Gastarbeiter für Europa: Die Wirtschaftsgeschichte der frühen europäischen Migration und Integration 9783412501785, 3412501786

Das neue Buch von Heike Knortz verdeutlicht den Zusammenhang von bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eins

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German Pages 232 Year 2015

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Gastarbeiter für Europa: Die Wirtschaftsgeschichte der frühen europäischen Migration und Integration
 9783412501785, 3412501786

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Heike Knortz

Gastarbeiter für Europa Die Wirtschaftsgeschichte der frühen ­europäischen Migration und Integration

Unter Mitarbeit von Agnieszka Dreeßen und Sandra Hägele

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Heimfahrt der italienischen Gastarbeiter an Weihnachten (8. Dezember 1962). Der Abdruck erfolgt mit freundlichr Genehmigung des Stadtarchivs Karlsruhe unter Berücksichtigung der Veröffentlichungs- und Vervielfältigungsrechte dessen (Signatur: Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Schlesiger A9/90/6/2).

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Rebecca Wache, Bochum Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50178-5

Inhalt Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Der europäische Wiederaufbau nach 1945: Internationale Arbeitsteilung tut not. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

„Merkwürdiger Beitrag“? – oder: Grundlegendes zur wissenschaftlichen Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Desiderata: Theoretisches Fundament und historischer Kontext . . . . . . . . . Erkenntnisleitend: Die Außenwirtschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentraler Akteur: Italien und die ‚unsichtbaren Transaktionen‘ . . . . . . . . . . Lesehinweise und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 15 17 24 30

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957. . . . . . . . . . 33 Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich . . . . . . . . . . . . . 50

Forschungsstand und widersprüchliche Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . 50 Die Außenhandels- und Devisenschwäche Frankreichs bis zum Ende der Vierten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Reziproke Arbeits- und Kapitalkomplementarität? – oder: Französischitalienische Migrationsabkommen im Spannungsfeld von Diplomatie, außenwirtschaftlichen Zwängen und organisierten Interessen . . . . . . . . . . . 72 Das Problem der Heimatüberweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Das französisch-italienische Migrationsregime im Wandel . . . . . . . . . . . . . . 113 Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Die OEEC und die Freizügigkeit für Arbeitskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Möglichkeiten und Grenzen der Europäischen Zahlungsunion . . . . . . . . . . 137 Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“ . . . . . . . . . . . . . . 144 EGKS, EWG und der italienische Wunsch nach Freizügigkeit . . . . . . . . . . . 154

6

Inhalt

Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss . . 161

Die deutsch-italienischen Handelsgespräche seit 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Bundesdeutsche Arbeitsmarktinteressen vs. europäische Verpflichtungen . . 172 Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung und die Tätigkeit der Deutschen Kommission in Verona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse der wirtschafts- und migrationshistorischen Analyse der frühen europäischen Integration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

Daten zu italienischer Emigration und Arbeitslosigkeit sowie europäischem Arbeitskräftebedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Daten zu den Zahlungs- und Kapitalbilanzen Italiens und Frankreichs . . . 201 Positionen innerhalb der deutschen und französischen Administration gegenüber italienischer Arbeitsmigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Publizierte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Internetverweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder Tabellen Tabelle 1: Wirtschaftshilfe aus dem Marshall-Plan, in Mio. US-Dollar. . . . 22 Tabelle 2: Offizielle Heimatüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten, 1946–1957 (in Mio. Dollar) . . . . . . . . . . . 28 Tabelle 3: Wichtigste Handelspartner Italiens vor und nach dem Zweiten Weltkrieg (in % aller Im- und Exporte) . . . . . . . . . . . 35 Tabelle 4: Wichtigste Handelspartner Italiens, 1. Halbjahr 1951 (in Mio. Lire) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Tabelle 5: Außenhandelssaldo Italiens (Exporte – Importe) mit seinen wichtigsten Handelspartnern (in Mio. Lire), 1939 und 1948–1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Tabelle 6: Zielgebiete italienischer Migranten seit dem 19. Jahrhundert . . . 41 Tabelle 7: Bevölkerungsentwicklung in Italien (in Tausend) . . . . . . . . . . 43 Tabelle 8: Von Italien geschlossene erste Migrationsabkommen, 1946–1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Tabelle 9: Die italienische Leistungsbilanz 1954, in Mrd. Lire . . . . . . . . . 49 Tabelle 10: Italienische und Algerische Einwanderung nach Frankreich 1946–1955 (in Tausend). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Tabelle 11: Beschäftigungssituation in Frankreich 1945 im Vergleich zu 1929 und 1938 (in Tausend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Tabelle 12: Ausländische Beschäftigte in Frankreich, 1936, 1946 und 1949 (in 1.000). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Tabelle 13: Das Zahlungsbilanzdefizit Frankreichs 1938 und 1945–1956 (in Mio. US-Dollar). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Tabelle 14: Die Franc-Abwertungen 1944–1949. . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Tabelle 15: Der Beitrag verschiedener Faktoren zum Wirtschaftswachstum Frankreichs in der Zeit 1951–1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Tabelle 16: Defizit- oder Überschusspositionen unter dem Europäischen Zahlungsabkommen und in der Europäischen Zahlungsunion, Haushaltsjahr 1948/49–1958 (in Mio. US-Dollar). . . . . . . . . 72 Tabelle 17: Entwicklung der frühen Arbeitsmigration nach Frankreich, August 1947–Januar 1951. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Tabelle 18: Italienische Arbeitsmigration nach Frankreich, 1946–1954. . . . 96 Tabelle 19: Italienische Migration nach Frankreich nach Berufsgruppen, Juli/August 1947. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Tabelle 20: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Frankreich, 1945–1959 (in Tausend). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

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Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

Tabelle 21: Französischer Außenbeitrag gegenüber Italien und Heimatüberweisungen der Migranten nach Italien, 1948–1950 (in Mio. Lire) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Tabelle 22: Entwicklung der Leistungsbilanz Frankreichs (ohne Überseegebiete) gegenüber Italien 1951–1954, in Mrd. Lire. . . . 113 Tabelle 23: Mit der italienischen Migration befasste internationale Organisationen und Konferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Tabelle 24: Arbeitslosigkeit in Frankreich, Italien und Westdeutschland (in Tausend), 1945–1973. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Tabelle 25: Ziele italienischer Auswanderer 1949 (in 1.000 Personen). . . . . 153 Tabelle 26: Durch die Deutsche Kommission in Verona 1956 in die Bundesrepublik vermittelte italienische Arbeitskräfte, nach Berufsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Tabelle 27: Mit und ohne Vermittlung der Deutschen Kommission in Verona in die Bundesrepublik eingereiste italienische Arbeitskräfte nach Wirtschaftsbereichen, 1956–1958 (ohne Saarland). . . . . . . . . 181 Tabelle 28: Entwicklung der Beschäftigung italienischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, 1956–1973 . . . . . . . . . . . . 183 Tabelle 29: Entwicklung der italienischen Emigration (Saldo aus „dauerhaften“ Aus- und Rückwanderern), 1937–1957. . . . . . . 197 Tabelle 30: Bedarf an ausländischen Arbeitskräften sowie für die Arbeitsmigration zur Verfügung stehende Personen (in Tausend), 1. Juli 1947. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Tabelle 31: Bedarf an Fachkräften und Ungelernten (in Tausend), 1. Juli 1947. . 198 Tabelle 32: Bedarf an Bergleuten für den Untertagebau (in Tausend), 1. Juli 1947. 199 Tabelle 33: Für die Auswanderung zur Verfügung stehende italienische Arbeitskräfte nach Wirtschaftsbereichen (in Tausend, ohne Displaced Persons), 1. Juli 1947. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Tabelle 34: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Italien, 1945–1973 (in Tausend und Prozent der Erwerbstätigen). . . . . . . . . . . . . 200 Tabelle 35: Zahlungsbilanz Italiens (in Mio. US-Dollar), 1946–1955 . . . . . 201 Tabelle 36: Zahlungs- und Kapitalbilanz der Franc-Zone (Frankreich und Pays d’outre-mer) (in Mio. US-Dollar), 1945–1949. . . . . . . . . 203 Tabelle 37: Zahlungsbilanz Frankreichs (in Mio. US-Dollar), 1949–1956. . . . 204 Tabelle 38: Ministerielle Positionen innerhalb der französischen und bundesdeutschen Regierungen pro bzw. contra italienische Arbeitsmigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206



Verzeichnis der Schaubilder und Tabellen

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Schaubilder Schaubild 1: Entwicklung des Welthandelsvolumens 1850–1990 (in 1.000 US-$ und Preisen von 1913). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Schaubild 2: Vereinfachtes Schema einer Zahlungsbilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Schaubild 3: In französischer Industrie und im französischen Dienstleistungssektor Beschäftigte, 1806–1996 (in Mio.). . . . . 61 Schaubild 4: Frankreichs Außenhandel mit Italien und anderen ausgewählten Ländern, 1919–1954 (in Mio. US-Dollar) . . . . . 85 Schaubild 5: Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte nach Frankreich, 1946–1973 (ohne Saisonarbeiter). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Siglenverzeichnis AA ABdF

Auswärtiges Amt Archiv Banque de France

BA

Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung BA Koblenz Bundesarchiv Koblenz BGBl. Bundesgesetzblatt BMA Bundesministerium für Arbeit BMWi Bundeswirtschaftsministerium BTNG/RBHC Belgisch Tijdschrift voor Nieuwste Geschiedenis/Revue belge d’Histoire contemporaine CAEF CEEC CGT

Centre des Archives économiques et financières Committee for European Economic Cooperation Confédération générale du travail

ECA

Economic Cooperation Act, auch: Economic Cooperation Administration Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) European League for Economic Cooperation European Migrations Commission European Productivity Agency European Payments Union European Recovery Program Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Zahlungsunion

EGKS ELEC EMICO EPA EPU ERP EWG EZU

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FMI Fonds Monétaire International GATT GG

General Agreement on Tariffs and Trade Geschichte und Gesellschaft

HCPF

Haut Comité consultatif de la population et de la famille

12

Siglenverzeichnis

IBRD ICEM ICLE ILO INED IRO IWF

International Bank for Reconstruction and Development Intergovernmental Committee for European Migration Istituto nazionale di Credito per il Lavoro italiano all’Estero International Labour Organisation Institut National des études démographiques International Refugee Organization Internationaler Währungsfonds

NATO

North Atlantic Treaty Organization

OEEC ONI

Organization for European Economic Cooperation Office National d’Immigration

PA Berlin PICMME

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe

UN UNO UNRRA

United Nations United Nations Organization United Nations Relief and Rehabilitation Administration

VfZ

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

WEU

Westeuropäische Union

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

Der europäische Wiederaufbau nach 1945: Internationale Arbeitsteilung tut not

„Merkwürdiger Beitrag“? – oder: Grundlegendes zur wissenschaftlichen Arbeitsweise Die vorliegende Studie tangiert die Themenfelder früher, d.h. gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzender Arbeitsmigration in Westeuropa sowie der europäischen wirtschaftlichen Rekonstruktion, die – ausgehend von den Vereinigten Staaten von Amerika – von dem politischen Willen zu europäischer Integration begleitet wurde. Dem Fächerkanon folgend, aber auch sachlich-inhaltlich repräsentiert sie damit eine Schnittmenge aus historischer Migrationsforschung und Wirtschaftsgeschichtsschreibung. Während es u.a. eine „Aufgabe Historischer Migrationsforschung ist […], Wanderungsgeschehen und Wanderungsverhalten einzubetten in die Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte, in die Gesellschafts- und Kulturgeschichte von geographischen und sozialen Ausgangs- und Aufnahmeräumen“1, wurde jüngst als „zentrale Leitlinie“ einer Neuen Wirtschaftsgeschichte die übergeordnete Fragestellung postuliert, ob „sich die vorherrschende (wirtschafts-)historische Lehrmeinung empirisch bestätigen [lässt] oder nicht“2. Mit dem vorliegenden Buch soll jenem Postulat nachge­kommen werden, kombiniert mit der Einbettung früher europäischer Migration in die Wirtschaftsgeschichte Europas, dies zudem basierend auf der Außen­wirtschaftstheorie als analytischem Raster. Solchermaßen fundiert, geht es im Folgenden also um mehr als nur einen „merkwürdigen Beitrag zur Migrationsgeschichte“3 – einem Etikett, mit dem neben anderem versucht wurde, erste, in dieselbe wie die folgende Richtung weisende, empirisch nachweisbare und zwischenzeitlich auch durch eine Bielefelder Dissertation4 bestätigte Ergebnisse meiner 2008 im Böhlau Verlag erschie1 Bade, Klaus  J.: Historische Migrationsforschung. In: Migrationsforschung und inter­ kulturelle Studien: Zehn Jahre IMIS. Osnabrück, 2002. S. 63. (=Schriften des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, 11). Hervorhebung im Original. 2 Spoerer, Mark; Jochen Streb: Neue deutsche Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 2013. S. 16. 3 Vgl. http://www.swr.de/international/merkwuerdiger-beitrag-zur-migrationsgeschichte/id= 233334/ nid=233334/did=4660052/1uz7rvm/index.html (31.07.2015). 4 Lee, Yong-Il: Die Ausländerbeschäftigung als ein Bestandteil des deutschen Produktionsregimes für die industrielle Wachstumsgesellschaft 1955–1973. Die offene Arbeitsmarkt-

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Der europäische Wiederaufbau nach 1945

nenen Studie „Diplomatische Tauschgeschäfte“5 zu disqualifizieren, mindestens aber die bis dahin als allgemeingültig durchgesetzten, mittels archivalischer Quellen allerdings nicht nachweisbaren Annahmen der historischen Migrationsforschung als unantastbar auszulegen. Entgegen bis dahin allgemein gültiger Annahmen6 konnte ich mit der erwähnten Studie zunächst zeigen, dass im Fall der Bundesrepublik Deutschland sämtliche Initiativen zur Entsendung ausländischer Arbeitskräfte von den Herkunftsländern ausgingen. Die wesentlich verbreiterte Quellenbasis legte zudem offen, dass die verschiedenen Bundesregierungen mit den Anwerbevereinbarungen ausschließlich außenpolitischen Motiven folgten. Damit entsprangen die Anwerbe­vereinbarungen westdeutscherseits weder arbeitsmarkt- noch wirtschafts­politischen Erwägungen, sondern den Prinzipien klassischer Außenpolitik, in der beispielsweise die Bemühungen um die europäische Integration, einen potentiellen NATO-Partner oder um Entspannung im Ost-West-Verhältnis die entscheidende Rolle spielten. Die Arbeitskräfte abgebenden Länder verfolgten dagegen zum Teil sehr eigenwillige wirtschaftliche Interessen, wie das Beispiel Portugals zeigt, das der sich bereits im Gange befindlichen Emigration qualifizierter Arbeitskräfte durch eine „Vermittlungsvereinbarung“ 7 mit der Bundesrepublik sogar ent­gegenzusteuern bemüht war. Vor allem italienische, griechische und jugoslawische Administrationen versuchten, durch – offiziell „Anwerbevereinbarung“ genannte – ­Übereinkünfte mit der Bundesrepublik die Arbeitslosigkeit in ihren Ländern sowie ihre aus der westdeutschen Exportstärke resultierenden Devisenprobleme zu reduzieren. Dieses historische, quellenbasiert nachgewiesene Faktum hätte an sich nicht überraschen dürfen, nahm doch die wirtschafts­theoretisch fundierte Forschung bis dahin schon an, dass: “Labour export appeared to be a solution to many ills, particularly employment and balance-of-payments problems which […] were seen to be hampering further economic progress. Encouraged by the high demand for labour in Northwestern Europe, a number of countries began implepolitik der BRD im Vergleich mit der geschlossenen Arbeitsmarktpolitik Japans. Berlin, 2011. Besonders S. 62–112. (=Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, 31). (Künftig zitiert: Lee, Ausländerbeschäftigung). 5 Knortz, Heike: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Köln/Weimar/Wien, 2008. (Künftig zitiert: Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte). 6 Eine gewisse Ausnahme hiervon stellt dar: Steinert, Johannes-Dieter: Migration und Politik. Westdeutschland – Europa – Übersee 1945–1961. Osnabrück, 1995. (Künftig zitiert: Steinert, Migration und Politik). 7 „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Portugiesischen Republik über die Vermittlung von portugiesischen Arbeit­nehmern nach Deutschland“ vom 17. März 1964.



Theoretisches Fundament und historischer Kontext

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menting policies aimed specifically at encouraging the emigration of workers.”8 Sarah Collinson formulierte diese Feststellung allerdings für die Zeit nach dem Einsetzen dynamischen Wachstums und der damit verbundenen Nachfrage nach zusätzlichen Arbeitskräften in den nordwesteuropäischen Ländern; sie besitzt damit zunächst einmal Gültigkeit erst für die Zeit ab ca. Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre, als sich die Volkswirtschaften jener Länder der Auslastung ihres Produktions­potentials und damit der Vollbeschäftigung näherten. Die durch die „diplomatischen Tauschgeschäfte“ offengelegte Vorgeschichte etwa der deutsch-italienischen Regierungsvereinbarung „über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland“ behandelte demgegenüber die vorhergehende Zeit bis Ende der 1950er-Jahre und verwies in Umrissen bereits auf die euro­ päische Dimension italienischer Migrationspolitik. Tatsächlich sollte sich die frühe intraeuropäische Arbeitsmigration, jene Migration also, die sich nicht aus Flüchtlingen und Vertriebenen speiste, bereits 1945/46 einsetzte und zu dieser Zeit im Wesentlichen aus italienischen9 Arbeitern bestand, bald im europapolitischen Kontext entwickeln. Das vorliegende Buch dient der Analyse dieser Verknüpfung von früher europäischer Migration mit der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung, so dass die Rolle der italienischen Arbeitsmigration als integraler Bestandteil der frühen europäischen Integration begreifbar wird.

Desiderata: Theoretisches Fundament und historischer Kontext Schon der vorangegangene kurze Abriss zeigt, dass die sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Einsetzen des dynamischen Wirtschaftswachstums Ende der 1950erJahre innerhalb Europas vollziehende Arbeitsmigration mit den herkömmlichen, wirtschaftswissenschaftlich fundierten Migrationstheorien10 schwerlich zu erklären 8 Collinson, Sarah: Europe and International Migration. London/New York, 1993. S. 65. (Künftig zitiert: Collinson, Europe and International Migration). 9 Vgl. Mitchell, Brian  R.: European Historical Statistics 1750–1975. 2nd  revised edition. New York/London/Basingstoke, 1980. S. 150 f. (Künftig zitiert: Mitchell, European Historical Statistics). 10 Einen Überblick hierzu bieten: Pries, Ludger: Internationale Migration. Bielefeld, 2001; Hahn, Sylvia: Historische Migrationsforschung. Frankfurt/New York, 2012. S. 29–34. (=Historische Einführungen, 11); sowie: Papademetriou, Demetrios G.; Philip L. Martin (Hrsg.): The unsettled relationship. Labor migration and economic development. New York, 1991. (Künftig zitiert: Papademetriou/Martin, Unsettled relationship). Einen Überblick zu allgemeinen Migrationstheorien bietet Martina Liakova in ihrem gleichnamigen

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Der europäische Wiederaufbau nach 1945

ist, die Migration zum Angebot und der Nachfrage nach Arbeitskräften, zu Lohnunterschieden und Disparitäten im Entwicklungsstand usw. in Verbindung setzen. Das begründet sich auch daraus, dass solche Migrations­theorien nicht konsistent sind, wie beispielsweise das Push-Pull-Modell, das Migrationsprozesse zwar mit vorhandenen ökonomischen Disparitäten in Herkunfts- und Zielländern zu deuten versucht, in einem weiteren Schritt aber die ökonomischen Disparitäten zwischen potentiellen Zielländern unberück­sichtigt lässt, damit also „keine Erklärung dafür [liefert], wieso bestimmte Zielländer eindeutig bevorzugt werden.“11 Auch andere ökonomische Migrationstheorien erweisen sich insofern als unzulänglich, als sie die realwirtschaftlichen Migrationseffekte ignorieren. Während dadurch einerseits Gründe und Folgen internationaler Arbeitsmigration umstritten bleiben, sind ökonomische Charakteristika von Arbeitsmigration andererseits gut bekannt.12 Das vorhandene Angebot an wirtschaftswissenschaftlich fundierten Migrationstheorien wird der frühen europäischen Migration vor allem aber deshalb nicht gerecht, weil diese eng mit dem europäischen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg in Zusammenhang steht. Im Folgenden soll deshalb – in Anlehnung an Gerold Ambrosius’ Vorgehen – der europäische Integrationsprozess als Ergebnis wechselseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit zwischen Märkten und Regierungsentscheidungen mit historischen Methoden auf Basis der Außenwirtschaftstheorie analysiert und am Beispiel eines Faktormarktes, des Arbeitsmarktes, empirisch untermauert werden. Ziel ist damit zunächst, die multikausale Eigendynamik europäischer wirtschaftlicher Integration „unabhängig von Integrationsplänen, -verhandlungen und -abkommen“13 empirisch zu ermitteln. Anschließend können die sich hieraus ergebenden bilateralen, multilateralen bis hin zu internationalen Abkommen, kann also die wirtschaftspolitische Integrationsgeschichte in einem weiteren Schritt skizziert werden, die in ihrer Folge den wirtschaftlichen Integrationsprozess zusätzlich forcierte. Versuchten italienische Administrationen auf Basis realwirtschaftlicher Entwicklungen die Artikel in: Meier-Braun, Karl-Heinz; Reinhold Weber (Hrsg.): Deutschland Einwanderungsland. Begriffe – Fakten – Kontroversen. Stuttgart, 2013. S. 35–38. 11 Faßmann, Heinz; Rainer Münz: Europäische Migration und die Internationalisierung des Arbeitsmarktes. In: Strümpel, Burkhard; Meinolf Dierkes (Hrsg.): Innovation und Beharrung in der Arbeitspolitik. Stuttgart, 1993. S. 11–37. S. 26. 12 Vgl. Papademetriou/Martin, Unsettled relationship, S. 2. Zu den einzelnen ökonomischen Migrationstheorien sowie den realwirtschaftlichen Migrationseffekten vgl. S. 3–42. 13 Vgl. Ambrosius, Gerold: Europäische Integration und wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren. In: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Helmut Berding. Göttingen, 1984. S. 271–294. S. 271 f. (=GG, Sonderheft 10). (Künftig zitiert: Ambrosius, Europäische Integration).



Erkenntnisleitend: Die Außenwirtschaftstheorie

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Migration Arbeitsloser zunächst also durch bilaterale politische Verhandlungen zu steuern, schafften diese es schließlich sogar, ihr Arbeitsmarkt- und das damit in Ver­ bindung stehende Bevölkerungsproblem im Rahmen der europäischen Integration zu vergemeinschaften14. Durch die so administrativ-organisierte Arbeitsteilung wurde das Fundament für die weitere realwirtschaftliche Integration Europas, hiermit das Fundament für steigenden Wohlstand in Europa gelegt. Damit die deduktive, theoriegeleitete Methode gegenüber historischer Realität nicht blind macht, werden unterschiedliche bilaterale wie auch multi­laterale Ebenen mit Hilfe unterschiedlichster Aktenbestände hermeneutisch bearbeitet und in Anlehnung an das Konzept der Histoire croisée15 ausgewertet. Zugleich wird dadurch auch der seit längerem erhobenen Forderung Rechnung getragen, stärker die Perspektive der Arbeitskräfte abgebenden Länder zu fokussieren. “When looking at questions of policy in international migration, there has been a tendency for observers to focus on the role of receiving states and thus fail to take full notice of the importance of sending countries’ emigration policies.”16 Da nicht zuletzt auch die Rolle der USA als wichtiger Akteur im europäischen Integrations­prozess zumindest ansatzweise skizziert wird, versteht sich der vorliegende Beitrag zugleich als transnationale Geschichte17 der frühen europäischen Integration mit supranationalem Bezug.

Erkenntnisleitend: Die Außenwirtschaftstheorie Wirtschaftlich trat Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein schwieriges Erbe an. Zwar hatten die desintegrativen Tendenzen in der Weltwirtschaft mit dem Weltkrieg neue Impulse erhalten, die globalen wirtschaftlichen Aktivitäten waren jedoch schon seit 1929 parallel zur sich verstärkenden krisenhaften Entwicklung geschrumpft. Weil sich im Verlauf der Weltwirtschaftskrise bis 1932 die Preise beinahe halbiert hatten, sollten nämlich mittels Währungsabwertung 14 Fauri, Francesca: L’Italia e l’integrazione economica europea 1947–2000. Bologna, 2001, benennt auf S. 127 verschiedene Maßnahmen, die das italienische „zu einem Problem der [Europäischen] Gemeinschaft“ werden ließen. (Künftig zitiert: Fauri, L’Italia e l’integrazione economica europea). Vgl. hierzu auch Goedings, Labor Migration, S. 127 f. 15 Zur Histoire croisée vgl. Werner, Michael; Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen. In: GG 28 (2002), S. 607–636. S. 618 ff. 16 Collinson, Europe and International Migration, S. 64. 17 Vgl. hierzu: Patel, Kiran Klaus: Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte. In: ZfG, 52. Jg./2004. S. 626–645. S. 642.

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Der europäische Wiederaufbau nach 1945

die Preise für Exportgüter gesenkt und so Handelsvorteile gegenüber Konkurrenten auf dem Weltmarkt erlangt werden. Dieses Handlungsmuster wurde von allen wichtigen Industrie- und Handelsländern angewendet, die sich damit in einen ständigen Abwertungswettlauf begaben. Dadurch konnte der Trend des rück­gängigen internationalen Warenaustauschs kaum umgekehrt werden, zumal die jeweiligen Binnenmärkte gleichzeitig durch protektionistische Import­beschränkungen und bilaterale Handelsvereinbarungen geschützt wurden. Ohne dass der wirtschaftliche Schrumpfungsprozess hätte gestoppt werden können, flossen im Gegenteil sogar Währungsreserven aus vielen Ländern ab, die deshalb zusätzlich zur Devisen­bewirtschaftung übergingen und damit die freie Konvertierbarkeit ihrer Währungen aufhoben. Das heißt, dass privatwirtschaftlich eingenommene Devisen an den Staat abgeliefert werden mussten, der wiederum nach volkswirtschaftlichen Bedürfnissen über deren Verwendung entschied. Während bei uneingeschränkter Konvertibilität das gegenüber einem Handelspartner bestehende Handelsbilanzdefizit durch Erlöse aus Handelsüberschüssen mit Dritten ausgeglichen werden kann, muss bei fehlender Konvertibilität der Währungen und daraus folgenden funktionsuntüchtigen Devisenmärkten ein solcher multilateraler Zahlungs­ausgleich vor allem aber durch aufwändige administrative Währungsgeschäfte der Zentralbanken und Kreditoperationen der Regierungen ersetzt werden.18 Während also das Welthandelsvolumen bereits vor 1939 maßgeblich geschrumpft war (vgl. Schaubild 1, Seite 19), konnte auch von einer ‚Weltwirtschaftsordnung‘ keine Rede mehr sein, als Europa zum Kriegsschauplatz wurde und die globalen, vor allem aber auch die wirtschaftlichen Aktivitäten der europäischen Staaten untereinander weiter abnahmen.

18 Ein Überblick zur Weltwirtschaftskrise nach 1929 findet sich bei: Knortz, Heike: Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik. Eine Einführung in Ökonomie und Gesellschaft der ersten Deutschen Republik. Göttingen, 2010. S. 200 ff.; eine historisch fundierte, deskriptive Einführung in die Außenwirtschaftstheorie liefert: Koch, Eckart: Internationale Wirtschaftsbeziehungen. München, 32006.



Erkenntnisleitend: Die Außenwirtschaftstheorie

19

Schaubild 1: Entwicklung des Welthandelsvolumens 1850–1990 (in 1.000 US-$ und Preisen von 1913)

Quelle: Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen. Hrsg. von Gerold Ambrosius, Dietmar Petzina und Werner Plumpe. München, 22006. S. 324.

Unter den skizzierten Rahmenbedingungen gelang es den USA während des Zweiten Weltkriegs, durch eine Vergrößerung ihrer Produktionskapazitäten und eine Steigerung ihrer Produktivität zur global führenden Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Weil in der unmittelbaren Nachkriegszeit für die europäischen Staaten notwendig ein hoher Importbedarf an Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Investitionsgütern bestand, musste dieser deshalb vor allem durch Einfuhren aus den Vereinigten Staaten befriedigt werden. Das ließ das Handelsbilanzdefizit der europäischen Staaten gegenüber den USA dramatisch ansteigen. Kurz- bis mittelfristig konnte dieses Defizit

20

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

aufgrund des Kapitalmangels in Europa auch nicht durch Kredittransaktionen oder anderweitige Kapitalexporte aus­g eglichen werden, so dass, worauf das vereinfachte Schema einer Zahlungsbilanz verweist (vgl. Schaubild 2), die Warenimporte zunächst nur mit Gold- und Devisenreserven finanziert werden konnten. Da diese Reserven auch als Folge der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre knapp waren, stellte dies jedoch keine dauerhafte Lösung dar. In der Folge drohte deshalb der staatlich administrierte innereuropäische Handel quantitativ eingeschränkt und immer wieder einmal sogar gänzlich ein­g estellt zu werden. Für den europäischen Wiederaufbau war es insofern unerlässlich, in einem ersten Schritt den Mangel an für die Importe aus den USA notwendigen US-Dollar in Europa, anschließend in einem zweiten Schritt besonders aber den dortigen gegenseitigen Mangel an europäischen Devisen zu überwinden. Schaubild 2: Vereinfachtes Schema einer Zahlungsbilanz Teilbilanzen

Soll oder Debet

Haben oder Kredit

A. Leistungsbilanz – Handelsbilanz

Wareneinfuhr

Warenausfuhr

– Dienstleistungsbilanz

Dienstleistungsimport

Dienstleistungsexport

– Übertragungsbilanz

Übertragungen (eigene)

Übertragungen (fremde)

B. Kapitalbilanz

Kapitalausfuhr

Kapitaleinfuhr

C. Devisenbilanz

Devisenzufluss

Devisenabfluss



(Veränderung der



Währungsreserven)

Quelle: Eigene Darstellung.

Zur Überwindung der „Dollar-Lücke“ sollte das im Juni 1947 angekündigte und im Frühjahr 1948 vom amerikanischen Kongress in Form eines Auslandshilfegesetzes (Economic Cooperation Act; ECA) verabschiedete European Recovery Program (ERP), allgemein auch als Marshall-Plan bezeichnet, dienen. Mit dem Ziel, die wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten untereinander zu fördern, stellten die USA den europäischen Ländern mit dem Marshall-Plan 13 Mrd. US-Dollar für den Wiederaufbau zur Verfügung. Allerdings konnten die Teilnehmer am ERP nicht frei über die Dollar verfügen, vielmehr „empfingen [sie] ‚Zuweisungen‘ in Form mengen- und artmäßig spezifizierter Warenlieferungen. Diese wurden in bilateralen Einfuhrplänen festgelegt und einem komplizierten Genehmigungsprozeß unterworfen, der den Interessen beider Seiten Rechnung tragen sollte: den Wünschen der Empfänger und den



Erkenntnisleitend: Die Außenwirtschaftstheorie

21

binnenwirtschaftlichen Präferenzen des Geberlandes.“19 Der eigens zur Koordinierung der Mittel unter Beteiligung der europäischen Empfängerländer gegründeten Organization for European Economic Cooperation (OEEC) oblag zunächst lediglich die Prüfung der bilateralen Abkommen zwischen den USA und dem jeweiligen Empfängerland. Hierdurch finanzierten die USA einerseits zwar die Dollar-Lücke in Europa, andererseits aber drohte der Marshall-Plan in dieser Form die bilateralen Be­ziehungen der europäischen Teilnehmerländer mit den USA zum Nachteil Europas zu zementieren. Denn innereuropäischer Handel fand unter diesen Umständen nur in äußerst begrenztem Umfang statt, und auch dann nur insofern, als die USA Waren in europäischen Ländern beschafften und an das jeweilige europäische Empfängerland weiterleiteten.20 Die Rekonstruktion des innereuropäischen Handels, damit der euro­ päischen Arbeitsteilung, bedurfte somit weitergehender Maßnahmen. Vergleichbar der Finanzierung der Dollar-Defizite durch den Marshall-Plan mussten die europäischen Staaten in einem weiteren Schritt also untereinander ihre den inner­europäischen Handel immer wieder behindernden Zahlungsbilanz­ ungleichgewichte zum Ausgleich bringen. Grundlegend hierfür sollte das Ab­kommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr vom 16. Oktober 1948 werden, das wegen der Äquivalenz seiner Mechanismen auch als „Kleiner“ oder „Europäischer“ Marshall-Plan21 (in Abgrenzung zum „Großen“, „Amerikanischen“ Marshall-Plan) bezeichnet werden kann: Jeder am Abkommen teilnehmende europäische Staat musste einem anderen, der ihm gegenüber eine passive Zahlungsbilanz auswies, das aus bilateralen Transaktionen resultierende Defizit finanzieren. Formal räumte das Überschussland dem Defizitland dafür in 19 Abelshauser, Werner: Der Kleine Marshallplan. Handelsintegration durch inner­europäische Wirtschaftshilfe 1948–1950. In: Berding, Helmut: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen, 1984. S. 212–224. S. 215. (= GG, Sonderheft 10). (Künftig zitiert: Abelshauser, Kleiner Marshallplan). Zum Zustandekommen und der Ausgestaltung des ERP vgl. Lehmann, Axel: Der Marshall-Plan und das neue Deutschland. Die Folgen amerikanischer Besatzungspolitik in den Westzonen. Münster/ New York/München/Berlin, 2000. (Künftig zitiert: Lehmann, Marshall-Plan); grundlegend hierzu auch immer noch: Wexler, Imanuel: The Marshall Plan Revisited. The European Recovery Program in Economic Perspective. Westport, Connecticut/London, 1983. (=Contributions in economics and economic history, 55). (Künftig zitiert: Wexler, Marshall Plan Revisited). Einen Überblick zur deutschen Debatte um den Marshall-Plan geben zudem: Berger, Helge; Albrecht Ritschl: Die Rekonstruktion der Arbeitsteilung in Europa. In: VfZ, 43. Jg. 1995. Heft 3, S. 473–519. (Künftig zitiert: Berger/Ritschl, Rekonstruktion der Arbeitsteilung). 20 Vgl. Abelshauser, Kleiner Marshallplan, S. 215. 21 Vgl. hierfür und für das Folgende: Abelshauser, Kleiner Marshallplan, S. 215 f.

22

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

Höhe des Zahlungsbilanzdefizits Ziehungsrechte in seiner eigenen Währung ein, was den Defizitländern weitere Wareneinfuhren erlaubte. Nur wenn die Überschussländer ihren eigenen Schuldnern diese Ziehungsrechte gewährten, kamen sie in den Genuss der US-Hilfen aus dem Marshall-Plan. Die Spalte „zu empfangende Ziehungsrechte“ in Tabelle 1 vermittelt insofern einen Eindruck der kumulierten Zahlungsbilanzpositionen der im Folgenden interessierenden Länder Italien, Frankreich und Westdeutschland. Tabelle 1: Wirtschaftshilfe aus dem Marshall-Plan, in Mio. S-Dollar Kleiner Marshall-Plan Großer Marshall-Plan

zu gewährende

zu empfangende

gesamte Auslandshilfe

Ziehungsrechte Frankreich 1948/49

981

10

333

1304

1949/50

704

34

258

928

1.685

44

591

2.232

555

47

27

535

∑ Italien 1948/49 1949/50

407

25

---

382



962

72

27

917

510

124

115

501

Westdeutschland 1948/49 1949/50

348

164

---

184



858

288

115

685

Quelle: Abelshauser, Werner: Der Kleine Marshallplan. Handelsintegration durch innereuropäische Wirtschaftshilfe 1948–1950. In: Berding, Helmut: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen, 1984. S. 212–224. S. 218 und 220. (= GG, Sonderheft 10).

Vor allem Frankreich war demnach auf Kredite der europäischen Teilnehmer­länder angewiesen, während Italien mehr Ziehungsrechte zu gewähren hatte, als es selbst in Anspruch nehmen konnte. Dabei mussten im ersten ERP-Jahr sowohl Westdeutschland als auch Italien Frankreich Ziehungsrechte in Höhe von 53,7 bzw. 11,0 Mio. US-Dollar gewähren, Italien der Bizone und der französischen Besatzungszone zusammen wiederum 12,7 Mio.22 Finanziert wurden die Ziehungsrechte aus Mitteln der nationalen 22 Vgl. Wexler, Marshall Plan Revisited, S. 141.



Erkenntnisleitend: Die Außenwirtschaftstheorie

23

Gegenwertkonten: Für von den USA zugewiesene Einfuhrmöglichkeiten im Rahmen des (Großen) Marshall-Plans entrichteten europäische Importeure den Gegenwert der von ihnen einge­führten Waren in Landeswährung auf ein speziell hierfür eingerichtetes Konto, das der Regierung ihres Landes zur Verfügung stand. Allerdings waren die hieraus gewährten Ziehungsrechte ebenfalls nur bilateralen Charakters, was den intraeuropäischen Handel auch infolge der notwendigen administrativen Lenkung anhaltend behinderte. Erst mit dem zweiten europäischen Zahlungs- und Kompensationsabkommen vom 7. September 1949 wurden dann 25% der Ziehungsrechte transferier-, d.h. multilateral einsetzbar. Vollends befördert wurde die europäische Arbeitsteilung schließlich durch Errichtung der Europäischen Zahlungsunion (EZU), einem System multilateralen Clearings. Mit der seit 1950 arbeitenden EZU einigten sich die europäischen Mitgliedsländer der OEEC unter maßgeblichem Einfluss der USA auf einen Mechanismus, der eine multilaterale Verrechnung der Handelsbilanzsalden und den Ausgleich temporärer Defizite über tranchierte Quoten ermöglichte, indem Defizite je nach Tranche auch mit ERP-Mitteln ausgeglichen werden konnten. Dabei veränderte sich für den Schuldner das Verhältnis zwischen Rückzahlung und Kredit im Rahmen der unterschiedlichen Tranchen: Konnte die erste Tranche noch voll­ständig mittels Kredit bedient werden, so wuchs mit jeder Tranche die Verpflichtung zur Rückzahlung in Gold oder Dollar, in liquiden Mitteln also, welche ausdrücklich durch den Export von Waren erwirtschaftet worden sein mussten. Bei den Gläubigern kam es zu gegensätzlichen Verpflichtungen, das heißt, dass der etablierte Automatismus auch in diesen Ländern wirtschafts­politische Maßnahmen zur Überwindung der Zahlungsbilanzungleichgewichte erzwang. Die multilaterale Verrechnung erfolgte über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, der neben einem Hilfsfonds im Umfang von 100 Mio. US-Dollar für Notfälle weitere 350 Mio. US-Dollar zur Finanzierung des Kreditmechanismus zur Verfügung standen. Auch weil sich die Mitglieder der EZU zum stufenweisen Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse verpflichtet hatten, nahm der innereuropäische Handel in der Folge schnell zu und mit ihm die für eine vollständige Konvertibilität unabdingbaren Währungsreserven der westeuropäischen Zentralbanken. Der Übergang zur freien Konvertierbarkeit der Währungen, der mit der Auflösung der EZU verbunden war, erfolgte im Jahr 1958.23 Tatsächlich war also der „Kernpunkt der amerikanischen Politik […] 23 Vgl. hierzu insgesamt: Bellers, Jürgen: Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989. Münster, 1990. (= Studien zur Politikwissenschaft, Abt. C, Außenwirtschaftspolitik, 2). (Künftig zitiert: Bellers, Außenwirtschaftspolitik); Buchheim, Christoph: Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945–1958. München, 1990. (=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 31). (Künftig zitiert:

24

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

weniger die intelligente Platzierung von Ressourcen in den einzelnen Ländern als die erfolgreiche Instrumentalisierung dieser Lieferungen zur Zwangs­re­konstruktion der europäischen Arbeitsteilung“24 gewesen. Einen Teil dieser Zwangsre­konstruktion allerdings, das hat die historische Forschung bislang vernachlässigt, stellten italienische Arbeitskräfte und deren Heimatüber­weisungen dar.

Zentraler Akteur: Italien und die ‚unsichtbaren Transaktionen‘ Die italienische Position innerhalb der EZU stellte sich äußerst wechselvoll dar. Während das Land das erste EZU-Jahr (1950) mit einem Passivsaldo in Höhe von 30,4 Mio. US-Dollar abschloss, begann seine Gläubigerposition seit Frühjahr 1951 zunächst stetig an Gewicht zu gewinnen. Seinen Schuldnern musste Italien sogar einen Sonderkredit über 100 Mio. Dollar einräumen, der je zur Hälfte in Gold und US-Dollar zu begleichen war. Anschließend aber erschöpfte sich seine Gläubigerposition schnell, die bis Ende 1952 in eine Zahlungsbilanzkrise umschlug und auch im darauffolgenden Jahr die italienischen Währungs­reserven unter Druck geraten ließ, nicht zuletzt infolge britischer und französischer, die Handelsliberalisierung suspendierender Maßnahmen sowie seiner eigenen, Importe forcierenden Wirtschaftspolitik. “The United Kingdom and France found themselves in 1952 in a situation in which their foreign exchange earnings were insufficient to pay for imports. As a result, they suspended trade liberalization. This adversely affected some Italian export industries, so that the country’s overall position within the E.P.U. became largely a reflection of its claims and obligations in the pound sterling and French franc. The Buchheim, Wiedereingliederung Westdeutschlands); Eichengreen, Barry: Reconstructing Europe’s Trade and Payments. The European Payments Union. O.O., 1993; ders.: Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems. Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert und Wolfgang Rhiel. Berlin, o. J. [1999]; Emminger, Otmar: D-Mark, Dollar, Währungskrisen. Erinnerungen eines ehemaligen Bundesbankpräsidenten. Stuttgart  21987. (Künftig zitiert: Emminger, D-Mark); Hardach, Gerd: Die Rückkehr zum Weltmarkt 1948–1958. In: Schildt, Axel; Arnold Sywottek (Hrsg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre. Bonn, 1993. S. 80–104. (=Politik- und Gesellschaftsgeschichte, 33). (Künftig zitiert: Hardach, Rückkehr zum Weltmarkt); Hentschel, Volker: Die Europäische Zahlungsunion und die deutschen Devisenkrisen 1950/51. In: VfZ, 37. Jg. 1989. S. 715–758. (Künftig zitiert: Hentschel, Europäische Zahlungsunion); Polster, Werner: Europäische Währungsintegration – Von der Zahlungsunion zur Währungsunion. Marburg, 2002. (= Hochschulschriften, 73). (Künftig zitiert: Polster, Europäische Währungsintegration). 24 Berger/Ritschl, Rekonstruktion der Arbeitsteilung, S. 475.



Zentraler Akteur: Italien und die ,unsichtbaren Transaktionen‘

25

case of France, which abolished liberalization altogether while enjoying the advantages of Italian liberalization, irked Italians most. During 1950 und 1951, when France permitted relatively free importation, her trade balance with Italy showed deficits of over 9 billion and 12,5 billion francs, respectively. In 1952, French import restrictions switched the trade balance from a negative to a positive one of 4,4 billion francs.”25 Mit dem Jahr 1954 schließlich wurde Italien selbst Empfänger verschiedener EZU-Sonderkredite sowie Begünstigter in bilateralen Abkommen, was dem Land helfen sollte, die aus den wachsenden EZU-Defiziten resultierenden Probleme zu bewältigen. “The financial burden […] was eased significantly by positive balances in invisible trade. Italy’s balance of payments equilibrium was thus maintained, thanks to the increasing contribution of tourism and emigrants’ remittances throughout the 1950s.”26 Für Italien waren die ‚unsichtbaren Transaktionen‘ – Deviseneinnahmen durch den Tourismus und die Heimatüberweisungen seiner Migranten –, die als einseitige Übertragung einer unentgeltlichen Leistung in der Zahlungsbilanz zu Buche schlugen, insofern von höchster Bedeutung.27 Neben einer frühen und vergleichsweise umfassenden Handelsliberalisierung – seit Oktober 1951 wurden die quantitativen Restriktionen schrittweise in einem einseitigen Prozess auf nur noch 0,3% aller importierten Waren reduziert –28 bemühten sich italienische Regierungen deshalb bis Ende der 1950er-Jahre immer wieder ganz besonders um die Erhöhung unsichtbarer Transaktionen zu Gunsten Italiens, zumal diese damit ein weiteres gravierendes, binnenwirtschaftliches Problem, nämlich das hoher Arbeitslosigkeit,

25 Holbik, Karel: Italy in International Cooperation. The Achievements of her Liberal Economic Policies. Padova, 1959. S. 108. (Künftig zitiert: Holbik, Italy in International Cooperation). 26 Fauri, Francesca: Free but Protected? Italy and the Liberalisation of Foreign Trade in the 1950s. In: Griffiths, Richard T. (Hrsg.): Explorations in OEEC History. Paris, 1997. S. 139–148. S. 141. (Künftig zitiert: Fauri, Free but Protected). Für das Vorhergehende vgl. S. 140 sowie auch: Holbik, Italy in International Cooperation, S. 106. 27 Nach gegenwärtiger Konvention stellen unsichtbare Transaktionen oder (synonym) unsichtbarer Handel in der Dienstleistungsbilanz erfasste Faktor- und Dienstleistungen dar, zu denen u.a. Zahlungen im Reiseverkehr zählen. Überweisungen der im Ausland tätigen Arbeitskräfte in ihr Heimatland schlagen demgegenüber als einseitige Über­tragung in der Übertragungs- bzw. Transferbilanz zu Buche. Im hier betrachteten Zeitraum bis ca. Ende der 1950er-Jahre wurde diese Unterscheidung noch nicht (durchgehend) getroffen, stellten also auch die ‚Gastarbeiterüberweisungen‘ unsichtbare Transaktionen dar, ohne dass regelmäßig zwischen Dienstleistungs- und Übertragungsbilanz unter­schieden worden wäre (vgl. beispielsweise: Archives diplomatiques, 193QO/254. Étude sur le développement du revenu national et de l’emploi au cours de la période 1955–1964. S. 250/77). 28 Vgl. hierzu insgesamt und zugleich kritisch: Fauri, Free but Protected.

26

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

zu lösen beabsichtigten.29 Da die Heimatüberweisungen der italienischen Migranten andererseits aber in der Kapitalbilanz der Aufenthaltsländer zu Buche schlugen, unter den Bedingungen nicht konvertierbarer Währungen und unzulänglichen intraeuropäischen Handels damit zugleich die Devisenbilanz resp. die Währungs­reserven zu belasten drohten, entwickelte sich hieraus schnell eine umfangreiche Diplomatie, die sich parallel zur bilateralen auch auf internationaler Ebene zu entwickeln begann. Italien sollte durch diese Bemühungen der europäischen Integration wiederholt starken Antrieb verleihen. Früh hatten italienische Verantwortliche insofern auf OEEC-Ebene zu verdeutlichen versucht, dass die auf intraeuropäischer Arbeitsteilung beruhende europäische wirtschaftliche Integration neben dem freien Waren- und Kapitalverkehr auch der Freizügigkeit für Arbeitnehmer bedürfte. Selbst wenn der den italienischen Politikern vorschwebende gemeinsame europäische Binnenmarkt erst 1992 mit dem Vertrag von Maastricht endgültig fixiert wurde, setzte bereits die OEEC-Gründungskonvention vom 16. April 1948 mit dem Ziel eines möglichst rationellen Einsatzes aller Arbeitskräfte und dem Ziel der Vollbeschäftigung innerhalb aller Mitgliedsländer einen entsprechenden normativen Rahmen. Hatte die bald nach Kriegsende einsetzende Arbeitsmigration schnell bilaterale Ver­einbarungen hierüber erzwungen, verpflichteten sich die am ERP und damit an der OEEC teilnehmenden Länder somit früh zu einer allgemeinen Liberalisierung des Personenverkehrs. “Soon after the War, manpower migration in western Europe assumed such proportions that the countries concerned were very quickly persuaded to abandon to some extent the strict framework of bilateral relations and to engage in multilateral action. […] This kind of concept was stated clearly in the terms of reference of the OEEC, set up in 1948, which was thus […] to be given a specific mandate in this field. […] Generally, the Contracting Parties will co-operate in the progressive reduction of obstacles to the free movement of persons.”30 Hierauf und auf der darauf fußenden weiteren Arbeit der OEEC sowie ihrer Organe sollte schließlich auch Artikel 48 des Vertrages von Rom zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 beruhen.31

29 In diesem Sinne, wenngleich kursorisch auch: Goedings, Simone A.W.: Labor Migration in an Integrating Europe. National Migration Policies and the Free Movement of Workers, 1950-1968. Den Haag, 2005. S. 44. (Künftig zitiert: Goedings, Labor Migration). 30 Organisation for Economic Co-operation and Development: The OECD and international migration. Paris, 1975. S. 7. (Künftig zitiert: Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD and international migration). 31 Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD and international migration, S. 44, FN 2b.



Zentraler Akteur: Italien und die ,unsichtbaren Transaktionen‘

27

Auf diesen Zusammenhang wird im Kapitel „Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss“ ausführlicher einzugehen sein. Wenn sich die internationale Gemeinschaft also mit dem Thema Arbeits­migration beschäftigte, waren die treibende Kraft dahinter regelmäßig die ver­schiedenen Regierungen Italiens, die sich mit einem rapiden Bevölkerungs­wachstum konfrontiert sahen. Die Volkszählung von 1871 hatte 27,437 Mio. Einwohner registriert, deren Zahl sich 1911 bereits auf 35,442 Mio. und 1951 sogar auf 46,737 Mio. belief. Nach zeitgenössischen Schätzungen sollte Italien 1956 über 48,370 Mio. Einwohner verfügen.32 Allein die italienische Be­völkerung im arbeitsfähigen Alter wuchs nach 1945 jährlich um 300.000 Personen ausschließlich durch das natürliche Bevölkerungswachstum. Erste belastbare Statistiken wiesen Ende des Jahres 1946 zwei Millionen registrierte Arbeitslose aus; hinzu kam eine kaum bezifferbare verdeckte Arbeitslosigkeit, die alleine in der nord­italienischen Industrie auf mehr als eine Million Arbeitskräfte geschätzt wurde, sowie eine nicht unerhebliche Unterbeschäftigung im Bereich der Landwirtschaft, die die (an der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter gemessene) Arbeitslosenquote von ca. 10% durchgehend zu erhöhen drohte.33 Zu diesem und den aus der europäischen Rekonstruktion resultierenden Problemen kamen weitere, aus der Spezifik der italienischen Wirtschaftsstruktur resultierende Be­lastungen, die im Kapitel über „Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957“ ausführlicher behandelt werden. Dabei setzt das Jahr, in dem die Römischen Verträge unterzeichnet wurden und Italien damit sein Arbeitsmarkt-, Be­völkerungs- und Migrationsproblem formal vergemeinschaften konnte, den Endpunkt der 1945 beginnenden Betrachtung. Was aber lag für ein Land mit einem solchen „Arbeitskräfteüberschuss“34 angesichts struktureller Dollar-Lücke sowie zeitgleich erhöhten Importbedarfs näher 32 Vgl. Tagliacarne, Guglielmo: Demographic and Social Development. In: Banco di Roma (Hrsg.): Review of the Economic Conditions in Italy. Ten Years of Italian Economy 1947– 1956. Roma, 1957. S. 15–32. S. 15. 33 Vgl. Bureau International du Travail: Les Migrations Internationales 1945–1957. Genève, 1959. S. 409. (=Études et Documents, Nouvelle série, N° 54). (Künftig zitiert: Bureau International du Travail, Migrations Internationales); sowie: Comitato interministeriale per la ricostruzione: The Development of Italy’s Economic System within the Framework of European Recovery and Cooperation. Roma, 1952. S. 7. (Künftig zitiert: Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System). 34 Ein Arbeitskräfteüberschuss bestand laut OEEC, wenn ein Land in den folgenden Jahren nicht in der Lage sein würde, einem beträchtlichen Teil seiner Bevölkerung Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung seines Auskommens anzubieten („emploi à un niveau de vie suffisant“). Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité de la main-d’œuvre. Rapport sur l’absorption des excédents de maind’œuvre. Paris, le 15 décembre 1949. S. 10–19. S. 14.

28

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

als der Versuch, Arbeit zu exportieren, um damit das Problem der Arbeitslosigkeit zu reduzieren und durch die Heimatüberweisungen seiner Arbeitskräfte sogar noch eine Entlastung seiner Leistungsbilanz zu erzielen? Tabelle 2: Offizielle Heimatüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten, 1946–1957 (in Mio. Dollar) $

Devisen £

ClearingGuthaben (in $)

in US-$

---

0,2

45,3

in % der Importe 5,2

1946

36,1

9,0

1947

21,3

7,1

0,7

3,2

32,2

2,6

1948

29,0

5,4

1949

18,6

7,0

0,6

35,3

70,4

4,6

0,2

65,1

90,8

1950

21,5

4,9

6,8

2,2

41,8

72,2

1951

5,0

16,3

12,1

4,8

36,3

69,5

3,2

1952

28,2

21,3

---

52,5

102,0

4,4

1953

43,3

24,9

0,1

50,6

118,8

4,9

1954

49,0

24,8

0,2

40,0

114,1

4,7

1955

57,3

29,1

1,2

38,3

124,7

4,6

1956

58,3

36,0

0,2

60,0

154,5

4,9

1957

51,2

38,9

1,1

86,1

187,3

5,2



439,9

222,4

11,3

509,4

1.181,9

Ø 4,5

Sonstige



Quelle: Bureau International du Travail: Les Migrations Internationales 1945–1957. Genève, 1959. S. 411. (=Études et Documents, Nouvelle série, N° 54).

Die vorstehende Tabelle 2 zeigt die Größenordnung der 1946 bis 1957 jährlich von den italienischen Arbeitsmigranten über offizielle Wege nach Italien überwiesenen Gelder. Neben den in Devisen nach Italien transferierten Heimatüberweisungen werden auch die aus bilateralen und intraeuropäischen Verrechnungen (Clearing) resultierenden Gutschriften berücksichtigt. Mit den so im fraglichen Zeitraum insgesamt erhaltenen liquiden Mitteln in Höhe von knapp 1,2 Mrd. Dollar konnte Italien immerhin durchschnittlich 4,5% seiner Importe bezahlen, mithin ein Siebtel seines Handelsbilanzdefizits ausgleichen, wobei ein zu vernachlässigender Teil von vor dem Krieg ausgewanderten italienischen Migranten getätigt wurde. Vor allem aber schätzte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO, International Labour Organisation), dass sich etwa die Hälfte der Geldtransfers der Arbeits­migranten jenseits nachvollziehbarer Operationen vollzog, beispielsweise bar während eines Heimatbesuches oder mittels privater Kompensationsgeschäfte: „Il n’est pas dou-



Zentraler Akteur: Italien und die ,unsichtbaren Transaktionen‘

29

teux […] que les transferts effectués par le canal de l’Office des changes italiens sont loin de représenter la totalité des transferts effectivement opérés. En effet, une large partie de ceux-ci (près de la moitié, semble-t-il, du moins pour les années récentes) échappent au contrôle de l’Office des changes“35. Die Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten in dieser Größenordnung hätten somit die Einnahmen Italiens aus Frachten oder auch dem Tourismus übertroffen, vor allem stellten sie eine Quelle für die Beschaffung harter Devisen dar. Es war also das eigentümliche Geflecht aus diversen Problemlagen der europäischen wirtschaftlichen Rekonstruktion, nämlich das von Handels­restriktionen, Devisenmangel, Bilateralismus sowie zum Teil massiven Zahlungsbilanz­ungleichgewichten, das Italien in den Jahren zwischen 1945 und 1957, bis zur Unterzeichnung der Römischen Verträge und damit also auch noch darüber hinausgehend, geschickt mit seinem spezifischen Problem der Über­bevölkerung und der damit verbundenen hohen Arbeitslosigkeit zu verbinden vermochte. Zunächst versuchten die italienischen Verantwortlichen, die erwünschte Emigration von Arbeitskräften bilateral zu erreichen, was im Folgenden am Beispiel der Migrationsabkommen mit Frankreich in einem ausführlichen Kapitel gezeigt wird. Frankreich als Zielland wurde zur tiefergehenden Analyse ausgewählt, weil die Bemühungen um die Migration italienischer Arbeitskräfte hierher früh auf aus Devisen- und Zahlungsbilanzproblemen resultierende Erschwernisse und daraus folgende spezifische, für die hiesige Beweisführung höchst relevante Problemlösungsansätze stießen. Für die Auswahl dieses Landes spricht ebenfalls, dass Frankreich auf dem Parkett der internationalen Diplomatie weiterhin nicht unerhebliches Gewicht zukam und es dem südlichen Nachbarn auch auf dieser Ebene bei der Lösung seiner Probleme zu helfen bereit war.36 Von Beginn an bemühten sich die italienischen Administrationen jedoch um möglichst viele Zielländer für ihre Migranten, wie die ILO in ihrem Bericht über die erste Sitzung ihres Permanent Migration Committee, das vom 26. bis 31. August 1946 in Montreal tagte, festhielt: “The present Government of Italy […] favours the resumption of emigration on a large scale as a part of reconstruction as a whole. As a matter of fact, emigration has already begun as a result of agreements made by Italy with 35 Bureau International du Travail, Migrations Internationales, S. 411. 36 Vgl. hierzu insgesamt auch: Guillen, Pierre: L’immigration italienne en France après 1945, enjeu dans les relations franco-italiennes. In: Dumoulin, Michel (Hrsg.): Mouvements et politiques migratoires en Europe depuis 1945: Le cas italien. Actes du colloque de Louvainla-Neuve des 24 et 25 mai 1989. Louvain-la-Neuve, 1989. S. 37–51, der viele der im Folgenden aufgeworfenen Probleme bereits kursorisch behandelt, durch die bilaterale Perspektive aber die Zusammenhänge mit der europäischen Integration vernachlässigt. (Künftig zitiert: Guillen, L’immigration italienne en France).

30

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

Belgium, France, Poland, Switzerland, and Czechoslovakia. In virtue of the agreement with Belgium, 50,000 miners were to go to that country, thus permitting Belgium to send Italy 3 million tons of coal a year. The agreement with France provided for the recruiting of 20,000 Italian emigrants. […] However, the Italian Government is also considering important overseas emigration to Latin American countries in particular.”37 Für die Organisation der Auswanderung nach Übersee war Italien nicht nur im Hinblick auf die Transportkapazitäten und -kosten auf internationale Hilfe angewiesen. Diese gestaltete sich trotz aller Bekundungen dann aber eher schleppend und auf einem zu vernachlässigenden quantitativen Niveau. Zeitgleich sollten sich auch seine diplomatischen Initiativen auf internationaler Ebene, im Rahmen inter­ gouvernementaler ebenso wie supranationaler Organisationen, als wenig fruchtbar erweisen. Nicht zuletzt blieben die Auswanderungsmöglichkeiten in verschiedene europäische Länder zunächst begrenzt, beispielsweise weil auch Westdeutschland durch Flüchtlinge und Vertriebene ebenso wie die Niederlande durch den Zustrom aus den Kolonien als überbevölkert galten. Das zwang die italienischen Politiker wiederum, Lösungen anhaltend in bilateralen Ab­kommen zu suchen, die diese nunmehr nicht nur auf europäischer Ebene nach den Be­dürfnissen ihrer Zahlungsbilanz justierten. Der Verdeutlichung dessen dient das Kapitel über das zeitlich einige Jahre später anzusiedelnde deutsch-italienische Migrationsabkommen.

Lesehinweise und Danksagung Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine wissenschaftliche Ab­handlung, weshalb aus dem Englischen übernommene wörtliche Zitate nicht übersetzt werden. Auch die aus französischen Quellen oder aus französischer Literatur übernommenen Zitate werden i.d.R. nicht wörtlich übersetzt. Allerdings wird ihr Sinn anschließend noch einmal in deutschen Worten kurz und in den fließenden Text eingebunden wiedergegeben, so dass ihre Aussagekraft auch dann erhalten und der Inhalt als Ganzes auch jenen Lesern verständlich bleibt, die in der Nutzung des Französischen nicht ganz so sicher sind. Was die verwendeten Daten anbelangt, wäre es natürlich wünschenswert gewesen, auf einheitliche Statistiken zurückgreifen zu können. Doch selbst die (für die Jahre 1946 bis 1960) durch den Internationalen Währungsfonds ver­öffentlichten Datenreihen zu den Zahlungsbilanzen folgten weder einem internationalen, d.h. 37 International Labour Organisation: Industrial and Labour Information. In: International Labour Review, 27. Jg. 1947. S. 98–156. S. 100.



Lesehinweise und Danksagung

31

einheitlichen Standard, noch wurden diese in einer einheitlichen Währung (USDollar) wiedergegeben. Und, besonders enttäuschend: Während sich in den Zahlungsbilanzen Angaben zu Ein- und Ausgaben aus dem Tourismus finden, werden Heimatüberweisungen hier nicht gesondert aufgeführt.38 Der dadurch bedingte Rückgriff auf aus Archivalien gewonnene Daten und veröffentlichte Statistiken verschiedener Provenienz bringt es dann allerdings mit sich, dass es nicht selten zu Differenzen bei einzelnen Datenangaben kommt, was sich oftmals auf unterschiedlich zugrunde gelegte Wechselkurse o.ä. Vorgänge zurückführen lässt. Abschließend sei zudem erwähnt, dass bei wörtlichen Übernahmen aus archivalischen Quellen die häufigen und offensichtlichen grammatik­alischen Abweichungen zur gegenwärtigen Rechtschreibung, besonders was die Verwendung von „ß“ und „ss“ betrifft, entgegen den Konventionen zum Umgang mit wörtlichen Übernahmen nicht angezeigt werden. Um den Lesefluss nicht durch den ständigen lateinischen Verweis hierauf zu unterbrechen, wird deshalb nur in Ausnahmefällen darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um keinen maschinenschriftlichen Fehler o.ä. handelt. Aus demselben Grund wurden ganz offensichtliche Tippfehler stillschweigend korrigiert. Es bleibt, neben den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Böhlau Verlages verschiedenen beim Zustandekommen des vorliegenden Buches behilflichen Personen Dank auszusprechen: An erster Stelle Frau Agnieszka Dreeßen und Frau Sandra Hägele, die beide an Dissertationen im Rahmen meines Forschungsprogramms „Außenhandel, Zahlungsbilanzdefizite, ‚Gastarbeiter‘ und die europäische Integration“ arbeiten, aus dem auch die vorliegenden Ergebnisse hervorgingen; den studentischen Hilfskräften Nina Engelhard und Nora Mientus für diverse Recherchen, das Besorgen von Literatur in verschiedensten Biblio­theken und die Durchsicht von Tabellen und Schaubildern; Herrn Joachim Göschel, M. A., sowie allen bisher Genannten für vielfältige, mein Zeitbudget entlastende anderweitige Tätigkeiten; Frau Ivonne Kuntz, die äußerst engagiert und schnell alle noch so ausgefallenen Fernleihwünsche erfüllte; und nicht zuletzt Herrn Salvatore Tancredi, der mit seinen Recherchen zur „Darstellung des Zusammenhangs von italienischen Devisen- und Zahlungsbilanzproblemen, von fehlendem internationalen Kapitalmarkt und forcierter Migration in der italienischsprachigen Literatur“ im Rahmen seines Promotionsaufbaustudiums wichtige Vorarbeiten zu einem Teilproblem geleistet hat.

38 Vgl. Balance of Payments Yearbook. Vol. 4 (1950–1951) – Vol. 13 (1956–1960). Hrsg. vom International Monetary Fund/Balance of Payments Division. Washington D.  C., 1952 ff.

32

Der europäische Wiederaufbau nach 1945

Neben dem Dank, der den Mitarbeitenden in allen von mir besuchten oder kontaktierten französischen und bundesdeutschen Archiven und Bibliotheken gebührt, schulde ich eben jenen auch dem Deutschen Historischen Institut in Paris, das mir im Sommer 2011 einen wunderbaren, wenngleich anstrengend-anspruchsvollen Aufenthalt, besonders aber eine hervorragende Einführung in Pariser Bibliotheken und Archive bot, und das mich nicht zuletzt durch das Engagement Marie-Pierre Harders bestens auf die dortige Arbeit vor­zubereiten ermochte. Merci bien encore! Erkenntlich muss ich mich nicht zuletzt auch gegenüber Madame Fabienne Duhamel zeigen, die alle französischen Zitate auf ihre Korrektheit überprüft hat. Meinem Lebensgefährten, Dipl. Kfm. Jürgen Honolke, danke ich, dass mir der Aufenthalt in Paris zu einer Zeit dicht gedrängter gemeinsamer Verpflichtungen überhaupt möglich war. Ihm danke ich auch für die kritische Durchsicht des Manuskripts, anhaltende Unterstützung, das mir entgegengebrachte Verständnis sowie anregende Diskussionen während meiner Arbeit zu diesem Thema.

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellte Italien noch immer ein semi-agrarisches Land dar, mit knapp 50% in der Landwirtschaft Erwerbstätigen und ohne nennenswerte eigene Rohstoffvorkommen. Seine industriellen Anlagen ebenso wie das Pro-Kopf-Einkommen und die Arbeitslosigkeit waren territorial zu Ungunsten Süditaliens verteilt (Mezzogiorno-Problem). Aber auch insgesamt bedurfte die italienische Wirtschaft 1945 dringend einer über den Wiederaufbau hinausgehenden Modernisierung. Für eine erfolgreiche industrielle Transformation wiederum benötigte das Land Kapital, für dessen Akkumulation es längere Zeit einschließlich eines Zuflusses ausländischer Finanzmittel brauchte. Italien litt traditionell am Mangel inländischen Kapitals, da seine Wirtschaftsstruktur eine entsprechende umfangreichere Sparbildung kaum zuließ. “Owing to this structural shortage of available savings, our relations with abroad have been characterized by the constant presence of two natural remedies to a situation of this kind, namely emigration and a net flow of foreign capital to Italy.”39 Eine wie auch immer geartete Mo­dernisierung setzte zudem eine Ausweitung der Importe voraus, zumal der italienische Binnenmarkt zu klein war, um einen eigenständigen Entwicklungsprozess zum Tragen kommen zu lassen.40 Die für Wirtschaft und Politik Verantwortlichen entschieden sich in dieser Situation früh für eine möglichst weitgehende außenwirtschaftliche Öffnung. In erster Linie sahen Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer in einer Abkehr vom Protektionismus und in der Intensivierung des Außenhandels die Möglichkeit, über die sich so einstellende internationale Konkurrenz ineffiziente Bereiche der italienischen Wirtschaft beseitigen und an die benötigten höherwertigen Rohstoffe gelangen zu können.41 Die außen­wirtschaftliche Öffnung der italienischen Wirtschaft hätte jedoch nicht zwangsläufig in Richtung Europa erfolgen müssen; Alternativen hätten auch im Mittelmeerraum oder in Südamerika gesucht werden können. Wirt­ 39 Masera, Francesco: Italy’s Balance of Payments in the Post-War Period. In: Banco di Roma (Hrsg.): Review of the Economic Conditions in Italy. Ten Years of Italian Economy 1947– 1956. Roma, 1957. S. 165–202. S. 165. 40 Vgl. Salvati, Michele: Economia e politica in Italia dal dopoguerra a oggi. Milano, 1984. S. 13–25; Fraenkel, Gioachino: Die italienische Wirtschaftspolitik zwischen Politik und Wirtschaft. Berlin, 1991. S. 106. (=Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 414). 41 Ein guter Überblick über die wirtschaftliche Situation der Nachkriegszeit und die Programme der ersten italienischen Kabinette findet sich in: Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 3–37.

34

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

schaftliche und politische Überlegungen handelnder italienischer Politiker sowie der Einfluss der USA zeigten allerdings in Richtung europäischer wirtschaftlicher In­tegration, was in die Teilnahme Italiens am ERP, an der die Marshall-Plan-Hilfe koordinierenden OEEC sowie an der Montanunion mündete.42 Nach allgemeiner Meinung basierte das „italienische Wirtschaftswunder“ auf dieser zu­nehmenden außenwirtschaftlichen Öffnung43 in Verbindung mit der durch die voran­schreitende europäische Integration bedingten Änderung der Regionalstruktur beim Außenhandel („Europeanization“44; vgl. auch Tabelle 3, Seite 35). So stiegen die italienischen Exporte in die europäischen Länder zwischen 1948 und 1963 von rund 47% auf 68%, wobei auf die Mitglieder des gemeinsamen Marktes die höchsten Zuwächse entfielen (Frankreich von 4% auf 10,4%, BRD und DDR von 2,9% auf 17,9% nur BRD).45 Diese strukturelle Änderung resultierte nicht zuletzt aus einer politisch forcierten Verlagerung der Importe aus den USA zu Importen aus OEEC-Ländern, indem für letztere die Einfuhrzölle reduziert, die Kontingentierung bis auf wenige Sparten gestrichen und deren Finanzierung devisenrechtlich erleichtert wurden.46

42 Vgl. hierzu insgesamt: Graziani, Augusto: L’economia italiana dal 1945 a oggi. Bologna, 1979. S. 13–74. (Künftig zitiert: Graziani, L’economia italiana); Nolfo, Ennio Di: Das Problem der europäischen Einigung als ein Aspekt der italienischen Außenpolitik 1945–1954. In: VfZ, 28. Jg. 1980. S. 145–167. Zur italienischen Europapolitik und zu den italienischen europapolitischen Vorstellungen bis 1967 allgemein vgl. Thomas, Brigitta: Die EuropaPolitik Italiens. Der Beitrag Italiens zur europäischen Einigung zwischen EVG und EG. Baden-Baden, 2005. 43 Vgl. beispielsweise: Zamagni, Vera: The Italian ‘Economic Miracle’ Revisited: New Markets and American Technology. In: Nolfo, Ennio Di (Hrsg.): Power in Europe? Vol.  II: Great Britain, France, Germany and Italy and the Origins of the EEC, 1952–1957. Berlin/ New York, 1992. S. 197–226. 44 Holbik, Italy in International Cooperation, S. 46. 45 Vgl. Petri, Rolf: Von der Autarkie zum Wirtschaftswunder. Wirtschaftspolitik und industrieller Wandel in Italien 1935–1963. Tübingen, 2001. S. 453 f. (Künftig zitiert: Petri, Von der Autarkie zum Wirtschaftswunder). 46 Vgl. Petri, Von der Autarkie zum Wirtschaftswunder, S. 461. Mit Verweis auf Ranieri, Ruggero: L’integrazione europea e gli ambienti economici italiani. In: Rainero, Romain  H. (Hrsg.): Storia dell’integrazione europea, Bd. 1, Roma, 1997, S. 285–329. S. 295.



35

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

Tabelle 3: Wichtigste Handelspartner Italiens vor und nach dem Zweiten Weltkrieg (in % aller Im- und Exporte) Importe 1938

1947

1948 42,8 USA

1949

DR

26,7 USA

37,6 USA

USA

11,9 Argentinien 5,1 Argentinien 12,6 Australien

1953 35,3 USA

1956 13,1 USA

16,4

5,6 Deutschland 11,9 Deutschland 12,5

UK

6,5 Schweiz

3,6 Australien

4,0 Argentinien

7,7 UK

5,4

Schweiz

3,3 Belgien

3,2 UK

3,3 Deutschland 4,4 Frankreich

5,3 UK

5,0 Frankreich

5,1

Polen

2,8 Australien

3,2 Schweiz

3,1 UK

4,0 Schweiz

4,2 Österreich

4,1

Argentinien 2,4 Süd-Afrika

2,9 Brasilien

2,3 Belgien

3,1 Österreich

3,6 Schweiz

3,2

Frankreich

2,3 Ägypten

2,8 Syrien

2,2 Schweiz

3,0 Belgien

3,0 Belgien

2,1

Indien

2,3 Brasilien

2,7 Deutschland 2,1 Frankreich

2,5

Exporte 1938

1947

DR

19,1 Schweiz

Eritrea

12,6 Argentinien

1948

1949

1953

1956

11,2 Argentinien 15,9 Argentinien 12,3 Deutschland 11,9 Deutschland 13,4 9,1 USA

9,0 UK

USA

7,4 UK

8,2 UK

8,0 Deutschland 8,4 UK

10,6 USA

10,3 USA 7,8 Schweiz

7,5

UK

5,6 Schweden

6,3 Schweiz

7,6 Frankreich

5,7 Schweiz

7,4 Frankreich

7,1

Libyen

5,0 USA

6,3 Ägypten

4,9 Schweiz

5,5 Frankreich

4,8 UK

6,5

Schweiz

4,7 Ägypten

4,4 Frankreich

4,0 Ägypten

4,5 Griechenland 3,9 Türkei

Argentinien

3,9 Niederlande

3,9 Schweden

3,5 USA

4,2 Türkei

Frankreich

3,1 Türkei

3,6 Deutschland 2,9 Indien

9,4

2,0

3,1 Griechenland 1,8

3,6

DR = Deutsches Reich; UK = Vereinigtes Königreich; Deutschland = BRD und DDR Quelle: Holbik, Karel: Italy in International Cooperation. The Achievements of her Liberal Economic Policies. Padova, 1959. S. 46, 72 und 139.

