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German Pages [415] Year 1992
Kritische zur
Studien
Geschichtswissenschaft
Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Ulrich Wehler
Band 99 Christian Jansen Professoren und Politik
Vandenhoeck &
Ruprecht
in Göttingen
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
P r o f e s s o r e n
u n d
P o l i t i k
Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914-1935
von Christian Jansen
Vandenhoeck &
Ruprecht
in Göttingen
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Etnheitsaufnahme Jansen, Christian: Professoren und Politik: politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914-1935; mit 14 Tabellen/ von Christian Jansen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 99) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1989 u. d. Τ.: Jansen, Christian: Auf dem Mittelweg nach rechts. Politisches Denken und Handeln von Hochschullehrern an einer liberalen Universität 1914-1935 ISBN 3-525-35762-1 NE: GT Gedruckt mit Unterstützung der Stadt-Heidelberg-Stiftung © 1992, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus der Monotype-Bembo von Fa. Cyan, Heidelberg. Druck und Bindung: Guide-Druck GmbH, Tübingen.
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Inhalt
Vorwort
9
Einleitung
11
ERSTER TEIL
Die Heidelberger Gelehrtenkultur und ihr Selbstverständnis I. Rahmenbedingungen 1. Die universitäre Hierarchie 2. Generationen 3. Sozialisationshintergrund und Karriereverlauf 4. Die ›politischen Professore‹ 5. Die wirtschaftliche Lage der Hochschullehrer 6. Der ›Heidelberger Geist‹ 7. Die Heidelberger Gelehrtenkultur 8. Gewählte Repräsentanten des Lehrkörpers 9. Reichsgründungsfeiern als politische Erziehung
17 17 19 21 24 27 31 35 42 45
II. Politikverständnis und soziale Rollendefinition 1. Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik 1.1. Das traditionelle Paradigma 1.2. Das moderne Paradigma 1.3. Politisierung nach 1933 2. Politische Denkstile 2.1. Konservatives Denken 2.2. Liberal-demokratisches Denken 2.3. Sozialistisches Denken 2.4. Faschistisches Denken 2.5. Denkstil und Parteipräferenz 3. Selbstverständnis und Abgrenzung 3.1. Geistige Elite 3.2. Antiintellektualismus 3.3. Gegen »Ästheten« und »Literaten«
47 47 47 51 56 59 59 62 64 65 69 69 69 72 75
5
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4. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 6.
Verhältnis zur Gesellschaft 76 Politisch-soziale Funktionen der Gelehrten 82 Prädestination zur Synthese 82 Sachlichkeit 84 Hochschullehrer als Führer 86 Staatsloyalität 89 Parteipolitik, »Überparteilichkeit« und antipolitische Affekte . 91 Exkurs: Politik in Lehrveranstaltungen 95 Zusammenfassung 102
ZWEITER TEIL
Politisches Engagement und publizistische Bewertung wichtiger Ereignisse und Tendenzen III. »Für den Sieg des deutschen ›Militarismus‹« 1. Die Universität in den politischen Auseinandersetzungen der Kriegszeit 2. Individuelles Engagement 1914-1918 2.1. Gelehrtenresolutionen 2.2. Engagement für Parteien 2.3. Kriegsteilnahme 3. Kommentierung des politischen Geschehens 3.1. Ursachen des Krieges 3.2. Die Ideologisierung des Kriegserlebnisses 3.3. Kriegsziele 3.4. Zusammenfassung
109
IV. Die Hochschullehrer als Citoyens
143
1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.
Die Universität in den politischen Auseinandersetzungen von der Novemberrevolution bis zum Ende der Inflation Individuelles Engagement 1918-1923 Gegen Kriegsschuldthese und Auslieferungsforderungen . . . . Für die »Auslandsdeutschen« Engagement für Parteien Kommentierung des politischen Geschehens Ursachen der deutschen Niederlage Die Novemberrevolution Der Versailler Vertrag und seine Folgen Antijudaismus und Antisemitismus (I) Weimarer Republik und Reichsverfassung (I) Zusammenfassung
6 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
109 112 112 118 121 122 122 125 135 142
143 150 150 154 155 161 161 164 169 176 181 188
V. Die Rückkehr zu antiliberalen Ressentiments 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.
Die Universität in den politischen Auseinandersetzungen während der stabileren Jahre der Republik Individuelles Engagement 1924-1929 Engagement für Parteien Rückzug aus der Parteipolitik in die Publizistik Resolution gegen den Reichsschulgesetzentwurf Mitarbeit im Weimarer Kreis Weimarer Republik und Reichsverfassung (II) Fünf Situationsschilderungen aus dem Jahre 1927 Kritik an den Parteien »Scheinstaat« ohne »Staatswillen« Kritik an der Weimarer Reichsverfassung Zusammenfassung
VI. Auf dem Mittelweg nach rechts 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.4. 3.5. 3.5.1. 3.5.2. 3.5.3. 3.6. 3.7. 3.8.
Die Universität in den politischen Auseinandersetzungen der Jahre 1930-1935 Individuelles Engagement 1930-1935 Gelehrtenresolutionen Engagement für Parteien und politische Organisationen . . . . Unterschiede zwischen den Fakultäten Loyalität zur Republik und ›nationale Opposition‹ Kommentierung des politischen Geschehens Weimarer Republik und Reichsverfassung (III) Lösungen und Perspektiven Bewertung des Faschismus und Nationalsozialismus bis 1933 . Das antitotalitäre Paradigma Sympathie aus den liberalen Reihen Skepsis bei den Konservativen Paradigmenwechsel 1933 »Nationale Revolution« und Drittes Reich Die positive »Revolution« ›Verjüngung‹ des Reiches Lob der »Gleichschaltung« Antijudaismus und Antisemitismus (II) Zusammenfassung Resistenz als Ausnahme
VII. Zusammenfassung
189 189 199 199 202 206 209 210 212 215 220 224 227 229 230 237 237 239 245 246 250 250 260 268 269 272 275 276 280 280 283 285 289 294 296 298
Abkürzungsverzeichnis
309
Anmerkungen
312 7 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 1.1. Archivalien 1.2. Interviews 1.3. Amtliche Drucksachen, Zeitungen und Zeitschriften 1.4. Publikationen Heidelberger Hochschullehrer 2. Literatur
372 372 373 373 375 389
Tabellenanhang
394
Personenregister
407
Tabellen i m Text Tab. 1: Regelmäßig politisch publizierende Heidelberger Hochschullehrer Tab. 2: Politisch publizierende Heidelberger Hochschullehrer nach sozialer Herkunft, Religions-, Generations- und Fakultätszugehörigkeit Tab. 3: Reden bei den Reichsgründungsfeiern 1920-1935 Tab. 4: Denkstil und parteipolitisches Engagement Tab. 5: Veranstaltungen für einen größeren Zuhörerkreis, deren Titel auf politische Inhalte schließen lassen Tab. 6: Soziales Rollen- und politisches Selbstverständnis Tab. 7: Verteilung der Äußerung hauptberuflicher Heidelberger Hochschullehrer zum gesellschaftlichen Rollen- und Politikverständnis nach Fakultäten und Generationen Tab. 8: Teilnahme am Ersten Weltkrieg nach Generationen Tab. 9: Eintrittsbereitschaft der 1930-1932 in Heidelberg Lehrenden in NSDAP und NSLB Tab. 10: Die politischen Lager im Lehrkörper 1930-1932 Tab. 11: Beteiligung an reichsweiten Gelehrtenresolutionen Tab. 12: Parteipolitisches Engagement 1914-1932
25 26 46 68 96 100 103 121 244 247 299 300
Tabellen i m A n h a n g Tab. 1: Aktivitäten Heidelberger Hochschullehrer für Parteien und politische Organisationen, parlamentarische Mandate 394 Tab. 2: Unterzeichner politischer Resolutionen August 1914 bis Ende 1932 400
8 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Vorwort
Angeregt und immer wieder motiviert wurde mein Interesse an der Geschichte der Universität Heidelberg durch Michael und Karin Buselmeier, die mich vor zehn Jahren auf den Fall Gumbel aufmerksam machten. Betreut wurde diese Arbeit von Prof. Hartmut Soell. Er hat auch die materiellen Voraussetzungen für ihre Realisierung geschaffen, indem er mich als wissenschaftlichen Mitarbeiter beschäftigte. Prof. Hans Mommsen begleitete mich zunächst aus der Distanz mit Kritik und Anregungen; seit ich in Bochum bin, fand in der Überarbeitungsphase ein weit intensiverer Austausch statt, dem ich vor allem größere begriffliche Präzision verdanke. Prof. Eike Wolgast hat als Zweitgutachter das wesentlich umfangreichere und recht unförmige Werk gelesen und mit detaillierten kritischen Bemerkungen zahlreiche Verbesserungen angeregt. Stellvertretend für zahlreiche Bibliothekarinnen und Bibliothekare sei Frau Guhr, Frau Holz, Frau Schmiedt, Herrn Klein und Herrn Werntz von der UB Heidelberg gedankt, die mich in die Geheimnisse der Kataloge und der Fernleihe einweihten, Schriften aus den entlegensten Magazinen hervorzauberten und mir halfen, den Überblick über die zahllosen entliehenen Bücher zu behalten. Verpflichtet bin ich auch Dr. Weisert und Frau Hunerlach vom Universitätsarchiv. Meine Wohngemeinschaft hat mich über mehrere Jahre tolerant und liebevoll begleitet. Aus ihr stand besonders Konrad Götz immer wieder für methodische Diskussionen zur Verfügung. Vielfältige Kritik und Anregungen bekam ich von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kolloquiums von Prof. Soell, in dessen lebendiger, anregender und konstruktiver Atmosphäre ich immer wieder Teile des werdenden Textes vorstellen konnte. Besonders nennen möchte ich aus diesem Kreis Konrad Dussel, Matthias Frese, Friederike Reutter und Heidi Lauterer-Pirner, die wie Norbert Giovannini Teile des Manuskripts gelesen haben oder hilfsbereite Ansprechpartner waren. Bei der notwendigen Kürzung und Überarbeitung haben mir Matthias Frese, Heidrun Edelmann und Lieselotte Steveling geholfen. Olaf Peters beteiligte sich am Korrekturlesen. Werner Ehrle und Gerhard Sauer (Fa. Cyan, Heidelberg) konvertierten den Text, fanden Lösungswege in allen Layout-Fragen und ermöglichten Korrekturen bis zur letzten M i nute. Die Stadt-Heidelberg-Stiftung förderte die Drucklegung durch einen großzügigen Zuschuß. 9
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Der größte Dank jedoch gebührt Meike Baader, die die Arbeit von Anfang an mit Kritik und Diskussion begleitet hat, und das Manuskript vor der Drucklegung, wie es ihre Art ist, aufs sorgfältigste durchgearbeitet hat. Vor allem aber vermittelte sie mir das Gefühl, daß diese Studie nicht nur Spezialisten interessieren könnte. Es ist nicht möglich, Anregungen aus Diskussionen in Fußnoten zu belegen. So tauchen viele dort nicht auf, die es mehr als manche Zitierte verdienten.
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Einleitung
Die geistigen Voraussetzungen für die deutsche Revolution wurden außerhalb des Nationalsozialismus geschaffen. Edgar Julius Jung 19321 Hauptträger der politischen und geistigen Tradition war in Deutschland das Bildungsbürgertum. Es handelt sich dabei um jenen »Teil des Bürgertums, dessen soziale Lage und individuelle Lebenschance bestimmt sind durch den Besitz von Bildungspatenten« (Lepsius), also durch an Universitäten erworbenes »soziales Kapital« (Bourdieu). Diese in ihrer großen politischkulturellen Bedeutung spezifisch deutsche Schicht umfaßte Personen, die sich in ihrem Beruf und ihrer sozialen Lage stark unterschieden: Beamte, Selbständige und Angestellte - Wohlhabende und Arme. Den Kern des Bildungsbürgertums machten die Hochschullehrer aus. Sie prägten durch ihren Unterricht und ihre Teilnahme am öffentlichen Diskurs die »analoge Wertorientierung« und den Kastengeist der Bildungsbürger sowie der gesellschaftlichen Führungsschichten insgesamt. 2 Ohne die nationalistische, antiliberale und autoritäre Prägung der deutschen Führungseliten hätte sich der Nationalsozialismus nicht etablieren können. Die vorliegende Studie untersucht deshalb das politische Denken und Handeln von Universitätslehrern und seine sozialökonomischen wie sozialpsychologischen Voraussetzungen seit 1914. Stellte das Bildungsbürgertum seinem Selbstverständnis nach »eine Art geistiger Aristokratie« dar, so sahen sich die Hochschullehrer als »Elite der Eliten«3 an. Denn sie bildeten die funktionalen Eliten aus und wollten ihnen nicht nur eine Fachausbildung, sondern auch eine geistig-kulturelle »Weltanschauung« vermitteln. Gerade der »persönlich erworbene Besitz einer Weltanschauung« (Seeberg) machte ja den Bildungsbürger aus. 4 Das gesellschaftliche Rollenverständnis der Hochschullehrer und die relativ geringen politischen Zwänge, denen sie ausgesetzt waren, führten zu überdurchschnittlich vielen authentischen Äußerungen zu Fragen von Politik und Gesellschaft. Diese können als typisch 5 für das Bildungsbürgertum insgesamt angesehen werden. Universitätslehrer verfügten über ein hohes Sozialprestige. Dadurch hatten sie privilegierten Zugang zu den Medien und übten somit großen 11
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Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung aus. 6 Sie bestimmten maßgeblich die Karrierechancen der funktionalen Eliten und waren wichtige Multiplikatoren für politisch-kulturelle Einstellungen, die wegen des umfassenden Bildungs- und Erziehungsanspruches der deutschen Universität in einer Vielzahl von Fächern vermittelt wurden. Mindestens in geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Geschichte, Philosophie, Deutscher und Klassischer Philologie, aber auch in der Rechtswissenschaft, den Sozialwissenschaften, der Theologie und einigen medizinischen Teilgebieten wie Psychiatrie, Anthropologie, Sozialmedizin, Sozial- und Rassenhygiene wirkten die Professoren somit als Vermittler und Produzenten von Ideologie. Aber auch in anderen Fächern war die Lehre mit Wert- und Vorurteilen durchsetzt. Die für das deutsche Universitätssystem charakteristische Staatsnähe der Hochschullehrer verlieh ihren Äußerungen eine quasi-offizielle Geltung. Wohl läßt sich das Ausmaß der politischen Beeinflussung von Studenten durch ihre Lehrer nicht exakt bestimmen, doch sprechen zahlreiche Zeugnisse dafür, daß es im Untersuchungszeitraum beträchtlich war. 7 Nicht zuletzt erweisen sich die politischen und sozialen Einstellungen der Gelehrten keineswegs als so unabhängig und allein dem Prinzip der Wissenschaftlichkeit verpflichtet, wie es ihrem Selbstverständnis entsprach. Die politischen Publikationen der Hochschullehrer sind somit ein Spiegel des Zeitgeistes. Sie sind in den Instituts- und Universitätsbibliotheken gesammelt und ungewöhnlich gut überliefert. 8 Sie eignen sich daher besonders für eine Untersuchung der geistigen und politischen Werte des Bildungsbürgertums und sind gewissermaßen Seismografen für die Erschütterungen des bürgerlichen Bewußtseins. In mancher Hinsicht waren Hochschullehrer von den Folgen der Modernisierung stärker betroffen als andere Gruppen des Bildungsbürgertums. Seit der industriellen Revolution mußte das gebildete Bürgertum seine gesellschaftliche Macht und Führungsrolle mit neuen Eliten teilen. Darüber hinaus litt das Sozialprestige vieler Gelehrter darunter, daß die Wertschätzung des klassisch-humanistischen Bildungsideals abnahm. Obwohl ihre soziale Stellung durch den Modernisierungs- und Professionalisierungsprozeß lediglich der anderer sozialer Gruppen angeglichen wurde, was sich in der Weimarer Republik auch dienstrechtlich niederschlug, 9 erlebten die meisten Hochschullehrer diese Entwicklung als gesellschaftliche Marginalisierung. Wie Fritz K. Ringer gezeigt hat, reagierten sie darauf mit einer großen Debatte über die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft. Ihre Weltsicht wurde zunehmend pessimistisch, und sie zweifelten immer mehr an der Tauglichkeit ihrer Welterklärungsmodelle. Dies kam auch zum Ausdruck in philosophischen Lehren wie dem Vitalismus, der Phänomenologie, dem Existentialismus, der mathematisch-naturwissenschaftlichen »Grundlagenkrise« 10 sowie einem wachsenden Wertrelativismus. Die Verbreitung solcher Ideen führte zu weiterer Verunsicherung. Darüber hinaus veränderte die massive Politisierung der Hochschulen seit 1914 das Selbstverständnis 12 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der Universitätslehrer. Einerseits führten Weltkrieg, Revolution und Demokratisierung zu einem Ausmaß an politischem Engagement wie seit der 1848er Revolution nicht mehr. Andererseits mußten die Universitäten nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs ihr Verhältnis zum Staat neu definieren. Dies führte wegen der überwiegend konservativen Grundhaltung in den Lehrkörpern zu einer wesentlich größeren Staatsferne als vor 1918 und damit subjektiv zu weiterer Politisierung. Denn nach damaligem Verständnis war ›unpolitisch‹ weitgehend synonym mit ›staatsloyal‹ oder ›staatstragend‹, 11 während ›politisch‹ zugleich ›oppositionell‹ bedeutete. Um über den bisherigen Forschungsstand, insbesondere die Ergebnisse von Ringer, Schwabe, Döring, vom Bruch und Faulenbach, 12 hinauszugelangen, wird in mehrfacher Hinsicht eine neue Perspektive gewählt. Erstens werden im Unterschied zur bisherigen Forschung, die vor allem die Minderheit politisch stark engagierter Gelehrter in den Blick genommen hat, in dieser Studie auch jene Universitätslehrer untersucht, die wenig originell waren und öffentlich nicht so sehr in Erscheinung traten, häufig jedoch in besonderem Maße typisch bildungsbürgerliche Einstellungen und Werthaltungen an den Tag legten. Nicht einzelne prominente Gelehrte stehen also im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr werden die Hochschullehrer als soziale Gruppe mit spezifischen, aber zugleich für den Untersuchungszeitraum und für das Bildungsbürgertum charakteristischen Gemeinsamkeiten untersucht. 13 Zweitens führt die individualisierende Vorgehensweise der vorhandenen Untersuchungen, wenn ihre Ergebnisse verallgemeinert werden, zu Schematismus und allzu großer Abstraktion von der Vielschichtigkeit der Lehrkörper. Zu wenig wird differenziert zwischen berechtigter Vernunft- und Wissenschaftskritik einerseits sowie Antiintellektualismus, Irrationalismus und Wissenschaftsfeindlichkeit andererseits, zwischen »Einsicht in die Dialektik der Aufklärung« oder »Melancholie über die Opfer der Rationalisierungsprozesse« und Antimodernismus oder »Kulturpessimismus als politischer Gefahr«,14 zwischen zutreffender Kritik an den Mißständen der Weimarer Republik auf der einen und Autoritarismus, Antiindividualismus und Panikreaktionen auf Modernisierung und Demokratisierung auf der anderen Seite. In dieser Untersuchung wird das Spektrum politischer Einstellungen innerhalb des Lehrkörpers in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit dargestellt. Drittens steht, anders als in der bisherigen Forschung, die sich auf das unmittelbare politische Engagement konzentrierte, in dieser Arbeit auch die Kommentierung aktueller Ereignisse und Entwicklungen durch die Hochschullehrer im Vordergrund. Wiederum geht es dabei nicht allein um diejenigen, die neue Topoi oder Argumentationsmuster schufen oder alte mit neuen Konnotationen versahen. Ziel ist vielmehr eine durch jeweils möglichst zahlreiche Belege abgesicherte Analyse der Verbreitung politischsozialer Denkweisen. 15 Diese Vorgehensweise erlaubt einen Einblick in »vordemoskopische politische Kulturen«. 16 13 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Begnügte sich die bisherige Forschung mit einer auf Parteipräferenzen beruhenden Systematik der politischen Denk- und Verhaltensweisen, so soll viertens in dieser Studie Mannheims Wissenssoziologie aufgenommen werden, um zu einer an der Argumentationsweise der behandelten Personen anknüpfenden Einordnung zu gelangen. Mannheims Typologie der politischen Denkstile, die zudem Mitte der zwanziger Jahre in engem Zusammenhang mit den hier untersuchten Fragen in Heidelberg entstand,17 ermöglicht auch die Überwindung der weitverbreiteten, jedoch problematischen Einteilung der politisch engagierten Hochschullehrer in zwei gegensätzliche politische Lager.18 Diese Polarisierung führt dazu, daß Gemeinsamkeiten in den Hintergrund treten, und läßt etwa Ringer die Mitverantwortung der »Modernisten« für das Scheitern der Weimarer Republik unterschätzen. Gewiß bestanden auf der Ebene politischen Handelns gravierende Unterschiede zwischen beiden Lagern. In den politisch-weltanschaulichen Grundbegriffen, Werten und Ängsten gibt es jedoch häufig überraschende Gemeinsamkeiten und eine große Homogenität. Fünftens überwog in den bisherigen Arbeiten ein geistesgeschichtlicher Ansatz, der die soziale Lage entweder überhaupt nicht oder nur aufgrund der Angaben der Weimarer Hochschullehrer selbst untersuchte. 19 Diese Studie hingegen zielt ab auf eine »Sozialgeschichte der Ideen«. 20 Die politischen Einstellungen und Aktivitäten der Hochschullehrer müssen auf ihre Herkunft, Karriereverläufe, sowie die damit verbundenen Sozialisationsund Generationserfahrungen aber auch auf ihren sozialen Status und ihre materielle Lage bezogen werden. Denn die Hochschullehrer lebten, wie die Bildungsbürger insgesamt, in sehr unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen; ihre wirtschaftliche Situation unterlag zudem zwischen 1914 und 1935 extremen Schwankungen. Das Kapitel, das sich mit der Herkunft, den Karriereverläufen und der sozialen Lage der Heidelberger Gelehrten beschäftigt, erscheint an anderem Orte. 21 Seine wichtigsten Ergebnisse werden jedoch im folgenden Kapitel zusammengefaßt. Die vorliegende Arbeit trägt politische Äußerungen aus dem Lehrkörper der Universität Heidelberg vollständig22 zusammen, die neben Berlin die wichtigste deutsche Universität im Untersuchungszeitraum war - sowohl hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Bedeutung als auch hinsichtlich der politischen Impulse, die von ihr ausgingen. Die Ruperto Carola galt bis 1933 als Hochburg des akademischen politischen Liberalismus. Neben der neugegründeten Frankfurter Universität war sie die einzige, an der bis etwa 1930 Hochschullehrer dominierten, die der Republik neutral oder positiv gegenüberstanden. In Hinblick auf die zentralen Fragen nach den Ursachen für den Zerfall der bürgerlichen Mitte und die Selbstgleichschaltung der Universitäten seit 1930 sowie für die zunehmende ethisch-moralische Indifferenz der Hochschullehrer dürfte der untersuchte Lehrkörper somit noch einen der positivsten Fälle darstellen. 23 Sein politisches Spektrum war ungewöhnlich breit und reichte von linken Sozialdemokraten bis zu Völki14 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schen und Nationalsozialisten. So bilden die Heidelberger Universitätslehrer einen gerade noch überschaubaren und zugleich hinreichend komplexen Mikrokosmos, für den sich die zu behandelnde Thematik besonders gut darstellen und analysieren läßt. Zu ihnen gehörten sowohl politisch-ideologische Führerfiguren, die mit ihren Schriften das Denken ihrer Zeit prägten, wie die Brüder Max und Alfred Weber, Karl Jaspers, Hermann Oncken, Karl Mannheim, Ernst Robert Curtius oder Gustav Radbruch, als auch zahlreiche »Angeführte des Zeitgeistes«. 24 Da es um die Hochschullehrer als soziale Gruppe, um ihr Bewußtsein, ihre kollektiven politischen Einstellungen und Wertmaßstäbe geht, werden nur diejenigen Habilitierten 25 behandelt, die überwiegend von ihren Einnahmen aus wissenschaftlicher Tätigkeit lebten, also hauptberufliche Hochschullehrer. 26 Die Materialbasis dieser Studie bilden nicht nur Texte, die auf eine politische Wirkung abzielten, sondern auch wissenschaftliche Publikationen, deren Thema oder Terminologie durch politische Ereignisse oder die politische Haltung des Autors geprägt sind.27 Durch die systematische Auswertung von Heidelberger Tageszeitungen und Veröffentlichungen der Parteien 28 kamen Stellungnahmen von rund 40 % der Lehrenden zu politischen und gesellschaftlichen Fragen zusammen. 29 Da es nicht primär um die politische Position einzelner Gelehrter, sondern vielmehr um die Schilderung verbreiteter politischer Mentalitäten und politisch-ideologischer Syndrome gehen soll, wurden ausschließlich Publikationen aus der Zeit berücksichtigt, in der der Betreffende in Heidelberg lehrte. Aus demselben Grund wurde darauf verzichtet, die öffentlichen Äußerungen durch Unterlagen privater Natur zu ergänzen. Diese Beschränkung ist zugleich methodisch geboten, denn nichtöffentliche politische Äußerungen verfolgen andere Intentionen als die hier interessierenden öffentlichen. Diese geben zuverlässiger Auskunft über kollektive politische Einstellungen und Wertvorstellungen, da sie stärker vom Zeitgeist beeinflußt sind. Probleme wirft diese Vorgehensweise allerdings für die Zeit nach 1933 auf, als die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt war. Zwar finden sich politisch engagierte Hochschullehrer nicht nur in den »gelehrtenpolitischen Leitdisziplinen« 30 Philosophie, Geschichte, Nationalökonomie/Soziologiejura und Theologie, 31 doch sind diese Fächer auch in der vorliegenden Studie überrepräsentiert. Dies spiegelt die größere ideologische Bedeutung der wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Disziplinen und ein unterschiedliches Rollenverständnis wider. Während die Vertreter der gelehrtenpolitischen Leitdisziplinen durch Modernisierung und Demokratisierung gesellschaftliche Führungspositionen verloren und deshalb ihre drohende gesellschaftliche Marginalisierung in teilweise hysterischer Weise beklagten, hatten Naturwissenschaftler und Mediziner eine ähnlich exponierte Stellung nicht gehabt. Vielmehr steigerte sich ihr Prestige durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und im Zuge des Industrialisierungsprozesses sowohl inner- wie außeruniversitär und führte zur Verselbständigung der 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
naturwissenschaftlichen Fakultäten und einem überproportionalen Zuwachs an Personalstellen. 32 Die Untersuchung setzt ein mit dem August 1914. Er markiert zwar weder den Beginn des Niedergangs bürgerlich-liberalen Denkens in Deutschland 33 noch den Anfang des bildungsbürgerlichen Kulturpessimismus. Doch stellte der Kriegsbeginn einen tiefen lebensgeschichtlichen und politischkulturellen Einschnitt dar, und mit den Gelehrtenresolutionen der Kriegszeit begann die Politisierung der Universitäten. 34 Die Untersuchung bezieht sich nur auf Gelehrte, die vor dem 30. Januar 1933 nach Heidelberg berufen oder dort itiert wurden. Das Verhalten dieser Hochschullehrer wird jedoch bis zum Ende der Gleichschaltungsphase an der Universität verfolgt. Die Jahre zwischen dem Anfang des Ersten Weltkriegs und der Etablierung des nationalsozialistischen Regimes bilden die Endphase verschiedener Entwicklungen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts oder sogar noch früher einsetzten und die mit der Fragestellung dieser Arbeit in engem Zusammenhang stehen. Es war eine Zeit, in der nicht nur der bürgerliche Liberalismus zerfiel, sondern auch das Konzept vom ›deutschen Sonderweg‹ in seine Katastrophe steuerte: Es war die letzte Blütezeit des universalgebildeten omnipotenten, charismatischen Ordinarius und der »sozialhistorischen Voraussetzungen von ›Gelehrtenpolitik‹«. 35 Es war schließlich die Epoche, in der sich das Bildungsbürgertum als relativ geschlossene Schicht mit gesellschaftlich-politischen Herrschaftsansprüchen auflöste und durch die Kollaboration mit dem Nationalsozialismus seinen Nimbus verlor.
16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ERSTER
Die Heidelberger u n d ihr
I.
TEIL
Gelehrtenkultur
Selbstverständnis
Rahmenbedingungen
1. D i e universitäre H i e r a r c h i e Hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen und ihrer unterschiedlichen rechtlichen, finanziellen und sozialen Position sind innerhalb der Lehrkörper der badischen Universitäten folgende Ränge zu unterscheiden: Ordinarien bzw. ordentliche Professoren, planmäßige bzw. etatmäßige außerordentliche Professoren, ordentliche Honorarprofessoren, (nichtetatmäßige) außerordentliche Professoren, Privatdozenten und Titularprofessoren. 1 Seitdem sich die Ordinarienuniversität im 19. Jahrhundert durchgesetzt hatte, waren die ordentlichen Professoren die einzigen vollberechtigten Mitglieder des Lehrkörpers. Sie bestimmten weitgehend autonom nicht nur über die Inhalte von Forschung und Lehre, sondern auch über die Ergänzung ihrer Profession. Denn sie entschieden über Berufungen und mit der Zulassung zur Habilitation wie der Vergabe von Assistenzen und Lehraufträgen über die Chancen des akademischen Nachwuchses. Neben den Lehrstuhlinhabern waren die planmäßigen (bis 1920: etatmäßigen 2 ) außerordentlichen Professoren (bzw. Extraordinarien) die einzigen beamteten Hochschullehrer. Ihr Gehalt lag unter dem der Ordinarien, und sie besaßen bis 1919 keine, danach nur begrenzte Mitwirkungsrechte in der Selbstverwaltung. In der Regel deckten planmäßige Extraordinariate neu entstehende Fächer ab und wurden häufig nach einiger Zeit in Lehrstühle umgewandelt. 3 Seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte sich die Habilitation als Zugangsvoraussetzung für eine akademische Karriere weitgehend durchgesetzt. Wer diese Hürde genommen hatte, bekam an der entsprechenden Universität die venia legendi und wurde Privatdozent. U m dies zu bleiben, mußte man in jedem Semester mindestens eine von mindestens drei zahlenden Studenten besuchte Lehrveranstaltung anbieten. 4 Bei besonderer Befähigung und wenn die »begründete Annahme bestand, daß er in der akademischen Laufbahn Aussichten habe«, 5 in der Regel nach einer »sechsjähri17 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
gen Bewährungsfrist«, 6 wurde ein Privatdozent zum außerordentlichen Professor ernannt. Dies war eine reine Rangerhöhung ohne rechtliche und materielle Verbesserungen. Die Privatdozentur galt als Bewährungs- und Auslesephase, in der gerade durch die niedrigen Einkünfte (kein Gehalt und meist nur geringe Kolleggelder) die Spreu vom Weizen getrennt werden sollte.7 Wer aus der Privatdozentur »einen Beruf mit ganz bestimmten Avancementsaussichten und ganz bestimmter Besoldung machen will, rüttelt an den Grundlagen der deutschen Universität... Auf dem Gebiete des geistigen Lebens gibt es nur freien Wettbewerb, und so müssen unter Umständen auch die Härten des Lebens in Kauf genommen werden«, formulierte der Heidelberger Nationalökonom und Landtagsabgeordnete Eberhard Gothein 1920 die allgemeine Auffassung über den Status der Privatdozenten. Waren sie nicht von Haus aus oder durch Heirat 8 vermögend, mußten sie - anfangs häufig außerhalb der Universität - einem Brotberuf nachgehen. Im Verlauf der »großbetrieblichen Entwicklung der deutschen Universitäten« 9 seit 1871 stieg allerdings die Zahl der Assistentenstellen. Immer mehr Nichtordinarien konnten nun von wissenschaftlicher Tätigkeit leben. Diese nichtplanmäßigen Hochschullehrer waren bis 1919 nicht an der Selbstverwaltung beteiligt. Auch danach hatten sie nur das Recht, pro Fakultät einen oder zwei Vertreter zu wählen, von denen der Große Senat, in dem weder Privatdozenten noch außerordentliche Professoren vertreten waren, einen in den Engeren Senat wählte. 10 Eine Zwitterstellung nahm in der Universitätshierarchie die Gruppe der ordentlichen Honorarprofessoren ein. Schon die Bezeichnung ist irreführend und widersprüchlich, denn, wie ein badischer Landtagsabgeordneter bemerkte, er »ist weder ein ordentlicher Professor, noch empfängt er Honorar.« 11 Die Universität berief, um ihr Lehrangebot zu erweitern, wissenschaftlich tätige, in der Regel nicht habilitierte Praktiker aus Schule, Justiz, Wirtschaft oder Kliniken zu ordentlichen Honorarprofessoren, ohne daß sie eine Lehrverpflichtung hatten oder ein Gehalt bezogen. Weiter diente der Titel dazu, außerordentliche Professoren aufzuwerten, ohne sie ins Beamtenverhältnis zu übernehmen. Ferner wurden bis 1919 Lehrstuhlinhaber anläßlich ihrer Emeritierung zu ordentlichen Honorarprofessoren ernannt. 12 Die Angehörigen dieser Gruppe bezogen ihr Ruhegehalt sowie, wenn sie weiterlehrten, Kolleggelder und gegebenenfalls Lehrauftragshonorare, die zu ordentlichen Honorarprofessoren ernannten Praktiker und außerordentlichen Professoren nur Kolleggelder. Allen gemeinsam war der Rang eines ordentlichen Professors ohne dessen Prüfungs- und Korporativrechte. Eine selten genutzte Möglichkeit, verdiente nicht habilitierte Assistenten und andere Wissenschaftler aufzuwerten, war die Ernennung zum Titularprofessor. 13 Hiermit waren weder ein Gehalt noch Rechte innerhalb der Selbstverwaltung verbunden. Zum Lehrkörper der Universität gehörte schließlich eine steigende Zahl nicht habilitierter oder an anderen Hochschule angestellter Lehrbeauftragter 14 sowie eine im Vergleich 18 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
zu heute geringe Zahl nicht habilitierter Assistenten, von denen einige allerdings für den Institutsbetrieb insbesondere der Naturwissenschaften unentbehrlich waren. Zwischen dem 1. August 1914 und dem 30. Januar 1933 lehrten in Heidelberg 430 habilitierte oder diesen gleichgestellte Hochschullehrer, und zwar in der theologischen Fakultät 21 haupt- und 4 nebenberufliche, in der juristischen 37 haupt- und zwei nebenberufliche, in der medizinischen 146 haupt- und acht nebenberufliche, in der philosophischen 119 haupt- und sieben nebenberufliche und in der naturwissenschaftlichen 83 haupt- und drei nebenberufliche. Die Nebenberufler werden im folgenden nur berücksichtigt, wenn dies ausdrücklich vermerkt ist.15 Der säkulare Wachstumstrend der Universitäten hatte sich seit 1900 deutlich verlangsamt. Dies galt jedoch für die Fakultäten in unterschiedlichem Maße. Während bereits seit 1870 keine neuen theologischen und juristischen Lehrstühle mehr geschaffen wurden, stieg ihre Zahl in den übrigen Fakultäten bis 1914 noch um 50 bis 1 0 0 % . Danach wuchsen nur noch der medizinische und naturwissenschaftliche Lehrkörper stark. An allen Fakultäten nahmen der Anteil der sozial nicht abgesicherten, »unoffiziellen« Lehrkräfte (Privatdozenten, außerordentliche Professoren und ordentliche Honorarprofessoren) und ihre Beteiligung an der Lehre erheblich zu. Besaßen im Wintersemester 1870/71 noch zwei Drittel des Lehrkörpers etatmäßige Stellen, so waren es im Wintersemester 1914/15 nur noch 40 und 1930/31 gar nur noch 33 %. Infolge allgemein gewachsener Mobilität, veränderter Karrierechancen und sinkender Abgeschlossenheit der Universität gegenüber anderen Berufsfeldern erhöhte sich die Fluktuation im Lehrkörper seit 1914 geradezu dramatisch. Waren die vor 1914 an die Universität Heidelberg Gekommenen im Schnitt fast ein Vierteljahrhundert dort geblieben, so verweilten die zwischen 1914 und 1933 Habilitierten bzw. Berufenen durchschnittlich nur mehr knapp zehn Jahre. 16
2. G e n e r a t i o n e n U m Veränderungen in sozialer Herkunft, Karriereverlauf, politischem Denken und Verhalten ausmachen zu können, ist es sinnvoll, innerhalb des Lehrkörpers Generationen zu unterscheiden. Diese sollen jeweils denselben zeitlichen Umfang haben und Personen mit ähnlichen Sozialisationserfahrungen zusammenfassen. In Industriegesellschaften mit ihren sich rasch wandelnden sozialen und politischen Verhältnissen folgen solche Generationen relativ kurz aufeinander, so daß es sich anbietet, ihre Länge auf zehn Geburtsjahrgänge anzusetzen. Die 430 Gelehrten, die 1914 bis 1933 in Heidelberg lehrten, sind zwischen 1827 und 1905 geboren. 17 Sie werden in fünf Generationen unterteilt: 19 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
1. Sechzig haupt- und ein nebenberuflicher Hochschullehrer, die vor 1862 geboren sind und deren aktive Lehrzeit zum Teil nur noch kurz in den Untersuchungszeitraum hineinragt. Die Mehrheit dieser Generation, 35 Angehörige der Jahrgänge 1852 bis 1861, wurde allerdings erst ab 1920 emeritiert. Anfang der dreißiger Jahre lehrten noch mehr als zehn von ihnen. Die für ihre politischen Einstellungen »formativen Jahren«, die bei einem angehenden Hochschullehrer zwischen dem Abitur und der Promotion als dem Beginn der akademischen Karriere anzusiedeln sind, 18 fielen in die Zeit der Reichsgründung. Manche von ihnen haben im deutschfranzösischen Krieg gekämpft, alle ihn bewußt miterlebt. Wirkte die nationale Einigung zunächst politisch integrativ und führte zu vorübergehender Zusammenarbeit von Bismarck und den Nationalliberalen, so erlebten die vor 1862 Geborenen 1878 den Bruch dieses Bündnisses und in der Folgezeit die Ausgrenzung der Katholiken. Wirtschaftlich war ihre Adoleszenz ebenfalls recht bewegt: zunächst langanhaltender Aufschwung, der im Gründerboom gipfelte, seit 1873 eine schwere Depression. 2. Die 1862 bis 1871 Geborenen (57 haupt- und acht nebenberufliche Dozenten) erfuhren ihre politische Prägung unter Bismarck und Wilhelm I. in einer Zeit außenpolitischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität (1879 bis 1889), die nur durch eine schwache Depression 1882 bis 1886 unterbrochen wurde, innenpolitisch dominierte die Auseinandersetzung des Staates mit der erstarkenden Arbeiterbewegung durch das Zuckerbrot der Sozialgesetzgebung und die Peitsche der Antisozialistengesetze. Bismarck stützte sich nun auf die Agrararistokratie und die neuen industriellen Eliten, die sich gegen den Linksliberalismus und die Sozialdemokratie verbündet hatten. Zu dieser Generation gehörte ein Großteil der verfassungstreuen Hochschullehrer des Weimarer Kreises. 19 3. Die nach der Reichsgründung zwischen 1872 und 1881 Geborenen (83 haupt- und sieben nebenberufliche Hochschullehrer) erlebten während ihrer Adoleszenz z.T. noch den Kaiserwechsel und Bismarcks Sturz, alle dann den Beginn der wilhelminischen Ära mit dem Zusammenbruch des Bismarckschen Bündnissystems und die Zeit der ›Weltpolitik‹ mit dem Erwerb von Kolonien und dem Beginn der Heeres- und Flottenaufrüstung. Sie wurden geprägt durch die Wirtschaftskrise von 1890 bis 1894 und den folgenden Aufschwung. 4. Die 1882 bis 1891 Geborenen (106 Heidelberger Hochschullehrer sowie sieben Nebenberufler) gehörten zur Generation der Jugendbewegung. Sie »entdeckte die Eigenständigkeit des Jugendalters« 20 und nahm großenteils freiwillig am Ersten Weltkrieg teil. Aber im Gegensatz zur folgenden Generation fiel bei ihr das Kriegserlebnis nicht in die Adoleszenz. Diese lag in der Ära Bülow mit sich zuspitzenden europäischen Gegensätzen und zunehmendem deutschen Imperialismus. Wirtschaftlich war dies eine Phase der Prosperität trotz einer leichten Krise 1901 bis 1904. 5. Bei der 1892-1901 geborenen ›Kriegsfreiwilligengeneration‹ (87 Haupt20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
und ein Nebenberufler) und den dreizehn jüngsten, zwischen 1902 und 1905 geborenen hauptberuflichen Dozenten, störten Weltkrieg, Revolution und Inflation die Adoleszenz massiv und steigerten zugleich die »Erwartungen eines grundlegenden sozialen und kulturellen Wandels ... in euphorische Dimensionen«. 21
3. Sozialisationshintergrund u n d K a r r i e r e v e r l a u f 2 2 Die Veränderungen in der sozialen Herkunft der im Kaiserreich habilitierten Heidelberger Hochschullehrer (Generationen 1-4) spiegeln in Heidelberg wie reichsweit die sozialökonomische Modernisierung seit der Reichsgründung und besonders seit 1890 wider. Unter den Herkunftsschichten, die nur über den Beruf des Vaters bestimmt werden können, holten die wirtschaftsbürgerlichen auf Kosten fast aller anderen deutlich auf. Stellten die Unternehmer, Kaufleute, Privatiers und leitenden Angestellten unter den Vätern der ersten Generation, die vor 1890 Hochschullehrer wurde, in Heidelberg nur 22 % (im Reich sogar nur 17 % ) , so waren es in den folgenden drei Generationen 33 %, reichsweit bei den 1890-1919 Habilitierten wiederum etwas weniger, nämlich 30 %. Der leicht steigende Anteil der Söhne von Handwerkern und kleinen Gewerbetreibenden, aber auch von Gymnasiallehrern und sonstigen Beamten, die als einzige Schichten außerhalb des Wirtschaftsbürgertums reichsweit ihren Anteil steigern konnten, ist ein weiterer Indikator für die soziale Öffnung der Universitäten und die insgesamt abnehmende Selbstrekrutierung der Hochschullehrer aus dem Bildungsbürgertum. Die eigentliche Selbstrekrutierung aus Professorenfamilien ging von einem Sechstel auf ein knappes Zehntel zurück. Es dürfte wenige Berufsgruppen geben, in denen dieser Anteil so gering war. Sinkende Anteile sind bei den Väterberufen zu verzeichnen, deren Sozialprestige traditionell hoch und durch die Modernisierung tendenziell gefährdet war: Hochschullehrer, Arzte, Pfarrer und Gutsbesitzer. Diese Entwicklung änderte jedoch nichts daran, daß im Vergleich zur Reichsbevölkerung das bildungsbürgerliche Milieu nach wie vor bei weitem stärker überrepräsentiert war als das wirtschaftsbürgerliche. Von einer »Plutokratisierung« des Hochschulzugangs kann also nur sehr begrenzt die Rede sein. Zwar verdoppelte sich von der ersten zur zweiten Generation der Anteil der Habilitierten wirtschaftsbürgerlicher Herkunft infolge einer dramatisch rückläufigen Rekrutierung aus Kerngruppen des Bildungsbürgertums - der Anteil der Professoren- und Pfarrerssöhne sank von 17 auf 4 %! — der Bürokratie, dem Offizierskorps und dem Gutsbesitz. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, daß angesichts der glänzend erscheinenden Perspektiven des Bismarckschen Reiches eine akademische Karriere in der Oberschicht an Reiz verloren hatte, zumal sich seit den 1880er Jahren die 21 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Berufsaussichten für Habilitierte deutlich verschlechterten. 23 Für die Annahme, daß Universitätslehrer nun eher aus der oberen Mittelschicht kamen, spricht die deutliche Zunahme des Lehreranteils unter ihren Vätern. Auch die steigende Zahl von Dozenten aus dem Wirtschaftsbürgertum ging vornehmlich auf das Konto mittelschichtiger Gruppen: Gewerbetreibende, Handwerker und leitende Angestellte vervierfachten ihren Anteil von 5 auf 2 0 % . Schon in der nächsten Generation der 1872 bis 1881 Geborenen haben sich diese sprunghaften Veränderungen allerdings nivelliert. Lediglich der Rückgang derer, die den Führungsschichten des absolutistischen Staates entstammten (Beamte, Richter, Offiziere und Gutsbesitzer), setzte sich fort. Gestiegener Wohlstand, stärkere Aufstiegsorientierung und ein insgesamt erhöhtes Bildungsniveau, aber auch die fortschreitende Öffnung der Universitäten führten in der dritten Generation zu mehr Söhnen von abhängig Beschäftigten. Sie kamen überwiegend aus Familien kaufmännischer Angestellter. Die Entwicklung verlief trotz des etwa zwischen dem Karrierebeginn der vierten und fünften Generation liegenden politischen und ökonomischen Einschnittes von Weltkrieg, Zusammenbruch, Revolution und Inflationskrise in diesen beiden Generationen kontinuierlicher. Der Systemwechsel beeinflußte die Rekrutierung der Heidelberger Hochschullehrer also nur geringfügig. Nach dem massiven Rückgang der aus dem Wirtschaftsbürgertum Stammenden in der dritten Generation, der mit der fortschreitenden Industrialisierung und wirtschaftlichen Prosperität seit 1894 zu erklären ist, begann eine stetige Zunahme ihres Anteils an den Habilitierten. Dieser lag seit der vierten Generation, die ihre Laufbahn in den zehner Jahren begann, bemerkenswert über dem Reichsdurchschnitt. Auch die Zahl derer, die aus dem Bildungsbürgertum kamen, stieg seit der dritten Generation wieder an. Allerdings galt dies nicht für die Lehrer, die ebenso wie die in der Privatwirtschaft abhängig Beschäftigten und die ohnehin kaum vertretenen Bauern in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten seit 1914 deutlich weniger Söhne zur Habilitation bringen konnten als zuvor.24 Hinsichtlich der Karriereverläufe von Hochschullehrern bot die Weimarer Republik überraschenderweise deutlich günstigere Voraussetzungen als die im Nachhinein von vielen Gelehrten glorifizierte wilhelminische Ära. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als zu erwarten war, daß die Karriere bei einem Großteil der 1892 bis 1905 geborenen fünften Generation durch Kriegsdienst und die schwierigen Ökonomischen Bedingungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit verzögert wurde. Offensichtlich reagierten die Universitäten auf diese Erschwernisse mit reduzierten Leistungsanforderungen, die die Nachteile überkompensierten. Hierfür spricht auch die hohe Zahl der Habilitationen während der Weimarer Republik. 25 Entgegen der vor allem von damaligen Professoren geprägten Ansicht, Hochschullehrer seien von der Republik benachteiligt worden, woraus sich auch ihre Distanz zu diesem Staat erkläre, boten die Jahre 1919 bis 1932 für 22 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Universitätskarrieren außerordentlich günstige Bedingungen. Entsprechend sank das Erstberufungsalter der Ordinarien. Dies hing auch zusammen mit der Ende 1922 eingeführten und heftig umstrittenen »Zwangsemeritierung« aller über 68-jährigen Professoren. Bereits im Februar 1919 hatte die badische Regierung an ältere Hochschullehrer, in deren eigenem Ermessen es bis dahin lag, wann sie sich zur R u h e setzten, appelliert, ihre Stellen freizumachen. Um dieses Angebot schmackhaft zu machen, garantierte sie den Emeritierten trotz der schwierigen Haushaltslage die Weiterzahlung ihres vollen Gehaltes. Dieser Appell scheint nur geringen Erfolg gehabt zu haben, denn dreieinhalb Jahre später wurde eine entsprechende gesetzliche Regelung getroffen. Im Dezember 1923 setzte eine Verordnung das Pensionsalter gar auf 65 Jahre fest, nach massiven Protesten galt jedoch seit 1928 wieder die Grenze von 68 Jahren. 26 Emeriti durften weiterhin Veranstaltungen ankündigen und erhielten die eingehenden Kolleggelder ohne den sonst üblichen Abzug eines Staatsanteils. Sie verloren aber ihre akademischen Rechte, darunter vor allem das, Prüfungen abzunehmen, wodurch die Zahl der Teilnehmer an ihren Veranstaltungen stark zurückging. Die »Zwangsemeritierung« führte zu großer Verbitterung, da planmäßige Professoren für ein Pensionärsleben ohne Status und Aufgabe denkbar schlechte psychische Voraussetzungen mitbrachten. Die Universität ging immer wieder, wenn auch erfolglos, gegen die Regelemeritierung vor. Auf die politische Einstellung älterer Professoren zur Weimarer Republik dürfte sie sich negativ ausgewirkt haben, während diejenigen, die von dieser › d e m o kratischen‹ Maßnahme profitierten, es ihr nicht dankten. 27 Zwar waren die Chancen für Nachwuchswissenschaftler in der Weimarer Republik nicht so rosig wie unmittelbar nach der Reichsgründung, aber sie waren wesentlich günstiger, als es die ökonomische Lage erwarten läßt, und besser als im Kaiserreich, dem so viele Hochschullehrer nachtrauerten. Daß im Untersuchungszeitraum 63 % der Habilitierten ein Ordinariat erreichten, revidiert die zeitgenössischen Darstellungen, etwa durch Max Weber: »Das akademische Leben ist ein wildes Hasard. Wenn junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation, so ist die Verantwortung des Zuredens fast nicht zu tragen.« 28 Deutlich schlechter waren die Berufsaussichten nur für die dritte Generation (Jahrgänge 1872 bis 1881), die unter Sparmaßnahmen im Wissenschaftsbereich zunächst in den letzten Vorkriegsjahren, dann während des Krieges und schließlich in der Inflationszeit zu leiden hatte. Als es schließlich bergauf ging, wurden dieser Generation jüngere Kollegen vorgezogen, so daß aus ihr nur 51 % ein Ordinariat erreichten. Daß die Lage für den wissenschaftlichen Nachwuchs im allgemeinen recht günstig war, bestätigte auch aus seiner Erfahrung als badischer Kultusminister der Heidelberger Professor Willy Hellpach 1929 als Reichstagsabgeordneter. Er sah gar eine »Nachwuchskrisis« in der Jurisprudenz und den Geisteswissenschaften, die »so akut, ja man kann schon jetzt sagen chronisch« sei, »daß bei jeder Berufung die große Schwierigkeit auftritt, 23 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 1: Regelmäßig politisch publizierende Heidelberger Hochschullehrer Name
Fakultät/ Fach
GenePolitische Publikationen ration Zahl Zeitraum
Emil Julius Gumbel Willy Hellpach Ernst Troeltsch Paul Schmitthenner Gustav Radbruch Max Weber Herrmann Oncken Arnold Ruge Hans-Erich Kaden Alfred Weber Heinz-D. Wendland Hans Ehrenberg Eberhard Gothein Ernst R. Curtius Emil Lederer Willy Andreas Vincenz Czerny Gerhard Ritter Erik Wolf Alexander zu Dohna Walter Jellinek Martin Dibelius Richard Thoma Kurt von Raumer Viktor v.Weizsäcker Karl Mannheim Hajo Holborn Karl Hampe Carl Brinkmann Hans von Schubert Hermann Levy Alfred Hettner Wilhelm Groh Ludwig Curtius Arnold Bergsträsser Friedrich Curtius Friedrich Krause Friedrich Niebergall
Ph/Statistik Ph/Psychologie Th/syst. Theol. Ph/Geschichte Jur/Strafrecht Ph/Natökonomie Ph/Geschichte Ph/Philosophie Ju/bürgerl. Recht Ph/Natökonomie Th/Sozialethik Ph/Philosophie Ph/Natökonomie Ph/Romanistik Ph/Natökonomie Ph/Geschichte Med/Chirurgie Ph/Geschichte Jur/Strafrecht Jur/Strafrecht Ju/Staatsrecht Th/Neues Testam. Ju/öffentl. Recht Ph/Geschichte Med/Neurologie Ph/Soziologie Ph/Geschichte Ph/Geschich Ph/Natökonomie Th/Kirchgesch. Ph/Natökonomie Ph/Geographie Ju/Arbrecht Ph/Archäologie Ph/Staatswiss. Med/Innere Med Ph/Sinologie Th/Prakt Theologie
pro Jahr
4 145 Februar 23 - Juli 32 15,3 3 ›120 Januar 26 - Ende 35 ›12,0 2 7 August 14 - März 15 11,7 4 55 WS 28/29 - Ende 35 7,6 7,2 3 48 August 26 - Apr. 33 2 24 August 14 - WS 17/8 6,8 2 43 August 14 - März 23 5,0 3 29 August 14 - Sept. 20 5,0 5 2 Oktober 24 - März 25 5,0 2 78 August 14 - Juli 33 4,1 5 24 Oktober 29 - Ende 35 3,9 4 43 August 14 - März 26 3,7 1 31 August 14 - Okt. 23 3,3 3,2 4 18 Januar 24 - Sept. 29 4 52 August 14 - Sept. 31 3,0 2,9 4 37 April 23 - Ende 35 2,9 1 6 August 14 - Okt. 16 4 8 Februar 21 - März 24 2,7 2,0 5 3 April 27 - Sept. 28 3 13 Februar 20 - Aug.26 2,0 4 13 Dezember 28 — Mai 35 2,0 4 38 April 15 - Ende 35 1,8 3 26 August 14 - Sept. 28 1,8 1,6 5 10 April 29 - Ende 35 4 25 Januar 19 - Ende 35 1,5 1,5 5 6 April 26 - März 30 5 8 Oktober 26 -Sept.32 1,3 2 25 August 14 - März 34 1,3 4 15 Oktober 23 -Ende 35 1,2 1 20 August 14 - Mai 31 1,2 3 7 August 14 -Juni 20 1,2 1,2 1 25 August 14 - Ende 35 4 10 April 27 - Ende 35 1,2 3 9 April 20 - März 28 1,1 5 8 Mai 28 - Ende 35 1,1 5 3 Oktober 31 -Sept.34 1,0 1,0 3 7 Juli 19 - Juni 26 2 8 August 14 - März 22 1,0
24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nicht nur eine mediokre Kraft zu berufen.« 29 Noch einmal verbesserten sich vor allem für Teile der jüngsten Generation die Karrierechancen, als von 1933 an ›Nichtarier‹ entlassen wurden.
4. D i e › p o l i t i s c h e n Professoren‹ Tabelle 1 führt die regelmäßig politisch publizierenden Heidelberger Hochschullehrer auf, worunter diejenigen verstanden werden, die sich mindestens einmal jährlich in politischen Fragen schriftlich oder in öffentlichen Reden zu Wort meldeten. Zwischen zwei Gelehrten, die sich im Schnitt allmonatlich politisch äußerten, und den nächsten vier, die sich etwa halbjährlich zu Wort meldeten, klafft ein relativ großer Abstand. Insgesamt dominieren deutlich die Angehörigen der philosophischen Fakultät (23 oder 62 % ) , und unter ihnen entfallen mehr als zwei Drittel auf die Fächer Nationalökonomie/Soziologie 30 und Geschichte. Hingegen fehlen völlig die Heidelberger Germanisten, obwohl dieses Fach als stark politisiert gilt. 31 Unter den relativ zahlreichen Juristen stechen drei Strafrechtler hervor. Zu den regelmäßig politisch Publizierenden gehören auch drei Mediziner. Fast totale Abstinenz zeichnet hingegen die naturwissenschaftliche Fakultät aus. Zu unterstreichen ist die hohe absolute Zahl derjenigen, von denen überhaupt politische Publikationen oder Reden gefunden werden konnten. Dies war bei fast 40 % der 406 Heidelberger Hochschullehrer der Fall. Weichen die regelmäßig politisch das Wort Ergreifenden hinsichtlich ihrer Generationszugehörigkeit, ihrer sozialen Herkunft 32 und ihres religiösen Bekenntnisses von der Gesamtheit der sich politisch Äußernden und dem ganzen Lehrkörper ab? In beiden Gruppen von ›politischen Professor e n ‹ sind, wie Tabelle 2 zeigt, die aus dem Bildungsbürgertum Stammenden unterrepräsentiert. Eine Ausnahme bilden lediglich die Pfarrerssöhne. Offensichtlich war, wer aus einer Familie kam, in der der Vater eine politisch relevante Position innehatte und in der Politik deshalb ständiges Thema war, eher bereit, sich politisch zu engagieren. Am meisten politisiert erweisen sich nämlich die Söhne von höheren Beamten und Offizieren, aber auch von Pfarrern. Es ist anzunehmen, daß die in diesen, dem wilhelminischen Staat eng verbundenen Schichten erfahrene politische Prägung in der Regel konservativ-obrigkeitstreu war. Auch eine wirtschaftsbürgerliche Herkunft war politischer Artikulation förderlicher als eine bildungsbürgerliche. Völlig abstinent verhielten sich die sozialen Aufsteiger im Lehrkörper, die aus der Bauernschaft und den Unter- und Mittelschichten (wiederum mit Ausnahme der Beamtenfamilien) stammten. Der Zusammenhang zwischen religiösem Bekenntnis und politischer Artikulation stützt die These, daß diejenigen, die aus politisch einflußreichen Schichten stammten, eher Stellung bezogen. Die im Lehrkörper 25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 2: Politisch publizierende Heidelberger Hochschullehrer nach sozialer Herkunft, Religions-, Generations- und Fakultätszugehörigkeit nach dem Beruf des Vaters
Politisch Publizierende regelmäßig Publizierende insgesamt Bildung, Erziehung 3 (8%) - 34 (23%) davon Hochschullehrer 1 (3%) - 17 (11%) Bürokratie, Offiziere, Gutsbesitzer 10 (27%) + 38 (26%) + davon Höhere Beamte 6 (17%) + + 13 (9%) Offiziere 3 (8%) + + 5 (3%) Pfarrer und Kirchenbeamte 6 (17%) + + 12 (8%) «Freie Berufe« 4 (11%) 10 (7%) Wirtschaftsbürgertum 12 (32%) 46 (31%) davon Unternehmer 5 (14%) + 16 (11%) Gewerbe und Handwerk 3 (8%) + 11 (7%) Bauern - -- -In d. Wirtsch. abhängig Beschäftigte 2 (5%) 8 (5%) 37 (100%) 148 (100%) Summe Keine Angaben 1 (3%) 2 (1%) nach dem religiösen Bekenntnis
Lehrkörper insgesamt 82 (21%) 44 (11%) 82 (21%) 26 (7%) 13 (3%) 27 (7%) 48 (12%) 118 (31%) 41 (11%) 23 (6%) 4 (1%) 25 (6%) 386 (100%) 20 (5%)
protestantisch katholisch jüdisch jüdisch konvertiert Summe Keine Angaben nach dem Geburtsjahr
28 (80%) 3 (9%) 2 (6%) 2 (6%) + 35(100%) 3 (9%)
108 (76%) 19 (13%) 8 (6%) 8 (6%) + 143 (100%) 7 (5%)
277 (74%) 49 (13%) 30 (8%) 16 (4%) 372 (100%) 34 (9%)
Generation 1 (1827 - 1862) Generation 2 (1862 - 1871) Generation 3 (1872 - 1881) Generation 4 (1882 - 1891) Generation 5 (1892 - 1905) Summe
4 (11%) 6 (16%) 8 (21%) 12 (32%) + 8 (21%) 38 (100%)
25 (17%) 28 (20%) 35 (23%) 32 (21%) 30 (20%) 150(100%)
60 (15%) 57 (14%) 83 (20%) 106 (26%) 100 (25%) 406 (100%)
6 (16%) 7 (18%) 3 (8%) 23 (61%) 38 (100%)
14 (9%) + 25 (17%) + 27 (18%) 67 (45%) + 17 (11%) 150 (100%)
+ -
nach Fakultäten Theologische Juristische Medizinische Philosophische Naturwissenschaftl. Summe
++ ++ -++
+ = 120 bis 199% des Wertes für den ganzen Lehrkörper 51 bis 80% des Wertes für den ganzen Lehrkörper + + = 200% des Wertes für den ganzen Lehrkörper und mehr — = 50% des Wertesfürden ganzen Lehrkörper und weniger 26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
21 (5%) 37 (9%) 146 (36%) 119 (29%) 83 (20%) 406 (100%)
ohnehin überwiegenden Protestanten erreichten mit zunehmendem publizistischen Engagement noch höhere Anteile, während sich dies bei Katholiken und Juden umgekehrt verhält. Eine Ausnahme bilden lediglich die vom Judentum Konvertierten. Möglicherweise ist der Religionswechsel ein Indikator für eine überdurchschnittliche Bereitschaft zur Reflexion, zu eigenständigen Entscheidungen und deshalb auch zu politischem Engagement. Zwischen Generationszugehörigkeit und der Zahl der Publikationen ist kein klarer Zusammenhang erkennbar. Die Politisierung der Universität im Untersuchungszeitraum erfaßte alle Altersgruppen gleichermaßen. Anders bei der Fakultätszugehörigkeit: in den drei geisteswissenschaftlichen Fakultäten zeigten die Dozenten eine überdurchschnittliche Bereitschaft zu politischen Äußerungen. Am stärksten war diese bei den Theologen ausgeprägt, aber auch die Juristen und Angehörigen der philosophischen Fakultät, d.h. vor allem Nationalökonomen/Soziologen und Historiker, sind unter den Autoren politischer Schriften jeweils doppelt so häufig vertreten wie im gesamten Lehrkörper.
5. Die wirtschaftliche Lage der H o c h s c h u l l e h r e r Der Heidelberger Nationalökonom und Soziologe Alfred Weber beschrieb 1922 in einem stark rezipierten Vortrag vor dem Verein für Sozialpolitik »die Not der geistigen Arbeiter« drastisch als »das Hinausgeschleudertwerden aus der bisherigen gesellschaftlichen Eingliederung«. 33 Er sah drei Hauptursachen für diese dramatische Entwicklung, nämlich erstens die »Zertrümmerung des Vermögenshintergrundes«, der die Basis für den seit dem 19. Jahrhundert unter den Gelehrten dominanten Typus des »Rentenintellektuellen« bildete. Bereits in der »monopolkapitalistischen Vorkriegszeit« hätten Renteneinkommen mit der Verteuerung der Lebenshaltung nicht mehr Schritt gehalten. Jetzt existierten sie nicht mehr. Zweitens halte die Entlohnung der »geistigen Arbeiter«, die schon immer wegen deren Vermögenshintergrundes »herabgedrückt« gewesen sei, nicht mit der anderer sozialer Schichten Schritt. »Die Schicht der [beamteten] geistigen Arbeiter hat nur 25 % oder wenig mehr ihres Friedenseinkommens herüberzuretten vermocht. Sie ist, von ihrer Vermögensbasis herabgeschleudert, gleichzeitig im Verdienst einfach verarmt. Während sie das Vierbis Siebenfache des ungelernten Arbeiters verdiente, steht sie seit dem Zusammenbruch und der Revolution nur auf dem Zweifachen, nach Abzug aller Steuern wahrscheinlich nicht mehr als auf dem Anderthalbfachen.« Schließlich verwies Weber auf den drastischen Rückgang der öffentlichen und privaten Ausgaben für den kulturellen Sektor (Bibliotheken, Hochschulen, Zeitschriften- und Buchmarkt), wodurch Arbeits- und Publikations27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
möglichkeiten weiter minimiert würden. 34 Während Weber im Kultusministerium eine Gehaltserhöhung verlangte und viele Privatdozenten sich auf Privatunterricht, möglichst für Ausländer, die mit Devisen zahlten, 35 besannen, präsentierte der Ordinarius und DDP-Abgeordnete Gothein 1921 die Professoren als vorbildliche Staatsdiener: »Es sind nicht nur die Geistlichen und nicht nur die Ordensschwestern, die nie gestreikt haben und nicht die Absicht haben zu streiken. Wir sind es auch! Wir wissen es, und ich möchte wünschen, daß alle Kreise des Volkes in gleicher Weise wüßten, daß nach einem so furchtbaren Unglück, wie es das deutsche Volk erlebt hat, alle zurückschrauben müssen mit ihren Ansprüchen.« 36 Von Webers Hinweis darauf, daß die Reallöhne höherer Beamter weit weniger gestiegen waren als die der Arbeiter, war es nicht weit zum Vorwurf, der Weimarer Staat sorge nicht genug für seine Diener und sei akademikerfeindlich. Diese Kritik lieferte vielen Akademikern ein rationales Argument für ihr ohnehin vorhandenes antirepublikanisches Ressentiment. So hieß es im »Staatslexikon« von 1926 unter dem Stichwort Akademiker über die Novemberrevolution, daß sie »die Akademiker aus ihrer überlieferten gesellschaftlichen Stellung warf, ihre Geltung als geistige Führer des Volkes aberkannte, sie als Klasse der Gebildeten, die mit der herrschenden Klasse der Besitzenden versippt sei, haßt und beseitigen will, darum in ihrem Einkommen zurückstellte«. Gemeint war, wie die Verwendung des Präsens verdeutlicht, nicht nur die Revolution, sondern die Republik insgesamt. Ähnliche Vorwürfe erhob der Heidelberger Psychologieprofessor Hellpach während der Weltwirtschaftskrise. In den Notverordnungen und dem Reichspensionskürzungsgesetz sah er »den Beginn einer völlig systematischen Gelehrtenverfolgung in Deutschland, die auf eine Nivellierung und Bürokratisierung der traditionell stark differenzierten und privilegierten akademischen Welt abzielt... Hier kündigt sich wirklicher Kulturbolschewismus an.« 37 Die von den Weimarer Gelehrten in die Welt gesetzte Behauptung einer materiellen Benachteiligung in der Republik erweist sich als sehr langlebig. Sie ist bis in die neuere Forschungsliteratur hinein zu verfolgen. 38 Bei einer empirischen Untersuchung der Hochschullehrereinkommen ist zu differenzieren zwischen den gutsituierten Ordinarien, den etwas weniger verdienenden, aber als Beamte ebenfalls sozial abgesicherten Extraordinarien und den Nichtordinarien, zu denen wiederum Assistenten und Oberärzte mit teilweise sehr guten Gehältern und allein auf Kolleggelder, Lehrauftragshonorare oder Privatdozentenstipendien Angewiesene gehörten. Die Analyse dieser sehr unterschiedlichen Gehälter 39 bestätigt zwar grundsätzlich die Entwicklung, die die Zeitgenossen als »Not der geistigen Arbeiter« bezeichneten. Das Bild muß jedoch wesentlich differenziert werden. Zunächst fiel der Kaufkraftverlust der Hochschullehrer vornehmlich in die Kriegszeit, also noch unter das alte Regime. Er war zudem partiell selbstverschuldet durch ihre besonders große Opferbereitschaft für die ›na28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tionale Sache‹, als viele zur »Zertrümmerung des Vermögenshintergrundes« beitrugen, indem sie ihr Vermögen in schließlich wertlose Kriegsanleihen investierten. Der auch von Alfred Weber vorgenommene Vergleich mit einem durchschnittlichen Industriearbeiterlohn zeigt, daß auch dieser während des Krieges real erheblich zurückging. Sein Kaufkraftverlust lag jedoch weit niedriger als der aller Arten von Gelehrteneinkommen. So übertraf vom Juli 1917 bis Juli 1919 das Jahreseinkommen der Industriearbeiter das der Assistenten - auch noch, nachdem die Wochenarbeitszeit 1919 von 60 auf 48 Stunden herabgesetzt worden war. Bereits 1920 hatte sich die Kluft zwischen den Industriearbeiterlöhnen und den Einkommen badischer Universitätslehrer aber wieder deutlich vergrößert. Zwar konnten die Arbeiter auch in der Folgezeit mit Streiks etc. schneller auf Krisen reagieren als Beamte. Diese Kampfmittel versagten aber, wenn sich die Lage zuspitzte und Massenarbeitslosigkeit drohte. Der Staat reagierte zwar weniger flexibel als die Wirtschaft, sorgte letztlich aber wesentlich wirkungsvoller für seine Diener. Nach der Währungsreform Ende 1923 stiegen die Professorenbezüge schnell und deutlich stärker als die Löhne an. Bereits im Juli 1924 war die Kluft zwischen Ordinariengrundgehältern und dem durchschnittlichen Industrielohn um 30 bis 70 % größer als vor dem Krieg, die zwischen Arbeiter- und Assistentenlohn hatte sich mehr als verdoppelt. Bei den anderen Einkommensarten war der Vorkriegsabstand fast wieder hergestellt. Den höchsten Reallohnzuwachs erreichten die Assistenten, den rasantesten gutverdienende Ordinarien, die 1930 ihr Realgehalt gegenüber dem Tiefstand von 1922 fast versiebenfacht und gegenüber 1914 immerhin um gut 40 % erhöht hatten. Hatten die Gelehrten von den guten Jahren der Republik überdurchschnittlich profitiert, so tangierte die Weltwirtschaftskrise ihre Einkommen weit weniger als die Arbeiterlöhne oder gar das Nationaleinkommen. Ihre Verluste lagen real bei 10 %, und nur ein bis zwei Jahre hatte ihre Realeinkommensentwicklung ein negatives Vorzeichen, während das Nationaleinkommen und die Arbeiterlöhne über vier Jahre und insgesamt um 15 bis 25 % sanken. Von einer systematischen Benachteiligung der ›Klasse der Gebildeten‹ in der Weimarer Republik kann also nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil partizipierten die Hochschullehrer überproportional am wirtschaftlichen Aufschwung während der guten Jahre der Republik. Allerdings hatten zumindest die Ordinarien auch überproportional unter der kriegsbedingten Inflation gelitten. Die Einkommensschere zwischen Ordinarien- und Arbeitereinkommen klaffte jedoch sowohl in den guten Jahren der Republik als auch in der Weltwirtschaftskrise weiter auseinander als vor dem Krieg. Hatte ein Ordinarius 1914 drei- bis viermal soviel wie ein Arbeiter verdient, so war es 1928 bis 1933 das Vier- bis Sechsfache. Anders als während der Inflation und in für ihre Republikfreundlichkeit charakteristischem Gegensatz zu anderen Universitäten schrieben die Hei29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
delberger Dozenten in der Weltwirtschaftskrise nichts, 40 was die Vermutung stützen könnte, die Einkommenskürzungen und damit verbundenen Kaufkraftverluste hatten ihre Haltung zur Weimarer Republik beeinflußt. Weder das allgemeine Ressentiment der Hochschullehrer gegen die parlamentarische Demokratie noch ihre Hinwendung zu autoritären Lösungen für die Krise der Republik zwischen 1930 und 1933 ist mit ihrer objektiven ökonomischen Lage zu erklären. Diese war wesentlich besser als die der meisten anderen sozialen Gruppen. Legt man die Maßstäbe eines Heidelberger Hochschullehrers an, der 1932 bei einem Jahreseinkommen von bis zu 3.000 R M vom »Existenzmiserum«, zwischen 3.000 und 6.000 R M vom »Modestum« und darüber vom »Sekurum« sprach, wobei er ausdrücklich betonte, daß Beamte unabhängig vom Einkommen zur »Sekurumsschicht« zählten, 41 dann gehörten Ordinarien mit Bruttoeinkommen von 15.000 bis weit über 50.000 R M Anfang der dreißiger Jahre zur oberen »Sekurumsschicht«, während die meisten Nichtordinarien immerhin über ein »Modestum« verfügten. Daneben gab es wegen der Unterschiedlichkeit der Bezahlung und sozialen Absicherung allerdings manche, die, obwohl sich die Lage der Nichtordinarien durch die Einführung von Privatdozentenstipendien gebessert hatte, 42 von sehr wenig Geld und in prekären Arbeitsverhältnissen lebten. Ihr Anteil war aber nicht höher als vor dem Krieg. Insgesamt war die badische Regierung trotz der Belastung durch drei Universitäten, sobald es die finanzielle Lage erlaubte, bemüht, die Besoldung vor allem der planmäßigen Professoren wieder auf Vorkriegsniveau zu bringen. Die Folgen der permanenten politischen und ökonomischen Krise im Untersuchungszeitraum waren eher psychisch-subjektiver als sozialökonomisch-objektiver Natur. Nachdem die Hochschullehrer die Kulmination der Krise des Kaiserreichs im Weltkrieg voller Hoffnung als notwendig ertragen hatten, empfanden sie deren Konsequenzen, Niederlage und politisch-ökonomischen Zusammenbruch, j e nach Standpunkt als Verrat, unverdientes Schicksal oder selbstverschuldete Strafe, jedenfalls als Tiefpunkt, aus dem es nur noch aufwärts gehen konnte. Nachdem die vorübergehende Stabilisierung diese Einschätzung zu bestätigen schien, reagierten sie auf die Weltwirtschaftskrise unabhängig von der realen Betroffenheit umso enttäuschter und geradezu panisch. Hinzu kamen der säkulare Prozeß der Normalisierung der gesellschaftlichen Stellung des deutschen Professors, seine ›Verbeamtung‹ und die Einbeziehung der Universitäten in den M o dernisierungs- und Professionalisierungsprozeß. Dies spiegelte sich in der Rationalisierung des Berufszugangs durch die obligatorische Habilitation, im Entstehen neuer Hochschultypen (Technische, Handels- u.a. Fachhochschulen), in der Einordnung in die Beamtenbesoldungsgruppen, in der Nivellierung der Rangunterschiede innerhalb der Universität hinsichtlich des Einkommens wie der Selbstverwaltungsrechte, in dienstrechtlichen Veränderungen wie der »Zwangsemeritierung« und dem erstmaligen Erlaß 30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
einer staatlichen Disziplinarordnung für Hochschullehrer sowie im Verlust der ideologischen Führungsrolle nicht zuletzt durch das Engagement im Weltkrieg. Die permanente Krisenerfahrung und die erzwungene Professionalisierung führten zu einer tiefen Erschütterung der sozialen Rolle, des Sozialprestiges und des Selbstwertgefühls der Gelehrten. Diese Veränderungen äußerten sich vielfältig: in der sinkenden Offenheit gegenüber j ü d i schen Habilitanden, der jäh steigenden Fluktuation und den übersensiblen, oft hysterischen Reaktionen auf staatliche Eingriffe in die Hochschulautonomie. Die Gelehrten hatten ihre Gelassenheit verloren, sahen nur noch sozialen Abstieg (»Vermassung«), fühlten sich feindlich behandelt und benachteiligt durch ein politisches System, das ihre Privilegien und Freiheiten unter den gegebenen Umständen optimal schützte.
6. D e r › H e i d e l b e r g e r Geist‹ Die Zeit von etwa 1890 bis 1933 gilt als eine der bedeutendsten Epochen in der Geschichte der Ruperto Carola. Wenn ihr Glanz auch nach 1914 wegen der veränderten ökonomischen und politischen Bedingungen und des Wegganges einiger prominenter Professoren (u.a. Ernst Troeltschs und Max Webers) nicht mehr so ungebrochen gestrahlt habe, so die vor allem in Autobiografien vertretene Meinung, habe sie sich doch eine herausragende Stellung unter den deutschen Universitäten bewahrt. 43 Für diese Bewertung wird nicht in erster Linie die große Zahl wissenschaftlicher Koryphäen ins Feld geführt, sondern eine ganz besondere geistige, kulturelle und politische Atmosphäre - der ›Heidelberger Geist‹. Dieser bildete eine wichtige Komponente des Selbstgefühls der Lehrenden und soll anhand von Memoiren und Publikationen aus dem Untersuchungszeitraum skizziert werden. Mit Beschreibungen der Schönheit der Stadt, ihrer Lage und Umgebung, die häufig mit Italien, dem Land bildungsbürgerlicher Sehnsucht, verglichen wird, 44 beginnen viele Schilderungen der in der »schönsten Universitätsstadt«45 verbrachten Zeit. 46 Unter Rückgriff auf romantische Topoi wird das Märchen- oder Traumhafte und Idyllische, Irreale und ständig Gefährdete dieser Landschaft und ihrer Atmosphäre betont. Der Germanist Friedrich Gundolf schwärmte vom »beängstigend unwahrscheinlichen Zauber« Heidelbergs und fürchtete, »eines Morgens beraubt und ernüchtert« zu »erwachen.« 47 Für Jaspers schwebte die Stadt »gleichsam einige Meter über dem Boden.« Häufig wurde sie als heile Welt der modernen Zivilisation gegenübergestellt. Sie »lugt ja nur gerade aus dem Neckartal in die Rheinebene hinaus in die Welt der Menschen und Güter häufenden Städte, der Schienenwege, der Schlote; sie scheint jeden Augenblick bereit, sich wieder in den Schutz der Wälder und Berge zurückzuziehen«, stimmte beispielsweise der Neutestamentier Martin Dibelius als Rektor die Neuimmatrikulierten 31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
auf den Heidelberg-Mythos ein. 48 Der Archäologe Ludwig Curtius fühlte sich »nur in Heidelberg ... sicher vor der Zeit«. Die bedeutenden geisteswissenschaftlichen Leistungen sah er durch die Landschaft beeinflußt: »In die heroische Unerbittlichkeit Weberscher geschichtsmoralischer Forderung und in die logische Anatomie der südwestdeutschen Schule [des Neukantianismus] rauscht immer noch der Neckar Hölderlinsche Rhythmen hinein.« 49 Heidelberg stand für Jugend und Leichtigkeit, Naturverbundenheit und Lebendigkeit. Die Zitate deuten an, wie sehr die Geisteshaltung der Hochschullehrer geprägt war von teilweise larmoyanter Parteinahme für das Irreale, Ursprüngliche, Naturhafte und Jugendlich-Lebendige Werte, die durch die Modernisierung verloren zu gehen schienen. Häufig bildeten gerade das behauptete Vergehen der auf Heidelberg projizierten Werte und das Bewußtsein, auf diese Weise selbst Teil einer untergehenden Welt zu sein, das eigentliche Faszinosum. 50 Neben der bedrohten Schönheit ihrer Umgebung diente das hervorragende Niveau als Charakteristikum der Ruperto Carola. Sie sei die »klügste«, »akademischste«, »geistig anspruchsvollste«51 Universität Deutschlands, denn hier herrsche eine spezifische Offenheit, Liberalität und Modernität. Die berühmteste Schilderung dieses Aspektes stammt von dem Juristen und ehemaligen sozialdemokratischen Reichsjustizminister Radbruch. Er sah »geistiges Leben ganz eigenartigen Charakters, das man halb ernst, halb spöttisch damals den ›Heidelberger Geist‹ nannte. Es war eine einheitliche geistige Welt, in der sich die geistigen Menschen Heidelbergs bewegten, von ihr beeinflußt und wiederum sie beeinflussend. Ich glaube nicht, daß zu jener Zeit an irgendeiner anderen deutschen Universität ein Miteinanderdenken der verschiedenen Geister in diesem Grade bestand. Man muß schon auf das Jena der klassischen Zeit zurückgreifen: auch dort jene unaufhörliche Diskussion, jenes ewige Gespräch, jenes ›Symphilosophein‹, wie man es damals genannt hat, auch dort die tätige Teilnahme kluger und gebildeter Frauen an dieser geistigen Welt... Heidelberg war damals wie eine Arche Noae, in der von jeder neuen Spielform geistiger Menschen ein Exemplar vertreten war.« Radbruch nennt Aspekte, die auch in zahlreichen anderen Schilderungen zu finden sind: Offenheit zwischen den Fächern und Fakultäten, 52 Offenheit der universitären Männergesellschaft Frauen 53 und dem Ausland 54 gegenüber, Offenheit außer-universitären Eliten (Industriellen, Politikern Dichtern oder Künstlern) und deren Probelemen und Fragestellungen gegenüber, 55 insbesondere wenn es sich um radikale und irrationale geistige, kulturelle oder politische Positionen handelte. 56 Auch die Schilderungen des außergewöhnlichen geistigen Lebens weisen, etwa in Radbruchs Bild der Arche Noae, ebenso wie die der gefährdeten Schönheit Heidelbergs häufig apokalyptische Züge auf. Der am häufigsten genannte Aspekt der Offenheit des ›Heidelberger Geistes‹ war die außergewöhnliche Politisierung der Universität. Dieser R u f rührte bereits aus der Vorkriegszeit, und nach damaligem Verständnis 32 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
bedeutete ›politisch‹ liberal und oppositionell. Der Historiker Oncken beispielsweise führt seine »Wendung zum politischen Interesse und zur politischen Betätigung« auf die spezifische »Heidelberger Tradition« zurück. 57 Politische Diskussionen innerhalb der Universität und noch mehr im gesellschaftlichen Leben der Professoren spielten eine größere Rolle als an vergleichbaren Hochschulen. Heidelberg behielt über 1918 hinaus den Ruf, die »fortschrittlichste« deutsche Universität zu sein, und wurde nun als »staatsbejahende Musteruniversität« und »akademische Hochburg des neuen Deutschland« bezeichnet. 58 Liberal waren neben einzelnen Professoren anderer Fächer hauptsächlich die juristische Fakultät und das von Alfred Weber und Emil Lederer geprägte Institut für Sozial- und Staatswissenschaften.59 Die relative Fortschrittlichkeit war gepaart mit einem für den Weimarer Liberalismus typischen bürgerlich-elitären Habitus. An der Universität herrschte ein »ungemein starker Kastengeist«60 und eine exklusive Kleiderordnung. 61 Konservative Kritiker fanden den ›Heidelberger Geist‹ zu »badestadtartig«, progressive sahen »modischen Bluff«, eine »Provinzkultur« und den »Antagonismus zwischen kleinbürgerlichem Leben und kosmopolitischem Denken«, die zu einer »Verstopfung der Energien« führten. Ludwig Curtius hat diese spezifische Widersprüchlichkeit treffend als »republikanische Aristokratie« charakterisiert. 62 Vor allem nach der Erfahrung des Nationalsozialismus erschien der › H e i delberger Geist‹ einigen liberalen Exponenten durchaus zwiespältig. R a d bruch kritisierte den »alles verstehenden und nichts ablehnenden Relativismus«, Alfred Weber fragte sich: »War nicht diese gesamte Geistigkeit letztlich ein Mummenschanz ...? Durfte man sich also in weltfremden, romantischen, heroischen Träumen ergehen, wo eine ganz andere als romantische Heroik jeden Augenblick die Tür aufstoßen konnte, wie es schließlich geschah?... Mutet nicht die unbefangen die gesamte sachliche Politik bei sich selber lassende damalige Heidelberger Geistigkeit an wie eine Libertinaee des Geistes ...?«63 Neben landschaftlichen Reizen und geistiger Offenheit ist das dritte Hauptmoment in zeitgenössischen Äußerungen über die Besonderheiten der Heidelberger Universität die Behauptung, sie habe für Deutschland und sogar darüber hinaus eine synthetische oder repräsentative Funktion. Allgegenwärtig war der Verweis auf den wissenschaftlichen und kulturellen Weltruf der Universität. Dieser bestand tatsächlich und wird bestätigt durch die ungewöhnlich hohe Zahl nichtbadischer und auch ausländischer Studenten, beruhte aber nicht zuletzt auf dem »Mythos Heidelberg«. 64 Heidelberg war in den Augen vieler Professoren »mehr als eine Landesuniversität«, ein Mikrokosmos, der repräsentativ für Deutschland stand: »Gerade unser Heidelberg, das in seinen Matrikeln Namen aus allen Gauen Deutschlands aufzunehmen pflegt, ist in erster Linie berufen, unsere akademische Jugend im Geiste der deutschen Einigkeit zu festigen und zu stärken. Wer hier lehrt und wirkt, der tut Dienst am ganzen deutschen Vaterland.«65 33 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Jaspers sprach von »diesem deutschen, abendländischen Heidelberg«. Von Salin stammt - bezogen auf die Zeit vor 1918 - die häufig zitierte Charakterisierung von der »geheimen Hauptstadt des Geheimen Deutschland«. 66 Selbst der überaus kritische junge Karl Mannheim meinte, man könne von Heidelberg aus »die Seele des großen Deutschland sehen«. 67 Ludwig Curtius weitete den Repräsentationsanspruch noch aus: in Heidelberg habe ein »geistiges Fluidum in der Luft« gelegen, das »spezialistische Erkenntnis« zwar vorausgesetzt, nicht aber »als das eigentliche Ziel« angesehen habe, »als das vielmehr eine kulturwissenschaftliche Synthese des europäischen und des deutschen Geistes mit der Forderung einer neuen ethisch-moralischpolitischen Haltung des Einzelnen und schließlich der Nation erschien.« Radbruch mit seinem Arche-Noae-Vergleich und Jaspers trieben den Topos von der Repräsentativität der Universität Heidelberg auf die Spitze. Jaspers hatte hier das Gefühl, »als ob es sich um die Menschheit handle«. Denn die Professoren seien »trotz aller Spezialisierung auf ein Ganzes gerichtet« gewesen. 68 Auf diesen repräsentativen und synthetischen Anspruch der Universität Heidelberg konnten sich auch diejenigen beziehen, die in der Weimarer Republik immer wieder vorschlugen, Heidelberg wie einst Straßburg zur Reichsuniversität zu machen, d.h. sie aus der Verantwortlichkeit des badischen Staates als einzige deutsche Universität in die des Reiches zu überführen. Die Hauptpromotoren dieser Pläne kamen allerdings aus den R e i hen der Deutschnationalen und wollten durch die direkte Unterstellung unter das Reich nicht zuletzt den Heidelberger Liberalismus an die Kandare nehmen. 69 Die Universität sollte ihre repräsentative Funktion in stärker ›nationaler‹ Weise wahrnehmen. Ihr Führungs- und Sinnstiftungsanspruch bildete den Kern des »politischen Grundzweiges« der Heidelberger Universität und ihrer Tradition. Gundolf hat in seiner Abschiedsrede für Oncken für die spezifische Form des »politischen Sinnes und politischen Willens« der Heidelberger Professoren den interessanten Begriff »Halbtäter« geprägt. Wenn der Text seiner Rede auch nicht überliefert ist, so gewinnt man doch einen Eindruck dessen, was Gundolf meinte, aus einer Publikation desselben Jahres, in der er jene Haltung in Abgrenzung zu den Tätern und den »stillen Gelehrten« charakterisiert hat als von einem »unbestimmten, halb eitlen, halb besessenen Drang nach politischer Betätigung« bestimmt, dem »die Sache im Grunde gleichgültig« und vor allem »persönliche Tätigkeit und Einwirkung« wichtig sei. »Darum wechseln sie eine Sache so oft mit einer neuen, bei der sie sich größeren Einfluß zutrauen.« 70 Die eigenartige Mischung aus politischem Interesse und praktischer politischer Abstinenz, aus politischer Naivität und ›überpolitischem‹ Führungsanspruch, die das politische Selbstverständnis vieler Gelehrter charakterisiert, soll im folgenden Kapitel über die metaphorische Beschreibung Gundolfs hinaus präzisiert werden. 34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
7. D i e H e i d e l b e r g e r G e l e h r t e n k u l t u r Der ›Heidelberger Geist‹ manifestierte sich nicht primär an der Universität selbst, sondern in zahlreichen Kränzchen und Kreisen, deren Mitglieder nicht nur Hochschullehrer und deren Frauen, sondern auch Studierende, Künstler, Publizisten und Gelehrte ohne universitäres Amt waren und die sich zumeist demonstrativ von der traditionellen »Geheimratsgeselligkeit« 71 abgrenzten. Nur eine Minderheit der Hochschullehrer nahm an den geselligen Treffen der spezifischen Heidelberger Gelehrtenkultur 72 teil, bei denen wissenschaftliche Vorträge gehalten, literarische Texte gelesen oder aktuelle politische und kulturelle Diskussionen geführt wurden. Wie diese Gelehrtenkultur im Rückblick geschildert wird, läßt darauf schließen, daß derartige Veranstaltungen über einen großen Nimbus verfügten und die Teilhabe an ihnen innerhalb der akademischen Welt Heidelbergs einen erheblichen Prestigegewinn bedeutete. Sie stellten jedenfalls eine spezifische Form akademischer Öffentlichkeit dar, in deren Rahmen sich die schichtspezifischen politischen und weltanschaulichen Positionen entwickelten. Systematisch lassen sich die traditionellen Foren akademischer Öffentlichkeit, die es in allen Universitätsstädten gab, also die »Geheimratsgeselligkeiten«, die wissenschaftlichen Gesellschaften wie der NaturhistorischMedizinische und der Philosophisch-Historische Verein, denen auf einer höheren, institutionalisierteren Ebene die entsprechenden Klassen der 1910 gegründeten Akademie der Wissenschaften entsprachen, 73 und private Treffen oft recht kleinbürgerlichen Zuschnitts unterscheiden von neuartigen und für die Heidelberger Gelehrtenkultur spezifischen Zirkeln. Sie waren interdisziplinär, durch die Einladung ausländischer Teilnehmer und in Heidelberg lebender Emigranten, insbesondere aus dem russischen Herrschaftsbereich, häufig auch intrakulturell und von ihrer beabsichtigten Wirkung her für akademische Foren ungewöhnlich öffentlichkeitsorientiert. Außerdem überwanden sie in Ansätzen den Ausschluß von Frauen aus der wissenschaftlichen Sphäre. Hierfür war von Bedeutung, daß etliche Frauen Heidelberger Professoren, insbesondere von Juristen und Sozialwissenschaftlern, zur ersten Generation studierter Frauen in Deutschland gehörten und führend in der bürgerlichen Frauenbewegung waren. Als prominenteste seien Camilla Jellinek, Marianne Weber, Elisabeth Altmann-Gottheiner und Katharina Sara von Künßberg (geb. Samson) genannt. Wie für den ›Heidelberger Geist‹ waren angeblich auch für seine Hauptforen die Jahre seit 1914 eine Zeit des Niederganges. Ehrfurchtsvoll und nostalgisch werden in Darstellungen seit den zwanziger Jahren die bedeutenden Zirkel der Vorkriegszeit genannt: der religionswissenschaftliche »Eranos«, cer philosophische »Janus«, die Treffen der Wagnerianer um den Kunsthis:oriker Henry Thode und seine Frau Daniela von Bülow, die Stieftochter Wagners, die sonntäglichen »Jours« bei Max und Marianne Weber, die Treffen der Georgeaner bei Gundolf oder auch die Kreise revolutionärer 35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
polnischer und russischer Emigranten. 74 Die politische Stabilität und materielle Sorglosigkeit, die den Hintergrund für die Debatten über ethische, ästhetische und kulturhistorische Fragen bildeten, waren durch Weltkrieg, Niederlage, Revolution und Inflation zerstört worden. Die stärker politisch interessierten, antiwilhelminisch-liberalen Vertreter der Heidelberger Gelehrtenkultur um Max Weber waren 1918 aus einer gesellschafts- und regimekritischen Haltung unversehens in eine tendenziell affirmative Position der Republik gegenüber geraten. Die Form des akademischen Debattierzirkels eignete sich jedoch für politische und kulturelle Kritik sowie einen unverbindlichen Reformismus weitaus besser als für konstruktive politische Mitwirkung. So sank die Relevanz der Debatten der Gelehrtenzirkel aufgrund zweier voneinander unabhängiger historischer Entwicklungen: Einerseits waren bis Mitte der zwanziger Jahre die wenigsten Ordinarien materiell in der Lage, größere und aufwendige Geselligkeiten zu veranstalten. Andererseits hatte das akademische Heidelberg seine Funktion als Fokus der antiwilhelminischen bürgerlich-reformistischen Kritik verloren. Aus diesen Gründen waren die Foren seiner Gelehrtenkultur nach Weltkrieg und Revolution eher intime Veranstaltungen, deren Diskussionen vorwiegend von Kulturpessimismus und religiöser, esoterischer oder wissenschaftlicher Innerlichkeit geprägt waren. Diese zwar nicht gänzlich neuen Komponenten des ›Heidelberger Geistes‹ gewannen durch die veränderten Bedingungen an Gewicht zulasten politischer Anteile. Am deutlichsten in der gesellschaftskritischen und reformerischen Tradition von Teilen der Heidelberger Gelehrtenkultur vor 1914 standen in der Weimarer Zeit die von Gothein begründeten, seit 1911 von Alfred Weber organisierten »soziologischen Diskussionsabende«, die während des Semesters alle zwei Wochen 75 im Hotel Schrieder oder im »Schwarzen Schiff« stattfanden. Dort wurden aktuelle politische, literarische oder wissenschaftliche Neuerscheinungen zunächst referiert und anschließend diskutiert, bis »dann ein freundlich überlegenes, mit geschichtlichen Erinnerungen gesättigtes Votum von Gothein und ein hitziges, die Offenheit der Probleme unterstreichendes Votum von Alfred Weber den Abschluß« bildeten. Als Mitte der zwanziger Jahre das Interesse an den Diskussionen nachließ, betraute das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften die Fachschaft, die mit eigenen »Debattenabenden« 1924 ebenfalls auf nur geringe Resonanz gestoßen war, mit der Organisation, was zu einer neuen Blüte der »Soziologenabende« führte. 76 An diesen Debatten beteiligten sich sowohl die Dozenten des InSoSta 77 und anderer Fächer, z.B. der Philosoph Jaspers oder der Mediziner Viktor von Weizsäcker, als auch politische Prominenz, z.B. der preußische Finanzminister Höpker-Aschoff oder der Reichsfinanzminister und spätere Kanzler Luther. Die »Soziologenabende« gehörten zu dem, was die Heidelberger Universität für rebellische junge Intellektuelle Jugendbewegte, Sozialisten, ›konservative Revolutionäre‹ und andere — so attraktiv machte. 78 Nicht wenige später bedeutende Personen in Wissen36 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schaft, Kultur und Politik erwarben sich hier erste Sporen: so z.B. Eugen Leviné, Carl Zuckmayer oder Ernst Wilhelm Eschmann (alias Leopold Dinggräve). Obwohl sehr unterschiedliche politische Positionen zu Wort kamen, scheint die Teilnehmer Offenheit, Toleranz, Kritikfreudigkeit und die Lust an der Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit und an neuem politischem Denken verbunden zu haben. So scheiterte der Versuch des dem George-Kreis angehörenden Historikers Friedrich Wolters, sich mit einem Vortrag auf einem soziologischen Diskussionsabend für einen historischen Lehrstuhl ins Gespräch zu bringen, an der Kritik des Publikums, er habe »zu schön«, »zu unproblematisch« und allzu sehr von einer konservativnationalistischen Warte her gesprochen. 79 Die große Anziehungskraft, die diese Diskussionsabende auf die Studentenschaft hatten, belegen nicht nur zahlreiche Reminiszenzen in Autobiografien, sondern auch die Tatsache, daß der AStA diese Veranstaltungen finanziell unterstützte. Die einzige explizit ›politische‹ Vereinigung der Heidelberger Gelehrtenkultur bildete sich im Ersten Weltkrieg. Angehörige aller Fakultäten kamen »oft, im Semester manchmal wöchentlich zusammen, um die politischen und militärischen Ereignisse zu besprechen, Vorträge der Mitglieder anzuhören und zu diskutieren.« »Optimistisch war die Stimmung nie, sie war resigniert. Max Weber kam trotz seiner schwankenden Gesundheit stets und wirkte in diesem Kreis außerordentlich anregend, wenn er auch bisweilen vorbeihieb.« 80 Diesem Kreis dürften hauptsächlich jene Professoren angehört haben, die im Oktober 1917 in einer öffentlichen Erklärung der imperialistischen, vom Flottenpropagandisten Tirpitz und dem späteren Putschisten Kapp geführten Vaterlandspartei das Recht absprachen, für sich in besonderem Maße vaterländische Gesinnung in Anspruch nehmen zu können. 81 Der Politische Klub bestand nach Kriegsende fort als »demokratisch gerichtetes politisches Kränzchen«, dem aber nicht nur »ausgewiesene Republikaner«, 82 sondern ein recht breites politisches Spektrum angehörte. Aus den Quellen geht nicht hervor, wie lange er bestand und ob er mit einer der Hochschullehrervereinigungen, die sich in den letzten Jahren der Republik zu politischen Diskussionen und Vorträgen trafen, dem Dozentenbund und der Politischen Gesellschaft, identisch ist. Die letztere war Golo Mann zufolge »eine elitäre Vereinigung, welche die buntesten Gäste zu ihren Diskussionen bat« und politisch »eher unparteiisch - ich möchte sagen, edel-konservativ, also keineswegs ›Nazi‹, sogar ein klein wenig pro-französisch... Zu Vorträgen wurden die allerverschiedensten Typen eingeladen, auch solche aus der sozialistischen Gruppe, Kommunisten allerdings nicht. Die Gesellschaft neigte eher zum Eleganten.« Sie war Anfang der dreißiger Jahre das Forum der Heidelberger ›konservativen Revolution‹. 83 Ein Großteil der liberalen Professoren aus dem Politischen Klub besuchte auch die »Jours«, die von etwa 1912 bis 1917 im Hause von Max und Marianne Weber veranstalteten sonntäglichen Zusammenkünfte. 84 Max We37 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ber hatte kurz nach seiner Berufung nach Heidelberg seine Lehrtätigkeit wegen einer schweren psychischen Krise aufgeben müssen und war 1903 vorzeitig pensioniert worden. U m nicht zu vereinsamen oder um die vielen Besucher auf einen Termin zu konzentrieren und den Rest der Woche für konzentrierte Arbeit freizuhaben, 85 baten Webers am Sonntagnachmittag jeweils zahlreiche Gäste zum Tee. Ohne daß ein bestimmtes Thema vorgegeben worden wäre, sollten sich unter den Gästen und durch ihre jeweilige Zusammensetzung bedingt »wertvolle Gespräche« (Marianne Weber) ergeben, die »fast immer damit endeten, daß der Hausherr in freier Rede das angeschlagene Thema in Weite und Tiefe abrundete.« 86 An diese Tradition versuchte Marianne Weber nach dem Tod ihre Mannes und ihrer Rückkehr nach Heidelberg anzuknüpfen, indem sie nach der Währungsstabilisierung in drei- bis vierwöchigen Abständen »akademische Geselligkeiten« veranstaltete, die sogenannten Geistertees: »Die erste Stunde gehörte zwanglosem Geplauder in kleinen Gruppen bei Tee und Kuchen. Dann sammelten sich die Geister zum Vortrag mit anschließender Diskussion.« Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser von Spöttern auch »Seelenmessen für Max Weber« 87 genannten Veranstaltungen waren hauptsächlich geisteswissenschaftliche Ordinarien und deren Frauen sowie interessant erscheinende Privatdozenten, Studierende und außeruniversitäre Prominenz. Politisch war ein breites Spektrum von gemäßigten Sozialisten bis zu Konservativen vertreten. 88 »Der anfangs beherrschende, später etwas gelokkerte Plan der Veranstaltungen war gewesen, daß jeder Redner aus seinem Fachgebiet zum Vortrag in diesem Kreise Geeignetes auswählte... Später entfernte sich der eine oder andere bewußt von seinem Spezialgebiet... Dem Vortrag folgte stets eine Diskussion. Alfred Weber, der fast immer teilnahm, wurde in der Regel als erster zur Äußerung aufgefordert.« Auch Karl Jaspers spielte eine hervorgehobene Rolle. Durch ihn entstand für den jungen Philosophiedozenten Hermann Glockner im MarianneWeber-Kreis eine »unheimliche« Atmosphäre. »Der Anspruch, welchen Jaspers erhob, wenn er im Geiste Max Webers philosophierte, war nicht nur ohne Grazie, sondern auch ohne Gnade; er war im Grunde unmenschlich. Es lag das abstrakte Pathos einer unendlichen Aufgabe darin, die Forderung einer absoluten Pflichterfüllung, die bestenfalls annähernd geleistet werden kann. Daher auch die gern ausgesprochene, von mir als abscheulich empfundene Bereitschaft: alles selig in sich selbst ruhende Schöne zu verwerfen.«89 Eine heroisch-puritanische Grundhaltung kennzeichnet auch die Schriften von Marianne Weber, weshalb Glockners Beschreibung sicher einen charakteristischen Zug der bei ihren »Geistertees« herrschenden Atmosphäre trifft. Soweit sich das heute noch feststellen läßt, spielten neben wissenschaftlichen Themen politische eine geringere Rolle als etwa Reiseberichte oder Vorträge über Literatur. 90 Karl Mannheim meinte, »Heidelbergs geistiges Leben« lasse sich »an 38 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
seinen zwei polaren Gegensätzen messen«: nämlich »den Soziologen« (also den Soziologenabenden, den »Jours« und mit Einschränkungen dem Marianne-Weber-Kreis) und den »Georgeanern«. Er sah in diesen Polen und ihren idealtypischen Vertretern Max Weber und Stefan George die Deutschland prägenden Gegensätze von Wissenschaft und Literatur und von protestantischer und katholischer Tradition verkörpert. Ebenso wie bei den »Jours« fiel die große Zeit der Heidelberger Treffen des George-Kreises in die Vorkriegszeit und der Untersuchungszeitraum dieser Studie umfaßt nur Nachspiel und Stilisierung. Auch hier ist es nicht mehr möglich, die reale Bedeutung für das politisch-weltanschauliche Denken der Heidelberger Hochschullehrer von Mystifikationen zu unterscheiden. Wird der GeorgeKreis auch häufig in Beschreibungen des ›Heidelberger Geistes‹ genannt, so erfährt man doch selten Genaues über seine Zusammenkünfte in der Stadt. Am treffendsten erscheint Gundolfs um Entmystifikation bemühte Definition von 1930, als er sich von George bereits weit entfernt hatte: »Der Kreis ist weder ein Geheimbund mit Statuten und Zusammenkünften, noch eine Sekte mit phantastischen Riten und Glaubensartikeln, noch ein Literatenklüngel, sondern es ist eine kleine Anzahl Einzelner mit bestimmter Haltung und Gesinnung, vereinigt durch die unwillkürliche Verehrung eines großen Menschen, und bestrebt der Idee die er ihnen verkörpert (nicht diktiert) schlicht, sachlich und ernsthaft durch ihr Alltagsleben oder durch ihre öffentliche Leistung zu dienen.«91 Obwohl sich Georges Verhältnis zu seinem »ersten Schüler« Gundolf seit 1916 abkühlte, besuchte er ihn in der Nachkriegszeit jedes Jahr einige Wochen, 1920 sogar fast ein halbes Jahr. Zu den »Jüngern«, die der »Meister« dann um sich zu Lesungen und Gesprächen versammelte, gehörte neben Gundolf als einziges Mitglied des Lehrkörpers der Privatdozent für Volkswirtschaft Edgar Salin. 92 Das Ehepaar Gothein, deren Sohn zum engeren Kreis zählte, und Arthur Salz, wie Eberhard Gothein Nationalökonom, hatten gesellschaftlichen Verkehr mit den »Georgeanern« und damit eine Verbindungsfunktion zwischen beiden Polen der Heidelberger Gelehrtenkultur, dem realistischeren Kreis der politisch engagierten Ordinarien und dem esoterischen George-Kreis. Über den eigentlichen Kreis hinaus begeisterten sich nicht wenige Heidelberger Hochschullehrer für den Ästhetizismus Georges und seiner Anhänger, ihre antimoderne Kulturkritik, die Verherrlichung natürlicher, urtümlicher, jugendlicher und heldischer Kräfte und ihre verschwommenen Vorstellungen von künftiger nationaler Auferstehung. Ebenso zog die geheimnisvoll-erhabene Aura des Sehers und geistigen Führers sie an, die die Georgeaner um ihren »Meister« verbreiteten. Weiteres richtete die gesellige Persönlichkeit Gundolfs aus. 93 Ohne im einzelnen den Einfluß Georges nachweisen zu können, sind Denkfiguren, die an ihn erinnern, bei der Auswertung der politischen Schriften der Heidelberger Gelehrten nicht zu übersehen. 39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Ein kurzlebiger kulturrevolutionärer Zirkel am Rande der Heidelberger Gelehrtenkultur war 1918/19 die »Heidelberger Gemeinschaft« um den Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger. 94 Ihr gehörten sowohl junge Literaten wie Carl Zuckmayer, Henry Goverts und Hans Schiebelhuth, als auch die späteren sozialdemokratischen Politiker Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Emil Henk sowie der Mediziner und Psychologe Hans Prinzhorn an. Sie luden expressionistische Dichter wie Klabund, Theodor Däubler, Otto Flake oder den Pazifisten und Modephilosophen Hermann Graf Keyserling zu Lesungen ein, organisierten Konzerte zeitgenössischer Musik und einige legendär-skandalöse Theateraufführungen. Fast alle Veranstaltungen scheinen als Sauf- und Freßgelage im »Wolfsbrunnen« oder im »Hotel Reichspost« geendet zu haben. In Vortragsreihen führten sie in »neue Dichtung und Musik« ein und versuchten, den verunsicherten und für Neues ungewöhnlich aufnahmebereiten Zeitgenossen geistige Orientierung zu bieten. Die Dichter, Denker und Künstler, an die sie dabei anknüpften, lassen außer der Abkehr vom traditionellen Kanon deutscher Geistesgrößen und dem Hang zu einem vagen Mystizismus kaum Zusammenhang erkennen. In der Reihe »Vom Individuum zur Gemeinschaft« etwa beschäftigte man sich mit Hercules Seghers, John Keats, Leo Tolstoi, Vincent van Gogh, Johannes Comenius u.a. Häufig ritten die Referenten schlicht ihre Steckenpferde und stellten einen mehr oder minder plausiblen Zusammenhang zur aktuellen geistigen »Krise« her. Von den Heidelberger Hochschullehrern gehörte nur der Jurist Hans Fehr, der Schwager Prinzhorns, zum inneren Kreis der »Gemeinschaft«. Die Philosophen Hans Ehrenberg und Nikolai von Bubnoff, beides Fürsprecher einer »geistigen Ostorientierung«, der nordische Philologe Gustav Neckel und Marie-Luise Gothein hielten Vorträge in Veranstaltungsreihen der »Gemeinschaft«. Andere - wie Jaspers und der Theologe Hans von Schubert - nahmen sie vor empörten Kollegen öffentlich und universitätsintern in Schutz. Ins parteipolitische Spektrum läßt sich die »Gemeinschaft« nicht einordnen. Die genannten Personen hatten kaum politische Gemeinsamkeiten. Sie verband in erster Linie die Freude über das Ende des Krieges, die Lust am literarischen Experiment, ein schwärmerischer Existenzialismus und die chiliastische Hoffnung auf den Anbruch einer »neuen Zeit«. Ihre Veranstaltungen waren, wie es Mierendorff später formuliert hat, »mehr ein dynamisches als ein geistiges Erlebnis«. Als sich die Verhältnisse Anfang der zwanziger Jahre zu stabilisieren begannen, gingen die Mitglieder völlig verschiedene Wege und versuchten, das gemeinsame Lebensgefühl so gegensätzlich in die Tat umzusetzen, daß die »Gemeinschaft« bald zerbrach. Wenn auch diejenigen Mitglieder, die einer politischen Partei zuzuordnen sind, alle in der SPD waren, ist die »Gemeinschaft« politisch am ehesten als Vorläufer des Nationalbolschewismus oder der ›konservativen Revolution‹ anzusehen. Hierfür sprechen ihre Sympathie für die frühe Sowjetunion, ihr eigenartiger kulturrevolutionärer Gestus und ihre scharfe 40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Kritik am »alten« Konservativismus in Verbindung mit ihrem Festhalten an nationalen Ritualen (so gedachte die »Gemeinschaft« in einer Totenfeier der gefallenen Kommilitonen), Antimodernismus und positiver Bezugnahme auf Germanentum und Mystik. 95 Zu den traditionellen Foren Heidelberger Gelehrtenkultur gehörten der 1856 gegründete Naturhistorisch-Medizinische Verein und der 1863 gegründete Philosophisch-Historische Verein. In ihnen dominierten jüngere Hochschullehrer, meist Privatdozenten, beitreten konnten aber auch außerhalb der Universität tätige Akademiker. Diese Vereine sollten eine Verbindung zwischen Universität und städtischem Bildungsbürgertum herstellen. Ihre Wirkung als Multiplikatoren wissenschaftlicher Erkenntnisse, aber auch politischer und sozialer Konventionen, die die in diesen Vereinen dominierenden Universitätsgelehrten den übrigen Mitgliedern vermittelten, ist nicht zu unterschätzen. Beide Vereine verstanden sich ausdrücklich als »unpolitisch«. Sie trafen sich während des Semesters monatlich oder zweiwöchentlich, um jeweils den Fachvortrag eines Mitgliedes (meistens eines der Privatdozenten) zu hören. 96 Einige weniger wichtige Kreise seien kurz skizziert: Ehrenberg und von Weizsäcker gründeten zusammen mit Franz Rosenzweig, Eugen Rosenstock, Ehrenbergs Bruder Viktor und anderen im Krieg die Baden-Badener Gesellschaft, einen philosophisch-theologischen Diskussionszirkel junger Intellektueller, der sich ausdrücklich auf die Tradition des frühromantischen Jenaer Kreises bezog. 97 Der Philosophiedozent Erich Rothacker fand in den zwanziger Jahren in einem Kreis jüngerer Nichtordinarien »eine geistige Heimat«, dem der Romanist Leonardo Olschki, die Historiker Gerhard Ritter, Friedrich Baethgen, Percy Ernst Schramm und Hajo Holborn, der Indologe Heinrich Zimmer, der Philosoph Erich Frank, die Mediziner von Weizsäcker, Hans Gruhle, Johannes Stein und Karl Hansen sowie der Theologe Theodor Odenwald angehörten. In politischer Hinsicht war dieser Kreis, der sich nach einem Bonmot des Juristen Otto von Gradenwitz Incalcata (die unverkalkte Akademie) nannte, eine mit Ausnahme von Holborn und Gruhle deutschnationale Gruppe. 98 In derselben Villa am Schloßberg, die zu anderen Jahreszeiten Stefan George, »der ihn haßte und den er haßte«, bewohnte, versammelte der Schriftsteller Emil Ludwig universitäre, aber mehr noch außeruniversitäre Prominenz wie Martin Buber, Benvenuto Hauptmann, Georg Bernhard oder Reinhard Göring. Aus dem Lehrkörper nahmen von Weizsäcker, Ehrenberg und Hellpach teil. Als Gegengewicht zur ›lebendigen Geistigkeit‹ um Jaspers, Alfred und Marianne Weber verstand sich Mitte der zwanziger Jahre ein Kreis um den Neukantianer Heinrich Rickert, dem die Philosophen Ernst Hoffmann, Glockner, August Faust, Eugen Herrigel, aber auch der Jurist Gutzwiler angehörten und der philosophische und andere Texte des klassischen Altertums im Original studierte. 99 Durch die Erlebnisse im Weltkrieg wandten sich zahlreiche, bemerkenswerterweise vor allem medizinische Hochschul41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
lehrer verstärkt der Religion zu. Es bestanden enge gesellschaftliche und intellektuelle Kontakte zu Angehörigen der theologischen Fakultät. Zum Freundeskreis des Leiters der medizinischen Klinik Ludolf von Krehl etwa gehörten neben seinen Fakultätskollegen Paul Ernst, Albrecht und Hermann Kossel, von Weizsäcker, Richard Siebeck und August Wagenmann die Theologieprofessoren von Schubert, Walther Köhler, Dibelius und Otto Frommel sowie der Jurist Richard Thoma und der spätere Direktor der Universitätsbibliothek Rudolf Sillib. 100 Stellten die verschiedenen Diskussionszirkel und Salons der Heidelberger Gelehrtenkultur die Foren wissenschaftlichen, aber auch politischen Austauschs dar, die teilweise in ungewöhnlich hohem Maße auf öffentliche Wirkung zielten und in denen Beziehungen geknüpft und informelle Themen verhandelt wurden, die die Politik der Universität und das politische Klima in ihr mitbestimmten, so soll es im folgenden um die legitimierten Vertreter der Universität in Politik und Öffentlichkeit gehen.
8. G e w ä h l t e R e p r ä s e n t a n t e n des L e h r k ö r p e r s Bis zur Novemberrevolution vertraten der Prorektor 101 und der Universitätsvertreter in der ersten Kammer der Ständeversammlung als gewählte Repräsentanten des Lehrkörpers die Universität nach außen. Seit 1919 übernahm allein der Rektor diese Aufgabe. Gewählte Vertreter der Fakultäten waren die Dekane. Für alle diese Ämter waren ausschließlich Ordinarien wählbar. Neben formalen Gründen wie der halbwegs regelmäßigen Berücksichtigung aller Fakultäten bei der Rektorwahl und einer gleichmäßigen Verteilung der mit dem Dekanat verbundenen Arbeit und Einnahmen in den kleinen Fakultäten haben bei diesen Wahlen ebenso wie an anderen Universitäten102 politische Überlegungen eine Rolle gespielt. So wurde der seit 1914 mit extrem nationalistischen Äußerungen und seit 1923 als Parteigänger Hitlers hervortretende Physikprofessor Philipp Lenard nach 1915 nicht mehr zum Dekan gewählt, obwohl im selben Zeitraum andere Ordinarien (Jost, Herbst, Liebmann, Salomon) zweimal dieses Amt innehatten. 103 Je kleiner die Zahl der Ordinarien in einer Fakultät war, desto häufiger mußten sie das Dekanat und, soweit ein Fakultätsturnus eine Rolle spielte, auch andere Selbstverwaltungsämter übernehmen. Umso mehr fällt auf, daß in der juristischen Fakultät Fehr (als einziger der länger als fünf Jahre Lehrenden) nie Dekan wurde, während später Berufene ihm vorgezogen wurden — vielleicht wegen seiner Zugehörigkeit zur anrüchigen »Heidelberger Gemeinschaft«. 104 In der medizinischen Fakultät war der Zentrumsmann Blessing der einzige, der zwischen 1914 und 1933 länger als fünf Jahre Ordinarius war und nie ein Amt in der akademischen Selbstverwal42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tung bekleidete. Auch der zeitweilig der USPD angehörende Ordinarius Lederer wurde trotz langjähriger Zugehörigkeit zum Lehrkörper nie in ein akademisches Amt gewählt. Anders als in der medizinischen Fakultät finden sich in der etwa gleich viele Ordinarien umfassenden philosophischen mehrere, die trotz mehr als fünfjähriger Zugehörigkeit nie mit Selbstverwaltungsämtern betraut wurden: Neben Lederer Rickert, der Althistoriker Eugen Täubler, der Altphilologe Otto Regenbogen, Olschki sowie der Ägyptologe Hermann Ranke. Bei Rickert dürften psychische Gründe die Übernahme eines Amtes ausgeschlossen haben. 105 Die übrigen fünf aber wurden alle nach 1933 entlassen: vier aus ›rassischen‹ Gründen, Ranke weil er einen Fahnenflüchtigen unterstützt hatte. Der einzige jüdische Ordinarius, der in der philosophischen Fakultät zwischen 1914 und 1933 Dekan wurde, war Gundolf, während in den übrigen weltlichen Fakultäten jüdische Dekane durchaus üblich waren. Zumindest in der philosophischen Fakultät belegen die Besetzung des Dekanats, der ›Fall Gumbel‹, die besonders rasche Entlassung der ›nicht-arischen‹ Kollegen nach 1933 und andere Indizien, daß häufig »nicht nach sachlichen, nicht nach menschlichen, sondern nach Gesichtspunkten des politischen Opportunismus entschieden« wurde. 106 Die Entscheidung über den künftigen Rektor fiel jeweils bereits ein Jahr vor der eigentlichen Wahl, da der Große Senat, die Versammlung der wahlberechtigten planmäßigen und ordentlichen Honorarprofessoren, bis 1933 jeweils gleichzeitig mit dem Rektor einen für den bisherigen Prorektor in den Senat nachrückenden rector designatus wählte. 107 Von den zweiundzwanzig in den Jahren 1913 bis 1933 auf diese Weise gewählten Ordinarien waren zwanzig evangelisch (darunter drei konvertierte Juden), aber nur zwei katholisch und keiner mosaischen Bekenntnisses. Neun gehörten der philosophischen, vier der juristischen und j e drei den drei übrigen Fakultäten an. Den Ordinarien der philosophischen Fakultät traute man also am ehesten die Vertretung der Gesamtuniversität zu, während Mediziner unter den Rektoren stark unterrepräsentiert waren. 108 Angehörige der religiösen Minderheiten innerhalb des Lehrkörpers hatten noch größere Schwierigkeiten, Rektor oder Dekan zu werden, als ohnehin, um ein Ordinariat zu erreichen. Auch wenn sich die Universität in dieser Hinsicht etwas öffnete - im ganzen Kaiserreich gab es nur drei nicht-protestantische Heidelberger Rektoren (zwei Altkatholiken und einen Juden) 109 - waren in der Republik die Rektoren und ebenso die Dekane in der Regel weiterhin evangelisch, zwischen 55 und 60 Jahre alt, seit mindestens fünf Jahren in Heidelberg Ordinarius 110 und vertraten gemäßigte politische Positionen. Die Novemberrevolution und die Ausweitung des aktiven Wahlrechtes in der universitären Selbstverwaltung änderten in dieser Beziehung nichts. Seit 1927 ist allerdings ein Generationswechsel zu konstatieren. 111 Da in Baden im Gegensatz zu den Universitätsverfassungen anderer deutscher Staaten 112 Rektoren nicht wiedergewählt werden konnten, war 43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ein Wechsel der die Gesamtuniversität repräsentierenden Personen und ihrer politischen Orientierung vorgegeben. Gleichwohl gibt es auffällige Parallelen zwischen dem herrschenden politischen Zeitgeist und der R e k torwahl: In Zeiten eines chauvinistisch aufgeputschten und antiliberalen Klimas wählte man eher Konservative, während sich die Universität Heidelberg in reformfreudigeren Jahren durch die Wahl ihrer Repräsentanten zum republikanischen Staat bekannte und die Bereitschaft der Mehrheit im Lehrkörper, den Regimewechsel mitzutragen, unterstrich. Die Rektoren Eberhard Gothein (1914/15), Christian Bartholomae (1918/19), Georg Klebs,113 Gerhard Anschütz (1922/23), Franz Boll (1923), 114 Karl Hampe (1924/25), Martin Dibelius (1927/28 und 1929), 115 Karl Heinsheimer (1928/ 9) und Emil Gotschlich (1929/30) sind dem liberal-demokratischen Lager zuzurechnen. 116 Während es Zufall ist, daß Liberale die Universität im August 1914 und während der Novemberrevolution leiteten und vertraten, so ist ihre Häufung in den zwanziger Jahren als bewußte Zeichensetzung zu verstehen. Fünf für die DDP engagierte oder mit ihr sympathisierende Rektoren (Anschütz, Gothein, Hampe, Dibelius, Heinsheimer) waren unter den Weimarer Universitäten äußerst ungewöhnlich. Die Mehrheit im Lehrkörper wählte zwischen 1921 und 1928 hauptsächlich dezidiert liberale und offen parteipolitisch engagierte, aber gleichwohl gemäßigte und national empfindende Repräsentanten. Sie knüpfte damit an ihre Haltung in den letzten Jahren des Kaiserreichs an, als sie sich in der Ständeversammlung von 1909 bis 1915 durch Troeltsch und anschließend durch Oncken vertreten ließ. Beide gehörten der nationalliberalen Partei an, Oncken war seit 1912 in Heidelberg ihr Vorsitzender und sollte während des Weltkrieges sogar Reichstagsabgeordneter werden. Beide waren Anhänger Friedrich Naumanns, stark politisch engagiert und nahmen regelmäßig teil an den »Jours«. Sie waren mithin typische Vertreter der spezifischen Heidelberger liberalen Gelehrtenkultur. 117 Mit Johannes Bauer (1915/16), Carl Bezold (1916/17), Friedrich Endemann (1917/18), Johannes Hoops (1920/21), Erich Kallius (1923/24), Heinrich Liebmann (1925/26) und Friedrich Panzer (1926/27) wurden immer wieder auch konservative und mit der ›nationalen Opposition‹ gegen die Weimarer Republik sympathisierende Rektoren gewählt. Die Zuordnung der Rektoren erlaubt Aussagen über die Mehrheitsverhältnisse im Lehrkörper: 1914 bis 1916, während der allgemeinen Kriegseuphorie, dominierten konservative Nationalisten. 1917/18 hatten die liberalen Imperialisten Oberhand. Anschließend waren die Mehrheitsverhältnisse bis Mitte der zwanziger Jahre labil. 1927 bis 1930 folgten drei Jahren liberaler Dominanz. In der Phase des nationalsozialistischen Machtgewinns wurden dann mit Karl Meister, Otto Erdmannsdörffer, Willy Andreas und Walter Jellinek 118 nur noch Gegner der parlamentarischen Demokratie gewählt. 119 Die meisten konservativen Rektoren verhielten sich, ebenso wie diejenigen, die sie gewählt hatten, politisch durchaus opportunistisch: sie fanden 44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
sich mit den jeweils herrschenden Verhältnissen ab, waren nationalistisch und staatsloyal und empfanden politische Opposition als unangemessen für einen deutschen Professor. Solange die Republik stabil erschien, waren sie Interessenrepublikaner, 120 in der Krise der Republik und angesichts des Zulaufs zur NSDAP schwenkten sie ins Lager der ›nationalen Opposition‹. 121 Die Wahl des Historikers Andreas, eines der vielen in dieser R i c h tung abgewanderten ehemaligen DDP-Sympathisanten, drückte insofern 1931 geradezu idealtypisch die Anpassung der liberalen Universität Heidelberg an den Zeitgeist aus. 122
9. R e i c h s g r ü n d u n g s f e i e r n als politische E r z i e h u n g Anläßlich des bevorstehenden 50. Jahrestages der Reichsgründung beschloß der Hochschultag in Halle, ab 1921 an allen Universitäten jeweils am 18. Januar einen »dies academicus« zu veranstalten. Mit diesen »Reichsgründungsfeiern« stellten die Universitäten sich demonstrativ in die Tradition der zusammengebrochenen Monarchie. Zudem wollten sie bewußt den Bestrebungen der Reichsregierung entgegenwirken, den Verfassungstag am 5. August als republikanischen Feiertag zu etablieren. 123 Bereits 1920 hatte es einen von der Studentenschaft organisierten Vorläufer derartiger Reichsgründungsfeiern gegeben. Nach einem Fackelzug sprach der deutschnationale Jurist und ehemalige Rektor Endemann, der Spiritus rector der antirepublikanischen Korporationen. Mit dem Gelöbnis, »treu zum Deutschen Reich zu stehen« war man auseinandergegangen. 124 Während in den folgenden beiden Jahren nach einer angemessenen Form für die Reichsgründungsfeier gesucht wurde — 1921 beging man sie gemeinsam mit der Stadt, 1922 knüpfte man mit Festkommers und Fackelzug an burschenschaftliche Traditionen an -, fand man 1923 zu einem Ritual, an dem man bis 1933 festhielt: Ein prominenter Ordinarius hielt anstelle der an diesem Tag ausfallenden Lehrveranstaltungen vor der Vollversammlung aller Studenten und Angehörigen des Lehrkörpers einen Festvortrag aus seinem Fachgebiet, der ein Thema von allgemeinem Interesse und politischer Relevanz behandelte. Die Liste der mit Reichsgründungsreden Betrauten weist insgesamt deutlich konservativere Gelehrte auf als die der Rektoren. Erst in den letzten Jahren der Republik finden sich mit Thoma, Hoffmann und dem Mineralogen Wilhelm Salomon-Calvi auch Anhänger des neuen Staates unter ihnen. Die große Mehrzahl der an den deutschen Universitäten zu diesem Anlaß gehaltenen Reden war von der Tendenz geprägt, das Reich von 1871 oder zumindest die mit ihm verbundenen Werte zu glorifizieren und damit implizit die Republik als Rückschritt zu charakterisieren. Außer Mitteis 1926 wichen die Heidelberger Reichsgründungsredner von dieser Regel ab 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
und vermieden auch offene Kritik am republikanischen Staat, die an anderen Universitäten an der Tagesordnung war. Die meisten wollten »in einer Stunde der Selbsteinkehr gemeinschaftliches Empfinden wecken, die Gemüter verbinden, nicht Gegensätze aufreißen oder vertiefen.« 125 Man zog sich also im allgemeinen auf den nationalistischen Grundkonsens zurück und nahm zu politischen Streitfragen nicht Stellung. Neben Mitteis sorgte der Pädagoge Hoffmann für die zweite Ausnahme. Auf dem Höhepunkt der nationalsozialistischen Studentenbewegung verteidigte er couragiert die Freiheit von Forschung und Lehre. 1932 und 1933 folgten zwei Reden ohne jegliche politische Bezüge - ein bezeichnender Ausdruck für den Rückzug der meisten Gelehrten von politischem Engagement angesichts der akuten Krise der Republik. 126 Dennoch ist bemerkenswert, daß die Universität Anfang 1933, kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme und trotz der aggressiv antisemitischen Studentenbewegung einen konvertierten Juden auf ihrer Reichsgründungsfeier sprechen ließ. Wenn Reichsgründungsreden auch keine offiziellen Stellungnahmen der Universität darstellten und sie deshalb in den folgenden Kapiteln im jeweiligen inhaltlichen Kontext behandelt werden, so macht die Tatsache, daß selbst eine relativ liberale Universität der Gründung des untergegangenen Reiches gedachte, aber keinerlei republikanische Gedenktage beging, doch deutlich, wie distanziert das Verhältnis der Institution Universität zur Weimarer Republik war. Tab. 3: Reden bei den Reichsgründungsfeiern 1920-35 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935
(Stadt und Universität zusammen) Oncken, Unser Reich Fackelzug und Festkommers mit Reden von Rektor Beer und Wolfgang Windelband, Themen unbekannt zu Dohna, Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung Andreas, Die Wandlung des großdeutschen Gedankens Panzer, Deutsche Heldensage und deutsche Art Mitteis, Wege zur deutschen Staatsgesinnung von Krehl, Zur Reichsgründung Thoma, Die Forderung des Einheitsstaates von Schubert, Altes und neues Reich deutscher Nation Jost, Die Entstehung der großen Entdeckungen der Botanik Hoffmann, Die Freiheit der Forschung und der Lehre Brinkmann, Wirtschaftsform und Lebensform Salomon-Calvi, Die Bedeutung der Bodenschätze und -formen für Deutschlands politische Entwicklung NSDAP-Kreisleiter Roth (Mannheim), Die nationalsozialistische Revolution »Feier des zweiten und dritten Reichs« am 30. Januar: Unterrichtsminister Wacker, Deutschlands Reichswerdung
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II. P o l i t i k v e r s t ä n d n i s u n d s o z i a l e
Rollendefinition
1. Das Verhältnis v o n Wissenschaft u n d Politik Die Frage, inwieweit ein Wissenschaftler seine Arbeit als politisch relevant ansieht, ist letztlich durch seinen Wissenschaftsbegriff präjudiziert, also durch eine individuelle normative Grundentscheidung, nur kognitiv-informative Zielsetzungen für sein Erkenntnisinteresse und sein wissenschaftliches Wirken zuzulassen oder beides in den Dienst allgemeinerer Ziele zu stellen. 1 Im Untersuchungszeitraum lagen zwei das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik gegensätzlich bestimmende Paradigmen im W i derstreit, ein traditionelles, aus dem 19. Jahrhundert herkommendes, und ein modernes, das Max Weber formuliert hat. In der Phase der nationalsozialistischen Machtübernahme setzte sich schließlich mit der weitgehenden Politisierung der Universitäten eine dritte Konzeption durch, die zwar gewisse Verwandtschaft mit dem traditionellen Paradigma aufwies, aber letztlich nicht aus der gelehrten Selbstreflexion und dem Widerstreit der beiden Denkweisen entstanden war. Neben anderen wichtigeren Ursachen dürfte die Verunsicherung, die durch den sich ankündigenden, aber im Untersuchungszeitraum nicht vollendeten Wechsel hin zum modernen Paradigma bei vielen Gelehrten entstanden war, dazu beigetragen haben, daß sie zu dem sacrificium intellectus bereit waren, das die Unterwerfung der Universität unter die Politisierungsforderungen der Nationalsozialisten bedeutete. Diese Umbruchsituation führte zu einer verwirrenden Fülle häufig sehr subjektiver und auf völlig verschiedenen Reflexionsniveaus liegender Äußerungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Diese lassen sich strukturieren, indem man sie auf die beiden konkurrierenden Paradigmen bezieht. 1.1. Das traditionelle Paradigma Das traditionelle Paradigma über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik besagte, daß »wissenschaftliche Politik« möglich sei. Mit Hilfe verschiedener Wissenschaften und nur auf diesem Wege könnten objektive Lösungen für alle politischen Probleme gefunden werden. Unter Rückgriff auf Fichte beschrieb der Philosophieordinarius Rickert idealtypisch, wie eine solche wissenschaftliche Politik vorzugehen habe: Zunächst müsse sie mit Hilfe 47
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der Philosophie bestimmen, wie das Ziel des politischen Handelns, der »Wertstaat«, aussehen soll, sodann mithilfe der Geschichtswissenschaft den aktuellen Zustand des Staates analysieren. Nach diesen beiden theoretischen Schritten sei die eigentliche Politik kein Problem, denn »es kann nicht schwierig sein, die Bahn zu finden und anzugeben«, auf welcher die Staaten vom vorgefundenen zum Idealzustand »fortzugehen haben«. Die größten Schwierigkeiten sah Rickert in der Bestimmung des Zieles der Politik und damit bezeichnenderweise bei dem Teilbereich seines Modells, den er am besten kannte. Nur eine idealistische Philosophie ermögliche wissenschaftliche Politik, da nur sie dem utopischen Charakter der politischen Zielbestimmung gerecht werde, indem sie »auch die Werte, die gelten, ohne wirklich zu sein, zum Gegenstande einer wissenschaftlichen Untersuchung macht... Denn allein auf Grund einer Kenntnis der Werte, die gelten, vermag der Politiker zu sagen, was im Staate geschehen soll und wie daher das politische Programm zu gestalten ist.« Wiederum in Anlehnung an Fichte bezeichnete Rickert die »aus wissenschaftlichen Grundsätzen«, nämlich aus der Ethik, ableitbare Politik als sozialistisch. Sozialismus bedeutete für ihn primär, daß der Staat in das Wirtschaftsleben eingriff, und war mit einem »ethischen Individualismus« vereinbar. Vom »wissenschaftlichen Sozialismus« marxistischer Prägung grenzte Rickert sich ab, da dieser seine Prinzipien aus »der Betrachtung des faktisch vorhandenen Wirtschaftslebens« ableite. Während Rickert alle praktischen, »technischen« Probleme der Politik und der Gegenwartsanalyse negierte, blieb er immerhin in der Frage, ob das politische Ziel wirklich wissenschaftlich zu erkennen sei, skeptisch. Damit war wissenschaftliche Politik einstweilen zwar noch nicht, aber doch prinzipiell möglich, wenn nur hinreichend Ethik getrieben werde. 2 Der Geograph Alfred Hettner vertrat das traditionelle Paradigma philosophisch weniger reflektiert und deshalb in den Konsequenzen umso ungebrochener. Für ihn war in klassisch aufklärerischer Formulierung »Erkenntnis der Wahrheit« als das Ziel aller Wissenschaft »einer der stärksten Hebel des Fortschritts der Menschheit zu höherer Kultur; an die theoretische Wissenschaft muß immer wieder eine praktische oder angewandte Wissenschaft anknüpfen, die die Erkenntnis der Wahrheit den Zwecken des Lebens dienstbar macht.« Seinem Fach falle in diesem Zusammenhang »die Aufgabe zu, die Ziele und Wege der Politik aus ihren geographischen Bedingungen heraus zu prüfen. Ist das Deutschland, wie wir es wünschen, geographisch möglich, oder wie muß es aussehen, um geographisch möglich zu sein?« Wie Rickert erschien Hettner die Bestimmung der Ziele, die die Geographie mitzubestimmen habe, als das Hauptproblem. Fehle die Mitwirkung der Wissenschaft, »so kommt Bierbankpolitik heraus. Die Politik muß also auf geographischer Grundlage ruhen, und für den Politiker ist geographische Einsicht erforderlich.« 3 Dieses Paradigma bedeutete einen Primat der Wissenschaft vor der Poli48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tik. 4 Dasselbe Verständnis von wissenschaftlicher Politik leitete den Volkskundler und Leiter des Hochschulwesens im badischen Kultusministerium, Eugen Fehrle, als er 1934/35 mehrfach den »Begründer der Volkskunde«, Wilhelm Heinrich Riehl mit dem Satz zitierte, »Volkskunde sei die Vorhalle zur Staatswissenschaft, und Staatsführung sei angewandte Volkskunde«, woraufhin er befriedigt konstatierte, im Dritten Reich sei die von Riehl geforderte Verwissenschaftlichung der Politik »Wahrheit und Wirklichkeit geworden.« 3 Und für den wie Fehrle den Nationalsozialisten nahestehenden Philosophiedozenten Glockner war in der Auseinandersetzung mit Marx' Feuerbachthesen Politik letztlich ein hermeneutisches Problem. Die Welt könne im Grunde nur durch Neuinterpretation verändert werden. 6 Mit Hilfe des traditionellen Paradigmas verliehen sich viele Wissenschaftler eminente Bedeutung für verschiedene Politikfelder: die Philosophen fühlten sich für die Ideale und Staatsziele zuständig, die Historiker für die Analyse der Traditionen, aus denen die Politiker zu lernen und die sie zu respektieren hatten, die »Staatswissenschaftler«, Nationalökonomen und Soziologen, Geographen sowie Vertreter anderer Disziplinen für weitere Bereiche. 7 Dieses Selbstverständnis war mitursächlich für die Staatsloyalität und nationale Identifikation der Professoren.8 Für weitere, vorwiegend konservative Gelehrte war es zwar nicht Aufgabe der Wissenschaftler, die Ziele der Politik vorzugeben, wie es das traditionelle Paradigma besagte. Aber sie hatten eine mittelbare, die Politiker vor allem ideologisch unterstützende politische Funktion. Der Germanist Panzer wünschte sich bei einer Rede, daß seine »durchaus unpolitischen« Ausführungen »in ihrer Anwendung auf die Politik von den Zuständigen erwogen« würden. 9 Sein Kollege Gundolf sagte über sein Verhältnis zur Politik: »Der Hüter der Bildung ... kann nicht gute Politik machen... Doch die Luft kann er regen helfen, worin einsichtige Taten gedeihen, und Geister werben für kommende Helden.« 10 In diesem Zusammenhang steht auch der Topos, Deutschland könne nach der Niederlage von 1918 nur durch die Besinnung auf seine Qualitäten als »Kulturnation«, zu denen an vorderster Stelle die wissenschaftlichen zählten, auferstehen. 11 Hierdurch bekamen Professoren als Ausbilder der kulturellen Elite eine zentrale national-pädagogische Funktion. Nicht zuletzt durch diese weitverbreitete Sichtweise ließ sich das traditionelle Paradigma mit dem distanzierten Verhältnis der konservativen Hochschullehrer zur Weimarer Republik in Einklang bringen. Die wissenschaftliche Fundierung galt weniger dem konkreten politischen Handeln, das im traditionellen Paradigma ohnehin geringgeschätzt wurde, als allgemeinen nationalen Werten und Zielen. Manche Konservative, wie der Historiker Wolfgang Windelband, sahen gerade wegen der Niederlage eine gegenüber der Vorkriegszeit gestiegene politische Verpflichtung: »Der deutsche Historiker darf sich heute nicht einfach auf die stille Forschertätigkeit zurückziehen, ... sondern er steht wieder vor ähnlichen Aufgaben wie die ›politischen Historiker‹ des vergan49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
genen Jahrhunderts... Es gilt also, bei der wissenschaftlichen Arbeit den dringenden Bedürfnissen des praktisch-politischen Lebens Rechnung zu tragen.« Sein Kollege Ritter pflichtete ihm bei: »Wir Akademiker haben angesichts der Not eine doppelte Aufgabe: das Bewußtsein wachzuhalten von der strengen reinen Aufgabe des deutschen Geistes ...; den Stolz auf unsere gute deutsche Geistesart aufzurufen in den zertretenen schwachmütigen Herzen und sie uns nicht beschmutzen zu lassen durch das Gesindel feiger, undeutscher Literaten, das sie heute begeifert.« 12 Selbst Vertreter politikferner Fächer wie der Mathematiker Liebmann betonten, alle akademischen Berufe müßten »im Dienste des Vaterlandes, der schwer ringenden teuren Heimat stehen«. 13 Bei den Reichsgründungsfeiern, in den Immatrikulationsreden der Rektoren und ihren Geleitworten im »Universitätskalender« waren derartige Verweise auf die politische Verantwortung der Universität für das in Not geratene Vaterland nahezu obligatorisch. 14 Die liberal-demokratischen Dozenten Mannheim und Thoma hielten zwar wissenschaftliche Politik für möglich. Als Folge ihrer Beschäftigung mit den von Rickert ignorierten sozial-ökonomischen Voraussetzungen politischer Ideologien, Weltanschauungen und Handlungsperspektiven, konnte es für sie aber keine zwangsläufig aus einer (objektiven) Analyse folgende wissenschaftliche Politik geben. Sie waren vielmehr davon überzeugt, »daß Politik nur parteilich gebunden erforscht und in Parteischulen gelehrt werden kann.« Denn »eine wissenschaftliche Behandlung politischer Probleme ist nur ... möglich unter der Voraussetzung, daß sich die Diskutierenden auf gleiche Werttafeln einigen.« 15 Während Thoma bei dieser relativistischen Überzeugung blieb und damit wie der Hauptvertreter des modernen Paradigmas, Max Weber, eine der entscheidenden ideologischen Positionen aufgab, auf denen das soziale Selbstverständnis der Gelehrten jahrhundertelang basiert hatte, ging Mannheim einen für Hochschullehrer charakteristischen Schritt weiter, mit dem er aber zugleich hinter seine eigene Erkenntnis von der »Standortgebundenheit« allen politischen Denkens zurückfiel. Der »Weg über Parteiwissenschaft und Parteischule« sei »nur der eine«, den vornehmlich Vertreter extremer politischer Standpunkte einschlügen, da es ihnen »darauf ankommen muß, an den Spaltungen festzuhalten, das Antagonistische zu verabsolutieren und das Problem der Ganzheit zu verdrängen.« Die Einsicht in die Standortgebundenheit des politischen Denkens ermögliche aber »nicht nur, die notwendige Parteilichkeit eines jeden politischen Wissens« zu erkennen, »sondern auch seine jeweilige Partikularität«. Alle »parteilichen Aspekte« seien »jeweils sich ergänzende Teilansichten« eines »Ganzen«. Und »gerade weil wir in der Lage sind, immer klarer zu sehen, daß die einander gegenüberstehenden Aspekte und Theorien ... sich ergänzen, wird Politik als Wissenschaft erst wirklich möglich.« Um »der Pflicht einer höheren Form einer politischen Wissenschaft zu dienen«, schlug Mannheim massive Eingriffe in die Universitätsstruktur und eine grundlegende Revision »unsere[r] gesamte[n] Wissen50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schaftsauffassung« vor.16 Welche zentrale politische Rolle für Wissenschaftler aus dieser modern begründeten, aber dennoch traditionsverhafteten Auffassung folgt, liegt auf der Hand, soll aber erst im folgenden Abschnitt thematisiert werden. Große Nähe zu Mannheim wiesen die Überlegungen des jungkonservativen Privatdozenten für Sozialethik Heinz-Dietrich Wendland auf, auch wenn er jenen nie erwähnte oder zitierte. Er ›übersetzte‹ Mannheims Terminologie gewissermaßen ›ins Konservative‹, wenn er feststellte, alle »politischen Gedanken« seien »an tiefere Geistesentscheidungen gebunden«. Hiermit habe sich eine »Theologie der Politik« wissenschaftlich zu beschäftigen. Ihr gab Wendland drei Aufgaben: »1. die Lehre vom Grunde und den Grenzen des Staates und des politischen Handelns, 2. die Bestimmung der eigentümlichen Verantwortung des Christen und der Kirche für den Staat..., 3. die Kritik der politischen Weltanschauungen.« Die »Theologie der Politik« allein garantiere »die echte Begegnung von Glaube und Politik« und bedeute »geradezu die Wiedereinsetzung des echt Politischen«.17 Wie Mannheim sah Wendland politisches Denken generell als »standortgebunden« an und hielt allein wissenschaftlich eine »Aufdeckung« (den Begriff »Aufklärung« vermied er tunlichst) der »letzten Geistesentscheidungen hinter den politischen Systemen und Ideologien« für möglich.
1.2. Das moderne Paradigma Das moderne Paradigma hinsichtlich des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik prägte Max Weber und vertrat es vor allem in seinen methodologischen Publikationen, die heftige Kontroversen auslösten. Er entschied sich radikal für kognitiv-informative »sachliche« Wissenschaft. Wissenschaft arbeite mit Tatsachenfeststellungen, Vergleichen und logischen Schlüssen. Behandle sie politische Themen, so müsse sie sich »sehr hüten, vom Katheder herunter irgendeine Stellungnahme, sei es ausdrücklich, sei es durch Suggestion ... aufzudrängen«, sondern dürfe immer nur so weit gehen, »daß der Hörer in der Lage ist, den Punkt zu finden, von dem aus er von seinen letzten Idealen aus Stellung dazu nehmen kann.« Weber nahm damit keineswegs dem Wissenschaftler das Recht auf politische Betätigung. Er selbst war einer der politisch aktivsten Professoren. Er stellte nur apodiktisch fest: »Politik gehört nicht in den Hörsaal.« Weber bestritt nicht die politische Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse, relativierte sie allerdings insofern, als er ihnen eine individuelle politische Grundentscheidung aufgrund »letzter« ethischer, also außerwissenschaftlicher Werte voranstellte. In der Sphäre der Wissenschaft, der Erfahrung und der Tatsachen herrschte für Weber ein »Polytheismus« der Werte, der den einzelnen zwinge, in einer autonomen Wertentscheidung »zu wählen, welchem dieser Götter oder wann er dem einen und wann dem andern dienen will und soll.« Damit 51 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
bestritt er, daß wissenschaftlicher Erkenntnisse a priori nationalpolitische Relevanz hätten. Er tat es oft in polemischem Ton: »Wo steht denn auch geschrieben, daß irgendein an Universitäten oder anderen Hochschulen gelehrtes Fachwissen ... irgendeine Qualifikation für politisches Urteil und politische Realitäten vermittle? ... Der charakteristische deutsche Glaube: daß unsere öffentlichen Bildungsanstalten Stätten politischer Schulung sein könnten, ist eines der lächerlichsten Vorurteile. Fachwissen sollen sie bieten, und Fachwissen qualifiziert zum Gelehrten oder Beamten oder Techniker, aber es macht ganz gewiß nicht den Politiker. Der Berater über sachliche und technische Fragen und die ausführende Hand des Politikers hat der Fachmensch zu sein, aber nicht der Träger der verantwortlichen politischen Entschließungen.«18 Die durch sozialökonomische Veränderungen bedingte und viele Gelehrte verunsichernde Infragestellung ihres politischen Führungsanspruches als geistige Elite verschärfte Weber durch seinen erkenntnistheoretischen Angriff. Er reduzierte die Gelehrten auf »Fachmenschen«, was in scharfem Gegensatz zu ihrem elitären Selbstverständnis stand. Zahlreiche Heidelberger Universitätslehrer nahmen das Webersche Wissenschaftsethos und seine Forderung nach Entpolitisierung der Hörsäle auf, kamen dabei aber zu unterschiedlichen Handlungsmaximen. Webers grundsätzliche und philosophisch fundierte Überlegungen stießen vor allem bei beiden Philosophieordinarien, die sonst wenig miteinander verband, auf große Resonanz. 19 Jaspers spitzte den von Max Weber entwickelten Gedanken mit philosophischer Konsequenz und Unerbittlichkeit in einer Weise zu, der der politischere und pragmatischer denkende Weber nicht gefolgt wäre. Während Jaspers wie Weber den Universitätsangehörigen »als Menschen«, als welche sie »ihrem Volke zugehörig und mehr oder minder leidenschaftlich Partei« seien, politische Betätigung zugestand, gestattete er ihnen »als Glieder der Universität«, keine »politischen Kundgebungen«: »selbstverständlich keine parteipolitischen, aber auch keine nationalen, nicht etwa weil die Universität gegen die Nation wäre, sondern weil sie als Universität allein durch Leistung und geistiges Schöpfertum der Nation dient, nicht durch Kundgebungen, zu denen sie als Institution nicht berufen ist... Auch wenn alle Glieder als Menschen und Volksgenossen völlig einig sind, ist es ein Flecken für die Idee, wenn sie diese politische Einigkeit durch die Universität äußern, sie sollen es außerhalb ihrer tun... Die Universität kann auch als Institution nationale Großtaten nicht ehren, ohne ihre Grenzen zu überschreiten.« Durch solche Ehrungen — etwa die Verleihung von Ehrendoktorwürden würde sie sich zum Richter »über Gesinnungen oder über den nationalen Wert der Taten« aufwerfen und »sich ein Urteil anmaßen über ... etwas, das Gott oder das Volk angeht.« 20 Bei Gelehrten, die so rigoros wie Jaspers die Entpolitisierung der Universität forderten, verband sich das moderne Paradigma mit einem deutlichen Hang zu apolitischem Rückzug aus der m o dernen Gesellschaft. Sie traten mit einer neuen Begründung die Nachfolge einer traditionellen Position innerhalb der deutschen Universitäten an, für 52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
die ein radikaler Gegensatz zwischen »Geist« und Politik bestand und für die jegliche Vermischung mit Politischem die »Reinheit« wissenschaftlichen Forschens zerstörte. Dies entsprach nicht Max Webers Intentionen, war aber in seinem Postulat wissenschaftlicher Werturteilsfreiheit angelegt. In Heidelberg scheint jene traditionell-apolitische Position nicht sehr verbreitet gewesen zu sein. Jedenfalls wird sie in keiner der Publikationen offen vertreten. Sie klingt aber bei Meister, dem Rektor von 1930/31, bei von Krehl, Gundolf u.a. an und dürfte bei vielen, die sich nicht politisch äußerten, der Grund für ihre Abstinenz gewesen sein. 21 Rickert, ein Hauptvertreter des traditionellen Paradigmas, versuchte im Lauf der Zeit, den Gegensatz zu Max Weber abzuschwächen. 22 Ging Jaspers von Webers Forderung nach Entpolitisierung der Hörsäle 23 aus und hatte diese radikalisiert, so stand für Rickert im Vordergrund, welche politische Relevanz Wissenschaft für Weber behalten hatte. Er stimmte Weber zu, daß der politisch Handelnde »nur die Mittel« theoretischer Erkenntnis zu entnehmen vermöge. »Die Ziele aber hängen nicht von seinem Wissen, sondern von seinem Wollen ab. Und dabei sind die Werte, die verwirklicht werden sollen, von entscheidender Bedeutung.« Für Rickert war Philosophie die Wissenschaft von den Werten, und damit waren Webers »letzte Ideale« wiederum Gegenstand wissenschaftlicher, nämlich philosophischer Erkenntnis. Philosophisch basierte der Unterschied somit letztlich auf der gegensätzlichen Beantwortung der Frage, ob »Ethik als Wissenschaft« möglich sei. Rickert kritisierte Webers »schroffe Scheidung von Wissen und Handeln«: »Können wir hier nur trennen? Werden wir nicht schließlich nach einem Einen suchen, das [wissenschaftliche] Kontemplation und [politische] Aktivität wieder miteinander verknüpft? ... Die wissenschaftliche Philosophie wird das praktische Wollen und das theoretische Wissen unter ein beiden übergeordnetes wissenschaftliches Prinzip zu bringen suchen.« 24 Webers Begrenzung der politischen Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse galt damit für Rickert für alle Wissenschaften außer der eigenen, der idealistischen Philosophie, die als Metawissenschaft über den anderen stand und trotz Webers Kritik weiter in der Lage war, nicht nur politische »Mittel«, sondern auch Ziele zu bestimmen und zu bewerten. Der Führungsanspruch der Wissenschaftler in allen Fragen einschließlich der politischen war wiederhergestellt. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Politisierung der Universität hat Rickert seine Auffassung weiter an die Webers angenähert und gestand die Inkommensurabilität von wissenschaftlichem und politischem Denken zu: »So gewiß Kunst, Politik und Religion sich nicht in Wissenschaft auflösen lassen, so gewiß sind Weltanschauungen, die sich auf Kunst, Politik, Religion oder andere atheoretische Lebensmächte stützen, nicht mit dem in Deckung zu bringen, was man theoretisch zu begründen vermag.« Wie Weber ging der späte Rickert 1933 in bemerkenswertem Gegensatz zum Zeitgeist von einer »notwendigen Trennung von Wissenschaft und Weltanschauung« aus, hielt aber an seiner 53 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Kritik fest, daß diese Trennung in der Realität nur begrenzte Auswirkungen habe, da »wir alle faktisch in den meisten Zeiten unseres Daseins als ›Einheit‹ unserer verschiedenen Seiten und Teilbetätigungen ›leben‹.« 25 Selbst bei Jaspers, der von allen Heidelberger Hochschullehrern am konsequentesten Webers Forderungen weiterdachte, sind argumentative Zugeständnisse an das traditionelle Paradigma und insbesondere die nationalpolitische Funktion von Wissenschaft und Universität unverkennbar. Auch bei ihm sollte die Universität »der Nation dienen«. In der Praxis scheint die Werturteilsfreiheit von ihren Propagandisten ohnehin nicht dogmatisch befolgt worden zu sein. Max Weber selbst hatte seinerzeit politische Gelehrtenaufrufe mitunterzeichnet, die in ihrer Beschränkung auf Unterschriften von Professoren nicht anders denn als Kundgebungen »der« Wissenschaft verstanden werden sollten, und es ausdrücklich gelobt, wenn »der Lehrkörper der Universität in corpore« in seinem Sinne politisch Stellung nahm. 26 Auch Jaspers war auf dem Katheder nicht so »unpolitisch«, wie er es theoretisch forderte. 27 Da liberal-demokratische Dozenten eher bereit waren, sich Webers Maxime unterzuordnen, bestand gleichwohl die Gefahr, daß sie dadurch die politische Meinungsführerschaft an der Universität den Konservativen, die an der traditionellen Auffassung vom politischen Führungsanspruch der Universität festhielten, und der radikal antidemokratischen Studentenschaft überließen. 28 Einige politisch engagierte und methodisch Weber nahestehende Gelehrte säkularisierten deshalb gewissermaßen seine Entpolitisierungsforderung und plädierten dafür, die Universität zwar von der »Tagespolitik«, nicht aber von einer »staatsbürgerlichen Auffassung« fernzuhalten. Sie wiesen darauf hin, daß »angeblich unpolitische« Neutralität »so gehandhabt werden kann, daß sie einer Sabotage, einer Opposition gegen den Geist der [Verfassungs-] Bestimmungen verzweifelt ähnlich sieht.«29 Die Politisierung der Studentenschaft sahen sie als unumgänglich an und schlossen daraus: »Eine Politisierung der jungen Menschen im Sinne eines staatsbürgerlichen Gedankens bedeutet unsere Aufgabe allerdings, und man soll vor solcher Politisierung keine Angst haben.« 30 Diese Anhänger einer Synthese aus staatsbürgerlicher Orientierung der Universität und Wertfreiheitspostulat hielten die Trennung von wissenschaftlichem Erkennen und politischem Handeln nicht in der radikalen Weise für möglich, die Weber und Jaspers gefordert hatten. Sie sahen eine Dialektik von wissenschaftlicher Erkenntnis und politisch-weltanschaulichen Werten. Diese würden das Erkenntnisinteresse und die wissenschaftlichen Erkenntnisse die politischen Ziele beeinflussen. 31 Sämtliche Lehrstuhlinhaber an Max Webers ehemaligem Institut meldeten Zweifel an, ob das Wertfreiheitspostulat sich auf alle wissenschaftlichen Gegenstände anwenden lasse.32 »Politisches Wollen« wurde für Alfred Weber »gehärtet«, wenn es »durch das Fegefeuer wissenschaftlicher Analyse und Kritik hindurchgehe«. 33 Hellpach berichtete in einem Rückblick auf seine Zeit als Minister, er habe es genossen, aufgrund seiner wissenschaftlichen Bildung 54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Distanz zu den politischen »Alltagsdingen« beziehen zu können. Auch das von Alfred Weber, Hellpach und anderen immer wieder geäußerte Bedauern darüber, daß in Deutschland »Geist« und Politik einander so fern ständen, deutet darauf hin, daß viele liberale Hochschullehrer eine über Max Webers Forderungen hinausgehende politische Relevanz ihrer wissenschaftlichen Kompetenz sahen und lediglich bedauerten, daß diese keine größere praktische Rolle spielte. 34 Diese gemäßigten Vertreter des modernen Paradigmas stellten einen Kodex für ihr politisches Verhalten auf dem Katheder auf, der stark von Webers Forderungen inspiriert war, ohne an seinem rigorosen »Politik gehört nicht in den Hörsaal« festzuhalten. Die konkretesten Vorschläge hierfür kamen von den Professoren, die über die größten Erfahrungen in der politischadministrativen Praxis verfügten. Der ehemalige Reichsjustizminister R a d bruch erklärte: »Wissenschaft kann die Mittel zu einem gegebenen politischen Ziel wie die weltanschaulichen Voraussetzungen einer gegebenen politischen Stellungnahme eindeutig ermitteln, also nach beiden Richtungen die Konsequenzen einer einmal eingenommenen politischen Entscheidung zum Bewußtsein bringen... Sie kann der Entscheidung vorarbeiten, nicht aber die Entscheidung abnehmen... Die Ehrenpflicht des Hochschullehrers ist es, an der Grenze des Erkennbaren stehen zu bleiben oder, wenn er sie überschreitet, scharf zu betonen, wo das Erkennen aufhört und das Bekennen anfängt.«35 Hellpach, vormals badischer Kultusminister und Staatspräsident, sah es als wesentlichen Teil des Erziehungsauftrages der Universität an, die Politisierung der Studenten zu beeinflussen, ihnen also Werte zu vermitteln: Sie müsse »der studentischen Jugend den ganzen Ernst, die große Verantwortlichkeit, die namenlose Tragweite aller wirklichen Politik sittlich und sachlich vor Augen führen; ihr klar die Schranke jeder Politik [innerhalb der Universität] zeigen ...: die Forschung selber; die Unabhängigkeit der Lehre; die akademische Gesamtgemeinschaft im Alltag und am Feiertag; die moralische Integrität auch des schärfsten Gegners.« Diese Teilrevision des Weberschen Paradigmas stand unter dem Eindruck der studentischen Proteste gegen den Weimarer Staat. Hellpach sah in der mangelnden staatsbürgerlichen Erziehung an den Universitäten »ein unverzeihliches Unterlassungssündenkonto« der deutschen Professoren, das Ursache der zahlreichen Universitätskrawalle und der Radikalisierung der Studentenschaft sei.36 Einzelne häufig aus dem Zusammenhang gelöste Aspekte von Webers Denken finden sich bei zahlreichen anderen Heidelberger Universitätslehrern, die sich allgemein zur »Wertfreiheit« bekannten oder den Beitrag der Wissenschaften zur Lösung politischer Fragen auf ausführende, technische Fragen begrenzten. Es ist wohl kein Zufall, sondern eine Folge des von Weber propagierten Ausschlusses »letzter« ethisch-politischer Fragen aus dem wissenschaftlichen Diskurs, daß dies oft aus technokratischer Perspek55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tive geschah. 37 In dieser weiter abgeschwächten Form berührte sich das moderne Paradigma fast mit der gemäßigten Variante des traditionellen, die ebenfalls nur einen mittelbaren, allerdings ideologischen und nicht technischen Beitrag der Wissenschaft zur Lösung politischer Probleme sah. Mit einer eigenwilligen, nicht aus politischen Motiven, sondern aus erkenntnistheoretischen Überlegungen herrührenden Begründung bezweifelte der Kunsthistoriker Carl Neumann das Werturteilsfreiheitspostulat. Für ihn empfingen alle »großen Werke der Wissenschaft aus jenem halbverborgenen Zwang letzten politischen Willens und lebensvoller Teilnahme ... Farbe und Prägung«. Wirkliche Objektivität sei deshalb nicht möglich. »Für das Mehr oder Minder im objektiven Verhalten« laufe es »nur auf das Wahren des Gesichtes hinaus. Alle geprägten und lebendigen Geschichtswerke, auch die objektiv sein wollenden, lassen in abgründige Tiefen hinabsehen, wo Wille und Erkenntnis sich durchdringen... Daß alles das seine Grenzen hat, wo dann fühlbar die Publizistik anfängt, braucht nicht gesagt zu werden. Aber es scheint bis in die Tiefen des Unterschiedes der ›genauen‹ und der ›ungenauen‹ Wissenschaften hinabzureichen, daß die Geschichtswissenschaften, mögen sie sich noch so sehr gegen ›Metaphysisches‹ sperren und sich auf Logisches und Kausales beschränken zu können meinen, die Werbekraft der Ideen, von denen sie leben, nicht ohne Befriedigung und als eine Art vorausgenommener angewandter Wissenschaft genießen.« 38 Neumanns Bekenntnis zu den politischen Implikationen seiner wissenschaftlichen Arbeit steht in der idealistischen Tradition der von den Heidelberger Philosophen Wilhelm Windelband und Rickert maßgeblich mitgeprägten Unterscheidung von »nomothetischen« und »ideographischen« Wissenschaften. Vor Mannheims Erkenntnis der »Standortgebundenheit« allen Denkens und gegen Max Webers, hehren Motiven entspringendes, aber allzu heroisches und letztlich realitätsfernes Postulat hat Neumann eine bemerkenswert reflektierte Position bezogen. Politische Einflüsse auf die Wissenschaft und deren Auswirkungen auf die Politik bestanden für ihn unabhängig davon, ob der einzelne Wissenschaftler sie intendierte.
1.3. Politisierung nach 1933 Während der nationalsozialistischen Machteroberung setzte sich eine dritte Auffassung über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik durch, die seit dem 19. Jahrhundert in den Universitäten immer eine Außenseiterposition gehabt hatte: die Verpflichtung zu politischem Engagement und damit die konsequente Politisierung. Wegen der Fremdheit der Hochschulen dieser Sichtweise gegenüber konnten nur mit Schützenhilfe außeruniversitärer Kräfte, vor allem seitens des Staates, aber auch der nationalsozialistischen Studentenbewegung, der Hochschulzugang für Studenten wie für Dozenten, die akademische Selbstverwaltung und partiell auch die Inhalte der 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Lehre einem Primat der Politik unterworfen werden. Wenn Wissenschaftler diese Entwicklung ideologisch begründeten, geschah dies unter Verwendung des traditionellen Paradigmas, obwohl die Politisierung der Universität dessen Maximen ins Gegenteil verkehrte: statt des geforderten Primats der Wissenschaft über die Politik existierte nun ein Primat der Politik über die Wissenschaft. Einer der wenigen nationalsozialistischen Heidelberger Hochschullehrer, der vor 1933 zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik Stellung nahm, war der Nationalökonom und frühere Sozialdemokrat Ernst Schuster. Er stellte sich zwar gegen die idealistische Tradition, begründete seine Forderung nach Politisierung der Wissenschaft aber noch erkenntnistheoretisch und war insofern kein typischer Vertreter eines nationalsozialistischen Wissenschaftsverständnisses. Aus gewissermaßen strukturellen Gründen sah er eine eminente politische Verantwortung des Wissenschaftlers und lehnte deshalb das Wertfreiheitspostulat strikt ab: »Die Verantwortung des Wissenschaftlers für das politische Geschehen ist groß. Auch wenn er nur in der Studierstube seine Begriffssysteme aufbaut, er wirkt in die Wirklichkeit und er tut Unrecht, wenn er sich dauernd darauf beschränkt, Bausteine zurechtzuhauen, das Bauen aber denen allein zu überlassen, die die Struktur der Baustoffe nicht immer kennen können. Man kann nicht übersehen, daß der Wissenschaftler Begriffe ... anderen Menschen übermittelt, die mit diesen Begriffen die Wirklichkeit praktisch und politisch gestalten... Es darf dem Wissenschaftler nicht gleichgültig sein, was mit den Begriffen verwirklicht wird, und er muß kontrollieren, welche Bedeutung die Wissenschaft in der Wirklichkeit erhält... Solche Stellungnahme wird heute zur Pflicht für den Wissenschaftler, dem die Beschäftigung mit seiner Wissenschaft mehr als l'art pour l'art ist.«39 Theoretisch weniger fundiert wurde die Politisierung der Universität nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gefordert und — allerdings nur partiell erfolgreich - in die Tat umgesetzt. Dabei brachen auch nichtnationalsozialistische Gelehrte zunächst theoretisch, dann praktisch mit der neuhumanistischen Universitätsidee: Die Universität gab ihre Autonomie, die Gelehrten selbst gaben die Freiheit der Forschung und Lehre um der Politisierung der Wissenschaft willen auf. Der in den zwanziger Jahren liberale Nationalökonom Carl Brinkmann revidierte 1933 ausdrücklich sein früheres Selbstverständnis: »Die alten ›Ideale‹ der ›voraussetzungslosen‹ Forschung und der Erziehung zu ›wahrer Menschlichkeit‹ sind zu erkennen nicht als schlechthin falsche, aber als gefährliche und einseitige Götter ... voran der Deutschen, für die die an sich hohen und großen Werte der allgemeinen Menschlichkeit bisher leider meist nur eine Niederhaltung und Verkümmerung ihres eigensten Wesens und Rechts bedeutet haben.« 40 Der erste nationalsozialistische Heidelberger Rektor, der Arbeitsrechtler Wilhelm Groh, bejahte »die Verpflichtung«, die sich daraus ergebe, daß »die Überlieferung, nach der am Gründungstag der Universität der Rektor über ein Teilgebiet seiner wissenschaftlichen Forschung sprechen mußte, der 57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Forderung gewichen [ist], zu den großen politischen und nationalen Fragen Stellung zu nehmen, die unser deutsches Volk bewegen.« 41 Der konservative Mediziner von Weizsäcker verlangte zwar einerseits, die Universität dürfe »nicht gegen die Bindung an ihre eigene Wahrheit untreu werden«, sah sie aber zugleich als »Dienerin der Staatsmacht«. Hatte er 1926 noch erklärt, er sei »Arzt, nicht Politiker«, so forderte er ab 1933 den »politischen Arzt« und eine »politische Medizin«. »Politik und Medizin, bisher nur durch Gelegenheitsursachen aneinanderstoßend,« müßten »in eine breite Berührung« treten. Er begab sich, ohne sich noch ausdrücklich auf diesen zu berufen, in die Nähe von Max Webers Theorem von den außerwissenschaftlichen »letzten Ideen«, die das politische Handeln bestimmen, wenn er den Vorrang der politischen vor der wissenschaftlichen Erkenntnis so begründete: »Ein erbbiologisch entstandener Minderwert ist erst dann ein Minderwert im Volke, wenn er der Idee dieses Volkes widerspricht. Ob dies der Fall ist, kann aber nicht der medizinische Biologe entscheiden, sondern der führende Vertreter dieser Idee.«42 Hatte Weber verlangt, daß der Wissenschaftler als autonomes Individuum solche moralische Entscheidungen selbst fällte, so gab von Weizsäcker, ganz Untertan, sie in die Hand des »Führers«. Noch einen Schritt weiter ging der von den Nationalsozialisten zum Ordinarius und Kultusminister ernannte Kriegshistoriker Paul Schmitthenner. In dieser Doppelfunktion als Vorgesetzter und zugleich Mitglied des Lehrkörpers forderte er, die Universität müsse »politisch sein... Sie muß ein deutsches Antlitz tragen... Die wissenschaftliche Erkenntnis [steht] im lebendigen Zusammenhang mit dem Volke. [Die Universität] muß als die vornehmste Stätte national-politische Erziehung eine führende Ausleseschicht heranbilden... Diese politische Aufgabe ist ihre höchste Aufgabe schlechthin.« Die verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Forschung und Lehre und die Hochschulautonomie seien »durch die Gliedschaft im Volksganzen an völkische Art und Aufgaben gebunden und dem höchsten Lebensgebot der Nation unterworfen.« Von höchster politischer Stelle und zugleich aus dem Kreis der Gelehrten selbst wurde hier nicht nur die Politisierung der Universität gefordert, sondern darüberhinaus gemahnt: »Nicht die politisierte Hochschule, sondern die disziplinierte politische Hochschule im höchsten nationalen und sozialen Sinn ist die Forderung unserer Zeit.« 43 Diese Formulierung eines führenden Repräsentanten der nationalsozialistischen Hochschullehrer benennt den letztlich nur partiell realisierten Anspruch, die Universitäten als Staatsanstalten mehr als j e zuvor dem Primat der Politik zu unterwerfen, und fällt zugleich hinter jegliche differenzierenden Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik zurück.
