6.1
Ullrich, Entscheidung, S. 46, nennt dies treffend einen Appell Falkenhayns an den »monarchischen Ehrenkodex« des Zaren. Falkenhayn meinte das Abkommen von London vom 4.9.1914, in dem sich die alliierten Mächte verpflichtet hatten, keinen Separatfrieden abzuschließen. Treutier an Bethmann Hollweg, 3.6.1915, in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 116 f. (Dok. 96). Ritter, Staatskunst III, S. 87 f.
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
densfühler in St. Petersburg trotz der Erschöpfung des Landes und der schweren Niederlagen seiner Armee auf größte Bedenken. Auch die bisherigen Vermittlungsbemühungen der dänischen Regierung waren von der russischen Regierung sehr reserviert aufgenommen worden. Bei Bethmann fand diese Anregung Falkenhayns nur sehr begrenzte Resonanz, da ihm am selben Tag die Antwort des Zaren auf ein Anfang April 1915 erfolgtes dänisches Vermittlungsangebot bekannt geworden war. Nikolaus II. hatte den Vorschlag, einen russischen Vertrauensmann nach Kopenhagen zu entsenden, und damit den ganzen Vermittlungsvorschlag mit den Worten abgelehnt: »My reply can only be a negative one.« Der dänische Außenminister Scavenius wies seinen deutschen Gesprächspartner, den Diplomaten Brockdorff-Rantzau, darauf hin, daß diese Haltung des Zaren direkt nach dem Kriegseintritt Italiens nicht erstaunlich sein könne, da die Russen, ebenso wie die ganze Entente, hofften, daß der italienische Vormarsch gegen Österreich-Ungarn den Krieg entscheiden werde693. Diese entmutigenden Neuigkeiten ließ Bethmann Hollweg noch am selben Tag dem Generalstabschef über Treutier mitteilen: Er betonte, daß Rußland wahrscheinlich jeden Friedensfühler abweisen werde und der Zar noch nicht in einer militärischen Zwangslage sei, die ihn wider Willen zum Friedensschluß zwinge. »Überhaupt wird er irgend welche Antwort auf einen präzisen Vorschlag an uns nur nach Beratung mit seinen Bundesgenossen abgeben. Jeder Vorschlag von uns hat also zur Voraussetzung, daß wir bereit sind, mit allen unseren Feinden auf Grund der gegenwärtigen Kriegslage Frieden zu schließen. O b unsere Gegner ihrerseits dazu geneigt sind, erscheint mir nach dem Losschlagen Italiens zweifelhaft. Jedenfalls wäre Frieden bestenfalls nur auf Grund des status quo ante zu haben. Ob dieser Weg etwa eingeschlagen werden muß, unterliegt ausschließlich militärischer Beurteilung 694 .« Offenbar wollte er Falkenhayn für den Fall, daß dieser einen Frieden mit allen Gegnern gleichzeitig für nötig hielt — einen annexionslosen Frieden, der in der deutschen Öffentlichkeit tiefe Enttäuschung hervorrufen mußte —, auch die Verantwortung dafür aufladen695. Die annexionistischen Strömungen hatten im Sommer 1915 in Deutschland einen neuen Höhepunkt erreicht696. Bethmann hätte den öffentlichen Protest gegen einen »mageren Frieden« auf die Oberste Heeresleitung ablenken und darauf verweisen können, daß Falkenhayn ihn für das Maximum des militärisch Erreichbaren halte. Der Kanzler machte Falkenhayn auch auf eine Rede des russischen Außenministers Sasonow aufmerksam, der in der Duma gesagt hatte: »Ein Separatfrieden ist unmöglich; der 693
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Brockdorff-Rantzau an Auswärtiges Amt, Kopenhagen, 3.6.1915, in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 115 (Dok. 95). Gerhard Ritter lobt Bethmann für diese Worte und sieht darin im bewußten Gegensatz zu Fischer, Griff, S. 232, zumindest »keine direkte Ablehnung des status quo als Kriegsergebnis«, meint dann aber — erstaunlicherweise noch im selben Satz — daß die »Annahme [des status quo] in ganz Deutschland als militärische Kapitulation empfunden werden müßte — untragbar für den Politiker ebenso wie für den General.« In: Ritter, Staatskunst III, S. 88. Janßen, Kanzler, S. 126. Ebd., S. 145; Ritter, Staatskunst III, S. 91 f.
12. Sieg oder Separatfrieden? Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915
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Krieg wird noch lang und bitter sein, aber er wird andauern bis wir die Garantie eines dauerhaften Friedens haben werden.« Trotzdem wollte Bethmann einen Erfolg der Separatfriedensbemühungen in der Zukunft nicht ausschließen und meinte, daß sich nach vorsichtigen Sondierungen und weiteren militärischen Erfolgen gegen Rußland möglicherweise ein besserer Zeitpunkt finden werde, den Russen ein Angebot zu unterbreiten. Allerdings müsse jetzt, direkt nach dem Kriegseintritt Italiens, damit noch gewartet werden. Er warnte auch davor, daß die Russen den Friedensfühler den Balkanneutralen bekannt machen könnten. Diese würden ihn als Zeichen der Schwäche deuten und sich möglicherweise auf die Seite der Entente schlagen, um nicht zur »Verteilung der Beute« zu spät zu kommen. Doch gab auch Bethmann trotz dieser Bedenken den Separatfriedensbemühungen mit Rußland nunmehr den absoluten Vorrang. Er schrieb am 1. Juni 1915 an die deutsche Delegation in Kopenhagen: »Nur durch Sprengung [... der Entente] erscheint Ende des Krieges erreichbar. Nach Bildung des englischen Coalitionsministeriums ist Chance jetzt minimal, mit England zu annehmbarem Frieden zu gelangen. Dies ist nur mit Rußland möglich, welches seinerseits auch Frankreich gewinnen könnte697.« Bethmann beauftragte außerdem den Gesandten Treutier, Falkenhayn über die Art der »fortgesetzten Einwirkung auf [den] Zaren« zu informieren698. Diese Aufforderung ist symptomatisch dafür, in welch unzureichender Weise Falkenhayn über die bisherigen Versuche, über Dänemark mit Rußland in Separatfriedensverhandlungen eintreten zu können, unterrichtet worden war. Falkenhayn hatte beim Reichskanzler seinen Wunsch nach Separatfrieden mit Rußland geäußert und auf den militärisch günstigen Zeitpunkt für eine Sondierung hingewiesen, die Strategie des diplomatischen Vorgehens aber der Politik überlassen. Offensichtlich unterschätzte er die diplomatischen Schwierigkeiten solcher Verhandlungen und wurde von Bethmann zu Recht auf die großen Probleme hingewiesen. Allerdings war sein Drängen auf diplomatische Schritte berechtigt und nicht, wie Stadelmann urteilte, »der Ausdruck eines fast kindlichen Verlangens nach einem Ausweg aus der ausweglosen Situation«699, sondern angesichts der Haltung des Reichskanzlers durchaus notwendig. Die ausgeprägte Abneigung Bethmanns gegen einen Status-quo-Frieden, die auch wieder aus dieser Mitteilung sprach, war nämlich ein ungeheures Hindernis auf dem Weg zum Frieden700. Besonders hinderlich waren auch seine Angst, daß eine Friedensinitiative als Schwäche ausgelegt werden könnte, und seine Neigung, immer auf einen günstigeren Moment zum Verhandeln warten zu wollen. 697
Bethmann Hollweg an die Delegation in Kopenhagen, 1.6.1915, in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 114f. (Dok. 94). Winterhager, Mission, dessen Untersuchung der dänischen Vermittlungsbemühungen mit dem Kriegseintritt Italiens abschließt, vertritt die Ansicht, daß der Reichskanzler einen Separatfrieden mit Rußland politisch für einen Fehler gehalten habe, weil er seiner prinzipiellen Westorientierung zuwidergelaufen sei. Diese Frage stellt sich bei den Verhandlungen im Sommer 1915 jedoch nicht mehr.
698
Bethmann Hollweg an Treutier, 3 . 6 . 1 9 1 5 , in: L'Allegmagne et les problemes de la paixl, S. 117f. (Dok. 97).
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Stadelmann, Friedensversuche, S. 524.
700
Siehe dazu und zu den Auswirkungen der öffentlichen Meinung auf Bethmanns Haltung: Ullrich, Entscheidung, S. 48.
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Nach diesen neuen Informationen über die ihm bisher unbekannten diplomatischen Rückschläge blieb Falkenhayn wenig anderes übrig, als seinen Vorschlag mit Hinweis auf die ihm »nicht bekannte schroffe Antwort des Zaren an den König von Dänemark« und die »mir ebenfalls bisher nicht bekannte, kürzliche Rede Sazonows« für »hinfällig« zu erklären701. Er gab seinen Separatfriedenswunsch mit Rußland jedoch nicht auf, sondern wartete nur auf einen besseren Zeitpunkt, den er auch aktiv herbeizuführen versuchte. Der Reichskanzler hatte ihm — wie schon im November 1914 — einen engen Zusammenhang zwischen militärischen Erfolgen gegen die russische Armee und daraus entstehenden Separatfriedensneigungen des Zarenreiches aufgezeigt. Falkenhayn versuchte nun, durch eine weitere Verbesserung der militärischen Lage im Osten das Fundament für einen Friedensschluß zu legen702. Am 3. Juni 1915 entschieden Falkenhayn und Conrad bei einer Besprechung in Pleß, die Offensive in Galizien weiter fortzusetzen und »die Operationen gegen den östlich des San befindlichen Gegner bis zu einer für unsere Zwecke genügenden Entscheidung durchzuführen«703. Ihr Ziel war eine möglichst weitgehende Schwächung der russischen Armee, kein vollständiger Sieg; die Formulierung von der »unseren Zwecken genügenden Entscheidung« war ein deutlicher Hinweis auf ihre begrenzten operativen Ziele, die auf eine möglichst weitgehende Lähmung der russischen Offensivkraft abzielten704. Durch den Einsatz weiterer deutscher Kräfte, zum Teil auch von der Westfront, gelang den deutschen und österreichischen Truppen ein großer Geländegewinn, nicht aber der große Erfolg, der das russische Feldheer dauernd hätte lähmen können. Wiederum erwog Falkenhayn — besonders im Hinblick auf den Westen und die Türkei — einen Abbruch der Operationen705. Besonders die Westfront machte ihm immer wieder Sorgen. Nicht nur, daß er dort gerne offensiv geworden wäre — es machte sich immer stärker die große 701
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Schreiben Falkenhayns vom 4.6.1915; Treutier an Bethmann Hollweg, 5.6.1915, in: L'Allemagne et les problemes de la paixl, S. 119 f. (Dok. 99). Die Neigung Falkenhayns zu einem Separatfrieden mit Rußland war im Generalstab und im Auswärtigen Amt nicht verborgen geblieben. Der Bericht eines Beamten des Auswärtigen Amtes vom 10.6.1915 hob hervor, daß Falkenhayn »die Idee eines Separatfriedens mit Rußland« vorbereite und selbst politische Ambitionen auf den Kanzlerposten habe, Bericht Kaulmanns vom 10.6.1915, ebd., S. 121—123 (Dok. 102). Hier wurde Falkenhayns Name zum Symbol der Verständigung mit Rußland, was zum Teil das im Sommer besonders lebhafte Gerücht (siehe Zwehl, Falkenhayn, S. 217) erklären mag, er wolle Bethmann Hollweg ersetzen. Deutschland im ersten Weltkrieg II, S. 78; Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 8, S. 202. Uber die begrenzten Ziele Falkenhayns besteht in der Forschung Konsens. Nicht ein einziges Mal äußerte er im Sommer 1915 oder zu einem anderen Zeitpunkt die Ansicht, das russische Heer könne »vernichtet« werden, wie »Oberost« und andere es beabsichtigten. »Nachdem unsere Operationen in Galizien durch verschiedene Zwischenfälle sehr beeinträchtigt worden sind, ist es mir zweifelhaft geworden, ob es gelingen wird, sie bis zur entscheidenden Niederlage des Feindes weiterzuführen. Dieser wird sich dem Stoß zu entziehen suchen und unbeschränkt nachlaufen können wir ihm nicht. Aber natürlich muß unser Ziel vorderhand seine entscheidende Niederwerfung bleiben.« Falkenhayn an Conrad, 13.6.1915, zu OP.Nr. 11507, in: ÖStA-KA, AOK 512, S. 299. Noch am selben Tag stimmte er jedoch der Verstärkung der Angriffsarmee durch zwei deutsche Divisionen aus Smyrnien zu. Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 8, S. 242.
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zahlenmäßige Überlegenheit der Entente bemerkbar, und ein großer Angriff mußte befürchtet werden. Am 20. Juni 1915 beschloß er in Abstimmung mit Conrad dennoch, die Ostoffensive bis zum Fall Lembergs weiterzuführen, beorderte aber sicherheitshalber vier Divisionen an die Westfront706. Seine Sorge um die Lage im Westen war nicht unberechtigt. Der Generalstab hatte errechnet, daß Engländer und Franzosen an der Westfront um 600 Bataillone überlegen waren. 1880000 deutsche Soldaten standen im Juli 1915 2830000 Engländern und Franzosen gegenüber707. Trotzdem fand diese Vorsichtsmaßnahme Falkenhayns Opposition in seinem eigenen Stab. Oberst Groener notierte am 23. Juni 1915 in sein Tagebuch: »Befehl für den Abtransport von vier Divisionen aus Galizien nach Westen. Für die Operationen gegen die Russen zu früh708.« Auch Kriegsminister Wild versuchte Falkenhayn zu bewegen, »dem Russen an der Gurgel zu bleiben«. Allerdings stellte er in einem Brief vom 24. Juni 1915 besorgt fest: »Falkenhayn schielt bedenklich nach dem Westen709.« Am 22. Juni 1915 nahmen die Mittelmächte Lemberg ein. Im Hauptquartier herrschte Jubelstimmung710. Die deutschen und österreichischen Truppen hatten gegen die zaristische Armee so große militärische Erfolge erzielt, daß ein Eingreifen Rumäniens oder Bulgariens auf Seite der Entente für den Moment nicht mehr zu befürchten war. Die militärischen Operationen verlagerten sich von Galizien immer weiter nach Nordosten — nach Russisch-Polen. Sie waren derart erfolgreich, daß Bethmann Hollweg Falkenhayn schon am 14. Juni 1915 in Abkehr von seinen bisherigen politischen Stellungnahmen darauf hinwies, daß übergroße militärische Erfolge einen Separatfrieden mit Rußland eher unwahrscheinlicher machten. Er bat den Generalstabschef, gegen die Strömungen im Generalstab vorzugehen, die eine Annexion nicht nur Kurlands, sondern auch Rigas und des ganzen Baltikums forderten — Gebiete, die noch gar nicht erobert waren711. Selbstverständlich mußten solche Annexionsforderungen — selbst wenn sie nur inoffiziell erhoben wurden — jeden Friedensfühler nach Rußland ungeheuer erschweren. Der Reichskanzler befürchtete, daß der Annexionismus nach der tatsächlichen Eroberung dieser Gebiete noch zunehmen würde und forderte den Generalstabschef am 16. Juni auf, über Warschau hinaus keine weiteren russischen Territorien zu besetzen, weil dadurch 706 Tagebucheintrag Tappens vom 2 0 . 6 . 1 9 1 5 , in: BA-MA, Nachlaß Tappen. Siehe auch Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 8, S. 248. 707
Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 248 (Mitte Juli 1915); Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 8, Anhang (Falkenhayn an Conrad, 2 2 . 6 . 1 9 1 5 : Westgegner sind um 600 Bataillone überlegen!). Falkenhayn schrieb am 11.6.1915 an »Oberost«, daß »die an militärischem Wert hochstehenden Westgegner über etwa 600 Bataillone in der Front mehr verfügen als wir«. In: BA-MA-P, W-10/50707. Das Reichsarchiv hatte nach dem Krieg Zweifel an diesen Zahlen und prüfte sie nach. Es mußte jedoch, auch anhand französischer Angaben, feststellen, daß die Zahlenangaben Falkenhayns den Tatsachen entsprachen. In: BA-MA, Nachlaß Tappen.
708 Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 8, S. 248. 709 710
Wild an seine Frau, 2 4 . 6 . 1 9 1 5 , in: Wild von Hohenborn, Briefe, S. 76. Tappen notierte in sein Tagebuch: »Abends großes Siegesessen bei S.M. Flasche Sekt.« Tagebucheintrag Tappens vom 2 2 . 6 . 1 9 1 5 , in: BA-MA, Nachlaß Tappen.
711
Siehe dazu Fischer, Griff, S. 239. Aus: Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 14.6.1915, in: PA-AA, Weltkrieg 15 geheim, Bd 1.
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die Russen zum »Verzweiflungskampf« getrieben würden. Auch solle nicht von »höchsten deutschen Stellen« verbreitet werden, »die militärische Macht Rußlands sei bereits gebrochen oder gehe dem Zusammenbruch entgegen«712. Falkenhayn hielt sich in seinen Angriffsentwürfen streng an diese Vorgaben und plante, durch eine Offensive im Juli 1915 einen Großteil Russisch-Polens und Warschau zu erobern — was exakt den Vorstellungen des Reichskanzlers entsprach, ein begrenztes Faustpfand für Unterhandlungen zu erobern, ohne die Russen zum Äußersten zu treiben. Bethmann Hollweg beschäftigte sich in der Zwischenzeit mit erneuten Kontaktversuchen des dänischen Vermittlers Andersen in Rußland 713 . Kriegsminister Wild beschrieb später die Hoffnungen, die Falkenhayn auf die Operationen in Russisch-Polen setzte: »Jedenfalls haben Falkenhayn und ich, als der Entschluß zum Linksabmarsch nach [der Einnahme von] Lemberg gefaßt wurde, doch mindestens von dem Feldzug erwartet, daß er den Russen bis zum nächsten Frühjahr ihre Offensivkraft nähme, während bei Falkenhayn die stille Hoffnung auf einen russischen Sonderfrieden sogar sehr lebhaft gehegt wurde 714 .« Am 13. Juli 1915 begann der Angriff gegen die russischen Armeen in Polen. Hindenburgs Armeen griffen von Nordwesten, Mackensen von Süden, die Armeeabteilung Woyrsch frontal von Westen an. Die Stoßgruppen kamen zunächst sehr gut voran und ein großer Erfolg des Angriffs zeichnete sich schon bald ab. Besonders bedroht war der Weichselbogen und Warschau, dessen Verlust für die Russen vor allem aus politischen Gründen sehr unangenehm sein mußte. Uber den großen Erfolgen des Angriffs verlor Falkenhayn sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen und drängte energischer als je zuvor auf einen Separatfrieden mit Rußland. Sein Ordonnanzoffizier, Hans Henning v. Pentz, erinnerte sich später, daß sein Chef ihm eines Nachmittags in Pleß folgendes Telegramm zum Chiffrieren gab: »Seiner Exzellenz, dem deutschen Reichskanzler, Herrn von Bethmann. Euer Exzellenz empfehle ich dringend, jetzt zu versuchen, mit Rußland einen Sonderfrieden abzuschließen, selbst unter Verzicht auf jeden Landerwerb 715 .« Sehr gelegen kam ihm zu diesem Zeitpunkt auch eine parallele Erwägung seines österreichischen Kollegen. Conrad fertigte am 21. Juli 1915 eine Denkschrift über einen Sonderfrieden mit Rußland an, die er sofort an Falkenhayn schicken ließ. Er führte aus, daß die bald zu erwartende Einnahme von Lublin, Cholm, Iwangorod und vielleicht auch Warschau einen militärisch sehr günstigen Augenblick darstelle, der für diplomatische Schritte ausgenutzt werden müsse: »Das vornehmlichste Ziel dieser diplomatischen Aktion wäre meines Erachtens, Rußland zu einem Abkommen mit uns und unseren bei712
Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 16.6.1915, in: PA-AA, Weltkrieg 2 geheim, Bd 8. Zit. bei Fischer, Griff, S. 239 f. Die letzte Mahnung war vielleicht auch an Falkenhayn gerichtet, der schon am 10.5.1915 behauptet hatte, die russische Armee sei morsch.
713
Ebd., S. 239. Wild von Hohenborn, Briefe, S.90 (Tagebucheintrag vom 1.11.1915). BA-MA, Nachlaß Pentz; Janßen, Kanzler, S. 141, Anm. 1. Leider datiert Pentz diesen Vorgang nur mit »Juli 1915«. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Falkenhayn schon in den ersten Tagen der Offensive, als sich die Erfolge abzuzeichnen begannen, auf erneute diplomatische Aktionen drängte.
714 715
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den Verbündeten zu veranlassen, dadurch den Block unserer Gegner zu sprengen, Rumäniens und Bulgariens Stellungnahme zum Kriege auszuschalten und die jetzt gegen Rußland gebundenen verbündeten Streitklüfte zur Niederwerfung unserer übrigen Feinde freizubekommen.« Man müsse Rußland »goldene Brücken« bauen und »jede Demütigung« ersparen. Neben dem Verzicht auf Annexionen und Reparationen sei sogar zu erwägen, ob man das Zarenreich nicht durch das Angebot der freien Dardanellendurchfahrt über den Separatfrieden hinaus in ein Bündnis mit den Mittelmächten führen könne. Ausdrücklich betonte Conrad, daß er zwar einen Erfolg der Separatfriedensbemühungen durchaus nicht für sicher halte. Möglicherweise würde Rußland einen solchen Vorschlag glatt ablehnen. Trotzdem müsse er »unbedingt gemacht werden«716. Mit diesen Ausführungen war Falkenhayn selbstverständlich sofort einverstanden, und er antwortete Conrad am 22. Juli 1915, daß er bekanntermaßen »ähnliche Gedanken seit längerer Zeit der deutschen Regierung gegenüber vertreten« und das Schreiben deshalb »dem Herrn Reichskanzler sofort übermittelt« habe717. Diesem gab er zusätzlich zu bedenken, daß größte Eile beim Einleiten der diplomatischen Schritte geboten sei. Er meinte, daß eine Sondierung nach dem Fall von Warschau und Iwangorod »wenig Aussicht auf Erfolg haben« dürfte, und fragte unwillig, »ob der richtige Augenblick dafür nicht schon verstrichen ist«718. Damit ließ Falkenhayn seine Kritik an der schleppenden Diplomatie des Kanzlers deutlich werden. Er hatte sich bei seinen Planungen strikt an die politischen Vorgaben gehalten: Die Eroberung von Russisch-Polen war nur noch eine Zeitfrage, das vom Reichskanzler erwünschte Faustpfand in deutscher Hand. Nun lag es an Bethmann, den Russen rechtzeitig entgegenzukommen. Doch es geschah nichts. Gegenüber seinem Adjutanten argwöhnte Falkenhayn sogar, Bethmann Hollweg sei gar nicht richtig an einem Sonderfrieden mit Rußland interessiert und betreibe deshalb die Angelegenheit so halbherzig71'. Erst eine Woche später — am 30. Juli 1915 — raffte sich der Reichskanzler zu einer schriftlichen Antwort auf Falkenhayns Vorwürfe auf. Seit Monaten sondiere er fortgesetzt in Rußland, ob es zu einem Separatfrieden geneigt sei; doch bisher sei die Antwort immer ablehnend gewesen. Deshalb könne auch nicht behauptet werden, »daß der richtige Moment für eine Sondierung verstrichen sei«720. 716
Conrad an Falkenhayn, Militärkanzlei Franz-Josephs, Burian, 2 1 . 7 . 1 9 1 5 , OP.Nr. 13110, in: ÖStAKA, A O K 512. Die Kopie des Schreibens befindet sich auch im PA-AA und ist abgedruckt in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 143 f. (Dok. 117).
717
Falkenhayn an Conrad, 22.7.1915, zu OP.Nr. 13310, in: ÖStA-KA, A O K 512. An Bethmann schickte Falkenhayn das Memorandum noch am selben Tag mit der Bemerkung, daß, »wie Euer Exzellenz ersehen werden, [...] General v. Conrad lediglich Gedanken ausführt], die ich schon häufig die Ehre hatte, Ihnen gegenüber zu vertreten.«
718
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 2 2 . 7 . 1 9 1 5 , in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 142. (Dok. 117).
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Falkenhayn im Sommer 1915 zu Pentz, als dieser ihn nach dem Erfolg seines von Pentz übermittelten Telegramms fragte. In: BA-MA, Nachlaß Pentz.
720
Bethmann Hollweg antwortete auf dieses Schreiben am 3 0 . 7 . 1 9 1 5 in schriftlicher Form, wobei die von Falkenhayn angerissenen Fragen schon auf einem gemeinsamen Treffen am 2 6 . 7 . erörtert worden waren. Es gibt aber keine Aufzeichnungen über Inhalt und Verlauf der Unterredung, siehe L'Alle-
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U m Falkenhayn zu dokumentieren, wie sehr er sich um einen Separatfrieden bemüht habe, berichtete er ihm von der letzten Reise Andersens nach St. Petersburg, deren Ergebnisse er am selben Tag erfahren hatte721. Der Bericht des Dänen enthielt zwar positive Details über die gedrückte Stimmung in Rußland, im Kern war er jedoch eine Enttäuschung. Bethmann bilanzierte, daß »trotz des konstatierten Stimmungsumschwungs nicht anzunehmen [ist], daß auch beim Fortschreiten unserer militärischen Operationen in Polen Rußland sich zu einem Separatfrieden entschließen würde. Die Möglichkeit dazu wird, wenn überhaupt, erst kommen, wenn Rußland seine Hoffnung auf den Fall der Dardanellen und die Gewinnung Bulgariens endgültig aufgeben muß.« Rußland wisse, daß es von den Mittelmächten einen Separatfrieden zu billigen Bedingungen haben könne. Doch sei es dazu einfach nicht bereit und nur ein allgemeiner Frieden möglich. Ein solches deutsches Angebot würde jedoch im Moment von den Gegnern noch als Zeichen der Schwäche gewertet. Erst müßten die Hoffnungen der Entente auf die »Bezwingung der Türkei, den Anschluß der Balkanstaaten und einen Durchbruch im Westen« zerstört werden. »Erst wenn diese Aussichten ausgeschaltet sind, werden wir stark genug dastehen um, wenn unsere Gegner nicht kommen, selbst die Hand zum Frieden auszustrecken.« Damit verlangte Bethmann erneut von Falkenhayn, die militärische Lage als Ausgangspunkt für diplomatische Sondierungen zu verbessern. Er bot nur eine politische Hilfestellung an, um die russische Verhandlungsbereitschaft zu erhöhen: Er wollte den Russen drohen, im besetzten Polen eine Unabhängigkeitsbewegung zu entfesseln. Uber diplomatische Kanäle in Schweden ließ er diese Information nach St. Petersburg durchsickern722. Auch hoffte er, daß durch weitere militärische Erfolge der deutschen Armee die zunehmenden inneren Schwierigkeiten eine Änderung der russischen Haltung erzwingen würden. Er machte Falkenhayn auch Hoffnungen auf die Duma, die in der letzten Zeit eine größere Selbständigkeit zu entwickeln beginne. Doch die Eröffnung der Duma am 1. August 1915 brachte eine weitere Enttäuschung. Außenminister Sasonow verlangte in Anbetracht der erbrachten Opfer die definitive Vernichtung der Feindmächte, bevor Frieden geschlossen werden könne. Am 4. August traf auch die Nachricht von der dritten Absage des Zaren auf die Friedenssondierungen ein. Nikolaus II. fühlte sich, wie Andersen berichtete, weiterhin an seine Ehrenpflicht gegenüber England und Frankreich gebunden und hatte im Falle eines Separatfriedens Angst vor den Repressalien Großbritanniens 723 . Diese russische Entschlossenheit zum Durchhalten zwang Falkenhayn zur Modifizierung seiner Haltung. Er schrieb dem Reichskanzler am 4. August 1915, daß wegen der Einmütigkeit, mit der in der Duma der Krieg bis zum Äußersten gepredigt worden sei, von einem offiziellen Angebot an Rußland wohl nicht mehr gesprochen werden könne. Ein magne et les problemes de la paix I, S. 146, Anm. 4. Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 30.7.1915, ebd., S. 146f. (Dok. 119). 721
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Bericht Brockdorff-Rantzaus aus Kopenhagen an das Auswärtige Amt vom 29.7.1915, eingegangen am 30.7.1915, ebd., S. 145 (Dok. 118). Bethmann Hollweg an die deutsche Delegation in Stockholm, 31.7.1915, ebd., S. 148f. (Dok. 120). Fischer, Griff, S. 235.
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solches habe er »übrigens nicht gemeint, sondern nur eine offiziöse Benachrichtigung des Zaren persönlich und seiner nächsten Ratgeber. Aber auch sie scheiden jetzt aus.« Falkenhayn konnte von den innerrussischen Verhältnissen keine Kenntnis haben, und sein Wunsch nach einer entgegenkommenden Haltung gegenüber dem Zarenreich war in Anbetracht der Kriegslage vollkommen berechtigt gewesen. Allerdings hätte, wenn überhaupt, nur eine viel entschiedenere Verhandlungsführung durch den Reichskanzler und das Auswärtige Amt Resultate erzielen können. Vor allem wäre ein direktes Angebot an Rußland nötig gewesen. Zwar behauptet Fritz Fischer, Bethmann habe den Separatfriedensfühler »mit einer Zähigkeit ohnegleichen verfolgt«724. Allerdings hat sich diese »Zähigkeit« nur sehr bedingt in konkrete Aktionen umgesetzt. Bethmann hatte den Sonderfriedensfühler defensiv betrieben, auf eigene Initiativen verzichtet und sich vollständig auf die dänische Vermittlung verlassen725. Allerdings war die russische Regierung nach der Erkenntnis neuerer Forschungen im Sommer 1915 nicht zum Abschluß eines Sonderfriedens bereit, sondern hing trotz der schlechten militärischen und innenpolitischen Lage ausschweifenden Annexionsplänen nach, die sich nur durch einen vollständigen Sieg hätten realisieren lassen. Nach Kenntnis der innerrussischen Vorgänge muß es zweifelhaft scheinen, ob deutsche Separatfriedensbemühungen Aussicht auf Erfolg hatten — selbst zu den von Falkenhayn und Conrad vorgeschlagenen, sehr entgegenkommenden Konditionen: keine Annexionen, keine Kriegsentschädigung 726 . Nur ein direktes und konkretes deutsches Angebot an die russische Regierung oder an den Zaren, wie es Falkenhayn vorgeschlagen hatte, hätte die letzte Klarheit über die Möglichkeiten eines Separatfriedens und die Festigkeit des russischen Durchhaltewillens bringen können. Doch die entschlossene Konsequenz, eine solche Offerte couragiert und mit dem Risiko eines glatten Fehlschlags zu wagen, fehlte Bethmann. Aus Angst, daß die Entente auf ein Nachlassen des deutschen Kriegswillen schließen könnte, verzichtete er auf einen deutlichen Friedensfühler, und aus der Befürchtung, innenpolitisch als Schwächling dazustehen, konnte er sich nicht einmal in diesem entscheidenden Augenblick zu einem Annexionsverzicht durchringen. Selbst auf dem Höhepunkt der Separatfriedenshoffnungen Mitte Juli 1915 war er nicht bereit, auf die Annexion eines »polnischen Grenzstreifens« zu verzichten, der doppelt so groß wie Elsaß-Lothringen gewesen wäre727. Verhandlungen mit Rußland wären schon an dieser Forderung gescheitert. Nach der Eroberung Russisch-Polens wuchs, parallel zum Ansteigen der annexionistischen Strömungen in Deutschland 728 , auch Bethmanns Wunsch, die deutsche Ostgrenze territorial zu verbessern oder sogar durch »ein von Rußland in der einen oder andern Form losgelöstes Polen« einen »wirksamen Schutz gegen die russisch-panslawistische Flut« aufzubauen. 724 725
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Ebd. Die anderen deutschen Fühler nach Rußland sind wegen ihres inoffiziellen Charakters in ihren Auswirkungen kaum erwähnenswert. Siehe dazu ebd., S. 232—234; Ritter, Staatskunst III, S. 88; Stadelmann, Friedensversuche, S. 536. Zu den russischen Kriegszielen siehe Linke, Rußland, besonders S. 98—127. Dazu Fischer, Griff, S. 235, der auf eine entsprechende Konferenz vom 13.7.1915 hinweist. Dazu Ritter, Staatskunst III, S.91f.
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Er stellte am 4. August 1915 fest: »Die gegenwärtige Kriegslage ermöglicht noch keine Voraussicht darüber, was aus Polen beim Kriegsschlusse werden wird. Sollte sich Rußland zu einem Separatfrieden entschließen, wozu indessen augenblicklich noch keine Aussicht vorhanden, so muß ihm ein billiger Frieden bewilligt werden, der ihm außer den für uns notwendigen strategischen Grenzkorrekturen Polen beläßt729.« Hier wird deutlich, daß Bethmann im Gegensatz zu Falkenhayn und Conrad auch im Falle eines russischen Entgegenkommens nicht auf die »notwendigen strategischen Grenzkorrekturen« verzichten wollte. Hinter seinem Verlangen nach einer »strategischen Grenzkorrektur« verbarg sich keine Forderung der Militärs, die dem widerstrebenden Reichskanzler etwa aufgezwungen worden -wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Noch am 15. Oktober 1915 weigerte sich Falkenhayn, dem Reichskanzler auf die Frage nach militärisch notwendigen Annexionen an der russischen Westgrenze zu antworten. Er stellte keine konkreten Forderungen auf, deutete lediglich an, welche Erwerbungen sinnvoll sein könnten, betonte aber ausdrücklich, sie seien strategisch nicht zwingend 730 . Immerhin sah Bethmann die Notwendigkeit einer flexiblen Haltung in der polnischen Frage ein. Deshalb versicherte er Falkenhayn, daß er die Möglichkeit eines Separatfriedens mit Rußland trotz gegenwärtig mangelnder Aussicht auf Verwirklichung auch weiterhin erwägen wolle. Er habe, wie Falkenhayn wisse, den allgemeinen Gründen, welche die Rückenfreiheit nach Osten dringend wünschenswert erscheinen lassen müßten, stets zugestimmt, und halte es nicht für ausgeschlossen, daß, »wenn die Widerstandskraft der Russen in Folge ihrer gegenwärtigen Schlappen« wirklich erlahme und die Aussicht auf den Fall Konstantinopels zunichte werde, der Zar doch noch einlenke. »Zum mindesten dürfen wir einer derartigen Entwicklung, die unsere Stellung gegenüber Frankreich und England so wesentlich verbessern würde, nicht durch die Art, wie wir Polen behandeln, präjudizieren 731 .« Eine radikale Lösung der polnischen Frage mußte jede Chance auf einen künftigen Separatfrieden mit Rußland außerordentlich vermindern. Deshalb bemühte sich Falkenhayn im August 1915, die polnische Frage so dilatorisch zu behandeln, wie es den Wünschen des Kanzlers entsprach. Er suchte im Schriftverkehr mit Conrad den Ausdruck »Interessengebiet« im Zusammenhang mit den Verwaltungsgebieten in Polen bewußt zu vermeiden, um keine Probleme mit den Österreichern entstehen zu lassen732. Auch bei der Besetzung Warschaus wollte Falkenhayn alles vermeiden, was wie eine Entscheidung über die politische Zukunft Russisch-Polens hätte wirken können. Er schlug Conrad am 729
730 731
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Bethmann Hollweg an Treutier, 4.8.1915, in: L'Allemagne de les problemes de la p a i x l , S. 149f. (Dok. 121). Unterredung Bethmann Hollwegs mit Falkenhayn, 15.10.1915, in: Sweet, Germany, S. 192. Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 4.9.1915, in: L'Allemagne de les problemes de la paix I, S. 151 f. (Dok. 123). Staatssekretär v. Jagow hatte Falkenhayn sogar schon am 19. Juli 1915 gebeten, »die polnische Frage auch weiterhin dilatorisch zu behandeln, um Österreich-Ungarn gegenüber freie Hand zu behalten, und ferner, um bei Eintritt in Friedensverhandlungen mit Rußland nicht durch irgendwelche Verpflichtungen in dieser Frage beschwert zu sein.« Er bat Falkenhayn, daß »auch von militärischer Seite kein Präjudiz — z.B. durch Erlaß von Proklamationen — geschaffen würde«. Jagow an Treutier, 19.7.1915, zit. bei: Ullrich, Frage, S. 349. Falkenhayn an Conrad, 4.8.1915, Ankunft Teschen 5.8.1915, OP.Nr. 13720, in: ÖStA-KA, A O K 512. Falkenhayn an Conrad, 3(?).8.1915, zu OP.Nr. 13720, ebd.
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4. August 1915 vor, aus der Besetzung Warschaus keinen feierlichen oder politischen Akt zu machen, sondern das Ereignis in denkbar nüchternen und militärisch geschäftsmäßigen Formen zu vollziehen, auf die geplante Teilnahme einer k.u.k. Infanteriedivision zu verzichten und auch Burian zu überreden, nicht auf seinem Wunsch einer gemischten Besatzung zu bestehen733. Im August 1915 bemühte sich Falkenhayn, alle Türen nach Rußland trotz der bisherigen Enttäuschungen offenzuhalten und sich nicht durch unbesonnene Schritte in Polen definitiv die Möglichkeit eines Separatfriedens zerstören zu lassen. b) Falkenhayns begrenzte militärische Ziele im Osten — Streit mit »Oberost« Falkenhayns Separatfriedenswunsch war auch wesentlich von seiner Einsicht geprägt, daß Rußland bei der Mehrfrontenbedrohung nicht vollständig besiegt werden könne. Sollte sich eine politische Einigung als unmöglich erweisen, hielt er die Ausschaltung der russischen Offensivkraft734 für das Äußerste des Erreichbaren und ließ sich von dieser Ansicht auch nicht durch die unerwartet großen Erfolge des Sommers 1915 abbringen. Mehrfach stellte er fest, daß die Russen einer Offensive durch Rückzug ausweichen würden und die Mittelmächte ihnen nicht »unbeschränkt nachlaufen« könnten735. Hindenburg und Ludendorff glaubten hingegen wie schon im Herbst 1914 an die Möglichkeit, die russische Armee vollständig vernichten zu können. Der Streit zwischen Falkenhayn und »Oberost« über diese Frage erreichte im Sommer 1915 seinen Höhepunkt. Der Gegensatz wurde akut, als sich das Kampfgeschehen von Galizien immer weiter nach Nordosten verlagerte und sich somit dem Befehlsbereich von »Oberost« näherte. Seit der Schlacht von Gorlice hatten Falkenhayn und Conrad den Angriff sich einfach entwickeln lassen und der Durchbruchsarmee immer neue taktische Ziele gesetzt. Nach der Eroberung Lembergs am 22. Juni begann sich jedoch die Frage zu stellen, wie die Operationen fortgesetzt werden sollten. Rüssisch-Polen war nunmehr von zwei vorspringenden Frontlinien umklammert: im Norden von Hindenburgs Armeen in Ostpreußen, im Süden von der Angriffsspitze der Mackensen-Armee in Galizien. Diese Frontlinie bot von sich aus eine Umfassungsoperation an. Darüber waren sich auch alle beteiligten Stäbe einig. Jedoch traten bei der Ausgestaltung der Umfassung starke Differenzen auf. Falkenhayn bevorzugte eine kleinere Lösung, mit einem Vormarsch der HindenburgTruppen aus dem Norden über den Narew. Die beiden Zangen — die Armeegruppe Gallwitz von Norden und die Mackensen-Armee von Süden — sollten sich hinter Warschau bei Siedlice treffen und die russischen Truppen im Raum Warschau einkesseln736. Hindenburg und Ludendorff schlugen hingegen vor, die Offensive Mackensens durch einen eigenen Angriff über den Njemen hinweg zu unterstützen. Als Ziel dachten sie an die Eroberung von Kowno und vielleicht sogar von Wilna. Im Laufe des Juli 1915 733 734 735 736
Falkenhayn an Conrad, 4.8.1915, zu OP.Nr. 13658, ebd. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 90 (Tagebucheintrag vom 1.11.1915). Falkenhayn an Conrad, 13.6.1915, zu OP.Nr. 11507, in: ÖStA-KA, A O K 5 1 2 , S. 299. Janßen, Kanzler, S. 135, weist darauf hin, daß Falkenhayns Operationsplan dem ersten Kriegsplan Moltkes und Conrads entsprochen habe. Siehe auch Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 8, S. 264 ff.
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feilte der Stab von »Oberost« diesen Plan immer weiter aus und kam schließlich auf den Gedanken, den ursprünglichen Entlastungsangriff über den Njemen zu einer großen Umfassungsoperation auszugestalten. Die Armeen Hindenburgs sollten in nordöstlicher Richtung auf Kowno vorstoßen, dann nach Süden abschwenken, das russische Heer in der Flanke und im Rücken fassen und einen großen Teil der russischen Armeen vernichten737. »Oberost« wandte ein, daß Falkenhayns Zange zu flach angesetzt sei, und befürchtete, daß es den russischen Armeen gelingen werde, sich dieser Umfassung zu entziehen. Sie versprachen sich von ihrer eigenen Operation einen kriegsentscheidenden Erfolg über die russische Armee738. Falkenhayn, seit der mißlungenen Winterschlacht in Masuren mißtrauisch gegenüber den großen Versprechungen und phantasievollen Projekten von »Oberost«, lehnte diesen Entwurf ab. Er war der Ansicht, ein solcher Vorstoß der Hindenburg-Truppen würde bei den großen Entfernungen »exzentrisch zerflattern«739 und könnte keinen Einfluß auf die Hauptoperationen an der Weichsel gewinnen. Er schätzte die russische Widerstandskraft höher ein als die Planer im Stab von »Oberost«740 und stellte vor allem mehr als diese die Mehrfrontenbedrohung in Rechnung. Deshalb wollte er seine militärischen Ziele im Osten auf das sicher Erreichbare — die Eroberung Russisch-Polens als Faustpfand für Unterhandlungen und die Lähmung der Offensivkraft des russischen Heeres — begrenzen741. Hindenburg mußte bei einer Aussprache über die weiteren Operationen am 2. Juli 1915 in Posen sogar eingestehen, es sei mehr Gefühlssache, ob man am Narew oder nördlich des Njemen angreifen wolle742. Dadurch hatte er Falkenhayn die Ablehnung seiner Vorschläge leichtgemacht. Allerdings hätte auch entschlossener Widerstand von »Oberost« die Dispositionen des Generalstabschefs nicht ändern können, zumal er die Unterstützung des ebenfalls anwesenden Kaisers erhielt. Die militärischen Erfolge seit Jahresbeginn hatten Falkenhayns Stellung stark gefestigt, und er hatte noch weniger Probleme als zuvor, seine strategischen Vorstellungen durchzusetzen — auch gegen »Oberost«. Ludendorff hatte schon die bisherigen Erfolge in Galizien mißgünstig kommentiert. Er schrieb am 18. Juni 1915 an Moltke: »Es ist ja nicht leicht für uns, nachdem wir den Russen mürbe gemacht haben, die Ernte und den Ruhm anderen zu überlassen743.« Die Anlage der Flügeloperation gab ihm zu weiterem Mißfallen Anlaß. Wieder einmal fühlte er sich von Falkenhayn um einen sicheren Erfolg gebracht. Seine Frau erinnerte sich später, daß sogar seine Privatbriefe im Sommer 1915 »nichts als eine einzige große Anklage gegen Falkenhayn« gewesen seien744. 737 738 739 740 741 742 743
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Ebd., S. 272; Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 114. Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 8, S. 272. Ebd., S. 274; Ullrich, Entscheidung, S. 51. Siehe dazu auch Delbrück, Ludendorff. Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 8, S. 274. Ebd., S. 275; Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 98. Siehe die bei Zechlin, Krieg, S. 192—226, abgedruckten Briefe Ludendorffs aus dem Sommer 1915. Zitat ebd., S. 218. Zit. ebd., S. 197.
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»Oberost« kritisierte im Juli 1915 fortwährend die Operationsführung in Russisch-Polen, sah den Angriff am 26. Juli 1915 sogar schon steckengeblieben745. Jedoch zu Unrecht. Trotz einiger Stockungen bei der Armee Mackensen kam der Angriff gut voran, vor allem, nachdem die frontal angreifende Armeegruppe Woyrsch in der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1915 den Weichselübergang erzwungen hatte. Aus der Sorge heraus, eingekesselt zu werden, begannen die Russen den Weichselbogen und Warschau zu räumen. Die nachdrängenden deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen eroberten Lublin, Cholm und Iwangorod und rückten am 5. August 1915 in das von den Russen verlassene Warschau ein746. Sie verfolgten die zurückweichenden russischen Armeen, die sich in Richtung Osten zurückzogen, und versuchten, die Buglinie zu erreichen und die dortigen russischen Festungen — vor allem Brest-Litovsk — ebenfalls zu erobern. Der Verlauf der Kämpfe hatte zu großen Erfolgen geführt, aber infolge des freiwilligen Rückzugs der Russen nicht zur von »Oberost« erhofften weitgehenden Vernichtung des russischen Heeres. Falkenhayn sah sich durch den Operationsverlauf in seinen Annahmen bestätigt: Die Russen wichen den deutschen Angriffen aus und zogen sich ins Innere Rußlands zurück, wohin sie die Mittelmächte nicht verfolgen konnten 747 . Hindenburg und Ludendorff sahen in den Kämpfen hingegen den Beweis für ihre Vermutung, daß Falkenhayns Umfassungsangriff zu flach angesetzt worden sei und dadurch den Russen die Möglichkeit gegeben habe, sich rechtzeitig zurückziehen und ihr Heer ohne entscheidende Einbußen retten zu können. Erneut brachten sie dem Generalstabschef ihren Operationsentwurf in Erinnerung. Hindenburg schrieb am 13. August 1915 an Falkenhayn: »Die Operation im Osten hat trotz vortrefflicher Leistungen des NarewStoßes nicht zur Vernichtung des Feindes geführt. Der Russe hat sich, wie zu erwarten war, der Sache entzogen und läßt sich frontal in der ihm erwünschten Richtung zurückdrängen. Andererseits ist mir noch aus Gegend Kowno ein entscheidender Schlag möglich. [...] Daß ich in der Offensive meines linken Flügels gegen Verbindungen und Rücken des Feindes die einzige Möglichkeit zu dessen Vernichtung erblickt habe, betone ich nochmals. Diese Offensive ist wahrscheinlich auch jetzt noch das allerletzte Mittel, einen neuen Feldzug zu vermeiden, im Falle es hierzu nicht bereits zu spät ist748.« Hindenburg verwendete hier den Ausdruck »Vernichtung des Feindes«. Nach Clausewitz bedeutet »Vernichtung« jedoch, daß die Streitmacht des Gegners in einen solchen Zustand versetzt werden muß, »daß sie den Krieg nicht mehr fortsetzen kann« 749 . Im militärischen Denken Ludendorffs — und damit auch Hindenburgs — waren die Worte »Entscheidung«, »Niederwerfung« oder »Vernichtung des Feindes« offensichtlich gleichbedeutend, weshalb sie nicht zu Unrecht in der Fachliteratur der Zwischenkriegszeit als »Vernichtungsstrategen« charakterisiert wurden — im Gegensatz zum »Ermattungsstra745
746 747
748 749
Hindenburg an Wilhelm II., 26.7.1915, in: Wendt, Kriegsschauplatz, S. 458 (Dok. 71); Falkenhayn an Hindenburg, 30.7.1915, ebd., S. 459 (Dok. 72). Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 8, S. 264—432. Er äußerte sich sogar belustigt über die »alberne Presse«, die von der Operation mehr erwartet hatte. In: Wild von Hohenborn, Briefe, S. 90 (Tagebucheintrag vom 1.11.1915). Hindenburg an Falkenhayn, 13.8.1915, in: Wendt, Kriegsschauplatz, S.459 (Dok. 73). Clausewitz, Vom Kriege, S. 38.
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tegen« Falkenhayn750. Anders als Falkenhayn wollten sie Rußland nicht nur schwächen, sondern vollkommen niederwerfen, militärisch »vernichten« und einen »neuen Feldzug vermeiden«. Falkenhayn fühlte sich durch diesen Brief gründlich mißverstanden und erteilte den »Vernichtungsstrategen« am 14. August 1915 eine scharfe Absage. Er schrieb an Hindenburg: »Eine Vernichtung des Feindes ist von den laufenden Operationen im Osten niemals erhofft worden, sondern lediglich ein den Zwecken der Obersten Heeresleitung entsprechender entscheidender Sieg. Die Vernichtung im Ganzen durfte im vorliegenden Falle nach meiner Ansicht, die nach Billigung durch S.M. allein maßgebend bleiben muß, auch nicht angestrebt werden; es fehlen einfach die Grundlagen dafür, denn man kann einen der Zahl nach weit überlegenen frontal gegenüberstehenden Gegner nicht zu vernichten streben, der über vorzügliche Verbindungen, beliebige Zeit und unbeschränkten Raum verfügt, während man selbst im eisenbahnlosen, wegarmen Gelände mit enger Zeitbegrenzung und in Verbindung mit sehr vielen nicht stoßkräftigen, teilweise sogar nicht widerstandsfähigen Truppen zu operieren gezwungen ist. Daß der Feind aber jetzt schon für unsere Zwecke entscheidend geschlagen ist, wird niemand bezweifeln, der sich vergegenwärtigt, daß die Russen in 3 Monaten etwa 750000 Mann allein an Gefangenen, ungezähltes Material, neben Galizien das Königreich Polen und das Herzogtum Kurland, endlich die Möglichkeit verloren haben, Österreich-Ungarn während der Einleitung des italienischen Krieges oder aber in absehbarer Zeit ernsthaft zu bedrohen, sowie die andere, ihre Odessa-Armee im kritischen Moment am Balkan einzusetzen. Es besteht ferner einige Aussicht, daß sich die Ergebnisse der Operation noch erhöhen, da es gelungen ist, in den Raum zwischen Bielostok und Brest-Litowsk nicht weniger als 5 gründlich geschlagene feindliche Armeen zu drängen751.« Falkenhayn konnte »Oberost« mit dieser klaren Argumentation nicht überzeugen. Ludendorff wertete sie als Ausrede für das angebliche strategische Versagen des Generalstabschefs und war überaus aufgebracht752. Er schrieb einen Tag darauf an Moltke: »Die strategischen Grundsätze, nach denen wir hier Krieg führen, sind in höchstem Maße unbefriedigend. Ich habe immer wieder betont, die Operation in Polen endet mit einem frontalen Zurückdrängen der Russen. [...] Nur andeuten können wir Sehenden, was zu erreichen gewesen wäre, wenn wir so handeln dürften, wie wir gewollt hätten. [...] Immer denke ich, immer hoffe ich, die Stunde der Rache kommt für diese Sünden am Vaterland. Vorläufig bin ich machtlos. Die Kamarilla herrscht nach wie vor und hält Jeden fern. [...] Ich könnte eine Klageschrift schreiben, aber jetzt hört sie niemand, das kommt später. Verzeihen, Euer Exzellenz, diesen Haß. Aber wo ein voller Sieg zu erreichen war, das Wort zu hören, >das Erreichte genügt für die Zwecke der Obersten Heeresleitung< das geht über das Menschenmögliche hinaus 753 .« 750 751 752
753
Dazu besonders: Delbrück, Ludendorff; ders., Selbstporträt. Falkenhayn an Hindenburg, 14.8.1915, in: Wendt, Kriegsschauplatz, S.460 (Dok. 74). Ein Beobachter, der Schwiegersohn Hindenburgs, urteilte am 28.8.1915: »Ludendorff schäumt förmlich. Er ist außer sich. Betrachtet alles als persönliche Kränkung.« In: Brockhusen-Justin, Weltkrieg, S. 74ff.; zit. auch bei: Janßen, Kanzler, S. 155. Ludendorff an Moltke, 15.8.1915, in: Zechlin, Krieg, S. 220.
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Strategisch setzte Ludendorff der Erkenntnis Falkenhayns, daß mit einem der Gegner, vorzugsweise Rußland, ein Separatfrieden abgeschlossen werden müsse, seine eigene Konzeption entgegen, die sich das Niederwerfen aller Gegner zum Ziel setzte. Eine politische Einigung mit dem Zarenreich hielt er weder für möglich noch für nötig, »denn wir sind stark«754. Nach dem Sieg über Rußland sollten auch die Westmächte niedergekämpft und Rußland ebenso wie England »rücksichtslos« geschwächt werden. Erst dann wollte er eine politische Ubereinkunft mit Rußland ansteuern755. Ludendorff glaubte, mit der Reihenfolge Sieg im Osten, dann auch Sieg im Westen, den sicheren Weg zum Siegfrieden gefunden zu haben756. In unverständlicher Weise unterschätzten Hindenburg und Ludendorff bei diesen Plänen nicht nur die russischen Möglichkeiten, sondern auch die Gefährdungen an den anderen Fronten757. Kriegsminister Wild urteilte nach einem Besuch bei »Oberost« im Spätjahr 1915: »Für den Westen, für Belgien oder für Serbien gibts bei diesem Stab gar kein Verständnis; man will seinen russischen Feldzug zu Ende führen und hofft, damit den Krieg zu Ende zu bringen758.« Falkenhayn, auf der Höhe seines Erfolges, war nicht gesonnen, seine Strategie von diesen Rezepten von »Oberost« abhängig zu machen. Nicht ohne Sarkasmus und mit einem Seitenhieb auf den Ausgang der Winteroffensive in Masuren — die Hindenburg ebenfalls mit größten Versprechungen begonnen hatte — stellte er im Oktober 1915 fest: »Ich vermag mich bei meinen Vorschlägen nach den reichen Erfahrungen des letzten Winters nicht auf die Gefühle anderer, sondern lediglich auf meine eigene Uberzeugung zu stützen759.« Auch als er im August 1915 die Eröffnung der Offensive über den Njemen genehmigte, beabsichtigte Falkenhayn nicht, »den Russen endgültig zu schlagen«760, und als Hindenburg ihn Ende August 1915 schon wieder mit dieser Absicht konfrontierte, bezweifelte er, »daß es auf irgendeine uns mögliche Weise gelingen könnte, einen Feind wirklich endgültig zu schlagen, der fest entschlossen ist, ohne Rücksicht auf Opfer an Land und Leuten zu weichen, sobald er angefaßt wird, und dem dazu das weite Rußland zur Verfügung steht«. Und er erinnerte Hindenburg daran, daß er zwar versuchen sollte, die Russen weitgehend zu schädigen, daß aber das Erreichen einer möglichst kurzen und zur Einrichtung einer Dauerstellung geeigneten Frontlinie unverändert im Vordergrund zu stehen habe761. 754 755 756
757
758 759 760 761
Ludendorff an Zimmermann, Ende August (pr. 27.8.) 1915, in: Ritter, Staatskunst III, S. 603. Ludendorff an Rathenau, 6.9.1915, in: Zechlin, Krieg, S. 2 2 1 - 2 2 3 . Eine wichtige Rolle spielte bei ihm auch persönliches Prestigedenken. Zwar beteuerte Ludendorff, er liebe sein Vaterland glühend, doch gleichzeitig machte er sich auch Sorgen um seinen persönlichen Ruhm. Siehe ebd., S. 220. »Daß wegen Schuld anderer mein Ruf leiden muß, ist schwer für mich.« Hindenburg selbst gestand nach dem Krieg in seinen Memoiren ein, daß er als »Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte im Osten« nicht die Gesamtlage, sondern »nur einen Teil dieses Bildes« — nämlich die deutsche Ostfront — habe überblicken können. Hindenburg, Leben, S. 130; Zwehl, Falkenhayn, S. 148. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 123 (Tagebucheintrag vom 16.12.1915). Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 8, S. 624. Hindenburg an Falkenhayn, 30.8.1915, ebd., S. 491. Falkenhayn an Hindenburg, 31.8.1915, ebd., S. 492.
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Ende August und Anfang September 1915 rückten die Armeen Hindenburgs im Baltikum weiter vor, während ein gleichzeitiger Angriff Conrads in Galizien vollkommen scheiterte und zu schweren Einbußen der Österreicher führte. Durchschlagende Erfolge gegen die russische Armee blieben jedoch auch bei Hindenburg aus. »Oberost« konnte nur weitere Geländegewinne, vorwiegend in Kurland, erzielen und am 18. September 1915 die litauische Hauptstadt Wilna erobern762. Politisch waren diese Angriffe eine Enttäuschung: Alle Hoffnungen Falkenhayns, daß die russische Führung nach weiteren schweren Niederlagen mehr Einsicht zeigen würde, erfüllten sich nicht. Aus seiner Warte waren diese Erfolge nur von einem beschränkten Nutzen. Zwar schwächten sie die Russen weiter, förderten aber nicht ihren Separatfriedenswunsch und entzogen der deutschen Armee Kräfte, die an anderer Stelle — in Serbien und an der Westfront — dringend gebraucht wurden. Außerdem führte gerade die räumliche Ausdehnung zu verlängerten Verbindungswegen und einem Verlust an strategischer Beweglichkeit. Mit den Absichten, einen Vorstoß in Richtung Kowno zu unternehmen, verbanden sich bei »Oberost« auch annexionistische Absichten 763 . Das Baltikum, in dem es eine dünne deutsche Oberschicht gab, sollte erobert und dem Deutschen Reich politisch angegliedert werden. Ludendorff sprach sogar davon, sich ein »Königreich« — das heißt einen möglichst unabhängigen eigenen Machtbereich — in Litauen und Kurland schaffen zu wollen 764 . Für diese Absichten hatte Falkenhayn nicht die geringsten Sympathien; sie erschienen ihm in Anbetracht der Gesamtlage einfach als abwegig. Doch wurde ihm diese Haltung sogar von seinem eigenen Parteigänger, dem Kriegsminister Wild, vorgeworfen, der im Dezember 1915 schrieb: »Falkenhayn [...] hat gar keinen Sinn für den Wert der Besitzergreifung Kurlands oder für weitere Pläne Hindenburgs. Wie sollen die beiden Leute dabei zusammenkommen, abgesehen von aller zweifellos vorhandenen und durch die Vorgänge gesteigerten Antipathie 765 !?« Hindenburg und Ludendorff spielten die Gegensätze zu Falkenhayn sogar in die Öffentlichkeit, was bei Hindenburgs Popularität nicht unbedenklich für den Generalstabschef war. Als der Zentrumsabgeordnete Erzberger ihn wenig später auf seine Schwierigkeiten mit »Oberost« ansprach, stellte er lakonisch, aber nicht ganz der Wahrheit entsprechend fest, daß seine Differenzen mit Hindenburg und Ludendorff nicht größer seien als mit anderen Armee-Oberkommandos, »nur erfährt die ersteren stets die Öffentlichkeit, wobei ich bemerke, daß ich der Öffentlichkeit den Stoff nicht liefere«766. Die ablehnende Haltung von »Oberost« hatte während des Juli 1915 destruktive Züge angenommen. Hindenburg hatte es sogar unterlassen, dem von Falkenhayn befohlenen Angriff über den Narew seine sämtlichen verfügbaren Kräfte zuzuführen 767 . Falkenhayn beschloß daraufhin, die Befehlsbefugnisse Hindenburgs einzuschränken. Er entzog ihm 762 763 7M 765 766 767
Janßen, Kanzler, S. 156 f. Zum Annexionismus in Deutschland im Sommer 1915 siehe Ritter, Staatskunst III, S. 91 f. Ebd., S. 87, auch Anm. 65, S. 603. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 123 (Tagebucheintrag vom 16.12.1915). Ebd. Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 8, S. 370ff.
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schrittweise den Befehl über die 9. Armee, die Armeeabteilung Woyrsch, sechs Etappenkommandos und unterstellte sie wieder direkt der Obersten Heeresleitung. Am 24. August 1915 wurde im eroberten Russisch-Polen das General-Gouvernement Warschau eingerichtet. Als Generalgouverneur hatte Falkenhayn seinen alten Gegner Moltke vorgeschlagen768, der Reichskanzler stimmte jedoch nicht zu, und deshalb wurde Beseler, der Eroberer Antwerpens, in diese Stellung eingesetzt 769 . Der Generalgouverneur wurde ebenfalls nicht »Oberost«, sondern dem Kaiser direkt unterstellt. Hindenburg war damit nicht mehr der »Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte im Osten«, sondern de facto nur noch Oberbefehlshaber einer starken Armeegruppe an der Ostfront. Nachdem er sich bereits am 12. August bei Falkenhayn schriftlich beklagt hatte, daß »der für seine Stellung unerläßliche, selbstredend dem ganzen dienstbare Grad an Selbständigkeit allmählich und wiederholt in recht verletzender Form eingeschränkt worden sei«770, bat er nunmehr den Generalstabschef sowie Lyncker und Wild um eine neue Amtsbezeichnung, da der Titel »Oberbefehlshaber der gesamten deutschen Streitkräfte im Osten« zur schneidenden Ironie geworden sei771. Dieser Vorschlag wurde Hindenburg von Falkenhayn wieder ausgeredet; ihm wurde zugesagt, daß er nach Abschluß der Sommeropeiationen wieder die seinem Titel entsprechenden Befugnisse erhalten werde — eine Zusage, die jedoch später nicht eingelöst wurde. Allerdings nahm Falkenhayn die Gelegenheit zum Anlaß, um Hindenburg am 24. August 1915 grundsätzlich klarzumachen, wer die Befehle zu erteilen und wer zu gehorchen habe: »In dieser Stellung [als Generalstabschef] meine ehrliche, sachliche Uberzeugung der Ansicht irgendeines anderen, mag er auch noch so hoch stehen, mag die in Frage kommende Person auch noch so verehrungswürdig sein, unterzuordnen, wäre ein Verbrechen [...], nicht etwa, weil ich mich für besser halte als viele andere — ich kenne meine Unzulänglichkeit nur zu genau — sondern weil es in meinem Amt [...] nach meiner Auffassung keine sachlichen Kompromisse geben darf772.« Gerhard Ritter beurteilt diese Stellungnahme nicht zu Unrecht als »eindrucksvoll und würdig«773; Falkenhayn hatte den richtigen Ton zwischen Selbstbewußtsein und Bescheidenheit getroffen. Selbstbewußtsein konnte er sich inzwischen auch leisten. Anlage und Durchführung der Sommeroffensive 1915 waren der Höhepunkt seiner militärischen Führungskunst 774 . Er hatte den Angriff im Mai 1915 mit beschränkter Zielsetzung begonnen, ihn dann aber zu einem großen strategischen Erfolg ausgebaut. Bis in den September 1915 hinein konnten die russischen Armeen die Offensive der Mittelmächte nicht zum Stehen bringen und mußten nacheinander Galizien, fast ganz Kongreßpolen, Litauen und Kurland aufgeben. Die zaristische Armee ging stark geschwächt aus diesen Kämpfen hervor: Von Mai 768
Treutier an das Auswärtige Amt, 4 . 8 . 1 9 1 5 , in: PA-AA, Polen 26, Bd 1.
769
Treutier an das Auswärtige Amt, 14.8.1915, ebd.
770
Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 8, S. 347.
771
Ebd., S. 350 f.
772
Ebd., S. 350; Janßen, Kanzler, S. 154 f.
773
Ritter, Staatskunst III, S. 603.
774
Ebd., S. 85, beurteilt die Sommeroffensive 1915 als den letzten »ganz großen Waffenerfolg«, den Deutschland im Ersten Weltkrieg erzielt habe.
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bis September 1915 verlor sie 1410000 Mann775. Vom Kriegsausbruch bis zum Jahresende 1915 betrugen die russischen Verluste inzwischen sogar schon 2,2 Mio. Mann. Beeinflußt von der ungünstigen Kriegslage, hatte sich auch die innenpolitische Situation des Zarenreiches verschlechtert. Versorgungsmängel und erste Anzeichen massiver Mißstimmungen im Volk erweckten bei den Westmächten Anfang September 1915 sogar die Befürchtung, Rußland sei möglicherweise bald nicht mehr in der Lage, »seine Rolle als Alliierter effektiv zu spielen«776. Falkenhayn hatte »Oberost« vor der Operation darauf hingewiesen, daß die Russen die Gefahren der operativen Umfassung längst erkannt und die Gegenmittel dagegen anzuwenden gelernt hätten777. Diese Abkehr von dem Schlieffenschen Dogma der Umfassungsschlacht hatte sich hier als richtig erwiesen. Die russische Armee hatte große Verluste erlitten und weite Gebiete aufgeben müssen, war aber rechtzeitig aus dem Weichselbogen entwichen und nicht vernichtet worden. Selbst Falkenhayns begrenzter Umfassungsangriff über den Narew war nur deshalb gelungen, weil er durch einen kräftigen Frontalangriff unterstützt worden war. Ein ähnlicher Frontaldruck hätte bei der weiten Umfassung von »Oberost« über den Njemen nicht ausgeübt werden können. Es scheint deshalb sehr fraglich, ob der Vorschlag Hindenburgs den gewünschten Erfolg hätte erzielen können778. Doch hielt der Generalstabschef zumindest die weitgehende Schwächung des russischen Heeres nach Abschluß der Sommeroperationen im Osten für erreicht. Am 30. August 1915 urteilte er: »Rußland ist durch die seinem Heere in den letzten vier Wochen versetzten Schläge so geschwächt, daß es uns für absehbare Zeit nicht ernsthaft gefährlich werden kann. Es befindet sich in ähnlicher Lage wie Frankreich im Winter 1870/71, aber mit dem Nachteil, daß ein russischer Gambetta schwer denkbar, das russische Soldatenmaterial nicht das französische und die Erzeugung des unentbehrlichen Kriegsmaterials in vom Weltverkehr mehr oder weniger abgeschlossenen Agrarstaaten eine kaum lösbare Aufgabe ist779.« In dieser Einschätzung war sich Falkenhayn mit seiner Umgebung einig780. 775 776
777 778
779
780
Linke, Rußland, S. 106. Aus einem Telegramm des französischen Botschafters in St. Petersburg, Maurice Paleologue, nach Paris, 3 . 9 . 1 9 1 5 , zit. bei Linke, Rußland, S. 106. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 97. Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 8, kommt in den »Betrachtungen« über die Sommeroperation 1915 zu einem anderen Ergebnis. Das Reichsarchiv argumentiert damit, daß, selbst wenn der große Flügelangriff nicht gelungen wäre, die Bedrohung der Flanke die russischen Armeen zum überhasteten und damit verlustreichen Rückzug gezwungen hätte. Das bewegt sich im Bereich der Spekulation, gibt außerdem keine plausible Antwort auf das Argument Falkenhayns, daß die von »Oberost« geforderte Verlegung der Truppen vier Wochen gedauert hätte. Selbst wenn sich diese Bewegungen schneller hätten durchführen lassen, hätten die Russen Wochen gewonnen, in denen sie ihren Rückzug ungefährdet hätten durchführen können. Siehe auch Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 97: »Die Russen hatten die Gefahren der operativen Umfassung längst erkannt, [...] und die Gegenmittel dagegen anzuwenden gelernt. Deren Gebrauch erleichterte ihnen ihre Überlegenheit in der Zahl, ihr leistungsfähigeres Eisenbahnnetz und die Rücksichtslosigkeit, mit der sie Boden preisgeben konnten und erfahrungsgemäß preisgaben, sobald es ihnen zweckmäßig schien.« Ritter, Staatskunst III, S. 86, wagt kein eindeutiges Urteil. Falkenhayn über Treutier an Bethmann Hollweg, 3 0 . 8 . 1 9 1 5 , in: L'Allemagne et les problemes de la paixl, S. 163 f. (Dok. 134). Tirpitz, Erinnerungen, S. 485, schrieb in einem Brief vom 3.8.1915: »Jedoch glaubt man um Falken-
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Auch in der deutschen Öffentlichkeit wurden Falkenhayns Verdienste anerkannt, wenn sie auch die Erinnerung an das Desaster in Flandern nicht ganz auszulöschen vermochten781. Auf Vorschlag des bekannten Berliner Professors Hans Delbrück verlieh ihm die Friedrich-Wilhelm-Universität wegen seiner militärischen Verdienste am 2. August 1915 den Ehrendoktor. Erklärtes Ziel war dabei, in die Öffentlichkeit zu wirken und »das Misstrauen, das vielleicht hier und da gegen den General von Falkenhayn noch lebt, zu zerstreuen«782. Auch die Presse berichtete zunehmend freundlicher über Falkenhayn, was von Ludendorff mit eifersüchtigem Hohn kommentiert wurde783. c) Eine polnische Armee gegen Rußland? Eine schwere Enttäuschung bedeutete für Falkenhayn die unnachgiebige russische Haltung. Mit seiner Separatfriedensstrategie hatte er trotz seiner militärischen Erfolge im Sommer 1915 Schiffbruch erlitten. Damit war auch sein bisheriges strategisches Konzept gescheitert. Nach einem Separatfrieden mit Rußland hatte Falkenhayn dann den militärischen Sieg gegen die Westmächte erzwingen wollen. In seinen Erinnerungen behauptete er allerdings, daß er selbst in diesem Fall einen Sieg im Westen, gegen das große Widerstandsvermögen besonders der Engländer, für nicht sicher gehalten habe. Aber immerhin wäre dann eine Niederlage der Mittelmächte aus Erschöpfung unwahrscheinlich geworden und mit großer Sicherheit anzunehmen gewesen, daß »die Westgegner zum Verzicht auf ihren Vernichtungswillen« hätten gezwungen werden können784. Ein Entscheidungskampf im Westen hätte dann im schlechtesten Fall das Remis gebracht, mit etwas Glück sogar den Sieg. Doch für den Sieg im Westen fehlte auch nach der Galizienoffensive die entscheidende Voraussetzung: die Rückenfreiheit im Osten. Obwohl Falkenhayn auch im August 1915 die Hoffnung auf eine politische Einigung nicht gänzlich aufgegeben hatte, kam es nunmehr darauf an, wenigstens das militärisch Erreichte zu sichern und die Lähmung der russischen Offensivkraft auszunutzen. Er gab den deutschen Armeen im Osten die Anweihayn herum, daß Petersburg den Winter kaum aushalten würde; es sei denn, die Türkei fiele zusammen.« Groener notierte am 2 0 . 9 . 1 9 1 5 das Urteil des durchreisenden Generalleutnants v.Moser, das russische Heer sei »nicht in dem Maße zusammengebrochen, wie angenommen worden war, aber größere operative Leistungen traute er ihnen auch nicht mehr zu«. In: Groener, Lebenserinnerungen, S. 251. 781
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Bethmann schrieb am 2 2 . 8 . 1 9 1 5 an Valentini: »Falkenhayns Verdienste werden zwar mehr und mehr anerkannt, Vertrauen aber genießt er nirgends, Ypern wird er nicht mehr los.« In: Valentini, Kaiser, S. 228. Dazu auch Ritter, Staatskunst III, S. 87, besonders S. 603, Anm. 68. Aus der undatierten Antragsbegründung von Delbrück (Ende Juni/Anfang Juli 1915); Bericht an das Ministerium vom 30.7.1915; Zustimmung des preußischen Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten vom 2 . 8 . 1 9 1 5 ; Promotionsurkunde datiert auf den 2 2 . 7 . 1 9 1 5 . Die Promotionsunterlagen befinden sich im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Signatur: Phil. Fak. Nr. 1385, Bl. 90—96. Für die Bereitstellung der Unterlagen danke ich dem Universitätsarchiv. Ludendorff schrieb in einem Brief an Moltke vom 1 0 . 1 0 . 1 9 1 5 höhnisch von dem »von Herrn Morath [einem für das »Berliner Tageblatt« schreibenden Journalisten und Major a.D.] entdeckten Genie des Herrn v. F[alkenhayn]«. In: Zechlin, Krieg, S. 224. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 129 f.
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sung, eine Dauerstellung zu erreichen, die von möglichst geringen Kräften gehalten werden könne. Auch dem österreichisch-ungarischen Generalstabschef empfahl er Anfang September 1915 mehrfach, auf weitere eigene Angriffe zu verzichten und keine übertriebenen Hoffnungen auf die Wilna-Operation der Armeen Hindenburgs zu setzen. Statt dessen solle er seine Armee entlang des Bug für viele Monate auf die Defensive einrichten. Mehrfach betonte er im September und Oktober 1915, daß es nicht darauf ankäme, russisches Gebiet zu besetzen, sondern »diejenige Linie zu finden, die unter geringstem Kraftaufwand die dauernde Sicherung von Galizien, Polen und Ostpreußen verbürgt, während wir auf anderen Kriegsschauplätzen mit so starken Kräften wie irgend möglich die Entscheidung des Krieges erkämpfen« 785 . Sein Wunsch, die Lähmung der Russen mit möglichst geringen Kräften zu erreichen und dadurch einen Ersatz für den Separatfrieden zu schaffen, nahm parallel zur politischen Entwicklung zu. Die Chancen auf eine politische Einigung mit Rußland waren nach der »Polenproklamation« des Reichskanzlers vom 19. August 1915, in der Bethmann Hollweg den Polen, wenn auch vage, die »Befreiung vom russischen Joch« versprochen hatte, erheblich gesunken786. Mit der politischen Zukunft Polens hatte der Reichskanzler ein neuralgisches Thema angeschnitten, das nicht nur zwischen Rußland und den Mittelmächten, sondern auch zwischen diesen selbst noch heftige Auseinandersetzungen auslösen sollte787. Aber auch die Vorgänge in Rußland ließen die Hoffnung auf eine Einigung immer geringer werden. Der Zar unterstrich Anfang September 1915 energisch den russischen Durchhalteund Siegeswillen und übernahm am 5. September sogar eigenhändig den Oberbefehl über die Streitkräfte 788 . Falkenhayn befürchtete bei Bekanntwerden dieser Nachrichten, daß die Kämpfe an der Ostfront trotz der schweren russischen Schwächung in einigen Monaten doch wieder an Intensität zunehmen könnten. Daher kam er zweieinhalb Wochen nach dem Erlaß der »Polenproklamation« auf die Idee, die Wehrkraft des eroberten Polen auszunutzen, um die geschwächten Russen auf Dauer mit einem Minimum an deutschen Kräften niederzuhalten 789 . Er schrieb am 8. September 1915 an Bethmann, daß er zwar hoffe, an der Ostfront künftig unter besseren Bedingungen als bisher »fechten zu können«, trotzdem auf kein Mittel verzichten dürfe, um die Lage zu verbessern und die deutschen Kräfte zu schonen. »Ein solches Mittel und zwar ein sehr wirksames würde ich in der offenen Parteinahme der Majorität der polnischen Bevölkerung für unsere Sache sehen. Schon die Ausnutzung des in ihr vorhandenen Soldatenmaterials würde unter dieser Voraussetzung von um so höherem Werte für uns sein, als unsere Erschöpfung sich be785
Falkenhayn an Conrad, 2.9.1915, OP.Nr. 14913, in: ÖStA-KA, A O K 551, S. 266ff. Ähnliche Hinweise für Conrad, besser zur Verteidigung überzugehen und eine Dauerstellung ausbauen zu lassen, in: Falkenhayn an Conrad, 12.9.1915, OP.Nr. 15300, ebd., A O K 512, S. 440; Falkenhayn an Conrad, 2.10.1915, OP.Nr. 16206, ebd., S.469.
786
RT, Bd 306, S. 219. Beurteilung der »Polenproklamation« bei Fischer, Griff, S. 238f. Fischers Urteil, daß Bethmann schon im August 1915 voll »von der Separatfriedenspolitik zurück zur Diktatfriedenspolitik« gegenüber Rußland geschwenkt sei, ist jedoch zu eindimensional (ebd., S. 236). Siehe Lemke, Allianz. Linke, Rußland, S. 109. Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 8.9.1915, in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 171—173 (Dok. 139).
787 788 789
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kanntlich auf diesem Gebiet zuerst bemerkbar machen dürfte, und als die im Winter durch tüchtige Vorgesetzte ausgebildeten polnischen Rekruten den Soldaten, die Rußland uns im nächsten Jahr entgegenstellen kann, etwa gleichwertig sein dürften.« Falkenhayn gestand dem Reichskanzler jedoch zu, daß zu diesem Zweck zunächst über die Zukunft Polens entschieden werden müsse, und verkannte auch nicht die politischen Schwierigkeiten, die sein Vorschlag aufwerfen mußte. Der Reichskanzler hatte in seiner »Polenproklamation« abgelehnt, die »gleisnerischen Versprechungen unserer Feinde« nachzuahmen und sich in dieser Beziehung festzulegen. Ebenso wie Falkenhayn wollte er sich nicht die Chancen zu einer politischen Ubereinkunft mit Rußland verbauen; aus diesem Grund dachte er noch im November 1915 daran, unter Umständen Polen an Rußland zurückzugeben790. In bezug auf Polens Zukunft hatte Falkenhayn keine Forderung nach staatlicher Selbständigkeit erhoben. Er enthielt sich jedes eigenen Vorschlags, wie — und ob — Polen politisch umgestaltet werden solle. Seine Idee, eine polnische Armee aufzustellen, barg trotzdem erhebliche politische Risiken. Das Versprechen staatlicher Selbständigkeit mußte jeder Aufstellung einer polnischen Armee vorangehen. Eine polnische Eigenstaatlichkeit warf aber das Problem der ehemals polnischen Gebiete des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarns auf. Es ist anzunehmen, daß der General zwar die militärischen, nicht aber die politischen Konsequenzen seines Vorschlags überdacht hatte. Bethmann wies ihn in seiner Antwort darauf hin, daß »eine zwangsweise Aushebung in okkupierten Gebieten völkerrechtlich unzulässig ist« und deshalb nur die »Gestellung von Freiwilligen in Frage« käme. »Das Gros der Bevölkerung wird sich hierzu wohl nur schwer bereit finden, einmal aus ökonomischen Gründen und mangelndem politischem Interesse, sodann weil jeder, der in feindliche Kriegsdienste tritt, sich des Landesverrats schuldig macht und bei Gefangennahme sofortiger Erschießung aussetzt.« Die militärischen Stellen hätten von den polnischen Freiwilligen-Verbänden keine hohe Meinung; hinzu käme, daß der preußische Drill die patriotische Kriegsbegeisterung der polnischen Jünglinge »wohl erheblich abkühlen« würde. Der Reichskanzler zog die Folgerung, daß auf eine größere »Ausnutzung des Menschenmaterials in Polen für unsere Kriegführung« nicht gerechnet werden dürfe791. Falkenhayns Idee wurde zunächst ad acta gelegt. In den folgenden Monaten verlor er vorübergehend seine Hoffnung auf eine Wiederherstellung der alten deutsch-russischen Freundschaft. Nicht ohne Bedauern schrieb er am 15. Oktober 1915: »Die alten traditionellen Beziehungen zu Rußland lassen sich nie wieder herstellen792.« Da aber trotz ausbleibender politischer Einigung und mangelnder Möglichkeit zur Ausschöpfung der polnischen Wehrkraft die Ostfront hinreichend gesichert schien, glaubte er trotzdem den Handlungsspielraum gewonnen zu haben, um an anderen Fronten offensiv werden und das Schicksal des Krieges wenden zu können. 790
791 792
Protokoll Jagows vom 1 4 . 1 1 . 1 9 1 5 über Ausführungen Bethmann Hollwegs vom 10. und 1 1 . 1 1 . 1 9 1 5 in Wien bei einer Besprechung der deutschen und österreichischen Kriegsziele in Polen, ebd., S. 218— 221 (Dok. 167). Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 1 6 . 9 . 1 9 1 5 , ebd., S. 180f. (Dok. 141). Sweet, Germany, S. 192 f. Zu seiner Haltung im Sommer 1916 hier S. 423, S. 440.
Man wird wohl oder übel der Industrie doch einen großen Teil der Arbeiter belassen müssen, um sie nicht im dringendsten Augenblick zu lahmen. Falkenhayn am 8. Juni 1915
13. Falkenhayns Vorschlag der Militarisierung der Rüstungsindustrie Während die deutschen Truppen erfolgreich an der Ostfront operierten, verharrten die weit überlegenen englischen und französischen Truppen an der Westfront in der Defensive793. Trotz einer Überlegenheit von fast einer Million Mann verzichteten die Westalliierten auf einen Angriff und verhielten sich passiv, während die Mittelmächte Rußland gewaltige Niederlagen zufügten. Sie beschränkten sich darauf, bei den Dardanellen anzugreifen und setzten zu optimistisch ihre Hoffnungen auf den Erfolg der italienischen Offensive gegen Österreich-Ungarn. Auch zog sich die Bildung neuer englischer Divisionen — der sogenannten »Kitchener-Armee« — aus logistischen Gründen länger hin als erwartet794. Mit einer Offensive an der Westfront wollten die Westmächte aber so lange warten, bis auch diese englischen Verbände eingesetzt werden konnten. Sogar zur See befand sich Deutschland mit der U-Boot-Flotte im Angriff, während die englische »grand fleet« in Scapa Flow lag und sich damit begnügte, die Handelsblockade gegen Deutschland aufrechtzuerhalten. Die strategische Initiative wurde aus diesen Gründen den zahlenmäßig weit unterlegenen Mittelmächten überlassen, was später von alliierten Analytikern wie Churchill und J.F.C. Fuller scharf kritisiert werden sollte. Die Gesamtlage zur See und zu Lande stellte Falkenhayn vor die Frage, warum die Westmächte im Sommer 1915 ihr militärisches Potential nicht besser ausnutzten und die Ostoffensive der Mittelmächte nicht durch einen Angriff an der Westfront zu stoppen suchten. Es drängte sich ihm die Überlegung auf, daß es sich bei der scheinbaren Passivität der Westmächte, vor allem Englands, nicht um einen militärischen Fehler, sondern um ein raffiniertes militärisches Kalkül handele. Schon vor dem Krieg hatte Falkenhayn die englische Politik immer vor der Frage gesehen, ob sie Deutschland durch einen Krieg oder aber durch wirtschaftliche Strangulierung »billiger erwürgen« könne795. Tatsächlich gab es in England vor dem Krieg militärische Planungen, die den eigenen militärischen Einsatz auf eine effektive Blockade beschränken wollten796, und auch während des Krieges gab es in Großbritannien immer wieder die Ansicht, daß der Kampf an der Westfront zu verlustreich sei und deshalb die Blockade einerseits, Operationen an der Peripherie — vor allem gegen das Osmanische Reich — andererseits den Kriegswillen der Mittelmächte schon schwächen würden. Allerdings vermochten diese Ansichten niemals die Grundlinie der britischen Strategie entscheidend zu beeinflussen. 793 794 795 7,6
Zu den Stärkeverhältnissen an der Westfront im Sommer 1915 siehe S. 299. Ritter, Staatskunst III, S. 97. Siehe dazu S. 79. Dazu Offer, First World War, passim, besonders aber das Einleitungskapitel.
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Falkenhayn hingegen begann im Sommer 1915 zu glauben, daß sich England für die »billigste« Methode, Deutschland zu besiegen, nämlich die wirtschaftliche Strangulierung, entschieden habe. Es brauchte nur die Blockade aufrechtzuerhalten und Deutschland im Kampf gegen die Kontinentalmächte »verbluten« zu lassen, um danach mühelos und mit geringstem eigenen Aufwand den erschöpften Hauptkonkurrenten Deutschland besiegen zu können. Es schien offensichtlich, daß sich bei Fortdauer des Krieges die größeren Ressourcen der Entente erst richtig zum Nachteil der ökonomisch schwächeren und vom Weltmarkt weitgehend abgeschnittenen Mittelmächte entfalten würden. Falkenhayns Sorge, daß Deutschland sich bei andauerndem Krieg gegen die gesamte Entente »allmählich erschöpfen« würde, war seit dem November 1914 nicht geringer geworden. Er sorgte sich dabei weniger um die Rohstoffversorgung797 als um die Frage, wie bei dem hohen Ersatzbedarf des Heeres und dem großen Arbeitskräftebedarf der Rüstungsindustrie das eigene Potential möglichst effizient eingesetzt werden könne, um den »Erschöpfungskrieg« möglichst lange durchhalten zu können. Der Zeitpunkt schien fast mit mathematischer Sicherheit vorausberechenbar zu sein, wann die Verluste an der Front nicht mehr durch ausreichende Ersatzgestellung wettgemacht werden könnten und das »Menschenmaterial« der schwächeren Mittelmächte zur Neige gehen würde. Auch die Planer in den anderen kriegführenden Staaten hatten zynische Berechnungen angestellt, wann ihr eigenes und das fremde »Menschenmaterial« zur Neige gehen werde, und ihr Potential durch geeignete gesetzliche Verfügungen zu erhöhen versucht. In Osterreich und Frankreich griff die Regierung in die Wirtschaft ein, verpflichtete die Bevölkerung zu Arbeitsleistungen und band die Rüstungsarbeiter an ihren Arbeitsplatz. In England wurden im Juli 1915 durch den »munitions of war act« (Kriegsvorrätegesetz) die Rechte der Rüstungsarbeiter stark eingeschränkt und die Kriegsproduktion durch organisatorische Maßnahmen stark erhöht; auch wurde dadurch die »übermäßige Steigerung der Kriegsgewinne und Kriegslöhne« verhindert798. In Deutschland entstand zwischen der Industrie und der Armee mit zunehmender Kriegsdauer ein Gegensatz wegen des Soldaten- und Arbeitermangels. Eine große Anzahl fronttauglicher Männer — insgesamt über eine Million — wurde in der Industrie zurückbehalten, um die Produktion zu sichern. Das Kriegsministerium versuchte, diese Zahl auf Kosten der Industrie zu verringern, und wollte im Frühjahr 1915 die Tauglichkeitsbestimmungen ändern und alle felddienstfähigen Männer unter 39 Jahren zur Armee einziehen. Durch diese Maßnahme drohte der Rüstungsindustrie ein schwerer Produktivitätseinbruch. Gustav Krupp v. Bohlen und Halbach, dessen Werke von der neuen Verfügung besonders betroffen zu werden drohten, wandte sich deshalb am 8. Juni 1915 schriftlich an Falkenhayn, den er aus der Vorkriegszeit kannte799, und gab ihm zu bedenken, daß diese Anordnung des Kriegsministeriums »den völlig unersetzlichen Verlust tausender eingelernter, ja schon in Generationen geschulter Arbeiter bedeuten würde, die im Interesse genaue797 798 799
Siehe Kap. V, 17. Dazu ausführlicher Ritter, Staatskunst III, S. 418 f. Bohlen und Halbach war vor seiner Heirat mit Bertha Krupp Diplomat und nach der Jahrhundertwende in Peking gewesen, wo Falkenhayn und er sich wahrscheinlich kennengelernt hatten.