Anlass der Importverlagerung war ein hohes italienisches Außenhandelsdefizit gegenüber den USA gewesen. Während Italien seine Exporte 1949 im Vergleich zum vorangegangenen Jahr insgesamt steigern konnte, hatten sich die Erlöse aus Exporten in die USA zeitgleich halbiert.47 Hieraus resultierte die sog. „Dollar-Lücke“, ein 47 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J. D. Zellerbach for Con­gressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 55.

36

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

Problem, mit dem prinzipiell alle europäischen Länder konfrontiert waren, weil es aus der Unterbrechung der Handelsbeziehungen mit Deutschland resultierte: Zwar konnten die USA Deutschland als Lieferanten ersetzen, sie entsprachen jedoch nicht dem Absatzmarkt, auf dem sich die Europäer die für ihre Importe notwendigen Dollar hätten verdienen können.48 Im Fall Italiens kam erschwerend hinzu, dass die Vereinigten Staaten parallel dazu, wie andere traditionelle transozeanische Einwanderungsländer auch, zu einer restriktiveren Einwanderungspolitik übergegangen waren,49 so dass Italien nicht mehr wie in der Vergangenheit auf eine Entlastung seiner Zahlungsbilanz durch zunehmende Heimatüberweisungen seiner Migranten hoffen durfte. Hier setzte der Marshall-Plan an. Mit dieser Form US-amerikanischer Hilfe sollte der intraeuropäische Handel wiederhergestellt, damit die den Außenhandel lähmende Dollar-Lücke überwunden werden. In das vom Marshall-Plan anvisierte System der euro­päischen Arbeitsteilung sollte von Beginn an aber auch die Migration italienischer Arbeitskräfte miteinbezogen werden. So bezeichnete das US-Außenministerium während der Anhörung zum ERP im Repräsentantenhaus am 14. Januar 1948 die wirtschaftliche Lage in Italien als kritisch. Italien „werde kaum in der Lage sein, im Rahmen des Marshall-Plans den günstigen Stand der Zahlungsbilanz von 1939 und den Ernährungsstandard der Vorkriegszeit wieder zu erreichen. Wichtig für die Stabilisierung der Wirtschaft sei es [deshalb], wenn andere Staaten den Überschuß Italiens an Arbeitskräften aufnähmen.“50 Angesichts hoher Arbeitslosigkeit und verbreiteter Armut in vielen Regionen wurde die Auswanderung auch von allen italienischen Regierungen befürwortet. Im Folgenden interessiert dabei ausschließlich die Migration in das Ausland, vorwiegend natürlich in das europäische Ausland, kaum die – quantitativ nicht weniger bedeutsame – Binnenmigration. Immerhin verließen in den 1950er-Jahren ca. 2 Mio. Menschen den Süden Italiens, damit nahezu 12% der dort lebenden Bevölkerung, und zwar zu ungefähr gleichen Teilen in Richtung Europa und Norditalien.51 Aufschluss über die vielschichtige Problemlage in Italien gibt eine Stellungnahme des US-amerikanischen Botschafters in Italien, James David Zellerbach, während 48 Vgl. Berger/Ritschl, Rekonstruktion der Arbeitsteilung, S. 497. 49 Vgl. Bechelloni, Antonio: Le choix de la destination française vu du côté italien. In: BlancChaléard, Marie-Claude (Hrsg.): Les Italiens en France depuis 1945. Rennes/Paris, 2003. S. 29–40. S. 31. (Künftig zitiert: Bechelloni, Le choix de la destination; Blanc-Chalèard, Les Italiens en France). 50 Das Europäische Wiederaufbauprogramm der Vereinigten Staaten. Vom Gesetzentwurf bis zur Unterzeichnung des Gesetzes für wirtschaftliche Zusammenarbeit von 1948. In: Europa-Archiv, 3. Jg. 1948. S. 1369–1394. S. 1373. 51 Vgl. Cinanni, Paolo: La scelta del governo italiano nel secondo dopoguerra. In: Il ponte. Rivista di politica economica e culturale. Nov.-dic., 1974. S. 1342–1358. S. 1348.



Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

37

einer Debatte im US-Kongress52 über das Gesetz zur Verlängerung der MarshallPlan-Hilfen. Nach einem Jahr der ERP-Hilfe konstatierte dieser wirtschaftliche, vor allem aber auch soziale und gesellschaftspolitische Fortschritte in Italien. Zellerbach hob neben einer Landreform vor allem die rückläufigen Mitgliederzahlen der Kommunistischen Partei sowie den Verlust kommunistischer Vorherrschaft bei der Vertretung der organisierten Arbeiterschaft hervor: “America’s investment in Italy is paying off. It is paying off not only in economic terms, in the sense that it is achieving an economic recovery even more advanced than had been hoped for at the inception of this program. It is paying off also in terms of an increased political and social stability which cannot be denied.”53 1949 hatte die italienische Agrarproduktion zwar nur geringfügig gesteigert werden können (1938=100: 1948=86; 1949=89), die Industrieproduktion den Vorkriegsstand trotz hitzebedingter Elektrizitätsausfälle aber bereits überschritten (1938=100: 1948=98; 1949=104)54. Die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität spiegelte sich auch im vergleichsweise starken Lire-Kurs wider. Zwei Probleme aber erforderten weitere Aufmerksamkeit, weil sie sich nicht so positiv wie erhofft entwickelt hatten: die „Dollar-Exporte“ und die Beschäftigungslage. Hatten die Exporte in den Dollar-Raum in den beiden letzten Monaten des Jahres 1948 noch einen Höhepunkt erreicht, musste für 1949 ein Rückgang um 50% gegenüber 1948 konstatiert werden. Während Italien durch seine Exporte in europäische Länder „Gläubiger fast ganz Europas“ war – dorthin verkaufte es 46% seiner Waren und bezog von dort nur knapp 28% seiner Importe –55, klaffte in seiner Zahlungsbilanz 1948/49 durch das Ungleichgewicht im Handel mit den USA, in die nur rund 30% seiner Exporte gingen, von wo aber ca. 41% seiner Importe stammten, ein Defizit im Wert von 280 Mrd. Lire, das fast vollständig aus ERP-Mitteln ausgeglichen wurde. 56 Diese Tendenz sollte sich, noch dazu begleitet von einer starken konjunkturellen Krise, im Folgenden fortsetzen, wie Tabelle 4, Seite 38 für das Jahr 1951 zeigt.

52 Vgl. dazu: Hogan, Michael J.: The Marshall Plan. America, Britain and the re­construction of Western Europe, 1947–1952. Cambridge, 2002. S. 189 f. (Künftig zitiert: Hogan, Marshall Plan). 53 Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J.  D. Zellerbach for Congressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 50. 54 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J. D. Zellerbach for Con­gressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 51 f. 55 Vgl. hierzu auch: Milward, Alan S.: The reconstruction of Western Europe 1945–51. London, 21986. S. 223 ff. (Künftig zitiert: Milward, Reconstruction). 56 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/258. Ambassade de France en Italie, L’Attaché Financier, B.15. Le compte-rendu économique de M. Pella. Rome, le 13 mars 1950. S. 13–29. S. 21.

38

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

Tabelle 4: Wichtigste Handelspartner Italiens, 1. Halbjahr 1951 (in Mio. Lire) Lieferanten USA

Kunden 152.870

Groß-Britannien

97.950

Groß-Britannien

60.660

Französische Union

57.450

BRD

54.270

BRD

44.760

Französische Union

52.370

USA

39.530

Australien

46.970

Schweiz

33.200

Argentinien

45.460

Australien

17.700

Quelle: Archives diplomatiques, 193QO/253. Ambassade de France en Italie. L’Attaché financier. Le Conseiller commercial. B. 27. Situation économique de l’Italie. 10 novembre 1951. S. 291 f.

Durch die weiter ausstehende, dringende Modernisierung der italienischen Wirtschaft verschlechterte sich die außenwirtschaftliche Position Italiens trotz anhaltender Produktionssteigerungen – die industrielle Produktion betrug (1938=100) 1953=155 und 1954=170 –57, und zwar auch gegenüber euro­päischen Ländern (vgl. Tabelle 5, Seite 39). Standen beispielsweise französischen Exporten nach Italien in Höhe von 42 Mrd. Lire 1952 noch italienische Ausfuhren nach Frankreich in Höhe von 43 Mrd. Lire gegenüber, erhöhten sich die französischen Exporte nach Italien in den ersten neun Monaten des Folgejahres auf 52 Mrd. Lire, zeitgleich aber sanken die Warenlieferungen in umgekehrte Richtung auf einen Wert von nur 28 Mrd. Lire.58 Der sich 1954 auf immerhin 55 Mio. Dollar belaufende italienische Zahlungsbilanzüberschuss verdeckte insofern anhaltende strukturelle Probleme, darunter auch unterproportional wachsende Einnahmen aus dem Tourismus oder stagnierende Einnahmen aus Frachten, ebenso wie leicht zurückgegangene Heimatüberweisungen der im Ausland beschäftigten italienischen Arbeitskräfte. Trotz rückläufiger ausländischer

57 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/254. Monsieur Arnauld Wapler, Charge d’affaires a. i. en Italie, à Son Excellence, Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères (Affaires Économiques). a. s. Comptes économiques de l’Italie en 1954. Rome, le 18 mars 1955. S. 287– 292. S. 288. 58 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/260. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Son Excellence Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères Direction des Affaires Économiques et Financières, 18 décembre 1953. S. 352–354.



39

Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

Hilfen beliefen sich diese außerdem noch immer auf 194 Mio. Dollar. Selbst Mitte der 1950er-Jahre war somit noch nicht die Zeit grenzenlosen Optimismus angebrochen.59 Tabelle 5: Außenhandelssaldo Italiens (Exporte – Importe) mit seinen wichtigsten Handelspartnern (in Mio. Lire), 1939 und 1948– 1964 Österreich 1939

*)

−343*)

Frankreich

Westdeutschland

Schweiz

89

−1,131 **)

194

Vereinigtes Königreich −50

18,468

17,678

USA −206

1948

−2,767

15,165

−1,013 **)

1949

−1,524

14,718

14,558 **)

8,866

32,425

−284,649

1950

−5,504

23,549

−2,088 **)

14,348

34,626

−170,185

1951

−11,115

34,145

−19,660 **)

15,709

88,476

−213,942

−266,364

1952

−18,140

−2,208

−48,800

972

−12,231

−220,344

1953

−29,439

−26,788

−75,754

600

−49,183

−112,741

1954

−28,829

−37,085

−88,520

15,728

−21,666

−106,289

1955

−27,425

−40,828

−69,069

27,071

−6,480

−153,509

1956

−34,535

−4,291

−67,575

36,661

−20,542

−199,471

1957

−45,800

−20,338

−56,455

55,603

−22,621

−265,156

1958

−47,501

−10,132

−16,471

58,139

0

−180,518

1959

−40,865

−49,993

2,161

60,583

19,086

−18,075

1964

−18,038

−40,008

−31,280

112,453

−40,264

−298,854

1937 **) Deutsches Reich/alle vier Besatzungszonen/BRD und DDR

Quelle: Mitchell, Brian R.: European Historical Statistics 1750–1975. 2nd revised edition. New York/ London/Basingstoke, 1980. S. 560 f.

Die Skepsis der Zeitgenossen war auch insofern berechtigt, als es die italienische Wirtschaft trotz Zunahme der Produktion und dadurch zusätzlich ge­schaffener Arbeitsplätze nicht vermocht hatte, Beschäftigungsmöglichkeiten in einem Umfang zu schaffen, der das „erhebliche“ Arbeitslosenproblem auch nur an­nähernd zu lösen vermocht hätte. Hinderlich wirkte sich dem US-amerikanischen Botschafter in Italien, Zellerbach, zufolge deshalb auch die rückläufige italienische Arbeitsmigration in europäische Länder aus. “Moreover, the expectation that increased emigration would drain off some of this pressure has likewise not been fulfilled. Although over59 Vgl. hierzu und zum Vorhergehenden: Archives diplomatiques, 193QO/254. Monsieur Arnauld Wapler, Charge d’affaires a. i. en Italie, à Son Excellence, Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères (Affaires Économiques). a. s. Comptes économiques de l’Italie en 1954. Rome, le 18 mars 1955. S. 287–292. S. 291.

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Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

seas emigration has increased substantially, the European market for Italian manpower has shrunk, with the result that total emigration in 1949 was about the same as in the previous year.”60 Damit bewegten sich die Aus­wanderungszahlen netto, also unter Berücksichtigung von Rückkehrern, auf einem Niveau von 170.000 Personen. Während die Migration nach Übersee 1949 angestiegen war, hatte sich jene nach Europa von 75.000 im Jahr 1948 auf 22.000 Personen 194961 stark rückläufig entwickelt (zur Entwicklung der italienischen Migration nach Europa und Übersee vgl. auch Tabelle 29, Seite 197 im Anhang und Tabelle 6, Seite 41, die allerdings keine Rückwanderung berücksichtigt). Ein Schlüssel zur Lösung beider Probleme lag in einer entsprechenden Investitionspolitik, der aber nach wie vor durch den Kapitalmangel in Italien Grenzen gesetzt waren. Sowohl die Verringerung des Negativsaldos gegenüber dem Dollar-Raum wie auch die Erhöhung der Emigration konnten deshalb laut Zellerbach nicht alleine durch Italien erreicht werden. Insofern lobte der US-Botschafter zwar die italienischen Bemühungen zur Zentralisierung der administrativen Zuständigkeiten für die transozeanische Auswanderung aus­drücklich, besonders aber hob er in seinem Bericht vor dem US-Kongress die finanzielle Hilfe hervor, die die italienische Regierung für die Emigration aus den ihr zur Verfügung stehenden Marshall-Plan-Geldern bereit stellte: “It has also completed an over-all plan for the utilization of $ 10 million of its own funds, together with technical assistance help from ECA [=Economic Cooperation Administration, US-Behörde zur Verwaltung der Hilfsgelder aus dem Marshall-Plan – d. Verf.], for the sponsoring of pilot projects in various South American countries. While these over-all plans are still in rather general terms, the Government is about to begin a specific project in Brazil on the basis of which future operations can be undertaken.”62 Die fraglichen 10 Mio. Dollar aus den Marshall-Plan-Geldern des Jahres 1949/50 erhielt das Istituto nazionale di Credito per il Lavoro italiano all’Estero (ICLE; Nationales Kreditinstitut zur Finanzierung italienischer Arbeitskräfte im Ausland), um die italienische Emigration nach und die Kolonisation durch italienische Zuwanderer in Brasilien, Chile, Peru, Ecuador, Paraguay, Bolivien und Mexiko sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten zu finanzieren. Vermittelt durch die OEEC empfing die italienische Regierung etwa zeitgleich weitere 1,3 Mio. Dollar von der ECA für einen tech­nischen Hilfsfonds zu Gunsten der Emigration. Dieser 60 Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J.  D. Zellerbach for Congressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 48. 61 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J. D. Zellerbach for Con­gressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 56 f. 62 Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J.  D. Zellerbach for Congressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 57.



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Fonds konnte in Anspruch genommen werden, sollte ein Emigrationsprogramm ohne technische Vorarbeiten nicht realisierbar sein. 1950 folgte ein Programm für technische Hilfe der ILO über 1 Mio. Dollar, finanziert zu 80% durch die ECA, der Rest von der OEEC.63 Tabelle 6: Zielgebiete italienischer Migranten seit dem 19. Jahrhundert Frankreich 1876–1890

37.000

Sonstiges Europa 52.000

USA

Brasilien

Argentinien

Sonstige

17.000

15.600

28.000

72.000

1902–1914

61.000

200.000

247.000

25.000

71.000

361.000

1921–1930

220.000

225.000

83.000

77.000

14.000

107.000

1946

3.500

36.000

5.400

600

750

7.000

1947

48.000

50.000

23.200

4.100

27.000

59.000

1949

28.200

33.000

11.300

6.900

97.600

34.000

Quelle: Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction d’Europe –. a/s. Population et Emigration en Italie. 20 juillet 1950. S. 57–69. S. 68.

Schließlich hob Zellerbach auch noch die italienischen, auf eine westeuropäische Integration gerichteten Bemühungen hervor: “The Italian Government has demonstrated a willingness – I could better say eagerness – to cooperate toward economic integration in Western Europe. The initial impact of such steps might be difficult for a country as poor as Italy to absorb. On the other hand, Italy, precisely because she is among the poorer nations of Europe, stands to benefit most in the long run from any such development. Most Italians in responsible places recognize this, and the policy of the Italian Government reflects this recognition.”64 Hintergrund dieses generellen Bekenntnisses zu Europa war einmal mehr der Kapitalmangel, der die wirtschaftliche Entwicklung in Italien behinderte. Um an entsprechendes Kapital aus dem Ausland gelangen zu können, war Italien auf möglichst wirtschaftsliberale internationale Rahmenbedingungen angewiesen. Natürlich sollte die sich daraus entwickelnde internationale Zu­sammenarbeit dann auch dazu genutzt werden, um eine Lösung für das italienische Arbeitslosenproblem zu finden. Diese Interdependenzen werden im Kapitel „Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeits­ 63 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Mesures Financières et d’organisation adoptées par le gouvernement Italien en faveur de l’émigration. S. 94–98. S. 95 f.; sowie: Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 337 f. 64 Archives diplomatiques, 193QO/253. Statement by J.  D. Zellerbach for Congressional Hearings on extension of ECA. S. 45–59. S. 50.

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Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

kräfteüberschuss“ ausführlichere Berücksichtigung finden. Die hohe Arbeitslosigkeit in Italien war wiederum nicht nur Folge wirtschaftlicher Strukturprobleme, sondern auch durch das natürliche Bevölkerungswachstum bedingt. Nach der Volkszählung vom November 1951 lebten (in den Grenzen von 1947) mit etwas mehr als 47 Mio. Personen fast 4 Mio. mehr Menschen in Italien als 1936 (vgl. hierzu auch Tabelle 7, Seite 43). Hatten 1936 in Italien noch 139 Bewohner pro Quadratkilometer gelebt, waren es nunmehr 156. Das kam einer Zunahme von 11% gleich, mit unterschiedlichen Zuwachsraten im Norden (8%), in Mittelitalien (knapp 13%) und im Süden (15%), und bedeutete eine durchschnittliche jährliche Bevölkerungszunahme von 7,1%. Vor allem in Süditalien lässt sich die anhaltend überdurchschnittlich hohe Geburtenziffer, die zu Beginn des Jahres 1953 mit 31,5 Geburten auf 1.000 Einwohner immer noch um 10 über dem italienischen Durchschnitt lag, auf wirtschaftliche Unterentwicklung und die religiös bedingte fehlende Geburtenkontrolle zurückführen.65 Da die durchschnittliche Geburtenrate in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst jedoch nicht weiter stieg (1951 übertraf beispielsweise die Geburtenziffer in Frankreich mit 23 Geburten pro 1.000 Einwohnern jene mit 15 Geburten in Italien), rechneten italienische Statistiker nach einem Höchststand im Jahrzehnt zwischen 1960 und 1970 mit einer zahlenmäßig weitestgehend gleichbleibenden italienischen Bevölkerungszahl bei möglicherweise leicht fallender Tendenz.66 Bis Anfang der 1970er-Jahre blieb das Problem des – gemessen an den vorhandenen Arbeitsplätzen – italienischen Bevölkerungsüberschusses folglich aber ein dringendes, zumal unmittelbar nach 1945 ein Flüchtlingsstrom nach Italien aus dessen ehemaligen Kolonial- sowie den abgetretenen Gebieten einsetzte, während die traditionellen Migrationswege aus Italien zeitgleich blockiert67 waren. Nach einer leichten Erhöhung mit zunächst

65 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/253. Monsieur Albert Chambon, Consul Général de France à Naples, à son Excellence Monsieur Jacques Fouques-Duparc, Ambassadeur de France en Italie, a. s. Problèmes de démographie, d’émigration et de chômage, en Italie du Sud. 27 février 1953. S. 435–446. S. 438. 66 Vgl. hierzu insgesamt: Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction d’Europe – 7 mars 1952. S. 121–128. 67 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/257. Confidential. Tripartite Meeting of Experts on European Migration. Report to Foreign Ministers. S. 81–88. S. 87. Vgl. hierzu insgesamt auch: Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 6 f.



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Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

194.000 Auswanderern waren die Zahlen so spätestens seit 1950 mit nur noch 130.000 italienischen Emigranten rückläufig.68 Tabelle 7: Bevölkerungsentwicklung in Italien (in Tausend) Italien

Zum Vergleich: Frankreich

1871

26.801

38.000

1901

32.614

40.700

1921

36.395

39.200

1936 ( Jahr italienischer Volkszählung) 1946

42.994

41.907

46.201

40.200

1946 (nach Gebietsabtretungen Italiens) 1947

45.310

---

45.643

40.700

1948

45.975

41.200

1949

46.225

41.600

1950

46.316

k.A.

1951 ( Jahr italienischer Volkszählung)

47.020

k.A.

Quelle: Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction d’Europe –. a/s. Population et Emigration en Italie. 20 juillet 1950. S. 64. Die Angabe zu 1951 findet sich in: Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction d’Europe – 7 mars 1952. S. 121.

So bald wie möglich bemühten sich die italienischen Regierungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit deshalb, die Emigration von Arbeitskräften durch zwischenstaatliche Abkommen oder zumindest durch diplomatischen Notenwechsel überhaupt wieder in nennenswertem Umfang zu ermöglichen sowie die Voraussetzungen für eine zeitnahe Abwicklung der Heimatüberweisungen zu schaffen. So vereinbarten sie mit verschiedensten Ländern zwischen 1946 und 1950 die Rekrutierung von Arbeitskräften, in manchen Fällen sogar die Einwanderung (vgl. Tabelle 8, Seite 44), wobei die Grenzen zwischen Anwerbung von Arbeitskräften und Einwanderung, wie auch das Beispiel Frankreichs weiter unten zeigen wird, fließend waren. Das wiederum war Folge italienischer Politik, die sich, um eine möglichst große 68 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction des Affaires Administratives – 5 octobre 1951. S. 106–111. S. 109.

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Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

Anzahl von Abkommen schließen zu können, den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner gegenüber sehr geschmeidig zeigte: „la politique du Gouvernement italien a été caractérisée par la plus grande élasticité, dans le but de concréter [sic!] le plus grand nombre possible de stipulations.“69 Tabelle 8: Von Italien geschlossene erste Migrationsabkommen, 1946–1950 1946

Abkommen/Notenwechsel, betreffend:

?

Österreich*

?

22.02.

Frankreich

Anwerbung von Bergleuten

23.06.

Belgien

Auswanderung italienischer Bergleute

16.01.

Großbritannien

Anwerbung von Arbeitern für das Hüttenwesen

10.02.

Tschechoslowakei

Italienische Auswanderung

21.02.

Argentinien

Italienische Auswanderung

19.04.

Schweden

Italienische Auswanderung

06.04.

Luxemburg

Einwanderung italienischer Landarbeiter

22.06.

Schweiz

Einwanderung italienischer Arbeiter

20.10.

Niederlande

Einwanderung von Bergleuten

05.07.

Brasilien

Italienische Auswanderung

1950/51

verhandelte Italien zudem mit

)

1947

1948

1950

Australien Chile Kolumbien Mexiko Venezuela *)

Die Wiedergesundung Europas. Schlußbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen. Teil II: Technische Berichte, Heft 4: Arbeitskräfte, Regierungserklärungen über Wirtschafts- und Finanzreformen. Oberursel (Taunus), 1948. S. 14. (=Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, 54).

Quelle: Archives diplomatiques, 7QO/127. Accords d’émigration stipulés par l’Italie pendant cet aprèsguerre. S. 99–101; Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction des Affaires Administratives et Sociales – 18 janvier 1952. S. 118.

69 Archives diplomatiques, 7QO/127. Accords d’émigration stipulés par l’Italie pendant cet après-guerre. S. 99–105. S. 101.



Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

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Allgemein zeichneten sich die mit europäischen Ländern geschlossenen Abkommen zunächst dadurch aus, dass sie regelmäßig, wenngleich mit Verlängerungsmöglichkeit, nur für eine bestimmte Zeit Gültigkeit besaßen, und dass das Zielland der italienischen Administration Anzahl und Qualifikation der benötigten Arbeitskräfte meldete, nach der sich anschließend die Auswahl der Arbeitsmigranten richten sollte. Die Abkommen mit den beiden südamerikanischen Ländern enthielten zu dieser frühen Zeit demgegenüber nicht einmal Begrenzungen der Anzahl der Migranten; mit Argentinien und Brasilien wurde also eine vollkommen freie Einwanderung vereinbart.70 Darüber hinausgehend hat Italien die Migration seiner Arbeitskräfte von Beginn an auch in bilateralen Handelsabkommen verankert, so dass es zu einem direkten Austausch von Waren und Arbeitskraft kam: “The first postwar trade agreement, concluded with Switzerland on August 10, 1945, was not ratified. The second was made with Sweden in November, 1945. Other commercial and payments agreements followed during 1946 and 1947 […]. Eventually, twenty-one were ratified. In practically all these agreements, Italy sought to secure deliveries of industrial raw materials, with the aim of stimulating production and maximizing the absorption of the unemployed domestic manpower. A number of European nations (and Argentina) agreed to exchange goods for the labor of Italian workers who went abroad to work as miners and farmers.”71 Als in der unmittelbaren Nachkriegszeit die wichtigsten Handels-, Zahlungs- und Anwerbeabkommen geschlossen waren, der Arbeitskräfteüberschuss in Italien die dortige Entwicklung aber anhaltend negativ belastete, versuchte die italienische Regierung die Migration auf weiteren, zusätzlichen Wegen zu stimulieren. So sah ein mit Brasilien am 8. Oktober 1949 geschlossenes Abkommen zur Verbesserung der Zusammenarbeit und zur Regelung von offenen Fragen des Friedensvertrages von 194772 spezifische, mit italienischem Kapital im Wert von ungefähr 15 Mio. Dollar gegründete Gesellschaften zur Immigration nach und italienischen Kolonisation in Brasilien vor. Nach diesem Vorbild wollte man anschließend auch entsprechende Gesellschaften in Argentinien, Venezuela, Chile, Uruguay, Peru und Mexiko gründen. Gegenüber einem Teil dieser Länder hatte Italien Guthaben im Außenhandel erwirtschaftet, aus denen sich das Kapital für die Immigrations- und Kolonisationsgesellschaften speisen sollte: „Le Comte SFORZA a précisé à ce sujet qu’il est également question de constituer en Argentine une compagnie analogue avec les soldes créditeurs dont 70 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Accords d’émigration stipulés par l’Italie pendant cet après-guerre. S. 99–105. 71 Holbik, Italy in International Cooperation, S. 30 f. 72 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Mesures Financières et d’organisation adoptées par le gouvernement Italien en faveur de l’émigration. S. 94–98. S. 96.

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l’Italie dispose dans ce pays et que d’autres projets sont à l’étude au Vénézuela, au Chili, en Uruguay, au Pérou et au Mexique.“73 Für alle anderen südamerikanischen Länder wiederum stellte die ECA weitere 13,5 Mio. US-Dollar zur Verfügung. Für Italien handelte es sich bei solchen Finanzierungen ohnehin nur um ein Rechenexempel, wie Außenminister Carlo Sforza in einem Interview gegenüber der Parteizeitung seiner Partito Repubblicano Italiano überzeugend erklärte. Die Arbeitslosenunterstützung in Italien belief sich in der Summe nämlich jährlich auf 70 Mrd. Lire, wozu ein von den Unternehmen aufzubringender Anteil in Höhe von 100 Mrd. kam. Nach Sforza war es durchaus vorzuziehen, diese Summen für die Erleichterung der Auswanderung und die Niederlassung italienischer Migranten im Ausland zu nutzen. Dies erforderte jedoch eine spezifische Diplomatie, um Staaten auch in Europa, die über ausgedehnte nutzbare Flächen verfügten, davon zu überzeugen, italienischen Arbeitskräften ihre Türen zu öffnen.74 Als sich die Migrationsmöglichkeiten bis Mitte der 1950er-Jahre zunehmend verengten – Frankreich kämpfte immer mehr mit eigener Arbeitslosigkeit, Argentinien konnte die finanziellen Mittel nicht aufbringen, um die in seinem Fünfjahresplan vorgesehenen 500.000 italienischen Migranten aufzunehmen, ähnliches zeichnete sich für Brasilien ab –, schien in Italien sogar eine Migration nach und italienische Kolonisation in Äthiopien diskutiert zu werden: „Dans ces conditions, divers milieux en viennent, tout naturellement, à proposer, de nouveau, la solution mussolinienne, celle des colonies d’Afrique, particulièrement, d’Éthiopie.“75 Bereits in einem sehr frühen Stadium – das Committee for European Economic Cooperation (CEEC), der Vorgänger der OEEC, berichtete hierüber schon am 22. September 1947 – beabsichtigte die italienische Administration sodann, den italienischen Arbeitsmarkt durch „Auswärtsbeschäftigung ganzer Unternehmungen und organisierter Gruppen von Arbeitern (Produktions- und Arbeitsgemeinschaften)“ zu entlasten. Dieses Vorhaben, das in erster Linie für die Errichtung der öffentlichen Infrastruktur in europäischen Ländern in Frage kam (Straßen-, Eisenbahn-, Hafen-, 73 Archives diplomatiques, 193QO/253. M.  Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Économiques. A. s. Interview du Comte Sforza sur les problèmes de l’émigration et des investissements. 10 février 1950. S. 28–31. S. 29. 74 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/253. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Économiques. A. s. Interview du Comte Sforza sur les problèmes de l’émigration et des investissements. 10 février 1950. S. 28–31. S. 29. 75 Archives diplomatiques, 193QO/253. Monsieur Albert Chambon, Consul Général de France à Naples, à son Excellence Monsieur Jacques Fouques-Duparc, Ambassadeur de France en Italie, a. s. Problèmes de démographie, d’émigration et de chômage, en Italie du Sud. 27 février 1953. S. 435–446. S. 442.



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Wasserkraftwerksbau usw.), sollte in den Verhandlungen mit Frankreich eine gewisse Rolle spielen und sehr viel später von jugoslawischen Unternehmen in der Bundesrepublik76 praktiziert werden. „Mehr als hundert solcher Arbeitsgruppen sind für Grossunternehmen ausgerüstet. Im ganzen könnten auf diese Weise mehr als 100 000 Arbeiter untergebracht werden, darunter 25 000 Facharbeiter. Mehr als 300 italienische Unternehmungen verschiedener Größe stehen bereit, in anderen europäischen Ländern öffentliche Arbeiten durchzuführen. Man muss dabei bedenken, dass bei der Auswärtsbeschäftigung ganzer Unternehmungen das Facharbeiterproblem zum Teil gelöst werden kann, da die Unternehmungen selbst in ihrer ganzen Zusammensetzung, d.h. mit ihrem technischen Personal, ihrem Verwaltungspersonal, ihren Fach- und gelernten Arbeitern übernommen werden.“77 In einer letzten Stufe blieb Italien nur noch, seine komplexen, aus hoher Arbeitslosigkeit, Kapitalmangel und dem unterentwickelten Süden bestehenden strukturellen Probleme multilateral zu lösen. Dazu versuchte die italienische Regierung, den nach dem italienischen Haushaltsminister Ezio Vanoni benannten Zehnjahrplan für die Zeit von 1955 bis 1964 als internationales Projekt zu verankern, weil die mit dem Vanoni-Plan verfolgten Ziele auch die europäische Zusammenarbeit, damit die wirtschaftliche Entwicklung in Europa forcierten und in der Folge wiederum die italienische Wirtschaft stabilisieren sollten.78 Der Plan selbst stellte eine Zusammenfassung aller Wirtschaftsprojekte der italienischen Regierung mit dem Ziel dar, die Konkurrenzfähigkeit der italienischen Ausfuhrwirtschaft auf den internationalen Märkten zu festigen und gleichzeitig das Arbeitslosenproblem in Angriff zu nehmen.79 Mittels umfangreicher Investitionsprogramme für Landwirtschaft, Öffentliche Dienste und Arbeiten sowie besonders zu stimulierender Bereiche, begleitet von einer Politik des Ausgleichs zwischen Nord und Süd, einer Verbesserung der Exporte sowie des Bildungswesens und der beruflichen Ausbildung wollte Vanoni die Binnen76 Vgl. Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte, S. 147. 77 Die Wiedergesundung Europas. Schlußbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen. Teil II: Technische Berichte, Heft 4: Arbeitskräfte, Regierungserklärungen über Wirtschafts- und Finanzreformen. Oberursel (Taunus), 1948. S. 15. (=Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, 54). (Künftig zitiert: Die Wiedergesundung Europas). 78 Archives diplomatiques, 193QO/254. Étude sur le développement du revenu national et de l’emploi au cours de la période 1955–1964. S. 250/3. 79 Vgl. PA  Berlin, B  62/54. V  C  2  B, vom 8.  Dezember  1954, betr.  Besprechung mit dem italienischen Haushaltsminister Prof. Dr. Ezio Vanoni am 13. und 14. Dezember in Bonn. Ausführlich zum Vanoni-Plan siehe: d’Alauro, Orlando: Aktuelle Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung in Italien; sowie: Männel, Horst: Der Vanoni-Plan. Ein Aktionsprogramm für die Arbeitsbeschaffung und wirtschaftliche Expansion Italiens für den Zeitraum 1955–1964. In: Europa-Archiv, 10. Jg. 1955. S. 7439–7448 und 7553–7558.

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Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

nachfrage stärken sowie Zahlungsbilanz und Beschäftigung verbessern (zur defizitären Leistungsbilanz im Jahr 1954 bzw. Struktur der italienischen Zahlungsbilanz 1946–1955 vgl. Tabelle 9, Seite 49 sowie Tabelle 35, Seite 201 f. im Anhang). Konkret sollten das Volkseinkommen in den Jahren bis 1964 um etwa 5% jährlich wachsen und vier Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Dazu waren ausländische Hilfe und die massive Kapitalzufuhr aus dem Ausland unabdingbar.80 Zugleich sollte Italien weiterhin stark auf die Emigration angewiesen bleiben. Um die Arbeitslosigkeit um vier Millionen Personen zu reduzieren, sah der Vanoni-Plan die Auswanderung von 800.000, also von jährlich 80.000 Arbeitskräften zwischen 1955 und 1964 vor. Deren Heimatüberweisungen wurden wiederum zur Entlastung der Zahlungsbilanz einkalkuliert.81 Insofern verifizierte auch einer der profiliertesten italienischen Ökonomen, Ferdinando di Fenizio, die im Zehnjahrplan enthaltenen Prognosen nur unter der Bedingung, dass neben ausländischem Kapital, inländischem Sparen und der Sicherung der nationalen Einheit auch die Emigration aufrechterhalten werden könne.82 Während sich die Heimatüberweisungen der Migranten 1954 auf 85 Mrd. Lire beliefen, sollten diese in zehn Jahren so um 47% auf geplante 125 Mrd. Lire im Jahr 1964 gesteigert werden.83 Noch vor seiner Veröffentlichung in Italien im Januar 1955 war der Plan während einer Reise Vanonis in Washington und anschließend der OEEC vorgestellt worden.84 “The spirit and rhythm of cooperation instilled in Western Europe by the O.E.E.C. has benefited Italy, too. The Organization has indirectly cooperated with Italy’s economic plans (especially with the Vanoni Plan) and has considered her needs in all its 80 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/254. Étude sur le développement du revenu national et de l’emploi au cours de la période 1955–1964. S. 250/119. 81 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/225. Centre d’étude de politique étrangère, Paris, Comité d’étude des problèmes franco-italienne. Document de travail. Le Plan Vanoni. S. 532–616. S. 538. Vgl. auch S. 322 und 340 des die Hauptlinien des Vanoni-Planes skizzierenden Artikels: Vanoni, Ezio: Development of Employment and Income in Italy. In: Review of Economic Conditions in Italy, 4/1955. S. 315–343. 82 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/254. M. Pierre Sebilleau, Chargé d’Affaires de France en Italie a. i., à Son Excellence M. Pierre Mendes-France, Président du Conseil Ministre des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Économiques et Financières. a. s. Vues d’avenir de M. Vanoni sur l’économie italienne. Rome, le 1er juillet 1954. S. 175–178. S. 178. 83 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/254. Étude sur le développement du revenu national et de l’emploi au cours de la période 1955–1964. S. 250/79. 84 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/254. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Son Excellence Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Économiques. a. s. Plan Vanoni – Exposé et critique. Rome, le 28 janvier 1955. S. 255–268. S. 255.



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Wirtschaft, Bevölkerung, Auswanderung: Italien 1945–1957

Payments Schemes, particularly in the E.P.U.”85 Der Vanoni-Plan sollte schließlich über das „Protokoll betreffend Italien“ auch in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 eingehen.86 Tabelle 9: Die italienische Leistungsbilanz 1954, in Mrd. Lire

Handelsbilanz Unsichtbare Transaktionen

Debet (Ausgaben)

Kredit (Einnahmen)

Überschuss bzw. Defizit

1.390

1.000

−390

190

410

+220

128

141

+13

---

85

+85

darunter: Frachten Heimatüberweisungen der Migranten Tourismus Summe

62

184

+122

1.580

1.410

−170

Quelle: Archives diplomatiques, 193QO/254. Étude sur le développement du revenu national et de l’emploi au cours de la période 1955–1964. S. 250/77.

85 Holbik, Italy in International Cooperation, S. XIII f. 86 Vgl. Europa-Recht. Textausgabe mit ausführlichem Sachverzeichnis und einer Einführung von Ernst Steindorff. München, 41979. S. 101. (Künftig zitiert: Europa-Recht).

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Forschungsstand und widersprüchliche Forschungsergebnisse Die italienische Migration nach Frankreich begann bereits 1945. Seit dem Frühjahr dieses Jahres kehrten ungefähr ein Jahr lang viele vor dem Krieg in Südfrankreich beschäftigte Arbeitsmigranten auf der Suche nach Beschäftigung zu ihren früheren Arbeitgebern zurück. Bis zur Organisation durch bilaterale Verträge vollzog sich diese Migration spontan und illegal („immigration spontanée de travailleurs clandestins“), um nach einer gewissen Zeit durch hoheitliche Akte der präfektoralen Behörden nachträglich legalisiert zu werden („régularisation“). Hatte zunächst die Stimmung in der Bevölkerung die régularisation provoziert, waren es anschließend die Gewerkschaften, deren Proteste diese freizügige Politik beendeten und am 16. Mai 1946 zur Schließung der französisch-italienischen Grenze für arbeitswillige Migranten führten.87 Jenseits dessen hatte allerdings auch Frankreichs Migrationspolitik bereits 1945 begonnen. So gab es schon Mitte 1945 im französischen Außenministerium Pläne, zur Beseitigung von Kriegsschäden 500.000 Arbeitskräfte in Italien anzufordern,88 zudem existierte im Dezember 1945 längst der Entwurf einer auf Gegenseitigkeit beruhenden, natürliche und juristische Personen umfassenden Niederlassungsvereinbarung89 mit Italien. Allgemeine Vorschriften vom 19. Oktober und 2. November 1945 regelten den Erwerb der Staatsbürgerschaft, die Zuzugsbedingungen sowie den Aufenthalt von Ausländern in Frankreich.90 Das entsprach durchaus auch der Tradition Frankreichs, das sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem Einwanderungsland für Arbeitskräfte entwickelt und dessen Bevölkerung im Verlauf des 20. Jahrhunderts insgesamt 10 Mio. 87 Vgl. Guillen, L’immigration italienne en France, S. 37 f. 88 Vgl. Bechelloni, Le choix de la destination, S. 30 f. 89 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/86. Projet: Convention d’établissement entre la France et l’Italie. S. 72–80. 90 Vgl. Weil, Patrick: La France et ses étrangers. L’aventure d’une politique de l’immigration de 1938 à nos jours. Nouvelle édition refondue. Paris, 2005. S. 79 f. (Künftig zitiert: Weil, La France et ses étrangers). Etwas differenzierter hierzu auch: Berlinghoff, Marcel: Das Ende der „Gastarbeit“. Europäische Anwerbestopps 1970–1974. Paderborn/München/Wien/ Zürich, 2013. S. 269 f. (=Studien zur Historischen Migrationsforschung, 27). (Künftig zitiert: Berlinghoff, Ende der „Gastarbeit“).



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Personen durch Zuwanderer und deren Nachkommen gewonnen hatte.91 Obwohl also in eine Gemengelage der unmittelbaren Nachkriegszeit eingebettet, war die französische Migrationspolitik nach allgemeinem Konsens aber in erster Linie durch demographische Aspekte geprägt. Grundlage dieser Entwicklung sei die von Charles de Gaulle im März 1945 vor allem infolge des kriegsbedingten Bevölkerungsrückgangs um etwa 1 Millionen92 konstatierte Notwendigkeit gewesen, in den folgenden Jahren mit gezielter Migrationspolitik – „avec méthode et intelligence, de bons éléments d’immigration“ – Zuwanderer ausgewählter Herkunft in Frankreich zu integrieren. Hierauf habe sich in der Folge in der französischen Administration eine Debatte zwischen „Ökonomen“ und „Demographen“ entsponnen: Während Erstere auf den absehbaren Arbeitskräftebedarf der französischen Wirtschaft rekurrierten, wünschten Letztere die bevölkerungspolitisch motivierte Zuwanderung, eine „immigration de peuplement“. Dabei erhielten die politisch Verantwortlichen, die den Demographen zugerechnet werden können, in einigen neu geschaffenen Institutionen maßgeblichen Einfluss, wie dem Haut Comité consultatif de la population et de la famille (HCPF; Beirat für Bevölkerung und Familie), im April 1945 Georges Mauco anvertraut, oder dem von Alfred Sauvy geleiteten Institut National des études démographiques (INED; Nationales Institut für Demographie). Die vom Ministère de la Population ausgehende, offensiv auf eine Bevölkerungszunahme gerichtete Politik (politique de redressement démographique) trug den Keim interministerieller Konflikte – zwischen dem Ministerium für Bevölkerung einerseits und den Ministerien für Arbeit sowie Finanzen andererseits –93 in sich, den die zunehmend marginalisierten Bevölkerungspolitiker schließlich bereits um 1950 verloren hatten. Im Rahmen der vom Office National d’Immigration (ONI, Nationale Einwanderungsbehörde) organisierten Einwanderung konnten sie die praktische Migrationspolitik allerdings noch bis Mitte der 1950er-Jahre beeinflussen: „Durant les dix premières années d’application de l’ordonnance du 2 novembre 1945, les hauts fonctionnaires acquis à une logique de population ont donc pu influencer la politique d’immigration, mais dans le strict 91 Vgl. Marchand, Olivier; Claude Thélot: Le Travail en France (1800–2000). Paris, 1997. S. 62. (Künftig zitiert: Marchand/Thélot, Travail en France). 92 Vgl. Tapinos, Georges: L’immigration étrangère en France 1946–1973. Gap, 1975. S. 11 f. (Künftig zitiert: Tapinos, L’immigration étrangère). Laut Viet, Vincent: La France immigrée. Construction d’une politique 1914–1997. Paris, 1998. S. 145, stellte sich der Arbeitskräftemangel weitaus dramatischer dar: „au déficit des 600 000 militaires et civils tués durant le conflit s’ajoutait celui des 2,5 millions de travailleurs français, prisonniers ou déportés au titre du STO [Service du Travail Obligatoire, Pflichtarbeitsdienst – d. Verf.] en Allemagne.“. (Künftig zitiert: Viet, La France immigrée). 93 Vgl. Tapinos, L’immigration étrangère, S. 22.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

cadre des introductions effectuées par l’ONI.“94 Nach dieser Lesart ließ sich die von Mauco präferierte, bereits von de Gaulle definierte95 ethnische Selektion mit Fokus auf Migranten aus nordeuropäischen Ländern (Polen, Niederlande, Deutschland) jedoch aus innenpolitischen Gründen nicht durchsetzen,96 weshalb man sich schon recht bald dem unerschöpflichen italienischen Arbeitskräftereservoir zugewandt habe.97 Die französische Migrationspolitik Italien gegenüber sei dann allerdings sowohl von arbeitsmarkt- als auch bevölkerungspolitischen Aspekten geprägt gewesen.98 Dass zunächst vorwiegend ledige Arbeiter in Italien angeworben wurden, obgleich die Niederlassung von Familien angestrebt war, stellt dabei einen in der Literatur wenig überzeugend geklärten Widerspruch dar.99 Vincent Viet beispielsweise meint die Ambivalenz früher französischer Migrationspolitik aus dem Widerspruch zwischen strukturellen demographischen sowie konjunkturellen arbeitsmarktpolitischen Ansprüchen begründen zu können: „D’ambivalente, cette politique risquait fort de devenir conditionnelle: la profonde contradiction entre le structurel et le conjoncturel était en fait loin d’être levée; elle devait se répercuter sur l’organisation administrative de l’immigration.“100 Insgesamt bewegte sich die Zuwanderung nach Frankreich bis 1955 auf einem sehr niedrigen Niveau. Mit zunächst weniger als 100.000 Zuwanderern, seit 1950 weniger als 30.000 jährlich101, und nur 58.000 zugewanderten Familienangehörigen zwischen 1950 und 1955 blieb sie weit hinter den Erwartungen der Demographen zurück. Zwischen 1946 und 1954 wanderten so nur etwas mehr als 300.000 Arbeitskräfte, vorwiegend italienischer und algerischer Herkunft, ein.102 „Die Einwände waren stärker; die Furcht, daß Zuzug fremder Arbeitskräfte dem französischen Arbeiter 94 Spire, Alexis: Étrangers à la carte. L’administration de l’immigration en France (1945– 1975). Paris, 2005. S. 139. Für das Vorhergehende vgl. S. 138. (Künftig zitiert: Spire, Étrangers à la carte). 95 Vgl. Lettre de Charles de Gaulle au garde des Sceaux P.-H. Teitgen du 12 juin 1945. In: Viet, La France immigrée, S. 117. 96 Vgl. Weil, La France et ses étrangers, S. 82. 97 Vgl. Blanc-Chalèard, Marie-Claude: Histoire de l’immigration. Paris, 2001. S. 58. (Künftig zitiert: Blanc-Chalèard, Histoire de l’immigration). 98 Vgl. Viet, La France immigrée, S. 265. 99 Vgl. beispielsweise: Spire, Alexis: Un régime dérogatoire pour une immigration convoitée. Les politiques française et italienne d’immigration/émigration. In: Blanc-Chalèard, Les Italiens en France, S. 41–53. S. 45. (Künftig zitiert: Spire, Régime dérogatoire). 100 Viet, La France immigrée, S. 110. 101 Vgl. Blanc-Chalèard, Histoire de l’immigration, S. 60. 102 Vgl. Broder, Albert: Histoire économique de la France au XXe siècle – 1914–1997. Gap/ Paris, 1998. S. 122 f. (Künftig zitiert: Broder, Histoire économique).



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zuviel Konkurrenz machen würde, und die Angst vor Arbeitslosigkeit überwogen.“103 Gleichzeitig entwickelte sich die Arbeitsmigration während jener Periode aber auch nicht ganz unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung,104 was beispielsweise Patrick Weil behauptet, der die Vergabe der Arbeitsgenehmigungen durch das Arbeitsministerium trotz der interministeriellen Kompetenzstreitigkeiten aus konjunkturellen Bedürfnissen heraus begründet sehen will: „Au plan interministériel on a décidé de faire venir des immigrés, mais seul le ministère du Travail délivre les cartes de travail […] en fonction de la situation conjoncturelle de l’emploi qui n’est pas très bonne: pratiquement, donc, la délivrance de cartes, et par conséquent l’immigration, est freinée.“105 Infolge schlechter wirtschaftlicher Konjunktur dürfte damit also weder die Politik der Ökonomen noch jene der Demographen fruchtbar gewesen sein. Als Begründung hierfür bietet die Forschung106 zwei unterschiedliche, jeweils auf kumulierten Aspekten, d.h. nicht unbedingt auf sachlogischen Zusammenhängen basierende Interpretationen an: Erstens jene, die als gesicherter Stand der französischen Forschung bezeichnet werden kann, die in der Hauptsache auf das zu illegaler Zuwanderung motivierende, rigide kontrollierende Migrationsregime unter der Zuständigkeit verschiedenster Ministerien verweist. Neben dem Ministère de la Population (seit Januar 1946 Ministère de la Santé publique et de la Population) handelte es sich dabei besonders um das Arbeits- sowie das Finanzministerium (Ministère du Travail, Ministère des Finances); zudem vereinigte das mit der Vorschrift vom 2. November 1945 geschaffene Office National d’Immigration selbst unterschiedlichste Interessenvertreter in sich, unter anderem auch jene von Gewerkschaften

103 Lannes, Xavier: L’immigration en France depuis 1945. La Haye, 1953. S. 106. (=Publications of the Research Group for European Migration Problems, VIII). (Künftig zitiert: Lannes, L’immigration en France). 104 Vgl. Lannes, L’immigration en France, S. 42  ff. Gegenteiliges behauptet Tapinos, L’immigration étrangère, S. 36. Für das Vorhergehende siehe auch S. 33 f. Einen Zusammenhang von Zuwanderung und wirtschaftlicher Konjunktur stellt für die spätere Zeit her: Singer-Kérel, Jeanne: Conjoncture économique et politique française d’immigration 1952–1974. In: Les travailleurs étrangers en Europe occidentale. Actes du Colloque organisé par la Commission Nationale pour les Études et les Recherches Interethniques ParisSorbonne, du 5 au 7 juin 1974. Sous la direction de Philippe J. Bernard. Mouton/Paris/ La Haye, 1976. (=Publications de l’Institut d’Études et de Recherches Interethniques et Interculturelles, 6). 105 Weil, La France et ses étrangers, S. 82. 106 Einen guten Überblick zum Stand der französischen Migrationsforschung bietet: Noiriel, Gérard: Le Creuset français. Histoire de l’immigration XIXe–XXe siècle. Paris, 2006. S. IV ff., besonders S. V f.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

und Arbeitgebervereinigungen.107 Vor allem Arbeitgeber hätten ihre ausländischen Arbeitskräfte deshalb jenseits der offiziellen Wege („hors ONI“) rekrutiert, d.h. seit Ende der 1940er-Jahre zunehmend auch in Algerien, da Algerier, für die seit 1946 de facto Freizügigkeit bestand, seit 20. September 1947 (Statut organique de l’Algérie) rechtlich keine Ausländer mehr waren108 und sich deren Migration insofern jeglicher Kontrolle durch das ONI entzog (vgl. Tabelle 10, Seite 55). Das ONI habe zudem bis zu ersten Reformen nur leidlich funktioniert und auch die problematische Lage am Wohnungsmarkt in Verbindung mit gesetzlichen Vorgaben habe Zuwanderung kaum erlaubt, zumal der Wohnungsbau im ersten Wirtschaftsplan keine Priorität erfuhr. Außerdem sei der Rückgriff auf ausländische Arbeitskräfte infolge sich nur langsam vollziehenden Wiederaufbaus weniger notwendig als erwartet gewesen.109 „Entre 1949 et 1955, la lourdeur et l’inefficacité du système d’introduction freinent l’arrivée des travailleurs des autres nationalités – particulièrement des Italiens – au bénéfice des Algériens qui circulent librement. Les flux d’entrée des travailleurs d’autres nationalités […] diminuent aussi du fait de la baisse de l’activité économique.“110 Nach einer ersten Phase (Mitte 1945 bis Mitte 1946), in der die staatliche Organisation der Einwanderung erst konstituiert wurde, weshalb die sich in dieser Zeit vollziehende, i.d.R. italienische Migration illegal war, fand also bis Mitte 1949 neben dem „trägen Gang der amtlichen Bewilligungen“ weiterhin eine umfangreiche, administrativ nicht erfasste Einwanderung ehemaliger Kriegsgefangener, Flüchtlinge, illegaler Arbeitsmigranten sowie nicht unter die gesetzlichen Bestimmungen fallender Ausländer statt. Waren bis dahin viele Arbeitsplätze unbesetzt geblieben, begann sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt infolge schwankender konjunktureller Entwicklung seit 1948 zu verschlechtern. In einer dritten Phase, spätestens seit Ende 1949, ging 107 Vgl. Schor, Ralph: Histoire de l’immigration en France de la fin du XIXe siècle à nos jours. Paris, 1996. S. 195. (Künftig zitiert: Schor, Histoire de l’immigration). 108 „Depuis le statut de 1947, les musulmans possèdent la citoyenneté française et la liberté de circulation en France; ils formeront un tiers de la main d’œuvre immigrée.“ Simon, Jacques: L’immigration algérienne en France des origines à l’indépendance. Paris, 2000. S. 189. Vgl. hierzu auch: Weil, La France et ses étrangers, S. 84: „le 20 septembre 1947, l’attribution de la citoyenneté aux musulmans d’Algérie légalise leur liberté de circulation en métropole, déjà effective depuis 1946.“ Vgl. auch Collinson, Europe and International Migration, S. 45; Sturm-Martin, Imke: Zuwanderungspolitik in Großbritannien und Frankreich. Ein historischer Vergleich 1945–1962. Frankfurt/New York, 2001. S. 139 f. (=Campus Forschung, 825). (Künftig zitiert: Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik). 109 Vgl. Blanc-Chalèard, Histoire de l’immigration, S. 59 ff.; Schor, Histoire de l’immigration, S. 196. 110 Weil, La France et ses étrangers, S. 84. Zu den unterschiedlichen Migrationsphasen und der damit in Zusammenhang stehenden Politik vgl. insgesamt S. 82–90.



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deshalb nicht nur die administrativ gesteuerte Einwanderung zurück, vielmehr passten sich auch die übrigen Wanderungsströme der konjunkturellen Verschlechterung an.111 Der in den letzten Monaten des Jahres 1949 einsetzende starke Rückgang der Arbeitsmigration war allerdings auch eine Folge gewerkschaftlicher Proteste gegen die massenhafte Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte, deren Zuwanderung nunmehr durch Dekret von der Situation am Arbeitsmarkt abhängig wurde: „Mais à partir du second semestre 1949, un coup de frein brutal est donné à l’immigration de travailleurs italiens. Les causes en sont diverses: évolution défavorable du marché de l’emploi, en raison de l’afflux de main-d’œuvre algérienne et parce que la politique de stabilisation entraîne un ralentissement de l’activité économique; pression des organisations syndicales qui ne cessent de protester, au nom des intérêts de la main-d’œuvre nationale, contre l’arrivée massive d’ouvriers étrangers. Le gouvernement prend donc un décret, le 26 juillet 1949, qui fait dépendre le recrutement de travailleurs étrangers du plein emploi des ouvriers français […]. Ce décret entraîne une chute sensible de l’immigration italienne dans les derniers mois de 1949 et en 1950.“112 Tabelle 10: Italienische und Algerische Einwanderung nach Frankreich 1946– 1955 (in Tausend)

1946

28

Algerier (Saldo zwischen Ein- und Ausreisenden) 35

1947

51

43

1948

28

27

Italiener

1949

37

7

1950

6

24

1951

16

55

1952

28

15

1953

11

12

1954

9

25

1955

14

24



228

267

Quelle: Tapinos, Georges: L’immigration étrangère en France 1946–1973. Gap, 1975. S. 29 und 34.

Von so konstatierten, weil der von de Gaulle geforderten systematisch-klugen Zuwanderung entgegenlaufenden „paradoxes de la décennie 1945–1955“ spricht bereits 111 Vgl. Lannes, L’immigration en France, S. 108 f. 112 Guillen, L’immigration italienne en France, S. 41.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Georges Tapinos, dessen Begründung für die geringe Zuwanderung nach Frankreich in der fraglichen Zeit hier als zweite Interpretationsmöglichkeit dargestellt werden soll. Obwohl Frankreich in Konkurrenz zu anderen, für die Zuwanderer attraktiveren Einwanderungsländern wie Belgien oder der Schweiz, in Übersee zu den Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien stand, hat Tapinos schon vor geraumer Zeit die französische Migrationspolitik selbst für deren „paradoxe“ Ergebnisse verantwortlich gemacht. Demnach mangelte es an einer Willkommenskultur, deren Fehlen zudem bis 1949 von anhaltender Mangelwirtschaft, gepaart mit inflationärer Politik, begleitet wurde.113 Allerdings lässt diese in Teilen wirtschaftshistorisch basierte Interpretation regelmäßig realwirtschaftliche Entwicklungen und devisenpolitische Aspekte außer Acht. Immerhin fragten die französischen Regierungsvertreter Léon Blum und Jean Monnet in Washington bereits im Frühjahr 1946 erfolgreich nach einer US-amerikanischen Anleihe zur Überwindung des französischen Devisenbedarfs an.114 Trotz der zwischen 1946 und 1949 u.a. zur massiven Erhöhung der Investitionen geflossenen 650 Mio. Dollar konnte der Lebensstandard in Frankreich in der fraglichen Zeit jedoch kaum erhöht werden, so dass es bis zum Einsetzen des Marshall-Plans, besonders im Jahr 1947, immer wieder zu Hungerkrawallen und großen Streiks in der Gas- und Elektrizitätsindustrie sowie bei der Eisenbahn kam.115 Durch die Vernachlässigung dessen können wiederum andere Interpretationsstränge, wie die Argumentation von der nicht plan- oder steuerbaren Immigration, kaum überzeugen, zumal nicht selten für die gegenüber den italienischen Migranten gesellschaftlich benachteiligten algerischen Zuwanderer Partei ergriffen wird.116 Immerhin aber erwähnt Tapinos bereits 1975 die sich aus der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung ergebende Devisenproblematik, die kaum Importe ermöglichte und Frankreichs zum Zahlungsbilanzausgleich zur Verfügung stehende Goldreserven schrumpfen ließ: „En effet, le retard et l’insuffisance de la production, qui est encore loin de satisfaire les besoins intérieurs, ajoutés au handicap des exportations, par suite de l’inflation et à la nécessité d’importer pour produire, ont entamé considérablement nos réserves de change. La réserve d’or qui s’élevait à 1 776 tonnes d’or en 1945, n’était plus que 394 tonnes fin 1947. Le taux de couverture des importations par les exportations (en valeur) n’était encore en 1949 que de 67% (en nette amélioration

113 Vgl. Tapinos, L’immigration étrangère, S. 37 f. 114 Vgl. Margairaz, Michel: L’État, les finances et l’économie. Histoire d’une conversion 1932–1952. Paris, 1991. Bd. II, S. 829–843. 115 Vgl. Carew, Anthony: Labour under the Marshall Plan. The politics of productivity and the marketing of management science. Manchester, 1987. S. 31 ff. 116 Vgl. Spire, Régime dérogatoire, S. 53.



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par rapport à 1946: 32%).“117 Preisbereinigt war Frankreich 1949 somit nur noch in der Lage, rund ein Drittel seiner Importe durch Exporte zu erwirtschaften. Weil seit September 1939 ein System der Devisenkontrollen bestand, waren bilaterale Verträge zur Regelung sämtlicher außenwirtschaftlicher Aktivitäten notwendig, in denen schließlich die Posten der Heimatüberweisungen der Migranten mit denen des Warenaustauschs konkurrierten. Die geringe Außenhandelsaktivität, wenn nicht sogar der negative Außenbeitrag Frankreichs, hätten insofern keine weiteren Heimatüberweisungen zugelassen. Eine Lösung hätte in der Zuwanderung ganzer, nicht auf Heimatüberweisungen angewiesener Familien liegen können, der aber der mangelnde Wohnraum in Frankreich entgegenstand.118 Auch Pierre Guillen machte schon 1989 neben vielen anderen Faktoren die – gegen den Willen des Arbeits- sowie des Außenministeriums durchgesetzte – Reduzierung der Heimatüberweisungen für den starken Rückgang der italienischen Arbeitsmigration nach Frankreich seit Ende 1949 mit verantwortlich.119 Vergleichbar argumentiert teilweise auch Weil, allerdings in Umkehrung der argumentativen – und im Widerspruch zu der sich aus den archivalischen Quellen ergebenden – Reihenfolge. Seiner Darstellung nach scheiterte die zunächst favorisierte Zuwanderung italienischer Familien am knappen Wohnraum, weshalb sich die französische Administration eigentlich auf ledige italienische Zuwanderer hätte konzentrieren können. Einschränkungen beim Devisentransfer des der Migrationspolitik gegenüber „wenig sensiblen“ Finanzministeriums hätten dann aber zu einer geringeren Attraktivität Frankreichs als Zielland für die Migranten geführt.120 Wohnungsmarkt wie auch Begrenzung der Heimatüberweisungen hätten demnach jedenfalls die aus wirtschaftlichen und bevölkerungspolitischen Gründen dringend benötigte Zuwanderung nach Frankreich verhindert. Obwohl das zuletzt skizzierte Bild die verantwortlichen Bevölkerungspolitiker ganz offensichtlich entlasten sollte – Tapinos publizierte dieses immerhin in einer Reihe des Institut national d’études démographiques –, weist es die größte Schnittmenge mit den archivalischen Quellen in den Archives diplomatiques und dem Centre des Archives économiques et financières (CAEF) auf, wobei der dort festgehaltene Arbeitskräftebedarf von der französischen Politik, aber auch von der OEEC und der ILO zumindest bis 1950 regelmäßig überschätzt worden ist.121 So steht beispielsweise dem sich aus Tabelle 11, Seite 58 für die unmittelbare Nachkriegszeit ergebenden Verlust von 908.000 Arbeitskräften auf dem französischen Arbeitsmarkt im Vergleich 117 118 119 120 121

Tapinos, L’immigration étrangère, S. 38. Vgl. Tapinos, L’immigration étrangère, S. 38 f. Vgl. Guillen, L’immigration italienne en France, S. 41 f. und S. 44. Vgl. Weil, La France et ses étrangers, S. 83. Vgl. Steinert, Migration und Politik, S. 88 f.

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zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg die Aussage des französischen Arbeitsministers vom Frühjahr 1946 gegenüber, Frankreich benötige ungefähr 3 Mio. ausländische Arbeitskräfte. Selbst im Vergleich zu 1929, einem Jahr höchsten Beschäftigungsstands, hätten jedoch nur etwas mehr als die Hälfte dessen, also 1,639 Mio. Arbeitskräfte gefehlt. Laut kommunistischem Minister Ambroise Croizat jedenfalls sollten die anvisierten 3 Mio. Ausländer traditionellerweise aus Italien kommen, da 1939 immerhin ca. 1,1 Mio. Italiener in Frankreich gelebt hatten.122 Tabelle 11: Beschäftigungssituation in Frankreich 1945 im Vergleich zu 1929 und 1938 (in Tausend) Landwirtschaft Lebensmittelindustrie

1929

1938

1945

2.120

1.874

1.300*)

325

332

291

Chemische Industrie

184

159

120

Textilindustrie

807

611

380

Tuchindustrie

831

838

576

Metallurgie Metallverarbeitung Öffentliche Arbeiten einschl. Bauwirtschaft Gesamt

155

118

118

1.114

1.006

1.069

748

615

6.284

5.553

791*) 4.645

*) Ohne Kriegsgefangene.

Quelle: Données statistiques sur la situation de la France au début de 1946 rassemblées en vue des négociations de Washington. Hrsg.: Commissariat général au plan de modernisation et d’équipement. Paris, 1946. S. 24.

Mit schließlich 334.000 Arbeitsmigranten und 80.000 nach Frankreich zugezogenen Familienangehörigen zwischen 1946 und 1954 wurden also die Pläne der Bevölkerungspolitiker nicht erfüllt, die einen Zuzug von ca. 1,5 Mio. Arbeitern und ebenso vielen Kindern vorgesehen hatten.123 Das könnte durchaus auch Folge der Prioritäten des Planungskommissariats (Commissariat au Plan) unter Jean Monnet gewesen sein, das sich einzig um die Aufrechterhaltung der Produktion, damit gerade nicht um bevölkerungspolitische Belange kümmerte und im Einklang mit 122 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/86. Monsieur Francois de Vial, Consul à Florence, à Son Excellence Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction Générale des Affaires Politiques, Direction d’Europe, S/Direction d’Europe Méridionale, Paris du 21 mars 1946. S. 160–163. 123 Vgl. Viet, La France immigrée, S. 155 f.



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den Gewerkschaften an den Segen von Produktivitätssteigerungen glaubte: „Les économistes qui travaillaient au sein du Commissariat au Plan, créé en 1946 et dirigé par Jean Monnet, se préoccupaient seulement d’assurer la production et ne s’intéressaient pas à la question du peuplement. Certains techniciens pensaient même que les progrès de la productivité pourraient éviter le recours à l’immigration, perspective qui satisfaisait les syndicalistes toujours hantés par la crainte de se heurter à la concurrence des étrangers sur le marché de l’emploi.“124 Insofern wurde mit dem ersten französischen Fünfjahrplan, dem Monnet-Plan, den inländischen Arbeitskräften Priorität eingeräumt. Von den dort geschätzten 980.000 benötigten Arbeitskräften für die Zeit 1946/47 sollten nur rund 34% durch Zuwanderung, die restlichen durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit, eine Wiedereingliederung von Rentnern sowie durch die auf 100.000 Arbeitskräfte geschätzte, nicht steuerbare algerische Migration gewonnen werden.125 Zudem waren Einstellungen und Entlassungen größtenteils genehmigungspflichtig, wurden berufliche Ausbildung sowie Arbeitsmarktstatistik mit dem Ziel forciert, dass „zwischen Juli 1946 und Juli 1947 390 000 Personen, die bis dahin entweder arbeitslos oder in weniger wichtigen Industriezweigen beschäftigt waren, in den Produktionsprozess eingegliedert […] [werden konnten]. Die Zahl der Industriearbeiter, die 1938 etwa 6 000 000 und im Juli 1946 5 600 000, davon 250 000 Kriegsgefangene betragen hatte, beträgt nunmehr [d.h. im zweiten Halbjahr 1947 – d. Verf.] 5 900 000, davon 160 000 Kriegsgefangene.“126 Auch dem französischen Außenministerium stellte sich die Lage schon bald realistischer dar. Trotz Wiederaufbau und Wiederbewaffnung glaubte man dort schon zu Beginn des Jahres 1951, dass die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte zumindest aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht wesentlich erhöht werden müsse.127 Fast zeitgleich gestand der französische Botschafter in Rom in einem italienischen Radiointerview ein, dass sich die demographische Situation Frankreichs besser als zu Kriegsende von Alfred Sauvy befürchtet darstellte.128 Das deckt sich mit Berech124 Schor, Histoire de l’immigration, S. 194. 125 Vgl. Viet, La France immigrée, S. 148 f. Vgl. hierzu auch: CAEF, B-0061176/1. Communication de MM. les Ministres des Affaires Étrangères et des Affaires Sociales, relative à l’immigration en France pendant la période juillet 1947–juillet 1948. Programme d’immigration, S. 2. 126 Die Wiedergesundung Europas, S. 11 f. Für das Vorhergehende vgl. S. 10. 127 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/219. Ministère des Affaires Étrangères, Direction d’Europe. Note pour le Ministre A/S Emigration italienne; 6. 4 février 1951. S. 61–63. 128 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/219. M.  Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le ministre des Affaires étrangères, Direction des Affaires administratives, a. s. L’immigration italienne en France, 19 janvier 1951. S. 40–43. S. 41.

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nungen der OEEC, die für Frankreich zwischen 1938 und 1948 zwar einen Bevölkerungsrückgang um 0,85% auswies, zugleich aber eine Zunahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Höhe von 3,26% konstatierte. In der fraglichen Zeit hatten von den 18 Gründungsmitgliedern der OEEC ohnehin nur Österreich (−0,86%), Luxemburg (−2,92%) und vor allem das Gebiet der späteren DDR (−12,18%) eine Abnahme der Erwerbsbevölkerung zu beklagen.129 In der interministeriellen Immigrationskommission (Commission interministérielle de l’immigration) stand deshalb zur Debatte, sich für das zweite Quartal 1951 nur um 2.000 Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zu bemühen, darunter 1.000 Fachkräfte, plus allerdings 8.000 Helfer für die Zuckerrübenernte; um 1.000 für den Untertagebergbau, wobei die Hälfte dieses Bedarfs aus unerfüllten vorangegangenen Arbeitskräfteanforderungen resultierte; um 700 Facharbeiter für die Bauwirtschaft, 250 für die Metallurgie, unter denen 180 hochspezialisierte sein sollten, sowie 300 für sonstige Tätigkeiten, vorwiegend häusliche Dienste. Von den insgesamt dauerhaft benötigten 4.250 Arbeitskräften sollten 2.900 in Italien angeworben werden, ebenso wie 3.500 der Erntehelfer.130 Eine Masseneinwanderung nach demographischen Notwendigkeiten dürfte sich in jedem Fall differenzierter darstellen. Infolge dessen ist auch schon konstatiert worden, dass in Frankreich wie in anderen europäischen Industrieländern auch zur fraglichen Zeit kein genereller Arbeitskräftemangel herrschte, dass höchstens Bedarf an qualifizierten Kräften bestand, der wiederum nicht durch grenzüberschreitende Arbeitskräftezuwanderung befriedigt werden konnte.131 So bestand laut CEEC, bedingt durch den europäischen Wiederaufbau, zunächst vor allem Bedarf an Fachkräften für den Untertagebergbau, und das mit jeweils 25.000 Arbeitskräften vor allem in Frankreich und Belgien. Dagegen verfügte Italien, das Land mit dem unbestritten höchsten Arbeitskräfteüberschuss, zeitgleich über keine entsprechenden Facharbeiter (vgl. hierzu auch Tabellen 31, Seite 198, 32, Seite 199 und 33, Seite 199 im Anhang).132 Diese Feststellung kann durch den langfristigen Trend in Frankreich unterstrichen werden: Schaubild 3, Seite 61 zeigt nämlich, dass die Zahl der Erwerbstätigen im sekundä129 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité de la main-d’œuvre. Evolution de la Population totale et active des Pays participants entre 1938 et 1948. Paris, le 7 décembre 1949. S. 7–9. S. 9. 130 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Réunions de la commission interministérielle de l’immigration (1949–1951). Ministère de la santé publique et de la population, Direction générale de la population et de l’entraide: Compte-rendu de la Séance du jeudi 29 mars 1951 de la Commission Interministérielle de l’Immigration. S. 5 f. 131 Vgl. Steinert, Migration und Politik, S. 207; sowie: Die überschüssigen Arbeitskräfte in Westeuropa. In: Europa-Archiv, 4. Jg. 1949. S. 1911–1916. 132 Vgl. Die Wiedergesundung Europas, S. 7 und 31.



Forschungsstand und widersprüchliche Forschungsergebnisse

61

ren und tertiären Sektor vor allem infolge der Weltwirtschaftskrise zurückging und der Zweite Weltkrieg keinen Bruch in der folgenden Entwicklung darstellt. Angesichts stark rückläufiger Migrationszahlen, zahlreicher Rückkehrer in die Heimatländer und einer restriktiveren Zuwanderungspolitik wurde dies durch einen zeitgleichen Rückgang der Erwerbstätigen im primären Sektor erreicht.133 Alles das begründet jedoch, weshalb „le patronat a considéré, lui aussi, l’immigration comme une question assez marginale entre 1945 et 1955“134, warum also die Frage der Migration für die französischen Arbeitgeber von untergeordneter Bedeutung war. Schaubild 3: In französischer Industrie und im französischen Dienstleistungssektor Beschäftigte, 1806–1996 (in Mio.)

Quelle: Marchand, Olivier; Claude Thélot: Le Travail en France (1800–2000). Paris, 1997. S. 37.

Unterdessen versuchten zeitgenössische französische Bevölkerungspolitiker, finanzund währungspolitische Problemlagen in ihrem Sinne zu instrumentalisieren – was 133 Vgl. Marchand/Thélot, Travail en France, S. 63 und 31. 134 Wihtol de Wenden, Catherine: Les immigrés et la politique. Cent cinquante ans d’évolution. Paris, 1988. S. 100. Mit Verweis auf Henneresse, Marie-Claude: Le patronat et la politique française d’immigration 1945–1975. Thèse de 3e cycle. Paris, 1979. (Künftig zitiert: Wihtol de Wenden, Les immigrés et la politique).

