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German Pages [264] Year 2013
Ein Europa? Die europäische Integration in der russischen Historiographie nach 1985
von Martin Weber
2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Dissertationenfonds der Universität Basel und des Max Geldner-Fonds der Universität Basel
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Babakhan Badalov „Babi“: Europäisierung. Öl auf Möbelstoff, 106,5 x 194 cm, 1989. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.
© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-21058-8
Inhalt Vorwort und Dank ................................................................................................................7 1 Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen ..........................................................9 2 Stand der Forschung .................................................................................................... 23 3 Historiographie und Ideologie in der Sowjetunion und in Russland................ 34 4 Prozesse ........................................................................................................................... 51 4.1 1945–1962: Europa im Kalten Krieg ............................................................. 51 4.1.1
Erste Nachkriegsjahre ........................................................................ 51
4.1.2
Marshall-Plan ...................................................................................... 58
4.1.3
Europarat und weitere Organisationen ......................................... 64
4.1.4
Schuman-Plan und Pleven-Plan ...................................................... 67
4.2 1962–1985: Anerkennung der Realität ......................................................... 78 4.2.1
Die 1960er-Jahre ................................................................................ 78
4.2.2
Exkurs zum Begriff „Integration“ ................................................... 85
4.2.3
Gesamteuropäische Zusammenarbeit ab 1970 ............................ 88
4.3 1985–1991: Neues Denken ........................................................................... 100 4.3.1
Auf dem Weg zu einem „gemeinsamen Haus Europa“ ............ 100
4.3.2
Aufnahme offizieller Beziehungen mit der EU ......................... 127
4.4 Nach 1991: Postsowjetisches Russland und Europäische Union .......... 133 4.4.1
Ausrichtung der Forschungslandschaft auf Europa .................. 133
4.4.2
Die 1990er Jahre im Rückblick ..................................................... 140
4.4.3
Desillusionierung und Pragmatik ab dem Jahr 2000 ................ 158
5 Themenfelder .............................................................................................................. 165 5.1 Modernisierung gleich Europäisierung? ...................................................... 165 5.2 Europäisches Recht .......................................................................................... 176
5.3 Russland als der andere Teil Europas ........................................................... 183 5.3.1
Die europäische Idee ....................................................................... 183
5.3.2
Europäische Werte .......................................................................... 187
5.3.3
Europa als Modell ............................................................................ 194
5.3.4
Differenzierung von Europa und Russland ................................ 201
6 Schluss........................................................................................................................... 208 7 Abkürzungen ............................................................................................................... 212 8 Bibliographie ............................................................................................................... 217 9 Register ......................................................................................................................... 260
Vorwort und Dank Mein Dank geht an die Professoren Georg Kreis (Historisches Seminar und Europainstitut der Universität Basel, Referent) und Heiko Haumann (Historisches Seminar der Universität Basel, Koreferent), unter deren Leitung diese Arbeit als Dissertation entstand. Ihr Vertrauen in das Projekt bildete einen beständigen Ansporn. Viele weitere Hochschullehrer legten mit ihrem Wissen und ihrer Begeisterung für ihr Fach die Grundlagen für die vorliegende Arbeit. Unter ihnen möchte ich nur Lektorin Wera Rathfelder (Russische Sprache), Professor Peter Thiergen (Slavische Philologie) und Professor Pierre du Bois (Geschichte der europäischen Integration) nennen. Der Nikolaus und Bertha Burckhardt-BürginStiftung in Basel bin ich zu Dank für die Förderung meines Nachdiplomstudiums in Internationalen Beziehungen am Institut Universitaire de Hautes Études Internationales in Genf verpflichtet, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel für die Förderung der Arbeit an der Dissertation. Der Dissertationenfonds und der Max Geldner-Fonds der Universität Basel ermöglichten mir ihrer Unterstützung den Druck der Buchhandelsausgabe, deren Titel sich an den Aufsatz von Jurij Rubinskij (2000a) anlehnt.
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Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen
Der europäische Integrationsprozess vollzog sich in der gesamten Ära des Kalten Krieges notgedrungen als westeuropäische Integration. Erst die Wende von 1989/1991 eröffnete den mittel- und osteuropäischen Staaten die Möglichkeit, an diesem Prozess teilzuhaben. Als Sonderfall konnte als erstes ehemaliges Glied des Ostblocks die Deutsche Demokratische Republik durch ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland Teil der Europäischen Gemeinschaft werden. Vom Beginn der Europäischen Integration in den Nachkriegsjahren bis zum Ende des Kalten Krieges wurde die westeuropäische Integration von der Hegemonialmacht Sowjetunion als weiteres Instrument der westlichen Aggression gesehen oder ignoriert. Im Vordergrund dieser Untersuchung steht die Frage, wie sich die russische Historiographie – im Sinne eines Oberbegriffs für russische, sowjetische und postsowjetische Forschungen – zur westeuropäischen Integration entwickelte und wandelte. Als Hauptquellen dienen wissenschaftliche Publikationen, die einen Beitrag zur russischen Historiographie und zur konstanten (Neu-)Beurteilung der westeuropäischen Integration leisten. Untersuchungsmaterial bilden punktuell auch die kollektive Mentalität formierenden Beiträge der Publizistik und verwandter Wissenschaften. Methodisch stehen grundsätzliche Fragestellungen zum Verhältnis Russlands und des sich integrierenden Europa im Mittelpunkt: - Was ist der Wissensstand in Bezug auf Westeuropa und die europäische Integration? - Wie werden die tradierten Autostereotypen und Heterostereotypen den neuen Erfordernissen angepasst oder überwunden? Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass nicht selten Europa als Konstrukt erscheint, das der Spiegelung eigener Probleme dient. - Wird Europa als eine Werte-, Glaubens- oder Rechtsgemeinschaft gesehen, die Russland als das ‚Andere‘ ausschliesst oder es im Sinne einer Überschreitung politisch-ökonomischer Integrationsgrenzen miteinzubeziehen vermag? - Wie wird das Bild Russlands als der Kooperation verpflichteter Teil Europas begründet, setzt sich eine klare Ausrichtung im Sinne einer europäischen Modernisierung durch? - Entsteht – in Anpassung an den fortschreitenden europäischen Integrationsprozess und weit gefasste „Europäisierung“ – ein neues (Ideal-) Bild „Russland in Europa” oder überwiegt Interessenpolitik im Sinne einer „strategischen Partnerschaft“?
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Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen
- Wird der europäische Integrationsprozess im Sinne geopolitischer Konzepte instrumentalisiert oder als Instrument der Einkreisung durch den Westen (mit oder ohne US-amerikanischer Führung) bewertet? Die Untersuchung folgt einer Zeitachse der historischen Entwicklung vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Dabei werden Beurteilungen aus Publikationen nach 1985 anhand dieser Zeitachse platziert. Diesem Verfahren wird der Vorzug vor einer chronologischen Darstellung der Entwicklung der Historiographie gegeben, weil es ein am europäischen Integrationsprozess orientiertes Nachverfolgen von Positionsbezügen ermöglicht. Innerhalb dieser Darstellung werden die oben genannten Fragestellungen im Hauptteil unter dem Titel „Prozesse“ abgehandelt, während den Fragen der Modernisierung und Europäisierung, der Rechte und Normen und der Stellung in Europa eigene Themenfelder gewidmet sind (vgl. unten). Bis zum Umbruchjahr 1989 lassen sich zum Zweck dieser Untersuchung drei Phasen unterscheiden, in denen sich die russisch-sowjetische Haltung zur westeuropäischen Integration schrittweise wandelte. Im Zentrum steht dabei die historiographische Literatur der letzten dieser drei Phasen sowie der vierten nach 1991. Erstere kennzeichnen das Neue Denken und die Ära von Glasnost’ und Perestrojka, letztere das postsowjetische Russland auf der Suche nach einer Neupositionierung in Bezug auf das sich immer stärker integrierende Europa. Aus dem Blickwinkel dieser beiden Phasen wird ein neuer Blick auf die beiden vorangehenden geworfen: Die erste bis 1962 war durch die sich vertiefende Spaltung charakterisiert, die im Kalten Krieg den Kontinent durchzog; die zweite durch eine allmähliche Anerkennung der Realität der westeuropäischen Integration, ohne dass dabei die ideologischen Grundlagen des sozialistischen Systems völlig ausser Acht gelassen werden konnten. Im Hauptteil dieser Untersuchung wird eine Analyse russischer Positionsbezüge zu den wesentlichen Entwicklungsetappen des europäischen Integrationsprozesses vorgenommen. Die Fragestellungen werden mittels einer kritischen Textanalyse abgearbeitet und mit Originalzitaten belegt. Von Interesse sind dabei insbesondere die bis in die 1980er-Jahre vorherrschenden ideologischen Prämissen sowie die wiederkehrenden Diskurselemente – wie etwa die Frage der Exklusion oder Inklusion Russlands aus europäischer Sicht – und die Selbstbilder (Autostereotype) und Fremdbilder (Heterostereotype), die im russischen Europadiskurs zum Vorschein kommen. An den Hauptteil der Untersuchung schliessen sich drei zentrale Themenfelder an, in denen vertieft auf die Aspekte der Europäisierung und der Modernisierung, des Rechtes und der Normen sowie der zusammenfassenden Beurteilung der Stellung Russlands im sich integrierenden Europa eingegangen wird. Die Themenfel-
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der vertiefen Fragen, die in der Grosszahl der berücksichtigten Arbeiten berührt wird. Begründete Stalin mit seiner Industrialisierungskampagne eine quasi sektorielle Modernisierung, so stellt sich in der Nachkriegszeit und insbesondere seit der Öffnung in der Zeit der Perestrojka die Frage, ob die Annäherung an europäische Standards der einzige Weg zu einer Modernisierung des Landes darstellt, oder ob hierzu auch eine eigenständige Option besteht. In Bezug auf rechtliche Normen kommt derselbe Diskurs zum Tragen, der sich beispielsweise in der Frage äussert, inwiefern Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für den russischen Staats bindend sein sollen. Schliesslich lassen sich sämtliche vorangehenden Diskussionen in einer grundsätzlichen Debatte über die Stellung Russlands in – oder eben nicht in – Europa beobachten. Eine Zusammenfassung, ein Abkürzungsverzeichnis und eine ausführliche Bibliographie schliessen die Arbeit ab. Die Arbeit stützt sich auf publizierte Beiträge der russischen Geschichtswissenschaft und verzichtet auf Dissertationen als Forschungsmaterial. Bis heute können Dissertationen nicht ohne Weiteres beigezogen werden: Zum einen sind nur die gedruckten ‚avtoreferaty’ (Kurzfassungen) einem breiteren Publikum zugänglich, zum anderen handelte es sich (in sowjetischer Zeit) um rein formale Qualifikationsarbeiten, die sich strikt an die marxistische Ideologie zu halten hatten. Und noch 2002 konstatiert Zubkova methodologische Mängel auch neuerer Dissertationen: „Die Situation wird nur durch den Umstand erträglich, dass nicht diese Qualifikationsarbeiten, sondern reale Forschungen, nämlich publizierte Monographien und Artikel, das heutige ‚Wetter’ der russischen Geschichtsforschung bestimmen.“1 Ebenfalls nicht berücksichtigt wird in der Regel die äusserst umfangreiche Literatur an (tagesaktuellen) politologischen Studien und Analysen (vgl. H. Timmermann, P.W. Schulze, G. Simon, O. Alexandrova, u.a.), da ihre Zielsetzung in der zukunftsorientierten Politikberatung liegt. Nicht näher eingegangen wird in dieser Arbeit ausserdem auf die äusserst umfangreiche Literatur zum Thema Geopolitik und Eurasianismus. Zum einen liegen hier mehrere Darstellungen bereits vor: so Fischer (1988) und insbesondere Wiederkehr (2007) zum Thema der „eurasischen Bewegung“. Zum anderen weist sowohl der „eurasische“, wie der in Russland seit 1990 ebenfalls sehr beliebte „geopolitische“ Diskurs wohl Bezugspunkte zu allen benachbarten Grossräumen (Europa, Asien) auf, dreht sich aber letztlich um einen Ansatz zur Neuformulierung des russischen (russländischen) 1
Zubkova 2002: 86f. Siehe als Beispiele in der Bibliographie die Dissertationen von Afanas’ev (1999), Avdonin (2006), Barčukova (1997), Boldyreva (2006), Branickij (1998), Chromova (2000), Čumakov (2006), Galinka (1998), Karpenko (2000b), Kavešnikov (2006), Kuklinskij (1999), Kuz’min (1999a), Lazebnikova (1997), Lepeškov (1999), Lun’kov (1998), Macievič (1999), Poljanskij (2000), Skvorcov (1997b), Tėvdoj-Burmuli (2006), Tolstuchin (1997).
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Nationalgefühls. In einer anderen Lesart steht „eurasisch“ heute oft für „postsowjetisch“ und bezieht sich auf die Russländische Föderation und die übrigen aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten mit Ausnahme des Baltikums.2 Zum Zweck dieser Untersuchung bietet sich für die Historiographie nach 1985 ein Analyseraster an, welches sich an den Hauptkriterien „Interessensorientierung“ und „Werteorientierung“ orientiert. Eine russozentrische Interessensorientierung rückt die eigenstaatlichen, autarken russischen Interessen in den Vordergrund; eine eurozentrische Interessensorientierung stellt (Gesamt-)Europa, zu dem sich Russland zugehörig fühlt, in den Vordergrund. Analog überwiegen bei einer russophilen Werteorientierung traditionelle russische Werte, bei einer europhilen Werteorientierung (gesamt-)europäische, möglicherweise in genereller Sicht westliche, Werte. Schematisch lassen sich diese Kriterien und die aus ihr resultierenden Hauptschulen wie folgt darstellen:
1 Werteorientierung
2 europhil russozentrisch
3
europhil eurozentrisch 4
russophil russozentrisch
russophil eurozentrisch
Interessensorientierung Quadrant 1 bildet eine europhil-russozentrische Schule ab: An europäischen Werten orientiert, rückt sie gleichwohl autonome russische Interessen in den Vordergrund. Quadrant 2 steht in der Tradition der „Westler“ und bildet eine europhileurozentrische Schule ab: Russland soll sich an europäischen Werten und Interessen orientieren. Quadrant 3 steht in der Tradition der Slavophilen und bildet eine russophilrussozentrische Schule ab: autarke russische Werte stehen im Vordergrund, ebenso wie russische Interessen und Autonomie. Quadrant 4 bildet eine russophil-eurozentrische Schule ab: eigenständige russische Werte stehen im Vordergrund, europäische Interessen werden akzeptiert. Die Dichotomie „Europa – Russland“ stellt keine Neuheit für das russische Denken dar, geht sie doch letztlich auf die Pole „Westlertum“ und „Slavophilie“ (im 19. Jahrhundert) bzw. „Eurasiertum“ (im 20. Jahrhundert) zurück. Sie lebt 2
Wiederkehr 2007: 82ff., sowie der Beitrag „Sonderweg und Eigenart“ von Stefan Wiederkehr in Bohn/Neutatz 2009: 264ff. Einen knappen Überblick gibt Šišelina 2006: 226-236 sowie 238, vgl. auch die Anthologie zur russischen Geopolitik: Šišelina (2007).
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fort in Ansätzen wie der Unterteilung des Kazaner Historikers Litvin in eine „staatspatriotische“ und eine „liberal-demokratische“ Tendenz unter den russischen Historikern.3 Neumann subsumiert die beiden Hauptrichtungen unter den Begriffen „Westernizers“ und „nationalists“.4 Russophilie und Russozentrismus dominieren bei den Panslavisten sowie in romantischen und nationalkonservativen Kreisen, Europhilie und Eurozentrismus manifestieren sich im Gedankengut der Liberalen und der russsischen Sozialisten und Marxisten – für die sowjetischen Russozentristen verkörpert hingegen die Sowjetunion das „wahre Europa“.5 Die Verfeinerung des klassischen dualen Modells (russophil/-zentrisch versus europhil/-zentrisch) bietet den Vorzug, dass sie der pragmatischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte Rechnung tragen kann. Entweder-Oder-Positionen weisen aufgrund der globalen Interdependenzen wenig Realitätsnähe auf: Auch ein wieder erstarkendes autarkes Russland ist Teil europäischer Wirtschafts- und Kulturverbindungen. Wie zu zeigen sein wird, fällt aus diesem Grund insbesondere der europhilen-russozentrischen Schule eine wachsende Bedeutung zu, während die russophil-eurozentrische Schule marginal bleibt. Die vier Hauptschulen bieten ein Analyseraster und einen Orienterierungsrahmen zur Identifizierung von Tendenzen bei der Lektüre der historiographischen Quellen. Sie erheben keinen Anspruch, die Autorinnen und Autoren in permanente Gruppierungen oder parteipolitische Schulen einzuteilen, da diese in ihren Untersuchungen ja gerade die wissenschaftlich-objektive Analyse in den Vordergrund rücken.6 Bilden sich bestimmte Schulen und Traditionslinien heraus, verändern sie sich im Laufe der Zeit, und wie schlägt sich der Epochenwechsel ab Mitte der 1980erJahre in der Historiographie nieder? Wie Michael Confino bemerkt, kennzeichnet die postsowjetische russische Historiographie nach dem „great divide of 1991“, dem Bruch zwischen „Soviet command history“ und der konzeptionellen Diversität, die auf sie folgte, gerade eine „multiplicity of historiographic trends, along with the absence of major interpretative schools“.7 Typisch für die russische Historiographie seit den 1990ern, so Confino weiter, sei eine „closer acquaintance with the current and recent historical research done abroad; simultaneously,a reexamination – at times critical and at times polemical – of Soviet historiography, 3 4 5 6
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Litvin 2001: 129-138. Neumann 1999: 161–182. Neumann 1996: 30ff. In seiner Analyse des öffentlichen, aus der Wissenschaft in Publizistik und Politik hineinreichenden Identitätsdiskurses entwickelt demgegenüber Peter (2006: 95ff.) vier Identitätsentwürfe (Teildiskurse): westlich-liberaler Universalismus, russländisch-liberaler Nationalismus, grossrussischer Patriotismus, konsvervativ-revolutionärer Expansionismus. Confino 2009: 15.
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its methods and above all, the practice of positioning the conclusions first and carrying out the research with the goal to prove the preestablished ‘conclusions’.”8 Die vorliegende Untersuchung der russischen Sicht auf die europäische Integration kommt zum selben Schluss wie Confino, wenn er bilanziert: “(…) it is extremely difficult to define the conceptual apparatus of the various trends, and to comprehend the complexity of the currents of ideas that fertilize historiography in Russia today.”9 Mit dieser Angleichung an die westliche Methodenvielfalt könne man schon von einer Historiographie auf dem Weg hin zu einer wirklich internationalen Historiographie sprechen. Für den Zweck dieser Untersuchung dient deshalb das dargelegte Kriterienraster der Werte- und Interessensorientierung als Hilfsmittel. Beim überwiegenden Teil der Forschungen vollzieht sich in chronologischer Perspektive ein Wandel von der russophil-russozentrischen Warte, wie sie in sowjetischer Zeit gepflegt wurde, über eine anfängliche Begeisterung für die europhil-eurozentrische Ausrichtung in den 1990er-Jahren hin zu einer europhil-russozentrischen Position. Dabei wächst, wie Thomas M. Bohn bemerkt, selbst die postsowjetische Historiographie wieder in die Rolle einer Legitimationswissenschaft.10 Es ist daher das verbindende Merkmal vieler Schulen, dass sie sich in den Dienst der jeweiligen aussenpolitischen Präferenz stellen. Es ist aber auch ein Paradox der Geschichte, dass sich in sowjetischer und postsowjetischer Zeit gerade die Vertreter der marxistisch-kommunistischen Richtung auf die Seite eines anti-europäischen russ(länd)ischen Nationalismus russophiler und russozentrischer Natur schlagen. Eine Reihe von Historikerinnen und Historikern arbeitet seit den 1950erJahren ohne Unterbrechung bis heute am Thema der europäischen Integration (vgl. Bibliographie). Nicht abschliessend seien einige von ihnen sowie Vertreterinnen und Vertreter der nachfolgenden Forschergenerationen kurz in chronologischer Reihenfolge ihrer Jahrgänge vorgestellt. Ihre Arbeiten zur Integration werden im Hauptteil der Untersuchung behandelt. Als wertvolles Hilfsmittel dient dabei ein 2008 im Europa-Institut der RAN von Jurij Borko zusammengestelltes „Handbuch wissenschaftlicher Europäisten“ (Borko 2008). Wie im Vorwort des Handbuchs erwähnt, ist es nicht vollständig und Moskau-zentriert, stellt jedoch den ersten Versuch dar, Forscherinnen und Forscher der europäischen Integration zu erfassen. Es soll in naher Zukunft in aktualisierter Form erscheinen.
8 9 10
Confino 2009: 20. Confino 2009: 21. Bohn/Neutatz 2009: 17ff.
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1944 wurde das Moskauer Staatliche Institut für internationale Beziehungen (MGIMO) gegründet, aus welchem eine erste Generation von Spezialisten in Fragen der europäischen Integration hervorging.11 Hierzu gehört zunächst Vladimir Vladimirovič Razmerov (Jahrgang 1927), 1949 MGIMO, 1953–58 wiss. Sekretär und Dozent am MGIMO AN SSSR, 1956 K.I.N., 1958 bis in die Gegenwart wiss. Mitarbeiter und Sektorleiter in der Abteilung internat. Beziehungen, 1959–62 Chefredaktor des Internationalen Jahrbuchs „Ökonomie und Politik“. Seit 1962 Mitglied des Redaktionskollegiums von „Jahr des Planeten“. Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Theorie der internat. Beziehungen, Sicherheit, Aussenpolitik der BRD, russisch-deutsche Beziehungen, europ. politische Integration. Über 200 Publikationen, darunter: Die ökonomische Vorbereitung der hitlerschen Aggression (1958), Westeuropa in der Weltarena (1986, Koautor), Europäische Sicherheit und die Bedrohung des westdeutschen Militarismus. Tagungsband (1962, Hrsg.). Der Kampf der UdSSR gegen die imperialistische Aggression (1966, mit D. G. Tomaševskij), Militärische und Aussenpolitik der westeuropäischen Staaten (1986, Red. Mit I. M. Ivanova), Die Vereinigung Deutschlands in Europa und in der Welt (1994, Hrsg.), Russländische Aussenpolitik an der Schwelle der Jahrhunderte (2000, Hrsg.).12 Wir begegnen ihm im Jahr 1995 in einer Publikation, in der er die ideologischen „Umstände“ der Zeit dafür verantwortlich macht, dass die Historiker nicht schreiben konnten, was sie sahen. Ein weiterer MGIMO-Absolvent fährt bis in die Zeit der Perestrojka eine streng marxistisch-leninistische Linie: Vsevolod Borisovič Knjažinskij (1928–2000), 1959 MGIMO, 1968 D.I.N. zum Thema „Politische Aspekte der westeuropäischen Integration“. 1974–2000 IMEMO RAN, 1974–1990 Leiter des Lehrstuhls für internationale Beziehungen und Aussenpolitik der UdSSR, 1990–2000 Professor am Lehrstuhl. Über hundert Publikationen, darunter: Das Scheitern der Pläne zur Vereinigung Europas (1958), Westeuropa und das Problem der friedlichen Koexistenz (1963), Die politische Strategie des Antikommunismus (1969), Die internationale Strategie des Antikommunismus (1972), Pseudoeuropäertum gegen gesamteuropäische Zusammenarbeit (1974, in deutscher Sprache). West European integration: its policies and international relations (1984, auch in französicher Sprache), Die westeuropäische Integration: Projekte und Realität (1986). 13 Ähnliches gilt für Leonid Ivanovič Glucharev (1928), der sich nach der Perestrojka auf das ideengeschichtliche Feld des „humanistischen Europas“ spezialisiert. 11 12 13
http://www.mgimo.ru/about/history/index.phtml Borko 2008: 126f. http://www.obraforum.ru/lib/book3/authors.htm
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1951 MGIMO, 1958 Kand. der ökon. Wiss., 1974 Doktor der ökon. Wiss., 1976 Professor. Seit 1953 an der Moskauer Staatl. Universität: Aspirant, Dozent, Lehrstuhl für Ökonomie ausländischer Länder, 1995 Direktor des Wiss. Lehrzentrums für Probleme der europ. Integration und Systemanalyse der EU. Forschungsschwerpunkte: EU im Weltsystem, Theorie, Strategie, Formen, Mechanismen der europ. Integration, Globalisierung und Integration, Integration und Zivilisation, Kultur, Religion, Geopolitik, Sicherheit. Über 200 Publikationen, darunter: Die Wirkung des Gemeinsamen Marktes auf die Wirtschaft Frankreichs (1971), Westeuropäische Integration und internationale Monopole (1978), Die Europ. Gemeinschaften auf der Suche nach gemeinsamen Strategien (1990), Europ. Integration, grosses humanistisches Europa und Kultur (1998), Das Europa des Wandels: Konzepte und Strategien (2006).14 Noch in stalinistischer Zeit schliesst Vitalij Vladimirovič Žurkin (1928) 1951 das MGIMO ab. 1951–65 Korrespondent und Abteilungsleiter beim Staatskomitee der UdSSR für Radio und Fernsehen, 1965 Redaktor bei der „Pravda“, 1965– 68 Botschaftsrat in Indien, 1968–87 Abteilungsleiter und stv. Direktor beim USA- und Kanadainstitut der AN SSSR, 1976 D.I.N., 1989–97 Akademiemitglied AN SSSR / RAN. Seit 1987 am frisch gegründeten Europa-Institut der AN SSSR / RAN, das einen Beitrag zur Behebung des Informationsdefizits leisten soll, dort 1988–99 Direktor und seit 1999 Ehrendirektor. Forschungsschwerpunkte: internat. Beziehungen, militär.-polit. Strategien, internationale Konflikte und Krisen, europäische Sicherheit, politische Zusammenarbeit Russland – EU. Über 200 Publikationen, darunter: Internationale Konflikte (1972, Koautor), Die USA und internat. polit. Krisen (1975), UdSSR – USA: 1970er und 1980er Jahre (1982), Militärisch-strategische Konzepte der USA (1984), Der Bau des Grossen Europas (1990), Pan-europäische Architektur: Probleme und Perspektiven (1991), Die Europäische Union: Aussenpolitik, Sicherheit, Verteidigung (1998), Gemeinsame Verteidigung: eine neue europäische Inititative (2001), Die Europäische Union im 21. Jahrhundert: europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (2005), Antworten Russlands und der EU auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (2006–2007).15 Unter den MGIMO-Absolventen ist der Sozialdemokrat Boris Sergeevič Orlov (1930) zu nennen. 1954 MGIMO, 1954–61 Korrespondent Radio Moskau, 1961–68 Korrespondent Izvestija, 1969 K.I.N. zum Thema „Sozialpolitische Wurzeln des deutschen Neonazismus“. 1969–70 Abteilungsleiter am Institut für konkrete Sozialforschung, seit 1971 Sektorleiter am INION AN SSSR/RAN in der Abteilung Westeuropa und Amerika, 1980 D.I.N. zum Thema „Die pro14 15
Borko 2008: 36f. Borko 2008: 50ff.
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grammtheoretische Entwicklung der SDPR nach dem Zweiten Weltkrieg 1945– 1975. 1992 Wahl zum Präsidenten der Sozial-Demokratischen Partei Russlands (SDPR). Forschungsschwerpunkte: Ideologien, europ. Sozialdemokratie, russische Politik, deutsche Politik, europ. moralische Werte, vergleichende Analyse totalitärer Regime. Über 200 Publikationen, darunter: Sozialdemokratie in der gegenwärtigen Welt (1991), Sozialdemokratie: Geschichte, Theorie, Praxis (2005).16 Vom MGIMO an das 1956 gegründete Institut für Weltwirtschaft (IMEMO) wechselt der sich nur zaghaft von der marxistisch-leninistischen Dogmatik lösende Vladimir Georgievič Baranovskij (1950). 1973 MGIMO, 1976 K.I.N., 1985 D.I.N. zum Thema „Die europäische Gemeinschaft im System der internationalen Beziehungen“, 2002 korr. Mitglied RAN. Seit 1973 wiss. Mitarbeiter, Sektorleiter, Abteilungsleiter am IMEMO AN SSSR / RAN, 1992–97 Projektleiter am SIPRI (Stockholm), seit 1998 stv. Direktor, Professor. Forschungsschwerpunkte: internationale Beziehungen, europ. Integration, internat. Sicherheit. Über 200 Publikationen, darunter: Politische Integration in Westeuropa (1983), Westeuropa: militärisch-politische Integration (1988), Russia and Europe: Emerging Security Agenda (1997), Russia’s Attitudes Towards the EU: Political Aspects (2002).17 Zwei Absolventen der historischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität MGU zählen zu den Forschern, die sich mit Abstand am intensivsten mit Fragen der europäischen Integration beschäftigen: Jurij Antonovič Borko (1929) prägte die Tätigkeit des Europa-Instituts der RAN in den für eine Neueinschätzung der Integrationsprozesse entscheidenden 1990er-Jahren. 1953 Hist. Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, 1953–62 Geschichtslehrer an Moskauer Schulen, 1962–63 wiss. Mitarbeiter am IMEMO AN SSSR, 1963–70 Redaktor der Zeitschrift MEIMO, seit 1967 Mitglied der Journalisten-Union, 1970 Kand. der ökon. Wiss., 1970–89 Sektor- und Abteilungsleiter INION AN SSSR, 1984 Doktor der ökon. Wiss. zum Thema „Die kapitalistische ökonomische Integration und sozio-ökonomische Prozesse: die Erfahrung der EG und bourgeoise Theorien“. Seit 1990 am Europa-Institut RAN, 1993–2004 Sektor-/Abteilungsleiter Europäische Integration, 1995–99 Stv. Direktor. Seit 1992 Leiter des europäischen Dokumentationszentrums. Seit 1997 Professor, Leiter des ersten Jean-Monnet-Lehrstuhls in Russland. Seit 1992 Präsident AEVIS. Forschungsschwerpunkte: Probleme und soziale Aspekte der europ. wirtsch. Integration, Geschichte der Idee des „Einen Europas“, Beziehungen UdSSR/Russland – EG/EU, EU und Russland im 21. Jahrhundert. Über 350 Publikationen, darunter die Monographien: Westeuropa: soziale Folgen der kapitalistischen Integration (1975), Ökonomische Integration und soziale Entwick16 17
Borko 2008: 112f., http://ru.wikipedia.org/ Орло́в Borko 2008: 12f.; http://www.mgimo.ru/users/document1037.phtml
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Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen
lung unter den Bedingungen des Kapitalismus (1984), Ausblick ins 21. Jahrhundert: die Europäische Union und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (1998, Koautor), Die Europäische Union an der Schwelle des 21. Jahrhunderts (2001, Koautor), Von der europäischen Idee zum einen Europa (2003).18 „Doyen“ der von ihm selbst so bezeichneten „Europäistik“ ist mit Sicherheit Aleksandr Oganovič Čubar’jan (geb. 1931), Direktor des Instituts für allgemeine Geschichte (IVI) der RAN. 1955 Historische Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, 1958–62 Mitarbeiter am Institut für Geschichte der ANSSSR, 1963–66 wiss. Sekretär am Institut für Koordinierung der wiss. Arbeit, 1966–73 wiss. Sekretär der Abteilung Geschichte der ANSSSR, 1970 D.I.N., seit 1973 Sektorleiter, Abteilungsleiter am IVI SSSR/RAN, seit 1988 Direktor, 2000 Akademiemitglied. Forschungsschwerpunkte: europäische Geschichte der Neuzeit und der neuesten Zeit. Aus über 300 wiss. Arbeiten seien folgende Monographien erwähnt: Gegen die antiwissenschaftliche Darstellung der Geschichte der Oktoberrevolution (mit V.V. Lebedev, 1959), Etappen des Kampfes der UdSSR für Abrüstung 1917–1962 (1962), Der Friede von Brest (1964), Friedliche Koexistenz: Theorie und Praxis (1976), Europa in den internationalen Beziehungen 1917–1939 (1979), Die europäische Idee in der Geschichte (1987), Sowjetische Aussenpolitik 1939 (1995), Europa im 20. Jahrhundert (2001), Russländischer Europäismus (2006).19 Drei weitere Forscher, zwei Historiker und ein Ökonom, der Jahrgänge 1936, 1938 und 1940 sind an dieser Stelle zu nennen: Nikolaj Petrovič Šmelev (1936), 1958 Ökonom. Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, 1958–61 wiss. Mitarbeiter am Institut für Ökonomie AN SSSR, 1961–68 am Institut für Weltwirtschaft des sozialistischen Systems (IĖMSS), 1968–70 Lektor in der Propagandaabteilung des ZK KPdSU, 1969 Doktor der ökonom. Wiss., 1977 Professor, 2000 Akademiemitglied RAN, 1970–83 Abteilungsleiter am IĖMSS, 1979–89 Dozent am MGIMO, 1983–92 Abteilungsleiter am USA- und Kanadainstitut AN SSSR. 1989–91 Volksdeputierter der UdSSR, 1993 Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung. Seit 1992 stv. Direktor, seit 1999 Direktor am Europa-Institut der RAN. Forschungsschwerpunkte: Weltwirtschaft, europ. und russ. Wirtschaft. Über 70 Monographien, darunter: Weltwirtschaft: Tendenzen, Entwicklungen, Widersprüche (1985), Europa gestern, heute, morgen (2002, wiss. Leiter, Hrsg. und Koautor), Russland zwischen Ost und West: Brücken in die Zukuft (2003), Auf der Suche nach dem gesunden Menschenverstand: Zwanzig Jahre russländischer ökonomischer Reformen (2006).20 18 19 20
Borko 2008: 17ff., http://ru.wikipedia.org/ Борко Юрий Borko 2008: 151f. Borko 2008: 158f.
Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen
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Aleksej Mitrofanovič Filitov (1938), 1992 D.I.N., 2009 Professor, Wiss. Mitarbeiter IVI RAN. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der deutschen Frage nach dem Zweiten Weltkrieg, Historiographie der BRD, Geschichte des Kalten Krieges, russisch-deutsche Beziehungen nach 1945. Über 40 Publikationen, darunter: „Kalter Krieg“: historiographische Diskussionen im Westen (1991), Die deutsche Frage: von der Spaltung zur Vereinigung (1993), Die sowjetische Führung und die Pläne der europäischen Integration (Ende 40er – Anfang 50er Jahre) (2001), Deutschland in der sowjetischen aussenpolitischen Planung 1941–1990 (2009).21 Michail Matveevič Narinskij (1942), 1964 Hist. Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, 1985 D.I.N. am IVI RAN zum Thema „Der Kampf von Klassen und Parteien in Frankreich 1944–1958“. 1995 stv. Direktor des Instituts für allg. Geschichte der RAN, Leiter des Zentrums für französische Geschichte, Lehrstuhl für die Geschichte der internationalen Beziehungen und Aussenpolitik am MGIMO. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der internationalen Beziehungen, Geschichte Frankreichs. Redaktor der Zeitschrift „Geschichte“ in der Reihe Gesellschaftswissenschaften. Publikationen: England und Frankreich im Nachkriegseuropa 1945–1949 (1972), Komintern und Zweiter Weltkrieg (1994, Red.), Bündnispartner im Krieg 1941–1945 (1995), Kalter Krieg: neue Dokumente, Zugänge (1995, Red.), Die Einigung Europas und die UdSSR 1919–1932 (1999, Red.), Die sowjetische Aussenpolitik in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Lehrbuch. (1999, mit A. M. Filitov), Identité européenne et identité russe. In: Matériaux pour l’histoire de notre temps. 2004, Nr. 76 (2004, mit N. Ju. Vassilieva ).22 Schliesslich tritt eine jüngere Generation nach 1960 in Erscheinung, die ihre Ausbildung bereits in der Zeit der Perestrojka abschliesst: Irina Markovna Busygina, 1982–88 Geograph. Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, 1988–92 Aspirantur am Europa-Institut RAN, 1992 Kand. der ökon. Wiss., 1992–99 wiss. Mitarbeiterin, seit 1994 Leiterin der Abteilung für regionale und soziale Probleme des Europa-Instituts RAN. Seit 1999 Professorin für vergleichende Politikwissenschaften am MGIMO, 2001 Doktor der polit. Wiss. zum Thema „Die politische Rolle der Regionen in den Strukturen der Europäischen Union: konzeptionelle und angewandte Aspekte“. Forschungsschwerpunkte: Regionalismus, Föderalismus in Westeuropa, Deutschland und Russland. Über 70 Publikationen, darunter: Die Regionen Deutschlands (2000), Strategien der euro-
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http://www.rsuh.ru/article.html?id=254250 , http://www.rusgermhist.ru/index.php?option=com_content&view=article&id=191: 2009-12–20-19-13–18&catid=5: 2009-10-27-12–24–19&Itemid=6 http://www.mgimo.ru/users/document1957.phtml
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Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen
päischen Regionen als Antwort auf die Herausforderungen der Integration und Globalisierung (2003).23 Igor‘ Evgen‘evič Lešukov (1964) gehört zu den ersten Forschern, die einen Teil ihrer Ausbildung in Westeuropa erhalten. 1988 Oriental. Fakultät der Leningrader Staatsuniversität, 1996 MA European Political and Administrative Studies (College Europe, Brugge), 1996 Dozent für europ. Integration und europ. Sicherheit, gegenwärtig Direktor des Departements für staatl. Energiepolitik und Energieeffizienz des Ministeriums für Energie der Russländ. Föderation. Publikationen: Sorok let Rimskim dogovoram. Evrop. Integracija i Rossija (1997/98, Hrsg.), Beyond Satisfaction: Russia’s Perspectives on European Integration (1998), Desjatiletie sotrudničestva (1999, Hrsg.).24 Vjačeslav Evgen’evič Morozov (1972), 1989–1994 Hist. Fakultät der Sankt Petersburger Staatsuniversität (SPbGU), 1996 MA University of Limerick, 1997 K.I.N., 1997–2010 Assistent und Dozent an der Fakultät für internat. Beziehungen der SPbGU. 1999–2003 Direktor des Europ. Dokumentationszentrums in Sankt Petersburg. 2010 assoz., seit 2011 ordentl. Professor für Internat. Beziehungen an der Universität Tartu. Forschungsschwerpunkte: Theorie der internat. Beziehungen, russ. Aussenpolitik. Über 50 Publikationen: Die Ideologie der schwedischen Sozial-Demokratie und die europ. Integration (1998), Einführung in europ. Forschungen (2002), Die EU in den internationalen Beziehungen (2002), Inside/Outside: Europe and the Boundaries of Russian Political Community (2004).25 Timofej Vjačeslavovič Bordačev (1973), 1995 Hist. Fakultät der Sankt Petersburger Staatsuniversität, 1995–98 Aspirantura, 1996–97 College Europe (Brugge), 1998 Kand. der politischen Wissenschaften, 1999–2001 sowie 2005–2006 wiss. Mitarbeiter an Instituten der RAN, 2001–2003 Sekretär der Zeitschrift „Pro et Contra“ des Carnegie-Zentrums Moskau. Seit 2004 Direktor Forschungsprogramme des Rates für Aussen- und Verteidigungspolitik sowie stv. Chefredaktor der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“. Seit 2006 Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Forschung der Fakultät für Weltwirtschaft und -politik der Staatsuniversität – Höhere Wirtschaftsschule. Forschungsschwerpunkte: russisch-europäische Beziehungen, Aussenpolitik der EU, europäische und internationale Sicherheit. Über 130 Publikationen, darunter über 100 Analysen für die russische Regierung in den Jahren 2004–2006. Die
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http://ru.wikipedia.org Бусыгина Ирина Lešukov 1998, http://www.atomic-energy.ru/experts/leshukov-igor-evgenevich Borko 2008: 103f., http://megaregion.narod.ru/resu_Morozr_rus.htm , https://www.etis.ee/portaal/isikuCV.aspx?TextBoxName=Morozov&PersonVID=6076 2&FromUrl0=isikud.aspx&lang=en
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neue strategische Union Russland und Europa vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (2009).26 Michail Arkad‘evič Lipkin, wiss. Mitarbeiter, stv. Direktor des Instituts für allg. Geschichte der RAN, Leiter des Zentrums für Weltgeschichte. 2002 K.I.N. zum Thema “Der britische Approach zur westeuropäischen Integration 1959–1974“. Forschungsschwerpunkt: Geschichte der europ. Integration in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Publikationen: Europa im nationalen Bewusstsein der Briten und Russen (2003), England und Britannien: Diskussion über die nationale Identität (2003), The Soviet Union, CMEA and the Question of First EEC Enlargement (2006), Russland und der Westen: die historische Erfahrung des 19. und 20. Jahrhunderts (2008).27 Sergej Vladimirovič Prozorov, 1992–1997 Karelische Staatl. Pädag. Universität, Fakultät für Fremdsprachen; Lehrer für Deutsch und Englisch, 1998–2004 Universität Tampere (Finnland), Master und Doktorat in Sozialwissenschaften, 2000–2003 Dozent am Lehrstuhl für Politologie und internat. Beziehungen der Universität Tampere, 2004 wiss. Mitarbeiter am Inst. für internat. Beziehungen Kopenhagen (Dänemark), 2005–2007 Professor für internat. Beziehungen an der Petrozavodsker Staatsuniversität, derzeit Academy of Finland Research Fellow an der Universität Helsinki (Finnland). Forschungsschwerpunkte: Postkommunismus, europäische Integration. Publikationen: Understanding Conflict between Russia and the EU: The Limits of Integration (2006), The Ethics of Postcommunism (2009).28 Die Übersicht ist bei Weitem nicht vollständig. Auf Forscherinnen und Forscher in der tagesaktuellen Politikanalyse und –beratung wie Arbatova, Chudolej, Danilov, Fadeeva, Gutnik, Inozemcev, Kargalova, Parchalina, Ševcova oder Trenin wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingegangen. Abschliessend einige Anmerkungen zu sprachlichen und terminologischen Aspekten: Für die Periode von den Römer Verträgen 1958 bis zum Maastrichter Vertrag von 1992 werden je nach Kontext die Begriffe „Europäische Gemeinschaft(en)“, kurz EG, bzw. „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“, kurz EWG, verwendet, danach der Begriff „Europäische Union“, kurz EU. Im Russischen wird neben der spezifischen Abkürzung EĖS („Evropejskoe ėkonomičeskoe soobščestvo“) für den EWG meist durchgängig die Abkürzung ES verwendet, die sowohl für EG wie EU stehen kann („Evropejskoe soobščestvo“ bzw. „Evropejskij sojuz“). Das Attribut „russisch“ (russkij) wird grundsätzlich im national-ethnisch26 27 28
Borko 2008: 16f., http://ru.wikipedia.org БОРДАЧЕВ ТИМОФЕЙ , http://bordachev.wehse.ru/ http://history98.narod.ru/articles.htm http://petrsu.karelia.ru/Chairs/Inter_rel/prozorov.html, http://helsinki.academia.edu/SergeiProzorov
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Einleitung, Fragestellung, Methodik, Quellen
linguistischen Sinne verwendet, in der Tradition von der „Rus“ über das Zarenreich bis in die Gegenwart. Das Attribut „sowjetisch“ findet Verwendung, wenn ein klarer Bezug zu staatlich-parteilichen Autoren zwischen 1917 und 1991 gegeben ist. Punktuell wird das im post-sowjetischen Russland verwendete Attribut „russländisch“ (rossijskij) eingesetzt, insbesondere dann, wenn ein expliziter Bezug zur „Russländischen Föderation“, dem postsowjetischen Staatsgebilde unter den Präsidenten El’cin, Putin und Medvedev, gemeint ist oder im Originalzitat so erscheint. Russischsprachige Zitate werden in den Fussnoten in wissenschaftlicher Umschrift wiedergegeben, Originalzitate in deutscher, französischer und englischer Sprache belassen. Sämtliche Übersetzungen aus dem Russischen, sofern nicht anders vermerkt, verantwortet der Verfasser.