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2. Politische D e n k s t i l e Die nach wie vor brauchbarsten Kriterien zur Unterscheidung politischer Denkweisen definierte der Heidelberger Soziologe Karl Mannheim in »Ideologie und Utopie«. Er griff auf Überlegungen von Heidelberger Kollegen (insbesondere der Brüder Weber) zurück, diskutierte sie innerhalb der dortigen Gelehrtenkultur und ließ sich durch diese in seiner Typologie beeinflussen. 44 Für ihn gibt es fünf »idealtypische Repräsentanten« des sozialen und politischen Denkens im 19. und 20. Jahrhundert: »bürokratischen« und »historistischen« Konservativismus, das liberal-demokratische, das sozialistisch-kommunistische und das faschistische Denken. Sie lassen sich für die Heidelberger Hochschullehrer durch die Zusammenfassung der beiden Konservativismen auf vier Typen reduzieren. Gleichwohl sind manche der hier Untersuchten nicht eindeutig einem politischen Denkstil zuordnen. Dies entspricht der Widersprüchlichkeit realer Personen, deren Auffassungen sich mit idealtypischen Kategorien niemals völlig decken. In manchen Fällen, in denen Personen aufgrund unterschiedlicher Aspekte in ihren Publikationen verschiedenen Denkstilen zugeordnet werden müssen, ist dies Ausdruck einer politischen Entwicklung. Andere Hochschullehrer oszillieren zwischen mehreren Stilen. Die Widersprüchlichkeit des politischen Denkens dürfte darüber hinaus bei einer »relativ klassenlosen« sozialen Schicht bis in Einzelpersonen hinein besonders ausgeprägt sein.
2.1. Konservatives Denken Unter »bürokratischem« Konservativismus verstand Mannheim die »rationalistische« Spielart dieser Denkrichtung, die alle politischen Probleme in solche der Verwaltungslehre umwandelt, dabei jedoch die »weltanschaulichen, willensmäßigen, interessenmäßig-sozialen Kräfte«, die hinter jedem zustandekommenden Gesetz oder Verwaltungsakt stehen, verkennt. Politische Bewegungen kann bürokratisch-konservatives Denken nur als »Störungskoeffizienten« sehen. Das Ideal ist der Staat als geschlossenes, statisches System. Erweist sich dieses Modell als illusorisch, so greift der Bürokratisch-Konservative gerne zu »jeder Art von Dolchstoßlegenden«. Der andere konservative Denkstil, den Mannheim historistisch nennt, faßt hingegen gerade »jene Gebiete ins Auge, in denen stillwirkende Kräfte des Volksgeistes am Werke sind, in denen wie im Gebiete der Sitte und der Gebräuche, im religiösen und kulturellen Zusammenleben nicht organisatorische, sondern organische Kräfte das Wesentliche ausrichten«. Er richtet »geradezu sein Hauptaugenmerk auf die willensmäßigen, irrationalen Bezirke des Lebens, in denen Staat und Gesellschaft eigentlich weiterwachsen.« Neben seinem Organizismus ist für den »historistischen« Konservativismus charakteristisch, daß Politik als eine Kunst verstanden wird. »Es 59 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
genügt also zum politischen Führer nicht das Wissen des Richtigen, das Beherrschen bestimmter Gesetze und Normen, sondern es muß jener angeborene und durch lange Erfahrungen geschärfte Instinkt hinzukommen, der das Richtige findet.« Politik sei für den »historistischen« Konservativen »keine lehrbare, selbständige Wissenschaft«. Hinter beiden konservativen Denkstilen steht ein ständisches Politik- und Gesellschaftsverständnis. Sie unterscheiden sich in ihren Ordnungsmodellen, die im einen Fall stärker bürokratisch, im anderen stärker aristokratisch geprägt sind. Alle politischen Denkstile müssen als Folge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses auf das tendenzielle Verschwinden der Utopien aus der Politik reagieren, auf eine zunehmende Versachlichung und Relativierung der Gegensätze zwischen den Ideologien. Die typisch konservative Konsequenz aus dieser Entwicklung ist die Flucht in die Vergangenheit, um dort nach jenem Ort zu suchen, »wo das Seinstranszendente in einer gewesenen Gestalt die Welt beherrschte, und durch dessen romantische Rettung die Spiritualisierung der Gegenwartsituation« zu versuchen. 45 Da anhand der hier ausgewerteten politischen Schriften nur ein Hochschullehrer eindeutig der »bürokratisch«-konservativen Richtung zuzuordnen ist,46 mehr als zwanzig hingegen der »historistischen«, wird der Übersichtlichkeit halber auf die Differenzierung innerhalb des Konservatismus im folgenden verzichtet, zumal das von Mannheim gewählte Attribut »historistisch« eher verwirrend ist. Ein klassisches Beispiel für den konservativen Denkstil liefert der Historiker Oncken in seiner Schrift »Politik als Kunst«, so daß die Vermutung naheliegt, Mannheim habe Oncken bei der Charakterisierung dieses Typs im Auge gehabt. Oncken definierte Politik als das »Umsetzen von Erkenntnissen und Erfahrungen in den Willen inmitten einer Wirklichkeit, die zugleich Stoff und Grenze des politischen Handelns ist... Der Politiker [muß] ebenso wie der Künstler gegenüber der Wirklichkeit eine synthetische Anlage des Geistes mitbringen... Diese Fähigkeiten liegen von vorneherein mehr auf der Seite des Intuitiven, des Anschauens und Verbindens, als nach der Seite des begrifflichen Sonderns und Untersuchens... Die Politik bedarf in erster Linie des synthetischen, nicht des analytischen Verstandes.« Den Typus des Künstlers, also auch des Politikers, da ja beide über dieselben Fähigkeiten verfügen sollten, beschrieb Oncken als »die große Persönlichkeit, die aus der Kraft und Harmonie ihres Innern etwas Lebendiges herauszusetzen vermag.« 47 Es liegt in der Natur dieser auf Treitschke zurückgehenden 48 Definition, daß Politik die Sache großer Einzelner bleibt. Zur Auswahl großer Politiker sei die »bureaukratische Laufbahn ... nicht günstig«. Eine bessere Arena stellten Kriege, Revolutionen und parlamentarische Kämpfe dar. Für diese These berief sich Oncken auf eine Reihe prominenter Konservativer (Ranke, Bismarck, Treitschke und Clausewitz) und führte auch seine wissenschaftliche Autorität ins Feld: 60 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»Nach historischen Erfahrungen liegt für eine Auswahl im hier besprochenen Sinne die Verfassungsform der Aristokratie am günstigsten, weil sie am ehesten eine Kontinuität der Staatskunst pflegen, eine feste Tradition herausbilden und auch die traditionellen Gaben in ihrem Kreise züchten und vererben kann... In den großen Demokratien der Gegenwart ist eine Auslese in diesem Sinne jedenfalls schwieriger und mehr an Zufälligkeiten gebunden.«49 Oncken bedauerte, daß in Deutschland »die Beschäftigung mit der Politik viel mehr aus der Theorie als aus der Praxis, viel mehr aus den Büchern als aus dem Leben« erwachse, daß die Deutschen Politik »nicht intuitiv künstlerisch, sondern begrifflich lehrhaft oder gar schulmeisterlich« verstünden. Auch »der demokratische Zug der Zeit« stehe einem künstlerischen Politikverständnis fern, da man darin »etwas Irrationelles oder gar Aristokratisches vermutet, was sich den Anforderungen ... der demokratischen Sachlichkeit und Zweckhaftigkeit entzieht.« Vom Irrationalismus bis zum Organizismus (»züchten«), von der Ansicht, daß Politik nicht wissenschaftlich lehrbar sei, bis zum Kult des Willens, des Einzelnen und der Erfahrung enthält Onckens Schrift sämtliche Charakteristika des konservativen Denkstils. An anderer Stelle gab er seiner Überzeugung Ausdruck, daß eine »vollkommene Staatslehre« eine »biologische« sein müsse, denn »Geschichtsschreibung, Staatsrecht, Staatslehre, politische Theorie gehören nun einmal zu den geistigen Gewächsen, die - anders als das reine Denken - Blut und Kraft aus dem nationalen Boden ziehen... Gewiß gibt es ... auch für die Staatslehre allgemein gültige Werte ...: aber sie sind wie die Sterne, nach denen der irdische Schiffer seinen Kurs richtet, ohne sich einzubilden, er könne sie jemals erreichen.« 50 Allgemein gültige ethische Werte hob Oncken in einer für jeglichen Relativismus charakteristischen Denkbewegung so sehr in unerreichbar-utopische Höhen, daß sie zwar nicht direkt außer Kraft gesetzt waren, aber faktisch weniger galten als die handfesten biologisch-nationalen Güter. So massiert wie bei Oncken sind die Topoi konservativen politischen Denkens selten zu finden. Eine ganze Reihe seiner Kollegen läßt sich aber aufgrund der Verwendung einzelner oder mehrerer typischer Figuren ebenfalls dem konservativen Denkstil zuordnen, sei es daß sie die verschiedenen Nationen als »Volksindividuen« und unverwechselbare Geister sahen51 oder in anderer Weise völkisch argumentierten, 52 sei es daß sie organizistische Denkfiguren verwendeten, 53 sei es daß sie in der von Mannheim charakterisierten Weise irrational dachten bzw. gegen den (»liberalistischen«) Rationalismus oder Intellektualismus 54 oder gegen den Liberalismus selbst55 polemisierten, sei es daß sie den Kult des großen Einzelnen, des politischen »Führers« betrieben und »Politik als Kunst« verstanden 56 oder sich auf die Seite »des Staates« gegen die gesellschaftlichen Bewegungen und insbesondere gegen politische Parteien oder Interessenvertreter stellten. 57
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2.2. Liberal-demokratisches Denken Der »große Gegenspieler« des Konservativismus war für Mannheim das liberal-demokratische Denken. Es läßt sich durch seinen »extremen Intellektualismus« charakterisieren, der »das willens-, interessen- und gefühlsmäßige weltanschauliche Element im Leben und Denken entweder gar nicht sieht oder aber so behandelt, als wäre es dem Intellekt gleich und durch die Vernunft ohne weiteres zu bewältigen.« Das liberal-demokratische Denken trennt Theorie und Praxis, die intellektuelle und die emotionale Sphäre. Seinen Intellektualismus »charakterisiert eben die Tendenz, ein emotional gebundenes, wertendes Denken nicht zu dulden«. Der Liberalismus kann so ausdrücklich nach einer »wissenschaftlichen Politik« verlangen und realisiert sie ebenso wie - seine zweite große Leistung - die »wahre Organisation der Schaubühne des politischen Kampfes in Parlamenten, Wahlsystemen und später in Völkerbundsinstitutionen«, wodurch »rationalisierte Formen zur Austragung macht- und willensmäßiger Kämpfe im sozialen Raum« geschaffen wurden. Auf den politischen Utopieverlust in der M o derne reagierten die Liberalen »skeptisch und vollziehen in der Wissenschaft im Namen der Echtheit ... Ideologiedestruktion (M. Weber, Pareto).« Mannheim verweist darauf, daß »Liberalismus und Demokratie historisch-sozial verschiedene Einheiten sind«, unterscheidet sie aber »aus Gründen der Vereinfachung nicht«. Für diese Studie führt die Übernahme von Mannheims Kategorien dazu, daß ein Großteil der Anhänger »liberaler« Parteien dem konservativen Denkstil zugerechnet wird (sie werden zur Verdeutlichung auch gelegentlich »liberal-konservativ« genannt) oder zu denjenigen zählt, deren Denken zwischen Liberalismus und Konservativismus changiert. Sowohl ideologisch - man denke etwa an den Nationalliberalen Oncken, der den Prototyp konservativen Denkens abgab - als auch aus der politischen Entwicklung vieler Liberal-Konservativer in der Krise der Weimarer Republik, die häufig als »Verfall der bürgerlichen Mitte« bezeichnet wird, heraus ist diese auf den ersten Blick widersprüchliche Typisierung gut zu begründen. Demnach reichte das konservative Denken bis weit in die DDP hinein. Folglich wäre weniger von einem Zerfall des Liberalismus gegen Ende der zwanziger Jahre zu reden als vielmehr von einer liberalen Scheinblüte zu deren Beginn. Mannheim nennt Rickerts Schrift »Über idealistische Politik als Wissenschaft«, die als Verkörperung des traditionellen Paradigmas für das Verhältnis von Wissenschaft und Politik referiert wurde, ein typisches Beispiel für den liberalen politischen Denkstil. Außer Rickert zählen alle Heidelberger Hochschullehrer, die mehr oder minder auf dessen wissenschaftstheoretischer Linie lagen, zum liberalen Typus (Hettner, Thoma, Salz, Hoffmann und Mannheim selbst). Im Gegensatz zum »Politik als Kunst«-Topos der Konservativen gingen die Liberalen rationalistisch davon aus, daß Politik erlernbar sei.58 Die betonte Forderung nach mehr Sachlichkeit und Ratio62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nalität in der Politik, die bis ins technokratische Extrem gehen konnte, 59 ist ebenfalls ein Kennzeichen für den liberalen Denkstil. Seine wichtigsten Vertreter waren außer den bereits Genannten Gothein, Max und Alfred Weber, Dibelius, Anschütz, Ernst Robert Curtius und Hellpach. 60 Thoma argumentierte in für das liberal-demokratische Denken exemplarischer Weise, wenn er in der Staatsphilosophie mit Kant gegen Hegel »der Machttheorie eine Rechtstheorie« entgegenstellte, nach der »vermittelst der staatlichen Macht im Staate und durch Zusammenwirken der Staaten ... solche Einrichtungen geschaffen werden, daß durchaus immer Recht vor Gewalt und Willkür geht und jeder Streit in einem Rechtsverfahren geschlichtet wird, unter Ausschluß der Selbsthilfe. D.h. praktisch: Ausbau des Verfassungsstaates zum Rechtsstaat; Ausbau des ›provisorischen‹ Völkerrechts der internationalen Anarchie zum ... echten und wirkungsfähigen Völkerbund.« 61 Dem von den Liberalen für die Politik geforderten Primat der Sittlichkeit gegenüber der Macht 62 eng verwandt war der Glaube an rationale, diskursive und schrittweise Lösungen politischer Konflikte. Diese von Mannheim als »Intellektualismus« bezeichnete Überzeugung findet sich etwa in R a d bruchs Definition der gesellschaftlichen Rolle des Intellektuellen, der »ein Vorbild parteipolitischer Kampfesart darzustellen« und »durch Ideologisierung die Interessengegensätze diskussionsfähig« machen sollte. Demnach wäre ein Intellektueller zugleich ein Liberaler. Wenn er feststellte, nichts widerspreche »dem Geist der Universität ... tiefer als Mißachtung fremder Überzeugung, als unkritische Selbstüberhebung, als ungeistiger Glaube an Gewalt«, 63 so gab er damit ebenso ein liberales Ideal wieder wie im Fall des Wertrelativismus, den er als typisch intellektuelle Haltung ansah.64 Der von den Liberalen angestrebte größere Einfluß des Geistes auf die Politik richtete sich schließlich gegen die »heutige Militär- und Wirtschaftstheorie« 65 des Politischen und hatte - bei aller Betonung nationaler Eigenarten — in der Regel eine gesamteuropäische Perspektive. 66 Die beiden theoretischen Antipoden in der Diskussion zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik, Max Weber und Rickert, verkörperten denselben politischen Denkstil. Die wissenschaftstheoretische Haltung präjudizierte also keineswegs die politische. Dies hängt mit der für die meisten Heidelberger Hochschullehrer charakteristischen Trennung von Theorie und Praxis, also Wissenschaft und Politik oder auch intellektueller und emotionaler Sphäre zusammen. Die gegensätzlichen wissenschaftstheoretischen Positionen von Rickert und Max Weber wirkten sich allerdings insofern auf ihre politische Grundhaltung aus, als Rickert zufolge primär die politischen Ziele bei Geringschätzung der dafür einzusetzenden Mittel wissenschaftlich diskutiert werden konnten und umgekehrt Max Weber zufolge primär die politische Technik bei gleichzeitiger Subjektivierung der Entscheidung über die letzten Ziele. Alfred Weber stand übrigens in dieser Frage eher auf Seiten Rickerts. Auch er schätzte die technischen Probleme der Politik eher gering und erklärte sich für sie nicht kompetent. 67 63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Diejenigen Gelehrten, die sowohl dem konservativen als auch dem liberal-demokratischen Denkstil zuzuordnen sind, haben teils (Salz, Dibelius, E. R. Curtius) eine politische Entwicklungen durchgemacht, die sie aus dem einen in das andere Lager führten, teils (Troeltsch, Alfred Weber und Hellpach) schwankten sie zwischen beiden Stilen und versuchten mehr oder minder explizit, deren Synthese zu bilden. So behauptete beispielsweise Hellpach, ein »Demokrat, der zugleich völkisch blutvoll empfindet«, zu sein. 68 2.3. Sozialistisches Denken Die grundlegend neue Erkenntnis des sozialistischen gegenüber dem liberalen Denkstil sah Mannheim im Zweifel daran, daß es »in historischpolitischen Dingen reine Theorie« gebe. Der Sozialismus brachte den Ideologiebegriff ins politische Denken ein und sah das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis in dialektischem Zusammenhang: »1. Theorie ist eine Funktion der Realität, 2. diese Theorie veranlaßt zu bestimmtem Handeln, 3. das Handeln verändert die Realität oder zwingt bei Nichtgelingen zur Revision der vorangegangenen Theorie. Die durch Handeln veränderte Realität läßt eine neue Theorie entstehen.« Damit »umschiffte« der Sozialismus die »Klippen« der beiden anderen Denkstile, den »extremen Intellektualismus« des liberalen und den »völligen Irrationalismus« des konservativen. Das Ziel ist einmal mehr Synthese: ein »Mensch, der im irrationalen Spielraum selbst sich befindet, der um diese Irrationalität weiß, aber auf die Rationalisierung dennoch nicht verzichten will«. Im Gegensatz zum konservativen Denken ist für das sozialistische der »irrationale Spielraum« durch das Instrumentarium der sozialistischen Theorie strukturiert und analysierbar. Das Manko des sozialistischen Denkens besteht allerdings darin, daß der Sozialismus, ist er einmal an der Macht, »die dialektischen Elemente der Theorie« abschüttelt und »die generalisierende, Gesetze suchende Methode des Liberalismus« übernimmt. Die sozialistische dialektische Synthese aus Rationalismus und Irrationalismus gehörte für Mannheim, der sich damit zu diesem Denkstil bekannte, zu den notwendigen Fähigkeiten des Politikers. 69 Sie findet sich etwa in einer Verfassungsrede Radbruchs: »In der Politik geschieht das Vernünftige niemals schon deshalb, weil es vernünftig ist, sondern nur wenn das Vernünftige auch notwendig ist, wenn es kraft geschichtlichen Zwanges geschehen muß.« 70 Radbruch äußerte auch am klarsten den sozialistischen Zweifel an den liberalen Institutionen und der hinter ihnen stehenden Ideologie: »Das Wahllokal und das Parlament sind ... nur die Stätte, wo außerparlamentarische Machtverschiebungen politisch bewertet werden, eine politische Börse, die, wie die wirtschaftliche, Werte nicht erzeugt, sondern nur feststellt...: eine Partei hat genau 64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
so viel parlamentarischen Einfluß wie sie außerparlamentarische Macht besitzt. Neben dem politischen Kampf um die Wählerstimmen muß deshalb unablässig der Kampf um die soziale und wirtschaftliche Macht geführt werden: der Klassenkampf.«71 Einige weitere Heidelberger Universitätslehrer sind dem sozialistischen Denkstil aufgrund ihrer Verwendung des Ideologiebegriffes zuzuordnen. Beispiele finden sich neben Mannheim selbst bei Gumbel, der etwa »das Schlagwort von den unpolitischen Beamten, von den unpolitischen Generalen, von den unpolitischen Professoren« entlarvte: »unpolitisch heißt monarchistisch« und andererseits feststellte: »Es spielt manchmal in der Politik eine wesentliche Rolle, nicht daß gewisse Behauptungen wahr sind, sondern wer sie aufstellt und wer sie bewiesen hat.«72 Ein weiteres Kriterium für den sozialistischen Denkstil ist die positive Bezugnahme auf Argumentationsmuster des Marxismus oder »wissenschaftlichen Sozialismus« bei Lederer, Gumbel oder Radbruch. 73 Den von Mannheim entwickelten Kriterien entzieht sich dagegen weitgehend das sehr eigenwillige religiöse »Sozialismus«-Verständnis des Philosophen Ehrenberg. 74 Insgesamt nahm der sozialistische Denkstil eine marginale Stellung ein. Die politische Oeuvre der wenigen, die ihm zuzuordnen sind, enthält fast immer zugleich liberal-demokratische Elemente, so daß in der Regel die sozialistischen Hochschullehrer mit den liberal-demokratischen zusammen abgehandelt werden können. 75 2.4. Faschistisches Denken Im Zentrum von »Lehre und Praxis« des faschistischen Denkstils steht Mannheim zufolge »die Apotheose des unmittelbaren Eingreifens, der Glaube an die ausschlaggebende Tat, an die Bedeutung der Initiation einer führenden Elite. Das Wesen der Politik ist zuzugreifen, das Gebot der Stunde zu erkennen. Nicht Programme sind wichtig, sondern die unbedingte Unterwerfung unter den Führer... Es ist dies ein völliger Irrationalismus, aber charakteristischerweise nicht jener Irrationalismus, den die Konservativen kennen, nicht jenes Irrationale, das zugleich ein Überrationales ist, nicht der Volksgeist, nicht stillwirkende Kräfte, nicht der mystische Glaube an die schöpferische Kraft der langen Zeitdauer, sondern der Irrationalismus der die Geschichte in allen diesen Bedeutungen negierenden, neu einsetzenden Tat.« Insofern ist neben dem Führer- ein Jugendkult charakteristisch für das faschistische Denken, und sein Geschichtsbild »nichts anderes als das zur Gesamtstruktur des Gesellschaftlichen hypostasierte Bild« einer besonderen Krisensituation. Der Begriff des »Denkstils« ist in diesem Zusammenhang problematisch, da der faschistische Aktivismus rein intuitionistisch ist und Denken nur die Funktion hat, den »illusionistischen Charakter« aller politischen Theorien aufzuweisen. Die Faschisten reagierten am radikalsten auf das moderne 65 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Phänomen des Utopieverlustes, dessen Ausdruck ihre Ideologie selbst schon ist. Diese Gruppe »vereinsamt und gibt bewußt den historischen Prozeß auf... Alles, was der historisch-soziale Prozeß an konkreten Gehalten destruierte, jede Glaubens- und Mythenform wird hier im Gegensatz zur romantischen 76 Haltung mitdestruiert, nur jenes ahistorische Etwas, jener ekstatische Punkt, der einst Mystiker und Chiliasten ... beherrschte, wird in absoluter Nacktheit in den Mittelpunkt des Erlebens gestellt.« Die frühesten Beispiele für den faschistischen Denkstil bei Heidelberger Hochschullehrern finden sich in den, insgesamt dem konservativen Typus zuzurechnenden Kriegsschriften des Philosophiedozenten Arnold Ruge. Hier ist zum ersten Mal davon die Rede, den »Willen [zu] stählen«, hier radikalisierte sich ein latenter Antiintellektualismus. Ausgeprägter faschistisch im Sinne einer »Apotheose des unmittelbaren Eingreifens« ist ein Aufruf des Physikordinarius Lenard von 1921: »Wir brauchen eine Kerntruppe von Vorkämpfern schärfster Tonart, welche die Not der gegenwärtigen Zeit auf sich nehmen... Nur Persönlichkeiten von unbeugsamem Mut, reinster Gesinnung und unerschütterlichem Willen [vermögen] unserem Volk zu helfen.« 77 Faschistisch ist auch die an Nietzsche angelehnte, positiv gemeinte Definition des Politikers aus der Feder Ritters: »Was den Politiker ausmacht, ist in erster Linie der Wille zur Macht.« In die gleiche Richtung tendierte die Begeisterung Hans von Eckardts für die Führer der stalinistischen Sowjetunion: »Die heutigen Sowjetpolitiker [sind] aktive russischproletarische Menschen, Täter an sich, nicht Berufspolitiker, Sowjetparlamentarier, Parteispezialisten.« Im Stalinismus werde »anonym-kollektivistisch« geherrscht. 78 Die mechanistische, antiidealistische und ahistorische Theorie der Politik des Alfred-Weber-Protegés von Eckardt, die politisches Handeln allein von seinem Erfolg her beurteilte, ist sicher nicht genuin faschistisch, weist aber doch viele Überschneidungen mit diesem Denkstil auf. Nur einzelne Komponenten faschistischen Denkens enthalten auch die Publikationen des oben bereits dem (bürokratischen) Konservativismus zugeordneten Theologen Wendland. Seine Affinität zum faschistischen Stil besteht vor allem im Utopieverlust. Wendland lehnte »Reform, die an den Symptomen kuriert ... und die Universalität der sozialen Krisis nicht erkennt, Reaktion, die den kindlichen Versuch macht, die soziale Geschichte stillzustellen ..., und Revolution, die dem utopischen Glauben ergeben ist«, als »sozialen Utopismus« ab und plädierte mit apokalyptischem Unterton für »den radikalen Kampf um die letzten Geistesentscheidungen« und »den Angriff auf die letzten Grundlagen der Gesellschaft«. Wo faschistische Politik — etwa im Nationalsozialismus - selbst zu einer »politischen Eschatologie« wurde, bekämpfte Wendland auch sie. 79 Leichter fällt die Zuordnung bei Salz, dessen Politikverständnis Carl Schmitts Freund-Feind-Theorie übernahm, und erst recht bei dem deutschnationalen Historiker Schmitthenner, der schrieb: 66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»Das Wesen eines Politikers, das Wesen der Politik und das Wesen jeder großen politischen Tat liegt ja gerade in jener seltsamen, von der Sprache nicht erfaßbaren Verbindung von Vernunft und von Leidenschaft. Gehen Sie uns doch vom Leibe mit Ihrer reinen Vernunft - und erst recht mit Ihrer Skepsis! Skepsis ist heute Gift für das deutsche Volk... Nicht Skepsis - sondern Glaube! Der Glaube ist es, die Leidenschaft und die Begeisterung ist es, die Berge versetzt und die Welt verwandelt!«80 Radikaler Organizismus (»Wie ein atmendes Lebewesen, so ist die Politik jeglichem Stillstand abhold«), Führerkult, Aktivismus (»Unsere Sache verlangt Kampf und Handeln, Einsatz und Opfer«) und die Apotheose der Tat und des Willens (»Ob der Deutsche bestimmt ist, als Deutscher fortzuleben, darüber entscheidet sein Wille und sein Schwert«) kennzeichneten das politische Denken von Rauchhaupts, Fehries, Günterts, Odenwalds, Steins, Manns und Bergsträssers als faschistisch. Bei ihnen kam als nationalsozialistische Draufgabe zum faschistischen Denkstil Rassismus hinzu. 81 Es gab also relativ wenige eindeutig dem faschistischen Stil zuzuordnende Heidelberger Gelehrte. Jedenfalls, so viel läßt sich hier schon sagen, war die Basis des faschistischen Denkens wesentlich schmaler als die der NSDAP. Als Synkretismus ist die nationalsozialistische82 Ideologie weder dem konservativen noch dem faschistischen Denken klar zuzuordnen. Man würde ihre Beliebigkeit verkennen und ihrer Selbstdarstellung aufsitzen, wenn man sie durch solche Zuordnung zu einem geschlossenen ideologischen Gebäude stilisiert. Mehrere der hier Genannten (Ruge, Lenard, von Eckardt, Fehrle) verwandten zugleich konservative Topoi. Sie schwankten, oft in derselben Publikation, zwischen beiden Richtungen, was auch daran liegt, daß das faschistische Denken inhaltlich in vielem (Nationalismus, Organizismus, völkischer Ansatz, Irrationalismus, Führerkult) eine Radikalisierung des konservativen ist. Andererseits gab es eine Affinität zu Teilaspekten des faschistischen Denkens bei vielen Heidelberger Hochschullehrern, die diesem Denkstil eindeutig nicht zuzurechnen sind. So etwa die Definition von »Politik als Kampf« bei Max und Alfred Weber, Hellpach u.a., ein latent faschistischer Führerkult bei vielen Liberalen, die Vorliebe für die Metapher des »Einschmelzens« usw. Die Verbreitung von Elementen faschistischen Denkens bestätigt eine weitere These Mannheims, nach der »eine tiefe Affinität zwischen [sozial] freischwebenden Agglomerationen und ahistorischem Intuitionismus« 83 besteht. Träger faschistischer Ideologien waren für Mannheim Intellektuelle, »die der liberal-bürgerlichen und sozialistischen Führungsschicht gegenüber outsiders sind«. Als solche fühlten sich viele jüngere Privatdozenten und außerordentliche Professoren. Eine Analyse der Karriereverläufe zeigt, daß diese Sicht nicht den Tatsachen entsprach. 84 Aber gerade der resignative Pessimismus dieser vermeintlich Benachteiligten steigerte ihre Offenheit für faschistische Ideologeme. Denn dieser Denkstil sei, so ein letztes Mal Mannheim, der der resignierten, nicht mehr zu utopischem Denken, also zu politischer Hoffnung, fähigen Teile des Bürgertums. 67 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 4: Denkstil und parteipolitisches Engagement (vgl. Tab. 6 und 8) Denkstil
NSDAP
DkP/DVLP/ DNVP/CSVD DVP
FASCHISTISCH
Lenard Fehrle Schmitthenner Stein Güntert Odenwald Rauchhaupt
Ruge Lenard Ritter Schmitthenner Wendland
KONSER- Lenard VATIV Fehrle vonRaumer
LIBERALDEMOKRATISCH
SOZIALISTISCH
NLP FVP/DDP
USPD/SPD
Fehrle Lemme Domaszewski Ruge Fehling Baethgen Lenard Jagemann vonKrehl Schmitthenner Wendland
Troeltsch Oncken Schubert Hettner Hettner A.Weber Schubert Hampe zuDohna Dibelius Fehrle Jaspers Andreas Hellpach E.R.Curtius Brinkmann Hettner Gothein Driesch M.Weber Dibelius Anschütz A.Weber Thoma E.R.Curtius Hellpach Hoffmann Ehrenberg Lederer Gumbel | Radbruch Mannheim
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Ehrenberg Mannheim Radbruch Lederer
2.5. Denkstil und Parteipräferenz Wie Tabelle 4 zeigt, läßt die Zuordnung zu einem politischen Denkstil durchaus Rückschlüsse auf die Parteipräferenzen zu, zumal weit mehr als die Hälfte der Zugeordneten auch parteipolitisch engagiert war. Allerdings ist das politische Spektrum der einzelnen Denkstile unterschiedlich breit. Eine eineindeutige Beziehung besteht zwischen sozialistischem Denkstil und Engagement für die Sozialdemokratie. Erwartungsgemäß engagierten sich die Vertreter des liberal-demokratischen Denkstils vorwiegend in den linksliberalen Parteien FVP und DDP Der Übergang zwischen Linksliberalismus und Sozialdemokratie war in der hier untersuchten sozialen Gruppe fließend. Überraschender ist die parteipolitische Verteilung der Konservativen. Mehr als die Hälfte gehörte sogenannten liberalen Parteien an. Eine Analyse von programmatischen Äußerungen der Nationalliberalen, der DVP und der DDP mithilfe von Mannheims Kategorien würde diese Parteien allerdings ebenso als konservativ ausweisen wie ihre Anhänger im Heidelberger Lehrkörper. Von den konservativ Denkenden engagierten sich fast ebensoviele für die DDP wie für die DNVP Die DNVP-Anhänger standen allerdings ideologisch meist zwischen konservativem und liberaldemokratischem Denken. Diese Liberal-Konservativen waren wie die Sympathisanten der DVP »Interessenrepublikaner« bzw. »-demokraten«. Nur drei konservativ Denkende, zudem Grenzgänger zum faschistischen Stil, wurden Mitglieder der NSDAP. Bei den Faschisten lag, soweit sie vor 1933 überhaupt öffentlich in Erscheinung traten, der Schwerpunkt des parteipolitischen Engagements auf den konservativen Parteien. Erst im Dritten Reich nahm das politische Engagement der meisten von ihnen sprunghaft zu. Es war also immer stark von Konformismus geprägt.
3. Selbstverständnis u n d A b g r e n z u n g 3. 1. Geistige Elite Professoren waren seit Beginn des 19. Jahrhunderts die führende Schicht des spezifisch deutschen Bildungsbürgertums und bildeten eine gesellschaftliche »Leistungs- und Wertelite«. Dieser sozialen Lage entsprach ein Selbstverständnis als geistige Elite, das allerdings seit den 1890er Jahren subjektiv wie objektiv in eine tiefe Krise geriet, da es seine sozialökonomische Basis allmählich einbüßte. 85 Bemerkenswerterweise wurden in der politischen Publizistik der Heidelberger Hochschullehrer derartige Selbstdefinitionen jedoch recht selten explizit geäußert. 86 Ursachen hierfür dürften sowohl die Selbstverständlichkeit einer elitären Selbstsicht als auch deren Krise sein. Für letzteres spricht, daß sich die wenigen Überlegungen 69 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
zum eigenen gesellschaftlichen Rollenverständnis durch eine ausgesprochen diffuse Begrifflichkeit auszeichnen, die einen allgemeinen Trend in der gelehrten Publizistik der Zeit nach 1918 widerspiegelt, als ihre Selbstbewußtseinskrise kulminierte. Wenn etwa Thoma die »deutschen Hochschullehrer« als die »geistige Oberschicht der Nation« 87 bezeichnete, so war dies ungewöhnlich präzise, sachlich und analytisch und zugleich Symptom dafür, daß Thoma zu den entschiedenen Demokraten im Lehrkörper zählte. Denn nur diese bezeichneten sich selbst als »Professoren« oder »Hochschullehrer«. Üblicher war es, vor allem bei Konservativen, sich als »Geistige« oder »Gelehrte« zu bezeichnen und zugleich Binnendifferenzierungen vorzunehmen. »Echte Gelehrsamkeit ist darum fruchtbar, weil sie die Fülle des Kulturbewußtseins ihrer Zeit, ihres Volkes in sich zusammenfaßt. Das gilt nicht für die breite Ebene der wissenschaftlichen Werkeltagsarbeit, wohl aber für die Höhenschicht der wenigen schöpferischen Geister ..., der freien, idealen Produktion des Geistes aus der Tiefe und Fülle der nationalen Kultur heraus.« 88 Die Unscharfe solcher Definitionen und Begriffe vermied es, den elitären Anspruch an den Gelehrtenstand als solchen zu knüpfen. Dies erschien vielen im Zuge allgemeiner Demokratisierung und Individualisierung nicht mehr opportun und auch nicht mehr zutreffend angesichts des oft konstatierten Niveauverlustes der eigenen Zunft, der durch die Aufblähung der Lehrkörper entstanden sei. Indem man »Geistigkeit« oder »Gelehrsamkeit« nicht ständisch definierte, wich man möglicher Kritik durch die aufsteigenden neuen Eliten aus. Man sprach ihnen diese Eigenschaften nicht explizit ab, obwohl weitgehende Einigkeit bestanden haben dürfte, daß »wahre Geistigkeit« nur innerhalb der eigenen Zunft zu finden sei. Man sprach also selten über die eigene Schicht als Elite, um Kritik an diesem Selbstverständnis nicht unnötig zu provozieren, sondern bevorzugte es, seine elitäre Selbstsicht verklausuliert zu formulieren. »Dem Geist(igen)« oder den »geistig hochstehenden Schichten«, 89 zu denen sie sich rechneten, schrieben die Heidelberger Hochschullehrer eine gesellschaftliche Führungsrolle als Gegengewicht zur allgemeinen Demokratisierung zu: »Das Geistige« sei »das Stärkste, was das Leben beherrscht«, meinte Alfred Weber. Für den konservativen Theologen Willy Lüttge war die »geistige Welt ... mehr und anderes als alle Macht der Politik und aller Nutzen der Wirtschaft«, denn sie mache »in letzter Tiefe alle Entwicklungen« sichtbar und verständlich. »Allein der Geist macht den rechtmäßigen und unveräußerlichen Adel des Menschen aus,« hieß es bei dem Philosophen Alfred Schmid Noerr. »Einen Aufstieg in der geistigen Welt gibt es allein durch das Recht der natürlichen Bestimmung, durch die Kraft der besonderen Begabung und durch die Bewährung jedes einzelnen Menschen auf dem unerläßlichen Bildungsgange der Erziehung.« Auch der Verweis auf die Bedeutung von Erziehung, die den Geist erst bilde, unterstrich die soziale Wichtigkeit der Hochschullehrer. Für Schmid 70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Noerr waren sie also in einem doppelten Sinne Elite. Einerseits hatten sie selbst einen erheblichen »Aufstieg in der geistigen Welt« vollbracht, andererseits fiel ihnen als den Erziehern auf geistigem Gebiete die Funktion zu, die kommende geistige Elite zu »veredeln und erhöhen«. Glockner bezeichnete »Künstler, Gelehrte und Philosophen« und damit sich selbst mit »dem schönen Wort ›Meister‹, weil das Wort ›Gebildete‹ mißverständlich geworden ist, seitdem es eine ›bloße Bildung‹ zu geben scheint, bei welcher nichts ›gekonnt‹ zu werden braucht.« 90 Für die »geistig«-wissenschaftliche Sphäre hielten selbst liberal-demokratische Hochschullehrer entschieden an der überragenden Bedeutung großer Einzelner fest: »Das Schillersche ›Aber durch wenige nur pflanzt die Menschheit sich fort‹« galt für Gothein »mindestens auf geistigem Gebiete«, mochte es auch sonst überall durch Demokratisierung und Vermassung in Frage gestellt werden. Denn »wissenschaftliche Leidenschaft ist etwas U n gewöhnliches, gleichsam Unmenschliches.« Gerade im »Geistigen« sei die Ungleichheit der Menschen besonders ausgeprägt. In unterschiedlichen Epochen hatte die Geistigkeit Jaspers zufolge unterschiedliche »typische« Ausprägungen, etwa »des indischen Jogin oder des antiken Rhetors oder des deutschen Universitätsprofessors«. Diese Menschen und die von ihnen getragenen Institutionen seien »Bedingungen einer geistigen Tradition« und würden, wie Hellpach formulierte, »die eigentlichen Sphären der schaffenden Geistigkeit« bilden. 9 1 Solche Selbstaufwertungen sollten die Notwendigkeit des Fortbestandes der eigenen Existenzweise trotz der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft und massiver Finanzprobleme begründen. 92 Zur Selbststilisierung als geistige Elite auf indirekte und mehr angedeutete als ausgesprochene Weise gehörte auch, daß sich viele Heidelberger Universitätslehrer unter den anderen sozialen Gruppen am ehesten Künstlern und Priestern (in einem metaphorischen, antikisierenden Sinne, j e n seits der realen Geistlichen) verbunden fühlten. Diese hätten sich ebenfalls »reinen Geistesmächten« gewidmet, und man fühlte sich ihnen durch ein asketisches Lebensideal verbunden. Nach einer umfassenden Kritik an der modernen Kultur, der er den antiken Humanismus entgegenhielt, endete beispielsweise ein Aufsatz von Ludwig Curtius: »Es heißt ausharren und unser Vestafeuer behüten.« 93 Ein solches elitär-traditionalistisches Selbstverständnis stand in scharfem Gegensatz zum Typus des Spezialisten oder des Fachmannes. So führte etwa von Krehl über die Zeit des deutschen Idealismus, in dessen Tradition sich die Hochschullehrer gerne stellten, aus: »Was sich Gelehrte nannten, das waren nicht Fachleute, sondern deutsche Männer von höchster Bildung und zugleich von höchster Sittlichkeit und höchster Kraft. Können wir ein schöneres Vorbild haben? Ist nicht die Lage unseres Vaterlandes jetzt ganz ähnlich, nur noch viel ernster als 1809?« Zum gelehrten Selbstverständnis gehörte häufig ein larmoyanter, kultur71 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
pessimistischer Unterton. Die Modernisierung und in ihrer Folge die Spezialisierung der Wissenschaftler wurden verantwortlich gemacht für einen angeblichen Verlust an Gelehrsamkeit. Die Gelehrten grenzten sich deshalb zugleich von jenen Schichten ab, die sie als Ausgeburten und Nutznießer der Modernisierung ansahen. Hierzu zählten sie vor allem Vertreter »rein materieller« Interessen, wie Partei- und Verbandsfunktionäre, Lobbyisten oder Gewerkschafter, denen selbst linksstehende Hochschullehrer »Materialismus«, »Mammonismus«, bornierten Eigennutz oder einen völligen Mangel an Bildung unterstellten. Paradigmatisch brachte Thoma auf einen Nenner, welche Werte man durch die modernen Eliten gefährdet sah. Man wolle »Sachlichkeit, Vorsicht und kulturelle Verantwortlichkeit« verteidigen gegen die »lärmende Reklame, unsachlich-heimliche Beeinflussung und alle anderen, z.T. recht unvornehmen Kampfmethoden finanzkräftiger Interessentenkreise«.94 Die Heidelberger Hochschullehrer verwarfen auch lautstark jegliche Geschäftemacherei. 95 Der Demokrat Hoffmann etwa sah die Universität als »vielleicht einzigen ... Gegenpol« gegen die moderne Gefahr, »das Staatsleben ausschließlich vom Begriff der Masse her [zu] normieren.« 96 Solcher, partiell verständlicher Antimodernismus wird politisch problematisch, wenn die Feindschaft gegen Interessenvertreter umschlägt in die generelle Ablehnung pragmatischer und prozeduraler Legitimations- und Konfliktregelungsmechanismen.
3.2. Antiintellektualismus Mit größerer Intensität und Heftigkeit distanzierten die Gelehrten sich von gesellschaftlichen Gruppen, die auf den ersten Blick der eigenen sehr nahe zu stehen scheinen. Hier sind in erster Linie die »Intellektuellen« zu nennen. Zwar verstanden sich einige, vorwiegend Liberale und Sozialisten, als Intellektuelle 97 und nahmen in Ausnahmefällen sogar Stellung gegen den antiintellektuellen Zeitgeist. 98 Weitaus verbreiteter als das Bekenntnis zu Rationalität, Kritik und tiefgründiger Erkenntnis war ein ausgeprägter Antiintellektualismus, wie ihn in extremer Weise der völkische Philosophiedozent R u g e vertrat, der vor der »Krankheit des sogenannten ›Intellektualismus‹« warnte und seiner Berührungsangst mit diesem Phänomen auch sprachlich durch die doppelte Distanzierung Ausdruck verlieh. Ruge sah als dessen massivste Folge »eine Art Disputierkunst, die es vermochte, alle empfindungsmäßigen, instinkthaften Regungen als ›unberechtigt‹ hinzustellen und nur das gelten zu lassen, worüber man ›streiten‹ kann. All das ›Unaussprechliche‹ und ›Unbeschreibliche‹ des Lebens ist damit in Verruf gekommen... Man hat die selbstverständlichsten Erlebnisse zerpflückt, hat verkündigt, Gott sei nicht da ..., hat die Unterschiede zwischen Mann und Weib ... einfach fortdisputiert... Diese lebensarme und lebenszerstörende Disputierkunst ... hat sich an den deutschen Universitäten eingefressen... Dieser ›Intel72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
lektualismus‹ hat unser Volk ungeheuer arm gemacht an mächtigen Schöpfungen auf allen Gebieten des Lebens, er hat das gesunde Volksempfinden beiseite geschoben.« Waren der massive Antiintellektualismus eines R u g e oder die Theoriefeindschaft eines Lenard, der gegen den »widernatürlichen Geschmack an Denkschwierigkeiten« in der theoretischen Physik kämpfte, 99 die ähnlich nach 1933 der NSDAP angehörende Hochschullehrer vertraten, auch nicht charakteristisch für das Gros des Lehrkörpers, so stellten sich doch auch viele andere gegen die rationale »Entzauberung der Welt« (Max Weber) auf die Seite eines unhinterfragten Traditionalismus. Insbesondere verurteilten sie, daß der »Intellektualismus« naturgegebene Grenzen verwische und »Streit«, also soziale Interessenkonflikte in die Welt bringe. Außerdem setzten sie diejenigen, die auf Konflikte und Probleme hinwiesen, mit deren Verursachern gleich und idealisierten die Vergangenheit als eine harmonische Zeit. So nannte Glockner unter Verwendung einer heute noch gängigen Definition für die Intellektuellen »›Kritik als Beruf‹ wenig fruchtbar«. Ein weiterer Philosoph, der religiöse Sozialist Ehrenberg, sprach von der »Krankheit des Denkens, deren Verlauf von Kant bis Feuerbach die fallende und steigende [Fieber-] Kurve einer kritischen Zeit zeigt« und »nur von der gläubigen Philosophie geheilt« werden könne. 100 Von Krehl definierte die Intellektuellen als »die mechanistisch denkenden Gebildeten«. Ihnen fehle »das Religiöse«, 101 und sie seien wurzellos. Deshalb benötigten sie »Kunst und Ästhetik, um wenigstens etwas zu haben, was über diesem gemeinen Leben steht.« Er belegte sie mit weiteren Konnotationen, die wie das Attribut »krank« für den »nationalistisch-faschistischen« Gebrauch des »Schimpfwortes ›Intellektuellen« charakteristisch sind:102 Sie seien »die Leute ohne Ar und Halm, ohne Berg und Tal, ohne Liebe und Flügel. Die gebildete Ausartung des Judentums gehört ganz hinein, aber mit ihnen auch viele Nichtjuden.« 103 Lüttge grenzte in ähnlicher Weise »wahrhaft lebendige, schöpferisch lebendige Bildung« ab von einem »Intellektualismus schattenhafter, wurzelloser, heimatloser, unlebendiger, abstrakter Ideen«. Ritter faszinierte an Martin Luther, »daß hier alles Äußere wie von selbst aus dem Zentrum des Geistes hervorquillt: nicht eigentlich aus der Sphäre des Intellekts oder des moralischen Willens, sondern aus den tiefsten Abgründen menschlichen Bewußtseins überhaupt: aus jenen Bezirken des Geistes, in denen das menschliche Individuum sich aufzulösen scheint, in denen die Grenzen des Ich sich erweitern zum Absoluten.« Die politische Problematik solchen Unmittelbarkeitskultes und der Ablehnung vernünftiger Vorsicht oder Bedenklichkeit wird noch deutlicher, wenn Ritter die »einfache« Größe des »ewigen Deutschen« Luther darin sah, »das Ewige im Menschen unmittelbar, ohne alle Zwischenschaltung moralischer oder intellektueller Bindeglieder, zur Triebfeder alles Handelns« gemacht zu haben. 104 Ein weiterer junger Privatdozent, der Staatswissenschaftler Arnold Bergsträsser weigerte sich, wie die Intellektuellen »in aufgeklärtem Vertrauen auf die Verstandeskräfte den Sinn vor den dunklen Gewalten« zu ver73 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schließen, »die noch niemand aus der Welt vertrieb, deren Gegenkraft nicht findet, wer sie leugnet aus Angst«. Die »ganze Wahrheit« finde man nur nach Überwindung des Intellektualismus »aufwärts in geistigeren Zeugnissen«. 105 Den gelehrten Antiintellektualismus, der Intellektualität als Gegensatz zur positiv besetzten »Geistigkeit« definierte, speisten Motive wie der Wunsch nach Auflösung des Individuums in der ›Gemeinschaft‹, Streben nach Ganzheit, Höherem, Ewigem, Kult des Lebendigen und Ursprünglichen, die sich durch das gesamte politische Denken der Heidelberger Hochschullehrer ziehen. »Intellekt« und »Intellektueller«, so läßt sich verallgemeinern, waren in zahlreichen Publikationen von Gelehrten verschiedener politischer Couleur negativ besetzte Begriffe. 106 Wer nicht antiintellektuell argumentierte, vermied diesen Begriff tunlichst zur Selbstdefinition. Man hatte sich, wie es von Weizsäcker formulierte, »für die Seele des lebendigen Geistes und gegen die Vergötterung des bloßen Wissens«107 entschieden und lehnte »Intellektualismus« aus ähnlichen Gründen ab wie eine wirtschaftlich-materielle Gesinnung. Am »Geist des Intellektualen« verwarf man »Spezialistentum«, »Rechenhaftigkeit« und »seine Abhängigkeit von überschätzten äußeren Dingen, seine Auswirkung in Lüge und Schein, seine Jagd nach ständigem Wechsel, die Vortäuschung von Wissen und Urteil«. 108 Der mit so viel »negativer Ladung« (Bering) versehene Intellektuelle war in den Augen der meisten Heidelberger Hochschullehrer ein typisches Produkt der M o derne und als solches verwerflich. Bis dahin ungekannte Höhepunkte erreichte der gelehrte Antiintellektualismus nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. So erklärte Andreas als Rektor zu Beginn des Sommersemesters 1933: »Die Zeit eines verstiegenen oder heimatlosen Intellektualismus ist gründlich vorbei, und einer weltfremden bloßen Anhäufung von Kenntnissen wird keiner von uns verfallen dürfen, der in der Fühlung mit der Wirklichkeit bleiben will. Wissen soll Handeln, Geist soll Glaube, Wille und Tat werden. Alles aber stehe im Dienste jener Lebensganzheit und höchsten Verpflichtung, die durch die Tatsache unseres Volkstums gegeben ist.« Einige meist jüngere, besonders fanatische oder opportunistische Hochschullehrer steigerten den völkisch-irrationalistischen Tatkult konservativer Ordinarien wie Andreas und attackierten sogar Ideologeme, auf denen bis dahin das Selbstverständnis ihrer Schicht geruht hatte. So bezeichnete der Germanist Mann in einem Aufsatz für die Nationalsozialistischen Monatshefte »Vergeistigung« generell als Übel. »Da dem Geist alles denkbar, alles wünschbar ist, scheint dem Menschen alles machbar zu sein; der Mensch verfliegt im geistigen Rausch ... Träume erfüllen die Welt, statt schlichter, kräftiger, treuer, tapferer, frommer Menschlichkeit.« 109
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3.3. Gegen »Ästheten« und »Literaten« Schärfer noch als gegen Intellektuelle grenzten sich viele Heidelberger Universitätslehrer gegen »Literaten« und »Ästheten« ab. Der nationalsozialistische Indogermanist Hermann Güntert stand nicht allein, wenn er meinte, im Vergleich zu dem »volksfremden, weichlichen Ästheten- und Literatentum«, dessen »blasse Gefühle nicht einmal echt und wahr sind«, sei »selbst das kühlste, nüchternste Verstandesdenken das kleinere Übel«. Der Vorwurf des Ästhetizismus stellte eine in Zeiten besonderer politischer Emotionalisierung gebräuchliche Steigerung des antiintellektuellen R e s sentiments dar. Er ist nur während des Krieges und unmittelbar nach der Novemberrevolution sowie in der Phase der nationalsozialistischen Machtübernahme zu registrieren. In diesen Zeiten fühlten sich verschiedene Hochschullehrer berufen, die »Frivolität aphoristisch oder ästhetisch aufgeputzter Sittenlosigkeit« eines »pervertierten« bzw. »müßigen Ästhetentums« für überflüssig zu erklären, das der »Verweichlichung langer, inhaltsloser Friedenszeit« entsprungen sei, »der Realität des Lebens und des Glaubens zu entweichen« suche und »das Leben« vergesse.110 Ein Motiv für diesen Anti-Ästhetizismus dürfte gewesen sein, daß die Gelehrten sich in politisch aufgeheizten Phasen vorsorglich aus der Schußlinie der Kritik an ihrer eigenen kostspieligen und »müßigen« Existenzform bringen wollten, indem sie sich als vorbildliche Vertreter des »gesunden Menschenverstandes« hinzustellen suchten. Weniger zeitlich eingrenzbar ist die Polemik gegen »Literaten«. Dieser Begriff, den als diffamierende Bezeichnung für den politischen Gegner so gegensätzliche Autoren des 19. Jahrhunderts wie Lagarde und Engels verwandten, 111 wurde in Heidelberg zunächst in den Auseinandersetzungen über die Kriegsziele von Liberalen benutzt, insbesondere von Max Weber. Für ihn waren alle »dilettantischen«, »kindlichen«, unsachlichen, politisierenden »Gesinnungsethiker«, insbesondere der alldeutschen Rechten, »Literaten«. Ihr opportunistischer und gefährlicher »Beruf« sei es, »die Beifallssalve der gerade aufsteigenden Mächte zu sein«.112 In diesem Sinne blieb »Literat« bis Mitte der zwanziger Jahre vorwiegend ein Vorwurf liberal und sozialistisch eingestellter Gelehrter gegen den Extremismus national-konservativer und rechts- wie linksradikaler Politiker. Der »Literaten«-Begriff ist ein Indikator für den Wandel des Zeitgeistes in der Weimarer Republik. Von seinem ursprünglichen Inhalt entfernte er sich mehr und mehr und wurde im Zuge der Verbreitung völkischen Denkens zu einem Schlagwort, das sich mit antisemitischem Unterton gegen kosmopolitische und demokratische Bestrebungen richtete. Güntert faßte diese neueren Konnotationen paradigmatisch zusammen, als er über das 19. Jahrhundert schrieb: »Das Allgemeinmenschliche wird zum gefährlichen Götzen, der internationale Wurzellosigkeit heraufbeschwört... Jüdisches Literatentum freut sich an Fäulnis und Aasgeruch.« 113 Hier war Goebbels' 75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Begriff des »Asphaltliteraten«, der die völkischen Kräfte Nationalismus, Führertum und Militarismus, durch Internationalismus, Demokratie und Pazifismus schwäche, bereits deutlich ausgebildet. Liberal-demokratische, aber auch die meisten konservativen Gelehrten, die gegen »Literaten« polemisierten, beabsichtigten sicher nicht die Entwicklung, die mit Bücherverbrennung und Intellektuellenverfolgung endete, aber sie haben deren Propagandisten Munition geliefert. Selbst Hellpach, der 1922 bis 1924 für die DDP badischer Kultusminister gewesen war, verwendete explizit nationalsozialistische Termini: »Der Asphaltliterat, der Kaffeehausdebatter, der Großstadtmensch, der Ästhet und Blasierte verachtet und meidet ..., was im privaten Leben uns ergreift, erwärmt, tröstet und belohnt«, z.B. »Mutterschaft und Vaterfreude, Familienstolz und Heimweh, Friedhofsschönheit, Brautglück ..., Weihnachten ..., Wald und Spiel, Singen und Schweifen, Jagd und Blumen, Kuß und Trunk.« 114 Eine Gespaltenheit zwischen eigenem Leben und den öffentlich vertretenen Werten, wie sie hier angesichts der Tatsache, daß Hellpach selbst Wesenszüge der von ihm attackierten »Kaffeehausdebatter« trug, 115 zutage tritt, ist charakteristisch für den Antiintellektualismus der Gelehrten. Sie läßt sich psychologisch aus der Sorge heraus erklären, im Dritten Reich mehr noch als zuvor marginalisiert und aus der »Volksgemeinschaft« ausgegrenzt zu werden, wenn man nicht andere als Sündenböcke an den Pranger stellte.
4. Verhältnis zur Gesellschaft Die meisten Gelehrten sahen sich als Bildungselite, die die »reinen« geistigen Werte zu wahren habe, und grenzten sich von der außeruniversitären Intelligenz wie von anderen Führungsschichten scharf ab. Aus diesem elitären Selbstverständnis heraus sahen relativ viele eine politisch-gesellschaftliche Funktion ihrer wissenschaftlichen Arbeit. 116 Selbst Anhänger des Weberschen Paradigmas traten nur selten konsequent für eine Entpolitisierung der Universität ein. Umgekehrt plädierten aber auch nur die Nationalsozialisten und ihre Mitläufer für einen Primat der Politik. Für die Mehrzahl der Heidelberger Hochschullehrer kann davon ausgegangen werden, daß sie wissenschaftliche und politische Fragen auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sahen, aber gleichwohl nicht glaubten, daß, wie es Max Weber gefordert hatte, wissenschaftliches und politisches Denken tatsächlich voneinander getrennt werden können. Wie sahen die Gelehrten ihre Lage in der Gesellschaft und wie sollte sie ihrer Ansicht nach beschaffen sein? Mehr noch als in den vorangegangenen Abschnitten klafft hier eine Diskrepanz zwischen der eigenen Sicht, die in der Regel nicht kritisch an der Realität überprüft wurde, und der tatsächlichen sozialen Lage, in der die Hochschullehrer sich befanden. 76 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Eine traditionelle Sicht der eigenen sozialen Lage war die vom weltfernen, kontemplativen Leben des »theoretische Menschen«, der »lebt, um zu forschen«. Sie wurde paradigmatisch in einer Rede zum zehnten Jahrestag der Gründung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom Altphilologen Boll vertreten, dessen Lebensmaxime sein Kollege Ludwig Curtius mit der einem griechischen Gedicht entnommenen Zeile umschrieb: »Könnte man, ohne zu sterben, dir, Leben, entfliehen!« 117 Boll orientierte sich in seinen Ausführungen über »Wesen und Sonderart des Forschers und Denkers« an den griechischen Philosophen, dem »heroischen Typus des Weisen«, dem »ein Leben ohne Forschung nicht lebenswert« ist, dem »die Aufgabe, die der Gott ihm gestellt hat, keine Zeit läßt«, »in die politischen Tageskämpfe seiner Heimat, außer im äußersten Notfall, wenn die Pflicht ihn ruft, hinabzusteigen«, und der weiß, daß »in der Politik«, »unter der Herrschaft der Masse«, »ein Mensch seiner Art nutzlos sich verbrauchen müßte«. Das Elitär-Erhabene spricht aus jeder Zeile (»Sonderart«, »heroischer Typus des Weisen«, »gottgestellte Aufgabe«, »hinabsteigen«), aber dieses Selbstverständnis war nicht eigentlich apolitisch. Boll betonte vielmehr ausdrücklich eine politische Verpflichtung des Gelehrten gegenüber der Gesellschaft. Unter Bezugnahme auf Platos Theaitetos schilderte er »den Menschen des theoretischen Lebens« als Mischung aus weltfremder Erhabenheit und gesellschaftlicher Selbstverpflichtung: »Er weiß nicht einmal den Weg zum Markt und zum Gerichtshof; politische Verbindungen zu suchen, ... nach Staatsämtern zu streben, ... ist ihm so gleichgültig wie die Zahl der Tropfen im Meere. Ja, er weiß nicht einmal, daß er von dem allen nichts weiß; denn nur sein Leib weilt in der Stadt, sein Geist aber, der das alles verschmäht ... dringt überall hin.« Daß Plato sich in die praktische Politik begab, war »ein Opfer, das er der Pflicht gebracht hat,... ein Hinabsteigen von lichtester Höhe in das Dunkel der Wirklichkeit, das [den Wissenden] nicht erspart bleiben darf, wenn sie ihre Pflicht gegen die sittliche Idee des Staates erfüllen wollen.« Der Gelehrte muß - so Bolls Botschaft - seine politischen Pflichten erfüllen, auch wenn er dabei zum sicheren Scheitern verurteilt wäre und sich »nutzlos verbraucht«. 118 Gegen eine verbreitete Auffassung119 ist also zu betonen, daß das kontemplative Ideal beileibe kein »apolitisches« war, sondern im Gegenteil eine sittliche Verpflichtung zu politischem Eingreifen »im Notfall« zum Inhalt hatte. Nur vereinzelt erscheint in den Publikationen der Heidelberger Hochschullehrer der Wunsch nach Weltflucht. Am massivsten, in dezidiert apolitischer Ausprägung findet er sich als Wunsch, in eine Idylle zu entfliehen, in den erst nach seinem Tod publizierten Feldpostbriefen von Krehls. W ä h rend des ganzen Krieges äußerte er seiner Frau gegenüber Wünsche, »fern von allen Menschen ganz allein mit Dir zu leben, damit man für sich und 77 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
das Widerwärtige der Menschen los ist«, »Flügel haben und mit Dir wegfliegen zu Gott und Frieden«, und »Sehnsucht ... nach Dir und R u h e und Frieden, ... nach einem natürlichen Leben der friedlichen Arbeit«. 120 Öffentlich plädierten außer Boll nur die Theologen Friedrich Niebergall und Renatus Hupfeld für Weltflucht, in Ansätzen auch Fehr und Jaspers. 121 Publizistisch vertraten die Gelehrten somit eine weitaus welt- und politikzugewandtere Haltung, als häufig angenommen wird. Der Wunsch nach einem kontemplativen Leben dürfte zwar weit verbreitet gewesen sein. Aber bei den einen relativierte ihn eine aus dem Wissenschaftsverständnis abgeleitete ethische Pflicht zum politischen Eingreifen und bei den anderen der Realitätssinn, der politisches Engagement für karriereforderlich hielt. Eine moderne Variante des kontemplativen Selbstverständnisses stellte die These von der »relativ klassenlosen« oder »sozial freischwebenden Intelligenz« dar. Sie war zugeschnitten auf die Statusbedürfnisse derjenigen liberal-demokratischen Hochschullehrer, die zwar die Demokratisierung und Fundamentalpolitisierung begrüßten oder als unvermeidlich hinnahmen, aber zugleich an einem elitären politischen Führungsanspruch festhielten und sich im Gegensatz zur Mehrheit ihrer Kollegen zu den Intellektuellen zählten. Die präziseste Selbstdefinition aus dieser Perspektive stammt von Karl Mannheim, der an Überlegungen anderer Heidelberger Sozialwissenschaftler anknüpfte. 122 Für ihn ließen sich die Intellektuellen keiner gesellschaftlichen Klasse zuordnen. Dennoch »gibt es ein vereinheitlichendes soziologisches Band zwischen den Intellektuellengruppen: eben die Bildung, die sie auf eine ganz neuartige Weise verbindet. Das Teilhaben am gemeinsamen Bildungsgut unterdrückt der Tendenz nach immer die geburtsmäßig-ständischen, beruflichen, besitzmäßigen Differenzen... Völlig aufgehoben werden die ständischen und klassenmäßigen Bindungen der einzelnen dadurch nicht, aber gerade das ist das Eigenartige dieser neuen Basis, daß sie die Vielstimmigkeit der Determinanten in ihrer Polyphonie bewahrt, indem sie ein homogenes Medium schafft, in dem sich diese widerstreitenden Kräfte messen können. So ist die moderne Bildung ... lebendiger Widerstreit, verkleinertes Abbild der im sozialen Raum sich bekämpfenden Wollungen und Tendenzen.« Ebenso wie Boll aus dem kontemplativen Ideal leitete Mannheim aus der besonderen sozialen Lage der Intellektuellen eine politische »Mission« ab. Wie »alle Klassen« müsse auch diese soziale Schicht »zu klarem Bewußtsein ihrer Lagerung und der daraus entstehenden Aufgaben und Möglichkeiten« gelangen. Mannheim ging nicht so weit wie einige Zeitgenossen, eine eigene Intellektuellenpolitik oder -partei zu fordern, 123 glaubte aber, daß »diese spezifische Strukturlage der Intelligenz sie zu Leistungen befähigt, die für den Gesamtprozeß von unersetzbarer Bedeutung sind. Diese bestehen aber in erster Reihe darin, jeweils den Punkt zu finden, von wo aus Gesamtorientierung im Geschehen möglich ist, Wächter zu sein in einer sonst allzu finsteren Nacht.« 124 Nicht nur an Pathos, sondern auch was Bedeutung und politische Ver78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
pflichtung der Gelehrten angeht, stand Mannheims Entwurf dem Bolls nicht nach. Wie bereits in der Frage des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik erwies sich Mannheim auch hier als Erneuerer traditioneller Paradigmen, ohne sie, wie etwa Max Weber, ganz über Bord zu werfen. Vor einem ähnlichen Erfahrungshintergrund, aber stärker dem historischen Materialismus verpflichtet sahen die Sozialdemokraten Gumbel und Radbruch die soziale Lage der Hochschullehrer. Die »Notlage der geistigen Arbeiter« und ihr Abdriften ins antidemokratische Lager erklärte Gumbel 1924 hauptsächlich mit ihrem »Individualismus«, der ihren »gewerkschaftlichen Zusammenschluß« und damit die Durchsetzung »ausreichender Bezahlung« verhindere. 1927 gestand er allerdings ein, daß »die materialistische Geschichtsauffassung« nicht in der Lage sei, die politischen Entscheidungen der »Intellektuellen« zu erklären. 125 Radbruch stimmte mit Mannheim und Gumbel im Prinzip überein, wenn er in der Intelligenz »keine Klasse ..., keine soziologische, sondern eine psychologische Kategorie« sah. Auch für ihn gab es eine »besondere politische Mission der Intelligenz«. Aber er verstand sie weniger aktiv: »Ich möchte nicht wie Karl Mannheim der Intelligenz eine bevorzugte Erkenntnischance zuerkennen - die bevorzugte Erkenntnischance ist nicht bei der klassenlosen Intelligenz, sondern bei der jeweils aufsteigenden Klasse. Die Intelligenz gleicht nicht dem kämpfenden Helden auf der Szene, sondern dem Chor, der die Handlungen deutend begleitet« bzw. - an anderer Stelle - »dem Chor, der ..., weil er ihn ahnungsvoll ankündigt, ehe er noch voll errungen ist,... den Sieg beschleunigt.«126 Ein weniger emphatisches gesellschaftliches Rollenverständnis hatten diejenigen Heidelberger Hochschullehrer, die sich als ganz normale Staatsbürger verstanden. Sie grenzten sich von jeglicher Tendenz zur Weltflucht ab, sahen aber zugleich keine besonderen, über die staatsbürgerlichen hinausgehenden politischen Pflichten der Gelehrten und verzichteten auf die pathetische Stilisierung ihrer eigenen gesellschaftlichen Rolle. Dies bedeutete zugleich eine Abkehr von ständischen Gesellschaftsmodellen und die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie. Der wichtigste Vertreter dieser Richtung war Dibelius, der auch als Rektor entscheidend zur Modernisierung der Universität beitrug. In diesem Zusammenhang stellte er fest, der Akademiker sei »eingegliedert in den großen Volksorganismus, verpflichtet ... zum Verständnis gegenwärtigen Staatslebens«. 127 Mit charakteristischer Nüchternheit berichtete er 1929, »schon meiner Erziehung zufolge« habe er es immer für seine Pflicht gehalten, »zu Zeiten erhöhten politischen Betriebes, wo es gewünscht wurde, im gesprochenen oder geschrieben Wort meine Meinung zu sagen, und habe in dieser Berührung mit dem öffentlichen Leben eine willkommene Gegenwirkung gegen die Abgeschlossenheit der Studierstube gefunden. Alle Versuche aber, mich zu intensiverer Beteiligung an der Politik zu veranlassen, habe ich ohne Bedenken abgewiesen, da die dazu erforderliche Aufgabe oder Einschränkung der Berufsarbeit meiner Neigung widerspricht und mich von dem mir gewiesenen Weg abzuführen scheint.«128 79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anklänge an das platonische Gelehrtenideal sind unverkennbar, aber an die Stelle des elitären Führungsanspruches ist bei Dibelius und den mit ihm Übereinstimmenden ein verantwortungsvolles staatsbürgerliches Verhalten getreten. Dibelius' Publikationen sind voll von Aufforderungen an die »Gebildeten«, sich stärker politisch zu engagieren und nicht vor der sozialen Realität in religiöse, private oder philosophische Innerlichkeit zu fliehen. 129 Auch die Juristen Thoma und Jellinek, der Nationalökonom Gothein, der Zeitungswissenschaftler von Eckardt, der Kunsthistoriker Neumann, der Philosoph Rickert, der Statistiker Gumbel und der Mediziner Hermann Kossel traten für die Politisierung der Gebildeten und ihre staatsbürgerliche Beteiligung am öffentlichen Leben ein, ohne ihnen eine soziale Sonderrolle zuzusprechen. Gothein unterschied zwischen dem Professor als Staatsbürger, der »wie jeder andere auch« behandelt werden müsse, und seiner Tätigkeit im Hörsaal, für die er die Privilegien akademischer Freiheiten beanspruchen könne. 130 Auch die nationalsozialistische Forderung nach Politisierung der Universität und Abschaffung der Hochschulautonomie bedeutete die Ablehnung einer Sonderrolle der Gelehrten. Aber die gesellschaftliche Rollendefinition der dem Nationalsozialismus nahestehenden Heidelberger Hochschullehrer, die aus mehreren bereits oben zitierten Äußerungen hervorgeht, 131 unterschied sich durch ihr völkisch-nationalistisches Pathos von der Nüchternheit des ›staatsbürgerlichen‹ Selbstverständnisses. Nach völkisch-nationalsozialistischer Definition mußte der Hochschullehrer alles daran setzen, den Kontakt zum »Leben« bzw. zum »Volk« nicht zu verlieren, also kein Intellektueller zu werden. Die Grundstruktur dieses Selbstverständnisses gab es bereits lange vor 1933. Paradigmatisch vertrat sie Lenard, aber auch der konservative Geschichtsdozent Ritter. Die Akademiker hätten angesichts der deutschen Not die Aufgabe, »die warme starke Fühlung unserer Wissenschaft mit allen lebendigen Kräften des Volksganzen offen zu halten, damit sie selbst erfüllt werde mit dem Herzblut der Nation und dadurch reif zu großer schöpferischer Tat.«132 Bedauern über die Lebensferne der Hochschullehrer findet sich, allerdings ohne Ritters blutrünstigen Naturalismus, auch bei liberalen Gelehrten, die ideologisch ebenfalls häufig von der Lebensphilosophie beeinflußt waren. So beklagten Alfred Weber und Hellpach die Lebensferne der Universität im Wilhelminismus, die in der Weimarer Republik fortwirke. 133 Ehrenberg forderte, die Philosophie müsse »wie ein Stück Leben, wie eine Lebenswirklichkeit, eine Lebensaufgabe, eine Lebenstatsache«, werden. 134 Aus der Perspektive einer »lebensnahen Geistigkeit« wurde insbesondere die Selbstdefinition als »freischwebende« Intelligenz heftig angegriffen. 135 Diese Debatte wirft ein Licht darauf, wie konservative Gelehrte ihre soziale Lage sahen. Die früheste Attacke führte von Weizsäcker: »Im akademisch bestimmten ... Deutschland werden die geistigen Ansichten gleichsam freischwebend behandelt, als ob es sie an sich und für sich gebe. Man bedenkt aber 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nicht, daß gewisse biologische und psychologische Organisationen die Voraussetzung sind, unter der ein Mensch in der intellektuellen Sphäre allein sich bewegt... Es gibt keine freischwebende Geistigkeit.« 136 Weizsäcker sah »Geistigkeit« weniger autonom als die Vertreter des »freischwebenden« Selbstverständnisses, aber kritisierte nicht etwa den Rückfall dieser Definition hinter die eigenen wissensoziologischen Erkenntnisse, sondern bestimmte die Bedingtheit allen Denkens biologisch und psychologisch. Auch Ernst Robert Curtius warnte in einem vielbeachteten Aufsatz vor den Gefahren eines »Soziologismus«. Zwar empfahl er Mannheims Darlegungen über »die eigentümliche soziale Labilität der Intellektuellenschicht in der heutigen Gesellschaft ... den Intellektuellen aller Parteien, ebensosehr aber auch den Politikern« zur Lektüre. Zu der zitierten Stelle, in der Mannheim eine Wächterrolle der Intellektuellen »in sonst allzu finsterer Nacht« sah, meinte Curtius dann aber: »Hier freilich setzt Mannheims Analyse aus, oder vielmehr sie schlägt um in eschatologisch-prophetisches Pathos, durch das man sich an Max Weber gemahnt fühlt. Mannheim konnte von seinen eigenen Voraussetzungen aus nicht weiter gelangen. Aber hätte er seine analytische Methode nicht auf seinen eigenen Standort anwenden müssen? Ganz frei ist doch wohl der submarxistische137 Intellektuelle nicht! Er muß von irgendeinem geographisch, politisch, sozial, blutsmäßig, wirtschaftlich festzulegenden Standort herkommen. Vielleicht hat er sich von seinem Wurzelort entfernt. Das bedeutet aber nun noch lange nicht, daß er frei schwebt, sondern vorerst nur, daß er entwurzelt ist und an seinem neuen Standort noch nicht Wurzel gefaßt hat. Das kann aber nur eine Durchgangsphase sein. Das Freischweben ist ein transitorischer Zustand. Aus ihm entsteht ›Lebensverlegenheit‹. Wenn der Geist und sein Träger, der Intellektuelle, sie überwinden und volles, bestimmtes Leben zurückgewinnen will, wird er irgendwo festwachsen müssen. Im flüchtigen Moment der Schwebe hat er eben noch Zeit und Möglichkeit, sich zu überlegen, in welchen Boden er sich einsenken will. Wer vermeint, sich in freier Schwebe halten zu können, befindet sich in der komischen Situation des aristophanischen Sokrates - im Wolkenkuckucksheim.«138 Curtius störte sich daran, daß Mannheim keine absoluten Werte gelten lasse und seine »nihilistische Lebensverlegenheit« als wissenschaftliche Wahrheit verabsolutiere. Er kritisierte Mannheim also von einem dem Wertfreiheitspostulat verpflichteten Standpunkt aus - und fühlte sich dennoch zugleich durch Mannheims Argumentationsweise unangenehm an Max Weber erinnert. Curtius' berechtigte methodische Einwände waren ihrerseits von Ressentiments und Wertungen geprägt. Eine unverwurzelte soziale Lage war für ihn nicht nur unvorstellbar, sondern offensichtlich auch unerträglich. Mannheims Vorstellung einer »freischwebenden Intelligenz« wurde von Curtius nicht etwa als unrealistisch kritisiert, sondern sie wurde als »Durchgangsphase«, Ursache von »Lebensverlegenheit« und »komische Situation« nicht ernstgenommen und abgewehrt. Mit dieser tendenziell völkischen Argumentation steht der DDP-Sympathisant Curtius stellvertretend für die konservativen Momente im Denken vieler liberal-demokrati81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
scher Professoren, die Ende der zwanziger Jahre angesichts der vielschichtigen Krise der Demokratie mehr und mehr in den Vordergrund traten. Seine nationalsozialistische Ausprägung fand diese Denkfigur z.B. bei dem Germanistikdozenten Hans Teske, der sich selbst zu »den jungen suchenden, den lebendigen Denkern« zählte: »Die Großen eines Volkstums ... gestalten nicht kraft einer ›freischwebenden Intelligenz‹, sondern aus angestauten, arteigenen Kräften. Diese arteigenen Kräfte aber schafft, sammelt, speichert und bewahrt die völkische Grundschicht... In ihr ist alles als Möglichkeit angelegt, was die Genien eines Volkes zur Wirklichkeit entwickeln und formen. Arteigen, angestammt sind zunächst die Kräfte des Blutes.« 139 Abgesehen von der falschen Verwendung von Mannheims Begriff hatten Teske nicht nur die Akzentverschiebung hin zu biologisch-rassischer Determination, die sich bei von Weizsäcker und Curtius andeutete, radikal vollzogen. In seinem biologistischem Verständnis ist auch die Politisierung der Wissenschaft und die Abschaffung von Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie angelegt. Denn die drei erstgenannten gesellschaftlichen Rollenverständnisse der Hochschullehrer (kontemplativ, freischwebend, staatsbürgerlich), die alle vom platonischen Konzept beeinflußt waren, kannten zwar eine Pflicht der Gelehrten zu politischer Betätigung zumindest in Ausnahmesituationen, aber sie gingen zugleich von einer Autonomie des Geistes aus, der allein durch ethische Gesetze gebunden sei. Der Gelehrte sollte ihnen zufolge keineswegs, wie es oft heißt, »un-« oder gar »apolitisch« sein, wohl aber autonom. Das vierte Konzept des im Volke (oder in der universelleren, weniger völkischen Variante im »Leben«) verwurzelten, aus biologischen Anlagen bestimmten Gelehrten hingegen unterwarf ihn einer Heteronomie. Es konnte von ihm folglich auch die Anerkennung des Primates einer von denselben Prinzipien geleiteten völkischen oder »lebensvollen« Politik verlangen.
5. Politisch-soziale F u n k t i o n e n der Gelehrten Zum politischen Selbstverständnis einer sozialen Gruppe gehört auch, was sie aufgrund ihrer sozialen Lage, ihrer Arbeit, ihrer Erfahrung, ihres Denkens an spezifischen Fähigkeiten in die politische Diskussion einbringen zu können glaubt. Dies bestimmt die politisch-soziale Rolle, die diese Gruppe zu übernehmen bereit ist, 5. 1. Prädestination zur Synthese Schon in der Definition der gesellschaftlichen Lage der Gelehrten und ihrer politischen »Mission« durch Mannheim und andere klang an, daß ihre »relative Klassenlosigkeit« ihnen einen Überblick verschaffe und sie dadurch 82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
befähige, Synthesen und Kompromisse in politisch-gesellschaftlichen Konflikten zu finden. Neu an dieser Selbstsicht war ihr Relativismus, ihr Zweifel an der Möglichkeit einer »absoluten, zeitlosen Synthese« — und das machten ihr folglich auch die Kritiker zum Vorwurf. Ansonsten hatte Mannheim ein traditionelles Selbstverständnis nur neu formuliert, das z.B. Andreas in einer vielbeachteten und in zahlreichen Auflagen erschienenen Rede so umschrieb: »gemeinschaftliches Empfinden wecken, die Gemüter verbinden, nicht Gegensätze aufreißen oder vertiefen«. 140 »Aufgabe« der Gelehrten war die »positive, über die Gegensätze hinausführende Kritik«. Sie wollten »nach Kräften geistig bewältigen, was wir vor unseren Augen sich vollziehen sehen, und es vergleichen mit Früherem. Von diesem höheren Standpunkt suchen wir das Wesen ... zu ergründen, indem wir ... alle nur zu berechtigte Leidenschaft des Augenblicks von uns fernhalten und dem Intellekt, der sein eigenes Leben führt, dem alles zum Stoff wird, sein Recht verschaffen.«141 Durch die politischen Schriften Alfred Webers zieht sich wie ein roter Faden die Überzeugung, daß nur aus einer »Totalitätsanschauung« heraus die Politik wieder klare Perspektiven gewinnen und die wirklich wichtigen Fragen erkennen könne. Lösungen für die Probleme der Moderne in Europa und insbesondere in Deutschland hielten wie Weber viele seiner Kollegen nur nach der Überwindung der Partialität der Einzelinteressen und der durch sie bestimmten Sichtweisen für möglich, wobei Universitätslehrern eine zusammenführende, Konflikte harmonisierende Funktion zukomme. 142 Ein »postulatorischer Einheitsbegriff« spielte in der bildungsbürgerlichen Diskussion seit dem Beginn der Modernisierung im späten 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle. Universalität stand im Zentrum der neuhumanistischen Universitätsidee, die Forderung nach »Synthesen« war ein zentraler ideologischer Topos in der Jugendbewegung. 143 Die Sehnsucht nach Einheitlichkeit war die Reaktion auf eine als zu komplex, zu widersprüchlich, kurz: als »zerrissen« empfundene Wirklichkeit. »Ganzheit« und »Einheit« sind deshalb Schlüsselbegriffe in politischen Publikationen deutscher Hochschullehrer. Sie empfanden sich als Mahner zur Einheit legitimiert, da sich Professoren im 19. Jahrhundert besonders für die Reichseinigung eingesetzt hatten. Als »wissenschaftliche Menschen, die zugleich das ganze Leben überschauen,« fühlten sie sich befähigt zu der von ihnen selbst für politisch unabdingbar erklärten Einsicht in die »Totalität« und sahen sich selbst am besten in der Lage, in politischen Fragen eine unparteiische Position einzunehmen.Vertreter bestimmter Geisteswissenschaften (Philosophie, Soziologie/Nationalökonomie, Geschichte, Jura) schätzten ihre diesbezüglichen Fähigkeiten besonders hoch ein. Dies galt zumal, wenn man, wie etwa von Eckardt, »das Interesse der Nation« als einen »geistigen Inhalt« definierte. Aber auch Naturwissenschaftler wie Lenard verstanden wissenschaftlichen Geist als »Geist restloser Klarheit, der Ehrlichkeit der Außenwelt gegen83 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
über, zugleich der inneren Einheitlichkeit, ... der jede Kompromißarbeit haßt, weil sie unwahrhaftig ist.« Für Radbruch, der die soziale Rolle der Gelehrten mit dem Chor im antiken Drama verglichen hatte, sollten sie in Konflikten ausgleichen, indem sie die gesellschaftlichen »Interessengegensätze in Ideengegensätze umbilden.« In diesem, für den Rationalismus des liberal-demokratisch Denkens typischen, Modell geistiger Synthese sollte die Intelligenz »das einzelne Interesse auf die Probe [stellen], ob es umfassend genug ist, einer Idee zu dienen, und dafür [sorgen], daß die Idee nicht völlig vom Interesse verdrängt wird... Durch diese Ideologisierung [werden] die Interessengegensätze erst diskussionsfähig.« Auch Alfred Weber leitete auf der DDP-Gründungsversammlung die spezifischen politischen Fähigkeiten der Gelehrten nicht nur aus ihrem Wissen, sondern aus ihrer sozialen Lage selbst ab: »Ich spreche als sogenannter Intellektueller, nicht als Bürgerlicher. Ich bin geistiger Arbeiter und habe mit der Bourgeoisie nichts zu tun. (Beifall) Ich spreche als einer von denjenigen, die den Untergang, den Zusammenbruch des Alten vorhergesehen haben ... Ich will damit kennzeichnen, daß das, was ich vertrete, nichts Bürgerliches ist, sondern etwas Allgemeines, etwas, was für das ganze Volk gilt (Lebhafter Beifall).« 144 Die Selbstdefinition als Spezialisten für das Allgemeine und für politischsoziale Synthesen bot die Möglichkeit, schwierige Detailfragen zu übergehen. So erhielt das gelegentlich philosophisch verbrämte 145 Desinteresse der meisten Universitätslehrer an Problemen der politischen Praxis, das auf ein Defizit an praktisch umsetzbaren politischen Lösungen schließen läßt, höhere, gemeinschaftsstiftende Weihen. Entsprechend häuften sich in den politischen Publikationen Heidelberger Hochschullehrer Appelle, die »deutsche Zwietracht«, das »Erbübel der deutschen Geschichte« zu überwinden, »das Wohl des Volksganzen im Auge« zu behalten, »politischen Hader« zu unterlassen, »die Mächte der Zersetzung und der Auflösung« zu zügeln und nicht die Regierung zu kritisieren, damit sich der Staat nicht »in Parteienwillkür und Gruppenegoismus« auflöse, ohne allerdings j e anzugeben, wie dies praktisch möglich sei.146 Bisweilen führte die Begeisterung für Synthesen, die Aufhebung von Widersprüchen und die Integration von Kritik zu Auswüchsen, die auf autoritäre Phantasien hinsichtlich ihrer Umsetzung schließen lassen. So lobte etwa von Eckardt, daß in der Sowjetunion zu Lenins Zeiten in den Führungskollektiven »eine befriedigende Synthese der Auffassungen ... wie in einem Schmelzofen erreicht werden konnte.« 147 5.2. Sachlichkeit Der Anspruch vieler Gelehrter, in politischen Konflikte unparteiisch Synthesen als Lösungen aufzeigen zu können, basierte nicht nur darauf, daß man den eigenen Standpunkt aus dem Selbstverständnis als geistige Elite 84 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
heraus als »höheren« ansah, sondern auch auf einer weiteren Eigenschaft, die man als Stärke der Wissenschaftler empfand und der man im politischen Diskurs mehr Geltung verschaffen wollte: Sachlichkeit. »Die spezifische Leistung des Kulturmenschen beruht dort, wo es sich um Wissenschaft und Kunst handelt, darauf, daß er es versteht, sich selber als Person zurückzudrängen, um sich seinem Werke gegenüber rein ›sachlich‹ zu verhalten.« 148 Diese Maxime übertrugen vor allem die Anhänger des Werturteilsfreiheitspostulats, also vorwiegend liberal-demokratische Dozenten, im gesamten Untersuchungszeitraum auf den politischen Bereich. Max Weber hörte im Weltkrieg nicht auf, gegen die »törichte Gefühlspolitik« der Alldeutschen zu polemisieren und zu fordern, »daß wir nur eine sachliche Politik und keine Politik des Hasses treiben dürfen«. »Sachliche Politik« bedeute »keine Politik der Eitelkeit, des renommistischen Redens und Auftrumpfens, sondern eine Politik des schweigenden Handelns«. Webers Mitstreiter Oncken forderte ebenso wie andere Liberale mehr »Sachkenntnis« in der Politik und weniger »Geschäftigkeit und Gesinnung«. 149 Radbruch mahnte, in der Politik »nicht tiefsinnig zu sein, nicht weise, sondern ganz einfach verständig.« 150 Sachlichkeit bestimmte für Hellpach auch die spezifische Atmosphäre an der Ruperto Carola. Sie basierte für ihn auf Rationalität und Pragmatismus - Eigenschaften, die eine wissenschaftliche Bildung vermittele. Der rationale Diskurs sei der wirksamste Feind des Dogmatismus, der in der deutschen Politik zu viel Einfluß habe. Ein Professor habe nicht nur als Lehrer die Aufgabe, ratio und pragma zu vermitteln, sondern auf diesen, bei ihm in hervorragendem Maße vorhandenen Eigenschaften basiere auch seine »geschichtliche Rolle« als »Wächter« (vgl. Mannheim!). Er sollte »Reinigungsarbeit leisten, den Kampf gegen einen falschen M y thos aufnehmen und die Skala der nationalen Phantasie und Gefühlswerte immer wieder zu revidieren und neu zu ordnen versuchen. Wir müssen die Vertreter der Nationen über die Selbsttäuschung bezüglich der Werbekraft ihrer nationalen Mythen aufklären.« 151 Salz fand Gemeinsamkeiten »zwischen der geistigen Haltung des Staatsmannes und der des wissenschaftlich gebildeten Nationalökonomen,... einmal in der beider Wesenheit charakterisierenden tiefen Besonnenheit und Besinnlichkeit, in jener gewissen stoischen, kaltblütigen Unverwirrbarkeit des Urteils und des Gefühls und sodann zweitens darin, daß beide ... ihre Kalküls stützen auf Erkenntnis des für lange Sicht Gültigen.« Für Alfred Weber umfaßte die »geistesaristokratische Norm«, an der sich Universitätslehrer zur Überwindung des deutschen »Schisma von Geist und Politik« orientieren sollten, die Eigenschaften Ritterlichkeit, Ehrlichkeit, Toleranz, Objektivität, Argumentationsfähigkeit, Echtheit und Sachlichkeit. 152
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5.3. Hochschullehrer als Führer Nach alledem kann es nicht überraschen, daß zahlreiche Hochschullehrer für die Gelehrten geistige und z.T. sogar politische Führungsansprüche anmeldeten. Einer der entschiedensten Verfechter einer »Führersendung der Akademiker« war in Heidelberg der Psychologe Hellpach. Nicht nur für ihn konstituierte der für die meisten Hochschullehrer zentrale Wert der »Kultur«153 den Führungsanspruch der Gelehrten: »Kultur bedeutet die Ordnung der Lebensführung einer Volks- und Völkergemeinschaft nach geistigen Werten, und solche Werte wollen geprägt und vermittelt sein. Diese Aufgabe fallt überall und immer einer besonderen Menschensorte zu, deren Wesensart von Anlage her darauf aus ist, den Geist zu lieben, zu ergreifen und zum Lebensinhalt zu machen: eben den ›geistigen Menschen‹, die man wohl auch, wenngleich schlechter, als Gebildete, Studierte, Intellektuelle bezeichnet (jede dieser Kategorien umspannt nur einen Faktor der Geistigkeit). Die Geistigen sind die eigentlichen Führer des Menschentums, denn allein vom Geist lassen sich die praktisch gearteten Menschen führen, lenken, formen und wandeln.« Es sei eine »Lebensvoraussetzung Deutschlands, daß die politischen deutschen Hochschullehrer regelmäßig in öffentlichen Beratungen zu den großen Grundfragen neudeutschen Daseins Stellung nehmen.« Ahnlich wie Hellpach plädierten viele seiner Kollegen für einen »Primat des Geistes« in der Politik. 154 Sie konstatierten, daß dieser Primat nicht bzw. nicht mehr gegeben sei, was zugleich ein kritisches Urteil über den kulturellen Wert des gegenwärtigen Staates bedeutete. Diese Kritik war nicht speziell auf die Weimarer Republik gemünzt. Es gab dasselbe Argumentationsmuster bereits im Kaiserreich. Die deutsche Niederlage im Weltkrieg wurde häufig als Negativurteil »der Geschichte« über den wilhelminischen Staat interpretiert, und zumindest für die Liberalen war die allzu enge Verquickung der Hochschullehrer mit dem Wilhelminismus sogar eine Ursache für ihren abnehmenden politischen Einfluß. 155 Die Kritik beschränkte sich auch nicht auf Deutschland, aber man war sich weitgehend einig, daß die Krisensymptome hier besonders ausgeprägt seien. 156 Der geforderte Primat des Geistes in der Politik bedeutete nicht, daß die Hochschullehrer direkt die Politik bestimmen wollten. Fast alle hielten an der im europäischen Denken seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten Unterscheidung von zwei verschiedenen Autoritäten innerhalb von Staat und Gesellschaft, nämlich von ratio und voluntas, von Gelehrten und Regierenden, fest.157 Die ersteren bestimmten sowohl in Rickerts traditionellem Politikmodell als auch für viele Vertreter des modernen Paradigmas zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik, was »richtig« ist, und vermittelten dies einer gebildeten Öffentlichkeit. Die Politiker mußten dieses »Richtige« in die Praxis umsetzen. Mit dieser Vorstellung beanspruchten die Gelehrten für sich, als authentische Vertreter und wichtigste Vermittler von »Geist« und 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
höchster Bildung, von Synthesefähigkeit und Sachlichkeit, eine gesellschaftlich und politisch sehr viel privilegiertere Stellung, als sie während des Weltkrieges und in der Weimarer Republik tatsächlich innehatten. Sie hielten überwiegend an der, einen politischen Führungsanspruch implizierenden Auffassung, »die Wissenschaft« oder einzelne Disziplinen könnten die »richtigen« politische Ziele erkennen, fest. Zugleich aber mußten sie die Veränderung ihrer sozialen und dienstrechtlichen Stellung hin zu der normaler Beamter und einen »sinkenden Einfluß unserer Hochschulen« in Öffentlichkeit und Politik konstatieren. 158 Dies war für viele Gelehrte einer der Hauptgründe dafür, die Moderne zwar als zivilisatorischen Fortschritt, zugleich aber wegen der »Vermassung« von Bildung und Politik als »Kulturkrise« zu interpretieren. 159 Hellpach etwa sah die Modernisierung als »allgemeinen Verbürgerlichungsprozeß«, dessen »vielleicht tiefsten Schatten« die Zunahme der Studierenden darstelle, durch die eine »Plebejisierung« der Hochschulen und der Hochschulbildung drohe. Der Nimbus der Gelehrten werde dadurch und durch die Presse »ochlokratisiert«: »der Flügelstaub des Raritäts- und Distanzwertes ist lädiert.« Für Hellpach waren der Staat und die Politiker gefordert, wenn es um die Überwindung dieser Kulturkrise ging. Sie könne »nicht von den Hochschulen her bereinigt werden... Freilich müssen ihre Lehrer daran mitwirken. Jeder an seinem Platz hat die Pflicht, unerbittlich zu sein... Die Echten im Geist, einst bestimmt, unser Volk wirklich zu führen, und die Parasiten des Geistes müssen streng geschieden werden.« Auf diese Weise müsse die Universität wieder »nicht bloß Dienerin, sondern Führerin des schöpferischen Geistes« werden. 160 Alfred Weber konstatierte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine »Depossedierung [Enteignung] der geistigen Führer«. Er wollte ihr durch »eine geistesaristokratische Kontrolle der Auslese« künftiger Politiker in der Universität entgegenwirken und so »die Herrschaft des Geistes in der Politik fördern«.161 Es wird deutlich, wie der politische Einfluß der Hochschullehrer ausgeübt werden sollte: Die Universität sollte nur noch die ›wirkliche‹ Elite ausbilden, was auch eine durchaus erwünschte Verschärfung des Zuganges zum Hochschullehrerberuf nach sich gezogen hätte. Sie sollte so wieder zur Führerin der »Echten im Geiste« werden, die ihrerseits dann das Volk, anders als die zeitgenössischen Politiker, »wirklich führen« würden. Die Gelehrten sollten ihren Einfluß also primär indirekt ausüben. 162 Zumindest für Hellpach sollte die Hochschullehrerschaft darüber hinaus aber auch »ihren verlorenen Anteil an der Staatsleitung zurückzugewinnen suchen.« Dafür müsse allerdings die Politik auch mit denjenigen Gelehrten behutsamer umgehen, die zu politischem Engagement bereit seien und sie ihrer besonderen Qualifikation entsprechend als Spezialisten für das Allgemeine einsetzen: »Wir mahnen hier, daß nicht bloß die Parlamente ..., sondern das ganze öffentliche Leben ... sich wieder mehr des unersetzlichen Wertes des Gelehrten für dieses 87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
öffentliche Leben bewußt werden möge... Man hole ihn wieder eifriger heran, aber man verscheuche ihn auch nicht, indem man ihn in unangemessener Aufbürdung von subalternen Arbeiten erstickt. Das nämlich ist es, der Kleinkram der Ansprüche und Ansinnen, was ernste Gelehrte heute dem Wirken in den öffentlichen Einrichtungen entfremdet.« Der sinkende »Anteil der Gelehrten am öffentlichen Leben« war für Hellpach Symptom und Ursache der Staatskrise. Denn »jeder emporstrebende oder blühende Staat [braucht] das Bündnis mit dem Geist.« Sein Plädoyer lief auf nichts anderes hinaus, als die traditionelle Honoratiorenpolitik auf Kosten der modernen, durch Parteifunktionäre bestimmten Formen wieder zu stärken. 163 Auch für Hellpachs Parteifreund Anschütz sollten »in den Kämpfen, die das neue Deutschland um die Gestaltung seines geistigen und sozialen Lebens heute führt, die akademisch geschulten Bürger in erster Reihe« stehen. 164 Von Sonderrechten ist bei Anschütz allerdings keine Rede. Diese schlug der Staatsrechtler Jellinek 1932 vor, um den Einfluß radikaler Parteien im Reichstag zu mindern und wieder parlamentarische Regierungen zu bekommen. Alle Stimmen derjenigen, die nicht wählen gingen, sollten an eine von der Regierung aufgestellte, »möglichst dem Parteigetriebe entrückte Liste führender Männer der Wissenschaft, der Kunst, des Beamtentums und der Wirtschaft« fallen. 165 Dieser Vorschlag enthielt gleich mehrere konstitutive Elemente des gesellschaftlich-politischen Führungsanspruches der Hochschullehrer: er schränkte das demokratische Prinzip ein und privilegierte die geistige Elite, um ein staatliches Organ, das durch bornierte parteipolitische Interessenvertretung »entgeistigt« und in seiner Arbeit blockiert war, wieder stärker zum Ort sachlicher und auf Kompromisse ausgerichteter Arbeit zu machen. 166 Andere plädierten für eine staatsfernere, aber gleichwohl führende Rolle der Hochschullehrer als vorausdenkende politisch-ideologische Avantgarde, die immer »die großen geistigen Zukunftsperspektiven der Welt« im Auge haben müsse. »Die Flügel des Geistes bewegen sich rascher als die langsamen Räder des Lastwagens der Politik«, meinte Alfred Weber. 167 Der nationalliberale Theologe Troeltsch forderte kurz nach Kriegsausbruch, man solle neben Waffen und Taten »das Wort nicht verachten.« Er erinnerte an Arndt, Fichte und Schleiermacher, die häufig als vorbildliche politisch engagierte Gelehrte angeführt werden: »Tausende sehnen sich nach einem klaren Worte über die Situation... Ich möchte Geist und Scharfsinn, Klugheit und Schärfe, Feuer und Energie unseres ganzen Gelehrten- und Künstlertums ergossen sehen in flammende, starke, gläubige und mahnende Worte, die den Heeressäulen der Nation voranziehen als Wahrzeichen deutscher Gesinnung.«168 Nach dem Verlust der Armee sahen Panzer und Glockner die Universitäten als Rüstkammern der Nation. Die Deutschen sollten »in gewaffneter Geistigkeit den Völkern der Erde voranschreiten«. Auf den Universitäten erhalte man »die Waffen für diesen geistigen Völker- und Lebenskampf.« Ernst 88 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Robert Curtius unterschied zwischen »Führertum« und »geistig-sittlicher Autorität«. Letztere manifestiere sich u.a. in der »personalen Wirkform« des Gelehrten: Diese entstehe »auf geheime Weise und ist dann selbstverständlich da wie ein Entfaltungsvorgang der Natur. Führertum wird erkämpft und bekämpft. Zu seinem Wesen gehört Wille und Widerstand. Der Führer handelt, die Autorität herrscht.« 169 Diese Äußerung läßt sich in Verbindung mit Curtius' Vorstellung von der notwendigen »Verwurzelung« der Gelehrten im Leben interpretieren:Würde der Gelehrte seinen »freischwebenden« Zustand überwinden und im Leben seines Volkes wieder festwachsen, so würde er, wie in einem »Entfaltungsvorgang der Natur«, erneut eine Autorität erhalten, die ihn in seiner Bedeutung für die Nation über die nur handelnden politischen Führer stellen würde. Viele Heidelberger Universitätslehrer, die die Autorität der »Geistigen« nicht so sehr wie Curtius mystifizierten, beanspruchten gleichwohl eine besondere politische Rolle. Hierzu zählen zunächst diejenigen, die eine nationalpolitische Aufgabe der Wissenschaft konstatierten. Aber auch Anhänger des Werturteilsfreiheitspostulats sahen die Möglichkeit, mit wissenschaftlichen Methoden Mittel zur Erreichung vorgegebener politischer Ziele zu finden. Die Wissenschaftler schufen nach dieser Vorstellung die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Politik 170 oder wurden zu Beratern der Politiker. Als Mediziner fühlte sich von Weizsäcker für die Sozialpolitik zuständig. 171 Max Weber und andere Liberale wollten die politischen Privilegien der Bildungsschichten auf die Kulturpolitik beschränken, sahen aber darin die eminent wichtige Aufgabe, den Staat »mit geistigem Inhalt zu füllen«. Dafür sollten »Vertreter kulturpolitisch wichtiger Kreise (gewählte Vertreter der Schullehrer, Hochschullehrer, Künstler, Journalisten)« in einem Oberhaus »eine starke Vertretung« bekommen. 172
5.4. Staatsloyalität Wie viele Verfechter einer politisch-ideologischen Führungsrolle der Hochschullehrer bezog sich Jaspers in Titel und Einleitung von »Die geistige Situation der Zeit« auf Ernst Moritz Arndt. 173 Gleichwohl verkörpert er einen anderen Typus des gelehrten Rollenverständnisses: den Zurückhaltenden, prinzipiell Staatsloyalen — ein weiteres prominentes Heidelberger Beispiel dafür ist Anschütz. 174 Wenn auch Max Weber selbst nicht in diese Kategorie fällt, war diese Haltung gleichwohl eine Konsequenz aus der Pflicht zu wissenschaftlicher Werturteilsfreiheit. 175 Deutlich wird sie an zwei gegensätzlichen Reaktionen auf dieselbe imaginierte Situation. Nach den Heidelberger Studentenkrawallen im Wintersemester 1930/31 wurde Jaspers, der sich bis dahin nicht öffentlich geäußert hatte, von einem Studenten gefragt: »Wenn das Haus brennt, werden Sie doch löschen?« Jaspers antwortete: »Nein, dann rufe ich die Feuerwehr!« 176 Politik war für ihn die Sache 89 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
von Spezialisten, »Berufspolitikern« — ein wiederum auf Max Weber 177 zurückgehender, von Jaspers radikal verstandener und sein Politikverständnis entscheidend prägender Begriff. Ganz anders meinte Hettner, der an die Möglichkeit von wissenschaftlicher Politik glaubte und deshalb für Wissenschaftler eine Führungsrolle beanspruchte, 1919: Man dürfe als Gelehrter »heute nicht zu ängstlich sein« mit politischen Äußerungen. Denn »wenn ein Haus brennt, soll jeder nach seinen Kräften helfen, es zu löschen. Unser Haus brennt.« 178 Jaspers hat es nach 1945 als politischen Fehler angesehen, daß er das brennende Haus der Weimarer Republik nicht mitzulöschen versucht hat. Vor 1933 jedoch zweifelte er an der von der Mehrheit der sich öffentlich äußernden Heidelberger Hochschullehrer vertretenen Auffassung, Gelehrte hätten eine politische Führungsaufgabe: »Die Welt ist nicht die platonische Philosophenanstalt. Machtwille, Entschlossenheit, Umsicht, Augenmaß für gegenwärtige konkrete Realitäten sind das Entscheidende... Der allgemeine Typus akademischer Berufe [ist] kein Führertypus.« 179 All dies lehnte sich an Max Weber an, der daraus dennoch, da er viel zu sehr Vollblutpolitiker war, kaum die in der erwähnten Anekdote zum Ausdruck kommende Konsequenz gezogen hätte, die Jaspers auch in seinen politischen Schriften vertrat: »Heute ist es für den, der [politisch] nicht versagt, die Aufgabe, mitzuleben in dem Staat, der weder den Glanz der Autorität hat, welche eine objektive übersinnliche Rechtfertigung seines bestimmten gegenwärtigen Tuns bedeutet, noch als rationalisierbares Zentrum der planmäßigen Versorgung aller menschlichen Dinge verstanden werden kann. Bewußt in diesem Grunde zu stehen, durch den das ganze menschliche Dasein ist, ist eigentliches Staatsbewußtsein.« Jaspers war allerdings nicht auf naive Weise staatsloyal. Dafür war seine Philosophie zu skeptisch und pessimistisch. »Ein harmonisches Dasein in der rechten Welteinrichtung« sei ein unerfüllbarer Traum. Zu fühlen, daß man »innerlich gebunden« sei an einen realen, also nicht perfekten Staat, bringe den Einzelnen »endgültig vor die Fragwürdigkeit des Menschseins«. Und »wenn der Staat, zum bloßen Diener der Massenordnung geworden, jeden Bezug auf echtes Schicksal verloren hat und wenn er in dieser Abkehr die Möglichkeit des Menschen als Existenz in Arbeit, Beruf, geistiger Schöpfung verrät, so muß der Mensch als Selbstsein sich innerlich sogar gegen den Staat stellen.« Max Weber hätte gegen einen seine Werte verratenden Staat ncht nur »innerlich« opponiert. Für Jaspers aber stand bis 1933 die äußerliche Staatstreue ebensowenig zur Diskussion wie seine politische Zurückhaltung: »Die durch Macht eines Staates bestehende Daseinsordnung [kann] nie preisgegeben werden, weil mit ihr alles ruiniert würde.« 180 Es ist auffällig und wohl als Zeichen zunehmender politischer Resignation zu interpretieren, daß sich Aufforderungen und Bekenntnisse zu politischer Zurückhaltung 1930/31, dem im Untersuchungszeitraum unruhigsten Jahr der Heidelberger Universitätsgeschichte, in dem sich auch die politische 90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Krise der Weimarer Republik zuspitzte, häuften. Dies galt auch für Hochschullehrer, die früher anders argumentiert hatten. 181 Typische Beispiele sind die R e d e n des Rektors Meister und die Reichsgründungsrede Hoffmanns.182 In der Formulierung einer politischen Führungsrolle für die Professoren relativ zurückhaltend waren allgemein die Heidelberger Theologen. Dies resultierte nicht zuletzt aus der Ablehnung jeglicher politischer Utopie. Für sie als Christen und Theologen konnte politisches Handeln den Bereich des »Bedingten« (Dibelius) nie transzendieren, blieben alle politischen Lösungen als menschliche unvollkommen. »Vollendete ›soziale Neugestaltung‹ gibt es in diesem Äon überhaupt nicht...Vollendete Gemeinschaft ist allein die Gemeinschaft des Reiches Gottes.«183 5.5. Parteipolitik, »Überparteilichkeit« und antipolitische Affekte Ein weiterer Beleg für das elitäre Selbstverständnis der Heidelberger Universitätslehrer liegt darin, daß fast alle zwischen ihren eigenen politischsozialen Pflichten und denen »der Masse« unterschieden. Entsprechend rief nur eine Minderheit derer, die ein staatsbürgerliches Selbstverständnis vertraten, und nur ein Bruchteil der Vertreter des liberal-demokratischen Denkstils zur Mitarbeit in Parteien auf. Am dezidiertesten tat dies R a d bruch: »Die Pflicht zur Teilnahme am Staatsleben [ist im Volksstaat] gleichbedeutend mit Eingliederung in einen Parteikörper. Die Einordnung in einen Parteikörper bedeutet aber, auf die restlose Durchsetzung der Idee zugunsten ihrer Durchsetzung überhaupt, auf die Reinheit des Gedankens im Interesse seiner Stoßkraft zu verzichten.« Diese rationale Argumentation lag weit entfernt vom politischen Selbstverständnis der meisten seiner Kollegen. Sie folgten ihm genausowenig, wenn er den von ihnen positiv besetzten »überparteilichen Standpunkt« als Illusion ansah: »Der vermeintliche oder vorgebliche Standpunkt ›über den Parteien‹ war in Wahrheit nur einer unter anderen Parteistandpunkten, von den anderen nur dadurch unterschieden, daß er sich für den einzig möglichen, alle anderen Standpunkte aber für böswillig oder töricht hielt.« 184 Daß selbst bei ihm und bei den anderen Fürsprechern parteipolitischen Engagements (Dibelius und Thoma) innere Widerstände gegen Parteien bestanden, zeigt sich in Details ihrer Argumentationen, so etwa wenn Radbruch »Staatspolitiker«, die sich für den Staat als Ganzen verantwortlich fühlen, positiv abhob von »Parteipolitikern«. 185 Fast dieselben Professoren waren es, die sich als einzige zur »Realpolitik« (Thoma), also zu den praktischen Problemen der Politik äußerten: Thoma plädierte dafür, auch vor propagandistischen Mitteln nicht zurückzuschrecken, wenn es darum gehe, die Legitimationsbasis der Demokratie zu verbreitern. 186 Radbruch beschrieb in der Zeitschrift der Sozialistischen Studentengruppe detailliert den »Weg zur politischen Weltanschauung«. 91 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Von Eckardt entfernte sich am weitesten von den Wegen, in denen sich die politische Publizistik seiner Kollegen zu bewegen pflegte, wenn er der Wissenschaft von der Politik vorwarf, sie habe »es noch stets unterlassen, die Gesetzmäßigkeiten des politischen Handelns aufzudecken und die sich gleichbleibende ... Mechanik der Politik zu untersuchen... Man untersuchte ... nie, wie man den [politischen] Kampf führte und worin er bestand ... — im guten Glauben, das Ziel sei der Tat wesensgleich.« In impliziter Abgrenzung von Rickerts und in ausdrücklicher von Max Webers Politikverständnis entwickelte von Eckardt ein mechanistisches, praxisorientiertes Modell, dessen politische Einordnung schwer fällt, das aber in seinem dezidierten Antiliberalismus, Antirationalismus und Antiparlamentarismus am meisten mit autoritär-populistischen Modellen (etwa Carl Schmitts) gemein hat und in der Geringschätzung der Ziele im Vergleich zu den Mitteln Affinitäten zum faschistischen Denken aufweist: »Politik ... ist der gesamte Mechanismus des Geschehens im Kampf um die Gestaltung und Regelung der Machtverhältnisse des öffentlichen Lebens im Staat und zwischen den Staaten. Politisches Handeln aber wäre dann ein Teil dieses Mechanismus, wäre die Willensbetätigung in der Auseinandersetzung mit den Machtverhältnissen in und zwischen den Staaten, zur Erringung des Möglichen auf Staat und öffentliches Leben einzuwirken... Alles Unmögliche, d.h. erfolgloses Schwärmen, Träumen und Phantasieren, [gehört] nicht zur Politik und auch nicht zum politischen Tun.« Bemessungs- und Bewertungskriterium politischen Handelns war für von Eckardt in radikaler Abkehr von der idealistischen Auffassung nicht die dahinterstehende Idee, sondern schlicht der Erfolg. Erfolglose politische Handlungen waren für ihn explizit »falsch und schlecht«. 187 Die überwiegende Mehrheit im Lehrkörper hielt an zwei anderen Sichtweisen fest: Die »überparteiliche«, 188 gegen die Radbruch polemisierte, besagte in Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Rollenverständnis der meisten Hochschullehrer, daß die Wissenschaftler für die Beantwortung der großen politischen Fragen von nationaler Bedeutung zuständig und dank ihrer besonderen Eigenschaften hier auch besonders kompetent seien, sich aber keinesfalls auf die Ebene bornierter Interessenvertreter, insbesondere von Parteien begeben dürften. Bei der »antipolitischen« Sichtweise handelt es sich um die auch als »unpolitisch« oder »apolitisch« bezeichnete Haltung, Politik sei ein schmutziges Geschäft, an dem man sich besser nicht beteilige. Beide sind häufig nicht klar zu unterscheiden, was auch daran liegt, daß die Unterschiede zwischen beiden Sichtweisen mehr eine Frage der Mentalität als des politischen Standorts sind. Die antipolitische Haltung ist durch eine stark affektive Abwehr gegen politisches Engagement gekennzeichnet, die überparteiliche kann man als die Rationalisierung dieses Widerwillens ansehen. Auf diejenigen, die Überparteilichkeit zur Richtschnur ihres politischen Engagements machten, muß nicht mehr eingegangen werden. Belege für 92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
diese Haltung wurden im Zusammenhang mit der Darstellung eines »politischen« Wissenschaftsverständnisses und der Selbstzuschreibung besonderer Synthesefähigkeit ausführlich zitiert. 189 Zu betonen ist allerdings, daß das überparteiliche Selbstverständnis den meisten zu dieser Richtung gehörenden Gelehrten zwar als Grund bzw. Vorwand diente, keiner politischen Partei beizutreten, daß es ein solches Engagement aber nicht generell ausschloß. Dieses widersprüchliche Selbstverständnis teilten sie mit zahlreichen prominenten Politikern (allen voran Hindenburg) und den Weimarer Parteien, abgesehen von der KPD und einigen ausdrücklich zur Vertretung von Spezialinteressen gegründeten Splitterparteien. Insbesondere die DDP erhob den Anspruch, nicht einzelne Gruppeninteressen zu vertreten, sondern Weltanschauung und Staatsgesinnung über diese zu stellen. Zur Verdeutlichung dessen nannte sie sich, als ihr die Wähler davonliefen, Deutsche Staatspartei. Ähnlich argumentierten DNVP, Vaterlandspartei und NSDAP. Fast alle parteipolitisch organisierten Heidelberger Hochschullehrer gehörten einer dieser vier Parteien an. W i e »überparteiliches« Selbstverständnis und Parteipolitik ideologisch zu vereinbaren waren, machte der DNVPPolitiker und Geschichtsdozent Schmitthenner deutlich, als er im Nachruf auf einen Parteifreund in unbewußter Doppeldeutigkeit sagte, er sei »Politiker und Parteipolitiker geworden, und doch immer ein Deutscher geblieben, der trotz der Schärfe des parteipolitischen Kampfes auch im parteipolitischen Gegner immer zuletzt den deutschen Bruder sah. Und so hat er sich auch das schönste Gut politischen Lebens bewahrt.« 190 Ausführlicher muß auf die antipolitischen 191 Affekte eingegangen werden, zumal hier ansatzweise die Haltung derjenigen Hochschullehrer, die keine politischen Publikationen verfaßten, sichtbar wird. Hierfür spricht neben der antipolitischen Tradition des deutschen Bildungsbürgertums 192 die Tatsache, daß sie selbst bei einer ganzen Reihe von politisch sehr engagierten Hochschullehrern zu finden sind, bei denen sie häufig in Widerspruch zu ihrem eigenen Wirken standen. Die weite Verbreitung antipolitischer Affekte belegt einmal mehr, daß die meisten Gelehrten sich nicht als politische Elite sahen, sondern indirekt, als übergeordnete Hüter der Sachlichkeit, politisch wirken wollten. Bekanntester Ausdruck antipolitischer Affekte ist der Topos vom »Hinabsteigen in die politische Arena«, in die »Niederungen der Politik«. 193 Ausgesprochen negativ besetzt war auch der Begriff der »politischen Methoden« oder des »politischen Getriebes«, mit denen Konnotationen wie »Brutalität«, »Intrigenspiel«, »Menschenverachtung«, Leute »unwürdig behandeln«, »bloßer Sinn für äußerliche, augenblicklich sichtbare Erfolge«, »Machtbewußtsein und Eitelkeit« oder »stickige Enge« verbunden wurden. »Nur durch politische Erwägungen gerechtfertigte« Kriege wurden dem moralisch legitimierten Verteidigungskrieg gegenübergestellt. 194 Auch der Topos »Literat« wurde vor allem in seiner späteren antidemokratischen Variante häufig antipolitisch verwendet. 195 In dem von vielen Gelehrten geforderten 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Primat des Geistes über die Politik äußern sich ebenso antipolitische Affekte. Sogar Max Webers Unterscheidung zwischen »Gesinnungs- und Verantwortungsethik« ließ sich in dieser Richtung verstehen, obwohl dies ihrem ursprünglichen Sinn widersprach. So folgerte Jaspers als ein radikaler Vertreter der »Reinheit des Gedankens« auch in der Politik, aus ihr: »Äußere Wahrhaftigkeit [geht] nicht zusammen mit politischem Handeln.« 196 Fundamental wurde die antipolitische Haltung, wenn »Politik« an sich als »Unsinn«, »Verbrechen«, unchristlich, »verächtlich« oder unmoralisch bezeichnet wurde. 197 Einzelne Professoren schreckten nicht einmal vor Polemik auf Stammtischniveau zurück. »Das Sitzfleisch«, behauptete der Expolitiker Hellpach, sei »das Hauptlebensorgan einer gewissen, bedrohlich erstarkten Gattung von Berufspolitikern.« 198 Antipolitische Affekte häuften sich bei stark christlich orientierten Universitätslehrern. Sie sind eng verwandt mit Tendenzen zur Weltflucht und beruhen wie diese auf der pietistischen Sichtweise, daß alle Dinge in dieser Welt sündig und irdische Werte nur von relativer Geltung seien. Konsequenzen aus dieser Haltung waren Äußerungen wie »Was wir brauchen, ist nicht Politik, sondern Gesinnung« oder die Auffassung, daß politische Überzeugung etwas »Nebensächliches« sei.199 Ausdruck antipolitischer Affekte war es auch, wenn Jaspers meinte, politische Betätigung müsse fast zwangsläufig scheitern: »Die Politik zu ergreifen, ist so sehr Sache eines hohen menschlichen Ranges, daß kaum zu erwarten ist, jemand werde der hohen Aufgabe gewachsen sein.« Jaspers setzte die Anforderungen an politische Betätigung - mit guten Argumenten — so hoch, daß eigentlich niemand mehr dafür in Frage kam. Folglich gab es für ihn im politischen Bereich nur »Versagen«, allerdings in zwei unterschiedlichen Ausprägungen. Einerseits seine eigene Haltung - wie sie sich in der Feuerwehr-Anekdote oder seiner Maxime, Wahrhaftigkeit und politisches Handeln seien unvereinbar, ausdrückte: »Das Ganze sieht man als Sache anderer, die das zu ihrem Beruf machen... Diese Apolitie ist das Versagen dessen, der nicht zu wissen braucht, was er will, da er nichts will als sich verwirklichen in seinem weltlosen Selbstsein.« Als einzige Alternative hierzu sah er ein »blindes politisches Wollen«. Wie er dies, also jede Art politischer Aktivität, beschrieb, zeugt weniger von kühler Reflexion, als von antipolitischen Affekten und elitärem Quietismus: »Man ist unzufrieden in seinem Dasein und klagt die Zustände an, in denen man, statt auch in sich selbst, die einzige Ursache der Weise des eigenen Daseins sucht... Obgleich man weder weiß, was man doch wissen könnte, noch was man eigentlich will, redet man, wählt, handelt, als ob man wüßte. Ein Kurzschluß führt aus Viertelwissen sogleich in die unwahrhaftige Unbedingtheit des Fanatismus. Dieses lärmende Dabeisein ist die verbreitetste Erscheinung eines vermeintlich politischen Mitwissens und Wollens, taumelnd durch die Zeit, fähig, Unruhe zu entladen und zu erwecken, aber unfähig, einen Weg zu gehen.«200 Die verbreiteten antipolitischen Affekte dürften eine Folge davon sein, daß die Hochschullehrer das, was sie in die Politik einbringen zu können und 94 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
zu müssen glaubten (»Geist«, Sachlichkeit, Überwindung des InteressenEgoismus), in der realen Politik nur ungenügend berücksichtigt fanden. Aus der Enttäuschung über das Nicht-Funktionieren der Weimarer Demokratie und den sinkenden Einfluß der eigenen Schicht auf Politik und Gesellschaft wandte man sich prinzipiell gegen »die« Politik. Zwischen der traditionellen Auffassung, daß Hochschullehrer sich nur für »überparteiliche« politische Ziele einsetzen dürften, und dem Versuch, den Antiparteienaffekt der Gelehrten abzubauen, standen die Forderungen verschiedener politisch engagierter Gelehrter, Liberaler wie Konservativer, nach allgemeiner Politisierung der Deutschen und speziell der Gebildeten, die eine Abkehr vom antipolitischen oder »unpolitischen« Selbstverständnis anzeigte und, wie die hohe Zahl der Mitglieder politischer Parteien belegt, auch Erfolg hatte. Diese Forderungen resultierten vor allem aus der Niederlage im Weltkrieg, die man als durch die mangelnde Politisierung (und z.T. auch durch die mangelnde Demokratisierung) Deutschlands bedingt ansah. »Unpolitisch« wurde hier zum Schimpfwort, man konstatierte und bedauerte die politische Unreife der Deutschen, man empfahl, sie müßten ihre Innerlichkeit und ihre Vielfältigkeit überwinden, um mit den anderen europäischen Mächte mithalten zu können. 201
5.6. Exkurs: Politik in Lehrveranstaltungen Zwar ist es nicht möglich, umfassend festzustellen, in welchem Ausmaß in den Lehrveranstaltungen politische Inhalte vermittelt wurden und ob und gegebenenfalls wie sich Ausmaß und Inhalt von politischen Stellungnahmen der Hochschullehrer in der Lehre im Untersuchungszeitraum verändert haben. Daß viele von ihnen in Lehrveranstaltungen eine politische Multiplikatorenrolle ausübten, wurde bereits in der Einleitung ausgeführt. Hier geht es um eine mindestens ungefähre Einschätzung der Veränderungen, denen die politischen Inhalte von Lehrveranstaltungen quantitativ und thematisch unterlagen. Als Indikator werden die Veranstaltungen »für einen größeren Zuhörerkreis« 202 genommen, die in der Regel auch in den Tageszeitungen angekündigt wurden.Von ihrer Intention her, sich an die gesamte Studentenschaft und sogar die Stadtöffentlichkeit zu wenden, verkörperten sie am deutlichsten den allgemeinbildenden Erziehungsanspruch der Universität, aus dem - wie gezeigt - nicht wenige Hochschullehrer einen politischen Bildungs- und z.T. sogar Führungsanspruch ableiteten. Dadurch und wegen der großen Teilnehmerzahlen fand hier am ausgeprägtesten die Multiplikation gelehrter politischer und sozialer Einstellungen statt. Unter den Vorlesungen »für einen größeren Zuhörerkreis« werden drei Kategorien unterschieden: 1. Veranstaltungstitel mit Gegenwartsbezug, die entweder durch das Wort »Gegenwart« (»heutige« etc.) oder durch historische Begriffe (oder Jahreszahlen) einen Bezug zu der Zeit seit 1914 her95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
stellten; 2. Veranstaltungstitel mit sonstigen aktuellen Bezügen, in denen damals diskutierte politisch-kulturelle Phänomene (»Kulturkrise«, Sozialismus, Frauenfrage, Rassenfrage etc.) angesprochen wurden, auch wenn kein expliziter Gegenwartsbezug formuliert wurde; 3. Veranstaltungen, die allgemein der politisch-weltanschaulichen Bildung dienen sollten (Staatsbürgerkunde, Allgemeine Staatslehre etc.). Zu bedenken ist, daß die Veranstaltungstitel relativ früh festgelegt werden müssen, so daß z.B. das Wintersemester 1914/15 in dieser Beziehung nicht zur Kriegszeit zu rechnen ist und viele Veranstaltungen im Sommersemester 1933 nicht wie angekündigt stattfanden, da die Hochschullehrer z.T. mittlerweile suspendiert oder von ihren Ämtern zurückgetreten waren oder ihr Thema politisch nicht mehr für opportun hielten. Tab. 5: Veranstaltungen für einen größeren Zuhörerkreis, deren Titel auf politische Inhalte schließen lassen pro Semester zwischen
Gegenwarts- sonstige politische bezug Aktualität Bildung
Summe
1915 und 1918/19 (Weltkrieg)
0.3
0.0
0.4
0.7
Kriegsnotsemester 1919 u. 1923/4 1924 und 1929/30 1930 und 1932/33
1.9 2.2 3.8
0.8 1.1 1.8
2.8 2.8 1.8
5.5 6.1 7.5
1919 und 1932/33 (Weimarer Republik)
2.4
1.1
2.6
6.1
1933/34 u. 1935 (»Nationale Revolution«) 2.8
8.0
4.3
15.0
alle Sommersemester alle Wintersemester
1.4 2.0
1.6 3.3
5.0 7.5
2.1 2.3
Quelle: PV. Nicht für alle Semester ist dort angegeben, welche Veranstaltungen »publice« waren. Das Sommersemester 1933 ist nicht berücksichtigt, da unklar ist, ob sich bereits nationalsozialistische Einflüsse ausgewirkt haben. Für die Kriegszeit hat überraschenderweise der vielzitierte »Kulturkrieg«, den die Professoren in ihren politischen Reden gegen Deutschlands Feinde führten, keinerlei Einfluß auf die Veranstaltungstitel gehabt. Nur zwei der »publice« angekündigten Veranstaltungen behandelten explizit den Krieg (1916: Gothein, Die deutsche Volkswirtschaft in Krieg und Frieden; 1917/ 18: Fehr, Aus dem deutschen Rechtsleben der Kriegszeit). Auch in der zweimal angekündigten Vorlesung des politisch stark engagierten Geografen Hettner (1915 und 1915/16: Hauptprobleme der Weltpolitik) dürfte es um aktuelle Fragen gegangen sein. Die geringe Zahl von Lehrveranstaltun96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
gen mit »politischem« Titel steht im Gegensatz zum umfangreichen Engagement der Hochschullehrer. In der Kriegszeit wurden Lehrbetrieb und Politik noch weitaus stärker getrennt als nach der Novemberrevolution. Ab 1919 setzte eine spürbare ›Politisierung‹ der Veranstaltungstitel ein. Diese dürfte nur z.T. Ausdruck eines Trends zur Politisierung des Stoffes gewesen sein. Man kann nicht unbedingt davon ausgehen, daß vor 1918 in den Veranstaltungen weniger politische Inhalte vermittelt wurden als danach. Vor 1918 war es aber offensichtlich nicht opportun, durch Titel mit Aktualitätsbezug für Lehrveranstaltungen zu werben. Da die Kolleggelder einen erheblichen Anteil am Einkommen der Hochschullehrer hatten, dürften die Titel der Veranstaltungen vor allem »marktgerecht«, d.h. so formuliert gewesen sein, daß sie möglichst zahlreiche Hörer anlockten. Zu konstatieren wäre also zunächst einmal eine durch Krieg und Revolution veränderte, stärker auf Welterklärung und die Beantwortung politischer Fragen abzielende Erwartungshaltung an die Universität. Die nun sehr viel zahlreicheren Gegenwartsbezüge deuten darauf hin, daß die Universität versuchte, zur Bewältigung der politischen Veränderungen beizutragen. So behandelten z.B. 1919 von Schubert »Die religiöse und kirchliche Lage der Gegenwart in ihrem geschichtlichen Zusammenhang« und Oncken in zwei Vorlesungen »Deutsche Geschichte im Überblick von den Anfängen bis zur Gegenwart« und »Die großen Mächte und das deutsche Reich 1871-1918«. In den folgenden Semestern lasen Lederer und Gothein über »Probleme der Sozialisierung« (1919/20 bzw. 1920/21), Anschütz über »Die neue Reichsverfassung« (1920), Oncken über »Die Geschichte des Weltkrieges« und des Parlamentarismus (beides 1920/21) sowie über die Kriegsschuldfrage (1922), Dochow über den Versailler Vertrag (1923/24) usw. Häufig unter den Themen mit Gegenwartsbezug war aber auch die für damalige Universitäten unübliche Auseinandersetzung mit dem Sozialismus (Niebergall 1919 und 1921, Oncken 1919/20) und der Arbeiterbewegung (Lederer 1919). Bei den Juristen wurde über drei Semester ein Lehrauftrag für »Politik und allgemeines Staatsrecht« vergeben (Kirchenheim 1921/22-1922/23), und auch sonst spielten nun »Zeit-« und »Tagesfragen« in der juristischen Ausbildung eine erhebliche Rolle. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Zahl der Veranstaltungen mit politischen oder aktuellen Themen, als die Universität erstmals eine politische Vorlesungsreihe im Rahmen des offiziellen Lehrangebots veranstaltete. Dieser »Auslandskurs USA« fand im Wintersemester 1922/23 während des Rektorates Anschütz statt, das einen ersten Höhepunkt liberaler Dominanz in den Gremien und im politischen Klima an der Universität sowie der Öffnung für politische Fragen darstellte. Vor allem Vertreter der Nationalökonomie und Soziologie (dreimal Gothein, zweimal Salin, Altmann), aber auch der Geschichtswissenschaft (zweimal Oncken), des öffentlichen Rechts (Thoma), der Anglistik (Hoops) und Literaturwissenschaft (Boucke) beschäftigten sich mit den USA. Immerhin handelte es sich bei dem Land, das 97 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
man in dieser intensiven Weise den Studenten nahebringen wollte, um eine Demokratie und um eine Siegermacht des Weltkriegs, also um ein in den Augen vieler konservativer Universitätsangehöriger nicht vordringliches Thema der politischen Bildung. Diese Vorlesungsreihe symbolisiert den kosmopolitischen und völkerversöhnenden Impetus, der während der zwanziger Jahre von der Universität Heidelberg ausging und auch in anderen Initiativen wie der Einrichtung von »Ausländerkursen« seinen Ausdruck fand. Die beiden politischen Vorlesungsreihen in den stabileren Jahren der Republik entsprachen weitaus mehr dem, was nach Meinung der meisten deutschen Hochschullehrer im Bereich der politischen Bildung Vorrang haben sollte und an anderen Hochschulen auch hatte (»Der deutsche Rhein« 1924/25 und »Brennende Fragen des Deutschtums« 1926/27). 203 Diese Rückkehr zur nationalen Selbstbespiegelung und zur Beschäftigung mit von außen vermeintlich drohenden Gefahren ist ein Symptom für den antiliberalen Stimmungsumschwung an der Universität Heidelberg Mitte der zwanziger Jahre. Er änderte jedoch nichts an der Zunahme von Veranstaltungen mit aktuellen oder politischen Titeln, wenn sie auch nicht mehr in dem sprunghaften Ausmaß wie nach der Novemberrevolution verlief. Nicht nur die Themen der beiden Veranstaltungsreihen deuten auf ein konservativeres politisches Klima als in den frühen zwanziger Jahren. Die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus fehlte seit 1922 als Thema von Veranstaltungen für einen breiteren Hörerkreis. Dafür wurden nun die Reparationen und der Versailler Vertrag (Salin 1924/25 und 1926/27; Bergsträsser 1929 und 1929/30) durch dezidiert konservative Hochschullehrer abgehandelt. Zugenommen hatte auch die Beschäftigung mit kulturkritischen Fragestellungen in einer »Sozietät für Weltanschauungsfragen« (Odenwald/ Stracke 1926/27), mit »geistigen« oder »politischen und sozialen Krisen« der deutschen Geschichte (Andreas 1926/27 und 1927), mit dem »Hochkapitalismus« (Salin 1927: sicher eine Diskussion des gleichnamigen Buches von Sombart) und der »Wende der kapitalistischen Epoche« (Lederer 1928/ 29). Seit 1921 vergab auch die medizinische Fakultät einen bezahlten Lehrauftrag für eine Vorlesung für einen breiteren Hörerkreis erteilt, die Fragen von politischem Belang behandelte. 204 Bis 1925/26 ging es jeweils um Fragen der »Rassenlehre«, 1927/28 bis 1933 um »Soziale Hygiene«, seit 1933/34 dann um »Rassenkunde und Rassenpflege als Grundlage nationalsozialistischer Staatsgestaltung«. Obwohl es sich bis 1933 um mehr oder minder denselben Stoff gehandelt haben dürfte, ist die unterschiedliche Bezeichnung ein Indiz für die Beeinflussung von Teilen des universitären Lehrangebots durch den Zeitgeist: in der Spätphase der Weimarer Republik wurde der Rassebegriff angesichts der zunehmenden politisch-ideologischen Besetzung von nicht zum völkisch-nationalsozialistischen Lager gehörenden Medizinern gemieden, um keine falschen Assoziationen zu wekken. Dies änderte sich erst, als die völkische Rassenlehre zur Staatsideologie aufstieg. 98 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
In der Krise der Weimarer Republik ging die Zahl der politisch-weltanschaulich bildenden Veranstaltungen deutlich zurück, während die der gegenwartsbezogenen oder anderweitig aktuellen kräftig zunahm. Nach der »Machtergreifung« tauchten erstmals im Lehrplan der naturwissenschaftlichen Fakultät Themen mit aktuellen Bezügen auf (1933/34 z.B. Chemische Wehrkunde, Funk- und Nachrichtentechnik, Navigation). Die offene Ideologisierung der Wissenschaft (etwa 1933/34: Waldkirch, Die Zeitung im neuen Staat; 1934: Roth, Die Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung; 1934/35: Höhn, Volksgemeinschaft und Wissenschaft; Bergsträsser und Zintgraff, Das Diktat von Versailles) findet sich nur in Ankündigungen der offen mit dem Regime sympathisierenden Hochschullehrer und hatte somit weitaus geringere Bedeutung als Vorlesungstitel mit vieldeutigem ›nationalem‹ oder völkischem Anstrich. 205 Diese Titel lassen keineswegs eindeutig auf nationalsozialistische oder rassistische Inhalte schließen, wohl aber - ganz im Gegensatz zur Zeit der Weimarer Republik - auf eine auffällige Anpassungsbereitschaft an die nun herrschende Ideologie. 206 Dieselben Gelehrten, die die hier zusammengefaßten Lehrveranstaltungen ankündigten, traten auch mit politischen Reden und Publikationen an die Öffentlichkeit. Dies geschah nicht selten unter demselben oder einem ähnlichen Titel wie dem der Lehrveranstaltungen, so daß man davon ausgehen kann, daß es sich bei solchen Publikationen um die Ausarbeitung einer Vorlesung handelt und daß umgekehrt die Vorlesungen dieselben politischen Inhalte wie jene Bücher vermittelten. Viele der politisch-ideologischen Äußerungen, mit denen sich diese Untersuchung beschäftigt, dürften also auch in die Lehre eingeflossen sein. Insgesamt ist die Entwicklung der Veranstaltungsankündigungen für einen größeren Hörerkreis und mit politischem Titel von zwei Sprüngen gekennzeichnet, die den beiden tiefen politischen Einschnitten im Untersuchungszeitraum 1919 und 1933/34 folgen. Die zwanziger Jahre stellten eine Hochzeit der politisch-weltanschaulichen Bildung an der Heidelberger Universität dar. Diese zunehmende Politisierung des Vorlesungsprogrammes gehörte neben der zunehmenden Fluktuation im Lehrkörper 207 zu den einschneidendsten Strukturveränderungen nach 1918. Die deutliche Entpolitisierung seit 1930 während der Weltwirtschafts- und Weimarer Staatskrise spiegelt die politische Verunsicherung der Hochschullehrer. Auch die weitere Politisierung und Ideologisierung seit 1933 hat diesen Trend nicht völlig umgekehrt. Tiefe politische Verunsicherung und fehlende Begeisterung ließen viele Gelehrte in vieldeutige aktuelle Bezüge ihrer Vorlesungstitel (Sp. 3 in Tab. 5) flüchten, während die Zahl der tatsächlich gegenwartsbezogenen Vorlesungen (Sp. 2) während der »nationalen Revolution« deutlich niedriger lag als 1930 bis 1932/33. Interessant ist der Vergleich zwischen Sommer- und Wintersemestern. An der »Sommeruniversität« Heidelberg lagen die Studentenzahlen im Sommer um bis zu 35 % höher als im Winter, 208 was auch wesentlich höhere Kolleggeldeinnahmen bedeutete. 99 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 6: Soziales Rollen- und politisches Selbstverständnis Verhältnis von Wissenschaft und Politik Es gibt keine unpolitische Wissenschaft: Braun (17), Driesch (17/19), Ritter (20), C. Neumann (24), Mannheim (29), Brinkmann (30/31/33/34), Weizsäcker (31/ 33-35), Schuster (32), Glockner (32), Wendland (32/33), Groh (33), Schmitthenner (33). Wissenschaft trägt politische Verantwortung: Thoma (20), Ritter (20), Oncken (21), Gothein (21), Boll (21), Panzer (21/27/31), Fehr (22), WolfgangWindelband (22), Bettmann (23), Gundolf (24), C. Neumann (24), A. Weber (24/27/29), Gumbel (24/28), Andreas (24/29/32/34), Lenard (24/35), H. Ranke (25), Liebmann (26), Krehl (27), Hellpach (27-29/31), Solch (29), Dibelius (29), Radbruch (30-32), Glockner (31), Darmstaedter (32), Jellinek (32), Stein (33), Regenbogen (33), Mitteis (34), Hildebrandt (35). Wissenschaft kann nur politische Ziele erkennen: Hettner (14/17/23), Krehl (15), Troeltsch (15), Lederer (21/31), Rickert (23/25-26/34), Thoma (25),Eckardt (27), Salz (28/30), Mannheim (29), Hoffmann (31), Fehrle (34/35). Konsequente Entpolitisierung der Universität: Krehl (16), M. Weber (17-18), Driesch (17/19), Gruhle (22), Ehrenberg (23), Jaspers (23), Gumbel (26), Radbruch (26), Fehrle (27), Meister (30-31), Gundolf (31), Rickert (31). Politischer Denkstil »faschistisch«: Ruge (17), Lenard (21), Ritter (22), Eckardt (27/30), Salz (31), Schmitthenner (31), Rauchhaupt (32), Wendland (33), Güntert (33-34), Mann (3334), Stein (33-34), Odenwald (34), Fehrle (34), Bergsträsser (34). »konservativ«: Troeltsch (15), Bekker (15), A. Weber (15/18/23/31), Oncken (16/ 21-22), G.B.Schmidt (17), Schubert (17), Lemme (17), Affolter (17), Hettner (17), Erb (17), Ruge (17/19), Dibelius (18), Hampe (18), Fehling (19), Domaszewski (20), Salin (21), Baethgen (22), Dohna (23), Jaspers (23/31-32), Gundolf (24/29), Lenard (24), Andreas (24/29/31-32/34), Jagemann (25), Rothacker (26), Hellpach (26-28), Weizsäcker (27), Krehl (27), Eckardt (27), E. R. Curtius (29), Panzer (27), Schmitthenner (30/35), Wendland (32-34), Waffenschmidt (33), Dahm (33), Brinkmann (33), Bergsträsser (34), Raumer (34-35), Fehrle (35). »liberal« :Salz (14), Gothein (14/21), Driesch (17), Hettner (17), M.Weber (17-18), Ehrenberg (18), Dibelius (19/25), Anschütz (23), A. Weber (23-31), Thoma (2426), Rickert (25/34), E. R. Curtius (25), Hellpach (27/28/30-33), Sölch (29), Mannheim (29), Lederer (30), Radbruch (30), Hoffmann (31), Darmstaedter (32), Regenbogen (33). »sozialistisch«: Ehrenberg (19/23), Lederer (21/30), Gumbel (24/30-32), Radbruch (27/30), Mannheim (29). Selbstdefinition Geistige Elite: Krehl (14-18), A. Weber (15), Gothein (19), Jaspers (23), Fehrle (24), C. Neumann (24), L. Curtius (24/25), E. R. Curtius (25/28), Hoffmann (29/30). Intellektuelle: Gothein (14), Anschütz (17), Lederer (18), A. Weber (18/21-22), L. Curtius (21), Brinkmann (25), Radbruch (26), Mannheim (27), E. R. Curtius (28), Gotschlich (29). Vergleich mit Priestern: Schmid Noerr (15/19), Gothein (21), Jaspers (23), L. Curtius (27), Hellpach (32), Brinkmann (33). 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Abgrenzung von ... Hochschullehrern: Krehl (14-16), Schmid Noerr (17), Ruge (17), Weizsäcker (19), Ehrenberg (23), Gumbel (27), Duhm (33). »Ästheten«: Gothein (14), C. Neumann (14/18/22/24), Troeltsch (14), Krehl (15), Lemme (17), Weizsäcker (19), Gundolf (22/30), Güntert (33), Hellpach (34), Odenwald (34), Schrade (34). »Literaten«: M. Weber (17/18), Oncken (18), Boll (19), Ritter (20), L. Curtius (20/ 21), A. Weber (23), Lederer (22/25/26), Andreas (27), Güntert (33-34), Hellpach (33-34). Intellektuellen: A.Weber (15), Krehl (15/16), Ruge (16-18), M.Weber (17), Dresel (18), Fehling (19), Schmid Noerr (19), Gundolf (20), Ritter (20), Lenard (20/24/ 33/35), Schubert (21), Weizsäcker (22/34), Bettmann (23), Ehrenberg (25), Lüttge (25/26), Bergsträsser (29), Hellpach (30/34), Groh (33), Andreas (33), Faust (33), Schmitthenner (33), Waffenschmidt (33), Glockner (33), Güntert (34), Schnizer (34), Odenwald (35), Mann (35). Wirtschaftlichen Interessengruppen: Gundolf (14), A. Weber (15/21/24), Ehrenberg (18), Schmid Noerr (15/19), Thoma (25), Lüttge (26), Eckardt (27), Andreas (27), Salz (28), Schmitthenner (30). Verhältnis zur Gesellschaft im Volksleben verwurzelt: Schmid Noerr (17), A.Weber (18), C. Neumann (18/2124), Ritter (20), Oncken (22), Lenard (24/33/34), Ehrenberg (25), Weizsäcker (26), Lüttge (26), Eckardt (27), Bergsträsser (29/34), E. R. Curtius (29), Hellpach (32/ 34), Andreas (32-33), Glockner (32-33), Groh (33), Stein (33), Schmitthenner (33), Duhm (33), Güntert (33-34), Ricken (34), Teske (34), Brinkmann (35). Staatsbürger: Troeltsch (14), M. Weber (17), Dibelius (18-19/26-29), Schubert (19), H. Kossel (20), Thoma (25), Odenwald (26/34), Eckardt (27), Gumbel (32), Wendland (32), Jellinek (33), Rickert (34). »relativ klassenlos«, »freischwebend«: M.Weber (17), Lederer (18), A. Weber (18/2122), Radbruch (26/30), Gumbel (27), Mannheim (29), Hellpach (30/33). entrückt, kontemplativ: Krehl (14-17), Niebergall (19-21), Boll (20), Fehr (22), Rickert (22/24), Jaspers (23/31-32), Ehrenberg (23), Hupfeld (32). Politisch-soziale Funktion Geistige Führer: Hettner (14/17/23), A.Weber (15/18/24/26), Thoma (20), Lederer (21), L. Curtius (22), Ehrenberg (23), Anschütz (26), Hellpach (26-28/32-33), Eckardt (27), Salz (28/30), E. R. Curtius (29), Mannheim (29), Glockner (31), Jellinek (32), Güntert (33), Schmitthenner (33), Fehrle (34), Hildebrandt (35). Fähigkeit zur Synthese: Gothein (14/21), M. Weber (16), Lederer (16), Lemme (17), Hettner (17/19), A.Weber (18/24/27/29), H. Kossel (20), Jaspers (23), Fehrle (24), Lenard (24), Andreas (24/29/32/34), Dibelius (25/29), L. Curtius (27), Eckardt (27/30), Mannheim (29), Radbruch (30), Hoffmann (31), Rickert (33), Hellpach (33), Bergsträsser (34). Sachlichkeit: Gothein (14), M. Weber (16-18), Oncken (17), Anschütz (23), A. Weber (24), Dibelius (25), Thoma (25), E. R. Curtius (25), Hellpach (27-33), Salz (28), Radbruch (29). Zurückhaltung, Staatsloyalität: Krehl (15), Lemme (15), Niebergall (19-21), Gothein (21), Anschütz (22/30-31), Gundolf (23), C. Neumann (29), Meister (30), Rickert (31), Hoffmann (31), Jaspers (31/32). 101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
(Fortsetzung von Tab. 6) Politisches Engagement Antipolitische, Affekte: Krehl (14-18), Bekker (15), Lemme (15), Lederer (16), Oncken (16), M. Weber (17-18), Schmid Noerr (19), Boll (20), Niebergall (21), Ritter (21), Ehrenberg (22), Schubert (22), Jaspers (23/32), Lüttge (25-26), Hellpach (29), Bergsträsser (33), Duhm (33), Waffenschmidt (33), Wendland (33), Schmitthenner (33), Güntert (33). Für überparteiliches, nationales Engagement: M.Weber (16), Lemme (17), Hettner (17), Anschütz (17/26), A. Weber (18/27/29), Boll (20), Η. Kossel (20), Dohna (20), Panzer (21), C. Neumann (23), Andreas (24/29/32/34), Fehrle (24/33), Hellpach (28/30), Mannheim (29), E. R. Curtius (29), Eckardt (30), Brinkmann (30-1), Schmitthenner (31-2), Güntert (33), Wendland (33), Rickert (33). Für allgemeine Politisierung: C. Neumann (14/18/21/24), Ehrenberg (18/22), Dibelius (18/19/26/29), Schubert (19), Oncken (19), Panzer (19/25), Anschütz (23), Hellpach (26/28/30/32), A. Weber (27/29), Salz (28), E. R. Curtius (29), Duhm (33-34). Für Engagement in Parteien: Dibelius (18), Thoma (26), Radbruch(29-30). In Klammern jeweils das Jahr, in dem die entsprechende Äußerung gemacht wurde. Quellenangaben in den bisherigen Anm. zu Kap. II. Die politisch formulierten Vorlesungstitel häufen sich in den Wintersemestern, in denen auch sämtliche politisch-weltanschaulich bildenden Veranstaltungsreihen stattfanden. Das läßt darauf schließen, daß es sich bei derartigen Projekten nicht um besonders lukrative Veranstaltungen gehandelt hat, die man aus erzieherischen Gründen zwar durchführen zu sollen meinte, aber aus finanziellen Überlegungen doch eher in die ruhigeren Wintersemester legte.
6. Z u s a m m e n f a s s u n g Tabelle 6 stellt die Äußerungen zum Rollen- und Politikverständnis systematisch zusammen; Tabelle 7 faßt sie in Hinblick auf die Generations- und Fakultätszugehörigkeit zusammen. Wie insgesamt in dieser Studie sind Mediziner und mehr noch Naturwissenschaftler stark unterrepräsentiert, während für die drei anderen Fakultäten eine hohe Dichte von Äußerungen gegeben ist. Der wichtigste Grund für diese Differenz liegt in dem völlig anderen Politik- und gesellschaftlichen Rollenverständnis von Naturwissenschaftlern, das auch die meisten Vertreter der naturwissenschaftlich orientierten medizinischen Fächer teilten. 209 Sie vertraten erst relativ spät etablierte Wissenschaften und Methodiken, die jahrhundertelang von den Universitäten bekämpft worden waren und in der von der gelehrten Kulturkritik oft geschmähten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre größten 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 7: Verteilung der Äußerung hauptberuflicher Heidelberger Hochschullehrer zum gesellschaftlichen Rollen- und Politikverständnis nach Fakultäten und Generationen nach Fakultäten:
Theo
Jur
Med
Phil
Nat
Uni
Anzahl der sich Äußernden Anteil an der Fakultät Anteil aller sich Äußernden Fakultätsangehörige insg.
9 43% 11% 21
15 41% 17% 37
11 8% 13% 146
50 42% 56% 119
2 2% 2% 83
87 21% 100% 406
nach Generationen
Gl
G2
G3
G4
G5
alle
Anzahl der sich Äußernden Anteil an der Generation Anteil aller sich Äußernden Generationsangehörige insg.
11 18% 13% 60
16 28% 18% 57
19 23% 22% 83
24 23% 28% 106
17 20% 20% 100
87 20% 100% 406
Triumphe feierten. Sie standen deshalb dem traditionalistisch-elitären Selbstverständnis der meisten Angehörigen der übrigen drei Fakultäten fern, wenn nicht gar kritisch gegenüber und teilten als an der technisch-industriellen Revolution maßgeblich beteiligte und von ihr, was Stellenausstattung und Prestige betraf, profitierende Wissenschaftszweige auch nicht den verbreiteten Antimodernismus und die Technikfeindlichkeit der gelehrten Publizistik. Während sich die Geisteswissenschaftler (einschließlich Juristen und Theologen) durch die Modernisierung in ihren sozialen Geltungsansprüchen bedroht fühlten, begann die Epoche des politisch-kulturellen Führungsanspruches der Naturwissenschaftler erst. Schlüsselt man innerhalb der philosophischen Fakultät, aus der mehr als die Hälfte der in diesem Kapitel analysierten öffentlichen Äußerungen kam, nach Fächern auf, so ergibt sich eine weitere große Ungleichmäßigkeit zwischen Philosophie, Nationalökonomie/Soziologie, Geschichte und Germanistik einerseits und den übrigen Fächern. Gleichmäßiger ist die Verteilung der Äußerungen auf die fünf »Generationen«. Daß der Anteil der ältesten und der jüngsten etwas abfällt, liegt im normalen Rahmen reduzierter politischer Aktivität im hohen Alter bzw. zu Beginn einer Karriere, die unter solchem Engagement leiden könnte. Daß eine ungesicherte Position innerhalb der Hierarchie für die öffentliche Artikulation eines politischen Selbstverständnisses abträglich war, zeigt noch deutlicher die Aufschlüsselung nach dem Rang der Autoren: Während im Untersuchungszeitraum durchschnittlich zwei Drittel der Heidelberger Hochschullehrer zu den »unoffiziellen Lehrkräften« und nur ein Drittel zu den beamteten, planmäßigen Professoren gehörten, war das Verhältnis bei den Äußerungen 103 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
zum Rollen- und Politikverständnis fast exakt umgekehrt. 64 % waren planmäßige, nur 36 % »unoffizielle« Lehrkräfte. Hier spielt allerdings, ähnlich wie bei der Unterrepräsentation der Naturwissenschaftler, eine Rolle, daß für noch nicht etablierte Hochschullehrer wegen ihres geringeren Sozialprestiges die Publikationsmöglichkeiten geringer waren als für Ordinarien. In der Debatte über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik dominierten die Nationalökonomen und Philosophen, wobei interessanterweise die Philosophen eher dem vom Nationalökonomen Max Weber aufgestellten Wertfreiheitspostulat folgten als die Ökonomen/Soziologen. Die Forderung nach Politisierung der Wissenschaft erreichte, sowohl in ihrer maßvollen wie auch in ihrer radikalen Variante, in der Phase der nationalsozialistischen Machtergreifung ihren Höhepunkt, war aber bereits in den stabileren Jahren der Republik verstärkt erhoben worden (vgl. Tab. 6). Es handelt sich also keineswegs um eine genuin nationalsozialistische Forderung. Die im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zur Vorkriegszeit stark zunehmende Politisierung der Universitäten und des Selbstverständnisses der Hochschullehrer markiert den Untersuchungszeitraum als eine Phase, in der einerseits allgemeine politisch-historische Ereignisse ungewöhnlich stark in die Universität hineinwirkten und andererseits die Gelehrten sich in einem Maße für die politische Entwicklung verantwortlich fühlten wie seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr. Bei den politischen Denkstilen waren die Angehörigen der beiden extremen Richtungen durchschnittlich wesentlich jünger und weniger etabliert als die der gemäßigten. Unter den Faschisten finden sich Angehörige aller Fakultäten außer der medizinischen, unter den Sozialisten nur der juristischen und philosophischen. Ein Drittel der Konservativen vertraten historische Fächer, was für Mannheims Bezeichnung dieses Denkstils als »historistisch« spricht. Unter den Liberalen lehrten 40 % staatswissenschaftliche Fächer (Nationalökonomie, Soziologie, öffentliches und Staatsrecht), 20 % Philosophie. Die Theologen lassen sich weitaus häufiger dem konservativen als dem liberalen Denkstil zuordnen. Basierend auf einer relativ einheitlichen Selbstdefinition als geistige Elite ergaben sich sehr verschiedene Rollendefinitionen und Politikverständnisse. Nur wenige, eher etablierte, eher liberale und eher den drei älteren Generationen angehörende Hochschullehrer, die zu 80 % in der philosophischen Fakultät und zu 50 % am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften lehrten, bezeichneten sich selbst als »Intellektuelle«. Außer in der juristischen Fakultät war Antiintellektualismus viel verbreiteter, wobei ein deutliches Übergewicht bei den jüngeren (G 4 über 45 %) und den konservativ und faschistisch denkenden Dozenten und ein relativ großer Anteil von Medizinern zu registrieren ist. Im Gegensatz zum Antiästhetizismus verteilte er sich gleichmäßiger über den Untersuchungszeitraum, ging aber in den stabilen Jahren der Republik deutlich zurück. Fast spiegelbildlich 104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
dazu verteilen sich die wirtschaftsfeindlichen Äußerungen, die hauptsächlich in der Phase relativer Prosperität fielen. Diejenigen, die sich in ihren politischen Publikationen von der eigenen sozialen Gruppe abgrenzten, waren hinsichtlich ihres Status in der Regel Außenseiter. Unter ihnen finden sich entsprechend überdurchschnittlich häufig Vertreter der beiden extremen politischen Denkstile. Das entrückt-kontemplative Selbstverständnis wurde nur in den unruhigen Anfangs- und Endjahren der Republik und vorwiegend von Philosophen und kirchlich engagierten Professoren formuliert. Die »freischwebende« Selbstdefinition wiederum war eine Domäne von liberalen Nationalökonomen und Soziologen, was den auf das Umfeld ihrer Begründer begrenzten Verbreitungsgrad dieser neuen Anschauung zeigt. Erstaunlicherweise benutzten eher Nichtordinarien diese Definition. Dies läßt sich als Reflex ihrer noch fehlenden gesellschaftlichen Geltung interpretieren. Die eigene soziale Lage sollte nach den Wünschen einer relativen Mehrheit der sich Äußernden mehr im Volksleben verwurzelt sein. Unter ihnen waren die beiden jüngeren Generationen und Vertreter des konservativen Denkstiles überrepräsentiert. Der gegenteilige Befund gilt für diejenigen, die die eigene Fähigkeit zur Synthese und zur Sachlichkeit als nützlich zur Lösung politischer Konflikte herausstellten. Hier dominierte der Lehrkörper des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften. Als geistig-politische Führer sahen sich vornehmlich etablierte Ordinarien aller Generationen, während »Zurückhaltung/Staatsloyalität« vorwiegend in den älteren Generationen zu finden ist. Alle, die diese Haltung öffentlich vertraten, waren vor 1881 geboren. Keiner von ihnen gehörte also zu den beiden jüngsten Generationen, die im Lehrkörper auf einen Anteil von knapp 50 % kamen. Liberale Gelehrte waren unter den Zurückhaltenden stärker als konservative vertreten, Anhänger der extremen politischen Denkstile überhaupt nicht. Antipolitische Affekte fanden sich eher bei Unetablierten, eher bei konservativ oder faschistisch Denkenden und unter den Fakultäten am häufigsten bei den Theologen. Dieser Fakultät gehörte aber auch einer der drei Hochschullehrer an, die für parteipolitisches Engagement plädierten. Die anderen beiden waren Juristen, so daß kein Angehöriger der drei großen Fakultäten diese Haltung, die für eine größere Akzeptanz der Weimarer Republik unerläßlich gewesen wäre, öffentlich förderte. Der oft zur Charakterisierung des politischen Klimas der Weimarer Republik angeführte Wertrelativismus erwies sich als nicht sehr verbreitet. Häufig wurden ausdrücklich die politisch Intoleranten von der relativistischen Toleranz ausgenommen. So vielschichtig und möglicherweise auch verwirrend soziale Rollendefinition und Politikverständnis der Heidelberger Universitätslehrer insgesamt erscheinen mögen, es lassen sich doch gewisse Gemeinsamkeiten feststellen. Ringer zufolge gehörte es zu den politischen Überzeugungen der deutschen »Mandarine«, daß die Gesellschaft auf gemeinsamen moralischen und kulturellen Werten basieren müsse. 210 Die Analyse des Politikverständnisses 105 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der Heidelberger Gelehrten zeigt, daß sie im allgemeinen nicht von der Vorstellung eines contrat social ausgingen. Politisches Handeln bedeutete für sie also nicht, Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessen und Werten zu finden. Alle politischen Denkstile gingen vielmehr davon aus, daß eine als wahr erkannte politische Idee allgemein in der Gesellschaft durchzusetzen sei. Nur eine relativistische Minderheit unter den Liberalen, zu der Driesch,Thoma, Radbruch und einige andere zählten, ging von der Nichtentscheidbarkeit dieser Frage und von der prinzipiellen Gleichheit der Wahrheitsgehalte verschiedener politisch-ideologischer Überzeugungen aus. Alle anderen Denkstile erhoben einen Alleinvertretungsanspruch auf die Wahrheit ihres Politikverständnisses. Sie konnten deshalb mit Andersdenkenden nicht tolerant und kompromißbereit, sondern nur ausgrenzend umgehen. In dieser Beziehung macht es keinen Unterschied, ob ein rassisch-biologisches, ein national-organisches, ein individualistisch-wertstaatliches, ein idealistisch-dialektisches, ein individuell-existenzialistisches oder ein christlich-religiöses Prinzip als das objektiv wahre und richtige angesehen wurde. Der »Geist«, den die meisten Gelehrten stärker in die Politik einbringen oder eingebracht sehen wollten, war allemal ein absoluter, nicht-relativistischer. Nicht umsonst übertrugen sie ihre wissenschaftliche Begrifflichkeit auf die Sphäre der Politik und sprachen von »Synthesen« und nicht von Kompromissen. Diese politische Intoleranz und Kompromißunfähigkeit ging konform mit dem Zeitgeist in Weltkrieg und Weimarer Republik. Insofern zeigt sich auch hier, ganz im Gegensatz zum elitären Selbstverständnis, die »Banalität« (C. Cobet) der Bildungselite, die, wie schon Radbruch meinte, »mit der Geste der Führerschaft Angeführte des Zeitgeistes« war.211 Gleichwohl fühlten sich die Gelehrten als »allgemeiner Stand«, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Qualifikation zur Erkenntnis allgemeiner politischer Wahrheiten privilegiert war und deshalb als »öffentliches Gewissen des Volkes« die Allgemeingültigkeit seiner Wertorientierungen beanspruchen konnte. 212 Dieses elitäre Selbstverständnis beruhte nicht nur auf dem Gefühl geistiger Überlegenheit über die »Masse der Gebildeten« und erst recht über die »Massen des Volkes«, sondern auch auf dem Gefühl, ein politisch-moralisches Vorbild zu sein. In ihrer politischen Publizistik taucht »Mitte« als positiv besetzter Begriff auffallend häufig auf. Politische Mittelwege werden ebenso wie »Synthesen«, die als drittes (neben These und Antithese) zugleich eine Mitte und ein Weiter oder Darüberhinaus sind, von den Heidelberger Hochschullehrern befürwortet. Ihr soziales Selbstverständnis, in der Mitte der Gesellschaft zu stehen, war kein Synonym für Durchschnittlichkeit, sondern beinhaltete ebenso wie das Bild vom »allgemeinen Stand« den Anspruch, die Normen der Gesellschaft vorbildlich zu repräsentieren. 213 Es gebe - so Mannheim - »eine eigentümliche sozialgeistige Mitte im historischen Geschehen, die zum Geistigen eine bestimmte Beziehung hat«, nämlich die »Dünnschicht« unter den Intellektuellen, der 106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
es »auf etwas anderes« ankomme »als das Hineinarrivieren in die nächste Stufe des sozialen Seins.« Gundolf nannte Helden und Weise, die im Volke wurzelten, — und damit diejenigen, denen man sich »ergeben« solle — »Mittemenschen.« Schmitthenner endlich fand: »Die deutsche Hochschule steht ja so recht im Mittelpunkt der Zusammenarbeit [aller Stände und Berufsschichten]. Alles oder doch fast alles, was hier geleistet wird, kommt in hundertfältiger Weise den Berufszweigen, den Gewerben, der Industrie und dem Volke zugute. Das Bewußtsein hiervon ist heute aus mancherlei Gründen und durch mancherlei Schuld verloren gegangen... Die zentrale Stellung auch im Bewußtsein des Volkes zurückzugewinnen, ist eine hohe Aufgabe.«214 Sozialökonomische Veränderungen, Demokratisierung und Fundamentalpolitisierung der Gesellschaft, neue methodologische Erkenntnisse nicht zuletzt Heidelberger Gelehrter stellten dieses Politik- und Rollenverständnis zunehmend in Frage. Die Spannung zwischen ihrem traditionellen Selbstverständnis und der veränderten gesellschaftlichen Situation bestimmte entscheidend das politische Verhalten der Gelehrten.