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ster >kruppscher< Arbeit eben nicht entbehrt werden« könnten. Er erkenne zwar den Zwang an, »jeden waffenfähigen Mann in die fechtende Truppe einreihen« zu müssen, bitte aber, »im Interesse der Kriegsmaterialherstellung Ausnahmen zu genehmigen« 800 . Falkenhayn sah durch die Ausführungen Krupps ein Problem angeschnitten, das er selbst als drängend empfand, obwohl es nicht in seine Zuständigkeit als Geneialstabschef fiel. Anknüpfend an seinen Erfolg mit der Kriegsrohstoffabteilung suchte er eine administrative Lösung des Problems, die den »berechtigten Wünschen« von Armee und Industrie Rechnung tragen sollte und die er in einer »Stellungnahme« erläuterte, die er am 8. Juni 1915 sowohl an Krupp als auch an das preußische Kriegsministerium verschickte801. Falkenhayn versuchte dabei vor allem das Problem zu lösen, neue Soldaten für die Front zu gewinnen, aber auch der Produktion von Kriegsgütern die notwendigen Arbeitskräfte zu belassen. Er stellte fest, daß »die Arbeiterfrage [...] z.Zt. die wichtigste und schwierigste« sei. Fast eine Million Männer seien dem Dienst mit der Waffe zugunsten der Industrie entzogen. Trotzdem herrsche Arbeitskräftemangel, der sich in der Erntezeit und durch Steigerung der Rüstungsproduktion noch verschärfen werde. Die Anstellung von Aushilfskräften in der Wirtschaft könne das Problem nur »bedingt« verbessern, da die Produktion nicht durch den Entzug von Fachkräften »im dringendsten Augenblick« gelähmt werden dürfe. Auch der vermehrte Einsatz von Kriegsgefangenen in Industrie und Landwirtschaft könne den Arbeiter- und Soldatenmangel nicht wettmachen. Zu dessen Behebung befürwortete er folgende »radikale Maßnahmen für die Kriegsdauer [...]: 1. Erweiterung der Landsturmpflicht bis zum 50. Lebensjahre. 2. Für die Kriegsindustrie >unabkömmliche< Wehrpflichtige werden nicht den Fabriken freigegeben, sondern unter Belassung in ihrem Militärverhältnis zu den Fabriken kommandiert. Ihre Arbeitsleistung wird militärisch kontrolliert. 3. Erweiterung des Kriegsleistungsgesetzes dahin, daß dem Staat das Recht zusteht, jeden Staatsangehörigen — ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht — zu Arbeitsleistungen für Kriegszwecke einzustellen, zu denen er nach seinen Fähigkeiten, Beruf und Gesundheitszustand geeignet ist. 4. Festsetzung der Arbeitszeiten (Nachtschichten), Löhne und Familienzahlungen zu [Punkt] 2 und 3 durch den Staat. 5. Alle bisher als dienstuntauglich befundenen Wehrpflichtigen sind erneut darauf zu untersuchen, ob ihre Leiden bei geeigneter Lebensweise zu beheben sind. [...] Abgesehen von dem militärischen Gewinn ist es auch nur gerecht, wenn die mehr oder minder durch eigene Schuld Untauglichen dem Dienst für's Vaterland zugeführt werden.« Falkenhayn versprach sich von diesen Maßnahmen eine Steigerung des Heeresersatzes, eine Verminderung der Zahl der »unabkömmlichen Wehrpflichtigen« in der Industrie, die Beseitigung des Arbeitermangels, die Einschränkung »überflüssiger Industriezweige«, die Beseitigung »unlauterer Preisstellungen gewisser industrieller Unternehmungen« und der »berechtigten Unzufriedenheit der im Felde stehenden Kämpfer« sowie eine »Hebung des Pflichtgefühls im ganzen Volk«. 800 801
Gustav Krupp V.Bohlen und Halbach an Falkenhayn, 8.6.1915, in: H A Krupp, F A H I V Ε58a. Falkenhayn an Krupp, 24.6.1915, ebd.
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Er machte sich in dieser Denkschrift auch zum Anwalt der zunehmenden Mißstimmung der Soldaten, die wegen der als überhöht geltenden Löhne der Fabrikarbeiter entstanden war: »Es wird nicht ohne Recht über das Mißverhältnis geklagt, daß viele [... Felddiensttaugliche] zu Hause sitzen, viel Geld verdienen und bequem leben, während die anderen die Last des Krieges allein tragen.« Er bemängelte die »ungesunde Steigerung der Arbeitslöhne« und stellte mißbilligend fest: »Von >Opferwilligkeit< ist besonders bei den jungen Arbeitern nicht viel zu merken.« Der General schlug zur schnellen Durchführung dieser Maßnahmen die Gründung eines »Kriegsarbeitsamtes« vor, das dem Kriegsministerium anzugliedern sei und »mit Vertretern des Heeres, der betreffenden anderen Ministerien, der Industrie und Finanz sowie einigen Palamentariern (Erzberger) zu besetzen wäre«. Das neue Amt sollte vor allem die Versorgung der kriegswichtigen Industrie mit Arbeitskräften regeln. Dieses Programm fand im preußischen Kriegsministerium eher kritische Aufnahme. Der stellvertretende Kriegsminister, General v. Wandel, verfaßte ein umfangreiches Antwortschreiben, in dem er Falkenhayn darlegte, warum sein Vorschlag nicht durchgeführt werden könne. Wandel gestand ein, daß die Front durch den Entzug von mehr als einer Million Facharbeitern »nicht unwesentlich geschwächt« werde. Das Kriegsministerium habe versucht, der Unzufriedenheit der Frontsoldaten über die wirtschaftlichen Vorteile der Rüstungsarbeiter gegenzusteuern, indem nur ältere und beschränkt taugliche Facharbeiter zurückgestellt und alle jüngeren, ersetzlichen Facharbeiter allmählich dem Heer zugeführt würden. Die angeblich zu hohen Löhne in der Rüstungsindustrie seien allerdings nur ein Ausgleich für die seit Kriegsausbruch stark gestiegenen Lebenshaltungskosten. Der Anreiz höheren Verdienstes durch Uberstundenzulagen sei notwendig, um die hohen Leistungen in der Industrie — die weit über der Friedensnorm lägen — aufrechtzuerhalten. Der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft sei bereits durch die Abstellung von 180000 Kriegsgefangenen vermindert worden. Wandel bezweifelte, daß die von Falkenhayn vorgeschlagenen Mittel die Arbeiterfrage verbessern könnten. Die Heraufsetzung der Wehrpflicht würde den Arbeitskräftemangel weiter verschärfen und zu einer »schweren Schädigung des gesamten Wirtschaftslebens« führen. Auch die Kommandierung von Arbeitern empfand Wandel als unglücklichen Vorschlag, da auf diese Weise in die Fabriken kommandierte und freie Arbeitskräfte zusammenträfen, was nach seiner Ansicht Unruhe erzeugen würde. Die von Falkenhayn angeregte Arbeitspflicht wertete Wandel mit Skepsis; die englischen und französischen Erfahrungen mit »solchen Arbeitsdilettanten« seien durchaus nicht ermutigend. Außerdem gab er zu bedenken: »Die Einführung eines allgemeinen Arbeitszwanges bei den jetzt schon in der Kriegsindustrie tätigen, sowohl zurückgestellten, als auch militärfreien Arbeitern würde im übrigen von der Arbeiterschaft als eine unverdiente Antwort auf ihre bisherige Haltung aufgefaßt werden. Nicht mit Unrecht würde die Frage aufgeworfen werden, weshalb jetzt zwangsweise erfolgen sollte, was bisher freiwillig bereits geschehen sei. Bei den ausgeprägten Anschauungen von Pflichten und Rechten, die den deutschen Arbeiter im Allgemeinen erfüllen, kann nur freie Zeit die Freude am Werk und damit höchstmögliche Leistungen sichern. Das einzige Mittel zur Erzielung von Höchstleistungen, nicht nur der Menge, sondern, worauf es hier doch in erster Linie ankommt, dem Werte nach, ist die Förderung des guten
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Willens der Arbeiter zu vollster Hingabe ihrer Kräfte. Diesem Zweck dienen der Appell an ihr vaterländisches Pflichtgefühl, und die Gewährung auskömmlichen Verdienstes. Jeder Versuch eines Zwanges würde nicht fördernd, sondern in höchstem Maße hemmend und zerstörend wirken.« Als Beispiele, wohin der Arbeitszwang führen könne, erinnerte Wandel an Bergarbeiterstreiks in England und die Probleme Österreich-Ungarns, wo es einen Arbeitszwang gebe, der aber dem in Deutschland praktizierten »zufriedenen und friedlichen Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern« unterlegen sei. Auch sei es für die Regierung gefährlich, in die sozialen Verhältnisse einzugreifen; sie würde ihre Stellung »über den Parteien« verlieren und von Unternehmer- wie Arbeiterseite »für alle Unzuträglichkeiten [...] verantwortlich gemacht und dadurch in eine unhaltbare Lage gebracht werden«. Im Falle des Arbeitszwanges würde darüber hinaus »die Vermittlung der Arbeitergewerkschaften«, in denen 2688000 Arbeiter organisiert seien, verlorengehen. Deshalb, so schloß Wandel seine Ausführungen, könne das Kriegsministerium — in Übereinstimmung mit dem Reichskanzler und dem Reichsamt des Innern — Falkenhayns Vorschlag, das Kriegsleistungsgesetz zu ändern, nicht beipflichten. Auch sein Plan eines Kriegsarbeitsamtes sei nicht erfolgversprechend, da in diesem nach Falkenhayns Vorstellungen nur Vertreter von Industrie und Finanz, aber nicht der Arbeiterschaft sitzen sollten802. Damit hatte Wandel alle Vorschläge Falkenhayns überzeugend widerlegt, wenn er auch für das Problem der unterschiedlichen sozialen Stellung der Frontsoldaten und der Industriearbeiter keine Lösung anzubieten wußte. Durch den behutsamen Abzug von wehrfähigen Fabrikarbeitern wurde es der Industrie ermöglicht, Ersatzarbeitskräfte anzulernen. Krupp teilte Falkenhayn deshalb von sich aus am 24. Juli 1915 mit, daß durch die allmähliche, nicht schlagartige Herausziehung aller felddiensttauglichen Arbeiter und den Verzicht auf ihre Einziehung, wenn sie nicht ersetzt werden könnten, sowie durch die zunehmende Anlernung weiblicher Kräfte sich die Lage in seinen Werken entspannt habe803. Falkenhayn nahm die abweichenden Ansichten des Kriegsministeriums offenbar widerspruchslos zur Kenntnis und sandte eine Kopie der Antwort Wandels auch an Krupp. Die von ihm vorgeschlagenen »radikalen Maßnahmen für die Kriegsdauer« hätten wahrscheinlich nur zu einer schädlichen Überspannung der Kräfte geführt, wie sie durch das von Hindenburg und Ludendorff im Dezember 1916 verwirklichte »Hilfsdienstgesetz« hervorgerufen worden ist804, das Gerhard Ritter als »Produkt echt militaristischen Denkens« klassifiziert805. Obwohl Falkenhayn sich mit dem Bestehenden für den Augenblick zufriedengab, stufte er nach dem Krieg das »Unterlassen der Einführung einer allgemeinen Arbeitspflicht im Lande« als einen kriegsentscheidenden politischen Fehler ein806. 802 803 804 805
806
Wandel an Falkenhayn, 12.8.1915, ebd. Krupp an Falkenhayn, 24.7.1915, ebd. Huber, Verfassungsgeschichte V, S. 101—115, über das Hilfsdienstgesetz vom 5.12.1916. Ritter, Staatskunst III, S. 421; dazu auch das entsprechende Kapitel bei Feldman, Army, S. 149—259, der Falkenhayns hier vorgestellten Vorschlag eines Kriegsarbeitsamtes nicht erwähnt. Falkenhayn an Hanneken, 20.12.1919, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
Heute каш Falkenhayn wieder auf seine Idee des mitteleuropäischen Staatenbundes zurück. E r kommt von dem Gedanken nicht los. Dieser Bund soll ungefähr Europa ohne die Entente umfassen, wirtschaftlich, politisch und militärisch ein festes Gefüge darstellen und — eine Spitze haben: Der Kaiser als Präsident! Wild am 2. November 1915
14. Falkenhayns Mitteleuropa-Plan Gleichzeitig mit dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen um einen Separatfrieden mit Rußland entwickelte Falkenhayn neue Ideen, um den politischen und wirtschaftlichen Unterbau der Mittelmächte den gestiegenen Anforderungen des Krieges anzupassen. Zwar gab er die Hoffnung auf eine politische Einigung mit Rußland nicht völlig auf. Aber seit dem August 1915 stand für ihn die Erwägung im Vordergrund, einen möglichst vorteilhaften Kriegsausgang mit rein militärischen Mitteln erreichen zu müssen. Den Erschöpfungskrieg möglichst lange durchstehen zu können, so lange, bis die Gegner schließlich doch nachgeben würden, war für Falkenhayn numehr der einzige erfolgversprechende Ausweg aus dem Krieg. Und nach dem Scheitern der Hoffnungen auf baldigen Separatfrieden kam es ihm vor allem darauf an, »den Krieg gegen jede Übermacht fortzuführen auf unabsehbare Zeit«807. Das Ausbleiben großer militärischer Aktionen der Entente im Westen, die Passivität der englischen Flotte und die in Deutschland nicht unbekannte Hoffnung der Entente, Deutschland werde früher oder später infolge der Blockade zusammenbrechen, bestärkten Falkenhayn in seinem Urteil, daß die Entente unter dem Einfluß Englands ihr Glück nunmehr vollständig im Erschöpfungskrieg suche. Er begann sogar zu glauben, daß die Westmächte sich vornehmlich auf dieses Kriegsmittel beschränken würden und auf Offensivoperationen an den Hauptfronten ganz verzichten wollten. Entsprechend stellte sich ihm die Frage, wie der vermeintliche englische Plan, Deutschland wirtschaftlich zu strangulieren und durch bloßes Abwarten zu besiegen, am besten durchkreuzt werden könne. Am 28. August 1915 unterrichtete Falkenhayn den Reichskanzler über die Kriegslage. In einer eigenhändigen schriftlichen Zusammenfassung skizzierte er seine neue Interpretation des Kriegsverlaufs808: »Daß die Entente-Mächte nach den Angriffen bei Arras an der Westfront nichts mehr getan haben, um die russische Lage zu erleichtern, erscheint zunächst unerklärlich. Gewiß mögen die schweren Verluste, die jener Durchbruchsversuch kostete, ihre Offensivlust stark gelähmt haben. Sie mögen auch, getäuscht durch die Berichte des Generals Cadorna, eine Zeit lang an italienische Erfolge in absehbarer 807 Wienskowski, Falkenhayn, S. 5; Janßen, Kanzler, S. 81. 808 Treutier an das Auswärtige Amt und den Reichskanzler, 3 0 . 8 . 1 9 1 5 , in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 163 f. (Dok. 134).
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Zeit geglaubt haben. Schließlich mag sie, wie die offiziellen Äußerungen der Herren Asquith und Churchill zeigten, im Juni noch die Hoffnung auf baldige Einnahme der Dardanellen erfüllt haben. Aber alle diese Gründe reichen doch nicht aus, die Monate lange Untätigkeit an der Westfront und die geduldige Art, in der sich Rußland scheinbar damit abgefunden hat, zu erklären. Das Rätsel wird aber sofort restlos gelöst, wenn man annimmt, daß unsere Gegner sich im gegenseitigen Einverständnis dazu entschlossen haben, ihr Heil in einem planmäßig durchgeführten Erschöpfungskrieg zu suchen. Ich neige dazu, eine derartige Vermutung für zutreffend zu halten, und zwar umso mehr, als sie nicht nur dem Charakter des Mannes, auf dem die Führung des Krieges gegen uns in erster Linie ruht, des Lord Kitchener, sondern auch den Interessen unseres Hauptgegners, Englands, völlig entspricht.« Das war jedoch, wie wir heute wissen, eine vollkommene Mißinterpretation Falkenhayns. Kitchener war als englischer Kriegsminister eine wichtige Figur der alliierten Kriegführung, aber nicht der zentrale Lenker aller militärischen Operationen. Außerdem war er als der Schöpfer der »Kitchener«-Divisionen derjenige, der dem bislang nur kleinen englischen Heer die für große Landoffensiven nötige Stärke verlieh. Falkenhayn durchschaute die Vorgänge auf der Gegenseite jedoch nicht genügend und sah in dem durch technische Zwänge — den englischen Rückstand in der Ausrüstung der neuen Divisionen — und vielleicht auch falsche militärische Kalkulation bedingten Angriffsverzicht im Sommer 1915 einen hinterhältigen englischen Plan, den es zu vereiteln gelte. Gegen die Erschöpfungsabsichten der Engländer schlug er dem Reichskanzler als Gegenmittel die »Schaffung eines mitteleuropäischen Staatenbundes [... vor]. Ich denke dabei zunächst an einen Zusammenschluß des Deutschen Reichs, Österreich-Ungarns, Bulgariens und der Türkei, zu einem langfristigen Schutz- und Trutzbündnis, möchte aber gleich hinzufügen, daß sich der Bund nicht hierauf beschränken dürfte. Vielmehr würde es unerläßlich sein, ihm auch wirtschaftliche und kulturelle Ziele zu stecken.« Die Mitteleuropa-Idee war schon ein Jahr zuvor, im September 1914, von Bethmann Hollweg als Kriegsziel proklamiert worden. Neu war jedoch Falkenhayns Idee, »Mitteleuropa« nicht als Kriegsziel, sondern als Kriegsmittel einzusetzen, um die Hoffnung der Entente, Deutschland und mehr noch seine Bundesgenossen erschöpfen zu können, zunichte zu machen. Er hoffte sogar, daß über den Kreis der Mittelmächte hinaus auch andere Staaten wie Schweden, die Schweiz, vielleicht auch Griechenland diesem neuen Bündnis beitreten würden. Auch versprach er sich auf diese Weise eine »halbwegs erträgliche Lösung« der schwierigen Frage nach der politischen Zukunft RussischPolens. Der Zweck dieses Vorschlages, der die Diplomaten zunächst etwas ratlos machte, war eindeutig. Es handelte sich um den Versuch, Mitteleuropa zu einem blockadefesten, wirtschaftlich wie militärisch widerstandsfähigen Block zusammenzuschließen und damit den Willen der Entente, den Krieg bis zum Sieg fortzusetzen, zu brechen. Falkenhayn wollte das bisherige reine Waffenbündnis der Mittelmächte politisch und wirtschaftlich umgestalten und dadurch die Effizienz erhöhen. Er hoffte, daß allein schon eine bessere Organisation der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einen Zuwachs an Leistungsfähigkeit bringe.
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Mit diesen Vorstellungen hatte er sich in den Bereich der Politik und somit in die Domäne des Reichskanzlers eingemischt, jedoch nicht ohne mehrfache »Betonung seiner Unzuständigkeit in politischen Dingen«809. Auch den Kaiser hatte er mit seinen Plänen vertraut gemacht. Wilhelm II. überraschte den Gesandten Treutier am nächsten Tage mit den gleichen Gedankengängen und verlangte von der Diplomatie, den politischen und wirtschaftlichen Teil dieser Staatenbundpläne in die Tat umzusetzen. Treutier versuchte dem Kaiser klarzumachen, daß diese Verträge im Grunde nicht notwendig seien, da schon jetzt die Mittelmächte — Treutier nannte sie »unsern Concern« — diesen militärischen und wirtschaftlichen Großraum bildeten. Auch mit dem Beitritt neutraler Länder sei nur dann zu rechnen, wenn dieser Beitritt militärisch ungefährlich scheine, denn keiner von den in Frage kommenden Neutralen wolle sich in den Krieg hereinziehen lassen. Der Kaiser gestand dies zwar zu, gab aber trotzdem den Auftrag, daß die militärische Kriegführung durch wirtschaftliche Maßnahmen zu stützen sei810. Bethmann war hingegen der Ansicht, »daß unsere Kriegslage durch eine Politik erweiterter Bündnisse gegenwärtig nicht gefördert werden kann«811. Er erinnerte Falkenhayn am 5. September in einer umfangreichen Denkschrift an die Haltung Italiens und Rumäniens bei Ausbruch des Krieges, die den beschränkten Wert langfristiger Bündnisse schlagend erwiesen habe. Ein mitteleuropäischer Staatenbund könne weder die militärische Stärke der Mittelmächte steigern, noch die Gegner von ihren »Erschöpfungsabsichten« abbringen; auch auf den Beitritt bisher neutraler Länder sei vorläufig nicht zu hoffen. Außerdem philosophierte Bethmann darüber, ob längerfristige Bündnisse für Deutschland überhaupt einen Wert hätten oder von schwächeren Partnern nur ausgenutzt werden würden: »Die deutsche Treue ist dabei ein Nachteil gegenüber der größeren Skrupellosigkeit anderer Nationen.« Dem Generalstabschef konnte diese Denkschrift, die sich in der Aufzählung von Schwierigkeiten erschöpfte, kaum den Eindruck dynamischen Zupackens vermitteln812. Deshalb hakte er am 8. September mit einem neuen Schreiben nach. Da ihn der versteckte Vorwurf des Kanzlers, er sei politisch naiv, da er noch an den Wert längerfristiger Bündnisse glaube, offensichtlich getroffen hatte, beteuerte er sogleich, daß er »über den dauernden Wert von Verträgen an und für sich vielleicht noch skeptischer denke, als wir nach unseren jüngsten Erfahrungen gezwungen und berechtigt sind zu tun. Wenn ich trotzdem den baldigen Abschluß langfristiger Verträge vorgeschlagen habe, so erklärt sich der scheinbare Widerspruch einfach daraus, daß es sich für mich dabei lediglich um ein Kriegsmittel handelt. O b der ins Auge gefaßte >Staatenbund< lange hält oder nicht, ist von diesem Standpunkt aus ganz gleichgültig — so wünschenswert von anderen Gesichtspunkten betrachtet seine Dauer sein mag. Es genügt für die Zwecke der Obersten
809
Treutier an Bethmann Hollweg, 31.8.1915, ebd., S. 165 f. (Dok. 135). β·0 Ebd. 811 Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 5.9.1915, ebd., S. 168-170 (Dok. 137). 812 Sweet, Germany, S. 242, urteilt über Bethmanns Denkschrift: »He had, indeed, gone to somewhat painful lengths to explain the difficulties of doing anything at all, and the positive passages in this letter could hardly be called dynamic.«
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Heeresleitung völlig, wenn das neue Gebilde solange besteht, daß es unseren Gegnern die Hoffnung nimmt, uns erschöpfen zu können 813 .« Falkenhayn wollte sich zwar von Bethmann nicht sagen lassen, daß er zu sehr mit dem guten Willen anderer rechne. Trotzdem bestritt er nicht, daß er den »Staatenbund« für eine politisch wünschenswerte Einrichtung halte, die über die bloße Funktion eines Kriegsmittels hinaus auch eine Nachkriegsperspektive bieten sollte. Als Generalstabschef sah er sich jedoch gezwungen, in der Diskussion mit dem Reichskanzler die Belange seines Ressorts in den Vordergrund zu stellen und den Verdacht zu vermeiden, sich in rein politische Fragen einmischen zu wollen. Deshalb strich er die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Organisation für die militärische Kriegführung noch einmal deutlich heraus. Der militärische Teil sei nicht der wichtigste in diesem Staatenbund, erklärte er dem Reichskanzler; er »neige sogar dazu, der wirtschaftlichen Seite eine größere Bedeutung beizumessen, weil auch der Erschöpfungskrieg, den unsere Gegner gegen uns führen werden, vermutlich mehr auf die wirtschaftliche als auf die militärische Erschöpfung abzielen wird«. Falkenhayn spekulierte außerdem auf einen möglichen Beitritt Schwedens, der Schweiz und Rumäniens zu dieser wirtschaftlichen Vereinigung. »Aber schon der wirtschaftliche Ausbau des Schutz- und Trutzbündnisses, das jetzt zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei besteht, zu einem wirtschaftlich engeren Zusammenschluß würde unseren Gegnern wohl die Hoffnung trüben, uns oder, was näher liegt, einen unserer wirtschaftlich nicht starken Bundesgenossen während des Krieges oder seiner Nachwirkungen erschöpfen zu können. Dadurch würde nicht nur ihre Bereitwilligkeit, überhaupt Frieden zu schließen, sondern auch diejenige, sich unseren Bedingungen zu fügen, erheblich gesteigert werden.« Die Sorge um das Nachlassen der Kräfte der Verbündeten war nicht unberechtigt. Falkenhayn dachte aber auch hier schon über den Krieg hinaus. Mit dem Schwinden der Hoffnung auf einen russischen Separatfrieden begann er davon auszugehen, daß die Aufteilung Europas in zwei Machtblöcke auch nach Kriegsende fortbestehen werde. Auch in der Zukunft werde England versuchen, Deutschland und seine Bundesgenossen wirtschaftlich zu strangulieren. Diese Annahme verfestigte sich bei Falkenhayn in konsequenter Fortentwicklung seines Vorkriegsdenkens. Der Reichskanzler teilte die Befürchtung, daß die Konfrontation zwischen den Mittelmächten und der Entente auch nach Kriegsende andauern werde, zog aber andere Schlüsse daraus. Er wollte sich im Osten absichern und beabsichtigte, Rußland durch die Abtrennung von Randstaaten für die Zukunft zu schwächen814. Falkenhayn tat sich auf dem Gebiet der politischen Planung nicht leicht. Er hob noch einmal seine »beschränkten Erfahrungen auf diesem Gebiet« hervor, nachdem er sich 813
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 8.9.1915, in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 171—173 (Dok. 139). Fischer, Griff, S. 242, schreibt, daß für Falkenhayn »Mitteleuropa« »lediglich ein Kriegsmittel« gewesen sei, und läßt den Kontext, der zwingend auf das Gegenteil hinweist, unerwähnt. Ritter, Staatskunst III, S. 120, wertet Falkenhayns Auskunft, daß er sich den Staatenbund »lediglich als Kriegsmittel« gedacht habe, richtig als Verlegenheitsausflucht, da Falkenhayn gegen die Einwände Bethmann Hollwegs nichts Besseres eingefallen sei.
814
Ullrich, Frage, S. 352f.
14. Falkenhayns Mitteleuropa-Plan
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bereits vorher mehrfach für seinen Übergriff in das politische Ressort entschuldigt hatte. Bethmann Hollweg und seine Mitarbeiter nutzten Falkenhayns Unerfahrenheit aus, um ihm seinen Dilettantismus klar vor Augen zu führen. Der Generalstabschef selbst behandelte die »Zivilisten« mit der Arroganz des Soldaten, wenn sie genaue Auskünfte über die militärische Lage von ihm haben wollten, und jetzt nutzten die Diplomaten die Gelegenheit zur Revanche. Der Gesandte Treutier fragte sich verwundert, wer Falkenhayn »diese unglückliche Idee eingeblasen« haben könnte. »Er verteidigt sie so schlecht, daß sie nicht auf seinem eigenen Acker gewachsen ist 815 .« Recht kühl lehnte Bethmann Falkenhayns Staatenbundpläne am 16. September erneut ab. Er verwies ihn darauf, daß das bestehende System langfristiger Handelsverträge die von ihm geforderte enge wirtschaftliche Verbindung Deutschlands mit anderen europäischen Staaten als »untunlich« erscheinen ließe. Eine solche Wirtschaftsvereinigung wäre auch für die neutralen Länder während des Krieges nicht attraktiv, vielmehr würden sie um ihre ökonomische Unabhängigkeit fürchten. Deutschland könne nur versuchen, den Handel mit den Neutralen »möglichst zu vertiefen und rege zu gestalten«816. Ton und Inhalt des Schreibens mußten Falkenhayn deutlich machen, daß Bethmann das Thema, zumindest was den Vorschlag eines ökonomisch orientierten Staatenbundes in Mitteleuropa betraf, ad acta legen wollte. Die Diskussion wurde auch durch ein militärisches Ereignis unterbrochen: Die Westmächte griffen an der Westfront an. Am 22. September 1915 begann ein großer französischer Durchbruchsversuch in der Champagne und ein englischer im Artois. Die deutschen Heeresreserven waren zum großen Teil an der Ostfront und in Serbien. In der Champagne stürmten 27 französische Divisionen gegen sieben deutsche; es gelang ihnen, das erste Grabensystem zu nehmen. Für einen Moment schien die gesamte Westfront in Gefahr, der Durchbruch fast gelungen. Falkenhayn sprach von den »kritischsten Stunden des Feldzuges«817. Doch die Angriffe wurden unter gewaltigen Verlusten besonders der Angreifer abgeschlagen. Die deutsche Armee verlor 150000 Mann, die Alliierten sogar 250000 Soldaten 818 . Falkenhayns Vermutung, England und Frankreich würden sich auf den Erschöpfungskrieg beschränken, hatte sich als falsch erwiesen, und sein bisheriges Hauptargument für seinen Staatenbundplan, die Entente würde einseitig auf den Erschöpfungskrieg setzen, weshalb auch nur wirtschaftliche und politische Maßnahmen ein gutes
815
Treutier an Bethmann Hollweg, 11.9.1915, zit. ebd., S. 361. A m 2 7 . 1 0 . 1 9 1 5 wurde vom Auswärtigen Amt die interne Behauptung aufgestellt, ein Herr Roselius habe Falkenhayn inspiriert. Schon im November 1914 habe Roselius versucht, den rumänischen König für ein ähnliches Staatenbundprojekt zu interessieren, das sich gegen Rußland und England richten solle. Frankreich werde sich diesem Staatenbund — Roselius sprach von den »Vereinigten Staaten von Europa« — anschließen müssen. Auch eine Mitwirkung Reinhard Mannesmanns wird erwähnt. In: PA-AA, Deutschland 180 geheim, Bd 2, AS 5450. Siehe auch unten, Artur v. Falkenhayn als »Einbläser« der Idee! Auch Ritter, Staatskunst III, S. 120.
816
Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 16.9.1915, in: L'Allmagne et les problemes de la paix I, S. 180f. (Dok. 141).
817
Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 395 (Eintrag vom 13.10.1915).
eis Janßen, Kanzler, S. 157.
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
Kriegsende garantieren könnten, verlor nach dem großen Herbstangriff der Westmächte seine Berechtigung. Die von ihm verlangte Neuorganisation des Bündnisses blieb trotzdem zwischen ihm und dem Reichskanzler ein Diskussionspunkt. Allerdings kam es zu einer bedeutsamen Akzentverschiebung. Während Falkenhayn den mitteleuropäischen Staatenbund als militärisches Mittel zum Durchstehen des Erschöpfungskrieges und als politisches Instrument gegen England geplant hatte, kamen aus dem Auswärtigen Amt und auch aus Osterreich-Ungarn Staatenbundpläne, deren gesamte Zielsetzung sich jedoch von derjenigen Falkenhayns wesentlich unterschied. Den Diplomaten, allen voran dem Unterstaatssekretär Zimmermann, ging es um die Zurückdrängung Rußlands, die durch den Verlust seiner westlichen Randgebiete erreicht werden sollte. Besonders interessierte sich das Auswärtige Amt für die politische Zukunft des gerade eroberten Russisch-Polen. Dieses sollte jedoch nicht an Deutschland angegliedert werden, da viele der Verantwortlichen keine zusätzlichen Polen in den Reichsverband aufnehmen wollten. Vor allem die Argumente des Staatssekretärs v. Jagow nahmen eine unverhüllt rassistische Form an, als er in einer Denkschrift vom 2. September 1915 die Aufnahme von Polen und Juden, die er als »Parasiten« bezeichnete, ins Reich strikt ablehnte819. Russisch-Polen sollte statt dessen an Österreich-Ungarn abgetreten werden. Jedoch machten sich die Planer im Auswärtigen Amt große Sorgen, daß die Donaumonarchie dann von Slawen »überfremdet« und die Stellung des österreichischen Deutschtums geschwächt werden könnte. Jagow war ungeschickt genug, eine ähnlich rassistische Denkschrift, die sich außerdem noch in kaum erträglicher Weise in die innenpolitischen Belange des Bundesgenossen einmischte, nach Wien zu schicken, wo sie natürlich auf deutliche Zurückweisung stieß820. Russisch-Polen war für Deutschland wirtschaftlich von großer Bedeutung. Vor dem Krieg nahm es zwei Drittel der deutschen Rußland-Exporte auf821. Dieser Markt war so interessant, daß die deutsche Führung aus wirtschaftlichen Gründen die »austropolnische Lösung« nur dann akzeptieren wollte, wenn Deutschland ersatzweise der Markt der Donaumonarchie durch Zollabmachungen geöffnet wurde. Damit wiederum waren die interessierten Kreise der schwächer entwickelten österreichischen Industrie nicht einverstanden. Vor dem Hintergrund der »austropolnischen Lösung« liefen die Verhandlungen zwischen Bethmann und Falkenhayn über die zukünftige Gestaltung des Bündnisses weiter. Bereits am 11. September hatte Bethmann den Generalstabschef um die militärischen Forderungen im Falle der »austropolnischen Lösung« gebeten und ihn aufgefordert, die Wünsche des 819
Denkschrift Jagows vom 2 . 9 . 1 9 1 5 , in: L'Allemagne et les problemes de la paixl, S. 173—179 (Dok. 140). Dazu auch Ritter, Staatskunst III, S. 130f. Fischer, Griff, S. 242ff., S. 248, beschreibt ausführlich die rassistische Weltsicht Jagows. Bethmann teilte diese Ansichten und machte sich in der Diskussion mit Falkenhayn Jagows Argumentation vollkommen zu eigen.
820
Denkschrift Jagows vom 1 3 . 1 1 . 1 9 1 5 , in: L'Allemagne et les problemes de la paixl, S.211—215 (Dok. 165). Jagow besaß die Ungeschicklichkeit, Osterreich in seinem Begleitschreiben als »germanische Ostmark« zu charakterisieren, deren zunehmende Slavisierung verhindert werden müsse. Die österreichisch-ungarische Diplomatie verbat sich derlei Einmischungen energisch. Siehe dazu auch Sweet, Germany, S. 197ff.; Fischer, Griff, S. 251 ff.
821
Denkschrift Jagows vom 2 . 9 . 1 9 1 5 , in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 178 (Dok. 173).
14. Falkenhayns Mitteleuropa-Plan
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Generalstabs nach strategischen Grenzverbesserungen im Osten und einer gut ausgebauten Grenzsicherung in Polen zu präzisieren. Die Bevölkerung des polnischen Grenzstreifens sollte seiner Meinung nach am besten ausgesiedelt werden. Er schrieb: »Politisch und wirtschaftlich halte ich es für erwünscht, diese Grenzkorrekturen auf das strategisch unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Jeder nennenswerte Zuwachs an polnischer und jüdischer Bevölkerung bedeutet für uns einen nationalen Schaden, und die Abhilfe, die durch Übersiedelung der neuen Grenzbevölkerung nach Kongreßpolen geschaffen werden kann, wird sich praktisch immerhin in bescheidenen Grenzen halten822.« Falkenhayn war jedoch an der Annexionsfrage vollkommen desinteressiert. Das rassistische Denken Jagows und Bethmann Hollwegs war ihm fremd, und die Mitteleuropaidee sah er auch weiterhin unter dem gänzlich anderen Gesichtspunkt seiner gegen England gerichteten Strategie. Es gelang dem Kanzler aber dennoch, den widerstrebenden Generalstabschef auf die ihn interessierenden Fragen — vorrangig auf die Bedingungen eines künftigen Militärbündnisses zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn im Falle der »austropolnischen Lösung« — zu beschränken. Als er ihn Anfang Oktober 1915 auf eine militärische Verbindung zwischen den Kaiserreichen ansprach, traf er Falkenhayns neuralgischen Punkt. Eine enge militärische Zusammenarbeit mit dem Verbündeten betrachtete der General nämlich mit äußerster Skepsis. In dieser Frage war er sichtbar von der in Deutschland weitverbreiteten Geringschätzung des österreichisch-ungarischen Staates und seiner Armee, aber auch von den negativen Erfahrungen im Umgang mit Conrad v. Hötzendorf geprägt. Eine solch mangelhafte Zusammenarbeit wie in diesem Krieg wollte er durch eine straffe Organisation des Bündnisses unter deutscher Führung in Zukunft unmöglich machen. Obwohl er seine Mitteleuropa-Idee weiterhin vertrat, ließ er seinem Ressentiment gegen den Bündnispartner freien Lauf und verwickelte sich deshalb in heillose Widersprüche823. Bethmann notierte, daß seine »bisherigen Gespräche mit General v. Falkenhayn über Polen, seine eventuelle Angliederung an Österreich, die für diesen Fall unsererseits zu stellenden Bedingungen usw. [...] noch zu keiner Klarheit geführt [haben]. Einesteils vertritt der General seine bekannten mitteleuropäischen Gedanken, welche eine engere politische militärische und wirtschaftliche Verbindung der beiden Kaiserreiche zur Voraussetzung haben, andererseits lehnt er die engere militärische Verbindung mit der Begründung ab, Österreich sei ein Kadaver, an den wir uns nicht binden könnten. Die Struktur unseres eigenen Heeres werde von einer engeren Verbindung mit der schlaffen österreichisch-ungarischen Armee eher Nachteile wie Vorteile haben, und die letztere wiederum werde zu schlampig sein, um von uns zu lernen. Erweise sie sich wider Erwarten kräftig genug, um Gutes von uns anzunehmen, so werde ein militärisch gekräftigtes Österreich uns die Freundschaft aufsagen und in einem nächsten Kriege gegen uns fechten. Herr von Falkenhayn hat mir deshalb bisher jeden Gedanken an
822 823
Bethmann Hollweg an Falkenhayn, 11.9.1915, ebd., S. 173ff. (Dok. 140). Dazu Ritter, Staatskunst III, S. 121 ff., der mit Verwunderung den »seltsamen Gedankengang« Falkenhayns skizziert und in dessen Plänen »die totale Umkehrung der Mitteleuropa-Idee ins Militante, um nicht zu sagen >Militaristische° Delbrück, Ludendorff, S. 52. 898
899
Es handelt sich nicht mehr um einen Krieg, wie wir ihn früher kannten, sondern der Krieg ist für alle Beteiligten mittlerweile zum Kampf ums Dasein im eigentlichen Sinne geworden. Falkenhayn am 29. November 1915
17. Falkenhayns strategische Planung für 1916 Die militärischen Führer der Entente und die Generalstabschefs der Mittelmächte entwarfen am Jahresende 1915 ihre künftige Strategie. Auf Anregung des französischen Generalstabschefs Joffre versammelten sich die Stabschefs der Entente vom 6. bis zum 9. Dezember 1915 in Chantilly, um ihre Pläne für das kommende Jahr aufeinander abzustimmen. Die militärischen Führer der Entente mußten für das Jahr 1915 eine bittere Bilanz ziehen. Ihre große militärische Überlegenheit war trotz des italienischen Kriegseintrittes nicht zum Tragen gekommen, weil die Angriffe an den verschiedenen Fronten nicht zeitgleich erfolgt waren und den Mittelmächten dadurch die Chance gaben, ihren größten Vorteil — den der »inneren Linie« — meisterhaft auszunutzen. Durch rechtzeitige Truppenverschiebungen von einer Front an die andere war es Deutschland und Österreich-Ungarn gelungen, alle alliierten Angriffe zurückzuschlagen und selbst sehr erfolgreiche Offensiven durchzuführen. Um den Mittelmächten die Möglichkeit schneller Truppenverschiebungen zu nehmen, setzte Joffre durch, daß alle Ententestaaten unabhängig von den Aktionen des Feindes gleichzeitig am 1. März 1916901 angreifen sollten. Diesem gleichzeitigen Allfrontenangriff, so glaubten die alliierten Generäle, konnten die personell und materiell weit schwächeren Mittelmächte nicht mehr gewachsen sein. Außerdem hoffte die Entente, daß Deutschland und seine Verbündeten sich bei ihren geringeren Ressourcen schneller erschöpfen würden und ihnen deshalb irgendwann die Kraft zum Weiterkämpfen fehlen würde. Auf diese Weise tröstete sich die Entente über ihre bisherigen Fehlschläge hinweg. Die Hoffnung auf den Sieg war so lebendig, daß selbst schwer angeschlagene Staaten wie Rußland nicht daran dachten, aus dem Krieg auszuscheiden. Die Generalstabschefs der Mittelmächte beurteilten die strategische Lage ähnlich. Aus ihrer Sicht war zwar das Jahr 1915 sehr erfolgreich verlaufen. Die Befürchtungen für die Zukunft jedoch blieben. Bei Falkenhayn ebenso wie bei Conrad läßt sich das ganze Jahr 1915 die Angst vor der Erschöpfung nachweisen. Die Generalstäbe und Kriegsministerien der Mittelmächte stellten Berechnungen an, wann sie mit ihrem »Menschenmaterial« am Ende sein würden und die Anforderungen des Krieges nicht mehr erfüllen könnten902. Diesen Zeitpunkt sah Falkenhayn im Herbst 1917 kommen; der schwäche901
902
Der Termin wurde dann mehrfach verschoben und schließlich auf den 1.7.1916 festgelegt. Das Schlußdokument der Konferenz von Chantilly ist abgedruckt bei: Ziese-Behringer, Feldherr I, nach S. 46. Siehe auch Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 4 4 - 4 9 . Siehe das Tagebuch des österreichischen Generalstabsoffiziers Karl Schneller mit einer Tabelle des
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
re Bundesgenosse Österreich-Ungarn könne sogar nur noch bis zum Herbst 1916 aushalten. Conrad sagte am 17. Dezember 1915 zu einem seiner Offiziere: »Jedenfalls habe ich [Falkenhayn ...] immer wieder darauf hingewiesen, daß wir der Entente keinen Zweifel lassen dürfen, daß wir nicht zuwarten können, bis sie uns infolge ihrer reicheren Hilfsquellen und ihres größeren Menschenmateriales überwindet«903. Falkenhayn hielt es um die Jahreswende 1915/16 »wegen unserer wirtschaftlichen und inneren Zustände« für »dringend geboten, den Krieg vor Winter 1916/17 zum Ende zu bringen«904. Allerdings beurteilte er noch Ende November 1915 zumindest die materiellen Ressourcen Deutschlands zuversichtlich. Sie reichten aus, sagte er dem Reichskanzler, um den Feinden »noch drei Jahre mit Erfolg standzuhalten«905. Doch so lange durfte der Krieg nach Ansicht Falkenhayns und Conrads nicht mehr dauern. Die Volksstimmung in Deutschland und Österreich-Ungarn wurde nicht nur durch die Verluste an der Front, sondern auch durch die zunehmenden Versorgungsmängel infolge der alliierten Blockade stark beeinträchtigt. Mit zunehmender Kriegsdauer mußte mit einem weiteren Nachlassen des kriegerischen Enthusiasmus gerechnet werden. Auch das setzte die Generalstabschefs der Mittelmächte unter Zeitdruck. Gesprächsweise erörterten Falkenhayn und Bethmann am 28. November 1915, welche Friedensmöglichkeiten sich aus der momentan sehr günstigen militärischen Lage ergeben könnten. Dabei gewann Falkenhayn den — fälschlichen — Eindruck, daß der Kanzler zu einem offenen Friedensangebot an die Entente bereit sei906. Das lehnte er jedoch scharf ab. Er schrieb am 29. November an den Reichskanzler: »Die Ansicht, daß es Deutschland freistehe, entweder durch Dokumentierung seiner Geneigtheit auf Bedingungen, die den Gegnern genehm sind, bald Frieden zu schließen oder den Krieg so lange fortzuführen, bis der Wille der Feinde zum Siege und damit auch zum Durchhalten des Krieges gebrochen ist, selbst auf die Gefahr hin, daß Deutschland dabei den letzten Mann und den letzten Groschen einsetzen müßte, ist falsch. In Wirklichkeit haben wir jene Wahl nicht, sondern sind gezwungen, den letzterwähnten Weg bis zum guten oder bitteren Ende zu gehen, ob wir wollen oder nicht. Daß die Ansicht, wir hätten noch eine Wahl, überhaupt vertreten werden kann, beruht auf völliger Verkennung des ungeheuren Geschehens, an dem wir teilnehmen. Es handelt sich nicht mehr um einen Krieg, wie wir ihn früher kannten, sondern der Krieg ist für alle Beteiligten mittlerweile zum Kampf ums Dasein im eigentlichen Sinne geworden.« In diesem Kampf sei ein Friedensangebot ein Zeichen »verderblicher Schwäche«, das den Durchhaltewillen in Volk österreichisch-ungarischen Generalstabs über das eigene und das russische »Menschenmaterial«, das nach dieser Berechnung ein Jahr länger zur Stellung des Ersatzes ausreichen würde. Transkribiertes Schneller-Tagebuch, S. 553, in: Ö S t A - K A , Nachlaß Schneller. 903 904 905 906
Schneller-Tagebuch, 1 7 . 1 2 . 1 9 1 5 , ebd. Aufzeichnung Bethmann Hollwegs, 7 . 1 . 1 9 1 6 , in: Janßen, Kanzler, S. 288f. Falkenhayn z.u Bethmann Hollweg am 2 8 . 1 1 . 1 9 1 5 , in: Ullrich, Verhandlungsfrieden, S. 410. Fischer, Griff, S. 258, erkennt in dem folgenden Briefwechsel zwischen Falkenhayn und Bethmann den »Siegeswillen« des Kanzlers. Ritter, Staatskunst III, S. 114, besonders aber S. 607, Anm. 5, wendet sich scharf dagegen, wenn er auch einräumen muß, daß Bethmann am 3 0 . 1 1 . 1 9 1 5 im diplomatischen Bundesratsausschuß ein Friedensangebot als »Schwächezeichen« ablehnte.
17. Falkenhayns strategische Planungen für 1916
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und Heer schwäche und gleichzeitig beim Feind stärke 907 . W i e schon seit Beginn des Krieges unterstellte Falkenhayn der Entente und vor allem dem Hauptgegner England einen absoluten Vernichtungswillen, der erst gebrochen werden müsse, bevor an eine friedliche Ubereinkunft gedacht werden könne. Dieser Ansicht war auch Bethmann Hollweg, der sich entschlossen hatte, vorläufig auf jedes Friedensangebot zu verzichten908. Der Generalstabschef glaubte, das Blocksystem habe sich so verfestigt, daß es für die unabsehbare Zukunft von Bestand sei und eine Sicherung der Mittelmächte gegen die gesamte Entente erforderlich mache. Nach wie vor war deshalb auch der »Mitteleuropäische Staatenbund« eines seiner dringendsten Anliegen. Gegenüber der Entente sei der Kampf bis zum Äußersten notwendig geworden, meinte er und befand dem Reichskanzler gegenüber am 7. Januar 1916: »Um unsere Existenz kämpfen wir unter allen Umständen 909 .« Falkenhayn ging in seinen strategischen Planungen für 1916 9 1 0 von der festen Uberzeugung aus, daß die russische Armee nach den Niederlagen des Sommers 1915 nicht mehr zu großen Offensivoperationen befähigt sei911. Für die Abwehr der jetzt noch zu befürchtenden russischen Angriffe glaubte Falkenhayn — ebenso wie sein österreichischer Kollege Conrad v. Hötzendorf — mit einem Minimum an Truppen auskommen zu können. Weitere Angriffsoperationen gegen Rußland lehnte Falkenhayn ab. Hindenburg und Ludendorff hielten dagegen an ihrer strategischen Grundlinie fest und schlugen vor, Rußland durch einen großen Angriff aus dem Felde zu schlagen. Auch von Seiten des AusFalkenhayn an Bethmann Hollweg, 29.11.1915, in: Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. lf. Siehe Ullrich, Verhandlungsfrieden, S. 413 f. 909 Aufzeichnung Bethmann Hollwegs über ein Gespräch mit Falkenhayn, 7.1.1916, in: Janßen, Kanzler, S. 288f. 910 Die Protokolle mehrerer Besprechungen Falkenhayns mit Bethmann Hollweg, Conrad v. Hötzendorf und den Stabschefs der Westfront im Januar und Februar 1916 und die Erinnerungen des Kaisers, Wilds, Groeners und Tappens an die Vorgänge vom Dezember 1915 bis Februar 1916 geben über die Herausbildung von Falkenhayns Operationsplan für 1916 Aufschluß. Trotz dieser guten Quellenlage greift die historische Forschung bei der Untersuchung von Falkenhayns Entschlüssen für 1916 bevorzugt auf ein Dokument zurück, dessen historische Echtheit zumindest nicht zweifelsfrei zu beweisen ist: die sogenannte »Weihnachtsdenkschrift« von 1915, Notizen für einen Lagevortrag, den Falkenhayn »um Weihnachten 1915« dem Kaiser vorgetragen haben will. Die »Weihnachtsdenkschrift« wurde erstmals publiziert in: Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 176—184. In den Akten war dieses Dokument nicht zu finden. Daß es trotzdem von der Forschung kritiklos verwendet wurde, liegt in der inneren Glaubwürdigkeit der Weihnachtsdenkschrift. Sie stellt zumindest den Versuch Falkenhayns dar, nach dem Krieg die Absichten, die seine Planungen für 1916 bestimmten, möglichst originalgetreu zu rekonstruieren. Tatsächlich können manche Argumente der »Weihnachtsdenkschrift« in amtlichen Dokumenten der Jahreswende 1915/16 wiedergefunden werden. Die Zusammenstellung und Gewichtung der Thesen in der »Weihnachtsdenkschrift« kann aber nur einen begrenzten Anspruch auf Authentizität erheben. Im folgenden soll deshalb Falkenhayns Lagebeurteilung aufgrund amtlicher Dokumente rekonstruiert werden; wo es sich anbietet, wird vergleichend auf die »Weihnachtsdenkschrift« verwiesen. Zur »Weihnachtsdenkschrift« siehe den Exkurs am Ende dieser Arbeit. 911 Janßen, Kanzler, S. 184f.; Kühl, Weltkrieg I, S. 425ff. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 177, schreibt in seiner »Weihnachtsdenkschrift«, Rußlands Offensivkraft sei »so gebrochen, daß sie in annähernd der alten Stärke nicht wieder aufleben kann«. 907 908
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wärtigen Amtes wurden Vorschläge gemacht, die Ukraine zu erobern und mit den Erträgen der russischen Kornkammer die Ernährung der Mittelmächte sicherzustellen912. Auch fehlten nicht die Hinweise auf Rumänien. Die schwankende Haltung dieses Staates würde durch einen militärischen Erfolg gegen Rußland sicherlich zugunsten der Mittelmächte verbessert werden können. Selbst die Alliierten sahen in einem deutschen Angriff gegen Rußland die größte Gefahr im Jahre 1916, zumal wenn ein erfolgreicher deutscher Angriff gegen die Ukraine die Rumänen zum Kriegseintritt auf selten der Mittelmächte bewegen und somit deren Heere um 500000 Soldaten verstärken sollte913. Diese Befürchtung der Entente war jedoch unbegründet. Zwischen den Rumänen und den Ungarn, die eine rigorose Unterdrückungspolitik gegen die rumänische Minderheit betrieben, habe eine solche Abneigung bestanden, daß an ein ungarisch-rumänisches Bündnis nicht zu denken gewesen sei, urteilte der deutsche Militärbevollmächtigte in Teschen, General v. Cramon, in seinen Memoiren914. Das Äußerste des Erreichbaren war die rumänische Neutralität, und diese schien nach den militärischen Erfolgen gegen Rußland und Serbien im Jahre 1915 hinreichend gesichert. Da die rumänischen Getreidelieferungen eine große Bedeutung für die Mittelmächte besaßen, war es für die Diplomaten leicht, Falkenhayn den vorübergehenden Gedanken an ein Ultimatum an Rumänien auszureden915. Einen weitausholenden Vorstoß in das Innere Rußlands lehnte Falkenhayn nach wie vor ab. Der Separatfrieden war auf diese Weise nicht zu erzwingen, wie die Erfahrungen des Sommerfeldzuges 1915 gezeigt hatten. Die Russen konnten sich zurückziehen, und, wie Falkenhayn schon mehrfach festgestellt hatte, »unbeschränkt nachlaufen können wir ihnen nicht«916. Er befürchtete, daß ein deutscher Vorstoß im Osten gerade durch die Eroberung weiter Landstriche gefährlich werden könne. Der Angriff der Entente im September 1915 hatte gezeigt, wie gefährdet die Westfront war, wenn die Heeresreserven fast vollständig in Serbien oder in Rußland eingesetzt waren. Das gleiche drohte im Falle des Gelingens einer großen Offensive gegen Rußland: Die Verbindungswege zu den ausgedehnten Fronten wären zu lang geworden, die Mittelmächte hätten ihre Truppen nicht mehr schnell zusammenziehen können und an militärischer Beweglichkeit verloren. Die Möglichkeit, Rußland durch eine Offensive militärisch derart zu schlagen, daß es aus dem Krieg ausscheiden müsse, schien Falkenhayn in Anbetracht der Größe des russischen Raumes und der begrenzten deutschen Mittel utopisch. 912
Nach eigenen Angaben bedrängte Staatssekretär v. Jagow Falkenhayn um die Jahreswende 1915/16, gegen Rußland offensiv zu werden, siehe PA-AA, Nachlaß Jagow, Bd 8. Legationsrat v. Bergen schlug dem Auswärtigen A m t am 2 9 . 1 1 . 1 9 1 5 vor, Kiew und die Ukraine zu erobern, nicht zuletzt wegen der Haltung Rumäniens, dann sei auch der Erschöpfungskrieg der Entente nicht mehr zu fürchten. Bergen war der Ansicht, daß ein solcher Angriff einer Operation im Westen oder gegen Italien vorzuziehen sei. Bergen an das Auswärtige Amt, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 5 , in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 25, A S 5926.
913
Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 48. Cramon, Bundesgenosse, S. 75. Aufzeichnungen Jagows Ende 20er/Anfang 30er Jahre über seine Erfahrungen im Weltkrieg, in: PA-AA, Nachlaß Jagow, Bd 8, S. 242. Siehe Kap. V, 12, bes. S. 199.
914 915
9t6
17. Falkenhayns strategische Planungen für 1916
355
Er war — ebenso wie Conrad — der Ansicht, daß die Truppen der Mittelmächte gegen Rußland defensiv bleiben sollten. Beide gingen davon aus, daß die Ostfront durch relativ begrenzte Kräfte gehalten und eine Angriffsoperation auf einem anderen Kriegsschauplatz durchgeführt werden könne. Doch endete hier die Gemeinsamkeit ihrer Lagebeurteilung. Conrad forderte einen Entscheidungsschlag gegen Italien. Bereits Anfang Dezember 1915 hatte er Falkenhayn die Möglichkeiten und Chancen eines solchen Angriffs in leuchtenden Farben geschildert. Er benötigte jedoch acht deutsche Divisionen, die österreichischungarische Verbände an der Ostfront ablösen sollten. Mit diesen wollte Conrad in Tirol einen großen Angriff beginnen, die italienische Front an der linken Flanke durchbrechen und das italienische Heer einkreisen und vernichten. Conrad versprach sich das Freiwerden einer österreichischen Armee in Stärke von 400000 Mann, falls Italien aus dem Krieg ausscheiden sollte. Er wollte nicht in Abrede stellen, daß ein Angriff im Westen im Falle seines Gelingens entscheidenderen Erfolg verspreche. Jedoch meinte er, daß ein Schritt nach dem anderen folgen müsse; erst nach der Niederwerfung Italiens besäßen die Mittelmächte die Kräfte für einen großen Schlag an der Westfront. Eine Abstellung von österreichisch-ungarischen Verbänden an andere Fronten lehnte er ab, solange Italien nicht entscheidend geschwächt worden sei917. Falkenhayn versprach sich nicht viel von einer Offensive gegen Italien. Er vermutete, wahrscheinlich zu Recht, daß Conrads Kräfteberechnung nicht stimme. Ein erfolgreicher Angriff erforderte seiner Ansicht nach erheblich stärkere Kräfte. Außerdem könnte selbst eine schwere italienische Niederlage die Lage nicht grundsätzlich ändern, meinte Falkenhayn. Die italienische Front würde zurückgenommen, aber wegen der Niederlage im äußersten Nordosten des Landes müßte Italien nicht aus dem Krieg ausscheiden. Und selbst wenn Italien einen Separatfrieden schließen sollte, zwänge das die Entente nicht zum Einlenken 918 . Der Generalstabschef unterstellte seinem österreichischen Kollegen nicht zu Unrecht politische und persönliche Gründe für den Angriff gegen Italien. Ein starkes emotionales Element schwang in Conrads Argumentation mit; zu stark war sein Wunsch spürbar, es dem verräterischen einstigen Verbündeten heimzahlen zu wollen 919 . Conrads unverhohlene Abneigung gegen Italien war auch den Deutschen nicht verborgen geblieben. General v. Cramon informierte Falkenhayn im Februar 1916 sogar über den »frenetischen Haß« Conrads auf die Italiener 920 . Falkenhayn lehnte es ab, beim Angriff gegen
917
Der mündliche Vorschlag Conrads eines Angriffs gegen Italien vom 10.12.1915 wurde von Falkenhayn am 11.12.1915 schriftlich abgelehnt, OP.Nr. 19818, in: ÖStA-KA, A O K 551. Conrad beharrte trotzdem auf seinen Angriffsplänen gegen Italien und weigerte sich, an anderen Fronten offensiv zu werden. Conrad an Falkenhayn, 18.12.1915, OP.Nr. 19181/1., ebd.
918
Siehe dazu die »Weihnachtsdenkschrift«, Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 182.
919
Conrad sagte am 4 . 3 . 1 9 1 6 zu einem seiner Stabsoffiziere: »Nun hoffe ich doch, daß mein Traum, diese Hunde von Katzeimachern zu hauen in Erfüllung geht. Dieser Traum datiert noch von der Zeit her, wo ich Brigadier in Triest wurde; es sind das nun 17 Jahre her.« In: Schneller-Tagebuch, 5 . 3 . 1 9 1 6 , in: ÖStA-KA, Nachlaß Schneller.
920
Cramon an Falkenhayn, 4 . 2 . 1 9 1 6 , in: ÖStA-KA, A O K 607.
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ein Land mitzuhelfen, mit dem Deutschland sich nicht einmal im Kriegszustand befand. Statt dessen versuchte er Conrad zu überreden, den Angriffsgedanken gegen Italien fallenzulassen und sich auf die Defensive zu beschränken. Für Falkenhayn standen andere Überlegungen im Vordergrund. Er wollte Rußland nach dem Scheitern aller Separatfriedensversuche militärisch lahmlegen. Dafür wollte er nur österreichisch-ungarische Truppen — in seinen Augen Truppen zweiter Klasse — verwenden, um die kostbaren deutschen Divisionen für schwierigere Aufgaben zurückzuhalten. Conrad sollte möglichst viele deutsche Kräfte an der Ostfront durch k.u.k. Verbände ablösen lassen, die dann für »aktive Unternehmungen« eingesetzt werden könnten921. Dieser wollte jedoch seine Armee nicht zu einer bloßen Hilfstruppe degradieren lassen und dachte trotz der dringenden Einwände Falkenhayns nicht daran, seine eigenen Pläne aufzugeben. Der deutsche Generalstabschef, der seinen österreichischen Kollegen bis Anfang Februar 1916 nicht in seine eigenen Absichten einweihte, fand schließlich einen Kompromiß. Die österreichische Ostfront sollte durch türkische Divisionen verstärkt und Conrad dadurch die Gelegenheit gegeben werden, die Angriffstruppen gegen Italien zusammenzuziehen. Damit könnten sowohl Deutschland als auch ÖsterreichUngarn ihre Angriffsvorhaben unabhängig voneinander realisieren922. Die Aufgabe, der sich Falkenhayn gegenübergestellt sah, war nicht einfach, auch dann nicht, wenn er die angenommene weitgehende Rückenfreiheit an der Ostfront in Rechnung stellte. Die deutschen Kräfte reichten nicht aus, um einen großen Durchbruch im Westen zu erzielen — dazu fehlte es dem deutschen Heer an der notwendigen Überlegenheit. Falkenhayn selbst bezweifelte im November 1915, »daß unsere Operationen zur Vernichtung des Feindes führen könnten«923. Die Reserven für einen großen Durchbruchsversuch, der nach den Berechnungen Groeners und der Armeeführer des Westheeres rund 30 Divisionen erforderte924, konnte Falkenhayn nicht aufbringen, obwohl die deutsche Heeresreserve auf die Stärke von 25 1/2 Divisionen angewachsen war925. Nach den Erfahrungen der im Herbst 1915 mit großer Überlegenheit angreifenden Franzosen schien ein Erfolg an der Westfront sehr unsicher. Ein Durchbruchsversuch hätte alle übrigen Fronten an Reserven entblößt und trotzdem keinen durchschlagenden Erfolg garantiert. Falkenhayns durch die Erfolge des Jahres 1915 stark gewachsenes Vertrauen in einen positiven Ausgang des Krieges verleitete ihn zu einer kühnen Spekulation, wie der Krieg im Westen trotz der ungünstigen Stärkeverhältnisse doch noch gewonnen werden könn921
Denkschriftenaustausch vom Dezember 1915, ebd., A O K 551. Falkenhayn an Conrad, 1 1 . 1 2 . 1 9 1 5 , OP. Nr. 19181, ebd.
922
Zu dem Angebot, türkische Hilfstruppen zu verwenden, siehe PA-AA, Türkei 142 geheim, dort umfangreiche Verhandlungen zwischen Falkenhayn, Enver, Treutier und Metternich. Siehe auch Schneller-Tagebuch, 2 7 . 1 . 1 9 1 6 f f . , in: ÖStA-KA, Nachlaß Schneller. Der Abtransport türkischer Truppen an die Rußlandfront verzögerte sich jedoch und wurde erst unter gänzlich veränderten strategischen Bedingungen im Sommer 1916 vorgenommen, siehe Kap. V, 21.
923
Loßberg, Tätigkeit, S. 197 (Tagebucheintrag vom 3 0 . 1 1 . 1 9 1 5 ) . Siehe oben, die Berechnungen Groeners, Einems, Kronprinz Rupprechts usw. Wendt, Verdun, S. 23.
924 925
17. Falkenhayns strategische Planungen für 1916
357
te. Er beschloß, auf eine Zermürbungsstrategie und ihren psychologischen Effekt zu setzen, d.h. die Gegner durch nicht existenzbedrohenden und trotzdem unerträglichen militärischen Druck zum Nachgeben zu zwingen. Eine vollkommene Niederwerfung Englands und Frankreichs sah er als nicht realistisch an, wohl aber einen deutlich sichtbaren deutschen Sieg, der sich auch in territorialem Gewinn auszahlen sollte. Falkenhayn wollte die Westmächte offensiv angehen: Die Marine sollte England durch den rigorosen Handelskrieg mit U-Booten stark schwächen und das deutsche Heer erstmals seit dem November 1914 im Westen wieder zum Angriff übergehen. Diese Absicht eröffnete er dem Kaiser am 3. Dezember 1915. Der kaiserliche Generaladjutant v. Plessen schrieb in sein Tagebuch: »General v. Falkenhayn entrollt Seiner Majestät ein ernstes Bild von der Kriegslage mit dem Schluß, daß zur Herbeiführung einer Entscheidung ein Schlag im Westen geführt werden muß, wozu alle verfügbaren Kräfte bereitzustellen sind [,..]926.« Als Angriffsgegner bevorzugte Falkenhayn die Franzosen, deren Stärke und Durchhaltewillen nicht nur von ihm schon den ganzen Krieg lang erheblich unterschätzt wurden927. Im Mai 1915 hatte der Generalstab eine Broschüre herausgegeben, die als Paradebeispiel für die ungerechtfertigte Unterschätzung der französischen Soldaten gelten kann928. Auch die anderen Generäle des »Flüsterclubs« — Falkenhayns engste Ratgeber — unterschätzten die Franzosen. Kriegsminister Wild sprach im Dezember 1915 von den »weichen Franzosen«, die Artilleriefeuer und Winterwetter schlechter aushalten könnten als deutsche Soldaten929. Und General Tappen war sogar viele Jahre nach dem Krieg noch von der »moralischen Minderwertigkeit« des französischen Soldaten überzeugt930. Die höhere Qualität des deutschen Soldaten sollte das Gesetz der Zahl — 119 zu 150 Divisionen an der Westfront, die Westmächte mit 600 Bataillonen überlegen — außer Kraft setzen. Selbst ein Mann wie Walther Rathenau, der Chef der Kriegsrohstoffabteilung, war von einer solchen Fehleinschätzung Frankreichs nicht frei. In einem Gespräch mit Falkenhayn am 28. November 1915, in dem der Generalstabschef nach seiner üblichen Art die Meinung seines Gesprächspartners zur strategischen Lage auslotete, vertrat Rathenau die Ansicht, »daß nur ein Durchbruch im Westen die Situation schnell und nachhaltig zu unseren Gunsten ändern könne«931. Der Durchbruchsidee gegenüber verhielt Falkenhayn sich reserviert. Die Franzosen hätten den Durchbruch »mit einer größeren Zahl von Kanonen, als wir sie überhaupt besäßen«, versucht, seien aber gescheitert. Am Schluß des Gespräches kam Falkenhayn, der zu dieser Zeit über seine nächsten Operationen nachdachte, »auf die Frage des Durchbruchs zurück und bezweifelte, ob Frankreich, das in diesem Kriege bedeutende Reste edler Eigenschaften sich erhalten habe, durch einen 926
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928 929 930 931
Plessen-Tagebuch, 3 . 1 2 . 1 9 1 5 , in: Aufsatz von Wilhelm Solger, »General v. Falkenhayn als Chef des Generalstabes des deutschen Feldheeres«, S. 28. In: BA-MA-P, W-10/50709. Bethmann Hollweg, Betrachtungen II, S. 42, konstatiert, daß »Falkenhayn die feindliche Widerstandskraft, namentlich die der Franzosen, unterschätzte«. Auszüge aus der Broschüre in: BA-MA-P, W-10/50702. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 120 (Tagebucheintrag vom 1 1 . 1 2 . 1 9 1 5 ) . Interview Tappens mit dem Reichsarchiv vom 19.9.1932, S. 193, in: BA-MA, Nachlaß Tappen. Rathenau, Tagebuch, S. 200 (Eintrag vom 2 8 . 1 1 . 1 9 1 5 ) .
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
Druck auf Paris psychologisch beeinflußt werden könne. Er gab mir darin recht, daß gegenwärtig alles von psychologischen Erscheinungen abhänge, indessen könne er sich auch denken, daß eine solche Entscheidung ebensogut im Osten fallen könne.« Rathenaus Antwort auf seine Frage wird Falkenhayn nicht unwillkommen gewesen sein und in die Richtung seines eigenen Denkens gezielt haben. Rathenau wies nämlich »auf die Erfahrungen hin, daß im französischen Charakter die Neigung zu hysterischen Kontrasten bestehe, die in England unbekannt sei und die auch in Rußland zwar von Personen, jedoch nicht leicht vom Lande bewiesen werden könne« 932 . Diese Äußerungen waren geeignet, Falkenhayns Vorurteile über die Franzosen zu bestätigen. Vor dem Krieg hatte er angenommen, daß viele Franzosen als Einzelpersonen zwar »Bravour« zeigten, daß dem französischen Volk als Gesamtheit jedoch eine straffe Gliederung fehle. Das Fehlen kollektiver Organisation und die daraus entstehende Kopflosigkeit hielt er für einen tief eingewurzelten Fehler des französischen Nationalcharakters933. Auch war er der Uberzeugung, Deutschland werde gegen Frankreich »in the long run doch oben« bleiben 934 . Dieses Uberlegenheitsgefühl gegenüber Frankreich bestand auch noch nach eineinhalb Jahren Krieg. Ein Beispiel für Falkenhayns chronische Unterschätzung der Franzosen bot sein Verhalten vor dem französischen Großangriff in der Champagne, der am 25. September 1915 begann. Noch am 24. September versicherte er dem besorgten Generaloberst v. Einem, »die Franzosen hätten keinen Schneid«935 und ihr Angriff sei nicht zu befürchten. Und am 25. September — nur zwei Stunden vor Beginn der französischen Offensive — sagte Falkenhayn zum Kaiser, »bei der 6. und namentlich bei der 3. Armee sehe man viel zu schwarz, die Franzosen seien am Ende ihrer Kräfte und nicht mehr imstande, anzugreifen«936. Auch dieser offenkundige Irrtum konnte sein Urteil über die Franzosen nicht nachhaltig korrigieren. Falkenhayn und seine Ratgeber im Generalstab waren davon überzeugt, daß die Franzosen kurz vor dem Zusammenbruch stünden. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Entente war ein Entscheidungsangriff gegen die französische Armee allerdings aussichtslos. Was aber, wenn Frankreich aufgrund einer Uberbeanspruchung seiner Leistungsfähigkeit den Mut verlieren würde und sich aufgäbe? Bei objektiver Beurteilung der Lage durch Frankreich war auf eine solche Reaktion schwerlich zu hoffen. Wohl aber, wenn der überbeanspruchte französische Opfergeist von einem Moment zum anderen in Hoffnungslosigkeit umschlagen würde. Dann könnte es zu dem »hysterischen Kontrast« kommen, von dem Rathenau sprach und den auch Falkenhayn nach dem Weltkrieg in seinen Erinnerungen als eines der Ziele für das Jahr 1916 angab: »[...] Frankreich [ist] in seinen Leistungen bis nahe an die Grenze des noch Erträglichen gelangt [...] — übrigens in bewundernswerter Aufopferung. Gelingt es, seinem Volk klar vor Augen zu führen, daß es militärisch nichts mehr zu hoffen hat, dann wird die Grenze über-
932
Ebd., S. 201.
933
Falkenhayn an Hanneken, Paris 9.—13.2.1910, siehe S. 68—70.
934
Falkenhayn an Hanneken, 2 2 . 3 . 1 9 1 2 , siehe S. 100.
935
Reichsarchiv-Direktor Foerster an Tappen, 2 7 . 6 . 1 9 3 2 , in: BA-MA, Nachlaß Tappen.
936
Ebd.
17. Falkenhayns strategische Planungen für 1916
359
schritten, England sein bestes Schwert aus der Hand geschlagen werden937.« Falkenhayn hoffte, daß Frankreich aufgeben werde, bevor es wirklich entscheidend militärisch besiegt sei. Dadurch wäre der Landkrieg im Westen entschieden. Die Engländer — der »Erzfeind in diesem Kriege«938 — sollten durch den U-Boot-Krieg so geschwächt werden, daß die Franzosen jede Hoffnung auf englische Hilfe verlören — ein wichtiges Element in Falkenhayns Angriff auf die französische Moral. Beide Maßnahmen — der Schlag gegen die Franzosen zu Lande und der U-Boot-Krieg zur See — richteten sich indirekt und direkt gegen England und waren so nach Falkenhayns Ansicht am besten geeignet, Deutschlands Hauptgegner friedensbereit zu machen. Die englische Armee befand sich nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1915 in einer Umstrukturierungsphase und war noch nicht voll einsatzbereit. Falkenhayn wollte ihr nicht die Zeit lassen, die Umbildung zu beenden. Er knüpfte an den Angriff auf Frankreich die Erwartung, daß England, um Frankreich von einem Ausscheiden aus dem Krieg abzuhalten, einen überhasteten Entlastungsangriff mit seiner schlecht vorbereiteten Armee an der Westfront unternehmen werde. Für diesen Fall wollte er einen großen Teil seiner Heeresreserven zurückhalten, um diesen Angriff abzuschlagen und im Gegenstoß den Engländern eine möglichst schwere Niederlage zu bereiten939. Das wiederum, so hoffte Falkenhayn, würde die Franzosen endgültig entmutigen und zum Frieden zwingen. Auch ein Nachgeben der Engländer schien ihm dann wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher940. Das Deutsche Reich wäre nach dem Ausscheiden Frankreichs aus dem Krieg dem Sieg aber ohnehin greifbar nahe. Selbst wenn England nicht nachgäbe, müßte ein Separatfriede mit Rußland und Italien dem mit Frankreich fast notwendigerweise nachfolgen. Aus dieser sehr optimistischen Einschätzung der Situation folgerte Falkenhayn die Notwendigkeit einer Aktion im Westen, gegen Frankreich. Denn auch die Eroberung der Ukraine hätte nicht die entscheidende Wirkung haben können, die er sich von einem Austritt Frankreichs aus dem Krieg versprach.
937 938 939 940
Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 183 (»Weihnachtsdenkschrift«). Ebd., S. 180. Siehe Foerster, Plan. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 181 (»Weihnachtsdenkschrift«).
Wir erstrebten den Gewinn einer Linie, aus der wir Verdun tötlich [!] bedrohten; einer Linie, die günstig war, um die bestimmt zu erwartenden französischen Gegenangriffe für die Franzosen so verlustreich wie möglich zu gestalten. Wilhelm II. am 25. Februar 1934
18. Verdun Für Falkenhayn stellte sich nach diesen Überlegungen die Frage, wo und wie er Frankreich dieser militärischen Belastung aussetzen könne. Einen Durchbruchsversuch lehnte er wegen des zu hohen Kräfteaufwands ab. Er wollte aus den negativen Erfahrungen der Engländer und Franzosen lernen. Diese hatten mehrfach mit riesiger Überlegenheit angegriffen, zuletzt in der Champagne im September 1915, und keine Erfolge erzielen können. Durch das deutsche Abwehrfeuer hatten die angreifenden Truppen der Entente erhebliche Verluste erlitten. Aus Gefangenenaussagen schloß Generaloberst v. Einem, Oberbefehlshaber der 3. Armee, daß die Franzosen in den ersten Wochen der Champagneschlacht fast dreimal höhere Verluste als der deutsche Verteidiger erlitten hatten 941 . Spätestens seit der Champagneschlacht verfestigte sich Falkenhayns Ansicht, daß die bisherige Durchbruchstaktik an der Westfront nicht zum Erfolg führen könne. Er glaubte, daß auch dem deutschen Heer bei der Eigenart des Stellungkrieges ein entscheidender Erfolg versagt bleiben müsse und lediglich ein Frontvorsprung zu erzielen sei, der dann nur unter hohen Verlusten gehalten werden könne. Feldeisenbahnchef Groener erinnerte sich nach dem Krieg, daß Falkenhayn gesprächsweise immer wieder den Gedanken an einen Durchbruch an der Westfront als unmöglich zurückgewiesen habe 942 . Der Generalstabschef formulierte diese Erkenntnis auch in seiner »Weihnachtsdenkschrift«: »Massendurchbruchsversuche gegen einen moralisch intakten, gut bewaffneten und zahlenmäßig nicht wesentlich unterlegenen Feind können auch bei größter Menschen- und Materialanhäufung nicht als aussichtsvoll betrachtet werden. Dem Verteidiger wird es in den meisten Fällen gelingen, die eingedrückten Stellen abzuriegeln. [...] Die Einbuchtungen, flankierender Feuerwirkung in hohem Maße ausgesetzt, drohen dann zum Massengrab zu werden943.« Diese Fehler wollte Falkenhayn bei seiner eigenen Operation vermeiden.
941
Einem, Armeeführer, S. 163 (Tagebucheintrag vom 3 . 1 0 . 1 9 1 5 ) : »Unsere Verluste lassen sich jetzt übersehen. Wir haben 16000—17000 Mann Verwundete abbefördert bzw. noch hier liegen. Die Toten müssen auf 6000 Mann, die Gefangenen auf 11000 geschätzt werden, so daß wir also einen Verlust von 35 000 Mann erlitten haben werden. Von fast allen Regimentern der französischen Divisionen haben wir Gefangene oder Tote, und wir wissen auch, ob ein Regiment ein- oder mehreremal angegriffen hat. Auf dieser Unterlage schätzten wir die französischen Verluste auf 9 7 0 0 0 Mann. Eine schöne und wohltuende Blutabfuhr!« Zahlreiche ähnliche Schätzungen schrieb Einem auch im Oktober und November 1915 in sein Tagebuch. Zu den tatsächlichen Verlusten siehe Kap. V, 14.
942
Groener an das Reichsarchiv, 5 . 3 . 1 9 3 4 in: BA-MA-P, W - l 0 / 5 0 7 0 5 .
943
Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 180 (»Weihnachtsdenkschrift«).
18. Verdun
361
Ende November 1915 entschloß sich Falkenhayn, die Operation gegen die Franzosen von der 5. Armee — der Armee des Kronprinzen — durchführen zu lassen. Er ließ sich vom Armeeoberkommando, dessen Chef Generalleutnant Constantin Schmidt v. Knobelsdorf — sein Vorgänger als Kommandeur des 4. Garderegiments z.F. — war, verschiedene Angriffspläne ausarbeiten. Einer sollte sich gegen die französische Festung Beifort richten, ein anderer einen Vorstoß in die Argonnen zum Ziel haben, der die Festung Verdun, die von der deutschen Front zweiseitig umrahmt wurde, von hinten abschnüren sollte. Außerdem wurde ein direkter Angriff auf Verdun erwogen. Die Unternehmung gegen Beifort sollte mit einer gleichzeitigen Rückgewinnung der seit 1914 von Frankreich besetzten Teile des südlichen Elsaß einhergehen. Das war zwar militärisch bedeutungslos. Für den Fall von Friedensverhandlungen mit Frankreich konnte es jedoch von Wichtigkeit sein, daß die Franzosen kein »Faustpfand« zum Unterhandeln mehr besetzt hielten. Der vorsichtige Falkenhayn wollte sich darüber hinaus die Möglichkeit schaffen, bei Mißlingen der Belfort-Operation der eigenen und feindlichen Öffentlichkeit die Befreiung des Südelsaß als eigentliches — und erreichtes — Operationsziel verkaufen zu können944. Beide Angriffsziele — Beifort und Verdun — konnten im Falle einer Eroberung von großer politischer Bedeutung sein. Die Festungen hatten wichtige Sperrfunktionen und waren Angelpunkte der französischen Ostverteidigung. Sie waren Einfalltore nach Frankreich; ihr Besitz konnte, wie Groener und Falkenhayn im Frühjahr 1915 feststellten, den Besitz Belgiens als Durchmarschgebiet für einen deutschen Angriff gegen Frankreich entbehrlich machen945. Um den 8. Dezember 1915 entschied sich Falkenhayn nach Beratungen mit Tappen und Wild dann aus verschiedenen Gründen doch für einen Angriff auf Verdun — nicht zuletzt deshalb, weil ein Angriff auf Beifort aus taktischen Gründen als sehr schwierig eingeschätzt wurde. Jede Operation wurde schon durch die nahe Grenze der Schweiz behindert. Ein Angriff auf Verdun bot hingegen verschiedene taktische Vorteile, die der Generalstabschef schon im Frühjahr 1915 bemerkt zu haben behauptete946. Die deutsche Front umschloß den Verteidigungsring der Festung in einem spitzen Winkel, der eine artilleristische Umfassung erlaubte, so daß — wie Falkenhayn und Wild in einer Diskussion am 9. Dezember 1915 feststellten — bei einer allmählichen Verengung des Bogens nach den Erfolgen des Angriffs im Innern »keine Maus darin leben kann«947. Um besser verstehen zu können, was Falkenhayn sich von diesem Angriff versprach, muß man sich die geographische Lage der Festung Verdun vor Augen führen. Die Maas durchquert die Stadt Verdun und zerteilt auch das Vorfeld der Festung in zwei geographische Abschnitte. Am Ostufer ist Verdun von Höhenlinien umgeben, die bis auf 400 m ansteigen. Auf dem Westufer befinden sich nördlich der Stadt mehrere Höhenzüge. Die Festung war durch einen doppelten Festungsring gesichert; im Inneren durch eine Reihe veralteter, wenig widerstandsfähiger Forts, außen durch einige sehr starke Werke (Douaumont,
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Siehe Wild von Hohenborn, Briefe, S. 120 (Tagebucheintrag vom 11.12.1915). Groener, Lebenserinnerungen, S. 277 (Tagebucheintrag vom 13.3.1915). Telegramm Treutiers an den Reichskanzler, 11.3.1916, in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 28a, E333063 ff. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 120 (Tagebucheintrag vom 1 1 . 1 2 . 1 9 1 5 ) .
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
Vaux). Jedoch unterschätzten sowohl Deutsche als auch Franzosen den Wert ständiger Befestigungen nach der raschen Bezwingung der belgischen Sperrforts 1914 und der russischen Festungen 1915 und überschätzten die Wirkung der schweren Artillerie 948 . Schmidt v. Knobelsdorf hatte Falkenhayn zunächst einen anspruchsvollen Angriffsentwurf vorgelegt, der im Kern auf eine Planung von 1914 zurückging und eine rückwärtige Abschnürung der Festung durch einen Angriff von Norden vorsah. Der Fall der Festung war — wenn sie von ihren rückwärtigen Verbindungen erst einmal abgeschnitten wurde — nur noch eine Frage der Zeit. Für diesen Angriff forderte Knobelsdorf jedoch 23 Divisionen, womit Falkenhayn nur noch zwei Divisionen in der Heeresreserve gehabt hätte. Bei der schwer vorauszuberechnenden Dauer der Operation war das nicht genug zur Abwehr des erwarteten, ja geradezu erhofften englischen Entlastungsangriffs. Falkenhayn mußte diesen Plan ablehnen. Statt dessen wollte er der 5. Armee für den Angriff auf Verdun fünf Armeekorps — zehn Divisionen — aus der Heeresreserve zur Verfügung stellen. In der Reserve verblieben somit fünfzehn Divisionen. A m 8. Dezember 1915 besprach Falkenhayn den Angriff mit Tappen und am 9. Dezember mit Wild949. Noch am selben Tag telegraphierte er an den Stabschef der 5. Armee, vom 14. bis zum 17. Dezember nach Berlin zu kommen. Falkenhayn wollte mit Knobelsdorf die Angriffsentwürfe gegen Beifort (Deckname: »Schwarzwald«) und gegen die Argonnenstellung im Rücken von Verdun (Deckname: »Waldfest«) durchsprechen. Aber schon in diesem Telegramm warf Falkenhayn die Frage auf, »ob es nicht zweckmäßig sei, >Schwarzwald< zugunsten eines Unternehmens gegen Verdun in großem Stil fallen zu lassen«950. In den dreitägigen Beratungen, an denen auch der Armee-Oberbefehlshaber, Kronprinz Wilhelm, und General Tappen teilnahmen, schlug Knobelsdorf zunächst einen Angriff von Norden auf beiden Maasufern in Richtung auf Verdun vor. Falkenhayn hatte aber schon einen eigenen Plan entwickelt 951 : Auf dem Ostufer, nordöstlich der Festung Verdun, sollte möglichst unbemerkt eine gewaltige Ansammlung deutscher Artillerie aufmarschieren, die er aus der Heeresreserve zu stellen bereit war. Der infanteristische Ansatz — nur zehn Divisionen — war hingegen bescheiden. Uberraschend sollte die Festung dem deutschen Feuerüberfall ausgesetzt werden und schon in diesem Stadium des Angriffs den Franzosen durch die günstig postierte, überlegene Artillerie schwere Verluste zufügen. Die Infanterie sollte dann dem überraschten Feind, noch bevor dieser genügend Verstärkung vor allem an Artillerie heranführen konnte, die Höhenlinien am Ostufer der Maas bis zur Linie Froide Terre — Fort Souville — Fort Tavannes entreißen952.