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Zwei Jahrzehnte nach der Zäsur von 1985–1991 ist die historische Aufarbeitung der russisch-sowjetischen Vergangenheit sowie des Wandels im Verhältnis von Russland zum sich einigenden Europa noch längst nicht abgeschlossen. Das Land ist auf der Suche nach seiner Geschichte, konstatiert Plaggenborg: „ Es hat sie bis heute nicht gefunden.“29 Auch Schmale hält noch 2008 fest: „Trotz einer ganzen Reihe von neueren Forschungen wissen wir jedoch viel zu wenig über Europadiskurse und Europäische Identität in diesen Ländern (gemeint sind Ostmittel- und Osteuropa, M.W.) in den ersten Nachkriegsjahren und in der Zeit des Ostblocks.“30 Und spezifisch auf die Anfänge der europäischen Einigung bezogen zieht Mueller noch 2009 das Fazit: „Der lückenhafte Forschungsstand lässt kein abschliessendes Urteil über die Triebkräfte der sowjetischen EWG-Politik zu.“31 Im Rahmen der westlichen Osteuropaforschung erschienen und erscheinen zahllose Untersuchungen zum Thema „Russland und Europa“ und „Russland und der Westen“, deren Titel bereits implizieren, dass dieses Land nicht integraler Bestandteil des Referenzpunktes „Europa“ bzw. „Westen“ bildet. So kommt denn Kappeler 2002 zum Schluss, dass Osteuropäische Geschichte auch nach Auflösung des Ostblocks ihre Berechtigung habe bzw. erst dann tot sei, wenn Osteuropa „in ein neues Europa und ein gesamteuropäisches Geschichtsverständnis integriert ist“.32 Sicherlich zu Recht beklagt er, die „Vernachlässigung Osteuropas durch die Europahistoriker, die sich bis auf Ranke zurückführen lässt“.33 Die westliche Russlandforschung stand bis in die 1990er-Jahre unter dem starken Einfluss der Modernisierungstheorie, wendet sich aber in jüngster Zeit von strukturgeschichtlichen vermehrt zu kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen.34 Gerade beim thematisch immer weiter ausgreifenden Thema der europäischen Integration zeigt sich, dass es um einen Themenkomplex geht, der über ökonomische Fragen hinaus heute ein umfassendes Spektrum an politischen, rechtlichen, ethischen und kulturellen Fragen umfasst.
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Plaggenborg 2006: 117. Schmale 2008a: 112. Überblick über die europäische Historiographie in Schmale 2001 und 2003. Mueller 2009b: 661. Kappeler 2002: 54. Kappeler 2002: 47, dort Anmerkung 8 mit dem oft zitierten Satz Rankes: „In der Tat gehen uns Neuyork und Lima näher an als Kiew und Smolensk.“ In: Leopold von Ranke: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, Leipzig 1824, XXXIX. Bohn, Neutatz 2008: 19 und 211ff.
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Stand der Forschung
Eine weitere Forschungsrichtung bettet die Frage nach dem Verhältnis Russlands zur europäischen Einigung deshalb in eine weiter gefasste „europäische Geschichte“ oder „Europäistik“ (Schmale 2002) ein – letzterer Begriff findet zunehmend auch in der russischen Terminologie als „Evropeistika“ Eingang.35 Ältere Definitionsversuche einer europäischen Geschichtsschreibung bleiben, auch wenn sie teilweise Russland einbeziehen, einer zu engen, dem Integrationsprozess des 20. Jahrhunderts nicht ausreichend Rechnung tragenden Betrachtungsweise verhaftet.36 Als „Metageschichte einer Europaforschung“ versteht sich das Forschungsprojekt „Europa im Ostblock. Vorstellungswelten und Kommunikationsräume im Wandel“, in dessen Rahmen seit 2004 mehrere Untersuchungen erschienen. Sie betreten Neuland, da „bis dato keine umfassende empirische Forschung zu den Europavorstellungen im Ostblock“ vorliegt.37 Diese Einschätzung Faraldos scheint in Anbetracht der Publikationen von westlichen Forschern wie Mueller oder Neumann oder den neueren russischen Forschungen jedoch nicht ganz gerechtfertigt.38 Im Folgenden soll, orientiert an den Hauptentwicklungsperioden des Integrationsprozesses, ein Überblick über enger fokussierte Arbeiten gegeben werden, die sich mit dem sowjetischen bzw. russischen Verhältnis zur europäischen Einigung befassen. Schwierig bleibt die Archivlage, da gerade Akten des Aussenministeriums und der – durch den Dualismus von Staats- und Parteiarchiven unumgänglichen – obersten Parteiführung nach wie vor zum Teil nur sehr eingeschränkt zugänglich sind oder sich im nicht zugänglichen Archiv des Präsidenten der Russländischen Föderation befinden.39 Von den 70 Millionen Dokumenten in den Parteiarchiven ist vermutlich nur ein Prozent zugänglich – doch sind es gerade die Parteidokumente, deren Aussagekraft die anderer offizieller, etwa diplomatischer Dokumente
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Vgl. den diesbezüglichen Abschnitt im Kapitel über die russische Historiographie. Duchhardt 1997 formuliert in seinem Beitrag „Was heisst und zu welchem Ende betreibt man Europäische Geschichte?“ einen Acht-Punkte-Katalog zur Definition des historischen Europabegriffs: Christentum und seine Normen, normierende Funktion des Rechts, Partizipationsrechte der Untertanen, Rechte des Einzelnen, Existenz einer lingua franca, Konnubium der adeligen Führungsschichten, Überlegenheitsgefühl gegenüber aussereuropäischen Kulturen und Staatlichkeiten, Konkurrenz in engster Nachbarschaft. Faraldo: Einleitung, in: Faraldo et al. 2008: 12. Darin Beiträge von Schmale, Domnitz, Behrends, Wüstenhagen. Neumann (1996, 1999, 2001a, 2001b). Bohn, Neutatz 2008: 7-9 und 140. Zu den schwierigen Arbeitsbedingungen in den Archiven und Bibliotheken auch Höser 2006: 9, Fussnote 34 mit weiterführenden Literaturangaben. Zur Archivpolitik 1985–1996 ausführlich Davies 1997: 81–114 sowie Fitzpatrick 2007: 53–57.
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bei weitem überwiegt.40 Insgesamt jedoch stehen seit 1990 immer mehr unerschlossene Quellen zur Verfügung, die von einer „Archiv-Revolution“ (Lipkin, Zubkova) der 1990er-Jahre, insbesondere von 1992–1994, sprechen lassen, und in der Tat zu einer in den vergangenen Jahren steigenden Zahl von neuen historischen Arbeiten zu Fragestellungen der sowjetischen Geschichte führen.41 Noch 2006 beklagte derselbe Lipkin jedoch, dass die russische Historiographie zu den Europathemen der 1940er- bis 1970er-Jahre „full of blank spots“ sei, da die Archive nicht zugänglich seien. Dies sei erklärbar „partly by the fact that, due to the official line of non-recognition of the EEC, all documents concerning WestEuropean integration were split among a variety of archives and funds, mostly still not declassified, especially those of the CPSU internationale committee, with a certain aim to make the life of historians a bit more exciting“.42 Mueller betrachtet die derzeitige Forschungssituation deshalb kritisch: „Die Teilöffnung ehemals sowjetischer Archive nach 1991 hat Akten zugänglich werden lassen, die eine bessere Beantwortung dieser Fragen (ob die Moskauer Publizistik die von der Führung dekretierte Politik zu untermauern hatte oder selbst Einfluss ausüben konnte, M.W.) ermöglichen. Auf internen russischen Dokumenten basierende Artikel zum Thema erschienen seit Mitte der 1990er-Jahre, berücksichtigen weder den soliden faktografischen Forschungsstand aus den 1970er-Jahren ausreichend noch verfügen sie über genug Quellenzugang, um die Frage erschöpfend zu behandeln.“43 Auf den Umstand, dass die sowjetische Perzeption weitaus komplexer war als die schematische Darstellung der ideologischen Differenzen in offiziellen Texten verweist Zaslavsky (2003) mit besonderem Hinweis auf geheimdienstliche Quellen. Seit Ende 1994 wird die Geheimhaltungspraxis in den Archiven wieder verschärft und ihre Nutzung stark eingeschränkt.44 Die Frühphase der europäischen Integration 1948–1958 ist aufs Engste mit der Genese des Kalten Krieges verbunden und wird bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert. Im Rahmen des Cold War International History Project am Woodrow Wilson Center for International Scholars arbeiten Historiker aus West und Ost (so etwa Narinskij) gemeinsam. Erweiterte Forschungsmöglichkeiten in Archiven führen zu neuen Darstellungen wie Loth 2004, Loth/Soutou 2007, Gaddis 2007, Wettig 2007 oder Zubok 2007: An letztgenannter Arbeit wird deutlich, dass auch 40 41 42 43
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Belousova 2005: 9f., unter Berufung auf V. Kozlov, Leiter Föderationsarchivdienste, vgl. Izvestija 12.2.1999. Lipkin 2009a: 47, Zubkova 2002: 82, 84. Lipkin 2006a: 300f. Mueller 2009b: 618f. Ähnlich auch Cubar’jan 2003a: 631: „Eine äusserst wichtige Aufgabe bleibt die Erweiterung des Zugangs zu den Archiven.“ Vgl. den Abschnitt über den Kalten Krieg im Kapitel „Russische Historiographie“. Zubkova 2002: 84.
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auf neues Material gestützte Arbeiten sich in traditioneller Weise auf eine Darstellung der Welt in zwei Blöcken beschränken können. So erwähnt der in den USA forschende Zubok (2007)45, der hier eher der westlichen Forschung zugerechnet werden muss, den europäischen Integrationsprozess auf 460 Seiten ein einziges Mal im Zusammenhang mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. In der Einführung zur Publikation „Europe and the Ende of the Cold War: a reappraisal“ konstatieren die Herausgeber denn auch noch 2008: „Now, nearly twenty years after the events, historians are on the threshold of a new phase, one in which access to documents on an ordinary rather than an exceptional basis is likely to become the norm. This also calls for renewed efforts to appraise the end of the Cold War in an objective manner.”46 Europa, so die Herausgeber weiter, sei in der klassischen, bipolaren Darstellung des Kalten Krieges durch das “superpower prism” deutlich zu kurz gekommen. Über die Rolle der USA hinaus seien die Rolle Europas und die europäischen Prozesse selbst stärker zu gewichten : „(…) first and foremost European integration (which was instrumental in stimulating the Soviet Union’s opening to the West as well as Eastern Europe’s emancipation in the second half of the 1980s (…) or the pan-European process, the impact of which on the end of the Cold War – what has been rightly named the ‚Helsinki effect’ – deserves to be closely examined, especially in its political, psychological and cultural dimensions.“ Schmidt (2009) steht beispielhaft für die gegenwärtige Suche nach einer objektiven Einschätzung der Wechselwirkung von bipolarem Ost-WestKonflikt und europäischem Integrationsprozess. Der russische Blick auf die (west)europäische Integration bleibt jedoch ausserhalb Russlands in historischer Sicht ein noch weitestgehend unbearbeitetes Feld. Erste Untersuchungen erscheinen in den 1960er-Jahren: Sannwald (1963), Zellentin (1964), Dutoit (1964), Le Gall (1967), Forte (1968), Paulsen (1969), John (1975), Schalhorn (1976), Jacobs (1977).47 Schulz publiziert 1975 eine umfassende Darstellung der Haltung der Sowjetunion zu dem Phänomen der westeuropäischen Integration und richtet den Fokus auf die Probleme, die der Integrationsvorgang der sowjetischen Politik stellt. Im Verhältnis Westeuropas zu den USA folgen die sowjetischen Positionsbezüge zwei Hauptlinien: Kritik an der amerikanischen Hegemonie und Unterstreichen des Kampfs der Europäer gegen 45
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Der bereits 1999 im Journal of European Integration History erschienene Artikel von Zubok geht hingegen vertieft auf die europäische Integration ein, vgl. Verweise in den folgenden Kapiteln. Hier und im Folgenden : Bozo et al. 2008: 2ff. Vgl. im selben Band auch die historiographische Übersicht von Michael Cox, pp. 9-19. Sehr detailliert und auf reichhaltiges russisches Material gestützt der Dolmetscher und Jurist Dutoit (1964). Literaturangaben bei Schulz 1975: 72–85 und 243–254; bei Malcolm 1989: 92f, Fn. 18, 21; sowie bei Mueller 2009b: 617f Fn. 3 und 4.
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diese Hegemonie. Für Schulz „fällt die Unsicherheit in der Beurteilung“ bei der Gesamtheit der sowjetischen Äusserungen zur EG ins Auge: „Die Äusserungen reichen von der generellen Linie der ablehnenden Feindschaft bis hin zur Möglichkeit einer begrenzten Zusammenarbeit und lassen damit alle politischen Möglichkeiten offen.“48 Binns (1978), Adomeit (1979, 1984), Sodaro (1983) und Jung (1987) setzen die Analyse der sowjetischen Diskussionen der „kapitalistischen Integration“ fort. Malcolm (1989) begründet seine Analyse des neuen aussenpolitischen Gestaltungsraums unter den Bedingungen des „Neuen Denkens“ mit einer kenntnisreichen Studie der Stellung zum europäischen Integrationsprozess seit den 1950er-Jahren, gestützt auf eine grosse Zahl sowjetischer Quellen.49 Das „Neue Denken“ eröffnet noch in sowjetischer Zeit einen neuen Blick auch auf die westliche, nunmehr breit zugängliche Forschung. Es erstaunt nicht, dass russische Historiker ihr Augenmerk dabei auf die „östlichen“ Defizite westlicher Forschung richten: „Vor allen Dingen muss man feststellen, dass westliche Historiker in der Regel ihre Betrachtung der ‚europäischen Dimension’ (gemeint ist: des Kalten Krieges, M.W.) nur auf die Beziehungen zwischen Westeuropa und den USA beschränken; das übrige Europa, seine Beziehungen zu den USA und zur UdSSR, das Verhältnis der UdSSR zu Europa – all dies wird zum grössten Teil im Rahmen eines längst veralteten Schemas behandelt, demzufolge die USA sich nicht sehr für Osteuropa interessierten, dass letzteres sich von Anfang an in völliger Abhängigkeit von der UdSSR befunden habe, welche ihrerseits ebenso von Anfang an das Ziel der ‚Sovjetisierung‘ verfolgt habe, und obendrein noch beabsichtigt habe, sich auch Westeuropa gewaltsam anzueignen, wenn nicht mittels eines offenen Angriffs, dann mittels einer ‚Unterminierung von innen’.“50 Der Bulgare A. Ignatov publiziert seit 1972 vorwiegend im Westen, so in den Schriften des deutschen Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, und unternimmt in einem Aufsatz aus dem Jahre 1997 einen ersten Versuch die „Europäische Integration aus russischer Sicht“ darzustellen – historiographisch eingeordnet werden einige wenige Arbeiten von Borko, Busygina und Cymburskij aus den Jahren 1992–1995, bei denen Ignatov einen „sehr positiven Eindruck“ 48 49 50
Schulz 1975: 108 und 118. Jedoch fand die ähnlich gelagerte Vorarbeit von Schulz (1975) keinen Eingang in seine Arbeit. Filitov 1991: 172, im Original: „Prežde vsego sleduet zametit’, čto zapadnye istoriki, kak pravilo, ograničivajut svoe rassmotrenie ‚evropejskogo izmerenija’ liš’ otnošenijami meždu Zapadnoj Evropy i SŠA; ostal’naja Evropa, ee otnošenija s SŠA i SSSR, otnošenie SSSR k Evrope – vse ėto po bol’šej časti traktuetsja v ramkach davno uže ustojavšejsja schemy, bud’to SŠA ne očen’-to interesovalis’ Vostočnoj Evropoj, čto poslednjaja iznačal’no nachodilas’ v polnoj zavisimosti ot SSSR, kotoryj, v svoju očered’, stol’ že iznačal’no presledoval cel’ ee ‚sovetizacii’, a sverch togo, ešče i namerevalsja zachvatit’, esli ne putem otkrytogo napadenija, to putem ‚podryva iznutri’, i Zapadnuju Evropu.“
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durch die „empirische Präzision“ gewinnt. Trotz der „langen ideologischen Deformation“ bestünde in Russland eine „solide Tradition präziser wissenschaftlicher Arbeit“.51 Eine bis heute grundlegende Arbeit bildet die Dissertation von I. Neumann (1996), der am Norwegischen Institut für internationale Angelegenheiten forscht. Auch russische Forscher übernehmen seinen Ansatz des „true Europe“ und „false Europe“52: Dieses Produkt des russischen Diskurses lässt Russland in ein positives Verhältnis zu einem „wahren Europa“ rücken, einem Europa, auf welches russische Werte und Prioritäten projiziert werden. Europa, insofern es den feindlichen Westen darstellt, wird hingegen einem „falschen Europa“ gleichgesetzt, welches die wirklichen europäischen Werte verloren hat. Neben dem feindlichen Anderen entsteht so das Bild eines freundlichen Anderen, eines Vorbildes. Die Bedeutung dieser Unterscheidung zur Ermöglichung einer positiven Annäherung an Europa bzw. zum Selbstverständnis der eigenen Existenz als Bestandteil eines grösseren Europas liegt auf der Hand. Im Jahr 2001 legt Wüstenhagen unter dem Titel „Der Blick durch den Vorhang“ eine Untersuchung des Verhältnisses der DDR zur Integration Westeuropas in den Jahren 1946–1972 vor. Newton (2003) richtet den Fokus auf die russische und französische Europapolitik. Krethlow (2006) beschreibt das „Bild der Europäischen Gemeinschaft in der sowjetische Presse 1979 bis 1985“ und kommt damit für die vorangehende Periode dem Ziel der vorliegenden Untersuchung nahe, ohne jedoch auf die historiographischen Debatten vertieft eingehen zu können. Peter (2006) analysiert in seiner Studie über „Russland im neuen Europa“ die nationale Identität und aussenpolitische Präferenzen 1992–2004 aus politologischer Sicht. Mittels einer umfangreichen Diskursanalyse werden dabei vier idealtypische Hauptströmungen herausgefiltert: westlich-liberaler Universalismus, russländisch-liberaler Nationalismus, grossrussischer Nationalismus und konservativ-revolutionärer Expansionismus. Jahn (2007) untersucht darauf basierend die Perspektiven der Europäischen Nachbarschaftspolitik unter dem Blickwinkel einer nicht mehr wirksamen Integrationskonkurrenz zwischen Moskau und Brüssel. Der Umbruch der 1990er-Jahre eröffnete russischen Historikerinnen und Historikern Möglichkeiten zur Integration in die internationale ‚Scientific Community‘, und „zumindest die junge Generation russischer Historiker nimmt sich
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Ignatov (2000), in einem deutschsprachigen Sammelband, geht nicht auf die Integration ein. Vgl. Neumann 1996: 73, vgl. Prozorov passim sowie Morozov 2003a: 1506ff. Vgl. Kap. 5.3.
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selbst als Teil der internationalen Geschichtskultur wahr“.53 Im Zuge der „internationalization of Russian historiography“54 erscheinen so in zunehmendem Masse Kooperationsprodukte westlicher und russischer Forscher: Lynch (2003) untersucht am Institute for Security Studies der EU in Paris zunächst noch in einer Monographie die russische Aussenpolitik gegenüber westlichen Organisationen einschliesslich der EU. Lynch (2005) bildet bereits eine Sammelpublikation mit Beiträgen auch russischer Forscher wie Danilov (2005b), Karaganov (2005), A. Puškov, D. Trenin und A. Zagorskij. Aus zwei in Paris und Moskau organisierten Kolloquien geht der Sammelband von Soutou/Robin-Hivert 2008 mit Beiträgen von Rey (2008a) und Robin-Hivert (2008) zur sowjetischen Europapolitik in den frühen 1950er-Jahren hervor.55 Rey (2008b) beschreibt in einem kürzeren Beitrag knapp zusammenfassend das Verhältnis der sowjetischen Führung zur EWG 1957 bis 1991 als Entwicklung „from overt hostility to the quest for partnership“. Robin-Hivert verweist auf den unterschiedlichen Deutungsgehalt des Begriffs „Europa“: „Pour chaque étape de la construction européenne, il s’agit de tenter de comprendre, du côté soviétique, à quelle Europe l’on se réfère : une Europe géographique, une ‘pan-Europe’ politique sous domination soviétique, une Europe mystique, patrimoine commun de l’Est et de l’Ouest, une Europe communautaire potentiellement dangereuse. Faire l’histoire de l’attitude soviétique face à la construction européenne consiste à faire à la fois une histoire diplomatique, une histoire idéologique et une histoire des représentations.“56 Wie Robin-Hivert verdeutlicht, liegt das Problem der Diplomatiegeschichte darin, dass die UdSSR ihre Politik gegenüber der europäischen Integration primär über bilaterale Beziehungen wahrzunehmen suchte. In ideologischer Hinsicht bleibt offen, inwiefern die marxistisch-leninistische Denkweise nur rhetorische Verkleidung war oder tatsächlich das diplomatische Handeln strukturierte. In Bezug auf die Geschichte der „longue durée“ schliesslich steht das Verhältnis Russlands zu Europa und zum Westen im allgemeinen zur Debatte – auch Marxisten bleiben diesen alten Bildern im kollektiven Gedächtnis verhaftet. Robin-Hivert geht in ihrer weiteren Analyse von zwei Fragen aus: Welches ist der Platz des Kalten Krieges in der sowjetischen Definition des europäischen Phänomens, und welche Möglichkeit bestand, dass die UdSSR ein Gegenmodell zur Idee der europäischen Einheit entwickelt? Die UdSSR betrachtete die europäische Einigung ausschliesslich durch das Analyseras53
54 55 56
Zubkova 2002: 85. Davies 1997: 218 vermerkt, dass die sowjetischen Historiker bis Ende der 1980er Jahre von der historischen Zunft des Rests der Welt isoliert waren und noch im Frühjahr 1988 bei einer historischen Konferenz in London keine privaten Abendeinladungen annehmen durften. Confino 2009: 7. Darin „Note bibliographique“ von Georges-Henri Soutou, pp. 465–479. Robin-Hivert 2008: 399; vgl. zuvor auch schon Robin-Hivert (2006).
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ter des Kalten Krieges, des Blockdenkens und folglich diente die Denunzierung der europäischen Projekte der Denunzierung der westlichen Politik im Allgemeinen, insbesondere der politisch-militärischen Einbindung Westdeutschlands.57 Was ein mögliches Gegenmodell der Integration anbelangt, stellt Robin-Hivert fest, dass zumindest indirekt eine Anerkennung integrativer Bemühungen dadurch ausgedrückt wurde, dass auch im sozialistischen Lager mit dem RGW ein vergleichbares, wenn auch bis 1954 kaum aktives Gebilde, gegründet wurde: „Il est intéressant cependant que l’on ait ressenti à Moscou le besoin de créer un organisme oriental qui serait le pendant des institutions occidentales : c’est reconnaître la valeur, au moins la valeur de propagande, des appels à la collaboration internationale et à l’unification européenne.“58 Neuzugängliche Quellen erlauben der jüngsten Forschung einen neuen Blick auf die Stalin- und Chruščev-Ära: So stützt Mueller (2009a, 2009b) jüngste Forschungsbeiträge auf neue Archivquellen des sowjetischen Aussenministeriums und Aussenministers Molotov.59 Mueller stellt für die Jahre 1947–1957 eine gewisse Ironie darin fest, dass die westeuropäische Integration zumindest teilweise aus Furcht vor der sowjetischen Expansion erfolgte und ihrerseits in der Sowjetunion Misstrauen und Ängste vor antisowjetischer Verschwörung provozierte.60 Für die nachfolgenden Jahrzehnte beobachtet Rey (2005) eine langsame Annäherung an Europa (hier im Sinne des westlichen Europas) in den Jahren 1960–1970 und ein „retour à l’Europe“ in den Jahren 1985– 1991. Gorbačevs paneuropäische Visionen unter dem Begriff „Europa ist unser gemeinsames Haus“ stehen im Mittelpunkt der Publikation von Rey (2004 und 2008b).61 Im weiteren Kontext der europäischen Zusammenarbeit legt Althauser (1997) eine umfassende Darstellung des Beitritts Russlands zum Europarat vor; Webber (2000) beschreibt die gesamte Periode 1990–2000. Mit der Wirtschaftsdiplomatie zwischen Europäischer Gemeinschaft und RGW setzt sich Baily-Wiebecke (1989) auseinander und ordnet dabei die langjährigen Bemühungen um die Herstellung von Direktkontakten (1972–1988) in den Kontext der UNORegionalorganisation ECE (Economic Commission for Europe) und den KSZEProzess ein. Yamamoto (2007) analysiert die Reaktionen der EG auf den sowjetischen Vorschlag, formelle Beziehungen zwischen dem RGW und der EG herzustellen. Einige Arbeiten thematisieren die Wechselwirkung der Entspannungspro57 58 59 60 61
Robin-Hivert 2008: 402ff. Robin-Hivert 2008: 405. Mueller 2009: 68 bezeichnet sie als höchstrangige zugängliche Quellen, da die Akten von Stalin und Chruščev nach wie vor nicht zugänglich sind. Mueller 2009: 67. Vgl. auch Jutta Scherrer: „Obščevropejskij dom“? Vzgljad na Rossiju. In: A. A. Fursenko (ed.) Istoričeskaja nauka na rubeže vekov, Moskva, Nauka, 2001, pp. 268-274.
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zesse, die in den 1970er-Jahren zum Helsinki-Prozess und zur Bildung der Konferenz bzw. Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE/OSZE) führten.62 Der französische KSZE-Botschafter Andréani geht 2005 der Frage nach, weshalb die Sowjetunion im Helsinki-Prozess zu weitreichenden Konzessionen bereit war und kommt zum Schluss: „De 1975 à 1990, la suite quasiment ininterrompue de discussions issues de l’Acte final d’Helsinki a mis au jour les faiblesses cachées du système totalitaire, encouragé ses opposants et incité les opinions et les gouvernements à les soutenir.“ Dieses Russland, „réconcilié avec l’Europe“ findet seinen Ausdruck in Gorbačevs Bild des „gemeinsamen Haus Europa“».63 Als „Schock“ für die sowjetische Seite bezeichnet Andréani das gemeinsame Auftreten der neun EWG-Mitgliedsstaaten, die im Helsinki-Prozess erstmals eine eigentliche gemeinsame Aussenpolitik entwickelten.64 Schliesslich kann Europäische Geschichte im globalen Massstab als Kern einer „Geschichte des Westens“ verstanden werden.65 Winkler (2009) merkt an, dass der seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verwendete Begriff „Westen“ enger war als „weisse Rasse“, weil er „den als rückständig empfundenen russischen und balkanischen Osten Europas ausschloss“, und zugleich weiter, weil die Zugehörigkeit zur „westlichen Zivilisation“ nicht an rassische Merkmale gebunden war. Der Kalte Krieg setzte „Westen“ und atlantisches Bündnis nahezu gleich, wobei letzteres nicht nur eine Militärallianz, sondern auch eine Wertegemeinschaft zur „Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte gegenüber der Bedrohung durch die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts“ bildete.66 Der historische Westen umfasst im Sinne Winklers den christlichen, nicht-orthodoxen, säkularisierten Teil Europas und die aussereuropäischen Teile wie die USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder seit 1948 auch Israel. Als das normative Projekt des Westens definiert Winkler die Ideen von den unveräusserlichen Menschenrechten, von der Herrschaft des Rechts, von der repräsentativen Demokratie und von der Gewaltenteilung. Von den nichtwestlichen Ländern bezieht Winkler Russland am stärksten mit ein, denn: „Das Zarenreich und später die Sowjetunion wurden durch den Westen ebenso beeinflusst, wie sie ihrerseits den Westen beeinfluss62
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Vgl. Schlotter 1999, der jedoch keine russischsprachige Quellen verwendet, sowie Lynch 2000. Die Bibliographie des Centre for OSCE Research ist unter www.core-hamburg.de zu finden. Andréani 2005: 240, 242. Andréani 2005: 88. Auf die äusserst breit geführt kulturellen Debatten zum Thema „Russland und der Westen“ soll hier nicht eingegangen werden. Zur Aktualität des Themas vgl. Marsh (2007). Auch die reziproke Sicht – das Bild Russlands im Westen bzw. in Europa – kann nicht vertieft werden, verwiesen sei hier auf die umfangreichen, auch in Russland rezipierten Forschungen von Neumann, bspw. Morozov 2003a. Hier und im Folgenden: Winkler 2009: 18ff.
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ten.“67 Man darf gespannt sein, wie der zweite Band des monumentalen Werks diese gegenseitige Beeinflussung schildern wird – nach der Aufkündigung des säkularen sozialistischen sowjetischen Modells Ende der 1980er-Jahre. In seinem Ausblick am Ende des ersten Bandes subsumiert Winkler Russland unter dem Phänomen der Teilverwestlichung nichtwestlicher Gesellschaften, wobei in Russland von 1917 bis 1991 der „langlebigere der beiden totalitären Gegenentwürfe (Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus, M.W.) zum westlichen System“ vorherrschte.68 Eine Problematik dieses Ansatzes liegt darin, dass so möglicherweise die sowjetische Geschichte als Sonderweg der (ost-)europäischen Geschichte des Westens dargestellt werden muss. Denn Russlands Teil-Teilhabe an „westlichen“ Institutionen wie Europarat und Menschenrechtskonvention lassen an der Finalität einer Annäherung an den Westen keinen Zweifel. Schmale merkt zu Recht an: „Das sozialistische Wertesystem unterschied sich – so paradox das klingen mag – im Grunde zu wenig vom westlichen, weil es z. T. dieselben historischen Wurzeln besass oder dieselben Ziele wie wirtschaftlichen Wohlstand verfolgte.“69 Abschliessend kann denn auch im historiographischen Bereich aufgrund erster Publikationen davon ausgegangen werden, dass die Zahl gemeinsam von westlichen (nicht-russischen) und russischen Forscherinnen und Forschern (wie Narinskij, Lipkin, Filitov, Egorova) konzipierter und durchgeführter Studien zur Thematik in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Idealiter führen vertiefte Forschung durch russische Historikerinnen und Historiker in russischen Archiven und enger Austausch mit nicht-russischen Kolleginnen und Kollegen in den kommenden Jahren zu neuen Erkenntnissen und Bewertungen im Sinne einer (gesamt)europäischen (oder so man will: „westlichen“) Historie – „westlich“ in diesem Sinne als Oberbegriff einer Traditions- und Werteordnung, die auch Länder wie Australien, Neuseeland oder Russland einschliesst. S. Fitzpatrick stellt betreffend der postsowjetischen Historiker fest: „(…) they are still assimilating and correcting our (Western) stories“70. Oder wie M. Confino es formuliert: „Genuine international historiography will be achieved when the great and creative community of Russianists will become more acquainted with the work of historians not only in Russia, of course, but also in at least two or three other countries, and incorporate their findings in their work.“71 Im günstigeren Fall entwickeln russische Historiker in den kommenden Jahrzehnten eigene Beiträge zur Weiterentwicklung der (internationalen) Historiographie. Im weniger günstigen Fall tritt mit einer Spaltung in ein russ(länd)isches, an nationalen Interessen orientiertes Lager 67 68 69 70 71
Winkler 2009: 22. Winkler 2009: 1194 und 1198. Schmale 2008b: 30. Fitzpatrick 2000: 386. Confino 2009: 26.
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und ein in die Scientific Community integriertes Lager ein Rückfall in eine seit zwei Jahrzehnten überwunden geglaubte Bipolarität ein.72
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Zubkova 2002: 91 verweist auf Tendenzen zur staatlichen Reglementierung bei geschichtlichen Schulbüchern seit 2001 und wirft die Frage auf, wie lange die Geschichtswissenschaft noch davon ausgenommen bleibt.
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Traditionell orientieren sich russische Historiker seit dem 19. Jahrhundert in einer vergleichenden Perspektive am Verhältnis Russlands zum westlichen Europa. Das „Fenster“, das Peter der Grosse mit seinen Reformen zu Europa geöffnet hat, wird in der Folge je nach Standpunkt als Zäsur in der russischen Geschichte bewertet.73 Die vorrevolutionäre Geschichtsschreibung unterliegt seit diesem ‚Durchbruch‘ dem Theorem der „Europäisierung“ bzw. der „Modernisierung“ mit der Schlüsselfrage: Entwickelt sich Russland in Richtung Europa oder entwickeln Personen in Russland ihr Land zu einem „europäischen“ im Sinne eines zivilisatorisch fortschrittlichen Landes?74 Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts kulminierte die Fragestellung in der Auseinandersetzung zwischen Westlern und Slavophilen. Da sich Europa – bzw. der im Ursprung europäisch geprägte Westen – immer noch und zunehmend heterogen weiterentwickelt, würde dieser Diskurs unausweichlich unendlich. Es sei denn, er verändere sich in die Fragestellung, ob es dem postsowjetischen Russland in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen sei, einen eigenständigen Weg zur Teilhabe am europäischen, westlichen oder globalen Entwicklungsprozess zu definieren. Die Diskussion über die „russische Zivilisation“ nahm in den 1990er-Jahren jedenfalls den Faden aus dem 19. Jahrhundert auf und verwob ihn mit einem revitalisierten Eurasianismus. Bohn fasst deshalb zusammen: „Summa summarum ist die Historikerschaft wieder in einen ‚Russland und Europa’-Diskurs eingebunden, wie er bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von Westlern und Slawophilen geführt worden ist.“75 Uneingeschränkt zuzustimmen ist der These Bonwetsch’ aus dem Jahr 1993, dass „Europa (…) als eigenständiges Konzept für die Sowjetunion weder unter Lenin noch unter Stalin existiert“ habe.76 Erst den sowjetischen Vorschlägen zur völkerrechtlichen Absicherung des Status quo durch einen „gesamteuropäischen Vertrag“ zwischen 1955 und 1970 lag ein positives Europakonzept zugrunde, das letztlich zum Erfolg des Helsinki-Prozesses beitrug. Basierend auf dem parteilich verordneten Dogma des Historischen Materialismus werden in der sowjetischen Geschichtsschreibung Entwicklungen im Stufenmodell Urgesellschaft – Sklavenhaltergesellschaft – Feudalismus – Kapitalismus – Sozialismus/Kommunismus verortet.77 Konsequenz des leninistischen 73 74 75 76 77
Bohn, Neutatz 2008: 15. Auch Neumann (1996) setzt mit seiner Untersuchung hier ein. Bohn, Neutatz 2008: 19 und 211ff. Bohn 2002: 103, vgl. auch Zubkova 2002: 85 und wie schon oben ausgeführt Neumann (1996). Hier und im Folgenden: Bonwetsch 1993: 38ff. Bohn, Neutatz 2008: 17ff.
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Dogmas ist eine „schematisierte Pseudogeschichte“, welche „Klassen und Klassenkampf“ ins Zentrum rückte.78 Der sowjetische Historiker war doppelt ‚gebunden‘: ideologisch an die Partei und erkenntnistheoretisch durch das Unvermögen über Lenins theoretische Grundlagen hinauszugehen. Daher liegt wohl ein Korn Wahrheit in Plaggenborgs Fazit, dass keineswegs anders gedacht wurde, als veröffentlicht werden durfte: „Sowjetische Historiker meinten aber ernst, was sie schrieben“.79 Nachdem 1936 per Verfassung der „Sozialismus“ dekretiert worden war, mussten in den nachfolgenden Jahrzehnten die Fortentwicklungen auf dem Weg zum Kommunismus unter dem Begriff des „entwickelten / reifen Sozialismus“ (razvitoj / zrelyj socializm) erfasst werden. Der Sozialismus wurde so „mit Hilfe waghalsiger Ideologiekonstrukte verstetigt“, und die den Kommunismus in absehbarer Zeit nicht erreichende Sowjetunion „verlor“ die Zukunft; „sie wurde langweilig“. Auch die Einordnung des europäischen Integrationsprozesses wird gemäss diesen „Gesetzmässigkeiten“ vorgenommen und unter Berufung auf Lenins entsprechende Positionsbezüge als kapitalistisches Phänomen zur Unterdrückung der Arbeiterklasse bewertet. Nach marxistischer Ideologie ist nur der Marxist imstande, „die Gesellschaft wirklichkeitsgetreu, das heisst wissenschaftlich, zu begreifen“, eine Anschauung, die vom Marxismus-Leninismus dogmatisiert und auf parteipolitische Ergebenheit reduziert wurde. Dauernde Widersprüche und der Klassenkampf lassen Geschichte in marxistischer Auffassung („historischer Materialismus“) als logische und konse-quente Abfolge ökonomischer Gesellschaftsformationen erscheinen. Die Geschichte schreitet so in aufsteigender Linie vom Niederen zum Höheren, von der Urgesellschaft über Feudalismus und Kapitalismus bis hin zum Sozialismus. In marxistisch-leninistischer Dogmatik überwindet die sozialistische Gesellschaftsformation den Kapitalismus und leitet über zum Endzustand des Kommunismus. Dachte Marx noch an eine kurze Übergangsperiode, so wurde die Periode des Sozialismus in der Sowjetunion zeitlich immer mehr gestreckt und in eine langfristige Perspektive der Umgestaltung umdefiniert, umbenannt in „real existierender Sozialismus“. Dieser war in der Sowjetunion auch durch Glasnost’ und Perestrojka nicht mehr reformierbar, und im „annus mirabilis“ 1989 führte Gorbačevs Reformpolitik letztlich zum Zusammenbruch des Kommunismus.80 In Bezug auf die Einigung Europas passte sich die marxistisch-leninistische Ideologie wiederholt den neuen Gegebenheiten an. Lenin schloss sich noch 1914 in der siebten seiner „Thesen über den Krieg“ der Forderung Karl Kautskys von 1911 nach einer Vereinigung Europas an und rief alle Sozialisten auf, „zur Umwandlung 78 79 80
Plaggenborg 2006: 68. Hier und im Folgenden: Plaggenborg 2006: 69. Asendorf 1994: 257, 314f., 333, 582.
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aller einzelnen Staaten Europas in republikanische vereinigte Staaten von Europa“.81 Bereits im Sommer 1915 erteilte Lenin in der Schrift „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“ dem Konzept eine Absage, indem er den Fokus von der Politik auf die Ökonomie verlagerte: „Ist jedoch die Losung der republikanischen Vereinigten Staaten von Europa im Zusammenhang mit dem revolutionären Sturz der drei reaktionärsten Monarchien Europas, an ihrer Spitze der russischen, völlig unanfechtbar als politische Losung, so bleibt doch noch die sehr wichtige Frage nach dem ökonomischen Inhalt und Sinn dieser Losung. Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die ‚fortgeschrittenen’ und ‚zivilisierten’ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär. (…) Vereinigte Staaten von Europa sind unter kapitalistischen Verhältnissen gleichbedeutend mit Übereinkommen über die Teilung der Kolonien. (…) Die Vereinigten Staaten der Welt (nicht aber Europas) sind jene staatliche Form der Vereinigung und der Freiheit der Nationen, die wir mit dem Sozialismus verknüpfen – solange nicht der vollständige Sieg des Kommunismus zum endgültigen Verschwinden eines jeden, darunter auch des demokratischen Staates geführt haben wird. Als selbständige Losung wäre jedoch die Losung der Vereinigten Staaten der Welt wohl kaum richtig, denn erstens fällt sie mit dem Sozialismus zusammen, und zweitens könnte sie die falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande und eine falsche Auffassung von den Beziehungen eines solchen Landes zu den übrigen entstehen lassen.“82 In seinem Meinungsumschwung zeigte sich für Zellentin, „dass Lenin vor allem der russische Staatsmann war, dem selbst die ‚zeitweilige’ Möglichkeit einer europäischen Föderation und ihre wirtschaftliche und politische Anziehungskraft auf die ‚tiefverwurzelten Wünsche’ der Arbeiterschaft in einer Schreckensversion als Alternative zum expansiven Kommunismus erschien, und zwar schon lange bevor sich westliche Politiker der antikommunistischen Wirksamkeit der Vereinigten Staaten von Europa bewusst waren.“83 1917 stellte Lenin in seiner Schrift „Der 81
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83
W. I. Lenin: Die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg. In: Lenin, W.I.: Werke, Band 21, Berlin, Dietz Verlag, 1960, pp. 2–5, zitiert nach Mueller 2009b: 619 und Gasteyger 1969: 170, vgl. Törnudd 1961: 66; Schulz 1975: 39f.; Bonwetsch 1993: 40ff. und nach wie vor grundlegend: Zellentin 1964: 11ff.; Binns 1978: 237f. sowie Neumann 1996: 100ff. und 117ff. Lenin, V.I. O lozunge soedinennych štatov Evropy. In: Polnoe sobranie sočinenij. Moskva 1961, Tom 26, pp. 351–355. Deutsch in : W. I. Lenin: Werke, Band 21, Berlin, Dietz Verlag, 1960, pp. 343, 344, 345 (Text nach: Sozial-Demokrat, Nr. 44, 23. August 1915), vgl. Törnudd 1961: 66. Zellentin 1964: 14f.; vgl. Neumann 1996: 102f. und zu Trockijs Thesen 1906: Neumann 1996: 85ff.
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Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ fest, dass temporäre Parallelinteressen der Monopole zur Bildung internationaler Zusammenschlüsse führen, was als objektive Tendenz und als Defensivmassnahme gegen die Krise des Kapitalismus feststellbar sei.84 Lenins Standpunkt setzte sich durch: Die politische Form der Diktatur des Proletariats bzw. der Weltrevolution bildeten das entscheidende Gegenargument zum sozialdemokratischen Ansatz der europäischen Föderation als einer übernationalen Garantie für innerstaatliche Demokratie. Aus taktischen Gründen musste Lenin eine Integrationsidee ablehnen, die für Arbeiter hätte attraktiv sein und den Gedanken entstehen lassen können, dass der Sozialismus nicht in einem Lande realisierbar wäre.85 Schärfster Widersacher der Leninschen Theorie war der später in Ungnade gefallene und 1929 aus der Sowjetunion verbannte Lev Trockij: Er plädierte in seinem Friedensprogramm von 1915 für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa. In der „Pravda“ vom 30. Juni 1923 schrieb er „Über die Aktualität der Parole der Vereinigten Staaten von Europa“.86 Für Trockij sollten die wirtschaftlichen Grenzen aufgehoben werden, Zölle verschwinden und ein gemeinsamer europäischer Markt geschaffen werden. Da die Kapitalisten auf beiden Seiten der Grenzen dies nicht akzeptieren würden, sei die Einigung Europas eine der revolutionären Aufgaben des Proletariats. Dort wo die europäische Idee reaktionären monarchischen Charakter annehmen sollte, müsse, so Trockij, das Proletariat lediglich die Form zerstören und die Einigung weiterentwickeln, sodass die Diktatur des Proletariats in einer Europäischen föderalen Republik errichtet werden könne. Lenins Argument der ungleichen Entwicklung des Kapitalismus hielt Trockij entgegen, dass gerade in Europa die Länder relativ gleich weit entwickelt seien.87 1922 konstatierte Trockij, fünf Jahre Sowjetunion hätten bewiesen, dass voller Sozialismus in Russland alleine nicht möglich sei. Am 30. Juni 1923 schrieb Trockij in der „Pravda“ „Über die Aktualität der Losung ‚Vereinigte Staaten von Europa’“, dass „enge wirtschaftliche Kooperation der europäischen Völker“ das „einzige Mittel“ sei, das „zerrissene, zersplitterte, erschöpfte, desorganisierte“ und „balkanisierte“ Europa „vor der wirtschaftlichen Zersetzung und Unterjochung durch das überstarke amerikanische Kapital zu retten“. „’Vereinigte Staaten von Europa’ (…) sind die nächste Etappe der revolutionären Bewegung in Europa, die sich aus dem schneidenden Gegensatz zwischen Europa und Amerika ergibt.“88 1923 und noch 1926 machte sich die Komintern den Slogan der Vereinigten Staa84 85 86 87 88
Hierzu auch Čerkasova 1995: 163. So bereits Gasteygers Analyse 1969: 170. Mueller 2009b: 620, Fn. 10. Törnudd 1961: 67. Hier zitiert nach Trockij 1928: 1194, Fn. 6, seinerseits dort nach der deutschen Fassung in: Leo Trotzki „Europa und Amerika. Zwei Reden.“, Berlin, 1926, pp. 92–99.