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ZWEITER
TEIL
Politisches E n g a g e m e n t u n d
publizistische
B e w e r t u n g wichtiger Ereignisse u n d Tendenzen
III. » F ü r d e n S i e g d e s d e u t s c h e n
›Militarismus‹«
1. Die U n i v e r s i t ä t in d e n p o l i t i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n der Kriegszeit Bei Kriegsausbruch rief Prorektor Gothein den Senat noch am 1. August zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, in der ein Aufruf verabschiedet wurde, der Einwohner- und Studentenschaft »zu einmütigem Gelöbnis unserer Treue gegen das Vaterland« zu einer Versammlung in die Stadthalle rief.1 Auf dieser sprachen am 3. August neben dem Oberbürgermeister und nebenberuflichen Honorarprofessor Ernst Walz der Prorektor sowie die Professoren Troeltsch, Vertreter der Universität in der Ständekammer, und Oncken. Alle vier gehörten der das politische Leben in Heidelberg dominierenden nationalliberalen Partei an, deren Vorsitzender Oncken war. Zwei Tage später wurden sämtliche Studenten aus gegnerischen Staaten zwangsexmatrikuliert und erhielten Hausverbot in den Instituten und Kliniken. 2 Universität und Stadt erließen einen gemeinsamen Aufruf zur Bildung einer Bürgerwehr zum Schutz des privaten und öffentlichen Eigentums. 3 Eine »Kundgebung« der Universität Wien an die Hochschulen des Deutschen Reichs beantwortete der Senat im September mit großen Worten von der »Einheit der nationalen Kultur« Österreichs und Deutschlands und der »unverrückbaren Bundestreue« beider Länder, die »der ganzen Welt standhalten wird«. 4 Waren schon die Reden bei der Kundgebung vom 3. August - insbesondere die Troeltschs - relativ moderat ausgefallen, so äußerte im Oktober 1914 auch der Senat politische Bedenken gegen eine von der Universität Tübingen versandte, vermutlich von dem führenden Annexionisten Johannes Haller verfaßte »Kundgebung der deutschen Universitäten«. Mit ihr sollte in der hysterischen Sprache alldeutscher und annexionistischer Aufrufe der »Feldzug systematischer Lüge und Verleumdung« der gegnerischen Presse entlarvt werden. Die von der Universität Heidelberg zunächst abgelehnte Resolution verwies demgegenüber auf 109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»Fleiß« und »Rechtlichkeit« des deutschen Volkes, auf »seinen Sinn für Ordnung und Zucht, auf seine tiefe Achtung vor aller geistigen Arbeit und seine innige Liebe zu Wissenschaft und Kunst«, um so zu belegen, »daß die deutschen Truppen, wo immer sie zu Zerstörungen schreiten mußten, dies nur getan haben können in der bitteren Notwehr des Kampfes.« Zugleich bekannte sich diese an ausländische Universitäten gerichtete Erklärung zum deutschen Machtstaat. U m diesen sowie um »Dasein« und »Kultur« sei Deutschland »zu kämpfen gezwungen«. Dies ging - bei allem Patriotismus - außer Heidelberg auch den Universitäten Halle und Jena zu weit. Erst eine Intervention des Auswärtigen Amtes ließ sie ihre Bedenken zurückstellen. 5 Im zweiten Kriegsjahr, auf dem Höhepunkt der deutschen Siegesgewißheit stellte sich das Engagement der Universität weniger eigenständig geprägt dar. Mit dieser Anpassung gingen die politischen Aktivitäten der Universität stark zurück. Sie beschränkten sich auf die Feier zweier Geburtstage. An dem des Kaisers hielt der Theologe von Schubert einen pathetischen Vortrag über »Die Weihe des Krieges«. Auf den 10.5.1915, den Jahrestag des Frankfurter Friedens von 1871, hatte die Universität, um ihre Siegesgewißheit zu symbolisieren, die Feier von Bismarcks 100. Geburtstag gelegt, der eigentlich in die Semesterferien fiel. Oncken hielt die Festrede und thematisierte, optimistisch und zukunftsorientiert, »Bismarck und die Zukunft Mitteleuropas«. Symptomatisch für die Anpassung an den paranoiden Zeitgeist der Kriegszeit ist der »Fall Schneegans«, der sich 1915 unter Ausschluß der Öffentlichkeit abspielte. Dieser Extraordinarius für Romanistik war Elsässer, mit einer Französin, der Tochter des bekannten französischen Pazifisten und an der Sorbonne lehrenden Germanisten Henri Lichtenberger, verheiratet und als frankophil bekannt. Nach Kriegsbeginn scheint die Situation für ihn unter seinen nationalistisch entflammten Kollegen so unerfreulich gewesen zu sein, daß er beschloß, in die Schweiz auszuwandern. Seinem Antrag auf Entpflichtung stimmte der Senat zwar zu, aber der entsprechende Beschluß lautete: »Tatsachen und Äußerungen ..., die einen Anlaß zu Entlassung und Disziplinierung bieten könnten, [sind] uns nicht bekannt, andererseits [erscheint] es nicht sicher, ob Prof. Schneegans bei der offensichtlich ehrlich gemeinten Absicht, in der Schweiz zu bleiben und nicht nach Frankreich zu übersiedeln, unter dem Einfluß seiner französisch gesinnten Frau, deren Mutter in Versailles lebt, verbleiben wird. Ebenso haben wir persönlich zu Schneegans Vertrauen, daß er den Aufenthalt in der Schweiz nicht etwa dazu verwenden will, publicistisch gegen Deutschland und die Universität Heidelberg tätig zu sein - allein auch in dieser Beziehung scheint uns die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß er allmählich anderen Einwirkungen unterliegen wird.«6 Dem Beschluß war keinerlei kritische öffentliche Äußerung Schneegans' vorausgegangen. Er ist nur vor dem Hintergrund allgemeiner Fremdenfeindlichkeit während des Krieges verständlich als Versuch des Senates, Ent110
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schlossenheit zu demonstrieren und sich als ebenso staatsloyal zu präsentieren, wie andere Universitäten, an denen es zu ähnlich hysterischen R e a k tionen kam. 7 Eine Publikation des an der Senatsentscheidung beteiligten konservativen Theologen Lemme wirft ein Licht auf die damalige Mentalität und liest sich wie Kommentar zum Fall Schneegans: »Es war doch recht beklemmend, in diesem Kriege wieder zu beobachten, wie in manchen Mischehen deutscher Männer mit französischen ... Frauen die deutsche Gutmütigkeit französischer Leidenschaftlichkeit ... gegenüber das angeblich stärkere Geschlecht zum schwächeren Teil der Ehe stempelte. Wo war da der Charakter?«8 Zu Weihnachten 1914 versandte die Universität ihren kriegsdienstleistenden Angehörigen »Liebesgaben ...bestehend zu etwa 2/3 aus Cigarren oder Cigaretten oder Tabakspfeife und Tabak, zu 1/3 aus Chokolade und sonstigen Süßigkeiten«, zu denen - wie es im entsprechenden Senatsbeschluß weiter hieß - »1 Büchlein ›Deutsches Volkstum‹, ein Tannenzweiglein und ein vom Prorektor zu verfassender Weihnachtsgruß« gelegt wurden. Ein Jahr später stellte die alma mater ein Bändchen »Die Universität ihren Studenten im Felde« zusammen. Der Biologe Otto Bütschli hatte das Deckblatt gemalt, der Prorektor und Ordinarien aller Fakultäten steuerten Beiträge aus ihren Fachgebieten bei. Zu Weihnachten 1916 versandte man einen Band mit Hans-Thoma-Bildern, die der Kunsthistoriker und ThomaVerehrer Neumann zusammengestellt und kommentiert hatte, zur letzten Kriegsweihnacht einen weiteren Sammelband. 9 Die zahlreichen patriotischen Projekte, zu deren Unterstützung die Universität aufgerufen wurde, beschied der Senat auffällig zurückhaltend. 10 Einen annexionistischen Durchhalte-Appell Berliner Professoren (»Der Wille zum Sieg«) zum zweiten Jahrestag der Kriegserklärung unterzeichnete Heidelberg ebensowenig wie die meisten anderen Universitäten - wohl vor dem Hintergrund wachsender politischer Polarisierung, infolgederen kaum eine Universität noch zu einer einheitlichen politischen Stellungnahme in der Lage war.11 Der Rückgang der Kriegsbegeisterung hing neben vielen anderen Faktoren mit der steigenden Inflation und der schwieriger werdenden Versorgungslage zusammen. So begann die Universität im Winter 1916/17, die ärmsten Studenten aus der städtischen Kriegsküche zu ernähren. Dies war der Anfang des Mensabetriebes in Heidelberg. 12 Im Verlauf der Jahre 1917/18 geriet die Ruperto Carola mehr und mehr ins Schußfeld konservativ-annexionistischer Kreise. Anlässe hierfür bot hauptsächlich das Engagement zahlreicher prominenter Heidelberger Gelehrter auf Seiten der gemäßigten »liberalen Imperialisten«, die demokratische Reformen forderten und sich mit den »Annexionisten« und der »Vaterlandspartei« erbitterte öffentliche Kontroversen lieferten. Aber auch die juristische Fakultät unterstützte in den Augen von Konservativen die »Flaumacher«, als sie dem liberalen jüdischen Verleger Mosse 1917 einen Ehrendoktor verlieh. Mosse hatte zum Gedenken an Theodor Mommsen zu 111 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
dessen 100. Geburtstag 100.000 Mark gegeben, um damit bedürftigen Studenten der Altphilologie und der Jurisprudenz den Besuch einer anderen Universität zu ermöglichen. Eine weitere Stiftung Mosses ermöglichte die Einrichtung eines papyrologischen Institutes und finanzierte den dort arbeitenden Professor.13 An anderen Universitäten war es während des Krieges üblich, hohe Generäle oder gar den Kriegsminister mit oft haarsträubenden Begründungen (z. B. weil seine »ruhmreichen Tagesberichte in klassischem Deutsch, kurz und schlagend, stets die richtigen Worte wählend, erschienen«) ehrenhalber zu promovieren. 14 So wurde der Ruperto Carola wegen der Ehrenpromotion Mosses vorgeworfen, es sei »internationalistisch«, und der juristischen Fakultät unterstellt, daß sie durch die Briten bestochen sei. 15 Oncken als Vertreter der Universität in der Ständeversammlung charakterisierte diese Vorwürfe zutreffend als »parteipolitisch und - um ganz offen zu reden - z.T. auch antisemitisch.« 16 Wegen dieser Ereignisse und der Heidelberger Professorenresolution gegen die »Vaterlandspartei« belegte die Oberste Heeresleitung Heidelberger Gelehrte vorübergehend mit Einreiseverbot zu Vorträgen an der Front. Dabei war die Universität nur etwas weniger chauvinistisch als andere und keineswegs »internationalistisch« oder »pazifistisch«.17 Als sich eine kleine, pazifistische Studentengruppe bildete, leitete der Senat vielmehr umgehend ein Disziplinarverfahren gegen den »Hauptbeteiligten«, den Jura-Studenten Ernst Toller, ein. 18
2, Individuelles E n g a g e m e n t 1 9 1 4 - 1 9 1 8 Die Zeit des ersten Weltkriegs war sowohl der Höhepunkt als auch eine Krise des politisch-publizistischen Engagements deutscher Professoren.19 Nie zuvor hatten sie eine derart breite Vortrags- und Publikationstätigkeit entfaltet, nie so viele politische Aufrufe unterzeichnet. Die Gelehrten führten einen chauvinistischen »Kulturkrieg«, in dem sie Deutschlands Gegner diffamierten und eine »deutsche Sendung« mit den vielfältigsten »wissenschaftlichen« und politischen Argumenten zu begründen suchten. 20 Resultat dieses ebenso breiten wie einseitigen Engagements war jedoch ein massiver Autoritätsverlust der Gelehrten in politisch-gesellschaftlichen Fragen. Es verstärkte also ungewollt die Tendenz zur Normalisierung ihrer sozialen Rolle. 2 . 1 . Gelehrtenresolutionen Unter den Gelehrtenaufrufen des Weltkrieges nehmen nach der Situation und der Stimmung, aus der heraus sie entstanden, die des Jahres 1914 eine Sonderstellung ein. Sie sind von der Erregung des Kriegsausbruches, dem sogenannten Geist von 1914, geprägt, spiegeln also das Gefühl wider, daß 112 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Deutschland über alle politischen und sozialen Gegensätze hinweg zusammenhalten müsse, um sich des feindlichen Angriffes zu erwehren. Neben diversen Spendenaufrufen war die Einrichtung »Vaterländischer Volksabende« ein typisches lokales Beispiel sowohl für den »Geist von 1914« als auch für das gemeinschaftsstiftende professorale Politikverständnis. Fast das gesamte Spektrum politisch engagierter Gelehrter außer den linksliberalen »Kathedersozialisten« fand sich über alle sonstigen Gegensätze hinweg zu dieser Vortragsreihe zusammen und unterzeichnete den entsprechenden Aufruf. Die »Volksabende« sollten »durch Hinweise auf die Vergangenheit und die gegenwärtigen Lebenstaten das Bewußtsein deutschen Eigenwertes fördern«, um »uns gegenseitig stark zu machen, durchzuhalten bis zum äußersten, die Einmütigkeit ... zu festigen, uns immer inniger zur Lösung der künftigen Friedensaufgaben zusammenzuschweißen«, wie R u g e programmatisch formuliert hatte, 21 der neben dem »Vorsitzenden des Arbeitsausschusses«, dem Theologen von Schubert, der aktivste Hochschullehrer in dieser chauvinistischen Volkshochschule war. Ihre Breitenwirkung ist nicht zu unterschätzen, denn es fanden über sechzig Vaterländische Volksabende in Heidelberg statt.22 Bereits kurz nach Kriegsausbruch hatten zahlreiche konservative Gelehrte demonstrativ britische Auszeichnungen und Orden zurückgegeben, darunter aus Heidelberg Lenard (Physik), Moritz Cantor, Leo Königsberger (beide Mathematik), Max Fürbringer (Anatomie), Vincenz Czerny (Chirurgie), Wilhelm Erb (Pathologie), Carl Bezold (Orientalistik) und Hermann Levy (Nationalökonomie), bis auf den letzten sehr prominente, der ältesten »Generation« angehörende und z.T. bereits emeritierte Ordinarien. 23 Die erste überregionale Gelehrtenresolution, der »Aufruf an die Kulturwelt«, datiert vom 4. Oktober 1914. In ihm bestritten 93 prominente deutsche Intellektuelle - mehrheitlich Professoren, unter ihnen die konservativen Heidelberger Ordinarien Friedrich von Duhn, Wilhelm Windelband und Lenard, Deutschlands Kriegsschuld und wiesen den Vorwurf des Militarismus sowie deutscher Völkerrechtsbrüche zurück. Nach diesen spontanen und auf relativ geringe Resonanz stoßenden Aufrufen begann mit der »Erklärung der Hochschullehrer des deutschen Reichs«, die 3.016 Unterzeichner, also fast 70 % der deutschen Gelehrten, mittrugen, die massive und generalstabsmäßig organisierte politische Mobilisierung der deutschen Universitätslehrkörper. 24 Ähnlich wie bei den Vaterländischen Volksabenden fehlten unter den mehr als hundert Heidelberger Unterzeichnern neben mehreren an der Front Befindlichen lediglich einige Vertreter des liberal-demokratischen Flügels im Lehrkörper. An den Spalten a bis f von Tabelle 2 (Anhang) läßt sich die außerordentlich große Bereitschaft der Hochschullehrer ablesen, sich während des Krieges öffentlich politisch zu äußern. R u n d 80 %25 der Ordinarien, Extraordinarien, Honorar- und außerordentlichen Professoren aller Fakultäten unterzeichneten in diesem kurzen Zeitraum politische Aufrufe. Bei Privat113 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
dozenten war der Anteil wesentlich geringer, weil ein Teil der Aufrufe26 reine Professorenresolutionen waren, die auf Exklusivität Wert legten. Der zweite Blick enthüllt allerdings, daß fast 40 % aller Unterzeichner nur die »Erklärung der Hochschullehrer« unterschrieben haben. Nimmt man die »Kundgebung« von 109 Heidelberger Honoratioren für Bethmann Hollweg hinzu, so hat sich die Hälfte der mit Aufrufen an die Öffentlichkeit Tretenden lediglich an den auf breite Resonanz im Lehrkörper treffenden Aufrufen beteiligt. Von ihnen gehörten fast drei Viertel der medizinischen oder naturwissenschaftlichen Fakultät an, waren also zu einer öffentlichen politischen Stellungnahme nur zu mobilisieren, wenn sie einen Minimalkonsens formulierte, der mit dem Gestus der Überparteilichkeit 27 und in Formeln eines dezidierten, im Ton aber gemäßigten Nationalismus auftrat. Die meistunterzeichneten Erklärungen waren zugleich die kürzesten und am allgemeinsten gehaltenen Gelehrtenaufrufe der Kriegszeit. In beiden Fällen ging es um eines der wichtigsten politischen Anliegen von Hochschullehrern überhaupt, nämlich die Bewahrung von Einigkeit, sei es zwischen »dem Geist der deutschen Wissenschaft und dem, was [die Feinde Deutschlands] den preußischen Militarismus nennen« (»Erklärung«), oder zwischen Anhängern und Gegnern Bethmann Hollwegs (»Kundgebung«). Trotz dieser Gemeinsamkeiten bestanden bedeutende Unterschiede zwischen beiden Aufrufen. Dies gilt sowohl für deren Sprache und Argumentationsweise als auch hinsichtlich der Zugehörigkeit der Unterzeichner zu einem der beiden politischen Lager, die sich nach dem Ende der ersten »Burgfriedens«-Euphorie seit 1915 gegenüberstanden und aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen der militärischen Lage gegensätzliche Kriegsziele verfolgten: Die »Annexionisten« zielten auf die Ausweitung des deutschen Territoriums, die »Gouvernementalen« bzw. »Gemäßigten« sahen die deutsche Lage nüchterner und wollten sich mit dem Status quo ante zufriedengeben. Die Unterschiede zwischen der »Erklärung der Hochschullehrer« und der »Kundgebung« für Bethmann Hollweg ergeben sich schon aus den unterschiedlichen innenpolitischen Rahmenbedingungen, unter denen sie publiziert wurden: im Herbst 1914 unter der Scheinharmonie des »Burgfriedens« bzw. Ende 1916 mitten in der Auseinandersetzung über die Kriegsziele. Während die »Erklärung« annexionistische Züge trug und abschließend konstatierte, »daß für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche ›Militarismus‹ erkämpfen wird«, distanzierte sich die »Kundgebung« ausdrücklich von der obrigkeitsstaatlichen Haltung, »da zu schweigen, wo man hoffen darf, durch ein freies Wort dem Vaterlande zu nützen.« Und während über 80 % der Unterzeichner annexionistischer Adressen die »Erklärung der Hochschullehrer« mittrugen, trat mehr als die Hälfte der Teilnehmer an der »Kundgebung« ein Jahr später der Vaterlandspartei entgegen, und nur sechs (13 %) von ihnen hatten eine der annexionistischen Adressen unterschrieben. Die »Erklärung« wie auch die anderen Resolutionen aus dem Jahre 1914 machen deutlich, daß in der 114 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Phase ungebrochener Siegeszuversicht zu Beginn des Krieges die radikalen Nationalisten in der Offensive waren. Gleichwohl würde man der recht diffusen und im Grunde apolitischen Haltung derjenigen, die nur die »Erklärung der Hochschullehrer« unterzeichneten, nicht gerecht, wenn man sie pauschal dem annexionistischen Lager zuordnete. Die »Kundgebung« hingegen stellte sich durch ihr Eintreten für Bethmann Hollweg und damit für gemäßigte Kriegsziele in eine Reihe mit dem Deutschen Nationalausschuß, in dem Max Weber und Oncken mitarbeiteten, die auch als Initiatoren der »Kundgebung« angesehen werden können. 28 Die Unterstützung eines Drittels des Lehrkörpers, darunter zahlreicher politisch zurückhaltender Hochschullehrer für eine gemäßigte Gelehrtenresolution ist ein weiterer Beleg für die Liberalität der Universität Heidelberg. Auch die am dritthäufigsten, nämlich von einem knappen Viertel des Lehrkörpers, unterzeichnete politische Resolution der Kriegszeit, die von dem konservativen Tübinger Historiker Johannes Haller initiierte »Erklärung« gegen die Friedensresolution der Reichstagsmehrheit aus SPD, Zentrum und Liberalen, umfaßte nur wenige Sätze. Auch sie formulierte einen Minimalkonsens, der jedoch in der polarisierten Öffentlichkeit des Jahres 1917 nicht mehr über eines der politischen Lager, in diesem Fall das konservativ-obrigkeitsstaatlich-annexionistische, hinausreichte. Da der Reichstag »vor sechs Jahren unter völlig anderen Verhältnissen gewählt« worden sei, argumentierte diese »Erklärung«, repräsentiere er nicht mehr den »Volkswillen«. Den »berufenen Leitern von Heer und Staat« hingegen sprach sie das Vertrauen aus. Sie sollten »allen äußeren und inneren Widerständen zum Trotz einen Frieden erringen, wie ihn Deutschland für sein Leben und Gedeihen braucht«, 29 hieß es sehr allgemein und interpretationsfähig. Sehr mager war im Vergleich zu diesen drei auf möglichst breiten Konsens zielenden Gelehrtenresolutionen die Resonanz auf die beiden Denkschriften, die dezidierte Kriegsziele verfolgten. Dies gilt unabhängig davon, welche Ziele dies waren. Nur zehn Heidelberger Hochschullehrer, eine im Vergleich zu anderen Universitäten bemerkenswert niedrige Zahl, unterzeichneten die berüchtigte Seeberg-Adresse, die - ausgehend vom traditionellen Selbstverständnis der Professoren als »geistige Führer und Vorkämpfer der öffentlichen Meinung« - im Juni 1915 Front machte gegen einen befürchteten, »aus falschen Versöhnungsillusionen oder gar aus nervöser Ungeduld« geschlossenen, »vorzeitigen und deshalb ... nimmermehr dauerhaften Frieden«. Sie formulierte ein Eroberungsprogramm, gegen das der Versailler Vertrag milde und versöhnlich war: Frankreich wollte man »rücksichtslos schwächen«, indem man einen breiten Streifen im Norden bis zum Kanal annektierte und dem Land »schonungslos eine hohe Kriegsentschädigung« auferlegte. Belgien, das »auch völkisch uns zu einem starken Zuwachs werden« könne, »politisch-militärisch und wirtschaftlich fest in der Hand [zu] halten«, war für die Unterzeichner der Seeberg-Adresse »die allerzweifelloseste Ehrensache«. Auch Rußland, demgegenüber die Denk115 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schrift von blankem Rassismus erfüllt war, sollte große Gebiete abtreten »Land, das uns gesunde Bauern, diesen Jungbrunnen aller Volks- und Staatskraft, bringt«. Die dortige russische Bevölkerung sollte nach Sibirien umgesiedelt, die »dem Russentum stammesfremde« ein Reservoir von angeblich dringend benötigten »Wanderarbeitern« bilden. Den Bewohnern der zu annektierenden Gebiete sollte »durchaus kein politischer Einfluß im Reich« eingeräumt werden. Gegen England, das man nicht bezwingen zu können glaubte, schlug die Seeberg-Adresse eine Doppelstrategie vor: einerseits die »Freiheit« der Meere, des Kabel- und Nachrichtenwesens wiederherzustellen, andererseits eine Landverbindung über Deutschlands Verbündete im Balkan und in Kleinasien zu den, selbstverständlich auszudehnenden, afrikanischen Kolonien und nach Asien zu schaffen, um von den Seewegen unabhängig zu sein. Über Militarismus, Rassismus und Imperialismus hinaus vertraten die Unterzeichner mit der abschließenden, völkisch-organizistisch-antiintellektuellen und implizit antisemitischen Definition ihres eigenen Selbstverständnisses eine rechtsextreme Position, die im Heidelberger Lehrkörper in dieser Breite erst wieder 1933 öffentlich artikuliert wurde: »Wir wollen keinen deutschen Geist, welcher in Gefahr steht, zersetzt und zersetzend zu werden als ein wurzelloser Volksgeist, der in allen Ländern ... Heimat suchen, sich überall anpassen und sein eigenes wie das Wesen der Wirtsvölker verfälschen muß, weil ihm der gesunde nationale Körper fehlt. Wir wollen mit unseren Forderungen dem deutschen Geist den gesunden Körper schaffen.«30 Die von nur vier Heidelbergern (Bütschli, Dnesch, 31 Alfred und Max Weber, außerdem Troeltsch und Anschütz nach bzw. vor ihrer Heidelberger Zeit) mitgetragene »Gegenadresse« des Berliner Historikers Delbrück stellte den mehr oder minder gescheiterten Versuch dar, der in der SeebergAdresse und 1917 in der Gründung der Deutschen Vaterlandspartei zum Ausdruck kommenden völkisch-nationalistischen Radikalisierung des Bildungsbürgertums und insbesondere seiner universitären Elite öffentlichkeitswirksam entgegenzutreten. Die Unterzeichner verwarfen - ihrerseits von dem Axiom ausgehend, Deutschland führe einen Verteidigungs- und keinen Eroberungskrieg - in spezifisch liberaler Argumentation (»in rein sachlicher Erwägung«) »die Einverleibung oder Angliederung politisch selbständiger und an Selbständigkeit gewöhnter Völker«. Gegen kleinere Annexionen hatten diese »liberalen Imperialisten« 32 ebensowenig etwas einzuwenden, wie sie die »Einverleibung« fremder Völker nicht aus grundsätzlichen ethischen, sondern allein aus pragmatischen Gründen ablehnten. 33 Seinen bedeutendsten Erfolg verbuchte dieses gemäßigte Lager im Herbst 1917 mit der im Ton moderaten, in der damaligen politischen Auseinandersetzung aber unmißverständlich Position beziehenden Erklärung »Gegen die ›Vaterlandspartei‹«. Immerhin die Hälfte der Heidelberger Ordinarien und ordentlichen Honorarprofessoren unterzeichnete sie und unterstützte damit die gemäßigte Reichstagsmehrheit, als deren Gegengewicht sich jene 116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
neugegründete annexionistische Sammlungspartei verstand, deren Agitation bereits deutlich faschistische Züge trug. Daß so viele Heidelberger Professoren sich damit in Gegensatz zur Mehrheit ihrer Kollegen im Reich setzten, 34 wird durch den Inhalt der Erklärung etwas relativiert. Sie stellte, wie alle politischen Aufrufe mit breiter Resonanz, einen Minimalkonsens dar. Die Unterzeichner wehrten sich gegen die exklusive Inanspruchnahme vaterländischer Gesinnung durch eine Partei, da dies die »Einheitlichkeit der inneren Front« gefährde. Sie verwahrten sich gegen den Vorwurf, die Universität Heidelberg sei keine »Hochburg vaterländischer Gesinnung«, und grenzten sich »gegen jede Flaumacherei und Schwächung unseres Siegeswillens« ab. Als Hauptmotive, der Vaterlandspartei öffentlich entgegenzutreten, spielten demnach neben liberal-demokratischen Grundüberzeugungen und einer realistischeren Einschätzung der Kriegsaussichten der spezifisch professorale Antiparteienaffekt und die Tatsache eine Rolle, daß die Universität und der eigene Stand durch die radikal-nationalistische und antiintellektuelle Rechte angegriffen worden war. Dennoch war diese Resolution damals so brisant, daß das mit der Vaterlandspartei sympathisierende Heidelberger Tageblatt, das sonst jeder Äußerung aus dem Lehrkörper bereitwillig Raum gab, sie nicht druckte und sie in der Frankfurter Zeitung erscheinen mußte. Wie verhaßt die Unterzeichner dieser Resolution im konservativen Lager noch vier Jahre später waren, zeigt ein im Organ der Heidelberger DNVP erschienener Artikel, in dem sie noch einmal aufgelistet und angeprangert wurden, da sie »das Aufkommen der Vaterlandspartei durch einen Zeitungsprotest verhinderten und damit die letzte Möglichkeit, die Gesamtheit ... bei ihrer vaterländischen Pflicht zu halten, untergraben haben.« 35 Unterscheidet man die Beteiligung an den Gelehrtenresolutionen der Kriegszeit nach Fakultäten, so erhält man ein Kriterium für deren Bereitschaft zu öffentlichem politischen Engagement. Keine oder nur eine Resolution unterzeichneten von allen Fakultätsangehörigen (einschließlich Emeritierten) bei den Theologen 10 %, in der philosophischen Fakultät 16 %, bei den Juristen 22 %, bei den Naturwissenschaftlern 54 % und bei den Medizinern 65 %. Fast dieselbe Reihenfolge ergibt sich, wenn man berücksichtigt, von welchem Anteil der Hochschullehrer die Mitgliedschaft in einer politischen Organisation 36 bekannt ist: theologische Fakultät 40 %, juristische 24 %, philosophische 22 %, medizinische 6 %, naturwissenschaftliche 3 %. Die hohe Organisationsbereitschaft der Theologen ist bemerkenswert, da gerade bei ihnen eher eine zurückhaltende, sich parteipolitisch nicht festlegende Art des politischen Engagements erwartet werden konnte. Allerdings unterzeichneten die Theologen überdurchschnittlich häufig lokale Honoratiorenaufrufe (Sp. b in Tab. 2 im Anhang). Keiner unterschrieb eine der einschlägigen überregionalen Gelehrtenresolutionen außer der »Erklärung der deutschen Hochschullehrer«. Die Juristen waren bei allen gemäßigten Aufrufen deutlich überrepräsentiert. Kein Ordinarius unterzeichnete eine annexionistische Resolution. 117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Über 40 % des Lehrkörpers der juristischen und der philosophischen Fakultät und mehr als die Hälfte der Theologen trat mit politischen Publikationen in Erscheinung. Würde man die zahlreichen unpublizierten politischen Reden der Kriegsjahre, die allerdings kaum zu erfassen sind, hinzunehmen, wäre sowohl das ungewöhnliche Ausmaß des politischen Engagements der Hochschullehrer noch greifbarer als auch die Dominanz der theologischen, juristischen und philosophischen Fakultät in der Öffentlichkeit noch ausgeprägter. Mediziner und Naturwissenschaftler hingegen beteiligten sich vornehmlich an vorgegebenen und vorformulierten Initiativen. Sie neigten, wie auch die geringe Zahl ihrer Kriegsschriften belegt, eher zu deklamatorischem als zu diskursivem Engagement. Selbst wenn sie, wie der Nobelpreisträger Lenard bereit waren, politisch Position zu beziehen, stießen sie nicht auf dieselbe Resonanz wie Vertreter politiknaher Fächer, denen die politisch interessierte Öffentlichkeit eine weit höhere Welterklärungskompetenz zubilligte und die Gelegenheit erhielten, wieder und wieder in Artikeln und Reden dieselben Positionen zu äußern. Neben dieser allgemein größeren Politikferne ist das geringere politische Engagement der Mediziner und Naturwissenschaftler auch mit ihrer überdurchschnittlichen Beteiligung am Kriegsdienst zu erklären. Viele, wie etwa von Krehl, meinten, »als Soldat solche Sachen [hier: Beitritt zum »Volksbund für Freiheit und Vaterland«] nicht mitmachen« zu dürfen. 37 Die beiden Fakultäten unterschieden sich jedoch darin, daß Naturwissenschaftler das geringere öffentliche Ansehen genossen, was sich im Fehlen ihrer Namen unter den lokalen Honoratioren-Aufrufen und darin zeigt, daß von den sieben Mandatsträgern innerhalb des Lehrkörpers immerhin zwei Stadtverordnete der medizinischen Fakultät angehörten. Die Auswertung der Unterzeichner der Gelehrtenresolutionen des Weltkrieges stützt den Befund, daß Heidelberg unter den deutschen Universitäten eine liberale Randstellung einnahm. Dies äußerte sich weniger in der Teilnahme an der gemäßigten Kriegszielpolitik auf Reichsebene, die sich im Wesentlichen auf vier Ordinarien 38 beschränkte, sondern in der großen Resonanz auf die Vertrauenskundgebung für Bethmann Hollweg und mehr noch auf die Resolution gegen die Vaterlandspartei. Auch das Verhalten der Universität als Institution in den Jahren 1916 bis 1918 ist als relativ liberal zu bezeichnen. Zudem publizierte kein Heidelberger Professor in der offiziösen, den Krieg verherrlichenden und Durchhaltewillen mobilisierenden Reihe »Deutsche Reden in schwerer Zeit«.
2.2. Engagement für Parteien Das Engagement für politische Parteien (für die konservativen Gruppen DkP, DVLP und FBV sieben; für die NLP zwölf; für die FVP drei; für die SPD zwei; vgl. Tab. 1 im Anhang) entspricht etwa dem Ergebnis der letzten 118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Vorkriegswahl in der höchsten Steuerklasse, der die meisten Hochschullehrer angehörten. Im Bürgerausschuß von 1912 gingen 16 Sitze an die Nationalliberalen, sechs an die FVP, acht an die konservativ-›überparteiliche‹ FBV und zwei ans Zentrum. Die SPD hatte in dieser Klasse nicht einmal eine Kandidatenliste aufstellen können. Wenn auch kaum Zahlen über die Parteipräferenzen in den Lehrkörpern anderer Universitäten vorliegen, so spricht doch ein Einzelwert wiederum für die Heidelberger Liberalität: Im um etwa ein Drittel kleineren Gießener Lehrkörper bekannten sich 29 Professoren zur Vaterlandspartei - fast sechsmal so viele wie in Heidelberg. 39 Daß jedoch nur zwei Hochschullehrer als Sozialdemokraten zu identifizieren sind (Ehrenberg und Lederer), daß sie überdurchschnittlich lange Privatdozenten blieben und sich an keiner Gelehrtenresolution beteiligten, verweist auf die auch an der Ruperto Carola tiefe Kluft zwischen dem überwiegend nationalliberalen Bildungsbürgertum und der Sozialdemokratie. Noch größer allerdings war dessen Distanz zur Zentrumspartei. Zwei weitere, der SPD nahestehende und ihr möglicherweise angehörende Dozenten (Muckle und Neurath) trugen ebenfalls keine der politischen Erklärungen der Kriegszeit mit. 40 Sieben Hochschullehrer waren Mitglied im Heidelberger Stadtparlament, dem Bürgerausschuß. Diese hohe Zahl wie auch die Tatsache, daß zwei von ihnen, nämlich die bereits 1909 für sechs Jahre gewählten Erb und Quincke, parteilos waren, sind Indizien für die Verbreitung eines honoratiorenpolitischen Selbstverständnisses in großen Teilen des Lehrkörpers und für die Resonanz, die dieses bei den Wählern fand. Zugleich zeigt das Faktum, daß 1912 im Gegensatz zur Wahl von 1909 die dem Bürgerausschuß angehörenden Hochschullehrer überwiegend parteipolitisch gebunden waren, die im Rahmen der Fundamentalpolitisierung schwindende Basis eines solchen Politikverständnisses. Idealtypisch verkörperte Alfred Weber das honoratiorenpolitische Selbstverständnis. Obwohl er nach dem Scheitern von Naumanns Nationalsozialem Verein 1903 bis 1918 keiner Partei mehr beitrat, war er während des Krieges wohl der am stärksten in der praktischen Politik engagierte Heidelberger Hochschullehrer. Er schwankte, j e nach Thema, zwischen den Nationalliberalen, der linksliberalen Fortschrittspartei und dem revisionistischen Flügel der Sozialdemokratie. Bei der Reichstagswahl 1912 stand seine Entscheidung bis ins Wahllokal hinein nicht fest: wollte er zunächst für den SPD-Kandidaten stimmen, so entschied er sich in letzter Minute doch für einen Nationalliberalen. 1917, auf dem Höhepunkt seiner politischen Aktivitäten im Reichsschatzamt wollte er zunächst für die Nationalliberalen ein Reichstagsmandat übernehmen und später der SPD beitreten, um sich zum Politiker zu »mausern«. 41 Der Honoratiorenpolitiker übte sowohl Detailkritik an der Politik der bestehenden Parteien als auch vor dem Hintergrund antipolitischer Ressentiments grundsätzlich am »Parteiensystem«. Vor allem jedoch scheute er die in modernen Mitgliederparteien notwendige Ochsentour der Versammlungen, internen Wahlen und 119 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Auseinandersetzungen. Er gründete eher eigene, informelle und tendenziell elitäre Organisationen als sich in bestehende Parteien einzufügen. Das Scheitern eines Honoratiorenpolitikers läßt sich exemplarisch an Alfred Webers kurzer Episode an der Spitze der DDP verfolgen. Hinsichtlich ihrer Stellung in der Universitätshierarchie ergibt sich eine größere Liberalität der Ordinarien und ein stärkerer Hang zum Konservativismus bei den unteren Rängen. Von den 16 Liberalen (NLP und FVP) waren zehn aktive und weitere drei emeritierte Ordinarien, unter den sieben Konservativen waren es nur drei, und lediglich ein Ordinarius unterzeichnete die »Seeberg-Adresse«. Von sämtlichen Unterstützern gemäßigter Aufrufe gehörte nur Ernst Schrader, ein habilitierter Assistent bei den Chemikern, nicht zu den angeseheneren Rängen im Lehrkörper (Ordinarien, ordentliche Honorarprofessoren, planmäßige Extraordinarien). Zu erklären ist die Höherrangigkeit der Gemäßigten nicht zuletzt damit, daß sie bis zum Sturz Bethmann Hollwegs die regierungstreue Position vertraten, während die Annexionisten gegen die Reichsleitung opponierten. Eine besondere Beachtung verdienen die vier Professoren, die auf der Grenze zwischen gemäßigtem und annexionistischem Lager standen (Unterzeichner der Resolutionen in Sp. d und e der Tab. 2 im Anhang). Sie repräsentieren eine obrigkeitstreue, apolitische Position, die sich generell auf die Seite der Regierung und gegen Massenströmungen stellt. Nach Mannheims Typologie vertraten sie einen »bürokratischen Konservativismus«.42 Unter den ›politischen Professoren‹ sind einige, bei denen ein starkes Bedürfnis, sich politisch zu artikulieren, auf eine große Resonanz in der Öffentlichkeit traf, zu unterscheiden vom Gros der nur gelegentlich Aktiven. Während sich bei diesen Phasen des Schweigens mit solchen größerer, meist einem bestimmten Anliegen gewidmeter Aktivität abwechselten, waren jene ständig in der politischen Öffentlichkeit präsent. Fast die Hälfte aller politischen Schriften, die Mitglieder des Heidelberger Lehrkörpers im Krieg publizierten, geht auf das Konto von nur sechs Professoren: Max 43 und Alfred Weber, Oncken, Ruge, Hettner und Troeltsch, der allerdings während des Krieges nur ein Semester in Heidelberg lehrte. Bis auf Ruge, der politisch weit rechts stand, gehörten alle dem national-liberalen Lager an, ohne jedoch alle Mitglieder der nationalliberalen Partei zu sein, und standen bis auf Hettner und wiederum Ruge in dem politisch-wissenschaftlichen Diskussionszusammenhang der sich um Max Weber gruppierenden Kreise der Heidelberger Gelehrtenkultur. Auf dem politischen Wirken Onckens und der Brüder Weber während des Krieges (weniger auf dem von Troeltsch, der im allgemeinen bereits als Berliner Professor angesehen wird) basiert in hohem Maße der bis heute fortdauernde R u f der Heidelberger Universität als einer Hochburg der gemäßigten, liberal-imperialistischen Kriegszielpolitik.. Fast alle politisch besonders engagierten Hochschullehrer gehörten politischen Parteien an. Insgesamt sind für die Kriegszeit 13 % des Lehrkörpers 120 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
als Parteimitglieder zu identifizieren, obwohl wegen der fehlenden Wahlkämpfe und der eingeschränkten politischen Öffentlichkeit solches Engagement weitaus schwerer festzustellen ist als in der folgenden Zeit. Das Bild des überparteilichen, »spezifisch gelehrtenpolitischen« 44 Engagements, das das politische Selbstverständnis vieler Hochschullehrer noch prägte, entsprach also bereits im Weltkrieg zumindest in Heidelberg nicht mehr dem politischen Verhalten zahlreicher und insbesondere der politisch aktivsten Mitglieder des Lehrkörpers. Daß die Universität mit Troeltsch und nach dessen Weggang Oncken immer ein prominentes Mitglied der nationalliberalen Partei in die Ständeversammlung entsandte und daß auch unter den Heidelberger Rektoren parteipolitisch Engagierte deutlich überrepräsentiert waren, läßt darauf schließen, daß eine Mehrheit der Professoren Parteipolitik keineswegs als »unprofessoral« ablehnte. Solchem Engagement waren im Selbstverständnis der meisten allerdings gewisse Grenzen gesetzt. So ist Onckens langes Zögern und seine Ablehnung, als ihm 1916 die Übernahme einer Reichstagskandidatur angeboten wurde, 45 sicherlich dem Gefühl entsprungen, daß ein solches exponiertes parteipolitisches Amt mit dem Gelehrtenberuf unvereinbar sei. Tab. 8: Teilnahme am Ersten Weltkrieg nach Generationen
Zahl der Kriegsteilnehmer Anteil an der jeweiligen Generation Durchschnittl. Kriegsdienst (Jahre) Kriegsfreiwillige von allen Kriegsteilnehmern
G11
G2
G3
G4
G52
alle
4 10% 2,9 4 100%
13 23% 2,9 11 85%
54 64% 3,2 43 80%
75 71% 3,7 62 83%
44 60% 3,2 33 75%
190 53% 3,4 152 80%
Quellen: Drüll; BDC. Als »Kriegsfreiwilliger« wurde angesehen, wer ab August oder September 1914 diente, und von den Angehörigen der fünften Generation alle, die bei Beginn ihres Kriegsdienstes höchstens 19 Jshre alt waren. 1 Ohne die 21, die am 1.8.14 älter als 65 Jahre waren. 2 Ohne die 27 ab 1900 Geborenen, von denen nur noch zwei eingezogen wurden. 2.3. Kriegsteilnahme Wieviele der im Untersuchungszeitraum in Heidelberg Lehrenden haben aktiv am Weltkrieg teilgenommen? »Kriegsteilnahme« hieß dabei nicht unbedingt Frontdienst. Hochschullehrer wurden häufig in der Militärverwaltung und in Lazaretten eingesetzt. Es fällt auf, daß die Jahrgänge 1872 bis 1891 (Generation 3 und 4) am längsten und in größter Vollständigkeit dienten, also nicht unbedingt diejenigen. Der Anteil der Freiwilligen fiel 121 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
mit dem Lebensalter der Kriegsteilnehmer. Angaben über andere Universitäten lassen den Schluß zu, daß die Heidelberger Zahlen dem Durchschnitt entsprechen und daß somit der Drang der Hochschullehrer zu den Waffen geringer war, als basierend auf deren Selbstdarstellung häufig angenommen wird. 46
3. K o m m e n t i e r u n g des politischen Geschehens 3 . 1 . Ursachen des Krieges Was den Kriegsausbruch selbst betrifft, so waren sich die Heidelberger Hochschullehrer einig, daß schuld daran »die verbrecherische Offensive der russisch-serbischen Politik« war. 47 Frankreich habe diese allerdings erst ermöglicht, indem es Rußland »den weitaus größten Teil seines beweglichen Kapitals zur Verfügung« stellte. 48 Ging es hingegen um die längerfristigen Ursachen des Kriegsausbruches, so lagen die Dinge in den Augen der meisten Gelehrten komplizierter. Am detailliertesten äußerte sich Oncken. Seine Grundposition war: »Die Fäden, die sich zur Entfesselung des Weltkrieges verschlungen haben, [reichen] sehr weit zurück, und j e tiefer man in das Gewebe eindringt, desto mehr überzeugt man sich, daß große weltgeschichtliche Triebkräfte sie von langer Hand her in Bewegung setzen mußten, um diesen Ausgang wie ein unausweichliches Schicksal heraufzubeschwören.« Das Hauptmotiv der Feinde sei »Neid auf unsere wehrhafte und arbeitsame Größe.« 49 Das verschlungene Gewebe zerlegte Oncken hinsichtlich der drei Hauptgegner folgendermaßen: Die »kaufmännisch rechnenden Engländer« als »geistige Urheber« des Krieges hätten, hauptsächlich aus »Handelsneid«, 1903 eine Einkreisungspolitik gegen Deutschland begonnen. Dabei konnten sie auf Unterstützung durch die Franzosen und Russen rechnen, die schon seit 1871 auf Revanche sannen bzw. bereits länger »die Hauptneider der deutschen Macht« geworden waren und gegen Österreich-Ungarn »panslawistische Eroberungspläne« hegten. Deutschland hingegen habe »inmitten gesteigerter Weltspannung« bis unmittelbar vor Kriegsausbruch seine »Friedenspolitik« fortgesetzt. Als Nebenargument führte Oncken an, daß »heutzutage die großen Kriegsgefahren von den Unverantwortlichen ausgehen, von den ungezügelten Leidenschaften der Massen, von den hetzenden Treibereien der Presse und der Parlamente, von der Begehrlichkeit führender wirtschaftlicher Mächte.« 50 Sowohl die Überzeugung, daß Deutschland gänzlich ohne eigene Schuld Opfer einer lang geplanten Verschwörungs- und Einkreisungspolitik geworden sei, als auch die Einschätzung der Motive der drei Hauptgegner 51 wie die antimodernistische Überzeugung, daß Presse, Wirtschaft und die unkontrollierbaren Massen eine Mitschuld treffe, teilte ein Großteil seiner 122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Kollegen mit Oncken, der ein auch über Heidelberg hinaus wirksamer Vordenker des liberalen Imperialismus war. 52 Gelegendich gab es Akzentverschiebungen: so war für Hettner, Lemme, Hermann Levy und Krehl der Krieg »hauptsächlich ein Wirtschaftskrieg«, ihm fehle »jedes ideale M o ment«. 53 Aber das Grundmuster blieb dasselbe: aus unterschiedlichen niederen Beweggründen habe sich »das radikal Böse (französische Ränke, moskowitische Eroberungssucht, englische Eifersucht)«54 zusammengetan, um »die einheitliche Form unseres völkischen Lebens [zu] zertrümmern, uns dann wehrlos [zu] machen und [zu] entmannen«. 55 Nach diesen unter Dozenten aller politischen Richtungen weit verbreiteten Verschwörungstheorien wäre »die Explosion der kontinentalen Gegensätze« bei anderem Verhalten der gegnerischen Regierungen vermeidbar gewesen, zumal ein vertraglicher Interessenausgleich 1914 so gut wie perfekt gewesen sei. 56 Das andere Grundmuster in den Erklärungen der Kriegsursachen läßt sich als fatalistisch bezeichnen. 57 So argumentierten die prominenten Liberalen Troeltsch, Dibelius, Klebs, Max und Alfred Weber, der Sozialist Lederer, aber auch zahlreiche konservative Gelehrte. 58 Sie sahen langfristig wirksame historische Tendenzen, die einen Krieg früher oder später unvermeidlich gemacht bzw. als Strafe Gottes provoziert hätten. Sie warnten vor einer Überschätzung der wirtschaftlichen Kriegsgründe der Engländer, die sie zwar auch als den Hauptgegner ansahen, die aber - so Alfred Weber - »in den letzten Jahren sehen [konnten], daß wir wirtschaftlich gut nebeneinander Platz hatten.« Nicht wirtschaftliche Konkurrenz hätten sie gefürchtet, sondern »die Bedrohung ihrer politischen und damit geistigen Macht in der Welt.« Noch 1918 war Alfred Weber überzeugt, daß »ein künftiger Historiker oder Geschichtsphilosoph diesen Krieg ohne Frage ... als den Kampf von Weltanschauungen begreifen« wird. »Die blutleeren und rein rational gewordenen Erben der schon selber rationalistischen Periode seit der R e naissance« prallten auf »etwas neu Gewordenes und Unfertiges, ... eine Ideenwelt, die noch Ursprünglichkeit und Lebensnähe hat.« 59 In diesen Erklärungsansätzen klingt wiederum die emotionale Affinität an, die viele Heidelberger Hochschullehrer zu »Jungem«, »Gesundem«, »Kraftvollem«, »Lebendigem«, ja sogar zum Primitiven hatten. Ausgerechnet der Georgeaner Gundolf verstieg sich zu der Behauptung, »Attila« - die Deutschen wurden von der gegnerischen Propaganda häufig mit den Hunnen gleichgesetzt - habe »mehr mit Kultur zu tun als alle Shaw, Maeterlinck, d' Annunzio und dergleichen zusammen«. 60 Während zahlreiche liberale und konservative Gelehrte den Krieg als den Konflikt unterschiedlicher Weltanschauungen sahen, bestritt der Sozialist Lederer zwar auch, »daß die Kapitalismen einzelner Staaten hinter dem Krieg stünden (Er ist ihnen etwas Fremdes, sie haben nichts mit ihm zu tun)«. Für ihn aber war Krieg »mit der Natur des modernen Staates bereits potentiell gesetzt. Die modernen Staaten als abstrakte Machtstaaten mit ihrem Instrument des Heerwesens bedeuten den Krieg. Sie bedeuten ihn 123 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ebenso abstrakt, als sie sind, also ohne konkreten Inhalt, ohne Ziel - haben nicht eine Ursache, nur einen Anlaß, entstehen aus ›Spannungen‹, welche ›unerträglich‹ werden (wem?).« 61 Die Vertreter fatalistischer Kriegserklärungen waren im Gegensatz zu denen von Verschwörungstheorien in der Regel bereit, eine zumindest indirekte Mitschuld der Deutschen einzuräumen. Das häufigste Argumentationsmuster besagte, daß »der letzte entscheidende Kriegsgrund« in der Tatsache zu erblicken sei, »daß wir ein Machtstaat sind«. »Bismarcks Erbschaft [brachte] die unnatürliche Weltkoalition gegen uns zustande«. 62 W ä h rend in diesem häufigeren Fall die eher zynisch gemeinte »Mitschuld« darin bestehen sollte, daß die historisch angeblich benachteiligten Deutschen nun die gleichen Rechte wie die anderen Großmächte beanspruchten, zogen andere Autoren auch eine moralische Mitschuld in Betracht. Allerdings geschah auch dies immer in dem Bewußtsein, dennoch im Recht zu sein und ohne die deutsche Schuld j e als wirklich erheblich für den Kriegsausbruch anzusehen. Hettner etwa verwies auf einen vor dem Krieg existierenden »Widerspruch zwischen Besitz und innerer Kraft der Völker, der nach Ausgleich strebte«. Alfred Weber und Troeltsch zielten in ähnliche Richtung: »Unsere große Not ist unsere ›Engigkeit‹- die Engigkeit des Raumes, in den dies starke, lebenskräftige, vielleicht das vitalste und expansionsbedürftigste Volk der Erde eingesperrt ist... Wir kommen dadurch nicht zur freien Entfaltung unserer geistigen Kräfte ... und es entsteht der eingeengte, mit den Ellenbogen arbeitende und geistig unfreie Deutsche, der immer noch eine so verbreitete Spielart bei uns ist.«63 Dies war nichts anderes als das in eine fatale Unausweichlichkeit verkehrte Eingeständnis einer deutschen Mitschuld am Kriegsausbruch. Liberale Imperialisten wie die Brüder Weber, Hettner oder Troeltsch gaben offen zu, daß sie es als moralisch berechtigt empfanden, wenn ein »starkes«, »lebensvolles« Volk sich auf Kosten seiner Nachbarn und erst recht außereuropäischer Völker ausbreitete. Für den völkisch eingestellten Dozenten Ruge bestand die Mitschuld aller Deutschen am Weltkrieg darin, »daß wir zu spät aufgestanden sind. Gegen alles Große und Wichtige sind wir fabelhaft gleichgültig gewesen; nun fließen die Ströme des Blutes ... Nun muß uns mit furchtbarem Leiden die selbstverständlichste Lehre eingehämmert werden: der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« 64 Ob und wie der Krieg hätte verhindert werden sollen oder können, blieb bei ihm ebenso wie bei den liberalen Imperialisten unklar. Ruges Argumentation zielte gegen die angebliche Dekadenz der Friedenszeit, worin er sich wiederum mit religiösen Kollegen einig war, die, wie von Krehl, den Krieg als Strafe Gottes ansahen. 65 Die Analyse zeigt also eine komplizierte Gemengelage von Argumentationen, die die Ursachen des Weltkrieges klären sollten. Weitestgehende Einigkeit bestand nur darüber, daß Deutschland und Österreich-Ungarn sich in der Julikrise angesichts der von England intiierten Einkreisung 124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
durch die übrigen Großmächte und angesichts des »Verbrechens der russischen Mobilmachung« in einer Notwehrsituation befunden hatten, die auch den Überfall auf Belgien rechtfertigte, »um der Gefahr eines französischen Durchstoßes in sein Herz [das Ruhrgebiet] zu begegnen«. 66 Die Ursachenforschung differierte erheblich, j e nachdem, ob der Krieg als fatale historische Tendenz oder als vermeidbare Verschwörung angesehen wurde, wozu unabhängig von ihrer politischen Orientierung vor allem Vertreter untheoretischer Fächer (besonders Historiker) neigten. Die weitere Diskussion ging bei den Vertretern dieses Ansatzes darum, ob man hauptsächlich wirtschaftliche oder politische Ursachen annahm und welcher Macht man die Hauptschuld zuschob. Einigkeit herrschte, daß eine deutsche Mitschuld nicht bestehe. Deshalb fehlte auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik und Struktur des wilhelminischen Reiches. Von der anderen Prämisse, daß der Krieg unvermeidlich war, gingen hauptsächlich Vertreter theoretischer Wissenschaften (Philosophen, Soziologen/ Nationalökonomen, einzelne Theologen, Naturwissenschaftler und Mediziner) aus. Sie waren von vornherein sehr viel kritischer gegenüber dem Wilhelminismus eingestellt, sei es aus einer völkisch-antimodernistischen, aus einer christlichen, liberalen oder sozialistischen Position und sahen ein gewisse deutsche Mitschuld. Allen Varianten der fatalistischen Erklärung haftete ein metaphysischer und kulturpessimistischer Zug an, sei es, daß der Krieg als Strafe Gottes (Krehl, Lemme, Dibelius 67 ) bzw. eines obskuren Weltgeistes (Ruge) oder als unvermeidliches Aufeinanderprallen von Ideen oder Machtstaaten verstanden wurde (M. Weber, Lederer, Klebs).
3.2. Die Ideologisierung des Kriegserlebnisses Nach der Kriegserklärung verfiel die große Mehrheit der Deutschen in eine Begeisterung, die heute kaum nachzuvollziehen ist. Sie wird etwas verständlicher, wenn man berücksichtigt, daß die letzten Kriege bereits über vierzig Jahre zurücklagen, kaum Verluste gefordert und die deutsche Zivilbevölkerung nicht in Mitleidenschaft gezogen hatten. Die Hochschullehrer, die angesichts ihrer vorwiegend altersbedingten, relativ geringen aktiven Kriegsteilnahme eine umso umfangreichere Publikations- und R e detätigkeit entfalteten, bildeten hinsichtlich dieser Begeisterung keine Ausnahme. Vielmehr schürten sie sie. Nicht wenige der damals gängigen Topoi stammen aus den z.T. in Auflagen von mehreren Hunderttausend verbreiteten Kriegsschriften von Professoren.68 Der bekannteste dieser Topoi ist »Der Geist (oder: Die Ideen) von 1914«. Er sollte die für viele Zeitgenossen überraschende politische Geschlossenheit in den ersten Kriegsmonaten ausdrücken und ideologisieren, als insbesondere Gewerkschaften und Sozialdemokratie ihre internationalistische Programmatik und Phraseologie aufgaben, sich »in die Nation einreihten« 125 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
und sich ihre Mitglieder in großer Zahl als Freiwillige meldeten. Die Kriegsschriften der Heidelberger wie anderer Hochschullehrer verwandten Argumentationsmuster, die zur Topik der »Ideen von 1914« gehören, auch deshalb gern und häufig, da sie ein immer im Vordergrund ihrer Publizistik stehendes Ziel, nämlich die Einheit der Nation, verfolgte. »Als auch die Sozialdemokratie ... sich rückhaltlos und mannhaft in Reih und Glied stellte, da kam über viele ein beseligendes Gefühl: jetzt sind wir wahrhaft, jetzt sind wir endlich eine einige Nation.«69 »Wunderbar ist nun freilich, wie der Augenblick der Mobilmachung ... den Michel mit einem Schlag in den furchtbaren, reifen Mann verwandelt, [... den] man im Ausland ... zu vergessen scheint, weil er im Frieden immer wieder seine mit Ausländerei so stark gefüllte Mütze aufsetzt.«70 Anhand dieser beiden für viele ähnliche stehenden Zitate würde man kaum vermuten, daß ihre Autoren, der nationalliberale Historiker Oncken und der rechtsradikale Physiker Lenard, sonst scharfe politische Gegner waren. Der konservative Theologe von Schubert schwelgte: »Wie unser Kaiser erklärte, nur noch Deutsche, aber keine Parteien zu kennen, so wurde Uniform die Losung und Feldgrau die Farbe für uns alle: wir sind wie die Farbe unseres Landes, verwachsen mit unserem Boden, für den Feind eine gleichmäßige graue Masse« - eine bemerkenswerte Aussage aus dem Munde des Vertreters einer Zunft, die beständig die »Vermassung« fürchtete, aber beileibe nicht die einzige. Sie ließe sich mühelos durch Äußerungen prominenter Liberaler wie Troeltsch, Max Weber usw. ergänzen. 71 Die Einheitssucht der Gelehrten bei Kriegsausbruch wurde zur kulturfeindlichen Selbstverleugnung, wenn etwa Gothein als Rektor und ganz ähnlich Gundolf feststellten, im Krieg werde »das Selbstvergessen, die Flucht aus der Wirklichkeit ... fast unmöglich... Daß solche Erscheinungen einer Hyperkultur hinweggefegt werden, ist kein Übel.« 72 Neben der durch den Krieg erlangten nationalen Einheit sah es Oncken als großen Fortschritt an, daß »zum ersten Mal das ganze Deutschtum« vereint kämpfe und sich ein europäischer Krieg nicht auf deutschem Gebiet abspiele. 73 Was erzeugte diese Begeisterung und die Bereitschaft, sich unter Hintanstellung eigener Interessen ins Volk einzureihen? Die zitierten Stellen zeigen eine dreifache Ideologisierung der Stimmung bei Kriegsausbruch: die Nation wurde als über politische, soziale, religiöse und regionale Gegensätze hinweg einig, als »stark«, »jung«, »gesund« und »männlich« dargestellt sowie gegen andere Nationen abgegrenzt. Einheitskult, Apotheose des Starken und Fremdenfeindlichkeit sind zentrale Momente in der politischen Publizistik der Heidelberger Hochschullehrer, die nicht nur bei Kriegsausbruch auftauchten, sondern im gesamten Untersuchungszeitraum stereotyp wiederkehrten. Die bis in die Terminologie reichende Übereinstimmung der Äußerungen von Gelehrten unterschiedlicher politischer Orientierung beschränkte sich nicht auf den »Geist von 1914«. Jenseits aller Gegensätze, die sich vor 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
allem in den Gelehrtenresolutionen äußerten, 74 bestanden vielfältige Gemeinsamkeiten im Lehrkörper etwa bei der Ideologisierung des Kriegserlebnisses oder der Suche nach Kriegsursachen, die in der wissenschaftlichen Literatur um eines dualistischen Modells willen vernachlässigt werden. Die inhaltlichen und terminologischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Kriegspublikationen entsprechen zudem häufig nicht der aufgrund der Unterzeichnung der einschlägigen Resolutionen vorgenommenen Zuordnung zu einem der beiden politischen »Lager«. Dies spricht für eine induktive Vorgehensweise, die die Äußerungen der Gelehrten selbst in den Mittelpunkt stellt. Bei fast allen sich öffentlich äußernden Heidelberger Hochschullehrern bestand Einigkeit darüber, daß der Krieg »eine große Zeit« 75 und in einem positiven Sinne »vollkommener als Kriege früherer Zeiten« 76 sei. U m seine überwältigende Größe zu verdeutlichen, verglichen insbesondere die Theologen den Krieg gerne mit Naturereignissen. Der »Ausbruch« des Krieges »fegte« und »schwemmte« als negativ empfundene Zivilisationserscheinungen hinweg mit der »elementaren Wucht« eines »Bergstromes«, eines »Orkans« oder eines »luftreinigenden Gewitters«. Die Funktion solcher Naturallegorien, nämlich die Frage nach dem Sinn des Krieges und seiner Opfer als unsinnig hinzustellen, verdeutlicht eine Argumentation des konservativen Theologen Ludwig Lemme, mit dessen Berufung im Jahre 1891 der badische Oberkirchenrat sich erstmals gegen die liberale und kritische Tradition der Heidelberger Fakultät hatte durchsetzen können und dem sein Kollege Troeltsch attestierte, er halte sich mit »unglaublicher Unverschämtheit« für den »Retter Gottes in Baden«: Da Kriege eine »Naturnotwendigkeit« seien, könne man nicht fragen, ob Kriege moralisch zu billigen seien. »Die Frage ist von gleicher Art wie: billige oder mißbillige ich Gewitter und Hagelschlag, Erdbeben und Überschwemmung, Mißwachs und Teuerung [!], Hungersnot und Seuchen?« Dieselbe moralische Indifferenz kommt zum Ausdruck, wenn Lemme an anderer Stelle den Unterschied zwischen Krieg und Frieden verwischt, in dem er unter Verweis auf Prostitution, Syphilis und Abtreibung fragt: »Wenn man das Menschenmorden im Krieg beklagt: mordete der Frieden nicht?« 77 Vor allem Theologen verliehen dem Krieg religiöse »Weihe« (Schubert, Troeltsch, M. Weber): 78 Er sei ein »heiliger Krieg« (Bauer, von Schubert, Gundolf 79 ), in dem »Gott mit uns« (Schubert und Rektor Endemann 80 ) und die deutschen Truppen als »Gottes Werkzeug« 81 für eine bessere Welt kämpften. Neben der Überwältigung und Unterordnung des Einzelnen erwarteten die Heidelberger Hochschullehrer in ihren politischen - und das hieß in ihrem Selbstverständnis immer nationalpädagogischen - Äußerungen eine sinnstiftende 82 und erzieherische Wirkung des Krieges. Liberale wie Konservative sahen »den« personifizierten Krieg, der gleich zu Beginn schon die langersehnte nationale Einheit gebracht hatte, als »großen Erzieher zum Gemeingefühl« 83 oder als »einen großen politischen Lehrmeister«, 84 dessen 127 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
notwendiges Erziehungswerk aber noch lange nicht vollendet sei. »In der hohen Schule des Schützengrabens [werden] die Charaktere gebildet, die für unser Volk das Rückgrat bilden werden.« 85 Keine so zielgerichtete, aber gleichfalls eine erzieherische Wirkung des Krieges erwarteten die Dozenten (wiederum unterschiedlichster politischer Couleur), die den Krieg als »Umwerter aller Werte« 86 überhöhten oder behaupteten, durch ihn werde »das letzte Wort gesprochen, was die großen Völker-Individualitäten wert sind.« Die Völker würden »auf ihren inneren Bestand, auf ihre Sittlichkeit abgewogen.« 87 Indem die sich bekriegenden Völker und der Krieg selbst zu übermächtigen Individuen stilisiert wurden, erschien das Einzelindividuum mit seinen Interessen und seinem Eigensinn klein und nichtig. Angesichts der Größe der Ereignisse konnte man verlangen, daß es sich einordnete und sich einzig mit der »Individualität« seines Volkes identifizierte, damit dieses die »Reifeprüfung« des Krieges bestehe. Die Einzelnen zählten wenig, für sie sollte der Krieg zwar gleichfalls eine »große Reifeprüfung« sein, deren Thema allerdings einzig sei, »ob wir sterben können«. 88 »Der Krieg wirkt auf die Schätzung aller Dinge wie ein Sieb mit vergrößerten Löchern. So manches ... fällt wie Spreu durch... Kaum ein Urteil, das nicht der Krieg grausam unerbittlich zur Revision angemeldet hätte.« Durch den Doppelsinn von »Urteil« stellte der Kunsthistoriker Neumann eine Verbindung her zwischen dem Topos vom Krieg als »Umwerter« und einer anderen beliebten Formel, die ebenfalls an eine populäre Sentenz aus der deutschen Philosophie anknüpfte, nach der der Krieg »Gottes Weltgericht« oder ein »Gericht ... über die Unmoral des vorhergehenden Friedens« sei. 89 Dieses Gottesgericht bestätigte das Urteil, das bereits lang vor 1914 viele kulturpessimistische Bildungsbürger über ihre Epoche gefällt hatten, nämlich daß sie dekadent und zerstörenswert sei. Die Fundamentalpolitisierung der Gesellschaft, die Entstehung demokratischer Parteien und wirtschaftlicher Interessenverbände, die heftigere Austragung politischer und sozialer Konflikte, die Massenund Sensationspresse, Atheismus, Geburtenrückgang, Frauenemanzipation und -Studium veranlaßten konservative Gelehrte zu Philippiken gegen die moderne Gesellschaft: »Zu welchen Maßlosigkeiten der Lüge ... hat die Herrschsucht der Partei die Leidenschaftlichkeit fortgerissen! Wenn man beobachtete, wie die Zerstörung aller Religion vielen als die höchste und wichtigste Aufgabe ... erschien, ... wie in angesehensten Tagesblättern jeder mit Kot beworfen wurde, der darauf hinwies, daß die Kirche doch die Grundsäulen des Christentums festhalten müsse, wie die sogenannte ›öffentliche Meinung‹ allen negativen Geistern gleichmäßig zujubelte,... wie eine moralische Blasiertheit frechster Emanzipation des Fleisches nicht nur am Bestand aller Moral rüttelte, sondern die Morallosigkeit als neue Moral anpries, wie schamlose Weiber nicht nur die Ehe begeiferten, sondern die freie Liebe sogar in theoretischem Libertinismus als das Höchste anpriesen, wie ... das Ein- und Zweikindersystem in ansteckender Weise um sich griff ..., wie die Bordelle unter Begün128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
stigung von Beamten wie Pilze aus der Erde wuchsen ..., wie eine von angesehenen Intellektuellen mit unterzeichnete Eingabe an den Reichstag gerichtet werden konnte um Freigebung der Päderastie ..., wie auf unseren Universitäten das Pariser Kokottenwesen um sich griff - dann konnte die Frage aufsteigen, ob solche Entartung nicht die göttliche Gerechtigkeit aufrufen müßte.«90 Wenn sich auch derart rabiate Sprache vornehmlich bei konservativ und völkisch gesinnten Hochschullehrern findet,91 sollte doch auch für die meisten Liberalen der Krieg die endgültige Abkehr vom westlichen Weg der Modernisierung einleiten. Selbst Troeltsch stellte fest: »Alle Dekadenz fällt heute von uns ab.«92 Aus ihrem Kulturpessimismus und einem nationaldarwinistischen Kampfeskult heraus erwarteten liberale wie konservative Hochschullehrer »nach langer, entnervender Friedenszeit« Erlösung, Befreiung und Besserung durch den Krieg. Für R u g e wäre es ohne ihn »zum Zusammenbruch auf allen Gebieten des geistigen Lebens« gekommen. Alfred Weber erhoffte sich vom Krieg - unter Anspielung auf die christliche Erlösungsmetapher - »die Leibhaftwerdung unseres neuen Geistes«. Für Lemme hatte der Krieg die befreiende Wirkung des »luftreinigenden Gewitters«. 93 In seinem Aufsatz »Erhöhung der Moral durch den Krieg«, dessen Titel für sich spricht, hieß es entsprechend: »Gerade gegenüber den widerwärtigen Bestrebungen der Frauenemanzipation wirkte der Krieg, der dem Mann das Schwert in die Hand gab, wie eine Erlösung, weil er ... die echte Männlichkeit einmal wieder in ihrem Wert zeigte.« Der nordische Philologe Neckel, Unterzeichner des Aufrufes gegen die Vaterlandspartei, erinnerte an germanischheidnische Erlösungsvorstellungen: »Der Soldat, der ins Feld zieht, fühlt die Last der Jahrhunderte von sich abgleiten. Das ›ins Feld gezogen‹ ist ein ›in die Freiheit gezogene ... in der des Mannes Wert sich zeigen kann.« Für den Philosophen R u g e versprach das Kriegserlebnis »völlige Ablösung und Befreiung von all dem Erbärmlichen und Kleinen des täglichen Daseins.« 94 Über sonstige politische Unterschiede hinweg zeigen sich hier als inhaltliche Gemeinsamkeiten Hoffnungen auf Aufwertung der Männlichkeit, auf Befriedigung ungestillter Abenteuerlust und auf die Möglichkeit, von der Zivilisation errichtete sittlich-moralische Schranken zu durchbrechen. 95 Daß der Krieg in diesem Sinne geheime, in modernen Gesellschaft ungestillte Wünsche erfüllte, sah der Theologe Dibelius bereits Ende 1917 in einem ungewöhnlich analytischen und abseits der gängigen Denkmuster liegenden Artikel. »Die Kriegszeit [hat] ausgeführt, was vor dem Krieg ersehnt und gewünscht« wurde: »Urerlebnisse«, »Einheit der Masse«, Lösung »von aller Kulturgebundenheit«, Konfrontation mit dem Tod und dem eigenen »innersten Wesen«. 96 Auch liberalen Hochschullehrern erschien das historisch Neue an diesem Krieg so fundamental, und chiliastisch-apokalyptisches Denken war ihnen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie 1914 als Beginn einer »neuen Zeit« sahen, die »gerade« die Deutschen »heraufzuführen« berufen 129 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
seien: »Das englische politische und geistige Präponderanzprestige um den Erdball herum, das wird nach dem Krieg hoffnungslos dahin sein. Und damit endet die Geschichtsperiode des Materialismus, die die englische war, und kommt eine neue, in der wieder von ideellen Zentren aus alles um geistige Mittelpunkte herum gruppiert und geformt werden wird.« 97 Einigkeit bestand zwischen Konservativen wie Ruge, Nationalliberalen wie Alfred Weber und Oncken und dem Sozialdemokraten Ehrenberg, »daß mit dem Kriegsbeginn nicht eine Episode, ... sondern ein neues System, ein neuer Zustand der Welt beginnt.« Für Oncken vollendete gar »das Erlebnis dieses Krieges die deutsche Geschichte nach außen und nach innen.« 98 Fast alle sich öffentlich äußernden Universitätslehrer begrüßten oder verherrlichten den Krieg. In recht unterschiedlicher Weise, aber immer mit dem gleichen Ziel gaben sie ihm einen höheren Sinn. Als Naturgewalt, als Erzieher, Umwerter oder Richter, als »Stähler des Wirklichkeitssinns« oder »Wecker der Männlichkeit«, 99 als durch Gott oder die Geschichte geheiligte Katastrophe mit der Verheißung der Erlösung wurde der Sinn des Krieges allen gewöhnlichen ethischen Beurteilungsmaßstäben entzogen. Alle Einwände, Zweifel und Ängste, zumal wenn sie aus rein individuellen Motiven resultierten, mußten so als geringfügig erscheinen. Die durchgängige Überhöhung des Krieges bedeutete nicht, daß die Gelehrten seine Greuel nicht sahen und erwähnten. 100 Aber die entsprechenden Stellen erinnern an pflichtgemäße Verbeugungen vor den Opfern und ihren Angehörigen, und die Schrecken des Krieges wurden in der Regel zugleich ästhetisiert. Selten wurden sie alleine erwähnt, sondern fast immer in Zusammenhang mit »Größe«, »Schönheit« und »Schöpferkraft« des Krieges und vor dem Hintergrund, daß die notwendige Katharsis nach der »dekadenten« und »unmoralischen« Friedenszeit nur durch eine Katastrophe zu erlangen sei. »Schrecken und Größe dieses glorreichen Krieges ... können späteren Geschlechtern den Krieg nicht nur als eine Notwendigkeit, sondern auch als einen Segen erscheinen lassen«, lautete der Schlußsatz von Gotheins Rektoratsrede 1914. Wenige Tage, nachdem sein Sohn gefallen war, erklärte er in einer anderen Rede: »Aus dem Leiden erwächst Segen«. 101 »Der große Zerstörer Krieg« hatte sich für Oncken »in allen weltgeschichtlichen Krisen« als »Schöpfer neuen Lebens« erwiesen. 102 »Daß der Krieg so schrecklich und zugleich so schön, so voll menschlicher Greuel und zugleich so voll göttlicher Hoheit ist, das ist seine sinnverwirrende Größe, das rätselhafte Ungemeine«, meinte von Schubert. 103 Solch ambivalentes Reden über die Schrecken des Krieges zog deren »Sinn« nicht in Zweifel. Sie wurden nie so ausgemalt wie die »positiven« Aspekte des Krieges und die mit ihm verbundenen Hoffnungen. Weitere Belege für die Kriegsbegeisterung fast aller Dozenten zumindest bis zum Kriegseintritt der USA und der Friedensresolution des Reichstags liefert ihre Auseinandersetzung mit dem Pazifismus. Auch in dieser Beziehung sind zwischen Annexionisten und Gemäßigten nur Unterschiede des 130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tones festzustellen. Kosmopolitismus und Pazifismus galten ihnen gleichermaßen als egoistisch, nutzlos, unrealistisch und naiv.104 Spätestens der Ausbruch eines Weltkrieges trotz Haager Konferenzen usw. beweise, daß Kriege unvermeidlich seien. Wer dies nicht anerkenne, denke zu rationalistisch. 105 Pazifisten wurden mit religiösen Schwärmern verglichen, als »Zuckerwasserprediger« oder » › D a m e n ‹ (beiderlei Geschlechts!)« 106 diffamiert, die nicht bereit seien, der anthropologischen Grundtatsache des »Kampf[es] ums Dasein« ins Auge zu sehen. Nicht nur mit Diffamierung und dem Appell an sexistische Vorurteile, sondern auch mit politisch-historischen Argumenten setzte sich der liberale Imperialist Max Weber mit dem Pazifismus auseinander. Seine Begründung für die Unvermeidlichkeit dieses Krieges stieß auf große Resonanz: »Die Anforderungen, welche an ein machtstaatlich organisiertes Volk ergehen, sind unentrinnbar. Nicht die Dänen, Schweizer, Holländer, Norweger werden künftige Geschlechter ... verantwortlich machen, wenn kampflos die Weltmacht - und das heißt letztlich: die Verfügung über die Eigenart der Kultur der Zukunft - zwischen den Reglements russischer Berater einerseits und den Konventionen der angelsächsischen ›society‹ andererseits, vielleicht mit einem Einschlag lateinischer ›raison‹, aufgeteilt würde. Sondern uns. Und mit Recht. Weil wir ein Machtstaat sind ..., liegt auf uns ... die verdammte Pflicht und Schuldigkeit vor der Geschichte ..., uns der Überschwemmung der ganzen Welt durch jene beiden Mächte entgegenzuwerfen. Lehnten wir diese Pflicht ab,- dann wäre das Deutsche Reich ein kostspieliger eitler Luxus kulturschädlicher Art, den wir uns nicht hätten leisten sollen und den wir so schnell wie möglich zugunsten einer ›Verschweizerung‹ ... wieder beseitigen sollten.«107 Dieser Ethik für Staats-Individualitäten zufolge hatte Deutschland mit der Reichsgründung die Pflicht übernommen, um die Weltmacht gegebenenfalls Krieg zu führen. Die Frage nach einer Kriegsschuld ist in Webers Logik sinnlos, da Krieg eine anthropologische Zwangsläufigkeit ist. Andere zwischenstaatliche Konfliktregelungsmechanismen scheinen, zumindest wo es um Weltmacht geht, unvorstellbar. Die von Weber geäußerte Angst vor Überschwemmung nährt sich aus denselben Quellen wie die Verherrlichung des »Geistes von 1914«. Hier wie dort werden Reinheit und Abgrenzung gegenüber allem Fremden positiv besetzt. Die Angst, von einer der beiden großen Weltmächte im Osten und Westen überschwemmt zu werden, ist eine Konstante des deutschen bürgerlich-nationalen Denkens in unserem Jahrhundert. Als einzige Heidelberger Hochschullehrer beteiligten der Nationalökonom Lederer und der Theologe Niebergall sich nicht an der Verherrlichung des Krieges. Beide gehörten nicht zu den etablierten Hochschullehrern und erlangten erst nach 1918 Ordinariate. 108 Lederer kritisierte gleich zu Beginn seiner bedeutenden Studie »Zur Soziologie des Weltkriegs« (1915) den »Geist von 1914« und kündigte an, er werde »nicht von jedem Werturteil absehen«. Im Anschluß analysierte er den Weltkrieg im Vergleich zu 131 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
vorangegangenen Feldzügen als »Rückentwicklung« zum »Vernichtungsund Ausrottungskrieg«, »zum Volkskrieg in des Wortes ursprünglichster und auch schreckhaftester Bedeutung«. In Ländern mit allgemeiner Wehrpflicht sauge während des Krieges der Staat die Gesellschaft vollständig auf und werde dadurch zum »abstrakten Machtstaat«. 109 Trotz dieses völligen Verlustes gesellschaftlicher Autonomie glaubten die zivilen Eliten aber weiterhin, die Führung innezuhaben. Als Konsequenz aus dieser Analyse kam Lederer zu einem Urteil über die Kriegsschriften seiner Kollegen, das heute nicht klarer gefällt werden könnte und in einer so frühen Veröffentlichungen einmalig 110 ist: »Wie weit die suggestive Macht des Staates in seiner Aktion im Kriege geht, zeigt u.a. auch der Mangel an Standfestigkeit innerhalb der modernen Intellektualität (aller Länder) und die völlige Instinktlosigkeit der Wirklichkeit gegenüber. Eine spätere Zeit wird es kaum begreifen können, mit welcher Willenlosigkeit, um nicht zu sagen welcher Unterwürfigkeit sich alle Strömungen in der Tatsache des Krieges selbst verloren haben und in ihr zu neuem Leben wiederfinden zu können glauben. Es gibt keine geistige und keine kulturelle Strömung in Deutschland und außerhalb desselben, welche nicht bereit gewesen wäre, dem Krieg als Ideologie zu dienen.« Nach diesem vernichtenden Gesamturteil, das im Gegensatz zu den allermeisten politischen Äußerungen seiner Kollegen in der Kriegszeit in eine rational begründete soziologische Analyse eingebettet war, ging Lederer auf Kriegsschriften einzelner Professoren ein und stellte sich ausdrücklich hinter den verfemten Pazifisten F. W. Foerster. Im Gegensatz zur Rede seiner Kollegen von den »Völker-Individualitäten«, die sich im Krieg gegenüberständen, und der deutschen Kulturmission, die gegen den Ansturm aus Ost und West verteidigt werden müsse, sah Lederer eine Nivellierung nationaler Unterschiede: »Es ist eben auch der Gedanke des Nationalstaates eine Ideologie. Daß der neuzeitliche Nationalismus durchaus nicht mehr die Eigenart der einzelnen Nationen zum Ausdruck bringt ..., hat Meinekke sehr scharf herausgearbeitet... So werden die Völker einander im Nationalismus immer mehr gleich.« Abschließend erkannte Lederer zwar an, daß »der Krieg zweifelsohne (und vermutlich nicht bloß in Deutschland) die gigantischeste Bewährung des Einzelmenschen sowohl als der menschlichen Solidarität und der Leistungsfähigkeit ganzer Völker gezeitigt« habe. »Aber selbst die freudigste und bereitwilligste Anerkennung, ja Demut vor der Leistung [aller in der Front Stehenden] vermag nicht die Erkenntnis über das Wesen dieses Krieges zu verändern... Der Krieg ... bedeutet in gigantischer Steigerung eine Abwandlung von Problemen, die man als Gefahr der Versachlichung, der Entpersönlichung, der Mechanisierung in den letzten Jahren viel diskutiert hat... Nur jemand, der selbständig gewordenes Machtstreben anerkennt, oder glaubt, daß sich in dem Kampf der Machtstaaten die Weltvernunft realisiert, wird auch diese moderne Erscheinungsform des Staates, in 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der alle gesellschaftliche Substanz suspendiert ist, bejahen... Wer diese Entwicklung verneint, wird die Zeit für gekommen erachten, den Kampf für die Rechte des Individuums und der Gesellschaft gegenüber dem Staat wieder aufzunehmen oder fortzusetzen.« Im Gegensatz zu anderen Heidelberger Liberalen, die wie Max Weber, an dessen Analyse Lederer anknüpfte, aus Kriegsbegeisterung ihre analytischen Fähigkeiten über Bord warfen, sah er den Krieg gerade nicht als Befreiung von allen Übeln der Moderne, sondern als Fortsetzung einiger ihrer bedenklichsten Tendenzen. Die ausführliche Darstellung von Lederers Position soll nicht nur belegen, daß zumindest einige wenige Hochschullehrer sich nicht der allgemeinen Hysterie der Jahre 1914 bis 1917 unterwarfen und politisch-moralische Standfestigkeit bewahrten, sondern auch daß es trotz Zensur und Anpassungsdruck möglich war, derartige Auffassungen zu publizieren. Nicht mit der gleichen analytischen Schärfe und politischen Konsequenz, aber ebenfalls ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist äußerte sich Niebergall. Bereits kurz nach der Mobilmachung meinte er in einer Predigt: »Zwar fragt das Vaterland nicht nach unseren Gefühlen; es nimmt unsere Söhne, und sind wir nicht willig, dann braucht es Gewalt. Aber für unser Inneres ist es besser, wenn wir aus dem Müssen ein Wollen, wenn wir aus der Pflicht eine Freude, aus dem Genommenwerden ein Opfer machen.« In einer anderen Publikation Niebergalls heißt es über »die furchtbare Zeit« des Krieges: »Wie die Jahre des Friedens gebaut und gefördert hatten, so rissen die Jahre des Krieges ein und zerstörten... Noch nie ging ein so furchtbares, mutwilliges und haßgeborenes Zerstören über diese Erde.«111 1918, als dieses Buch erschien, hatte sich allerdings die öffentliche M e i nung gegenüber den Jahren 1914 bis 1917, der Hochzeit der Kriegsverherrlichung, gewandelt. Nur noch wenige Heidelberger Hochschullehrer hielten ohne Gespür für den sinkenden Kriegswillen an militaristischen Topoi und Argumentationen fest.112 Viele sahen nun im Krieg ein Übel für die europäische Menschheit und Kultur. So bezeichnete der liberale Zoologe Bütschli den Krieg 1918 als »sich selbstzerfleischende Torheit der Menschen«, 113 und für Max Weber bedeutete der Krieg nun die »Zerstörung des bürgerlich-kapitalistischen Ethos« und den »Sieg der bürokratischen Lebensform über die Welt«. Driesch hoffte in einer bemerkenswerten Fußnote eines wissenschaftlichen Werkes: »Der entsetzliche Krieg wird das eine Gute zeitigen, daß er die Besonnenen ... in allen Ländern an den Tod denken lehrt und sie damit von dem Unwert allen dessen überzeugt, um dessen Willen der Krieg geführt wurde«. 114 Schmid Noerr, der noch 1917 den annexionistischen Protest gegen die Friedensresolution des Reichstages unterzeichnete, setzte sich im selben Jahr in einem Gedicht kritisch mit der Funktion der Dichter und Intellektuellen im Krieg auseinander: 133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»Singen wir denn die Schlacht? Von uns wer sänge die Schlacht! Denn es verstummt dem gallig der Mund, den sie jäherdings selber nahm Unter den heulenden Fittich, den brennenden Einsturz der Nacht; Und den andern verbeut, sie zu singen, die heilige Scham... Unser Gesang wird nun Schwermut sein unser Leben lang.«115 Alfred Weber fand im Herbst 1917 sogar distanziert-positive Worte über »pazifistische Ideen«. 116 Wenn sich auch solche Äußerungen vorwiegend bei Liberalen finden, führte die sinkende Siegessicherheit selbst bei Konservativen zu einer Mäßigung ihrer Sprache. Der Krieg wurde nun plötzlich zu neuer Nahrung für den Kulturpessimismus der Gelehrten, obwohl sie ihn zunächst als Beginn eines neuen Aufstiegs begrüßt hatten. Die 1939 veröffentlichten Feldpostbriefe des Direktors der medizinischen Universitätsklinik, von Krehl, gewähren Einblick in das ›private‹ politische Denken eines Heidelberger Hochschullehrers, von dem allerdings keine gleichzeitigen öffentlichen Äußerungen bekannt sind. Tief und durch den Krieg noch verstärkt pietistisch geprägt, gehörte von Krehl zu den ihrem Selbstverständnis nach politikfernen konservativen Professoren. Seinen Standpunkt bezeichnete er selbst als »ganz unliberal, streng aristokratisch«. Obwohl er vor dem Krieg vermutlich konservativ gewählt hat und nach 1918 mit der DNVP sympathisierte, stand er im Krieg gemäßigten Liberalen näher als den Alldeutschen oder der Vaterlandspartei.117 Krehl war der einzige Heidelberger Ordinarius, der (als einer der höchsten deutschen Sanitätsoffiziere) den ganzen Krieg in Frontnähe erlebte. Seine Briefe lassen darauf schließen, daß die Hochschullehrer möglicherweise im Inneren ihrer Herzen nicht so martialisch dachten, wie sie in ihren öffentlichen Reden und Schriften aus nationaler Überzeugung und Loyalität den Anschein erweckten, und daß größerer Kontakt zur Frontrealität des modernen Krieges vielleicht auch anderen die Unangemessenheit ihrer nationalen Phrasen klar gemacht hätte. Bereits in einem der ersten Briefe von Mitte September 1914 äußerte von Krehl Abscheu und Skepsis: »Man kann nur wünschen, daß das entsetzliche Morden einmal ein Ende hat... Wir müssen doch beten, daß wir auf anständige Weise herauskommen, weil unser Land sonst völlig verloren ist.« Er berichtete von Ausschreitungen deutscher Truppen gegen die Zivilbevölkerung, und folgerte, daß der Krieg die Menschen nicht bessere, sondern sie verrohen lasse. Er schimpfte über die, die »zu Haus in der warmen Stube gern den Krieg am längsten« führen. 1918 setzte er sich mit dem Pazifisten Foerster auseinander und lobte, wie sonst nur der Dissident Lederer, dessen Standpunkt. Es finden sich bei ihm aber auch kriegsverherrlichende Phrasen, Freude über deutsche Siege, sogar über die Versenkung der »Lusitania«, und der Topos, der Krieg sei Gottes Gericht. 118 Auch Alfred Webers Briefe an seine Lebensgefährtin Else Jaffé stehen in bemerkenswertem Kontrast zu seinen veröffentlichten »Gedanken zur deut134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schen Sendung« oder seinem Kriegszielprogramm.119 Defätismus und Kriegsüberdruß in den Briefen lassen sich schwer mit dem nationalistischen Sendungsbewußtsein und dem sturen Festhalten an maximalistischen Kriegszielen in Einklang bringen. Stärker als Krehl ordnet Weber, im Einklang mit dem Topos von der »Größe« dieses Krieges, seine individuellen Interessen und Wünsche ganz bewußt denen der Nation unter. Eine solche Geringschätzung subjektiver Empfindungen, Sorgen und Ängste dürfte das politische Denken der meisten Heidelberger Hochschullehrer geprägt haben.
3.3. Kriegsziele Die Kriegszieldiskussion der Hochschullehrer war, in Heidelberg wie überhaupt, fast ausschließlich geprägt von machtpolitischen Überlegungen. Dies zeigt sich vor allem daran, daß die Positionen je nach Einschätzung der Kriegslage und der deutschen Siegeschancen (die Möglichkeit einer Niederlage tauchte in den Publikationen kaum auf120) wechselten. Die unterschiedlichen Kriegsziele, insbesondere die Ablehnung von Annexionen und das Eintreten für einen Verständigungsfrieden, resultierten also, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht aus einer nicht-imperialistischen Grundhaltung, aus pazifistischem Zweifel am Sinn des Krieges oder anderen ethisch-moralischen Überzeugungen, sondern entsprangen allein der unterschiedlichen Fähigkeit, die Folgen möglicher Annexionen bzw. später, als um einen Verständigungsfrieden gestritten wurde, die Kriegslage realistisch einzuschätzen. So begründeten etwa die liberalen Imperialisten Max Weber, Hettner oder Anschütz ihre Ablehnung von Annexionen nie prinzipiell, wenn sie sie auch oft ethisch verbrämten. Max Weber meinte ähnlich wie die Delbrücksche »Gegen-Adresse«, Deutschland könne »keinerlei Interesse« daran haben, »sich Todfeinde zugleich jenseits der Grenze und im eigenen Land zu schaffen.« Hettner schloß sich dem an und sah zudem keine »deutsche Irredenta«, die Annexionen rechtfertigen könnte. Anschütz sprach sich mit einer für das politische Denken der Hochschullehrer charakteristischen Formel gegen Annexionen aus. »Wir würden eines unserer höchsten politischen Güter aufs Spiel setzen: die nationale Einheitlichkeit und Geschlossenheit ..., die nationale Reinlichkeit unseres Staatswesens.«121 Konkrete Eroberungsprogramme wie das der Alldeutschen formulierten Heidelberger Gelehrte nur durch ihre Unterschrift unter entsprechende Aufrufe, etwa die Seeberg-Adresse, aber nicht in ihren Veröffentlichungen. Vereinzelte Forderungen nach weitgehenden Annexionen finden sich lediglich bei Lemme, der meinte, »Selbstbehauptung fordert Selbsterweiterung« und betete, »Gott gebe ..., daß unser Volk ... zu überragender Machtstellung in der Welt gelangt«, und Ruge: »So wollen wir unsere Totenhügelgrenze ausdehnen, bis sie ein neues Vaterland umschließt, in 135 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
dem die ungebrochene Kraft eines erstarkten und wachgerufenen Volkes Platz hat... Das Land, wo deutsches Blut in Strömen geflossen, ist für immerdar deutsches Heimatland.« 122 Die von Heidelberger Gelehrten formulierten Kriegsziele lassen sich ansonsten wiederum unter die Formel »liberaler Imperialismus« fassen. Sie lagen damit im wesentlichen auf der Linie des Reichskanzlers Bethmann Hollweg, die vor allem darin bestand, sich nicht öffentlich festzulegen. In den ersten Kriegsjahren verzichteten Heidelberger Universitätslehrer entsprechend nicht völlig auf Gebietsforderungen, sondern empfahlen lediglich, sie »auf das unentbehrliche Mindestmaß [zu] beschränken«. 123 Dieses war zu bestimmen aus den allgemeinen außenpolitischen Kriegszielen, die positiv mit den Begriffen »Weltgeltung«, »Weltmacht« oder »weltwirtschaftliche Betätigung« 124 umschrieben und negativ definiert wurden als »Demütigung, aber nicht Vernichtung« 125 der Feinde. Dies sollte insbesondere für England gelten, dessen »Rückgrat«, die »See-« oder »Weltherrschaft«, man »mit allen Mitteln brechen« wollte. 126 Terminologisch bestanden also durchaus Gemeinsamkeiten mit dem Annexionismus der Seeberg-Adresse. Paradigmatisch hat Oncken die Kriegsziele der nationalliberalen Mehrheit im Lehrkörper formuliert: »Nachdem wir der Gefahr des völligen Zerdrücktwerdens ins Auge geschaut haben, haben wir das moralische Recht, die Anfälligkeiten unserer Mittellage zu verbessern, und wir hoffen, dazu imstande zu sein durch die Vertiefung und Ausdehnung unserer Bündnisse und - von der einzelnen Grenzverbesserung abgesehen - durch Neugestaltungen im Osten und Südosten.« Außerdem kämpfe man »für den Rückgewinn und die Erweiterung unseres Kolonialbesitzes: für ein mittelafrikanisches Reich ..., das so geschlossen in sich ist, daß es aus seinen eigenen Kräften verteidigt werden kann... Die von uns geführte Mächtegruppe in Verbindung mit unserem Kolonialbesitz würde eine weltpolitische Betriebsgemeinschaft darstellen, ... stark und widerstandsfähig genug, um neben einer angelsächsischen, einer russischen und japanisch-chinesischen Weltaufteilung dauernd zu Worte zu kommen.« 127 »Weltgeltung« bedeutete also für die liberalen Imperialisten, eines von vier Weltreichen zu besitzen, und deutsche Hegemonie auf dem europäischen Kontinent, um »den bösen Nachbarn ihre Raublust für immer auszutreiben«. 128 Keineswegs verzichteten sie auf Forderungen nach Grenzkorrekturen. Erst recht bedeutete das Ziel »Weltgeltung« nicht gleiche Rechte für alle Völker, nicht einmal für Deutschlands Verbündete (niemand wäre auf die Idee gekommen, ein Österreich-ungarisches Kolonialreich zu fordern), geschweige denn für kleinere Nationen. Deren Rechte seien gegenüber den »europäischen Großvölker[n] und ihre[n] in Jahrtausenden gewachsenen, von vielen Millionen getragenen Kulturinhalte« »Fragen zweiten und dritten Ranges«, meinte Troeltsch. 129 Was die Konkretion dieses allgemeinen Programms betraf, so gab es erhebliche Meinungsverschiedenhei136 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ten über Belgien, Osteuropa, den Sinn eines Kolonialreiches und die Frage, ob man sich eher mit Rußland oder mit England arrangieren solle. Der Historiker Hampe, der sich auf Einladung des deutschen Generalgouvernements während des Krieges zum Belgien-Spezialisten fortbildete, vertrat bis 1918, Deutschland könne »das vorgelagerte belgische Glacis nicht entbehren, wenn es nicht mit einem lebensgefährlichen Wundschaden aus dem Völkerringen hervorgehen will«, und wollte deshalb, wie es auch die Planungen der Reichsleitung vorsahen, die deutsche Grenze bis zur Maas vorschieben und Belgien in einen flämischen Staat (im deutschen Zollgebiet) und einen wallonischen (mit deutschen Festungen) aufteilen. Hampe rechtfertigte diese Annexion in Vermischung liberaler und imperialistischer Formeln damit, »daß Bruchteile schwächerer Volksstämme in rücksichtslos vorspringenden Gebietsstücken ... den Lebensnotwendigkeiten großer Nachbarn Opfer bringen müssen, ohne ihr Selbstbestimmungsrecht ihren Wünschen entsprechend anwenden zu können. Ließe man nicht solche Ausnahmen gelten, so würde ja Vernunft zu Unsinn!« 130 Anschütz, Hettner, Oncken, Alfred und Max Weber sahen hingegen Belgien immer nur als Faustpfand für andere Forderungen, insbesondere nach mehr Kolonien. Zumindest in den siegesgewissen ersten Jahren sollte die Herausgabe Belgiens allerdings nicht dessen volle Souveränität bedeuten, sondern dort sollten deutsche Festungen bleiben. Daß sie, wenn ihre Einschätzung der militärischen Lage positiver gewesen wäre, mehr gefordert hätten, zeigen die Briefe Onckens und eine Klausel Alfred Webers: »In dem Fall, daß Frankreich im Friedensschluß in eine Teilung willigte und die belgische ›Idee‹ damit überhaupt aufhört zu existieren, wäre die Sache natürlich anders.«131 Alfred Weber setzte sich im Sommer 1915 zusammen mit dem Berliner Historiker Delbrück auch für ein Zusammengehen der liberalen Imperialisten mit den Annexionisten um Seeberg ein, was diese zwar ablehnten, aber doch die Geringfügigkeit der Differenzen im Jahre 1915 zumindest aus Sicht der Gemäßigten charakterisiert. Alfred Weber sprach sich bis 1916 für die Annexion der baltischen Staaten aus, Hettner und Oncken waren dagegen. 132 Auch Weber ließ sich später eines Besseren belehren und beteiligte sich als Beauftragter der deutschen Regierung an der Gründung des litauischen Staates. Dies ist als Opposition gegen den alldeutschen Annexionismus und insbesondere die Dritte Oberste Heeresleitung (Hindenburg und Ludendorff) zu verstehen. 133 Denn Spiritus rector der litauischen Staatsgründung war der Zentrumsabgeordnete Erzberger, wie Stresemann ein Exponent des liberalen Imperialismus, der maßgeblich am Zustandekommen der Friedensresolution des Reichstags beteiligt war und auch nach 1918 bei vielen Heidelberger Hochschullehrern auf große Sympathien stieß. Auf derselben Linie lag die Unterstützung der Gemäßigten für die Wiedergründung des Königreichs Polen unter deutscher Geburtshilfe im November 1916 134 und die von Alfred Weber als deutsches Kriegsziel 137 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
formulierte »Befreiung der Westslawen«. Alles dies sollte dazu dienen, »Rußland schon jetzt z.T. auf[zu]lockern«, 135 und war eine Folge der Grundentscheidung der liberalen Imperialisten für eine langfristige Aussöhnung mit Großbritannien, mit dem zusammen man Rußland in Schach halten wollte. Den Hintergrund dieser Entscheidung bildete die von Max Weber formulierte Auffassung: »Verteidigen können wir uns gegen eine Welt von Feinden auch allein. In der Welt mitreden nicht.« Da Frankreich seit 1871 als Bundesgenosse ausscheide, müsse man sich zwischen England und Rußland entscheiden. Alles spreche für England, denn »die Bedrohung von Rußland her [richtet] sich gegen unsere Existenz als nationaler Machtstaat überhaupt.« Es gefährde »unsere ganze Kultur und darüber hinaus die ganze Weltkultur, solange es so geartet ist wie jetzt... Unter universalgeschichtlichen Gesichtspunkten werden künftig die Streitpunkte im Westen, wegen Belgien, als Lappalien erscheinen gegenüber den Entwicklungen im Osten, welche Weltentscheidungen bedeuten.« Demnach waren Annexionen nur im Osten möglich. Max Weber war allerdings auch dagegen - mit dem vielbenutzten Reinheits- bzw. Ausgrenzungs-Argument, es gebe bereits »eine Millionenziffer fremder Arbeitskräfte im Lande«. 136 1916 setzte sich dann gegen den liberalen Annexionismus das von Naumann wie in der Seeberg-Adresse vertretene Konzept »Mitteleuropa« durch. Es sah einen Staatenbund der Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Türkei) vor, der unter deutscher Hegemonie Ost- und Südosteuropa beherrschen sollte und an dem möglichst viele kleine und schwache Nationalstaaten aus dem »aufgelockerten« R u ß land beteiligt werden sollten. Durch dieses Gebiet sollte eine Eisenbahnverbindung nach Asien und Afrika deutschen Welthandel und deutsche »Weltgeltung« unabhängig von Englands Seeherrschaft ermöglichen. 137 Für besonders konsequente Vertreter des Konzeptes (Alfred Weber, Naumann) waren deutsche Kolonien damit überflüssig, zumal die Deutschen sowieso ein »Kontinentalvolk« seien. 138 Neben Hampe, der Belgien annektieren wollte, sprach sich entgegen dieser Mehrheitsposition unter den liberalen Imperialisten Gothein noch 1918 für kleinere Annexionen französischen Gebietes aus. 139 Zwei Demokraten im Lehrkörper traten gegen die liberalen Imperialisten für eine Verständigung mit Rußland ein, wie sie Anfang 1915 auch Alfred Weber favorisiert hatte: Anschütz war bis zur russischen Revolution dafür, »auch ein völlig besiegtes Rußland« zu schonen, ihm sogar »unsererseits gewisse Opfer« zu bringen, also wohl auf die Selbständigkeit Polens und die Annexion oder Autonomie der baltischen Staaten zu verzichten, um es von der »deutschen Interessensphäre« Südosteuropa und Vorderasien abzulenken. Er begründete seine Überlegung nicht im einzelnen, es liegt aber nahe, daß er ohne Kooperation mit Rußland jene »deutsche Interessensphäre« für einen dauernden Krisenherd hielt. 140 Ehrenberg hielt an der »Ostorientierung« auch über die russische Revolution hinaus fest. Er for138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
derte sogar die »Revision« des Friedens von Brest und insbesondere der deutschen »Festlegung« im Baltikum. Seine Begründung hierfür ist nur verständlich vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie sowie einer damals in religiösen Kreisen verbreiteten Strömung, die im östlichen Christentum den Weg zur Überwindung der dekadenten westlichen Zivilisation sah. Deutschland und ganz Mitteleuropa standen demnach mit ihren mystischen Traditionen dem Osten näher als dem »rationalistischen« Westen, und sollten mit dessen Weg in die Moderne brechen. »Mitteleuropa hat in der Entwicklung der Weltgeschichte zur Epoche der Erdteile, in deren Anfang wir stehen, eine führende Rolle. Sein Kampf gegen die Macht des Westens ist der Befreiungskampf des Ostens, der Kampf der Politik der Erdteile gegen die Politik der Gesamterde, die unter dem Namen Völkerbund von der Macht des Westens erstrebt wird... Mitteleuropa wird diese Rolle nur spielen, wenn die deutsche Politik ... sich von den beiden Westorientierungen, unter denen wir uns verkriechen, der alldeutschen und der pazifistischen, entschieden frei macht.«141 Schon jetzt habe sich »der Weltgeist, angeekelt von dem ewigen Kampf auf französischem Boden, von Europa entfernt und nach dem fernen Osten verzogen.« Ehrenberg, der hier mit mystischen und völkisch inspirierten 142 Argumenten die »geistige Ostorientierung« propagierte und zugleich bereits 1918 für eine Aufteilung Osteuropas in eine deutsche und eine sowjetische Interessensphäre eintrat, war kein obskurer apolitischer Gelehrter, sondern Vorstandsmitglied der Heidelberger SPD. Er war im Krieg vom Judentum zum Christentum konvertiert, war Mitglied der »Baden-Badener Gesellschaft« junger Intellektueller, und der zitierte Artikel erschien in einer Serie von Leitartikeln in der renommierten liberalen Vossischen Zeitung. Am Beispiel Ehrenbergs, aber auch bei Alfred Weber und anderen zeigt sich, wie diffus die Grenzen zwischen demokratischem politischen Denken einerseits und völkischen und mystischen Irrationalismen andererseits waren. Neben den außenpolitischen nannten die Heidelberger Universitätslehrer immer wieder auch innenpolitische Kriegsziele. In diesem Punkt gab es eine klare politische Frontlinie. Reform- und modernisierungsbereite Gelehrten standen in dieser Frage intransigente ›Orthodoxe‹ gegenüber. 143 Auch wenn Formeln wie »Volksgemeinschaft«, »Einheit der Nation«, »Bewahrung des Geistes von 1914« sich bei Autoren verschiedener politischer Orientierung finden, schieden sich die Geister, sobald es um die Umsetzung solcher Ideale ging. Die Befürworter von Reformen waren überzeugt, daß eine gewisse Demokratisierung zu den Voraussetzungen deutscher Großmachtpolitik gehöre und stimmten darin weitgehend mit Reichskanzler Bethmann Hollweg überein. Nur so sei die Arbeiterklasse in die Nation zu integrieren und damit die Macht der herrschenden Eliten zu erhalten. »Die Ursachen der Staatsfeindschaft der Massen müssen aus dem 139 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Weg geräumt werden«, hieß es. Den »Geist von 1914« hielt man für nicht wirkungsmächtig genug, um die »Einheit von Volk und Staat« herzustellen. Also forderte man die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechtes und eine stärkere Besteuerung der hohen Einkommen, insbesondere der Kriegsgewinne. Um die Reichsleitung, deren unverantwortlicher Politik vor 1914 man anlastete, daß Deutschland allein gegen die Welt stand, kontrollieren zu können, forderte man deren Parlamentarisierung und ein Enqueterecht des Reichstages. 144 Hinter den Demokratisierungsforderungen der liberalen Imperialisten standen ebenso wie bei ihrem Verzicht auf Annexionen oder dem Eintritt für einen »Verständigungsfrieden« nicht ethische oder politische Ideale, sondern eine nüchternere Einschätzung der politischen Lage, die allein sie dazu bewog, ihr Ziel, das sie mit den Annexionisten oder ›Orthodoxen‹ teilten, nämlich die möglichst weitgehende Ausdehnung der deutschen wirtschaftlichen und politischen Herrschaftssphäre, zu begrenzen und es mit anderen Mitteln, vor allem auf dem Wege ökonomischer Durchdringung, anzustreben. In der Tat waren sich die ›orthodoxen‹ Hochschullehrer in ihrer Kriegsbegeisterung der innenpolitischen Dynamik, die durch den Krieg in Gang gekommen war, überhaupt nicht bewußt. Bei Ruge hat es zwar den Anschein, als habe er in den letzten Kriegswochen immerhin geahnt, welche Lawine losgetreten war. In einer Eingabe an den Kriegsminister schlug er die Demokratisierung des Heeres vor - eine bemerkenswerte Forderung aus der Feder eines der konservativsten Heidelberger Hochschullehrer. Gleichzeitig wandte er sich aber im Tenor der »Erklärung gegen die Reichstagsmehrheit« gegen die Bildung einer parlamentarischen R e gierung, denn dies »käme der ungerechten Behauptung gleich, unser Volk sei trotz der Leiden des Krieges in einer so erbärmlichen Unreife stecken geblieben, daß es dieselben Männer wählen würde, die vor dem Krieg unter ganz anderen Bedingungen sich durchsetzen konnten.« Stattdessen setzte Ruge in charakteristisch konservativem Wunschdenken auf einen Aufruf des Kaisers wie 1914, der die Einheit wiederherstellen werde. 145 Analytisch lagen die Kriegspublikationen aller ›orthodoxen‹ Heidelberger Hochschullehrer weit unter dem Niveau ihrer liberalen Kollegen. Die einzige Schrift eines Heidelberger ›Orthodoxen‹, die die deutsche Nachkriegsgesellschaft und ihre Politik zu umreißen versuchte, stammte von einem Theologen. Schon der Titel Der geistige Neubau unseres Volkslebens nach dem Krieg verrät den entscheidenden Unterschied zu den liberalen Entwürfen: das Nachkriegsproblem wurde ausschließlich als ein »geistiges« gesehen. Der Autor Lemme setzte darauf, daß durch die im Krieg gestärkten positiven Eigenschaften des »deutschen Wesens« (Idealismus, Moralität, R e ligiosität und Gemeinschaftssinn) eine neue Kultur entstehe, die stärker sei als Materialismus, Sozialismus, das Parteiwesen und »die Unzucht«. Er forderte »Willen zur Macht« und eine »organische Gliederung«. Parlamentarismus lehnt er ab, da er »die Kultur« nicht fördere. Das allgemeine 140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Wahlrecht bezeichnete er als das »geistloseste und dummeste«. Da Lemme wegen »Gottes Hilfe«, der Überlegenheit des »deutschen Wesens« und des »Ausdehnungstriebes aufstrebender Mächte« fest mit einem deutschen Sieg und territorialen Expansionsmöglichkeiten rechnete, sah er keine derart schwerwiegenden innenpolitischen Probleme kommen wie die skeptischeren Liberalen. Vielmehr hielt er einen »Neubau« in aller R u h e für möglich. Aus Lemmes Ausführungen und erst recht aus denen anderer ›Orthodoxen läßt sich kein positives innenpolitisches Konzept destillieren. Allenfalls zu Detailfragen finden sich deutliche Aussagen. So vertraten mehrere Konservative ein rigoroses Programm der Abgrenzung gegenüber allen fremden Einflüssen. Lenard etwa forderte eine »geistige Kontinentalsperre« gegen englische Einflüsse in Kultur und Wissenschaft. 146 Carl Neumann wollte den »Kosmopolitismus« in der deutschen Kunst überwinden, »schwächlicher Toleranz den Boden abgraben, ein gesundes Maß von Ablehnung und Haß des Fremden in uns großziehen ..., bis wir aufhören, Grazie als Bestandteil des deutschen Wesens und der deutschen Kunst zu fordern... Das Volk unserer Landwehr, unserer Riesenmörser muß diese internationalen Tanzmeistervorstellungen des Graziösen, Schicken und Puppenhaften ausrotten.« Die »größten Kulturen der Weltgeschichte«, die jüdische und die griechische, seien »unter dem Druck einer Abschließung und Inzucht sondergleichen entstanden«. 147 Ahnlich wie für den aus dem Judentum stammenden und vor diesem Hintergrund für völkische Segregation plädierenden Neumann war für den Antisemiten R u g e das »einzige große Kriegsziel«, »innere und äußere Lebensbedingungen« zu schaffen, unter denen »die Idee des Deutschtums« nicht mehr »um des Fremden und Fremdstämmigen willen verdrängt« werde. 148 Bei den inneren Feindbildern setzten die ›Orthodoxen‹ unterschiedliche Akzente: Lemme kämpfte gegen Sozialismus, Atheismus und Unzucht, Ruge gegen »Wurzellose«, »Krämerseelen« und alles Jüdische. Gegen die Frauenemanzipation hetzten sie beide. Gemeinsam war ihnen die Gegnerschaft gegen jegliche gesellschaftliche Modernisierung. Außerdem setzten sie ein nationales, rassisches, moralisches, religiöses oder politisches Prinzip absolut und wollten vor diesem Hintergrund alles Abweichende ausgrenzen oder autoritär unterdrücken. 149 Dies verhinderte die Wahrnehmung von Realitäten wie der deutschen Kriegslage, der zunehmenden innenpolitischen Dynamik oder den miserablen wirtschaftlichen Aussichten für die Nachkriegszeit, die alle in den politischen Schriften ›orthodoxer‹ Heidelberger Professoren ausgeblendet wurden, während die Liberalen zumindest manchmal darauf hinwiesen und, wie aus Krehls und Max Webers Briefen hervorgeht, sich nichtöffentlich noch wesentlich skeptischer äußerten. Als erster hatte bereits im Januar 1915 Troeltsch das »Fehlen realpolitischer Voraussetzungen« für eine deutsche Expansion konstatiert, zumal ein »Sieg von vernichtender Kraft« unwahrscheinlich sei.150 In der Folge hatten Hettner, der greise Jurist Ernst 141 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Immanuel Bekker und Max Weber vor übertriebenen Siegeshoffnungen gewarnt und auf die äußerst angespannte militärische Lage - zumal nach dem Kriegseintritt der USA verwiesen. 151 Auch bei ihnen ist allerdings gelegentlich die Neigung zum Wunschdenken oder zur bewußten propagandistischen Verdrehung unverkennbar. Ein eklatantes Beispiel ist Max Webers Aufruf aus dem September 1917, die siebte Kriegsanleihe zu zeichnen, in dem er wider besseres Wissen 152 einer solchen Anleihe mit der Autorität des Nationalökonomen Solidität bescheinigte.
3.4. Zusammenfassung Die Zeit des ersten Weltkrieges war eine Phase massiver Politisierung der Hochschullehrer, die zwar auch vor 1914 nicht in dem Maße apolitisch waren, wie oft angenommen wird, aber nie derart breit Stellung bezogen hatten. Die Politisierung der Dozenten lag zeitlich vor der massiven Politisierung der Studenten und damit der Universität insgesamt. Allerdings ging mit dem gestiegenen politischen Interesse und Bewußtsein häufig eine in Max Webers Sinn »unpolitische«, nämlich distanzlose, unsachliche und »gesinnungsethische« Haltung einher. Ein nicht exakt zu bestimmender Faktor bleibt der Einfluß der Militärzensur, der alle politischen Publikationen während des Krieges vorgelegt werden mußten, auf die hier ausgewerteten Quellen. Es ist denkbar, daß sie den Schriften gemäßigter Hochschullehrer, zumal seit dem Sturz Bethmann Hollwegs, als sie nicht mehr über so gute Beziehungen zur Reichsleitung verfügten, kritische Spitzen nahm. Dagegen spricht allerdings, daß durch die historisch-kritische Max Weber-Ausgabe nicht etwa unbekannte, regierungskritische Stellen publik wurden, sondern besonders haßerfüllte Tiraden, die mit der apologetischen Sicht Marianne Webers nicht zu vereinbaren waren und die sie in früheren Ausgaben weggelassen hatte. 153
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IV.
D i e H o c h s c h u l l e h r e r als
Citoyens
1. D i e Universität in d e n p o l i t i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n von der N o v e m b e r r e v o l u t i o n bis z u m E n d e der Inflation Nach Kapitulation und Novemberrevolution tagte der Senat im Winter 1918/19 wöchentlich, ohne allerdings politische Beschlüsse von Bedeutung zu fassen. In einem Schreiben vom 24.11.1918 dankte er dem Großherzog, der zugleich Rektor der Universität gewesen war, für seine »stete warme Fürsorge«. Gleichwohl vermied die Universität dabei wie überhaupt während der Weimarer Republik demonstrative Loyalitätsbekundungen dem ehemaligen Herrscherhaus gegenüber, die anderswo, etwa in Rostock und Tübingen, 1 üblicher Ausdruck des antirepublikanischen Grundkonsenses im Lehrkörper waren. Im Juli 1919 gehörte Heidelberg zu den drei Universitäten, die es ablehnten, in einem Schreiben an die holländische Königin zu appellieren, Kaiser Wilhelm »ihren diplomatischen Schutz nicht zu entziehen«. 2 Spektakuläre Konflikte der Universität mit revolutionären Exekutivorganen oder Studenten blieben aus. Das entspannte Verhältnis zwischen der relativ liberalen Universität und dem gemäßigten Arbeiter- und Soldatenrat zeigte sich darin und wurde zugleich dadurch erleichtert, daß diesem als Vertreter des nationalliberalen Bürgertums zwei Ordinarien (Thoma und Max Weber) angehörten. Allerdings ging die Universität Heidelberg nicht so weit wie die Greifswalder, die sich am 11. November geschlossen an einem Demonstrationszug des Arbeiter- und Soldatenrates zur Feier der Republik beteiligte und einige Tage später eine Ergebenheitsadresse an Ebert als Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten sandte. 3 Wenngleich relativ spät, so wurde doch auch in Heidelberg vom ehemaligen Rektor Endemann und den Korporationen eine antirevolutionäre Studentenwehr aufgestellt. Rektor Bartholomae bemühte sich um Waffen und berief zur Rekrutierung eine Vollversammlung ein. Da Militär und Soldatenrat jedoch Waffen verweigerten und »Bolschewisten« ausblieben, war die Heidelberger Studentenwehr nicht mehr als ein symbolischer Ausdruck für die politische Haltung der Mehrheit in der Studentenschaft und von Teilen des Lehrkörpers - ganz im Gegensatz zu ähnlichen Organisationen in Universitätsstädten mit einer starken Arbeiterbewegung. 4 Anders als Halle, Leipzig, Marburg, Erlangen und Würzburg wurde die Universität Heidelberg weder 1919 noch während des Kapp-Putsches ge143
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schlossen, damit die Studenten Freikorps oder Zeitfreiwilligenverbänden beitreten konnten, noch schob sie im Herbst des Jahres 1919 ein Zwischensemester für Freikorpskämpfer ein, wie es ein »Kongreß der Senate und Studentenbünde von 37 deutschen Hochschulen und Universitäten« im April empfohlen hatte. 5 Die »Technische Nothilfe« allerdings, die sich als »Notwehr-Organisation gegen die Versuche des Streikradikalismus, auch jene technischen und Verkehrsbetriebe lahmzulegen, die uns die Urelemente aller Lebenskraft liefern: Licht, Kraft, Wärme, Wasser, Nahrung« verstand, also eine Streikbrecherorganisation war, auch wenn sie verbal »in keiner Weise das verfassungsmäßige Koalitions- und Streikrecht« in Frage stellte, unterstützten 1920 durch Beitrittsappelle sowohl Rektor Hermann Kossel als auch mehrere, liberalen Parteien angehörende Ordinarien. Wenn die Universität auch den Freikorps und rechtsradikalen Geheimtruppen keine Schützenhilfe gab, war sie doch noch nach dem Kapp-Putsch, in dessen Verlauf sich die »Technische Nothilfe« als Gegnerin der Republik erwiesen hatte bereit, dieser antikommunistischen paramilitärischen Organisation moralischen Rückhalt zu gewähren. 6 Im Februar 1919 fanden intensive Beratungen über eine neue Universitätsverfassung statt, ohne daß etwas über die dabei möglicherweise aufgetretenen politischen Konflikte, insbesondere im aus Ordinarien und Nichtordinarien paritätisch besetzten »Reformausschuß« überliefert wäre. Wichtigste institutionelle Neuerung war neben dem Verlust des Großherzogs als Rektor die Beteiligung der Nichtordinarien an der Selbstverwaltung. 7 Die Universität bezog 1919 mit mehreren politischen Veranstaltungen Stellung zu aktuellen Fragen. Am 1. März protestierten Lehrkörper und Studentenschaft gemeinsam »gegen Frankreichs Anspruch auf Pfalz und Saarbecken«. Rektor Bartholomae, Oncken als Vertreter der Ordinarien, der mittlerweile in München lehrende Max Weber als politische Autorität, Wolfgang Windelband als Vertreter der Nichtordinarien und ein Student erhoben »feierlichen Protest«, verwiesen auf den »urdeutschen« Charakter dieser Gebiete und prangerten die drohende »ungeheure Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes« an. Die beiden Historiker bestritten alle Ansprüche Frankreichs auf diese Gebiete. Der Nationalökonom unterstrich die wirtschaftliche Zugehörigkeit der von französischer Annexion bedrohten Gebiete zu Deutschland. 8 Wie alle deutschen Universitäten beteiligte sich Heidelberg an den auf der 7. außeramtlichen Rektorenkonferenz in Halle im Juni 1919 beschlossenen Solidaritätsmaßnahmen für vertriebene Straßburger Professoren. Zwei von ihnen nahm sie - allerdings unbesoldet - in ihren Lehrkörper auf. Als die Universität am 16. Juli 1919 ihrer Kriegstoten gedachte, hielt wiederum Oncken, der seit dem Weggang Max Webers für die nationalliberale Mehrheit im Lehrkörper die unbestrittene Autorität in politischen Fragen war, die Hauptrede. Die expressionistische Zeitschrift »Das Tribunal«, herausgegeben von sozialistischen Studenten, die der »Heidelberger 144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Gemeinschaft« angehörten, hat diese »Leichenschau der Alma mater« aufs Bösartigste karikiert. 9 Oncken plädierte, wenn auch mit sehr pathetischen Formeln, dafür, die Niederlage und ihre Folge, den neuen Staat, zu akzeptieren. Es müsse in der deutschen Geschichte einmal mehr ein neuer Anfang versucht werden, der »die Idee der nationalen Wiedergeburt verbinde mit der Idee der sozialen Gerechtigkeit, deren Fortschritt in der Weltgeschichte unaufhaltsam ist«. Oncken kritisierte unmißverständlich die annexionistische Kriegszielbewegung und die für den Krieg Verantwortlichen, wenn er darauf verwies, daß wieder einmal in der deutschen Geschichte »die Idee eines Imperiums den nationalen Staat mit hinabriß«. Von November 1919 bis Januar 1920 veranstaltete der Senat eine Vortragsreihe über den Versailler Vertrag. Mehrere politisch aktive Mitglieder der philosophischen Fakultät und der nach Kiel gewechselte Völkerrechtler Walter Schönborn sprachen über den »weltgeschichtlichen Inhalt« des Vertrages (Oncken), seine »wirtschaftlichen Bedingungen« (Gothein), »Wiedergutmachungen und [Deutschlands] finanzielle Lage« (Alfred Weber), die dem Völkerbund zugedachte Funktion (Schönborn), die Bedeutung der deutschen Gebietsabtretungen (Hettner) sowie über »Die nationale Lage in der Pfalz« (wiederum Oncken). 10 Während des Sommersemesters 1919 hatte die Universität, als Zeichen ihrer demokratischen Öffnung, »Volkshochschulkurse« eingerichtet. Verschiedene Mitglieder des Lehrkörpers veranstalteten Vortragsreihen zu Themen wie »Berufsberatung«, »Erziehung in Haus und Schule im Geiste der neuen Zeit«, »Deutsche Kulturgeschichte«, »Wechsel- und Scheckrecht«, »Kartelle, Syndikate und Trusts« oder »Das Recht auf Gesundheit«. Andere boten Führungen durch ihre Institute an, bei denen sie Auskunft über ihre Fachgebiete gaben. 11 Für das Wintersemester 1919/20 wurden weitere »Volkshochschul«-Veranstaltungen angekündigt, die aber wohl nicht stattfanden. Zu schnell war der Elan zur Öffnung der Universität verflogen. Künftig beschränkten sich die volksbildenden Aktivitäten der Universität wieder auf die Vorlesungen »für einen größeren Zuhörerkreis«. In einem beachtenswerten Beitrag für das Organ des Heidelberger AStA, gab der badische Kultusminister Hummel (DDP) im Sommer 1920 seiner Besorgnis Ausdruck, »daß ein starker Teil der akademischen Lehrer und der Studenten den neuen Verhältnissen so vollkommmen ablehnend gegenübersteht«. Ihre »Proteststellung« sei die Folge ihrer Entpolitisierung vor 1914, die zu Realitätsverlust geführt habe, so daß sie auf die Novemberrevolution nur mit »Gefühle[n] beleidigter Würde und getäuschter Hoffnung« reagiert hätten. Hummel erkannte klar, daß in der jetzigen Situation die »Parole, die Politik sei der Universität fernzuhalten, der Rechten zugute« komme. Zugleich sprach er sich dagegen aus, »die Universitäten dafür [zu] bestrafen, daß sie aus seelischem und körperlichem Hunger sich zu einem großen Teil an der reaktionären Demagogie berauschen«. Vielmehr müsse 145 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»der Kampf um die Seele der deutschen Hochschule geführt werden durch Schaffung von Motiven, die die Kraft ihres Idealismus der nationalen Aufgabe der Demokratie nutzbar machen, durch wirtschaftliche Eingliederung der Geistesarbeit an die Stelle unseres Systems von Werten, die der Bedeutung des deutschen Geistes in Vergangenheit und Zukunft entspricht.«12 Diese einfühlsame Analyse und die vorgeschlagene Taktik sind typisch für das Verhältnis liberaler und sozialdemokratischer Weimarer Politiker zu den Universitäten. Sie gingen oft allzu rücksichtsvoll mit republikfeindlichen Tendenzen um. Zugleich ist bemerkenswert, daß die Ruperto Carola für den Kultusminister zu Beginn der zwanziger Jahre trotz ihrer relativen Liberalität keineswegs die vielzitierte republikanische »Musteruniversität« war. Wie während des Krieges der Fall Schneegans zeigten im ersten Jahr der Republik die Reaktion auf die überraschend zahlreiche Beteiligung Heidelberger Hochschullehrer an der bayrischen Räterepublik, die allerdings ohne Einsicht in die entsprechenden Akten nicht detailliert darzustellen ist, die Grenzen der Liberalität der Ruperto-Carola. Friedrich Muckle und Otto Neurath, zwei Privatdozenten der Nationalökonomie, waren als Gesandter in Berlin bzw. Vorsitzender der Sozialisierungskommission führende Funktionäre der Münchener Räteregierung gewesen. Beide verloren deswegen ihre Lehrberechtigung. Der durchaus konservative Professor für Nationalökonomie Arthur Salz wurde von der gegenrevolutionären bayrischen Regierung des Hochverrates angeklagt, da er den führenden Räterepublikaner Eugen Leviné, den er aus dessen Heidelberger Studienzeit kannte, und dessen Frau auf der Flucht Unterschlupf gewährt hatte. Aufgrund der Fürsprache Max und Alfred Webers entging er, anders als Leviné, der Todesstrafe. Um einem drohenden Disziplinarverfahren zu entgehen, verzichtete Salz 1919 auf seine venia legendi. 13 Andererseits waren die interessenrepublikanischen und demokratischen Kräfte in Heidelberg so stark, daß 1920 und 1922 auch zwei völkische und militant antirepublikanische Gelehrte wegen ihrer politischen Aktivitäten disziplinarisch verfolgt wurden. Dem Privatdozenten Ruge 1 4 wurde die venia legendi entzogen, dem Nobelpreisträger Lenard eine schriftliche Rüge erteilt. Im Verfahren gegen R u g e 1919/20 15 erklärte die Fakultät allerdings, daß »alle Äußerungen politischen Charakters grundsätzlich aus diesem Verfahren ausgeschieden werden sollten«, da der Fakultät »gegenüber politischen Handlungen und Äußerungen ihrer Glieder keinerlei disziplinäre Kompetenz« zustehe. Diese Einschränkung war symptomatisch für den nur begrenzten Konsens gegen R u g e und sollte die Entscheidung gegen öffentliche Kritik absichern. Vier Jahre später hatte dieselbe Fakultät im Fall Gumbel keine Bedenken, politische Äußerungen eines ihrer Mitglieder disziplinarisch zu beurteilen. 1919/20 ersetzte der Vorwurf der »Beleidigung der Gesamtkorporation der Universität und ihrer Repräsentanten« eine politische Auseinandersetzung mit Ruges radikalem Antisemi146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tismus und seinen antirepublikanischen Aktivitäten. Die Fakultät kreidete R u g e an, daß er ihr »Feigheit« vorgeworfen hatte, und forderte ihn im März 1920 auf, diese und drei andere Beleidigungen zurückzunehmen. Das Ministerium setzte ihm hierfür eine Frist bis Ende Mai. Erst als Ruge diese hatte verstreichen lassen, stellte die Fakultät am 12. Juni den Antrag, ihm wegen »schwerer ehrverletzender Beleidigung von Kollegen und Universitätsbehörden« die Lehrberechtigung zu entziehen. Dem schlossen sich Senat und Ministerium an. Obwohl die überwiegende Mehrheit des Lehrkörpers Ruges politische Positionen ablehnte, hatte die Universität den Nebenkonflikt um den Beleidigungsvorwurf, gegen den Ruge mehrere Zeugen aus dem Lehrkörper aufbieten konnte, zur Hauptsache gemacht. Daß er als einziger rechtsextremer Hochschullehrer in der Weimarer Republik tatsächlich die venia legendi entzogen bekam, ist in weitaus stärkerem Maße auf sein unnachgiebiges und provokantes Verhalten zurückzuführen als auf politische Entschlossenheit der Universität. Als sie später mehrfach diese Entscheidung rechtfertigen mußte, argumentierte sie immer wieder völlig zu Recht, sie sei, »solange es ging, mit Nachsicht und Milde« vorgegangen. 16 Der Fall Lenard ähnelt in mancher Beziehung dem Fall Ruge, war aber wesentlich komplizierter gelagert. Auch Lenard war ein politischer und gesellschaftlicher Außenseiter innerhalb des Lehrkörpers. Zugleich war er aber einer der hochkarätigsten Wissenschaftler der Universität, für dessen Kommen sie sich 1907 sehr ins Zeug gelegt hatte und den sie vor allem durch einen Institutsneubau hatte gewinnen können. 17 Auf Lenards wissenschaftlichen Leistungen aufbauend waren anderen einige der großen Entdeckungen der modernen Physik gelungen. Zunehmend verbittert und in kleinliche Prioritätsstreitigkeiten verwickelt, wurde er politisch immer radikaler. Wie Ruge entwickelte er einen ausgeprägten Antisemitismus und rühmte später sein Institut als »Keimzelle nationalsozialistischer Wissenschaft«. 1920 hatte der Kultusminister, auf Lenard gemünzt, geschrieben: »Wenn es ein großer Gelehrter als ein Kapitel aus der theoretischen Physik ansieht, die gegenwärtigen Regierungen zum Teufel zu wünschen, so entbehrt es nicht der Komik, wenn er von der gleichen Regierung die Verdoppelung seines Gehalts wünscht.« 18 Nach der Ermordung des Finanzministers Erzberger soll Lenard 1921 »aus seiner Gesinnung keinen Hehl gemacht und Institutsmitgliedern gegenüber seiner Befriedigung über diese Tat Ausdruck gegeben haben.« 19 Zum Eklat und zum »Fall Lenard« kam es, als er und seine rechte Hand, der planmäßige Extraordinarius August Becker, sich weigerten, anläßlich der Beerdigung des von Rechtsextremisten ermordeten Außenministers Rathenau (DDP), wie von Regierung und Rektor Beer verfügt, sein Institut nachmittags zu schließen und halbmast zu flaggen. 20 Der Senat, der mit vier der DDP nahestehenden oder angehörenden Ordinarien (Hampe, Herbst, Anschütz, Jost), dem der DVP angehörenden Alexander zu Dohna und 147 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ohne konservativen Exponenten ungewöhnlich liberal besetzt war, gab am folgenden Tag am Schwarzen Brett und in den Tageszeitungen eine ungewöhnlich politische »Erklärung« ab: Die »tiefbetrüblichen Vorgänge« um das physikalische Institut und das »fluchwürdige Verbrechen« gegen den Außenminister müßten »jedem, der von vaterländischer Gesinnung und staatsbürgerlichem Verantwortungsgefühl auch nur einen Hauch in sich spürt«, zeigen: »Wir leiden an dem Mangel einer ... einhellig und freudig in ihrer überragenden Autorität anerkannten Staatsgewalt. Und uns tut not die Wiederherstellung der Grundlage, auf der allein letzten Endes Staat und Staatsgewalt beruhen: das unbeschadet aller Freiheit der politischen Überzeugung - einmütige Bekenntnis aller zu diesem Staatsgedanken, die Einsicht in die Notwendigkeit der Einfügung aller einzelnen in das Staatsganze und das Bewußtsein, daß den rechtmäßigen Anordnungen der Obrigkeit ... unbedingt Folge geleistet werden muß.«21 Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen, die aus der Feder des designierten Rektors Anschütz stammen dürften und geradezu idealtypisch für den staatsloyalen Vernunftrepublikanismus der frühen zwanziger Jahre stehen, mißbilligte der Senat das Verhalten Lenards »scharf«. Er habe durch seine »agitatorische Haltung« seine Pflichten als Staatsbeamter und akademischer Lehrer verletzt. Der Senat leitete gegen Lenard, aber auch gegen den »Rädelsführer« der empörten Republikaner, den sozialdemokratischen Studenten Carlo Mierendorff, Disziplinarverfahren ein. Als Kultusminister Hellpach (DDP) Lenard daraufhin von seiner Tätigkeit suspendierte, bat dieser um seine Entlassung. Seine Anhänger sorgten für Sympathiebekundungen, die in großer Zahl von physikalischen Gesellschaften, einzelnen Physikern und aus der Heidelberger Studentenschaft (allein ca. 1.000 Unterzeichner) kamen und die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlten. Hellpach betonte, daß Lenards Ausscheiden ein großer Verlust für die Universität wäre, und sprach ihm das Vertrauen aus. Der nahm daraufhin sein Entlassungsgesuch zurück, obwohl der Senat ihm einstimmig (!) einen Verweis ausgesprochen hatte, was ihn aber in den Augen seiner Anhänger »nun noch näher an seine Vorgänger Kepler und Galilei« rückte. 22 Das im Vergleich zu Ruge geschickte Verhalten Lenards und der öffentliche Druck hatten eine weitergehende Maßregelung verhindert. Im Gegensatz zum »Fall Ruge« argumentierte der Senat Lenard gegenüber und zu einer Zeit, in der an der Universität Heidelberg wie allgemein in der deutschen Öffentlichkeit Liberale und Demokraten in der Offensive waren und die Rathenau-Mörder in für Weimarer Verhältnisse ungewöhnlichem Maße isoliert wurden, 23 eindeutig politisch. Dieser Unterschied resultierte aus dem »über den Parteien stehenden«, ›transpolitischen‹ Politikverständnis der Mehrheit der Heidelberger Hochschullehrer. Gegen »gemeinschaftsfeindliches«, den vermeintlichen nationalen Konsens störendes Verhalten, als das Lenards Insubordination und später - unter anderen Vorzeichen - Gumbels Pazifismus verstanden wurden, hatte die Universität 148 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ihre Stimme zu erheben, während der militante Rechtsextremismus eines Ruge unter »Parteiengezänk« subsumiert wurde, in das man sich nicht einmischen durfte, wollte man seine transpolitische Position nicht aufgeben. Während der Auseinandersetzungen im »Fall Lenard« wählten die Heidelberger Professoren mit Anschütz einen der exponiertesten unter den politisch engagierten Liberalen zum Rektor. Zwei Ereignisse markieren das gewandelte Verständnis, das er von diesem Amt hatte: Zunächst ließ er sich kurz nach seinem Amtsantritt für die DDP in den Bezirksrat wählen. Daß ein Rektor für eine demokratische Partei ein politisches Mandat bekleidete, war ein Bruch mit jenem traditionellen Politikverständnis der Gelehrten, über den Parteien zu stehen und allenfalls in konservativen Parteien mitzuarbeiten. Die Kombination aus Rektorat und politischem Mandat war nicht nur in der Weimarer Republik, sondern dürfte bis heute ein außergewöhnlicher Fall sein. Nicht zufällig gehörte der erste Heidelberger Rektor, der in seiner Amtszeit ein parlamentarisches Mandat wahrnahm, der DDP an. Sie hatte zu dieser Zeit im Heidelberger Lehrkörper nicht nur sehr viele Anhänger, sondern schien wegen ihres Selbstverständnisses als »Staatspartei« auch beinahe »überparteilich« zu sein und kam der bei Hochschullehrern verbreiteten, konservativen Gleichsetzung von ›staatsloyal‹ und ›unpolitisch‹ entgegen. Daß Anschütz gleichwohl ein ungewöhnlich politisches Verständnis von seinem Amt hatte, unterstrich er mit der Rede, die er wie jeder Rektor anläßlich seines Amtsantrittes über ein Thema aus seinem Fachgebiet hielt. Sie war ein flammendes Plädoyer für die Weimarer Verfassung, zu der Anschütz auch den wichtigsten juristischen Kommentar verfaßt hatte Verfassungspatriotismus im besten Sinne. Dieses Bekenntnis quittierten viele der anwesenden Studenten mit Protesten, obwohl Anschütz versucht hatte, gerade den national Gesinnten die Verfassung ans Herz zu legen, indem er mit patriotischen und z.T. nationalistischen Formeln für sie warb. 24 Trotz der kritischen Einschätzung durch Kultusminister Hummel entsprach in den frühen Jahren der Republik das Bild von der Heidelberger Universität als »akademische Hochburg des neuen Deutschland« insgesamt den Tatsachen. Ende 1923 ernannte sie den badischen Staatspräsidenten und ehemaligen Kultusminister Köhler, der nicht nur ein führender Politiker der ungeliebten Republik, sondern auch der dem universitären Milieu fernstehenden Zentrumspartei angehörte und Nichtakademiker war, zum Ehrendoktor. Sie dankte ihm dafür, daß er während der Inflation die Fortzahlung der Professorengehälter und überhaupt den Fortbestand der Universität gesichert hatte 25 - eine Illustration des im Lehrkörper verbreiteten Interessenrepublikanismus! Im Vergleich zu anderen Universitäten war auch das Vorgehen gegen Ruge und Lenard sehr ungewöhnlich. Außer Ruge verlor in der Weimarer Republik kein rechtsextreme Hochschulleh149 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
rer aus politischen Gründen seine Lehrberechtigung. 26 Weitaus zahlreicher sind die Belege dafür, daß sie sich an Putschversuchen und ähnlichen Aktivitäten maßgeblich beteiligten. 27 Kann man der Universität Heidelberg in dieser Zeit also ungewöhnliche Liberalität bescheinigen, so ist dabei allerdings zu berücksichtigen, daß die revolutionäre Bewegung hier nicht annähernd solche Ausmaße angenommen hat wie in Universitätsstädten, die zugleich Zentren der Arbeiterbewegung waren. Die spätere geringe Standfestigkeit des Lehrkörpers, als er im Mittelpunkt heftiger politischer Konflikte stand, läßt darauf schließen, daß sie in den frühen zwanziger Jahren auch deshalb relativ liberal erscheint, weil es vergleichbare Auseinandersetzungen damals nicht gab. Darüberhinaus ist zu betonen, daß sein Liberalismus dezidiert national war und keineswegs durchweg mit demokratischen Überzeugungen einherging.
2. Individuelles E n g a g e m e n t 1 9 1 8 - 1 9 2 3 In den frühen Krisenjahren der Republik lag das Maximum politischer Aktivitäten in den ersten Monaten des Jahres 1919. In sie fallen vier von fünf öffentlichen Aufrufen mit nennenswerter Beteiligung Heidelberger Hochschullehrer. Das Geschehen im ersten Halbjahr 1919 bestimmte auch die große Mehrzahl der in diesem Kapitel zu behandelnden Publikationen. Die Ereignisse, die nicht nur die Gelehrten in dieser Zeit erregten, waren die Wahlen zur badischen und deutschen Nationalversammlung am 5. und 19. Januar, die trotz eines gewissen Abflauens sich fortsetzende revolutionäre Bewegung, die Friedensverhandlungen und die neue Reichsverfassung.
2.1, Gegen Kriegsschuldthese und Auslieferungsforderungen Mit über neunzig Unterzeichnern fand eine Anfang Januar 1919 veröffentlichte »Kundgebung Heidelberger Professoren« (Tab. 2 im Anhang, Sp. g) an die badische vorläufige Volksregierung fast so große Resonanz wie die »Erklärung der Hochschullehrer« aus dem Jahr 1914. Sie forderte die Regierung auf, »sich bei der derzeitigen Reichsregierung dafür zu verwenden und auch sonst mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dafür einzutreten«, daß nicht in »planloser« Weise »einseitig Dokumente [zur Kriegsschuldfrage] der Öffentlichkeit preisgegeben [werden], welche möglicherweise die deutsche Politik in selbstmörderischer Weise belasten können.« Stattdessen möge die Regierung »die Beweise für den überragenden Schuldanteil unserer Feinde unausgesetzt öffentlich zur Geltung« bringen und den »reindeutschen Charakter der heute von französischer Er150 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
oberungsgier angetasteten Landesteile ... mit dem höchsten Nachdruck der Welt und namentlich auch dem Präsidenten Wilson« nachweisen. U m diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, schloß die Resolution mit einigen programmatischen Sätzen, die außerordentlich charakteristisch für den einheitsstiftenden, »überparteilichen« Anspruch der Gelehrtenpolitik sind: »Unserem Volk, das heute seinen Blick fast ganz nach innen gerichtet hält, muß von seinen Führern unablässig die überwältigende Bedeutung der äußeren Bedrohung für seinen Bestand und seine Zukunft gepredigt werden, damit es den inneren Hader, der auf seinem Grunde nur die Gefahr erneuter Zersplitterung birgt, zu Gunsten eines neuen geistigen Zusammenschlusses zurückstelle. Möge die Regierung des badischen Staates, der schon einmal in der Geschichte der deutschen Einigung mit ruhmvollem Beispiel voranschritt, im Geiste unserer Väter wiederum den Anstoß zu einer nationalen Selbstbesinnung geben, die unser schwergeprüftes Volk unter dem Zeichen: Einheit und Freiheit, das jenseits aller Parteigegensätze nach außen wie nach innen gilt, zu einer besseren Zukunft zu führen berufen ist.« In den Forderungen durchaus moderat, in der Formulierung volkstümlich und betont markig wollten die Wissenschaftler der Regierung und dem Volk ihre Pflichten aufzeigen. Als geistige Elite mit nach eigener Einschätzung privilegiertem Zugang zur Wahrheit deuteten sie Geschichte und Gegenwart und wiesen den Weg in eine bessere Zukunft. Apodiktisch erklärten sie, daß Hader »Zersplitterung birgt« und daß nur »Einheit und Freiheit ... zu einer besseren Zukunft« führen würden. Wie Priester zitierten sie »den Geist der Väter« und forderten auch die Politiker auf, dem Volk »unablässig« zu »predigen«. Die Mahnung, die Parteigegensätze zu überwinden, die zugleich allen, die solche Konflikte austrugen, die Schuld an der gegenwärtigen Misere zuschob, und der Verweis auf die Bedeutung der äußeren Politik für Deutschlands Schicksal gehörten zum ständigen Repertoire der Gelehrtenpolitik. Beide Argumente bedingten einander: Weil außen nur Feinde lauerten, war innere Einheit das immerwährende Gebot der Stunde. Der Widerspruch, daß sie einerseits die Nichtveröffentlichung der Dokumente zur Kriegsschuldfrage forderten und sich zugleich überzeugt von der deutschen Unschuld gaben, scheint weder den Unterzeichnern der Resolution noch der damaligen Öffentlichkeit aufgefallen zu sein. Daß die Gelehrten mit derartigen Appellen eine gesellschaftliche Funktion wahrnahmen, zeigen die positiven Reaktionen auf die Kundgebung: der badische Außenminister etwa erklärte, er werde »die gegebenen Anregungen weiter verfolgen«. Fragt man, wie bei allen Resolutionen, die auf breite Zustimmung stießen, nach den Nicht-Unterzeichnern, so fehlen wie bei der »Erklärung der Hochschullehrer« von 1914 die sozialistischen und ein Teil der liberalen Hochschullehrer (Driesch, Ehrenberg, Lederer, Bütschli, Dochow, Alfred Weber, Wille). Während bei den ersteren von einem inhaltlichen Dissens als Grund der NichtUnterzeichnung ausgegangen werden kann, ist dies bei den Liberalen weniger eindeutig. So erklärte der wegen 151 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der Annahme einer ordentlichen Professur in Wien im Januar 1918 nicht mehr zum Lehrkörper gehörende Max Weber, er habe nicht unterschrieben, »weil alle akademischen Kollektiverklärungen im Kriege in Mißkredit gekommen sind«, sei aber »der gleichen Ansicht wie jene Erklärung«. 28 Auf Anregung Max von Badens und Kurt Hahns gründeten im Winter 1918/19 die prominenten liberalen Gelehrtenpolitiker Oncken, Thoma, Alfred und Max Weber und andere die »Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts (Heidelberger Vereinigung)«, die, ganz wie es die Professorenkundgebung gefordert hatten, möglichst viele Persönlichkeiten mobilisieren sollte, um vor der Weltöffentlichkeit gegen die Kriegsschuldthese und die Friedensbedingungen zu protestieren. Neben einem am 7. Februar 1919 in der Frankfurter Zeitung publizierten Aufruf mit der Forderung nach Einsetzung einer unparteiischen Kommission zur Untersuchung der Kriegsschuld, in dem die »Heidelberger Vereinigung« in Weiterführung der »fatalistischen« Erklärung der Kriegsursachen von einer »gemeinsamen Kriegsschuld aller kriegführenden Großmächte« ausging, verliefen ihre Aktivitäten angesichts der geringen Resonanz in der »Weltöffentlichkeit« bald im Sande. Damit bestätigte sich der Eindruck eines der Teilnehmer an der Gründungsversammlung, es handele sich um eine »alles in allem etwas ziellose« Initiative. 29 Auf die massenhafte Unterzeichnung der »Kundgebung« und die geringen Aktivitäten der »Heidelberger Vereinigung« beschränkte sich das Engagement Heidelberger Gelehrter in der Kriegsschuldfrage. 30 Die einzige Publikation, die sich aktuell mit dieser Thematik beschäftigte, war der offene Brief an einen britischen Kollegen, den der Ordinarius für klassische Philologie Franz Boll unter dem Titel »Deutschland schuldig?« 1920 veröffentlichte. Für Boll war der Krieg deutscherseits »subjektiv alles andere als ein Angriffskrieg«. Er schloß sich dem britischen Kriegsminister Haidane an, daß den Krieg »in Wahrheit« das »immer wachsende und zuletzt unerträglich gewordene Mißtrauen der europäischen Völker gegeneinander« verursacht habe. »Die Lügenpresse (und die Habgier der Geldmenschen) ist m.E. am meisten schuld,« 31 argumentierte Boll professoral und antimodernistisch. Er bestritt so zwar eine direkte deutsche Kriegsschuld, exkulpierte aber auch die Gegner weitgehend. Dies lief auf dasselbe hinaus wie die These der »Heidelberger Vereinigung« von der »gemeinsamen Kriegsschuld der Großmächte«. Liberale und sozialistische Heidelberger Universitätslehrer waren nach der Niederlage zumindest indirekt und in Nebensätzen bereit, eine deutsche Mitschuld anzuerkennen, wenn auch Deutschland »noch am reinsten« von allen europäischen Mächten dastehe. 32 Einzelne konservative Gelehrte hingegen beharrten auf der Formel vom reinen Verteidigungskrieg. 33 Insgesamt äußerten sie sich jedoch kaum zur Kriegsschuldfrage. Häufiger und mit aggressivem Unterton wurde die Unschuldsthese von Heidelberger Dozenten erst nach 1933 vertreten. 34 Universitätslehrer aller politischen Richtungen empörte, daß das parteiische Gericht der ehemaligen Gegner 152 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Deutschland in Versailles zwang, »die Lüge eines Schuldgeständnisses zu unterschreiben«. Diese »Kriegsschuldlüge« - ein Begriff, den Liberale wie Konservative gleichermaßen verwandten - gelte es aus der Welt zu schaffen.35 Große Teile der deutschen Öffentlichkeit empörte 1919/20 auch die Forderung der Siegermächte, den früheren Kaiser und andere Verantwortliche für die Politik des Reiches auszuliefern, um ihnen wegen ihrer Schuld am Ausbruch des Krieges den Prozeß zu machen. Diese Proteste führten dazu, daß die Sieger auf die Durchführung ihrer Auslieferungsforderung verzichteten. Eine Erklärung zur Auslieferungsfrage mit dem pathetischen Titel »Für Ehre, Wahrheit und Recht«, die gleich im ersten Absatz einen extrem konservativen und republikfeindlichen Standort bezog (»Wir haben den Krieg verloren. Sogar unsere Ehre haben Regierung und Nationalversammlung nicht zu wahren gewußt«), unterzeichnete aus Heidelberg nur Lenard. 36 Neben den Universitäten Erlangen und Bonn, wo niemand unterschrieb, gab es damit in Heidelberg die geringste Resonanz, während jeweils vierzig und mehr Berliner, Freiburger (darunter der ab 1920 in Heidelberg lehrende Ludwig Curtius) und Hallesche Gelehrte diesen Aufruf unterschrieben. Der deutschnationale Ordinarius für Archäologie von Duhn stand insofern mit den Unterzeichnern dieser Resolution auf einer Linie, als er noch 1920 zum Wortlaut des von ihm mitunterzeichneten Aufrufes »An die Kulturwelt« 37 von 1914 stand. Einen gemäßigten und juristisch argumentierenden Aufruf der deutschen Staats- und Völkerrechtler unterzeichneten hingegen alle Heidelberger Vertreter dieser beiden Fächer (Anschütz, Franz Dochow, Eugen von Jagemann, Artur von Kirchenheim, Walter Schönborn und Thoma) und erklärten, sie sähen in dem Strafanspruch der Sieger und der daraus folgendenden Auslieferungsforderung »einen völligen Bruch der völkerrechtlichen Ordnung«. Denn die Sieger zögen »nicht allein die Staaten, gegen die sie Krieg führen, für angebliche Rechtsverletzungen zu völkerrechtlicher Verantwortung«, sondern »auch die einzelnen den feindlichen Völkern angehörenden Personen, die den Willen ihres Staates als dessen beschließende, beratende, ausführende Organe zu verfassungsmäßig geordnetem Ausdruck brachten... Das hieße aber unter dem Schein eines rechtlichen Verfahrens das geltende Völkerrecht zu vergewaltigen... Das Los des Kaisers soll also das des flüchtig gewordenen Verbrechers sein, obwohl doch die oberste Voraussetzung völkerrechtlicher Auslieferung fehlt, eine durch Gesetze des ersuchenden als des ersuchten Staates vorgesehene nicht politische Straftat.«38 Die Proteste aus dem Heidelberger Lehrkörper gegen die Auslieferungsforderung und die »Kriegsschuldlüge« fielen, soweit sich das beurteilen läßt, sowohl qualitativ als auch quantitativ relativ maßvoll aus. 39 Von einer breiten Kriegsschulddiskussion kann nicht die Rede sein.
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2.2. Für die »Auslandsdeutschen« Weiterer Anlaß für öffentliche Kundgebungen unter maßgeblicher Beteiligung Heidelberger Hochschullehrer war die Sorge um die Flüchtlinge aus Elsaß-Lothringen. Ein erster Aufruf wurde vom lokalen Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) initiiert und von gut zwanzig Honoratioren, wahrscheinlich VDA-Mitgliedern, unterstützt. Er stellte, der politischen Orientierung des VDA entsprechend, pathetisch fest: »Das Kleinod Deutschlands, unsere Reichslande, sind in Feindes Hand, in eines erbarmungslosen Feindes Hand. Entgegen allen Zusagen werden Hunderte von Beamten, Kaufleuten, Pfarrern, Professoren, Lehrern mit ihren Familien gezwungen, das Land zu verlassen, meist unter Spott und Hohn, vielfach von einem betörten Pöbel mißhandelt... Schon regen sich allenthalben in Deutschland die Hände, den Brüdern und Schwestern von jenseits des Rheins zu helfen... Wer ein Herz für diese vaterländische Pflicht hat, gebe einen Beitrag an eine der hiesigen Banken.«40 Der zweite Aufruf ging von einer »Fürsorgestelle für elsaß-lothringische Flüchtlinge« des Heidelberger Roten Kreuz aus, und rund hundert prominente Bürger unterzeichneten ihn. Er warb um konkrete Unterstützung für die mittlerweile in Heidelberg eingetroffenen Flüchtlinge und war im Ton weitaus sachlicher Es handelt sich um einen typischen Honoratiorenaufruf: Ein »unpolitisches« karitatives Anliegen, nur prominente Unterzeichner. Privatdozenten und nichtbeamtete außerordentliche Professoren fehlten. Die Vertreter der drei traditionell angeseheneren Fakultäten waren deutlich starker vertreten als die der beiden »niederen« (philosophische und naturwissenschaftliche). Der Einsatz für das »Auslandsdeutschtum« und das in den besetzten und z.T. von separatistischen Bewegungen erschütterten Gebieten lebende »Grenzlanddeutschtum« war ein Schwerpunkt des gelehrten politischen Engagements. 41 Seit den 1890er Jahren hatten Organisationen wie der VDA und die Kolonialgesellschaft ihre Basis vor allem im Bildungsbürgertum, und die Funktionäre dieser Organisationen waren häufig Hochschullehrer. Von den »Veranstaltungen für Hörer aller Fakultäten« widmeten sich viele den Fragen des »Auslands-« und »Grenzdeutschtums«. 42 Im Sommersemester bildete sich auf Anregung Onckens nach dem Vorbild der Universität Münster ein »Rheinlandausschuß«, dem neben dem Gründer die Ordinarien von Schubert (Kirchengeschichte), Karl Neubekker (vergleichende Rechtswissenschaft), die Honorarprofessoren Gustav Rasch (angewandte Elektrizität) und Jakob Wille (Landesgeschichte), der außerordentliche Professor Niebergall (praktische Theologie) und der Titularprofessor Daniel Häberle (Geologie) angehörten. Der Ausschuß wollte die »kulturelle Zusammengehörigkeit« insbesondere mit Pfalz, Saargebiet und »den anderen Landstrichen zwischen Saar und Mosel« pflegen. 43 154 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Dieses Engagement war zu Anfang der zwanziger Jahre, wie die Parteizugehörigkeit der genannten Professoren zeigt, keineswegs eine Sache der ›nationalen Opposition‹. Als Anfang 1922 der 4. Vertretertag der elsässischlothringischen Korporationen in Heidelberg tagte, veröffentlichten Gelehrte verschiedener politischer Orientierung »Erinnnerungsworte«. Zu einer »Saarnummer« der AStA-Zeitschrift steuerten Oncken und Gothein Beiträge bei. 44 Im Wintersemester 1924/25 veranstaltete die Universität eine Reihe von »Vorträgen zur Vaterlandskunde« mit dem Rahmenthema »Der deutsche Rhein«. Es sprachen von Schubert (zweimal), Hettner, Hoops, Hampe, Baethgen, Carl Neumann, Windelband, Andreas, Salin, Brinkmann und zu Dohna. 45 Im Wintersemester 1926/27 fand eine Reihe »Grenzlandvorträge« statt, auf der neben einigen auswärtigen Rednern Hampe, Hellpach (zweimal), Carl Neumann, Brinkmann, Salin, Andreas, von Künßberg und von Schubert sprachen. Dieser kündigte als Organisator und Vorsitzender des Heidelberger VDA an, die Universität plane künftig »jeden Winter Vorträge über brennende Fragen des Deutschtums, jeden Sommer eine Einführung in die Kenntnis fremder Länder«. Warum diese Intiative im Sande verlief, ist nicht bekannt. Das parteipolitische Engagement der Redner dieser beiden Reihen und ihre Zuordnung zu politischen Denkstilen 46 zeigt gegenüber den Aktivitäten von 1921/22 eine Verschiebung nach rechts. Während damals deutschnationale Gelehrte fehlten und sich der DDP und DVP Nahestehende die Waage hielten, dominierte jetzt das konservative DVPDNVP-Spektrum.Von den Unterzeichnern eines DDP-Wahlaufrufes von 1924 beteiligten sich an der Vortragsreihe nur Personen, die dem konservativen Denkstil zuzuordnen sind (Andreas, Brinkmann, Hampe und Hellpach). Mehr und mehr wurde die Thematik »Auslands-« und »Grenzdeutschtum« von der ›nationalen Opposition‹ besetzt. Das Engagement liberaler Gelehrter in dieser Frage ging mit zunehmendem Abstand zum Kriegsende zurück.
2.3. Engagement für Parteien Überraschend hoch ist das Ausmaß des feststellbaren parteipolitischen Engagements der Heidelberger Hochschullehrer in den Jahren 1918 bis 1923. Es hatte gegenüber der Kriegszeit deutlich zugenommen hat und lag entgegen einer häufig geäußerten Auffassung47 erheblich über dem Engagement in »überparteilichen« Organisationen. Die hohe Zahl parteipolitisch Engagierter zeigt einen deutlichen Bruch im politischen Verhalten gegenüber der Zeit vor 1918. Will man die Fakultäten politisch einordnen, so erweist sich die philosophische nun am stärksten politisiert. Dies belegt nicht nur die hohe Zahl der Parteimitglieder, sondern auch eine starke Polarisierung: einerseits hatte die DNVP viele Anhänger, andererseits lehr155 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ten hier alle drei SPD- bzw. USPD-Mitglieder. Die juristische Fakultät war weiterhin die liberalste, die medizinische wie in der Kriegszeit die konservativste. Die naturwissenschaftliche hatte durch das Ausscheiden einiger älterer Liberaler und durch die Personalpolitik Lenards an Liberalität eingebüßt. Von 44 parteipolitisch Engagierten traten 17 (39 %) für die DNVP (inkl. VBG), zehn (23 %) für die DVP, einer (2 %) für das Zentrum, 13 (30%) für die DDP und drei (7 %) für SPD und USPD ein. Diese Verteilung weicht deutlich von den Heidelberger Wahlergebnissen der Jahre 1919 bis 1922 ab (DNVP 10-13 %, DVP: 13-19 %, Z: 15-20 %, DDP: 14-24 %, USPD+SPD: 29-34 % ) . 4 8 Leider liegen keine Wahlanalysen vor, die es erlauben würden, das bildungsbürgerliche Wahlverhalten aus dem Heidelberger Ergebnis herauszufiltern und es mit dem parteipolitischen Engagement der Hochschullehrer zu vergleichen. Der Heidelberger Lehrkörper war jedenfalls deutlich polarisierter und stand insgesamt weiter links als der anderer Universitäten. Während an der Ruperto Carola die bürgerlichen Flügelparteien DNVP und DDP stärkeren Zulauf hatten als die DVP, ordnete der wohlinformierte Journalist Everth die meisten politisch engagierten deutschen Hochschullehrer der DVP zu, der »Partei des juste milieu, bei der nichts zu riskieren sei, weder nach rechts noch nach links, die zwischen Altem und Neuem balanciere, auch wohl laviere, bei der man sich aber vor allem gesellschaftlich nicht kompromittieren könne.« 49 Dieser Befund stimmt mit der parteipolitischen Verteilung der in der Nationalversammlung und im ersten Reichstag vertretenen Hochschullehrer überein. 50 Auch die parteipolitische Orientierung in den Lehrkörpern anderer Universitäten entsprach, soweit bekannt, der Everthschen Beschreibung. So entfielen von zwanzig Anfang der zwanziger Jahre parteipolitisch engagierten Greifswalder Professoren elf auf die DNVP (55%), j e vier auf DVP und DDP (je 20 %) und einer auf die USPD ( 5 % ) . Von 36 Göttinger Professoren, die parteipolitisch zu verorten sind, bekannten sich 15 (42 %) zur DNVP, elf zur DVP (31 % ) , neun (25 %) zur DDP, einer zur KPD (3 %) und keiner zu SPD oder Zentrum. Im liberaleren Hamburg waren zur selben Zeit von 32 Parteimitgliedern im Lehrkörper 13 in der DVP (41 % ) , 11 (34 %) in der DNVP, sieben (22 %) in der DDP und einer Sozialdemokrat. 31 Das Zahlenverhältnis zwischen Sozialisten und Demokraten gab Everth mit 1:6 an. Auch hier zeigt die Heidelberger Relation (1:3,5) eine stärkere Linksorientierung. Die politisch aktivsten Heidelberger Hochschullehrer waren zwischen 1919 und 1923 der Kirchenhistoriker von Schubert, der Ordinarius für öffentliches Recht Thoma, der Historiker Oncken, die Philosophen Ruge und Ehrenberg, die Nationalökonomen/Soziologen Gothein, Lederer und Alfred Weber, bis auf die beiden Philosophen alles Ordinarien. 52 Alle bis auf Thoma entfalteten auch regelmäßige politisch-publizistische Aktivitäten. Mehrere von ihnen wie auch einige andere Heidelberger Hochschullehrer 156 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
kandidierten bei Wahlen bzw. hatten wichtige Funktionen in Parteien inne. Gothein wurde für die DDP Anfang Januar 1919 in die badische Nationalversammlung gewählt und setzte, auch nach deren Umwandlung in den ersten badischen Landtag durch die Volksabstimmung vom 13.4.1919, gewissermaßen die Tradition des liberalen Abgeordneten der Heidelberger Universität in der Ständekammer bis 1921 fort - dies auch insofern, als Gothein an einer allein den eigenen Überzeugungen verpflichteten Honoratiorenpolitik festhielt und sich nicht scheute, führende Parteifreunde öffentlich anzugreifen. 1919 schlug er die Übernahme des badischen Kultusministeriums aus, um nicht vollständig zum Politiker zu werden. 53 Nach 1918 ging die Zahl der dem Kommunalparlament angehörenden Hochschullehrer deutlich zurück. Im Bürgerausschuß, dem seit 1912 sechs Professoren angehört hatten, saßen seit Mai 1919 nur noch vier, nämlich Ehrenberg für die SPD, der Titularprofessor Häberle und Thoma für die DDP und der außerordentliche Professor für Innere Medizin Carl Hammer für die Vereinigten bürgerlichen Gruppen. Nach der Neuwahl im November 1922 schrumpfte ihre Zahl auf drei: zu den wiedergewählten Thoma und Häberle kam Georg Blessing (Zentrum) hinzu. Erstmals vertrat damit ein Mitglied der protestantisch geprägten Universität Heidelberg parlamentarisch die Zentrumspartei. Zusammen mit der etwa gleichzeitigen Ehrenpromotion des badischen Kultusministers Köhler durch die medizinische Fakultät, der auch Blessing als Ordinarius für Zahnmedizin angehörte, war dies sowohl ein Zeichen der Öffnung dem politischen Katholizismus als auch, wie bereits die erste Kandidatur eines Hochschullehrers für die SPD im Jahre 1919, den staatstragenden Parteien der Republik gegenüber. Die Annäherung von Teilen des Lehrkörpers an den demokratischen Sozialismus und den politischen Katholizismus bedeutete einen Ausbruch aus Frontstellungen, in denen der bildungsbürgerliche Liberalismus seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verharrt hatte. Der Linksruck unter den im Kommunalparlament vertretenen Gelehrten bei gleichzeitig abnehmender Überrepräsentation des Lehrkörpers in den politischen Führungsgremien der Stadt ist wie die unerwartet große Bereitschaft, sich parteipolitisch zu engagieren, ein Indiz für die Abwendung von der Honoratiorenpolitik und Ansätze eines modernen, parlamentarischdemokratischen Politikverständnisses. Dafür spricht auch die hohe Zahl erfolgloser Bewerbungen um Parlamentsmandate: Anschütz (DDP) und Ruge (DNVP) kandidierten für die deutsche Nationalversammlung, von Schubert (DVP) 1919 für den Bürgerausschuß und 1920 für den Reichstag,Dibelius (DDP) und Ludwig Curtius (DNVP) 1921 für den badischen Landtag und Anschütz und Dochow (beide DDP) 1922 für den Bezirksrat.54 Alfred Weber, der seit 1916 als Verbindungsmann des Reichsschatzamtes zu den politischen Parteien tatkräftig an der Parlamentarisierung des R e i ches mitgearbeitet hatte und sich in der Novemberrevolution wie in den 157 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
frühen zwanziger Jahren immer wieder für ein Zusammengehen gemäßigter Sozialdemokraten und bürgerlicher Reformkräfte gegen Monarchisten und Bolschewisten einsetzte, hatte vorübergehend von allen Heidelberger Hochschullehrern das exponierteste Parteiamt inne. Als Mitgründer der DDP übernahm er im November 1918 den provisorischen Parteivorsitz, zog sich aber bereits Anfang 1919, noch vor seinem Bruder, frustriert vom »alten Parteiklüngel« ehemaliger nationalliberaler und FVP-Funktionäre und gescheitert am eigenen honoratiorenpolitischen Selbstverständnis, zurück. Allerdings ging er nach dem Kapp-Putsch in die politisch bedeutungslose zweite Sozialisierungskommission. 55 Dem örtlichen DDP-Parteiausschuß, in dem sich Alfred Weber, vor diesem Hintergrund und überzeugt von der eigenen überregionalen politischen Bedeutung, überhaupt nicht engagierte, gehörten neben MdL Gothein die Ordinarien Dibelius und Heinsheimer an, dem örtlichen Vorstand der DNVP Ruge, der nebenberufliche Geschichtsprofessor Karl Wild und der Ordinarius für Archäologie Ludwig Curtius, der auch Mitglied des badischen Landesvorstandes war. Von Schubert (DVP) war maßgeblich an der Spaltung des badischen Liberalismus in DDP und DVP im Februar 1919 beteiligt. Auf der anderen Seite hat Alfred Weber, noch während seiner Berliner Zeit, durch seine vehemente Opposition gegen eine Zusammenarbeit mit dem als Annexionisten kompromittierten Gustav Stresemann die Einigung des deutschen Liberalismus entscheidend behindert. 56 Im Heidelberger SPD-Vorstand war Ehrenberg. Die Tendenz, daß die höherrangigen Gelehrten sich eher in liberalen Parteien, nun vor allem in der DDP, engagierten, die weniger etablierten hingegen in radikaleren Parteien sowohl der Rechten als auch der Linken, setzte sich über 1918 hinaus fort. Lederer, der vorübergehend der USPD angehörte, war 1919 Mitglied der Sozialisierungskommissionen für das Reich und Österreich. In der Annahme, die politische Macht sei dem Proletariat zugefallen, versuchte er, ökonomisch und politisch sinnvolle Vorschläge für Verstaatlichungen zu machen. Bereits 1920 zog er ein resigniertes Fazit: »Nach einem Anlauf, nach prinzipiellen Deklarationen der Bestellung einer Sozialisierungskommission ist schließlich - nichts geschehen.« 57 Oncken war als einziger der politisch aktivsten Heidelberger Hochschullehrer nicht parteipolitisch gebunden. Er stand jedoch der DVP sehr nahe. Dafür sprechen nicht nur seine inhaltlichen Positionen, sondern auch daß er seinen Vortrag »Die Wiedergeburt des großdeutschen Gedankens« der Badischen Post, dem Landesorgan der badischen DVP, als Leitartikel zur Verfügung stellte. Er hielt am stärksten an einem honoratiorenpolitischen Selbstverständnis fest. Während die meisten politisch sehr Aktiven im Lehkröper die liberale, maßgeblich von Max Weber geprägte Variante der Gelehrtenpolitik repräsentierten, für die politische Wirksamkeit in einer Demokratie die Mitgliedschaft in einer Partei voraussetzte, schloß sich 158 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Oncken, der als ehemaliger nationalliberaler Politiker keineswegs ein prinzipieller Gegner der Parteimitgliedschaft von Professoren war, in der R e p u blik keiner Partei mehr an, betätigte sich aber mit großer Wirkung als ideologischer Vordenker eines interessenrepublikanischen Konservativismus.58 Kurzzeitig politisch sehr aktiv war der außerordentliche Professors für Hygiene und Bakteriologie, Ernst Gerhard Dresel. Er war Vorstandsmitglied des »Kunst- und Kulturrates für Baden«, dem eine bunte Mischung aus Schriftstellern, bildenden Künstlern und Gelehrten (u.a. Alfed Mombert, Richard Benz, Hans Thoma, Ernst Krieck und Wilhelm von Scholz) aber kein weiterer Heidelberger Hochschullehrer angehörten. In einem Aufruf59 stellte sich der Rat im Dezember 1918 »auf den Boden des neuen sozialen Volksstaates«, vertrat die Auffassung, daß eine »wahre« und »deutsche Volkskultur« nur geschaffen werden könne, wenn breiteren Schichten der Zugang zum »kulturellen Leben« ermöglicht werde, und erklärte es als »seine Aufgabe, die erhöhte Lebensform [der Demokratie] mit geistigem Inhalt zu füllen«. Der Rat forderte »eine Wissenschaft, die nicht Erforschung und Registrierung des Wißbaren für Fachgelehrte ist, sondern die durch Wahl und Wertung den toten Wissensstoff belebt und damit der Volksgesamtheit ein anschauliches geistiges Weltbild schafft.« Dies wollte er erreichen durch »Aufklärung der Öffentlichkeit«, konkrete Reformvorschläge, »Beratung der amtlichen Stellen« und, »wenn nötig, durch Kritik und Protest«. Dresel vertrat diese Ziele als Vorsitzender des ziemlich erfolglosen universitären Reformausschusses und als Vorstandsmitglied einer gewerkschaftlichen Organisation, des Deutschen Akademischen Assistentenvereins.60 Dresels politisches Engagement, das ebenso wie Programm und Zusammensetzung des »Kulturrates« in seiner Widersprüchlichkeit »unpolitische« Züge trägt, scheint mit Abflauen der revolutionären Bewegung zuendegegangen zu sein. Das Kriegserlebnis und die Verunsicherung durch Zusammenbruch und Revolution führten nicht nur zu verstärktem politischen Engagement von Hochschullehrern, 61 sondern auch zu größerer Religiosität und intensiven Aktivitäten vor allem von Dozenten der Theologie und der Medizin innerhalb der evangelischen Kirche. Von Krehl und von Weizsäcker beteiligten sich ebenso an den öffentlichen Diskussionen über die künftige Rolle der Kirche, deren enge Bindung an den Staat nach der Revolution in Frage stand, wie neben den Theologen der Jurist Alfred Seng und der Mediziner Siebeck, der wie von Weizsäcker ein enger Mitarbeiter Krehls war. 62 Das religiöse Engagement nicht-theologischer Hochschullehrer flaute nach 1919 deutlich ab. Der aktivste SPD-Politiker im Lehrkörper, der jüdische Philosoph Ehrenberg, hatte Anfang der zwanziger Jahre ein Paulus-Erlebnis und begann eine Ausbildung zum Pastor, nach deren Abschluß im Jahre 1924 er nur noch nebenberuflich an der Universität Heidelberg lehrte. Er gehörte der Volkskirchenkommission und dem Badischen Volkskirchenbund an, 159 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
dessen Zeitung Christliches Volk (später Christliches Volksblatt) er herausgab. Der Volkskirchenbund wollte, dem religiösen Sozialismus und dem Denken Karl Barths nahestehend, Kirche und Arbeiterschaft miteinander aussöhnen. Im Laufe der Zeit nahmen bei Ehrenberg mystische Neigungen zu, und er entfernte sich mehr und mehr von der SPD und von traditioneller Wissenschaftlichkeit. 63 Der bekannteste der in den Jahren 1918 bis 1923 im rechts-putschistischen Spektrum engagierten Hochschullehrer ist der Physiker Lenard, der, aus dem Konservativismus kommend, mehr und mehr ins völkisch-nationalsozialistische Lager abdriftete. Seit 1920 bekämpfte er Öffentlich und mit rassistischen Argumenten die Einsteinsche Relativitätstheorie. 1921 rief er zu einer Spende für seinen von der Universität entfernten antisemitischen Mitstreiter Ruge auf: »Ruge hat sich in allen seinen Äußerungen als erbitterter Feind jeglicher Art von Bonzentum gezeigt. Deshalb werden seine Vorträge überall von Judenknechten vergewaltigt.« 1924 verfaßte er zusammen mit Johannes Stark, einem weiteren Träger des Physik-Nobelpreises, den Aufruf »Hitlergeist und Wissenschaft«, in dem er sich zum Nationalsozialismus bekannte und in Hitler und Ludendorff den »Kulturbringer-Geist« »arischer« Naturforscher wie Newton, Kepler oder Galilei wiederzufinden behauptete. 64 Später gab er in seiner unveröffentlichten, 1943 geschriebenen Autobiographie an, daß ihm bereits seit Ende 1919 die Reden des ersten NSDAP-Führers Drexler und Hitlers, vor allem auf der »ersten Massenversammlung der Partei« im Februar 1920, politische »Klarheit« gebracht hätten. Dieser Version aus der Zeit des Dritten Reichs stehen seine zahlreichen Spenden für das DNVP-Blatt »Deutsche Zukunft« entgegen, so daß Lenard noch bis 1922 bei der DNVP verortet werden muß. Ruges Entlassung und der Konflikt anläßlich der Rathenau-Beerdigung radikalisierten ihn dann zusehends bis zu seinem öffentlichen Bekenntnis zu Hitler im Jahre 1924. Mitglied der NSDAP wurde er jedoch erst 1937, bekam dann allerdings sogleich das goldene Ehrenabzeichen der Partei verliehen. 65 Ruge und mehrere damals noch nicht habilitierte spätere Heidelberger Hochschullehrer 66 waren Freikorpskämpfer. Daß sie alle an der medizinischen Fakultät habilitiert wurden, wirft ein Licht auf die dort besonders verbreitete Gegnerschaft zur Weimarer Republik. Zur Teilnahme am Hitler-Putsch von 1923, die angeblich nur daran scheiterte, daß er seinen Gewährsmann in München nicht antraf, bekannte sich nach 1933, also ebenso wie Lenards Autobiographie nur bedingt glaubwürdig, der Altphilologe und Volkskundler Fehrle. 67 Aktenkundig ist hingegen, daß der Historiker Gerhard Ritter am Tage des Münchener Putsches seine Lehrveranstaltung mit den Worten einleitete: »Heute wird in München Weltgeschichte gemacht. Da möchte man dabei sein, statt Kolleg zu lesen.« 68
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3. K o m m e n t i e r u n g des politischen G e s c h e h e n s 3.1, Ursachen der deutschen Niederlage Die Niederlage stürzte Hochschullehrer aller politischen Richtungen in tiefe Depressionen. Man haderte mit dem Schicksal, wollte sich mit dem Ende der Monarchie nicht abfinden und zweifelte am »Sinn der deutschen Geschichte«. 69 Ebenso wie bei den innenpolitischen Kriegszielen lassen sich hier zwei Argumentationsstränge relativ klar voneinander unterscheiden, die den Rubriken ›Orthodoxe‹ bzw. ›nationale Opposition‹ und Modernisierungsbereite bzw. ›Republikaner‹ entsprechen. Diese erklärten die Niederlage primär durch äußere Umstände wie die Unterlegenheit des deutschen politischen Systems, die Dominanz der Militärs in der Reichsleitung oder den Kriegseintritt der USA, jene hingegen durch innere Faktoren wie das ›deutsche Wesen‹ oder auch Verrat. Während die Vertreter des sozialistischen und des liberal-demokratischen bzw. des faschistischen Denkstils jeweils geschlossen einem der beiden Argumentationsgänge zuzuordnen sind, gehörten die Konservativen mehrheitlich zwar zur »nationalen Opposition‹. Es gab unter ihnen aber eine starke interessenrepublikanische Minderheit, die mit der DDP sympathisierte und in den Fragen, in denen sich überhaupt zwei klar unterscheidbare Lager gegenüberstanden, zu den M o dernisierungsbereiten zählte. Für den germanistischen Ordinarius Panzer stand unter »den Ursachen unserer furchtbaren Niederlage ... ein unerträglicher Mangel an Nationalgefiihl in erster Reihe«. Ähnlich äußerten sich weitere zur ›nationalen Opposition‹ zählende Konservative wie der Geograph Hettner, der Althistoriker Alfred von Domaszewski und die Neuhistoriker Ferdinand Fehling und Baethgen, die zudem von deutscher »Staatsverdrossenheit« sprachen. Der Archäologe Curtius und der Kirchenhistoriker von Schubert führten die Niederlage auf zu große Uneinigkeit zurück. 70 Den geringen Realitätsbezug des konservativ-›orthodoxen‹ Denkens verdeutlichen häufig wiederkehrende Formulierungen, die Niederlage sei »unerwartet« oder »in jähem Umschlag« »hereingebrochen« und die Nation »über Nacht in einen Abgrund gestürzt«. 71 Über 1918 hinaus hielten die Konservativen an von der konkreten historischen Situation weitgehend losgelösten Erklärungsmustern fest. Das als ursächlich für die Niederlage angesehene mangelnde Staatsgefühl sahen sie als »ein uraltes Erbübel unseres Volkes« (Panzer) bzw. »seit jeher« zum »deutschen Wesen« gehörend (Hettner). Die angeblichen deutschen Wesenszüge, von »Individualisierung, verhärtetem Parteiendoktrinarismus und Partikularismus« bis hin zu »geistiger Allempfänglichkeit«, 72 die man seit 1914 für überwunden gehalten hatte, sollten nun wiederum die unerwünschte und unerwartete Entwicklung erklären. Die meisten Konservativen richteten den Vorwurf mangelnden »National- und Staatsge161 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
fühls« keineswegs einseitig an die Reichstagsmehrheit, die Sozialdemokratie oder die Arbeiter. Alle konservativen Heidelberger Hochschullehrer, die sich zu den Ursachen der deutschen Niederlage öffentlich äußerten, schalten die Politiker der wilhelminischen Ära, die die »Schöpfung Bismarcks« verspielt hätten. Kritik an deutschen Militärs wird man bei ihnen allerdings vergeblich suchen. In der Schußlinie standen für die DNVPSympathisanten Panzer, Baethgen und Fehling wie auch für den aus der DNVP ausgeschlossenen Ruge vor allem die »Träger und Stützen« des »System Bethmann-Hollweg«, bei denen etwa für Fehling »die Hauptverantwortung für den inneren Zusammenbruch Deutschlands« lag. Ihnen lastete man sowohl die ungünstige Mächtekonstellation 1914 als auch »Ängstlichkeit« und »vergrämte Zweifel« während der ersten Kriegsjahre an und hielt damit die politischen Fronten aus der Kriegszeit aufrecht, hatten doch 1917 die Heeresleitung und die »Annexionisten« den Rücktritt des liberal-imperialistischen Bethmann erzwungen. 73 Allerdings wäre es ein Mißverständnis, allen Konservativen nun eine Argumentation im Sinne der »Dolchstoßlegende« zu unterstellen, die zu häufig als Erklärung für die Feindschaft der ›nationalen Opposition‹ gegen die Weimarer Republik herhalten muß. Der Terminus »Dolchstoß« und die damit verbundene Argumentationsweise sind bei einem Heidelberger Hochschullehrer zuerst im November 1933 nachzuweisen. 74 Recht selten finden sich zu Beginn der zwanziger Jahre einseitige Schuldzuweisungen an oppositionelle Politiker des Kaiserreichs, spätere Republikaner oder Vertreter der Arbeiterbewegung. Fehling etwa war der »festen Überzeugung, daß die Hauptschuldigen an diesem schmachvollen Ausgang einer unvergleichlichen vaterländischen Erhebung im Lager der Machthaber von heute sitzen«. Ähnlich äußerten sich von Jagemann und Domaszewski. 75 Von Schubert stempelte allein die SPD zum Sündenbock, die »dem Druck der Schwärmer und Schreier nach[gab], ... die Nation durch den inneren Zusammenbruch von Recht und Ordnung wehrlos [machte] und den Sieg der Feinde« 76 vollendet habe. Hettner kam dem Bild vom Dolchstoß am nächsten, wenn er von der »frevelhaften« bzw. »schmachvollen Revolution im Rücken unseres Heeres« schrieb. 77 Daß die extremsten und am deutlichsten von politischen Feindbildern geprägten Äußerungen von nationalliberalen, nun der DVP angehörenden bzw. nahestehenden Ordinarien wie von Schubert und Hettner kamen, also von Gelehrten, die innerhalb der ›nationalen Opposition zum gemäßigten Flügel gehörten, führt zu zwei Folgerungen. Erstens verlief die Scheidelinie zwischen ›Republikanern‹ und ›nationaler Opposition‹ im Heidelberger Lehrkörper mitten durch das Lager der ehemaligen Nationalliberalen. Die Anhänger der DVP unterschieden sich nur in Nuancen von denen der DNVP, aber in zentralen Fragen von ihren zur DDP gegangenen früheren Parteifreunden. Zweitens stellten die Äußerungen einiger DVP-Sympathisanten auch deshalb oft ein Extrem dar, weil die faschistisch oder extrem konservativ 162 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
denkenden Gelehrten sich in den ersten Jahren der Republik kaum öffentlich äußerten. Die umfassendste der insgesamt wenigen 78 Erklärungen modernisierungswilliger Heidelberger Hochschullehrer für die deutsche Niederlage kam von Oncken, einem typischen konservativen Interessenrepublikaner. Gleich in den ersten Sätzen seines Aufsatzes »Die inneren Ursachen der Revolution«, der bereits 1918 in einer dem rechten SPD-Flügel nahestehenden Zeitschrift erschienen, kam er auf das für die politischen Publikationen der Heidelberger Gelehrten insbesondere während des Krieges so typische Wunschdenken zu sprechen. Mit dem selbstkritischen Geständnis, »daß auch wir ... uns von Illusionen nicht haben losmachen können, ja vielleicht nicht haben losmachen wollen«, begab er sich von vornherein auf ein höheres Reflexionsniveau als die meisten ›Orthodoxen‹. Anfang 1917 habe noch die Möglichkeit zu einem »unentschiedenen Ausgang« des Krieges bestanden, aber die deutsche Führung habe »auf eine höchst unsichere Rechnung hin ein neues ungeheures, zugleich materielles und moralisches Risiko auf sich genommen«, indem sie den uneingeschränkten U-Bootkrieg begann und damit den Kriegseintritt der USA »mit ihren unverbrauchten militärischen Kräften und unerschöpflichen wirtschaftlichen R e serven«79 provozierte. Oncken führte diese Fehlentscheidungen darauf zurück, daß in Deutschland ein Primat der militärischen vor der politischen Führung bestanden und der Kaiser »mehr und mehr versagt« habe. 80 Deshalb sei auch eine erneute »Revolution von oben«, ein Ausgleich der sozialen Spannungen durch eine Wahlrechtsreform und die Parlamentarisierung der Reichsleitung, verpaßt worden. Stattdessen habe »Tirpitz, der Mann des Unheils«, auch noch die Vaterlandspartei geschaffen, die die Regierung unter zusätzlichen Druck von rechts setzte und die sozialen Spannungen verschärfte.81 Dieser »Kettenreihe gescheiterter Aktionen« des wilhelminischen Systems, die schließlich zur Niederlage geführt habe, stellten Oncken und mehrere andere Hochschullehrer bis hinein ins Lager der ›nationalen Opposition‹ Bismarcks Politik als Vorbild gegenüber. Einem in ihrer Publizistik sehr verbreiteten, auf Max Weber zurückgehenden Topos zufolge hatten die weniger begabten Nachfolger des »politischen Genies« Bismarck dessen »Geschenk«, die Reichseinigung, leichtfertig aufs Spiel gesetzt. In der liberalen Version dieser Argumentation fehlte in der Regel nicht der Hinweis auf die »konstruktiven Rückständigkeiten« der Bismarckschen Reichsverfassung, die auf den »altpreußisch-autoritären Geist« zurückzuführen seien. Sein »Genie« wurde in dieser Variante durchaus ambivalent gesehen. Durch Bismarcks überragende Größe habe sich das Bürgertum entmündigen lassen, sei das Parlament verkümmert und habe »als Auslesefilter für die politische Führerschaft« versagt. In zugespitzter Form übte Anschütz in seiner auf heftige Proteste von Studenten und Kollegen stoßenden R e k t o ratsrede Kritik am politischen System der wilhelminischen Ära: Der Krieg 163 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
sei »geradezu eine Kraftprobe zwischen der demokratischen und der autoritär-monarchischen Staatsform« gewesen, in der »die demokratischen Westmächte in jeder Beziehung die Stärkeren« waren. 82 Ohne Bethmann Hollweg, der ihnen als Person vielfach suspekt war, zu verteidigen, stellten sich die republikfreundlichen Hochschullehrer mit ihrer Argumentation in dem Grundkonflikt der Kriegszeit zwischen der politischen und der militärischen Führung auf die entgegengesetzte Seite wie ihre ›orthodoxen‹ Kollegen. Hatten diese für den Primat des Militärs optiert, so sahen jene gerade darin ein Strukturproblem des alten Regimes und nun die Hauptursache für die Niederlage. Die Frontlinie, die sich in Resolutionen für Bethmann Hollweg und gegen die Friedensentschließung des Reichstags 1916/17 im Heidelberger Lehrkörper abgezeichnet hatte, findet sich also auch in der nachträglichen Bewertung der Politik im Weltkrieg. Dennoch läßt sich die in dieser Frage bestehende Konfrontation nicht auf anderere politische Fragen übertragen. Gegner in der Auseinandersetzung über den Primat der politischen oder militärischen Führung im Weltkrieg standen sich in anderen Punkten, etwa ihren parteipolitischen Präferenzen, häufig sehr nahe. Über ihre Erklärungsversuche der deutschen Niederlage hinaus versuchten viele Professoren auf fachspezifische Weise zur Überwindung von deren Folgen beizutragen. Historiker verwiesen auf vorangegangene Tiefpunkte (Westfälischer Frieden, Verwüstung der Pfalz, Frieden von Tilsit) und ein spezifisches »Auf und Ab« in der deutschen Geschichte, das für die Zukunft hoffen lasse. Die Mitglieder und Sympathisanten der »Gesellschaft für deutsche Bildung« (vgl. Tab. 1 im Anhang) rieten zu größerem »Verständnis für Heimat und Volkstum« und mehr »deutscher Bildung«, um dem angeblichen Mangel an Nationalgefühl abzuhelfen.