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Eine charakteristische Äußerung von Feldeisenbahnchef Groener: »Merkwürdig, die Festungen werden von uns geknackt wie taube Nüsse, während den Schützengräben recht wenig anzuhaben ist.« Groener, Lebenserinnerungen, S. 247 (Tagebucheintrag vom 20.8.1915).
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Tappen-Tagebuch, 8.12.1915, in: BA-MA, Nachlaß Tappen. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 119-121 (Tagebucheintrag vom 11.12.1915). Kriegstagebuch des Armeeoberkommando 5, in: Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 26. In dem Telegramm tauchte der N a m e Verdun nicht auf, aber Knobelsdorf erriet Falkenhayns Absicht. Knobelsdorf an das Reichsarchiv, 28.12.1934, ebd., S. 27. Die beabsichtigte Gewinnung dieser Linie nehmen Solger, Falkenhayn, S. 93, und Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. 121, an.
950
951 952
18. Verdun
363
Damit war Verdun nicht erobert. Aber das hatte Falkenhayn zunächst auch gar nicht vor. Statt dessen wollte er die Franzosen durch die Einnahme der Höhen des Ostufers in eine Zwangslage bringen. Die Stadt lag nach Eroberung der Höhenlinie im Feuer der deutschen Artillerie. Auf die Dauer würde es für das französische Heer deshalb nur zwei Möglichkeiten geben: — Entweder es räumte die Stadt Verdun, weil es die durch das Artilleriefeuer entstehenden hohen Verluste nicht mehr tragen konnte, und das deutsche Heer erzielte einen großen Prestigeerfolg. Der Mut des ohnehin entkräfteten Frankreich würde noch tiefer sinken und sein Glaube an den Endsieg gebrochen. Frankreich hätte sich dem von Falkenhayn erhofften moralischen Zusammenbruch noch weiter angenähert, würde sich nach diesem Schlag vielleicht sogar schon endgültig aufgeben. — Oder — was Falkenhayn eher glaubte — die Franzosen würden sich mit aller Macht dagegen stemmen, die Festung zu verlieren, und deshalb ohne Rücksicht auf Verluste zur Wiedergewinnung der Höhen des Ostufers antreten. Ihre Angriffe würde sie dann jedoch in das beherrschende deutsche Artilleriefeuer hineinführen, das französische Heer gewaltige Verluste erleiden und sich unheilbar schwächen. Auch die größte Tapferkeit der französischen Soldaten würde die Lage nicht mehr ändern können. Am Ende müßte Frankreich die Stadt doch aufgeben. Der Gedankengang, eine Festung nur durch Artillerieeinwirkung zu erobern, war Falkenhayn nicht fremd. Im russisch-japanischen Krieg war die starke russische Festung Port Arthur von den Japanern genommen worden, nachdem sie in sehr verlustreichen Kämpfen einen Hügel vor der Stadt erobert hatten und von dort aus Port Arthur mit alles vernichtendem Artilleriefeuer belegen konnten. Trotz aller Tapferkeit der russischen Verteidiger war die Stadt dann nicht mehr zu halten. Falkenhayn selbst hatte 1905 in einem Brief die Kapitulation der mit Vorräten aller Art versorgten Festung verteidigt: »Der Vorwurf schmählicher Kapitulation ist insofern Unsinn als die Stadt nach dem Fall des 101-Hügels nicht mehr zu halten war, und mochte sie noch über 70000 Mann Besatzung und ungezählte Munition verfügen. Die Frage ist nur, ob Stoessel [der russische Kommandant] alles getan hat, den Fall dieses wichtigen Punktes zu verhindern953.« Einen ähnlich neuralgischen Punkt glaubte Falkenhayn bei der Festung Verdun in den Höhen des Ostufers gefunden zu haben. Waren diese Höhen erobert, mußte die Stadt fallen. Der Generalstabschef wollte die Franzosen zwingen, entweder die Festung aufzugeben oder im Artilleriefeuer riesige Verluste zu erleiden, weit höhere als die deutschen Truppen. Mit einer gewissen Beunruhigung bemerkte Kronprinz Wilhelm bei den Besprechungen, daß Falkenhayn immer wieder davon sprach, Frankreichs Heer solle bei Verdun »zum Ausbluten« gebracht werden954. Falkenhayns Hang zu den Vokabeln »verbluten«, »ausbluten«, »Weißbluten«, »Blut verspritzen« sollte noch wesentlich zu dem Entsetzen beitragen, das die Schlacht bei Zeitgenossen und in der Nachwelt verbreitete. Es liegt
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Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Kronprinz Wilhelm, Erinnerungen, S. 160. Ob diese Befürchtungen des Kronprinzen authentische Empfindungen des Jahreswechsels 1915/16 sind oder aber vom späteren Verlauf der Schlacht beeinflußt wurden, kann hier nicht entschieden werden.
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
jedoch ganz auf der Linie des damals gängigen Vokabulars. Die Vokabel »verbluten« wurde auch von den Politikern und Diplomaten des Kaiserreichs gerne benutzt. Falkenhayn verwendete die Vokabel »verbluten« schon mehrfach in seiner Vorkriegskorrespondenz. In einem Brief von 1905 hat sie den Sinn von >untragbar hohe Verluste erleidem955. Gegenüber Arlabosse verwendete er im Oktober 1911 das Wort »saigner ä blanc« — Weißbluten — im Zusammenhang mit dem Libyenkrieg in derselben Bedeutung: Die Türken würden bis zum »Weißbluten« kämpfen, die Italiener könnten aber in Anbetracht des bereits vergossenen Blutes »en honneur du sang deja verse« ihren Angriff nicht aufgeben, obwohl ihnen »les efforts enormes« abverlangt würden956. In beiden Fällen verwendete Falkenhayn diese Formulierungen, um verlustreiche Aktionen zu charakterisieren, im zweiten Fall auch um den Automatismus zu zeigen: Je mehr Opfer für eine Sache gebracht werden, desto schwieriger ist es, sie wieder aufzugeben. Ganz selbstverständlich benutzte er auch im Zusammenhang mit seinem Vorhaben gegen Verdun sein übliches Vokabular. Falkenhayn beabsichtigte, eine neue Angriffsform im Stellungskrieg zu finden: Er wollte den Gegner zum verlustreichen Angriff zwingen und selbst als Angreifer die Vorteile der Defensive nutzen. Die Schlacht um Verdun wurde seit ihrem Beginn als »Ausblutungsschlacht«, als »Maasmühle« oder »Blutpumpe« bezeichnet; ein Vokabular, das bei den Soldaten beider Seiten große Erbitterung über den Zynismus ihrer Führung hervorrief. Die Absicht Falkenhayns, die Höhenzüge östlich der Maas — und nicht etwa die Stadt Verdun selbst — zu erobern und dort das französische Heer in die Falle des deutschen Artilleriefeuers zu locken, erklärt auch seinen Angriffsentwurf. Knobelsdorf berichtet von der entscheidenden Besprechung im Dezember 1915: »Falkenhayn war fest entschlossen, er legte mir eine Karte vor und zeigte auf ihr innerhalb der Stellung des V. Reservekorps den Abschnitt, aus dem der Angriff zu erfolgen habe. Ich entsinne mich genau, daß ich ihn fest ansah und ihn fragte, ob das alles sei, und ob nicht auf dem westlichen Maas-Ufer gleichzeitig anzugreifen sei. Das wurde abgelehnt mit der Begründung, daß dazu weder Truppen noch ausreichende Artillerie verfügbar wären. Am 15. kam ich auf meinen Vorschlag zurück, völliger Mißerfolg. Da war nichts mehr zu machen. Ich erklärte Falkenhayn, daß wir auf dem östlichen Maas-Ufer mit mindestens der halben französischen Armee würden kämpfen müssen. Ich behielt mir Überlegung vor und fuhr nach Stenay zurück. Truppen und viel Munition stellte Falkenhayn in Aussicht 957 [...].« Knobelsdorf kritisierte an Falkenhayns Plan, was auch Tappen als Chef der Operationsabteilung958, Oberstleutnant Bauer als Spezialist der Obersten Heeresleitung für den Einsatz der schweren Artillerie959, Kriegsminister Wild und viele andere schon vor Angriffsbeginn bemängelten: die schmale Angriffsfront nur auf dem Ostufer. Der Angriff mußte schon nach kurzer Zeit in das flankierende Artilleriefeuer der französischen Artillerie auf dem Westufer, besonders der Geschütze der Befestigungen auf der Cote de Marre 955
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Zum Wortgebrauch allgemein: Krumeich, Declin. Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Dort befürchtet er einen Krieg, in dem Deutschland »elend verbluten würde«. Falkenhayn an Arlabosse, 27.10.1911, Nachlaß Arlabosse (in Privatbesitz). Knobelsdorf an das Reichsarchiv, 28.12.1933, in: Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. 27. Tappen an das Reichsarchiv, 9.2.1934, ebd. Ebd., S. 38; siehe auch unten.
18. Verdun
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nördlich der Stadt kommen. Daher empfahlen die eingeweihten Militärs dringend einen gleichzeitigen Angriff auf dem Westufer, um die französische Artillerie auf der Cote de Marre zu binden, durch eigene Artillerie auszuschalten und dadurch die Bedrohung des rechten deutschen Angriffsflügels zu beseitigen. Falkenhayn lehnte dies ab, obwohl er die Bedeutung der Flankenbedrohung klar erkannte; er wollte nicht für den Angriff auf dem Westufer zusätzliche Kräfte stellen und seine Heeresreserve weiter schwächen. Als Tappen insistierte, entgegnete Falkenhayn sehr erregt: »Ich trage die Verantwortung. Ich habe keine Lust, wieder in eine Lage zu kommen, wie im Herbst vorigen Jahres bei der Champagne-Schlacht. Ich tue es nicht 960 .« Falkenhayn wollte seine Reserven für die Abwehr der erwarteten Entlastungsangriffe zurückhalten. Zwar stellte er Truppen für einen Angriff auf dem linken Ufer bereit, wollte diesen Angriff jedoch erst später beginnen lassen und behielt sich die Verfügungsgewalt über die Einheiten vor. Mit dieser Maßnahme, ebenso mit der spärlichen Kräftebemessung der Infanterie, beging Falkenhayn nach übereinstimmender Meinung seiner militärischen Kritiker — und auch nach eigenem späterem Eingeständnis 961 — einen Fehler, der erheblich zum Fehlschlag des Unternehmens beitragen sollte. Wahrscheinlich hoffte er, daß die Angriffstruppen den Höhenzug auf dem rechten Ufer rasch erobern würden, so daß sich die Artillerieflankierung nicht auswirkte. Erst einmal im Besitz der Höhenlinie, konnte die feindliche Artillerie auf dem Westufer von dort aus unter Feuer genommen und das Gelingen eines späteren Angriffs auf dem Westufer wesentlich erleichtert werden. Falkenhayn schreibt in seinen Erinnerungen, daß er »um Weihnachten 1915« den Kaiser über seine Angriffspläne informiert habe 962 . Tatsächlich hatte er den Kaiser schon Anfang Dezember 1915 über seine Absicht informiert, im Westen anzugreifen963. Nach dem Krieg erinnerte sich der Kaiser »bestimmt, daß die Idee eines Angriffs auf Verdun während einer Eisenbahnfahrt im Osten entstanden sei. Der Wagen des Generals v. Falkenhayn sei an den Zug Sr. Majestät angekoppelt gewesen. S.M. sei mit dem General in dessen Salonwagen gegangen. Falkenhayn habe an der Hand einer großen Operationskarte die Möglichkeiten im Westen erörtert. Dabei habe sich Verdun als geeigneter Ansatzpunkt für eine Westoperation ergeben. Da S.M. am 15.12. abends in Potsdam eingetroffen sei, müsse die Besprechung [vorher] stattgefunden haben 964 .« Wilhelm II. faßte in der Rückschau das Ziel des Angriffes zusammen: »Wir erstrebten den Gewinn einer Linie, aus der wir Verdun tötlich [!] bedrohten; einer Linie, die günstig war, um die bestimmt zu erwartenden französischen Gegenangriffe für die Franzosen möglichst verlustreich zu gestalten965.« 960 961
Tappen an das Reichsarchiv, 9 . 2 . 1 9 3 4 , ebd., S. 27. Gegenüber Mertz v. Quirnheim sagte Falkenhayn am 2 3 . 3 . 1 9 1 9 , »daß er immer am Grundsatz seiner Führung festgehalten habe: Deutschland dürfe in diesem Kriege nichts auf eine Karte setzen. In Befolgung dieses Grundsatzes sei er leider bei Verdun zu weit gegangen und habe nur auf einem Maas-Ufer angegriffen.« In: BA-MA, Nachlaß Mertz v. Quirnheim, Bd 1.
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Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 176. Die »Weihnachtsdenkschrift« ebd., S. 176—184. Siehe auch den Exkurs am Ende dieser Arbeit.
963 964
Siehe oben, Plessen-Tagebuch vom 3 . 1 2 . 1 9 1 5 . Gespräch Wilhelms II. mit Oberstleutnant a.D. Niemann am 2 5 . 2 . 1 9 3 4 in Doorn. Nach dem vom Kaiser beglaubigten Gesprächsprotokoll Niemanns. In: BA-MA, W - l 0 / 5 0 7 0 5 .
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Ebd. Groener behauptete, es sei unmöglich, daß der Kaiser schon vor dem 15.12.1915 über den An-
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
A m 23. Dezember 1915 fuhr Falkenhayn mit dem Zug der Obersten Heeresleitung von Montmedy nach Mezieres. Knobelsdorf stieg unterwegs zu und erhielt den »mündlichen, aber endgültigen Befehl«, an der Maas anzugreifen966. Von nun an liefen die Angriffsvorbereitungen bei der 5. Armee, während die anderen Armeeführer von Falkenhayn bewußt im unklaren gelassen wurden, daß eine Entscheidung gefallen war. Sie bereiteten inzwischen die von der Obersten Heeresleitung geforderten Angriffsvorschläge für ihre Abschnitte vor. Erst nach und nach wurde ihnen klar, daß Falkenhayn sich für einen anderen Teil der Front interessierte. Der Führer der 6. Armee, Kronprinz Rupprecht, und sein Stabschef, General v. Kühl, bemerkten aber durch den Befehl zur Abgabe von Material, Bautrupps und Gerät an die 5. Armee schon am 27. Dezember 1915, daß der Angriff dort stattfinden sollte967. Mit Enttäuschung quittierte auch der Oberbefehlshaber der 3. Armee, Generaloberst v. Einem, daß der Angriff nicht durch seine Armee durchgeführt werden sollte968. Einem hatte in seinem Angriffsentwurf neunzehn Divisionen für die Operation veranschlagt, von denen seine Armee vier selbst stellen wollte. Aus den Heeresreserven hätten fünfzehn Divisionen und starke Artillerie bereitgestellt werden müssen. Diese Kräftebemessung war Falkenhayn zu anspruchsvoll. In seiner ablehnenden Antwort vom 7. Februar 1916 schrieb er unter anderem: »Unser Problem ist eben, mit verhältnismäßig bescheidenem eigenem Aufwand dem Gegner schweren Schaden an entscheidender Stelle zuzufügen 969 .« Daran anschließend bekräftigte Falkenhayn seine Auffassung, daß Massenstürme keinen Erfolg versprächen, und beauftragte Einem, einen neuen Angriffsentwurf für eine Stärke von fünf bis sechs Divisonen vorzulegen. Falkenhayn ließ selbst die Armeeführer aus Geheimhaltungsgründen so lange wie möglich im unklaren über seine Absichten, wie er im März 1916 Treutier gegenüber mit einer gewissen Befriedigung zugab970. Das gleiche galt auch für die politische Seite. Dem Reichskanzler gegenüber behauptete Falkenhayn noch am 7. Januar 1916, es sei »noch ganz unentschieden, ob wir eine größere Offensive im Westen machen können und werden«971. Ab Mitte Januar 1916 ließen sich die Transportbewegungen zur 5. Armee vor den hohen Kommandostellen an der Westfront und in Berlin nicht mehr geheimhalten. Kronprinz Rupprecht wurde durch einen seiner Offiziere am 13. Januar 1916 informiert, daß der griff informiert worden sei. Er schrieb dem Reichsarchiv am 5.3.1934: »Wenn [der endgültige Entschluß] schon am 15. Dezember gefallen wäre, so hätte mich Falkenhayn bei meinem Vortrag in Berlin am 16. umsomehr benachrichtigen müssen, als er wußte, daß die Eisenbahnvorbereitungen so früh wie möglich einzuleiten waren.« Groener sprach auch von den »Geburtswehen« Falkenhayns und meinte, der endgültige Angriffsentschluß sei nach einem Kaiservortrag vom 23.12.1915 gefallen. In: BA-MA, W-10/50705. Möglicherweise war der zeitliche Ablauf wie folgt: Der Kaiser wurde vor dem 15.12.1915 über einen möglichen Angriff auf Verdun informiert. Anschließend prüfte Falkenhayn zusammen mit Knobelsdorf in Berlin die technischen Möglichkeiten. Groener wurde erst danach informiert. Wendt, Verdun, S. 30. Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 409 (Eintrag vom 27.12.1915). 968 Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. 3 4 - 3 7 . 9ω
967
969 970 971
Ebd., S. 36. Falkenhayn zu Treutier am 11.3.1916, siehe unten. Aufzeichnung Bethmann Hollwegs vom 7.1.1916, in: Janßen, Kanzler, S. 288.
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bevorstehende Angriff auf Verdun in Berlin »das allgemeine Gespräch bilde«972. Obwohl Falkenhayn sich viel Mühe gab, den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich zu halten, ließen sich die Vorbereitungen für ein Unternehmen dieser Größenordnung nicht lange verbergen. Der bayerische Militärbevollmächtigte v. Nagel schrieb am 30. Januar 1916 an den bayerischen Kriegsminister: »Trotz der angeordneten strengen Geheimhaltung ist die beklagenswerte Geschwätzigkeit in der Armee noch immer so gross, daß hier in Charleville in den Kneipen Deutsche und Franzosen ganz offen von einer bevorstehenden Offensive gegen Verdun reden. Ob an diesem Gerede etwas Wahres ist, vermochte ich nicht festzustellen, da ich mich daran halten muß, daß mir amtliche Auskünfte aus Geheimhaltungsgründen nicht zugänglich sind973.« Trotz solcher Lücken in der Geheimhaltung gelang es dem französischen Geheimdienst nicht, die deutschen Vorbereitungen an der Westfront schon im Januar 1916 richtig zu deuten. Am 4. Januar 1916 reichte das Armeeoberkommando 5 seinen offiziellen Angriffsentwurf ein. Das Angriffsdatum wurde auf den 12. Februar 1916 festgesetzt. Wegen der geringen infanteristischen Stärke der zur Verfügung gestellten Reserven war das Unternehmen hauptsächlich auf die Wirkung der schweren Artillerie aufgebaut: »Der Entschluß, die Festung Verdun in beschleunigtem Verfahren vorzunehmen, beruht auf der erprobten Wirkung der schweren und schwersten Artillerie. Zu diesem Verfahren ist die uns vorteilhafteste Angriffsform zu wählen und [...] der Einsatz der Artillerie derart massiv zu bemessen, daß der Einbruch der Infanterie gelingen muß.« Und auch das Angriffsziel — nämlich die Höhen auf dem Ostufer, nicht die Festung selbst — wurde klar eingegrenzt: »Bei der Auswahl der massiert anzugreifenden Festungsfront spricht die Geländegestaltung wesentlich mit. Wer im Besitz der Cotes (Höhen bis zu beinahe 400 m) auf dem Ostufer der Maas ist, indem er die auf ihnen gelegenen Befestigungen erobert hat, ist auch im Besitze der Festung. Vom eroberten Ostufer aus können die ständigen Befestigungslinien und die Feldbefestigungsanlagen des Westufers zu deren Fortnahme flankierend niedergekämpft werden. Aber selbst wenn zunächst auf eine Besitznahme der Werke des Westufers verzichtet werden soll, hat die Festung ihren Wert für Frankreich verloren, wenn das Ostufer der Maas von uns genommen ist974.« Knobelsdorf hatte seine weitergehenden Pläne den Absichten Falkenhayns angepaßt. Die in dem Angriffsentwurf formulierte Zielsetzung — die Eroberung der Höhen des Ostufers — entsprach den Vorgaben, die Falkenhayn in den Besprechungen vom 14.-17. Dezember 1915 in Berlin gemacht hatte975. 972 973 974 975
Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 414 (Eintrag vom 13.1.1916). Nagel an den bayerischen Kriegsminister, 3 0 . 1 . 1 9 1 6 , in: BHStA-KA, M K r 1830. Wendt, Verdun, S. 228 ff. Der Angriffsentwurf steht in offensichtlicher Ubereinstimmung zu den Absichten Falkenhayns. Es gibt keinen Hinweis auf abweichende Angriffsziele Falkenhayns und des Oberkommandos der 5. Armee oder gar auf den Versuch Falkenhayns, durch zu schmale Kräftebemessung den Angriff absichtlich scheitern lassen zu wollen. Die Ansicht, Falkenhayn habe einen Angriffserfolg durch zu schmale Kräftebemessung sabotieren wollen, geht davon aus, daß das A O K 5 im Gegensatz zu Falkenhayn die ganze Festung habe erobern wollen. Die Analysen von Wendt, Verdun; Wallach, Dogma; Ziese-Behringer, Feldherr; Hörne, Lohn, gehen ganz oder teilweise von dieser Voraussetzung aus. Die Ansicht Homes, Lohn, S. 40 (»Selten ist es in der Kriegsgeschichte vorgekommen,
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Am 26. Januar und am 3. Februar 1916 konferierte Falkenhayn mit Conrad über die zukünftige Kriegführung der Mittelmächte. Conrad wollte auf seinen Angriff gegen Italien nicht verzichten und verlangte zunächst den Einsatz von vier deutschen Divisionen an der österreichischen Ostfront, um Kräfte für seine Offensive freizubekommen. Als Falkenhayn ablehnte, schlug Conrad die Verwendung türkischer Divisionen vor; dann könne die deutsche Armee im Westen angreifen und er unabhängig davon in Tirol. Falkenhayn weihte Conrad in seine neuen Ideen über den Einsatz kleiner, dafür aber gut geleiteter Angriffsarmeen mit starker Artillerie ein. Er meinte auch, ein erfolgreicher Westangriff — er offenbarte Conrad noch nicht, daß eine Offensive vor Verdun stattfinden sollte — könne bei günstigem Verlauf innerhalb von 14 Tagen eine Entscheidung herbeiführen 976 . Die strategischen Grundüberlegungen Falkenhayns vor dem Angriff wurden bei einer »Chefbesprechung« am 11. Februar 1916 in Mezieres deutlich. Falkenhayn schilderte ausführlich die Motive, die ihn zu dieser Form des Angriffs bewogen hatten: Die technischen Schwierigkeiten großer Durchbruchsoperationen, die geringen eigenen Kräfte sowie die vielversprechenden Aussichten des Angriffs auf Verdun, falls die Franzosen wie erwartet reagieren sollten977. Falkenhayns Ausführungen stießen auf überwiegend kritische Aufnahme. Die Stabschefs bemängelten, daß nur an einem Maasufer und auch nur mit beschränkten Kräften angegriffen werde978. Auch schienen ihnen Falkenhayns Hoffnungen auf einen überhasteten englischen Gegenangriff sehr spekulativ. Skeptisch waren auch die Armeeoberbefehlshaber, denen ihre Stabschefs über Falkenhayns Ausführungen berichteten. Kronprinz Rupprecht war der Ansicht, Falkenhayn wisse nicht genau, was er wolle, hoffe auf Glücksfälle und mache wieder einmal mit viel zu begrenzten Kräften halbe Sachen979. Noch vor Angriffsbeginn war Falkenhayn erneut auf die Wichtigkeit des gleichzeitigen Angriffs auf dem linken Maasufer hingewiesen worden. Oberstleutnant Bauer, der Artilleriespezialist aus dem Generalstab, informierte sich am 7. Februar 1916 über die Angriffsvorbereitungen der 5. Armee und gab dem Angriff gute Erfolgsaussichten, wenn auf beidaß der Befehlshaber einer großen Armee so zynisch betrogen wurde wie der deutsche Kronprinz von Falkenhayn«), wird jedoch trotz der Zustimmung Wallachs, Dogma, S. 263, von den Quellen nicht gestützt. Die Angriffsvorbereitungen der 5. Armee und die Einzelheiten der Schlacht können hier nicht geschildert werden. Eine umfangreiche Literatur berichtet über die Schlacht von Verdun. Hier nur die wichtigsten Titel: Actes du congres sur la bataille de Verdun; Hörne, Lohn; Kabisch, Verdun; Wendt, Verdun; Werth, Verdun; Ziese-Behringer, Feldherr; sowie die entsprechenden Abschnitte in: Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10; Deutschland im ersten Weltkrieg II. 976
977
97
Besprechungen Falkenhayns mit Conrad am 26.1. und 3.2.1916 in Pleß, in: Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 17 f. Uber den Ablauf der Planungen auf österreichisch-ungarischer Seite bietet das Tagebuch von Oberst Karl Schneller interessante Einblicke, in: OStA-KA, Nachlaß Schneller. Von dieser Besprechung existieren die protokollarischen Mitschriften von vier Armeechefs, die im Kern übereinstimmen, nämlich von Borries, Kühl, Ilse und Loßberg. Siehe Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 39, Anm. 4. Quellen: Borries, Verdun; Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 426f. (Eintrag vom 12.2.1916, Paraphierung des Berichts Kuhls); Loßberg, Tätigkeit, S. 205—207.
« Ebd., S. 207. Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 427 (Eintrag vom 12.2.1916).
979
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den Ufern zugleich angegriffen werde980. Falkenhayn war für die Gefahren der artilleristischen Flankierung nicht blind, wie sich bei einem Besuch bei der 5. Armee am 17. Februar zeigte. Nach einer »persönlichen Erkundung vom Kirchturm von Mautfaucon erklärte General von Falkenhayn, er gäbe nunmehr die Wichtigkeit, die Einwirkung der feindlichen Artillerie des Westufers auf den Hauptangriff durch den gleichzeitigen Angriff des VI. Reservekorps wirksamer auszuschalten, unumwunden zu.« Einen Tag später war Falkenhayn aber zu seinen alten Absichten zurückgekehrt und schrieb dem Oberkommando, daß »die Anforderungen leider doch über unsere Kräfte« gingen. Auf dem Westufer der Maas müsse es beim »zunächst defensiven« Verhalten bleiben 981 . Falkenhayn hoffte, daß der Angriff trotz der drohenden Artillerieflankierung in raschem Vorstoß bis zum Ziel führen würde — der Besetzung der östlichen Maashöhen. Der festgesetzte Angriffstermin — der 12. Februar 1916 — wurde durch schlechtes Wetter um neun Tage verzögert. Durch elsässische Uberläufer wurden die Franzosen auf den drohenden Angriff aufmerksam gemacht, wodurch ein Teil des Überraschungsmoments verlorenging. Am 21. Februar 1916 war schließlich gute Sicht. U m 8.12 Uhr gab Kronprinz Wilhelm den Befehl zur Feuereröffnung. Mit einem neunstündigen Trommelfeuer begann die Schlacht. Zunächst war der deutsche Angriff sehr erfolgreich. Es gelang den Angriffstruppen, rasch vorzustoßen. Am 25. Februar glückte es Soldaten der 6. Division (Oberleutnant v. Brandis, Leutnant Radtke), die starke Panzerfestung Douaumont im Handstreich zu nehmen. Die Franzosen befanden sich in vollem Rückzug und erwogen bereits den Rückzug auf das linke Maas-Ufer. Falkenhayn war siegesgewiß: Am 26. Februar besuchte er zusammen mit Tappen das Armeeoberkommando 5 in Stenay und untersagte den Angriff auf dem Westufer: »Die jetzigen Kräfte der Armee werden nach bisherigem Kampfverlauf das Ostufer nehmen. Damit werden auch Kräfte frei, um dann die Operationen auf dem Westufer zu beginnen982.« Zu diesem Zeitpunkt — am 26. Februar — glaubte das A O K 5, die Franzosen räumten das rechte Maasufer. Doch in Wahrheit zogen sie sich, wie ein erbeuteter Armeebefehl bewies, nur auf die Cotes zurück — auf die entscheidenden Höhen des Ostufers, von deren Eroberung das Gelingen des Angriffs abhing. Die deutschen Truppen versuchten, durch rasches Nachstoßen den französischen Widerstand zu brechen, doch dieser verhärtete sich zunehmend. Am 28. Februar kam der Angriff zum Stehen, nachdem die 5. Armee die französischen Linien im Angriffsgebiet acht Kilometer zurückgeworfen und mit dem Douaumont den »nordöstlichen Eckpfeiler des äußeren Fortsgürtel der Festung« erobert hatte 983 .
980
Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 38.
981
Ebd., S. 204 und Anm. 2.
982
Ebd., S. 95. General Tappen schrieb am 2 6 . 2 . 1 9 1 6 in sein Tagebuch: »Besprechung über Einsetzen weiterer Kräfte auf dem westlichen Maas-Ufer. Mit Rücksicht auf das schnelle Vorwärtsdringen auf dem östlichen Ufer brauchen wir keine weiteren Kräfte zu geben. A.O.K. 5 will sich selbst helfen.« In: BA-MA, Nachlaß Tappen, zit. auch in Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 95, Anm. 2. Der Gesandte Luckwald schrieb am 2 7 . 2 . 1 9 1 6 aus dem Großen Hauptquartier an den Reichskanzler: »An der Einnahme von Verdun zweifelt niemand.« In: BA, Akten der Reichskanzlei R 43 F 2466/6.
983
Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 102.
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Das Angriffsziel — die Höhenzüge des Ostufers — war jedoch nicht erreicht worden. Was vor dem Angriff befürchtet worden war, trat jetzt ein: Die deutschen Truppen kamen unter das flankierende Feuer der französischen Stellungen auf dem Westufer. Der dadurch erzwungene deutsche Angriff auf dem Westufer — unterstützt durch zwei Divisionen aus der Heeresreserve — begann am 6. März. General Petain, verantwortlich für die Verteidigung von Verdun, hatte diese Aktion aber schon seit dem 27. Februar erwartet und dementsprechende Vorkehrungen treffen lassen. Der deutsche Angriff stieß auch dort auf erbitterten Widerstand. Monatelang wurde um die Westufer-Stellung, die die Linie von der Höhe Toter Mann über die Höhe 304 bis zur Maas umfaßte, unter hohen Verlusten beider Seiten gekämpft. Auch auf dem Ostufer kam der Angriff nur noch sehr langsam und unter ständiger Zuführung frischer Kräfte aus der Heeresreserve voran. Auch verstärkten die Franzosen fortlaufend ihre Artillerie, so daß die gewaltige deutsche artilleristische Überlegenheit allmählich verlorenging. Damit befand sich der Angreifer in einer nicht vorausgesehenen Zwangslage, die zu der langen Dauer des Unternehmens entscheidend beitragen sollte. Die unter großen Opfern eroberten Linien waren als Dauerstellung nicht zu halten. Entweder wurden die Höhen zumindest des östlichen Maasufers trotz des zähen und sich ständig verstärkenden französischen Widerstandes doch noch genommen; dann konnten neue Dauerstellungen errichtet werden. Oder aber die deutschen Truppen mußten den Angriff abbrechen und sich auf eine verteidigungsfähige Linie zurückziehen — eine Linie, die praktisch der Ausgangsstellung vom 21. Februar entsprochen hätte. Dieses Problem sah niemand so klar wie der Stabschef der 5. Armee, General v. Knobelsdorf, der sich immer wieder für eine Wiederaufnahme des Angriffs aussprach, um die Maas-Höhen doch noch zu erobern und eine Dauerstellung zu erreichen. Die jetzigen Linien — gut einzusehen und unter dem Beschüß der feindlichen Artillerie — waren auf Dauer weder für den Angriff noch für die Verteidigung zu gebrauchen. Der Entschluß, das Gewonnene nach den großen Opfern wieder aufzugeben und sich auf die Ausgangsstellung zurückzuziehen, wurde aber mit jedem Tage schwerer. Entgegen Falkenhayns Hoffnungen hielten sich die Franzosen vor Verdun. Damit war auch die Spekulation auf einen überhasteten englischen Gegenangriff hinfällig geworden. Doch in anderer Hinsicht schien seine Rechnung aufzugehen, obwohl die Operation ganz anders ablief, als er sich das vorgestellt hatte. Schon in den ersten Angriffstagen, in denen die deutschen Truppen ein gewaltiges artilleristisches Ubergewicht über den französischen Verteidiger besaßen984, waren die französischen Verluste sehr hoch — viel zu hoch — eingeschätzt worden 985 . Das kann dadurch erklärt werden, daß die Franzosen in den ersten Angriffstagen tatsächlich erheblich höhere Verluste als die Deutschen hatten — infolge der Artillerieeinwirkung und des Rückzuges. Die genaue Berechnung der feindlichen Verluste war schwierig. Es war schon kompliziert genug, nur die Höhe der eigenen Verluste zu ermitteln986. 984 985 986
Ebd., Anhang, befindet sich eine Tabelle mit den detaillierten Zahlen. Ebd., Bd 10, S. 74 und S. 131. Ebd., S. 123: Das A O K 5 konnte erst am 5. und 6. März 1916 genaue Aufstellungen über die eigenen Verluste vorlegen.
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Nach dem anfänglichen Hochgefühl — Falkenhayn sagte zu Offizieren, die ihm von der Verdun-Operation abgeraten hatten: »Sehen Sie, mit dem Angriff habe ich mal wieder das Richtige getroffen 987 .« — war das Festlaufen des Angriffs ein harter Schlag für den Generalstabschef. Im Großen Hauptquartier begann man bereits von einem neuen Ypern zu reden 988 . Da war es sehr tröstlich für ihn, vom A O K 5 und von der Nachrichtenabteilung sehr günstige Nachrichten über die französischen Verlustziffern zu erhalten. Diese erweckten den Eindruck, daß die französischen Verluste weit höher als die deutschen seien, mehr als doppelt so hoch. Seine Hoffnung, den Franzosen schwere Verluste zufügen zu können, schien sich dank des massierten Artillerieeinsatzes zu erfüllen, obwohl das ursprüngliche Angriffsziel nicht erreicht worden war. Diese optimistischen Berechnungen kamen durch eine Kombination von Wunschdenken und ungenügender Information zustande. Meistens konnte der Nachrichtendienst nur über Gefangenenaussagen und sehr unzuverlässige Agentenberichte Informationen über die Verluste und den inneren Zustand der französischen Armee gewinnen. Die Franzosen gingen schon bald dazu über, ihre Divisionen in kurzen Abständen aus der Verdun-Front wieder herauszulösen, um sie nicht völlig aufreiben zu lassen und dann praktisch wieder neu aufstellen zu müssen. Die deutsche Armee verfuhr anders und ließ ihre Divisionen vor Verdun, bis sie am Ende ihrer Kampfkraft waren. Gefangene französische Soldaten entstammten deshalb einer Vielzahl verschiedener Einheiten, so daß der rasche Wechsel der französischen Divisionen nicht unbemerkt blieb. Falkenhayn äußerte nach dem Krieg die Uberzeugung, »mehr als zwei Drittel des französischen Heeres, über 90 Divisionen, sind im Kessel von Verdun zerschlagen worden«989. Tatsächlich wurden 85 französische Divisionen nacheinander vor Verdun eingesetzt990. Sie hatten im Durchschnitt eine Stärke von 13000—15000 Mann und verloren in ihren Einsätzen vor Verdun, die zwischen 8 und 20 Tagen dauerten, 3000—7000 Mann pro Division. Sie litten durch den schnelleren Wechsel personell weniger, als Falkenhayn selbst 1919 noch annahm. Er glaubte hingegen, daß die Franzosen eine Division nach der anderen in das deutsche Artilleriefeuer schickten und sie wegen der riesigen Verluste schnell wieder zurückziehen und austauschen mußten. Diese Annahme tröstete Falkenhayn über die Tatsache hinweg, daß er sich das Unternehmen ursprünglich anders vorgestellt hatte. Solange das Resultat — die schwere Schädigung der französischen Armee — aber trotzdem erreicht wurde, konnte der Angriff weitergehen und die 5. Armee versuchen, im zähen, langsamen Vorwärtskämpfen doch noch die Dauerstellung auf den Maashöhen zu erreichen. So schien es ihm auch vertretbar, der 5. Armee immer neue Divisionen aus der Heeresreserve zur Erreichung dieses Zieles zur Verfügung zu stellen. Falkenhayn konnte sich dabei immer vor Augen halten, daß die Franzosen viel stärkere Verluste erlitten als die Deutschen, und betrachtete diesen Einsatz als gut angelegt.
987
Zwehl, Falkenhayn, S. 189.
988
Wild von Hohenborn, Briefe, S. 141 (Tagebucheintrag vom 9.3.1916).
989
Falkenhayn, Verdun. Siehe auch Kap. VII, 2.
990
Wendt, Verdun, S. 244.
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Die Nachrichtenabteilung des Generalstabs schätzte die französischen Verluste bis zum 2. März auf 45000—48000 Tote und Verwundete. Damit habe die französische Armee seit Kriegsbeginn ungefähr zwei Millionen Mann eingebüßt991. Der politischen Reichsleitung gegenüber betonte Falkenhayn die bisherigen Erfolge der Operation vor Verdun. Der Gesandte Treutier schrieb am 11. März 1916, daß er »vorgestern mit Falkenhayn ein langes Gespräch über unsere Aktion bei Verdun« geführt habe. Falkenhayn eröffnete Treutier, daß er seit über einem Jahr Verdun als den gegebenen Angriffspunkt ins Auge gefaßt habe. Hier könne man den Feind zur Entwicklung zwingen und den Krieg im Falle des Gelingens in einen Bewegungskrieg verwandeln. Einen »besonderen moralischen Erfolg« erwarte Falkenhayn aber nur von einem günstigen Zufall. U m den Gegner zu überraschen, seien an vier bis fünf anderen Stellen der Front seit Monaten ähnliche Vorbereitungen getroffen worden. Selbst die Führer der verschiedenen Abschnitte hätten nicht gewußt, wo der Angriff wirklich stattfinden sollte. Selbst ein Verrat (durch einen Uberläufer) habe den Franzosen keine Zeit mehr zu Gegenmaßnahmen gegeben. Seine größte Sorge sei gewesen, daß die Franzosen Verdun aufgeben und sich hinter der Maas neu aufstellen würden. Doch scheine seine Hoffnung, daß Paris aus Prestigegründen Verdun halten wolle, eingetroffen zu sein. »Unser wuchtiger Angriff habe die Franzosen, als sie nach einiger Zeit erkannt hätten, daß es bei Verdun wirklich Ernst wurde, veranlaßt, sehr große Truppenmassen an den gefährdeten Punkt heranzuziehen und damit unsere geheimsten Wünsche zu erfüllen. Die durch die Massierung so vieler Truppen auf verhältnismäßig engem Gelände erlittenen schweren Verluste kosteten den Franzosen bereits jetzt eine starke Armee (100000 Mann) 992 . Damit sei der Hauptzweck unserer ganzen Offensive bis zu einem gewissen Grade schon erfüllt, denn der habe darin bestanden, daß Frankreich gehindert werden sollte, sich an der gleichzeitigen großen Frühjahrsoffensive aller unserer Gegner mit voller Stärke zu beteiligen: eine so gewaltige Offensive mit so starken Kräften, wie sie den Franzosen ohne die jetzigen Verluste zur Verfügung gestanden hätten, scheint demnach von unserer Obersten Heeresleitung als nicht ungefährlich angesehen worden zu sein. Es wird jetzt angenommen, daß bereits in der jetzigen Phase diese Gefahr behoben ist.« Falkenhayn ließ »zunächst offen«, ob er sich mit dem Erfolg begnügen oder die »begonnene Aktion gegen Verdun bis zum bitteren Ende durchführen« wolle993. Vier Tage später berichtete Treutier dem Reichskanzler über ein weiteres Gespräch mit dem Generalstabschef 994 : »General v. Falkenhayn sagte mir heute ganz vertraulich, er sei sehr zufrie-
9.1
Bericht der Abteilung Illb (Major Nicolai) vom 8.3.1916, in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd28a, Ε 333058. Die französischen Verluste seit Kriegsbeginn schlüsselte der Nachrichtendienst so auf: 700000 Tote, 800000 Gefechtsunfähige, 300000 Gefangene, insgesamt ca. 2000000 Mann. In dem Bericht wurde die Meinung vertreten, daß als Folge des Angriffs auf Verdun die Siegeszuversicht in Frankreich schwinde. Der französische Durchhaltewillen sei noch nicht gebrochen, wohl aber die Moral geschwächt worden.
Die tatsächlichen französischen Verluste vor Verdun betrugen Ende März 1916 89000 Mann, siehe Wendt, Verdun, S. 243. ™ Treutier an Jagow, 11.3.1916, in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 28a, AS 926, Ε 333063ff. 994 Treutier an Bethmann Hollweg, 15.3.1916, ebd., AS 969, Ε 333090. 9.2
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den mit der Lage bei Verdun. Die französischen Verluste seien geradezu erschreckend; wenn der Feind nicht zurückgehe und Verdun preisgäbe, würde er durch die Überlegenheit unserer Artillerie weitere 110000 Mann verlieren.« Im März 1916 herrschte auf deutscher Seite eine zuversichtliche Stimmung. Verbindungsleute schickten aus der Schweiz sehr günstige Berichte über die Lage in Frankreich. Die deutsche Taktik im Sektor Verdun sei meisterhaft, schwere Artillerie in fast unerreichbaren Stellungen schneide den Franzosen die rückwärtigen Verbindungen ab und zerstöre die Stellungen und Depots. Die französischen Verluste seien schreckenerregend. Die französische Heeresleitung habe ernste Sorgen, ob mit Menschenmaterial nachgesetzt werden könne, wenn Deutschland diese Taktik fortsetze. Ein deutscher Erfolg würde eine starke, wenn auch nicht durchgreifende Erschütterung des Vierbundes zur Folge haben, ein deutscher Mißerfolg hingegen die bestehenden Siegeshoffnungen der Entente verstärken und somit den Krieg ins Unabsehbare verlängern995. Der Gesandte Luckwald berichtete dem Reichskanzler aus dem Großen Hauptquartier, die Offensive vor Verdun sei zwar von »unerhörter Schwere«, aber trotzdem keine »unlösbare Aufgabe. [...] Das bisher Erreichte ist beträchtlich, die Verluste durchaus dem entsprechend. Sie betragen nach hiesiger Auffassung etwa 1/3 der französischen Einbuße, die darum so erheblich höher ist, weil wir die stärkere Artillerie haben und mit konzentrischem Feuer auf die Franzosen schießen.« Luckwald hob auch das auffallend günstige Verhältnis von Leichtverwundeten auf deutscher Seite hervor' 96 . Noch Ende März 1916 berichtete Treutier aus dem Großen Hauptquartier, daß die Bezwingung Verduns allseitig zuversichtlich erhofft werde997. Falkenhayns engste Umgebung bemerkte jedoch mehr von seiner inneren Spannung über die anders als erwartet verlaufenden Kämpfe vor Verdun. Wild notierte am 29. Februar 1916 in sein Tagebuch: »Falkenhayn ist reichlich nervös wegen des eingetretenen Stopps und der großen Verluste998.« Am selben Tag mußte Falkenhayn die Vorbereitung für den Angriff auf dem Westufer anordnen — ein Beweis dafür, daß er seinen ursprünglichen Plan den neuen Verhältnissen anzupassen gezwungen war. Dem Oberbefehlshaber der 6. Armee, Kronprinz Rupprecht, gegenüber brachte Falkenhayn bei einer Besprechung am 8. März 1916 seine Hoffnung zum Ausdruck, daß sich »die Franzosen [...] vor Verdun allmählich verbluten« würden999. Zur selben Zeit bemerkte Wild, daß Falkenhayn wegen des Ausbleibens von Erfolgen vor Verdun deprimiert sei, und hoffte, daß die Franzosen doch endlich allmählich mürbe würden1000. U m so mehr jubelte Falkenhayn einen Tag später bei der Nachricht von der Einnahme von Fort Vaux, die sich jedoch bald schon als Falschmeldung herausstellen sollte 1001 . Trotzdem begann er an der Möglichkeit, die Kämpfe mit der Einnahme der Stadt krönen zu können, zu zweifeln1002. Am
9,5
Romberg an das Auswärtige Amt, Bern 15.3.1916, ebd., AS 7957.
996
Luckwald an Bethmann Hollweg, 15.3.1916, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 2 4 6 6 / 6 .
997
Treutier an Jagow, 2 6 . 3 . 1 9 1 6 , in: PA-AA, Weltkrieg geheim, B d 2 8 a .
998
Wild von Hohenborn, Briefe, S. 138 (Tagebucheintrag vom 2 9 . 2 . 1 9 1 6 ) ; Janßen, Kanzler, S. 181.
999
Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 435 (Eintrag vom 8.3.1916); Wendt, Verdun, S. 113.
1000 w i l d 1001
v o n
Hohenborn, Briefe, S. 140f. (Tagebucheintrag vom 8 . 3 . / 9 . 3 . 1 9 1 6 ) .
Ebd., S. 141 (Tagebucheintrag vom 9.3.1916).
1002 Groener, Lebenserinnerungen, S. 301 (Tagebucheintrag vom 12.3.1916): »Heute beim Vortrag hat
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19. März 1916 meinte Falkenhayn zu General v. Kühl, dem Stabschef der 6. Armee, daß zu einem Durchbruch die Kräfte nicht reichen würden. Armeeoberbefehlshaber Kronprinz Rupprecht gewann aus dem Bericht Kuhls den Eindruck, »daß General v. Falkenhayn die Erkämpfung eines entscheidenden Sieges offenbar nicht mehr für möglich hält«. Und er fragte sich daran anknüpfend: »Wie soll unter dieser Voraussetzung der Krieg für uns enden1003?« Falkenhayns Strategie für das Jahr 1916 war Ende März in eine schwere Krise geraten. Es wurde immer deutlicher, daß keine seiner Hoffnungen, die er an den Angriff geknüpft hatte, in Erfüllung gehen sollte. Kronprinz Rupprecht erkannte am 20. März 1916, daß trotz aller optimistischen Meldungen vor Verdun »nach einem schönen Anfangserfolge [...] alles ins Stocken gekommen und die Unternehmung so gut wie mißglückt« war1004. Die Franzosen leisteten vor Verdun erfolgreichen Widerstand. Die erhoffte moralische Wirkung der Offensive blieb aus. Die Engländer dachten nicht daran, verfrüht anzugreifen; das war auch durch die Härte des französischen Widerstandsgeistes überflüssig geworden. Der Angriff vor Verdun war kurz vor dem Ziel steckengeblieben, und die Deutschen hatten viel höhere Verluste, als Falkenhayn vor dem Angriff angenommen hatte. Der bisher geleistete große Einsatz machte auch für die Deutschen die Schlacht vor Verdun zu einer Prestigeangelegenheit1005. Ein Rückzug kam nicht mehr in Frage, ein Halten der Stellung war unmöglich, deshalb blieb nur der weitere Angriff mit immer neuen Kräften. Falkenhayns komplizierter Plan, mit dem er die Kriegsentscheidung im Westen hatte erzwingen wollen, war gescheitert. Der Generalstabschef reduzierte seine Erwartungen jetzt auf zwei Hauptpunkte: Frankreich sollte weiter geschwächt und durch die weiterlaufende Offensive vor Verdun von eigenen Angriffen abgehalten werden. So wollte er die befürchtete gemeinsame Großoffensive der Westmächte verhindern. Vor Verdun sollte das Angriffsziel durch langsames Vorarbeiten doch noch erreicht werden. Und Falkenhayn wollte die Franzosen »ausbluten« lassen, ihnen so schwere Verluste zufügen, daß sie zu einer effizienten Kriegführung nicht mehr in der Lage waren. A m 30. März 1916 teilte er dem Oberkommando der 5. Armee mit, daß der Angriff gegen Verdun fortgesetzt werden müsse, »solange wir dabei weniger leiden als der Gegner« 1006 . Allerdings schwankte Falkenhayn in Anbetracht der hohen eigenen Verluste mehrfach und begann zu überlegen, ob nicht der Angriff bei Verdun abgebrochen und durch eine andere Operation ersetzt werden solle. Am 4. April 1916 schrieb er dem Oberkommando der 5. Armee, daß auch ein Abbruch des Unternehmens ernsthaft erwogen werden müsse. »Gewiß wird [dann] gesagt werden, wir hätten die Schlacht vor Verdun nicht gewonnen. Das wird aber auch jetzt schon gesagt und kann und muß in Kauf genommen werden. Gewinnen wir die Schlacht, so steigen
1003 1004 1005
General v. Falkenhayn zum ersten Mal den Gedanken ausgesprochen, daß wir möglicherweise die Verdun-Operation nicht zu Ende führen würden, d.h. bis zur Einnahme der Stadt Verdun!« Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 438f. (Eintrag vom 20.3.1916). Ebd. Die deutschen Verluste vor Verdun betrugen bis zum 20.3.1916 insgesamt 65150 Mann, siehe Wendt, Verdun, S. 243. Ebd., S. 115.
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unsere Aussichten, den Krieg bald zu beenden, sehr. Gewinnen wir sie nicht, so wird, schon nach dem bisher Erreichten, das siegreiche Ende zwar verzögert werden, aber nicht beeinträchtigt, wenn wir uns rechtzeitig entschließen, uns bei Verdun nicht nutzlos festzubeißen, sondern den Feinden an anderer Stelle das Gesetz vorzuschreiben 1007 .« Jetzt war es Knobelsdorf, der die Schlacht trotz zunehmender Skepsis von Kronprinz Wilhelm weiterführen wollte. Er machte Falkenhayn wiederholt klar, daß es nur den Rückzug auf die Ausgangsstellung oder den weiteren Angriff gebe; ein Halten der jetzigen Stellungen sei unmöglich, da die eigenen Verluste dann sprunghaft ansteigen würden 1008 . Außerdem, solange der Franzose stärker leide als der Deutsche, sei der Angriff mit immer neuen Kräften aus der Heeresreserve zu verantworten. Mit solchen Argumenten trösteten sich Knobelsdorf und Falkenhayn gegenseitig über schwache Momente hinweg, während der Armeeoberbefehlshaber, Kronprinz Wilhelm, immer stärker auf einen Abbruch des Unternehmens drängte. Er — und auch viele Offiziere der Angriffstruppen — wußten selbst sehr gut, was die Soldaten in der »Hölle von Verdun« zu erleiden hatten, während Falkenhayn immer noch auf eine glückliche Wendung, ein plötzliches Zusammenbrechen der Franzosen hoffte.
1007
Falkenhayn an das A O K 5, teilweise zit. ebd., S. 118 f. Wendt druckt auf S. 116 auch die aufschlußreichen Marginalien Falkenhayns auf einer Eingabe des A O K 5 vom 3 1 . 3 . 1 9 1 6 ab, in denen die Zweifel des Generalstabschefs daran, daß »das Schicksal der französischen Armee sich [tatsächlich] bei Verdun entscheidet«, sehr deutlich werden.
1008 Dieser Ansicht ist auch Marx, Wertleistung, S. 27 f. Marx lag damals vor Verdun und berichtet, die Einstellung der Angriffe im August 1916 sei keine Erlösung gewesen, sondern habe eine unhaltbare Lage geschaffen; nur der Rückzug in die Ausgangsstellung hätte die Lage wirklich verbessern können. Dieses Empfinden des Verdun-Soldaten wird auch durch die wissenschaftliche Analyse von Wendt, Verdun, Anlage 2, gestützt: Die deutschen Verluste waren ab August 1916 höher als die französischen und stiegen trotz reiner Abwehr zahlenmäßig an. Das lag daran, daß die Fronten festlagen und nicht dauernd in Bewegung blieben. Auf diese Weise konnte sich die Artillerie auf die Gräben einschießen, ohne die Befürchtung haben zu müssen, die eigene Truppe zu treffen.
Über die Notwendigkeit, jede wirksame Waffe gegen England selbst einzusetzen, weil nur dadurch der siegreiche Ausgang des Krieges gesichert werden kann, besteht nirgends Meinungsverschiedenheit. Falkenhayn am 10. März 1916
19. Falkenhayn und der unbeschränkte U-Boot-Krieg Falkenhayn wollte aber nicht nur den Franzosen bei Verdun die entscheidende Schwächung beibringen und damit England indirekt schädigen, sondern auch den Inselstaat selbst offensiv angehen. Damit sollte auch das größte militärische Problem von Falkenhayns Strategie einer Lösung nähergebracht werden: Wie konnte England, das »Gehirn« der Entente, trotz des ihm unterstellten eisernen Durchhaltewillens zum Nachgeben gezwungen werden? Die Frage, wie England militärisch beizukommen sei, hatte sich Falkenhayn schon vor dem Krieg vorgelegt und im Jahre 1907 die Verwendung von U-Booten, leichten Kreuzern und Minen gegen die englische Handelsschiffahrt erwogen1009. Ebenfalls noch im Frieden hatte er über den Einsatz von Zeppelingeschwadern gegen die Insel nachgedacht. Seine Skepsis wegen der Wetterabhängigkeit der Luftschiffe hatte sich jedoch im Laufe des Krieges voll bestätigt. Der Luftkrieg mit Zeppelinen gegen England blieb weitgehend wirkungslos und wurde aus Angst vor entsprechenden Gegenmaßnahmen der Westmächte und wegen moralischer Skrupel der verantwortlichen deutschen Stellen immer wieder unterbrochen. Falkenhayn selbst sprach sich gegen eine Bombardierung ziviler Ziele aus und wollte diese nur als Repressalie im Falle englisch-französischer Luftangriffe auf deutsche Städte gelten lassen. Im Gegensatz dazu erwiesen sich die U-Boote als schlagkräftige Waffe, deren erster großer Erfolg während des Krieges auf Falkenhayns Initiative zurückzuführen war. Er hatte im September 1914 vom Admiralstab verlangt, die englischen Truppentransporte im Kanal mit U-Booten anzugreifen. Daraufhin wurde das Boot U 9 unter dem Kommando Otto Weddigens entsandt. Ihm gelang ein spektakulärer Erfolg: Er versenkte am 22. September 1914 die drei englischen Panzerkreuzer Aboukir, Cressy und Hogue1010. Die spätere Überschätzung der Möglichkeiten des U-Boot-Krieges nahm hier ihren Anfang. Falkenhayn sah in ihm bereits im November 1914 die geeignete Waffe, um England durch eine auf Flandern gestützte U-Boot-Blockade auszuhungern. In dieser neuen Waffe schien das geeignete Gegenmittel gegen die — völkerrechtswidrige — englische Nordseeblockade gefunden zu sein, deren Auswirkungen in Deutschland im Laufe des Krieges immer fühlbarer wurden. Sie erzeugte ein rasches Anwachsen antienglischer Emotionen in der deutschen Öffentlichkeit, die nach Gegenmaßnahmen verlangte und unter dem Einfluß der Marinepropaganda für den U-Boot-Krieg immer mehr zu glauben begann, daß Deutschland nunmehr mit einer eigenen Blockade zurückschlagen könne. loo? Falkenhayn an Hanneken, 9.3.1907, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn; siehe auch S. 57. 1010 Siehe dazu den Kommentar von Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 108.
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Die U-Boote wurden zunehmend gegen die englische Handelsschiffahrt eingesetzt. Ihr schwacher Punkt war jedoch die Verwundbarkeit im aufgetauchten Zustand. Deshalb beschloß die Marineführung, zur warnungslosen Torpedierung englischer Handelsschiffe durch getauchte U-Boote überzugehen. Dieser Schritt verstieß gegen das geltende Seerecht. Auch konnte die damalige U-Boot-Technik keine Sicherheit vor Fehlern bieten. Die schlechte Sicht durch das Periskop erschwerte eindeutige Identifizierungen, und die langsame Fahrt des U-Bootes unter Wasser erforderte vom Kommandanten eine sofortige Entscheidung, ob ein schnellfahrendes Ziel zu torpedieren sei oder nicht. Irrtümliche Versenkungen neutraler Schiffe oder unbewaffneter Handelsschiffe ließen sich selbst bei eindeutigen Instruktionen nicht mit Sicherheit ausschließen. Seit Ende Februar 1915 wurden englische Schiffe in den englischen Gewässern, die zum Kriegsgebiet erklärt worden waren, ohne Warnung torpediert. Diese völkerrechtswidrige Maßnahme war innerhalb der Reichsleitung und selbst in der Marineführung umstritten. Zwar war der Wunsch, England durch den U-Boot-Krieg zu schädigen, weit verbreitet, aber es wurden irrtümliche Torpedierungen befürchtet und daraus resultierende diplomatische Verwicklungen mit den Neutralen, vor allem mit den USA. Am 7. Mai 1915 versenkte das deutsche U-Boot U-20 den englischen Passagierdampfer »Lusitania« durch einen Torpedotreffer. Unter den zahlreichen Opfern des schnell gesunkenen Passagierschiffes — deutsche Stellen behaupteten, völkerrechtswidrig geladene Munition sei infolge des Torpedotreffers explodiert und habe den Verlust des Schiffes verursacht — waren viele amerikanische Passagiere. Die USA legten in mehreren »Lusitania«-Noten scharfen Protest gegen die Versenkung ein. Auch Falkenhayn befürwortete zu diesem Zeitpunkt, den warnungslosen U-Boot-Krieg wieder aufzugeben und zum Handelskrieg nach Prisenordnung zurückzukehren. Der Grund dafür lag nicht nur in seiner Befürchtung, die letzte neutrale Großmacht in den Krieg zu treiben, sondern vor allem in der Angst, die Balkanneutralen, Bulgarien und Rumänien, könnten sich dem Vorgehen der USA anschließen1011. Nach der Versenkung eines weiteren englischen Passagierdampfers, der »Arabic«, am 19. August 1915 drohte sich der diplomatische Konflikt mit den Vereinigten Staaten zum Krieg auszuweiten, wenn die Marine nicht unverzüglich zu den Regeln des Kreuzerkrieges zurückkehren sollte. Am 25. August trafen sich Tirpitz, Admiralstabschef Bachmann, Bethmann Hollweg und Falkenhayn in Pleß, um in der Angelegenheit einen Entschluß zu fassen. Falkenhayn unterstützte den Reichskanzler, sich gegen die Marine durchzusetzen. Tirpitz reichte daraufhin sein Abschiedsgesuch ein, das abgelehnt wurde. Allerdings verzichtete der Kaiser fortan auf die Beratung durch Tirpitz in Fragen der Seekriegführung 1012 . Im Anschluß an diese Auseinandersetzung schrieb Falkenhayn einen Brief an Bachmann, der inzwischen entlassen und durch Admiral v. Holtzendorff ersetzt worden war. In diesem Schreiben unterstrich er das Recht des Kanzlers, aus politischen Gründen den U-Boot-Krieg zu verhindern1013. 1011 1012 1013
Groener, Lebenserinnerungen, S. 239 (Tagebucheintrag vom 25.6.1915). Riezler, Tagebücher, S. 296. Ebd., S. 298; Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 421.
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Zum Entsetzen der Diplomaten, die froh waren, bei der Abwehr der von Tirpitz angezettelten öffentlichen Agitation zugunsten des U-Boot-Krieges der Unterstützung des Generalstabschefs sicher zu sein, wechselte Falkenhayn aber nach Abschluß des Serbienfeldzuges die Seiten. Mitte Dezember 1915 besuchten der Kaiser, sein Gefolge und der Generalstab das im September eroberte Wilna. Falkenhayn nutzte die Eisenbahnfahrt, um Wilhelm II. über seine Offensivpläne gegen Verdun zu informieren 1014 . Bei der Abfahrt aus Wilna ließ Falkenhayn den Gesandten Treutier — einen der engagiertesten Gegner des U-Boot-Krieges — in seinen Waggon einsteigen und sagte: »Also, es tut mir sehr leid, aber ich muß Sie in der Angelegenheit des U-Bootkrieges verlassen1015.« Der neue Entschluß des Generalstabschefs ließ eine schwere Auseinandersetzung in der deutschen Führungsspitze über die Frage entstehen, ob die Vereinigten Staaten bei Anwendung des unbeschränkten U-Boot-Krieges Deutschland den Krieg erklären würden und welches Gewicht ihrer Intervention zukäme. Falkenhayns bisherige Ablehnung des U-Boot-Krieges hatte sich nicht auf Bedenken wegen der Folgen eines möglichen amerikanischen Kriegseintritts begründet. Für ihn wogen die Auswirkungen auf vergleichsweise zweitrangige Neutrale in Europa schwerer. Er verkannte zwar nicht die große Wirtschaftskraft der Vereinigten Staaten. Allerdings kam diese infolge der englischen Blockade ohnehin einseitig der Entente zugute. »Finanziell und in sonstiger Weise behandelt [Amerika] uns schon jetzt als Feind« 1016 , urteilte Falkenhayn am 1. Januar 1916. Er sah in den Amerikanern, besonders im Hinblick auf das durch die »Lusitania«-Affäre schwer belastete deutsch-amerikanische Verhältnis, sogar die »heimlichen Bundesgenossen der Engländer«1017. Auch hatten die Ententemächte sich bei ihren amerikanischen Waffenlieferanten derart verschuldet, daß ihre Niederlage von den Vereinigten Staaten kaum noch hingenommen werden konnte. Daß Deutschland nicht seinerseits in den ersten Tagen des Krieges die Amerikaner »angepumpt« hatte, wertete Falkenhayn später als eine zentrale Unterlassungssünde der deutschen Politik 1018 . Die ententefreundliche Haltung Amerikas verminderte Falkenhayns Bedenken, es zu einem Bruch kommen zu lassen. Er fragte sich, was sich im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA noch verschlimmern könnte. Die Vereinigten Staaten belieferten England und Frankreich in großem Maßstab mit Rüstungsgütern und versuchten den Mittelmächten zu verbieten, diese Seetransporte durch U-Boote anzugreifen. Gleichzeitig tolerierten sie die völkerrechtswidrige englische Blockade. Falkenhayn fragte sich, ob Deutschland dem tatenlos zusehen solle. Die Marine versprach schließlich, mit Hilfe der U-Boote England fast vollständig abriegeln zu können. Die Propagandisten des unbeschränkten U-Boot-Krieges wollten England durch die Blockade in erstaunlich kurzer Zeit — die Angaben schwankten zwischen zwei und acht Siehe S. 365. Janßen, Exzellenz, S. 194. 1016 Aufzeichnung Bethmann Hollwegs vom 7.1.1916 über eine Unterredung mit Falkenhayn am 1.1.1916, abgedruckt bei: Janßen, Kanzler, S. 288f. 1017 Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 182. 1018 Falkenhayn an Hanneken, 20.12.1919, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Siehe auch Kap. VII, 2. 1014
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Monaten, pendelten sich schließlich bei sechs Monaten ein1019 — zum Einlenken zwingen, indem sie sich die Abhängigkeit der britischen Inseln von der Nahrungseinfuhr zunutze machten. In langen, sehr detaillierten Ein- und Ausfuhrtabellen und hochgerechneten Versenkungsziffern versuchten die Marine-Denkschriften zu beweisen, daß die Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges innerhalb von maximal einem halben Jahr zum kriegsentscheidenden Sieg über England führen müsse. Falkenhayn war der Ansicht, daß Deutschland bei der Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges nichts zu verlieren habe. Außerdem nahm er an, daß keine Zeit günstiger sei »als die der Agitationsperiode auf die bevorstehende Präsidentenwahl«1020. Wenn die Vereinigten Staaten sich zu einer Reaktion durchringen sollten, würde diese sich nach Falkenhayns Einschätzung auf den Abbruch der diplomatischen Beziehungen beschränken. Das schien ein tragbares Risiko, wenn es mit den großen Chancen verglichen wurde, die der U-Boot-Krieg bot. Sollte die Aktion sich als Fehlschlag herausstellen, so konnte sie wieder abgebrochen werden, meinte der Generalstabschef1021. Auch einem Kriegseintritt der USA sah Falkenhayn mit Gelassenheit entgegen. Wenn die Marine recht behielt und die U-Boot-Blockade gelang, würde es den Amerikanern gar nicht möglich sein, nennenswerte Streitkräfte nach Europa zu bringen. Außerdem wirkten die amerikanischen Streitkräfte nicht sehr bedrohlich. In gutem Zustand befand sich nur die amerikanische Marine, die in etwa so stark wie die deutsche war. Das amerikanische Heer hingegen war klein und schlecht gerüstet. Falkenhayn wußte aus eigener Erfahrung, wie schwer und langwierig es war, ein modernes Heer aufzustellen, auszubilden und zu bewaffnen. Selbst wenn die Vereinigten Staaten willens sein sollten, aktiv am Krieg teilzunehmen, käme ihre Hilfe doch zu spät1022. Aber er glaubte gar nicht daran, daß die USA den Willen aufbringen würden, sich in den weitab liegenden europäischen Konflikt einzumischen und für den Krieg der Entente große Opfer zu bringen. Der Kriegseintritt der USA schien demnach ein kalkulierbares Risiko, das Falkenhayn im Hinblick auf die von der Marine vorausgesagten großen Chancen des unbeschränkten U-Boot-Krieges einzugehen bereit war. Der Gedanke mußte ihm um so verlockender scheinen, als die Marine die Erfüllung seines militärischen und politischen Hauptanliegens versprach: die Niederwerfung Englands, des Hauptfeindes. Falkenhayn bewahrte sich den Versprechungen der Marine gegenüber zwar einen leichten Vorbehalt1023, hinterfragte aber die Angaben der Marine nicht mehr. Die technische »Sechs bis acht Monate«, Holtzendorff an den Reichskanzler, 2 1 . 1 . 1 9 1 6 , in: Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 466; »bis zum Herbst 1916«, Tirpitz am 2 . 1 . 1 9 1 6 , ebd., S. 450; »binnen zwei Monaten«, Tirpitz, nach Angaben Holtzendorffs, an den Reichskanzler am 4 . 1 . 1 9 1 6 , ebd., S. 456. Tirpitz bestritt, einen Erfolg innerhalb von zwei Monaten versprochen zu haben; für die Angabe spricht aber, daß Falkenhayn mit Verweis auf die Angaben der Marine ebenfalls von zwei Monaten ausging, ebd. Siehe auch Janßen, Kanzler, S. 186, Anm. 25. 1020 Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 185. 1019
1021 1022 1023
Falkenhayn über Treutier an Bethmann Hollweg am 1 4 . 4 . 1 9 1 6 , zit. bei Janßen, Kanzler, S. 199. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 182. Falkenhayn schrieb in der »Weihnachtsdenkschrift« über das »erfreuliche Zukunftsbild« der Marine: »Voraussetzung bei ihm ist, daß die Marine sich nicht irrt.« In: Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 181. Von inneren Zweifeln Falkenhayns berichteten auch Wild und Bethmann Hollweg, siehe unten.
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Ausführung des U-Boot-Krieges war eine Ressortangelegenheit der anderen Teilstreitkraft, die ihn nichts anging, ebenso wie er der Marine und der Politik den Einblick in die Planung der Heeresoperationen vorenthielt. Admiralstab und Reichsmarineamt waren für ihn die »allein zuständigen Sachkenner«1024, auf deren Urteil er — und auch die Diplomaten — sich verlassen mußten. Der Generalstabschef nahm an, daß England selbst dann nachgeben werde, wenn der unbeschränkte U-Boot-Krieg nicht zur Aushungerung der britischen Inseln führen sollte. Er glaubte, daß England den als Niederwerfungsunternehmen gegen Deutschland entfesselten Krieg dann abbrechen würde, wenn es die Folgen des Kampfes selbst zu spüren bekäme und die Kriegslasten nicht mehr einseitig auf die ausgenutzten Verbündeten Frankreich und Rußland verteilen könnte. Das würde bei stark ansteigenden Schiffsverlusten der Fall sein. Eine wesentliche Schwächung der englischen Kriegs- und Handelsflotte mußte für das englische Empire eine folgenschwere Erschütterung seiner weltweiten Machtstellung zur Folge haben. Deshalb würde, so folgerte Falkenhayn, der Krieg von der kühl rechnenden englischen Führungsschicht im entscheidenden Moment abgebrochen werden, um das Empire nicht zu gefährden. Am 30. Dezember 1915 besprach er mit Großadmiral v. Tirpitz, Kriegsminister Wild, Admiralstabschef v. Holtzendorff und dessen Stellvertreter, Vizeadmiral Koch, die Wiederaufnahme des U-Boot-Krieges. Damit war — wie nur selten im kaiserlichen Deutschland — ein Gremium beider Teilstreitkräfte versammelt, um strategische Fragen gemeinsam zu erörtern. Falkenhayn trug der Marineleitung zunächst vor, warum er den U-Boot-Krieg im Gegensatz zu früher nunmehr befürworte. Der »gefährlichste Gegner«, England, müsse auch zur See geschädigt werden. »Auf Grund seines August-Vortrages [von 1915] bei Seiner Majestät sei der Ubootkrieg im Kriegsgebiet in der scharfen Form zeitweise ausgesetzt worden. Die Gründe hierfür seien folgende gewesen: Die Verhältnisse auf dem Balkan seien zu dieser Zeit in keiner Weise geklärt, Bulgariens sei man keineswegs sicher gewesen, ebenso hätte man Rumänien und Griechenland schwer einschätzen können. [...] Nachdem Amerika die bekannte Stellung gegen uns hinsichtlich des Ubootkrieges eingenommen hätte, wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen gewesen, daß dieses Land offen zu unseren Feinden übergehen würde, wenn man weiter mit Versenkung von Passagierschiffen und dadurch Gefährdung amerikanischer Bürger fortgefahren hätte.« Diese Befürchtungen seien durch die Erfolge des Serbienfeldzuges nunmehr hinfällig geworden. Unter den veränderten strategischen Bedingungen müsse zunächst die Frage beantwortet werden, »ob der Abbruch der Beziehungen zu Amerika bzw. eine Kriegserklärung wesentliche Nachteile für die Kriegführung mit sich bringen würde. Vom militärischen Standpunkt aus glaube er das verneinen zu müssen, auch in wirtschaftlicher, politischer und finanzieller Beziehung sei ein feindliches Amerika nicht höher einzuschätzen, als das jetzige neutrale Amerika. Demnach müsse er seine Bedenken gegen den Ubootkrieg fallen lassen.« Zur »schnellen Herbeiführung einer Entscheidung in bezug auf England« wollte Fal1024
Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 182.
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kenhayn »alle militärischen Machtmittel ausnutzen«. Deshalb legte er den Marinevertretern folgende Fragen vor: 1. Ist der unbeschränkte U-Boot-Krieg ein solch wirksames Mittel, daß er die Nachteile eines amerikanischen Kriegseintrittes aufwiegt? 2. Wird »England bis etwa Ende 1916 wirtschaftlich derart geschädigt [sein], daß es zum Frieden geneigt sein wird?« 3. Wann kann der U-Boot-Krieg mit ausreichenden Mitteln einsetzen? Holtzendorff beantwortete die Fragen ganz in Falkenhayns Sinne: »Es sei ihm niemals zweifelhaft gewesen, daß wir in dem Uboot eine Waffe in der Hand haben, um England auf die Knie zu zwingen. [...] Wiederholt sei er mit den verantwortlichen Persönlichkeiten, Reichskanzler, Exzellenz Zimmermann, Exzellenz Helfferich in Verbindung getreten, um den Ubootkrieg wieder aufzunehmen, habe aber immer die Antwort erhalten, daß der Bruch mit Amerika aus politischen, wirtschaftlichen, militärischen und besonders finanziellen Gründen unter allen Umständen vermieden werden müsse (Wirkung auf die Neutralen des Balkans, sowie auf Holland und Dänemark). Fielen diese Bedenken, so stünde der Wiederaufnahme des Ubootkrieges militärischerseits nichts im Wege. Er sei überzeugt, daß ein Ubootkrieg, bald begonnen und scharf durchgeführt, unhaltbare Zustände in England mit sich bringen würde. Der schon jetzt knappe Schiffsraum würde zur Kalamität, Versicherung und Frachten würden unerschwinglich, Personal würde streiken, die Rohstoffzufuhren würden nicht mehr ausreichen, das ganze Wirtschaftsleben würde bald brach liegen. Er erwarte bestimmt, daß England Ende 1916 nicht mehr durchhalten könne.« Als Termin für die Eröffnung des U-Boot-Krieges schlug Holtzendorff Anfang April 1916 vor. Tirpitz meinte zustimmend, »mehr Unterstützung wie jetzt könne England seitens Amerikas nicht erhalten, weder an Geld, noch an Kriegsmaterial, noch an sonstigen materiellen Gütern«. Er war der Ansicht, daß der U-Boot-Krieg in Anbetracht des ab Juni zu erwartenden Zuwachses von zehn Booten pro Monat schon im Februar oder Anfang März begonnen werden könne. »Die Wirkungen eines solchen Krieges könne England nicht bis zum Herbst aushalten.« Falkenhayn faßte die ihm erteilten Auskünfte der verantwortlichen Marinevertreter am Ende der Konferenz zusammen: 1. »Militärische Gründe gegen die Wiederaufnahme des Ubootkrieges bestehen nicht. 2. Ein ohne alle Einschränkungen geführter Ubootkrieg wird England bis Ende 1916 derart schädigen, daß es zum Frieden geneigt sein wird. 3. Der Ubootkrieg kann mit ausreichenden Mitteln und Aussicht auf vollen Erfolg Anfang März einsetzen 1025 .« Unter der Zustimmung seiner Gesprächspartner stellte Falkenhayn abschließend fest, daß das Deutschtum auf der Welt gefährdet sei, »wenn wir ohne verstärkte Stellung England gegenüber aus diesem Kriege hervorgehen« 1026 . 1025 Protokoll des stellvertretenden Chefs des Admiralstabs, Vizeadmiral Koch, vom 1.1.1916, in: BAMA-P, W-10/50708. 1026 Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 454.
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In einer zweiten Besprechung am 5. Januar 1916 kamen die Spitzen von Heer und Marine schnell überein, die Frage des U-Boot-Krieges möglichst im Alleingang ohne Mitwirkung der Politik zu entscheiden. Tirpitz war der Ansicht, daß es sich dabei »im wesentlichen um eine militärische Frage handelte und militärischerseits entschieden werden müßte«1027. Verantwortlich sei Falkenhayn, der als der berufene Ratgeber des Kaisers diesem die kriegsentscheidende Frage nahebringen müsse. Der Generalstabschef meinte jedoch — wie Tirpitz unterstellte, mit geheuchelter Bescheidenheit —, daß die Entscheidung nicht ihm, sondern dem Kaiser zufiele. Bei aller Einigkeit über die Notwendigkeit des unbeschränkten U-Boot-Krieges bestanden zwischen den Konferenzteilnehmern sachliche und persönliche Differenzen, die eine enge Zusammenarbeit sehr bald schon stören sollten. Tirpitz und Wild waren unbedingte Anhänger des U-Boot-Krieges. Falkenhayn war skeptischer, meinte aber, den »sicheren Gewinn von unschätzbarem Wert« durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg nicht »aus Besorgnis vor einem, wenn auch schweren, so doch nur möglichen Nachteil« — womit Falkenhayn die mögliche Intervention Amerikas meinte — preisgeben zu dürfen1028. Schwankend in seiner Haltung war Admiralstabschef v. Holtzendorff, vielleicht weil er — im Gegensatz zu Tirpitz, Wild und Falkenhayn — der tatsächlich Verantwortliche für den operativen Einsatz der U-Boot-Waffe war. Falkenhayn begann am 30. Dezember 1915, den Reichskanzler mit seiner neuen Planung vertraut zu machen. »Er begriffe nicht, warum wir nicht den U-Bootskrieg gegen England in voller Schärfe wiederaufnähmen1029.« Als Bethmann einwandte, daß in diesem Fall der Bruch mit den USA unausbleiblich sein werde, meinte Falkenhayn, er habe zwar selbst im Spätsommer diesen Bruch wegen der »damals noch nicht geregelten Balkanverhältnisse« vermeiden wollen, »jetzt aber, wo wir Bulgariens sicher sind, könne uns Amerika nicht mehr schaden«. Nach seiner Ansicht würde Deutschland auch über »die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen des Bruches, wenn solche überhaupt zu befürchten seien«, hinwegkommen, und ebenso »über uns abträgliche, moralische Einwirkungen auf die übrigen Neutralen«. Immerhin stellte Bethmann am Ende fest, daß der General »seiner Sache noch nicht vollkommen sicher« sei — ein deutlicher Hinweis darauf, daß Falkenhayn seine Zweifel gegenüber den Versprechungen der Marine nicht vollständig hatte unterdrücken können. Am 2. Januar 1916 besprach Falkenhayn die Angelegenheit auch mit Staatssekretär Helfferich. Diesem stellte er die großen strategischen Linien vor Augen, die ihn zur Befürwortung des unbeschränkten U-Boot-Krieges bewogen hatten. Der Reichskanzler und er, Helfferich, hätten ihm mehrfach versichert, daß die finanziellen und wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands nur bis zum Herbst 1916 reichen würden und wahrscheinlich auch die innere Stimmung nicht länger aufrechtzuerhalten sei. Er, Falkenhayn, könne den Krieg durch militärische Schläge der Landheere nicht zu Ende bringen. Deshalb 1027 1028 1029
Ebd., S. 458. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 182 (»Weihnachtsdenkschrift«). Aufzeichnung Bethmann Hollwegs vom 4 . 1 . 1 9 1 6 , in: Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 455.
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müsse die Marine eingreifen. Diese habe versichert, »innerhalb von zwei Monaten England so auf die Knie zwingen zu können, daß es um Frieden bitten werde. Unter diesen Umständen aber sei es gleichgültig, ob uns Amerika den Krieg erkläre. Selbst wenn Holland etwa nachfolgen sollte, habe das nichts zu sagen; er habe genug Truppen, um Holland zu überrennen 1030 .« Bei den Diplomaten nahm die Verstimmung gegen den ohnehin unbeliebten Falkenhayn weiter zu. Der Gesandte Treutier, ein scharfer Gegner des unbeschränkten U-Boot-Krieges, nannte den Generalstabschef wegen seines angeblichen Hanges zum Glücksspiel nur noch den »Spieler«1031. Und Bethmann Hollweg unterstellte in einer Denkschrift vom 10. Januar 1916 dem Generalstabschef, mit dem unbeschränkten U-Boot-Krieg »ein Würfelspiel, dessen Einsatz tatsächlich die Existenz Deutschlands ist« 1032 , riskieren zu wollen. Der U-Boot-Krieg schien ihm ein »unsicheres Spiel um Kopf und Kragen«. Bethmann Hollweg schätzte das Gewicht der Vereinigten Staaten zutreffender ein als die Marineleitung und der Generalstabschef. Er sah im Falle des Kriegseintritts der USA einen großen Machtzuwachs der Entente vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht voraus. Wenig problematisch schien auch ihm hingegen die militärische Seite. Er hoffte, daß sich der aktive amerikanische Kriegseinsatz günstigenfalls auf den Zustrom einiger hunderttausend Freiwilliger beschränken würde, die sich aus »Sportsgeist« in die Ententearmeen einreihen ließen 1033 . Der Reichskanzler sagte auch negative Auswirkungen des unbeschränkten U-Boot-Krieges auf die Haltung der europäischen Neutralen voraus. Nicht nur Amerika, sondern auch die skandinavischen Länder und Holland würden durch die warnungslose Versenkung von Handelsschiffen im Kriegsgebiet betroffen. Er befürchtete, daß alle Neutralen gleichzeitig in den Krieg gegen Deutschland eintreten und der Entente auf diese Weise einen wahrscheinlich entscheidenden Kräftezuwachs zuführen würden. Bei einem gemeinsamen Abendessen am 10. Januar 1916 schilderte Bethmann dem Marinekabinettschef Admiral ν. Müller seine schweren Sorgen. Er befürchtete im Falle des unbeschränkten U-Boot-Krieges »eine Verrufserklärung der ganzen zivilisierten Welt, eine Art Kreuzzug gegen Deutschland«, sah gar »sämtliche noch neutralen Völker vereint gegen uns, den tollen Hund unter den Völkern, aufstehen. Das sei dann Finis Germaniae 1034 .« In der Frage des unbeschränkten U-Boot-Krieges, in der nach Einschätzung Bethmann Hollwegs »politische und militärische Momente [...] untrennbarer als je verwoben« 1035 waren, weckten vor allem die undurchschaubaren Zahlenspiele und Denkschriften der Marine die Zweifel der Diplomaten und Politiker. Von vornherein hatten sie ein vollkommen berechtigtes Mißtrauen gegen den Großadmiral v. Tirpitz und dessen Rechnungen. Die möglichen Versenkungsziffern durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg und 1030
Ebd., S. 456.
1031
Janßen, Exzellenz, S. 170.
1032
Ritter, Staatskunst III, S. 195; Birnbaum, Peace moves, S. 345 ff.
1033
Bethmann Hollweg in einer Denkschrift vom 2 9 . 2 . 1 9 1 6 , zit. bei Janßen, Kanzler, S. 190f.
1034 Müller, Regierte der Kaiser, S. 146f. (Tagebucheintrag vom 11. und 12.1.1916). 1035
Bethmann Hollweg, Betrachtungen II, S. 8.
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes Quli 1914—August 1916)
die wirtschaftlichen Nöte, die in England dadurch hervorgerufen werden sollten, beruhten auf Hochrechnungen und waren reine Spekulation. Tirpitz und seine Gefolgsleute gingen jedoch darüber hinaus: Sie frisierten die Zahl der U-Boote, die im Seekrieg gegen England eingesetzt werden konnten, addierten einfach die im Bau befindlichen und die reinen Küsten-U-Boote hinzu und suggerierten eine viel größere Anzahl von U-Booten als tatsächlich vorhanden war1036. Die Zahl der U-Boote, die zur Sperrung der englischen Zufuhr tatsächlich hätten eingesetzt werden können, war sehr gering: Werftliegezeiten und An- und Abmarsch eingerechnet, konnten nur drei U-Boote gleichzeitig die Sperre aufrechterhalten. Daß eine so geringe Zahl nicht ausreichen würde, England zum Nachgeben zu zwingen, hätte auch der Marine, das heißt vor allem dem Großadmiral v. Tirpitz und seinen Mitarbeitern, nicht verborgen bleiben dürfen 1037 . Tirpitz hoffte denn auch mehr auf eine englische Hysterie, auf den Zusammenbruch des Frachtverkehrs nicht nur infolge der Versenkungen, sondern aufgrund gestiegener Frachtraten und Schiffsversicherungen, des dann nötigen riesigen Aufwandes der Royal Navy, eine Bewacherflotte aufstellen zu müssen, und dem daraus resultierenden Mangel an Schiffsraum und ausgebildeten Besatzungen in der Kriegs-, vor allem jedoch in der Handelsmarine1038. Vom Prinzip her war das Rezept von Tirpitz und seiner Umgebung dem Falkenhayns vor Verdun nicht unähnlich: Sie spekulierten darauf, daß ein nicht tödlich geschlagener Gegner die Nerven verlor und aufgab, obwohl er bei kühler Kalkulation durchaus weiterkämpfen konnte. Tirpitz nahm an, daß die Engländer ihre Vernichtungsabsicht aufgeben würden, wenn der Krieg sie selbst zu teuer zu stehen käme, und traute ihnen keinen wirklichen Opfergeist zu. Dieser Planung lagen psychologisierende Hoffnungen zugrunde, keine rein militärischen Berechnungen. Dem Reichskanzler konnte Tirpitz mit solchen Ahnungen und Hoffnungen nicht aufwarten. Deshalb übertrieb er die Anzahl der vorhandenen U-Boote und schob das militärische Argument — nämlich England durch eine fast lückenlose Blockade zum Nachgeben zwingen zu können — in den Vordergrund. Gerade die Zahlenangaben ließen beim Kanzler jedoch neuen Argwohn wachwerden, da sich die Prognosen in verschiedenen Punkten widersprachen. Falkenhayn hingegen respektierte die Ressortgrenzen der Marine und akzeptierte deren Angaben. Er bestritt dem Reichskanzler sogar mehrfach das Recht auf kritische Hinterfragung der Marineangaben mit dem Hinweis, dieses sei eine militärische und keine politische Angelegenheit1039. Zwar war auch ihm aufgefallen, daß es den Angaben der Mari-
1036
Zu den genauen Zahlen der einsatzfähigen U-Boote siehe Stegemann, Marinepolitik, S. 35; Janßen, Kanzler, S. 193, Anm. 10; Riezler, Tagebücher, S. 344, Anm. 4. Seine damalige Position verteidigend: Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 494 f.