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ten von Europa zu eigen. Die Forderung nach den Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa war nicht zuletzt auch eine Gegenbewegung zum „Paneuropa“-Manifest von Coudenhove-Kalergi, das 1923 erschien und ein „paneuropäisches Defensivbündnis gegen die (kommunistische) russische Gefahr“ forderte. Zellentin dazu: „Coudenhove wollte ein demokratisches und gleichgewichtiges Paneuropa schaffen, in dem der halbasiatische Koloss im Osten keinen Platz haben konnte; er versuchte deshalb, Russland mit kulturell-historischen Begründungen aus Europa herauszuargumentieren.“89 Im Programmentwurf der Komintern von 1928, unter Stalins direkter Aufsicht von Bucharin als „Entwurf von Bucharin und Stalin“ redigiert, sollte der Slogan nicht mehr figurieren, was zu einer scharfen „Kritik“ Trockijs führte, indem er sich selbst aus seiner Schrift „Was ist ein Friedensprogramm?“ zitierte: „’Eine halbwegs vollständige und konsequente ökonomische Vereinigung Europas von oben her, mittels eines Abkommens der kapitalistischen Regierungen, (ist) völlig unerreichbar’, schrieb ich. ‚Hier kann die Sache nicht weiter als (zu) partielle(n) Kompromisse(n) und halbe(n) Massnahmen gehen. Dadurch eben wird die ökonomische Vereinigung Europas, die dem Produzenten wie dem Konsumenten und überhaupt der ganzen kulturellen Entwicklung kolossale Vorteile verspricht, zur revolutionären Aufgabe des europäischen Proletariats in seinem Kampfe mit dem imperialistischen Protektionismus und dem Militarismus.’ (…) ‚Die Vereinigten Staaten Europas stellen also die Form – die einzig denkbare – der Diktatur des europäischen Proletariats dar.“90 Soweit der im Rahmen dieser Untersuchung gewonnene Überblick reicht, muss festgestellt werden, dass eine historische Aufarbeitung der frühen Europakonzeptionen von Kautsky, Trockij und Lenin in der postsowjetischen Forschung bis heute nicht stattgefunden hat. Die ersten Reaktionen der Sowjetunion auf den vom französischen Aussenminister Briand am 5. September 1929 angekündigten paneuropäischen Einigungsplan sind gemäss Recherchen von Belousova nicht auffindbar – wie überhaupt viele Archivdokumente noch immer für Forscher unzugänglich seien.91 In der offiziellen Presse (Izvestija 7.9., Pravda 12.9.1929) werden jedoch absolut negative Einschätzungen abgegeben. Aufschlussreich ist ein Brief Litvinovs an Stalin vom 27. Juli 1930, in welchem er äusserte: „Il me semble qu’on peut remarquer une certaine analogie entre l’entreprise actuell de Briand et le Pacte de Kellogg. L’une et l’autre fantaisie peuvent être dirigées entièrement contre l’URSS, si malgé l’invitation, nous restons de notre gré, en dehors de l’affaire. Par contre, elle peut être considérablement désamorcée au cas où nous 89 90 91
Zellentin 1964: 17. Trockij 1928: 1188ff., hier 1197. Belousova 2000: 119f., 127.
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participerions sous une forme ou sous une autre“ – wenn auch nur mit dem Ziel, die Sache zu demaskieren, wie Belousova anmerkt.92 Weiter führte Litvinov aus, dass der Briand-Plan nicht nur gegen die Sowjetunion, sondern auch gegen Amerika und England gerichtet sei – „la réunion et la fédération ensuite pourront s’engager sur la voie de la moindre résistance et se tourner entièrement contre l’URSS. Et c’est pourquoi, il paraît absolument nécessaire d’avoir au moins un observateur dans le camp adverse“. 93 In einem Schreiben Litvinovs an Stalin vom 18. Oktober 1930 lässt sich die Diskussion über die Beteiligung der Sowjetunion an der vom Völkerbund eingesetzten Studienkommission nachvollziehen: Die Ablehnung des Projekts sollte zurückgehalten werden, um es dann umso nachdrücklicher als antisowjetisch zu entlarven. 94 Ein weiterer Brief Litvinovs an Stalin vom 4. Februar 1931 lässt darauf schliessen, warum das Politbüro am 5. Februar seinem Vorschlag folgte und sich einladen liess: „Les adversaires de l’invitation disaient presque ouvertement que la présence du représentant de l’URSS allait les gêner. L’invitation a été faite contre leur volonté. Ainsi se confirme l’idée que notre présence à la Commission peut en effet torpiller ou, au moins, gêner l’activité antisoviétique de la Commission.“ Die sowjetische Führung versuchte somit noch in den 1930er-Jahren mit proeuropäischen Äusserungen einen Rechtsrutsch in europäischen Ländern aufzufangen, und liess sich am 21. Januar 1931 mit Erfolg zur VölkerbundsStudienkommission einladen. Interesse hatte die sowjetische Führung jedoch lediglich daran, das Entstehen einer antisowjetischen Gruppierung zu verhindern.95 Auch nach ihrem Beitritt zum Völkerbund nutzte die Sowjetunion die Kommission für die Bekämpfung einer politischen Definition Europas, die Teilnahme an einer Union müsse lediglich aus der geographischen Lage abgeleitet werden. Aussenminister Litvinov, so Zellentin, „betonte vor dem Völkerbund die Notwendigkeit einer Vereinigung Europas. Nachdem er am 18. September 1934 in der 15. Versammlung erklärt hatte, dass die Idee ‚einer Assoziation von Staaten nicht theoretisch Unannehmbares für den Sowjetstaat und seine Ideologie ent92 93 94
95
Hier und im Folgenden Belousova 2000: 124f. mit Archivfundstelle, bereits zitiert in Belousova 1992. Belousova 2000: 120 mit Archivfundstelle. Belousova 2000: 126ff. mit Archivfundstelle. Vgl. Knjažinskij 1986: 19 als exemplarisches Beispiel der These, dass die Sowjetunion für eine „tatsächlich gesamteuropäische Zusammenarbeit“ eingetreten sei. Gasteyger 1969: 171; Mueller 2009b: 620. W. I. Lenin: Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In. Werke, Band 22, Berlin, Dietz Verlag, 1961, pp. 189-209. Die Studienkommission wurde vom Völkerbund aufgrund eines Memorandums von Aristide Briand vom 1.5.1930 über die Organisation einer europäischen Bundesordnung einberufen, vgl. Schulz 1975: 39.
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hielte’, sprach er dort im September 1935 kurz nach der Aufnahme der Sowjetunion davon, dass die Universalität des Völkerbundes dazu führe, dass ‚Europa keine seinem spezifischen Gewicht angemessenen Ausdrucksmöglichkeiten hätte… . Die Schaffung einer europäischen Organisation innerhalb des Völkerbundes (dagegen) könnte zur gegebenen Zeit zu einem weiten regionalen europäischen Übereinkommen führen, das Regionalpakte von beschränkterem Wirkungskreis umfasste und miteinander verbände.’“96 Die „pro-europäische“ Phase und die Beteiligung an der Studienkommission des Völkerbundes werden in der Grossen Sowjetischen Enzyklopädie von 1949 mit keinem Wort mehr erwähnt, während in der Ausgabe von 1939 das BriandProjekt noch ausführlich beschrieben wurde. Mit „Geschichtsklitterung“ (Zellentin) versuchten die Kommunisten, eine Kontinuität der russischen Haltung zu konstruieren: Sie setzten Molotovs Rede von 1931 gegen die VölkerbundsKommission und Stalins Rede von 1930 gegen den Briand-Plan und Paneuropa in direkte Verbindung zur Ablehnung des Marshall-Plans.97 Das ideologische Prinzip hielt sich bis zur Ausgabe 1986 der „Geschichte der Aussenpolitik der UdSSR“, die vom langjährigen sowjetischen Aussenminister Andrej Gromyko mitredigiert wurde, der mit Befriedigung feststellte, dass die energische Aktivität der sowjetischen Diplomatie dazu beitrug, dass das Briand-Projekt scheiterte.98 Lenins Schlüsseldokumente von 1915 und 1917 behielten bis zum Parteiprogramm der KPdSU von 1961 ihre Gültigkeit bei allen Beurteilungen der westeuropäischen Integration, Stalin übernahm Lenins Haltung gegen den Widerstand Trockijs, sie fügte sich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in sein Weltbild ein: „Lenin’s formula provided him with a perfect ideological alibi to denounce the initiation of the process of Western European integration, which he regarded as potentially threatening.“99 Die Auflösung der Anti-Hitler-Koalition – die Sowjetunion war an der Ausarbeitung der Atlantik-Charta nicht beteiligt – führte das sozialistische Lager unter sowjetischer Dominanz schliesslich endgültig auf Konfrontationskurs zu den westlichen Einigungsbemühungen. Zellentin sieht die leninistisch-stalinistische Doktrin Oberhand gewinnen: „Der dialektische Materialismus gewann in der Beurteilung internationaler Beziehungen wieder mehr an Boden; die Bemühungen der USA um die VStE (Vereinigte Staaten von Europa, M.W.) wurden der Ideologie entsprechend ausschliesslich als ein Zeichen dafür ausgelegt, dass die USA, um einer Regression zu entgehen, in imperialistischer Manier einen auf-
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Törnudd 1963: 85, hier zitiert nach Zellentin 1964: 21. Zellentin 1964: 22, vgl. Törnudd 1963: 283f. Zit. nach Belousova 2000: 135. Gračev 1999: 33.
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nahmefähigen Absatzmarkt in Europa ausbauen wollten.“100 Am 22. Parteitag 1961 wurde der Beginn der dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus auf 1950 datiert, charakterisiert durch den definitiven Sieg des Sozialismus im sozialistischen Lager und die Auflösung der Kolonien. Im Kapitalismus der Staatsmonopole manifestiert sich der Imperialismus in marxistischer Lesart nun neu auch in Form der europäischen Integration, eines Phänomens, mit dem die sowjetischen Ideologen von Beginn weg etwelche Mühe bekundeten, da es in doktrinären Leittexten nicht vorgesehen war. Die oben zitierte Schrift Lenins von 1915 nahm so bald die Stellung des unausweichlichen Referenztexts ein.101 Zuev sieht die Grundlage für die „Skepsis“ bei der Beurteilung der Perspektiven und Dimensionen der europäischen Integration in der „dogmatischen Interpretation des Begriffs ‚inter-imperialistische Widersprüche’“, die als ständig wachsend und unüberwindbar behandelt wurden. EGKS und Gemeinsamer Markt seien „zum baldigen Bankrott verurteilt“.102 Die Konsequenzen der partei-ideologischen Dogmatik resümierte Gasteyger bereits 1969 prägnant: “Es gibt wenige Fälle in der sowjetischen Politik, in denen das Auseinanderklaffen von ideologisch vorgegebener und durch die tatsächliche Entwicklung aufgedrängter Position so deutlich hervortritt wie in der Haltung zur Integration. (…) ganz besonders aber hat die spezifische Zielsetzung der westeuropäischen Integration die Sowjetunion gezwungen, die Integration immer weniger unter ideologisch gesellschaftspolitischen und immer stärker unter macht- und wirtschaftspolitischem Blickwinkel zu sehen. Ausgehend von ihrer im 2. Weltkrieg formulierten Zielsetzung, die stärkste Macht in Europa zu werden, musste die Sowjetunion in jedem Zusammenschluss nichtkommunistischer Staaten in Europa, und vorab in der Integration als besonders enger und dauerhafter Art der Gemeinschaftsbildung, eine Bedrohung dieses Zieles sehen und sie entsprechend bekämpfen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die sowjetische Haltung zur Integration als ein wichtiger Bestandteil ihrer Aussen- und Europapolitik; sie entzieht sich damit jedoch weitgehend wissenschaftlicher Beurteilung.“103 Zubok (1996) publizierte im „Journal of European Integration History“ über die Sowjetunion und die europäische Integration von Stalin bis Gorbačev und zieht das Fazit, dass Stalins Entscheidung, sich den Kräften der europäischen In-
100 Zellentin 1964: 40. 101 Dutoit 1964: 37, 41; Zellentin 1964: 19. 102 Zuev 1995: 257, im Original:“dogmatičeskaja interpretacija ponjatija ‚mežimperialističeskie protivorečija’“ (…) „obrečennye na skoryj krach“. 103 Gasteyger 1969: 171f., vgl. auch unten Kap. 4.1 zur Priorisierung der Politik über der Ökonomie: Gračev 1999: 35.
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tegration entgegenzustellen, für die Russen ein „tragic and costly mistake“ gewesen sei, den zu wiederholen sie sich nicht erlauben könnten.104 Das Tauwetter in der Ära Chruščev führte zu einer Entstalinisierung auch im Forschungsbereich. Nebst dem bereits erwähnten Institut für internationale Beziehungen (MGIMO) war in der der Stalin-Ära insbesondere das Institut für Weltwirtschaft und -politik (IMChiMP), welches 1927–1947 von E. Varga geleitet und 1947 ohne Angabe von Gründen vom Politbüro geschlossen wurde, für die Erforschung der Integration prädisponiert. 1956 wurde das Institut unter der neuen Bezeichnung „Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen“ (Institut Mirovoj Ėkonomiki i Meždunarodnych Otnošenij, IMEMO) wiederhergestellt und begann sich sogleich intensiv mit dem „Gemeinsamen Markt“ zu beschäftigen und in der gleichnamigen „Hauszeitschrift“ MEIMO (zuweilen auch MEMO, für: Mirovaja Ėkonomika i Meždunarodnye Otnošenija, deutsch: Weltwirtschaft und internationale Beziehungen) zu publizieren.105 Es wird von Čubar’jan als einer der ersten Orte bezeichnet, an denen versucht wurde, eine objektive Bewertung der europäischen Institutionen vorzunehmen.106 Nebst ihm und dem MGIMO sind die Abteilung für internationale Wirtschaftsorganisationen (OMEO, Otdel Meždunarodnych Ėkonomičeskich Organizacij) des Aussenministeriums (MID, Ministerstvo Innostrannych Del) als „think tanks“ der sowjetischen Europapolitik zu nennen. Mueller bilanziert: „Bis Mitte der 1990erJahre lagen über 100 Monografien und Hunderte Artikel vor, deren Methodik eine je nach Autor gewichtete Mischung aus vulgärkommunistischen Propagandaklischees, marxistischer Politökonomie und empirischer Analyse anhand makroökonomischer Indikatoren bildete.“107 Mit der Wende von 1985 setzt eine Pluralisierung der Forschungsinstitutionen ein: Eine führende Rolle übernimmt in den 1990er-Jahren und bis heute das mit US-amerikanischen Stiftungsgeldern finanzierte Carnegie Moscow Center ein.108 Bei der sowjetischen Auseinandersetzung mit dem europäischen Integrationsprozess spielten die mit dem Zentralkomitee der KPdSU verflochtenen akademischen Institute aus einem einfachen Grund eine wichtige Rolle: „If for Lenin a ‚United States of Europe’ was ‚either impossible or reactionary’, for official Soviet 104 Zubok 1996: 98. 105 Borko 1997: 7. Absatz; Gautron 1997 nennt beispielhaft den Anstieg der Dissertationen zur EWG von 17 im Jahr 1952 auf 32 im Jahr 1962. Vgl. auch die Liste der Dissertationen 1997-2001 zum Thema in : Sovremennaja Evropa, No.3/4, 2001, mit rund einem Dutzend Dissertationen jährlich. 106 Čubar’jan 2006: 307. 107 Mueller 2009b: 618, Fn. 4 mit Auswahlbibliographie der 1950er und 1960er Jahre. 108 Ausführlich mit tabellarischer Übersicht der aussenpolitischen Think Tanks: Pynnöniemi (2003).
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state policy the EEC was both, and since it was not formally recognised, Soviet diplomacy pretended it was non-existent. That was the reason why it was not the State body, but a ‚social’ structure like the International Department of the Central Committee and several academic institutes which were charged to formulate Soviet positions on the subject.“109 Für die Periodisierung der russischsowjetischen Integrationsforschung markiert die behutsame Erkenntnis, dass bestimmte ökonomische Voraussetzungen erfüllt sein müssen, in deren Folge sich der Integrationsprozess als Realität weiterentwickelt, den entscheidenden “shift” der sowjetischen Position, der sich bis 1962 vollzog und in den 32 Thesen des IMEMO artikulierte. Er kam, so Gračev, zu spät in der Ära Chruščev, der schon 1964 zurücktreten musste, und zu früh für seinen Nachfolger.110 Als eigentlichen Beginn der russischen Forschung zur europäischen Integration, die durch das Tauwetter erst ermöglicht wurde, bezeichnet J. Borko zu Recht eine am Vorabend der Unterzeichnung der Römer Verträge, von Januar bis März 1957, in der Zeitschrift „Neue Zeit“ abgedruckte Diskussion. Der erste Beitrag warf dem Einigungsprojekt „Unrealisierbarkeit“ und Bildung von „wirtschaftlichem Chaos“ vor und entsprach damit, so Borko, der offiziellen Position der UdSSR, „deren Kern darin bestand, dass der ‚Gemeinsame Markt’ Teil einer ‚imperialistischen Verschwörung’ und ökonomische Ergänzung zur NATO bildet“.111 In den beiden folgenden Beiträgen wurde bestritten, dass das Projekt unrealisierbar sei, und auf die EGKS und den Benelux als Teilrealisationen verwiesen, im übrigen jedoch an der marxistisch-leninistischen Linie festgehalten. 112 „So waren die Spielregeln“, kommentiert Borko nüchtern.113 Borko, einer der bekanntesten Europaforscher publizierte 1963 zusammen mit zwei Kollegen den ersten Artikel über die europäische wirtschaftliche Integration. 1983 habilitierte er sich mit dem Thema „Ökonomische Integration und soziale Entwicklung unter den Bedingungen des Kapitalismus“. Seit 1970 arbeitet er im Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften und leitete dort 1992–2002 die Abteilung Europäische Integration, das führende russische Forschungszentrum in diesen Fragen. 1992 gründete er die „Vereinigung für europäische Forschungen“ (Associacija
109 Gračev 1999: 39. 110 Gračev 1999: 40. 111 Borko 1997 : 3. Absatz. Der erste Beitrag trägt den Titel „Über den Lärm um den ‚Gemeinsamen Markt’“: Molčanov, N:: O šumiche vokrug ‚obščego rynka’. In: Novoe vremja, 1957, No. 5, pp.6-9. 112 Jurin, B.; Alekseev, V.: Pis’mo v redakciju (v otvet na stat’ju N. Molčanova). In: Novoe vremja, 1957, No. 8, p. 13. Menzinskij, E.: K voprosu ob ‘obščem rynke’ v Zapadnoj Evrope. In: Novoe vremja, 1957, No. 8, p.15. 113 Borko 1997, im Original: “Takovy byli pravila igry.”
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evropejskich issledovanij, AEVIS), die Forschende aus der Akademie und anderen Hochschulen umfasst. Im Januar 1957 veröffentlichte das IMEMO in seiner Zeitschrift 17 Thesen über die Gründung des Gemeinsamen Marktes und des Euratom.114 Darin werden die Römer Verträge als Vereinbarungen der „Monopole“ dargestellt, die die „Klasseninteressen der Ausbeuter“ verteidigten und somit eine „geschlossene Gruppierung“ bildeten, die aggressive Absichten gegen die sozialistischen Länder hege. Deutschland verfolge nur das Ziel, sein militärisches Potenzial zu stärken, und die kleineren Staaten würden durch das Supranationalitätsprinzip majorisiert. Kleinere Unternehmen würden vernichtet und dadurch die Arbeitslosenzahlen steigen. Die EWG sei voll von einander widerstreitenden Interessen: Protoktionismus in Frankreich, Expansionismus in Deutschland. Und unter der Losung „Euroafrika“ werde eine Politik des Neokolonialismus betrieben. An drei wissenschaftlichen Konferenzen (Moskau 1958, Prag 1959, Moskau 1962) wurde um eine Neubewertung der westeuropäischen Integrationsprozesse gerungen, und 1959 immerhin eingeräumt, dass die EGW zu funktionieren begonnen habe. Die im selben Jahr erschienenen „Prinzipien des Marxismus-Leninismus“115 beschrieben die zweite Phase der allgemeinen Krise des Kapitalismus nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die durch die Ausbildung von Staatsmonopolen gekennzeichnet sei. Am 22. Parteitag wurde der Beginn der dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus auf 1950 festgesetzt, auf einen Zeitpunkt, an welchem der Sozialismus im sozialistischen Lager definitiv siegen und an welchem die Kolonien aufgelöst würden. Die „Prinzipien“ schliessen mit dem Lenin-Zitat, dass sich durch die Revolution dann der staatsmonopolistische Kapitalismus unverzüglich in Sozialismus transformieren würde. Trotz Entstalinisierung vollzog sich die sowjetische Analyse des europäischen Integrationsprozesses stets vor diesem ideologischen Hintergrund, und umso bemerkenswerter erscheint jede auch noch so geringfügige Anerkennung eines positiven Effekts der Integration. An der Konferenz 1962 vertrat schliesslich IMEMO-Direktor A. Arzumanjan die Auffassung, dass die Integration das wirtschaftliche Wachstum befördert.116 Weitere Institute intensivierten nun die Beschäftigung mit der europäischen Integration, jedoch ausschliesslich in Moskau, da nur dort genügend Quellen und Statistiken vorhanden waren, wie Borko anmerkt. Die 1960er-Jahre waren von der ökonomischen Forschung geprägt, und ab Mitte 114 Text in: MEIMO, Moskva, 1957; Nr. 1 sowie in: Kommunist, Moskva, 1957, Nr. 9. Hier und im Folgenden zitiert nach Schulz 1975: 76. 115 Osnovy marksizma leninizma, Moskva, 1960, hier zitiert nach Dutoit 1964: 33ff. 116 Borko 1997 : 9. Absatz. Vgl. zu den drei Konferenzen auch Schulz 1975: 78, der auch Arzumanjan ganzseitigen Artikel in der Pravda vom 23.5.1962 unter dem Titel „Eine neue Phase der europäischen Integration“ (Novaja faza evropejskoj integracii) zitiert.
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Jahrzehnts erschienen Beiträge, die nicht ausschliesslich die negativen sozialen Erscheinungen, sondern auch positive Effekte auf den Arbeitsmarkt in der EG beschrieben. Die grosse Zahl der bis Ende der 1960er-Jahre erarbeiteten Analysen bewog die Leitung des IMEMO eine geschlossene Erörterung mit Vertretern des Aussen-, Verteidigungs- und Handelsministeriums durchzuführen. Wissenschaftler wiesen auf den Schaden hin, den die eigenen sowjetischen Interessen in der Region bei einer Weiterführung der Politik der Nichtanerkennung der EG nehmen könnten, fanden jedoch bei den Ministerien kein Gehör.117 Ein Aufsatz von Chruščev selbst, sowie eine Bündelung seiner Aussagen in „32 Thesen“ und ein gleichermassen ausgerichteter Grundsatzaufsatz „über die imperialistische Integration in Westeuropa“ in der „Pravda“ bestätigten den Kurs auf eine realistischere Betrachtungsweise. Erfolge der EWG wurden anerkannt, selbst gewisse Lohnerhöhungen für die Arbeiterklasse, jedoch auch neue Widersprüche etwa zwischen Commonwealth-Ländern einschliesslich Grossbritannens und der EWG.118 In der ersten Entspannungsphase bis Mitte der 1970er-Jahre wandte sich die Forschung neu auch den politischen Integrationsprozessen und den supranationalen und transnationalen Strukturen zu. Mitte der 1970er-Jahre zieht Schulz eine Bilanz der sowjetischen Integrationsforschung: Zunächst untersuchten vor allem Ökonomen das Thema und konnten den westlichen Thesen über den wirtschaftlichen Erfolg der Integration zustimmen, da sie mit dem Marxismus-Leninismus vereinbar waren. Ihre Darstellungen enthielten eine „meisterhafte Analyse der zentrifugalen und der zentripetalen Kräfte“, unterschätzten aber die politische Dimension. Immer bleibt jedoch zu berücksichtigen, so Schulz, dass die veröffentlichten Arbeiten dem Gebot der Parteilichkeit unterworfen waren.119 1971 erscheint die grundlegende Arbeit der IMEMO-Mitarbeiterin Margarita Maksimova unter dem russischen Titel „Grundprobleme der imperialistischen Integration“, in welcher sie bis dahin erschienene Literatur sozialistischer Wissenschaftler zusammenfasst und zu einer „in sich einigermassen geschlossenen Theorie“ (Schulz) zu vereinen sucht und anerkennt, dass innerhalb des kapitalistischen Systems eine qualitativ neue Entwicklung eingetreten ist, die sich naturgemäss von der planmässigen Integration im sozialistischen System unterscheidet.120 Aufgrund des umfassenden Anspruchs und der Nachwirkung sei im Folgenden Schulz’ Dar-
117 Borko 1997: 12. Absatz. 118 Schulz 1975: 78f. mit Angabe der Publikationsorte: Chruščev in: Kommunist 1962, Nr. 12; Pravda vom 26.8.1962; 32 Thesen in: MEIMO 1962 Nr. 9 und Nr. 11 und Einzelbeiträge bis September 1963. 119 Schulz 1975: 125ff. 120 Schulz 1975: 91–101 referiert ausführlich den Inhalt des „Standardwerks“…
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stellung des Werkes resümierend widergegeben121: Maksimova sieht in der Internationalisierung des Wirtschaftslebens eine historische Tendenz, es bildet sich ein kapitalistischer Weltmarkt. Auf der anderen Seite bildet sich auch ein sozialistischer Weltmarkt mit einer internationalen Arbeitsteilung neuen Typs heraus. Bis 2000 würden nur noch rund 200 internationale und transnationale „Monopole“ den überwiegenden Teil der Industrieproduktion der westlichen Welt herstellen, sie förderten die Integration objektiv durch ihre aggressive Strategie zur Eroberung von Absatzmärkten. Daraus entstehe letztlich ein Bedürfnis nach einer „staatsmonopolistischen“ Regelung zur Beseitigung von nationalen Barrieren, zur Schaffung eines flexiblen internationalen Währungssystems und zur Vereinigung von nationalen Wirtschaftspolitiken. Der kapitalistische Staat sei gezwungen, als Motor und als Subjekt der Integrationsprozesse neben den „Monopolen“ aufzutreten. Somit sei der Staat gleichzeitig Motor und Bremse der Integration, und darin, so Maksimova, liege eine der „kompliziertesten und widerspruchvollsten Erscheinungen, die für die gegenwärtige Etappe des staatsmonopolistischen Kapitalismus charakteristisch sind“. Kennzeichen der Integration sei, dass sie über Lenins Diktum über die „Tendenz zur Entwicklung der Produktivkräfte im Weltmassstab“ hinaus einen „qualitativ neuen Grad“ der Wirtschaftsentwicklung darstelle. Mit dieser These, so Schulz, übt Maksimova deutliche Kritik an früher herrschenden Auffassungen der sowjetischen Wissenschaft. Maksimova definiert daher: Die Integration ist ein „objektiver und gleichzeitig geregelter Prozess der gegenseitigen Anpassung der nationalen Wirtschaften zweier oder mehrerer Staaten mit einheitlichem ökonomischen System und der Optimierung ihrer wirtschaftlichen Strukturen in den entsprechenden Wirtschaftskomplexen, der insgesamt schliesslich zu einer Zeitersparnis und zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität führt“.122 Allgemeine und objektive Faktoren hätten zu den Integrationsgruppierungen in Westeuropa geführt: der Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Enge der nationalen Märkte sowie die scharfen sozialökonomischen und politischen Widersprüche in dieser Region. Fünf Charakteristika kennzeichnen nach Maksimova die westeuropäische Integration: 1. langfristige Bindungen und Beziehungen zwischen den Mitgliedsländern, 2. feste gegenseitige Verpflichtungen, 3. bindende Beschlüsse erstrecken sich auf Staaten und juristische und natürliche Personen, 4. Prinzip der qualifizierten und einfachen Mehrheit bei einer ganzen Reihe von gemeinsamen Tätigkeiten, 5. Schaffung innerstaatlicher und suprastaatlicher Organe mit Kompetenzen zur Einschaltung in die Wirtschafsbeziehungen. Die „imperialistische Integration“ verstärkt die monopolistische Konzentration, ist aber nicht in der Lage, die Kon121 Hier und im Folgenden zitiert nach Schulz 1975: 91–101. 122 Maksimova 1971: 140, hier in der Übersetzung von Schulz 1975: 96.
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junkturanfälligkeit der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft zu überwinden und Vollbeschäftigung zu garantieren; trotzdem erhöht sie die Effektivität ihrer Wirtschaft und fordert dadurch vermehrte gemeinsame Aktionen der sozialistischen Länder heraus. Soweit Schulz’ Zusammenfassung von Maksimovas Standardwerk. Tagungen in den Jahren 1972 (Moskau) und 1973 (Berlin) führten zu divergierenden Meinungen. Šiškov sieht 1972 einen Widerspruch, hervorgerufen zwischen Vertiefung und Erweiterung des Gemeinsamens Marktes, der den Integrationsprozess verlangsame. Andere Stimmen, aus der DDR, aber auch beispielsweise Maksimova, glaubten eher, dass sich die Integration durchsetzen werde.123 Maksimova fungierte noch 15 Jahre später, im Februar 1986, als Herausgeberin eines umfangreichen Sammelbandes unter dem Titel „Europäische Gemeinschaft: Regulierung von Integrationsprozessen“, der sich ausdrücklich die Untersuchung der inneren Entwicklung der EG aus marxistisch-leninistischer Sicht zum Ziel setzt.124 RGW und EG stehen sich als direkte Subjekte des „Kampfes und Wettstreites des Weltsozialismus und des Weltkapitalismus“ gegenüber.125 Zur Normalisierung wird der Abschluss einer Vereinbarung zwischen den beiden Gruppierungen empfohlen, wie es der politischen Forderung der frühen Perestrojka entspricht. Ab Mitte der 1970er-Jahre konstatiert Maksimova eine ernsthafte Krise (ser’eznyj krizis) der westlichen Integration (und, wie nicht anders zu erwarten, des Kapitalismus im Allgemeinen). Weder neo-Keynesianische noch neofunktionalistische Theorien hätten sich bewahrheitet: „Die von den Neoklassikern propagierte vollständige Ablösung der nationalen ökonomischen Barrieren erwies sich als völlig unerreichbar unter den Bedingungen des staatlich-kapitalistischen Monopolismus.“126 Anstelle dessen sei die regionale Integration durch vier Merkmale charakterisiert: 1. eine sich objektiv auf höherem Niveau entwickelnde internationale Vergesellschaftung der Produktion; 2. sich auf dieser Grundlage bildende regionale Komplexe und Annäherung der volkswirtschaftlichen Strukturen; 3. speziell gebildete regionale Integrationsvereinigungen; 4. eine sozial-ökonomische 123 Schulz 1975: 102. 124 Maksimova et al. 1986. Im Band sind die Beiträge einer „Arbeitsgruppe zur Erforschung der Probleme der kapitalistischen Integration“ von Wissenschaftern aus der UdSSR, der DDR, der ČSSR sowie aus Ungarn und Bulgarien versammelt, Einleitung:M: Maksimova; Schluss: J. Šiškov. Bereits 1979 publizierte die Gruppe „Zapadno-evropejskaja integracija i mirovaja ėkonomika“ Moskva 1979 (dt. „Die westeuropäische Integration und die Weltwirtschaft“, Berlin (DDR), 1980). 125 Maksimova et al. 1986: 4, im Original: “bor’ba i sorevnovanie mirovogo socializma i mirovogo kapitalizma”. 126 Maksimova et al. 1986: 7, im Original: “Propovedumaja neoklassikami polnaja otmena nacional’nych ėkonomičeskich bar’erov okazalas’ voobšče ne dostižimoj v uslovijach gosudarstvenno-monopolističeskogo kapitalizma.”
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Gleichartigkeit der regionalen Vereinigungen. Daraus folgere, dass „die Integration eine qualitativ höher entwickelte und reifere Erscheinung“ sei als andere Formen der internationalen Zusammenarbeit.127 Während die sozialistische Integration sich auf die Freundschaft, die Zusammenarbeit und die gegenseitige Hilfe stütze, bestehe das originäre Ziel der EG und ähnlicher Gebilde in der „Schaffung von Bedingungen, die der monopolistischen Bourgeoisie der Mitgliedsländer die Eroberung herrschender Positionen im Rahmen des ‚regionalen Wirtschaftsraums’ sowie die Sicherstellung allgemeiner Klasseninteressen des westeuropäischen Kapitalismus erleichtert“.128 Die im Westen so oft propagierte Konvergenztheorie habe lediglich zum Ziel, einzelne Länder des RGW zunächst ökonomisch, dann auch politisch aus dem sozialistischen Lager herauszulösen. Auch als Modell diene die EG nur bedingt, verbindliche Mehrjahresprogramme besässe sie im Unterschied zum RGW nicht.129 Nichtsdestotrotz anerkennt Maksimova die neuartigen spezifischen Charakteristika der EG, insbesondere in institutioneller Hinsicht, aber auch in ihrer Rechtsverfassung, im Umfang ihrer Aufgaben und in finanzieller Hinsicht: „All dies zeugt von einer grossen Spezifik der internationalen Regulierung der Integrationsprozesse im Rahmen der gegebenen Gruppierung. Die Geschichte der internationalen Wirtschaftsvereinigungen des Kapitalismus kennt keine ähnlichen Analogien“.130 1972 hält der Ökonomie-Dozent J. Šiškov vom IMEMO in der Einleitung zu seiner Darstellung des „Gemeinsamen Markts: Hoffnungen und Wirklichkeit“ fest, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine neue Erscheinung im internationalen Leben sowohl der sozialistischen wie der kapitalistischen und der Entwicklungsländer bemerkbar sei: „Die Integration ging so dauerhaft in Fleisch und Blut der Weltwirtschaft und der Weltpolitik über, dass keine Analyse zu deren Zustand, keine Prognose für die Zukunft ohne Berücksichtigung der Integrationprozesse möglich ist. (…) (dass) die Integration eine gesetzmässige, objektiv bedingte Erscheinung ist, die eine bestimmte historische Unumgänglichkeit
127 Maksimova et al. 1986: 8, im Original: “integracija – kačestvenno bolee razvitoe i zreloe javlenie”. 128 Maksimova et al. 1986: 9, im Original: “(…) sozdanie uslovij, oblegčajuščich monopolističeskoj buržuazii stran-učastnic zavoevanie gospodstvujuščich pozicii v ramkach regional’nogo ‘chozjajstvennogo prostranstva’, obespečenie obščich klassovych interesov zapadnoevropejskogo kapitzalizma”. 129 Maksimova et al. 1986: 9f. 130 Maksimova et al. 1986: 14, im Original: “Vse ėto svidetel’stvuet o bol’šoj specifike mežgosudarstvennogo regulirovanija integracionnych processov v ramkach dannoj gruppirovki. Istorija meždunarodnych ėkonomičeskich otnošenij kapitalizma ne znaet podobnych analogov.”
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unserer Zeit ausdrückt.“131 Als Definition resümiert Šiškov, „(…) dass die ökonomische Integration ein auf der höchsten Stufe der Internationalisierung der gesellschaftlichen Produktion entstehender Prozess der Bildung ausgedehnter internationaler Wirtschaftskomplexe ist, welcher im Rahmen eines zwischenstaatlichen Verbundes einiger Länder mit gleichartiger sozialer und politischer Grundlage bewusst reguliert wird, mit dem Ziel der Gewährleistung günstiger ökonomischer, politischer und rechtlicher Bedingungen zur möglichst effektiven Entwicklung der Produktionskräfte im Interesse der herrschenden Klassen dieser Länder.“132 Konsequenterweise komme eine Integration von Ländern unterschiedlicher Gesellschaftssysteme nicht in Frage – wenn also auch das wirtschaftliche Gewicht und der politische Einfluss der EWG steigt, so könne das die sozialistischen Länder nicht interessieren, hält Šišaev fest und zitiert KPdSU-Generalsekretär Brežnev vor dem 25. sowjetischen Gewerkschaftskongress: „Wir verfolgen die Aktivität und die Evolution des ‚Gemeinsamen Marktes’ aufmerksam.“133 Im Rückblick ihrer Zeit voraus wirkt die Einschätzung der Entwicklungsperspektiven des Integrationsprozesses, die Šiškin 1972 vornimmt. Unumkehrbar scheint für ihn nur das, was er als „Mikrointegration“ (mikrointegracija) bezeichnet: die internationale Arbeitsteilung, hohe Spezialisierung und das Kooperieren bei der Produktion und bei der wissenschaftlichen Forschung und die damit verbundene internationale Verflechtung von Kapital, Waren und Dienstleistungen. „Was jedoch den Überbau-Teil des Mechanismus der staatlich-monopolistischen Integration betrifft, so ist dieser völlig der Aushöhlung und Zerstörung unterworfen, wenn die ganze Konstruktion nicht bis zum logischen Ende geführt wird, d. h. zur Wirtschafts- und Währungsunion mit ihren supranationalen Instituten.“134 131 Šiškov 1972: 3f., im Original: „Integracija vošla v krov’ i plot’ mirovoj ėkonomiki i politiki nastol’ko pročno, čto nikakoj analiz nynešnego ich sostojanija, nikakoj prognoz na buduščee nevozmožen bez učeta integracionnych processov. (…) integracija – javlenie zakonomernoe, ob-ektivno obuslovlennoe, vyražajuščee opredelennuju istoričeskuju neobchodimost’ našego vremeni,” 132 Šiškov 1972: 11, im Original: „(…) čto ėkonomičeskaja integracija – ėto voznikajuščij na vysšej stupeni internacionalizacii obščestvennogo proizvodstva process sozdanija obširnych meždunarodnych chozjajstvennych kompleksov, soznatel’no reguliruemyj v ramkach mežgosudarstvennogo sojuza neskol’kich stran s odnorodnoj social’no-političeskoj osnovoj v celjach obespečenija blagoprijatnych ėkonomičeskich, političeskich i pravovych uslovij dlja najbolee ėffektivnogo razvitija proizvoditel’nych sil v interesach gospodstvujuščich klassov ėtich stran.” 133 Šiškov 1972: 14, im Original: „My vnimatel’no nabljudaem za dejatel’nostju ‚Obščego rynka’ i ego evoljuciej.” 134 Šiškov 1972: 14, im Original: „Čto že kasajetsja nadstroečnoj časti mechanizma gosudarstvenno-monopolističeskoj integracii, to ona vpolne podveržena razmyvaniju i razrušeniju, esli vsja konstrukcija ne budet dovedena do logičeskogo konca, t. e. do ėkonomičeskogo i valjutnogo sojuza s ego nadnacional’nymi institutami.”
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Von Interesse ist die ideologische Legitimation, die Baranovskij noch 1986 in spätsowjetischer Zeit konstruiert: Der europäische Integrationsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg wird nun unter Berufung auf Marx und Engels sowie Lenin als „gesetzmässig“ (zakonomernoj) zur Tendenz der gesellschaftlichen Entwicklung dargestellt, auf welche schon die Klassiker des Marxismus-Leninismus ihre Aufmerksamkeit gerichtet hätten: „Als Resultat der Internationalisierung ‚kommt eine allseitige Beziehung, eine allseitige Abhängigheit der Nationen voneinander, in Ablösung von alter lokaler und nationaler Abgeschlossenheit und der Existenz aufgrund von Produkten eigener Produktion’ (Marx, K., Engels, F., Werke, 2. Ausg., Bd. 4, p. 428); charakteristischer Zug dieses Prozesses wird ‚die Entwicklung und Wiederholung jeglicher Beziehungen zwischen den Nationen, der Bruch nationaler Trennwände, die Bildung einer internationalen Einheit des Kapitals, des ökonomischen Lebens im Allgemeinen, der Politik, der Wissenschaft u. s. w.’ (Lenin, V.I., Vollst. ges. Werke, Bd. 24, p. 124).“135 Die beiden folgenden Kapitel widmen sich im Überblick dieser dogmatischen Periode bis zum Aufbruch und der Öffnung der 1980er-Jahre, die zu einer Neuorientierung und Internationalisierung der Forschung führte.
135 Baranovskij 1986: 10, Fn. 1, im Original: „V rezul’tate internacionalizacii, na smenu staroj mestnoj i nacional’noj zamknutosti i suščestvovaniju za ščet produktov sobstvennogo proizvodstva prichodit vsestoronnaja svjaz’ i vsestoronnaja zavisimost’ nacii drug ot druga’ (Marks K., Engel’s, F. Soč. 2–e izd., t. 4, s. 428); charakternoj čertoj ėtogo processa stanovitsja‚ razvitie i učaščenie vsjačeskich snošenij meždu nacijami, lomka nacional’nych peregorodok, sozdanie internacional’nogo edinstva kapitala, ėkonomičeskoj žizni voobšče, politiki, nauki i t. d.’ (Lenin, V. I. Poln. sobr. soč., t. 24, s. 124).“
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4.1.1 Erste Nachkriegsjahre
Die Untersuchung setzt mit den zur heutigen Europäischen Union führenden Einigungsbemühungen nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. 136 In der Einschätzung von Schmale symbolisiert 1917, das Jahr der Oktoberrevolution, „den Beginn der Aberkennung der Europäizität Russlands durch den Westen, eine Aberkennung, die sich später in der Phase der Ostblockbildung und der Stalinisierung der Länder Osteuropas auf Osteuropa übertrug“. So gesehen bildet „Osteuropa“ eine „historische Periode, die (…) von 1917 bis 2004 dauerte“, dem Jahr der Osterweiterung der Europäischen Union.137 Die Europa-Pläne der Zwischenkriegszeit – Briand 1919, Coudenhove-Kalergi 1923 („Paneuropa“, mit Kolonien, aber ohne Russland!) und Spinelli 1941 – finden nur am Rand Berücksichtigung, insofern sie in russischen Quellen zum Vergleich beigezogen werden.138 Publikationen der 1920er und 1930er zum Thema der europäischen Einigung wurden in der Sowjetunion nicht übersetzt und nicht herausgegeben, auch ältere Schriften waren breiteren Kreisen kaum bekannt.139 Verbal knüpften die Nationalsozialisten an diese Europapläne an, entwarfen ihre eigenen Vorstellungen einer „Neuen Ordnung Europas“ und riefen noch in den letzten Kriegstagen zur Verteidigung Europas vor dem Bolschewismus auf: Dieses „Antieuropa“ (Schmale) der Nationalsozialisten war jedoch geprägt von einem hegemonialen Verständnis und suchte einen „dritten Weg“ zwischen westlicher Demokratie und „asiatischem Bolschewismus“.140 Schmale identifiziert vier Hauptstränge nationalsozialsozialistischer Europapropaganda: 136 Die Wurzeln des europäischen Integrationsprozesses reichen weiter zurück: Abbé de Saint-Pierre 1713, Kant 1795 , Saint-Simon und Thierry 1814, um nur einige zu nennen. Der demokratische Geheimbund „Junges Europa“ bestand 1834 bis 1836 und verstand Europa als Drei-Säulen-Kultur (romanisch, germanisch, slawisch) und erstreckte sich auch nach Russland, vgl. Schmale 2008a: 58. 137 Schmale 2008b: 35. 138 Hier und im Folgenden: Schmale 2001 passim; Brunn 2002: 20-33; Bieber/Epiney/Haag 2006: 35ff. Zu den Einigungsprojekten ausführlich: Lipgens/Loth 1984–1991. Zahlreiche Dokumente in Gasteyger 2001. Zur Rezeption in Russland: Čubar’jan 1987 und 1995, Šatochina-Mordvinceva 1995, zum Briand-Plan insbesondere Zueva (2000). 139 Čubar’jan 2006: 304f., vgl. auch schon 1995: 110f.; zur Rezeption in Russland auch Čubar’jan 1987, Šatochina-Mordvinceva 1995. 140 Nach Schmale 2001: 128 und 115ff., dort Kapitel „Antieuropa“ über die nationalsozialistischen und faschistischen Europapläne mit Erläuterungen zur Begriffsgeschichte.