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

für das realpolitische Gewicht dieser Probleme und den relativen Positionsverlust der Demographen spricht. So spricht Jean Bourgeois-Pichat, der spätere Direktor des Institut National d’Études démographique, in einem Aufsatz aus dem Jahr 1949 von vorteilhaften Effekten einer zweckmäßig gelenkten Einwanderung auf die Zahlungsbilanz der verschiedenen Länder, selbst wenn die Migranten einen Teil ihrer Löhne in ihre Heimatländer transferierten. Einwanderung bzw. Arbeitsmigration war aus dieser Perspektive dann willkommen, wenn die Devisenbilanz Frankreichs durch diese entlastet wurde, was die Migrationsströme im Zeitverlauf allerdings einer hohen Flexibilität hätte unterwerfen müssen.135 Für eine Instrumentalisierung der Devisenfrage spricht auch, dass die theoretischen Ausführungen Bourgeois-Pichats zumindest 1949, zum Zeitpunkt des Erscheinens seines Artikels in der Zeitschrift Population, stark mit der wirtschafts- und finanzpolitischen Realität kollidierten: „Pour les Italiens, la question des transferts nous donne la solution de deux problèmes touchant à des domaines différents et même contradictoires. D’une part, la réalisation d’une immigration familiale commandée par notre situation démographique, d’autre part, la construction de logements sans laquelle une telle immigration est impossible. Nous avons là un exemple de problème mal posé qui nous a semblé mériter qu’on s’y attardât un peu.“136 Nach wie vor fehlten nämlich nicht nur Devisen und Wohnungen; Frankreich war zu jener Zeit auch noch weit davon entfernt, die italienischen Migranten ihre Unterkünfte selbst bauen zu lassen, um damit die Lage auf dem Wohnungsmarkt für eine die Devisenbilanz entlastende Zuwanderung von Familien zu entspannen. Bedingt durch die Summe aller genannten Widersprüche, soll im Folgenden ein differenzierterer Blick auf die französische Migrationspolitik in der Zeit zwischen 1945 und 1955 unternommen werden. Dabei muss mit Augenmerk auf die europapolitische Komponente selbstredend die italienische Zuwanderung fokussiert und via Devisenfrage stärker die Rolle des Finanzministeriums berücksichtigt werden, dessen Einfluss als mindestens ebenso gewichtig eingeschätzt wird wie jener des über Visa entscheidenden Arbeitsministeriums: „D’ailleurs, le ministère du Travail restait maître de l’attribution ou non d’un visa, nécessaire pour introduire un travailleur étranger. Le ministère des Finances, chargé de la ventilation des crédits, exerçait de ce fait une influence également importante.“137 Das Commissariat au Plan ging mit seiner Aufgabe der Sicherung der Produktion und seinem Glauben an Produkti135 Vgl. Bourgeois-Pichat, Jean: Migrations et Balance des Comptes. In: Population, 4. Jg. 1949. Heft 3, S. 417–432. S. 432. (Künftig zitiert: Bourgeois-Pichat, Migrations et Balance des Comptes). 136 Bourgeois-Pichat, Migrations et Balance des Comptes, S. 432. 137 Schor, Histoire de l’immigration, S. 195.



Forschungsstand und widersprüchliche Forschungsergebnisse

63

vitätsfortschritte mit den Interessen der Gewerkschaften weitestgehend konform. Auch dürfte sich das Potential einer grundlegenden Konfliktlinie zwischen dem der Confédération générale du travail (CGT), einer der Kommunistischen Partei nahestehenden Gewerkschaft, angehörenden Arbeitsminister sowie dem Finanzministerium unter den skizzierten Bedingungen als gering erweisen. Zu den Économistes, so die im Folgenden verfolgte These, ist deshalb neben Finanz- und Wirtschaftsministerium sowie Planungskommissariat auch das Arbeitsministerium zu zählen (vgl. hierzu auch Tabelle 38, Seite 206 im Anhang); zudem ist der regelmäßig vernachlässigten138 außenpolitischen Komponente in diesem Sinn ebenfalls verstärkte Beachtung zu schenken.139 Die Wurzel der italienischen Migration nach Frankreich liegt nämlich in der Außenpolitik der beiden Länder begründet, in deren Rahmen Italien die Migration seiner Staatsbürger von Beginn an zu fördern, bald schon zu forcieren bestrebt war. Obwohl die italienische Arbeitsmigration nach Frankreich im weiteren Verlauf realiter maßgeblich von der Devisenfrage bestimmt war, definierte sie die französisch-italienischen Beziehungen darüber hinausgehend, und zwar spätestens seit 1949 auch auf internationaler, besonders europäischer Ebene. Dabei spielte sicherlich auch eine Rolle, dass es sich bei Italien um das Herkunftsland der mit Abstand größten Einwanderergruppe vor dem Zweiten Weltkrieg handelte (vgl. Tabelle 12, Seite 64). Die Bedeutung Frankreichs als Zielland der unmittelbar nach 1945 einsetzenden italienischen Migration zeigt sich umgekehrt wiederum daran, dass 1949, als 4.604 Personen alleine im Juni nach Frankreich einreisten, die jährliche Quote der USA für die italienische Migration nur 5.000 Personen vorsah.140 Der Stellenwert der so definierten, die Migrationsfrage einschließenden französisch-italienischen Beziehungen lag aber auch in der besonderen machtpolitischen Konstellation in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die wirtschaftlichen Probleme Frankreichs und Italiens schienen nämlich schon bald nicht nur deren 138 Rass, Christoph: Institutionalisierungsprozesse auf einem internationalen Arbeitsmarkt: Bilaterale Wanderungsverträge in Europa zwischen 1919 und 1974. Paderborn/München/Wien/Zürich, 2010. S. 93. (=Studien zur Historischen Migrationsforschung, 19), erwähnt immerhin, dass neben Innen-, Arbeits- und Sozial-, Gesundheits- und Bevölkerungsministerium auch das Außenministerium in die Planung der Migrationspolitik involviert war. (Künftig zitiert: Rass, Institutionalisierungsprozesse). 139 Vgl. dazu auch: Auffray, Bernard: Les Rapports Franco-Italiens en matière de maind’œuvre. In: Revue française du travail, Nr. 12/1947. S. 248–256. S. 251: L’„O.N.I. agissant pour le compte du Ministère du Travail, de celui des Affaires Étrangères et ayant adjoint à son personnel des représentants du Ministère de l’Intérieur“. (Künftig zitiert: Auffray, Rapports Franco-Italiens). 140 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Travailleurs italiens en France et dans l’union française. 31 décembre 1949. S. 24 f. S. 24.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

innenpolitische Stabilität, sondern auch den internationalen Handel, und damit die europäische Rekonstruktion, zu gefährden, was die US-amerikanische Administration in ihrem Vorhaben, den Plan Marshalls umzusetzen, bestärkte. “The governments in both countries faced chronic inflation, high unemployment, a shortage of grain, and serious trade deficits. Their shrinking [monetary] reserves would soon be exhausted and both would be forced to curtail imports and further restrict production. Such a course would almost certainly lead to political challenges from the Left and the Right. It might even lead to the collapse of existing governments and the emergence of Communist regimes […]. The Marshall plan offered a solution”.141 Insofern ist zunächst noch ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung in Frankreich zur Zeit der Vierten Republik notwendig, bevor die französisch-italienischen Migrationsabkommen analysiert werden können. Tabelle 12: Ausländische Beschäftigte in Frankreich, 1936, 1946 und 1949 (in 1.000) 1936

1946

1949

Italiener

399

280

420

Polen

219

216

195

Spanier

143

187

195

Belgier

118

93

100

Deutsche

28

10

75

Schweizer

46

35

35

Quelle: Archives diplomatiques, 193QO/271. Travailleurs italiens en France et dans l’union française. 31 décembre 1949. S. 24 f. S. 25.

Die Außenhandels- und Devisenschwäche Frankreichs bis zum Ende der Vierten Republik Zum Zeitpunkt der Befreiung war die französische Ökonomie stark in Mitleidenschaft gezogen. Ein Viertel des Wohnungsbestandes war zerstört oder beschädigt, in der Landwirtschaft mangelte es neben Arbeitskräften an Maschinen und Düngemitteln, und die industrielle Produktion war im Vergleich zu 1938 um zwei Drittel zurückgegangen. Die anfängliche niedrige Produktivität war Folge fehlender industrieller Ausrüstungen und Rohstoffe bei reichlich vorhandenen Arbeitskräften. Als die Investitionen seit 1949 stärker zunahmen, stieg die Produktivität, ohne dass sich 141 Hogan, Marshall Plan, S. 83 f.



Die Außenhandels- und Devisenschwäche Frankreichs

65

allerdings die Beschäftigtenzahlen erhöht hätten.142 Für den Wiederaufbau fehlte neben Transportmöglichkeiten besonders Kohle als Energieträger, die vorwiegend aus den USA importiert wurde und dadurch die Handelsbilanz massiv belastete. Da der gesamte Handel Frankreichs zunächst stark auf den Dollar-Raum ausgerichtet war, nützte die in der Summe ausgeglichene Handelsbilanz mit den europäischen Ländern wenig, zumal Frankreich gegenüber den europäischen Ländern, mit denen es bilaterale Zahlungsabkommen geschlossen hatte, Schuldner blieb: „Dès 1947 nous sommes à peu près en équilibre avec les pays de l’Europe continentale, voire même excédentaires avec certains d’entre eux. Mais cela reste relativement limité dans l’ensemble de notre balance qui à cette époque est tournée essentiellement vers les États-Unis.“143 Die französische Politik antwortete auf alle diese wirtschaftlichen Probleme mit Verstaatlichungen und der indikativen Planification, begleitet von einem ambitionierten Programm zur sozialen Sicherheit. Dabei wurde die Planification auch als ein Instrument zur Modernisierung der französischen Wirtschaft verstanden, vor allem aber verstärkte sie den politischen Druck, eine Lösung für die finanziellen und monetären Probleme Frankreichs zu finden. „L’après-guerre est marqué, au plan des équilibres généraux, par l’inflation galopante, liée à l’instabilité sociale et politique, la pénurie des produits et des capitaux, la permanence des problèmes de balance des paiements et de déficits commerciaux.“144

142 Vgl. Lattre, André de: La politique économique française de 1945 à 1970. Paris, 1972. S. 17. (Künftig zitiert: Lattre, Politique économique française). 143 Lattre, Politique économique française, S. 36. Für das Vorhergehende vgl. S. 39. 144 Stoffaës, Christian: La Restructuration industrielle 1945–1990. In: Lévy-Leboyer, Maurice; Jean-Claude Casanova (Hrsg.): Entre l’état et le marché. L’économie française des années 1880 à nos jours. Paris, 1991. S. 445–473. S. 448. (Künftig zitiert: Stoffaës, Restructuration industrielle; Lévy-Leboyer/Casanova, Entre l’état et le marché).

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Tabelle 13: Das Zahlungsbilanzdefizit Frankreichs 1938 und 1945–1956 (in Mio. US-Dollar) 1938 Außenbeitrag −420 Tourismus

1949

1950

−861,4 −1.527,2 −1.451,7 −1.428,3 −467,6

1945

1946

1947

1948

−78

107

−20,2

−18,6

9,3

70,1 120,6

141

Transporte/ Versicherungen

80

−25,8

−245,5

−310,7

−272,6 −208,8

−105

Zinseinkünfte

240

−14,9

82,6

121,9

Verschiedene Dienste

−18

−25,5

−24,1

Regierungsamtl. Verpflichtungen

---

22,9

Kriegsbedingte Operationen

---

Verpflichtungen des Auslands (incl. Überseegebiete)

132,1

1951 1952 1953 1954 1955 1956 −771 −619 −339 −179 77

24

−6

61

86 −808 33 −66

−213 −176 −113 −83 −124 −245

83,9

52

−7,3

−90,1 −75,4

−84

−94 −64 −110 −112 −71 −137

−44,7

60,6

−68,4 −113,1

−112

−123 −125 −131 −131 −129 −128

−213,2

25,5

8,7

---

−374,6

−269,7

Sonstiges

−69

22,2

−0,1

Saldo

−80 −1.490,5 −2.048,8 −1.675,7 −1.737,6 −706,5 −115,0 −1.000 −590 −116 263 603 −684

30,1

38

54

---

59

---

---

−162,6

−207,6 −167,3

---

72 258 468 565 642 519

56,1

97,1 134,2

71

14

56

---

71 103

−13

58

---

51

91

---

95

---

78

Quelle: Ministère des Finances, des Affaires Économiques et du Plan/Institut National de la Statistique et des Études Économiques: Mouvement économiques en France de 1944 à 1957. Paris, 1958. S. 104 und S. 248.

Mit Verschlechterung des Außenhandelsbeitrags sowie insgesamt des Zahlungsbilanzsaldos (vgl. Tabelle 13), aber auch infolge des über Anleihen und Lombard finanzierten strukturellen Haushaltsdefizits wertete der Franc nämlich kontinuierlich ab. Während Italien bis September 1947 beispielsweise nur 561.000 US-Dollar über internationale Kredite und Anleihen erhalten hatte (hinzu kamen allerdings noch 589.400 Dollar aus dem Programm der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen, UNRRA), belief sich das Volumen der von Frankreich erhaltenen ausländischen Gelder auf 3,122 Mio. US-Dollar.145 Pierre Mendès France, der als Wirtschaftsminister neben Strukturreformen schon früh eine strikte Finanz- und Währungspolitik zur Bekämpfung der Inflation angekündigt hatte, konnte sich innerhalb der provisorischen Regierung jedoch nicht gegen den Finanzminister durchsetzen. Weil dieser sich gegen eine entsprechende „Austeritätspolitik“ positionierte, wurden die ersten ernsthaften Versuche zur Bekämpfung der Inflation nicht vor 1947 eingeleitet. Bis dahin verstärkte sich die monetäre und finanzielle Krise weiter, was schließlich in die Entscheidung

145 Vgl. Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 43.



Die Außenhandels- und Devisenschwäche Frankreichs

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der Regierung Blum mündete, auf US-amerikanische Finanzhilfe zurückzugreifen.146 Aufgrund der nach wie vor herrschenden realwirtschaftlichen Engpässe, besonders was Energie, Rohstoffe und Arbeitskräfte in bestimmten Bereichen betraf, trug diese jedoch zur weiteren inflationären Entwicklung bei. Der Franc verlor durch Abwertung 63% seines offiziellen Wertes von 1940, während der Wertverlust auf dem Schwarzmarkt sogar 80% erreichte. Auch die weitere wirtschaftliche Entwicklung verlief trotz Sparversuchen, Exportanstrengungen und Arbeitszeitverlängerung unbefriedigend. Französische Produkte verkauften sich im Ausland schlecht, und selbst die drastische Reduzierung der Importe als Antwort hierauf erwies sich als unzureichend. Nicht zuletzt durch die schlechte Ernte im Jahr 1947, die die erneute Einführung der nach der Befreiung abgeschafften Brotkarte mit geringeren als während der Besatzungszeit zugewiesenen Rationen notwendig machte und einmal mehr Devisen beanspruchte, spitzte sich die französische Zahlungssituation zu. Trotz Inanspruchnahme französischer Vermögenswerte im Ausland, US-amerikanischer, britischer und kanadischer Kredite sowie Hilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank rückte der Staatsbankrott in den Bereich des Möglichen. Die Tatsache, dass es sich dabei um eine allgemeine europäische Finanz- und Handelskrise handelte, vermochte die sozialen Unruhen in Frankreich im Herbst desselben Jahres nicht zu verhindern. „La crise des paiements était européenne. L’Europe s’acheminait à la fin de l’année 1947 vers un collapsus commercial et financier général. La France vivait au jour le jour. Les évènements sociaux de l’automne 1947 étaient l’expression politisée de cette crise des paiements et du ravitaillement.“147 Erst die Ankündigung des Marshall-Plans sowie der Rücktritt der kommunistischen Minister aus der französischen Regierungsverantwortung ermöglichten der Regierung Schuman dann seit Januar 1948 die Inangriffnahme antiinflationärer und die Staatsfinanzen entlastender Maßnahmen. Finanzminister René Mayer versuchte nun auch das Außenhandelsdefizit zu bekämpfen und den Franc durch eine erneute Abwertung um 25% im Rahmen einer Währungsreform zu stabilisieren. Allerdings sollten zwei weitere Abwertungen folgen (vgl. Tabelle 14, Seite 68). Parallel dazu galten von nun an unterschiedliche Wechselkurse, so dass beispielsweise

146 Ausführlich hierzu insgesamt auch: Bonin, Hubert: Histoire Économique de la IVe République. Paris, 1987. S. 103–133. (Künftig zitiert: Bonin, Histoire Économique); sowie: Sédillot, René: Histoire du franc. Paris, 1979. S. 203–225. 147 Bossuat, Gérard: La France, l’aide américaine et la construction européenne 1944–1954. Hrsg. vom Ministère de l’économie et des finances. Paris, 1992. Bd. I, S. 112. Für das Vorhergehende vgl. S. 106–112 und 296 f. (Künftig zitiert: Bossuat, La France, l’aide américaine et la construction).

68

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

für Importe und Kapitaltransfers die niedrigste Franc-Parität maßgebend wurde148: „En janvier 1948, la dévaluation Mayer a instauré un système de changes multiples, contraire aux règles du F.M.I.“149 Frankreich zählte damit ebenso wie Italien zu den Ländern “with persisting heavy inflationary pressures and great instability of prices, in which there was also a great difference between the ‚controlled‘ prices and the free market prices”.150 Tabelle 14: Die Franc-Abwertungen 1944–1949 Kurs des Franc 1 US-$ August 1939 (Franc REYNAUD)

100 ital. Lire

37,85

199,01

November 1944

49,62

300,00

Dezember 1945

119,10

52,93

Januar 1948 freier Kurs*) Oktober 1948 freier Kurs*)

214,39 281,00 264,00 314,00

61,25 46,50

April 1949

330,00

55,55

September 1949

350,00

55,25

Juli 1958

420,00

67,50

Dezember 1958

493,70

78,99

4,93

0,79

Januar 1959 (Franc DE GAULLE) *)

Der seit 1948 bestehende „freie Devisenmarkt“ war weiterhin kontrolliert und bezog sich zunächst nur auf den US-Dollar und den portugiesischen Escudo, bald gefolgt vom Franken Belgiens und der Schweiz. Die Freigabe des Pfund Sterling scheiterte im September 1949. Vgl. Ministère des Finances, des Affaires Économiques et du Plan/Institut National de la Statistique et des Études Économiques: Mouvement économiques en France de 1944 à 1957. Paris, 1958. S. 230.

Quelle: Prate, Alain: La France et sa monnaie. Essai sur les relations entre la Banque de France et les gouvernements. Paris, 1987. S. 282.

148 Vgl. hierzu insgesamt: Chauveau, Sophie: L’économie de la France au 20e siècle. Sedes, 2000. S. 46–50. (Künftig zitiert: Chauveau, L’économie de la France); Eck, Jean-François: Histoire de l’économie française depuis 1945. Paris, 1996. S. 18 f. (Künftig zitiert: Eck, Histoire de l’économie française); vgl. Broder, Histoire économique, S. 103–110 und 132–136. 149 Vgl. Broder, Histoire économique, S. 137. 150 Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 46 f.



Die Außenhandels- und Devisenschwäche Frankreichs

69

Unter diesen Umständen erhielt Frankreich mit insgesamt knapp 2,2 Mrd. Dollar 20,3% der Mittel aus dem Marshall-Plan, davon nur 15% als Darlehen. Zu deren Verwendung wurde die erste Planperiode mit der Laufzeit des Marshall-Plans (bis 1952) synchronisiert und die Prioritäten der französischen Wirtschaftsplanung, die zunächst auf Kohle und Eisenbahn gerichtet waren, zu Gunsten von Elektrizität und Stahlindustrie verändert. Zudem galten nun die Sanierung der Landwirtschaft sowie die Erhöhung der Exporte als Ziel.151 Der sich anschließende zweite Plan für die Zeit 1953–1957 begünstigte neben der Energiepolitik die Ausstattung der Haushalte. Obwohl besonders dieser zweite Plan durch Erreichen oder sogar Übertreffen seiner Ziele als erfolgreich gilt, blieb der Zwang zur Steigerung der Produktivität umso stärker, als die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter einerseits nur in vergleichsweise geringem Maße zunahm und die Investitionen andererseits anhaltend durch hohe Kreditkosten behindert wurden. Zum Wachstum trugen unter diesen Bedingungen bis 1973 weniger die Faktoren Arbeit oder Kapital bei, als der „Residualfaktor“, hinter dem sich der technische und organisatorische Fortschritt verbirgt (vgl. Tabelle 15, Seite 70). Insgesamt gelang dadurch eine imposante wirtschaftliche Entwicklung mit einer Wachstumsrate von durchschnittlich 4,6% in den 1950er-Jahren, die selbst im Fall konjunktureller Einbrüche wie in den Jahren 1948/49 oder 1952 positiv blieb. „Et tout cela, malgré une instabilité économique, malgré des guerres coloniales absorbant plus du quart des dépenses budgétaires et nécessitant de coûteuses importations de matériel militaire, malgré, enfin, une fragilité permanente de la balance des paiements, obligeant à différer la libération des échanges de marchandises et des mouvements de capitaux.“152 Gegenüber der im Rahmen der OEEC früh anvisierten Handelsliberalisierung verhielt sich Frankreich aufgrund seiner anhaltenden finanz- und währungspolitischen Probleme reserviert. Der Franc geriet auf den Devisenmärkten nämlich immer wieder unter Druck: im Oktober 1949 beispielsweise infolge der Abwertung des Pfund Sterling und anderer europäischer Währungen, im Juni 1950 aufgrund der darauf folgenden inflationären Überhitzung, der sich allerdings zwischen 1952/53 und 1956 eine Stabilitätsphase anschloss. Der relativ schwache Außenwert der französischen Währung führte schließlich dazu, dass der Außenhandel Frankreichs noch zu Beginn der 1960er-Jahre auf die Franc-Zone ausgerichtet blieb. Oder umgekehrt: 151 Vgl. Broder, Histoire économique, S. 115–120; Stoffaës, Restructuration industrielle, S. 449 ff., und: Cazes, Bernard: Un demi-siècle de planification indicative. In: Lévy-Leboyer/Casanova, Entre l’état et le marché, S. 473–506. S. 485–490. Zum Marshall-Plan und der US-amerikanischen Hilfe für Frankreich insgesamt vgl. ausführlich: Bossuat, La France, l’aide américaine et la construction, Bd. I, S. 229–611. 152 Eck, Histoire de l’économie française, S. 5.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

„le protectionnisme douanier correspond à des relations privilégiées avec l’Empire colonial, devenu dès 1928 premier partenaire commercial de la métropole et resté à cette place trente ans plus tard.“153 Allerdings kehrten sich die Außenbeiträge gegenüber den USA einerseits und Europa andererseits um, wozu der Rückgang der Kohle- und Getreideimporte aus den USA sowie die teilweise massive Steigerung der Exporte in europäische Länder beitrugen.154 Tabelle 15: Der Beitrag verschiedener Faktoren zum Wirtschaftswachstum Frankreichs in der Zeit 1951–1973 Wachstumsbeitrag (in %) Arbeitsvolumen

0,15

Arbeitszeit

−0,3

Qualität des Faktors Arbeit

0,4

Arbeitsmigration

0,5

Kapitalvolumen

1,3

Alter des Kapitalbestands Residualfaktor

0,25 3,1

Quelle: Eck, Jean-François: Histoire de l’économie française depuis 1945. Paris, 1996. S. 8.

Bis 1957 bemühten sich die französischen Regierungen, darunter besonders Finanzminister Antoine Pinay („ministère de la défense du franc“) immer wieder, die Inflation zu bekämpfen und dabei gleichzeitig kontraktive Reaktionen zu verhindern. Pinay setzte dazu besonders beim Devisen- und beim Haushaltsdefizit an, widersetzte sich aber wie auch die folgenden Administrationen einer Abwertung des Fancs, was französische Exporte anhaltend erschwerte.155 Erst das Kriegsende in Indochina setzte unter Pierre Mendès France zusätzliche Ressourcen für die Wirtschaft Frankreichs frei, die dieser allerdings bereits 1956/57 wieder durch die Algerien-Krise verloren gingen. Der Kauf von Rüstungsgütern und die Einfuhr von Lebensmitteln ließen das Handelsbilanzdefizit erneut so anschwellen, dass zu Beginn des Jahres 1957 die französischen Devisenreserven praktisch aufgebraucht waren. Der dadurch erneut geschwächte Franc wurde zum 1. Januar 1959 durch den neuen Franc (im Verhältnis 1 : 100) ersetzt, was nun aber dessen Konvertibilität und die Öffnung der französischen Wirtschaft in Richtung Europa erlaubte. 153 Eck, Histoire de l’économie française, S. 6. 154 Vgl. Lattre, Politique économique française, S. 58 f. und 110. 155 Ausführlich hierzu insgesamt: Bonin, Histoire Économique, S. 195–214.



Die Außenhandels- und Devisenschwäche Frankreichs

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Dennoch blieben die 1939 eingeführten Devisenkontrollen bis 1968 bestehen.156 „Jusqu’en 1959, la France reste en effet dans un cadre commercial fermé. A part quelques brèves tentatives […], les gouvernements maintiennent le protectionnisme douanier hérité de Méline et le contrôle des changes mis en place en 1939.“157 Trotz der Teilnahme am GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) hat Frankreich also seine seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehende protektionistische Schutzzollpolitik sowie die Devisenkontrollen aus der Vorkriegszeit während der 1950er-Jahre beibehalten, und an Stelle der innerhalb der OEEC geforderten 75%igen Handelsliberalisierung nur 20% seines Handels freigegeben.158 Aus allem resultierte die fast durchgehende Defizitposition Frankreichs, zunächst im Rahmen des Europäischen Zahlungs- und Kompensationsabkommens, anschließend unter den Bedingungen der Europäischen Zahlungsunion (vgl. Tabelle 16, Seite 72). Zwischen 1952 und 1957 galt Gleiches zwar auch für Italien, nach Überwindung der westdeutschen Zahlungskrise von 1950/51 suchte die italienische Regierung allerdings nach einer Lösung durch Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland. Ein Grund hierfür war auch die Wirtschafts- und Devisenschwäche Frankreichs im Verhältnis zu Italien, zumal Frankreich durch seine restriktive Außenwirtschaftspolitik Italien wenig Hoffnung auf Veränderung im Sinne handels- bzw. allgemeiner wirtschaftspolitischer Erleichterungen bot. So setzte Frankreich als Mitglied der EZU auch das Europäische Zahlungsabkommen von 1955 nicht um. Im Gegensatz zur Deutschen Mark blieb der (alte) Franc damit unkonvertierbar und für Gebietsfremde untransferierbar. Alle aus dem Import und Export resultierenden Transaktionen wurden dementsprechend von der Banque de France abgewickelt, alle anderen, nicht aus dem Handel resultierenden Währungsoperationen mussten, wenn sie nicht ohnehin verboten waren, vom Finanzministerium genehmigt werden.159

156 Vgl. hierzu insgesamt: Chauveau, L’économie de la France, S. 52–59; Eck, Histoire de l’économie française, S. 19  ff.; sowie: Casanova, Jean-Claude: Les échanges extérieurs: un équilibre précaire. In: Lévy-Leboyer/Casanova, Entre l’état et le marché, S. 545–568. S. 545. 157 Eck, Histoire de l’économie française, S. 6. 158 Vgl. Broder, Histoire économique, S. 138. 159 Vgl. Eck, Histoire de l’économie française, S. 6 und 23.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Tabelle 16: Defizit- oder Überschusspositionen unter dem Europäischen Zahlungsabkommen und in der Europäischen Zahlungsunion, Haushaltsjahr 1948/49–1958 (in Mio. US-Dollar) Haushaltsjahr

Frankreich

Westdeutschland

Italien

1948/49

−201

+91

+215

1949/50

+203

–141

+90

1950/51

+194

–281

–30

1951/52

–602

+584

+194

1952/53

–417

+260

–223

1953/54

–149

+518

–210

1954/55

+115

+296

–225

1955/56

–180

+584

–125

1956/57

–969

+1.336

–94

1957/58

–576

+826

+219

2. Halbjahr 1958

–317

+350

+73

Quelle: Kaplan, Jacob J.; Günther Schleiminger: The European Payments Union. Financial Diplomacy in the 1950s. Oxford, 1989. S. 128 und 350.

Reziproke Arbeits- und Kapitalkomplementarität? – oder: Französisch-italienische Migrationsabkommen im Spannungsfeld von Diplomatie, außenwirtschaftlichen Zwängen und organisierten Interessen Der Wechsel Italiens auf die Seite der Alliierten erleichterte, dass Frankreich nach Ende des Zweiten Weltkriegs schon bald wieder über verschiedenste völkerrechtliche Verträge mit Italien verhandelte. Dies führte bereits am 22. Februar 1946 zur Unterzeichnung eines ersten Anwerbeabkommens für Bergleute, das durch Notenaustausch vom 29. April 1946 in Kraft trat.160 Grundlegender waren zunächst aber der Accord Commercial entre la France et l’Italie, das Handelsabkommen vom 9. Februar 1946 also, das ein Zahlungsabkommen, einen Accord de Paiement, einschloss. Obwohl mit Artikel 1 dieses Handelsabkommens der Wunsch zum Ausdruck gebracht wurde, den Warenaustausch so freiheitlich wie möglich zu gestalten, folgten nach Regelung vorwiegend technischer Fragen zur Bezahlung des Warenaustausches Wert- und Höchstmengenangaben für explizit benannte Waren in anliegenden Export- und 160 Vgl. The Franco-Italian Migration Agreements. In: International Labour Review, 55/1947. Heft 5, S. 395–402. S. 396. (Künftig zitiert: The Franco-Italian Migration Agreements).



Reziproke Arbeits- und Kapitalkomplementarität?

73

Importlisten. Seinerzeit gab es rund 200 solcher bilateraler Abkommen, „die den europäischen Handel regelten und ihm gleichzeitig Fesseln anlegten. Der innereuropäische Handel umfaßte zu dieser Zeit gerade einmal 56 Prozent des Vorkriegsvolumens.“161 Weil solche mengenmäßigen Importbeschränkungen innerhalb der OEEC erst 1955 weitestgehend beseitigt waren, blieben entsprechende bilaterale Verhandlungen noch bis in die 1950er-Jahre hinein Usus162, was wiederum europäische Zahlungsabkommen erforderte.163 Der Grund für dieses illiberale Handelsregime lag in der fehlenden Konvertibilität der Währungen; beides war aus dem Zusammenbruch des Weltwirtschafts- und Währungssystems im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre hervorgegangen. Für ihren so definierten Außenhandel vereinbarten die beiden Länder jedenfalls Defizithöchstgrenzen. Die dafür grundlegende italienisch-französische Zahlungsbilanzstatistik führte das für den An- und Verkauf von Gold, Devisen und ausländischen Wertpapieren zuständige Ufficio Italiano dei Cambi. Sollte dessen Außenhandelsstatistik für einen der beiden Vertragspartner ein Defizit von mehr als 400 Mio. Lire oder während 30 aufeinander folgender Tage mehr als 300 Mio. Lire ausweisen, durfte das Gläubigerland den Außenhandel aussetzen, bis die Defizitgrenzen wieder unterschritten wurden. Allerdings konnte das Schuldnerland sein Defizit auch durch Zahlungen in Gold oder Devisen ausgleichen. Außerdem fixierte das Zahlungsabkommen in Artikel 6 den Wechselkurs auf 119,10 Francs für 100 Lire. Einer der anhängenden diplomatischen Briefe, und das sollte für die Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten wichtig werden, ermöglichte jedoch die Zahlung eines Wechselkurszuschlags (prime additionnelle), also das Abweichen vom offiziellen Wechselkurs, für in Italien lebende Begünstigte mit einem Lire-Konto bei der Banque de France.164 In solchen Fällen waren 100 Lire also nicht mehr für rund 119 Francs, sondern für nur knapp 53 Francs zu erhalten.165 In der folgenden Zeit, beispielsweise schon wieder am 22. Dezember 1946166, sind die zunächst vereinbarten Export- und Importlisten 161 Lehmann, Marshall-Plan, S. 48. 162 Vgl. CAEF, B-0010781/1. Reconduction de l’accord commercial franco-italien du 21 avril 1956. Protocole et annexes signés à Paris le 1er avril 1958. 163 Vgl. beispielsweise: CAEF, B-0010781/1. Procès-verbal de la Commission mixte francoitalienne réunie à Bruxelles le 6  décembre  1948; Le Ministre des Affaires étrangères à Monsieur le Président du Conseil, Ministre des Finances, 14.12.1948. 164 Vgl. CAEF, B-0065233/4. Accord commercial entre la France et l’Italie signé à Rome, 9.2.1946, und Accord de paiement entre la France et l’Italie. 165 Vgl. CAEF, B-0065233/4. Journal officiel de la République Française, 5 mars 1946: Avis n° 75 de l’office des changes relatif aux relations financières entre la zone franc et l’Italie. 166 Vgl. Accord commercial entre l’Italie et la France signé à Rome, 22 décembre 1946. In: Atti Parlamentari: Assemblea Costituente, Nr. 26. Seduta del 23 Iuglio 1947. S. 1–19.

74

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

regelmäßig den sich wandelnden wirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst worden, wovon besonders die umfangreichen, 20 Seiten umfassenden Listen des Arrangement commercial franco-italien vom 25. Juli 1947167 oder jene von Spielwaren über Wein bis zu Werkzeugen reichenden des Accord commercial et financier franco-italien vom 20. März 1948168 Aufschluss geben. Letzterer fixierte den Wechselkurs für 100 Lire zugleich auf rund 45,50 Francs. Als vorläufiger, bereits am 12. Juli 1947 auf internationaler Ebene bekannt gegebener169 Schlusspunkt dieser frühen diplomatischen Bemühungen war bis Mitte der 1950er-Jahre eine Wirtschaftsunion mit freiem Personen-, Waren- und Kapitalverkehr zwischen Frankreich und Italien anvisiert, der als erster Etappe eine bis 1950 zu gründende französisch-italienische Zollunion (Union douanière entre la France et l’Italie) vorausgehen sollte.170 Im Zusammenhang mit der Zollunion wurde zunächst die “general and absolute complementarity of the two economies especially in the field of capitals (on the part of France) and of labour (on the part of Italy)”171 betont, worin sich der Wunsch Italiens ausdrückte, Frankreich könne schon bald wieder seine traditionelle Rolle als Lieferant von Kapital, Investitionsgütern und Rohstoffen für Italien spielen, während Italien seinen Arbeitskräfteüberschuss in die dünn besiedelten Regionen Südfrankreichs oder in industrielle Bereiche hätte exportieren können.172 Maßgeblicher Beweggrund für die französisch-italienische Zollunion war aber wohl der über den Marshall-Plan transportierte amerikanische Einfluss, dem zu folgen

167 Vgl. CAEF, B-0010781/1. Arrangement Commercial franco-italien signé à Berne le 25 juillet 1947. 168 Vgl. CAEF, B-0010781/1. Accord Commercial et Financier franco-italien signé à Turin, 20.03.1948. 169 Vgl. Guillen, Pierre: Le projet d’union économique entre la France, l’Italie et le Benelux. In: Poidevin, Raymond (Hrsg.): Histoire des débuts de la construction européenne (mars  1948–mai  1950). Bruxelles/Milano/Paris/Baden-Baden, S. 143–164. S. 143. (Künftig zitiert: Guillen, Projet d’union économique). 170 Vgl. CAEF, B-0010780/1. N°  7165. Assemblée Nationale. Session de 1949. Projet de Loi, autorisant le Président de la République à ratifier le traité d’Union douanière entre la France et l’Italie signé à Paris le 26 mars 1949. Vgl. hierzu insgesamt auch: Guillen, Projet d’union économique, S. 145. Eine Übersetzung des Vertragstextes findet sich in: EuropaArchiv, 4. Jg. 1949. S. 2245 f. 171 Fauri, Francesca: Italy in International Economic Cooperation. The Franco-Italian Customs Union and the Fritalux-Finibel Negotiations. In: Journal of European Integration History, 1. Jg. 1995, Heft 2, S. 27–45. S. 29. (Künftig zitiert: Fauri, Italy in International Economic Cooperation). 172 Vgl. Fauri, Italy in International Economic Cooperation, S. 37.



Reziproke Arbeits- und Kapitalkomplementarität?

75

mit entsprechenden finanziellen Mitteln belohnt wurde.173 Tatsächlich enthielt der Marshall-Plan „eine Anzahl spezifischer Zielsetzungen wie den Ausbau der Handelsbeziehungen, Zollsenkungen, den Auftrag, die Errichtung von Zollunionen oder Freihandelszonen zu untersuchen, die Währungen zu stabilisieren, für ausgeglichene Etats zu sorgen, Vollbeschäftigung anzustreben.“174 Inspiriert vom Wunsch nach politischer Rehabilitierung, hoffte Italien nicht zuletzt aber auch, dass “closer ties with France could facilitate the negotiations of immigration treaties to help solve Italy’s unemployment problems.”175 Auch wenn das gemeinsame Anliegen eines französisch-italienischen wirtschaftlichen Gegengewichts zu Westdeutschland hinzutrat,176 scheiterte der Plan der Zollunion letztlich. Trotz des Wegfalls von Zöllen sah dieser nämlich für eine Übergangszeit weiterhin den Handel begrenzende Quoten vor, was mit dem Programm der dann aber zwischenzeitlich gegründeten OEEC kollidierte, das die Abschaffung aller Quoten in Europa bis Juni 1949 forderte. Allerdings spielte auch der Widerstand der französischen organisierten Interessen eine nicht zu unterschätzende Rolle,177 die über den mit beratender Funktion ausgestatteten Conseil Économique die Gefahren für den französischen Arbeitsmarkt und Wiederaufbau angesichts mindestens zwei Millionen Arbeitsloser in Italien betonten. “In fact, a complete customs union was inconceivable until Italy had solved the problem of its labour surplus. It was difficult to find two countries in Western Europe with more different economic policies and not hard to see that the lack of controls and central direction in the Italian economy offered little possibility of the acceptance of the principles and methods of French reconstruction.”178 Indem nämlich die italienischen Verhandlungsführer von Beginn an versuchten, den freien Personenverkehr bereits mit der geplanten Zoll- und nicht erst mit der ferneren Wirtschaftsunion zu verankern, gerieten ihre französischen Partner immer stärker unter innenpolitischen Druck, so dass die Vereinbarung über die Zollunion vom 7. März 1950, die Bestimmungen über die Wanderung von Arbeitskräften enthielt, niemals ratifiziert wurde. “French labor naturally looked with distaste on the prospect of heavy immigration from Italy. The aim of the Italian government, said a representative of the Confédération Générale du Travail, was to end unemployment 173 Vgl. Fauri, Italy in International Economic Cooperation, S. 28; Guillen, Projet d’union économique, S. 144. Siehe hierzu sehr ausführlich auch: Bossuat, La France, l’aide américaine et la construction, Bd. II, S. 708–722. 174 Brunn, Gerhard: Die europäische Einigung von 1945 bis heute. Stuttgart, 2002. S. 45. (Künftig zitiert: Brunn, Europäische Einigung). 175 Fauri, Italy in International Economic Cooperation, S. 28. 176 Vgl. Guillen, Projet d’union économique, S. 144. 177 Vgl. Fauri, Italy in International Economic Cooperation, S. 38; Guillen, Projet d’union économique, S. 150 f. 178 Milward, Reconstruction, S. 254.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

as an Italian problem and make it Franco-Italian.”179 Ähnliches sollte sich im Rahmen der anschließend geplanten, um die Benelux-Staaten erweiterten Wirtschaftsunion „Fritalux“ bzw. „Finebel“ ereignen: „Même effet négatif des problèmes d’immigration dans la négociation du projet Finebel (association économique entre la France, l’Italie et le Benelux). La délégation italienne réclame la libre circulation de la main-d’œuvre, la délégation française ne peut que répondre négativement, car le ministre français du Travail s’y oppose, prédisant chômage et baisse de salaires.“180 Während sich Italien also von Beginn an um den ‚Export‘ zumindest eines Teils seiner Arbeitslosen und seines starken Bevölkerungsüberschusses bemühte, beanspruchten Staaten, deren Angehörige traditionell in französischen Bergwerken gearbeitet hatten, wie die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen, zunächst erst einmal die Rückführung ihrer Staatsbürger, da sie diese für ihren eigenen Wiederaufbau als Arbeitskräfte benötigten. Unter dem Druck der angelsächsischen öffentlichen Meinung mussten zudem bis Ende des Jahres 1948 etwa 600.000 Personen aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen und an ihren Arbeitsplätzen ersetzt werden. Frankreich bemühte sich deshalb um die Weiterbeschäftigung ehemaliger Kriegsgefangener auf freiwillig-ziviler Basis und durfte später auch in der amerikanischen und britischen Besatzungszone (Abkommen vom 25. Oktober bzw. 29./30. September 1947) Deutsche sowie Displaced Persons als Arbeitskräfte anwerben. Allerdings blieben die Rekrutierungen quantitativ weit hinter den französischen Erwartungen zurück (vgl. auch Tabelle 17, Seite 96).181 Da die Entlassung von Kriegsgefangenen nach der Haager Landkriegsordnung „binnen kürzester Frist“ nach Beendigung der Kampfhandlungen erfolgen sollte,182 hatte Frankreich der italienischen Vertretung in Paris die Freilassung italienischer Kriegsgefangener bereits am 20. August 1945 bekannt gegeben. Am 20. November 1945 folgte dann schon das Angebot an die italienische Regierung, das französischitalienische Arbeitsabkommen von 1919 (Traité de travail entre la France et l’Italie)183 179 Diebold, William: Trade and Payments in Western Europe. A Study in Economic Cooperation 1947–51. New York, 1952. S. 370. (Künftig zitiert: Diebold, Trade and Payments). 180 Guillen, L’immigration italienne en France, S. 44. 181 Vgl. Viet, La France immigrée, S. 145–148, sowie ausführlich: Steinert, Migration und Politik, S. 44–55. 182 Vgl. Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, Artikel 20. Abrufbar unter: http://www.1000dokumente. de/index.html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=pdf&st=&l=de (31.07.2015). 183 Traité de travail, signé à Rome le 30 septembre 1919. In: Recueil général des Traités de la France. 1re Série: Accords bilatéraux publiés et non publiés au Journal Officiel de la République Française 1919–1928. Paris, 1984. Deuxième Volume, S. 129–133.



Reziproke Arbeits- und Kapitalkomplementarität?

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provisorisch wieder in Kraft zu setzen, um möglichst schnell 20.000 Bergarbeiter rekrutieren zu können. Die Unterzeichnung eines neuen Abkommens, das Ende des Jahres 1945 oder Anfang Januar 1946 verhandelt werden sollte, würde folgen. Insgesamt stehen diese frühen Bemühungen zur Gewinnung von Arbeitskräften für den französischen Wiederaufbau im Kontext der Bestrebungen um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Frankreich und Italien. Deshalb wurde zugleich auch der Abschluss eines konsularischen Abkommens sowie des großen Reiseverkehrs zwischen den beiden Ländern, besonders für Geschäftsreisende, in Aussicht gestellt.184 Gleichzeitig aber spielte die Erleichterung für den Zuzug italienischer Arbeitskräfte eine so herausragende Rolle, dass Gespräche hierüber zwischen General de Gaulle und dem italienischen Botschafter in Paris, Giuseppe Saragat, sowie anschließend mit dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi schon seit Sommer 1945 stattfanden. Unterstützung erhielt die französische Regierung dabei vom Parlament, das in seiner Sitzung vom 17. Januar 1946 die das Humankapital betreffende Komplementarität beider Länder hervorhob: „Dès l’été 1945, lors d’entretiens entre le Général de Gaulle et Saragat puis De Gasperi, il a été décidé d’ouvrir des négociations pour faciliter l’introduction en France de main-d’œuvre italienne. La question est également évoquée à l’Assemblée constituante en janvier 1946; les orateurs soulignent la complémentarité des deux pays: l’Italie est prolifique et surpeuplée, et la France manque de main-d’œuvre.“185 Bei der die Gewinnung von Arbeitskräften betreffenden Vereinbarung schwebte der französischen Seite in jedem Fall ein wörtlich zu nehmendes Anwerbeabkommen vor, da das französische Außenministerium in Absprache mit den Ministerien für Inneres, Arbeit und öffentliche Gesundheit bereits jetzt die Möglichkeit der Arbeitskräfterekrutierung nach Berufskategorien durch eigene Organe in Italien vertraglich fixiert sehen wollte.186 Was diese Art der Rekrutierung betrifft, sah sich Frankreich in einer starken Position, weil Italien schon jetzt um Auswanderungsmöglichkeiten für seinen Arbeitskräfteüberschuss bemüht war: „L’Italie dispose actuellement d’un très important surplus de main-d’œuvre qu’elle cherche à orienter vers les pays étrangers. De ce fait, nous sommes dans une bonne position pour améliorer les clauses contractuelles du Traité de 1919 en ce qui concerne les méthodes de recrutement et les régions

184 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/86. Ministère des Affaires Étrangères, Direction Générale des Affaires Administratives. Note a. s. Relations franco-italiennes, 3 décembre 1945. S. 30. 185 Guillen, L’immigration italienne en France, S. 39. 186 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/86. Direction Générale des Affaires Politiques– Confidentiel: Questions italiennes. 1er décembre 1945. S. 1–26. S. 13 f.

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d’origine.“187 Während der Verhandlungen stellte sich dann allerdings recht bald heraus, dass Italien das französische Vorhaben in dieser Form nicht zu akzeptieren gewillt war. Für die Rekrutierung der 20.000 Bergleute forderten die italienischen Verhandlungsführer vielmehr das erneute, dauerhafte Inkrafttreten des Traité de travail von 1919, dessen erster Artikel den Arbeitsmigranten jegliche administrative Erleichterung sowie die freie Einreise nach Frankreich garantierte und auch darüber hinausgehend umfangreicheren Inhalts war, beispielsweise was die Erleichterung des Aufenthalts und die Niederlassung der Migranten sowie deren sozialgesetzliche und -versicherungsrechtliche Gleichstellung betraf.188 Zudem forderte Italien das erneute Inkrafttreten der konsularischen Bestimmungen von 1930 (traité d’établissement/ convention consulaire). Zu letzterem war das französische Außenministerium allerdings (noch) nicht bereit, das alles, selbst den geplanten Friedensvertrag mit Italien, vom Abschluss der französisch-italienischen Abrede über das Arbeitsabkommen abhängig machte: „M. Bousquet expose que […] tout est dominé par la conclusion de l’accord de travail avec l’Italie, au sujet duquel les négociations ont déjà commencé.“189 Am 22. Februar 1946 einigten sich Frankreich und Italien schließlich auf das Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond pour les mines françaises. Die auf Initiative des französischen Arbeitsministeriums entsandte Verhandlungskommission, der auch ein Vertreter des Ministeriums für industrielle Produktion, ein Vertreter des staatlichen Kohlekonzerns Charbonnages de France sowie ein Vertreter der Gewerkschaft CGT angehörten, handelte damit nach offizieller Lesart die Rekrutierung von 20.000 italienischen Arbeitskräften für den französischen Untertagebergbau aus.190 So bestimmte Artikel 1: „Le présent Arrangement s’applique au recrutement de 20 000 ouvriers italiens désireux de s’engager pour les travaux du fond des mines françaises.“191 Der Annahme, das Arrangement 187 Archives diplomatiques, 193QO/86. Direction Générale des Affaires Administratives. Note: Convention consulaire et Convention d’établissement franco-italiennes, 5 décembre 1945. S. 38–42. S. 38 f. 188 Vgl. Traité de Travail entre la France et l’Italie, signé à Rome le 20 septembre 1919. Abrufbar unter: http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/mentions-legales-infos-pratiques/faq/ article/archives-diplomatiques, dort wiederum unter http://www.doc.diplomatie.gouv. fr/pacte (31.07.2015). Eine englische Übersetzung findet sich auch in: International Labour Office: Legislative Series, 1920 – International 2 (France–Italy). S. 1–8. 189 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/86. Ministère des Affaires Étrangères, Direction d’Europe. Compte-Rendu, a/s Traité de paix avec l’Italie, 31 décembre 1945. S. 81–85. S. 81 f. 190 Vgl. Auffray, Rapports Franco-Italiens, S. 248 f. 191 Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond pour les mines françaises, signé à Rome le 22 février 1946. In: Recueil général des Traités de la



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vom 22. Februar 1946 habe sich ausschließlich auf Bergarbeiter bezogen, steht jedoch die Aussage des Leiters der französischen Delegation, Bernard Auffray, entgegen: „En vertu de cet arrangement, tout ouvrier italien qui entre en France est certain d’y trouver un emploi“192. Oder, wie die ILO in ihrem Publikationsorgan International Labour Review urteilte: “There was, in fact, no question of attempting to find real professional miners; such specialised workers do not exist in Italy, whose mineral resources are small.”193 Für den Fall nämlich, dass die obligatorische medizinische Untersuchung einen italienischen Bewerber als für den Untertagebau ungeeignet beurteilte, wurde diesem in Anlehnung an Artikel 13 umgehend ein alternativer Arbeitsplatz angeboten: „Les candidats acceptés par le contrôle [médical et professionnel] prévu […] seront […] admis au travail en France même si, à la suite de l’examen médical à l’embauche de la mine, ils étaient tenus pour inaptes au travail du fond. Dans ce dernier cas, le Gouvernement français s’engage à faciliter le placement de ces ouvriers dans l’une des professions dont la liste et les conditions de salaires seront périodiquement communiquées aux Autorités italiennes […]. Ce placement se fera dans la mesure du possible dans l’entreprise minière à laquelle l’ouvrier était primitivement destiné.“194 Aus diesem Grund konnten auch Unternehmen für öffentliche Arbeiten und zur Baustoffherstellung früh erste italienische Arbeitskräfte beschäftigen.195 In arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht stellte die vertraglich fixierte Übereinkunft die italienischen den französischen Arbeitern gleich, zudem war der Nachzug der Familien vorgesehen. Solange der französische Wohnungsmarkt diesen nicht erlaubte, flossen die Familienbeihilfen des französischen Staates auf ein für diesen Zweck eingerichtetes Sperrkonto. Das dort auflaufende Francs-Guthaben verfiel, wenn die Familie des italienischen Arbeiters nicht vier Monate nach Verständigung der französischen mit den italienischen Behörden über deren Niederlassung ihren Wohnsitz in Frankreich genommen hatte. Entscheidend für die Zukunft sollte jedoch die Frage der Heimatüberweisungen werden, deren Umfang dem französischen Minister für Arbeit und soziale Sicherheit von Beginn an als zu gering erschien. Deshalb kam es früh zu Auseinandersetzungen mit dem französischen Finanzministerium, das die

192 193 194 195

France. 1re Série: Accords bilatéraux publiés et non publiés au Journal Officiel de la République Française 1945–1949. Paris, 1982. Quatrième Volume, S. 41–43. S. 41. (Künftig zitiert: Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond). Auffray, Rapports Franco-Italiens, S. 250. The Franco-Italian Migration Agreements, S. 396. Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond, S. 42 f. Vgl. Auffray, Rapports Franco-Italiens, S. 250.

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geplante Anwerbung durch vergleichsweise geringe Überweisungssätze behinderte.196 Mit dem Inkrafttreten des Arrangements am 1. Mai 1946 wurde den Arbeitsmigranten nämlich je nach Familienstand die Überweisung von nur 1.500 bis maximal 3.000 Francs monatlich, was etwa 2.800 bis 5.600 Lire entsprach, ermöglicht. Die monetären Anreize, das sollte sich schon bald zeigen, waren damit insgesamt jedenfalls zu gering, um die geplanten 20.000 italienischen Arbeitskräfte für Arbeiten im französischen Bergbau zu gewinnen. Ein über die unmittelbare Frage der Arbeitskräfteanwerbung hinausgehendes Zahlungs- bzw. Kompensationsproblem kam hinzu. Weil die europäischen Währungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht konvertibel waren, wurde für die Heimatüberweisungen der italienischen Arbeiter ein auf französische Francs lautendes Spezialkonto (Compte ouvriers italiens en France) bei der Banque de France eröffnet.197 Dieses Konto unterlag einer Wechselkurssicherung198 nach dem italienisch-französischen Zahlungsabkommen: „Le compte ‚ouvriers italiens en France‘ bénéficiera d’une garantie de change dans les conditions de l’article 7 de l’accord de paiement franco-italien du 9 février 1946.“199 Nach dem Wortlaut weiterer Ausführungsbestimmungen sollten die so bei der Banque de France zu Gunsten Italiens auflaufenden Gelder für alle von Italien in Frankreich zu tätigenden Zahlungen genutzt werden, besonders also der Begleichung der aus französischen Warenexporten nach Italien resultierenden Forderungen dienen. Diese Regelung bezog sich ausdrücklich auch auf Warenkontingente, die über jene durch das Handelsabkommen vorgesehene hinaus gingen: „Ledit compte sera utilisé pour tout paiement à faire en France, notamment pour l’importation de marchandises de France en Italie, en plus ou en dehors des contingents prévus par l’accord commercial en vigueur, marchandises pour lesquelles le Gouvernement fran-

196 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Ministère du travail et de la sécurité sociale, Direction générale du travail et de la main-d’œuvre, au Ministre des finances, ca. 26 September 1946. 197 Vgl. hierzu insgesamt: CAEF, B-0010782/1. Monsieur de Gasperi, Président du Conseil des Ministres, à Monsieur le Président. Rome, le 29 avril 1946. 198 Der entsprechende Artikel 7 des Accord de paiement entre la France et l’Italie vom 9. Februar 1946 bestimmte in seinem ersten Absatz diesbezüglich: „Si l’un des deux Gouvernements réduit la valeur de sa monnaie il devra ajuster dans la proportion de cette variation les avoirs en cette monnaie détenus au titre du présent Accord respectivement par la Banque de France ou l’,Ufficio Italiano dei Cambiʻ.“ CAEF, B-0065233/4. Accord commercial entre la France et l’Italie signé à Rome, 9.2.1946. 199 ABdF, 1370199403. Ministère des Finances, Direction du Trésor, 5ème bureau à Monsieur le Gouverneur du 20 mai 1946. Objet: Transfert des économies des mineurs italiens en France.



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çais délivrera, en son temps, les licences d’exportation éventuellement nécessaires.“200 Zur Lieferung zusätzlicher, über die im Handelsabkommen fixierten hinausgehenden, von der italienischen Volkswirtschaft durchaus benötigten Warenmengen war die französische Ökonomie seinerzeit jedoch nicht in der Lage: “the economic situation of France did not in practice allow the export to Italy of larger quantities of goods than those laid down by this agreement.”201 Infolge dieser ‚Zahlungs-‘ oder besser Kompensationsprobleme musste auch die weitergehende Anwerbung der von Frankreich angeforderten Arbeitskräfte scheitern, zumal Frankreich bereits jetzt mit anderen Ländern um die italienischen Arbeiter konkurrierte: “In the same way that France was short of manpower, Italy had an urgent need of raw materials and, in particular, of coal. Other countries, such as Belgium, offered to supply Italy with a certain quantity of fuel in exchange for workers; it was only to be expected that the first volunteers for mine work should be directed by preference to these countries, and this is in fact what happened.”202 Am 13. November 1946 erhielt der französische Ministerrat die Information, das mit dem französisch-italienischen Abkommen vom 22. Februar 1946 gesteckte Ziel der Rekrutierung von 20.000 Bergarbeitern sei weit verfehlt worden. Bis dato waren nur 1.500 Arbeiter für den Bergbau sowie 1.500 Arbeiter anderer Berufe über die in Turin eingerichtete französische Rekrutierungsstelle nach Frankreich eingewandert. Als Begründung hierfür wurden die unbefriedigenden finanziellen Gegenleistungen Frankreichs angeführt: Einerseits konnten die Arbeiter aufgrund des Wohnraummangels nicht mit ihren Familien nach Frankreich immigrieren und so mit ihren Francs-Löhnen ein Auskommen finden, andererseits konnten sie auch nicht ausreichend für den Unterhalt ihrer Familien in Italien sorgen, da der nach Italien transferierbare Teil des Lohnes sehr gering war und die Familienbeihilfen auf dem speziell hierfür eingerichteten Konto bis zum Familiennachzug gesperrt blieben. Außerdem mussten die in Italien verbliebenen Familien regelmäßig lange auf die Auszahlung der überwiesenen Gelder warten, weshalb das Arrangement auch schon als „doppelter Fehlschlag“ bezeichnet worden ist.203 Tatsächlich zeigte aber auch die italienische Regierung kein Interesse an einer vollständigen Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung – der Rekrutierung der 20.000 Arbeitskräfte für den französischen Bergbau –, weil Frankreich im Gegenzug für die auf dem Spezialkonto auflaufenden Mittel nur die im französisch-italienischen Handelsabkommen definierten Waren zu 200 CAEF, B-0010782/1. Monsieur de Gasperi, Président du Conseil des Ministres, à Monsieur le Président. Rome, le 29 avril 1946. S. 1 f. 201 The Franco-Italian Migration Agreements, S. 398. 202 The Franco-Italian Migration Agreements, S. 397. 203 Vgl. Bourgeois-Pichat, Migrations et Balance des Comptes, S. 426 f.

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liefern in der Lage war: „Enfin, cet accord n’est pas avantageux pour le Gouvernement italien car le compte ‚ouvriers italiens en France‘ ne peut servir au Gouvernement italien à acheter d’autres marchandises que celles prévues par l’accord commercial en vigueur. Il a été en effet, jusqu’à présent, impossible aux administrations chargées des négociations économiques internationales, de proposer au Gouvernement italien des marchandises qui pourraient être achetées au titre de ce compte.“204 Die Tatsache, dass ihre Arbeitskräfte ihren wichtigsten Handels- und damit Tauschwert darstellten, erklärt die Klagen der italienischen Vertreter hinsichtlich weiterer unerfüllter Lieferwünsche: „Considérant que la principale valeur d’échange dont il disposait était sa main-d’œuvre, le gouvernement italien […] se plaignait aussi de ce que les accords techniques financiers […] lui avait seulement ouvert la possibilité d’acheter en France, au moyen des économies de ces travailleurs, des marchandises que le gouvernement français était difficilement à même de lui fournir.“205 In dieser Situation wurde der Bedarf zusätzlicher Arbeitskräfte entsprechend den Vorgaben des französischen Plankommissariats für das folgende Jahr 1947 auf mindestens 200.000 Arbeiter geschätzt. Jede Abweichung nach unten, die von der französischen Administration Ende 1946 mit Recht befürchtet wurde, würde den Produktionsaufschwung dementsprechend erheblich beeinträchtigen.206 Deshalb schlug Arbeitsminister Croizat zur Gewinnung italienischer Arbeitskräfte in dieser Größenordnung höhere Heimatüberweisungen pro Arbeitsmigrant sowie das Recht auf Überweisung zumindest eines Teils der Familienbeihilfen vor, was einem Finanzierungsbedarf von schätzungsweise 7,4 Mrd. Francs gleichkam. Diese Summe, so ein interner Vermerk im französischen Außenministerium, musste dringend bei der Planung der Zahlungsbilanz berücksichtigt werden, beispielsweise unter demselben Titel wie der Kauf von Rohstoffen.207 Alle diese Probleme erzwangen erneute Gespräche in Rom im November 1946 auf Basis eines von Croizat vorgelegten Konzepts, die zur Paraphierung des deutlich weiter gefassten Accord franco-italien d’immigration (nicht selten auch „Accord Sforza-Croizat“ genannt) führten. Im Verlauf dieser Verhandlungen wurde Italien die Anforderung von bis zu 500.000 Arbeitskräften durch

204 CAEF, B-0010782/1. Direction des Conventions Administratives et Sociales: Note pour la Direction des Affaires Économiques & Financières, 19 novembre 1946. 205 Auffray, Rapports Franco-Italiens, S. 251 f. 206 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Le Ministre du Travail et de la Sécurité Sociale à Monsieur le Président du Gouvernement, Ministre des affaires étrangères – Cabinet –, 7 décembre 1946. 207 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Direction des Conventions Administratives et Sociales: Note pour la Direction des Affaires Économiques & Financières, 19 novembre 1946.



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Frankreich in Aussicht gestellt,208 die Umsetzung der Vereinbarung allerdings vom Ausgang der Wirtschafts- und Finanzverhandlungen abhängig gemacht, die ihrerseits einen Monat später endeten.209 Dadurch trat der Accord franco-italien d’immigration erst am 21. März 1947 durch Austausch diplomatischer Briefe in Kraft.210 Hintergrund dieses Junktims waren die sich aus den Heimatüberweisungen notwendig ergebenden Zahlungsprobleme, für die zunächst keine Lösung hatte gefunden werden können. Diese Problematik findet ihr Pendant im Zustandekommen des Abkommens vom Februar 1946, das auch erst durch diplomatischen Brief der französischen Regierung vom 29. April 1946 in Kraft treten konnte, weil erst mit diesem die Bedingungen spezifiziert wurden, unter denen die Heimatüberweisungen vorgenommen sowie die Familienbeihilfen behandelt werden sollten.211 Der Accord von 1947 änderte zunächst nichts daran, dass die nunmehr bis zu einer Höhe von 40% des Lohnes möglichen Überweisungen der Arbeitsmigranten weiterhin über das Spezialkonto „Compte ouvrier italiens en France“ abgewickelt werden sollten. Allerdings dienten die Einzahlungen der italienischen Migranten von nun an nicht mehr der Verrechnung im bilateralen Handels- und Zahlungsverkehr, sondern konnten direkt per Postanweisung an die in Italien verbliebenen Familien geschickt werden: “The special financial arrangements have been superseded and transfers can now be effected in the ordinary way on the workers’ own initiative, by means of post office accounts.”212 Für die Auszahlung der Beträge in Italien musste die französische Seite nunmehr jedoch italienische Lire bereitstellen. Frankreich sollte aber in der folgenden Zeit „extreme Schwierigkeiten“ haben, sich Lire zu verschaffen, was der Unzulänglichkeit seiner Exporte (nicht nur) nach Italien im Verhältnis zu den sich rapide entwickelnden Importen aus Italien geschuldet war.213 Diese für Frankreich prekäre Situation sollte sich erst Mitte des Jahres 1952 ändern (vgl. Schaubild 4, Seite 85); zunächst aber konnten die Überweisungen der Migranten schon sehr bald nicht mehr ausgeführt werden. Zur Lösung dieses Problems sind im französischen Finanzministerium verschiedene Kalkulationen angestellt und Szenarien diskutiert 208 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Direction des Conventions Administratives et Sociales: Note pour la Direction des Affaires Économiques & Financières, 19 novembre 1946. 209 Vgl. Auffray, Rapports Franco-Italiens, S. 252. 210 Vgl. Échange de lettres relatif à l’immigration italienne en France, 21 mars 1951. In: Recueil général des Traités de la France. 1re Série: Accords bilatéraux publiés et non publiés au Journal Officiel de la République Française 1950–1953. Paris, 1979. Cinquième Volume, S. 229–232. (Künftig zitiert: Échange de lettres relatif à l’immigration italienne). 211 Vgl. The Franco-Italian Migration Agreements, S. 396. 212 The Franco-Italian Migration Agreements, S. 401. 213 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Direction générale des Affaires administratives et sociales. Note pour la Direction générale Économique, 5 octobre 1946.

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worden, darunter jenes, nach dem Frankreich einen Rechtsverzicht auf italienische Reparationszahlungen erklären sollte. Im Gegenzug würde Frankreich ein sich nach der Höhe italienischer Vermögen auf französischem Territorium definierender Gegenwert von Italien in italienischer Währung zur Verfügung gestellt werden. Eine Abgeltung in Höhe von schließlich 16 Mrd. Lire also gegen den Verzicht, auf italienisches Vermögen in Frankreich zurückzugreifen, um Heimatüberweisungen nach Italien tätigen zu können: „Il avait d’abord été estimé que l’alimentation du compte spécial destiné aux transferts des fonds des immigrants pourrait être assurée à la suite d’un accord franco-italien concernant le règlement des réparations (le Gouvernement français renonçant à prélever sa part de réparations sur les biens italiens en France en contrepartie de la fourniture par l’Italie à la France d’un crédit en lires de l’ordre de 16 à 18 milliards).“214

214 CAEF, B-0010782/1. Direction générale des Affaires administratives et sociales. Note, 18 septembre 1946; sowie: Archives diplomatiques, 6QO/21. Le Ministre des Affaires Étrangères à Messieurs les Agents diplomatiques et consulaires de France à l’Étranger, 29 mai 1947. S. 119–150. S. 140 f.



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Schaubild 4: Frankreichs Außenhandel mit Italien und anderen ausgewählten Ländern, 1919–1954 (in Mio. US-Dollar)

Quelle: Jeanneney, Jean-Marcel: Forces et faiblesses de l’économie française 1945–1959. Paris, 1959. S. 147.

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Weil hierüber zunächst keine Übereinkunft erzielt werden konnte, schlug der französische Arbeitsminister der italienischen Regierung vor, das beim Ufficio dei Cambi auf Namen der Banque de France eingerichtete Spezialkonto mit dem Guthaben des aus dem Zahlungsabkommen vom 9. Februar 1946 resultierenden Kontos zu versorgen. Sollte dieses aufgezehrt und zwischenzeitlich immer noch keine grundsätzliche Lösung für die Frage der Heimatüberweisungen gefunden worden sein, hätte ein weiteres Abkommen die Alimentierung des Kontos durch Übertragung freier Devisen aus noch näher zu bestimmender Quelle sichern sollen.215 Für den äußersten Notfall erklärte sich schließlich sogar das französische Finanzministerium einverstanden, entsprechende Heimatüberweisungen durch Übertragung französischer Dollar-Reserven an Italien vorzunehmen. Damit schätzte selbst das französische Finanzministerium die Arbeitsmigration zu diesem Zeitpunkt wichtiger als jeden Warenimport ein, der ebenfalls mit den knappen Dollar-Reserven hätte bezahlt werden können: „J’estime pour ma part, comme l’ensemble du Gouvernement a paru le considérer lorsque la question a été évoquée, que l’immigration de main-d’œuvre est plus utile qu’aucune importation et je suis prêt à accepter qu’en définitive, les transferts nécessaires soient effectués par prélèvement sur nos ressources en dollars.“216 Solange die französische Wirtschaft nur ein Äquivalent von rund 20 Mrd. Lire durch die Exporte eines Jahres erwirtschaftete, stellte die mit dem Friedensvertrag vom 29. November 1947 vorgesehene Zahlung Italiens über 14 Mrd. Lire an Frankreich auf ein eigens hierfür eingerichtetes Reparationskonto nur eine temporäre, wenngleich spürbare Erleichterung dar. Später sollten noch Ziehungsrechte im Rahmen des ERP in Höhe von 6 Mrd. Lire hinzutreten, die allerdings mit den für Frankreich vorgesehenen Krediten aus dem Marshall-Plan verrechnet wurden: „Le gouvernement français avait alors trois sources d’approvisionnement en lires: […] pour l’année budgétaire américaine (1er juin 1948–1er juin 1949) un droit de tirage de 11 millions de dollars, soit sensiblement 6 milliards de lires, prélevés sur les crédits prévus au plan Marshall pour l’Italie. Ces 11 millions de dollars étaient évidemment soustraits des crédits Marshall prévus pour la France.“217 Da die aus dem ERP stammenden Mittel limitiert waren, ist in einer weiteren, das französisch-italienische Migrationsabkommen betreffenden Absprache eine den Gesamtbetrag der Heimatüberweisungen auf 6 Mrd. Lire begrenzende Klausel eingeführt worden, was nunmehr den im Haushaltsjahr 1949/50 erneut vorgesehenen 11 Mio. US-Dollar aus ERP-Krediten für Frankreich entsprach: 215 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/51. Projet de communication du Ministre du Travail au Conseil des Ministres au sujet de son voyage à Rome. S. 174–179. S. 175 f. 216 CAEF, B-0010782/1. Le Ministre des Finances à Monsieur le Ministre de l’Économie National, Direction des Relations Économiques Extérieurs, 23 décembre 1946. 217 Bourgeois-Pichat, Migrations et Balance des Comptes, S. 427.



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„Un accord a été conclu à Rome le 26 mars 1949 dont la principale innovation a été de prévoir des clauses de sauvegarde limitant le montant des transferts pour l’année budgétaire américaine 1949–1950 au crédit de 11 millions de dollars prélevés sur le plan Marshall, soit environ 6 milliards de lires par an.“218 Jenseits der Finanzierungsfragen bekräftigten Italien und Frankreich mit dem am 21. März 1947 unterzeichneten Migrationsabkommen zugleich ihre Absicht, die illegale Einreise von Arbeitsmigranten (l’entrée clandestine des travailleurs) zu unterbinden (Artikel 24). Trotzdem vollzog sich die Einwanderung nach Frankreich später, vor allem wohl seit Ende der 1950er-Jahre, allgemein größtenteils „irregulär, d.h. außerhalb der offiziell geltenden Regelungen“219, so dass “by the late 1960s, more than four migrants in five were arriving clandestinely – that is, traveling on tourist visas and arriving without work permits.”220 Zum Stopp der illegalen Einwanderung hat Frankreich im Winter 1946/47 zunächst aber sogar die Grenze in der Alpenregion bei Menton für die Ausreise aus Italien geschlossen.221 Die in Zusammenarbeit mit dem ONI organisierten Rekrutierungszentren in Italien sollten demnach das unumgängliche Monopol zur Anwerbung der Arbeitskräfte erhalten. Im Gegenzug verpflichtete sich die italienische Regierung dazu, die Versorgung der französischen Industrie und Landwirtschaft mit monatlich ca. 17.000, im Laufe des Jahres 1947 insgesamt also mit 200.000 Arbeitskräften sicherzustellen. Durch das neue Abkommen wurde auch die Höhe der Heimatüberweisungen neu geregelt: Maximal 40% des Lohnes konnten Ledige oder diejenigen Arbeiter nach Italien überweisen, deren Familie in Italien geblieben war, maximal 20% konnten transferiert werden, wenn sich ein Teil der Familie in Frankreich aufhielt (Artikel 12). Im Gegensatz zur vorhergehenden Rechtslage durften die Familienbeihilfen nunmehr vollständig nach Italien geschickt werden und Frankreich „bemühte“ sich von nun an nur noch, die Einreise für Familien zu erleichtern (Artikel 13 und 18). Artikel 15 fixierte schließlich, dass Frankreich die für die Heimatüberweisungen notwendigen Lire aufzubringen hatte und dass ein weiteres Abkommen deren Beschaffung regeln sollte: „Le Gouvernement français fournira les lires nécessaires aux versements aux familles des sommes correspondant aux transferts prévus aux articles 12 et 13. Les conditions dans lesquelles le Gouvernement français 218 Bourgeois-Pichat, Migrations et Balance des Comptes, S. 428. 219 Berlinghoff, Ende der „Gastarbeit“, S. 279. 220 Page Moch, Leslie: Moving Europeans. Migration in Western Europe since 1650. Second Edition. Bloomington, 1992. S. 180. Zu den Gründen, die anschließend zur régularisation der illegalen Migration, und damit zur Aufweichung weiterer Rechtsgrundlagen, führten, vgl. Spire, Régime dérogatoire, S. 49 f. 221 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Direction Générale des Affaires Administratives et Sociales au Monsieur Nenni, Ministre des Affaires Etrangères, Rome. Ca. Mitte November 1946.

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se procurera les lires seront fixées d’un commun accord.“222 Das Migrationsabkommen von 1947 steht in einer langen Tradition französisch-italienischer, die Wanderung von Arbeitskräften betreffender Vereinbarungen.223 Dennoch war es laut Artikel 28 nur für die Dauer eines Jahres geschlossen worden, wenngleich es sich stillschweigend verlängerte, sollte es nicht einen Monat vor Ablauf von einem der beiden Vertragspartner gekündigt werden. Handlungsbedarf erzwangen künftig in jedem Fall jedoch der von der Verlängerung ausgeschlossene Artikel 1, der die Zahl der zu rekrutierenden Arbeitskräfte nach einem Jahr einer Überprüfung unterwarf, sowie alle sich auf die Heimatüberweisungen beziehenden Artikel. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten bei der Ausführung des Abkommens konnte zudem die Zusammenkunft einer mit dem Abkommen installierten „Gemischten Kommission“ gefordert werden (Artikel 29). Für Frankreich unterschrieb an erster Stelle Arbeitsminister Croizat das Abkommen, gefolgt vom französischen Botschafter in Rom, Georges Balaÿ, und erst im Anschluss daran Raymond Bousquet, ein hoher Funktionär im Außenministerium (Directeur Général des Affaires administratives et sociales au Ministère des Affaires Étrangères); im Falle Italiens unterschrieb an erster Stelle Comte Sforza als Außenminister, gefolgt von Arbeitsminister Romita. Mit dem Migrationsabkommen wurden zeitgleich weitere Spezialabkommen, darunter jenes für saisonale Erntehelfer, geschlossen sowie das Abkommen präzisierende Absprachen, zum Beispiel den Familiennachzug oder die Berechnung der Familienbeihilfen betreffend.224 In einer Presseerklärung des französischen Arbeitsministers wurden noch vor der Unterzeichnung das Migrationsabkommen selbst sowie dessen Vorteile für Italien und Frankreich im internationalen Kontext erläutert. Erwähnenswert ist dabei ein Zusammenhang, über den der Wortlaut des Abkommens noch schweigt, weil hierüber ein gesondertes Abkommen verhandelt werden sollte:225 In erster Linie suchte Frankreich mit dem Migrationsabkommen von 1947 möglichst nämlich ausschließlich Arbeitskräfte für seine Kohlebergwerke zu rekrutieren. Erst dadurch wird auch der Versuch, das Anwerbemonopol des ONI zu stärken und die illegale Arbeitsmigration nach Frankreich zu unterbinden, in seinem ganzen Umfang verständlich. Die französischen 222 CAEF, B-0010782/1. Accord franco-italien d’immigration, arrangements complémentaires et lettres annexes signés à Rome le 21 mars 1947. 223 Ein neun Seiten umfassender Überblick über die seit 1904 geschlossenen und Anfang 1950 weiterhin gültigen französisch-italienischen, Arbeitskräfte betreffenden Vereinbarungen findet sich in: CAEF, B-0010783/2. Codification des accords franco-italiens, 26 janvier 1951. 224 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Accord franco-italien d’immigration, arrangements complémentaires et lettres annexes signés à Rome le 21 mars 1947. 225 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/51. Projet de communication du Ministre du Travail au Conseil des Ministres au sujet de son voyage à Rome. S. 174–179. S. 177.