Selbst ein Außenstehender wie der Reeder Ballin hatte erkannt, daß die vorhandenen U-Boote ausreichten, um »England wohl die Haut ritzen«, nicht aber, um es zum Frieden zwingen zu können. Ballin in einer Eingabe an den Kaiser vom Januar 1916, ebd., S. 461 f. юзе J ) a s Argument, England könne seine Flotte gar nicht so schnell bemannen, wie es notwendig sei, hatte er auch schon während des Flottenwettrüstens vor dem Krieg vielfach verwendet, siehe die zahlreichen Belege in: Berghahn, Tirpitz-Plan. 1037
1039
Nach Ansicht Gerhard Ritters ließ Falkenhayn sich »unselbständig und unkritisch [...] von den
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ne an Präzision fehlte. Doch ebensowenig wie er den Erfolg von Landoperationen verbürgen konnte und wollte 1040 , verlangte er das von der Marine. Der Sieg über England war für Falkenhayn das eigentliche Ziel und die Sinngebung des Krieges. Daher mußte das Unternehmen einfach gewagt werden. Um dem zu erwartenden Widerstand Bethmanns und seiner Mitarbeiter argumentativ begegnen zu können, ließ sich Falkenhayn von Tirpitz ein Memorandum erstellen, das ihm genaue Zahlen und Fakten in die Hand gab. Mit dem Überbringer der Unterlagen, dem Kapitän Widenmann, hatte Falkenhayn am 10. Februar 1916 ein aufschlußreiches Gespräch. Er äußerte sein Erstaunen darüber, daß die Marine dem Reichskanzler Zahlen gegeben und dadurch seine Zweifel .wiedererweckt habe. Sei es denn Sitte bei der Marine, dem Kanzler militärische Angelegenheiten vorzulegen? Das sei ganz falsch. Er, Falkenhayn, gebe dem Reichskanzler niemals Zahlen. Den Diplomaten, die skeptisch und von chronischer Entschlußlosigkeit seien, müsse ein Ja oder Nein seitens der militärischen Stellen genügen1041. Widenmann überreichte Falkenhayn auch ein Begleitschreiben des Großadmirals. Tirpitz bekräftigte nochmals seine Auffassung, »daß nur ein durchschlagender Erfolg gegen England ein wirklich siegreiches Ende des Krieges herbeiführen und unsere Zukunft sicherstellen kann«. Das müsse jedoch bald geschehen; jede Vertagung des unbeschränkten U-Boot-Krieges helfe England, militärische und administrative Abwehrvorbereitungen zu treffen. Mit dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg werde jedoch Deutschland den Sieg gegen England trotz Amerika sicher erringen können 1042 . Der Generalstabschef beruhigte Widenmann bezüglich der Haltung des Kaisers. »Ich traue mir einen starken Einfluß auf Seine Majestät zu und werde den U-Bootskrieg bei ihm durchsetzen.« Der U-Boot-Krieg sei notwendig, nicht zuletzt deshalb, um das strategisch wichtige Belgien auch nach Kriegsende behalten zu können. Parallel zu seinen Unternehmungen gegen England und Frankreich ging Falkenhayn von seiner bisher gemäßigten Haltung ab und begann die Kriegsziele höher zu stecken. Zwei Tage nach diesem Gespräch, am 13. Februar 1916, verlangte er vom Reichskanzler in einer Denkschrift, daß Belgien »als Aufmarschgebiet, zum Schutz der wichtigsten deutschen Industriegegend und als Hinterland der für unsere maritime Geltung unentbehrlichen Stellung an der flandrischen Küste uns zur Verfügung bleiben muß«. Allerdings werde man sich, »bevor die Bedingungen des allgemeinen Friedens zu übersehen sind, in bezug auf Belgien nicht binden dürfen«. Außerdem könne man Belgien entgegenkommen, falls es freiwillig auf die Seite Deutschlands übertreten sollte. Unabhängig davon stellte Falkenhayn fest: »Die Hauptsache freilich bleibt, conditio sine qua non: die militärische Sicherung Belgiens in oben skizziertem Umfange für die mitteleuropäische KraftZahlenangaben und Spekulationen der Marine über Schiffsverluste und Wirtschaftsnöte beeindrucken«. In: Ritter, Staatskunst III, S. 195. 1040 Falkenhayn an Marinekabinettschef Admiral ν. Müller am 9 . 2 . 1 9 1 6 : »[...] niemand könne dafür bürgen, daß unsere Offensive im Westen gelingt. Im Kriege gelänge eben nicht alles.« In: Müller, Regierte der Kaiser, S. 154. 1041
Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 473—477. Zitierte Textstellen S. 474. Siehe auch Kap. V, 8, b.
1042 Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 472 f.
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gruppe. Ohne diese condition verliert Deutschland den Krieg im Westen. [...] Ebenso wie für uns der Krieg als verloren gelten muß, wenn der Eintritt Belgiens in unseren >Concern< nicht erzwungen wird, ebenso verliert ihn England, wenn es eine solche Verschiebung zulassen muß. Mit anderen Worten: England kann schon jetzt nicht anders handeln als wir, d.h. es muß den Krieg bis zum bitteren Ende führen.« Damit wollte Falkenhayn den voraussehbaren Einwand der Diplomaten entkräften, England werde durch den U-Boot-Krieg »zum Äußersten getrieben«1043. Ferner stellte er fest, daß »die Kriegsleitung gar nicht das Recht hat, auf den U-Boot-Krieg zu verzichten. Ist das aber der Fall, so kann auch der politischen Leitung nicht das Recht zustehen, der Kriegsleitung die Anwendung des zum Siege notwendigen Kriegsmittels unmöglich zu machen.« Auch ein Aufschub des U-Boot-Krieges um einige Monate, der Deutschland »letzten Endes [...] vor den Verwicklungen mit übelwollenden Neutralen doch nicht bewahren« werde, mußte seiner Meinung nach üble Folgen haben. Der U-Boot-Krieg wäre dann nicht mehr die »furchtbare Waffe gegen England«, und aus dem »kräftigen Hieb, den wir jetzt damit führen, wird dann eine schwächliche Parade geworden sein«1044. Militärische und politische Reichsleitung konnten in dieser zentralen strategischen Frage, die beide Ressorts gleichermaßen berührte, keinen Kompromiß finden. Durch diese Uneinigkeit gewann der Kaiser, der sich bislang mit einer eher passiven Rolle hatte begnügen müssen, seine Macht als Entscheidungsinstanz über den Ressorts zurück. Falkenhayn hatte zunächst ganz selbstverständlich angenommen, daß Wilhelm II. unbedingt hinter ihm stehe. Darin hatte er sich jedoch getäuscht. Als Falkenhayn am 10. Januar 1916 in seinem Vortrag »auf Fortsetzung des Krieges unter Anwendung aller Mittel besonders gegen England« drängte und den »rücksichtslosen U-Bootkrieg« verlangte, stieß er auf kaiserliche Bedenken: »Einmal wegen der Roheit, dann aber, weil Amerika eben anzufangen scheint, schärfer gegen England, milder mit uns zu sein. [Der Kaiser war der Ansicht,] daß die großen Passagierschiffe voller Frauen und Kinder zu torpedieren eine barbarische Rohheit ohne Gleichen ist, womit wir den Haß und die giftige Wut der ganzen Welt gegen uns aufbringen 1045 .« Und am 15. Januar 1916 meinte Wilhelm II. bei einem Vortrag Holtzendorffs über die Chancen des U-Boot-Krieges, daß »ein Versenken von unschuldigen Passagieren ihm ein furchtbarer Gedanke [sei]. [...] Andererseits müsse er sich fragen: Könne er es entgegen den Ratschlägen seiner militärischen Ratgeber verantworten, aus Humanitätsrücksichten den Krieg in die Länge zu ziehen und soundso viel brave Landwehrleute mehr zu opfern? Er stehe vor dem schwersten Entschluß seines Lebens. Falkenhayn habe gut reden. Er könne die politischen Konsequenzen doch nicht so übersehen und unterschätze die Mitwirkung eines feindlichen Amerika 1046 .«
1043
Siehe dazu auch die interessante Interpretation dieses Satzes bei Janßen, Kanzler, S. 187. Dazu auch Kap. V, 23.
1044
Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 13.2.1916, in: L'Allemagne et les problemes de la paix I, S. 267f. (Dok. 199).
1045 Plessen-Tagebuch, 10.1.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063. Ю46 Müller, Regierte der Kaiser, S. 147 (Tagebucheintrag vom 15.1.1916).
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Der Reichskanzler hatte angesichts der Phalanx von Armee und Marine im Januar 1916 die ernste Befürchtung gehegt, daß der unbeschränkte U-Boot-Krieg nicht mehr aufzuhalten sei1047. Doch jetzt sah er die Möglichkeit, die Militärs am Widerstand des Kaisers scheitern zu lassen. Er legte Wilhelm Π. Ende Februar 1916 in einer Denkschrift nahe, wegen der Reaktion der Neutralen, vor allem der USA, auf den unbeschränkten U-Boot-Krieg zu verzichten. Statt dessen empfahl er die warnungslose Versenkung bewaffneter Handelsschiffe, die als Hilfskreuzer einzustufen seien, und die für ein aufgetauchtes U-Boot eine ernste Gefahr darstellten. Dieses Verfahren — der »verschärfte U-Boot-Krieg« — ließ sich in etwa noch mit dem Völkerrecht in Einklang bringen und fand in Amerika ein gewisses Verständnis, da auch hier die Bewaffnung englischer Handelsschiffe auf Kritik stieß1048. Falschtorpedierungen und daraus resultierende diplomatische Schwierigkeiten waren aber auch hier vorprogrammiert, weil die englischen Handelsdampfer und U-Boot-Fallen ihre Bewaffnung oft tarnten und diese durch das Periskop ohnehin nicht gut festzustellen war. Der Kaiser war durch die Denkschrift sehr angetan und sagte am 3. März zu Bethmann, »wir hätten viel zu wenig Boote, um England niederzuzwingen, und er werde doch nicht die >Dummheit< machen, den Krieg mit Amerika zu provozieren«1049. Und als am nächsten Tag Falkenhayn am Schluß seines Vortrages verlangte, daß der U-Boot-Krieg »sofort und mit ganzer Kraft in rücksichtslosester Weise einsetzen müßte, um dieses den Engländern überlegene Kampfmittel voll auszunutzen, auch wenn Amerika dadurch zum Kriege gegen uns veranlaßt würde«, blieb der Kaiser unnachgiebig. Durch einen Krieg mit Amerika würde Deutschland in eine ungünstige Situation gelangen; auch reiche das vorhandene Material nicht aus, »England aller Zufuhr zu berauben«1050. Um diese Frage endgültig zu entscheiden, berief der Kaiser für den gleichen Abend eine Kronratssitzung ein. Neben dem Kaiser, Falkenhayn und Bethmann Hollweg nahmen Admiralstabschef v. Holtzendorff, Plessen, Lyncker und Marinekabinettschef Admiral ν. Müller teil1051. Tirpitz war — mit Zustimmung Falkenhayns — nicht eingeladen worden, und auch nicht Kriegsminister Wild. Der Kaiser leitete die Konferenz mit der Feststellung ein, daß sowohl der Reichskanzler als auch der Generalstabschef der Ansicht seien, daß der Krieg wegen der abnehmenden Widerstandskraft bis zum Winter 1916/17 zu Ende gebracht werden müsse. Das sei durch militärische Aktionen allein nicht möglich. England müsse direkt getroffen werden. »Als Oberster Kriegsherr könne er sich nicht vom Präsidenten Wilson vorschreiben lassen, wie er seine Unterseebootsstreitkräfte anwenden wolle. Er werde einen rücksichtslosen U-Boot-Krieg führen müssen, um den Kampf um Deutschlands Existenz siegreich zu Ende zu führen. Als Termin nähme er etwa Anfang April in Aussicht.« 1047
Janßen, Kanzler, S. 187.
1048
Siehe zur Denkschrift Bethmann Hollwegs vom 2 9 . 2 . 1 9 1 6 : Ritter, Staatskunst III, S. 199£f.
1049
Bethmann Hollweg an Jagow, 5 . 3 . 1 9 1 6 , in: Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 499.
1050 Plessen-Tagebuch, 4 . 3 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W - l 0 / 5 1 0 6 3 . 1051
Im Tagebuch Müllers vom 4 . 3 . 1 9 1 6 wird der Gesprächsverlauf wiedergegeben, in: Müller, Regierte der Kaiser, S. 161—163. Weitere Informationen über diese Sitzung liefern ein Privatbrief Bethmann Hollwegs an Jagow vom 5 . 3 . 1 9 1 6 , in: Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 499ff., sowie das Plessen-Tagebuch vom 4 . 3 . 1 9 1 6 .
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Danach erhielt Admiral v. Holtzendorff das Wort. Er vertrat seine Sache schlecht, konnte keine klaren Zahlen der einsatzfähigen U-Boote nennen, griff zu Phrasen, um seine Behauptung zu unterstreichen, daß England »innerhalb von sechs bis acht Monaten zum Frieden gezwungen« werden könne. Bethmann unterstrich in einer sehr gelungenen Rede seine Uberzeugung, daß der Bruch mit Amerika gleichbedeutend mit dem Verlust des Krieges sei. Selbst bei einem Verlust von vier Millionen Tonnen Schiffsraum pro Jahr durch den U-Boot-Krieg würde die Entente durch den unausweichlichen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten derart verstärkt, daß sie schließlich im Erschöpfungskrieg siegen müßte. »Hier handele es sich um die Vernichtung zum mindesten der Großmachtstellung Deutschlands und um die Dynastie 1052 .« Er bestritt Falkenhayns Behauptung, daß Österreich-Ungarn nur bis zum Herbst 1916 aushalten könne. Daß die Zeit gegen Deutschland arbeite, müsse nicht zu derart radikalen Maßnahmen führen. Er sah eine historische Analogie zur jetzigen Situation: Obwohl Friedrich der Große im Siebenjährigen Krieg niemals in der Lage gewesen wäre, seine Gegner tatsächlich zu besiegen, habe er trotzdem einen Frieden erkämpft, der Preußens Großmachtstellung begründete. Durchhalten und auf einen Zerfall der Entente hoffen — darin lag für Bethmann die Hoffnung für einen »endgültigen Sieg« Deutschlands. Als Alternative zum unbeschränkten U-Boot-Krieg schlug der Reichskanzler die Vorbereitung des verschärften U-Boot-Krieges gegen die bewaffneten Handelsdampfer vor. Nach dem Reichskanzler sprach Falkenhayn. Es gelang ihm jedoch nicht, die Argumente des Reichskanzlers zu widerlegen. Er mußte zugeben, daß die Deutschen, »wenn es um Haus und Hof gehe«, auch länger als bis zum nächsten Winter durchhalten könnten. Durch dieses Eingeständnis entfiel der große Zeitdruck, den Falkenhayn bisher immer zur Begründung seiner Forderung nach dem unbeschränkten U-Boot-Krieg geltend gemacht hatte. Er gab jedoch zu bedenken, daß Deutschland seine Verbündeten, vor allem die Türkei, nicht mehr lange durchschleppen könne, und daß bei den überanstrengten Bündnispartnern die Neigung zum Separatfrieden wachsen werde. Bethmann faßte die Argumentation des Generalstabschefs so zusammen: »Dann sprach Falkenhayn, kurz und loyal. Mein Standpunkt stehe und falle mit der Prämisse, daß England einlenken werde, bevor es völlig außerstand gesetzt sei, den Krieg fortzusetzen. Er kenne England und die Engländer genau genug, um zu wissen, daß das nie der Fall sein werde. Der U-Bootskrieg sei das einzige Mittel, um England so zu >schädigen< — er vermied im weiteren Verlauf seiner Deduktionen ersichtlich und mit vollem Vorbedacht den Begriff des Auf-die-KnieZwingens 1053 —, daß es friedensbereit würde. Wir kämen deshalb nie um den U-Bootskrieg herum, wenn wir nicht untergehen wollten. Jede Verzögerung seines Beginns bedeute einen unwiederbringlichen Schaden. Amerika sei schon jetzt unser Feind.«
1052 1053
Müller, Regierte der Kaiser, S. 162. Admiral ν. Capelle gab am 28.3.1916 zu: »Es ist ein unglückliches Wort: England auf die Knie zwingen.« Verhandlungen der Budgetkommission des Reichstages über den U-Boot-Krieg am 28. und 29.3.1916, zur Ergänzung des Kommissionsberichtes Nr. 255, S. 37, in: BHStA-KA, MKr 1828.
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Abschließend gab der Kaiser Bethmann einen Monat Zeit — bis zum 4. April 1916. Dann lägen die Ergebnisse der rücksichtslosen Kriegführung gegen bewaffnete Handelsdampfer vor. Sollte sich Amerika in der Zwischenzeit nicht bereitgefunden haben, »England zu bewegen die Aushungerungsmaßregel gegen Deutschland aufzugeben, dann solle als ultima ratio auf der See die absolute Abschließung Englands durch unsere U-Boote eintreten«. Diplomatie und Presse könnten unterdessen auch die Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges besser vorbereiten. Die endgültige Entscheidung darüber behielt Wilhelm II. sich vor1054. Der Kronrat war ein Erfolg des Reichskanzlers, auch wenn er nur einen Aufschub der Angelegenheit hatte erreichen können. Immerhin hatte Wilhelm II. am Ende »ohne jede Reservatio erklärt [...], unsere Ubootstreitkräfte seien ungenügend, um England niederzuringen«. Nach dem Abendessen lobte der Monarch, der sich gegenüber Admiral ν. Müller über »die Härte solcher Besprechungen« beklagte, den Reichskanzler ausdrücklich. »Er habe seinen Standpunkt, den der Kaiser ganz teile, glänzend vertreten1055.« Tirpitz war entrüstet darüber, daß er zu der Besprechung nicht eingeladen worden war. Diesen Umstand wollte sich Bethmann zunutze machen. Er beschloß, nach Absprache mit Müller, der das Verhalten des Großadmirals mit immer größerer Skepsis betrachtete, Tirpitz zu brüskieren und ihn vielleicht zum Einreichen seines Abschiedsgesuches zu veranlassen. In den Vorjahren hatte der Großadmiral dem Reichskanzler durch manche Intrige das Leben schwer gemacht. Er hatte den Bogen jedoch endgültig überspannt, als er am 3. März 1916 durch einen beauftragten Marineoffizier in einer Sitzung des Bundesrates gefälschte Zahlen über die Stärke der deutschen U-Boot-Flotte referieren ließ. Nach dem Erscheinen eines besonders hetzerischen Artikels des Grafen Reventlow über den U-Boot-Krieg, hinter dem allgemein Tirpitz vermutet wurde, ordnete der Kaiser am 4. März 1916 auf Rat des Reichskanzlers und des Marinekabinettschefs an, dem Nachrichtenbüro des Reichsmarineamtes die Pressezensur zu entziehen und sie statt dessen dem Admiralstab zu unterstellen. Tirpitz, der darin eine Beschneidung seiner Agitationsmöglichkeiten sah, reagierte wie erhofft mit seinem Abschiedsgesuch. Es war das dritte während des Krieges, und diesmal wurde es angenommen. Selbst unbedingte Befürworter des U-Boot-Krieges wie Kriegsminister Wild konnten der Entlassung — die im In- und Ausland als das Ende einer Ära gewertet wurde — die Berechtigung nicht absprechen. Wild schrieb am 10. März: »Hat er [Tirpitz], um seinen Lieblingsgedanken des rücksichtslosen U-Boot-Krieges zu verwirklichen, wirklich unlautere Angaben gemacht, so ist er mit Recht gerichtet — es wäre ein Verbrechen am Vaterland1056.« Nach dem Bekanntwerden der geringen Zahl von U-Booten, die tatsächlich gegen England eingesetzt werden konnten, und der Manipulationen des Großadmirals v. Tirpitz entschied sich der Kaiser am 10. März 1916 gegen den unbeschränkten U-Boot-Krieg. 1054
Konferenzergebnis wurde so in den Tagebüchern Admiral ν. Müllers (Müller, Regierte der Kaiser, S. 162) und Plessens (BA-MA-P, W-10/51063) vom 4.3.1916 zusammengefaßt. 1055 Müller, Regierte der Kaiser, S. 163. 1056
Wild von Hohenborn, Briefe, S. 143 (Tagebucheintrag vom 10.3.1916).
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Als er beim täglichen Vortrag seinen Generalstabschef darüber informierte, kam es zwischen beiden zu einer »scharfen Auseinandersetzung« 1057 . Falkenhayn wies den Kaiser darauf hin, daß die vom Reichskanzler vorgeschlagene U-Boot-Kriegführung gegen bewaffnete feindliche Handelsschiffe »ganz untauglich sei, weil sie keine wirklichen Ergebnisse liefern, aber doch infolge der bei ihr unvermeidlichen Irrtümer der Ubootskommandanten in der Entscheidung, ob ein Schiff bewaffnet sei oder nicht, zu Verwicklungen mit den Neutralen führen würde« 1058 . Seinen grundsätzlichen Standpunkt in der Frage des U-Boot-Krieges erläuterte er in einer Denkschrift, die er dem Kaiser noch am selben Tag zukommen ließ. Er argumentierte, daß es notwendig sei, »jede wirksame Waffe gegen England selbst einzusetzen, weil nur dadurch der siegreiche Ausgang des Krieges gesichert werden kann [...]. Die einzige Waffe, über die Euer Majestät in diesem Sinne überhaupt verfügen, ist der Ubootkrieg. Es handelte sich für mich deshalb bei meinen Erwägungen über die Euer Majestät für die Fortführung des Gesamtkrieges zu unterbreitenden Vorschläge lediglich darum, festzustellen, ob das Uboot nunmehr zu einer wirksamen Waffe geworden sei, d. h. zu einer Waffe, durch deren unbeschränkte Anwendung gegen England in absehbarer Zeit entscheidende Schläge geführt werden könnten. Diese Frage habe ich [...] dem zu ihrer Beantwortung meiner Ansicht nach allein berufenen und für sie verantwortlichen Mann vorgelegt, Euer Majestät Chef des Admiralstabes. Er hat sie nach reiflicher Überlegung unbedingt bejaht. Hält er an diesem Standpunkt fest, so besteht für mich kein Zweifel, daß auch ich bei meinem Vorschlage beharren muß. Hat der Chef des Admiralstabes seine Ansicht geändert, so entfallen die Vorbedingungen unter denen ich die Anwendung des Ubootkrieges empfehlen mußte. Gleichzeitig aber würde Admiral von Holtzendorff den schweren Vorwurf zu tragen haben, daß er mehr als 10 Wochen in einer für die Kriegführung entscheidenden Angelegenheit bei mir den Glauben an seine erste feierliche Stellungnahme hat bestehen lassen. Die Entscheidung über meinen Vorschlag ruht wie immer in den Händen Euer Majestät, und für mich ist klar, wie ich mich gegenüber den Befehlen meines Königs zu verhalten habe. Ich erachte es aber für meine heilige Pflicht, Ε. M. nochmals anzuflehen, daß die Entscheidung über den Ubootkrieg in keiner Weise mit dem Urteil über die Haltung des Großadmirals von Tirpitz verknüpft wird. Sollte der Ubootkrieg aus irgend welchen Gründen nicht zur Anwendung kommen, trotzdem ihn der sachverständige [...] Berater E.M. nach Pflicht und Gewissen für aussichtsvoll erklärt, so müßte ich dies als ein Unglück für Kaiser und Reich ansehen 1059 .« Doch der Generalstabschef erreichte das Gegenteil des Gewünschten. Generaladjutant v. Plessen notierte in sein Tagebuch: »[Falkenhayn richtete] an S.M. abends eine schriftliche Ausführung [...], welche damit schloß, daß S.M. bei Hinderung der radikalen Verwendung der Uboote den Krieg verlieren werde. S.M. nahmen diesen Schluß — weil durchaus auf falschen Voraussetzungen basierend — sehr übel 1060 !« Ebd., S. 144; Plessen-Tagebuch, 10.3.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 185. юз? Falkenhayn an Wilhelm II, 10.3.1916, Nr. 14 geh., pers., in: BA-MA-P, W-10/50708. Siehe auch 1057
1058
Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S.292ff.; Janßen, Kanzler, S. 196. кию Plessen-Tagebuch, 10.3.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063.
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Des Kaisers Geduld war erschöpft. Er empfand Falkenhayns Drängen als »ungezogen«1061 und war nicht gewillt, seine Entscheidung zu revidieren, bevor sich die Sachlage geändert hatte. Er gab sich aber auch Mühe, den Generalstabschef von der Richtigkeit seiner Entscheidung zu überzeugen, wie Plessens Aufzeichnungen vom 11. März belegen: »Nach dem Vortrage kamen S.M. auf die Falkenhayn'schen schriftlichen Ausführungen mit ihm zu sprechen und wiesen ihm nach, daß nicht annähernd soviel Uboote vorhanden sind, als erforderlich, um den von Falkenhayn und der öffentlichen Meinung verlangten Ubootkrieg in radikaler Form zu führen. Es blieb die Diskussion ruhig, der Gegensatz wurde aber nicht ganz beseitigt. S.M. sagten zum Schluß zu, den Bau von noch mehr Ubooten so sehr wie möglich zu beschleunigen1062.« Tirpitz wurde durch Admiral ν. Capelle ersetzt. Von dem neuen Staatssekretär des Reichsmarineamtes hatte der enttäuschte Wild einen schlechten Eindruck: »[...] wenig Vertrauen in die Wirksamkeit der U-Boote, maßloser Respekt vor England, Flauheit bis zum Äußersten1063.« Auch Falkenhayn war — nach Ansicht Wilds — von Capelle wenig begeistert. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger betrachtete Capelle die Chancen des U-BootKrieges realistisch und versuchte nicht, die geringen Zahlen tatsächlich zur Blockade verwendungsbereiter Hochsee-U-Boote zu verschleiern. Am 15. März 1916 meldete er sich im Großen Hauptquartier und erklärte dem Kaiser, vor Ende des Sommers sei die Eröffnung des rücksichtslosen U-Boot-Krieges ausgeschlossen. Treutier telegraphierte nach Berlin: »Welcher Abgrund liegt hinter uns1064!« Damit war der vom Kaiser gesetzte Termin für die Eröffnung des unbeschränkten U-Boot-Krieges — Anfang April 1916 — endgültig hinfällig geworden. Angesichts dieser Haltung Capelles und dem Eingeständnis der Marine, nicht die notwendigen U-Boote für eine Blockade zu besitzen, hätte ein Einlenken Falkenhayns auf der Hand gelegen. Doch der Generalstabschef dachte nicht daran, seine Forderung aufzugeben. Er blieb bei seiner Uberzeugung, daß der U-Boot-Krieg gewagt werden müsse. Die Haltung von Diplomatie und Kaiser schien ihm als schwächliches Zurückweichen vor einem kalkulierbaren Risiko. Der energischste Gegner des unbeschränkten UBoot-Krieges, der Gesandte Treutier, bekämpfte den »Spieler« Falkenhayn und dessen Forderungen auch beim Kaiser: »Ich sagte Seiner Majestät, die Stellung des letzteren werde immer unerklärlicher; angesichts des jetzt offen daliegenden Zahlenmaterials [über die vorhandenen U-Boote], dessen Dürftigkeit man in der Wilhelmstraße seit langem geahnt, wenn auch vielleicht in dieser verblüffenden Unzulänglichkeit nicht gewußt habe, wäre doch nur denkbar, daß der General ein anständiges Rückzugsgefecht für geboten erachte. Er behaupte immer, er vermisse bei unseren Beurteilungen das soldatische Denken, ich hatte ihm aber erwidert, das treffe auf ihn zu, denn für jede militärische Beurteilung über die Anwendung eines Kriegsmittels müsse der Einfluß auf den endgültigen Sieg die einzige Richtschnur sein. Der Kaiser erklärte, dies sei auch seine An1061 Müller, Regierte der Kaiser, S. 164f. (Tagebucheintrag vom 10.3.1916). 1062 Plessen-Tagebuch, 11.3.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063. 1063 Wild 1064
v o n
Hohenborn, Briefe, S. 144 (Tagebucheintrag vom 15.3.1916).
Janßen, Exzellenz, S. 206.
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sieht, und Er habe dem General erklärt, er werde sich an diesem Grundsatz nicht irre machen lassen1065.« Es gelang Bethmann Hollweg und Helfferich zusammen mit dem neuen Staatssekretär Capelle, den Bundesrat und auch den Reichstag davon zu überzeugen, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Chancen des unbeschränkten U-Boot-Krieges die Gefahren eines Krieges mit Amerika nicht aufwiegen konnten. Als die Frage somit schon entschieden schien, wurde ihre starke Position plötzlich durch neue Komplikationen, die der verschärfte U-Boot-Krieg hervorrief, wieder erschüttert. Am 24. März 1916 wurde der französische Dampfer »Sussex« von einem deutschen U-Boot torpediert; obwohl das Schiff noch in den Hafen geschleppt werden konnte, verloren 80 Passagiere ihr Leben, darunter drei Amerikaner. Die Empörung in den USA war groß. Präsident Wilson und seine Ratgeber glaubten, die deutsche Regierung habe ohne vorherige Ankündigung den unbeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufgenommen, und überlegten, ob die neuen Versenkungen den Abbruch der diplomatischen Beziehungen erforderlich machten1066. Zunächst wurde der Vorfall von verschiedenen Gremien untersucht. Schon sehr bald bestand Klarheit darüber, daß das deutsche U-Boot die unbewaffnete »Sussex« mit einem Minenleger verwechselt und versehentlich torpediert hatte. Schwere diplomatische Auseinandersetzungen mit den USA waren jetzt zu befürchten. Falkenhayn hatte trotz der kaiserlichen Absage vom 10. März auch weiterhin versucht, Wilhelm II. wieder umzustimmen. Er konnte darauf verweisen, daß der Kronrat vom 4. März die Entscheidung für den U-Boot-Krieg auf Anfang April verlegt hatte und die Diplomaten inzwischen die Aktion politisch vorbereiten sollten. Die Versenkung der »Sussex« und die sicher zu erwartenden neuen Spannungen mit Amerika stärkten seine Position. Wilhelm II. begann unter dem Druck der Verhältnisse trotz seiner bisherigen klaren Ablehnung des U-Boot-Krieges in seiner Haltung unsicher zu werden. Anfang April 1916 ließ er dem Kanzler mitteilen, daß er dem Auswärtigen Amt eine bestimmte Frist gesetzt habe, um den unbeschränkten U-Boot-Krieg diplomatisch vorzubereiten. Der Reichskanzler könne jetzt nicht die Entscheidung »ad calendas graecas« verschieben und solle in absehbarer Zeit, im Mai oder im Juni, einen abschließenden Bericht vorlegen1067. Falkenhayn versuchte auch die Diplomaten von seinen Ansichten zu überzeugen. Der Gesandte Treutier berichtete dem Reichskanzler am 14. April 1916, daß Falkenhayn in einem Gespräch den momentanen Zustand des U-Boot-Krieges als unhaltbar und unsinnig bezeichnet habe. Der Generalstabschef meinte, daß »die jetzigen Resultate [••·] es als wahrscheinlich erkennen [ließen], daß der rücksichtslose Ubootkrieg das acht- bis zehnfache leisten würde, und er glaube und fühle als gewiß, daß England dann in drei Monaten zum Frieden bereit sein würde. [...] Bei allen anderen Deduktionen kam er immer wieder auf sein sicheres Gefühl, daß England nachgibt und daß Amerika nicht eingreift. Dagegen ist nichts zu machen. Ich [Treutier] sagte ihm aber, daß Euer Exzellenz gegenteilige Ansicht Ebd., S. 207. Siehe Ritter, Staatskunst III, S. 209. 1067 Treutier an Bethmann Hollweg, 4 . 4 . 1 9 1 6 ; Auszüge in: Janßen, Kanzler, S. 198. 1065
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nicht nur Gefühl sei, sondern sich auf sehr starke Argumente stütze.« Falkenhayn meinte ferner, daß Amerika wahrscheinlich nur die diplomatischen Beziehungen abbrechen würde, »und dann könne man im schlimmsten Falle immer noch abstoppen«1068. In diesen Diskussionen mit Treutier entlarvte sich der »Ideologe« Falkenhayn, der durch rationale Argumente nicht von seinen vorgefaßten Ansichten über England abzubringen war. Dem Gesandten Treutier und dem Reichskanzler mit »sicheren Gefühlen« aufzuwarten, war aber doch zu dürftig. Mit so schwacher Argumentation konnte er die Widerstände Treutiers und Bethmann Hollwegs nicht überwinden. Deren Position wurde jedoch am 20. April durch die Ubergabe einer amerikanischen Note, die sich mit der Versenkung der »Sussex« beschäftigte, schwer erschüttert. Marinekabinettschef Admiral ν. Müller notierte in sein Tagebuch: »Ankunft der amerikanischen, einem Ultimatum verzweifelt ähnlichen Note, die sich um die, allerdings bedauerliche, Torpedierung der >Sussex< herum bewegte1069.« Wilson drohte mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen, wenn Deutschland seine völkerrechtswidrige Seekriegführung nicht sofort wieder aufgeben sollte. Falkenhayn nutzte die Beratungen über die Wilson-Note, um dem Reichskanzler einen Kompromiß in der Frage des U-Boot-Krieges vorzuschlagen. Bethmann berichtete am 22. April 1916 an das Auswärtige Amt: »General v. Falkenhayn, der den Bruch mit Amerika im Grunde genommen doch vermeiden will, hält ihn für unausweichlich, wenn U-Boots-Krieg in [den] jetzigen Formen fortgeführt wird.« Der Generalstabschef schlug als Alternative vor, daß das Deutsche Reich die Londoner Seerechtsdeklaration anerkennen solle, wenn England das gleiche täte. Das amerikanische Verlangen nach einseitiger Wiederherstellung des Völkerrechts im Seekrieg — Deutschland solle auf den völkerrechtswidrigen U-Boot-Krieg verzichten, während England seine ebenfalls völkerrechtswidrige Blockade aufrechterhalten dürfe — sei jedoch eine Zumutung, die ein »Großstaat« wie Deutschland nicht hinnehmen könne. Die Diplomatie solle den USA mit einer Ausweitung des — völkerrechtlich erlaubten — Minenkrieges drohen, um deren Einverständnis zu erlangen, daß amerikanische Passagiere künftig nur noch »auf bestimmt gekennzeichneten Schiffen nach bestimmten von uns alsdann nicht zu verseuchenden Häfen die Kriegszone passieren« sollten1070. Zwar hätte eine solche Regelung tatsächlich die ungefährdete Passage amerikanischer Staatsbürger nach Europa gewährleisten können. Auf ein amerikanisches Entgegenkommen war in dieser Frage jedoch nicht zu rechnen. Zu sehr hatte sich Wilson in den »Lusitania«-Noten auf die »Freiheit der Meere« festgelegt — auf die Behauptung des Rechtes, daß neutrale Staatsbürger zur See ohne Einschränkungen überallhin reisen dürften, ohne durch Kampfhandlungen gefährdet zu werden. Bethmann Hollweg beriet sich in Berlin auch mit den Vertretern der Marine. Holtzendorff und Capelle zeigten sich einsichtig. Wegen »einiger hunderttausend Tonnen feindlicher 1068 Treutier an Bethmann Hollweg, 14.4.1916, in: PA-AA, Weltkrieg 18 geheim, Bd 5. Siehe Riezler, Tagebücher, S. 347, Anm. 5; Janßen, Kanzler, S. 199. 1069 Müller, Regierte der Kaiser, S. 170 (Tagebucheintrag vom 21.4.1916). Dieser Eintrag erfolgte einen Tag nach Ubergabe der Note! 1070
Bethmann Hollweg an Auswärtiges Amt, 22.4.1916, in: PA-AA, Weltkrieg 18 geheim, Bd 5, AS 1408.
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Handelstonnage« wollten sie nicht den Krieg mit Amerika riskieren1071. Daher konnte der Kanzler erreichen, daß am 24. April 1916 der verschärfte U-Boot-Krieg eingestellt und der Handelskrieg nur noch nach Prisenordnung geführt wurde. Damit hatte der U-BootKrieg ein wesentliches Element seiner Wirksamkeit verloren. Flottenchef Admiral Scheer ließ ihn am 27. April sogar ganz einstellen, da die Annäherung der U-Boote über Wasser an möglicherweise bewaffnete Handelsschiffe mit zu großen Risiken verbunden war. Bethmann Hollweg verfaßte einen Entwurf für die Antwortnote an Wilson. Auf den verschärften U-Boot-Krieg sollte zunächst verzichtet werden, dafür verlangte der Reichskanzler von den USA, für die Aufhebung der völkerrechtswidrigen englischen Blockade zu sorgen. Im Großen Hauptquartier wurde Ende April 1916 über die amerikanische Note zum U-Boot-Krieg und die deutsche Antwort erregt diskutiert. Am 26. April berieten der Reichskanzler, der Generalstabschef und der Admiralstabschef die Form des künftigen Handelskrieges mit U-Booten. Das erhaltene Gesprächsprotokoll dokumentiert, daß sich die Ansichten Falkenhayns und Bethmanns nicht mehr bewegten und keiner von ihnen den Argumenten des anderen mehr zugänglich war. Anders dagegen Holtzendorff, der sich sehr wohl imstande zeigte, seine Ansichten in staunenswerter Geschwindigkeit dem Gesprächsverlauf anzupassen 1072 . Der Reichskanzler bekräftigte eingangs erneut seine Ansicht, daß der Bruch mit Amerika den »Verlust des ganzen Krieges für Deutschland« bedeuten würde. Es gebe Anzeichen, daß sogar die südamerikanischen Staaten dem Beispiel der USA folgen würden. Die Zuversicht bei den Gegnern, zum Beispiel in Frankreich, nehme schon jetzt »in Hinblick auf den erwarteten Bruch mit Amerika« zu. Und der diplomatische Bruch würde auch den Kriegseintritt nach sich ziehen. Der einzige Weg, diesen Bruch zu vermeiden, sei eine Konzession in der Frage des U-Boot-Krieges. Falkenhayn sprach dagegen und verlangte, »Klarheit in unsere Beziehungen zu Amerika zu bringen, da sonst sehr bald neue Zwischenfälle uns vor dieselbe Situation stellen würden und der Bruch mit Amerika dann doch eintreten werde. Er sieht eine Möglichkeit, solche Zwischenfälle zu vermeiden, nur in einer Vereinbarung mit der Regierung der Vereinigten Staaten, die uns den rücksichtslosen U-Bootkrieg gegen Schiffe aller Nationen im englischen Kriegsgebiet gestattet, der neutralen Schiffahrt aber bestimmte Schiffahrtswege offen halten würde. Entweder Amerika wolle den Krieg, dann seien alle Angebote zwecklos, oder es wolle den Krieg nicht, dannn werde es sich auch auf ein solches Abkommen einlassen. Deutschland dürfe die einzige Waffe, die es besitze, um England zu besiegen, nicht aus der Hand geben, da es sonst den Krieg nicht gewinnen könne.« Bethmann Hollweg wandte dagegen ein, daß er »den Verlust des Krieges gerade von dem Zutritt Amerikas zu unseren Gegnern befürchte. Der von General von Falkenhayn vorgeschlagene modus procedendi werde ganz zweifellos zum Bruch mit den Vereinigten Staaten führen, da die amerikanische Regierung es bereits wiederholt abgelehnt habe, auf ein Abkommen, wie er es im Auge habe, einzugehen.« 1071 1072
Ritter, Staatskunst III, S. 210. Gesprächsprotokoll der Besprechung vom 26.4.1916, in: PA-AA, Weltkrieg 18 geheim, B d 5 .
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Falkenhayn bekräftigte, daß auch er den Bruch mit den Vereinigten Staaten vermeiden wolle und jeden Aufschub als Gewinn ansehe, aber doch an seiner Ansicht festhalten müsse. Er befürchte, falls Amerika in der U-Boot-Frage nachgegeben werde, würden sich die USA demnächst auch gegen den Minenkrieg wenden, sobald diesem amerikanische Staatsbürger zum Opfer fielen. Diese Gefahr bestünde bei seinem Vorschlag nicht. Holtzendorff widersprach dem Generalstabschef. Es sei wenig wahrscheinlich, daß die Amerikaner plötzlich, nach fast zweijähriger Kriegsdauer, Einwände gegen den Minenkrieg erheben würden, über den sie sich bisher noch nie beschwert hätten. Anschließend wurde Bethmanns Entwurf der Antwortnote an Amerika verlesen. Er wollte auf den unbeschränkten U-Boot-Krieg verzichten und zu den Regeln des Kreuzerkrieges zurückkehren unter der Bedingung, daß Amerika sich für die Lockerung der englischen Blockade einsetze. Falkenhayn protestierte: Der Kreuzerkrieg könne England nicht so empfindlich treffen, »daß dort Kriegsmüdigkeit eintreten werde«. Bethmann entgegnete, daß die Versenkung von zwei Millionen Tonnen englischen Schiffraums durch den Kreuzerkrieg bei andauernder Neutralität Amerikas besser geeignet sei, die Kriegsmüdigkeit in England zu fördern. Hingegen werde »die Verminderung der englischen Tonnage um vier Millionen Tonnen im rücksichtlosen U-Bootkriege in Verbindung mit dem Beitritt der Vereinigten Staaten zur Entente, [···] England nicht zum Frieden zwingen, wohl aber es ermutigen, im Vertrauen auf die amerikanische Unterstützung den Krieg weiter fortzusetzen« 1073 . Falkenhayns Verdacht, der Reichskanzler hoffe immer noch auf den Ausgleich mit England und unterschätze dessen »Vernichtungswillen«, mußte durch solche Argumente neue Nahrung erhalten. England zu schonen, wie es der Kanzler hier vorschlug, war in seinen Augen ein Fehler, der den Frieden unwahrscheinlicher statt wahrscheinlicher machte. Bethmanns Hauptargument — die Wahrscheinlichkeit eines Bruches mit Amerika, wenn Deutschland nicht zum Kreuzerkrieg zurückkehre — hatte bei Admiralstabschef Holtzendorff einen Sinneswandel herbeigeführt. Sein Urteil bekam entscheidendes Gewicht. Das Protokoll hält fest: »Admiral von Holtzendorff ist der Ansicht, daß der U-Bootkrieg als Kreuzerkrieg, wenn auch geringere, so doch in Verbindung mit dem Minenkrieg recht günstige Ergebnisse haben werde, wenn die U-Boote, wie dies beabsichtigt sei, in Zukunft in größerer Entfernung von der Küste operierten. Gerade die Führung des U-Bootkrieges als reiner Kreuzerkrieg werde die von General von Falkenhayn gewünschte Klarheit [im Verhältnis zu Amerika] bringen.« Mit diesem Urteil des Admirals, dem Falkenhayn bisher immer den Rang des »allein zuständigen Sachkenners« zugebilligt hatte, war seiner Argumentation für den unbe1073
Janßen, Kanzler, S. 200, leuchtet dieses Argument Bethmann Hollwegs nicht ein, er bezeichnet es »als etwas rabulistische Logik«, warum England nach dem Verlust von zwei Millionen Tonnen kriegsmüde sein werde, nach dem Verlust von vier Millionen Tonnen den Krieg im Vertrauen auf Amerika weiter fortsetzen wolle. Janßen beachtet jedoch die Bedingung Bethmanns für die englische Kriegsmüdigkeit nach der Versenkung von zwei Millionen Tonnen nicht: die fortdauernde Neutralität Amerikas. Mit dieser Einschränkung versehen, besitzt der Gedankengang eine innere Logik, selbst dann, wenn man ihm insgesamt die Richtigkeit absprechen möchte.
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schränkten U-Boot-Krieg im Kriegsgebiet um England der Boden entzogen, wie er selbst auch merkte. Sein nächster Einwand war deshalb auch eines jener zur Phrase erstarrten Argumente, derer sich Deutschlands Militärs dann bedienten, wenn ihnen nichts Überzeugenderes mehr einfiel: Er verwies auf die »verhängnisvolle Wirkung unserer Nachgiebigkeit bei unseren Feinden, unseren Bundesgenossen und im Innern«. Doch auch dieser Einwand wurde von Bethmann souverän entwertet. Das feindliche Ausland warte doch nur auf den Bruch mit Amerika, die Österreicher hätten die schlimmsten Befürchtungen wegen möglicher Verwicklungen mit den Vereinigten Staaten — er verlas einen diesbezüglichen Brief des k.u.k. Außenministers Burian —, und im Innern werde die Zensur und das koordinierte Vorgehen der amtlichen Stellen einer »allzutief gehenden Mißstimmung« vorbeugen. Der Vortrag beim Kaiser sollte nach Eintreffen genauerer Informationen des deutschen Botschafters über die Haltung der amerikanischen Regierung stattfinden. Diese Konferenz wird in der Forschung zu Recht als Erfolg Bethmanns gewertet1074. Er hatte die besseren Argumente auf seiner Seite, was nicht zuletzt durch die Tatsache dokumentiert wurde, daß Holtzendorff sich seiner Auffassung angeschlossen hatte. Es war dem Reichskanzler gelungen, die Einheit von Heer und Marine zu sprengen und Falkenhayn zu isolieren. Der Generalstabschef stand mit seinem Wunsch nach dem U-BootKrieg allein da — assistiert nur von General Wild, der jedoch als preußischer Kriegsminister in der Frage des U-Boot-Krieges keine ressortmäßige Kompetenz und somit auch kein Mitspracherecht beanspruchen konnte. Es wäre für Falkenhayn klüger gewesen, sich mit diesem Ergebnis zufriedenzugeben. Er war jedoch in die Ansicht verrannt, daß England selbst angegriffen werden müsse, um friedensbereit gemacht zu werden. Die objektive Unmöglichkeit dieses Vorhabens und die katastrophalen politischen Folgen sah er nicht ein. Zu Recht bezeichnete Kanzlersekretär Riezler den Generalstabschef am 29. April 1916 als »ganz intransigent. Will rücksichtslosen Ubootkrieg, behauptet sonst nicht siegen zu können, sonst Erschöpfungskrieg sicher. Glaubt Angaben der Marine 1075 .« Als am 27. April — einen Tag nach der Konferenz — Admiral Scheer, der Chef der Hochseeflotte, den U-Boot-Krieg nach Prisenordnung einstellen ließ, weil infolge der Bewaffnung englischer Handelsschiffe das Risiko beim Überwasserangriff für Besatzungen und Boote zu groß war, entstand neuer Druck auf den Reichskanzler, den Falkenhayn für einen weiteren Anlauf ausnutzen wollte. Zunächst holte er neue Auskunft bei Holtzendorff ein: »Halten Eure Exzellenz Ansicht aufrecht, daß nur dann ausreichende Erfolge Ubootskriegs gegen England bis Jahreswende 1916/17 zu hoffen, wenn rücksichtslos? Ist Zahl und Leistungsfähigkeit [der U-Boote] so groß, daß [der Erfolg sicher ist?]« Darauf antwortete der Admiralstabschef am selben Tag: »Ausreichende Erfolge des U-Bootkrieges gegen England [sind] nur zu erhoffen, wenn wir 6—8 Monate den rücksichtslosen U-Bootkrieg in den Gewässern um England führen. Unsere U-Boote reichen nach Zahl und Leistungsfähigkeit heute schon aus [...]1076.« Zur Bewertung der Konferenz siehe: Birnbaum, Peace moves, S. 79ff.; Janßen, Kanzler, S. 200f.; Ritter, Staatskunst III, S. 210. 1075 Riezler, Tagebücher, S. 350 (Eintrag vom 29.4.1916). 1076 Tirpitz, Dokumente: Ohnmachtspolitik, S. 529. 1074
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Holtzendorffs Haltung ist schwer zu erklären. Aufgrund der Quellen kann kaum entschieden werden, was der Admiral wirklich wollte. Vielleicht beabsichtigte er, wie Janßen meint, eine feine Intrige zugunsten des U-Boot-Krieges1077 und wollte mit mehr Raffinesse als Falkenhayn den Kanzler überspielen, indem er nach der Einstellung des U-BootKrieges einige Zeit wartete und darauf vertraute, daß das Ausbleiben spektakulärer Versenkungsziffern die öffentliche Agitation erneut anfachen würde. In der Zwischenzeit könnte die Diplomatie Maßnahmen treffen, um den Bruch mit Amerika zu vermeiden. Ein solches Vorhaben kann jedoch den raschen Meinungswechsel Holtzendorffs nicht erklären. Wahrscheinlich stand der Admiral genau zwischen den Fronten, hielt zwar den durchschlagenden Erfolg des unbeschränkten U-Boot-Krieges gegen England für sicher, aber nur dann, wenn die USA neutral blieben. Das Risiko eines amerikanischen Kriegseintritts scheute er. Da Falkenhayn ihm immer wieder versicherte, daß Amerika auch bei Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges neutral bleiben werde, konnte er dessen Frage, ob England durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg niedergerungen werden könne, mit ruhigem Gewissen bejahen. Falkenhayn allein konnte den unbeschränkten U-Boot-Krieg nicht beschließen, weshalb eine Auskunft an den Generalstabschef noch nicht endgültig verbindlich zu sein brauchte. In den Entscheidungsgremien, wenn dem Gewinn durch den U-Boot-Krieg die Gefahren durch den möglichen Kriegseintritt Amerikas gegenübergestellt wurden, gab er einer abwartenden Haltung den Vorzug. Holtzendorffs schwankende Haltung war wesentlich dafür verantwortlich, daß Falkenhayn den U-Boot-Krieg weiterhin mit ganzer Energie durchzusetzen versuchte. Der Admiral war allerdings in dieser Frage ein höchst unsicherer Bundesgenosse, wie Kriegsminister Wild in diesen Tagen erkannte. Er stellte am 29. April 1916 mit Befriedigung fest, daß Falkenhayn, dem er bisher immer leichte Skepsis gegen den U-Boot-Krieg unterstellt hatte, jetzt »in der Sache fest« sei, merkte aber besorgt an: »[...] die beiden Wassermenschen (Holtzendorff und Capelle) sind und bleiben schwankende Gestaltem1078.« Nachdem er sich zunächst wieder die Unterstützung des wankelmütigen Holtzendorffs gesichert hatte, versuchte Falkenhayn nun, den Widerstand des Reichskanzlers durch ein neues Argument — eine neue und verblüffende Variante der Erschöpfungstheorie — zu brechen. Er stellte einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem unbeschränkten U-Boot-Krieg gegen England und dem Unternehmen bei Verdun gegen Frankreich her. Sein Kriegsplan für 1916 habe die gleichmäßige Schwächung beider Westgegner vorgesehen, um den ihnen unterstellten Vernichtungswillen zu brechen. Frankreich solle auch dadurch entmutigt werden, daß von England aufgrund weitgehender Schwächung durch den U-Boot-Krieg keine Hilfe mehr zu erwarten sei. Da jetzt der Handelskrieg mit UBooten ganz zum Erliegen gekommen sei, bleibe England gegenüber alles beim alten. Damit sei jedoch zu befürchten, daß der Krieg sich noch länger hinziehen werde. Einen solch großen Verlust an Soldaten, Munition und Material aller Art wie vor Verdun könne sich Deutschland nur für eine Operation leisten, mit der eine entscheidende Schwächung Frankreichs zu erreichen sei. Janßen, Kanzler, S.200f. 1078 wild von Hohenborn, Briefe, S. 147 (Tagebucheintrag vom 29.4.1916). 1077
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Auf diese spekulierte Falkenhayn trotz des schleppenden Verlaufs der Kämpfe vor Verdun immer noch. Die bisherige Widerstandskraft der Franzosen führte der Generalstabschef darauf zurück, daß ihnen nicht die Hoffnung auf englische Hilfe genommen worden sei. Solange der unbeschränkte U-Boot-Krieg nicht angewandt werde, sei auf den psychologischen Zusammenbruch der Franzosen nicht zu rechnen. Diesen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem U-Boot-Krieg und Verdun hatte Falkenhayn erst nach über zwei Monaten hergestellt, was natürlich einige Rätsel aufgibt. Die Lösung liegt wahrscheinlich in dem Stocken der Operationen vor Verdun, die im April einen bisherigen Tiefstand erreichten. Aus den unvorhergesehenen Störungen seiner Strategie wollte der Generalstabschef jetzt die Folgerungen ziehen. Einen Tag, nachdem Admiral Scheer den U-Boot-Krieg hatte einstellen lassen, beschied er dem Reichskanzler: »Rückkehr zum Kreuzerkrieg bedeutet endgültige Aufgabe U-Boot-Kriegs. Folge davon Verzicht auf Bestimmung Englands zum Einlenken und in weiterer Folge Erschöpfungskrieg. Er sei alsdann gezwungen, bisherige Methoden der Kriegführung, insonderheit gegen Frankreich, aufzugeben, müsse Mannschaften und Munition aufs äußerste sparen und sich auf untätige Defensive beschränken. In solchem Erschöpfungskrieg würden wir unterliegen, da uns, selbst wenn wir mit Lebensmitteln auskämen, Rohstoffe für Munition und Waffen ausgehen würden. Verständigung mit Amerika und daraus bestenfalls folgende Rückkehr Englands zu Londoner Erklärung würde uns vielleicht geringes Quantum an Lebensmitteln zuführen, die jedoch nicht absolutes Bedürfnis darstellten, dagegen würde uns alle Zufuhr von den für Munitions- und Waffenerzeugung erforderlichen Rohstoffen, weil unter allen Umständen Bannware, verschlossen sein1079.« Dieser Vorstoß überrumpelte den Reichskanzler, der zum Ausgleich für den Verzicht auf den U-Boot-Krieg auf amerikanische Schritten zur Lockerung der englischen Blockade hoffte. Auch Falkenhayn hatte darin noch wenige Tage zuvor einen erstrebenswerten Kompromiß gesehen. Jetzt stellte er diesen Vorteil jedoch als zweitrangig hin: Er würde Deutschland in seiner aussichtslosen Position nichts nützen. Diese plötzliche Drehung Falkenhayns hatte taktische Gründe und war durch den Wunsch bestimmt, den U-BootKrieg endgültig durchzusetzen. Daß der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem UBoot-Krieg und Verdun von ihm übertrieben worden war, sollte später noch deutlich werden1080. Der Kanzler war durch diese Eröffnungen vollkommen überrascht und offenbar nicht in der Lage, aus dem Stand eine passende Antwort zu finden. Falkenhayn hatte sein wichtigstes Argument — daß der Krieg mit Amerika Deutschlands sichere Niederlage zur Folge haben werde — ausgehebelt: Schon jetzt, nicht erst nach dem Kriegseintritt Amerikas, stecke Deutschland in einem Erschöpfungskrieg, den es verlieren müsse, wenn England nicht zum Einlenken gezwungen werde. Im übrigen behauptete der General erneut, daß »bei Angebot gesicherter Durchfahrt durch Kriegszone, in der im 1079
1080
Bethmann Hollweg an Auswärtiges Amt, 28.4.1916, in: PA-AA, Weltkrieg 18 geheim, B d 5 , AS 1498. Siehe Kap. V, 20.
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übrigen rücksichtsloser U-Bootkrieg zu führen sei, Bruch [mit Amerika] nicht eintreten werde«. Bethmann bat das Auswärtige Amt dringend um Argumentationshilfen: Welche konkreten Vorteile hätte Deutschland im Hinblick auf die Einfuhr von Rohstoffen, wenn England zur Londoner Erklärung zurückkehren würde? Der Reichskanzler wurde aus mehreren Gründen sehr nervös. Er war von Falkenhayns Ausführungen absolut nicht überzeugt worden, mußte jedoch befürchten, daß der Kaiser dieser glatten Argumentation erliegen und den U-Boot-Krieg beschließen würde. Das hätte sofortige irreparable Auswirkungen haben können. Der amerikanische Botschafter Gerard befand sich zu Besuch im Großen Hauptquartier. Sollte der Kaiser sich spontan von Falkenhayn zum unbeschränkten U-Boot-Krieg überreden lassen, dann wäre diesmal nicht mehr die Zeit, ihn wieder umzustimmen. Außerdem befürchtete er, daß Falkenhayn ihm bei dieser Gelegenheit die Verantwortung für den Abbruch des — in letzter Zeit nur schleppend verlaufenden — Angriffs bei Verdun aufladen wolle. Er hielt Falkenhayn für so wenig vertrauenswürdig, daß er ihm statt sachlicher, vielleicht falscher Erwägungen lieber ein hinterhältiges persönliches Motiv unterstellte. Was Bethmann Hollweg befürchtete, trat ein: Es gelang Falkenhayn, den Kaiser von seiner Ansicht zu überzeugen. Kanzlersekretär Riezler notierte am 30. April in sein Tagebuch: »Heute sehr kritisches Stadium. Der Kaiser hat gestern ohne Zweifel mit Falkenhayn über alles gesprochen. [...] Falkenhayn, als er sah, daß [...] er mit seinen Argumenten nicht durchkam, hat den stärksten Trumpf ausgespielt und gesagt, er müsse sich dann auf den Erschöpfungskrieg einrichten und Verdun aufgeben. Das war gestern abend, wo, was sonst nie geschieht, der Kaiser zwei Stunden mit Falkenhayn sprach. Er sagte indes zum Kanzler nichts darüber, [...] daß er mit Falkenhayn gesprochen hatte — sagte nur verbotenus dasselbe wie Falkenhayn die Wahl wäre zwischen U-Boot-Krieg und Verdun und Aufgabe von beiden. Was will Falkenhayn? Entweder die Verantwortung für Verdun bei der Gelegenheit loswerden oder aber den Kanzler stürzen und als Spieler den rücksichtslosen U-Boot-Krieg machen, geht das, so ist er der große Mann, der durch Wagemut Deutschland zur Weltherrschaft geführt hat, geht es nicht so geht die Schuld auf die Marine die sich für den Erfolg des U-Boot-Krieges verbürgt hat und auf die er sich schon jetzt als die zuständige Stelle unter Ablehnung jeder Nachprüfung beruft. Durch diese Haltung des Generalstabschefs, insbesondere den True von Verdun natürlich Kaiser sehr beeindruckt. [...] Auch Kanzler durch den Versuch ihm auch für die Aufgabe Verduns Verantwortung aufzuschieben, innerlich mitgenommen 1081 .«
1081
Riezler, Tagebücher, S. 351 f. (Eintrag vom 30.4.1916). Ähnlich ein Gespiächsprotokoll Bethmanns, das beweist, wie exakt Riezler die Gedankengänge des Kanzlers in seinem Tagebuch wiedergab: »Im heutigen Gespräch unter vier Augen entwickelte Seine Majestät folgenden Standpunkt: Operation bei Verdun sei vorbereitet und werde ausgeführt nur unter nachdrücklicher Voraussetzung, daß England gleichzeitig durch U-Bootskrieg so geschwächt werde, daß Frankreich Hoffnung auf Rettung durch England aufgeben müsse. Wenn U-Bootskrieg wegfalle — und das bedeute Rückkehr zu Kreuzerkrieg — wäre Fortsetzung der Operation Verdun zwecklos, weil dann auch umfangreichste Menschenschwächung Frankreich nicht zum Zusammenbruch bringen könne. In dem dann bevorstehenden Erschöpfungskrieg könnten wir uns weitere Aufopferung eigenen Menschenmate-
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Es ist unwahrscheinlich, daß Falkenhayn mehr wollte als die Durchsetzung des unbeschränkten U-Boot-Krieges um jeden Preis. Der an ihn gerichtete Vorwurf, er wolle den Politikern die Verantwortung für ein gescheitertes militärisches Unternehmen aufbürden, war keineswegs neu. Schon im November 1914 hatte Bethmann Hollweg angenommen, Falkenhayn wolle die Verantwortung für die fehlgegangenen Operationen in Flandern und den wahrscheinlich enttäuschenden Ausgang des Krieges auf ihn abwälzen. Staatssekretär v. Jagow gab Bethmann noch am selben Tag telegrafische Ratschläge, wie er sich gegen die Schachzüge Falkenhayns zur Wehr setzen könne. Er empfahl dem Reichskanzler, vom Generalstabschef zu verlangen, im Falle der Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Krieges die Einnahme von Verdun innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu garantieren. Jagow schrieb: »Möchte annehmen, daß F. dann schwankend wird. Denke mir dies natürlich nur als taktisches Manöver. F. will Euerer Exzellenz offenbar Verantwortung für Aufgabe von Verdun zuschieben, wo er am Erfolg zu zweifeln beginnt.« Ganz wohl war Jagow bei diesem Vorschlag offenbar nicht. Denn, wenn Falkenhayn wider Erwarten den Erfolg vor Verdun garantieren würde, dann könnte ihm der U-Boot-Krieg nur noch sehr schwer verweigert werden1082. Deshalb empfahl Jagow in einem weiteren Telegramm, Bethmann solle verlangen, daß »über diese wichtigste militärische Frage auch Oberkommando Ost gehört und Hindenburg zum Vortrag gerufen wird, der nun einmal das volle Vertrauen des Deutschen Volkes besäße. Von verständiger Seite ist mir in den letzten Tagen wiederholt [worden], daß jede Entscheidung, die durch H.'s Namen gedeckt wäre, von allen Seiten ruhig hingenommen würde. Es wäre auch eine Entlastung für S.M.1083«. Zunächst bat der Reichskanzler Falkenhayn um eine schriftliche Stellungnahme darüber, wie der Krieg an der Westfront nach Fortfall des U-Boot-Krieges gegen England geführt werden müsse. Falkenhayn antwortete am 30. April, »daß wir dann, mit Rücksicht auf die Ersatzmöglichkeiten an Personal, Material (Gerät) und Munition (Kriegsrohstoffen), im Großen zur defensiven Haltung übergehen müssen, woraus selbstverständlich eine entsprechende Einschränkung der im Gange befindlichen Operationen im Maas-Gebiet bedingt sein würde1084.« Eine erneute Drehung des ständig schwankenden Admiralstabschefs änderte jedoch erneut die Situation, noch bevor Bethmanns Maßnahmen hätten greifen können. Holtzendorff hatte Unterlagen zusammengestellt, die Marinekabinettschef v. Müller am Abend des rials nicht mehr leisten, müßten Verdun aufgeben und uns an allen Fronten auf passive Defensive beschränken. Das bedeute Verlust des Krieges. Durch Erfolge U-Bootskriegs im März April sei entgegen allerhöchster Uberzeugung [von] Anfang März Beweis erbracht, daß wir durch U-Bootskrieg England zum Frieden bringen könnten. Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Amerika bringe uns nichts positives, beraube uns aber einzigsten Mittels Krieg zu gewinnen. Dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen werde übrigens Krieg nicht folgen.« Bethmann Hollweg an Auswärtiges Amt, 3 0 . 4 . 1 9 1 6 , in: PA-AA, Weltkrieg 18 geheim, B d 5 , A S 1513. 1082 1083 1084
Jagow an Bethmann Hollweg, 3 0 . 4 . 1 9 1 6 , ebd., A S 1513, II. Jagow an Bethmann Hollweg, 3 0 . 4 . 1 9 1 6 , ebd., A S 1513, III. Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 3 0 . 4 . 1 9 1 6 , ebd., A S 1515.
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30. April in einem Immediatvortrag vor dem Kaiser verwendete. Der Admiralstabschef vertrat nun die Ansicht, daß der unbeschränkte U-Boot-Krieg England nur dann friedensreif machen könne, wenn es nicht neue Bundesgenossen erhalte. Der amerikanische Kriegseintritt würde England so sehr erstarken lassen, daß Holtzendorff wegen des Risikos eines dann drohenden Erschöpfungskrieges den U-Boot-Krieg zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfehlen könne. Wilhelm Π. war nach dem Vortrag sichtlich erleichtert, das Risiko eines Kriegseintritts Amerikas nicht eingehen zu müssen, und entschied erneut gegen den U-Boot-Krieg 1085 . Holtzendorffs Entscheidung war sachlich zweifellos richtig. Die Frage ist aber, warum er drei Tage zuvor Falkenhayn die irreführenden Auskünfte gegeben hatte, statt ihn zu bremsen. Auch hätte er bereits lange zuvor durch eine klare Stellungnahme, wie er sie jetzt im Immediatvortrag durch Müller abgegeben hatte, den in seine Kompetenz fallenden Entscheidungsvorgang erheblich verkürzen können. Da Bethmann Hollweg nicht wissen konnte, wie sich der Kaiser entscheiden würde — schließlich hatte Wilhelm II. sich am 30. April vollkommen einverstanden mit Falkenhayn gezeigt —, war er am Morgen des 1. Mai 1916 derart fahrig und aufgeregt, daß Zivilkabinettschef v. Valentini ernstlich daran dachte, dem Kaiser einen Kanzlerwechsel vorzuschlagen: Bethmann solle durch — Falkenhayn ersetzt werden1086! Doch der Kaiser stimmte seinem Entwurf der Antwortnote an Amerika zu, der U-Boot-Krieg wurde nur noch nach Prisenordnung geführt, dafür versprach der amerikanische Botschafter, die Vereinigten Staaten würden sich um den Abbau der englischen Handelsschikanen bemühen. Sollten sie damit keinen Erfolg haben, behielt sich Deutschland in der Note die Freiheit des Handelns vor 1087 . Der Kaiser entschied sich gegen den U-Boot-Krieg, ohne noch einmal eine Konferenz einzuberufen und Bethmann, Falkenhayn und Holtzendorff gemeinsam zu befragen. Der Standpunkt der Herren sei ihm hinreichend bekannt, meinte Wilhelm II., er könne auf den Vortrag verzichten. Der Reichskanzler teilte Falkenhayn die Entscheidung des Kaisers in einem Brief mit. Der General fühlte sich übergangen. Noch am Abend des 1. Mai bat er Wild zu sich, um diesem die Angelegenheit zu schildern und den Brief des Kanzlers vorzulesen. Am nächsten Tag — dem 2. Mai — reichte Falkenhayn ein Abschiedsgesuch ein, in dem er ausführte, »daß er als Generalstabschef bei der militärischen Wichtigkeit der Sache eine intensivere und ausreichende Beteiligung durch den Reichskanzler verlangen könne, daß es ihm nicht möglich sei, mit dem Kanzler weiter zu arbeiten, und daß er bäte, ihn von seinem Amt zu entheben und in der Front zu verwenden«1088. Bethmann Hollweg und das Auswärtige Amt wären sicherlich froh gewesen, wenn Falkenhayn ebenso wie vor ihm Tirpitz seinen Abschied erhalten hätte. Bei der Debatte um den U-Boot-Krieg hatte Falkenhayn sich als gefährlicher und intransigenter Gegen1085 Müller, Regierte der Kaiser, S. 172f. (Tagebucheintrag vom 30.4.1916); Riezler, Tagebücher, S. 351 ff. (Eintrag vom 30.4.1916); siehe auch ebd., Anm. 5; Spindler, Handelskrieg, S. 143 f., druckt die Denkschrift Holtzendorffs ab. 1086 Müller, Regierte der Kaiser, S. 173 (Tagebucheintrag vom 1.5.1916). 1087 T e x t der Note in: Spindler, Handelskrieg, S. 146ff.; siehe auch Riezler, Tagebücher, S. 353, Anm. 1. 1088 w i l d
v o n
Hohenborn, Briefe, S. 150 (Tagebucheintrag vom 2.5.1916).
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V. Preußischer Kriegsminister und Chef des Generalstabes (Juli 1914—August 1916)
spieler erwiesen, der sich nicht scheute, seinen Einfluß beim Kaiser zur Erreichung seiner Ziele bedenkenlos einzusetzen. Diese Ziele wiederum schienen dem Reichskanzler direkt in die Katastrophe zu führen. Außerdem — Nachfolger Falkenhayns würde Hindenburg sein, ein Mann, der das vollkommene Vertrauen des Volkes besaß und dem (und dessen alter ego Ludendorff) Bethmann ungleich mehr zutraute als Falkenhayn, den er für einen militärischen Versager hielt. Doch der Kaiser wollte Falkenhayn nicht ziehen lassen. Statt dessen bot er seinen gesamten Hofstaat auf, um den Generalstabschef zum Bleiben zu bewegen. Das Militärkabinett wird Wilhelm II. in seiner Haltung bestärkt haben. Wild schilderte die kaiserlichen Versöhnungsversuche: »Heute morgen [am 2. Mai] erschien als erster Treutier und erklärte das Ganze für ein Mißverständnis. Dann kam im Auftrag des Kaisers Plessen und brachte die dringende Bitte des Kaisers an Falkenhayn zu bleiben 1089 .« Plessen hatte mit Falkenhayn, der fest entschlossen schien, auf seinem Abschiedsgesuch zu beharren, eine harte Auseinandersetzung. Er schrieb in sein Tagebuch: »General von Falkenhayn hat seinen Abschied eingereicht. Krach mit Bethmann! Eine ganz ungehörige Manier — vor dem Feinde a la Tirpitz! — S.M. schickt mich zu ihm. Ich habe 2 1/2 Stunde auf Leben und Tod mit ihm gekämpft. Er wollte das Gesuch nicht zurücknehmen! Es stellten sich dabei so grobe, grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten heraus, daß ich fürchte, über kurz oder lang kracht die Sache wieder. Heute glückte es mir, ihn zur Zurücknahme zu bewegen1090.« Der Kaiser unternahm noch weitere Schritte, um seinen verärgerten Generalstabschef im Amt zu halten. Wild hielt das Ende der Affäre in seinem Tagebuch fest: »Endlich kam [Oberst] Marschall und versicherte, der Kaiser habe dem Kanzler befohlen, Falkenhayn alles vorzulegen vor Absendung usw. Effekt: Falkenhayn bleibt, Bethmann Hollweg bleibt, die Verkleisterungskomödie ist komplett und — sachlich haben wir die Schlacht verloren; denn Gerard ist gestern schon mit Kenntnis der Note abgereist. Und diese Unglücksnote wird zur Folge haben, daß der U-Bootskrieg ruht. [...] England wird also unbesiegt aus diesem Krieg hervorgehen. Das ist die furchtbar ernste Folge. Gott mag Deutschland schützen! — Kaiser, Kaiser werde hart!« Die amerikanische Antwort auf das deutsche Entgegenkommen war wenig ermutigend. Die U S A verbaten sich die deutsche Bedingung, im Gegenzug zur Einstellung des verschärften U-Boot-Krieges eine Lockerung der englischen Blockade zu verlangen. Diese Note wurde als weiterer amerikanischer Affront gewertet und sorgte für erregte Debatten im deutschen Hauptquartier. Falkenhayn scheute nicht davor zurück, dem Kaiser Vorwürfe zu machen, gegen seinen Rat die Bethmannsche Antwortnote gebilligt zu haben. Plessen notierte am 14. Mai 1915 in sein Tagebuch: »Nach einem Uberblick über die Landoperationen geht Falkenhayn auf die allgemeine Kriegslage ein, nach Empfang der frechen Antwort aus Amerika und kommt wieder auf den U-Bootkrieg, welchen er nach unserer Note an Amerika und nach der Antwort von dort als überhaupt für erledigt bezeichnet, er gebraucht aber dabei Wendungen, welche S.M. sehr verletzen. S.M. bestellt Lyncker und mich zu 7 [Uhr] und beklagte sich über Falkenhayn. Man Ebd. low Plessen-Tagebuch, 2.5.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063. 1089
19. Falkenhayn und der unbeschränkte U-Boot-Krieg
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mußte S.M. Recht geben. Die Art F[alkenhayn]s ist unzart, wenn nicht taktlos! Damit unterliegt er in seinem Einfluß zweifellos Bethmann, der an Energie hinter F[alkenhayn] zurücksteht, an Takt und Korrektheit aber der Sieger ist. Der Gegensatz dieser beiden Spitzen muß den Gang unserer Operationen und Politik schädigen. — Aber wer soll weichen«?1091 Der Ausgang der Angelegenheit führte trotz der kaiserlichen Versöhnungsaktion zum Bruch zwischen Bethmann Hollweg und Falkenhayn1092. Falkenhayn urteilte nach seiner Absetzung Ende August 1916: »Von diesem Tage an datiert der offene Kampf des Kanzlers gegen mich, der übrigens durch geheime Treibereien in der Presse und in der öffentlichen Meinung seit langer Zeit gut vorbereitet war. Der eigentliche Grund ist zweifellos der gewesen, daß ich dem Kanzler nie verhehlt habe, daß ohne Niederringen Englands dieser Krieg von uns verloren werden müsse und daß der Kanzler in mir seinen Nachfolger erblickte1093.« Daß Bethmanns Widerstand gegen den unbeschränkten U-Boot-Krieg vollkommen berechtigt war, zeigte der weitere Verlauf des Ersten Weltkrieges. Allerdings war Falkenhayn, obwohl ihm der Vorwurf gefährlicher Kurzsichtigkeit in dieser Frage nicht erspart werden kann, auch das Opfer der unklaren und widersprüchlichen Haltung des Admiralstabschefs, der die Auseinandersetzung durch rechtzeitige klare Stellungnahme hätte verhindern können. Offenbar sah Falkenhayn wenig später selbst die Unzuverlässigkeit der Marineangaben ein und versuchte sogar, sich in dieser Frage wieder auf die Seite des Kanzlers zu schlagen1094. Aber erst nach dem Krieg ließ er seiner Enttäuschung über die Haltung der führenden Marinevertreter freien Lauf. So sagte er über den Großadmiral v. Tirpitz: »Er log ununterbrochen und war nicht zu fassen. Sobald man ihn irgendwie festnageln wollte, kniff er aus. Uber die Zahl der verfügbaren Unterseeboote erfuhr ich alle Augenblicke etwas anderes1095.« Obwohl Falkenhayn bis in das Jahr 1917 hinein ein prinzipieller Befürworter des U-Boot-Krieges blieb1096, lehnte er vor allem wegen der angespannten Kriegslage im Sommer 1916 einen erneuten Vorschlag der Marine ab, den unbeschränkten U-Boot-Krieg zu eröffnen1097.
Plessen-Tagebuch, 1 4 . 5 . 1 9 1 6 , ebd. Ritter, Staatskunst III, S. 215, redet von einem »kurzen, gereizten Briefwechsel«, in dem beide Parteien ihre gegensätzlichen Positionen aufrechterhielten. 1093 Zit. bei Zwehl, Falkenhayn, S. 211. 1094 Siehe Kap. V, 22. i°95 Mertz an das Reichsarchiv, 7 . 1 . 1 9 3 5 , in: BA-MA-P, W-10/51490. 1096 Siehe dazu Kap. VI, 1. 1097 D a z u Stegemann, U-Boot-Krieg, S. 38—41, bes. S. 41. Ein weiterer Vorstoß Falkenhayns zugunsten des U-Boot-Krieges vom 2 7 . 8 . 1 9 1 6 ist wegen seiner einen Tag später erfolgten Entlassung nicht mehr zur vollen Entfaltung gekommen und entzieht sich der Bewertung. Siehe dazu Ritter, Staatskunst III, S. 320. 1091
1092
Auch ohne U-Boot-Krieg werden wir bis zum Ausgang des Winters 1916/17 einen siegreichen Frieden erkämpfen. Falkenhayn am 28. Mai 1916
20. Falkenhayns Lagebeurteilung im Mai 1916 Der Mai 1916 begann für Falkenhayn zunächst mit fühlbaren Rückschlägen. Nach der Schlappe mit dem unbeschränkten U-Boot-Krieg mußte er dem Kaiser im Vortrag vom 8. Mai 1916 auch die Stagnation der Angriffe zu Lande eingestehen und zugeben, »daß unsere Operationen bei Verdun einen gewissen Stillstand erreicht haben. Nun müssen wir warten, daß uns die Franzosen und die Anderen angreifen, wo und wann sie wollen1098.« Der Generalstab stellte Mitte Mai 1916 fest, daß die französische Armee immer noch beträchtliche Reserven besaß. Berechnungen der französischen Stärke ergaben, daß sie trotz des Einsatzes von dreißig Divisionen vor Verdun noch über eine Heeresreserve von 17—18 Divisionen verfügte. Diese Kräfte genügten nach Ansicht des Generalstabs für eine größere Offensive, die jedoch so lange nicht zu befürchten sei, wie die Franzosen der Front vor Verdun immer wieder neue Kräfte zuführten 1099 . Doch überraschenderweise kamen die Operationen vor Verdun wieder in Fluß. Die eigentliche Ursache dafür war, daß die französische Heeresleitung dem Kampfgebiet von Verdun ein auf dreißig Divisionen begrenztes eigenes Kräftekontingent zugeteilt hatte und nicht andauernd frische Reserven nachführte. Durch diese Maßnahme wollte der französische Generalstab verhindern, daß die gesamte französische Armee in die Verteidigung von Verdun eingebunden wurde und keine Kräfte mehr übrigblieben, um sich am geplanten Allfrontenangriff der Entente beteiligen zu können. Diesen Vorteil bezahlten die Franzosen mit einer Schwächung der bislang so erfolgreichen Abwehr vor Verdun. Die 5. Armee konnte deshalb auf beiden Maasufern weiter vordringen und in harten Kämpfen, die am 1. Juni 1916 begannen und eine Woche dauerten, das Fort Vaux einnehmen — ein großer Erfolg, der die Hoffnung stärkte, doch noch die Höhen des Ostufers erobern zu können. Die neuen Hoffnungen auf die Erreichung des ursprünglichen Angriffsziels und die weit übertriebenen Schätzungen der französischen Verluste ließen Falkenhayn wieder mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Der bisherige Schlachtverlauf hatte allerdings trotz der jüngsten Erfolge jeden Enthusiasmus für die Operation bei Truppe, Generalstab und Politik erheblich gedämpft. Immer wieder waren Überlegungen angestellt worden, den Angriff abzubrechen. Falkenhayn beklagte sich im Juni 1916 beim Admiralstabschef v. Holtzen-
1098 Plessen-Tagebuch, 8 . 5 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-l0/51063. 1099 D e r bayerische Militärbevollmächtigte im Großen Hauptquartier, General v. Nagel, nach »Geheimen Vortragsnotizen« des Generalstabs am 1 1 . 5 . 1 9 1 6 in seinem Bericht Nr. 7210 an den bayerischen Kriegsminister, in: BHStA-KA, M K r 1830.
20. Falkenhayns Lagebeurteilung im Mai 1916
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dorff, »daß ihm von vielen Seiten die Operation gegen Yerdun als schwerer Fehler ausgelegt werde, in erster Linie deshalb, weil es bisher nicht gelungen sei, Verdun zu nehmen. Exzellenz v. Falkenhayn habe aber beigefügt, von allen operativen Entscheidungen, die er während des Krieges getroffen [habe], halte er noch immer den Angriff gegen Verdun für die richtigste und glücklichste, denn nicht nur sei man der gegnerischen Offensive zuvorgekommen, sondern man habe auch die ganze französische Armee bis zum heutigen Tag festgelegt und ihr sehr viel schwerere Verluste beigebracht, als selbst erlitten 1100 .« Im Großen Hauptquartier wandte sich die Stimmung zunächst gegen den ohnehin unbeliebten Chef der Operationsabteilung, General Tappen, bald aber auch gegen Falkenhayn. Beiden wurde vorgeworfen, die Leistungsfähigkeit der Truppe zu überschätzen und den Bogen zu überspannen1101. Der österreichisch-ungarische Militärbevollmächtigte im deutschen Hauptquartier, General v. Klepsch-Kloth, schrieb am 25. Mai 1916: »Die Deutschen nennen keine Zahlen über ihre Verluste vor Verdun; sie müssen sehr beträchtlich sein. Wie ich streng vertraulich höre, ist G[enera]l Tappen der Verfechter des Systems, der mit dem Schlagwort: Die Truppe muß es leisten, gegen alle Gegenvorstellungen bisher durchdrang. Manche vertraulichen Urteile lauten hier dahin, daß jeder, der den Pulsschlag der Truppe nicht fühlt, die Grenzen äußerster Leistungsfähigkeit nicht erfaßt, im Kriege recht unheilvoll wirken kann 1102 .« Falkenhayn beschränkte sich auf die Analyse der Lage im Großen und nahm die Verluste vor Verdun leicht in Kauf. Er machte sich durch seine zynische, manchmal sogar gespielt sorglose Unbekümmertheit 1103 aber keine Freunde im Großen Hauptquartier, wo viele Offiziere die Dinge doch anders sahen als er. Marinekabinettschef Admiral ν. Müller notierte am 27. Mai 1916: »Große Verstimmung über den Kaiser, der den Ernst der Lage nicht versteht, und über Falkenhayn, der bei Verdun >alles normal«< findet 1104 . Falkenhayns Optimismus beruhte jedoch nicht nur auf den jüngsten militärischen Erfolgen vor Verdun. Ende Mai 1916 wandte sich »ein hervorragendes Mitglied der französischen radikalsozialistischen Partei« an den deutschen Gesandten in Bern, Romberg, und schlug »für den Fall, daß seine Partei ans Ruder komme, den Abschluß eines Separatfriedens und die Anbahnung einer dauernden Verständigung zwischen beiden Ländern« vor 1105 . 1100 £ ) e r württembergische Militärbevollmächtigte, General v. Graevenitz, an den württembergischen Ministerpräsidenten v. Weizsäcker, 3 0 . 6 . 1 9 1 6 , in: BA, Nachlaßpapiere Weizsäcker, Kleine Erwerbungen 458 F. 1101
Sehr anschaulich wird der Stimmungswandel im Großen Hauptquartier in den Berichten des Gesandten Luckwald beschrieben, der im Sommer 1916 zunehmend kritisch über Falkenhayn berichtete. In: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 2 4 6 6 / 7 .
1102
Klepsch-Kloth an Conrad, 2 5 . 5 . 1 9 1 6 , in: ÖStA-KA, АОКбОО.
поз wild (Tagebucheintrag vom 2 6 . 6 . 1 9 1 6 ) spricht von der »äußerlich tändelnden, unbekümmerten Haltung Falkenhayns, womit er seiner Umgebung zu imponieren sucht«. In: Wild von Hohenborn, Briefe, S. 169. Ahnlich Janßen, Exzellenz, S. 169 f. 1104 1105
Müller, Regierte der Kaiser, S. 185 (Tagebucheintrag vom 2 8 . 5 . 1 9 1 6 ) . Zusammenfassender Bericht Rombergs an Bethmann Hollweg, 4 . 6 . 1 9 1 6 , zit. bei Fischer, Griff, S. 274; dort auch Kommentierung.