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1. Die allgemeine Europapropaganda, vertreten durch Goebbels, Rosenberg, Himmler u.a., welche Deutschland als Zentrum eines Mitteleuropäischen Zollvereins und Schwerpunkt der Vereinigten Staaten von Europa sah. Nach der Wende im Russlandfeldzug 1942 entwickelte Goebbels Vorstellungen, denen zufolge „ein Zusammengehen von Völkergruppen zum Zwecke der einheitlichen Vertretung gemeinsamer Interessen überhaupt nur auf dem Wege eines im Kampf gewordenen und von allen anerkannten Führungsanspruchs des Stärkeren ermöglicht werden kann“. Und er präzisierte diese Europaideologie am 15. Februar 1943 in einem Erlass, nach dem die „europäischen Kräfte“ zum „Kampf gegen den jüdischen Bolschewismus“ zusammengefasst werden müssten.141 2. Unter dem Begriff „Grossraumwirtschaft“ propagierte das Reichswirtschaftsministerium die wirtschaftliche „Neuordnung Europas“ und Grundsätze für den Handel zwischen den europäischen Staaten.142 3. Die nationalsozialistische Aussenpolitik suchte schon 1939 den Krieg als einen „Krieg um die Einheit und Freiheit Europas“ darzustellen, mit u.a. einem Ziel: „Gemeinsame europäische Lösung des bolschewistischen Problems.“ Nach dem Angriff auf die Sowjetunion entwickelte sich daraus die Idee eines Kreuzzugs gegen den Bolschewismus, dem sich über 100'000 Waffen-SS-Freiwillige aus europäischen Ländern anschlossen.143 4. Kollaborateure in Europa unterschieden sich von den Europäisten des Widerstands durch den Glauben an die Notwendigkeit einer Einigung und Führung Europas durch das nationalsozialistische Deutschland. Vorschläge Marschalls Pétain für eine Europaplanung, eine „neue europäische Ordnung“, wurden jedoch von der nationalsozialistischen Führung regelmässig abgewiesen.144 Auf den Umstand, dass bei aller ideologischen Gebundenheit noch unter Stalin keineswegs eine statische Sicht europäischer Einigungspläne dominierte, verweist A. Filitov vom Institut für allgemeine Geschichte der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften in einer noch 1991 gedruckten Darstellung des „Kalten Krieges“, die sich laut Verlagsinformation an „Historiker und Propagandisten“ richtet. So konzentrierten sich die sowjetischen Befürchtungen zunächst auf die künftigen Aktivitäten Frankreichs und Englands; an eine aktive Rolle der USA bei der Lösung europäischer Probleme glaubte man in Moskau nicht – erst später rückte der 141 Schmale 2001: 121, die beiden Zitate nach Lipgens 1985, Vol. I: Continental Plans for European Union, Microfiche Nr. 24 und 30. 142 Schmale 2001: 121f. 143 Schmale 2001: 122ff., Zitat nach Lipgens 1985, Vol. I., Microfiche der Notiz für den Reichsaussenminister vom September 1939. 144 Schmale 2001: 124f.
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„amerikanische Faktor“ in den Vordergrund.145 Die ersten offiziellen sowjetischen Positionsbezüge zu einem gesamteuropäischen Projekt reichen in den Dezember 1941 zurück, als der britische Aussenminister Eden auf Besuch in Moskau weilte. Im ergänzenden Protokoll zum Projekt eines britisch-sowjetischen Abkommens figurierte als 19. Punkt eine bemerkenswerte Passage: „Als unumgänglich wird erachtet, dass ein Europäischer Rat146 als internationale Organisation gebildet wird, innerhalb derer Ordnung sich als Mittel zur Wahrung des Friedens in Europa eine bestimmte Truppenmenge befinden muss.“147 Wie kam es zu dieser überraschenden Position? Am 5. Dezember 1941 äusserte Churchill im Gespräch gegenüber dem sowjetischen Botschafter Majskij die Idee eines „Europäischen Rates“, welche Majskij flugs nach Moskau rapportierte. In der sowjetischen Gesprächsnotiz lautet sie: „England, die UdSSR, Frankreich, Italien usw. fahren fort als selbständige Staaten zu bestehen. Kleine Staaten vereinigen sich in Föderationen (Balkan-, zentraleuropäische, skandinavische Föderation usw.) … Über das ganze europäische Konglomerat würde sich das bekannte zentrale Organ erheben, etwas in der Art eines „Europäischen Rates“, welcher über die Ordnung in Europa wacht und jeden Versuch einer Aggression unterdrückt.“148 Filitov argumentiert plausibel, dass Stalin in der Europafrage gegenüber Churchill aus taktischen Gründen Nähe signalisieren wollte, um seine Hauptziele zu erreichen: die Eröffnung einer zweiten Front und die Festlegung der westlichen 145 Filitov 2001: 121 (Verlagsinformation S. 2: „dlja istorikov, propagandistov“) und im gleichen Sinn Čubar’jan 1995: 115. 146 Hier in einem generellen Sinn, noch nicht im Sinne des 1948 gegründeten„Europarates“ (russ. heute ‚Sovet Evropy“, jedoch in der Sowjetunion bis in die 1970er Jahre oft als ‚Europäischer Rat’ / ‚Evropejskij Sovet“ bezeichnet, heute steht ‚Evropejskij Sovet“ für das EU-Organ des ‚Europäischen Rates’). Vgl. auch Artikel „Evropejskij Sovet“ betreffend den Europarat in BSĖ 1972, Tom 9, p. 26. 147 Im Original: „Priznaetsja neobchodimym sozdanie Evropejskogo Soveta kak meždunarodnoj organizacii, v razporjaženii kotoroj v kačestve orudija sochranenija mira v Evrope dolžno nachodit’sja opredelonnoe količestvo vojsk.“ Nach Filitov 2001: 122, Fn. 3 zitiert nach O. A. Ržeševskij: Vojna i diplomatija: dokumenty, kommentarii (1941– 1942), Moskva, 1997, p. 28. Vgl. dieselbe Passage in: Filitov 1995: 17, Fn. 2 mit Archivfundstelle, zitiert nach O. A. Ržeševskij: K istorii sovetsko-anglijskogo dogovora. In: Vtoraja mirovaja vojna. Aktual’nye problemy, Moskva, 1995, p. 149. 148 Im Original: „Anglija, SSSR, Francija, Italija i t.d. ostajutsja suščestvovat’ kak samostojatel’nye deržavy. Melkie gosudarstva ob-edinjajutsja v federacii (Balkanskaja, Central’noevropejskaja, Skandinavskaja i t.d.) ... Nad vsem ėtim evropejskim konglomeratom vozvyšalsja by izvestnyj central’nyj organ, nečto vrode ‚Evropejskogo Soveta’, sledjaščego za porjadkom v Evrope i podavljajuščego vsjakuju popytku agressii.“ Nach Filitov 1995: 17, gemäss Fn. 3 zitiert nach einer sowjetischen Darstellung der sowjetisch-britischen Beziehungen (Sovetsko-anglijskie otnošenija vo vremja Velikoj Otečestvennoj vojny, 1941– 1945 gg., tom 1, Moskva 1983, p. 182).
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Grenzen der Sowjetunion. Die Tatsache, dass in der Folge nie wieder etwas Ähnliches zu Fragen der europäischen Integration wie der 19. Punkt des erwähnten Protokolls formuliert wurde, lässt Filitov auf zwei mögliche Ursachen schliessen: prinzipielles Desinteresse oder, im Gegenteil, die Einschätzung, dass die europäische Frage zu wichtig war. Im Unterschied zu seinen eigenen früheren Einschätzungen, tendiert Filitov heute zu einer flexiblen Interpretation: Auch im März 1943 reagierte Stalin nicht ausschliesslich taktisch auf Churchills Vorschlag eines „Europarates“, sondern forderte lediglich, dass diesem sowohl die USA und als auch die Sowjetunion angehören müssten.149 Nichtsdestoweniger trachtete die sowjetische Führung grundsätzlich danach, regionale europäische Einigungsprojekte, die zur Neubildung eines „cordon sanitaire“ und zur Abgrenzung Westeuropas von der Sowjetunion führen könnten, zu „beerdigen“.150 A. Čubar’jan bemerkt schon zu den ersten Europaplänen Jean Monnets, welche dieser im August 1943 in Algier mit General de Gaulle besprach: „Von Anbeginn an definierte er die Grenzen des neuen Europa. Für ihn sollten sich die Amerikaner, Russen und Briten über ihre eigenen Räume definieren; doch gerade die Franzosen sollten das Gesicht des europäischen Kontinents und die Transformationen seiner Zukunft bestimmen.“ Bei der Diskussion über den Schuman-Plan habe Monnet jedoch an die russische Gefahr erinnert und daran, dass 100 Millionen Europäer an das sowjetische Imperium gebunden seien.151 Für Monnet sollte die europäische Einigung „die westlichen Demokratien gegen den sowjetischen Kommunismus stärken“.152 Čubar’jan kommentiert Monnets Streben nach Stärkung der Demokratie und des Friedens auf dem europäischen Kontinent: „Einer der führenden intellektuellen Gründerväter der europäischen Integration und führender Europäist, entfernte so durch die Formulierung seiner Sicht Russland (die Sowjetunion) hinter die Klammern des vereinten Europas. Dabei wandte er sich nicht der Geschichte zu und hielt Russland, im Unterschied zu vielen anderen Autoren, nicht prinzipiell für einen europäischen Antipoden. Für Monnet bestand das ‚russländische Problem’ in den Aktivitäten der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Monnet akzentuierte seine ganze Aufmerksamkeit auf humanistische und rechtliche As149 Filitov 2001: 123f. 150 Filitov 2001: 125. 151 Čubar’jan 2006: 291f. mit Verweis auf die Publikation „Jean Monnet et l’Europe aujourd’hui“, Baden-Baden 1989, pp. 22, 28, im Original: „S samogo načala on opredelil geografičeskie granicy novoj Evropy. Dlja nego amerikancy, russkie i britancy dolžny byli opredelit’sja so svoimi prostranstvami; no imenno francuzy dolžny byli opredelit’ lico evropejskogo kontinenta i transformacii ego buduščego.“ 152 Čubar’jan 2006: 293, mit Verweis auf die angegebene Publikation „Jean Monnet et l’Europe aujourd’hui“, p. p. 48.
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pekte, auf die Aufgaben des Wiederaufbaus der europäischen Wirtschaft und die Annäherung der nationalen Interessen, dabei sah er die Bedrohung des Kommunismus für Europa von der UdSSR und ihren Aktivitäten zum Einschluss von Millionen von Bürgern Osteuropas in die Sphäre des ‚sowjetischen Imperiums’.“153 Weitere frühe sowjetische Positionsbezüge zur gesamteuropäischen Integration lassen sich nur indirekt finden. In der illegalen Zeitschrift „Humanité“ der französischen Kommunistischen Partei vom 9. Juni 1944 erschien ein Artikel, in welchem der Widerstandsbewegung eine Distanzierung von supranationalen Einigungsideen und die Wiederherstellung der nationalen Grösse Frankreichs nahegelegt wurde. Für Filitov kompliziert sich die Situation dadurch, dass in den letzten Kriegsjahren von linker und rechter Seite unterschiedliche Einigungskonzepte vertreten wurden, und er erinnert sowohl an linke Einigungsanhänger wie an die Bildung von SS-Legionen im Zeichen der europäischen Einigung.154 Am 17. Oktober 1944 besuchte Churchill Moskau und äusserte im Gespräch mit Stalin den Wunsch nach einer wirtschaftlichen Vereinigung der europäischen Staaten, beispielsweise einer Zollunion. Stalin entgegnete, dass die europäischen Staaten sich zuerst wieder als Nationalstaaten aufstellen möchten: „Er, Genosse Stalin, halte es deshalb derzeit für unmöglich über Vereinigungen nachzudenken, auch wenn sie in der Zukunft nicht ausgeschlossen sind.“155 Natürlich spielte die öffentliche Meinung nicht die ausschlaggebende Rolle, und für Filitov ist ein anderer Grund für die ablehnende sowjetische Position gegenüber der europäischen Integration viel bedeutender: In keinem einzigen Projekt wurde eine Beteiligung der Sowjetunion vorgeschlagen, und zudem hätte eine solche Integration eine Opposition von ganz oder fast ganz Europa gegenüber der Sowjetunion bedeutet, solange es nicht seine innere Ordnung ändert. Für den Kreml lag folglich der
153 Čubar’jan 2006: 294, im Original: „Itak, odin iz intellektual’nych otcov-osnovatelej evropejskoj integracii i veduščij evropeist, formuliruja svoe videnie nastojaščego i buduščego Evropy, vyvodil Rossiju (Sovetskij Sojuz) za skobki ob-edinennoj Evropy. Pri ėtom on ne obraščalsja k istorii i, v otličie ot mnogich drugich avtorov, ne sčital Rossiju v prinicpe evropejskim antipodom. Dlja Monnė ‚rossijskaja problema’ zaključalas’ v dejstvijach Sovetskogo Sojuza posle Vtoroj mirovoj vojny. Akcentiruja vse svoe vnimanie na gumanističeskich i pravovych aspektach, na zadačach rekonstrukcii evropejskoj ėkonomiki i sbliženija nacional’nych interesov, Monnė videl ugrozu kommunizma dlja Evropy ot SSSR i ot ego dejstvij po vključeniju v sferu ‚sovetskoj imperii’ millionov graždan Bostočnoj Evropy.“ 154 Filitov 2001: 125f., zitierend aus W. Lipgens: Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen, 1940-1954. München, 1968, p. 240. 155 Im Original: „Poėtomu on, tov. Stalin, sčitaet, čto sejčas nevozmožno dumat’ ob obedinenijach, chotja v buduščem oni ne isključeny.” Nach Filitov 2001: 128, gemäss Fn. 17 zitiert nach: SSSR i germanskij vopros, 1941–1949. Moskva, 1996, tom 1, pp. 563f.
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Schluss auf der Hand, dass „die europäische Integration ein Instrument der Antisowjets war und blieb“.156 Čubar’jan sieht einen wesentlichen Grund für Stalins Kampagnen gegen den „bourgeoisen Kosmopolitismus“ in den Erfahrungen der Kriegszeit: „Stalin und seine Umgebung fürchteten die Verbreitung von bourgeoisen Ansichten in der Sowjetunion. Zahlreiche Kontakte von sowjetischen Soldaten und Offizieren mit der Bevölkerung des befreiten Europas und mit verbündeten Militärs unterspülten die feindseligen Vorstellungen der sowjetischen Menschen über die westliche Welt und dies rief offensichtlich die Sorge der sowjetischen Ideologen hervor.“157 Die Einigungspläne eines Jean Monnet wurden als Erscheinung des Kosmopolitismus wahrgenommen, so Čubar’jan, „(…) als Beweis der Versuche der Vereinigung der reaktionären Kräfte auf antisowjetischer Grundlage. Eine ähnliche allgemeine theoretische Prämisse schuf die Basis für die Nichtannahme der europäischen Integration in der UdSSR.“158 Schon 1944, als sich Aussenminister Litvinovs „Kommission zur Vorbereitung der Friedensgespräche und der Nachkriegsordnung“ zu treffen begann, hielt der Vorsitzende bei der Erörterung der Minderheitenfragen fest: „Das multinationale Europa, wie immer man es auch zurechtstutzt, darf nicht einheitlich gemacht werden.“159 Dissens über die Deutschlandpolitik, das drängendste Problem der Jahre 1945/46, führte zunehmend zur Entfremdung der Alliierten. Stalin verstand das humanitäre Motiv der westlichen Unterstützung Deutschlands nicht und unterstellte Engländern und Amerikanern, dass sie um Deutschland werben und eine anti-sowjetische Stimmung aufbauen wollten.160 Als die USA im September 1946 ihr „interest in the affairs of Europe“ bekräftigten, interpretierte die Sowjetunion dies als Wunsch der USA, unter dem Vorwand einer „democratic mission“ weiterhin Dominanz ausüben zu wollen, mit Deutschland als Basis für den Kampf gegen die Sowjetunion.161 In Moskau nahm man die amerikanischen Perspektiven 156 Filitov 2001: 129. 157 Čubar’jan 2006: 306, im Original: “Stalin i ego okruženie bojalis’ rasprostranenija buržuaznych vzgljadov v Sovetskom Sojuze. Mnogočislennye kontakty sovetskich soldat i oficerov s naseleniem osvoboždennoj Evropy i s sojuznymi voennymi razmyvali vraždebnye predstavlenija sovetskich ljudej o zapadnom mire i, vidimo, ėto vyzvalo bespokojstvo sovetskich ideologov.” 158 Čubar’jan 2006: 306, im Original: „(…) kak svidetel’stvo popytok ob-edinenija reakcionnych sil naantisovetskoj osnove. Podobnaja obščaja teoretičeskaja posylka sozdavala bazu dlja neprijatija v SSSR idej evropejskoj integracii.“ 159 Zitiert nach Čubar’jan 2006: 310, mit Archivfundstelle, im Original: „Mnogonacional’nuju Evropu, kak by ee ni kroili, nel’zja sdelat’ edinoj.“ Schon Gračev 1999: 35 erwähnt die Passage. 160 Wettig 2008: 107. 161 Wettig 2008: 108.
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für eine aktive Rolle in Europa, vor allem beim ökonomischen Wiederaufbau, nicht wahr und sah primär die Gefahr eines neuerlichen anglo-französischen Kondominiums.162 Auf Winston Churchills Rede in Fulton im März 1946, in welcher er den Begriff des „Eisernen Vorhangs“ prägte, folgte seine nicht weniger antisowjetisch geprägte Ansprache in Zürich am 19. September 1946, in der er zu einer „Neugründung der europäischen Familie“ und zur Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich aufrief. Die Rede gilt als Ausgangspunkt einer neuen Nachkriegsordnung in Europa. Die westeuropäische Integration widersprach schon damals den machtpolitischen sowjetischen Vorstellungen: Erwünscht war ein Staatensystem schwacher, instabiler, dem sowjetischen Einfluss ausgesetzter Nationalstaaten.163 Sowjetische Historiker, so Filitov, untersuchten die Genese des Kalten Krieges aus einem engen Blickwinkel, demzufolge der Westen und insbesondere die USA an seiner Entstehung schuld waren. Aus Filitovs Sicht des Jahres 1991 müsse es „als bestimmtes Phänomen der internationalen Beziehungen“ gesehen werden, welches „die Wechselwirkung zweier Seiten, die in die Konfrontation gezogen wurden, widerspiegelt“.164 Čubar’jan notiert 2006 – ohne auf Churchills Worte in Fulton einzugehen – , dass Churchill sich nicht die Frage nach der Zugehörigkeit Russlands zu Europa stellte, jedoch die USA und die Sowjetunion als Sponsoren des neuen, unter moralischer Führung Frankreichs geeinten Europas sah, in einer Art verlängerten Nachkriegsallianz.165 Auch im Frühjahr 1947 bestätigte Churchill, dass er ein vereintes Europa im russischen Interesse sieht, und „bedauerte, dass die sowjetische Propaganda (Presse und Radio) Kampagnen gegen die Einigungspläne Europas entfachen“.166 1948/49 hob Churchill, so Čubar’jan, mit Pathos die aggressiven Absichten der Kreml-Führer hervor: „Aus den Äusserungen des britischen Politikers war klar, dass er Sowjetrussland vollkommen aus dem demokratischen Prozess ausschloss, dass aber gerade diese Prinzipien der Demokratie, der Freiheit u.s.w. den Sinn und das Wesen der europäischen Bewegung zur Einigung bildeten. Es ist interessant, dass Churchill auch dann Russland nicht erwähnte, als er sich wiederholt der Geschichte zuwandte.“167 Mit der Ent-
162 Čubar’jan 2006: 310. 163 Mueller 2009b: 620f. 164 Filitov 1991: 6, im Original: „kak opredelennym fenomene meždunarodnych otnošenij, otrožajuščem vzaimodejstvie obeich vovlečennych v konfrontaciju storon“. 165 Čubar’jan 2006: 296. 166 Čubar’jan 2006: 297, im Original: „On vyrazil takže sožalenie, čto sovetskaja propaganda (pressa I radio) razduvajut kampanii protiv planov ob-edinenija Evropy.” 167 Čubar’jan 2006: 299, im Original: „Iz vystuplenij britanskogo politika bylo jasno, čto on polnost’ju vyključal Sovetskuju Rossiju iz demokratičeskogo processa, a imenno ėti principy demokratii, svobody i pr. sostavljali smysl i suščnost’ evropejskogo dviženija k ob-
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wicklung des Kalten Krieges, so Čubar’jan, schloss Churchill die Einigung Europas aktiv in den Kampf gegen die ‚sowjetische Tyrannei’ und die kommunistische Ideologie ein; sie sollte schliesslich nach der Befreiung von der kommunistischen Herrschaft auch die Völker Ost- und Südeuropas hinter dem Eisernen Vorhang erfassen.168 4.1.2 Marshall-Plan
Die west-östliche Konfrontation sollte sich in den folgenden Monaten rasch zuspitzen und führte am 12. März 1947 zur Verkündung der Truman-Doktrin, die einer amerikanischen Unterstützung für Griechenland und die Türkei den Weg ebnete. Die Rhetorik beeinflusste Stalin nicht – er ging davon aus, dass gute Aussichten für einen Konflikt innerhalb des westlichen Lagers bestanden. Nach seiner ersten Rede über wirtschaftliche Hilfe an Europa vom 5. Juni 1947 gab USAussenminister Marshall am 12. Juni eine zusätzliche Erklärung ab, in welcher er äusserte, dass er an alle Länder westlich von Asien denke, einschliesslich Grossbritanniens und der Sowjetunion.169 Die Frage der sowjetischen Beteiligung am Marshall-Plan bzw. dem 1948 formulierten „European Recovery Program“ (ERP) führte zu einer kurzen und intensiven Sondierungsphase: „Zu diesem Zeitpunkt bestand auf jeden Fall noch ein europadiskursiver Zusammenhang mit Westeuropa. Spätestens seit der staatsstreichartigen Übernahme der Macht durch die Kommunisten im Februar 1948 in der Tschechoslowakei war ein offizieller mit dem Westen gemeinsamer Europadiskurs aus Ostmitteleuropa heraus so gut wie nicht mehr möglich. Die Kampagne gegen den Marshall-Plan bezeugt dies und der stalinistische Terror 1948 bis 1953 liess bestenfalls negative Äusserungen zur beginnenden westeuropäischen Integration oder über die pro-europäischen Emigranten zu.“170 Der Historiker M. Narinskij stimmt mit dem US-amerikanischen Historiker Melvyn P. Leffler überein, dass das Ziel des Marshall-Plans darin bestand, die sozio-politische Situation in Europa zu stabilisieren, die Einbindung Deutschlands in den westlichen Block zu beschleunigen und den sowjetischen Einfluss in Osteuropa zu reduzieren.171 Bei einer Besprechung mit dem US-Aussenminister am 28. Mai 1947 wurde beschlossen, dass osteuropäische Länder sich nur beteiligen dür-
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edineniju. Interesno, čto, obraščajas’ neodnokratno k istorii, Čerčill’ i tam ne upominal Rossiju.“ Čubar’jan 2006: 300f. Törnudd 1961: 121. Schmale 2008a: 113. Narinskij 1994: 41 und Narinskij 1995: 31, vgl. Melvyn P. Leffler: The United States and the Strategic Dimension of the Marshall Plan. In: Diplomatic History 12: 3 (Summer 1988), p. 283.
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fen, wenn sie ihre Wirtschaft zugunsten einer weiteren europäischen Integration nicht fast ausschliesslich auf die Sowjetunion orientieren. Eine Beteiligung der Sowjetunion und der osteuropäischen Länder, so Narinskij, wurde faktisch als sehr problematisch dargestellt: In den USA, aber auch in Grossbritannien herrschte grosse Skepsis, ob die Sowjetunion selbst bei einer Zusage ihre ökonomischen Daten preisgeben und westliche Experten ins Land lassen würde.172 Bei den Gesprächen über eine sowjetische Beteiligung am Marshall-Plan spielten der britische Aussenminister Bevin und sein französischer Amtskollege Bidault eine entscheidende Rolle. Allerdings geht Narinskij davon aus, dass sie ein doppeltes Spiel betrieben, in dem sie öffentlich eine sowjetische Beteiligung begrüssten, jedoch insgeheim gegenüber dem US-Botschafter in Paris signalisierten, „that they hope the Soviets will refuse to cooperate and that in any event they will be prepared ‚to go ahead with full steam even if the Soviets refuse to do so’“.173 Anfänglich erhoffte sich Stalin massive Unterstützungsleistungen der USA für Europa ohne politische Implikationen. Am 21. Juni 1947 hiess das Politbüro der KPdSU einen positive Antwort der sowjetischen Regierung an die Einladung zum Treffen der Aussenminister Frankreichs, Grossbritanniens und der Sowjetunion gut.174 Die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Seite bestätigen Telegramme, die am 22. Juni 1947 an die sowjetischen Botschafter in Warschau, Prag und Belgrad geschickt wurden: „Wir erachten es als wünschenswert, dass befreundete verbündete Länder ihrerseits eine entsprechende Initiative zur Sicherstellung ihrer Beteiligung bei der Ausarbeitung der genannten wirtschaftlichen Massnahmen zeigten und ihre Ansprüche deutlich machten, dies in Anbetracht der Tatsache, dass einige europäische Länder (Holland, Belgien) schon mit solchen Wünschen hervorgetreten sind.“175 Ökonom und Akademiemitglied Evgenij Varga176 empfahl in einer an Stalin und weitere Politbüromitglieder verteilten Notiz, sich fernzuhalten, da die USA nur Mittel suchten, um durch gesteigerte Absätze eine ökonomische Krise zu 172 Narinskij 1995: 31 mit Archivfundstelle „Papiers privés de M. Georges Bidault“. 173 Narinskij 1994: 42, Fn. 105 sowie 1995: 32 mit Quellenangabe: FRUS 1947, Vol. 3, p. 260. 174 Narinskij 1994: 42, Fn. 106 sowie 1995: 32 mit Archivfundstelle. 175 Im Original: „My ščitaem želatel’nym, čtoby družestvennye sojuznye strany, so svojej storony, projavili sootvetsvujuščuju iniciativu pro obespečeniju svoego učastija v razrabotke ukazannych ėkonomičeskich meroprijatij i zajavili svoi pretenzii, imeja v vidu, čto nekotorye evropejskije strany (Gollandija, Bel’gija) uže vystupili s takimi poželanijami.“ Nach Narinskij 1995: 32, Fn. 11 mit Archivfundstelle, vlg. Narinskij 1994: 42 mit englischer Übersetzung. 176 Zu Vargas Kritik an Stalins Imperialismustheorien vgl. Zubok 2002: 169. Varga glaubte im Gegensatz zu Stalin nicht an neue kriegerische Auseinandersetzungen unter den „imperialistischen“ Staaten.
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verhindern: „Als ein solches Mittel erweist sich der Verkauf von (unter den Bedingungen des Kapitalismus) überschüssigen Waren im Ausland, ohne dabei gleichzeitig für entsprechende Summen Waren im Ausland einzukaufen.“ Wenn also schon für Milliarden US-Kredite gewährt werden müssen, dann bestehe der Sinn des Marshall-Plans darin, „daraus maximale politische Gewinne zu erzielen.“177 Die sowjetische Betrachtungsweise des Marshall-Plans als Kapital-ExportProgramm fügte sich nahtlos in die Imperialismustheorie ein.178 In der Konsequenz strebte die Sowjetunion danach, wirtschaftliche und politische Vorteile für die USA durch den Marshall-Plan zu verhindern und wies jede Art von amerikanischer Kontrolle über die sowjetische und osteuropäische Wirtschaft zurück. Die sowjetische Delegation an den Pariser Verhandlungen zum Marshall-Plan erhielt die Instruktion, nur Hilfe ohne Bedingungen zu akzeptieren. Der Umstand, dass Amerikaner und Briten ihr Konzept in keiner Weise ändern wollten, und Anzeichen, dass die Tschechoslowakei und Polen Interesse an einer Teilnahme zeigten, liessen Stalin einen Kontrollverlust in ganz Osteuropa befürchten und schliesslich allen Ländern des sowjetischen Einflussbereichs die Beteiligung untersagen.179 Der politische Bruch in das „imperialistische“ und das „sozialistische“ Lager war vollzogen. Der für die sowjetische Seite entscheidende Punkt war, dass keine Bedingungen für die Hilfe akzeptiert wurden, die eine „Einschränkung der Souveränität der europäischen Länder oder eine Verletzung ihrer ökonomischen Unabhängigkeit nach sich gezogen“ hätten.180 Am stärksten setzte sich die französische Delegation für eine Überwindung der differierenden Standpunkte ein, jedoch meldete Molotov nach Moskau, dass die Franzosen über die nach sowjetischer Sicht einzig zulässigen Strukturen für die direkte Umsetzung der amerikanischen Hilfspläne weitergehende Vorstellungen über ökonomische Programme für die Länder Europas und die wirtschaftlichen Beziehungen untereinander hätten.181 Engländer und Amerikaner verständigten sich in der Zwischenzeit darauf, möglichst bald zu beginnen, auch wenn nur westeuropäische Länder zusagten. „It is understood that, while it is hoped that the scheme will cover Europe as a whole, the U.S. Administration would be satisfied if 177 Im Original: „Takim sredtsvom javljaetsja prodaža islišnich (v uslovijach kapitalizma) tovarov za granicej, ne pokupaja odnovremenno na sootvetsvujuščie summy tovarov iz-za granicy. (…) „izvleč’ iz ėtogo maksimal’nye političeskie vygody.“ Nach Narinskij 1995: 32f., Fn. 12 mit Archivfundstelle, vgl. Narinskij 1994: 43 mit englischer Übersetzung. 178 Vgl. Törnudd 1961: 123. 179 Wettig 2008: 138. 180 Im Original: „(…) protiv takich uslovij pomošči, kotorye mogli by povleč’ za soboj uščemlenie suverentiteta evropejskich stran ili naruščenie ich ėkonomičeskoj samostojatel’nosti“. Nach Narinskij 1995: 34, Fn. mit Archivfundstelle, vgl. Narinskij 1994: 44 mit englischer Übersetzung. 181 Narinskij 1994: 45 sowie 1995: 35.
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it could be started with the Western countries as a nucleus, on the understanding that the scheme would be open to other countries if so desired.”182 Auch bei einer sowjetischen Ablehnung, rechnete man im Westen weiterhin mit einer Beteiligung osteuropäischer Länder. In den Worten Bevins: “(…) Russia cannot hold its satellites against the attraction of fundamental help toward economic revival in Europe.”183 In der russischen Version seines Artikels – und nur in dieser – kommentiert Narinskij dieses Vorgehen mit den Worten: “Die Trennung dieser Länder von der UdSSR wurde einkalkuliert.”184 Auf das sowjetische Nein zu einer Beteiligung an der Pariser Konferenz am 2. Juli 1947 folgten Tage des Schwankens und Zögerns: Zunächst erlaubte Moskau am 6. und 7. Juli den osteuropäischen Ländern die Teilnahme an der für den 12. Juli angekündigten Konferenz, zu der Einladungen an 22 europäische Länder ergingen. Um die westlichen Pläne zu „sabotieren“ (Narinskij), hätten osteuropäische Länder an der Konferenz teilnehmen und möglichst viele Länder auf ihre Seite ziehen sollen. Am 8. Juli annullierte Moskau seine ursprünglichen Instruktionen und untersagte den osteuropäischen Delegationen die Teilnahme, am 9. Juli fügte sich eine tschechoslowakische Delegation in Moskau letztlich ebenfalls diesem Druck. Narinskij zitiert einen Satz, den der tschechoslowakische Aussenminister Masaryk Freunden gesagt haben soll: „I went to Moscow as the Foreign Minister of an independent sovereign state; I returned as the lackey of the Soviet Government.“185 In der russischen Fassung seines Artikels gibt Narinskij eine Bemerkung des amerikanischen Botschafters in Paris, Caffery, an seinen sowjetischen Amtskollegen Bogomolov wieder: “Schade, dass Sie nicht teilnehmen, Sie haben eine gute Ernte, und Sie könnten Europa mit Nahrungsmitteln helfen, wenn auch nur im Rahmen Ihrer Handelsbeziehungen mit Osteuropa.”186 In der Konsolidierung der sowjetischen Kontrolle über die Einflusszone in Osteuropa lag, so auch Narinskijs Fazit, die Priorität Moskaus. Sie erlaubte dem Westen eine Stabilisierung der Situation und den Auf- und Ausbau der westlichen Allianz: „Wenn es auch paradox erscheint, doch die Realisierung des Marshall-Plans ohne Beteiligung der UdSSR und sogar mit ihrem Widerstand passte bis zu einem bestimmten Grad beiden Seiten: Die Sowjetunion behielt und stärkte ihren Einfluss auf die 182 Bevin aide-mémoire, 25 June 1947, FRUS 1947, 3, p. 268, zitiert nach Narinskij 1994 : 46, Fn. 116. 183 Peterson, memorandum of conversation, FRUS 1947, 3, p. 268, zitiert nach Narinskij 1994: 46. 184 Narinskij 1995: 37: im Original: „(...) delalsja raščet na otryv ėtich stran ot SSSR.“ 185 Narinskij 1994: 51. 186 Im Original: „Žal’ čto vy ne učastvuete, u vas chorošij urožaj, i vy mogli by pomoč’ Evrope prodovol’stviem, chotja by v porjadke vašich torgovych otnošenij so stranami Vostočnoj Evropy.“ Nach Narinskij 1995: 43.
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Länder Osteuropas; die USA und ihre Marshall-Plan-Partner erhielten die Möglichkeit zur Realisierung eines Massnahmenbündels zur Stabilisierung der soziopolitischen Situation in Westeuropa, und dann zur Bildung des militärischpolitischen westlichen Bündnisses.“187 Verdeckter Widerstand gegenüber Integrationsplänen wich 1947 der Denunzierung des „Truman-Marshall-Plans zur Unterjochung Europas“, stellt 1999 V. Zubok, Visiting Fellow am National Security Archive in Washington, fest, jedoch habe das sowjetische Verhalten die westeuropäische Integration eher beschleunigt. Er sieht die Entwicklung von Integrationskräften, vor allem in Westeuropa, in direktem kausalem Zusammenhang zur Blockbildung: „“In a sense, the Cold War polarization was the ‚midwife’ of the European Community.“188 Noch 1985 legt eine offizielle Publikation des IMEMO ganz im Tonfall des Kalten Kriegs dar: „Sein (des Marshall-Plans, M.W.) wahrer Sinn bestand darin, erstens Volksdemokratien von der UdSSR zu isolieren und auf die Gleise des Kapitalismus zurückzuführen, zweitens wirtschaftliche Druckhebel zur Schwächung der revolutionären Bewegung in den westeuropäischen Ländern zu nutzen, drittens Wirtschaft und Politik unter Kontrolle der USA zu stellen. Die sowjetische Diplomatie entlarvte öffentlich diese wahren Ziele der transatlantischen ‚Wohltäter’.“ Zur Bestätigung werden alle Länder, einschliesslich der Tschechoslowakei, aufgezählt, die wie die Sowjetunion nicht am Marshall-Plan teilnahmen.189 L. N. Šišelina vom Institut für internationale ökonomische und politische Studien der RAN erwähnt in ihrer Studie aus dem Jahre 2006 lediglich die Tschechoslowakei als kurzzeitigen Empfänger von Finanzhilfen und zieht im übrigen in fettgedruckten Buchstaben den europhilen und tendenziell eurozentrischen Schluss: „Von
187 Narinskij 1995: 43, im Original: „Kak i paradoksal’no, no realizacija plana Maršalla bez učastija SSSR i daže pri ego protivodejstivii v kakoj-to stepeni ustraivala obe storony : Sovetskij Sojuz sochranil i utverdil svoe vlijanie na strany Vostočnoj Evropy : SŠA i ich partnery po planu Maršalla polučili vozmožnost’ dlja osušestvlenija kompleksa mer po stabilizacii social’no-političeskoj situacii v Zapadnoj Evrope, a zatem dlja sozdanija voennopolitičeskogo zapadnogo sojuza. » 188 Zubok 1999: 85 und 87. Das Zitat „the Truman-Marshall-Plan of enthrallment of Europe“ stammt von Politbüro-Mitglied Ždanov, in: Documents on International Affairs, M. Carlyle (ed.), Oxford, 1952, pp. 125–135, hier zitiert nach Zubok 1999: 87. 189 Kišilov 1985: 33, im Original: „Ego podlinnyj smysl’ sostojal v tom, čtoby, vo-pervych, izolirovat’ ot SSSR i vernut’ na rel’sy kapitalizma strany narodnoj demokratii, vo-vtorych, ispol’zovat’ ėkonomičeskie ryčagi davlenija dlja oslablenija revoljucionnogo dviženija v zapadnoevropejskich stranach, v-tret’ich, postavit’ ėkonomiku i politiku evropejskich stran pod kontrol’ SŠA. Sovetskaja diplomatija publično razoblačila ėti podlinnye celi zaokeanskich ‘blagodatelej’.”
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diesem Moment an geht die reale europäische Integration für einige Jahrzehnte auseinander in eine westeuropäische und eine osteuropäische.“190 In ihrer eingehenden Analyse regionaler Einigungspläne in Mittel- und Osteuropa (von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Nachkriegszeit mit Gründung von EGKS, NATO, RGW und Warschauer Pakt) versucht Šišelina, in einem komparativen Ansatz den west- und den osteuropäischen Integrationsansatz gegenüberzustellen: „Wenn im östlichen Teil Europas parallel eine wirtschaftliche (RGW) und eine politische (Warschauer Pakt) Struktur existierten, so wurden im westlichen Teil Europas permanent Versuche der Vereinigung von wirtschaftlichen und politischen Integrationselementen unternommen. Alle ernsthaften Vereitelungen geschahen gerade aufgrund der Unvereinbarkeit dieser beiden Säulen der westeuropäischen Integration. Gleichzeitig stellten sie beide für sich genommen vollendetere Projekte als RGW und Warschauer Pakt dar.“ 191 Der Marshall-Plan und die Furcht vor einer militärischen Bedrohung durch Deutschland und vor der Verbreitung der kommunistischen Idee hätten wesentlich zu diesem Ergebnis beigetragen: „Es entstand eine Situation, in der das hauptsächliche Antriebsmotiv zur Integration der Zusammenschluss, die ‚Freundschaft gegen’ jemand, wurde.“192 Für D. Trenin, den stellvertretenden Direktor des Carnegie Zentrums Moskau (des 1992 gegründeten Ablegers der privaten, regierungsunbhängigen Forschungseinrichtungen des US-amerikanischen Carnegie Endowment for International Peace), markiert der Bruch Mitte der 1940er-Jahre aus der Sicht des Jahres 2006 eine entscheidende Wende: „Die UdSSR schloss sich der Atlantik-Charta an (1942), schloss Bündnisverträge mit England (1942) und Frankreich (1944), wurde einer der Gründer der UNO und Mitautorin ihrer Charta (1945). Vor der Stalinschen UdSSR waren die Türen zum Internationalen Währungsfonds (IMF) und Allgemeinen Tarif- und Handelsabkommen (GATT) geöffnet, ebenso eine Teilnahmeperspektive beim Marshall-Plan. Einzig die Absage Stalins, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, führte dazu, dass die UdSSR sich in der
190 Šišelina 2006: 32, im Original: „S ėtogo momenta real’naja evropejskaja integracija na neskol’ko desjatiletij raschoditsja na zapadnoevropejskuju i vostočnoevropejskuju.“ 191 Šišelina 2006: 46, im Original: „Esli v vostočnoj časti Evropy parallel’no suščestvovali ėkonomičeskaja (SĖV) i političeskaja (OVD) struktury, to v zapadnoj časti Evropy postojanno predprinimalis’ popytki ob-edinenija ėkonomičeskoj i političeskoj integracionnych sostavljajuščich. Vse ser-eznye sryvy proischodili imenno po pričine nesovmestimosti ėtich dvuch stolpov zapadnoevropejskoj integracii. V to že vremja oba oni po otdel’nosti predstavljali soboj bolee soveršennye proekty neželi SĖV i OVD.“ 192 Šišelina 2006: 50, im Original: „Sozdavalas’ situacija, kogda glavnym pobuditel’nym motivom k integracii stalo spločenie, ‚družba protiv’ kogo-to.“
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Mitte der 1940er-Jahre aus dem System der Welt-Handels- und Wirtschaftsinstitutionen ausgeschlossen sah.“193 Nach der sowjetischen Entscheidung zur Nichtteilnahme am ERP übernahm es insbesondere das im selben Jahr gegründete „Informationsbüro der kommunistischen und Arbeiterparteien“ (Kominform, Nachfolger der „Kommunistischen Internationale“, Komintern) den Widerstand gegen die Umwandlung Westeuropas in ein „amerikanisches Protektorat“ zu organisieren.194 Die Sowjetunion blieb in der Folge der zur Umsetzung des ERP gegründeten „Committee (später: Organization) of European Economic Co-operation“ (CEEC/OEEC) fern und beachtete sie kaum. Sie erklärte dann jedoch 1960 die Bereitschaft, der Nachfolgeorganisation OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) beizutreten – 2007 lud diese dann Russland zu Beitrittsverhandlungen ein.195 Im sowjetischen Einflussbereich übernahm 1949 der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, COMECON) die Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken nach den Bedürfnissen der Sowjetunion. 1950 lancierte die Sowjetunion darüber hinaus das Projekt einer pan-europäischen Wirtschaftsorganisation.196 Jedoch führten „weder der Stalinismus noch der Warschauer Pakt noch der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (…) zu einer der westeuropäischen vergleichbaren Integrationspolitik, und zwar weder unter strukturellen noch unter inhaltlichen Gesichtspunkten.“197 Äusserst langsam näherten sich EWG und RGW: 1963 lud die EWG zu offiziellen Gesprächen ein, dann, 1972, der RGW. Doch erst 1988 wurden offizielle Kontakte zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken EG und RGW hergestellt, kurz darauf löste sich der RGW am 28. Juni 1991 auf.198 4.1.3 Europarat und weitere Organisationen
Auf militärischem Gebiet vollzog sich 1948 mit dem Brüsseler Pakt und der Gründung der Westeuropäischen Union (durch Frankreich, Grossbritannien und die Benelux-Staaten) sowie des Nordatlantik-Paktes (NATO) die westliche Blockbildung, der erst 1955 mit dem Warschauer Pakt das östliche Pendant folgte – nachdem noch 1954 die Sowjetunion aus taktischen Gründen ein NATO193 Trenin 2006: 66, im Original: „Pered stalinskim SSSR byli oktryty dveri v Meždunarodnyj valjutnyj fond (MVF) i General’noe soglašenie o tarifach i torgovle (GATT), a takže perspektiva učastija v plane Maršalla. Liš’ otkaz Stalina vospol’zovat’sja ėtimi vozmožnostjami privel k tomu, čto SSSR v seredine 1940-ch godov okazalsja isključennym iz sistemy mirovych torgovo-ėkonomičeskich institutov.“ 194 Brunn 2002: 44. 195 Lipkin 2009: 1. Bis 2012 ist der Beitritt noch nicht erfolgt. 196 Lipkin 2009: 1. 197 Schmale 2008a: 113. 198 Lipkin 2009: 1.