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Kohlereviere waren bekanntlich von je her auf größere Kontingente ausländischer Arbeitskräfte angewiesen, wobei sich deren Bedarf infolge der Kriegsverluste beachtlich erhöht hatte, so dass man zunächst auf italienische Freiwillige für die Arbeit unter Tage gehofft hatte. Die körperlich anspruchsvolle Tätigkeit im Steinkohlenbergbau bei gleichzeitig nicht konkurrenzfähiger Bezahlung hatte die italienischen Arbeitskräfte in der Folge dann aber dazu animiert, die Arbeit im Bergbau zu meiden. Hierfür bot zwar das Arrangement vom Februar 1946 zunächst noch legale Schlupflöcher, am erfolgversprechendsten, weil unabhängig von jeglicher medizinischen Prüfung war aber offensichtlich die illegale Arbeitsmigration nach Frankreich. Und so befanden sich noch unter den im September 1947 nach Frankreich eingewanderten 8.784 Europäern nur 1.846 Arbeitskräfte für den Bergbau (21%), während die 3.252 illegal eingewanderten Italiener die Zahl der in Italien legal angeworbenen in Höhe von 3.147 sogar überstieg (vgl. auch Tabelle 17, Seite 96). Das so ausgestaltete Migrationsabkommen konnte jedoch auch italienischen Interessen entgegenkommen. Da Italien nämlich für seinen Wiederaufbau auf Steinkohle angewiesen war, schwebte der französischen Regierung ein Vorgehen analog dem italienisch-belgischen226 bzw. italienisch-tschechischen vor, d.h., als Gegenleistung für Arbeitskräfte unter Tage sollte Italien Kohlelieferungen erhalten. Dahinter verbarg sich die Hoffnung, dass dieses Tauschgeschäft für die italienische Administration Motivation genug sei, um die französischen Bergwerke tatsächlich mit den benötigten, verlässlichen Arbeitskräften zu versorgen: „De ce fait, il nous est indispensable d’obtenir de notre principal fournisseur de main-d’œuvre un apport sérieux de volontaires pour le travail des houillères. De son côté, l’Italie manque de charbon. Nous avons donc pensé, qu’à la suite des accords que nos amis belges et tchèques ont passés avec le Gouvernement italien en vue de la fourniture d’un contingent de charbon, dont l’importance est fonction des ouvriers italiens effectivement au travail dans leurs mines, il serait utile à l’économie franco-italienne de conclure un accord analogue“.227 Auf Betreiben des Ministers für industrielle Produktion zeigte sich das französische Außenministerium bereit, Italien die gleichen Mengen wie jene im italienisch-belgischen Abkommen fixierten zuzugestehen. Dieses sah wiederum, in Abhängigkeit der belgischen Gesamtfördermenge, Kohlelieferungen zwischen 2.500 und 5.000 t pro 226 Zum am 20. Juni 1946 von Belgien und Italien unterzeichneten Abkommen vgl. Morelli, Anne: L’appel à la main d’œuvre italienne pour les charbonnages et sa prise en charge à son arrivée en Belgique dans l’immédiat après-Guerre. In: BTNG/RBHC, XIX, 1988, 1–2. S. 83–130. Besonders S. 89 f. 227 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Conférence de presse fait par M.  le Ministre du Travail le 21 mars à Rome. Die Presseerklärung findet sich abgedruckt auch in: Services français d’information (Hrsg.): La Documentation française – Notes documentaires et études, Nr. 584, 29 mars 1947.

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1.000 unter Tage arbeitender Italiener vor. Die französische Administration schlug Italien je nach Fördergebiet und davon abhängigem Frachtaufkommen bis zur französischen Grenze einen Preis von ca. 2.500 Francs pro Tonne Steinkohle vor, der damit deutlich unter dem Preis lag, den die Schweiz für ihre Kohleimporte aus Frankreich zu zahlen hatte.228 Von Seiten Frankreichs war man um mindestens 20.000 Bergleute für das Jahr 1947 bemüht; die Kohlelieferungen sollten sich dementsprechend proportional nach der Anzahl der unter Tage beschäftigten Italiener erhöhen. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Immigrationsabkommens reiste eine französische Delegation zu Verhandlungen über diese das Abkommen entsprechend präzisierenden Vereinbarungen nach Rom.229 In diesem Kontext hat schließlich auch die Redaktion des Europa-Archivs das französisch-italienische Migrationsabkommen gesehen: „Seit vielen Jahren ist die Überbevölkerung ein brennendes Problem für alle italienischen Regierungen. Es ist selbstverständlich, daß die gegenwärtige wirtschaftliche Not das Problem zu einer bisher nicht gekannten Schärfe gesteigert hat. Italien hatte im Jahre 1946 durchschnittlich 2 Millionen Arbeitslose. Da die Lösung dieses Problems keinen Aufschub duldete, in der italienischen Wirtschaft aber in naher Zukunft nicht so viele Arbeitskräfte gebraucht werden, hat die italienische Regierung mit europäischen Staaten in den ersten Monaten des Jahres 1947 Einwanderungsabkommen geschlossen. Die europäischen Staaten suchen in der Hauptsache Arbeiter für die Bergwerke; sie haben sich bereit erklärt, Italien als Gegenleistung eine bestimmte Menge Kohlen zu liefern. Belgien will 50 000 Bergleute aufnehmen, Polen und die Tschechoslowakei je 5000. Außerdem hat sich Großbritannien kürzlich bereit erklärt, 2000 italienischen Arbeitern für die metallurgische Industrie die Einwanderung zu gestatten.“230 Das Problem, dem sich Frankreich in diesem Zusammenhang gegenübergestellt sah, war sein eigener traditioneller Importbedarf231 an Steinkohle. Hier schloss sich der problembeladene Kreis aus Devisen- und Arbeitskräftemangel, was auch Croizat bewusst war, als er dem französischen Ministerrat gegenüber betonte, dass das geplante Abkommen ungeachtet dessen für die italienische wie für die französische Wirtschaft 228 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Ministère des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Économiques. Télégramme à l’arrivée. Rome, le 22  mars  1947; und: Message téléphoné à Rome au Conseiller Commercial le 13  mars  1947 au sujet de livraisons de charbon à l’Italie en contre-partie de l’émigration en France de mineurs italiens. 229 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/51. Projet de communication du Ministre du Travail au Conseil des Ministres au sujet de son voyage à Rome. S. 174–179. S. 177. 230 Das italienisch-französische Auswanderungsabkommen. In: Europa-Archiv, 2. Jg. 1947, S. 653 f. S. 653. 231 Vgl. Cipolla, Carlo M.; Knut Borchardt: Die europäischen Volkswirtschaften im zwanzigsten Jahrhundert. Stuttgart/New York, 1986. Tabelle 5, S. 459. (=Europäische Wirtschaftsgeschichte, 5).



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wichtig sei.232 Die französische Regierung hoffte nämlich, durch die Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte den Import von Kohle reduzieren und dadurch wiederum Devisen, vornehmlich also Dollar, einsparen zu können. Bernard Auffray, der Leiter der das vorhergegangene Arrangement vom 22. Februar 1946 aushandelnden Kommission, bezeichnete es insofern als Erfolg der französischen Regierung, den „Aderlass“ an Fremdwährungen oder entsprechenden Kompensationen in Höhe von 33 Mrd. Francs pro Jahr durch den Accord d’immigration verhindert zu haben. Prämisse hierfür war allerdings, dass 50.000 italienische Bergleute die deutschen Kriegsgefangenen und polnischen Aussiedler ersetzen und die höchstmögliche Förderkapazität zu erreichen hülfen. In der Revue française du travail verwies er ausdrücklich darauf, dass der Wiederaufbau Frankreichs sowohl vom Stand der französischen Zahlungsbilanz als auch von der Einwanderung von Arbeitskraft abhinge: „il faut ajouter […] que le rétablissement de notre situation est lié autant au sort de notre balance des comptes qu’à l’apport de main-d’œuvre.“ Obwohl also die italienische Wirtschaft bereits zu dieser frühen Zeit sehr viel stärker mit dem Ausland verflochten war als die französische, so Auffray weiter, machte sich die Devisenschwäche Frankreichs sehr viel deutlicher bemerkbar: „les devises, dont le défaut se fait encore plus cruellement sentir chez nous puisqu’elle [d.h. Italien – d. Verf.] est plus fortement tributaire de l’étranger.“233 Resümierend kann zunächst also festgehalten werden, dass die Bezeichnung der am 21. März 1947 unterzeichneten Vereinbarung als „Einwanderungsabkommen“ (Accord franco-italien d’immigration) irreführend ist. Streng genommen führte dieses Immigrationsabkommen nämlich nur das vorangegangene Abkommen vom 22. Februar 1946 zur Anwerbung von Arbeitskräften für den Bergbau (Arrangement relatif au recrutement d’ouvrier italiens comme travailleurs du fond pour les mines françaises) fort. Auch in diesem Sinne können diese Abkommen in Anlehnung an Georges Tapinos als „provisorische“ bezeichnet werden, da ein allgemeingültiges Migrationsabkommen („accord général d’immigration“) zwischen Frankreich und Italien erst am 21. März 1951 geschlossen werden sollte.234 Allerdings hat diese, aus einem Austausch fünf diplomatischer Briefe bestehende Übereinkunft auch wiederum nur die bis dato in verschiedenen Abmachungen und Protokollen enthaltenen Vereinbarungen zur Niederlassung italienischer Bauernfamilien in Frankreich (Lettre n° 1), zur medizinischen Untersuchung (Lettre n° 2), zu den Formalitäten der Arbeitsgenehmigung 232 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Conférence de presse fait par M.  le Ministre du Travail le 21 mars à Rome. 233 Vgl. hierzu und zum Vorangegangenen: Auffray, Rapports Franco-Italiens, S. 255. 234 Vgl. Tapinos, L’immigration étrangère, FN 1, S. 28.

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(Lettre n° 4) sowie zur Behandlung der Familienbeihilfen (Lettre n° 5) kodifiziert.235 Weil Lettre n° 3 erstmals die periodische Meldung des Arbeitskräftebedarfs nach Sektoren des französischen Arbeitsmarktes und nach Berufsgruppen vorgesehen hatte, der anschließend von den italienischen Behörden mit den in Italien verfügbaren Arbeitskräften abgeglichen wurde, wird der „Échange de lettres relatif à l’immigration italienne en France“ vom 21. März 1951 i.d.R. als „Accord général d’immigration“, als Einwanderungsabkommen, bezeichnet. Zur medizinischen trat damit eine zielgerichtete Selektion nach beruflichen, aber auch demographischen, d.h. nach Alter ausgerichteten Gesichtspunkten; außerdem sollte nunmehr endlich auch die Familienzusammenführung erleichtert werden.236 Die Bestimmungen zur Altershöchstgrenze der italienischen Arbeitsmigranten finden sich jedoch nicht im eigentlichen Vertragstext, sondern unter jenen zur Regelung der technischen Fragen bei der Rekrutierung in Anlage I bzw. innerhalb der Bestimmungen zum Familiennachzug in Anhang II zum Abkommen.237 Eine entsprechende Wende und damit Abkehr von der de jure so gesteuerten Arbeitsmigration bahnte sich erst zum Jahreswechsel 1954/55 an, als sich die Bedarfsmeldungen der Arbeitgeber und die Einwanderung von Arbeitskräften zunächst allgemein infolge eines konjunkturellen Einbruchs238 rückläufig entwickelten (vgl. hierzu auch Schaubild 5, Seite 93). Dies auch deshalb, weil mit den Gewerkschaften in Frankreich ein starkes Gegengewicht zur vom französischen Außenministerium unterstützten italienischen Arbeitsmigration bestand. Indem die Gewerkschaften die Arbeitskräfterekrutierung ausschließlich nach tatsächlichem, am Arbeitsmarkt ausgerichtetem und durch die Arbeitgeber nach Berufen definiertem Bedarf tolerierten, verhinderten diese eine ungeregelte italienische Massenmigration nach Frankreich: „Il y a deux manières d’aborder le problème de l’immigration en France des travailleurs italiens. La première – qui est traditionnelle –, consiste à autoriser l’entrée en France des travailleurs dont il s’agit dans la mesure où est constatée sur le marché national du travail, et dans chaque catégorie professionnelle, une demande de la part des employeurs. L’expérience a montré que cette méthode – qui est d’ailleurs la seule qu’admettent les Syndicats et qu’utilisent les Ministères compétents – aboutit à ne faire entrer en France qu’un 235 Vgl. dazu: Archives diplomatiques, 193QO/222. L’immigration ouvrière italienne en France, 1952. S. 217–219. S. 218. Hierfür und für das Folgende vgl. insgesamt auch: Échange de lettres relatif à l’immigration italienne, S. 229–232. 236 Vgl. Tapinos, L’immigration étrangère, S. 33. 237 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Trattati e Convenzioni. Accordo d’immigra­ zione tra l’Italia e la Francia. Roma, 21 Marzo 1951. S. 117. 238 Vgl. Jeanneney, Jean-Marcel: Forces et faiblesses de l’économie française 1945–1959. Paris, 1959. S. 69.



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nombre très limité de travailleurs. Sur ces bases il est impossible de rencontrer les désirs du Gouvernement italien.“239 Schaubild 5: Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte nach Frankreich, 1946–1973 (ohne Saisonarbeiter)

Quelle: Blanc-Chalèard, Marie-Claude: Histoire de l’immigration. Paris, 2001. S. 57.

Insofern schien nunmehr alleine die vom französischen Bevölkerungsministerium vorgeschlagene Rekrutierungsmethode im Sinne Italiens, ergo auch des das italienische Ansinnen unterstützenden französischen Außenministeriums zu sein: nämlich ganze Gruppen von italienischen Familien in bevölkerungsarmen Gegenden Frankreichs zur Selbstversorgung anzusiedeln, wodurch der italienische Arbeitsmarkt ebenfalls entlastet worden wäre: „La seconde méthode, qui est recommandée par le Ministère de la Population, et qui paraît seule susceptible de répondre, non seulement aux désirs du Gouvernement italien, mais encore aux impératifs d’une politique démographique française bien conçue, serait de préparer d’abord et d’autoriser ensuite l’entrée en France de familles italiennes qui seraient installées, notamment dans les régions qui ont tendance à se dépeupler, de façon à ce que par leur présence même ces familles ou groupes de familles créent, par leur activité propre, à la fois l’activité économique requise pour leur entretien et de nouveaux emplois.“240 In der zitierten Aktennotiz der Generaldirektion 239 Archives diplomatiques, 20QO/309. Direction Générale des Affaires Économiques et Financières. Service de Coopération Économique. Note a.  s. Immigration. 17  décembre 1954. S. 256–258. S. 256. 240 Archives diplomatiques, 20QO/309. Direction Générale des Affaires Économiques et Financières. Service de Coopération Économique. Note a.  s. Immigration. 17  décembre 1954. S. 256–258. S. 256 f.

94

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

für wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten im französischen Außenministerium wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine solchermaßen „rationell“ organisierte Immigration eine gute Investition für Frankreich sei, wie das Beispiel Westdeutschlands zeige, in dem „enorme Massen“ von Flüchtlingen zum wirtschaftlichen Aufschwung beitrügen. Es handele sich bei der zur Debatte stehenden Methode der Immigration also nicht um die Schaffung einer Arbeitskraftreserve zum Drücken der Löhne, zugleich aber dennoch ausdrücklich um Hilfe für Italien, den dortigen demographischen Druck bis 1960/65 zu lindern: „Il ne s’agit pas, bien entendu, de créer une armée de réserve de travailleurs dont la présence pèserait sur le niveau des salaires ou qui donnerait au patronat des facilités de remplacement de la main d’œuvre. Il s’agit de profiter des quelques années qui restent avant que l’évolution de la démographie en Italie ait abouti à diminuer la pression démographique qui se manifestera jusqu’en 1960–1965 seulement.“241 Auch während der französisch-italienischen Konferenz in Santa Margherita im Februar 1951 war bereits über diese sich jenseits der Bedürfnisse des französischen Arbeitsmarktes vollziehende Immigrationspolitik debattiert worden. Zunächst nur für die französischen Überseegebiete diskutiert, wurde diese vom französischen Bevölkerungsministerium bald schon auch für Kontinentalfrankreich empfohlen, weil sie den Wünschen der italienischen Regierung ebenso entgegenkam wie der französischen Bevölkerungspolitik. In Anlehnung an das westdeutsche Beispiel der Ansiedlung von Vertriebenen und Flüchtlingen sollte mit dem Zuzug italienischer Bauernfamilien begonnen werden, zumal die Gewerkschaften hiergegen nichts einzuwenden hatten. Diese Politik „ne devrait pas soulever l’hostilité des syndicats, car elle n’aurait pas pour effet d’introduire en France des travailleurs disponibles dont la présence pèserait sur le niveau des salaires et donnerait au patronat des possibilités de remplacement de main d’œuvre.“242 Die Frage der für die italienischen Siedler benötigten finanziellen Mittel beabsichtigte man im Rahmen eines internationalen Kredit- und Finanzplans zu lösen. Auch wenn im französisch-italienischen Verhältnis die französische Volkswirtschaft unter Devisenproblemen litt, blieb Italien von vergleichbaren Schwierigkeiten nicht verschont. Aufgrund der Kombination von Arbeitskräfteüberschuss und globalem Devisenbedarf hatte die italienische Regierung deshalb 1947 auch schon ein Einwanderungsabkommen mit Argentinien geschlossen. „Im Gegensatz zu den europäischen Staaten, die sämtlich Beschränkungen im Transfer der Ersparnisse in die Heimat auferlegen, gestattet die argentinische Regierung die Überweisung des gesamten 241 Archives diplomatiques, 20QO/309. Direction Générale des Affaires Économiques et Financières. Service de Coopération Économique. Note a.  s. Immigration. 17  décembre 1954. S. 256–258. S. 257 f. 242 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Direction des Affaires Économiques et Financières. Note A./S. Immigration italienne en France. 3 janvier 1955. S. 182–185.



Reziproke Arbeits- und Kapitalkomplementarität?

95

Betrags nach Italien, eine Tatsache, die für die italienische Handelsbilanz äußerst wichtig ist, haben doch schon immer die Erträge italienischer Arbeit im Auslande eine wichtige Rolle in der italienischen Zahlungsbilanz gespielt.“243 Anscheinend war das auch ein Grund für das etwas ‚frostige‘ politische Klima zur Zeit der Unterzeichnung des Accord d’Immigration gewesen, zu der Arbeitsminister Croizat vom 19. bis 23. März 1947 in Rom geweilt hatte. Hinzu kamen natürlich auch die Ressentiments in Teilen der französischen Bevölkerung sowie die Angst vor Konkurrenz unter französischen Arbeitern, die der italienischen Öffentlichkeit bekannt waren, ebenso wie die Schwierigkeiten bei der Unterbringung der italienischen Arbeitskräfte und die bekanntermaßen hohen Lebenshaltungskosten bei vergleichsweise niedrigen Löhnen in Frankreich. War die diplomatische Zeremonie während der Unterzeichnung der französisch-italienischen Vereinbarung einerseits protokollarisch genauso feierlich gestaltet worden wie zuvor jene mit der argentinischen Delegation, schien dem französischen Verhandlungsführer andererseits aber der „wirklich gute Wille“ der Italiener zur Ausführung der Vereinbarung zu fehlen, so dass man einen Höhepunkt an Missstimmung, Nervenzusammenbrüchen und Launen erwartete: „L’accord du travail [sic! – gemeint ist der l’accord d’immigration – d. Verf.], comme nos autres conventions, sera en butte au dépit, aux crises de nerfs et aux foucades de nos voisins. Mais il n’y a pas lieu de se décourager, puisque la route est tracée que nous entendons suivre.“244 Die italienischen Verantwortlichen hatten nämlich tatsächlich von Beginn an mehr als eine ausschließlich am Bedarf der französischen Arbeitgeber ausgerichtete Arbeitskräfteanwerbung angestrebt, die sich angesichts der italienischen Arbeitslosenzahlen nach wie vor auf sehr niedrigem Niveau bewegte (vgl. Tabelle 18, Seite 96) und nur geringe Überweisungsmöglichkeiten für die Ersparnisse der italienischen Arbeitskräfte eröffnete. Das drückt sich auch in dem Entwurf eines niemals über das Stadium der Vorarbeiten245 hinausgekommenen Freundschaftsvertrages zwischen Frankreich und Italien aus, in dessen Artikel 5 die italienische Seite den „komplementären Charakter der demographischen und sozialen Bedürfnisse“ beider Länder verankert sehen wollte, 243 Vgl. Das italienisch-französische Auswanderungsabkommen. In: Europa-Archiv, 2.  Jg. 1947. S. 653 f. S. 653. 244 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/87. M.  Georges Balay, Ministre Plénipotentiaire, Chargé de la Délégation Française au Conseil Consultatif pour les Affaires Italiennes à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction Europe, Paris. 26 mars 1947. S. 18–28. 245 Vgl. Index des principaux textes, traités accords, conventions, déclarations. In: Annuaire Français de droit International. Vol. 10/1964. S. 118  ff. Abrufbar unter: http://www. persee.fr/web/revues/home/prescript/article/afdi_0066-3085_1964_tab_10_1_3292 (31.07.2015).

96

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

während Frankreich stärker auf eine Politik flexibel auszugestaltender Vereinbarungen (accords de main-d’œuvre) zu insistieren schien.246 Tabelle 17: Entwicklung der frühen Arbeitsmigration nach Frankreich, August 1947–Januar 1951 08/1947

09/1947

11/1947

12/1947

Italiener

3.577

3.147

2.815

1.000

Illegale Italiener

2.576

3.252

Deutsche

1.120

1.220

319

470

1.165

1.124 1.164 5.422

Displaced Persons 7.273

8.784

993

1.846

darunter Bergleute

858

06/1949

01/1951

4.604

569

1.640

1.566

74

700

1.668

1.565

5

377

555

207

239

2.547

5.918

7.942

887

1.197

Sonstige Insgesamt

06/1948

1.868

Quelle: CAEF, B-0010782/1. Compte-rendu de la Commission interministérielle de l’immigration tenue au Ministère de la Santé Publique et de la Population le Jeudi 9 Octobre 1947; Compte-rendu de la séance de la Commission Interministérielle de l’Immigration du 8 janvier 1948; Compte-rendu de la séance du 8 juillet de la commission interministérielle de l’immigration; CAEF, B-0010783/2. Statistiques des introductions réalisées par l’O.N.I, juin 1949; Statistiques des introductions réalisées par l’O.N.I, mois de janvier 1951.

Tabelle 18: Italienische Arbeitsmigration nach Frankreich, 1946–1954 Dauerarbeitskräfte 1946

*)

Saisonarbeiter

Italiener

Andere

Italiener

Belgier

28.000

2.694

---

10.705 16.351

1947

48.956

15.576

---

1948

26.551

29.522

1.583

20.063

1949

36.746

22.126

3.323

15.898

1950

5.929

4.528

4.882

11.119

1951

15.853

5.030

13.192

12.424

1952

27.818

4.851

20.460

15.434

1953

10.942

4.197

19.574

13.438+)

1954*)

7.811

3.399

ca. 15.000

12.409°)

bis 30. November;

+)

einschließlich 227 Spanier;

°)

einschließlich 454 Spanier

Quelle: Archives diplomatiques, 193QO/271. Le Ministre du Travail et de la Sécurité Sociale, à Monsieur le Président du Conseil (Cabinet). Objet: Travailleurs italiens employés en France. 4 janvier 1955. S. 188–198. S. 198.

246 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/87. Projet 24-7. Avant-Projet du Traité d’amitié, de conciliation et de consultation entre la République française et la République italienne. Juillet 1947. S. 53–55.



Das Problem der Heimatüberweisungen

97

Das Problem der Heimatüberweisungen Heimat- oder Rücküberweisungen, auch Remissen genannt, können in Form von Geld-, aber auch in Form von Gütertransfers erfolgen. Die offiziell erfassten, in der Übertragungsbilanz bzw. – beim die Überweisungen empfangenden Land – in der Kapitalbilanz kumulierten Transfers (vgl. hierzu auch Schaubild 2, Seite 20) beruhen auf Bank- oder Postüberweisungen. Nicht erfasst werden somit neben Waren postalische Bargeldsendungen oder Bargeldmitnahmen bei Heimataufenthalten, weshalb sich Schätzungen zufolge höchstens die Hälfte der Heimatüberweisungen in den Übertragungsbilanzen wiederfindet.247 In den 1960er- bis zu Beginn der 1970er-Jahre, der Zeit der massenhaften Arbeitsmigration, entwickelten sich die Zahlungsbilanzen der Arbeitskräfte abgebenden europäischen Länder stark schwankend. Trotzdem geht Thomas Straubhaar davon aus, dass die Remissen zumindest kurzfristig zum Ausgleich von Handelsbilanzdefiziten beitrugen, vor allem aber ein „wesentliches Element der Währungsreserven“ darstellten: „In ‚guten‘ Zeiten erlaubten sie deren Anhäufung, in ‚schlechten‘ Zeiten reduzierten sie die Notwendigkeit ihres Abbaus. Insbesondere mussten dadurch weniger kurzfristige, hochverzinsliche Kredite aufgenommen werden. Damit trugen sie längerfristig zur Stabilisierung der Außensituation der begünstigten Volkswirtschaften bei.“248 In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte Italien mit den Heimatüberweisungen seiner Arbeitsmigranten teilweise immerhin gut 5% (1946, 1949, 1950) seiner Importe begleichen (vgl. Tabelle 2, Seite 28). Während die italienische Politik auch deshalb vom Willen zum ‚Export‘ seiner Arbeitskraft bestimmt war, stellten die durch die Internationale Arbeitsorganisation völkerrechtlich angemahnten Heimatüberweisungen für Frankreich ein Finanzierungsproblem – im Hinblick auf die Aufbringung der dazu notwendigen Devisen – dar. ILO-Konventionen von 1939 bzw. 1949 forderten die Regierungen in den Zielländern der Arbeitsmigration nämlich ausdrücklich dazu auf, für die Versorgung der im Herkunftsland der Arbeiter verbliebenen Familien Transfermittel auf Basis eines für die Begünstigten vorteilhaften Wechselkurses bereitzustellen.249 247 Vgl. Straubhaar, Thomas: Arbeitskräftewanderung und Zahlungsbilanz. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Rücküberweisungen nach Griechenland, Portugal, Spanien und der Türkei. Bern/Stuttgart, 1983. S. 16 ff. (Künftig zitiert: Straubhaar, Arbeitskräftewanderung und Zahlungsbilanz). 248 Straubhaar, Arbeitskräftewanderung und Zahlungsbilanz, S. 211. 249 Vgl. Bourgeois-Pichat, Migrations et Balance des Comptes, S. 426. Dieser Sinn erschließt sich indirekt aus Artikel 4, Absatz 3f der Convention n°  66 sur les travailleurs migrants: Convention concernant le recrutement, le placement et les conditions de travail des travailleurs migrants, adoptée le 28 juin 1939. Allerdings ist dieses Übereinkommen letztlich nicht in Kraft getreten; es ist vielmehr durch die Convention n° 97

98

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Im Fall der französisch-italienischen Abkommen sind den italienischen Arbeitsmigranten durch einen das Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond pour les mines françaises vom 22. Februar 1946 ergänzenden Briefwechsel zunächst monatliche Heimatüberweisungen von 1.500 bis zu 3.000 Francs mit entsprechender Wechselkurssicherung ermöglicht worden. Eine Bekanntmachung des französischen Ministers für Arbeit und soziale Sicherheit vom Juli 1947 erlaubte Bergleuten schließlich sogar den Transfer von bis zu 75% ihrer Löhne unabhängig vom Familienstand, während alle anderen Arbeitskräfte in Abhängigkeit ihres Familienstands höchstens 50% überweisen durften.250 Das französische Finanzministerium hatte zudem einem Vorzugswechselkurs von 1 Franc : 4 Lire (anstatt 1 : 1,9) zugestimmt, was angesichts einer Lire-Abwertung zunächst finanzierbar schien.251 Die Verbesserung der Transferbedingungen war notwendig geworden, weil die französischen mit den belgischen Bergwerken um italienische Arbeitskräfte konkurrierten und Belgien den Transfer von 75% des Lohnes erlaubte, was zur Wertsicherung sogar noch auf Dollar-Basis erfolgte: „elles donnent d’autre part à ces ouvriers la possibilité de convertir en dollars la fraction transférable de leur salaire. Ces dollars sont convertis en lires par les intéressés sur la base du cours commercial du dollar en Italie, cours qui est déterminé par la moyenne entre le cours officiel pratiqué par l’Ufficio dei Cambi et le cours du marché libre.“252 Während sich die in Belgien gezahlten Löhne so zwischen 31.000 und 90.000 Lire bewegten, beliefen sich jene Frankreichs auf nur 15.000 bis 55.000 Lire monatlich. Infolge der komfortablen Entlohnung in Belgien präferierten die nach Frankreich kommenden Migranten – entgegen der Intention des Abkommens, das auf Untertagearbeiter fokussierte – mindestens eine Tätigkeit außerhalb der Bergwerke; auch ließ ganz offensichtlich die Leistungsbereitschaft der nach Frankreich gereisten Bergarbeiter zu wünschen übrig. Mitte des Jahres 1947 schickten die französischen Kohlebergwerke deshalb sogar die Mehrzahl der italienischen Bewerber in ihr Heimatland zurück, weil diese sich weigerten, unter Tage zu arbeiten. Sollten sich diese Verhältnisse nicht ändern, drohte die französische der italienischen Regierung, vom „accord mineurs-charbon“, also von der Vereinbarung über sur les travailleurs migrants (révisée) von 1949 ersetzt worden. Vgl. http://www.ilo. org/dyn/normlex/fr/f ?p=1000:12020:0::NO::: (31.07.2015). Sie mag insofern aber die fraglichen französisch-italienischen Verhandlungen hinsichtlich der Heimatüberweisungen tatsächlich beeinflusst haben, zumal das Übereinkommen 97 erst am 22. Januar 1952 in Kraft trat. 250 Vgl. ABdF, 1370199403. Banque de France, Secrétariat général, Transferts de salaires en Italie. Circulaire N° 6.035 du 7 août 1947. 251 Vgl. ABdF, 1370199403. Transferts d’économies des mineurs italiens. Note, 2 août 1947. 252 ABdF, N° 1463200401. Ministère des Finances, Direction des Finances Extérieures, 2ème Bureau. 640 C.D. Rapport au Ministre, 7 juillet 1947.



99

Das Problem der Heimatüberweisungen

die Lieferung von durch italienische Arbeitsmigranten geförderter Kohle, Abstand zu nehmen. Um den diplomatischen Druck diesbezüglich zu erhöhen, betonte man die schwere finanzielle Belastung, die sich Frankreich durch die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften aufbürde, und verwies auf die Entlastung des italienischen Arbeitsmarktes durch die Erfüllung der getroffenen Vereinbarung.253 Die umgehende Erhöhung der Zahl der für den Bergbau angeworbenen italienischen Arbeitskräfte um mehr als 300% im August 1947 schien der französischen Administration recht zu geben, allerdings betrug der Anteil der Bergleute im Vergleich zu den außerhalb des Bergbaus und der Landwirtschaft Beschäftigten weiterhin nur knapp 11% (vgl. Tabelle 19). Die Frage des Transfers der Heimatüberweisungen tangierte schließlich die Frage der sich aus dem vertraglich zugesagten Vorzugswechselkurs ergebenden Wechselkurszuschläge. Einerseits ermöglichten diese de facto Lohnerhöhungen für italienische Arbeitsmigranten, ohne gegen den in Frankreich gültigen Rechtsgrundsatz der Lohngleichbehandlung zu verstoßen. Dies wog umso mehr, als die Kohlepreise für die französischen Verbraucher nicht unnötig durch – von den französischen Gewerkschaften ohnehin geforderte – Lohnerhöhungen für Bergarbeiter belastet werden sollten. Weil der sich aus dem garantierten Vorzugswechselkurs ergebende Zuschlag nicht von den Arbeitgebern aufzubringen war, stellte dieser einerseits also eine gute Lösung für dieses binnenwirtschaftliche Dilemma dar.254 Gleichzeitig stand damit andererseits aber ein sektorales Lohn- und Beschäftigungsproblem mit außenwirtschaftlichem Bezug zur Lösung an. Tabelle 19: Italienische Migration nach Frankreich nach Berufsgruppen, Juli/ August 1947 Berufsgruppe

Anwerbungen Juli

August

Bergleute

152

479

Landwirtschaftliche Arbeitskräfte

686

410

4.038

4.021

Sonstige

Quelle: CAEF, B-0061176/1. Compte-rendu de la réunion de la commission interministérielle de l’immigration. Séance du jeudi 4 septembre 1947.

253 Vgl. ABdF, 1370199403. Démarquage d’un télégramme adressé à Rome le 4 août 1947. 254 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre de l’Industrie et du Commerce à Monsieur le Ministre des Finances et des affaires Économiques, Direction du Budget, du 10 mars 1951.

100

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Waren die in französischen Eisenerzbergwerken Beschäftigten, was die Möglichkeiten der Heimatüberweisungen betrifft, 1948 noch denjenigen in den Steinkohlebergwerken gleichgestellt worden,255 spitzte sich bereits Ende desselben Jahres die französische Devisenschwäche zu. Christian de Lavanier, Finanzattaché der französischen diplomatischen Vertretung in Rom, ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass die – im Folgenden noch näher erläuterten – 14 Mrd. Lire, die Italien als eine Art Reparationsleistung zur Finanzierung der Heimatüberweisungen seiner Arbeitsmigranten zur Verfügung gestellt hatte, unter diesen Bedingungen schon im Frühjahr 1949 aufgebraucht sein würden. Dabei schöpften die seinerzeit etwa 100.000 italienischen Arbeitsmigranten infolge der hohen Lebenshaltungskosten in Frankreich die transferierbaren Höchstbeträge nicht einmal aus; anderenfalls wären die Transfers fünf- oder sechsmal höher ausgefallen und das Devisenpolster entsprechend früher aufgebraucht gewesen. In einem explizit persönlich gehaltenen Brief an den Leiter der Abteilung Auswärtige Finanzen im Finanzministerium schlug de Lavanier deshalb vor, die laufenden französisch-italienischen Migrationsabkommen, kurz „Arbeitsverträge“ (accords de main d’œuvre) genannt, zu kündigen, um anschließend für die französische Devisenbilanz vorteilhaftere Bedingungen auszuhandeln. Solchermaßen Verhandlungen hätten dann im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftsgespräche, die durch das Auslaufen des französisch-italienischen Handelsvertrages Ende März 1949 ohnehin notwendig wurden, stattfinden sollen. Dadurch hätte man laut de Lavanier endlich die französische Zahlungsbilanz als Ganzes betrachten und die Zielkonflikte innerhalb der französischen Administration beseitigen können, in deren Zentrum das Wirtschaftsministerium (mit seiner Abteilung für auswärtige Wirtschaftsbeziehungen), das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (mit dem Generaldirektor für Verwaltungs- und Sozialangelegenheiten, Bousquet, als bevollmächtigtem Minister) und das Finanzministerium standen: „Notre balance des paiements avec l’Italie doit être considérée comme formant un tout. Ce ne sera ni du goût des ‚Relations Économiques Extérieures‘ qui ne veulent penser qu’aux importations, ni du goût de Bousquet qui ne pense qu’à ses ouvriers. Du moins ils ne pourront plus jouer à cache-cache les uns avec les autres et avec nous, et il faudra résoudre le problème dans son ensemble.“256 Der Finanzattaché war ohnehin der Meinung, dass Italien durch die Reduzierung seines Arbeitskräfteüberschusses sehr viel mehr von den bilateralen Verträgen profitiere als 255 Vgl. ABdF, N°  1463200401. Ministère des Finances et des affaires Économiques, Direction des Finances Extérieures, 2ème  Bureau. N°  035567 à Monsieur le Ministre de l’Industrie et du Commerce, Direction de la Sidérurgie, 16 septembre 1948. 256 CAEF, B-0010783/2. Ambassade de la République Française en Italie, l’Attaché Financier à Monsieur Guindey, Directeur Finances Extérieures, Ministère des Finances. Rome, le 19 novembre 1948.



101

Das Problem der Heimatüberweisungen

Frankreich, das infolge der Heimatüberweisungen erhebliche Opfer bringe, die insofern auch von Italien erwartet werden dürften. So beurteilte de Lavanier die Zahlung der Familienbeihilfen an in Italien lebende Familien – die sich nach den hohen französischen Lebenshaltungskosten richteten, während die italienischen Beihilfen sehr viel geringer ausfielen – als in doppeltem Sinne aberwitzig. Er empfahl deren Abschaffung ebenso wie die der finanziellen Gleichstellung der Travailleurs clandestins, der im Laufe der Zeit zwar verwaltungstechnisch und polizeirechtlich legalisierten Arbeitsmigranten (régularisés), zunächst jedoch ohne Reisepass oder Visum und sich dem „sehr komplizierten“ Procedere der gesteuerten Immigration entziehenden illegal Eingereisten. Alternativ dazu, und das entsprach dem Vorschlag der italienischen Administration, konnten sich die für die Heimatüberweisungen benötigten Lire aus einer 11 Mio.Dollar-Tranche speisen, die Italien Frankreich im Rahmen des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Europäischen Zahlungsabkommens zur Verfügung stellen musste bzw. die aus Gegenwertmitteln des Marshall-Plans resultierten.257 Tabelle 20: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Frankreich, 1945–1959 (in Tausend) 1945

68

1946

57

1947

46

1948

78

1949

131

1950

153

1951

120

1952

132

1953

180

1954

184

1955

160

1956

112

1957

81

1958

93

1959

141

Quelle: Mitchell, Brian R.: European Historical Statistics 1750–1975. 2nd revised edition. New York/ London/Basingstoke, 1980. S. 177.

257 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Ambassade de la République Française en Italie, l’Attaché Financier à Monsieur Guindey, Directeur Finances Extérieures, Ministère des Finances. Rome, le 19 novembre 1948.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Anfang 1949 begann sich neben der prekären Versorgung Frankreichs mit Devisen – in einer Sitzung der Commission interministérielle de I’immigration war acht Monate zuvor bereits die Versendung von Lebensmittelpaketen anstelle der Überweisung von Ersparnissen nach Italien diskutiert worden –258 auch der französische Arbeitsmarkt problematisch zu entwickeln (vgl. Tabelle 20, Seite 101). Dennoch befürchteten die Beamten im Arbeitsministerium eine Gefährdung der industriellen Entwicklung sowie der Exportmöglichkeiten Frankreichs, würde der Zuzug italienischer Arbeitskräfte zum Stillstand kommen. Dieser stand angeblich zu befürchten, wenn, wie nunmehr geplant, ledige Arbeitsmigranten keinerlei Ersparnisse mehr nach Hause hätten überweisen dürfen und sich Verheirateten mit deren auswanderungswilligen Familien infolge des Wohnraummangels die Niederlassung in Frankreich als einzige Alternative zu den geringen Heimatüberweisungen verbot. Zudem waren Bemühungen zur Arbeitskräfteanwerbung in Algerien, das der Franc-Zone angehörte259, ebenso wie in weiteren Ländern, für die im Fall von Heimatüberweisungen ebenfalls kein Devisentransfer notwendig gewesen wäre, ergebnislos verlaufen.260 Trotz dieser durch das Arbeitsministerium artikulierten Bedenken verfolgten die französischen Unterhändler bei der Vorbereitung eines neuen Abkommens zur Regelung der Heimatüberweisungen indessen das Ziel, die sich für die französische Zahlungsbilanz ergebenden Belastungen zu verringern und langfristig alle die italienischen Migranten bevorzugenden Bestimmungen abzubauen.261 Dabei dürfte allerdings auch die seinerzeit bevorstehende Franc-Abwertung vom April 1949 eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Nach schwierigen, auch durch die Verknüpfung mit der Frage nach der Ausgestaltung der französisch-italienischen Zollunion belasteten, zeitweise ausgesetzten262 Verhandlungen wurden die Modalitäten der Heimatüberweisungen dann grundsätzlich im Accord franco-italien relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens vom 26. März 1949 geregelt, der am 1. April 1949 in Kraft trat. Solange das Zahlungsabkommen vom 22. Dezember 1946 Gültigkeit hatte, waren demnach im Steinkohle-, Eisen- und Kalibergbau Beschäftigte berechtigt, als Ledige bis zu 20% ihres Nettolohns zum offiziellen Wechselkurs bar, d.h. per Postanweisung, nach Italien 258 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Compte-rendu de la séance du 8 juillet [1948] de la Commission interministérielle de l’immigration. 259 Vgl. Mérigot, Jean-Guy; Paul Coulbois: Le Franc 1938–1950. Paris, 1950. S. 306 ff. 260 CAEF, B-0010782/1. Le Ministre du Travail et de la Sécurité Sociale, Direction de la Main-d’Œuvre, Sous-Direction de la Main-d’Œuvre Étrangère, 6ème Bureau, à Monsieur le Ministre des Affaires Etrangères, Direction Générale des Affaires Économiques, Financières et Techniques, 11 mars 1949. 261 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Régime des travailleurs italiens en France, 21 décembre 1949. 262 Vgl. beispielsweise: CAEF, B-0010783/2. Démarquage d’un télégramme de Rome au Département du 18 février 1949 à 16 heures. A/S: Accord d’immigration franco-italien.



Das Problem der Heimatüberweisungen

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zu schicken. Unterstützte ein Lediger Eltern und Geschwister, durften bis zu 40% des Nettolohnes nach Italien angewiesen werden, wobei maximal 3.000 Francs zum Vorzugswechselkurs von 3,80 Lire (anstatt des offiziellen Wechselkurses von 1,80 Lire) je Franc transferiert werden konnten. Für Verheiratete bestanden die Höchstgrenzen von 50% des Nettolohnes sowie von 5.000 Franc für den Vorzugswechselkurs. Zuvor hatte, bei dem seinerzeit geltenden offiziellen Wechselkurs von 2,40 Lire für einen Franc, ein Vorzugswechselkurs von 4 Lire pro Franc263 gegolten. Für landwirtschaftliche Arbeitskräfte galten dieselben Höchstgrenzen in Verbindung mit den sich aus dem Zahlungsabkommen ergebenden Kursverlustsicherungen. Ausgenommen waren Saisonarbeitskräfte, die entweder unter die Regelungen aus gesonderten Abkommen fielen oder zu Saisonende die Gesamtsumme ihrer Löhne transferieren durften. Für alle in anderen Bereichen Beschäftigten galt ausschließlich der offizielle Wechselkurs. Für vor dem 1. April 1949 nach Frankreich Eingewanderte galten zwischen April und Juni 1949 gestaffelte Übergangsregelungen. Für Bergleute kamen so im Mai noch die alten Höchstgrenzen (50 bzw. 30%) sowie weitaus höhere Beträge, auf die der Vorzugswechselkurs anzuwenden war (10.000 Francs für Verheiratete, 6.000 für Ledige) in Ansatz, die sich aber Monat für Monat reduzierten (Artikel 11). Durch den dem Accord franco-italien relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens beiliegenden diplomatischen Briefwechsel wurden die Überweisungen der Familienbeihilfen bis zu einer einvernehmlichen Verständigung hierüber ausgesetzt. Zum Schutz der französischen Zahlungsbilanz bestimmte eine komplizierte Klausel in Artikel 10 außerdem, dass sich die für Überweisungen vorgesehenen Höchstbeträge unter bestimmten, von der Gesamtsumme aller Heimatüberweisungen abhängigen Bedingungen für Ledige bis auf 0, der Höchstbetrag für Verheiratete und in anderen Bereichen als dem Bergbau und der Landwirtschaft Beschäftigten bis auf nur 15% des Nettolohns reduzieren konnten.264 Was die Transfers zum Vorzugswechselkurs betraf, hatte sich das französische Außenministerium unter Robert Schuman anscheinend mit dem so ausgehandelten Accord über Absprachen mit dem Finanzministerium hinweggesetzt, was bereits Anfang Mai 1949 dessen Finanzierbarkeit, damit dessen Anwendbarkeit in Frage stellte. Die interministeriell vereinbarten Konditionen für die Heimatüberweisungen beruhten nämlich auf Berechnungen mit dem offiziellen Wechselkurs, so dass sich jetzt unter den Bedingungen des Italien erneut zugestandenen Vorzugswechselkurses eine Finanzierungslücke auftat. Ein Ausweg aus dem Dilemma, einen eben erst geschlosse263 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Régime des travailleurs italiens en France, 21 décembre 1949. 264 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Accord franco-italien relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens, 26.03.1949.

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nen bilateralen Vertrag nicht erfüllen zu können, ganz zu schweigen davon, dass sich italienische Bergleute beim Wegfall der Vorzugsbehandlung nach körperlich weniger anspruchsvollen Tätigkeiten umsehen würden, eröffnete erst eine die Aufwertung der Reparationsforderung betreffende Zusage Italiens. Artikel 79 des am 10. Februar 1947 in Paris mit Italien unterzeichneten Friedensvertrages hatte allen alliierten und assoziierten Mächten erlaubt, italienisches Eigentum innerhalb ihres Hoheitsgebietes zu beschlagnahmen und zu liquidieren, um damit Forderungen gegenüber Italien begleichen zu können.265 In einer sich auf diesen Artikel beziehenden französisch-italienischen Vereinbarung vom 29. November 1947 (Accord franco-italien relatif aux modalités d’application de l’article 79 du Traité de Paix) verzichtete Frankreich jedoch auf dessen Anwendung, während sich Italien im Gegenzug zur Zahlung einer pauschalen Entschädigungssumme von 14 Mrd. Lire bereit erklärte. Diese sollte in der Folge der Überweisung der Remissen der Arbeitsmigranten dienen. Insofern schlossen Artikel 4 und 5 des Vertrages die Bezahlung von Warenlieferungen aus diesen Mitteln ausdrücklich aus. Laut einem dem Accord anliegenden vertraulichen Brief hatten die beiden Regierungen zeitgleich allerdings auch vereinbart, dass die fraglichen Mittel durchaus auch für den Bau von Handelsschiffen auf italienischen Werften verwendet werden durften. Zur Wertsicherung der 14 Mrd. Lire sollte der an der Mailänder Börse notierte durchschnittliche Export-Dollar-Wechselkurs des vorangegangenen Monats dienen: Während Fremdwährungen in Italien zunächst zu einem administrativ festgelegten Kurs vollständig an das Ufficio Italiano dei Cambi abgetreten werden mussten, durften italienische Exporteure durch ein Dekret aus dem Jahr 1946 über 50% der von ihnen erwirtschafteten konvertierbaren Devisen (i.d.R. US-Dollar, Pfund Sterling, Schweizer Franken) frei verfügen. Durch den Handel mit diesen entstand natürlich ein sich aus Devisenangebot und -nachfrage ergebender Parallelmarkt, dessen Kurs bald schon stark vom offiziellen Wechselkurs abwich. Um die Kluft zwischen offiziellem Wechselkurs und Export-Wechselkurs zu verringern, wertete Italien seine Währung erstmals im August 1947 ab, indem es den Kurs der Lira auf 350 je Dollar fixierte. Zwei Jahre später wurde der bis 1971 gültige Kurs auf 625 Lire : 1 Dollar fixiert.266 Ohnehin existierte 1946/47 in Italien ein Mehrfachwechselkursregime („multiple exchange system“), das für unterschiedliche Transaktionen wie Einnahmen aus dem Tourismus, Kapitaltransfer oder Warenausfuhren verschiedene Wechselkurse definierte. Der Kurs für Einnahmen aus dem Warenexport („effective rate“/„cours com265 Vgl. CAEF, B-0060868/2. Notes documentaires et études N°  544: Traité de paix avec l’Italie 1947. S. 17. In deutscher Sprache findet sich der Friedensvertrag mit Italien unter http://www.verfassungen.eu/it/frieden47-i.htm (31.07.2015). 266 Vgl. Graziani, L’economia italiana, S. 33 und 39.



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mercial“) richtete sich zudem zur Hälfte nach dem offiziellen Wechselkurs („official rate“/„cours officiel“) und zur anderen Hälfte nach einem sich auf dem freien Markt bildenden cambio di esportazione („export rate“/„cours exportation“), berechnet nach dem Durchschnitt des Exportwechselkurses des vorangegangenen Monats. Letzterer konnte also, indem er durch Angebot und Nachfrage am Devisenmarkt bestimmt wurde, vom festgesetzten Paritätskurs abweichen.267 Das sich so durch einen Kurs von 483,34 Lire für einen Dollar auf 28.965.117,72 US-Dollar belaufende ‚Reparationsguthaben‘ wurde auf ein auf den Namen der Banque de France lautendes Spezialkonto bei der Banca d’Italia eingestellt, über das Frankreich seine Zahlungen an Italien bedienen konnte. Der entscheidende Artikel 6 regelte schließlich ausdrücklich, dass eine Kurssteigerung des Dollars auf dem freien Markt (Export-Dollar-Kurs), aber auch eine administrativ verfügte Erhöhung des offiziellen Wechselkurses eine Aufwertung der Dollar-Zahlung an Frankreich zur Folge haben würde: „Si le cours moyen mensuel du dollar venait à s’élever ou si, le système du cours moyen ayant été supprimé en Italie, le cours officiel du dollar venait à être fixé à un niveau plus élevé que le cours moyen, précisé au dernier alinéa de l’article 4, les montants en lires utilisés par le Gouvernement français, à partir de ce moment, seront évalués sur la base du nouveau cours de change du dollar USA.“268 Ein gutes halbes Jahr später äußerte das französische Finanz- und Wirtschaftsministerium bereits seinen Missmut über das vertragswidrige Verhalten der Banca d’Italia.269 Hintergrund der sich hieraus entwickelnden ernsthafteren Meinungsverschiedenheiten war die Tatsache, dass Italien sein Mehrfachwechselkursregime einschließlich ExportDollar-Wechselkurs, das noch während der Ausarbeitung der Vereinbarung über die Anwendung von Artikel 79 bestanden und dort seinen Niederschlag gefunden hatte, ein oder zwei Tage vor dessen Unterzeichnung abgeschafft hatte. “The new purchase rate of all currencies was to be computed monthly on the basis of the average export rates quoted for the U.S. dollar in Milan and Rome during the preceding month.”270 Die französische Regierung bestand insofern auf einer entsprechenden Aufwertung 267 Vgl. hierzu auch: CAEF, B-0010769/2. Ambassade de France en Italie. Note verbale, N° 649. Rome, le 29 novembre 1948. Besonders S. 3; sowie: ABdF, N° 1463200401. Ministère des Finances, Direction des Finances Extérieures, 2ème Bureau. 640 C.D. Rapport au Ministre, 7 juillet 1947. Zum italienischen Mehrfachwechselkursregime vgl. insgesamt auch: Holbik, Italy in International Cooperation, S. 31–34. 268 CAEF, B-0010769/2. Accord franco-italien relatif aux modalités d’application de l’article 79 du Traité de Paix signé à Paris le 29 novembre 1947. 269 Vgl. CAEF, B-0010769/2. L’Attaché Financier auprès de l’Ambassade de France à Rome à Monsieur le Ministre des Finances et des Affaires Économiques, Direction des Finances Extérieures, 1er Bureau. Rome, le 21 mai 1948. 270 Holbik, Italy in International Cooperation, S. 38.

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der Frankreich zur Verfügung gestellten 14 Mrd. Lire. Dieses Ansinnen wurde auch damit begründet, dass die italienischen Unterhändler während der Vertragsverhandlungen ausdrücklich eine Bewertung zum „realen“, d.h. dem arithmetischen Mittel aus offiziellem, administrativ festgelegtem und auf dem freien Devisenmarkt gebildetem Dollarkurs durchgesetzt hatten, obwohl auch eine Wertsicherung im Verhältnis zum italienischen Preisniveau oder eben zum administrativ fixierten nominalen Dollarkurs zur Debatte gestanden hatte.271 Unter Zugrundelegung des per Dekret vom 28. November 1947 neu definierten Export-Dollar-Kurses, d.h. des im vorangegangenen Monat am Devisenmarkt gebildeten durchschnittlichen Wechselkurses, hätte sich der Kurs zu Gunsten Frankreichs auf (mindestens) 575 Lire je Dollar belaufen, nach italienischer, auf offiziellem Wechselkurs beruhender Berechnung aber nur auf 350 Lire.272 Vier Monate später lenkte die italienische Regierung dann jedoch ein, wenngleich ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs, und zwar ausdrücklich, um die Einschaltung eines Schiedsgerichtsverfahrens zu vermeiden und die Überweisungen der Ersparnisse der in Frankreich arbeitenden italienischen Migranten zu erleichtern.273 Nach weiteren vier Monaten erklärte die italienische Regierung in einer diplomatischen Note darüber hinausgehend, dass die sich aus der Aufwertung ergebenden, nunmehr zusätzlich an Frankreich zu zahlenden 2,6 Mrd. Lire274 für Lohnzuschläge sowie für die Heimatüberweisungen der italienischen Arbeiter zu dienen hätten mit dem finalen Ziel, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Rahmen der allgemeinen europäischen Zusammenarbeit zu stärken: „Or, dans sa note, le Gouvernement italien a indiqué qu’il était désireux de nous donner satisfaction, entre autres raisons parce que les sommes versées à la France à la suite de notre réclamation seraient employées‚ ‘tant dans le cas des primes 271 Vgl. CAEF, B-0010769/2. Ambassade de France en Italie. Note verbale, N° 649. Rome, le 29 novembre 1948. S. 2 f. 272 Vgl. CAEF, B-0010769/2. Ambassade de France en Italie. Note verbale, N° 649. Rome, le 29 novembre 1948. S. 4. Auf den Seiten 3 bis 6 finden sich dort auch eine ausführliche Darstellung der Vorgeschichte des fraglichen Artikels  4, eine Interpretation des in der Ausführung strittigen Artikels in diesem Kontext sowie die Anspruchsgrundlagen für die unterschiedlichen Interpretationen. Holbik, Italy in International Cooperation, spricht auf S. 38 sogar von einem Dollarkurs von 590 Lire. 273 Vgl. CAEF, B-0010769/2. M. Geoffroy de Courcel, Chargé d’Affaires de France en Italie a. i. à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction Générale des Affaires Économiques. A/S. Application de la garantie de change aux fonds provenant de l’accord du 29 novembre 1947. Rome, le 29 mars 1949. 274 Diese Summe wird präzisiert durch: CAEF, B-0010783/2. Le Ministre des affaires étrangères, Direction des Affaires Administratives et Sociales, à Monsieur l’Ambassadeur de France à Rome. A. S. Transferts des travailleurs italiens, 16 août 1949.



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que dans celui des transferts des économies des travailleurs italiens en France, à des fins intéressant le renforcement des liens économiques entre les deux pays dans le cadre de la coopération générale européenne’.“275 Die italienische Administration achtete in der Folge tatsächlich strikt darauf, dass die Mittel aus der Aufwertung der Reparationsleistung ausschließlich für die Überweisung der Ersparnisse sowie die Zahlung der sich aus dem Vorzugswechselkurs ergebenden Lohnzuschläge verwendet wurden.276 Neben den 2,6 Mrd. Lire aus der Aufwertung des Reparationskontos und Ziehungsrechten über 6 Mrd. Lire zu Gunsten Frankreichs wurde schließlich, um jeglichen unvorhersehbaren temporären Defiziten in der Handelsbilanz gegenüber Italien begegnen zu können, die aus dem Zahlungsabkommen resultierende DefizitHöchstgrenze, von der an der Außenhandel einseitig ausgesetzt werden konnte, um 3 Mrd. Francs erhöht.277 Dennoch fiel Frankreich die Erfüllung seiner vertraglich eingegangenen finanziellen Verpflichtungen nicht leicht. Selbst unter der Prämisse demographischer und wirtschaftlicher Interessen und trotz Akzeptanz eines notwendigen „europäischen Gleichgewichts“ hatte die Direction des Programmes Économiques im Finanz- und Wirtschaftsministerium deshalb bereits im März 1949 Untersuchungen darüber vorgeschlagen, wie die aus der Arbeitsmigration resultierenden finanziellen Belastungen für Frankreich reduziert werden könnten: „Sans renoncer à la politique française d’immigration conforme à nos intérêts économiques et démographiques, et à la nécessité de préparer un équilibre Européen, il convient à mon avis de procéder à l’étude de mesures qui permettraient d’alléger les charges qui résultent d’ores et déjà de l’accueil des étrangers sur notre sol.“278 Die 2,6 Mrd. Lire würden nämlich, soviel war von Beginn an sicher, nicht lange zur Finanzierung des Vorzugswechselkurses vorhalten. Zunächst hatte die französische Administration allerdings noch geglaubt, dass die Heimatüberweisungen nunmehr bis Ende Juni 1951 sichergestellt seien; tatsächlich aber war das Konto „lires réparations“ bereits am 1. November 1950279 ausgeschöpft. Zudem hatte Frankreich 1949/50 in Höhe von knapp 9,7 Mio. Dollar ausgiebig von seinen gegenüber Italien bestehenden Ziehungsrechten im Rahmen 275 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Ministère des Finances, Direction du Budget N°  4870. Direction des Finances Extérieures, 2 mai 1949. Note pour le Ministre. Siehe hierzu auch: CAEF, B-0010783/2. Assemblée nationale, Session de 1949. Projet de Loi N° 7434. 276 Vgl. CAEF, B-0010769/2. Ministère des Affaires Étrangères, D. C. A. E. Uff. II° 16984/1157 à l’Ambassade de France, Rome. Note verbale, 15 décembre 1949. 277 Vgl. CAEF, B-0060342/1. Direction des Affaires Administratives et Sociales. Note, 17 mars 1949. 278 Vgl. CAEF, B-0060342/1. Direction des Programmes Économiques. Note pour le Secrétariat d’État aux Affaires Économiques, 9 mars 1949. 279 Vgl. CAEF, B-0010769/2. Note, 16 novembre 1950.

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des Europäischen Zahlungsabkommens Gebrauch gemacht, so dass ihm seit Ende Januar 1951 aus dieser Quelle nur noch wenig mehr als 1,5 Mio. Dollar für jedwede bilaterale außenwirtschaftliche Transaktion zur Verfügung standen. Einzig durch zu jener Zeit noch nicht in Anspruch genommene Ziehungsrechte gegenüber der Bundesrepublik und Belgien erweiterte sich sein Handlungsspielraum infolge multilateraler Verrechnungsmöglichkeit um weitere 10 Mio. Dollar für Zahlungen an Italien.280 Trotzdem ließ das ansehnliche französische Zahlungsbilanzdefizit anhaltend erkleckliche Dollarabflüsse erwarten.281 Deshalb, und weil das System der Vorzugswechselkurse für Bergleute und landwirtschaftliche Arbeitskräfte aufgrund veränderter sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen zwischenzeitlich nicht mehr gerechtfertigt schien, wurde der Accord franco-italien relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens zum 30. Juni 1951 von französischer Seite zu Gunsten einheitlicher maximaler Überweisungssätze (60% des Lohnes im Fall einer in Italien ansässigen Familie, 30% in allen anderen Fällen) gekündigt:282 „Il me parait tout à fait inopportun en effet de prolonger le régime des taux de change préférentiels différents du cours officiel, et des bonifications de change institué par l’accord du 26 mars 1949 pour les transferts des salaires de certaines catégories d’ouvriers italiens. Ce régime se concevait en 1949 parce qu’il mettait fin à un système encore plus défavorable pour le Trésor, et qu’il était dicté par des besoins impérieux de main d’œuvre qualifiée (mineurs et agriculteurs); mais n’est plus justifié actuellement.“283 Vor allem das Finanzministerium war also zu der Auffassung gelangt, dass der ursprünglich außergewöhnlich dringende Bedarf an italienischen Arbeitskräften die außergewöhnlich günstigen Transferbedingungen gerechtfertigt hatte, nunmehr aber ein solcher Bedarf nicht mehr bestehe.284 Mit dem Auslaufen des Systems der Vorzugswechselkurse wurden die italienischen allen anderen in Frankreich beschäftigten ausländischen Arbeitskräften gleichge-

280 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Monsieur de Lavanier, Attaché Financier auprès de l’Ambassade de France à Rome, 01.03.1950. 281 Vgl. CAEF, B-0010782/1. Direction du Trésor (Finances-Extérieures). Note pour le Ministre. Immigration de main-d’œuvre italienne en France, 12 novembre 1946. 282 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre des Finances et des Affaires Économiques à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères. Direction des Affaires Administratives et Sociales. Ohne weitere Angaben, etwa um den Jahreswechsel 1950/51. 283 CAEF, B-0010783/2. Le Ministre des Finances et des Affaires Économiques à Monsieur l’Attaché Financier près l’Ambassade de France à Rome, 6 mars 1951. 284 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre des Finances et des Affaires Économiques à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères. Révision de l’accord franco-italien relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens, 28 octobre 1950.



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stellt.285 Weil eine Verwaltungsanordnung (arrangement administratif ) im Vergleich zu einer Regierungsvereinbarung (accord), wie das Beispiel der Saisonarbeiter für die Rübenernte zeigte, flexibler zu handhaben, dadurch jederzeit auch an die Belange des französischen Arbeitsmarktes anzupassen war,286 kam es jetzt zu einem entsprechenden, die Heimatüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten regelnden Arrangement, das zudem zunächst nur bis zum 31. Dezember 1951 galt, sich aber ungekündigt automatisch verlängerte.287 Natürlich war der Widerstand verschiedener Fachministerien, wie jener für Industrie, Landwirtschaft oder auch Nationalwirtschaft, gegen die Abschaffung der Wechselkurszuschläge zu erwarten gewesen.288 Die Beibehaltung des Vorzugswechselkurses für Bergleute nach Verbrauch der 2,6 Mrd. Lire aus der Reparationsaufwertung, eine Zahlung also aus dem französischen Staatshaushalt, hätte unter den veränderten Verhältnissen am Arbeitsmarkt jedoch unbezahlbare Ansprüche aller anderen Arbeitskräfte auf Gleichbehandlung begründet.289 Zunächst schien sich durch die Abschaffung des Vorzugswechselkurses die Personalsituation in den französischen Bergwerken auch tatsächlich zuzuspitzen: Während Belgien kaum Mühe hatte, 5.000 zusätzliche Bergleute anzuwerben, schienen sich für das französische Anwerbeprogramm zeitgleich die ersten für das Jahr 1951 anvisierten 1.000 Arbeitskräfte für Untertagearbeiten nur sehr schwer rekrutieren zu lassen. Zudem hatten unter den veränderten Bedingungen zahlreiche italienische Arbeiter ihre Arbeitsverhältnisse gekündigt, und es stand zu befürchten, dass vor allem die 4.341 in den nördlichen Kohlebecken und den Bergwerken nahe der belgischen Grenze beschäftigten Migranten nach Belgien abwandern würden.290 Ähnliches hatte sich schon einmal im Jahr 1949 zugetragen, als die verschlechterten Bedingungen 285 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Direction des affaires administratives et sociales. Conventions Nr. CA 3, Dossier 4–26. Note pour le Cabinet du Ministre. A. S. des négociations franco-italiennes concernant les problèmes posés par l’immigration italienne en France. 26 décembre 1950. S. 79. 286 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre des Finances et des Affaires économiques à Monsieur l’Attaché Financier près l’Ambassade de France à Rome, 6 mars 1951. 287 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Arrangement relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens, 15 juin 1951. 288 Vgl. CAEF, B-0010783/2. L’Attaché Financier auprès de l’Ambassade de France à Rome à Monsieur le Ministre des Finances et des Affaires Économiques, Direction des Finances Extérieures, 1er Bureau, 3ième section, 27 mars 1951. 289 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre du Budget à Monsieur le Ministre de l’Industrie et du Commerce, Direction des Mines, 23 avril 1951. 290 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre de l’Industrie et du Commerce à Monsieur le Ministre des Finances et des affaires Économiques, Direction du Budget, du 10 mars 1951.

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für Heimatüberweisungen einen Abgang von ungefähr 3.000 Arbeitern, d.h. knapp eines Viertels des seinerzeitigen Personalbestands, bei den Charbonnages de France hervorgerufen hatten.291 Dabei, so ging aus einem Schreiben des Staatskonzerns an das Finanzministerium vom 16. Februar 1951 hervor, förderte jeder Arbeiter unter Tage täglich durchschnittlich 1.270 kg pro Arbeitsplatz oder 380 t Kohle pro Jahr. Die Abreise von 1.000 nicht ersetzbaren Arbeitskräften bedeutete demnach ein Förderdefizit von 380.000 t jährlich. Sollten alle italienischen Untertagearbeiter die französischen Bergwerke verlassen, drohte somit ein Förderdefizit von 2,75 Mio. t. Während sich der Importzuschuss für amerikanische Kohle auf 2.000 Francs pro Tonne belief, beim Verlust von 1.000 Arbeitskräften also auf 760 Mio. Francs pro Jahr, summierten sich die Wechselkurszuschläge für alle 8.377 bei den Charbonnages beschäftigten italienischen Arbeiter demgegenüber auf nur 180 Mio. Francs jährlich.292 Die Tatsache, dass für die Finanzierung des Vorzugswechselkurses pro Tonne nur rund 56 Francs gegenüber 2.000 Francs je Tonne Importkohle aufzubringen waren, berücksichtigte jedoch weder die Frage des Bedarfs an unterschiedlichen Devisen, noch den jenseits offizieller Wege vorgenommenen Sortentransfer nach Italien. Solche illegalen Operationen hatten sich mit einem inflationsbedingt unter dem offiziellen Wechselkurs liegenden Franc-Kurs in Italien vervielfacht und gingen erst wieder mit steigendem Franc-Kurs zurück.293 1951 beliefen sich nach einer Schätzung der italienischen Tageszeitung Popolo die offiziell getätigten Heimatüberweisungen so auf rund 65 Mio. Dollar, die illegal nach Italien transferierten Ersparnisse der Arbeitsmigranten auf etwa 40 Mio. Dollar.294 Neben den ökonomischen und vielleicht auch politisch veränderten Rahmenbedingungen in Frankreich (absehbares Scheitern der Zollunion mit Italien, SchumanPlan zur Montanunion) mögen für die Abschaffung der Vorzugswechselkurse zwei weitere Gründe ausschlaggebend gewesen sein. So hatte die OEEC im ersten Halbjahr 1950 über die Freigabe der unsichtbaren Transaktionen entschieden, so dass von nun an für Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten die Bedingungen freien Kapi291 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Charbonnages de France à Monsieur de Lattre, Direction des Finances extérieures, Ministère des Finances, 16 février 1951. 292 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Conséquences de la suppression de la prime de change en faveur des ouvriers mineurs italiens, 6.2.1951. 293 Vgl. CAEF, B-0010783/2. L’attaché Financier auprès de l’Ambassade de France à Rome à Monsieur le Ministre des Finances et des Affaires Economiques, Direction des Finances Extérieures, 1er Bureau, 26 mai 1950. 294 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/257. M.  Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Administratives et Sociales, 18 janvier 1952. S. 115–118. S. 116.



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talverkehrs galten. Entsprechend waren italienische Verantwortliche umgehend bei französischen Stellen vorstellig geworden, um die Abschaffung der doppelten Begrenzung der Heimatüberweisungen – einmal diskriminierte der Verwandtschaftsgrad des vom Transfer Profitierenden, zum zweiten die sich an der Lohnhöhe orientierende, wenngleich prozentuale Begrenzung – zu verlangen.295 Frankreich hielt zwar auch noch ein Jahr später an seiner diskriminierenden Praxis fest, war sich jedoch der dadurch provozierten Rechtsunsicherheit durchaus bewusst.296 Vieles spricht allerdings dafür, dass das von 1949 auf 1950 stark angewachsene, die Zahlungsbilanz belastende Außenhandelsdefizit gegenüber Italien die französische Administration zur Abschaffung des Vorzugwechselkurses veranlasste (vgl. Tabelle 21 sowie auch Tabelle 22, Seite 113). Denn die auf Basis des Accords von 1949 getätigten Transfers hatten die ursprünglich veranschlagte Summe von 500 Mio. Lire monatlich trotz zwischenzeitlich erhöhter Löhne niemals überschritten und sich nur im August und November 1951 mit 480 bzw. 491 Mio. Lire dieser Höchstgrenze genähert.297 Und auch im Vergleich zum Saldo aus dem französisch-italienischen Warenaustausch hatten sich die Transaktionen aus Arbeitseinkommen in den Jahren 1948 bis 1950 nicht besonders besorgniserregend entwickelt (vgl. Tabelle 21). Tabelle 21: Französischer Außenbeitrag gegenüber Italien und Heimatüberweisungen der Migranten nach Italien, 1948–1950 (in Mio. Lire)

1948

Außenbeitrag (Exporte–Importe) −10.352

Heimatüberweisungen –6.325

1949

–10.460

–7.921

1950

–18.016

–5.425

Quelle: CAEF, B-0010781/2. Ambassade de France en Italie, l’Attaché financier, 15 juillet 1951. Les paiements franco-italiens en 1950, 15.07.1951.

Allen französischen Verpflichtungen Italien gegenüber, die sich 1950 auf knapp 41,4 Mrd. Lire beliefen, standen Ziehungsrechte aus dem Europäischen Zahlungs295 Vgl. CAEF, B-0010783/2. L’attaché Financier auprès de l’Ambassade de France à Rome à Monsieur le Ministre des Finances et des Affaires Economiques, Direction des Finances Extérieures, 1er Bureau, 26 mai 1950. 296 Vgl. CAEF, B-0060342/1. Le Ministre du Travail et de la Sécurité sociale à Monsieur le Ministre des affaires Étrangères. Prime de change des travailleurs italiens, 6 février 1951. 297 Vgl. CAEF, B-0010781/2. Ambassade de France, l’Attaché Financier. Note relative aux paiements entre la France et l’Italie en 1950, 9 avril 1951.

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abkommen, der Europäischen Zahlungsunion, das Guthaben aus der Reparationsaufwertung sowie eine Devisenarbitrage in Höhe von insgesamt nur knapp 1 Mrd. Lire gegenüber.298 In US-Dollar häufte Frankreich alleine in den 13 Monaten vom 1. Juli 1950 bis 31. Juli 1951 ein Defizit von 36 Mio. (=12,6 Mrd. Lire) an, wobei 6,8 Mio. Dollar oder knapp 2,4 Mrd. Lire aus dem Warenaustausch resultierten, 10,9 Mio. Dollar aus Frachten, 12,5 Mio. Dollar aus dem Tourismus und 7,8 Mio. Dollar oder 2,73 Lire aus Heimatüberweisungen von Arbeitsmigranten.299 Deshalb war im französischen Finanz- und Wirtschaftsministerium auch schon Ende 1948 darüber nachgedacht worden, die relativ hohen, aus dem Reiseverkehr resultierenden Devisenabflüsse in das europäische Clearing miteinzubeziehen,300 zumal sich der Außenhandel neben dem Clearing zu Teilen bereits auf Basis der Reziprozität sowie des freien Devisenverkehrs zu vollziehen begann.301 Italien seinerseits führte das aus dem französisch-italienischen Warenaustausch resultierende Ungleichgewicht im Übrigen auf den vergleichsweise geringen Liberalisierungsgrad, d.h. den geringen Anteil nicht kontingentierter Waren an den französischen Importen zurück,302 der sich infolge weiterer protektionistischer Maßnahmen zum Schutz der französischen Zahlungsbilanz künftig noch weiter verringern sollte.303 Was auch immer der Grund für die problematische Lage der französischen Zahlungsbilanz gewesen sein mag, über die Tabelle 36, Seite 203 und 37, Seite 204 im Anhang Auskunft geben, die französische Regierung entschied 1953 sogar, Heimatüberweisungen nach Italien nur noch bis Ende des folgenden Jahres zulassen zu wollen: „D’autre part, la question des transferts resurgit lorsque le gouvernement français, pour améliorer la balance des comptes, décide en 1953 de les interrompre. Devant les protestations italiennes, il accepte seulement de les maintenir jusqu’à la fin de 1954, et de verser une indemnité d’installation à ceux qui font venir leur famille dans le délai d’un an.“304 Italien hatte die sofortige Aussetzung der Überweisungen zwar abwenden und deren Einstel298 Vgl. CAEF, B-0010781/2. Ambassade de France en Italie, l’Attaché financier, 15  juillet 1951. Les paiements franco-italiens en 1950, 15.07.1951. 299 Vgl. CAEF, B-0010781/1. Procès-verbal de la Commission mixte franco-italienne signé à Rome, le 22 septembre 1951. Annexe 1. 300 Vgl. CAEF, B-0010781/1. Echanges franco-italiens en réciprocité, 12.10.1948. 301 Vgl. CAEF, B-0010782/1. L’attaché Financier auprès de l’Ambassade de France à Rome à Monsieur le Ministre des Finances et des Affaires Economiques, Direction des Finances Extérieures, 1er Bureau. Rome, le 29 janvier 1948. 302 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/223. Annexe à la dépêche de Rome 1784 en date du 12 novembre 1954: Questions économiques. S. 291–298. S. 291. 303 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/260. [Télégramme à l’arrivée] S. M. Déchiffrement. Rome, le 10 mai 1952 à 7 heures, N° 359/65. S. 137–140. S. 137. 304 Guillen, L’immigration italienne en France, S. 47.