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Romberg wies aber darauf hin, daß diese Friedensmöglichkeit — die er als »sehr ernsthaft« beurteilte — nur dann Aussicht auf Erfolg verspreche, wenn Deutschland den Franzosen weit entgegenkäme. Damit schien sich Falkenhayns Hoffnung auf den französischen Zusammenbruch aufgrund der heroischen Überanstrengung vor Verdun tatsächlich zu erfüllen! Plötzlich wirkte die strategische Lage der Mittelmächte überaus günstig. Alle Voraussagen Falkenhayns vom Jahresanfang hatten sich, so schien es zumindest, glänzend bestätigt. Von allen Fronten kamen Erfolgsmeldungen: — Der französische Zusammenbruch war, so glaubte Falkenhayn, nur noch eine Frage der Zeit. Einer eventuellen Offensive der Engländer an der Westfront sah er mit Gelassenheit entgegen, da er für diesen Fall fünfzehn Divisionen aus der Heeresreserve aufgespart hatte1106. — Rußland hatte im März einen Angriff gegen den deutschen Teil der Ostfront unternommen; er war von Hindenburg vollständig abgeschlagen worden und schien die Erwartung bestätigt zu haben, daß die Russen zu größeren Angriffsunternehmungen nicht mehr in der Lage seien. — Der alliierte Stützpunkt in Saloniki war von bulgarischen Truppen eingekreist und konnte die Herrschaft der Mittelmächte über den Balkan nicht gefährden. — Die Österreicher verteidigten erfolgreich ihren Teil der Rußlandfront; außerdem bereiteten sie eine große Offensive gegen Italien vor. Falkenhayn sah sich, obwohl im Detail manches nicht wie gewünscht abgelaufen war, im Großen in seiner strategischen Planung bestätigt. Die Situation wirkte derart günstig, daß Falkenhayn und seine Ratgeber an ein Kriegsende noch im Jahre 1916 zu glauben begannen. Kriegsminister Wild nahm an, »daß der Krieg im Herbst zu Ende« sein werde1107. Zu diesem Optimismus trugen auch sehr günstige Nachrichten vom Verlauf des österreichischen Angriffs gegen Italien bei, der am 15. Mai 1916 begonnen hatte. Am 23. Mai trafen Meldungen ein, daß die österreichischen Angriffstruppen sich bereits im Rücken der italienischen Front befänden und »dicke italienische Kolonnen [...] im Rückzug seien«. Es schien, als ob »die Italiener das Gebirge kampflos räumen. [...] Der hiesige Generalstab steht vor einem Rätsel, da er die Italiener noch nicht für so geschwächt und kopflos hält. Trotzdem hat hier eine derart optimistische Stimmung Platz gegriffen, daß man von Revolution in Italien und einer Niederzwingung dieser ersten feindlichen Großmacht bis zum Ausscheiden aus dem Kriege spricht1108.« Der Generalstabschef sah Deutschland nunmehr in der Lage, auf die er seit dem Herbst 1914 gehofft hatte: Alle Kontinentalgegner hielt er für lahmgelegt, und jetzt galt es nur noch, den Hauptfeind England zu Lande schwerstmöglich zu treffen1109. Am 28. Mai 1106
Zu den gespannten Erwartungen auf den englischen Angriff siehe mehrere Zuschriften General
Tappens an das Reichsarchiv aus dem Jahre 1933, in: BA-MA, Nachlaß Tappen, по? w i l d gab am 2 7 . 6 . 1 9 1 6 in seinem Tagebuch zu, vor dem Einbruch der Russen im Osten geglaubt zu haben, »daß der Krieg im Herbst zu Ende gewesen wäre«. In: Wild von Hohenborn, Briefe, S. 170. n°s Luckwald an Bethmann Hollweg, 2 2 . 5 . 1 9 1 6 , in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 2466/7. но? £)i ese Lagebeurteilung vermittelte Falkenhayn den Armeechefs der Westfront am 2 6 . 5 . 1 9 1 6 . Die
20. Falkenhayns Lagebeurteilung im Mai 1916
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1916 gab er diese Lagebeurteilung auch an den Kanzler weiter1110. Es schien Falkenhayn »unzweifelhaft, daß wir mit dem rücksichtslosen U-Boot-Krieg alle unsere Feinde bis zum Spätherbst zum Frieden zwingen«. In den Verhandlungen um den U-Boot-Krieg hatte Falkenhayn durchgängig die Ansicht vertreten, daß, wenn England, das Rückgrat der Entente, friedensbereit sei, auch die anderen Mächte nachgeben würden. Geradezu euphorisch über die Nachrichten von den französischen Friedensneigungen vergaß Falkenhayn seine düsteren Prognosen, die er im Zusammenhang mit dem U-Boot-Krieg Ende April über die Aussichten eines langandauernden Krieges abgegeben hatte1111. Nunmehr glaubte er, daß der Sieg auch bei Fortfall des U-Boot-Krieges nur um ein halbes Jahr verzögert werde: »Auch ohne U-Boot-Krieg werden wir bis zum Ausgang des Winters 1916/17 einen siegreichen Frieden erkämpfen. Frankreich wird dann zum Weißbluten gebracht sein.« Er versicherte, daß Deutschland mit seinem Mannschaftsersatz bis Oktober 1917, Österreich-Ungarn bis Frühjahr 1917 auskäme, und auch die kriegswichtigen Rohstoffe mit Ausnahme von Gummi, das aber behelfsweise ersetzt werden könne, so lange ausreichen würden. Mit diesen Äußerungen garantierte Falkenhayn dem Reichskanzler erstmals seit dem November 1914 den militärischen Sieg. Sein Optimismus basierte auch auf guten Nachrichten von der Verdunfront, die er dem Reichskanzler so schilderte: »Die Operationen gegen Verdun werden in bisheriger Weise und, wie zu hoffen, mit den bisherigen, wenn auch sehr langsam fortschreitenden Erfolgen fortgeführt. Dabei wird der Kessel, in dem die Franzosen ihre Truppen unter unserem konzentrischen Feuer vortreiben müssen, immer enger. Wie lange die Franzosen dies fortführen können, scheint bei ihren ungeheuren Verlusten zweifelhaft. Vor kurzem sind zwei französische Divisionen bereits in ihrer Reservestellung so zusammengeschossen worden, daß sie überhaupt nicht mehr vorgebracht werden konnten, sondern sofort wieder abtransportiert werden mußten.« Diese Sicht der Kämpfe vor Verdun war jedoch ein Selbstbetrug, den Falkenhayn durch bewußte Unwahrheiten dem Reichskanzler gegenüber weiter verschlimmerte. Da er an den kurz bevorstehenden Endsieg glaubte, wollte er Bethmann nicht durch die hohen — aber seiner Meinung nach gerechtfertigten — Verluste vor Verdun nervös machen. Deshalb erklärte er Bethmann, die deutsche Armee würde vor Verdun 30000 Mann pro Monat verlieren. Der Reichskanzler errechnete nach dieser Angabe, daß vom Angriffsbeginn bis Ende Mai 1916 90000—100000 Mann verloren worden seien. Am 20. Mai 1916 hatte der Generalstabschef ihm noch die — annähernd korrekte — Verlustziffer
1110 1111
Italiener hielt er für so stark geschwächt, daß er ihnen für den Rest des Krieges keine Offensivkraft mehr zutraute. Die Operationen gegen Verdun hätten trotz mancher Enttäuschungen den erwünschten Zweck, die französischen Reserven möglichst restlos aufzubrauchen, schon fast erreicht. Mit der Heeresreserve wolle er, nachdem der unbeschränkte U-Boot-Krieg nicht mehr stattfinden werde, die Engländer jetzt zu Lande schädigen, allerdings habe er dafür noch keinen konkreten Plan. (In: Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 312.) Die Armeeführer konnten Falkenhayns positive Sicht der Lage nicht teilen. Sie gewannen den Eindruck, der Generalstabschef wisse nicht genau, was er wolle. Bethmann Hollweg an Auswärtiges Amt, 2 8 . 5 . 1 9 1 6 , in: Janßen, Kanzler, S. 289f. Siehe Kap. V, 19, bes. S. 398.
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von 134000 Mann genannt. Mit seinem Versuch, die bereits genannten wahren Zahlen nachträglich zu verschleiern, hatte er den Reichskanzler jedoch unterschätzt 1112 . Falkenhayn war sich seiner Sache so sicher, daß er seine bisherige Mäßigung bei den Annexionswünschen verließ. Sein Urteil vom November 1914, er wolle von Frankreich nur eine Kriegsentschädigung, kein Land, galt nun nicht mehr. Da Frankreich — wie er glaubte — nunmehr am Ende sei und der Sieg auch Deutschland viel gekostet habe, sah er für Zurückhaltung keinen Grund mehr. Der Generalstabschef wollte den besiegten Franzosen harte Friedensbedingungen auferlegen. »Im Falle eines siegreichen Friedens« forderte er, um das »aus wirtschaftlichen Gründen uns notwendige Erzbecken von Briey militärisch schützen zu können«, die Annexion eines Teiles der Cote Lorraine mit den Festungen Douaumont und Houdraumont, nicht die Stadt Verdun. Außerdem verlangte er »unter allen Umständen den Bergriegel bei Beifort. O b Beifort selber mit einzubeziehen ist, steht noch dahin.« Auf diesen Bedingungen, die er »zur Sicherung unserer Zukunft« für »absolut erforderlich« hielt, beharrte er selbst für den Fall, daß Frankreich um Frieden bitten werde. Wenn es sich von England lossage, sei es ohnehin am Ende seiner Kräfte. Die verbliebene Angriffskraft der Entente schien Falkenhayn nicht mehr sehr hoch zu sein. Die Franzosen könnten nur noch kleine Angriffe machen, und die Engländer würden vielleicht in Kleinasien oder am Suezkanal offensiv werden; er Schloß aber auch einen Angriff an der Westfront nicht aus. Sollten die Russen in Galizien angreifen, so könnten die deutschen Reserven an der Ostfront den Österreichern beistehen. Der siegessichere Generalstabschef rechnete auch schon mit den Truppen des Verbündeten, denn er kündigte an, in der zweiten Junihälfte mit Conrad zusammenkommen und dann mit Hilfe der österreichischen schweren Artillerie und der fünfzehn Divisionen der deutschen Heeresreserve den »großen Schlag im Westen« gegen England führen zu wollen. Trotz seiner Vorbehalte gegen Falkenhayns Annexionsforderungen1113 und trotz der verzweifelten Ermahnungen Rombergs, den kriegswichtigen Separatfrieden mit Frankreich nicht an unerfüllbaren Forderungen scheitern zu lassen1114, schloß sich Bethmann Hollweg — ebenso Jagow — den unklugen Forderungen Falkenhayns an. Er machte sich den großen Optimismus Falkenhayns ganz zu eigen. Die Gleichzeitigkeit des scheinbaren italienischen Zusammenbruchs und der Schwächung Frankreichs in der Schlacht vor Verdun ließ auch ihn auf ein gutes Kriegsende noch im Jahre 1916 hoffen 1115 . Die Lagebeurteilung der deutschen Führung ging Anfang Juni 1916 an der Realität völlig vorbei. Alle erreichbaren Nachrichten wurden in das Wunschbild von den krisenhaf1112
Nach Wendt, Verdun, S. 243, betrugen die deutschen Verluste vor Verdun bis zum 2 0 . 5 . 1 9 1 6 : 1 3 2 1 4 9 Mann; bis zum 3 1 . 5 . 1 9 1 6 : 156012 Mann.
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Admiral ν. Müller schrieb in sein Tagebuch am 2 7 . 5 . 1 9 1 6 : »Große Verstimmung (beim Reichskanzler) [...] über Falkenhayn, der [...] bei Friedensschluß Beifort von den Franzosen verlange.« In: Müller, Regierte der Kaiser, S. 185.
1114
Dazu Fischer, Griff, S. 275 ff.
1115
Riezler, Tagebücher, S. 356f. (Eintrag vom 12.6.1916); ähnlich Bethmann Hollweg am 14.6.1916, in: Valentini, Kaiser, S. 229. Siehe S. 426.
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ten inneren Zuständen der kontinentalen Gegner integriert. Kempis, ein Vertreter des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, berichtete dem Kanzler am 1. Juni aus dem Generalstab: »Die französischen Verluste vor Verdun werden auf 800000 Mann geschätzt. Nach allgemeiner Ansicht werde bei einem Fall Verduns die Revolution ausbrechen. Die Tage des Ministeriums Briand seien [...] gezählt; die Wühlarbeit Clemenceau's beginne ihre Früchte zu tragen. Joffres Stern sei sehr gesunken1116.« Allerdings waren die Vorbereitungen für die alliierte Allfrontenoffensive dem Generalstab nicht entgangen. Falkenhayn berichtete dem Kaiser am 11. Mai, daß »die Russen einen größeren Schlag vorzubereiten« schienen1117, und am 14. Mai, daß eine »englische Offensive gegen linken Flügel der 6. und rechten der 2. Armee in Sicht [sei], aber noch ohne Bestimmtheit«1118. Doch wurden auch diese bedrohlichen Anzeichen vom Generalstab ins Positive uminterpretiert. Kempis schrieb in seinem Brief vom 1. Juni: »Auf eine gleichzeitig mit der französisch-englischen Offensive einsetzende russische Offensive wird fest gerechnet. Rußland soll an verschiedenen Stellen der Front angreifen, den Hauptstoß aber in Galizien ausführen. Russische Finanzkreise versicherten, daß, falls diese russische Offensive mißglückt, man sich in Rußland nicht mehr an das Abkommen betreffs Sonderfrieden halten würde. [... Die] Nachricht, daß diese Offensive die letzte Hoffnung der Russen wäre, kommt öfter.« Infolge dieser Hoffnungen wurde der alliierte Angriff nicht gefürchtet, sondern fast sehnsüchtig erwartet: Ein Abwehrerfolg mit weitreichenden politischen Konsequenzen — vor allem in Rußland und Frankreich — schien sicher und somit ein siegreiches Kriegsende nahe.
1116
1117 1118
Kempis in einer Anlage für Bethmann Hollweg, 1.6.1916, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 2466/7. Plessen-Tagebuch, 10.5.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063. Ebd., 14.5.1916.
Es werden sich jetzt hayn seinen Stoß auf in Italien vorwerfen Conrad am 12. Juni
Leute finden, welche FalkenVerdun und mir die Offensive werden. 1916
Man kann wohl sagen, daß wir uns auf dem Höhepunkt des Krieges befinden. Kriegsminister Wild am 3. Juli 1916 Die Kräfte, auf beiden Fronten gleichzeitig zu schlagen, haben wir nie besessen und werden sie nicht besitzen. Falkenhayn am 8. Juli 1916
21. Der Allfrontenangriff der Entente im Sommer 1916 und Falkenhayns Abwehrstrategie a) Die Brussilow-Offensive Die vielversprechenden Nachrichten von der italienischen Front, die das rundum erfreulich scheinende strategische Bild Ende Mai 1916 abgerundet hatten, waren für Falkenhayn eine angenehme Überraschung gewesen. Er hatte schon seit dem Februar 1916 gewußt, daß Conrad auf seine Offensive gegen Italien nicht verzichten wollte. Obwohl Falkenhayn sich im Dezember 1915 und Februar 1916 nachdrücklich geweigert hatte, dieses Vorhaben zu unterstützen, hielt Conrad an seinem Angriffplan fest. Er wollte mit einem Angriffsstoß von Tirol aus die italienische Isonzoarmee im Rücken fassen und vernichten1119. Falkenhayn hatte die Vorbereitungen des Verbündeten mit großer Skepsis beobachtet, da er der österreichisch-ungarischen Armee weder qualitativ noch quantitativ einen erfolgversprechenden Entscheidungsangriff gegen Italien zutraute. Es war ihm jedoch nicht gelungen, Conrad für seine eigenen Vorhaben zu begeistern und die österreichischen Reserven für Angriffe an der Westfront zu erhalten. Aus diesem Grunde hatte er auch das österreichische Sonderunternehmen bedauert. Conrad würde für seinen »Spezialkrieg« 1120 gegen Italien wertvolle Truppen und vor allem schwere Artillerie verwenden, die Falkenhayn gegen die Franzosen und Engländer dringend hätte brauchen können. Weniger problematisch schien Falkenhayn, daß die Zusammenziehung der angriffsstärksten österreichisch-ungarischen Divisionen für den Angriff in Tirol auf Kosten des südlichen Teiles der Ostfront ging. Conrad hatte sechs Divisionen von der Ostfront abgezogen, aber zwei von der Balkanfront wieder zugeführt. Durch Verstärkung der verbliebenen Einheiten schien das zahlenmäßige Verhältnis mehr als ausreichend: Ende April 1916 standen südlich des Pripjet 629000 Österreicher mit 2690 Geschützen 640000 Russen mit 2000 Geschützen gegenüber — ein annähernd ausgewogenes Verhältnis1121. Falken-
1119 1120 1121
Cramon an Falkenhayn, 5 . 2 . 1 9 1 6 , in: ÖStA-KA, A O K 6 0 7 . Bethmann Hollweg am 1 4 . 6 . 1 9 1 6 , in: Valentini, Kaiser, S. 229. Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 442.
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hayn hielt die russische Armee für derart geschwächt, daß er — wie die gänzlich gescheiterten Angriffe der zaristischen Truppen gegen die Hindenburg-Front im März 1916 erneut gezeigt hatten — der österreichischen Armee das Halten ihrer Stellungen auch weiterhin zutraute. Die Urteile der dortigen deutschen Kommandeure waren ebenfalls zuversichtlich 1122 . Die gegen Italien verwendeten Reserven der k.u.k. Armee betrachtete Falkenhayn als disponible Reserven, die auch nach Abschluß oder Fehlschlag des Angriffs nicht wieder an die Ostfront zurückverlegt werden sollten. Für den Fall eines Scheiterns der österreichischen Operation wies er General v. Cramon am 14. Mai — einen Tag vor Angriffsbeginn — an, Conrad zu einer überraschenden gemeinsamen Offensive an der Westfront zu überreden 1123 . Dem italienischen Generalstab waren die österreichischen Angriffsvorbereitungen nicht verborgen geblieben. Vier Tage vor Angriffsbeginn — am 11. Mai 1916 — baten sie auf diplomatischem Wege Rußland um Hilfe. Eine russische Offensive sollte die Österreicher dazu zwingen, die für den Angriff in Tirol zusammengezogenen Truppen an die Ostfront zurückwerfen zu müssen. Im Zuge des in Chantilly vereinbarten und nach mehrfachen Verschiebungen auf Anfang Juli festgesetzten gemeinsamen Großangriffs der Entente an allen Fronten hatte die russische Armee ohnehin schon Vorbereitungen für eine Offensive getroffen. Diese sollte im Mittelteil der russischen Front erfolgen. Rußland konzentrierte den größten Teil seiner Truppen am Nord- und Mittelabschnitt seiner Front, gegenüber den Armeen Hindenburgs. Der deutsche Generalstab hatte schon im April zutreffend berechnet, daß zwei Drittel der in Europa vorhandenen russischen Kräfte vor der deutschen Ostfront eingesetzt waren1124. Bei einer Besprechung mit Conrad in Berlin stellte Falkenhayn am 24. Mai 1916 fest, daß der deutschen Ostfront mehr als 1400 angriffsbereite Bataillone gegenüberlagen — eine dreifache Übermacht. Der russische Schwerpunkt war richtig erkannt. Deshalb lehnte der deutsche Generalstabschef auch jede Verschiebung von Truppen über die Nahtstelle zwischen deutscher und österreichisch-ungarischer Ostfront ab. Diese käme erst dann in Frage, beschied er Conrad, wenn russische Truppenverschiebungen nach Süden festgestellt werden würden. Bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen sei es aber nicht zu verantworten, die deutsche Ostfront durch Truppenabgaben zu schwächen 1125 . 1122
General v. Stolzmann, Generalstabschef der an der Nahtstelle zwischen deutscher und österreichischer Ostfront eingesetzten Heeresgruppe Linsingen, besichtigte Ende März 1916 die österreichischen Stellungen und kam zu dem Ergebnis, daß die geschwächten Russen bei den derzeitigen Stärkeverhältnissen an diesem Teil der Südfront keinen erfolgreichen Angriff unternehmen könnten und deshalb die Sicherheit des Abschnitts, sofern die zaristische Armee nicht neue Verbände herantransportiere, »unbedingt gewährleistet« sei. Ebd., S. 442f.
1123
Falkenhayn an Cramon, 14.5.1916, in: ÖStA-KA, A O K 607 (Abschrift der im Heeresarchiv Potsdam vernichteten Originalakten).
1124
Falkenhayn an Conrad, 8 . 4 . 1 9 1 6 , OP.Nr. 23745, ebd., A O K 512.
1125
Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 443 f. Nach Angaben des Reichsarchivs war die Besprechung in Berlin am 24.5.1916. Falkenhayn erwähnte die Besprechung in einem Schreiben an Conrad vom 6 . 6 . 1 9 1 6 , 28852 Op., in: ÖStA-KA, A O K 512, und schrieb (irrtümlich?), die Besprechung habe am 2 3 . 5 . 1 9 1 6 stattgefunden.
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Der Entlastungsangriff erfolgte jedoch am Südabschnitt der russischen Front, weil der dortige Oberkommandierende, General Brussilow, als erster zum Angriff bereit war. Er wollte die Offensive trotz noch vorhandenen Mangels an Bewaffnung und Munition sofort durchführen. Dabei dachten weder Brussilow noch der russische Oberkommandierende, General Alexejew, an einen kriegsentscheidenden Erfolg. Dazu schienen auch die russischen Kräfte im Angriffsabschnitt zu schwach; sie waren dem österreichisch-ungarischen Verteidiger zahlenmäßig nur wenig überlegen. Doch selbst wenn Brussilows Angriff nicht durchdrang, band er österreichische Kräfte, was nicht nur Italien, sondern auch dem für später geplanten russischen Hauptangriff in der Mitte der Front zugute kommen sollte. Brussilows Angriff — der auf ein neues Verfahren des Massensturms der Infanterie in Wellen zurückgriff — begann am 4. Juni 1916 und führte bei Lucz im Bereich der 4. k.u.k. Armee zu einem überraschenden Einbruch, der sich in den nächsten Tagen immer mehr ausweitete. Der russische Erfolg beruhte auf vielfältigen Ursachen, auf der Unterschätzung der russischen Angriffskraft durch die oberste österreichisch-ungarische Führung, auf der Sorglosigkeit des Stabes der 4. k.u.k. Armee und auf der Unzuverlässigkeit ihrer tschechischen und ruthenischen Soldaten, die massenweise überliefen 1126 . Ein ganz wesentlicher Anteil an dem Debakel traf auch Conrad. Am 21. Mai 1916 — noch im vollen Siegesrausch über das scheinbar geglückte italienische Unternehmen — hatte er in einem Schreiben an die Militärkanzlei Kaiser Franz Josephs zugegeben, daß er die Kräfte für die Tirol-Offensive gegen den dringenden Rat Falkenhayns und auch nur »in der dringendst erforderlichen Stärke [...] um den Preis einer bedenklichen Schwächung unserer russischen und unserer Isonzofront« zusammengebracht habe1127. Diese Schwächung der Rußlandfront hatte sich bitter gerächt. Conrad sah sich nunmehr in einer ausgesprochenen Zwangslage. Seine besten Truppen waren in Tirol in einen Angriff verwickelt, der zwar einige Anfangserfolge gebracht, aber noch nicht sein Angriffsziel erreicht hatte. Es war den Österreichern bisher nicht gelungen, aus dem Gebirge auszubrechen. Ihre Kräfte waren auch nicht mehr stark genug, um die Offensive wei-
1126 1127
Dazu die Studie von Jerabek, Brussilowoffensive. In diesem Schreiben an Bolfras vom 2 1 . 5 . 1 9 1 6 schlug der siegessichere Conrad einige seiner Mitarbeiter verdeckt für hohe Auszeichnungen vor. Er schrieb weiter: »[Um die Jahreswende 1915/16] nahte der Moment in welchem die Lieblingsidee des A O K wieder in den Vordergrund zu treten vermochte, nämlich der Offensivstoß gegen >I< [>I< war das interne Kürzel des österreichisch-ungarischen Generalstabs für >ItalienI< dringend abriet stand ich vor dem schweren Entschluß dafür die Verantwortung zu übernehmen, daß wir diesen Stoß nur mit den eigenen Kräften führen. Diese Kräfte und zwar nur in der dringendst erforderlichen Stärke waren aber nur um den Preis einer bedenklichen Schwächung unserer russischen und unserer Isonzofront zusammenzubringen. Trotzdem entschloß ich mich dazu«. Conrad an Bolfras, 2 1 . 5 . 1 9 1 6 , in: O S t A - K A , Conrad-Archiv 1916, B8. Dieses Schreiben erhielt angesichts der Erfolge der Brussilow-Offensive den unfreiwilligen Charakter einer schweren Selbstanklage.
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ter voranzutreiben, die sich — aus der Rückschau betrachtet — zu diesem Zeitpunkt bereits rettungslos festgelaufen hatte. Conrad besaß aber noch große Hoffnungen und glaubte zunächst, daß der deutsche Verbündete den russischen Einbruch mit seinen Kräften abfangen könne, damit er seine Offensive nicht abbrechen müsse. Er dachte sogar daran, Falkenhayn die Aufgabe des ihm hoffnungslos erscheinenden Angriffs auf Verdun vorzuschlagen, damit deutsche Verbände an die Ostfront verlegt werden könnten1128. Mit den zunehmenden Erfolgen des russischen Vormarsches in den nächsten Tagen wurde ihm jedoch die Bedeutung der Niederlage bewußt, und er gab diese Idee wieder auf, ohne sie seinem deutschen Kollegen auch nur vorgetragen zu haben. Auch Falkenhayn erkannte zunächst nicht die Größe der Gefahr, in der die Donaumonarchie schwebte, da er die russische Stoßkraft immer noch zu niedrig einschätzte. Sein erster Reflex war, wie Kriegsminister Wild berichtet, »die größten Grobheiten an Conrad« zu telegraphieren und das Herausziehen von Divisionen aus der Italienfront zu fordern1129. Schließlich hatte er seinem österreichischen Kollegen mehrfach von der Italien-Offensive abgeraten, und tatsächlich war ein schwerer Rückschlag eingetreten. Er dachte zunächst auch nicht daran, den Österreichern zu helfen und dadurch seine strategischen Dispositionen in Unordnung bringen zu lassen. Er wies Conrad am 7. Juni darauf hin, daß nach ihrer Vereinbarung vom 23. Mai 1916 deutsche Kräfte nur dann verschoben werden sollten, wenn die Russen Truppen vom deutschen an den österreichischen Frontabschnitt verlegten. Das sei bisher jedoch nicht festgestellt worden. Die Russen griffen mit »zahlenmäßig kaum gleichen Kräften« an und drohten, die ganze Lage im Osten zu ihren Gunsten umzugestalten. Conrad müsse sehen, wie er sie mit seinen eigenen Kräften zum Stehen bringen könne1130. Damit wollte Falkenhayn seinen österreichischen Kollegen zunächst zur Aufgabe des italienischen Unternehmens bewegen. Die sich weiter verschlechternde Lage im Osten zwang jedoch beide Generalstabschefs zum Handeln. Falkenhayn bestellte Conrad für den 8. Juni 1916 nach Berlin. Dieser ahnte, was auf ihn zukommen würde, und trat die Fahrt nach Berlin, die er als »Gang nach Canossa« 1131 bezeichnete, nur höchst widerwillig an1132. Tatsächlich sagte Falkenhayn seinem Kollegen gründlich die Meinung 1133 . Er zwang Conrad, anzuerkennen, daß die Verteidigung in Galizien Vorrang vor dem Offensivunternehmen in Tirol habe; selbst versprach er vier Divisionen für einen Gegenstoß1134. Conrad meinte hinterher zu seinen Mitarbeitern, Falkenhayn habe ihm »nur den Kopf waschen wollen«; im übrigen sei es unnötig gewesen, nach Berlin zu fahren, da Falkenhayn seine Truppen sowieso nur dann hergebe, wenn es ihm passe1135. Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 459. 1129 Wild von Hohenborn, Briefe, S. 161 (Tagebucheintrag vom 9.6.1916). 1130 Falkenhayn an Conrad, 7 . 6 . 1 9 1 6 , OP. Nr. 25851/1, in: ÖStA-KA, A O K 5 1 2 . 1131 Jerabek, Brussilowoffensive, S. 318. 1132 Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 459. 1133 Conrads Adjutant, Oberstleutnant Kundmann, notierte am 8 . 6 . 1 9 1 6 in sein Tagebuch: »Chef hat nicht das Zeug, mit Falkenhayn überzeugend zu sprechen, immer wie der schlimme Schuljunge gegenüber dem vorwürfemachenden Lehrer. Ich kam während der Besprechung herein, da hatte Chef den Kopf zwischen beiden Händen und starrte auf die Karte.« Zit. bei Jerabek, Brussilowoffensive, S. 319. 1134 Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 460f. 1135 Kundmann-Tagebuch, zit. bei Jerabek, Brussilowoffensive, S. 321. 1128
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Die weitere Verschlechterung der Lage — die Österreicher büßten bis zum 11. Juni 1916 über 100000 Soldaten und viel Gerät ein 1136 — ließ sogar einen gänzlichen Zusammenbruch der zurückflutenden österreichisch-ungarischen Armee möglich erscheinen. Diese Befürchtung zwang Falkenhayn zum Eingreifen im großen Stil. Er mußte immer mehr Divisionen aus der Heeresreserve an die Ostfront verlegen, um die Front zu stützen und die Basis für einen Gegenangriff zu schaffen. Die eigenen Gegenstöße, besonders der Heeresgruppe Linsingen, hatten jedoch keine dauernden Erfolge. Der russische Vormarsch stockte gelegentlich, schon allein deshalb, weil die Russen selbst von der Größe ihres Erfolges überrascht waren und erst Kräfte nachziehen mußten, als sie die Chance eines entscheidenden Sieges über die Donaumonarchie erkannten. Es gelang den Deutschen und Österreichern jedoch nicht, ihre Offensive definitiv zum Stehen zu bringen. Falkenhayn nutzte die Zwangslage des Verbündeten, um als Ausgleich für die deutsche Hilfeleistung auch erweiterte Kompetenzen zu verlangen. Er schlug Conrad vor, den Befehl an seiner Ostfront dem erfolgreichen Gespann von 1915, Mackensen und Seeckt, zu übertragen, was Conrad ablehnte 1137 . Dieser hatte inzwischen die ungeheure Gefahr begriffen, in der die Mittelmächte schwebten und versuchte Falkenhayn am 15. Juni 1916 von seiner Erkenntnis zu überzeugen, daß sich die Mittelmächte nunmehr »in der größten Krise des Weltkrieges« befänden. Die Entente habe ganz offensichtlich beschlossen, zunächst den schwächeren der beiden Gegner, nämlich Österreich-Ungarn, niederzuringen, um sich dann mit ganzer Kraft auf Deutschland werfen zu können. Rußland suche die Entscheidung in Galizien. Aus Italien habe er inzwischen alle irgend entbehrlichen Truppen abgezogen; jetzt stünden dort nur 300 österreichische 620 italienischen Bataillonen gegenüber. Eine weitere Schwächung dieser Front glaubte der österreichisch-ungarische Generalstabschef angesichts italienischer Angriffsvorbereitungen am Isonzo nicht rechtfertigen zu können, denn auch ein italienischer Einbruch in die Monarchie würde zum Verlust des Krieges führen. Conrad beschwor Falkenhayn, daß es keinen russischen Angriff auf den deutschen Teil der Ostfront mehr geben werde; deshalb müßten deutsche Kräfte von dort der österreichischen Armee möglichst bald zu Hilfe kommen. Nur ein gemeinsamer kraftvoller Großangriff gegen die Russen könne die Lage jetzt noch retten1138. Falkenhayn beschränkte sich darauf, diesen eindringlichen Ausführungen dilatorisch zu antworten. Zunächst forderte er Conrad auf, daß »dem Feinde kein Fußbreit Boden mehr freiwillig überlassen« werden dürfe; die Truppe müsse kämpfen und sie dürfe keine Gelegenheit mehr erhalten, sich aus »operativen Gründen« in rückwärtige Stellungen zurückzuziehen1139. Dann wies er Conrad am 17. Juni darauf hin, daß es zwar möglich, bisher aber keinesfalls sicher sei, daß die Russen den deutschen Teil der Ostfront nicht angreifen würden. Es sei eben das Charakteristische an dem russischen Erfolg, daß er ohne Zweifel mit verhältnismäßig schwachen und zahlenmäßig unterlegenen Kräften erzielt worden sei. Bisher hätte nur die Verschiebung einer einzigen russischen Division nach Süden festgeИ36 Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 482f. 1137
Falkenhayn an Cramon, 12.6.1916, Op. Nr. 29196, in: ÖStA-KA, A O K 607; Falkenhayn an Conrad, 14.6.1916, OP.Nr. 26148, ebd., A O K 512.
1138
Conrad an Falkenhayn, 15.6.1916, OP.Nr. 26200, ebd.
1139
Falkenhayn an Conrad, 16.6.1916, OP.Nr. 26200/1., ebd.
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stellt werden können. Mit den jetzt schon vorhandenen deutschen und österreichischen Truppen müsse der Feind zum Halten gebracht werden, sonst könne ein größerer Gegenschlag, dessen Vorbereitung Wochen dauere, nicht zur Ausführung kommen 1140 . Der demoralisierte Conrad versprach Falkenhayn noch am selben Tag, alles zu versuchen, um die Front zu stabilisieren. Das gewaltige Auftreten der Russen an beiden Fronthälften erklärte er mit ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit. Besonders wohltuend mußte für den deutschen Generalstabschef das Versprechen seines österreichischen Kollegen sein, als Folge der Niederlage künftig folgsam zu sein. Conrad schrieb: »E[uere] E[xzellenz] bitte ich überzeugt zu sein, daß ich mir der Konsequenzen des gegen alle Voraussicht eingetretenen Mißerfolges, also auch der Selbstverleugnung bewußt bin, welche mir dadurch auferlegt ist 1141 .« Die russische Heeresleitung beschloß, ihren überraschenden Erfolg auszunutzen und den Hauptstoß gegen die Donaumonarchie zu lenken. Conrad fand für seine Annahme, »daß Rußland und Italien jetzt die Kriegsentscheidung durch gleichzeitigen Angriff auf beide Fronten der Monarchie mit ganzer Kraft anstreben«, immer bessere Beweise und sandte entsprechende Geheimdienstmeldungen zu Falkenhayn nach Charleville 1142 . Die krisenhafte Entwicklung an der österreichischen Ostfront gefährdete nicht nur Conrads, sondern auch Falkenhayns Kriegsplan. Beide Generalstabschefs hatten ihre Angriffe an anderen Fronten unter der Voraussetzung begonnen, daß die russische Armee durch die Niederlage des Jahres 1915 paralysiert sei und durch die gut ausgebauten Stellungen im Osten jederzeit aufgehalten werden könne. Diese strategische Prämisse stellte sich zunehmend als irrig heraus, wenn auch mehr durch die Schwäche der österreichischen Armee als durch die Schlagkraft der Russen — die aber auf jeden Fall von beiden Generalstabschefs unterschätzt worden war. Falkenhayn schätzte das russische Vordringen als schwere taktische Niederlage der österreichisch-ungarischen Armee ein, begriff aber die strategischen Konsequenzen nur schrittweise. Am 9. Juni beurteilte er die Lage im Kaiservortrag offensichtlich recht positiv 1143 . Und am 10. Juni zerbrach sich der Kaiser noch den Kopf über die Friedensbedingungen, die den Franzosen zu stellen seien — Überlegungen, die sich angesichts der Kriegslage bald schon als überflüssig herausstellen sollten 1144 . Auch der Generalstab betrachtete die Entwicklung in Galizien zunächst ohne große Sorge. Der Gesandte v. Luckwald berichtete dem Reichskanzler am 13. Juni 1916: »Im Hauptquartier sieht man den kommenden Ereignissen mit Zuversicht entgegen. Es hat sich noch immer gezeigt, wie weit deutsche Soldaten dem Russen überlegen sind. Deutsche Organisationskraft wird uns hoffentlich die erste Überlegenheit, deutscher Todesmut den Sieg bringen. [...] Es wird sich ermöglichen lassen, die Lage militärisch wiederherzustel1140
Falkenhayn an Conrad, 17.6.1916, OP. Nr. 26200/11., ebd.
1141
Conrad an Falkenhayn, 17.6.1916, OP. Nr. 26200, ebd.
1142
Conrad an Falkenhayn, 2 1 . 6 . 1 9 1 6 , Op.Geh.Nr. 7, ebd.
1143
Im Plessen-Tagebuch stehen unter dem Datum des 9 . 6 . 1 9 1 6 neben einer Warnung Falkenhayns vor einem Angriff im Westen ansonsten nur Erfolgsmeldungen: »In Italien sind die Österreicher weiter im Fortschreiten. Bei Verdun geht es auch vorwärts! Das Fort Vaux ist in unserer Hand mit 700 Gefangenen.« In: BA-MA-P, W-10/51063.
1144
Ebd., 10.6.1916.
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len, sogar in einen Sieg zu wandeln 1145 .« Auch Zivil-Kabinettschef v. Valentini bestätigte Bethmann am 16. Juni 1916, daß die »militärische Lage in Galizien [...] hier durchaus nicht pessimistisch beurteilt« werde1146. Falkenhayn war am 20. Juni noch so optimistisch, daß er dem Kaiser einen Siegfrieden versprechen zu können glaubte1147. Und Kriegsminister Wild hatte Ende Juni 1916 den Eindruck, daß Falkenhayn »den Echec1148 im Osten seinem österreichischen Kollegen gönnte, wenigstens spricht er nicht ohne Behagen von dessen unsicherer Stellung« 1149 . Möglicherweise sah Falkenhayn bei allem Schaden, der durch den russischen Erfolg schon zu diesem Zeitpunkt entstanden war, einen positiven Effekt: Dem widerspenstigen Bundesgenossen würde er endlich die militärischen Extratouren abgewöhnen und somit auch die österreichisch-ungarische Armee besser als bisher in seine strategische Planungen einbinden können. Mit viel mehr Nachdruck als bisher versuchte er Conrad zur Anerkennung der deutschen Führung im Bündnis zu zwingen. Da er gegenüber dem dringendst um deutsche Hilfe bittenden Conrad am längeren Hebel saß, begann er sich die unterschiedlichen Kombinationen für die Kommandofrage im Osten zu überlegen 1150 . Zunächst wollte er die österreichische Ostfront dem Generalfeldmarschall v. Mackensen unterstellen lassen1151. Darauf wollte Conrad, der in diesem Vorschlag den Versuch sah, die österreichische Heeresleitung auszuschalten, nicht eingehen1152. Nach weiteren österreichischen Rückschlägen — und das, obwohl die Tirol-Offensive am 16. Juni eingestellt worden war — verlangte Falkenhayn am 19. Juni erneut ein erweitertes Kommando für Mackensen. Als Gegenbedingung forderte Conrad jedoch »namhafte deutsche Verstärkungen, also eine deutsche Armee, für den Entscheidungskampf gegen die russische Südwestfront«. Falkenhayn entgegnete nur barsch, daß Conrad in Anbetracht der erheblichen deutschen Hilfe — bis jetzt 8 1/2 Infanterie- und eine Kavalleriedivision — keine Bedingungen stellen könne. Der österreichisch-ungarische Generalstabschef war »nicht bereit, auf diesen Ton einzugehen«, und für einige Tage mußte der notwendige Austausch zwischen Falkenhayn und Conrad über General v. Cramon abgewickelt werden1153. Keine neuen Ergebnisse brachte eine weitere Zusammenkunft der beiden Generalstabschef am 23. Juni 1916 in Berlin. Falkenhayn lehnte eine große eigene Offensive im Osten ab und suchte Conrad zu verpflichten, die Moral der wankenden österreichischen Truppen zu stärken und weitere Kräfte aus Italien abzuziehen. Dafür versprach Falkenhayn Reserven des Ostheeres im Falle weiterer russischer Truppenverschiebungen von Nord nach Süd1154. Luckwald an Bethmann Hollweg, 1 3 . 6 . 1 9 1 6 , in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 2466/7. 1146 Valentini an Bethmann Hollweg, 1 6 . 6 . 1 9 1 6 , in: Valentini, Kaiser, S. 231. 1147 Als der Kaiser am 20. Juni die Meinung vertrat, der Krieg werde als »partie remis« enden, entgegnete ihm Falkenhayn: »Da hoffe ich doch, Eurer Majestät etwas besseres schaffen zu können.« Müller, Regierte der Kaiser, S. 193 (Tagebucheintrag vom 20.6.1916). 1145
Echec = Desaster. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 169 (Tagebucheintrag vom 26.6.1916). 1150 Belege im ÖStA-KA, A O K 512; siehe auch unten. 1151 Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 483 f., mit Falkenhayns Vorschlag vom 1 2 . 6 . 1 9 1 6 . 1152 Ebd., S. 484, zitiert Conrads Schreiben vom 1 3 . 6 . 1 9 1 6 . » " Ebd., S. 489 f. 1154 Ebd., S. 492 f. 1148
1149
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Auch weiterhin schlug Falkenhayn verschiedene Alternativen für die Vereinheitlichung des Oberkommandos an der Ostfront vor. Nach dem Oberbefehl für Mackensen favorisierte er die Ernennung Erzherzog Karls zum Oberbefehlshaber einer Armee in der Bukowina mit Seeckt oder, was Falkenhayn noch lieber gewesen wäre, mit Ludendorff als Stabschef 1155 . Die russischen Erfolge beeinflußten auch die Haltung des bisher neutralen Rumänien. Die österreichische Schwäche drohte diesen Staat zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf das ungarische Siebenbürgen zum Kriegseintritt auf Seiten der Entente zu ermuntern. Auch deshalb mußte Falkenhayn dem Verbündeten mit immer neuen Truppen aushelfen. b) Die Westfront im Sommer 1916 — Sommeschlacht und Verdun Die Brussilow-Offensive war der vorgezogene Auftakt zum Großangriff der Entente an allen Fronten. Die italienische Armee rüstete sich, nachdem die österreichische Offensive in Tirol 1 Zurückgeschlagen worden war, zur sechsten Isonzoschlacht. Auch im Brückenkopf von Saloniki bereitete die alliierte Armee unter dem Befehl des Generals Sarrail einen Angriff vor. Engländer und Franzosen wollten mit großem Aufwand an Personal und Material den Durchbruch an der Westfront erzwingen. Am 23. Juni 1916 begann ein siebentägiges Trommelfeuer an der Somme, mit der sich der große englisch-französische Angriff ankündigte. Noch immer waren Falkenhayn und seine Mitarbeiter, Tappen und Wild, optimistisch, freuten sich über den lang erwarteten englischen Entlastungsangriff und über die Möglichkeit, dann selbst den geplanten Gegenstoß gegen die Engländer unternehmen zu können. Doch sie unterschätzten die Kraft der Westmächte. Falkenhayn hatte dem Kaiser kurz vor Angriffsbeginn gemeldet, daß die Franzosen durch die Auswirkungen der Ausblutungsschlacht vor Verdun nur noch sechs Divisionen in ihrer Heeresreserve hätten 1156 . An dem breitangelegten alliierten Durchbruchsversuch beiderseits der Somme waren jedoch neben zwanzig Infanterie- und zwei Kavalleriedivisionen der Engländer elf französische Divisionen beteiligt1157. Sie stießen auf elf deutsche Divisionen der 2. Armee unter dem Befehl General v. Belows 1158 . Erdrückend war die weit überlegene alliierte Artillerie, die durch den intensiven Beschüß schon vor Beginn des eigentlichen Angriffs bei den deutschen Grabenbesatzungen hohe Verluste forderte1159. Daß die Franzosen sich entgegen allen bisherigen Prognosen mit 1155
Wild von Hohenborn, Briefe, S. 170 f. (Tagebucheintrag vom 2 9 . 6 . 1 9 1 6 ) .
1156
Bethmann Hollweg an Valentini, 10.7.1916, in: Valentini, Kaiser, S. 234—237; Janßen, Kanzler, S. 222.
1157
Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 341. Wendt, Verdun, S. 174, schreibt, daß an der Sommeschlacht insgesamt 26 englische und 26 französische Divisionen beteiligt waren. Der ursprünglich geplante französische Einsatz sollte 40 Divisionen betragen. Die Absicht Falkenhayns, französische Kräfte vor Verdun zu binden, war somit, wenn auch in geringerem Umfang als erwartet, in Erfüllung gegangen.
use Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 348 f. 1159
Bericht Belows vom 2 8 . 6 . 1 9 1 6 an die O H L , ebd., S. 346f. Einige Angaben über das Zahlenverhältnis zwischen Angreifer und Verteidiger: Engländer und Franzosen verfügten über 1655 Feldund 1348 schwere Geschütze sowie 309 Flugzeuge, ebd., S. 340. Die 2. Armee verfügte im bedrohten Abschnitt über 598 leichte und 246 schwere Geschütze sowie 104 Flugzeuge, ebd., S. 349.
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so starken Kräften an der Offensive beteiligen konnten, führte Falkenhayn in seinen Erinnerungen auf die »über Erwarten ergiebige Ausbeutung der Kolonialtruppen« zurück. Die Ursache für die große materielle Überlegenheit der Westmächte suchte Falkenhayn in den zwar vom Völkerrecht nicht verbotenen, aber doch wahrer Neutralität nicht entsprechenden amerikanischen Lieferungen 1160 . Die Sommeschlacht war ein erneuter eklatanter Beweis dafür, daß Falkenhayn die Franzosen in ihrer Widerstandskraft weit unterschätzt hatte. Das war beim Reichskanzler nicht unbemerkt geblieben1161, und auch nicht bei seinem Gesandten v. Luckwald, der am 6. Juli 1916 aus dem Großen Hauptquartier schrieb: »[...] der Generalstab [hat sich] lange Zeit dem Irrtum hingegeben, daß unser Angriff auf Verdun eine französische Offensive an anderer Stelle mit erstklassigen Truppen unmöglich mache. Die jüngsten Ereignisse haben gelehrt, daß der Generalstab zu unserem Schaden falsch kalkuliert hat 1162 .« Ein Abbruch des vor Verdun weiterlaufenden Angriffs, der es nicht vermocht hatte, die französische Armee an einem eigenen großen Angriffsvorhaben zu hindern, schien vielen Offizieren und Diplomaten spätestens zu diesem Zeitpunkt ein zwingendes Gebot der Vernunft zu sein, selbst wenn die Truppen in ihre Ausgangsstellungen zurückgenommen werden müßten. Außerdem wurden die Reserven gebraucht, um den Österreichern im Osten zu Hilfe zu kommen. Falkenhayn wurde vom Oberbefehlshaber der 5. Armee, Kronprinz Wilhelm, mehrfach eindringlich ersucht, den Angriff einstellen zu lassen, der seinen Sinn verloren und schon viel zu viele Opfer gefordert habe. Auch im Generalstab und bei den Offizieren der verbündeten Armeen nahm die Kritik an der hartnäckigen Fortsetzung des mißglückten Unternehmens weiter zu. In der Nacht zum 3. Juli 1916 ließ sich der Abwehrspezialist des Generalstabs, Oberst v. Loßberg, von Falkenhayn in die Hand versprechen, den Angriff bei Verdun einzustellen1163. Doch zuvor wollte Falkenhayn einen letzten großen Versuch unternehmen, der Schlacht einen Sinn zu geben. Nach den Kämpfen der Vormonate war es gelungen, das Fort Vaux, das Dorf Fleury und das Zwischenwerk Thiaumont auf dem Ostufer sowie die Höhen 304 und Toter Mann auf dem Westufer der Maas zu nehmen. Sollte jetzt noch die Einnahme von Fort Souville gelingen, dann wären die Höhen des Ostufers schließlich doch in deutsche Hand gefallen, das Angriffsziel nach so vielen Opfern erreicht. Die Eroberung von Fort Souville ermöglichte nach Ansicht von General Schmidt v. Knobelsdorf die Anlage nicht einsehbarer Dauerstellungen 1164 , so daß große Teile der Angriffstruppen abgezogen werden könnten. Ein großer Angriff auf Souville, unter Verwendung neuartiger Giftgase am 11. Juli 1916 unternommen, scheiterte jedoch trotz des Einsatzes von drei Infanteriedivisionen und des Alpenkorps vollkommen. In der Angriffsarmee waren aber ohnehin Zweifel laut geworden, ob die Eroberung von Souville in diesem Stadium der Schlacht, bei dem großen Aufgebot an Artillerie auf beiden Seiten, wirklich eine Erleichterung gewesen wäre oder ob nicht erneut flankierendes französisches Artillerie1160 Palkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 226. 1161 1162 1163 1164
Siehe Kap. V, 22. Luckwald an Bethmann Hollweg, 6.7.1916, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 2466/7. Loßberg, Tätigkeit, S. 2 1 4 f „ S.219f. Wendt, Verdun, S. 184.
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feuer, diesmal von Fort Tavannes, hätte ausgeschaltet werden müssen1165. Nach Scheitern des Angriffs befahl Falkenhayn noch am 11. Juli dem Armeeoberkommando 5 mündlich »strikte Defensive« 1166 . Doch konnten nur unbedeutende Kräfte — wenig mehr als zwei Divisionen — von Verdun an die Somme abgezogen werden1167. Starke Verbände blieben vor Verdun gebunden. General Schmidt v. Knobelsdorf wollte auch jetzt noch nicht die Hoffnung aufgeben, die Dauerstellungen auf den Höhen des Ostufers erkämpfen zu können. Falkenhayn versprach sich von dem Belassen starker deutscher Kräfte vor Verdun vornehmlich jedoch einen anderen Effekt: Die Franzosen sollten in dem Glauben belassen werden, daß der Angriff fortgesetzt werde, damit sie ihre Kräfte nicht abziehen und an anderen Frontabschnitten, zum Beispiel an der Somme, angriffsweise verwenden konnten. Damit sah sich das Oberkommando der 5. Armee vor eine unerfüllbare Aufgabe gestellt: Die deutschen Truppen sollten bei ihrem französischen Gegner den Eindruck des fortdauernden Angriffs lebendig halten, ohne vom Generalstab mit immer neuen Reserven, Artillerie und Munition versorgt zu werden. Falkenhayn blieb auch weiterhin bei dieser unklaren Haltung. Er befahl am 15. August 1916 dem Armeeoberkommando, das mehrere kleinere Unternehmungen zur Verbesserung der sehr ungünstigen Stellungen weiterlaufen ließ, den Angriff zwar einzustellen, aber beim »rührigen Feind« den Eindruck zu erhalten, daß die Offensive nicht aufgegeben sei. Die Durchführung überließ er der Armeeführung. Diesen Befehl wiederholte er am 21. August und schloß die Aufforderung an, daß bis zum Eintreten der ungünstigen Jahreszeit Dauerstellungen erreicht werden sollten — ein weiterer unausführbarer Befehl, der ohne neue Kräfte nur durch einen Rückzug umzusetzen war1168. Falkenhayn blieb an seine »Unternehmung im Maasgebiet in Richtung auf Verdun«, an seine »Blutpumpe« und »Maasmühle« gekettet; selbst nach dem Krieg sah er nicht ein, daß er sich auf einem Irrweg befunden hatte 1169 . Falkenhayn hatte noch Ende Juni 1916 den alliierten Angriff an der Westfront im Abschnitt der 6. Armee erwartet. Den Armeeoberbefehlshabern der 2. und 6. Armee, General v. Below und Kronprinz Rupprecht, wurde jedoch durch Auswertung von Feindbeobachtungen immer klarer, daß der Angriff an der Somme gegen die 2. Armee erfolgen würde. Kronprinz Rupprecht bot deshalb dem Generalstab seine Reserven für die bedrohte Nachbararmee an — was Falkenhayn ablehnte. Der Generalstabschef blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, nicht zuletzt deshalb, weil er es aus der Sicht der Westmächte für klüger hielt, die 6. Armee anzugreifen1170. Als der kräftemäßig weit überlegene englisch-französische Angriff nach dem einwöchigen Trommelfeuer die Front der 1165
Ansicht General v. Lochows, Führer der Angriffsgruppe Ost vor Verdun, in: Schulenburg (damals Generalstabsoffizier im A O K 5), Die Führung Falkenhayns, in: BA-MA-P, W-l 0 / 5 0 7 0 4 .
1166
Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 202. Schulenburg, Die Führung Falkenhayns, zitiert Falkenhayn wörtlich: »Also der Angriff ist eingestellt.« In: BA-MA-P, W-10/50704.
П67 Der Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 10, S. 413. 1168
Schulenburg, Die Führung Falkenhayns, in: BA-MA-P, W-10/50704.
i' 6 9 Siehe Kap. VII, 2, bes. S. 5 0 4 - 5 0 7 . 1170
Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch I, S. 480—485, (Eintragungen vom 14.6., 19.6., 25.6.1916).
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2. Armee traf, blieb dieser nichts anderes übrig als zurückzugehen. Falkenhayn mißbilligte diesen Entschluß, der seinem Grundsatz, an der Westfront keinen Fußbreit Boden aufzugeben, widersprach, und quittierte ihn ebenso wie in der Champagneschlacht im Herbst 1915 mit einem Wechsel des Chefs des Stabes der betroffenen Armee. General Grünert wurde durch Oberst v. Loßberg ersetzt. Der neue Chef war Falkenhayns Spezialist für die Organisation schwieriger Verteidigungsschlachten und galt als einer der qualifiziertesten Generalstabsoffiziere des deutschen Heeres. Die Ablösung war trotzdem eine Brüskierung des Oberbefehlshabers der 2. Armee, des Generals v. Below, und seines bisherigen Stabschefs. Die Ablösung des Chefs war ein Zeichen des Mißtrauens gegen die ganze Armeeführung. Der Oberbefehlshaber selbst wurde nur in den seltensten Fällen und bei offenkundigem persönlichem Versagen abgelöst1171. Below war erbittert und wütend, und noch wütender war Kronprinz Rupprecht, der zu Recht darauf verweisen konnte, daß Below und er den Angriff richtig vorhergesagt hatten und daß der Fehler diesmal beim Generalstabschef lag. Beide Generäle meinten, Falkenhayn sei durch seine falsche Lagebeurteilung selbst daran schuld, daß die 2. Armee sich zurückziehen müsse, und benutze Grünert und Below als Sündenbock. Eine für Falkenhayn sehr gefährliche Mißstimmung verbreitete sich in den Oberkommandos der Westfront und auch im Generalstab1172. Der Angriff der Entente war trotz der Fehldispositionen auf deutscher Seite ein kompletter Fehlschlag. Schon am ersten Angriffstag hatten die Engländer ungeheure Verluste — 60000 Mann — zu beklagen1173, und keine Erfolge wogen die Opfer auf. Auch den Franzosen blieb ein entscheidender Erfolg versagt. Sie hatten, anders als in der Champagneschlacht, niemals auch nur annähernd die Chance eines wirklichen Durchbruchs durch die deutschen Linien. c) Falkenhayns Abwehrstrategie Die ungeheure Belastung an allen Fronten führte dazu, daß sich die übertrieben optimistische Lagebeurteilung Falkenhayns vom Mai und Juni 1916 wieder der Realität annäherte. Am 8. Juli gestand er dem Kaiser den Zusammenbruch seiner Hoffnungen für das Jahr 1916 ein: »Unsere Gesamtkriegsführung wurde bisher nach folgenden einfachen Gedanken geleitet: Im Osten schien es bei den inneren Zuständen Rußlands genügend, wenn das während des vorigen Jahres Gewonnene im großen ganzen behauptet wurde. Im Westen waren wir entschlossen, Frankreich durch Blutabzapfung zur Besinnung zu bringen. England sollte dadurch zum offensiven Vorgehen gezwungen werden, das, wie wir hofften, ihm schwere Verluste, aber keinen entscheidenden Erfolg und uns später die Gelegenheit zur Gegenoffensive bringen würde. Auf diese Weise erwarteten wir den drei Hauptgegnern 1171
1172
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Bestes Beispiel: Generaloberst v. Prittwitz und Gaffron, der unglückliche Oberbefehlshaber der 8. Armee im Aug./Sept. 1914. Siehe die Berichte Luckwalds vom Juli und August 1916, in: BA, Akten der Reichskanzlei, R 4 3 F 2466/7. Janßen, Kanzler, S. 222.
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bis zum Winter die Lust zur Fortführung des Krieges so gründlich verleidet zu haben, daß aus solcher Stimmung sich der siegreiche Frieden in irgend einer Form entwickeln mußte. Wie gut die Rechnung stimmte, haben die Geheimverhandlungen der französischen Kammer erwiesen. Leider ist durch sie ein arger Strich durch den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Armee gemacht worden.« Falkenhayn hielt trotz der russischen Erfolge am Primat der Westfront fest. Um den Entscheidungskampf im Westen durchstehen zu können, müsse im Osten hinhaltend verfahren werden. Es komme darauf an, das Vordringen der russischen Armee zu verlangsamen, bis die Entscheidung im Westen gefallen sei. Dann könne immer noch überlegt werden, ob das System der Aushilfen im Osten verlassen werden könne. Er glaube jedoch nicht daran, da er annehme, »daß Frankreich in diesem Fall einen weiteren Winterfeldzug mit Rücksicht auf sein Menschenmaterial nicht mehr ertragen kann«. Der Generalstabschef wandte sich entschieden gegen alle Vorschläge, die Angriffe im Westen und in Italien einzustellen, um an der Ostfront in großem Stil offensiv zu werden. Die Bildung einer hinreichend starken deutschen Angriffsgruppe würde zu lange dauern und die Westfront »in gefährlichster Weise [... schwächen], gerade in dem Augenblick, in dem dort die englisch-französische Offensive mit ganzer Wucht loszubrechen drohte«. Falkenhayn wollte deshalb an der Ostfront zum »System der Aushilfen« übergehen: Der Verbündete sollte an den kritischen Stellen gestützt, der Gegner durch örtliche Gegenstöße abgewiesen werden. Uber das Aushilfesystem im Osten werde Deutschland in absehbarer Zeit auch nicht hinauskommen, meinte Falkenhayn, sah darin jedoch kein Unglück. Er stellte abschließend fest: »Die Kräfte, auf beiden Fronten gleichzeitig zu schlagen, haben wir nie besessen und werden sie nicht besitzen1174.« Die Schwäche der österreichischen Ostfront machte dem Generalstabschef trotzdem ernsthafte Sorgen. Vielleicht würde es der angeschlagenen österreichisch-ungarischen Armee nicht einmal mehr gelingen, sich gegen die Russen unter Aufgabe von Gelände hinhaltend zu verteidigen. Der Zusammenbruch der Donaumonarchie bedeutete jedoch auch für Deutschland die sichere Niederlage. Da Falkenhayn von der Westfront keine Truppen mehr abziehen konnte, ohne deren Stabilität zu gefährden, versuchte er, die Ostfront auf andere Weise zu stärken. Enver Pascha hatte Falkenhayn schon im Jahre 1915 mehrfach angeboten, türkische Truppen an die Hauptfronten zu entsenden. Bisher hatte die deutsche und auch die österreichische Heeresleitung von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht, weil sie der Ansicht waren, die Türkei brauche ihre Truppen selbst und auch, weil sie befürchteten, daß die Türken sich dann als Retter fühlen und politische Forderungen stellen würden. Auch hatte Falkenhayn bisher angenommen, die Kampfkraft türkischer Verbände reiche für die harten Gefechtsbedingungen in Zentraleuropa nicht aus1175. Auch die zu Beginn des 1174
1175
Lagevortrag Falkenhayns vor dem Kaiser am 8 . 7 . 1 9 1 6 , Konzept in den Akten der OHL, zit. bei Wendt, Verdun, S. 1 7 4 - 1 7 6 . Rathenau schilderte am 2 8 . 1 1 . 1 9 1 5 eine Unterredung mit Falkenhayn in seinem Tagebuch: »[Falkenhayn erzählte], daß er vorgestern in Orsova Enver gesprochen habe und daß dieser ihm 10 Divisionen für die Westfront angeboten habe. Der Kaiser sei dafür gewesen, sie zu nehmen, Falkenhayn habe allerdings abgelehnt, weil er in der Ausrüstung dieser 150000 Mann einen glatten Abgang
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Jahres 1916 geplante Entsendung türkischer Truppen an die österreichische Ostfront war bislang unterblieben. In der gespannten Situation des Juli 1916, als seine gesamte Strategie durch das Vordringen der Russen in Galizien in Gefahr geriet, war Falkenhayn bereit, seine bisherigen Vorbehalte aufzugeben. Er ließ durch den deutschen Militärattache in Konstantinopel, General v. Lossow, bei Enver wegen der Abstellung türkischer Divisionen nach Galizien sondieren. Die Politiker und das Auswärtige Amt waren entsetzt. Enver hatte Lossow bei dieser Gelegenheit gefragt, ob Deutschland die Unversehrtheit des türkischen Territoriums bei Kriegsende garantieren werde — ein heikles Thema, das die deutsche Diplomatie bisher immer umgangen hatte. Falkenhayn wurde durch diese politischen Erwägungen wenig beeindruckt. Er gestand am 15. Juli 1916 ein, daß es »großartiger aussehen [würde] und politisch angenehmer« wäre, den »Sieg ohne Heianziehung türkischer Truppen« zu erkämpfen. Jedoch könne er andere als militärische Gesichtspunkte nicht gelten lassen. Er gab zu bedenken, daß »an Stelle von zwei deutschen Kern-Divisionen zuverlässige türkische Truppen treten« und »statt 25000 Deutscher ebensoviel Türken ihr Blut in Galizien vergießen« könnten1176. Enver erklärte sein Einverständnis, türkische Truppen auf Wunsch des deutschen Generalstabs auf andere Kriegsschauplätze zu verlegen. Obwohl Liman v. Sanders, der Chef der deutschen Militärmission in der Türkei, der Ansicht war, daß die militärische Lage des osmanischen Reiches die Entsendung von gut ausgerüsteten Truppen auf andere Kriegsschauplätze nicht gestatte, erfolgte die Verlegung zweier türkischer Divisionen nach Galizien 1177 . Die türkische Hilfe allein konnte aber die wankende Ostfront nicht nachhaltig stabilisieren. Deshalb entwickelte Falkenhayn einen zweiten, politisch noch brisanteren Vorschlag, um dem Kräftemangel abzuhelfen. Er kam auf seine Idee vom September 1915 zurück und verlangte vom Reichskanzler am 19. Juli 1916 die Aufstellung einer polnischen Armee: »Das sehr schnelle Zusammenschmelzen der österreichisch-ungarischen Menschenreserven und die außerordentlich hohen Anforderungen, die gegenwärtig an die Deutschen gestellt werden, machen es notwendig, noch vorhandene Ersatzquellen zu erschließen. Leider gibt es nur sehr wenige; die ergiebigste könnte unter Umständen Polen werden. Wie Euere Exzellenz wissen, haben wir es bisher aus politischen und wirtschaftlichen Gründen abgelehnt, darauf zurückzugreifen. Unsere veränderte Stellung zu dem polnischen Problem und die N o t zwingen uns auch hier zu einem Frontwechsel.« Falkenhayn befürwortete die Aufstellung von polnischen Freiwilligen-Legionen unter deutscher Leitung, unter Einbeziehung der bereits bestehenden österreichischen Polenvon Offizieren, Geschützen und Munition sehe; ebensogut, meinte er, hätte man russische Gefangene an die Front schicken können. Immerhin spreche dieser Vorfall für die Erkenntlichkeit der Türkei.« In: Rathenau, Tagebuch, S. 199 f. 1176 1177
Falkenhayn an das Auswärtige Amt, 15.7.1916, in: PA-AA, Weltkrieg geheim, B d 3 1 . Bericht Limans v. Sanders vom 12.7.1916, ebd. Liman schrieb an Militärkabinett und Generalstab: »Ein Staat, von dem große Teile vom Feinde besetzt sind und der fast seinen letzten Mann zum Waffendienst herangezogen hat, darf keine Truppen nach auswärts abgeben.« Siehe auch Mühlmann, Waffenbündnis, S. 107. Mühlmann schildert auch die mehrfachen Angebote Envers, Truppen nach Mitteleuropa zu entsenden.
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Legionen1178. Sein Vorschlag, eine polnische Armee aufzustellen, war ein aufwendiges und politisch brisantes Vorhaben, das sich nur mit Verzögerung auswirken konnte und auch nur unzureichend durchdacht war: Er wollte zwar eine polnische Armee, opponierte aber gegen die Gründung eines polnischen Staates. Dieses Projekt kam in seiner Amtszeit nicht mehr zur Ausführung1179. Die Forderung nach einer polnischen Armee erhielt seit Ende Juli 1916 einen anderen Stellenwert. Am 20. Juli 1916 wurde der russische Außenminister Sasonow, der jeden Separatfrieden mit den Mittelmächten wiederholt energisch abgelehnt hatte, unter dem Vorwand angegriffener Gesundheit entlassen und durch Ministerpräsident Stürmer ersetzt. Im In- und Ausland wurde — allerdings zu Unrecht — vermutet, daß Stürmer versuchen werde, eine Verständigung mit Deutschland herbeizuführen1180. Auch Falkenhayns Separatfriedenshoffnungen wurden dadurch wiederbelebt, und er hielt von nun an »eine Entscheidung auf politischem Wege« mit Rußland erneut für möglich1181. Um diese nicht zu erschweren, war die Diskussion über eine polnische Armee nicht mehr opportun. Die russische Offensive war auch weiterhin erfolgreich. Und der englisch-französische Angriff an der Somme ließ an Härte nicht nach und forderte vom deutschen Verteidiger täglich mehr Opfer als jemals die Schlacht bei Verdun1182. Nach englischen Angriffserfolgen notierte Wild am 15. Juli 1916: »Falkenhayn ist mit den Nerven recht herunter und warf gestern abend die Flinte völlig ins Korn1183.« Dem Reichskanzler gegenüber schilderte Falkenhayn die Lage am 18. Juli als »schlecht, kritisch, pflaumenweich«. Nach dem Zusammenbruch der österreichischen Ostfront sei vor allem die Karpatenlinie gefährdet. Auch im Westen sei die »Situation ernst und schwer«. Allerdings würden die deutschen Truppen der englisch-französischen Offensive standhalten können. »Es würde aber viel Blut und wohl auch noch Terrainverluste kosten. Vor Verdun würden wir unseren Druck auf die Franzosen fortsetzen, wenn auch in langsamerem Tempo und nicht so intensiv wie bisher1184.« Der Generalstabschef beurteilte die Lage auch weiterhin als ernst, glaubte aber, die Situation nach dem Abflauen der alliierten Angriffe wieder bereinigen zu können. Nach dem Regierungswechsel in Rußland stiegen seine Hoffnungen auf eine Bewältigung der Krise weiter. Beim Reichskanzler hatte er jedoch nach den unerwartet schweren Rückschlägen jeden Kredit verloren.
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1180 1181 1182 1183 1184
Falkenhayn über Grünau an den Reichskanzler, 1 9 . 7 . 1 9 1 6 , in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 31, A S 2343. Der General behauptet beschönigend in seinen Erinnerungen, die Errichtung eines polnischen Staates abgelehnt zu haben; seine Vorschläge vom Juli 1916 erwähnt er nicht. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 232—234. Zur Problematik der Gründung eines polnischen Staates durch die Mittelmächte siehe Conze, Nation; Ritter, Staatskunst III, S. 253 ff.; Lemke, Allianz. Dazu Linke, Rußland, S. 110. Grünau an das Auswärtige Amt, 1 9 . 8 . 1 9 1 6 , siehe Kap. V, 23. Tabelle bei Wendt, Verdun, Anlage 2.2. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 178 (Tagebucheintrag vom 15.7.1916). Aufzeichnung Bethmann Hollwegs vom 1 9 . 7 . 1 9 1 6 , in: Janßen, Kanzler, S. 296—298.
Wo hört die Unfähigkeit auf und fängt das Verbrechen an? Bethmann Hollweg am 10. Juli 1916
22. Bethmann gegen Falkenhayn — Die Oberbefehlsfrage im Osten Mit der militärischen Lage seit Beginn der Brussilow-Offensive verschlechterte sich fortlaufend das ohnehin seit der Auseinandersetzung um den U-Boot-Krieg stark gespannte Verhältnis zwischen Bethmann Hollweg und Falkenhayn. Bethmanns Zweifel an der Befähigung des Generalstabschefs, die er nicht einmal zu Zeiten der größten Erfolge Falkenhayns im Sommer und Herbst 1915 hatte überwinden können1185, wurden durch die militärischen Rückschläge wieder wachgerufen und durch die Berichte der Gesandten im Großen Hauptquartier, die im Sommer 1916 detailliert über die ständig wachsende Opposition gegen den Generalstabschef berichteten, weiter verschärft1186. Er hielt Falkenhayns Entschlossenheit, der Westfront den unbedingten Vorrang einzuräumen, für einen verhängnisvollen Fehler. Schlimmer noch, er glaubte, daß der General genau wie vor Ypern im Herbst 1914 jetzt vor Verdun sinnlos Ströme von Blut zu vergießen bereit sei, verbissen in seine Idee, die Entscheidung unbedingt im Westen zu erkämpfen. Der General selbst führte die Gegnerschaft des Kanzlers auf seine, Falkenhayns, Einschätzung zurück, daß England als Hauptgegner des Deutschen Reiches niedergezwungen werden müsse1187. Bethmann hielt hingegen den Einsatz der deutschen Kräfte gegen Rußland, gegen das militärische Erfolge leichter erreichbar schienen, und an der Westfront bis zum Erreichen definitiver Erfolge im Osten die strikte Defensive für angebracht. In dieser schon 1915 mehrfach diskutierten Frage — welche Erfolge gegen Rußland möglich seien und ob die zaristische Armee unter den Bedingungen des Zweifrontenkrieges niedergeworfen werden könne — gingen die Ansichten Falkenhayns einerseits und Bethmann Hollwegs, Hindenburgs und Ludendorffs andererseits nach wie vor weit auseinander. Bethmann Hollweg befürchtete, daß Falkenhayn durch seine falschen Maßnahmen Deutschland zugrunde richte, wenn niemand ihn daran hindere. Er sah jedoch kaum eine Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Die Führungskrise des Januar 1915 hatte bewiesen, daß der Kaiser bei Eingriffen des Kanzlers in seine »Kommandogewalt« ausgesprochen empfindlich reagierte. Bethmann sah in Falkenhayn nicht nur eine militärische Gefahr, sondern auch einen politischen Konkurrenten. Er wollte sein Amt freiwillig weder an Falkenhayn noch an einen anderen abtreten. Der Generalstabschef hatte jedoch kein Interesse an der KanzlerBethmann Hollweg an Valentini, 2 2 . 8 . 1 9 1 5 : »Falkenhayns Verdienste werden zwar mehr und mehr anerkannt. Vertrauen aber genießt er nirgends, Ypern wird er nicht mehr los [...].« In: Valentini, Kaiser, S. 228 f. 1186 Neben den Telegrammen des Legationsrats v. Grünau sind auch die Berichte des Legationssekretärs Erich v. Luckwald vom Juli und August 1916 sehr instruktiv. Luckwald berichtet eingehend über die wachsende militärische Kritik am Generalstabschef. In: BA, Akten der Reichskanzlei, R 43 F 2466/6. 1185
1187
Zwehl, Falkenhayn, S. 211, nach Notizen Falkenhayns vom 3 1 . 8 . 1 9 1 6 .
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Schaft1188 und verwahrte sich mehrfach dagegen, von den Konservativen zum Gegenkanzler aufgebaut zu werden. Alle diese Gerüchte beruhten auf Spekulationen, die in den Rechtskreisen immer wieder — gegen den Willen Falkenhayns — angestellt und von ihm mehrfach dementiert wurden1189. Bethmann glaubte jedoch an die Richtigkeit der spätestens seit dem Sommer 1915 nicht mehr verstummenden Gerüchte vom Kanzler Falkenhayn und bemühte sich nach Kräften, einem derartigen Vorstoß des Generals zuvorzukommen. Im April 1916 ließ er im Reichstag verbreiten, wenn er, Bethmann, zu Fall käme, so würde Falkenhayn sein Nachfolger werden, und der sei ein schlimmer Reaktionär, von dem nichts Gutes zu erwarten sei1190. Das Mißtrauen Bethmann Hollwegs konnte auch dadurch nicht beseitigt werden, daß Falkenhayn ihm Anfang Juni 1916 nach einer Redeschlacht im Parlament gegen die ultrakonservativen Kreise, vor allem den späteren Putschisten Kapp, ein Glückwunschtelegramm schickte, in dem er »dem streitbaren Kanzler« zur Abwehr der »Annexionsphantasten« und »U-Boot-Utopisten« gratulierte1191. »Oberost« bezog in dieser Frage deutlich zugunsten des Kanzlers Stellung. Hindenburg äußerte wiederholt, er verstehe nicht, was die Leute gegen Bethmann hätten; dieser sei ein guter Reichskanzler. Und Ludendorff machte den Konservativen, die Anfang 1916 im Zusammenhang mit der U-Boot-Frage über einen Kanzler Falkenhayn nachdachten, bittere Vorwürfe: Bethmann sei »vorzüglich«, Falkenhayn dagegen vertrauensunwürdig und weder zum Generalstabschef noch zum Kanzler geeignet1192. Die gemeinsame Abneigung gegen Falkenhayn und seine Strategie täuschte »Oberost«, aber vor allem den Reichskanzler über die bestehenden Unterschiede hinweg. In der kritischen Lage des Sommers 1916 fand sich die alte Interessengemeinschaft gegen Falkenhayn aus dem Herbst 1914 wieder zusammen. Ludendorff wollte nach wie vor nicht einsehen, wie knapp die deutschen Kräfte waren, und glaubte, Falkenhayn enthalte ihm
us« Dazu auch Kap. V, 8, b, bes. S. 247f. ι· 8 ' Zwehl, Falkenhayn, S. 217. Fabeck an das Reichsarchiv, 21.5.1926: »Den Gedanken, daß er Reichskanzler werden könne, bezeichnete er als phantastisch [ = im Sinne von abwegig].« In: BA-MA-P, W-l0/50709. Siehe auch Wild von Hohenborn, Briefe, S. 126 (Tagebucheintrag vom 20.1.1916). Falkenhayn schrieb ein Jahr später, anläßlich von Bethmanns Entlassung im Juli 1917, in einem Brief: »Das klägliche Ende des Herrn v. Bethmann, dessen einzelne Phasen man selbst hier in den verschiedenen deutsch-offiziellen Kommuniques einigermaßen verfolgen konnte, hat er wohl verdient. Es kommt aber zu spät. Du wirst antworten, dann hätte ich es eben früher herbeiführen müssen, als ich dazu noch imstande war. Sehr richtig. Nur gab es damals noch keinen Dr. Michaelis, dessen Leistungen wir übrigens noch abwarten müssen. Ich wäre gezwungen gewesen, einzuspringen, und dazu fühlte ich mich nach dem Kräfteverbrauch in den vergangenen Jahren nicht mehr sicher genug. Die Lage des Vaterlandes schien und scheint mir zu ernst, um Raum für Experimente persönlichen Ehrgeizes zu lassen. Meine Nachfolger denken wohl anders hierüber.« Zit. bei Zwehl, Falkenhayn, S. 282. над Der Nationalliberale Gustav Stresemann schrieb am 2 1 . 4 . 1 9 1 6 : Es wurde erörtert, »daß der Reichskanzler systematisch die Meinung verbreiten lasse, wenn er gestürzt würde, würde Herr v. Falkenhayn sein Nachfolger werden und Herr von Falkenhayn sei ein solcher Reaktionär, daß die liberalen Parteien unter keinen Umständen durch einen solchen Kanzlerwechsel innerpolitisch gewinnen könnten.« Zit. in: Weltherrschaft im Visier, S. 134. 1191
Wild von Hohenborn, Briefe, S. 161 f. (Tagebucheintrag vom 9 . 6 . 1 9 1 6 ) .
1192 Westarp-Tagebuch von Anfang 1916, in: BA-P, Nachlaß Westarp. Siehe auch Ritter, Staatskunst III, S. 199; Groener, Lebenserinnerungen, S. 313 (Tagebucheintrag vom 6.8.1916).
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die Heeresreserven aus Unfähigkeit und bösem Willen vor. Und für Bethmann waren die plötzlichen Rückschläge an allen Fronten nach der optimistischen Lagebeurteilung Falkenhayns vom Mai 1916 doppelt schmerzlich. Seit dem Erfolg der Brussilow-Offensive Anfangjuni 1916 konnte er sehen, wie sich eine strategische Prämisse Falkenhayns nach der anderen als falsch herausstellte. Der mächtige russische Angriff bewies ihm, daß die Annahme des Generalstabschefs, die russische Armee sei zu größeren Offensiven nicht mehr in der Lage, unzutreffend war. Die »russische Dampfwalze« verbreitete wieder ihren Schrekken. Auch fragte er sich am 14. Juni 1916, ob Falkenhayn Conrads »italienischen Spezialkrieg« nicht hätte verhindern können und müssen. Die Folgen der Katastrophe im Osten waren unabsehbar, die Haltung Rumäniens unsicher, der »Nutzeffekt« von Verdun bedeutend herabgesetzt. Der Krieg sei erneut »um Monate« verlängert worden — eine Feststellung, die zeigt, wie sehr sich der Kanzler die Hoffnungen Falkenhayns auf einen baldigen guten Kriegsausgang trotz aller sonstigen Skepsis zu eigen gemacht hatte1193. In Verschärfung dieser Kritik klagte er kurz nach Beginn der Sommeschlacht, am 5. Juli 1916, dem österreichischen Botschafter gegenüber, daß Falkenhayn eine neue russische Offensive für unmöglich gehalten habe. Trotz dieser Fehleinschätzungen halte der General in seinem »Eigendünkel« und seiner »Unzulänglichkeit sich allen Aufgaben gewachsen«1194. Anfang Juli 1916 schrieb auch Kronprinz Rupprecht an den Kanzler. Zutiefst erbittert über Falkenhayns Fehldispositionen mit den Reserven vor Beginn der Sommeschlacht behauptete er, Deutschland werde den Krieg verlieren, wenn Falkenhayn Generalstabschef bleibe. Die Schlachten vor Ypern 1914, bei Arras und in der Champagne 1915 sowie vor Verdun 1916 bestünden aus einer »Kette strategischer und taktischer Fehler und Unzulänglichkeiten«1195. Kronprinz Rupprecht war jedoch — anders als Bethmann Hollweg annahm — kein objektiver Beurteiler von Falkenhayns Operationsplanung, die sicherlich nicht frei von Fehlern war. Der Stabschef des Kronprinzen, General v. Kühl, bemerkte im August 1916 gegenüber dem bayerischen Militärbevollmächtigten Nagel, daß Rupprecht General v. Falkenhayn »geradezu glühend hasse«1196. Bethmann Hollweg zog am 10. Juli 1916 in einem Brief an Zivil-Kabinettschef v. Valentini eine Bilanz der Irrtümer des Generalstabschefs 1197 . Falkenhayn habe im September 1915 behauptet, die Franzosen seien mit ihrem Menschenmaterial am Ende und könnten keinen neuen Winterfeldzug ertragen. Ebenfalls 1915 habe er angenommen, das Rückgrat des russischen Heeres sei gebrochen und die Russen nur noch zu lokalen Vorstößen, aber nicht mehr zu einer großen Offensive befähigt. Falkenhayn sei der Ansicht gewesen, daß die Franzosen durch die Beanspruchung vor Verdun nicht in der Lage seien, sich an der alliierten Frühjahrs- oder Sommeroffensive zu beteiligen; er habe dem Kaiser in seiner Gegenwart vor der Sommeschlacht gemeldet, die Franzosen hätten außerhalb des Abschnitts von Verdun nur noch sechs Divisionen in Reserve. Jetzt seien hingegen »einige 1193 1194 11.5 11.6
1197
Bethmann Hollweg an Valentini, 14.6.1916, in: Valentini, Kaiser, S. 229. Ritter, Staatskunst III, S. 629, Anm. 21. Bethmann Hollweg an Valentini, 10.7.1916, in: Valentini, Kaiser, S. 234. Bericht Nagels an den bayerischen Kriegsminister, 25.8.1916, in: BHStA-KA, MKr 1830. Siehe auch Kap. V, 21, b. Bethmann Hollweg an Valentini, 10.7.1916, in: Valentini, Kaiser, S. 234—237.
22. Bethmann gegen Falkenhayn — Die Oberbefehlsfrage im Osten
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zwanzig« Divisionen an der Somme, während die französischen Angriffe vor Verdun weitergingen. Und jetzt unterschätze Falkenhayn die »Riesengefahr im Osten« noch immer. Bethmann war angesichts dieser — scheinbar eindeutigen — Beweise für das Versagen des Generalstabschefs in großer Sorge um die Zukunft. Zumindest die gesamte Ostfront müsse dem fähigsten Offizier, nämlich Hindenburg, anvertraut werden, um die bedrohliche russische Offensive zu bremsen. Dieses Ziel versuchte der Reichskanzler durch die Intervention bei Valentini und Lyncker schon seit Mitte Juni 1916 zu erreichen1198. Am liebsten hätte er zwar einen Wechsel des Generalstabschefs gesehen, doch entschied er, man dürfe nicht »zwei Hasen auf einmal jagen«. Als Nachfolger Falkenhayns kam nur das Gespann Hindenburg-Ludendorff in Betracht; denen jedoch sollte seiner Ansicht nach zum gegenwärtigen Zeitpunkt die gesamte Ostfront anvertraut werden. Er hielt es außerdem für bedenklich, mitten in der Somme-Schlacht den Generalstabschef zu wechseln. Als Interimslösung sollte Falkenhayn mit tüchtigeren Mitarbeitern umgeben werden. Bethmann meinte: »Womit beschäftigt sich der Mann nicht alles? Neben seinen Operationen mit äußerer und innerer Politik auf offenen und versteckten Wegen. Und wen hat er als Gehilfen für seine Strategie, in der er während jetzt bald zwei Jahren noch keinen Befähigungsnachweis erbracht hat? Tappen! Was seine übrigen Herren in der Operationsabteilung leisten können, weiß ich nicht. Hervorgetreten ist keiner, und kein Erfolg spricht für sie. Wäre unsere Truppe nicht so wundervoll, dann wären wir längst besiegt.« Bethmann unterstellte Falkenhayn auch mutwillige Opposition gegen eine Regelung der Kommandoverhältnisse im Osten zu Hindenburgs Gunsten, »bis es vielleicht zu spät ist«, und fragte abschließend: »Wo hört die Unfähigkeit auf und fängt das Verbrechen an?« Dieses harte Urteil war weniger berechtigt, als Bethmann glaubte, und stützte sich vor allem auf die einseitige Kritik von »Oberost« und Kronprinz Rupprecht, den geschworenen sachlichen und persönlichen Gegnern Falkenhayns. Valentini warnte ihn deshalb auch, die Kritik an Falkenhayn nicht zu übertreiben: »Der augenblicklichen Krisis, die auf der endlich nach zwei Jahren hergestellten einheitlichen Offensive der Gegner beruht, könnte ein anderer auch kaum anders begegnen1199.« Bethmann selbst hatte sich früher auch erheblich positiver über Falkenhayns Erfolge geäußert1200. Das Verhältnis zwischen Falkenhayn und Bethmann Hollweg war jedoch seit dem Ende der U-Boot-Krise so gespannt, daß ein freier Austausch nicht mehr stattfand. Kriegsminister Wild schrieb am 6. August 1916: »Die beiden Männer meiden sich jetzt, und das geht nicht1201.« Zunächst wollte sich der Reichskanzler aus taktischen Gründen auf eine Änderung der Kommandoverhältnisse im Osten zugunsten von Hindenburg und Ludendorff beschränken. Das mußte jedoch nach seiner Einschätzung in der Folge zwangsläufig einen WechDazu Ritter, Staatskunst III, S. 226 f.; ausführlich Janßen, Wechsel. " " Ritter, Staatskunst III, S. 226. 1200 Ein Beispiel: Der bayerische Gesandte in Berlin, Graf Lerchenfeld, resümierte in einem Brief eine Unterredung mit Bethmann Hollweg am 2 3 . 5 . 1 9 1 5 : »Aus einigen Äußerungen des Reichskanzlers konnte ich entnehmen, daß sein Verhältnis zum Chef des Generalstabs sich gebessert hat. Er erkannte an, daß Generaloberst [!] von Falkenhayn tüchtiges leiste.« Lerchenfeld an Lössl, 2 3 . 5 . 1 9 1 5 , in: Briefwechsel Hertling-Lerchenfeld 1912—1917, Bd 1, S. 448f. Weitere Beispiele ebd. 1201 Wild von Hohenborn, Briefe, S. 190 (Tagebucheintrag vom 6.8.1916). 1198
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sei in der Führung des deutschen Heeres bewirken1202. Er wollte die seiner Ansicht nach besten Männer — Hindenburg und Ludendorff — an der Spitze des Heeres sehen. Sollte es dem »Feldherrnduo« nicht gelingen, die militärische Lage zu verbessern, so würde für ihn, den Reichskanzler, und auch für das deutsche Volk feststehen, daß Besseres nicht mehr zu erreichen sei. Bethmann Hollweg wollte sich hinter der Popularität Hindenburgs verschanzen, um vor der öffentlichen Meinung bei allen Wechselfällen des Kriegsglücks abgesichert zu sein. Mit Hindenburg könnten der Kaiser und er sogar einen enttäuschenden Frieden machen, mit Falkenhayn nicht, glaubte er1203. Diese Absicht des Reichskanzlers, den populären Hindenburg als Schutzschild für sich und auch den Kaiser zu nutzen, erkannte auch Falkenhayn als eines der Motive für Bethmanns offenes Vorgehen gegen seine Stellung1204. Die Übertragung des Oberbefehls im Osten auf Hindenburg und Ludendorff war eine populäre Forderung, die allgemein einsichtig schien und der auch Falkenhayn die Berechtigung nicht absprechen konnte. Schließlich hatte er selbst von Conrad im Juni 1916 zum Ausgleich für die deutsche Unterstützung mit Truppen mehrfach eine Ausweitung der deutschen Kompetenzen an der österreichischen Ostfront verlangt. Er hatte sich allerdings mit Conrads Ablehnung seiner Vorschläge zufriedengeben müssen. Sein österreichisch-ungarischer Kollege war der Ansicht, jetzt würden nur die Verstärkungen zählen, die Zahl der Bataillone, nicht aber das Verschieben von Kompetenzen. Eine völlige Ausschaltung des österreichisch-ungarischen Generalstabs von den Entscheidungen an der Ostfront sei eine Schädigung des »Prestiges«, die die Monarchie nicht hinnehmen könne1205. Die Diskussion um den Oberbefehl an der Ostfront erhielt durch die Einmischung Bethmann Hollwegs einen anderen Charakter. Der Gesandte v. Treutier überzeugte den Chef des Militärkabinetts, v. Lyncker, bisher einer der getreuesten Anhänger und Unterstützer Falkenhayns, daß Hindenburg den Oberbefehl über die gesamte Ostfront erhalten müsse. Lyncker schrieb daraufhin dem Generalstabschef, die Stellung Hindenburgs sei eine Personalfrage und falle somit in sein Ressort. Er wolle dem Kaiser einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Der Chef des Militärkabinetts hoffte, daß Falkenhayn von sich aus den Vorschlag einer Neuordnung der Befehlsverhältnisse im Osten machen 1202 D e r Reichskanzler schrieb in seinen Memoiren, daß nach der Übertragung des Oberbefehls an der Ostfront an Hindenburg ein Wechsel des Generalstabschefs »eine in der Sache liegende Konsequenz« gewesen wäre. Bethmann Hollweg, Betrachtungen II, S. 45. 1203 Janßen, Kanzler, S. 235; Müller, Regierte der Kaiser, S. 206 (Tagebucheintrag vom 26.7.1916). Das Verfahren war nicht neu; im Frühjahr 1915 wollte sich Bethmann ebenfalls hinter dem Generalstabschef verstecken, falls das »schlesische Angebot« zum Tragen gekommen wäre, siehe Kap. V, 10, b. 1204 Zwehl, Falkenhayn, S. 211. Darauf geht Janßen, Wechsel, passim, und ders., Kanzler, besonders S. 210—256, ausführlich ein. Janßen sieht in diesem Argument Bethmanns den Hauptgrund für dessen Bereitschaft, an Falkenhayns Sturz mitzuarbeiten. Dabei betont er zwar auch mehrfach, daß Bethmann an Falkenhayns militärischer Leistungsfähigkeit gezweifelt habe; es entsteht jedoch der Eindruck, als ob Janßen Bethmanns Wunsch nach einem von Hindenburg gedeckten Verständigungsfrieden für das wesentlichere Motiv halte. Die Quellen zeigen jedoch, daß Bethmanns Geringschätzung von Falkenhayns Strategie der hauptsächliche Beweggrund für den von ihm betriebenen Chefwechsel war. 1205
Cramon, Bundesgenosse, S. 66—73.