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Beitrittsgesuch gestellt hatte.199 Die Schaffung des Brüsseler Pakts wurde von der sowjetischen Seite in einer Note vom 6. März 1948 an die britische (und gleichlautend an die französische und die amerikanische) Regierung in engste Nähe zum Marshall-Plan gerückt, sie diene der Spaltung des Kontinents. Wie Razmerov anmerkt, verschweigen sämtliche sowjetischen Publikationen die anti-deutsche Seite des Brüsseler Pakts, „zumindest in seiner anfänglichen Variante“. Man könne daher sagen, dass der Pakt „schon gegen die Sowjetunion, aber noch gegen Deutschland“ gerichtet war. 200 Die Ideen der europäischen Föderalisten und der Haager Kongress der Europäischen Bewegung vom 7.–10. Mai 1948 führten im Mai 1949 zur Gründung des Europarates, der von der sowjetischen Führung sogleich mit heftiger Kritik überzogen wurde. Am Haager Kongress selbst nahmen 713 Delegierte aus 16 westeuropäischen Ländern teil. Aus zehn weiteren Ländern (darunter Bulgarien, Tschechoslowakei, Polen, Rumänien, Finnland, Jugoslawien) kamen Beobachter; Osteuropa war durch Emigranten vertreten.201 An der ersten Sitzung des Europarates, der „keinerlei juristische, legislative oder exekutive Macht“ besass, im August 1949 in Strasbourg, nahmen denn auch nur Vertreter aus Grossbritannien, Irland, Frankreich, den Benelux-Staaten, Italien, Schweden, Dänemark und Norwegen teil. N. Egorova vom Institut für allgemeine Geschichte der RAN unterstreicht 2003 die Bedeutung der damals vorherrschenden Befürchtungen vor einer westlichen Expansion: „Man muss betonen, dass die sowjetische Führung vom Beginn der ersten Massnahmen der europäischen Länder zur militärisch-politischen und ökonomischen Integration diese Initiativen durch das Prisma der politischen und wirtschaftlichen Expansion der USA betrachtete.“202 Einer bei seiner Gründung dem Europarat gewidmeten Analyse des MID zufolge habe dieser nicht nur das Ziel, Deutschland in die Politik des westlichen Bündnisses und der NATO hineinzuziehen, sondern es sei auch seine Aufgabe, mit Hilfe von Propaganda „(…) über ‚gesamteuropäische’ und ‚supranationale’ Integration die imperialistische Kolonisierung Westeuropas zu maskieren und zum Zwecke der Realisierung der anglo-amerikanischen Herrschaftspläne die nationale Souveränität der westlichen 199 200 201 202
Lipkin 2009: 1. Razmerov 1995: 131. Šatochina 1995 48ff Egorova 2003c: 199, im Original: „Sleduet podčerknut’, čto sovetskoe rukovodstvo, načinaja s pervych meroprijatij evropejskich stran po voenno-političeskoj integracii, rassmatrivalo ėti iniciativy skvoz’ prizmu političeskoj i ėkonomičeskoj ėkspansii SŠA.“ Vgl. auch Egorova 2002: 218: „As a rule, the Soviet leaders belittled the West European countries’ efforts and looked at the processes of European integration through the prism of mainly American anti-Soviet initiatives and expansion.“
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Länder zu zerstören“.203 Nachdem die USA keinen Erfolg dabei gehabt hätten, den Europarat für diesen Zweck zu benutzen, hätten sie die Erarbeitung einer Reihe von „Nebenplänen“ (otraslevych planov) inspiriert: Schuman-Plan, weitere Pläne zur Vereinigung der Landwirtschafts- und Transportressourcen der Länder Europas, Pleven-Plan. Eine im MID angefertigte Note vom 22. August 1949 beschreibt die Aufgaben des Europarates nach einem Kritikraster, das sich beim Schuman-Plan wiederholen sollte: 1. „La démagogie sur ‚l’organisation de l’Europe’, sur la coopération économique, sociale et culturelle doit détourner l’attention des peuples de l’Europe marshallisée des conséquences de la crise économique et de l’échec du plan Marshall et faire obstacle au développement de la lutte des travailleurs de ces pays pour la réalisation de leurs revendications. 2. Renforcer la préparation idéologique en vue d’une nouvelle guerre, opposer les pays du Conseil de l’Europe à l’Union soviétique et aux pays de la démocratie nouvelle par la création d’une institution ‘civile’, exprimant l’opinion publique européenne’, convenable pour les bonzes de l’Union Occidentale militaire et du bloc de l’Atlantique-Nord. 3. Légaliser l’entraînement de l’Allemage de l’Ouest de quelques autres pays, qui ne participent pas au Traité de l’Atlantique-Nord, dans la préparation active, politique et idéologique, d’une nouvelle guerre contre l’URSS et les pays de démocratie populaire. 4. Camoufler la colonisation impérialiste de l’Europe Occidentale et la liquidation de la souveraineté nationale et de l’indépendance des pays européens au profit de la réalisation des projets anglo-américains d’hégémonie mondiale par la propagande su le thème des intérêts ‘pan-européens’ et ‘supranationaux’. “204 Eine Historikerin wie N. Vassilieva übernimmt noch 2008 eine strikt antiamerikanische Interpretation, indem sie „die ‚construction européenne’ als strategisches Mittel zur Verteidigung Westeuropas in Anbetracht seiner wahrscheinlichen Sowjetisierung“ und die Gründung des Europarats als den nationalen Interessen der USA entsprechend sieht, welche selbstredend diese Institution als Schutzschirm ihrer agressiven Projekte in Europa nutzen wollten.205 Die erwähnte Note zuhanden des ZK der KPdSU vom 22. August 1949 teilt diese Sicht: „Donc, 203 Zitiert nach Egorova 2003c: 199, im Original: „(...) ob ‚obščeevorpejskoj’ i ‚sverchnacional’noj’ integracii zamaskirovat’ imperialističeskuju kolonizaciju Zapadnoj Evropy i uničtožit’ nacional’nyj suverenitet nezasimych evropejskich stran v celjach osuščestvlenija anglo-amerikanskich planov gospodstva“. 204 Narinskij 2002: 69f., Fn. 28 mit Archivfundstelle. 205 Vassilieva 2008: 333f.
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selon ce document, les pères fondateurs du ‚Conseil européen’ (gemeint ist der Europarat, M.W.) cherchaient tout particulièrement à ‚opposer’ les Etats membres de leur organisation à l’Union soviétique et aux pays de ‘démocratie populaire’ par le moyen d’un organe ‘civil’ représentant ‘l’opinion publique européenne’ qui soit admissible pour les bonzes de l’UO (Union occidentale) et de l’OTAN“.206 Die aus sowjetischer Sicht inakzeptable Vorstellung, dass sich im „Strassburger Mechanismus“ (gemeint ist der Europarat) das Prinzip der Supranationalität durchsetzen solle, führte zur sowjetischen Interpretation, dass diese Idee den Westeuropäern durch die USA auferlegt wurde. Die erwähnte Informationsnotiz fährt daher fort: „Parmi les objectifs du Conseil européen proclamés par ses fondateurs il y avait en particulier … la suppression de la souveraineté nationale et de l’indépendence des pays européens dans le but de réaliser les projets angloaméricains d’hégémonie mondiale“.207 4.1.4 Schuman-Plan und Pleven-Plan
In den Denkkategorien der Auseinandersetzung zwischen zwei gesellschaftlichen Systemen wurden in der Folge von sowjetischer Seite sämtliche „westeuropäischen“ Integrationsschritte vom Schuman-Plan zur Bildung einer Montanunion am 9. Mai 1950 (Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, am 18. April 1951, in Kraft am 23. Juli 1952, mit ersten supranationalen Institutionen) über die 1952–1954 gescheiterten Projekte für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) als Begleitmassnahmen im antisowjetischen Bestreben der USA und der NATO bewertet. Diese Einschätzung wurde noch bestärkt durch die Integration der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, EURATOM) in das System der Römer Verträge vom 25. März 1957, zusammen mit der EGKS und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).208 Die sowjetische Vorstellung, dass nur der Sozialismus den Frieden dauerhaft garantiere, wurde durch das „innovative westliche Friedenskonzept“ der dauerhaften Zusammenarbeit europäischer Länder herausgefordert. Die Sowjetunion reagierte daher feindselig auf das Konzept des Schuman-Plans, würde sein Gelingen doch die Chancen, sich innerwestliche Spannungen zunutze zu machen, beträchtlich verringern.209 Ein längerfristiger Analysehorizont schien in Moskau nicht vorhanden zu sein: „Man kann behaupten, dass die Verbindung dieser Pläne (PlevenPlan, Schuman-Plan, M.W.) zum allgemeinen langfristigen Prozess der europäi206 207 208 209
Zitiert nach Vassilieva 2008: 334, mit Archivfundstelle. Zitiert nach Vassilieva 2008: 337, mit Archivfundstelle. Brunn 2002: 127f. Wettig 2008: 200f.
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schen Integration in den sowjetischen Dokumenten jener Zeit nicht bemerkt wurde.“210 Die sowjetische Führung war auch nicht in der Lage, zwischen dem Schuman-Plan und dem Pleven-Plan zu unterscheiden und betrachtete „both to be parts of the same strategic anti Soviet conspiracy.“211 In einer Analyse notierte MID-Ökonom A. Arutunjan im März 1951 ähnliche Argumente, wie sie bereits 1948 im Vorfeld der Gründung des Europarates geäussert wurden: „Le plan Schuman est un plan de création d’une communauté supramonopoliste de l’industrie du charbon et de l’acier de ces pays de l’Europe Occidentale pour la reconstruction du potentiel militaro-industriel de l’Allemagne de l’Ouest et de l’adaptation de l’économie de ces pays à leurs plans agressifs en vue de la préparation de la troisième guerre mondiale et pour créer de cette façon en Europe Occidentale la base économique de l’alliance agressive de l’Atlantique du Nord.“212 Die Rückmeldungen der sowjetischen Botschafter aus den teilnehmenden Ländern differierten: Aus Rom und Brüssel meldete man, dass keine offizielle Reaktion auf den Schuman-Plan nötig sei, aus London und Den Haag wurden Protestnoten an die Regierungen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs vorgeschlagen, und der Botschafter in Berlin schlug vor, eine Protestnote an die französische Regierung zu senden und die Regierung der BRD zu einer Erklärung zum Schuman-Plan zu bewegen. Die Leitung des MID hielt eine Erklärung für nicht notwendig, da das Projekt nur auf Expertenebene paraphiert worden sei, jedoch könne die DDR-Regierung offiziell gegen den Schuman-Plan und die Politik der BRD Stellung beziehen.213 Aussenminister Molotov wies am 3. April 1951 an, über den Vorschlag des Botschafters in Berlin, Puškin, nachzudenken, denn der Schuman-Plan ziele im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen auf die Remilitarisierung Deutschlands.214 Damit begann die langwierige Redaktion der sowjetischen Note an die französische Regierung vom 11. September 1951, die sich insbesondere auch auf den Pleven-Plan bezog. Der am 9. Mai 1950 verkündete Schuman-Plan war Gegenstand der Londoner Konferenz der Aussenminister von Frankreich, Grossbritannien und den USA 210 Čubar’jan 2006: 311, im Original: „Možno utverždat’, čto svjaz’ ėtich planov s obščim dolgosročnym processom evropejskoj integracii ne byla otmečena v sovetskich dokumentach togo vremeni.” 211 Gračev 1999: 36. 212 Narinskij 2002: 70 mit Quellenangabe « CRCEDHC (Centre russe de conservation et d’études des documents en histoire contemporaine). Dossier en procéssus de déclassification. » 213 Narinskij 2002: 70f., Note Zorin an Molotov vom 1. April 1951, wiederum mit Quellenangabe auf deklassifizierte Dokumente. 214 Narinskij 2002: 71, Direktive Molotov an MID vom 3. April 1951, wiederum mit Quellenangabe auf deklassifizierte Dokumente.
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vom 11. bis 13. Mai 1950. Noch am Sonntag, 14. Mai, lieferten vier MIDMitarbeiter eine erste Einschätzung: Der Plan sei auf Geheiss der US-Regierung verkündet worden. Zudem bestehe der Zweck grundsätzlich darin, „unter der Leitung der amerikanischen herrschenden Kreise in Westeuropa eine militärischindustrielle Basis für den aggressiven westlichen Block zu schaffen“.215 Zueva unterstreicht unter Berufung auf sowjetische Archivquellen, dass vorbereitende Gespräche „nicht zwischen den Teilnehmern der Vereinigung, sondern zwischen Vertretern der Bonner Regierung und dem US-Hochkommissar in Deutschland, McCloy, stattgefunden“ hätten.216 Jean Monnet wird an selber Stelle als „französischer, eng mit amerikanischen Finanzkreisen verbundener Milliardär“ etikettiert. Weil die deutschen Kapitalisten die Möglichkeit erhielten, in die französischen Afrikakolonien einzudringen, stünden sie dem Plan positiv gegenüber. Die Briten hingegen fürchteten die Konkurrenz der Verbindung der französischen und deutschen Industriekapazitäten. Die MID-Mitarbeiter kommen zum Schluss, dass es sich um eine demagogische Erklärung bezüglich einer möglichen Teilnahme der UdSSR und der Länder Osteuropas handle, da die Kontrolle lothringischer oder britischer Industriezentren nur zum Preis einer westlichen Kontrolle der Industriegebiete im Ural und Kaukasus zu haben sei. Die Fotografie einer stillgelegten Mine in Lothringen durfte 1952 in der zweiten Ausgabe der Grossen Sowjetenzyklopädie als Beleg für die Auswirkungen des Schuman-Plans dienen.217 Insgesamt, so Filitov, sei diese erste sowjetische Reaktion auf den Schuman-Plan jedoch „ruhig“ gewesen. Noch am 26. April hatte das MID vor angeblichen Initiativen für gesamtdeutsche Wahlen, vor einem Plebiszit zur Wiedervereinigung Deutschlands oder über die Rückgabe besetzter Gebiete östlich der Oder-Neisse-Grenze an Deutschland gewarnt. Im Vergleich empfanden die erleichterten Diplomaten den Schuman-Plan eher als „Abweichen des Westens von einem äusserst aggressiven Kurs“.218 Die Tonlage hielt sich eine Weile, eine Unterscheidung zwischen „Atlantismus“ und „Europäismus“ wurde nicht gemacht, und gängig war die Formel über „die Einbeziehung der BRD in die ‚europäische Gemeinschaft’, d.h. in den Nordatlantikpakt“. Nach einer „schwer zu erklärenden Logik“ (Filitov) richtete sich Kritik vorwiegend gegen den sogenannten „Europäischen Rat“, womit der 215 Im Original: “(…) osnovnoj smysl’ ėtogo predloženija zaključaetsja v tom, čtoby pod rukovodstvom amerikanskich pravjaščich krugov sozdat’ v Zapadnoj Evrope voennopromyšlennuju bazu dlja agressivnogo zapadnogo bloka”. Hier und im Folgenden nach Filitov 2001: 131, Fn. 24 mit Archivfundstelle; 5 der 8 Seiten des Dokuments sind dem Schuman-Plan gewidmet. 216 Zueva 1995: 56,Fn. 2 mit Archivfundstelle. 217 BSĖ 1952, Tom 15: “Evropa”, p. 424, Bild 1 mit entsprechender Legende. 218 Im Original: “(…) kak nekoe otstuplenie Zapada ot krajne agressivnogo kursa”. Nach Filitov 2001: 132 Fn. 26 mit Archivfundstelle.
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„Europarat“ gemeint war, der sich mit „humanitären Fragen“ befasste, und erst in zweiter Linie gegen die Pläne zur wirtschaftlichen Integration.219 Die offizielle Haltung der sowjetischen Regierung wurde am 22. Oktober 1950 in der Prager Erklärung der Aussenminister der UdSSR, Albaniens, Bulgariens, Ungarns, Polens, Rumäniens, der Tschechoslowakei und der DDR dargelegt. Die Bildung der EGKS bezwecke die Wiedergeburt des militärisch-industriellen Potenzials Westdeutschlands „(…) zum Ziel der Vorbereitung eines neuen Kriegs in Europa und der Anpassung der westdeutschen Wirtschaft an die Pläne des angloamerikanischen Blocks“.220 Zubok zitiert einen Zeitzeugen, der vierzig Jahre später die eingeschränkte sowjetische Wahrnehmung so zusammenfasst: „Focusing on the ideological prophecies of capitalist contradictions, Soviet authorities did not understand according to Kornienko, the potential significance of the efforts of people like Jean Monnet and Ludwig Erhard, directed at economic, financial and cultural integration well beyond the exigencies of the Cold War.“221 Čubar’jan erkennt 2006 aus der historischen Distanz eine „Arbeitsteilung“ zwischen dem „Theoretiker“ Jean Monnet, einem „gesellschaftlichen Akteur, Schriftsteller und Publizisten“ in der „Tradition von Rousseau, Kant, und noch früher Sully, von Podiebrad“, und dem parallel tätigen „Motor“ Robert Schuman, der als französischer Minister den konkreten Plan zur EGKS vorlegte.222 Die erfolgreiche Umsetzung des Schuman-Plans im März und April 1951 veränderte die Lage. Argumente zur Gegenpropaganda mussten entwickelt werden, die in der sowjetischen Note vom 11. September 1951 an die französische Regierung und in einem „Pravda“-Artikel vom 22. September 1951 mit einem charakteristischen Schlusssatz gipfelten: „Der Schuman-Plan ist Krieg! Der Schuman-Plan bedeutet Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger!“223 Die „Pravda“ vom 15. September 1951 unterstellte dem Schuman-Plan, die „Spaltung Deutschlands verewigen“ zu wollen.224 219 Filitov 2001: 132f., der auch anmerkt, dass der Begriff “Integration” damals noch nicht verwendet wurde. 220 Zitiert nach Egorova 2003c: 199, mit Archivfundstelle, im Original: „(...) v celjach podgotovki novoj vojny v Evrope i prisposoblenija zapadnogermanskoj ėkonomiki k planam anglo-amerikanskogo bloka“. 221 Zubok 1999: 90. Interview von Zubok im Frühjahr 1990 mit Georgij Kornienko, in den 1950er Jahren Analytiker im Informationsausschuss und in der Informationsabteilung des ZK der KPdSU. 222 Čubar’jan 2006: 283f. 223 Artikel von Ju.Žukov, im Original: „Plan Šumana – ėto vojna! Plan Šumana – ėto bezrabotica, niščeta, golod!” Nach Filitov 2001: 133, gemäss Fn. 27 zitiert nach Zueva 1995: 60f. 224 Zueva 1995: 62.
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Die gemäss Filitov einzige Historikerin (Zueva 1995), die sich mit dem Verhältnis der Sowjetunion zum Schuman-Plan befasste, gibt keine Antwort auf die Frage, ob die Einschätzung der militärischen Komponente des Schuman-Plans nur Einbildung war oder eine reale Grundlage besass. Zueva sieht in den westlichen Erklärungen „Anlass“ zur Annahme, dass ein Zusammenhang mit der Remilitarisierung Deutschlands bestehen könnte, was sowjetische Zeitgenossen „nicht ohne Grund“ vermuteten. Die einseitige Einschätzung in Moskau sei lediglich in einem Punkt gerechtfertigt: gemäss dem Potsdamer Abkommen müsse die deutsche Stahlproduktion und der Kohle- und Stahlhandel mit der sowjetisch besetzten Zone von den vier Mächten und nicht von der EGKS kontrolliert werden.225 Filitov hält aus zumindest europhiler Warte entgegen, dass es sich von sowjetischer Seite um „hundertprozentig falsche und nicht überzeugende Propaganda“ gehandelt habe, und führt an, dass Monnet selbst den Plan als Mittel zur Neutralisierung oder zumindest Begrenzung des Einflusses des Kalten Krieges auf die Lage in Europa betrachtete. „Jedenfalls denken wir, dass der traditionelle Stempel eines „Europas der Monopole“ für die Charakteristik der Ziele und des Wesens der europäischen Integration in der Nachkriegszeit kaum adäquat zur Realität ist.“226 Im Oktober 1950 regte der französische Premierminister Pleven an, analog zum Schuman-Plan, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu gründen. Das Projekt scheiterte bekanntlich im August 1954 am Veto der französischen Nationalversammlung, die keine deutsche Wiederbewaffnung wünschte. In der „Pravda“ vom 10. September 1954 wurde daraufhin der Sieg der „patriotischen Kräfte“ gefeiert. Diese Entwicklung ebnete letztlich den Weg zur Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die NATO und provozierte kurz darauf die Gründung des Warschauer Pakts (mit u.a. der DDR als Mitglied), sie ebnete aber auch den Weg zur raschen Umsetzung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – ohne militärischen Ballast.227 Sowohl der Schuman-Plan wie der Pleven-Plan wurden in Moskau fast ausschliesslich im Zusammenhang mit Remilitarisierungsbestrebungen für Deutschland gesehen: „Man kann festhalten, dass die Verbindung dieser Pläne mit dem allgemeinen langfristigen Prozess der europäischen Integration in sowjetischen Dokumenten dieser Zeit nicht festgestellt wurde.“228 V. Razmerov, Historiker am IMEMO RAN, zählt denn auch alleine zwischen März 1947 und 225 Zueva 1995: 57f. 226 Im Original: “Vo vsjakom slučae tradicionnyj štamp o ‘Evrope monopolij’ dlja charakteristiki celej i suščnosti poslevoennoj evropejskoj integracii, dumaetsja, vrjad li adekvaten real’nosti.” Nach Filitov 2001: 134, Fn. 30. 227 Mueller 2009b: 622. 228 Čubar’jan 1995: 1135, im Original: „Možno utverždat’, čto svjaz’ ėtich planov s obščim dolgosročnym processom evropejskoj integracii ne byla otmečena v sovetskich dokumentach togo vremeni.“
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November 1951 fünfzehn Dokumente, welche die deutsche Frage thematisieren: Erklärungen und Noten, darunter auch die „Stalin-Note“ vom März 1952.229 Noch 1963 stellte eine Publikation die EVG wie folgt dar: „Hauptziel der EVG sollte die Vorbereitung eines Krieges gegen die UdSSR und andere sozialistische Länder werden. (…) Nebst der angegebenen äusseren Funktion, besass die EVG noch eine weitere – innere Funktion. Sie präsentierte sich als Klassenbündnis der Imperialisten verschiedener Länder zur Unterdrückung der demokratischen Kräfte Westeuropas, welche gegen die soziale Bedrückung kämpfen.“230 Eine Fehleinschätzung unterlief den sowjetischen Fachleuten bei der Einschätzung der ökonomischen Auswirkungen der EVG: Ausgehend vom sowjetischen Rüstungsanteil von 70 Prozent des BIP mutmassten sie, dass die EVG-Mitglieder durch die supranationale Kontrolle ihrer Rüstungsindustrie ihre ökonomische Unabhängigkeit in bedeutendem Masse verlieren würden. Bei den 2 bis 3 Prozent, die der Anteil der Rüstungsindustrie aber in den westlichen Staaten ausmachte, bestand diese Gefahr nicht.231 Razmerov, der selbst in dieser Zeit publizierte und zu den Autoren der IMEMO-Thesen über die europäische Integration in der „Pravda“ gehörte (vgl. unten), kommentiert lakonisch die Befindlichkeit seiner Historikergeneration, die von der Stagnationsperiode nach dem „Tauwetter“ geprägt worden sei: „Nicht die Autoren, sondern der ganze Umstand der Epoche ist schuld daran, dass sie nicht schrieben, was sie sahen.“232 Am 11. September 1951 übermittelte die sowjetische Regierung der französischen Regierung eine Note, in welcher der Schuman-Plan äusserst negativ bewertet wurde, da er und der Pleven-Plan die Remilitarisierung Westdeutschlands beförderten.233 In einer der ersten Fassungen der „Stalin-Note“ von 1952 zur deutschen Frage findet sich eine bemerkenswerte Formulierung zur EGKS: „Die Kohle- und Stahlindustrie Deutschlands darf nicht eingebunden werden in irgendwelche weltumspannenden oder europäischen Vereinigungen, die verbunden sind mit der Realisierung aggressiver Pläne der Mitglieder dieser Vereinigungen und die
229 Razmerov 1995: 136. 230 Im Original: „Glavnoj cel’ju EOS dolžna byla stat’ podgotovka vojny protiv SSSR i drugich sočialističeskich stran. (...) Pomimo ukazannoj vnešnej funkcii, EOS imelo i druguju – vnutrennjuju funkciju. Ono predstavljalo soboj klassovyj sojuz imperialistov različnych stran dlja podavlenija demokratičeskich sil Zapadnoj Evropy, borjuščichsja protiv social’nogo gneta.“ Nach Razmerov 195: 136, Fn. 15 mit Quellenangabe: Mežudnarodnye otnošenija posle vtoroj mirovoj vojny (Internationalen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg), tom 2, Moskva, 1963, p. 551. 231 Razmerov 1995: 138. 232 Razmerov 1995: 139. Im Original: „Ne avtory, a vsja obstanovka ėpochi vinovata v tom, čto oni pisali ne to, čto videli.” 233 Zueva 1995: 60f., zur Entstehung der Note ebenda p. 58ff. mit Archivfundstelle.
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eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit der Völker erzeugen.“234 Über mehrere Entwurfsstadien blieb die Passage stehen: Sie wurde von Molotov zwar als zu nahe am Agitprop-Stil der Presse eingestuft, figurierte aber schliesslich noch im Entwurf vom 20. Januar 1952. Im an Stalin gerichteten, vom stellvertretenden Aussenminister Gromyko unterzeichneten Paket, fehlte sie jedoch. In den „Grundlagen für einen Friedensvertrag mit Deutschland“, die der Note vom 10. März 1952 an die Regierungen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs beigefügt wurden, war sie nicht mehr enthalten. Filitov hält mit der Entfernung der „Anti-Integrations“-Passage sowohl einen taktischen Zug zur Stimulierung von Widersprüchen unter den Imperialisten für möglich, wie auch eine Hinwendung zu einem “antiamerikanischen Europäismus“, war Stalin doch überzeugt, dass ein Konflikt mit den USA immer unausweichlicher würde. In einem Vortrag von Berija im November 1951 wurde der Schuman-Plan ebenfalls noch negativ erwähnt – im Bericht an den 19. Parteitag im Oktober 1952 war davon keine Rede mehr. Falls es eine proeuropäische Tendenz gab, so wich sie nach Stalins Tod einer Reorientierung auf die USA und die NATO, bis hin zur taktischen Andeutung Molotovs, dass die Sowjetunion letzterer beitreten könnte, wie dies in der sowjetischen Note vom 31. März 1954 bestätigt wurde. Die europäische Einigung, erst recht mit dem Versuch der Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, unterlag weiterhin propagandistischem Sperrfeuer. Die sowjetische Haltung in militärisch-politischen Fragen mochte wechseln: Beim Prinzip der Supranationalität und ihrer Verkörperung auf wirtschaftlichem Gebiet blieb sie unverändert negativ.235 Das „Informationskomitee“ im MID analysierte am 1. August 1952 zuhanden von Stalin „the divergences in the imperialist camp on the so-called issue of the ‚unification of Europe’“. Während richtigerweise festgestellt wurde, dass der Bundestag die Abkommen von Paris und Bonn wohl problemlos ratifizieren würde, wurde Stalins theoretischem Konzept die Reverenz erwiesen: Obwohl die USA die westlichen Ländern dazu brächten, der EGKS und der EVG beizutreten, nahmen sie an, dass jeder praktische Schritt zur Umsetzung dieser Abkommen zu einer Verschärfung der Widersprüche zwischen den teilnehmenden Ländern, insbesondere zwischen den USA und Grossbritannien, führen würde.236 In ironischer Ideologiekritik bilanziert Gračev: „(…), Stalin and his subordinates underestimated the potentially favourable opportunity for the Soviet Union 234 Im Original: “Ugol’naja i stalelitejnaja promyšlennost’ Germanii ne dolžna vključatsja ni v kakie vsemirnye ili evropejskie ob-edinenija, svjazannye s realizaciej agressivnych planov učastnikov ėtich ob-edinenij, sozdajuščich ugrozu miru i bezopasnosti narodov.“ Nach Filitov 2001: 135, Fn. 32 mit Archivfundstelle. 235 Filitov 2001: 136ff.; Zueva 1995: 62. 236 Zubok 2002: 175f. mit Archivfundstelle.
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to encourage the integration of a Europe, that could evolve – in the long run – into an autonomous, political and strategic unit that would occupy an intermediate position between the USA and the USSR. Indeed, one may say that, like Bolsheviks, they turned out to be poor Marxists, since they were evidently giving absolute priority to politics over the economy.”237 Intensiv mit den wirtschaftspolitischen Vorschlägen jener Zeit aus sowjetischer Feder beschäftigt sich Lipkin.238 Seiner Ansicht nach wird der Moskauer Wirtschaftskonferenz (Moskovskoe ėkonomičeskoe soveščanie, MĖS) vom April 1952 bisher zu wenig Beachtung geschenkt, stelle sie doch „einen ersten Versuch“ dar, „den ‚Eisernen Vorhang’ zu öffnen und eine Entwicklung der insbesondere militärisch-politischen Integration der Länder Westeuropas abzuwenden, indem Handel als Mittel der friedlichen Koexistenz verkündet wird“.239 Die MĖS vereinigte 450 Vertreter aus 47 (auch kapitalistischen) Ländern, das Initiativkomitee traf sich 1951 in Kopenhagen, und das Büro des Komitees zur Förderung des internationalen Handels wurde im November 1952 in Wien eingerichtet. In jedem Land bereitete ein nationales Vorbereitungskomitee die Konferenz vor, in der Sowjetunion war dies das von V. G. Grigor’jan geleitete aussenpolitische Komitee des ZK der KPdSU. Westliche Delegierte forderten in den Vorbereitungssitzungen, dass die Konferenz keinen politischen Charakter haben und nicht mit der Friedensbewegung verknüpft werden solle. Von sowjetischer Seite wurde jeder Beitrag mehrfach redigiert und vom ZK-Komitee abgesegnet: Im Fokus standen Frankreich, Deutschland und Grossbritannien. Die USA führten im März 1952 eine „Gegenkonferenz“ durch und behinderten gemeinsam mit anderen westlichen Staaten die Moskauer Konferenz: Der französische Aussenminister Schuman rief in einem Brief dazu auf, die Teilnahme an der Konferenz zu überdenken und ihr fernzubleiben. Lipkin kommt zum Schluss, dass die Vorschläge zur Ausweitung des OstWest-Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit schon unter dem „späten“ Stalin das Prinzip der friedlichen Koexistenz des sozialistischen und des kapitalistischen Systems erkennen liessen. Als Konferenzergebnisse wurden unter anderem ein Pakt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Regierungen aller Länder sowie ein Komitee zur Förderung des internationalen Handels vorgeschlagen, welches der UNO-Generalversammlung rapportieren sollte. „Ohne ersichtliche Gründe“ (Lipkin) distanzierte sich die sowjetische Seite kurz darauf von der Arbeit des Komitees und noch vor Einberufung der Folgekon237 Gračev 1999: 35. Vgl. oben Kapitel 3. 238 Lipkin 2009a sowie in gekürzter englischer Fassung 2009b. Hier und im Folgenden Lipkin 2009a: 48-52, mit zahlreichen Archivfundstellen. 239 Lipkin 2009a: 52, im Original: „Ėta byla pervaja popytka priotkryt’ ‚železnyj zanaves’ i predotvratit’ razvitie, prežde vsego, voenno-političeskoj integracii stran Zapadnoj Evropy, provozglasiv torgovlju sredstvom mirnogo sosuščestvovanija.“
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ferenz in Prag im Dezember 1952 vollzog Moskau eine Kehrtwende. Als Grund vermutet Lipkin das wachsende Misstrauen Stalins in seinen letzten Lebensmonaten, und insbesondere die Kampagnen gegen Kosmopoliten und Mitstreiter, welche die Suche nach einer Zusammenarbeit mit dem Westen zu riskant erscheinen liessen. Ein zweiter Grund lag offensichtlich darin, dass die Konferenz die in sie gesetzten Erwartungen zur Aufnahme eines Dialogs mit westlichen Geschäftskreisen nicht erfüllte – nicht zuletzt aufgrund des Widerspruchs zwischen Stalins interner anti-westlicher Kampagne und seinem vergeblichen Versuch, die UdSSR in der Weltöffentlichkeit in positivem Licht erscheinen zu lassen. Von Stalin übernahm Chruščev nach dessen Tod weitgehend „the same dogmatic and suspicious approach towards the European integration process“ (Gračev), sah in ihr vor allem eine Stärkung der ökonomischen Basis der NATO. Im Unterschied zu Stalin glaubte er, dass in friedlicher Koexistenz und im Rahmen von gesamteuropäischen Kooperationsstrukturen ein reformierter „Gulaschkommunismus“ erreichbar wäre.240 Infolge des voranschreitenden westeuropäischen Integrationsprozesses ab Mitte der 1950er-Jahre sollten Vorschläge zur Förderung des Ost-West-Handels und der Schaffung einer neuen internationalen Handelsorganisation zum Leitmotiv der Ära Chruščev werden. So unterbreitete die Sowjetunion im April 1955 den Vorschlag für eine gesamteuropäische Wirtschaftszusammenarbeit in der UNO-Unterorganisation ECE (Economic Commission for Europe) – einer „Bühne zur Präsentation derartiger Vorschläge“ (Mueller). Lipkin bemerkt nüchtern, dass die ECE in den letzten Jahren unter Stalin lediglich zur Kritik am Marshallplan genutzt wurde, dass die Bedeutung des Gremiums nach Stalins Tod jedoch deutlich zunahm.241 Im April 1956 folgten drei neue sowjetische Vorstösse für eine gesamteuropäische wirtschaftliche Zusammenarbeit und für die gemeinsame friedliche Nutzung der Atomenergie – zur „Unterminierung“ der westlichen Zusammenschlüsse (Mueller) – immer unter der nachhaltigen Betonung der Souveränität der beteiligten Staaten Europas.242 Das Schlüsselproblem stellte für Moskau in dieser Zeit jedoch die deutsche Frage, das Problem der Wiederbewaffnung und der Reintegration Westdeutschlands in die westliche Allianz, dar. Ein Bericht des Generalsekretariats des ZK der KPdSU vom 7. Dezember 1955, verfasst von I. Bakulin, legt hiervon klares Zeugnis ab: „Une collaboration étroite des pays d’Europe occidentale au sein d’une ‚Europe unie’ amènera obligatoirement à la fin des alliances contractées par l’Angleterre et la France avec l’URSS, ainsi qu’à la fin des alliances contractées entre l’Angleterre
240 Gračev 1999: 36. 241 Lipkin 2009: 53. 242 Mueller 2009b: 622f. mit Archivfundstelle, Lipkin 2009: 52ff. mit Archivfundstellen
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et la France, toutes bâties pour prévenir la renaissance du militarisme allemand.“243 1986 interpretiert Baranovskij, dass der Misserfolg der militärischen und politischen Einigungsversuche in den 1950er-Jahren zur Rückkehr in die Sphäre der wirtschaftlichen Integration zwang.244 Die ersten wissenschaftlichen Beiträge zur EGKS erschienen 1956 und 1960, jedoch tendenziös und ideologisiert, überladen mit riesigem statistischem Datenmaterial. Die Arbeiten hatten nur die bereits feststehende These zu stützen, dass die EGKS die Spaltung Europas vertiefe und die imperialistischen Widersprüche verschärfe. In einer Darstellung der französischen Aussenpolitik aus dem Jahr 1959 (Autor: N. N. Molčanov) wurden zwar positive Auswirkungen der EKGS auf Frankreich nicht verschwiegen, dass negative Fazit jedoch mit der Stärkung der Stellung Deutschlands zum Schaden Frankreichs belegt. Erst im Laufe der Zeit sollte sich die Bewertung der EGKS ändern, so zitiert Zueva das Standardwerk von Maksimova aus dem Jahr 1971 mit den Worten: Die EGKS wurde „als das erste Projekt einer ökonomischen regionalen Integration“ bezeichnet, welche einen Präzedenzfall auf dem Weg des Integrationsprozesses geschaffen habe.245 Ein Jahr später enthält die dritte Ausgabe der Grossen Sowjetenzyklopädie erstmals Beiträge zur EGKS, zu Euratom und zur EWG, welche letztere zwar scharfer ideologischer Kritik unterziehen, jedoch im gleichen Zug darauf hinweisen, dass die anfänglich von den USA unterstützte „staatskapitalistische Organisation“ zu einem „starken Konkurrenten der USA“ geworden sei.246 Im Gegensatz zur zeitgenössischen Sicht eines temporären, krisenbedingten Wirtschaftsbündnisses qualifiziert E. Čerkasova, Historikerin am IMEMO RAN, 1995 die Römer Verträge als „ein langfristiges Programm der ökonomischen und politischen Integration der teilnehmenden Staaten, eine Vereinigung ihrer Märkte, eine abgestimmte Wirtschafts- und später auch Aussen- und Verteidigungspolitik“.247 Waren die Gründe für die negative sowjetische Reaktion ausschliesslich ideologischer Natur oder entsprachen sie auch realen nationalen Interessen? Čerkasova unterscheidet einen politisch-propagandistischen und einen wissenschaftlich-ideologischen Ansatz. Für ersteren steht die Gleichsetzung von EWG und Euratom als „zwei neue Filialen der NATO“, für letzteren die Theorie einer Verschwörung des westlichen Imperialismus gegen die Sowjetunion.248 Das wissen243 244 245 246 247
Zitiert nach Vassilievna 2008: 418, mit Archivfundstelle. Baranovskij 1986: 11 Zueva 1995: 63f. BSĖ 1972, Tom 9, „Evropejskoe ėkonomičeskoe soobščestvo“, p. 28f., hier Spalte 74. Im Original: „(...) dolgosročnuju programmu ėkonomičeskoj i političeskoj integracii vchodjaščich v nego gosudarstv, ob-edinenie ich rynkov, soglasovannuju ėkonomičeskuju, a pozdnee vnešnjuju i oboronnuju politiku.“ Nach Čerkasova 1995: 160. 248 Čerkasova 1995: 161f.
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schaftliche Fundament lieferten die Experten des 1956 gegründeten Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO) auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und den entsprechenden Lenin-Referenzen. „Es gab keine einzige Monographie, keinen einzigen Artikel, keine einzige Rede, in der sie nicht in diesen oder jenen Kombinationen zitiert worden wären“, fasst Čerkasova zusammen. Der Begriff „Integration“ wurde in Anführungszeichen gesetzt und stets mit dem Attribut „imperialistisch“, später auch „westeuropäisch“ versehen. Sowjetische Experten betrachteten Integration als reaktionäre Erscheinung, welche die Situation der Arbeiterklasse verschlechtert und die Wirtschaft militarisiert; ihr als Alternative gegenüber gestellt wurde die gesamteuropäische Zusammenarbeit. 249 Die Gründer der EWG sprachen, so Čubar’jan 2006, oft von „Vereinigten Staaten von Europa“, um die historische Verbindung mit Projekten der Vergangenheit und mit der zukünftigen Perspektive zu unterstreichen: “Anfänglich waren R. Schuman, De Gasperi und weitere Ideologen (sic! Anm. M.W.) der westeuropäischen Integration bereit in ihren föderalen Plänen soweit zu gehen, dass sie beabsichtigten, staatliche Institutionen durch supranationale Organe zu ersetzen. (…) Gemäss der Logik dieser Europäisten, sollte das ‚Europa der Vaterländer’ den Platz einem ‚europäischen Vaterland’ überlassen.“ 250 Im Januar 1957 veröffentlichte IMEMO in seiner institutseigenen Zeitschrift 17 Thesen über die Gründung des Gemeinsamen Marktes und des Euratom, welche für fünf Jahre die ideologische Generallinie definierten.251 Die Römer Verträge werden darin als „Monopole“ dargestellt, mit denen die „Klasseninteressen der Ausbeuter“ verteidigt werden. Die „geschlossene Gruppierung“ hege aggressive Absichten gegen die sozialistischen Länder. Der westdeutsche Imperialismus nutze die EWG zur Stärkung seines kriegswirtschaftlichen Potenzials und strebe den Besitz von Atomwaffen an. Kleinere Unternehmen würden vernichtet, die Arbeitslosigkeit steigen, die Landwirtschaft geschädigt werden. Unter dem Begriff „Euroafrika“ verberge sich Neokolonialismus. Schliesslich sei die EWG eine neue Form der „Heiligen Allianz“ des 19. Jahrhunderts, vorangetrieben von klerikalen Kreisen. Bis März 1957 schloss sich in der Zeitschrift „Novoe vremja“ (Neue Zeit) eine „bemerkenswerte“ (Mueller) Debatte über das neue Phänomen der EWG an, die vor allem „Uneinigkeit über die Zukunft“ dieses in den Thesen als „temporäres 249 Čerkasova 1995: 163f. 250 Čubar’jan 2006: 286, im Original: „Pervonačal’no R. Šuman, De Gasperi i drugie ideologi zapadnoevropejskoj integracii byli gotovy idti v svoich federalistskich planach stol’ daleko, čto namerovalis’ zamenit’ gosudarstvennye instituty nadnacional’nymi organami.” 251 „O sozdanii ‚obščego rynka’ i Evratoma (Tezisy)“. In: Mirovaja ėkonomika i meždunarodnye otnošenija, Moskva, 1957, No. 1, pp. 83–96 und in: Kommunist, Moskva, 1957, No. 9. Hier zitiert nach der Wiedergabe von Schulz 1975: 75f. Franz. Fassung bei Dutoit 1964: 183–207. Vgl. Binns 1978: 246f.
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Bündnis“ qualifizierten Organismus zutage förderte. Hielten es einige Experten angesichts innerer Gegensätze für aussichtslos, so bezeichnete es der bereits erwähnte Varga als „Ausdruck einer objektiven Tendenz des Monopolkapitalismus“.252 Das sowjetische Aussenministerium suchte die Römer Verträge zu verhindern, entsprechende Vorschläge bestätigte das ZK der KPdSU am 13. März 1957. 253 Die folgende Note vom 16. März „prangerte EWG und EURATOM als Gefahr für die gesamteuropäische Zusammenarbeit an“. Diese „letzte ernsthafte Initiative zur Verhinderung der Römer Verträge“ schlug dem Gremium der ECE vor, gesamteuropäisch in der Atomforschung, Energieversorgung sowie bei Handel und Wirtschafts- und Finanzfragen zusammenzuarbeiten. Die Vorschläge blieben in den Folgejahren auf der Tagesordnung der ECE und wurden 1959 und 1960 mit neuen Vorschlägen zur Entwicklung des Ost-West-Handels, ja zur Bildung einer gesamteuropäischen Handelsorganisation ergänzt.254 Als mit G. F. Saksin das sowjetische Aussenministerium den stellvertretenden Exekutivsekretär der ECE stellte, schlug die Sowjetunion zusätzlich vor, in den Kreis der Länder aufgenommen zu werden, die die Bildung der OEEC vorantrieben, ein Begehren, das unter Verweis auf die sowjetische Planwirtschaft abgelehnt wurde.255 Die Zeit für eine Neuausrichtung der sowjetischen Expertise war gekommen.
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4.2.1 Die 1960er-Jahre
Das Inkrafttreten der EWG 1958 löste in der Sowjetunion intensive Debatten aus, in welchen die „meždunarodniki“, die Spezialisten der internationalen Beziehungen, neue Ansätze zu erschliessen suchten, auch wenn man mit Čerkasova feststellen muss, dass „es weder aus Dokumenten parteilichen-politischen Charakters und noch nicht einmal aus wissenschaftlichen Publikationen möglich war, eine irgendwie klare Vorstellung über das Wesen des Römer Vertrages zu gewinnen, über den konkreten Inhalt seiner Artikel, denn das Gewicht wurde lediglich auf die negative Bewertung gelegt“.256 Auch Lipkin konstatiert: „In den 1950er252 Mueller 2009b: 623f.;Törnudd 1961: 149f.; Borko 1997a. 253 Hier und im Folgenden Mueller 2009b: 624ff. Fn. 31 verweist auf eingeschränkten Archivzugang hierzu. Eingehend dazu auch Lipkin 2009. 254 Ausführlich zu den sowjetischen Initiativen in der ECE: Lipkin 2009: 52–54. 255 Lipkin 2009: 54f., vgl. dort Fn. 32: Ein Aufnahmeantrag in die heutige OECD wurde erst 1996 gestellt. 256 Čerkasova 1995: 166, im Original: „Zdez’ sleduet podčerknut’, čto ni iz dokumentov partijno-političeskogo charaktera, ni daže iz naučnych publikacij bylo vozmožno sostavit’ skol’ko-nibud’ jasnoe predstavlenie o suščnosti Rimskogo dogovora, konkretnom
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Jahren verstand kaum jemand das Phänomen der europäischen Integration im modernen Sinn.“ Nicht verwunderlich deshalb, dass sie nicht als Bedrohung für die wirtschaftlichen Interessen der Sowjetunion, sondern als verdeckte Vorbereitung eines dritten Weltkrieges gesehen wurde, was in Anbetracht der politischen Zielsetzungen und der Projekte wie EVG und EPG nicht ungerechtfertigt gewesen sei.257 Westeuropäische Länder wurden als „subordinate players in the main political game of the superpowers“ betrachtet, fasst Gračev ein Kontinuum sowjetischer Aussenpolitik zusammen, die von Stalin bis Gorbačev massgeblich von einer Person, Andrej Gromyko, geprägt wurde: „This explains why at no moment after the Second World War did the Soviet leadership recognise Western Europe as an independent, still less as an equal partner.“Darin liege der ursächliche Grund für „both Soviet neglect, and its sometimes striking misinterpretation of the nature of the process of European integration.“258 Gromyko, mit seiner „virtual monopoly rule (…) over the management of Soviet foreign policy“ sei ein Hauptgrund für die simplifizierende Sicht gewesen: “Incapable of understanding, and obstinately refusing to accept any reality that would contradict his pre-set schemes, the Soviet foreign minister was largely responsible for the neglect shown by the USSR to the very existence of the EEC, as well as to the important perspectives that the process of integration was opening to an evolution of the European community.”259 Zu Beginn des Jahres 1958 zeichnete sich im sowjetischen Aussenministerium ein „völliger Kurswechsel“ (Mueller) ab, der einen „neuen taktischen Zugang zur entstehenden Freihandelszone“ (der später gescheiterte Plan Macmillans in der OEEC) und „maximale Flexibilität“ forderte. Gegenüber der EWG sei die taktische Linie freundlicher zu gestalten, um sie in ein „Instrument“ für einen Kampf gegen den Einfluss der USA in Europa zu verwandeln, denn europäische Zusammenschlüsse könnten auch zur Schwächung des US-Einflusses in Europa dienen.260 Die EFTA als Ersatz für die gescheiterte grosse Freihandelszone wurde bis in die 1970er-Jahre als „Gegengewicht zur EWG interpretiert“, welches aufgrund „innerkapitalistischer Gegensätze“ gegründet worden sei.261 Aus französischer Sicht skizzierte de Gaulle am 13. August 1958 erstmals seine Idee eines zukünftigen vereinten Europas, im Sinne eines politischen Gegenpols zu den USA. Ein Jahr später, am 20. August 1959, fasste der sowjetische Botschaf-
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soderžanii ego statej, a upor delalsja liš’ na ego otricatel’nyj ocenke.“ Vgl. Borko 1997, Neumann 1996: 132ff. und Newton 2003: 14 und 31. Lipkin 2009: 63f, im Original: „V 1950-e gody malo kto ponimal fenomen evropejskoj integracii v sovremennom smysle.“ Gračev 1999: 32. Gračev 1999: 39. Zitate nach Mueller 2009b: 626f.., Fn. 37 mit Literatur- und Archivangaben. Mueller 2009b: 628.