3.2. Die Novemberrevolution Der Begriff der Revolution spielte im politischen Denken der Heidelberger Hochschullehrer eine wichtige Rolle. Eine meist diffus als »geistige« bezeichnete Revolution war für viele von ihnen das Ziel ihrer politischen Wünsche. 83 Ihr Urteil über die Novemberrevolution war jedoch zunächst durchweg negativ. Einzig die sozialistischen Professoren Lederer (USPD/ Nationalökonomie) und Ehrenberg (SPD/Philosophie) sowie der im »Rat der geistigen Arbeiter« engagierte, aber eher konservative Philosoph Schmid Noerr bewerteten sie zumindest neutral. Lederer sah in ihr eine »große Volksbewegung«, eine »Revolution des Proletariats, die aus der Revolte des Militärs emporgewachsen« sei.84 Ehrenberg stellte sich sogar explizit in die Reihen der »Revolutionäre« — wenn auch auf seine eigene schwärmerische Weise: »Wir ergreifen Partei an der Seite des Revolutionärs, aber nicht als Revolutionäre sondern als Christen.« In schroffem Antimilitarismus stand 164 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
für ihn der als »Geisel [sic!] Gottes wütende« Revolutionär »dem göttlichen Willen näher als der Kriegsheld«. Als radikaler Vertreter der Ansicht, daß nur durch das Erleiden der Katastrophe eine Läuterung eintreten könne, sah er als einziger auch Positives in der deutschen Niederlage. 85 Auch wenn es in Heidelberg im Gegensatz zu anderen Universitäten 86 immerhin einzelne Hochschullehrer gab, die die Novemberrevolution nicht in Bausch und Bogen verdammten, reichte für die große Mehrheit im Lehrkörper gleichwohl die Skala der Bewertungen nur von einer Ablehnung, die den Revolutionären keine bösen Absichten unterstellte, bis hin zum Vorwurf des Hochverrats und puren Egoismus. Während bei Andreas, zu Dohna, Gothein, Niebergall und auch Gundolf von einer »unglückseligen Revolution« 87 oder vom »tollsten Karneval ... vor einer großen und schrecklichen Fasten- und Leidenszeit« 88 die Rede ist, hatte für antirepublikanisch-konservative Gelehrte eine Zeit der »Schmach und Schande« (Fehling, Hettner) begonnen. Die »frevelhafte« (Hettner), »erbärmliche« (L. Curtius) Revolution war für sie das Werk von »zu 90 % politischen Hyänen oder Freibeutern« (Ritter). In den Soldatenräten hätten »vielfach moralisch tiefstehende, zum erheblichen Teil vorbestrafte Neurotiker eifrig mitgearbeitet«, urteilte der Psychiater Karl Wilmanns. Ruge sah in der Revolution ein »unglaublich gewagtes Lotteriespiel, das von Anfang an in bösen Händen war, die nicht die Spur von Geist, von warmem Volksempfinden, von idealen, von Mitleid mitbrachten. Ein einziger großer Betrug ..., verbunden mit fabelhaftem Anschwellen der Taschen derer, die sich als Hüter und Schöpfer der ›Freiheit‹ aufwarfen und Treue, Zucht, Zuversicht, Gottvertrauen, Sitte, Waffenehre,Vaterland über Bord beförderten.« 89 Der Jurist von Jagemann schließlich, den liberale Kollegen bereits vor dem Krieg einen »Staatsstreichrechtler« genannt hatten, bezeichnete die Revolutionäre als »die manifesten Hochverräter von 1918«. 90 Hinter solchen Bewertungen der Revolutionäre stand ebenso wie hinter den konservativen Äußerungen zu den Kriegsursachen immer eine Verschwörungstheorie. 91 Hochschullehrer, die sich mit der Republik abfanden oder sie gar begrüßten, erklärten die Revolution nicht so sehr aus sich selbst heraus, sondern aus ihrer Vorgeschichte, dem Zusammenbruch des alten Regimes. Bereits am 6. November 1918, also noch vor der eigentlichen Revolution, hatte Alfred Weber in einem Artikel, in dem er das Programm der R e g i e rung Max von Baden kritisierte, festgestellt: »Es ist nicht nur ein Autoritätszusammenbruch der alten militärischen, autokratischen und bürokratischen Gewalten eingetreten... Wir stehen auch vor einem unerhörten Prestigeverlust aller anderen an der bisherigen Politik irgendwie beteiligten Kräfte«. Dazu zählte er auch die Wissenschaft und die oppositionellen Parteien. 92 Oncken sah »die inneren Ursachen der Revolution« vor allem darin, daß »militärische Kreise und die zum Teil demagogisch entartete Presse« erst »die Stellung des Reichskanzlers Bethmann Hollweg unterminierten«, anschließend die Reichstagsmehrheit diskreditierten, in deren Lager »der 165 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
bessere, weil einsichtigere Patriotismus zu finden« gewesen sei, und dadurch »die für unsere moralische Einheit unentbehrliche Autorität des Reichstages« zerstörten. »Als wenn in solchen Zeiten sich das Kapital an politischer Autorität und innerem Zusammenhalt in einem Volke ungestraft verwüsten ließe - als wenn solche Demagogie von rechts nicht eines Tages, wenn die Schranken fielen, eine ganz und gar autoritätsfeindliche Demagogie von links entfesseln mußte!« Für Alfred Weber, Oncken und Lederer hatte auch die ehemalige Opposition und sogar die SPD durch die Hetze der Vaterlandspartei und der ihr nahestehenden Presse, der Militärs und nicht zuletzt vieler Professoren ihre Autorität in der Bevölkerung verloren. Oncken nannte als weitere Revolutionsursachen die zweifelhaften Folgen des während des Krieges auch von ihm gefeierten Volksheeres (»gab es doch im Innern bald Hunderttausende von Bewaffneten, die Gegner der bisherigen Gesellschaftsordnung waren«), die Diskrepanz zwischen dem Sold im Heer und den »Phantasielöhnen« der Rüstungsarbeiter, die allgemeine Verrohung durch den Krieg und die russische Revolution (»ein furchtbares Vorbild für die Extremen, das ihnen ihre Macht und den Weg dazu zeigte«). Schließlich habe »das plötzliche Geständnis der Heeresleitung, daß der Krieg verloren sei, [zum] Zusammenknallen eines luftigen Illusionsgebäudes« geführt. 93 Selbst Lederer ging nicht davon aus, daß es in Deutschland ein revolutionäres Proletariat gab, das diese Revolution gewollt hatte und jetzt durchführte. Bereits im November 1918 stellte er fest: Nach dem überraschenden Zusammenbruch des alten Regimes »sehnte sich die Masse offenkundig nach einer bildhaften Parole. Nur der Sozialismus war fähig, sie ihr zu bieten... In den Sozialismus hat sich daher die ganze Massenbewegung geflüchtet.« Für Lederer bedeutete die dem politischen Bewußtsein nicht entsprechende Radikalisierung sogar die Gefahr, daß ein »ebenso trüber« Verlauf drohe wie in Rußland. Die Revolutionäre seien zu mißtrauisch gegenüber SPD und Gewerkschaften, verbittert über deren Kollaboration mit dem alten Regime und über den »Militarismus allüberall im Volke«. Zudem hätten lange Haftzeiten sie verhärtet. So übernähmen sie »dumpfe Vorstellungen von einer finstern diktatorischen Gewalt des Proletariats über die anderen Klassen ..., welche in Rußland in einer ganz eigenartigen geschichtlichen Situation entstanden waren«. 94 So zutreffend Lederer die Mentalität der Spartakisten bewertete, übersah er doch, daß die Vorstellung von der »Diktatur des Proletariats« als notwendige Übergangsphase zum Kommunismus aus dem Kommunistischen Manifest stammt und keine »dumpfe« Erfindung der russischen Revolution war. Insgesamt waren sich die republikanischen Universitätslehrer von Anfang an darin einig, daß die Revolution »nicht mit Unvermeidlichkeit aus immanenten Notwendigkeiten hervorgegangen« war, »sondern in einer bestimmten außergewöhnlichen Situation« wurzelte, die »sich hätte vermeiden lassen«. »Das Alte ist gestürzt, vor allem doch weil es unhaltbar 166 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
war.« 95 Es handelte sich also 1918 in den Augen liberaler, sozialistischer und einzelner konservativer Hochschullehrer nicht um eine Revolution, sondern um den selbstverschuldeten Zusammenbruch eines reformunfähigen Systems. Die Radikalität des Umsturzes beruhte für sie in erster Linie darauf, daß die frühere Opposition zu sehr in das alte System integriert war und daher bei den enttäuschten Massen nicht mehr genügend Vertrauen fand. 96 An diesem Punkt hätte den Gelehrten die Widersinnigkeit ihres immerwährenden Wunsches nach »Einheit der Nation« klar werden können, der Teil der Starrheit des alten Systems war und in dynamischen, modernen Gesellschaften zu nicht mehr reformierbaren Zuständen führt. Über die Folgen des Zusammenbruchs herrschte Übereinstimmung quer zur politischen Grundhaltung der Autoren. »Sowohl die neue Rechtsordnung des Krieges [löste] sich auf als auch die alte Rechtsordnung des Friedens. Aus dieser Auflösung grinste uns das Chaos an«, schilderte von Schubert seine Empfindungen. Die Folge sei »eine schlechthin unsittliche Atmosphäre, in der Mißtrauen, Eigennutz und Opportunismus gediehen« 97 — dies erinnert an den Karnevalsvergleich von Niebergall und Max Weber. In typisch konservativer Metaphorik war es für zu Dohna »der Fluch jeder Revolution, daß sie die Dämme einreißt, innerhalb deren der Strom des nationalen Lebens befruchtend daherfließt.« 98 Ähnlich sahen auch liberaldemokratische und sozialistische Autoren wie Gothein, Niebergall und Lederer die Auswirkungen des Umsturzes. 99 Das Chaos der Revolution ließ einige Hochschullehrer mit einem Hang zu apokalyptischer Prophetie wie 1914 hoffen, daß diese Krise nun endlich der Beginn der ersehnten neuen Zeit sei. Niebergall sah eine »neue Weltperiode«, das »proletarische Zeitalter«, aufbrechen, Ehrenberg den Anfang einer »geistigen Revolution« und »des Kampfes des Kapitalismus mit dem Sozialismus«. Etwas nüchterner konstatierten Alfred Weber und Lederer den Eintritt in eine neue »Epoche«, das »demokratische Zeitalter«. 100 Als das größte Durcheinander vorbei war, stellte einzig Lederer selbstkritisch fest, daß seine Bewertung der Revolution und mehr noch die seiner Kollegen ein Zeichen dafür sei, daß »der deutsche Intellektuelle stumpf und blind für die sozialökonomischen Realitäten, ihre Wandlungen und Krisen, ihre Möglichkeiten und Notwendigkeiten« sei. »Er sieht ein Chaos, wo schon neue soziale Kräfte am Werke sind.« Im Laufe der zwanziger Jahre kamen durch Habilitationen und Berufungen Personen in den Lehrkörper, die in die Revolution mehr Hoffnungen gesetzt hatten als ihre 1918/19 in Heidelberg lehrenden Kollegen. In ihren Publikationen beklagten sie, etwa von Eckardt, das Scheitern der Novemberrevolution oder sprachen ihr gar jede revolutionäre Wirkung ab, wie der sozialistische Privatdozent Emil Julius Gumbel, der erklärte: »In Deutschland gab es nach dem Krieg keine Revolution, wohl aber eine Konterrevolution. Was gemeinhin als Revolution bezeichnet wird, ist nur die Tatsache, daß am 9. November 1918 sämtliche Monarchen aus Angst vor einer Revolution davonliefen... In das entstandene Loch trat als Träger der offizi167 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
eilen Gewalt das Heer, vertreten durch die Soldatenräte. Sie delegierten ihre Macht an die Nationalversammlung und begingen dadurch Selbstmord.« In diesem Anfangsfehler war für Gumbel die Schwäche der R e p u blik angelegt. Die Revolutionäre hätten es versäumt, »nach altpreußischen Prinzipien den Staat restlos für sich in Anspruch« zu nehmen. 101 Welche der vorgestellten Bewertungen der Novemberrevolution man nimmt, keine konnte zur Identifikation mit dem neuen politischen System führen. Die schlechten Meinungen über dessen Geburtsstunde präjudizierten seine weitere Beurteilung durch die Gelehrten. Trotzdem sahen viele Hochschullehrer, darunter auch Konservative, mit zunehmendem Abstand die Revolution nicht mehr ausschließlich als Katastrophe und Tiefpunkt in der deutschen Geschichte. So der deutschnationale Historiker Baethgen: »In allem Jammer und aller Not unserer Tage ist es ein heller Lichtblick, daß wir eines durch den Zusammenbruch hindurchgerettet haben - das höchste Gut unsres nationalen Lebens, die staatliche Einheit.« Und sein Parteifreund Ludwig Curtius meinte: »Wer in den Ereignissen nur die Katastrophe sieht, der irrt doch. Er übersieht, daß sich in der entsetzlichen Erschütterung unseres Staates auch seine Stärke bewahrt hat, die Frucht der Entwicklung des 19. Jahrhunderts, deren er in keiner früheren Epoche unserer Geschichte fähig gewesen war.« Denn Deutschland sei »entgegen allen französischen Plänen nach 1918 ein Staat geblieben.« 102 Daraus folgte allerdings eine rein negative Legitimation für die Republik, die als kleineres Übel und nicht als positive Leistung oder notwendige Entwicklung hin zur Demokratie oder zur Verwirklichung der Bürgerrechte aufgefaßt wurde. Infolgedessen mußten die Republik und ihre Verfassung nach der Beseitigung der akuten Not und der Abwendung der »bolschewistischen Gefahr« wieder zur Disposition stehen. Hellpach beschrieb 1928 in seiner »Politischen Prognose« die Novemberrevolution gar als historischen Erfolg - wenn auch nicht aus der Perspektive der Revolutionäre, die »von den Führern bis zur Masse zum Handeln und gar zum Wirken sich als gänzlich unfähig« erwiesen hätten. Daß niemand für das alte Regime eingetreten sei, habe zur »Selbstveraschung« des revolutionären Feuers geführt. Statt des befürchteten Terrors sei das »Mirakel des deutschen Volkes« geschehen. »Dem schlechthin staatsgewöhnten und staatswilligen Altbeamtentum reichte ein schlechthin ordnungsgewöhnter und ordnungswilliger Gewerkschaftssozialismus unverabredet, aber desto wirkungsvoller die Hand.« Das Jahr 1918/19 habe zur Vereinheitlichung des Volkes beigetragen, da es »in allen seinen Schichten hungerte und fror, erschöpft und verzagt, zerbrochen und verworren war.«103 Es gehört zu den Charakteristika des politischen Denkens der Heidelberger Universitätslehrer wie überhaupt weiter Kreise des Bürgertums in der Weimarer Republik, daß die meisten die Erfahrung von Niederlage, Zusammenbruch und Revolution nicht auf Hellpachs, bei allem verbalen Pathos nüchterne und realistische Weise fruchtbar machen konnten, son168 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
dern starr an der Vorstellung einer Wiederherstellbarkeit des Vorkriegsregimes festhielten. Hellpachs wechselnde Kommentierung der Novemberrevolution macht deutlich, daß eine ruhigere politisch-gesellschaftliche Entwicklung in der Weimarer Republik einer solchen Verarbeitung förderlich gewesen wäre: Während er die Revolutionszeit in den relativ stabilen Jahren der Republik positiv beschrieb, sah er sie 1930, in der neuen politischen und wirtschaftlichen Krise, nur noch negativ. 104 3.3 Der Versailler Vertrag und seine Folgen Max Weber hatte bereits 1916 »überaus schändliche Friedensbedingungen« für den Fall einer deutschen Niederlage prophezeit. Das hinderte allerdings weder ihn noch seine Heidelberger Ex-Kollegen daran, sich, als die Vorhersage eintraf, auf das Heftigste darüber zu empören. Den meisten gelang es, zumal Deutschland eine Eroberung wie im Zweiten Weltkrieg erspart blieb, mit Formeln wie »im Felde unbesiegt«, 105 die Tatsache zu verdrängen, daß das Reich eine totale Niederlage erlitten hatte. Der Historiker Ritter etwa bezeichnete in einem Aufsatz von 1922 die Franzosen nur in Anführungsstrichen als »Sieger«, um auszudrücken, daß sie »ganz vergessen haben, wieviel von ihrem unechten R u h m e sie fremder Hilfe verdanken.« 106 Einhelliger noch als die Novemberrevolution lehnten die Heidelberger Universitätslehrer den Versailler Vertrag ab. Es ist keine einzige positive Äußerung zu diesem Thema zu verzeichnen. Wie insgesamt in der R e p u blik gehörte der Kampf gegen den Vertrag und die Forderung nach seiner Revision zum schmalen politischen Grundkonsens im Lehrkörper. U m die Fülle der ablehnenden Bewertungen des Versailler Vertrages zu strukturieren, gibt folgende Liste für die wichtigsten Topoi in chronologischer R e i henfolge an, wer sie in welchem Jahr verwandte. Diktat: Lederer (19), Endemann (19), Anschütz (22), Gumbel (24), Andreas (24/31), Weber (25), Kaden (25), Radbruch (28/29), Hellpach (29), Mitteis (29), Heinsheimer (29), C.Neumann (29), Jaspers (31), Brinkmann (32), Güntert (33), Schmitthenner (33/34/35), Fehrle (34), Raumer (35)107 Gewaltfriede u.ä.: Bartholomae (19), Hettner (19), Ruge (19), Endemann (19), Fehling (20), Boll (21), Oncken (21), Dohna (22), Andreas (25/32/34), Panzer (27), Hettner (29), Schmitthenner (30/33)108 Versklavung u.ä.: Endemann (19), Boll (20/21), Niebergall (20), Ritter (20/21), Gothein (21), Oncken (21), A. Weber (21/23), Anschütz (22), Krehl (22), Andreas (24/31/34), Dohna (25), Panzer (25), Hettner (29), Salz (30), Wendland (33/34), Schmitthenner (33/35)109 Todesdrohung für Deutschland: Boll (20), Oncken (21), Ritter (22), C. Neumann (28), Hellpach (30), Gundel (33), Raumer (33/34), Odenwald (34)110 verbrecherisch: Boll (20), Salz (30), Schmitthenner (33)111 Betrug: Hettner (19), Endemann (19), Schubert (20), Boll (20), Oncken (21), Dohna (23), Thoma (28), Mitteis (29), Schmitthenner (30), Andreas (32)112 169 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Erpressung: Endemann (19), Oncken (21), A. Weber (22), Schmitthenner (33), Raumer (33)113 ungerecht: Fehling (20), Dohna (21), Baethgen (23), Meister (23/30), Gumbel (24), Thoma (24/28), Kaden (25), Mitteis (26), Radbruch (29), Heinsheimer (29), Hettner (29), Andreas (31/32/33), Hellpach (33), Güntert (33), Bergsträsser (34)114 unmenschlich, entwürdigend: Fehling (20), Oncken (21), Anschütz (22), Ehrenberg (23),A. Weber (23), Gumbel (23), Panzer (25), Hellpach (33), Schmitthenner (35)115 Schande, Schmach, Demütigung, Verhöhnung: Endemann (19), Fehling (20), Hampe (21), Anschütz (22), Ehrenberg (23), Panzer (25), Mitteis (26/29), Hellpach (30), Andreas (33), Schmitthenner (33/35)116 Rache, Strafe: Endemann (19), Andreas (30), Schmitthenner (33), Fehrle (34)117 unerfüllbar, maßlos, überspannt: Lederer (19), Hettner (19), Boll (20), Kaden (25), Andreas (25/31)118 Unglück, Unheil: Gumbel (23/24/25), Eckardt (27), Andreas (31) kein Friedensvertrag: Endemann (19), Schubert (20), Oncken (22), C.Neumann (23), Dohna (23), Gothein (23), Meister (25), Jagemann (25), Mitteis (26), Salz (30), Andreas (30/31/33), A. Weber (31/35), Gundel (33), Schmitthenner (33), Rickert (33), Teske (34), Güntert (34)120 Unter den mehr als fünfzig Hochschullehrern, deren weit über hundert negative Äüßerungen zum Versailler Vertrag hier zusammengefaßt sind, finden sich Vertreter sämtlicher politischer Strömungen. Von den regelmäßig politisch Publizierenden fehlen in dieser Liste Ernst Robert Curtius, Jellinek, Mannheim, von Weizsäcker, Dibelius und Holborn. Während die vier Erstgenannten sich überhaupt nicht zu Versailles äußerten, gibt es von den beiden letzteren kritische Äußerungen zum Friedensvertrag. Sie enthielten sich aber jeglicher klischeehafter Argumentation und verwendeten nicht die angeführten Topoi. Zeitlich verteilen sich die aufgelisteten Äußerungen erwartungsgemäß. Nach einer ersten Welle der Empörung 1919/20 unmittelbar nach Vertragsabschluß ging die Zahl der Äußerungen 1921/22 etwas zurück, um 1923, dem Jahr der französischen Ruhrbesetzung, und 1925, als sich die deutsche Öffentlichkeit über die Entwaffnungsnote der Alliierten empörte, neue Höhepunkte zu erreichen. Die dreizehn Äußerungen des Jahres 1925 standen allerdings im Gegensatz zu denen der vorhergehenden Jahre großenteils in abwägenden Kontexten. In diesem Jahr wurden erste Resumees der Nachkriegszeit gezogen. Nach dem Abbau der Spannungen in Europa, der zwischen August 1925 und September 1926 zur Räumung Düsseldorfs, Duisburgs und der Kölner Zone, zum Abschluß des Vertrages von Locarno und zur Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund führte, 121 sind 1926-28 insgesamt nur zehn Verwendungen der ablehnenden Topoi zu registrieren. 1929, als sich der Vertragsabschluß zum zehnten Mal jährte und das Volksbegehren gegen den Young-Plan stattfand, ist ein erneuter Anstieg zu verzeichnen, der sich 1930, u.a. wegen zahlreicher universitärer Veranstaltungen anläßlich der Räumung des Rheinlandes, fortsetzte. 1931 und 1932, als 170 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
die Innenpolitik im Vordergrund der Diskussion stand, flaute das Interesse an Versailles wiederum deutlich ab, um nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933/34 auf einen neuen Höhepunkt zu klettern. W ä h rend die Zahl der Äußerungen zu Versailles bis zum Ende der zwanziger Jahre also in direkter Beziehung zur außenpolitischen Situation steht, ist sie in der Phase der nationalsozialistischen Machtergreifung allein aus der innenpolitischen Auseinandersetzung heraus zu erklären. Für die im Aufwind befindliche ›nationale‹ Rechte gehörte Versailles zu den bevorzugten Themen, auf ihren Kundgebungen fiel ein großer Teil der oben registrierten Klischees der Jahre 1930-1935. In dieser Zeit und bei diesen Gelegenheiten traten die aggressiveren Topoi in den Vordergrund. Verteilte sich in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre die Verwendung ablehnender Topoi ziemlich gleichmäßig auf die politischen Richtungen im Lehrkörper, so verwandten ab 1930, nachdem viele Bestimmungen gemildert und die Spannungen in Europa insgesamt abgebaut worden waren, fast nur noch konservativ und faschistisch denkende Hochschullehrer die angeführten Topoi. Im ganzen Untersuchungszeitraum kommen die drastischeren wie »Gewaltfrieden« und »Versklavung« ohnehin nie bei Sozialisten und selten bei Liberalen vor. Der Hinweis auf die Unmenschlichkeit und das Entwürdigende der Vertragsbestimmungen, sowie die These, dies sei kein Friedensvertrag, sondern die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, fanden sich besonders häufig in den Publikationen von 1923, auf dem Höhepunkt der französischen Sanktionen gegen Deutschland und der häufig ebenfalls aufVersailles zurückgeführten Inflation. Der Aspekt der Unerfüllbarkeit des Vertrages trat ebenfalls, nachdem die Alliierten in wesentlichen Punkten nachgegeben hatten, ab 1926 deutlich in den Hintergrund. Der heute bekannteste Topos »Versailler Diktat« hingegen setzte sich erst mit der Zeit durch. Vor 1924 tauchte er selten auf. Als wie einschneidend die Vertragsbestimmungen empfunden wurden, vor allem bevor die deutsche Regierung deutliche Abstriche erreichen konnte, zeigt sich darin, mit welchen historischen Ereignissen Heidelberger Hochschullehrer sie verglichen. Wegen des »betrügerischen« Bruchs der Wilsonschen Vierzehn Punkte kam für Oncken der Friedensschluß der Zerstörung Karthagos gleich. Andere assoziierten gar die ägyptischen Plagen, die Zerstörung Jerusalems etc. 122 Die Empörung betraf im einzelnen sechs Hauptpunkte: Erstens fühlte man sich betrogen, da die Waffenstillstandsbestimmungen und insbesondere die Vierzehn Punkte, an die man sich in der ersten Hälfte des Jahres 1919 wie an einen Strohhalm geklammert hatte, 123 nicht dem Friedensschluß zugrundegelegt worden waren. Zweitens empfand man die Festschreibung der deutschen Alleinschuld am Kriegsausbruch in Artikel 231 als unzulässig und unzutreffend. 124 Drittens akzeptierte man die Abtretung deutschen Territoriums im Osten nicht, während man sich mit dem Verlust Elsaß-Lothringens im allgemeinen abfand, wobei die Liberalen dies 171 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ausdrücklich formulierten, die Konservativen hingegen stillschweigend hinnahmen. 125 Viertens stieß man sich an der durch den Vertrag eingeschränkten Souveränität des Reiches, die sich in der Entwaffnung, der Beschränkung auf ein kleines Heer 126 und im Verbot des Zusammenschlusses mit Österreich äußerte. 127 Man beurteilte dies als Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes, das von den Siegern immer dann ins Feld geführt worden sei, als es um die Schaffung neuer Staaten auf Kosten Deutschlands, Österreich-Ungarns und Rußlands ging. »In jedem Teil Asiens, Amerikas und Australiens gelten heute die Menschenrechte und das Völkerrecht mehr« als in den besiegten Ländern Europas, meinte Alfred Weber. Deutschland werde »auf 42 Jahre ein Pariavolk sein, das anderen dienen und verstoßen werden soll in eine Rolle ..., wie sie etwa bisher die Türkei hatte«, kritisierte Gothein den Friedensvertrag. Der abschätzige Vergleich mit der Türkei, immerhin einer der wenigen deutschen Verbündeten im Weltkrieg, wie der Hinweis Anschütz', der Vertrag sei »nichtswürdiger als irgendeiner, der j e einer großen Nation abgezwungen wurde«, 128 verdeutlichen einmal mehr, daß es im Denken der Hochschullehrer gravierende Unterschiede gab zwischen den Rechten und Pflichten der Großmächte einerseits und der übrigen Staaten, insbesondere der Kolonien und Halbkolonien andererseits. Die Ursachen und Auswirkungen des deutschen Souveränitätsverlustes, den alle Heidelberger Hochschullehrer gleichermaßen bedauerten und als Manko des neuen Staates empfanden, sahen sie j e nach politischem Standort völlig unterschiedlich. Ruge bezeichnete die Revolution als deren Verursacherin. Dagegen empfanden Alfred Weber, Anschütz und Andreas die fehlende außenpolitische Souveränität als Hindernis für die dringend notwendige Entwicklung einer republikanischen Staatsautorität. 129 Fünftens wurden die Reparationen als nicht finanzierbar angesehen. Für Oncken bedeuteten sie das Wiederaufleben von Lassalles »ehernem Lohngesetz« für eine ganze Nation. Die Inflation resultierte für viele Hochschullehrer aus der deutschen »Tributpflicht«. 130 In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre trat der Aspekt der Reparationen angesichts der wirtschaftlichen Stabilisierung und der größeren Kompromißbereitschaft der Alliierten etwas in den Hintergrund. An seine Stelle trat der Verweis auf sinnlose Zerstörungen deutschen Besitzes. Besonders pathetisch hob Mitteis am zehnten Jahrestag der Vertragsunterzeichnung und während des Diskussion um den Young-Plan auf diesen Punkt ab: »5.000 unserer besten Lokomtiven rollten westwärts, ... um auf Frankreichs Bahnhöfen zu rosten... 131 Unsere sturmerprobten Kriegsschiffe, Wunderwerke deutschen Geistes und deutscher Technik, lichteten die Anker zur letzten Fahrt, um ... ruhmlos ihr Grab in den Wellen zu finden. Herrliche deutsche Handelsschiffe ... faulten in fremden Häfen... Sinnlose Zerstörung überall!« 132 In der Weltwirtschaftskrise jedoch griffen viele Heidelberger Hochschullehrer wieder auf das ältere Argumentationsmuster zurück. Die wirtschaftlichen Probleme seien 172 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»verursacht durch jene Kette sinnloser Friedensschlüsse und vernunftwidriger Reparationszahlungen«. 133 Sechstens empörten sich die Gelehrten über die Besetzung deutschen Territoriums durch alliierte Truppen und insbesondere über die Ruhrbesetzung von 1923. 134 Die Äußerungen über die Besatzer sollten Emotionen anheizen: Schlimmer als 1809 stehe Deutschland »unter dem Druck einer Fremdherrschaft«. Die französische Hegemonie in Europa sei größer als zu Zeiten Ludwigs XIV oder Napoleons. 135 Die Formulierungen in diesem Zusammenhang waren so heftig und emotional, weil der latente Rassismus der Gelehrten an diesem Gegenstand virulent wurde. Nichts »bringt uns das Verhaßte, das Erniedrigende unserer Lage so aufreizend zum Bewußtsein, wie der unersättliche Schwarm der Fremdlinge, der sich in den gesegneten Landschaften deutscher Erde niedergelassen hat und dort am Marke unseres wirtschaftlichen Lebens frißt«, schrieb Gerhard Ritter und warf dem »Heer der fremden Blutsauger am Rhein« zugleich einen empörend sittenlosen Lebenswandel vor. Für Alfred Weber regierte Frankreich Deutschland »wie eine nichtgefügige Sklavenherde, wozu es sich außerdem unter europäischem Kulturniveau stehender ... Söldlinge bedient.« 136 Oncken scheute sich nicht, französische Kolonialtruppen als »schwarze Pest am Rhein« zu bezeichnen. Und zum 400. Jahrestag von Luthers Auftritt beim Wormser Reichstag klagte von Schubert: »An der Stätte des unvergeßlichen Vorgangs halten Fremdlinge, Schwarze sogar, mit denen wir nicht einmal Elemente christlicher Kultur gemeinsam haben, die Wacht.« Das Trauma, das die Farbigen auf deutschem Boden verursachten, verdeutlichen auch Äußerungen Hettners, Alfred Webers, Mittels', Schmitthenners und Jaspers' z.T. noch Jahre nach dem Rückzug der Franzosen. 137 Bereits im Weltkrieg hatten liberale wie konservative, ›orthodoxe‹ wie modernisierungsbereite Heidelberger Gelehrte ähnlich rassistisch auf den Einsatz der Kolonialvölker reagiert. 138 Anfang der zwanziger Jahre kamen solche rassistische Äußerungen in Heidelberg ausschließlich von Anhängern der DDP und DVP, also Hochschullehrern aus dem liberal-konservativen Grenzbereich, während sich entsprechende Aggressionen bei politisch weiter rechts Stehenden antisemitisch äußerten. Versailles bedeutete eine deutliche Verschlechterung des Verhältnisses zu Frankreich. War in den Kriegsschriften der Professoren eine gewisse Hochachtung den Franzosen gegenüber zu spüren gewesen, so wurden sie nun zum »Erb- und Todfeind im Westen«, dessen Politik für Anschütz schon immer, »bald geheim, bald in heuchlerischer Verschleierung des Ziels, bald in zynischer Offenheit ... darauf hin [zielt], das Reich, dessen Zerstörung ihm zu Versailles nicht gelungen ist, noch nachträglich in Stücke zu reißen.« Sein deutsch-nationaler Kollege Jagemann konstatierte ganz ähnlich: »Nicht mit Pulver und Blei, aber in der Form von Haß, Verfolgung, Vertragsbruch ... bekämpfte uns der Franzose weiter.« 139 Besonders die Ruhrbesetzung wurde als »regelrechter Krieg gegen ein 173 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
wehrloses Volk« empfunden. Fast alle Neuhistoriker und einige andere Hochschullehrer versuchten, in populärwissenschaftlichen Publikationen eine Kontinuität der französischen Politik aufzuzeigen, die immer darauf abgezielt habe, seine Grenzen hinauszuschieben und Deutschland zu zerstückeln. 140 Nur der mäßigende Einfluß der Angelsachsen und »der gegenseitige Neid der Siegermächte« hätten »die weitergehenden Ziele [der Franzosen] enttäuscht«. 141 Aber die Zerstückelung des Reiches und die Zerstörung seiner Wirtschaftskraft seien weiterhin Frankreichs Ziele. 142 Apodiktisch und mit impliziter Stoßrichtung gegen Stresemanns Außenpolitik erklärte der DVP-Mann Hettner: »Es war vor dem Krieg eine Torheit, und es ist heute eine Torheit, an eine Versöhnung mit Frankreich zu denken, denn Frankreich will nichts anderes als unsere Schwächung und Knechtung.« 143 Die wenigen Heidelberger Hochschullehrer, die sich für eine Aussöhnung mit Frankreich einsetzten (vor allem Ernst Robert Curtius und Gumbel), standen demgegenüber auf verlorenem Posten. Die Mehrheit hingegen hoffte nun wieder auf Großbritannien, den Hauptfeind aus der Kriegszeit, nachdem der Hoffnungsträger der Waffenstillstandszeit, die USA, durch seine Zurückhaltung in Versailles die Sympathien verloren hatte. Bei aller Kritik versuchten versierte Gelehrtenpolitiker wie Oncken und Anschütz, den Vertrag zugleich zum Schutz deutscher Interessen zu instrumentalisieren. Nach einem Fackelzug zum Reichsgründungstag 1923 »verpflichtete« etwa Anschütz als Rektor angesichts der Rheinbesetzung die Studenten feierlich »durch dreimalige Bejahung seiner Fragen, den Versailler Vertrag als gebrochen anzusehen, Einigkeit im Innern zu bewahren und falls die Not des Volkes es erfordere, auch das Leben für Vaterland und Gemeinschaft hinzugeben.« 144 Der Privatdozent für bürgerliches Recht Hans Erich Kaden warnte sogar davor, in der momentanen Situation den Friedensvertrag zu desavouieren: »Deutschland hat auch Interessen an seiner Aufrechterhaltung, da er die deutsche Souveränität anerkennt«, und dadurch vor Auswüchsen der französischen Besatzungspolitik schützen könne. 145 Allerdings gelang es nur wenigen Heidelberger Hochschullehrern, solch ein taktisches Verhältnis zu dem verhaßten Vertragswerk zu entwickeln. Vorschläge, wie die Revision des Vertrages zu bewerkstelligen sei, gingen in der Regel über Gemeinplätze nicht hinaus. In der Manier von Sonntagsrednern und in typisch professoralen Formeln hieß es - um einige repräsentative Beispiele zu zitieren: Die Deutschen bräuchten »wahre Freiheit und Kraft« (Krehl), sollten »ruhig und fest ... die Befreiung erwarten« (Domaszewski), »den Zwingherren deutscher Freiheit ... in entschlossener und geschlossener nationaler Phalanx« (Dohna und ähnlich Endemann) oder »durch die straffste Erfassung und Zusammenfassung aller nationalen Kräfte« (Anschütz) entgegentreten, selbst wenn weitere Repressalien die Folge seien. Denn »der Sieg bleibt in der Weltgeschichte doch der höheren 174 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Sittlichkeit, der Treue, der Opferwilligkeit, dem Glauben an sich selbst« (Oncken und ähnlich Endemann). 146 Ebenso wie diese allgemeinen Formeln, mit denen man sich und der Nation Mut machen wollte, glichen sich auch konkretere Revisionsforderungen unabhängig davon, welchem politischen Lager derjenige angehörte, der sie erhob. Der Sozialdemokrat R a d bruch wußte sich mit der großen Mehrheit seiner Kollegen einig, als er anläßlich des zehnten Geburtstages der Weimarer Verfassung schwor: »Wir werden nicht aufhören, für die Befreiung von allen Versailler Bestimmungen zu kämpfen, die mit Freiheit und Gerechtigkeit in Widerspruch stehen, vor allem für die Befreiung deutschen Bodens, für die Befreiung des Rheines, der Pfalz, der Saar von der fremden Besatzung.« Die Konservativen Ritter und Mitteis wie der liberale Demokrat Thoma und der politisch schwer einzuordnende von Eckardt haben sich zwischen 1924 und 1929 ebenso geäußert. 147 Immer standen die Befreiung der besetzten Gebiete, die Rückgewinnung des Saarlandes, die Revision der Ostgrenze, die Vereinigung mit Österreich und die Zurücknahme des Kriegsschuldvorwurfes im Mittelpunkt der Revisionsforderungen. Erst im Dritten Reich mischte sich in die Äußerungen konservativer und faschistischer Professoren ein drohender Unterton, so etwa bei Schmitthenner, der bei der Universitätsfeier zum Tage der »nationalen Erhebung« dunkel davon sprach, daß »Verpflichtungen des Blutes, des Blutens eines Tages von Ihnen, Kommilitonen, vielleicht gefordert werden. Wir wollen den Frieden, aber wir wollen auch die Freiheit.« Sein Kollege von Raumer riet, »den Helm nur umso fester zu schnallen« und schloß einen Krieg nicht aus, um der gegenwärtigen Lage Deutschlands abzuhelfen, »die den sicheren Tod unseres Landes und unserer Heimat bedeutet, wenn die jetzt lebenden Deutschen irgend einen anderen Gedanken haben als den, sich für die Änderung dieses Zustandes stark zu machen.« 148 Wie schon in anderen Fragen bemühten sich einige sozialistische und liberal-demokratische Dissidenten um eine nüchternere Beurteilung. Für Lederer bedeuteten »die maßlosen Forderungen der Entente nichts anderes, als daß selbst die siegreichen Großmächte im Krieg zu stark gelitten haben« und »daß die kapitalistischen Staaten der Probleme nicht mehr Herr werden, welche sie im Kriege zum Austrage bringen wollten.« Nur der Sozialismus könne »eine Atmosphäre schaffen, in welcher die Völker Europas wieder zu leben imstande sind... Daher ist heute der Sozialismus eine nationale Forderung geworden, während die Erhebung mit den Waffen, so sehr der Impuls hierfür begreiflich, das Unglück für das deutsche Volk nur ins Unendliche zu steigern vermöchte.« 149 Hiermit wie mit der Forderung, »alles für die Erfüllung [der Reparationsforderungen] zu tun«, 150 setzte Lederer sich in diametralen Gegensatz zur Mehrheit im Lehrkörper, die zumindest verbal am scharfen EntwederOder Revision des Vertrages oder Krieg festhielt. Gegen eine andere Mystifikation, der die meisten Hochschullehrer aufsaßen und die einige publizi175 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
stisch stützten, wandte sich Gumbel: »Nicht die im Versailler Vertrag vorgeschriebenen Lasten, die ja zum großen Teil auf dem Papier blieben, ... sind es gewesen, welche die allgemeine Verarmung in Deutschland hervorgerufen haben, wohl aber die Art der Verteilung dieser Lasten. Sie wurden durch die Inflation denen auferlegt, die nichts hatten... So hat das Reich durch seine Finanzpolitik immer weitere Kreise der Republik entfremdet.« Für Gumbel verfolgten die Alliierten mit ihren Repressalien völlig andere Ziele, als die große Mehrheit seiner Kollegen behauptete: »Die Ungerechtigkeit des Friedensvertrages hat den Nationalisten die Macht wiedergegeben, die sie 1918 verloren hatten. Die Entente hat unseren Nationalisten durch eine Reihe von Maßnahmen geholfen, die für Frankreich nutzlos waren, aber bei uns die nationalen Gefühle aufstachelten.« Hierzu zählte er die Auslieferungsforderung, daß die Blockade nicht aufgehoben und die Kriegsgefangenen nicht freigelassen wurden. 151 Gumbel und Lederer mußten nicht weit in der Geschichte zurückzugehen, um mit dem Versailler Vertrag Vergleichbares zu finden. Für Lederer war er eine »das Original übertreffende Kopie der Friedensschlüsse von Brest-Litowsk und Bukarest.« Die Gleichsetzung von Versailles mit den von Deutschland diktierten Friedenschlüssen von 1871 und 1918 trug Gumbel 1925 ein Disziplinarverfahren ein. 152 Nicht in der rigorosen Opposition zur herrschenden Auffassung der Kollegen wie die Sozialisten Gumbel und Lederer, aber doch in einem bemerkenswertem Gegensatz zu ihr stand der Theologe Dibelius. Zwar erkannte er an, daß Deutschland »dringende Anliegen nationaler Art« habe, trat aber mit Nachdruck dafür ein, diese nur mit friedlichen Mitteln zu verfolgen. Er rechtfertigte ausdrücklich die einseitige Entwaffnung Deutschlands, der die anderen Nationen nun zu folgen hätten. 153 Mit dieser liberalpazifistischen Haltung, die keines der gängigen Klischees zur Beurteilung des Versailler Vertrages verwandte und vor allem frei war von jeglicher Larmoyanz, steht Dibelius unter den publizierten Äußerungen zwar allein, dürfte aber durchaus auf Sympathien bei den wenigen Kollegen wie Ernst Robert Curtius und Hajo Holborn gestoßen sein, die sich gleichfalls für internationalen Ausgleich mit friedlichen Mitteln und für europäische und insbesondere deutsch-französische Verständigung einsetzten.
3.4. Antijudaismus und Antisemitismus154 (I) Eine im Jahre 1919 unter maßgeblicher Beteiligung Heidelberger Hochschullehrer veröffentlichte Resolution wandte sich gegen den Antisemitismus. Diese »Erklärung« unterzeichneten zusammen mit knapp fünfzig anderen Heidelberger Honoratioren zehn Professoren. Angesichts des verbreiteten akademischen Antijudaismus ist sie neben der vergleichsweise hohen Zahl jüdischer Hochschullehrer, die gerade Anfang der zwanziger Jahre 176 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
deutlich zunahm, 155 ein Symptom für die relative Offenheit des Heidelberger Lehrkörpers Juden gegenüber. 156 Den konkreten Anlaß für die »Erklärung« lieferte Ruges ›nationale‹ Agitationstätigkeit, in deren Rahmen er bereits vor und während des Krieges mit antisemitischen und immer auch frauenfeindlichen Tiraden operierte. 157 Nach dem Zusammenbruch und besonders während des Wahlkampfes zur badischen Nationalversammlung verstärkte er als DNVP-Kandidat seine Hetze. Hiergegen wandte sich zunächst der »Verein zur Abwehr des Antisemitismus«. 158 In ganzseitigen Anzeigen »Ein Wort zu den ›Bedenken‹ des Herrn Dr. Arnold Ruge« in Heidelbergs Zeitungen wies er die Vorwürfe zurück und kehrte sie gegen »alle Reaktionäre, die Alldeutschen, die Chauvinisten und Antisemiten«. Sie, nicht die Juden hätten Deutschland »in den Krieg gedrängt«, trügen die Schuld, »daß man Deutschland in der ganzen Welt haßt« und hätten »an ihren Kanonen und Panzerplatten Milliarden verdient«. Der Verein erklärte: »Wir deutschen Juden verwahren uns dagegen, ein ›selbständigesVolk‹ im deutschen Volk genannt zu werden, unter dem wir seit zwei Jahrtausenden wohnen, dessen Sprache wir sprechen, mit dessen Kultur wir uns aufs innigste verbunden fühlen, auf dessen Größe, die manch einer von uns mitschaffen half, wir stolz waren, dessen Niedergang wir in bitt'rem Schmerze mitempfinden«. Im Gegensatz zu Ruge seien »Tausende von jüdischen Jünglingen als Kriegsfreiwillige« ins Feld gezogen und gefallen. Abschließend hieß es: »Lassen Sie sich ein wenig von diesem ›jüdischen Geist‹ erfüllen, Herr Ruge, und Sie werden lernen, besser und edler von Ihren Mitmenschen zu denken.« 159 Im Vergleich zu dieser unmißverständlichen und politisch pointierten Polemik war die auf sie folgende Honoratiorenerklärung wesentlich moderater formuliert. Sie war knapp gehalten und sollte nicht polarisieren, sondern harmonisieren: »Gegen unsere jüdischen Mitbürger wird in der gegenwärtigen Zeit der größten Not unseres Landes ein gehässiger Kampf geführt: offen oder versteckt wird ihnen die Ursache alles militärischen, politischen und wirtschaftlichen Unglücks, das über unser Vaterland hereingebrochen ist, zugeschrieben... Wir wenden uns gegen Einseitigkeit und Verallgemeinerung und erheben deshalb Einspruch gegen diese den inneren Frieden und unser Ansehen im Ausland schädigende Bewegung.«160 Das Eintreten für die angegriffenen Juden war ohne Zweifel ein Akt der Zivilcourage, trägt aber zugleich taktische Züge. Um der nationalen Einheit in der Stunde der Not, um des Ansehens im Ausland willen und wegen seiner Einseitigkeit - also mit typisch professoralen Argumenten - wurde Antisemitismus, der als solcher in der »Erklärung« nicht einmal benannt wird, verurteilt. So bemerkenswert dieser öffentliche Protest auch ist, fällt doch neben der schwammigen Formulierung ins Auge, daß von den liberaldemokratischen Professoren nur wenige diese Erklärung unterzeichneten. Der Kampf gegen den Antisemitismus zählte nicht zu ihren vordringlichen 177 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
politischen Anliegen. In ihren Publikationen finden sich nur selten und meist in indirekter oder versteckter Form philosemitische Äußerungen. 161 Allein der Nationalökonom Gothein, dessen Bruder Georg seit 1909 Reichsvorsitzender des »Abwehrvereins« war, wandte sich immer wieder scharf gegen den Antisemitismus, sei es in seiner Rektoratsrede von 1914 oder im Landtag, wo er »einzig und allein die antisemitischen Strömungen« von der Toleranz gegenüber »allen nur denkbaren politischen Gesinnungen« an der Universität ausnahm. 162 Allem Fremden grundsätzlich mißtrauisch gegenüberstehendes, segregierendes politisch-soziales Denken, das im Bildungsbürgertum weit verbreitet war, findet sich hingegen in Publikationen fast aller untersuchten Hochschullehrer. Aus dieser dissoziierenden Grundtendenz resultierte eine Unfreundlichkeit den Juden gegenüber, die leicht in unverhohlenen Rassismus umschlagen konnte. 163 Nachdem vor dem Weltkrieg sich etwa in der Nichtberufung bzw. Entlassung der jüdischen Professoren Georg Simmel und Adolf Koch antisemitische Ressentiments im Heidelberger Lehrkörper ausgewirkt hatten, 164 galt für die Kriegspublikationen der Hochschullehrer, was Gothein, der konsequenteste Gegner des Antisemitismus unter ihnen, als Rektor 1914 erhofft hatte: »Daß die beschämende ... Tatsache des Antisemitismus durch den großen, heiligen Strom dieses Volkskrieges hinweggefegt sei.« 165 Neben einer für seine Verhältnisse zurückhaltenden Warnung Ruges vor der durch die Kriegdienstpflicht der meisten Männer drohenden »Überflutung« des öffentlichen Lebens »durch Frauen und Fremdländer«, finden sich einzig in den Kriegsschriften Lemmes antisemitische Tiraden: Er bezeichnete, Lagarde zitierend, in seinem Programm für die Nachkriegszeit das Judentum als »Verwesungselement in der modernen Gesellschaft« und warnte vor den »reform-jüdischen Geldleuten«, die »nach der Ernte der Kriegsgewinne die Ernte der ›Neuorientierung‹ einheimsen« wollten. 166 Die Feldpostbriefe von Krehls sprechen allerdings dafür, daß das antijüdische Potential im Lehrkörper auch während des Krieges größer war und durch den dekretierten »Burgfrieden« nur unter der Oberfläche verborgen blieb. Er schrieb etwa: »Was uns am ›Jüdischen‹ unangenehm ist, ... ist die internationale, auf das Geld allein bedachte, materialistische, gott- und poesielose Art, die leider auch sehr viele Deutsche haben. Sie ist wohl durch die Juden aufgekommen, aber hätte sie soviel erreichen können, wenn sie nicht so viele gelehrige Schüler in Deutschland gefunden hätte? Und wie es Herr v. Tirpitz macht, ist es ja nicht anders als jüdisch.« 167 Die negative Ladung »jüdischer« Eigenschaften bei von Krehl ist unverkennbar, auch wenn diese nicht allein den Juden zugeschrieben werden. Von Krehls Ausführungen sind deshalb ›nur‹ antijüdisch und im Gegensatz zu denen Ruges und Lemmes nicht antisemitisch. Denn für ihn waren »jüdische« Eigenschaften nicht rassisch bedingt. Das 1915 publizierte Kriegstagebuch Alfred Webers ist ein Beispiel dafür, daß auch nicht antisemitisch eingestellte Gelehrte dem jüdischen Volk dieselben spezifischen, angeblich 178 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
angeborenen Eigenschaften zuschrieben wie Antisemiten: Rationalität, Intellektualität, Erwerbssinn, Anpassungsfähigkeit, politisches Talent usw. »Die Juden« seien ein Problem, mit dem alle europäischen Völker »fertig werden« müßten und dessen Lösbarkeit von der Anzahl der Juden im Land abhängig sei.168 Die Zuschreibung vermeintlich rassisch bedingter »jüdischer Eigenschaften« war allgemein üblich. Bei Liberalen war lediglich deren Bewertung weniger kritisch als bei Konservativen. Auch Nicht-Antisemiten wie Gothein, Oncken, die Brüder Weber usw. sahen Juden unabhängig davon, welche Nationalität sie besaßen, als Volk bzw. Rasse und nicht als Religionsgemeinschaft innerhalb des deutschen Volkes wie Katholiken und Protestanten und schrieben ihnen deshalb einen fest umgrenzbaren »Volkscharakter« zu. 169 Nach der Novemberrevolution nahm die Zahl antisemitischer Polemiken nicht nur in den Publikationen Heidelberger Hochschullehrer deutlich zu. Von Ruge, dem Hauptexponenten des Antisemitismus im Lehrkörper, gibt es relativ wenige belegbare Äußerungen. Dies ist einerseits für die faschistische politische Argumentationsweise charakteristisch, die sich die Zustimmung ihrer heterogenen Anhängerschaft mit unklaren Formeln und vagen Andeutungen sicherte. Andererseits hielt Ruge sich, zumal während des Disziplinarverfahrens, in schriftlichen Äußerungen zurück, während er sich mündlich deutlicher ausdrückte. Neben Vorwürfen, die Juden hätten sich während des Krieges durch »Schleichhandel und Wucher« »gemästet« und die Deutschen dazu gebracht, ihre »heiligsten Güter vollends an Juden und Judengenossen« zu verkaufen, diagnostizierte er eine Überrepräsentation des jüdischen Bevölkerungsteiles in den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Eliten. Infolge dieses weitverbreiteten und z.T. zutreffenden Befundes gehörte es zu den antisemitischen Topoi, daß es vor lauter Juden »wimmele«. Ruge fand, daß die »Hochschulen, einstmals Ertüchtigungsanstalten für die männliche Jugend, im Kriege zu Tummelplätzen von jungen Mädchen und namentlich von Juden geworden« seien. »Die ganze öffentliche Presse« sei »in jüdischen Händen«. Vor dem Frontdienst hätten sich die Juden gedrückt, dafür »sich in der Etappe herumgetrieben« und »an so vielen Eckpfeilern im Kriege« gestanden. 170 Der große Einfluß der Juden war für Ruge an Niederlage, Revolution, Inflation, Versailler Vertrag und allen anderen Übeln schuld. Einig mit Ruge war sich Lenard. Auch bei ihm steht die Zahl in seinen Publikationen enthaltener offen antijüdischer Äußerungen bis 1935 in krassem Mißverhältnis zu seiner Bekanntheit als Antisemit. Zu den in Zusammenhang mit Ruge bereits genannten Gründen für diesen Umstand kam bei Lenard hinzu, daß die Zahl politischer Publikationen bei Naturwissenschaftlern allgemein gering war. Lenard solidarisierte sich öffentlich mit Ruge, dem wegen seines »erfolgreichen Kampfes gegen die Anmaßungen des Judentums in Handel, Regierung, Presse, Schule und Geistesleben« die Lehrberechtigung entzogen worden sei und der »in wahrhaft deutschem Geiste dem herrschenden kapitalistischen System« trotze. Lenard erschien 179 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
die jüdische »Anmaßung« bereits so weit fortgeschritten, daß die Deutschen »nicht mehr Herr im eigenen Hause« seien. Außer bei diesen Extremisten finden sich antisemitische Topoi auch bei der politischen Mitte zuzurechnenden Hochschullehrern. So machte das DVP-Mitglied von Schubert die Juden für die politischen Mißstände nach dem Krieg verantwortlich. An mehreren Stellen schrieb er vom »verhängnisvollen Einfluß namentlich der polnisch-galizischen Juden in der [deutschen und russischen] Revolution«. 171 Hatte Ruge die Juden als einen »Fremdkörper«, der sich »in deutsche Angelegenheiten nicht einzumischen« habe, bezeichnet, so richteten sich Fremdenfurcht und -feindlichkeit bei von Schubert wie auch bei Oncken primär gegen den »fast tumultuarischen Einbruch des Ostjudentums in unser ihm von Haus aus fremdes Dasein«. Wenn auch in der Bewertung durchaus ambivalent, sind Onckens Ausführungen über das »Erbe von Jahrhunderten«, das den jüdische Volkscharakter ausmache, zutiefst geprägt von der Überzeugung, daß die Volks- und Rassenzugehörigkeit die Eigenschaften des Einzelnen bestimme, und enthalten eine ganze Reihe der Topoi, mit denen auch Antisemiten operierten: Diese »bis zur Überreizung empfänglichen Gemüter« verfügten über das »Rassenmerkmal frühzeitiger Verstandesentwicklung«. Ihrer »abstoßenden Außenseite« ständen »große Fähigkeiten« gegenüber, u.a. eine »spezifisch politische Anlage«. 172 Gerade diese fürchteten die Gelehrten besonders, waren doch in ihrer Charakterologie die Deutschen ein »unpolitisches« Volk und somit von politischer Überfremdung durch den jüdischen Bevölkerungsteil bedroht. Neben ihrer Fremdheit, ihrer Intellektualität, ihrem »Materialismus«, ihrer Überrepräsentation in den Eliten und ihrer revolutionären (später meist »zersetzend« genannten) politischen Betätigung machten die Antisemiten »den Juden« bemerkenswerterweise ihren »Hochmut« und »Blutstolz« zum Vorwurf. Dies klang bereits bei Lenard an (»Anmaßung«). Ruge bezeichnete »Hochmut und Furcht« als die charakteristische Haltung der Juden während des Krieges. Der Archäologe Curtius (DNVP-Mitglied) und der Geograph Hettner (DVP) kritisierten gleichfalls den ausgeprägten jüdischen »Hochmut«, der Sozialdemokrat und konvertierte Jude Ehrenberg »den maßlosen und verstockten Blutstolz ... des jüdischen Volkes«. Der ebenfalls aus einer jüdischen Familien stammende Kunsthistoriker Neumann hatte bereits zu Beginn des Krieges die Abschottung der Juden gegen Fremde als vorbildlich gerühmt. 173 Dem Antisemitismus der protestantischen politischen Mitte fehlte die aggressive Komponente, aber er operierte mit den gleichen Klischees und Topoi wie die Deutschnationalen und Völkischen, unter deren Mitgliedern innerhalb des Heidelberger Lehrkörpers Ruge zwar der lauteste war, mit seinen Auffassungen aber nicht allein stand. Allerdings fehlte in den politischen Publikationen aus dem Heidelberger Lehrkörper die Beschimpfung der Weimarer Republik als »Judenrepublik«, und die beiden führenden 180 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Antisemiten wurden wegen ihrer diesbezüglichen Aktivitäten disziplinarisch verfolgt. 3.5. Weimarer Republik und Reichsverfassung (I) Während bis hier die Analyse der politischen Schriften der Heidelberger Gelehrten mehr oder minder explizit geführte Debatten über die Kriegsziele, die Novemberrevolution, die Folgen des Versailler Vertrages etc. nachzeichnete, ist das für die Zeit ab 1920 nicht mehr möglich. Kein politisches Ereignis zwischen 1919 und 1933 hat die Gemüter der Hochschullehrer so bewegt, daß es ein Ausmaß politischer Kommentare wie in den Kriegs- und Revolutionsjahren provoziert hätte. Die Zahl politischer Publikationen Heidelberger Universitätslehrer ging aber keineswegs stark zurück. Nur kreisten sie nicht mehr so präzise um einzelne Ereignisse. Weder der Kapp-Putsch noch die Inflation,174 weder die außenpolitische Entwicklung noch die Fürstenenteignung, weder die zahlreichen Wahlen noch die Weltwirtschaftskrise, weder die politischen Skandale der Republik noch gar der Aufstieg der NSDAP führten zu breiten Debatten. 175 Allerdings gibt es eine breite Kommentierung der Weimarer Republik als ganzer, ihrer Verfassung und inneren Strukturen. Bis 1923 fehlen zu diesen Fragen Äußerungen von Hochschullehrern, die der ›nationalen Opposition‹ zuzurechnen sind, fast völlig. Sie hielten sich mit direkter Kritik an der Republik zurück, solange diese nicht so weit gefestigt war, daß sowohl die »bolschewistische Gefahr« als auch die des Abgleitens in wirtschaftliches oder politisches Chaos gebannt schien. 176 Obwohl die Kritik von Professoren anderer Universitäten an der Weimarer Republik nicht erforscht ist, sprechen einige Indizien dafür, daß das fast völlige Schweigen der ›nationalen Opposition‹ in den ersten Jahren der Republik ein Heidelberger Spezifikum war. 177 Die republikfeindlichen Dozenten überließen in dieser Phase auch in der universitären Selbstverwaltung ihren aus unterschiedlichen Gründen den neuen Staat stützenden Kollegen das Feld. Aus dieser politischen Konstellation resultierten die Disziplinarverfahren gegen Ruge und Lenard wie die Berufung oder Habilitation einiger Demokraten. Dem Bild von Heidelberg als »akademischer Hochburg des neuen Deutschlands« in den frühen zwanziger Jahren widerspricht, daß neben einigen ehemaligen Heidelbergern nur Gothein ein als breiten Protest gegen die Kapp-Putschisten gedachtes Bekenntnis deutscher Hochschullehrer zur Weimarer Verfassung unterzeichnete. Trotz der auf Einmütigkeit und Kompromiß angelegten Formulierung und dreimonatiger Werbung um Unterschriften war die Resonanz nicht nur in Heidelberg mager, aber hier war sie besonders schwach. 178 Vielleicht war die Resolution für liberale Demokraten wie Alfred Weber, Dibelius oder Thoma allzu moderat formuliert (»Deutschland kann nur durch pflichtbewußte Hingebung an den Dienst 181 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
des Gemeinwohls wieder gefunden« werden). Anders ist nicht erklärlich, warum sie sich an einer aus den Reihen ihrer Partei, der DDP, initiierten Kampagne für die Reichsverfassung nicht beteiligten. Im Vordergrund standen bei den Bewertung der Weimarer Republik bis 1923 das herrschende wirtschaftliche und politische Chaos 179 und die Sorge über die Ohnmacht des Staates. In dieser Frage hat Alfred Weber die Auffassungen vieler seiner Kollegen maßgeblich beeinflußt. In seinen Augen drohte die Auflösung des »Staatsgedankens«. Nach dem Zusammenbruch der »alten Staatsautorität« werde »die Aufrichtung einer neuen weitgehend dadurch verhindert, daß ein sehr großer Teil der freien Staatsgewalt des Reiches hinausgewandert ist an einen ausländischen Souverän«. Hiermit meinte Weber die verschiedenen Kommissionen der Siegermächte, die in die deutsche Innenpolitik hineinregierten. Weiterhin sei der Weimarer Staat durch die »Tributpflicht« gefesselt, die »mit ihren Folgeerscheinungen, der Finanznot und Entwertung der Valuta, in immer neuen Anstößen und Etappen den sozialen Körper revolutioniert«. Der Haupteffekt dieser U m wälzung sei die immer stärker werdende Zusammenfassung der gesellschaftlichen Interessengruppen, »die, voran die Lohn- und Gehaltsempfänger, der fortgesetzten sozialen Umschichtung nur durch immer erneute geschlossene Einsetzung ihres Gewichtes glauben folgen zu können. Die Schichten, die nicht in dieser Weise organisierbar sind, vor allem also die reinen Bildungs- und Intellektuellenschichten, ... sind auf dem Wege, zwischen den großen Mühlsteinen zerrieben zu werden und ins bodenlose Nichts zu sinken. Sie aber waren, vermöge ihrer relativen Uninteressiertheit an den wirtschaftlichen und sozialen Interessenkämpfen zusammen mit den früher auch in den sozialen Kampf noch nicht hineingezogenen Beamtenschichten die gegebenen Träger eines überwirtschaftlichen, kulturell orientierten Staatsgedankens.«180 Weber sah nicht nur die Existenz der eigenen Gesellschaftsschicht bedroht, sondern zugleich die Unabhängigkeit des Staates durch widerstreitende soziale Interessengruppen gefährdet. Der Staat drohe, »total ökonomisiert zu werden«, zumal dem Reich nur durch Kredite der »privaten Wirtschaftskräfte über die Stromschnellen der nächsten Zeit hinweggeholfen werden« könne. Dadurch aber verstärke sich die Tendenz, daß die Republik neben »der äußeren Hörigkeit der tatsächlich vorhandenen Fremdherrschaft auch noch [in] innere Hörigkeit gegenüber ... Interessengruppen« gerate. Gothein, der in ähnlicher Weise im Großkapital den Nutznießer des revolutionären Chaos sah, empfand dies als symptomatisch für die Tragik der »deutschen Revolution, die überall am entgegengesetzten Ende anlangt, als wohin sie zu kommen beabsichtigte«. Die drohende »Auflösung des Staatsgedankens«, seine »Krise«, hervorgerufen durch die Übermacht der Interessengruppen und den Versailler Vertrag, war für die Heidelberger Liberalen wie für manchen Konservativen und Sozialisten das zentrale innenpolitische Dilemma und Legitimationsproblem der Republik. So wie sie war, stellte sie das glatte Gegenteil von dem dar, was den Staatsbegriff 182 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der großen Mehrheit der Gelehrten ausmachte. Sie wünschten sich einen von Interessengruppen und Parteien unabhängigen, starken und handlungsfähigen Staat in Abstimmung mit anderen, allein dem Gemeinwohl verpflichteten und »über den Parteien stehenden« Instanzen, zu denen sich die Gelehrten als geistige Elite in erster Linie selbst rechneten, aufgrund der sachlichen Autorität und des Charismas der Männer an der Staatsspitze in der Lage sein, ›richtige‹ Entscheidungen auch gegen die jeweiligen »Interessenten« durchzusetzen. Solange der neue Staat seine Unabhängigkeit nicht gewann, sah man ihn als »totkrank« an und gab ihm, selbst wenn man keine Alternative zu ihm sah, keine großen Überlebenschancen. 181 Zu Dohna und Oncken propagierten deshalb einen »Bund der Erneuerung wirtschaftlicher Sitte und Verantwortung«. Beschränkung jedes Einzelnen in seinem Konsumverhalten und insbesondere der Verzicht auf den Import von Luxusgütern seien unabdingbare Voraussetzungen dafür, daß Deutschland trotz der Friedensbedingungen, die damit implizit akzeptiert wurden, eines Tages auch wirtschaftlich gesunde. Im Gelingen dieser Selbstbeschränkung liege »die wahre Politisierung der deutschen Demokratie«. Von Sorge um die Staatsautonomie zeugt selbst die marxistische Kritik Gumbels, für den die Nachkriegszeit eine Phase der Restauration und endgültigen Durchsetzung des Kapitalismus in Deutschland und infolgedessen der wirtschaftlichen Verelendung war. Ähnlich wie einige Liberale (Gothein, A. Weber) personifizierte er den Kapitalismus zum übermächtigen Bösewicht. 182 Die Sorge um die Unabhängigkeit des Staates war keineswegs neu in der politischen Publizistik von Professoren. Seit Beginn der Debatte um die Folgen der Modernisierung hatten sie den steigenden Einfluß von Interessenverbänden, vor allem der Gewerkschaften, und die Etablierung von deren Funktionären als neue politische und soziale Elite mißtrauisch verfolgt und kritisiert, nicht zuletzt weil durch diesen Prozeß die Bedeutung der akademischen Eliten zurückging. 183 Ebensowenig war es neu, wenn Heidelberger Gelehrte beklagten, daß »der augenblickliche Stand der parlamentarischen Praxis und der demokratischen Organisation« ungünstig sei für die Auslese »schöpferischer, starker und eigenartiger« politischer Persönlichkeiten. 184 Die Hoffnung auf unabhängige und überragende politische Führer und die Klage über die jeweils Regierenden gehörten zum Grundbestand der professoralen Publizistik. Da sich die Republikgegner 1918-23 einer Kommentierung enthielten, bezweifelte kein Heidelberger Hochschullehrer öffentlich, daß es zum neuen Staat und seiner Verfassung keine akzeptable Alternative gebe. In seiner Rektoratsrede stellte Anschütz 1922 fest, man habe nicht die Wahl zwischen Republik und Monarchie, sondern zwischen Republik und Anarchie. Deshalb appellierte er an die Gegner der Republik, sich mit der Verfassung abzufinden, die ein »Kompromiß zwischen den großen staatsbildenden Kräften, zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft« sei. Ebenso argu183 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
mentierte Alfred Weber: Die Republik sei »die einzige Art der demokratischen Staatsregierung, die heute noch möglich ist«. Die Alternative sei »irgendein Gewaltregime«, ein »faschistischer Rechtsbolschewismus«, der sich »ausschließlich durch Blut und Eisen« werde an der Macht halten können. 185 Auch der konservative Oncken gab, allerdings in allgemein gehaltenen, interpretationsfähigen und nicht direkt auf die Weimarer R e publik bezogenen Formeln, der Überzeugung Ausdruck, daß eine demokratische Staatsform in der momentanen Situation das einzig Realistische sei. »Die bittere Not« verlange die Beteiligung des ganzen Volkes am Staate. Allerdings dürfe man »weder die Vergangenheit preisgeben - das wäre Verrat - noch sie konservieren wollen - das wäre eitle Romantik«. In den Augen der der DDP nahestehenden Gelehrten sprach für die Republik vor allem, daß »nur das parlamentarische System bei allen seinen Mängeln Führernaturen erzeugen« könne. 186 Mit den Sozialisten waren sich Anschütz, Gothein oder Weber darin einig, daß die Novemberrevolution viele ihrer politischen Ziele nicht hatte durchsetzen können und daß »wie bisher noch auf jede Revolution, so auch auf die deutsche Revolution von 1918 eine antidemokratische R e a k tion gefolgt« sei. Im Gegensatz zu Ehrenberg und Gumbel war dies für sie allerdings kein Zeichen für die »Unfähigkeit« oder Unehrlichkeit der SPD und auch kein »Sieg des Bürgertums über die Arbeiter«, 187 sondern nach den überzogenen Forderungen der Revolutionszeit eine notwendige Normalisierung, die auch monarchistisch gesinnten Anhängern des alten R e g i mes die Identifikation mit dem neuen Staat ermögliche, ja sie dazu verpflichte. Idealistisch appellierte Weber in einer Gedenkfeier für die 1848er Revolution an die politische Rechte, die Tatsachen zu akzeptieren und damit »das Gleiche für die Republik« zu tun wie die Linke 1848, als sie »um der deutschen Einheit willen die Kaiserkrone in den Händen Preußens akzeptiert« habe. Die Liberalen sahen, daß »es keinen Teil des deutschen Volkes [gibt], in dem es so notwendig wäre, den republikanischen Gedanken aus einem Parteigedanken zum allgemeinen Staaatsgedanken zu erheben wie in der akademischen Jugend«. Um dieses Ziel zu erreichen, schlug Weber eine Doppelstrategie vor: Man solle »den republikanischen Staatsgedanken herauswachsend erscheinen [lassen] aus dem historischen deutschen Schicksal, ihn als unentrinnbare deutsche Staatsform erkenntlich« machen und darauf hinweisen, »daß alle diejenigen staatsbildenden Kräfte, die das deutsche Volk hat ... nur im republikanischen Staatsgedanken sich zusammenschließen können.« 188 Anders als Weber und Anschütz erwartete der konservativ-interessenrepublikanische DVP-Reichstagsabgeordnete zu Dohna weitere Schritte des Staates auf seine Gegner zu. Für ihn waren die von der Revolution »eingerissenen Dämme« noch nicht in genügendem Maße wiederaufgebaut. Die Republik sei nicht »stark und reich genug, um auf jenes ungeheure Reservoir sittlicher und intellektueller Kräfte verzichten zu können, ... denen es 184 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schwerer wird, sich von überkommenen Vorstellungen und inneren Gebundenheiten loszumachen«. Zudem sei es fraglich, ob diese »gerade an Zuverlässigkeit so sehr zurückstehen hinter denjenigen, die sich dem jähen Wechsel rascher anzupassen vermochten«. Der Staat sollte sich »mit der Zusicherung loyaler Gesinnung begnügen, auf das freudige Bekenntnis zur Republik aber verzichten«. 189 So tolerant ging Anschütz, bei allem B e m ü hen um deren Integration mit den Gegnern der Republik nicht um. Für ihn waren die rechtsextremen Geheimbünde und Putschisten »Reichsverderber« und »Hochverräter«. Ihnen gegenüber forderte er wie Gumbel kompromißlose Härte: »Mit Rebellen verhandelt man nicht.« 190 Konkrete Vorschläge, wie die Republik stabilisiert werden könnte, machten die Heidelberger Hochschullehrer bis 1923 kaum. Am detailliertesten äußerte sich Ehrenberg in der von ihm redigierten volkskirchlichen Zeitschrift. Neben tiefer Enttäuschung über die Sozialdemokratie, allgemeinem Antikapitalismus und der Überzeugung, nur mehr Religiosität könne eine Wende zum Besseren bringen, verdeutlichen seine Artikel allerdings nicht mehr als die Richtung, in der Ehrenberg eine politische Perspektive sah: Einerseits forderte er, die Deutschen sollten die Tatsache der Niederlage akzeptieren und endlich wieder »nüchtern sein«. Andererseits wünschte er sich sehr unprofessoral den Zusammenschluß der beiden sozialistischen Parteien mit der katholischen »Arbeiterpartei« (Zentrum), da sie nur zusammen »das neue Deutschland aufbauen« könnten. 191 Mehr als politische Schritte zur Steigerung der Staatsloyalität vorzuschlagen, entsprach es dem Selbstverständnis und wohl auch den Fähigkeiten von Professoren, hierfür eine ideologische Konstruktion aufzuzeigen. Oncken und Alfred Weber machten zusammen mit einigen Kollegen von anderen Universitäten in den frühen zwanziger Jahren einen Vorschlag, der auf große Resonanz stieß. 192 Jahrhundertelange habe — so Oncken - die deutsche Nation ein »Doppelleben« als territorial und in ihrer Macht begrenzte »Staatsnation« und zugleich weit über die deutschen Staaten hinausreichende »Kulturnation« geführt. 193 An diese Tradition solle man anknüpfen und »dem Kern des Staatsdeutschtums die weitere Sphäre des Kulturdeutschtums, gleichsam ein geistiges Kolonialreich in der Welt, als etwas, was unzerstörbar und selber Leben ist«, zur Seite stellen. »Unsere stärksten Hoffnungen ruhen nicht in Kanonen und Bajonetten ..., sondern in dem Ethos, das ein Volk zum Träger der Freiheit und Gerechtigkeit erhebt... Unsere Rettung wird lediglich aus den geistigen Kräften entspringen, die wir in uns erzeugen.« Auch für Alfred Weber konnte »die Wiedergeburt der Staatsnation ... nur auf geistigem Wege geschehen«, und zwar »aus der Qualität der Kultur nation«, aber, anders als beim Konservativen Oncken, »durch die Aufrichtung einer geistigen und politischen Grenzlinie zwischen dem eben Vorangegangenen und dem zu Vollbringenden«. Der Rückgriff auf die Kulturnation stand bei Weber nicht im Kontext der Trauer um das durch den Krieg Verlorene, die in Onckens Wortwahl (»geistiges Kolonial185 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
reich«, »unzerstörbar«) mitschwingt, sondern für ihn war ausdrücklich die Republik der erste Schritt in die vorgeschlagene Richtung: »Aufrichten eines neuen Gebäudes und Ausfüllen desselben mit einem wirklich neuen Geist ..., das war der Sinn des Wortes und der Tat: Republik«. 194 Mit der Formel von der Wiedergeburt als Kulturnation bezogen sich die geschichskundigen Professoren auf die Situation von 1806 nach der totalen Niederlage Preußens, an die nach dem Versailler Vertrag immer wieder erinnert wurde, in der Friedrich Wilhelm II. postuliert hatte, »der Staat soll durch geistige Güter ersetzen, was er materiell verlor«, 195 und die preußischen Reformer einen ähnlichen Weg eingeschlagen hatten. Der Topos von der kulturellen Wiedergeburt Deutschlands bot nicht nur die Möglichkeit, trotz der militärischen Niederlage am Glauben an eine ›deutsche Sendung‹ in der Welt festzuhalten und den liberalen Imperialismus als Kulturimperialismus des ›deutschen Geistes‹ fortzusetzen. Der Appell zur Stärkung der deutschen »Kulturnation« angesichts der darniederliegenden »Staatsnation« bedeutete vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Hochschullehrer als Wahrer des Geistigen in der Politik eine Aufwertung der eigenen sozialen Funktion, die durch sozialökonomische Veränderungen und die Demokratisierung gefährdet schien. Mußte Deutschland als Kulturnation, also aus »dem Geist« heraus wiedergeboren werden, so wurde der eigene Wunsch nach stärkerer gesellschaftlicher Anerkennung zu einem Anliegen der ganzen Nation. Alfred Weber, der Heidelberger Hauptstreiter in Sachen »Not der geistigen Arbeiter«, war nicht zufällig zugleich ein Hauptvertreter der These vom Wiederaufstieg aus der »Qualität der Kulturnation«. Boll zählte »den Ernst unserer wissenschaftlichen Arbeit und die hohen Ziele unseres Erziehungswesens« zu den wenigen Dingen, »die noch nicht angefressen oder gar zerstört« seien. Deren Abbau und die Erschwerung des Zugangs zum Bildungswesen seien Sünden »am eigenen Volk in seiner grimmigsten Not«. Es handele sich »bei der Förderung geistiger Kraft und Leistung um eine Lebensfrage nicht nur für eine ehedem bevorzugte Klasse, sondern für die ganze Nation«. 196 Nach 1933 wurde die Behauptung, Deutschland müsse als Kulturnation wiederaufsteigen, von dem jungen nationalsozialistischen Dozenten Hans Teske in antiintellektueller Manier als »liberalistisch« und Juden gegenüber zu wenig ausgrenzend gebrandmarkt. Hier werde »die liberale Überschätzung des Geistes, besser des Intellekts deutlich. Ein frisch eingewanderter, christlich getaufter, auf einer deutschen Schule gebildeter Ostjude wäre demnach ein besserer Deutscher als das ungebildete Proletarierkind.« 197 Im Gegensatz zu den revolutionären Regierungen wurde der Nationalversammlung und damit der von ihr ausgearbeiteten Verfassung die Legitimität von Heidelberger Hochschullehrern nie bestritten. 198 Daß in Weimar trotz denkbar schlechter Bedingungen die deutsche Einheit bewahrt worden war, konnte die meisten liberalen und sogar einige konservative Heidelberger Gelehrte, wie gezeigt, mit der Revolution teilweise versöhnen. 186 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Die Verfassung erschien als der beste unter den gegebenen Verhältnissen mögliche Kompromiß zwischen den beiden »staatsbildenden Kräften« des Bürgertums und der Arbeiterschaft. Zwar sei die Reichsverfassung nur ein »Notdach«, aber immerhin ein Dach. »Es wäre frevelhaft, an ihm zu rütteln.«199 Darüber hinaus stellte insbesondere Anschütz in seiner Rektoratsrede die Weimarer Verfassung in eine nationalhistorische Kontinuität. Sie sei nicht die »Antithese der alten«, sondern deren »geschichtliche Fortbildung«. Die Bismarcksche Reichsverfassung sei in der Richtung weiterentwickelt worden, die liberale Gelehrte bis 1918 gefordert hätten, und knüpfe außerdem an 1849 nicht realisierbare Vorstellungen an. Im Vergleich zu 1871 sei 1919 erstens »klarer und stärker ... die Staatlichkeit des Reiches« betont worden. Deutschland sei durch die Weimarer Verfassung »ein großer Nationalstaat« geworden wie Großbritannien, die USA, Frankreich und Italien. Damit sei die Einheitsbewegung »erfüllt« worden, die die Fürsten 1815 und 1849 »kläglich und kleinlich abgespeist« hätten. Zweitens habe sich der Unitarismus weiter gegenüber dem Föderalismus durchsetzen können. 200 Die weitere Vereinheitlichung des Reiches zu befürworten, entsprach dem gelehrten Staatsgedanken und stand in der Kontinuität professoraler Politik, zu deren zentralen Anliegen immer die Förderung der nationalen Einheit gehörte. Nicht nur Anschütz forderte eine weitere »Unitarisierung« und betonte, daß sie keineswegs Zentralisierung bedeute. 201 Die dritte Fortentwicklung gegenüber 1871 sah Anschütz in der Durchsetzung einer demokratischen Staatsform, die er für den einzig möglichen Kompromiß der »staatsbildenden Kräfte« hielt. Auch in dieser Beziehung stellte er historische Kontinuität her, indem er darauf verwies, daß Demokratie und Nationalismus »Geschwister« seien. Diese drei Tendenzen in der Weimarer Verfassung seien den »Todfeinden unserer Einheitlichkeit« nicht entgangen, so versuchte der liberale Rektor den ›nationalen‹ Studenten zumindest einen interessenrepublikanischen Standpunkt schmackhaft zu machen. Als Beleg zitierte er einen französischen Rechtswissenschaftler, für den Frankreich »den Krieg politisch betrachtet verloren [habe], denn was Bismarck nicht erreicht habe, sei der Revolution gelungen: das deutsche Volk zu einem Staat zusammenzuschmelzen.« Die heftigen Proteste, mit denen diese Rede von studentischer Seite aufgenommen wurde, und die Kritik, mit der die konservative Presse ihr begegnete, zeigen, daß Anschütz, Weber und ihre Gesinnungsgenossen nur begrenzt erfolgreich waren, wenn sie versuchten, der Verfassung größere Legitimation zu verschaffen und sie als notwendiges Ergebnis der deutschen Geschichte und nicht als von außen oktroyiert, ja sogar als von den Feinden mit Beunruhigung wahrgenommen, darzustellen. Der verbreitete Topos der konservativen Kritik, die parlamentarische Demokratie sei dem ›deutschen Wesen‹ nicht gemäß, war wegen der politischen Zurückhaltung der ›orthodoxen‹ Heidelberger Hochschullehrer in den hier ausgewerteten Publikationen allerdings selten zu finden. Er erwies sich gleichwohl als sehr resistent. In 187 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
verklausulierter Form benutzte Oncken eine solche Argumentation. Für ihn war es ein Irrweg, »von neuem angeblich allgemeingültige Werte in einem Staate an sich [zu] verfolgen«, d.h. den Staat und die Verfassung auf universell gültige Werte und nicht auf den »Boden der einzelnen Nation« zu gründen. In der Situation der machtpolitischen Schwäche sei es falsch, »in dem entscheidenden Prinzip der Staatslehre einen neuen Kurs einzuschlagen«. Trotz dieser ausgesprochen konservativen und grundsätzlichen Verfassungskritik Onckens - ähnlich äußerte sich auch Ludwig Curtius 202 - stieß die Weimarer Verfassung beim Lehrkörper im allgemeinen auf weit mehr Respekt als die Republik als solche. Kritik an einzelnen Verfassungsartikeln ist zumindest in den frühen zwanziger Jahren nicht zu verzeichnen. Allerdings mahnte der liberale Strafrechtler Karl von Lilienthal 1921 eine gesetzliche Regelung der Befugnisse des Reichspräsidenten nach Artikel 48 an, da sonst Neuauflagen »des vielgescholtenen Sozialistengesetzes« und »die polizeiliche Knebelung jeder Opposition« drohten. Seine Kritik richtete sich jedoch nicht gegen den Artikel selbst, sondern nur gegen die von ihm ausgehenden »Gefahren für die bürgerlichen Freiheiten«. 203 Zu Dohna hatte zu Beginn des Jahres ebenfalls den Finger auf diese folgenschwere Schwäche der Weimarer Verfassung gelegt und die baldige Aufhebung des Notstandsrechtes verlangt, das anzeige, »daß wir durch die Revolution noch nicht hindurch« seien. 204
3.6. Zusammenfassung Ebenso wie das Verhalten der Universität als Institution spricht die Analyse der Kommentare zu aktuellen Ereignissen für Jarauschs These von den »überraschend kreativen« politischen Ideen im deutschen Bildungsbürgertum zu Beginn der zwanziger Jahre. Was hier Interessen- und Vernunftrepublikanismus genannt wird, nennt Jarausch eine besonders im Vergleich zu den Studenten »pragmatische Neuformierung und Arbeitsbeziehung zur Republik«, 205 die aber nicht zu einer emotionalen Bindung an sie führte. Die hohe Bereitschaft der Heidelberger Hochschullehrer, sich parteipolitisch zu engagieren, der hohe DDP-Anteil unter ihnen, der Unterstützung für das Bündnis des progressiven Bürgertums mit der Sozialdemokratie signalisierte, die mit der Zeit nüchternere Bewertung der Revolution und des Versailler Vertrages, das öffentliche Eintreten einiger Dozenten gegen den Antisemitismus und die Sorge vieler um die Weimarer Republik weisen darauf hin, daß die »Verspätung« der deutschen Führungsschichten im Vergleich zu westlichen Gesellschaften in den frühen zwanziger Jahren geringer war, als häufig angenommen wird. Entscheidender für das fatale Ende der Republik war es, daß sich die begonnene Entwicklung in der Phase der relativen Stabilisierung nicht fortsetzte. 188 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
V. D i e R ü c k k e h r z u a n t i l i b e r a l e n
Ressentiments
1. D i e Universität in den p o l i t i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n w ä h r e n d der stabileren J a h r e d e r R e p u b l i k 1924 suchte die Universität erneut einen Konflikt mit einem politischen Außenseiter, diesmal mit einem Pazifisten und weit links stehenden Gelehrten, dem Privatdozenten Gumbel, der volkswirtschaftliche Statistik lehrte. Daß ein Mann, der Mitglied der USPD gewesen war, an der Betriebsräteschule des ADGB gelehrt und sich seit 1919 mit zahlreichen politischen Publikationen als Antimilitarist und Justizkritiker einen Namen gemacht hatte, sich überhaupt habilitieren konnte, spricht für die ungewöhnliche Liberalität der Heidelberger Universität Anfang der zwanziger Jahre 1 und insbesondere des Institutes für Sozial- und Staatswissenschaften, an dem Gumbel arbeitete. Dessen Direktoren, Gumbels Parteifreund Lederer und der vorübergehende DDP-Vorsitzende Alfred Weber, hatten wie jener die Zeit der Novemberrevolution in Berlin verbracht und sich aktiv an der Errichtung der Republik beteiligt. Als Gumbel 1924 mit Verschwörer ein zusammenfassendes Buch über die nationalistischen, republikfeindlichen Geheimbünde vorlegte, überzog ihn die Justiz mit einem später eingestellten Landesverratsverfahren. Rektor Kallius fragte deswegen bei der Fakultät an, »ob sie gewillt ist, dem Fall gegenüber irgendwie Stellung zu nehmen«. 2 Der Unmut schwoll zu einer Welle der Empörung an, als Gumbel eine Rede auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft zum zehnten Jahrestag des Kriegsbeginns mit der Aufforderung beendete: »Und so bitte ich die Anwesenden, zu Ehren all derer, die - ich will nicht sagen - auf dem Felde der Unehre gefallen sind, sich zu erheben und zwei Minuten Stillschweigen zu bewahren.« Im Gegensatz zu den Veranstaltungsteilnehmern, empörten sich der bereits damals von Nationalsozialisten dominierte AStA 3 und die konservative Presse. Der Rektor schrieb daraufhin an die zuständige philosophische Fakultät: »Diese unerhörte, alle Volkskreise gleichermaßen beleidigende Äußerung« verstoße »gegen die Achtung und das Vertrauen eines akademischen Lehrers in gröblichster, wohl nicht zu überbietender Weise.« Er halte »die Würde der Universität für so unerhört verletzt, daß größte Eile notwendig ist.«4 Binnen drei Tagen hatte die Fakultät ein Disziplinarverfahren eingeleitet, Gumbels Suspendierung erreicht und war der Disziplinarausschuß zu dem 189
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Ergebnis gekommen, man müsse sich »zur Gewinnung eines objektiv begründeten und für die Öffentlichkeit [!] überzeugenden Endurteils« mit Gumbels »gesamter Persönlichkeit« befassen. Als dieser daraufhin erklärte, er habe »den unglücklichen Ausdruck von dem ersten Moment an, wo er Aufsehen erregt hat, bedauert«, 5 war die Sache für Dekan Alfred Weber und Kultusminister Hellpach erledigt. Dieser hob die Suspendierung auf, jener schlug vor, das Disziplinarverfahren einzustellen. Fakultät und Senat waren anderer Ansicht, zumal sie sich über weitere politische Aktivitäten Gumbels empörten. Als Ende Oktober in der deutschen Presse völlig übertriebene Meldungen über Äußerungen des Privatdozenten während einer von französischen Pazifisten organisierten Vortragsreise durch Frankreich erschienen, beantragte die Fakultät die Entziehung der Lehrberechtigung. Der mittlerweile zum Dekan gewählte deutschnationale Archäologe Curtius begründete: Die Universität habe zwar die »Pflicht des Schutzes der Lehrfreiheit, aber auch des Dienstes am deutschen Gesamtgeist in seiner Darstellung durch die Volksgemeinschaft, gegebenenfalls gegen ein sich damit in Widerspruch setzendes Mitglied.« Einhellig zweifelte die Fakultät an Gumbels Aufrichtigkeit. Auch Weber und der neue Rektor Hampe, beide DDP-Mitglieder, plädierten jetzt für die Untersuchung seiner »Gesamtpersönlichkeit«, um »dem Ministerium ein neues, breiteres Material vorzulegen«. Lediglich Jaspers plädierte in der Fakultätssitzung für die Achtung der Lehrfreiheit, allerdings auch nicht primär aus Liberalität, sondern aus taktischen Erwägungen. Man dürfe nicht den Präzedenzfall einer politisch motivierten Entlassung schaffen, da die Lehrfreiheit »in den nächsten Jahren von Seiten des Zentrums u.a. wahrscheinlich immer mehr bedroht werden wird«. 6 Mehr als ein halbes Jahr lang wertete der Disziplinarausschuß Gumbels Publikationen aus und befragte Zeugen zu allerlei obskuren Vorwürfen und Denunziationen. Da die drei Mitglieder des Disziplinarausschusses den drei von den Heidelberger Gelehrten bevorzugten Parteien angehörten, nämlich Jaspers der DDP, zu Dohna der DVP und Nichtordinarienvertreter Baethgen der DNVP (vgl. Tab. 1 im Anhang), und sie sich nicht auf eine gemeinsame Würdigung Gumbels einigen konnten, lassen sich die Unterschiede in ihren Beurteilungen als Indikator benutzen für die wesentliche politische Scheidelinie, die in den zwanziger Jahren zwischen liberal-demokratischen und konservativen Gelehrten und parteipolitisch zwischen DVPund DNVP-Anhängern einerseits und DDP- und SPD-Anhängern andererseits verlief. Das Mehrheitsvotum von zu Dohna und Baethgen ließ kein gutes Haar an Gumbel und war in einer haßerfüllten Sprache verfaßt. »Verschwörer« sei »ein Pamphlet übelster Sorte« und widerspreche »nach Inhalt, Tendenz und äußerer Aufmachung allen Anforderungen, die an eine den Aufgaben und der Würde eines Hochschullehrers entsprechende Publikation zu stellen sind«. Insbesondere gelte dies für die »anstößige Zeichnung des U m 190 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Schlages«, ein von Dix und Heartfield entworfener Blutfleck. Inhaltlich warf man Gumbel vor, die Regierung und die eigene Fakultät zu diskreditieren. 7 Er sei eine »Demagogennatur«, in seiner politischen Tätigkeit »neben einem erheblichen Tiefstand des geistigen Niveaus ... ein völliger Mangel an Objektivität der hervorstechendste Zug«. Zu Dohna und Baethgen prognostizierten, Gumbel werde auch künftig nicht »diejenigen Gefühle achten, die den weitaus überwiegenden Teil der Mitglieder der akademischen Korporation beseelen und die unabhängig von Parteizugehörigkeit und sozialer Stellung einen großen und wesentlichen Teil des deutschen Volkes verbinden.« So habe er nicht einmal während des Verfahrens »durch Zurückhaltung der gegen ihn angehäuften Mißstimmung Rechnung« getragen und stattdessen »das Auftreten ... eines in französischer Sprache redenden Franzosen in einer Sitzung der Friedensgesellschaft am Tage nach dem 18. Januar«, also dem von den Universitäten feierlich begangenen »Reichsgründungstag« veranlaßt. Jaspers kam in seinem Minderheitsvotum zu dem Ergebnis, Gumbel schreibe nichts, »was nicht auch sonst öffentlich gesagt wird«, 8 und habe seine Äußerungen vom »Feld der Unehre« und über Ruge »rückhaltlos« bedauert. Der gelernte Psychiater sah »in Gumbels Persönlichkeit zwar nichts Gemeines, aber eine Neigung zu ungewöhnlicher Taktlosigkeit, zwar keinen intriganten Hang zur Lüge, aber unbekümmerte, unbesonnene Rücksichtslosigkeit, die in politischem Kampf und im praktischen Leben die Dinge unkritisch verschiebt.« Aber »Parteimenschentum und Gelehrtennatur scheinen getrennt voneinander bei ihm zu existieren. Es ist nicht bekannt geworden und niemals ihm vorgeworfen, daß er in seine Vorlesungen politische Tendenzen verfolge.« Die Fakultät kam zu der Erkenntnis, daß die Entziehung der Lehrberechtigung nicht zu erreichen sei, da der Kultusminister hinter Gumbel stehe. So trat sie die Flucht nach vorne an und beantragte die Einstellung des Verfahrens. Dem Beschluß ist anzumerken, wie widerwillig er zustandekam: »So unerfreulich [der Fakultät] Persönlichkeit und Gesinnung Dr. Gumbels sind, sie glaubt eher, ein solches Mitglied ertragen zu können, als Gefahr laufen zu dürfen, eine nicht von jeder Seite aus unangreifbare Ausschließung eines ihrer Mitglieder vornehmen zu dürfen.« 9 Um ihre nationale Gesinnung zu beweisen, verschickte die Universität ihren Beschluß und Auszüge aus den Gutachten an die Presse und sämtliche philosophischen und staatswissenschaftlichen Fakultäten. Diese Rufmordkampagne stellte nicht nur genau das dar, was man Gumbel vorwarf, nämlich einen Bruch mit den »akademischen Gepflogenheiten« und »einen geradezu elementaren Mangel an Takt«, sondern hatte zudem die unbeabsichtigte Folge, daß er der Universität bis auf weiteres erhalten blieb. Ebenso hart wie gegen Gumbel ging der Senat gegen den AStA vor, der der Universität angeboten hatte, er werde sich mit Gumbel abfinden, falls dafür Ruge wieder eine Lehrberechtigung bekomme. Rektor Hampe, der 191 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
wesentlich liberaler als sein Vorgänger Kallius war, 10 wies diesen Kuhhandel in scharfem Ton als Einmischung in ein schwebendes Verfahren zurück. Wegen ihres Ansinnens bekamen sämtliche AStA-Mitglieder Disziplinarverfahren, und dem AStA wurde die Herausgeberschaft der Akademischen Mitteilungen entzogen. Der Rektor reagierte nicht zuletzt deshalb in dieser Schärfe, weil der AStA auf einer Studentenvollversammlung zum Fall Gumbel Juden das Beratungs- und Stimmrecht entziehen wollte, da es sich um eine »rein deutsche Angelegenheit« handle. 11 Der erste Fall Gumbel zeigte, wie sehr der Liberalismus im Heidelberger Lehrkörper wie in der Weimarer Republik national geprägt war und unter welchen Rechtfertigungsdruck er deshalb geriet, wenn die ›nationale Opposition‹ ein hartes Vorgehen gegen Pazifisten und Internationalisten forderte, mit denen die Liberalen unter keinen Umständen in einen Topf geworfen werden wollten. Man hat den Eindruck, als seien die liberalen Professoren von ihren eigenen nationalen Gefühlen übermannt worden und hätten erst, als sie sahen, auf welche Mühlen nationalsozialistische und andere rechtsextreme Studenten die Empörung leiteten, versucht, mit Anstand aus der unter ihrer Beteiligung losgetretenen Lawine wieder herauszukommen. Der Fall Gumbel markiert das Ende einer von der Novemberrevolution bis 1924 dauernden Phase der Modernisierung der Universität und ihrer politischen Öffnung. Er bot den konservativen Gegnern dieser Entwicklung einen willkommenen Anlaß, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Die Provinzialität, die sich etwa in den Tiraden über die Umschlaggestaltung von »Verschwörer« äußerte, stand zudem in eklantantem Widerspruch zu dem Bild der Universität, das in der damaligen Öffentlichkeit und in den Autobiografien der Universitätsangehörigen gezeichnet wurde. Nur zwei Monate nach der Einstellung des ersten, leitete die Fakultät ein zweites Disziplinarverfahren gegen Gumbel ein. Diesmal ging es um die briefliche Äußerung, der Versailler Friede sei »natürlich ungerecht, aber nicht mehr als etwa der Friede von 1871 und der Friede, den wir mit Rußland und Rumänien schlossen«. Durch eine Indiskretion war dieser Satz bekanntgeworden, und deutschnationale Kreise entfachten eine neue Kampagne. Sie wurde auch dadurch geschürt, daß Gumbel, der seit Sommersemester 1925 zu Forschungen in Moskau war, die Äußerung zunächst leugnete. Das Verfahren wurde bald eingestellt. Aber sowohl liberale Hochschullehrer als auch der sozialdemokratische Kultusminister R e m m e l e verbemühten sich auch weiterhin, Gumbel loszuwerden, indem sie ihm seinen Lehrauftrag und sein Privatdozentenstipendium zu nehmen oder ihn ins Ausland zu komplimentieren suchten. 12 Im Gefolge der Fälle Gumbel gab es 1925/26 im Senat Schwierigkeiten, als Karl Mannheim, wieder ein Mann mit linker politischer Vergangenheit, sich habilitieren wollte. Wegen der »enthusiastischen Empfehlungen« durch Lederer und Alfred Weber war seine Habilitationsschrift von der Fakultät angenommen worden. Der Senat jedoch wandte ein, ob Mannheim, der 192 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Ungar war, nicht zunächst die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben müsse. Schließlich verlieh der Senat die Lehrberechtigung mit der knappesten Mehrheit von sechs zu fünf Stimmen, weil Mannheims Fürsprecher noch einmal vehement interveniert und erklärt hatten, er sei im Grunde Deutscher, da seine Mutter »Reichsdeutsche« sei. In der Stellungnahme der Fakultät hieß es: »Die Fachvertreter insbesondere haben in mehreren Erörterungen durchaus befriedigende Aufklärung über die Persönlichkeit des Herrn Dr. Mannheim gegeben, der weder politisch je hervorgetreten ist noch nach seiner ganzen Anlage und seinen Neigungen sich je politisch betätigen wird. Die Herrn Weber und Lederer haben sich gerade für diesen Punkt in einer zu Protokoll genommenen Erklärung persönlich verbürgt.«13 Der Verdacht gegen Mannheim rührte daher, daß er aus seiner von einer konservativ-autoritären Regierung beherrschten Heimat emigriert war. Weber und Lederer fühlten sich offensichtlich wegen des Falles Gumbel genötigt zu unterstreichen, daß dieser Habilitand nicht für neue Querelen sorgen werde. Nicht nur aus ihrem Verhalten in Sachen Mannheim und Gumbel wird deutlich, daß Weber und andere Liberale Angriffe auf Kollegen, die linksgerichteter Neigungen verdächtigt wurden, nicht offensiv parierten und das Verständnis, das ihre konservativen Kollegen von den Standespflichten und den angemessenen Formen politischer Betätigung hatten, nicht in Frage stellten. Selbst gegen einen so prominenten Gelehrten wie den ehemaligen Reichsjustizminister Radbruch und in der liberalsten Fakultät regten sich Bedenken wegen dessen Engagement auf der politischen Linken. Der einstimmige Berufungsbeschluß vom Mai 1926 enthielt folgende Passage: »Die Fakultät glaubt, angesichts so großer sachlicher Qualitäten gewisse Bedenken gegen die in seinem Wesen begründete, in seinen Schriften wie in seiner politischen Betätigung immer wieder hervortretende ideologische Grundstimmung und die damit verbundenen Gefahren überwinden, nicht aber, sie ganz verschweigen zu dürfen... Daß die Formen und Methoden, in denen die von Radbruch herausgegebene Zeitschrift ›Die Justiz‹ [zu deren regelmäßigen Autoren auch Gumbel gehörte] Mißgriffe der Rechtspflege tadelt, nach dem Urteile der Fakultät den Schaden eher zu mehren als zu mindern geeignet sind, muß offen ausgesprochen werden.«14 Die Fakultät machte noch zu anderen politischen »Fehlurteilen« Radbruchs kritische Anmerkungen, rechtfertigte aber letztlich die Berufung mit seiner »Lauterkeit« und der »Höhe seiner ethischen Gesinnung«. In zwei weiteren Berufungsverfahren politisch engagierter Gelehrter, die der DDP nahestanden bzw. angehörten, bei Ernst Robert Curtius und Hellpach, wurden ähnliche Bedenken geäußert. 15 War man bei etablierten Angehörigen der Universität bereit, politisches Engagement in einem gemäßigten Spektrum, das vom rechten Flügel der SPD bis zur DNVP reichte, zu tolerieren, so galt dies für zu Berufende ebenso wenig wie für diejenigen, die die eng gezogenen Grenzen bürgerlich-akademischen ›Taktes‹ überschritten. 193 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Parallel zum »Fall Gumbel« engagierte sich die Universität zum erstenmal seit dem Weltkrieg als ganze in einer politischen Auseinandersetzung. Daß es dabei um den Landschafts- und Denkmalschutz ging, nämlich die Kanalisierung des Neckars, von der man eine Beeinträchtigung der Heidelberger Landschaft und eine Gefährdung der Alten Brücke befürchtete, macht einmal mehr deutlich, daß sich die Universität ihrem eigenen Selbstverständnis nach nur politisch äußern durfte, wenn Fragen von nationalem Belang auf der Tagesordnung standen. Daß die Neckarkanalisierung als solche angesehen wurde, zeigen die Eingaben und Aufrufe zu diesem Thema, die die Heidelberger Landschaft als nationales Kulturgut stilisieren. Wer die Alte Brücke »schädige oder zerstöre«, raube »Heidelberg und ganz Deutschland ein Stück kostbar lebendigen Kulturgutes«. Diese Tat könne »in sittlicher Bewertung nur mit Mord oder Diebstahl auf eine Linie gesetzt werden«, hieß es in einer vom Rektor und zwei Ordinarien (dem OtoLaryngologen Werner Kümmel für den Verein »Badische Heimat« und dem Kunsthistoriker Carl Neumann für den Schloßverein) unterzeichneten Eingabe. 16 Die Kanalisierung bedrohe »mit technisch-industrieller Umgestaltung, der unvermeidlich so viele Landschaften unseres Vaterlandes geopfert werden müssen, gerade das Tal und die Landschaft, deren von Dichtern und Künstlern verklärte Schönheit in erster Reihe verdient, vom ganzen deutschen Volk gehegt und verteidigt zu werden«, argumentierte der Aufruf des im Dezember 1924 gegründeten Ausschusses zum Schutze des Neckartales und der Alten Brücke zu Heidelberg. 17 Ausschußvorsitzender war der j e weilige Rektor, Mitglieder waren sieben Professoren (darunter drei Senatoren sowie Neumann als Vorsitzender des Schloßvereins und Fehrle als Nachfolger Kümmels im Vorsitz der »Badischen Heimat«) und sechs weitere Heidelberger Honoratioren aus Wirtschaft und Verwaltung. Im Stile einer heutigen Bürgerinitiative forderte der Ausschuß die Offenlegung der Kanalbaupläne und machte Eingaben an Behörden und Parlamente. Seine Mitglieder publizierten offene Briefe, zahlreiche Artikel und eine durch das Universitätssekretariat vertriebene Broschüre, in denen man die wirtschaftliche Nützlichkeit des Kanals anzweifelte und wahre Horrorgemälde der Folgen für die Heidelberger Landschaft und das Leben in der Stadt entwarf. Dies alles focht die Betreiber des Kanalbaus nicht an. Der größte Erfolg des Ausschusses war, daß im Oktober 1926 der Reichsverkehrsminister zu einem Gespräch nach Heidelberg kam. Als die Kanalgegner auch bei dieser Gelegenheit mit ihren Argumente nicht durchdrangen, gaben sie, frustriert über die Arroganz der Behörden, ihren Kampf auf.18 Die zwei Rektorate Dibelius 1927/28 und nach dem Tode seines konservativeren Nachfolgers Heinsheimer von Juni bis September 1929 bildeten den Höhepunkt einer zweiten Phase der Liberalisierung und Modernisierung der Universität sowie ihrer Öffnung gegenüber dem Ausland, die an ähnliche Bemühungen in den Jahren 1919 bis 1922 anknüpfte und für die 194 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Sonderstellung Heidelbergs unter den Universitäten der Weimarer R e p u blik charakteristisch ist. Sie wurde begünstigt durch äußere Bedingungen, vor allem die stabilisierte wirtschaftliche und politische Lage, und durch die traditionelle Weltoffenheit der Ruperto-Carola. Anknüpfend an Ansätze aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit fanden im Sommersemester 1926 die ersten »Ausländerkurse« für deutsche Sprache und Kultur statt,19 die bis heute als Heidelberger Ferienkurse fortbestehen. Die Gründung eines Instituts für Zeitungswesen im Mai 1927 kann angesichts der verbreiteten Pressefeindschaft der Gelehrten 20 ebenso als Beleg für die Modernität der Universität interpretiert werden wie die Tatsache, daß die Gründung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes vom Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften ausging. Im Oktober 1927 tagte dann in Heidelberg und Frankfurt und zum ersten Mal in Deutschland der »Europäische Kulturkongreß«, für Heidelberg ein Höhepunkt des geistigen Lebens der zwanziger Jahre. Veranstalterin war die Federation internationale des unions intellectuelles, 21 die der österreichische Prinz Rohan zur Aussöhnung Europas nach dem Weltkrieg gegründet hatte, die in ihrer Satzung aber die Erörterung »politischer« Themen ausdrücklich verbot. Obwohl bei der Tagung von 1927 mehrere liberale Heidelberger Gelehrtenpolitiker im Mittelpunkt standen (neben Rektor Dibelius Hellpach und Alfred Weber), hatte die Veranstaltung - wie die ganze Federation, in der Deutsche und Italiener dominierten, - einen antiliberalen und antiwestlichen Einschlag. Ein unbekannter Heidelberger Gelehrter fragte sich: »Wie kommen Hellpach und Alfred Weber in diese faschistisch-klerikale Gesellschaft, und wie kommt diese Gesellschaft in die Aula unserer Universität?« Dieser Eindruck entstand nicht nur dadurch, daß der Italienliebhaber und FaschismusSympathisant Ludwig Curtius die Tagung leitete, sondern es bestanden grundsätzliche Affinitäten zwischen dem Heidelberger gelehrten Liberalismus und dem Faschismus.22 In den Augen der Öffentlichkeit jedoch war der »Europäische Kulturkongreß« eine Anerkennung für die von der liberalen Fraktion im Lehrkörper betriebene Politik der Öffnung der Universität gegenüber dem nach Ansicht der meisten Zeitgenossen feindseligen Ausland. Diese Anerkennung wiederum gab der Öffnung neuen Schub. Auch verschiedene Ehrenpromotionen der Ära Dibelius signalisierten das Eintreten der Universität für die internationale Verständigung. So wurde der luxemburgische Industrielle Emil Mayrisch als Präsident des deutschfranzösischen Studienkomitees als »Urheber und Leiter der organisierten Ausschaltung vergiftender politischer und geistiger Mißverständnisse und gegenseitiger Verkennungen« geehrt. 23 Spektakulärer und ein Bruch mit der universitären politischen Kultur der Republik war die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Stresemann und US-Botschafter Schurman im Mai 1928. Denn die Universität brachte damit ihre Zustimmung zur »Erfüllungspolitik« des Reichsaußenministers zum Ausdruck, die von der politischen Rechten massiv angegriffen wurde, und ehrte zugleich auch noch 195 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
den Vertreter einer Siegermacht. Der hoffnungsvolle Grundtenor der R e den von Rektor Dibelius und Dekan Andreas hob sich deutlich ab vom sonst von Weimarer Hochschullehrern zur Schau getragenen Kulturpessimismus.Von Andreas waren in seinen Heidelberger Jahren nie so kosmopolitische Bekenntnisse zu vernehmen wie bei diesem Anlaß, als er unterstrich, daß neben Nationalität Weltbürgertum und Mitträgerschaft an den Kulturwerten stehen sollten, »die allen gesitteten Menschen und friedliebenden Völkern teuer sein müssen«. Trotz »stärkster und selbstverständlicher Hingabe an das eigene Vaterland« dürfe »Politik nie ausschließlich bloß von Erwägungen der Nützlichkeit und des eigenen Vorteils bestimmt werden«. 24 Die Formulierung, mit der Dibelius den Festakt in seinem Jahresbericht würdigte (»Dieser Saal war einen Vormittag lang die Szene eines Aktes großer Politik« 25 ), stellte angesichts der demonstrativen Politikferne der deutschen Universitäten einen weiteren Traditionsbruch und ein Symptom des veränderten politischen Selbstverständnisses in Teilen des Lehrkörpers dar. Wie kurz diese zweite Phase politischer Gelassenheit und internationaler Öffnung war, zeigt ein Rückblick Hellpachs von 1931: Die Zeremonie vom 5. Mai 1928 sei die »gläubigste ideologische Inscenierung« des im April 1928 vom amerikanischen Staatssekretär Kellogg vorgeschlagenen und im August unterzeichneten Kriegsächtungspaktes gewesen. Ein »Abenteuer im schönsten naiven Sinne, ich möchte sagen, in seiner mittelalterlichen Ursprünglichkeit, im Sinne eines tapferen, ungewissen und doch zuversichtlich und starknervig unternommenen Wagnisses«.26 Ähnlich wie Anschütz in seiner Rektoratsrede von 1922 forderte auch Dibelius, der den Festakt zudem wenige Tage vor eine Reichstagswahl gelegt hatte, 1928 die Studenten in zwar dem konservativen Denken entgegenkommenden Formulierungen, aber unmißverständlich zur Mitarbeit im demokratischen Staat auf: Ihnen solle »dieser dies academicus als ein dies politicus im höchsten Sinne erscheinen, der sie mahnt, daß der Akademiker nicht allein auf der Welt ist, daß er eingegliedert ist in den großen Volksorganismus und daß er darum verpflichtet ist, ... nicht nur zum Studium vaterländischer Vergangenheit, sondern auch zum Verständnis gegenwärtigen Staatslebens!« 27 Dibelius umwarb die überwiegend die parlamentarische Demokratie ablehnenden Studenten jedoch nicht nur, sondern setzte ihren Aktivitäten auch Grenzen. Im Verein mit Kultusminister Leers und gegen ein Gutachten der juristischen Fakultät untersagte er der Heidelberger Studentenschaft als einziger in Deutschland den Beitritt zum antirepublikanischen Dachverband Deutsche Studentenschaft. Im August 1928 nahm er als erster Rektor an der städtischen Verfassungsfeier im Rathaus teil und gab auch damit der nur von Teilen des Lehrkörpers getragenen Bereitschaft der Universität Ausdruck, sich in die Republik zu integrieren. Eigene Verfassungsfeiern, wie sie an den preußischen Universitäten offensichtlich aufgrund ministeriellen Druckes stattfanden, veranstaltete Heidelberg nicht. 28 196 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Auch wenn dies bei der Feier nur angedeutet wurde, war die Ehrung des amerikanischen Botschafters nicht nur ein politischer Akt, sondern auch Ausdruck der Dankbarkeit dafür, daß Schurman in den USA eine halbe Million Dollar an Spenden für den Neubau eines Hörsaalgebäudes gesammelt hatte. Bereits vor dem Krieg hatte die Universität über ihre schlechte bauliche Ausstattung geklagt, während des Krieges und der Inflationszeit aber diesbezügliche Forderungen zurückgestellt. 1925 hatte Hampe als Rektor dem Ministerium und der Öffentlichkeit eine »Denkschrift über die Mißstände vornehmlich baulicher Art« vorgelegt. Das Kultusministerium veranlaßte daraufhin Planungen für einen Neubau, die das Finanzministerium aber wegen der schlechten Finanzlage aus dem Haushaltsentwurf für 1926/27 wieder strich. Schurman, als ehemaliger Heidelberger Student, hatte davon erfahren und eine Spendensammlung veranstaltet, die in der Stadt Anfang 1928 bekannt wurde. Daß der unverhoffte Geldsegen angesichts der in Deutschland herrschenden politischen Stimmung keineswegs nur Begeisterung auslöste, zeigt der Bericht des Rektors an das Kultusministerium über die ersten Beratung der Spende im Senat: »Wir heben ausdrücklich hervor, daß die Stiftung dem Wunsch entspringt, die Dankbarkeit der Amerikaner für die von Heidelberg ausgegangenen wissenschaftlichen Anregungen zu bezeugen; jede unser nationales Empfinden verletzende Geste, Äußerung oder Ausdrucksweise ist dabei sorgfältig vermieden worden.« 29 Diese Formulierung trug den an der Universität laut gewordenen nationalen Ressentiments Rechnung, die keineswegs nur konservative Mitglieder des Lehrkörpers, sondern auch die nationalliberalen Senatoren Heinsheimer (DDP) und von Schubert (DVP) äußerten. Letzterer meinte, der »Amerikabau« solle zumindest nicht an derart exponierter Stelle in der Altstadt errichtet werden, da dies eine »nationale Einbuße« bedeute. Die Universität solle sich eher ans Reich wenden, als das amerikanische Geld anzunehmen. Diese Bedenken wurden zwar angesichts der baulichen M i ß stände und der Aussichtslosigkeit, anderswo die notwendigen Mittel aufzutreiben, zurückgestellt, aber außeruniversitäre ›nationale‹ Gruppen und der AStA begleiteten den Neubau mit einer Kampagne, in der sie nicht nur nationalistische, sondern auch antisemitische Ressentiments artikulierten, da ein Teil der amerikanischen Spenden von Juden stammte. Der Höhepunkt solcher Hetze war die Festschrift der nationalsozialistischen Stadtratsfraktion zur Einweihung des Neubaus »Die Juden bringen den ›lebendigen Geist‹«, deren Titel auf die vom jüdischen Germanisten Gundolf vorgeschlagene Widmung über dem Eingang (»Dem lebendigen Geist«) anspielte. Auf Dibelius folgte der ebenfalls für die DDP engagierte, aber stärker national-liberale Jurist Heinsheimer als Rektor. Die bedeutendste politische Stellungnahme, die er im Namen der Universität abgab, hatte er kurz vor seinem Tod zum zehnten Jahrestag des Versailler Vertrages verfaßt, konnte sie aber nicht mehr selbst verlesen. Zwar frei von Revanchismus und Revisionsforderungen war sie dennoch geprägt von nationalem Pathos, 197 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
beklagte »Deutschlands hartes Friedensschicksal« und verherrlichte das Opfer der Gefallenen. 30 Die Veranstaltung wurde als »Totengedenken« angekündigt, da Versailles-Kundgebungen der deutschen Hochschulen von den Länderregierungen verboten worden waren, wogegen auch liberal-demokratische Hochschullehrer protestierten. Für Heidelberg befürchteten sie, daß durch solche Maßnahmen »die staatsgegnerischen studentischen Kämpfe auch an derjenigen Universität ihren Einzug halten, die bisher von ihnen so gut wie frei war und deren besonderen R u h m es ausmachte, als die älteste Hochschule des Reiches den neuen Dingen gegenüber die freieste Aufgeschlossenheit zu bekunden, die größte Zahl herzlich republikanischer Lehrer ... in ihrem Lehrkörper zu vereinigen.« 31 Bei der wenige Tage nach diesen Kundgebungsverboten stattfindenden AStA-Wahl gewannen prompt die Nationalsozialisten, die seit ihrem kurzen Gastspiel 1924/25 in der Bedeutungslosigkeit versunken waren, auf Anhieb 23 % der Stimmen und zehn Sitze! 32 Dieses Ereignis markiert den Beginn der allmählichen nationalsozialistischen Machtübernahme an der Universität. Diese Entwicklung, die als nächstes zur Übernahme des AStA durch die Nationalsozialisten führte, wurde immer wieder auch durch »die unbegreiflich kurzsichtige Nadelstichpolitik der Landesregierungen« (Hellpach) gefördert. In den wenigen Monaten seiner zweiten Amtszeit führte Dibelius einige spektakuläre Neuerungen ein, die eine weitere Liberalisierung und Modernisierung der Institution Universität bedeuteten. Anfang Juli 1929 empfing er als erster Rektor die Presse, was von dieser, ebenso wie die kurz zuvor stattfindende erste Pressekonferenz eines Heidelberger Oberbürgermeisters, sehr gelobt wurde. Am Ende desselben Monats sandte die Universität einen Blumengruß und »aufrichtige Genesungswünsche« an den erkrankten sozialdemokratischen Reichskanzler Müller und ging damit einen weiteren symbolischen Schritt auf die Republik zu. Zum zehnten Jahrestag des Inkrafttretens der Weimarer Verfassung richtete Dibelius einen flammenden Appell an die Studierenden, in dem er die republikanische Staatsform als unabänderliche, »unserem Leben mit Schicksalsgewalt eingeprägte geschichdiche Tatsache« bezeichnete, die Verfassung als einen »weittragenden Entschluß« lobte und zum Kampf gegen das deutsche »Erbübel« Zwietracht aufforderte. 33 Schließlich griff Dibelius als erster amtierender Rektor für seine Partei, die DDP, aktiv in einen Wahlkampf ein. 34 Damit brach er ein weiteres Mal mit dem überparteilichen Selbstverständnis der deutschen Universitäten und ging über die Schritte seiner Vorgänger Anschütz (Kandidatur für eine Partei) und Hampe (Unterzeichnung eines Wahlaufrufes) hinaus. Dibelius' politische Wirksamkeit wurde Jahre später noch von seinen Gegnern anerkannt. Das nationalsozialistische Parteiblatt bezeichnete ihn 1933 als »schlauesten Fuchs der Universität«. 35 Seinen zweiten Rechenschaftsbericht beendete Dibelius mit einem Plädoyer für Offenheit der Universität politischen Fragen gegenüber, die 198 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
allerdings nicht »zu einer Weltbefangenheit ausarten« dürfe, in der »die freie Forschung und Lehre dienstbar werde den Parteien, Richtungen und Interessen.« Der »schmale Weg« zwischen Weltfremdheit und Weltbefangenheit könne »nur gesucht und gefunden werden in Freiheit.« Dibelius betonte, daß es der Universität »nicht nur um die Freiheit der Selbstverwaltung, auch nicht nur um die Freiheit von Forschung und Lehre« gehen dürfe, »sondern auch um die Freiheit der Selbstkritik, der Selbstbesinnung und der Selbsterneuerung«. Diese außergewöhnlichen Reflexionen über die Rolle der Universität im demokratischen Staat, die mit dem Ausruf »Aber die Freiheit muß es sein!«36 endeten, blieben für lange Zeit das letzte Plädoyer eines höchsten Repräsentanten der Ruperto-Carola für die Freiheit. Die Politisierung der Universität nahm zwar weiter zu, aber von dem von Dibelius beschriebenen »schmalen Weg« wurde nun, nachdem man lange Zeit hindurch nach der Seite der Entpolitisierung hin abgewichen war, zur anderen Seite der »Weltbefangenheit« hin abgeirrt. Wenige Tage nach dem Ende von Dibelius' zweiter Amtszeit starb Stresemann. Das Beileidstelegramm, mit dem die Universität »in tiefster Trauer und schmerzlichster Erschütterung« des »außenpolitischen Führers« und eines »Freund[es]« gedachte, unterzeichneten sein Nachfolger Gotschlich und Dibelius als Prorektor gemeinsam. 37 Es dürfte aber aus des letzteren Feder stammen. Für die ruhigeren Jahre der Republik ist im Vergleich zu den meisten anderen Universitäten immer noch ein liberaler Vorsprung Heidelbergs zu konstatieren. 38 Gegenüber dem vorangegangenen Zeitabschnitt hatte er sich allerdings trotz der bemerkenswerten Aktivitäten Dibelius' verringert. Die Ausgrenzung politisch extremer Positionen begann sich gegen Pazifisten und Sozialisten zu richten, während die extremen Nationalisten aus der Schußlinie verschwanden.
2. Individuelles E n g a g e m e n t 1 9 2 4 - 1 9 2 9 2.1. Engagement für Parteien In der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik, die für die Hochschullehrer überdurchschnittliche Einkommenssteigerungen mit sich brachte, blieb nach der sprunghaften Zunahme im vorhergehenden Zeitabschnitt das Ausmaß ihres politischen Engagements fast konstant. Konnte für 191418 bei allerdings schlechterer Quellenlage bei 1 3 % und für 1919-23 bei 26 % der Heidelberger Universitätslehrer parteipolitisches Engagement festgestellt werden, so stieg dieser Anteil für 1924-29 auf 27 % und erreichte damit sowohl prozentual als auch bei steigender Gesamtstärke des Lehrkörpers absolut den höchsten Wert im Untersuchungszeitraum. Die konstant hohe Bereitschaft zu parteipolitischem Engagement 39 weist darauf hin, daß 199 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
viele Heidelberger Gelehrte zur Mitarbeit in einer parlamentarischen Demokratie durchaus bereit waren, solange dieses System einigermaßen funktionierte. Die Heidelberger Hochschullehrer nahmen stärker, als es das von ihnen formulierte Rollenverständnis vermuten läßt, Abschied von traditioneller Honoratiorenpolitik, die nicht kontinuierliche Mitarbeit in Parteien, sondern nur die Intervention in »Stunden der Not« vorsah, und entwickelten ein staatsbürgerliches Verhältnis zur Weimarer Republik. Es ist zu vermuten, daß der Heidelberger Lehrkörper hinsichtlich dieses veränderten politischen Selbstverständnisses ein Vorreiter war. 40 Ungewöhnlich für eine damalige Universität und Ausdruck des liberalen Vorsprungs Heidelbergs während der zwanziger Jahre blieb die Verteilung des Engagements auf die einzelnen Parteien. Die heute noch feststellbaren parteipolitischen Präferenzen dürften allerdings leicht zugunsten der DDP verzerrt sein, weil durch den Gelehrtenaufruf für die DDP zur Reichstagswahl im Dezember 1924, den fünfzehn Heidelberger Hochschullehrer unterzeichneten, 41 ihr Potential vollständiger auszumachen ist als das anderer Parteien. Dennoch dürfte es auch bei der DDP über diejenigen, die sich öffentlich zu ihr bekannten, hinausgegangen sein. Denn einen Wahlaufruf zu unterzeichnen, bedeutete einen solchen Bruch mit der professoralen Selbstdarstellung, daß einige weitere Sympathisanten der DDP davor zurückschreckten. 42 So dürfte die Verteilung des parteipolitischen Engagements (SPD 10 %, DDP 42 %, DVP 12 %, Ζ 4 % DNVP 28 %, CSVD und NSDAP je 2 %43) mit dem nicht rekonstruierbaren Wahlverhalten der Hei delberger Universitätslehrer hoch korrelieren, so daß ein Vergleich mit den Heidelberger Wahlergebnissen 1924-29 (SPD 17-26 %, DDP 9-16 %, DVP 11-18 %, Ζ 15-17 %, DNVP 9-13 %, NSDAP 4-12 %) möglich ist. Während SPD und DDP gegenüber den ersten Jahren der Republik in der Heidelberger Gesamtwählerschaft deutlich Stimmen eingebüßt hatten, nahm bei den Hochschullehrern das Engagement für die SPD leicht und das für die DDP, zumindest bis Dezember 1924, deutlich zu. Dem stand ein ebenso deutlicher Rückgang der Parteinahme für die DNVP gegenüber, der auch durch die neuen konservativen bzw. faschistischen Parteien CSVD und NSDAP nicht aufgewogen wurde. Demgegenüber war der DNVP-Anteil an der Gesamtwählerschaft stabil, und die NSDAP konnte in Heidelberg ihre ersten überdurchschnittlichen Erfolge verbuchen. Gleichwohl blieb die DNVP eine der von Heidelberger Gelehrten bevorzugten Parteien, auch wenn sie auf geringere Resonanz als an anderen Universitäten stieß. Der Rückgang der DVP dürfte primär mit der gegenüber dem vorigen Kapitel veränderten Quellenlage zu erklären sein, 44 so daß man davon ausgehen kann, daß das Engagement für die DVP wie das fürs Zentrum bei Heidelberger Dozenten ebenso wie bei den Wählern weitgehend konstant war. Die feststellbare Unterstützung für das Zentrum liegt wie in den vorangegangenen Zeitabschnitten weit unter dem katholischen Anteil am Lehrkörper. Auf weiter bestehende Ressentiments gegen den politischen Katholizismus wird 200 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
noch einzugehen sein. Insgesamt bedeutete die zunehmende Politisierung der Heidelberger Universität in der Stabilisierungsphase der Republik eine weitere Zunahme des Anteils der Liberalen und Sozialisten im Lehrkörper. Ursächlich hierfür ist nicht nur die politische Entwicklung mehrerer Gelehrter, sondern auch daß von den neu Habilitierten und Berufenen ein größerer Anteil dem demokratischen Spektrum angehörte als vorher. Der Vergleich zur Universität Hamburg, in der von dreizehn Parteieintritten von Hochschullehrern in den Jahren 1924-29 drei (23 %) auf die SPD, j e vier (31 %) auf DVP und DNVP je einer auf DDP und NSDAP entfielen, weist Heidelberg als DDP-Hochburg aus und bestätigt die Distanz der Gelehrten zur Zentrumspartei bis in die Ära Brüning hinein. 45 Die beiden Parteien, die im Lehrkörper der Ruperto Carola auf deutlich überdurchschnittliche Resonanz stießen, DDP und DNVP, vertraten im Vergleich zu den unterrepräsentierten DVP, Zentrum und SPD ausgesprochen ›deutsche‹ politische Konzeptionen. Während es zur sozialistischen SPD und zur wirtschaftsliberalen und eng mit dem Großkapital verflochtenen DVP Pendants in anderen Ländern gab und auch der politische Katholizismus eine internationale Bewegung war, standen DDP und DNVP für die konservative bzw. liberale Variante eines antiwestlichen, völkischen Denkens, dessen zentrale Komponenten zum politischen Grundkonsens im Lehrkörper gehörten und von führenden Heidelberger Gelehrtenpolitikern maßgeblich mitgeprägt worden waren: Man stand dem Kapitalismus ebenso skeptisch gegenüber wie dem »Mechanismus« der parlamentarischen Demokratie und stellte ihnen die Sozialverpflichtung des Eigentums und eine spezifische »deutsche Idee der Freiheit« entgegen. 46 Man war - auch als Republikaner - ausgesprochen nationalistisch, man empfand die Entwicklung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Großorganisationen, sowohl der Großkonzerne als auch der Gewerkschaften und Interessenverbände als verhängnisvoll und hielt an ständischen und harmonistischen Gesellschaftsmodellen fest. Diese im deutschen Bildungsbürgertum populären Haltungen wurden besonders konsequent von der Jugendbewegung vertreten, und ihre Verbreitung im Heidelberger Lehrkörper steht in einer Wechselbeziehung zur Attraktivität der Ruperto Carola für Aktivisten der Jugendbewegung. Nicht zufällig schloß sich die DDP (und nicht etwa die DVP) mit dem jugendbewegten Jungdeutschen Orden zusammen, und nicht zufällig stieß dieser Prozeß auf besondere Sympathien Heidelberger Professoren. Symptomatisch für eine gewisse Halbherzigkeit des Engagements derjenigen, die sich 1924 bis 1929 öffentlich für die Wahl demokratischer Parteien aussprachen, ist die erstaunliche Abstinenz der Heidelberger Universitätslehrer bei der Reichspräsidentenwahl 1925. Nur vier nahmen überhaupt Stellung - und das wenige Monate nach der breiten Parteinahme für die DDP. Sie sprachen sich sämtlich für Kandidaten aus dem demokratischen Spektrum aus: im ersten Wahlgang Brinkmann, Ernst Robert Curtius und Dibelius für Hellpach (DDP) und Walleser für Marx (Z). Im zweiten 201 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Wahlgang bezog allein Dibelius Position. Er sprach sich nun für den Zentrumspolitiker Marx aus, der gemeinsamer Kandidat der demokratischen Parteien gegen Hindenburg war.47 Über die Gründe dieser auffälligen Zurückhaltung kann nur spekuliert werden: Allen Einheitsparolen zum Trotz waren die Ressentiments der protestantisch und national geprägten Heidelberger Liberalen gegen einen Katholiken und »Ultramontanen« so groß, daß sie nicht wie der in seinem politischen Selbstverständnis vorbildlich pragmatische Dibelius zu dessen Wahl aufrufen konnten und ihm häufig den Weltkriegshelden Hindenburg vorzogen.48 Die Enthaltsamkeit gerade bei dieser aus heutiger Sicht folgenschweren Niederlage der Republikaner relativiert etwas den spektakulären Aufruf der fünfzehn Professoren für die DDP, fällt aber angesichts allgemeiner Probleme der DDP, 1925 ihr vorwiegend protestantisches und stark durch antikatholische Vorurteile geprägtes Wählerpotential für Marx zu mobilisieren, nicht aus dem Rahmen bürgerlich-liberalen Verhaltens.
2.2. Rückzug aus der Parteipolitik in die Publizistik Bei der Kommunalwahl von 1926 kandidierte seit vielen Jahren erstmals kein Habilitierten Lediglich der Titularprofessor und Assistent am geologisch-paläontologischen Institut Häberle (DDP) saß noch im Stadtparlament - ein Symptom für das Ende der Honoratiorenpolitik, die es Professoren besonders leichtgemacht hatte, politische Mandate zu erringen. Dem steht nicht entgegen, daß mit der Habilitation des DNVP-Abgeordneten Schmitthenner 1928 zum erstenmal seit Gotheins Rückzug aus der aktiven Politik im Jahre 1922 wieder ein Heidelberger Dozent im Landtag saß. Schmitthenner war nämlich ein Beispiel für den neuen Typus des Berufspolitikers, für den die akademische Karriere ein Nebenschauplatz darstellte und der nicht seine politische Laufbahn auf seine wissenschaftlichen Erfolge gründete, sondern umgekehrt, insbesondere seit 1933, seinen politischen Einfluß zur Förderung seiner wissenschaftlichen Karriere nutzte. Außerdem gehörte er zum Zeitpunkt seiner Habilitation dem Landtag bereits drei Jahre an und war nicht wie die Honoratiorenpolitiker erst als Professor für ein Mandat qualifiziert. Die Politisierung der Universitätslehrer ging also mit sinkendem Einfluß in den politischen Entscheidungsgremien, vor allem den Parlamenten und Parteiführungen einher. In ihnen besaßen sie keinen privilegierten Status mehr, und auf die Ochsentour des innerparteilichen Aufstiegs mochte und konnte sich ein Gelehrter traditionellen Zuschnitts nicht einlassen. Die Domäne ihrer politischen Aktivitäten war die öffentliche Kommentierung und Analyse der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung in Reden und Aufsätzen. Während die Zahl der Publikationen und der sich Äußernden ebenso wie das Ausmaß parteipolitischen Engagements wuchs, verlor ein weiteres spezifisch honoratiorenpo202 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
litisches Instrument, die Gelehrtenresolution, seit Mitte der zwanziger Jahre zumindest in Heidelberg deutlich an Bedeutung. Den veränderten politisch-gesellschaftlichen Status der Gelehrten charakterisiert auch das kurze und gescheiterte Zwischenspiel Hellpachs im Reichstag, in den er sich 1928 wählen ließ. In seiner 1926 bis 1933 monatlich auf der ersten Seite der Neuen Zürcher Zeitung erscheinenden Kolumne, die er wie seine zahlreichen anderen Artikel nicht nur zur Kommentierung des politischen Geschehens, sondern auch zur Selbstdarstellung weidlich nutzte, schrieb er über seine Motivation zur Abgeordnetentätigkeit und die ersten Erfahrungen im Parlament: »Große, weitausgreifende Reformaufgaben schienen die Signatur der nächsten Jahre zu sein: nicht nur Reform der Verhandlungstechnik des Reichstages, sondern Reform des Wahlverfahrens, Reform des Parteiwesens, Reform der Reichsgestalt solche Perspektiven haben manchen politisch interessierten Mann, der sonst seine Mission auch außerhalb des Parlaments hinreichend erfüllen zu können meinte, bewogen, ein Mandat anzunehmen. Mit täglich wachsendem Befremden sehen die Novizen des Parlaments, und zwar gerade die gereiften, in anderen politischen Stellungen längst erprobten unter ihnen, auf welche Weise die Parlamentsreform in die Wege geleitet wird.«49 Auf zu bürokratische und kleinkarierte Weise werde versucht, das arbeitsunfähige und -unwillige Parlament zu mehr Effizienz zu bringen. Was für Reformen Hellpach sich im einzelnen vorstellte, wird aus seinen Artikeln nicht deutlich. Mehr und mehr kristallisierte sich allerdings heraus, daß für ihn das Kardinalproblem der deutschen Demokratie in der Struktur der Parteienlandschaft lag. Hellpach verkörperte ähnlich wie Alfred Weber, Gothein und fast alle Heidelberger Gelehrtenpolitiker den Typus des Honoratiorenpolitikers, der als Einzelkämpfer für seine Ziele eintritt und sich nicht in Parteistrukturen einfügen kann. Daß ein so erfahrener, eloquenter und prominenter Politiker bis zu seiner Mandatsniederlegung im Jahre 1930 im Reichstag nur eine Rede hielt, was Hellpach in seinen Memoiren der Parteiführung ankreidete, 50 zeigt exemplarisch das Scheitern der von ihm verfolgten politischen Strategie unter den Bedingungen der Weimarer Demokratie, das durch seine ablehnende Einstellung zu modernen Massenparteien vorprogrammiert war. In den zwanziger Jahren trat unter den politisch aktivsten Hochschullehrern mehr und mehr ein vornehmlich publizistisch tätiger Typus in den Vordergrund. Dessen wichtigste Vertreter in den Jahren 1924 bis 1929, neben Hellpach der Neutestamentier Dibelius, der Staatsrechtler Thoma, der Strafrechtler Radbruch, der Neurologe von Weizsäcker, der Historiker Andreas, der Romanist Curtius, die Nationalökonomen Lederer, Alfred Weber und Gumbel, waren fast alle Anfang der zwanziger Jahre parteipolitisch, parlamentarisch oder an führender Stelle administrativ tätig gewesen, hatten aber mittlerweile resigniert und sich auf publizistische Aktivitäten zurückgezogen. Die Frustration führender, vornehmlich liberaler Intellek203 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tueller in den politischen Institutionen der Weimarer Republik, die nicht nur für den Heidelberger Lehrkörper zu registrieren ist, dürfte zu den entscheidenden Ursachen für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie zählen. Ein Symptom für diese gefährliche Entwicklung war das Engagement Alfred Webers, vielleicht des prominentesten Heidelberger Gelehrtenpolitikers, für eine der zahlreichen Splitterparteien, die seit der Währungsstabilisierung zur Fragmentierung der konservativ-liberalen bürgerlichen Mitte beitrugen und deren Abkehr von der konstruktiven Reformbereitschaft früherer Jahre signalisierten. Anfang 1924 schrieb Weber einen Programmentwurf für die Republikanische Partei Deutschlands. Bei ihr handelte es sich um eine schnell scheiternde linksliberale Gruppierung, die Intellektuelle aus dem Führungskern des Friedensbundes der Kriegsteilnehmer gegründet hatten, die von DDP und SPD insbesondere wegen der Reichsexekutionen des Jahres 1923 gegen die Linksregierungen in Sachsen und Thüringen und wegen des unentschlossenen Vorgehens gegen die Rechtsregierung in Bayern enttäuscht waren. Prominente Mitglieder der RPD waren die Schriftsteller Carl von Ossietzky, Walter Mehring, Fritz von Unruh und Emil Ludwig, Sekretär der Partei war der Gumbelfreund Berthold Jacob. Der von Alfred Weber verfaßte »national-republikanische« Programmentwurf enthielt zahlreiche, für das politische Denken konservativer wie liberaler Gelehrter typische Wendungen. Neben der Betonung der nationalen Komponente des eigenen »Republikanismus«, die angesichts der eher pazifistischen Orientierung maßgeblicher RPD-Mitglieder ein Grund dafür sein könnte, daß Webers Programm nicht öffentlich verwandt worden zu sein scheint, zielte es auf einen »sozial-staatlich verpflichteten Kapitalismus«, Änderung des Wahlrechts, Stärkung der Staatsautonomie, freie Hand für politische »Führer« sowie die wirtschaftliche Angliederung Österreichs ab und betonte die »große historische Mission des Deutschtums« im europäischen Osten. Hatten Heidelberger Gelehrte diese Ziele, die Komponenten einer der westlichen Entwicklung und dem Liberalismus gegenüber durchaus skeptischen, in vielem dem völkischen Denken verpflichteten Ideologie sind, in den frühen zwanziger Jahren in verschiedenen Parteien der Mitte und der Rechten vertreten, so enthielt Webers Programmentwurf jedoch auch die seit Mitte der zwanziger Jahre immer stärker in Erscheinung tretende, grundsätzliche und stark antipolitisch orientierte Kritik am Weimarer Parteiensystem: Die R P D müsse ihren Einfluß »zur Reinigung des heutigen Staates von Parteipatronage, zur Durchsetzung der strengsten Trennung von Geschäft und Politik, Geschäft und Amt benutzen, zum Ersetztwerden der Parteibürokratie durch Führerauslese«. 51 Die drei SPD-Mitglieder unter den 1924 bis 1929 politisch stark engagierten Gelehrten waren in der Heidelberger Friedensgesellschaft aktiv, Gumbel und Radbruch im Vorstand, Lederer als Versammlungsredner und -leiter. Gumbel gehörte über viele Jahre dem Vorstand der pazifistisch204 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
radikaldemokratischen »Liga für Menschenrechte« an und sprach vor allem 1924/25 und 1928/29 auf zahlreichen Veranstaltungen im ganzen deutschsprachigen Raum. Die aus der USPD kommenden Gumbel und Lederer arbeiteten zudem mit der KPD nahestehenden Organisationen zusammen. Gumbel gehörte 1928 bis 1932 dem »Bund der Freunde der Sowjetunion« und der Gefangenenhilfsorganisation »Internationale Rote Hilfe« an, auf deren Gründungsversammlung er im Mai 1925 sprach und innerhalb der er neben Albert Einstein als einziger Hochschullehrer einem Prominenten»Kuratorium für die Kinderheime« angehörte. Lederer sprach mehrmals auf Versammlungen der KPD-Studentenorganisation. Daß sie sich trotzdem kritische Distanz zu den Kommunisten und der Sowjetunion bewahrten, zeigen die Unterstützung Gumbels für die »Internationale Trotzki-Hilfe« (1929), 52 sein Buch »Vom Rußland der Gegenwart« (1927) und Lederers kritische Kommentare über die KPD und die russische Revolution aus den Jahren 1919 und 1920. Auch Radbruch hatte gegenüber der KPD keine Berührungsängste und protestierte mehrfach öffentlich gegen die Behandlung von Kommunisten durch die Justiz. 53 Er blieb seinem Entschluß weitgehend treu, sich »ganz bewußt von der Politik als Haupttätigkeit wieder der Wissenschaft als Hauptberuf« zuzuwenden, da sich beides »auf die Dauer nicht vereinigen« lasse, und lehnte 1928 sowohl eine erneute Reichstagskandidatur als auch eine dritte Übernahme des Reichsjustizministeriums ab,54 engagierte sich aber im Vorstand des Sozialdemokratischen Intellektuellenbundes und als Mitherausgeber der »Justiz«. Die politische Tätigkeit von Weizsäckers spielte sich wie in den ersten Jahren der Republik im Umfeld der evangelischen Kirche ab. Die größte Breitenwirkung hatte er mit der zusammen mit Martin Buber und Joseph Wittig gegründeten und herausgegebenen Zeitschrift »Die Kreatur«, die den jüdisch-christlichen wie den interkonfessionell-christlichen Dialog fördern sollte. Wie die Herausgeber dieses Ziel in ihrem Editorial formulierten, zeigt, daß sie Toleranz und Verständigung am besten durch Dissoziation, also durch die säuberliche Trennung des Verschiedenartigen, glaubten fördern zu können: Sie wollten »den grüßenden Zuruf hinüber und herüber, das Sicheinander-Auftun in der Strenge und Klarheit des eignen Beschlossenseins, die Unterredung über die gemeinsame Sorge um die Kreatur, ... eine Einung der Gebete ohne Einung der Beter.« Dies war eine für die politische Ideologie der Gelehrten wie der Zeit insgesamt typische Position, die in den hier ausgewerteten Publikationen immer wieder als Plädoyer für die »reinliche« Scheidung verschiedener Rassen, Völker und Kulturen bis hin zur massiven Ausgrenzung des »Anderen« auftaucht. »Die Kreatur« stieß im sich zuspitzenden politischen Klima Ende der zwanziger Jahre jedoch auf wenig Resonanz: im dritten Jahrgang stellte sie 1930 ihr Erscheinen ein. Die politische Haltung von Andreas, dessen Einsatz für die DDP vor allem deren nationalen Zielen gegolten hatte und der sich in den folgenden Jahren von ihr wegentwickelte, war antimonarchistisch, national und preu205 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ßenfreundlich. Anstelle von Parlamentarismus und Demokratie plädierte er für eine nicht näher definierte »Selbstverwaltung«. Der Schwerpunkt seiner politischen Betätigung lag im Engagement für das »Grenz- und Auslandsdeutschtum«, sei es als Senatspräsident des Bundes der Saarvereine, sei es in der Gesellschaft für deutsche Bildung oder in seinen Reden, in denen er sich immer wieder für den »Anschluß Österreichs« einsetzte. 55 Ernst R o bert Curtius, der nur 1924 bis 1929 in Heidelberg lehrte, förderte vor allem die deutsch-französische Verständigung. Für die Bedeutung seiner Tätigkeit, die anhand seiner Publikationen relativ schwer zu fassen ist, spricht, daß er 1929 in die engere Auswahl bei der Vergabe des Friedensnobelpreises kam. 56 Dibelius, dessen politisches Wirken als Heidelberger Rektor bereits gewürdigt wurde, engagierte sich regelmäßig als Wahlkampfredner seiner Partei. Ebenso wie die meisten anderen politisch-publizistisch engagierten Gelehrten war für ihn allerdings klar, daß das Schwergewicht seiner Arbeit auf der Wissenschaft lag.57 Vergleicht man die politische Orientierung der engagiertesten Gelehrten, von denen drei SPD-Mitglieder, sechs DDP-Anhänger und lediglich der einzige Mediziner ein parteipolitisch nicht gebundener Konservativer waren, mit der der politisch Aktivsten in den Anfangsjahren der Republik, so ergibt sich wie bei den Parteipräferenzen eine Linkswendung der öffentlich sichtbarsten Exponenten des Lehrkörpers. Unter den Fakultäten schälte sich immer stärker die juristische als die politisierteste und zugleich liberalste heraus: Bei den politischen Resolutionen und bei den Parteimitgliedschaften weist sie die höchsten Werte auf. Auch in der politischen Publizistik, bisher eine Domäne der philosophischen und theologischen Fakultät, schloß die juristische auf. Mit Ausnahme von Dibelius stellte sich die theologische Fakultät in den späten zwanziger Jahren als weitgehend entpolitisiert dar. Die erstaunlich hohe Bereitschaft ihrer Lehrer zu Stellungnahmen im Weltkrieg ist somit vor allem aus dem protestantischen Staatskirchentum im Kaiserreich heraus zu erklären. In der philosophischen Fakultät war die Bereitschaft, sich an politischen Aufrufen zu beteiligen, deutlich geringer als bei den Juristen. Dafür lag der Anteil der parteipolitisch und publizistisch Engagierten Jahr für Jahr bei rund 30 % - ein bemerkenswert hoher Wert. Mediziner und Naturwissenschaftler hielten sich weiterhin politisch stark zurück. Hier dominierte Konservativismus. 58
2.3. Resolution gegen den Reichsschulgesetzentwurf Wie in den beiden vorangegangenen Zeitabschnitten überragt eine Gelehrtenresolution hinsichtlich der Zahl der Unterzeichner bei weitem alle anderen. Wie die »Erklärung der Hochschullehrer« von 1914, die Heidelberger Resolution gegen die Kriegsschuld von 1919 fand die vom Heidelberger Pädagogikprofessor Ernst Hoffmann initiierte, von 1.539 deutschen 206 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Hochschullehrern unterschriebene »Kundgebung an Volk und Reichstag« gegen den Reichsschulgesetzentwurf der vom Zentrum und den konservativen Parteien gebildeten Regierung Marx die Zustimmung von mehr als der Hälfte des Lehrkörpers. 59 Die Weimarer Verfassung gestand einerseits in Artikel 10 dem Reichsgesetzgeber das Recht zu, »Grundsätze für das Schulwesen« festzulegen, schützte andererseits aber in Artikel 146 die Kulturhoheit der Länder und insbesondere die Konfessions- und Weltanschauungsschule. So kam es während der zwanziger Jahre zu einer Dauerdiskussion über verschiedene Schulgesetzentwürfe, von denen letztlich keiner verabschiedet werden konnte, da eine Einigung zwischen Zentrum und konservativem Lager, die für Länderregelungen eintraten, sowie liberalen und sozialistischen Kräften, die über ein Reichsgesetz das Schulwesen stärker vereinheitlichen wollten, 60 nicht möglich war. Die Resolution vom Oktober 1927, die auf so starke Resonanz an der Universität Heidelberg stieß und von der Forschung bisher nicht beachtet wurde, 61 ergriff in diesem Streit im liberalen Sinne Partei für die »Bildungseinheit der Nation« und gegen die Konfessionalisierung der Volksschule, durch die »die Bekenntnismäßigkeit nicht auf den Religionsunterricht beschränkt, sondern in andere Lehrfächer hineingetragen« werde. Die Unterzeichner monierten ausdrücklich, daß der Entwurf »in aufdringlichem Widerspruch zur Reichsverfassung« stehe. Sie vertraten damit ein demokratisch-parlamentarisches und nicht mehr obrigkeitsstaatliches Politikverständnis. Zum ersten und bis heute einzigen Mal stellte sich die Mehrheit des Heidelberger Lehrkörpers gegen die Regierung auf die Seite der Verfassung. Die Resolution ist auch insofern als Parteinahme für die Republik zu verstehen, als der für den Reichsschulgesetzentwurf verantwortlich zeichnende Minister Keudell (DNVP) eine gegen die republikanischen Kräfte gerichtete Personalpolitik betrieb und sich ständig, insbesondere im gleichzeitigen »Hochschulkonflikt«, mit der preußischen R e g i e rung anlegte. 62 Die Resolution steht in einer Linie mit der liberalen Schulpolitik, die in Baden von Kultusminister Hellpach 63 wie in Preußen von ehemaligen Heidelberger Professoren, nämlich Minister Carl Heinrich Becker und seinem Personalreferenten Wolfgang Windelband, maßgeblich bestimmt wurde. Die Schulpolitik gehörte zu den Fragen, in denen sich Mitglieder des Lehrkörpers am stärksten engagierten. 64 Dafür daß die Universität Heidelberg ein Fokus der schulpolitischen Diskussion in der Weimarer Republik war, spricht nicht nur die gewaltige Resonanz auf Hoffmanns Resolution, sondern auch die frappierende Häufung Heidelberger Hochschullehrer in führenden Positionen des preußischen wie des badischen Unterrichtsministeriums. Für den dann von Windelband übernommenen Posten eines Personalreferenten hatte der preußische Kultusminister Becker ursprünglich Andreas umworben. DDP-Wunschkandidaten für das badische Kultusministerium waren 1919 Gothein und 1922 Thoma, der erst durch sein 207 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Desinteresse den Weg für Hellpach freimachte. Der Zahnmediziner und Zentrumsmann Blessing war angeblich Anfang der dreißiger Jahre, als das badische Kultusministerium ans Zentrum fiel, als Minister im Gespräch. 1933 ernannte die nationalsozialistische Landesregierung den Extraordinarius Fehrle zum Hochschulreferenten. 1934 wechselte der bis 1932 in Heidelberg als außerordentlicher Professor für Pharmakologie lehrende Behrend Behrens als nebenamtlicher Referent ins Reichs- und preußische Unterrichtsministerium. Gleichzeitig wechselte dessen dortiger Vorgänger Achelis als Ordinarius für Physiologie nach Heidelberg. Der bis 1929 in Heidelberg lehrende Philosoph Rothacker wurde 1933 Leiter der Abteilung für Volksbildung im Propagandaministerium. 1937 wechselte der Heidelberger Rektor Groh ins Erziehungsministerium. Zurück zur Resolution von 1927. Sie trägt typische Züge des professoralen politischen Rollenverständnisses. Die Unterzeichner stritten gegen konfessionellen, regionalen und parteilichen Partikularismus für die Rechte der Zentralgewalt, die Einheit, den inneren »Frieden und das Gemeinschaftsbewußtsein der Nation«. Es ist die einzige überregionale Gelehrtenresolution, die in Heidelberg initiiert wurde. Von den elf Erstunterzeichnern war neben dem Initiator Hoffmann noch Rickert aus Heidelberg. Weitere drei (zu Dohna, Oncken und Ritter) hatten nicht lange zuvor die Ruperto Carola verlassen. Auch unter den Unterzeichnern sind Heidelberger deutlich überrepräsentiert. Daß die Resolution besonders ausgeprägte Züge der von Döring definierten »originären Gelehrtenpolitik« trägt, spricht dafür, daß an der relativ liberalen und relativ politisierten Universität Heidelberg die sozialhistorischen Voraussetzungen eines solchen Selbstverständnisses, nämlich ein homogenes bildungsbürgerliches Honoratiorenmilieu und das Festhalten der Gelehrten an der liberalen Utopie des »allgemeinen Standes«, noch relativ intakt waren. 66 Das Spektrum der Unterzeichner reicht von Sozialisten wie Gumbel bis zu einzelnen DNVP-Mitgliedern wie von Duhn. Es fehlen die Zentrums-Anhänger und kirchlich engagierten Protestanten wie von Krehl und von Weizsäcker. Deutlich unterrepräsentiert ist die theologische Fakultät. Interessanterweise gehörten zu den Unterzeichnern zahlreiche, insbesondere jüngere Dozenten, die nach dem »Verfall der bürgerlichen Mitte« dem Nationalsozialismus nahestanden, etwa Odenwald, Endemann, Groh, Grupe, von Rauchhaupt, Hirt, Güntert, Fehrle, Glockner, Schrade, Strigel und Wilke. 67 Wenn die meisten der DVP nahestehenden Heidelberger Hochschullehrer den Schulgesetzentwurf der von ihrer Partei mitgetragenen Regierung ablehnten, nahmen sie deren Besinnung auf die Traditionen liberaler Schulpolitik vorweg, die den Entwurf schließlich zu Fall brachte. 68 Diese auf den ersten Blick eigentümliche politische Konstellation, deren Klammern Kirchenferne, eine Vorstellung von nationaler Einheit, die die Orientierung an supranationalen, etwa christlichen, wie auch an partikularistischen Zielen ausschloß, und eine grundsätzliche Akzeptanz der Weimarer Verfassung waren, repräsentierte das 208 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
die »originäre Gelehrtenpolitik« tragende Spektrum. Ähnlich wie die fehlende Unterstützung für den Präsidentschaftskandidaten Marx, der hier als Reichskanzler wiederum in der Schußlinie stand, läßt die Opposition gegen den Reichsschulgesetzentwurf im Widerspruch zur permanenten Ideologisierung der »nationalen Einheit« stehende partikularistische R e s sentiments im Lehrkörper erkennen: Gegnerschaft gegen die Zentrumspolitik und den politischen Katholizismus.