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Das französisch-italienische Migrationsregime im Wandel

lung auf Ende des Jahres 1954 verschieben können, spätestens jetzt aber musste die italienische Administration nach weiteren Möglichkeiten suchen, um italienische Arbeitskräfte auswandern und durch deren Heimatüberweisungen möglichst die eigene Zahlungsbilanz entlasten zu können. Tabelle 22: Entwicklung der Leistungsbilanz Frankreichs (ohne Überseegebiete) gegenüber Italien 1951–1954, in Mrd. Lire 1951

1952

1953

–34

−7

+29

+49

−19,6

−32,1

−31,2

−25

−10

−18

−8,3

−7,9

Heimatüberweisungen der Migranten

−6,9

−11,94

−12,91

−9,96

Tourismus

−7,7

−11,1

−12,5

−13,7

−53,6

−39,1

−2,2

+24

Handelsbilanz Unsichtbare Transaktionen

1954

darunter: Frachten

Summe

Quelle: CAEF, B-0010781/2. Evolution de la Balance des Paiements entre la zone franc et l’Italie de 1951.

Das französisch-italienische Migrationsregime im Wandel Noch bevor sich mit dem 1955/56 einsetzenden Wirtschaftsaufschwung in Frankreich ein von zunehmender Arbeitsmigration begleiteter, gesamtwirtschaftlicher Arbeitskräftemangel bemerkbar machen konnte,305 schien sich seit 1950 ein Wandel im französischen Migrationsregime anzudeuten. Dieser führte nach kurzfristigen Spitzenwerten bei der italienischen Zuwanderung zwischen 1956 und 1958 längerfristig zu einem starken Rückgang der Migration aus Italien, zumal im Verhältnis zur Gesamtzahl der Arbeitsmigranten. Zunächst hatten französische Unternehmen in erster Linie qualifizierte Arbeitskräfte und die Agrarwirtschaft „gute“ Landarbeiter gesucht, diese aber von Beginn an in Italien trotz dort anhaltender Arbeitslosigkeit kaum rekrutieren können.306 Gerade in der französischen Bauwirtschaft und der Metallurgie kam es deshalb schon bald zu ernsthaften Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung; Saisonarbeiter zogen zudem schon bald vor, für die Zuckerrübenernte in Norditalien zu bleiben oder in die Bundesrepublik zu reisen. Insgesamt ließ schließlich auch der zweite Plan zur Modernisierung und Ausrüstung der französischen Wirtschaft für die 305 Vgl. Spire, Étrangers à la carte, S. 107. 306 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/268. Emigration. Annexe à la dépêche de Rome 1784 du 12 novembre 1954.

114

Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Zeit 1954–1957 eine zunehmende italienische Arbeitsmigration auch deshalb nicht zu, weil für die Landwirtschaft verstärkt auf die binnenwirtschaftliche Migration in Frankreich sowie allgemein auf Spezialisierung, Technisierung und Modernisierung der Industrie einschließlich Umschulung der Arbeitskräfte gesetzt wurde.307 Andere Probleme bereitete demgegenüber die Lage in der französischen Automobilindustrie. Hier war das ONI dazu übergegangen, den Betrieben in Italien die Arbeitskräfte abzuwerben, obwohl diese beispielsweise bei Fiat gut bezahlt wurden. Die französische Autoindustrie ihrerseits sah sich in der Folge deshalb wiederum gezwungen, diesen Arbeitsmigranten Lohnzuschläge zu zahlen und ihnen weitere Vergünstigungen, wie die kostenlose Unterkunft, zukommen zu lassen. Weil die verschiedenen Unternehmen der französischen Automobilindustrie um die so rekrutierten Arbeitskräfte konkurrierten, überboten sich diese zudem noch gegenseitig bei der Gewährung von Vergünstigungen: „L’O.N.I. ne peut s’en procurer qu’en les [spécialistes] débauchant des entreprises italiennes. Des ouvriers de Fiat quittant leur entreprise où ils sont pourtant bien payés pour aller en France. C’est que Citroën leur consent, paraît-il, des primes tout à fait extraordinaires. Alors que le tarif professionnel serait de 200 frs l’heure, Citroën accorde […] 400 frs aux ouvriers italiens […] auquel s’ajoutent divers avantages, dont un logement gratuit. On signale d’ailleurs, que malgré ces avantages, les ouvriers italiens quittent Citroën au bout d’un certain temps pour s’embaucher chez Simca qui offre des conditions encore plus favorables.“308 Zu allem kam, dass Frankreich spätestens seit 1952/53 aufgrund seiner aus der Europäischen Zahlungsunion resultierenden Verpflichtungen eine restriktivere Außenwirtschaftspolitik verfolgte,309 von der Italien besonders betroffen war. Einer Erhöhung französischer Ausfuhren nach Italien um 22% stand so im zweiten

307 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Monsieur J. Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à son excellence, Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères (Direction des Affaires Administratives et Sociales). 4  novembre  1955. S. 204–206; Levi, Mario: Die staatlichen Modernisierungs- und Ausrüstungspläne für die französische Wirtschaft. Ein Überblick über ihre bisherige Entwicklung und ihre künftigen Aufgaben. In: Europa-Archiv, 12. Jg. 1957. S. 9633–9638. S. 9635. 308 Archives diplomatiques, 193QO/271. Monsieur J.  Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à son excellence, Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères (Direction des Affaires Administratives et Sociales). 4 novembre 1955. S. 204–206. S. 206. 309 Vgl. Kaplan, Jacob J.; Günther Schleiminger: The European Payments Union. Financial Diplomacy in the 1950s. Oxford, 1989. S. 141 ff. (Künftig zitiert: Kaplan/Schleiminger, European Payments Union).



Das französisch-italienische Migrationsregime im Wandel

115

Halbjahr 1952 ein Rückgang der Einfuhren aus Italien von 42% gegenüber.310 Von solchermaßen Entwicklungen konnte auch die italienische Migration nach Frankreich nicht unberührt bleiben, die ein „wesentliches Element in der Gesamtheit der französisch-italienischen Beziehungen“ ausmachte: „l’importance vitale que présente cette question [de l’immigration] pour le Gouvernement de Rome […] constitue un élément essentiel dans l’ensemble des rapports franco-italiens.“311 Mehrere Einzelvorhaben, auf die sich Frankreich und Italien bereits im Verlauf der Konferenz von Santa Margherita im Februar 1951 und während eines Treffens der beiden Außenminister Bidault und de Gasperi zwei Jahre später geeinigt hatten, sind deshalb zunächst nicht weiter verfolgt worden. Darunter befand sich das Projekt einer französisch-italienischen Wohnungsbaugesellschaft (Société d’aide au logement des travailleurs italiens du bâtiment, „Saltiba“), die in der Pariser Region italienische Arbeitskräfte zum Bau von Arbeiterwohnungen beschäftigen sollte, anscheinend aber an der finanziellen Ausstattung der Gesellschaft durch Frankreich scheiterte.312 Hierzu gehörte ebenso der nicht umgesetzte Plan des italienischen Arbeitsministers Amintore Fanfani von 1952, der die Überlassung von Land an italienische Migranten zur direkten Bewirtschaftung oder Pacht vorsah. Die spezifische Anlage des Vorhabens – speziell hierfür zu gründende Gesellschaften sollten Ländereien auf- und an italienische Landwirte verkaufen oder verpachten, damit sich so in zwei Jahren 1000 italienische Bauernfamilien in Frankreich niederlassen konnten – barg für die französische Seite nämlich Gefahren für den ländlichen Immobilienmarkt. Deshalb sollten sich die bäuerlichen Familien nach französischen Vorstellungen in einem Zwei-Phasen-Prozess niederlassen, indem sie zunächst individuell als landwirtschaftliche Arbeitskräfte nach Frankreich einreisten, um sich erst nach einer gewissen Vertrautheit mit dem Leben in der gewählten Zielregion endgültig als eigenständige Landwirte mit Familie dort niederzulassen.313 Ein weiteres, auch für die französische demographische Entwicklung 310 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/222. Procès-verbal de la réunion tenue à Rome le 26 février 1953, entre le Président du conseil Ministre des Affaires Étrangères d’Italie et le Ministre des Affaires Étrangères de France. S. 317–325. S. 324. 311 CAEF, B-0010783/2. Le Ministre des Affaires Étrangères à Monsieur le Ministre des Finances. A/s Immigration italienne en France et dans l’Union française, 27 janvier 1951. CAEF, B-0010783/2: Italie, accord franco-italien sur les transferts financiers de travailleurs italiens (1948–1951) – Ouverture d’un crédit budgétaire (1949–1950). Le Ministre des Affaires Étrangères à Monsieur le Ministre des Finances, 27 janvier 1951. 312 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/225. Entretiens franco-italienne de Rome – 10/11 janvier 1955. S. 20–66. S. 64. 313 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/222. Ministère des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Administratives et Sociales, Conventions. A.  S. Installation d’exploitants agricoles italiens. Note pour le Président. [Ca. Februar 1953]. S. 206.

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

zukunftweisendes Projekt schien dagegen von der französischen Verwaltung behindert zu werden: Auf einem Landgut in Losse (Département Landes) hatten italienische Migranten erfolgreich genossenschaftlich Land erschlossen, aufgrund administrativer Probleme schien dieses Projekt anderweitig jedoch nicht wiederholt zu werden.314 Vergeblich insistierte die italienische Regierung immer wieder darauf, italienischen Bauernfamilien die Nutzung von unkultiviertem Land oder von aufgegebenen Ländereien zu gestatten und damit unter finanzieller Beteiligung Italiens die anhaltend angespannte Lage am italienischen Arbeitsmarkt durch Migration zu erleichtern: „La Délégation italienne rappelle que la France offre dans le domaine agricole certaines possibilités à l’immigration italienne. Elle propose notamment, en ce qui concerne la remise en valeur de terres abandonnées ou incultes, de constituter le plus tôt possible une commission qui rechercherait les possibilités existant à cet égard […]. Une participation italienne aux apports financiers qu’exigerait cette remise en valeur pourrait être envisagée.“315 Auch in anderen, vorwiegend transozeanischen, Ländern beteiligte sich Italien regelmäßig, im Allgemeinen mit 40%, an der Finanzierung solcher „Kolonialisierungsgesellschaften“ (Compagnies de colonisation). Im Falle Frankreichs hätte das, auch aufgrund der Kostenersparnis für eine Schiffspassage, die Gründung drei oder vier weiterer Unternehmungen des Typs „Les Landes“ bedeuten können, in das Italien 60 Mio. Francs investiert hatte. Da es langfristig um eine Erleichterung der landwirtschaftlichen Arbeitsmigration ging, stellte Italien für weitere solcher Gründungen zusätzliche Mittel in Höhe von 200 Mio. Francs in Aussicht.316 An den Kosten solcher landwirtschaftlicher Migrations- bzw. Siedlungsprojekte wollte sich die italienische Seite also beteiligen, wie sich Italien i.d.R. immer zu Kompensationszahlungen317 für die von ihm angestrebte Arbeitsmigration bereit 314 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/268. Emigration. Annexe à la dépêche de Rome 1784 du 12 novembre 1954. 315 Archives diplomatiques, 193QO/225. Entretiens franco-italienne de Rome – 10/11 janvier 1955. S. 20–66. S. 65. 316 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Note sur les entretiens de M. Rochefort avec une délégation italienne, au sujet du problème de l’émigration. 6 mars 1951. S. 108–115. S. 109 f. 317 Vgl. hierzu auch Grothe, Hugo: Europäische Auswanderung und Binnenwanderung in der Nachkriegszeit. Eine Zwischenbilanz. Bericht über die vorbereitende Auswanderungskonferenz des Internationalen Arbeitsamtes in Genf vom 25. April bis 9. Mai 1950. In: Europa-Archiv, 5. Jg. 1950. S. 3441–3448. Besonders S. 3444: „Unter eigenen finanziellen Opfern fördert Italien den Auswanderungsdrang seiner Bewohner nach Uebersee und nach anderen europäischen Ländern. Es geschah dies in Gestalt eines besonderen Vertrages mit dem immer rege von Italienern aufgesuchten Einwanderungsland Argentinien und in Europa mit Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.“



Das französisch-italienische Migrationsregime im Wandel

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erklärt hatte, sofern die unterstützte Maßnahme mit einer „hinreichend bedeutenden Migration“ einherging. Deshalb war auch der Zweck der gemeinsamen Wohnungsbaugesellschaft „Saltiba“, die ursprünglich nur dem Bau von Wohnungen in Frankreich dienen sollte, zur Sicherstellung finanzieller Mittel aus Italien dahingehend verändert worden, als diese schließlich Arbeiterwohnsiedlungen errichten sollte, in denen sich u.a. auch italienische Migranten hätten niederlassen und ihre Familien nachreisen lassen können: „Il serait possible d’aborder le problème du plan de construction avec une participation financière italienne pour l’édification, par exemple, de cités ouvrières dans des régions où se trouve un nombre appréciable d’Italiens qui n’ont pu, jusqu’ici faute de logements, faire venir leur famille. Cette solution serait d’autant plus heureuse qu’elle résoudrait d’autant le problème des transferts de salaires.“ 318 So erklärte sich Italien beispielsweise auch im Frühjahr 1950 zur Übernahme eines Teils der Rekrutierungskosten bereit, falls die Gebühr, die französische Arbeitgeber an das ONI im Falle erfolgreicher Anwerbungen zu zahlen hatten, gesenkt würde. Damit hoffte es, die Zahl der Arbeitsmigranten nach Frankreich wieder erhöhen zu können, die nach einer Gebührenerhöhung zurückgegangen war.319 Im französisch-italienischen Verhältnis spielten für Italien offensichtlich weder Geld noch Devisen eine Rolle; umso gewichtiger gestaltete sich jedoch die Frage der Devisen für Frankreich. Aus der sich hierin ausdrückenden wirtschaftlichen Schwäche Frankreichs, die zudem durch steigende Arbeitslosenzahlen (vgl. Tabelle 20, Seite 101) und eine mit dem Jahr 1950 zahlenmäßig stark einbrechende Arbeitsmigration (vgl. Schaubild 5, Seite 93) begleitet wurde, resultierte schließlich der von Italien angestoßene Wandel im französisch-italienischen Migrationsregime. Dieser ließ die migrationspolitischen Anstrengungen Italiens nunmehr verstärkt auch auf Schwarzafrika, Madagaskar sowie die französischen Überseegebiete als Ziel italienischer Auswanderung ausrichten. Zuvor war die italienische Diplomatie in diesem Sinne bereits im britischen Außenministerium vorstellig geworden, denn bereits Anfang 1950 versicherte der britische Außenminister Ernest Bevin seinem italienischen Kollegen Comte Sforza, sich für eine Erleichterung der italienischen Arbeitsmigration in die britischen Kolonien einzusetzen.320 318 Archives diplomatiques, 193QO/271. Note sur les entretiens de M. Rochefort avec une délégation italienne, au sujet du problème de l’émigration. 6  mars  1951. S. 108–115. S. 114. 319 Vgl. CAEF, B-0010780/1. Accords du 7 mars 1950 entre la France et l’Italie. S. 22 und 25 f. 320 Archives diplomatiques, 193QO/271. Direction d’Europe, S/Direction d’Europe Méridionale. Note pour la Direction des affaires économiques et financières (à l’attention de M. Alphand et de M. Drouin). A. s. Immigration de main-d’œuvre italienne. 9 fév-

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Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich

Förderte Frankreich einerseits den freien Personen-, Waren- und Kapitalverkehr zwischen seinen Überseegebieten, galten für eine verstärkte italienische Migration dorthin andererseits besondere wirtschaftliche und politische, aber auch klimatische Umstände beachtet zu werden. Insbesondere wäre aus französischer Sicht eine unbedingte Assimilationsbereitschaft an die französische Kultur Voraussetzung gewesen. La Guyane beispielsweise, wo die Niederlassung einzelner Displaced Persons unbefriedigend verlaufen war,321 wurde wie andere Gebiete aus klimatischen Gründen für eine europäische Arbeitsmigration ausgeschlossen,322 so dass von den französischen Überseegebieten ohnehin nur Neukaledonien und Madagaskar für die Aufnahme italienischer Arbeitsmigranten infrage gekommen wäre. Die Verhandlungen über die französisch-italienische Zollunion erhöhten zwischenzeitlich den Druck auf Frankreich, eine entsprechende Migration nach Madagaskar zu prüfen, wie einem Schreiben des französischen Botschafters in Rom an den Hohen Kommissar Frankreichs auf Madagaskar zu entnehmen ist: „Examinons la question sous son autre aspect, son aspect européen […]. La France s’emploie actuellement à se rapprocher de l’Italie dans l’esprit de l’Union douanière qu’elles viennent de conclure. Or, le plus grand service qu’attend d’elle sa voisine est l’allègement du fardeau d’une population qui risque de l’étouffer. Que peut la France à cet égard? Peu de chose dans le cadre métropolitain; davantage sur le plan de l’Empire: c’est ici peut-être seulement que l’on peut parler de complémentarité des deux pays“323. Hinsichtlich einer über vereinzelte Einwanderungen hinausgehenden italienischen Migration nach Madagaskar wurden dann seit 1951 in der französischen Administration tatsächlich Überlegungen angestellt, vor allem, weil sich die Migranten in den dortigen Bergwerken hätten nützlich machen können.324 Allerdings zeigte man sich nicht nur dort europäischer Migration gegenüber zunehmend ablehnend. In den beiden seinerzeitigen französischen Protektoraten

321 322 323 324

rier 1950. S. 52–54. S. 52 f. Zu entsprechenden Vorstößen Italiens vgl. auch Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik, S. 221. Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Ministère des Affaires Étrangères, Direction d’Europe. Compte rendu de la réunion interministérielle du 1er  février  1951 sur l’émigration italienne. 2 février 1951. S. 93–101. S. 96. Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Ministère des Affaires Étrangères. Direction d’Europe, S/D d’Europe Méridionale. Note pour le Ministre A/S Emigration italienne. 4 février 1951. S. 102–104. S. 103. Archives diplomatiques, 193QO/271. Copie. Monsieur le Chevigné, Haut-Commissaire de France à Madagascar. Rome, le 28 mai 1949. S. 6–9. S. 7. Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Ministère des Affaires Étrangères, Direction d’Europe. Compte rendu de la réunion interministérielle du 1er  février  1951 sur l’émigration italienne. 2 février 1951. S. 93–101. S. 96–99.



Das französisch-italienische Migrationsregime im Wandel

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Marokko und Tunesien sprachen hingegen vor allem arbeitsmarktpolitische Gründe gegen eine italienische Migration.325 Nach jahrelanger formal-bürokratischer Prüfung der Möglichkeiten einer solchen italienischen Migration erklärte sich die französische Regierung schließlich bereit, eine staatliche Gesellschaft zu gründen, die die Niederlassungsbedingungen für Europäer auf Madagaskar prüfen sollte. Dem war die Aufstellung eines Wirtschaftsplanes für ihre Überseegebiete vorausgegangen, und nur in Anlehnung an dessen Vorgaben konnte aus französischer Sicht eine Zuwanderung in diese Gebiete überhaupt organisiert werden. Die Migration wurde somit zum integralen Bestandteil auch der Wirtschaftsplanung für die Überseegebiete, die wiederum deren wirtschaftliche Entwicklung zum Ziel hatte. Nach ersten Vorarbeiten sollten schließlich in Zusammenarbeit mit italienischen Vertretern konkrete Maßnahmen für die Zuwanderung sowie deren Finanzierung geprüft werden: „Le Gouvernement français demandera alors au Gouvernement italien de désigner des Délégués qui étudieront, avec les représentants du Gouvernement français, les mesures concrètes d’immigration d’Italiens à Madagascar ainsi qu’éventuellement un projet de financement.“326 An eine Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Administration der OEEC war für den Fall gedacht, dass diese technische Hilfe oder Entwicklungsprojekte finanzierte. Dies fand seine Begründung wiederum darin, dass die Frage der Migration in die Überseegebiete der europäischen Kolonialmächte Großbritannien, Belgien, Frankreich und Portugal auf italienisches Betreiben ohnehin bereits im Rahmen der OEEC, und zwar durch deren Komitees für Arbeitskraft sowie für Überseegebiete, behandelt wurde.327 Mittels der parallel verlaufenden bilateralen Verhandlungen mit Frankreich wollte Italien einzig eine schnellere Lösung des drängenden Problems herbeiführen.328

325 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/222. Direction Générale Affaires Politiques. Direction d’Afrique-Levant sous-direction d’Afrique. Note pour le Ministre. [Ca. Februar 1953]. S. 192–200. 326 Archives diplomatiques, 193QO/271. Confidentiel. Aide Mémoire. Rome, le 4 mars 1950. S. 60 f. S. 61. 327 Vgl. beispielsweise: Archives diplomatiques, 193QO/218. Ministre des Affaires Étrangères, Direction des Affaires Administratives et Sociales. Note pour la Direction d’Europe, Sous-Direction d’Europe Méridionale. 29 janvier 1951. S. 298–300. 328 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Confidentiel. Aide Mémoire. Rome, le 4 mars 1950. S. 60 f. S. 60.

Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss Obwohl es mit Westdeutschland, den Niederlanden und Griechenland weitere europäische Länder mit zum Teil massivem Arbeitskräfteüberschuss gab, waren es von Beginn an Regierungen Italiens gewesen, die das Problem des italienischen Bevölkerungsüberschusses unaufhörlich auf internationaler Ebene vortrugen (vgl. Tabelle 23, Seite 123), der internationalen Gemeinschaft Wege zum Arbeitskräfteausgleich mittels Migration aufzeigten und damit – neben bilateralen Verhandlungen – eine multilaterale Lösung suchten.329 Die USA sagten den italienischen Verantwortlichen dabei zu, dieses Problem auf die europäische, wenn nicht sogar auf die weltpolitische Tagesordnung zu setzen.330 Unterstützung kam auch von französischer Seite, die den italienischen Bevölkerungsüberschuss selbst zu Beginn des Jahres 1953 noch als Problem von europäischem Interesse ansah.331 Deren Sympathie für eine internationale Lösung speiste sich auch aus dem italienischen Interesse an der europäischen Integration. Dieses war vital, weil ein erneuter deutsch-französischer Antagonismus Italien aus Gründen des Mächtegleichgewichts vor eine Zerreißprobe gestellt hätte.332 Italien wiederum spielte im Hinblick auf französische Sicherheitsinteressen gegenüber Deutschland eine wichtige Rolle, so dass die Frage des europäischen Arbeitskräfteausgleichs nicht nur als nationales Anliegen der Aus- und Einwanderungsländer betrachtet werden darf.333 Durch diese vielschichtige Interessenlage wurde das Problem des europäischen Arbeitskräfteüberschusses Gegenstand von Untersuchungen der ILO, die als ehemalige Organisation des Völkerbundes nach dem Zweiten Weltkrieg zur ersten Sonderorganisation der Vereinten Nationen (United Nations, UN) avancierte, des Wirtschafts- und Sozialrats der Organisation der Vereinten Nationen (United Nations Organization, 329 Vgl. hierzu beispielsweise auch: Steinert, Migration und Politik, S. 86–90. 330 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/257. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères – Direction des Affaires Administratives – 5 octobre 1951. S. 106–111. S. 106. 331 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/222. M. Jacques Fouques Duparc Ambassadeur de France en Italie à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères, Direction d’Europe a. s. La France et l’Italie au début de 1953. S. 16–25. S. 23 f. Kursorisch hierzu auch: Guillen, L’immigration italienne en France, S. 46. 332 Vgl. beispielsweise: Archives diplomatiques, 193QO/222. [M. Jacques Fouques Duparc Ambassadeur de France en Italie à] Son Excellence Monsieur le Président Georges Bidault, Ministre des Affaires Étrangères. Rome, le 7 février 1953. S. 56–68. S. 58 f. 333 Vgl. Steinert, Migration und Politik, S. 81.



Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss

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UNO), verschiedener regionaler Wirtschaftskommissionen ebenso wie der Internationalen Flüchtlingsorganisation (International Refugee Organization, IRO), und es war sogar Gegenstand von Beratungen innerhalb des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (North Atlantic Treaty Organization, NATO)334. Zwei Ausschüsse der NATO, der Temporary Committee Council sowie das Atlantic Council Committee, bewerteten die italienischen Bestrebungen zur Freizügigkeit für Arbeitskräfte unter dem Blickwinkel der Wiederbewaffnung und gemeinsamer westeuropäischer Rüstungsprogramme335 positiv und erkannten sogar die Notwendigkeit an, “that NATO countries were to modify their labor legislation to meet the new requirements.” 336 Tatsächlich wurden besonders seit Beginn des Koreakrieges die Auswirkungen der Rüstungsanstrengungen auf die europäische Wirtschaft vor allem auch unter dem Aspekt der in Europa – mit Ausnahme von Westdeutschland und Italien – kaum noch vorhandenen Arbeitslosigkeit diskutiert. In diesem Zusammenhang lag es dann nah, die italienische Forderung nach innereuropäischer Freizügigkeit aufzugreifen und dadurch potentiellen Engpässen für die Rüstungsproduktion präventiv zu begegnen: „In den Ländern, wo die Verknappungserscheinungen sich unangenehm auf wiederum andere Mitgliedstaaten auswirken würden, sollte man sich offenbar noch einmal mit dem Vorschlag befassen, die bei manchen Mitgliedstaaten immer noch im Überschuß vorhandenen, unbeschäftigten Arbeitskräfte mehr heranzuziehen. […] Die Regierungen sollten die Möglichkeit der Vergebung von Aufträgen an die Länder, die noch unter offener oder verdeckter Arbeitslosigkeit leiden, in wohlwollende Erwägung ziehen, soweit diese Aufträge zu annehmbaren Kosten ausgeführt werden können.“337 Die European League for Economic Cooperation (ELEC), die ohnehin die europäische Einigung unter den Prinzipien der Arbeitsteilung und des damit zusammenhängenden freien Waren-, Personen- und Kapitalverkehrs anstrebte, schlug sogar eine „inter-europäische Stelle für Arbeitslenkung [vor], die laufend über den gesamten Bedarf an Arbeitskräften unterrichtet wäre und den Arbeitern bei der Auswahl von Arbeitsstellen in Europa Anleitung geben könnte.“338 Die Nichtregie334 Vgl. Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 30  ff.; vgl. hierzu auch: Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik, S. 224; Goedings, Labor Migration, S. 77. 335 Vgl. hierzu: Diebold, Trade and Payments, S. 434. 336 Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 339. 337 Die Auswirkungen der Rüstungsanstrengungen der Atlantikpaktstaaten auf die europäische Wirtschaft. In: Europa-Archiv, 6. Jg. 1951. S. 3631–3638. S. 3635. 338 Die Wiederaufrüstung Westeuropas und seine Wirtschaftseinheit. Eine Studie der Ligue Européenne de Coopération Economique. In: Europa-Archiv, 6. Jg. 1951. S. 4123–4128. S. 4125.

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rungsorganisation hatte beratenden Status beim Europarat, so dass es nicht überrascht, dass auch dieser das Thema aufgriff: “The work was carried out through two projects: one considered the problem of full employment in the light of economic principles; the other concerned the problem of European refugees […]. During the discussions concerning the refugees problem [sic!] the Italian Delegation succeeded in having this problem – this is one of the typical features of the German situation – assimilated to that of the Italian population surplus.”339 Die italienische Administration erreichte aber auf dieser Ebene nicht nur eine Gleichstellung ihres Bevölkerungsüberschusses mit dem Flüchtlingsproblem. Vielmehr sorgte der Europarat auch dafür, dass das Bevölkerungsproblem in Europa als europäisches Problem definiert wurde. „Bisher galten Schwierigkeiten dieser Art als Angelegenheit der nationalen Regierungen, was sich schon allein darin zeigte, daß der Begriff der ‚europäischen Bevölkerung‘ als Einheit noch gar nicht geprägt worden war. […] Der Europarat konzentrierte sich deshalb zunächst darauf, die Anerkennung der durch Flüchtlingszustrom und Bevölkerungsaufstockung geschaffenen Probleme einiger seiner Mitgliedstaaten als gemeinsame europäische Aufgaben zu erwirken und die Mittel und Wege zu ihrer Lösung aufzuzeigen.“340 Eine Konferenz in Rom im Januar/Februar 1948 führte zur Gründung der – wenn auch nur kurzlebigen – European Migrations Commission (EMICO), deren Ziele durch ein in Rom ansässiges Regionalbüro341 der ILO umgesetzt werden sollten. Außerdem erwirkte Italien Mitte des Jahres 1950 eine Entscheidung der französischen, britischen und amerikanischen Außenminister, die die Zusammenkunft eines Expertenkomitees (Tripartite Meeting of Experts on European Migration) zur Folge hatte. Dieses Komitee sollte das Problem des Arbeitskräfteüberschusses grundlegend untersuchen und besonders den einer umfangreicheren Auswanderung aus Italien entgegenstehenden, sich durch Transport, Niederlassung und Lohntransfers ergebenden technischen und finanziellen Fragen nachgehen.342 Eine wichtige Rolle spielte zunächst allerdings die 339 Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 337. 340 Fischer, Per: Europas Flüchtlings- und Bevölkerungsprobleme in der Sicht des Europarats. In: Europa-Archiv, 9. Jg. 1954. S. 6569–6577. S. 6570 f. (Künftig zitiert: Fischer, Europas Flüchtlings- und Bevölkerungsprobleme). 341 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité de la main-d’œuvre. Rapport sur l’absorption des excédents de maind’œuvre. Paris, le 15 décembre 1949. S. 10–19. S. 15. 342 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/271. Ministère des Affaires Étrangères, Direction d’Europe, S/Direction d’Europe Méridionale. Note pour le Directeur Générale des affaires politiques A/s Emigration italienne. 31 janvier 1951. S. 87–92. S. 91 f.



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OEEC mit ihrem – auf italienisches Betreiben343 eingerichteten und mit Vertretern Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens, Italiens und der Schweiz besetzten – Manpower Committee. “It was understandable that in the technical committee on manpower the discussions should have been dominated by Italian problems. […] The solution was sought, as it had been before 1921, outside Italy. Since, however, there was no longer the freedom of international labour migration which had characterized the years before 1914 this solution meant formal European or international agreements permitting and controlling Italian emigration. This was a major interest of the Italian government in European economic co-operation.”344 Tabelle 23: Mit der italienischen Migration befasste internationale Organisationen und Konferenzen Organisationen ECA

Economic Cooperation Administration

EMICO

European Migrations Commission

European Council ICEM IRO Latin America Economic Committee NATO OEEC PICMME UNO

Intergovernmental Committee for European Migration (Vorgängerorganisation: PICMME) International Refugee Organization

– Temporary Committee Council (TCC) – Atlantic Council Committee (ACC) – Manpower-Committee Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe (Nachfolgeorganisation: ICEM) – Comité intergouvernemental provisoire pour le Mouvement des Migrants d’Europe (CIPMME) – ILO – Wirtschafts- und Sozialrat

Konferenzen Genf 25.04.–09.05.1950 London 11.–13.05.1950 Paris 24.07.–11.08.1950

Vorbereitende Konferenz zur Migration (unter Führung der ILO) Außenministerkonferenz der drei Westmächte Expertenkonferenz über die europäische Migration

343 Vgl. Steinert, Migration und Politik, S. 87. 344 Milward, Reconstruction, S. 78.

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Genf 11./12.09.1950 Neapel 02.–16.10.1951 Brüssel 26.11.–5.12.1951 Genf 15.–25.04.1953

ILO-Konferenz ILO-Konferenz über Fragen der Ein- und Auswanderung Internationale Migrationskonferenz zur Gründung des Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe (PICMME) Tagung des Intergovernmental Committee for European Migration (ICEM)

Quelle: Eigene Darstellung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Die OEEC und die Freizügigkeit für Arbeitskräfte Durch Zustimmung im US-Kongress konnte der Economic Cooperation Act am 3. April 1948 in Kraft treten, der vier grundlegende Ziele verfolgte: „Steigerung der Produktion, Stabilisierung von Staatsfinanzen und Währungen, Kooperation der Europäer und Überwindung der den Außenhandel lähmenden Dollarlücke.“345 Die sog. Dollar-Lücke resultierte bekanntlich aus der Unterbrechung der Handelsbeziehungen der europäischen Länder mit dem Produktionsgüterlieferanten Deutschland. Zwar konnten die USA Deutschland als Lieferanten ersetzen, sie entsprachen jedoch nicht dem Absatzmarkt, auf dem sich die Europäer die für ihre Importe notwendigen Dollar hätten verdienen können.346 Das diese Probleme angehende European Recovery Program war zunächst bis Juni 1952 konzipiert, wurde schließlich jedoch bis Ende dieses Jahres verlängert und umfasste Warenlieferungen nach Europa im Wert von 13,75 Mrd. US-Dollar. Als ausführende Behörde fungierte die Economic Cooperation Administration mit weitreichenden Vollmachten gegenüber den Teilnehmerländern, der der Manager eines Automobilkonzerns, Paul G. Hoffman, vorstand. Vor allem durch die Verpflichtung zu bilateralen Vereinbarungen347 eines Empfängerlandes 345 Lehmann, Marshall-Plan, S. 51. Der Originaltext ist abrufbar unter: http://marshallfoundation.org/library/wp-content/uploads/sites/16/2014/06/Foreign_Assistance_ Act_of_1948.pdf (31.07.2015), hier besonders S. 138 f. Einen guten Überblick über Entstehung und Ziele des Marshall-Plans sowie Aufbau und Organisation der OEEC bietet auch: Barbezat, Daniel: The Marshall Plan and the Origin of the OEEC. In: Griffiths, Richard T. (Hrsg.): Explorations in OEEC history. Paris, 1997. S. 33–48. Zu den von den USA mit dem ERP verfolgten finalen Zielen und grundlegenden Motiven vgl. Milward, Reconstruction, S. 219 und 216. 346 Vgl. Berger/Ritschl, Rekonstruktion der Arbeitsteilung, S. 497. 347 Vgl. Artikel  115 des Economic Cooperation Act. http://marshallfoundation.org/library/ wp-content/uploads/sites/16/2014/06/Foreign_Assistance_Act_of_1948.pdf (31.07.2015). S. 150.



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mit den USA sicherten diese sich eine hegemoniale Position. „Zur Formung dieser hegemonialen Beziehung trugen wesentlich die ERP-Gegenwertfonds bei. Die Importeure der ERP-Hilfsgüter waren verpflichtet, den Gegenwert der US-Lieferungen in heimischer Währung auf Extrakonten einzuzahlen. Über die Verwendung dieser Gegenwertmittel entschied jedoch letztlich die ECA.“348 Die USA konnten sich diese starke Position aber auch noch aus einem anderen Grund sichern. Mit der Organization for European Economic Cooperation schufen die europäischen Länder, die am ERP partizipieren wollten, auf US-amerikanischen Druck eine Institution zur Umsetzung des Marshall-Plans. Die OEEC sollte aber auch der Unterstützung der von den USA verfolgten globalen Liberalisierungsstrategie dienen. Entgegen den Wünschen der USA wurde die OEEC jedoch keine mächtige supranationale Institution, was den USA schließlich wiederum viel Raum für die Verwirklichung eigener Vorstellungen ließ. „Der Marshall-Plan war an Washingtoner Schreibtischen ersonnen worden. Die wesentlichen Grundentscheidungen über seine Struktur, Funktionsweise und Mittelausstattung fielen denn auch zum größeren Teil dort, nicht bei der OEEC.“349 Neben den wesentlichen Aufgaben – Umsetzung des Marshall-Plans, Beseitigung von Handelsschranken und Etablierung eines ausgeglichenen multilateralen Handelssystems, Schaffung eines stabilen multilateralen Zahlungssystems in Europa mit konvertierbaren Währungen – verpflichteten sich die Teilnehmer mit der Konvention zur Gründung der OEEC vom 16. April 1948 laut Artikel 4, „übermäßige Gleichgewichtsverschiebungen in ihren finanziellen und wirtschaftlichen Beziehungen untereinander und mit nichtbeteiligten Ländern auszugleichen oder zu vermeiden.“350 Artikel 8 fixierte schließlich das Prinzip eines möglichst rationellen Einsatzes aller Arbeitskräfte und das Ziel der Vollbeschäftigung: „Die vertragschließenden Parteien […] werden sich bemühen, Vollbeschäftigung für ihr eigenes Volk zu erreichen, und sie können auf Arbeitskräfte zurückgreifen, die in einem anderen vertragschließenden Land zur Verfügung stehen. Im letzteren Fall werden sie aufgrund gegenseitiger Abmachungen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Verlagerung der Arbeiter zu erleichtern und sicherzustellen, daß diese in Verhältnissen untergebracht werden, die vom wirtschaftlichen und sozialen Standpunkt aus befriedigen. Ganz allgemein werden die vertragschließenden Mächte gemeinsam an der Beseitigung 348 Lehmann, Marshall-Plan, S. 52. 349 Lehmann, Marshall-Plan, S. 50. Zum Vorhergehenden vgl. S. 47. 350 Wortlaut des Abkommens über die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC). In: Europa-Archiv, 3. Jg. 1948. S. 1345–1348. S. 1345. Gründungsmitglieder der OEEC waren Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Norwegen, die Niederlande, Portugal, das Vereinigte Königreich, Schweden, die Schweiz sowie Westdeutschland.

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der Hindernisse mitwirken, die der Freizügigkeit hinderlich sind.“351 Die OEECRatsentscheidung vom 1. Juli 1948 sah zur Erreichung dieser Ziele die Einrichtung des Manpower-Committee vor, eines Ausschusses zur „Förderung der Freizügigkeit von Arbeitskräften (einschließlich Auswanderung)“352. Vier Wochen später folgte die Entscheidung, Repräsentanten der ILO und der Internationalen Flüchtlingsorganisation an den Sitzungen des Manpower-Committees teilhaben zu lassen; eine entsprechende Vereinbarung wurde auch mit dem Latin America Economic Committee getroffen.353 Eine Lösung für das Problem des Bevölkerungsüberschusses in einigen Teilen Europas wurde erstmals mit dem Aktionsprogramm von 1949 gesucht. Um eine höchstmögliche Liberalisierung im Warenaustausch und Zahlungsverkehr sowie wirtschaftliches Wachstum mit zunehmender Beschäftigung realisieren zu können, beauftragte der Rat am 3. November 1949 das OEEC-Exekutivkomitee außerdem umgehend damit, das Problem der bestehenden Arbeitskräfteüberschüsse zu untersuchen: „Dans le cadre des mesures nécessaires pour réaliser une plus grande liberté des échanges et des paiements et parvenir à un niveau élevé et stable d’activité économique et d’emploi, charge le Comité Exécutif d’examiner à nouveau le problème des excédents persistants de main-d’œuvre.“354 Die OEEC befasste sich von nun an regelmäßig mit diesem Problem sowie Ansätzen zu dessen Lösung, wie dem Ziel der Mobilität der Arbeitskräfte, und zwar auch durch ihre Zusammenarbeit mit weiteren internationalen Organisationen wie der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (International Bank for Reconstruction and Development, IBRD; allgemein auch Weltbank genannt), die finanzielle Mittel zur Erleichterung der Migration zugesagt hatte. Am 15. Dezember 1949 legte das Manpower-Committee infolge der erwähnten Ratsentscheidung seinen Bericht MO/WP2(49)7 über die Arbeitskräftewanderung innerhalb Europas und nach Übersee vor, in dem zugleich Maßnahmen zum Arbeitskräfteausgleich vorgeschlagen wurden. Wie im Fall der europäischen Länder waren die Möglichkeiten der Auswanderung nach Übersee, besonders in die europäischen 351 Wortlaut des Abkommens über die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC). In: Europa-Archiv, 3. Jg. 1948. S. 1345–1348. S. 1345 f. 352 Der Europäische Wirtschaftsrat in Paris (Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit – OEEC) und seine Bedeutung für die Bundesrepublik. Hrsg. vom Bundesministerium für den Marshallplan. Bonn, 1952. S. 30. (Künftig zitiert: Der Europäische Wirtschaftsrat in Paris). 353 Vgl. Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 336. 354 Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Document de l’OECE ayant trait au problème des excédents de main-d’œuvre en Europe. Paris, le 27 juillet 1950. S. 56–69. S. 56.



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Überseegebiete, eng mit der dortigen wirtschaftlichen Entwicklung verknüpft. Zudem musste bereits jetzt konstatiert werden, dass in europäischen Ländern, abgesehen von etwa 100.000 Spezialisten, bereits seit Sommer 1949 kein Arbeitskräftemangel mehr herrschte: „Au cours de l’été 1947, le Comité Européen de Coopération Économique évaluait à 677.200 travailleurs le déficit total. Depuis cette date, la situation du marché du travail s’est considérablement modifiée et il est maintenant évident qu’aucun pays participant ne souffre pour le moment d’une pénurie générale de main-d’œuvre. […] Des déficits persistent dans certains professions déterminées; une étude sur l’ensemble de la situation, effectuée au cours de l’été 1949 […] a permis d’évaluer le déficit à cette date à environ 100.000 travailleurs.“355 Dem stand ein als hoch quantifizierter Arbeitskräfteüberschuss gegenüber. Ein solcher bestand laut OEEC, wenn ein Land in den folgenden Jahren nicht in der Lage sein würde, einem beträchtlichen Teil seiner Bevölkerung Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung seines Auskommens anzubieten („emploi à un niveau de vie suffisant“). Durch Kriegsfolgen und schwache wirtschaftliche Entwicklung sowie eine stark abgeschwächte Emigration bei zum Teil erheblichen Gebietsverlusten träfe dies auf Westdeutschland und ganz besonders Italien zu, das zudem unter der Rückwanderung aus seinen ehemaligen Kolonialgebieten litt. Während die Situation in Westdeutschland aufgrund fehlender Daten und der Unterstützung von 600.000 Displaced Persons durch die Internationale Flüchtlingsorganisation unklar, je nach wirtschaftlicher Entwicklung in den kommenden Jahren aber als lösbar erschien, wurde der italienische Überschuss auf mindestens 1,5 Mio. Arbeiter geschätzt. Italien hatte damit sein bevölkerungspolitisches – oder besser: ökonomischdemographisches – Problem nicht nur auf die Agenda der OEEC gesetzt, deren Manpower-Committee ging vielmehr auch noch mit italienischen Lösungsansätzen konform: Als ein Hindernis für zunehmende Emigration wurden illiberale Restriktionen auf den Arbeitsmärkten der OEEC-Mitgliedsländer identifiziert, die auf der Angst vor Arbeitslosigkeit einheimischer Arbeitskräfte, entsprechenden gewerkschaftlichen Positionen, aber auch auf dem Mangel an Wohnraum fußten. Die fehlende Freiheit auf den nationalen Arbeitsmärkten stehe aber der Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstands in Europa entgegen, da jedes Land Kunde der anderen Länder sei. Deshalb, so die Mahnung, sei es sehr gut möglich, dass künftige Investitions- und Produktionsprogramme, die Europa zu seiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit nötig habe, an eine Zusammenarbeit im Bereich des Arbeitskräfteausgleichs gekoppelt wür355 Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité de la main-d’œuvre. Rapport sur l’absorption des excédents de maind’œuvre. Paris, le 15 décembre 1949. S. 10–19. S. 14.

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den. Es sei abwegig, die Wirkung selbst geringfügiger Arbeitskräftewanderungen zu unterschätzen, denn sogar eine kleine Anzahl ausländischer Arbeitskräfte ermögliche, an entsprechenden Arbeitsplätzen eingesetzt, eine Produktionssteigerung wichtiger Güter, durch deren Export wiederum zusätzliche Dollar-Einnahmen getätigt werden könnten: „Ces difficultés ne doivent pas faire perdre de vue aux pays participants les avantages importants qu’ils peuvent retirer d’une attitude libérale à l’égard du recrutement de main-d’œuvre étrangère. Tous les pays participants ont intérêt à ce que la prospérité règle dans chacun d’entre eux [sic!], et ceci non seulement pour des raisons politiques, mais aussi parce qu’ils sont tous clients importants les uns des autres. Il est fort possible que la réalisation des programmes de développement des investissements et de la production, dont l’Europe a besoin pour assurer sa viabilité économique, soit liée dans certains cas à la coopération de la main-d’œuvre étrangère. […] Le placement, ne fût-ce que d’un petit nombre de travailleurs étrangers dans des emplois convenables peut permettre d’accroître la production d’articles importants susceptibles de procurer des recettes en dollars, accroissement qui serait impossible autrement.“356 In Europa sollte also ein möglichst freier Warenhandel von einer möglichst freien Wanderung der Arbeitskräfte begleitet werden. Die Freizügigkeit für Personen erhöhe immerhin die Möglichkeit des innereuropäischen Warenaustauschs, eines der Hauptziele der OEEC. Die Ansicht, dass eine zunehmende Liberalisierung praktisch nicht realisierbar war, wenn der freie Güteraustausch nicht mit dem der Produktionsfaktoren, unter denen wiederum der Faktor Arbeit der wichtigste schien, korrespondiere, wurde zwar offensiv von der italienischen Regierung vertreten.357 In erster Linie aber trug der Bericht des Manpower-Committee die Handschrift der Economic Cooperation Administration, über die die USA immer wieder Druck auf ihre Partner ausübte. „Wenn etwa die ECA zu der Auffassung gelangte, die US-Hilfe werde nicht für den Wiederaufbau genutzt, sondern fließe beispielsweise in die Sozialpolitik, dann konnte das entsprechende Kürzungen bei der Mittelzuteilung zur Folge haben.“358 Tatsächlich wurde im Oktober und November 1949 nicht nur der amerikanische Druck auf die OEEC zur Liberalisierung des Handels erhöht,359 vielmehr intervenierte Averell 356 Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité de la main-d’œuvre. Rapport sur l’absorption des excédents de maind’œuvre. Paris, le 15 décembre 1949. S. 10–19. S. 16. 357 Archives diplomatiques, 193QO/257. Le Ministre des Affaires Etrangères [italien] à S. Ex. Monsieur Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France. Rome, 7 janvier 1950. S. 15–22. S. 15 f. 358 Lehmann, Marshall-Plan, S. 55. 359 Vgl.  http://www.oecd.org/berlin/dieoecd/dieorganisationfureuropaischewirtschaftliche zusammenarbeitoeec.htm (31.07.2015).



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Harriman direkt beim Manpower-Committee in Richtung einer freien Arbeitskräftewanderung in Europa. Harriman war offizieller Vertreter der US-Regierung bei der OEEC und als Sondervertreter der ECA in Europa zugleich auch Stellvertreter des ECA-Administrators Paul Hoffman.360 Für ihn und die ECA, deren Ziele der Wiederaufbau und die Integration Europas waren, schloss die wirtschaftliche Integration die Freizügigkeit der Arbeitskräfte in jedem Fall ein: „Depuis l’élaboration de ce rapport, le Représentant de l’E.C.A. a déclaré devant le Comité de la Main-d’Œuvre que le Programme de Relèvement avait un double objectif, la viabilité et l’intégration et que, de l’avis de l’E.C.A., cette dernière impliquait certainement la libération des mouvements de main-d’œuvre.“361 Dem im April 1950 vom OEEC-Exekutivkomitee angenommenen zweiten Bericht CE(50)23 (1ère Révision) des Manpower-Committee lagen Anträge nationaler Regierungen zur Lösung des Problems des Arbeitskräfteüberschusses bei. Neben einem westdeutschen, der sich auf die separat zu behandelnde Frage der Vertriebenen bezog, zielten die restlichen sieben Anträge der italienischen Regierung auf eine Vereinfachung der Arbeitskräfterekrutierung in medizinischer, beruflicher und administrativer Hinsicht. Zudem strebte Italien eine multilaterale Konvention über soziale Sicherheit an sowie die Ausschreibung öffentlicher Arbeiten im OEEC-Raum, verbunden mit dem Recht der den Zuschlag erhaltenden Unternehmen, ihre Fachkräfte temporär zur Ausführung der Arbeiten im Auftrag gebenden Land zu beschäftigen. Im dritten Teil des Berichts, der insgesamt ein Aktionsprogramm für das Jahr 1950 implizierte, wurden dementsprechend Maßnahmen, die den freien Arbeitskräfteaustausch begünstigen konnten, analysiert, während sich der zweite Teil mit Maßnahmen befasste, die die Beschäftigung (und damit die Migrationsmöglichkeiten) im Bereich der Landwirtschaft und der öffentlichen Arbeiten erhöhen konnten. Einigen Raum widmete das Exekutivkomitee dabei dem Wohnungsbauprogramm, da der Mangel an Wohnraum sowohl der wirtschaftlichen Entwicklung als auch der Arbeitsmigration entgegenstand. Deshalb hatte die ECA bis dahin bereits einigen Mitgliedsländern umfangreiche Gegenwertmittel zur Finanzierung des Arbeiterwohnungsbaus zur Verfügung gestellt: „L’E.C.A. a reconnu l’importance de la question du logement pour le relèvement de l’Europe, et afin de fournir un logement aux travailleurs, elle a mis à la disposition de plusieurs pays membres des fonds de contrepartie importants.“362 360 Vgl. Lehmann, Marshall-Plan, S. 47 und 51. 361 Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité Exécutif. Rapport du Comité de la main-d’œuvre sur le programme d’action pour l’absorption des excédents de main-d’œuvre. Paris, le 6 avril 1950. S. 20–39. S. 22. 362 Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité Exécutif. Rapport du Comité de la main-d’œuvre sur le programme

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Zumindest nachdem seit 1950 ein ehemaliger italienischer Minister, Giovanni Malagodi, dem Manpower-Committee vorsaß,363 versuchte Italien auch zur wirtschaftlichen Entwicklung seiner südlichen Gebiete, damit zur Vermeidung seiner Binnenmigration in Richtung Norditalien, an zusätzliche solcher Mittel zu gelangen. So hatte die italienische Delegation Anfang 1950 beispielsweise vorgeschlagen, nicht bewilligte ECA-Gegenwertmittel in Verbindung mit privatem und öffentlichem Kapital den Ländern zuteilwerden zu lassen, deren Wiederaufbau sich durch den Wohnraummangel zu verlangsamen drohte. Als typisches Beispiel hierfür führte man die süditalienische Schwefelindustrie an, deren zentrale Bedeutung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Siziliens auch von ausländischen Experten mehrfach betont, nach wie vor aber durch die ungelöste Wohnungsfrage behindert wurde. Selbst eine moderate Summe aus den ECA-Mitteln hätte hier aus italienischer Sicht Abhilfe schaffen können.364 Der zweite Bericht des Manpower-Committee MO(50)23 (1ère Révision) zielte vor allem aber auf die Liberalisierungsbemühungen der ECA. Durch Freigabe der unsichtbaren Transaktionen, d.h. durch Einbeziehung von Dienstleistungen sowie den Transfer von Erwerbs- und Vermögenseinkommen in den multilateralen Zahlungsausgleich sollten Restriktionen bei den Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten abgeschafft werden und dies wiederum zu einer größeren Freiheit des Arbeitskräfteausgleichs in Europa führen.365 Obgleich durch entsprechenden OEEC-Beschluss die Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten in der Folge den Bedingungen des freien Kapitalverkehrs unterlagen, ignorierte beispielsweise jedoch die französische Administration bekanntlich noch für eine ganze Zeit die sich hieraus ergebenden Anforderungen an den Transfer entsprechender Gelder nach Italien.366 Selbst nach

363 364 365

366

d’action pour l’absorption des excédents de main-d’œuvre. Paris, le 6 avril 1950. S. 20–39. S. 24. Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Comité de la main-d’œuvre. Rapport de la 8ème session. Paris, le 19 juillet 1950. S. 40–50. S. 41. Vgl. CAEF, B-0010783/2. Le Ministre du Travail et de la Sécurité Sociale à Monsieur le Ministre des Finances et des Affaires Économiques, Direction du Trésor – Ière SousDirection. 24 janvier 1950. Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Organisation Européenne de Coopération Économique. Aide-Mémoire sur le travail accompli par l’O.E.C.E. concernant les surplus de main-d’œuvre existant dans les pays de l’Europe occidentale. 26 juillet 1950. S. 51–55. S. 55. Vgl. hierzu den Abschnitt „Das Problem der Heimatüberweisungen“ im Kapitel „Die italienischen Migrationsabkommen mit Frankreich“ der vorliegenden Studie.



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dem OEEC-Ratsbeschluss vom 30. Oktober 1953367, der nach verschiedenen Änderungen in seiner Fassung vom 20. Dezember 1956 verbindlich wurde, änderte sich im Hinblick auf die Wanderungsmöglichkeiten für europäische Migranten wenig. Denn die grundsätzliche Verpflichtung zur Beschäftigung von Ausländern aus den OEEC-Mitgliedsländern unterlag weiterhin dem Inländerprimat, das heißt ausländische Arbeitskräfte konnten erst dann eine Arbeitsgenehmigung erhalten, wenn ein für sie in Frage kommender Arbeitsplatz einen Monat lang nicht anderweitig hatte besetzt werden können (Absatz 1a und b). Vor allem aber ließ Absatz 2 daneben „aus zwingenden wirtschaftspolitischen Gründen“ in einem Mitgliedsstaat Ausnahmen hiervon zu.368 Insofern blieb die Politik der OEEC aus italienischer Sicht ohne Wirkung, kam sie doch in der Frage des italienischen Bevölkerungsüberschusses über Lippenbekenntnisse und die Diskussion technischer Fragen nicht hinaus. Das allerdings lag bereits in der formalen Problemlösungsstrategie auf diesem Gebiet begründet. Zwar förderte die OEEC die Auswanderung europäischer Arbeitskräfte nach Übersee durch konkrete Maßnahmen und die Bereitstellung finanzieller Hilfe, die intraeuropäische Migration aber blieb weiterhin Angelegenheit der sie betreffenden Länder: „Die Hemmnisse, die gegenwärtig eine Freizügigkeit der Arbeitskräfte erschweren, wurden im einzelnen geprüft; die Mitgliedsländer sind übereingekommen, geeignete Maßnahmen zu deren Überwindung bilateral zu besprechen und über das Ergebnis der Organisation laufend zu berichten.“369 Ein weiterer Anlass, seine Interessen im Rahmen der OEEC zu vertreten, bot sich Italien durch den am 14. Juni 1950 vom niederländischen Außenminister und OEEC-Präsidenten Dirk U. Stikker vorgelegten „Aktionsplan für eine europäische wirtschaftliche Integration“. Nach dem Stikker-Plan hätten die OEEC-Länder 75% ihrer Waren noch bis zum 31. Dezember desselben Jahres für ihren gemeinschaftlichen Handel freigegeben. Dazu sollte jedes Mitgliedsland Waren für den ungehinderten Austausch benennen, auf die das Prinzip der Meistbegünstigung Anwendung finden würde: „Jeder Mitgliedsstaat soll diesen Prozentsatz erreichen, indem er eine einheitliche Liste der Waren aufstellt, die gegenüber allen Teilnehmerländern angewandt werden soll. Die Teilnehmerländer haben bisher in vielen Fällen

367 Vgl. Ergebnisse der Sitzung des Ministerrates der OEEC am 29. und 30. Oktober 1953. In: Europa-Archiv, 8. Jg. 1953. S. 6233 f. 368 Vgl. Europäischer Wirtschaftsrat (OEEC), Paris, den 20. Dezember 1956. C(56)258: Beschluß des Rates zur Regelung der Beschäftigung von Angehörigen der Mitgliedstaaten. In: Bundesarbeitsblatt, Nr. 10 vom 25. Mai 1957. S. 363 f. 369 Der Europäische Wirtschaftsrat in Paris, S. 19.

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verschiedene Listen gegenüber anderen Teilnehmern angewandt.“370 Um Nachteile aus der Liberalisierung des Handels künftig vermeiden zu können, schlug Stikker – analog zum die französische und deutsche Kohle- und Stahlindustrie betreffenden Schuman-Plan – eine Integration europäischer Grundstoffindustrien sowie der Landwirtschaft vor, flankiert von einem „Integrierungsfonds“, der die materiellen Lasten angemessen auf die einzelnen Staaten verteilen sollte.371 Ziel war eine wirtschaftliche Integration Europas durch Spezialisierung, Arbeitsteilung und einen gemeinsamen Binnenmarkt. Auf dem Stikker-Plan bauten unmittelbar das zur OEECRatssitzung am 7. Juli 1950 eingereichte „Memorandum italiano per l’integrazione economica europea“ (Pella-Plan)372 auf, der zu eben diesem Anlass eingereichte Plan des französischen Finanzministers Maurice Petsche zur Schaffung einer europäischen Investitionsbank (Petsche-Plan)373 sowie der französische Plan über die Organisation der Agrarmärkte (Pflimlin-Plan)374 vom 20. März 1951. Da Italien mit seiner Handelsliberalisierung bereits weit vorangeschritten war, bekam es schnell immer wieder die Nachteile ungleichmäßiger Handelsliberalisierung sowie überhaupt die Enge nationaler Faktormärkte zu spüren. „Anders wäre die Lage in einer Welt, in der sich die Menschen wieder frei bewegen könnten und in der es eine freie Kapitalbewegung gäbe, bei der dieses Kapital frei in Europa investiert würde.“375 Mit dem Vorschlag des italienischen Schatz- und Haushaltsministers Giuseppe Pella – der italienische Industrieminister Roberto Tremelloni hatte entsprechendes zuvor bereits in einer Rede vor dem OEEC-Rat gefordert –376 knüpfte die italienische Regierung deshalb an den Stikker-Plan an, forderte die Abschaffung aller tarifären und nichttarifären handelsbeschränkenden und -diskriminierenden Maßnahmen und schlug die Errichtung eines Präferenzzollgebietes innerhalb Europas in der Hoffnung vor, dass in längerfristiger Perspektive ein gemeinsamer Markt 370 Stikker-Plan: Aktionsplan für eine europäische wirtschaftliche Integration, 14. Juni 1950. In: Der Aufbau Europas. Pläne und Dokumente 1945–1980. Hrsg. von Jürgen Schwarz. Bonn, 1980. S. 115–117. S. 116. (Dokumentenband künftig zitiert: Der Aufbau Europas). 371 Vgl. Stikker-Plan: Aktionsplan für eine europäische wirtschaftliche Integration, 14. Juni 1950. In: Der Aufbau Europas, S. 116. 372 Vgl. Fauri, Free but Protected, S. 141. 373 Petsche-Plan: Vorschläge des französischen Finanzministers Maurice Petsche zur Schaffung einer europäischen Investitionsbank, 7. Juli 1950. In: Der Aufbau Europas, S. 125– 129. 374 Französischer Plan über die Organisation der Agrarmärkte (Pflimlin-Plan), 20. März 1951. In: Der Aufbau Europas, S. 153–156. 375 Pella-Plan, Juni 1950. In: Der Aufbau Europas, S. 119–124. S. 122. 376 Vgl. Fauri, Free but Protected, S. 141.



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etabliert werden könne. Deshalb wies Italien mit dem Pella-Plan erneut darauf hin, dass gleichzeitig „auch eine umfassendere Liberalisierung auf dem Gebiete des unsichtbaren Handelsverkehrs und ein tatsächlicher Fortschritt bei der Lösung der überschüssigen Arbeitskräfte in gewissen Mitgliedstaaten notwendig“377 sei. Der von Stikker geforderte Integrierungsfonds wurde begrüßt, sollte aber auch der „Erleichterung der Mobilisierung“ von Arbeitskräften dienen. Schließlich kam Pella in vier von 40 Punkten zum ‚italienischen Kern‘ seines Planes, der einem seit 1945 verfolgten Regierungsprogramm glich, weshalb diesem hier ausführlich Raum gegeben werden soll: „34. Parallel mit der Gestaltung eines freieren europäischen Marktes müßte ein tatsächlicher Fortschritt bei der Lösung der großen eigenen Probleme jedes Mitgliedsstaates erzielt werden, wenn sie von solcher Art und von solchem Format sind, daß dadurch der Gang der gesamten europäischen Wirtschaft beeinflußt wird.[…] 35. An erster Stelle muß das Problem der überschüssigen Arbeitskräfte in Italien gelöst werden. Daß es sich dabei um ein schwerwiegendes Problem von internationaler politischer und wirtschaftlicher Bedeutung handelt, ist von unserer Organisation [d.h. der OEEC – d. Verf.], von der kürzlichen Auswanderungskonferenz im Rahmen des Genfer Internationalen Arbeitsamtes und von der Londoner Dreimächteerklärung anerkannt worden. Eine größere Beweglichkeit der Arbeitskräfte innerhalb Europas ist zweifellos notwendig. Aber eine wirkliche weltweite Lösung des Problems muß unter Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und der Vereinigten Staaten gesucht und gefunden werden. 36. Süditalien und die italienischen Inseln befinden sich in einem unzureichenden Entwicklungsstadium, welches die italienische Regierung vor besonders heikle Probleme langfristiger Investierung stellt. 37. Die Entwicklung der überseeischen Gebiete der Mitgliedstaaten ist für Italien besonders interessant, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einmal wegen der Möglichkeit einer wenn auch beschränkten Aufnahme seiner Arbeitskräfte und Arbeitsenergien und zum anderen wegen der erhöhten Möglichkeit zur Versorgung und zum Handel auf NichtDollar-Basis.“378 377 Pella-Plan, Juni 1950. In: Der Aufbau Europas, S. 120. 378 Pella-Plan, Juni 1950. In: Der Aufbau Europas, S. 123 f.

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Die OEEC beschäftigte sich auf Arbeitsebene mit allen drei Plänen, also jenen von Stikker, Pella und Petsche, ohne dass diese allerdings die Ebene der Kommissionsdiskussionen verlassen und damit unmittelbare Wirkung hätten entfalten können. Das hatte im Falle des Pella-Plans anscheinend auch damit zu tun, dass Anliegen und Nutzen der italienischen Wirtschaft zu sehr in den Vordergrund gerückt worden waren und die europäische Integrationsidee dadurch zu kurz kam.379 Mit den Plänen Pflimlins, Petsches und Pellas scheinen aber Frankreich und Italien ihre durchaus kompatiblen Interessen gebündelt und aufgrund des anhaltenden Finanzbedarfs mit von den USA forcierten, europapolitischen Zielen verknüpft zu haben. Auch wenn diese konkreteren Pläne nicht über die Arbeitsebene der OEEC hinaus diskutiert worden sind, bedurften die diesen zugrunde liegenden Probleme – die für die Intensivierung der Agrarproduktion und die Steigerung der industriellen Produktion fehlenden Ausrüstungen in Frankreich sowie Maßnahmen einer organisierten Berufsausbildung italienischer Arbeitskräfte – weiterhin einer Lösung. Wollte Frankreich Italien in seinem Bestreben zur Auswanderung italienischer Arbeitskräfte auf europäischer Ebene unterstützen und infolge dessen weiterhin selbst Arbeitsmigranten von dort aufnehmen, waren Investitionen nötig, ohne dass Frankreich über die notwendigen finanziellen Mittel hierzu verfügt hätte. Bis zu einer europäischen Lösung der Wanderungsfragen waren deshalb weiterhin bilaterale Absprachen zwischen Frankreich und Italien notwendig, wobei die aus diesen resultierenden Kosten für die notwendige berufliche Ausbildung oder auch den Bau von Wohnungen für die Migranten gemeinsam, aber auch durch außerordentliche europäische Mittel finanziert werden sollten: „il est de l’intérêt de la France de faire un effort financier dans ce sens, et qu’à condition d’être convenablement orientée vers certaines activités, au premier rang desquelles figure le bâtiment, une immigration d’étrangers producteurs peut être, en soi, le but d’une politique nationale d’investissements. Mais les charges financières de la France sont déjà lourdes et elle ne pourra mener à bien l’entreprise sans concours étranger. La possibilité de crédits extra-européens n’est pas exclue. Il semble qu’à leur défaut, une formule de financement bilatéral puisse être envisagée, en attendant que l’intégration économique de l’Europe soit assez avancée pour que s’élabore une politique européenne d’investissements. Il est au demeurant légitime que les pays à population excédentaire, dont l’émigration vers la France allégerait le fardeau, participent aux mises de fonds nécessaires. La France semble donc en mesure, si une solution satisfaisante est apportée au problème financier, d’absorber à nouveau une immigration importante, dont le volume et le rythme dépendraient

379 Vgl. Fauri, Free but Protected, S. 142.



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des crédits d’investissements.“380 Dies verdeutlicht, dass Frankreich die italienische Arbeitsmigration als integralen Bestandteil europäischer Integration begriff und Wanderungsfragen insofern „europäisch“ gelöst sehen wollte. Der vierte Jahresbericht der OEEC vom 13. Dezember 1952 zeigt, dass dieses Ansinnen zwischen den OEEC-Mitgliedsländern konsensfähig war, indem diese sich verpflichtet hatten, „die größtmögliche Bewegungsfreiheit untereinander herbeizuführen“, während die USA der seinerzeit rückläufigen europäischen Auswanderung nach Übersee „in zunehmendem Maße ihre Aufmerksamkeit“ widmeten.381 Zuvor hatte die italienische Delegation bei der OEEC einen Vorschlag zur Mobilität der Arbeitskräfte eingereicht, der innerhalb von 10 Jahren zu einer Liberalisierung nicht nur des Warenverkehrs, sondern auch des Arbeitsmarktes zwischen den OEEC-Staaten führen sollte.382 Die von Italien geforderte Liberalisierung auf dem Arbeitsmarkt wurde im selben Jahr in das Arbeitsprogramm des Manpower-Committee aufgenommen und dort eine entsprechende Arbeitsgruppe „Liberalisierung der Bewegung von Arbeitskräften“ gegründet.383 Demselben Gegenstandsbereich widmeten sich Vorschläge über die zukünftige Arbeit des Ausschusses für Arbeitsmarktfragen der OEEC, zu denen an erster Stelle die „Mobilität der Arbeitskräfte einschließlich ihrer Freizügigkeit“ 384 zählen sollte. Um dieses Ziel langfristig zu erreichen, musste der Themenkomplex um weitere Aspekte erweitert werden, wie den Mangel an Wohnraum, die Mobi380 Lannes, L’immigration en France, S. 93. Deutsch auf S. 111: „Auch im Rahmen der durch Frankreich so geförderten Politik eines geeinten Europas […] ist Einwanderung nach diesem Land wichtig. Jedoch ist eine großzügige Einwanderungspolitik nur dann möglich, wenn die Mittel für die nötigen Investitionen gefunden können werden [sic!], Mittel über die Frankreich nicht verfügt. Vielleicht bieten bilaterale Verträge mit den Ländern, die einen Überschuß an Arbeitskräften haben, einen Ausweg. Gemeinschaftliche Finanzierung durch bilaterale Verträge kann solange nützlich sein, bis die Fortschritte in der Einigung Europas diese überflüssig machen und auch die Wanderungsfragen ‚europäisch‘ ihre Lösung finden werden.“ 381 Der vierte Jahresbericht des Europäischen Wirtschaftsrates vom 13. Dezember 1952. In: Europa-Archiv, 8. Jg. 1953. S. 5473–5482. S. 5482. 382 Vgl. BA Koblenz, B 146/917. Der Bundesminister für Arbeit vom 18. September 1953: Kurzbericht über die Sitzung des ERP-Arbeitskreises „Arbeitsfragen und Sozialpolitik“ am 16.9.1953 im Bundesministerium für Arbeit. S. 133 f.; sowie: B 146/915. Der Bundesminister für Arbeit an den Bundesminister für den Marshallplan vom 12. Juli 1952, betr.: Mobilität der Arbeitskräfte; hier: Vorschlag der italienischen Delegation bei der OEEC. S. 252–255. 383 Vgl. BA Koblenz, B 146/915. Das zukünftige Arbeitsprogramm des Manpower-Komitees. Ohne weitere Angaben, S. 281–283. 384 BA Koblenz, B 146/917. Der Bundesminister für Arbeit in Bonn, II a 4 – 1188/53 – 2063.1–: Vorschläge für die zukünftige Arbeit des Ausschusses für Arbeitsmarktfragen des Europäischen Wirtschaftsrats. S. 32–41, S. 32.

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lität in Verbindung mit der beruflichen Qualifikation sowie um Fragen der sozialen Sicherheit. Der fünfte Jahresbericht bekräftigte insofern in seinem Länderbericht zu Italien noch einmal, die „Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der OEECStaaten zu verstärken“, und forderte alle OEEC-Mitgliedsstaaten auf, „Italien bei der Lösung seines Arbeitslosenproblems zu helfen“, das mittelfristig nicht allein durch Auswanderung oder Vollbeschäftigungspolitik zu lösen sei.385 Italienische Administrationen blieben deshalb bis Ende der 1950er-Jahre und auch in anderen Zusammenhängen aktiv damit beschäftigt, Lösungen für das Problem ihres Arbeitskräfteüberschusses zu finden. “Italy also tried to use the OEEC to alleviate its specific development problems. It pleaded for freer movement of labor across the borders of the OEEC countries. And it requested assistance for its economic development. Within the EPA, Italy was the country most active in promoting the idea of a special program for underdeveloped areas.”386 Bei der EPA handelt es sich um die innerhalb der OEEC organisierte Europäische Produktivitäts-Agentur (European Productivity Agency), die sich seit 1955/56 aus den unterschiedlichsten Gründen den unterentwickelten Regionen ihrer Mitgliedsländer zuwandte. “They were handicapped by extended areas with endemic underemployment where the immediate problem was less to develop the productivity of labor than to promote general economic development.”387 Neben anderen südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Portugal und der Türkei strebte insofern besonders auch Italien nach einem entsprechenden Programm, um damit in erster Linie sein Mezzogiorno-Problem angehen zu können. Für die dieses schließlich finanziell unterstützenden nordeuropäischen Länder “it was the price to pay if trade liberalization was to be furthered in Western Europe. Without a reduction in productivity differentials, resistance in poorer countries might endanger the whole liberalization process.”388 Als das vergleichsweise erfolgreichste und ambitionierteste Pilotprojekt dieses EPA-Entwicklungshilfeprogramms gilt offensichtlich jenes auf Sardinien, obgleich messbare ökonomische Erfolge bislang kaum veröffentlicht worden sind. Orientiert an Projekten wie dem der Tennessee Valley Authority aus der New-Deal-Ära, fehlte ihm nämlich trotz der Bereitstellung von 1,035 Mrd. US-Dollar zwischen 1957 und 1962 eine klare innen- bzw. regionalpolitische Unterstützung, obwohl sich Italien für ein solches Projekt mit dem „beschönigenden“, sich schließlich als falsch herausstellenden Argument empfohlen 385 Die Wirtschaftslage der OEEC-Länder. In: Europa-Archiv, 9. Jg. 1954. S. 6373 f. S. 6374. 386 Boel, Bent: The European Productivity Agency and Transatlantic Relations 1953–1961. Kopenhagen, 2003. S. 207. (=Studies in 20th and 21th Century European History, 4). (Künftig zitiert: Boel, European Productivity Agency). 387 Boel, European Productivity Agency, S. 199 f. 388 Boel, European Productivity Agency, S. 200.



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hatte, es existiere ein regionaler Entwicklungsplan für Sardinien im Rahmen des nationalen Vanoni-Plans.389

Möglichkeiten und Grenzen der Europäischen Zahlungsunion Ein grundsätzliches, der frühen intraeuropäischen Migration abträgliches Problem, das hat der Fall der Heimatüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten in Frankreich gezeigt, stellte das nach wie vor funktionsuntüchtige internationale Zahlungssystem dar. Die in Europa praktizierte Devisenbewirtschaftung behinderte insofern nicht nur den multilateralen Handel, sondern natürlich auch die Faktormobilität. Sind Währungen nicht konvertibel, muss „multilateraler Zahlungsausgleich durch umständliche Währungsgeschäfte der Zentralbanken und durch reibungsreiche Kreditoperationen der Regierungen unzulänglich substituiert werden. […] Jedes Land kann mittelfristig nur so viel aus einem anderen Land beziehen, wie es dort abzusetzen vermag. Nun sind aber die wechselseitigen Bedürfnisse zweier Länder einander nicht notwendigerweise quantitativ gleich. […] Da die Differenzen gar nicht oder nur sehr eingeschränkt mit Geld ausgeglichen werden können, bleibt der internationale Handel hinter den Bedürfnissen zurück. […] Wachstums- und Wohlstandsverluste sind die Folge.“390 Die auf verschiedenen Ebenen verfolgte Handelsliberalisierung im Nachkriegseuropa verlangte insofern ebenfalls nach einer gemeinschaftlichen, währungspolitischen Lösung. Um das ERP nicht zu konterkarieren – indem die europäischen Länder mit den Dollar aus dem Marshall-Plan Waren ausschließlich in den USA kauften –, durften dessen Gelder deshalb in einem ersten Schritt teilweise ebenfalls zum Kauf von Waren in den OEEC-Mitgliedsländern verwendet werden. Auch deshalb schaltete sich die ECA in die Diskussionen um die Ausgestaltung des Zahlungssystems in Europa ein, bis sich die OEEC-Mitglieder Mitte 1950 auf die Gründung der Europäischen Zahlungsunion einigten.391 Bis zur Anwendung der EZU-Regeln galten zunächst europäische Zahlungsabkommen von 1948 bzw. 1949. Aber auch zuvor hatte es immer wieder entsprechende Vorstöße zur Lösung der europäischen Währungsprobleme gegeben, früh von Seiten Belgiens, oder auch im Rahmen der geplanten französisch-italienischen Zollunion.392 389 Vgl. hierzu insgesamt: Boel, European Productivity Agency, S. 199–220. 390 Hentschel, Europäische Zahlungsunion, S. 719 f. 391 Die Vorgeschichte zur Gründung der EZU findet sich ausführlich bei: Hentschel, Europäische Zahlungsunion, S. 721–731. Grundlegend ist daneben zudem: Kaplan/Schleiminger, European Payments Union. 392 Vgl. Milward, Reconstruction, S. 258–278.