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werde1206. Nach einer Diskussion mit Kriegsminister Wild fügte Falkenhayn sich widerwillig. Generaloberst v. Plessen schrieb am 3. Juli 1916 in sein Tagebuch: »Beim Vortrag schlägt Falkenhayn auf Drängen von Lyncker für den ganzen Osten Hindenburg als Oberbefehlshaber vor. S.M. wird die Zustimmung sehr schwer und verdirbt die Laune für den Rest des Tages total 1207 .« Wilhelm Π. war Anfang Juli 1916 der vehementeste Verteidiger der bisherigen Kommandostruktur. Die weitere Hervorhebung Hindenburgs durch neue Kompetenzen war ihm ein Greuel. Daran war nicht zuletzt das Drängen des Auswärtigen Amtes schuld, das unter Hinweis auf die Volksstimmung die Erhebung Hindenburgs zum Oberbefehlshaber aller deutschen Streitkräfte im Osten forderte. Das autokratische Selbstverständnis des Kaisers wurde getroffen durch die Zumutung, »auf die Volksstimmung in Berlin Rücksicht zu nehmen. Das bedeute eine Abdankung für ihn, und Hindenburg sei damit als Volkstribun an seine Stelle getreten1208.« Der Kaiser hatte das Gefühl, daß die Popularität Hindenburgs auf Kosten seiner eigenen ginge, und lehnte eine weitere Erhöhung des Feldmarschalls ab. Ein Teil dieser Gedanken wurde ihm von Falkenhayn souffliert. Der Generalstabschef soll im Juli 1916 im Park von Pleß zu Wilhelm II. gesagt haben: »Wenn Euer Majestät Hindenburg und Ludendorff nehmen, dann hören Euer Majestät auf, Kaiser zu sein 1209 .« Auch bezeichnete Falkenhayn, wie Kronprinz Rupprecht am 2. Juli 1916 behauptete, Hindenburg vor Wilhelm II. als »neuen Wallenstein« 1210 . Der Kaiser und sein General versuchten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die Erweiterung der Kompetenzen für Hindenburg zu hintertreiben. Admiral ν. Müller berichtete am 2. Juli 1916, Falkenhayn lehne offenbar die Übertragung des östlichen Oberbefehls an Hindenburg ab, weil es dann zu Schwierigkeiten bei der Truppenverschiebung kommen werde1211. Falkenhayn konnte über die geplante Erweiterung der Befugnisse von Hindenburg und Ludendorff nicht begeistert sein. Ludendorff sah nur seine Front und nicht die Gesamtlage. Noch Ende Juni 1916, als die Situation bereits sehr kritisch war und ein schwerer Abwehrkampf an allen Fronten einsetzte, hatte Ludendorff schriftlich bei Unterstaatssekretär Zimmermann protestiert, daß er im Mai nicht die nötigen Kräfte für die Eroberung Rigas bekommen habe — ein eigenwilliges Unternehmen ohne Einfluß auf die Gesamtlage und ein Vorschlag, der schon stark in die Richtung von Ludendorffs späteren Ost-Expansionsplänen wies 1212 . Das Abstellen von Reserven zur Stützung der österreichischen Front nach den russischen Angriffserfolgen wertete Ludendorff als Beweis dafür, daß für sein Unternehmen gegen Riga auch vorher genügend Kräfte vorhanden gewesen seien. Es drohte für Falkenhayn sehr schwer zu werden, mit Hindenburg und Ludendorff zusammenzuarbeiten, wenn diese tatsächlich die ganze deutsche Ostfront kommandieren soll1206 w i l d von Hohenborn, Briefe, S. 172 (Tagebucheintrag vom 2 . 7 . 1 9 1 6 ) ; Janßen, Kanzler, S. 217f. 1207
Plessen-Tagebuch, 3 . 7 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-10/51063.
1208 Müller, Regierte der Kaiser, S. 200 (Tagebucheintrag vom 3.7.1916). 1209
Janßen, Kanzler, S. 235.
1210
Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch, S. 494 (Eintrag vom 2 . 7 . 1 9 1 6 ) .
12И Müller, Regierte der Kaiser, S. 198 (Tagebucheintrag vom 2 . 7 . 1 9 1 6 ) . Der Admiral vermutete, wie viele andere, Gründe persönlicher Rivalität hinter Falkenhayns Haltung. 1212
Ludendorff an Zimmermann, 2 9 . 6 . 1 9 1 6 , in: Janßen, Kanzler, S. 292f.
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ten. Jede Division, die er in den Westen abziehen wollte, hätte erst mühsam dem Stab von »Oberost« abgehandelt werden müssen. Eine starke Einschränkung der strategischen Beweglichkeit — die nicht zuletzt in der Möglichkeit zur raschen Verlagerung von Kräften von einem Brennpunkt zum anderen beruhte — wäre die Folge gewesen. Daß Falkenhayn sich für diese Perspektive nicht erwärmen konnte, hatte sachliche Gründe und entsprang nicht dem Gefühl persönlicher Rivalität. Manchem seiner Kritiker leuchtete diese Argumentation auch durchaus ein. Staatssekretär v. Jagow sprach in diesen Tagen mit Falkenhayn und notierte später: » U m nicht gewissermaßen hinter dem Rücken Falkenhayns gegen ihn zu intriguiren, suchte ich ihn auf, schilderte ihm offen die in unserem Volke und auch in Osterreich herrschende Mißstimmung und rieth ihm, dem Feldmarschall einen erweiterten und selbständigen Befehl im Osten einzuräumen. Falkenhayn nahm meine Ausführungen, so peinlich sie ihn auch berühren mochten, mit viel Haltung auf und ließ sich auf eine längere Diskussion der Frage ein. Der hauptsächlichste — nicht unberechtigte — Einwand, den er erhob, war, daß eine solche Zweiteilung des Oberbefehls nur zu verstärkten Reibungen und Unzuträglichkeiten führen würde. [...] Als ich von der Unzufriedenheit unserer österreichischen Bundesgenossen sprach, rief er: >Sagen Sie nur den Österreichern, daß sie [...] an der Verschlechterung der Lage durch den Sieg Brussilows schuld sind1213.«< Falkenhayn hoffte, daß sich die ganze Angelegenheit an der bekannten, in Kommandofragen intransigenten Haltung Conrads zerschlagen werde. In dem Schreiben, das er auf Drängen Lynckers verfaßt hatte, schlug er seinem österreichischen Kollegen am 3. Juli vor, »den Generalfeldmarschall von Hindenburg mit dem operativen Oberbefehl über die gesamte Ostfront von der Bukowina bis zur Ostsee zu betrauen«, und fügte hinzu, daß »der Feldmarschall natürlich der deutschen O.H.L. unterstellt bleiben müßte«. Nach allen bisherigen Erfahrungen konnte er sich damit Conrads energischen Widerstandes sicher sein. Seine Bemerkung, daß »die Vorteile einer derartigen Regelung [...] ebenso auf der Hand [liegen] wie die Schattenseiten«, zeigte Falkenhayns eigene Skepsis überdeutlich und garantierte die ablehnende Haltung Conrads, der erwartungsgemäß den Vorschlag noch am selben Tag zurückwies. Er befürchtete, daß eine solch weitgehende Ausschaltung des österreichischen Oberkommandos als »Eingeständnis der völligen Ohnmacht« gewertet werden würde1214. Doch nicht nur Conrad, auch der Kaiser lehnte jede Neuordnung der Kommandoverhältnissse im Osten strikt ab. Plessen notierte über einen Vortrag des Generalstabschefs vom 4. Juli 1916: »Falkenhayn hat vorgetragen, daß die Österreicher abgelehnt haben, ihre Truppen im Osten Hindenburg zu unterstellen, worauf General Lyncker noch einmal den Versuch gemacht hat, daß Hindenburg dann wenigstens die deutschen Truppen einheitlich unterstellt erhielte. Auch dies wurde glatt von S.M. abgelehnt. Sehr betrübend! Es wird S.M. noch sehr leid tun 1215 .« Hindenburg verlangte am 7. Juli von Lyncker den Oberbefehl an der ganzen Ostfront — eine Forderung, die Falkenhayn erneut auf indirekte Weise zu boykottieren versuch1213 1214 1215
Manuskript Jagows, in: PA-AA, Nachlaß Jagow, Bd 8. Schreiben Falkenhayns und Antwort Conrads vom 3.7.1916, in: BA-MA-P, W-l0/51489. Plessen-Tagebuch, 5.7.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063.
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te1216. Als jedoch am 17. Juli ein Bericht des deutschen Generalkonsuls aus Budapest die Kriegsmüdigkeit der Ungarn und ihren zunehmenden Wunsch nach einem Separatfrieden schilderte, entstand Unruhe, geradezu Panik beim Kaiser und seiner Umgebung. »Man sagt Osterreich könnte nicht mehr, müßte Frieden machen«, notierte Plessen in sein Tagebuch1217. Falkenhayn hatte dem Kaiser die Lage im Osten erheblich positiver dargestellt, weswegen die Nachricht jetzt »fast tödlich« (Plessen) wirkte. Neben den Abschnitt des Berichts, in dem hervorgehoben wurde, daß die Ungarn sich baldmöglichst das Kriegsende herbeisehnten, ja daß ihr Friedenswunsch sich zu gefährlicher Resignation und zum Verlangen nach Frieden um jeden Preis zu steigern drohe, schrieb der Kaiser: »Was ich Seiner Exz. dem Chef d. Generalstabes vorausgesagt habe! Er hat es bestritten!« Unter dem Bericht resümierte Wilhelm II.: »Entspricht ungefähr dem, was ich dem General v. Falkenhayn am 17/VII sagte; er glaubte nicht daran1218.« Von nun an drängte der Kaiser selbst auf eine Neuordnung der Kommandoverhältnisse im Osten und wurde darin von Lyncker bestärkt. Ein weiterer österreichischer Rückschlag am 21. Juli und die Nachricht vom 22. Juli, daß sich sogar der ungarische Oppositionsführer Graf Andrassy für den Oberbefehl Hindenburgs an der gesamten Ostfront einsetze, bestärkten den Kaiser weiter in seiner Haltung. Bethmann informierte ihn telegraphisch über die Stimmung in der Donaumonarchie und konnte ihn überzeugen, daß die Widerstände Conrads gebrochen werden könnten, wenn sich der Kaiser selbst für den deutschen Oberbefehl an der Ostfront stark mache1219. Kriegsminister Wild, der sich lebhaft für den Oberbefehl Hindenburgs aussprach, schrieb am 24. Juli 1916: »Seit Andrassy unter Betonung des bevorstehenden Verfalls der österreichisch-ungarischen Monarchie geradezu um Hindenburg gebeten hat, betrachtet Seine Majestät die Berufung Hindenburgs als Führer der Ostfront als eine Forderung der Völkerpsychologie1220.« Nunmehr durch den Kaiser gedrängt1221, verhandelte Falkenhayn am 18. Juli — einen Tag nach Ankunft der Hiobsbotschaft aus Ungarn — mit Conrad, Wild und Ludendorff in Berlin die Oberbefehlsfrage und schlug den Oberbefehl Hindenburgs über die gesamte deutschösterreichische Ostfront vor. Der Name Hindenburg würde eine zündende Wirkung auf die österreichischen Verteidiger haben und die Russen schrecken. Conrad war jedoch zu keinem Zugeständnis zu bewegen. Er blieb bei seiner Ansicht, daß die österreichische Ostfront südlich der Pripjet-Sümpfe als militärische Einheit zu betrachten sei, und verwies darauf, daß dort 135000 Deutsche und 422000 Österreicher gegen 800000 Russen stünden. Der Oberbefehl Hindenburgs würde auf die österreichisch1216 1217 1218
1219 1220 1221
Ebd., 7 . 7 . , 8 . 7 . 1 9 1 6 . Ebd., 1 7 . 7 . 1 9 1 6 . Bericht des deutschen Generalkonsuls in Budapest vom 1 4 . 7 . 1 9 1 6 , in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 31, zu A S 2284. Dazu auch Janßen, Kanzler, S. 226. Ebd., S. 230f. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 180 (Tagebucheintrag vom 247.1916). In der bisherigen Literatur — Janßen, Kanzler; Janßen, Wechsel; Ritter, Staatskunst III — wurde immer das Drängen Bethmanns auf eine Änderung der Kommandoverhältnisse als entscheidend hingestellt. Nach Auskunft des bisher in der Forschung unbekannten Plessen-Tagebuchs — Eintragungen vom 1 7 — 2 7 . 7 . 1 9 1 6 — ging die ganze Angelegenheit jedoch viel mehr vom Kaiser und seiner Umgebung aus; Bethmann leistete lediglich Schützenhilfe.
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ungarischen Truppen keinen großen Eindruck machen und nur als deutsche Bevormundung empfunden werden. Ohne die Entsendung weiterer deutscher Truppen an die Ostfront hielt er Änderungen der Befehlsstruktur für wertlos1222. Falkenhayn wiederum konnte nur eine Durchmischung der Front mit deutschen Verbänden zusichern — den sogenannten »Korsettstangen«, die den demoralisierten Österreichern wieder Halt geben sollten. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine numerische Verstärkung, sondern nur um einen Austausch deutscher mit österreichischen Verbänden. Falkenhayn versuchte Conrad den Oberbefehl für Hindenburg abzutrotzen, obwohl er von der Richtigkeit dieser vom Kaiser, von Lyncker und dem Reichskanzler geforderten Maßnahme nicht überzeugt war. Conrad kehrte schwer verstimmt nach Teschen zurück und meinte zu seinen Offizieren, »daß er sich lieber durchprügeln ließe, als nach Berlin zu fahren und mit diesem Menschen zu verhandeln. Auch Ludendorff war anwesend, dieser sei recht dick und noch arroganter als früher geworden, gegen unseren Chef aber ebenso nett wie borstig gegen Falkenhayn. Zu einem nennenswerten Ergebnis haben die Besprechungen angeblich nicht geführt1223.« Am 21. Juli 1916 mußte er auch Kaiser Franz Joseph über die Oberbefehlsfrage Vortrag halten. Dabei erwies sich der alte Kaiser über die Hintergründe der Oberbefehlsfrage als besser informiert als sein Generalstabschef. Er sagte: »Da ist eine große Intrige im Spiel. Man will ihn [Falkenhayn] beschränken und das geht von deutschem diplomatischem Korps [aus]. [Die Intrige] geht [von der] Idee aus, daß man die ganze Ostfront dem Falkenhayn wegnimmt und dort direkt den Hindenburg zum Verantwortlichen und Leitenden macht, wobei der Falkenhayn nur auf [die] Westfront beschränkt bleiben sollte.« Conrad entgegnete: »Von dieser Intrige weiß ich nichts, ich habe mich gegenüber Falkenhayn nur von sachlichen Gründen leiten lassen und ihm das gesagt.« Kaiser Franz Josef bemerkte, »daß man in Deutschland auf Falkenhayn nicht gut zu sprechen ist«. Conrad antwortete darauf: »Ich sehe die Gründe nicht ein, kann nur sagen, daß es nicht angenehm ist, mit Falkenhayn zu verkehren, weil sie [die Deutschen] einem bei jeder Gelegenheit ihre Überlegenheit zu spüren geben. Aber [er hat] immer das mögliche getan, um uns beizustehen. Das [ist] sachlich bewährt. Das A O K [hat sich] abgefunden, gewissermaßen den Schuldigen zu spielen. Jede Fahrt nach Berlin [ist] wie eine Hinrichtung, aber [ich muß] sie machen, weil sie nicht zu umgehen ist1224.« In dieser Notlage gab der bisher immer wieder opponierende österreichische Generalstabschef vor seinem Kaiser also zu, daß ihm zwar der menschliche Umgang mit Falkenhayn unangenehm sei, daß dieser aber das mögliche getan habe, um die gemeinsame Ostfront zu stützen, und daß er die Kritik an Falkenhayn nicht teilen könne. Dieser wiederum hatte sich — berechtigterweise — Conrads Argumente zu eigen gemacht. Als Bethmann noch am 18. Juli von ihm erfahren wollte, was er mit Conrad in der Oberbefehlsfrage ausgemacht habe, bat ihn Falkenhayn »in erregtem Ton, [...] ihn in dieser Frage nicht zu bedrängen. Politische Gesichtspunkte müßten bei ihr völlig ausscheiden,
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Stenoprotokoll des Conrad-Adjutanten Kundmann, abgedruckt bei: Jerabek, Brussilow-Offensive, S. 404. Siehe auch Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. 528. Schneller-Tagebuch, 19.7.1916, in: ÖStA-KA, Nachlaß Schneller. Gesprächsstenogramm vom 21.7.1916, abgedruckt in: Jerabek, Brussilow-Offensive, S. 409f.
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sie könne nur militärisch beurteilt werden1225.« Der Reichskanzler wisse ja, daß die österreichische Heeresleitung gegen einen einheitlichen Oberbefehl Hindenburgs sei. General Conrad habe gute Gründe für seinen Standpunkt, denen er sich anschließen müsse. Die Betrauung Hindenburgs mit dem Oberbefehl an der Ostfront würde von den Österreichern als »Depossedierung« und Prestigeverlust empfunden werden und ihren inneren Zusammenbruch vollenden. Auch stimme es nicht, daß Hindenburg kaltgestellt sei; er werde an seiner Front im Norden dringend gebraucht. Im übrigen erfülle er Hindenburgs Wünsche über seinen Befehlsbereich hinaus — was Bethmann, der sich bei Ludendorff vorher erkundigt hatte, zugestehen mußte. Name und Oberbefehl Hindenburgs könnten weder die Moral der Österreicher heben noch das Hauptübel, nämlich die Unzuverlässigkeit der ruthenischen und tschechischen Regimenter, kurieren. Das könne Conrad allein. Falkenhayn wehrte den Vorwurf ab, er verfolge sein eigenes Spiel: »Uber den, wie er wisse, gegen ihn erhobenen Vorwurf, als lasse er sich bei seinen Entschlüssen von persönlicher Gegnerschaft gegen Hindenburg oder Ludendorff leiten, fühle er sich hoch erhaben. Um die völlige Unbegründetheit dieses Vorwurfs zu bekunden, habe er ja selbst die Einrichtung eines einheitlichen Oberbefehls im Osten beantragt. Wenn Conrad zustimme, werde er Seiner Majestät entsprechende Vorschläge machen, gegen Conrads Widerspruch niemals.« Bethmann Hollweg gewann aus den Ausführungen des Generalstabschefs den Eindruck, »daß Herr von Falkenhayn grundsätzlich einen Oberbefehl Hindenburg nicht will«. Diese Ansicht war jedoch zu eindimensional. Zwar war Falkenhayn ein Gegner des Oberbefehls Hindenburgs, hatte aber sachliche, keine persönlichen Gründe. Außerdem war sein Widerstand nicht entscheidend, da das Haupthindernis der Neuordnung die unbedingte Gegnerschaft Conrads war. Allerdings war dessen Ansehen nach den österreichischen Niederlagen im Osten und dem gescheiterten Angriff gegen Italien in der Donaumonarchie stark gesunken, was die deutschen Stellen auch wußten. Zunehmend versuchten sie, den Widerstand beider Generalstabschefs gegen die Neuordnung der Befehlsverhältnisse zu überspielen. Bethmann forderte Falkenhayn am 21. Juli 1916 auf, den »Faktor Hindenburg«1226 zur Überwindung der Krise an der österreichischen Ostfront auszunutzen. Der Generalstabschef las das Telegramm Groener vor. Dieser meinte, daß der Reichskanzler die Übertragung des Oberbefehls der gesamten Ostfront an Hindenburg »in einer Form [... forderte], die nicht nur ziemlich stark war, sondern auch die Angst des Herrn Reichskanzlers recht deutlich zum Ausdruck brachte«1227. Der Feldeisenbahnchef machte Falkenhayn einen Vorschlag, den dieser sofort aufgriff und in die Verhandlungen mit dem Reichskanzler und den Österreichern einbrachte: Hindenburg sollte den Befehl über seine Heeresgruppe abgeben, die Verteidigung in Galizien übernehmen und die dortigen Armeen kommandieren — unter formellem k.u.k. Oberbefehl1228. Protokoll Bethmann Hollwegs über eine Unterredung mit Falkenhayn am 1 8 . 7 . 1 9 1 6 , abgedruckt in: Janßen, Kanzler, S. 296—298. 1226 Der Weltkrieg 1914—1918, Bd 10, S. 529. Vollständiger Text des Telegramms in: BA-MA-P, W-10/51489. 1227 Groener, Lebenserinnerungen, S. 311 (Tagebucheintrag vom 2 1 . 7 . 1 9 1 6 ) . 1228 Falkenhayn an Conrad, 23.7.1916, zu Op.Geh.Nr. 45, in: ÖStA-KA, Militärkanzlei S.M., 6 9 - 2 / 6 - 8 ex 1916. 1225
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Doch fand dieser Vorschlag keine Zustimmung im Hauptquartier. Plessen empfand ihn als »ganz unglaublich« und argwöhnte, man wolle »unseren Besten einfach abschieben«1229. Auch Hindenburg stand diesem Vorschlag sehr reserviert gegenüber und wollte nur auf Befehl des Kaisers zustimmen. Und Bethmann riet ihm, nur dann anzunehmen, wenn er seinen bisherigen Befehlsbereich zusätzlich behalten und auf diese Weise die gesamte deutsche und den Nordabschnitt der österreichischen Ostfront befehligen könne1230. Generaloberst Conrad beeilte sich hingegen, dieser neuen Regelung zuzustimmen, und sandte Falkenhayn einen entsprechenden Kurzentwurf zur genauen Regelung der Kommandoverhältnisse. Besonders willkommen war ihm, daß Hindenburg unter seinem Kommando den gefährdetsten Teil der österreichischen Ostfront übernehmen sollte, da er annahm, daß die Deutschen ihren Nationalheros sicherlich mit ausreichend Truppen unterstützen würden, um militärische Erfolge gegen die angreifenden Russen überhaupt erst zu ermöglichen 1231 . Falkenhayn wurde inzwischen von allen Seiten bearbeitet, die Österreicher unter Druck zu setzen und ihnen die Ernennung Hindenburgs abzuringen. Doch ausgerechnet der Generalstabschef, der noch im Herbst 1915 den Österreichern das Inspektionsrecht des deutschen Kaisers hatte aufzwingen wollen, machte sich jetzt zum Fürsprecher der Unabhängigkeit der Donaumonarchie — ein Widerspruch, der nicht unbemerkt blieb und dem Gerücht Nahrung gab, er versuche die Ernennung Hindenburgs aus persönlichen Gründen zu hintertreiben 1232 . Während er den deutschen Stellen gegenüber die Schwierigkeiten einer Neuregelung gegen den Widerstand des Bundesgenossen hervorhob, versuchte er bei seinem österreichischen Kollegen ein Höchstmaß an Konzessionen herauszuhandeln. Am 25. Juli 1916 fragte er bei Conrad an, ob er einen Oberbefehl Hindenburgs über die gesamte Ostfront von der Bukowina bis zur Ostsee »auch jetzt noch, nach Verschlechterung der Lage in Galizien«, ablehne. Wenn ja, so setze er voraus, daß die Ablehnung »auch der Willensmeinung seiner k.u.k. Apostolischen Majestät entsprechen würde«1233. Conrad bekräftigte noch am selben Tag seine ablehnende Haltung und unterrichtete seinen deutschen Kollegen, daß Kaiser Franz Joseph seine Zustimmung gegeben habe, auf der Basis von Falkenhayns eigenem Vorschlag vom 23. Juli die Kommandoverhältnisse im Osten neu zu regeln1234. Doch konnte Falkenhayn an seinem eigenen, von Groener inspirierten Vorschlag aus anderen Gründen nicht mehr festhalten. Den ganzen Tag über bis in die späte Nacht hatte er mit dem Kaiser, Bethmann, Lyncker und Plessen »sehr lebhaft« über das Problem diskutiert. Da alle — außer Falkenhayn, der hartnäckig dagegen sprach — der Ansicht waren, daß Hindenburg der Oberbefehl über die gesamte Ostfront übertragen werden müs1229
Plessen-Tagebuch, 2 4 . 7 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-10/51063.
1230
Janßen, Kanzler, S. 229.
1231
Conrad an die Militärkanzlei Kaiser Franz Josephs, 2 4 . 7 . 1 9 1 6 , zu Op.Geh.Nr. 45, in: ÖStA-KA, Militärkanzlei S.M., 6 9 - 2 / 6 - 3 ex 1916.
1232
Siehe Wild von Hohenborn, Briefe, S. 179 (Tagebucheintrag vom 2 3 . 7 . 1 9 1 6 ) .
1233
Falkenhayn an Conrad, 25.7.1916, zu Op.Geh.Nr. 47, in: ÖStA-KA, Militärkanzlei S.M., 6 9 - 2 / 6 — 4 ex 1916.
1234
Conrad an Falkenhayn, 2 5 . 7 . 1 9 1 6 , ebd.
22. Bethmann gegen Falkenhayn — Die Oberbefehlsfrage im Osten
435
se1235, verlangte er das am nächsten Tag — dem 26. Juli — bei einem Besuch in Teschen von Conrad und führte aus, daß Hindenburg seine Weisungen ausschließlich von der deutschen Obersten Heeresleitung erhalten sollte, die sich vorher jedoch mit dem österreichisch-ungarischen Armeeoberkommando verständigen würde1236. Gegenüber Conrad wies er — zu Recht — darauf hin, auf Wunsch des Kaisers zu handeln, was sein österreichischer Kollege aber bezweifelte1237. Im deutschen Hauptquartier wurde inzwischen — zu Unrecht — angenommen, daß Falkenhayn alles versuche, bei Conrad die Ernennung Hindenburgs zu hintertreiben1238. Den Gegenargumenten Conrads konnte Falkenhayn die Richtigkeit nicht absprechen; die Vorstellung, Hindenburg allein könne eine Verbesserung der militärischen Lage bewirken, schien ihm ebenso abwegig wie seinem österreichischen Kollegen. Er konnte dem Kaiser bei seiner Rückkehr ins Hauptquartier nach den Aufzeichnungen Plessens nur berichten, »daß Konrad [!] derselben Ansicht wie er, nämlich die Idee mit Hindenburg aufzugeben, alles beim Alten zu belassen und immer weiter langsam zurückzugehen. Wir sind alle entrüstet1239.« Bethmann war aufs äußerste besorgt über diese Entwicklung und gab dem Kaiser zu bedenken, daß inzwischen die Dynastie der Hohenzollern auf dem Spiel stehe. Der Feldmarschall müsse unbedingt den Oberbefehl über die Ostfront erhalten. »Mit Hindenburg könne er einen enttäuschenden Frieden machen, ohne ihn nicht1240.« Dieses Argument wird auf Wilhelm II., der schon mehrfach im Jahre 1916 die Ansicht geäußert hatte, der Krieg werde remis enden, in Anbetracht der militärischen Lage nicht ohne Eindruck geblieben sein1241. Der Kaiser hatte beschlossen, diese Frage auch persönlich mit Hindenburg zu erörtern, der deshalb zusammen mit Ludendorff am 27. Juli nach Pleß kam und vom Kaiser zu einer Aussprache empfangen wurde. Falkenhayn, der um zwölf Uhr zum täglichen Vortrag erschien, mußte seinen Vortrag in ihrer Gegenwart halten, was ihm sehr unangenehm war. In der unausweichlich folgenden Diskussion über die Kommandofrage blieben harte Konfrontationen nicht aus. Die Besprechung verlief für Falkenhayn wenig angenehm. Der Kaiser sagte ihm am Ende: »Das sage ich Ihnen, ich gehe hier nicht fort, Plessen-Tagebuch, 2 5 . 7 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-l0/51063. Conrad an die Militärkanzlei S.M., 2 6 . 7 . 1 9 1 6 , Op.Geh.Nr. 49, in: ÖStA-KA, Militärkanzlei S.M., 69—2/6—5 ex 1916. Falkenhayn fragte Conrad auch, ob er sich »durch Übertragung des Oberbefehles an der gesamten Nordostfront an einen deutschen Feldmarschall persönlich verletzt fühlen würde«, worauf dieser antwortete, rein persönlich sei ihm das gleichgültig und es käme nur in Betracht, ob damit »der Sache gedient« werde. Dieses jedoch bezweifele er nach wie vor. Die österreichische Ostfront brauche Truppenverstärkungen, nicht Hindenburg, bisher sei man doch auf dem Wege direkter Verhandlungen auch zurechtgekommen und außerdem würde ein Oberbefehl Hindenburgs besonders von den slawischen Truppen der Monarchie als drückende deutsche Bevormundung empfunden werden. 1237 Bolfras an Conrad, 2 7 . 7 . 1 9 1 6 , ebd. Ш8 Plessen-Tagebuch, 25.7., 2 6 . 7 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-l0/51063. 1239 Ebd., 2 6 . 7 . 1 9 1 6 . 1240 Müller, Regierte der Kaiser, S. 206 (Tagebucheintrag vom 26.7.1916). 1241 Dazu Janßen, Wechsel, sowie Janßen, Kanzler, passim, der mit dieser Äußerung Bethmanns seine These, der Reichskanzler habe einen Ausgleichsfrieden angestrebt und deshalb Hindenburg haben wollen, zentral abstützt. 1235
1236
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ohne die Sache in Ordnung gebracht zu haben, das bin ich meinem Volke schuldig1242.« Danach bat Falkenhayn um erneuten Vortrag — ohne »Oberost« — unter dem Vorwand, das Programm für eine am Abend angesetzte Besprechung über die Kommandofrage mit den Oberkommandierenden der Mittelmächte festzulegen. Der tatsächliche Grund war, daß er seine Demontage nicht mehr mit ansehen wollte. Er beklagte sich, »daß es für ihn unmöglich sei, die Geschäfte zu führen, wenn andere mitsprächen. S.M. überhörten dies absichtlich — scheinbar, womit die Unterredung schloß1243.« Unter dem Vorsitz von Kaiser Wilhelm II. wurde bei einem abendlichen Diner mit dem zu diesem Zweck angereisten Erzherzog Friedrich — dem nominellen Oberkommandierenden der österreichisch-ungarischen Armee — sowie Conrad, Kronprinz Boris von Bulgarien und General Jekow, Hindenburg, Ludendorff und dem Reichskanzler, der uneingeladen erschienen war, über die Oberbefehlsfrage abschließend befunden. Falkenhayn fehlte; er ließ sich wegen neuralgischer Gesichtsschmerzen entschuldigen. Allgemein wurde angenommen, daß der General, dem die Ereignisse entglitten waren, die Krankheit nur vorschütze1244. Tatsächlich litt Falkenhayn in dieser Zeit unter Zahnschmerzen, doch ausschlaggebend waren die Vorgänge dieses Tages gewesen. Er hatte zu Lyncker bereits vor dem Diner gesagt, daß er seinen Abschied einreichen wolle; dieser redete es ihm allerdings wieder aus1245. In der Besprechung ließen sich die Österreicher die Heeresgruppe Linsingen abringen, einen Tag später noch eine weitere Armee, die dem Oberbefehl Hindenburgs unterstellt wurde. Falkenhayn nahm die Neuregelung der Verhältnisse hin, obwohl er die künftigen Schwierigkeiten klar überblickte. Feldeisenbahnchef Groener, der zwischen den Parteien stand, beurteilte die Neuorganisation am 30. Juli mit gemischten Gefühlen: »Damit scheidet der Einfluß der O.H.L. im Osten zum guten Teil aus. Militärisch hat die Regelung den Vorteil, daß die Energie Ludendorffs hinter die Österreicher kommt und daß die bisherige Heeresgruppe Hindenburg mit einem Male Reserven freimachen wird, die sonst von Ludendorff nicht freigegeben worden wären. Das ist das Bedauerliche an der Firma Hindenburg-Ludendorff, daß sie alle Mittel lockermachen, sobald ihre eigenen Wünsche befriedigt werden1246.« Falkenhayns Stellung als Generalstabschef hatte einen schweren Schlag erlitten, nicht zuletzt deshalb, weil der Kaiser sich für seine Gegner entschieden hatte und diese ermutigte, ihre eigentliche Absicht durchzusetzen: Falkenhayn endgültig zu stürzen.
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1245 1246
Müller, Regierte der Kaiser, S. 206 (Tagebucheintrag vom 27.7.1916); Plessen-Tagebuch, 27.7.1916, in: BA-MA-P, W-l0/51063. Ebd. Bericht von Oberst Lorx an die Militärkanzlei S.M., 2 8 . 7 . 1 9 1 6 , in: ÖStA-KA, Militärkanzlei S.M., 6 9 - 2 / 6 - 6 ex 1916. Wild von Hohenborn, Briefe, S. 183 f. (Tagebucheintrag vom 27.7.1916): »[Falkenhayn ...] schmollte und hatte vor Ärger Zahnschmerzen.« Janßen, Wechsel, S. 363. Groener, Lebenserinnerungen, S. 312 (Tagebucheintrag vom 30.7.1916).
Wer einmal den Kranz in der Hand gehabt hat, den vermag keine Aufgabe mehr zu befriedigen. Falkenhayn am 29. August 1916
23. Falkenhayns Ablösung Solange Kaiser und Militärkabinett fest hinter Falkenhayn gestanden hatten, war seine Stellung trotz der zunehmenden Opposition kaum zu erschüttern gewesen. Noch Mitte Juli 1916 hatte Lyncker, ebenso wie Plessen, die Ansicht vertreten, »daß der einmal gewählte Generalstabschef eine Karte sei, mit der man entweder gewinnt oder verliert, und daß man den Kaiser vor Zweifeln in die Richtigkeit der getroffenen Wahl und vor Erschütterung seines Vertrauens bewahren soll«1247. Doch war sein Ansehen durch die Ereignisse auch bei seinen bisherigen Befürwortern stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Sogar Lyncker begann an ihm zu zweifeln. Am 1. August überraschte der Kaiser seinen Generalstabschef beim Vortrag mit der Aufforderung, daß ihm künftig »über den Verkehr mit dem Oberost und der O.H.L. Vortrag gehalten werden müsse«. Für diese Auflage — ein deutliches Zeichen des Mißtrauens — war Lyncker verantwortlich. Plessen notierte in sein Tagebuch: »Lyncker sagte mir, er habe S.M. zu dem Einwurf veranlaßt, welcher sehr verständlich war, aber einen Schritt weiter bedeutet auf dem Wege zur Trennung von Falkenhayn1248.« Der Generalstabschef versuchte, in den kritischen Monaten des Allfrontenangriffs der Entente 1916 auch die Details selbst zu regeln. Eigenhändig disponierte er an Ost- und Westfront sogar die Bataillone und beschäftigte sich zu sehr mit den Details, wie seine Umgebung bemängelte1249. Der Generalstabschef bemerkte im August 1916 zu Feldeisenbahnchef Groener, er brüte Tag und Nacht über der Karte, um Truppen freizubekommen1250. Die Folgen der ungeheuren Belastung waren Überarbeitung und Schlafmangel. Der General wirkte im Sommer 1916 bedrückt und ausgelaugt. Seine Umgebung war der Ansicht, daß Falkenhayn durch die Uberanstrengung erheblich an Spannkraft und Entschlußfreude verloren habe1251. Hinzu kam die Belastung durch den dauernden Kampf um seine Stellung. Groener schrieb am 17. August 1916: »General v. Falkenhayn sieht schlecht aus. Der Streit mit Oberost nimmt ihn doch höllisch mit1252.« Wenig Grünau an Bethmann, 1 8 . 7 . 1 9 1 6 , in: PA-AA, Weltkrieg geheim, Bd 31, A S 2315a. Siehe auch Janßen, Wechsel, S. 354; Janßen, Kanzler, S. 224. 1248 Plessen-Tagebuch, 1 . 8 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-10/51063. 1249 w i l d von Hohenborn, Briefe, S. 172 (Tagebucheintrag vom 1.7.1916). Graevenitz, Bericht an das württembergische Kriegsministerium, 2 . 9 . 1 9 1 6 : »[Falkenhayn] hatte immer mehr an Entschlußkraft verloren, er wendete sich zu sehr den kleinen Einzelheiten zu, um die nötige Zeit zu haben, um die großen Fragen in genügender Weise zu prüfen.« In: HStA-KA Stuttgart, Μ 1/2, Bd 79. 1250 Groener, Lebenserinnerungen, S. 314 (Tagebucheintrag vom 13.8.1916). 1251 Plessen-Tagebuch, 1 7 . 6 . 1 9 1 6 , in: BA-MA-P, W-10/51063: »Falkenhayn ist sichtlich durch die Lage gedrückt.« Siehe auch den Bericht des Falkenhayn-Adjutanten Pentz, in: BA-MA, Nachlaß Pentz. 1252 Groener, Lebenserinnerungen, S. 315 (Tagebucheintrag vom 17.8.1916). 1247
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s p ä t e r m e i n t e er s o g a r , d a ß F a l k e n h a y n k ö r p e r l i c h v e r b r a u c h t w i r k e u n d ü b e r d e m U n g l ü c k v o r V e r d u n z u m a l t e n M a n n g e w o r d e n sei 1 2 5 3 . E i n e r d e r w e s e n t l i c h e n P l u s p u n k te F a l k e n h a y n s w a r s e i n e E l a s t i z i t ä t g e w e s e n , s e i n e d y n a m i s c h e A u s s t r a h l u n g , m i t d e r er d e n K a i s e r u n d s e i n e U m g e b u n g f ü r s i c h e i n z u n e h m e n v e r s t a n d . D i e s e E i g e n s c h a f t e n b e g a n n er z u verlieren. Z w a r arbeitete er w a h r s c h e i n l i c h m e h r als j e m a l s z u v o r , v e r m i t telte a b e r n i c h t m e h r d e n s e l b e n S c h w u n g w i e i m H e r b s t 1 9 1 4 . Z u S c h l a f m a n g e l u n d Ü b e r a r b e i t u n g gesellten s i c h s c h w e r e Z a h n s c h m e r z e n m i t K i e f e r v e r e i t e r u n g u n d neuralg i s c h e n S c h w e l l u n g e n i m G e s i c h t , a n d e n e n F a l k e n h a y n s c h o n seit 1 9 1 5 litt 1 2 5 4 . D i e U n t e r s t ü t z u n g des K a i s e r s w a r f ü r F a l k e n h a y n w i c h t i g e r als j e m a l s z u v o r g e w o r d e n , z u m a l W i l h e l m II. F a l k e n h a y n n i c h t k r i t i k l o s g e g e n ü b e r s t a n d u n d i h m a u c h n i c h t b l i n d folgte, w i e d i e U - B o o t - F r a g e u n d d i e D i s k u s s i o n u m d e n O b e r b e f e h l gezeigt h a t t e n . D e r K a i s e r s c h w a n k t e d e n g a n z e n A u g u s t 1 9 1 6 in s e i n e r H a l t u n g ; e i n e r s e i t s s t ü t z t e er Falk e n h a y n , a n d e r e r s e i t s ließ er d e r K r i t i k a n i h m i m m e r m e h r R a u m . D a ß er i m S o m m e r 1 9 1 6 m e h r f a c h b e m ä n g e l t e , n i c h t g e n u g a n d e r O p e r a t i o n s p l a n u n g beteiligt z u w e r d e n , w a r j e d o c h e i n e alte K l a g e u n d h a t t e n i c h t u n m i t t e l b a r e t w a s m i t d e r m i l i t ä r i s c h e n K r i sis z u t u n 1 2 5 5 . A u c h s i n d d i e i m S o m m e r 1916 in d e n A r m e e o b e r k o m m a n d o s — die seit jeher ein Z e n t r u m der O p p o s i t i o n gegen F a l k e n h a y n bildeten — k u r s i e r e n d e n G e s c h i c h t e n ü b e r die a n g e b l i c h e r w i e s e n e k a i s e r l i c h e U n g n a d e gegen F a l k e n h a y n w e n i g stichhaltig 1 2 5 6 . 1253 1254 1255
1256
Ebd., S. 316 (Tagebucheintrag vom 28.8.1916). Dazu Kabisch, Rumänienkrieg, S. 186f. Im Sommer 1916 bemängelte der Kaiser gegenüber Wild und Plessen mehrfach, daß Falkenhayn ihn zu wenig über die Operationen informiere, und kritisierte auch, daß er zu wenig in der Zeitung stehe. Er beklagte sich bei Kriegsminister Wild, daß er von dem großen Gasangriff vor Verdun am 23.6.1916 erst aus der Zeitung erfahren habe, Wild von Hohenborn, Briefe, S. 168 (Tagebucheintrag vom 25.6. 1916). Plessen-Tagebuch, 5.7.1916, in: BA-MA-P, W-10/51063: »General v. Gontard orientiert mich über eine heftige Szene mit S.M. und dem Kriegsminister, welchem S.M. entrüstet klagt, es stünde nichts von ihm in den Zeitungen.« Ebd., 25.6.1916: »S.M. klagt über Falkenhayn, daß derselbe keine eingehenden Mitteilungen macht, erst immer nachträglich. Ich muß hin und F. dies sagen.« Der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, v. Grünau, berichtete Mitte Juli 1916 von ähnlichen Vorwürfen des Kaisers: »Die Stimmung Seiner Majestät ist sehr gedrückt. In letzter Zeit mehren sich Anzeichen für eine gewisse Gereiztheit gegen Herrn von Falkenhayn, die sich in Äußerungen Luft macht wie: >Davon wird mir nichts gesagt.< oder >So etwas erfahre ich natürlich nicht.Majestät, das war doch ein schöner Tag.< >Ja,< sagt Seine Majestät, >er war jedenfalls schöner als Ihre dämlichen Vorträge.< >Euer Majestät meinen jedenfalls dammlige; das ist ein Berliner Ausdruck, den ich kenne und annehme.* >Neinich meine und sage dämlich.obwohl er wisse, was für seinen Namen und seine Familie auf dem Spiel steheKonnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, abbrechen?< Daß ich persönlich über die in der Schrift zu Tage tretende Taktlosigkeit und Oberflächlichkeit im Urteil eines unserer Mitarbeiter traurig bin, ist wohl natürlich. Aber ganz abgesehen davon verdient Sie und die anderen Machwerke ihrer Art unsere Aufmerksamkeit. Läßt man sie unwidersprochen gewähren, so wird sehr bald die unzerstörbare Legende geschaffen sein, daß nicht die O.H.L. >Hindenburg & Co< sondern die >Falkenhayn und Tappen< den Krieg verloren hätte [...].« Falkenhayn schlug Tappen vor, diesen Angriffen »in der Tagespresse und in möglichst gedrängter Form und baldigst« entgegenzutreten37. Tappen bezweifelte realistischerweise die Erfolgsaussichten und legte dem General nahe, auch seine ehemaligen Mitarbeiter Freytag-Loringhoven und Wild v. Hohenborn zur Mitarbeit aufzufordern. Von dieser Idee hielt Falkenhayn jedoch nicht viel. Er bat Tappen erneut, die Schritte der Ludendorff-Anhänger in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen; es werde bereits behauptet, 35
36 37
Es handelte Falkenhayn Falkenhayn Falkenhayn
sich um einen Vorabdruck des ersten Kapitels des Buches über den Rumänienkrieg, das schon als Oberbefehlshaber der 9. Armee begonnen hatte. Siehe unten. an Tappen, 1 5 . 4 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Tappen. an Tappen, 3 0 . 3 . 1 9 1 9 , ebd.
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VII. Nach dem Kriege (Januar 1 9 1 9 - A p r i l 1922)
der Krieg sei 1916 schon verloren gewesen. »Tritt man diesen Pressemachenschaften nicht sogleich entgegen, so bilden sich unausrottbare Legenden. Und was die anrichten können, haben wir ja 1916 und Deutschland 1918 zur Genüge gesehen. Freytag und Wild halte ich nicht für sehr geeignet zur Mitarbeit. Der Erste würde zwar mit dem Herzen dabei sein, was mir bei Wild sehr fraglich scheint, ist aber gar zu vornehm zurückhaltend. Dieser weiß zu wenig Bescheid 38 .« Mitte April 1919 begann Falkenhayn am bisher Geschriebenen massiv zu zweifeln. Er schrieb am 25. April 1919 in sein Tagebuch: »Bei Prüfung der ersten fünf Abschnitte [meines Buches] steigen mir ernste Zweifel auf, ob diese Art, Geschichte zu schreiben — da sie beim Leser sehr viel voraussetzt — genügendes Interesse finden wird. Auch erschreckt es mich, wie wenig eigene Gedanken in meinen Ausführungen eigentlich enthalten sind, Gedanken nämlich, die dauernden Wert haben. Das Werk wird schließlich kaum mehr sein als eine Rechtfertigungsschrift, und das betrübt mich sehr39.« Seine Krise war vielleicht auch dadurch bedingt, daß er nunmehr sehr komplexe und umstrittene Vorgänge schildern mußte. Er schrieb am 29. April an Tappen: »Ich stehe jetzt vor der Ubootfrage 1916 und vor Verdun: Zwei harte Nüsse.« Das Buch nahm weit langsamere Fortschritte, als der General vorher gehofft hatte. Im Juni 1919 nahm er an, es könne wegen der Schwierigkeiten seines Verlegers — des Verlags Mittler & Sohn — mit der Papierbeschaffung erst im August erscheinen 40 . In der Zwischenzeit schrieb der General auf Anregung von Mittler einen Aufsatz über die Schlacht von Verdun, der einerseits das Publikumsinteresse anheizen, andererseits auch zu den zahlreichen öffentlichen Angriffen gerade gegen dieses umstrittenste Unternehmen seiner Amtszeit Stellung nehmen sollte. Der Artikel »Verdun« erschien anonym am 12. Juli 1919 im »Militär-Wochenblatt«. Falkenhayn vertrat dort die Theorie, die Schlacht sei im Prinzip gelungen. Nach einer Schilderung der strategischen Lage zu Beginn des Jahres 1916 und der Folgerungen, die aus ihr zu ziehen gewesen seien, ließ Falkenhayn den Entschluß zum Angriff bei Verdun als den einzig folgerichtigen erscheinen. Auch habe seine Intention — den Franzosen möglichst schweren Schaden zuzufügen — Erfolg gehabt. Im Tonfall des zu Unrecht Verkannten schrieb Falkenhayn: »Wie alle kriegerischen Unternehmungen, denen nicht ein in die Augen fallender scheinbarer oder wirklicher Erfolg beschieden ist, sind auch die deutschen im Maasgebiet scharf kritisiert worden. Daß diese Kritiken meist von unse-
38 39
40
Falkenhayn an Tappen, 1 5 . 4 . 1 9 1 9 , ebd. Zit. in: Zwehl, Falkenhayn, S. 313 f. Er schrieb ähnlich am 1 6 . 4 . 1 9 1 9 an Tappen: »Übrigens habe ich beim ständigen Durchsehen des Ihnen zugesandten Abzugs der ersten fünf Abschnitte meines Werkes mit Schrecken gesehen, daß er von mehr stylistischen, logischen und anderen Fehler wimmelt als ich nach dem Diktat geglaubt hatte. Bitte genieren Sie sich nicht die kritische Feder tief in das Tintenfaß zu tauchen. Sie können mir dadurch sehr erheblich helfen.« Er beschwerte sich am 2 9 . 4 . 1 9 1 9 sogar bei Tappen über die geringen Korrekturen, die dieser an seinem Manuskript vorgenommen hatte; Falkenhayn an Tappen, 2 9 . 4 . 1 9 1 9 . A m 5 . 5 . 1 9 1 9 beklagte sich Falkenhayn bei der Ubersendung des neuen Kapitels erneut über dessen zu weitgehende Zurückhaltung bei der Korrektur der ersten fünf Kapitel. In: BA-MA, Nachlaß Tappen. Falkenhayn an Hanneken, 2 7 . 6 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
2. Die Reflexion: Falkenhayn als Autobiograph und Militärschriftsteller
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ren Feinden oder von Leuten bei uns ausgingen, die das lebhafteste Interesse daran hatten, die Unternehmung als einen Fehlschlag hinzustellen, wird wenig beachtet. Die Einwendungen mögen auch zum Teil berechtigt sein. Nachträgliche Kritiken sind um so leichter, je mehr man sich dabei auf das negative Verfahren beschränkt. [...] Dennoch kann nicht der geringste Zweifel bestehen, daß die Operationen an der Maas, solange sie im Gange gehalten wurden, die Absichten, mit denen sie unternommen waren, erfüllt haben, und den Endzweck, die Franzosen zum Ausbluten zu bringen, bei weiterer Fortführung erreicht haben würden. Mehr als zwei Drittel des französischen Heeres, über neunzig Divisionen, sind im Kessel um Verdun zerschlagen worden. Die deutschen Verluste betrugen wenig mehr als den dritten Teil derjenigen des Feindes.« Und er lobte die positiven Auswirkungen der »Maasoperation« — ihr sei die geringe französische Beteiligung an der SommeOffensive zu verdanken, und sie habe den Abzug von Reserven zur Unterstützung der »kläglich zusammengebrochenen« österreichischen Front im Osten ermöglicht. Falkenhayn schloß seine Ausführungen über die »Maasoperation« mit folgender Behauptung: »Ihre Anlage als Offensive mit beschränktem Ziel, die Art ihrer Durchführung, die uns gestattete, die Unternehmung ganz den Bedürfnissen der allgemeinen Lage anzupassen, haben sich trotz mancher unbestreitbarer Mängel im einzelnen vortrefflich bewährt. Es besteht Grund zu glauben, daß sie die Operation war, die uns zu einem guten Kriegsende verholfen hätte41.« Mit dieser Argumentation hatte sich Falkenhayn auf ein für ihn sehr gefährliches Parkett begeben. Seine Angaben über die französischen Verluste waren falsch. Sie entsprachen in vielem nicht einmal mehr den Erkenntnissen vom Sommer 1916 über den tatsächlichen Verlauf der Schlacht42. Falkenhayn hatte sich in seinem Wunsch, gegen Hindenburg und Ludendorff vorgehen und sich selbst gegen Polemik schützen zu wollen, zu weit vorgewagt, als er Verdun als erfolgreiche Ausblutungsschlacht darstellte. Als Oberst Bauer den Spieß umdrehte und im August 1919 in einer Flugschrift behauptete, Deutschland, nicht Frankreich, habe sich vor Verdun verblutet43, antwortete Falkenhayn in einem Leserbrief, daß vor Verdun nur ein Fünftel des deutschen Feldheeres gelegen habe; von einem allgemeinen Verbluten könne deshalb nicht die Rede sein. »Unsere Verluste standen zu den feindlichen im Verhältnis wie etwa 2 zu 5; sie waren also zum mindesten nicht vergeblich gebracht. Durchschnittlich haben wir während der sechs Monate der Kämpfe im Maasgebiet >vor Verdun< monatlich etwa 35000 Mann verloren. Mit Leichtigkeit könnte eine große Zahl sehr viel kürzerer Zeitabschnitte des Krieges angeführt werden, in denen die Verluste empfindlich höher, das Ergebnis magerer war44.« 41
Falkenhayn, Verdun.
« Dazu Kap. V, 21. 43
Die Flugschrift wurde von der »Kreuzzeitung« teilweise abgedruckt. Bauer behauptete, Deutschland habe vor Verdun enorme Menschenopfer hinnehmen müssen und im Sommer 1916 in einer tiefen Krisis gesteckt. In höchster N o t seien dann Hindenburg und Ludendorff berufen worden und hätten die Krisis überwunden. Max Bauer, Die Krisen im Weltkrieg, in: »Neue Preußische Kreuz-Zeitung« vom 2 4 . 8 . 1 9 1 9 .
44
Leserbrief Falkenhayns, ebd., 2 8 . 8 . 1 9 1 9 .
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VII. Nach dem Kriege Qanuar 1 9 1 9 - A p r i l 1922)
1919 konnte der General noch diese Behauptung aufstellen, da die genauen Verlustziffern so kurz nach dem Krieg noch nicht exakt festgestellt werden konnten und auch von der Literatur noch nicht aufgearbeitet worden waren. Die tatsächlichen Verluste vor Verdun betrugen vom Angriffsbeginn am 21. Februar 1916 bis zu Falkenhayns Ablösung Ende August 1916 282323 Mann auf deutscher, 315000 auf französischer Seite45. Das Verlustverhältnis betrug somit nicht, wie von Falkenhayn behauptet, 1:3 oder 2:5, sondern nur 1:1,11 zu deutschen Gunsten. Die Kritiker konnten sich im Frühjahr 1919 vorläufig nur auf ihr Gefühl berufen, daß Falkenhayns Darstellung so nicht stimmen konnte. Für den Augenblick mag sie deshalb ihren Zweck teilweise erreicht haben. Auch die Fachwelt ging von erheblich höheren französischen Verlusten aus, stellte aber, anders als Falkenhayn, auch die beträchtliche Schwächung des deutschen Heeres in Rechnung und ließ ihre Zweifel an dem von ihm behaupteten Verlustverhältnis deutlich anklingen. Auch hob sie die nachteiligen Auswirkungen einer solchen Strategie auf die Moral der Soldaten hervor46. Später jedoch, in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Schlacht von Verdun, wurde gerade diese Falkenhaynsche These von der Ausblutungsschlacht, als das wahre Verlustverhältnis bekannt wurde, zu einem der größten Hindernisse einer positiven Bewertung seiner Tätigkeit als Generalstabschef. Die durch Falkenhayns Ausführungen ausgelöste Diskussion über die Wirksamkeit der »Maasmühle«, der »Saugpumpe« von Verdun, die den Franzosen das Blut abgesaugt habe, dikreditierte den General in militärischer wie moralischer Hinsicht. Nicht zu Unrecht meinte einer der profiliertesten Mitarbeiter des Reichsarchivs, Wolfgang Foerster, daß Falkenhayn sich mit diesen Theorien selbst schwer belastet habe: »Sicherlich muß der Gedanke der >Saugpumpe< eine für Falkenhayn sehr schlechte Kritik ergeben. Bisher kannten wir aber überhaupt keinen anderen. Und daran ist Falkenhayns eigenes Buch schuld47.« Falkenhayn hatte sich in diese Ansichten vollkommen verrannt. Der Aufsatz nahm den entsprechenden Abschnitt über die Planung des Angriffs vor Verdun in seinem Buch vorweg, der unter dem Namen »Weihnachtsdenkschrift von 1915« Berühmtheit erlangt hat. Der General versuchte, seinen Angriffsentschluß auf Verdun in möglichst plausibler Form darzustellen. Der »Weihnachtsdenkschrift« kann der Charakter einer in großen Teilen um Authentizität bemühten Selbstinterpretation des Jahres 1919 zugebilligt werden, nicht aber der eines wirklich authentischen Dokuments des Jahres 191548. Für die Hartnäckigkeit, mit der Falkenhayn auf seinen Theorien beharrte, gibt es, auch wenn die konstante Polemik des Jahres 1919, der Falkenhayn entgegentreten wollte, und 45 46
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Wendt, Verdun, S. 243. Hier nur zwei Beispiele: Besprechung Foersters von Falkenhayn »Oberste Heeresleitung« in: Militär-Wochenblatt, 2 5 . 1 1 . 1 9 1 9 , S. 1210; Delbrück, Ludendorff, S. 77; siehe auch unten. Reichsarchiv-Direktor Foerster am 6.9.1932, in: BA-MA, Gesprächsprotokoll im Nachlaß Tappen. Der Militärhistoriker Jehuda Wallach spricht, inspiriert von Falkenhayns Schriften, sogar von seiner »satanischen Bereitwilligkeit, Hunderttausende der eigenen Soldaten zu opfern, um die doppelte Anzahl der gegnerischen Kämpfer zu töten oder zu verstümmeln«. In: Wallach, Dogma, S. 268. Zur »Weihnachtsdenkschrift« siehe den Exkurs am Ende dieser Arbeit.
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seine reichlich zynische Rechtfertigungsstrategie berücksichtigt werden, nur eine logische Erklärung — der General glaubte das, was er schrieb. Er übersandte den Aufsatz des »Militär-Wochenblatts« Wochen vor seinem Erscheinen an Hanneken mit dem Kommentar: »Mittlerweile habe ich auf Wunsch vom Mittl[er] einen kleinen Aufsatz über Verdun für das Mil[itär]-W[ochen]-Bl[att] geschrieben. Er ist nicht besonders gut geraten, gibt aber doch einen Einblick 49 .« Warum Falkenhayn so hartnäckig an seinem Irrtum festhielt, obwohl er es besser hätte wissen können 50 , ob er im Inneren vielleicht doch zweifelte, sich aber weigerte, den Irrtum einzugestehen, ist eher ein psychologisches als ein historisches Problem. Er beharrte auf seinen Theorien, und es ist keine Äußerung von ihm überliefert, in der er sich von dem Unternehmen insgesamt distanziert hätte. Er gestand nur Schwächen im Detail ein, behauptete aber bis zu seinem Tod, daß die Operation im großen strategischen Ganzen geglückt sei. Was er nach Bekanntwerden der tatsächlichen Verlustziffern gesagt hätte, muß Spekulation bleiben. Sein Gehilfe, General Tappen, reagierte in den 30er Jahren recht gelassen, als ihn Historiker des Reichsarchivs mit den tatsächlichen Zahlen konfrontierten, und meinte: »Wir haben damals andere, wesentlich günstigere Zahlen geglaubt 51 .« Falkenhayns Aufsatz, ebenso wie sein Buch, argumentierte unter völliger Außerachtlassung der Tatsache, daß in Ausführung seiner Befehle Menschen gestorben waren. Das schien ihm so selbstverständlich, daß er es nicht für erwähnenswert hielt. Andere — selbst Ludendorff — nahmen diese Verantwortung weniger leicht 52 . Während Falkenhayns Buch langsam der Fertigstellung entgegensteuerte, ging der Kampf der Memoirenschreiber weiter. Pressepolemiken wurden durch Veröffentlichungen von vielen Seiten angeheizt. Besonders getroffen fühlte sich Falkenhayn von einem Buch Karl Friedrich Nowaks, eines Journalisten, dem es gelungen war, bereits während des Krieges das Vertrauen Conrads v. Hötzendorf zu erwerben und der seine Schrift aus den Erzählungen und Unterlagen des ehemaligen österreichisch-ungarischen Generalstabschefs zusammengestellt hatte 53 . Conrad versuchte, im Vorwort manche Ausführungen Nowaks zu relativieren — in der Tat hielt er vieles für sachlich falsch, und seine vielfachen Verbesserungen wurden von Nowak Jahre später in einer überarbeiteten Auflage einfach angehängt —, bescheinigte dem Autor jedoch, daß seine Ausführungen im Kern der historischen Wahrheit entsprachen. 49 50
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Falkenhayn an Hanneken, 2 7 . 6 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Nach den Unterlagen von Diplomatie und Generalstab aus dem Sommer 1916 hätte er schon damals seinen Irrtum einsehen müssen, siehe oben, vor allem Kap. V, 21, b; V, 22. Immerhin räumte er in einer Unterhaltung mit Mertz am 28.3.1919 ein, bei der Planung der Schlacht taktische Fehler gemacht zu haben und an Verdun »zuletzt auch gescheitert« zu sein. In: BA-MA, Nachlaß Mertz v. Quirnheim, Bd 1. Siehe auch S. 365. Interview des Reichsarchivs mit Tappen am 6.9.1932, in: BA-MA, Nachlaß Tappen. Ludendorff, beileibe kein zartbesaiteter Soldat, ließ immerhin in seinen Memoiren anklingen, daß er die Verantwortung gespürt habe. Siehe die Besprechung von Ludendorffs Buch durch Generalleutnant Schwarte im »Militär-Wochenblatt«, 2 1 . 8 . 1 9 1 9 . Schwarte streicht dieses Verantwortungsgefühl Ludendorffs für die unterstellten Soldaten deutlich heraus. Nowak, Weg.
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Falkenhayn wurde in diesem Buch sehr schlecht beurteilt. Er wurde als Intrigant geschildert, der die Neigung habe, sich mit fremden Verdiensten zu schmücken. Zum Beispiel sei der Durchbruch bei Gorlice 1915 allein Conrads Verdienst, der jedoch aus edler Selbstbescheidung Falkenhayn den falschen Triumph überlassen habe. Falkenhayn wurde als beschränkter Junker mit einer gewissen diplomatischen, keineswegs aber einer strategischen Begabung dargestellt, Conrad dagegen als überragendes Feldherrngenie gefeiert. Der Militärhistoriker Hans Delbrück urteilte in den »Preußischen Jahrbüchern«: »Das Buch ist erfüllt von einem ingrimmigen Haß gegen die Preußen im allgemeinen und den General v. Falkenhayn im besonderen. [...] Historisch ist es eine sehr trübe Quelle, und es gereicht dem österreichischen Feldmarschall nicht zur Ehre, diesem Buch eine empfehlende Einleitung mitgegeben zu haben.« 54 In der Öffentlichkeit, die seine Stellungnahme erwartete, meinte Falkenhayn in verschiedenen Zeitungszuschriften nur kühl, daß er das Urteil über dieses Werk der Entlastungsliteratur der »ernsten Geschichtsforschung« überlassen wolle. Die erforderlichen Unterlagen könne man »überreich in dem Generalstabsarchiv antreffen, und auch in meiner zu gelegenerer Zeit bekanntzugebenden Begründung der wichtigeren Entschließungen der Obersten Heeresleitung in den ersten beiden Kriegsjahren werden sie nicht fehlen«55. Tatsächlich fühlte sich Falkenhayn aber außerordentlich verletzt und sandte Conrad v. Hötzendorf einen scharfen Brief: »Euere Exzellenz haben das Buch eines Herrn Nowak: >Auf dem Wege zur Katastrophe< mit einer Art von Richtigkeitsbescheinigung versehen. [...] Euere Exzellenz sind also mitverantwortlich für die in dem Buch enthaltenen wahrheitswidrigen Angaben, absichtlichen Verdrehungen und bewußten Entstellungen, die mich betroffen machen und nicht der Sache dienen sondern lediglich meine Person herab zu würdigen versuchen, um Sie zu entlasten. Dies Verfahren mit dem gebührenden Ausdruck zu bezeichnen, hält mich lediglich die Achtung vor mir selbst ab, der ich zwei Jahre lang ungeachtet aller sachlichen — und selbstverständlichen — Meinungsverschiedenheiten in ehrlicher Kameradschaft und unbedingter Treue Schulter an Schulter mit Ihnen gefochten habe. Mein Glaube an Sie, jedes Band und jede Gemeinschaft zwischen uns ist nunmehr zerstört.« 56 Conrad, der Falkenhayns grußloses Schreiben als »unerhört scharfe Absage« empfand, war die ganze Angelegenheit recht peinlich — wohl weil er wußte, wie sehr Nowak die Wahrheit verdreht hatte. Er begnügte sich damit, Falkenhayn auf das Schreiben kurz zu antworten und ein Eingehen auf das Buch Nowaks abzulehnen 57 . Im Juni 1919 begann Falkenhayn mit einem anderen alten Gegner zu korrespondieren — dem ehemaligen Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Ursache war das Erscheinen des ersten Bandes der Erinnerungen Bethmanns 58 , an dem Falkenhayn eine kleine Kor54
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Nachdruck einer Rezension Delbrücks aus dem Maiheft 1920 der »Preußischen Jahrbücher«, in: Delbrück, Ludendorff, S. 50. Leserbrief Falkenhayns an die »Berliner Zeitung am Mittag« vom 15.6.1919. Falkenhayn an Conrad, 26.7.1919, in: OStA-KA, Conrad-Archiv, D-7, Mappe Falkenhayn. Für den Hinweis auf diesen Brief danke ich Dr. Broucek. Antwortentwurf Conrads vom 30.7.1919, ebd. Siehe auch Broucek, General I, S. 354. Bethmann Hollweg, Betrachtungen I.
2. Die Reflexion: Falkenhayn als Autobiograph und Militärschriftsteller
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rektur anbringen wollte59. Ansonsten zollte der General dem Werk und auch den Erinnerungen des ehemaligen Staatssekretärs Gottlieb v. Jagow 60 hohes Lob und meinte, »daß diese überzeugenden und in ihrer vornehmen Schlichtheit ergreifenden Darlegungen« schon viel früher hätten erscheinen müssen, um in der Öffentlichkeit zu wirken 61 . Seine massive Verärgerung über Bethmann Hollweg war inzwischen abgeklungen, wohl auch deshalb, weil dieser noch viel deutlicher als er selbst Schiffbruch erlitten hatte. Seine Verachtung war jedoch die gleiche geblieben 62 , und er ließ sich immer wieder zu »wüsten Ausfällen« gegen den Exkanzler hinreißen 63 . Da seine Stoßrichtung gegen Hindenburg und Ludendorff ging, beschloß er, mit dem Exkanzler seinen Frieden zu machen und diesem sogar Teile seines Manuskripts zur Kontrolle vorzulegen. Damit setzte er Bethmann, der in der Öffentlichkeit schweren Angriffen der Rechtskreise und der Militärs ausgesetzt war — vor allem der Großadmiral v. Tirpitz entfaltete eine umfangreiche und aggressive publizistische Tätigkeit gegen ihn —, in Erstaunen und freudige Überraschung. Gleichzeitig konnte er jedoch sein altes Mißtrauen gegen Falkenhayn trotz dessen offenem Entgegenkommen nicht unterdrücken. Er schrieb am 28. Juni 1919 an den ehemaligen Staatssekretär v. Jagow: »Daß Falkenhayn mir die relevanten Stellen seines Buches vorlegen will, finde ich sehr gut und anerkennenswert. Aber, daß mein persönliches Gedächtnis für eine Begutachtung ausreichen sollte, bezweifle ich, oder vielmehr bin ich schon sicher, daß es nicht ausreicht. Wie wollen wir das machen? Werden dazu nicht mündliche Besprechungen zwischen uns erforderlich sein64?« Bethmann konnte schon bald seine Befürchtungen, Falkenhayn wolle eine Polemik gegen ihn schreiben, korrigieren. Der General sandte ihm große Teile seines Manuskripts zu65. Der ehemalige Reichskanzler schrieb nach der Lektüre am 19. Juli 1919 an Jagow: »Falkenhayn schickt mir soeben den angekündigten Teil seines Manuskriptes. Es macht einen zurückhaltenden und vorsichtigen Eindruck. Was er über den U-Bootskrieg sagte, erschien mir einwandfrei. Die Schilderung der Situation im Herbste 1914 und Sommer 1915 füge ich in Abschrift bei.« Allerdings kritisierte er die von Falkenhayn aufgestellte Behauptung, er habe der von ihm beabsichtigten Preisgabe der Deutsch-Balten zugunsten des Separatfriedens mit Rußland zugestimmt. In größtem Widerspruch dazu stehend, wies er außerdem Falkenhayns Vorwurf zurück, er habe die Separatfriedenspläne mit Ruß-
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Falkenhayn an Bethmann Hollweg, 1 3 . 6 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, Bd 7. Es ging darum, ob Falkenhayn am 1. oder am 2 . 8 . 1 9 1 4 versucht habe, die Kriegserklärung an Rußland zurückzuhalten. Siehe S. 162, Anm. 67. Bethmann Hollweg begnügte sich, in seiner Antwort vom 1 4 . 6 . 1 9 1 9 festzustellen, daß er sich an das genaue Datum nicht mehr entsinne, wohl aber an seine Warnung; diese habe allerdings nur taktische Gesichtspunkte gehabt — nicht den Angreifer zu spielen —, sei jedoch nicht darauf aus gewesen, den Krieg zu verhindern. Bethmann Hollwegs Einwand entspricht der historischen Wahrheit; auch ist Falkenhayns Datierung wahrscheinlich fehlerhaft.
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Jagow, Ursachen. Falkenhayn an Jagow, 2 . 7 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, B d 6 . Zwehl, Falkenhayn, S. 314. In einem Brief an Hanneken vom 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 sprach Falkenhayn verächtlich von der »Schlappheit des Herrn v. Bethmann«, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Mertz v. Quirnheim in: BA-MA-P, W-10/51490. Bethmann Hollweg an Jagow, 2 8 . 6 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, B d 7 . Dazu auch Zwehl, Falkenhayn, S. 314.
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land nicht sehr energisch betrieben. Er schrieb an Jagow: »Daß von uns wegen des Baltikums nie Einwände gemacht worden seien, ist mir nicht erinnerlich. Der Tadel über die Art der Führung der Verhandlungen mit Rußland scheint mir unbegründet, auch wohl nicht Sache des Generalstabschefs 66 .« Das Vorgehen, ein Buchmanuskript nach früheren Ressortzuständigkeiten zu sortieren, war natürlich unsinnig. Statt daß sich Falkenhayn und Bethmann Hollweg, wie zumindest der letztere wohl erwartet hatte, über den unbeschränkten U-Boot-Krieg stritten, diskutierten sie — ergebnislos — die Separatfriedensbemühungen im Sommer 1915. Im September 1919 wurde der Streit um die Separatfriedensbemühungen des Jahres 1915 auch öffentlich ausgetragen. Bethmann Hollweg notierte, daß Falkenhayn Teile seines Manuskripts an den Redakteur der »Hamburger Nachrichten«, Dr. Spickernagel, weitergegeben habe. Dieser klagte in einem Artikel den Ex-Kanzler an, die Friedenschancen im Osten 1915 durch seinen Wunsch, Teile Polens zu annektieren und sich lieber mit England auszusöhnen, versäumt zu haben. Durch sein Polen-Manifest habe er schließlich die Brücke nach Rußland abgebrochen und somit die erstmalige Chance, die Einkreisung zu durchbrechen, ungenutzt vertan. Diese Ausführungen Spickernagels wurden am 19. September 1919 in der »Kreuzzeitung« abgedruckt. Sie stimmten teilweise wörtlich mit den Formulierungen überein, mit denen Falkenhayn die gleichen Vorgänge in seinem Buch schilderte 67 . Bethmann wurde im Anschluß durch einen Kommentar der »Kreuzzeitung« hart angegriffen: »Auch diese Ausführungen Spickernagels zeigen, welch unermeßlichen Schaden ein Bethmann mit seiner ewigen Verständigungssucht nach Westen über sein Vaterland gebracht hat. Welche Wendung der Krieg für Deutschland genommen hätte, wenn man der Erkenntnis Falkenhayns gefolgt wäre, läßt sich gar nicht absehen. Jetzt ist es zu spät und nur der bittere Geschmack bleibt, daß Deutschland in seiner schwersten Zeit von einem solchen Manne geführt werden mußte 68 .« Bisher war Bethmann von der politischen Rechten immer wegen seiner »Schlappheit« angegriffen worden. Jetzt von derselben Seite als Annexionist und Kriegsverlängerer bezeichnet zu werden, war ein neuer Vorwurf, der den Ex-Kanzler erheblich verärgerte und bewog, sich noch am selben Tag in einem Brief an Jagow über Falkenhayn zu beklagen und die Sache richtigzustellen: »Unsere Fühlungen in Rußland sind älter als der Juli 15. Andersen war schon vorher in Petersburg. Falkenhayn hat zwar dauernd auf russischen Sonderfrieden gedrängt, aber unsere Versuche sind durchaus nicht auf seine alleinige Anregung zurückzuführen. [...] Daß ich dadurch die Brücken mit Rußland abgebrochen hätte, ist, auch wenn Falkenhayn dies jetzt in Vorwegnahme einer Stelle seines Buches von Spickernagel sagen läßt, unrichtig. [...] Daß dieselbe Kreuzzeitung, welche mit dem östlichen Annexionisten Ludendorff durch dick und dünn geht, dem östlichen Verzichtler Falkenhayn jetzt Lorbeerkränze windet, um ihren Haß gegen mich zu kühlen, ist für unsere politischen Zustände bezeichnend 69 .«
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Bethmann Hollweg an Jagow, 1 9 . 7 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, B d 7 . Siehe Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 130. »Kreuzzeitung«, 1 9 . 9 . 1 9 1 9 . Bethmann Hollweg an Jagow, 1 9 . 9 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, B d 7 .
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Es rächte sich für Bethmann Hollweg jetzt, den Generalstabschef damals nicht intensiver über die Friedensfühler nach Rußland und ihr Scheitern informiert, sondern immer nur das Nötigste preisgegeben zu haben. Zu Recht bezweifelte Falkenhayn, daß der Kanzler den Separatfrieden mit Rußland energisch angestrebt habe. Bethmann bestritt schließlich in dem Brief an Jagow selbst, zur Erreichung des Sonderfriedens im Sommer 1915 auf das Baltikum verzichtet zu haben 70 . Weitere Befürchtungen erweckten bei Bethmann Ton und Inhalt der inzwischen erschienenen Kriegserinnerungen Ludendorffs. Dieser hatte ein überraschend sachliches Buch geschrieben und enthielt sich auch schwerer Angriffe auf Falkenhayn, was den Reichskanzler befremdete und mit Mißtrauen erfüllte. Er glaubte, einer geheimen Allianz der Militärs gegenüberzustehen und bald schon einen gemeinsamen Angriff befürchten zu müssen. Er schrieb Jagow am 25. September 1919: »Daß Ludendorff in seinem ganzen Buch mit keinem Wort von seinen doch starken Differenzen mit Falkenhayn spricht, beruht offensichtlich auf vorheriger Vereinbarung beider Instanzen. Zweck kann nur die Bildung einer geschlossenen Phalanx gegen mich sein. Jede Schuld der Militärs soll einmütig geleugnet, alles auf mich abgeladen werden 71 .« Tatsächlich hatte Falkenhayn mit der öffentlichen Diskussion der Friedensmöglichkeiten 1915 einen neuen Kriegsschauplatz eröffnet, der jedoch sehr gut in sein Gesamtkonzept paßte, galt es doch, die Chancen seiner Kriegführung in einem möglichst vorteilhaften Licht darzustellen. Deshalb wollte er nachweisen, daß seine Strategie über das bloße Durchhalten hinaus auch gute Friedensmöglichkeiten geboten habe, die nur durch den ungeschickten und verblendeten Kanzler nicht richtig ausgenutzt worden seien. Trotzdem war die Annahme Bethmanns, er werde durch eine Allianz zwischen Falkenhayn und Ludendorff bedroht, abwegig und zeigt, daß er offensichtlich so damit beschäftigt war, in Falkenhayns Manuskript Angriffe gegen sich selbst zu finden, daß er die gesamte, gegen Ludendorff gerichtete Tendenz des Werkes schlicht übersah. Das wirkt um so erstaunlicher, wenn man weiß, wie Falkenhayn selbst die Zielrichtung seines Buches einschätzte. Er bezweifelte am 12. September 1919 in einem Brief an Hanneken, daß sein Buch den erhofften Erfolg gegen Ludendorff und seine Anhänger erzielen könne, und fügte an: »Wie Sie wissen, ist es völlig anders wie das Ludendorff'sche gefaßt. Es konzentriert sich auf das Operative und berührt meine sonstige Tätigkeit nur insoweit, wie es zum Verständnis meines operativen Handelns nötig erscheint. Auch enthalte ich mich Zukunftsprogramme zu entwerfen, dagegen gehe ich den militärischen Qualitäten der Nationalherosse kräftig zu Leibe. Auf einen großen buchhändlerischen Erfolg ist also kaum zu rechnen. Man wird von allen Seiten versuchen, die Schrift tot zu machen. Für mich allerdings ist ihre Herausgabe eine Befreiung [...] 72 .« 70
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Zu dem historischen Sachverhalt siehe Kap. V, 12; zu der Kontroverse Bethmann-Falkenhayn auch Zwehl, Falkenhayn, S. 314. Bethmann Hollweg an Jagow, 2 5 . 9 . 1 9 1 9 , in: PA-AA, Nachlaß Jagow, B d 7 . Auch in diesem Brief wiederholte Bethmann seinen Verdacht, daß der Angriff Spickernagels auf Falkenhayn zurückgehen müsse. Falkenhayn an Hanneken, 1 2 . 9 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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Das Erscheinen des Buches verzögerte sich, weil sein Verleger Mittler eine zeitgleiche Herausgabe der englischsprachigen Version des Buches vereinbart hatte, und deshalb mußte die Übersetzung des Manuskriptes ins Englische abgewartet werden 73 . Zunächst sollte es Mitte Oktober 1919 erscheinen. Jedoch wurde ein erneuter Aufschub nötig. Falkenhayns Buch mit dem Titel »Die Oberste Heeresleitung 1914—1916 in ihren wichtigsten Entschließungen« erschien schließlich am 15. November 1919 mit einer deutschen Startauflage von 20000 Exemplaren 74 . Zugleich erschien eine englische Ubersetzung für Großbritannien und die USA. Das Buch macht einen unterkühlten Eindruck. Falkenhayn schreibt von sich selbst in der dritten Person. Der sachliche Informationsgehalt ist durch die nicht sehr reichhaltige Verwendung amtlicher Unterlagen vergleichsweise gering. Das Buch erhält aber einen Wert als Selbstinterpretation Falkenhayns. Der General greift Hindenburg und Ludendorff schon im Vorwort an, jedoch derart verklausuliert, daß der Angriff nur für den Eingeweihten in seiner ganzen Schärfe deutlich wurde: »Phrase, Selbstberäucherung und Lüge haben Deutschland in den tiefsten Abgrund gestürzt, als sie in unserem einst starken und guten Volk den Sinn für die Wirklichkeit erstickten. Die Fortdauer ihrer Herrschaft droht uns für immer zu Sklaven zu machen. Sie sollen wenigstens hier keine Stätte finden [,..] 75 .« Falkenhayn wollte damit sagen: Der Krieg ging verloren, als im Volk 1914 der Wunderglaube an Hindenburg und Ludendorff entstand, die Illusion, daß der Krieg nach deren Rezepten an allen Fronten gewonnen werden könne. Und auch jetzt noch — nachdem die Katastrophe offensichtlich war — blieb der Mythos lebendig! Das schien Falkenhayn — nicht zu Unrecht, wie sich erweisen sollte — eine verhängnisvolle Entwicklung zu sein. Im Text selbst, vor allem bei der Schilderung der Sommeroperationen 1915 und des Gegensatzes zwischen Falkenhayn und »Oberost« Mitte 1915, wird jedoch seine Intention, die falschen Rezepte von Ludendorff zu entlarven, ganz offensichtlich. Neben der Hauptaufgabe, den militärischen Nimbus der »Nationalherosse« anzugreifen, trägt das Buch, wie Falkenhayn bereits im April 1919 selbstkritisch festgestellt hatte, einen Rechtfertigungscharakter. Diesem Zweck genügte es aber nur sehr unvollkommen. Falkenhayns Hang, offenkundige Fehler seiner Führung nicht zuzugeben, sondern zu bemänteln, wurde zum Bumerang und sorgte nicht zuletzt auch dafür, ihm das für sein Hauptanliegen wichtige Vertrauen des Lesers — und auch seine Sympathien — zu entziehen. Sein Freund Hanneken hatte die Tendenz des Buches sehr gut verstanden. Er schrieb wenig später an Falkenhayn und äußerte die Ansicht, der Krieg sei am Tannenberg-Mythos verlorengegangen. Diese Erkenntnis seines Freundes war Wasser auf Falkenhayns Mühlen. Er schrieb am 20. Dezember 1919: »Gegen Ihr Urteil: >Wir hätten den Krieg an Tannenberg verloren< ist gewiß nichts einzuwenden, falls Sie mir gestatten, ein Wört73 74 75
Ebd. Falkenhayn an Hanneken, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 , ebd. Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, Vorwort.
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chen einzuschieben, nämlich >militärischGeneralstabschef< spricht. Wer in dem neuen Werke nach persönlichen Sensationen sucht, wird nicht auf seine Rechnung kommen.« Weniger freundlich war die Aufnahme des Buches bei der Generalität. Neben der großen Skepsis gegen Falkenhayns Strategie wurde bemängelt, daß der General, anders als Ludendorff, nicht auf persönliche Angriffe gegen Standesgenossen verzichtet habe. General Schwarte schrieb in der »Schlesischen Zeitung«: »Die große Schärfe, mit der Falkenhayn von diesen Gegensätzen [mit >OberostDer Weg zur Katastrophe< [ist] mit solchen Angriffen gegen die deutsche O.H.L. erfüllt, daß eine scharfe Ablehnung derselben wohl gerechtfertigt erscheinen kann77.« Der zurückhaltende, unpersönliche Stil des Buches und seine verdeckten Angriffe auf Hindenburg und Ludendorff erzielten beim breiten Publikum nicht den von Falkenhayn erhofften Effekt. Er hatte wohl erwartet, daß die Leser seine Kritik an Hindenburg und Ludendorff nach der Lektüre des Buches teilen würden. Falkenhayn schrieb am 21. Dezember 1919: »Meist erschöpfen sich die Herren Kritiker in seichten Redens76 77
Falkenhayn an Hanneken, 20.12.1919, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. »Schlesische Zeitung«, 15.11.1919.