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ter in Paris, Sergej Vinogradov, die bis dahin bekannten Informationen in einem Schreiben an das MID zusammen: „In seinem Bestreben, Frankreichs Rolle in den internationalen Beziehungen zu stärken, und ohne über die unerlässlichen eigenen Mittel zur Erreichung dieses Ziels zu verfügen, versucht de Gaulle sich auf die Kraft und den Einfluss der Länder des westeuropäischen Kontinents zu stützen. De Gaulle strebt zu diesem Zweck die Schaffung eines kontinentalen Blocks unter der Ägide Frankreichs an, die Anerkennung seiner Rolle als Interessenvertreter.“ Ziel sei „die Bildung, aus den kontinentalen Ländern Westeuropas und unter Führung Frankreichs, der viel zitierten ‚dritten Kraft’ in Bezug auf die UdSSR und die USA, einer Art kontinentalen Blocks, der in der Lage ist, dem angelsächsischen Diktat in der NATO zu widerstehen.“262 Dies könnte durch eine Weiterentwicklung der Römer Verträge hin zu einer politischen Gemeinschaft geschehen. Am 5. September 1961 erstattete Vinogradov erneut Bericht an das MID und wies im Abschnitt über „politische Massnahmen des Gemeinsamen Marktes“ auf die „Anwesenheit einer ernsthaften Opposition gegenüber den französischen Plänen von Seiten der übrigen Teilnehmer am ‚Gemeinsam Markt’“ hin.263 Schliesslich waren sich der Botschafter und das MID einig, dass die Realisierung von de Gaulles Plänen, nota bene gestützt auf eine deutsch-französische Achse, von ihrer Natur und ihren Zielsetzungen aus gegen die Sowjetunion gerichtet seien. Arzakanjan (1995) untersucht de Gaulles Pläne für ein geeintes Europa in den Jahren 1958–62 und die Position, die die sowjetische Regierung diesen gegenüber einnahm. Bis heute besonders interpretationsbedürftig erwies sich aus russischer Sicht dabei die von de Gaulle seit 1950 wiederholt verwendete Wendung eines „Europa vom Atlantik bis zum Ural“, die sich wohl auf ein zukünftiges Europa ohne ideologische Gegensätze bezog.264 Am 20. September 1962 wurde dem französischen Botschafter in Moskau eine Note mit sarkastischem Unterton überreicht: „Die sowjetische Regierung schenkte der Äusserung des Präsidenten der französischen Republik, de Gaulle, Beachtung, in welcher darauf hingewiesen wurde, dass eines der Ziele der französisch-westdeutschen militärisch-politischen 262 Zitiert nach Arzakanjan 1995: 198, mit Archivfundstelle, im Original: „V svoem stremlenii podnjat’ rol’ Francii v meždunarodnych otnošenijach de Goll’, ne paspologaja neobchodimymi sobstvennami sredstvami dlja dostiženija ėtoj celi, pytaetsja operet’sja na silu i vlijanie stran zapadnoevropejskogo kontinenta. De Goll’ stremitsja v ėtich celjach dobit’sja sozdanija pod ėgidoj Francii kontinental’nogo bloka, priznanija za nej roli vyrazitelja ego interesov. (...) „sozdanija iz kontinental’nych stran Zapadnoj Evropy pod rukovodstvom Francii preslovutoj ‚tretej sily’ po otnošeniju k SSSR i SŠA, svoego roda kontinental’nogo bloka, sposobnogo protivostojat’ anglo-saksonskomu diktatu v NATO.“ 263 Zitiert nach Arzakanjan 1995: 199, mit Archivfundstelle, im Original: „naličie ser’eznoj oppozicii francuzskim planam so storony ostal’nych učastnikov ‚obščego rynka’“ Später auch bei Gračev 1999: 38. 264 Vgl. Mueller 2009b: 641; Rey 2005: 9ff.
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Vereinigung die Errichtung von irgendwelchen neuen Ordnungen in Europa ‚vom Atlantischen Ozean zum Ural“ darstellt, nach ‚Auflösung’, wie gesagt wird, ‚der überlebten Ideologie im Osten’. Man kann nicht umhin, die Aufmerksamkeit auch darauf zu richten, dass diese Äusserungen in Westdeutschland vor dem Hintergrund von revanchistischen und militaristischen Manifestationen gemacht wurden. Derartige Erwägungen müssen Analogien hervorrufen und an die traurige Vergangenheit erinnern, als in Hitler-Deutschland ebenfalls über Pläne zur Organisation Europas vom Atlantischen Ozean zum Ural gesprochen wurde, über die Errichtungen der berüchtigten ‚neuen Ordnung’ in Europa. (…) wenn man einräumt, dass in den Auftritten des Präsidenten der französischen Republik die Rede ist von der Organisation der Zusammenarbeit aller europäischen Staaten im Interesse von ‚Frieden und Fortschritt vom Atlantischen Ozean zum Ural’, dann taucht die Frage auf, warum in diesen Äusserungen nicht von der UdSSR als Ganzes gesprochen wird, sondern nur von einem Teil des Territoriums der Sowjetunion, nämlich vom Territorium bis zum Ural. Auf diese Weise bleibt unklar, was sich denn in Realität hinter derartigen Überlegungen verbirgt. Indem die genannten Erklärungen des Präsidenten der französischen Republik unmittelbar die Sowjetunion und ihr Territorium betreffen, möchte das Aussenministerium der UdSSR, handelnd im Auftrag der sowjetischen Regierung, vom französischen Aussenministerium eine Erläuterung erhalten, welcher Sinn in diesen Erklärungen liegt.“265 Ein Antwortentwurf wurde im Quai d’Orsay vorbereitet, aber vom Elysée nicht abgesegnet – und eine Antwort nie gegeben.266 265 Zitiert nach Arzakanjan 1995: 203, mit Archivfundstelle, im Original: „Sovetskoe pravitel’stvo obratilo vnimanie na zajavlenie Prezidenta Francuzskoj respubliki de Gollja vo vremja ego vizita v FRG, v kotorom ukazyvalos’, čto odnoj iz celej francuzsko-zapadnogermanskogo voennopolitičeskogo ob-edinenija javljaetsja ustanovlenie kakich-to novych porjadkov v Evrope ‚ot Atlantičeskogo okeana do Urala’ s ‚prekraščeniem’, kak govorilos’, ‚otživšej ideologii na Vostoke’. Nel’zja ne obratit’ vnimanie takže na to čto ėti vyskazyvanija byli sdelany v Zapadnoj Germanii v obstanovke revanšistskich i militaristskich manifestacij. Podobnye rasšuždenija ne mogut ne vyzvat’ analogii, ne napomnit’ o pečal’nom prošlom, kogda v gitlerovskoj Germanii tože govorilos’ o planach organizacii Evropy ot Atlantičeskogo okeana do Urala, ob ustanovlenii preslovutogo ‚novogo porjadka’ v Evrope. (...) esli dopustit’, čto v vystuplenijach Prezidenta Francuzskoj respubliki reč’ idet ob organizacii sotrudničestva vsech evropejskich gosudarstv v interesach ‚mira i progressa ot Atlantičeskogo okeana do Urala’, togda voznikaet vopros, počemu že v ėtich vystuplenijach govoritsja o SSSR ne kak o gosudarstve v celom, a liš’ o časti territorii Sovetskogo Sojuza, a imenno o territorii do Urala. Takim obrazom, ostaetsja nejasnym, čto že v dejstvitel’nosti skryvaetsja za takogo roda rassuždenijami. Poskol’ku ukazannye zajavlenija Prezidenta Francuzskoj respubliki kasajutsja neposredstvenno Sovetskogo Sojuza i ego territorii, MID SSSR, dejstvuja po poručeniju Sovetskogo pravitel’stva, chotel by polučit’ raz-jasnenie MIDa Francii, kakoj smysl’ vkladyvaetsja v ėti zajavlenija.“ 266 Lipkin 2009: 204 unter Bezugnahme auf eine Gesprächsnotiz der sowjetischen Botschaft in Paris Ende 1962, mit Archivfundstelle.
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Am 20. Parteitag der KPdSU prägte Chruščev die Parole der „friedlichen Koexistenz“. Anstelle von NATO und EG schlug die Sowjetunion am 15. Juli 1958 die Auflösung von sämtlichen Gruppierungen und Freundschaftsverträgen der europäischen Staaten untereinander vor.267 In der offiziellen Propaganda, so auch an den folgenden Parteitagen 1959 und 1961, stand jedoch weiterhin die Integration als Krise des „verfaulenden Kapitalismus“ im Mittelpunkt. EWG und NATO wurden gleichgesetzt und als Instrumente der Vorbereitung auf den Krieg qualifiziert. Ab 1959 wurde in der Folge von wissenschaftlicher Seite die erste Einschätzung der EWG vorsichtig revidiert und eingeräumt, dass die EWG zu funktionieren begonnen habe. An zwei Konferenzen im selben Jahr in Moskau und Prag bestätigte sich dieser Kurs, der den Gemeinsamen Markt als kapitalistische Reaktion auf objektive Gesetze der Wirtschaft bezeichnete, und als Alternative eine gesamteuropäische Wirtschaftszusammenarbeit und Atomgemeinschaft vorschlug.268 Gleichzeitig lobte Chruščev 1961 die bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten mit der Sowjetunion.269 Die Anerkennung des beginnenden Funktionierens eines gemeinsamen – kapitalistischen, westlichen – Marktes schloss nicht aus, weiterhin sich vertiefende „wirtschaftliche und politische Widersprüche“ und „soziale Tragödien“ zu identifizieren: Als Belege dienten Streikwellen in Frankreich und Italien. Erst zu Beginn des Jahres 1962 sollte der Graben zwischen doktrinär bedingten Vorhersagen und der Realität der Entwicklung der europäischen Integration überwunden werden.270 Dazu trugen die rasche Umsetzung der Römer Verträge, das wirtschaftliche Wachstum, die Senkung von Zöllen, das Wachstum des Warenaustausches innerhalb der EWG und nicht zuletzt gemeinsame aussenpolitische Auftritte der Mitgliedsländer bei.271 Chruščev publizierte im Juni 1962 einen Artikel in der Zeitschrift „Kommunist“ über „Wesentliche Fragen der Entwicklung des sozialistischen Weltsystems“ und sprach sich für eine Entwicklung des Aussenhandels mit kapitalistischen Ländern aus.272 Im Wettlauf der Systeme sei sowohl die sozialistische In267 Hier und im Folgenden: Schulz 1975: 77ff. Diskussion in der Zeitschrift „Mirovaja ėkonomika i meždunarodnye otnošenija“, 1959, Nr. 7-10. 268 Vgl. Mueller 2009b: 628f.; Neumann 1996: 137f. sowie Dutoit 1964: 45–47. Tagungsbeiträge in MEIMO 1959, Vol. 3, Nr. 7, 8, 9, 10 sowie in A. Rumjancev (otv. red.): Obščij rynok i rabočij klass, Moskva, 1960. 269 Im Rechenschaftsbericht am 21. Parteitag, nach Mueller 2009b: 630. 270 Dutoit 1964: 47f. 271 Čerkasova 1995: 166. 272 Nikita Sergeevič Chruščev: Nasuščnye voprosy razitija Mirovoj socialističeskoj sistemy. In: Kommunist, 1962, Vol 39, Nr. 12, pp. 3–26, sowie in: Problemy mira i socializma, Praga, 1962, Nr. 9, p. 6.. Deutsche Fassung in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, 1962, Vol. 5, Nr. 9, pp. 729-743. Vgl. Mueller 2009b: 636 und Dutoit 1964: 68-70 sowie Lipkin 2009: 56.
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tegration zu forcieren, als auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ländern unterschiedlicher Gesellschaftsordnung anzustreben. Auch die Idee der Entwicklung des RGW zu einem „Kontrahenten“ der EWG geht auf Chruščev zurück, als 1962 Programmdokumente zur vermehrten Spezialisierung und Arbeitsteilung innerhalb des RGW angenommen wurden.273 Im August 1962 schliesslich legte das IMEMO 32 revidierte Thesen „Über die imperialistische ‚Integration’ in Westeuropa (‚Gemeinsamer Markt’)“ vor, in denen Erfolge der EWG anerkannt wurden, so bei der Modernisierung und bei der Steigerung des Handels, und die den Gemeinsamen Markt betreffenden ECEVorschläge präzisiert wurden.274 Nur fünf Jahre nach den „17 Thesen“ mit ihrer systematischen Verurteilung des Gemeinsamen Marktes anerkannten die sowjetischen Spezialisten in den „32 Thesen“ die wirtschaftliche und politische Realität des Gemeinsamen Marktes. Die „Thesen“ wurden 1964 offiziell angenommen und von Chruščev gutgeheissen.275 In ihnen bildete die EWG eine „Realität“, was jedoch nicht bedeute, dass die westeuropäische Integration irreversibel sei, denn alle kapitalistischen Institutionen sind in marxistisch-leninistischer Sicht temporär. Im Unterschied zu 1957 wurde die politische und aggressive Komponente der westeuropäischen Integration stärker betont. 276 Für die Diskussion Mitte der 1960er-Jahre erhielten einige Schlüsselelemente Gewicht: Die „MikroIntegration“ (auch „private kapitalistische Integration“ auf Unternehmensebene) wird der „Makro-Integration“ (auch staatsmonopolistische Integration) auf Ebene der Staatswirtschaften gegenübergestellt, und die Steuerung/Regulierung des Integrationsprozesses wurde hervorgehoben.277 Im Unterschied zu 1957 wurde nicht mehr ausgeschlossen, dass Europa in Zukunft einmal ein eigenes, drittes „Machtzentrum“ (centr sily) nebst den USA und der UdSSR bilden könnte.278 Čerkasova wertet denn auch die Tatsache, dass die Bildung von drei Kräftezentren innerhalb des imperialistischen Systems – USA, EWG, Japan – anerkannt wurde, als wichtigste Veränderung in der Einstellung der sowjetischen Wissen273 Lipkin 2008b: 269. 274 Im Original: „Ob imperialističeskoj ‚integracii’ v Zapadnoj Evrope (‚Obščij rynok’)“. Erschienen in Pravda, 26.8.1962, pp. 3–4 und in der Zeitschrift. „Mirovaja ėkonomika i meždunarodnye otnošenija“. Vgl. Borko 1962, denn Borko bezeichnet sich 40 Jahre später als einen der Verfasser der 32 Thesen (Borko 2003: 5). Franz. Fassung bei Dutoit 1964: 211–235. Vgl. dann erst wieder die Thesen von 1988: Evropejskoe soobščestvo segodnja (1988). 275 Umfassenden Überblick über die sowjetische Diskussion zu den 17 Thesen von 1957 und den 32 Thesen von 1962 mit weiterführenden Literaturangaben geben Binns (1978) und Adomeit (1979). 276 Binns 1978: 252f. 277 Vgl. Adomeit 1979: 4f. 278 Binns 1978: 253.
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schaft zur „Integration“. Die Annahme, dass eine objektive Annäherung von nationalen Wirtschaften dort stattfindet, wo dazu günstige Voraussetzungen herrschten, führte so schon in den 1960er-Jahren zum sowjetischen Vorschlag, Kontakte zwischen der EWG und dem RGW zu etablieren.279 1960 interessierte sich die sowjetische Handelsvertretung für das ökonomische Bulletin der EWG, und ab 1962 kam es in der Folge zu ersten sowohl offiziellen als auch informellen Kontakten zwischen der EWG und der UdSSR, TASS-Korrespondenten wurden 1963 in Belgien und Luxemburg stationiert.280 Eine internationale Konferenz in Moskau vom 27. August bis 3. September 1962 nahm die „32 Thesen“ positiv auf. Mueller sieht in diesen Entwicklungen den Beleg für eine „weiterhin ideologiegeprägte und überwiegend negative, aber dennoch realistischere kritische Neueinschätzung, verbunden mit dem Angebot einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Blöcken“. Der Unterminierung des westlichen „Wirtschaftsblocks“ dienten weiterhin die Aufrufe zur gesamteuropäischen Wirtschaftszusammenarbeit in der ECE.281 Als am 14. Januar 1963 de Gaulle sein Veto gegen britische Beitrittsverhandlungen mit der EWG erhob, liess dies das sowjetische Interesse an Kontakten zwischen RGW und EWG „schlagartig sinken“.282 Generell trifft der Begriff „Stagnation“ im Verlaufe der 1960er-Jahre auch auf die Entwicklung des Verhältnisses zur EWG zu. Für Neumann kennzeichnet die Europadebatte eine „amazing inertia“, welche durch die gleichen Themen gekennzeichnet ist, die schon zehn Jahre zuvor diskutiert wurden.283 In einer Zeit der Krise der europäischen Integration begegnete Frankreich 1968 den sowjetischen Vorschlägen in der ECE mit einer gewissen Sympathie. Aufgrund einer gemeinsamen Inititative wurde an der 23. ECE-Session eine Resolution angenommen, in welcher die Mitglieder dazu aufgerufen wurden, alle möglichen Schritte zur Ausweitung des gesamteuropäischen Handels zu unternehmen.284 Ebenfalls der sowjetischen Politik entgegen kam Frankreich mit seiner Ablehnung einer Kontrollaufgabe für die Gemeinschaft in Bezug auf die Handelsbeziehungen zu den sozialistischen Staaten. Das zwischen Frankreich und der Sowjetunion abgeschlossene Handelsabkommen vom 26. Mai 1969 wurde vom EG-Kommissar Rey denn auch als „Bresche in die gemeinsame Politik der Gemeinschaft“ bezeichnet, welche nun für Jahre bilaterale Handelsbeziehungen ihrer Mitgliedsstaaten tolerieren musste.285 Lipkin sieht 279 280 281 282 283 284 285
Čerkasova 1995: 166f., Fn. 14 unter Bezugnahme auf die Pravda vom 26. August 1962. Hierzu im Detail: Lipkin 2009: 56f. Mueller 2009b: 638; vgl. Dutoit 1964: 61–67 sowie Borko 1997. Mueller 2009b: 639. Neumann 1996: 153ff. Lipkin 2009: 58 mit Archivfundstelle. Zitiert nach Lipkin 2009: 59, mit Archivfundstelle.
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jedoch darin nur einen kurzfristigen Erfolg der sowjetischen Diplomatie, erzwang doch der anhaltende Erfolg der westeuropäischen Integration und die Entspannung neue Mechanismen zur Realisierung aussenpolitischer Ziele auch im sozialistischen System. An der 25. Session des RGW wurde 1971 deshalb ein „Komplexprogramm zur weiteren Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen Integration der Mitgliedsländer des RGW“ verabschiedet. 4.2.2 Exkurs zum Begriff „Integration“
Der Begriff „Integration“ erhielt damit Eingang in die offizielle Terminologie auch des Ostens und rechtfertigt an dieser Stelle einen Exkurs zur Begriffsgeschichte. Die „Europäische Integration“ wurde von den USA gefördert, der Begriff aus der politischen Sprache der USA nach Europa importiert.286 „Der Begriff ‚Integration’ ist, wie Walter Dirks 1952 schreibt, für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa zu einem ‚politischen Leitwort’ geworden, über dessen Interpretation sich wesentliche Aspekte der Epoche erschliessen. Mit grosser identitätsstiftender Kraft ausgestattet, bezeichnet er bis heute den Generalnenner der westeuropäischen Nachkriegspolitik und ist mittlerweile auch in die Terminologie des Ostblocks eingedrungen.“287 Die Geburtsstunde des Begriffs fällt wohl in die Jahre 1947/1948, abgeleitet aus der ökonomischen Analyse der Situation in Europa, die als „economic disintegration“ bezeichnet wurde. Schumann übernimmt 1953 den „völlig neuen“ Begriff für die Ziele, die in der europäischen Bewegung eher unter „Föderation“ erfasst wurden. Figurierte der Begriff noch nicht in Marshalls Harvard-Ansprache, so setzte er sich anschliessend rasch bei der Umsetzung des ERP durch – gerade weil er Begriffe wie „federation“ oder „unification“ vermied: „program integration“, „organisational integration“, „integration of Western Germany“ und schliesslich: „closer integration of Western Europe“.288 In der Öffentlichkeit fand er nach der Rede des ERP-Administrators Paul Hoffmann mit dem Schlüsselbegriff „economic integration“ vor der OEEC am 31. Oktober 1949 nachhaltig Niederschlag. „Nach der Verkündung des Schuman-Plans am 9. Mai 1950 begann der Begriff auch in Europa seinen Siegeslauf. Allerdings bekam er nun eine veränderte Bedeutung: Er umschloß erstens die Forderung nach supranationalen Behörden, wurde zweitens regional auf einige westeuropäische Staaten und drittens sektoral auf Kohle und Stahl eingeengt.“ In Europa und vor allem in Frankreich erhielt „intégration“ ein sehr viel stärkeres institutionelles Gewicht:
286 Schmale 2008a: 151. 287 Herbst 1986: 163. 288 Hier und im Folgenden: Herbst 1986: 172ff.
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Frankreich ging es vor allem um die supranationale Kontrolle der deutschen Schlüsselindustrien Kohle und Stahl.289 In der sowjetischen Literatur tauchte der Begriff „Integration“ zunächst in Anführungszeichen in Bezug auf die westeuropäische Integration auf, ab 1965 zunehmend ohne Anführungszeichen,290 und regelmässig seit der 23. RGW-Tagung im April 1969, als beschlossen wurde, ein „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration“ zu erarbeiten. Bis dahin, so Schulz, „war das Wort Integration ein – bei Lenin ideologisch fundiertes – Schimpfwort gewesen, das sich lediglich auf die Integrationsvorgänge im ‚Imperialismus’, insbesondere in Westeuropa, (…) bezog“. Lipkin stellt 2006 fest: „(…) the term ‚integration’ itself, which was before (vor der Entspannung, M.W.) something like a swear word, in the official Soviet lexicon at least, associated with NATO, arms race and monopolistic markets, now became a major tool in the ideological struggle between the two systems in the environment of détente”.291 An einer Konferenz sozialistischer Forschungsinstitute 1973 in Prag wurde “Integration” definiert als “an objective process of development of deep and firm inter-relationships and division of labour between national economies, formation of international economic complexes within the framework of a group of countries having a socioeconomic system of the same type, a process that is consciously regulated in the interest of the ruling classes of these states”.292 1974 findet sich der Begriff dann in den RGW-Statuten.293 Lipkin sieht hier eine entscheidende Umwertung: „Der Terminus ‚integracija’, der früher im offiziellen sowjetischen Lexikon eine negative Konnotation hatte, änderte in der Situation der Entspannung seine ideologische Bedeutung.“294 1979 notiert Adomeit: „this term – integratsyia – is now used unashamedly“ – wobei die sowjetische Führung den Terminus vor allem dazu benutzte, um die Überlegenheit der „sozialistischen Integration“ zu beweisen.295 Denn, so lautet auch Binns’ Fazit 1978: „In short, Soviet Marxists still do not have
289 290 291 292
Herbst 1986: 191. Binns 1978: 256. Lipkin 2006a: 303. Vgl. Problemy mira i socializma, 1973, Nr. 7, p. 16, hier zitiert nach Adomeit 1979: 4, Fn. 12. 293 Schulz 1975: 85. Schmale 2008a: 113. Schulz 1975: 88 verweist in Fn. 46 auf einen Sammelband, der die Integration im RGW empfahl: Problemy ėkonomičeskoj integracii strančlenov SĖV. Pod redakciej G.M.Sorokina i P.M.Alampieva. 294 Lipkin 2009: 60, im Original: „“termin ‚integracija’, ranee imevšij v official’nom sovetskom leksikone negativnuju konnotaciju, v obstanovke razrjadki menjal svoj ideologičeskij smysl’.“ 295 Adomeit 1979: 2.
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a coherent, comprehensive theory of European integration under capitalism.“296 So bemängelt Zuev noch 1995, dass in der gesamten sowjetischen Zeit kein umfassendes Verständnis dafür entwickelt wurde, was „Integration“ tatsächlich beinhaltet: „Nach meiner Überzeugung erwies sich als ernsthaftester Mangel der Integrationsforschung in der sowjetischen Periode das Fehlen von Vermutungen, dass als Endresultat die Entstehung eines einheitlichen ganzen Komplexes stehen würde. Dieses Verständnis wurde auch im Zuge der Perestrojka nicht erreicht. Auf diese Weise war der Integrationsprozess vermutlich seines Hauptattributes beraubt, des Merkmals einer Bewegung zu einem Staatenbund mittels einer Vertiefung der Zusammenarbeit, einer Ausweitung der Gebiete, die unter eine gemeinsame Politik fallen. Sogar die Bedeutung des Verbes ‚integrieren’ wurde nicht im Sinne von „aus einzelnen Teilen ein Ganzes bilden“ verstanden. Die Spezialisten zogen eine Behandlung in der Art ‚eines gewissen Prozesses der Wechselwirkung’ vor. Die Vereinigung einiger europäischer Staaten in einer Union stellte sich im sowjetischen Denken als eine völlig nebulöse Perspektive dar. Dies diente als zusätzliches Argument, um nicht enge Beziehungen mit einer Gruppierung aufzunehmen, die keine Chancen hat, sich zu einem Staatenbund zu entwickeln.“297 Einen aus sowjetischer Sicht in sich logischen Schluss – mit einem Schuss Ironie – zieht Zuev, wenn er als Grund für das Unverständnis das tief in der sowjetischen Alltagserfahrung wurzelnde Verhältnis zu „Plänen“ anführt: „Gab es denn in der EG keine realen Erfolge, wurden etwa keine seriösen Pläne zur Bildung einer Union in Westeuropa konstruiert? Was die Pläne angeht, so bestand zu ihnen in der UdSSR ein besonderes Verhältnis. Es wurde zur Gewohnheit, dass Pläne nicht erfüllt werden.“298 Zuev bilanziert die russophile (d.h. zu jener Zeit marxistisch296 Binns 1978: 261. 297 Zuev 1995: 259, im Original: „Po moemu ubeždeniju, naibolee ser’eznym nedostatkom issledovanij integracii sovetskogo perioda javljalos’ otsutstvie predpoloženij, čto konečnym rezul’tatom processa stanet vozniknovenie edinogo celostnogo kompleksa. Ėtogo ponimanija ne bylo dostignuto i v chode Perestrojki. Takim obrazom, process integracii byl lišen, požaluj, glavnogo iz svoich attributov – priznaka dviženija k sojuzu gosudarstv posredstvom uglublenija sotrudničestva, rasširenija kruga oblastej, podpadajuščich pod sovmestnuju politiku. Daže značenija glagola ‘integrirovat’’ ne vosprinimalos’ v smysle ‘sozdat’ iz neskol’kich častej celoe’. Specialisty predpočitali traktovki tipa ‘nekij process vzaimodejstvija’. Soedinenie neskol’kich evropejskich gosudarstv v sojuze predstavljalos’ ves’ma tumannoj perspektivoj v sovetskom myšlenii. Ėto služilo dopolnitel’nym argumentom v pol’zu togo, čtoby ne ustanavlivat’ tesnye svjazi s gruppirovkoj, ne imejuščej šansov pererasti v sojuz gosudarstv.” 298 Zuev 1995: 259, im Original: „Razve ne bylo u ES real’nych uspechov, razve ne stroilis’ ser’eznye plany formirovanija Sojuza v Zapadnoj Evrope? Čto kasaetsja planov, to k nim v SSSR bylo osoboe otnošenie. Vošlo v privyčku, čto plany ne vypolnjajutsja.” Der Satz bildet eine ironische Umkehrung des jedem ehemaligen Sowjetbürger vertrauten Slogans „Plan vypolnim!“ ( „Lasst uns den Plan erfüllen!“).
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leninistische) und russozentrische Position wie folgt: „Die Beziehung zur EG in der UdSSR war infiziert vom Syndrom der Unterschätzung dessen, was vor sich geht.“299 4.2.3 Gesamteuropäische Zusammenarbeit ab 1970
Bereits 1966 und 1967 wurden Forderungen der Ostblockstaaten und der kommunistischen Parteien Europas nach einer gesamteuropäischen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erhoben. Seit 1971 äusserten die sozialistischen Länder verschärfte Kritik an der EWG, sie spalte Europa und sei mit der friedlichen Koexistenz unvereinbar. Die „Pravda“ vom 18. November 1971 druckte Kritik an „supranationalen Illusionen“ und „mikroeuropäischen Konzeptionen“ ab und rief zu einer gesamteuropäischen Lösung auf.300 Die EWGBeitrittsverhandlungen mit Grossbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen riefen bei sowjetischen Experten Besorgnis hervor, die sie in einem Memorandum an die 25. RGW-Sitzung im Juli 1971 äusserten.301 Das erwähnte, an derselben RGW-Sitzung verabschiedete „Komplexprogramm zur weiteren Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen Integration der Mitgliedsländer des RGW“ enthielt in einem „geschlossenen“ Teil ausführliche Darlegungen des Verhältnisses zu den westeuropäischen Staaten.302 Darin wurden Prinzipien festgelegt wie: „Entwicklung von Beziehungen auf der Basis von Handelsabkommen und Bestreben, langfristige handelswirtschaftliche Übereinkommen mit den EWG-Ländern auf bilateraler Basis abzuschliessen; Abstimmung von Massnahmen und zur Verteidigung der eigenen Interessen rechtzeitiges Ergreifen – gemeinsam oder separat – von Massnahmen, die auf die Gegenwirkung ausgerichtet sind zur Ausarbeitung und Durchführung einer einheitlichen Handelspolitik der EWG in Bezug auf die sozialistischen Länder und Beseitigung von negativen Folgen der Vertiefung der Integration der EWG und der Erweiterung dieser Gruppierung“.303 Obwohl in der ersten Hälfte der 1970er299 Zuev 1995: 259, im Original: „Otnošenie k ES v SSSR bylo zaraženo sindromom nedoocenki proischodjaščego.“ 300 Mueller 2009b: 643ff. 301 Mueller 2009b: 647. 302 Lipkin spricht von einem „zakrytaja čast’“ des Programmes, dessen Titel im Original lautet: „Kompleksnaja programma dal’nejšego uglublenija i soveršenstvovanija sotrudničestva i razvitija socialističeskoj integracii stran-členov SĖV“, hier und im Folgenden vgl. Lipkin 2009: 58f. mit Archivfundstelle, vgl. auch Lipkin 2008b: 273. 303 Im Original: „ razvitie torgovo-dogovornych otnošenij so stranami i stremlenie zaključat’ dolgosročnye torgovo-ėkonomičeskie soglašenija so stranami EĖS na dvustoronnej osnove; soglasovanie meroprijatij i svoevremennoe prinjatie dlja zaščity svoich interesov sovmestno ili otdel’no sootvetstvujuščie mery, napravlennye na protivodejstvie vyrabotke i pro-
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Jahre in ökonomischer Hinsicht die Grundlage für die folgende Annäherung in der Entspannungsphase gelegt wurde, liegt nach Lipkin für diese Periode noch keine einzige auf Archivquellen gestützte Untersuchung vor, in welcher das Verhältnis zwischen RGW und EWG analysiert würde.304 Während er Mitte der 1960er-Jahre die EWG noch „als ein politisches, wenn nicht gar als militärisches Phänomen“ bezeichnete, deutete Leonid Brežnev am 20. März 1972 vor sowjetischen Gewerkschaftern erstmals an, dass zwischen der EG und der Sowjetunion Beziehungen aufgenommen werden könnten – 1973 um den Vorschlag erweitert, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen dem RGW und der EG zu prüfen. Während die EG mit dieser faktischen Anerkennung zufrieden war, bezweckte die Sowjetunion eine Aufwertung des RGW. „Die Sowjetunion ignoriert nicht (wörtlich: keineswegs, M.W.) die in Westeuropa real entstandene Lage, darunter die Existenz einer solchen wirtschaftlichen Gruppierung kapitalistischer Länder, wie sie der ‚Gemeinsame Markt’ ist. (…) Unsere Beziehungen mit den Teilnehmern dieser Gruppierung werden selbstverständlicherweise davon abhängen, in welchem Ausmasse sie ihrerseits die im sozialistischen Teil Europas entstandene Realität, insbesondere die Interessen der Mitgliedsstaaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe anerkennen. Wir sind für Gleichberechtigung in den Wirtschaftsbeziehungen und gegen Diskriminierung.“ Mit seiner Forderung nach Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten blieb Brežnev also hinter Chruščevs Forderung von 1962 nach einer Zusammenarbeit zwischen den Vereinigungen zurück.305 Andererseits ist Lipkins Einschätzung sicherlich gerechtfertigt: Das Komplexprogramm bildete eine Antwort auf die Herausforderung durch die EWG, die mit ihrer erfolgreichen Entwicklung und
vedeniju v žizn’ edinoj torgovoj politiki EĖS v otnošenii socialističeskich stran i ustranenie otricatel’nych posledstvij uglublenija integracii EĖS i rasširenija ėtoj gruppirovki“. 304 Lipkin 2008b: 268, eine erste Übersicht bietet Mueller 2009b: 647f. 305 Schulz 1975: 83f., Zitat in Pravda, 21.3.1972, deutsch in: Europa Archiv 1972, Vol. 27, Nr. 9, D 207-214, hier zitiert nach Mueller 2009b: 649. Im Unterschied zu Wettig bewertet Mueller dies nur als taktisches Signal. Das russische Original bei Lipkin 2009: 60, zitiert nach den Erinnerungen von A. M. Aleksandrov-Agentov (1994): Ot Kollontja do Gorbačeva. Vozpominanija diplomata. Moskva, p. 207.: „Sovetskij Sojuz otnjud’ ne ignoriruet real’no složivšeesja položenie v Zapadnoj Evrope, v tom čisle i suščestvovanie takoj ėkonomičeskoj gruppirovki kapitalističeskich stran, kak ‚Obščij rynok’. (...) Naši otnošenija s učastnikami ėtoj gruppirovki budut, razumeetsja, zaviset’ ot togo, v kakoj mere oni priznajut so svoej storony real’nosti, složivšiesja v socialističeskoj časti Evropy, v častnosti, interesy stran-členov Soveta Ėkonomičeskoj Vzaimopomošči. My za ravnopravie v ėkonomičeskich otnošenijach i protiv diskriminacii.”
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ihrer Erweiterungsperspektive die Vorzüge des westlichen Wirtschaftsmodells demonstrierte.306 Diese neue Linie gegenüber der EG war im RGW, nicht aber in seinen Mitgliedstaaten diskutiert worden. Brežnev selbst wies kurz nach seiner Rede den sowjetischen Teil im RGW an, Vorschläge zur Definition der künftigen praktischen Linie in Bezug auf die EWG auszuarbeiten: „Die Tätigkeit des ‚Gemeinsamen Markts’ bringt gewisse Veränderungen in das Kräfteverhältnis innerhalb der kapitalistischen Welt, führt zu einer Vertiefung der Gegensätze zwischen den westeuropäischen Staaten und den USA. Man muss daher eine Position in Bezug auf den ‚Gemeinsamen Markt’ festlegen, welche diese Veränderungen berücksichtigt, es uns erlaubt, aus ihnen Nutzen zu ziehen und zuverlässig die Interessen der Sowjetunion und unserer Verbündeten zu wahren.“307 In der ECE bestätigte der sowjetische Vertreter im Oktober 1972: „Die UdSSR wünscht auch weiterhin die Handelsbeziehungen zwischen den sozialistischen und den kapitalistischen Ländern zu stimulieren, und ebenso zwischen denjenigen ökonomischen Gruppierungen, die sie bilden können.“308 Auf die Aufforderung von Kommissions-Präsident Mansholt, konkrete Schritte einzuleiten, reagierte Brežnev in seiner Rede zum 50. Jahrestag der UdSSR am 21. Dezember 1972: „Lassen sich Grundlagen für irgendwelche Formen der sachlichen Beziehungen zwischen den in Europa bestehenden zwischenstaatlichen Handels- und Wirtschaftsorganisationen, dem RGW und dem Gemeinsamen Markt, finden? Wahrscheinlich ja, wenn sich die EWG-Staaten jeglicher Diskriminierungsversuche gegenüber der anderen Seite enthalten, wenn sie dazu beitragen, die natürlichen bilateralen Verbindungen und die gesamteuropäische Zusammenarbeit zu entwickeln.“309 Nach Chruščevs Rede von 1962 war damit erstmals wieder die sowjetische Anerkennung der EG möglich, jedoch unter drei Bedingungen: die EG müsse unmittelbare und direkte Kontakte zum RGW aufnehmen, die EG solle bilaterale Kontakte auch in Zukunft erlauben, und die EG solle einen Beitrag zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Europa leisten.
306 Lipkin 2009: 60. Im Original: „prinjatie Kompleksnoj programmy socialističeskoj integracii bylo otvetom na vyzov so storony EĖS: ėto ob-edinenie svoim uspešnym razvitiem i perspektivoj rasširenija demonstrirovalo preimuščestva zapadnoj ėkonomičeskoj modeli.” 307 Bericht an das ZK-Plenum vom 19.5.1972, zitiert nach Mueller 2009b: 651 (mit Archivfundstelle). 308 Im Original: „SSSR i vpred’ želaet stimulirovat’ torgovye otnošenija meždu socialističeskimi i kapitalističeskimi stranami , a takže meždu temi ėkonomičeskimi gruppirovkami, kotorye oni mogut sformirovat’.“, zitiert nach Lipkin 2009: 60, mit Archivfundstelle. 309 Archiv der Gegenwart, 21.12.1972: 17555, zitiert nach Mueller 2009b: 653.
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Die Experten des IMEMO erhofften sich einen „Beitrag zur Entspannung in Europa, zur technischen Modernisierung der UdSSR, zur Konsolidierung des RGW, zur Verschärfung der Konkurrenz zwischen den USA und der EG, ja sogar zur Vergrösserung des sowjetischen Einflusses in Westeuropa“.310 Europäische Länder ausserhalb der EWG könnten sich verstärkt auf Zentren wie die USA oder die Sowjetunion orientieren: „Besondere Probleme entstehen in dieser Hinsicht für Schweden, Österreich, die Schweiz, Finnland. Die Verstärkung der Tendenz zur Weiterentwicklung der ökonomischen Integration im Rahmen der EWG in eine politische Integration wird die Opposition in den neutralen Ländern Westeuropas gegenüber einem Kurs in Richtung Assoziation dieser Länder mit dem erweiterten Gemeinsamen Markt vergrössern. Diese Anti-IntegrationsStimmungen könnte man benutzen, um die neutralen Staaten von der EWG zu entfremden, und, möglicherweise, sie zu vereinigen zu einer eigenständigen Freihandelszone, einer Art erweiterte ‚Nordek’.“311 Als Beispiel für die „EinkreisungsTaktik“ führt Lipkin auch die Einladung des EFTA-Generalsekretärs nach Moskau 1974 an.312 Erste Vorschläge zur Aufnahme von Kontakten zwischen EWG und RGW wurden 1971 von Kommissar Ralf Dahrendorf gemacht, jedoch vom damaligen britischen Kommissar mit dem Argument entkräftet, dass der RGW nicht über das Recht verfüge, für seine Mitgliedsländer zu verhandeln. Lipkin anerkennt, dass das RGW-Statut keine klare Auskunft in dieser Frage gab – sieht jedoch von Seiten der EWG eine klare Politik der Spaltung und des Boykotts des RGW. Allerdings hatten im Zuge der Erweiterung auch nicht alle EG-Mitgliedsländer ein Interesse an einer zu schnellen Vergemeinschaftung der Aussenpolitik, sondern zogen bilaterale Abkommen mit einem weitgefassten Profil vor.313 Zu eigentlichen Verhandlungen zwischen RGW und EWG kam es jedoch 1973 bis 1975 nicht: Auf Seiten der EG versprach man sich aufgrund der geringen wirtschaftlichen Interessen zu wenig und wartete lieber auf bilaterale Verhandlungsvorschläge aus mittel- und osteuropäischen Ländern. Die Sowjetunion wollte die Entwicklung 310 Mueller 2009b: 653. Mueller zitiert aus einem Entwurfsdokument des IMEMO vom 30.1.1973 (mit Archivfundstelle). 311 Zitiert nach Lipkin 2009: 60 mit Archivfundstelle, aber ohne Jahresangabe, im Original: „Osobye problemy v ėtom plane voznikajut dlja Švecii, Avstrii, Švejcarii, Finljandii. Usilenie tendencii k pererasteniju ėkonomičeskoj integracii v ramkach EĖS v političeskuju integraciju budet uveličivat’ oppoziciju v nejtral’nych stranach Zapadnoj Evropy kursu na associaciju ėtich stran s rasširennym Obščim rynkom. Ėti antiintegracionnye nastroenija možno bylo by ispol’zovat’ dlja otryva nejtral’nych stran ot EĖS, i, vozmožno, dlja obedinenija ich v samostojatel’nuju zonu svobodnoj torgovli, svoego roda rasširennyj ’Nordėk’.“ 312 Lipkin 2009: 61 mit Archivfundstelle. 313 Lipkin 2009: 63 mit Archivfundstellen.
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der KSZE abwarten und die EG nicht vorschnell aufwerten, ganz davon zu schweigen, sie als supranationalen Organismus anzuerkennen.314 Eine Notiz des IMEMO entwickelte jedoch weitreichende Vorstellungen für den Fall der Bildung eines Organs für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa: In einer ersten Etappe, solange noch Blockstrukturen bestünden, war darin ein „Mechanismus zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen sich integrierenden Gruppierungen“ vorgesehen, und in einer zweiten Etappe, bei Abschwächung der Blockstrukturen, die Bildung eines „Rates zur Koordination der Zusammenarbeit zwischen RGW und EWG“.315 Vorerst setzte die sowjetische Politik jedoch in starkem Masse auf die UNO-Organisationen ECE und UNCTAD, um ihre Vorstellungen für gesamteuropäische Handelserleichterungen durchzusetzen. Die Verhandlungen zwischen EWG und RGW zogen sich über 15 Jahre, von1973 bis 1988, hin – erst die Perestrojka ermöglichte am 25. Juni 1988 die Aufnahme offizieller Kontakte und bis Ende 1989 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Unterzeichnung eines bilateralen Handelsabkommens.316 Die Wirkung der KSZE-Vereinbarungen blieb bei allem Symbolwert bis zur Zäsur durch Gorbačevs Amtsantritt relativ gering. Erst ab Mitte der 1980er-Jahre vermochten sie ihre Hauptwirkung zu erzielen: jene Lernprozesse, die zur Änderung der sowjetischen Aussenpolitik führten. Diese Prozesse fanden sowohl in den zwischenstaatlichen Konferenzen, wie in den begleitenden politischwissenschaftlichen Netzwerken statt.317 “Der Helsinki-Prozess: der Europäismus der Nuklear-Raketen-Epoche“, betitelt Čubar’jan 2006 in unkonventioneller Art und Weise seine Bilanz, die wie Schlotter zum Schluss kommt, dass nachhaltigste Wirkung von einer Veränderung der Kommunikationsprozesse ausging: “Der Helsinki-Prozess stellte sich in der klarsten Form als Ausdruck des Europäismus der Nuklear-Raketen-Epoche dar, dem Probleme der Friedenssicherungen und der Gewährleistung der internationalen Sicherheit zu Grunde lagen, und in welchen praktisch auch Russland (damals Sowjetunion) eingeschlossen war. Jedoch nur schon die Erörterung dieser Probleme und die Einwilligung dazu von Seiten der sowjetischen Führer führte die europäischen Themen über die Grenzen der inter-
314 Mueller 2009b: 654f.; Rey: 2005: 19; Schulz 1975: 214ff. 315 Lipkin 2009: 62 mit Archivfundstelle, im Original: „Zapiska IMĖMO ‚O sozdanii organa po voprosam bezopasnosti i sotrudničestva v Evrope“ – „mechanizm po sodejstviju sotrudničestva meždu integriruemymi gruppirovkami“ – „Sovet po koordinacii sotrudničestva meždu SĖV i EĖS“. 316 Vgl. auch Lipkin 2009: 62. 317 Schlotter 1999: 344.