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Ende 1947 war sogar schon ein Zahlungs- und Kompensationsabkommen zwischen den Beneluxstaaten, Frankreich und Italien unterzeichnet worden.393 Erst das am 16. Oktober 1948 in Kraft getretene Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr bezog dann jedoch alle OEEC-Mitglieder in das Clearing ein. Sein Herzstück waren die Ziehungsrechte, die Gläubigerstaaten Schuldnern in Höhe des geschätzten Zahlungsbilanzdefizits zum Kauf von Waren gewähren mussten. Der Gläubigerstaat wiederum erhielt aus den Geldern des Marshall-Plans US-Dollar in Höhe der gewährten Ziehungsrechte. Durch die für zusätzliche Warenkäufe so zur Verfügung gestellten rund 400 Mio. Dollar „belebte sich der Europahandel langsam, weil Geschäfte getätigt wurden, die sonst an der Zahlungsunfähigkeit vieler Staaten gescheitert wären. Defizitländer waren jetzt nicht mehr gezwungen, ihren Außenhandelsdefiziten mit Importrestriktionen zu begegnen. Und Überschussländern, die sich an dieser Konstruktion nicht beteiligen wollten, drohte die Kürzung der ERP-Hilfe durch die USA.“394 Durch die Möglichkeit, 25% der Ziehungsrechte auf Dritte innerhalb der OEEC übertragen zu können, zielte das zweite Innereuropäische Zahlungsabkommen vom 7. September 1949 dann schon viel stärker auf eine Multilateralisierung des europäischen Handels.395 Als dieses Mitte des folgenden Jahres auslief, verfuhren die OEEC-Länder bereits nach Regeln, die erst am 19. September 1950 durch Gründung der EZU formal in Kraft traten. Wert- und Recheneinheit blieb auch im Rahmen der EZU der Dollar. Eine Clearingstelle ermittelte am Ende eines jeden Monats für alle Teilnehmerländer deren bilaterale Überschüsse und verrechnete diese mit deren bilateralen Defiziten. Über die Zeit hinweg ergaben sich so kumulative Nettopositionen. Jedes Land erhielt zudem eine Quote zugeteilt, die Zahlungsansprüche bzw. -verpflichtungen gegenüber der Clearingstelle ausdrückte und die im Fall ihrer Inanspruchnahme in einem abgestuften Verfahren auf unterschiedliche Weise von Schuldnern wie auch von Gläubigern auszugleichen war. Über die Quoten hinausgehende kumulative Nettopositionen mussten ohnehin vollständig mit Dollar ausgeglichen werden. Als

393 Vgl. Guillen, Projet d’union économique, S. 147. 394 Lehmann, Marshall-Plan, S. 49. Ausführlicher zur Konstruktion dieses auch schon als „kleiner“ Marshall-Plan bezeichneten Abkommens siehe: Abelshauser, Kleiner Marshallplan, S. 215 ff. 395 Zu den Europäischen Zahlungsabkommen vgl. neben Lehmann, Marshall-Plan, auch: Hentschel, Europäische Zahlungsunion, S. 721 ff. Vorgeschichte, Inhalt, Verrechnungsmechanismus und Wirkungen des Abkommens von 1948 werden ausführlich auch beschrieben in: Möller, Hans: Das intereuropäische Zahlungs- und Verrechnungsabkommen vom 16. Oktober 1948. In: Europa-Archiv, 4. Jg. 1949. S. 1781–1794.



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Startkapital erhielt die EZU von der ECA 350 Mio. Dollar, zudem stattete diese auch noch einen Hilfsfond für Notfälle mit weiteren 100 Mio. Dollar aus.396 Im Verhältnis gegenüber Italien war zunächst Frankreich immer wieder in Zahlungsbilanzschwierigkeiten geraten. Ende 1948, als die Mittel aus den Reparationsforderungen aufgebraucht waren und infolge der Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten neue schwere Zahlungsbilanzdefizite drohten, sprach der französische Botschafter in Rom wörtlich von einer Sackgasse, in der sich Frankreich befand. Abgesehen von Anregungen zur erneuten Modifikation des Migrationsabkommens, der allerdings wohl die Gewerkschaften in beiden Ländern entgegengestanden hätten, sah der französische Botschafter in Rom, Jacques Fouques Duparc, in seinem sehr dringlichen Schreiben an den französischen Außenminister die Lösung nur in zusätzlicher finanzieller Hilfe durch Italien. Angesichts drohender französischer Zahlungsunfähigkeit sah er in der Bereitstellung entsprechender Summen durch die italienische Regierung die ideale, wenngleich mit wenig Erfolgsaussichten beschiedene Lösung.397 Die Hoffnung jedenfalls, in absehbarer Zeit ausreichend Lire im Außenhandel erwirtschaften zu können, um damit Wareneinfuhren aus Italien und Heimatüberweisungen nach Italien bestreiten zu können, war in der französischen Botschaft also gering. Die italienische Regierung schien demgegenüber andere Lösungen für dieses Problem zu favorisieren. Für die Heimatüberweisungen ihrer Migranten sollten demnach jene 11 Mio. US-Dollar dienen, die Italien Frankreich im Rahmen des seinerzeit gültigen Europäischen Zahlungsabkommens ohnehin an Ziehungsrechten gewähren musste. Allerdings waren diese ja gerade für den Ausgleich des französischen Handelsbilanzdefizits gegenüber Italien vorgesehen, so dass eine anderweitige Verwendung die Importmöglichkeiten für Waren aus Italien verringert hätte. Das wäre das Gegenteil dessen gewesen, was mit dem Zahlungsabkommen gerade erreicht werden sollte. Längerfristig beurteilte Fouques Duparc diese Lösung deshalb auch infolge grundsätzlicher, von der ECA zu erwartender Bedenken nur als „eigenwillige Ausflucht“, weil sich Frankreich infolge seiner schwachen wirtschaftlichen Rekonvaleszenz in einigen Monaten erneut mit demselben Problem konfrontiert sehen würde. Deshalb schlug der französische Botschafter unumwunden eine Finanzierung 396 Vgl. Hentschel, Europäische Zahlungsunion, S. 731 ff. Konstruktion und Funktion der EZU als Mechanismus besonders zur Integration Westdeutschlands analysieren: Berger/ Ritschl, Rekonstruktion der Arbeitsteilung, S. 497 ff. 397 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/88. Très urgent. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Monsieur le Ministre des Affaires Etrangères, Direction Générale des Affaires Administratives, Paris, a/s Financement de l’immigration italienne en France. 3 décembre 1948. S. 119–127. S. 123.

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der Heimatüberweisungen durch Italien selbst, und zwar aus den diesem bis 1952 zur Verfügung stehenden Marshall-Plan-Mitteln vor. Das starke italienische Interesse an der Auswanderung seiner Arbeitskräfte und die guten französisch-italienischen Beziehungen erlaubten jedenfalls eine solche, auf eine gemeinsame Lösung des französischen Zahlungsbilanzdefizits zielende Orientierung.398 Letztlich aber lagen die Probleme, vor die sich Frankreich und Italien gestellt sahen, in der nach wie vor fehlenden Konvertibilität der europäischen Währungen sowie dem global nach wie vor nur partiell hergestellten Multilateralismus begründet. Deshalb beschäftigte sich auch der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen mit den weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten, auch wenn es in einem von diesem beauftragten Gutachten, das amerikanische, australische, englische sowie französische Wirtschaftsexperten verfasst hatten, vordergründig um ein Vollbeschäftigungsprogramm ging. So hatte sich beispielsweise die Zahl der Arbeitslosen im Laufe des Jahres 1949 in Deutschland und den USA verdoppelt, und auch in den Niederlanden, Dänemark, Indien, Ägypten und Argentinien wuchs ihre Zahl beständig. Den betroffenen Ländern wurde zur Dämpfung dessen zwar die Umsetzung keynesianischer Nachfrageausweitung empfohlen, auf Expertenebene aber betrachtete man die Dollar-Lücke als das eigentliche, nur mit zunehmenden Auslandsinvestitionen, namentlich des Gläubigers USA, zu lösende Problem: „Le programme ne vise à rien moins qu’à résoudre le problème dollar et à stabiliser (c’est-à-dire de endiguer et canaliser) le flot des investissements à l’étranger des pays créditeurs, essentiellement des État-Unis.“399 Den Gutachtern zufolge benötigte die Weltwirtschaft eine „Harmonisierung“, wie sie bereits auf europäischer Ebene mit der OEEC angestrebt wurde, in diesem Fall aber ausdrücklich unter Beteiligung der USA, die kein OEECMitglied400 waren. Es gehe insofern auch darum, den Amerikanern die Gültigkeit der Gleichung „Exporte = Importe + Kredite“, und das bedeutete neben US-amerikanischen Importen auch Kapitalexporte, vor Augen zu führen: „Il s’agit donc de démontrer aux Américains que l’équation exportations = importations + prêts est en termes mathématiques une identité, en termes hégéliens une nécessité.“401 398 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/88. Très urgent. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie, à Monsieur le Ministre des Affaires Etrangères, Direction Générale des Affaires Administratives, Paris, a/s Financement de l’immigration italienne en France. 3 décembre 1948. S. 119–127. S. 125 f. 399 Archives diplomatiques, 20QO/309. Ministère des Affaires Étrangères. Note. 18  janvier 1950. S. 12–17. S. 13. 400 Vgl. Lehmann, Marshall-Plan, S. 147. 401 Archives diplomatiques, 20QO/309. Ministère des Affaires Étrangères. Note. 18  janvier 1950. S. 12–17. S. 14.



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Zur Herstellung der angestrebten Harmonisierung sollte, so die Expertenempfehlung, eine mit umfangreichen Vollmachten ausgestattete internationale Organisation privates Kapital sammeln und nach rationellen Kriterien verteilen. Vor allem aber sah der Plan der Gutachter vor, dass ein Land, dessen Importe infolge deflationistischer Politik in einer Periode bei gleichzeitig wachsendem Handelsbilanzüberschuss sanken, beim Internationalen Währungsfonds eine Summe hinterlegen müsse, die sich nach der Differenz des Handelsbilanzüberschusses im Vergleich zu einem definierten Basisjahr bemaß. Die finalen Ziele des Multilateralismus und der freien Konvertibilität blieben damit das wirtschaftspolitische Leitbild. Dem Verfasser einer Aktennotiz im französischen Außenministerium schien es insofern besonders bemerkenswert, dass die Frage der Vollbeschäftigung ausschließlich unter wirtschaftsund finanzpolitischem Blickwinkel betrachtet, dabei die Frage der Faktormobilität aber vernachlässigt wurde.402 Der in Europa nach wie vor nur partiell hergestellte Multilateralismus sollte Italien bald auch in anderer Beziehung zu schaffen machen. Um seinen Süden ausrüsten und entwickeln, um Industrie und Landwirtschaft insgesamt modernisieren zu können, betrieben die dortigen politischen Entscheidungsträger zunehmend eine Investitionen fördernde Politik. Dadurch war Italien in wachsendem Umfang auf Importe von Ausrüstungsgütern, teilweise sogar auf den Import von Konsumgütern angewiesen. Als Folge davon wuchs das italienische Handelsbilanzdefizit. Ende 1953 hatte sich das Defizit Italiens gegenüber der EZU deshalb auf 112,5 Mio. Dollar oder 70 Mrd. Lire erhöht. Allerdings hatten sich auch die italienischen Guthaben gegenüber Ländern, mit denen Italien über ein eigenständiges, bilaterales Clearing Handel betrieb, auf 130 Mrd. Lire erhöht. Das führte laut Costantino Bresciani-Turroni, einem namhaften Wirtschaftswissenschaftler, ehemaligen italienischen Vertreter beim IWF und zu jener Zeit Außenhandelsminister der Regierung Pella, zu einer absurden Situation. Gegenüber Ländern wie Argentinien hätte Italien nämlich seine Exporte reduzieren müssen, um einer Blockierung seiner Guthaben zu entgehen, was einem Kapitalexport gleichgekommen wäre, während seine Handelsbilanz kumulativ jedoch defizitär war und Exporte benötigt hätte: „Situation absurde […] où l’italie créditrice ici et débitrice là, sans compensation possible, est obligée de restreindre ses exportations vers certains pays pour ne pas y avoir de crédits gelés qui la transformeraient en exportatrice de capitaux alors qu’elle en est si pauvre.“403 Weil zwischen den beiden Zahlungszonen keinerlei Kompensationsmöglichkeit bestand, schlug 402 Vgl. Archives diplomatiques, 20QO/309. Ministère des Affaires Étrangères. Note. 18 janvier 1950. S. 12–17. S. 14 f. 403 Archives diplomatiques, 193QO/258. M.  Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à son Excellence Monsieur le Ministre des affaires étrangères – Service de

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Bresciani-Turroni eine Erweiterung der EZU um weitere zahlreiche Länder vor. Alternativ wäre die italienische Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt gezwungen gewesen, die vollständige Konvertibilität der Lire herzustellen. Dieser Schluss lag auch in der Logik der EZU begründet. Denn ab einem Defizit Italiens gegenüber der EZU in Höhe von 205 Mio. Lire, das für das Frühjahr 1954 erwartet wurde, hätte Italien alle seine Transaktionen innerhalb der Zahlungsunion in Gold oder Dollar tätigen müssen. Dann aber wäre es für Italien gleich gewesen, ob es mit den Ländern der EZU oder der Dollar-Zone Handel trieb – was das Ende der europäischen Arbeitsteilung bedeutet hätte. Der Korrespondent der Wirtschaftszeitung „24 Ore“ empfahl daher, über eine Verlagerung der Importe die Verschuldung in die Dollar-Zone zu lenken, bis sich die US-amerikanische Regierung endlich für das Schicksal Italiens interessiere und ihm zu Hilfe komme.404 Gegenüber der französischen Botschaft stellte ein italienischer Regierungsbeamter diese in der italienischen Öffentlichkeit diskutierten Vorschläge als unrealistisch dar, obwohl der bundesdeutsche Wirtschaftsminister, Ludwig Erhard, zu Beginn des Jahres 1953 tatsächlich schon einmal die Herstellung vollständiger Währungskonvertibilität vorgeschlagen hatte. Die italienische Politik schätzte die Möglichkeit internationaler Lösungen zu diesem Zeitpunkt offensichtlich als gering ein, wenngleich die Herstellung der Freizügigkeit, die man auf sozialpolitischem Sektor zu erreichen suche, unter den Bedingungen europäischer Integration nur die logische Folge eines multilateralen Finanzsystems sein werde: „Dans les perspectives d’intégration européenne […], ils apparaissaient comme le corollaire sur le plan financier, de la liberté des mouvements de main-d’œuvre qu’on désirait faire adopter sur le plan social.“405 Auch baute der italienische Beamte etwaigen französischen Befürchtungen vor, Italien könne von Frankreich weitere Zuzugsmöglichkeiten für seine Arbeitskräfte beanspruchen: Die Freizügigkeit diene niemandem, sofern in den Nachbarstaaten Italiens keine zusätzlichen Arbeitsplätze entstünden. Ebenso nutzlos sei es, an die Konvertibilität zu denken, solange die europäischen Länder ihre Wirtschaftspolitik nicht koordinierten. Tatsächlich schien Frankreich als Zielland für italienische Coopération Économique – a. s. L’Italie et l’Union Européenne des Paiements. 29 janvier 1954. S. 73–78. S. 74. 404 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/258. M. Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à son Excellence Monsieur le Ministre des affaires étrangères – Service de Coopération Économique – a. s. L’Italie et l’Union Européenne des Paiements. 29 janvier 1954. S. 73–78. S. 75 f. 405 Archives diplomatiques, 193QO/258. M.  Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à son Excellence Monsieur le Ministre des affaires étrangères – Service de Coopération Économique – a. s. L’Italie et l’Union Européenne des Paiements. 29 janvier 1954. S. 73–78. S. 77.



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Arbeitsmigranten einstweilen nicht mehr attraktiv genug, schienen die Zahlungsbilanzdefizite gegenüber anderen Ländern die Wirtschafts- und Migrationspolitik Italiens zwischenzeitlich zu dominieren. Um es mit Bresciani-Turroni auszudrücken, wäre auch ein umfassendes multilaterales Clearingsystem unzureichend gewesen für den Fall, dass weder Schulder- noch Gläubigerländer versuchten, ihre Zahlungsbilanzgleichgewichte herzustellen: „Que les pays débiteurs cherchent à stabiliser leur monnaie intérieure […]; que les pays créanciers comme l’Allemagne et les États Unis, acceptent d’augmenter leurs importations.“406 Gläubigerländer wie die Bundesrepublik Deutschland und die USA hätten dementsprechend also ihre Importe aus Italien erhöhen oder – das sollte sich schon bald in den deutsch-italienischen Wirtschaftsverhandlungen herauskristallisieren – italienische Arbeitskräfte zuwandern und diese ihre Ersparnisse nach Italien überweisen lassen müssen. Italien begann tatsächlich schon bald, diese Strategie ernsthaft zu verfolgen, wie der Bericht des französischen Botschafters in Bonn an den französischen Außenminister über den Abschluss des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens zeigt. Dessen Ansicht nach lag dem deutsch-italienischen Abkommen nämlich weniger ein realistischer Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik zugrunde als vereinzelte Forderungen aus Landwirtschaft und Industrie nach wenn schon nicht billigen, so doch „genügsamen“ Arbeitskräften. Außerdem glaubten bundesdeutscher Wirtschafts- sowie Finanzminister, mit den Heimatüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten das Zahlungsbilanzdefizit Italiens gegenüber Westdeutschland bis zu einem gewissen Maß ausgleichen zu können. „Il n’existe pourtant aucune base statistique pour justifier ce besoin de […] travailleurs nouveaux. L’accord germano-italien de main-d’œuvre ne répond, pour le moment du moins, qu’aux exigences de l’agriculture et de l’industrie qui pensent trouver une main-d’œuvre, sinon bon marché, du moins peu exigeante, ainsi qu’aux préoccupations des ministres fédéraux de l’Économie et des Finances qui pensent que le transfert en Italie d’une partie des salaires des travailleurs italiens occupés en Allemagne pourra combler, dans une certaine mesure, le déficit de la balance des comptes entre les deux pays.“407 Bis es zum Abschluss dieser Vereinbarung kommen sollte, verfolgte Italien jedoch noch einen weiteren Weg auf internationaler Ebene. 406 Archives diplomatiques, 193QO/258. M.  Jacques Fouques Duparc, Ambassadeur de France en Italie à son Excellence Monsieur le Ministre des affaires étrangères – Service de Coopération Économique – a. s. L’Italie et l’Union Européenne des Paiements. 29 janvier 1954. S. 73–78. S. 78. 407 Archives diplomatiques, 193QO/257. Christian de Margerie, Chargé d’Affaires de France auprès de la République Fédérale d’Allemagne à Son Excellence Monsieur Antoine Pinay, Ministre des Affaires Etrangères – Direction d’Europe –. 1er décembre 1955. S. 199–202. S. 201 f.

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Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss

Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“ Mit Ausnahme der EZU, die, wie sich noch weiter unten zeigen wird, über ihren Kreditmechanismus auf Gegenseitigkeit angelegte Maßnahmen zur Lösung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten erzwang, schienen die Organisationen der internationalen Gemeinschaft mit ihren wenig praktikablen Berichten und mehr oder weniger verbindlichen Vorschlägen kaum zur Lösung des Problems des italienischen Bevölkerungsüberschusses in der Lage zu sein.408 Den von dort geforderten Anstrengungen zur Liberalisierung des Handels, des Zahlungs- und Kapitalverkehrs standen nämlich nach wie vor zahlreiche nach Lösungen verlangende Problemstellungen entgegen, zu denen das französische Außenministerium – circulus vitiosus! – wiederum vor allem den italienischen Arbeitskräfteüberschuss zählte. Dieses Problem behinderte aus dessen Sicht – über den Zusammenhang mit den italienischen Zahlungsbilanzproblemen und den daraus drohenden Handelsbeschränkungen – sogar die europäische Integration: „problème qui arrêtera et même ralentit déjà les efforts entrepris en vue de l’intégration.“409 Zugleich war man im französischen Außenministerium auch aus ökonomischen Gründen unmissverständlich auf die Linie der westeuropäischen Integration eingeschwenkt und die sich verhärtende Ost-West-Konfrontation musste die Bemühungen um Lösungsmöglichkeiten für italienische Probleme gleichermaßen verstärken. Damit ging es auch den französischen Diplomaten nicht mehr ausschließlich um die Beseitigung der Dollar-Lücke und die Herstellung des damit verbundenen Gleichgewichts in den wirtschaftlichen Beziehungen Europas zu den USA, sondern auch darum, durch die Erhöhung des westeuropäischen Lebensstandards dem sozialistischen Gegenentwurf in Osteuropa zu trotzen: „Il conviendrait semble-t-il de rappeler que la politique du Gouvernement français est d’arriver à une intégration de l’économie européenne dans un délai aussi bref que possible. Il ne s’agit pas seulement de réaliser l’équilibre de la balance des comptes de l’Europe occidentale à l’égard du monde dollar, il s’agit aussi de créer en Europe les conditions nécessaires pour que s’améliore le standard de vie et que les conditions d’existence en Europe occidentale soient telles qu’une résistance efficace puisse être opposée à la pression du bloc oriental.“410

408 Vgl. in diesem Sinne auch: Sauvy, Alfred: La population de l’Europe occidentale et le plan Schuman. In: Population, 6. Jg. 1951, N° 3, S. 381–396. S. 385 f. 409 Vgl. Archives diplomatiques, 20QO/309. Ministère Affaires Étrangères, Service de Coopération Économique. Note pour Monsieur Alphand. 28 juin 1950. S. 110–112. S. 111. 410 Archives diplomatiques, 20QO/309. Ministère Affaires Étrangères, Service de Coopération Économique. Note pour Monsieur Alphand. 28 juin 1950. S. 110–112. S. 110.



Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“

145

Gerade weil die anhaltenden Schwierigkeiten in Ländern wie Italien die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu verstärken und damit die Integration Europas zu behindern schienen, drang der französische Außenminister im Interesse Italiens während der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz im Juni 1950 bei seinen britischen und US-amerikanischen Kollegen auf eine konzertierte Aktion. Immerhin hatten die drei Außenminister der Westmächte bereits am 14. Mai während ihres Treffens in London erklärt, Fachleute mit der Prüfung von Fragen des europäischen Bevölkerungsüberschusses und des damit zusammenhängenden Auswanderungsproblems zu beauftragen.411 Der Grund für das französische Engagement mag darin zu suchen sein, dass die französische Regierung zu dieser Zeit noch anhaltend von italienischen Wünschen einer verstärkten Migration nach Frankreich bedrängt wurde, denen französischerseits wiederum aus unterschiedlichen Gründen nicht nachgekommen werden konnte. Innerhalb der OEEC beispielsweise war „Italien bereits im Gründungsjahr zum stärksten Verfechter der schnellen Umsetzung einer freizügigen internationalen Arbeitsmigration [geworden]. Frankreich dagegen wurde […] unerwartet zu einem Gegenspieler Italiens in Fragen ihrer grundsätzlichen Vereinfachung. So war man zwar an einer Wiederbelebung der internationalen Arbeitsmigration interessiert, achtete jedoch darauf, die Kontrolle über den Migrationsprozess nicht aus der Hand zu geben.“412 Hier mögen auch interministerielle Interessenlagen und -konflikte eine Rolle gespielt haben. Die Internationalisierung des Problems des italienischen Bevölkerungsüberschusses verlieh den französischen Demographen nämlich neues politisches Gewicht. So legte der Minister für öffentliche Gesundheit und Bevölkerung im Vorfeld der Pariser Konferenz über das Problem des europäischen Bevölkerungsüberschusses (Conférence d’experts sur le problème des excédents de population en Europe; 24. Juli–11. August 1950)413 dem französischen Außenminister ein in enger Abstimmung mit den Arbeits- und Wirtschaftsministerien ausgearbeitetes ‚demographisch-wirtschaftliches Programm‘ vor. Demnach sollte Frankreich aus demographischen Gründen einen Teil des europäischen Bevölkerungsüberschusses aufnehmen. Letzterer wurde, vor allem aufgrund der italienischen und deutschen Überschüsse, zu denen allerdings auch Überschüsse in Griechenland, den Niederlanden, Spanien und Portugal kamen, auf etwa 3 Mio. Personen geschätzt. Frankreich 411 Vgl. Die Ergebnisse der Londoner Außenministerkonferenz vom 11. bis 13. Mai 1950. Treffen der drei Außenminister der Westmächte, Dean Acheson, Ernest Bevin und Robert Schuman: Erklärung der Außenminister über das Auswanderungsproblem. In: Europa-Archiv, 5. Jg. 1950. S. 3051–3054. S. 3053. 412 Rass, Institutionalisierungsprozesse, S. 334. 413 Vgl. hierzu: Comitato interministeriale per la ricostruzione, Development of Italy’s Economic System, S. 339.

146

Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss

sollte zwischen 1950 und 1960 jährlich 100.000 Erwachsene aufnehmen, selbst wenn die Lebensarbeitszeit bei sich verstetigender Geburtenrate und steigender Lebenserwartung verlängert würde. Neben lösbaren infrastrukturellen Fragen (Schulen, soziale Sicherheit usw.) ergäben sich durch diese Zuwanderung kurzfristig zwar auch Probleme für den französischen Arbeitsmarkt, der mit maximal 10.000 zusätzlichen nach Arbeit Suchenden belastet würde. Zur Erleichterung der damit verbundenen Friktionen schlug das Arbeitsministerium deshalb gleichzeitig eine Liberalisierung französischer Arbeitsmarktpolitik vor. Summa summarum sei man jedenfalls weder hinsichtlich der dringenden demographischen Notwendigkeit in Frankreich noch hinsichtlich der internationalen Erfordernisse, besonders hinsichtlich jener der europäischen Integration, nicht unempfänglich: „Le Ministère du Travail ainsi que les autres Ministères techniques ne sont pas insensibles tant aux graves nécessités de notre situation démographique qu’aux impératifs internationaux et plus particulièrement à ceux de l’intégration européenne.“414 Das galt umso mehr, als sich ein entsprechender Geist bereits auch auf internationaler Ebene manifestiert hatte, namentlich im Rahmen des Brüsseler Pakts, dem Vorläufer der Westeuropäischen Union (WEU), der OEEC wie auch der ILO, zumal auf dieser Ebene auch die mit der europäischen Arbeitsmigration zusammenhängenden wirtschaftlichen und finanziellen Probleme als internationale betrachtet wurden. Auch aus Gründen internationaler Hilfe und Raison sei also ein demographisch-wirtschaftlicher Plan für Frankreich nötig, mit dessen Hilfe schließlich die europäische Integration vorangetrieben werden könne: „Il apparaît néanmoins possible aux services techniques de M. le Ministre des Finances et des Affaires Économiques, […] d’envisager un effort d’investissement sur le double plan démographique et économique, dont le but serait d’accroître l’effort français dans le cadre de l’intégration de l’Europe et d’amorcer par cet effort, qui représentera, sur le plan national, un sacrifice important, une aide internationale qui permettrait à l’effort français d’atteindre des proportions qui le rendraient doublement rentable tant au point de vue national qu’au point de vue européen.“415 Auf nationaler Ebene erlaube die Umsetzung des Planes durch entsprechende Investitionsanstrengungen zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie sowie Niederlassungsmöglichkeiten für

414 Archives diplomatiques, 7QO/127. Le Ministre de la Santé publique et de la Population à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères. Paris, le 22 juillet 1950. S. 256–259. S. 257. 415 Archives diplomatiques, 7QO/127. Le Ministre de la Santé publique et de la Population à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères. Paris, le 22 juillet 1950. S. 256–259. S. 258.



Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“

147

Migranten durch zusätzlichen Wohnungsbau, so dass auch die algerischen Arbeitskräfte erfolgreich in die französische Wirtschaft eingegliedert werden könnten.416 Allerdings machten sich in einigen europäischen Ländern, darunter Frankreich und Belgien, zwischenzeitlich die Erhöhung der Produktivität und die Steigerung der Erwerbsquote ebenso bemerkbar wie „rezessive Tendenzen in den USA, die auf Europa zurückschlugen und zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führten.“417 Entsprechend litt Frankreich zwischen 1949 und 1955 unter zunehmender Arbeitslosigkeit – je nach Quelle hatte sich die Zahl der Arbeitslosen von 1947 bis 1951 verzehnfacht418 oder zumindest zwischen 1947 und 1950 mehr als verdreifacht (vgl. Tabelle 24, Seite 148) –, so dass es dem italienischen Wunsch nach weiterer Arbeitskräftezuwanderung nicht nachkommen wollte. Italien seinerseits versuchte demgegenüber immer wieder mit Nachdruck Gegenteiliges zu erreichen, zumal ihm durch die Abtretung seiner Kolonien ein wichtiger Weg zur demographischen Entlastung verwehrt blieb.419 Für Frankreich handelte es sich bei dem italienischen Bevölkerungsüberschuss ohnehin um ein globales, mindestens aber um ein transatlantisches Problem: „En arrivant à la conclusion que le problème des excédents de population n’est pas traité comme il faut, il ne s’en suivrait pas nécessairement pour la France une obligation quelconque d’absorber de la main d’œuvre de façon inconditionnelle sur le territoire métropolitain. La même réflexion est valable pour les territoires d’outre-mer; c’est un problème général, que l’Europe a à résoudre dans un cadre général qui doit s’étendre au-delà des frontières de l’Europe.“420 Mit dem Vorschlag einer zur Lösung des so definierten Problems eigens einzuberufenden internationalen Konferenz konnte sich der französische Außenminister allerdings nicht durchsetzen. Mit Großbritannien und den USA war nur eine Konferenz von Experten aus den drei Ländern zu erreichen, deren Bericht zum nächsten Treffen der Außenminister in New York im September 1950 vorliegen sollte. Auch wenn sich die USA und Großbritannien zunächst gegen eine Teilnahme italienischer Vertreter an dieser Konferenz ausgesprochen hatten,421 setzte Frankreich die Einladung von Beobachtern aller von der Migration betroffenen Länder sowie 416 Archives diplomatiques, 7QO/127. Le Ministre de la Santé publique et de la Population à Monsieur le Ministre des Affaires Étrangères. Paris, le 22 juillet 1950. S. 256–259. 417 Steinert, Migration und Politik, S. 196. 418 Vgl. Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik, S. 223. 419 Vgl. gesamte Akte: Archives diplomatiques, 193QO/271. 420 Archives diplomatiques, 20QO/309. Ministère Affaires Étrangères, Service de Coopération Économique. Note pour Monsieur Alphand. 28 juin 1950. S. 110–112. S. 111. 421 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/219. Ministère des Affaires Étrangères, Direction Générale des Affaires Économiques et Financières, Service de Coopération Économiques. Note pour le Président a. s. Relations franco-italiennes. Problème international de l’émigration, 22 janvier 1951. S. 44–46. S. 45.

148

Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss

internationaler Organisationen durch. Als Migranten abgebende Länder erhielten dementsprechend Italien, Westdeutschland, die Niederlande, Griechenland, Malta, Dänemark und Irland eine Einladung, als aufnehmende Länder Australien, Südafrika, Kanada, Neuseeland, Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Venezuela und Chile; hinzu kamen Einladungen an die Vereinten Nationen, die Internationale Flüchtlingsorganisation, die ILO sowie die OEEC.422 Ohnehin sollte die Expertenkonferenz über die europäische Migration (Tripartite Meeting of Experts on European Migration/ Conférence tripartite d’experts sur les migrations européennes) auf französischen Vorschlag vom 24. Juli bis 11. August 1950 in Paris stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich dort nämlich noch die Delegierten des Manpower-Committee auf, das in der ersten Julihälfte in Paris tagte und auf dessen Expertise ebenso wenig verzichtet werden sollte wie auf den engen Kontakt zum dort ansässigen Europa-Büro der Economic Cooperation Administration.423 Tabelle 24: Arbeitslosigkeit in Frankreich, Italien und Westdeutschland (in Tausend), 1945–1973 Frankreich

Italien

Westdeutschland

1945

68

---

---

1946

57

1,324

---

1947

46

1,620

---

1948

78

1,742

592

1949

131

1,673

1,230

1950

153

1,615

1,580

1951

120

1,721

1,432

1952

132

1,850

1,379

1953

180

1,947

1,259

1954

184

1,959

1,221

1955

160

1,479

928

1956

112

1,847

761

1957

81

1,643

662

1958

93

1,322

683

422 Vgl. Archives diplomatiques, 20QO/309. Réunion tripartite d’experts sur les migrations européennes. Paris, juillet-août 1950. Rapport soumis par les experts Français, Américains et Anglais aux trois Ministres des Affaires Étrangères et approuvé par eux lors de leur réunion du 18 septembre 1950. S. 190–208. S. 196. 423 Vgl. Archives diplomatiques, 20QO/309. Télégramme. Paris, le 15 juin 1950. Le Ministre des Affaires Étrangères à Ambafrance Washington. Emigration Européenne. S. 67 f. S. 68.

149

Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“



Frankreich

Italien

Westdeutschland

1959

141

1,117

480

1960

130

836

237

1961

111

710

161

1962

123

611

142

1963

140

504

174

1964

114

549

157

1965

142

714

139

1966

148

759

154

1967

196

679

445

1968

254

684

314

1969

223

655

173

1970

262

609

144

1971

338

609

178

1972

383

697

236

1973

394

668

263

Quelle: Mitchell, Brian R.: European Historical Statistics 1750–1975. 2  revised edition. New York/ London/Basingstoke, 1980. S. 177 f. nd

Dem Tripartite Meeting of Experts lag schließlich ein mehr als 80 Seiten umfassendes Memorandum Italiens zu dessen Arbeitskräfteüberschuss zugrunde. Neben der Darstellung des Bevölkerungsproblems, der wirtschaftlichen Entwicklung in Italien und den verschiedenen von der italienischen Regierung sowie internationalen Organisationen unternommenen Maßnahmen rekurrierte das Memorandum in erster Linie auf das sich für den europäischen Markt daraus ergebende Problem: „L’Italie a démontré pratiquement par toutes ses actions et ses propositions, qu’elle désire effectivement la réalisation d’un marché européen plus étendu et plus libre que l’actuel.“424 Mit einer hohen Arbeitslosigkeit wie jener Italiens und Westdeutschlands, das an solchen Stellen immer dann Erwähnung fand, wenn nationale Ziele als internationale kaschiert werden sollten, sei die Errichtung eines europäischen gemeinsamen Marktes nicht möglich („il sera pratiquement impossible de réaliser la création d’un marché européen vraiment unifié“). Italiens (multilaterale) Zahlungsbilanz war nämlich – ohne die hohen Posten der Auslandshilfe (vgl. Tabelle 35, Seite 201 f. im Anhang) – stark defizitär, und jede weitere Aktivität zur Erhöhung der italienischen Exporte würde aufgrund fehlender natürlicher Ressourcen und ungenügender inländischer Kapitalausstattung 424 Archives diplomatiques, 7QO/127. Memorandum italien sur le problème du surplus de main d’œuvre en Italie. S. 71–128 sowie 134–160. S. 73.

150

Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss

auf absehbare Zeit keine Umkehr dieses Trends zur Folge haben. Sollte die strukturelle Arbeitslosigkeit mit allen ihren wirtschaftlichen Folgeproblemen bestehen bleiben, könne insofern keine grundlegende Handelsliberalisierung von Seiten Italiens erwartet werden. Das sich hierin ausdrückende Argumentationsmuster ‚Handelsliberalisierung gegen Zuwanderung‘ sollte bald auch gegenüber bundesdeutschen Administrationen vorgebracht werden. Auch wenn Arbeitsbeschaffungsprogramme durch ihren autarkischen Charakter den Druck auf die Zahlungsbilanz erhöhen würden, so die italienische Drohung, könnten die keinen Aufschub duldenden Umstände Länder wie Italien zu solchen Mitteln greifen lassen. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma liege somit in der Arbeitsmigration in andere Teile der freien Welt, auch mit Hilfe außergewöhnlicher Maßnahmen.425 Von den Vereinigten Staaten verlangte Italien angesichts einer jährlichen Einwanderung von nur ca. 5.800 Migranten italienischer Herkunft nicht weniger als ein Hilfsprogramm in Form eines fünfjährigen „Marshall-Plans für die Migration“, bis die Bevölkerung den von Italien anvisierten niedrigeren Stand erreicht hätte. „Si l’on examine, d’un côté les nécessités d’émigration européennes, et de l’autre, la capacité d’absorption en Europe et Outremer, […] – on arrive à la conclusion que l’équilibre ne peut être établi que si les États-Unis réalisent un ‚Plan Marshall‘ de l’immigration.“426 Beabsichtigt war nämlich, die italienische Bevölkerung durch Migration in den Jahren bis 1955 nur noch um 8,3% anstatt um 10,7% wachsen zu lassen und damit den Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter auf konstant ca. 46% zu halten. Ohne Migration würde sich die italienische Bevölkerung in den fraglichen fünf Jahren um 2,2 Mio. Personen erhöhen, wobei bereits zum Zeitpunkt der Verfassung des Memorandums 1,7 Mio. Personen von Arbeitslosigkeit betroffen waren und sich die friktionelle Arbeitslosigkeit auf weitere 600.000 bis 700.000 Personen belief.427 Zudem schwebte Italien die Gründung einer Internationalen Organisation für Emigration vor, die, mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet, operativ tätig werden sollte: „L’Organisation devrait se charger de l’exécution d’un programme extraordinaire d’émigration européenne, pour des contingents déterminés, le programme devrait être exécuté dans une période fixée.“428 Mit Anhang F zum Memorandum 425 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Memorandum italien sur le problème du surplus de main d’œuvre en Italie. S. 71–128 sowie 134–160. S. 71 ff. 426 Archives diplomatiques, 7QO/127. Memorandum italien sur le problème du surplus de main d’œuvre en Italie. S. 71–128 sowie 134–160. S. 86. 427 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Memorandum italien sur le problème du surplus de main d’œuvre en Italie. S. 71–128 sowie 134–160. S. 74. 428 Archives diplomatiques, 7QO/127. Memorandum italien sur le problème du surplus de main d’œuvre en Italie. S. 71–128 sowie 134–160. S. 122.



Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“

151

lieferte die italienische Regierung schließlich zugleich umfangreiche Vorstellungen zur operativen Tätigkeit dieser Organisation für Emigration, die von der Erarbeitung spezifischer Arbeitsmigrationsprogramme über die Subventionierung der Reisekosten bis zur Koordinierung von Ausbildungsprogrammen sowie Abkommen zur sozialen Sicherheit reichen sollte.429 Die französische Delegation, die Hindernisse für eine globale Lösung des Problems nach wie vor im allgemeinen Wohnraummangel, in der ungenügenden oder gänzlich fehlenden Berufsausbildung der italienischen Migranten und den hohen Reisekosten nach Übersee sah, betonte nunmehr besonders die aus der bestehenden Finanzordnung resultierenden Schwierigkeiten, was Heimatüberweisungen weiterhin kaum zuließ.430 Sie verknüpfte deshalb die Frage des italienischen Arbeitskräfteüberschusses ebenfalls mit der europäischen Frage. Erst ein Bevölkerungsausgleich zwischen den Ländern Westeuropas ermögliche nämlich eine vollständige Liberalisierung des Waren-, Kapital- und Personenverkehrs, auf die sich die Mitgliedsstaaten der OEEC immerhin geeinigt hätten. Deshalb dürfe das Problem des Bevölkerungsüberschusses auch nicht mehr isoliert angegangen, es müsse vielmehr im Rahmen gesamteuropäischer Fragestellungen betrachtet werden: „la question des excédents de population devrait être alors étudiée, non plus comme un problème indépendant, mais comme un aspect particulier du problème plus général de la viabilité de l’Europe, c’est-à-dire du but que se sont proposé les pays participants lorsqu’ils ont signé la Convention de Cooperation Économique, à Paris, le 16 avril 1948.“431 Auch angesichts dieser französischen Unterstützung musste das Ergebnis des Tripartite Meetings allerdings enttäuschen. Wenn die Emigration das Mittel der Wahl zur Reduzierung des italienischen Bevölkerungsüberschusses hätte sein sollen, hätte Italien über fünf Jahre hinweg 450.000 Personen jährlich auswandern lassen müssen. Tatsächlich aber waren 1949, dem der Konferenz vorangegangenen Jahr, nur 226.000 Italiener ausgewandert (vgl. Tabelle 25, Seite 153). In der Formulierung „si l’émigration devait être le seul moyen de réduire les excédents actuels“ selbst verbargen sich deshalb bereits entsprechende Zweifel der Experten, und entsprechend wurde im Fall Italiens immer wieder auch auf Ausbildungs- und besonders Entwicklungsprogramme 429 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Memorandum italien sur le problème du surplus de main d’œuvre en Italie. S. 71–128 sowie 134–160. S. 122–127. 430 Vgl. Archives diplomatiques, 7QO/127. Conférence sur l’Émigration, Paris, le 24 juillet 1950. Note de la Délégation Française. Point V. S. 180–186. S. 181 und 186. 431 Archives diplomatiques, 7QO/127. Réunion d’Experts sur les excédents de population en Europe Paris – juillet 1950. Les conséquences de l’existence des excédents de population en Europe sur l’intégration européenne. Note de la Délégation Française. S. 161– 164. S. 164. Für das Vorhergehende vgl. S. 163.

152

Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss

für den italienischen Süden rekurriert, um das Problem des Arbeitskräfteüberschusses innerhalb des Landes selbst lösen zu können.432 In ihrem Abschlussbericht fassten die drei Delegierten – neben den Chancen für die aufnehmenden Länder – insofern zwar alle sich aus einem Bevölkerungsüberschuss besonders in italienischen Dimensionen ergebenden Probleme zusammen, sprachen sich aber auch klar gegen die von Italien gewünschte weitergehende Internationalisierung seines Bevölkerungsüberschusses aus. Diese Haltung schloss die Absage an eine neu zu gründende internationale Organisation für Migration ein: „L’émigration est essentiellement un problème humain qui relève des intérêts et de la décision des individus. En même temps, les mouvements migratoires présentent des conséquences politiques, sociales et économiques particulières à chaque pays. Ils ne peuvent donc être réalisé par le moyen d’un programme centralisé, ni par une direction unique. Mais ils demandent, au contraire, un ensemble d’initiatives de la part des particuliers, des organisations gouvernementales et privées et des organismes internationaux qui s’occupent déjà de la plupart des mouvements migratoires qui s’effectuent entre pays déterminés.“433 Die Hypothese, dass sich die internationale Gemeinschaft und vor allem auch die USA dem italienischen Ansinnen gegenüber vergleichsweise reserviert verhielten, weil sich die (von Norditalienern dominierten) italienischen Regierungen vorwiegend um die Emigration von süditalienischen Landsleuten und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Italiens bemühten, bliebe zu prüfen. Nicht nur, dass Äußerungen italienischer Diplomaten auf die Intention hinwiesen, italienische Kommunisten nach Frankreich auswandern zu lassen: “As Alberto Tarchiani, the Italian ambassador in Washington, laughingly told the State Department, It might be good for his country if it could ship its Communists to France”434; auch im anderen Kontext zeichnete sich die italienische Politik durch entsprechende Auffälligkeiten aus. Um die eigenen Arbeitskräfte in andere Länder auswandern lassen zu können, insistierte die italienische Regierung im internationalen Rahmen nämlich wo es ging auf der Freizügigkeit für Arbeitskräfte. Diese sollte es erleichtern, die überzähligen italienischen Arbeitskräfte in Gebiete vor allem auch Europas mit einem Bedarf an Arbeitskräften zu transferieren. In Italien selbst, wo abgesehen von den südlichen und 432 Vgl. Archives diplomatiques, 20QO/309. Réunion tripartite d’experts sur les migrations européennes. Paris, juillet–août 1950. Rapport soumis par les experts Français, Américains et Anglais aux trois Ministres des Affaires Étrangères et approuvé par eux lors de leur réunion du 18 septembre 1950. S. 190–208. S. 193 ff. 433 Archives diplomatiques, 20QO/309. Réunion tripartite d’experts sur les migrations européennes. Paris, juillet–août 1950. Rapport soumis par les experts Français, Américains et Anglais aux trois Ministres des Affaires Étrangères et approuvé par eux lors de leur réunion du 18 septembre 1950. S. 190–208. S. 194 f. 434 Truman Library, Clayton Office Files, Memorandum of conversations, visit of Tarchiani to Matthews, 1 July 1947. Zitiert nach: Milward, Reconstruction, S. 78.

Das „Tripartite Meeting of Experts on European Migration“



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strukturschwachen schon bald auch Regionen im nördlichen Landesteil zu finden waren, in denen in bestimmten Wirtschaftsbereichen die Nachfrage an Arbeitskräften nicht gedeckt werden konnte, war die Freizügigkeit zwar auch eine der grundlegenden Verfassungsbestimmungen,435 allerdings standen der Realisierung der so garantierten Freizügigkeit in der Praxis Gesetze aus den Jahren 1931 und 1939 entgegen. Diese Gesetze hatten vor allem die Landflucht verhindern sollen und diese deshalb nur in Einzelfällen zugelassen. Indem die fraglichen Gesetze in Kraft blieben, konnten sich Binnenmigranten unmöglich in die Listen der Arbeitsuchenden bei den städtischen Arbeitsämtern des Nordens eintragen, was eine weitergehende Entschärfung des Bevölkerungsdrucks in den südlichen Gebieten verhinderte. Erst durch ein Gesetz vom Februar 1961 konnten sich Arbeitssuchende überörtlich registrieren lassen und auch ausländischen Arbeitnehmern wurde damit erst jetzt die Aufnahme in die Listen der Stellensuchenden möglich.436 Tabelle 25: Ziele italienischer Auswanderer 1949 (in 1.000 Personen) Ziel Gruppe I

Emigration aus Italien

Emigration aus allen Ländern mit Bevölkerungsüberschuss*)

37

288

15

101

Kanada

9

44

Neuseeland

Australien



1

USA

13

142

Gruppe II

54

139

VereinigtesKönigreich

6

42

Belgien

5

13

41

78

2

6

126

147

98

104

Brasilien

5

17

Uruguay

3

3

Frankreich Andere europäische Länder Gruppe III Argentinien

435 Vgl. BA Koblenz, B 119/3051. Auszugsweise Abschrift aus: Verfassung der italienischen Republik – Veröffentlicht im Gesetzblatt Nr. 298 vom 27. Dezember 1947. S. 135–138. S. 135 f. 436 Vgl. PA Berlin, B 85/360. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rom an das Auswärtige Amt vom 22. März 1961, betr. Freizügigkeit innerhalb Italiens.

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Die internationale Gemeinschaft und der italienische Arbeitskräfteüberschuss Ziel

Venezuela Andere Lateinamerikanische Länder

*)

Emigration aus Italien

Emigration aus allen Ländern mit Bevölkerungsüberschuss*)

16

17

4

6

Afrika

1

3

Andere Regionen

2

44

Unbekannt



1

Insgesamt

226

622

Österreich, Italien, Malta, Niederlande, Westdeutschland

Quelle: Archives diplomatiques, 20QO/309. Réunion tripartite d’experts sur les migrations européennes. Paris, Juillet–Août 1950. Rapport soumis par les experts Français, Américains et Anglais aux trois Ministres des Affaires Étrangères et approuvé par eux lors de leur réunion du 18 septembre 1950. S. 190–208. S. 200 f.

EGKS, EWG und der italienische Wunsch nach Freizügigkeit Was die internationale Ebene betrifft, so hatte Italien hier von Beginn an seine diplomatischen Vorstöße zur Förderung der Emigration besonders auch auf die Internationale Arbeitsorganisation, eine Sonderorganisation der UNO, fokussiert. Das sollte insofern bedeutend werden, als sich später weitere mit der italienischen Arbeitsmigration beschäftigte Akteure wie die OEEC, die Montanunion, anschließend die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), aber auch der Europarat in der Formulierung ihrer Richtlinien und Empfehlungen oftmals in nicht unerheblichem Ausmaß an den Vorschlägen der ILO orientierten. Schon während der ersten Sitzung des Permanent Migration Committee der ILO, die in Montreal im August 1946 stattfand, gab der italienische Vertreter insofern zu Protokoll, “that his Government would put no obstacle in the way of emigration, either temporary or permanent. Temporary emigration should be mutually advantageous to the country of immigration as well as to the country of emigration in promoting reconstruction.”437 Zudem verdeutlichte er, dass der italienischen Industrie im Gegenzug für die Migration italienischer Arbeitskräfte Rohstoffe und Devisen verfügbar gemacht werden sollten: “The Italian Government has already concluded agreements with a number of European countries for the temporary supply of Italian labour in order to obtain the necessary foreign exchange and 437 International Labour Office: Permanent Migration Committee, First Session. Report. Montreal, August 1946. S. 3. Abrufbar unter: http://www.ilo.org/public/libdoc/ ilo/1946/46B09_25_engl.pdf (31.07.2015). (Künftig zitiert: ILO, Permanent Migration Committee).



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raw materials for Italian industry. Similar principles should be applied to overseas emigration.”438 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt war man sich innerhalb der ILO zudem darüber im Klaren, dass die Entwicklung der italienischen Wirtschaft mit allen ihren Problemen in engem Zusammenhang mit der Eingliederung Italiens in das System des internationalen Handels sowie der europäischen Integration stand: “Emigration has also become an instrument of international co-operation; Italy is willing to supply manpower to those countries that require it for reconstruction work or economic development, and she asks in exchange for adequate safeguards for the welfare and dignity of the workers concerned, as well as economic help, which she needs more than ever before, for her own recovery.”439 Nicht zuletzt durch dieses Bekenntnis der ILO wurden die entsprechenden italienischen Initiativen der unmittelbaren Nachkriegszeit für die weitere Entwicklung der Arbeitsmigration auch im europäischen Raum grundlegend. Analog zu den Aktivitäten, die Italien (unterhalb der ILO-Ebene) innerhalb der OEEC gestartet hatte, wurden seine Vertreter deshalb auch während der Verhandlungen über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sowie später während der Gründungsphase der EWG aktiv. Bekanntlich gab der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 den später als Schuman-Plan bezeichneten Vorschlag bekannt, die französische und deutsche Kohlen- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Aufsicht zu stellen. Der Beitritt zur für diesen Zweck zu gründenden Obersten Aufsichtsbehörde (Haute Autorité) stand in der Folge allen anderen europäischen Ländern offen, weshalb diese auch für Italien attraktiv wurde. Das auf den französischen Planungskommissar Jean Monnet zurückgehende Vorhaben stellte zunächst einmal eine „Instrumentalisierung der Europapolitik für nationale Zwecke“ dar, also die Fortsetzung französischer Wirtschaftspolitik mit europäischen Mitteln. Denn neben den offen artikulierten Anliegen der Sicherung des Friedens einschließlich der Überwindung des deutsch-französischen Antagonismus sowie der Einigung Westeuropas ging es Frankreich auch darum, seine politische Vormachtstellung in der Welt zu erhalten bzw. in Europa zu erlangen und auszubauen. Immerhin stand Anfang des Jahres 1950 zu befürchten, dass Großbritannien und die USA die bis dato bestehende Mengenbegrenzung für die westdeutsche Stahlproduktion aufheben würden. Weil die französische Eisen- und Stahlindustrie der kostengünstiger produzierenden westdeutschen Konkurrenz aber nicht gewachsen gewesen wäre, handelte es sich auch um eine „Notwehrreaktion“ ebenso wie um eine Fortsetzung 438 ILO, Permanent Migration Committee, S. 3 f. 439 Oblath, Attilio: Italian Regulation of Emigration. In: International Labour Review, 56/1947. Heft 4, S. 408–425. S. 409. (Künftig zitiert: Oblath, Italian Regulation of Emigration).

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des Monnet-Plans mit dem Anliegen, die französische Industrie zu modernisieren und effizienter zu gestalten. Die dementsprechenden Zielsetzungen waren die „Versorgung der französischen und der deutschen Wirtschaft (sowie die Wirtschaft jedes anderen Mitgliedsstaates) mit Kohle und Stahl zu gleichen Bedingungen, gemeinsame Exportplanung und -entwicklung, Angleichung der Löhne und sozialen Leistungen, Abbau der Zollschranken, Angleichung der Preise und Frachten.“440 Mit den damit hergestellten gleichen Wettbewerbsbedingungen, vor denen sich die französische Industrie „bis dahin durch Handelsbeschränkungen, Kartellbildung und andere protektionistische Maßnahmen geschützt hatte“, wollte Monnet die Industriellen „aus ihrem Schlendrian“ herauszwingen.441 Die auf den Schuman-Plan folgenden Verhandlungen zur Errichtung der Montanunion standen also allen anderen europäischen Ländern offen. Insofern begrüßten auch italienische Verantwortliche die Vorschläge „enthusiastisch“442, wenngleich aus anderen als den oftmals genannten, vorwiegend politisch motivierten Gründen. Die Ziele der mit dem Pariser Vertrag vom 18. April 1951 zwischen Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden begründeten EGKS, die am 23. Juli 1952 ihre Tätigkeit aufnahm, erschöpften sich nämlich nicht nur in der Einrichtung eines gemeinsamen Marktes für Kohle, Stahl und Schrott, daraus folgenden Produktivitätssteigerungen im Kohle- und Stahlsektor sowie einer Erhöhung der Beschäftigung und Anhebung des Wohlstandsniveaus in den Mitgliedsstaaten. Im Gebiet der Montanunion, an der sich von Beginn an Italien mit seinen Vorstellungen zur vollständigen Freizügigkeit der Arbeitskräfte beteiligte, wurden vielmehr durch die binnenmarktähnlichen Bedingungen für Kohle und Stahl Zölle und alle anderen nichttarifären Diskriminierungen abgeschafft, vor allem wurden zugleich auch Hemmnisse abgebaut, die der anvisierten Freizügigkeit der Produktionsfaktoren entgegenstanden. „Inwieweit Jean Monnet, auf dessen Überlegungen der Schuman-Plan zurückging, an Arbeitskräftewanderungen gedacht hatte, ist fraglich, zumindest finden sich in Robert Schumans berühmter Rede vom 9. Mai 1950 wie in Monnets Ansprache zur Eröffnung der EGKS-Konferenz in Paris keine Anhaltspunkte dafür, was sogleich die Kritik der italienischen Delegation herausforderte.“443 Obwohl der EGKS-Vertrag Mitte des Jahres 1952 in Kraft trat, konnte die Frage der Freizügigkeit erst Ende 1954 in einem gesonderten Abkommen geklärt werden. Mit Artikel 69, § 1 des Vertrages hatten sich die Mitgliedsstaaten zunächst nur ver440 Brunn, Europäische Einigung, S. 74. Für das Vorhergehende vgl. S. 76. 441 Vgl. Brunn, Europäische Einigung, S. 74 f. Zur Montanunion vgl. dort insgesamt S. 69– 87. 442 Vgl. Brunn, Europäische Einigung, S. 80. 443 Steinert, Migration und Politik, S. 198. Vgl. auch Goedings, Labor Migration, S. 58.



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pflichtet, „jede auf die Staatsangehörigkeit gegründete Beschränkung hinsichtlich der Beschäftigung anerkannter Kohle- und Stahlfacharbeiter, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, in der Kohle- und Stahlindustrie zu beseitigen“444. Die genaue Festlegung auf bestimmte Berufsgruppen sollte laut § 2 desselben Artikels unter Zuerkennung festgelegter Facharbeitereigenschaften im weiteren Verlauf erarbeitet werden. Die daraus folgenden Verhandlungen der Hohen Behörde in Zusammenarbeit mit der OEEC und der ILO über Facharbeitereigenschaften, technische Umsetzung der Freizügigkeit, rechtliche und soziale Fragen, somit über die genaue Ausgestaltung des Artikels, konnten demnach erst nach fast zwei weiteren Jahren beendet werden.445 Die italienischen Vertreter hatten sich nämlich bei der Ausgestaltung des entsprechenden Artikels in langen Diskussionen für die Verwendung des Begriffs „Arbeiter“ eingesetzt, da die Freizügigkeit von „Facharbeitern“ in einem Land wie Italien mit einem gewaltigen Überschuss an ungelernten Arbeitskräften nicht im gewünschten und notwendigen Maße zur Entspannung der Arbeitsmarktlage beigetragen hätte. „Die Hinweise, die von der Hohen Behörde […] zu dieser Frage gegeben worden sind, enthalten die Tendenz, den Begriff möglichst auszudehnen, wodurch praktisch alle Arbeitskräfte in der Kohle- und Stahlindustrie, einschließlich der Hilfsarbeiter, in die Regelung einzubeziehen wären, soweit sie nur eine bestimmte Zeit in den Industrien beschäftigt worden sind. Diese Tendenz entspricht der italienischen Auffassung über eine möglichst weite Ausdehnung des Personenkreises. In den Vorbesprechungen für die Regierungskonferenz haben die italienischen Vertreter keinen Hehl daraus gemacht, daß sie möglichst viele italienische Arbeitskräfte in den Genuß der Rechte aus dem Artikel 69 bringen möchten.“446 Die deutschen, französischen, niederländischen und luxemburgischen Vertreter waren hingegen der Auffassung, dass dieser Artikel nur auf einen bestimmten Personenkreis, d.h. auf qualifizierte Arbeiter des Montanbereichs angewandt werden sollte. Das hatte seine Gründe auch im Grundsatz der Gegenseitigkeit. Denn Italien als ein Land, aus dem eine Vielzahl von Men444 Gesetz betreffend den Vertrag vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Vom 29. April 1952. In: BGBl. 1952, Teil II. S. 445– 504. S. 469. 445 Vgl. BA Koblenz, B 149/5856. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Hohe Behörde. Beschluss betreffend die Anwendung des Artikels 69 des Vertrages vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. April 1955. 446 BA Koblenz, B 149/5853. Der Bundesminister für Arbeit IIa 4 – 2072.3 – 725/54 – vom 15.  Mai  1954, betr. Besprechung mit den zuständigen Ressorts und den beteiligten Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften über die Freizügigkeit der anerkannten Kohle- und Stahlfacharbeiter gemäß Artikel 69 des Vertrages über die Montanunion am 29. April 1954 im BMA. S. 2. (Hervorhebung im Original).

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schen mangels verfügbarer Arbeitsplätze auswanderte, bot natürlich für ausländische Arbeitskräfte keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten. Insofern hätte die von den italienischen Vertretern anvisierte Freizügigkeit aller Arbeiter innerhalb der sechs Montanunionstaaten nur dann Sinn ergeben, wenn auch in Italien Arbeitsplätze vorhanden gewesen wären, die im nationalen Rahmen nicht zu besetzen waren. Insofern machte die Verwirklichung der italienischen Anliegen im Fall der Bundesrepublik, die mit einem anhaltenden Zustrom an Flüchtlingen aus der DDR zu kämpfen hatte, sowie auch im Fall Frankreichs, dessen Wirtschaft stagnierte, zunächst keinen Sinn. Die vollständige Freizügigkeit innerhalb der Montanunion hätte demnach also nur dann zweckmäßig sein können, wenn bereits ein „Zustand höchster wirtschaftlicher Entwicklung“ erreicht gewesen wäre, dessen Erzielung wiederum aber die originäre Aufgabe der EGKS war.447 Obwohl die italienische Regierung an bestimmten Italien benachteiligenden Punkten des Entwurfs zur Anwendung von Artikel 69 Kritik geübt hatte,448 kam es Ende 1954 zu einem gemeinsamen Beschluss über die Freizügigkeit anerkannter Facharbeiter der Kohle- und Stahlindustrie. Das nach Ratifikation durch die Mitgliedsstaaten in Kraft getretene Abkommen besagte schließlich im Wesentlichen, dass als Montanfacharbeiter anerkannte Personen in ihrer Branche in jedem Land der Gemeinschaft eine Beschäftigung aufnehmen konnten, ohne dass die sonst für ausländische Arbeitnehmer vorgeschriebene Arbeitserlaubnis bzw. eine Beschäftigungsgenehmigung für Arbeitgeber vorliegen musste. Als Facharbeiter galt dabei, wer den Nachweis einer mindestens zweijährigen Berufspraxis als auch einer einjährigen „systematischen und praktischen“ Ausbildung in einem der entsprechend fixierten Berufe der Kohle- und Stahlindustrie erbringen konnte.449 Vorteilhafter als die Montanunion stellte sich deshalb für die Entlastung des italienischen Arbeitsmarktes zunächst noch der OEEC-Raum dar. Neben der Freizügigkeit für von den EGKS-Staaten so definierten Kohle- und Stahlfacharbeitern ermöglichte zwischenzeitlich nämlich schon der OEEC-Ratsbeschluss vom 30. Oktober 1953450 eine gewisse allgemeine Freizügigkeit innerhalb 447 Vgl. BA Koblenz, B 149/4627. Sozialpolitische Probleme der Montanunion. Aus: Ruhrzeitung vom 24.3.1952. 448 Vgl. BA Koblenz, B 149/5856. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Der Rat – Sekretariat: Memorandum der italienischen Regierung vom 26. Juli 1954. 449 Vgl. BA Koblenz, B 149/4629. Freizügigkeit der Montan-Facharbeiter. Aus: Bundesanzeiger Nr. 242 vom 16.12.1954. S. 4. 450 Ratsbeschluß des Europäischen Wirtschaftsrates (OEEC) zur Regelung der Beschäftigung von Angehörigen der Mitgliedstaaten. Bekanntmachung des BMA und des BMZ vom 27. Februar 1957 (in der Fassung der Änderungen vom 5. März 1954, vom 27. Januar 1956 und vom 7. Dezember 1956). In: Bundesarbeitsblatt. Hrsg. vom Bundesminister für Arbeit. Nr. 10/1957. S. 363 f.



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der OEEC-Staaten. Voraussetzung für die Genehmigung der Arbeitsaufnahme in einem Mitgliedsstaat war demnach allerdings das Fehlen geeigneter inländischer Bewerber. Da für den Beschluss in erster Linie auch die Empfehlungen der OEEC zur Steigerung der Gesamtproduktion in den Mitgliedsstaaten grundlegend waren, konnte sich ein Land der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zugleich jederzeit noch mit Verweis auf wirtschaftspolitische Gründe entziehen. Besonders geschützt wurden demgegenüber allerdings bereits jetzt ausländische Arbeitnehmer, die länger als fünf Jahre in einem Mitgliedsstaat beschäftigt waren. Ihnen konnte von nun an nur noch „aus zwingenden Gründen des staatlichen Interesses“ die Verlängerung der Arbeitserlaubnis verweigert werden. Diese die Freizügigkeit einschränkenden Grundsätze des Ratsbeschlusses galten grundlegend ebenfalls für die Montanunion wie zunächst auch noch für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Doch selbst wenn mit der EGKS auf dieser Basis für Montanfacharbeiter Beschränkungen für eine Arbeitsmigration sowie die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit abgeschafft ebenso wie Visa, Arbeits- und Beschäftigungsgenehmigungen durch Arbeitskarten plus Aufenthaltserlaubnis ersetzt wurden: Von den italienischen Vorstellungen einer allgemeinen Freizügigkeit mit automatischem Bleiberecht im Zielgebiet nach dem Wechsel der Arbeitsstelle blieb die Vereinbarung noch weit entfernt. Die volle Freizügigkeit ist nämlich – nach wichtigen Etappen 1961 und 1964 – erst im Jahr 1968 entsprechend Artikel 48 und 49 EWG-Vertrag451 hergestellt und 1971 durch die sozialversicherungsrechtliche Gleichstellung sowie die Anerkennung von in unterschiedlichen europäischen Staaten erbrachten Versicherungszeiten für die Berechnung der Leistungsansprüche ergänzt worden.452 Allerdings bereitete die EGKS mit ihrer partiellen Freizügigkeit die zweite Phase der europäischen Einigung vor, die mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 durch die Mitgliedsstaaten der Montanunion begann und in die vier Freiheiten des Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs innerhalb

451 Vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. In: EG-Verträge. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – Vertrag über die Europäische Union. Mit einer Einführung von Professor Dr. Dr. Albert Bleckmann, Münster. Herne/Berlin, 1992. S. 29–121. S. 51 f. Vgl. auch EWG-Verordnung Nr. 1612 vom 15.10.1968, Amtsblatt L 257 vom 19.10.1968 bzw. Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG). Vom 22. Juli 1969. In: BGBl. 1969/I, S. 927–930. 452 Vgl. PA Berlin, B 85 (2. Abgabe)/1031. 412 – 425.25 an das Referat 513 vom 18. April 1973, betr. Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer, hier: Stand der gemeinsamen Politik in der EG.

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der Europäischen Union mündete.453 Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft übernahm in Artikel 48 ihres Gründungsvertrages zunächst die Idee der Freizügigkeit für alle Arbeitnehmer innerhalb der Mitgliedsländer, die allerdings erst nach einer zehnjährigen Übergangsfrist in allen Mitgliedsstaaten vollständig hergestellt sein musste.454 Da aber bis zur Herstellung der vollständigen Freizügigkeit im Jahr 1968 die Arbeitnehmerfreiheiten nicht zulasten der ökonomischen und politischen Interessen der Arbeitskräfte aufnehmenden Länder gehen sollten,455 regelten Artikel 52, 54 und 56 in Ergänzung zu Artikel 48 des Vertrages die Niederlassungsfreiheit in einer Art, die weiterhin den nationalen ausländerrechtlichen Vorschriften Vorrang gab.456 Allen frühen italienischen Initiativen und positiven Freiheitspostulaten der Europäer zum Trotz kennt jedoch selbst Artikel 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der am 13. Dezember 2007 als einer der Verträge von Lissabon unterzeichnet wurde und in Absatz 1 den Arbeitnehmern innerhalb der Union prinzipiell Freizügigkeit gewährt, Einschränkungen. Denn immerhin fixiert Absatz 4, dass der fragliche Artikel „keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung“ findet.457 Dennoch: Auch bei „der Gründung der EWG spielt die Frage der Freizügigkeit von Arbeitskräften eine wichtige Rolle, bedeutender Motor bei den Verhandlungen zum Thema ist Italien, das seinen großen Arbeitskräfteüberschuss in den anderen Mitgliedsländern unterbringen will. Italien bleibt der einzige Fürsprecher von weitgehenden Souveränitätseinschränkungen im Bereich des internationalen Arbeitsmarktes“458, weil die anderen Mitgliedsländer ihre Entscheidungsbefugnisse über ihre nationalen Arbeitsmärkte noch nicht aufzugeben bereit sind.

453 Vgl. Clemens/Reinfeldt/Wille, Europäische Integration, S. 97–107, 123  f. und 130  ff. sowie: Rass, Institutionalisierungsprozesse, S. 339. 454 Vgl. Groeben, Hans von der; Hans von Boeckh, Jochen Thiesing: Kommentar zum EWGVertrag. Bd. 1: Artikel 1–136. Baden-Baden, 21974. S. 411 f. (Künftig zitiert: Groeben/ Boekh/Thiesing, Kommentar zum EWG-Vertrag). 455 Vgl. Steinert, Migration und Politik, S. 200 f. 456 Vgl. Groeben/Boekh/Thiesing, Kommentar zum EWG-Vertrag, S. 459 ff., 474 ff. sowie 487 ff. 457 Vgl. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung). In: Amtsblatt der Europäischen Union, 55. Jg. 2012. Heft C 326, S. 47–200. S. 66. 458 Sturm-Martin, Zuwanderungspolitik, S. 240.

Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss Gemessen an den anhaltend hohen Arbeitslosenzahlen in Italien (vgl. Tabelle 34, Seite 200 im Anhang) sowie an den Zielen und den auf bilateralen Ebenen wie im internationalen Rahmen entfalteten politischen Initiativen, hielt sich der Erfolg der verschiedenen italienischen Regierungen, den Arbeitskräfteüberschuss durch massenhafte Emigration zu reduzieren, bis 1953/54 in Grenzen (vgl. auch Tabelle 29, Seite 197 im Anhang).459 Auch die Handelsbilanz blieb defizitär, belastete dementsprechend fortwährend die Zahlungsbilanz und entwickelte sich immer wieder, wie in den Jahren 1952 und 1953, zu einem akuten Problem (vgl. Tabelle 35, Seite 201 f. im Anhang). Dabei hatte die italienische Regierung bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit diplomatische Schritte unternommen, um die europäische wirtschaftliche Integration insbesondere auch über die deutsch-italienischen Beziehungen voranzutreiben. Immerhin hatte das Deutsche Reich vor dem Zweiten Weltkrieg neben den USA zu den wichtigsten Handelspartnern Italiens gehört und stellte insofern auch für das Italien der Nachkriegszeit einen nicht zu ersetzenden Beschaffungs- und Absatzmarkt dar. Die politisch Verantwortlichen setzten sich dementsprechend, weil sie darin den „Schlüssel zum Wiederaufbau Europas“ sahen, für eine schnelle Lösung des ‚deutschen Problems‘ ein. In der Folge waren die diplomatischen Bemühungen Italiens auf eine schnelle Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit Deutschland ausgerichtet. Dafür mussten jedoch im Vorfeld günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden: Neben einer wirtschaftlichen Einheit Deutschlands und dem freien Handel mit diesem Land forderte Italien auch eine Änderung der von den Siegermächten auferlegten Beschränkungen der deutschen Industrieproduktion. In diesem Zusammenhang wies die italienische Administration gerade auch darauf hin, dass der Marshall-Plan auf die Bildung einer möglichst unabhängigen europäischen wirtschaftlichen Einheit abzielte. Die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen konnte aus dieser Perspektive nicht nur die Einsparung von US-Finanzhilfen, vielmehr auch einen beträchtlichen Schritt in Richtung Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts in Europa bedeuten. Von besonderem Interesse war bereits die Öffnung des bizonalen Marktes für Exporte landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Italien gewesen, deren Absatz sich auf anderen Märkten angesichts nicht konvertierbarer Währungen und bilateraler Handelsverträge schwierig gestaltete. Deutschland war daneben eines der Länder, von 459 Vgl. hierzu auch Goedings, Labor Migration, S. 77 und 123.

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denen Italien beträchtliche Mengen an dringend benötigter Kohle im Tausch gegen typische italienische Erzeugnisse erwarten durfte. Zur Sicherung seiner Obst- und Gemüseexporte in die Westzonen strebte Italien sogar eine Gleichstellung mit den Nachbarländern Westdeutschlands an und sprach sich somit gegen seine Diskriminierung im Bereich der Ein- und Ausfuhren aus. Allerdings zeigte sich das Problem der europäischen wirtschaftlichen Integration für Italien von Anfang an nicht nur am Devisenbedarf, sondern auch an der notwendigen Reorganisation und Neuverteilung des Faktors Arbeit. Deshalb wurde das Problem seines Arbeitskräfteüberschusses für Italien ein wichtiges Argument auch bei frühen Verhandlungen über Produktionsaufträge. So war Italien an der Herstellung und Instandhaltung von Güterwagen für die Bizone interessiert und begründete einen entsprechenden Antrag mit einer besonders schwierigen Situation im Land, die auf Arbeitslosigkeit und Armut zurückzuführen sei.460 Allerdings galten auch die Westzonen Deutschlands als überbevölkert, die wirtschaftliche Entwicklung der bald gegründeten Bundesrepublik verlief zunächst instabil und deren Zahlungsbilanz entwickelte sich spätestens unter dem Einfluss der Koreakrise besorgniserregend. Das war ein Grund dafür gewesen, weshalb sich die italienischen Administrationen bei ihren komplexen wirtschaftspolitischen Bemühungen zunächst u.a. auf Frankreich als Zielland für italienische Emigranten sowie Lieferanten für Devisen, Rohstoffe und Halbwaren konzentriert hatten. Eine Chance, sein Anliegen auf bilateraler Ebene gemäß der bald regional-strukturell grundlegend veränderten italienischen Handels- bzw. Zahlungsbilanz zu justieren, ergab sich für Italien schließlich in dem Moment, als die 1945 von den Alliierten suspendierten deutschen Handelsverträge durch die angestrebte Reintegration der westdeutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft einer Erneuerung bedurften. Da Westdeutschland bis März 1951 kein Außenministerium besaß, war mit dieser Aufgabe zunächst in erster Linie das Bundeswirtschaftsministerium betraut gewesen. Dieses maß dem Wiederaufbau der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen unter Ludwig Erhard erfolgreich Priorität zu. Nicht zuletzt aber bewirkte die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der OEEC und damit der EZU eine weitgehende Liberalisierung des Handels. Unter diesen Bedingungen wuchs die Außenwirtschaft erheblich schnel-

460 Dies alles ergibt sich u.a. aus den Aktenbeständen Direzione Generale Affari Economici, uff. IV° 1948, 276 Vers. A 1° fascicolo, pos. E/21; E/22; E/32; E/35; E/55 sowie uff. IV° 1949, 108b Vers. B, pos. E/99; E/100; E/101; E/102; E/103; E/104 des Archivio Storico del Ministero degli Affari Esteri (ASMAE) in Rom, die Agnieszka Dreeßen bisher im Zusammenhang mit der Arbeit an ihrer Dissertation über „Die italienische Wirtschafts-, Europa- und Migrationspolitik nach 1945“ ausgewertet hat.