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arten, auch die, welche in günstigem Sinne berichten und doch wohl in der Mehrzahl sind. Ein einziger von der Gegenpartei, der alte Bernhardi78, zieht den zutreffenden Schluß, indem er ganz verzweifelt schreibt: Wenn Herr v. F. recht behält, dann mußte ja alles, was Hindenburg getan hat, Irrtum sein. Das könne er, В., nicht glauben. Er wird es schon noch glauben, wenn er lange genug lebt79.« Von besonderer Bedeutung war eine Rezension von Falkenhayns Buch durch den bekannten Militärhistoriker Hans Delbrück im Maiheft 1920 der »Preussischen Jahrbücher«. Delbrück, ein unabhängiger Denker, war eher auf Falkenhayns Seite80 und besprach dessen Buch im Gegensatz zu den vorher rezensierten Memoiren von Ludendorff81 und Tirpitz sehr freundlich. Er bescheinigte Falkenhayn, eine »Ermattungsstrategie« gegenüber der Entente betrieben zu haben, die der Kriegführung Friedrichs des Großen im Siebenjährigen Krieg ähnelte. Er habe anders als Ludendorff noch Augenmaß besessen, »als kluger Kopf aus den praktischen Verhältnissen die richtigen Konsequenzen« gezogen und einen Ausgleichsfrieden angesteuert82. Allerdings kritisierte auch Delbrück die Ausblutungsschlacht von Verdun und distanzierte sich von Falkenhayns Versuch, sie auch jetzt noch als Erfolg zu buchen. Er schrieb: »Falkenhayn hält noch heute daran fest, daß sein Plan richtig gewesen sei. [...] Die Ausbildung des Ermattungsgedankens zum >Ausbluten< war aber eine Uberspannung, die sich nicht durchführen ließ. Die Schwierigkeit ist psychologischer Natur. Der Soldat muß bereit sein und ist bereit, sein Leben zu opfern, wenn es gilt einen Sieg zu erfechten, aber nicht, sich hinschlachten zu lassen nur in der Berechnung, daß drüben beim Feinde mehr als doppelt so viel fallen83.« Delbrück zog nach dem Vergleich von Falkenhayn und Ludendorff die Schlußfolgerung: »Falkenhayn hat im einzelnen Fehler gemacht; Ludendorff aber ist seiner Gesamtaufgabe trotz virtuoser [...] Leistungen im einzelnen nicht nur politisch, sondern auch strategisch nicht gewachsen gewesen.« Dem Kaiser sei zwar angesichts der Stimmung in Heer und Volk im Sommer 1916 nichts anderes übriggeblieben, als Hindenburg und Ludendorff an die Spitze des Heeres zu berufen. Delbrück urteilte aber: »Mit diesem Tage und diesem Entschlüsse war das Deutsche Reich verloren84.« Falkenhayn hätte mit dieser Bewertung sehr zufrieden sein können. Von Hanneken darauf angesprochen, sagte er jedoch nur: »Mit dem Delbrückschen Artikel bin ich nur bedingt zufrieden. Immerhin bedeutet er das Aufleuchten des Verständnisses, das soll anerkannt werden85.« 78
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Falkenhayn meinte den als Militärschriftsteller vor dem Ersten Weltkrieg bekanntgewordenen General Friedrich v. Bernhardi, 1849—1930. Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Auf Delbrücks Antrag ging auch die Ernennung Falkenhayns zum Ehrendoktor der Berliner Universität zurück, siehe S. 313. Aus einer vorangegangenen scharfen Kritik Delbrücks an Ludendorffs Buch war sogar eine Kontroverse entstanden, weil Ludendorff eine Broschüre herausgab, in der er sich gegen die Thesen Delbrücks verteidigte. Delbrück, Ludendorff, S. 73 f. Ebd., S. 77. Ebd. Falkenhayn an Hanneken, 20.6.1920, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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Mit dem Buch über seine Zeit als Generalstabschef wollte Falkenhayn die Schriftstellerei noch nicht an den Nagel hängen. Bereits seit längerer Zeit war seine Schrift über den Rumänienkrieg, die er schon während des Feldzuges der 9. Armee um die Jahreswende 1916/17 zu schreiben begonnen hatte86, abgeschlossen, ein Teil aus ihr sogar schon im März 1919 veröffentlicht worden87. Aus verlegerischen Gründen sollte jedoch mit der Herausgabe noch gewartet werden88. Das Buch erschien erst 1921, hatte zwei Bände und trug den Titel »Der Feldzug der 9. Armee gegen die Rumänen und Russen 1916/17«. Falkenhayn hatte im Vorwort des Buches über »Die Oberste Heeresleitung 1914—1916« die Herausgabe seiner Erinnerungen angekündigt. Seinem Freund Hanneken hatte er im Oktober 1919 bereits geschrieben, daß seinem Buch »mit den militärischen Darlegungen [...] eine Abhandlung mit mehr politischen« folgen werde89. An seinen Erinnerungen sowie an einer Schrift »Die politischen und militärischen Grundzüge des Krieges« arbeitete er in den kommenden Monaten »sehr eifrig«90. Der Fortgang dieser Arbeiten wurde jedoch durch den sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand des Generals unterbrochen. Die beiden Bücher sind niemals fertig geworden; das Schicksal der Fragmente ist unbekannt91. Falkenhayn hatte sich durch sein Hauptwerk, das unter dem Titel »General Headquarters 1914—1916« bei Hutchinson in London erschienen war, auch auf dem englischen und amerikanischen Markt profilieren können. Bezeichnenderweise glaubte sich der anglophobe Falkenhayn für diesen Erfolg fast schon entschuldigen zu müssen: »Sehr >günstiggute Presse< gehabt habe. In anderem Fall könnte dies einen ja stutzig machen. Da die Kritiker aber zugeben, daß es Engl[and], wenn mein System der Kriegsführung das Herrschende geblieben sein würde, schlecht ergangen wäre, kann man den Argwohn vielleicht bei Seite lassen92.« Dieser buchhändlerische Erfolg brachte den General, der 1920 bereits ein schwerkranker Mann war, auf eine neue Idee: Er wollte ein Buch für den amerikanischen Markt schreiben, damit einen möglichst großen kommerziellen Erfolg erzielen und mit dem Erlös Frau und Tochter absichern, die im Fall seines Todes sonst unversorgt zurückbleiben würden. Das Buch sollte den Titel erhalten: »Wie Amerika den Krieg entschied«. Jedoch wollte Falkenhayn darin nicht etwa diskutieren, ob der Kriegseintritt Amerikas durch Unter86 87 88
89 90 91
92
Siehe S. 468. Siehe S. 503. Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 ; Falkenhayn an Engelbrecht, 1 8 . 9 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn an Hanneken, 1 0 . 1 0 . 1 9 1 9 , ebd. Falkenhayn an Hanneken, 3.6.1920, ebd. Möglicherweise bestehen die von Zwehl, Falkenhayn, ausgewerteten Notizen zu einem Teil aus dem Material, das Falkenhayn zum Schreiben seiner »Erinnerungen« bereitgestellt hatte. In diesem Fall wären sie spätestens 1945 vernichtet worden. Es ist jedoch merkwürdig, daß Zwehl in seiner Falkenhayn-Biographie nichts über die Manuskripte verlauten läßt, obwohl sie für sein Werk größte Bedeutung hätten gewinnen können. Falkenhayn an Hanneken, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
516
VII. Nach dem Kriege (Januar 1 9 1 9 - A p r i l 1922)
lassung des unbeschränkten U-Boot-Krieges hätte vermieden werden können. Diese Frage war für ihn endgültig geklärt, nachdem Präsident Wilson vor dem Senat erklärt hatte, Amerika wäre auch ohne diese deutsche Kampfmaßnahme in den Krieg eingetreten93. Im Vorwort des neuen Werkes schrieb er: »Politische Fragen sind, soweit irgend möglich bei den Betrachtungen ausgeschlossen worden; es handelt sich um ein Buch von Soldaten für Soldaten.« Falkenhayn wollte nachweisen, daß der Krieg 1918 an der Westfront verloren wurde: »Nach meinen Untersuchungen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die militärische Entscheidung im Kriege mit dem siegreichen amerikanischen Angriff vom 26. September 1918 endgültig gefallen war. [...] Ein großer Teil der deutschen Truppen hat sich bei dieser Gelegenheit noch mit unübertrefflichem Heldenmut geschlagen. Aber das konnte am Schlußergebnis nichts ändern. Dies wird am klarsten durch das in diese Zeit fallende dringende Verlangen der deutschen Obersten Heeresleitung nach Abschluß eines Waffenstillstandes gleich viel unter welchen Bedingungen bewiesen. Man fürchtete offenbar einen Durchbruch der noch frischen amerikanischen Kräfte in der Gegend von Metz nach Norden und die darauf folgende Abschnürung der Westhälfte des Heeres. Die Furcht war berechtigt. Freilich leicht wäre den Amerikanern die Operation sicher nicht geworden. Noch lebte in den Resten des deutschen Heeres die Todesverachtung, mit der es sich schon vier Jahre lang gegen mehr als doppelte Ubermacht gewehrt hatte. Dennoch viele Hunde sind des Hirschen Tod. Das Ende wäre kaum zweifelhaft gewesen. Auch die größte Tapferkeit konnte nicht hoffen, dauernd gegen die Ubermacht, wie sie sich allmählich herausgebildet hatte, in der Lage, die sich mittlerweile entwickelt hatte, zu bestehen. Wir Deutsche sind besiegt, wir sind nicht geschlagen worden. Wir sind überwältigt, durch die Massen erdrückt nicht in gleichem Kampf zu Boden geworfen worden.« 94 Ludendorff und seine Anhänger hätten diese These sicherlich als schweren Angriff empfunden, da Falkenhayn rein militärische Ursachen für die Niederlage verantwortlich machte — und nicht etwa den »Dolchstoß« der Revolution in den Rücken des »im Felde unbesiegten« Heeres. Von Falkenhayn selbst stammt jedoch nur das Vorwort dieses Buches. Er war nicht mehr in der Lage, das Buch selbst zu schreiben, dafür war seine Gesundheit bereits zu angegriffen. Er übertrug die Aufgabe einigen jüngeren Offizieren, besonders seinem Neffen, Hauptmann v. Wallenberg, dem er dafür eine Gewinnbeteiligung versprach und der auch im Vorwort namentlich erwähnt wird. Stil und Inhalt des als Fragment erhaltenen Buches sprechen dagegen, daß Falkenhayn am Text tatsächlich mitgearbeitet hat. So wird der amerikanische Individualismus gepriesen und dem deutschen Gehorsamkeitsprinzip entgegengestellt — eine These, die von Falkenhayn nicht zu erwarten war. Auch wurde harte Kritik an der Kurzsichtigkeit der deutschen Führung geübt, die die Amerikaner vor der Erklärung des unbeschränkten 93 94
Ebd. Vorwort zum Buch »Wie Amerika den Krieg entschied«, Buchfragment in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
2. Die Reflexion: Falkenhayn als Autobiograph und Militärschriftsteller
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U-Boot-Krieges chronisch unterschätzt habe. Das Werk ist in seinen erhaltenen Teilen ein nur mäßig interessanter Lobgesang auf die amerikanische Tüchtigkeit in jeder, besonders aber in militärischer Hinsicht. Falkenhayn, der in dieser Zeit wegen fortschreitenden Nierenversagens schon sehr schwach war, machte im August 1921 aus seinem Unbehagen gegen dieses Buch kein Hehl. Er schrieb seinem Freund Hanneken: »Sie fragen, wie es mit meinem amerikanischen Buch stünde. Das Buch ist fertig. Es ist aber nicht eigentlich >mein< Buch sondern ein von mir aus Beiträgen einzelner Offiziere zusammengestelltes Buch, das unter meinem Namen herausgehen soll. Das Verfahren ist nicht sehr vornehm, aber es ist das Einzige, das mir übrig blieb, wenn ich überhaupt die Spekulation auf die Dollars noch rechtzeitig ausführen wollte. Ein genaues Inhaltsverzeichnis geht in den nächsten Tagen nach Amerika ab, aufgrund dessen mein dortiger Vertreter, ein Herr Schreiner, einen endgültigen Verlagskontrakt abschließen zu können hofft. Die ganze Sache ist mir nicht sympathisch, aber was soll ich anderes machen, um meine Frau und Tocher im Fall meines Todes einigermaßen sicher zu stellen?! Da die hohe Pension dann fort fällt, sieht es mit ihrer Existenz auf längere Zeit dann windig aus. Es bleibt mir also nur zu hoffen, daß der amerikanische Fischzug keine knappen Ergebnisse haben wird 95 .« Falkenhayn starb, bevor das Werk verlegt werden konnte. Sein Kontaktmann in den Vereinigten Staaten lehnte daraufhin die Übernahme des Buches, das er als »uninteressant« empfand, ab. Es enthalte zu wenig Schilderungen. Er wollte sich nur noch zu erheblich verbesserten Übernahmebedingungen bereit erklären, das Buch zu übersetzen, umzugliedern und, wie er meinte, damit praktisch neu zu schreiben. Ihm war nicht verborgen geblieben, daß nicht Falkenhayn, sondern ein anderer die Feder geführt hatte; Diktion und Gedankenführung wichen zu sehr von Falkenhayns leicht wiederzuerkennendem Stil ab. Falkenhayns Sohn, Fritz v. Falkenhayn, verzichtete in der Folge auf eine finanzielle Verwertung des Manuskripts und regelte die entstandenen Verbindlichkeiten auf andere Weise96.
95
Falkenhayn an Hanneken, 13.8.1921, ebd.
96
Im Anhang des erhaltenen Buchfragments befindet sich der Briefwechsel zwischen Schreiner, dem amerikanischen Vertreter Falkenhayns, Hauptmann Wallenberg, Falkenhayns »Ghostwriter«, und Fritz v. Falkenhayn, dem Sohn des Generals, in dem ausführlich über das weitere Schicksal des Buches beraten wird. Was endgültig damit geschehen ist, geht aus den Briefen allerdings nicht hervor. Es scheint jedoch sicher, daß es nicht unter Falkenhayns Namen herausgekommen und wahrscheinlich auch nicht in umgearbeiteter Form unter anderem Namen in den USA erschienen ist.
Auch ich glaube, daß wir am Ende nur Frankreich und Polen uns gegenüber haben. Das Ende ist aber noch lange nicht zu erwarten. [...] Vorläufig sitzen wir in einem verhängnisvollen Zirkel, aus dem ich keinen Ausweg sehe. Falkenhayn am 10. Oktober 1919.
3. Politische Betrachtungen 1919—1922 a) Außenpolitische Betrachtungen Falkenhayns politische Überlegungen nach Unterzeichnung des Friedensvertrages wurden von der Frage dominiert, wie das Deutsche Reich wiedererstarken könne. Er machte sich jedoch keine Illusionen über die bedrängte Situation, in der Deutschland sich befand. Er ging zu Recht davon aus, daß die Siegermächte des Weltkrieges einen deutschen Wiederaufstieg nach Kräften zu verhindern suchen würden und das Land keine Möglichkeit habe, diesen Aufstieg zu erzwingen. Die harten Bedingungen des Versailler Vertrages, vor allem die drückenden Reparationsverpflichtungen und die Machtlosigkeit gegen die Drohungen der Entente, im Fall ihrer Nichterfüllung Teile des Reichsgebiets zu besetzen, ließen jeder deutschen Regierung nur geringen außenpolitischen Spielraum. Vor allem Deutschlands direkte Nachbarn waren daran interessiert, das Reich militärisch und politisch niederzuhalten. Eine Stärkung Deutschlands sei das, konstatierte Falkenhayn im September 1919, »was uns die Entente, vor allem Frankreich nebst Polen, nicht zuerkennen will und auch, wenn man gerecht sein will, nicht zuerkennen kann« 97 . Wenig später schrieb er: »Auch ich glaube [...], daß wir am Ende nur Frankreich und Polen uns gegenüber haben. Das Ende ist aber noch lange nicht zu erwarten. [...] Vorläufig sitzen wir in einem verhängnisvollen Zirkel, aus dem ich keinen Ausweg sehe. Wenn wir den Moment benutzen sollen, müssen wir stark sein. Stark sein können wir nur werden dadurch, daß wir bei uns Ordnung schaffen. Dazu gehört unbedingt, daß ein fester Wille Macht im Lande erhält. Und das wird wieder die Entente, d. h. Frankreich nicht zugeben 98 .« Das Zentrum der harten Entente-Politik sah er in Frankreich. Als machtpolitisch denkender Mensch konnte Falkenhayn den französischen Wunsch, den potentiell stärkeren deutschen Nachbarn niederzuhalten, verstehen. Jedoch beobachtete er die wachsenden Schwierigkeiten, die den Franzosen, vor allem Clemenceau, bei seiner harten Gangart gegen Deutschland entstanden, mit Genugtuung. Er schrieb im November 1919, daß der »tigre« seine »wankende Haßgefolgschaft«, zu der auch England gehöre, immer wieder aufpeitschen müsse99. Mit Hohn quittierte er auch, daß die »tapfere« Marianne 97
Falkenhayn an Engelbrecht, 18.9.1919, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
98
Falkenhayn an Hanneken, 10.10.1919, ebd.
99
Falkenhayn an Hanneken, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 , ebd.
3. Politische Betrachtungen 1919—1922
519
jede deutsche innenpolitische Stärkung zu verhindern trachtete100. Ebenso wertete er den französischen Versuch, Deutschland durch die Abspaltung eines neuen »Rheinbundes« zu schwächen101, als Symptom der Angst vor dem Wiedererstarken des deutschen Nachbarn. England trat, was die aktive Unterdrückungspolitik der Siegermächte gegenüber Deutschland betraf, gegenüber Frankreich in den Hintergrund. Es gewann jedoch dadurch bei dem anglophoben Falkenhayn keineswegs an Sympathien. Er glaubte im Gegenteil, daß Großbritannien seine Vorteile nur geschickter und unauffälliger wahrzunehmen verstehe. Während die Franzosen »auf militärischem und politischem Gebiet« ihre Forderungen stellten, würden die Engländer »ebenso wenig [...] auf wirtschaftlichem etwas anbrennen lassen«102. Wie tief seine Englandfeindschaft verwurzelt war, zeigt sich an folgender Bemerkung über ein norwegisches Unternehmen, das seinem Sohn eine gutdotierte Position angeboten hatte. Er schrieb am 29. November 1919: »Es handelt sich offenbar nicht um ein Unternehmen, das irgendwelche deutschen Interessen fördern sondern ganz einfach Deutschland ausschlachten will, und hinter dem vielleicht England steht 103 .« Allerdings geriet Falkenhayn angesichts der viel stärkeren französischen und polnischen Feindschaft gegen Deutschland mit seinem anglophoben Weltbild etwas in Beweisnot. Gerade deshalb wandte er sich scharf gegen die These seines Freundes Hanneken, »England könne uns nichts tun«, und versuchte ihm anhand der englischen Opposition gegen die deutsche Baltikumspolitik das Gegenteil zu beweisen104. Der Argwohn gegen undurchschaubare und hinterhältige politische Manöver der Engländer verließ den General bis zu seinem Tod nicht. Im Januar 1922 schrieb er, die Engländer hätten in den Washingtoner Verhandlungen zur Begrenzung der Seerüstung ein Verbot des U-Boot-Krieges durchgesetzt »und sind nun bemüht, den Franzosen als Gegenleistung Konzessionen auf unsere Kosten ohne zu großes Aufsehen zu machen« 105 . Dieser Gedanke des sterbenden Falkenhayn zeigt noch einmal die Struktur seines Englandbildes und seines Englandhasses: Die Inselnation, so meinte er, verfolge kühl rechnend ihren Vorteil und hetze die anderen Nationen gegeneinander, um von deren Zwiespalt profitieren zu können. Eine Sonderrolle spielte in Falkenhayns Überlegungen Polen. Dieser Staat war in seinen neuen Grenzen eine Schöpfung des Versailler Vertrages. Deutschland hatte die Provinz Westpreußen abtreten müssen; Danzig wurde »Freie Stadt«. Ostpreußen besaß damit keine Landverbindung mehr zum übrigen Reich. In verschiedenen anderen Gebieten mit deutsch-polnisch gemischter Bevölkerung, zum Beispiel in Oberschlesien und Ostpreußen, sollte durch Volksabstimmungen im Sommer 1920 die neue Grenzziehung festgelegt werden. 100
Falkenhayn an Elsa v. Hanneken, 18.9.1919, ebd.
101
Siehe Kap. VII, 3, b.
102
Falkenhayn an Hanneken, 2 7 . 6 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
i°3 Falkenhayn an Hanneken, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 , ebd. 104
Falkenhayn an Hanneken, 8.11.1919, ebd.
105
Falkenhayn an Hanneken, 9 . 1 . 1 9 2 2 , ebd.
520
VII. Nach dem Kriege (Januar 1 9 1 9 - A p r i l 1922)
Wie für viele andere politische Größen des Kaiserreiches und der Weimarer Republik war auch für Falkenhayn Polen eine unglückliche Schöpfung, die am besten wieder von der Landkarte verschwinden sollte, um so mehr deshalb, weil das Familiengut der Falkenhayns, Burg Belchau, nach der Abtretung Westpreußens nunmehr auf polnischem Territorium lag. Das Gut wurde durch einen seiner Neffen bewirtschaftet, und dieser befürchtete, über kurz oder lang infolge der polnischen Landreform einfach enteignet zu werden. Burg Belchau zu halten, war kein leichter Entschluß, wie Falkenhayn anerkannte. Allerdings fühlte er sich aus der Familientradition heraus verpflichtet, seinem Neffen zum Ausharren zu raten und seine Hoffnungen auf eine Wiedergewinnung der verlorenen Provinz zu richten106. Bei Ausflügen nach Belchau hatte Falkenhayn wiederholt Anlaß, sich über polnische Schikane an der Grenze zu beklagen. Besonders schwer wurden diese vor den großen Volksabstimmungen, die im Sommer 1920 stattfinden sollten. Die polnischen Behörden erschwerten Ein- und Ausreise durch hohe Visagebühren. »Wer hätte je gedacht«, schrieb Falkenhayn am 20. Juni 1920, »daß uns das polnische Lumpengesindel noch einmal so quälen würde107?!« Die Abstimmungen wurden wesentlich durch den für Polen nach großen Anfangserfolgen sehr ungünstig verlaufenden Krieg gegen die Sowjetunion beeinflußt. Viele, die sonst wohl für Polen votiert hätten, stimmten in dieser politischen Situation für den Verbleib ihrer Heimat bei Deutschland. Falkenhayn quittierte diese Tatsache sowie die polnische Zwangslage mit Genugtuung: »Mittlerweile haben die Bolschewisten die Polen gründlich verdroschen und hat das Abstimmungsergebnis gezeigt, wie unerhört leichtfertig die Entente mit ihren Bestimmungen gehandelt hat, obschon man einen guten Teil zweifellos auf die Angst vor der Aushebung für den Kampf gegen die Bolschewisten schieben muß. Es ist sicher, daß ein großer Prozentsatz der eigentlichen Polen für Deutschland gestimmt hat. Ganz dasselbe wäre passiert, wenn beispielsweise im Kreise Graudenz abgestimmt worden wäre und Burg Belchau wäre uns erhalten geblieben! Uns ist jetzt nur die Hoffnung übrig, daß Polen vor dem Ansturm der Bolschewiken zerfällt, und die uns abgetrennten Teile reumütig wieder in den Schoß der Mutter Germania zurückkehren. Freilich werden wir etwas nachhelfen müssen. Aber daran soll es nicht fehlen108.« Aus den polnischen Niederlagen gegen die Sowjetunion und dem unerträglichen politischen Druck der Westmächte entwickelte Falkenhayn eine neue außenpolitische Wunsch106
Er schilderte die Lage seines Neffen in einem Brief an Hanneken vom 1 0 . 1 0 . 1 9 1 9 , ebd.: »Es kann sehr leicht dazu kommen, daß er schließlich mit Frau und vier Kindern und einer Handvoll polnischer Schatzscheine ohne Wert auf der Straße sitzt, während er sich jetzt noch mit erträglichem Verlust aus der Falle ziehen könnte. Aber die Sache muß gewagt werden. A m wenigsten dürfte ein Mitglied unserer Familie das schlechte Beispiel geben. Übrigens war mein Urgroßvater 1807 in der gleichen Lage. Er war Landrat in Flatow und blieb auf seinem Posten nach dem Tilsiter Frieden. Er erhielt aber die Order, die wir noch besitzen von Friedrich] W[ilhelm] III. so zu handeln. Damals die unbeugsame Entschlossenheit, das Verlorene wiederzugewinnen, und das felsenfeste Vertrauen, daß es gelingen müsse. Und heute?!«
107
Falkenhayn an Hanneken, 20.6.1920, ebd. Falkenhayn an Hanneken, 18.7.1920, ebd.
108
3. Politische Betrachtungen 1 9 1 9 - 1 9 2 2
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Vorstellung, die sich — trotz aller gewandelten politischen Umstände — in manchem an seine Vorkriegsvorstellungen anlehnte. Er befürwortete eine deutsch-russische Zusammenarbeit, die sich gegen die Westmächte ebenso wie gegen das neu entstandene Polen richten sollte. Die russischen Siege und die Abneigung gegen Polen ließen Falkenhayn im August 1921 eine politische Konstellation vorausahnen, die im April 1922 zum Pakt von Rapallo zwischen Deutschland und der Sowjetunion sowie der späteren wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit führte: »Im übrigen wittere ich so etwas wie Morgenluft. Die braven Bolschewikis werden die Kugel wohl ins Rollen bringen. Nicht sofort: dazu sind die wahrscheinlich zu schlau und — ist ihr Nachschub zu wenig geordnet. Aber in einiger Zeit, nachdem ihre Propaganda in Polen gewirkt haben wird, und sie die Bahnen auf russische Spurweite umgebaut haben werden. Fraglich ist nur, ob sie den Waffenstillstand so lange hinziehen oder den Frieden schließen. Das ist jedoch gehupft wie gesprungen. In jedem Fall droht Polen der Zerfall insofern, als die ehemals deutschen Teile reumütig zu Mütterchen Germania zurückkehren werden. Dann muß es sich entscheiden, ob die Entente den Mut hat, gegen zu halten, und ob wir noch den Mut aufbringen, national zu denken und zu handeln. [...] Offenbar schwebt [dem deutschen Außenminister Simons] gemeinsames Arbeiten mit Rußland vor, das er vorzubereiten bemüht ist. Sicher ist das eine gefährliche Sache, aber — in der Not frißt der Teufel Fliegen! Da wir die Ententeforderungen weder in der Entwaffnungsfrage noch in der Polenfrage erfüllen können, würde es mit unserer Selbständigkeit am 1. November oder 1. Januar vorbei sein, wenn nicht mittlerweile Vereinbarungen mit Rußland geschlossen sind, die es der Entente bedenklich erscheinen lassen, in ein Wespennest zu stechen. Wie gesagt, die Idee ist kühn, indessen die einzige, die übrig bleibt. Wenn man an sie denkt, wird auch die Unterschrift in Spa verständlich. Natürlich sind unsere braven Konservativen wieder zu kurzsichtig, um den Gedanken nachempfinden zu können. Sie haben Nichts zugelernt, und treiben Politik, d.h. äußern, nach wie vor lediglich nach ihren Kirchturminteressen. Ich gebe zu, daß ich mich in der Beurteilung von Simons auch irren kann. Es spricht jedoch Viel dafür, daß ich auf dem rechten Wege bin 109 .« Diese politische Linie — Zusammenarbeit mit Rußland gegen die Westmächte und Polen — hielt Falkenhayn bis zu seinem Tod für erfolgversprechend. Da es sich jedoch nicht mehr um das alte, sondern um das bolschewistische Rußland handelte, betonte er noch im Januar 1922 ausdrücklich, daß man den Russen »unter keinen Umständen wirklich trauen darf«110.
109
Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1920, ebd.
110
Falkenhayn an Hanneken, 9 . 1 . 1 9 2 2 , ebd.
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VII. Nach dem Kriege (Januar 1 9 1 9 - A p r i l 1922) Wir brauchen mehr als das tägliche Brot [die] Wiederherstellung straffster Ordnung. Falkenhayn am 18. September 1919
b) Innenpolitische Betrachtungen 1919—1922 Falkenhayn war zu realistisch, um von der Außenpolitik in der näheren Zukunft große Erfolge zu erhoffen. Er schrieb im November 1919, daß er immer mehr dazu neige, »daß wir nicht durch Betätigungen nach Außen sondern nur durch Erneuerung im Inneren aus dem Sumpf kommen können« 111 . Er beschäftigte sich ausgiebig mit der Frage, »auf welchem Wege unserem gemarterten Volk geholfen werden könnte. W i r brauchen mehr als das tägliche Brot [die] Wiederherstellung straffster Ordnung112.« Die von innenpolitischen Unruhen und großen Streiks geschüttelte junge Republik wies all jene Symptome des äußeren und inneren Niedergangs auf, die Falkenhayn vor dem Krieg als verhängnisvoll für jeden Staat angesehen hatte. Die neue Republik war ihm, wie fast allen seinen Standesgenossen, ein Greuel. Er sah aber keine Chance für eine Wiederherstellung der Monarchie. Die Hoffnungen Wilhelms II., der ihm mehrfach aus dem holländischen Exil schrieb, auf eine Rückkehr nach Deutschland schienen ihm vollkommen weltfremd. »Aus Amerongen hatte ich an und für sich gute Nachricht, die indessen tieftraurig macht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ihr Urgrund Hoffnungen sind, die nicht in Erfüllung gehen können. Möge die Pest die Jammerseelen holen, die es immer wieder fertig bringen, solche Träume zu nähren, sicherlich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle lediglich, um sich lieb Kind zu machen. Bei den Nachrichten an mich befindet sich auch ein Spahn von dem zwölftausendsten Baum, den S.M. zersägt hat. Wenn ich dazu den zwölfhunderttausendsten Buchstaben füge, den ich mittlerweile geschrieben habe, so könnten wir ein interessantes Ausstellungsobjekt unter der Überschrift >Sic transit gloria mundi!< gewinnen 113 .« Auch später hielt Falkenhayn jeden Versuch einer Restauration der Monarchie für aussichtslos114. Von der Monarchie versprach sich Falkenhayn auch keine Lösung des zentralen Problems: der inneren Stärkung des Deutschen Reiches. Eine Diktatur, am besten eine Militärdiktatur, sollte nach seinem Wunsch wieder Einheit in das von inneren Kämpfen und Streiks zerrissene Nachkriegsdeutschland bringen und somit den Grundstein für einen deutschen Wiederaufstieg legen. 111 112 113 1,4
Falkenhayn an Hanneken, 8.11.1919, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn an Engelbrecht, 18.9.1919, ebd. Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 , ebd. Mit bitterer Ironie meinte er im November 1920, daß »man sich auch zur Zeit in Doorn ganz erstaunlichen Hoffnungen hingibt. [...] Im übrigen fürchte ich, sie werden eine böse Enttäuschung erleben. Wenn ja, so sind wir heute dem Versuch einer Verlegung des Schwerpunkts des Reichs nach München bedenklich nahe gerückt, bei welcher der erste Gesichtspunkt der ist: unter keinen Umständen unter den Hohenzollern! Na, mögen sie machen, was sie wollen. Mich werden sie nie dazu bewegen, zu einer neuen Fahne zu schwören.« Falkenhayn an Hanneken, 10.11.1920, ebd.
3. Politische Betrachtungen 1 9 1 9 - 1 9 2 2
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Wie manch anderer Militär hoffte Falkenhayn unmittelbar vor Unterzeichnung des Versailler Vertrages auf die Diktatur des militärfreundlichen Sozialdemokraten Noske, der sich bei der politischen Rechten durch hartes Durchgreifen gegen Streikende Sympathien erworben hatte, meinte aber pessimistisch, jetzt könne weder diese noch eine andere noch helfen115. Doch Noske wollte und konnte sich nicht zum Diktator aufschwingen, was Falkenhayn Anfang Juli 1919 mit einer Mischung aus Enttäuschung und Verständnis aufnahm: »Unser Zukunftsdiktator ist umgefallen, sogar gleich zweimal. Erstens in der Streikfrage und zweitens in der Angelegenheit der Übernahme der Diktatur. Er hat, als das Militär ihm diese offen anbot, ebenso offen erklärt, seine Zeit sei noch nicht gekommen, die Partei würde ihn jetzt noch geschlossen im Stich lassen und diejenigen der Rechten seien ihm noch nicht sicher. Seiner Ansicht nach müsse man mit derartigem Vorgehen warten, bis alles bis zur Übelkeit von den jetzigen Zuständen degoutiert sein würde. Die Sache klingt ganz plausibel und um so plausibler, wenn man die zur Zeit hier durch den Verkehrsstreik eingetretenen Verhältnisse beobachtet. Noch ein oder zwei solcher Streiks und ganz Berlin steht gegen die Streikbande zusammen 116 .« Die Wiederherstellung »straffster Ordnung« im Inneren, ein durch eine Militärdiktatur regiertes Preußen, das sich auf seine »historische Mission« besann, war Falkenhayn sogar wertvoller als der Weiterbestand der Reichseinheit. Er schrieb im Dezember 1919: »[Die Franzosen] haben uns wissen [lassen], daß sie, mit ihren Bundesbrüdern, eine Militärdiktatur bei uns, so lange Deutschland an Frankreich grenze, unter keinen Umständen dulden würde. Mit anderen Worten: Wenn der Rheinbund gegründet sein wird, könnt ihr machen jenseits der Elbe, was ihr wollt. Dagegen wäre ja, wenn man es auch nicht laut sagen darf, kaum viel einzuwenden. Ich bin der unerschütterlichen Überzeugung, daß der Rheinbundstaat in ganz kurzer Zeit in unsere preußischen Arme zurückkehrte, falls es uns gelingen sollte, ein starkes Preußen zu schaffen. Die unumgängliche Voraussetzung dafür ist aber wohl eigener Kohlenbesitz. So lange es nicht feststeht, daß das Oberschlesische Revier bei uns bleibt, werden wir das Ruhrrevier nicht freiwillig Preis geben dürfen 117 .« Falkenhayn glaubte offensichtlich, das Heilmittel für die aussichtslos scheinende außenund innenpolitische Situation in einem Gesundschrumpfungsprozeß finden zu können. Preußen, nach dem Abfall westlicher Teilstaaten vom außenpolitischen Druck der Siegermächte befreit, könnte ungestört innerlich wieder erstarken. Das Verlorene würde dann aus eigenem Antrieb wieder den Anschluß suchen. Deshalb nahm Falkenhayn den Gedanken an einen Zerfall des Deutschen Reiches mit großer Gelassenheit auf. Als Hanneken, der sich in Hannover niedergelassen hatte, ihm von separatistischen Neigungen in seiner neuen Heimat erzählte, meinte Falkenhayn: »Die Bestrebungen sind mir wohl bekannt. Natürlich ist der leitende Gedanke, daß England dabei helfen wird. [Dabei wird nur vergessen], daß auf die Dauer sich niemand zum Herrn aufschwin-
115
Falkenhayn an Hanneken, 2 7 . 6 . 1 9 1 9 , ebd. Siehe zu dem Angebot der Militärs an Noske, die Diktatur zu übernehmen: Craig, Geschichte, S. 373 f.; zu Noske allgemein: Wette, Noske.
116
Falkenhayn an Hanneken, 2 . 7 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 , ebd.
117
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gen kann durch fremde Schiebungen oder die zufällige Lage im Zentrum, sondern allein durch die eigene Kraft. Das hatte Preußen getan, und das wird es, so Gott will, auch wieder tun. Mag sich mittlerweile ruhig eine res publica Hannoverensis bilden. Sie wird, wenn die Zeit erfüllt sein wird, durch die Kraft so angezogen werden wie die Motte durch das Licht. Wie ich überhaupt die ganzen Abtrennungsgelüste nicht zu tragisch nehmen möchte. Preußen wird durch den Abfall um so schneller gezwungen werden, sich auf seine Mission zu besinnen und vorzubereiten. Und in den Abgefallenen wird sich sehr bald, vielleicht eher als es zweckmäßig ist, das deutsche Gewissen wieder regen118.« Falkenhayn lehnte die junge Republik ab119. Im September 1919 redete er von der »Dummheit der Demokratie« und der »Niederträchtigkeit des heutigen Sozialismus«, gegen die er kämpfen wolle, und von seiner Hoffnung, diesen Kampf zu einem guten Ende führen zu können. Sein Problem lag aber im Zustand der politischen Rechten, die Falkenhayn zwar als seine politische Heimat ansah, deren Kurzsichtigkeit und Borniertheit ihn jedoch fast zur Verzweiflung brachte: »Ganz dunkel ist mir vorläufig noch, wie ich mich gegenüber dem Unverstand im eigenen Lager, der Feigheit, die sich dort im Anklammern an Phrasen, Selbstberäucherung und Lügen zeigt, aus der Affäre ziehen soll120.« Die Deutschnationale Volkspartei hängte sich seiner Ansicht nach viel zu sehr an Dinge, die nicht mehr zu verteidigen waren. Resigniert erkannte er schon im Juli 1919, daß »mit unseren alten konservativen Parlamentariern [...] nichts mehr zu machen [sei], auch wenn sie noch so gut zu reden verstehen. Sie vergessen immer, daß die neue konservative Partei, die deutsch-nationale, ausgesprochen eine Partei der Zukunft und der Jugend sein muß und sich deshalb auf das Angstlichste hüten soll, irgend etwas als Ballast aus alten Zeiten mitzuschleppen, das sich letzten Endes nicht mehr verteidigen läßt. Versucht man es, so fällt man damit herein, schon aus dem rein taktischen Grunde, weil die Gegenseite augenblicklich an der Quelle, den Archiven, sitzt und niemand sonst genügenden Einblick in sie gestattet121.« Politisch fatal war für Falkenhayn die enge Verbindung zwischen der Deutschnationalen Volkspartei und Ludendorff und seinen Anhängern, die ihn in einen schweren inneren Konflikt stürzte. Einerseits fühlte er sich der Rechten zugehörig und wünschte ihren politischen Erfolg, andererseits bedeutete dieser Erfolg auch einen Wiederaufstieg seines alten Feindes Ludendorff. Diese Ambivalenz in der Betrachtung verhinder118 119
120 121
Falkenhayn an Hanneken, 2 . 7 . 1 9 1 9 , ebd. Offenbar war Falkenhayn trotz seiner Gegnerschaft kein extremer Reaktionär. Er machte bezeichnenderweise einen Unterschied zwischen seiner Ablehnung des neuen Staates und dem offenbar blinden Republikhaß seiner Schwester Olga v. Bock. Er schilderte deren Tod im Dezember 1919 wie folgt: »Sie starb schließlich leicht und schnell in meinem Beisein [...] und war offenbar durchaus zufrieden damit. Ihre beiden Söhne sind versorgt; im übrigen stand sie dem neuen Deutschland mit dem gesunden Haß einer starken Frauenseele noch weit schroffer gegenüber als ich es tue, so daß ihr der Abschied von ihm nicht schwer wurde.« Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 , ebd. Falkenhayn an Hanneken, 1 2 . 9 . 1 9 1 9 , ebd. Falkenhayn an Hanneken, 2 6 . 7 . 1 9 1 9 , ebd.
3. Politische Betrachtungen 1919—1922
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te zusätzlich, daß Falkenhayn in der DNVP eine wirkliche politische Heimat finden konnte. Seiner Ansicht nach faßten die Deutschnationalen auch die heikle Frage nach Schuld und Wirkung der Novemberrevolution von 1918 falsch an und betrieben eine schädliche Ludendorff-Apologetik. 1919 mußten sich mehrere führende Persönlichkeiten des Kaiserreichs vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß verantworten, der verschiedene zentrale Fragen des Weltkrieges wie die Julikrise von 1914, die Erklärung des unbeschränkten U-BootKrieges, die Annexionsfragen, die Revolution von 1918 und die Gründe der Niederlage zu klären suchte. Vor diesem Ausschuß, der unter anderem auch Falkenhayn und Bethmann Hollweg befragte, mußten auch Hindenburg und Ludendorff erscheinen, was von ihnen und ihren Anhängern zu politischen Demonstrationen genutzt wurde. Diese und ähnliche Kundgebungen hielt Falkenhayn innen- wie außenpolitisch für nutzlos und sogar für schädlich. Er schrieb Ende November 1919: »Das einzige Ergebnis ist, daß einerseits die Regierung, ob sie will oder nicht, gezwungen ist, die Schraube gegen Rechts schärfer anzuziehen, und daß andererseits der Tigre in Paris einen höchst willkommenen Anlaß erhält, seine wankende Haßgefolgschaft von Neuem gegen uns aufzupeitschen. [...] Für uns bleibt es schon bei dem Wort [...]: Seid klug wie die Schlangen! Mit dem Auf den Tisch schlagen, kann man [...] weder das Gift, das in unserem Volkskörper verheerend tobt, beseitigen, noch Clemenceau und Lloyd George die Stirn bieten. Der Hindenburgund Ludendorfftrubel ist nach meiner Ansicht das sicherste Zeichen dafür, wie tief wir noch im Fieber liegen. Diese Stellungnahme entspringt nicht etwa egoistischen Interessen, so berechtigt diese wären, und sie ist auch nicht mein Tollpunkt. Es ist einfach meine heilige Überzeugung, daß uns der Mann, auf dem die Verantwortung für das Handeln des Kaisers liegt, und derjenige, der noch auf Sieg focht, als er innerlich längst von der Unmöglichkeit, dies zu tun, klar überzeugt war, unter keinen Umständen in bessere Zeiten führen werden. Im Gegenteil muß ihr jetziges Verhalten und der Erfolg, den sie damit äußerlich erreichen, den Nachwuchs, auf dem doch schließlich unsere ganze Hoffnung beruht, in seinen Gesinnungen, in seinen Anschauungen von Treu und Glauben auf das Tiefste zerrütten 122 .« Gerade unter der ständigen außenpolitischen Bedrohung durch England und Frankreich schien Falkenhayn das Vorgehen Ludendorffs, ebenso wie jeder tönende Patriotismus, vollkommen verkehrt. Er setzte dem ein anderes Programm entgegen: Eine unauffällige Erneuerung im Inneren, die er selbst durch die Gründung neuer »militärischer Gesellschaften« »nicht nur innerhalb der Grenzen des Reichs sondern auch [...] in der Diaspora, im Elsaß, in Polen, in Schleswig usw.« zu fördern hoffte. Das Unternehmen sollte »in wissenschaftlicher Toga« auftreten 123 . Durch Vorträge und Informationsveranstaltungen sollte der militärische Geist vor allem der jungen Leute geweckt werden. Falkenhayn selbst hielt an der Berliner Universität vor der Historischen Gesellschaft in den Jahren 1919 und 1920 Vorträge über den Rumänienfeldzug 124 . Das war für ihn 122 123 124
Falkenhayn an Hanneken, 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 , ebd. Falkenhayn an Hanneken, 1 2 . 9 . 1 9 1 9 , ebd. Zwehl, Falkenhayn, S. 314.
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nicht nur »leeres Stroh dreschen«, sondern er nutzte die Gelegenheit, um auf das, »was uns jetzt Not tut«, einzugehen 125 . Falkenhayns Vorlesungen trugen einen deutsch-nationalen Charakter. Kurt Tucholsky, der bemängelte, daß solche Veranstaltungen vom Staat unterstützt wurden, vermerkte 1920 kritisch: »Im Auditorium Maximum der Berliner Universität hält der geschlagene General v. Falkenhayn über den Feldzug in Rumänien einen Vortrag, der von den Zuhörern ausschließlich deutsch-national gewertet wird 126 .« Falkenhayn glaubte, durch die Gründung solcher Gesellschaften am Enstehen der »richtigen« Gesinnung mitwirken zu können. Etwas pathetisch schrieb er im Juli 1919: » Es gibt nur einen Weg, den wir gehen können; das ist der der Ordensgründung 127 .« Ihm schwebte ein »Orden der Wiedergeburt« 128 vor, eine stark militärisch ausgerichtete Vereinigung, deren Mitglieder er aus den alten Regimentsvereinigungen rekrutieren wollte. Eine Zeitlang glaubte Falkenhayn, damit auf dem richtigen Wege zu sein: »In aller Stille wird da die Gesinnung großgezogen, die wir brauchen. Sehr viel wirksamer und dauerhafter als durch den Tamtam, auf den die Franzosen sofort reagieren 129 .« Alle negativen Erwartungen, die Falkenhayn Ludendorff und seinen Parteigängern gegenüber hegte, wurden durch den »Kapp-Putsch« vom März 1920 sogar noch übertroffen. Er schilderte und kommentierte das Unternehmen in einem langen Brief an Hanneken vom 18. März 1920, der sehr deutlich die grundsätzliche Sympathie zeigt, die der General für den Rechtsputsch hegte, andererseits aber auch seine Ablehnung gegen die Persönlichkeiten, die ihn durchführten 130 : »Ich drängte am Freitag vergangener Woche so stark nach Hause, weil mir Gerüchte von einem für Sonnabend, den 13.3. [1920] beabsichtigten Putsch bekannt geworden waren. Genaueres hatte ich indessen nicht erfahren. Das wurde mir erst Freitag Nacht zu Teil. Es erschienen bei mir der General v. Hülsen, Kommandeur der Reichswehrbrigade Berlin, nebst seinem Generalstabsoffizier, Major v. Bock, einem Neffen von mir, mit der etwas überraschenden Frage, wie sie sich verhalten sollten angesichts der Tatsache, daß ihnen die Sicherung des Regierungsviertels (Wilhelmstr. pp) anvertraut sei und zwar von der alten Regierung, während die 2. Marinebrigade von Döberitz im Anmarsch gewesen wire, um ebenjene Regierung abzusetzen. Sie können sich denken, daß ich stark in Verlegenheit kam besonders da mir die Herren noch nicht im entferntesten sagen konnten, welches Ziel denn eigentlich mit dem Putsch angestrebt würde. Sie wußten das offen-
125 126 127 128 129
130
Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Tucholsky, Gesammelte Werke I, S. 599. Falkenhayn an Hanneken, 2 6 . 7 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn an Hanneken, 8 . 1 1 . 1 9 1 9 , ebd. Falkenhayn an Hanneken, 2 1 . 1 2 . 1 9 1 9 , ebd. Was Falkenhayn sich konkret vorstellte, ist wegen der dürftigen Quellenlage über seine tatsächlichen Schritte schwer zu entscheiden. Möglicherweise bewegten sich seine Vorstellungen in die Richtung des späteren »Stahlhelms«. Diese Frage läßt sich jedoch nicht eindeutig beantworten. Ebd. Der Brief wird hier unkommentiert wiedergegeben, da er für Falkenhayns Haltung sehr aufschlußreich ist. Uber Ursachen und Hintergründe des Kapp-Putsches informiert: Erger, Kapp-Lüttwitz-Putsch.
3. Politische Betrachtungen 1919—1922
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bar selbst nicht. Ich beschränkte mich deshalb darauf, Ihnen zu raten, es zu keinem Kampf zwischen den Brigaden kommen zu lassen. Das ist denn auch geglückt. Freilich weniger meinem Rat entsprechend als infolge der Anordnung der alten Regierung, die in der Nacht von Freitag zu Sonnabends erging: Die Potsdamer Truppen zurück zu ziehen. Sie erließ den Befehl dazu unmittelbar bevor sie über Dresden nach Stuttgart abreiste. Was war geschehen? Auch der alten Regierung waren die Putschgerüchte zu Ohren gekommen. Sie hatte darauf im Laufe des Freitag das Büro der >Nationalen Vereinigung< auszuheben versucht. Das Büro gilt als das Organ Ludendorffs. In ihm arbeiten regelmäßig Kapp, der Obrist Bauer, ein Generalstabshauptm[ann] Pabst, ein übel beleumundeter Rechtsanwalt Bredereck und noch andere Leute, von denen die alte Regierung nur den Pabst bekam. Inzwischen hatte sich Donnerstag abends Lüttwitz mit der Forderung an die alte Regierung gewendet, sie solle den Befehl, die 2. Marinebrigade sei sofort aufzulösen, zurücknehmen, und diese Forderung mit einigen politischen Forderungen verkuppelt (Wahl des Präsidenten durch das Volk usw.). Ob er hervorgetreten ist, weil er Nachricht bekommen hatte, daß der Putsch entdeckt war oder es sich um ein zufälliges Zusammentreffen handelt, ist noch unklar. Anzunehmen ist wohl das Erste, wenn nicht der Putsch von Anfang an für den 13. geplant gewesen ist, wofür eine Anzahl Zeichen sprechen. In jedem Fall lehnte die alte Regierung das Ansinnen Lüttwitz's nicht nur ab sondern enthob ihn Freitag sogar seines Dienstes. Das schlug dem Faß den Boden aus. Die 2. Marinebrigade marschierte auf Berlin; die Berliner Truppen schlossen sich Sonnabend mit Ausnahme eines Pionierbataillons in der Koepenicker Kaserne an, der Kladderadatsch war fertig. Die alte Regierung entkam rechtzeitig. Es richtete sich die Regierung KappLüttwitz ein. Sie war von Anfang an vollständig hilflos, trotzdem der Putsch angeblich seit dem Winteranfang vorbereitet war. Um nur ein Beispiel zu geben: Am ersten Tage wurde die Zwangswirtschaft aufgehoben, am zweiten, Todesstrafen für Lebensmittelschieber angeordnet, am vierten die Schieberbestrafung in Wucherbestrafung umgeändert, weil es bei aufgehobener Zwangswirtschaft Schieber ja gar nicht mehr geben konnte. Die Bildung eines Ministeriums mißlang. Die Parteien weigerten sich, prominente Leute für diese Verwendung abzugeben. Die Namen der an der Spitze des Putsches stehenden Männer waren schlecht gewählt. Mit Kapp oder Jagow oder Bauer ließen sich keine Anhänger locken, noch weniger mit Ludendorff, der hinter den Kulissen blieb, den aber jeder dahinter vermutete. Aber das war nicht das Schlimmste. Weit gefährlicher war, daß man die alte Regierung hatte entkommen lassen. Selbstverständlich mußte man die Leute hier behalten, um sie als Geiseln und als Verhändler auszunutzen. Noch gefährlicher war, daß man die Presse unterdrückte. Man vergab sich dadurch des einzigen Mittels, auf die Massen zu wirken. Sehr bald drehten übrigens die Drucker und Setzer den Spieß um, indem sie ihrerseits den Streik erklärten. Es kam so weit, daß die neue Regierung nicht in der Lage war, auch nur die gewöhnlichste Mitteilung an die Allgemeinheit ergehen zu lassen, während die Kommunisten ununterbrochen ihr Gift verspritzen konnten. Am bedenklichsten erwies sich aber, daß man keinerlei Fühlung mit den großen Verbänden: >Den Gewerkschaften und dem Beamten-
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VII. Nach dem Kriege (Januar 1919-April 1922)
bund< genommen hatte. Nach kurzem Schwanken traten sie in den Generalstreik ein. Trotzdem die technische Nothilfe geradezu vorzüglich funktionierte, war damit das Schicksal der Regierung besiegelt. Denn sie hatte nicht die Nerven, auch diese Probe zu überstehen. Wahrscheinlich hat dabei auch die Nachricht, daß es im Ruhrgebiet und in Sachsen sehr übel stände, mitgewirkt. Kurz die neue Regierung dankte zu Gunsten der alten ab. Versuche, die im letzten Augenblick von verschiedenen Seiten gemacht wurden, mich an die Spitze der neuen Regierung zu bringen, habe ich abgewiesen, weil sie keinen Erfolg mehr bringen konnten131. Der Putsch war verfrüht, er war taktisch in hohem Grade mangelhaft vorbereitet und — die Männer der neuen Regierung hatten nicht die Nerven durchzuhalten, an diesen drei Dingen ist das Unternehmen gescheitert. Was übrig bleibt, ist ein ungeheures Trümmerfeld. Die Spartacusgefahr schätze ich nicht so hoch ein, wie es vielfach geschieht. [...] Dagegen scheint mir die Gefahr, daß ein allgemeiner Abmarsch nach Links einsetzt, riesengroß zu sein132.« Im April 1920 stellte Falkenhayn nochmals weitergehende kritische Bemerkungen zum gescheiterten Rechtsputsch an: »Der Kapp-Putsch hat uns auf lange Zeit zurück geworfen. Verflucht sollen die Männer sein, die ihn unternahmen. Sie haben nicht als Deutsche gehandelt, die eine Sache um ihrer willen betreiben sondern als selbstsüchtige Streber, die um nichts besser sind als gewissenlose Schieber. Indessen wittere ich trotzdem Morgenluft. Das Bürgertum freilich wird uns nicht helfen. Unsere Erlösung kommt und kann nur von der Jugend kommen. Immer deutlicher zeigt es sich, daß sie nicht gesonnen ist, das ihr auferlegte Joch widerstandslos zu tragen. Auch der Kapp-Putsch hat keine Änderung ihrer Gesinnung veranlaßt. So dürfen wir hoffen, daß exoriare aliquis ultor ex ossibus nostris! Wer die Jugend hat, hat auch die Zukunft. Wir Alten allerdings werden den Kelch bis zur Neige leeren müssen. Das schadet aber auch nichts. Wir, d.h. unsere Klasse, die einst führende Schicht, hat dies herbe Geschick redlich und reichlich verdient. Uns bleibt nur noch eins zu tun übrig: Den Strom nicht zurückzudämmen, sondern ihn auf das rechte Ziel zu lenken133!« Mit Spannung sah Falkenhayn auch den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 entgegen, spekulierte drei Tage vorher über die möglichen politischen Konsequenzen und schilderte seine Befürchtungen über ein mögliches Anwachsen der politischen Linken: »Dem Ausgang der Wahlen stehe ich mit einigem Mißtrauen gegenüber. Es mag sein, daß eine erhebliche Verstärkung der rechten Seite eintritt, nicht geringer wird die der linken sein. Statt das die Gegensätze sich ausgleichen, wird eine Verschärfung derselben die Folge sein. Wir werden keine stabileren sondern noch schwankendere Verhältnisse bekommen. Und das Ende wird doch wohl ein größerer Krach sein. Ich bezweifle, daß dann schließlich die Vernunft den Sieg davontragen wird; indessen nichts Genaues weiß man nicht. Sicher ist wohl nur, daß sich die Linksparteien, auf Grund der Erfahrungen in Sowjet131
132 133
Der Antrag der Putschisten an Falkenhayn, an die Spitze der neuen Regierung zu treten, wird von Erger in seiner Studie über den Kapp-Putsch nicht erwähnt. Falkenhayn an Hanneken, 18—21.3.1920, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn. Falkenhayn an Hanneken, 17.4.1920, ebd.
3. Politische Betrachtungen 1919—1922
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Rußland, nicht an die Sozialisierung der lebenswichtigen Betriebe [...] heranwagen werden. Wenigstens glaube ich nicht, daß sich bei uns so fanatische Kamele wie in Rußland finden werden134.« Die Wahlen waren für die Parteien der »Weimarer Koalition« — SPD, Zentrum und Demokratische Partei — ein Desaster. Sie gewannen insgesamt nur noch 205 der 452 Reichstagsmandate und verfügten damit nicht mehr über die absolute Mehrheit. Gewinner der Wahl waren die Unabhängigen Sozialdemokraten, die ihre Abgeordnetenzahl von 22 auf 84 fast vervierfachen konnten, die rechtsliberale Deutsche Volkspartei und die Deutschnationale Volkspartei, die mit 71 Abgeordneten zur stärksten bürgerlichen Partei im Parlament wurde. Die Sozialdemokraten zogen sich daraufhin in die Opposition zurück und überließen die Regierungsbildung den bürgerlichen Parteien. Das Zentrum, die Demokratische Partei und die Deutsche Volkspartei bildeten eine Minderheitsregierung 135 . Falkenhayn war über das Bündnis der Rechtsliberalen mit den Linksliberalen und dem Zentrum verärgert. Er kommentierte den Wahlausgang am 20. Juni 1920: »Die politischen Umstände bei uns sind so zerfahren, wie es nur möglich ist. Ich halte die Koalition der deutschen Volkspartei mit den Demokraten für ein Unglück. Die einzige vernünftige Lösung wäre ein Ministerium aus Fachleuten gewesen, bei dem nicht einer für den anderen solidarisch ist, vielmehr jeder allein gehen kann, dem es nicht gelingt, in irgend einer Form die Mehrheit zu gewinnen. Es ist ja denkbar, daß sich das kommende Ministerium sehr lange hält, weil die Deutschnationalen und auch wohl die Mehrheit ihm Schonzeit gewähren werden. Aber welchen Grund hatte die Deutsche Volkspartei sich mit dem Odium von Spa und dem Fluch, mit dem Erzbergerschen Zentrum 136 und der Partei der Antimonarchisten zusammen gegangen zu sein, zu belasten? Sie sagen, das Wohl des Vaterlandes hätte das erfordert. Nach meiner Ansicht erforderte das Wohl des Vaterlandes nur Eines: nämlich den Krach, der infolge des Umstandes, daß der Inlandpreis schon über den Ausland- oder Weltmarktpreis gestiegen ist, doch kommen muß, sobald wie irgend angängig kommen zu lassen. Im übrigen scheint mir, daß wir durch die Wahlen doch vorwärts geschritten sind. Wenn jetzt durch die verdammte Koalitionspolitik, deren Ursprung wohl der persönliche Ehrgeiz von Männern wie Kardorff und Hinze [!] ist, nicht wieder Alles verdorben wird — was freilich zu befürchten ist, — dann würde der 6. Juni den Anfang einer Besserung bedeuten können 137 .«
134
Falkenhayn an Hanneken, 3 . 6 . 1 9 2 0 , ebd.
135
Craig, Geschichte, S. 378 f.
136
Erzberger war für Falkenhayn eine politische Unperson und ein gefährlicher Opportunist. E r charakterisierte ihn im Juli 1919 als »Oberhallunken«, als »Talleyrandnatur, nur ins Grobe übersetzt und ohne anständiges Blut in den Adern«. In Anspielung auf die Erzbergersche Finanzreform schrieb Falkenhayn: »Ehrgefühl und Gewissen existieren für [solche Leute] nicht, deshalb sind sie ihren Mitspielern fast immer überlegen. Wir werden sehen, daß Erzb. weit schneller und gründlicher als es je ein Sozi getan haben würde, um sich bei den Kommunisten und Konsorten beliebt zu machen, als Finanzminister die besitzenden Klassen ruinieren wird.« Falkenhayn an Hanneken, 2 . 7 . 1 9 1 9 , in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
137
Falkenhayn an Hanneken, 2 0 . 6 . 1 9 2 0 , ebd.
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VII. Nach dem Kriege (Januar 1 9 1 9 - A p r i l 1922)
Falkenhayns politischer Gegenentwurf zur Minderheitsregierung der bürgerlichen Parteien erinnert an das — nicht gerade sehr erfolgreiche — System parlamentsunabhängiger Regierungen vor dem Krieg und an Bethmanns Politik der »Diagonale«, den Zwang, sich für verschiedene Vorhaben wechselnde politische Mehrheiten suchen zu müssen, aber auch an die in weitem Maße parteiunabhängigen Präsidialkabinette am Ende der Weimarer Republik. Warum Falkenhayn angesichts der sich beschleunigenden Inflation — die ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht hatte — sich von einem politischen »Krach« und dem NichtZustandekommen einer Regierung einen positiven Effekt versprach, ist unklar. Mit Befriedigung konstatierte der General die Schwächung der politischen Linken und glaubte, daß sich diese in die von ihm gewünschte Richtung entwickele. Im Oktober 1921 äußerte er seine »feste Uberzeugung, daß sich die Arbeiterbewegung bei uns überlebt hat und in eine gesunde Richtung einzubiegen beginnt. Gott gebe nur, daß nicht wieder die äußerste Rechte mit einem plumpen Putsch dazwischen kommt138.« Falkenhayn, dessen Gesundheit immer weiter nachließ, betrachtete die Politik in seinen letzten Monaten mit demselben Verdruß wie schon im Kaiserreich. Jedoch nahm angesichts des nahen Todes seine Resignation zu. Er schrieb seinem Freund Hanneken am 15. November 1921: »Uber die Politik und was dazu gehört, schreibe ich Ihnen nicht mehr. Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß die sogenannten deutschen Politiker sämtlich durchgedreht sind. Man kann nur sagen: >Herr vergib Ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun139.Versailles< geschlagene Deutschland ehrt seine Feldherren wenigstens im Tode 166 .« Auch der Berichterstatter des »Berliner Lokal-Anzeigers« berichtete ausführlich über die Trauerzeremonie: »Ich sehe die Prinzen Eitel Friedrich und August Wilhelm. Zahlreiche Würdenträger der wilhelminischen Zeit in gewohntem Schwarz und von einer Kultur in Haltung und Auftreten, die nun schon beinahe sagenhaft geworden ist. Draußen vor den Mauern des Friedhofes aber gellen Infanteriekommandos, prescht Artillerie ins Blachfeld, trabt eine elegante Schwadron mit tanzenden Flatterfähnchen [...]. Ein Heer der Schaulustigen endlich drängt sich — von Polizisten kaum gebändigt — die lange Straße hinauf zu den Truppen, um seinen Anteil an der seltenen Zeremonie zu haben. [...] Oberhofprediger Dr. Vogel spricht am offenen Grabe. Dieser alte, wetterfeste Soldatenprediger! [...] Die Mündungsfeuer blitzen, das Gruppenfeuer der Geschütze kracht, die Ehrensalve der Infanterie erknattert. Aus minutenlanger Stille erhebt sich dann zögernd und fast wehmütig die Weise des Zapfenstreiches 167 .« Die Feier hatte ein militärisches und auch nationalistisches Gepränge erhalten, an dem auch der erwähnte Hofprediger Dr. Vogel kräftig mitwirkte, der in seiner Grabrede darauf abhob, daß die gewaltige Tragik der Gegenwart den Verstorbenen gebrochen habe. »Schweres Herzeleid habe es [Falkenhayn] bereitet, daß seine Heimat, an der er mit allen Fasern gehangen habe, von polnischen Machthabern verwüstet werde.« In allen deutschen und vielen ausländischen Zeitungen — so erhielt Falkenhayn zum Beispiel in der »Times« einen sehr freundlichen Nachruf — wurde der Tod des Generals ausführlich kommentiert und sein Wirken gewertet. Dabei spielte auch eine Rolle, daß Ludendorff inzwischen jede Zurückhaltung aufgegeben hatte und nach allen Seiten ungerechtfertigte Vorwürfe erhob, die manchen schon an seinem Geisteszustand zweifeln ließen. Es lag darum nahe, den Verstorbenen und den Lebenden bei dieser Gelegenheit noch einmal gegenüberzustellen. Die Zeitungen der Rechten waren eher auf seiten Ludendorffs, hoben zwar Falkenhayns Verdienste hervor, meinten aber, er sei nicht der beste Mann für seine Aufgabe gewesen. So tadelte die »Deutsche Tageszeitung« seine Angriffe auf Ypern und Verdun, war der Ansicht, Hindenburg sei zu spät berufen worden, und gab nach einem Pflichtlob für 166 167
»Deutsche Zeitung«, 13.4.1922. »Berliner Lokal-Anzeiger«, 13.4.1922.
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Falkenhayns Tatkraft zu bedenken: »Ob im Ganzen seine Tätigkeit an der leitenden Stelle glücklich war, bleibt freilich zweifelhaft168.« Auch nicht kritiklos, aber weit freundlicher wurde Falkenhayns Tätigkeit von den liberalen Zeitungen gewertet. In einem sehr gelungenen Artikel schrieb die »Frankfurter Zeitung« am 13. April 1922: »In Friedenstagen sehnten sich fähige Generale danach, ihr Können mit der Wirklichkeit zu messen. Das ist menschlich verständlich; gefährlich wurde dieses Streben nur dann, wenn es — auf unsichtbarem Wege — auf die Politik Einfluß gewann. Heute werden sich viele, denen im Kriege Verantwortung übertragen wurde, nach der abwechslungslosen Laufbahn, nach dem engen Garnisondienst versunkener Vorkriegsjahre zurücksehnen. Gewaltig ist in der Tat der Druck, der nach der Niederlage auf denen lastet, die im Kriege führten. Nur wenige können sich damit vollständig helfen, daß sie alle Schuld auf Kameraden, auf Mitverantwortliche in der Staatsleitung oder schließlich auf die Heimat schieben; und die Frage bleibt offen, ob diejenigen, die es äußerlich tun, damit vor ihrem innersten Gewissen bestehen.« Nach diesen Angriffen auf Ludendorff lobte die »Frankfurter Zeitung« Falkenhayns System der Kriegführung mit beschränkten Zielen: »Von Verdun und etwa der durch Wasser vereitelten frühen Offensive von Ypern abgesehen glückten Falkenhayn seine gewollt maßvollen Unternehmungen gut [...]. Der Kriegführung Falkenhayns hätte eine Politik entsprochen, die auf kleineren Erfolgen fußend einen Ausgleichsfrieden angestrebt hätte. Beides verschmähte das mißleitete deutsche Volk. Ununterrichtet über die Lage, krönte es die Sieger einer frühen Teilschlacht im Osten, die den heldenhaften Zug an sich trug, der der gesamten Kriegführung notwendigerweise fehlen mußte, zu Heroen.« Wohl beeinflußt von den Theorien Delbrücks169 stellte die »Frankfurter Zeitung« der maßvollen Kriegführung Falkenhayns Ludendorffs »Selbsttäuschung« und sein »waghalsig-wirklichkeitsfremdes Temperament« gegenüber170. Einen nicht gerade freundlichen, aber auch nicht vollkommen abwertenden Nachruf erhielt Falkenhayn von seiten seiner alten politischen Gegner — der Sozialdemokratie. Der »Vorwärts« schrieb am 10. April 1922: »Gegenüber dem jetzigen Auftreten Ludendorffs kann Falkenhayn noch ein gewisses Maß an Sympathie beanspruchen. Aber auch das ist nur relativ. Im Grunde seines Wesens war Falkenhayn ein Produkt der altpreußischen militaristischen Schule, über deren begrenzten Horizont sein Denken nie hinausgekommen ist. Deutlich zeigte er dies als preußischer Kriegsminister während der bekannten Zabernaffäre. Die Reden, die er zu dieser Sache [...] gehalten hat, waren wohl das Provokatorischste, was der alte Reichstag sich hat bieten lassen müssen.« Falkenhayns Kriegführung wertete der »Vorwärts« sehr kritisch: »Teilerfolge sind ihm nicht abzusprechen, aber die ebenso furchtbare wie nutzlose Massenschlächterei von Verdun belastet sein Debetkonto aufs schwerste. [...] Falkenhayn jedenfalls hat es verschmäht, seine Mißerfolge durch Verdächtigungen anderer zu bemänteln. [...] Bei aller altpreußischen Beschränktheit besaß Falkenhayn im Gegensatz zu Ludendorff den Mut der Verantwor168 »Deutsche Tageszeitung«, 10.4.1922. 170
Siehe Kap. VII, 2. »Frankfurter Zeitung«, 13.4.1922.
4. Falkenhayn als Pensionär — Krankheit und Tod
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tung für seine Taten und Entschließungen, er hat sich weder durch Anklagen gegen seine Vorgänger und Nachfolger, noch durch Fabeleien über einen >Dolchstoß von hintern, noch durch Phantastereien über die Ränke einer jüdischen Weltoberleitung< wie Ludendorff reinzuwaschen versucht. Er war so wenig wie Ludendorff ein Führer großen Formats, der die Kriegsführung nach den politischen Notwendigkeiten zu gestalten verstand. Aber indem er nicht mehr scheinen wollte, als er war, indem er die politische Intrigue und die Einmischung in die Politik ohne jedes politische Verständnis verschmähte, hat er sich wenigstens die persönliche Achtung trotz des sachlichen Mißerfolges erhalten171.« Ein ähnliches Gefühl — daß Falkenhayn bei allen seinen Fehlern menschlich anständig und korrekt gewesen ist — hatte auch Ex-Kriegsminister Wild v. Hohenborn, der mit Falkenhayns altem Adjutanten, Hauptmann v. Pentz, nach der Beerdigung zu Fuß durch den Wald zum Bahnhof ging. Wild, der so oft während des Krieges über Falkenhayn geklagt und ihn am Ende im Stich gelassen hatte, rief plötzlich aus: »Der Falkenhayn war doch der anständigste von allen172.«
171 172
»Vorwärts«, 10.4.1922. Pentz an Karl-Heinz Janßen, 12.11.1959, in: BA-MA, Nachlaß Pentz.
VIII. Schlußbetrachtung
Niemand ist so unvernünftig, den Krieg dem Frieden vorzuziehen Herodot
Herodot berichtet in seinen »Historien«, daß der Lyderkönig Kroisos nach seinem gescheiterten Angriff auf Persien von König Kyros gefragt wurde: »>Kroisos, wer in aller Welt hat dich dazu bewogen, gegen mein Land zu ziehen und mein Feind zu sein anstatt mein Freund?< Kroisos entgegnete: >König, das habe ich dir zum Heil und mir zum Verderben getan. [...] Denn niemand ist so unvernünftig, den Krieg dem Frieden vorzuziehen. Im Frieden begraben die Kinder ihre Väter, im Kriege aber die Väter ihre Kinder 1 .«« Diese Einsicht, die Herodot vor 2500 Jahren dem gescheiterten Aggressor Kroisos in den Mund gelegt hat, war im Europa des Imperialismus bei vielen, die damals den »Zeitgeist« prägten, in Vergessenheit geraten. Ob Politiker oder hochrangige Militärs, ob Deutsche, Österreicher, Franzosen, Russen, Italiener oder Engländer, die überwältigende Mehrheit war bereit, den Krieg als ein legitimes Mittel der Politik zu betrachten und ihn als feste Größe in ihr politisches Kalkül einzubauen. Die tonangebende Ansicht derer, die in Europa vor dem Ersten Weltkrieg Macht ausübten und auch Meinungen prägten, war, daß das Wohl des Vaterlandes — was immer das auch sein mochte — im gegebenen Moment den Einsatz des Krieges verlangte, um ein politisches Ziel — und sei es auch nur die Sicherung des Status quo — zu erreichen. Das Denken der politischen Führungsschichten wurde dominiert durch einen oft bis zum Chauvinismus gesteigerten Nationalismus, durch das Gefühl industrieller Dynamik, durch sozialdarwinistische Theorien und den Gedanken vom Aufstieg oder sonst zwangsläufigem Niedergang der eigenen Nation. Die meisten Politiker waren bereit, den Krieg als Instrument im Machtkampf der Nationen einzusetzen, wenn es die politische Lage zu erfordern schien, und die Militärs der verschiedenen Nationen brannten auf die Bewährungsprobe, für die Größe ihres Vaterlandes und den eigenen Ruhm kämpfen zu dürfen. In engem Zusammenhang mit der Ubersteigerung des Nationalgedankens stand die dadurch hervorgerufene Konkurrenz zwischen den europäischen Nationen, die sich gegenseitig zu überflügeln suchten und befürchteten, selbst überflügelt zu werden. Schon Gleichstand schien Stagnation und Niedergang, wenn die anderen wuchsen. Traditionelle zyklische Vorstellungen von Aufstieg, Blüte und Fall der Nationen vermischten sich mit den Erfahrungen der Industrialisierung und dem nie zuvor dagewesenen Bevölkerungswachstum. Die sozialdarwinistische Idee des naturnotwendigen »struggle for life« zwischen den Nationen verlangte nach der dynamischen Politik, die die notwendig erscheinende Expansion der eigenen Nation vorantreiben sollte. Sie verleitete die Politiker zu immer riskanteren Manö1
Herodot, Historien I, 87.
540
VIII. Schlußbetrachtung
vern, um ihre Gegenspieler ausbluffen und greifbare Erfolge erzielen zu können. Eine Folge war der Rüstungswettlauf zu Lande und zur See und die Bereitschaft zum Präventivkrieg. Das Ergebnis dieser Einstellung war die politische und militärische Blockbildung sowie eine geistige Verhärtung, in der letztlich keine andere als eine gewaltsame Lösung für außenpolitische Probleme mehr denkbar schien. Vom bösen Willen der Gegenseite als Prämisse ausgehend, ließen sich Beweise für die schlechten Absichten der anderen immer und leicht finden. Eine solche Beschränkung des Denkens machte blind für politische Alternativen. Mit seiner gedanklichen Fixiertheit auf den Krieg ist Falkenhayn charakteristisch für seine Epoche. Auch seine bis zur fixen Idee gesteigerte Gegnerschaft zu England war im kaiserlichen Deutschland kein vereinzeltes Phänomen. Die Lust zum Krieg trug bei ihm schon dandyhafte Züge. Er wünschte sich den Kampf nicht nur um der Macht und Deutschlands Zukunft willen, sondern auch aus Langeweile, Ehrgeiz und Uberdruß. Doch auch mit der Hoffnung, daß ein Krieg das Leben bald etwas spannender machen werde, war Falkenhayn kein Einzelfall, eher noch mit seiner Erkenntnis, daß dabei machtpolitisch für Europa nicht viel herauskommen könne. Sein Wunsch nach Dynamik, sein Uberdruß gegenüber dem Bestehenden, seine Lust am Untergang und die Bejahung der Bewegung, selbst wenn sie in den Abgrund führen sollte, entsprach dem Zeitgeist, so wie er auch in den extremen Kunstströmungen dieser Zeit erkennbar ist. Der Jubel bei Kriegsausbruch, das Hochgefühl des August 1914 in ganz Europa, zeigt, wie tief diese Mischung von Nationalismus, Dynamik und Kriegsbejahung bei allen europäischen Völkern verwurzelt war und wie wenig bei Falkenhayn von einem Einzelfall gesprochen werden kann. Von 1914—1916 Generalstabschef, hatte Falkenhayn an der Brutalität der Kriegführung des Ersten Weltkrieges maßgeblichen Anteil. Seine Maßnahmen, die er am grünen Tisch ersann und die Hunderttausenden das Leben kosteten, waren kein Beweis für seine satanische Natur, sondern das Ergebnis militärtechnischer Zwänge, unter denen er — wie auch die französischen, englischen und russischen Militärs — stand. Er plante kühl, wohl auch gleichgültig gegen seine Soldaten, aber den Auftrag, den Krieg zu führen und nach Möglichkeit zu gewinnen, hatte ihm die Politik erteilt, der Reichskanzler und die Parteien, die alle grundsätzlich die Kriegführung bejahten. Somit lag die letzte Verantwortung für die Opfer des Weltkrieges beim politischen System und seinen Trägern, die entschlossen waren, den Krieg zur Erreichung ihrer politischen Ziele fortzuführen. Dabei waren offensichtlich die Mittelmächte kompromißbereiter als die Ententestaaten, die mit starrer Konsequenz an ihrem Wunsch, den Sieg zu erringen, festhielten. Falkenhayn verstand sich — gemäß dem Primat der Politik — als der Politik untergeordnet. Seiner politischen Grundlinie entsprechend, hätte er zwar einen Frieden mit Großbritannien für falsch gehalten, sich aber doch gefügt, wenn ein solcher von der Politik eingeleitet worden wäre. Den Frieden mit Frankreich und Rußland hatte er im November 1914 selbst gefordert und hielt auch danach am Gedanken des Separatfriedens mit Rußland weiter fest. Viele deutsche Politiker waren während des Krieges annexionistischer, unmäßiger und unvernünftiger in ihren Forderungen und Zielen als Falkenhayn. Kritisiert wird sein Zynismus, mit dem er seine Soldaten zu opfern bereit war; aber ob es eine Strategie gab, die weniger Blut gekostet hätte, ist offen. So starben an der Somme in
VIII. Schlußbetrachtung
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kürzerer Zeit mehr Menschen als jemals vor Verdun. Das vor Verdun vergossene Blut wäre anderswo geflossen, an der Ostfront, in Italien, in Flandern; es wäre mehr Gelände erobert worden, und die Welt hätte von einem »Erfolg« gesprochen. Doch militärische Erfolge waren im Ersten Weltkrieg relativ; sie waren vor allem nicht entscheidend. Bis zum Kriegseintritt der USA waren beide Seiten außerstande, einen militärischen Sieg zu erringen. Ihre Hauptschuld liegt nicht in dem einen oder anderen mißglückten Unternehmen, sondern darin, diesen Krieg überhaupt fortgesetzt zu haben. Falkenhayn hatte das schneller als viele andere begriffen. Doch sah er sich mit der unmöglichen Forderung konfrontiert, den Krieg militärisch beenden zu müssen, da der von ihm verlangte Verhandlungsfrieden vom Reichskanzler für nicht realisierbar gehalten wurde. An dieser Unmöglichkeit ist er gescheitert. Falkenhayn war im November 1914 bereit, den Krieg mit den kontinentalen Gegnern zu mäßigen Bedingungen zu beenden. Sein Wunsch, ihn gegen Großbritannien allein weiterzuführen, mutet bizarr an; er entsprang seiner Fixierung gegen den »Erzfeind« England. Abgesehen davon bewies er ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Einsicht in das Notwendige. Anfang 1915 war Falkenhayn sogar bereit, deutsches Territorium an Österreich-Ungarn abzutreten, um den Verbündeten zum Einlenken gegenüber Italien zu bringen und dessen Kriegseintritt zu verhindern — ein Schritt, der vom Reichskanzler aus innenpolitischen Gründen torpediert wurde. Im Sommer 1915 eroberten die Armeen der Mittelmächte Russisch-Polen und einiges mehr; Falkenhayn forderte trotzdem den Separatfrieden mit Rußland ohne Landerwerb. Und das, während im Reich die Annexionisten feierten. Bis Ende 1915 verfolgte Falkenhayn eine Strategie, die vergleichsweise vernünftig war und auf einen politischen Kompromißfrieden hätte hinauslaufen können, der sowohl für die Mittelmächte als auch für die Alliierten das politisch sinnvollste Kriegsende gewesen wäre. Falkenhayn schätzte sich selbst als nüchternen, ideologiefreien Menschen ein. In einem Brief von 1905 verwies er sogar in einer spöttischen Bemerkung auf die Ablehnung Napoleons gegen jede Form der Ideologie2. Tatsächlich blieb Falkenhayn aber seinem Weltbild immer treu. Hartnäckig hielt er daran, daß England der Erbfeind Deutschlands sei, und an seiner Unterschätzung der Franzosen fest. In diesen Punkten war er blind für die Realität. Sein Wunsch, die Engländer mit dem unbeschränkten U-Boot-Krieg zu einem für Deutschland vorteilhaften Frieden zu zwingen, und seine Fehleinschätzung der französischen Widerstandskraft ließen ihn im Jahre 1916 Fehler begehen, die zu seiner Ablösung beitrugen. Zu »gewinnen« war das Unternehmen auch im besten Fall nicht; das zeigt die weitere Geschichte der Sieger des Ersten Weltkrieges. Sie bestätigt Falkenhayns Vermutung von 1912, daß von einem europäischen Krieg nur die USA und Japan profitieren würden. Hätte Falkenhayn einen Ausgleichsfrieden erstreiten können, wenn er nicht abgesetzt worden wäre? Möglich, aber nicht wahrscheinlich, da er vielleicht schneller den Separatfrieden mit Rußland zustande gebracht, dann aber den Krieg mit den USA infolge des U-Boot-Krieges riskiert hätte. Dieser neuen Macht war das deutsche Heer nicht mehr gewachsen. Falkenhayn selbst sah es nach dem Krieg ein: »Viele Hunde sind des Hirschen Tod.« Doch er rechtfertigte sich mit der Unvermeidlichkeit der Entwicklung: Sein dama1
Falkenhayn an Hanneken, 1.8.1905, in: BA-MA, Nachlaß Falkenhayn.
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VIII. Schlußbetrachtung
liger Entschluß für den U-Boot-Krieg zu einem frühen Zeitpunkt sei richtig gewesen, da die Vereinigten Staaten ohnehin auf Seite der Alliierten in den Krieg eingetreten wären. »Und mögen wir auch darüber zu gründe gehen, schön war's doch«, sagte Falkenhayn im Rausch des August 1914; der Untergang, als er dann eintrat, war ihm aber doch unerträglich. Falkenhayn erinnerte sich wie fast alle Angehörigen der »einst führenden Schicht« wehmütig an das »Deutschland, wie es vordem war«. Eine vollständige Restauration schien ihm utopisch, wohl auch nicht wünschenswert, aber er sehnte sich doch nach der damals von ihm so verachteten Vorkriegsordnung zurück, was zeigt, wie sehr er trotz aller destruktiven Kritik dieser Zeit verbunden war. Immerhin glaubte Falkenhayn, daß die alte Führungsschicht — und damit auch er selbst — ihr Schicksal »redlich verdient« habe. Seine Selbstkritik blieb jedoch im Detail stecken: Hätten wir es nicht hier und da besser machen können? Den großen Ablauf sah er als unvermeidbar an. Er stellte seine Werte bis zu seinem Tod nicht fundamental in Frage, und auch nicht seine Feindbilder; vielleicht hat er auch nicht lange genug gelebt, um die Geschehnisse wirklich verarbeiten zu können. Er war ein ehrgeiziger, aber kein intriganter Mann, wie Bethmann, Ludendorff und andere von ihm behaupteten. Die Vorwürfe seiner Gegner aus dem Weltkrieg, die sogar unterstellten, daß Falkenhayn aus persönlichen Gründen strategische Erfolge an der Ostfront zu blockieren suchte, halten kritischer Uberprüfung nicht stand. Die Bilanz dieses Lebens ist negativ. Vor dem Krieg ein Getriebener, ein ewig Unzufriedener, der immer das ersehnt, was er nicht hat; geringe Momente der Zufriedenheit. Er flieht nach China, findet dort keine Ruhe, nicht einmal für Monate; kehrt nach der Episode des Boxerkrieges nach Deutschland zurück und macht rasch Karriere. Doch will auch hier sich keine Ruhe einstellen. Vor seiner Unzufriedenheit flieht er immer wieder in große Pläne; er träumt davon, nach China zurückzukehren, um dort ein reicher Mann zu werden, als Feldherr die wankende Mandschu-Dynastie zu retten, Ruhm zu ernten. Die erfolgreiche Laufbahn in Deutschland langweilt ihn, bringt ihm nicht die Erfolge, die ihn befriedigen könnten. Im Krieg gelangt er schließlich an die höchste Stelle, die er erreichen konnte. O b er Bestätigung in ihr fand, ist zweifelhaft; eher zweijährige, unerträgliche Uberanstrengung, Anfeindungen, Sorgen, die ihn auch im Moment des Sieges nie verlassen. Trotzdem kann er von dem Amt nicht lassen. Als er gehen muß, ist er ein gebrochener Mann. Er sagt: »Wer einmal den Kranz in der Hand gehabt hat, den vermag keine Aufgabe mehr zu befriedigen.« Falkenhayn hat das Gefühl, versagt zu haben, und verbringt den Rest seines Lebens damit, vor dieser uneingestandenen Erkenntnis zu fliehen. Das individuelle Problem seiner Biographie ist ein Leben, dem eine klare innere Linie fehlte. Gut denkbar, daß Falkenhayn in seinem Innersten ein Nihilist war, dem, wie manche argwöhnten, »alles wurscht« war, der glaubte, es reicht, die ihm zugefallene Rolle bestmöglich, wenn auch ohne wirkliche Uberzeugung, zu spielen. Das historische Problem seiner Biographie ist, daß Falkenhayn in hohem Maße die Mentalität der militärischen Führungsschicht des Wilhelminischen Reiches verinnerlicht hatte und als einer der herausragenden Repräsentanten das Erscheinungsbild seiner Epoche zunächst widerspiegelte, später auch mitgestaltete.
Exkurs: Ist die »Weihnachtsdenkschrift« von 1915 ein authentisches Dokument?
Über die Herausbildung von Falkenhayns Absichten für das Jahr 1916 informieren vor allem folgende Dokumente, die in ihrer Historizität gesichert sind: Die Aufzeichnung Bethmann Hollwegs über eine Unterredung mit Falkenhayn am 7. Januar 1916 (abgedruckt in: Janßen, Kanzler, S. 299f.). Das Protokoll Loßbergs über eine Chefbesprechung in Mezieres vom 11. Februar 1916 (abgedruckt in: Loßberg, Führertätigkeit, S. 205—207). Zu dieser Besprechung sind auch die Zeugnisse von Borries, Ilse und Kühl überliefert (siehe S. 368, Anm. 977). Die Notizen über eine Unterredung zwischen Falkenhayn und Conrad v. Hötzendorf am 3. Februar 1916 (abgedruckt in: Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. 17f.). Bei der Darstellung von Falkenhayns Absichten für das Jahr 1916 wird jedoch in der Forschung seit 1919 durchgängig auf ein Dokument zurückgegriffen, dessen historische Echtheit nicht zweifelsfrei bewiesen werden kann: die Notizen für einen Lagevortrag, den Falkenhayn »um Weihnachten 1915 herum«1 dem Kaiser vorgetragen haben will, und der erstmalig in seinem Erinnerungswerk »Die Oberste Heeresleitung 1914—1916 in ihren wichtigsten Entschließungen«, S. 176—184, abgedruckt worden ist. Das Dokument, das unter dem Namen »Weihnachtsdenkschrift« das meistzitierte Schriftstück aus Falkenhayns Amtszeit überhaupt ist, konnte, obwohl das Reichsarchiv in der Zwischenkriegszeit intensive Recherchen anstellte, in den Akten nicht aufgefunden werden2. Intern bestanden bei den Mitarbeitern des Reichsarchivs auch Zweifel an der Echtheit der »Weihnachtsdenkschrift«3. Von den Zeitzeugen — wie zum Beispiel von General Schmidt v. Knobelsdorf, dem Stabschef der 5. Armee — wurden nach dem Krieg verdeckte Zweifel an der Authentizität der »Weihnachtsdenkschrift« geäußert. Knobelsdorf schrieb am 6. März 1933: »Die Denkschrift Falkenhayns ist mir leider nie bekannt geworden. Ich weiß auch nicht, wann sie entstanden ist und ob sie überhaupt einem, wenn auch nur beschränkten Kreise zur Kenntnis geführt worden ist. Auch bei Besprechungen kann ich mich nachträglich keines Hinweises auf den mir nunmehr bekannten Inhalt erinnern. Das war sehr bedauerlich4!« Ahnlich kritisch stand der frühere Feldeisenbahnschef Groener der »Weihnachtsdenkschrift« gegenüber. Er führte in einer Zuschrift an das Reichsarchiv vom 5. März 1934 aus: »Die Weihnachtsdenkschrift des Generals von Falkenhayn ist mir damals nicht bekannt geworden. Wer hat sie überhaupt damals gesehen und gelesen? Sie enthält eine Reihe 1 2 3 4
Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 176. Der Weltkrieg 1914-1918, Bd 10, S. 2, Anm. 1. Forschungsarbeit zu ebd., Bd 10, in: BA-MA-P, W-10/50709. Zit. in: Ziese-Behringer, Feldherr, S. 200, Anm. 24. Siehe auch Wallach, Dogma, S. 262 f.