2.4. Mitarbeit im Weimarer Kreis Ein durch ähnliche Gemeinsamkeiten wie die Unterzeichner der Resolution gegen den Reichsschulgesetzentwurf zusammengehaltenes, wenn auch nicht ganz so breites politisches Spektrum umfaßte die als Weimarer Kreis bekannt gewordene Vereinigung verfassungstreuer Hochschullehrer. In der nach ihrem ersten Treffen 1926 veröffentlichten Resolution hieß es, man sei »gewillt, auf dem Boden der bestehenden demokratisch-republikanischen Staatsordnung positiv mitzuarbeiten am Ausbau unseres Verfassungslebens und an der Erziehung der heranwachsenden Generation zu staatsbürgerlichem Denken im Dienst der großen deutschen Volksgemeinschaft.«69 Nach dreizehn Berlinern bildeten die acht70 Heidelberger, die alle der juristischen oder philosophischen Fakultät angehörten, mit Abstand die größte Gruppe unter den 64 Teilnehmern der Tagung und Unterzeichnern der Resolution.Von den acht »Wortführern« (Döring) des Weimarer Kreises kamen drei aus Heidelberg (Anschütz, Thoma und A. Weber). 71 Die Teilnehmer am Weimarer Kreis machten aber auch in dieser Hochburg nur 6 % aller Professoren aus.72 Der Kreis umfaßte Sympathisanten und Mitglieder aller bürgerlichen Mittelparteien und der SPD. Zentrumsleute gab es, wie bei der Resolution gegen den Reichsschulgesetzentwurf, kaum. Die Mehrheit bildeten, insgesamt wie unter den Heidelberger Teilnehmern, DDP-Anhänger. Die politischen Gemeinsamkeiten des Weimarer Kreises lagen in dezidiertem Nationalismus, deutlicher Staatsfixierung (einer ihrer Wortführer meinte: »Der Staat als solcher ..., nicht die Staatsform ist ... das schlechthin Notwendige«73) und der Bereitschaft zu demokratischen Reformen, die die Arbeiterschaft integrieren, nicht aber den Führungsanspruch der nicht näher definierten »staatstragenden Schichten« 74 in Frage stellen sollten. Der Weimarer Kreis wollte zur »Entpolitisierung« des akademischen Lebens beitragen und, wie es der Berliner Historiker Meinecke formulierte, das »selbstverständliche, ruhige und freundliche Verhältnis zum Staat« schaffen, das »in allen vitalen Organisationen des öffentlichen Lebens« herrschen müsse. 75 Döring sieht den Weimarer Kreis als einzige Gruppe deutscher Hochschullehrer, »die nach der Identifikationskrise von Zusammenbruch und Revolution noch die Tradition der [originären] ›Gelehrtenpolitik‹ in der 209 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
klassischen, die politische Kultur des Kaiserreichs segmentär prägenden Weise ausübten.« Die Untersuchungen zum politischen Selbstverständnis der Heidelberger Gelehrten ergaben allerdings, sowohl was die prinzipielle Staatstreue als auch was die Forderung nach Entpolitisierung der Universitäten angeht, eine deutlich schwächere Verbreitung derartiger Topoi, als dies nach Dörings Untersuchung über den Weimarer Kreis an einer liberalen Universität zu erwarten gewesen wäre. Auch die in der Definition von »originärer Gelehrtenpolitik« implizierte Parteienferne läßt sich für die Heidelberger Mitglieder des Kreises nicht belegen. Insgesamt beschreibt Dörings normatives Konstrukt »originäre Gelehrtenpolitik« mehr die professorale Ideologie als ihr Verhalten. Der von Döring abweichende Befund, der teilweise aus den unterschiedlichen methodischen Ansätzen (hier Untersuchung der Hochschullehrer als soziale Schicht, dort individualisierende Betrachtung einzelner exponierter Gelehrtenpolitiker) resultiert, beleuchtet zugleich einen spezifischen Zug der Heidelberger Liberalität. Wohl aufgrund der intensiven Diskussionen in Zirkeln der dortigen Professorenkultur über die Werturteilsfreiheit der Lehre vertraten die Liberalen hinsichtlich der Politisierung der Universitäten und des parteipolitischen Engagements einen pragmatischeren Kurs, demzufolge sie auch zu staatsbürgerlicher Erziehung verpflichtet waren. 76 Der Weimarer Kreis verfehlte trotz beredter Werbung 77 auch in Heidelberg sein Ziel, in nennenswertem Umfang konservative Hochschullehrer zu integrieren und mit der Republik zu versöhnen, obwohl die Resolution des zweiten Treffens im Jahre 1927 noch allgemeiner formuliert war als die des Vorjahres und obwohl sie ideologisch die Wende von einem stärker staatsbürgerlichen zurück zum traditionellen professoralen Selbstverständnis mitvollzog, die sich in der Stabilisierungsphase der Republik abzeichnete. In diesem Sinne resümierte Hellpach: »Die Gelehrten zu Weimar haben das Beste ... beigesteuert, was sie konnten: produktive Kritik an einer Staatsordnung, von höchster geistiger und sittlicher Warte aus, auf dem Boden des freudigen Bekenntnisses zu dieser Staatsordnung!« 78
3. W e i m a r e r R e p u b l i k u n d Reichsverfassung (II) Wie in der Zeit bis 1924 gibt es aus der zweite Hälfte der zwanziger Jahre so gut wie keine Äußerungen konservativ-antirepublikanischer Hochschullehrer zur Weimarer Republik und Verfassung. Hatten sie sich in den ersten Jahren zurückgehalten, um nicht Schlimmeres als die Republik (»Bolschewismus«, »Anarchie« und wie dergleichen Ängste hießen) zu provozieren, so ergab sich nun einerseits eine gewisse Integration der ›nationalen Opposition‹, die sich auf Reichsebene im Regierungseintritt der DNVP äußerte. Andererseits waren die Argumentationsmuster, mit denen in späteren Jah210 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ren die Republik kritisiert und diffamiert wurde, bis 1929 nur in einem relativ kleinen Kreis völkischer Organisationen verbreitet und in den politischen Äußerungen Heidelberger Universitätslehrer nicht anzutreffen. 79 Darüberhinaus fehlte der ›nationalen Opposition‹ im Lehrkörper ein eloquenter Vordenker. Zwar unterstützten Lenard und Endemann nationalsozialistische bzw. deutschnationale Studentengruppen. 80 Zumindest Lenard verfolgte auch eine politisch inspirierte Personalpolitik, die sein Institut zu einer frühen Hochburg des Nationalsozialismus und der »Deutschen Physik« werden ließ. Aber ganz im Gegensatz zu den im demokratischen Spektrum Exponierten erregte keiner der fundamentalen Gegner der Verfassung unter den Heidelberger Hochschullehrer überregionales Aufsehen mit seinen politischen Publikationen. Positive Charakterisierungen der bisherige Entwicklung der Republik blieben gleichwohl die große Ausnahme. Ein nennenswertes Beispiel ist die R e d e des Rektors Dibelius bei der Ehrenpromotion von Stresemann und Schurman, bei der der Anlaß dazu beigetragen haben mag, daß die sonst in gelehrten Äußerungen üblichen Sorgen über die politische Situation zurückgestellt wurden. Aus dem Rahmen der Äußerungen zur Weimarer Republik fiel gleichfalls Hellpachs Buch »Politische Prognose für Deutschland« aus dem Jahre 1928, in dem er nicht nur die Novemberrevolution, sondern auch die Anfangsjahre der Republik als beispiellose Erfolgsgeschichte beschrieb. Die Zeit seit 1918 habe gezeigt, daß Deutschland auch ohne »›starken Mann‹« Subjekt der Geschichte sein könne. »Mit Staatslenkern von Mittelmaß« habe es sich erfolgreich aus »tödlicher Umklammerung« gelöst und den »Untergang abgewehrt«. Dies sei »in allererster Linie der praktischen Vernunft der Nation, ihren breiten Massen selbst zu verdanken... Daneben tritt alles zurück, was in diesen Jahren widerwärtig, töricht, grotesk, wirr und närrisch, ja verbrecherisch anmuten mag«. Es gebe »kein zweites Beispiel, daß eine Nation als Ganze sich so bald nach Niederlage und Umsturz, so inmitten von Demütigung und Verarmung den Abenteurern versagte.« Diese »wunderbare Genesung zu Ordnung, Selbstzucht und Wirkung« verdanke Deutschland vor allem drei Gruppen: »dem konservativen Beamtentum, ... der gefestigten evolutionären Riesenmasse der ›alten‹ Sozialdemokratie« und dem politischen Katholizismus. »Zum erstenmal besitzen die Deutschen das Größte, was es an irdischen Gütern für ein Volkstum gibt: aus des Volkes Einsicht, Willen und Leistung einen deutschen Staat.« Wie bei der Ehrenpromotion Schurmans fehlte in dieser Darstellung die sonst allgegenwärtige Klage über Niederlage, Revolution und Versailles. Diesen Ereignissen wurde im Gegenteil ein Sinn verliehen: »Man möchte meinen, unser politischer Genius habe uns diese Radikalkur verordnet«, um die Politisierung des deutschen Volkes zu bewirken, die Hellpach zur Bewahrung der deutschen Einheit für unvermeidlich hielt. »Es gibt nichts national Wertvolleres, nichts wahrhaft Vaterländischeres als diese Zeit unserer militärischen Ohnmacht.« 81 211 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Diese gelassene Betrachtungsweise und der Stolz auf die bisherige Entwicklung der Republik stehen sowohl in Hellpachs politischer Publizistik als auch in der seiner Kollegen isoliert da. Bereits in den die Gegenwart behandelnden Kapiteln desselben Buches fiel Hellpach in die stereotypen Formeln des professoralen Kulturpessimismus zurück. Gleichwohl deuten diese unzeitgemäßen Einschätzungen an, wie sich unter anderen sozialökonomischen und sozialpsychologischen Rahmenbedingungen das liberale politische Denken hätte entwickeln können.
3.1. Fünf Situationsschilderungen aus dem Jahr 1927 Von fünf Heidelberger Hochschullehrern unterschiedlicher politischer Couleur, verschiedenen Ranges und Alters liegen politische Situationsschilderungen des Jahres 1927 vor, von denen ausgehend sich die Bewertung der Republik darstellen läßt. 1927 war eines der ruhigsten, vielleicht das an bedeutenden Ereignissen, jedenfalls das an Krisen ärmste Jahr der Republik. Zu den wichtigsten Veränderungen gehörte der Eintritt der DNVP in die Reichsregierung Anfang Januar. Damit endete die Zeit, in der das Kabinett auf die Tolerierung durch die oppositionelle SPD angewesen war. Von den fünf Einschätzungen der politischen Situation stammen drei von ausgeprägten Gelehrtenpolitikern. Zwei von ihnen, nämlich Radbruch und Hellpach gehörten Generation 3, einer (Gumbel) Generation 4 an. Die anderen beiden Gegenwartsschilderungen lieferten Nachwuchswissenschaftler, nämlich der gerade habilitierte Radbruch-Schüler Erik Wolf, der am Anfang einer glänzenden Karriere stand und 1928 26-jährig bereits Ordinarius wurde, und der Alfred-Weber-Schüler und 1927 noch nicht habilitierte Assistent am sozial- und staatswissenschaftlichen Institut Arnold Bergsträsser. Als Aktivist der Jugendbewegung befand er sich 1927 auf dem für den »Verfall der bürgerlichen Mitte« so typischen Weg vom DDP-Anhänger ins Lager der ›nationalen Opposition‹. 82 Alle fünf Autoren unterzeichneten die Resolution gegen den Reichsschulgesetzentwurf und sind somit als Repräsentanten verschiedener Spielarten der im weitesten Sinne liberalen, antiklerikalen Haupttendenz im politischen Denken der Heidelberger Hochschullehrer anzusehen. Die pessimistischste Einschätzung steuerte Radbruch bei. Der Eintritt der DNVP in die Regierung beunruhigte ihn. Der machtbewußte Ex-Politiker sah in der neuen Koalition einen entscheidenden Machtverlust für seine eigene Partei und in der Ausgrenzung der SPD zugleich und zu Recht ein schweres Krisensymptom für die Republik. Die DNVP beginne, »sich in der Republik häuslich einzurichten, die erste Vorsicht, mit der sie sich in dem ungewohnten Rahmen bewegte, [ist] überwunden und sie [setzt] nun mit dem Gefühl, Herr im Hause zu sein, sich breit und bequem in den Sessel.« Interessanterweise war der Regierungseintritt der DNVP für R a d 212 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
bruch, der sich sonst wie viele seiner liberalen Kollegen sehr um die Integration der Republikgegner bemühte, 83 ein Symptom dafür, daß »wir uns in einem Zeitabschnitt der schleichenden Reaktion, der politischen Rückbildung befinden«, und dafür, daß zwar »der Monarchismus tot ..., aber dafür die Zeit gekommen [ist], in der man die Republik faschistisch zu durchdringen unternimmt.« Für den konservativen Demokraten Hellpach hatten die Reichspräsidentschaft Hindenburgs und die deutschnationale Regierungsbeteiligung »weder innenpolitisch zu einer Rückwärtsdrehung noch außenpolitisch zu einem Vorwärtsstoß« geführt: weder sei der Versailler Vertrag zerrissen, noch das Rheinland geräumt worden. Stresemanns »Erfüllungspolitik« werde fortgesetzt, im Innern sei weder der Flaggenzwist beendet, noch die linksgerichtete preußische Regierung beseitigt oder der Rückgang der monarchistischen Tendenzen aufgehalten worden. Bestand schon im letzten Punkt Übereinstimmung mit Radbruch, so stand Hellpach ihm auch mit seiner skeptischen Gesamteinschätzung nahe: »Die Republik war in Deutschland noch nie so gefestigt wie jetzt - die Demokratie aber noch niemals so bedroht! ... Die deutsche Demokratie ist in die Phase der ernsthaften Anfechtungen getreten, der Kampf ... um die Entdemokratisierung der Republik erfaßt immer breitere Frontstücke des öffentlichen Lebens.«84 Hellpach verwies auf die frühen zwanziger Jahre als positives Beispiel dafür, daß durch Angriffe auf die Republik »die demokratischen Volkskräfte geweckt und gesammelt« würden. Im Gegensatz zu jener Zeit drohe die Gefahr nun nicht mehr von den extremen Parteien, die »rechts so gut wie dezimiert« und »links sehr viel zahmer und pragmatischer geworden« seien, sondern durch einen »Verklüngelungsprozeß« wie im Kaiserreich, durch eine Cliquenherrschaft der Parteiführer ohne demokratische Kontrollmöglichkeiten. Diesem »schleichenden Selbstmord der Demokratie« leiste das »verderbliche Listenwahlrecht« Vorschub, da es Persönlichkeitswahl und damit Führerauslese verhindere. Nicht nur Hellpach hatte sich Mitte der zwanziger Jahre von der maßgeblich von liberalen Heidelberger Hochschullehrern vertretenen Hoffnung verabschiedet, »das Parlament klönne auch bei uns ein Schauplatz der politischen Führerauslese werden«. Im Unterschied zu Hellpach und Radbruch, für die es Anlaß zur Skepsis gab, sah Gumbel, der am weitesten links Stehende der Fünf, dessen Sympathien für die Republik aber seit 1924 deutlich gewachsen waren, die Situation 1927 recht positiv. Ihn befriedigte die gesunkene Bedeutung der rechtsextremen und putschistischen Wehrverbände infolge der wirtschaftlichen Stabilisierung, und er sah gestiegene Chancen für sein politisches Hauptziel, die Bestrafung der politischen Morde und Bekämpfung des militanten Rechtsextremismus: »Gerade unter der Herrschaft der Deutschnationalen müssen manche politischen Morde bestraft werden, weil sie das moralische Ansehen der friedlichen Herrschaft 213 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
des Kapitals untergraben... Die Stabilisierung des Kapitalismus hat aber den [Wehr-] Verbänden den Nachwuchs geraubt, weil sie ihre Ideologie zerstört hat. Denn der Aufstieg aus dem moralischen Morast der Inflation und des Versagens aller wirtschaftlichen Funktionen ist ohne eine Spur völkischen, nationalen oder faschistischen Gedankens vor sich gegangen und hat somit die Dogmen der Wehrverbände widerlegt.«85 Für Bergsträsser trug das Jahr 1927 »in der Politik Deutschlands das Aussehen eines Jahres politischer Pause. Nicht einmal das Aufleuchten des großen Gegensatzes von Westen und Osten scheint diese oft apathisch anmutende Stille zu stören, so sehr uns allen bewußt ist, daß dieser Gegensatz eben unser Schicksal sein wird.« Die öffentliche Meinung habe »zu sehr und zu lange unter dem Druck der ihr von den Ententemächten aufgezwungenen Passivität« gestanden, um einen außenpolitischen »nationalen Willen« artikulieren zu können. Bergsträsser bedauerte, daß innenpolitische »Fragen von Wesentlichkeit nicht prinzipiell, sondern nur auf dem Wege des Kompromisses« gelöst werden könnten, da es zu große politische Gegensätze in Deutschland gebe. Außerdem sei leider die »Fähigkeit, nationalpolitisch mit Unvoreingenommenheit zu denken, gelähmt«. Solches Denken gebe es nur noch »außerhalb des Bereichs unmittelbarer politischer Verantwortung«. Bergsträsser sah in dieser Hinsicht sowohl in den republikfeindlichen Wehrverbänden als auch im republiktreuen Reichsbanner Potentiale, »die genutzt werden sollten und könnten«. Trotz ihrer gegensätzlichen ideologischen Orientierung würden beide Organisationsformen auf »demselben Empfindungsgrund politischen Verlangens nach neuer Glaubwürdigkeit der staatlichen Herrschaft« basieren. In ihnen werde »staatliche Haltung‹ für den einzelnen Mann real und belangvoll dadurch, daß er ebenso für den Staat ›stehen‹ muß, wie dieser ihn zu repräsentieren hat. Festzug und Demonstration, Fahne und Lied dienen zunächst mehr der Erzeugung staatlich gesonnenen Volkstums als Versammlung und Diskussion.« Explizit stellte Bergsträsser Wehrverbände und Reichsbanner gegen die Parteien, deren Aktivitäten ihre Mitglieder nur mit den Parteigenossen verbänden, »aber nicht, worauf es ankommt, mit dem Staat und seiner Politik«, und sah in ihnen eine mögliche Lösung für das auch von Hellpach angesprochene Problem der »Verklüngelung« der Demokratie. 86 Die fünfte Situationsschilderung aus dem Jahre 1927, aus Wolfs Feder, erscheint heute abwegig. Sie ist schwerer zu verstehen, gibt aber wohl am meisten von dem jenseits der Minderheit der politisch engagierten Gelehrten herrschenden Zeitgeist wider. Der Juradozent analysierte in einer Sprache, die an Jaspers und die damaligen Modephilosophen und -essayisten erinnert, mehr die existentielle Befindlichkeit als die politische Lage. Das »Gespenst der Lebenslüge« gehe um. »Allenthalben [werden] Siegesfeste gefeiert, deren berauschte Teilnehmer auf die Frage nach dem Grund nichts zu erwidern wissen, als daß eben gesiegt worden sei, und diese Antworten geben sie in verlegener Hast und mit einem heimlichen Grauen.« Wolf 214 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
charakterisierte diese Haltung als eine »Form des Nichtdaseins«. Es gebe noch eine weitere: die des Traumes: »Gestalten, die zwar an den Festen der Lüge nicht teilnehmen, aber mit geschlossenen Augen nachtwandlerisch unangefochten umhergehen und auf die Frage nach der Unberührtheit dieses ihres Lebens nichts anderes zu erwidern wissen, als daß eben nichts sie berührt habe, und in Schrecken und Verzweiflung, ja Lebensgefahr geraten, wenn der wache Mensch mit fester und behutsamer Hand den Bann ihres Traumes bricht.« 87 Wolf repräsentiert die für große Teil der jüngeren Intellektuellengeneration typische resignative Abwendung von der Politik und den hilflosen Versuch, einen neuen Zugang zu politischen Fragen zu finden. Die referierten fünf Einschätzungen belegen, daß die republikanische Staatsform 1927 noch nicht explizit in Zweifel gezogen wurde. 88 Zwar lassen sich nur die beiden Äußerungen der ehemaligen Minister als eindeutig prorepublikanisch bezeichnen, aber keiner der Zitierten übte grundsätzliche Kritik an der Staatsform. Eine tiefe Skepsis, ob er in seiner aktuellen Form bestandsfähig sei, und den Hinweis auf seine Legitimationsprobleme (Radbruch verwendete an anderer Stelle die Formel von der »Republik ohne Republikaner«) enthalten jedoch alle Äußerungen. 89 Paradoxerweise zeigen sich die beiden politisch Radikaleren (Gumbel und Bergsträsser) mit der Situation im relativ stabilen Jahr 1927 zufriedener als die gemäßigteren. Die kritischste Haltung zur Weimarer Republik nahm Bergsträsser ein. Er griff in für die Jugendbewegung wie auch für den Konservativismus der älteren Generation typischer Weise einen Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie, die Parteien, frontal an und stellte ihnen paramilitärische, autoritär geführte Organisationen positiv gegenüber. Diese könnten eher eine »staatliche Haltung« erzeugen, die Legitimationsprobleme und vor allem die emotionalen Defizite der Republik, auf die er zu Recht hinwies, mindern. Kritik am Weimarer Parteiensystem klingt auch bei Hellpach und Wolf an. Des letzteren Polemik gegen »Sieges-« und »Lügenfeste«, die eine Form des »Nichtdaseins« seien, läßt sich als Kritik eines Parteifanatismus interpretieren, der sich an den eigenen kleinen Siegen »berauscht«, ohne die Probleme des großen Ganzen zu sehen und - in Bergsträssers Worten - »prinzipielle« Lösungen für die offenen Fragen zu finden. 3.2. Kritik an den Parteien Obwohl sich unerwartet viele Heidelberger Hochschullehrer parteipolitisch engagierten, stand das Parteiensystem in den Jahren 1924 bis 1929 im Kreuzfeuer ihrer Kritik. In für die damalige politische Kultur typischer Weise 90 nahmen sie einerseits Einfluß auf die Parteien und unterstützten sie bei Wahlen, griffen sie aber andererseits in ihrer Publizistik an. Sie sprachen von einer »Parteien-Krise« (Hellpach) und der »Entgeistigung des Parteiwe215 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
sens« (von Eckardt), warfen den Parteien vor, zu sehr (Mitteis, A. Weber) bzw. nicht in genügendem Maße (Radbruch) »Interessenparteien« zu sein, und nannten deren Chefs »Parteibosse« oder »-bonzen« (A. Weber). 91 Sie beklagten die »mosaikartige« »Parteizersplitterung« (Thoma, Weber), den »unendlich häufigen Wechsel der herrschenden Parteien« (Walleser), ihren Mangel an Gemeinsamkeiten (Walleser, Radbruch, A. Weber) und an j ü n geren Führungskräften (A. Weber). 92 Sie stellten fest, daß die Parteien »arm an Einsicht, Leistung und staatsmännischer Führungskraft« seien (Andreas) und daß »die Starrheit unseres Parteiensystems ... die Demokratie erschwert« (Radbruch und ähnlich von Eckardt). Für Mitteis hatte der »Parteihader ... offenbar die Rolle des alten Partikularismus übernommen«. 93 Damit rückte der Kampf gegen die Parteien in der Kontinuität des traditionellen Kampfes der Gelehrten gegen die »deutsche Zwietracht«. Eingehende Überlegungen zu den Ursachen für die Unzulänglichkeiten des deutschen Parteiensystems stellten nur zwei Sozialdemokraten an. Radbruch sah dessen organisatorische und programmatische Starrheit »teils in der Geschichte, teils in der Eigenart unseres Volkes« begründet. Die Ursache sei einerseits »in jenem, schon von Goethe bemerkten Zuge des deutschen Volkes, alles schwer zu nehmen und über allem schwer zu werden«, zu suchen. Andererseits wirke hierin die Tradition des Obrigkeitsstaates fort, in dem angesichts der Einflußlosigkeit der Parteien »starre Bekenntnistreue die höchste Tugend einer Partei, jedes Kompromiß beinahe ein Verrat« gewesen sei. »Die heutigen Parteien sind Bestandteile der Verfassung des Obrigkeitsstaates, die psychologisch nahezu unverändert in den neuen Volksstaat übernommen worden sind.« Ähnlich stellte Lederer gegenüber der Vorkriegszeit und den frühen zwanziger Jahren gravierende Veränderungen in der politischen Öffentlichkeit und insbesondere in den Wahlkämpfen fest. Es gebe nicht mehr »die großen prinzipiellen Vorträge anerkannter Führer, die bisher indifferente Schichten an sich heranzureißen vermochten... In dieser Stummheit der großen Parteien spiegelt sich zweierlei: daß man über die eigenen Massen schlechterdings verfügt und nicht zu fürchten braucht, sie an beredtere Parteien zu verlieren. Und zweitens: daß man nicht imstande ist, über die eigenen Massen hinauszugreifen.«94 Man schließe sich einer Partei nicht mehr aufgrund von Versammlungen und öffentlicher Agitation an, sondern durch die »Einwirkung von Mann zu Mann ... im geschlossenen Lebens- und Arbeitsraum, in den kleineren gesellschaftlichen Verbänden, wie Sportvereinen und in den Berufsorganisationen«. Im Zuge der »großen Zeitströmung« zu »Sachlichkeit und Echtheit« drapiere sich der Wähler »nicht mehr mit billigen Ideologien« und schäme sich nicht mehr, wenn er in seinem Wahlverhalten »als Interessent dasteht«. Für Lederer folgte daraus, daß es »reine Weltanschauungsparteien«, die keine »beruflich oder klassenmäßig gekennzeichnete Massenschicht in sich bergen«, wie die DDP sehr schwer haben würden, wohingegen trotz 216 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
unfähiger Führer, »Zickzackpolitik« und »steriler« Taktik die KPD sich »überraschend günstig« entwickle. Lederer sah also, und darin stimmte ihm die überwiegende Mehrheit seiner Kollegen zu, einen Trend zur Interessenpartei und diesen als ursächlich für die Misere des Weimarer Parteiensystems. Im Unterschied zu den meisten Kollegen konstatierte er dies aber nüchtern und ohne kulturpessimistisches Pathos. Der Aufstieg der NSDAP, die sicher keine reine Interessenpartei war, gab wenig später allerdings eher Radbruch recht, für den die Kompromißunfähigkeit der Weimarer Parteien aus ihrer zu starken Weltanschauungsgebundenheit resultierte und der hierin die entscheidende Gefahr für die Demokratie erblickte. Parallel zur gelehrten Parteienkritik gab es Klagen über das niedrige Niveau und den Klüngel im Reichstag. Ein Protagonist dieser Vorwürfe war Hellpach, dessen erklärte Absicht es war, eine Parlamentsreform zu fördern. Der Reichstag fülle keineswegs die »sehr starke Machtstellung« aus, die ihm die Verfassung gewähre, sei in seiner Geltung sogar hinter den »kaiserlichen« Reichstag zurückgesunken und habe »in den lebenswichtigen Fragen der Nation« wie der Reichsneugliederung, der Wahlreform und der Schulgesetzgebung »versagt«. Zwar konstatierte Hellpach einen »gemeineuropäischen Geltungsschwund der Parlamente« durch »die Selbstentfaltung des Demokratisierungsprozesses«. In Deutschland aber kämen spezifische Faktoren hinzu, »die sich aus der Jugendlichkeit, der Ungeübtheit und Unsicherheit seines Parlamentarismus ergeben.« Anzeichen dieser »Parlamentskrise« oder gar »Parlaments-Dämmerung« seien die abnehmende Zahl »bedeutender Figuren in den Parlamenten« (das war vor Hellpachs Reichstagseintritt), die immer »häufiger, sinnloser, in der Lösung unbefriedigender« werdenden Regierungskrisen und das aus beidem resultierende sinkende Interesse der öffentlichen Meinung an den Parlamentsdebatten. 95 Von der Mangelhaftigkeit und Reformbedürftigkeit des Weimarer Parteiensystems und Parlamentarismus waren in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre Angehörige aller Strömungen des republikanischen Lagers im Heidelberger Lehrkörper überzeugt. Bei den sich nicht äußernden Vertretern der ›nationalen Opposition‹ war Sympathie für die parlamentarische Demokratie erst recht nicht zu erwarten. Auch bestanden keine wesentlichen Unterschiede zwischen der Parteienkritik von Parteimitgliedern und parteilosen Hochschullehrern. Im Verhältnis zu Parteien wird die Diskrepanz zwischen der relativen Modernität des politischen Verhaltens und der Traditionalität der politischen Einstellung der Heidelberger Hochschullehrer, die bereits angesprochen wurde, augenfällig. Ebenso widersprüchlich wie ihre Parteienschelte waren die Vorschläge, die politisch engagierte Heidelberger Gelehrte machten, um der den Bestand der parlamentarischen Demokratie gefährdenden Misere abzuhelfen. Weitgehend einig war man sich darin, daß das Verhältniswahlrecht an der »Parteienkrise« schuld sei und die Zahl der Parteien reduziert werden 217 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
müsse. 96 Bereits in seiner Situationsschilderung aus dem Jahr 1927 hatte Hellpach das »verderbliche Listenwahlrecht« für die »Verklüngelung« der Weimarer Demokratie verantwortlich gemacht. Auch an anderer Stelle plädierte er für ein Persönlichkeits- oder Mehrheitswahlsystem. Seit 1928 versuchte er in für das professorale Politikverständnis charakteristischer Verkennung der Entwicklungslogik einer parlamentarischen Demokratie, einen Reißbrettentwurf für ein zugleich ausgewogenes und funktionierendes Parteiensystem durchzusetzen. Er charakterisierte dieses Projekt in für seine Abkehr vom Parlamentarismus charakteristischer Parteifeindlichkeit als »Entsumpfung und Urbarmachung im Parteienbruch« 97 nannte, was aus dem Munde eines langjährigen Ministers und führenden Politikers der Weimarer Republik bestürzend anmutet und fatal wirken mußte. Hellpach setzte nichts Geringeres voraus als den »Auseinanderbruch der beiden größten Parteien« SPD und Zentrum. 98 Danach sollten »rechts und links zwei starke Parteien der radikalen Verneinung des gegenwärtigen Staates [entstehen]: rechts eine Partei der Restauration, reaktionär, gutsfeudal, fabrikfeudal und kontorfeudal; links der Kommunismus, durch den heutigen radikalen Flügel der Sozialdemokratie verstärkt. Die Bejahung des heutigen Staates würde wiederum von zwei starken Parteien getragen: eine republikanisch-konservative ..., sie entstände aus dem linken Flügel der Deutschnationalen ... und dem rechten Flügel der Volkspartei.« Kämen dazu noch »Teile des Zentrums und das Gros der Volkspartei ..., so würde die Scheidung sehr reinlich. Dann stünde dieser konservativen Republikanerpartei gegenüber die radikale Republikanerpartei, das gemäßigte Gros der heutigen Sozialdemokratie, verstärkt durch Zuzug vom linken Zentrumsflügel und vom linken Flügel der Demokraten, und durch beides vom eigentlichen Sozialismus mehr und mehr abgedrängt zur ›Wirtschaftsdemokratie‹«.99 Mit Vorstellungen dieser Art war Hellpach ein Vorreiter der sich nach dem Ende der parlamentarischen Regierungen seit 1930 verstärkenden Tendenzen im bürgerlichen Lager, die SPD wieder in ihre beiden, 1924 vereinigten Flügel aufzuspalten. Bis er sich resigniert aus der aktiven Politik zurückzog, versuchte Hellpach, die Entstehung der »konservativen Republikanerpartei« zu fördern. In sie sollten »Elemente der DDP, DVP, DNVP, volkskonservative und wirtschaftliche Gruppen« integriert, aber auch jungkatholische und bündische Gruppen sowie der »Jungdeutsche Orden« aufgenommen werden, »die heute abseits der Parteien stehen«. Ihre Aufgaben sollten sein: »Schutz des Individuums gegen Kollektivismus, Eintreten für die großen traditionellen Güter der Familie, Sorge für Erhaltung des bodenständigen Menschen, Wahrung des Standesmäßigen gegen das Klassenmäßige«, kurz: die Zusammenfassung der »Kräfte der Geistigkeit und Gläubigkeit«. 100 Später nannte er die »konservative Republikanerpartei«, den Veränderungen der politischen Terminologie Rechnung tragend, »jungbürgerliche Front«.101 1931 berücksichtigte Hellpach in einer revidierten Fassung seiner Neukonzeption der deutschen Parteienlandschaft den konfessionellen Gegen218 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
satz und die seinem ursprünglichen Modell zuwiderlaufende Stabilität des Zentrums. Die vier Wunschparteien hießen nun Protestanten, Katholiken, Sozialisten und Nationalisten. Diese Unterteilung war nicht wesentlich realitätsbezogener, denn Hellpach ging nun davon aus, daß die Gegensätze im sozialistisch-kommunistischen und ebenso die im nationalen Lager überwindbar seien. Die Umbenennung macht deutlich, daß für ihn 1931 nicht mehr die Erhaltung der parlamentarischen Demokratie im Vordergund stand. Denn welche dieser neuen Reißbrettparteien hätte sie stützen sollen? Hellpachs Parteireformmodell dürfte im Kollegenkreis auf Sympathie gestoßen sein, hatten derartige Gedankenspiele doch in der Heidelberger Gelehrtenkultur Tradition. 102 Der Jurist Thoma sah im Gegensatz zu Hellpach »der Tatsache ins Auge, daß das deutsche Volk in mindestens sechs Hauptgruppen zerfällt (Konservative, Rechtsliberale, Zentrum, Linksliberale, Sozialdemokraten, Sozialrevolutionäre), von denen keine Aussicht auf die absolute Mehrheit hat.« Da der Reichstag das deutsche Volk repräsentieren solle, widersprach er einer Rückkehr zum alten Mehrheitswahlrecht. Thomas Reformvorschlag zielte in ähnliche Richtung wie später das Wahlrecht der Bundesrepublik: In Wahlkreisen vergleichbarer Größe sollten im Durchschnitt sechs Abgeordnete gewählt werden, wobei der Wähler die Möglichkeit haben sollte, aus dem Vorschlag seiner Partei einen Kandidaten auszuwählen. Neben rund 400 nach diesem Modus direkt Gewählten sollten etwa 50 weitere Abgeordnete über Reichslisten mit einer Zweitstimme gewählt werden. Vehement gegen ein Zweiparteiensystem, das häufig zur Behebung der Parteienzersplitterung gefordert wurde, sprach sich auch Radbruch aus, da es, wie er ein Argument Max Webers aufgreifend meinte, »unfehlbar die Zerfällung in Bourgeoisie und Proletariat« bedeute, so daß bei einem Regierungswechsel »das Staatsschiff sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite legen und schließlich kentern müßte«. Da für ihn - wie erwähnt - »nicht die Vielheit der Parteien, vielmehr die Starrheit unseres Parteienwesens« das Problem war, lag sein Lösungsentwurf auf der Ebene ›politischer Kultur‹ und Mentalität: »Es wäre uns für unsere Politik zu wünschen ein Schuß Selbstironie, ein Schuß Relativismus, ein wenig deutschen Lessinggeistes, englischen Fairplays und französischer Grazie, und daß wir den Kampf nicht mit Knüppeln führten, sondern mit Floretts.«103 Radbruch nutzte 1928 die Verfassungsfeier der Reichsregierung, um die maßgeblich auch von Hindenburg vertretene Weimarer Parteienfeindschaft zu kritisieren: Parteipolitik« gehöre »zu den Dingen, die man tut, von denen man aber nicht gern spricht. Man darf es nicht vor keuschen Ohren nennen.« Dies erscheint zugleich wie ein Kommentar zum Verhalten vieler in seiner eigenen Profession, die zwar überraschend häufig Parteien beitraten, aber - mit Folgewirkung bis zur heutigen Sicht der »Mandarine« möglichst nicht darüber sprachen. Dieser Ideologie und dem anwesenden Reichspräsidenten, der zu seinem Amtsantritt eine Münze mit der Auf219 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schrift »Für das Vaterland beide Hände, aber nichts für die Parteien« hatte prägen lassen, hielt Radbruch Gottfried Keller entgegen: »Wer über den Parteien/Sich wähnt mit stolzen Mienen/Der steht zumeist sogar/Erheblich unter ihnen.« Der frühere Reichsjustizminister appellierte an die Masse der Bürger, ihr politisches Verhalten zu ändern und ihre »Parteiprüderie« wie ihren »Parteifanatismus« zu überwinden. Es sei »eine Pflicht, sich einer Partei einzuordnen, denn das heißt ja nichts anderes als seine Wahl nicht auf Grund einer vorübergehenden Stimmung vollziehen, sondern auf Grund einer überlegten und dauernden Überzeugung. Der Flugsand der Unentschlossenen zwischen den Parteien, deren Verbitterung und Verärgerung, aber ist es, das unserem ganzen politischen Leben jene Unstetheit und Unberechenbarkeit gibt.« Die Parteimitglieder forderte er darüber hinaus auf, Parteikämpfe nicht mehr »wie einstmals die Religionskriege« zu führen.104
3.3. »Scheinstaat« ohne »Staatswillen« Unter den fünf Globaleinschätzungen aus dem Jahr 1927 wies nur Gumbel auf die relative Stabilisierung hin, die die Jahre 1924 bis 1929 kennzeichnete. Nur bei ihm ist die Rede von einem Fortschritt den frühen zwanziger Jahren gegenüber, der »ohne eine Spur völkischen, nationalen oder faschistischen Gedankens vor sich gegangen« sei. Der militante Rechtsextremismus war für Gumbel allerdings keineswegs endgültig eingedämmt: »Wenn der jetzige Siegeszug des Kapitalismus zum Stocken kommt und wenn die Demokratie nicht mehr zum Schutz der herrschenden Klasse genügt, werden Schwarze Reichswehr und Fememorde wieder auferstehen.« 105 Nachdem seine Hoffnungen auf radikalere Veränderungen enttäuscht worden waren, 106 hatte sich Gumbel mit dem status quo abgefunden. Seine Haltung wird besonders deutlich in einem Appell an »die wenigen Republikaner«, der in der Sondernummer der »Reichsbanner-Zeitung« zum Verfassungstag 1924 erschien: »Von unseren Gegnern müssen wir lernen... Wir müssen aufhören, demokratisch zu sein gegen unsere Feinde«, nämlich die mehrheitlich »monarchistischen« Beamten. »Duldet nicht, daß unter dem Mantel des unpolitischen Sachverständigen der politische Nichtsachverständige des ancien régime weiterregiert... Zerstört das Schlagwort von den unpolitischen Beamten, von den unpolitischen Generälen, von den unpolitischen Professoren! ... Unpolitik ist ihnen Monarchismus. Aber die Formel Republik ist unwirksam. Gebt der Republik einen sozialen Inhalt! Füllt das leere Schema der Republik mit sozialem Inhalt aus, werdet hart gegen Eure Feinde! Wenn nicht, so werden sie bald hart gegen Euch sein.«107 Für Gumbel war die Weimarer Republik somit kein vollwertiger und ernstzunehmender Staat. Er hielt ihr sogar das ihm verhaßte ancien régime als Vorbild für Staatsautorität vor. Die Republik, »gegründet im Willen der breiten Massen« als »Gegnerin des Kapitals«, war als kapitalistischer Staat, 220 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der sie in Gumbels Augen bis 1924 geworden war, nur ein »leeres Schema« ohne »sozialen Inhalt«, weil sie »sich in Gegensatz zu weiten Kreisen der Arbeiterschaft gestellt hatte«. 108 Gumbels marxistisch eingefärbte Analyse weist zahlreiche Berührungspunkte zu Äußerungen seiner Kollegen und zu deren Staatsbegriff auf Gumbel war twar ein überzeugter Republikaner, aber als Sozialist hielt er trotz seiner Kritik am Bolschewismus an einer nicht näher ausgeführten Vorstellung von der Diktatur des Proletariats fest und war daher kein Verfechter der parlamentarischen Demokratie. Für ihn konnte die Republik größere Legitimität 109 nur gewinnen, wenn sie sozialistisch würde. Indem er den Weimarer Staat nicht recht ernstnahm, näherte sich der Linkssozialist Gumbel breiten Teilen der Öffentlichkeit. In deren Augen verdiente es die Weimarer Republik nicht, »ein Staat genannt zu werden. Sie sei nur ein Scheinstaat, ein Ersatzstaat.«110 Diese Kritik an der mangelnden Staatsqualität der Weimarer Republik war seit Beginn der Stabilisierungsphase teilten Vertreter aller politischen Richtungen im Heidelberger Lehrkörper. So hatte Bergsträsser in seiner Einschätzung aus dem Jahre 1927 nicht nur die Parteien kritisiert, sondern der Republik insgesamt Apathie und fehlenden »nationalen Willen« angekreidet. Er führte das auf die durch Versailles erzwungene Passivität der öffentlichen Meinung und auf den zu großen Einfluß der Parteien zurück. Hellpach hatte ähnlich diagnostiziert: »Die am jugendlichen Organismus der Republik zehrende Krankheit heißt Verantwortungsscheu.« Im Gegensatz zur »aktiven und erfolgreichen Außenpolitik Stresemanns« sei seit der Währungsstabilisierung »nichts Wesentliches mehr an innenpolitischer Gesundungsarbeit getan worden.« Nach Meinung Lederers trieb »das politische System auf eine Sandbank zu.«111 Einer der konservativsten Gelehrten, der sich in den zwanziger Jahren zur Weimarer Republik äußerten, der Rechtshistoriker Mitteis, nahm eine Position ein, die in der Hochschullehrerschaft verbreiteter gewesen sein dürfte, als deren öffentliche Äußerungen erkennen lassen. Hierfür spricht, daß er seine Philippika im hochoffiziellen Rahmen einer Reichsgründungsfeier hielt. Seine Kritik zielte auf den demokratischen Entscheidungsprozeß selbst, an dem ihn vor allem dessen Kompliziertheit störte, die zu widersprüchlichen und unklaren Ergebnissen führe. Wie bei Bergsträsser standen bei Mitteis Parteienkritik und der Vorwurf fehlenden »nationalen Willens« in ursächlichem Zusammenhang: »Wir haben es nur allzuoft erlebt in den letzten Jahren, daß Schlagworte von höchst zeitlicher Bedingtheit, kleinliche Parteiinteressen zu schwachen Kompromissen und halben, unorganischen Lösungen in den vitalsten Fragen deutschen Rechtslebens geführt haben. Wir sind des Flickwerks und Stückwerks müde geworden und verlangen, daß man das deutsche Recht nach großen Gesichtspunkten und organisch so fortbilde, wie es dem Geist seiner Geschichte entspricht. Wir verlangen auch, daß unsere Gesetze künftig eine Sprache sprechen, die dem Volk verständlich 221 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ist... Zur Zeit noch dringlicher ist die Rechtswahrung nach außen. Die nationale Würde und Selbsterhaltung verlangen von uns, daß wir unseren Rechtsstandpunkt als vollberechtigte Glieder der europäischen Völkerfamilie mit größtem Nachdruck wahren, mag es uns auch zur Zeit an den äußeren Machtmitteln zur Rechtsdurchsetzung fehlen... Lauheit ziemt sich für ein Helotenvolk, nicht für ein Volk von Freien, das trotz aller Kriegsschuldlüge stolz und kühn sein Haupt erheben und die ewige Wahrheit der Geschichte dafür zum Zeugnis anrufen darf, daß sein Kampf ein gerechter und heiliger Krieg gewesen ist.«112 Während Mittels' Argumentation zahlreiche, aus dem 19. Jahrhundert stammende Topoi konservativen Denkens bemühte, stand Bergsträsser für die jungkonservative Variante der Kritik am fehlenden Staatswillen der R e p u blik. Die angebliche Schwäche des parlamentarisch verfaßten Staates ist einer der Punkte, an denen Gelehrte unterschiedlicher politischer Orientierung weitgehend identisch argumentierten, und die Breite dieser Kritik hatte zur Folge, daß sie in mancher Hinsicht zu einer self-fulfilling prophecy wurde. Gumbel attestierte ebenso wie die Konservativen der R e p u blik fehlenden »Willen zur Macht«, und Hellpach sah wie Mitteis »die Gefahr«, daß Deutschland ein »demokratisch aufgetakelter, bloßer Verwaltungsstaat« werde, »unfähig, Geschichte zu machen und Kultur zu entfalten, eine bestenfalls zivilisierte Exekutivmaschinerie, ein plebejisierter Obrigkeitsapparat.« 113 Hellpach fehlte in Deutschland eine »große, breite, staatsbejahende Mitte von undogmatischer, von rein pragmatischer Grundgesinnung«. Er plädierte deshalb für eine größere Unabhängigkeit der Minister von den »Bureaucliquen und Vorstandsklüngeln« der Parteien. Ein »liberaler Staat« war für ihn ein Unding wie »ein brennender Eisblock« - Freiheitlichkeit und funktionierende, das hieß immer machtvolle Staatlichkeit schlossen einander aus. Die Genannten taten sich wie große Teile der Weimarer Öffentlichkeit schwer, einen modernen Staat anzuerkennen, der im wesentlichen Verfahrensregeln für vernünftige Entscheidungsfindungen institutionalisieren wollte, »ohne diese Entscheidungen selbst bereits auf irgendwelche metaphysisch begründete ›letzten Staatsziele‹ zu verpflichten.« 114 Daß dieser »prozedurale Legitimationstypus« (Habermas) nicht akzeptiert wurde, aber auch daß die Entscheidungsmechanismen der Weimarer Verfassung, nicht zuletzt wegen dieser Nichtanerkennung, schlecht funktionierten, führte zu der skizzierten anhaltenden Diskussion darüber, wie die Legitimation der Republik vergrößert werden könne. Alfred Weber verwies immer wieder darauf, daß der Staat durch Revolution und Inflation zu sehr in Abhängigkeit von »Wirtschafts-, Klassen- und Interessengruppen« geraten sei, daß ihm »die Hälfte seiner äußeren Souveränität« sowie eine Tradition fehle und dadurch die »Gewinnung eines Prestiges« verhindert werde. 115 Auch er machte das »unglückselige Wahlsystem« für »die Verdeckung aller großen, einheitlichen Fragestellungen, vor die die Nation zu stellen wäre«, verantwortlich. Aber er ging einen Schritt 222 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
weiter als die meisten Kollegen und versuchte, eine Perspektive zu benennen, wie die Schwäche des Weimarer Staates überwunden werden könnte. In der für seine Formulierungen typischen vitalistischen Unexaktheit meinte er, die Republik brauche »ein Fluidum, das trotz der zersprengenden Einflüsse der material- und partialbedingten Kräfte, diesen Staatsleib durchströmend, ihn doch noch als Einheit trägt, das über dem interessenmäßigen Kerne der Parteien schwebend, zwischen und über den Interessengruppen sich hin und her bewegend, tatsächlich in allen für die Gesamtheit lebenswichtigen Fragen doch entscheidend wird, indem es den Mehrheitswillen letztlich formt, ein gemeinsames Etwas, als dessen Exponent der politische Führer auftreten muß.«116 Als Ausweg schlug Weber zur Stärkung der Staatsspitze und zur Wiederherstellung ihrer Handlungsfähigkeit eine »unegalitäre (Führer-)Demokratie« vor. Als Gegenmodell zu Bolschewismus und Faschismus sollte die Demokratie zur Überwindung ihrer Krise »entmechanisiert« und »entoligarchisiert« werden, d.h. die Elemente des »direkten Masseneinflusses« sollten gegenüber dem Einfluß der Parteien und ihrer Apparate vergrößert werden, wie es mit etwas anderen Akzenten auch Bergsträsser vorschlug. Nicht nur in der Nähe von Webers Lösungsvorschlägen zu denen seines jungkonservativen Schülers, sondern auch in seiner organizistischen Sprache und im typisch antiliberalen Mechanismusvorwurf gegen die parlamentarische Demokratie zeigen sich die starken konservativen Komponenten im Denken des Liberalen Alfred Weber. Sein Parteifreund Hellpach wandte sich, wie seine Vorschläge zur Veränderung des Parteiensystems, die ja in ihrer frühen Version die Schaffung zweier großer republikanischer Mittelparteien vorsahen, weniger als Weber und Bergsträsser gegen Parteien als solche, sondern nur gegen das herrschende Parteiensystem. Er forderte darüberhinaus eine weitere »Politisierung« der Deutschen. Sie müßten sich entscheiden zwischen der »ganzen Fülle der ... deutschen Innerlichkeit« und einem »großen Staat«, der »Einförmigkeit fordert«. Sie müßten »politisch zugrundegehen wie Hellas« oder »den alten deutschen Adam gründlich ausziehen und in der großartigen Einförmigkeit des Staatsvolkstums [sich] erneuern«. In dieser Beziehung sei »die Arbeiterschaft Deutschlands Vorhut«. 117 Stand Hellpach einerseits zu diesem Zeitpunkt noch zur parlamentarischen Demokratie, so äußerte sich seine konservative Wende in dem bei keinem seiner Kollegen so frühen und so deutlichen Rückgriff auf die antiliberalen, vereinheitlichenden Argumentationsmuster der Kriegszeit. Sowohl Weber als auch Hellpach gehörten am Ende der zwanziger Jahre zu den Mentoren meist von Angehörigen der jüngeren Akademikergeneration getragener Versuche, den deutschen Liberalismus in einer Partei zusammenzuschließen. Unter Webers geistiger Schirmherrschaft und geprägt von seinen politischen Reformvorschlägen bildete sich Anfang 1929 die »Heidelberger Arbeitsgemeinschaft für jungdeutsche Politik«. Durch ihre 223 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Selbstdefinition als »jungdeutsch« bezog sich diese Gruppe wie die anderen, von der jüngeren Generation getragenen Gruppen, die in den Einigungsbemühungen der bürgerlichen Mitte eine maßgebliche Role spielten (etwa der Jungdeutsche Orden und die »Front 1929«), auf ein in der DDP und besonders bei ihren Exponenten im Heidelberger Lehrkörper verbreitetes, stark auf angeblich spezifisch deutsche Traditionen rekurrierendes, gewissermaßen die völkische Spielart des deutschen Liberalismus darstellendes, antiwestliches und tendenziell antiparlamentarisches Programm. 118 In seiner Zeit als Reichstagsabgeordneter nahm Hellpach als Ehrengast an einer großen Kundgebung des Jungdeutschen Ordens unter der Parole »Vom bürgerlichen Staat zum Volksstaat« teil, auf der der Orden erstmals seine Parteigründungspläne propagierte, und wies in einem seiner Leitartikel für die Neue Zürcher Zeitung wohlwollend auf die Bemühungen des Ordens und der »Front 1929« hin, eine »jungbürgerliche Front« gegen Hugenberg, den Stahlhelm und den Sozialismus zu bilden - ein Programm, das sich mit seinen Neugliederungsplänen für das Parteiensystem weitgehend deckte und auf dessen Realisierung er in den folgenden Jahren den Schwerpunkt seiner publizistischen und politischen Aktivitäten legte. 119
3.4. Kritik an der Weimarer Reichsverfassung In der Phase der relativen Stabilisierung formierte sich nicht nur die Kritik an der Republik und zeichnete sich eine beträchtliche ideologische Konvergenz der in liberalen Parteien engagierten Hochschullehrer mit ihren konservativen Kollegen ab, sondern es mehrten sich auch die kritischen Kommentare zur Weimarer Reichsverfassung, obwohl diese nach wie vor deutlich besser bewertet wurde als die politische Realität. Die konservative Verfassungskritik formulierte paradigmatisch Mitteis: »Allzu deutlich trägt das Verfassungswerk ... die Spuren seiner Entstehungsgeschichte unter dem Drucke der Fremdmächte zur Schau... Wir [haben] uns unter dem Drucke des Mangels an Zeit und dem Einfluß von Ideen, in denen wir allzu leichtgläubig Garanten eines billigen Friedens erblickt hatten, ausländische Staatseinrichtungen aufnötigen lassen, die unter ganz anderen historischen Voraussetzungen erwachsen waren und nun künstlich auf den Stamm unseres deutschen Staatswesens aufgepropft worden sind.« Mitteis monierte eine dem »deutschen Wesen«120 unangemessene »Verwestlichung« der staatlichen Institutionen und meinte damit vor allem die »überstürzte Hinwendung zum Parlamentarismus«. Aber auch für ihn gab es trotz aller Kritik an der Verfassung »auf dem eingeschlagenen Wege kein Zurück, sondern nur Vorwärtsschreiten« in der Hoffnung, »daß dem Genius des deutschen Volkes so bald als möglich die Assimilierung des Fremdartigen an das eigene Wesen gelingen möchte.« Mitteis argumentierte im eigentlichen Sinne antidemokratisch. Während etwa Weber oder Hellpach von 224 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
einer Stärkung der plebiszitären Momente das Hochkommen charismatischer Führer und damit eine größere Handlungsfähigkeit des Staates erhoffte, war Mitteis der demokratische Masseneinfluß auf die Politik schon zu groß. Er begründete dies mit der Sorge um die »Freiheitssphäre des Einzelnen«, die verteidigt werden müsse gegen »die Allmacht des Staates ..., die sich heute darstellt als Absolutismus der Parlamente, der Abstimmungen, der großen Zahl, der Masse. Jeder, der etwas vom Adel in sich spürt, der die Besten unseres Volkes stets ausgezeichnet hat, wird nur mit Widerwillen seine bessere Einsicht immer wieder zurückstellen, weil die Masse derer zu groß war, die dem Schlagwort der Parteidoktrin unterlegen sind.«121 Ein anderer konservativer juristischer Ordinarius, Walter Jellinek, stellte gar im »Handbuch des Deutschen Staatsrechts« die Legitimität und Praktikabilität der Reichsverfassung in Frage. Aufgrund der gegebenen »Gliederung der Nationalversammlung in Parteien und Berufe, angesichts des Fehlens eines dämonischen Staatsmannes und angesichts der Zeitumstände« fehle es der Verfassung an einer »beschwingenden« und »einheitlichen Idee« und sei sie »mit schwer abänderlichen Bestimmungen überlastet«. Dies zielte vor allem gegen den tatsächlich sehr widersprüchlichen Grundrechtskatalog. Derartiger, in konservativen und liberalen Kreisen verbreiteter Kritik hatten sich die Heidelberger Verfassungsrechtler zuvor enthalten. Auch hier deutet sich an, daß sich die Einstellung zur Republik grundlegend veränderte. Es gab aber mit den liberalen, meist der DDP nahestehenden Professoren in Heidelberg im Gegensatz zu den meisten anderen Universitäten eine einflußreiche Gruppe, die die Verfassung auch in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre rückhaltlos verteidigte. Zu nennen sind vor allen Dibelius, Thoma und Radbruch. Ersterer legte als Rektor 1929 in einem Aufruf zum zehnten Jahrestag ihres Inkrafttretens ein Bekenntnis zur Weimarer Verfassung ab, die »wieder Recht und Ruhe geschaffen [hat] für das Leben des Einzelnen wie der Nation. Aber die Väter der Verfassung haben dafür gesorgt, daß sie nicht nur ein Notwerk wurde ... Sie haben in den Artikeln 109-165 auch jenes Grundgesetz des ideellen Lebens geschaffen, das von den ›Grundrechten und Grundpflichten der Deutschem handelt.« 122 Dibelius stilisierte die Weimarer Verfassung zum Symbol und Garanten der inneren sozialen und äußeren territorialen Einheit der Deutschen. Sie diene der Überwindung »jenes Erbübels, das immer wieder die deutsche Geschichte zur Tragödie werden ließ«. Sein Hauptanliegen, Harmonisierung der politischen, regionalen und konfessionellen Gegensätze in Deutschland, faßte er zusammen in der von Gerhard Hauptmann stammenden, für Sehnsüchte auch vieler seiner Kollegen typischen Schlußformel: »Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz!«123 Thoma verteidigte die Verfassung als ein System der »checks and balances« gegen die antiliberale Kritik Carl Schmitts, aber auch seines Kollegen Mitteis. Die meisten seiner Argumente in dieser Diskussion nehmen sie 225 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
implizit gegen Vorwürfe in Schutz, die Reichsverfassung entspreche nicht dem »Geist der deutschen Geschichte« und sei ein Import von dem »deutschen Wesen« fremden, zu westlichen oder zu demokratischen Formen. Für Thoma war die Verfassung der neue Typus einer »aus repräsentativ-parlamentarischen und plebiszitären Elementen gemischten Demokratie« und nur »höchst gemäßigt demokratisch«. Sie stehe in der historischen Kontinuität der deutschen Entwicklung hin zum »Einheitsstaat«.124 Wie Thoma und Anfang der zwanziger Jahre bereits Anschütz versuchte Radbruch, der Verfassung das Odium zu nehmen, sie sei von den Siegern oktroyiert. Keiner der verfassungsfreundlichen Heidelberger Professoren ging in der möglicherweise taktischen Anpassung an die Sprache der konservativen Republikgegner so weit wie er: »Nicht nur die Nationalversammlung von 1919 steht bestimmend hinter unserer Verfassung - auch das Erlebnis von 1914 klingt in ihr wider... Die Besten und Tiefsten waren gewillt, als Frucht ihrer Kämpfe auch ein erneuertes, freies Vaterland heimzubringen. «Auch Radbruch versuchte, die Funktion der Verfassung mit militärischen Bildern zu illustrieren, um sie zu legitimieren. »Eine Verfassung ist wie ein Schild, der seinem Träger umso lieber wird, je mehr Schrammen und Narben vergangener Kämpfe er zeigt. Eine Verfassung ist wie eine Fahne, um die umso mehr Ehre und Heiligkeit ist, j e mehr sie von Schwerthieben zerschlissen und von Kugeln durchbohrt ist.«125 Im Unterschied zu Dibelius äußerten Thoma, Radbruch und andere verfassungstreue Heidelberger Hochschullehrer allerdings auch Kritik an der Verfassung. Radbruch diagnostizierte Züge der gefährlichen, von ihm vehement bekämpften deutschen »Parteiprüderie«, da die Parteien in ihr nicht erwähnt und ihre zentrale Rolle in der parlamentarischen Demokratie durch sie nicht legitimiert werde. Für Thoma war der von Dibelius so gelobte Katalog der Grundrechte und -pflichten nur »eine schöne Stilisierung der Paragraphen«, der »für die Befreiung des Individuums durch den Staat« nichts bringe. 126 Sehr viel ambivalenter war Hellpachs Verhältnis zur Weimarer Verfassung. Sie sei »eine Notbaracke, um das Volk in den Sturmschatten des Spartakismus zu bringen«, und mit Nebensächlichem »überstopft«. Ihre »Geschwätzigkeit« offenbare »etwas von der Wesensschwäche der deutschen Revolution, die in Tiraden und Spektakeln unterging«. Trotz alledem sei die »konstitutionelle Substanz gut geraten«: »Sie ist eine der vorzüglichsten Ausprägungen der politischen Kräfte, die eine Demokratie aufbauen und erhalten; Volksmasse, Volksvertretung und Volksoberhaupt kommen in ihr ebenbürtig zu ihrem Recht ...: aber die politische Praxis ist nicht nur mangelhaft, sondern sie verschlechtert sich immer mehr.« 127 Die Ambivalenz, mit der Hellpach der Verfassung gegenüberstand, äußerte sich vor allem darin, daß seine pejorative Begrifflichkeit in deutlichem Widerspruch zu seinem vordergründigen Eintreten für die Verfassung stand. Er sah aber in der Weimarer »Parlamentskrise« und der dadurch steigenden Bedeutung 226 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der anderen in der Verfassung vorgesehenen Kräfte einen Schritt in die richtige Richtung. Denn »die Parlamente gehen heute den Weg, den einst die Monarchen gehen mußten: sie müssen ihre Herrschaft mit neuen politischen Kräften teilen«, die »sich zusammenballen im Begriff der direkten Demokratie«. Hellpach nannte diesen Prozeß, der in der Weimarer Republik exemplarisch zu beobachten sei, »Konstitutionalisierung der Parlamente«. Im Zuge einer »Gewaltenumlagerung« müßten neben dem parlamentarischen »neue und alte Machtwege« reaktiviert bzw. neugeschaffen werden, nämlich sowohl der der administrativen Verordnung als auch der plebiszitäre Weg.128 Obwohl als Beitrag zur Legitimierung der Republik gemeint, ist dies doch zugleich ein frühes Beispiel dafür, wie Interessenrepublikaner Breschen für die radikalen Gegner der Republik schlugen und die Verfassung desavouierten.
3.5. Zusammenfassung Bezogen auf das politische Engagement der Heidelberger Hochschullehrer waren die Jahre 1924 bis 1929 eher eine Restaurations- als eine Stabilisierungsphase. In diesen wirtschaftlich vergleichsweise guten Jahren stellten die Regierungen die Gehaltsprivilegien der Professoren aus der Vorkriegszeit wieder her. Aus sozial-ökonomischen Gründen bestand kein Grund zur Fundamentalopposition gegen die Republik. Nach den Kriegs- und Nachkriegsjahren kehrten auch akademische Gelassenheit und R u h e zurück. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß die Heidelberger Gelehrten in dieser Phase an ihre politische Vorkriegstradition anknüpften. So sind einerseits die liberalsten Parteipräferenzen des Untersuchungszeitraumes zu verzeichnen. Andererseits minderte die wirtschaftliche und teilweise auch politische Stabilisierung die ideologische Distanz der meisten Gelehrten zur Republik nicht nur nicht, sondern vergrößerte sie sogar. Die Ansätze einer Modernisierung und Liberalisierung, die für die frühen zwanziger Jahren zu konstatieren waren, wurden nicht fortgeführt. Liberale Parteipräferenzen bedeuteten nicht notwendig liberales politisches Denken. Vor allem die Interessenrepublikaner wandten sich von der wirren und instabilen Realität der Republik ab, allerdings noch nicht explizit von der Verfassung und ihren Idealen. Zugleich entstanden aus dem Reservoir des konservativen Denkstils die Argumentationen und wurden dort die Ressentiments verstärkt, die den späteren Zusammenbruch der Republik erst möglich machten. Keiner der sich zu den Perspektiven der Weimarer Republik in der sogenannten Stabilisierungsphase äußernden Heidelberger Universitätslehrer rechnete auch nur im entferntesten mit dem, was ab 1930 geschah dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Bergsträsser sah 1929 die Gegenwart »längst wieder in bürgerlicher Sattheit versinken«. Für Hellpach drohte als »größte innerpolitische Gefahr in Deutschland« die »Vorherrschaft einer 227 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Bürokratie auf dem Boden des zerrütteten Parlaments und mit der Spitze eines lebenslänglichen Reichsoberhauptes von Beamtenausmaßen«: »Nicht il fascio ist es, was uns aus dem Versagen des Parlaments droht, sondern die Diktatur der Aktenbündel.« 129 Auch die Charakterisierung der von ihm entworfenen »Partei der Restauration« hatte nichts mit der NSDAP gemein. Der Antifaschist Gumbel sah 1927 die faschistische Gefahr als weitgehend gebannt an. Auch Radbruch rechnete nicht mit der tatsächlich eingetretenen Entwicklung hin zum Nationalsozialismus, sondern mit der Gefahr einer Faschisierung der Republik nach italienischem Vorbild, d.h. mit Entdemokratisierung und Entparlamentarisierung, mit einem ständisch-autoritären Regime, nicht aber mit dem rassistischen und totalen Staat, nicht mit der eigentümlichen und historisch neuen Kombination aus Interessen- und Weltanschauungspartei, die die NSDAP darstellte, die mit Hilfe ihrer höchst widersprüchlichen Ideologie höchst widersprüchliche Interessen unter einen Hut brachte, eine Leistung, die von den zu Beginn dieses Abschnitts Zitierten Bergsträsser, Hellpach und Radbruch an der Weimarer Republik vermißten.
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VI.
Auf dem Mittelweg nach
rechts
Die Zusammenfassung der Jahre 1930 bis 1932 einerseits und 1933 bis 1935 andererseits als Phase der nationalsozialistischen Machteroberung mag auf den ersten Blick problematisch erscheinen. Es wäre jedoch allzu fatalistisch, mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler die Katastrophe als unwiderruflich besiegelt anzusehen. Dies entsprach auch nicht der Wahrnehmung der Zeitgenossen, für die der 30. Januar keine Epochenwende, sondern nur den Amtsantritt einer weiteren, für kurzlebig gehaltenen R e gierung bedeutete. Insbesondere in der Provinz wurde dies, wie Lokalstudien belegen, so gesehen. Es setzte sich hingegen mit höherer Intensität fort, was spätestens im September 1930 mit dem Wahlsieg der NSDAP oder, um auf die Geschichte der Universität Heidelberg zurückzukommen, mit der in engem Zusammenhang mit dieser Wahl stehenden neuen Kampagne gegen Gumbel begonnen hatte. Mehr und mehr waren die Zeitgenossen gezwungen, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Aber da die nationalsozialistische Machtübernahme ein langdauernder Prozeß und kein punktuelles Ereignis war, bietet sich, will man »die Prozesse und Mechanismen in der Gesellschaft selbst und ihr Potential für Gewalt und Anpassung aufdecken«, die Zusammenfassung der Jahre 1930 bis 1935 geradezu an.1 An der Universität Heidelberg begann der Ausschluß etwa eines Drittels des Lehrkörpers aus rassischen oder politischen Gründen bereits mit dem Fall Dehn im Frühjahr 1931 und dem erfolgreichen Disziplinarverfahren gegen Gumbel im Sommer 1932, und auch auf ideologischer Ebene ist die Tendenz zur Selbstgleichschaltung der Universität seit Ende 1930 deutlich erkennbar. Als Ende dieser Machtergreifungsphase wird häufig Hindenburgs Tod am 2. August 1934 angesehen. In dieser Untersuchung werden Ereignisse und Publikationen bis Ende 1935 berücksichtigt, dem Zeitpunkt, zu dem die »Säuberung« der Universität weitgehend abgeschlossen war. 2 So kann auch der Tatsache Rechnung getragen werden, daß der publizistische Niederschlag immer mit einer gewissen Verzögerung auf die Ereignisse, die er verarbeitet, folgt. Dies galt wegen der erschwerten Publikationsbedingungen insbesondere für die wenigen, sich noch öffentlich äußernden verfolgten Gelehrten. 3 Eine methodische Einschränkung war bei der Zusammenfassung der Jahre 1930 bis 1935 allerdings geboten. Für die Jahre 1933 bis 1935 wurden nicht mehr die Aktivitäten aller Heidelberger Hochschullehrer, sondern nur noch derjenigen 229
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berücksichtigt, die bereits vor dem 30. Januar 1933 im Amt waren. Die im Dritten Reich Berufenen oder gar erst zu Hochschullehrern Ernannten einzubeziehen, würde den Kontext verfälschen, da dieser Personenkreis neben und z.T. sogar anstelle der Habilitation politischen und rassischen Zugangsbedingungen unterworfen war und infolgedessen überwiegend ein anderes politisches Selbstverständnis und Verhalten an den Tag legte. 1. D i e Universität in den politischen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n d e r Jahre 1 9 3 0 - 1 9 3 5 In der Zeit des nationalsozialistischen Machtgewinns schmolz der liberale Vorsprung Heidelbergs vor anderen Universitäten immer mehr dahin. Symptomatisch hierfür sind die beiden politischen Konflikte, die das Rektorat des Altphilologen Meister 1930/31 bestimmten und in denen die Universität und insbesondere der Rektor, der mit seiner konservativen konfliktscheuen Grundhaltung den politischen Gegenpol zur Liberalität und M o dernität von Dibelius bildete, keine gute Figur abgaben. Beflügelt durch den Erfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl im September 1930 protestierten nationalsozialistische, deutschnationale und korporierte Studenten dagegen, daß das Kultusministerium dem umstrittenen Dozenten Gumbel nach fast acht Jahren den Titel »außerordentlicher Professor« verlieh, ohne daß die Fakultät dies wie sonst üblich vorgeschlagen hatte. Die im Aufruf zu einer Kundgebung enthaltene Drohung, man kämpfe »um die Säuberung der Hochschulen«, faßten nur einige Demokraten im Lehrkörper wie Anschütz, Lederer und Radbruch als solche auf und forderten, daß der Senat diese Zumutung zurückweise. Dieser reagierte in einer die künftigen Auseinandersetzung präjudizierenden halbherzigen Weise: »Angriffe gegen Dozenten der Universität wegen ihrer politischen Gesinnung dürfen nicht geduldet werden«, der Fall Gumbel jedoch biete »bei seiner eigenartigen Lagerung keinen glücklichen Anlaß, mit einer Gegenerklärung in die Öffentlichkeit zu treten.«4 Wenn der Senat auch grundsätzlich solche Angriffe zurückzuweisen vorgab, räumte er doch der nationalsozialistischen Studentenbewegung gegenüber allzu exponierte Positionen angeblich aus taktischen Gründen, in Wirklichkeit aber, weil der Mehrheit im Lehrkörpers deren prinzipielle Bedeutung nicht bewußt war. Die philosophische Fakultät erklärte nach den studentischen Protesten, sie hätte »Bedenken erhoben«, wenn allen Mitgliedern die Anfrage des Ministers, ob man die Ernennung Gumbels zum außerordentlichen Professor, wenn schon nicht vorschlagen, so wenigstens hinnehmen werde, bekannt gewesen wäre. 5 Sie folgte damit Andreas, der diese Vorgehensweise in einem Diskussionspapier empfohlen hatte, damit »niemand uns den Vorwurf machen [kann], von unserer bisher eingehaltenen Linie [Gumbel gegenüber] abgewichen zu sein oder wertvolle Überlieferungen preisgegeben zu ha230 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ben.« Die Fakultät dürfe die Ernennung nicht hinnehmen, um nicht »kommenden Regierungen« Eingriffe in die Selbstverwaltung zu erleichtern. Wenn durch diesen Protest »die Sache nicht bereinigt sein sollte, und der Fall Gumbel immer wieder Unfrieden in unseren Reihen erweckt und das Ansehen der Fakultät in der Öffentlichkeit aufs Schwerste gefährdet, wenn es immer wieder sich begibt, daß um dieser einen Persönlichkeit willen, die niemals hätte habilitieren dürfen, das ganze Leben der Universität, die es ohnehin heute so schwer hat, in allen Tiefen aufgewühlt wird, so sehe ich nur noch einen Ausweg: Es ist der, daß das Fach Staatswissenschaften, von dem in Gestalt des Falles Gumbel diese tiefe Beunruhigung ausgeht, aus unserem Rahmen ausscheidet, sich selbständig macht oder Anschluß an eine andere Fakultät sucht ,.., um uns Anderen wenigstens die Wiederkehr dieser auf die Dauer unerträglichen Mißhelligkeiten zu ersparen.«6 Tatsächlich waren die meisten politisch linksstehenden Angehörigen der philosophischen Fakultät Staatswissenschaftler und hatte es um sie neben dem Dauerkonflikt um Gumbel bereits mehrere politische Kontroversen gegeben. 7 Sprache und Radikalität von Andreas' Vorschlag deuten auf die Verzweiflung, in die die Affäre nicht nur ihn stürzte, und auf die Unfähigkeit, mit ihr anders als ausgrenzend umzugehen. Andreas' Wünsche sollten bald erfüllt werden. Durch den Weggang Lederers 1931 nach Berlin, die Entlassungen Gumbels 1932, Marschaks 1933 und Sultans 1935 sowie den Rücktritt Webers 1933 veränderte sich das politische Profil des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften in den folgenden Jahren völlig. Nach der Integration der Mannheimer Handelshochschule wurde 1934 sogar eine selbstständige staatswissenschaftliche Fakultät gebildet. Das Zurückweichen von Senat und Fakultät, die Unterstützung mehrerer namhafter Ordinarien und ein erneuter Wahlsieg der NSDAP (bei den Kommunalwahlen im November 1930) gaben der nationalistischen Studentenbewegung weiteren Auftrieb. Die AStA-Mehrheit aus NSDAP und Korporierten verstieß bewußt gegen ihre eigene Satzung, indem sie ein politisches Mandat wahrnahm und die Rechte der Minderheit mißachtete, bis der Minister im Januar 1931 den AStA aufhob. Es kam zu durch hundert Jahren hindurch nicht gekannten Ausschreitungen, zur Besetzung und polizeilichen Räumung der Universität. 8 Rektor Meister erwies sich als politisch völlig überfordert und unfähig, auf die zugespitzte und ungewohnte Konfrontation zwischen Studentenschaft und Lehrkörper angemessen zu reagieren. Diese fand ihren symbolischen Höhepunkt, als der AStA die Reichsgründungsfeier und umgekehrt fast der ganze Lehrkörper den »Reichsgründungskommers« der Korporationen boykottierte. 9 Am 25. Januar 1931 schloß Meister die Universität und berief eine Vollversammlung in die Stadthalle ein, auf der er in der ihm eigenen väterlichen Art zum Frieden mahnte und versuchte, die Studenten zu besänftigen, indem er ihnen großzügige Übergangsregelungen für die Aufrechterhaltung ihrer Selbstverwaltung vorschlug, solange dieser die staatliche Anerkennung fehlte. Die 231 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nationalsozialistischen Anführer erklärten diese Angebote für überflüssig, sprachen dem Rektor ihr Mißtrauen aus und forderten erneut die Entlassung Gumbels. Als Meister einen von ihnen wegen vielfacher Überschreitung seiner Redezeit unterbrach, zogen er und seine Gesinnungsgenossen zur längst vorbereiteten Gründung einer autonomen Deutschen Studentenschaft Heidelberg aus. 10 Als die Studenten nunmehr ihrer Forderung nach Entlassung Gumbels durch eine Unterschriftensammlung in der ganzen Stadt Nachdruck zu verleihen suchten, zeigte sich einmal mehr, daß sie auch im Senat auf Sympathien stießen. Es mußte ausdrücklich beschlossen werden, daß Senatoren davon Abstand nehmen sollten, die Petition zu unterschreiben, um bei künftigen Disziplinarverfahren gegen Gumbel nicht befangen zu sein. Zwar distanzierte der Senat sich öffentlich von dem Eingriff der Studenten in die Hochschulautonomie, aber nicht ohne, wie zuvor die Fakultät »die Verleihung der Amtsbezeichnung a. o. Professor an den Privatdozenten Dr. Gumbel« zu mißbilligen. 11 Hellpach warf der Universitätsführung in einem resümierenden Zeitungsartikel Unentschiedenheit und Mangel an »sichtbarer Autorität« vor. »Bemutterung und Verbrüderung« den Studenten gegenüber seien fehl am Platze. »Wer den Aufruf soundsovieler Verbände liest, welcher die Beseitigung eines Mitgliedes des Lehrkörpers fordert, der kann vor der Gefahr, in der die Universität als solche steht, die Augen nicht verschließen. Oder sollen demnächst sämtliche Berufungen von der Zustimmung der wirtschaftlichen, berufsständischen und politischen Interessenverbände abhängig gemacht werden?«12 Hellpach gab zugleich der Hoffnung Ausdruck, daß nun die Berufung des Theologen Günter Dehn »doppelt beschleunigt« werde, gerade »weil gegen ihn ein Treiben wegen ›pazifistischer‹ Aussprüche eingesetzt hat.« Damit war der zweite politische Konflikt während des Rektorates Meister, der Fall Dehn, angesprochen. Ihn hatte die Fakultät Ende 1930 einmütig auf den Lehrstuhl für praktische Theologie berufen. Im Januar brachten die »Eisernen Blätter« des deutschnationalen Pfarrers (und Kultusministers der KappRegierung) Traub unter Anspielung auf Gumbel eine angebliche, von Dehn immer bestrittene Äußerungen aus einer Predigt des Jahres 1928: Kriegerdenkmäler gehörten nicht in Kirchen, denn »da könnte man ja gleich jeden Mörder in der Kirche verewigen«. Angesichts dieser Veröffentlichung und der Kampagne gegen Gumbel forderte Dehn ein erneutes Vertrauensvotum der Fakultät. Diese erklärte mit allen Stimmen gegen Dibelius, sie halte Dehn nun »unbeschadet seiner Vertrauenswürdigkeit ... für nicht geeignet«. Der Senat schloß sich diesem Votum an. Daraufhin folgte Dehn einem R u f nach Halle, wo ihm eine dem Fall Gumbel vergleichbare Kampagne nationalistischer Studenten allerdings auch nicht erspart blieb. Im Gegensatz zum Fall Gumbel, in dem sich nur wenige Kollegen solidarisierten, führte die Behandlung Dehns zu breiter Empörung im Lehrkörper. 13 Auf Initiative 232 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Lederers erklärten 28 Hochschullehrer, sie seien »nicht überzeugt, daß die Gründe für eine Zurücknahme ... des Berufungsvorschlages ausreichend waren«. Der Senat rechtfertigte sich mit einem Satz, wie er auch im Zusammenhang mit Gumbel hätte fallen können: Dehn habe »in seinen Werken nicht immer den Takt bewiesen, der von einem akademischen Lehrer erwartet werden kann.« Daraufhin beantragten siebzehn Professoren eine Sitzung des Großen Senats, der normalerweise nur zur Rektorwahl zusammentretenden Vollversammlung aller etatmäßigen und Honorarprofessoren. Schon die Forderung, eine Entscheidung der Universitätsführung zum Gegenstand einer außerordentlichen Senatssitzung zu machen, stellte ein höchst ungewöhnliches Mißtrauensvotum dar. Mit 30 zu 28 Stimmen bedauerte der Große Senat schließlich die Behandlung Dehns. In einer weiteren Vollversammlung machten die Liberalen allerdings einen Rückzieher. Weber erklärte stellvertretend, sie wollten keine Konfrontation innerhalb des Lehrkörpers, und verlangte lediglich einen Beschluß fürs Protokoll, der auch Dehn mitgeteilt werden sollte.14 Die Affäre Dehn zeigt einige Ursachen für die mit dem Rektorat Meister beginnende, fast reibungslose Selbstgleichschaltung der Universität Heidelberg. Im Großen Senat, also unter den ranghöheren Hochschullehrern (Privatdozenten und außerordentliche Professoren waren konservativer), gab es nach wie vor eine liberale Mehrheit. Sie war sogar breiter, als es das Abstimmungsergebnis ausdrückte, denn einige exponierte Liberale hatten sich auf die Seite des Engeren Senates gestellt, aber gleichwohl betont, sie würden weiter gegen »die Mächte, die man mit dem Wort ›Straße‹ zu bezeichnen pflegt«, kämpfen. 15 Diese Mehrheit war aber politisch nicht handlungsfähig, denn sie hatte kein einheitliches Konzept für den Umgang mit der nationalsozialistischen Studentenbewegung und zur Verteidigung von Hochschulautonomie und Lehrfreiheit, da sie in sich gespalten war in eine sinkende Zahl entschiedener Demokraten und eine steigende Zahl von Gelehrten, die angesichts der Krise der Weimarer Republik und des politisch-kulturellen Verfalls der bürgerlichen Mitte zum konservativ-autoritären Lager tendierten. Wegen dieser Uneinigkeit und Konzeptionslosigkeit waren die Liberalen vor einer inhaltlichen Diskussion im Großen Senat zurückgeschreckt. Weder in den Konflikten um Gumbel und Dehn noch in mehreren Disziplinarverfahren gegen nationalsozialistische Studentenführer machten sie hinreichend deutlich, wo für sie die Grenze der Eingriffe in die akademischen und bürgerlichen Freiheiten lag und daß sie diese zu verteidigen gedachten. Die bis dahin relativ klare Scheidelinie zwischen liberal-demokratischen und konservativen Gelehrten verschwamm seit 1930 zusehends. Stattdessen standen nun immer häufiger wenige Demokraten einem großen, um viele vormals Liberale verstärkten konservativ-autoritären Lager gegenüber, das die Verfassung ablehnte. Innerhalb dieses Lagers bekamen die bis dahin bedeutungslosen Nationalsozialisten wachsenden Zulauf. 233 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Im Verlaufe der Jahre 1931 und 1932 normalisierte sich das Verhältnis zwischen Universitätsleitung, an deren Spitze nach Meister mit Erdmannsdörffer und Andreas nun immer konservative Ordinarien standen, und Deutscher Studentenschaft Heidelberg. Obwohl sie keine staatliche Anerkennung und demokratische Legitimation besaß, gestand ihr die Universität fast dieselben Mitwirkungsrechte zu wie früher dem AStA. Ende 1932 sprach Rektor Andreas sogar bei der »Langemarck-Feier« der rechten Studenten. 16 Als 1932 zwei nationalsozialistische Spitzel eine neuerliche pazifistische Äußerung Gumbels auf einer internen Veranstaltung der sozialistischen Studentenschaft publik machten, entzogen Fakultät und Senat durch einstimmige Beschlüsse dem »Ruhestörer und Friedensbrecher des akademischen Gemeinschaftslebens« 17 die venia legendi; auch der neue Kultusminister, ein Zentrumsmann, hatte keine Einwände. Zwar beschloß die Fakultät zugleich, Disziplinarverfahren gegen die Studenten einzuleiten, die ihn denunziert hatten. Diese endeten jedoch mit Freisprüchen oder Verwarnungen. Mit der Entziehung von Gumbels Lehrberechtigung begann im August 1932 eine lange Reihe politisch und antisemitisch motivierter Entlassungen, denen sogar einige Protagonisten im Kampf gegen Gumbel, etwa dessen Institutskollege Bergsträsser, zum Opfer fielen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kam es sogleich zu derart massiven Eingriffen in die Hochschulautonomie, daß die folgenden politischen Stellungnahmen der Universität und ihrer Selbstverwaltungsorgane nicht mehr ernstlich als authentische Meinungsäußerungen der Institution angesehen werden können, wie dies für die Zeit der Republik galt. Die Häufung von vorher undenkbaren Akten der Unterwerfung unter politische Forderungen des Staates und - in krassem Widerspruch zur verbal zur Schau getragenen Parteienfeindlichkeit - z.T. sogar einer Partei, der NSDAP, läßt gleichwohl auf ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft schließen. Dies zeigen zahlreiche einzelne Vorgänge. Als am »Tag von Potsdam« anläßlich der ersten Sitzung des neugewählten Reichstages die symbolische Verbindung von Preußentum und Nationalsozialismus inszeniert wurde, veranstaltete der am InSoSta zum geschäftsführenden Direktor aufgestiegene Bergsträsser, der Nichtordinarienvertreter im Engeren Senat war, eine »Arbeitsdienstfeier«, zu der er eine Delegation des Reichsarbeitsdienstes im Institut empfing. In seiner Immatrikulationsrede zu Beginn des Sommersemesters 1933, vier Tage nach der Bücherverbrennung und einige Wochen nach den ersten Suspendierungen jüdischer Hochschullehrer und den Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, gab Rektor Andreas dem neuen R e g i m e einen Vertrauensvorschuß, der über Anschütz' Rektoratsrede von 1922 und ähnliche offizielle Äußerungen aus der Revolutionszeit weit hinausging: »Die Regierung der nationalen Erhebung hat in kürzester Frist mit einer Planmäßigkeit und Schlagkraft ohnegleichen Dinge vollbracht, um die ganze Generationen deutscher Geschichte vergebens gerungen haben«, sagte er und: »Der Nationalsozia234 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
lismus ist Deutschlands Schicksal geworden. Er muß seine Sendung erfüllen!« 18 Das Hitler-Kabinett der »nationalen Konzentration« schien den politischen Wertvorstellungen der meisten Hochschullehrer weit mehr entgegenzukommen, als das von sämtlichen Regierungen seit 1918 galt. Am 1. Mai wurde am Ende einer offiziellen Universitätsfeier anläßlich der »nationalen Erhebung« das Horst-Wessel-Lied gesungen. Trotz dieser im Vergleich zur Weimarer Republik weitaus größeren Anpassungs- und Unterordnungsbereitschaft widersetzten sich Repräsentanten und Organe der Universität in einzelnen Fällen der Gleichschaltung. So versuchten im März 1933 Rektor Andreas und Alfred Weber, die Hissung der nationalsozialistischen Parteifahne auf Universitäts- bzw. Institutsgebäuden zu verhindern. Senat und medizinische Fakultät erhoben im Sommer Einspruch gegen die beabsichtigte Entlassung von jüdischen Hochschullehrern. Im Oktober sprach sich der scheidende Rektor Andreas gegen die Einführung des »Führerprinzips« an der Universität aus, und der Konservative Mitteis als Dekan der juristische Fakultät setzte sich für einen jüdischen Kollegen ein, der entlassen werden sollte, was zu seiner eigenen Absetzung führte. 19 Die Chancen für derartige begrenzte Opposition gegen die politischen Vorgaben des Staates verschlechterten sich deutlich in der Amtszeit des ersten nationalsozialistischen Rektors, des Arbeitsrechtlers Groh, seit Herbst 1933. Eine seiner ersten politischen Amtshandlungen machte das deutlich. Es handelte sich um einen gemeinsamen Brief von Universität und Studentenschaft an Hitler, in dem sie den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund begrüßten. In für Äußerungen der Universität in der Gleichschaltungsphase typischer Weise wurden konservative und nationalsozialistische Argumente kombiniert: »Die Universität Heidelberg als älteste Stätte der Pflege deutschen Geistes, stets von denen gesucht und gerühmt, die jenseits der Grenzen ehrlich sich mit deutschem Wesen auseinandersetzen, durch den Kampf der jüngsten Tage für immer an die Seite des Führers gestellt, begrüßt die Entscheidung des Führers als befreiende Tat, die der Erkenntnis der Wahrheit dient und allen Völkern den Weg zu einem natürlichen und gerechten Frieden weist.«20 Unter Grohs Ägide wurde auch eine Kampagne im Heidelberger NS-Blatt Volksgemeinschaft gegen seinen Vorgänger Andreas, den Dekan der juristischen Fakultät, Mitteis, der immerhin Mitglied der nationalsozialistischen »Akademie für deutsches Recht« war, und andere angezettelt, die sich der »Gleichschaltung« der Universität widersetzt hatten. Dem martialischen Entweder-Oder-Schema der Apologeten des totalitären Staates folgend schrieb Groh im Namen der »Führung der Universität«, daß jeder Hochschullehrer »im Kampf zum Gegner oder Mitkämpfer« des Nationalsozialismus geworden sei. »Die Zahl der verantwortungsbewußten Kämpfer war recht klein«, stellte er mit drohendem Unterton fest. Bereits früher hatte die 235 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
lokale NS-Presse einige Hochschullehrer sowohl aus dem liberal-demokratischen als auch aus dem konservativen Lager (Weber, von Eckardt, Blessing, Wilmanns und Andreas) attackiert und ihnen und allen anderen »akademischen Existenzen nachnovemberlicher Herkunft, die in politischer Hinsicht eine sehr dunkle Vergangenheit haben« gedroht: »Mit eisernem Besen wird das deutsche Haus ausgekehrt, und die Männer, die in Baden die Universitäten unter ihre Obhut genommen haben, bürgen dafür, daß auch diese bisher unberührten ›Inseln der Seeligen‹ gründlich ausgeputzt werden.« 21 Bei der Reichsgründungsfeier 1934 bewies man - mit den Worten des in Uniform erschienenen Groh -, daß »ein neuer Geist an der Universität« herrsche, indem »man zum erstenmal für den 18. Januar keinen Redner aus dem Lehrkörper der Universität genommen hat, sondern einen Mann aus der politischen Bewegung, Kreisleiter Dr. Roth, Mannheim.« Im folgenden Semester bekam Roth einen Lehrauftrag für »nationalsozialistische Weltanschauung«. Zur Volksabstimmung über die Abschaffung des Reichspräsidentenamtes und die Ernennung Hitlers zum »Führer und Reichskanzler« 1934 fand eine »Wahlkundgebung der Universität« statt. Im selben Jahr verband der mittlerweile vom Rektor zum »Führer der Universität« avancierte Groh die traditionelle Jahresfeier mit einer Ehrung der »Soldaten Adolf Hitlers«, die beim Putschversuch von 1923 ums Leben gekommen waren. 1935 schließlich schaffte die nationalsozialistische Universitätsführung die Institution der Reichsgründungsfeier ab und machte deutlich, daß die neuen Machthaber die universitären Traditionen nur zu taktischen Zwecken benutzt hatten. Statt am 18. feierte man nun am 30. Januar die »Gründung des zweiten und dritten Reiches« in Verbindung mit einem »Betriebsappell«. 22 Diese Bezeichnung für eine Veranstaltung, die vor 1933 Universitätsvollversammlung hieß, mußte allen deutlich machen, daß die Universität nun tatsächlich zu dem »Großbetrieb« geworden war, den kulturpessimistische Professoren seit der Jahrhundertwende gefürchtet hatten. Nur waren die Totengräber der Universität als elitäre Institution gerade diejenigen, von denen sich viele Hochschullehrer ein Abbremsen der Modernisierung und eine Rückkehr zu traditionellen Gesellschaftsstrukturen erhofft hatten. Mehrere »alte Kämpfer« wurden nach 1933 mit Ordinariaten belohnt: der wissenschaftlich nicht ausgewiesene, aber als nationalsozialistischer Universitätskanzler bewährte Johannes Stein wurde Leiter der Universitätsklinik, Schmitthenner und Fehrle erhielten Ordinariate. Die nichthabilitierten Parteigenossen Carl Schneider und Ernst Krieck berief die Universität auf die Lehrstühle so angesehener Gelehrter wie Wilmanns 23 und Rickert, und das physikalische Institut wurde in »Philipp-Lenard-Institut« umbenannt. 24
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2. Individuelles E n g a g e m e n t 1 9 3 0 - 1 9 3 5 2.1. Gelehrtenresolutionen In den Jahren 1930-33 fällt keine eigenständige, hauptsächlich von Gelehrten getragene politische Intervention wie die Gelehrtenresolutionen der Kriegszeit, gegen die Kriegsschuld, für die Weimarer Verfassung oder gegen das Reichsschulgesetz. Schon im vorangegangenen Zeitabschnitt hatte sich im Rahmen der Politisierung der Universität eine Abkehr von dieser traditionellen Form der Gelehrtenpolitik abgezeichnet. Sie kam seit 1927 nur noch in Fragen von lokalem, allenfalls regionalem Belang zum Einsatz. Anknüpfend an den um 1900 hauptsächlich von Professoren getragenen Kampf gegen den Wiederaufbau der Schloßes nahmen zahlreiche Heidelberger Honoratioren im November 1930 gegen eine weitere Gastwirtschaft im Schloßhof Stellung: »Dem Heidelberger Schloß, das noch als Ruine sich gegen manchen Angriff zu wehren hat, droht neue schwere Gefahr. Diesmal zwar keine bauliche Restauration, wie sie um die Jahrhundertwende am Werk war, wohl aber im banalen Sinn des Wortes eine ›Restauration‹... Wir Unterzeichneten [sehen] uns gezwungen, in letzter Stunde unsere warnende Stimme zu erheben. Dieses mit ehrwürdigen Erinnerungen verknüpfte Baudenkmal darf nicht durch die peinlichen, unvermeidlichen Störungen eines öffentlichen Gastbetriebes in seiner Stimmung beeinträchtigt, das, was an dieser Stätte durch Kunst und Natur zu unvergleichlicher Einheit gestaltet auch unromantische Gemüter in Bann schlägt, darf nicht in der Not der Gegenwart einem fragwürdigen Geschäftsvorteil geopfert werden.«25 Noch einmal wurde hier mit zahlreichen »originär gelehrtenpolitischen« Topoi argumentiert: mit dem Einsatz für die Kultur gegen modernen Materialismus und Utilitarismus, dem Verweis auf Geschichte und Tradition, der »warnenden Stimme in letzter Stunde« - aber zu welchem Zweck! Symptomatisch für den weiteren Zerfall einer »spezifischen Gelehrtenpolitik« und damit für die Normalisierung der politischen Kultur an den Universitäten, die sich in der Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme auch im Heidelberger Lehrkörper, einer der Hochburgen dieses elitären Politikverständnisses, voll auswirkten, ist die zunehmende politische Fragmentierung: 1930 bis 1935 bekam keine Resolution mehr die Unterstützung von 30 % der Hochschullehrer. Gleichwohl kann von Entpolitisierung nicht die Rede sein. Die Zahl individueller, öffentlicher politischer Äußerungen nahm noch einmal zu. Aber eine gemeinsame Stellungnahme war nicht mehr möglich - schon gar nicht zu den brennenden Problemen der Zeit. Ein Wahlaufruf für Hindenburg stieß, abgesehen von dem Protest gegen die Schloßwirtschaft, noch auf die größte Resonanz. Er wurde jedoch von erstaunlich wenigen Heidelberger Universitätslehrern unterstützt, wenn man bedenkt, was für ein breites, von der SPD bis zum gemäßigten DNVP-Flügel reichendes Bündnis, zu dem auch fast 237 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
alle im Lehrkörper auf Sympathien treffenden Parteien gehörten, für die Wiederwahl des Reichspräsidenten eintrat, und angesichts der Verwandtschaft des von Hindenburg vertretenen Verständnisses von Politik mit dem der Gelehrten, auf das auch ihr Aufruf abhob: »Hindenburg ist der Mann des ganzen deutschen Volkes! Hört seine Worte: ›Ich spreche in dieser Stunde erneut die Mahnung aus, daß hoch über den Parteien das Vaterland stehen muß!‹ Um des Vaterlandes willen erfüllt Eure Pflicht und gebt ihm, dem Treuhänder des ganzen Volkes, Eure Stimme!« 26 Für Hindenburg traten 1932 in drei verschiedenen Aufrufen 18 % der Hochschullehrer bzw. 20 % der Professoren ein, was sowohl in Relation zu anderen Universitäten sehr wenige waren 27 als auch im Vergleich dazu, daß 1916 33 % der Heidelberger Professoren den wesentlich umstritteneren Bethmann Hollweg unterstützt hatten. 1917 sprachen sich 22 % der Professoren gegen die Intoleranz der Vaterlandspartei und ihren Alleinvertretungsanspruch auf nationale Gesinnung aus. Eine Gelehrtenresolution gegen die haßerfüllten Tiraden der Nationalsozialisten hat es nie gegeben. Vielmehr war die Resonanz auf einen Aufruf, den Anschütz und Radbruch nach den Erdrutschsiegen der NSDAP 1930 an die Mitglieder des Weimarer Kreises richteten niederschmetternd. Die beiden Juristen hatten von ihren mit der parlamentarischen Demokratie sympathisierenden Kollegen verlangt: »Es muß der einem hemmungslosen Radikalismus immer mehr verfallenden Studentenschaft gezeigt werden, daß ihre Lehrer dem Sturm standhalten und zur Verfassung stehen, es muß besonders auch den zaghafteren Kollegen ein Beipiel dafür gegeben werden, daß jetzt nicht die Zeit zu vorsichtiger Zurückhaltung ist, und es muß der öffentlichen Meinung bekundet werden, daß der Gedanke des Volksstaates trotz aller Angriffe noch lebendig und mächtig ist.«28 Angesichts der Antworten, die eine stark gestiegene Apathie und Uneinigkeit der ehemals verfassungstreuen Hochschullehrer zeigten, ließen Anschütz und Radbruch ihren Vorschlag fallen, eine weitere Tagung des Weimarer Kreises einzuberufen. Gleichwohl können immerhin 27 Heidelberger Hochschullehrer noch in den Jahren 1930 bis 1933 (13 %) zu den Sympathisanten der Weimarer Verfassung gezählt werden (Sp. ο in Tab. 2 im Anhang). Verschiedene, in Tabelle 2 im Anhang (Sp. n) zusammengefaßte Stellungnahmen zu den Fällen Gumbel und Dehn machen die innere Widersprüchlichkeit der politischen Positionen bei vielen Heidelberger Hochschullehrern deutlich. Zahlreiche Liberale wie Jaspers, Hoffmann oder Weber setzten sich 1930 für die Berufung des liberalen Pazifisten Dehn ein, waren aber 1932 und auch früher schon dafür, den sozialistischen Pazifisten Gumbel zu entlassen, um damit einen Anlaß für Angriffe der nationalsozialistischen Studentenbewegung auf die Universität aus der Welt zu schaffen, zumal der Attackierte ihre eigenen nationalen Gefühle verletzt hatte. Die Unterstützung für Gumbel war bereits 1930 auf das kleine Grüppchen 238 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
pazifistischer und sozialistischer Hochschullehrer zusammengeschrumpft, während sich gegen das Umfallen der theologischen Fakultätsmehrheit und des politisch ungeschickten und konfliktscheuen Rektors in Sachen Dehn noch einmal eine zumindest in der philosophischen und juristischen Fakultät breite liberale Front zusammenfand. Auffällig ist, daß gerade in der philosphischen Fakultät, die besonders an der Verfolgung und schließlich dem Herauswurf Gumbels beteiligt war, der Anteil derjenigen, die für Dehn eintraten und das Verhalten des Senats ihm gegenüber kritisierten, recht hoch war, während sich bei den Juristen die exponierten liberalen Ordinarien Anschütz und Ernst Levy hinter den Senat stellten, da Dehn »formaljuristisch kein Unrecht widerfahren« sei.29 Ersteres läßt sich als Symptom kollektiven schlechten Gewissens, letzteres als Ausdruck einer stärker formalisierten als impulsiven Herangehensweise an politische Fragen interpretieren.
2.2. Engagement für Parteien und politische Organisationen Die Krise der parlamentarischen Demokratie spiegelte sich in den Jahren 1930 bis 1933 zunächst darin, daß das parteipolitische Engagement stark zurückging. Unter den Heidelberger Hochschullehrern, die sich öffentlich zu Parteien bekannten, hielt 1930 die DNVP, gefolgt von der SPD den Spitzenplatz (32 bzw. 27 % ) , während die vormals hohe Zahl der DDPSympathisanten wie in der Gesamtwählerschaft zusammengeschmolzen war. Nur noch vier Professoren (18 %) bekannten sich zur Nachfolgepartei der DDP, der Deutschen Staatspartei. Ebenso viele hingen bürgerlich-konservativen Parteien (DVP, KVP, CSVD) an, je einer dem Zentrum und der NSDAP Auch dies verdeutlicht die Fragmentierung und vor allem die Polarisierung des politischen Spektrums im Lehrkörper. Im Vergleich zu den Heidelberger Wahlergebnissen von 1930 (NSDAP 3 0 - 3 6 % , SPD 181 9 % , Ζ 14-15%, DStP+DVP+KVP 7-14%, CSVD 7%, DNVP 3 %30) hatte sich außer der überraschenden Stärke der SPD weniger verändert, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Neben der SPD waren die liberalen und konservativen bürgerlichen Parteien (DStP, DVP, KVP und DNVP) weiterhin deutlich überrepräsentiert, Zentrum und NSDAP nach wie vor sehr schwach vertreten. Auch im Vergleich zu anderen Universitäten erscheint die Ruperto Carola, trotz der schmalen statistischen Basis, immer noch vergleichsweise liberal: von den Göttinger Professoren, die im Jahre 1930 parteipolitisch zu verorten sind, engagierten sich 54 % für die DNVP, 23 % für die DVP, 15 % für die DDP/DStP und »vereinzelte« für die NSDAP.31 Auch vor diesem Hintergrund erweist sich vor allem der hohe SPD-Anteil als Heidelberg-spezifisch. Die Mitte, früher von den Nationalliberalen und seit 1919 von der DDP eindeutig dominiert, war nun allerdings zersplittert. Aber die NSDAP hatte, anders als in der Gesamt239 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Wählerschaft, hiervon nicht profitieren können. Daran änderte sich bis 1932 nichts Wesentliches: nur ein weiterer Emeritus, 32 Endemann, bekannte seine Anhängerschaft zu Hitler und der NSDAP. Daß bis 1932 nur Emeritierte öffentlich für die NSDAP Partei ergriffen, hängt mit dem Risiko zusammen, das dies für eine akademische Karriere bedeutete. 33 Die geringe Sympathie der Gelehrten für die NSDAP vor 1933 lag im Trend: Unter den rund 2.000 Ordinarien in Deutschland waren vor 1933 kaum Parteimitglieder. 34 1932 wandte sich mit Alfred Weber nach Hellpach der zweite überregional bekannte Publizist und ehemalige DDP-Politiker im Heidelberger Lehrkörper öffentlich von der Staatspartei ab. Nachdem seine Hoffnungen auf eine grundlegende Reform des politischen Systems geschwunden waren, und angesichts der katastrophalen Wahlresultate fand Weber sich ab mit der Unvermeidlichkeit eines »teils konservativen, teils demagogischen Rechtsregiments, das [die Deutschen] offenbar wünschen«. Erst nach einer solchen Phase sah er wieder Chancen für den von ihm vertretenen »ideellen Liberalismus«, gehörte aber zu den wenigen, die sich am Gerede vom »Ende des Liberalismus« nie beteiligten. Für die Zeit der Rechtsregierung gelte es, wolle man nicht sozialdemokratisch wählen, das Zentrum als Gegengewicht zu NSDAP und DNVP so stark zu machen, daß ohne es nicht regiert werden könne. Sonst, so prophezeite er in einem entsprechenden Wahlaufruf, »erleben wir noch anderes, das unbedingt verhindert werden muß.« Die während der Brüning-Regierung vorhandene Tendenz bildungsbürgerlich-liberaler Wähler hin zum Zentrum, deren Exponent Weber war, ist auch eine Folge der Tatsache, daß der Reichskanzler als Vertreter preußischer Pflichtethik, einer konservativen Staatsauffassung und der Sachlichkeit sowie als Gegner aller »Interessenpolitik« auftrat und einem »nicht an Parteien gebundenen Kabinett« vorstand,33 sein Selbstverständnis also mit Topoi umschrieb, die auch zum Repertoire liberal denkender Heidelberger Hochschullehrer gehörten. Unter Brüning erreichte die Unterstützung des Zentrums im Lehrkörper ihr Maximum. Zugleich spaltete Brünings Politik und die sie flankierende Ideologie das liberale Lager weiter. Während Weber sich für Brüning aussprach, gehörte sein früherer Parteifreund Hellpach zu dessen schärfsten Kritikern. Er unterstellte Brüning, primär parteitaktische Ziele zu verfolgen und sprach dessen Kabinett jede Sachkompetenz ab. Anders als Weber verteidigte Hellpach die Radikalisierung der Deutschen als ihre »endgültige« und »unvermeidliche Politisierung« und gestand ihnen »ein Recht auf Intoleranz« zu.36 Seiner Annäherung an die ›nationale Opposition‹ folgten die meisten vormals liberalen Gelehrten an der Heidelberger Universität und verwarfen die hellsichtigeren Warnungen und taktischen Ratschläge Webers. Politischer Pragmatismus und Gelassenheit in krisenhaften Situationen gehörten nicht zu den Stärken der Gelehrten. Der Vergleich mit der parteipolitischen Orientierung einer benachbarten 240 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
sozialen Gruppe, nämlich den Direktoren der Höheren Schulen, höheren Beamten im Kultusministerium und Schulräten in Baden, die sich in derselben Gehaltsgruppe befanden wie die Ordinarien, läßt erhebliche Unterschiede erkennen. In der Vergleichsgruppe, deren Posten offensichtlich in hohem Maße nach einem Parteienproporz vergeben wurden, sympathisierte rund die Hälfte mit der Zentrumspartei, während die Anhängerschaft der DNVP fast bedeutungslos war.37 Zu den politisch Aktivsten im Lehrkörper zählten 1930 bis 1935 neben Hellpach, Weber und Gumbel der Privatdozent für Sozialethik und neutestamentliche Theologie Heinz-Dietrich Wendland, der Ordinarius für öffentliches Recht Walter Jellinek, der Strafrechtler Radbruch, der Neurologe von Weizsäcker, die Historiker Andreas und Schmitthenner, der Altphilologe und Volkskundler Fehrle und der Nationalökonom Lederer. War das aus Liberalen und Sozialisten bestehende republikanische Lager bereits geschwächt durch den Weggang von Thoma (1928) und Ernst Robert Curtius (1929), den Rückzug Dibelius' und den Schwenk Hellpachs, Andreas' und anderer, weniger Prominenter ins autoritär-konservative Lager, so wurde es durch die Berufung Lederers nach Berlin (1931) und die Entlassung Gumbels (1932) weiter dezimiert. Ende 1932 standen alle politisch stark engagierten Heidelberger Gelehrten auf der Seite der ›nationalen Opposition‹, zu der in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre von ihnen nur Schmitthenner und von Weizsäcker gehört hatten und die durch die Neuzugänge Jellinek und Wendland und die politische Aktivierung Fehries verstärkt worden war. Von ihnen übten Andreas als Rektor 1932/33 und Wendland als sein Pressesprecher leitende Funktionen innerhalb der akademischen Selbstverwaltung aus. Wendland (CSVD), Jellinek, Teske (beide auf einer gemeinsamen Liste von DVP und KVP), Schmitthenner (DNVP) und Anschütz (DStP) kandidierten 1930 erfolglos für das Stadtparlament, in dem kein habilitierter Hochschullehrer mehr vertreten war. Damit war der Abschied gelehrter Honoratiorenpolitiker aus der Kommunalpolitik abgeschlossen. 38 Im März 1933 wurde im Zuge der »Gleichschaltung« mit dem Privatdozenten für Mineralogie Hans Nieland (DNVP) ein Hochschullehrer Mitglied des Stadtrates, also der engeren Exekutive. Er gehörte wie Schmitthenner und Fehrle zur neuen Kategorie politischer Professoren, die in erster Linie politische Funktionäre waren (Schmitthenner) oder wurden (Fehrle). Schmitthenner, seit 1925 DNVP-Landtagsabgeordneter, wurde im März 1933 badischer Staatsminister ohne Geschäftsbereich. Gleichzeitig erhielt er ein persönliches Ordinariat für »Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Kriegsgeschichte und Wehrkunde«. 39 Eine steile Karriere machte 1933 auch der außerordentliche Professor für Klassische Philologie, Eugen Fehrle, der seit 1926 auch einen Lehrauftrag für Volkskunde hatte. Nach eigenen Angaben hatte er bereits in den späten zwanziger Jahren in seiner Heimat im Schwarzwald »unter den Bauern für den Nationalsozialismus« 241 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
geworben und auch in seiner Heidelberger Wohnung »bei jeder Gelegenheit die Hakenkreuzfahne« gezeigt. Seit seinem Parteieintritt 1931 betreute er als »politischer Leiter« das Amt »Volkstracht und Volkstum«. 1932 ernannte ihn der Gauleiter zum »Hochschulreferenten der Partei an der Universität Heidelberg«. Er war der Drahtzieher für das geschickte und erfolgreiche Vorgehen des NSDStB gegen Gumbel im selben Jahr. Im März 1933 wurde er bei der ›Gleichschaltung‹ der badischen Landesregierung Hochschulreferent unter dem neuen nationalsozialistischen Kultusminister Wacker. 1934 erhielt er ein persönliches Ordinariat, das 1936 von Klassischer Philologie in Volkskunde umgewidmet wurde. Außerdem wurde er 1934 Führer der Verwaltungs-Akademie Baden - eine bemerkenswerte Kombination, zugleich aber ein Symptom dafür, wie knapp der Führungskader der Nationalsozialisten war. 40 Als weiterer Parlamentarier im Lehrkörper saß Hellpach seit 1928 im Reichstag. 1929 wurde er auf dem Mannheimer Parteitag der DDP zu einem der vier stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Wegen seiner öffentlich geäußerten Sympathien für die vom Jungdeutschen Orden und anderen jugendbewegten Gruppen ausgehenden Initiativen zur Bildung einer großen konservativ-liberalen bürgerlichen Sammelpartei wurde seine Wahl, ebenso wie die Gertrud Bäumers, als Entgegenkommen der DDP an die jüngere Generation verstanden. 41 Anfang März 1930 legte Hellpach jedoch, frustriert über die »zunehmende Arbeitsanarchie« im Reichstag und die Unwilligkeit seiner Partei, ihre Eigenständigkeit aufzugeben, die seinen Bemühungen, das deutsche Parteiensystem neuzuordnen, entgegenstand, sein Mandat nieder, um ungehindert die »große, starke, konservative Volkspartei ... auf dem Boden der Republik« schaffen zu können. Diese Bemühungen blieben ohne Erfolg. Als sich schließlich Ende 1930 DDP und Jungdeutscher Orden zur Deutschen Staatspartei zusammenschlossen, trat Hellpach trotz seiner Sympathien für den Orden aus der Partei aus und »in das täglich wachsende Lager der politisch Heimatlosen über«, weil die Staatspartei nicht das erhoffte Sammelbecken des konservativ-republikanischen Spektrums war, sondern nur »die um mikrometrische Wendung nach rechts gedrehte demokratische Partei«, die er für historisch überholt hielt. 42 Der Kern dieses Konfliktes bestand darin, daß Hellpach wie auch die meisten Angehörigen der an den Neugründungsdiskussionen beteiligten jugendbewegten Bünde und Vereine die bestehenden Parteien nun für nicht mehr reformfähig hielten und eine radikale Umstrukturierung der Parteienlandschaft anstrebten, die von den etablierten Funktionären und Abgeordneten von DDP und DVP abgelehnt wurde. Von Weizsäcker schließlich hatte sich bereits während des Krieges mit sogenannten »Rentenneurosen« befaßt, also mit Personen, die, ohne seiner Ansicht nach wirklich krank zu sein, somatische Symptome entwickelten, nur um in den Genuß von Sozialleistungen zu gelangen (bzw. nicht wieder kriegstauglich geschrieben zu werden). Er wurde zu einem gefragten Gut242 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
achter für die Sozialversicherung und entfaltete 1928-1934, ausgehend von den Erfahrungen aus dieser Tätigkeit eine umfangreiche sozialpolitische Publizistik, in der er sich zusehends radikalisierte, bis für ihn schließlich das System der Sozialversicherung selbst eine Art »sozialer Krankheit« wurde, »die heute für das Volksganze schwerer wiegt und die Industrie mehr belastet als die von der Hygiene zurückgedrängten bakteriologischen Seuchen«. 43 Trotz seiner Nähe zur völkischen Medizin wurde von Weizsäcker 1934 nicht, wie erhofft, Direktor der Universitätsklinik. Die graue Eminenz an der medizinischen Fakultät während des Nationalsozialismus, der nicht habilitierte Psychiatrieordinarius Carl Schneider, 44 lobte zwar, daß von Weizsäcker »mit als einer der ersten vorangegangen« sei, als es darum ging, »das Steuer nach einer anderen Richtung zu kehren«, aber das N S DAP-Mitglied Johannes Stein schien ihm »größere Kraft in der Durchsetzung der neuen Richtung zu haben«. 45 Trotz der unverkennbaren politischen Rechtswendung vieler Dozenten in der Phase des nationalsozialistischen Machtgewinnes blieb der Lehrkörper insgesamt relativ liberal. In Heidelberg wurden nach Frankfurt prozentual die meisten Hochschullehrer entlassen. Da allerdings weitaus mehr Dozenten aus rassischen als aus politischen Gründen entlassen wurden, ist ihr Anteil eher ein Indikator dafür, wie hoch der Anteil »nicht-arischer« Professoren war, als für die Zahl demokratischer oder sozialistischer Hochschullehrer. Zwischen beiden Faktoren besteht allerdings eine hohe Korrelation. Der große Run in die NSDAP fand wie auch an anderen Universitäten und überhaupt bei den Beamten im Frühjahr 1933 statt. Aufgrund von vierzehn Neueintritten allein unter den bis einschließlich 1932 nach Heidelberg Berufenen bzw. hier Habilitierten 46 gehörte ihr nun ein Anteil am Lehrkörper an wie nie zuvor und auch nach 1945 keiner anderen Partei. Allerdings war keiner von ihnen noch in der Republik Ordinarius geworden. 47 Zum größten Teil handelte es sich um nichtbeamtete außerordentliche Professoren und Privatdozenten, so daß als ein wesentliches Motiv für den Beitritt die »Privatdozentenkrankheit«, 48 also der unbedingte, vor Opportunismus nicht haltmachende Einsatz für die eigene Karriere, angenommen werden kann. Wegen einer Mitgliedssperre war es von Mai 1933 an nur in Ausnahmefällen möglich, NSDAP-Mitglied zu werden, 49 so etwa für Schmitthenner infolge der »Gleichschaltung« der DNVP. Betrachtet man die Bereitschaft der 1930 bis 1932 in Heidelberg Lehrenden, in die NSDAP einzutreten, über den gesamten Zeitraum des Dritten Reiches, so erweist sich das Potential der Partei als noch wesentlich größer. 35 von ihnen nutzten die nächste sich bietende Gelegenheit und traten nach der vorübergehenden Aufhebung der Mitgliedersperre im Mai 1937 der NSDAP bei. 28 % des Lehrkörpers der Jahre 1930 bis 1932, darunter auch Ordinarien der Weimarer Zeit, gehörten nun der NSDAP an, also mehr, als sich jemals zuvor parteipolitisch engagiert hatten. In noch größerer Zahl als in die NSDAP traten die Heidelberger Hochschul243 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 9: Eintrittsbereitschaft der 1930 bis 1932 in Heidelberg Lehrenden in NSDAP und NSLB Eintrittsdatum NSDAP:
bis 30.1.1933 zum 1.5.19331 zum 1.5.1937 1.5.1938 bis 1.5.19412
Summe von den Nichtentlassenen NSLB: Februar-Dezember 1933 1934 1935 nach 1935 Datum unbekannt Summe von den Nichtentlassenen
Theo
Jur
Med
Phil
Nat
Universität
_ 2 -
_ 1 3 1
_ 9 17 3
1 4 9 2
_ 3 4 1
1 17 35 7
2 18%
5 38%
29 49%
16 31%
8 20%
60 (100%) 34%
7 2 1
5 -
20 9 1 -
15 9 1 1 1
14 7 1 3
61 27 2 2 5
10 91%
5 38%
30 42%
27 53%
25 63%
97 (100%) 51%
(2%) (28%) (58%) (12%)
(63%) (28%) (2%) (2%) (5%)
1 Schmitthenner wurde zum 1.10.33, Dennig zum 1.8.35 aufgenommen. 2 Beringer und von Rauchhaupt stellten bereits 1937 Anträge auf Mitgliedschaft, wurden aber erst 1941 durch Gnadenerlaß des Führers aufgenommen, da sie Logen angehört hatten. lehrer in andere NS-Organisationen ein, vor allem in den »Lehrerbund« NSLB, aber auch in SA und SS (vgl. Tab. 1 im Anhang). Die Organisationsbereitschaft nahm also, gefördert durch massiven Druck und Existenzängste, in den ersten Jahren des Dritten Reiches zuvor nicht gekannte Ausmaße an. Die Politisierung der Gelehrten und das Ende der Honoratiorenpolitik hatten dazu geführt, daß ein großer Teil gerade der jüngeren Universitätslehrer bereit war, sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen, um nicht »abseits der Volksgemeinschaft« zu stehen und nicht zuletzt um der eigenen Karriere zu nützen. Der Eintritt in den NSLB stellt vor allem ein Kriterium für Konformismus dar, während der Parteibeitritt die Identifikation mit den politischen Hauptzielen des Regimes anzeigte. In den NSLB trat die Mehrheit des Lehrkörpers fast zur selben Zeit ein. 56 % der insgesamt Beitretenden taten dies zum 1. Dezember 1933 und weitere 5 % am 1 Januar 1934. Bedenkt man, daß etwa ein Drittel des Lehrkörpers nach 1933 entlassen wurde, so waren rund zwei Drittel der verbleibenden ›arischen‹ Hochschullehrer, die bereits vor dem 30.1.1933 lehrten, zur politischen Anpassung bereit, während ein Drittel sich für Zurückhaltung und verschiedene Formen der »inneren Emigration« entschied. R u n d 40 % der Nichtentlassenen bildeten das für das R e g i m e mobilisierbare Potential der Parteigenossen. 244 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Unter den vor 1933 ernannten badischen Gymnasialdirektoren, einer vom R a n g her vergleichbaren Beamtengruppe, lag dieser Anteil bei etwa 50 %.
2.3. Unterschiede zwischen den Fakultäten Infolge der Polarisierung und Fragmentierung des Lehrkörpers ergeben die Tabellen 9 und 10 stärkere Unterschiede zwischen den Fakultäten als in den vorhergehenden Zeitabschnitten. Zur Hochburg der Politisierung und zugleich des Liberalismus wurde immer eindeutiger die juristische Fakultät, von deren Lehrern fast die Hälfte sich 1930 bis 1932 noch zur Weimarer Verfassung bekannte, ›nur‹ 38 % bis 1935 dem NSLB beitraten und zu der die beiden treuesten Anhänger der in früheren Jahren von den Heidelberger Gelehrten bevorzugten DDP/DStP (Anschütz und Karl Geiler) gehörten. Gleichwohl nahm sie, was die Eintrittsbereitschaft in die NSDAP angeht, einen Mittelplatz ein. Recht gemischt und ebenfalls stark politisiert stellte sich die philosophische Fakultät dar, in der sich nach wie vor alljährlich 30 % des Lehrkörpers öffentlich zu politischen Fragen äußerten. Hier gab es eine starke republikanische Minderheit, aber zugleich eine noch größere Gruppe, die seit 1930 nationalsozialistischen Organisationen beitrat. Die liberalen und sozialistischen Dozenten gehörten überwiegend dem Institut für Sozial- und Staatswissenschaften an, die konservativen häuften sich bei den klassischen Philologen, Germanisten und Philosophen. Sowohl was den zum NSLB-Beitritt führenden Konformismus als auch was die an den Parteieintritten festzumachende ideologische Mobilisierbarkeit angeht, lag die philosophische Fakultät fast exakt im Universitätsdurchschnitt. Traditionell war die medizinische Fakultät am wenigsten politisiert. Hier fand 1933 ein radikaler Bruch statt. Mit Abstand die meisten Dozenten, vor allem Nachwuchswissenschaftler, aber auch einige prominente Ordinarien gingen in die Partei. Hinzu kam eine durchschnittliche Quote von NSLBBeitritten. Anders als bei der juristischen Fakultät, die vom Verhalten des Berufsstandes insgesamt abwich, spiegelt sich bei der medizinischen die hohe Affinität der Ärzteschaft, in der ein ausgeprägter, aus Konkurrenzdenken gespeister Antisemitismus virulent war, 30 zur nationalsozialistischen Ideologie. Auffallend und wohl Ausdruck des besonders hohen Sozialprestiges der Medizinprofessoren ist die Tatsache, daß mit einer Ausnahme alle Angehörigen des NS-Eliteordens SS aus der medizinischen Fakultät kamen. Nach der medizinischen waren in diesem Zeitabschnitt die naturwissenschaftliche und die theologische die konservativsten Fakultäten. In ihnen fand 1931 nur je ein Professor das Verhalten Dehn gegenüber empörend. 63 bzw. 91 % ihrer Lehrenden waren im NSLB organisiert. Beide Fakultäten waren Hochburgen der Anpassungsbereitschaft. Hingegen war hier die Neigung zum Parteieintritt deutlich unterdurchschnittlich. Für diese eher passive Affinität zum Nationalsozialismus sprechen auch das fast völlige 245 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Fehlen publizistischer Initiativen bei den Naturwissenschaftlern und die Tatsache, daß dort kein Ordinarius Parteimitglied wurde. Die Entpolitisier rung der theologischen Fakultät folgte einem langfristigen Trend. Der Anteil parteipolitisch engagierter Dozenten war hier von 40 % in der Kriegszeit kontinuierlich gesunken und erreichte nun mit 18 % ein Minimum. Andererseits ist nur bei ihr nach 1933 eine Zunahme der publizistischen Aktivitäten zu verzeichnen, die seit 1918 zurückgegangen waren. Das Engagement der Theologen war in Zeiten nationaler Aufbruchstimmung immer besonders hoch und unter autoritären Regimen deutlich höher als im parlamentarischen System. Während es an der naturwissenschaftlichen Fakultät immerhin noch eine, wenn auch relativ schwache Gruppe demokratischer Gelehrter gab, stand bei den Theologen Anfang der dreißiger Jahre Dibelius allein auf weiter Flur. Aber auch er hielt sich im Vergleich zu den zwanziger Jahren stark zurück, trat aber immerhin als einziger der vor 1933 in die Fakultät Eingetretenen nicht dem NSLB bei.
2.4. Loyalität zur Republik und ›nationale Opposition‹ Um näheren Aufschluß über den Personenkreis zu gewinnen, der sich aktiv an der Zerstörung der Weimarer Republik beteiligte, und weil aufgrund der Überschaubarkeit der untersuchten sozialen Gruppe und der relativ vollständigen Materialbasis ungewöhnlich differenzierte und gesicherte Aussagen möglich sind, werden in Tabelle 10 die Heidelberger Hochschullehrer der Jahre 1930 und 1932, die aufgrund ihres politischen Engagements oder aufgrund ihrer Publikationen der ›nationalen Opposition‹ innerhalb des Lehrkörpers zuzuordnen sind, und die, die sich loyal zur Weimarer R e p u blik verhielten, untereinander und mit dem Gesamtlehrkörper verglichen. Die Unterschiede zwischen beiden Lagern sind auffällig. Es bestehen hohe Korrelationen zwischen den Faktoren soziale Herkunft, Rang in der Universitätshierarchie, Religions-, Fakultäts- und Generationszugehörigkeit und der Zugehörigkeit zu einem der beiden politischen Lager, die aufgrund der genannten Faktoren deutlich voneinander abzugrenzen sind. Fast immer weichen die Werte einzelner Merkmalsausprägungen in entgegengesetzter Richtung vom Durchschnittswert für den Gesamtlehrkörper ab. Der Anteil der Nichtzuzuordnenden ergibt zudem ein Maß für die Bereitschaft der Teilgruppen, sich mit einem der beiden Lager zu identifizieren, was in der Situation am Ende der Republik fast gleichbedeutend war mit der Bereitschaft zu politischem Engagement überhaupt. Während die ›nationale Opposition‹ sozial eher aus den Kernbereichen des Bildungsbürgertum (Bildung, Erziehung, Kirchenbeamte) oder aus der mittleren und unteren Beamtenschaft stammte, sind unter den zur R e p u blik Loyalen die Söhne von in der Wirtschaft selbständig oder abhängig Beschäftigten und von höheren Beamten überrepräsentiert. Dies läuft sozial246 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 10: Die politischen Lager im Lehrkörper 1930 bis 1932 a) nach sozialer Herkunft:1 Schicht
›Republikaner‹ 2 Bildung, Erziehung (N=50) 9% davon: Hochschullehrer (N=27) 6% Lehrer (N=23) 3% Pfarrer und Kirchenbeamte (N=16) 6% »Freie Berufe« (N=25) 10% Bürokratie, Militär, Gutsbesitz (N=44) 26% davon: Höhere Beamte (N=16) 18% Sonstige Beamte (N=14) Wirtschaftsbürgertum3 (N=72) 38% I.d.Wirtsch. abhängig Beschäft.4(N= 17) 10% Bauern (N=2) 34 -
Herkunft bekannt keine Angabe
Op- Lehr- Über--/ Unter- Von allen aus posi- körper repräsentation der Schicht tion insg. Rep. Opp. Rep. Opp. unklar + 29% 22% 6% 52% 42% 14% 12% + 7% 48% 45% 14% 10% + 4% 57% 39% 11% 7% + 13% 63% 24% 9% 11% 14% 31% 55% 20% 19% + 20% 41% 39% 3% 7% ++ 38% 19% 43% 9% 6% + 0% 57% 43% 26% 32% + 18% 32% 50% 4% 7% + 21% 31% 48% 1% 1% + 0% 50% 50% 90 4
226 7
15% 40% 45%
b) nach religiösem Bekenntnis: Bekenntnis protestantisch (N=146) katholisch (N=33) mosaisch (N=20) konvertierte Juden (N=15) Religionszugehörigkeit bekannt religionslos bzw. keine Angabe
›Republikaner‹ 58% 9% 15% 18% 33 1
Op- Lehr- Über-/Unter- Von allen dieses posi- körper repräsentation Bekenntnisses tion insg. Rep. Opp. Rep. Opp. unklar 80% 68% 13% 45% 42% 18% 15% + 9% 45% 46% 9% + -25% 0% 75% 2% 7% + + -40% 13% 47% 83 11
214 19
15% 39% 46%
c) nach Generationen: Geburtsjahr vor 1862 (N=16) 1862 bis 1871 (N=32) 1872 bis 1871 (N=43) 1882 bis 1891 (N=61) ab 1892 (N=81) Insgesamt
›Re- Op- Lehr- Über-/Unter- Von allen aus publi- posi- körper repräsentation der Generation kaner‹ tion insg. Rep. Opp. Rep. Opp. unklar 7% 7% 3% 6% 44% 50% 26% 7% 14% + 28% 22% 50% 21% 12% 18% 16% 26% 58% 35% 26% 26% + 20% 39% 41% 15% 48% 35% + 6% 56% 38% 34
94
233
15% 40% 45% 247
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d) nach der Position in der Universitätshierarchie: Rang
›Republikaner‹
Planmäßige Professoren (N=59) ordentliche Honorarpro f.5 (N=37) nichtbeamt.außerord.Prof. (N=63) Privatdozenten6 (N=64) Insgesamt
Op- Lehr- Über--/Unter- Von allen mit posi- körper repräsentation diesem Rang tion insg. Rep. Opp. Rep. Opp. unkla
53% 9% 21% 18%
23% 11% 24% 41%
30% 16% 27% 27%
34
94
233
+ -
_ +
26% 8% 11% 9%
32% 27% 37% 61%
42% 65% 52% 30%
15% 40% 45%
e) nach Fakultäten: Fakultät theol (N=14) jur. (N=21) med. (N=84) phil. (N=65) nat. (N=49) Insgesamt + --
›Republikaner‹ 3% 26% 21% 35% 14% 34
Op- Lehr- Über--/Unter- Von allen aus posi- körper repräsentation der Fakultät tion insg. Rep. Opp. Rep. Opp. unkla + 7% 71% 22% 11% 6% 10% 9% + + 43% 43% 14% 43% 36% + 8% 48% 44% 24% 28% + 18% 35% 47%, 13% 21% 10% 24% 66%, 94
233
15% 40% 45%
= 120 bis 199% des Wertes für den ganzen Lehrkörper = 200% des Wertes für den ganzen Lehrkörper und mehr = 50% des Wertes für den ganzen Lehrkörper und weniger
1 Zur Schichtung vgl. Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 5. 2 In der ersten Spalte ausschließlich Gymnasial- und Hochschullehrer. 3 In der ersten Spalte keine Großkaufleute, Privatiers und leitenden Angestellten. 4 In der ersten Spalte ausschließlich kaufmännische Angestellte. 5 Einschl. 5 (Sp. 2) bzw. 8 (Sp. 3) emeritierte oP, die oHP gleichgestellt waren. 6 Einschl. je 1 (in Sp. 1 und 2) bzw. 3 (Sp. 3) Titularprofessoren. Zur Überprüfung der Zuordnung, die von einer zweiten Person kontrolliert wurde, seien die Namen angegeben, allerdings ohne zu begründen, worauf sich die Zuordnungen stützen. Die meisten dürften aus den Tab. 1 und 2 (Anhang) bzw. der inhaltlichen Analyse heraus nachvollziehbar sein. Mitgliedschaft im NSLB ohne weitere Anhaltspunkte für die Zugehörigkeit zur ›nationalenOpposition‹wurde als nicht hinreichend zur Einreihung in diese Kategorie angesehen. Zweifelstalle wurden keiner Kategorie zugerechnet, so z.B. Hellpach, den Radbruch als Sympathisanten der Weimarer Verfassung nannte (Tab. 2 im Anhang, Sp. o), dessen politische Publikationen ihn jedoch als Gegner der Republik ausweisen, oder Hansen, der zwar NSDAP-Mirtglied ab 1937 war, aber seine Stelle in Lübeck »als Katholik mithilfe des Zentrums und der Sozialdemokratie gegen die Rechtsparteien bekommen« haben soll (BDCHansen: Schreiben Prof. Gutzeit, Breslau v. 12.6.44). ›Nationale Opposition‹: Andreas, Bauer, Becker, Behrens, Bergsträsser, Beringer, Besseler, Bilabel, Brecht, Brinkmann, Broemser, Buhtz, F. Curtius, Dahm, Delhougne, Dennig, Dietel, Dittmar, Dittrich, Duhm, Endemann, 248 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ökonomischen Plausibilitatserwägungen zuwider. Der Teil der akademischen Welt, der »der Republik grollte«, kam in Heidelberg nicht »vorwiegend aus den Schichten des Beamtentums der Monarchie«. 51 Vielmehr standen eher die Kinder der »Geistigen« rechts, während die der leitenden Männer in Wirtschaft und Bürokratie demokratischer waren, möglicherweise da sie pragmatischer und realistischer zu denken gelernt hatten. Daß Juden und aus jüdischen Familien stammende Konvertiten bei der durchweg antisemitischen nationalen Opposition stark unterrepräsentiert waren, überrascht ebensowenig wie die relativ hohe Affinität der Protestanten zur ›nationalen Opposition‹.Weniger zu erwarten war, daß die Katholiken im republikanischen Lager, zu dem ja auch die Zentrumspartei zählte, deutlich geringer vertreten waren als die Protestanten. Der daraus zu folgernde starke Konservativismus der katholischen Heidelberger Hochschullehrer könnte die konstant niedrige Zahl der Zentrumssympathisanten erklären. Deutlich läßt die Tabelle eine politische Zurückhaltung der jüdischen Hochschullehrer in der Endphase der Weimarer Republik erkennen, die mit persönlicher Verunsicherung angesichts des wachsenden Antisemitismus zu erklären ist. Die Tabelle bestätigt die verbreitete Hypothese, daß »jüngere ›hungrige‹ Dozenten« eher gegen die Republik opponierten als »›saturierte‹ Ordinarien«.52 Beide Lager waren auffällig alterskompakt: 82 % der Gemäßigten waren 1862 bis 1891 geboren, Anfang der dreißiger Jahre also zwischen vierzig und siebzig, während fast die Hälfte der Oppositionellen die Vierzig noch nicht erreicht hatte, also der jüngsten Dozentengeneration angehörte. In dieser sind die autoritären Republikgegner deutlich überrepräsentiert, die Staatsloyalen hingegen in der zweiten und vierten. Die jüngeren Generationen waren insgesamt stärker politisiert, am zurückhaltendsten waren die Angehörigen der dritten Generation, die durchschnittlich die schlechtesten Karrierechancen hatte.53 In der Universitätshierarchie steigt der Anteil der Gegner der Weimarer Verfassung von oben nach unten und sinkt der der Republikaner. Eine Ausnahme bilden die ordentlichen Honorarprofessoren, die sich als Seiteneinsteiger oder Angehörige der älteren Generationen (auch die Emeriti fallen in diese Kategorie) insgesamt stark zurückhielten.
Erdmannsdörfer, Eymer, Faust, Fehrle, Glockner, Goette, Groh, E.Groß, Grupe, Güntert, Gundel, Haag, Habs, Hammer, H. Hildebrandt, Himmel, Hirt, Hoepke, Hupfeld, Jelke, Jellinek, Kallius, Keller, Kinzl, Kissling, Klug, Krehl, Lenard, Liebmann, Lurz, Mann, Mecke, Meister, Mitteis, Nieland, Odenwald, von Oettingen, Oppermann, Panzer, O.F. Ranke, Rauchhaupt, Raumer, Rech, Rissom, Ferd., G.B. und O. Schmidt, Schmincke, P.Schmitthenner, von Schnizer, Schrade, Schrader, von Schubert, Schuster, Sommerfeld, Stein, Sulger, Teske, Teutschlaender, Ulmer, A. und J. Wagenmann, Wahle, von Waldberg, Walter, Weißenfels, Weizsäcker, Wendland, Wilke, Wilmanns, Winkler, Wirth, Wöhlisch, M. Wolf, H. Wurm, Zukschwerdt. Zur Republik loyal: Anschütz, Blessing, Darmstädter, Dibelius, Eckardt, Ehrenberg, Engelhard, Fraenkel, Geiler, Gotschlich, Grisebach, Gruhle, Gumbel, Gutzwiler, Häberle, Hampe, Herbst, Hoffmann, Holborn, Jaspers, Jost, Klopstock, Lederer, Lemberg, Levy, Marschak, Meyerhof, Münter, Radbruch, Salis, Salomon-Calvi, Sultan, Ubisch, Walz, A. Weber. 249 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
3. K o m m e n t i e r u n g des politischen Geschehens 3.1. Weimarer Republik und Reichsverfassung (III) Von 1930 an kulminierte die Kritik an der Republik. Vermehrt traten fundamentale Gegner der Republik innerhalb der Heidelberger Hochschullehrerschaft mit öffentlichen Äußerungen auf den Plan. Von den drei Hauptmerkmalen dieser Zeit — der Weltwirtschaftskrise, dem Ende der parlamentarischen Regierungsform und dem Aufstieg der NSDAP - hatte die Wirtschaftskrise auf die Stimmung im Lehrkörper den niederdrückendsten Einfluß, was angesichts ihres Inflationstraumas54 nicht überrascht. In seiner Rektoratsrede sprach Meister, wohl in Anspielung auf die Revolution 1918, von »Novemberstimmung«, thematisierte Hupfeld, der anstelle von Dehn berufene deutschnationale Theologe, in einer Predigt die »sich immer beängstigender steigernde Lebensangst«. Andreas, der Pharmakologe Wolfgang Heubner und die Sozialisten Lederer und Radbruch konstatierten übereinstimmend die schwerste Krise in der Menschheitsgeschichte. 55 Für den Deutschnationalen Schmitthenner hingegen gewann die Krise durch ihre destabilisierende Wirkung auf die herrschende Ordnung, als deren Gegner er sich nun öffentlich bekannte, »Großartigkeit« und »Sinn« im Rahmen der »riesigen Umwandlung der Erde« von der liberalen Ära hin zur »kommenden Zeit«. 56 Binnen fünfzehn Jahren war dies nach Kriegsausbruch und Novemberrevolution das dritte Ereignis, das kulturpessimistische Hochschullehrer unterschiedlicher politischer Orientierung dazu veranlaßte, eine apokalyptische Krise und einen epochalen Umschwung der Geschichte zu diagnostizieren. Bei den Äußerungen zur Weimarer Republik zwischen 1930 und dem nationalsozialistischen Regierungseintritt lassen sich infolgedessen zwei Grundhaltungen unterscheiden. Einerseits konstatierte eine schrumpfende Zahl sozialistischer und liberaler Hochschullehrer zunehmend resigniert und fatalistisch, daß sich die soziale Basis der Republik auflöste. Andererseits spitzten die sich nun in die Öffentlichkeit wagenden Konservativen und Faschisten, verstärkt durch eine zunehmende Zahl zu ihnen überlaufender ehemaliger Liberaler, ihre Kritik an der Republik zu und übernahmen mehr und mehr das gehässige Vokabular der ›nationalen Opposition‹. Bekenntnisse zur Weimarer Verfassung oder ihren Prinzipien wurden selten. Eine solche Ausnahme bildete die Rede Hoffmanns bei der Reichsgründungsfeier 1931 - im allgemeinen eher ein Anlaß für nationale Floskeln. Der Pädagoge aber sprach auf dem Höhepunkt der Gumbel-Krawalle von »unserem neuen Staat« und lobte die in der Verfassung garantierten Freiheiten. 57 Von den stärker politisch engagierten Heidelberger Hochschullehrern bekannte sich nur Radbruch bis zuletzt öffentlich zur R e p u blik. 58 Er besaß offensichtlich die Fähigkeit, in jeder Situation das Positive zu registrieren, und sah zwar eine »steigende Flut der Kulturbarbarei«, hob 250 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
aber zugleich hervor, daß durch die Weltwirtschaftskrise die »kapitalistische Ideologie in Zersetzung begriffen« sei. Weiter konstatierte er: »Nahezu 70 % der Wähler haben sich in den Septemberwahlen 1930 zum Sozialismus bekannt. Mag auch der sogenannte Sozialismus bestimmter Wahlergruppen fragwürdig sein, echt ist an ihm doch der antikapitalistische Affekt.« So recht scheint Radbruch der durch Addition der kommunistischen, sozialdemokratischen, nationalsozialistischen und anderer Stimmen errechneten »sozialistischen« Zweidrittelmehrheit 59 selbst nicht getraut zu haben, gab er doch zur gleichen Zeit an anderer Stelle die defensive Parole aus, der Sozialismus müsse »vor aller Inangriffnahme seiner ferneren Ziele zunächst einmal an die Verteidigung der wieder in Frage gestellten und gefährdeten einfachsten Errungenschaften des Rechtsstaates denken«. Denn es könne »keinen Sozialismus ohne Rechtsstaat geben«. Gegen so gut wie alle Kollegen bestritt der Optimist Radbruch, daß man sich in einer »Staatskrise« befinde. Denn »in Staatskrisen kommt ein Konstruktionsfehler des Staates zum Ausdruck, die gegenwärtige Krise hingegen offenbart nur die Unfähigkeit der Parteien, die Apparatur dieses Staates zu handhaben.« Zwar sei die Demokratie in solcher Gefahr »wie seit dem Bestehen der Republik noch nicht«. In seinem demokratischen Idealismus warf Radbruch jedoch nicht den Wählern, die er ja für ihre »sozialistische« Wahlentscheidung von 1930 sogar gelobt hatte, sondern den Parteien und vor allem ihren Parlamentsfraktionen Versagen vor. Sie und nicht das Volk hätten sich antiparlamentarisch verhalten. 60 In der Bereitschaft, die Krise der Republik herunterzuspielen, stand sein liberal gesinnter Kollege und Freund Anschütz Radbruch nicht nach. Für Anschütz war noch die Reichspräsidentenwahl 1932 ein Ausdruck »erfreulicher politischer Reife« des deutschen Volkes, da die SPD-Wähler fast geschlossen den ungeliebten Hindenburg gewählt hatten. Im selben Jahr gestand er einer Mehrheit im Reichstag »Arbeitswilligkeit« zu, mit der sie sich jedoch gegen »eine rücksichtslose Opposition nicht oder doch nur selten durchsetzen« könne. 61 Anschütz' Weigerung, die Schwere der Staatskrise zur Kenntnis zu nehmen, zeigt sich auch in der völligen Abstinenz des führenden Verfassungskommentators in der Verfassungsreformdiskussion des Jahres 1932. 62 Andere Hochschullehrer, die sich weiterhin zum politischen System von Weimar bekannten, strahlten Ratlosigkeit aus, etwa Gumbel 1932: »Der parlamentarische Weg zum Sozialismus hat in eine Sackgasse geführt. Die Arbeiterschaft ist gespalten, ihre Mehrheit konservativ. Die Bourgeoisie scheint sich unter der roten Fahne des Hakenkreuzes zu einigen, ihr entschlossener Flügel ist revolutionär. Unser Leben ist erfüllt mit Ungewißheit für die nächste Zukunft.« 63 Hatte Gumbel 1930/31 noch die Alternative »Republik oder nationalsozialistische Reaktion« gesehen und seine Partei, die SPD, zum Kampf aufgefordert (»Wer heute noch den Frieden will, der will nur seine eigene Niederlage« 64 ), so spricht aus der Äußerung von 1932 nicht nur der Verlust politischer Perspektive, sondern 251 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
auch die analytische Hilflosigkeit des Marxisten der klassenübergreifenden nationalsozialistischen Bewegung gegenüber. Ganz ähnlich konstatierte Lederer bei »den Massen« »Desorientierung«, »Desperadostimmung« und »pseudorevolutionäre Ideen, aus denen nur der Wille zur Zerstörung heraustönt, in denen sich kein konstruktiver Gedanke entfalten kann.« 63 Weber sah »die Wetterfahne der Gefühle« umgeschlagen und deshalb die Rechte »so unendlich im Vorsprung, daß ein Wettrennen sinnlos wäre«. Wie Gumbel gestand er das Versagen gängiger Erklärungsmuster ein: »Das Paradoxe im heutigen Deutschland ist nun aber, daß die ... nach dem Wesen ihrer Einstellung konservativen Massen praktisch weitgehend revolutionär sind, diejenigen dagegen, deren ideelle Haltung vorwärtstreibend, über das Gegenwärtige hinausweisend sein müßte, zu konservativen Erhaltern des Gegenwärtigen geworden sind und im Moment auch kaum mehr als etwas derartiges sein können... Wir stehen vor einer Nebelwand.« 66 Während die Vorgenannten - mit gewissen Einschränkungen bei Weber — sich bis 1933 immer gegen den herrschenden Zeitgeist auf die Seite der liberal-demokratischen Ideale des Individualismus, Rationalismus, internationaler Versöhnung und des Kulturoptimismus 67 stellten, läßt sich an Äußerungen aus der Gruppe der noch in der »Stabilisierungsphase« der DDP nahestehenden oder angehörenden Hochschullehrer der »Verfall der bürgerlichen Mitte« und ihr Übergang ins antidemokratische Lager verfolgen. Beides hatte sich schon vor 1930 angekündigt, wenn etwa in der Einschätzung des Versailler Vertrages liberale und konservative Hochschullehrer nahe beieinander lagen. Zu diesem außenpolitischen Revisionismus, der zum Grundkonsens der Republik gehörte, kam nun bei den Liberalen innenpolitischer Revisionismus hinzu. Immer größer wurde die schon in den vorhergehenden Zeitabschnitten sichtbare Differenz zwischen der Bewertung der Verfassung und der politischen Realität in der Republik. So versah etwa Andreas 1930 die Verfassung mit positiven Attributen (»bewährt«, »gewiß unvollkommen, aber lebens- und entwicklungsfähig«), lobte deren Zustandekommen als Ende der »Legende von der unpolitischen Lebensart« der Deutschen 68 und sorgte sich um ihren Fortbestand. Demgegenüber wurden seine Äußerungen über den Zustand der Republik und seine Vorschläge zu dessen Verbesserung zusehends radikaler. Ebenfalls 1930 forderte er, man müsse »die Fäulniserscheinungen in Ländern und Gemeinden, die Selbstsucht in Regierungen und Parteien unerbittlich bis auf den Grund aus[brennen].« 69 1932 erklärte er als Rektor den Neuimmatrikulierten, die »Zerrissenheit«, die »zum Himmel schreit« und die »traurige Verwilderung des öffentlichen Lebens« seien »Krisenerscheinungen einer ungeheuren Zeitenwende«, »Krämpfe eines neuen Werdens, das seinen Inhalt und seine Form erst finden will«. Das war zwar kein Plädoyer für eine konkrete neue Staatsform, aber eine Absage an das »alte« parlamentarischdemokratische System. Er äußerte Sympathie dafür, daß »dem heranwachsenden Geschlecht die Befreiung Deutschlands als vornehmstes Ziel 252 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
vorschwebt«, und forderte vom deutschen Volk, »das trotz furchtbarster Existenzbedrohung im Parteihader sich erschöpft«, mehr Konsequenz, um »das Reich erstehen zu lassen, dessen wir bedürfen, ein Reich des Geistes, des Rechtes und der Tat.«70 Daß der Rektor Sympathie für ihren Kampf um die »Befreiung« Deutschlands äußerte, mußten die überwiegend republikfeindlichen Studenten als Ermunterung von höchster Stelle ansehen. »Befreiung« war ein zentrales Schlagwort der ›nationalen Opposition‹. Nicht nur der Kampf gegen Versailles und seine Folgen war für sie wie die konservativen Professoren »Freiheitskampf«, sondern ebenfalls der gegen die Verfassung, die sie als von den Siegern oktroyiert ansahen, oder der um die »Befreiung« des Staates »von der Übermacht der Wirtschaftsgesellschaft«. 71 Wenn Andreas ein neues »Reich« als Ziel benannte, griff er den Topos der ›nationalen Opposition‹ auf, die Republik sei nur ein »Scheinstaat«, dem sie das vom völkischnationalistischen Vordenker Moeller van den Bruck prophezeite Dritte Reich entgegensetzte. Ebenso mußten es die oppositionellen Studenten als Unterstützung auffassen, wenn Hellpach in einem Artikel für das Heidelberger Tageblatt, der auf dem Höhepunkt der Proteste gegen Gumbel im Januar 1931 erschien, schrieb: »Wir bejahen die Unruhe, die uns das dritte Reich verschaffen möchte, in ihrem gesunden Kern als eine erhaltende und wiederaufrichtende Kraft des zweiten Reiches.« 72 Schon die Zahlung macht klar, daß auch vormals liberale Hochschullehrer das parlamentarisch-demokratische Deutsche Reich in diesem Zusammenhang nicht mehr mitrechneten. Sie stimmten nun überein mit jungkonservativen Kollegen wie Wendland, mit dessen Ernennung zum Pressesprecher Rektor Andreas sich auch selbst im politischen Spektrum verortete: »Der Staat, den wir haben, ist nur ein Reststaat, ohne Würde, weil ohne Freiheit und ohne Macht.« Nicht die Freiheitsrechte der Bürger standen im Vordergrund des Staatsbegriffes, der sich im Lehrkörper immer mehr durchsetzte, sondern die Macht und Handlungsfreiheit des Staates. So schlug der außenpolitische Revisionismus auf die innen- und verfassungspolitische Diskussion durch, und das demokratische Prinzip blieb auf der Strecke: »Die Demokratie hat den Herrschafts- und Obrigkeitscharakter des Staates nicht wahrhaben wollen, sie hat eine Herrschaft aller aufgerichtet, die letztlich den Staat zerstören muß.« 73 Am deulichsten läßt sich die Abkehr vom liberal-demokratischen politischen Denken und die Bereitschaft vieler Hochschullehrer, sich auf das Experiment eines autoritären Staates einzulassen, anhand der umfangreichen Publizistik Hellpachs nachvollziehen. Nach dem Rücktritt von seinem Reichstagsmandat und verstärkt nach seinem Austritt aus der DDP vertrat Hellpach, daß die parlamentarische Demokratie für Deutschland nicht geeignet sei. Er machte sie für den Verfall der politischen Kultur verantwortlich, den er in immer schärferen Formulierungen anprangerte. Hieß es 1930 noch, die »Gefahr einer Verstumpfung und Versumpfung des 253 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nur notgedrungen aufgebauten Neuen, dem zu wenig gläubige Leidenschaft innewohnt,« sei »noch nicht gebannt«, so sah er ein Jahr später »unser politisches Leben in dem bedrohlichsten Entsittlichungszustand, den eine Demokratie erleben kann: in der reißend zunehmenden Verpöbelung«. Ein weiteres Jahr später hatte Hellpach die Front gewechselt und plädierte für eine weitere Radikalisierung: »Die endgültige Politisierung der Deutschen vollzieht sich folgerichtig als schroffe Nationalisierung, die das Recht auf Intoleranz aus der geschichtlichen Erfahrung bezieht, daß der gleiche Anlauf dreimal an innenpolitischer Schwäche fehlgegangen ist: Nach 1815, um 1848 und nach 1860. Jedesmal haben robustere und brutalere Kräfte die Oberhand behalten.« 74 Hellpach sah den Zerfall der Grundlagen der Weimarer Republik nicht mehr primär als einen ihr äußerlichen Prozeß, der etwa durch das destruktive Verhalten der extremen Parteien, die Weltwirtschaftskrise oder den sonst gern zur Erklärung herangezogenen Versailler Vertrag verursacht sei, sondern als Folge des politischen Systems selbst. Er erneuerte insbesondere seine Kritik am Parlamentarismus, der heute »ein Anachronismus wie der Erbmonarchismus« sei: »Er bedeutet gerade für die Demokratie einen Fremdkörper und verzerrt sie; er löst das Problem der Auswägung von Majorität und Autorität, das Zentralproblem, die Lebensfrage der Demokratie, nicht.« Am deutlichsten wird die Radikalisierung von Hellpachs Kritik anhand der von ihm benutzten Sprache. Wenn er etwa das Verhältniswahlrecht ablehnte, weil »allmählich die frei schaffenden und tief sinnenden Volkskreise, Wirtschaft und Geisteskultur, für die sogenannten Volksvertretungen ausfallen zugunsten überwiegender Abordnung der ›Mietlinge‹, mit dem Evangelium zu reden, der besoldeten Interessenvertreter«, 75 lag er sprachlich und inhaltlich auf einer Linie mit der antiparlamentarischen und antiliberalen Propaganda und Demagogie der ›nationalen Opposition‹. Nach der Septemberwahl 1930 erklärte er den »Versuch« von Weimar ausdrücklich und endgültig für »mißglückt«. Daß »12 Millionen wahlfähige Bürger mit dem Abenteuer« gespielt, »55 % für den Sozialismus votiert« hatten und »die Auflösung der bürgerlichen Mitte in Klein- und Zwergparteien« besiegelten, bedeutete für Hellpach, gerade weil er am demokratischen Prinzip festhielt, »eine Schicksalswende der abendländischen Geschichte«, das Ende der liberalen Epoche parlamentarischer Demokratie, den Eintritt in die »späte Bürgerlichkeit Deutschlands« und den »Spätnachmittag« der kapitalistischen Epoche. Der Liberalismus sei »heute kein konstruktives Element« mehr, sondern »ein wesentlich destruktives und moderatives«. Er hatte seine Funktion für Hellpach vor allem deshalb verloren, weil es in diesem »Zeitensturm« um die Neuschaffung des deutschen Staates ging. »Konstruieren und konstituieren läßt eine Staatsordnung sich nur ... auf der Basis der Autorität oder der Majorität, m.a.W. konservativ oder demokratisch; zwischen beiden kann es Synthesen geben, ... aber sie liegen nicht etwa im Liberalen, sondern z.B. in den heutigen Volkskonser254 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
vativen«. 76 Vorerst wandte sich Hellpach hauptsächlich gegen den Liberalismus und hatte eine vorübergehende politische Heimat bei den Volkskonservativen gefunden. Die fundamentale Krise dieser Jahre sahen viele vormals Liberale nun primär als Folge der parlamentarisch-demokratischen Struktur der Republik. Da die Epoche »des Liberalismus« zuendegehe, forderten sie eine grundlegende Veränderung des politischen Systems. Angesichts des schlechten Funktionierens und des massiven Legitimationsverlustes der parlamentarischen Demokratie erschien es sinnlos, sie noch mit rationalen Argumenten verteidigen zu wollen. Dieses Scheitern der Republik konstatierten die ins Lager ihrer Gegner schwenkenden Liberalen nicht mit Ratlosigkeit und Resignation 77 wie die Sozialisten Gumbel und Lederer oder verdrängten es wie Anschütz und Radbruch. Sondern, und das war entscheidend für ihre weitere politische Entwicklung, sie nahmen es, wenn auch mit einer gewissen Trauer, als unvermeidliche Konsequenz der immanenten Schwächen einer liberalen parlamentarischen Demokratie hin. Ihre Kritik an der Weimarer Republik beruhte im allgemeinen nicht auf einem plötzlichen Wechsel ihrer politischen Grundüberzeugung. Sondern aufgrund der Probleme der Republik und aus der Bereitschaft heraus, die Wählervoten seit 1930 zu akzeptieren, 78 suchten sie nach neuen Modellen demokratischer Herrschaft, nicht zuletzt in der Absicht, damit Schlimmeres zu verhüten. Mehrfach betonte etwa Hellpach, daß seine Liberalismuskritik keine Demokratiekritik sei. Jaspers unterstrich, daß »die politische Struktur« einer modernen Gesellschaft »Demokratie in irgendeiner Gestalt« sein müsse.79 Die zur ›nationalen Opposition‹ schwenkenden 80 Liberalen versuchten, einer veränderten politischen Situation Rechnung zu tragen. Hellpach beschrieb »die neue Geisteshaltung«, die sich im Wahlergebnis vom September 1930 zeigte, mit der heute noch geläufigen Formel als »deutschen Revisionismus«. Es handele sich um »eine außerordentliche volksseelische Quantite, die nicht mehr négligeable ist und darum, soll sie nicht zerstörend wie eine Lawine einherrollen, nur dirigeable gemacht werden kann.« Der gegen den Versailler Vertrag gerichtete »Revisionismus nach außen«, setze sich seit der Weltwirtschaftskrise auch bei »großen Teilen der gewerkschaftlichen Arbeiterschaft« durch, die »ihr Elend«, Arbeitslosigkeit und »menschenvernichtende Rationalisierungen« auf die »schlechten, unvernünftigen Friedensverträge« zurückführten. Hinzu komme neuerdings ein »Revisionismus nach innen«, d. h. ein breiter sozialer Konsens darüber, daß das politische System entscheidend verändert werden müsse. »Im zweiten Jahrzehnt der Republik ... wird der Parlamentarismus aus der Verfassung beseitigt werden. In Wirklichkeit hat er von Anfang an nur auf dem Papier gestanden.«81 Anstelle des Parlamentarismus schwebte Hellpach und anderen ein Modell direkter Demokratie vor, das unter der Regie charismatischer Führer »autoritärer« und damit handlungsfähiger sein sollte. Hellpachs Analysen, die großenteils in der »Neuen Zürcher Zeitung« 255 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
erschienen, sollten nicht zuletzt im Ausland um Verständnis für die politische Entwicklung in Deutschland werben. Auch Weber versuchte, in fast prophetischer Weitsicht, dem Ausland und vor allem »den Herren in den Konferenzzimmern« klarzumachen, daß ein Festhalten an den Reparationsforderungen und eine Fortdauer ihrer intransigenten Haltung hinsichtlich der von Deutschland abgetrennten Gebiete eine Regierung an die Macht bringen würden, die »den tiefsten Instinkten des Volkes gerecht wird«, und daß eine solche »Regierungsblamage unserer Übernationalisten« zu einer »neuen deutschen nationalen Katastrophe« führen werde. Das deutsche Volk habe zwar »nicht den Verstand«, wohl aber »seine Geduld verloren«. Solange sich die politische Großwetterlage nicht andere, meinte Weber, sei außenpolitische Verständigungsbereitschaft nur bei wenigen Gebildeten zu erwarten, stehe »die revolutionistisch aufgemachte konservative Position ..., die nationalsozialistische vor allem, der Wirklichkeit näher«, während die liberal-demokratische Position »Elan und Wirklichkeitsnähe« verloren habe. 82 In einer 1931 geführten Debatte, zu der der Frankfurter religiöse Sozialist Paul Tillich mehrere Theologieprofessoren und kritische Intellektuelle aus dem Umkreis der »Frankfurter Schule« wie Mannheim, Adorno, Horkheimer und Pollock zusammenbrachte, verwandte auch der Liberale Dibelius, der sonst politisch fast völlig verstummt war, den pejorativen Begriff »liberalistisch« zur Charakterisierung des eben »vergangenen« Zeitalters. 83 Und Jaspers stellte in seiner Analyse der »Geistigen Situation der Zeit« eine für den modernen Menschen charakteristische »innere Leere« fest, die der gegenwärtige »fast leidenschaftliche Drang zur Autorität« auszufüllen trachte. Der Mensch habe »in seiner Mehrzahl Angst vor der Freiheit des Selbstseins«.84 An der Weimarer Verfassung lobte er deshalb besonders die starke Stellung des Reichspräsidenten, die »der Ursprung für die Möglichkeit neuer demokratisch begründeter Autorität und wirklicher Führung in Deutschland werden könnte.« Der Konjunktiv zeigt, daß er »Autorität und wirkliche Führung« im bestehenden Staate vermißte. Gleichzeitig wies er allerdings abweichend vom autoritätsgläubigen Zeitgeist darauf hin, daß »echte Bindungen sich nicht machen lassen«.85 Jaspers enthielt sich Anfang der dreißiger Jahre jeder direkten politischen Stellungnahme. Seine Überlegungen zur Zeit waren aber geprägt von einer extrem elitären Haltung, enthielten konservative Momente und versorgten vor allem die Gegner der Weimarer Reichsverfassung mit Argumenten. 86 Auch Jaspers operierte mit den modischen Topoi des Kulturpessimismus und der Parlamentarismuskritik: »Man möchte Herrschaft überhaupt abschaffen. Man ist blind für die Tatsache, daß ohne Herrschaft auch kein Dasein der Menschenmassen ist. So sieht man Zersplitterung, Fassaden, Regie, sieht das Verhandeln, das Hinschleppen, die Kompromisse, die Zufallsentscheidungen und das Übertölpeln. Überall gibt es jeweils eigentümliche Weisen der Korruption durch Privatinteressen.« 87 Jaspers sah die Gegenwart als Zeit der »Nivellierung«. »Was heute für alle allgemein wird, 256 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ist stets das Oberflächliche, Nichtige, Gleichgültige.« Es sei überhaupt fraglich, »ob die Menschenmassen demokratisiert werden können, ob die Durchschnittsnatur des Menschen überhaupt fähig ist, eine Mitverantwortung als Staatsbürger durch Mitwissen und Mitentscheiden der Grundlinien faktisch in ihr Leben aufzunehmen. Es ist kein Zweifel, daß heute noch die Wählenden in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht der auf Wissen begründeten Überzeugung folgen, sondern unprüfbaren Illusionen und unwahrhaftigen Versprechungen.«88 Die Verwendung des Wortes »man« machte Jaspers' Kritik unbestimmt und vielfältig interpretierbar. Er nannte selten präzise R o ß und Reiter und äußerte trotz seiner antidemokratischen Grundhaltung nie Gegnerschaft zu Staat oder Verfassung. Ohne konkret auf einzelne Ereignisse einzugehen, trug Jaspers mit seinem weit über Heidelberg hinaus sehr einflußreichen Buch dazu bei, daß die Gegenwart als eine Endzeit gesehen wurde. Man befinde sich in einer umfassenden »Krise der gegenwärtigen Daseinsordnung«. Alle Werte und Ordnungen seien ins Wanken geraten und relativiert worden. Nichts sei mehr sicher außer dem »Bewußtsein von Gefahr und Verlust als Bewußtsein der radikalen Krise...Jede Objektivität ist zweideutig geworden; das Wahre scheint im unwiederbringlich Verlorenen, die Substanz in der Ratlosigkeit, die Wirklichkeit in der Maskerade«. 89 Die Rede vom Ende des Liberalismus und die Absage an dessen politische und ethische Maximen wie Freiheit, Individualismus und universale Verwirklichung der Menschenrechte waren in den politischen Publikationen der Heidelberger Gelehrten in diesen Jahren fast allgegenwärtig. 90 Sie spiegelten damit in hohem Maße den Zeitgeist, der sich zunehmend vom Pluralismus verabschiedete und einem kulturellen Antimodernismus zuwandte. Das Programm der Deutschen Staatspartei etwa enthielt im Vergleich zu dem ihrer Vorgängerin, der DDP, zahlreiche verbale und ideologische Zugeständnisse an die ›nationale Opposition‹. Auch hier wurde das »Ende des liberalen Zeitalters« konstatiert und die R e d e - und Pressefreiheit in Frage gestellt, da sie zu »Exzessen« geführt habe. Der DVP-Vorsitzende Dingeldey begrüßte Ende 1932 die »Liquidierung« des »volksfremden Weimarer Systems«. Ebenso breitgestreut wie die Ablehnung liberaler Maximen waren die von den Heidelberger Dozenten dafür ins Feld geführten Argumente. Bei den besonders schillernden Äußerungen Hellpachs reichten sie von der vom preußischen Konservativen Julius von Stahl geprägten und um 1930 zu einem antiliberalen Topos werdenden Gegenüberstellung von Autorität und Majorität bis zu dem auf Bebel zurückgehenden Wort von der »Versumpfung der Parteien«. 91 Derartige ideologische Verwirrung und argumentative Unschärfe spielten vor allem der NSDAP, die in ihrer synkretistischen Propaganda ebenfalls Kritik konservativer wie sozialistischer Provenienz vermischte, in die Hände. Wenn ehemalige Liberale wie Andreas, Hellpach, Jaspers, Alfred Weber, 257 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Brinkmann und andere den Parlamentarismus und das Parteiensystem kritisierten, die Weimarer Verfassung als zu demokratisch oder anachronistisch bezeichneten, für mehr Autorität und weniger Majorität plädierten und die Krise als Ende des liberalen Zeitalters und Wende zu einem neuen deuteten, trafen sich diese Einschätzungen mit denen konservativer eingestellter Kollegen. Diese hatten die parlamentarische Demokratie schon immer als überlebt und dem ›deutschen Wesen‹ unangemessen bewertet. Schon vor dem Krieg verkündeten sie das Ende des Liberalismus und den Anbruch eines neuen Reiches. Diese Konvergenz im Verhältnis zur Weimarer Republik fiel zusammen mit dem parteipolitischen »Zerfall der bürgerlichen Mitte« (L. E. Jones). Hinzu kommt, daß der Liberalismus Heidelberger Hochschullehrer immer eine große Nähe zum Konservativismus aufwies. Konservatives Denken ging häufig einher mit dem Engagement für liberale Parteien. 92 Durch die Zustimmung, die sie in der Öffentlichkeit fanden und die sich auch in der Übernahme ihrer Paradigmen durch ehemalige Liberale ausdrückte, beflügelt, begaben sich konservative Hochschullehrer seit Anfang der dreißiger Jahre verstärkt an die Öffentlichkeit und sprachen sich nun offen und grundsätzlich gegen die Weimarer Verfassung aus. Daß sie R ü k kenwind spürten, zeigt sich nicht zuletzt in einer Radikalisierung ihrer Sprache. Insbesondere der deutschnationale Historiker und Landtagsabgeordnete Schmitthenner tat sich hervor. Er beschimpfte die Landesregierung als »rein parteipolitisch« und nannte jede Koalition, an der die SPD beteiligt war, »marxistisch«. In der Republik herrsche ein »kranker pazifistischer Geist«. In diesem »absterbenden und alternden« »System« würden »alle organisch-konstruktiven Elemente des Volksstaates in der marxistischen Lauge zersetzt.« Desgleichen verglich er die parlamentarische Demokratie mit einem »Krankheitsbazillus«: »Wer von dem System von 1918 ißt, der stirbt daran!« Man möge es »lieber gleich ganz sterben [lassen] und ein neues dafür auf die Beine stellen.« 93 Schmitthenner gab wie nun auch die sich gegen die Republik kehrenden Liberalen »dem System« selbst die Schuld an seiner Misere. Statt einzusehen, »daß der verlorene Krieg uns so arm wie Kirchenmäuse gemacht hatte«, hätte die Weimarer Koalition geglaubt, »hemmungslose Erfüllungspolitik treiben zu können, gleich die teuerste Verfassung, die es gibt, die radikale Demokratie einführen und außerdem noch paradiesische Zustände auf der Erde schaffen zu können.« Durch die Ausgrenzung der Opposition habe der »Novemberstaat« selbst »einen großen Teil der Ventile geschlossen. Und so ist der Kessel ... in den Überdruck geraten, der ... zur Preisgabe der parlamentarischen Demokratie und zum Regieren durch Notverordnungsdiktatur zwingt.« Mit Maßnahmen, die den Extremisten das Wasser abgraben sollten, etwa ihrem Ausschluß von hohen Beamtenstellen, »graben Sie uns den Kanal, in dem unsere Bewegung dahinströmen kann.« 94 Wie für den so demonstrativ siegessicheren Schmitthenner die Weltwirt258 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schaftskrise war für den jungkonservativen Sozialtheologen Wendland die »totale Staatskrisis« Anfang der dreißiger Jahre ein Anlaß für die Hoffnung, der Staat werde nun »wieder als Herrschaft und Obrigkeit erkannt«. Wendlands Stoßrichtung war im eigentlichen Sinne antidemokratisch. Es könnten »nicht alle herrschen«, und Demokratie müsse letztlich den Staat zerstören. 95 Auch bei ihm finden sich apokalyptische Motive und die fast schon eschatologische Erwartung des kommenden, ganz anderen »Reichs«. Es bestehe »die geschichtliche Notwendigkeit der Entstehung eines neuen Staatsgedankens, da der aufklärerische Vernunftglaube zerbricht, da die rational-optimistische Diesseits- und Fortschrittsgläubigkeit endgültig erschüttert sind.« Die Legitimation des liberalen Parlamentarismus und damit der Weimarer Republik befand sich in seinen Augen auf dem Nullpunkt: »Die Wirkung und Dauer auch der politischen Institutionen setzen ... einen Glauben voraus. Wir glauben nicht mehr an das Parlament als den Ort des Zusammenspiels der Individuen...Wir glauben nicht mehr an die Diskussion als Mittel der Wahrheitsfindung.« Ähnlich wie für manche liberale Kollegen fielen für Wendland »alle wirklich politischen Entscheidungen schon heute außerhalb des Parlaments«. Er bekannte sich nun offen zum Kampf gegen die Demokratie: »Die geistigen Voraussetzungen der Demokratie sind in der Demokratie zerfallen... Reformen sind unmöglich.« 96 Für von Weizsäcker, der sich in dieser Zeit als »konservativen Revolutionär« sah, stand der Kampf gegen die sozialen Errungenschaften der Weimarer Republik im Mittelpunkt seiner politischen Aktivitäten. Durch die Sozialversicherung und den »monetären Ausgleich« für Krankheit oder Behinderung werde »der Natursinn von Gesundheit und Krankheit« verletzt und sei »Gesundheit zum Sachgut« geworden. Die Folge seien »Sozialneurosen«, also psychosomatische Erkrankungen, die angesichts drohender oder schon bestehender Arbeitslosigkeit entwickelt würden, um in den Genuß einer Rente zu kommen. Diese, seiner Ansicht nach sehr zahlreichen Neurosen mußten in einer »Zeit der Sozialversicherung und der Arbeitslosigkeit, der Wirtschaftskrise und der Gesellschaftskrise« dramatische Folgen haben: »nicht nur der R u i n einzelner Versicherungsinstitute, sondern auch die Bedrohung des Staates, der Gesamtheit.« In deutlicher Parallele zur konservativen Liberalismuskritik sah von Weizsäcker durch die zu hohen Sozialleistungen den Bestand des Staates gefährdet und forderte deshalb eine autoritäre Wende: »Das Volksganze ist Patient geworden und meldet seine Rechte gegen die des Einzelnen an.«97 Diese Entscheidung für den Primat von Volk und Staat gegenüber dem Individuum ließ ihn im Dritten Reich zum Befürworter einer »rationalen« und »volkstumspolitisch zu Ende gedachten Vernichtungspolitik« werden. 98 Obwohl sie »den Liberalismus« für überholt erklärten und schmähten, offenbart der Kampf konservativer Heidelberger Hochschullehrer gegen die Sozialversicherung 99 einen Staatsbegriff, der dem Konzept des kaum intervenierenden liberalen Staates näherstand als dem des »totalen«. Schmitthen259 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ner nannte in diesem Zusammenhang die Republik das »Zerrbild eines sozialen Staates«. Sie sei »ein sozialer Staat Hans in allen Gassen, der überall seine Finger hereinsteckt, ... der aus den Staatsbürgern Spitaliten und Fürsorglinge, aus dem Staatsvolk einen Interessentenhaufen gemacht hat.« Hellpach griff eine »ganz ausgezeichnete« Polemik Carl Schmitts auf und nannte die Weimarer Republik einen »›totalen Staat‹ im rein quantitativen Sinn, im Sinne des politischen Volumens, nicht der Intensität und der politischen Energie‹«. Der bestehende Staat sei ›»das Gegenteil von Kraft und Stärke‹ ... ›total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit, aus der Unfähigkeit, dem Ansturm der Parteien und organisierten Interessen standzuhalten.‹ Seine Expansion ist die Ursache seiner Schwäche... Stärke ist vor allen Dingen Maß.« Deshalb plädierte Hellpach für die »extensive Begrenzung« des staatlichen Zuständigkeitsbereichs. 100 Die Widersprüchlichkeit der gelehrten politischen Kritik und die Undurchdachtheit vieler Argumentationen läßt sich an ihrem Staatsbegriff exemplifizieren. Lehnte sie einerseits die prozedurale Legitimation einer parlamentarischen Demokratie als zu wenig handlungsfähigen »Reststaat ohne Würde« 101 und ohne »Staatswillen« ab, so verteufelte sie andererseits sozialpolitische Staatsintervention mit Argumenten liberaler Provenienz. Rührt dieser Befund auch teilweise daher, daß viele Gelehrte aufgrund prinzipeller Ablehnung die republikanischen Regierungen, egal wie sie agierten, verteufelten, so fällt doch zugleich ein impliziter Primat der Außenpolitik auf. Stärke und Handlungsfähigkeit forderten die Hochschullehrer vor allem in Hinblick auf die Revision des Versailler Vertrages, aber auch zur Unterdrückung zu weitgehender Demokratisierung. Sozialpolitisch vertraten sie hingegen eher das Modell eines liberalen »Nachtwächterstaates«.