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nationalen-politischen Sphäre und schloss Russland in einem bestimmten Masse in die Diskussionen über die so genannten humanitären Probleme ein.“318 Für diese Umbruchzeit soll an dieser Stelle näher auf zwei Publikationen des IMEMO AN SSSR eingegangen werden, die Darstellung von Baranovskij (1986) und den von Kišilov (1985) herausgegebenen Sammelband. Beide illustrieren den vorsichtigen Wechsel von einer rein dogmatischen zu einer dogmatischpragmatischen Sicht. Der Historiker V. Baranovskij beginnt seinen historiographischen Überblick nicht zufällig mit Maksimovas Standardwerk von 1971 – er stützt seine Beschreibung der „objektiven Tendenz zur Internationalisierung des gesellschaftlichen Lebens“ letztlich nach wie vor auf die von ihr 15 Jahre zuvor erarbeiteten Grundlagen.319 Er versteht seine Arbeit als erstmaligen Beitrag zur Untersuchung der Rolle der EG im System der internationalen Beziehungen, und kommt im Verlauf seiner durchwegs noch marxistisch-lenistisch geprägten Untersuchung, die vom Kampf zweier gesellschaftlicher Systeme ausgeht, zum anerkennden, leicht europhilen Schluss, dass der Integrationsprozess – auch in politischer Hinsicht – einer ständigen Vorwärtsbewegung zu unterliegen scheint: „Auf jeden Fall bildete sich in der EG so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz: jedes Mal, wenn irgendwelche konkreten Pläne der wirtschaftlichen Integration in eine Sackgasse geraten, werden neue Ideen ausgearbeitet bezüglich der Aktivierung der politischen Integration, einschliesslich der Zusammenarbeit in aussenpolitischen Fragen.“320 Da es im Integrationsprozess letztlich um die Vergrösserung des Wirtschaftsraumes und die Stärkung des Kapitalismus gehe, sei auch erklärbar, warum Kommunisten und andere Linke dem Einigungsprozess negativ gegenüberstünden. In einer von tiefstem Misstrauen gegenüber der Sozialdemokratie geprägten Weiterentwicklung dieser These zieht Baranovskij einen originellen, von Selbstüberschätzung zeugenden Schluss. „Die politischen Kräfte sozial-demokratischer Orientierung strebten danach, dem realen Sozialismus ein auf dieser Basis errichtetes ‚einiges Europa’ gegenüberzustellen, und danach, die Wirkung des Beispiels
318 Čubar’jan 2006: 320ff: «Chel’sinkskij process. Evropeizm raketno-jadernoj ėpochi.” / „Chel’sinkskij process v najbolee jarkoj forme javilsja vyraženiem evropeizma raketnojadernoj ėpochi, v osnove kotorogo ležali problemy sochranenija mira i obespečenija meždunarodnoj bezopasnosti i v kotoryj praktičeski byla vključena i Rossija (v to vremja Sovetskij Sojuz). No samo obsuždenie ėtich problem i soglasie na nich sovetskich liderov vyvodilo evropejskie temy za predely meždunarodno-političeskoj sfery i v kakoj-to mere vključalo Rossiju v diskussii po tak nazyvaemym gumanitarnym problemam.” 319 Baranovskij 1986: 4ff., mit ausführlichem bibliographischem Überblick auf S.7, Fn. 3–6. 320 Baranovskij 1986: 22, im Original: „Vo vsjakom slučae, v ES ustanovilos’ nečto vrode nepisanogo pravila: každyj raz, kogda kakie-to konkretnye plany ėkonomičeskoj integracii zachodjat v tupik razrabatyvajutsja novye idei otnositel’no aktivizacii političeskoj integracii, vključaja sotrudničestvo v voprosach vnešnej politiki.“
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der sozialistischen Länder auf die Westeuropäer zu schwächen.“321 Innerhalb der EG, so Baranovskij weiter, bemühten sich die konservativen supranationalen Organe um die Niederhaltung der Arbeiterbewegung. Im internationalen Kontext könne man den Beginn des Integrationsprozesses überhaupt nur vor dem Hintergrund der Eindämmung des Kommunismus sehen. Als Beleg dient ein Zitat aus der Arbeit Knjažinskijs über „Westeuropa und das Problem der friedlichen Koexistenz“ aus dem Jahre 1963 (!). Längere Ausführungen zur Deutschlandpolitik führen Baranovskij zum Fazit, dass trotz Scheiterns der EVG die Gefahr einer Überleitung des Integrationsprozesses auch auf militärisch-politisches Gebiet bestehe. Trotz gewisser Distanzierungen der EG und einer gewissen Selbständigkeit von den USA hätten letztere auf militärischem Gebiet klar die Führerschaft der westlichen Welt inne. Vor diesem Hintergrund formuliert Baranovskij warnende Sätze zur Stuttgarter Erklärung von 1983: „Ernsthafte Folgen für den ganzen Charakter der westeuropäischen Einigung und die Rolle, die sie in der internationalen Arena spielt (darunter auch in den wechselseitigen Beziehungen von Ländern unterschiedlicher Systeme), kann die von den Staats- und Regierungschefs der ‚Zehn’ 1983 in Stuttgart angenommene ‚Feierliche Erklärung über die Europäische Union’ haben. In ihr wurde erstmals auf derart hoher Ebene offiziell die Bereitschaft der EG-Mitglieder erklärt, eine ‚Koordination der Positionen zu politischen und wirtschaftlichen Sicherheitsaspekten’ zu realisieren.“ Diese Hinwendung zur Sicherheitsproblematik „(…) kann sich als erster Schritt in Richtung einer derartigen Transformation des Integrationsbündnisses erweisen, welche in ihr die Entstehung einer einheitlichen Verteidigung, ihre Wandlung in ein Militärbündnis, nicht ausschliesst.“322 Nach einer Rekapitulation der Beziehungen zwischen RGW und EG und dem Hinweis auf die von Gorbačev am 29. Mai 1985 geforderte Erarbeitung von neuen Grundlagen für die Beziehungen zwischen den beiden Wirtschaftsorganisationen sieht Baranovskij das Haupthindernis hierfür in der westlichen Haltung: „Zu einem ernsthaften Hindernis für die Normalisierung der Beziehungen auf der 321 Baranovskij 1986: 276, im Original: „Političeskie sily social-demokratičeskoj orientacii stremilis’ protivopostavit’ postroennuju na takoj osnove ‘edinuju Evropu’ real’nomu socializmu, oslabit’ vozdejstvie primera socialističeskich stran na zapadnoevropejcev.“ 322 Baranovskij 1986: 278ff., hier p. 284, im Original: „Ser’eznye posledstvija dlja vsego charaktera zapadnoevropejskogo integracionnogo ob-edinenija i toj roli, kotoruju ono igraet na meždunarodnoj arene (v tom čisle i vo vzaimootnošenijach meždu stranami dvuch sistem), možet imet’ prinjataja glavami gosudarstv i pravitel’stv ‚desjatki’ v 1983 g. v Štutgarte ‚Toržestvennaja deklaracija o Evropejskom sojuze’. V nej vpervye na stol’ vysokom urovne oficial’no ob-javleno o gotovnosti učastnikov ES osuščestvljat’ ‚koordinaciju pozicij po političeskim i ėkonomičeskim aspektam bezopasnosti’.“ „(...) možet okazatsja pervym šagom v storonu takoj transformacii integracionnogo ob-edinenija, kotoraja ne isključaet vozniknovenija v nem edinoj oborony, prevraščenija ego v voennyj sojuz.“
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Linie RGW-EG wurde in diesem Sinne der politisch motivierte Unwille die Unumkehrbarkeit der im östlichen Teil des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg vorgefallenen Veränderungen anzuerkennen, sowie das Bestreben, eine Stärkung der sozialistischen Gemeinschaft nicht zuzulassen.“323 In der Zeit der Entspannung und insbesondere in den Vorbereitungstreffen der gesamteuropäischen Zusammenarbeit zu Beginn der 1970er-Jahre anerkennt Baranovskij, dass die EGMitgliedstaaten zu einer engen Politikkoordination gefunden hätten und gegenüber den sozialistischen Ländern einheitlichen aufträten. Man könne inzwischen feststellen, dass der Koordinationsmechanismus in der aussenpolitischen Zusammenarbeit der EG mittlerweile auf allen Ebenen funktioniere. Da die Mitgliedstaaten jedoch die Hoheit auf diesem Gebiet bewahrten, „betrachten sie die Europäische Gemeinschaft vor allem als Mittel, das es ihnen erlaubt, ihren aussenpolitischen Aktionen zusätzliches Gewicht, Autorität, Achtung zu verleihen.“ Gemeinsame Positionen, so stellt Baranovskij richtigerweise in Erkenntnis der integrationstypischen Entscheidungsprozeduren fest, entstünden „(…) erst in einem Prozess schwieriger und schmerzlicher Suche eines gemeinsamen Nenners in den Positionen der Seiten, um auf dieser Grundlage einen für alle annehmbaren Ansatz für dieses oder jenes Problem zu definieren.“ 324 Ein wirkliches supranationales Element fehle zwar nach wie vor in der Aussenpolitik der EG-Mitgliedstaaten, doch stelle sich in der diplomatischen Alltagsroutine eine Art „Koordinationsreflex“ ein.325 Das Manuskript des von N. Kišilov herausgegebenen Sammelbandes zu den „Politischen Aspekten der westeuropäischen Integration“, der Beiträge von IMEMO-Mitarbeitern wie Šiškov, Baranovskij und Tomaševskij vereint, wurde im Januar 1985 abgeliefert und im Juni 1985 zum Druck freigegeben – es dürfte somit eine der letzten Darstellungen im Stile des „alten Denkens“ sein. Davon zeugt die nicht in Ansätzen diskutierte Einteilung der Welt in kapitalistische und sozialistische Länder mit höchst unterschiedlichen Integrationsprozessen. Die positive Anerkennung der Integrationserfolge in Westeuropa bleibt jedoch nicht aus: „Bei all ihren Misserfolgen und inneren Widersprüchen in dem mehr als
323 Baranovskij 1986: 292, im Original: „V ėtom smysle ser’eznym prepjatstviem dlja normalizacii otnošenij po linii SĖV-ES stalo političeski motirovannoe neželanie priznat’ neobratimost’ proisšedšich posle vtoroj mirovoj vojny peremen v vostočnoj časti Evropejskogo kontinenta, stremlenie ne dopustit’ usilenija socialističeskogo sodružestva.“ 324 Baranovskij 1986: 301, 312f., im Original: „Oni rassmatrivajut Evropejskoe soobščestvo prežde vsego kak sredstvo, pozvoljajuščee im pridat’ dopolnitel’nyj ves, avtoritet, vnušitel’nost’ svoim vnešnepolitičeskim akcijam.“ „(...) liš’ v processe trudnogo i boleznennogo poiska obščego znamenatelja v pozicijach storon dlja togo, čtoby na ėtoj osnove opredelit’ priemlemyj dlja vsech podchod k toj ili inoj probleme.“ 325 Baranovskij 1986: 313ff.
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Vierteljahrhundert ihres Bestehens hat sich die EG in eine ziemlich einflussreiche wirtschaftliche und politische Kraft gewandelt.“326 Das Autorenkollektiv definiert dabei regionale Integration wie folgt: „Unter regionaler Integration entwickelter kapitalistischer Staaten verstehen wir eine höhere, qualitativ neue Stufe der Internationalisierung ihres wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen, kulturellen Lebens, welche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Entwicklung erfahren hat, die sich vor dem Hintergrund der wissenschaftlich-technischen Revolution, des historischen Widerstreits zweier Weltsysteme, des Zusammenbruchs des Kolonialismus und des Kampfes der Entwicklungsländer für ihre ökonomische Dekolonialisierung vollzieht.“327 Unter Berufung auf Lenins Äusserung, dass „Politik der konzentrierte Ausdruck der Wirtschaft“ sei, entwickeln die Autoren ihre Definition politischer Integration: „Die politische Integration hingegen ist eine Union anderer Art. Bedingt durch die objektive Unumgänglichkeit eines langfristigen Charakters, setzt sie eine tiefe und allseitige Zusammenarbeit der Partnerstaaten auf ständiger Grundlage voraus, die spezifische institutionelle und organisatorische Formen ihrer alltäglichen Wechselbeziehungen entstehen lässt. (… Dieses Phänomen) entstand erst auf einer bestimmten Etappe der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Westeuropas, in der Periode des späten Kapitalismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“328 Ungeachtet aller ideologischen und klassenkämpferischen Rhetorik kann die Publikation im Jahre 1985 nicht mehr bestreiten, dass „sich die Integrationstendenzen in der politischen Sphäre im Rahmen der EG als ziemlich beständig (dostatočno ustojčivymi) erwiesen“. Der EG wird zugestanden, „auf der Weltbühne als neues politisches Phänomen, als ganz spezifisches Subjekt der internationalen Beziehungen“ in Erscheinung getre-
326 Kišilov 1985: 7 (Einleitung von Ju. Šiškov), im Original: „Pri vsech svoich neudačach i vnutrennich protivorečijach bolee čem za četvert’ veka svoego suščestvovanija ES prevratilos’ v dovol’no vlijatel’nuju ėkonomičeskuju i političeskuju silu.“ 327 Kišilov 1985: 9 (Einleitung von Ju. Šiškov), im Original: „Pod regional’noj integracii razvitych kapitalističeskich gosudarstv my ponimaem bolee vysokuju, kačestvenno novuju stupen’ internacionalizacii ich chozjajstvennoj, političeskoj, naučnoj, kul’turnoj žizni, polučivšuju razvitie vo vtoroj polovine XX stoletija v uslovijach naučno-techničeskoj revoljucii, istoričeskogo protivoborstva dvuch mirovych sistem, kracha kolonializma i bor’by razvivajuščichsja stran za svoju ėkonomičeskuju dekolonizaciju.“ 328 Kišilov 1985: 12 (Einleitung von Ju. Šiškov), im Original: „Političeskaja že integracija – sojuz inogo roda. Obuslovlennyj ob-ektivnoj neobchodimost’ju dolgosročnogo charaktera, on predpologaet glubokoe i vsestoronnee sotrudničestvo gosudarstv-partnerov na postojannoj osnove, poroždajuščee specifičeskie institucional’nye i organizacionnye formy ich povsednevnogo vzaimodejstvija. (...) On voznik liš’ na opredelennom ėtape ėkonomičeskogo i političeskogo razvitija Zapadnoj Evropy v period pozdnego kapitalizma vtoroj poloviny XX v.”
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ten zu sein.329 Man könne heute von der „Bildung eines politischen Systems“ (o formirovanii političeskoj sistemy) der EG sprechen, bei dem zwar immer noch die intergouvernementale Zusammenarbeit im Vergleich zur supranationalen überwiege, jedoch dem Integrationsprozess eine „Trägheitskraft“ (silu inercii) zukomme.330 Sogar die Werktätigen erhielten gewisse Beteiligungsmöglichkeiten: „Nichtsdestotrotz existieren im Rahmen der Gemeinschaft im Unterschied zur NATO und anderen zwischenstaatlichen Organisationen ähnlicher Art bestimmte formale Möglichkeiten direkter Interessensbekundung der werktätigen Massen und der politischen Oppositionskräfte.“331 Auch wenn sich die EG über Spanien und Portugal kaum mehr erweitern werde, könne man doch „mit einem gewissen Risikoanteil prognostizieren, dass der Prozess der politischen Integration von einer verstärkten Rolle der EG als einem kollektiven Leader eigener Art der Mehrzahl der westeuropäischen Länder begleitet sein wird“.332 Dies bestätige die theoretische und praktische Bedeutung der Forschung auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen wissenschaftlichen Methodologie. Der St. Petersburger EU-Spezialist I. Lešukov publiziert 1998 eine Darstellung, in welcher er für die sowjetische Zeit zum Schluss kommt: „No pragmatic assessment of European integration was feasible“ – und als der Helsinki-Prozess begann, sei die Zeit noch nicht reif gewesen.333 In den 1970er-Jahren, in der Zeit des Helsinki-Prozesses, unternahm die Sowjetunion aus Sicht Zuboks zwar den Versuch eines „state-controlled process of reintegration with the West“. Mehrere Faktoren führten jedoch zu einer misstrauischen bis feindseligen Haltung gegenüber der europäischen Integration: zum einen das Blockdenken, dann die Furcht vor dem Verlust Osteuropas, und drittens die Inkompatibilität der sowjetischen Wirtschaft mit der freien Marktwirtschaft: „Any participation in real European integration, therefore, would have meant a collapse of the economy of the USSR.“ Ein vierter Faktor besteht laut Zubok darin, dass die Elite in der Brežnev-Ära die Integrati-
329 Kišilov 1985: 318 (Schluss von D. Tomaševskij), im Original: „(...) na mirovoj arene pojavilsja novyj političeskij fenomen, novyj ves’ma specifičeskij sub-ekt meždunarodnych otnošenij“. 330 Kišilov 1985: 321 (Schluss von D. Tomaševskij). 331 Kišilov 1985: 322 (Schluss von D. Tomaševskij), im Original: „Tem ne menee v otličie ot NATO i drugich mežgosudarstvennych organizacij podobnogo roda v ramkach Soobščestva suščestvujut opredelennye formal’nye vozmožnosti neposredstvennogo vyraženija interesov trudjaščichsja mass i oppozicionnych političeskich sil.“ 332 Kišilov 1985: 322 (Schluss von D. Tomaševskij), im Original: „(...) s izvestnoj dolej riska prognozirovat’, čto process političeskoj integracii budet soprovoždat’sja uveličeniem roli ES kak svoego roda kollektivnogo lidera bol’šinstva zapadnoevropejskich stran.“ 333 Lešukov 1998: 20f.
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onsentwicklung intellektuell nicht zu erfassen vermochte und junge Theoretiker wie Georgij Šachnazarov kein Gehör fanden. 334 Der Krise der europäischen Wirtschaft – und der europäischen Integration – in der zweiten Hälfte der 1970er- und zu Beginn der 1980er-Jahre sind bis Mitte der 1990er Jahre keine speziellen russischen Untersuchungen gewidmet, hält der am IMEMO RAN forschende Ökonom E. Chesin fest.335 Die Arbeiten, die sich dieser Zeit widmen, kommen zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen: „(…) ideologische Dogmen und Stempel jener Zeit verwoben sich auf wunderliche Art und Weise mit realistischen Beurteilungen. Nicht zufällig: Nicht immer widerspiegelten die Publikationen die Überzeugungen und Ansichten ihrer Autoren. Die Verfasser von Arbeiten über die Integration waren gezwungen, mit parteilichen ‚Richtlinien‘ zu rechnen (…)“336 Gestützt auf die Parteikongresse von 1971, 1976 und 1981 wurde „ein finsteres Bild des europäischen Lebens“ gezeichnet, bei dem in erster Linie westliche „Europessimisten“ zitiert wurden, so Chesin weiter. Dennoch habe eine „nüchterne, realistische Einschätzung der Probleme, mit denen die Integration in der zweiten Hälfte 1970er- bis zu Beginn der 1980er-Jahre konfrontiert war“, überwogen, auch wenn mit Parteiinstanzen um Wörter und Formulierungen („formulirovka“) gerungen werden musste.337 Stagflation und Protektionismus der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre hätten dazu geführt, dass sich „die Integrationsprozesse in Westeuropa verlangsamten“. Das Europäische Währungssystem (EWS) wurde von sowjetischen Beobachtern skeptisch beurteilt und insbesondere mit dem Scheitern des Werner-Plans von 1970, der bis 1980 die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion im Rahmen der EWG vorsah, in Verbindung gebracht: „Es wurden ernsthafte Zweifel geäussert zu den Möglichkeiten der Vollendung von Integrationsprozessen im Währungsbereich innerhalb des Gemeinsamen Marktes.“338 Erst spätere Arbeiten anerkannten gewisse Resultate des EWS, die Bildung einer Zone mit Währungsstabilität und dem ECU als regionaler Verrechnungseinheit. Chesin bilanziert, der „Europessimismus“ in den sowjetischen Darstellungen bis in die 1980er-Jahre sei „übertrieben“ und zum Teil „ungerechtfertigt“ gewesen.339 Trotz einer schwierigen wirtschaftli-
334 Zubok 1999: 92f., vgl. Šachnazarov (1993). 335 Chesin 1995: 250. 336 Chesin: 1995: 250, im Original: „(...) pričudlivo perepletalis’ ideologičeskie dogmy i štampy togo vremeni s realističeskimi suždenijami. I ėto ne slučajno. Ne vsegda publikacii otražali ubeždenija i vzgljady ich avtorov. Sozdateli trudov po integracii vynuždeny byli sčitat’sja s partijnymi ‘ustanovkami’ (…)”. 337 Chesin 1995: 250f., A. E. Bobin zitierend, ohne genaue Quellenangabe. 338 Chesin 1995: 253f., im Original: „Vyskazyvalis’ ser’eznye somnenija v vozmožnosti zaveršenija vnutri Obščego rynka integracionnych processov v valjutnoj sfere.“ 339 Chesin 1995: 255, im Original: „črezmernym“, „neopravdannym“.
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chen Lage, vielleicht der schwierigsten in der Geschichte des europäischen Aufbaus („evrostrojitel’stvo“), müsse man festhalten: „Der Integrationsprozess, wenn er sich auch verlangsamte, ging nicht zurück. Zentrifugale, destruktive Tendenzen nahmen nicht überhand – dies ist die Bestätigung der Unumkehrbarkeit dieses Prozesses.“340 Im funktionierenden EWS sieht Chesin die Voraussetzung für die spätere Währungsunion, den Maastrichter Vertrag in diesem Sinn als logische Verlängerung jahrelanger Bemühungen der EG-Staaten. Das Beispiel Griechenlands zeige, dass die EG auch in der Lage und bereit war, „arme“ Länder aufzunehmen, nachdem diese ihr politisches System demokratisiert hatten: „Auf diese Weise eröffnete sich die Möglichkeit für die folgende räumliche Expansion der EG auf Kosten der weniger entwickelten Staaten – zuerst westeuropäischer, dann osteuropäischer.“341 Die Bildung einer grossen Freihandelszone der EG- und EFTA-Länder habe den Beitritt von Ländern wie Portugal, Schweden, Österreich und Finnland erleichtert. Die Direktwahlen ins Europäische Parlament schliesslich hätten den verstärkten Akzent auf die politische Integration sichtbar gemacht: „Sie bedeuteten den Sieg der Anhänger des supranationalen, oder föderalen, Ansatzes zur Lösung der Probleme des ‚europäischen Aufbaus’.“ Sie ebneten damit auch den Weg zur politischen Europäischen Union, wie sie im Vertrag von Maastricht beschlossen wurde.342 Aus der Distanz von dreissig Jahren wertet Trenin die 1950er- bis 1970er-Jahre als Antithese zur Integration, wie sie sich im Westen entwickelte. Als Folge des Paradigmas der „friedlichen Koexistenz“ (mirnoe sosuščestvovanie) zweier paralleler Welten, der des Sozialismus und der des Imperialismus, habe die Sowjetunion versucht, militärisch mit den USA Schritt zu halten, die USA ihrerseits hätten versucht, die Sowjetunion militärisch und politisch zurückzuhalten: „Deswegen war die Einbindung der Sowjetunion in internationale wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche Beziehungen äusserst begrenzt und einseitig. Die UdSSR spielte, nebst den USA, eine führende Rolle in der Weltpolitik und im militärischen Bereich, war jedoch aufgrund des autarken Charakters der sowjetischen Wirtschaft schwach in weltwirtschaftliche Beziehungen integriert. Das politische System forderte strengste Zentralisierung und genaue Regelung aller Kontakte mit der Aussenwelt. Die herrschende Ideologie postulierte, dass ‚die friedliche Koexistenz 340 Chesin 1995: 255, im Original: „integracionnyj process, chotja i zastoropilsja, ne pošel vspjat’. Centrobežnye, destruktivnye tendencii ne vzjali verch – podtverždenie neobratimosti ėtogo processa.“ 341 Chesin 1995: 255, im Original: „Otkryvalas’ takim obrazom vozmožnost’ dlja posledujuščej prostranstvennoj ėkspansii EG za sčet menee razvitych gosudarstv – snačala zapadnoevropejskich, a zatem i vostočnoevropejskich.“ 342 Chesin 1995: 256, im Original: „Oni označali pobedu storonnikov nadnacional’nogo, ili federal’nogo, podchoda k rešeniju problem ‚evropejskogo stroitel’stva’.“
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zweier entgegengesetzter gesellschaftlich-wirtschaftlicher Systeme eine spezifische Form des Klassenkampfes bildet’. Die sowjetische Innen- und Aussenpolitik war die direkte Antithese der Integration.“343
4.3
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4.3.1 Auf dem Weg zu einem „gemeinsamen Haus Europa“
Bis zum „Neuen Denken“ der Glasnost’- und Perestrojka-Ära in den Jahren 1985/86344 prägte die an der Parteilinie der KPdSU orientierte marxistischleninistische Sichtweise das Bild des konsequent als „westeuropäisch“ bezeichneten Integrationsprozesses. Borko bezeichnet die Methodik im Rückblick als „eklektizistische Mischung“ (ėklektičeskaja smes’), die zumindest drei Komponenten enthielt: erstens einige obligatorische ideologische Klischees, zweitens einige konkrete Thesen der marxistischen Politökonomie und Soziologie, drittens eine empirische Analyse der Integrationsprozesse mit entsprechenden konkreten Verallgemeinerungen. Den über hundert Monographien und zahllosen Artikeln spricht Borko immerhin das Etikett einer „Schule der empirischen Forschung zur europäischen Integration“ zu.345 Wie Borko notiert, wurde Lenins Theorie vom Imperialismus als letztem Stadium des Kapitalismus noch 1986 am 27. Parteitag der KPdSU offiziell bekräftigt.346 Exemplarisch sind hier die Arbeiten von Knjažinskij (1958, 1960, 1973, 1974, 1984 und sogar noch 1986) sowie von Glucharev (1976, 1978a, 1978b), Šiškov (1972, 1978) und Utkin (1981) zu nennen. Sie führen eine strikt ideologisch begründete Kritik an der „bourgeoisen“, „imperialistischen“, „monopolistischen“ westeuropäischen Integration unter US-amerikanischer Führung als Mittel zur Vertiefung der Spaltung Europas in zwei Blöcke und damit einhergehend zum „antisowjetischen“ und „antisozialistischen“ Kampf, der sich auch als „Klassenkampf“ des „Kapitals“ gegen die „Arbeiterklasse“ äussert. Die 343 Trenin 2006: 68f., im Original: „V silu ėtich pričin vključennost’ SSSR v meždunarodnye ėkonomičeskie, političeskie, obščestvennye svjazi byla krajne ograničennoj i odnostoronnej. SSSR – narjadu s SŠA – igral veduščuju rol’ v mirovoj politike i v voennoj sfere, no izza avtarkičeskogo charaktera sovetskoj ėkonomiki byl slabo integrirovan v mirochozjajstvennye svjazi. Političeskaja sistema trebovala žestočajšej centralizacii i podrobnoj reglementacii vsech kontaktov s vnešnim mirom Gospodstvovavšaja ideologija postulirovala, čto ‚mirnoe sosuščestvovanie dvuch protivo-položnych obščestvenno-ėkonomičeskich sistem javljaetsja specifičeskoj formoj klassovoj bor’by’. Sovetskaja vnutrennaja i vnešnjaja politika byla prjamoj antitezoj integracii.“ 344 Allgemein zur Perestrojka-Ära vgl. den Beitrag von Stefan Creuzberger in: Bohn/Neutatz 2009: 191ff. und zur Europadiskussion den Überblick bei Neumann 1996: 158-193. 345 Borko 1997 : 16. und 17. Absatz. 346 Borko 1992a: 24.
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Erstarrung der 1970er- und 1980er-Jahre fand deutlich Ausdruck in einer Publikation wie Knjažinskijs „West European Integration: Its Policies and International Relations“, 1984 im Progress-Verlag in Englisch und Französisch erschienen: Der Autor gibt im Wesentlichen Artikel aus den Jahren 1958 und 1960 in geraffter Form wieder und setzt den westeuropäischen Integrationsbemühungen den gesamteuropäischen Ansatz, wie er in der KSZE initiiert wurde, gegenüber. Noch 1986 publizierte Knjažinskij mit Koautoren 200 Seiten zu den „Projekten und der Realität“ der westeuropäischen Integration unter strikt marxistischleninistischen Vorzeichen, mit Definitionen wie dieser: „Die westeuropäische Integration ist eine komplizierte sozio-ökonomische und politische Erscheinung. Ihre materielle Grundlage ist der objektive Prozess der Internationalisierung des wirtschaftlichen Lebens, das nach dem Zweiten Weltkrieg in eine qualitativ neue Etappe übergegangen ist. Der staatsmonopolistische Kapitalismus in den Ländern Westeuropas wächst über die nationalen Grenzen. Auf dieser Grundlage entstanden als Resultat der zielgerichteten Tätigkeit der kapitalistischen Staaten und Monopole internationale staatsmonopolistische Vereinigungen einer Reihe von Staaten – ein regionaler Integrationskomplex.“347 Typisch für die vorsichtigunausweichliche Neubewertung der sich stetig weiterentwickelnden Integrationsprozesse ist die ambivalente Einschätzung Knjažinskijs, das Schwanken zwischen ideologischer Fixierung und pragmatischer Anerkennung: „(…) die Krisenerscheinungen in der Wirtschaft stimulieren den ‚nationalen Egoismus’, führen zu einer Verschärfung der inter-imperialistischen Widersprüche, die die zentrifugalen Tendenzen verstärken. Deshalb stellt sich heute die Bildung einer konföderativen oder föderativen Formierung auf Grundlage der EWG als unerreichbares Ziel dar. Jedoch zeitigt der komplizierte Prozess der westeuropäischen Integration ungeachtet der Rückschläge und Widersprüche einen bestimmten Dynamismus.“348 Mit der Entspannung der 1970er-Jahre sieht Knjažinskijs schliesslich „objektive Voraussetzungen für einen breiten wirtschaftlichen Austausch“ zwischen sozialis347 Knjažinskij 1986: 5: „Zapadnoevropejskaja integracija – složnoe social’no-ėkonomičeskoe i političeskoe javlenie. Ego material’naja osnova – ob-ektivnyj process internacionalizacii chozjajstvennoj žizni, vstupivšij posle vtoroj mirovoj vojny v kačestvenno novyj ėtap. Gosudarstvenno-monopolističeskij kapitalizm v stranach Zapadnoj Evropy pererastaet nacional’nye granicy. Na ėtoj osnove v rezul’tate celenapravlennoj dejatel’nosti kapitalističeskich gosudarstv i monopolii voznikli meždunarodnye gosudarstvennomonopolističeskie ob-edinenija rjada gosudarstv – regional’nyj integracionnyj kompleks.“ 348 Knjažinskij 1986: 98, im Original: „(...) krizisnye javlenija v ėkonomike stimulirujut ‚nacional’nyj ėgoizm’, vedut k obostreniju mežimperialističeskich protivorečij, usilivajuščich centrobežnye tendencii. Poėtomu segodnja predstavljaetsja nedostižimoj cel’ju obrazovanie na baze EĖS konfederativnogo ili federativnogo gosudarstvennogo formirovanija. Odnako nesmotrja n spady i protivorečija, složnyj process zapadnoevropejskoj integracii obnaruživaet opredelennyj dinamizm.“
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tischen und kapitalistischen Ländern, der jedoch in einem Widerspruch zu USamerikanischen Vorstellungen stehe: “Die Ausweitung und Vertiefung der gesamteuropäischen Zusammenarbeit entsprach nicht der ‚atlantischen’ Politik der Stärkung der NATO und des Erhalts der Spaltung Europas. Die Versuche der Verfechter des ‚Atlantismus’, die EWG als Instrument zur Druckausübung auf die Länder des Sozialismus zu nutzen, ist charakteristisch für die ganze Geschichte des Bestehens des ‚Gemeinsamen Marktes’.“349 Auch Autoren wie Borko (1975, 1984) und L. Glucharev, Direktor des Pädagogisch-wissenschaftlichen Zentrums für Probleme der europäischen Integration und der Systemanalyse der EG, (1976, 1978a, 1978b) publizieren zunächst auf dieser offiziellen Linie, bevor sie sich ab 1988 als Anhänger des „neuen Denkens“ erweisen (Borko 1988b, 1990, 1991, 1992, 1995, 1996, 1997, Glucharev 1997). Borko (1998a) nähert sich dem Thema der „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen RGW und EG. Studien wie diejenige der Juristin I. Krylova (1987) vom Institut für Staat und Recht der AN SSSR über den rechtlichen Status des Europäischen Parlaments verdeutlichen, dass das „neue Denken“ eine thematische Ausweitung und sachlich fundierte Vertiefung der Arbeiten zur europäischen Integration ermöglichen. Sowjetische Historie bis 1991 wird gemeinhin als „Makulatur“ bezeichnet, die „Wiederkehr der Geschichte“ in die Zeit der Perestrojka datiert.350 Ähnlich drastisch wird auch von der „Erosion des sowjetischen Geschichtsbildes“ ab dem Januar 1987 gesprochen, 351 während die ersten Darstellungen noch behutsam mit den Begriffen „Umwertung“ und „Wende“ arbeiteten.352 Eine äusserst detaillierte Untersuchung des Prozesses der Geschichtsrevision und seiner Implikationen für die Neukonstruktion einer russischen historischen Identität legt de Keghel im Jahr 2006 vor, allerdings inhaltlich bezogen auf die vorsowjetische Geschichte.353 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bewertet Hösler das Erreichte höher als das Fehlende: Russlands historische Disziplin sei „Teil der internationalen scientific community“ geworden.354 Der unvoreingenommenen Beschäftigung mit der europäischen Integrationsgeschichte steht heute wenig entgegen.
349 Knjažinskij 1986: 124, im Original: „Rasširenie i uglublenie obščeevropejskogo sotrudničestva ne otvečalo ‚atlantičeskoj’ politike ukreplenija NATO i sochranenija raskola Evropy. Popytki pobornikov ‚atlantizma’ ispol’zovat’ EĖS v kačestve instrumenta dlja okazanija davlenija na strany socializma charakterny dlja vsej istorii suščestvovanija ‚Obščego rynka’.“ 350 Plaggenborg 2006: 106. 351 Hösler 2009: 1, 6 sowie ausführlich bereits 1995: 219-293. 352 Geyer 1991; Davies 1991. 353 De Keghel 2006: 122ff. enthält eine umfassende Bibliographie über den Forschungsstand zur Revision der sowjetischen Geschichte. 354 Hösler 2006: 25.
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Čubar’jan konstatiert 2006 ein deutliches Defizit der sowjetischen Historiographie: „Im Wesentlichen wurde in der UdSSR praktisch keine einzige objektive Arbeit über die Geschichte des Pazifismus und pazifistischer Ideen und Organisationen herausgegeben. Indessen verbanden fast alle Autoren von europäischen Einheitsprojekten ihre Realisierung insbesondere mit pazifistischen Ideen eines ewigen und gerechten Friedens. Ausserdem entstammte die Mehrzahl dieser Projekte dem sozial-demokratischen Gedanken Europas, welcher in der UdSSR ebenfalls völlig negativ bewertet wurde.“355 Hierin liegt sicherlich eine Erklärung für die Nichtbeachtung der Europaideen eines Kautsky oder Trockij in sowjetischer Zeit. Exemplarisch für den Beginn des ideologischen Umbruchs steht ein 1985 erschienener Sammelband von Historikern des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO), der sich als erste Spezialuntersuchung der politischen Aspekte der westeuropäischen Integration präsentiert (Kišilov 1985). Obwohl noch auf marxistisch-leninistischer Grundlage argumentierend, kommt die differenzierte und präzise Darstellung der Integrationsmechanismen zum Schluss, dass die EG zunehmend als eigener Akteur auf der Weltbühne agiert und zur Kenntnis genommen werden muss. Zwei weitere IMEMO-Publikationen dieser Zeit bleiben zwar ebenfalls dem Marxismus-Leninismus verhaftet, bemühen sich jedoch um eine detaillierte Darstellung: Baranovskij (1986) stellt die Europäische Gemeinschaft im System der internationalen Beziehungen dar und relativiert die Intensität der politischen Integration Westeuropas, obwohl diesem eine immer aktivere Rolle ebenfalls konzediert wird. Maksimova et al. (1986) vereint ökonomische Studien aus verschiedenen sozialistischen Ländern, die sich der „Regulierung von Integrationsprozessen“ annehmen und dabei den Schluss ziehen, dass sich die „Krise“ des „staatlichen-monopolistischen Kapitalismus“ noch verschärfen werde. Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der Schlussakte von Helsinki publiziert das Institut für Allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften 1985 unter der Leitung des Historikers Čubar’jan einen Sammelband zum „Europa des Zwanzigsten Jahrhunderts“ (Čubar’jan 1985).356 Der Fokus der Beiträge liegt auf der Entwicklung der Entspannungspolitik und dem erfolgreichen „gesamteuropäischen“ Prozess im Rahmen der KSZE, wodurch sich die westeuropäischen Staaten vom Druck der USA zunehmend zu befreien vermochten. 1987 erscheint 355 Čubar’jan 2006: 305 „V suščnosti, v SSSR ne bylo izdano praktičeski ni odnoj ob-ektivnoj raboty po istorii pacifizma i pacifistskich idej i organizacij. A meždu tem, počti vse avtory proektov evropejskogo edinstva svjazyvali ich realizaciju imenno c pacifistskimi idejami večnogo i spravedlivogo mira. Krome togo, bol’šinstvo iz ėtich proektov šli v rusle socialdemokratičeskoj mysli Evropy, kotoraja takže ves’ma otricatel’no ocenivalas’ v SSSR.“ 356 Rezension: Roščin (1987), vgl. zur Tagung aus gleichem Anlass Novik (1985).
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Čubar’jans europhil-eurozentrische Darstellung „Die europäische Idee in der Geschichte“, die 1992 unter dem deutschen Titel „Europakonzepte von Napoleon bis zur Gegenwart“ und deren englische Ausgabe 1994 folgen sollte. Der Autor bedauert das „stereotyped, over-ideologized thinking“, das hinter der sowjetischen Ablehnung des Marshall-Planes stand, und stellt, gestützt auf Archivmaterial, fest, dass die sowjetische Führung die Frage der Teilnahme zuvor intensiv diskutiert hatte.357 Auffallend ist die positive Überbewertung des westeuropäischen Integrationsprozesses, die in der These der russischen Mitgliedschaft endet: „(…) there is no doubt that the absorption into the EEC of East European countries and the former Soviet Union republics is only a matter of time, for it is an objective process“.358 Das „Neue Denken“ zur Zeit der Perestrojka unter Gorbačev ab 1985 evozierte das Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“359, welches letztlich auf eine bereits im 15. Jahrhundert tradierte Metapher zurückgeht und auch schon zur Popularisierung des Marshallplans Verwendung fand.360 Für Neumann überwindet Gorbačev auf diese Weise die Dichotomie eines „wahren“ oder „falschen“ Europa, die der Sicht eines „Europe as a cultural whole“ weicht.361 Lipkin sieht darin eine Fortsetzung der sowjetischen Initiativen zur Bildung einer neuen gesamteuropäischen Handelsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg (erste Versuche unter Stalin 1952, dann unter Chruščev 1955–1964, schliesslich unter Brežnev): „Die Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses, die von M. S. Gorbačev in den 1980ern formuliert wurde, war eine Fortsetzung der sowjetischen gesamteuropäischen Initiativen der 1950er- bis 1970er-Jahre. Man kann feststellen, dass gegen Ende der Regierung Gorbačev die Beziehungen mit der EWG einen vollständigen Wechsel vollzogen: von ‚ideologisierten’ zu ‚idealisierten’.“362 Noch vor dem Amtsantritt als Generalsekretär stattete der junge Parteifunktionär Gorbačev am 18. Dezember 1984 als Leiter einer sowjetischen Parlamentarierdelegation dem britischen Parlament einen Besuch ab und äusserte in seiner dort gehalten Rede: „The nuclear age inevitably dictates a new political thinking“, 357 Cubar’jan 1987, hier zitiert nach der englischen Ausgabe 1994: 158ff. 358 Čubar’jan 1987, zitiert nach der englischen Ausgabe 1994: 180. 359 Aus der reichhaltigen westlichen Literatur zum gemeinsamen europäischen Haus u.a.: Franz (1993), Malcolm (1989a, 1989b); Rey (2004, 2008b), Kreis (2011). In der russischsprachigen Literatur: Maksimova (1988), Stupišin (1989), Baranovskij, Zuev (1989), Borko/Zagorskij/Karaganov (1991), Borko (2003a), Lipkin (2009a), Čubar’jan (2006). 360 Schmale 2008a: 24. 361 Neumann 1996: 162. 362 Lipkin 2009: 64, im Original: „ Ideja obščego evropejskogo doma, sformulirovannaja M. S. Gorbačevym v 1980-e gody, byla prodolženiem sovetskich obščeevropejskich iniciativ 1950-1970-ch godov. Možno konstatirovat’ čto k koncu pravlenija Gorbačeva otnošenija s EĖS prošli polnyj krug: ot ‚ideologizorannych’ k ‚idealizirovannym’.“
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und weiter: „Now more than ever there is a need for a constructive dialogue, for a search for solutions to key international problems, for an attempt to find areas of agreement that could lead to greater trust among different countries.” Und er schloss: “Whatever is dividing us, we live on the same planet and Europe is our common home.”363 Gorbačev nahm damit einen Begriff auf, den der sowjetische Aussenminister schon 1972 bei einem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten Pompidou verwendet hatte, um ihn von der Notwendigkeit einer Unterstützung des Vorschlags für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu überzeugen. Im November 1981 benutzte Brežnev bei einem Besuch in Bonn den Begriff, im Januar 1983 Aussenminister Gromyko, ebenfalls in Bonn.364 Nach dem Londoner Auftritt 1984 und seinem Amtsantritt als Generalsekretär im Frühjahr 1985 sollte Gorbačev erst in der zweiten Hälfte 1985 wieder auf ihn zurückkommen: bei einem Fernsehinterview in Frankreich am 1. Oktober, als eine Idee, die im „gerade in den Sinn gekommen sei.“365 Drei Funktionen sieht Rey in diesem frühen Bild des gemeinsamen Hauses im Jahr 1985: erstens als Teil einer PR-Kampagne, die Westeuropäern schmeicheln soll, zweitens als Signal an westliche Führer, dass die Sowjetunion ihre Aussenpolitik nicht nur auf die USA ausrichtet, drittens als Mittel, um neue Verbündete in der Frage der Abrüstung von Trägerraketen für Nuklearwaffen zu finden.366 Auch Gračev sieht im frühen Konzept des gemeinsamen Hauses primär das Ziel, einen Keil zwischen die atlantischen Verbündeten zu treiben, das jedoch bald zum Ausdruck von Gorbačevs Glauben an einen reformierten und demokratisierten Sozialismus wurde, der sich mit dem humanisierten und möglicherweise sozialdemokratisierten Kapitalismus im Westen versöhnen könne.367 Am 27. Parteitag der KPdSU im Februar 1986 wurden – im Interesse einer Freilegung von Ressourcen für interne Reformen – drei neue praktische Ideen entwickelt: Friedliche Koexistenz muss kooperativ sein, wirkliche Sicherheit muss auf Gegenseitigkeit beruhen, und die USA und die UdSSR sollten in ihrem strate363 Rey 2004: 34, Zitat aus: Mikhail Gorbachev: Memoirs, London, 1996, p. 161, hier zitiert nach Rey, die auch die Pravda vom 19.12.1984 als Quelle angibt: „Europa, unser gemeinsames Haus“ im russ. Original: „Evropa, naš obščij dom“. Rey 2008b: 23 gibt die Benutzung neuer Archivquellen an: der Gorbachev Foundation Archives, der Collection of Oral Archives von GFA und Hoover Institution, des franzöisischen Präsidentenarchivs sowie die Websites des Cold War History Projects und des National Security Archive. Vgl. Neumann 1996: 161. 364 Rey 2004: 34 sowie Linke 1993: 60. Für 1971 gibt Rey ihre eigene Publikation an: „Georges Pompidou et l’Union soviétique“, in: Georges Pompidou et l’Europe, Paris, 1995, pp. 141–170. Für 1981 vgl. Pravda, 24.+25.11.1981. 365 Rey 2004: 35 gestützt auf die „Memoirs“, a.a.O., pp. 428f. 366 Rey 2004: 35–37. 367 Gračev 2008: 209f.