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Exkurs: Ist die »Weihnachtsdenkschrift« von 1915 ein authentisches Dokument?
von Gedanken, die Falkenhayn in der zwanglosen Unterhaltung öfter mehr oder weniger bestimmt ausgesprochen hat: 1. England sei der Hauptgegner. 2. Massendurchhmchs4trs\xc\\t seien aussichtslos, man müsse für einen operativen Durchbruch eine andere Methode finden, als unsere Gegner sie angewandt hätten. 3. Die Gegend von Amiens sei die günstigste Stelle für einen operativen Durchbruch, leider reichten die Kräfte dazu nicht aus. 4. Seine Einschätzung Italiens und Rußlands. 5. Vor dem unbeschränkten U-Bootkrieg scheute Falkenhayn zurück. Er pflegte sich dabei so auszudrücken: Er habe gerade genug Feinde zu bekämpfen und wünsche nicht, sich auch noch die Amerikaner auf den Hals zu laden. Den Gedanken, daß es Deutschland frei stehe seine Offensive schnell oder langsam zu führen, sie zeitweise abzubrechen oder sie zu verstärken, wie es seinen Zwecken entsprechet, habe ich nie aus seinem Munde gehört. Ich halte den Gedanken für so bizarr, daß man versucht ist zu vermuten, er sei nachträglich in die Denkschrift hineingekommen 6 .« Groeners Feststellung läßt sich durch einen Blick in die Akten untermauern. Viele Punkte der »Weihnachtsdenkschrift« können in anderen Dokumenten und Protokollen aus Falkenhayns Amtszeit wiedergefunden werden — aber nicht alle. Für das Bemühen um Authentizität sprechen zum Beispiel die Passagen über den U-Boot-Krieg. Da aber die Aussagen der Denkschrift nicht in ihrer Gesamtheit, sondern höchstens in einzelnen Teilen einen Anspruch auf historische Authentizität erheben können, muß ihr Wert als Quelle stark in Zweifel gezogen werden. Diese Feststellung wird durch die Ergebnisse stilistischer Untersuchungen gestützt, die im Auftrag des Reichsarchivs von dem Heerespsychologen Dr. Wohlfahrt vorgenommen wurden. Sie ergaben, daß die »Weihnachtsdenkschrift« eine manchmal schon schwerfällige, substantivische Diktion verwendet und gleichzeitig in der Anordnung ihrer Hauptworte und Satzmelodie einen stark rhetorisch-argumentativen Charakter trägt. Wohlfahrt folgert überzeugend, daß diese Charakteristika für eine starke und mehrfache Uberarbeitung des Textes sprechen7. Diese intensive — und damit auch verfälschende — Bearbeitung durch Falkenhayn macht es noch unwahrscheinlicher, daß das Dokument in dieser Form wirklich authentisch ist. Wann die »Weihnachtsdenkschrift« tatsächlich entstanden ist, kann nicht mehr genau festgestellt werden. Vieles spricht dafür, daß es sich um eine um Authentizität bemühte Selbstinterpretation Falkenhayns handelt, die erst nach dem Krieg entstanden ist. Sie gibt viele seiner zentralen Gedankengänge korrekt wieder, was auch erklärt, daß die bisherige Forschung das Dokument als ganzes unkritisch hinnahm. Als historisches Dokument für seine strategischen Absichten für 1916 kann sie trotzdem nur mit größter Vorsicht und unter Vergleich mit anderen Quellen verwertet werden. Man sollte auch beachten, daß sie einem Erinnerungsbuch entstammt, das Falken5 6 7
Falkenhayn, Oberste Heeresleitung, S. 184. Groener an das Reichsarchiv, 5.3.1934, in: BA-MA-P, W-l0/50705. Analyse Dr. Wohlfahrts, ebd., W-10/50703.
Exkurs: Ist die »Weihnachtsdenkschrift« von 1915 ein authentisches Dokument?
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hayn selbst im April 1919 als »Rechtfertigungsschrift« charakterisierte und bei dessen Abfassung er nach eigenen Angaben kein Aktenmaterial zur Verfügung hatte8, und daß keine andere als diese Quelle existiert. Die Weihnachtsdenkschrift könnte sowohl in einzelnen Aussagen als auch in der Zusammenstellung und Gewichtung ihrer strategischen Argumente verfälscht sein. Das betrifft besonders die Abschnitte, in denen Falkenhayn die Schlacht von Verdun behandelt und dabei die Argumente verwendet, die schon dem fachkundigen Zeitgenossen Groener nicht authentisch schienen. Dabei sind diese Äußerungen die zentralen Aussagen, auf denen die historische Kritik den Gedanken der »Ausblutungsschlacht« aufgebaut hat. Falkenhayn hat sich mit diesem Dokument, dessen Entstehung nach meiner Ansicht in die erste Jahreshälfte 1919 fällt, keinen Gefallen getan. Dr. Solger vom Reichsarchiv bemerkte am 2.8.1932: »Denn keine kriegsgeschichtliche Kritik wird an der Maas-Operation ohne sehr schwere Vorwürfe vorbeigehen können, solange sie den unhaltbaren Gedankengang der Weihnachtsdenkschrift als den vollständigen Ausdruck der Absichten des damaligen deutschen Führers nimmt 9 .«
8 9
Dazu S. 502. Solger an Tappen, 2.8.1932, in: BA-MA, Nachlaß Tappen, S. 159.
Abkürzungsverzeichnis
AA AEG AOK BA BA-MA BA-MA-P BA-P BHStA BHStA-KA DNVP H A Krupp HStA-KA Stuttgart i.G. KRA k.u.k. MGFA NDB ÖStA-HHStA ÖStA-KA OHL PA-AA RT SM SPD
Auswärtiges Amt Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft Armeeoberkommando Bundesarchiv, Koblenz Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. Bundesarchiv-Militärisches Zwischenarchiv, Potsdam Bundesarchiv-Abteilungen Potsdam Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Geheimes Staatsarchiv, München Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv, München Deutschnationale Volkspartei Historisches Archiv Friedrich Krupp GmbH, Essen Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv, Stuttgart im Generalstab Kriegsrohstoffabteilung, -amt kaiserlich und königlich Militärgeschichtliches Forschungsamt Neue Deutsche Biographie Österreichisches Staatsarchiv-Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Österreichisches Staatsarchiv-Kriegsarchiv, Wien Oberste Heeresleitung Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn Verhandlungen des Reichstages Seine Majestät Sozialdemokratische Partei Deutschlands
1. Archivalien- und Literaturverzeichnis
1. Archivalien a. Bundesarchiv, Koblenz Akten der Reichskanzlei (mikroverfilmte Akten aus dem ehemaligen Zentralen Staatsarchiv der DDR, jetzt Bundesarchiv-Abteilungen Potsdam) R 43 F 169: R R R R R R R R R R R R R R
43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43
F F F F F F F F F F F F F F
170: 171: 172: 173: 1253: 1261/1: 1268: 1269/1: 1271: 1272/2: 1309: 1336: 2398: 2466/6:
R 43 F 2466/7: R 43 F 2470:
Maßnahmen betreffend die militärische und politische Sicherheit der Reichslande, Bd 3: 1912-1918 Die Unruhen in Zabern, Bd 1: 1913-1914 dito, Bd 2: 1913-1914 dito, Bd 3: Januar-Februar 1914 dito, Bd4: Februar-Juni 1914 Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres 1901—1914, Bd4: 1913—1914 Fortentwicklung der Wehrmacht, Bd 1: 1914—1916 Vorbereitungen für den Kriegsfall, Bd4: 1913—1914 Mobilmachung, 1900—1914 Militärische Maßnahmen im Fall von Unruhen: Belagerungszustand, Bd 2:1906—1914 Spionage, Bd2: 1900-1918 Akten betreffend Militärstrafsachen, 1904—1915 Luftschiffahrt, Bd3: 1913-1918 Kriegsakten, Allgemeines, Bd 1: Juli-Oktober 1914ff. Allgemeine Militär- und Marineberichte aus dem Großen Hauptquartier, Bd 1: 1915-1916 dito, Bd 2: Mai-August 1916 Lageberichte aus dem Großen Hauptquartier
Nachlässe Nachlaß Max Bauer Nachlaßreste Theobald v. Bethmann Hollweg, Kleine Erwerbungen 342 Nachlaß Walther Rathenau Nachlaßpapiere Carl Frhr. v. Weizsäcker, Kleine Erwerbungen 458 F b. Bundesarchiv-Abteilungen Potsdam Akten der Reichskanzlei: Siehe unter Bundesarchiv Koblenz. Nachlaß Erich v. Falkenhayn Nachlaß Hermann Ritter Mertz v. Quirnheim Nachlaß Kuno Graf Westarp Reichslandbund, Pressearchiv, BdFa-Fas c. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß
Erich v. Falkenhayn Hermann Ritter Mertz v. Quirnheim Hans Henning v. Pentz Gerhard Tappen Adolf Wild v. Hohenborn
550
Archivalien- und Literaturverzeichnis
d. Bundesarchiv-Militärisches Zwischenarchiv, Potsdam Forschungsmaterialien des ehemaligen Reichsarchivs, Potsdam. Signaturen W-10/50172; W-10/50176; W-l0/50205; W-10/50211; W-10/50220; W-10/50222; W-10/50250; W-10/50267; W-10/50278; W-10/50285; W-l0/50286; W-10/50287; W-10/50288; W-10/50289; W-10/50298; W-10/50299; W-10/50310; W-10/50313; W-10/50321; W-10/50355; W-10/50358; W-10/50472; W-10/50468; W-10/50634; W-10/50656; W-10/50689; W-10/50696; W-10/50702; W-10/50703; W-10/50704; W-10/50705; W-10/50706; W-10/50707; W-10/50708; W-l0/50709; W-10/50710; W-10/50711; W-10/50872; W-10/51489; W-10/51490. Akte O H L 895: Chef des Generalstabes der Armee, 1912ff., Betr.: Mobilmachung Berichte des Sächsischen Militärbevollmächtigten in Berlin und aus dem Großen Hauptquartier, nur in unvollständiger Uberlieferung
e. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn Akten
China 1: Innere Angelegenheiten Chinas, B d 3 8 - 5 0 , 28.9.1893-31.12.1902 China 5: Militär- und Marineangelegenheiten Chinas, Bd5—12, 8.8.1893—9.7.1903, Bd20—30, 1.11.1906-15.7.1913 China 7: Verhältnis Chinas zu Deutschland, Bd 1 - 5 , 12.1885-31.12.1914 China 9: Chinesische Staatsmänner, Bd4—16, 1.6.1895—31.8.1911 China 20, Nr. 1 geheim: Beabsichtigte Erwerbungen der Großmächte in Ostasien nach dem chinesischjapanischen Krieg, Bd9—30, 1.1.1897-16.1.1898 China 24: Aufstand in China, Einschreiten der Mächte, Bd 1—146, 4.1900—31.12.1902 China 24, Nr. 11: Internationale Flusskorrektionsbehörde (Annex 17 zum Friedensvertrag), Bd 1, November 1900—September 1908 China 27a: Fremde in chinesischen Diensten, B d 2 - 3 , 1.1.1911—6.9.1913 Deutschland 122, Nr. 16 geheim Deutschland 128, Nr. 1 geheim Deutschland 128, Nr. 2 geheim Deutschland 128, Nr. 8 geheim Deutschland 135, Nr. 15: Die deutsche Gesandtschaft in Peking, Bd3, Januar 1912—März 1920 Deutschland 180 geheim Österreich 86, Nr. 1 Polen 26, Bd 1 Türkei 142 geheim Türkei 195: Die Juden in der Türkei Weltkrieg geheim: Der Weltkrieg 1914, Bd 1 - 3 2 Weltkrieg 2, Bd 1 - 1 4 Weltkrieg 2, geheim Bd 1—12. Weltkrieg 15, Bd 1 - 7 Weltkrieg 15, geheim Bd 1 Weltkrieg 18, geheim Bd 1 - 3 Weltkrieg 18, geheim adh. 1 Bd 1—5 Weltkrieg 20 a, geheim Bd 1 Weltkrieg 20 b, Bd 1 Weltkrieg 20 c, Bd 1 Weltkrieg 20 c, geheim Bd 1 Nachlässe
Nachlaß Gottlieb v.Jagow
1. Archivalien
551
f. Österreichisches Staatsarchiv-Kriegsarchiv, Wien A
rmeeoberkommando
AOK 475: Krieg gegen Rumänien AOK 512: Korrespondenz Conrad-Falkenhayn, die russische Front betreffend AOK 550: Italien AOK 551: Russland AOK 560: Vorbereitungen für den Krieg mit Italien. Korrespondenz Conrad-Falkenhayn, 29.1.—28.12.1915 AOK 561: Italien 1915 AOK 600: Berichte aus dem Deutschen Hauptquartier, 1914—1918, Feldmarschalleutnant Stürgkh und Feldmarschalleutnant Klepsch-Kloth AOK 607: Berichte des deutschen Militärbevollmächtigten im K.u.K.-A.O.K., General v. Cramon, an das Deutsche Große Hauptquartier, 25.3.1915—24.7.1916 (Abschrift der Originalakten des Reichsarchivs, Potsdam) AOK 679: Tagebücher der Operationsabteilung Militärkanzlei Kaiser Franz Josephs 18—2/1, 1916: Militärangelegenheiten Deutschlands 69—2/1—7, 1916: Regelung der Befehlsverhältnisse an der russischen Front, Vereinbarungen mit der deutschen Obersten Heeresleitung 69-2/7—1, 1916: Enthebung Falkenhayns 69—6/2: Korrespondenzen und Berichte des Delegierten im Großen Deutschen Hauptquartier 1916 Nachlässe Nachlaß Franz Graf Conrad v. Hötzendorf (Conrad-Archiv) Nachlaß Regenauer Nachlaß Karl Schneller g. Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Geheimes Staatsarchiv, München Akten der bayerischen Gesandtschaft in Berlin 1085: 1086: 1087: 1088: 1089: 1090: 1091: 1514: 1724:
Politische Akten 1913 Politische Akten 1914, 1 . 1 . - 1 . 7 . 1 9 1 4 Politische Akten, Krieg 1914 Politische Akten, Besondere Berichte, Krieg 1914/15, 1 . 1 . - 3 0 . 6 . 1 9 1 5 Politische Akten, Besondere Berichte, Krieg 1914/16, 1.7.—31.12.1915 Politische Akten, Besondere Berichte, Krieg 1914/16, 1 . 1 . - 3 0 . 6 . 1 9 1 6 Politische Akten, Besondere Berichte, Krieg II. Halbjahr 1916 Vorschläge für Friedensbedingungen 1914/18 Verlustlisten, Gefangenenmeldungen etc.
h. Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv, München Handschriftensammlung HS 2543: Tagebuch des bayerischen Militärbevollmächtigten im Großen Hauptquartier, General Wenninger. Tagebuch-Original in Gabelsberger Kurzschrift Handschriftensammlung HS 2546: Transkription aus dem Wenninger-Tagebuch, betitelt: Tagebuch des Weltkrieges 1914. Transkription vorgenommen von General v. Xylander, umfaßt Kriegsausbruch bis September 1914 MKr 41: Bericht des bayerischen Militärbevollmächtigten und des bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrate politischen Inhalts MKr 42: Vertrauliche Dienstschreiben des bayerischen Militärbevollmächtigten in Berlin vom 22.12.1905-20.12.1913 (Gebsattel/Wenninger)
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Archivalien- und Literaturverzeichnis
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Archivalien- und Literaturverzeichnis
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2. Literatur
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Archivalien- und Literaturverzeichnis
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2. Literatur
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Winterhager, Wilhelm Ernst: Mission für den Frieden. Europäische Mächtepolitik und dänische Friedensvermittlung im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1984 Wön-Lan, Fan: Neue Geschichte China, Bd 1 (1840-1901), Berlin 1959 Wrisberg, Ernst von: Heer und Heimat 1914—1918, Leipzig 1921 Zank, Wolfgang: Der Sturm auf Langemarck, mit dem Deutschlandlied in den Tod? Eine absurde, aber immer noch lebendige Legende. In: Die Zeit Nr. 46, 10.11.1989 Zechlin, Egmont: Das schlesische Angebot und die italienische Kriegsgefahr, in: ders., Krieg und Kriegsrisiko. Zur deutschen Politik im Ersten Weltkrieg. Aufsätze, Düsseldorf 1979, S. 234—263 Zechlin, Egmont: Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche im Ersten Weltkrieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, В 20/1961; В 24/1961; В 25/1961; В 20/1963; В 22/1963 Zechlin, Egmont: Krieg und Kriegsrisiko. Zur deutschen Politik im Ersten Weltkrieg. Aufsätze, Düsseldorf 1979 Zechlin, Egmont: Österreich-Ungarn und die Bemühungen um einen russischen Sonderfrieden 1915, in: Alexander Fischer, Günter Moltmann, Klaus Schwabe: Russland-Deutschland-Amerika. Festschrift für Fritz T. Epstein zum 80. Geburtstag, Wiesbaden 1978, S. 163—183 Zechlin, Egmont: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969 Ziese-Behringer, Hermann: Der einsame Feldherr. Die Wahrheit über Verdun, 2 Bde, Berlin 1934 Ziolkowski, J. v.: Handbuch des Grundbesitzes in Westpreußen, Danzig 1891 Zmarzlik, Hans Günther: Bethmann Hollweg als Reichskanzler 1909—1914. Studien zu Möglichkeiten und Grenzen seiner innerpolitischen Machtstellung, Düsseldorf 1957 Zmarzlik, Hans Günther: Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 11, 1963, S. 246—275 Zwehl, Hans von: Falkenhayn, Berlin 1926
Personenregister*
Alberti, Adriano, italienischer General und Militärschriftsteller 2 f. Albrecht, Herzog von Württemberg (1865—1939), präs. Thronfolger, Oberbefehlshaber der 4. Armee an der Westfront 213, 215 Alexander der Große (356-323 v. Chr.) 236 Alexejew, Michail (1857—1918), russischer General, Aug. 1914—März 1915 Oberbefehlshaber der russischen Südwestfront, März 1915—Aug. 1915 Oberbefehlshaber der Nordwestfront, Aug. 1915—Nov. 1916 Generalstabschef 412 Allenby of Megiddo and of Felixstowe, Edmund Henry Hynman (1861—1936), englischer Feldmarschall, Oberbefehlshaber der Palästinafront 477, 479, 483 Andersen, Hans Niels (1852—1937), dänischer Reeder, Staatsrat und Generalkonsul, Vertrauensmann des dänischen Königshauses und Freund von Albert Ballin 208f„ 300, 302, 510 Andrassy, Gyula (Julius) Graf von Csik-Szent-Kiraly und Krasznaborka (1860—1929), ungarischer Politiker, Okt. 1918 österreichisch-ungarischer Minister des Auswärtigen 431 Arlabosse, Henri 70 Arlabosse, Louis (1856—1924), französischer Offizier (zuletzt General), Mitglied der Provisorischen Regierung in Tientsin, Freund Falkenhayns 3 9 - 4 1 , 47, 6 8 - 7 0 , 74, 80, 364 Arlabosse, Marcel 68 Asquith, Herbert Henry Earl of Oxford and (1852-1928), englischer Politiker, 1908-1916 Premierminister 322 Auguste Victoria, Königin von Preußen, dt. Kaiserin (1858—1921), geborene Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, seit 1881 mit Wilhelm II. verheiratet 9,228,231 August Wilhelm, Prinz von Preußen (1887— 1949), 4. Sohn Wilhelms II., 1914-1918 Offizier 535 Bachmann, Gustav (1860—1943), Admiral, Febr.— Sept. 1915 Chef des Admiralstabs im Großen Hauptquartier, danach Chef der Marine-Station Ostsee 377
Balfour, Arthur James Earl of (1848—1930), englischer Politiker, 1874—1922 Mitglied des Unterhauses (konservativ), 1902—1905 Premierminister, 1915—1916 Erster Lord der Admiralität, Dez. 1916—Okt. 1919 Außenminister 484 Ballin, Albert (1857-1918), Hamburger Reeder, 1899-1918 Generaldirektor der HAPAG 208 f. Banzai, japanischer Offizier 94 Bauer, Gustav Adolf (1870-1944), Politiker, 1912-1928 MdR (SPD), 1919 Reichsarbeitsminister, 1920 Reichskanzler, 1921/22 Reichsschatzminister 495 Bauer, Max Hermann (1869—1929), preußischer Offizier, 1914—1918 in der Operationsabteilung der O H L , Abt. II (Fußartillerie, Festungen), zuletzt Oberst, 1920 Beteiligung am KappPutsch und Flucht ins Ausland 364, 368 f., 442, 447, 502 f., 505, 527 Baur, Carl Georg Friedrich (1859—nach 1930), Geheimer Baurat, Direktor bei Krupp, 1890— 1893 Lehrer an der Eisenbahnbauschule in Tientsin, 1913 technischer Berater des Präsidenten der chinesischen Republik 94 f. Beldiman, rumänischer Gesandter in Berlin 446 Belljohannes (1868-1949), Politiker, 1912—1933 MdR (Zentrum), 1919 Reichskolonialminister, 1920 Reichsverkehrsminister 495 Below, Otto von (1857—1944), preußischer General 15, 187, 417, 419 f. Berchtold, Leopold Anton Graf von (1863—1942), Febr. 1912—Jan. 1915 österreichisch-ungarischer Außenminister 161 Bernhardi, Friedrich von (1849—1930), General und Militärschriftsteller 514 Bernstorff, Johann Heinrich Graf von (1862— 1939), Diplomat, 1908—1917 deutscher Botschafter in Washington, 1917 in Konstantinopel 484 f. Beseler, Hans Hartwig von (1850—1921), preußischer General, Aug. 1915—1918 Generalgouverneur von Warschau 221, 223, 230, 311 Bethmann Hollweg, Theobald von (1856—1921), 1909—1917 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident 2, 4,7, 98, 105 f., 108, 112, 114, 117, 119 f., 122-126, 129, 135, 139f.,
* Nicht aufgenommen wurde: Erich von Falkenhayn sowie in den Fußnoten erwähnte Personen.
566
Personenregister
144, 147-151, 153-170, 176, 183, 190f„ 2 0 3 211, 2 1 8 - 2 2 4 , 226, 228f„ 232, 2 4 0 - 2 4 8 , 253, 264 f., 268, 2 7 0 - 2 7 4 , 276, 2 7 9 - 2 8 2 , 2 9 4 - 3 0 4 , 311, 314f., 3 2 0 - 3 2 9 , 3 3 1 - 3 3 6 , 3 5 2 f . , 366, 372, 377, 3 8 1 - 3 8 5 , 387-389, 3 9 2 ^ 0 3 , 4 0 7 f . , 415f., 418, 4 2 2 - 4 2 8 , 4 3 1 - 4 3 6 , 439, 4 4 1 - 4 4 5 , 448, 4 5 1 - 4 5 4 , 457, 459 f., 4 6 2 - 4 6 4 , 470, 494, 496, 499, 5 0 8 - 5 1 1 , 525, 540f. Bienerth, Karl Graf von (1872—1941), österreichischer Offizier, Militärattache in Berlin, während des Krieges im deutschen Großen Hauptquartier 450 Binder von Krieglstein, Karl Freiherr (1869— 1905), Offizier und Kriegsberichterstatter 38 Bismarck, Otto Fürst von (1815-1898), 1 8 6 2 1890 preußischer Ministerpräsident, 1871—1890 deutscher Reichskanzler 55, 85, 334 Bock, Fedor von (1880—1945), preußischer Offizier, Neffe Falkenhayns, im Zweiten Weltkrieg Generalfeldmarschall 9, 526 Bock, Moritz von (1828—1897), preußischer Generalmajor 9 Bolfras, Arthur Freiherr von (1838—1922), österreichisch-ungarischer General, 1889—1916 Generaladjutant von Kaiser Franz Joseph und Chef der kaiserlichen Militärkanzlei 461 Bongiovanni, Oberstleutnant, 1915 italienischer Militärattache in Berlin 279 f. Boris, Kronprinz von Bulgarien (1894—1943), ältester Sohn Ferdinands I., 1918—1943 als Boris Ш. König von Bulgarien 436 Brandis, Cordt von (1889—1972), Oberleutnant, Douaumont-Stürmer 369 Bredereck, Rechtsanwalt, Teilnehmer am KappPutsch 527 Briand, Aristide (1862—1932), französischer Politiker, 1902—1932 Abgeordneter, 26mal Minister, davon 15mal Außenminister und 11 mal Ministerpräsident, Okt. 1915—März 1917 Ministerpräsident 409 Brissaud-Desmaillet, Georges-Henri (1869—1948), französischer General, 1903—1905 Militärattache in China, 1912—1914 militärischer Ratgeber des Präsidenten der chinesischen Republik 9 2 - 9 4 , 96 Brockdorff-Rantzau, Ulrich Karl Christian Graf von (1869-1928), Diplomat, 1912-1918 Gesandter in Kopenhagen, Dez. 1918—Febr. 1919 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Febr.— Juni 1919 Reichsaußenminister 296 Brown, Cyril, amerikanischer Journalist 465 f.
Brown, Geschäftsmann im Osmanischen Reich 478 Brussilow, Alexej Alexejewitsch (1853—1926), russischer General, 1916 Oberbefehlshaber der russischen Südwestfront, Juni 1917 Oberbefehlshaber des russischen Heeres 412,417,430,454, 502 Bülow, Bernhard Heinrich Martin Fürst von (1849-1929), 1900-1909 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident, Dez. 1914—Mai 1915 außerordentlicher Botschafter in Rom 1, 43, 57f., 63f., 71, 268 Bülow, Karl Wilhelm Paul von (1846-1921), preußischer Generalfeldmarschall 215 Burian von Rajecz, Stephan Graf (1851—1922), österreichischer Diplomat und Politiker, 13.1. 1915-22.11.1916, A p r i l - O k t . 1918 österreichisch-ungarischer Minister des Äußeren 253, 268 f., 271 f., 274,276,280-282,305,335,342,396 Bussche-Haddenhausen, Hilmar Freiherr von dem (1867—1939), deutscher Gesandter in Bukarest 446 Cadorna, Luigi Conte di (1850—1928), italienischer Offizier, Juli 1914—Nov. 1917 italienischer Generalstabschef 279, 284 Capelle, Eduard Carl Ernst von (1855-1931), Admiral, 1914/15 Unterstaatssekretär im Reichsmarineamt, 15.3.1916—11.8.1918 als Nachfolger des Admirals v. Tirpitz Staatssekretär des Reichsmarineamtes 391—393, 397 Caprivi, Leo Graf von (1831-1899), 1890-1894 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident 85 Casanova, Mario, italienischer Offizier, Mitglied der provisorischen Regierung von Tientsin 39 Chang-Chih-tung (1837—1909), chinesischer Staatsmann, Provinzgouverneur 19, 22—31, 42, 45 f., 88 f., 94 Chilkow, Fürst Michail Iwanowitsch (1843[1834?]— 1909), seit 1895 russischer Verkehrsminister 52 Ch'un, chinesischer Prinzregent 86 Churchill, Sir Winston Leonard Spencer (1874— 1965), englischer Politiker, 1911—1915 Erster Lord der Admiralität, 1917/18 Munitionsminister, 1940—1945 und 1951—1955 Premierminister 316, 322 Clausewitz, Carl von (1780—1831), preußischer Offizier, Militärtheoretiker (»Vom Kriege«) 199, 242, 307 Clemenceau, Georges (1841—1929), französischer Politiker, 1906-1909 und 1917-1920 Ministerpräsident 409, 518, 525
Personenregister Connaught, Arthur Duke of (1850—1942), englischer Feldmarschall, seit 1904 Generalinspekteur der britischen Armee, 1911—1916 Generalgouverneur von Kanada 61 Conrad von Hötzendorf, Franz Graf (1852—1925), Nov. 1906—Nov. 1911, Dez. 1912-Febr. 1917 Generalstabschef der österreichisch-ungarischen Armee 7,196,199,220,231,243,249-254,256, 2 6 6 , 2 6 7 - 2 6 9 , 2 7 1 f., 2 7 4 - 2 7 9 , 2 8 1 - 2 8 4 , 2 8 7 2 9 3 , 2 9 8 - 3 0 1 , 303 f., 310, 314,327 f., 3 3 5 , 3 3 7 339, 3 4 1 - 3 5 3 , 355 f., 368, 4 1 0 - 4 1 6 , 426, 428, 4 3 0 - 4 3 6 , 4 4 2 , 445f., 448f., 452,454,460f., 465, 507f., 513, 543 Cordes, Heinrich, deutscher Konsul in China 96,98 Cramon, August von (1861-1940), 1915-1918 deutscher Militärbevollmächtigter im k.u.k. Armeeoberkommando 252, 287—290, 293, 346 f., 3 5 4 - 3 5 6 , 411, 416, 447 Dallwitz, Johann von (1855-1919), 1910-1914 preußischer Innenminister, 1914-1918 Statthalter in Elsaß-Lothringen 138 f. David, Eduard (1863-1930), Politiker, 1 9 0 3 1918, 1920-1930 MdR (SPD), revisionistischer Flügel der SPD, 1914 außenpolitischer Sprecher der SPD 494 Deimling, Berthold Karl Adolf von (1853-1944), preußischer General, wandelte sich während des Ersten Weltkrieges zum überzeugten Pazifisten 116-119 Deines, Johann Georg von (1845—1911), preußischer General 66 Delbrück, Clemens von (1856—1921), Politiker, Juli 1909—Mai 1916 Staatssekretär des Reichsamts des Innern und Stellvertreter des Reichskanzlers, 1914 Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, 1918 Chef des kaiserlichen Zivilkabinetts, 1919 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung (DNVP) 270 Delbrück, Hans Gottlieb (1848-1929), Historiker, besonders Militärgeschichte, Professor in Berlin 3, 313, 350, 508, 514, 536 Detring, Gustav (1842—1913), stellvertretender Leiter der Seezollverwaltung in Tientsin, Berater Li Hung-changs 18, 21, 3 3 , 4 1 , 4 3 , 4 5 f „ 50f„ 87, Djemal Pascha, Achmet (1872—1922), türkischer Offizier und Politiker, seit Febr. 1914 Marineminister, 1914—1917 Oberbefehlshaber der 4. Armee (Palästinafront) 474, 477f., 483—485 Dorrer, Eugen von (1857—1916) württembergischer General 95
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Dreyfus, Alfred (1859-1935), französischer Offizier jüdischen Glaubens, wegen angeblichen Verrats militärischer Geheimnisse an Deutschland 1894 zu lebenslanger Deportation verurteilt, 1899 Wiederaufnahme des Prozesses, Sept. 1899 begnadigt, 1906 Kassation des Urteils 130 Edward VII. (1841-1910), 1901-1910 König von Großbritannien und Irland 55, 63 Eggeling, Bernhard von (geb. 1872), preußischer Oberst, 1912—1914 deutscher Militärattache in St. Petersburg 157 Einem gen. Rothmaler, Karl von (1853—1934), preußischer Offizier, Generaloberst, 1903—1909 preußischer Kriegsminister, 1914—1918 Oberbefehlshaber der 3. Armee 131 f., 137,215,224, 258, 360, 366 Eitel Friedrich Wilhelm, Prinz von Preußen (1883—1942), 1918 als Generalmajor Kommandeur der 1. Gardedivision 534 f. Engelbrecht, Major, Adjutant Falkenhayns in Rumänien 258, 473, 533 Enver Pascha (1881—1923), türkischer Offizier und Politiker, 1909—1911 Militärattache in Berlin, 1911 im Libyenkrieg, 1914 Kriegsminister und Vize-Generalissimus, 1918 emigriert, fiel 1923 bei Samarkand im Kampf gegen Sowjettruppen 336, 421 f., 440, 449, 471 f., 4 7 4 - 4 7 9 , 482 Erzberger, Matthias (1875-1921), Politiker, 1 9 0 3 1918,1920/21 MdR (Zentrum), unterzeichnete den Waffenstillstand 1918, 1919/20 Reichsfinanzminister 183, 272, 310, 319 Falkenhausen, Ludwig Alexander Freiherr von (1844—1936), preußischer Offizier, Generaloberst, 1917/18 Generalgouverneur von Belgien 489 Falkenhayn, Anton von (1849—1910), Rittmeister, Bruder Erich v. Falkenhayns 9 Falkenhayn, Arthur von (1857—1929), Wirklicher Geheimer Rat, Major d.R., Bruder Erich v. Falkenhayns 9, 328f., 334, 487 Falkenhayn, Erika von, verheiratete von Tresckow (1904-1970), Tochter Erich v. Falkenhayns 14, 49, 515 Falkenhayn, Eugen von (1853—1934), General der Kavallerie, Bruder Erich v. Falkenhayns 9 Falkenhayn, Fedor von (1814—1896), Jurist, Gutsbesitzer, Vater Erich v. Falkenhayns 9 Falkenhayn, Franziska von (1826—1888), Mutter Erich v. Falkenhayns 9
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Personenregister
Falkenhayn, Fritz von (1890—1973), Hauptmann, Geschäftsmann, Sohn Erich v. Falkenhayns 13, 49, 68, 517 Falkenhayn, Georg von (1852—1887), Rittmeister a.D., Gutsbesitzer, Bruder Erich v. Falkenhayns 9 Falkenhayn, Hans von (1887—1901), Sohn Erich v. Falkenhayns 13 Falkenhayn, Ida von, geborene Selkmann (1867— 1963), Frau Erich v. Falkenhayns 5,13,49, 515, 534 Falkenhayn, Kurt von (geb. 1863), Oberstleutnant, Bruder Erich v. Falkenhayns 9 Falkenhayn, Olga von, verheiratete von Bock (1851—1919), Schwester Erich v.Falkenhayns 9 Ferdinand I., König von Bulgarien (1861—1948), Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha, 1887 zum Fürsten von Bulgarien gewählt, proklamierte 1908 die Unabhängigkeit Bulgariens, 1918 Abdankung zugunsten seines Sohnes Boris III. 349, 449, 534 Fewzi Pascha, Befehlshaber der türkischen 7. Armee 476 Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814), Philosoph 112 Fischer, Fritz, Historiker 4, 265, 303, 453 Fleischmann v. Theißruck, Moritz (1882—nach 1945), 1914—1917 österreichisch-ungarischer Verbindungsoffizier beim deutschen Generalstab, später beim deutschen Oberbefehlshaber Ost 156 Foch, Ferdinand (1851—1929), französischer Offizier, 1917 Generalstabschef, 1918 Marschall und Generalissimus der alliierten Truppen 497, 500 Foerster, Wolfgang (1875—1963), Militärhistoriker 2 f „ 60, 506 Fontane, Theodor (1819-1898), Schriftsteller 9 Forstner, Günter Freiherr von (1893—1915), preußischer Offizier, 1913 Leutnant in Zabern 115— 117, 119-123 Franz Ferdinand, Erzherzog von Österreich-Este (1863—1914), österreichisch-ungarischer Thronfolger, am 28.6.1914 Ermordung durch den serbischen Nationalisten Gavrilo Princip 143, 147, 494 Franz Joseph I. (1830-1916), 1848-1916 Kaiser von Österreich und König von Ungarn 149 f., 271, 273, 282, 412, 432, 434, 461 Freytag-Loringhoven, Hugo Freiherr von (1855— 1924), preußischer Offizier, Militärschriftsteller, Aug. 1914—Jan. 1915 deutscher Militärbevoll-
mächtigter im österreichisch-ungarischen AOK, Jan. 1915—Aug. 1916 Generalquartiermeister, 1916—1918 Chef des Stellvertretenden Generalstabs in Berlin 1, 14f„ 233, 237, 248, 255f„ 288f., 464, 503f. Friedman, Iesaiah, amerikanischer Historiker 484 f. Friedrich Wilhelm, genannt der Große Kurfürst (1620—1688), brandenburgischer Kurfürst 76 Friedrich Maria Albrecht, Erzherzog von Österreich (1856-1936), Feldmarschall, Aug. 1914Dez. 1916 Oberbefehlshaber der österreichischungarischen Armee 436 Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), 1713-1740 König in Preußen 76 Friedrich II. (1712-1786), 1740-1786 König von (in) Preußen 12, 76, 270, 514 Fuller, John Frederick Charles (1878-1966), britischer Offizier, Militärtheoretiker und Militärhistoriker 316 Gallwitz, Max von (1852—1937), württembergischer General, Armeeführer an der Ost- und Westfront und in Serbien 216,221,223,230,305 Galster, Carl (1851-1931), Vizeadmiral 56 Gambetta, Leon (1838—1882), französischer Politiker, rief 1870 die Republik aus, organisierte den Volkskrieg gegen Deutschland im Krieg 1870/71, 1881/82 Ministerpräsident und Außenminister 312 Gantschew, Peter (1874—1952), bulgarischer Oberst, Militärbevollmächtigter im deutschen Großen Hauptquartier 337, 339, 450 Gentz, Premierleutnant, chinesischer Major 22— 24, 27f., 3 0 - 3 2 George V. (1865-1936), 1910-1936 König von Großbritannien und Irland 166 f., 209 Gerard, James Watson (1867—1951), amerikanischer Diplomat, 1913—1917 Botschafter der USA in Berlin 399, 402 Giolitti, Giovanni (1842—1928), italienischer Politiker, seit 1882 Abgeordneter, 1889—1890 Finanzminister im Kabinett Crispi, 1892 Ministerpräsident, seit 1900 mehrfach Minister und Ministerpräsident, Führer der Mehrheit im italienischen Parlament, Gegner des ital. Kriegseintritts 1915, 1920/21 Ministerpräsident 276 Glaise von Horstenau, Edmund (1882—1946), österreichischer Offizier, Politiker, Historiker, 1915—1917 in der Operationsabteilung des k.u.k. AOK, Mitarbeiter Conrads 253 f., 348 f.
Personenregister Glasenapp, preußischer Major im Ostasiatischen Expeditionskorps 95 Goltz, Colmar von der (1843—1916), preußischer Offizier, Schriftsteller, 1883-1896, 1909-1913 Reformator und Militärberater in der türkischen Armee, 1914/15 Generalgouverneur in Belgien, 1915/16 Führer der türkischen 6. Armee, leitete 1916 den erfolgreichen Schlag gegen die englische Irakarmee bei Kut-el-Amara 210, 465 Gordon, Charles George, genannt Gordon-Pascha (1833—1885), 1863 in chinesischen Diensten bei der Niederschlagung des Täi-P'ing-Aufstandes, fiel 1885 in Khartoum im Kampf gegen den Mahdi 90 Gothein, Georg (1857-1940), Politiker, 1901— 1918 MdR (Freisinnige Vereinigung) 131 Graevenitz, Fritz von (1861—1922), württembergischer General d.Inf. und Militärbevollmächtigter im Großen Hauptquartier 239 Grey, Sir Edward (1862—1933), englischer Politiker, seit 1885 Mitglied des britischen Unterhauses, 1905—Dez. 1916 Außenminister 166 Groener, Wilhelm (1867—1939), württembergischer Offizier, Politiker, seit Aug. 1914 Chef des Feldeisenbahnwesens, Nov. 1916—Aug. 1917 Chef des Kriegsamtes, im Okt. 1918 Nachfolger Ludendorffs als Erster Generalquartiermeister. 1920—1923 Reichsverkehrsminister, 1928— 1932 Reichswehrminister 1,122,175,180f., 184, 189, 214, 216f„ 231, 234, 256, 264, 267, 286f., 289, 299, 356, 360, 433 f., 436-438, 440, 459, 495, 543-545 Grünau, Werner Ernst Otto Freiherr von (1874— 1956), Legationsrat, 1914—1916 Vertreter Treutiers im Großen Hauptquartier, 1916—1918 Vertreter des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier (im Allerhöchsten Gefolge) 439, 441-443 Grünert, Paul, General 420 Gündell, Erich von (1854—1924), preußischer General 1, 37, 497 Guhr, Hans, preußischer Offizier, während des Krieges im türkischen Heer eingesetzt 481 f. Gunzburg, Gabriel de, russischer Offizier und Unternehmer 69 Haage, Leutnant, starb 1913 im Duell 127f., 141 Haber, Fritz Jakob (1868-1934), deutscher Chemiker 261 Haeften, Hans Maximilian Gustav von (1870— 1937), preußischer Offizier, Militärhistoriker,
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nach dem Krieg Chef des Reichsarchivs 3,159, 220 f., 224, 226, 228-231, 238 Haidar Pascha, Oberbefehlshaber der türkischen 6. Armee 473 Haig, Douglas (1861—1928), englischer Armeeoberbefehlshaber 258 Hagemann, 1914 Staatsanwalt im Prozeß gegen Rosa Luxemburg 142 Haidane of Cloan, Richard Burdon Lord (1856— 1928), englischer Jurist, Philosoph und Politiker, 1905—1912 Kriegsminister, 1912 Reise nach Berlin zur Beilegung der deutsch-englischen Spannungen (Haldane-Mission), 1912—1915 Lordkanzler 99 f. Hamilton, Sir Ian Standish Monteith (1853— 1947), englischer General, Oberbefehlshaber vor Gallipoli 61, 93 Hammerstein, Hans Freiherr von HammersteinGesmold (1867—1933), 1910 preußischer Major im Stabe des XVI. Armeekorps (Metz), später General d. Inf., preußischer Offizier 66, 446 Hanneken, Constantin von (1854—1925), Adjutant Li Hung-changs, chinesischer General, deutscher Unternehmer in China, enger Freund Falkenhayns 6, 18, 21, 33f., 41, 44-46, 49f„ 52 f., 59 f., 67-69, 72, 74, 78, 80, 87, 89-93, 95-98, lOOf., 150, 154, 498, 507, 511 f., 514f., 517, 519, 523, 526, 530f„ 533f. Hauß, Karl (1871-1925), Buchdruckereibesitzer und elsässischer Politiker, 1898—1903, 1907— 1918 MdR (Zentrum) 119 Heeringen, Josias Oskar (1850—1926), preußischer Offizier, Generaloberst, 1909—1913 preußischer Kriegsminister, dann Generalinspekteur der II. Armee-Inspektion, im Krieg Führer der 7. Armee, ab Aug. 1916 Oberbefehlshaber der Küstenverteidigung 104-107,109,113,126,130-133 Heinrich, Prinz von Preußen (1862—1929), jüngerer Bruder Kaiser Wilhelms П., seit 1878 Marineoffizier, 1895 Konteradmiral, 1898 Kommandeur des Kreuzergeschwaders in Ostasien, während des Weltkrieges Oberbefehlshaber der Ostseeflotte 32, 34,45,92, 94,96,98, 107,161, 534 Helfferich, Karl Theodor (1872-1924), Bankier und Politiker, 1908 Direktor der Deutschen Bank, 1915 Staatssekretär des Reichsschatzamts, 1916/17 Leiter des Reichsamts des Innern, Vizekanzler, 1920-1924 MdR (DNVP) 381 f., 392 Hentsch, Richard (1869—1918), sächsischer Offizier, 1914 in der Operationsabteilung des Generalstabs 184, 186 f.
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Personenregister
Herodot (490—425/420 v.Chr.), griechischer Historiker 49, 539 Herding, Georg Friedrich Graf von (1843—1919), Philosoph, Politiker, 1896-1912 MdR (Zentrum), 1912—1917 bayerischer Ministerpräsident, Nov. 1917—Okt. 1918 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident 457, 489 Hertzberg, Rudolf Graf (1832—1898), preußischer Offizier 13 Heydebrand und der Läse (Lasa), Ernst von (1851-1924), Politiker, 1888-1918 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (Konservative), 1903-1918 MdR, 1911-1918 Parteivorsitzender der Konservativen 78 f. Heyking, Edmund Baron von (1850—1915), deutscher Diplomat 20, 22, 2 5 - 2 8 , 3 0 - 3 2 , 34 f., 97 Heyking, Elisabeth Baronin von, geborene Gräfin von Flemming (1861—1925), Frau von Edmund v. Heyking, Schriftstellerin 30 Hilbert, Lothar, Historiker 5 Hiller von Gaertringen, Friedrich Freiherr, Historiker 2 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von (1847—1934), preußischer Offizier, Feldmarschall, 1911 verabschiedet, 1914 reaktiviert, Oberbefehlshaber der 8. Armee in Ostpreußen, Sieger von Tannenberg, seit Nov. 1914 »Oberbefehlshaber der Deutschen Streitkräfte im Osten« (OberOst), Aug. 1916—Juli 1919 Chef des Generalstabes des Feldheeres, 1925—1934 Reichspräsident 1, 7, 14, 185f„ 197, 199, 204, 212, 214, 216f„ 2 2 4 - 2 2 7 , 2 2 9 - 2 3 2 , 240, 242, 247, 259, 300, 3 0 5 - 3 1 3 , 353, 400, 402, 411, 424f., 427—436, 439f., 442—444,447—451, 453, 4 5 7 - 4 6 2 , 4 6 4 f., 468,470 f., 488,495,499, 5 0 1 503, 509, 5 1 2 - 5 1 4 , 525, 534f. Hintze, Paul von (1864—1941), Marineoffizier und Diplomat, 1903—1908 Marineattache, 1908— 1911 Militärbevollmächtigter in St. Petersburg, seit 1911 Diplomat, 1911—1914 Gesandter in Mexiko, dann in China und Norwegen, Juli— Okt. 1918 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, nach dem Krieg Poliker der DVP 529 Hitler, Adolf (1889-1945) 256, 458 Hoffmann, Max (1869-1927), Offizier, 1904/05 Beobachter des russisch-j apanischen Krieges, 1914—1916 im Stab von »OberOst«, seit Aug. 1916 Generalstabschef von »OberOst«, 1917/18 Vertreter der O H L bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litovsk 1, 185, 259
Hofrichter, Adolf Gustav (1857-1916), Schlosser, 1912-1916 MdR (SPD) 138f. Holstein, Friedrich von (1837—1909), Diplomat, seit 1878 Vortragender Rat im Auswärtigen Amt, hatte großen Einfluß auf die deutsche Außenpolitik der Nach-Bismarck-Ara 57 Holtzendorff, Henning von (1853—1919), Marineoffizier, Großadmiral, Auslandskommandos u.a. in China, Sept. 1915—Juli 1918 als Nachfolger Bachmanns Chef des Admiralstabes 21, 23f., 377, 3 8 0 - 3 8 2 , 3 8 6 - 3 8 8 , 390, 393—397, 400f., 404f. Hörne, Alistair, englischer Historiker 1 Hülsen, Bernhard von (1865—1950), Generalleutnant 526 Hutten-Czapski, Bogdan Graf v. (1851—1937), preuß. Politiker 173 Jagow, Gottlieb von (1863—1935), Diplomat, 1909—1913 Botschafter in Rom, 1913-1916 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 153,157, 162-164,190f., 268, 274,279f„ 326f„ 336, 400, 408, 430, 464, 469, 494, 5 0 9 - 5 1 1 Jagow, Traugott von (1865—1941), 1916-1919 Regierungspräsident in Potsdam, 1920 am KappPutsch beteiligt 527 Janßen, Karl-Heinz, Historiker und Journalist 4, 397 Jekow, Nikolaus Theodor, bulgarischer General und Oberbefehlshaber der bulgarischen Armee 436 Joachim, Prinz von Preußen (1890—1920), Sohn Kaiser Wilhelms II., 1914-1918 Offizier 228 Joffre, Joseph Jacques Cesaire (1852—1931), französischer Offizier, seit 1910 Generalstabschef, 1914—Dez. 1916 Oberbefehlshaber der französischen Armee 202, 230, 258, 351, 409 Kantorowicz, Hermann, Historiker 169 Kapp, Wolfgang (1858—1922), 1906—1920 Generallandschaftsdirektor in Ostpreußen, 1917 Zweiter Vorsitzender der Vaterlandspartei, 1918 MdR (Konservative), März 1920 Putschist (Kapp-Lüttwitz-Putsch), floh nach dem Zusammenbruch des Putsches nach Schweden, stellte sich dann aber schwerkrank den Behörden 425, 526—528 Kardorff, Siegfried von (1873-1945), Politiker, 1908-1918 MdPrAH (Freikonservative), 1 9 2 0 1933 MdR (DVP) 529 Karl Franz Joseph (1887-1922), Nov. 1916-Nov. 1918 Kaiser von Österreich und König von
Personenregister Ungarn, während des Krieges als Thronfolger hohe Verwendungen in der Armee 417,466,468 Keim, August Alexander (1845—1926), Offizier, 1900—1908 Leiter des Deutschen Flottenvereins, 1911 Begründer des Wehrvereins 105, 135 Kemal Pascha, Mustafa, später Kemal Atatürk (1881—1938), im Weltkrieg General, später Präsident, Schöpfer der modernen Türkei 476 Kempis, v., Beamter des Auswärtigen Amtes 409 Kerenski, Alexandr Fjodorowitsch (1881—1970), russischer Politiker 458 Ketteier, Klemens von (1853—1900), Diplomat, deutscher Gesandter in Peking, seine Ermordung am 19.6.1900 löste den Boxerkrieg aus 35 Kiderlen-Waechter, Alfred von (1852-1912), Diplomat, 1910—1912 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 74 f., 77, 102 Kielmansegg, Peter Graf von, Historiker 5 Kin ya wang, chinesischer Diplomat 95 Kitchen, Martin, Historiker 132 Kitchener, Sir Horatio Herbert, Lord Kitchener of Khartoum and of Brooke (1850—1916), englischer General und Politiker, hohe militärische Verwendungen in den Kolonien, 1914—1916 Heeresminister, mit dem Kreuzer »Hampshire« auf einer Reise nach Rußland untergegangen 322 Klepsch-Kloth von Roden, Alois (1863-1957), österreichisch-ungarischer Generalmajor, Mai 1915—1918 k.u.k. Delegierter im deutschen Großen Hauptquartier 347, 405, 460 f. Koch, Reinhard (1861—1939), Admiral, Stellvertretender Chef des Admiralstabs 380 Konstantini. (1868-1923), 1913-1917, 19201922 König von Griechenland 282, 340 Koser, Reinhold (1852-1914), Historiker 14 Kövess von Kövesshaza, Hermann Baron (1854— 1924), österreichisch-ungarischer Feldmarschall 344, 348 Kraft, Heinz, Historiker 4 Kreß von Kressenstein, Friedrich Freiherr (1870— 1948), bayerischer Offizier, türkischer General, eingesetzt an der Suez- und Palästinafront 474, 477-479 Kroisos, lydischer König 539 Krüger, Paulus (genannt »Ohm Krüger«) (1825— 1904), südafrikanischer Politiker 102 Krupp, Bertha 91 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav (1870— 1950), Industrieller, 1909—1943 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Firma Krupp 91, 317f., 320, 464, 534,
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Kuang-hsü, chinesischer Kaiser Kühl, Hermann von (1856—1958), preußischer General d.i., Chef des Stabes der 6. Armee 366, 374, 426 Kung, chinesischer Prinz 28 Kyros, persischer Großkönig 539 Lauenstein, Otto von (1857—1916) preußischer Generalleutnant 15 La Valette Saint George, Leutnant und Duellant 127 Ledebour, Georg (1850—1947), Journalist, Politiker, 1900-1918 MdR (SPD), 1917 Mitbegründer der USPD 120 Lerchenfeld-Köfering, Hugo Philipp Graf von und zu (1843-1925), Diplomat, 1880-1918 bayerischer Gesandter und Bundesratsbevollmächtigter in Berlin 459 Lessei, Emil Friedrich Karl von (1847-1927), preußischer Generalleutnant, Führer des Ostasiatischen Expeditionskorps im Boxerkrieg 35—38 Leuckart von Weißdorf, Traugott Freiherr von (1957—1933), sächsischer General d. Kav., Militärbevollmächtigter in Berlin und im Großen Hauptquartier 157 Lichnowsky, Karl Max Fürst von (1860—1928), Diplomat, 1912—1914 deutscher Botschafter in London 164, 166 Liddell Hart, Basil Henry (1895-1970), englischer Offizier und Militärschriftsteller 3, 452 Liebert, Eduard von (1850—1934), Offizier, Generalleutnant, 1907-1914 MdR (Reichspartei) 22, 82, 94 Liebknecht, Karl (1871—1919), Jurist, Politiker, 1906 wegen seiner Schrift »Militarismus« zu eineinhalb Jahren Festung verurteilt, 1912—1918 MdR (SPD), 1916 Parteiausschluß, Mitbegründer der KPD, im Jan. 1919 von Freikorpsmitgliedern ermordet 139 Li Hung-chang (1823—1901), chinesischer Staatsmann 18f., 26-28, 33, 34, 36, 41f. Liman von Sanders, Otto (1855—1929), preußischer General und türkischer Marschall, 1913 Chef der deutschen Militärmission in der Türkei, 1915 Verteidiger der Dardanellen, 1918 Oberbefehlshaber der Palästinafront 422, 482 Linsingen, Alexander von (1850—1935), Offizier, seit Jan. 1915 Oberbefehlshaber der Südarmee, der Bug-Armee, der Heeresgruppe Linsingen an der Ostfront, April—Nov. 1918 Oberbefehlshaber in den Marken und Gouverneur von Berlin 414, 436
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Personenregister
Liu K'un-i, 1896 Generalgouverneur der unteren Yangtse-Provinzen 23 Liu-Kwangsai, chinesischer General 37 Lloyd George, David, 1. Earl of Dwyfor (1863— 1945), englischer Jurist und Politiker, 1905—1908 Handelsminister, 1908—1915 Schatzminister, 1915—1916 Munitionsminister, Juni 1916 Kriegsminister, Dez. 1916— Okt. 1922 Premierminister 75, 499, 525 Loebell, Friedrich Wilhelm von (1855-1931), Jurist, Politiker, 1914—1917 preußischer Minister des Innern 156, 177 f. Loßberg, Fritz von (1868-1942), General 1,257,
Mackensen, August von (1849—1945), preußischer Offizier, Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Armeen und Heeresgruppen an der Ostfront und auf dem Balkan 291—293,300,306f., 333, 3 3 8 - 3 4 6 , 348, 414, 416 f., 446, 4 6 6 - 4 6 8 Mai, chinesischer General 37 Maltzan, Adolf Georg Freiherr von (1877—1927),
418, 420, 544 Lossow, Otto von (1868—1938), bayerischer Offizier, 1915—1918 deutscher Militärbevollmächtigter in Konstantinopel 422, 472 Luckwald, Erich von (geb. 1884), Legationssekretär, Vertreter des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier 373, 415, 418 Ludendorff, Erich (1865-1937), preußischer Offizier, 1908—1912 Chef der Aufmarschabteilung des Generalstabs, bei Kriegsausbruch zuerst Oberquartiermeister der 2. Armee an der Westfront, dann Stabschef der 8. Armee im Osten (Hindenburg), treibende Kraft im Stab von »OberOst«, Aug. 1916—Okt. 1918 Erster Generalquartiermeister, nach dem Krieg Tätigkeit als Militärschriftsteller, zeitweilige politische Zusammenarbeit mit der NSDAP (Hitler-Ludendorff-Putsch 1923) 1, 3, 7, 104-107, 185f., 196f., 199, 212, 216f., 2 1 9 - 2 2 6 , 228f„ 232, 241 f., 244, 248, 259, 3 0 5 - 3 1 0 , 353, 402, 417, 424f., 4 2 7 — 4 2 9 , 4 3 1 ^ 3 3 , 435f., 439, 4 4 4 , 4 4 7 453, 4 5 7 - 4 6 2 , 465, 470f., 4 8 7 - 4 8 9 , 5 0 1 - 5 0 3 , 5 0 9 - 5 1 4 , 5 2 4 - 5 2 7 , 535 f., 542 Lüttwitz, Walther Freiherr von (1859—1942), General, 1920 führend am Kapp-Putsch beteiligt 73, 527
Marx, Wilhelm, General und Militärschriftsteller 3, 66 Max, Prinz und Markgraf von Baden (1867— 1929), badischer Thronfolger, Okt.-Nov. 1918 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident 489
Lutz, Hermann, Historiker 169 Luxemburg, Rosa (1870—1919), Politikerin, Führerin des linken Flügels der SPD, begründete 1917 mit Karl Liebknecht den Spartakusbund, Jan. 1919 von Freikorpsangehörigen ermordet 141 f., 144 Lyncker, Moriz Freiherr von (1853—1932), preußischer Offizier, Generaloberst, 1908—1918 Chef des kaiserlichen Militärkabinetts 106f., 113, 149, 161—165, 179, 186-188, 219, 221 f., 2 2 4 - 2 2 7 , 240f., 248, 255, 387, 402, 4 2 7 - 4 3 2 , 434, 437, 439, 442 f., 445, 4 4 7 - 4 4 9
Diplomat 95f., 98 Marschall gen. Greiff, Ulrich Freiherr von (1863— 1923), preußischer Offizier, zuletzt Generalmajor, Abteilungsleiter im Militärkabinett 106 f., 185, 187 f., 221 f., 2 2 4 , 2 2 8 - 2 3 0 , 2 4 0 f., 402,459, 445
Meckel, Klemens Wilhelm Jakob (1842-1906), preußischer General, 1884—1888 Heeresorganisator in Japan 18 Menzie 92 Metzger, Josef (1870—1921), österreichisch-ungarischer Feldmarschalleutnant, 1910—April 1917 Chef der Operationsabteilung des k.u.k. AOK, seit 1916 Stellvertreter Conrads v. Hötzendorf 346 f. Michaelis, Georg (1857—1936), Jurist, Verwaltungsbeamter, Politiker, 1909 Unterstaatssekretär im Preußischen Finanzministerium, Aug. 1914 Leiter der Reichs-Getreidestelle, Febr. 1917 preußischer Staatskommissar für Volksernährung, Juli—Okt. 1917 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident 457 Moellendorff, Wichard von (1881-1937), Wirtschaftspolitiker 172 Moltke, Helmuth Karl Bernhard Graf von (1800— 1891), (der ältere Moltke), dänisch-preußischer Offizier, Generalfeldmarschall, als Generalstabschef in den Kriegen 1864, 1866, 1870/71 siegreich 17, 224, 230, 235 Moltke, Helmuth Johannes Ludwig Graf von (1848—1916), (der jüngere Moltke), preußischer Offizier, Generaloberst, 1906—1914 Generalstabschef, seit 1915 Chef des Stellvertretenden Generalstabs in Berlin 1, 3,7, 57,102,104-106, 114, 133-135, 147-151, 153, 155-171, 1 7 9 1 8 9 , 1 9 3 , 1 9 6 , 2 1 1 , 2 1 8 , 2 2 3 - 2 3 1 , 306,308,311, 449, 489, 502 Monticone, Alberto, italienischer Historiker 282
Personenregister Morrison, George Ernest (1862—1920), englischaustralischer Journalist (»Times«) und Reisender, 1912 politischer Berater des Präsidenten der chinesischen Republik 92 £. Moser, Otto von (1880—1931), württembergischer General und Militärschriftsteller 258 Mühlmann, Carl (geb. 1882), Offizier und Historiker 482 Müller, Georg Alexander von (1854—1940), Admiral, 1906—1918 Chef des Marinekabinetts 1, 163 f., 166, 236, 239, 241, 383, 387, 389, 393, 400 f., 405, 429, 445, 447 Mumm von Schwarzenstein, Philipp Alfons Freiherr (1859-1924), Diplomat, 1900-1905 deutscher Gesandter in Peking 35, 42 f. Munthe, Johan Wilhelm Normann (1864—1935), norwegischer Offizier, 1887 nach China ausgewandert, militärischer Ratgeber der chinesischen Regierungen, seit 1912 Generaladjutant des Präsidenten der chinesischen Republik, 1913 Generalleutnant 92, 94—96 Nagel zu Aichberg, Karl Frhr. von (1866-1919), bayerischer Generalmajor, Militärbevollmächtigter im Großen Hauptquartier 367, 426 Napoleon I. (1769-1821), 1804-1814/1815 französischer Kaiser 199, 236, 341, 350, 452, 541 Nessimy Bey, türkischer Offizier 484 Nikolai Nikolaiewitsch (1856—1929), russischer Großfürst, 1914-1915 Oberbefehlshaber der russischen Armee 440 Nikolaus II. (1868-1918), 1894-1917 russischer Zar 30,161, 209, 295-298, 302-304, 314, 337 Noske, Gustav (1868-1946), 1906-1918 MdR (SPD), Febr. 1919—März 1920 Reichswehrminister 523 Nowak, Karl Friedrich (1882-1932), Publizist 507 f., 513 Oehme, Karl (geb. 1858), preuß. Oberst z.D., Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium 173 Oldenburg-Januschau, Elard von (1855—1937), Politiker, 1902—1912 MdR (Konservative), 1930-1933 MdR (DNVP) 226, 228 f. Otto, Hermann, Historiker 6 Pabst, Waldemar (1880—1970), Major, Teilnehmer am Kapp-Putsch 527 Payer, Friedrich von (1847—1931), Rechtsanwalt, Politiker, 1877/78,1880-1887,1890-1917 MdR
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(Freisinnige Vereinigung), Nov. 1917—Nov. 1918 Vizekanzler 124 Peirotes, Jacques (1869—1935), Redakteur, elsässischer Politiker, 1912-1918 MdR (SPD) 119 Pentz, Hans Henning von (geb. 1890), Hauptmann, Adjutant Falkenhayns 260, 300 f., 450, 537 Petain, Henri Philippe (1856—1951), französischer General, 1940—1944 französischer Präsident 370 Plessen, Hans von (1841—1929), preußischer Offizier, Generaloberst, 1893—1918 Generaladjutant des Kaisers und Kommandeur des kaiserlichen Hauptquartiers 149, 151, 161f., 186-188, 195, 219,221-224,227,236,239,255,290,357, 387, 390f., 402, 429-431, 434f., 437, 439, 442f„ 447f., 534 Pohl, Hugo von (1855—1916), Vizeadmiral, April 1913—Febr. 1915 Chef des Admiralstabs, Febr. 1915—Jan. 1916 Chef der Hochseeflotte 1 Poincare, Raymond (1860—1934), französischer Politiker, seit 1887 Abgeordneter, 1912—1913, 1922—1924, 1926—1929 französischer Ministerpräsident, 1913—1920 Präsident 202 Pourtales, Friedrich Graf von (1853-1928), Diplomat, 1907—1914 deutscher Botschafter in St. Petersburg 157, 159 Princip, Gavrilo (1894—1918), bosnischer Terrorist, Attentäter von Sarajevo 147 Prittwitz und Gaffron, Max von (1848—1917), preußischer Offizier, Generaloberst, Aug.—Sept. 1914 Oberbefehlshaber der 8. Armee und mit der Verteidigung der Ostfront betraut, wollte vor der russischen Ubermacht zurückgehen und wurde daraufhin durch Hindenburg ersetzt 62, 65-67, 179, 185 P'u-i (1906-1967), 1908-1912 letzter Kaiser von China 86 Radtke, Leutnant 369 Rathenau, Walther (1867-1922), Industrieller (AEG), im Aug. 1914 Mitbegründer der Kriegsrohstoffabteilung, 1922 Reichsaußenminister, Juni 1922 Ermordung durch die »Organisation Consul« 132, 172-174, 357 f. Reitzenstein, Albin Frhr. von (1852—1927), Major in chinesischen Diensten 21, 24 Reuter, Adolf von (1857—1926), preußischer Offizier, 1913 Kommandeur (Oberst) des Regiments in Zabern 117-121, 123 Reventlow, Ernst Graf zu (1869—1943), alldeutscher Journalist 389
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Personenregister
Reymann, Martin (geb. 1883), Historiker 2 Riezler, Kurt (1882-1955), Legationsrat, 1906— 1918 Referent im Auswärtigen Amt, enger Vertrauter Bethmann Hollwegs 208 f., 237, 328, 331, 396, 399, 445 Ritter, Gerhard, Historiker 1, 4, 206, 248, 270, 295, 311 Röser, Adolf (1874—1950), Holzhändler, elsässischer Politiker, 1912-1918 MdR (FVP) 119 Rohrscheidt, Oskar von (geb. 1848), Generalmajor im Ostasiatischen Expeditionskorps 37, 44 Romberg, Konrad-Gisbert Freiherr von (1866— 1939), Diplomat, seit 1912 deutscher Gesandter in Bern 405 f., 408 Roon, Albrecht Graf von (1803—1879), preußischer Offizier, Generalfeldmarschall, seit 1859 Kriegsminister, Reformator der preußischen Armee 11, 107, 224 Rupprecht von Bayern (1869—1955), bayerischer Kronprinz, 1914—1916 Oberbefehlshaber der 6. Armee, 1916—1918 der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht 1, 203, 212—214, 366, 368, 373f., 419f., 426, 429, 439, 445 Salandra, Antonio (1853—1931), italienischer Jurist und Politiker, seit 1886 Abgeordneter, 1914—1916 Ministerpräsident, brachte als Befürworter der Intervention Italien in den Krieg 273 Salzmann, Erich von, Journalist 96, 98 Sarrail, Maurice (1856—1929), französischer General, 1915-1917 Oberbefehlshaber in Saloniki 343, 417 Sasonow, Sergej (1860—1927), russischer Diplomat und Politiker, Sept. 1910—Juli 1916 Außenminister 157, 161, 296 f., 298, 302, 423, 440 Scavenius, Erik (1877—1962), dänischer Diplomat und Politiker, 1913—1920 Außenminister 296 Scheer, Reinhard (1863—1928), Marineoffizier, Jan. 1916 Chef der Hochseeflotte, Aug. 1918 Chef des Admiralstabs 394, 396, 398 Scheüch, Heinrich (1864—1946), preußischer Offizier, 1913 Departementschef im preußischen Kriegsministerium, 1914—1916 Chef des Stabes des Kriegsministers im Großen Hauptquartier, Okt.—Dez. 1918 preußischer Kriegsminister 109, 173, 187 f. Schieder, Theodor, Historiker 12 Schlieffen, Alfred Graf von (1833-1913), preußischer Offizier, Generalfeldmarschall, 1891—1905 Chef des Generalstabes 14f., 34, 57, 59, 61, 183, 185, 212f.
Schmidt von Knobelsdorf, Constantin (1860— 1936), preußischer General, 1914—1916 Chef des Stabes der 5. Armee 72, 222f„ 226, 361 f., 364, 366f„ 370, 375, 419, 543 Schneller, 1922 Falkenhayns behandelnder Arzt 534 Schreiner, 1922 Vertreter Falkenhayns in Amerika 517 Schulz, Heinrich (1872—1932), Lehrer, Politiker, 1912-1930 MdR (SPD) 138, 139 Schwarte, Max (1860—1945), preußischer Generalleutnant und Militärschriftsteller 513 Schweinitz, Wilhelm von (1873-1932), 1915 preußischer Major und deutscher Militärattache in Rom 274 f., 283 Seeckt, Hans von (1866—1936), preußischer General, 1915/16 Stabschef Mackensens, 1918 türkischer Generalstabschef, 1920—1926 Chef der Heeresleitung der Reichswehr, 1930—1932 MdR (DVP) 286f., 293, 333, 339, 342, 414, 417, 466, 480, 482, 534 Selkmann, Wilhelm 13 Seymour, Edward Hobart (1840—1929), englischer Admiral, 1898—1901 Kommandant der Flottenstation in China 36 Sieger, Ludwig (1857-1952), General, Chef des Feldmunitionswesens 187 Simons, Walter (1861—1937), Politiker (parteilos), 1920/21 Reichsaußenminister, 1922-1929 Präsident des Reichsgerichts 521 Sixt von Armin, Friedrich (1851—1936), preußischer General 81, 85 Solger, Wilhelm, Historiker, Falkenhayn-Biograph 2, 12, 545 Sonnino, Sidney (1847—1922), italienischer Politiker, seit 1880 Abgeordneter, 1906, 1909—1910 Ministerpräsident, Nov. 1914—Juni 1919 Außenminister 273 Spickernagel, Wilhelm, Redakteur der »Hamburger Nachrichten« 510 Stadelmann, Rudolf (1902-1949), Historiker 297 Stadthagen, Arthur (1857—1917), Politiker und Redakteur des »Vorwärts«, 1890—1917 MdR (SPD/USPD) 177 Stein, Hermann von (1854—1927), preußischer General d.A., bis Sept. 1914 Generalquartiermeister, Okt. 1916—Okt. 1918 preußischer Kriegsminister 182, 184, 188 Steuber, Armeearzt der »Heeresgruppe F« 480 Stinnes, Edmund Hugo (1870—1924), Großindustrieller 207, 219
Personenregister Stoecker, Walter (1891-1939), Redakteur und Politiker, Sozialist, 1920-1932 MdR (KPD), starb im Konzentrationslager Buchenwald 137—140, 145 Stössel, Anatol Michailowitsch (geb. 1849), russischer General, Verteidiger von Port Arthur 52,363 Stürgkh, Josef Graf (1862—1945), österreichischungarischer Feldmarschalleutnant, Militärbevollmächtigter im deutschen Großen Hauptquartier 237, 250 f. Stürmer, Boris (1848—1917), russischer Politiker, Febr. 1916 Ministerpräsident, seit Juli 1916 auch Außenminister, 1917 durch Kerenski inhaftiert 423 Suttner, Bertha von (1843—1914), Pazifistin 79 Talaat Pascha, Mehmed (1872—1921), türkischer Politiker, einer der Führer der jungtürkischen Bewegung, 1913—1917 Minister des Innern, 1917-1918 Großwesir 484 Tappen, Gerhard (1866—1953), preußischer Generalleutnant, 1914—Aug. 1916 Chef der Operationsabteilung im Generalstab, danach Stabschef bei Mackensen in Rumänien 1,193, 233f., 255, 259, 286,288f., 357, 361f„ 364f„ 369, 405, 417, 427, 468, 503, 507 Thomas, Sydney Gilchrist (1850—1885), englischer Metallurg 67 Thon, Leiter des zionistischen Büros in Jerusalem 485 Thumann, Albert (1856—1938), Apotheker und elsässischer Politiker, 1912—1918 MdR (Zentrum) 116 Thurn und Valsassina, Duglas Graf (1864-1939), österr. Diplomat, Vertreter des k.u.k. Ministeriums des Äußeren beim österreichisch-ungarischen Armeeoberkommando 272 Tirpitz, Alfred von (1849-1930), Großadmiral, 1897—15.3.1916 Staatssekretär des Reichsmarineamts 1, 21, 29, 5 5 - 5 7 , 108, 125, 158, 162f., 165-168, 183, 2 0 0 - 2 0 3 , 270, 377f„ 3 8 0 - 3 8 5 , 387, 3 8 9 - 3 9 1 , 401—403, 501, 509, 514 Tisza von Boros-Jenö und Szeged, Istvan Graf (1861-1918), ungarischer Politiker, 1903-1905, 1913—1917 ungarischer Ministerpräsident 342 Treutier, Karl Georg von (1858—1933), Offizier und Diplomat, 1914—1916 außerordentlicher Gesandter im Allerhöchsten Gefolge 15, 84, 209, 241, 245f., 256, 274, 276, 294, 296f„ 323, 325, 334f., 366, 372f., 378, 383, 3 9 1 - 3 9 3 , 402, 428, 439 Tsai-t'ao, chinesischer Prinz 86—90
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Tschirschky und Bögendorff, Heinrich von (1858-1916), Diplomat, 1907-1916 deutscher Botschafter in Wien 494 Tsien, chinesischer Beamter, Intendant von Falkenhayns Militärschule in Wuchang 27 Tucholsky, Kurt (1890—1935), Publizist, Satiriker und Erzähler 498, 526 Tz'u-Hsi (1835—1908), chinesische Kaiserin, regierte 1861-1889 und 1898-1908 42, 86 Valentini, Rudolf von (1855-1925), Wirklicher Geheimer Rat, 1908-Jan. 1918 Chef des Zivilkabinetts 239, 401, 416, 426f„ 4 4 7 - 4 4 9 Venizelos, Elevtherios (1864—1936), griechischer Politiker, 1910—1915 Ministerpräsident, befürwortete die Intervention in den Krieg auf Seiten der Entente 340 Verdy du Vernois, Julius Ludwig von (1832—1910), preußischer Offizier, 1889/90 preußischer Kriegsminister 104 Vogel, Hofprediger 535 Voyron, Emile Jean Francois Regis (1838—1921), französischer General, Oberbefehlshaber der französischen Truppen im Boxerkrieg 38, 41 Waldersee, Alfred Graf von (1832-1904), preußischer Offizier, Generalfeldmarschall, 1888—1891 Chef des Generalstabes, 1900/01 Oberbefehlshaber des Expeditionskorps im Boxerkrieg 15, 35, 3 7 - 4 2 Wallach, Jehuda, israelischer Historiker 5 Wallenberg (vermutl. Gustav Adalbert von [1884— 1945]), Hauptmann, Neffe Falkenhayns 516 Wallenstein, Albrecht Wenzeslaus Eusebius von (1583-1634) 429 Wandel, Franz von (1858—1921), Generalleutnant, 1909—1913 Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements im preußischen Kriegsministerium, 1914—1916 stellvertretender preußischer Kriegsminister 106, 194, 319f. Wedel, Karl Fürst von (1842—1919), General und Politiker, 1907—1914 Statthalter von ElsaßLothringen 119 Weddigen, Otto (1882—1915), Kapitänleutnant und U-Boot-Kommandant (»U 9«), versenkte am 22.9.1914 die englischen Panzerkreuzer »Aboukir«, »Cressy« und »Hogue«, wurde am 8.3.1915 mit seinem U-Boot versenkt 376 Weizsäcker, Carl Freiherr von (1853—1926), Politiker, 1906—1918 württembergischer Ministerpräsident 459
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Personenregister
Wenninger, Karl Ritter von (1861—1917), Generalleutnant, 1912—1914 bayerischer Militärbevollmächtigter in Berlin, 1914/15 im Großen Hauptquartier 160f„ 175, 181 £., 189, 235 Westarp, Kuno Graf von (1864-1945), Politiker, 1908-1918 MdR (Konservative), 1920-1932 MdR (DNVP, Konservative Volkspartei) 493 f. White, Henry (1850—1927), amerikanischer Diplomat, 1905 Botschafter der USA in Rom, 1907-1909 in Paris 170 f. Widenmann, Wilhelm (1871-1955), Kapitän z.S., 1907—1912 deutscher Marineattache in London, enger Mitarbeiter von Tirpitz 108, 385 Wienskowski, Hellmuth von (geb. 1887), Major a.D., 1937 Oberregierungsrat in der Kriegsgeschichtl. Forschungsanstalt des Heeres, Falkenhayn-Biograph 2 Wild von Hohenborn, Adolf (1860-1925), preußischer Generalleutnant, 1913/14 Abteilungschef im preußischen Kriegsministerium, 21.1. 1915—29.10.1916 preußischer Kriegsminister 1,7,109,137,157,161,222,230,232-234, 236, 239, 241, 243, 255, 258, 270, 288f„ 293, 299f., 310, 333-335, 357, 361 f., 364, 373, 380, 382, 387, 389, 391, 396f„ 402, 406, 413, 416f., 423, 427, 429, 431, 439f„ 443, 448-450, 464, 470, 503 f., 533 f., 537 Wilhelm I. (1797-1888), 1858-1861 Prinzregent von Preußen, 1861—1888 König von Preußen, 1871-1888 Deutscher Kaiser 76, 235 f. Wilhelm II. (1859-1941), 1888-1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen 1 f., 7, 22—24, 26, 30, 43, 45 f., 57-59, 61, 66, 70 f., 75-77, 79-81, 84, 92, 96-102, 106-109, 111-113, 119 f., 123, 133, 144, 149-151, 153-155, 1 5 9 168, 170f„ 175 f., 178, 180,186-189, 195f., 198, 209, 215, 221 f., 224-232, 234-242, 248, 255f., 265,271,273, 286,288,290, 293,306,308, 323, 334, 357f„ 365, 377f., 382, 385-387, 389-392, 399-405, 415f„ 420, 4 2 4 , 4 2 6 , 4 2 8 - 4 4 3 , 4 4 5 450, 452f., 457,460, 462f„ 468, 483f„ 486, 489, 494, 496-498, 514, 522, 525, 533f., 543
Wilhelm, preußischer Kronprinz (1882—1951), seit Aug. 1914 Oberbefehlshaber der 5. Armee, seit Nov. 1916 der »Heeresgruppe Deutscher Kronprinz«, verzichtete am 1.12.1918 auf seine Thronfolgerechte 1,168,213,215,222,226, 361-363, 369, 375, 418, 464 Wilson, Thomas Woodrow (1856-1924), 19131921 amerikanischer Präsident 387, 392—394, 489, 516 Wogack, russischer General 47, 69 Wohlfahrt, Heerespsychologe 544 Woyrsch, Remus von (1847—1920), preußischer Offizier, General d.i., Führer der Armeeabteilung Woyrsch und bis Ende 1916 der Heeresgruppe Woyrsch an der Ostfront 300, 307, 311 Wrisberg, Ernst von (1862—1927), Oberst, April 1915—Nov. 1917 Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements im preußischen Kriegsministerium 163, 175, 286 Yin-ch'ang, chinesischer Offizier und Diplomat, Gesandter in Berlin, 1911 chinesischer Kriegsminister 87—89, 97 Yüan Shih-k'ai (1859—1916), chinesischer Staatsmann 42-44, 46, 91 f., 95—98 Zechlin, Egmont, Historiker 4 Zekki Pascha, türkischer Offizier 450 Zeppelin-Aschhausen, Friedrich Graf von (1861— 1915), kaiserlicher Bezirkspräsident in Metz 67 Ziese-Behringer, Hermann, Militärschriftsteller 2 Zimmermann, Arthur (1864—1940), Diplomat und Politiker, seit 1911 Unterstaatssekretär, Nov. 1916—Aug. 1917 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 89, 94f., 208, 326, 336, 381, 429 Zöllner, Eugen Ritter von (1866—1945), bayerischer Generalmajor, Okt. 1914—Juni 1916 Chef des Stabes des Generalquartiermeisters in der O H L 255 Zwehl, Hans von (1851—1926), preußischer General d.i., Falkenhayn-Biograph 2f., 5f.
Ortsregister
Agadir 75-77, 79, 99 Aisne 230 Aleppo 472, 475f., 478f. Algeciras 63 f., 75 Allenstein 159 Altona 62, 65 Amanus 472 Amerongen 522 Antwerpen 193 f., 311 Argesul 467 Arras 194, 321, 426
Djerablus 472 Döberitz 526 Donaueschingen 119, 123 Douaumont 361, 369, 408 Dresden 527 Dünkirchen 194 Düsseldorf 105
Bagdad 471-476, 483 Burg Belchau 9-11, 15, 520 Beifort 205, 264, 361 f., 408 Bern 405 Beresina 490 Berlin 39,60f„ 72, 81,93,103,142,153,160,189, 196, 227f., 263, 276f., 279, 291, 347, 366, 393, 411,413,416,431 f., 446,471,476, 484, 526, 534 Birseba 474, 478 f. Bolimov 261 Bordeaux 180 Bornstedt 535 Braunschweig 49, 60 Bremen 58 Brenner 277f., 280 Breslau 225 Brest-Litovsk 307f., 486, 489 Brügge 194 Brüssel 193 Bukarest 465, 467 Bukowina 274, 430, 434
Gaza 474, 478, 479, 485 Genua 36 Gelebek 472 Gent 194 Gorlice-Tarnow 2, 234, 236, 283, 287-293, 305, 454, 503, 508 Graudenz 9, 520
Calais 193 f. Cannae 183, 212 Canossa 413 Carlsburg 533 Chantilly 351, 411 Charleville 255, 367 Cholm 300, 307 Compiegne 489 Culm 11 Danzig 519 Dardanellen 262, 283, 301
Fez 75 Fleury 418 Froide Terre 362
Hankow 23 f., 30 Houdraumont 408 Hannover 523 Hayingen 68 Hermannstadt 466 Huailu 38 Iwangorod 300 f., 307 Jaffa 484 f. Jaslo 489 Jerusalem 475, 478-480, 482 f., 485 Juist 151-153 Karlsbad 135, 150, 153 Karlsruhe 34 Kasan 157 Kiang-li 50 Kiangsekuan 38 Kiaochow 2 9 - 3 4 , 47, 54, 97 Kiel 34 Kiew 157 Koblenz 180 Köln 137 Königsberg 60, 62 Köpenick 527
578
Ortsregister
Konia 473 Konstantinopel 304,337,449,464,472 f., 476,484 Kopenhagen 297 Kowno 305-307, 310 Kreuznach 471 Kronstadt 467 Kuang-chou-wan 33 Kuchan 38 Kut-el-Amara 474 Langemarck 257 Lemberg 299f., 305 Liaojang 52, 61 Lichterfelde 12 Lille 194 Lindstedt 531, 534 London 93 Lodz 196 f. Lublin 300, 307 Lucz 412 Luxemburg 164f„ 167, 184, 255 Maas 255, 361 f., 364, 366-370, 372, 418, 444 Magdeburg 80-82, 85, 103 Marne 182-186, 188, 190f., 347 Marre 365 Masuren 259, 306, 309 Maubeuge 186 Metz 60, 62, 65-67, 80, 115, 117, 127, 141, 179, 264, 516 Mezieres 255, 268, 366, 368 Mimkacs 224 Minsk 486f., 490 Mitrovica 342 Montfaucon 369 Montmedy 366 Moskau 157 Mossul 472 f. Mukden 53 Nancy 83 Nanking 19, 23f., 26 Narew 186, 305-307, 310, 312 Neu-Sandec 287 Nieuport 194 Nida 289 Njemen 305 f., 309, 312 Noyon 193 Odessa 157, 308 Oise 193
Oldenburg 12 Olmütz 78 Oostende 194, 264 Orscha 486 Pao-ting-fu 37, 89 f. Paris 68-70, 182 f. Pei-ho 40, 42 f. Peking 22, 35-39, 88, 91 f., 107 Pilica 288 Pleß 255, 257, 293, 298, 300, 377, 429, 435, 448, 450 f. Pola 279 Port Arthur 33, 52-54, 363 Posen 226, 228, 230, 306 Potsdam 154, 365, 531, 534 Pripjet 431 Przemysl, 260, 274 f., 295 Rapallo 521 Reims 193 Rhein 443 Riga 299, 429 Rimnicul Sarat 467 Rom 274, 283 San 293 Sanok 288 Saloniki 341-344, 350, 406, 417, 466, 488 Sarajevo 134, 143, 147, 149, 170 Sha Ho 52, 61 Shanghai 23, 39 Shansi 38 Shimonoseki 20, 97 Siedlice 305 Silistria 466 Soissons 193 Somme 2, 417-419, 423, 427, 439, 454, 540 Sosnovice 272—274 Souville 362, 418 St. Germain 78 St. Petersburg 30, 157, 162, 296, 302 Stenay 364, 369 Straßburg 67 Stuttgart 527 Suez 262, 483 Szurduk-Paß 467 Ta-ku 36f., 40 Talienwan 33 Tanger 57 f.
Ortsregister T'ang-ku 37 Tannenberg 186, 197, 212, 216, 226, 501, 512 Tavannes 362, 419 Teschen 250, 255, 257, 271, 293, 354, 432, 435, 448 f. Thiaumont 418 Thorn 9, 10, 15, 196 Tientsin 6, 18, 36f„ 39-44, 49, 68, 92, 94f., 97, 487 Tigris 472 Tilsit 78 Tinghsien 38 Toul 160, 165, 193, 264 Travemünde 108 Trier 33, 164f. Triest 279 Tsanghsien 37 Tsingtau 36, 41 Tsushima 53 Turtukai 466 Tychow 532
579
Vaux 362, 373, 404 Verdun If., 5,160,165,193,234, 257,264, 361— 368, 370-375, 378, 384, 397-400, 404-409, 413, 418f„ 423, 426f„ 438, 441, 444, 452, 454, 462, 502, 504-507, 514, 535f„ 541, 543-545 Versailles 493, 495, 535 Washington 519 Warschau 196, 289, 299301, 304f., 307, 311 Weichsel 288, 306 Wei-hai-wei 33 Wien 150, 153 Wilna 305, 310, 314, 378, 486 Wladiwostok 52 Wu-ch'ang 20, 2226, 2830, 32, 45 Wu-sung 23 f. Ypern 2,10,194,197f„ 210f„ 213,223,225,238, 261, 371, 424, 426, 535f. Zabern 109, 115, 123, 161, 247, 536 Zeebrügge 194
Kartenskizzen
581
Das östliche China um die Jahrhundertwende ' Λ - Besatzungszone der verbündeten Mächte V, nach dem Boxer-Krieg (Ende 1 9 0 0 ) Kaigan
PEKING
QTatung
Tschengfeh
VS Tientsin
Wutoi
Tsonghsiei
Golf
Tsinan
v.Tsch'itt
yffTohenwan Port Arthur
(russisch)
Kiaochow, Tsingtau
(deutsch)
Gelbes
Kaifeng
Meer
Y\v»ov
Nanking ~~Wu-sung
Shanghai
Hankow HangtschoUy Wu •ch'ang{
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Kartenskizzen
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Die Westfront 1914 bis 1916 NORDSEE NIEDERLANDE \ l О TiIburg
Tumhout
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Essen о ^УDuisburg
Dortmund
Düsseldorf
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= F r o n t l i n i e E n d e 1914 = F r o n t v e r ä n d e r u n g e n bis Ende 1915 = F r o n t v e r ä n d e r u n g e n bis Ende 1916 1 0 0 km
Chat on-s.-S. Lausanne
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