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ler als der westdeutsche Binnenmarkt, die Ausfuhr in den 1950er-Jahren mit einer jährlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von 20,3%, die Einfuhr mit 17,9%.461 Dennoch war auch die bundesdeutsche Zahlungsbilanz nicht vor Turbulenzen gefeit. Deren aus wirtschaftlichen Aktivitäten infolge des Koreakrieges resultierende Krise konnte 1950/51 nur durch eine Sonderquote, die den deutschen Kreditspielraum innerhalb des EZU-Systems um 120 Mio. US-Dollar erhöhte, beigelegt werden. Im Gegenzug hatte sich die Bundesregierung zu restriktiven Maßnahmen wie dem Haushaltsausgleich, stärkeren steuerlichen Belastungen des Umsatzes und Verbrauchs, aber ebenso zur Förderung des Kapitalmarktes sowie der steuerlichen Begünstigung des Exports bereit erklären müssen. Schon 1951 war die westdeutsche Handelsbilanz so fast schon wieder ausgeglichen, anschließend nahm der Überschuss aus dem Außenhandel fast kontinuierlich zu. Vergleichbar entwickelte sich die Dienstleistungsbilanz, deren Saldo bereits 1950 positiv war. Bis zum Übergang zur freien Konvertierbarkeit der europäischen Währungen im Jahr 1958 blieben solche Problemlagen zwar weiterhin bestehen, allerdings weniger akut für die Bundesrepublik. Dieser kamen im Rahmen des EZU-Systems von nun an vielmehr Verpflichtungen aufgrund ihres Status als Gläubiger zu: Das EZU-Clearing bestand immerhin aus der Summierung aller Zahlungsansprüche und -verpflichtungen sowie einem anschließenden Ausgleich einzelner Defizite mittels Quoten bzw. Krediten. Und während der Schuldner die erste Tranche der ihm zustehenden Quote zum Ausgleich seines Defizits noch vollständig durch Kredit begleichen konnte, wuchs mit jeder Tranche die Verpflichtung zu Gold- oder Dollarzahlungen, die ausdrücklich im Handel erwirtschaftet zu werden hatten. Bei den Gläubigern musste es parallel dazu aber zu gegensätzlichen Verpflichtungen kommen, das heißt, dass das durch den etablierten Automatismus zunehmend verknappte Gold bzw. die damit zusätzlich verknappten Dollar auch in diesen Ländern Maßnahmen zur Überwindung der anhaltenden Zahlungsbilanzungleichgewichte erzwangen.462 Diesbezüglich war selbstverständlich also auch Westdeutschland gefordert, und einer seiner wichtigsten Handelspartner, Italien, sollte schon bald die notwendige gegenseitige Solidarität einfordern. Der sich im Zuge des Koreakrieges so heftig auswirkende Devisenmangel begann sich nämlich dank der boomenden Wirtschaft 461 Ein Überblick zur Entwicklung der westdeutschen Wirtschaft bis 1973 im Zusammenhang mit der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte findet sich bei Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte, S. 39–59. 462 Vgl. hierfür und für das Folgende insgesamt: Bellers, Außenwirtschaftspolitik; Buchheim, Wiedereingliederung Westdeutschlands; Emminger, D-Mark; Hardach, Rückkehr zum Weltmarkt; Hentschel, Europäische Zahlungsunion; Polster, Europäische Währungsintegration.

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schon bald in sein Gegenteil, in Devisenzuflüsse und Forderungen, zu verwandeln. So verfügte Westdeutschland laut Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums bereits im Oktober 1953 über eine Gläubigerposition in der EZU von rund 700 Mio. USDollar, obwohl die Bedienung des Londoner Schuldenabkommens bereits eingesetzt hatte. Das war fast das 6-Fache dessen, was der Bundesrepublik weniger als drei Jahre zuvor als Sonderkredit zur Überwindung ihrer Zahlungsbilanzkrise zur Verfügung gestellt worden war. Unter Berücksichtigung der von der Union erhaltenen Goldzahlungen belief sich dieser Posten sogar auf über 1,5 Mrd. DM. Die Bundesrepublik war damit de facto zu einem Kapitalexporteur, wenngleich nach den Worten des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) auch zu einem „kapitalexportierenden Land wider Willen“ geworden.463 Die über die Leistungsbilanzüberschüsse angehäuften Gold- und Devisenreserven verschafften der Bundesrepublik zunächst also die dringend notwendige Liquidität, hatten aber im zwischenzeitlich multilateral organisierten europäischen Währungsgefüge nicht unproblematische Zahlungsbilanzungleichgewichte zur Folge, da ihnen in anderen Ländern entsprechende Defizite gegenüberstanden.464 Diese sollten deshalb auch zu einem wichtigen Eckpunkt der deutsch-italienischen Handelsgespräche werden und direkt in die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung vom 20. Dezember 1955 münden.

Die deutsch-italienischen Handelsgespräche seit 1952 Da das EZU-System auch von Gläubigern Anpassungsmaßnahmen erzwang, sollten die Zahlungsbilanzungleichgewichte zwischen Italien und der Bundesrepublik seit Frühjahr 1952465 zu einem der Hauptgegenstände der regelmäßig stattfindenden deutsch-italienischen Wirtschaftsverhandlungen werden. Die italienischen Defizite resultierten vor allem daraus, dass Italien zu diesem Zeitpunkt bereits seine gesamte Wirtschafts-, Finanz- und Handelspolitik auf die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgerichtet und seine Einfuhr in zunehmendem Maße von mengenmäßigen Beschränkungen befreit hatte. Im Zusammenhang mit den zu erhöhenden Investitionsgütereinfuhren im Rahmen des Vanoni-Plans konnten weitere zunehmende Belastungen erwartet werden. In seiner Folge sollte Italien bis 1957 tatsächlich 463 Vgl. BA Koblenz, B 102/4906, Bd. 2. Das Bundesministerium für Wirtschaft vom 2. November 1953. Wirtschaftliche Lage und wirtschaftspolitische Aufgaben in der Bundesrepublik (Zusammenfassung des dem Kabinett mit Schreiben vom 31.  Oktober  1953 vorgelegten Berichts). 464 Vgl. hierzu weitergehend: Ambrosius, Europäische Integration, S. 271–294. 465 Vgl. Lee, Ausländerbeschäftigung, S. 69.



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massive Zahlungsbilanzprobleme generieren und insofern auf Auslandskredite sowie Hilfen der EZU angewiesen bleiben.466 Tatsächlich hatte Italien 1954/55 einen EZUSonderkredit beantragt, damit es seinen hohen Stand der Handelsliberalisierung gegenüber dem EZU-Raum beibehalten konnte. Im Zusammenhang mit diesem Sonderkredit empfahl die OEEC Italien umgehend, sich „mit den besonderen Problemen der großen Zahl seiner Arbeitslosen auseinanderzusetzen“, gerade weil auch der Zehnjahresplan für die wirtschaftliche Entwicklung Italiens, der Vanoni-Plan, „die italienische Zahlungsbilanz zusätzlich belasten“467 werde. Allerdings hatte sich die italienische Handelsbilanz schon seit 1952468, besonders dann bis Anfang April 1954, dermaßen defizitär entwickelt, dass die italienische Seite unter massivem Druck stand und „mit allen Mitteln“ nach einem Ausgleich suchte. In Anbetracht eines temporären Defizits von fast 1 Mrd. US-Dollar aber wurden in den nun stattfindenden deutsch-italienischen Verhandlungen die Fragen des Imports von Obst, Gemüse und Wein aus Italien sowie einer intensiven Steigerung des Reiseverkehrs nach Italien rasch zu untergeordneten Gesprächsgegenständen. Angesichts der zugleich anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in Italien schlugen die italienischen Vertreter der deutschen Delegation deshalb vielmehr die Entsendung von italienischen Arbeitskräften vor, um mit deren DM-Überweisungen das Defizit abbauen und weiter mit der Bundesrepublik Handel treiben zu können. „Die Italiener wiesen daher immer wieder darauf hin, dass in den Jahren um den Krieg durch die Beschäftigung zahlreicher Italiener in Deutschland 50–60 Millionen Mark aus Lohnersparnissen nach Italien transferiert worden seien und eine ähnliche Sachlage auch jetzt wieder durch die Aufnahme von Italienern in Deutschland geschaffen werden sollte, die bei dem italienischen Bevölkerungsüberschuss […] unbedingt erforderlich und nach italienischer Auffassung im Hinblick auf den Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland vertretbar sei.“469 Die einzige Alternative hierzu hätte für Italien in der Rückkehr zu restriktiver Handelspolitik bestanden.470 466 Vgl. gesamte Akten PA Berlin, B 60/114 und B 60/115. 467 Der Europäische Wirtschaftsrat in Paris, S. 55. 468 Vgl. Masera, Francesco: Italy’s Balance of Payments in the Post-War Period. In: Banco di Roma (Hrsg.): Review of the Economic Conditions in Italy. Ten Years of Italian Economy 1947–1956. Roma, 1957. S. 165–202. S. 177 und 196. 469 BA Koblenz, B  149/22333. Niederschrift der U.-Abteilung II  b mit Geschäftszeichen II b 4 – 2472 – vom 14. April 1954. 470 Vgl. PA Berlin, B  85  (2.  Abgabe)/548. Der Bundesminister für Arbeit, II b 4 – 2472, vom 25.  Juli  1954. Vermerk über die am 2.  und 9.  Juli  1954 mit dem Handelsattaché der italienischen Botschaft in Bonn, Dr. Morante, stattgefundenen Besprechungen über die Durchführung der deutsch-italienischen Gastarbeitnehmervereinbarung und die Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland.

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

Obwohl die italienische Seite spätestens seit den deutsch-italienischen Handelsvertragsverhandlungen vom Oktober 1953 die Frage der Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik regelmäßig angesprochen hatte,471 ist die im April 1954 in Rom verhandelnde, aus Angehörigen der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes (AA) bestehende deutsche Delegation von dem nun bereits sehr konkret vorgetragenen italienischen Anliegen vollkommen überrascht worden. Sie bat deshalb erst einmal telegraphisch um die Entsendung eines Vertreters des Bundesministeriums für Arbeit (BMA), dem hinsichtlich der Beschäftigungsfrage die Verhandlungsführung überlassen und eine von den Handelsvertragsvereinbarungen getrennte Behandlung zugesagt wurde. Die in den Nachkriegsjahren mit der Schweiz, Großbritannien und Schweden, zuletzt im März 1951 mit Frankreich getroffenen Vereinbarungen über die Beschäftigung italienischer Arbeiter sollten auf italienischen Wunsch hin als Grundlage für ein deutsch-italienisches Äquivalent dienen. Den insofern sehr weitgehenden und dezidiert vorgetragenen Wünschen der italienischen Seite ist zunächst wohlwollende, in Anbetracht der deutschen Arbeitsmarktlage jedoch nur unverbindliche Prüfung zugesagt worden. Gerade im Hinblick auf den italienischerseits angesprochenen Agrarsektor wurde auf den anhaltend starken Zustrom von Arbeitskräften aus den deutschen Ostgebieten, die vornehmlich in der Landwirtschaft Aufnahme fanden, hingewiesen. Das BMA schlug der italienischen Seite deshalb erst einmal vor, das durch das bestehende „Gastarbeitnehmerabkommen“ vorgesehene Kontingent von jährlich 300 Gastarbeitnehmern auszuschöpfen, das die italienischen Vertreter sofort um das im vorhergegangenen Jahr nicht ausgenutzte Kontingent aufgestockt sehen wollten. Die Bundesregierung hatte bereits zu Beginn der 1950er-Jahre zwischenstaatliche Vereinbarungen über den Austausch von Arbeitnehmern zur beruflichen und sprachlichen Fortbildung abgeschlossen, und nur diese Abkommen behandeln ausdrücklich „Gastarbeitnehmer“. Diese wurden auch mit Ländern in Übersee getroffen, um vor allem jüngeren Menschen ein Praktikum oder Facharbeitern einen weiterqualifizierenden Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. In Europa waren diese Abkommen zu jener Zeit vor allem wegen der noch nicht vorhandenen Freizügigkeit nötig, da eine Gastarbeitnehmervereinbarung sowohl Aufenthaltsgenehmigung als auch Arbeitserlaubnis überflüssig machte. Gastarbeitnehmer, auch als Stagiaires, französisch für Praktikanten, bezeichnet, waren demnach Ausländer im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, die bereits über eine berufliche Qualifizierung verfügten und diese, wie auch ihre sprachlichen Kenntnisse, für begrenzte Zeit im Land des Vertragspartners erweitern wollten. Hiervon zu unterscheiden sind ausdrücklich die seit 1955 von den Bundes471 Vgl. hierzu den gesamten Vorgang in Akte PA Berlin, B 62/54.



Die deutsch-italienischen Handelsgespräche seit 1952

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regierungen getroffenen zwischenstaatlichen Vereinbarungen über die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Denn nur diese erschlossen der westdeutschen Wirtschaft ein zusätzliches, auf reinem Lohnverhältnis beruhendes Arbeitskräftereservoir.472 In Anbetracht des sich bereits zu dieser Zeit tendenziell vergleichsweise günstig entwickelnden westdeutschen Arbeitsmarktes sollte aber auch eine künftige, über Gastarbeitnehmer hinausgehende Aufnahme italienischer Arbeitskräfte von deutscher Seite nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. So hoben die deutschen Vertreter bereits jetzt hervor, „dass es auf Grund der derzeitigen Entwicklung des Arbeitsmarktes ihres Landes nicht ausgeschlossen sei, dass sich in absehbarer Zeit Möglichkeiten ergeben würden, italienische Arbeitskräfte aufzunehmen, und […] dass es im Interesse einer schnellen Befriedigung eines etwaigen Bedarfs an Arbeitskräften läge, schon jetzt ein Abkommen zur Regelung dieser Angelegenheit vorzubereiten.“473 Neben dem in dieser Angelegenheit nach wie vor verhandlungsführenden Auswärtigen Amt hatte das Bundeswirtschaftsministerium eine Schlüsselrolle inne. So war man im Hause Erhard bereits Ende 1954 zu der Überzeugung gelangt, deutsche handelspolitische Maßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich sowie in einigen gewerblichen Sektoren alleine könnten keinen entscheidenden Beitrag zur Verminderung des italienischen Passivums leisten. Für die am 13. und 14. Dezember in Bonn stattfindenden deutsch-italienischen Gespräche erwartete das BMWi deshalb eine Verschiebung der Schwerpunkte vom Handel mit Konsumgütern auf die Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik, auf gegenseitige Investitionen sowie die italienische Beteiligung an deutschen Rüstungsaufträgen. Da zur gleichen Zeit laut Wirtschaftsministerium bereits 100.000 bis 150.000 offene Facharbeiterstellen in der Bundesrepublik zu verzeichnen waren,474 hatte Ludwig Erhard seinen Standpunkt bereits Anfang Oktober 1954 in einem Schreiben an den Bundesminister für Arbeit, Anton Storch, unmissverständlich dargelegt: „Die anhaltende defizitäre Entwicklung der italienischen Zahlungsposition innerhalb der Europäischen Zahlungsunion, die weitgehend aus dem deutsch-italienischen Verhältnis herrührt, stellt eine starke Gefährdung der fast 100%igen italienischen Liberalisierung mit allen ihren Rückwirkungen auf die gemeinsamen Bestrebungen nach einer immer engeren europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit dar. […] Echte Möglichkeiten für einen ausschlaggebenden Beitrag zur Bereinigung der italienischen Zahlungssitua472 Ausführlicher hierzu vgl. Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte, S. 19 ff. 473 BA Koblenz, B 149/22333. Niederschrift des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, gez. Franco Bounous und Dr. B. Ehmke, vom 9.4.1954. 474 Vgl. PA Berlin, B 62/54. V C 2 B, vom 8. Dezember 1954, betr. Besprechung mit dem italienischen Haushaltsminister Prof. Dr. Ezio Vanoni am 13. und 14. Dezember in Bonn.

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tion sehe ich lediglich noch in der Beschäftigung italienischer Saisonarbeiter.“475 In der bald darauf im Bundesministerium für Arbeit (BMA) stattfindenden Besprechung mit Vertretern der italienischen Delegation präzisierte Erhard – mit Blick auf das ‚Fachkräftedilemma‘ –, die deutschen Arbeitslosen im Gegenzug rechtzeitig umschulen zu wollen. „Den notwendigen Bedarf an ungelernten Arbeitskräften könne man dann sehr wohl durch Heranziehung italienischer Arbeiter, insbesondere auch Saisonarbeiter, decken.“476 Der Wirtschaftsminister wollte in jedem Fall infolge der Wiederaufrüstung befürchtete Arbeitsmarktengpässe, wie sie in anderen Ländern während der Koreakrise aufgetreten waren, präventiv angehen. Ziel war explizit die Sicherung des „weiteren unverminderten Anwachsens der wirtschaftlichen Expansion in der Bundesrepublik“. Den Versuch des BMA, zunächst das vertraglich fixierte Gastarbeitnehmerkontingent von 300 auf 1.000 zu erhöhen, wies Erhard, der den Bundeskanzler in dieser Frage ausdrücklich hinter sich wusste, mit Verweis auf nationale und europäische Pflichten zurück. Zu diesen gehörte natürlich auch die weitere bundesdeutsche Handelsliberalisierung einschließlich geplanter Zollsenkungen, die Beteiligung Italiens an den bevorstehenden deutschen Rüstungsaufträgen, die Unterstützung italienischer Wünsche hinsichtlich der Konvertierbarkeit der Währungen sowie einer Quotenerhöhung beim IWF. In jedem Fall müsse deshalb in „der Präambel einer über diese Besprechung herauszugebenden Verlautbarung […] auf das Ziel der beiden Länder hingewiesen werden, durch ihr handelspolitisches Verhalten ein Beispiel für europäische freizügige Zusammenarbeit zu geben, sowie darauf, dass beide Länder bestrebt seien, diese freiheitliche Politik fortzuführen und sich gegenseitig zu unterstützen.“477 Einige Wochen später ist in einer interministeriellen Besprechung im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der deutsch-italienischen Gespräche in Rom vom 25.2. bis 9.3.1955 die Erörterung von Fragen der Arbeitsmigration im Rahmen der allgemeinen Handelsvertragsverhandlungen vereinbart worden. Wenn auch unter Vorbehalt des BMA, jederzeit eine getrennte Verhandlung herbeiführen zu können, hatte sich das Auswärtige Amt mit seiner Auffassung durchgesetzt, die Frage der Beschäftigung 475 PA Berlin, B 62/54. V C 4 a – 38 072/54, vom 8. Oktober 1954. Abschrift eines Schreibens Ludwig Erhards an den Bundesminister für Arbeit, Herrn Anton Storch. 476 PA Berlin, B 62/54. Anlage 3 zur Aufzeichnung über die Besprechung mit dem italienischen Haushaltsminister Vanoni vom 15. Dezember 1954: Aufzeichnung über die Besprechung im Bundesministerium für Arbeit mit Vertretern der italienischen Delegation am 14. Dezember 1954. 477 PA Berlin, B 62/54. Anlage 3 zur Aufzeichnung über die Besprechung mit dem italienischen Haushaltsminister Vanoni vom 15. Dezember 1954: Aufzeichnung über die Besprechung im Bundesministerium für Arbeit mit Vertretern der italienischen Delegation am 14. Dezember 1954.



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ausländischer Arbeitskräfte habe ihre Wurzel „in der allgemeinen Problematik der deutsch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen […] und [sei] für die weitere Gestaltung dieses Verhältnisses von massgeblicher Bedeutung“.478 Infolge dessen sollte in Rom die Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik en bloc mit der Verlängerung und Ergänzung der bestehenden Waren- und Zahlungsabkommen verhandelt sowie mit Gedanken über den Abschluss eines Freundschafts-, Niederlassungs-, Handels- und Schifffahrtsvertrages mit Italien gekoppelt werden. Rückendeckung erhielt das Auswärtige Amt dabei aus dem Bundeswirtschaftsministerium, das die fraglichen Beschäftigungsprobleme als so eng mit wirtschaftspolitischen, vor allem aber mit Fragen des Zahlungsverkehrs verknüpft sah, dass sich eine gesonderte Verhandlung nicht empfehle. Der Vertreter des BMA ließ in der interministeriellen Besprechung dagegen wissen, er „hielte es psychologisch für nicht angebracht, etwa die zu treffenden Vereinbarungen über eine Hereinnahme italienischer Arbeitskräfte in das gleiche Abkommen aufzunehmen, das den Warenaustausch regele. Es könne auf diese Weise der Eindruck entstehen, als ob man Arbeiter gegen Ware und ebenso wie Ware austausche.“479 Ursächlich aber war hierfür die prinzipiell zögerliche bis ablehnende Haltung des Hauses gegenüber einer Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, zumindest zu einem Zeitpunkt, zu dem in der Bundesrepublik allgemein noch Arbeitslosigkeit herrschte und anhaltend Flüchtlinge aus der DDR zuwanderten. In diesem Punkt stimmten BMA und Wirtschaftsministerium sogar überein, das heißt, die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften war bereits zu dieser frühen Zeit nicht mehr eine Frage des Obs, sondern des Zeitpunktes: Ausländische Arbeitskräfte sollten demnach erst aufgenommen werden, „wenn die eigene Arbeitsreserve nicht mehr ausreicht. Andererseits werde sich auch der Bundesminister für Arbeit nicht gegen die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte stellen, wenn nur so eine Schrumpfung des Produktionsvolumens verhindert werden könne. Offen sei unter den beteiligten Ministern lediglich die Frage, wann man einer Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte nähertreten müsse.“480 Damit fanden sich die beiden Ressorts zu dieser Zeit selbst in Übereinstimmung mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die eine Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte sogar erst dann eingeleitet sehen wollte, wenn trotz gesteigerter innerbetrieblicher

478 BA Koblenz, B  149/6228. Vermerk des RD  Dr.  Sicha, Abteilung  II, Geschäftszeichen II b 4 – 2472 – vom 7. Januar 1955. 479 BA Koblenz, B 149/6228. Vermerk Abteilung I, Geschäftszeichen Ia 8 – 2359/54II vom 19. Januar 1995. 480 BA Koblenz, B 149/6228. Vermerk Abteilung I, Geschäftszeichen Ia 8 – 2359/54II vom 19. Januar 1995. (Hervorhebung im Original).

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Rationalisierungen der Arbeitskräftebedarf aus Arbeitslosen nicht mehr hätte befriedigt werden können.481 Presseverlautbarungen, die Aussprache des Deutschen Bundestages über eine entsprechende Große Anfrage der SPD, die Stellungnahmen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, die die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in Anbetracht der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zu dieser Zeit noch generell und einträchtig – mit Ausnahme der bereits jetzt Engpässe an Arbeitskräften beklagenden landund forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände482 – ablehnten, waren in Italien zur Kenntnis genommen worden und hatten die Verhandlungen über die Vereinbarung zur Vermittlung von Arbeitskräften zwischenzeitlich fast zum Scheitern gebracht. Während das Bundesministerium für Arbeit auch im weiteren Verlauf seine Zurückhaltung gegenüber dem geplanten Anwerbeabkommen beibehielt, sah das Auswärtige Amt jedoch stärkeren Handlungsbedarf und drängte regelmäßig auf eine baldige Unterzeichnung des Abkommens. So kam beispielsweise am 21. Juni 1955 in einem mit einem Beamten des BMA geführten Telefonat der Wunsch des Auswärtigen Amtes und der italienischen Regierung zum Ausdruck, das fragliche Abkommen in den folgenden Tagen nicht nur zu paraphieren, es also nicht nur für verbindlich zu erklären, sondern es noch im Juni rechtsgültig zustande kommen zu lassen.483 Insofern erstaunt es nicht allzu sehr, dass das Anwerbeabkommen bereits Ende des Jahres, nun aber mit erhöhtem Druck, nach von deutscher Seite zunächst eher schleppend gestalteten Verhandlungen geschlossen worden ist. Tatsächlich gingen Initiative und laufendes Insistieren dabei von italienischer Seite aus, die fortwährend mit hoher Arbeitslosigkeit kämpfte und von daher schwere innenpolitische Folgen bis hin zu kommunistischen „Umtrieben“ befürchtete. Als zuständiger Fachminister unterzeichnete Bundesarbeitsminister Storch für die Bundesrepublik am 20. Dezember 1955 in Rom die „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Italienischen Republik über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland“. Die offiziellen Verlautbarungen nach der Unterzeichnung der deutsch-italienischen Vereinbarung über die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte hoben schließlich 481 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Schreiben der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände an den Bundesminister für Arbeit vom 1. Juni 1955, Aktenzeichen IV161-3/Moe. 482 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Schreiben des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an den Bundesminister für Arbeit vom 25. Oktober 1955, einschließlich Anlage „Entschließung des Gesamtausschusses der Arbeitsgemeinschaft der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände vom 13.10.1955“. 483 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Vermerk von MD Dr. Ehmke vom 21. Juni 1955.



Die deutsch-italienischen Handelsgespräche seit 1952

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die arbeitsmarktpolitischen Vorteile hervor. Demzufolge wurde damit gerechnet, dass künftig Arbeitsplätze nicht mehr besetzt werden und sich damit westdeutsche Konjunktur und Produktion rückläufig entwickeln könnten. Die sich Mitte 1955 abzeichnende Hochkonjunktur mit einer Arbeitslosenquote von 2,7% hätte erstmals neben einem Mangel an Facharbeitern den von Hilfskräften in Industrie und Landwirtschaft, an Arbeitskräften im Untertagebau sowie besonders im Bau- und Bauhilfsgewerbe fühlbar werden lassen.484 Die Arbeitsmarktreserven galten von nun an als zu vernachlässigende Größe, auch wenn bestehende stille Reserven bei den Frauen vermutet und deren Fortbestand durch den Eintritt geburtenstarker Jahrgänge in das Erwerbsleben, industrielle Rationalisierungsmaßnahmen sowie den anhaltenden Flüchtlingsstrom aus der DDR erwartet wurde. Für 1957 befürchtete die Bundesregierung allerdings wegen des Aufbaus der Bundeswehr bereits erste Spannungen, die bei rückläufigen Zahlen von Berufsanfängern den Arbeitsmarkt zeitgleich zu belasten drohten.485 Derweil ist allerdings auch auf den beabsichtigten Abbau des Handelsbilanzungleichgewichts zwischen den beiden Ländern und den damit verbundenen Vorteil für die Bundesrepublik verwiesen worden, weshalb man sich Italien auch weiterhin als verlässlichen Abnehmer deutscher Waren zu sichern glaubte. So konnte die Neue Zürcher Zeitung hierzu zwei Tage später anmerken, die seit längerem umstrittene Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte sei nun endlich entschieden. „Bonn hält dafür, daß in Anbetracht der weitgehenden Ausschöpfung des einheimischen Arbeitsmarktes und im Hinblick auf die zu erwartende weitere wirtschaftliche Expansion die Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte im kommenden Jahr unausweichlich werde. Dies ist nachgerade die allgemeine Auffassung geworden, nachdem bereits in den vergangenen Herbstmonaten in zahlreichen Wirtschaftsbereichen ein ausgesprochener Arbeitermangel aufgetreten war. Auch die Gewerkschaften, die sich noch im letzten Frühling energisch gegen das Einströmen von Italienern sträubten und dabei die Unterstützung des Bundesarbeitsministers genossen, haben inzwischen angesichts der Entwicklung ihr Sperrfeuer eingestellt.“486 484 Vgl. BA Koblenz, B 149/6230. Zur Anwerbung italienischer Arbeitskräfte. Das deutschitalienische Abkommen – Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt. Aus: Bulletin, Nr. 4 vom 6. Januar 1956. S. 27 f. 485 Vgl. BA Koblenz, B 149/6230. Referent BVOR Dr. Zöllner i. V., Abteilung II, Geschäftszeichen – IIb4 – 2471 – vom 28. Dezember 1955 an die U.-Abteilung IIa, betr. deutschitalienische Vereinbarung über die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte; hier: Unterrichtung der OEEC: Entwurf eines kurzen Vortrags über die Bedeutung und den wesentlichen Inhalt der obigen Vereinbarung. 486 BA Koblenz, B 149/6228. Italienische Arbeiter für Westdeutschland. Aus: Neue Zürcher Zeitung vom 22.12.1955. (Hervorhebungen im Original).

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

Vor allem aber traf die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) den Kern, indem sie die europäische Komponente der Vereinbarung hervorhob, da die Entsendung italienischer Arbeitskräfte nach Deutschland die angestrebte europäische Integration vorantreiben könne.487 Oder retrospektiv ausgedrückt: „Die Arbeitsmigration war von Anfang an ein europäisches Projekt. Bereits das erste Anwerbeabkommen mit Italien von 1955 berief sich auf den ‚Geist europäischer Solidarität‘.“488 Tatsächlich ist die deutsch-italienische Vereinbarung eine unmittelbare Folge der europäischen wirtschaftlichen Integration, die im vorliegenden Fall von westdeutscher Seite weniger einem durchdachten außenpolitischen Kalkül als dem realwirtschaftlichen Marktgeschehen sowie den Mechanismen der bis dato bereits geschaffenen Institutionen, konkret und besonders der EZU, zu danken ist.

Bundesdeutsche Arbeitsmarktinteressen vs. europäische Verpflichtungen Das der deutsch-italienischen Anwerbevereinbarung bis zuletzt reserviert gegenüber stehende Bundesministerium für Arbeit stand hinsichtlich der Frage der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte auf verschiedenen Ebenen und von mehreren Seiten unter politischem Druck. Obwohl das BMA den sich Mitte 1955 in einigen Arbeitsmarktsegmenten abzeichnenden Verknappungstendenzen zu jener Zeit bereits durch „eine verstärkte, aber der Zahl nach streng dosierte Ausländerbeschäftigung“ begegnen wollte, sollte diese „nur dann und dort gestattet sein, wo die Möglichkeiten des innerdeutschen Marktes versagen“, wobei die dortigen Beamten gleichzeitig auf die damit verbundenen organisatorischen und politischen Schwierigkeiten sowie das damit einhergehende Devisen- und allgemeine Kostenproblem hinwiesen. „Die vielleicht bequemere Art der Ausländerbeschäftigung“, so die öffentlich vertretene Meinung des BMA, dürfe „die echten Aufgaben der innerdeutschen Lösung der Arbeitsmarktfragen nicht verhindern.“489 Insofern konnte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BA) als nachgeordnete Behörde 487 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Arbeiter aus Italien. [Artikel aus:] FAZ vom 29.12.1955. 488 Göktürk, Deniz; David Gramling, Antons Kaes, Andreas Langenohl (Hrsg.): Transit Deutschland. Debatten zu Nation und Migration. Eine Dokumentation. Konstanz, 2011. S. 25. 489 Artikel „Ist der Arbeitsmarkt erschöpft? Wichtigste Aufgabe: Erschließung der Arbeitskraftreserven im eigenen Lande. Von Ministerialrat Dr. Siemer, Bundesministerium für Arbeit.“ In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr.  204 vom 28. Oktober 1955. S. 1701 f. S. 1702.



Bundesdeutsche Arbeitsmarktinteressen vs. europäische Verpflichtungen

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die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte durch ihre Dienststellen auch so lange für nicht vertretbar erachten, „als im Inland noch in beachtlichem Umfange geeignete Arbeitslose zur Verfügung“ standen, deren Vermittlung in freie Stellen nach wie vor häufig am Fehlen geeigneten Wohnraums scheiterte.490 Diese Position musste unweigerlich mit derjenigen des Bundeswirtschaftsministeriums kollidieren, das zur Durchsetzung seiner Zielvorstellungen auch nicht vor Pressemitteilungen zurückschreckte, die im Widerspruch zu offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung standen.491 Zudem hatte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard schon 1954 in Mailand und Genf eigenmächtig „die Hereinnahme von 200 000 italienischen Landarbeitern in Aussicht gestellt, als von der Notwendigkeit die Rede war, einen Fehlbetrag im deutsch-italienischen Clearing durch Arbeitseinkommen italienischer Arbeitskräfte zu decken.“492 Das BMWi, das zu keiner Zeit konzeptionelle Vorstellungen zur Ausländerbeschäftigung entwickelt hat, betrachtete Arbeitsmarktprobleme ohnehin ausschließlich unter wachstumspolitischen Gesichtspunkten und fürchtete von daher regelmäßig auch die lohnerhöhenden Wirkungen eines vollbeschäftigten Arbeitsmarktes. „Lohn-Preis-Erwägungen“ aber wollte die Bundesanstalt in Nürnberg bei ihrer Tätigkeit nicht berücksichtigen, für sie war allein entscheidend, ob die von Industrie und Landwirtschaft benötigten Arbeitskräfte aus den noch vorhandenen Arbeitsmarktreserven gewonnen werden konnten. Gegenüber Beamten des BMWi warnte ein Vertreter der Nürnberger Behörde sogar davor, „die Liberalisierung auf dem Arbeitsmarkt zu sehr nach den Marktgrundsätzen von Angebot und Nachfrage zu betreiben“493, womit er sich also auch gegen die von Italien immer wieder angestoßenen Freizügigkeitsbestrebungen in Europa aussprach, da Arbeitskräfte eben keine Ware seien. Damit rekurrierte dieser fast wörtlich auf die ILO-Erklärung von Philadelphia, die 1944 grundlegende Menschen- und Wirtschaftsrechte festgelegt und bereits in ihrem ersten Artikel klargestellt hatte: „Arbeit ist keine Ware.“494 490 Vgl. BA Koblenz, B 119/3023. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Geschäftszeichen I – 5750 an die Landesvereinigung der industriellen Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens e. V. vom 29. September 1955. S. 1 ff. 491 Vgl. PA Berlin, B 62/54. Aktennotiz – Dg 40 – vom 29. November 1954, ohne weitere Angaben. 492 PA Berlin, B 62/54. Ref.: LRI Dr. Lenz, Dr. Oppenheim. Vermerk betr. Beschäftigung von ca. 400 000 italienischen Arbeitnehmern in der BRD vom 20. November 1954. 493 BA Koblenz, B 119/3023. Vermerk des Referenten BVR Dr. Reber i. V., Unterabteilung Ia, Ia4 – 5750/5100 – vom 28. September 1955. Betr. Ausländer in Deutschland, Allgemeine Fragen der Arbeitsmarktbeobachtung. S. 3. 494 Erklärung über die Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation, 10. Mai 1944. Abrufbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---europe/---ro-geneva/---

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

Werden die italienischen Handels- und Zahlungsbilanzprobleme außer Acht gelassen, sprachen zunächst tatsächlich noch die realwirtschaftlichen Entwicklungen gegen die Erfüllung europapolitischer, den westdeutschen Arbeitsmarkt zusätzlich belastender Verpflichtungen. So sind beispielsweise von rund 10.000 zusätzlichen Arbeitskräften, die im Januar 1955 als unbedingt notwendig bezeichnet wurden und deshalb anzuwerben seien, schließlich nur 208 italienische Landarbeiter tatsächlich angefordert und von landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt worden.495 Ähnlich verhielt es sich im Falle der zur Anwerbung von Arbeitskräften in Eigeninitiative nach Italien gereisten Landräte, von denen beispielsweise jener des Landkreises Memmingen rund 200 bis 300 italienische Landarbeiter gewinnen wollte. Gemeinsame Nachprüfungen der Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und der Bauernverbände ergaben insofern allgemein, dass zumindest die veröffentlichten Bedarfszahlen regelmäßig stark überhöht waren und der Arbeitskräftebedarf im Wesentlichen noch auf dem deutschen Arbeitsmarkt hatte gedeckt werden können.496 Zudem stellte der fehlende Wohnraum gerade in den 1950er-Jahren in der Bundesrepublik, wie auch in Frankreich, ein Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Regionen und Branchen dar, da dieser die Mobilität der vorhandenen inländischen Arbeitskräfte hemmte. Andererseits schrumpften neben dem Bergbau schon bald auch die eisenschaffende Industrie sowie die Textilbranche erheblich. Hierbei sowie bei der Landwirtschaft handelte es sich jedoch gerade um die Bereiche, in denen frühzeitig und zuvörderst ausländische Arbeitskräfte eingesetzt werden sollten.497 Die Konflikte um bundesdeutsche Arbeitsmarktinteressen, denen das Bundesarbeitsministerium qua Funktion nachzukommen hatte, und europäischen Verpflichtungen, auf deren Einhaltung das Auswärtige Amt zu achten und das Bundeswirtschaftsministerium aus prinzipiell wachstumspolitischen Gründen zu bestehen pflegte, verhinderten im Übrigen von Beginn an eine geschlossene, den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte berücksichtigende, perspektivisch angelegte arbeitsmarktpolitische Konzeption. Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte sollte dadurch ilo-berlin/documents/normativeinstrument/wcms_193728.pdf (31.07.2015). 495 Vgl. BA Koblenz, B 119/3023. Vermerk des Referenten BVR Dr. Reber i. V., Unterabteilung Ia, Ia4 – 5750/5100 – vom 28. September 1955. Betr. Ausländer in Deutschland, Allgemeine Fragen der Arbeitsmarktbeobachtung. 496 Vgl. PA Berlin, B 85 (2. Abgabe)/548. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rom, 553-11/Nr.  2194/55, vom 20.  Mai  1955. Anforderung italienischer Arbeitskräfte. Bezug: Bericht vom 27.4.1955; sowie: Der Bundesminister für Arbeit, Tagebuch-Nr. II b 4 – 2471 – 529/55 an das Auswärtige Amt – Abteilung V – vom 10. Juni 1955. Betr. Hereinnahme italienischer Arbeitskräfte. 497 Ausführlicher hierzu vgl. Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte, S. 39–47.



Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung

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bis zum Anwerbestopp 1973 gerade nicht von westdeutscher Arbeitsmarktpolitik und auch bald nicht mehr von europapolitischen Notwendigkeiten bestimmt werden, fortan vielmehr ohne konzeptionelle Grundlage den vielfältigsten außenpolitischen Bedürfnissen Westdeutschlands folgen, die sich mit außenwirtschaftlichen allerdings durchaus decken konnten. Unter diesem Vorzeichen standen die folgenden Anwerbevereinbarungen mit dem nicht der EWG angehörenden Spanien, Griechenland, Portugal, Jugoslawien sowie der Türkei in den 1960er-Jahren, wobei das Attribut „Anwerbung“ wie im Fall des deutsch-italienischen Abkommens irreführend ist, da die Initiative zu diesen, aber auch ähnlichen Vereinbarungen mit Marokko und Tunesien, ausschließlich vom Ausland ausging. Alle diese Länder intendierten, ihre aus der westdeutschen Exportstärke resultierenden Devisenprobleme sowie Arbeitslosigkeit durch die Entsendung von Arbeitskräften zu reduzieren, oder aber die sich bereits im Gange befindliche Emigration vor allem der qualifizierteren Arbeitskräfte zu kanalisieren. Diese Anliegen konnten sich mit weiteren spezifischen wirtschaftlichen Interessen, wie denen nach Kapital- und Devisenhilfen oder Exportbürgschaften, paaren, hatten in jedem Fall aber – ob explizit ausgesprochen oder nicht – das italienische Vorgehen zum Vorbild.498

Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung und die Tätigkeit der Deutschen Kommission in Verona Die am 20. Dezember 1955 in Rom unterzeichnete deutsch-italienische Regierungsvereinbarung499 stellte in Artikel 1 das Initiativrecht der Bundesregierung fest. Diese hatte also, falls sie einen Arbeitskräftemangel mit italienischen Staatsangehörigen ausgleichen wollte, der italienischen Regierung den Bedarf hinsichtlich Anzahl und Berufsgruppen mitzuteilen. Über Umfang der Entsendung sowie Qualifikation der Arbeitskräfte bedurfte es einer gemeinsamen, binationalen Entscheidung. Die sich anschließende Anwerbung und Vermittlung oblag schließlich auf deutscher Seite der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sowie auf italienischer Seite dem Ministero del Lavoro e della Previdenza Sociale. Sie erfolgte auf ausdrücklichen Wunsch der italienischen Regierung ausschließlich in Zusammenarbeit 498 Vgl. hierzu insgesamt: Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte. 499 Vgl. für das Folgende insgesamt: Bekanntmachung der Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Italienischen Republik über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland. Vom 11. Januar 1956. In: Bundesanzeiger, 8. Jg. Nr. 11 vom 17. Januar 1956. S. 1–4.

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

der beiden Arbeitsverwaltungen, um eine freie („wilde“) Anwerbung durch Firmenvertreter, Arbeitgeberverbände u.a. zu vermeiden, die der italienischen Seite keine Garantie für eine Gleichstellung ihrer Staatsangehörigen im Hinblick auf Arbeits- und Lohnbedingungen zu bieten schien.500 Bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung sah Artikel 2 Abs. 2 die Möglichkeit einer Beschleunigung und Vereinfachung des Anwerbe- und Vermittlungsverfahrens vor, wovon auf italienisches Drängen hin tatsächlich schnell Gebrauch gemacht worden ist. Wegen „außergewöhnlicher Langsamkeit der zuständigen deutschen Stellen“ kam es deshalb schon bald zu vereinfachten Verfahren bei der Anwerbung, bis die Freizügigkeit innerhalb der EWG schließlich alle solchermaßen getroffenen zwischenstaatlichen Vereinbarungen obsolet werden ließ. So einigte man sich bereits im Februar 1957 auf eine weitgehende Vereinfachung des gesamten, von den italienischen Arbeitsämtern durchzuführenden Vorverfahrens und auf besondere Erleichterungen im Falle namentlich angeforderter Kräfte.501 Die eigentliche Anwerbe- und Vermittlungstätigkeit oblag der von der Bundesanstalt nach Italien entsandten Deutschen Kommission, die ihren Hauptsitz planmäßig in Mailand haben sollte, jedoch schon bald nach Verona verlegt worden ist,502 in Zusammenarbeit mit dem Ministero del Lavoro: Die von der Deutschen Kommission weitergeleiteten Stellenangebote deutscher Arbeitgeber wurden vom italienischen Arbeitsministerium bekanntgegeben und die Bewerber von diesem einer ersten beruflichen, gesundheitlichen und polizeilichen „Vorauslese“ (Artikel 5) unterzogen. Erst nach Vorliegen der italienischen Bescheinigungen über die berufliche und gesundheitliche Eignung sowie des Führungszeugnisses ließ die Deutsche Kommission besonders die – in Anlage 3 präzisierte – gesundheitliche Eignung durch von der Bundesanstalt beauftragte deutsche Ärzte feststellen.

500 Vgl. BA Koblenz, B  149/6228. Abteilung  II, Geschäftszeichen IIb  4 – 2472 – vom 18. März 1955: Bericht über die deutsch-italienischen Besprechungen für die Vorbereitung einer Vereinbarung über die Vermittlung von Arbeitskräften. 501 Vgl. BA Koblenz, B 149/6232. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Geschäftszeichen Ia4 – 5752 – 1049/57 an den Bundesminister für Arbeit vom 30. März 1957, betr. deutsch-italienische Anwerbevereinbarung vom 20.12.1955. 502 Vgl. BA Koblenz, B  149/6228. Abteilung  II, Geschäftszeichen IIb  4 – 2472 – vom 18. März 1955. Bericht über die deutsch-italienischen Besprechungen für die Vorbereitung einer Vereinbarung über die Vermittlung von Arbeitskräften. Hier: Bemerkungen zum dem Bericht anliegenden Protokoll; sowie: B  149/6232. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Geschäftszeichen Ia4 – 5752 vom 17. Dezember 1956. Bericht über die Anwerbungstätigkeit der Deutschen Kommission in Italien im Jahre 1956.



Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung

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Die westdeutschen Arbeitgeber, die letztlich über die Einstellung der Arbeitskräfte entschieden, konnten ihre Entscheidung laut Artikel 8 bereits am Dienstsitz der Deutschen Kommission treffen. Noch in Italien wurde dann der Arbeitsvertrag von beiden Seiten unterschrieben und von der Deutschen Kommission mit einem Durchgangsvermerk versehen. Sie sorgte nach Artikel 9 auch dafür, dass die Reisepässe der Arbeitskräfte kostenlos mit dem deutschen Einreisesichtvermerk versehen wurden, „wenn die Ausländerpolizeibehörde die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zugesichert“ hatte. Kostenlos wurde den Arbeitskräften auch eine für die Dauer eines Jahres gültige Arbeitserlaubnis erteilt, die für den ersten anzutretenden Arbeitsplatz zugleich als Beschäftigungsgenehmigung Gültigkeit besaß. Absatz 5 desselben Artikels legte zugleich aber für den Ablauf der Arbeitserlaubnis oder den Wechsel des Arbeitgebers die Beantragung einer neuen, gebührenpflichtigen Arbeitserlaubnis durch den Arbeitnehmer, deren Erteilung sich nach den bundesdeutschen Rechtsvorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer richtete, fest. Auch die Anreise in die Bundesrepublik ist von der Deutschen Kommission organisiert worden (Artikel 10), wo die Arbeitnehmer nach ihrer Ankunft innerhalb von 3 Tagen ihre Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerpolizeibehörde zu beantragen hatten (Artikel 11). Für die Neue Zürcher Zeitung wurde damit für die Vermittlung „ein umständliches und, wie es scheint, ziemlich langwieriges Verfahren in Aussicht genommen.“503 Ähnliche Klagen waren zuvor bereits im Fall der italienischen Arbeitsmigration nach Frankreich zu gegebenem Anlass immer wieder artikuliert worden. Selbst für namentliche Anforderungen durch deutsche Arbeitgeber kamen bis auf den Nachweis der beruflichen Eignung, der dann bereits vorlag, keine Ausnahmen oder Erleichterungen zur Geltung (Artikel 13), einzig für Saisonarbeitskräfte eröffnete Artikel 12 die Möglichkeit einer vereinfachten Bewerberauswahl. Mit Ausnahme der Saisonarbeitskräfte konnten die italienischen Arbeiter ihre Familienangehörigen in die Bundesrepublik nachreisen lassen, sofern ausreichender Wohnraum zur Verfügung stand und eine Aufenthaltserlaubnis vorlag. Die Kosten des gesamten behördlichen Procedere wurden von italienischer und deutscher staatlicher Seite gemäß ihrer Entstehung getragen, die deutschen Arbeitgeber hieran nur durch eine an die Bundesanstalt zu entrichtende allgemeine Kostenpauschale von 50 DM504 belastet. Die Rückreisekosten unterlagen demgegenüber arbeitsvertraglicher Regelung (Abschnitt V). Schließlich sah Abschnitt VI der Anwerbevereinbarung die Einrichtung einer Gemischten Kommission vor, die sich auf deutsches oder italienisches Verlangen 503 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Italienische Arbeiter für Westdeutschland. In: Neue Zürcher Zeitung vom 22.12.1955. 504 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Italienische Arbeiter für Westdeutschland. In: Neue Zürcher Zeitung vom 22.12.1955.

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

hin mit Fragen der Durchführung, ggf. auch Änderungen des Abkommens, mit der rechtlichen Weiterentwicklung auf Basis künftiger internationaler Vereinbarungen sowie gegenteiliger Rechtsauslegungen etc. zu beschäftigen hatte. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung handelte es sich bei der solchermaßen ausgestalteten deutsch-italienischen Anwerbevereinbarung um einen „Modellvertrag“, da mit der „früheren Vorstellung vom Fremdarbeiter gebrochen wurde. Man verstand darunter Leute, die mit primitivster Arbeit und bei schlechtestem Lohn beschäftigt wurden. Der Italiener, der auf Grund des Abkommens nach Deutschland geht, weiß, daß er nicht Arbeiter minderen Rechtes sein wird. Er erhält die gleichen Arbeits- und Rechtsbedingungen. […] Das Neue in dem Abkommen liegt aber vor allem in der Bestimmung über das Kindergeld. Es wird auch bei den Saisonarbeitern gezahlt. Für die kinderreichen italienischen Familien ist es von großer Bedeutung. Man kann es verstehen, daß von italienischer Seite besonderer Wert darauf gelegt wurde.“505 Mit dem Hinweis auf die Kindergeldzahlungen informierte die FAZ ihre Leser über ein zum Zeitpunkt der Unterzeichnung noch nicht schriftlich fixiertes Zugeständnis, das von deutscher Seite im Hinblick auf die passive italienische Zahlungsbilanz tatsächlich als „eine ganz konkrete Form der europäischen Solidarität“ interpretiert werden konnte.506 Die Tätigkeit der Deutschen Kommission in Italien lief zunächst schleppend an, weil die mit der Anwerbung beauftragten italienischen Provinzialarbeitsämter bis Anfang April des Jahres 1956 nicht in der Lage waren, die Ausreiseformalitäten zu erledigen. Hierzu trugen angeblich auch die hohen formellen Anforderungen der Bundesrepublik bei, so dass die italienischen Staatsbürger oftmals noch eine Anwerbung in jene Staaten vorzogen, die bereits seit mehreren Jahren in Italien Arbeitskräfte anwarben und sich mit einem (tatsächlich oder vermeintlich) geringerem Verwaltungsaufwand zufrieden gaben. Mutmaßlich stellte schließlich auch die in Italien von Anfang an als zu niedrig eingeschätzte Entlohnung in der deutschen Landwirtschaft ein die Anwerbung erschwerendes Moment dar. Seit dem 3. April 1956 verließen dann jedoch bis Anfang August täglich an sechs Tagen pro Woche Züge mit italienischen Arbeitskräften Mailand mit Ziel Bundesrepublik. Im ersten Vierteljahr überwog die Zahl der landwirtschaftlichen Stellenangebote (6.000) die der gewerblich-industriellen Tätigkeiten (1.250), so dass es sich bei den insgesamt 10.273 Vermittlungen des Jahres 1956 zunächst nur um 486 Dauerarbeits505 BA Koblenz, B 149/6228. Arbeiter aus Italien. [Artikel aus:] FAZ vom 29.12.1955. 506 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Arbeiter aus Italien. [Artikel aus:] FAZ vom 29.12.1955; sowie: Abteilung II, Geschäftszeichen IIb 4 – 2472 – vom 18. März 1955. Bericht über die deutsch-italienischen Besprechungen für die Vorbereitung einer Vereinbarung über die Vermittlung von Arbeitskräften. Hier: dem Bericht anliegendes Protokoll.



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Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung

kräfte handelte. Hatte eine bundesweite Befragung landwirtschaftlicher Betriebe der Bundesanstalt unter dem 5. November 1955 einen Bedarf von 13.066 italienischen Landarbeitern für das Jahr 1956 ergeben,507 so wurden schließlich weniger als die Hälfte, nämlich nur 5.801 Arbeitskräfte, in die Landwirtschaft vermittelt. Wie sich die vermittelten Arbeitskräfte konkret auf einzelne Berufsgruppen verteilten, zeigt Tabelle 26. Tabelle 26: Durch die Deutsche Kommission in Verona 1956 in die Bundesrepublik vermittelte italienische Arbeitskräfte, nach Berufsgruppen Berufsgruppe

Gesamtzahl

Ackerbauer, Tierzüchter, Gartenbauer

5.801

Bauberufe

2.557

Steingewinner, -vorarbeiter, Keramiker

1.451

Metallerzeuger, -verarbeiter

154

Bergmännische Berufe

153

Nahrungs- u. Genussmittelhersteller Verkehrsberufe Übrige Berufe Sämtliche Berufsgruppen

38 8 111 10.273

Quelle: BA Koblenz, B 149/6232. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Geschäftszeichen Ia4 – 5752 vom 17. Dezember 1956: Bericht über die Anwerbungstätigkeit der Deutschen Kommission in Italien im Jahre 1956.

Von Anfang an gestaltete sich also die in Artikel 1 der Anwerbevereinbarung vorgesehene, von der deutschen Regierung zu initiierende Bedarfsmeldung problematisch. Die Bedarfsmeldungen der Betriebe fielen nämlich regelmäßig zu hoch aus, so dass 1956 in der Landwirtschaft schließlich nur gut jede zweite, im Bereich der gewerblichen Wirtschaft nur knapp jede dritte gemeldete Stelle auch tatsächlich zu besetzen war.508 Allerdings rekrutierten die Unternehmen ihre Arbeitskräfte aus Italien auch ohne Vermittlung der Deutschen Kommission, so dass diese Angaben 507 Vgl. BA Koblenz, B 149/6231. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an den Bundesminister für Arbeit, Geschäftszeichen Ia2 – 5200/5752 vom 22. Dezember 1955, betr. Hereinnahme italienischer Arbeitskräfte; hier: Feststellung der Zahl der benötigten italienischen Landarbeiter. Anlage. 508 Vgl. BA Koblenz, B 149/6231. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an den Bundesminister für Arbeit, Geschäftszeichen Ia4

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

nicht notwendigerweise die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegeln müssen. Immerhin waren bereits 1956 34%, 1957 48% und 1958 50% der in die Bundesrepublik eingereisten italienischen Arbeitskräfte ohne amtliche Vermittlung in Beschäftigungsverhältnisse gelangt.509 Darüber hinaus verfügte die Bundesrepublik zu dieser Zeit noch über keine offizielle Arbeitsmarktstatistik, weshalb die in den einzelnen Schreiben genannten Zahlen oftmals, wenn auch nur marginal, voneinander differieren.510 Die in den folgenden beiden Jahren monatlich in die Industrie vermittelten Arbeitskräfte unterlagen zunächst auch stärkeren konjunkturellen Schwankungen, während der Bedarf in der Landwirtschaft angesichts zunehmender Technisierung bereits zurückging. „Die fortschreitende Mechanisierung der deutschen Landwirtschaft“, so der Bundesarbeitsminister, „bewirkt einen Rückgang ihres Kräftebedarfs. Sofern ein ungedeckter Bedarf bestand, konnte er zum Teil durch Einsatz von Zonenflüchtlingen gedeckt werden. Für kleine Betriebe, bei denen der Kräftebedarf auch mangels Mechanisierungsmöglichkeiten besonders fühlbar ist, kommt ein Einsatz italienischer Landarbeiter infolge hoher Kosten weniger in Betracht. Es wird daher auch im kommenden Jahr nicht damit zu rechnen sein, dass die deutsche Landwirtschaft wesentlich mehr italienische Arbeitskräfte anfordert als im Jahre 1958.“511 Tabelle 27, Seite 181 verdeutlicht diesen zu rückläufigen Anwerbungen führenden Strukturwandel innerhalb der Landwirtschaft, aber auch das zunächst geringe Interesse der gewerblichen Wirtschaft an zusätzlichen Arbeitskräften mit Ausnahme von Bergbau und Baugewerbe.

– 5752 vom 7. Januar 1957. Betr. Hereinnahme italienischer Arbeiter nach der Bundesrepublik 1957. 509 Vgl. BA Koblenz, B 149/6231. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 3. Februar 1959 – II b 4 a – 2430.2 – 31/59 – an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes. Anlage „In den Jahren 1956 bis 1958 zur Beschäftigung in der Bundesrepublik neu hereingenommene italienische Arbeitskräfte“. 510 Vgl. hierzu besonders BA Koblenz, gesamte Akten B 136/8822 und 8823, die Aufschluss darüber geben, dass sich die Bundesregierung erst seit 1968 systematisch mit einer Arbeitsmarktstatistik und Prognosen zur Entwicklung der Erwerbsbevölkerung zu beschäftigen begann. 511 BA Koblenz, B 149/6231. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 3. Februar 1959 – II b 4 a – 2430.2 – 31/59 – an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes. Anlage „In den Jahren 1956 bis 1958 zur Beschäftigung in der Bundesrepublik neu hereingenommene italienische Arbeitskräfte“.



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Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung

Tabelle 27: Mit und ohne Vermittlung der Deutschen Kommission in Verona in die Bundesrepublik eingereiste italienische Arbeitskräfte nach Wirtschaftsbereichen, 1956–1958 (ohne Saarland) Bereich Landwirtschaft

1956

1957

1958

5.935

3.607

2.593 7.268

Baugewerbe

3.932

3.191

Baustoffindustrie

1.451

1.069

983

833

2.397

2.169

Bergbau

544

447

691

Sonstige

Metallverarbeitung

2.913

4.084

5.536

Insgesamt

15.608

14.795

19.240

Quelle: BA Koblenz, B 149/6231. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 3. Februar 1959 – II b 4 a – 2430.2 – 31/59 – an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes. Anlage „In den Jahren 1956 bis 1958 zur Beschäftigung in der Bundesrepublik neu hereingenommene italienische Arbeitskräfte“.

Waren die dem ausländischen Personal von den deutschen Arbeitgebern entgegengebrachten Erwartungen einerseits teilweise überhöht, wie im Bereich des deutschen Gaststättengewerbes, das selbst für einfaches Hilfspersonal in der Küche die Beherrschung der deutschen Sprache verlangte, konkurrierte die Bundesrepublik andererseits gerade im Bereich der Landwirtschaft und des Fremdenverkehrs von Anfang an mit der Schweiz, die mit höheren Löhnen lockte.512 Seit Beginn der 1960er-Jahre gestaltete sich die Anwerbung von landwirtschaftlichen Kräften noch schwieriger, als nun die positive wirtschaftliche Entwicklung in Italien die dortigen Löhne hatte steigen und damit die Landflucht zur Binnenmigration werden lassen, so dass kaum noch ein Anreiz zur Aufnahme einer landwirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland bestand.513 Der von der Bundesregierung laut Artikel 1 der Anwerbevereinbarung gemeldete Arbeitskräftebedarf – von der BA erhoben und dem Bundesarbeitsminister übermittelt, der die Zahlen an das Kabinett weiterleitete, wo den Zahlen i.d.R. ohne Aussprache, oftmals im Umlaufverfahren, zugestimmt worden ist – erhöhte sich unter diesen Umständen in den folgenden Jahren dennoch von insgesamt 13.000 für das Jahr 1956 über jeweils 13.000 für Landwirtschaft und gewerbliche Wirtschaft für 1957 und, nach einem Einbruch für das Jahr 1958, auf schließlich 4.000 bzw. 20.000 für 1959 sowie 4.000 für Landwirtschaft bzw. inzwischen 70.000 für die gewerbliche Wirtschaft und das 512 Vgl. BA Koblenz, B  149/6231. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rom an das Auswärtige Amt, Geschäftszeichen Wi 553-11 – 3201/58 vom 10. Oktober 1958, betr. Anwerbung und Vermittlung italienischer Arbeitskräfte nach der BRD. 513 Vgl. BA Koblenz, B 119/3063. Zusammengestückelte, maschinenschriftliche Notiz, ohne weitere Angaben, ca. 1962/63.

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Italienischer Arbeitskräfte- und westdeutscher Handelsüberschuss

Jahr 1960. Für dieses massive Ansteigen war zu dieser Zeit vor allem die Bauwirtschaft verantwortlich, obwohl sich die Bundesregierung um eine Förderung des Winterbaus und zunehmende Rationalisierung im Baugewerbe bemühte.514 Die Beschäftigung italienischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik stieg damit seit dem Abschluss der Vereinbarung, besonders aber seit 1960, bis zum Anwerbestopp mit Ausnahme der konjunkturschwachen Jahre 1967 und 1968 kontinuierlich an. Tabelle 28, Seite 183 weist deutlich das eigentliche Schwellenjahr 1960 aus, mit dem Übergang zur Vollbeschäftigung und einer Arbeitslosenquote erstmals unter 1% sowie einem sich in der steigenden Beschäftigung italienischer Arbeitnehmer zunehmend ausdrückenden ‚Arbeitskräftemangel‘515 der westdeutschen Industrie. Wegen des für 1960 prognostizierten sprunghaften Bedarfs und für den Fall, dass der tatsächliche Bedarf die angeforderten Arbeitskräfte übersteigen würde, ermächtigte das Kabinett das BMA im Umlaufverfahren seinerzeit sogar, das Gesamtkontingent von zunächst 74.000 auf bis zu 100.000 Arbeitskräfte ohne neue Beschlussfassung überschreiten zu dürfen, neben der Anwerbung italienischer Arbeitskräfte eine solche griechischer und spanischer Arbeiter vorzusehen sowie „zur Regelung des Anwerbeverfahrens gemeinsam mit dem Bundesminister des Auswärtigen namens der Bundesregierung Verhandlungen mit der griechischen und spanischen Regierung über den Abschluß entsprechender Rahmenvereinbarungen aufzunehmen.“516 Ohne die boomende westdeutsche Wirtschaft hätten also die Ziele des Vanoni-Plans, die jährliche Auswanderung von 80.000 Arbeitskräften zwischen 1955 und 1964 sowie deren Devisen verschaffende Heimatüberweisung betreffend, nicht annähernd erreicht werden können.

514 Vgl. BA Koblenz, B  149/6231. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung – II b 4 a – 2430 – 274/59 – vom 30. Dezember 1959 an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes. Anlage „Bedarf an italienischen Arbeitskräften im Jahre 1960“. 515 Zum Problem des von den Zeitgenossen immer wieder bemühten Begriffs des „Mangels“ an Arbeitskräften vgl. insgesamt das Kapitel „Primat der Außenpolitik – Entscheidung gegen technikinduziertes Wachstum?“ bei: Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte, S. 183 ff. 516 BA Koblenz, B  149/6231. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 30. Dezember 1959 – II b 4 a – 2430 – 274/59 – an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes. Anlage „Bedarf an italienischen Arbeitskräften im Jahre 1960“.



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Die deutsch-italienische Anwerbevereinbarung

Tabelle 28: Entwicklung der Beschäftigung italienischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, 1956–1973

*)

Jahr*)

Anzahl

1954

6.500

1955

7.500

1956

18.600

1957

19.100

1958

31.500

1959

48.800

1960

121.700

1961

224.600

1962

276.800

1963

287.000

1964

296.900

1965

372.300

1966

391.300

1967

266.800

1968

304.000

1969

349.000

1970

381.800

1971

408.000

1972

426.400

1973

409.700

Stichtag 1954–1960 jeweils 31.07., 1961–1972 jeweils 30.09., 1973: 30.01.

Quelle: BA Koblenz, B 139/8846. Referat IV/3 (ORR Schreiber) an den Bundeskanzler vom 19. Februar 1973, betr. Besprechung mit den Regierungschefs der Länder am 23. Februar 1973. Anlage „In der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte ausländische Arbeitnehmer“.

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Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse der wirtschafts- und migrationshistorischen Analyse der frühen europäischen Integration Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, dass die durch Regierungshandeln angestoßene Migration italienischer Arbeitskräfte in der Zeit zwischen 1945 und dem Ende der 1950er-Jahre nicht, wie bisher immer unterstellt, auf eine entsprechende Nachfrage in der Industrie der europäischen Zielländer zurückzuführen ist. Abgesehen von den Saisonarbeitskräften gilt diese Feststellung analog auch für den Bereich der Landwirtschaft. Zwar mögen einzelne Verantwortliche beispielsweise in der französischen Administration oder später auch der bundesdeutschen Regierung zunächst an einen Arbeitskräftemangel, zum Teil auch nur an einen vermeintlich absehbaren Mangel in ihren Ländern, geglaubt haben. Mit Ausnahme einiger weniger Mangelbereiche aber, neben den erwähnten saisonalen Erntehelfern unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem der unter Tage betriebene Steinkohlebergbau, stellte die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte für die französische Industrie eine untergeordnete Problemstellung dar: „le patronat a considéré […] l’immigration comme une question assez marginale entre 1945 et 1955“517. Und auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sah noch 1955, im Jahr der Unterzeichnung des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens, keinen entsprechenden Bedarf hierfür, sie wollte eine Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte sogar erst dann eingeleitet sehen, wenn trotz gesteigerter Rationalisierungen der Arbeitskräftebedarf aus Arbeitslosen nicht mehr hätte befriedigt werden können.518 Ob diese Rahmenbedingungen dann in den 1960er-Jahren gegeben waren, als sich die nordwesteuropäischen Volkswirtschaften der Auslastung ihres Produktionspotentials und damit der Vollbeschäftigung genähert hatten, die dortige Industrie nun aber anstatt technisch-organisatorisch zu rationalisieren auf die – durch Regierungsvereinbarungen nunmehr für die Betriebe kostenlos zur Verfügung gestellten – Arbeitskräftereservoirs Südeuropas zurückgriffen, sei an dieser Stelle dahingestellt.519 Wird die Beurteilung der CEEC und später ihrer Nachfolgerin, der OEEC zugrunde gelegt, waren die Einschätzungen der Arbeitgeber jedenfalls realistischer als jene 517 Wihtol de Wenden, Les immigrés et la politique, S. 100. 518 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Schreiben der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände an den Bundesminister für Arbeit vom 1. Juni 1955, Aktenzeichen IV161-3/Moe. 519 Zu gegenteiligen Annahmen vgl. Knortz, Diplomatische Tauschgeschäfte, S. 183–222; sowie insgesamt: Lee, Ausländerbeschäftigung.



Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

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der Regierungen: Wenn überhaupt, bestand Bedarf an qualifizierten Kräften, der allerdings wiederum nicht durch grenzüberschreitende Arbeitskräftezuwanderung befriedigt werden konnte.520 Bedingt durch den europäischen Wiederaufbau, herrschte zunächst vor allem Bedarf an Facharbeitern für den Untertagebergbau, und das mit jeweils 25.000 Arbeitskräften vor allem in Frankreich und Belgien.521 Deshalb zielte das Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond pour les mines françaises von 1946 ja auch gerade auf die Anwerbung italienischer Bergleute für den französischen Bergbau. Vergleichbare Abkommen hatte Italien zuvor bereits mit Belgien sowie der Tschechoslowakei geschlossen, obwohl Italien als das Land mit dem unbestritten höchsten Arbeitskräfteüberschuss überhaupt nicht über entsprechende Fachkräfte verfügte. Trotzdem versuchte Frankreich auch mit dem folgenden Accord franco-italien d’immigration („Accord Sforza-Croizat“) von 1947 weiterhin ausschließlich Arbeitskräfte für seine Kohlebergwerke zu rekrutieren. Diese Intention wurde nunmehr mit dem Versuch verknüpft, analog dem italienisch-belgischen bzw. italienisch-tschechischen Abkommen,522 Italien für die Entsendung von Arbeitskräften für die Beschäftigung unter Tage die für dessen Wiederaufbau dringend benötigte Steinkohle zu liefern. Insofern lässt sich auch der Abschluss der verschiedenen französisch-italienischen ‚Migrationsabkommen‘ insgesamt nicht mit französischen demographischen Anliegen erklären, einem Interpretationsmuster, dem infolge widersprüchlicher Forschungsergebnisse ohnehin nicht bedingungslos gefolgt werden kann. War also die frühe Migration italienischer Arbeitskräfte keine Folge industrieller Nachfrage, so war sie integraler Bestandteil der frühen europäischen Rekonstruktion, der Wiederherstellung der Arbeitsteilung in Europa, und der daraus folgenden europäischen Integration, damit wichtiger Gegenstand forcierten italienischen Regierungshandelns. Die unterschiedlichen italienischen Administrationen ließen in den Jahren zwischen 1945 und 1957, dem Jahr der Unterzeichnung der Römischen Verträge, keine Möglichkeit ungenutzt, die von ihnen erstrebte Emigration von Arbeitskräften bilateral zu erreichen. Dabei bemühten sich die italienischen Regierungen von Beginn an um möglichst viele Zielländer für ihre Migranten, auch um Länder in Übersee. Für die Organisation dieser Auswanderung war Italien auf internationale Hilfe angewiesen, die sich jedoch auf einem zu vernachlässigenden quantitativen Niveau entwickelte. Zeitgleich sollten sich auch die diplomatischen 520 Vgl. Steinert, Migration und Politik, S. 207; sowie: Die überschüssigen Arbeitskräfte in Westeuropa. In: Europa-Archiv, 4. Jg. 1949. S. 1911–1916. 521 Vgl. Die Wiedergesundung Europas, S. 7 und 31. 522 Vgl. Das italienisch-französische Auswanderungsabkommen. In: Europa-Archiv, 2. Jg. 1947. S. 653 f. S. 653.

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Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

Initiativen auf internationaler Ebene, im Rahmen intergouvernementaler ebenso wie supranationaler Organisationen wie der OEEC oder der ILO, als wenig fruchtbar erweisen. Das zwang die italienischen Politiker wiederum, Lösungen anhaltend in bilateralen Abkommen zu suchen, die diese nicht nur auf europäischer Ebene nach den Bedürfnissen ihrer Zahlungsbilanz justierten. Das ‚europäische Projekt‘, angestoßen und ausgestaltet unter maßgeblichem Einfluss der USA, besaß aus italienischer Perspektive dabei allerdings das größte Potential, um zu einer angemessenen Lösung für den Arbeitskräfte- und Bevölkerungsüberschuss in Italien zu gelangen. Es war nämlich das eigentümliche Geflecht aus diversen Problemlagen der europäischen wirtschaftlichen Rekonstruktion, also das von Handelsrestriktionen, Devisenmangel, Bilateralismus sowie zum Teil massiven Zahlungsbilanzungleichgewichten, das Italien mit seinem spezifischen Problem der Überbevölkerung und der damit verbundenen hohen Arbeitslosigkeit in Italien zu verbinden suchte. „Labour export appeared to be a solution to many ills, particularly employment and balance-of-payments problems“523, so dass sich, nachdem die Entscheidung für eine möglichst weitgehende außenwirtschaftliche Öffnung Italiens gefallen war, die frühe europäische Arbeitsmigration, die zu jener Zeit noch im Wesentlichen aus italienischen Arbeitskräften bestand, im Einklang mit der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit entwickeln konnte. Versuchten italienische Administrationen auf Basis realwirtschaftlicher Entwicklungen die Migration Arbeitsloser zunächst also durch bilaterale politische Verhandlungen zu steuern, schafften sie es schließlich sogar, ihr Arbeitsmarkt- und das damit in Verbindung stehende Bevölkerungsproblem im Rahmen der europäischen Integration zu vergemeinschaften: Den italienischen Verhandlungsführern gelang es nämlich, der von der Regierungskonferenz für den Gemeinsamen Markt verabschiedeten Schlussakte ein „Protokoll betreffend Italien“ anfügen zu lassen, das Elemente des Vanoni-Plans aufnahm, was besagten italienischen Zehnjahresplan zu einem Problem der europäischen Gemeinschaft werden ließ.524 Die Vertragsparteien verpflichteten sich damit ausdrücklich zu berücksichtigen, „daß die italienische Volkswirtschaft in den kommenden Jahren erheblichen Belastungen ausgesetzt sein wird, und daß gefährliche Spannungen, namentlich in der Zahlungsbilanz oder im Beschäftigungsstand, durch welche die Anwendung dieses Vertrags [zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – d. Verf.] in Italien in Frage gestellt werden könnte, zu vermeiden sind“525.

523 Collinson, Europe and International Migration, S. 65. 524 Vgl. Fauri, L’Italia e l’integrazione economica europea, S. 127. 525 Protokoll betreffend Italien. Vom 25. März 1957. In: Europa-Recht, S. 101.



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Die so ausgestaltete Gründung der EWG war der Endpunkt einer Entwicklung, an deren Beginn unmittelbar nach 1945 die Dollar-Lücke in Europa und der dortige gegenseitige Mangel an europäischen Devisen standen. Das European Recovery Program, der Marshall-Plan, der auch als US-amerikanisches Instrument zur „Zwangsrekonstruktion der europäischen Arbeitsteilung“526 verstanden werden kann, versuchte folgerichtig die Migration italienischer Arbeitskräfte und deren Heimatüberweisungen in die Maßnahmen zur europäischen Integration einzuschließen. Während im Haushaltsjahr 1949/50 mehr als 10 Mio. Dollar aus den Geldern des Marshall-Plans direkt für die italienische Emigration vorwiegend in lateinamerikanische Länder bereitgestellt wurden, war entsprechende Hilfe innerhalb der OEEC-Länder eher indirekt, wenngleich grundlegend im Rahmen des Gesamtprogramms der Organisation verankert. Als ECAAdministrator Hoffman 1949 von Italien beispielsweise „drastische“ Maßnahmen zur Verbesserung seiner gesamtwirtschaftlichen Produktionsleistung forderte, was Massenentlassungen vorausgesetzt und besorgniserregende soziale Auswirkungen durch die weitere Zunahme der ohnehin hohen Arbeitslosigkeit bedeutet hätte, wollten sich die italienischen Verantwortlichen diesem Ansinnen dennoch auch aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht entziehen. Als Lösung wurde der ECA deshalb die Auswanderung des Arbeitskräfteüberschusses vorgeschlagen. Dafür sollten in berufsvorbereitenden Schulen die für eine Arbeitsmigration im Ausland benötigten Qualifikationen berücksichtigt sowie entsprechende Institutionen gegründet werden, deren Aufgabe in der Lenkung italienischer Arbeitskräfte in entsprechende Sektoren bestehen sollte.527 Aber nicht nur die gesamtwirtschaftlichen Probleme Italiens, vielmehr besonders auch jene Frankreichs schienen nicht nur unmittelbar deren innenpolitische Stabilität, sondern auch den internationalen Handel und damit die europäische Rekonstruktion insgesamt zu gefährden. “The governments in both countries faced chronic inflation, high unemployment, a shortage of grain, and serious trade deficits. Their shrinking [monetary] reserves would soon be exhausted and both would be forced to curtail imports and further restrict production. […] The Marshall plan offered a solution”528. Insofern liegt die Wurzel der italienischen Migration in europäische Länder, mindestens für jene nach Belgien, Frankreich und in die Bundesrepublik, in der Entscheidung Italiens für Europa, in der Regierungsentscheidung für eine europäische wirtschaftspolitische Integration und der daraus folgenden, realwirtschaftlichen „Europeanization“529 der Außenhandelsstruktur, also in der italienischen Außen- bzw. Außenwirtschaftspolitik, 526 Berger/Ritschl, Rekonstruktion der Arbeitsteilung, S. 475. 527 Auf diesen Aspekt wird Agnieszka Dreeßen in ihrer in absehbarer Zeit zu erwartenden Doktorarbeit näher eingehen. 528 Hogan, Marshall Plan, S. 83 f. 529 Holbik, Italy in International Cooperation, S. 46.