3.2. Lösungen und Perspektiven Welche Auswege sahen die Heidelberger Gelehrten aus der Krise der Republik? Charakteristisch für das politische Denken der Gelehrten ist, daß sie, von seltenen Ausnahmen abgesehen, keine wirtschaftspolitischen Lösungsvorschläge machten. Die Krise hatte in ihren Augen kulturelle, politische oder staatliche, nicht jedoch primär wirtschaftliche Ursachen. 102 Generell jedoch verblieben die angeführten Lösungen infolge des schwach entwickelten Pragmatismus der Hochschullehrer wie der Bildungsbürger überhaupt sehr im Allgemeinen. Das Extrem unter den von konkreten politischen Konflikten und Entscheidungen häufig weit entfernten Vorschlägen stellte Jaspers' Buch »Zur geistigen Situation der Zeit« dar, das in philosophischer Terminologie aus einer Analyse der aktuellen »geistigen« Lage schwer konkretisierbare Handlungsanweisungen gab. Für Jaspers war »die Weise des Menschen die Voraus260 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
setzung von allem«. Seien die Menschen nicht »sie selbst«, so seien noch so gut eingerichtete äußere Umstände (»Apparate«) nichts wert. Jeder Mensch müsse heute um »sein eigenes Wesen«, sein »Selbstsein« kämpfen. Zur Auseinandersetzung mit der Welt, also auch zu politischen Entscheidungen, sei nur fähig, wer durch eine Phase der Weltferne hindurchgegangen sei, um so er selbst zu werden. Denn »Selbstsein ist, was erst aus einem Sein gegen die Welt in die Welt eintritt.« Diese sehr anspruchsvolle Voraussetzung der Politikfähigkeit konnte aber nur erreichen, »wer sich vor aller Verwirklichung zum Scheitern verurteilt«. Andererseits sei es naiv, »sich nur gegen die Welt stellen« zu wollen. »Die Wirklichkeit der Welt ist nicht zu überspringen«. »Daher ist das Ethos, in den Machtkörpern mitzuleben, ohne von ihnen aufgesogen zu werden... Es ist das Leben gleichsam auf dem Grat, von dem ich abstürze entweder in den bloßen Betrieb oder in ein wirklichkeitsloses Dasein neben dem Betrieb.« Die so charakterisierten »Selbstseienden« seien »die Besten im Sinne eines Adels der Menschheit«. Sie seien in der Gegenwart gefährdet wie nie zuvor durch »die Instinkte des Massenmenschen«, »religiöskirchliche und politisch absolutistische Instinkte«, die alle »die universale Nivellierung in der Massenordnung mit einer Weihe versehen« würden. Das waren wenig hilfreiche Diagnosen eines existenzphilosophischen Individualismus, der mit den Notwendigkeiten politischer Entscheidungsfindung in einer Massengesellschaft schwer zu vereinbaren war. Trotz der hohen Ansprüche, die er an die politisch Handelnden stellte, wandte Jaspers sich gegen die naheliegende Vorstellung, der »Adel der Selbstseienden« müsse auch politisch herrschen. Zu schnell werde aus ihm wie aus jeder herrschenden Minderheit »eine neue, keineswegs aristokratische Masse« werden, die »typische Züge einer Masse« trage: »Entscheidung durch Majoritäten, Haß gegen jeden hervorragenden Einzelnen, Forderung der Gleichheit« usw. Jede geschlossene Herrschaftselite mußte in Jaspers' Augen auf diese Weise in ihr Gegenteil, eine Masse, umschlagen. Für Jaspers gehörten Autorität und Freiheit unauflöslich zusammen, da sie »ohne einander sich selbst verlören; Freiheit würde zum Chaos, Autorität zur Despotie«. Seine abschließende Frage, »was ich eigentlich will«, blieb existentialistisch, und seine Antwort war keine Antwort auf die aktuellen politischen Fragen und konnte dies innerhalb seines Modells vom »Selbstsein« auch gar nicht sein: »Gegenwärtig tun, was echt ist, ist am Ende das einzige, was gewiß zu tun mir bleibt.« 103 Jaspers wies also nicht eigentlich eine politische Perspektive. Aber seine Ausführungen über die »Haltung des Selbstseins in der Situation der Zeit« sagen einiges über die damals herrschende Mentalität im ehemals liberalen Bildungsbürgertum aus. Die Voraussetzungen für politisches Handeln wurden von Jaspers dermaßen hochgeschraubt, daß, wie er selbst folgerte, »fast alle versagen« mußten. Eine Nähe zur traditionell im Bürgertum verbreiteten antipolitischen Haltung, daß Politik »ein schmutziges Geschäft« sei, ist 261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
unverkennbar. Die Konsequenz aus Jaspers' Ausführungen mußte für alle, die sich nicht zum Adel der »Selbstseienden« zählten, der Rückzug aus der politischen Mitwirkung sein. Politisches Engagement wurde als die Aufgabe ganz besonderer »Einzelner«, der »Berufspolitiker«, angesehen. Trotz seines Eintretens gegen den Faschismus und seiner Einwände gegen den autoritären Staat lief daher Jaspers' Grundhaltung auf einen resignativ-abwartenden Fatalismus und Quietismus hinaus, mit dem er unter seinen Kollegen nicht allein stand. Sein erfolgreiches Buch trug zu dessen Verbreitung bei. 104 Daß existentialistisches Denken nicht notwendig zum politischen Fatalismus führen mußte, verdeutlicht der Vergleich mit Karl Barth, der Jaspers philosophisch recht nahestand. Barth engagierte sich 1932 in der SPD, während Jaspers nach Krisenbewältigungsspezialisten rief.105 Andere Professoren plädierten für bessere politische Umgangsformen, für »vornehme menschliche Haltung und ritterliche Gesinnung« (Andreas), für eine »Versöhnung« der politischen Gegner und eine Besinnung auf das »Bewußtsein des Sittlichen«, das »jedem Menschen angeboren« sei (Meister), oder dafür, »den Mut nicht [zu] verlieren und nicht die Besinnung, die kühle Vernunft [zu] behalten und die Leidenschaft des Willens« (Lederer). Von Eckardt trat angesichts des Versagens der politischen Führer und des »kollektivistischen« Zeitgeistes für deren Entmachtung und die »ehrliche Einführung kollektiver Arbeitsweisen« in der Politik ein. 106 Alle diese gutgemeinten Appelle fielen auf unfruchtbaren Boden und waren mehr Ausdruck einer weit verbreiteten Ratlosigkeit als Auswege aus der Krise der Republik. Aber es gab aus den Reihen der Heidelberger Hochschullehrer auch Vorschläge für eine Umgestaltung des Staates. Sie hielten zwar prinzipiell an der Verfassung fest, bedeuteten aber eine Entparlamentarisierung oder Entdemokratisierung und eine Stärkung der autoritären Komponenten. Es ging ihnen allen mehr oder minder explizit darum, den »historisch-politischen Pendelschlag« von 1918 ein Stück weit zu revidieren, da die Deutschen es, so Hellpach, nach Jahrhunderten »stärkster und oft starrster Einseitigkeit autoritativer Staatsordnung« übertrieben hätten, als sie sich für »die Einseitigkeit radikaler Demokratie« entschieden. Jetzt gelte es, »den überladenen Notbau von 1919, dessen rettende Funktion wir niemals abschätzig verkleinern sollten, in ein Wohnhaus umzubauen«. Wie so häufig fühlten sich die Gelehrten als Anwälte einer »Synthese«, die eine stetigere politische Entwicklung der Republik ermöglichen sollte. Für Hellpach ging es auf dem Wege zur erstrebten, »im lebendigen Sinne konservativen Demokratie« sogar um eine doppelte Synthese. Einerseits »stehen wir, die deutschen Demokraten, vor der Riesenaufgabe, die ewigen Ideen der drei wirklich großen neuzeitlichen Revolutionen . . . - die kirchlichen Ideen der englischen Revolution, die staatlichen Ideen der französischen Revolution und die gesellschaftlichen Ideen der russischen Revolution ins Deutsche zu übersetzen.« Andererseits war sein Ziel eine »Synthesis von Demokratie 262 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
und Autorität«. »Es wäre das Natürliche, entspräche dem Entwicklungsgesetz, wenn der Demokratie ... Gegenkräfte als Auswägungen und Einströmungen entgegenwüchsen. Nur dadurch vermag sie lebensvoll und entwicklungskräftig zu bleiben. Der Inbegriff solcher Gegenkräfte ... ist seit langem schon in dem Begriff der Autorität gefunden worden.« Gerade wer sich zur Demokratie bekenne, müsse »auf sachliche Auswägungsformen zwischen Majorität und Autorität sinnen. Dabei kann es sich nur handeln um Rückgriff auf die echte Volksmajorität und die echte Führerautorität.« Beide kamen für Hellpach in der Weimarer Republik, die für ihn mehr und mehr zur »Cliquenherrschaft« verkam, nicht genügend zum Zuge. »Alle Cliquenherrschaft, ob Cliquenmajorität oder Cliquenautorität«, gemeint waren damit die Weimarer Republik und das Kaiserreich, »ist uns überlebte und nun völlig zu überwindende Vergangenheit - historischpolitischer Leichnam, und den Leichnam, nach Nietzsche, lassen wir dem Wurm.« Im Namen der für notwendig erklärten »Synthesis von Demokratie und Autorität« also verwarf Hellpach die Reichsverfassung. In dieselbe Richtung zielte seine Forderung nach Stärkung des Staates als Gegengewicht zu den Parteien, die nicht nur »Interessentenhaufen«, sondern ganze »Interessentenmaschinerien« seien. Nur eine »überaus starke Staatsgewalt« könne sie »aus ihrem ungeheuerlichen Leerlauf ... wieder in eine nationale Betriebsordnung einfügen und damit produktiven Zwecken dienstbar machen«. 107 Mit diesen Vorstellungen und seiner radikalisierten Terminologie war Hellpach ins Lager der Gegner der Weimarer Republik gewechselt. Seine Wandlung war allerdings durch das demokratische Votum vom September 1930 veranlaßt wurden. In dieser Wahl habe sich der Schwerpunkt nach rechts verlagert, und es bleibe nichts übrig, als dies hinzunehmen, erklärte Hellpach einem Journalisten und versuchte in der Folge, seinen eigenen, auf Populismus hinauslaufenden Ratschlag zu befolgen: »Vor der ›inneren Stimme‹ dieses Wahltages wird nur eine wirkliche Staatskunst bestehen, die ihr Ohr an die Brust des Volkskörpers legt, um den Schlag seiner Herztöne zu erlauschen.« 108 Grundlage aller Reformen mußte für Hellpach die Stärkung der deutschen »Bürgerlichkeit« sein, die, da sie »das Stetige, das Verständige, das Nüchterne, das Geduldige« enthalte, »der stärkste Schutzwall vor dem Abenteuer ist«. Die bürgerliche Geisteshaltung müsse allerdings »verjüngt« werden. Die Sache der Bürgerlichkeit zu vertreten, war ein typisches Argumentationsmuster der politisch engagierten Heidelberger Gelehrten und richtete sich 1930 bis 1933 nicht zuletzt gegen den Nationalsozialismus, der, wenn auch in abnehmendem Maße, antibürgerlich auftrat. Gleichwohl richtete sich die Forderung nach Stärkung und »Verjüngung« der »Bürgerlichkeit« auch ausdrücklich gegen die Sozialdemokratie. Diese Vorkriegsfrontstellung - Hellpach selbst hatte damals der SPD nahegestanden wieder aufzunehmen, lag Anfang der dreißiger Jahre im Trend. Die SPD wurde zunehmend als »marxistische Partei« mit der KPD in einen Topf 263 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
geworfen, während sie in den zwanziger Jahren als demokratische Partei salonfähig war.109 Konkret schlug Hellpach vor, die parlamentarische Demokratie zu ersetzen durch eine »Demokratie mit Parlament«. Nach U S - bzw. Schweizer Vorbild sollte eine vom Parlament unabhängige Regierung mit »wechselnden, sachlich bestimmten Mehrheiten« regieren. 110 In der Konsequenz seiner Parlamentsschelte knüpfte er an populäre antipolitische Aversionen an und stellte wohlklingende, aber politisch widersprüchliche bis unsinnige Forderungen auf: Der Demokratie müßten »aus außerpolitischen Lebenssphären Kräfte zuströmen«. Da das Verhältniswahlrecht zu einem Übergewicht der »besoldeten Interessenvertreter«, also der politischen Funktionäre im Parlament geführt habe, müsse ein zweiter »Kegelschnitt durch das Volkstum ... in eine andere Ebene gelegt werden, der es garantiert, daß die natürliche Autorität des durch sich selbst zu etwas gewordenen Menschentums auch ihren Platz in der Staatsordnung ... finde«.111 Wie viele konservative Kritiker wollte Hellpach dies durch »eine berufsständische Körperschaft, ein organisches Vertretungsprinzip neben dem mechanischen«, erreichen. Infolge seiner Radikalisierung sah er das allgemeine Wahlrecht nurmehr als notwendiges Übel, das zwar »nicht auf die Dauer auszuschalten« sei, durch das Gegengewicht »einer gezüchteten Volkselite« aber austariert werden müsse.112 Die Befürworter einer berufsständischen Kammer übersahen allerdings geflissentlich, daß sie neben Reichstag und Reichsrat das dritte parlamentarische Gremium gewesen wäre und mit dem Reichswirtschaftsrat de facto bereits existierte, aber ein politisches Schattendasein führte, da sich eine weitere Legislative in das System der demokratischen Gewaltenteilung kaum einfügen ließ. Eine weitere Parlamentskammer zu schaffen, stand zudem in Widerspruch zu Hellpachs Forderung, »unsere Einrichtungen dem Zeitalter bitterer Armut anzupassen, das mit dem verlorenen Krieg für uns angebrochen ist«, d.h. die Zahl der Länder zu reduzieren, ihre Parlamente abzuschaffen und die Sozialfürsorge neu zu organisieren. Zur praktischen Durchführung seiner Reformvorschläge verwies Hellpach auf den Artikel 48, den die Regierung gerade für »die großen und lebensnotwendigen Reformen, denen sich das Parlament Jahr um Jahr versagt hat«, die aber zur Verhinderung einer Revolution nötig seien, einsetzen sollte, anstatt ihn für Unwichtiges zu verschleißen. 113 Hellpachs Reformvorschläge weisen sprachliche und inhaltliche Übereinstimmungen mit Vorstellungen von DNVP-Dissidenten wie Hoetzsch und Treviranus auf. Deren Konservativer Volkspartei stand Hellpach 1930 sehr nahe, räumte ihr aber nach ihrem Scheitern bei der Septemberwahl und dem Aufstieg der NSDAP keine Perspektive mehr ein. 114 Auf einer gemeinsamen Liste mit dieser Partei kandidierte ein anderer politisch engagierter Heidelberger Ordinarius, Walter Jellinek, der Mitglied der DVP war, für den Bürgerausschuß. Er machte um die Jahreswende 1932/33 und vor dem Hintergrund der Verfassungsreformdiskussion, die durch das Reichs264 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
gerichtsurteil vom Juni 1932, das die Notverordnungspraxis der Präsidialkabinette als tendenziell verfassungswidrig bezeichnet hatte, ausgelöst worden war, einen detaillierten Vorschlag. Jellinek hob dabei aber nicht auf Artikel 48 ab, da die Diktaturbefugnisse des Reichspräsidenten Verfassungsänderungen nicht einschlössen. Dennoch lasse sich »sehr vieles auch ohne Reichstag machen, und vielleicht gerade dadurch dem Parlamentsstreik etwas von seinem Reize nehmen«. Jellinek wies wie bereits 1929 die Stahlhelmführung 115 auf die in der Reichsverfassung vorgesehene Möglichkeit hin, die Verfassung durch Volksentscheid am Reichstag vorbei zu ändern. U m ein Zustandekommen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit trotz der herrschenden Mehrheitsverhältnisse und der allgemein niedrigen Beteiligung an Volksentscheiden zu erleichtern, sann Jellinek auf Methoden, »das Heer ... der NichtStimmer zu mobilisieren«. Hierin besteht die eigentliche Originalität seines Vorschlags. Mithilfe des Artikels 48 sollte der Reichspräsident das Gesetz über den Volksentscheid so ändern, daß Nichtbeteiligung als Zustimmung gelte, zumindest wenn die Reichsregierung den Volksentscheid befürwortete. Analog sollten bei Wahlen alle nicht abgegebenen Stimmen auf »eine möglichst dem Parteigetriebe entrückte Liste von führenden Männern etwa der Wissenschaft, der Kunst, des Beamtentums und der Wirtschaft« entfallen, die die Reichsregierung »in Einvernehmen mit gewissen Organisationen« aufzustellen hätte. Jellinek zufolge sollte der Reichspräsident durch extensive Ausnutzung seiner verfassungsmäßigen Rechte den Reichstag so lange provozieren, bis dieser sich wieder zur »positiven Mitarbeit an den notwendigen Verfassungsreformen« bereitfinde und sich »den ihm von der Verfassung zugedachten Platz zurückerobern« werde. 116 Nachdem seine Vorschläge auf große Resonanz in der Öffentlichkeit und im Kollegenkreise gestoßen waren, 117 präzisierte Jellinek sie im Januar 1933 in einem Aufsatz »Verfassungsrettung«. Einleitend distanzierte er sich von dem Vorwurf, er gebe »Rezepte für einen versteckten Staatsstreich« oder plädiere für Verfassungsbrüche, betonte aber zugleich, in der gegenwärtigen Lage sei »kein schwächliches Zögern gestattet«. »In Zeiten eines arbeitsfähigen Reichstages« dürften die von ihm vorgeschlagenen Änderungen des Wahlrechtes selbstverständlich nicht per Diktaturverordnung dekretiert werden. »Aber wenn der Reichstag versagt, wenn er ... unfähig ist zum Bejahen, dann verwirkt er das Recht auf schonliche Behandlung.« Jellinek beanspruchte, mit seinen Vorschlägen, »die Verfassung unter allen Umständen zu schützen, Verfassungsrebellion und Verfassungssabotage zu verwerfen«. Was er vorschlage, sei »Verfassungsrettung«, denn die Verfassung drohe »an ihrer eigenen Starrheit zu zerspringen«. Durch die Einführung der Vertretung für die Nichtwähler und die Erhöhung des Wahlalters auf 25 Jahre wollte Jellinek den nicht funktionierenden Reichstag »entradikalisieren«. Außerdem solte er »für einige Zeit die kabinettstürzende Kraft« und das Recht, »die Aufhebung einer Diktaturmaßnahme zu erzwingen«, verlieren. »Die 265 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
glücklichste Form«, diese »Verfassungsrettung« zu realisieren, sei der parlamentarische Weg. Da Jellinek aber trotz »der gegenwärtigen kurzen Atempause« des Kabinetts Schleicher nicht ernstlich mit dieser Möglichkeit rechnete, schlug er erneut detailliert vor, wie die Reformen am Reichstag vorbei mit Notverordnungen und einem Volksentscheid umgesetzt werden könnten. Jellineks Vorstellungen vom Zustandekommen der »möglichst dem Parteigetriebe entrückten Liste«, an die die Nichtwählerstimmen fallen sollten, waren ebenso wie Hellpachs Kritik an der Zusammensetzung des Reichstags pro domo gedacht. Dem zugunsten von Partei-, Verbandsund Gewerkschaftsfunktionären sinkenden Einfluß des Bildungsbürgertums und insbesondere der Gelehrten auf die Politik sollte dadurch entgegengewirkt werden. Denn die »Liste der Fraktionslosen« war von einem Ausschuß aufzustellen, der aus Oberlandesgerichtspräsidenten und juristischen Dekanen bestand. Die Kandidaten mußten sich verpflichten, nach ihrer Wahl keiner Fraktion beizutreten. Jellinek unterwarf sie also quasi einem imperativen Mandat der Elitejuristen. Die Liste sollte nicht nur die Stimmen der Nichtwähler erhalten, sondern auch ganz normal zur Wahl stehen. Durch diese Liste sollte der Reichstag, wie auch Hellpach anstrebte, »zu einem getreueren Spiegelbild des Volksganzen« werden, indem die »gemäßigte Mitte« gestärkt würde, die heute fast völlig fehle, aber »im Volke durch die Nichtwähler dargestellt wird«. 118 Ebenfalls wie Hellpach legitimierte Jellinek die Radikalität seiner Vorschläge damit, daß es »schlimmer als heute« nicht werden könne. Alfred Weber, der 1932 nach Jellineks Angaben dessen »Verfassungsrettungs«-Vorschlägen zugestimmt haben soll, hatte 1931 ein eigenes Reformkonzept vorgelegt. Unter der bereits 1925 geprägten 119 Formel einer »unegalitären Führerdemokratie« schwebte ihm eine »technische und geistigstrukturelle Alternative« zu Faschismus und Bolschewismus vor. Ähnlich wie Hellpach wies Weber darauf hin, daß die parlamentarische Demokratie vor der Massengesellschaft entstanden und auf sie nicht zugeschnitten sei. Wie seine ehemaligen Parteifreunde Hellpach, Jaspers und viele andere Kollegen hatte Weber eine sehr schlechte Meinung von der politischen Einsichtsfähigkeit der »Massen«, die »nur von einem durch schlagwortartige Einsichten geläuterten Instinkt geleitet« würden. Der demokratische Gleichheitsgedanke verkenne, daß »jede Organisationsgestalt der Massenhaftigkeit, mag sie nun kapitalistisch, sozialistisch oder sonstwie sein, notwendig graduierte [abgestufte] Wirklichkeit« sei. Auch »unser Instinkt will Gliederung und Führung«, und in Krisen könne »nur Wort- und Tatmagie der starken Persönlichkeit« dem Volk den Weg weisen. Um den demokratischen Staat stärker zu gliedern und wirkliche politische Führungsstrukturen zu institutionalisieren, forderte Weber, der Staat und seine Repräsentanten, vor allem der Reichspräsident und die Beamtenschaft, müßten wieder »objektiviert« werden, d.h. sich aus der Abhängigkeit von Partikularinteressen lösen. Insbesondere sollte der Primat des Staates vor den Wirtschaftsmäch266 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
ten wiederhergestellt werden. Die Regierung müsse als »führende und zusammenfassende« Instanz zugleich aber auch wieder unabhängiger vom Parlament werden. Auf allen Ebenen müsse »eine Verschiebung im Gewicht der öffentlichen Gewalten ... zugunsten der führenden Personen« stattfinden. Denn »Parlamentsabsolutismus« sei »eine mißverstandene Form der Demokratie«. In Deutschland habe sich das »notwendig regierungsunfähige Kollektiv« Parlament Befugnisse der Regierung »angemaßt«, zwangsläufig auf diesem Gebiete versagt und so »weitgehend die Willensbildung des Staates aufgelöst«. »Wenn aber der Reichstag sich selbst erhalten will«, müsse er die Regierung »freisetzen« und ihr »Vollmachten ziemlich weitgehender Art« erteilen, sich also »in der Gesetzgebung beschränken«. 120 Im Unterschied zu den bisher Zitierten hatte der jungkonservative Privatdozent Wendland keine liberale politische Vergangenheit. So waren seine Vorschläge zur Überwindung der »Staatskrisis« unverblümter gegen die Weimarer Republik und die Reichsverfassung gerichtet. Typisch für die ›nationale Opposition‹ stellte er »neben das negative Erlebnis der absoluten Staatskrisis ... das positive Erlebnis des Krieges, die Bejahung des Kampfes als der Urmacht des Lebens, die Erfahrung der im Feuer gehärteten männlichen Kameradschaft, das Wissen um die geheime Fruchtbarkeit des Opfers«. Ein Rekurs auf das Kriegserlebnis und dessen Mystifikation findet sich selbst in den Publikationen konservative Heidelberger Universitätslehrer äußerst selten. Die Mystifikation des Fronterlebnisses war mit dem sozial-moralischen Führungsanspruch der Gelehrten nicht zu vereinbaren. Außerdem wirkt im Nichtvorkommen von Topoi, die im allgemeinen als konstitutiv für das politische Denken der ›nationalen Opposition‹ angesehen werden, 121 die langanhaltende Dominanz liberalen Denkens an der Ruperto Carola nach. Wendland definierte den in seinen Augen aus Staatskrisis und Kriegserlebnis hervorgegangenen »jungen« Nationalismus als »Kampf um die Neubegründung des nationalen Staates aus wiedererrungener Freiheit nach außen und neugeordneter Autorität und Würde gegenüber allen sozialen Gruppen im Volk nach innen.« Diese Haltung sah er vor allem bei der jüngeren Generation lebendig, während die Älteren im Unterschiede dazu »patriotisch« fühlten, d.h. sich zum jeweils bestehenden Staat bekennen würden. 122 Die Abgrenzung von dem als opportunistisch bewerteten Patriotismus älterer Kollegen richtete sich nicht zuletzt gegen die traditionelle Gelehrtenpolitik. Wendland ersehnte einen »neuen« sozialistischen Staatsgedanken, der »aus der Tiefe der Geschichte emportaucht« und »die humanitär-rationale Entleerung des Staates und seine Entwürdigung zur bloßen Wohlfahrtseinrichtung, wie sie Folge des aufklärerischen Denkens über den Staat sind«, überwindet. Er vertrat einen ständischen Staatsgedanken, der »gegen die demokratische Grundidee der Volksherrschaft, der Identität von Regierenden und Regierten die Idee der Repräsentation durch eine teils aristokratische ... teils monokratische politische Führung« setzt. An die 267 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Stelle der Gleichheit trete die Gemeinschaft. Für eine Übergangsphase sei zur Durchsetzung dieses neuen Staatsgedanken eine »Tyrannis« notwendig, die »eine neue Einswerdung von Volk und Staat« vollziehe, »die im tieferen Sinne revolutionär genannt werden kann.« 123 Wendland war beeinflußt vom Denken der ›konservativen Revolution‹ und der Zeitschrift »Die Tat«. 1933 setzte er sich mit einem ihrer führenden Köpfe, dem Alfred-Weber-Schüler Eschmann (Pseudonym: Leopold Dinggräve), und anderen aus der Jugendbewegung kommenden Rechtsintellektuellen in einer Streitschrift über »Religion oder Politik« auseinander.124 Diese Publikation fußte vermutlich auf Diskussionen früherer Jahre, denn in Heidelberg gab es einen festen Zirkel ›konservativer Revolutionäre‹, dem insbesondere Dozenten und ältere Studenten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften angehörten. Zwei der vier Redakteure der »Tat«, neben Eschmann auch Giselher Wirsing, waren Alfred-WeberSchüler. Auch Bergsträsser, der den Höhepunkt seines politischen Einflusses vor 1949 als Berater des Reichskanzlers Schleicher um die Jahreswende 1932/33 erreichte, gehörte dem Heidelberger »Tatkreis« an. 125 Sympathien für die ›konservative Revolution‹ oder eine Auseinandersetzung mit ihr ist in Publikationen verschiedener Heidelberger Gelehrter zu registrieren. 126 In der Debatte darüber, wie die Krise der Weimarer Republik überwunden werden könnte, vertraten die sich äußernden Heidelberger Universitätslehrer über ideologische Gegensätze hinweg, die sich vor allem in ihrer Diktion zeigten, eine einheitliche Linie. Es spricht vieles dafür, daß diese Einheitlichkeit auf politischen Diskussionen innerhalb der Universität und in den Zirkeln der Gelehrtenkultur beruhte. Gemeinsame Elemente der vorgeschlagenen Auswege waren die Forderung nach größerem Einfluß für die in sich selbst ruhenden, gemäßigten, geistig fundierten Kräfte, also letztlich für den Typus des Gelehrtenpolitikers, nach Entmachtung des Parlaments, nach Abbau der »radikalen« Demokratie und stärkerer Verselbständigung der Exekutive. Zur Durchführung setzte man vor allem auf den Reichspräsidenten und dessen Notverordnungsrecht, aber auch auf die plebiszitären Momente der Verfassung.
3.3. Bewertung des Faschismus und Nationalsozialismus bis 1933 Der tatsächlich beschrittene Ausweg aus der Krise der Weimarer Republik, der Nationalsozialismus, hatte vor 1933 nur eine sehr schmale Basis im Heidelberger Lehrkörper. Eine entsprechend geringe Rolle spielte er in den Publikationen der Zeit vor 1933. Auf mehr Zustimmung und Interesse stieß hingegen der italienische Faschismus.
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3 . 3 . 1 . Das antitotalitäre Paradigma Traditionell nahmen die Heidelberger Universitätslehrer in ihren Publikationen eine sehr distanzierte Haltung zum Rechtsextremismus ein, den sie als eine Form der Gewaltherrschaft ablehnten und in der Regel in einem Atemzug mit dem Bolschewismus oder dem Anarchismus nannten. 127 Das vielzitierte, aber politisch isolierte Gegenbeispiel bildet der Physikordinarius Lenard. 128 Erst angesichts des Scheiterns der Weimarer Republik brach die Front fast einhelliger Ablehnung der völkisch-nationalsozialistischen Ideologie und Politik auf. Nur noch der linke Flügel innerhalb des Lehrkörpers (Sozialisten und ein Teil der Liberalen) hielt am antitotalitären Paradigma fest.129 In der Mitte und rechts wurden etwa seit 1930 der Faschismus und seit 1933 auch der Nationalsozialismus salonfähig. Die interessanteste Analyse des faschistischen Denkens aus dem Lehrkörper stammt von Mannheim. Sie läßt sich auf den Nationalsozialismus übertragen, obwohl sie bereits vor dessen Aufstieg entstand. Mannheim hing dem traditionellen antitotalitären Paradigma an, wenngleich er die Ähnlichkeit zwischen »der extremen Rechten und Linken« auf deren Herrschaftsmethoden einschränkte. Im übrigen sah er den Faschismus als eigenständigen, »im wesentlichen aktivistischen und irrationalistischen« Denkstil an und grenzte ihn insbesondere gegen den Konservativismus ab. In der »intuitionistischen Theorie« des Faschismus leuchte »eine Tiefenschicht des noch von der Historie unerfaßten und vielleicht auch unerfaßbaren Irrationalen« auf, »die Sphäre der ganz dumpfen vitalen Instinkte«. Die »faschistische« Geschichtsauffassung stellte für Mannheim gewissermaßen das Spiegelbild der marxistischen dar: »Hatte der Marxismus allzu scharf den rein strukturellen Untergrund im politischen und historischen Gebiet gesehen und überbetont, so wendet sich der Blickpunkt des faschistischen Welterlebens und Denkens auf das Unstrukturierte im Leben, auf jene noch immer vorhandenen und bedeutungsvoll werdenden ›Augenblicke‹ der Krisensituation, wo die Klassenkräfte gleichsam aufgelockert und in Verwirrung geraten sind.« Genau in jenen Krisensituationen, in denen »die evolutionären Methoden des gesellschaftlichen Kampfes nicht mehr ausreichen«, habe eine »faschistische« Revolution Erfolgsaussichten. Auch dem Leninismus attestierte Mannheim, im Gegensatz zum Marxismus, »einen faschistischen Einschlag«. 130 Mannheims Faschismustheorie hinterließ in der politischen Publizistik seiner Kollegen keine sichtbaren Spuren. Sie war wohl zu eigenständig. Das bedeutet aber nicht, daß sie nicht zur Kenntnis genommen worden wäre. Obwohl Mannheim nur Privatdozent war, hatte er doch Zugang zu den liberalen Zirkeln der Heidelberger Gelehrtenkultur, und man kann davon ausgehen, daß dort über »Ideologie und Utopie« heftig diskutiert wurde. Jedenfalls widmete einer der diese Kultur prägenden Ordinarien, Ernst Robert Curtius, Mannheims Buch bereits im Erscheinungsjahr 1929 eine scharfe Kritik. Er schalt es einseitig soziologisch 269 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
(»soziologistisch«), destruktiv, relativistisch, letztlich unwissenschaftlich und sah in ihm Munition für die »rechtsrevolutionäre« Opposition gegen die Republik, die Curtius verteidigte. 131 Mannheims Faschismus-Analyse war dem Nationalsozialismus weitaus adäquater als die im unzulänglichen marxistischen Schema, in kleinbürgerlichen Vorurteilen oder in Biologismen verhafteten Erklärungsversuche anderer sozialistischer Gelehrter. Für Radbruch etwa war die nationalsozialistische Bewegung »eine tiefe psychische Volkserkrankung« und Folge einer an »den Unverstand der Massen« gerichteten Demagogie. Gumbel bezichtigte die Mitglieder rechtsextremer Geheimorganisationen »sexueller Anomalien«, worunter er unter anderem Homosexualität verstand. Sie seien »im Grunde merkantil eingestellt und feige«, dumm und irrational. Die Anhänger der Nationalsozialisten waren für ihn »kritiklos« und folgten »den niedrigsten, gewaltätigsten Instinkten«. Ihnen sei »die Hirngrütze verseucht«. »Hitler ist ... ein Mensch, unfähig einen eigenen Gedanken zu haben, aber gerade darin liegt seine Stärke.« Lederer sah etwas differenzierter im Faschismus »soziale Romantik«, die für die »kapitalistischen Zwischenschichten« der Angestellten und Beamten charakteristisch sei und der »sich der sozial bedrohte Kapitalismus, wenngleich zögernd, in die Arme wirft«, um das Proletariat zu beherrschen. 132 Die meisten sozialistischen Gegner Hitlers nicht nur innerhalb des Heidelberger Lehrkörpers haben ihn und seine Anhänger unterschätzt und nicht ernstgenommen. Radbruch etwa hielt es nicht für möglich, daß die Nationalsozialisten ihre radikalen und unerhörten Ankündigungen in die Tat umsetzen würden. Den Entwurf eines »Gesetzes zum Schutz der deutschen Nation« vom 12. März 1930 mit seinen zahlreichen Todesstrafen für nach nationalsozialistischer Ansicht volksund vaterlandsfeindliche Gesinnungsäußerungen« etwa schätzte er als »gleichermaßen lächerlich und entsetzlich« und als reines »Propagandamittel« ein. 133 Ein Beispiel für das Festhalten am traditionellen Paradigma ist die vom Zeitgeist völlig unbeeinflußte Apologie des liberalen Rechtsstaates, die der Mannheimer Richter und nebenberufliche Privatdozent Friedrich Darmstaedter 1930 publizierte. Für ihn gehörten zu den Gemeinsamkeiten von Faschismus und Bolschewismus der Rekurs auf die Hegeische Staatsphilosophie, die »Verquickung von Verfassungssicherung und Wohlfahrtsfürsorge« und die »Heraushebung der Exekutive aus der Balancierung« der Gewaltenteilung. Speziell liege »die Tendenz zur Zentralisation ... und zur Unterdrückung alles Freiheitsstrebens der Individuen im Wesen des faschistischen Staates.« Der Ordinarius Hoffmann zählte 1931 »drei Formen des Willens zur Unfreiheit« auf, nämlich »Bolschewismus, Faschismus und Klerikalismus«. 134 Er bezog sich damit auf einen Erklärungsansatz von Jaspers: Angesichts der Unübersichtlichkeit des »geschichtlichen Ganges« in der Moderne würden vielen Menschen »Faszismus und Bolschewismus wie Auswege zu leichterer Möglichkeit« erscheinen: »Man kann wieder einfach 270 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
gehorchen und alles Handeln einfach dem Einen überlassen, der das R e g i ment sich erobert hat. Diese Formen weltlicher Diktatur sind Ersatz für die Autorität; aber sie sind es um den Preis des Verzichts fast aller, selbst zu sein.« 135 Jaspers' Skepsis der Demokratie gegenüber und seine Forderung nach mehr Elementen autoritärer Herrschaft hatte also nichts zu tun mit Sympathie für den Faschismus oder gar den Nationalsozialismus. Er plädierte für den schwierigen und schmalen Weg des »Selbstseins«, das die modernen Ungewißheiten und Widersprüchlichkeiten aushält, ohne Ersatzautoritäten zu benötigen. Ebensowenig darf Alfred Webers Plädoyer für eine »unegalitäre Führerdemokratie« verwechselt werden mit Sympathie für den Nationalsozialismus. Weber wollte lediglich durch die stärkere Anerkennung der Unterschiede, »die in der Formation des Daseins selber liegen«, die Demokratie fortentwickeln. Die faschistischen und nationalsozialistischen Zielvorstellungen hielt er für »konservativ«, da beide »autoritaristisch fundiert« seien. »Autoritarismus« sei jedoch »nicht identisch mit Autorität.« Diese müsse »die Spitze, ja müssen die Zwischenglieder jedes ... Lebensgebildes haben.« Unter »Autoritarismus« jedoch verstand Weber, daß man die notwendigen Autoritäten »der Nachprüfung durch die Glieder des Körpers entzieht.« Diese Abkehr vom Prinzip der Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit bedeute die »geistige Entmannung aller, die nicht bereit sind, ihr selbständiges Urteil zu opfern als Preis ihrer Mitregierung.« Ein solches Kommandiersystem gehöre »in die Polizei, nicht in die Politik.« 136 Trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten, die in der Kritik an der Weimarer Republik und in der Perspektive einer autoritäreren Demokratie bestanden, gab es also einen entscheidenden Unterschied zwischen Jaspers, Weber, Hoffmann, Darmstaedter usw. und der anderen, aus dem Heidelberger Liberalismus hervorgegangenen politischen Richtung, die den Nationalsozialismus als Schritt in die richtige Richtung ansah. Erstere hielten an den individuellen Freiheiten und am Rechtsstaat weitgehend fest, während letztere sie als dem Wohl des Volkes und der Nation gegenüber nachrangige Größen ansahen. Die entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus innerhalb des Lehrkörpers machten sich bereits seit 1930 keine Illusionen darüber, daß eine nationalsozialistische Machtübernahme den »gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung« bedeute, auch wenn die NSDAP »neuerdings« versuche, »die letzten Parteiziele einigermaßen zu verschleiern und die Entschlossenheit zur Anwendung illegaler Kampfmethoden weniger sichtbar werden zu lassen« (Anschütz 137 ). Radbruch erwartete, daß die Nationalsozialisten sich nicht an die Legalität halten würden und nach einer Machtübernahme »ohne Befragung des Volkes die Staatsgewalt in die Hände der SA« gelangen werde. 138
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3.3.2. Sympathie aus den liberalen Reihen Auch im Verhältnis zum Nationalsozialismus läßt sich der schroffe Bruch im ehemals recht homogenen Lager des Heidelberger akademischen Liberalismus am besten an der fortlaufenden Kommentierung durch Hellpach verdeutlichen, der bis 1930 Parteifreund von Anschütz und mit diesem und Radbruch im Weimarer Kreis war. Bereits 1929 hatte er, analytisch durchaus zutreffend, aber mit unverhohlener Sympathie, den »deutschen Faschismus« als »ersten vollbewußten Pragmatismus von Stil auf dem europäischen Festland« bezeichnet, der in Deutschland die Sympathie für den britischen Pragmatismus abgelöst habe. Nach dem großen Wahlerfolg der NSDAP im September 1930 glaubte Hellpach: »Der Nationalsozialismus [will] das volksherrschaftliche Prinzip gar nicht im Kerne antasten... Er hat über Nacht gemerkt, daß er mit den demokratischen Einrichtungen ausgezeichnete politische Geschäfte macht«. 139 Er ließ sich in dieser Einschätzung von den folgenden Ereignissen nicht irremachen. Noch am Vorabend der Wahl vom 5. März 1933 war er überzeugt: »Die Nationalsozialisten haben nun einmal die Mehrheitsideologie adoptiert.« Sie verträten »eine vielleicht widerspruchsvolle, aber ehrliche Dogmatik, die zu jener des italienischen Faschismus sich ähnlich distanziert verhält, wie die Blut- und Rassendogmatik einen durchaus wesentlichen Unterschied des deutschen Nationalsozialismus von der Staats- und Nationallehre des Faschismus offenbart... Keinesfalls würde es für Hitler einfach sein, sich von der Mehrheitsideologie loszumachen. Der deutsche Nationalsozialismus ... ist nicht bloß ›volkstümlich‹ in dem Sinne, wie es auch Minoritäten und ein einzelner sein kann ..., sondern er zeigt einen ganz eminent demokratischen Einschuß, nicht im formalen Sinne, in der er ja die Demokratie verwirft, aber im sehr realen Sinne, in dem sich eben seine immanente Demokratie schon als Mehrheitsstreben, als Wahlmehrheitsstreben durchgesetzt hat... Dieses demokratische Fluidum (der Nationalsozialismus ist tatsächlich die erste klassenlose Volksbewegung in Deutschland, die Arbeiter und Prinzen, Bürger und Studenten, Reiche und Bettelarme einfach in Reih und Glied stellt) unterscheidet Hitler sehr wesentlich von Hugenberg, auch von Papen und von Seldte. ... Die liberalen, demokratischen und sozialistischen Elemente in Deutschland können leicht und bald vor der Alternative stehen, zwischen einem volkstümlichen und einem honoratioren Machtstaat die Wahl zu treffen.140 Bei der Interpretation dieser Analyse ist zunächst zu berücksichtigen, daß Hellpach als Demokratie jede »Staatlichkeit« definierte, die »von den Massen ihre Legitimation als Staatsgewalt« beziehe. Ein demokratisches System mußte also für ihn keineswegs parlamentarisch verfaßt sein und konnte jedenfalls »autoritaristisch« im Sinne Alfred Webers sein, da er nur demokratische Legitimation, nicht jedoch demokratische Kontrolle forderte. Das »demokratische Fluidum«, das Hellpach der NSDAP attestierte, hatte also mit einem liberalen Demokratiebegriff wenig gemein. Eher schon spiegelte es die Ratlosigkeit und den kaum verhohlenen Neid der marginalisierten 272 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Liberalen dieser erfolgreichen Massenbewegung gegenüber, der - wie Hellpach voll Bewunderung konstatierte - »riesenhaftesten politischen Partei«, die »es in Deutschland überhaupt jemals gegeben hat.« Zudem ist bemerkenswert, wo Hellpach die NSDAP im politischen Spektrum verortete. Von seinem eigenen »demokratischen« Standpunkt aus »diesseits« des Faschismus und des alten Konservativismus á la DNVP Damit stand er in der zeitgenössischen politischen Diskussion nicht allein. Die NSDAP selbst stützte solche Einschätzungen, wenn sie etwa mit der DNVP darüber stritt, wer im Reichstag rechts außen sitzen müsse. Hellpachs Sympathie für die NSDAP wie überhaupt sein Hang zum Populismus resultierten vor allem aus dem in der gelehrten Ideologie verbreiteten Drang nach Einheit zwischen Eliten und Volk sowie innerhalb des Volkes selbst. Die Demokratie hatte in seinen Augen und für viele seiner Kollegen diese Integrationsleistung nicht erbracht. So konnte die NSDAP zum neuen Hoffnungsträger werden. Wenn Hellpach auch in seinem, am Vorabend der Reichstagswahl vom 5. März 1933 geschriebenen Artikel denjenigen, die wie er »an keine der vier dogmatischen Parteien« (NSDAP, Zentrum, SPD, KPD) gebunden waren, keine Wahlempfehlung gab, war für ihn die NSDAP doch kein unbedingter Gegner, sondern für Liberale, Demokraten und Sozialisten unter Umständen gar das kleinere Übel, weil er glaubte, daß die Nationalsozialisten sich an das Mehrheitsprinzip halten würden, also die Macht nach einer entsprechenden Wahlentscheidung wieder abgeben würden. Verbleibende Bedenken gegen die NSDAP stellte er aus bildungsbürgerlich-kulturpessimistischer Begeisterung für das Volkstümlich-»Unverbildete« zurück. »Die überkommenen Kulturgüter scheinen bei einer honoratioren ›Rechten‹ ... besser aufgehoben zu sein als im Zeichen rücksichtsloser, stürmischer und fast ganz irrational gesinnter Volksbewegungen. Aber ... das gilt nicht ebenso für das Schöpferische. Denn dieses kann immer nur aus dem freien, strömenden, wenn auch noch so ungebärdigen ja ungeschlachten Leben des unverbildeten Volkes seine Kräfte ziehen.« 141 Dieser Artikel mit dem bezeichnenden Titel »Fragezeichen« exemplifiziert die tiefe Verunsicherung und die daraus folgende Ambivalenz vieler gebildeter Liberaler im Verhältnis zum Nationalsozialismus. Hellpach, der dem Faschismus ideologisch viel näher stand als dem Nationalsozialismus, dessen Biologismus und Rassismus er ablehnte, zog das Volkstümlich-Radikale honoratiorem Konservativismus und Faschismus vor und sah darin die Chance zur Verwirklichung einer »konservativen« bzw., wie er in Anpassung an den Zeitgeist nun formulierte, »autoritären« Demokratie. Dies ist typisch für die Abkehr vieler Gelehrter von traditionellen politischen Haltungen. Sie ordneten ihre eigenen Idealen quasi demokratisch dem Mehrheitswillen unter. In Hellpachs Bericht über eine Tägung in Italien, an der auch Weber teilgenommen hat, hieß es im Januar 1933: »Es wäre uns vermutlich wohler, der deutsche Nationalismus ... hätte mehr vom italienischen Fa273 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
schismus gelernt als ein paar Gesten und die irreale Sehnsucht nach einem deutschen Duce.« Vor allem die Atmosphäre in der Nähe Mussolinis, den er als »verläßlich« und »vernünftig« beurteilte, hatte es Hellpach angetan. Sie sei »durch die Abwesenheit jeder formalen Servilität« gekennzeichnet, wie es in Deutschland ansatzweise nur bei Ebert, den Hellpach neben Stresemann von allen Weimarer Politikern nach wie vor am meisten schätzte, der Fall gewesen sei. In Italien sah Hellpach »ein politisches Novum des 20. Jahrhunderts ..., nämlich die zivilautoritäre Elite, eine Volksauslese von bürgerlicher Haltung bei herrschaftlicher Geltung... Es wird die allein mögliche Grundhaltung einer konservativen Demokratie sein.« Hellpach sah im italienischen Faschismus erste Ansätze seiner eigenen politischen Utopie verwirklicht. Die Demokratie könne »für ihre Bewahrung das Entscheidende oder wenigstens sehr Wichtiges aus dem Experiment des Fascio lernen«, besonders das »Bekenntnis zum Primat des Geistes«. Diesen auch in Deutschland wiederherzustellen, erschien zahlreichen Kritikern gerade aus dem universitären Milieu vorrangig, die die Weimarer Republik unter einem Primat der Wirtschaft und bornierter Interessenvertreter stehen sahen. Hellpach bewunderte am Faschismus auch unverhohlen, daß er »revolutionär die Macht ergriffen« habe und nicht wie die bereits allzu sehr parlamentarisierte NSDAP »auf eine 51-prozentige legale Sicherheiten für die Realisierung seiner ›Revolution‹« warte. Aber Hellpach betonte zugleich, daß der Faschismus »kein Modell autoritärer Demokratie« sein könne, da er wie der »aufgeklärte Despotismus« »nur volkstümlich, nicht demokratisch« sei.142 Sympathiekundgebungen für den italienischen Faschismus waren unter den Liberalen im Heidelberger Lehrkörper nichts Neues. Man lobte seine Volksnähe, Effektivität und Sachlichkeit, sah ihn als Weg zur Disziplinierung und Verbürgerlichung des italienischen Volkes und zur Verhinderung des Bolschewismus. Aber er galt bis Anfang der dreißiger Jahre immer als spezifisch italienischer Weg. 143 So schloß etwa Weber 1925 eine »Faschisierung« Deutschlands wegen des »aufgeklärten Selbstbewußtseins« der Deutschen und der »antiautoritären städtischen Arbeiterschaft« aus. Auch Hellpach hielt aus ähnlichen Gründen eine Kopie des Faschismus in Deutschland noch im September 1930 gerade wegen der nationalsozialistischen Wahlerfolge für ausgeschlossen. Der »entsprechende Despot« fehle. »Nichts zeigt die jüngste Wahl so evident, wie die Gleichgültigkeit der Wählermassen gegen die sogenannten Persönlichkeiten.« Die Wähler hätten die KVP, mit der Hellpach sympathisierte und die in ihren Reihen seiner Ansicht nach mit Prof. Hoetzsch und dem Ex-General Lettow-Vorbeck die potenteren »Führer« hatte, »unbekümmert durchfallen lassen und ihnen hundert namenlose Unteroffiziere des nationalsozialistischen Korps vorgezogen... Man hält vergebens Ausschau nach einem ›starken Mann‹, den die Wähler auserkoren hätten.« 144 Mit der zunehmend auswegloser erscheinenden Krise der Republik gewann das italienische Modell an Attraktivität. 1931 stellte 274 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Weber den Faschismus ausdrücklich über den als »Vulgärfaschismus« bezeichneten Nationalsozialismus. 1932 erkannte er nach einem Italienaufenthalt an, daß »die korporativ-gewerkschaftliche Idee des Faschismus einige wirklich grundlegende Erfordernisse der neuen sozialen Physiognomie Europas« löse. In der »Abkehr von der numerischen Repräsentation durch Parteien« sah er Parallelen zu seinem eigenen Konzept einer »neuen Demokratie«, die er nun auch, wie bereits Hellpach, mit einer in der damaligen politischen Diskussion äußerst beliebten Formel als »autoritäre Demokratie« bezeichnete. 145 Und er lobte die »männliche - ich möchte sagen: faschistische — Zusammenarbeit« sehr verschiedener Männer aus verschiedenen Nationen auf dem auch von Hellpach besuchten Kongreß. 146 Anders als bei Hellpach und anderen hat Webers positivere Bewertung des Faschismus nichts an seiner bis zur offenen und öffentlichen Widersetzung reichenden Ablehnung des Nationalsozialismus geändert. 147
3.3.3. Skepsis bei den Konservativen Entgegen der nach 1945 verbreiteten Gleichsetzung von Faschismus und Nationalsozialismus versuchten in der zeitgenössischen Diskussion nicht nur Liberale und ehemalige Liberale die Nationalsozialisten durch Verweis auf den Faschismus zu beeinflussen. Umgekehrt distanzierten sich Jungkonservative und Nationalsozialisten vom italienischen Weg. Dies war vom völkischen Sonderwegsstandpunkt aus nur konsequent. »Es [wäre] geschichtsfremdes und volksfremdes Denken, faschistische Ideen und Formen, die nie den romanischen Ursprung verkennen lassen, auf den deutschen Volksboden und die andere geschichtliche Situation Deutschlands ... übertragen zu wollen«, schrieb der Theologe Wendland. »Die Idee des Reiches [ist] von anderem Baugesetz als die neuen politischen Systeme des Faschismus und des Bolschewismus.« Ihm erschien der Faschismus als »Fortsetzung und Erneuerung des antiken Begriffs des Imperium ...: der Staat wird, inkarniert in dem höheren Sein des Führers oder Monarchen, als Heros und Mensch-Gott verehrt im Gegensatz zum Erlösungsglauben des Christentums... Der Faschismus kennt nicht den deutschen Begriff der körperschaftlichen Selbstverwaltung und Freiheit im Herrschaftsverbande, das Element des Genossenschaftlichen, die in der Idee des Reiches geradezu notwendig mitenthalten sind.«148 Die jungkonservative Faschismus-Kritik traf sich sogar mit der demokratischen und sozialistischen, wenn sie »Züge des Cäsarismus und des zentralistischen Einheitswillens« monierte. Zur Analyse des Nationalsozialismus steuerten die konservativen Heidelberger Universitätslehrer nichts Neues bei. Ihre Kommentare waren einerseits geprägt von neidvollem Erstaunen über die »größte geschichtliche Partei«, diese »gewaltig anschwellende »Millionenbewegung«, die »spontanen Widerstand gegen die Intellektualisierung und Rationalisierung des 275 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Daseins« leiste. 149 Andererseits übten sie Detailkritik. Wendland störten die Theorie vom ›totalen Staat‹, die eine »Rückkehr zum heidnisch-antiken Staatsgedanken« bedeute, gegen die sich Christen »zur Wehr setzen« müßten, die »Diesseitigkeit« des Nationalsozialismus und sein »ganz primitiver utopischer Entscheidungsglaube«. Wie Hellpach und andere ehemalige Liberale standen auch christlich-jungkonservative Hochschullehrer dem Nationalsozialismus mit zwiespältigen Gefühlen gegenüber. Einerseits fühlten sie sich ihm verbunden im »leidenschaftlichen Willen zur Nation und zur Erneuerung, [im] Ernstnehmen der sittlichen Forderung, die Volk und Staat für uns bedeuten«. Andererseits sahen sie »Weltanschauungselemente, denen der Glaube widersprechen muß, wenn er nicht Verrat am Evangelium üben will, Elemente, die aus dem Diesseitigkeitsglauben der Neuzeit stammen, seien sie nun mehr mystischer oder mehr moralischer Natur.« Insbesondere die Rassenlehre sei »nichts weiter als die Anwendung des naturalistischen Denkens vom Ende des 19. Jahrhunderts auf das politische Gebiet«. Sowohl ihre mystischen wie ihre »aufklärerischen« Elemente ständen im Gegensatz zum »biblisch-reformierten Christentum«. 1931 forderte Wendland von der NSDAP: entweder gebe sie ihre Absolutheitsansprüche und die Rassenlehre auf und lasse ihre »Ideen von Volk und Staat durch das Evangelium begrenzen, oder es findet eine Trennung zwischen Christentum und nationaler Bewegung statt«. Dies allerdings und hierin dürften die Ursachen dafür liegen, daß dieser Ankündigung später keine Taten folgten,- wäre »die Tragödie des 20. Jahrhunderts. Dann wäre ... die innere Auflösung unseres Volkes besiegelt.« 150
3.4. Paradigmenwechsel 1933 Angesichts der geringen Begeisterung, die sich allein auf die imposante Größe der nationalsozialistischen Bewegung bezog, und der von allen sich äußernden Heidelberger Universitätslehrern zugleich geübten Kritik insbesondere am Rassismus müssen die Welle der geradezu hymnischen Lobgesänge auf Hitler und den Nationalsozialismus nach 1933 und das gleichzeitige fast völlige Verstummen jeglicher Kritik erstaunen. Ist letzteres mit dem von den neuen Machthabern ausgeübten Druck zu erklären, so kann ersteres nur als opportunistisch bezeichnet werden. Fast alle, die sich nun emphatisch zum neuen R e g i m e bekannten, hatten sich vor 1933 nie politisch geäußert. Mehrheitlich handelt es sich um jüngere Dozenten, die, soweit sie bereits früher Nationalsozialisten gewesen waren, es für opportun gehalten hatten, dies nicht öffentlich kundzutun, oder es angesichts der veränderten Lage nun für richtig hielten, Begeisterung zu zeigen. Während ein erheblicher Teil der politisch aktiven Hochschullehrer den nationalsozialistischen Säuberungen zum Opfer fiel, pries ein großer Teil der Verbliebenen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, plötzlich öffentlich 276 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Hitlers »gigantisches Wollen seit 1919«. Jellinek lobte dessen »politischen Weitblick, seine Energie, seine Kunst, gleichgesinnte Mitarbeiter zu gewinnen, seine seltene Organisationsgabe, seine Fähigkeit als Redner auf große Massen zu wirken, kurz sein Genie, aber auch die Schlichtheit seines Wesens, die ihn zum richtigen Volksmann und geliebten Führer seiner Getreuen gemacht hat.« Hitlers machtvolle Persönlichkeit hatte für den Ordinarius für Physiologie Broemser die vielbeklagte innere Zerrissenheit »aus Deutschland gefegt«. Fehrle zog alle Register, um Hitlers Volkstümlichkeit herauszustreichen: »Wir alle würden es als sinn- und sprachwidrig empfinden, wenn jemand sagen wollte, Adolf Hitler imponiere dem deutschen Volk. Unser aller Verhältnis zu ihm ist viel zu herzlich... Das sagt uns das Herz, das ist Empfinden der deutschen Volksseele. Begründet ist dieses Empfinden in der Tatsache, daß wir früher regiert wurden, heute aber geführt w e r d e n . « 1 5 1 Güntert rechtfertigte mit spürbarer Befriedigung auch die Unterdrückung politischer Gegner, indem er Hitler mit einem Arzt verglich, »der in der äußersten Krise die Eiterbeulen aufschnitt, bevor die tödliche Blutvergiftung eingetreten war.« Heidelberger Gelehrte gaben nach der nationalsozialistischen Machtübernahme offen und teilweise in karssem Widerspruch zu ihren früheren Äußerungen ihrer Freude über die Zerschlagung des Liberalismus und die Überwindung des Pazifismus Ausdruck. Sie begrüßten nun den Heroismus der nationalsozialistischen Ideologie: »Hitler zertrümmerte den alten Liberalismus und schuf in seinen braunen Bataillonen die Vorkämpfer für den wahren Sozialismus, hieß uns das Leben wieder einsetzen für eine Sache, die des Sterbens wert ist.«152 Schmitthenner hypostasierte »Hitlers gewaltige Schöpfung der SA und SS« zum Kern der »innerpolitischen sozialen Volksgemeinschaft Deutschlands«, deren »soldatischer Charakter im geistigen Sinne« - eine aus dem Munde eines Professors schier unglaubliche Wendung — »trotz schärfster Verfolgung durch die marxistischen Regierungen ... unüberwindbar« 153 gewesen sei. Man feierte nach dem Paradigmenwechsel, den der Beginn des Dritten Reichs in den Publikationen Heidelberger Hochschullehrer markiert, nicht nur Hitler, sondern ebenso die NSDAP als Verheißung der ersehnten Einheit des Volkes, da sie das Parteiensystem überwänden. War bereits vor 1933 die Selbststilisierung der NSDAP als »Bewegung« und nicht als Partei übernommen worden, so akzeptierte der Theologiedozent Duhm gar den Anspruch der NSDAP, »nicht mehr eine Partei, sondern das Volk ...ja selbst die neue Kirche zu sein«.154 Sein Kollege Odenwald unterwarf sich bereitwillig dem »nationalsozialistischen Totalitätsanspruch an unser Leben« und den Implikationen der nationalsozialistischen Ideologie. Wenn er bekannte, er sei »inne geworden, daß wir in Blut und Boden verkettet, gebunden und umgriffen sind«, verriet die Terminologie das Ausmaß der intellektuellen Selbstpreisgabe und die radikale Absage an einen liberalen Freiheitsbegriff. Er gelobte weiter, »nicht nur zum nationalsozialistischen politischen Regiment Ja zu sagen, sondern auch die 277 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nationalsozialistische Revolutionierung des gesamten Lebensbereiches zu wollen und den nationalsozialistischen Aufruf zur Lebensgestaltung aus Ehre und Freiheit zu hören und zu tun.«155 Den Gipfel des in all diesen Äußerungen zutagetretenden sacrificium intellectus stellten Versuche dar, die Identität von Nationalsozialismus und »Geist« zu behaupten, etwa wenn der Medizinprofessor Stein sich mit einer geschraubten Tautologie dagegen verwahrte, »man müsse dem Nationalsozialismus den Geist aufopfern. Der Nationalsozialismus wird getragen vom wahren Geiste. Wo eine Bewegung den Menschen im Menschen bewegt, da ist Geist. Wir kämpfen nicht gegen den Geist, wenn wir jene Weltanschauungen bekämpfen, die unser Volk zersetzt haben.« Der Privatdozent für bürgerliches Recht Heinz Hildebrandt sah den Nationalsozialismus als »eine von höchsten Idealen getragene Weltanschauung«, die zugleich mit »unerbittlicher verstandesnüchterner Folgerichtigkeit« alles »vom Blickfeld der heldischen Weltanschauung her durchleuchtet«. 156 Immer wieder wurde so implizit der Antiintellektualismus der NSDAP bestritten. Insbesondere Historiker stellten die abwegigsten Bezüge zur deutschen Geschichte her, um dem »jungen sozialistischen Nationalismus« 137 Legitimation zu verleihen: In Hitlers »Seele« habe sich »der deutsche Sozialismus von 1914 geflüchtet, zusammengeballt, zur Organisation gewandelt und zu ungeheurer Kraft gesteigert.« Diese »fortreißende Bewegung« sei »nächst der Reformation die größte, welche die deutsche Geschichte kennt. Und wieder war es ein ganz schlichter Mensch [wie Luther], der aus tiefer Verbundenheit die Nation wachrüttelte.« 158 Oder man griff ganz weit zurück: »Die Idee des Nationalsozialismus in ihren tiefsten Wurzeln ist so alt wie das deutsche Wesen selbst. Daß sie einmal verwirklicht werden mochte in einer wahren Volkseinheit, war die ungestillte Sehnsucht aller Geschlechter vor uns ..., bis einer kam, der aus dem Volke selbst aufstieg und nichts für sich wollte, sondern alles wieder für das Volk.«159 Jellinek, Glockner und Lenard lobten und unterstützten ausdrücklich auch die nationalsozialistische Hochschulpolitik. 160 Brinkmann hob hervor, der Nationalsozialismus habe endlich »die Wirtschaftstheorie aufgeweckt«. So blieb nicht einmal die eigene Wissenschaft blieb von dieser totalen verbalen Unterwerfung ausgenommen. Ein Jurist definierte in einer wissenschaftlichen Publikation: »Recht ist, was dem deutschen Volk nützt, Unrecht, was ihm schadet« und bezeichnete sich selbst als »unermüdlichen SA-Mann der deutschen Rechtsfront«. Die einzige im Amt verbliebene Hochschullehrerin ernannte »die deutsche Zahnärztin« zum »biologischen Soldat des Staates«. Ein Germanist charakterisierte den Deutschen Germanistenverband als »einen ersten Kampfbund für deutsche Kultur«, und ein Prähistoriker verwies anerkennungheischend auf die Nähe seiner Disziplin zur völkischen und später nationalsozialistischen Bewegung. 161 Es gab kaum ein Klischee der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda, das nicht von Heidelberger Universitätslehrern aufgegriffen wor278 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
den wäre. Die auffälligste inhaltliche Gemeinsamkeit bildeten die zahlreichen religiösen Konnotationen, die für den völkisch-nationalsozialistischen Irrationalismus charakteristisch waren. Bereits Paul de Lagarde hatte solche Argumentationsmustern verwandt. 162 Die religiöse Ummantelung ihrer Begeisterung mag die rückhaltlose Unterwerfung gebildeter Menschen unter die krude und zusammengewürfelte »Weltanschauung« der NSDAP und das »Pfingsterlebnis« erklären, das vielen bis dahin in politischen Fragen Sprachlosen, darunter überraschend viele Mediziner, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme plötzlich zu politischer Artikulationsfähigkeit verhalf. Hitler übernehm in den Augen der Bildungselite die Rolle des seit dem Abgang Bismarcks schmerzlich vermißten charismatischen Führers. »Unser Führer Adolf Hitler, das menschgewordene deutsche Volk« (Broemser), war vielen im Lehrkörper ein »begeisternder Erwecker« des »osterbereit schlummernden« »deutsch-heldischen Wesens« (Schmitthenner), dem »die Massen in gläubigem Vertrauen folgten« (Andreas), der die »Zerrissenheit überwunden« habe (Broemser), »das Sehnen des deutschen Volkes erfüllte« (Fehrle) und es »vom Sturz in die Höllentiefe« zurückriß, aus der ihm »schon die roten Flammen des kommunistischen Chaos entgegenzüngelten« (Güntert). 163 Die nationalsozialistische Bewegung, zu der man sich ebenso wie zu Hitler »bekannte«, an die man »glaubte«, wurde zur »Heilsverkündung der Arbeit und des Friedens« (Schmitthenner). Auf sie projizierten viele Heidelberger Hochschullehrer ihre überhistorischen Erlösungserwartungen. Das Hakenkreuz galt Fehrle als »Heilszeichen des neuen Reiches«. Es sei »wie ein Stern, der uns den Weg weist ... zum Licht und zum neuen Glauben ... und zur Hoffnung«. Der »nationalsozialistische Glaube« versetze »wirkliche politische, weltanschauliche Berge« (Odenwald). 164 Der Historiker und Rektor Andreas bemühte 1933 ein Bismarckzitat und sah erneut »den Mantel Gottes« rauschen. »Und wenn es uns gelingen sollte, auch nur einen Zipfel des Gewandes der Gottheit zu erfassen, dann haben wir nicht umsonst gekämpft.« 165 Bereits 1924 waren Lenard Hitler und Genossen als »Gottesgeschenke« erschienen; Fehrle dichtete zehn Jahre später in Anlehnung an ein Lied der Jugendbewegung: »Gott hat den Führer gesandt/er hat den Kummer gewandt/... wir dürfen wieder Glauben haben«. 166 Das Jahr 1933 brachte wie hinsichtlich der Beurteilung des Nationalsozialismus oder den Forderungen nach Revision des Versailler Vertrages auch einen schlagartigen Paradigmenwechsel in der Bewertung von Weimarer Verfassung und Republik. Vorwiegend Dozenten, die vorher politisch abstinent gewesen waren, entpuppten sich plötzlich als schärfste Kritiker der Republik. In der Rückschau erschien sie, um nur einige Beispiele zu nennen, als »alt und verbraucht« (Duhm), »kleinbürgerlich« oder »unerträglich beengt und bedrückend« (Hellpach). 167 Diese »Republik von Feindes Gnaden, das Weimarer Zwischenreich« (Teske) sei »ein Rangierbahnhof wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Machtgruppen-Interessen« (Wend279 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
land; ähnlich Hildebrandt und Dahm) gewesen, »eine Versicherungsgesellschaft zur Konservierung der Artfremden und des Partikularismus« (Schmitthenner) bzw. »ein klassenkämpferisch aufgezogener Parteienstaat« (Broemser), beherrscht von den »ewig Mittelmäßigen« (Hildebrandt), »zersetzt und überfremdet« von »rassefremden Leuten« (Groh, Fehrle) sowie schlicht »impotent« (Teske).168 Für Schmitthenner stellte sich die Weimarer R e p u blik nun dar als »eine Welt des Irrsinns, des Verbrechens und der Schande. Aus dem Deutschland der völkischen Eigenart war das Deutschland des westlichen Abklatsches geworden, aus dem Deutschland des heroischen Stolzes ein Deutschland der Unterwürfigkeit. Verwesungsgeruch lag über dem Land.« Auch Andreas spitzte seine Kritik nach der »Machtergreifung« zu: »Die Unzulänglichkeit der Menschen, die Eigensucht der Parteien und Wirtschaftsgruppen, die Leidenschaften und Lügen der Klassenkämpfe hatten Reich, Länder und Gemeinden zum Tummelplatz eines verblendeten Treibens aller gegen alle gemacht... Die unreinen und unvermögenden, die staatszerstörenden und volksfremden Gewalten der parlamentarischen R e gierungsweise [verrieten] immer sichtbarere Spuren des Niederganges.« 169 Insbesondere die Betonung der völkischen Komponente, die sich im permanenten Hinweis auf den schädlichen Einfluß »volksfremder Gewalten« äußerte, war in dieser Massierung neu in den politischen Publikationen der Heidelberger Hochschullehrer.
3.5. »Nationale Revolution« und Drittes Reich 3.5.1. Die positive »Revolution« Ganz im Gegensatz zur perhorreszierten Novemberrevolution und zur Angst vor einer künftigen Revolution, der sie vor 1933 Ausdruck gaben, 170 konnten zahlreiche Heidelberger Gelehrte die nationalsozialistische Machtübernahme als »nationale Revolution« bezeichnen, ohne daß dabei nennenswerte Ängste freigesetzt wurden. Im Gegenteil war die Rede von »dem schönen Augenblick des Kampfes und der Umwälzung«, der revolutionäre »Ansturm« berechtige »zu kühnen Hoffnungen«. »Unsre und unsrer Kinder Zukunft« hänge »davon ab, ob es glücken wird, ein träumendes Volk in revolutionärem Angriff zum Leben emporzureißen.« 171 Wendungen dieser Art sind umso bemerkenswerter, als die Novemberrevolution für die meisten von ihnen, da sie sie nicht in den Hochburgen der Arbeiterbewegung erlebt hatten, sicher ruhiger verlaufen war als die nationalsozialistische Machtübernahme, die sehr direkte und sichtbare Auswirkungen auf die Universität hatte. Bis August 1933 wurde jeder fünfte Dozent aus rassischen oder politischen Gründen entlassen. 172 Nach Jellineks Eindruck konnte »man das Geschehen von 1933 mit weit größerem Rechte als Revolution bezeichnen als die Ausrufung der R e p u 280 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
blik im November 1918«. Eine wichtige Ursache für diese andere Einstellung war, daß sich die nationalsozialistische Machtübernahme selbst als »nationale« Revolution darstellte. Ihr nationalistischer Charakter wandte in den Augen vieler Heidelberger Hochschullehrer alle negativen Begleiterscheinungen zum Guten: »Im Unterschied zu anderen Revolutionen ist es besondere Eigenart dieser Volksbewegung unserer Tage geworden, daß sie dem Deutschen, der als solcher fühlt, keine andere Entscheidung mehr läßt, als mit ihr zu gehen.« 173 Eine weitere zentrale Ursache für die gelassene Reaktion von 1933 läßt sich aus dem Hinweis Jellineks schließen, daß die »Abkehr von der Weimarer Verfassung [sich] in gesetzlichen Formen vollzogen« habe. 174 Verschiedene konservative Gelehrte gaben sich Mühe, trotz der offensichtlichen Abkehr von der Weimarer Verfassung, die nationalsozialistische Machtübernahme als eine gewissermaßen verfassungsmäßige » R e volution« hinzustellen. Ihre Argumentation erinnert an die, die der NSDAP den Charakter einer »demokratischen« Partei zugestand, da sie einen Massenwillen repräsentiere. Diese neue Revolution kam für die sich öffentlich äußernden Universitätslehrer von unten, sie war nicht »vom Westen oktroyiert«. Ihre Träger waren nicht wie 1918 »volksfremde Elemente«. »Der totale Staat ist im positiven Sinne die Vollendung der modernen Massendemokratie. Die Herrschaft einer Partei ist das Endprodukt und zugleich die Überwindung des demokratischen Systems, auf die es selber - Mehrheitsbegriff! - angelegt ist«, argumentierte der Sozialtheologe Wendland. Im Dritten Reich herrsche »Volksdemokratie in Form der Legitimierung der Führer durch das Volk«.175 »Da dem Führer bei allen seinen Entschließungen die Idee der Volksgemeinschaft voranleuchtet, kann man seine Maßnahmen nicht als eigentlich antidemokratisch bezeichnen, fand der Jurist Jellinek. »Antidemokratisch wäre das Führerprinzip nur, wenn es die Führerstellen einer kleinen Auslese deutscher Volksgenossen vorbehielte. Dies aber ist nicht der Fall, vielmehr trägt sozusagen jeder Deutsche den Führerstab im Tornister«. 176 Während die Jungkonservativen der Propaganda des Regimes aufsaßen, beschrieb ein nationalsozialistischer Dozent den Prozeß der »Machtergreifung« in aller Klarheit: »Zwar hat sich die nationalsozialistische Revolution auf verfassungsmäßigem Wege ›legal‹ vollzogen. Trotzdem brachte der mit ihr zur Herrschaft gelangte Umbruch die völlige ›Umwertung aller Werte‹, unmittelbar Rechtsbruch und Rechtsschöpfung mit sich.«177 Wo das Wesen der »nationalen Revolution« näher umschrieben werden sollte, dominierten ganz ähnliche Bilder wie 1914. Die Parallele zwischen 1914 und 1933 wurde etwa von Karl Freudenberg und Schmitthenner explizit formuliert. Andreas sprach vom »entfesselten Lebensstrom der Nation« und von dem »heißen und stürmischen Geschehen, das durch unsere Tage rauscht«. Von Raumer sah »diese Revolution« als »eine gleichsam körperliche Wiedergeburt«. 178 Wendland analysierte: »Es waren Urmächte des menschlichen Seins, die durchbrachen durch die rationale Geisteslage... 281 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Es sind Gewalten, die religiös erfahren werden. Sie werden gesehen als Kräfte, die dem Ursprung alles Lebens selbst entströmen und darum heilig sind«: »Boden«, »Blut«, »Gemeinschaft« und »Führertum«. 179 Wie in ihren Äußerungen nach dem 30. Januar 1933 über Hitler und den Nationalsozialismus kleideten viele Heidelberger Universitätslehrer ihre tatsächliche oder auch nur opportunistische Begeisterung über die »nationale Revolution« in aus Naturallegorien, vulgarisierter Lebensphilosophie und religiöser Terminologie bestehende Wortkaskaden. Als distinguierte Bildungsbürger schockierte die Hochschullehrer zwar die Primitivität und Brutalität der SA und vieler durch das neue Regime zu Macht und Einfluß gelangter Funktionäre. Sie rationalisierten diese Empfindungen aber zugleich in einer typisch völkischen Denkfigur: »Ohne Frage [ist] dies alles entsetzlich primitiv ..., aber in einem tiefen unausweichlichen Sinne: ›primitiv‹ im Sinne des Uranfänglichen, des Ersten, der Voraussetzungen allen Geistes und aller Kultur, des bloßen Lebens.« Es handele sich um »die Primitivität ... einer Lebensrettung.« 180 Diese Denkbewegung erinnert an die gleichzeitige Begeisterung für die Kunst von »Wilden« oder »Primitiven«. Während diese von Völkischen und Konservativen als »entartet« und »rassefremd« abgelehnt wurde, haben wir hier gewissermaßen die völkische Variante des Exotismus, die sich dem ›eigenen‹ Primitiven zuwandte. Die eigenen Werte (»Geist«, »Kultur«) stellte man um des »bloßen Lebens« willen zurück oder behauptete wie Schmitthenner und Groh deren U m wertung: »Die alten vertrauten Worte Nation, Volk, Staat, Kultur, Wirtschaft haben einen anderen Sinn bekommen. Sie sind uns heute elementare Tatsachen geworden, bluthaft-seelische Notwendigkeiten, räumlich-geschichtliche Wirklichkeiten und zwar alle im Sinn einer verpflichtenden Lebensganzheit- Wir, die wir die Bewegung tragen, sehen im Volkstum Natur und Geist, die zerrissen waren, sich wieder zur Einheit des Wirklichen zusammenfinden.«181 Nationalismus und völkisches Denken bildeten Konstanten im politischen Denken der meisten Hochschullehrer. Dies war 1914 deutlich geworden. Während der zwanziger Jahre war die völkische Ideologie seltener öffentlich in Erscheinung getreten, hatte aber nicht an Wirkungsmacht und Verbreitung verloren. Im Rahmen der »nationalen Revolution« durfte und sollte sie wieder artikuliert werden und bestimmte den Diskurs. Nicht zuletzt eignete sie sich hervorragend, um das Dritte Reich gegen Kritik abzuschotten. »Kein Nichtdeutscher« könne die deutsche »Schicksalswendung« nachfühlen, meinte Duhm. »Wir sollten nach keines fremden Menschen Meinung über ›politische‹ Ereignisse in Deutschland im Jahre 1933 fragen.« Die soziale Lage des Bildungsbürgertums und der Hochschullehrer war durch den Aufstieg neuer Eliten und die fortschreitende Demokratisierung und Modernisierung offensichtlich ebenso prekär geworden wie für die 282 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Mittelschichten. Beide fühlten sich von sozialem Abstieg bedroht. Infolgedessen glaubten viele Gelehrte, ihre politischen Sehnsüchte (Einheit des Volkes, deutscher politischer und sozialer Sonderweg, imperialer Wiederaufstieg der Nation) nur noch revolutionär durchsetzen zu können. Von der Republik waren sie enttäuscht, spätestens seit sich herausgestellt hatte, daß sie die politisch-soziale Modernisierung Deutschland nach westeuropäischem Vorbild, die die privilegierte Stellung des Bildungsbürgertums untergrub, nicht aufhalten konnte. Indem sie ins Lager der antirepublikanischen und keineswegs nur der nationalsozialistischen Opposition wechselten, trugen sie bei zu einer Umwälzung, die entgegen den in sie gesetzten Erwartungen die sozialen und kulturellen Voraussetzungen ihrer Privilegien weiter zerstörte.
3.5.2. ›Verjüngung‹ des Reiches Neben völkisch-religiösen Konnotationen und der Mystifikation des Primitiven und Lebendigen stand ein weiterer biologischer Topos im Mittelpunkt der Lobgesänge Heidelberger Hochschullehrer auf »nationale R e v o lution« und Drittes Reich: das Bismarcksche Werk wachse, so der Historiker von Raumer, »unter einem neuen Führer und mit einem neuen Volk der Verjüngung entgegen«. Für Andreas und andere stand »ein junges Deutschland ... in stürmischem Werden«. 182 Privatdozent Andreas Duhm schlug eine interessante ideologische Sprachregelung vor: »Ich möchte lieber vom ›jungen‹ Staat sprechen als vom ›neuen‹. Wir fühlen dann mehr die Unbegreiflichkeit, daß es Leute geben kann, die heute nicht aufjubeln... Ein neuer Staat ist einer, um den es einen bangt, ob er sich auch bewähren wird; einem jungen traut man das hoffnungsvoll zu.« Nach den Legitimationsproblemen der »neuen« Republik sollte der Jugendkult um das Dritte Reich Begeisterung erzeugen und Zweifel unterdrücken. Einerseits entsprach diese Sicht der modischen, vor allem durch Spengler verbreiteten Interpretation der Geschichte in organologischen Kategorien des Wachsens, Blühens, Absterbens etc. von Staaten und Kulturen. Die nationalsozialistische Machtübernahme und ihre Begleiterscheinungen waren etwa für Andreas »große Umwälzungen, die nach Zeiten des Niedergangs der Anfang neuen Aufstiegs« würden. »Jugendlich« war der neue Staat andererseits, da der Nationalsozialismus seiner Entstehung und dem Durchschnittsalter seiner Mitglieder nach eine junge Bewegung war. Nachdem Deutschland 1914 bis 1930 von Männern zwischen 45 und 60 Jahren geführt wurde, sei, so konstatierte Hellpach, jetzt die »Frontgeneration« »auf die Bühne marschiert«: »Ein gut Teil des Elementaren der nationalrevolutionären Bewegung und Herrschaft liegt darin mitbegründet [..., daß] Jugend, psychologisch gesehen, das Lebensalter der Suche nach dem Unbedingten ist.«183 283 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Mit dem Verweis auf die »Jugendlichkeit« der Bewegung wollten insbesondere ehemalige Liberale ihre extreme Anpassungsbereitschaft erklären. 184 Er ist zugleich als Bemühung zu interpretieren, die unangehmen Seiten dieser ›Revolution‹ mit biologistischen Argumenten zu verdrängen und so die fehlende eigene Parteinahme für die ethisch-moralischen Werte des Bildungsbürgertums, die für jeden sichtbar mit Füßen getreten wurden, zu entschuldigen. Indem man den nationalsozialistischen Radikalismus als »elementare«, »lebendige« oder »jugendliche« Primitivität und als Begleiterscheinung der als notwendig akzeptierten ›Revolution‹ entschuldigte, konnte man alle Übergriffe und empörenden Ungerechtigkeiten des Regimes fatalistisch als zum Leben gehörend und überall in der Natur vorkommend abtun und sie humanen Maßstäben entziehen: »Bei einer Revolution fallen Köpfe, und eine junge Bewegung ist grausam... So wird also, so bitter es einem dabei ums Herz werden kann, der Vernichtungskampf weitergehen. Denn der Wille zur Bereinigung ist immer noch entschlossen.« 185 Wer solches nicht nur resigniert seinem Tagebuch oder seinen Freunden anvertraute, sondern mit Billigung des Regimes und dem Prestiges eines Hochschullehrers öffentlich vertrat, trug wesentlich zur Legitimation des Dritten Reichs und seiner Taten bei. Das Dritte Reich wurde wie Hitler und die NSDAP in fragwürdige historische Kontinuitäten gestellt. Für von Raumer war es »gespeist aus den Kräften, die 1914 bis 1918 zur Entfaltung kamen«. Es halte mit der R e g e lung der Flaggenfrage, der Ersetzung von Schwarz-Rot-Gold durch SchwarzWeiß-Rot und die Hakenkreuzflagge, und dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« an der »großen Überlieferung« des alten Bismarckschen Reiches fest, konstatierte in schwer nachvollziehbarer Weise der volkskonservative, wegen seiner »nichtarischen« Herkunft selbst von dessen Bestimmungen betroffene und wenig später beurlaubte Jellinek. Für den Germanisten Mann wurde »durch die überlegene Kraft eines politischen und kulturellen Führers die Idee eines volkhaften, im Boden begründeten und in sich selbst ruhenden Staates zum Siege geführt, die schon Arndts Denken und Wirken ahnungs- und sehnsuchtsvoll bewegt hatte.« 186 Im Gegensatz zur »artfremden« Republik stand das Dritte Reich für den Historiker, Minister und späteren Rektor Schmitthenner »auf der großen organischen Entwicklungslinie, die die zweitausendjährige germanischdeutsche Geschichte durchzieht und gestaltet«. 187 Für Wendland bestand eine Kontinuität »der hohen Zeit der antiken Polis, des mittelalterlichen Reiches, des preußischen Staates und des totalitären und völkischen Staates der Gegenwart« darin, daß »das Gesetz des Volkes«, also die Orientierung der Politik an angeblichen völkischen Eigenschaften geachtet werde. In die historische Tradition von preußischem Königreich und zweitem deutschen Kaiserreich stellten sich die neuen Machthaber ihrerseits, als sie den »Tag von Potsdam« inszenierten. Bei mehreren Heidelberger Universitätslehrern erreichten sie damit den gewünschten Effekt. Andreas schwelg284 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
te: »Es war ein erschütternder Augenblick, ... als der greise Feldmarschall in der Potsdamer Garnisonskirche, wo die Gebeine Friedrichs des Großen ruhen, seine Hand in die des Jüngeren legte... Vor den Augen der Welt schloß der Mann, der das Bismarcksche Deutschland miterkämpft ... hatte, seinen Bund mit dem Volkskanzler.« 188 Damit autorisierte der Historiker die nationalsozialistische Geschichtsklitterung einer Verbindung vom Preußenkönig über Bismarck und Hindenburg, dessen »Miterkämpfen« des Bismarckreiches darin bestand, als Anfangszwanziger am deutsch-französischen Krieg teilgenommen zu haben, bis zu Hitler. Ganz im Gegensatz zu späteren konservativen Interpretationen, die die nationalsozialistische Ära als Bruch in der deutschen historischen Tradition darstellten, stand das Dritte Reich für die Konservativen und Faschisten im Heidelberger Lehrkörper 1933-35 nicht nur in der historischen Kontinuität des deutschen Sonderwegs, sondern stellte sogar dessen Krönung dar: 189 »Der neue Staat des deutschen Menschen ist Zukunft: er greift ... weit über alles hinaus, was j e in der deutschen Geschichte wirklich war.« Er sei mehr als die vergangenen Reiche: »nicht mehr Idee« wie das mittelalterliche, »nicht mehr Staat« wie das Bismarcksche Reich, »sondern Volk schlechthin. Und die natürliche, vernünftige und zweckmäßige, d.h. die sozialistische Ordnung dieses Volkes prägt erst die staatspolitischen Formen des Dritten Reiches... Das Dritte Reich soll eine Dauerheimat werden. Daher errichtet es der Führer auf den drei Grundlagen, die allein Dauer versprechen, auf der rassischen, der sozialistischen und der autoritären Grundlage,« 190 erklärte Schmitthenner. Für seinen Fachkollegen von Raumer waren, konkreter und zugleich aggressiver, die »drei großen Kampfziele: die Verwirklichung der wahren Volksgemeinschaft, die Schöpfung eines wesenhaft deutschen Staates und die Durchsetzung dieses Staates im europäischen Raum.« Diese »nationale Revolution« könne nur »durch die Besinnung auf die nationalen Eigenschaften«, »auf dem Boden unserer Überlieferungen und aus den Kräften unserer Rasse durchgeführt werden«. 191 3.5.3. Lob der »Gleichschaltung« Unter den konkreten politischen Forderungen der ›nationalen Opposition‹ hatten bei Heidelberger Hochschullehrern vor 1933 eindeutig die innenpolitischen nach Revision der Weimarer Verfassung im Vordergrund gestanden. Die Forderung nach außenpolitischer Revision (des Versailler Vertrages) hingegen hielten die meisten Gelehrten angesichts der weitgehenden Zugeständnisse der Alliierten nicht mehr für vordringlich. 192 An den ersten Maßnahmen der nationalsozialistischen Reichs- und Länderregierungen lobten sie deshalb vor allem die »Vereinheitlichung« 193 und »Stärkung« des Reiches. In Konsequenz ihrer Kritik an der Weimarer 285 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Republik als einem »Scheinstaat« bewerteten sie diese Maßnahmen oft als die langersehnte »Wiederaufrichtung eines wirklichen, autoritären Staates«.194 So meinte etwa Andreas in einer seiner Reden als Rektor: »Der Durchbruch der neuen Ordnung, der sich in der starken Oberhoheit des Reiches zeigt, ist schon lange als Hoffnung von uns gehegt und empfunden worden. So begrüße ich ... die verjüngenden und staatsschöpferischen Kräfte der nationalen Revolution.« 195 Durch die Hitler-Regierung sei der Staat wieder handlungsfähig geworden. Darüber hinaus betonte Bergsträsser, in der »nationalen Revolution« sei »ein viel grundsätzlicherer U m schwung zu sehen, als es die Revision von 14 Jahren Nachkriegspolitik allein sein könnte«, nämlich die Abkehr von der »bürgerlich-liberalen« Idee der Trennung von Gesellschaft und Staat und damit »die Wiedergewinnung des Politischen und des Staates«.196 Auch die Notwendigkeit einer »Gleichschaltung« der deutschen Gesellschaft wurde historisch mit dem Sonderwegstheorem vom ›deutschen Wesen‹ begründet: »Weil der Deutsche in keiner Weise uniform ist, eignet er sich nicht für den Liberalismus.« 197 Als Andreas an Hitlers Geburtstag dessen Verdienste in den ersten Monaten seiner Regierung hervorheben wollte, lobte er die »Gleichschaltung« der Länder, durch die der Reichsgedanke »über alles erhoben« worden sei.198 Für Jellinek hatte »das in seiner Art geniale ... sogenannte Reichsstatthaltergesetz ... nicht weniger als den deutschen Einheitsstaat«199 gebracht, also die Erfüllung einer zentralen und häufig wiederholten Forderung der Heidelberger Hochschullehrer aus der Weimarer Zeit. Hellpach verzeichnete es bereits im April 1933 »als ein geschichtliches Verdienst der nationalsozialistischen Führer ..., daß sie mit einem unerhörten, aber unvermeidlichen rücksichtslosen Zugriff ... das Reich vor Aufbröckelung in neue klein-erbfürstliche Territorialherrschaften bewahrt haben.« 200 Auch der Hinweis auf die Stärkung des Reiches sollte die Unterdrückung anderer Werte wie der Freiheit und der Menschenrechte rechtfertigen. Parolen der Nationalsozialisten wie »Volksgemeinschaft«, »Zerschmetterung des Parteienstaates und der Klassengegensätze« 201 begeisterten viele Heidelberger Gelehrte. »Die Gemeinschaft aller Volksgenossen« führe zur »Einheit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens«, meinte selbst ein als »Nichtarier« Verfolgter wie Jellinek. Für den Mineralogen Erdmannsdörfer hatte »die Bewegung der Nationalen Erhebung ... mit einzigartiger Wucht den Deutschen aus dem Elend und der Ohnmacht parteipolitischer, klassenmäßiger Zersplitterung emporgerissen«. Emphatisch stellte Andreas als Rektor sich zusammen mit der Jugend in dieser Frage hinter die Politik der nationalsozialistischen Regierung und gegen Weimar: »In Leidenschaft würde die junge Generation gegen eine erneute Aufspaltung der Nation in Klassen, gegen die Auflösung des Volksganzen in Interessenkämpfe und Wirtschaftsegoismen entbrennen. Es ist für mich als Historiker beglückend, mich im Kampf gegen dieses Erbübel unserer Geschichte und der jüngsten 286 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Vergangenheit mit der Jugend eins zu wissen.« 202 Auch in dieser Hinsicht hatten die propagandistischen Inszenierungen der Nationalsozialisten ihre gewünschte Wirkung: zwei Heidelberger Hochschullehrer verwiesen zur Verdeutlichung des Wesens der Volksgemeinschaft auf die Maifeier 1933. 203 Der gelehrten Einheitssucht schien das Dritte Reich in doppelter Hinsicht zu genügen: durch Vereinheitlichung des Reiches und Überwindung des Länderpartikularismus sowie durch Vereinheitlichung des Volkes und Überwindung des Parteien- und Interessenpartikularismus. Damit sei ein deutsches Defizit gegenüber der historischen Entwicklung in Westeuropa aufgeholt worden. 204 »Erstens aus der Setzung einer wirklichen Souveränität und Autorität und zweitens aus der Durchführung der Einheit von Staat und Volk (›Totalität‹ des Staates)« war für Wendland auch »die durchdringende Wucht des neuen Staates« erklärlich. 205 Viele andere Hochschullehrer begeisterten sich für die Effizienz und die Erfolge des Nationalsozialismus, insbesondere für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: »Die Regierung der nationalen Erhebung hat in kürzester Frist mit einer Planmäßigkeit und Schlagkraft ohnegleichen Dinge vollbracht, um die ganze Generationen deutscher Geschichte vergebens gerungen haben.« 206 Bei soviel Emphase überrascht es nicht, daß viele Heidelberger Hochschullehrer dem Dritten Reich gegenüber zu demonstrativen Unterwerfungsakten bereit waren. Auch vor 1933 war es in Heidelberg denkbar, daß ein Hochschullehrer unterstrich: »Wir bekennen uns heute feierlich zu dem neuen Staat und seiner Führung.« 207 Ausgeschlossen jedoch war es, daß der Rektor in einer öffentlichen Rede des Geburtstages eines noch nicht drei Monate amtierenden Reichskanzler gedacht hätte, wie es Andreas am 20. April 1933 tat. Ebenso undenkbar wäre es selbst bei dezidiert republikanischen Rektoren wie Anschütz oder Dibelius gewesen, daß sie an die Studenten wie gleichfalls Andreas 1933 appellierten: »Die mächtige Staatsumwälzung ... erheischt von dem Einzelnen ... die vorbehaltlose Einordnung ins Ganze der Volksgemeinschaft... Die gewaltigen Entscheidungen der letzten Wochen stellen Sie vor die Notwendigkeit, an dem Werk der nationalen Erneuerung entschlossen mitzuarbeiten.« 208 Auch der siebzigjährige Rickert, der früher seine Sympathien für DDP und DVP nicht öffentlich geäußert hatte, schon allein um seinen Nimbus als Spezialist für das Allgemeine nicht durch den Abstieg in die »Niederungen des Parteienkampfes« zu gefährden, gab nun in einem wissenschaftlichen Werk politische Handlungsanweisungen. Er begründete seinen R o l lenwechsel aus dem Bewußtsein einer extremen Krisensituation heraus gewissermaßen mit einem völkischen kategorischen Imperativ: »Von der Politik, die wir machen«, hänge es ab, »ob wir als deutsche Kulturmenschen überhaupt »am Leben bleibem, oder ob die gesamte deutsche Kultur zugrundegeht«. Deshalb gelte für jeden Deutschen: 287 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
»Falls seine außerwissenschaftliche Weltanschauung mit dem, was ›Forderung des Tages‹ ist, nicht übereinstimmt, sondern ihren Schwerpunkt in anderen Kulturgütern als im nationalen Staat sieht, hat er seine Ansichten ... der historischen Situation anzupassen. Sonst muß er auf jede Wirksamkeit im Kulturleben verzichten, da eine solche auf die Dauer nur innerhalb seines Volkes und seines Staates möglich ist.«209 Die Distanzlosigkeit vieler Heidelberger Hochschullehrer dem neuen Staat gegenüber führte dazu, daß sie in ihren Publikationen nicht nur die Einheitlichkeit des »totalen« Staates lobten, sondern auch deren, die individuellen Freiheiten und Rechtsgarantien einschränkende Repressionsmaßnahmen rechtfertigten oder gar für wünschenswert erklärten. So hatten die »ordnenden Linien«, die die Nationalsozialisten »durch das pluralistische Wirrwarr, die ›Polykratie‹ der Wirtschaftsmächte, den Kampf aller gegen alle« zogen, für Wendland neben »Sammlung und Vereinheitlichung« ausdrücklich auch eine »ausscheidende« Funktion. Und er gestand dem auferstandenen »wirklichen Staat« in seiner Funktion als »Wächter über die menschlichen Gemeinschaftsordnungen« ausdrücklich das Recht zu, »mit seiner Macht die Zerstörer der Gemeinschaft - und das sind die Gläubigen der Utopie - niederzuschlagen.« 210 Schmitthenner sprach offen aus, daß die »nationale Bewegung« in ihrer »Erneuerung des deutsch-völkischen Bewußtseins« sich »alle humanen, europäischen und persönlichen Werte und Ideen ein- und unterordnet«. Die vielbeschworene Einheit der Deutschen erschien ihm offensichtlich nicht so leicht zu erreichen wie vielen Festrednern. Er machte keinen Hehl daraus, daß die Regierung sie »erzwingen will«. Der Theologiedozent Duhm wurde noch deutlicher: »Der totale Staat [ist] nicht bloß ein politisches Gebilde oder eine Verwaltungseinrichtung, die ... dem Einzelnen weitgehende Freiheit läßt... Der jetzige deutsche Staat geht aus der nationalsozialistischen Partei hervor, und diese betonte stets, daß sie eine weltanschauliche Bewegung sei. So kommt denn auch dem neuen Staat sehr viel darauf an, eine allgemeine, möglichst ›gleichgeschaltete‹ Geistigkeit im ganzen deutschen Volk zu erzeugen.«211 Hatte Güntert in unverhüllter Aggression gegen die Gegner des Nationalsozialismus Hitler einen Arzt genannt, »der in der äußersten Krise die Eiterbeulen aufschnitt, bevor die tödliche Blutvergiftung eingetreten war«, und damit härtestes Vorgehen gegen die mit krankhaften Wucherungen gleichgesetzten Regimegegner befürwortet, so war es wiederum Duhm, der sogar die Konzentrationslager rechtfertigte. Dabei mischte er offene Drohung mit Verschleierung, wenn er den Eindruck erweckte, sie seien in erster Linie für »Miesmacher« etc. eingerichtet worden: »Gegen Torheit hilft nur Gewalt. Oranienburg, Dachau, Kißlau usw. werden nie ganz Herr werden über das Stammtischgeschwätz... Die Führung des Staates [mußte] viel Zeit und Kraft opfern zu einem förmlichen Feldzug ... nicht nur gegen die beharrlichen ›Miesmacher und Kritikasten, sondern auch gegen die Gerüchtemacher.« Im Anschluß an sein zitiertes Argument, der Nationalso288 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
zialismus sei »nicht eigentlich antidemokratisch«, rechtfertigte auch Jellinek ausdrücklick KZs, »Gleichschaltung« der Presse und »eine planmäßige Erziehung des Volkes zur freiwilligen Unterordnung« durch das Propagandaministerium: »Wollte der Staat tiefgreifende Reformen, so durfte er sich nicht durch Rechte des Einzelnen stören lassen... Niemand kann seine Rechte zum Schaden des Staates geltend machen. ›Gemeinnutz vor Eigennutz‹. In diesem gewandelten Sinne ist der Staat ein Rechtsstaat geblieben.« 212 Angesichts dieser Verwirrung der Begriffe überrascht es nicht, daß der Staatsrechtler Jellinek die massiven Eingriffe der Regierung in den Wahlkampf im März 1933 als »kraftvolle Wahlpropaganda« und noch die Reichstagswahl vom November 1933 als »ordnungsgemäß« bezeichnete, obwohl nur noch eine »Einheitsliste« der NSDAP kandidieren durfte.213
3.6. Antijudaismus und Antisemitismus (II) Während der stabileren Jahre der Weimarer Republik gab es fast keine antisemitischen Äußerungen Heidelberger Hochschullehrer. Lediglich der Nationalsozialist Lenard sah von der Kreuzigung Christi über die Verbrennung Giordano Brunos bis hin zur Einkerkerung von Hitler und Ludendorff »immer dasselbe asiatische Volk im Hintergrund« wirken. 214 Im allgemeinen nahmen die Heidelberger Gelehrten, wenn sie sich überhaupt zur »Judenfrage« äußerten, einen toleranten und abwägenden Standpunkt ein. Bis auf wenige Ausnahmen 215 gingen sie wie bereits in ihren Äußerungen der Kriegszeit und frühen zwanziger Jahre von einem besonderen »Schicksal« der jüdischen »Rasse« 216 bzw. typischen Eigenschaften des jüdischen Volkes aus. Das Judentum war für sie also keine Religionsgemeinschaft, sondern ein Volk, in das man hineingeboren wurde und das man auch durch Konversion nicht verlassen konnte. »Juden« und Deutsche waren sich in ihren Augen deshalb ebenso fremd wie etwa Deutsche und Franzosen. In Kombination mit der ausgrenzenden Grundhaltung allem Fremden gegenüber begünstigte diese völkische Definition Forderungen nach einer Segregation von Deutschen und »Juden«, die mit dazu beitrugen, die integrierenden Bestrebungen der Judenemanzipation grundsätzlich in Frage zu stellen. Soweit die Gelehrten die vorhandene ausgrenzende Grundhaltung mit »wissenschaftlichen« Argumenten untermauerten, gaben sie einer dem kollektiven Unbewußten entspringenden Fremdenfeindlichkeit den Anschein von Rationalität und förderten die Zunahme des Rassismus und insbesondere Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft.217 Daß die Gegnerschaft zum Antisemitismus im Heidelberger Lehrkörper keine stabile Basis hatte und daß sie im Zweifelsfall hinter andere politische Erwägungen wie vor allem die Herstellung der inneren Einheit zurücktrat, erfuhr die Deutsche Liga für Menschenrechte, als sie 1930 Unterschriften von nichtjüdischen Prominenten für einen Aufruf gegen den bedrohlich 289 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
anwachsenden Antisemitismus sammelte. Dibelius unterzeichnete als einziger Heidelberger Ordinarius. 1930 versprach der Antisemitismus und nicht mehr wie 1919 seine Abwehr, zur Stiftung innerer Einheit zu dienen, und für Integrationsideologien jeglicher Art waren die Hochschullehrer immer anfällig. Die Unterschätzung des Antisemitismus war für zahlreiche nichtantisemitische Professoren charakteristisch. So erhielt der Vorsitzende der DDP-Studentengruppe 1929 von Jaspers eine Absage auf seine Bitte, einen Vortrag über Antisemitismus zu halten: »Antisemitismus ist mir zu dumm. Das können Sie ebenso gut machen.« 218 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ist eine deutliche Zunahme antijüdischer und antisemitischer Äußerungen zu verzeichnen, die die gemeinsame Grundtendenz hatten, die Juden auszugrenzen, um damit andere soziale Konflikte zu überlagern oder von ihnen abzulenken. Auch dies belegt die große Anpassungsbereitschaft im Lehrkörper an den jeweils herrschenden Zeitgeist. Hellpach fand es nun in einer Tirade gegen die Psychoanalyse »bemerkenswert«, daß diese »Mode«, »sein eigenes biologisches Primitives aufzuwühlen«, »von jüdischen Forschern ausging, also von der besonderen Einstellung einer morgenländischen Menschengattung, der die abendländischen Berührungslinien mit primitivem Volkstum, die soziologische (Heeresdienst) oder die ethnologische (Kolonialdienst) entweder versperrt oder wesensfremd waren.« 219 Sogar der »nicht-arische« Jurist Jellinek akzeptierte das ausgrenzende, völkisch-nationalsozialistische Ideologem, daß »eine echte Volksgemeinschaft eine gewisse Gleichartigkeit der die Volksgemeinschaft bildenden Menschen voraus[setzt]«. Eine »Judenfrage« bestand für Jellinek deshalb »namentlich seit Deutschland von Ostjuden überschwemmt wurde.« Er stand mit diesem Versuch, die Sündenbockrolle auf die Neuzugewanderten abzuwälzen, unter den verfolgten »Nicht-Ariern« nicht allein. Es war für ihn eine fast schon existenzielle Notwendigkeit, den Ostjuden, deren U n gleichartigkeit die »Volksgemeinschaft« sprenge, die assimilierten Juden gegenüberzustellen, die die Voraussetzung für die Aufnahme in die »Volksgemeinschaft«, nämlich »gewisse Gleichartigkeit«, erfüllen würden. Insofern war für Jellinek das »Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft« vom Juli 1933 durchaus akzeptabel, das »sich außer gegen die Ostjuden in erster Linie gegen marxistische deutsche Emigranten« richte. 220 An anderer Stelle gab er der Hoffnung Ausdruck, daß bei der Definition des »Nichtariers« die »gesicherten Ergebnisse der modernen Vererbungslehre berücksichtigt« würden, um den Ausschluß auf »wissenschaftliche« Grundlagen zu stellen. Einen weiteren Hoffnungsschimmer bedeutet für ihn die »Winterhilfe«, dank der »im Winter 1933/34 niemand in Deutschland, übrigens gleichgültig ob Arier oder Nicht-Arier, ob Nationalsozialist oder Marxist hungern oder frieren« müsse. Jellinek bestimmte mehrere »Hauptursachen für den deutschen Antisemitismus des Jahres 1933«. An erster Stelle ging er von grundlegender 290 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
rassischer Verschiedenartigkeit von »Deutschen« und »Juden« aus. Er verwies auch auf den Faschismus, mit dem er sympathisierte. Der habe keine Rassengesetze erlassen, weil die Italiener verwandt seien »mit der vorderasiatischen (armeniden) und orientalischen Rasse«.Weitere Ursachen des deutschen Antisemitismus seien »der unverhältnismäßig große Einfluß, den die Juden im deutschen Öffentlichen Leben genommen hatten, nicht zuletzt aber der ungünstige Eindruck, den Hitler in seiner Jugend von den österreichischen Juden empfing.« Und es spiele eine Rolle, »daß Marx Jude war«. 221 Weit entfernt von der ängstlichen Anpassungsbereitschaft Jellineks sind die Ausführungen Duhms zur Judenfrage. Vom protestantischen Antijudaismus geprägt, grenzte er gleichwohl die Juden auch mit biologisch-organologischen Argumenten aus. »Zum Teil durch unsere eigene Schuld überwogen die schädlichen Einflüsse des Fremdkörpers in unserem Leibe die nützlichen... Bonseis schildert überzeugend, wie das ältere Volk der Juden, das nach dem Durchgang durch soviele Kulturen in den Zustand der Abgebrühtheit und damit der kalten, überlegenen Zweifelsucht gekommen sei, auf den noch jugendlich gläubigen, für alles Schöne, Gute, Reine und Wahre begeistert empfänglichen Sinn des jüngeren deutschen Volkes dämpfend, lähmend, satirisch ernüchternd und damit zersetzend wirkte. Man vergleiche etwa den jüdischen Witz mit dem deutschen Humor. Das alles ist nicht zu übersehen... Wir [möchten] unser Volk herzlich lieben, ohne immer mitten darunter den Teil sehen zu müssen, der sich dazu rechnet und doch den Liebesdrang stört und nicht zur reinen Umfassung des Ganzen kommen läßt.«222 Duhm verwendete zahlreiche einschlägige Klischees und bediente andere Vorurteile durch Andeutungen. Das Bild vom »ewigen Juden« schwang mit, wenn er vom »Durchgang« der Juden durch zahllose Kulturen schrieb. Die biologisch-organologische Begründung für die »natürlicherweise himmelweiten Wesensunterschiede« zwischen »Deutschen« und »Juden« suchte Duhm mit theologischen und historischen Argumenten zu untermauern, die z. T. jeglicher Begründung entbehren: »Das jüdische Volk ist durch seine tragische Schuld heimatlos.« Seit es sich zu einem »großen Teil« in Deutschland niedergelassen habe, »ist Unfriede«. »Im ganzen Mittelalter« hätte die »Unmöglichkeit wirklich engeren Zusammenlebens« seinen Ausdruck in »Judengasse und Ghetto« gefunden. »Erst in der Neuzeit fielen die Schranken und entstand sofort das Problem ... eines vielleicht doch möglichen Zusammenlebens, ja eines Ineinanderlebens bis zurVereinigung in Mischehen, das Problem, ob Wasser und Feuer sich am Ende doch versöhnen ließen... Das deutsche Volk hat in Verfolgung seiner Neugeburt im Jahre 1933 das Urteil gefällt: [die Judenemanzipation] war Zerstörung.« Nach diesem Plädoyer für die Dissoziation des angeblich Unvereinbaren, in dem auch die tieferen, z.T. sexuell besetzten Ängste zutagetreten, zollte Duhm den sich selbstausgrenzenden Zionisten großes Lob. Sie seien »fast dankbar dafür, ... wider Willen durch ein weises Schicksal zu einer Neube291 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
sinnung gezwungen« zu sein. »Der tiefdenkende, religiöse und stammbewußte Jude wird sich zu dieser Haltung entscheiden: Wir waren nicht mehr Juden, darum müssen wir jetzt leiden, und der Gewinn des Leidens wird sein, daß wir wieder Juden werden.« 223 Auch mit dieser Argumentation stand Duhm in der Tradition des völkischen Antisemitismus. 224 Er goß schließlich die segregierende Maxime, die das Verhältnis vieler Gelehrter zum Judentum wie zu fremden Völkern und anderen sozialen Schichten prägte, in eine exemplarische Formel: »Die reinliche Scheidung [führt] zum sichersten Verträgnis.« Dieser Maxime folgend bezeichnete Duhm den Ausschluß der Juden von der Universität als »gesunde Regelung«. Auch Lenard gab seiner Befriedigung Ausdruck, daß Wissenschaft nun nicht mehr »Judensache« sei.225 Duhm fragte sich gar, ob Antisemitismus nicht gegen das Gebot der Nächstenliebe verstoße. Nachdem er unterstrichen hatte, »daß der Antisemitismus einer der ersten und unveräußerlichen Bausteine zu Hitlers großem Werke ist«, kam er im Sinne einer völkischen Theologie zu dem Schluß, daß die Kirche zwar verpflichtet sei, »um Milde in der Durchführung zu bitten, wo sie dem Gesamtwerke nicht schadet. Aber sie müßte zuerst die Berechtigung dazu erworben haben dadurch, daß sie selbst ihr Wort für die Entlastung des Volkes, dessen Kirche sie ist, eingesetzt hätte. Das Gewicht des christlichen Gebotes muß zuerst an der nötigsten Stelle angebracht werden. Sonst beginge die Kirche, wenn sie dem nationalen Werke entgegenträte, nicht nur einen politischen Fehler ..., sondern eine Verfehlung gegen ihre eigene Verkündigung der Liebe.« Das Prinzip der Segregation des Unterschiedlichen wurde so sehr als naturgegeben oder gottgewollt angesehen, daß es kaum zynisch klang, wenn Duhm bedauerte: »Warum mußten das deutsche Volk und das jüdische in diese Auseinandersetzung geraten! Wäre das Volk der Juden im Orient geblieben oder hätte es sich irgendwo ferne von uns niedergelassen, wäre damit beiden Völkern das aus dem Zusammenwohnen erwachsende Problem erspart geblieben, dann hätte sich wohl ... ein erträgliches, ja vielleicht freundschaftliches Verhältnis anspinnen lassen, so etwa wie ... mit der heutigen Türkei. Das Schicksal hat es so gewollt, daß die zu nahe Berührung zum tragischen Problem werden sollte.«226 Dieser Fatalismus sollte den Autor und sein Publikum der Verantwortung für das entheben, was vor ihren Augen geschah. Die zahlreichen biologischen, theologischen und historischen Argumente für die »reinliche Scheidung« von deutschen Christen und deutschen Juden vermittelten zudem den Eindruck, der Nationalsozialismus bringe nur etwas in Ordnung, was die aufgeklärt-liberale Modernisierung durch die Judenemanzipation leichtfertig durcheinandergebracht oder vermischt habe, und kaschierten die zutiefst irrationalen Ängste und Vorurteile, die den Antijudaismus und Antisemitismus speisten. Die zu große Nähe zwischen Deutschen und Juden, die man 292 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
nicht ertragen zu können meinte, wurde immer wieder damit begründet, daß beide Völker oder zumindest ihre »Schicksale« sich zu ähnlich seien. Duhm trieb auch dieses Argument auf die Spitze, indem er in der jüdischen Geschichte Vorbilder für die nationalsozialistische »Revolution« fand und diese damit als ausgleichende Gerechtigkeit verharmloste: »Heute« erlebe »das deutsche Volk eine Schicksalswendung, die jener israelischen Volkwerdung nach der ägyptischen Knechtschaft an die Seite gestellt werden könnte.« Beide würden von den betreffenden Völkern »religiös« und nur vom Ausland »politisch« verstanden. Auch das jüdische Volk habe nach der babylonischen Knechtschaft »mit Bewußtsein die völkisch-rassische Reinigung ... mit rücksichtsloser Härte« vollzogen. »Und das jüdische Volk ward durch die beharrliche Bewahrung seiner Sonderart unbeliebt in der Welt - genauso wie das deutsche Volk überall unbeliebt ist und durch seine neueste Selbstbesinnung diesen Zustand verstärkt hat. Und die Ironie des Schicksals wollte es, daß die heute ausgesonderten Fremden gerade die Juden sind, gegen die sich ihre eigene Waffe richtet, und daß diese das national-religiöse Erleben eines anderen Volkes nicht verstehen und dagegen das Gericht des Auslandes anrufen.«227 Duhm war der Heidelberger Hochschullehrer, der sich am umfassendsten zur »Judenfrage« äußerte, aber nicht der einzige, dessen latenter Antisemitismus nach 1933 offen ausbrach. Sprachlich waren manche seiner Kollegen wesentlich rabiater und übernahmen noch stärker die nationalsozialistische Terminologie. So erinnerten Güntert und in ähnlicher Weise Mann an die »Verjudung unserer deutschen Presse, die nicht nur volksfremdes, ja widervölkisches Fühlen, Denken und Werten mit sich brachte... Unbemerkt und langsam, aber sicher und stetig wirkt dies sprachzerstörende Gift Volksfremder oder Entfremdeter; allmählich macht es unsicher und zersetzt den gesunden Instinkt für das Echte und Artgemäße.« 228 »Jüdisches Denken« war für sie wie für Fehrle für alle Übel mitverantwortlich, die den angeblichen Niedergang Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausmachten: für den Verlust des »erdhaften Grundes« in Philosophie und Kunst, für die Mißachtung der »Grenzen des Volkstums«, für die Vergötzung des »Allgemeinmenschlichen«, die »internationale Wurzellosigkeit heraufbeschwört«, für die Entstehung des »mechanistischen Klassenstaat[es]« und schließlich für die Ausbreitung des »unheilvollen Kapitalismus«, die den »Maschinenmenschen« und die »Proletarisierung und Entwurzelung der Massen« gebracht habe. 229 Für den Kriegshistoriker Schmitthenner war speziell die Zeit des ersten Weltkrieges geprägt vom »Zersetzungswerk«, das »das Untermenschentum, das Judentum und das entartete Bürgertum« begonnen hätten. Auch Lenard schließlich gab nach 1933 seine taktische Zurückhaltung auf und freute sich öffentlich, daß »der Fremdgeist bereits sogar freiwillig die Universitäten, ja das Land verläßt«. »Mit vollem Recht« würden die Juden »landesverwiesen«. 230 293 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Wendland verwies auf Einflüsse jüdischer Traditionen auf den Rationalismus hin. Obwohl seine Überlegungen nicht von der Hand zu weisen und keinesfalls spezifisch nationalsozialistisch sind, lieferten sie durch Diktion und Veröffentlichungszeitpunkt Argumente für die Wahnidee einer »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung« gegen Deutschland werden. Der Sozialtheologe sah den »letzten Ursprung« des »Utopieglaubens«, den er in fast all seinen Publikationen bekämpfte, »in der Entscheidung des Judentums wider Christus... Im Abfall von Christus wurde die Zukunftserwartung Europas jüdisch. In der Entscheidung wider Christus hängen die liberale Utopie, das sozialistische Endreich und das Judentum unlöslich zusammen, und daraus ergab sich die Anziehungskraft des Liberalismus auf das Judentum; von daher wurde es möglich, daß die Hauptform des Sozialismus von einem jüdischen Denker begründet werden konnte.«231 Diese »verweltlichte Endreichshoffnung« verfalle »der Welt und Satan«, werde also »im strengen Sinne antichristlich«. Der Kampf gegen Judentum, Sozialismus und Liberalismus erhielt so christliche Weihen. Auch die »Einheit von Nationalem und Religiösem« in der Staatsideologie des britischen Empires war für Wendland »Judaismus«. In dieser Ablehnung eines »nationalen Messianismus«, der »immer ... zur Verhüllung des politischen Machtanspruches« werde, könnte man sogar eine indirekte Kritik am nationalsozialistischen »Utopieglauben« sehen. Denn in der damaligen Diskussion wurde einerseits, etwa bei Duhm, eine Parallelität zwischen der altjüdischen und der deutschen »national-religiösen Erweckung« gesehen. Juden und Antisemiten dieselbe rassistische Hybris vorzuwerfen, war andererseits ein Topos in den Publikationen der Heidelberger Hochschullehrer vor 1933. In der antisemitisch aufgeheizten Atmosphäre der Jahre 1933-35 hatte sich der Rassenantisemitismus in den öffentlichen Äußerungen weitgehend gegen den traditionell im Bildungsbürgertum wie im Heidelberger Lehrkörper vorherrschenden Antijudaismus durchgesetzt. Er trug seinen Teil bei zur ethisch-moralischen Desensibilisierung, die den Holocaust ermöglichte, obwohl mit Sicherheit kaum einer der hier Zitierten dieses Ende als mögliche Folge seiner antijüdischen Vorurteile in Betracht gezogen hat. 3.7. Zusammenfassung Das Verhalten der Heidelberger Hochschullehrer in der Phase der nationalsozialistischen Machteroberung war im allgemeinen opportunistisch und affirmativ-angepaßt. Dabei führte die Abkehr von liberalen Werten nicht zu konservativen Positionen zurück. Vielmehr orientierten sich die meisten Dozenten an ideologischen Synkretismen wie den autoritären Ständestaatsmodellen, pseudodemokratischer Obrigkeitsstaatlichkeit, dem italienischen Faschismus oder ergingen sich in populistischer Begeisterung für die national294 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
sozialistische Massenbewegung und ihre sogenannte Weltanschauung. Alle diese Ideologien, die nicht nur in sich äußerst widersprüchlich waren, sondern auch durch ihre jeweilige Intoleranz und ihren Absolutheitsanspruch zu immer stärkerer Fragmentierung der bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit führten, enthielten Topoi aus der seit dem Ende 19. Jahrhunderts im universitären Milieu geführten Diskussion über die »Kulturkrise« und die Mittel, ihr zu begegnen. Nachdem in den frühen zwanziger Jahren liberale Reformkräfte an der Universität Heidelberg dominiert hatten, machten die völkisch-konservativen, irrationalen, antimodernistischen und jedenfalls illiberalen Synkretismen in der wirtschaftlichen Stabilisierungsphase Boden gut. Hierfür sorgten sowohl Autoren wie Spengler, Moeller van den Bruck und Schmitt als auch die Ausstrahlung der Jugendbewegung in die Universitäten, die durch die Verjüngung der Lehrkörper infolge des Generationswechsels und der Regelemeritierung gefördert wurde. Die Durchsetzung völkisch-konservativer Paradigmen in der Öffentlichkeit trägt deutlich Züge eines Generationenkonflikts. Die Krisenstimmung seit 1929 sowie die anwachsende NS-Bewegung beschleunigten den Umschwung. Autoritär hergestellte Ordnung und Einheit des Volkes wurden von immer mehr Hochschullehrern höher bewertet als Freiheit und Menschenrechte. Die nationalsozialistische Machtübernahme führte trotz des faktischen Publikationsverbots für liberale und sozialistische Gelehrte zu einem Maximum politischer Äußerungen wie im Jahr 1914. Die Einheitsversprechen der nationalsozialistischen Ideologie und die Maßnahmen zur Vereinheitlichung von Staat und Gesellschaft stießen, obwohl sie großenteils nur propagandistische Funktion besaßen und tatsächlich andere Ziele verfolgten bzw. reine Simulation von Aktivität waren, auf so große Zustimmung, daß deren negative Folgen, die teilweise überraschend klar gesehen und offen angesprochen wurden, durch die großen Ziele (»nationaler Wiederaufstieg«, »Volksgemeinschaft«, Überwindung der »Staatskrise«) gerechtfertigt schienen. Die »Größe« des Experiments rechtfertigte seine Kosten: »Vielleicht zum ersten Mal in seiner Geschichte unternimmt Deutschland ein bewegendes Experiment von schier lateinischer Einseitigkeit des Wagnisses!« bejubelte der Ex-Liberale Hellpach Anfang Februar 1933 die Hitler-Regierung. 232 Nicht zuletzt die Inszenierung und Propagierung dieser »Großartigkeit« sicherte den neuen Machthabern die Loyalität der Gelehrten. Wieder einmal - wie 1914 und partiell 1918/19 - erleichterte die Unfähigkeit der überwiegenden Mehrheit der Heidelberger Hochschullehrer zu realistischer politischer Analyse die Flucht in Wunschdenken. Eklatante Beispiele sind die Illusion, der Sieg der NSDAP bedeute die Überwindung des vielkritisierten Parteienpartikularismus, und die Projektion messianischer Erlösungserwartungen auf die Person Hitlers. Die ehrliche Begeisterung der Hochschullehrer für die Aktivität, Schlagkraft, Effizienz und Rücksichtslosigkeit der neuen Regierung ist charakteristisch für faschistisches Denken, gerade auch weil sie bei den meisten eine Negativent295 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Scheidung war: nicht primär für die nebulösen und widersprüchlichen »Werte« der Nationalsozialisten, sondern gegen den Liberalismus und die parlamentarische Demokratie. Die unkritische Übernahme der Regierungspropaganda mußte zudem zum Verlust der Reste politischer Autorität führen, die die Hochschullehrer als Bildungselite noch besaßen. Sie setzten damit selbst den Endpunkt unter die säkulare Entwicklung, die den Verlust ihrer sozialen Sonder- und Führungsrolle herbeiführte. Sowohl in der opportunistisch motivierten Übernahme der NS-Propaganda als auch im politisch-moralischen Autoritätsverlust liegt eine Parallele zwischen den Anfangsjahren des Dritten Reichs und des Ersten Weltkriegs. Die Anpassung ist mit dem unbestreitbaren Druck seitens der NS-Regierungen nicht zu entschuldigen; dieser erforderte nur Schweigen, nicht jedoch die massenhafte Zustimmung zum neuen Staat insbesondere bei den Angehörigen der jüngsten Generation. Erklärbar ist dieses Verhalten mit einem Mangel an eigenständiger kollektiver politischer Handlungsfähigkeit und einer Disposition der deutschen Bildungselite für charismatische Formen der Herrschaft. Antiliberalismus und Opportunismus dem autoritär-nationalistischen Zeitgeist gegenüber waren in der Endkrise der Weimarer Republik allerdings bis in die jüngeren Führungskader von SPD und Freien Gewerkschaften hinein weit verbreitet.233 Auch insofern nahmen die Gelehrten keine Sonderstellung mehr ein.
3.8. Resistenz als Ausnahme Neben den Belegen für die Bereitschaft zur Anpassung an das Dritte Reich sollen gelegentlich auftretende kritische, meist zur Mäßigung aufrufende Äußerungen nicht unterschlagen werden. Andreas sprach sich als Rektor in zwei seiner Reden gegen »kleinlichen Verfolgungsgeist« aus und appellierte bei aller Begeisterung für die »stürmische Jugend«, die Radikalität nicht zu weit zu treiben und die Autorität der Alteren nicht in Frage zu stellen. »Unsere Erfahrung werden Sie auf die Dauer nicht ganz entbehren können, und für unsere selbsterkämpfte Lebensleistung und Führerstellung beanspruchen wir ... nach wie vor alle Achtung.« In ähnlicher Weise setzte sich von Weizsäcker bei grundsätzlicher Zustimmung zur nationalsozialistischen »Vernichtungspolitik« für »Rationalität« und »Besonnenheit« bei deren Durchführung ein. Jellinek stellte fest, die rückwirkende Einführung der Todesstrafe für diverse Delikte verstoße gegen alte Rechtsgrundsätze, ohne dies allerdings ausdrücklich zu kritisieren. 234 Der einzige Heidelberger Hochschullehrer, der sich nach 1933 gegen Angriffe von nationalsozialistischer Seite Öffentlich zur Wehr setzte, war der konservative Ordinarius Hettner, dessen nationale Gesinnung über alle Zweifel erhaben war und der seine ›eigene‹ Zeitschrift herausgab. Sein Verhalten zeugt von einer im damaligen Lehrkörper seltenen Zivilcourage. 296 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Nationalsozialistische Geographen hatten Hettners Wissenschaft als »liberalistisch-positivistisch« bewertet. Darauf reagierte dieser ebenso unmißverständlich wie, entgegen dem wissenschaftlichen Zeitgeist, rationalistisch: Wenn es um die Methodik gehe, »die Tatsachen der Wirklichkeit mittels der Ursächlichkeit ... nur an andere Tatsachen und Vorgänge der Wirklichkeit anknüpft, das Hereinziehen von Wundern und die Einwirkung von transzendenten Ideen ablehnt, so bekenne ich mich allerdings zu einem solchen Positivismus, der nun einmal zum Wesen der Wissenschaft gehört.« Von »vitaler Kausalität« zu sprechen oder »in unklarer Weise mit dem Begriff der ›Ganzheit‹ zu operieren« wie seine Gegner, lehnte Hettner ausdrücklich ab. Besonders empörten ihn die Vorwürfe »bloß utilitaristischer Zielsetzung« und »geringer Aktivität im nationalpolitischen Sinne«, die gegen seine Art von Geographie erhoben wurden. Ausführlich stellte er seine politische Tätigkeit insbesondere im Weltkrieg dar. In einem weiteren Artikel setzte sich Hettner gegen den Vorwurf zur Wehr, in der Geographie sei »die junge Generation« nicht zu Wort gekommen. Ironisch fragte er nach der Legitimation des Angreifers, für »die ganze junge Generation« zu sprechen, »und welche Altersgrenze er dieser nach oben und nach unten setzt«. Lakonisch konterte Hettner den erneuten Vorwurf des »Liberalismus«. Der Angreifer möge ihm angeben, »was er unter liberalistischer Wissenschaft versteht und wie er selbst sich die Behandlung wissenschaftlicher Probleme denkt.« Zudem möge er »zunächst einmal ein Werk schaffen, daß seine methodologischen Absichten verwirklicht und deren Überlegenheit über die bisherige Auffassung zeigt.« 235 Hettners Angriffe auf die Wundergläubigkeit vieler Gelehrter und auf lebensphilosophisch angehauchte Erklärungsansätze wie »vitale Kausalität« und »Ganzheit« waren nur zu berechtigt, wie die Äußerungen zahlreicher Heidelberger Hochschullehrer zu Nationalsozialismus und Drittem Reich zeigen. Ebenso traf die Aufforderung, statt verbaler Kritik die Überlegenheit der eigenen Methodik durch wissenschaftliche Werke zu beweisen, viele der jüngeren nationalsozialistischen Blitzkarrieristen an einem wunden Punkt. Die couragierte und öffentliche Abwehr der politisch motivierten Angriffe gegen seine Person hatte für Hettner keine negativen Folgen, die das Schweigen anderer angegriffener Kollegen erklären könnten. Wenn Hettners Haltung auch nicht unter »Widerstand« zu subsumieren ist, so war er sich doch in seiner Immunität gegen modisches und nationalsozialistisches Vokabular politisch treugeblieben, was sich von vielen Kollegen, die in den zwanziger Jahren links von ihm standen, nicht behaupten läßt, aber, wie vergleichbare Fälle an anderen Universitäten zeigen, 236 für etablierte konservative Ordinarien am leichtesten möglich gewesen zu sein scheint.
297 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
VII.
Zusammenfassung
Im ganzen Untersuchungszeitraum konnte eine überraschend hohe Zahl öffentlicher politischer Äußerungen aus dem Lehrkörper registriert werden. Während in ruhigeren Zeiten alljährlich etwa ein Siebtel der Hochschullehrer zu politisch-gesellschaftlichen Fragen Stellung nahm, lag dieser Anteil in den entscheidenden Umbruchjahren jeweils deutlich höher: in den fünf Kriegsmonaten des Jahres 1914 äußerten sich 9 %, was aufs Jahr hochgerechnet einen Wert von 22 % ergäbe. Derselbe Spitzenwert wurde im Jahr 1933 erreicht, obwohl dem liberalen Flügel des Lehrkörpers publizistische Aktivitäten faktisch unmöglich waren. 1919 und 1929 veröffentlichten je 20 % politische Stellungnahmen. Die Gelehrten ergriffen also, ihrem politischen Führungsanspruch entsprechend, vor allem in Krisenjahren das Wort, um politische Perspektiven anzugeben. Die massiven publizistischen Aktivitäten im Weltkrieg und insbesondere 1914 stellten nur im Vergleich zur Vorkriegszeit einen qualitativen Sprung dar. In den folgenden Umbruchsituationen wiederholte sich jeweils ein derartiges Engagement. War in dieser Beziehung die Artikulationsbereitschaft konstant hoch, wenn auch während des Krieges im liberalen Heidelberg möglicherweise geringer als an anderen Universitäten, 1 so lag die Beteiligung des Lehrkörpers an überregionalen Gelehrtenresolutionen außer bei der in Heidelberg initiierten gegen den Reichsschulgesetzentwurf und dem Wahlaufruf für die DDP vom Dezember 1924 immer unter dem Reichsdurchschnitt. Abgesehen von den Resolutionen aus der Kriegszeit sind Heidelberger Hochschullehrer sogar immer sehr deutlich unterrepräsentiert. Sie fehlen völlig unter zwei Unterwerfungserklärungen unter den autoritären Staat, nämlich der Erklärung »Hochschullehrer für unabhängige Staatsführung«, mit der 281 Unterzeichner den Papen-Putsch billigten und forderten, »Deutschland muß bewahrt werden vor sozialistischen Experimenten und befreit von der Vorherrschaft der Parlamente«, 2 und dem »Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat« mit rund 1.000 Unterschriften. 3 Einen Wahlaufruf der »deutschen Geisteswelt« für die NSDAP vom März 1933, den dreihundert Dozenten trugen, 4 unterzeichneten mit Endemann, Lenard und Fehrle zwei Emeriti und ein außerordentlicher Professor. Dies spricht für eine Außenseiterrolle Heidelbergs unter den deutschen Universitäten. Außer der Kundgebung für die Weimarer Verfassung, auf deren überraschend geringe Resonanz besonders auch an der Ruperto 298
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Tab. 11: Beteiligung an reichsweiten Gelehrtenresolutionen Aufruf
Unterzeichner HD im Reich Heidelberg Vgl. z. absolut % absolut % Reich
«Überparteiliche« Resolutionen: Erklärung der Hochschullehrer (Oktober 1914) Seeberg-Adresse, Juni 1915 Gegen die Reichstagsmehrheit (Oktober 1917) Zur Auslieferungsfrage (Januar 1920) Für die Reichsverfassung (Juni 1920) Gegen das Reichsschulgesetz (Oktober 1927) Für unabhängige Staatsführung (Oktober 1932)
3,016 273 917 302 288 1.505 281
67,6 105 10,2 9 20,5 39 9,6 1 9,1 1 22,5 95 3,5 -
59,4 6,3 22,9 0,7 0,7 51,9 0
--++ —
1 16 3 -
0,7 8,7 1,4 0
-+ + ---
-
Aufrufe für Parteien: DNVP (Deutsche Allgemeine Zeitung, 14.1.1919) DDP (Reichstagswahl Dezember 1924) NSDAP (Reichstagswahl März 33) Bekenntnis zu A. Hitler... (November 1933) + + + --
= = = -
96 105 300 702
1,8 1,8 3,8 8,8
120 bis 199% des Reichswertes 51 bis 80% des Reichswertes 200% des Reichswertes und mehr 50% des Reichswertes und weniger
Quellen wie in Tab. 2 (Anhang) außer »Zur Auslieferungsfrage«: s.Anm. IV/36; »Unabhängige Staatsführung«: s. Anm. 2; »Bekenntnis zu Hitler«: s. Anm. 3. Vgl. Döring, S. 261ff. Basis zur Berechnung der Prozentwerte für Heidelberg wie Tab. 2 (Anhang), für das Reich: Erklärung der Hochschullehrer u. Gegen die Reichstagsmehrheit: alle Hochschullehrer des Jahres 1910: 4.463; Seeberg-Adresse: alle Professoren des Jahres 1910: 2.674; Auslieferungsfrage u. Reichsverfassung: alle Professoren des Jahres 1920: 3.153; DNVP 1919 u. DDP 1924: alle Hochschullehrer des Jahres 1920: 5.403; Reichsschulgesetz: alle Hochschullehrer, Mittelwert aus Stand 1920 u. 1931: 6.694; Unabhängige Staatsführung, NSDAP 1933 u. Bekenntnis zu Hitler: alle Hochschullehrer des Jahres 1931: 7.984. Alle diese Zahlen nach Ferber, S. 195. Carola hingewiesen wurde, verfolgten alle Resolutionen, bei denen die Heidelberger Unterzeichnerzahl unter dem Reichsdurchschnitt lag, konservative bzw. annexionistische Ziele. Die in Tabelle 12 zusammengefaßte Entwicklung des parteipolitischen Engagements widerlegt die These, über die bisher in der Literatur Einigkeit besteht, daß »allenfalls 10-15 %« der deutschen Professoren bereit waren, »sich konkret politisch, auch parteipolitisch zu engagieren«. 5 Diese zu niedrigen Schätzungen resultieren vor allem daraus, daß die politische Ideologie der Gelehrten weitaus parteifeindlicher war als ihr tatsächliches politisches Verhalten. Möglicherweise hat Heidelberg in dieser Beziehung eine Vorreiterrolle in der Weimarer Universitätslandschaft gespielt. Hierfür 299 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Tab. 12: Parteipolitisches Engagement 1914-1932 (einschließlich Nebenberufler) Zeitraum
insgesamt SPD/ FVP NLP Zen- FBV/DkP/DVLP (von allen) USP/SAP DDP/DStP DVP/KVP trum DNVP/CSVD NSDAP abs. (%) abs. (%) abs. (%) abs. (%) abs. (%) abs. (%) abs. (%)
1914-18 1919-23 1924-29 1930 1932
23 44 50 22 21
(14) (26) (27) (11) (10)
2 (9) 3 (7) 5 (10) 6 (27) 5 (24)
3 13 21 4 2
(13) (30) (42) (18) (10)
11 10 6 3 2
(48) _ (23) 1 (2) (12) 2 (4) (14) 1 (5) (10) 2 (10)
7 17 15 7 7
(30) (39) (30) (32) (33)
_ 1 (2) 1 (5) 3 (14)
spricht auch die hohe Zahl derjenigen, die in führende administrative Funktionen wechselten oder aus solchen einen Ruf nach Heidelberg bekamen. Allerdings weisen neuere Untersuchungen für Hamburg, Göttingen und Tübingen ebenfalls sehr hohe Organisationsgrade von 25 % und mehr aus. 6 Die unterdurchschnittliche Beteiligung an Gelehrteresolutionen, insbesondere wenn sie konservative Anliegen verfolgten, bei gleichzeitig hoher, soweit feststellbar überdurchschnittlicher Bereitschaft zu publizistischem und parteipolitischem Engagement kennzeichnet die Universität Heidelberg als Hochburg einer modernen und liberalen Gelehrtenpolitik. Die Bereitschaft, sich öffentlich zu einer Partei zu bekennen, war bei Liberalen und Sozialisten größer als bei Konservativen, die weitaus stärker der Ideologie der›Überparteilichkeit‹anhingen. Deshalb dürfte der konservative Anteil im Vergleich zum tatsächlichen Wahlverhalten in Tabelle 12 etwas zu niedrig angegeben sein. Von mehreren Heidelberger Gelehrten ist ihre konservative politische Haltung bekannt, und möglicherweise waren sie auch Mitglieder entsprechender Parteien, ohne daß dies aus den hier ausgewerteten Quellen hervorgeht (z.B. die Juristen Bekker und Gradenwitz, der Physiker RudolfTomaschek, der Astronom Henrich Vogt). Gerade wegen dieser möglichen Verzerrungen ist die hohe Zahl für konservative Parteien engagierter Dozenten zu unterstreichen, zumal sie auch bei der inhaltlichen Auswertung wegen ihrer publizistischen Zurückhaltung bis 1933 eher im Hintergrund standen. Der relativ stabile Anteil der Konservativen bzw Deutschnationalen von 30 bis 39 % ändert jedoch nichts an der Bewertung der Universität Heidelberg als liberal. Vergleichszahlen von anderen Universitäten zeigten, daß der Anteil der Anhänger konservativer Parteien dort weit höher war. Tabelle 12 zeigt deutlich den Zerfall der bürgerlichen Mitte im Heidelberger Lehrkörper. Der Anteil der für liberale Parteien Engagierten sank, obwohl sich die liberalen Parteien wie die ihnen treu bleibenden Heidelberger Hochschullehrer in dieser Zeit politisch und ideologisch deutlich nach rechts entwickelten, von gut 60 % (1914 bis 1918) auf 20 % (1932) bei sinkender Bereitschaft, sich öffentlich zu einer Partei zu bekennen. 7 Ande300 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
rerseits ist die Zahl der Liberalen, die Nationalsozialisten wurden, sehr gering. Hauptsächlich traten vorher nicht parteipolitisch Engagierte der NSDAP bei. Die Entliberalisierung des politischen Klimas an der Universität Heidelberg im Untersuchungszeitraum vollzog sich nicht linear und kontinuierlich, sondern in zwei Schüben: 1914/15 im nationalistisch-totalitären Überschwang des ›Geistes von 1914‹ und seit 1924, exemplarisch sichtbar in den Fällen Gumbel und in der Kommentierung der Weimarer Republik und der Verfassung. Dazwischen lag eine 1916 beginnende, durch den Demokratisierungsschub von 1918/19 beschleunigte, durch die wirtschaftliche Not der Inflationszeit hingegen nicht spürbar beeinflußte Phase, in der liberale Modernisierungskräfte dominierten. Umgekehrt verstärkten die Weltwirtschaftskrise und die nationalsozialistische Machtübernahme in der studentischen Selbstverwaltung die Entliberalisierungs, ohne jedoch für sie ursächlich zu sein. In zunehmendem Maße und im Gegensatz zum Selbst- und Fremdbild extremer Offenheit wurden an der Universität Heidelberg, wie bereits 1914/15 und ansatzweise während der Novemberrevolution, seit 1924 von der Mehrheitsmeinung nach links abweichende Positionen ausgegrenzt. Daß »alles verstehender Relativismus« die »Schattenseite« von Offenheit und Liberalität der Heidelberger Gelehrtenkultur bildete, wie R a d bruch es rückblickend formuliert hat, galt seit Mitte der zwanziger Jahre in zunehmendem Maße nur noch antiliberalen und völkischen Strömungen und z.T. sogar dem Nationalsozialismus gegenüber. Die Universität als Institution war wegen des Mangels an kollektiver Handlungsbereitschaft über politische, hierarchische und Fakultätsgrenzen hinweg, der sich exemplarisch im Scheitern gewerkschaftsähnlicher Organisationsansätze wie des Kulturrates für Baden und der Nichtordinarienvereinigung zeigte, nur in geringem Maße und hauptsächlich unter der Ägide der engagierten Liberalen Anschütz und Dibelius in der Lage, gegen Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen oder gar gegen explizite staatliche Anordnung eine eigene Politik zu verfolgen. Dies war auch eine Folge des säkularen Trends zum Abbau der Hochschulautonomie und der Integration der Universitätslehrer in den Beamtenapparat. Ebensowenig wie zu eigenständiger Politik war die Ruperto Carola in der Lage, sich, wie es die akademische Ideologie verlangt hätte, der allgemeinen Politisierungstendenz zu entziehen. Im Rahmen der Entliberalisierung des politischen Klimas an der Universität ist eine Konvergenz des liberalen und konservativen politischen Denkens zu beobachten. Im Nationalismus, in der partiell paranoide Züge tragenden Abwehrhaltung dem Pazifismus, der originär liberale Ideale vertrat, gegenüber, in der Parteienkritik, im Vorwurf mangelnden Staatswillens an die Weimarer Republik und in dem antimodernistischen Streben nach Vereinheitlichung der sich ausdifferenzierenden, pluralistischen Gesellschaft bestand eine breite Übereinstimmung im Lehrkörper, von der nur wenige 301 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Außenseiter abwichen, die ihrerseits meist auch nur in einzelnen Punkten gegen die Mehrheitsmeinung opponierten und in anderen mit ihr konform gingen. Relativ geringe Bedeutung hatten in der politischen Diskussion an der Universität gemeinhin als charakteristisch für das »antidemokratische Denken der Weimarer Republik« (Sontheimer) angesehene Topoi wie der Rekurs auf das Kriegserlebnis, Kriegsschulddiskussion, Dolchstoßlegende, Kritik der »Erfüllungspolitik« etc. Hierin ist eine Anpassung des konservativen Flügels an die relativ liberale Mehrheitsmeinung zu sehen. Über die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen politischen Richtungen hinweg lassen sich im politischen Denken viele Gemeinsamkeiten ausmachen. Sie basierten auf drei ideologischen Hauptkomponenten: Erstens wurde in einer seit dem 19. Jahrhundert andauernden Gegenbewegung zur Kantschen Philosophie der Unterschied zwischen ethischmoralischen Werten und Begriffen und ›dem Leben selbst‹ zusehends verwischt. War Kritik an der Dogmatisierung und Formalisierung der Kantschen Philosophie durch die neukantianischen Schulen durchaus berechtigt, so hatte deren zunehmende lebensphilosophische Verselbständigung und Radikalisierung politisch problematische Folgen. Neben der vitalistischen Sprache, die einer pragmatischen Gesellschaftsanalyse im Weg stand, ist hier vor allem die zunehmende Relativierung und Infragestellung absoluter ethischer und moralischer Werte zu nennen. Nach Ernst Nolte ist »Faschismus ... nicht schon jenes Widerstreben gegen praktische Transzendenz, das allen konservativen Richtungen mehr oder weniger gemeinsam ist. Erst wenn die theoretische Transzendenz, aus der jener Widerstand ursprünglich erwächst, ebenfalls verneint wird, ist der Faschismus an den Tag gekommen.« 8 Konstituiert die Absage an utopische Gesellschaftsentwürfe also konservatives Denken, so ist die Negation transzendenter theoretischer, und insbesondere ethisch-moralischer Werte charakteristisch für faschistisches. Die Destruktion der Kantschen Transzendentalphilosophie und ihrer »unverrückbaren Ideale der Kultur«, 9 ohne an ihre Stelle eine andere Form der Konstruktion und Durchsetzung ethisch-moralischer Werte zu setzen, schuf eine gefährliche ethisch-moralische Indifferenz. Zu den absoluten Werten, an die die meisten Heidelberger Hochschullehrer nicht mehr glaubten, gehörte infolge der erkenntnistheoretischen Verunsicherung seit etwa 1890, die häufig als »Krise der Wissenschaften« bezeichnet w i r d , 1 0 auch die Wissenschaftlichkeit selbst. Lederer griff im Exil die aus Max Webers Wertfreiheitspostulat folgende »scharfe Unterscheidung zwischen der Ermittlung von Tatsachen und dem Ziehen von Schlußfolgerungen« an. Seine These, daß »die Wissenschaftler sogar soweit [gingen], die Verteidigung ihres eigenen Wertes abzulehnen, und nobel und uninteressiert ihre ›Objektivität‹ selbst dann [bewahrten], als Feuerbrände an ihre Elfenbeintürme gelegt werden sollten,« 11 wird bestätigt durch Jaspers' Diktum, wenn das Haus brenne, werde er nicht löschen, sondern die Feuerwehr rufen. Diese Hal302 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
tung zählt Lederer zu Recht zu den Aufstiegsbedingungen nicht nur des Nationalsozialismus, sondern des europäischen Faschismus überhaupt. Die zweite ideologische Grundkomponente bildet der Versuch, am harmonistischen, einer modernen Gesellschaft nicht gerecht werdenden Sozialmodell festzuhalten. Dies geschah mithilfe eines Denkens, das organizistische und biologistische Begriffe auf den politisch-sozialen Bereich übertrug. Solche Metaphorik trägt immer antiindividualistische, Interessenkonflikte harmonistisch verdrängende, ›Fremde‹ ausgrenzende und zu Sündenböcken stempelnde Züge. Körper sind nun einmal, anders als Gesellschaften, eindeutig nach außen abgegrenzt und lassen sich nicht mit anderen mischen. Mit organologischen Analogien soll außerdem die Naturgegebenheit von Ungleichheit und »Graduierung« und zugleich die Notwendigkeit innerer Einheit bewiesen werden. In der zunehmend komplexer werdenden modernen Gesellschaft war der Einheitswunsch, den fast alle Heidelberger Gelehrten artikulierten, nur auf diese ideologische Weise durchzuhalten. In einer spezifisch konservativen Denkbewegung wurde die Existenz zweier unterschiedlich bewerter Menschentypen behauptet, des eigenen und des anderen, der mindestens in einzelnen Zügen als minderwertig galt. Andere wurden dabei auch innerhalb der eigenen Gesellschaft ausgemacht und als die Einheit gefährdend ausgegrenzt. Der Hang der Gelehrten zu solch dissoziierendem politischen Denken war Ausdruck ihrer Ängste, durch Modernisierung und Industrialisierung ihre gesellschaftliche Führungsrolle zu verlieren. Denn solches Denken ist charakteristisch für Randgruppen, die nach Schwächeren suchen, um sich mithilfe dieser Sündenböcke vor befürchteter Ausgrenzung zu bewahren. Zwischen innergesellschaftlicher Ausgrenzung, die Einheit(lichkeit) schaffen soll, und chauvinistischer Aggression nach außen besteht ein ausgeprägter Zusammenhang. Auch hinter der oft heroisierenden, mit darwinistischer Terminologie arbeitenden, Kampf oder Krieg verklärenden Sprache vieler Heidelberger Hochschullehrer verbarg sich eine tiefe Sehnsucht nach Harmonie und Ruhe. In den sozialdarwinistischen Modellen steht am Ende der dynamischen Entwicklung ein harmonischer Zustand. Wie bei allen teleologischen Geschichtsmodellen wird nie erklärt, warum die gesellschaftliche oder ›natürliche‹ Dynamik am »Ende der Geschichte« in eine Statik übergehen soll. Drittens ideologisierten viele politisch engagierte Dozenten gesellschaftliche und geographische Mittellagen und optierten für als Mittelwege angesehene Sonderwege der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung, die in der Regel dezidiert antiliberale Tendenz hatten. Zentrale Momente dieser Vorstellungen waren die Stilisierung von Gemeinschaft als Gegenmodell zur westlichen Gesellschaft, ein daraus folgender, diffus ständischer, jedenfalls gegen den liberalen Freiheits- und den demokratischen Gleichheitsgedanken gerichteter Staatsbegriff und die Vorstellung von einer deutschen Sendung für Europa, die darin bestehen sollte, es auf einen eigenen, 303 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
mittleren Weg zwischen amerikanischem Kapitalismus und russischem Bolschewismus zu bringen. 12 Die Option für einen ›mittleren‹ deutschen Sonderweg hängt eng zusammen mit weiteren Charakteristika des ausgewerteten Materials: dem verbreiteten Wunschdenken und der, trotz häufig historischer Begründungen, großen Realitätsferne der vorgeschlagenen Lösungen. Beides zeigte sich etwa in der immer wieder geäußerten Hoffnung, bestimmte Ereignisse wie der Krieg, der Zusammenbruch des alten Regimes, die nationalsozialistische Machtübernahme würden eine Zeitenwende bedeuten. Die Kombination aus ausgrenzendem Harmonismus und realitätsverdrängendem Wunschdenken legt in modernen Gesellschaften die Option für autoritäre, totalitäre und Minderheiten gegenüber terroristische Herrschaftsmethoden nahe. Da politische und Interessenkonflikte letztlich weder vermeidbar noch harmonisierbar sind, können (scheinbare) Harmonie, › G e meinschaft und Konfliktlosigkeit nur repressiv hergestellt werden. In der flankierenden Ideologie werden Härte, Unterdrückung oder »Primitivität« als notwendige Übel einer Übergangsphase des Kampfes um den harmonischen Endzustand verharmlost. Nur einzelne Dissidenten im Heidelberger Lehrkörper vertraten einen liberal-demokratischen Pragmatismus, wie er sich in Deutschland erst nach 1945 hinter dem Schutzschild der westlichen Siegermächte und nach dem Schock, den Nationalsozialismus, Holocaust, erneute und diesmal totale Niederlage und die Besetzung ganz Deutschlands ausgelöst hatten, durchsetzen konnte. Ohne ihn fehlte sowohl im Heidelberger Lehrkörper wie in der Weimarer Republik überhaupt die Basis für einen liberal-demokratischen und prgamatischen Grundkonsens, der Pluralität und Widersprüchlichkeit einer modernen Gesellschaft sowie die Bedeutung von Parteien und Interessenorganisationen zur Austragung der daraus entstehenden Konflikte anerkennt und bereit ist zu friedlichen Lösungen internationaler Gegensätze. Solche Positionen vertraten vor 1933 nur der Romanist Curtius, dessen politische Publikationen hier wegen der gesetzten Schwerpunkte zu kurz kamen, der Theologe Dibelius, die Juristen Darmstaedter, Thoma und Radbruch, der Nationalökonom Gothein, der Historiker Holborn sowie der Pädagoge Hoffmann. Anschütz schlug pragmatisch-liberale Töne nur in den frühen Jahren der Republik an, Hellpach nur in seiner bald wieder revidierten »Politischen Prognose« und Alfred Weber nur in häufig mißverständlichem Tonfall. Neben solchen Ansätzen parlamentarisch-demokratischen Denkens gab es einzelne sozialistische Hochschullehrer, vor allem Lederer und Gumbel, die allerdings im Lehrkörper weitgehend isoliert waren und auch nur in Einzelfragen über Perspektiven verfügten, die der politischen Situation in der Weimarer Republik adäquat waren. Das Beharren der großen Mehrheit auf einem deutschen Sonderweg in der »Mitte« zwischen westlicher parlamentarischer Demokratie und östlichem Kollektivismus mußte ihnen in der Krise der Weimarer Republik die 304 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
an liberalen westlichen Vorbildern orientierte Verfassung als untauglich erscheinen lassen. Ihre entsprechenden öffentlichen Äußerungen mußten dazu beitragen, diese in den Augen vieler Bürger zu desavouieren. Zugleich verhalf die Mittelwegsideologie jedem vermeintlichen ›dritten‹ Weg zu einem prinzipiellen Sympathievorschuß. Die Nationalsozialisten verstanden es, sich durch eine geschickte Begriffspolitik als Alternative sowohl zum demokratischen Liberalismus und als auch zum Bolschewismus zu präsentieren. Die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie westlichen Zuschnitts und der Hang der Gelehrten zum Populismus ließen schließlich vielen die Nationalsozialisten als kleineres Übel und einzig gangbaren deutschen Sonderweg erscheinen. Zwei miteinander zusammenhängende, aber hinsichtlich der politischen Orientierung der Gelehrten, von denen sie vertreten wurden, unterschiedliche relativistische Strömungen förderten eine zunehmende moralische Indifferenz13 und einen »Verlust an humaner Orientierung« (Giordano): einerseits die Biologisierung der Ethik und der politischen Begrifflichkeit, andererseits der »falsche Objektivismus«, 14 der aus Max Webers Werturteilsfreiheitspostulat gefolgert werden kann. Lederer kritisierte die »achselzukkende Geringschätzung« aller Ideale bei Max Weber nicht zu unrecht als »nihilistisch«. 15 Viele andere Liberale teilten diese Indifferenz, die Radbruch rückblickend sogar als ein Hauptcharakteristikum der Heidelberger Gelehrtenkultur ansah. Zu den Folgen dieses ethisch-politischen Wertrelativismus gehörten etwa die Unfähigkeit der meisten liberalen Heidelberger Hochschullehrer, die prinzipielle Dimension des Falles Gumbel zu erkennen, aber auch ihre geringe Sensibilität für die Konnotationen der von ihnen verwendeten politischen Begriffe, die längst vom Nationalsozialismus zur Durchsetzung seiner Ziele usurpiert worden waren, und schließlich ihr fehlender Widerstand gegen die Aufhebung der Hochschulautonomie und die weitgehende Politisierung der Wissenschaft durch die Nationalsozialisten. Die Veränderungen im politischen Denken der Hochschullehrer lassen sich in Anlehnung an ein zur allgemeinen Erklärung für den Zulauf zum Nationalsozialismus zu enges, aber für diesen Spezialfall tragfähiges theoretisches Modell 16 als »Extremismus der Mitte« charakterisieren. Zwar gehörten Ordinarien eindeutig zur Oberschicht; die zahlreichen nichtbeamteten, mit Assistentenstellen nur schlecht oder durch Lehraufträge und Privatdozentenstipendien noch weniger und z.T. gar nicht abgesicherten Hochschullehrer hingegen zählten zu den Mittelschichten, teilten deren beständige Angst vor Deklassierung, die in Spannung zu ihrer vehementen Aufstiegsorientierung stand. Nicht zufällig rekrutierten sich vornehmlich aus diesen Gruppen im Lehrkörper die Anhänger der ›nationalen Oppositio n und der Nationalsozialisten. Da die konstatierte Radikalisierung sich an einer ausgesprochen liberalen Universität abspielte, könnten die folgenden Thesen über den behandelten Einzelfall hinaus das Verhalten von Liberalen in politischen Konflikten charakterisieren. 305 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
1. Die Radikalisierung der Heidelberger Hochschullehrer, die in der Phase der relativen Stabilisierung zunimmt, hatte im wesentlichen keine ökonomischen Ursachen. Von den wirtschaftlichen Krisen der Republik waren die Gelehrten unterdurchschnittlich betroffen. Nahe dem Existenzminimum lebende und nur mittelschichtig abgesicherte Sektoren in den Lehrkörpern gab es auch vor 1914, ohne daß dies ebenso wie die Einkommenseinbußen 1915 bis 1922 zu einer vergleichbaren politischen Radikalisierung geführt hätte. Die Gründe für die Entliberalisierung liegen also vorwiegend auf ideologisch-sozialpsychologischem Gebiet. Die Heidelberger Hochschullehrer verhielten sich damit auffällig anders als große Teile der Mittelschichten, denen die Forschung, zumindest was die Wahl von 1928 angeht, primär ökonomische und keine ideologischen, insbesondere keine nationalistischen Motive attestiert. 17 Diese für die Mittelschichten untypischen Reaktionsweise wird dadurch bestätigt, daß fast kein Zulauf der Heidelberger Hochschullehrer zu den Weimarer Interessenparteien festzustellen war und sie vielmehr drei ideologischen Richtungsparteien, der auf eine spezifisch deutsche Weise national-republikanischen DDP, der konservativ-nationalistischen DNVP und der sozialistischen SPD relativ treu blieben. 2. Desintegrierte soziale Schichten neigen zu politischem Extremismus. Die Hochschullehrer fühlten sich sozial desintegriert, obwohl sie materiell nicht zu den Hauptleidtragenden der ökonomischen Krisen in der Weimarer Republik gehörten. Zumindest die Geisteswissenschaftler verloren jedoch infolge der gesellschaftlichen Modernisierungs- und ökonomischen Konzentrationsprozesse ihre führende Stellung an politische, soziale und industrielle Funktionäre und Fachleute. Diese Gruppen der Berufspolitiker, Gewerkschafts-, Arbeitgeber- und anderer Verbandsfunktionäre bildeten die Antipoden des eigenen Selbstverständnisses. Ihr Einfluß auf Politik und Gesellschaft wurde in den ausgewerteten Publikationen überwiegend negativ bewertet. Den meisten Heidelberger Hochschullehrern mangelte es aus Angst vor sozialer Marginalisierung in erschreckendem Maße an Gelassenheit, Nüchternheit, Pragmatismus, Selbstrelativierung und Ironie. Die Herkunft aus den Kernschichten des Bildungsbürgertums und der Beamtenschaft, die von den Modernisierungsprozessen stärker negativ betroffen waren als das Wirtschaftsbürgertum oder die unteren Mittelschichten, deren Aufstiegschancen sich verbesserten, verstärkte deutlich die Disposition zum antimodernen politischen Extremismus. 3. Die den Generationswechsel beschleunigenden Maßnahmen der republikanischen Regierungen förderten die Entliberalisierung, da sie Ressentiments bei den älteren Professoren auslösten und da mit der jüngeren Hochschullehrergeneration verstärkt völkisches Gedankengut in die Universitäten einsickerte, das sonst möglicherweise wie bis Mitte der zwanziger Jahre eine Domäne von Privatgelehrten geblieben wäre und geringeren Einfluß auf die Studenten gehabt hätte. 306 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
4. Ihre Tendenz zum Harmonismus und ihre ideologisch begründete Sucht nach innerer Einheit des deutschen Volkes ließen die Professoren gegen jegliche konfrontative Konfliktaustragung kämpfen. Dies steigerte sich zu prinzipieller Ablehnung moderner Vergesellschaftungsformen, die Konflikte institutionalisieren und nicht mehr davon ausgehen, daß sie aufgehoben werden könnten. Ein schwacher, liberaler, sich auf Konfliktregelungsmechanismen beschränkender Staat, wie ihn die Weimarer Reichsverfassung schuf, konnte deshalb im Heidelberger Lehrkörper kaum auf positive Resonanz stoßen. 5. In ihrem realitätsflüchtigen, desorientierten und unanalytischen Wunschdenken neigten die Gelehrten zu dualistischen Weltbildern und zu Verschwörungstheorien, wo rationale Analysen sie zu unangenehmen Einsichten gezwungen hätten. Hierin besteht eine wesentliche Affinität zu völkisch-konservativen Ideologien und zum Nationalsozialismus. Als besonders wirkungsvoll erwies sich die Bündelung von Sozialismus und Nationalismus als antipluralistische und antiliberale Utopie. 18 6. Die Aversionen gegen die Moderne und ihre Konflikte führten zu »chiliastischer Hoffnung auf eine neue soziale Ordnung und Errettung durch eine messianische Persönlichkeit«, die viele Heidelberger Gelehrte seit 1933 in Hitler zu erkennen meinten. Dieser Chiliasmus ersehnte die Rückkehr zu den vermeintlich idyllischen Ursprüngen der historischen Entwicklung. Der Gemeinschaftskult, aber auch der Heidelberg-Mythos waren Ausdruck solcher Hoffnungen. 7. Ein hoher formaler Bildungsgrad garantiert in Phasen heftiger Konflikte nur bedingt politische Toleranz. 19 Dasselbe gilt für die Fähigkeit zu rationalen politischen Abwägungen und die Sensibilität für politische Veränderungen. Trotz ihres durchaus nicht unpolitischen Selbstverständnisses waren die Heidelberger Hochschullehrer in der Regel nicht bereit, ihr Differenzierungs- und Analysevermögen auf politische Gegenstände anzuwenden. 8. Die Gelehrten glaubten, ihre sozialharmonischen wie ihre kulturimperialistischen Vorstellungen von der Vorherrschaft des deutschen Geistes in Europa nur in enger Zusammenarbeit mit den Mächtigen durchsetzen zu können. Besonders in politischen Konflikten suchten fast alle die Nähe zu einem starken Staat und stellten sich häufig ungefragt und in vorauseilendem Gehorsam in dessen Dienste. Ein intellektuelles Selbstverständnis als professionelle Kritiker besaßen nur sehr wenige. 9. Der Prozeß der Entliberalisierung des Denkens begann bereits 1914. Die Übereinstimmung der in den Kriegsschriften der Heidelberger Hochschullehrer vorkommenden Argumentationen mit denen aus der Zeit der nationalsozialistischen Machteroberung ist frappierend. In den frühen zwanziger Jahren verlor der akademische politische Radikalismus vorübergehend an Terrain, war aber weiter latent vorhanden und nur wegen der nicht sehr ausgeprägten Zivilcourage der konservativ-oppositionellen Gelehrten in 307 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
der Öffentlichkeit kaum präsent. Als sich die Krise der Republik zuspitzte und gleichzeitig die politischen Mitte zerfiel, traten rechtsextreme Hochschullehrer auch wieder verstärkt publizistisch hervor und rissen nicht wenige frühere Liberale mit sich. Die von einer Mehrheit der sich öffentlich äußernden Heidelberger Hochschullehrer vorgeschlagenen politischen Wege waren als Alternative zum Nationalsozialismus gemeint. Ihr Einfluß reichte nicht aus, und sie waren mehrheitlich politisch zu konformistisch, um eine solche auch durchzusetzen. Ihre politische Publizistik und ihr politisches Handeln schlug dennoch Breschen in die ohnehin morsche Weimarer Republik, die der nationalsozialistischen Propaganda das Eindringen in das bildungsbürgerliche politische Bewußtsein wesentlich erleichterten. Was als Alternative zum Nationalsozialismus gedacht war, half so mit, ihm den Weg zu bereiten.