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aber auch der Europapolitik der Aufnahmeländer italienischer Arbeitsmigranten sowie der USA begründet. Gegenüber Frankreich, das sich früh um eine Normalisierung der Beziehungen zu Italien bemühte und sich bereits im Sommer 1945 einer Zuzugserleichterung für italienische Arbeitskräfte gegenüber aufgeschlossen zeigte,530 scheiterte diese italienische Europapolitik zunächst aber auf bilateraler Ebene. Von Beginn an versuchten die italienischen Verhandlungsführer nämlich, auf die eine oder andere Weise den über die administrativ regulierte Arbeitsmigration hinausgehenden freien Personenverkehr zwischen Frankreich und Italien durchzusetzen, weshalb sie am Widerstand der französischen organisierten Interessen scheitern mussten: “French labor naturally looked with distaste on the prospect of heavy immigration from Italy. The aim of the Italian government, said a representative of the Confédération Générale du Travail, was to end unemployment as an Italian problem and make it Franco-Italian.”531 Trotz diverser ‚Schlupflöcher‘ – neben der illegalen Migration bot das Arrangement von 1946 entgegen seiner ursprünglichen Intention italienischen Bewerbern auch Arbeitsmöglichkeiten jenseits des Bergbaus – bewegte sich die italienische Migration nach Frankreich in der Folge, gemessen am zunächst von beiden Seiten suggerierten Bedarf bzw. Angebot, bis zum Algerienkrieg auf vergleichsweise niedrigem Niveau, um anschließend weiter fast bis zur Bedeutungslosigkeit abzusinken. Grund hierfür war das Problem der Heimatüberweisungen, oder anders ausgedrückt: die Schwäche der französischen wirtschaftlichen Entwicklung, deren Ursache durchaus auch im mangelnden Liberalisierungsgrad und vielfältiger protektionistischer Maßnahmen zum Schutz von Zahlungsbilanz und französischer Währung gesehen werden kann. Waren die Heimatüberweisungen seiner Migranten für Italien von höchster Bedeutung, weil mit den so erlangten Devisen wiederum für den wirtschaftlichen Wiederaufbau notwendige Waren importiert oder Dienstleistungen des Auslands in Anspruch genommen werden konnten, schlugen diese andererseits aber in der Kapitalbilanz der Aufenthaltsländer zu Buche. Unter den Bedingungen nicht konvertierbarer Währungen und unzulänglichen intraeuropäischen Handels drohten diese damit zugleich die Devisenbilanz resp. die Währungsreserven der Zielländer zu belasten. Einerseits folgte daraus schnell eine umfangreiche Diplomatie, die sich parallel zur bilateralen auch auf internationaler Ebene zu entwickeln begann und durch die Italien der europäischen Integration wiederholt starken Antrieb verlieh. Andererseits aber brachten die – von französischer Seite von Beginn an in nur vergleichsweise bescheidenem Umfang zugestandenen – Transferansprüche der italienischen Arbeitsmigranten Frankreich 530 Vgl. Guillen, L’immigration italienne en France, S. 39. 531 Diebold, Trade and Payments, S. 370.



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mit seiner Exportschwäche und dem daraus resultierenden Liremangel mehr als einmal an den Rand der Zahlungsunfähigkeit, zumindest drohte französischerseits immer wieder die Nichteinhaltung der vertraglichen Zahlungsverpflichtungen. Deshalb hoffte die den Accord franco-italien d’immigration von 1947 aushandelnde französische Administration, durch die Beschäftigung italienischer Bergarbeiter in den französischen Kohlerevieren zum einen ihren eigenen, Devisen zehrenden Importbedarf an Steinkohle reduzieren und dadurch multilateral verwendbare US-Dollar für andere Zwecke einsparen, zum anderen als Kompensation für die Heimatüberweisungen Italien Kohle liefern zu können. Italien seinerseits hätte damit durch Einsparung von Devisen wiederum die Familien der Arbeitsmigranten finanziell versorgen können. Die sich problematisch gestaltende Devisenlage Frankreichs war es auch, die Italien auf die im Rahmen des Europäischen Zahlungsabkommens zur Verfügung gestellte 11 Mio. Dollar Tranche bzw. auf Gegenwertmittel aus dem Marshall-Plan als Zahlungsmöglichkeit hinweisen ließ und die Italien schließlich veranlasste, pauschal 14 Mrd. Lire als Entschädigungssumme für Kriegsschäden sowie hieraus folgende weitere 2,6 Mrd. Lire aus Wertsicherungsansprüchen mit der Auflage bereitzustellen, diese zur Überweisung der Remissen der Arbeitsmigranten zu nutzen. Finales Ziel war „le renforcement des liens économiques entre les deux pays dans le cadre de la cooperation générale européenne“,532 also die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder im Rahmen der allgemeinen europäischen Zusammenarbeit. Nach Verbrauch aller dieser monetären Mittel und unter dem Eindruck eines stark angewachsenen französischen Außenhandelsdefizits gegenüber Italien entlastete sich Frankreich Mitte 1951 zunächst durch Kündigung der vertraglich vereinbarten, die Devisenbilanz belastenden Vorzugswechselkurse für italienische Arbeitsmigranten. 1952/53 begann Frankreich sodann, auch zu Lasten Italiens, eine restriktivere allgemeine Außenwirtschaftspolitik zu verfolgen. Und in einem weiteren Schritt setzte es, nach ersten entsprechenden Überlegungen im Jahr zuvor, Ende 1954 die Heimatüberweisungen nach Italien aus. Spätestens jetzt musste die italienische Administration im Rahmen ihrer Europapolitik nach Alternativen suchen, um überschüssige italienische Arbeitskräfte auswandern und mit deren Heimatüberweisungen die eigene Zahlungsbilanz entlasten zu können, zumal auch von Italien angestoßene Pläne (trotz des von der Forschung unterstellten demographischen Interesses in Frankreich!) scheiterten, durch die italienische Migranten, anstatt in der Industrie beschäftigt zu werden, analog der Kolonisation in transozeanischen Ländern französische Ländereien hätten bewirtschaften sollen. Aus den verschiedensten Gründen war schließlich auch den 532 Vgl. CAEF, B-0010783/2. Ministère des Finances, Direction du Budget N° 4870. Direction des Finances Extérieures, 2 mai 1949. Note pour le Ministre.

190

Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

Vorstößen italienischer Regierungen wenig Erfolg beschieden, Arbeitskräfte in die französischen Überseegebiete auswandern zu lassen. Standen dem Abbau des massiven italienischen Bevölkerungs- bzw. Arbeitskräfteüberschusses auf französischer Seite realiter also handfeste (finanz-)wirtschaftliche Schwierigkeiten entgegen, konnte die französische – in Verbund mit der US-amerikanischen und der britischen – der italienischen Administration andererseits dabei Hilfe leisten, eine Lösung für das Problem auf internationaler Ebene herbeizuführen. Frankreich betrachtete, wie übrigens auch Italien, den italienischen Bevölkerungsüberschuss nicht zuletzt im Zusammenhang mit seinen Sicherheitsinteressen in Europa als Problem von europäischem Interesse. Durch diese vielschichtige Interessenlage wurde das Problem des italienischen Arbeitskräfteüberschusses – neben originär sich mit Migrations- bzw. Flüchtlingsfragen auseinandersetzenden Organisationen wie der EMICO, dem PICMME/ICEM und der IRO – auch innerhalb von UNO, ILO, der OEEC sowie sogar der NATO behandelt. Über den Europarat erreichte Italien schließlich neben der Gleichstellung seines Bevölkerungsüberschusses mit dem Flüchtlingsproblem in Europa die Anerkennung desselben als „gemeinsame europäische Aufgabe“533. Auf europäischer Ebene kam indessen der OEEC besondere Bedeutung zu. Zur Umsetzung des Marshall-Plans gegründet, verpflichtete bereits die Konvention zu ihrer Gründung von 1948 die Teilnehmer, „übermäßige Gleichgewichtsverschiebungen in ihren finanziellen und wirtschaftlichen Beziehungen untereinander und mit nichtbeteiligten Ländern auszugleichen oder zu vermeiden“ 534, was einen durch Freizügigkeit zu erreichenden europäischen Arbeitskräfteausgleich ausdrücklich miteinbezog und durch das auf italienisches Betreiben eingerichtete Manpower-Committee umgesetzt werden sollte. Die freie Wanderung der Arbeitskräfte in Europa lag auch im Interesse der auf das Manpower-Committee Einfluss nehmenden USA: Der von den Vereinigten Staaten forcierten europäischen wirtschaftlichen Rekonstruktion lag nämlich das Prinzip der Handelsliberalisierung zu Grunde. Eine zunehmende Liberalisierung schien aber in Europa nicht realisierbar, wenn der freie Güteraustausch nicht mit dem der Produktionsfaktoren, unter denen seinerzeit wiederum der Faktor Arbeit der wichtigste schien, korrespondierte. Dieser offensiv von italienischen Regierungen sowie dem US-Vertreter bei der OEEC und Stellvertreter des ECA-Administrators Averell Harriman vertretenen Argumentation kann ihre innere Logik nicht abgesprochen werden, obgleich ihr erst mit dem 1986/93 errichteten Binnenmarkt im Rahmen 533 Vgl. Fischer, Europas Flüchtlings- und Bevölkerungsprobleme, S. 6570 f. 534 Wortlaut des Abkommens über die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC). In: Europa-Archiv, 3. Jg. 1948. S. 1345–1348. S. 1345.



Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

191

der Europäischen Union vollständig gefolgt wurde. Für die Economic Cooperation Administration schloss die europäische wirtschaftliche Integration die Freizügigkeit der Arbeitskräfte also in jedem Fall ein, auch weil die Freizügigkeit für Personen Produktionssteigerungen, damit eine Erhöhung des innereuropäischen Warenaustauschs, und dieser wiederum über den gesteigerten Güterexport zusätzliche Deviseneinnahmen ermöglichte. Allen administrativen Initiativen der OEEC zum Trotz blieben die illiberalen Restriktionen auf den Arbeitsmärkten der OEEC-Mitgliedsländer bestehen, nicht zuletzt deshalb, weil selbst noch der OEEC-Ratsbeschluss von Ende 1956 die grundsätzliche Verpflichtung zur Beschäftigung von Ausländern aus OEEC-Mitgliedsstaaten dem Inländerprimat unterwarf. Auch entsprechende an den „Aktionsplan für eine europäische wirtschaftliche Integration“ von Dirk U. Stikker gekoppelte französisch-italienische Initiativen – die Pläne Petsches und Pellas – scheiterten. Der Vorschlag des italienischen Schatz- und Haushaltsmeisters Giuseppe Pella, der die Etablierung eines gemeinsamen Marktes in Europa einschließlich freien Dienstleistungs- und Personenverkehrs vorwegnahm, war insofern folgerichtig, als Italien mit seiner Handelsliberalisierung weit vorangeschritten war und deshalb immer wieder als erstes die Nachteile asymmetrischer Handelsliberalisierung sowie überhaupt die Enge nationaler Faktormärkte zu spüren bekam. Die Vermutung, dass der Pella-Plan die Ebene der Kommissionsdiskussion nicht verließ, weil er Anliegen und Nutzen der italienischen Wirtschaft zu sehr in den Vordergrund rückte,535 könnte auch eine Erklärung für das gleiche Schicksal des Petsche-Plans liefern. Denn mit den Plänen Petsches und Pellas scheinen Frankreich und Italien ihre durchaus kompatiblen Interessen gebündelt und aufgrund des anhaltenden Finanzbedarfs besonders Frankreichs mit von den USA forcierten, europapolitischen Zielen verknüpft zu haben. Der Plan des französischen Finanzministers Maurice Petsche zur Schaffung einer europäischen Investitionsbank zielte nämlich auf die zur Steigerung der industriellen Produktion fehlenden Ausrüstungen in Frankreich und auf Maßnahmen einer organisierten Berufsausbildung italienischer Arbeitskräfte. Die Lösung beider Probleme hätte Frankreich, dem in jedem Fall notwendige Finanzierungsmittel für Investitionen fehlten, einerseits erlaubt, weiterhin Arbeitsmigranten aus Italien aufzunehmen. Andererseits hätten die beiden Pläne die italienische Arbeitsmigration als integralen Bestandteil europäischer Integration erneut unterstrichen, zumal französische Administrationen Wanderungsfragen prinzipiell ‚europäisch‘ gelöst sehen wollten. Trotz anhaltender, auf den verschiedensten Ebenen vorgebrachter italienischer Initiativen schienen die verschiedenen Organisationen der internationalen Gemeinschaft mit ihren mehr oder weniger verbindlichen Vorschlägen kaum zur Lösung des Pro535 Vgl. Fauri, Free but Protected, S. 142.

192

Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

blems des italienischen Bevölkerungsüberschusses in der Lage zu sein. Eine Ausnahme hiervon stellt einzig die Europäische Zahlungsunion dar, die über ihren Kreditmechanismus auf Gegenseitigkeit angelegte Maßnahmen zur Lösung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten erzwang. Dieser Mechanismus konnte seine Wirkung in erster Linie deshalb entfalten, weil Italien neben seinem Arbeitskräfteüberschuss über eine seine Zahlungsbilanz massiv belastende defizitäre Handelsbilanz verfügte. Aufgrund struktureller wirtschaftlicher Veränderungen innerhalb Europas, die durch eine anhaltende Schwäche der französischen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklung einerseits und den kurz nach der Koreakrise einsetzenden Boom der westdeutschen Wirtschaft andererseits gekennzeichnet sind, richtete sich der Fokus italienischer Regierungen bei der Lösung dieser Probleme nun nämlich folgerichtig auf die Bundesrepublik. Insgesamt begannen nun die Zahlungsbilanzdefizite gegenüber anderen Ländern die Wirtschafts- und Migrationspolitik Italiens zu dominieren, zumal auch die in ihren Grundzügen gelöste ‚europäische Frage‘ Italien eine entsprechende Abwendung von Frankreich erlaubte. Hatte Italien Frankreich unter den Bedingungen fehlender Konvertibilität der Währungen bei der Finanzierung der Heimatüberweisungen seiner Arbeitsmigranten nicht unerheblich unter die Arme gegriffen, so befand sich die italienische Administration gegenüber der ebenfalls als überbevölkert geltenden Bundesrepublik allerdings in einer schwächeren Position, d.h. stärker in der Rolle eines Bittstellers. Hier half jedoch das zwischenzeitlich mit der EZU institutionalisierte Clearing, das von seiner Anlage her Gläubigerländer wie die Bundesrepublik dazu zwingen musste, ihre Importe aus Italien zu erhöhen oder – das sollte sich schon bald in den deutsch-italienischen Wirtschaftsverhandlungen herauskristallisieren – italienische Arbeitskräfte zuwandern und diese ihre Ersparnisse nach Italien überweisen zu lassen. Italien begann tatsächlich schon bald, sein strategisches Argumentationsmuster ‚Handelsliberalisierung gegen Zuwanderung‘ ernsthaft gegenüber der Bundesrepublik vorzubringen, wie der Bericht des französischen Botschafters in Bonn an den französischen Außenminister über den Abschluss des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens zeigt. Dessen Ansicht nach lag dem deutsch-italienischen Abkommen nämlich weniger ein realistischer Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik als die Intention zugrunde, mit den Heimatüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten das Zahlungsbilanzdefizit Italiens gegenüber Westdeutschland bis zu einem gewissen Maß ausgleichen zu können.536 536 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/257. Christian de Margerie, Chargé d’Affaires de France auprès de la République Fédérale d’Allemagne à Son Excellence Monsieur Antoine Pinay, Ministre des Affaires Etrangères – Direction d’Europe –. 1er décembre 1955. S. 199–202. S. 201 f.



Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

193

Die gegenüber der Bundesrepublik stark defizitäre italienische Zahlungsbilanz war seit Frühjahr 1952 einer der Hauptgegenstände der deutsch-italienischen Wirtschaftsverhandlungen, spätestens im Oktober 1953 sprach die italienische Seite im Rahmen von Handelsvertragsverhandlungen die Frage der Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik erstmals an. Vergleichbar der Situation in Frankreich lehnten die westdeutschen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte mit Blick auf die seinerzeit bestehende hohe Arbeitslosigkeit sowie die anhaltende Zuwanderung aus der DDR jedoch noch im Oktober 1955 grosso modo ab. Zu jener Zeit stimmten auch Bundesarbeits- und Bundeswirtschaftsministerium mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände überein, die die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte nur als Mittel der letzten Wahl – nach Rationalisierungen und Abbau der Arbeitslosenreserve – betrachtete. Allerdings hatte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard Italien schon Ende des Jahres 1954 unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit die Beschäftigung von 200.000 italienischen Landarbeitern in Aussicht gestellt, damit Italien sein Defizit im Clearing gegenüber der Bundesrepublik durch die Heimatüberweisungen dieser Arbeitskräfte decken konnte.537 Die schließlich am 20. Dezember 1955 in Rom gegen unterschiedliche innenpolitische Widerstände unterzeichnete „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Italienischen Republik über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland“ konnte tatsächlich also die europäische Integration vorantreiben. Zur europäischen Komponente dieser Vereinbarung zählte die FAZ auch die Zahlung des Kindergeldes selbst an die in Italien verbliebenen kinderreichen Familien, in deren Genuss sogar Saisonarbeiter kommen konnten.538 Die solchermaßen zugesagten Kindergeldzahlungen konnten von deutscher Seite im Hinblick auf die passive italienische Zahlungsbilanz tatsächlich als „eine ganz konkrete Form der europäischen Solidarität“ interpretiert werden.539 Die Beschäftigung italienischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik konnte sich selbstredend nur entsprechend der dortigen wirtschaftlichen Entwicklung, das heißt also mit zeitlicher Verzögerung – konkret erst in den 1960er-Jahren –, dynamisch entwickeln. Verständlicherweise waren auch die akuten Handels- und Zahlungsbilanzprobleme Italiens mit der Unterzeichnung der deutsch-italienischen Regierungsvereinbarung nicht sofort lösbar. Dennoch vermochten die (offiziellen wie 537 Vgl. PA Berlin, B 62/54. Ref.: LRI Dr. Lenz, Dr. Oppenheim. Vermerk betr. Beschäftigung von ca. 400 000 italienischen Arbeitnehmern in der BRD vom 20. November 1954. 538 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Arbeiter aus Italien. [Artikel aus:] FAZ vom 29.12.1955. 539 Vgl. BA Koblenz, B 149/6228. Arbeiter aus Italien. [Artikel aus:] FAZ vom 29.12.1955.

194

Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

inoffiziellen, in Form von Devisen oder Waren getätigten) Heimatüberweisungen der italienischen Migranten hier Entlastung zu schaffen, was sich in einem – nach dem absoluten Höchststand in den Jahren 1953/54 – zurückgehenden Außenhandelssaldo Italiens gegenüber Westdeutschland bei seit 1960 stark steigenden Importen540 aus der Bundesrepublik zeigt. Ohne die boomende westdeutsche Wirtschaft hätten die Ziele des Vanoni-Plans, der eine jährliche Auswanderung von 80.000 Arbeitskräften zwischen 1955 und 1964 vorsah und deren Heimatüberweisungen zur Entlastung der italienischen Zahlungsbilanz einkalkulierte, also nicht annähernd erreicht werden können. Hatte sich das deutsch-italienische Anwerbeabkommen auf den „Geist europäischer Solidarität“ berufen und die realwirtschaftliche Entwicklung in diesem Sinne auch beeinflusst, war die italienische Arbeitsmigration aber auch im fortgesetzten Prozess der europäischen institutionellen Integration „von Anfang an ein europäisches Projekt“541. Über die Etappe der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die die Freizügigkeit zunächst ausschließlich Facharbeitern des Montanbereichs zugestand, wurden die italienischen Administrationen nämlich auch im Gründungsprozess der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum wichtigsten Motor in der Frage der Freizügigkeit von Arbeitskräften. Selbst wenn die so anvisierte Freizügigkeit in Europa nach entsprechenden Übergangsfristen erst 1968 verwirklicht werden konnte und die Integration über den Markt die vollständige Mobilität auch des Faktors Arbeit in Europa mit der Zeit ohnehin erzwungen hätte, war Italien bereits 1957, mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge, die Vergemeinschaftung seines Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsproblems mit entsprechenden Handlungszwängen für seine europäischen Partner, ob nun in bi- oder multilateraler Beziehung, gelungen. Damit hat sich das Land im Ergebnis wechselseitiger Beeinflussung zwischen Märkten und Regierungsentscheidungen maßgeblich um die europäische Integration verdient gemacht. An die den ‚Bau des europäischen Hauses‘ tatkräftig unterstützenden „Gastarbeiter“ sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich erinnert! Was aber bleibt nun angesichts dieser Ergebnisse für die migrationshistorische Forschung zu tun? Der folgende, bewusst ausführlich wiedergegebene Auszug aus dem Publikationsorgan der ILO, einem Heft der International Labour Review von 1947, zeigt nicht nur, dass es sich bei der vorliegenden Analyse nicht etwa um einen „merkwürdigen Beitrag zur Migrationsgeschichte“, sondern um unumstößliche Ergebnisse einer wirtschaftshistorischen Analyse des frühen europäischen Migra540 Vgl. Mitchell, European Historical Statistics, S. 560 f. 541 Vgl. Göktürk, Deniz; David Gramling, Antons Kaes, Andreas Langenohl (Hrsg.): Transit Deutschland. Debatten zu Nation und Migration. Eine Dokumentation. Konstanz, 2011. S. 25.



Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

195

tionsregimes handelt. Das folgende Zitat unterstreicht dazu noch einmal dezidiert, dass die frühe italienische Arbeitsmigration in den wenigsten Fällen auf industrielle Nachfrage in den Zielländern – unter ihnen Belgien, Großbritannien, Österreich, Schweden und die Tschechoslowakei – zurückzuführen ist. Damit verweist es aber ebenfalls auf künftige Forschungsfelder, die auch im Fall weiterer Aufnahmeländer notwendig zu einer Korrektur des bisherigen Bildes von der frühen italienischen Arbeitsmigration führen werden: “The Italian Government attaches decisive importance to the regulation of the transfer of the migrants’ savings and any other sums due as a result of the migration movement. In most cases, therefore, the bilateral agreements contain special provisions ensuring, on the one hand that dependants remaining in Italy shall receive the money saved by the workers abroad, and on the other hand that the Italian Government shall obtain the foreign exchange which it requires to pay for imports. In practice the regulations governing these transfers (from Austria, Belgium, Czechoslovakia, France and Great Britain) relate to the maximum amounts which the migrants are authorised to send home and the procedure to be followed. […] As regards the procedure for transfer, the agreements provide for a clearing-house system. Transferable amounts are paid, in the immigration country, into an account to the credit of the Italian authorities. The latter arrange to pay the corresponding amounts, converted into Italian currency, to the persons for whom they are intended. The money accumulating abroad is used either to pay for imports, if Italy can or must buy raw materials or other products in the immigration country, or, if not, to purchase goods on other markets; in the latter case it is converted into U.S. dollars. An additional protocol has recently been appended to the agreement with Belgium (where Italy originally intended to purchase coal) providing for the conversion of the migrants’ savings into U.S. dollars. The same procedure is followed in Sweden. As regards France, according to the new protocol providing for the supply of coal to Italy, payment for imports may be made to the extent of one half with amounts made available by migrant workers, and one half as laid down in the general agreement regarding payments. The amounts made available by Great Britain can only be used in the sterling area. The agreement with Austria provides that the amounts accumulating there shall be used for the purchase of raw materials or semi-finished products.

196

Gastarbeiter für Europa – Ergebnisse

The quantity of coal to be supplied (at present only by Czechoslovakia and France) is as a rule fixed in accordance with the number of Italian workers employed in the coal mines and the work actually performed by them.”542

Auch wenn mit zwei Dissertationen543 in absehbarer Zeit weitere vielversprechende Forschungsergebnisse in der erwähnten Richtung zu erwarten sind, bleiben sowohl wirtschaftshistorische als auch migrationshistorische Forschung nicht nur konzeptionell noch einiges schuldig.

542 Oblath, Italian Regulation of Emigration, S. 420–422. 543 Agnieszka Dreeßen arbeitet an einer auf italienische archivalische Quellen gestützten Dissertation über „Die italienische Wirtschafts-, Europa- und Migrationspolitik nach 1945“, Sandra Hägele bereitet ein Promotionsvorhaben zum Zusammenhang von Marshallplan, der Rolle der USA innerhalb der OEEC und der italienischen Migrationspolitik nach 1945 auf Basis US-amerikanischer archivalischer Quellen vor.

Anhang

Daten zu italienischer Emigration und Arbeitslosigkeit sowie europäischem Arbeitskräftebedarf Tabelle 29: Entwicklung der italienischen Emigration (Saldo aus „dauerhaften“ Aus- und Rückwanderern), 1937–1957 Emigration Inter­kontinental

Immigration

Kontinental

Inter­kontinental

Kontinental

Saldo

1937

30.275

29.670

15.161

20.580

24.204

1938

27.994

71.848

12.517

24.375

62.950

1939

16.198

56.625

7.326

79.953

−14.456

1946

7.078

41.901

525

5.309

43.145

1947

55.316

114.756

9.055

23.591

137.426

1948

111.031

51.675

15.323

5.757

183.786

1949

155.058

36.404

16.319

6.448

168.695

1950

140.204

7.495

28.826

7.081

111.792

1951

135.096

13.078

28.567

12.868

106.739

1952

130.188

147.347

20.384

76.516

180.635

1953

110.209

114.462

26.751

76.287

121.633

1954

140.198

110.727

25.330

81.870

143.725

1955

145.614

174.526

28.030

113.867

178.243

1956

135.352

247.725

29.850

172.858

180.369

1957

104.013

288.438

32.542

181.453

178.456

Quelle: International Labour Office: Year Book of Labour Statistics. 12 Issue 1951–52. Geneva, 1952. S. 337; 1957, S. 508 und 1958, S. 600. th

198

Anhang

Tabelle 30: Bedarf an ausländischen Arbeitskräften sowie für die Arbeitsmigration zur Verfügung stehende Personen (in Tausend), 1. Juli 1947 Durch Einwanderungzu deckender Bedarf Belgien

61,5

Verfügbare Arbeitskräfte Deutschland

Frankreich

290,0

Italien

Großbritannien

120,0

Niederlande

Luxemburg Niederlande

420,0 1.995,0 40,0

5,4

Displaced Persons:

9,3

– in Italien

50,0

– in Österreich

50,0

Österreich

18,0

Schweden

100,0

Schweiz

73,0

Gesamt

677,2

Gesamt

2.555,0

Quelle: Die Wiedergesundung Europas. Schlußbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen. Teil II: Technische Berichte, Heft 4: Arbeitskräfte, Regierungserklärungen über Wirtschafts- und Finanzreformen. Oberursel (Taunus), 1948. S. 4. (=Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, 54).

Tabelle 31: Bedarf an Fachkräften und Ungelernten (in Tausend), 1. Juli 1947 Land Belgien

Bedarf an Facharbeitern

Ungelernten Arbeitern

27,5

9,0

Frankreich

150,0

115,0

Großbritannien

115,0

0

1,5

3,9

Luxemburg

5,3

0

Österreich

Niederlande

17,0

0

Schweden

100,0

0

Schweiz

60,0

13,0

Gesamt

476,3

140,9

Quelle: Die Wiedergesundung Europas. Schlußbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen. Teil II: Technische Berichte, Heft 4: Arbeitskräfte, Regierungserklärungen über Wirtschafts- und Finanzreformen. Oberursel (Taunus), 1948. S. 5. (=Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, 54).



Daten zu italienischer Emigration und Arbeitslosigkeit

199

Tabelle 32: Bedarf an Bergleuten für den Untertagebau (in Tausend), 1. Juli 1947 Land

Bedarf

Belgien

25,0

Frankreich

25,0

Großbritannien

5,0

Niederlande

4,0

Österreich Gesamt

1,0 60,0

Quelle: Die Wiedergesundung Europas. Schlußbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen. Teil II: Technische Berichte, Heft 4: Arbeitskräfte, Regierungserklärungen über Wirtschafts- und Finanzreformen. Oberursel (Taunus), 1948. S. 7. (=Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, 54).

Tabelle 33: Für die Auswanderung zur Verfügung stehende italienische Arbeitskräfte nach Wirtschaftsbereichen (in Tausend, ohne Displaced Persons), 1. Juli 1947 Wirtschaftsbereich I. Brennstoffe und Energieerzeugung Bergbau Gas, Elektrizität, Öl usw. II. Verkehrswesen III. Industrie Maschinenbau und Metallindustrie Steinbrüche Lebensmittel Textil, Leder Holz Chemische Industrie Papier, Druckereien IV. Baugewerbe + öffentliche Arbeiten V. Land- und Forstwirtschaft VI. Verschiedenes Häusliche Dienste Pflegepersonal Handel und Banken Theater und Film Sonstiges Gesamt

Männliche + weibliche Arbeitskräfte 0 20,5 39,5 272,0 36,5 46,0 136,0 73,0 32,5 18,5 410,0 277,0 0 0 152,0 3,0 478,5 1.995,0

Quelle: Die Wiedergesundung Europas. Schlußbericht der Pariser Wirtschaftskonferenz der sechzehn Nationen. Teil II: Technische Berichte, Heft 4: Arbeitskräfte, Regierungserklärungen über Wirtschafts- und Finanzreformen. Oberursel (Taunus), 1948. S. 31. (=Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, 54).

200

Anhang

Tabelle 34: Entwicklung der Arbeitslosigkeit*) in Italien, 1945–1973 (in Tausend und Prozent der Erwerbstätigen) Jahr

Anzahl

%

1945

---

---

1946

1,324

---

1947

1,620

8,3

1948

1,742°)

8,9 °)

1949

1,673

8,6

1950

1,615

8,3

1951

1,721

8,8

1952

1,850

9,5

1953

1,947

10,0

1954

1,959

10,0

1955

1,479

7,6

1956

1,847

9,4

1957

1,643

8,2

1958

1,322

6,6

1959

1,117

5,6

1960

836

4,2

1961

710

3,5

1962

611

3,0

1963

504

2,5

1964

549

2,7

1965

714

3,6

1966

759

3,9

1967

679

3,5

1968

684

3,5

1969

655

3,4

1970

609

3,2

1971

609

3,2

1972

697

3,7

1973

668

3,5

*)

bis 1954: registrierte Arbeitslose, ab 1955: Arbeitslosenzahlen nach Stichprobenerhebung

°)

ohne 3. Quartal

Quelle: Mitchell, Brian R.: European Historical Statistics 1750–1975. 2nd revised edition. New York/ London/Basingstoke, 1980. S. 178 und 180.



Daten zu den Zahlungs- und Kapitalbilanzen Italiens und Frankreichs

201

Daten zu den Zahlungs- und Kapitalbilanzen Italiens und Frankreichs Tabelle 35: Zahlungsbilanz Italiens (in Mio. US-Dollar), 1946–1955 1946

1947

1948

1949

1950

1951

1952

1953

1954

1955

A. Goods and services Debts: Imports, fob

759.8 1,326.3 1,436.4 1,415.8 1,363.6 1,919.2 2,125.1 2,212.8 2,217.4 2,439.0

Foreign travel Freights

---

0.4

2.4

8.1

16.4

17.3

16.5

16.6

18.3

21.4

174.7

194.6

156.6

178.2

168.2

239.1

243.1

286.8

290.0

334.5

---

5.9

5.2

4.6

4.3

6.5

7.6

19.0

19.1

20.3

---

5.2

12.8

15.7

23.4

28.6

30.5

32.2

34.6

43.6

---

14.7

24.2

13.7

21.9

26.9

22.2

40.7

34.4

41.8

13.0

10.2

6.3

36.1

62.6

67.1

66.1

75.5

48.1

63.8

Insurances Income from capital Government services Other items Total

947.5 1,557.3 1,643.9 1,672.2 1,660.4 2,304.7 2,511.1 2,683.6 2,661.9 2,964.4

Credits: Exports

465.0

Foreign travel Freights Insurances Income from capital Income from labour Government services Other items Total Balance goods and services

670.0 1,075.4 4,117.7 1,203.2 1,644.1 1,378.6 1,473.1 1,581,7 1,777.5

2.0

6.8

26.3

42.5

83.2

89.2

91.5

147.3

156.4

211.5

28.6

37.7

44.9

80.7

106.0

135.1

186.8

245.9

275.6

320.5

---

6.4

9.4

8.3

6.9

7.5

6.4

13.2

13.9

16.1

---

0.3

0.5

0.5

6.7

21.3

17.6

25.6

22.5

25.9

---

14.0

34.8

37.4

28.8

28.8

43.2

51.2

44.8

45.0

---

11.4

23.4

32.6

24.5

37.3

29.4

38.5

43.4

43.9

11.4

68.3

88.8

88.2

93.7

113.9

145.0

143.9

150.8

14.0 509.6

758.0 1,283.0 1,408.5 1,547.5 2,057.0 1,867.4 2,139.8 2,282.2 2,591.2

−437.9 −799.3 −360.9 −163.7 −112.9 −247.7 −643.7 −543.8 −379.7 −373.2

B. Unilateral transfers Emigrants remittances

45.0

20.1

50.1

55.3

44.8

44.1

63.8

74.4

73.8

79.7

Private donations

65.0

32.1

47.0

25.7

36.9

35.8

25.4

41.2

37.4

59.6

---

−8.3

−27.6

−8.4

−34.0

−62.9

−31.6

−22.2

−8.1

−10.8

110.0

43.9

69.5

72.6

47.7

17.0

57.6

93.4

103.1

128.5

Reparations Total C. Total A + B

−327.9 −755.4 −291.4 −191.1

−65.2 −230.7 −586.1 −450.4 −276.6 −244.7

202

Anhang 1946

1947

1948

1949

1950

1951

1952

1953

1954

1955

109.1

153.4

163.0

D. Government aid Offshore procurements and defence services Donations Total E. Total C + D

74.0

120.1

15.6

12.8

13.9

13.4

42.0

479.8

245.1

312.4

296.4

232.6

277.4

199.6

124.4

63.3

37.2

553.8

365.2

328.0

309.2

246.5

290.8

241.6

233.5

216.7

200.2

225.9 −390.2

36.6

118.1

181.3

60.1 −344.5 −216.9

−59.9

−44.5

−46.3

−26.6

−52.2

−37.7

−37.8

−32.5

F. Movements of capital and gold coins Repayment of debts Foreign credits and debts:

12.4

−10.8

(a) public

54.4

182.7

54.9

140.3

38.2

−13.6

15.3

6.1

76.6

81.8

(b) private

42.0

8.3

15.0

16.0

−13.7

33.0

46.8

36.8

56.4

73.5

---

−29.2

11.4

16.2

29.5

33.6

22.3

18.7

54.7

75.2

Foreign investments in Italy and Italian investment abroad Sums available abroad Total

−44.1

−46.6

−145.1

55.9 −239.8 −450.6

57.5 −150.8

96.2

60.0

−48.9 −112.9

−36.3

206.9 −204.8 −304.7

59.3 −135.5

136.5

75.0

101.0

85.1

G. Discrepancies between trade and currency figures (1) balance of trade items not financed with currency (2) trade credits [1946: referring to clearing agreements]

---

187.4

121.0

−17.7

−17.2

−17.7

H. Errors and −171.9 omissions [1946 incl. Discrepancies (G)]

Total

C + F + G = um Auslandshilfen korrigierte Position H*) *)

87.9

54.2

55.1

40.4

20.5

−25.5

4.4

76.8

21.2 −237.0

15.5

151.8

106.8

20.6

−13.8

170.2

197.8

109.1 −182.8

70.6

192.2

127.3

−4.9

−9.4

13.1

−29.6

4.8

15.8

14.6

−36.2

−31.2

77.5

−57.8

−381.9 −378.3 −298.4 −386.7 −188.7 −295.6 −257.4 −248.1 −180.5 −169.0

Eigene Berechnungen

Quelle: Banco di Roma (Hrsg.): Review of the Economic Conditions in Italy. Ten Years of Italian Economy 1947–1956. Roma, 1957. S. 187–189.



Daten zu den Zahlungs- und Kapitalbilanzen Italiens und Frankreichs

203

Tabelle 36: Zahlungs- und Kapitalbilanz der Franc-Zone (Frankreich und Pays d’outre-mer) (in Mio. US-Dollar), 1945–1949 Importations moins exportations

1945

1946

1947

1948

1949

−861,4

−1.527,2

−1.451,7

−1.428,3

−467,6

Touristes et voyageurs

−20,2

−18,6

9,3

70,1

120,6

Transports, assurances

−25,8

−245,5

−310,7

−272,6

−208,8

Revenus du capital

−14,9

82,6

121,9

132,1

83,0

Services divers

−25,5

−24,1

−7,3

−90,1

−75,4

Recettes et dépenses gouvernementales

22,9

−44,7

60,6

−68,4

−113,1

Règlements d’opérations nées de la guerre Solde des payements courants entre les territoires d’outre-mer et l’étranger Divers

−213,2

25,5

8,7

30,1

−13

−374,6

−296,7

−162,6

−207,6

−167,3

Solde des payements courants

22,2

−0,1

56,1

97,1

134,2

−1.490,5

−2.048,8

−1.675,7

−1.737,6

−706,5

Réquisition d’avoirs privés

---

200,0

183,6

110,5

17,6

Liquidation et constitution d’avoirs privés français à l’étranger Emprunts et remboursements d’emprunts publics français à l’étranger Aide américaine

---

−23,6

−93,7

53,0

77,5

844,1

751,7

1.205,4

386,5

−87,7

---

---

---

754,0

855,4

---

---

---

64,4

214,4

Mouvements des avoirs publics en or

447,4

706,1

438,4

20,1

11,4

Mouvements des avoirs publics en devises Mouvements des soldes des comptes des accords de payement Divers, erreurs et omissions

180,3

231,6

−92,6

177,4

−148,9

113,1

91,5

64,1

117,4

−286,1

−94,4

91,5

−29,5

54,3

52,9

1.490,5

2.048,8

1.675,7

1.737,6

706,5

Droits de tirage (O.E.C.E.)

Solde des mouvements de capitaux

Quelle: Ministère des Finances, des Affaires Économiques et du Plan; Institut National de la Statistique et des Études Économiques: Mouvement économique en France de 1944 à 1957. Paris, 1958. S. 104 f.

204

Anhang

Tabelle 37: Zahlungsbilanz Frankreichs*) (in Mio. US-Dollar), 1949–1956 1949

1950

1951

1952

1953

1954

1955

1956

1.567

1.880

2.496

2.024

2.155

2.545

3.150

3.279

144

185

190

134

122

182

191

153

129

109

137

135

154

20

24

26

34

31

a. Recettes: Marchandises (exportations) Touristes et voyageurs Transports Assurances Revenus du capital Services divers Recettes du gouvernement français Dépenses de gouvernements étrangers Divers Total des recettes

100

92

138

118

75

79

99

109

115

149

197

87

88

103

127

119

141

207

223

4

5

9

9

10

12

15

24

---

---

77

263

475

575

650

527

180

175

91

98

93

124

122

120

2.200 2.500 3.183 2.902 3.216 3.856 4.652 4.708

b. Dépenses: Marchandises (importations) Touristes et voyageurs Transports Assurances Revenus du capital Services divers [incl. revenus du travail, transferts effectués par les travailleurs étrangers employés en France] Dépenses du gouvernement français Recettes de gouvernements étrangers Divers Total des dépenses Soldes marchandises et services

2.035

1.958

3.267

2.643

2.494

2.724

3.064

4.087

23

44

113

110

128

121

158

219

293

210

211

253

390

278

197

351

32

36

35

40

40

18

23

41

45

50

64

78

94

193

172

197

191

229

253

278

360

117

117

132

134

141

143

144

152

---

---

5

5

7

10

8

8

75

104

77

40

37

33

27

42

2.739 2.615 4.153 3.493 3.332 3.594 4.050 5.392 −539

−115

−970

−591

−116

262

602

−684

à la métropole

855

509

481

353

350

à l’Indochine

---

---

---

---

---

186

59

86

---

134

Participation américaine aux dépenses en Indochine

---

---

---

---

---

---

321

344

10

Aide économique à la Yougoslavie

---

---

−4

−10

−8

---

---

---

214

−125

257

199

---

−69

−155

121

1.069

384

734

542

342

438

382

217

c. Aide extérieure et U.E.P.: Aide américaine directe:

Crédit accordé par (+) ou à (−) l’UEP Total



205

Daten zu den Zahlungs- und Kapitalbilanzen Italiens und Frankreichs 1949

1950

1951

1952

1953

1954

1955

1956

−138

−157

226

−50

−25

−347

−571

728

−286

−111

29

−18

−20

−23

−36

82

−20

−48

−31

41

−51

−95

−50

−146

114

145

16

57

−85

−28

35

−1

d. Or et devises: Mouvements des avoirs publics en or ou en devises Mouvements des soldes des comptes des accords de payements Mouvements des avoirs privés en devises Mouvements des comptes étrangers en francs Divers

17

2

108

−57

26

26

−34

11

−313

−169

348

−27

−155

−467

−656

674

39

161

68

71

95

36

20

43

−88

−138

−92

31

−104

−259

−199

−142

−49

23

−24

102

−9

−223

−179

−99

168

123

88

26

61

10

150

108

(a − b) + d + e = um Auslands­ −901 hilfen korrigierte Position H**) Um Auslandshilfen korrigierte −1.068 Position H + Zahlungsbilanzsaldo gegenüber den französischen Überseegebieten**)

−261

−646

−516

−281

−428

−232

−109

−384

−734

−542

−341

−439

−381

−216

Total e. Opérations en capital Investissements et crédits privés Investissements et emprunts publics Total H. Erreurs et omissions [(a − b) + c + d + e]**)

*)

Ohne Pays d’outre-mer. **) Eigene Berechnungen

Quelle: Ministère des Finances, des Affaires Économiques et du Plan; Institut National de la Statistique et des Études Économiques: Mouvement économique en France de 1944 à 1957. Paris, 1958. S. 248 und 250 f.

206

Anhang

Positionen innerhalb der deutschen und französischen Administration gegenüber italienischer Arbeitsmigration Tabelle 38: Ministerielle Positionen innerhalb der französischen und bundesdeutschen Regierungen pro bzw. contra italienische Arbeitsmigration Französische Administration Pro

Contra („Économistes“)

Außenministerium Bevölkerungsministerium Arbeitsministerium Finanzministerium Planungskommissariat Wirtschaftsministerium Gewerkschaften

Bundesdeutsche Administration Pro

Contra

Außenministerium Bundeskanzleramt Wirtschaftsministerium (zunächst und mit Einschränkung) Arbeitsministerium Quelle: Eigene Darstellung.



Quellen- und Literatur

207

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellenverzeichnis Archivalien Archive Banque de France (ABdF) N° 1370199403 – Direction générale des études, Dossier pays N° 1463200401 – Direction générale des services étrangers, Service N° 1474198804 – Direction générale des services étrangers, Direction N° 1489200401 – Direction générale des services étrangers, Direction de la régle mentation des changes Archives diplomatiques, Ministère des Affaires étrangères 6 QO – Série „Cabinet du Ministre“, George Bidault 1944–1947 7 QO – Série „Cabinet du Ministre“, Robert Schuman 1948–1953 10 QO – Série „Cabinet du Ministre“, Antoine Pinay 1955–1956 11 QO – Série „Cabinet du Ministre“, Christian Pineau 1956–1958 20 QO – Série „Direction des affaires économiques et financières“ 193 QO – Série „Affaires politiques – Europe après 1944“ Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) B 102 – Bundesministerium für Wirtschaft B 119 – Bundesanstalt für Arbeit B 136 – Bundeskanzleramt B 146 – Bundesministerium für den Marshallplan/Bundesministerium für wirtschaft liche Zusammenarbeit (bis 1957) B 149 – Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Centre des Archives économiques et financières (CAEF) B-0010781 – Italie, relations financières avec la France B-0010782 – Italie, accord franco-italien sur l’immigration B-0065233 – Italie, accords commercial et financier du 9 février 1946 entre la France et l’Italie B-0010768 – Italie, relations financières avec la France B-0061275 – Salaires, pension en Sarre, 1944–1954 B-0010769 – Italie, application de l’article 79 du traité de paix de 1947 (1947–1951)

208

B-0060339 – B-0060342 – B-0061176 – B-0060868 – B-0010780 – B-0010783 –

Anhang

Italie, 1948–1957 Italie, 1949–1950 Commission interministérielle de l’immigration Traité de paix avec l’Italie Italie, traité de l’union douanière entre la France et l’Italie (1947–1951) Italie, accord franco-italien sur les transferts financiers de travailleurs italiens (1948–1951)

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA Berlin) Wirtschaftsabteilung

B 50 – Handelspolitische Abteilung B 51 – Allgemeine Handelspolitik B 52 – Grundsatzfragen der Handelspolitik B 53 – Zwischen- und überstaatliche wirtschaftliche Organisationen, Europäische wirtschaftliche Organisationen, Freihandelszone, GATT; Internationale wirt schaftliche Zusammenarbeit B 60 – Nord- und Westeuropa, Staaten der EWG, Nordische Staaten, Maghreb, Selbstän dige Staaten West- und Zentralafrikas, Großbritannien, Irland; Wirtschafts beziehungen zum Westen B 62 – Mittelmeerländer, Schweiz, Österreich, Iberische Halbinsel, Östliche Mittel meerländer Rechtsabteilung

B 85 – Sozialwesen, Arbeits- und Sozialrecht

Publizierte Quellen Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907. Abrufbar unter: http://www.1000dokumente. de/index.html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=pdf&st=&l=de (30.06.2015). Accord commercial entre l’Italie et la France signé à Rome, 22 décembre 1946. In: Atti Parlamentari: Assemblea Costituente, Nr. 26. Seduta del 23 luglio 1947. S. 1–19. Arrangement relatif au recrutement d’ouvriers italiens comme travailleurs du fond pour les mines françaises, signé à Rome le 22 février 1946. In: Recueil général des Traités de la France. 1re  Série: Accords bilatéraux publiés et non publiés au Journal Officiel de la République Française 1945–1949. Paris, 1982. Quatrième Volume, S. 41–43.



Quellen- und Literatur

209

Auffray, Bernard: Les Rapports Franco-Italiens en matière de main-d’œuvre. In: Revue française du travail, Nr. 12/1947. S. 248–256. Balance of Payments Yearbook. Vol. 4 (1950–1951) – Vol. 13 (1956–1960). Hrsg. vom International Monetary Fund/Balance of Payments Division. Washington D. C., 1952 ff. Banco di Roma (Hrsg.): Articles contributed by Costantino Bresciani Turroni to the Review of the Economic Conditions in Italy in the Years from 1947 to 1962. Rome, 1964. Banco di Roma (Hrsg.): Review of the Economic Conditions in Italy. Ten Years of Italian Economy 1947–1956. Roma, 1957. Bourgeois-Pichat, Jean: Migrations et Balance des Comptes. In: Population, 4. Jg. 1949. Heft 3, S. 417–432. Bekanntmachung der Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Italienischen Republik über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland. In: Bundesanzeiger, 8. Jg. Nr. 11 vom 17. Januar 1956. S. 1–4. Bundesanzeiger. Hrsg.: Bundesminister der Justiz. Köln/Bonn, 1. Jg. 1949 ff. Bundesarbeitsblatt. Hrsg.: Bundesministerium für Arbeit (und Sozialordnung). Stuttgart/Bonn, 1. Jg. 1950 ff. Bundesgesetzblatt. Teil I und II. Hrsg. vom Bundesminister der Justiz. Köln/Bonn, 1. Jg. 1949/50 ff. Bureau International du Travail: La Réglementation des Migrations. Volume III: Les traités et les conventions internationales. Genève, 1929. (Études et Documents, Série O (Migrations), 3). Bureau International du Travail: Les Migrations Internationales 1945–1957. Genève, 1959. (=Études et Documents, Nouvelle série, N° 54). Comitato interministeriale per la ricostruzione: The Development of Italy’s Economic System within the Framework of European Recovery and Cooperation. Roma, 1952. Commissariat général au plan de modernisation et d’équipement: Données statistiques sur la situation de la France au début de 1946 rassemblées en vue des négociations de Washington. Paris, 1946. Convention n° 97 sur les travailleurs migrants (révisée), 1949. Abrufbar unter: http:// www.ilo.org/dyn/normlex/fr/f ?p=1000:12020:0::NO:::. (30.06.2015). Das Europäische Wiederaufbauprogramm der Vereinigten Staaten. Vom Gesetzentwurf bis zur Unterzeichnung des Gesetzes für wirtschaftliche Zusammenarbeit von 1948. In: Europa-Archiv, 3. Jg. 1948. S. 1369–1394. Das italienisch-französische Auswanderungsabkommen. In: Europa-Archiv, 2. Jg. 1947. S. 653 f.

210

Anhang

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Register Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr (16.10.1948) 21, 101, 137ff., 189 Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr (07.11.1949) 23, 71, 108, 111, 137f. Accord commercial entre la France et l’Italie (09.02.1946) 72, 80, 82 Accord commercial et financier franco-italien (20.03.1948) 74 Accord de paiement 72, 80 Accord franco-italien d’immigration (21.03.1947) 82f., 91, 95, 185, 189 Accord franco-italien relatif aux modalités d’application de l’article 79 du Traité de Paix (29.11.1947) 104 Accord franco-italien relatif aux transferts financiers des travailleurs italiens (26.03.1949) 102f., 108 Accord général d’Immigration (21.03.1951) 91f. Accord mineurs-charbon 98 Accord Sforza-Croizat 82, 185 Agrarwirtschaft (siehe auch Landwirtschaft) 113 Algerien 54, 70, 102, 188 algerische Arbeitskräfte 52, 55f., 59, 147 Ambrosius, Gerold, dt. Wirtschaftshistoriker 16 Anwerbeabkommen (siehe auch Anwerbevereinbarung) 45, 72, 77, 143, 170, 172, 184, 192, 194 Anwerbestopp 175, 182 Anwerbevereinbarung (siehe auch Anwerbeabkommen) 14, 164, 172, 175, 177ff., 181, 185 Arbeiterwohnsiedlungen 117 Arbeiterwohnungen 115 Arbeiterwohnungsbau 129 Arbeitgeber 50, 54, 61, 92, 95, 99, 117, 158, 176f., 181, 184 Arbeitgeberverbände/-vereinigungen 54, 169f., 176, 184, 193

Arbeitskräftemangel 60, 90, 113, 127, 143, 175, 182, 184, 192 Arbeitskräfteüberschuss 27, 45, 60, 74, 77, 94, 100, 120, 122, 126f., 129, 136, 144, 149, 151f., 160ff., 185, 187, 190, 192 Arbeitskräftewanderung 126, 128f., 156 Arbeitskräftezuwanderung (siehe auch Zuwanderung) 60, 147, 185 Arbeitslose 17, 27, 75f., 90, 95, 117, 140, 147, 161, 165, 168, 170, 173, 184, 186, 193 Arbeitslosenproblem 39, 41, 47, 136 Arbeitslosenquote 27, 171, 182 Arbeitslosigkeit 14, 25, 27ff., 33, 36, 42, 46ff., 53, 101, 113, 121, 127, 147ff., 150, 162, 165, 169f., 175, 186f., 193 Arbeitsmarktlage 157, 166 Arbeitsmarktpolitik 146, 175 Arbeitsmarktreserven 171, 173 Arbeitsteilung 13, 15, 17, 21, 23f., 26, 36, 121, 132, 142, 185, 187 Argentinien 35, 38, 41, 44ff., 94, 140f., 148, 153 Arrangement commercial franco-italien (25.07.1947) 74 Arrangement relatif au recrutement d’ouvrier italiens comme travailleurs du fond pour les mines francaises (22.02.1946) 78, 91, 98, 185 Auffray, Bernard, frz. Ministerialbeamter 79, 91 Außenbeitrag 57, 66, 70, 111 Außenhandelsbeitrag 66 Außenhandelsdefizit 35, 67, 111, 138, 189 Außenhandelssaldo 39, 194 Außenwirtschaftspolitik 71, 114, 187, 189 Außenwirtschaftstheorie 13, 16f. Auswanderungskonferenz (ILO) 133 Balaÿ, Georges, frz. Botschafter in Rom 88



Register

Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 23 Banque de France 71, 73, 80, 86, 105 Bargeldsendungen 97 Bauernfamilien 91, 94, 115f. Baugewerbe 180ff. Bauwirtschaft 58, 60, 113, 182 Belgien 35, 44, 56, 60, 68, 90, 98, 108f., 116, 119, 123, 125, 137, 147, 153, 156, 185, 187, 195 Bergarbeiter 77, 79, 81, 98f., 189 Bergbau 60, 78f., 80f., 89, 91, 99, 102f., 171, 174, 180f., 184f., 188 Bergleute 44, 72, 78, 90f., 96, 98f., 103f., 108f., 185 Bergwerke (siehe auch Kohlebergwerke) 76, 88ff., 98, 100, 109f., 118, 185 Bevin, Ernest, britischer Außenminister 117 Bevölkerungspolitik 94 Bevölkerungspolitiker 51, 57f., 61 Bevölkerungsproblem 17, 122, 149, 186, 194 Bevölkerungsüberschuss 42, 76, 120, 122, 126, 131, 144f., 147, 151ff., 154, 165f., 190, 192 Bidault, Georges, frz. Außenminister 115 Binnenmarkt, europäischer 26, 132, 156, 190 Binnenmigration, italienische 36, 130, 153, 181 BIZ Siehe Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Blum, Léon, frz. Ministerpräsident 56, 66 Bourgeois-Pichat, Jean, Direktor des INED 62 Bousquet, Raymond, Beamter im frz. Außenministerium 78, 88, 100 Brasilien 35, 40f., 44ff., 148, 153 Bresciani-Turroni, Costantino, it. Wirtschaftswissenschaftler, Vertreter beim IWF und Außenhandelsminister 141ff. Brüsseler Pakt 146 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 169, 184, 193

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CEEC Siehe Committee for European Economic Cooperation CGT Siehe Confédération générale du travail Charbonnages de France 78, 110 Chile 40, 44f., 148 Clearing 23, 28, 112, 138, 141, 143, 163, 173, 192f., 195 Commissariat au Plan 58f., 62f., 82 Committee for European Economic Cooperation 46, 60, 184 Compte Ouvriers italiens en France 80, 82ff. Confédération Générale du Travail 63, 75, 78, 188 Conférence tripartite d’experts sur les migrations européennes Siehe Tripartite Meeting of Experts on European Migration Croizat, Ambroise, frz. Arbeitsminister 58, 82, 88, 90, 95, 185 De Gasperi, Alcide, it. Ministerpräsident bzw. Außenminister 77, 115 De Gaulle, Charles, frz. Politiker 51f., 55, 68, 77 Demographen 51ff., 62, 145 Demographisch-wirtschaftlicher Plan 145f. Devisenbilanz 20, 26, 62, 100, 188f. Devisenkontrollen 57, 71 Devisenmangel 29, 163, 186 Devisenproblematik 14, 56, 94, 175 Devisenschwäche 64, 71, 91, 100 Dienstleistungsbilanz 20, 25, 163 Displaced Persons 76, 96, 118, 127 Dollar-Lücke 20f., 27, 35f., 124, 140, 144, 187 Duparc, Jacques Fouques, frz. Botschafter in Rom 139 ECA Siehe Economic Cooperation Act bzw. Administration Economic Cooperation Act 20, 124 Economic Cooperation Administration 40f., 46, 123ff., 128ff., 137, 139, 148, 187, 190f. Économistes bzw. Ökonomen 51, 53, 59, 63

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Anhang

EGKS Siehe Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie Montanunion Einwanderungsabkommen 90ff., 94 Erhard, Ludwig, bundesdt. Wirtschaftsminister 142, 162, 167f., 173, 193 Erntehelfer 60, 88, 184 ERP Siehe European Recovery Program Ersparnisse 94f., 102, 106f., 110, 143, 165, 192 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 154ff., 158f., 194 Europäische Produktivitäts-Agentur 136 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 26, 49, 154f., 159f., 175f., 186f., 194 Europäische Zahlungsunion 23ff., 49, 71f., 112, 114, 137ff., 141f., 144, 162ff., 165, 167, 172, 192 Europäisches Zahlungs- und Kompensationsabkommen, erstes Siehe Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr (16.10.1948) Europäisches Zahlungs- und Kompensationsabkommen, zweites Siehe Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr (07.11.1949) Europäisches Zahlungsabkommen (1955) 71 European League for Economic Cooperation 121 European Migrations Commission 122f. European Productivity Agency Siehe Europäische Produktivitäts-Agentur European Recovery Program 20, 22f., 26, 34, 36f., 86, 124f., 137f., 187 EWG Siehe Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Expertenkonferenz über die europäische Migration Siehe Tripartite Meeting of Experts on European Migration EZU Siehe Europäische Zahlungsunion Facharbeiter / Fachkräfte 47, 60, 129, 157ff., 166ff., 171, 185, 194 Faktor Arbeit 69f., 128, 162, 190, 194

Faktormarkt /-märkte 16, 132, 191 Faktormobilität 137, 141 Familienbeihilfen 79, 81ff., 87f., 92, 101, 103 Familiennachzug 81, 88, 92 Fanfani-Plan 115 Fanfani, Amintore, it. Arbeitsminister 115 Fenizio, Ferdinando di, ital. Ökonom 48 Finebel 76 Flüchtlinge 15, 30, 54, 94, 158, 169, 180 Franc-Zone 69, 102 Freizügigkeit 26, 54, 121, 124, 126, 128f., 131, 135f., 142, 152ff., 156ff., 159f., 166, 173, 176, 190f., 194 Friedensvertrag mit Italien (29.11.1947) 45, 78, 86, 104 Fritalux 76 Fünfjahresplan 46, 59 GATT Siehe General Agreement on Tariffs and Trade Geburtenrate 42, 146 Gegenwertfonds /- konten /-mittel (ERP) 23, 101, 125, 129f., 189 General Agreement on Tariffs and Trade 71 Gewerkschaften 50, 53, 59, 63, 78, 92, 94, 99, 139, 170f., 193 Gold- und Devisenreserven 20, 56, 70, 164 Griechenland 35, 120, 125, 136, 145, 148, 175 Guillen, Pierre, frz. Historiker 57 Haager Landkriegsordnung 76 Handel, (inner)europäischer 20f., 23, 26, 36, 73, 128, 131, 138, 155, 187f. Handelsabkommen 45, 72, 80f. Handelsbilanz 20, 23, 49, 65, 95, 107, 113, 141, 161, 163, 165, 192 Handelsbilanzdefizit 18f., 28, 70, 97, 139, 141 Handelsbilanzüberschuss 141 Handelsbilanzungleichgwicht 171 Handelsliberalisierung 24f., 69, 71, 132, 137, 150, 165, 168, 190ff. Handelsüberschuss /-schüsse 18, 161



Register

Harriman, Averell, US-Vertreter bei der OEEC, Sondervertreter der ECA in Europa und Stellvertreter des ECAAdministrators 129, 190 Heimatüberweisungen 24ff., 28f., 31, 36, 38, 43, 48f., 57, 73, 79f., 82ff., 86ff., 97ff., 100ff., 103f., 106f., 109ff., 112f., 130, 137, 139f., 143, 151, 182, 187ff., 192ff. Hoffman, Paul G., ECA-Administrator 124, 129, 187 IBRD Siehe Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ICEM Siehe Intergovernmental Committee for European Migration ICLE Siehe Istituto nazionale di Credito per il Lavoro italiano all’Estero Illegale Einwanderung bzw. Migration 50, 53f., 87f., 89, 96, 101, 188 ILO Siehe International Labour Organisation Industrie (allgemein) 24, 27, 58, 61, 87, 109, 114, 141, 143, 146, 154, 156, 171, 173, 180, 182, 184, 189 Industrieproduktion 37f., 64, 78, 89, 134, 161, 191 INED Siehe Institut National des études démographiques Institut National des études démographiques 51, 57, 62 Integration, europäische, auch europäische wirtschaftliche 13ff., 16f., 26, 31, 34, 41, 120, 129, 131f., 134f., 142, 144ff., 155, 161f., 172, 184ff., 187f., 191, 193f. Integrierungsfonds 132f. Interessen, organisierte 72, 75, 188 Intergovernmental Committee for European Migration 123f., 190 International Bank for Reconstruction and Development 126 International Labour Organisation 28f., 41, 57, 79, 97, 120, 122ff., 126, 133, 146, 148, 154f., 157, 173, 186, 190, 194 International Labour Review 79, 194

229

International Refugee Organization 121, 123, 126f., 148, 190 Internationale Arbeitsorganisation / Internationales Arbeitsamt Siehe International Labour Organisation Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 126 Internationale Flüchtlingsorganisation Siehe International Refugee Organization Internationaler Währungsfonds 30, 67, 141, 168 Investitionsbank 132, 191 IRO Siehe International Refugee Organization Istituto nazionale di Credito per il Lavoro italiano all’Estero 40 IWF Siehe Internationaler Währungsfonds Kapitalbilanz 20, 26, 97, 188 Kapitalexport 20, 140f., 164 Kapitalmangel 20, 40f., 47 Kapitalmarkt 31, 163 Kapitaltransfer 68, 104 Kapitalverkehr, freier 26, 74, 118, 121, 130, 144, 159 Kindergeldzahlungen 178, 193 Kohle 65, 69, 89ff., 99, 110, 156, 162, 185, 189 Kohle- und Stahlfacharbeiter 157ff. Kohle- und Stahlindustrie 132, 155, 157f. Kohlebergwerke (siehe auch Bergwerke) 88f., 98, 100, 102, 109, 184f., 189 Kohleimporte 70, 90f. Kolonien / Kolonialgebiete 30, 42, 117, 127, 147 Kolonisation 40, 45f., 189 Komitee für Arbeitskraft Siehe Manpower Committee Kommunistische Partei 37, 58, 63, 67, 152, 170 Konvertibilität / Konvertierbarkeit 18, 23, 70, 73, 104, 125, 140ff., 163, 168, 192 Koreakrieg / -krise 121, 162f., 168, 192 Kriegsgefangene 54, 58f., 76, 91 Landarbeiter 44, 113, 173f., 179f., 193

230

Anhang

Landes, Département 116 Landflucht 153, 181 Landwirtschaft (siehe auch Agrarwirtschaft) 27, 33, 47, 58, 60, 64, 69, 87, 99, 103, 109, 114, 129, 132, 141, 143, 166, 171, 173f., 178ff., 181, 184 landwirtschaftliche Arbeitskräfte 99, 103, 108, 115, 181 Latin America Economic Committee 123, 126 Lavanier, Christian de, frz. Finanzattaché in Rom 100f. Lebenshaltungskosten 95, 100f. Lebensmittelpakete 102 Leistungsbilanz 20, 28, 48f., 113 Leistungsbilanzüberschüsse 164 Les Landes Siehe Losse, Landgut Liberalisierung 24ff., 69, 71, 125f., 128, 130, 132f., 135, 137, 144, 146, 150f., 162, 165, 167f., 173, 190ff. Liberalisierungsgrad 112, 188 Lohnzuschläge 106f., 114 Losse, Landgut (Département Landes) 116 Malagodi, Giovanni, it. Politiker 130 Manpower Committee 119, 123, 126f., 128ff., 135, 148, 190 Marshall-Plan (siehe auch European Recovery Program) 20ff., 23, 34, 36f., 40, 56, 64, 67, 69, 74f., 86f., 101, 125, 137f., 140, 150, 161, 187, 189f. Mauco, Georges, frz. Politiker 51f. Mayer, René, frz. Finanzminister 67f. Mehrfachwechselkursregime 104f. Meistbegünstigung 131 Mendès France, Pierre, frz. Wirtschaftsminister 66, 70 Mezzogiorno 33, 136 Migrationsabkommen 29f., 44, 50, 64, 72, 86ff., 89ff., 100, 139, 185 Migrationsforschung 13f. Migrationstheorien 15f. Monnet-Plan 59, 156 Monnet, Jean, frz. Planungskommissar 56, 58f., 155f.

Montanfacharbeiter Siehe Kohle- und Stahlfacharbeiter Montanunion 34, 110, 154, 156, 158f. Nachfrage nach Arbeitskräften 15f., 153, 184f., 195 NATO Siehe North Atlantic Treaty Organization Niederlande 30, 35, 44, 52, 116, 120, 125, 140, 145, 148, 154, 156 Niederlassungsfreiheit 160 Niederlassungsvereinbarung 50 North Atlantic Treaty Organization 14, 121, 123, 190 OEEC Siehe Organization for European Economic Cooperation Office National d’Immigration 51ff., 54, 87f., 114, 117 ONI Siehe Office National d’Immigration Ordonnance du 2 Novembre 1945 51 Organization for European Economic Cooperation 21, 23, 26f., 34, 40f., 46, 48, 57, 60, 69, 71, 73, 75, 110, 119, 123ff., 126ff., 129ff., 132ff., 135ff., 138, 140, 145f., 148, 151, 154f., 157ff., 162, 165, 184, 186f., 190f. Pella-Plan 132ff., 191 Pella, Giuseppe, it. Schatz- und Haushaltsminister 132ff., 141, 191 Permanent Migration Committee 29, 154 Petsche-Plan 132, 134, 191 Petsche, Maurice, frz. Finanzminister 132, 134 Peuplement 51, 59 Pflimlin-Plan 132, 134 PICMME Siehe Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe Pinay, Antoine, frz. Finanzminister 70 Plan zur Modernisierung und Ausrüstung der französischen Wirtschaft (19541957) 113 Planification 65 Planungskommissar 155 Planungskommissariat Siehe Commissariat au Plan Popolo, it. Tageszeitung 110



Register

Prime (additionnelle) Siehe Wechselkursbzw. Lohnzuschläge Produktivität 19, 59, 64, 69, 147, 156 Protokoll betreffend Italien 49, 186 Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe 123f., 190 Qualifikation, berufliche 45, 136, 175, 187 Rationalisierung 170f., 182, 184, 193 Redressement démographique 51 Regierungsvereinbarung 15, 109, 175, 184, 193 Régularisation 50 Régularisés 101 Rekonstruktion, europäische 13, 21, 24, 27, 29, 64, 185ff., 190 Remissen Siehe Heimatüberweisungen Reparationsaufwertung 109, 112 Reparationsforderung 104, 139 Reparationsguthaben 105 Reparationskonto 86, 107 Reparationsleistung 100, 107 Reparationszahlungen 84 Römische Verträge 27, 29, 159, 185, 194 Romita, Guiseppe, it. Arbeitsminister 88 Rüstungsaufträge 167f. Rüstungsproduktion 121 Rüstungsprogramme, westeuropäische 121 Saisonarbeiter / Saisonarbeitskräfte 88, 93, 96, 103, 109, 113, 168, 177f., 184, 193 Saltiba Siehe Wohnungsbaugesellschaft, italienisch-französische Santa Margherita 94, 115 Saragat, Giuseppe, it. Botschafter in Paris 77 Sardinien 136f. Sauvy, Alfred, frz. Politiker 51, 59 Schuman-Plan 110, 132, 155f. Schuman, Robert, frz. Finanz-, Außenminister und Ministerpräsident 67, 103, 155

231

Sechs-Mächte-Konferenz ( Juni 1950) 145 Sforza, Comte Carlo, ital. Außenminister 45f., 82, 88, 117, 185 Siedlungsprojekte 116 Société d’aide au logement des travailleurs italiens du bâtiment Siehe Wohnungsbaugesellschaft, italienisch-französische Sonderkredite 24f., 164f. Spezialkonto 80f., 83, 86, 105 Statut organique de l’Algérie 54 Steinkohle Siehe Kohle Steinkohlebergbau Siehe Bergbau Steinkohlebergwerke Siehe Kohlebergwerke Stikker-Plan 131f. Stikker, Dirk U., niederl. Außenminister und OEEC-Präsident 131ff., 134, 191 Storch, Anton, bundesdt. Arbeitsminister 167, 170 Straubhaar, Thomas, schweizer Wirtschaftswissenschaftler 97 Tapinos, Georges, frz. Bevölkerungswissenschaftler 56f., 91 Tarchiani, Alberto, it. Botschafter in Washington 152 Traité de travail (30.09.1919) 76ff. Transaktionen, unsichtbare 24f., 49, 110, 113, 130 Tremelloni, Roberto, it. Industrieminister 132 Tripartite Meeting of Experts on European Migration (24.07.-11.08.1950) 122f., 144f., 148f., 151 Überbevölkerung 29, 90, 186 Überseegebiete 66, 94, 113, 117ff., 127, 133, 190 Übertragungsbilanz 20, 25, 97 Überweisungssätze 80, 108 Ufficio Italiano dei Cambi 73, 86, 98, 104 UN Siehe United Nations Union douanière 74, 118 United Nations 120, 140, 148 United Nations Organization 120f., 123, 154, 190

232

Anhang

United Nations Relief and Rehabilitation Administration 66 UNO Siehe United Nations Organization UNRRA Siehe United Nations Relief and Rehabilitation Administration Untertagebau / -bergbau Siehe Bergbau US-Finanzhilfen 161 US-Kongress 37, 40, 124 USA Siehe Vereinigte Staaten von Amerika Vanoni-Plan 47ff., 137, 164f., 182, 186, 194 Vanoni, Ezio, ital. Haushaltsminister 47f. [Ventiquattro] 24 Ore, it. Wirtschaftszeitung 142 Vereinigte Staaten von Amerika 13, 17, 19ff., 23, 34ff., 37ff., 41, 56, 63, 65, 70, 105, 120, 124f., 128, 133ff., 137f., 140, 143f., 147, 150, 152f., 155, 161, 186, 188, 190f. Vereinte Nationen Siehe United Nations Vergemeinschaftung italienischer Probleme 17, 27, 186, 194 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 49 Vertriebene 15, 30, 94, 129 Viet, Vincent, frz. Historiker 52 Vorzugswechselkurs 98f., 103, 107ff., 110, 189 Währungsreserven 18, 20, 23f., 26, 97, 188 Wechselkurs 31, 67, 73f., 97, 102ff., 105f., 110 Wechselkurssicherung 80, 98 Wechselkurszuschläge 73, 99, 109f. Weil, Patrick, frz. Historiker 53, 57 Weltbank 67, 126 Westeuropäische Union 146 WEU Siehe Westeuropäische Union Wiederaufbau 13, 16, 20, 33, 54, 59f., 65, 75ff., 89, 91, 128ff., 161f., 185, 188 Wiederaufrüstung 168 Wiederbewaffnung 59, 121

Wirtschaftsplan 54, 119 Wirtschaftsplanung 69, 119 Wirtschaftsunion, französisch-italienische 74ff. Wohnraum 57, 127, 129, 135, 173f., 177 Wohnraummangel 81, 102, 130, 151 Wohnungsbau 54, 147 Wohnungsbaugesellschaft, italienischfranzösische 115, 117 Wohnungsbauprogramm 129 Zahlungs- und Kompensationsabkommen (Benelux, Frankreich, Italien) 138 Zahlungsabkommen 23, 45, 65, 71ff., 80, 86, 101ff., 107f., 111, 137ff., 169, 189 Zahlungsbilanz 20ff., 25, 30f., 36f., 48, 62, 82, 91, 95, 97, 100, 102f., 111ff., 149f., 161ff., 165, 178, 186, 188f., 192ff. Zahlungsbilanzausgleich 56 Zahlungsbilanzdefizit 22, 31, 66, 108, 138ff., 143, 192 Zahlungsbilanzkrise 24, 164 Zahlungsbilanzprobleme 29, 31, 144, 165, 174, 193 Zahlungsbilanzschwierigkeiten 139, 144, 192 Zahlungsbilanzüberschuss 38 Zahlungsbilanzungleichgewichte 21, 23, 29, 163f., 186 Zehnjahresplan 47f., 165, 186 Zellerbach, James David, US-amerikanischer Botschafter 36f., 39ff. Ziehungsrechte 22f., 86, 107f., 111, 138f. Zollunion, französisch-italienische 74f., 102, 110, 118, 137 Zusammenarbeit, europäische wirtschaftliche 15, 20, 41, 47, 106, 127, 164, 167f., 186, 189 Zuwanderer 40, 51f., 56f. Zuwanderung (siehe auch Arbeitskräftezuwanderung) 51ff., 54ff., 57, 59, 62, 113, 119, 146, 150, 184, 192f.