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Abkürzungsverzeichnis Bibliografische Angaben zu abgekürzt zitierter Literatur im Quellen- und Literaturverzeichnis. AeG AkadW AM APuZ aoP ASS AStA BB BDC BDE BLZ BP BSZ BT CSVD CV CW DB DDP DJZ DkP DMW DNVP DR DStP DVjS DVLP DVP DZ ER ESWZ FVP FZ GAA GG GLA GPS GGr
Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaft Akademische Mitteilungen für Studierende an der Universität Aus Politik und Zeitgeschichte (nichtbeamteter) außerordentlicher Professor Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik Allgemeiner Studentenausschuß Badische Biografien. Neue Folge, Bd. I und II. Stuttgart 1982 bzw. 1986 Berlin Document Center Biographical Dictionary of Central European Emigres. München 1983 Badische Landeszeitung Badische Post Badische Schulzeitung Berliner Tageblatt Christlich Sozialer Volksdienst Christliches Volksblatt Christliche Welt Deutsche Bildung Deutsche Demokratische Partei Deutsche Juristenzeitung Deutschkonservative Partei Deutsche Medizinische Wochenschrift Deutschnationale Volkspartei Deutsche Revue Deutsche Staatspartei Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft u. Geistesgeschichte Deutsche Vaterlandspartei Deutsche Volkspartei Deutsche Zukunft Europäische Revue Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung Fortschrittliche Volkspartei Frankfurter Zeitung Glockner-Archiv Ansbach Geschichte und Gesellschaft Generallandesarchiv Karlsruhe Max Weber, Gesammelte Politische Schriften Geschichtliche Grundbegriffe. Stuttgart 1972ff. 309
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GZ HdJb Heid. Hs. HNN HP HSt HT HUK HdZ HZ IMWKT KF KPD KVP KZ KZSS LPG MdW MEW MMW MNN MWG NB1S NFP NHJ NJb NL NPL NR NSDAP NSLB NZZ oHP oP OZV PA paoP PH PV PB PrJb RVerwBl RuL RC RPD SAp SAP SNT
Geographische Zeitschrift Heidelberger Jahrbücher Handschriftensammlung der UBH Heidelberger Neueste Nachrichten Honorarprofessor Der Heidelberger Student Heidelberger Tageblatt Heidelberger Universitätskalender Heidelberger Zeitung, ab 1.9.1919: Badische Post Historische Zeitschrift Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik Ludolf von Krehl, Feldpostbriefe Kommunistische Partei Deutschlands Konservative Volkspartei Kölnische Zeitung Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpolitik Lexikon zur Parteiengeschichte. Köln 1987 Magazin der Wirtschaft Marx-Engels-Werke. Berlin Münchner Medizinische Wochenschrift Münchner Neueste Nachrichten Max Weber, Gesamtausgabe Neue Blätter für den Sozialismus Neue Freie Presse Neue Heidelberger Jahrbücher Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung Nachlaß Neue Politische Literatur Neue Rundschau Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Lehrerbund Neue Zürcher Zeitung ordentlicher Honorarprofessor ordentlicher Professor (Ordinarius) Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde Personalakte planmäßiger (beamteter) außerordentlicher Professor Die Pädagogische Hochschule Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Ruprecht-Karls-Universitat Pfälzer Bote, ab 8.7.1933: Heidelberger Volksblatt Preußische Jahrbücher Reichsverwaltungsblatt und preußisches Verwaltungsblatt Reich und Länder Ruperto Carola Republikanische Partei Deutschlands Semper Apertus. 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Sozialistische Arbeiterpartei Stuttgarter Neues Tageblatt
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SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sommersemester SS SSt Der Sozialistische Student Ständevers. Amtliche Berichte über die Verhandlungen der Ständeversammlung SZH Die Sonntags-Zeitung UAH Universitätsarchiv Heidelberg UBH Universitätsbibliothek Heidelberg USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei VB Völkischer Beobachter Verh. Bad. LT* Verhandlungen des Badischen Landtag Verh. RT Verhandlungen des Reichstags Verh.Soz. Verhandlungen des Deutschen Soziologentages VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VG Volksgemeinschaft. Heidelberger Beobachter ViW Volk im Werden Vossische Zeitung VossZ VZ Volkszeitung Heidelberg Wb Die Weltbühne WNR Wirtschaftliche Nachrichten aus dem Ruhrbezirk WS Wintersemester Wort und Tat WuT WWK Weltwirtschaftliche Korrespondenz Ζ Deutsche Zentrumspartei ZDB Zeitschrift für deutsche Bildung Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften ZfgSt ZfP Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins ZGO ZW Zeitwende
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Anmerkungen
Einleitung 1 Deutsche Rundschau, Jg. 1932, S. 158. 2 Bildungsbürgertum I, S. 11; Bruch, S. 424-427. Vgl. Engelhardt, Vondung. 3 Deutsche Hochschullehrer, S. 215. 4 Zit. nach: Ringer, S. 99. Zum Universitätsideal: Ebd., S. 96-106. Zum Bildungsbegriff: GGr I, insb. S. 547ff. 5 Vgl. Gelehrtenpolitik, S. 7 und 171. 6 Dieser reichte bis in die außerordentlich wissenschaftsgläubige Arbeiterbewegung. Zur Wirkung der Gelehrtenpublizistik: Schwan, S. 287. 7 Nach Aussage mehrerer Zeitzeugen suchte A. Weber »seine Studenten politisch zu beeinflussen« (KZSS, 35. Jg., S. 6); G. Mann, S. 293ff., berichtet über die Dominanz politischer Ausführungen in manchen Vorlesungen Jaspers'. Radbruch (Deutsche Universitäten, S. 32), Thoma (FZ 11.7.26) und Gumbel (Porträt, S. 149ff.) sahen ebenso einen erheblichen politischen Einfluß der Hochschullehrer auf ihre Studenten an wie der badische Kultusminister Hummel (AM 20.5.20), Ringer (S. 226) und Giovannini (S. 100-105). Bei Flitner, S. 32-40, entsprechende Beispiele aus Tübingen und Berlin. In einer für das Selbstverständnis vieler Hochschullehrer prägenden Schrift nennt Paulsen die Universitäten »etwas wie das öffentliche Gewissen des Volkes in Absicht auf gut und böse in der Politik, der inneren und der äußeren«. Vgl. Abschn. II.5.7. 8 Für viele Professoren existieren überdies Bibliografien, die auch entlegene Publikationen erschließen. Sie sind z.T. allerdings lückenhaft, sei es daß »tagesaktuelle« Publikationen nicht des Aufnehmens würdig befunden wurden (etwa: Dibelius, Zeit, S. 30) oder sei es daß das politische Engagement bewußt oder unbewußt verschleiert wurde (Personalbibliografien der Heidelberger Hochschullehrer in: Jansen,VomGelehrten). 9 Dazu Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 8-10. 10 Diskussion um Relativitätstheorie, Unschärferelation und Unvollständigkeitssatz. 11 Der Anspruch der deutschen Universitäten, Beamten usw., »unpolitisch« zu sein, wird oft (Ellwein, S. 228; Universitätstage, S. 190f.) dahingehend mißverstanden, als hätten sie ihre objektive politische Funktion nicht gesehen. So naiv war wohl nur eine Minderheit. Sedanfeiern, Kaisergeburtstagsreden und staatsloyale Mitwirkung in Parlamenten galten vielmehr als unpolitische Politik (vgl. Habermas, S. 127). 12 Zur Forschungslage: »Die sozialgeschichtliche Erforschung des Bildungsbürgertums im ersten Drittel dieses Jahrhunderts steht erst am Anfang« (Bildungsbürgertum IV, S. 181 und 203 mit allgemeinen Literaturangaben). Nach ersten Ansätzen noch während des Dritten Reichs, die für diese Studie nicht von Bedeutung sind, waren drei längere Aufsätze (Schwabe, in: HZ 193 undVfZ1966; Lübbe) Anfang der sechziger Jahre die ersten auf Quellenstudium basierenden Untersuchungen zum politischen Bewußtsein deutscher Hochschullehrer. Drei Vortragsreihen der Universitäten Berlin, Tübingen und München (Flitner; Universitätstage; Die deutsche Universität im Dritten Reich. München 1966; außerdem Litt) führten zu einer ersten Welle der Auseinandersetzung mit der hier zu behandelnden Thematik. In diese Phase fallen auch zwei Pionierstudien: Schwabe und Ringer sowie die weniger bedeutenden Arbeiten von Töpner und Bleuel. 1970-1985 erschienen Faust sowie diverse fachspezifische Untersuchungen (Schwan; Knorr; Faulenbach und B. Weber). Von den Monographien zum politischen Denken und 312
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Anmerkungen zu S. i3-14 Engagement von Hochschullehrern zwischen Erstem Weltkrieg und Drittem Reich beschäftigen sich die meisten mit Historikern (Knorr; Faulenbach; dort, S. 324, weitere Literaturangaben), die übrigen mit dem politischen Engagement der Gelehrten im Weltkrieg und während der Novemberrevolution, mit dem Weimarer Kreis verfassungstreuer Professoren und mit den politischen Optionen von Pädagogikprofessoren. Unlängst sind zwei Sammelbände erschienen, die einige interessante Spezialaspekte diskutieren (Gelehrtenpolitik; Deutsche Hochschullehrer). Bisher als einziger versuchte Ringer, die politischen Einstellungen und Stimmungen der deutschen Hochschullehrer insgesamt darzustellen und zu analysieren. Anders als für die politischen Einstellungen und Aktivitäten von Studenten (Kreutzberger; Giovannini) liegt bisher keine Studie über den Lehrkörper einer Universität vor. Bis auf Faulenbach, der allerdings eine wissenschaftsgeschichtliche Fragestellung verfolgt, und mit Einschränkungen Schwabe und Döring basieren die genannten Monografien und Aufsätze auf einer willkürlichen, methodisch fragwürdigen und den Ergebnishorizont von vorneherein stark einengenden Materialauswahl (vgl. Ringer, S. 7). Es werden immer nur einige politisch besonders profilierte Professoren behandelt, ohne die Frage der Repräsentativität für das Ganze (die deutsche Professorenschaft oder gar das Bildungsbürgertum), über das man Aussagen macht, aufzuwerfen. Zur Forschungslage vgl. auch: Bruch, S. 424-27, und NPL 1974, S. 340-52; demn. Jansen (NPL 1992). 13 Als Desiderat formulieren dies Megerle, S. 136f; Luhmann, S. 59. 14 So Habermas in seiner Rezension von Ringer (Minerva, Jg. 1971) und Stern. 15 Ansätze bei Ringer; Döring, Kap.VI-VIII; Faulenbach. 16 Vgl. Megerle, S. 123-136, insb. 127. Der Begriff »politische Kultur« wird im folgenden wegen seiner widerspüchlichen Definition vermieden. 17 Vgl. Mannheim, Ideologie, und Abschn. II.2. 18 Die Terminologie ist nur insofern einheitlich, als von zwei einander gegenüberstehenden Lagern seit etwa 1900 ausgegangen wird - eine Vorstellug, die wohl auf Fischer, S. 190, zurückgeht. Die Bezeichnungen lauten: für die Vorkriegszeit »Imperialisten«/Naumannianer« (Schwabe),fürdie Zeit zwischen 1890 und 1933 »Orthodoxe«/ »Modernisten« (Ringer), für die Kriegszeit »Annexionisten«/«Gemäßigte« (Schwabe; Döring u.a.) oder »Annexionisten«/«Gouvernementale« (Fischer, S. 190). Wie unbrauchbar diese Polarisierung in vielen Fällen ist, zeigt das Beispiel des Heidelberger Ordinarius für Kunstgeschichte (nicht für Germanistik, wie Ringer, S. 260, behauptet) Neumann, den Ringer aufgrund einer Publikation aus dem Jahre 1919 als »extrem nationalistisch« zu den »Orthodoxen« zählt, der für Döring (S. 259) aber als Unterzeichner mehrerer »gemäßigter« Gelehrtenresolutionen und Sympathisant des Weimarer Kreises zum anderen Lager gehört. Daß das politische Verhalten der Hochschullehrer im Weltkrieg vornehmlich als ein zunehmend härterer Aufeinanderprall zweier Lager gesehen wird, liegt vor allem an der üblichen Beschränkung auf wenige politisch außergewöhnlich engagierte Gelehrte, die über ein geschlossenes politisches Weltbild verfügen und diesen Überzeugungen auch weitgehend treu blieben. Es ist umso erstaunlicher, da sowohl Schwabe als auch Döring immer wieder auf die zahlreichen Gemeinsamkeiten im politischen Bewußtsein der Professoren verweisen. Schwabe »präzisiert« in der Zusammenfassung »noch einmal den Gegensatz, der die beiden Hauptgruppen ... trennte«, der im vorangegangenen Text nicht so scharf erschien. Döring erweckt den Eindruck zweier entgegengesetzter Lager, den er Schwabe ausdrücklich als überprüfungsbedürftige Hypothese ankreidet (S. 28f.) - vielleicht ungewollt - durch seine Materialtabellen. Auch Ringer verweist gelegentlich auf »ein breites Spektrum an gemeinsamen Überzeugungen aller Intellektuellen des Mandarintums [so nennt er die politisch engagierten Professoren] mit Ausnahme einiger radikaler Kritiker« (S. 220; ähnl.: S. 9 und 125). Der ganze Aufbau seines Buches stellt aber die Polarität »Orthodoxe««Modernisten« in den Vordergrund. Fischer (S. 190) sieht hingegen zu Recht nur Unterschiede in »Stil« und »Methode« zwischen »annexionistischen« und »gouvernementalen« Hochschullehrern. Auch Meinecke (HZ 125) betonte vor allem die trotz aller Gegensätze bestehenden Gemeinsamkeiten (vgl. Döring, S. 29). 313 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 14—15 19 Ringer, S. 62ff.; Kurucz, S. 106ff. Sonst wird die sozialökonomische Lage nicht thematisiert. Bruch (S. 28) ist sich dessen immerhin bewußt. 20 Vondung (S. 13) entwirft hierzu ein anspruchsvolles Konzept, ohne es einzulösen. 21Jansen, Vom. Gelehrten. 22 Einzige Ausnahme ist Hellpach, der als »einer der angesehensten Leitartikler in- und ausländischer Zeitungen« (Führ, S. XII) eine solche Vielzahl politischer Publikationen verfaßte, daß eine Auswahl getroffen werden mußte. Seine Bibliographie weist weit mehr als 900 Titel auf (in: W. Stallmeister/Η. Ε. Lück (Hg.), Willy Hellpach. Beiträge zu Werk und Biographie. Frankfurt 1991). 23 Solche Einschätzungen lassen sich mangels vergleichbarer Studien nur mit Vorsicht treffen. Im folgenden werden aber hierfür zahlreiche Indizien benannt. 24 Radbruch (in: Deutsche Universitäten, S. 33) meinte, die Hochschullehrer seien »mit der Geste der Führerschaft Angeführte des Zeitgeistes«. 25 Sowie diejenigen, die unhabilitiert ein Ordinariat erreichten oder oHP wurden. 26 Dies bedeutete bei Nichtordinarien, die keine Assistentenstelle hatten und kein Privatdozentenstipendium bezogen, jeweils zu prüfen, von welcher Tätigkeit sie sich ernährten. Nicht als Hauptberufler angesehen wurde, wer außerhalb der Universität einem Broterwerb nachgingen und im Verlauf seiner Karriere keine etatmäßige Stelle erreichte. Auch Emeriti wurden, solange sie in Heidelberg lebten, berücksichtigt. In den bisher vorliegenden Arbeiten wird die Frage, welche der einzelnen Gruppen innerhalb der Hochschullehrerschaft zu behandeln sind, nicht gestellt oder wenig überzeugend beantwortet. So definieren Töpner und Faulenbach nirgends, welche Arten von Hochschullehrern und ob sie auch außeruniversitäre Gelehrte berücksichtigen. Schwabe berücksichtigt offensichtlich, aber ohne dies zu sagen, nur ordentliche Professoren. Ringer redet ausschließlich von »Professoren«, zitiert aber Schriften z.B. von Mannheim aus dessen Privatdozentenzeit. Chroust zählt zum »professorate« auch nichthabilitierte Assistenten und Lehrbeauftragte; Drüll berücksichtigt alle Gruppen außer den Privatdozenten. Dies ist widersinnig, da fast jeder Privatdozent nach Ablauf einer gewissen Frist zum außerordentlichen Professor ernannt wurde und dies keine materiellen oder rechtlichen Folgen hatte. Die meisten Privatdozenten gelangten im Verlauf ihrer Karriere auf etatmäßige Stellen und gingen keinem außeruniversitären Brotberuf nach. Es ist also verfehlt, sie erst dann zu den (hauptberuflichen) Hochschullehrern zu zählen, wenn sie den Professorentitel verliehen bekommen. 27 Im Gegensatz zu Ringer habe ich darauf verzichtet, wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungen von politischer Relevanz nachzuzeichnen. 28 Die Einsichtnahme in Personalakten wurde mir »aus Gründen des Datenschutzes« verweigert - anders als noch 1981 und anderen Forschern auch nach meiner Anfrage (vgl. Ackermann; Giovannini; Henkelmann; SAp; Drüll; Mußgnug). Die Universität vertrat mir gegenüber, daß Personalakten erst 50 Jahre nach dem Tod der Person und wenn es keine Nachfahren gibt, zugänglich seien, wobei ich den Nachweis über deren Nichtexistenzführensollte. 29 Also weitaus mehr als die immer wieder (Deutsche Hochschullehrer, S. 150; Faust, S. 42; Kreuzberger, S. 34; Wippermann, S. 148; Heimbüchel/Pabst, S. 384) genannten »zehn Prozent«, die auf Döring, S. 234f., zurückgehen. 30 Der Terminus Gelehrtenpolitik meint in dieser Studie im ursprünglichen, 1922 von F. Meinecke (HZ 125, S. 248-283) geprägten Sinne Politik von Gelehrten bzw. Hochschullehrern. Eine normative Einschränkung haben im Begriff der »originären«, »spezifischen« oder »Gelehrtenpolitik i.e.S.« implizit und ohne klare Definitionen Bruch (S. 13, 23, 29, 71, 138ff., 205, 211, 414-18 u.ö.) und später explizit Döring (NPL 1974, S. 341, und vor allem: Gelehrtenpolitik, S. 81 und 149) vorgenommen: »Das erste Kriterium ist - in einer Denkfigur der idealistischen Philosophie - der nationalpädagogische Anspruch universeller, von materiellen Sonderinteressen freier Wahrheit im sittlichen Medium der Vernunft. Das zweite Kriterium, ein organisatorisches Erfordernis, folgt aus dem ersten: strikte Unabhängigkeit von und 314 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 15-18 Distanz zu Parteien, Verbänden, Agitationsvereinen, offiziösen Presseorganen und anderen partikularen Agenten der Sinndeutung politischer Streitfragen. Das dritte Kriterium ist bei formaler Distanz eine Affinität, eine Geistesverwandtschaft der Gelehrtenpolitik zum Staatsbeamtentum aufgrund der idealistischen Denkfigur der Macht-Kultur-Synthese.« Hingegen unterschied Meinecke eine »alte idealpolitische« Gelehrtenpolitik, deren Repräsentant Vischer ist und die sich in etwa durch die ersten beiden Kriterien Dörings charakterisieren läßt, von einer »neuen sozialpolitischen Gelehrtenpolitik«, verkörpert durch den »staatsmännisch-opportunistischen« Schmoller, auf die Dörings drittes Kriterium zutrifft, die aber nach Meinekkes Staatsbegriff durchaus in Spannung zu den beiden anderen Kriterien steht. Der dritte Repräsentant deutscher Gelehrtenpolitik ist für Meinecke der M.Weber der Weltkriegszeit, der nun wiederum keineswegs »in Distanz zu Parteien, Verbänden, Agitationsvereinen« stand. Zwischen diesen Personen und ihrem Politikverständnis besteht für Meinecke keine Gemeinsamkeit, außer daß sie alle ungewöhnlich stark politisch engagierte Professoren waren. 31 Ebd., S. 97. Für Meinecke (HZ 125, S. 251) charakterisieren die drei erstgenannten Disziplinen die von ihm unterschiedenen drei Phasen »deutscher Gelehrtenpolitik«. 32 Vgl. B. Weber, S. 201f.; Riese. 33 Zur Zeit vor 1914: Ringer; Bruch. 34 Vgl. Schwabe und Ringer, S. 169ff. 35 Gelehrtenpolitik, S. 147ff.
I. Rahmenbedingungen 1PV;Riese, S. 94ff. Die komplizierte Hierarchie verwirrt sogar Ringer (S. 74). 2 ImPVwurden sie bis 1922 so bezeichnet. 3 GLA 235/29829 Erlaß v. 19.6.20. Für die Zeit vor 1919: Tompert, S. 28. 4 Gelegentlich wurde geprüft, ob die Veranstaltungen stattfanden. 1927 verloren deshalb drei Mediziner die venia legendi (UAH F-II-3640). 5 Ebd., Schreiben des Kultusministeriums v. 8.12.15 und 4.7.16, wo auf einen Erlaß v. 15.11.05, der die Verleihung des Titels aoP regele, verwiesen wird. 6 GLA 235/8643, Schreiben des Kultusministeriums v. 17.11.21. In einigen Fällen wurden Privatdozenten früher zu Professoren ernannt: Geiler, der bereits Dozent an der Handelshochschule Mannheim war, nach weniger als einer Woche (Drüll), der Repetent am theologischen Seminar Braun nach knapp zwei Monaten. Ihm war dies bereits vor seiner Habilitation in Aussicht gestellt worden (GLA 235/3110 v. 22.2.17). Jaspers wurde nach knapp drei Jahren ernannt (ebd.), Frank, Götze und Herrigel nach vier oder fünf Jahren, da sie lange Kriegsdienst geleistet hätten, ohne den sie bereits früher habilitiert gewesen wären (GLA 233/24926 v. 15.7.27). Gumbel, für den dasselbe gegolten hätte, wurde erst nach über neun Jahren Professor. Anderen politisch mißliebigen Dozenten ging es ebenso: der Rechtsradikale Ruge und der Sozialist Muckle wurden in fast zehn- bzw. mehr als achtjähriger Zugehörigkeit zur Universität nie aoP. 25 Jahre Privatdozent blieb der Gynäkologe Schaeffer (PV). 1 Zur Geschichte der Privatdozenten vor 1918: A. Busch, Die Geschichte des Privatdozenten. Stuttgart 1959; Riese, S. 153-190; M.Weber,Wissenschaft, S. 5f; Hoffmann, Freiheit, S. 16. Folgendes Zitat: Gothein,Verh.Bad.LT 22.6.20, S. 2584. 8 In der Akte »Privatdozenten 1915-1921« (GLA 235/8643) liegt ein Inserat (FZ 19.11.16): »Prof. an höh. Schule Nähe Heidelbergs, Dr.phil., gute Erscheinung, 32 J., geord. Verhältnisse, im Begriff, zur Universitätslaufbahn überzugehen, sucht Briefwechsel mit vornehmer junger Dame o. Witwe zwecks spät. Heirat. Größeres Vermögen ist zur gesellschaftl. Stellung Bedingung. 315 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 18—22 9 Diese von Busch (Anm. 7) und Riese übernommene Formel stammt von Harnack (1905). 10 Zwei Vertreter gab es, wenn in einer Fakultät mehr als zehn Nichtordinarien waren. Der Große Senat bestand aus sämtlichen Ordinarien, sämtlichen planmäßigen Extraordinarien sowie den aktiven ordentlichen Honorarprofessoren, die bereits mindestens drei Jahre akademisch gewirkt hatten (Verfassung v. 21.3.19, GLA 235/8643). An allen Universitäten wurden nach 1918 Nichtordinarien an der Selbstverwaltung beteiligt, manchmal, so in Jena (Grüner, S. 124-132), mit wesentlich mehr Rechten. 11 Zit. nach Riese, S. 95. Es gab Honorarprofessoren und ordentliche Honorarprofessoren, zwischen denen im Untersuchungszeitraum nur ein Rangunterschied bestand. 12 Die Ernennung zum oHP war auch eine Möglichkeit, verzwickte Fälle zu lösen. So beim Ex-Minister Hellpach, der ein Anrecht auf die Rückkehr in sein früheres Amt (planmäßiger Extraordinarius an der TH Karlsruhe) hatte, ohne daß dieses oder ein vergleichbares bei seinem Rücktritt vakant war. So wurde er unter Zahlung seines Ruhegehaltes oHP für Psychologie in Heidelberg. Da er damit keine Lehrverpflichtung hatte, bekam er außerdem einen Lehrauftrag (GLA NL Hellpach 105). 13 Im Untersuchungszeitraum gab es vier Titularprofessoren: den Leiter der Universitätsbibliothek (seit 1920) Sillib, der 1924 gar zum oHP ernannt wurde, den Assistenten am geologisch-paläontologischen Institut, Häberle, der 1934 ebenfalls oHP wurde, den Musikdirektor Poppen und den Leiter des Instituts für Leibesübungen Rissom. 14 Detaillierte Zahlenangaben in: Jausen, Vom Gelehrten, Abschn. 3. 15 Die seit WS 33/4 bestehende wirtschaftswissenschaftliche Fakultät wird generell zur philosophischen gerechnet. Bei den Nebenberuflern handelt es sich um: Bilabel (Gymnasialprof), Braun (Pfarrer), Darmstädter (Landgerichtsrat), Duhm (Pfarrer), Fraenkel (Leiter Tuberkuloseklinik), Frommel (Pfarrer), Hirschel (Leiter Josefskrankenhaus), Jänecke (Laborleiter BASF), Kissling (Leiter städt. Krankenanst. Mannheim), Klein (Leiter Biolog. Laboratorium der IG Farben), Loeschcke (Leiter pathol. Institut der städt. Krankenanst. Mannheim), Loewe (Laborleiter städt. Krankenanst. Mannheim), Neu (Leiter Privatklinik), Preuschen (Pfarrer), Röhrer (Gymnasiallehrer), Schott (Direktor Stat. Amt Mannheim), Sillib (Leiter Universitätsbibliothek), Strigel (Oberrealschulprof.), Vulpius (Sanatoriumsleiter), Waag (Direktor Höhere Mädchenschule), Waffenschmidt (Gewerberat), Walleser (Gymnasialprof.), Walz (Oberbürgermeister) und Wild (Gymnasialprof.). Fünf Hochschullehrer waren nur in einem Teil ihrer Heidelberger Zeit Hauptberufler: Lurz (bis zur Ernennung zum Chefarzt in Mannheim), Ehrenberg (bis zur Ordination als Pfarrer), Friedrich Schmidt (bis er in den Vorstand der Knoll AG eintrat), Wilke (bis er zur IG Farben ging) und Wille (seit seiner Pensionierung als Direktor der Universitätsbibliothek) (Drüll; PV). 16 Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 3, insb. Tab. 1-4. 17 Das Geburtsdatum des nebenamtlichen Prof. Pakheiser war nicht festzustellen. 18 Vgl. Mannheim, Wissenssoziologie, S. 509ff.; Giovannini, S. 222. 19 Vgl. Döring, S. 139; Gelehrtenpolitik, S. 150. 20 Koebner, S. 52. Vgl. auch ebd., S. 14ff., 74ff. und 199ff. 21 Ebd., S. 55. Vgl. E. Glaesers Roman Die Generation von 1902. Berlin 1928. 22 Zusammenfassung des in Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 5 und 7, Ausgeführten. 23 Hatten bis Ende der siebziger Jahre rund 85 % der Habilitierten im Verlauf ihrer Karriere planmäßige Professuren erreicht, so sank dieser Anteil in den achtziger Jahren auf 77 %, in den neunzigern auf 72 %,im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf 62 % (Ferber, S. 81); vgl. Jansen, Vom Gelehrten, Tab. 15 und Abschn. 6. 24 Zur sozialen Öffnung der Lehrkörper seit 1933: Zneimer, S. 150ff. Zahlen über die in Freiburg 1818-99 Habilitierten, die man mit den Generationen 1 und 2 vergleichen kann, bestätigen die Besonderheiten der sozialen Herkunft der Heidelberger Hochschullehrer: Dort kamen aus Bürokratie, Offizierskorps und Gutsbesitz 21 %, aus dem Wirtschaftsbürgertum 29 %, aus den drei bildungsbürgerlichen Schichten zusammen 38 %, aus in der Wirtschaft 316 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 22-31 abhängig beschäftigten Schichten 5 % und aus Bauernfamilien 8 %, aus denen in der katholisch-theologischen Fakultät jeder zweite stammte. Genaue Zahlen und Nachweise: Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 5 und Tab. 7-9. 25 Ebd., Tab. 5. 26 Bad. Gesetz- und Verordnungsblatt 1923, S. 2f. und 353, 1924, S. 306; UAH F-II-3501 v. 26.2.24; GLA 233/29829 v. 15.2.19. In einem Merkblatt des Ministeriums für alle Professoren (23.9.20) heißt es konsequent »Eremitierung« statt Emeritierung! 27 E. Fleiner berichtet über die Verbitterung ihres Vaters angesichts der »14tägige[n] Kündigung des Amtes, welches er nahezu 20 Jahre erfolgreich in treuester Pflichterfüllung verwaltet hatte«. Es habe Mißfallenskundgebungen der Studentenschaft gegeben und »eine schmerzende Wunde« sei zurückgeblieben (S. 95f.). Im Rektoratsbericht war 1924 gar von einem »unterschiedslos durchgeführten Abbau aus politischen Gründen« die Rede (Wolgast, S. 126). Vgl. Seier, S. 328, und VossZ 30.1.21, S. 4, wo negative Reaktionen Berliner Professoren auf entsprechende Regelungen in Preußen abgedruckt sind. Sie forderten mindestens die Heraufsetzung der Grenze auf 70 Jahre. 28 M. Weber, Wissenschaft, S. 11, ähnl. S. 8. 29 Hellpach, Verh.RT10.6.29, S. 247. Er sah darin eine Folge der »Armut Deutschlands« und der geistigen »Verschulung«, die großen Geistern zu wenig Raum lasse. 30 Einschl. »volkswirtschaftliche Statistik« und »Staatswissenschaften«. Soziologie begann im Untersuchungszeitraum erst, sich als eigenständiges Fach zu konstituieren. 31 Vgl. AeG, S. 59ff., mit weiteren Belegen. 32 Zur Schichtung vgl. Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 5. 33A.Weber, Not, S. 16. Die folgenden Zitate: ebd. S. 18 und 20. Weber beschäftigte sich auch in anderen Publikationen derselben Zeit (FZ 1.2. und 30.11.21) mit der sozialen Lage der Hochschullehrer. Andere Heidelberger Gelehrte zu diesem Thema: Lederer, Not; Gumbel, Porträt, S. 114ff.; Verschwörer, S. 213; Andreas, Wandlung, S. 9f. Soweit die Literatur sich zur sozialen Lage von Hochschullehrern äußert (Ringer, S. 62ff.; Kurucz, S. 106ff.), stützt sie sich nicht auf eigene Auswertungen, sondern auf zeitgenössische Untersuchungen - neben A. Weber vor allem auf den Zentrumsabgeordneten Schreiber sowie E. Prochowniks, auf einer Umfrage im Sommer 1924 beruhende Untersuchung Die wirtschaftliche Lage der geistigen Arbeiter Deutschlands. 34 Vgl. E. Fleiner, S. 94; Gothein, Verh.Bad.LT 22.6.20, S. 2582ff. 35 Glockner, Bilderbuch, S. 224 und 229ff.; Weber: GLA 233/24926 v. 22.8.23. 36 Gothein, Verh.Bad.LT 1.2.21, S. 640f. Im folgenden setzte er sich für die Erhöhung der Bezüge der Extraordinarien und Privatdozenten ein. 37 Hellpach, DMW 58/1932, S. 323. 38 Vgl. Ringer, S. 62ff.; Kurucz, S. 106f.; Jones, S. 294. 39 Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 8-10. 40 Einzige Ausnahme: Hellpachs oben zit. Äußerung. Andere Universitäten Marshall, S. 294. 41 Hellpach, Universitas, S. 277f. 42 Vgl. Jansen, Vom Gelehrten, Abschn. 9.3. 43 Vgl. M. Gothein, S. 252ff.; Mar. Weber, Weber, S. 525; Kern, S. 64; Salin, George, S. 23f.; Jaspers, Selbstporträt, S. 14, und HdJb V, S. 8. Aus der Sekundärliteratur exemplarisch: SAp 111, S. 13. Vor einem Niedergang der Universität wie im 18. Jahrhundert warnte mehrfach der Dozent und DNVP-Abgeordnete Schmitthenner (Verh. Bad. LT 1926, S. 3508, und 1930, S. 2546). 44 Mannheim, Briefe, S. 82f. 45 Radbruch, Weg, S. 82. Ähnl. Wendland, Wege, S. 77; HUK SS 29, S. 6f., und 55 27, S. 6 (Heinsheimer bzw. Panzer). 46 L. Curtius, Welt, S. 358f.; Mannheim, Briefe, S. 82f.; Bezold, AM 10.5. und 11.11.16; Klibansky; Zuckmayer, S. 282. 317 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 31-33 47 Gundolf, Briefwechsel, S.196; ähnl. Briefe, S. 221; Endemann, AM 19.5.17; Ernst, S. 5f. 48 Jaspers, Selbstporträt, S. 14; Dibelius, HUK 1927, S. 5, und 1928, S. 6. Ahnl. Mannheim, Briefe, S. 83: »Dieser Ort besitzt ... die Geschütztheit eines Glashauses, und ich denke an die Welt immer als ... an etwas Äußeres.« 49 Gundolf, Briefe, S. 221; L. Curtius, MNN 17.7.24. 50 Mehrere Autorinnen sahen dies besonders symbolisiert in dem Sommerfest des Rektors 1914 im Schwetzinger Schloßpark, das »der Abschluß einer alten Zeit« gewesen sei: M. Gothein, S. 248ff.; Salin, George, S. 23f.; Mar. Weber, Weber, S. 525. 51 Querschnitt. Berlin, Jg. 1928, S.643; L. Curtius, Welt, S. 359; Zuckmayer, S. 286. Vgl. Salin, George, S. 136; Hammerstein, S. 103. 52 Radbruch, Weg, S. 87f. Vgl. L. Curtius, Welt, S. 360; KZSS, Sonderh. 7, S. 161. 53 Vgl. Jaspers, Selbstporträt, S. 14; Radbruch, Weg, S. 85; M. Gothein, S. 151. 54 Mannheim, Briefe, S. 83; L. Curtius, Welt, S. 370 und 374f.; Reden, S. 9; HUK WS 32/3, S. 4 (Andreas); KZSS, Sonderh. 7, S. 161; Walz, Heidelberg; Werbeprospekt »Heidelberg. Ruperto-Carola«. Heidelberg: Hörning 1932. 1922 meinte Anschütz, »unser Heidelberg« in seiner Rektoratsrede vor dem »Vorwurf« in Schutz nehmen zu müssen, »es neige zur Internationalität im unguten Sinne des Wortes« (Leitgedanken, S. 34). Radbruch (Weg, S. 92ff.) verweist auf die Bedeutung der zahlreichen russischen Emigranten für die Heidelberger Gelehrtenkultur. 55 HUK WS 32/3, S. 4f (Andreas); L. Curtius, Welt, S. 374f.; Werbeprospekt (Anm. 54). 56 Glockner, HdJb XVII, S. 160; Bilderbuch, S. 105; Wendland, Wege, S. 80; KZSS, Sonderh. 7, S. 161 und 169. 57 Oncken, RC 47, S. 56ff. Ahnl. Liebmann. 58 Zuckmayer, S. 286; die pazifistischen Blätter »Menschheit« (15.8.24, S. 163) und »Welt am Montag« (29.11.26). Hellpach (Prägung, S. 241) nannte »das Leitmotiv« für Heidelberg »nicht >Linkseinstellung‹, sondern Objektivität und Toleranz«. Hier herrsche »freieste Meinungsvertretung« und Offenheit: »Der Deutschnationale Ludwig Curtius und der Sozialdemokrat Radbruch disputieren hier an der Tafel über den Stand einer Regierungskrise im Reich so sachlich, daß alles mit Genuß - und Nutzen sie hört.« Die Robert E. Schmidt-Stiftung begünstigte die Universität Heidelberg ausdrücklich wegen deren »Liberalität und Fortschrittlichkeit« (Berschin, S. 80). Ähnl. Hellpach, NZZ 11.8.29; L. Curtius, Weh, S. 372; Mannheim, Briefe, S. 73f.; Deutsch-Österreichische Tageszeitung, 20.7.26; Schwan, S. 289; Wagner-Jauregg, S. 46; Salin, George, S. 137f. 59 Rothacker (Erinnerungen, S. 67) distanziert sich in einer Schilderung voller Fehler vom liberalen Geist der Universität in den frühen zwanziger Jahren. Reste eines Ressentiments gegen das »moderne« Heidelberg auch bei Wendland, Wege, S. 79f. 60 Ubisch, S. 49, weiter heißt es: »Es wird sich schwer ein Ordinarius finden lassen, der mit Nichtordinarien wie seinesgleichen verkehrte.« 61 Gutzwiler wurde empfohlen, sich für seine Antrittsvorlesung einen seidenen Anzug schneidern zu lassen (Interview). Ähnl. Radbruch, Weg, S. 90f., und der erst 1933 nach Heidelberg gekommene Mediziner A. von Muralt (in: Merian 2/1967, S. 64). 62 KF II, S. 9, 107 u.ö.; Mannheim, Briefe, S. 78f.; L. Curtius,Welt, S. 360. Radbruch (Weg, S. 87) beschwert sich über Klatsch. 63 Ebd., S. 88. Vgl. Ders., Briefe, S. 89; Kern, S. 64f.; Jaspers, Doktor. Bereits zu Beginn des ersten Weltkriegs hatte der christlich-konservative Mediziner Krehl »die Heidelberger« kritisiert, da es ihnen an Einfachheit und einer »Beziehung zu Gott« fehle (KF I, S. 137). Häufig kritisiert wurde auch die angeblich erotische Atmosphäre, übertriebene Eleganz und Frivolität der Heidelberger Universitätskultur: So berichtete Gutzwiler vom »libertinischen Ruf« der Universität (Interview). Ähnl. empfand Radbruch (Weg, S. 87) als »Schattenseiten« der Heidelberger Gelehrtenkultur »die mannigfachen Irrungen einer von Grundsätzen nicht mehr beherrschten Erotik.« Dies hatte nicht zuletzt biografische Gründe: Radbruchs erste Frau 318 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 33-37 hatte ein Kind mit einem Kollegen, dem Philosophen Lask. Salin bezeichnete die Ruperto Carola als Gewächshaus, dessen Luft einer »männlicheren Haltung« abträglich gewesen sei (George, S.58). Vgl. Querschnitt (Anm. 51); Green, S. 43ff. 64 AeG, S. 203; PV; »Mythos Heidelberg«; AeG, S. 491ff. 65 Liebmann; Oncken, RC 47, S. 55; Mitteis, Wege, S. 20. Ähnl. HÜK SS 27/8, S. 6 (Dibelius); Andreas, Rede 1928, S. 210. 66 Jaspers, HdJb V; Salin, George, S. 12. Auf einer Tagung des Reichsbanners erklärte Radbruch »Heidelberg, die in so vieler Beziehung symbolische Stadt, nun auch zum Symbol der Republik«, da sich in ihr »die erste und letzte Wohnung Eberts« befänden (VZ 4.6.27). 67 Mannheim, Briefe, S. 77. Etwas weniger pathetisch bezeichnete es der Mediziner Ernst (S. 15f.) als »the very kernel of German life and the ideal of Germanic scenic beauty«. 68 L. Curtius, Welt, S. 360; Radbruch,Weg,S.88;Jaspers, Selbstporträt, S. 14. Ahnl. die Rede Heinsheimers an die Neuimmatrikulierten des WS 28/9 (HUK, S. 6f.). 69 DZ 5.1.27, S. 1;Schmitthenner,Verh.Bad.LT27.3.30, S. 2547; Blum. 70 Oncken, RC 47, S. 57; L. Curtius, Welt, S. 372; Gundolf Müller, S. 10. 71 Radbruch,Weg,S. 85. Bei ihm (S. 90f.) und bei Gradenwitz (Bekker, S. XXIVf.) werden als Beispiele für »Geheimratsgeselligkeiten« die Diners bei dem Juristen Bekker geschildert. 72 Deren Geschichte muß noch geschrieben werden. Es ist allerdings fraglich, ob dies nach dem Tod der meisten Teilnehmer noch möglich ist. Als Quellen stehen fast ausschließlich Autobiografien zur Verfügung - und schon die Namen, unter denen ein großer Teil der Kreise firmiert, variieren von Autor zu Autorin. Vgl. Giovannini, S. 100ff. 73 Riese, S. 242ff. Der Versuch einer Systematik der Heidelberger Gelehrtenkultur basiert auf den Diskussionen bei der von Prof. K. Sauerland (Warszawa) im Oktober 1990 veranstalteten Konferenz »Heidelberg als intellektuelles Zentrum im ersten Drittel des Jahrhunderts« (vgl. Jansen, RC 83/84, S. 287-292). 74 Vgl. Radbruch, Weg, S. 85ff.; Mar, Weber, Weber, S. 475ff.; Glockner, Bilderbuch, S. 102ff.; Jaspers, Selbstporträt, S. 14f.;KZSS.J g . 35, S. 4ff., und Sonderh. 7, S. 161-271, sowie Greens zu euphorische Schilderung des Heidelberger Vorkriegs-»Geistes« (S. 49ff.). 75 Demm, S. 56; AM 1.7.25, S. 54: »von Zeit zu Zeit«. 76 Kölner Vierteljahrshefte, Jg. 1, S. 88, Jg. 4, S. 323; AM SS 24, Nr.4. Salin, Suche, S. 327; M. Gothein, Gothein, S. 249ff.; Zuckmayer, S. 301f.; Mitgau, Leben, S. 21; Weizsäcker, Begegnungen, S. 86; Marschak, HdJb XVII, S. 25. 77 AM 1.7.25, S. 54. Seit WS 24/5 hieß das Volkswirtschaftliche Seminar »Institut für Sozialund Staatswissenschaften« (Kölner Vierteljahrshefte, Jg. 4, S. 323). Vgl. Klingemann. 78 Zum Image des InSoSta vgl. AM 15.12.26, S. 36ff., wo es über das »Institut mit Seele« heißt, es sei dem sokratischen Denken »durch sein Nichthaben und Nichtwissen verwandt«. Bei einem Besuch habe Sokrates geraten: »Sorgt, daß die Seele und der Logos immer verbunden bleiben.« Zur Attraktivität Heidelbergs für Studenten vgl. Giovannini. 79 Salin, George, S. 137f. Ein weiteres Indiz für das liberale Klima der soziologischen Diskussionsabende bilden die abfälligen Bemerkungen in Autobiografien reaktionärer Professoren wie Glockner (Bilderbuch, S. 62: »die soziologische Sekte traf sich im ›Schwarzen Schiff‹‹«) oder Rothacker (Erinnerungen, S. 60). 80 Jaspers, Autobiographie, S. 70f.; Driesch, Lebenserinnerungen, S. 157. 81 FZ 24.10.17; Schwabe, S. 160ff. Vgl. Tab. 2 (Anhang), Sp. f, und Abschn. III.2.1. 82 Wie Döring, S. 125f., überinterpretiert. Z. B. gehörte ihm L. Curtius, überzeugter Monarchist und DNVP-Mitglied, an (Welt, S. 372, dort auch das erste Zitat). 83 G. Mann, S. 409; Klaus Zumbrägel, E.W.Eschmann - Vorstudien zu einer politischen Biographie. Magisterarbeit Münster 1988, S. 28. Die Politische Gesellschaft veranstaltete im Juli 1932 einen Vortrag Bergsträssers (HT 20.7.32, S. 5). Jaspers war, bis er sich 1925 aus politischen Aktivitäten zurückzog, Mitglied (Autobiographie, S. 61 und 70). Dozentenbund: Wendland, Wege, S. 129. Im UAH befinden sich zu keiner dieser Vereinigungen Akten. Ein 319 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 37—42 »Dozentenverein im badischen und deutschen Beamtenbund«, 1922 gegründet, hat offensichtlich nie Aktivitäten unternommen (UAH B-3420/2). 84 Bei den »Jours« sind Dichtung und Wahrheit besonders schwer zu unterscheiden. Mar. Webers Darstellung in ihrer Weber-Biographie ist umstritten (vgl. Glockner, Bilderbuch, S. 106), und auch ansonsten differieren die Erinnerungen stark. 85 Glockner, Bilderbuch, S. 102, bzw. Mar. Weber, Weber, S. 475. 86 Mar.-Weber-Kreis, S. 9; Radbruch, Weg, S. 82 und 84; Salin, George, S. 109 und 120f.; Piper, S. 14; kritisch: Driesch, Lebenserinnerungen, S. 130 und 149. 87 Mar. Weber, Lebenserinnerungen, S. 194; Gutzwiler, Interview. 88 Ein Auswahl der Teilnehmer nennt Mar. Weber (Lebenserinnerungen, S. 195-212). Die Themen der Jahre 1930-43 und die Namen der Vortragenden: Mar.-Weber-Kreis, S. 13ff. In dieser Zeit fanden nur noch vier bis acht »Geistertees« jährlich statt. An Heidelberger Hochschullehrern werden erwähnt: L. Curtius, Zimmer, Fraenkel, Meyerhof, Gruhle, Freudenberg, Regenbogen, H. Ranke, Brinkmann, Salis, Hellpach, Anschütz, W Jellinek, Geiler, Lederer, Marschak, Mannheim, A. Bergsträßer, Täubler, Radbruch, Dibelius, Hupfeld, Eckardt, Jaspers, Gundolf, Hampe, E. Hoffmann. Weitere Namen, vor allem für die Vorkriegszeit: KZSS, Sonderh. 7, S. 161-271. 89 Mar.-Weber-Kreis, S. 10; Glockner, Bilderbuch, S. 106. 90 Mar.-Weber-Kreis, S.13ff.Jellinek (RuL 7/1933, S. 1f.) berichtet von Diskussionen, die er über einen Artikel im Marianne Weber-Kreis führte. 91 Mannheim, Briefe, S. 84f (passim zu Georgeanern); Gundolf, George 1930, S. 31. 92 Salin, George, S. 51f.; E. Curtius, Geist, S. 19, und Essays, S. 100-116, insbes. 111f. Er hatte sich vor seiner Heidelberger Zeit vergeblich um Aufnahme in den George-Kreis bemüht und seitdem ein ambivalentes Verhältnis zu ihm. 93 Vgl. z.B. Rothacker, Erinnerungen, S. 64f.; M. Gothein, S. 198ff., Mar. Weber, Weber, S. 463ff. Ablehnung der Person Gundolf und der Georgeschen Dichtungen gingen Hand in Hand. Glockner (HdJb XVII, S. 163f.) zitiert Panzer, Boucke und Güntert mit abfälligen bis gehässigen Äußerungen, während von Waldberg Gundolf und George verteidigt habe. Vgl. Güntert, Geist, S. 34. 94 Er war Direktor des Kunsthistorischen Instituts, aber kein Hochschullehrer. Die einzige ausführliche Darstellung, auf die sich das folgende stützt, findet sich bei Zuckmayer, S. 282ff. Außerdem: HT 24. und 28.2., 20. und 26.3., 1.4. und 24.5.19; Das Tribunal. Darmstadt, Jg. 2, S. 28; Mierettdorff; Schubert, Kirche, S. 34; Rothacker, Erinnerungen, S. 58 (mit den charakteristischen Irrtümern). 95 Mierendorff, S. 3; Vgl. HT 24. und 28.2., 15. und 20.3.19; DZ, Jg. 1921, S. 12f. 96 Die Vorträge teilw. in: Verhandlungen des Naturhistorisch-Medizinischen Vereins zu Heidelberg N.F. Bd. 13-18; Häberle/Salomon und entsprechende Überblicke von 1920, 1924, 1927 und 1928; Häberle; RC 9/10, S. 68ff.; E. Fleiner, S. 30f.; Jagemann, S. 296; Wendland, Wege, S. 129; Gutzwiler, S. 101. 97 Weizsäcker, Begegnungen, S. 10ff. 98 Rothacker, Erinnerungen, S. 70f., dort als »politisch ... neutral« bezeichnet. 99 Weizsäcker, Begegnungen, S. 25; Glockner, Bilderbuch, S. 104 und 107; Gutzwiler, S. 102. 100 KF II, S. 9 und passim. Weizsäcker und Siebeck predigten 1918/19 in Universitätsgottesdiensten (Siebeck, Wissen; Weizsäcker, Begegnungen, S. 12f und 39), standen dem christlichjüdisch-religiösen Patmos-Kreis nahe (Ebd., S. 15f.) und interessierten sich für die Barthsche Theologie (Siebeck, Erinnerung, S. 129f.). Barth übte auch auf Ehrenberg (CV 1.11.-1.12.19) und Jaspers (Situation) großen Einfluß aus. Von anderen Professorenzirkeln berichten Autobiografien, ohne sich zu den in ihnen verhandelten Inhalten zu äußern: HdJb XVII, S. 163 (die durchweg konservativen »Deutschkundler«: Güntert, Boucke, Waldberg, Teske, Panzer, Schrade,Wahle und Fehrle); Weizsäcker, Begegnungen, S. 157f. (»Kränzchen« um 1921: Weizsäcker, Rickert, Jaspers, L. Curtius, A. und Mar. Weber); Küster, S. 108 (Kreis liberaler Ordinarien um 320 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
KJebs: C. Neumann, Oncken, Troeltsch, Driesch, Boll, A. und M. Weber); E. Fleiner, S. 29f. (Medizinerstammtisch im »Stall«). 101 Rektor war bis zu seiner Abdankung der Großherzog. Künftig hieß der Rektor des Vorjahres, der automatisch Senatsmitglied war, »Prorektor« (früher »Ex-Prorektor«). 102 Vgl. Hochschulatltag, S. 39. 103 Vgl. Ubisch, S. 45. Im Gegenzug boykottierte er etwa die Denkschrift (S. 27). 104 Seine Schweizer Staatsangehörigkeit scheidet als Ursache aus, da andere Schweizer in der Fakultät (Fleiner, Gutzwiler) Dekan waren. In der theologischen Fakultät wurden alle Ordinarien mindestens einmal Dekan. 105 Vgl. Glockner, Bilderbuch, S.11ff.;Rothacker, Erinnerungen, S. 61. Auch Jaspers war nie Dekan, ließ sich aber 19/20 in den Engeren Senat wählen. 106 Salin, in: Piper, S.15. Ranke: GLA 233/24926 vom 25.6.37. 107 Die Wahl Panzers zum Rektor 1926 stellt m.E. (im Gegensatz zu Weisert, S. 114) keine Ausnahme dar. Offensichtlich war er Dekan und rector designatus zugleich. Jedenfalls wird er im Vorlesungsverzeichnis 1925 und 1925/6 in beiden Sparten aufgeführt und war wie alle designati Mitglied der Immatrikulationskommission. 108 Die Anteile der Fakultäten an der Gesamtzahl der zwischen 1914 und 1933 in Heidelberg lehrenden Ordinarien betrugen: Theol 12 % (14 % der Rektoren), Jur 15 % (18 %), Med 26 % (14 %), Phil 31 % (41 %), Nat 16 % (14 %). 109 Die Juristen Buhl (1902) und G. Jellinek (1907) sowie der Mediziner Czerny (1903). Daß im Kaiserreich kein kirchentreuer Katholik Rektor wurde, wohl aber ein Jude, spricht für die These, daß der institutionelle Antisemitismus in der Weimarer Republik zunahm, während sich die Stellung der Katholiken deutlich verbesserte. Zur Religionszugehörigkeit Jansen, Vom Gelehrten, Tab. 11. 110 Nach weniger als fünf Jahren Universitätszugehörigkeit wurden lediglich die Mediziner Gotschlich und Kallius (nach vier bzw. zwei Jahren) Rektor - ein Symptom dafür, daß es in dieser Fakultät schwierig war, Kandidaten zu finden. Auch W. Jellinek war 1933 erst vier Jahre in Heidelberg. 111 Dibelius (44) und Andreas (48) wurden mit weniger als 50 Jahren Rektor. W. Jellinek als designierter Rektor 1933 wäre ebenfalls erst 48 gewesen, der aufgrund nationalsozialistischen Druckes zum Rektor gekürte Groh war gar erst 43. 112 Vgl. für Mecklenburg: Geschichte Rostock, S. 171ff.; Preußen: Seier, S. 321. 113 Rector designatus für 1919/0, vor Amtsantritt verstorben (Bartholomae, S. II). 114 Er amtierte nur drei Wochen (vgl. Weisert, S. 22). 115 Da sein Nachfolger starb, amtierte er wieder von Mitte Juni bis Oktober 1929. 116 Vgl. Tab. 1 und 2 (Anhang) und die ersten Abschn. der Kap. III—VI, in denen wichtige politische Stellungnahmen der Rektoren behandelt werden. Darüberhinaus waren für die Einordnung neben der Kenntnis ihrer politischen Publikationen wichtig: bei Anschütz seine Mitgliedschaft im »Bund« (FZ 4.4.26), Kommentar zur Reichsverfassung; Gotschlich nahm als Rektor und als Prorektor an der Verfassungsfeier der Stadt teil (HT 12.8.30 und 31). 117 RC 47, S. 58; Brach, S. 209f. Troeltsch bewohnte gar das Haus der Webers. 118 Rector designatus für 33/4, bei der Rektorwahl 1933 als ›Nicht-Arier‹ übergangen. Die Wahl des nationalsozialistischen Arbeitsrechtlers Groh zum Rektor 1933 war keine freie Entscheidung des Lehrkörpers, sondern beruhte auf politischem Druck seitens der neuen Machthaber (Vézina; Wolgast, S. 151f.). Groh bleibt deshalb hier außer Betracht. 119 Wie Anm. 116. Darüberhinaus waren neben den politischen Publikationen für die Einordnung wichtig: Universität 1916, S. 1, 3 und 10 (Bauer); Erdmannsdörffer; Ubisch, S. 45; HNN 30.9.33 (Andreas). Endemann war Ziehvater der korporierten und deutschnationalen Studentengruppen und knüpfte ab 1930 Kontakte zwischen Korporationen und Nationalsozialisten (Sternberger, S. 1175; Giovannini, S 36f., 103 und 137f.). Er war 33/4 bis 34/5 als Emeritus erneut Mitglied des Engeren Senats. Kallius bekannte sich zwar in seiner Breslauer 321 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 44—47 Zeit zur Weimarer Verfassung (FZ 5.6.20), Später schwenkte er jedoch zur›nationalenOppositiom. Im Juli 1933 wurde er erneut zum rector designatus gewählt (VG 11.7.33). Ein Brief des Reichsdozentenbundführers v. 18.4.42 (BDC Mitteis) zählt Endemann und Kallius zu den »Hauptunterstützern« der Studenten im Fall Gumbel. Liebmann vertrat hierbei ebenfalls eine besonders konservative Haltung (UAH III 5b 333, S.248r). Ihm wurde als einzigem Rektor nach 1914 ein »Huldigungs-Fackelzug« der Korporationen dargebracht (HT 28.7.26). Außer Hoops, Panzer, Meister und Erdmannsdörffer unterzeichnete trotz der breiten, von der SPD bis zum linken DNVP-Flügel reichenden Unterstützung für Hindenburg keiner der konservativen ehemaligen Rektoren 1932 Hindenburg-Wahlaufrufe (Tab. 2 (Anhang), Sp. p). 120 Dies in Abgrenzung zu den »Vernunftrepublikanern« (vgl. BildungsbürgertumIV,S. 196). In der Literatur wird dieser Terminus sehr häufig und m.E. zu undifferenziert benutzt und sogar auf eindeutig interessenrepublikanische Haltungen angewendet. Deshalb wird er hier kaum verwendet und die entsprechende Richtung als liberal-demokratisch bezeichnet. Zur Definition vgl. Abschn. II.2.2. 121 H. Kossel (1919/0) und Beer (1921/2) entziehen sich politischer Zuordnung. 122 Schwieriger und problematischer als die politische Bewertung der Rektoren ist die der Senate, die bis 1919 aus den Dekanen, dem Prorektor, seinem Vorgänger (Exprorektor) sowie zwei gewählten Ordinarien, seit 1919 aus den Dekanen, dem Rektor, seinem Vorgänger (Prorektor), zwei vom Großen Senat gewählten Ordinarien (einer davon der rector designatus) sowie zwei vom Großen Senat gewählten Nichtordinarien bestanden. Damit hatte Baden (wie Hessen: Moraw, S. 203) die Universitätsgremien weniger parlamentarisiert und demokratisiert als sozialdemokratisch beherrschte Länder wie Preußen, Thüringen und Sachsen, wo der Anteil gewählter Vertreter großer war (Seier, S. 324-39; Grüner, S. 133). In Leipzig waren gar die Studenten an der Rektorwahl beteiligt (Alma, S. 233). In Mecklenburg wurde 1930-32 eine demokratisierte Satzung ausgearbeitet (Geschichte Rostock, S. 223-227). Zumindest in Preußen beanspruchte das Ministerium wesentlich größeren Einfluß auf die Selbstverwaltung als in Baden (Seier, S. 335ff.). In den kleinen Fakultäten wechselte das Dekanat zwischen den Ordinarien, ohne daß, abgesehen von den oben erwähnten Ausnahmen, eine politische Wahl nachzuweisen wäre. Die politische Zusammensetzung des Heidelberger Senats hing also stärker von Fakultätsturnussen als vom politischen Zeitgeist ab. Gleichwohl gab es mindestens 1915-16 eine konservative Mehrheit (Bauer, von Schubert, Endemann, von Duhn, Lenard) gegen drei liberal-demokratische Professoren. 1922-23 hingegen war der Senat ausgesprochen liberal besetzt. Am längsten (zehn Semester und mehr) gehörten im Untersuchungszeitraum dem Senat zwei liberal-demokratische, politisch besonders aktive DDP-Mitglieder an: Anschütz, der u.a. 1921-26 dem Senat fünf Jahre fast ohne Unterbrechung angehörte, und Dibelius, der vor allem 1926-30 die Universitätspolitik maßgeblich mitbestimmte. Ihnen folgen zwei konservative Professoren (Endemann und Liebmann). Unter den Nichtordinarienvertretern waren selten Liberale. Ausnahmen bilden Jaspers und Engelhard. Ihnen stehen mindestens sieben Konservative gegenüber (Rothacker, Baethgen, Becker, Salin, Hoepke, Glockner und Bergsträsser). 123 Hoops; Ringer, S. 198f.; Deutsche Hochschullehrer, S. 220; Kreuzberger, S. 40. 124 HT/HNN 19.1.20. Ähnl. Geschichte Jena, S. 546f 125 Andreas, Wandlung, S. 7. 126 Zu den Reden von 1932-35 vgl. Abschn. VI.1. II. Politikverständnis und soziale Rollendefinition 1 Vgl. Art. »Wertfreiheit« in: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1969. Fächerübergreifende Darstellungen des Wissenschaftsbegriffs in der Weimarer Republik fehlen. Ansätze bei Kreutzberger, S. 37-40. 322 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 48-52 2 Rickert, Politik, S. 147-162; Logos XI, S. 149-180, und XV, S. 224. Vgl. Ringer, S. 113f., wo Rickerts »Politik« als Prototyp des »idealistisch-unpolitischen« Denkens gehandelt wird. Zur Kritik am Begriff »unpolitisch« vgl. Einleitung. In ihrer Kriegsbegeisterung bekannten sich Troeltsch (NR 26/1915, S. 11) zur Möglichkeit einer »idealistischen Politik« undΑ.Weber (Gedanken, S. 40) gar zur Gründung einer »Partei des deutschen Idealismus, der zu einer politischen Kraft gemacht werden muß«. 3 Hettner, GZ 20/1914, S. 601; Grundlagen, S. 569 und 573; DB 4/1923, S. 20: »Eine klare Auffassung der geographischen Bedingungen unseres Staats- und Wirtschaftslebens hätte vielleicht das über uns hereingebrochene Unheil verhütet.« Vgl. zum politischen Führungsanspruch deutscher Geographieprofessoren allgemein: GG, Jg. 14, 1989, S. 248ff. 4 Vgl. etwa Hettner, Weltherrschaft, S. 8; GZ 20/1914, S. 603; KF I, S. 189. 5 Fehrle, Volkskunde 1934; Staatsführung, S. 64. Für Salz (DVjs 6/1928, S. 592) war im krassen Gegensatz zu M. Weber (s. Abschn. II. 1.2) »der menschliche Typus, [auf] dessen Haltung und Einstellung ... wirtschaftswissenschaftliche Unterweisung abzustellen ist, nicht der Staatsbeamte, sondern der Staatsmann.« 6 Glockner, Denken, S. 239. Für Weizsäcker gab es keine »unpolitische« Wissenschaft (Faktor, S. 250). 7 Vgl. Eckardt, Grundzüge, S. 8f.; Rickert, Grundprobleme, S. 220. 8 Ringer, S. 96-119; Deutsche Hochschullehrer, S. 16ff. Mit dem traditionellen Paradigma verwandt ist die marxistische Auffassung eines »wissenschaftlichen Sozialismus«. Sie nahm im Lehrkörper eine Randstellung ein und wurde nur in den frühen Jahren der Weimarer Republik von Lederer (Sozialisierung, S. 161) vertreten. Später (Umwälzung, S. 3) hielt er zwar an der wissenschaftlichen Erkennbarkeit politischer Ziele fest, stellte aber bedauernd fest, daß niemand auf die Nationalökonomen höre. 9 Panzer, Nationalität, S. 1; ähnl. AM 13.7.27, S. 63. 10 Gundolf, Caesar 1924, S. 7. Panzer (DB 2/1921, S. 27) plädierte für eine Wissenschaft, »die deutsches Volkstum und deutschen Staat freudig bejaht«. Mittelbarer stellte sich die politisch-soziale Funktion des Wissenschaftlers für Bettmann (S. 144) dar: Jeder Mediziner solle »nach Kräften zur sittlichen Gesundung des Volksganzen beitragen.« 11 Oncken, Staatsnation; Gothein, Verh.Bad.LT 1.2.21, S. 644; Andreas, Wandlung, S. 9f.; Hellpach, NZZ 16.9.28, Sp.1, und 15.5.32, Sp.4. Vgl. Abschn. IV.3.5. 12 Windelband, Politik, S. 1; Ritter, Nationalbewußtsein, S. 222. A. Weber (Ideen, S. 5ff.) beanspruchte, »existenzielle Wissenschaft« zu treiben. Ähnl. Darmstaedter, Rechtsstaat, Vorwort. 13 Liebmann, AM 3.11.26. Boll (in: Akademische Speisehalle, S. 2), ebenfalls als Rektor: »Die Förderung der geistigen Kraft und Leistung [des deutschen Volkes] ist eine Lebensfrage.« Ähnl. Lenard/Stark; Lenard, Erfahrungen, S. 60; Fehr, S. 8. 14 Vgl. Ranke, S. 30; Krehl, Reichsgründungsfeier, S. 4; Panzer, HUK SS 27, S. 5f. 15 Thoma, ASS 52, S. 841. Voriges Zitat Mannheim, Ideologie, S. 114. 1920 hatte Thoma (HT 1./2.6.) noch allgemeinverbindliche politische Aufgaben der Universität gesehen: »Im Lichtkreis der deutschen Universitäten muß die Staatsphilosophie des deutschen Volksstaates geschaffen werden. 16 Mannheim, Ideologie, S. 115f. und 132ff. Die dortige Kritik an M.Weber (»zu sehr von der Voraussetzung der grundsätzlichen Trennbarkeit von Theorie und Entscheidungen durchdrungen«) stimmt weitgehend mit Rickert (Logos XV, S. 230) überein. Vgl. Mannheim, Wissenssoziologie, S. 589ff. 17 Wendland, Nationalismus, S. 4; Aufgabe, S. 396; Politische Theologie, S. 38 und 41; vgl. Sozialismus und Nationalismus, S. 414. 18 M. Weber, Wissenschaft, S. 24f. MWG I/15, S. 98 und 231, ähnl. S. 432 (vgl. W Mommsen); Radbruch, Mensch, S. 78; Deutsche Universitäten, S. 33 (vgl. Anm. 24 zur Einleitung). 19 Zum Verhältnis Jaspers/Rickert und beider zu Weber: AeG, S. 229-247; Ramming. 323 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 52-56 20 Jaspers, Idee, S. 79f.; vgl. Weber 1932. In großer methodologischer Nähe zu M.Weber stand der Psychiater Gruhle (S. 5ff.),Teilnehmer an »Jours« und Marianne-Weber-Kreis. Auch Driesch (Wirklichkeitslehre, S. 118ff., 174, 210, 327; Wissen, S. 147f) sprach sich gegen die Vermischung von Wissenschaft und Politik aus. Ehrenberg (Disputation I, S. 162) bestritt den von Fichte formulierten Auftrag an die Wissenschaft, das Volk sittlich zu erziehen. Dies sei Aufgabe der Kirche. 21 Meister, HUK SS 31; HT 10.11.30 (vgl. Sternberger, S. 1176); Gundolf, ER 7/1931, S. 262; KF I, S. 591f. 22 Weber und Rickert hatten von Jugend auf engen Kontakt. Sie stammten aus demselben Berliner Milieu: beider Väter waren nationalliberale Reichstagsabgeordnete (Drüll). 23 Der zumindest der späte Rickert zustimmte: Tradition, S. 11. 24 Rickert, Logos XV, S. 230 und 236. 25 Rickert, Logos XXII, S. 41 und 54. Andererseits (Grundprobleme, S. 189 und 227): Es gibt »philosophische Politik« bzw. wissenschaftliche Philosophie führe zum »aktivistischen Idealismus der Freiheit«. 26 GPS, S. 462. Zur hier unerheblichen Frage, ob die Universität wirklich »in corpore« protestiert hat: Abschn. III.1. 27 C. Mann, S. 308f. 28 Vgl. Kultusminister Hummel, AM 3/SS 20; Deutsche Hochschullehrer, S. 18f. 29 Dibelius, BSZ 67/1929, S. 229 und 247; Gumbel, Porträt, S. 220f. Vgl. Dibelius, FZ 22.3.25. 30 Dibelius, BSZ 67/1929, S. 229; Hellpach, NZZ 10.4.32; DMW 58/1932, S. 323 und 376; Λ. Weber, HNN 3.2.27, Sp.2, HSt 16.12.29; Radbruch, SSt 1/1930. 31 Mannheim, Ideologie, S. 133; Rickert, Logos XV, S. 236; Radbruch, SSt 1/1930. 32 A. Weher.Verh.Soz. 4/1924, S. 215; Lederer, Soziologie, S. 119; Brinkmann, Verh.Soz. 7/ 1931. S. 19f. 33 Krise, S. 7. Diese Schrift war L. Brentano gewidmet für »ein halbes Jahrhundert freiwilligen öffentlichen Dienstes«. Ähnl. definierte Salz, ein weiterer Dozent am InSoSta ein Buch als »weder streng nationalökonomische, noch rein politische Abhandlung« (Macht, S. 226). 34 Hellpach, Parlamentskrise, S.1f.Vgl. sein Stresemann-Nachruf (NZZ 6.10.29): Es müsse mehr Politiker geben, die »eine von umfassender Bildung bediente hohe Geistigkeit mit dem zugreifenden und gestaltenden Mut zur Verantwortung« verbänden; A. Weber, Staatsgedanken, S. 136f.; Lederer, Umwälzung, S. 3. 35 Radbruch, SSt 1/1930. Vgl. Deutsche Universitäten, S. 32ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 8: »Rechtsphilosophie ist vergeistigte Politik.« 36 Hellpach, DMW 58/1932, S. 375f.; NZZ 2.1.32, Sp.3. In gewissem Widerspruch zu dieser Haltung steht eine einzige Stelle in der Vielzahl von Hellpachs politischen Publikationen (NL 111, S. 35), wo er prinzipieller für Wertfreiheit eintritt. Hoffmann (Freiheit, S. 20f.), der umgekehrt vom traditionellen Paradigma ausging, zählte es »zu den Aufgaben der Wissenschaft, den Begriff des ›nichtigen Staates‹ zu finden«, plädierte aber im Sinne der Wertfreiheitslehre dafür, »Politik sachlich auf den Kathedern [zu] diskutieren«. 37 Gumbel verstand Statistik als politische Hilfswissenschaft im Klassenkampf bzw. für die sozialistische Planwirtschaft (Porträt, S. 131-149). Wenn er in weniger kritischer Absicht schrieb (Rußland, S. 10), bekannte er sich interessanterweise zur Wertfreiheit. Ähnl. Fehrle, OZV 1/1927, S. 2. Sölch plädierte für die »Zusammenarbeit und Anwendung verschiedener Wissenschaften«, um eine politische »Weltplanung größten Stils« zur Lösung der demografischen und ökonomischen Verteilungsprobleme zu ermöglichen (S. 125f. und 133f.). Jellinek definierte die Rolle des Staatsrechtlers dahingehend, daß er »Mittel und Wege zeigen [kann], die eine Reform aus dem Bereiche des Utopischen in den des Möglichen rücken« (RuL 6/ 1932, S. 267). Für Regenbogen (S. 224) sollte Geschichtswissenschaft »Handgriff und Hebel werden in der Hand des künftigen Politikers, um richtige Politik betreiben zu können«. 324 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 56-61 38 Neumann, Zusammenhang, S. 11, 16 und 28f. Vgl. Aufgaben, S. 34. Auch Driesch bestritt generell die Möglichkeit objektiver wissenschaftlicher Erkenntnis (Wirklichkeitslehre, S. 118ff., 174, 210, 327; Wissen, S. 147f). Der theologische Privatdozent Braun (Krieg, S. 52) hielt aus anderen Gründen nur »scheinbare Objektivität« für möglich. Ritter (Nationalbewußtsein, S. 218) stellte fest, daß »noch jeder politische Konflikt in der Weltgeschichte ... unter lebhafter Beteiligung der Gelehrsamkeit beider Lager« ausgetragen worden sei. 39 Schuster, S. 5f. Sozialdemokrat: Th. Eschenburg, Brief v. 9.1.91. 40 Brinkmann, HSt 2/SS 33. Einen »Primat der Politik vor der Ethik« begründete unter Bezug auf Aristoteles und Treitschke nun auch Regenbogen (NJb 10/1934, S. 213). Die Politik sei »schöner und göttlicher« als die Ethik, weil sie dasselbe Ziel, wie die Ethik für den Einzelnen für »die Gemeinschaft, den Staat« verfolge. 41 Groh, HT 23.11.33. Ahnl. Stein, HT 14.11.33. Mitteis (Schulte, S. 309) plädierte nach 1933 »mehr denn je« gegen die Trennung von Recht und Politik. 42 Weizsäcker, Seelenbehandlung, S. 68; DMW 59/1933, S. 78f.;ViW 2/1934, S. 85-89. 43 Schmitthenner, HSt 2/SS 33. 44 Mannheim nennt zwei Heidelberger Professoren, Bekker und Rickert, als typische Vertreter einzelner Denkstile (Ideologie, S. 79 und 83). 45 Ebd., S. 77-113 und 246. Der konservative Denkstil stimmt weithin mit Sontheimers (S. 83ff.) Schilderung des »antidemokratischen« Politikverständnisses überein. 46 Wendland (Aufgabe, S. 396; Staatsanschauung, S. 5; Gehalt, S. 10). Bekker (vgl. Anm. 44), war 1914 fast neunzig Jahre alt und hat bis zu seinem Tod nur eine politische Publikation verfaßt, die nicht dem bürokratischen Konservativismus zuzuordnen ist. Mit Vorbehalt lassen sich Schubert, Affolter, Erb und G.B. Schmidt dem bürokratischen Konservativismus zuordnen (vgl. Abschn. III.2.2. und Anm. IV/74). 47 Keineswegs seien jedoch Künstler besonders begabt für Politik. 48 H. von Treitschke, Politik. 1899, erster Satz: »Alle Politik ist Kunst«. 49 Nation, S. 371 und 362 (folgende Zitate). 1916 (Schwelle, S. 11) plädierte er mit Bismarck für »Einheit des politischen Willens an oberster Stelle« und gegen jede Einmischung von unten. Bezug auf Bismarck, Ranke, Clausewitz auch: AkadW 2/1922, S. 21ff. 50 Oncken, AkadW 2/1922, S. 6, 8 und 25. Ähnl. Einleitung, S. 44*f. 51 Troeltsch, NR 26/1915, S. 11f und 14; Bekker, S. 21; Α. Weber, Gedanken, S. 45; Eckardt, Grundzüge, S. 123f.; Hellpach, Prognose, S. 86; E. Curtius, Essays, S. 117ff.; Dahm/Schaffstein, S. 22f.; Raumer, WuT 10/1934, S. 124. 52 A. Weber, Gedanken, S. 17 und 48; Lemme, Neubau, S. 84f; Dohna, Revolution, S. 27; Lenard/Stark; Andreas, Wandlung, S. 35; Panzer, HT 28.6.27; ZDB, Jg. 1930, S. 495f.; Fehrle, Staatsführung, S. 61; Wesen, S. 8. 53 Ruge, Tote, S. 29; Salin, Historie, S. 260; A. Weber, 1848, S. 24; Hellpach, NR 37/ 1926, S. 124; Brinkmann, HSt 2/SS 33; Jagemann, S. 303f.; Krehl, Reichsgründungsfeier, S. 4f.; Weizsäcker, Anthropologie, S. 237; Bergsträsser, Volkskunde, S. 3; Policy, S. 29. 54 A. Weber, Gedanken, S. 21, 26, 36 u.ö.; Ideen, S. 113; 1848, S. 29f.; Ruge, Heimkehr, S. 40; Tote, S. 29 und 35; Not 1919, S. 7; Dibelius, HdZ/HNN 19.12.18; Fehling, S. 19; Salin, Historie, S. 260; Hellpach, HT 24.10.27; Gundolf, Lessing, S. 19; Jaspers, Weber 1932, S. 23; Raumer, ZW 9/1933, S. 168f; Bergsträsser, Policy, S. 34 und 40; Volkskunde, S. 3. 55 Ebd., S. 4; Lemme, Neubau, S. 86f.; Baethgen, DZ 5.5.22, S. 55; Wendland, Gehalt, S. 10; Brinkmann, HSt 2/SS 33. 56 Ruge, Heimkehr, S. 40; Tote, S. 31f.; Lemme, Neubau, S. 22f; Hettner, Rußland, S. 560; Friede, S. 7; A. Weber, Ideen, S. 114; Ende, S. 12; Hampe, Problem, S. 361; Dibelius, HdZ/ HNN 19.12.18; Fehling, S. 19; Domaszewski, DZ 1.11.20 (vgl. dessen Hauptwerk »Geschichte der römischen Kaiser« 1909ff. und KZSS, Sonderh. 7, S. 196t); Salin, Historie, S. 260; Jaspers, Idee, S. 28 und 52; Situation, S. 48ff., 82f. und 164ff.; Gundolf, Cäsar 1924, S. 8 und passim; Lessing, S. 7f.; Lenard/Stark; Rothacker, Logik, S. 159; E. Curtius, Essays, S. 119;Andreas, Stein, 325 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 61-67 S. 9; Waffenschmidt, Fortschritt, S. 520; Raumer, Nicolson, S. 413; Fehrle, Staatsführung, S. 61; Schmitthenner, Reich, S. 14. 57 Lemme, Neubau, S. 22f.; Hettner, Rußland, S. 560; Baethgen, DZ 5.5.22; Wendland, Aufgabe, S. 396; Staatsanschauung, S. 5; Gehalt, S. 10; Raumer, Rhein, S. 99. 58 Etwa Salz, DVjs 6/1928, S. 597; Hellpach, Prognose, S. 89; NL 111. Vgl. Abschn. II.5.5. 59 Etwa: Sölch, S. 125f. und 133f. (vgl. Anm. 37). 60 Dibelius, HT 22.5.19 und 23.4.25; Α Weber, FZ 18.3.23, Sp.2; Staatsgedanke, S. 135ff.; Ende, S. 6; Hellpach, Prognose, S. 142, 271, 508 und 511; Rhein-Befreiung, S. 12; Partei, S. 96; NL 35, S. 19; HT 26.1.31; Regenbogen, S. 223. Außerdem die in Abschn. II.5.2. genannten Belege. 61 Thoma, Staat, S. 756. Ähnl. Driesch, Problem, S. 25. 62 Vgl. Salz, Rechtfertigung, S. 28; DVjs 6/1928, S. 597; Hettner, Friede, S. 36; Ehrenberg, VossZ 9. und 20.8.18; A Weber, Ideen, S. 123; Hellpach, NL 111, S. 27f.; NZZ 19.3.30, Sp.2; Hoffmann, Freiheit, S. 13; Darmstaedter, Rechtsstaat; Rickert, Rickert, S. 278, 280 und 286. 63 Radbruch, SSt 1/1930; Studien, S. 18 (Lederer). Ahnl. E. Curtius, Germania 20.6.25, Sp. 1; A. Weber, HNN 3.2.27, Sp.2; HT 14.10./FZ 15.10.29, Sp.2; HSt 16.12.29, Sp.1; Darmstaedter, Rechtsstaat, S. 19 und 24f.; Thoma, ZfgSt 79, S. 551; Salz, DVjs 6/1928, S. 594; Hellpach, Universitas, S. 129; RuL 7/1933, S. 17;VossZ 19.2.33, 2; Hoffmann, Freiheit, S. 18. 64 Radbruch, SSt 1/1930. 65 Diese Formel A. Webers richtete sich u.a. gegen C. Schmitt, gegen den auch Thoma (ASS 53, S. 215) scharf polemisierte. 66 Vgl. A. Weber, Kulturkrise, S. 18 und 29; Staatsgedanke, S. 170; ER 1.2/1926, S. 301f., und 7/1931, S. 89; Anschütz als Unterzeichner des Aufrufes »Der Bund« (FZ 4.4.26); E. Curtius, NZZ 18.8.25; Ehrenberg, VossZ 5.8.18, S. 1; Hoffmann, Freiheit, S. 13; Hellpach, NR 44/1933. 67 A. Weber, Staatsgedanke, S. 140. 68 Hellpach, Prognose, S. 405. Ähnl. NZZ 22.7. und 14.10.28; Partei; Α. Weber, Gedanken, S. 40-43; I deen, S. 114; Staatsgedanke, S. 136; Mannheim, I deologie, S. 117. Zu Curtius' politischem Sinneswandel Berschin,S. 147 und 232. 69 Mannheim, Ideologie, S. 26, 70ff., 74 und 84. Mannheim zufolge stellt sich für sozialistische Denker, soweit sie »noch im Bündnis mit dem radikalen Flügel des sozialistischkommunistischen Proletariats stehen«, das Probleme des modernen Utopieverlustes nicht. Die im folgenden betrachteten sozialistischen Heidelberger Dozenten, standen aber auf dem liberalen Flügel des Sozialismus und zeigten die liberale Reaktion (Skepsis und Ideologiedestruktion). 70 Radbruch, Verfassungsrede, S. 14. Ahnl. Ehrenberg, CV 16.9.23, S. 3. 71 Radbruch, Kulturlehre, S. 34f. Ähnl. Lederer, Sozialisierung, S. 160. 72 Gumbel, Porträt, S. 220f.; Verschwörer, S. 169, vgl. auch: S. 215; VZ 13./14.11.24, S. 1 und 3; Porträt, S. 132. 73 Vgl. Gumbel, Verschwörer, S. 211 u.ö.; Wb 23/1927, S. 241f; Verräter, S. 23; Lederer, Soziahsierung, S. 161f.; Radbruch, SSt 1/1930. 74 Etwa: Ehrenberg, Laienbüchlein I, S. 29. Ahnl. II, S. 31; CV 15.8.19, S. 6. 75 Vgl. Mannheims Überlegungen (Ideologie, S. 117) zu einer Synthese beider Stile. 76 In der Tradition M. Webers einer eindimensionalen Sicht der Romantik schreibt Mannheim häufig statt »konservativ« »romantisch«. Vgl. Merkur, Jg. 1987, S. 179ff. 77 Peters, S. 58f. (Solidaritätsaufruf für Ruge; vgl. Abschn. IV.1). 78 Ritter, Verbannte, S. 13; Studien, S. 186; Leninkult: Eckardt, Grundzüge, S.22 79 Wendland, Gehalt, S. 26f. (Zitat); Überblick, S. 29; Nationalismus, S. 21. 80 Salz, Wesen, S. 13; Schmitthenner, Verh.Bad.LT 8.9.31, S. 2906f. 81 Rauchhaupt, Rechte II, S. 91 (1. Zitat); Fehrle, Volkskunde 1934, S. 383; Güntert, Erbe, S. 459f.; Ursprung, S. 128ff. und 174; HSt 6/WS 33/4; Geist, S. 34; Odenwald, WuT 10/1934, 326 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 67-73 S. 6f. und 19 (2. Zitat); Mann, Staat, S. 1014f. (3. Zitat); Rasse, Sp. 1; Stein, VG 19.7.33; HT 14.11.33; Bergsträsser, Policy, S. 29f., 33 u.ö. 82 Der Begriff »faschistisch« wird in dieser Studie bewußt von »nationalsozialistisch« unterschieden und bezieht sich auf den faschistischen Denkstil und den italienischen Faschismus. 83 Mannheim, Ideologie, S. 106f (auch das folgende Zitat). 84 Vgl. Jemen, Vom Gelehrten, Tab. 15 und 16. 85 Vgl. Deutsche Hochschullehrer, S. 9-25; Ringer, S. 12-22 und 116; Seier, S. 320. 86 L. Curtius, NHJ 1925, S. 10; Neumann, Zusammenhang, S. 10; E. Curtius, Französischer Geist, S. 282; NR 39/1928, S. 66; Fehrle, Volkskunde 1924, S. 4\; Jaspers, Idee, S. 52, vgl. Situation, passim; Α. Weber, Gedanken, S. 67; Hoffmann, BSZ 67/1929, S. 557; Humanismus, S. 310ff.: KR passim, insbes. II, S. 393, 412 und 574f. 87 Thoma, FZ 11.7.26, Sp.2. Ähnl. Hellpach, NZZ 25.5.27. 88 Ritter. Nationalbewußtsein, S. 218; ähnl. Hellpach, Prägung, S. 198 (vgl. Abschn. II.5.3); Schmid Noerr, Wesen, S. 810 u.ö.. 89 Hellpach, NZZ 2.1.32, Sp.2. 90 A. Weber, Gedanken, S. 65; Lüttge, Krisis, S. 55ff.; Schmid Noerr, Denkschrift, S. 3; Glockner, Deutsche, S. 8. Ähnl. Darmstaedter, Einheit, S. 6. 91 Gothein, DR 44/1919, S. 46; Jaspers, Idee, S. 23, 40 und 42; Hellpach, Prognose, S. 363. Ähnl. HT 2.5.27, Sp.2. 92 Vgl. Α. Weber, NZZ 31.12.20; FZ 1.2.20 und 30.11.21; Not (s. Abschn. I.5 und Jansen, Gelehrte, Abschn. 10). 93 Hellpach, DMW 58/1932, S. 378, Heilkraft 1930, S. 578; Jaspers, Idee, S. 79; Brinkmann, HSt 2/SS 33; Gothein, Verh.Bad.LT 1.2.21, S. 640 (zit. in Abschn. I.5); Fehr, S. 12; Hellpach, Prognose, S. 356; Schmid Noerr, Wesen; Denkschrift; L. Curtius, Kunst, S. 22. 94 Krehl, Bedeutung, S. 21; Thoma, Mißgriff, S. 85. Ähnl. Schmid Noerr, Wesen, S. 818 u.ö.; L. Curtius, NHJ 1925, S. 10; Brinkmann, Verh.Soz. 7/1931, S. 9; Rickert, Grundprobleme, S. 168f. 95 Andreas, Österreich, S. 25; Gundolf, FZ 11.10.14, Sp.4. 96 Hoffmann, BSZ 67/1929, S. 557. Ähnl. A. Weber, Gedanken, S. 26; FZ 30.11.21; Schmid Noerr, Denkschrift, S. 6; Salz, DVjs 6/1928, S. 593; Schmitthenner, Verh.Bad.LT 11.2.30, S. 1300; Eckardt, Grundzüge, S. 55. M, Weber (MWG I/15, S. 231) hingegen polemisierte gegen derartige »konfuse, snobistische Vorstellungen«. 97 Gothein, Krieg, S. 3; Anschütz, Wahlreform; Lederer, Gedanken, S. 17ff.; A. Weber, Ideen, S. 102ff; Not, S. 13ff.; L. Curtius, Professor, S. 651; Brinkmann, AM 1.7.25; Deutsche Universitäten, S. 34 (Radbruch); E. Curtius, NR 39/1928, S. 67; Mannheim, Ideologie, S. 123ff. 98 An außergewöhnlich exponierter Position etwa Gotschlich als Rektor: »Für Euer geistiges Schaffen, Kommilitonen, laßt Euch das Wort als Leitmotiv gelten, das im großen Festsaal des nunmehr [um der Neuen Universität Platz zu machen] niedergelegten Kollegiengebäudes in mächtigen Lettern eingegraben war ...: ›Sapere aude!‹ Gegenüber modernen Irrlehren, die gegen den sogenannten Intellektualismus predigen und statt Vernunft und Wissenschaft, der Menschen allergrößte Kraft, unklare Vorstellungen setzen wollen, laßt Euch die Freude an tiefgründender Erkenntnis nicht nehmen« (HUK WS 29/0, S. 6) 99 Ruge, Not 1918, S. 108f; Lenard/Stark; Lenard, Relativitätsprinzip, S. 12f., 21, 39 u.ö.; VB 13.5.33; HT 24.5.33; Erfahrungen, S. 59ff 100 Glockner, Deutsche, S. 12; Ehrenberg, Disputation I, S. 169; ähnl. Schmid Noerr, Entwurf, S. 54. Weizsäcker (ViW 2/1934, S. 82) plädierte dafür, »die Entartungen des Intellektualismus« nicht allzu ernst zu nehmen. 101 Entsprechend oben bei Ruge »›Unaussprechliches‹ und ›Unbeschreibliches‹«. 102 Bering, insb. S. 117ff. und 126ff. 103 KF I, S. 326 (vgl. S. 418); II, S. 104. Ähnl. Schubert, Kirche, S. 7; A. Weber, Gedanken, S. 23. 327 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 73-77 104 Lüttge, Christentum 1926, S. 13 (ähnl. A Weber,Verh. Soz. 6/1928, S. 92); Ritter, Luther, S. 97ff. 105 Bergsträsser, ER 5/1929, S. 147 (Polemik gegen Remarques »Im Westen nichts Neues«). 106 Weitere Belege: MWG I/15, S. 391;Ruge,Tote, S. 12; Fehling, S. 19; Ritter, Nationalbewußtsein, S. 218; Gundolf, Hutten, S. 55; Bettmann, S. 231; Ehrenberg, Disputation III, S. 135; Hellpach, Heilkraft 1930, S. 576; Schnizer, S. 121 (gegen die »Hypertrophie ... intellektuellfrauenrechtlicher Einstellung«). Vom hier beschriebenen emotionalen Antiintellektualismus zu unterscheiden ist die wohlbegründete Ablehnung eines einseitigen Intellektualismus (vgl. etwa Rickert, Leben, S. 314ff.; Lederer, Kapitalismus, S. 193). 107 Weizsäcker, Wissenschaft, S. 200, ähnl. S. 204; Dresel, Fürsorge, S. 24. 108 Lüttge, Christentum 1925, S. 1; Krisis, S. 95; Waffenschmidt, Fortschritt, S. 520. 109 Mann, Staat, S. 1015. Vergleichsweise gemäßigt Glockners, Gedanken, S. 10. Mit den traditionellen gelehrt-antiintellektuellen Topoi arbeiteten nach 1933: Waffenschmidt, Fortschritt, S. 520; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 566; Faust, DVjs 11/1933, S. 13; Duhm, S. 5; Güntert, Erbe, S. 459; Odenwald, Kirche, S. 11 und 16, ähnl. HNN 27.10.33, Sp.1; Groh,VG/ HNN 5.10.33, Sp.1. 110 Güntert, Geist, S. 34; Troeltsch, Glaube, S. 10; Neumann, Aufgaben, S. 39; Gothein, Krieg, S. 9; Odenwald, Verkündigung, S. 14; Schrade, S. 111. Ähnl. Neumann, IMWKT 9/1914, S. 183f.; Zusammenhang, S. 3; Lemme, Neubau, S. 10 und 82; Weizsäcker, Anfang, S. 100; KF I, S. 169; Gundolf, Dichter, S. 24ff.; George 1930, S. 44. 111 L. Curtius, Lagarde, S. 12; bei Engels etwa: MEW 36, S. 336, 421 und 453. 112 MWG I/15, S. 229; 351-356, 394; 462 (Zitat), 463f., 480-484 usw. 113 Güntert, Erbe, S. 459f. Den Wandel der Polemik gegen Literaten belegen: Oncken, Ursachen, S. 247; Ritter, Nationalbewußtsein, S. 222; Lederer, FZ 3.3.22; Verhältnisse, S. 721; Lederer/ Marschak, S. 141; A. Weber, Ideen, S. 104; Not, S. 15; L. Curtius, DZ 15.9.20, S. 98; Professor, S. 654; Andreas, Österreich 1927, S. 5 und 15; Mensch, S. 38; Hellpach, Universitas, S. 145, wo sich der Literatenvorwurf implizit gegen Radbruch richtet. 114 Hellpach, Heilkraft 1934, S. 26, ähnl. S. 27, 30 und 70. 115 Interview G. Mann; vgl. Führ/Zier, S. 46-49, 56f, 59f., 82, u.ö. Eng verwandt mit dem Kampf gegen »Literaten« und »Ästheten« ist die Verachtung vieler Heidelberger Hochschullehrer für die Presse. Vgl. etwa Hellpach, DMW 58/1932, S. 323 (in Abschn. II.5.3. zit.) sowie Gelehrtenpolitik, S. 155; Bruch, S. 212ff. 116 Insofern ist Sontheimer (Deutsche Hochschullehrer, S. 216) zu widersprechen, die Hochschullehrer in der Weimarer Republik hätten kein politisches Verständnis ihrer Rolle als Wissenschaftler gehabt. 117 Rickert, Leben, S. 326, 335 und passim. Curtius, MNN 17.7.24, Sp.6. Das folgende: Boll Vita, S. 3, 9 und 14f. 118 Ähnl., wenn auch spürbar unter dem Druck der veränderten politischen Verhältnisse, galten für Rickert 1934 (Grundprobleme, S. 186f. und 223f.) wissenschaftliche und künstlerische Werte zwar »losgelöst von der Gesellschaft, in der sie entstanden sind«, und müßten deshalb auch in Distanz zu dieser reflektiert werden, aber diese »Asozialität« seines Gegenstandes enthebe den Wissenschaftler nicht seiner politischen Verantwortung und der Pflicht, sich den politischen Notwendigkeiten »anzupassen«. In den zwanziger Jahren las Rickert zweimal »Philosophie des kontemplativen Lebens«. Wie Boll charakterisierte er im Rekurs auf die Antike den Wissenschaftler als »theoretischen Menschen«, der »Wissen nicht sucht, um es zu außertheoretischen Zwecken zu verwenden, sondern etwas wissen will, um des Wissens willen« (Heid. Hs. 2740/172). Während Rickert vor 1933 keine Verpflichtung zu politisch-gesellschaftlichem Engagement artikulierte, meinte er 1934: »Wir haben nie das Recht, uns vom tätigen Leben überhaupt zurückzuziehen, weil in den sozialen Kreisen, in denen wir wirken sollen, uns nicht alles ›gefällt‹. Unsere Pflicht bleibt ..., an den Aufgaben der sozialen Kreise, in denen wir leben, mitzuarbeiten, soweit das in unserer Kraft steht. Da 328 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 77-80 niemand außerhalb einer geschichtlich bedingten Gemeinschaft seine Pflicht erfüllen kann, dürfen wir uns sogar dann nicht ausschalten, wenn wirfinden,daß wir beim sozialen Wirken gezwungen sind, etwas mitzumachen, das den allgemeinen Maximen, die wir uns zurechtgelegt haben, nicht entspricht. Das Pochen auf eine tatenlose Gesinnung führt in den meisten Fällen zu Pharisäertum« (Rickert, S. 286). Zu Rickerts Opportunismus 1933: Klibansky und Anm. 181. 119 Im Lehrkörper etwa: Ehrenberg, Disputation I, S. 11f., 140 und 160, obwohl er selbst ein kontemplatives Selbstverständnis vertrat (S. 12 und 140). 120 KF I, S. 13, 50 und 75. Ähnl. S. 23, 193, 378, 499, 625, KF II, S. 525. Diese Briefe zählen zwar nicht zur Materialbasis dieser Untersuchung, sind aber ein Indikator dafür, was die Gelehrten dachten, aber nicht öffentlich sagten. 121 Niebergall, Aufstieg, S. 281; Mensch, S. 197; Hupfeld; Fehr, S. 7; Jaspers, Idee, S. 79f. (in Abschn. II. 1.2. zit.); Situation, S. 82f. 122 Mannheim (Ideologie, S. 123) nennt ausdrücklich, aber ohne Quellenangabe A.Weber als Schöpfer des Begriffes der »sozial freischwebenden Intelligenz«. In den Publikationen Webers findet sich der Begriff allerdings nicht. Möglicherweise hat ihn Mannheim bei seinem Lehrer gehört. Vgl. Bering, S. 429, der eine weitere Quelle dafür, daß Weber diesen Begriff geprägt habe und eine frühe Fundstelle desselben (Wb 14/1918, S. 413) angibt. Sinngemäß ist er in mehreren Schriften A. Webers enthalten, so etwa in der in Abschn. II. 5.1. zit. Rede auf der Gründungsversammlung der DDP (BT 2.12.18), in seiner Beschreibung der staatstragenden Funktion der »reinen Bildungs- und Intellektuellenschichten ... vermöge ihrer relativen Uninteressiertheit an den wirtschaftlichen und sozialen Interessenkämpfen« (FZ 30.11.21) und in Not, S. 14: »Die Intellektuellenschicht im Hochkapitalismus [war] ... die fast einzige, leidlich unabhängige Insel außerhalb der Klassen- und Interessengegensätze, ein Asyl überökonomischer Ideen- und Gedankengänge.« M. Weber (MWG I/15, S. 240, 246 und 257) unterschied bereits 1917 verschiedene Intelligenzen: »bürgerliche«, »proletarische« und »besitzende«, ging also von deren uneinheitlicher sozialer Lage aus. Lederer (Gedanken, S. 37) bezeichnete 1918 »die Intellektuellen als sozial labile, von geistigen Strömungen stark beeinflußte Schicht«. Auch die früheste Kritik, die sich ausdrücklich auf den Begriff »freischwebend« bezieht (Weizsäcker, Seelenbehandlung, S. 28 und 35; vgl. Abschn. II.4) erschien lange vor Mannheims »Ideologie und Utopie«. Der Begriff wurde also wohl innerhalb der Heidelberger Gelehrtenkultur diskutiert und von A.Weber geprägt. 123 Vgl. Stark. 124 Mannheim, Ideologie, S. 123-130. Hellpach (HT 24.10. und NZZ 13.11.27) sah die Intellektuellen als Wächter, die »die großen Probleme Europens mit der Gelassenheit des reinen Geistes« anfassen könnten. 125 Gumbel, Verschwörer, S. 213; VZ 30.5.27. 126 Radbruch, SSt 1/1930; Hochschulpolitik, S. 23; Überwindung, S. 374; NB1S 2/1931, S. 236. 127 Reden, S. 6; vgl. Abschn. V.1. 128 Dibelius, Zeit, S. 28 und 30. 129 Dibelius, FZ 3.1.18; CW 40/1926, S. 1115ff.; Evangelisch, S. 15f.; BSZ 67/1929, S. 229. 130 Thoma, Mißgriff, S.83;Jellinek, Rul. 7/1933, S. 1; Gothein, Verh.Bad.LT 9.2.21, S. 703; Kossei, AM 25.6.20; Eckardt, Grundzüge, S. 8f.; Neumann, Zusammenhang, S. 11; Rickert, Rickert, S. 286. Eine gewisse Sonderrolle nimmt Gumbel ein, der unmittelbar vor seiner Entlassung ebenfalls eine - taktische? - staatsbürgerliche Haltung einnahm: »Die Anhänger der Republik [sind] verpflichtet, ihr auch Opfer zu bringen«, Z.B.Verlust der Anstellung (Porträt, S. 128). Für Eckardt, Rickert und H. Kossel folgten aus dem allgemeinen Anspruch allerdings keine eigenen politischen Aktivitäten. 329 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 80-84 131 Etwa: Güntert, Erbe, S. 460; Geist, S. 34 (beides in Abschn. II. 3 zit.); Schmitthenner, HSt 2/SS 33 (in Abschn. II. 1 zit.). Darüberhinaus: Groh, HT 23.11.33; Bergsträsser, ER 5/1929, S. 146, der Remarque als einen »Vereinzelten, der keinem Größeren anzugehören vermag und dessen Leben darum zerrinnen muß« bezeichnete; Andreas, HNN 15.5.33, Sp.3; Stein, HSt 2/ SS 33; HT 14.11.33. 132 Lenard/Stark; Lenard, VB 13.5.33; Präsident; Ritter, Nationalbewußtsein, S. 222 (Zitat); ähnl. S. 219; Schmid Noerr, Wesen, S. 838; Entwurf, S. 54. 133 A. Weber, Ideen, S. 116; Hellpach, DMW 58/1932, S. 378. Ähnl. Neumann, Aufgaben, S. 45; Zusammenhang, Titel und S. 11. 134 Ehrenberg, Disputation III, S. 135; ähnl. Eckardt, Grundzüge, S. 8f. Bei ihm überwiegen allerdings die nüchtern-sachlichen Züge der »staatsbürgerlichen« Selbstdefinition. 135 Diese Polarisierung ist etwas paradox, da Mannheim selbst der Lebensphilosophie nahestand (Wissenssoziologie, S. 503ff.). Auch in »Ideologie« betonte er, er wolle in »den folgenden Untersuchungen« nicht »aus jenem lebendigen Fluß herausgehoben« zu werden, in dem politisches Denken entstehe« (S. 2). 136 Weizsäcker, Seelenbehandlung, S. 28 und 35. 137 Mit dieser ideologischen Einordnung Mannheims folgt Curtius P. Landsberg. 138 E. R. Curtius, Soziologie, passim. In dieser zugespitzten Form ist die Passage 1932 in »Deutscher Geist in Gefahr« zu finden (S. 100-102). Die Verschärfung von Curtius' Kritik ist symptomatisch für die Zuspitzung der politischen Situation zwischen 1929 und 1932. Mannheim warf in seiner Antikritik (Wissenssoziologie, S. 614-24) Curtius vor, »beinahe eine akademische Sittenpolizei« zu fordern und endete pathetisch: »Denn des wahren Denkers Verpflichtung ist, dem Gedanken nicht zu widerstehen.« Vgl. Curtius, Essays, S. 120, wo er Hofmannnsthal als »aufs innigste verwachsen mit der nährenden Wurzelschicht unserer Volksseele und unseres Volksgeistes« bezeichnet, und Lepenies, S. 377-401. 139 Teske, S. 5. Ähnl.Glockner,ViW 1/1933, S. 10; Deutsche, S. 6, 7 und 38; Groh, VG/ HNN 5.10.33, Sp.1; Brinkmann, Methodenstreit, S. 375. Andreas, HSt 16.11.32, Sp.2. Hellpach (Gegenstand, S. 264) plädierte auf dem Internationalen Philosophenkongreß in Prag 1934 sehr zum Entsetzen zahlreicher deutscher Emigranten dafür, Volk zum »zentralen Gegenstand der Soziologie« zu machen. Dadurch empfange die Soziologie »endlich, um eine heute viel gebrauchte Formel zu benutzen ›Blut und Boden‹, festen Boden und warmes Blut. Anstatt ewig um sich selbst zu streiten, wird sie endlich etwas leisten.« Ähnl. argumentierte Bergsträsser, Volkskunde, S. 3f. 140 Andreas, Wandlung, S. 7. Ähnl. Dibelius, FZ 22.3.25; Güntert, Geist, S. 6; Erbe, S. 460f.; Duhm, S. 5. 141 Glockner, Deutsche, S. 13; Gothein, Krieg, S. 3. M. Weber (MWG 1/15, S. 161) behauptete, er habe »Politik immer nur unter dem nationalen Gesichtspunkt angesehen.« 142 A. Weber, Gedanken, S. 26 und 43; Ideen, S. 104 und 114ff.; Staatsgedanken, S. 7 und 136; HNN 3.2.27; HT 14./FZ 15.10.29, Sp.2; ER 8/1932, S. 762f.; Kulturkrise, S. 18; Hellpach, NR 44/ 1933, S. 7-18; L. Curtius, Kunst, S. 19ff.; Rickert, Logos XXII, S. 50. M. Webers Ablehnung der »Synthese«-Mode (»Wer heute das Wort Synthese braucht, ohne sich ausdrücklich zu legitimieren, der hat Ohrfeigen verdient. KZSS, Sonderh. 7, S. 174) stieß also bei den ihm methodisch Nahestehenden auf wenig Resonanz. 143 GGr II, S. 150f.; Schmid Noerr, Wesen, S. 808f.; Dibelius, Evangelium, S 6 144 Eckardt, Grundzüge, S. 115; Lenard/Stark; Radbruch, SSt 1/1930; A. Weber, BT 2.12.18; Not, S. 6f. 145 So waren etwa in Rickerts, im Heidelberger Lehrkörper sehr einflußreicher, Philosophie, politische Fragen nur »Mittel zur Verwirklichung eines Mittels« (nämlich der Erhaltung des natürlichen Lebens), das zum eigentlichen Zweck des Lebens, dem kulturellen Fortschritt, führe (Grundprobleme, S. 168f.). 330 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 84—88 146 Vgl. Hoffmann, Freiheit, S. 22; Dibelius, Kommilitonen; Fehrle, Volkskunde 1924, S. 42; H. Kossei, AM 25.6.20; Hettner, Friede, S. 7; Lemme, Neubau, S. 22; Meister, HUK SS 31, S. 5f.; Wendland, Gehalt, S. 10 und 28; Brinkmann, Verh.Soz. 7/1931, S. 19 und 31. Die Sozialdemokraten Radbruch (SSt 1/1930) und Lederer (Kapitalismus, S. 115) sahen Intellektuelle bzw. Wissenschaftler in einer politischen Schiedsrichterrolle. 147 Studien, S. 184. 148 Rickert, Grundprobleme, S. 186. 149 MWG 1/15, S. 164f., ähnl. S. 234f., 435, 549f. Oncken, Mitteleuropa, S. XI. Ähnl. Gothein, Krieg, S. 3 (im Abschn. II.5.1. zit.); Thoma, Mißgriff, S. 85 (in Abschn. II. 3 zit.); Anschütz, Leitgedanken, S. 27; E. Curtius, Französischer Geist, S. 281f.; Hellpach, NZZ 13.11.27, Sp. 4; Prognose, S. 142; VossZ 19.2.33, S. 2; RuL 7/1933, S. 17; Unterbrechung; NL 111, S. 31 und 65f.; HT 26.1.31, Sp. 4; Heilkraft 1930, S. 576; KZ 10.9.31, S. 1f. Vgl. Ringer, S. 191f. 150 Radbruch, Parteienstaat, S. 102. 151 Hellpach, Prognose, S. 408; HT 24.10.27 (vgl. Anm. 124). Ähnl. Ders., Partei, S. 96; NZZ 20.10.29, Sp. 1; Trennung, Sp. 2; HT 17.1.31, Sp. 3. 152 Salz, DVjs 6/1928, S. 593 und 595; Α. Weber, Ideen, S. 130. 153 Vgl. Ringer, S. 20f., 50 und 83fl.; Struue, S. 41ff.; Bruch, S. 30. 154 Hellpach, Prägung, S. 198; NZZ 25.5.27; Thoma und Dibelius, HdZ/HNN 19.12.18; A. Weber, Deutschland, S. 29; Ehrenberg, CV 9.9.23; Eckardt, Grundzüge, S. 7 und 9; Güntert, Geist, S. 13f. 155 Hellpach, HT 30.6.26; A. Weber, Staatsgedanken, S. 108f.; Oncken, Ursachen. 156 E. Curtius, Essays, S. 119; A. Weber, Ideen, S. 105ff. 157 Vgl. Habermas, S. 119. 158 Vgl. Abschn. II. I. Hellpach, Prognose, S. 355; HT 30.6.26. 159 Außer den im folgenden zit. Überlegungen Hellpachs: A. Weber, Ideen, S. 102ff.; Kulturkrise, S. 18; Ringer, S. 47ff. und 229ff. 160 Hellpach, Prognose, S. 355f.; DMW 58/1932, S. 323 und 379. Ähnl. Hoffmann, Humanismus, S. 316. 161 A. Weber, Ideen, S. 104 und 132. Vgl. S. 116: die deutschen Intellektuellen hätten nicht »die Massen, die Substanz des Daseins als solche wirklich geistig neu in die Hand bekommen«. Ähnl. Gedanken, S. 26 und 65; 1848, S. 125f.; Staatsgedanken, S. 136; Salz, DVjs 6/1928, S. 593 und 595 (in Abschn. II.5.2. zit.). 162 Hellpach, NZZ 15.5.32), Sp.4. Ähnl. RuL 7/1933, S. 10-18; L. Curtius, DZ 1922, S. 62; Ranke, S. 30f.; Gothein, Kultur, S. 278. Bruch, S. 200ff., schildert nicht sehr klar »Divergenzen über die politische und soziale Funktion von Wissenschaft« vor 1914, wobei sich Oncken und A. Weber in den entgegengesetzten Lagern derjenigen befunden hätten, die nur »Gutachter« und »Legitimatoren« für die politischen Führer sein wollten bzw. sich selbst »in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß hineinstellten«. 163 Hellpach, HT 30.6.26; FZ 1.8.26; Kölner Tageblatt 26.1.28; Prognose, S. 361ff. Ähnl. Salz, DVjs 6/1928, S. 593. 164 Zitat aus dem von ihm als einzigem Heidelberger unterzeichneten Aufruf für die demokratische Professorenvereinigung »Der Bund« (FZ 4.4.26). Ein Extrembeispiel stellt die Forderung des juristischen Privatdozenten Hildebrandt (Rechtsfindung, S. 101) dar. Er wollte »als geistiger Soldat des Dritten Reiches nicht nur Hüter der Ordnung sein, sondern ein Ritter gegen Tod und Teufel.« Ähnl. Schmitthenner, Ansprache, S. 11. 165 Jellinek, RuL 6/1932, S. 271. Vgl. Abschn. VI.3.2. 166 Vgl. Hellpachs Parlamentarismuskritik: NZZ 22.7.28 und KZ 4.5.30. 167 A. Weber, Kulturkrise, S. 21; ER 1.2/1926, S. 301. Vgl. Ideen, S. 122: »das bewegliche, flatterhafte und gleichzeitig doch so ernste Geschöpf Geist« versus »die schwerblütigen, nüchternen Staatsmänner unserer Zeit«. 331 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 89-93 168 Troeltsch, Erklärung, S. 6. Ähnl. Andreas, Österreich 1927, S. 1, 4 und 29; Panzer, AM 13.7.27, S. 64. 169 Panzer, Heldensage, S. 14; Glockner, ViW 1/1933, S. 10; Curtius, Essays, S. 119. 170 L. Curtius, Professor, S. 651. Zum Vorhergehenden vgl. Abschn. 11.2.1. 171 Weizsäcker, Faktor, S. 250 (Zitat); Krankheit, S. 5; ViW 2/1934, S. 85ff. Ähnl. Gumbel und Sölch (vgl. Anm. 37). 172 MWG I/15, S. 229ff. (Zitat); Dibelius, FZ 3.1.18, Sp.2; Dresel, HT 28.12.18. 173 Es erschien 125 Jahre nach Arndts »Der Geist der Zeit«. G. Mann zufolge wollte er mit seinem Buch gar zum »Praeceptor Germaniae« werden (Interview 19.6.82 unter Bezugnahme auf eine Tagebuchnotiz über ein Gespräch mit Jaspers am 18.12.31). 174 Zu Anschütz: Abschn. IV. 1. Döring, S. 90ff. sieht diese Haltung neben der Forderung nach Entpolitisierung der Universitäten als den gemeinsamen politischen Grundkonsens der verfassungstreuen Gelehrten des Weimarer Kreises an. Daß dies zumindest für die Heidelberger Mitglieder des Weimarer Kreises (etwa A. Weber, Thoma, Hellpach, Radbruch; vgl. Tab. 2 im Anhang, Sp. o) nicht stimmt, dürfte hinreichend belegt sein. 175 Andere, auf die nicht näher eingegangen wird, hielten sich aus weltflüchtigen Gründen, die meistens religiös fundiert waren, politisch zurück, ebenso wie sie (vgl. Abschnitt II. 1) für eine Entpolitisierung der Universität waren: Niebergall, Aufstieg, S. 281; Sozialismus, S. 16 und 24, Mensch, S. 197; KF I, S. 296f.; Lemme, Gerechtigkeit, S. 157; Gundolf, Müller, S. 10. 176 G. Mann, S. 309; vgl. Piper, S. 50f. Ähnl. Lederer, Kapitalismus, S. 242. 177 MWG I/15, S. 532f und 549f. Vgl. M. Weber, Politik. 178 Hettner, Neugestaltung, S. 72. Hellpach (Universitas, S. 280; NZZ 10.4.32), ein weiterer Vertreter des »geistigen Führertums« der Hochschullehrer polemisierte gegen das als Konkurrenz dazu verstandene Konzept des »Berufspolitikers« (vgl. Abschn. II.5.5). 179 Jaspers, Idee, S. 28 und 52f. Ähnl. Deutsche Universitäten, S. 33f. Selbstkritik: Jaspers, Doktor. 180 Jaspers, Situation, S. 83f und 104f. 181 Anschütz/Glockner, HT 21.1.31; Rickert, Tradition, S. 12. Klibansky berichtet über Rickerts Entgegnung auf seinen Vorwurf, daß »die geistige Elite, die geistigen Führer Deutschlands« den Judenboykott vom 1.4.33 geschehen ließen, ohne »nur ein Wort milder Mahnung« auszusprechen: »›Was hätte denn eine solche Mahnung genützt?‹ Darauf sagte ich: ›Von Ihnen, Herr Geheimrat, haben wir gelernt ..., daß es im Wesen der deutschen Philosophie liege, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun und nicht, ... um des Nutzens willen. Jetzt fragen sie in erster Linie nach dem Nutzen.‹« 182 Meister, HUK WS 30/1, S. 7; Hoffmann, Freiheit, S. 21. Ähnl. Zeitung, S. 30 (Neumann). Auch in politischen Konflikten dieser Zeit verhielt sich die Universitätsführung allzu zurückhaltend (s. Abschn. VI. 1). 183 Dibelius, Unbedingtheit; Wendland, Neugestaltung, S. 542. Ähnl. Staatsanschauung, S. 18f.; Troeltsch, Volksheer, S. 15f.; Schubert, Christentum, Vorbemerkung; Kirche, S. 16; Lüttge, Christentum 1926, S. 12; Odenwald, Nietzsche, S. 20; Verkündigung, S. 9 und 12f. 184 Radbruch, SSt 1/1930; Parteien; Dibelius, HNN 19.12.18; Thoma, Staat, S. 744. 185 Radbruch, Staatsnotstand, S. 129; Hochschulpolitik, S. 24f. Ähnlich unterschied Dibelius (VossZ 19.8.32, S. 2) »praktisch-politische« (interessengebundene) und »ethisch-politische« (grundsätzliche) Zielsetzungen. 186 Thoma, ZfgSt 79, S. 551; ASS 53, S. 214f.; Staat, S. 725. 187 Eckardt, Grundzüge, S. 11f und 122. Vgl. S. 25, 34, 99-105. 188 Sontheimer (Universitätstage, S. 34) nennt sie »transpolitisch«. 189 Vgl. auch Abschn. V.3.2. sowie Seier, S. 320f. 190 Schmitthenner,Verh.Bad.LT 5.2.31, S. 828. Ähnl. Neumann über Troeltsch (DVjs 1/1923, S. 170): »In der Partei [DDP] stand er über der Partei«; Dohna, Verh.RT 22.4.20; Dibelius (FZ 332 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 93-99 22.3.25) gestand der DDP zu, »vor anderen ... Partei des Geistes zu sein«. Zum politischen Selbstverständnis von DDP und DStP: Jones. 191 Zur Geschichte dieses für das gebildete Denken zentralen Begriffs, der sich mindestens bis Nietzsche zurückverfolgen läßt: Bruch, S. 187; GGr III, S. 860. 192 In diesem Zusammenhang zitierten die Heidelberger Gelehrten gerne Goethe/Schillers Xenion: »Wo das Gelehrte beginnt, hört das Politische auf. Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche, vergebens, bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen Euch aus.« Vgl. GGr III, S. 859ff. 193 Vgl. MWG I/15, S. 471; ßoll, Vita, S. 9; Ehrenberg, Laienbüchlein I, S. 29. Symptom antipolitischer Ressentiments ist auch die Konvention, in Bibliographien politische »Publizistik« nicht aufzunehmen, z.B. beim politisch stark engagierten Dibelius, Zeit, S. 30. 194 Lemme, Gerechtigkeit, S. 157; Bekker, S. 21; Lederer, Kapitalismus, S. 117; Schmid Noerr, Entwurf, S. 50; Niebergall, Mensch, S. 197; Ritter, PrJb 184, S. 252; Schubert, Calvin, S. 468; Jaspers, Idee, S. 77; Lüttge, Christentum 1925, S. 112; Güntert, Erbe, S. 457; Oncken, Friedenspolitik, S. 17. Antipolitische Affekte auch in dem von A. Weber verfaßten Programmentwurf für die Republikanische Partei Deutschlands: abgedruckt bei Demm, S. 338. 195 Etwa: Hellpach, Universitas, S. 145. 196 Jaspers, Weber 1932, S. 27. Ähnl. Situation, S. 82-85. Krehl (KF II, S. 491) bezeichnete am Beispiel Luther »Politik« als verderblich für sittliche Menschen. Lüttge, Christentum 1926, S. 2 (Gegensatz von »Reinheit« und Politik). 197 Vgl. KF I, S. 201, 371, 376, 651; II, S. 118, 179, 184, 525, 687; Ehrenberg, Tragödie, S. 38 (»Hölle der Politik«); Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 614 (»von der Politik unterjocht«); Bergsträsser, Nation, S. 43; Waffenschmidt, Fortschritt, S. 520; Güntert, Geist, S. 57; Duhm, S. 146. 198 Hellpach, Universitas, S. 280. 199 KF I, S. 277, und II, S. 743. Schmitthenner operierte mit dem Gegensatz »parteipolitische Angelegenheit« und »Gewissensfrage« (Verh. Bad.LT 9.12.32, S. 349). 200 Jaspers, Situation, S. 82f. Zum Scheitern in der Politik auch: Weber 1932, S. 75f; G. Mann, S. 309. Ähnl. Sah, DVjs 6/1928, S. 594, dessen hohe Anforderungen an politische Partizipationsfähigkeit ebenfalls antidemokratisch wirken. 201 Gegen Frankreich, S.11f.(Oncken). Ähnl. Neumann, IMWKT 9/1914, Sp. 186; Aufgaben, S. 34; Ehrenberg, VossZ 5.8.18, S. 1; Dibelius, FZ 3.1.18, Sp. 2 und HT 22.5.19; Schubert, Christentum; Anschütz, Leitgedanken, S. 33; Panzer, Heldensagen, S. 11; Salz, DVjs 6/1928, S. 594; E. Curtius, Essays, S. 120; Hellpach, HT 12.6.26; Prognose, S. 99f.; Heilkraft 1930; NL 111, S. 40f; Duhm, S. 37, 61, 66, und 80. Hierzu gehört auch die Forderung nach oder das Sich-Abfinden mit der Politisierung der Studenten (vgl. Abschn. II.1.2.). 202 Formulierung ausPV.Bis 1919 wurden sie als »publice« angekündigt. Sie waren in der Regel zugänglich »gegen Erwirkung von Eintrittskarten bei den betreffenden Dozenten« (ebd. SS 1917ff.), bzw. bei der akademischen Quästur (ebd. WS 1919/0ff., S.37ff. und 50; SS 1933, S. 8), manche waren auch gratis. 203 Vgl. Abschn.V.1(Ferienkurs) bzw. IV.2.2 (»Deutschtum«). 204 GLA 235/3110: Nachweisung der Lehrauftragshonorare fürs SS 21 vom 7.10.21. 205 Vor allem zahlreiche Titel, die Reizwörter der »nationalen Revolution« enthielten, z.B. 1933/4: Krieger, Volkskunde; Wahle, Germanische Altertumskunde und deutsches Geistesleben; Schmitthenner, Allgemeine Wehrkunde; Bergsträsser, Volk und Staat; 1934: Wendland, Die Bedeutung des Protestantismus für das Werden des deutschen Staates; Bilabel, Rassen und Völker als Grundlagen der antiken und neueren Geschichte; Andreas, Volk, Führertum und Staat im Wandel der deutschen Geschichte; Neumann, Humanistische gegen nordische Kunst; 1934/5: Raumer, Der Kampf um den Rhein; Schrade, Kunst und Staat; Grisebach, Deutsches Kunsthandwerk; Besseler, Deutsche Musik; Sölch, Deutsche Landschaften; 1935: Regenbogen, Homer und die Deutschen. In diese Kategorie gehören auch drei Vorlesungen zur indoarischen Geisteswelt (Güntert 1932/3, Zimmer 1933/4, Beer 1934), die zuvor nie Thema war. 333 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S, 99— 1 \ 1 206 Als Beispiel dafür, wie durch die Einfügung einiger aktueller Bemerkungen eine FichteVorlesung umgewertet wurde: Rickert, Heid. Hs. 2470/44, S. 1ff. Als Beispiel dafür, daß bereits vor 1933 Publiziertes mit dem NS konforme Inhalte enthielt: Glockner, Deutsche. 207 Vgl. Jansen: Vom Gelehrten, Tab. 3 bis 5. 208 PV; Giovannini, S. 246ff. 209 Die sich häufiger politisch Außernden vertraten stärker gesellschaftsorientierte Fächer. Weizsäcker: Neurologie (nach heutiger Definition Psychosomatik); Krehl und Stein: Innere; Dresel, H. Kossei und Gotschlich: Hygiene; Gruhle (wie anfangs Jaspers) Psychiatrie. 210 Ringer, S. 221ff. 211 Deutsche Universitäten, S. 33; Radbruch, Mensch, S. 78. 212 Vgl. Gelehrtenpolitik, S. 155 (Döring); Deutsche Hochschullehrer, S. 16ff. 213 Lepsius, S. 18. 214 Mannheim, Ideologie, S. 245 (vgl. Abschn. II.3.2); Gundolf, Dichter, S. 28f.; George 1930, S. 35; Schmitthenner, Ansprache, S. 10f. Daß »Geist« für die Gelehrten in der »Mitte« stand, belegt auch eine Stelle bei A. Weber. In einer neuen Ordnung müsse »wieder von ideellen Zentren aus alles um geistige Mittelpunkte gruppiert werden« (Gedanken, S. 80).
III. »Für den Sieg des deutschen Militarismus‹« 1 UAH A-160/178 v. 1.8.14. 2 Das scheint an allen Universitäten der Fall gewesen zu sein. Vgl. Grüner, S. 16. 3 HT 5.8.14. Über ihr Wirken war nichts in Erfahrung zu bringen. 4 HT 26.9.14, S. 5. 5 Kellermann, S. 86ff.; Böhme, S. 51-54; Grüner, S. 78f. Vgl. S. 44 (ein weiteres Ausscheren Heidelbergs aus der Phalanx der deutschen Universitäten) und S. 52f.: »Während zu Beginn des Krieges die Zusammenarbeit der deutschen Universitäten eine einheitliche Linie vermissen ließ«, habe sich dies mit der 5. außeramtlichen Rektorenkonferenz 1915 zumindest bis 1916 gebessert. Zur Troeltsch-Rede auch Anm. 92. 6 UAH A-160/178 v. 19.7.15. Ohne Einsicht in die Personalakte läßt sich dieser Fall nicht genauer aufklären. Die einzige Darstellung (Hoepfner) argumentiert aus französisch-chauvinistischer Perspektive. 7 Die ebenfalls relativ liberale Universität Jena wollte Hodlers »Der Auszug der Freiwilligen 1813« auf Betreiben konservativer Professoren (vor allem Euckens und Haeckels) zunächst verkaufen und ließ es dann mit Brettern vernageln, weil Hodler gegen die Beschießung der Kathedrale zu Reims durch deutsche Truppen protestiert hatte (Grüner, S. 63ff.; Geschichte Jena I, S. 510ff. und 536f.). 8 Universität 1916, S. 16. 9 UAH A-160/178 v. 3.12.14. Weiter wurde beschlossen, daß »die Cigarren etc.« von zwei Professoren, »die Chokolade etc.« hingegen von der Frau des Prorektors ausgewählt werden sollten.Neumann,Thoma; Universität 1916; Universität 1917. 10 1916 trat die Universität zwar dem »Kriegshilfeverein Baden für den Kreis Memel« bei und sammelte unter ihren Mitgliedern für dessen Bestrebungen, eine Partnerschaft zwischen den beiden »deutschen Grenzregionen« herzustellen. Zugleich aber lehnte der Senat mehrfach einen Antrag des konservativen Mineralogen Ernst Wülfing ab, eine offizielle Sammlung für die »Schützengrabenbücherspende« zu veranstalten. Bitten um Mitwirkung an der Zeitschrift »Heer und Heimat« und des »Bundes deutscher Gelehrter und Künstler« um Beteiligung an Vorträgen hinter der Front beantwortete der Senat gar nicht erst (UAH A-160/178 v. 14.2., 13.3. und 30.10.16). 334 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 111-113 11 Böhme, S. 137ff. Daß gegen diesen Aufruf »der Lehrkörper ... in corpore protestiert« habe, wie M. Weber behauptete, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor und dürfte eine taktische Übertreibung sein (GPS 1921, S. 462; MWG 1/15, S. 131ff.). 12 AM 29.7.25, S. 77. 13 HNN 1.12.17; Gradenwitz, Gradenwitz, S. 75ff. 14 So die philosophische Fakultät der Universität Halle zur Ehrenpromotion des Kriegsministers (Hübner, S. 226). Vgl. auch Geschichte Jena I, S. 511f. Aus einer Liste des ehemaligen UAH-Leiters Weisert, die er mir freundlicherweise zur Verfügung stellte, geht hervor, daß die Heidelberger Universität während des Krieges nicht von dem Usus abwich, entweder großzügige Spender oder wissenschaftlich hervorgetretene Personen zu Ehrendoktoren zu ernennen. Keine der insgesamt 32 Ehrungen ging an einen Militär, aber 14 (darunter alle der medizinischen Fakultät, mit denen Spenden für den Orthopädie-Neubau honoriert wurden) an Bankiers, Kommerzienräte und Fabrikanten (UAH H-III-869/1-2 und B-1523/1; RC 67/8, S. 109ff.; HNN 4.2.18). 15 M. Weber wehrte sich Anfang 1918 gegen die von einer Göttinger Zeitung aufgestellte Behauptung, »nicht nur bei Herrn Prof. Oncken und bei mir, sondern auch bei der hiesigen Juristischen Fakultät sei ›direkt oder indirekt‹ ein Teil von Lloyd Georges Millionen ›gelandet‹« (HT 24.1.18). Vgl. Mitteilungen der DVLP. Berlin, 10.1.18, S. 1. 16 Ständeversammlung 21.2.18, S. 63f. Ausgerechnet das konservativste Mitglied der juristischen Fakultät, Gradenwitz, hatte die Mosse-Spende aquiriert. Nach eigener Aussage hat ihm dies politisch geschadet (Gradenwitz, Gradenwitz, S. 75ff.). Für das folgende: M. Gothein, S. 278. 17 M. Webers Ablehnung des Philosophen Driesch, eines der wenigen Pazifisten im Lehrkörper (vgl. D. Riesenberger, Geschichte der deutschen Friedensbewegung, Göttingen 1985, S. 113; Tab. 1 im Anhang), dürften die meisten Kollegen geteilt haben: »Daß dieser Mann hier Philosophie dozieren darf, ist ein Skandal« (KZSS, Sonderh. 7, S. 179). Die 1918 gescheiterte Habilitation Lukács' gilt auch als Beispiel für »Ausländerfeindlichkeit« und »nationales Ressentiment« der Universität Heidelberg während des Weltkrieges. Auch wenn politische Argumente gegen Lukács ins Feld geführt wurden (Hampe fragte, warum Lukács keinen Militärdienst mehr leiste. Boll, Oncken u.a. waren für »große Zurückhaltung und peinliche Beobachtung aller Vorschriften, schon mit Rücksicht auf unsere jungen Freunde im Felde... Sie würden uns wenig Dank wissen, wenn sie nach ihrer endlichen Rückkehr recht viele Hörsäle durch Nichtreichsdeutsche versperrrt fänden«), scheint die Habilitation nicht primär aus politischen Gründen gescheitert zu sein. Vielmehr wurde Lukács das Opfer eines Machtkampfes zwischen rivalisierenden Fraktionen innerhalb der Heidelberger Gelehrtenkultur. Seine übermäßige Protektion durch »Weberianer« provozierte die Fakultätsmehrheit und bot eine willkommene Chance, jenen eins auszuwischen, zumal mehrere Fürsprecher des Ungarn nicht (mehr) in Heidelberg waren (A.Weber und Rickert waren in Berlin, M.Weber in Wien, Lask gefallen). Dagegen daß politische Gründe entscheidend waren, spricht, daß auf beiden Seiten Professoren standen, die politisch zusammenarbeiteten und niemand die Habilitation mit politischen Argumenten befürwortete. Vgl. Sauder in: Zs. für Linguistik und Literaturwissenschaft 53/54, S. 79-107; AeG, S. 251ff., insb. S. 254 und 268. 18 UAH A-160/178 v. 16.2.17 und 9.4.18; Jansen, Liebe. 19 Ringer, S. 12-185 und 229-314; Böhme, S. 3-35; Schwabe; Döring, S. 8ff. und 21-56. 20 Vgl. Böhme und Kellermann, dessen noch im Krieg erschienene tendenziöse Darstellung auch entsprechende Aktivitäten der gegnerischen Staaten ausführlich darstellt. 21Ruge,Heimkehr, S. 48ff.; Not 1919, S. 7f.; Unterstützer: Tab. 2 (Anhang), Sp. b. 22 Nicht »mehrere hundert«, wie Ruge später behauptete (Kampfdaten, S. 2). Vgl. HNN 29.1., 16.5., 30.7., 19.10., 26.11., 1. und 10.12.17, 5.2.18. 23 HT 7. und 17.9.14; Kellermann, S. 28f. Eine weitere Resolution des Jahres 1914, die »Erklärung gegen die Oxforder Hochschulen« deutscher Historiker und Völkerrechtler unterzeichnete aus Heidelberg einzig Oncken (Ebd., S. 90ff.). 335 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 113-119 24 Kulturwelt: Böhme, S. 47ff.; Unterzeichner: HT 5.10.14 und Kellermann, S. 66ff. Daß sich die »überwältigende Mehrheit der deutschen Universitätsprofessoren« angeschlossen habe, wie Schwabe,VfZ1966, S. 109, und Fischer, S. 133, behaupten, ist nirgends belegt. Vgl. Brocke (auch zu den internationalen Reaktionen). Erklärung: Tab. 2 (Anhang), Sp. a. 25 Würde man die Prozentberechnungen auf die Zahl der in Heidelberg anwesenden Hochschullehrer beziehen, lägen die Anteile wegen der Kriegsdienstleistenden noch höher. 26 »Aufruf an die Kulturwelt«, Rückgabe der Orden, »Gegenadresse« und die in Sp. e und f in Tab. 2 (Anhang) aufgeführten Resolutionen. 27 Die »Kundgebung« verwies ausdrücklich auf ihren überparteilichen Charakter. 28 Vgl. W. Mommsen, S. 255ff., der davon ausgeht, daß der Text der »Kundgebung« nicht von Weber stammt (S. 262). Allerdings argumentiert Weber in der FZ v. 28.7.16 (MWG I/15, S. 133) sehr ähnlich wie diese. Vgl. auch GPS 1958, S. 462. 29 Böhme, S. 184f. 30 Ebd., S. 125-135. Der Konservative Krehl beispielsweise kommentierte die annexionistischen Aktivitäten sehr kritisch: »Das ist doch ein schweres Unrecht gegen die Kämpfenden. Diese opfern ihr Leben und die am ›sichern Port‹ sagen, es [der Krieg] solle länger dauern« (KF I, S. 296). Andererseits gehörten zwei prominente Mitglieder der Nationalliberalen Partei zu den Unterzeichnern der »Seeberg-Adresse« (Czerny und der Heidelberger Oberbürgermeister und nebenberufliche Hochschullehrer Walz). 31 PrJ 162, S. 169ff.; Text auch bei Böhme, S. 135ff. Dnesch und Bütschli werden darüberhinaus bei Wolgast, S. 123, ohne Quellenangabe genannt. Die Universitäten Berlin, Göttingen und München waren wesentlich stärker als Heidelberg vertreten. 32 Vgl. W. Mommsen, S. 76, der unter Bezugnahme auf D. Oncken (Das Problem des »Lebensraums« in der deutschen Politik vor 1914, Diss. Freiburg 1948) Max Webers berühmtberüchtigte Freiburger Antrittsrede (1895) als »Initialzündung für die Entstehung eines liberalen Imperialismus« bezeichnet, die erst den Imperialismus in Deutschland ›gesellschaftsfähig gemacht‹ (D. Oncken) habe. Vgl. Fischer, S. 134f. 33 Ähnl. Ziele verfolgte der »Volksbund für Freiheit und Vaterland« (Tab. 1 im Anhang: »VB«), eine »liberal-imperialistische« Gegengründung zur Vaterlandspartei, deren Resonanz mäßig war und über deren Aktivitäten nicht viel herausszufinden ist. Vgl. HT 20.12.17, HZ 23.3.18 und Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Berlin, 22.12.17. 34 Nur in Berlin und Gießen gab es ebenfalls Professorenresolutionen gegen die Vaterlandspartei, aber mit geringerer Resonanz (FZ 14.10.17; BT 15.11.17; Schwabe, S. 162ff.; Döring, S. 256ff.). 917 deutsche Hochschullehrer unterzeichneten hingegen die Erklärung gegen die Friedensresolution des Reichtsags (s.o.; vgl. Tab. 13; Böhme, S. 184f.). 35 DZ 1921, S. 20. 36 Die in Tab. 1 (Anhang), Sp. 1 aufgeführten Mitgliedschaften können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Es spricht aber nichts dagegen, daß die feststellbaren Mitgliedschaften sich so verteilen wie die Mitgliedschaften in politischen Organisationen insgesamt. 37 KF II, S. 546. 38 Anschütz, Oncken und die Brüder Weber. Bruch zeigt für die Zeit vor 1914, daß eine wirkliche Beeinflußung der Reichsleitung durch Gelehrtenpolitiker nur von Berlin aus möglich war. Von den wichtigsten gemäßigten Heidelberger Gelehrtenpolitikern hielten sich während des Krieges drei längere Zeit in Berlin auf: Anschütz (der erst 1916 nach Heidelberg berufen wurde), A. Weber (1916-18) und M.Weber (sporadisch). 39 Moraw, S. 197. 40 Sie gehörten wie Ehrenberg und Lederer der philosophischen Fakultät an und hatten sich alle in Nationalökonomie habilitiert. Zu Muckle und Neurath vgl. Anm. I/6 und Abschn. IV.1, insbes. Anm. 13. Auch Lederers Karriere wurde durch sein politisches Engagement gebremst (Lederer, Kapitalismus, S. 266). Fast so isoliert war der Pazifist Driesch (vgl. Anm. 17). 336 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 119-123 Das Fehlen von im Zentrum engagierten Hochschullehrern ist neben der überwiegend protestantischen Religionszugehörigkeit des Lehrkörpers damit zu erklären, daß das Zentrum vornehmlich eine Partei der Unter- und Mittelschichten war. 41 Demm, S. 81ff., 169ff. und 256f. (basierend auf dem Briefwechsel mit Else Jaffé). Zu Webers Scheitern in der DDP: ebd., S. 256-282. 42 Es handelt sich um Affolter, Erb, G.B.Schmidt und von Schubert: je zwei von ihnen waren Mediziner und führende Vertreter des Heidelberger VDA. Vgl. Abschn. II.2.1. 43 Daß er der absolute Spitzenreiter ist, sollte nicht überbewertet werden, da seine politischen Aktivitäten von allen Heidelberger Professoren mit Abstand am intensivsten erforscht sind und durch die MWG jede Äußerung von ihm erfaßbar ist. 44 Vgl. Gelehrtenpolitik, S. 81 und 149; zur Kritik: Einleitung, Anm. 30. 45 Wehler, Historiker, S. 196. 46 Vgl. Flitner, S. 28. Andere Universitäten: Moraw, S. 194f., Grüner, S. 5. 47 Oncken, Deutschland oder England, S. 802. Ähnl.: Kriegsschuld, S. 31ff.; Friedenspolitik, S. 53f.; Schwelle, S. 9; KF II, S. 339. Betont naiv argumentierte Oncken in seinem an die Deutsch-Amerikaner gerichteten Buch (S. 10f.): »Man stelle sich vor, daß jemand im August dieses Jahres, ohne von dem Vorangegangenen etwas zu wissen, vom Monde auf die Erde niedergefallen wäre, und er sähe auf der einen Seite Deutschland und Österreich-Ungarn eingekeilt wie in einer belagerten Festung: und auf der anderen Seite die russische Weltmacht mit allen Triebkräften der reinen Barbarei im Bunde und den beiden Schakalen vom Balkan im Gefolge, der französischen Revanche ..., die seit Jahrzehnten von Neid und Angst gepeitschte englische Weltmacht ... und schließlich dem unter dem Schein der Neutralität längst an die Westmächte verkauften belgischen Gefolgsmann und die im fernen Osten zum räuberischen Sprunge ausholende gelbe Großmacht Japan. Ja, sähe er obendrein, wie diese sieben kleinen und großen Räuber sich noch nicht miteinander begnügten, sondern die ganze Welt nach weiteren Verbündeten in Italien, Rumänien, Dänemark abjagten ... - würde dieses denkbar unbefangenste Lebewesen vom Monde sich lange besinnen auf die Frage: Wo stehen die Angreifer, und wo steht die gerechte Notwehr?« 48 Windelband, Streben, S. 257f. 49 Oncken, Deutschland und der Weltkrieg, S. 463; Deutschamerikaner, S. 5. Ähnl. Bedeutung, S. 463ff. 50 Oncken, Mitteleuropa, S. 5ff. und 75ff; Friedenspolitik, S. 30, 41 und 12; Kriegsschuld, passim. 51 Auf die konkrete Ausformung der Feindbilder in den Kriegsschriften wird hier nicht eingegangen. Zum »Kulturkrieg« der Gelehrten vgl. Ringer, S. 170ff.; zu Heidelberg: AeG, S. 168ff. Der Haß gegen die Engländer aus enttäuschter Zuneigung war mit Abstand am größten (vgl. die einschlägigen Schriften von Lenard, Levy, Oncken und Hettner), während man die Franzosen (Oncken: »unser fanatischster Feind«) wegen ihrer »ehrenhaften« Kriegsgründe und wegen ihres allseits gelobten Mutes anerkannte. Auch dies war eine »gouvernementale« Haltung, in der einmal mehr die Mehrheit der Heidelberger Hochschullehrer mit Reichskanzler Bethmann Hollweg übereinstimmte (vgl. APuZ 1981, S. 335). Bei den Russen schieden sich die Geister zwischen scharfer Ablehnung (»asiatische Barbaren«) und Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen Slawen und Germanen (vgl. Abschn. III.3.3). 52 Gothein, Krieg, S. 4; Gundolf, FZ 11.10.14; Troeltsch, Erklärung, S. 5; Glaube, S. 6; Bauer, Samariter, S. 10; KF I, S. 153, 178, 317; II, S. 282; Bekker, AkadW 1915, S. 3; Lemme, Krieg, S. 412 und Gerechtigkeit, S. 161; Thoma, HT 21.1.15; Windelband, Friedenspolitik, S. 9 und Streben, S. 257f.; Hampe, Vergangenheit, S. 1; Bollwerk, S. 156; Bezold, Entwicklung, S. 3; Hettner, GZ 21/1915, S. 5, 18ff., 26ff.; Friede, S. 11ff.; Affolter, S. 9ff.; Ehrenberg,VossZ 9.8.18. 53 Hettner, ESWZ 1/1916, S. 1058; Friede, S. 21; Lemme, Neubau, S. 13; Levy, Wirtschaftskrieg, S. 5f.; Gefahr, S. 12; KF II, S. 292. 54 Oncken, Mitteleuropa, S. 9. 337 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 123—127 55 Schubert, Weihe, S. 20f. Wie Schubert hier die Kriegsursachen formulierte, läßt nicht nur Rückschlüsse zu auf Ängste, die ihn plagten, sondern belegt auch, daß die Gelehrten die völkische »Individualität« Deutschland als männliches Wesen imaginierten. 56 Oncken, Deutschland oder England, S. 802. 57 Fatalismus hinsichtlich eines »unvermeidlichen Krieges« hatte bereits vor 1914 die deutsche Öffentlichkeit stark bestimmt (Dülffer, S. 194-224 u.ö.). 58 Troeltsch, Glaube, S. 20f.; Dibelius, FZ 25.8.18; Schicksal; Universität 1916, S. 58; W Mommsen, S. 169, 206f. Belege für weitere Heidelberger Hochschullehrer in den folgenden Fußnoten. 59 Α Weber, Gedanken, S. 79f.; Selbstbestimmungsrecht, S. 60f. Ähnl. MWG I/15, S. 171f. und 175. 60 Gundolf, FZ 11.10.14. Ähnl.Ruge,Heimkehr, S. 14, 21 und 122; Toten, S. 32, wo die, »die den Weltkrieg als einen ›Wirtschaftskrieg‹ betrachten«, als »Sünder« beschimpft werden. Oncken (HNN 29.1.17) beschrieb mit einem beliebten Topos den Weltkrieg als einen Kampf von »Zahl gegen Geist«. Vgl. auch Endemann und Heinsheimer, HNN 4.2.18. 61 Lederer, Kapitalismus, S. 141. 62 MWG I/15, S. 190 und 468f. Dass.: Hettner, GZ 21/1915, S. 7; Friede, S. 17: »Die ›Schuld‹ Deutschlands besteht nur darin, ... daß es aufgehört hat, bloß ein Volk der Dichter und Denker zu sein ... und danach getrachtet hat, wirtschaftlich und politisch nicht etwa an der Stelle anderer Mächte, sondern neben ihnen einen Platz in der Welt zu gewinnen.« Ähnl. Lemme, Neubau, S. 75f. 63 Hemer, Friede, S. 231; Α. Weber, Gedanken, S. 9\;Troeltsch, CW 29/1915, S. 296. 64Ruge,Not 1918, S. 106; ähnl.: Unsere Toten (1917), S. 13. 65 KF I, S. 177, 235, 317, 555; II, S. 228, 385, 515, 647f., 654, 719. 66 Oncken, Kriegsschuld, S. 31; Hampe, Bollwerk, S. 156; Hettner, Friede, S. 46. Hampes Kriegspublizistik bestand fast ausschließlich in der Rechtfertigung des Überfalls auf Belgien. 67 Lemme, Gerechtigkeit, S. 162. Dibelius (FZ 25.8.18; ähnl. Schicksal) sah den Krieg als »Schicksaisnotwendigkeit« und bestritt, daß es sich um einen »Rassen-, Konfessions- oder überhaupt um einen Zweiparteienkrieg« handele. 68 Zur Professorenpublizistik im Weltkrieg: Schwabe. Daneben: Ringer; Döring; Lübbe; Vondung, S. 153-171; zur Kriegsbereitschaft allgemein: Dülffer. 69 Oncken, Deutschen, S. 3, in einem speziell an Sozialdemokraten und Gewerkschafter gerichteten Band, dessen Beiträge von liberalen Professoren und Gewerkschaftsführern verfaßt worden waren. 70 Lenard, England, S. 11. Ähnl. Troeltsch, Glaube, S. 12f .; Schubert, Erziehung, S. 8; Weihe, S. 20; Lemme, Neubau, S. 75. 71 Schubert, Weihe, S. 14; Troeltsch, Glaube, S. 10. Ähnl. Gothein (Krieg, S. 18): Eine »imponierende Seite der Kriegsethik« sei auch »das Verschwinden der Parteien«; Altmann, Mobilmachung, S. 3 (»atomisierter Menschenhaufen« wurde ein »großes Ganzes«); Bauer, Samariter, S. 10; Lemme, Erhöhung, S. 518f.; MWG I/15, S. 181: »freie Hingabe des Einzelnen [an den Staat], ohne welche die innere Wiedergeburt Deutschlands zu Beginn dieses Krieges unmöglich gewesen wäre.« 72 Gothein, Krieg, S. 9; Gundolf, FZ 11.10.14. Ähnl.: Universität 1916, S. 16 (Lemme: der Krieg habe »eine Hochflut geistig-sittlicher Erhebung gebracht«. 73 Oncken, FZ 1.8.15, Sp. 2. 74 Döring, S. 53, zeigt, daß hier nur ein geringer Wechsel zwischen annexionistischem und gemäßigtem Lager stattfand. 75 Bauer, Samariter, S. 15. Ähnl. Salz, Rechtfertigung, S. 36; Lemme, Krieg, S. 413; Bezold, AM 10.5. und 11.11.16; Wülfing; GPS 1921, S. 458; Anschütz, Parlament, S. 38; Gothein, Krieg, S. 4. 76 Altmann, Mobilmachung, S. 3. Ahm.: Oncken, Bedeutung, S. 482. 338 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 127-130 77 Lemme, Krieg, S. 412; Gerechtigkeit, S. 163. Weitere Naturallegorien: Braun, Krieg, S. 17; Schubert, Erziehung, S. 8. Vgl. Dülffer, S. 34f. Troeltsch-Zitat nach SAp II, S. 26. 78 »Die Weihe des Krieges« nannte Schubert 1915 seinen »Kriegsvortrag an Kaisers Geburtstag« (vgl. Abschn. III. 1), der offensichtlich großen Eindruck machte. Noch zehn Jahre später erinnerte sich sein Kollege Jagemann (S. 280) an diese »schöne Rede«. Von der »Weihe eines deutschen Krieges« schriebM.Weber(MWG I/15, S. 194). Ähnl. Troeltsch, CW 29/1915, S. 301. 79 Schubert, Weihe, S. 25, der den Krieg als »ein Stück göttlicher Weltregierung« bezeichnet; Bauer, Samariter, S. 10; Gundolf zit. nach Salin, George, S. 86ff. und 306. 80 Schubert, Weihe, S. 25; Endemann, S. 4. 81 Schubert, Weihe, S. 26. 82 MWG I/15, S. 95f.; Oncken, Deutschen, S. 1. 83 Schubert, Weihe, S. 13; Oncken, FZ 1.8.15; Anschütz, Wahlreform, S. 3. Ähnl. Troeltsch, CW 29/1915, S. 297. 84 F. Fleiner, S. 120; Bartholomae, AM 11.5.18. 85 Schubert, Eröffnung, S. 2. Ähnl.: Braun, Krieg, S. 70 und 72. 86 Altmann, Mobilmachung, S. 1 und 4; Oncken, FZ 1.8.15. Ähnl.: Mitteleuropa, S. IX: »Der Krieg scheidet unbarmherzig die Scheinwerte von den wahren Werten«. 87 Oncken, FZ 1.8.15, Sp. 1; Schubert, Weihe, S. 18.Ähnl.Ruge,Heimkehr, S. 16. 88Ruge,Mobilmachung, S. 9; Schubert, Weihe, S. 10 und 21: »Der Krieg macht uns als Volk erst mündig und frei.« Ähnl.: Universität 1916, S. 55 (Hettner). 89 Neumann, IMWKT 9/1914, S. 196; Schubert, Weihe, S. 25. Dass.: Gothein, Krieg, S. 32; Gundolf, FZ 10.10.17. Vgl. Dülffer, S. 33ff. und 45f. 90 Lemme, Gerechtigkeit, S. 162f. Ähnl. Schubert, Weihe, S. 7;Ruge,Heimkehr, S. 44. 91 Vgl. über die zitierten Beispiele hinaus: Seeberg-Adresse; Lenard, England, S. 15: »Zu den Künsten des Krieges gehört es, dem Gegner alles Unheil anzutun, was er nur selbst nach Konvention oder sonstiger Feststellung uns anzutun vorhaben kann, die vollständige Vernichtung eingeschlossen. Fort also mit aller Rücksichtnahme auf Englands sogenannte Kultur«. Der Historiker Fehling dichtete: »Vom Frieden schwärmt ihr als vom höchsten Lebenszweck/ da doch das Grab, das stumme, nur den Frieden birgt/... kein Bleiben und kein Rasten: Kampf und Krieg allein/Ist schuld und Fluch und Segen des Lebendigen/... Frieden ist der Tod/Und der lebendigen Dinge Vater ist der Krieg« (HT 19.8.14; ähnl. 15.8.14). 92 Troeltsch, Glaube, S. 10. In der ersten Kriegsrede eines Heidelberger Professors am 2.8.14 (Erklärung, S. 3f.) hatte er die zuendegehende Friedenszeit noch gerühmt, sie habe eine »wunderbare Entwicklung des Wohlstandes«, »kühnste Entdeckungen« der Wissenschaft und »neue deutsche Kultur« gebracht. Bei ihm muß also in den ersten Kriegswochen ein Perspektivwechsel stattgefunden haben. Gleichwohl war die kulturkritische Einschätzung der Epoche als dekadent bereits seit 1890 sehr verbreitet (vgl. Ringer). 93 Schubert, Weihe, S. 4; Ruge, Not 1918, S. 105; A. Weber, Gedanken, S. 103; Lemme, Gerechtigkeit, S. 163;Ruge,Heimkehr, S. 44; Troeltsch, CW 29/1915, S. 297. 94 Lemme, Erhöhung, S. 520; Neckel, Kultur, S. 17;Ruge,Mobilmachung, S. 16. 95 Vgl. Theweleit, der ähnliche »Männerphantasien« aus der literarischen Produktion von ehemaligen Freikorpskämpfern herausgearbeitet hat. Diese Parallele läßt Rückschlüsse auf die psychische Struktur der Hochschullehrer zu. Solche Wünsche verweisen nach Theweleit auf den Charaktertypus des »Nicht-zuende-Geborenen«, wie ihn die autoritäre Familie und Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs allzu häufig produziert hat. 96 Dibelius, FZ 21.11.17. 97 A. Weber, Gedanken, S. 80. 98Ruge,Heimkehr, S. 107. Α. Weber, Gedanken, S. 9, 13. Ehrenberg (VossZ 5.8.18) hoffte, »daß der Götze der wirtschaftlichen Mentalität durch den Krieg gestürzt ist.« Vgl. ebd. 9.8.18 (in Abschn. III.3.3 zit.); Oncken, Deutschen, S. 1. 99 Schubert, Weihe, S. 8f. 339 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 130-135 100 Bezold, Entwicklung, S. 3; Schubert, Weihe, S. 5;Ruge,Heimkehr, S. 9. 101 Gothein, Krieg, S. 109; AM 14.11.14; Lemme, Neubau, S. 5. 102 Oncken, Deutschen, S.10f.Vgl. das dort folgende martialische Lassalle-Zitat. 103 Schubert, Weihe, S. 6; vgl. S. 27. Bekker (AkadW 1915, S. 4) sah neben den »Greueln« eine »aufklärerische Wirkung«. 104 Neumann, Aufgaben, S. 39 (interessante Auseinandersetzung mit Barbusse);Ruge,Heimkehr, S. 15; Schubert, Weihe, S. 4; Oncken, Bedeutung, S. 489; Deutschen, S. 9. 105 Hettner, Friede, S. 27f. Ähnl. Troeltsch, CW 29/1915, S. 302. 106 Ebd.; Lemme, Gerechtigkeit, S. 151; Neubau, S. 82; MWG I/15, S. 97. Ähnl. Fehling, HT 15.8.14. 107 MWG 1/15, S. 95. Ähnl. Troeltsch, NR 26/1915, S. 11. Resonanz: Jaspers, Autobiographie, S. 66. 108 Niebereall war 14 Jahre nichtbeamteter aoP. Zu Lederer vgl. Anm. 40. 109 Hingegen sei das von den meisten deutschen Professoren vielgeschmähte »Söldnerheer Ausdruck realer staatsbürgerlicher Freiheit ...; der Staat verfügt über seine Bürger wirklich nur kraft Vertrages« (Lederer, Kapitalismus, S. 132). Vorangegangene Zitate: Ebd., S. 119, 123f., folgende: S. 135, 136f., 138, 142f. 110 Die einzige ähnlich klare zeitgenössische Analyse, die aber erst 1973 veröffentlicht wurde, ist »Die deutschen Intellektuellen und der Krieg« (o.J., nach 1915) von Lukács, der zu dieser Zeit in Heidelberg lebte und in Kontakt mit Lederer stand (Text und Kritik, Bd. 39). 111 Niebergall, Menschen, S. 34; Lebensinhalt, S. 12. In einem literarischen Werk Niebergalls, das aus der Perspektive eines Daheimgebliebenen geschrieben ist, findet sich eine Vielzahl pazifistischer Überlegungen über den »unseligen« Krieg, die, dadurch daß sie der Ich-Erzähler spricht, allerdings nicht unbedingt als Meinung des Autors genommen werden können. Als der ins Feld gezogene Sohn/Bruder gefallen ist, heißt es dort: »Man kann das gedankenlose Gerede vom Heldentod gar nicht mehr hören« (Schwelle, S. 10). S. 15: »So eine Schlächterei ist ja in der ganzen Menschheitsgeschichte noch nicht dagewesen.« 112 Etwa: Endemann, S. 4; Neumann, Aufgaben, S. 38ff; Frommel und Schubert, HNN 5.2.18. 113 Bütschli, S. 3. Auch Rektor Bartholomae schlug in seiner Immatrikulationsrede im SS 1918 deutlich vorsichtigere Töne an als seine Vorgänger (AM 11.5.18). 114 MWG 1/15, S. 357 und 461. Dnesch, Wirklichkeitslehre, S. 324f. Im Vorwort heißt es ähnl. wie bei Lederer, die ›Innerweltlichkeit‹ habe »zu jener Vergottung der empirischen Staaten geführt, deren furchtbare Folgen unser Geschlecht erlebt hat« (S. IX); S. 201ff.: Absage andenNationalismus. 115 Schmid Noerr, Straßen, S. 65. Vgl. S. 64: »schwarze Fahne des Sieges«. 116 A. Weber, Selbstbesrimmungsrecht, S. 68f. 117 KF I, S. 376, 469, 485, 508, 514, 591, 625; II, S. 185, 221, 491, 517, 579, 718. Immerhin forderte Anschütz ihn zum Beitritt zum »Volksbund für Freiheit und Vaterland«, der Gegengründung zur Vaterlandspartei auf, was Krehl aber ablehnte. DNVP-Sympathisant: Tab. 1 (Anhang). Vgl. auch Anm. V/4. 118 Kritik am Krieg aus christlicher Sicht: KF /, S. 10ff., 219, 449ff., 618; II, S. 600; deutsche Übergriffe: KF 1, S. 29; Verrohung: KF I, S. 152, 184, 366; II, S. 521, 533; »schön, fürs Vaterland zu sterben«: KF I, S. 34, 40, 229, 451;II,S. 384, 592, 594; »Gottes Gericht«: II 533; Auseinandersetzung mit Foerster: KF II, S. 572, 578ff., 584f.; »Lusitania«: KF II, S. 225; »in der warmen Stube«: KF I, S. 94, 503. Auch Max Webers private Äußerungen waren skeptischer als seine öffentlichen (W Mommsen, S. 206ff.). 119 Demm, S. 179. 120 Die einzige Stelle: Salz, Rechtfertigung, S. 37. Anders wiederum KF I, S. 35, 619; II, S. 69f. Seit September 1918 beschäftigte ihn die Möglichkeit einer Revolution: KF II, S. 713, 718 und 720. Siegesgewißheit: Oncken, Schwelle, S. 6f. und 11f.; Endemann, S. 4; Schubert und Frommel, HNN 5.2.18; Levy, 1917, S. 5f. 340 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 135-138 121 MWG 1/15, S. 82 und 182; Hettner, Friede, S. 33ff. (Zitat S. 41f.); Anschütz, Zukunftsprobleme, S. 8. 122 Lemme, Neubau, S. 8; Erhöhung, S. 521; Ruge, Tote, S. 20. Diesem Satz und der Forderung, der Friedensschluß müsse deutscherseits »von machtpolitischen Gedanken diktiert« sein, steht in der äußerst widersprüchlichen Publizistik Ruges eine Polemik gegen die annexionistische »Ländergier« (Heimkehr, S. 119) gegenüber. Annexionismus durfte für ihn nicht abstrakt und auf gar keinen Fall wirtschaftspolitisch motiviert, sondern mußte von »wirklichem Willen zum Leben« getragen sein. 123 MWG I/15, S. 82; A. Weber, Bemerkungen; Oncken, Friedenspolitik, S. 62f; Schwelle, S. 12; Deutschen, S. 9. Vgl. Fischer, S. 93ff. u.ö.; Wehler, Kaiserreich, S. 207ff. 124 Levy. Gefahr, S. 24 und 32; Hettner, GZ 21/1915, S. 9, 30 und ö.; GZ 23/1917, S. 393409; ESWZ 1/1916, S. 1058-64; Friede, S. 97; Universität 1916, S. 56; Schubert, Erziehung, S. 3; Hampe, Vergangenheit, S. 1f.; MWG I/15, S. 62ff.; Fehling, HT 13.8.14. 125 In der Euphorie nach den ersten deutschen Siegen wurden härtere Töne angeschlagen. Lenard wünschte »vollständige Vernichtung« Englands (England, S. 15). Ähnl. Levy, HT 30.9.14. 126 Bauer, Samariter, S. 10; Levy, Gefahr, S. 24 und 37; Hettner, Weltherrschaft, S. 405f.; Oncken, Schwelle, S. 9; Anschütz, Zukunftsprobleme, S. 21. 127 Oncken, Mitteleuropa, S. 139, 145 und 148. A. Weber (Bemerkungen) ging weiter und forderte »1. eine verbesserte strategische Lage, 2. die Verbreiterung unserer Nahrungsmittelbasis, womöglich mit gleichzeitiger Ausbreitung unserer Volksbasis überhaupt ..., 3. Raum und zwar gesicherten Raum für die Ausstrahlung unserer Kräfte in die Welt«. Vgl. Demm, S. 152ff. M. Weber forderte »greifbare Garantien« gegenüber Belgien (MWG I/15, S. 81) und eine »arrondierte [koloniale] Interessensphäre« (MWG I/15, S. 175f.).Vgl. Hettner, GZ 21/1915, S. 16 und 23; Friede, passim; ESWZ 1/1916, S. 1060; Hampe, Vergangenheit, S. 1f. 128 Oncken, Friedenspolitik, S. 64. Er zitierte gerne (Ebd.; FZ 1.8.15) Bismarck, eine deutsche Hegemonie in Europa wirke nützlicher, unparteiischer, auch unschädlicher für die Freiheit anderer als eine französische, russische oder englische. 129 Troeltsch, Imperialismus, S. 13. Ähnl. definierte A. Weber (PrJb 171, insb. S. 62ff.), daß nur die Völker ein solches Recht hätten, die »ein seelisch-kulturelles Ganzes« seien. Vgl. MWG 1/15, S. 95ff. (in Abschn. III.3.2 zit.). 130 Hampe, Problem, S. 346 und 355ff. Auch mit dem Argument, daß Annexionen die Einheit und Reinheit des deutschen Reichs gefährden könnten, setzt er sich auseinander. Dies müsse vorübergehend in Kauf genommen werden. Ein Teil der Belgier werde nach Nordfrankreich abwandern. »Der Rest würde allmählich nach sozialer Hebung und Fürsorge zu höherer Zucht und Ordnung heranreifen.« Vgl. Selbstdarstellung, S. 31f. 131 A. Weber, Bemerkungen; Gedanken, S. 31. Schwabe (VfZ 1966, S. 133) zeigt anhand von Briefen, daß auch Oncken 1915 zeitweilig für »starke reale Garantien« und »eine politschmilitärische Kastration« Belgiens eintrat, was sich in seiner Publizistik aber nicht niederschlug. Es gebe keine »belgische Nationalität«: Hampe, Mächte, S. 348; Anschütz, Zukunftsprobleme, S. 6 und 12f.; Hettner, Friede, S. 238; Oncken, Mitteleuropa, S. 147; Probleme, S. 21; MWG 1/ 15, S. 81f. 132 A. Weber, Bemerkungen; Hettner, Friede, S. 42; Oncken, Schwelle, S. 13; Mitteleuropa, S. 139. 133 A. Weber, Litauen; Staatseründune. Vgl. Fischer, S. 400, 404ff. und 530f. 134 A. Weber, Bemerkungen; Polenpolitik; Oncken, Mitteleuropa, S. 119ff.; MWG I/15, S. 197ff.; Demm, S. 192-225. 135 A. Weber, Gedanken, S. 31; Oncken, Bedeutung, S. 474. 136 MWG I/15, S. 169, 180f.und 72. Hettner (Rußland) war auch für Härte gegen Rußland. 137 Oncken, Mitteleuropa 1915, S. 119ff.; Friedenspolitik, S. 63; Schwelle, S. 3; Hettner, GZ 21/1915, S. 18f.; MWG I/15, S. 183ff.;Anschütz,Zukunftsprobleme, S. 17 und 23; Schmid Noerr, Wesen, S. 817. Das Konzept »Mitteleuropa« war sehr widersprüchlich und unausgego341 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 138-144 ren. Selbst Oncken sah darin ein »Schlagwort«, das die Kriegsziele mehr umschreibe als löse (Schwelle, S. 10). EinzigLederer(ESWZ 1/1916, S. 795ff.; Kapitalismus, S. 97ff.) leistete eine fundierte Kritik. Vgl. Fischer, S. 208ff. u.ö. 138 A. Weber, Gedanken, S. 61f. Weber war auch aus ökonomischen Gründen gegen Kolonien (S. 92ff.). 139 Nämlich das Becken von Briey in Lothringen - eines der zentralen Kriegsziele der deutschen Schwerindustrie, zu deren Lobbyisten sich Gothein damit machte (VossZ 7.2.18; vgl. Fischer, S. 189f. und 216f.), und in bemerkenswertem Gegensatz zu seinem Bruder Georg, der 1915 als Mitautor der Broschüre des Bundes Neues Vaterland Sollen wir annektieren? solche Annexionen ablehnte. 140 Anschütz, Zukunftsprobleme, S. 22ff.; A. Weber, Gedanken, S. 16ff. 141 Ehrenberg, Voss Z 9. 8.18. Folgendes Zitat: VossZ 20.8.18. Dass. ausführlicher: Rußland. 142 Vgl. Stern, S. 232ff., 238 und 244f. 143 In der Frage der Demokratisierung erbringt Ringers Gegenüberstellung »Orthodoxe««Modernisten« eine über die Begriffe »liberal« und »konservativ« hinausgehende Präzisierung, da keineswegs alle Liberalen »Modernisten« und alle Konservativen »orthodox« waren. 144 Zitate: Anschütz, Wahlreform, S. 3 und 26. Außerdem: Ders., Zukunftsprobleme, S. 27; Parlament, passim; Oncken, Deutschen, S. 4 und 10f.; Bekker, AkadW 1915, S. 20; MWG I/15, S. 217-221, 268ff., 310-13, 347-396, 404-420 und 432-596. Vgl. W. Mommsen, S. 264ff.; Fischer, S. 278. 145Ruge,Not 1919, S. 18 und 22f. 146 Lenard, England, S. 15. Zu den Hintergründen seiner Englandfeindschaft: AeG, S. 41ff. 147 Neumann, Kunst 1914, S. 194ff. 148 Ruge, Tote, S. 25. Vgl. seinen Brief an Max von Baden v. 9.10.18 (Not 1919, S. 9ff.). 149 Vgl. Schmid Noerr, Wesen, S. 817: Es »wäre schön«, wenn »ein ›Imperialismus‹ deutscher Bildung, deutscher Gesittung, deutscher Humanität die künftige mitteleuropäische Kultur ... bestimmen« würde. 150 Imperialismus, S. 8. Auch zu dieser Frage sind die nichtöffentlichen Äußerungen des einzigen Ordinarius, der den Krieg in Frontnähe erlebte, realistischer als die seiner konservativen Gesinnungsgenossen »am sichern Port« (KFI,S. 512). 151 Bekker, AkadW 1915, S. 20; Hettner, Friede, S. 32; Universität 1916, S. 266; MWG I/15, s. 115ff. 152 Ebd., S. 316ff. Auf S. 115ff. hatte er die ökonomischen Folgen des US-Kriegseintritts realistisch beschrieben. 153 Vgl. ebd., S. 316ff. Das einzige Gegenbeispiel der Entschärfung eines Textes bei Oncken: Aus »Probleme...« strich der Zensor den Satz »Eine der großen Unbekannten in der letzten Rechnung des Krieges wird das Maß des inneren Zusammenhaltes bei allen Völkern sein« (Ursachen, S. 253).
IV. Die Hochschullehrer als Citoyens 1 HT 6.12.18; Jens, S. 328; Geschichte Rostock, S. 166 und 169. 2 Hübner, S. 129. Die anderen waren Leipzig und Köln. 3 Schröder.S.127f. 4 Giovannini, S. 34-40 (auch zum folgenden). In Halle und Leipzig schossen Studentenfreikorps während des Kapp-Putsches auf Streikende und töteten viele von ihnen (Alma, S. 232f.; Hübner, S. 231ff.). 5 Auf dieser Versammlung ging es allein um den »Kampf gegen den Bolschewismus«. Es war aber nur ein Drittel der Senate und 40 % der Studentenschaften vertreten. Alle süddeutschen 342 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 144—148 Universitäten fehlten (Grüner, S. 164f.). In Tübingen wurde die Zulassung zum Staatsexamen im Herbst 1919 von der Teilnahme an einem Freikorps abhängig gemacht. Hübner, S. 233 und S. 227ff.; Alma, S. 230-232; Geschichte Rostock, S.173 und 205ff.; Geschichte Jena, S. 533f., 538f., 550-556; Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 1955, S. 697; Seier, S. 310. 6 AM 6/SS 20 (Unterstützungsaufruf von Rektor H. Kossel, Thoma, Heinsheimer und Schubert). Noch vor dem Kapp-Putsch hatte der Hochschulverband zur Unterstützung der »Teno« aufgerufen. VfZ, Jg. 27, S. 30-78; Geschichte Rostock, S. 303; Hübner, S. 230f. 7 S. Anm. II/10 und 122; Weisert, S. 113ff.; Bartholomae. 8 Gegen Frankreich. 9 Tribunal, Jg. 1, S. 83 (Mierendorff, Haubach, Zuckmayer). Das folgende Oncken-Zitat: Universität 1919. 10 AM 4/WS 19/20; Oncken, PrJb 179, S. 359-403. Sein anderer Vortrag dürfte weitgehend »Weltgeschichte« entsprochen haben. 11 AM 4/SS 19. Veranstalter (in der Reihenfolge der genannten Vorlesungsreihen): Gruhle, Niebergall, Petsch, Fehr, Gothein, Dresel. Zu Jena, wo Sozialisten diese Bewegung bald dominierten, so daß die Universität sich zurückzog: Grüner, S. 117). 12 AM 3/SS 20. 13 Zu Muckle, der ein großer Verehrer Eisners war, vgl. Anm. I/6 sowie seine Werke Das Kulturideal des Sozialismus. 1919, Die großen Sozialisten. 19204 Neurath wurde 1920 zu anderthalb Jahren Festung verurteilt und ausgewiesen (Gumbel, Denkschrift, S. 99; MWG 1/ 16, S. 492ff.; Neurath, Wissenschaftliche Weltauffassung, Sozialismus und logischer Empirismus. Frankfurt 1979, S. 31); Demm, S. 285f.; Drüll. Ein paralleler Fall in Greifswald: Schröder, S. 134f.). Auch Schmid Noerr war als Mitarbeiter des Kultusministers und Eisner-Nachfolgers Hoffmann an der Räteregierung beteiligt (Linse, S. 63ff.) und verlor 1919 dieLehrberechtigung (Drüll). Ob aus politischen Gründen, ist ohne Einsicht in die Personalakte nicht zu klären. 14 Ruge war zunächst DNVP-Mitglied, legte aber während des Disziplinarverfahrens seine Parteifunktionen nieder und trat Anfang 1921 aus. Aber noch im August 1922 wird er als Spender für die Heidelberger DNVP-Zeitschrift genannt (DZ 1920, S. 47; 1921, S. 16; 1922, S. 122). Später trat er der Deutschvölkischen Reichspartei (einer Ersatzorganisation für die verbotene NSDAP) bei, deren Heidelberger Reichstagskandidat er im Dezember 1924 war. Gumbel (Verschwörer, S. 158, 164ff. und 172) nennt ihn als Mitglied der Geheimbünde »Oberland« und »Blücher«. Wegen des Fememordes an seinem Sekretär Karl Baur (Gumbel, SZH 5.8. und 9.9.23) saß er 1923/4 ein Jahr in Landsberg, die letzten Monate zusammen mit Hitler (Giovannini, S. 111). Einen ersten politischen Konflikt hatte es bereits im Dezember 1910 gegeben. In seinem fanatischen Kampf gegen die Frauenemanzipation und -Studium hatte Ruge die Frauenrechtlerinnen beschimpft als »alte Mädchen, sterile Frauen, Witwen und Jüdinnen, die aber, welche Mütter sind und die Pflichten der Mütter erfüllen, sind nicht dabei«. M. Weber sah seine Frau beleidigt. Er löste wohl das erste Disziplinarverfahren gegen Ruge aus. Vgl. Riese, S. 375f. 15 Sammlung UBH zum FallRuge.Vgl. Peters, S. 36-58. 16 Sammlung UBH zum Fall Ruge; Peters, S. 53ff.; AM 6/WS 20/1 und 9/WS 24/5. 17 Auer; AeG, S. 41-46; Peters, S. 60-72; Giovannini, S. 112-115; Ramsauer; DZ 1923, S. 111 und SApIII,S. 376-405. 18 AM 3/SS 20. Lenard hatte sich von allen Ordinarien am längsten gegen die Neufestsetzung der Gehälter gewehrt, die für ihn den Verlust vonfinanziellenPrivilegien bedeutete (s. fansen,VomGelehrten, Abschn. 8.2). 19 Reichsstudentenführung, S. 21. 20 Die anschließende Institutsbesetzung und »Gefangennahme« Lenards braucht nicht referiert zu werden, da sie in den in Anm. 17 genannten Darstellungen geschildert wird, am authentischsten durch den Augenzeugen und Staatsanwalt Hugo Marx (Auer, S. 44ff.). 21 HT 30.6.22. Zu Anschütz: folgende Absätze und Abschn. IV.3.5. 343 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 148-153 22 DZ 1923, S. 111; Giovannini, S. 113. Mierendorff wurde vom ebenfalls liberal besetzten Disziplinarausschuß (Anschütz, zu Dohna, von Künßberg, Jaspers und Dresel) mit einer ausgesprochen republikfreundlichen und politischen Begründungfreigesprochen(Ebd., S. 114f.). 23 Vgl. Mommsen, Freiheit, S. 139. 24 Anschütz, Leitgedanken. Vgl. Abschn. IV.3.5; HT, HNN, HdZ,VZ und PB 24.11.22. 25 UAH H-III-869/1 und B-1523/1, jeweils vom 20.11.23; H. Köhler, Lebenserinnerungen, Stuttgart 1964, S. 119ff. Bereits im Juli 1920 hatte die Universität einen republikanischen Politiker ehrenhalber promoviert, den Unterstaatssekretär Geib »wegen seiner hervorragenden praktischen und wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der sozialen Medizin (Kriegsbeschädigtenftirsorge)« (UAH B-1523/1 vom 11.7.20). Geib war allerdings parteilos, bereits seit 1915 hoher Ministerialbeamter und promovierter Jurist. 26 Der Rostocker Mediziner Reinmöller wurde wegen der Äußerung »In dieser Drecksrepublik wird ja nicht gearbeitet« von einem Disziplinargericht verurteilt. Aus Geschichte Rostock, S. 171f., geht allerdings nicht hervor, welche Konsequenzen dies hatte. Reinmöller reichte jedenfalls ein Entlassungsgesuch ein, um sich bis zu seiner Berufung an die damals reaktionärste deutsche Universität (Erlangen) ganz der Arbeit in der DNVP zu widmen. F. Marschall von Bieberstein (Kampf des Rechtes gegen die Gesetze. Stuttgart 1927, insb. S. 167-183) wurde wegen seiner 1925er Reichsgründungsrede in Freiburg zwar disziplinarisch verfolgt, aber nur gerügt. 27 Zahlreiche Rostocker Professoren waren am Kapp-Putsch mit mehr oder minder offener Billigung durch ihre Universität aktiv beteiligt. Einer von ihnen, der Ordinarius für Pathologie und DNVP-Vorsitzende Schwalbe, der bis 1908 in Heidelberg gelehrt hatte, fiel im Kampf gegen streikende Arbeiter. Zum Rektor wählten die Rostocker demonstrativ einen Kollegen, gegen den ein Strafverfahren wegen Hochverrates lief. Versuche der mecklenburgischen Regierung, dessen Amtsantritt zu verhindern, scheiterten am Widerstand des Lehrkörpers und bewirkten nur, daß er im folgenden Jahr wiedergewählt wurde (Geschichte Rostock, S. 171ff.; vgl. S. 166). In Jena waren mehrere Professoren in den Kapp-Putsch verwickelt. Im historischen Seminar waren Waffen und Munition gelagert. Die Putschisten wurden weder disziplinarisch noch strafrechtlich belangt (Geschichte Jena, S. 542-546; Grüner, S. 120ff.). In Leipzig ließ der Rektor am 1.5.22 die republikanische Flagge herunterholen und die des ehemaligen sächsischen Königshauses hissen (Alma, S. 232ff.). 28 HT 8.1. und 18.2.19 (Resolution); HdZ 29.1.19; GPS 1980, S. 489. 29 Vgl. Rath, S. 46; KZSS 1983, S. 16; Holborn, Kriegsschuld, S. 22; MWG I/16, S. 196ff. und 518ff.; Demm, S. 287f. 30 Windelband gehörte dem »Akademischen Arbeitsausschuß gegen Friedensdiktat und Schuldlüge« an (Friedenspolitik). Vgl. DZ 1925, S. 19f.; FZ 5.1.25. 31 Boll, AM 1/SS 20, S. 4 und 6. Selbst für Gumbel (Porträt, S. 221) hatten die Deutschen zunächst an einen Defensivkrieg geglaubt und waren erst durch ihre Siege aggressiv geworden. 32 Ehrenberg, CV 15.7.19, S. 6 (Zitat). Ähnl. Oncken, Ursachen, S. 230; Hampe, FZ 7.3.19; Königsberger, S. 217; Niebergall, Sozialismus, S. 5; Gothein, HT 6.10.21. Weizsäcker (Begegnungen, 158) berichtet von Diskussionen und Bewältigungsversuchen Heidelberger Professoren zur Kriegsschuldfrage. Aus christlicher Überzeugung und abweichend von den anderen sich zu diesem Thema Äußernden nahm Dibelius (Schicksal, S. 653) Ende 1918 eine radikal ablehnende Haltung zu Knegsschulddiskussionen ein. Sie trügen nicht dazu bei., »den Krieg seelisch zu bewältigen... Denn sie verleiten immer wieder zu dem Irrglauben, als sei der ungeheure Kampf ... durch die Tücke einiger weniger Sterblicher hervorgerufen worden, sie hindern unser Volk ... an der inneren Einstellung, die allein der Größe dieser Katastrophe entspricht: daran den Krieg als Schicksal zu begreifen«. Ähnl. Gumbel (Porträt, S. 221ff.; Zitatentechnik). 33 Neumann, Glauben, S. 5; Universität 1919 (Bartholomae und Oncken). 34 Vgl. Schmitthenner, Wehrhaft, S. 121; Weltgeschichte, S. 457ff. 35 Oncken, Weltgeschichte, S. 6 (Zitat); Gothein, HT 6.10.21, Sp.1; Bergsträsser, Sinn, S. 14; 344 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 153—159 Hellpach, Rheinbefreiung, S. 5f.; Miffeü, Jahre, S. 8, 10 und 13; Dibelius, HT 21.10.29; Andreas, Räumung, S. 14; Schmitthenner, Verh.Bad.LT 15.1.31, S. 448; Weltgeschichte, S. 626. 36 Hg. von E. Meyer. Berlin 1920. Nicht einmal der DNVP-Professor Fehling griff in seiner Rede »Gegen die Auslieferungsschande« (HT 26.1.19) die Regierung an. 37 Vgl. Abschn. III.2.1; H. Wehberg, Wider den Aufruf der 93. Berlin 1920, S. 11. Von den anderen beiden Heidelberger Unterzeichnern hatte Wilhelm Windelband noch kurz vor seinem Tod erklärt, »er sei jeden Augenblick bereit, seine Unterschrift zurückzuziehen, wenn eine Gesamtaktion des Bundes deutscher Gelehrter und Künstler herbeigeführt werden könnte« (S. 10), und Lenard sich nicht geäußert. 38 HT 25.2.19. Weitere Kritik am Auslieferungsbegehren: Boll, AM 1/SS 20, S. 9. 39 Vgl. Geschichte Rostock, S. 207f. 40 PB 24. und 27.12.18; HT 14.3.19 (auch in MWG 1/16, S. 528);Tab. 2 (Anhang), Sp. i. 41 Vgl. Geschichte Rostock, S. 210ff.; Grüner, S. 109. 42Vgl. auch HT 13.11.22 (Aufruf von Rektor Anschütz und OB Walz, beide DDP, zu einem Wohltätigkeitsball für die Wolgadeutschen); Andreas, Rede; Räumung. Vgl. Abschn. II.5.6. 43 Hoops, Bericht, S. 9; AM 6/SS 21, S. 2. 44 Tab. 2 (Anhang), Sp. i »z«; AM 17.1.23. 45 Dohna, der vor Heidelberg in Königsberg Professor gewesen war, vertrat das »Grenzland« Ostpreußen 1919-21 in Nationalversammlung bzw. Reichstag. 46 HT 12.11.26. Vgl. Tab. 6 und 2 (Anhang). 47 Etwa Deutsche Hochschullehrer, S. 22; Gelehrtenpolitik, S. 150. 48 Jeweils der höchste und niedrigste Wert der Wahlen 1919-23. Die Ergebnisse der DDP aus dem Januar 1919 (28 bzw. 32 %) wurden nicht berücksichtigt, da damals in Baden noch keine DVP kandidierte (Quelle: Heidelberger Tageszeitungen). 49 VossZ 25. und 28.4., 10.5.22. 50 Deutsche Hochschullehrer, S. 70. 51 Schröder, S. 122-131; Marshall, S. 271; Hochschulalltag, S. 89. Vgl. zu weiteren Universitäten Geschichte Rostock, S. 79; Seier, S. 308. 52 Walz wurde nicht als parteipolitischer aktiver Hochschullehrer berücksichtigt, da er nur nebenberuflich bei den Juristen und überhaupt nur im SS 22 und im WS 22/3 sowie vom WS 28/9 bis SS 35 lehrte (PV). 53 BLZ 29. 11.20, S. 2; M. Gothein, S. 297. 54 Für die letzten beiden Abschnitte vgl. HT 20.1.19ff., 5. und 31.10.21, 4. und 20.11.22; HdZ 20.5.20. 55 KZSS 1983, S. 12ff.; Demm, S. 256-94 (der A.Weber in etwas zu starker Identifikation als Opfer »traditioneller« liberaler Berufspolitiker darstellt) und S. 225-36 (Einsatz für die Parlamentarisierung desReiches);Jones, S. 17-21 und 31f. M. Webers Kandidatur für die Nationalversammlung war an parteiinternen Widerständen gescheitert (Mar. Weber, Weber, S. 653ff., W. Mommsen,S. 328ff.). Er wurde im Januar 1919 in den »engeren Ausschuß« der badischen DDP und im August in den nationalen Parteiausschuß berufen (Ebd.; HT 11.1.19). 56 DZ 1920, S. 8,47,71 und 136; Holborn, Schubert, S. XXXf.; Demm, S. 266ff.; Jones, S. 21. 57 Lederer, Wiederaufbau, S. 71; vgl. ders., Kapitalismus, S. 264f. Zu seinem Antibolschewismus: Ebd., S. 155-171; Gedanken, S. 7ff.; Artikel in: Der Kampf. Wien. 58 Vgl. G. Regler, Das Ohr des Malchus, Frankfürt 1975, S. 73; Giouannini, S. 103; Abschn. II. 2.1. 59 HT 28.12.18. Vgl. R. Benz, Das Problem der Volkshochschulen. Jena 1920. 60 Vgl. Abschn. IV. 1; HT 18.3.19. Im UAH und in Zeitungen fand sich nichts über dessen Tätigkeit. 61 Der Altphilologe Boll wirkte als Vertreter der Hochschulen in der Landesschulkonferenz an der Ausgestaltung der badischen Schulpolitik und der Vorbereitung der Reichsschulkonferenz von 1920 mit (vgl. Ergebnisse; Ringer, S. 66ff.). 345 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 159-164 62 Weizsäcker, Anfang; HT 14. und 20.3., 2. und 7.4.19. 63 Vgl. Ehrenberg, CV 1. und 15.11, 1.12.19; Ebd. 26.6.21, 1.1.22, sowie 35, 36 und 52/ 1923 und 8/1924; zur Programmatik des Volkskirchenbundes: Ebd. 10.4.21, S. 4; Ehrenberg, Autobiography; Laienbüchlein I, S. 6-10 und 21; Disputation III, S. 160. 64 Lenard, Relativitätsprinzip; Aufruf; Lenard/Stark; AeG, S. 42-46; Auer; SAp III, S. 376405. Vgl. zu den Fällen Ruge und Lenard Abschn. IV.1. 65 Lenard, Lebenserinnerungen, S. 117f. 66 Es handelt sich um Hoepke, der auch an den Kämpfen um Oberschlesien teilnahm (BDC-Hoepke und Interview); Lohmann und H. Wurm: Teilnehmer am Ruhrkampf (BDC); P. Müller und O.F.Ranke: Freikorps Epp 1919-20 (BDC). 67 BDC: Lebenslauf vom 21.3.39; vgl. HSt 2/SS 33, S. 9f. 68 Verh.Bad.LT 31.7.24; Rosa, S. 352. Baethgen feierte 1923 »die Sabotageakte im Ruhrgebiet als nationale Taten« (Wb 16.6.25, S. 907). 69 Als Beispiele: Königsberger, S. 216f.; Universität 1919. 70 Panzer, Deutschkunde, S. 3; Hettner, DB 4/1923, S. 9; Domaszweski, DZ 1.11.20, S. 121; Eehling, S. 7; Baethgen, DZ 15.1.21, S. 9; Curtius, Lagarde, S. 13; Schubert, Lage, S.13. Ähnl., aber mit liberaler Tendenz Neckel, HT 28.2.19. 71 Panzer, Deutschkunde, S. 3; Schubert, Lage, S. 13;Ruge,Not 1919, S. 13; Universität 1919, S. 8 (Oncken). Ebenso der Sozialdemokrat Ehrenberg, CV 15.7.19, S. 6. 72 Fehling, S. 17 und 12. 73 Ebd., S. 19f.; Baethgen, DZ 15.1.21, S. 9, und 20.5.23, S. 73; Ruge, Not 1919, S. 13; Panzer, Deutschkunde, S. 3f. 74 Groh, HT 23.11.34; Schmitthenner, Wehrhaft, S. 13. Raumer (ZW 9/1933, S. 177) vertrat eine besonders paranoide Verschwörungstheorie: Die USA hätten nach »einem durchaus bewußten Plan« »das deutsche Volk gegen seine Regierung auf[ge]wiegelt«. Daß die »Dolchstoßlegende« in Publikationen der Heidelberger Hochschullehrer erst im Dritten Reich auftaucht, bestätigt, daß es im Lehrkörper kaum Vertreter des »bureaukratisch-konservativen« Denkstils gab (vgl. Abschn. II.2.1.; Mannheim, Ideologie, S. 79). Anders angeblich in Tübingen: Flitner, S. 34. 75 Fehling, S. 20; Jagemann, S. 284; Domaszewski, DZ 1.11.20, S. 121. 76 Schubert, Grundzüge, S. 335f. In Ders., Lage, S. 13f heißt es: »Man redete den Arbeitern ein, das Ganze sei ein Krieg unserer Kapitalisten, womit das uns alle tragende ›Füreinander‹ erschüttert wurde.« 77 Hettner, Neugestaltung, S. 57; Friede 1919, S. 235. Der in konservativen Kreisen gängigen Topos vom »im Felde unbesiegten Heer« findet sich bei Mitteis (Wege, S. 6). 78 Neben den im folgenden Zitierten: Windelband, Politik, S. 410ff.; Thoma, HdZ/HNN 19.12.18; Rath, S. 32ff., der einen weiteren, nicht erreichbaren Artikel Thomas zum Thema zitiert; Niebergall, Sozialismus, S. 111; Häberle/Salomon, S. XXV 79 Oncken, Weltgeschichte, S. 4. Alle anderen Zitate: Ursachen. 80 Die schärfste Ablehnung des Kaisers findet sich bei Boll (AM 1/SS 20, S. 5): »Der Kaiser ist unser Verhängnis geworden« wegen »seines unstäten, rhetorischen und theatralischen Charakters«, obwohl er an sich ein ›timide‹ ohne »Kriegswillen und Eroberungsabsichten« gewesen sei. Vgl. Hampe, FZ 7.3.19, Sp.4. 81 Oncken kritisierte auch die »zügellose Eroberungshybris« der »liberalen Bourgeoisie«. An anderer Stelle (Universität 1919, S. 12) gebrauchte er die Formel, daß »wiederum die Idee eines Imperiums den nationalen Staat mit hinabriß«. 82 MWG I/15, 347ff.; A Weber, Ideen, S. 48ff.; Thoma, HdZ/HNN 19.12.18; Hampe, FZ 7.3.19; Baethgen, DZ 15.1.21; Oncken, AkadW 1922, S. 21f.; Andreas, Hilfe 34/1928, S. 221; Hellpach, Partei, S. 92f.; Anschütz, Leitgedanken, S. 28. 83 Vgl. Salz, Rechtfertigung, S. 23; Fehr, S. 15; Schmid Noerr, Denkschrift, S. 6; Ritter, Luther, S. 23. 346 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 164-169 84 Lederer, Gedanken, S. 6 (vgl. S. 12); Kampf 12/1919, S. 488; Ehrenberg, CV 15.9.19, S. 5, und 15.8.19; HT 4.2.19; Schmid Noerr, Denkschrift; Linse, S. 63ff. 85 Ehrenberg, CV 15.12.19, S. 2f., und 15.3.20, S. 1. 86 Vgl. Geschichte Rostock, S. 158-160 und 166f. 87 Andreas, Wandlung, S. 34; Dohna, Revolution, S. 28; Gothein, Ruhrgebiet, S. 22; Niebergall, Sozialismus, S. 110. 88 Ders., Menschen, S. 128 - wohl zurückgehend auf M. Webers »Karneval, den man mit dem stolzen Namen ›Revolution‹ schmückt« (GPS 1980, S. 546); Gundolf, Blätter, S. 5f. 89 Fehling, S. 24; Hettner, GZ 25/1919, S. 57 und 235; L. Curtius, DZ 15.9.20, S. 98; Ritter, Untergang, S. 5; Wilmanns, Vortrag, S. 76;Ruge,DZ 1920, S. 1. 90 »Staatsstreichrechtler« nannten ihn Anschütz, G. Jellinek u.a. (Jagemann, S. 256 und 298). Zitat: Ebd., S. 288. Ähnl. DZ 5.5.23, S. 65f.; Neumann, Aufgaben, S. 39; Schubert, Lage, S. 16f.; Dresel, Fürsorge, S. 3. 91 Ritter, Verbannte, S. 14; Untergang, S. 5. Eckardt, Grundzüge, S. 41f. 92 A. Weber, BT 6.11.18.Vgl auch: Ebd. 13.11.18. 1923 vertrat auch der DVP-Mann Dohna eine ähnliche Auffassung (Revolution, S. 8). Spätere Sicht der Revolution als Zusammenbruch: Hellpach, Universitas, S. 129; Trennung, Sp.4. 93 Zitate in den letzten beiden Absätzen: Oncken, Ursachen, S. 248 und 256-260. Dass. Lederer, Gedanken, S. 8. 94 Ebd., S. 6ff. Der spannende Aufsatz vergleicht die russische und deutsche Revolution. 95 Oncken, Ursachen, S. 229 (ähnl. AkadW 1922, S. 24); Gothein, HT 4.1.19. 96 Anschütz, Leitgedanken, S. 22; Ehrenberg, Rußland, S. 82; Fehrle, Heimat, S. 22; Hampe, Zug, S. 9; Lederer. Soziologische Probleme, S. 25; Wiederaufbau, S. 70; Niebergall, Sozialismus, S. 111; Universität 1919, S. 8 (Oncken); A. Weber, FZ 18.3.23, Sp.2; Titoma, FZ 11.7.26, Sp.2. 97 Schubert, Kirche, S. 2; Lage, S. 14; Lederer, Klassenkampf, S. 71; Anschütz, Leitgedanken, S. 1; Andreas, Wandlungen, S. 35. 98 Dohna.Verh. RT 26.1.21, S. 2128. Vgl. Theweleit Bd.I, S. 289ff. und 518ff. 99 Gothein, Erhaltung, S. 4; Begriff, S. 787f.; Niebergall, Menschen, S. 128f.; Sozialismus, S. 113; Lederer, Klassenkampf, S. 71f. Den konservativeren Ordinarien Boll (Ansprache), Oncken (Nation, S. 62f.) und H. Kossel (S. 3 und 19) wurde die Vergangenheit nicht genügend geachtet und die politische Tradition zu schnell verworfen. 100 Niebergall, Sozialismus, S. 112; Ehrenberg, CV 15.2.20, S. 4, und 15.8.19, S. 3, wo er, von Lederer beeinflußt, »drei Etappen der Weltkatastrophe« unterscheidet: »1914-16 den Krieg und Sieg des Militarismus über den Imperialismus, den Triumph des Staates über das Naturvolk; ... 1916-18 den Krieg und Sieg des Kapitalismus über den Militarismus, der Gesellschaft über den Nur-Staat... Die dritte Etappe aber beginnt mit der russischen Revolution und wird 1918 europäisch«. Vgl. A. Webers Rede bei der DDP-Gründung: »Die Revolution ist in Wahrheit das Schlußdrama einer großen Epoche« (BT 2.12.18); Lederer, Soziologische Probleme, S. 6. Folgendes Zitat: S. 16. 101 Eckardt, Grundzüge, S. 62; Gumbel, Verschwörer, S. 13; Verräter, S. 28. Er selbst hatte 1918 die Wahl der Nationalversammlung befürwortet (Porträt, S. 192ff.). 102 Baethgen, DZ 15.1.21, S. 9; Curtius, DZ 20.5.22, S. 61. Ähnl.: Mitteis, Wege, S. 16. 103 Hellpach, Prognose, S. 133,111f.und 116f. 104 Universitas, S. 129. 105 Etwa: Endemann, AM 21.5.19, S. 2; Raumer, Pfalz, S. 11. 106 Milliarden, S. 3f. 107 Lederer, Kampf 12/1919, S. 307-10; Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Anschütz, Leitgedanken, S. 2; Gumbel, VZ 13./14.11.24; Andreas, Wandlung, S. 33; Österreich 1931, S. 421; Weber, Staatsgedanke, S. 153; Kaden, S. 9; Hellpach, NZZ 20.10.29, S. 1; Radbruch, Pflichtenlehre, S. 10f.; Mitteis, Jahre, S. 8; Heinsheimer, HSt 1.7.29; Zeitung, S. 33 (Neumann); Jaspers, Situation, S. 89; Brinkmann, Wirtschaftsform, S. 23; Güntert, HT 6.2.33; Schmitthenner, Weltgeschich347 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 169-170 te, S. 602; Wehrhaft, S. 149 und 181;ViW 1/1933, S. 20; Fehrle, OZV 8/1932, S. 38; Raumer, Rhein, S. 87. 108 Gegen Frankreich, S. 3 (Bartholomae); Hettner, GZ 25/1919, S. 233;Ruge,HT 21.6.19; Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Fehling, HT 26.1.20; Akad. Speisehalle , S. 2 (Boll); Oncken, Weltgeschichte, S. 6; Dohna, AM 11.2.22; Andreas, Anschluß, S. 7 und 8; HSt 16.11.32; Hindenburg, S. 4; Panzer, AM 13.7.27; Hettner, Gang, S. 156; Schmitthenner, Krieg, S. 424; Weltgeschichte, S. 597. 109 Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Boll, AM 1/SS 20, S. 9 und 11; Akad. Speisehalle, S. 2; Niebergall, Sozialismus, S. 5; Ritter, Nationalbewußtsein, S. 222; Wandlungen, S. 252; Oncken, Weltgeschichte, S. 19; AM 5.2.21; Weber, FZ 30.11.21, Sp.1; 1848, S. 22; Gothein, Verh. Bad.LT 1.2.21, S. 643f.; Anschütz, Leitgedanken, S. 2; Krehl, Bedeutung, S. 21; Andreas, Wandlung, S. 9; Stein, S. 31; Hindenburg, S. 4; Dohna, Rhein, S. 9f.; Panzer, Heldensage, S. 1; Hettner, Gang, S. 156; Salz, Wesen, S. 44; Schmitthenner, Geschichte, S. 32; Wendland, Staat undReich, S. 191; Reichsidee, S.61. 110 Endemann, AM 21.5. 19, S. 3 (»Der völkische Ruin unserer Volkswirtschaft soll heraufbeschworen werden«); Boll, AM 1/SS 20, S. 12 (»Mord an der Seele eines großen Volkes«); Oncken, Nation, S. 372 (»Frieden der Vernichtung«); Ritter, Wohin, S. 3; Neumann, Plastik, S. 474; Hellpach, Rhein-Befreiung, S. 5f. (»Das deutsche Lebensringen um Sein oder Nichtsein«); Gundel,VG 24.10.33 (Versuch der »biologischen Vernichtung«); Raumer, Pfalz, S. 18; WuT 10/1934, S. 125; Odenwald, Verkündigung, S. 5 (»das deutsche Volk zu Tode gehetzt«); Kirche, S. 9 (»der Griff der ›christlichen‹ Völker an unserer Kehle«). 111 Boll, AM 1/SS 20, S. 9 und 11; Salz, Macht, S. 71; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 598. 112 Hettner, GZ 25/1919, S. 233; Endemann, AM 21.5.19, S. 2; Schubert, Lage, S. 17; Boll, AM 1/SS 20, S. 9; Oncken, Weltgeschichte, S. 5; Dohna, Revolution, S. 29; Thoma, Forderung, S. 3; Mitteis, Jahre, S. 5; Schmitthenner, Krieg, S. 424; Andreas, HSt 16.11.32, Sp. 1. 113 Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Oncken, Weltgeschichte, S. 5; Weber, ASS 49. S. 271; Schmitthenner, Krieg, S. 424; Raumer, Pfalz, S. 11. 114 Fehling, HT 26.1.20; Dohna, Verh.RT, Bd. 347, S. 2127; Baethgen, DZ 20.5.23, S. 73; Meister, NJb 1925, S. 327; Meister, S. 26; Gumbel, VZ 13./14.11.24; Thoma, HT 3.5.24 und 15.5.28; Forderung, S. 3; Mitteis, Wege, S. 6; Radbruch, Pflichtenlehre, S. 11; Heinsheimer, HSt 1.7.29; Hettner, Gang, S. 156; Andreas, Österreich 1931, S. 422; HSt 16.11.32; VG 29.6.33 bzw. HSt 6/SS 33; Hellpach, Universitas, S. 145; Güntert, Geist, S. 14; Bergsträsser, Policy, S. 46. 115 Fehling, HT 26.1.20; Oncken, Weltgeschichte, S. 25; Anschütz, Leitgedanken, S. 2; Weber, 1848, S. 21; Panzer, Heldensage, S. 1; Hellpach, Universitas, S. 145; Schmitthenner, ViW 1/ 1933, S. 20. 116 Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Fehling, HT 26.1.20; Hampe, Zug, S. 9; Amchütz, Leitgedanken, S. 2; Ehrenberg, CV 22.4.23; Panzer, Heldensage, S. 1; Mitteis, Wege, S. 6; Jahre, S. 7; Hellpach, Rhein-Befreiung, S. 5f.; Andreas, VG 29.6.33 bzw. HSt 6/SS 33; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 631; Wehrhaftigkeit, S. 205. 117 Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Andreas, Räumung, S. 5; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 598; Fehrie, OZV 8/1932, S. 37f. 118 Lederer, Kampf 12/1919, S. 308; Hettner, GZ 25/1919, S. 233; Boll, AM 1/SS 20, S. 9; Kaden, S. 10; Andreas, Anschluß, S. 8; Österreich 1931, S. 421. 119 Gumbel, SZH 11.11.23; VZ 13./14.11.24; Zitatentechnik; Eckardt, Grundzüge, S. 122; Andreas, Österreich 1931, S. 419. 120 Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Schubert, AM 10.12.20; Oncken, AkadW 1922, S. 24; Rheinpolitik, S. 60; Neumann, DVjs 1/1923, S. 162; Meister, NJb 1925, S. 327; Dohna, Revolution, S. 29; Gothein, WNR 4/1923, S. 52; Jagemann, S. 292; Mitteis, Wege, S. 26; Salz, Macht, S. 75; Andreas, Räumung; Österreich 1931, S. 418; VG 29.6.33 bzw. HSt 6/SS 33; Weber, ER 7/ 1931, S. 91; Kulturgeschichte, S. 395; Gundel, VG 24.10.33; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 597 und 602ff.; Rickert, Heid. Hs. 2470/44, S. 4; Teske, S. 11; Güntert, Erbe, S. 461. 348 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 170-174 121 Locarno als Ansatz für eine europäische Verständigung: Eckardt, Grundzüge, S. 122; die Völkerbund-Aufnahme als »Rehabilitierung Deutschlands als Großmacht«: Hellpach, Prognose, S. 116; als Besserung der »allgemeinen Weltlage«: Andreas, Österreich 1931, S. 4. 122 Oncken, Weltgeschichte, S. 6; Ritter, Milliarden, S. 3; Niebergall, Menschen, S. 209; Andreas, Österreich 1931, S. 421; Dohna, Verh.RT, Bd. 347, S. 2127; Anschütz, Leitgedanken, S. 2. 123 Gegen Frankreich, S. 12f.; Oncken, Weltgeschichte, S. 5f. 124 Vgl. Abschn. IV.2.1.; Heinsheimer, HSt 1.7.29. 125 Vgl. etwa Gothein, HT 5.6.19; Beer, AM 11.2.22, S. 50. 126 Vgl. etwa Schmitthenner, HSt 4/SS 31 und 4/SS 35; Verh.Bad.LT 1.2.33, S. 700; Geschichte, S. 32; Wehrhaft, S. 149. 127 Die »Anschlußfrage« war ein Lieblingsthema der Heidelberger Universitätslehrer aller politischen Richtungen, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann. 128 A. Weber, 1848, S. 21; Gothein, Verh.Bad.LT 1.2.21, S. 643f.; Anschütz, Leitgedanken, S. 2. 129 Ruge, DZ 1920, S.1f.(ähnl. Not 1919, S. 12);A. Weber, FZ 30.11.21, Sp.1; Staatsgedanke, S. 124; Anschütz, Leitgedanken, S. 2; Andreas, Stein, S. 30. 130 Oncken, Weltgeschichte, S. 19f.; Weber, FZ 30.11.21, Sp.1; Ritter, Milliarden, S. 3; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 621. 131 Mitteis saß damit der nationalistischen Propaganda auf. In Wirklichkeit handelte es sich um die Rückgabe von Lokomotiven, die beim Einmarsch in Belgien requiriert worden waren. Vgl. Gumbel, Wb 15/1919, S. 261. 132 Mittets, Jahre, S. 6. Ähnl. Dohna, AM 11.2.22; Heinsheimer, HSt 1.7.29. Mitteis argumentiert wie ein Wahlkampffilm der DNVP von 1928 (Bundesarchiv-Filmarchiv Nr. 580). 133 Andreas, Stein, S. 31. Ähnl. Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 625; Brinkmann, Wirtschaftsform, S. 23f. und 26; Hellpach, VZ 16.4.33. S. 1; Lederer, Lohnabbau, S. 31; Umwälzung, S. 7-18. 134 Ebenso wie die »Anschlußfrage« ein Lieblingsthema der Heidelberger Gelehrten. Allein zur Ruhrbesetzung publizierten sie mehr als zu Themen, die allgemein als hochbedeutsam für das politische Klima der Republik angesehen werden, etwa die Kriegsschuld-Diskussion. 135 Krehl, Bedeutung, S. 21; Oncken, Weltgeschichte, S. 10. 136 Ritter, Milliarden, S. 3; A. Weber, 1848, S. 22. Ähnl.: HT 29.5.20; Staatsgedanke, S. 156. 137 Oncken, Weltgeschichte, S. 13; Schubert, CV 3.4.21, S. 1; Mitteis, Jahre, S. 5; Schmitthenner, Krieg, S. 424; Jaspers, Situation, S. 102; Hettner, Grundlagen 1925, S. 23. 138 Schubert, Luther, S. 117; MWG I/15, S. 439f.: »Neger, Ghurkas und allerhand andere Barbaren aus allen Schlupfwinkeln der Erde [stehen] an der Grenze bereit, unser Land zur Wüste zu machen.« Oncken, Probleme, S. 13; Abrechnung, S. 17f.; Deutschamerikaner, S. 17; IMWKT 9/1915, S. 58ff. (»krummbeinige Ghurkas«); Hettner, Friede, S. 39. Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen war die Rede von der »schwarzen Schmach« am Rhein an der Tagesordnung. Vgl. GG 1985, S. 43: In einer Debatte der Nationalversammlung über den Einsatz farbiger Truppen in Deutschland argumentierten alle Parteien außer der USPD rassistisch. 139 Anschütz, Leitgedanken, S. 2f (vgl. Abschn. III.3.1); Jagemann, S. 292. Dass. Andreas, Räumung, S. 5; A. Weber, ER 7/1931, S. 91. 140 Dohna, Revolution, S. 29 (Zitat); Oncken, Rheinpolitik; Raumer, Zerstörung; Rhein; Pfalz; Windelband, DR 43/1918, S. 257-71; Gestalten, S. 177ff.; Andreas, Kämpfe, S. 187ff.; Preußen, S. 19ff. Vgl. unter den Nichthistorikern: Gothein, WNR 3/1922, S. 425-27; Gegen Frankreich (Bartholomae, M. Weber); Kaden/Springer, S. 83; Mitteis, Wege, S. 8. 141 Gothein und Oncken, AM 17.1.23, S. 4 bzw. 24; Hellpach, Prognose, S. 106; Mitteis, Jahre, S. 7; Andreas, Räumung, S. 5 und 9. Das rachsüchtige Frankreich wurde in Clemenceau, das milde England in Keynes, einem Kritiker des Versailler Vertrages auf alliierter Seite, personifi349 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 174-177 ziert. Vgl. Oncken, Weltgeschichte, S. 7 und 16ff.; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 597; Rau mer, Rhein, S. 60-77. 142 Andreas, Wandlung, S. 9; Kämpfe, S. 197. 143 Hettner, Grundlagen, S. 23. 144Anschütz, HT 18.1.23, S. 3. Ähnlich Oncken, AM 17.1.23, S. 3. 145 Kaden/Springer, passim, insb. S. 95 und 107; Privatrecht, S. 11 (Zitat). Erstaunlicherweise schlug der der ›konservativen Revolution‹ nahestehende Privatdozent Bergsträsser, 1930 Ähnl. vor und setzte auf »eine Revision des Vertrages durch Anwendung seiner eigenen Grundsätze« (Sinn, S. 7 und 20f.). 146 Krehl, Bedeutung, S. 21; Domaszewski, DZ 1.11.20; Dohna, Rhein, S. 10; Endemann, AM 21.5.19, S. 3; Anschütz, Leitgedanken, S. 19; Oncken, Weltgeschichte, S.26. 147 Radbruch, Jahre (vgl. Verfassungsrede, S. 15); Ritter, Sinn, S. 60; Thoma, HT 3.5.24; Eckardt, Grundzüge, S. 126; Mitteis, Jahre, S. 13; Akad. Speisehalle, S. 2 (Boll). 148 Schmitthenner, Ansprache, S. 14; Raumer, Pfalz, S. 12 und 18. Ähnl Andreas (VG 29.6.33 bzw. HSt 6/SS 33). 149 Lederer, Kampf 12/1919, S. 308ff. »Der deutsche Sozialismus« hätte einen besseren Frieden erreichen können, wenn er »auf der Höhe seiner Aufgabe gestanden« hätte. 150 Lederer, FZ 3.3.22. Ablehnung der »Erfüllungspolitik« etwa bei Mitteis, Jahre, S. 9f.; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 621f. 151 Gumbel, Verschwörer, S. 214f.;VZ 13./14.11.24. Im Gegensatz dazu 1933 von Raumer (ZW 9/1933, S. 178): US-Präsident Wilson und sein Mitarbeiter House seien »die ersten deutschen Revolutionäre«. 152 Lederer, Wiederaufbau, S. 6; Gumbel, Zitatentechnik;vgl.Jansen, Gumbel, S. 24ff. Dagegen Hettner (GZ 25/1919, S. 233): Gegen Versailles seien »Brest-Litowsk und auch die überspanntesten Ideen unserer ärgsten Chauvinisten während des Krieges Kinderspiele gewesen«. 153 Dibelius, BSZ 67/1929, S. 233. 154 Der traditionelle christliche »Antijudaismus», der sich primär gegen die jüdische Religion richtet, ist an sich begrifflich zu trennen vom moderneren »Antisemitismus«, der die Juden als Volk oder Rasse attackiert. Zu unterscheiden sind beide Richtungen danach, ob die Taufe die Angegriffenen aus der Schußlinie bringen konnte oder nicht (GGr I, insb. S. 175). Bei dem hier ausgewerteten Material ist die Entscheidung, wer als Antisemit und wer als Antijudaist zu bezeichnen ist, häufig unmöglich, zumal die Zeitgenossen selbst generell von »Antisemitismus« sprachen. 155 HT, PB 15.1.19 (auch in MWG I/16, S. 512); Unterzeichner in Tab. 2 (Anhang), Sp. h; Jansen, Vom Gelehrten, Tab. 11. 156 InTübingen lehrte während der Weimarer Republik kein einziger jüdischer Hochschullehrer (Jens, S. 325). Im »Fall Uhlhorn/Weinberg« entzog das Konzil der Universität Rostock dem jüdischen Dozenten Weinberg allein aufgrund einer antisemitischen Kampagne der Studenten 1922 seine Oberarztstelle. Aufgrund der weiter anhaltenden Kampagne, die dem Vorgehen der Heidelberger Studenten gegen Gumbel ähnelt, und der fehlenden Solidarität seiner Kollegen ließ sich Weinberg 1924 zunächst beurlauben und verzichtete dann auf die Lehrberechtigung (Geschichte Rostock, S. 203-205). Auch der Anteil jüdischer Studenten lag über dem Reichsdurchschnitt: Giovannini, S. 255ff. 157 EtwaRuge,Not 1919, S. 11: »Wir haben uns an Juden und Judengenossen verkauft ...; wir sind selbst zu einem Judenvolke, einem Volke elender materialistischer Gesinnung geworden.« S. 17: »Überall mästen sich geradezu die Judenweiber, überall ragen hoch empor die Früchte des Schleichhandels und des Wuchers.« 158 Hetze: Z.B. HT 9.1.19. Abwehrverein: LPG IV, S. 375f. 159 HT, PB 14.1.19.Rugereagierte mit einer Anzeige (HT 16.1.19): »Weder ich selbst noch die Partei, für die ich eintrete, sind antisemitisch. Es wäre aber falsch, abzuleugnen, daß im 350 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 177-181 deutschen Volke ein tiefgreifender Ingrimm gegen die Juden besteht und daß er im Krieg durch das Verhalten jüdischer Mitbürger gesteigert worden ist.« Vgl. Peters, S. 40-45. 160 HT, PB 15.1.19. 161 Vgl. für einen Unterzeichner der »Erklärung«: Beer, Bedeutung, S. 24f., sowie Bettmann, S. 247 und 264. Ähnl. ist auch eine öffentliche Erklärung A. Webers zu charakterisieren: Neuer Antisemitismus »wird eine Entwürdigung des deutschen Volkes sein, mit der wir uns selbst beschmutzen«. Den politischen Kampf »aus der Froschperspektive von Rasseeinstellungen« zu betrachten, sei »das Niveau, auf dem deklassierte Völker sich bewegen... Sollen wir in die dumpfe Masse des Halbbarbarentums zurücksinken, dessen ekelhafte Reaktionen zu uns heute aus Teilen des Ostens herüberklingen?« (Judenfrage, S. 126). Vgl. Demm, S. 284f. (Verweigerung einer von jüdischen Studierenden erbetenen öffentlichen Intervention gegen Ruge). 162 Gothein, Verh.Bad.LT 22.6.20, S. 2580. Vgl. Ebd., 28.6.20, S. 2661; Krieg, S. 21 (unten zit.). Er dürfte auch einer der Initiatoren der »Erklärung« und möglicherweise auch des Abwehrvereins gewesen sein. Auch Ehrenberg wandte sich mehrfach gegen Antisemitismus: Rußland, S. 86; CV 4.7.20. Seine Argumentation ist allerdings gespickt mit latentem Antisemitismus, aber so untypisch, daß es zu weit führen würde, sie hier zu referieren. Einzelne Aspekte in den folgenden Absätzen. Zu G. Gothein: LPG IV, S. 376f. 163 In Ausnahmefällen auch in Philosemitismus: Neumann, IMWKT 9/1914, S. 196. 164 Vgl. Riese, S. 111 und 375ff. In beiden Fällen stand wiederum Gothein in vorderster Front der Gegner des Antisemitismus. 165 Gothein, Krieg, S. 21; Oncken Ständevers. 21.2.18, S. 64. 166Ruge,Heimkehr, S. 82. Andeutungsweise in: Kampf, S. 8; Lemme, Neubau, S. 87. 167 KP II, S. 528. Vgl. I, S. 326, 397, 424, 520, 586, 649, KP II, S. 126, 305 und 493. Die Denkfigur vom »verjudeten« Antisemiten auch bei Ehrenberg (CV 4.7.20). 168 A. Weber, Gedanken, S. 82f. Zum folgenden vgl. GGr »Antisemitismus«. 169 Zu dem Paradigmenwechsel, infolgedessen während des 19. Jahrhunderts in ein Volk bzw. eine Rasse umdfiniert wurden, vgl. etwa Giovannini/Jansen. 170Ruge,Not 1919, S. 11, 16 und 3; HT 3.1.19. 171 Lenard/Stark; Schubert, Lage, S. 38; Grundzüge, S. 335f. Ähnl. L. Curtius (DZ 15.9.20, S. 97), der die russische Revolution als »von den Juden geleitet« herabsetzte. Auch Ehrenberg (CV 15.12.19, S. 3) und Gumbel (Verschwörer, S. 209f.) konstatierten, allerdings ohne negative Wertung, einen übermäßigen Einfluß von Juden auf die Novemberrevolution. 172Ruge,HT 3.1.19; Oncken, Lassalle, S. 556f. 173Ruge,Not 1919, S. 3; L. Curtius, DZ 15.9.20, S. 97; Hettner, Weltherrschaft, 1.-3. Aufl., S. 283; 4. Aufl., S. 209; Ehrenberg, CV 15.12.19, S. 2; Neumann, IMWKT 9/1914, S. 196. 174 Die Auswirkungen der Inflation werden in der Literatur über das politische Verhalten von Hochschullehrern ebenso überschätzt wie die »Kriegsschulddiskussion«. Ringer (S. 223) konstatiert, allerdings ohne dafür den Beweis anzutreten: »Nichts trug mehr dazu bei, dieser distanzierten Auffassung [über die Republik] größeren Raum zu verschaffen als die Inflation.« Obwohl sie Auswirkungen auf das Sekuritätsgefühl der Gelehrten hatte, das allerdings durch Niederlage und Revolution bereits stark erschüttert war, fand die Inflation keinen nennenswerten Niederschlag in ihren Publikationen. Ausnahmen: Salz, Macht, S. 81; Gumbel, Verschwörer, S. 11 und 213f.; Porträt, S. 145f.; Verräter, S. 23ff. 175 Allerdings wurde die in den 1890er Jahren begonnene Auseinandersetzung mit der Moderne fortgesetzt. Sie klang bereits mehrfach an und wird auch weiterhin anklingen, hier aber nicht eigens thematisiert, da Ringer sie ausführlich behandelt hat. 176 Exemplarisch vertrat Dohna (Revolution, S. 15) diese im Bürgertum verbreitete Haltung: »Besser eine mangelhafte soziale Ordnung als ein völliges Versagen derselben, ... wenn beim Fehlen autoritativer Gewalten ein jeder sich berufen fühlt, seine gemeinnützigen oder gar eigennützigen Pläne zu verfolgen.« 351 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 181-187 177 Vgl. Geschichte Rostock, S. 165ff.; Geschichte Jena, S. 546ff.; Schröder, S. 139f. Symptomatisch ist die Mäßigung des Archäologen Curtius nach seinem Wechsel von Freiburg nach Heidelberg. Hatte er dort die Republik als »Pöbelherrschaft der Phrase und des politischen Strebertums, der Parteikompromisse und der Verlegenheitsregierung, der Zersetzung durch Kinovergiftung und Schiebertum und jüdische Herrschsucht« charakterisiert (Lagarde, S. 12f.), so enthielt er sich in Heidelberg derartiger Tiraden und sah 1922 die Revolution gar teilweise positiv (Weg, S. 358ff.; vgl. Abschn. IV.3.2). 178 Döring, S. 67ff.: insgesamt unterzeichneten nicht einmal 300 Hochschullehrer. 179 Neben den im folgenden zitierten Beispielen: Oncken, AM 5.2.21; Nation, S. 372; Gothein, Erhaltung, S. 4; Akad. Speisehalle, S. 2 (Boll). 180 Weber, FZ 30.11.21, Sp.1f.(auch der folgende Absatz). Dass.: Ehrenberg, CV 9.9.23. 181 Gothein, Ruhrgebiet, S. 22; Anschütz, Leitgedanken, S. 2. Vgl. A. Weber, FZ 18.3.23; Staatsgedanke, S. 124f.; Ehrenberg, CV 1. und 15.7.23; Gothein, Erhaltung; Ruhrgebiet, S. 22; Boll, HUK SS 20, S. 11; Baethgen, DZ 5.5.22, S. 55. 182 Dohna und Oncken, AM 5.2.21; Gumbel, Verschwörer, S. 179 und 208. 183 Vgl. Ringer, S. 78ff., 125ff., 147ff. 184 Oncken, Nation, S. 371. Ähnl.: Hampe, FZ 7.3.19, S. 2; A. Weber, FZ 18.3.23. Aus sozialistischer Perspektive: Gumbel, Verschwörer, S. 13, aus konservativer: Baethgen, DZ 15.1.21, S. 69. Zur Parteienkritik: Abschn. V.3.2. 185 Anschütz, Leitgedanken, S. 27f.; Andreas, Hilfe 34/1928, S. 221; A. Weber, FZ 18.3.23; 1848, S. 19. 186 Oncken, Reich, S. 21; Thoma, HdZ/HNN 19.12.18; A. Weber, Ideen, S. 102-121. 187 Anschütz, Föderalismus, S. 16 (1. Zitat); Gumbel, Verschwörer, S. 13, 44 und 100 (2. Zitat); Ehrenberg, CV 1. und 15.7., 2.9.23 und 24.2.24 (3. Zitat), wo es, typisch für Ehrenberg, weiter heißt: »Der Zusammenbruch der sozialistischen Politik in den letzten Jahren hängt damit zusammen, daß die Politik der Sozialisten ihre Sache mithilfe der Wissenschaft ... anstatt mit dem Glauben zu vollbringen suchte.« 188 A. Weber, 1848, S. 19; FZ 18.3.23, Sp. 1f. 189 Dohna, Verh.RT 26.1.21, S. 2128; Revolution, S. 7. 190 Anschütz, Föderalismus, S. 16f. Vgl. Leitgedanken, S. 3; Gumbel, Verschwörer, S. 12. 191 Ehrenberg, CV 26.6.21 und 24.6.23. 192 Vgl. Ringer, S. 193ff., der als Protagonisten dieser Diskussion außer Oncken und A. Weber sowie die Berliner Professoren Meinecke und Troeltsch nennt. 193 Oncken, Staatsnation; ähnl.: Gothein, Verh.Bad.LT 1.2.21, S. 644; Andreas, Wandlung, S. 9f.; Hellpach, NZZ 15.5.32, Sp.4. 194 Oncken, Reich, S. 24. Ahnl.: Panzer, Heldensage; A. Weber, FZ 18.3.23. 195 R. Koch, Deutsche Geschichte 1815-1848. Stuttgart 1985, S. 15. 196 Akad. Speisehalle, S. 2. »Not der geistigen Arbeiter«: vgl. Abschn. I.5. und Jansen, Gelehrte, Abschn. 10. 197 Teske, S. 14. 198 Am ausführlichsten Dohna, Revolution, S. 8. Ansonsten: Anschütz, Föderalismus, S. 16. Später Jellinek, Nationalversammlung, S. 121. Der konservative Jurist Jagemann (S. 290) lehnte die badische Verfassung ab, weil er die Volkssouvetänität nicht anerkannte. Zur Diskussion um die historische Legitimität der Verfassung unter Historikern: Faulenbach, S. 248-257. 199 Oncken, Reich, S. 25; Anschütz, Leitgedanken, S. 26f. Thoma (HT 1./2.6.20, Sp.5): »Unsere neue Reichsverfassung ist ... ein höchst respektables Werk, eine der besten Leistungen moderner Verfassungsetchnik.« 200 Anschütz, Leitgedanken, S. 5f., 12,26f.und 30. Vgl. Föderalismus, S. 16, wo Anschütz, wohl in der erwähnten erzieherischen Absicht, viel stärker die Kontinuitäten zwischen 1871 und 1919 herausstellt und davor warnt, den Föderalismus der alten Verfassung zu überschätzen. Bereits vor 1919 sei »der demokratische Unitarismus im Begriff [gewesen), sich völlig durchzusetzen«. 352 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 187-193 201 Ebd. S. 17f.; Anschütz, Leitgedanken, S. 17; Oncken, Reich, S. 22; Demm, S. 291 (A. Weber und Dohna); Gothein (Erhaltung, S. 4) warnte allerdings vor der Zerschlagung Preußens. 202 Oncken, AkadW 1922, S. 24f.; Curtius, DZ 1922, S. 62. 203 Lilienthal, DJZ 26/1921, S. 667. Art. 48 war auch später gelegentlich Diskussionsthema: Auch Thoma (DJZ 29/1924, S. 654ff.) forderte »endlich ein Ausführungsgesetz«. Die Sonderrechte des Reichspräsidenten seien »rechtsstaatlich unerfreulich«. Walleser (PB 26.3.25), rechtfertigte Artikel 48 zur Abwehr radikaler Republikgegner. 204 Dohna, Verh.RT 26.1.21, S. 2128. 205 Bildungsbürgertum IV, S. 190ff. Vgl. Marshall, S. 297f.
V Die Rückkehr zu antiliberalen Ressentiments 1 Hettner beschwerte sich später, Gumbel habe im Habilitationsgesuch seine politischen Aktivitäten verschwiegen (UAH III 5a 192, S. 18). 2 HT 6.6.24; UAH III 5b 333, S.1 vom 1.7.24; Jansen, Gumbel, S. 18ff. 3 HT 31.7.24; HNN 28.7.24; Giouannini, S. 115-122. 4 UAH III 5b 331, S. 31f. Wie sehr Gumbels Formel vom »Feld der Unehre« konservative Kollegen provoziert hat, zeigt mit antisemitischem Unterton noch die Reichsgründungsrede von Krehls aus dem Jahre 1927. Er gedachte »den Helden, die auf den Kampfgefilden fielen, die wir Deutschen in Ehrfurcht das Feld der Ehre nannten und immer nennen werden.« Daß dies als Anspielung auf Gumbel verstanden wurde, geht aus DZ 1927, S. 20, hervor. 5 UAH III 5b 333. S.39. 6 UAH III 5a 192, S.18. Jaspers Darstellung (Autobiographie, S. 59ff.), die von anderen Autoren übernommen wird (z.B. Hersch, S. 292; G. Mann, S. 398; H. Meng, Leben als Begegnung. Stuttgart 1971), ist mit den Akten nicht in Einklang zu bringen. Er hatte sich »unpolitischer« verhalten, als er es später wahrhaben wollte. 7 Vor allem in Passagen über die »Schwarze Reichswehr« (S. 108ff.) und über Ruge (»wissenschaftlich ein Null, machte sich durch untergeordnete bibliothekarische Dienste bei den Professoren beliebt und konnte sich dadurch habilitieren«, S. 164ff.). 8 UAH III 5b 333, S. 203-235. Wenn Jaspers allerdings betont, es sei auch ihm »widerwärtig, daß Gumbel von solchen Dingen überhaupt öffentlich [im Original unterstrichen] redet«, könnte man meinen, es gehe nicht um die Schwarze Reichswehr, sondern um Sexualität. 9 Gumbel, Verschwörer, Anh., S.8. Die medizinische Fakultät bedauerte (gegen Sachs und Wilmanns) die Verfahrenseinstellung und die Auslegung der Disziplinarordnung durch die philosophische Fakultät. Der im Umlauf gefaßte Senatsbeschluß enthält sehr kritische Kommentare der Konservativen Kallius, Bettmann und Liebmann, während Dibelius, Anschütz und Salomon-Calvi einverstanden waren (UAH III 5b 333, S. 248r und nach S. 268). 10 AM-Sonderblatt 18.2.25. Zu den Rektoren vgl. Abschn. 1.8. 11 AM WS 24/25, S.105ff.; UAH III 5b 431, S.23, 33 und 47; Mitgau, Studentische Demokratie. Heidelberg 1927, S. 75. Hampe erklärte die Proteste der Studentenschaft damit, daß sie »stark unter dem Drucke ihrer alten Herren steht«. Die »Äußerungen hätten nicht so eingeschlagen, wenn die vorausgehenden Broschüren Gumbels ihn nicht bereits stigmatisiert hätten« (UAH III 5b 331, S.87). 12 UAH III 5b 433; GLA 235/1891; Jansen, Gumbel, S. 25f. 13 UAH: Habilitationsakte Mannheim, zit. nach Kettler, S. 17f. 14 GLA 235/3120 vom 14.5.26, zit. nach Gottschalk, S. 13f. 15 Berschin, S. 64 und 71. Ein Ordinariat für den ehemaligen Kultusminister und Reichspräsidentschaftskandidaten hatte die Fakultät einstimmig abgelehnt. 353 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 194-200 16 HT 2.8.24. Vgl.Jansen,Neckar. 17 HT 1., 4., 5. und 30.12.24, 10. und 26.6., 18.7., 24.10.25, 2.3., 29.6., 12./13.10. und 23.11.26; PB 6.12.24 (u.a. Artikel von Thoma, Neumann, Liebmann); Fehrle, Neckarkanal; Thoma, Mißgriff. Vgl. Tab. 2 (Anhang), Sp. j . 18 Das HT (13.10.26) warf dem Minister Vorgehen in »Friedensdiktatform« vor! 19 Liebmann, HT 23.11.26; Neumann, Aufgaben. Im selben Jahr konnte sich E.R.Curtius erstmals mit dem Vorschlag durchsetzen, das Französisch-Lektorat mit einem Franzosen zu besetzen, womit er zuvor mehrfach an Spionagefurcht und Angst vor der Reaktion der Studenten gescheitert war (Berschin, S. 77f.); auch die 1928 eingerichtete »Robert E. SchmidtStiftung«förderteAuslandsbeziehungen der Universität (Ebd., S. 80). 20 Vgl. Anm. II/115; zum Institut: Ackermann; Liebmann; A. Weber, Eröffnung, sowie die übrigen in Zeitungs- Verlag vom 2.7.26 abgedruckten Reden. 21 Bzw. deren deutsche Sektion, die Vereinigung für kulturelle Zusammenarbeit. 22 Hellpach, NZZ 13.11.27; HT 21. und 22.10.27. Vgl. Abschn. VII.3.3. 23 UAH B-1523/1 vom 26.2.27; Berschin, S. 95ff. Die politisch motivierten Doktorhüte verlieh die »staatswissenschaftliche Kommission d. philosophischen und juristischen Fakultät«. 24 Reden, S. 9 und 18. Als Beispiel dafür, wie schwer sich andere Universitäten mit der Öffnung dem Ausland gegenüber taten: Seier, S. 309. 25 HT 22.11.28; AM WS 28/29, S. 28. 26 Hellpach, Universalpolitik; ähnl.: ders., Rhein-Befreiung, S. 13. 27 Reden, S. 6. 28 Zum folgenden: Dibelius, AM 17.12.28; UAH Β 8301: Minister an Rektor v. 2.2.28; HT 13.8.28; Seier, S. 319ff. und 337; Marshall, S. 287. 1929, als Dibelius wieder amtierte, deutet nichts darauf hin, daß er an der städtischen Verfassungsfeier teilgenommen habe. Gotschlich nahm 1930 als Rektor und 1931 als Prorektor, während Rektor Meister fehlte, an der Feier teil (HT 12.8.30 und 31). 1932 gab es in Heidelberg keine offizielle Verfassungsfeier mehr (HT 12713.8.32). 29 Zit. nach SAp III, S. 343 (auch das folgende Zitat); Griesbach, S. 156ff. Vgl. Güntert, Geist, S. 41; Giovannini/Jansen. 30 »Sie starben, damit Deutschland leben konnte... Und sie haben, indem sie starben, dem nachfolgenden Geschlechte zugleich gezeigt, wie es leben solle« (HT 28.6.29; HSt 5/SS 29). 31 Hellpach, NZZ 11.8.29. Hellpach zitiert eine unauffindbare Protestrede Webers. 32 HSt 7/SS 29. Heidelberger NSDStB: Giovannini, S. 128ff.;Jansen,Fall, S. 34. 33 Dibelius, HT 5. und 23.7.29; Kommiltonen. Vgl. Abschn.V.3.4. 34 Berichte über sein Veranstaltungen im Landtagswahlkampf: HT 21. und 26.10.29. 35 VG 6.10.33. Einen Wahlaufruf für die DNVP (Deutsche Allgemeine Zeitung 14.1.19) hatten ebenfalls zwei Rektoren anderer Universitäten unterzeichnet. Die DNVP lag aber während der Novemberrevolution wesentlich stärker auf der traditionellen Linie gelehrtenpolitischen Engagements als die DDP 1928. Vgl. Text des DNVP-Aufrufes. 36 Dibelius, HT 22.11.29. 37VZ und HT 4.10.29. 38 Daß wie in Jena 31 Professoren einen Protest gegen die Haussuchung bei dem Berliner Prof. Bernhard wegen des geplanten Putsches der »Vaterländischen Verbände« unterzeichnet hätten (Geschichte Jena, S. 582ff.), war in Heidelberg undenkbar. 39 Töpner, S. 10, ohne Beleg: »Um 1924 nimmt das politische Engagement der Professoren ab.« Lederer, State, S. 54, sah einen totalen Rückzug der Wissenschaftler aus der Politik als Folge des Wertfreiheitspostulats. Er verwechselte wie Döring (Gelehrtenpolitik, S. 150) die professorale Ideologie mit dem tatsächlichen Verhalten. Vgl. Abschn. V.2.4. 40 Döring gibt mehrfach (S. 234f; Gelehrtenpolitik, S. 150; vgl. Bruch, S. 211) an, »etwa 10 %« der deutschen Hochschullehrer seien »politisch hervorgetreten«, d.h. hätten mindestens zwei der von ihm berücksichtigten Resolutionen unterzeichnet. Jedenfalls ist die häufig geäußerte 354 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 200-207 Vermutung (etwa: Wolgast, S. 127), daß »offene Parteizugehörigkeit oder -affinität im Lehrkörper nicht sehr verbreitet« waren, anhand dieser Zahlen nicht zu halten. Vgl. Kap. VII, insb. Tab. 12. 41 HT 5.12.24. Parteipolitisch engagierte Marburger Dozenten: Seier, S. 322. 42 Indizien hierfür: Der den genannten Aufruf unterzeichnende Andreas bezeichnete die Abgabe einer solchen Unterschrift als etwas »Heiliges« (Brief an Goetz vom 20.12.24, zit. nach Döring, S. 125). Glockner behauptet in seinem Lebenslauf (GAA Abt. 1, Nr. 3), daß er und Rickert immer DDP oder DVP gewählt hätten. Angesichts des Zeitpunktes, zu dem dies geschrieben wurde (2.8.45), ist das Bekenntnis mit Vorsicht zu behandeln. Die Angaben wurden deshalb nicht in Tab. 1 (Anhang) übernommen. 43 Vgl. Tab. 1 (Anhang). Schubert wurde für DVP und DNVP jeweils halb gewertet, da er 1924 kurz nacheinander für beide Parteien eintrat. Im Februar sprach er auf einer Veranstaltung der Heidelberger DNVP-Ortsgruppe (DZ 1924, S. 23), im Mai das Schlußwort auf der Abschlußveranstaltung des DVP-Reichstagswahlkampfes (BP 2.5.24) - ein weiteres Indiz für den fließenden Übergang zwischen DVP und DNVP. 44 Die DVP-Tageszeitung (HdZ) wurde 1924 eingestellt, auch die übrigen ausgewerteten DVP-Publikationen umfassen nur die ersten Jahre der Republik. 45 Hochschulalltag, S. 89. 46 Vgl. dazu Janseti, Deutsches Wesen. Zum folgenden: Jones. 47 HT 21.3., 23.4.25; FZ 22.3.25, PB 26. und 28.3.25. 48 Bekannt ist dies von dem DVP-Mitglied und Geschichtsdozenten Schramm (DIE ZEIT 13.10.89, S. 50). Vgl. Mommsen, Freiheit, S. 244ff. 49 Hellpach, NZZ 22.7.28. Thoma hatte im Mai 1924 vergeblich für den Reichstag kandidiert (BP 12.4.24). Dohna war 1920 als Mitglied der Nationalversammlung nach Heidelberg berufen worden und übte sein Mandat, für das er wegen einer Sonderregelung für Ostpreußen 1920 nicht neugewählt werden brauchte, noch ein Jahr aus (Drüll). 50 Führ/Zier, S. 74ff. Die Rede stellt er als Mißerfolg dar. Vgl. Abschn. VI.3.1. 51 Programmentwurf im Weber-NL (Bundesarchiv), abgedruckt bei Demm, S. 337ff. (vgl. auch S. 289f). Zur RPD: LPG IV, S. 94ff. Zur Parteienkritik: unten Abschn. V.3.2. 52 NL Gumbel; Droste Geschichtskalendarium, Bd. 1, S. 253; Klassenjustiz. Berlin, Jg. 3/1927, Nr. 5; Roter Helfer. Handbuch 1929, S. 70; Arbeiterstimme. Dresden 16.7.29, S. 7; Die Menschenrechte. Berlin, Je. 4, Nr. 4/5, S. 16. 53 Vorwärts 4.4.28 sowie ein in »Der Rote Helfer« (1928) veröffentlichter offener Brief an einen kommunistischen Rechtsanwalt. 54 Radbruch,Weg,S. 129 und 134; Gottschalk, S. 22f. 55 Andreas, Anschluß, S. 4, 12ff. und 29; Wandlung; Rede; Jugendaustausch; Österreich 1931. 56 HT 25.11.29; Berschin; zu den Schwerpunkten seines Engagements s. Bibliografie. 57 Vgl. Dibelius, Zeit, S. 28ff. Wahlreden: HT 19.12.18; 22.5.19; 29.10.21; 23.4. und 24.10.25; 21.10.29; 11.3.32. 58 Tab. 1 (Anhang); Tab. 2 (Anhang), Sp. j-1. Mediziner als konservativ: vgl. Seier, S. 330f. 59 HT 18.10.27; vgl. Tab. 2 (Anhang), Sp. 1. 60 Zum Streit um die Schulpolitik: H. Schustereit, Linksliberalismus und Sozialdemokratie in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1975, S. 168ff. Das Bündnis der 1927 in Opposition befindlichen SPD und DDP gegen den Keudellschen Entwurf war nur punktuell. Die DDP plädierte für die christliche Gemeinschaftsschule, die SPD für die weltliche Schule. 61 Ringer, S. 69ff, geht zwar ausführlich auf die Kontroversen um Reichsschulgesetze ein, hat aber die Resolution übersehen. Vgl. Jones, S. 296 und 310; Bruch, S. 140f., insb. Anm. 334. 62 Mommsen, Freiheit, S. 254; Kater, Studentenschaft, S. 159ff.; Jarausch, S. 141f. 63 Hellpach unterzeichnete die Resolution nicht, legte aber in zwei Artikeln (HT 26.7.26; VossZ 24.7.27) seine Ablehnung des Entwurfes dar. Dass.:Thoma auf dem DDP-Landesparteitag am 29.10.27 (Rath, S. 42ff.; KZ 10.-12.10.27). 355 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 207-212 64 Vgl. die Resolutionen, mit denen sich zahlreiche Mathematiker, Naturwissenschaftler und Mediziner für den Erhalt des humanistischen Gymnasiums als Regelschule einsetzten, in: Das humanistische Gymnasium, Jg. 28, 1917, S. 159; Boll, Ebd., S. 170-79; Sinn; Bolls Engagement in der Schulkonferenz (Anm. IV/61) sowie die bei Merz, S. 198, genannten Eingriffe von Anschütz, zu Dohna, Hampe und Oncken in die Besetzung Heidelberger Gymnasialdirektorenposten. Da dieses Engagement allerdings m.E. nicht, wie Merz es tut, als Parteinahme für bestimmte politische Richtungen zu interpretieren ist, wird darauf nicht näher eingegangen. 65 Vgl. Abschn.IV.2.3;Jagemann, S. 327; Klingemann, S. 107; Drüll; VG 5.5.33. 66 Gelehrtenpolitik, S. 147ff., inbes. S. 149 (vgl. Einleitung, Anm. 30) und 166. 67 Glockner bekannte später, daß ihm Hitlers ›Kulturprogramm‹ »verlockend« erschien, da es den Eindruck mache, daß »in Zukunft die konfessionellen Unterschiede keine so große Rolle mehr spielen« würden (GAA Abt. 1, Nr. 3, Lebenslauf v. 2.8.45). 68 Die Regierung Marx zerbrach an diesem Konflikt (Mommsen, Freiheit, S. 255). 69 Deutsche Universitäten, S. 38. Unterzeichner: Tab. 2 (Anhang), Sp. k. Vgl. Döring. 70 Radbruch kam erst Juli 1926 nach Heidelberg. Die Tagung fand Ende April statt. 71 Außerdem: Baumgarten, Brentano, Delbrück, Goetz und Meinecke. 72 Wenn die Listen der 1.400 Hochschullehrer, die den Bericht über die Tagung des Weimarer Kreises 1926 anforderten, und der 474, die an der 1927er Tagung teilnahmen bzw. Zustimmungserklärungen schickten, nicht verloren wären, ließe sich für die späten zwanziger Jahre zweifellos eine wesentlich größere Gruppe im Heidelberger Lehrkörper bestimmen, die loyal zur Verfassung stand und mit den Zielen des Kreises sympathisierte. Sie dürften weitgehend mit den Unterzeichnern der Resolution gegen den Reichsschulgesetzentwurf übereingestimmt haben. Von den 474 Sympathisanten des Weimarer Kreises erschienen allerdings nur 114 auf dem 1927er Treffen (Döring, S. 97f.). 73 Der Berliner Jurist Wilhelm Kahl, Deutsche Universitäten, S. 10f. 74 Dieser Begriff bleibt diffus: gemeint ist entweder das Bildungsbürgertum oder der Mittelstand insgesamt. Eindeutig hingegen ist, daß es den Wortführern des Weimarer Kreises um eine »Elitenherrschaft« (Döring) ging, für die Begriffe wie »unegalitäre Führerdemokratie« (A. Weber, vgl. Abschn. V.3.2. und VI.3.3.) geprägt wurden. 75 Zit. nach Döring, S. 91. Das folgende Zitat: Gelehrtenpolitik, S. 148. 76 Vgl. Abschn. III.1.2 und III. 5.4. 77 Z.B. Thoma, FZ 11.7.26. 78 Hellpach, HT 2.5.27; vgl. Döring, S. 96ff. 79 In Ermangelung detaillierter Untersuchungen zum Bild der Weimarer Republik in der damaligen Öffentlichkeit, über die Diskussion um die Reichsverfassung, Reformen des politischen Systems oder das politische Denken in anderen Schichten muß diese Aussage so allgemein bleiben. Die einzigen Äußerungen deutschnationaler Hochschullehrer zwischen 1924 und 1929 zur Weimarer Republik: Jagemann, S. 293 (»angeblicher Freistaat«, »innere Klassenherrschaft«); Schmitthenner, Verh. Bad. LT 12.12.29, S. 332 (»Behördlich erzeugter und geförderter Terror gegenüber der Meinungsfreiheit und der politischen Betätigung der Beamtenschaft herrsche«). 80 Vgl. AM 1.6.27. 81 Hellpach, Prognose, S. 106-117 und 450f. In seiner Polemik gegen »die Gralshüter der alten Ordnung« übersah er geflissentlich, daß große Teile seiner Partei z.B. gegen die Annahme des Versailler Vertrages gewesen waren. Ähnl.: Parlamentskrise, S. 18; Brinkmann, Demokratie 1924, S. 602; Demokratie 1927, S. 120;Reden.Vgl. Abschn.V.1. 82 Da Bergsträsser sich erst 1928 habilitiert hat, widerspricht es den Auswahlkriterien dieser Arbeit, eine Publikation von 1927 hier zu berücksichtigen. Die Ausnahme läßt sich damit rechtfertigen, daß er im selben Jahr beim Weimarer Kreis referieren durfte, was sonst Ordinarien vorbehalten war. Wahlkampf für die DDP: HT 4.12.24. 83 So z.B. Radbruch, Verfassungsrede, S. 5, wo er eine wahre Hymne auf Hindenburg 356 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 212-220 anstimmte. Folgende Zitate: Ders., VZ 14.5. und 4.6.27. Vgl. Α. Weber, Tradition, und Abschn. V.3.5.2. 84 Hellpach, NZZ 2.10.27. Folgende Zitate: NZZ 1.1.28; NFP 12.9.26. 85 Gumbel, Stahlhelmaufmarsch. Sympathie für die Republik: Porträt, S. 220f. und 228-32. 86 Bergsträsser, ER 3/1927, S. 30üf. 87 Wolf. Gemeinschaft, S. 412f. 88 Selbst der deutschnationale Historiker Schmitthenner stellte sich noch 1929 in die Reihe derer, die die Republik erhalten wollten (Verh. Bad. LT 8.5.29, S. 1274). 89 Radbruch, HT 10.5.28. Gumbels Skepsis geht aus der zit. Passage nicht hervor. Sie findet sich in anderen gleichzeitigen Publikationen. Vgl. Abschn. VI. 3.2. 90 Vgl. Mommsen, Freiheit, S. 204. Daß sich die liberalen Staatsrechtler Anschütz und Thoma »mit der Funktion politischer Parteien als unentbehrliche intermediäre Instanzen zur Artikulierung des Volkswillens« nicht abgefunden hätten (Ebd., S. 202), läßt sich nicht belegen und steht zudem im Widerspruch zu der These (Ebd., S. 202f.), daß »die grundsätzliche Kritik am politischen Parteiwesen nahezu alle antiliberalen Kräfte einigte.« Vgl. Hauptprobleme II, S. 45 und 61ff.;Thoma,Staat, S. 743f.; ASS 1924, S. 215; Rath, S. 118-128. 91 Hellpach, NZZ 14.10.28; Eckardt, Grundzüge, S. 73; Mitteis, Wege, S. 22; A. Weber, Staatsgedanke, S. 132 und 137; Radbruch, Kulturlehre, S. 38. 92 Thoma, Germania 30.4.25; Staat; A. Weber, FZ 4. und 13.5.24; Walleser, PB 28.3.25, Sp. 2 und 3; Radbruch, Pflichtenlehre, S. 14; Kulturlehre, S. 40; Weber, FZ 4.5.24; Ideen, S. 122ff. 93 Andreas, Wandlung, S. 1; Radbruch, Kulturlehre, S. 38; Eckardt, Grundzüge, S. 73; Mitteis, Jahre, S. 16. Ähnl. Oncken, AM 17.1.23. 94 Radbruch, Kulturlehre, S. 38 (vgl. S. 39); Lederer, Kapitalismus, S. 189-198. 95 Hellpach, NZZ 25.7.26; Parlamentskrise, S. 5f.; Prognose, S. 140; vgl. NR 38.1/1927, S. 337-49; KZ 18.7.29, wo Hellpach vom »anarchischen Arbeitsformen im Parlament« berichtete und als dessen Mitglied dem Reichstag den Charakter einer »Volksvertretung« absprach. Denn »das deutsche Volk besteht wahrlich nicht nur aus Beamten. Gewerkschaftssekretären, Verbandssyndiken und Parteiredakteuren«. Zu dieser Zeit näherte Hellpach sich mehr und mehr der konservativen Fundamentalopposition. Arbeitsunfähigkeit konstatierte auch Walleser (PB 26.3.25, S. 2), »keine gute Parlamentspolitik« A. Weber (FZ 4.5.24), zu großen Einfluß der Fraktionen Eckardt (Grundzüge, S. 67) und Thoma (Staat, S. 736). Den Fraktionszwang kritisierte Radbruch (Kulturlehre, S. 39). 96 A. Weber, FZ 4.5.24; Radbruch, Kulturlehre, S. 40; Eckardt, Grundzüge, S. 68; Thoma, Staat. 97 Hellpach, Prognose, S. 162ft; KZ 4.5.30; NR 38.1/1927, S. 347. 98 Auch die DNVP mußte sich nach Hellpachs Vorstellungen spalten. Hierin allein waren sie realitätsnah. 99 Hellpach, NZZ 14.10.28. Dasselbe: Partei, S. 97f.; NZZ 22.7.28. Ähnl. NZZ 1.1.28. 100 Hellpach, KZ 8.4. und 4.5.30; NZZ 19.3.30; Interview Neue Badische Landeszeitung 4.3.30. 101 Vgl. Hellpach, HT 17.1.31. 102 Hellpach, Bildungswesen, S. 7. Vgl. L. Curtius, Welt, S. 372f. 103 Thoma, Germania 30.4. und 1.5.25; MWG I/15, S. 527f.; Radbruch, Kulturlehre, S. 37 und 39. Auch A. Weber (Spengler) verlangte mehr »Rücksicht und Ritterlichkeit« in der politischen Diskussion. Eckardt (Grundzüge, S. 72) erschien »bei uns alles schwungloser« und werde »umständlicher und gewissenhafter gehandhabt.« 104 Radbruch, Verfassungsrede, S. 6ff. Ähnl.: Parteien. 105 Gumbel, Verräter, S. 383. Da die Aufdeckung und Verfolgung der politischen und Fememorde in keiner Weise charakteristisch für das politische Engagement von Heidelberger Universitätslehrern ist (nur bei Radbruch findet sich Ähnliches), wird hierauf, ebenso wie auf Gumbels Kampf gegen den Einsatz des Landesverratsparagraphen zur Unterdrückung mißlie357 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 220-221 biger Äußerungen, nicht eingegangen. Vgl. Jansen, Gumbel, S. 26f. und 244-54; Gumbel, Landesverrat; Wb 23/1927, S. 240-44. 106 Gumbel sah im Rückblick »bis 1920« die »Möglichkeit zur Bildung einer demokratischen Republik« (Verschwörer, S. 217) und etwas später bis zur Regierung Wirth/Rathenau 1921 die Möglichkeit für eine »Republik mit sozialistischem Einschlag« (Porträt, S. 225). »Die französische Politik« habe dazu beigetragen, die heutige Situation zu schaffen (Verschwörer, S. 217; ähnl.: Porträt, S. 223). 107 Ebd., S. 220f. Vertreter der ›nationalen Opposition‹ wie Schmitthenner forderten hingegen: »Die erste Forderung an die Regierung heißt also nicht: werde hart!, sondern: werde gerecht!« (Verh. Bad. LT 15.1.30, S. 539) 108 Gumbel, Verräter, S. 24f. Vgl. Wb 23/1927, wo er den »Klassencharakter des heutigen Staates« entlarvte (S. 241ff.) und aufforderte, »sich konsequent auf den Boden der Klasse [zu] stellen, die das größte Interesse an der Niederwerfung der Militärs und der Beseitigung der Ausbeutung hat, des Proletariats« (S. 244). 109 Gumbel, SZH 27.9.25: »Die Republik hat es eben nicht verstanden, ihre eigene faktische Legitimität gegenüber der fiktiven Legitimität der Krone durchsetzen«, obwohl 1918 »der Fürst in der entscheidenden Stunde seinem Heer die Treue nicht gehalten hat und außer Landes geflohen ist.« 110 Sontheimer, S. 192ff. Vgl. Abschn.V.3.5. Die Nationalsozialisten griffen diese Formel auf, so Goebbels bei der Bücherverbrennung (Ursachen und Folgen IX, Berlin 1958. S.491). 111 Hellpach, NZZ 22.11.28 und 20.10.29; Lederer, Kapitalismus, S. 195. Krehl attestierte »unserem kranken deutschen Staat«, daß er »einen Arzt im höchsten Sinne« brauche (Reichsgründungsfeier, S. 27). 112 Mitteis, Wege, S. 22f. Auch Andreas (Anschluß, S. 4) beschrieb die aktuelle innenpolitische Situation der Weimarer Republik als »Widerstreit aller Art« und »Zerklüftung durch die Parteiengegensätze, durch Klassenhaß und Weltanschauungskämpfe«. 113 Gumbel, SZH 27.9.25. Ähnl. Wb 23/1927, S. 240; Hellpach, Parlamentskrise, S.6. 114 Zitate: Hellpach, NZZ 20.10.29; Prognose, S. 103; Schirmer, S. 49. 115 A. Weber, FZ 4.5.24; Staatsgedanke, S. 124; Ideen, S. 126. Vgl. Abschn. V.3.5. Webers Sicht wurde von den meisten seiner Kollegen geteilt. Abweichend: Salz, Macht, S. 107: Der Staat nutze »seine verfassungsmäßigen Möglichkeiten, in das Wirtschaftsleben einzugreifen, nicht hinreichend«. 116 A. Weber, Staatsgedanke, S. 124-142, insb. S. 132f. (Zitat). 117 Hellpach, Prognose, S. 162ff. und101ff.;HT 7.7.26. 118 Jones, S. 326ff. Zu den völkischen Komponenten im Nationalismus liberaler Heidelberger Gelehrter vgl. Jansen, Deutsches Wesen. \\9 Jones, S. 335; NZZ 31.3.29. Vgl. Abschn, VII. 120Vgl. zur Topik deutsches Wesen/deutsche Seele/deutscher Geist Jansen, Deutsches Wesen. 121 Mitteis, Wege, S. 26ff. Folgendes Zitat: Jellinek, Nationalversammlung, S. 122f. 122 Dibelius, Kommilitonen. Ahnl. Schule, S. 246; Mitteis,Wege, S. 21f. 123 Auch Hoffmann verwendete sie in seiner Reichsgründungsrede (Freiheit, S. 22). Vgl. Güntert, Geist, S. 54. Zu Dibelius' politischen Anliegen auch: HT/PB 23.4.25. 124 Thoma, ASS 1924; Staat; Regelung, S. 659; Forderung, S. 5. Vgl. Rath, S. 98f., 112ff., 129-137. Dieselbe Auffassung vertrat Mitteis, Wege, S. 5 und 17f. 125 Radbruch, Verfassungsrede, S. 4 und 15f. Ähnl. Jahre; Pflichtenlehre, S. 3. 126 Radbruch, Parteienstaat, S. 98f.; Thoma, HT 15.6.28. Salz (Macht, S. 10) empfand den Grundrechtekatalog als »feierliche pathetische Deklamation im Sinne einer populären Sozialphilosophie von nicht unbedingter Überzeugungskraft und Einsichtigkeit.« Für Anschütz (Verfassung, S. 417) gehörte er »eigentlich nicht in eine Verfassung, sondern in ein Wahlprogramm.« 127 Hellpach, Prognose, S. 132-137; HT 2.5.27; KZ 11.8.29. 128 Hellpach, Parlamentskrise, S. 16; Prognose, S. 176. Wenn Heidelberger Gelehrte Verfas358 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 227—234 sungsreformvorschläge machten, so standen neben den oben erwähnten Forderungen nach Wahlrechtsänderungen und nach dem Zusammenschluß mit Österreich weitere Schritte zur »Unitarisierung« des Reiches im Vordergrund, z.B. weitere Länderzusammenlegungen oder die Entpolitisierung der Länderregierungen,. Vgl. Andreas, Hilfe 34/1928, S. 221ff.; Kämpfe, S. 195f.; Thoma, Forderung, S. 5 und 18f.; Hellpach, HT 12.6.26. 129 Bergsträsser, ER 5/1929, S. 147; Hellpach, Prognose, S. 161f. VI. Auf dem Mittelweg nach rechts 1 Vgl. Jasper, S.10ff.Dort auch die Belege für die folgenden Zitate. 2 Vézina; AeG, S. 283ff.; Wolgast, ZGO, Bd. 135; Mußgnug. 3 Vgl.Jaspers,Vernunft; A. Weber, Kulturgeschichte. 4 UAH III 5b 332, S.11ff.Zwei Wochen später gab Meister eine formale Ehrenerklärung für Gumbel ab, um ihn damit von einer Teilnahme an der Feier seiner Rektoratsübernahme abzuhalten (Ebd., Bl. 41 und54;Jansen, Fall, S. 51f.). 5 UAH III 5b 332, S. 5 und 89 (Sondervotum Lederer);Verh.Bad.LT, 19.12.30, Sp.383. 6 GLA NL Andreas, Mappe mit persönlichen Notizen. Er sprach dort auch von einer »der duldsamsten Fakultäten Deutschlands, vielleicht sogar der am meisten links stehenden«. 7 Vgl. Anm. II/17 (Lukács) und Abschn. IV.1. (Muckle, Neurath, Mannheim). 8 Jansen, Fall, S. 56-64. Unterstützung durch namhafte Ordinarien: Tab. 2 (Anhang), Sp. n. 9 HT 17.1.31;VZ 19.1.31. Trotzdem sprach Endemann auf dem studentischen Kommers. 10 HNN, VG,VZ, HT, PB 25./26.1.31; HSt 5/WS 30/1; Jansen, Fall, S. 64-68. An der Gründung der Deutschen Studentenschaft nahmen auch die Privatdozenten Haag, Himmel und Nieland sowie der Emeritus Endemann teil. Vgl. Sternberger. 11 UAH III 5b 332, Bl. 107 und 187; B-1266/3 vom 27., 29. und 31.1.31. Am 10.2.31 wurde erwogen, wegen des Falles Gumbel die anstehende Neuwahl von Senatoren auszusetzen, wohl um eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse auszuschließen. Den Aufruffüreine Unterschriftensammlung zur »Entfernung« Gumbels von der Universität hatte der Privatdozent Nieland für den Nationalverband deutscher Offiziere unterzeichnet (HT 29.1.31;Jansen, Gumbel, S. 84). 12 HT 26.1.31. Eine andere, klarsichtige zeitgenössische Analyse: Sternberger. 13 Die Darstellung folgt Dehn. Vgl. Tab. 2 (Anhang), Sp. η (»f.G« bzw. »f.D«) und Abschn. VI.2.1. Gumbel unterstützten u.a. Einstein, Horkheimer, Adorno, Artur Rosenberg, Tönnies sowie die ehemaligen Heidelberger Professoren Driesch und Niebergall (Jansen, Gumbel, S. 35). 14 UAH B-1266/3; Jansen, Fall, S. 77-81; Carmon, S. 123ff. Wortführer des Protests waren neben Lederer und A. Weber Radbruch und Hoffmann, aber auch der konservative Jellinek; die Universitätsführung unterstützten Brinkmann, Panzer, Mitteis und Hoops. 15 Anschütz (auch im Namen von Levy) an Radbruch (Heid.Hs. 3716 III E, 5.2.31). 16 HT 12.11.32. Hauptredner war der statt Dehn berufene Deutschnationale Hupfeld. 17 Fakultätsbeschluß v. 4.7.32 (UAH B-1266/3; Jansen, Fall, S. 85-100). Anschütz drohte 1932, den Weimarer Kreis zu verlassen, falls dieser sich mit Gumbel solidarisiere (Döring, S. 111). Dazu war auch Jaspers nicht bereit (G. Mann, S. 309). Gremien anderer Universitäten haben dem Nationalsozialismus deutlicher öffentlich widersprochen. Die theologische Fakultät der Universität Jena, die durch einen nationalsozialistischen Kultusminister und die von diesem oktroyierte Berufung des Rasseforschers Günther bereits 1931 massiv von nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik betroffen war, warnte in einem Aufruf alle theologischen Fakultäten und forderte zu gemeinsamer Abwehr des universitären Nationalsozialismus auf. Im Herbst 1932 protestierte der Senat gegen die Entlassung der sozialdemokratischen Professorin Siemsen wegen ihrer Solidarisierung mit Gumbel. Gegen Günther hat sich der Große Senat mit 68 zu vier Stimmen ausgesprochen (Geschichte Jena, S. 601ff.). 359 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 254—242 18 HNN 15.5.33; eine ausführliche Würdigung in meinem Aufsatz in AeG, S. 187ff. 19 Obwohl die Anpassung an den Nationalsozialismus nie bestritten wird, sind die wenigen Widerstandsgesten besser belegt als die Unterwerfungsakte: AeG, S. 273ff.; Vézina, S. 28f. und 74ff.; Wolgast, S. 146f; HdJb XXVI, S. 76ff.; kritisch: Klingemann, S. 84f. 20 VG 19.10.33. Zum folgenden: VG, HNN 5./6.10.33; HNN 30.9.33; BDC Mitteis. Die Gauleitung der NSDAP wollte Mitteis sogar in Schutzhaft zu nehmen. 21 VG 8.3. und HT 10.3. (A. Weber, Eckardt);VG 5.5. (Blessing) und 5.7.33 (Wilmanns und Zitat). 22 VG 19.1.34; HT 21.3. und 2.5.33, 16.8. und 23.11.34, 31.1.35. 23 Der politisch nicht profilierte Psychiater Wilmanns gehört zu den relativ wenigen aus politischen Gründen Entlassenen (Drüll, S. 299). Er hatte in Vorlesungen Hitlers Kriegsverletzung (vorübergehende Erblindung) als Beispiel für Hysterie genannt und »die politischen Aktivitäten Görings« als »Ausdruck eines chronischen Rauschgiftmißbrauchs« bewertet (Geschichte Heidelberg, S. 190). 24 Da die Universitätsgeschichte im Dritten Reich hier nicht Thema ist, soll es bei diesen Marginalien bleiben. Vgl. AeG, S. 273-363; Vézina; Giovannini, S. 171-244; Wolgast, S. 142ff.; Geschichte Heidelberg, S. 186-216; ZGO 135/1987, S.359-406; Zneimer. 25 HT 20.11.30; Sp. m in Tab. 2 (Anhang); Immerhin war dem Appell ein Erfolg vergönnt: die badische Regierung gab nach (HT 26.11.30). 26 HT 12.3.32. Vgl. Sp. p in Tab. 2 (Anhang). 27 An den kleineren Universitäten Marburg und Jena sprachen sich 101 bzw. 96 Hochschullehrer, in Göttingen 36 Universitätsprofessoren für die Wahl von Hindenburg aus. In Marburg waren das 61 % des Lehrkörpers (Geschichte Jena, S. 601f.; Seier, S. 323; Marshall, S. 295). In Hamburg zeigte die Reichspräsidentenwahl angeblich einen »Stimmungswandel in der Professorenschaft zugunsten Hitlers« (Hochschulalltag, S. 40). 28 Döring, S. 117ff. und 102 (Zitat). 29 Anschütz an Radbruch vom 5.2.31 (Heid. Hs. 3716 III E). 30 Reichstags- und Kommunalwahl v. 14.9. bzw. 16.11.30 (Heidelberger Zeitungen). 31 Marshall, S. 271, leider ohne Angabe der absoluten Zahlen, die allerdings höher als die von mir für Heidelberg festgestellten liegen, da sie insgesamt »42 % der Professoreenschaft« (also wohl ohne Privatdozenten) parteipolitisch zuordnen kann. 32 Lenard war 1931 emeritiert worden. 33 BDC Fehrle: Aus meiner politischen und wissenschaftlichen Tätigkeit (1939), S. 4, wo Fehrle behauptet, bereits lange vor seinem Parteieintritt NSDAP gewählt zu haben - sogar zu der Zeit, als er DVP-Mitglied war. Vgl. auch Anschütz/Glockner. 34 Nicht keine, wie Bleuel, S. 215, behauptet. J. v. Negelein, Ordinarius für Indogermanistik in Erlangen war Initiator eines Wahlaufrufes für die NSDAP aus dem Jahr 1932 (Jarausch, VSWG, Bh. 81, S. 298). Der Tübinger Germanist Bebermeyer war bereits vor 1933 NSDAPMitglied (Adam, S. 38). Auch in Münster gab es einen NSDAP-Ordinarius (Auskunft von L. Steveling, Witten). 35 A. Weber, VossZ 17. und 31.7.32. Vgl. Demm, S. 289; Mommsen, Freiheit, S. 295ff. 36 NZZ 8. und 15.9.31, 24.7.32, SNT 14./15.6.30, KZ 10.9.31. 37 Parteimitglieder: 22 % SPD, 24 % DDP, 44 % Z, 5 % DVP, 2 % DNVP; Parteisympathisanten: 18% SPD, 19% DDP, 54% Z, 4% DVP, 1 % DNVP, 3% NSDAP. Von 139 höheren Beamten, Direktoren und Schulräten waren 55 Parteimitglieder (Merz, S. 346f.). 38 Der unhabilitierte Buchhaltungslehrer Gerstner hatte ein SPD-Mandat errungen. 39 PV; BDC Schmitthenner. Vgl. HSt 3/SS 33. 40 BDC Fehrle (Lebenslauf vom 21.3.39); vgl. HSt 2/SS 33, S. 10f Die Ernennung eines nationalsozialistischen Hochschullehrers zum Fachreferenten im Mnisterium scheint zur Systematik des Vorgehens bei der »Machtergreifung« gehört zu haben (vgl. Hochschulalltag, S. 42). 360 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 242-250 41 Jones, S. 345. 42 Hellpach, Trennung. Hellpachs Mandatsniederlegung wurde von der NS- und der SPDPresse als Hinwendung zum Faschismus interpretiert (vgl. VB 5.3.30;Volksstimme Mannheim 4.3.30; Schulthess 1930, S. 56; NL Hellpach 306). Obwohl Hellpach durchaus Nähen zu faschistischen Ideologemen nachzuweisen sind, erscheint diese Einschätzung, die auch in neuere Literatur übernommen wurde, ungerecht. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme mußte Hellpach massive Beschimpfungen in der Presse (z.B. VG 29.4.33) und rigide Kürzungen seiner Ministerpension (NL Hellpach 6) hinnehmen. Gleichwohl wurde er nicht wie andere republikanische Expolitiker, z.B. Radbruch, entlassen und verhielt sich während des Dritten Reiches recht opportunistisch. Jones, S. 360ff., charakterisiert Hellpachs Verhalten im Jahr 1930 als »bizarr«. Zum folgenden: ebd., S. 347 und 355f. 43 Weizsäcker, Krankheit, insb. S. 48; Begegnungen, S. 82ff. Vgl. Roth, der allerdings die Tätigkeit Weizsäckers vor 1933 allzu sehr vom Ergebnis her, den von der Medizin im Dritten Reich begangenen Verbrechen, sieht. 44 Vgl.AeG,S. 320-331. 45 Schreiben v. 3.2.34, zit. nach Henkelmann, S. 83. Im Text dieser von haarsträubenden Fehlern (etwa: Jelke sei 1934 Rektor geworden, S. 75, vgl. auch S. 76!) strotzenden Darstellung wird eine den abgedruckten Dokumenten eklatant widersprechende Deutung geliefert. Steins Kritik an der technisierten Medizin, am Sozialversicherungssystem, das Neurosen erst verursache, und sein Plädoyer für mehr »Verbundenheit zwischen Arzt und Krankem« (VG 19.7.33) erinnern stark an Weizsäcker. 46 Von den ab 1933 Habilitierten bzw. nach Heidelberg Berufenen gehörte ein wesentlich höherer Anteil der NSDAP an (Carmon, S. 411ff.). An der Berliner Universität waren über 44 % in der NSDAP, in Frankfurt 1939 38 %. Auch hier waren eher die weniger Etablierten in der Partei, und die meisten erst nach der »Machtergreifung« eingetreten (Deutsche Hochschullehrer, S. 264f.; Zneimer, S. 152ff.). Die vorbildlichen Studien von Hering und Giles (Hochschulalltag, S. 92-124) ergeben u.a., daß in Hamburg 64 % der »arischen« Hochschullehrer in die NSDAP eintraten. Diese Werte lassen sich jedoch mit Tab. 9 nicht vergleichen, die nur diejenigen berücksichtigt, die vor dem 30.1.33 Hochschullehrer wurden. 47 Lenard, der bereits im Mai 1929 einem Förderverein des NSDStB beigetreten war (Faust, S. 33), wurde erst 1937 Parteigenosse, ebenso wie die bereits in der Republik auf Ordinariate berufenen Groh, Güntert, Odenwald und Ulmer. 48 Glockner (GAA, Abt. 1, Nr. 3) spricht in seinen Lebenserinnerungen vom 2.8.45 von »mehreren Dozenten«, die 1932 in die NSDAP eingetreten und alle »privatdozentenkrank« gewesen seien. 49 Kater, Party, S. 73. 50 Ebd., S. 113ff. Die Gießener medizinische Fakultät war SA-Hochburg (Chroust, S. 49). 51 Flitner, S. 34. Chroust (S. 51) kommt für Gießen zu einem ähnl. Ergbnis: Unter den NSDAP-Mitgliedern im Lehrkörper waren die Söhne von höheren Beamten und Pfarrern deutlich unter-, die von sonstigen Beamten und von Lehrern deutlich überrepräsentiert. 52 Moraw, S. 212f.; Chroust, S. 49 und 77; Geschichte Rostock, S. 258; Ringer, S.391; Döring, S. 139 u.ö.; APuZ Β 46/1965; Adam, S. 45; Haug, S. 54ff. und 70; Radbruch, FZ 28.11.32. Hingegen: Faust, S. 43f.; Gumbel, Porträt, S. 151. 53 Vgl. Jansen, Vom Gelehrten, Tab. 15 und 16. 54 Die Situation Anfang der dreißiger Jahre wurde oft mit der von 1923 verglichen: Etwa Hellpach, NFP 8.6.30; NZZ 2.8.31. 55 Meister, S. 3; Hupfeld, S. 3; Andreas, HUK WS 32/3; Heubner, DMW 12/1932, S. 240; Lederer, Umwälzung, S. 4; Radbruch, NB1S 2/1931, S. 9. 56 Verh.Bad.LT 8.9.31, S. 2907. Ähnl.: 1.2.33, S. 700. Auch A. Weber (Ende, S. 14) sah die Krise als Symptom des Übergangs in ein »neues Evolutionsstadium« der Wirtschaftsorganisation. Lederer hat im Auftrag der freien Gewerkschaften viel zur Weltwirtschaftskrise und ihrer 361 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 250-253 Überwindung geschrieben, auf das hier nicht eingegangen werden kann. Vor allem wehrte er sich - auch aus Sorge vor einem weiteren Anwachsen der NSDAP - gegen die Theorie, die Krise sei vor allem durch Lohnsenkungen zu bekämpfen (MdW 6/1930, S. 2066ff.; Kapitalismus, S. 210-231). Radbruch erwartete von der Krise größere Einsicht in den »Widersinn des Kapitalismus« (NB1S 2/1931, S. 9). Als einziger glaubte Gumbel nicht an erhebliche politische Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise: sie werde »auf dem üblichen kapitalistischen Weg durch den nächsten wirtschaflichen Aufstieg überwunden werden« (Antworten). 57 Hoffmann, Freiheit, S. 16. Vgl. die Kommentare zu dieser Rede in HT, HNN,VG und VZ. An anderer Stelle stellte Hoffmann die Verfassung in die Tradition des deutschen Idealismus, um Konservativen die Identifikation zu erleichtern (Humanismus, S. 73). 58 Der einzige weitere Hochschullehrer, dessen Festhalten an der Weimarer Verfassung sich in politischen Publikationen äußerte, ist Radbruchs Schüler Darmstaedter. Sein »Rechtsstaat« ist die letzte Apologie der Reichsverfassung aus den Reihen der für ihre Verfassungstreue bekannten Heidelberger Juristen. 59 SPD, KPD und NSDAP bekamen zusammen lediglich knapp 56 %, welche anderen Stimmen Radbruch als »sozialistisch« angesehen hat, ist unklar. Jene drei »sozialistischen« Parteien zusammenzunehmen, war aus bürgerlich-akademischer Perspektive offenbar üblich, wie das mit Anm. 76 belegte Hellpach-Zitat zeigt. 61 1., 2. und 4. Zitat: Hochschulgemeinschaft, S. 50; drittes: NB1S 2/1931, S. 9; 5. und 6. Zitat: NB1S 1/1930, S. 385ff. Nicht zuletzt kritisierte Radbruch die Politik der SPD, insb. ihren Austritt aus der Reichsregierung 1930, als sektiererisch (Ebd., S. 386 und 236f.)..Auch Eckardt knüpfte in einer gleichfalls mehr von Illusionen als von Realitätssinn geprägten und bald durch die politischen Ereignisse überholten Analyse (Studien, S. 177f. und 187) an die gelehrte Parteienkritik an. Die Parteien hatten wider den Geist der Verfassung eine »vorherrschende Bedeutung« erlangt, hätten sich gegenüber dem Volk verselbständigt und seien zudem zu schwerfällig. Da die Parteien und Politiker versagt hätten, so seine ebenso gewagte wie idealistische Folgerung, beginne »das Wunschbild des Führers zu verblassen... Die vor und in der Revolution geforderte Führerschaft hat sich nicht einstellen wollen. Das Volk versagte die Nachfolge, wie es auch nicht geneigt schien, sich einer Diktatur ... unterzuordnen.« Eckardt erwartete und erhoffte eine weitere »Versachlichung des politischen Handelns«. Ähnl. Brinkmann, Verh.Soz. 7/1931, S.9. 61 Anschütz, HT 9.4.32, S. 2; Kreditermächtigung, S. 14. Ahnl. Hellpach, VossZ 27.3.32. 62 Vgl. Nolte, S. 47-64, insb. S. 51. 63 Gumbel, Porträt, S. 297 64 Gumbel, VZ 24. und 26.1.31. Gumbel war der SPD erst nach dem nationalsozialistischen Wahlsieg vom September 1930 wieder beigetreten. 65 Lederer, Kapitalismus, S. 230. An anderer Stelle (Ebd., S. 194) beklagte er die Parteienzersplitterung durch das Proportionalwahlrecht. 66 A. Weber.VossZ 31.7.32; Ende, S. 7 und 12. 67 So bei Radbruch, NB1S 2/1931, S. 13f. Ähnl. HT 12.11.30; A. Weber, Ende, S. 5. 68 Andreas, Stein, S. 24 und 30. Andreas stand mit der These vom Ende der unpolitischen Art der Deutschen ebensowenig alleine (vgl. Hellpach, Prognose, S. 102ff.) wie mit seinen Vorschlägen zur Reform der Verfassung: stärkere Vereinheitlichung des Reiches, Reduzierung der Zahl der Länder und Verbesserung der »Führerauslese«. 69 Andreas, Räumung, S. 10. Die Zerrissenheit der Republik zu beklagen, war eine Konstante in der politischen Publizistik von Professoren. Vgl. Meister, S. 3, der »die wundervolle politische Einigung ... 1914« dagegenhielt; Wendland, Staatsanschauung, S. 5. 70 Andreas, HSt 16.11.32; Preußen, S. 36. Der Text ist voller Formeln, die sich auf die Gegenwart beziehen lassen. 71 Wendland, Nation, S. 17. Dies sei zugleich ein Kampf um die »Befreiung des Menschen«. Das Gesetz gegen den Youngplan, das die ›nationale Opposition‹ per Volksentscheid durchset362 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 253—258 zen wollte, hieß »Freiheitsgesetz«. Vgl. auch die unter dem Stichwort »Versklavung« in Abschn. IV.3.3 angegebenen Stellen sowie: Salz, Macht, S. 68, und Weben Forderung nach größerer Autonomie des Staates den gesellschaftlichen Interessengruppen (vgl. Abschn. IV.3.5). 72 Hellpach, HT 17.1.31, Sp.3f. Vgl. Sontheimer, S. 192ff. und 222ff.; Stern. 73 Wendland, Nationalismus, S. 209; Staatsanschauung, S. 9. 74 Hellpach, Universitas, S. 129; NZZ 1.2.31 und 24.7.32. 75 Hellpach, Universitas, S. 143 und 139. Ähnl. Salz, Macht, S. 16f. 76 Hellpach, NZZ 26.10.30, Sp.4; HT 17.1.31, Sp.2; NZZ 21.9.30; Universitas, S. 224 (Dass. NZZ 19.3.30); KZ 8.4.30, Sp.2; Universitas, S. 133f. 77 Von Hellpach abgelehnt: Universitas, S. 224. 78Vgl. Eckardts Ausführungen auf dem Soziologentag vom 28.9. bis 1.10.30 (S. 34): »Täglich sollte das Wort Lenins wiederholt werden: nur wo Millionen sind, ist Politik, Politik ist nur, wo Millionen sind.« 79 Vgl. Hellpach, RuL 7/1933, S.13;Jaspers, Situation, S. 32f. 80 Die Kombination aus Antiparlamentarismus und Bekenntnis zur Demokratie war typisch völkisch und findet sich auch bei Zehrer, Schmitt und Spengler (Mosse, S. 297). 81 Hellpach, NZZ 26.10.30. 82 A. Weber, Volk, S. 90-92; Ende, S. 7. Für Hellpach hatte »der deutsche Liberalismus Robustheit nie an den Tag gelegt... Millionen scheinen das Handwerk gründlich zu erlernen, fortan die ›robusten und brutalem Kräfte walten zu lassen... Sehr ›geistig‹ kann es dabei nicht zugehen« ( NZZ 24.7.32). In einer ähnlichen Denkbewegung meinte Salz (Wesen, S. 44) daß in Deutschland ein Derivat der marxistischen Klassenideologie zur »nationalen Ideologie« geworden sei: »An Stelle der Kapitalisten sind die Siegerstaaten getreten, die Deutschland in erzwungener Abhängigkeit halten.« So leite das deutsche Volk sein Recht zur Revolution ab. 83 Dibelius, Gespräch, S. 334. Vgl. Jansen, Dibelius. 84 Jaspers, Situation, S. 192f Mit derselben Formel versuchte zehn Jahre später Erich Fromm, der Anfang der zwanziger Jahre in Heidelberg bei Jaspers, A. Weber u.a. studiert hatte, den Amerikanern die sozialpsychologischen Ursachen des Nationalsozialismus zu erklären. 85 Jaspers, Weber, S. 30; Situation, S. 172. 86 Eine Rezeption von Jaspers' Buch läßt sich nur für Hochschullehrer belegen, die der ›nationalen Opposition« zuzurechnen sind: Bergsträsser, Grundlagen, S. 13f.; Wendland, Reichsidee, S. 49; Güntert, Geist, S. 116. Für letzteren schilderte Jaspers »in erschütterndster Weise die geistige Erkrankung der Zeit«. 87 Jaspers, Situation, S. 51 88 Ebd., S. 74f. und 92. Jaspers lehnte auch mit höchst emotionalen Tiraden gegen die »Widerwärtigkeit« der »Massenmenschen« den Gleichheitsgedanken ab (S. 181). Ähnl. Brinkmann,Verh.Soz. 7/1931, S. 9f. 89 Jaspers, Situation, S. 83 und 76. 90 Vgl. für weitere vormals Liberale: Brinkmann, Verh.Soz. 7/1931, S. 9; Wirtschaftsform, S. 16; Glockner, Deutsche, S. 19. Ähnl. der Konservative Schmitthenner, Verh.Bad.LT 8.9.31, S. 2906f., und 1.2.33, S. 701f. Im Gegensatz dazu der demonstrative Liberalismus des Sozialisten Radbruch (VossZ 28.12.32; ähnl. Mensch, S. 79): »Allzulange hat man vom Liberalismus mit Geringschätzigkeit geredet und zu reden anderen gestattet.« A. Weber (FZ 12.8.30; Ende, S. 13) sprach sich gegen »Wirtschaftsliberalismus«, aber »selbstverständlich für geistige und politische Freiheit« aus. Zum folgenden: Jones, S. 401f. 91 Protokoll SPD-Parteitag 1891. Berlin 1898, S. 173: Bebel prophezeite eine »Versumpfung der Partei«, wenn sich diese auf Reformismus beschränke. Hellpach stand als junger Mann der SPD nahe. Eine ähnl. Formulierung bei A. Weber: Demm, S. 332. 92 Vgl. Tab. 4. 93 Schmitthenner, Verh.Bad.LT 18.12.30, S. 289; 10.2.31, S. 971; 12.3.31, S. 1468; 8.9.31, S. 2906; 25.9.31, S. 3427; 9.6.32, S. 2021 und 2023; Krieg, S. 200. Ähnl: Grupe. 363 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 258-265 94 Schmitthenner, Verh.Bad.LT 9.6.32, S. 2023; 28.4.32, S. 1218f.; 7.2.30, S. 1176f. Ähnl.: Ebd. 9.6.32, S. 2026; 28.4.32, S. 1208. 95 Wendland, Sozialismus und Nationalismus, S. 421; Staatsanschauung, S. 9. 96 Wendland, Nation, S. 17. Ähnl. Bergsträsser, Grundlagen, S. 8f. 97 Weizsäcker, Begegnungen, S. 41; DMW 59/1933, S. 68; Krankheit, S. 9; Faktor, S. 250. Für ihn war die Republik eine Kombination aus zwei Übeln: »halb sozialistisch, halb manchester-liberal« (Krankheit, S. 48 und 44). 98 Weizsäcker, DMW 59/1933, S. 66ff., 71-77, 79, 84 und 89. Vgl. Roth, S. 85ff. 99 Neben Weizsäcker: Hellpach, NZZ 21.9.30; Universitas, S. 260-281; HT 17.1.31, Sp.3f.; F. Curtius, Familie; Degenerationszeichen; Wilmanns, Vortrag. Aus entgegengesetzter Perspektive bezeichnete Radbruch Sozialpolitik und Arbeitsrecht als »Stück Sozialismus mitten in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung« (NB1S 2/1931, S. 10). 100 Verh.Bad.LT 8.9.31, S. 2907f.; Hellpach, Universitas, S. 147f.; Wendland polemisierte gegen die »Entwürdigung [des Staates] zur bloßen Wohlfahrtsorganisation« (Nation, S. 16). 101 Diese Formel bei Wendland, Nationalismus, S. 209. Ahnl. Bewertungen wurden oben zit. 102 Cumbel, Wirtschaftspolitik, schlug zwar wirtschaftspolitische Maßnahmen vor, deren Vagheit machen selbst diesen Text jedoch zum Beleg für die aufgestellte These. 103 Jaspers, Situation, S. 84, 166ff., 175ff., 188 und 191. 104 Ein weiteres Beispiel für die Breitenwirkung von Jaspers' Argumentation (s. Anm. 90) ist eine Rede des Ordinarius für Pharmakologie Heubner, der 1932 Studenten riet, daß »man entschlossen einer völligen Wandlung des Gewesenen, Gewohnten, Geliebten und Erstrebten ins Auge schaut, sich ins Unvermeidliche fügt und in diesem unabänderlichen Rahmen nach bester Betätigung für seine Kräfte sucht.« Heubner rechnete u.a. damit, »daß die Zahl der Eingriffe in die persönliche Freiheit des einzelnen noch lange nicht vorüber sein kann.« Diese Weltsicht bedeutete Vorbereitung auf die »innere Emigration« dar (DMW 12/1932, S. 240). 105 Vgl. die »Feuerwehr-Anekdote« in Abschn. II. 5.4. Zu Barth: Schwan S. 263f. 106 Andreas, HSt 16.11.32, Sp.3; Meister. S. 3; Lederer, Kapitalismus, S. 231; Studien, S. 189 (Eckardt). 107 Hellpach, Universitas, S. 143, 155, 129f., 139f. und 147. Es ist aufschlußreich für die Nachkriegszeit, daß die hier zitierten Aufsätze Hellpachs bereits 1948 wiederaufgelegt wurden, obwohl sie seine Nähe zur NS-Phraseologie unterstreichen und wohl gerade weil sie seine Wendung zur autoritären »Demokratie« belegen. 108 Hellpach, HT 17.1.31, Sp.2; KZ 8.4.30; NZZ 21.9.30, Sp.4. Ebenso plädierte A. Weber dafür, »die Realitäten an[zu]erkennen« (Ende, S. 12). 109 Hellpach, Universitas, S. 216; NFP 8.6.30; KZ 8.4.30; Trennung. Vgl. sein zweites Neustrukturierungskonzept für die Parteienlandschaft (Abschn. V.3.2); zur Ausgrenzung der SPD: Mommsen, Freiheit, S. 320. 110 Hellpach, NZZ 26.10.30. 111 Hellpach, Universitasr S. 140 und 143. Ständische Staatsvorstellungen auch bei: Brinkmann, HSt 2/SS 33, Sp.2; Schmitthenner, Ansprache, S. 13; Fehrle, Wesen, S. 4; Andreas, HNN 15.5.33. Im Gegensatz dazu hatte für Darmstaedter (Grenzen, S. 40) der faschistische Staat in Italien »die Berufsstände zu Dienern seiner eigenen Macht, zu Gliedern einer strengen Zentralisation ... und zu Helfern an der Gefügigmachung der Staatsbürger, an der Vernichtung von deren Freiheitswillen gemacht.« 112 Hellpach, RuL 7/1933, S. 16. Zur Tradition solcher Pläne: Nolte, S. 54f. 113 Hellpach, NZZ 2.8.31; Mittelpartei; NZZ 1.11.31. 114 Hellpach, KZ 8.4.30; NZZ 10.8.30; NZZ 21.9.30. Zur KVP: LPG IV, S. 423-30. Vgl. Hellpachs eindrucksvolle Schilderung des Gründungsfrühstücks der KVP: Führ, S. 103ff. 115 Verfassungsdiskussion: Nolte, S. 48ff.; Stahlhelmvorschlag: Mommsen, Freiheit, S. 283. 116 Jellinek, RuL 7/1933, S. 6f. und 129ff. Zum Kontext dieser Vorschläge, u.a. den Plänen der Regierung, eine »Nationalpartei« zu gründen, Nolte, S. 52ff. 364 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 265-210 117 Jellinek, RuL 7/1933, S. 1f., gedachte »dankbar der drei Aussprachen, die zunächst im Kreise von Kollegen verschiedener Fakultäten, dann an einem denkwürdigen Nachmittag bei Frau Mar. Weber und endlich vor der staatswissenschaftlichen Fachschaft der Universität stattfanden. Zustimmung kam mir von Seiten solch hervorragender Soziologen wie A. Weber und C. Brinkmann, bei den Juristen stieß ich vielfach auf Widerstand.« Außerdem verweist er auf z.T. verunglimpfende Artikel in der Tagespresse (angegeben ist ein Artikel HoepkerAschoffs, VossZ 20.12.32, der ihm Bruch der Verfassung attestierte; in den Heidelberger Tageszeitungen waren keine Reaktionen zu finden) und zwei Reaktionen im juristischen Kollegenkreis (Ebers, Kölner Universitätsreden 30, S. 9f.; Leibholz, RVerwBl 1932, S. 930). 118 Jellinek, RuL 7/1933, S. 1-9. Vgl. RuL 6/1932, S. 271 (Landespräsident). Jellinek rechtfertigte konsequenterweise die Auflösung des preußischen Landtags »von Reichs wegen« im Februar 1933 (RVerwBl 54, S. 165ff.). 119 A. Weber, Staatsgedanke, S. 138. 120 Ebd., S. 49f.; A. Weber, Ende, passim. Ähnl. Güntert, Geist, S. 14. 121 Wendland, Nationalismus, S. 209; Sontheimer, S. 93ff. Vgl. die differenzierten Äußerungen anderer Konservativer: Bergsträsser, ER 5/1929, S. 145-150; Mitgau, Feldwandervogel. 122 Wendland, Sozialismus und Nationalismus, S. 421; Nationalismus, S. 209. Ähnl. Nation, S. 5; Fehrle, Wesen, S. 3; Schrade, S. 101. Diese Unterscheidung entspricht genau derjenigen, die Hitler in »Mein Kampf« (1930, S. 11) zwischen »dynastischem ›Patriotismus‹ und völkischem ›Nationalismus‹« trifft. 123 Wendland, Nation, S. 15-17. Vgl. Staatsanschauung, S. 12; Sozialismus und Nationalismus, S. 413; Gehalt, S. 23; Überblick, S. 28. 124 Wendland, Politische Theologie. Zitate von Autoren und Ideen der ›konservativen Revolution«: Nationalismus; Aufgabe, S. 397; Reichsidee, S. 51, 66f. und 74f. Dieses Buch erschien im Diedenchs-Verlag wie »Die Tat«. 125 Demm, S. 202; G. Mann, Gespräch; Th. Eschenhurg, Gespräch und Brief v. 9.1.91. 126 Vgl Andreas, Österreich 1931, S. 417; Weizsäcker. Begegnungen, S. 41; Hellpach, NZZ 2.8.31; Teske, S. 6. Jaspers veröffentlichte seine Würdigung Max Webers 1932 in der Reihe »Schriften an die Nation« des Stalling-Verlages, die ein »Musterbeispiel« einer »für alle Teile der Konservativen Revolution, ja darüber hinaus für das gesamte ›nationale‹ Lager gemachten« Buchreihe darstellt (Mohler, S. 281). Kritisch: Brinkmann, Wirtschaftsform, S. 25f. 127Vgl. etwa aus der Kriegszeit (den Alldeutschen bzw. der Vaterlandspartei gegenüber): KF I, S. 501 und 505; II S. 100, 200, 384f. und 631; MWG 1/15, S. 322-6; aus den frühen Jahren der Republik: Ehrenberg, CV 16.9.23; Thoma, ASS 53, S. 217; Staat, S. 730; HT 15.6.28; Dohna, HT 25./HdZ 26.3.24; Hampe, HZ 134, S. 215; Hellpach, Prägung, S. 174; Prognose, S. 109 und 161; ER 8.2/1932, S. 740; A. Weber, FZ 18.3.23; Kulturkrise, S. 19 (in Abschn. IV.3.5.2 zit.); Staatsgedanke, S. 117f. und 120; HT 14./FZ 15.10.29; Programmentwurf für die Republikanische Partei, abgedruckt bei Demm, S. 337. 128 Vgl. Lenard/Stark; Abschn. IV.1 und IV.2.3; AeG, S. 41-46; Auer. 129 Vgl. neben den im folgenden zitierten Beispielen: Radbruch, Hochschulgemeinschaft, S. 50; FZ 28.11.32; Gumbel, Antworten; VZ 29.1.31; A. Weber, Ende, S. 9f.Von konservativen Hochschullehrern wurde Antifaschismus oft national, insb. mit der Unterdrückung der Deutschen in Südtirol begründet (etwa: Panzer, AM 13.7.27; Sölch, ZfP 19/1930, S. 406-19). 130 Mannheim, Ideologie, S. 62 und 97-118. Vgl. Abschn. II.2.2.4. Dibelius charakterisierte und kritisierte bereits 1919, natürlich noch ohne Bezug auf den Faschismus, den inhaltsleeren »Aktivismus«, die Überschätzung von »Bewegung« durch den Zeitgeist (Aktualität). 131 E.R. Curtius, Soziologie, passim. 132 Radbruch, HT/PB 11.3.32, wo es weiter heißt, Hitler sei »weder gescheit, noch willensstark oder charakterfest«. Gumbel, Verschwörer, S. 216ff., 61 und 176ff.; VZ 9.6.31. Ähnl. Femeliteratur, S. 16. In der VZ 29.1.31 erklärte Gumbel auch den italienischen Faschismus traditionell marxistisch. Lederer, Kapitalismus, S. 184. 365 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 270—275 133 Radbruch, Vorträge, S. 71ff. Ähnl. Gumbel (VZ 29.1.31): »Genau wie in Italien würde der deutsche Faschismus, wenn er zur Macht käme, das gerade Gegenteil von dem ausführen, womit man vorher in Programmen und Hetzreden die Dummen geködert hat.« 134 Darmstaedter, Grenzen, S. 27, 53 und 41; Hoffmann, Humanismus, S. 73. 135 Jaspers, Situation, S. 84. An anderer Stelle nennt er die USA als drittes Beispiel für die Unterdrückung geistiger Freiheit. Ähnl. analysierte Dibelius (Gespräch, S. 357) die Ursachen für den Zulauf zur NSDAP aus den Reihen derjenigen, deren »bürgerliche Welt« durch die permanente Krise seit 1914 »ins Wanken gekommen« sei: »In der Verheißung des Dritten Reiches liegt ein ungeheures Sicherheitsversprechen ...: Morgen wird ein Verein gegründet, und sie wollen sich voranmelden. Jeder Gruß beruhigt einen, man gehört mit dazu.« 136A. Weber, Ende, S. 9ff. 137 Anschütz/Glockner, S. 24. Sie plädierten dafür, daß schon die Mitgliedschaft in NSDAP und KPD »als Verstoß gegen die Beamtenpflichten anzusehen ist« (S. 30). 138 Radbruch, Justiz 7/1931, S. 196f. Radbruch wandte den häufig gegen Pazifisten und Sozialisten gerichteten Landesverratsvorwurfs gegen die Nazis. 139 Mellpach, Partei, S. 92; NZZ 1.2.31; ER 8.2/1932, S. 741f. Eckardt (Verh.Soz. 7/1931, S. 75) konstatierte nach der Septemberwahl 1930: »Eine noch nicht ganz formierte Bewegung mit einem typischen, bisher nicht erprobten, nicht eigentlich deutschen verfassungsmäßigen Organisationsprinzip ging unter Anwendung völlig anderer politischer Mittel gegen die alten Parteien vor.« Er übernahm damit einerseits die auf konservative Sehnsüchte zugeschnittene Überparteilichkeitsideologie der NSDAP. Andererseits ist hier die Ausgrenzung des Nationalsozialismus aus der deutschen historischen Tradition und die Bewertung seiner Machtübernahme als›Betriebsunfall‹angelegt. 140 Hellpach, NZZ 4.3.33 (vgl. NZZ 24.7.32 und 5.2.33, wo Hellpach in der Regierung der nationalen Konzentration die NSDAP als Vertreterin der »demokratischen Note« sah). Zum folgenden: Ders,, Arzt; ER 8.2/1932, S. 741. Ähnl. Analysen bei K. Westarp, Am Grabe der Parteienherrschaft. Berlin 1932, S. 102ff.; Geiger, Panik, S. 652. Der Soziologe blieb, anders als Hellpach, Anhänger der Republik. 141 Hellpach, NZZ 4.3.33. Begeisterung für die Radikalität der Nationalsozialisten auch bei Raumer, Riehl, S. 355. Hellpach war sehr beeindruckt von einer »geistig hochdramatischen« Kontroverse zwischen Nationalsozialisten unter Führung von Rosenberg und Faschisten auf einer Tagung in Italien. Es habe nach Rosenbergs Referat eine »radikale«, von Mussolini selbst »approbierte Verwerfung der anthropologischen Dogmatik unseres deutschen Nationalsozialismus« gegeben. Auch nach 1933 kam Hellpach mehrfach auf diese Episode zurück, um die von ihm abgelehnte NS-Rassenlehre mithilfe der faschistischen Kritik anzugreifen (RuL 7/1933, S. 16; Heilkraft 1934, S. 215; ZDB 9/1933, S. 234). Jellinek (Recht, S. 6) definierte den Unterschied zwischen Faschismus und Nationalsozialismus ausdrücklich dadurch, daß der Faschismus »eine Rassenfrage nicht kennt« wegen angeblicher Verwandtschaft der italienischen Rassen zum Judentum. 142 Hellpach, RuL 7/1933, S. 17f. und 10f.; ER 8.2/1932, S. 740. Hellpach prophezeite führenden Faschisten, »daß nicht nur infolge der praktisch verpaßten Gelegenheiten, sondern gerade auch durch die Unzulänglichkeit seiner ökonomischen und die Abwegigkeit seiner biologischen Doktrinen der Nationalsozialismus unmittelbar vor Krise, Zerfall und Hinschwund stehe« (S. 17). Begeisterung für Mussolini: Heilkraft 1934, S. 214f. 143 Vgl. Brinkmann, Demokratie 1927, S. 115f.; Demokratie 1924, S. 603; Eckardt, Grundzüge, S. 69; A. Weber, ER 7/1931, S. 92; Hellpach, Prognose, S. 326; Partei, S. 92; Universitas, S. 135; Demm (Hg.), S. 199. 144 A. Weber, Staatsgedanke, S. 138; Hellpach, NZZ 21.9.30. 145 A. Weber, Ende, S. 9 und 23. »Autoritäre Demokratie« gehörte zum Repertoire der Zentrumspartei, aber auch des deutschnationalen Landtagsabgeordneten Schmitthenner, der sie 366 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 275—280 etwas abwandelte zu »moderner autoritärer Volksstaat« (Geschichte, S. 33ff.). Vgl. Eschenburg, S. 123ff. und 154ff. 146 A, Weber, Ende, S. 9; Interview. Eigene Rückübersetzung aus dem Italienischen. 147 HT 7. und 14.3.33; HdJb XXVI, S. 69ff. Vgl. Abschn. VI. 1. 148 Wendland, Sozialismus und Nationalismus, S. 425; Reichsidee, S. 67f. Der Vorwurf der »Staatvergottung« auch in: Aufgabe, S. 403; Staat und Kirche, S. 217. 149 Schmitthenner,Verh.Bad.LT 28.4.32, S. 1208; Wendtand, Nationalismus, S. 208; Bergsträsser, Grundlagen. 150 Staatsanschauung, S. 21; Nation, S. 8-12 und 19f.; Nationalismus, S. 210; Sozialismus und Nationalismus, S. 431. Ähnl.: Aufgabe, S. 403. Die Rassenlehre kritisierten auch Odenwald (Verkündigung, S. 11 und 13) und Panzer (Nationalität, S. 2f.). Schmitthenner kritisierte das sozialistische Wirtschaftsprogramm der NSDAP (Verh.Bad.LT 28.4.32, S. 1213). 151 Jellinek, Recht, S. 1; Broemser, HT 30.1.34, Sp.3; Fehrle, Wesen, S. 4. Weitere Hymnen auf Hitler: Schmitthenner, Wehrhaft, S. 138; Ansprache, S. 8; Erdmanns dörfer, S. 16. Güntert, Ursprung, S. 182f. 152 Güntert, Erbe, S. 460; Stein, HT 14.11.33. Ähnl. Odenwald, Kirche, S. 12 und 27; Fehrle, Volkskunde 1934, S. 382; Schmitthenner, ViW 1/1933, S. 27; Weltgeschichte, S. 628; Erziehung, S. 177; Wehrhaft, S. 186 su. 197. 153 Schmitthenner, Wehrhaft, S. 186. Ähnl. Bergsträsser, Policy, S. 28. 154 Ebd; Duhm, S. 20; vgl. auch S. 78; Rauchhaupt, Ehre, S. 416. 155 Odenwald, Kirche, S. 7f.; WuT 10/1934, S. 112; Hupfeld, HNN 27.10.33. Ahnl. Odenwalds Lob auf die »guten Köpfe des Nationalsozialismus«, die den ›Friderizianismus‹ »ins Geistige steigern (Rosenberg, Göbbels, Bäumler u.a.)« (Frei-sein, S. 149). 156 Stein, HT 11.11.33; Hildebrandt, Rechtsfindung, S. 22. Ahnl. Duhm, S. 157 (in Abschn. VI.3.5 zit.)157 Raumer, Rhein. S. 67 (im Gegensatz zum »alten Bismarckschen« Nationalismus). S. 87: Nationalsozialismus als »Kraft der Verjüngung für den Reichsgedanken«. 158 Schmitthenner, Reich, S. 16; Duhm, S. 64. Luther als Vorläufer des Nationalsozialismus auch bei Winkler, VG 3. und HT 16.11.33, Sp.1. 159 Stein, HT 16.8.34. Ähnl.: Schrade, S. 10. 160Jellinek, Recht; Glockner, ViW 1/1933, S. 8ff.; Lenard, Präsident, S. 131. 161 Brinkmann, Methodenstreit, S. 370 (in Bemerkungen, S. 1, orientiert er sich am Leitbild des ›politischen Soldaten‹); Hildebrandt, Rechtsfindung, S. 32; Formalismus, S. 354; Grundgedanken, S. 36; Schnizer, S. 122; Panzer, ZDB 9/1933, S. 549; Wahle, Vorgeschichtsforschung 1934. 162 Vgl. Mosse, S. 42ff., der Lagardes Lehre »germanische Religion« nennt. 163 Broemser, 30.1.34; Schmitthenner, Weltgeschichte, S. 627; Reich, S. 15; Andreas, Hindenburg, S. 4; Fehrle, Staatsführung, S. 62; Güntert, Erbe, S. 460. Ähnl. Fehrle, OVZ 7/1933, S. 2. Selbst weniger begeisterte Gelehrte verwendeten religiöse Topoi. So sah Wendland den Nationalsozialismus als einen »Vorläufer« des »emporkommenden« »neuen Staates« (Nation, S. 18). Vgl. VfZ 1970,S.401. 164 Schmitthenner, Reich, S. 16; ViW 1/1933, S. 34-36; S. 26; Fehrle, OVZ 8/1934, S. 34 und 37f.; Odenwald, Kirche, S. 9. Ähnl. Ebd., S. 7f.; Verkündigung, S. 5; Raumer, Rhein, S. 78; Groh, HT 23.11.33. 165 Duhm, S. 64. Das Bismarckzitat lautet: »Wenn der Führer seines Volkes den Mantel Gottes rauschen hört, so muß er zufassen und einen Zipfel packen.« 166 Lenard/Stark (weitere religiöse Bezüge); Fehrle, Volkskunde 1934, S. 382. Ähnl. Schmitthenner,VG 3.7.33 und 1.8.34, Sp.3. 167 Duhm, S. 55; Hellpach, NZZ 2.4.33; VossZ 16.4.33. 168 Teske, S. 5; Wendland, Freiheit, S. 16; Hildebrandt, Rechtsfindung, S. 15; Dahm/Schaffstein, S. 24; Schmitthenner, Reich, S. 19; Broemser, HT 30.1.34; Hildebrandt, Rechtsfindung, 367 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 280-284 S. 29; Groh, VG/HNN 5.10.33; Fehrle, Volkskunde 1934, S. 381. 169 Schmitthenner, Reich, S. 14f.; Andreas, Hindenburg, S. 3. Ahnl. Dahm/Schaffstein, S. 24; Güntert, Erbe, S. 460; Groh, HT 23.11.33; Faust, Sozialerziehung, S. 4; Rauchhaupt, Aufgaben, S. 114; Ehre, S. 416; Wahle, Vorgeschichtsforschg. 1934, S. 576; Raumer, Rhein, S. 87; Bergsträsser, Nation, S. 17f. u. 23; Mann, Staat, S. 1019; Rickert, Grundprobleme, S. VII u. 221ff. 170 Vgl. Dohna, Revolution, S. 15 und 26; Weizsäcker, Seelenbehandlung, S. 82; Eckardt, Grundzüge, S. 119; E. Curtius, Soziologie, S. 731; Hellpach, Familie, S. 13; Universitas, S. 130; HT 17.1.31; Wendland, Nationalismus, S. 213; Sozialismus und Nationalismus, S. 425f.; Nation, S. 8f.; Schmitthenner, Verh.Bad.LT 22.5.31, S. 2362; Jaspers, Situation, S. 86; Anschütz, HT 9.4.32, S. 2Jellinek, RuL 7/1933, S. 2. 171 Zitate: Brinkmann, HSt 2/SS 33, Sp.2; Methodenstreit, S. 363; Bemerkungen, S. 1f.; Raumer, WuT 10/1934, S. 125; Riehl, S. 355. Ähnl. Andreas, HSt 3/SS 33; HUK SS 33; Brinkmann, HSt 6/WS 33/4; Broemser, HT 30.1.34; Buhtz, HT 20.4.33; Güntert, Ursprung, S. 7; Hellpach, NZZ 5.2.33; Hildebrandt, Rechtsfindung, S. 49; Mann, Staat, S. 1013; Mitteis, Schulte, S. 309; Odenwald, Verkündigung, S. 5; Raumer, Pfalz, S. 18; Schmitthenner, Wehrhaft, S. 189; Teske, S. 23; Wahle, Vorgeschichtsforschung 1934, S. 568; Bergsträsser, Policy, S. 41. 172 AeG, S. 273ff.; vgl. Abschn. VI. 1 und VI.2.2. 173 Andreas, HNN 15.5.33, Sp. 1. Ähnl. Odenwald (Christen, S. 6): »Die nationalsozialistische Revolution ist eine echte Revolution.« 174 Jellinek, Recht, S. 1. Vgl. Ders., RuL 7/1933. 175 Wendland, Freiheit, S. 16f. Wendlands Definition von »Volksdemokratie« entspricht fast wörtlich der oben zitierten Demokratie-Definition Hellpachs (NL 114). Hellpach selbst meinte, dies sei »die Gegenrevolution« zur Novemberrevolution (Universitas, S. 154). Die Nation habe die parlamentarische Demokratie »›gerichtet‹« durch eine »Wahlmehrheitsentscheidung« (NZZ 2.4.33). Auch Jellinek (Recht, S. 16) war überzeugt, daß alle »Eingriffe« des Jahres 1933 »mit der Billigung der ganz überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes« geschehen seien. 176 Jellinek, Recht, S. 4. Wenige Monate zuvor hatte Jellinek den nationalsozialistischen Antidemokratismus als notwendiges Übel charakterisiert (RuL 7/1933, S. 135). 177 Hildebrandt, Formalismus, S. 354. 178 Freudenberg: Schmitthenner, Reich, S. 16; Andreas, HNN 15.5.33; Vorwort; Raumer, WuT 10/1934, S. 125. »Wiedergeburt« war ein in diesem Zusammenhang häufiger Topos: Ders., Pfalz, S. 11; Erdmannsdörfer, S. 16; Schmitthenner, Wehrhaft, S. 198: »Auferstehung«; GlocknerTagebuch 3.5.33: »Hitlers Mairede gefällt mir außerordentlich gut. Ich hoffe wirklich auf Genesung unseres kranken Deutschlands« (GAA, Abt. 2, Nr. 9, Akademika II). 179 Wendland, Reichsidee, S. 37f. Ähnl.: Dm., Menschenreich, S. 148f.; Gesetz, S. 4; Schmitthenner, HSt 3/SS 33, S. 7; Bergsträsser, Volkskunde, S. 5; Brinkmann, Bemerkungen, S. 2 u. 4. 180 Wendland, Reichsidee, S. 50. Eine ähnl. Apologie des »primitiven Verhaltens« findet sich bei Hellpach (Heilkraft 1934, S. 25, 28 und 30f.). Vgl. Mosse, S.35. 181 Schmitthenner, Ansprache, S. 7f.; Groh, VG 19.1.34, Sp.1; folg. Zitat: Duhm, S. 213. 182 Raumer, Rhein, S. 78 (ähnl.: S. 83 und 87); Andreas, Hindenburg, S. 4. Ähnl. HNN 15.5.33; HUK SS 33; Odenwald, Christen, S. 9; Hellpach, NZZ 2.4.33; Rissom, VG 28.7.33; Bergsträsser, Policy, S. 41. Der Pädagogikprofessor Faust stellte befriedigt fest, daß in der nationalsozialistischen Gemeinschaftserziehung Traditionen der Jugendbewegung fortgeführt würden (Sozialerziehung, S. 4). 183 Duhm, S. 55; Andreas, Vorwort. HeUpach, VossZ 16.4.33. 184 Etwa Rickert, Grundprobleme, S. 224. 185 Duhm, S. 71. 186 Raumer, WuT 10/1934, S. 125; Jellinek, RuL 7/1933, S. 132. Vgl. die in Abschn. VI.3.4. zit. Anspielung Andreas' auf Bismarck; Mann, Staat, S. 1019. 187 Reich, S. 7. Ähnl. Broemser, 30.1.34; Raumer, Pfalz, S. 19. 368 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 285-287 188 Wendland, WuT 10/1934, S. 4; Andreas, Hindenburg, S. 4; Güntert (Ursprung, S. 7) nannte den »Tag von Potsdam« »den Frühlings-Werdetag eines neuen, nationalen Deutschland«. 189 Andreas, HNN 15.5.33: »Der Nationalsozialismus ist Deutschlands Schicksal geworden. Er muß seine Sendung erfüllen!« 190 Schmitthenner, Reich, S. 17; Regenbogen, NJb 10/1934, S. 213, erhoffte die Ablösung des »Gegenüber« von Volk und Staat durch ein »organisches Ineinander«. 191 Raumer, Reich, S. 125. Ähnl. Fehrle, Wesen, S. 1. Hildebrandt (Rechtsfindung, S. 15ff. und 25) sah das Dritte Reich gestützt auf »das Vertrauen in die Sendung der deutschen Rasse und den Glauben an den Genius ihres Führers«. Weiter forderte er, »die großen Gedanken von Blut und Boden, Führung und Gemeinschaft in die Zivilrechtsordnung einzuschmelzen«. 192 Als einziger erwähnte Andreas mehrfach die Revision des Versailler Vertrages als Ziel der Nationalsozialisten: Hindenburg, S. 4; HSt 3 und 6/SS 33; VG 29.6.33. Im Gegensatz dazu erklärte Wendland, der anfänglichen versöhnlichen Propaganda der Regierung folgend, daß das Dritte Reich kein neues »Alldeutschtum« bedeute, sondern aus dem »Nationalhaß ... herausführen soll« und daß an die Stelle der »Flucht in die Utopie« ein »neues Raum- und Endlichkeitsbewußtsein« trete. Der »ungeheure Weltherrschaftsrausch, der grenzenlose Ausdehnungswille« des Kapitalismus sei überwunden (Reichsidee, S. 51 und 64). 193 Rauchhaupt, Aufgaben, S. 115. Ähnl. neben den unten Zitierten: Jelke, HT 13.3.33; Broemser, HT 30.1.34. 194 Wendtand, Staatsproblem, S. 3. Ähnl. ebd., S. 4 und 15; Staat und Reich, S. 183; Reichsidee, S. 56; Bergsträsser, Nation, S. 31. 195 Andreas, HSt 3/SS 33. Ähnl. ders., HNN 15.5.33; Bergsträsser, Policy, S. 28 und 32. 196 Bergsträsser, Nation, S. 34. Ähnl. Wendland, Reichsidee, S. 58; Gesetz, S. 5. 197 Glockner, Deutsche, S. 19. Ähnl. Brinkmann, Bemerkungen, S. 1ff. 198 Andreas, HT 20.4.33. Ähnl. Schmitthenner, Ansprache, S. 9. Die Staatswissenschaftler Brinkmann (HSt 6/WS 33/4, Sp.2) und Bergsträsser (Nation, S. 18 und 48) sahen durch den erstarkten Staat auch die alte Forderung nach Primat des Staates über die Wirtschaft erfüllt. 199 Jellinek, RuL 7/1933, S. 132. Ahnl. S. 136; Recht, S. 12. 200 Hellpach, NZZ 2.4.33. Dass. Jellinek, Recht, S. 11; RuL 7/1933, S. 134f. Ahnl. argumentierte Hellpach, NZZ 5.2.33, dem einzigen Kommentar eines Heidelberger Gelehrten zum 30.1.33: »Wer in der Politik selbst rücksichtslose Klarheit jeglichem Halbdunkel vorzieht, wird schon darum es positiv werten, daß der Anfang des Jahres 1933 endlich die entschiedene Klärung gebracht hat, die seit dem März 1930, insbesondere aber seit dem September 1930 immer wieder umgangen worden oder mißlungen war.« 201 So definierte Andreas (Hindenburg, S. 4) die Ziele des Nationalsozialismus. Ähnl. Schmitthenner, Ansprache, S. 10; HSt 6/WS 33/4. 202 Jellinek, Recht, S. 3; Erdmannsdörfer, S. 16; Andreas, HNN 15.5.33. Ahnl. Schmitthenner, Ansprache, S. 10; Raumer, Riehl, S. 354. 203 Jellinek, RuL 7/1933, S. 136; Fehrle, Wesen, S. 4. Ähnl. Bergsträsser, Policy, S. 33, über das Erntedankfest. Die Idee der »Volksgemeinschaft« versuchten einige Heidelberger Dozenten mit dem Begriff der »Verschmelzung« zu verdeutlichen (Schmitthenner, HSt 4/SS 35 und 2/ SS 33; Hildebrandt, Rechtsfindung, S. 25; Broemser, HT 30.1.34.), andere durch organologische Vergleiche (etwa: Fehrle, Volkskunde 1934, S. 382). 204 Wendland, Reichsidee, S. 64. 205 Wendland, Staatsproblem, S. 3. Ähnl. Freiheit, S. 15f; Erdmannsdörfer, S. 16; Raumer, Riehl, S. 350. 206 Andreas, HNN 15.5.33. Dass. Duhm, S. 82; Hellpach, NZZ 2.4.33; Schmitthenner, Ansprache, S. 8f.; Groh, HT 23.11.33; Odenwald, WuT 10/1934, S. 110; Bergsträsser, Policy, S. 27. 207 Schmitthenner, Ansprache, S. 12. Bergsträsser, Policy, S. 30, drückte seine Identifikation mit dem Regime durch die Verwendung der ersten Person Plural aus. 369 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 287-294 208 Andreas, HT 20.4.33; HUK SS 33. Ähnliche Appelle in seiner Immatrikulationsrede (HNN 15.5.33); Erdmannsdörfer, S. 17f.; Schmitthenner, HSt 2/SS 33, Sp.1. 209 Rickert, Grundprobleme, S. 223, ähnl. S. 224. Hervorhebungen original. Vgl. Anm. 11/ 118, 181 und V/42. 210 Wendland, Reichsidee, S. 51 und 64; auch S. 36 und 51. 1931 hatte sich Wendlands christliche Kritik an jeglichem »Utopieglauben« auch noch gegen den Nationalismus gerichtet (Sozialismus und Nationalismus, S. 428ff.; Nationalismus, S. 213f.). Wendland ging als einziger der konservativen und faschistischen Heidelberger Hochschullehrer rückblickend selbstkritisch auf sein Engagement für den Nationalsozialismus, wenn auch etwas halbherzig, ein (Wege, S. 134 und 166f.). 211 Schmitthenner, HSt 2/SS 33;ViW 1/1933, S. 12; Duhm, S. 157. Folg ende Zitate ebd., S. 311; Güntert, Erbe, S. 460. 212 Recht, S. 3ff. Ähnl. Odenwald, Frei-sein, S. 149; Bergsträsser, Policy, S. 31. 213 Ebd., S. 2f. Auch Hellpach erwähnte in seinen Artikeln rund um die Märzwahl keinerlei Eingriffe der Regierung. Ebenso bleibt die Verhaftung kommunistischer Abgeordneter vor der Verabschiedung des »Ermächtigungsgesetzes« bei beiden trotz genauer Berichterstattung über dessen Zustandekommen unerwähnt (Jellinek, RuL 7/1933, S. 129ff.; Hellpach, NZZ 4.3.33). 214 Lenard/Stark. Dort weitere antisemitische Argumente. Vom jüdischen Juristen Gradenwitz sind zahlreiche antisemitische Äußerungen bekannt, die jedoch lediglich mündlich überliefert sind (vgl. Seckel, RC 64). In seinen Publikationen findet sich nichts dergleichen. Der Psychiater Beringer war 1925-32 Mitglied der antisemitischen Freimaurerloge »Zum treuen Herzen« in Karlsruhe (BDC Beringer). 215 Etwa: Gumhel, Verschwörer, S. 209f.; Dibelius, BSZ 67/1929, S. 230f Gumbels Stellung zum Judentum war sehr ambivalent (vgl. Porträt, S. 130). 216 Etwa: Salin, Gothein, S. XXV; L. Curtius, MNN 17.7.24, Sp.2. 217Vgl. Giovannini/Jansen; Hellpach, Prognose, S. 125 und 369ff. 218 Grossmann, S. 91; Piper /Saner, S. 51. 219 Hellpach, Heilkraft, S. 33. Im Gegensatz dazu bezeichnete Weizsäcker in DMW 59/1933 Freud als »großen Psychologen« (S. 31). 220 Jellinek, Recht. S. 5 und 8. Vgl. RuL 7/1933, S. 136. Die angebliche Verschärfung des »Judenproblems« durch die Zuwanderung der Ostjuden führten auch andere Heidelberger Hochschullehrer als Argument an: etwa Duhm, S. 220. 221 Verfassungsneubau,S. 136;Recht,S. 11 und 6. Eine Rücknahme der antisemitischen Stoßrichtung gegenüber den ersten Monaten des Dritten Reichs behauptete auch Bergsträsser, Policy, S. 45. 222 Duhm, S. 220f. Hervorhebung im Original. Ahnl. Fehrle, Wesen, S. 3. 223 Duhm, S. 214f. Als Kronzeugen zitiert er M. Buber und lobte den »Kulturbund Deutscher Juden«, der jüdisches Theater und ein eigenes Schulwesen fördere. 224 Vgl. Programm der Deutsch-Sozialen Reformpartei (Schulthess Europäischer Geschichtskalender 10./l 1.9.99); D. Fryman, Wenn ich der Kaiser wär. 1912, Abschn. »Die Zionisten«. 225 Duhm, S. 227f.; Lenard, Präsident, S. 131. Vgl. Teske, S. 14 und 15f. 226 Duhm, S. 220f. und 213. 227 Ebd., S. 214 unter Bezugnahme auf Esra, Kap. 9 und 10. 228 Güntert, HSt 6 WS 33/4; Mann, Methoden. Vgl. Ders., Börne, S. 927. 229 Güntert, Erbe, S. 459f. In Abschn. II.3.3 wurden hieraus bereits Ausführungen über »jüdisches Literatentum« zit. Ähnl. Fehrle, Volkskunde 1934, S. 381; Wesen, S. 3. Implizit antisemitisch: Brinkmann, Bemerkungen, S. 3. 230 Schmitthenner, VG 1.8.34, Sp.3; Lenard,VB 15.3.33; Erfahrungen, S. 61. 231 Wendland, Reichsidee, S. 13 und 32f. (auch die folg. Zitate). Hervorhebung im Original. Vgl. Ebd., S. 27f. Mann (Börne, S. 927) greift den »utopischen Begriff einer vernichtenden Freiheit« an, dem die »jüdische Rasse« nachstrebe. Raumer (Pfalz, S. 19) sah die »Internationale des westlerischen und jüdischen Marxismus« als unheilvolle »Einbrüche ... fremder Ideen«. 370 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Anmerkungen zu S. 295-307 232 NZZ 5.2.33. Er lobte, daß die Rechte in dieses »große Kabinett« ihre »volkstümlichen Massenführer« Hitler, Seldte und Hugenberg entsandt habe, während »die deutsche Sozialdemokratie seit dem Tode Eberts (und damit von ihrem guten Geist verlassen) ... weder Loebe noch Leipart, noch Wels, noch Breitscheid, sondern die viel farbloseren Hermann Müller, Hilferding, Wisseil« in die Regierungen geschickt habe. 233 Bildungsbürgertum IV, S. 204; Η. Α. Winkler, Der Weg in die Katastrophe. Berlin 1987, S. 893ff. und 918ff. 234 Andreas, HUK SS 33; HNN 15.5.33; Weizsäcker, DMW 59/1933, S. 79, 84 und 88; Jellinek, RuL 7/1933, S. 135. 235 GZ 40/1934, S. 341ff. und 380ff. 236 Vgl. den Fall des Gießener Germanisten Behaghel (Zeitschrift für Linguistik und Literaturwissenschaft, H. 54/1984, S. 194-222). VII. Die Heidelberger Hochschullehrer und der Nationalsozialismu 1 Vgl. etwa Ringer, S. 170. Seriöse Quantifizierungen fehlen jedoch. 2 Der Tag. Berlin, 30.10.32. 3 Dresden o.J. Vgl. Kater, Machtergreifung, dessen statistische Überlegungen (S. 66ff.) allerdings wegen der einseitigen Nichtberücksichtigung zahlreicher Unterzeichner (vgl. S. 65) weitgehend unbrauchbar sind. 4VB 4.3.33. 5 Deutsche Hochschullehrer, S. 150 und 217; Döring, S. 234f. Bei entsprechender Auswertung von Tagespresse und Parteipublikationen wären auch für andere Universitäten höhere Zahlen zu ermitteln: vgl. Seier. 6 Hochschulalltag, S. 88ff.: von den 271 Hamburger Dozenten des Sommersemesters 1933 gehörten mindestens 26,6 % vor 1933 einer politischen Partei an. Vom Göttinger Lehrkörper betätigten sich 1920 36 und 1927 42 % parteipolitisch, wobei allerdings die Kriterien für »politische Betätigung« nicht näher angegeben sind (Marshall, S. 269). Vom Tübinger Lehrkörper des Wintersemesters 1933/34 hatten 58 Personen (33,9 %) vor 1933 einer Partei angehört (Treu und fest, S. 22). 7 Eine etwas andere zeitliche Entwicklung, aber ebenfalls starken Rückgang der Bereitschaft, sich an Parteien zu binden, stellt Hering für Hamburg fest (Hochschulalltag, S. 89). 8 E. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. München 1984, S. 544. 9 Rickert, Leben, S. 324. 10 Ringer, S. 273-384 mit zahlreichen Belegen. 11 Lederer, Kapitalismus, S. 242f Umgkehrt griffWeber Lederers Engagement in der Sozialisierungskommission als »pflichtwidrig« an (W Mommsen, S. 234). 12 Vgl. die von mir in AeG (S. 172f.) zit. Rede A. Webers (Ideen, S. 134f.). 13 Baum (insb. S. 113ff.) zählt dies zu den wesentlichen Bedingungen des Holocaust. 14 Lederer, Kapitalismus, S. 12 (Kocka). 15 In einem (zufällig?) nur in Japan veröffentlichten Aufsatz »Zum Methodenstreit in der Soziologie« (1925), der trotz intensiver Bemühungen nicht zu bekommen war. Zit. nach: Ders., Kapitalismus, S. 255. Zum folgenden: Radbruch, Weg, S. 88. 16 Lipset, S. 127-151, insb. S. 136; Lepsius, passim, insb. S. 10-16. Auch Jones, S. 396, nennt die NSDAP »a mass party of middle class protest«. 17 Jones, S. 304. 18 Vgl. Rickert (Fichte, S. 5). 19Vgl.Lepsius, S. 16. Entgegen der dort angegebenen Quelle geht diese These auf Lipset zurück. Auch Geiger (Panik, S. 650) hält die Bildungselite für immuner dem Nationalsozialismus gegenüber, als sie tatsächlich war. 371 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Quellen- und
Literaturverzeichnis
1. Q u e l l e n 1. 1. Archivalien Berlin Document Center: Bestände über folgende Mitglieder des Heidelberger Lehrkörpers: Andreas, Beck, Becker, Beer, Behrens, Bergsträsser, Beringer, Besseler, Bilabel, Boehm, Bopp, Bothe, Boucke, Brecht, Brinkmann, Broemser, von Bubnoff, Buhtz, F.Curtius, Dahm, Delhougne, Dennig, Dibelius, Dietel, Dirscherl, Dittmar, Dittrich, Duhm, Ellinger, Enderlen, Erdmannsdörfer, Eynier, Faust, Fehrle, Freudenberg, Frommel, Geiler, Glockner, Glück, Goette, Gotschlich, Groh, E. Groß, Gruhle, Güntert, Gundel, Habs, Hammer, Hansen, Hedicke, Hellpach, Herbig, Herbst, Heubner, Hieber, H. Hildebrandt, Himmel, Hirt, Hoepke, Hoffmann, Hoops, Hupfeld, Jänecke, Jaspers, Jelke, Jellinek, Jost, Kallius, Kautsky, Keller, Kinzl, Kissling, Klein, Klug, Koch, Köhler, von Krehl, von Künßberg, Kuhn, Lenard, Liebmann, Loeschcke, Lohmann, Lurz, Mann, Marx, Mecke, Meister, Merton, Mitteis, Moro, E.Müller, M.Müller, P.Müller, Nieland, Odenwald, Oehme, von Oettingen, Oppermann, Paal, Panzer, H.Ranke, O.F.Ranke, Rasch, von Rauchhaupt, von Raumer, Rech, Regenbogen, Rickert, Röhrer, Rüger, von Salis, Ferd. Schmidt, Fr. Schmidt, O.Schmidt, Schmincke, P.Schmitthenner, von Schnizer, Schrade, Schrader, Schultze-Rhonhof, Schuster, Schwarzacher, Seidel, Serr, Siebeck, Sillib, Sölch, Sommerfeld, Spek, Stein, Stolle, Strigel, Sulger, Teske, Teutschländer, Trautz, Ulmer, Vogt, Waffenschmidt, A. und J. Wagenmann, Wahle, Walter, Walz, Weißenfels, von Weizsäcker, Wendland, Wilke, Wilmanns, Winkler, Wirth,Wöhlisch, Ernst Wolf, Wurm, Ziegler, Zukschwerdt. Generallandesarchiv Karlsruhe: 233/24926 u. 29829; 235/398, 1890-1895, 3110-3112, 4972, 8643. Nachlässe Willy Andreas und Willy Hellpach. Universitätsarchiv Heidelberg: A-160/178; B-0110/1, 1266/23, 3138, 3420/1 u. 2, 3707; F-II-3420, 3501, 3640; H-IV-102/153-155; III 5a, Nr. 192, 195a, 331-334, 431-436. Universitätsbibliothek Heidelberg (Handschriftensammlung): Jost, Ludwig: Aus meinem Leben und meiner Zeit. ca. 1944. Nachlässe Gustav Radbruch, Heinrich Rickert, Max Wolf. Ubisch, Gerta von: Lebenserinnerungen, ca. 1955. Glockner-Archiv, Ansbach: Diverse Aufzeichungen aus dem Glockner-Nachlaß stellte mir Prof. Friedrich Fulda, Heidelberg, freundlicherweise zur Verfügung.
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1.2. Interviews Prof. Dr. Theodor Eschenburg,Tübingen, November 1990 (zusammen mit Reinhard Blomert). Prof. Dr. Max Gutzwiler, Muntelier/Schweiz, 1.8.1982 (zusammen mit Mario Damolin). Prof. Dr. Hermann Hoepke, Heidelberg, 19.7.1982. Esther Jacobsen, Heidelberg, 8.7. und 16.11.1982. Prof. Dr. Golo Mann, Kilchberg/Schweiz, 19.8.1982. Alfred Moos, Ulm, Januar 1983. Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm von Rauchhaupt, Heidelberg, 12.8.1982 (mit Mario Damolin). Barbara Sultan, Heidelberg, Mai 1987. 1.3. Amtliche Drucksachen, Zeitungen und Zeitschriften (Die Bibliografie wurde stark gekürzt. Etwa 800 Artikel und Reden aus den folgenden Amtlichen Drucksachen, Zeitungen und Zeitschriften werden nur in den Anmerkungen genannt. Personalbibliografie der Heidelberger Hochschullehrer in: Jansen, Vom Gelehrten). Akademische Mitteilungen für Studierende an der Universität Heidelberg, Heidelberg . Amtliche Berichte über die Verhandlungen der Ständeversammlung, Karlsruhe. Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Tübingen. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT, Bonn. Badische Landeszeitung, Karlsruhe. Badische Post, Heidelberg . Badische Schulzeitung, Büh. Berliner Tageblatt. Christliches Volksblatt, Heidelberg. Christliche Welt, Marburg. Deutsche Bildung, Frankfurt. Deutsche Juristenzeitung, Berlin. Deutsche Medizinische Wochenschrift, Berlin. Deutsche Revue, Stuttgart. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft u. Geistesgeschichte, Halle. Deutsche Zukunft, Heidelberg. Europäische Revue, Berlin. Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, Berlin. Frankfurter Zeitung. Die Freiheit, Berlin. Geographische Zeitschrift, Jena. Geschichte und Gesellschaft, Göttingen. Heidelberger Jahrbücher. Heidelberger Neueste Nachrichten. Der Heidelberger Student, Heidelberg. Heidelberger Tageblatt. Heidelberger Universitätskalender. Heidelberger Zeitung, ab 1.9.1919: Badische Post. Die Hilfe, Berlin. Historische Zeitschrift, München. Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, Leipzig. Die Justiz, Berlin. Der Kampf, Wien. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpolitik. Kölnische Zeitung . 373 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Logos, Tübingen. Magazin der Wirtschaft N. F., Berlin. Mitteilungen der Deutschen Zentrumspartei, Berlin. Münchner Medizinische Wochenschrift. Münchner Neueste Nachrichten. Nachrichtenblatt (Pressedienst der DVP), Berlin. Nationalliberale Blätter, Berlin. Neue Blätter für den Sozialismus, Potsdam. Neue Freie Presse, Wien. Neue Heidelberger Jahrbücher N.F Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung, Leipzig. Neue Politische Literatur, Wiesbaden. Neue Rundschau, Berlin. Neue Zürcher Zeitung. Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde, Karlsruhe. Die Pädagogische Hochschule, Bühl. Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg). Pfäizer Bote, ab 8.7.1933: Heidelberger Volksblatt. Preußische Jahrbücher, Berlin. Reichsverwaltungsblatt und preußisches Verwaltungsblatt, Berlin. Reich und Länder, Stuttgart. Ruperto Carola, Heidelberg. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaft, Heidelberg. Der Sozialistische Student, Heidelberg. Die Sonntags-Zeitung, Heilbronn. Stuttgarter Neues Tageblatt. Das Tribunal, Darmstadt. Verhandlungen des Badischen Landtags, Karlsruhe. Verhandlungen des Deutschen Soziologentages, Tübingen. Verhandlungen des Reichstags, Berlin. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Stuttgart. Völkischer Beobachter, Berlin. Volk im Werden, Leipzig. Volksgemeinschaft, Heidelberg. Volkskonservative Stimmen, Berlin. Volkszeitung, Heidelberg. Vorwärts, Berlin. Vossische Zeitung, Berlin. Die Weltbühne, Berlin. Weltwirtschaftliche Korrespondenz. Windhorstblätter, Berlin. Wirtschaftliche Nachrichten aus dem Ruhrbezirk, Essen. Wort und Tat, Berlin. Zeitwende, München. Zeitschrift für deutsche Bildung, Frankfurt. Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften, Tübingen. Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins N. F., Karlsruhe. Zeitschrift für Politik, Berlin. Das Zentrum, Berlin. Zentrums-Akademikerblätter.
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Tabellenanhang Tab. 1: Aktivitäten Heidelberger Hochschullehrer für larteien und politische Organisationen, parlamentarische Mandate Name Theologische Fakultät Bauer Beer Dibelius Duhm Frommel Hupfeid Jelke Köhler Lemme Niebergall Odenwald von Schubert Troeltsch Julius Wagenmann Wendland Winkler für Parteien aktiv N= Juristische Fakultät Anschütz Dahm Dochow zu Dohna Endemann Geiler Groh Grupe Heinsheimer Heinz Hildebrandt von Jagemann Jellinek von Künßberg Mitteis Neubecker Radbruch von Rauchhaupt Thoma Ulmer Walz für Parteien aktiv N=
1914-1918'
1919-19232
1924-19293
1930-19324
DVP:R FVP
DDP:K,R
DDP:A,R VKZ
DNVP:R RhA
DNVPM :
NSLB NSLB.DC,VDSt NSLB NSLB NSLB,VDSt NSLB
VGI
DkP
NLP VDA DVP:M,R,K VDAR , hA NLP:MdB,MdL
NSDAP:M(37)NSLB,DC,SA DVP/DNVPR : DVPM : VDA VDA CSVD
DNVP:S CSVD:K(30)
NSLB, VDSt NSLB NSDAP:M(37) NSLB 2 (18%)NSLB:10(91%) 11
4 (40%) 10
4 (36%) 11
4 (31%) 13
3 (20%) 15
NLP VB
DDP:K,R
DDP:K,A
DStP:A,K,R(0-1)
DDPK : DVPM : dNV/MdR DVP:R DNVP:S DNVP:S DDPA : DDP:F,R DVLP
DNVPM :
VDA
1933-1945
SM DDPA : DVPM :
NSDAP:M(5.33)
NSDAP:A(32) NSDAP:A(33) VDSt,Waffr DStP:A(30); NSDAP:M(37) NSLB,SA SM Wafr NSDAP:M(37) NSLB DVP:K(30) VDA
RhA,DOB
NSLB
NLP
SPD:R DFG,VKZSPD:R ADF DVPM : Stahlh NSDAP:M(41) SA,NSLB DDP:MdB DDAS PM : dB NSDAP:M(37) NSLB,SA DDP DDP
4 (24%) 17
9 (53%) 17
NLP VB
9 (45%) 20
5 (25%) 20
394 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
5 (38%) SSLB:5 (38%) 13
Name
1914-19181
Medizinische Fakultät Beck, Gruhle Behrens, Hansen Beringer Blessing Broemser
1919-19232
Z:MdB
1924-19293
Z:MdB
1930-19324
Z:MReichsb
Buhtz Czerny NLP Delhougne, Kissling, Sulger Dennig Dietel Dittmar Dittrich, von Schnizrer Dresel Erb MdB:parteilos Eymer, Siebeck Fleiner NLP:MdB Fraenkel Goette VDA Gottlieb Gundel, Oettingen Habs, Stein Hammer FBV:MdB Hirt Kallius Keller Klug von Krehl Lurz Hellmut Marx, Paal VGl Meyerhof Oehme, Serr O. F. Ranke Rech Rodenwaldt G.B. Schmidt VDA Schmincke Erwin Schrader Teutschlaender Vulpius Λ. Wagenmann Weissenfeis von Weizsäcker Wilmanns Wirth H.Wurm Zukschwerdt für Parteien aktiv 3 (6%) N= 54
1933-19455 NSLB NSDAP:M(37) NSDAP:M(41) NSDAP:M(37) NSLB,SS,Waffr NSDAP:M(5.33) NSLB,SS,Waffr NSDAP:M(37) NSDAP:M(35) NSLB NSDAP:M(37) NSLB,SA NSDAP:M(5.33) NSLB,SA NSDAP:M(5.33) NSLB
KKRA ,V
NSDAP:M(37) NSLB DDP:R
VBG:MdB
KTV
NSDAP:M(37) NSLB
NSDAP:M(5.33) NSDAP:M(37) NSLB,SS VBG:MdB NSDAP:M(5.33) NSLB,SA NSDAP:M(37) Waffr,SS NSLB NSDAP:M(37) NSLB Wafft DNVP:S VKZ DNVP:S KTVNSLB NSDAP:M(37) NSLB,SA NSLB Srahih
DVPM : DNVP:S
DNVP;S
DNVP.S
DNVP:S
VDA
DNVP:S Stahlh
5(9%) 57
6 (10%) 62
3 (4%) 71
NSLB NSLB,SA NSDAP:M(39) NSLB NSDAP:M(37) SA,Waffenr NSDAP:M(5.33) SA NSDAP:M(40)VDA NSLB NSDAP:M(5.33) NSLB NSLB NSDAP:M(37) NSLB SS 29 (49%) NSLB:29 (49%) 59 395
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Name
1914-19181
Philosophische Fakultät Altmann Andreas Baethgen Besseler, Sommerfeld Büabel Böhm, Faust, Oppermann, Schrade Boucke, Schröder Brecht Brinkmann VGl von Bubnoff Ernst R.Curtius Ludwig Curtius von Domaszewski DVLP Driesch BNV,VGl von Duhn DVLP SPD Ehrenberg Fehling Fehrle Glockner, Mann Gothein NLP:MdB Güntert Gumbel Hampe Hedicke, Meister Hellpach Hettner Hoffmann Jaspers Kinzl, von Raumer Lederer Maier Mannheim Marschak Mitgau Oncken Panzer Regenbogen, Sölch Rickert Ritter Rothacker Ruge Ruska Paul Schmitthenner Schramm Schuster Sultan Teske Waag Wätjen
NLP DKG
SPD:M
NlVMdLVB
DVLP DVLP
1919-19232
DNVP:M,R VD4,
1924-19293
1930-1934
1933-1945'
DDPA : DDPA : GDB
VDA
SAfirdMitgLSS,DQWaffr NSDAP:M(37) NSLB,SA NSDAP:M(5.33) NSLB NSDAP:M(37) NSLB
GDB DDP:A,R DNVP:K,F DNVPM : DDP:MLfM DNVPA : SPD:MdB DNVP:R
DDPA : VKZ DNVP:M,R VKZ
NSDAP:M(37) SA NSLBWaffy,Förd.Mitgl.SS NSLB
SPD:M DVPM :
NSDAP:(31)
DDPM : dL SPD:M DFG, SPD:M,R DFG,RH,FS DDPA :
SPD;SAP(1) DFG
NSLBM,SS,VDSt NSLB NSDAP:M{37) NSLB, WM
NSLB DDP:K,R VKZE . vDDP:MdE28-30 NSLB DWKVDA.GD.Β VDA DDPA : DDPM : DDPA : NSDAP:M{38) NSLB USP/SPD:M SPD:R Af4,DFGSPD:R DVP:R SPD:R SPD:S Stahlk NSLB DVBR , hA VDAG , DB VDAG , DB NSLB NS13 NSLB DNVP:R GDB DNVPF :K , DNVP:S DNVP:S DNVPM : dL Sathih DNVPM : StahlhNSDAP:M(10.33) NSlä DVPM : NSDAP:M(5.33) SPD:R VDA KVP:A,K(0) NSDAP:M(5.33) NSLB,VDSt DDPA : DVP:R
396 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Name
1914-1918'
1919-1923-
1924-19293
Wähle von Waldberg Walleser Alfred Weber VB Max Weber FVPKB Wild Wille NLP:MdB Wilhelm Windelband NLP Wolfgang Windelband
DNVP:S
DVP:R
DVPM :
für Parteien aktiv N=
22 (43%) 51
22 (41%) 54
DVP:MdB
DVPrMdB
DDP:MdB
Rh4 DDP:MdB DDPA :
11 (22%) 49
Naturunssenschafiliche fFakukät Becker Bernthsen Bopp, Glück, Trautz Bothe, Dirscherl, Freiidenberg Erdmannsdörfer Häberle FVP:MdB Herbst Hieber, Ziegler Himmel
Quincke MdB:parteilos Rasch Rissom Röhrer,Rüger,Spek,Strigel Ferd. Schmidt, Wilke Otto Schmidt Stolle von Ubisch M.Wolf Wülfing für Parteien aktiv Ν=
1 (3%) 39
Universität insgesamt 23(14%) N= 169
1933-19455
DNVPiS NSDAP(5.37) NSLB Youngp Z:A DDP:R,F,A DH3 DDP:A,R VKZ DStP:A(30);Z:A(32) DDP:R,F,A DNVP:R,F DDPM : RhA
9(17%) 54
DNVP:S
NSDAPA :
NSLB NSLB NSLB,VDSt NSLB NSDAP:M(5.33)NSLB.SA SPD NSDAP:A(32) Natv.dt.Off
RhA
DDPM :
16 (31%)NSLß:27(53%) 51 NSDAP:M(40) NSLB
DDPA :
JOSE
Klein,R.Kuhn,Lohmann,Μ.Müller Lemberg Lenard Mecke Nieland
1930-19324
DNVP:S
NSLB NSDAP:A(33)M(37) NSLB NSDAP:M(37) DNVP:MdS(4,33) NSDAP:M(37)NSLB,SA
NSLB NSDAP:M(5.33) NSLB NSDAP:M(37) NSLB NSLB
DNVP:S DDPA : DNVP:S DNVP:S
4(13%) 32
9 (26%) 35
2 (5%) 41
8 (20%) NSLB:25 (61%) 40
44 (26%) 168
50 (27%) 184
22(11%) 201
60{M%)NSLB:89(5i%) 174
Einschließlich nebenberuflicher und emeritierter Hochschullehrer. Normalschrift: Parteiaktivitäten; Kursivschrift: Aktivitäten für andere politische Organisationen Um Platz zu sparen, werden Personen mit denselben Merkmalen in einer Zeile aufgeführt. Die unterlegten Raster zeigen an, wie lange eine Person dem Lehrkörper angehörte. 397 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35762-1
Abkürzungen und Anmerkungen zu Tabelle 1: A = Wahlaufruf; ΑfA = Beratende Tätigkeit für den Allgemeinen Freien Angestelltenbund; AS = Mitglied im Heidelberger Arbeiter- und Soldatenrat; AV = Vorstandsmitglied des Deutschen Akademischen Assistentenverbandes; BNV = Bund Neues Vaterland; DFG = Deutsche Friedensgesellschaft; DKG = Vorsitzender der Deutschen Kolonialgesellschaft in Heidelberg; DOB = Deutscher Offiziersbund; DVB = Demokratischer Volksbund (HT 19.11.1918); F = Funktionen innerhalb der vorstehenden Partei; FBV = Freie Bürger-Vereinigung („überparteiliche"; Liste bei den Bürgerausschußwahlen 1912); FS = Bund der Freunde der Sowjetunion; GDB = Gesellschaft für deutsche Bildung; Κ = Kandidat bei allgemeinen Wahlen; KKR Vorstandsmitglied im Kunst- und Kulturrat für Baden; KTV= Vorsitzender des Kriegsteilnehmerverbandes; LfM = Liga für Menschenrechte; Μ = Mitglied oder Artikel in Parteizeitun gen; MdB -Mitglied des Bürgerausschusses; MdL = Mitglied des Landtages; MdR = Mitglied des Reichstags; MdNV = Mitglied der Weimarer Nationalversammlung; Natv.dt.Off.=Nationalverband deutscher Offiziere; Ν = Anzahl der Fakultätsangehörigen; NLP = Nationalliberale Partei; R = Reden; RH = Rote Hilfe; RhA = Mitglied im „Rheinlandausschuß an der Universität"; S = öffentliche Sympathiekundgebungen; Stahlh = Stahlhelm;VB = Vorstandsmitglieder der Heidelberger Ortsgruppe des Volksbundes für Freiheit und Vaterland; VBG = Vereinigte Bürgerliche Gruppen (Gemeinsame Liste von DNVP, Bürgerpartei, Landbund u.a. zu den Gemeinderatswahlen 1919 und 1922); VDA = Vorstandsmitglieder der Heidelberger Ortsgruppe des Vereins für das Deutschtum im Ausland; VG1 = Mitglied der pazifistischen "Vereinigung Gleichgesinnter" während des Ersten Weltkrieges (K. Holl, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 54, 1972, S. 364-384); VKZ = Deutsche Vereinigung für kulturelle Zusammenarbeit (Sektion der „Federation internationale des unions intelectuelles"); You(ng)p = Engagement für das Volksbegehren gegen den Youngplan. 1 HT 20.2.09: Erb, Quincke; HT 19., 23., 24. u. 28.2.12: Gothein, Hammer, Troeltsch, Wille; Ständevers. 1914ff., 1. Kammer: Troeltsch, Oncken; HT 20.3.18: M.Weber; HT 24.8.14: Gottlieb, Künßberg, Schmidt, Schubert; HT 4.8.14: Heinsheimer, Hoops, Jagemann; HT 3.12.17: Duhn, Ruska; HT 28.1.18: Domaszewski; HT 15.2.18: Oncken; HT 7.3.18: Thoma, Anschütz; HT 17.12.18: Gothein; HT 8.12.18: Hettner; HT 9.12.18: Lemme; HT 11.12.29: Schubert;Ruge,Kampfdaten, S. 2; HT 17.1.12: Czerny;Jfljffm