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gischen Denken das Konzept der „reasonable sufficiency“ befördern.368 Die Überlegungen fügten sich in Vorstellungen ein, welche die „meždunarodniki“, die „Internationalisten“, d.h. Experten der internationalen Beziehungen, seit dem Beginn der 1970er-Jahre hegten, insbesondere die Infragestellung der vermeintlich ständig drohenden Aggressivität des Westens. Im Politbüro drückte Gorbačev erstmals seit 1985 „a true interest in the EEC as a whole“ aus, berichtet Rey unter Berufung auf Černaevs Notizen im Februar 1986.369 Gleichzeitig beklagte er, dass der Apparat zu wenig über die EWG wisse, denn „no serious study is conducted on the European economy, nothing valuable comes from either the KGB or the Research academic institutes“.370 Für Vizeaussenminister Anatolij Kovalev war das Konzept des europäischen gemeinsamen Hauses, das er in einem Bericht an das Politbüro am 26. März 1987 darlegte, so Rey, “a new expression of the old utilitarian and opportunistic approach to Western European matters. But this was not longer the case for Gorbachev.” Gorbačev unterstützte 1987 noch vor dem Aussenministerium eine völlige Reevaluierung der Rolle Westeuropas. Im Bewusstsein des sowjetischen Nachholbedarfs regte er auch die Gründung eines Europa-Instituts an, welches tatsächlich 1988 unter Leitung von Vitalij Žurkin seine Tätigkeit aufnahm.371 In einem Artikel aus dem Jahr 2001 hält der nunmehr als Ehrendirektor fungierende Žurkin Rückblick auf die grundlegenden Forschungsrichtungen, die sich über ein Jahrzehnt an diesem Institut entwickelten. Vor der Perestrojka, so bedauert er, sei zu sowjetischen Zeiten „(…) ironischerweise, oder genauer gesagt kraft partei-bürokratischer Wortklauberei, die europäische Richtung lange zerstückelt und auf verschiedene Gruppen von Forschern der internationalen Beziehungen aufgeteilt gewesen“.372 Mitarbeiter wie Šmelev, Borko, Koval’skij, Kudrov, Belov, Butorina, Danilov, Šemjatenkov und Tėvdoj-Burmuli widmeten sich der Analyse politischer, sozialer, ökonomischer und sicherheitspolitischer Prozesse der europäischen Integration und machten das Institut zum Hauptforschungszentrum in Russland. Seit 1994 wird ein Quartalsbericht „Europäische Union: Fakten und Kommentare“ herausgegeben, dies, wie Žurkin erläutert, aus dem einfachen Grund, „(…) dass im Verlauf einiger Jahrzehnte im Land ein völliges Informati368 Rey 2004: 37: im Original „razumnaja dostatočnost’“, zu übersetzen etwa mit: „vernünftige Genügsamkeit“, d.h. Selbstbeschränkung in Rüstung und aussenpolitischen Ambitionen, M.W. 369 Rey 2008b: 27. 370 Gorbachev Memoirs, hier zitiert nach Rey 2008b: 27f. 371 Rey 2008b: 28, vgl. Fn. 23 für den Kovalev-Bericht. Gračev 2008: 211 erwähnt, dass 1987 im sowjetischen Politkalender zum „Jahr Europas“ ausgerufen wurde. 372 Žurkin 2001: 3, im Original: „(...) po ironii, a točnee govorja v silu partijnobjurokratičeskich chitrospletenij, evropejskoe napravlenie dolgo ostavalos’ razdroblennym, podelennym meždu različnymi gruppami issledovatelej meždunarodnych otnošenij“. Vgl. auch Šmelev /Borko (2001) zur Tätigkeit des Instituts.
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onsvakuum über die europäische Integration und die Tätigkeit der EU bestand“.373 Eine Kooperation wurde zunächst mit dem MID vereinbart. Kooperationen mit dem Ausland, so mit dem Pariser „Institute for Security Studies“ der Europäischen Union, publiziert in den „Chaillot Papers“, folgten. Zum Aufbau von Kontakten in die russischen Regionen und Bildungseinrichtungen wurde 1992 die „Vereinigung für europäische Studien“ (Associacija evropejskich issledovanij, AEVIS) gegründet, seit 1994 eine Sektion der ECSA–World. Ab 2000 publiziert das Institut zudem die Quartalszeitschrift „Modernes Europa“ (Sovremennaja Evropa).374 Žurkin (2006) und (2007) bilden Beispiele für Dutzende vom Europa-Institut publizierter „Berichte“ (Doklady Instituta Evropy RAN), die sich einem breiten Spektrum an Integrationsthemen, aber auch Spezialthemen wie religiösem Fundamentalismus, Drogenhandel, ethnischen Konflikten oder illegaler Immigration, widmen. Im April 1987 schmückte Gorbačev das Bild des „gemeinsamen Hauses“ anlässlich einer Rede in Prag weiter aus, indem er die Koexistenzformel der 1970er-Jahre in das Innere des europäischen Gebäudes verlegte. „Im Lichte des neuen Denkens haben wir die Idee vom ‚gesamt-europäischen Hauses’ hervorgebracht. Das ist nicht etwa ein Phantasiegebilde, sondern das Ergebnis einer ernsthaften Analyse der Situation auf dem Kontinent. Der Begriff ‚gesamteuropäisches Haus’ bezeichnet vor allem die Anerkennung einer bestimmten Unteilbarkeit, obgleich es sich hier um Staaten handelt, die unterschiedlichen Gesellschaftssystemen und einander entgegengesetzten militärpolitischen Blöcken angehören. Er vereint in sich die herangereiften Probleme mit realen Möglichkeiten, sie zu lösen. (…) Es ist an der Zeit, auch darüber nachzudenken, wie die Integrationsprozesse in beiden Teilen Europas weiter verlaufen werden. Die Gesetze der Weltwirtschaft sind objektiv. Aber auch der wissenschaftlich-technische Fortschritt drängt zur Suche nach bisher nicht gekannten Formen der gegenseitig vorteilhaften Kooperation. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe gab ein Signal, im Interesse aller europäischen Völker Brücken zu schlagen. Man kann damit rechnen, dass neue Prozesse in der Wirtschaft der Länder der sozialistischen Gemeinschaft die ökonomische Zusammenarbeit beider Hälften Europas aktivieren und bereichern sowie mit neuem Inhalt erfüllen werden. Ein Europa ‚vom Atlantik zum Ural’ – das ist im hohen geistigen Sinn auch eine kulturhistorische Kategorie. Hier wurde die Weltzivilisation mit Ideen der Renaissance und der Aufklärung bereichert, erfuhren die humanistische Tradition und die Lehre vom Sozialismus eine bedeutende Entwicklung, wurde der unschätzbare Fonds in allen Branchen der wissenschaftlichen 373 Žurkin 2001: 4, im Original: „(...) čto v tečenie neskol’kich desjatiletij v strane byl polnyj vakuum informacii o evropejskoj integracii i dejatel’nosti ES“. 374 Žurkin 2001: 8-17.
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Erkenntnisse der Welt durch Anstrengungen genialer Menschen aller europäischen Nationen geschaffen. Somit schlagen wir an Stelle eines nuklearen Krematoriums für Europa die friedliche Entwicklung einer vielfältigen und zugleich einheitlichen europäischen Kultur vor. Unsere Vorstellung von einem ‚gesamteuropäischen Haus’ beinhaltet bei weitem nicht die Absicht, seine Türen für irgendjemanden zuzuschlagen. Im Gegenteil, der Fortschritt Europas würde es ihm ermöglichen, einen noch grösseren Beitrag zum Fortschritt der gesamten übrigen Welt zu leisten. Europa darf sich nicht der Teilnahme an der Lösung der Probleme des Hungers, der Verschuldung, der Unterentwicklung sowie an der Beseitigung von bewaffneten Konflikten entziehen. Zweifellos setzen sich die europäischen Völker ausnahmslos dafür ein, dass auf dem Kontinent eine Atmosphäre der guten Nachbarschaft und des Vertrauens, der Koexistenz und der Zusammenarbeit festen Fuss fasst. Dies wäre im wahrsten Sinne des Wortes ein Triumph des neuen politischen Denkens.“375
375 Deutsche Fassung zitiert nach Gorbačev 1987a: 25–27. Gorbatschows Äusserungen werden in der Pravda vom 11. April 1987 sowie auszugsweise auf der Website der Gorbachev Foundation wiedergegeben: http://www.gorby.ru/rubrs.asp?art_id=13721&rubr_id=172&page=2 , dort in folgendem Originalwortlaut: „V svete novogo myšlenija my vydvinuli ideju ‚obščeevropejskogo doma’. Ėto ne krasivaja fantazija, a rezul’tat ser-eznogo analiza situacii na kontinente. Ponjatie ‘obščeevropejskij dom’ označaet prežde vsego priznanie opredelonnoj celostostnosti, chotja reč’ idet o gosudarstvach, prinadležaščich k raznym social’nym sistemam i vchodjaščim v protivopoložnye voenno-političeskie bloki. Ono sočetaet v sebe nazrevšie problemy s naličiem real’nych vozmožnostej ich rešenija. (…) Pora podumat’ i o tom, kak budut dal’še protekat’ integracionnye processy v obeich častjach Evropy. Mirochozjajstvennye zakony ob-ektivny. Da i naučno-techničeskij progress podtalkivaet k poisku kakich-to form vzaimovygodnoj kooperacii. Sovet Ėkonomičeskoj Vzaimopomošči podal signal k navedeniju mostov v interesach vsech evropejskich narodov. Možno rassčityvat’, čto novye processy v ėkonomike stran socialističeskogo sodružestva pozvoljat aktivizirovat’ i obogatit’, napolnit’ novym soderžaniem ėkonomičeskoe sotrudničestvo obeich polovin Evropy. Evropa ‘ot Atlantika do Urala’ – ėto i istoriko-kul’turnaja kategorija v vysokom duchovnom smysle. Zdes’ mirovaja civilizacija obogatilas’ idejami Vozroždenija i Prosveščenija, polučili moščnoe razvitie gumanističeskaja tradicija i učenie o socializme, usilijami genial’nych ljudej vsech evropejskich nacij sozdavalsja bescennyj fond vo vsech otrasljach naučnogo znanija i chudožestvennogo postiženija mira. Itak, vmesto jadernogo krematorija dlja Evropy my predlagaem mirnoe razvitie mnogolikoj i vmeste s tem celostnoj evropejskoj kul’tury. Naše predstavlenie ob ‘obščeevropejskom dome’ otnjud’ ne označaet namerenija zachlopnut’ ego dveri dlja kogo-libo. Naprotiv, progress Evropy pozvolil by ej vnosit’ ešče bol’šij vklad v progress vsego ostal’nogo mira. Evropa ne dolžna uklonjat’sja ot učastija v rešenii problem goloda, zadolžennosti, slaborazvitosti, sodejstvija likvidacii vooružennych konfliktov. Možno ne somnevat’sja, čto evropejskie narody, bez isključenija, stojat za to, čtoby na kontinente utverdilas’ atmosfera do-
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In seinem Bestseller über die Perestrojka und das neue Denken liest sich die Darstellung des Konzepts dann folgendermassen: „Europa ist in der Tat ein gemeinsames Haus, wo Geographie und Geschichte die Geschicke von Dutzenden von Ländern und Völkern eng miteinander verwoben haben. Natürlich hat jedes Land seine eigenen Probleme und möchte seine Eigenständigkeit bewahren und seinen eigenen Traditionen folgen. Um die Metapher weiter auszuführen, könnte man daher sagen: das Haus ist ein gemeinsames, das ist richtig, aber jede Familie hat darin ihre eigene Wohnung, und es gibt auch verschiedene Eingänge. Doch nur zusammen, gemeinschaftlich, und indem sie die vernünftigen Regeln der Koexistenz befolgen, können die Europäer ihr Haus bewahren, es vor Feuersbrunst und anderen Katastrophen schützen, es besser und sicherer machen und es in einwandfreiem Zustand halten. Manche Leute könnten diese Vorstellung für ein schönes Märchen halten. Doch es ist kein Märchen, sondern das Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der Lage auf dem Kontinent. Falls die Welt neuer Beziehungsmuster bedarf, dann vor allem Europa. Man darf sagen, dass die Staaten Europas sie unter Schmerzen hervorgebracht haben und sie verdienen. Die Vorstellung eines ‚gemeinsamen europäischen Hauses’ betont vor allem die Ganzheitlichkeit, obwohl die betreffenden Staaten unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und einander entgegengesetzten militärischen Bündnissen angehören. Sie ist die Verbindung von Notwendigkeit und Möglichkeit.“376 Das „Gemeinsame Haus“ bildete so 1986 und im darauf folgenden Jahr einen Bestandteil des „Neuen Denkens“ der Perestrojka-Ära und entwickelte 1988/1989 eine eigene Dynamik, mit dem Ziel einer neuen Organisation des europäischen Kontinents (wobei die USA und Kanada zunehmend stärker miteingebunden werden sollten). Da sowohl europäische Werte wie das gesamteuropäische Interesse einer Organisation des Kontinents im Vordergrund stehen, kann von einem europhil-eurozentrischen Projekt gesprochen werden. In weiteren Reden, gehalten in Belgrad im März 1988 und Strasbourg im Juli 1989, präzisierte Gorbačev sein Bild weiter. Das gemeinsame europäische Haus nahm nun die Form eines vierstöckigen Gebäudes an: Das Fundament bildet die Helsinki-Ordnung, darauf baut in einem ersten Geschoss die kollektive Sicherheit auf, in einem zweiten Geschoss die friedliche Streitbeilegung und in den obersten Geschossen eine pan-europäische Wirtschafts- und Handelszusammenarbeit sowie eine wirkliche europäische kulturelle Gemeinschaft.377 Militärische Allianzen sollten nicht aufgelöst, sondern in politische Organisationen transformiert werden, und in wirt-
brososedstva i doverija, sosuščestvovanija i sotrudničestva. Ėto bylo by v polnom smysle triumfom novogo političeskogo myšlenija.” 376 Gorbačev 1987b: 253. 377 Rey 2004: 39.
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schaftlicher Hinsicht erfolgte ab 1988 erstmals eine gemeinsame Erklärung und anschliessend der Abschluss eines Abkommens von RGW und EG (vgl. unten). Gorbačev strebte auf diese Weise eine umfassende pan-europäische Integration an, welche zu einer Auflösung der bestehenden Organisationen führen sollte, indem sich RGW und EG schrittweise annäherten. In diesem gemeinsamen europäischen Haus hätten nach seiner Vorstellung die osteuropäischen Staaten einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz repräsentieren sollen.378 Nichts verdeutlichte schliesslich die „Rückkehr nach Europa“ mehr als die Vorstellung einer europäischen Kulturgemeinschaft, die im Rahmen einer pan-europäischen Integration entstehen würde. Der sowjetische Diplomat Lukin formulierte 1988: „The ‚Common European House’ is the home of a civilization of which we have been on the periphery for a long time. The processes that are going on today in our country, and in a number of socialist countries in Eastern Europe, have besides everything else a similar historical dimension – the dimension of a movement towards a return to Europe in the civilized meaning of the term.”379 In seinem Buch über die Perestrojka verdeutlichte Gorbačev 1987, worin er den „Imperativ“ für eine europäische Integrationszusammenarbeit sah: „In beiden Teilen Europas vollziehen sich in zunehmenden Mass Integrationsprozesse. Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, was als nächstes kommen wird. Wird sich die Spaltung Europas weiter ausweiten, oder kann zum Wohle des Ostens wie auch des Westens, im Interesse Europas und der übrigen Welt eine gemeinsame Basis gefunden werden? Die Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung in beiden Teilen Europas sowie der wissenschaftliche und technologische Fortschritt machen es notwendig, unverzüglich eine Form der Zusammenarbeit zu suchen, die für beide Seiten von Vorteil ist. Ich meine damit nicht eine Art ‚europäische Autarkie’, sondern eine bessere Nutzung des gesamten europäischen Potentials zum Wohle der Menschen und in Verbindung mit der übrigen Welt.“380 Für Rey hat sich so das Konzept des gemeinsamen europäischen Hauses innert weniger Jahre entwickelt: vom einfachen Bild für Propagandazwecke, über das Element des Neuen Denkens bis zur neuen Architektur und Utopie einer neuen Kultur für den europäischen Kontinent.381 Unterstützt wurde das Konzept von 378 Rey 2004: 40. 379 V. Lukin in: Moskovski novosti 38 (1988), hier zitiert nach Rey 2004: 40f, diese ihrerseits nach. Malcolm 1989: 14. Bei Rey belegen weitere Quellenangaben auch aus oral archives die „Rückkehr nach Europa“ als Ziel. 380 Gorbačev 1987b: 255. 381 Rey 2004: 41. Der von Rey verwendete Begriff „civilization“ wird hier mit „Kultur“ wiedergegeben, M.W. Rey 2008b: 23 stellt fest: „Gorbachev’s approach to Europe became increasingly far-reaching, calling optimistically – or maybe naively? – for a renewed and ambitious ‚pan-Europeanism’“.
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Instituten wie dem IMEMO und dem neu gegründeten Europa-Institut, nicht jedoch von konservativen Kreisen im MID; auch KGB-Berichte wurden zunehmend zentral vom Generalsekretär verteilt: „As a result, by the end of 1988, when the concept of a Common European Home started gaining in depth and significance, Soviet foreign policy lay entirely in the hands of Mikhail Gorbachev.“382 Militärkreise denunzierten das Gemeinsame Haus als „’sentimental theory’ depriving the USSR of any effective defence“.383 Als „historisch“ wertet Čubar’jan 2006 Gorbačevs Auftritt vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 6. Juli 1989 in Strasbourg: „Er sprach über die Bedeutung ‚allgemein-menschlicher Werte’ und über ihre vorrangige Rolle in der Geschichte der Menschheit im Vergleich zum Klassenansatz. Weiter wandte sich die Rede den Werten der europäischen Demokratie zu, und dem Umstand, dass die neue sowjetische Führung ihr Ziel in der Unterstützung der Prinzipien der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte sieht.“384 Unzweifelhaft drückt diese Passage das Ergebnis eines Lernprozesses im Rahmen der KSZE aus, der letztlich zu einer russischen Orientierung an (west)europäischen Normen führen sollte. Die Euphorie für das „Neue Denken“ stiess an Grenzen, schreibt Zubok 1999: „Even the most enlightened of the post-Gorbachev elite, pursuing diplomacy and writing for liberal publications, proclaimed the ‚all-human’ and ‚all-European’ elements of the ‚new thinking’ as naive, fuzzy and impractical for defining the interests of new Russia. (…) The European geopolitical revolution of 1989–90 was the logical conclusion of the process started by the Marshall Plan in 1947. Yet, Gorbachev’s reaction to it was diametrically opposite to the reaction of Joseph Stalin. While the first Soviet General Secretary harshly rejected the perspective of a united Europe, seeing it more as a threat than a potential opportunity for economic and political partnership, the last General Secretary sacrificed immediate security assets in the name of a long-term prospect of his country’s partnership with a united Europe.” Die Zeitgeschichte beweise, so Zubok, dass “the decision of Stalin’s leadership to oppose the forces of European integration was a tragic and costly mistake that the Russians cannot afford to repeat.”385
382 Rey 2004: 46. 383 Rey 2004: 48, nach Malcolm 1989: 158. 384 Čubar’jan 2006: 356 nennt fälschlicherweise das Europäische Parlament als Adressat, im Original: „On zajavil o značenii ‘obščečelovečeskich cennostej’ i ob ich pervenstvujuščej roli v istorii čelovečestva po sravneniju s klassovym podchodom. I dalee reč’ pošla o cennostjach evropejskoj demokratii, o tom, čto novoe sovetskoe rukovodstvo vidit svoju cel’ v podderžke principov svobody, demokratii i prav čeloveka.“ 385 Zubok 1999: 97f.
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Trotz freundlicher, zuweilen enthusiastischer Aufnahme im Westen war dem Konzept des Gemeinsamen Europäischen Hauses kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Letztlich habe es aber innenpolitisch Bedeutung erlangt: „In advocating a new European community and the eventual emergence of a new European civilization free from the Cold War, the ‚Common European Home’ triggered a vivid debate in Russian society, including Russian elites to reflect on their identity and on whether they belonged to Europe.”386 Als „Ex-Präsident der UdSSR“ meldet sich Gorbačev im März 2000 mit einem Aufsatz unter dem Titel „Das Europa des 21. Jahrhunderts: Einheit ist der Logarithmus des Erfolgs“ zu Wort und nimmt Stellung zu den aktuellen Diskussionen um den Bau des „Grossen Europas“ (Bol’šaja Evropa). Für ihn besteht dies seit Jahrhunderten aufgrund seiner zivilisatorischen Einheit und der gemeinsamen christlichen Wurzeln und Kultur der gesamten europäischen Zivilisation. Auf der Basis des Grossen Europas als objektiver Tatsache müsse das Vereinte Europa (Ob-edinennaja Evropa) geschaffen werden: „Die Rede ist natürlich nicht von irgendwelchen weithergeholten organisatorischen Konstruktionen, nicht von der Form, sondern vom Inhalt, d.h. von der Entwicklung tiefer und fester, kreativer Verbindungen zwischen den Ländern unseres Kontinents (…).“387 Es versteht sich von selbst, dass für Gorbačev – ganz in der Tradition des Gemeinsamen Europäischen Hauses – Russland aus „historischen, anthropologischen und religiös-kulturellen“ Gründen zu Europa gehört. Ausschliesslich positiv bewertet er die Rolle der Europäischen Union: „Über die Jahre ihrer Existenz hat sich diese Integrationsgruppierung aus einer eigenartigen Ausgeburt des ‚Kalten Krieges’ in eine mächtige friedliche politisch-ökonomische Grösse verwandelt. Ich halte dafür, dass die Europäische Union schon heute eine absolut positive Rolle spielt.“388 Gleichzeitig bedauert er mit Blick auf die Balkankonflikte das Fehlen einer gemeinsamen Aussen- und Verteidigungspolitik der EU. In seinem Fazit hängen das Schicksal Europas und die Perspektiven des Vereinten Europas von vielen Faktoren ab, sind jedoch „(…) schlussendlich bestimmt durch jene Beziehungen, die sich zwischen Russland und seinen Partnern in der Europäischen Union entwickeln werden“.389
386 Rey 2004: 59. 387 Gorbačev 2000, im Original: „Reč’ idet, konečno, ne o kakich-to nadumannych organizacionnych konstrukcijach, ne o forme, a o soderžanii, to est’ o razvitii glubokich i pročnych sozidatel’nych svjazej meždu vsemi stranami našego kontinenta (…).” 388 Gorbačev 2000, im Original: „Za gody svoego suščestvovanija ėta integracionnaja gruppirovka prevratilas’ iz svoeobraznogo poroždenija ‘cholodnoj vojny’ v moščnuju politicoėkonomičeskuju veličinu. Sčitaju, čto Evropejskij Sojuz uže sejčas igraet bezuslovno položitel’nuju rol’.” 389 Gorbačev 2000, im Original: „(…) v konečnom sčete opredeljatsja temi otnošenijami, kotorye budut razvivat’sja meždu Rossiej i ee partnerami po Evropejskomu Sojuzu”.
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Die IMEMO-Dozentin und schon 1971 mit ihrem Standardwerk hervorgetretene Ökonomin M. Maksimova wirft noch im Jahr 1988 eine Reihe skeptischer Fragen auf: „Wichtig jedoch ist: Bis jetzt fehlt eine genügend klare wissenschaftliche Konzeption des ‚gesamteuropäischen Hauses’ und ein konstruktives Aktionsprogramm zur Realisierung dieser Idee. Viele Fragen bleiben offen. Zum Beispiel: welches soll das Sicherheitsniveau auf dem Kontinent sein? Welche Rolle wird den USA im ‚gesamteuropäischen Haus’ zuteil? Wie soll in Zukunft der einheitliche Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft an den vorgeschlagenen gemeinsamen Markt der RGW-Länder ‚angedockt’ werden? Welche Institutionen und Mechanismen werden den Prozess des Aufbaus des ‚gesamteuropäischen Hauses’ regulieren und steuern, u.s.w.?“390 Die IMEMO-Forscher Baranovskij und Zuev sparen 1989 in einem Beitrag in der Zeitschrift „Kommunist“ nicht mit Kritik am Konzept des „gesamteuropäischen Hauses“. In Anbetracht der ökonomischen Ungleichgewichte und des marginalen Anteils sowjetischer bzw. RGW- Exporte Richtung Westeuropa sei es verfrüht: „So können wir von irgendeiner Bewegung hin zur Bildung eines in wirtschaftlicher Hinsicht ganzheitlichen Komplexes ‚vom Atlantik zum Ural’ vorläufig nicht sprechen. Eher beobachten wir sogar eine umgekehrte Tendenz. Und diese stellt unserer Ansicht nach ein sehr ernsthaftes Hindernis auf dem Weg zum ‚gesamteuropäischen Haus’ dar. Das Fehlen einer realen wechselseitigen Abhängigkeit oder wenigstens sich deutlich abzeichnender Perspektiven ihrer Bildung, zeugt im Grunde genommen davon, dass es noch kein verlässliches Fundament für ein ‚gesamteuropäisches Haus’ gibt.“391 Der in äusserst positiven Worten umschriebene laufende Ausbau des westeuropäischen Binnenmarktes und die Erfahrung der Integration hingegen könnten sich als nützlich für Projekte von gesamteuropäischer Bedeutung erweisen, wobei eher der Osten vom Westen lernen könne: „Denn wenn sich der ‚gesamteuropäische Auf390 Maksimova 1988: 64, im Original: “Glavnoe že – poka otsutsvuet dostatočno jasnaja naučnaja koncepcija ‘obščeevropejskogo doma’ i konstruktivnaja programma dejstvij po realizacii ėtoj idei. Ostajutsja otkrytimi mnogie voprosy. Naprimer, kakim dolžen byt’ uroven’ bezopasnosti na evropejskom kontinente? Kakaja rol’ v ‘obščeevropejskom dome’ budet otvedena SŠA? Kak ‘stykovat’’ v buduščem edinyj vnutrennyj rynok Evropejskogo soobščestva i prepologaemyj obščij rynok stran SĖV? Kakie instituty i mechanizmy budut regulirovat’ i napravljat’ process stroitel’stva ‘obščeevropejskogo doma’ i t. d.? 391 Baranovskij/Zuev 1989: 109, im Original: “Takim obrazom, o kakom-libo prodviženii v storonu formirovanija nekotorogo celostnogo v ėkonomičeskom otnošenii kompleksa ‘ot Atlantiki do Urala’ govorit’ poka ne prichoditsja. Skoree my nabljudaem daže obratnuju tendenciju. I ona, na naš vzgljad, predstavljaet soboj naibolee ser’eznoe prepjatstvie na puti k ‘obščeevropejskomu domu’. Otsutstvie real’noj vzaimozavisimosti ili chotja by dostatočno četko oboznačivšichsja perspektiv ee formirovanija, po suti dela, svidetel’stvuet o tom, čto nadežnogo ėkonomičeskogo fundamenta dlja ‘obščeevropejskogo doma’ ešče net.”
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bau’ (…) hin zur Bildung eines in wirtschaftlicher Beziehung ganzheitlichen Komplexes orientiert, so werden die EG-Mitglieder offensichtlich bemüht sein, dessen Funktionieren die gleichen Prinzipien zugrunde zu legen, die ihre Zielführung im Rahmen der Gemeinschaft bewiesen haben. Und für die sozialistischen Länder gibt es wahrscheinlich keinerlei Grund, darin einen gewissenlosen Versuch zu sehen, ihnen Spielregeln aufzudrängen, die im westlichen Teil des Kontinents funktionieren. Im Gegenteil, es ist auch hier an der Zeit, aus Zeiten des ‚Kalten Kriegs’ geerbte Reflexe zu überwinden, und sich aufmerksam der Möglichkeit hinzuwenden, die für uns nützliche Erfahrung der EG zu nutzen.“392 Einige Jahre später hält Baranovskij es für möglich, dass Gorbačev bei seinem ersten Auslandsbesuch als Sowjetführer eine „updated version of Charles de Gaulle’s Franco-Soviet entente cordiale of the 1960s“ plante. Aufgrund ihres sehr allgemeinen Gehalts seien die neuen sowjetischen Verlautbarungen jedoch vorwiegend als rhetorisch wahrgenommen worden. Auch das „Gemeinsame Europäische Haus“ sei kein ausgearbeitetes Konzept, sondern als „a general appeal to a certain pan-European identity based on geographic proximity, common history, cultural similarities, economic ties, political experience, and so on“ zu verstehen. Gerade der allgemein gehaltene Charakter habe der sowjetischen Diplomatie neue Handlungsmöglichkeiten offeriert, war doch die grundsätzlich positive und konstruktive Idee kaum rückweisbar.393 Die EU ihrerseits müsse, so Baranovskij, in der Zwischenzeit als verlässlicher Partner betrachtet werden: „Russia’s ‚Europeanism’ is also expressed in a greatly modified attitude to different multilateral mechanisms operating or based in Europe. In the past, the political hesitations of the Soviet Union vis à vis the European Community reflected a fear that the community could seriously threaten Moscow’s international influence, particularly in Europe. Since the problem has been removed from the agenda, the EC is no longer perceived as a challenger but as the most reliable partner in Europe. Not only is the positive role of the EC fully recognized, but all the traditional concerns with respect to its possible ‘expansion’, ‘politicization’, or ‘militarization’ have been reso-
392 Baranovskij/Zuev 1989: 109, im Original: “Ved’ esli ‘obščeevropejskoe stroitel’stvo’ orientieruetsja (…) na obrazovanie celostnogo v ėkonomičeskom otnošenii kompleksa, to učastniki ES, po-vidimomu, budut stremitsja založit’ v ego funkcionirovanie te že principy, kotorye dokazali svoju rezul’tativnost’ v ramkach Soobščestva. I socialističeskim stranam, navernoe, vovse net rezona videt’ v ėtom nedobrosovestnuju popytku navjazat’ im pravila igry, dejstvujuščie v zapadnoj časti kontinenta. Haoborot, pora i zdes’ preodelet’ unasledovannye ot vremen ‘cholodnoj vojny’ refleksy, vnimatel’no otnesjas’ k vozmožnosti ispol’zovanija poleznogo dlja nas opyta ES.” 393 Baranovskij 1992a: 102f.
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lutely jettisoned.” Unbefriedigend sei lediglich die Tatsache, dass Russland nicht wirklich Vollmitglied der EG werden könne.394 Skeptisch sieht Čubar’jan im Rückblick das Konzept des Gemeinsamen Europäischen Hauses: „Heute sieht dieses Konzept für viele amorph und ziemlich utopisch aus, aber unter den Bedingungen Ende der 1980er-Jahre drückte es einen neuen Blick der Kremlführer auf die Vergangenheit und die Zukunft Europas aus.“395 Es habe sich um eine Art „sowjetischen Europäismus (sovetskij evropeizm)“ gehandelt, sich zwar deutlich von der Ideologie vergangener Zeit unterscheidend, aber doch getragen „(…) auf der Grundlage von gegenseitiger Beziehung und Wechselwirkung von immer noch denselben zwei sich entgegenstehenden Typen sozialer Systeme, die in Europa existierten“.396 Das Konzept stützte sich auf Existenz kapitalistischer Staaten, vereint in der Europäischen Union, und der Gemeinschaft der sozialistischen Länder; gedacht wurde an eine Art Konvergenz zweier Gesellschaftssysteme, wobei die ‚menschliche Dimension’ zu einem ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz (socializm s čelovečeskim licom)’ führen sollte, resümiert Čubar’jan und zieht den Schluss: „Die Gesamtheit der Vorstellungen über Europa in dieser Zeit kann charakterisiert werden als eine Art neue Variante eines ‚sowjetischen Europäismus’, in welchem der alte Ansatz zu den Beziehungen mit Europa ergänzt wurde durch die Bereitschaft, einige Werte europäischer Demokratie anzunehmen, die früher als bourgeois und unannehmbar für die sowjetische Ideologie bezeichnet wurden.“397 Der Historiker A. Ulunjan vom Institut für Allgemeine Geschichte der RAN sieht die Anfänge der Entideologisierung der sowjetischen Aussenpolitik in der Mitte der 1980er-Jahre, als ihre „parteiliche kommunistische Dominante“ langsam in den Hintergrund gerückt wurde und 1986 die Internationale Abteilung des ZK der KPdSU in ihrer Bedeutung zurückgedrängt wurde. Ende der 1980erJahre „beobachtete die neue sowjetische Führung aufmerksam den Prozess der Integration Westeuropas, sah in ihm ein Modell für die Entwicklung im Osten des europäischen Kontinents. Das Vereinte Europa lockte das Zentralkomitee, begann
394 Baranovskij 1992a: 118f. 395 Čubar’jan 2006: 357, im Original: „Segodnja dlja mnogich ėta koncepcija vygljadit amorfnoj i dostatočno utopičnoj, no v uslovijach konca 80-ch godov ona vyražala novyj vzgljad rukovoditelej v Kremle na prošloe i buduščee Evropy.“ 396 Čubar’jan 2006: 357, im Original: „(...) na osnove vzaimootnošenija i vzaimodejstvija vse tech že dvuch protivostojaščich tipov social’nych sistem, suščestvovavšich v Evrope.“ 397 Čubar’jan 2006: 357, im Original: „Vsja sovokupnost’ predstavlenij o Evrope togo vremeni možet byt’ ocharakterizovana kak nekij novyj variant ‚sovetskogo evropeizma’, v kotorom staryj podchod k otnošenijam s Evropoj dopolnjalsja gotovnost’ju prinjat’ nekotorye cennosti evropejskoj demokratii, kotoraja ranee nazyvalas’ buržuaznoj i nepriemlemoj dlja sovetskoj ideologii.“
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aber auch einzelne Vertreter zu erschrecken.“398 „Das Bemühen, die Einbindung der UdSSR in den europäischen Sektor des geopolitischen Raums zu verstärken,“ so Ulunjan weiter, „wurde durch die sowjetische Führung ständig unterstrichen. Gleichzeitig bemühte sie sich, auf gesamteuropäische und insgesamt auf globale Prozesse einzuwirken, und dabei den osteuropäischen Sektor unter Kontrolle zu behalten.“399 In einer Direktive des Politbüros vom 28. August 1989 wurde die Aufgabe eines Übergangs „zu einer vertieften Teilnahme in der Europäischen Wirtschaftskommission ECE“ gestellt.400 Die fruchtlosen Bemühungen einer verstärkten Integration des Ostblocks wertet Ulunjan im Nachhinein nüchtern: „Der Wunsch des Generalsekretärs der KPdSU und seiner nächsten Umgebung, den Ostblock in eine Vereinigung zu transformieren, in Konkurrenz zum geschaffenen integrierten Westeuropa, war für aussenpolitische Experten sowohl im Westen, als auch im Osten erkenntlich. Jedoch waren die Versuche zum Scheitern verurteilt, das kommunistische Dogma zu modernisieren und eine verbindliche Wertskala zu finden, ohne sich von der ideologischen Doktrin des Kommunismus loszusagen.“401 Im Verlauf des Jahres 1990 war an eine Kontrolle der Situation in Osteuropa durch die sowjetischen Führer jedoch nicht mehr zu denken. Ulunjan charakterisiert zwei Flügel, die sich zu dieser Zeit in der sowjetischen Führung bildeten: „Der erste war vertreten durch jene, die im einen oder anderen Masse fortfuhren auf die Transformation der internationalen Situation in einer für die UdSSR günstigen Richtung und auf das Eintreten des Landes in einen sogenannten gesamteuropäischen Raum zu hoffen. Der zweite verhielt sich strikt negativ gegenüber irgendwelchen Experimenten auf dem Gebiet der Aussenpolitik und hielt Änderungen ihrer grundlegenden Elemente für unzulässig.“402 398 Ulunjan 1995: 213, im Original: „Novoe sovetskoe rukovodtsvo (...) pristal’no nabljudalo za processom integracii Zapadnoj Evropy, vidja v nem model’ dlja razvitija na vostoke evropejskogo kontinenta. Edinaja Evropa manila Staruju ploščad’, no i načinala pugat’ ee otdel’nych predstavitelej.“ 399 Ulunjan 1995: 214, im Original: „Stremlenie usilit’ vovlečonnost’ SSSR v evropejskij sektor geopolitičeskogo prostranstva podčerkivalos’ novym sovetskim rukovodstvom postojanno. Odnovremenno ono stremilos’ vozdejstvovat’ na obščeevropejskie i v celom, na global’nye processy, imeja v pod kontrolem vostočnoevroppejskij sektor.“ 400 Ulunjan 1994: 214 mit Archivfundstelle, im Original: „k uglublennomu učastiju v Evropejskoj ėkonomičeskoj kommissii (EĖK)“. 401 Ulunjan 1995: 214f., im Original: „Želanie Genseka KPSS i ego bližajšego skruženija transformirovat’ Vostočnyj blok v ob-edinenie, konkurrėntnoe sozdannoj integrirovannoj Zapadnoj Evrope bylo zametno i dlja vnešnepolitičeskich ėkspertov kak na Zapade, tak i na Vostoke. Odnako popytka modernizirovat’ kommunističeskuju dogmu i obresti konvencional’nuju škalu cennostej, ne otkazavšis’ ot ideologičeskoj doktriny kommunizma, byli obrečeny na proval.“ 402 Ulunjan 1995: 215, im Original: „Pervoe bylo predstavleno temi, kto v toj ili inoj mere prodolžal nadejat’sja na transformaciju meždunarodnoj obstanovki v vygodnom dlja SSSR
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26 Jahre nach den „17 Thesen“ des IMEMO erschienen 1988 noch ein letztes Mal 14 neu formulierte Thesen desselben Instituts unter dem Titel „Die europäische Gemeinschaft heute“, ein Summum summarum marxistisch-leninistischer Deutungsmuster des europäischen Integrationsprozesses.403 Die Thesen halten im Einzelnen fest: „Aus einem Konglomerat unterschiedlicher Länder verwandelte sich die westeuropäische Gruppierung in eine enge wirtschaftliche und politische Staatenvereinigung, eines der führenden Zentren der modernen Welt.“404 Treibende Kräfte der Integration im Rahmen der EG seien sowohl objektive ökonomische Prozesse, wie politische Faktoren unterschiedlicher Art. „Die herrschende Klasse der westeuropäischen Länder sah in der Integration ein Mittel zur Verteidigung und Stärkung des Kapitalismus im westlichen Teil des Kontinents, als Gegengewicht zur sozialistischen Gemeinschaft.“ Da die UdSSR Parität mit den USA erreicht habe, seien die Westeuropäer gezwungen, in der Aussenpolitik zusammenzuarbeiten, und deshalb würden hier die zentripetalen Tendenzen die zentrifugalen übertreffen.405 “Bei allen Schwierigkeiten und Widersprüchen in der Gemeinschaft wurde im Ganzen ein höherer Grad der Annäherung nationaler Märkte, der Koordination der Wirtschaftspolitik, der Erarbeitung gemeinsamer Aktionen, als in irgendeiner anderen Weltregion erreicht.”406 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte habe die EG aus dem Stillstand den Weg zu einer dynamischen Weiterentwicklung gefunden: „Dadurch werden die politisch-rechtlichen Voraussetzungen geschaffen für eine neue Stufe der Integra-
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napravlenii i vchoždenie strany v tak nazyvaemoe obščeevropejskoe prostranstvo. Vtoroe – otnosjaščeesja rezko negativno k kakim-libo ėksperimentam v oblasti vnešnej politiki i ščitavšee nedopustimym izmenenija eë bazovych ėlementov“. Evropejskoe soobščestvo segodnja (1988). Vgl. auch Neumann 1996: 164ff. Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 6, im Original: “Iz konglomerata različnych stran zapadnoevropejskaja gruppirovka prevratilas’ v tesnoe ėkonomičeskoe i političeskoe obedinenie gosudarstv, odin iz veduščich centrov sovremennogo mira.” Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 7, im Original: “Pravjaščij klass zapadnoevropejskich stran videl v integracii sposob zaščity i upročenija kapitalizma v zapadnoj časti kontinenta v protivoves socialističeskomu sodružestvu.” Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 9, im Original: “Pri vsech trudnostjach i protivorečijach v Soobščestve v celom dostignuta bolee vysokaja stepen’ sbliženija nacional’nych rynkov, koordinacii ėkonomičeskoj politiki, vyrabotki sovmestnych akcij, čem v ljubom drugom regione mira.”
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tion auf dem Gebiet der Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung, des Umweltschutzes, des Sozialen und der humanitären Verbindungen.“407 “(…) die institutionelle Struktur der EG vereint in sich Züge sowohl einer traditionellen internationalen Organisation, wie auch einer Staatenvereinigung konföderativen Typs. Dies erlaubt der Gemeinschaft eine effektive Wirkung auf die Wirtschaft und die Politik der Mitgliedstaaten zu erzielen.“408 „Die westeuropäische Integration erzielt eine substanzielle Wirkung auf die Entwicklung der Produktionskräfte der Region.“ Mit Blick auf die zum Teil hohe Arbeitslosigkeit und Armut wird jedoch ergänzt: „Widersprüchlich sind die sozialen Folgen der Integration.“409 Selbst unter parteipolitischen Gesichtspunkten wird der Integration eine positive Seite abgewonnen: „Aber mit der weiteren Entwicklung der Integrationsprozesse werden materielle und andere Voraussetzungen geschaffen zur Erhöhung der internationalen Solidarität der westeuropäischen Werktätigen, ihrer effektiven abgestimmten Handlungen auf Gemeinschaftsebene.“410 „Eine Besonderheit der Entwicklung zwischenstaatlicher Widersprüche innerhalb der Gemeinschaft besteht darin, dass sie nicht die Form offener Konfrontation annehmen, und, wenn auch mit nicht geringen Schwierigkeiten, mit Hilfe von Kompromissen gelöst werden.“411
407 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 10, im Original: “Tem samym zakladyvajutsja politiko-pravovye predposylki dlja novogo vitka integracii v sfere ėkonomiki, nauki i obrazovanija, zaščity okružajuščej sredy, v social’noj oblasti, v sfere gumanitarnych svjazej.” 408 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 11, im Original: “(…) institucional’naja struktura ES soedinjaet v sebe čerty kak tradicionnoj meždunarodnoj organizacii, tak i ob-edinenija gosudarstv konfederativnogo tipa. Ėto pozvoljaet Soobščestvu okazyvat’ ėffektivnoe vozdejstvie na ėkonomiku i politiku stran-členov.” 409 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 11, im Original: “Zapadnoevropejskaja integracija okazyvaet suščestvennoe vozdejstvie na razvitie proizvoditel’nych sil regiona.” “Protivorečivy social’nye posledstvija integracii.” 410 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 13, im Original: “No po mere dal’nejšego razvitija integracionnych processov sozdajutsja material’nye i inye predposylki dlja povyšenija internacional’noj solidarnosti zapadnoevropejskich trudjaščichsja, ich ėffektivnych soglasovannych dejstvij na urovne Soobščestva.” 411 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 13, im Original: “Osobennost’ razvitija mežgosudarstvennych protivorečij vnutri Soobščestva sostoit v tom, čto oni ne prinimajut formu otkrytoj konfrontacii i razrešajutsja, chotja i s nemalymi trudnostjami, putem kompromissov.”
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Mit Blick auf die EFTA wird festgestellt: „Die Tätigkeit der EG und von ihren Ländern durchgeführte Aussenhandelspolitik berührte die Interessen anderer Staaten tiefgreifend, vor allen Dingen der übrigen Staaten Westeuropas.“412 Im Vergleich EG-USA-Japan wird festgestellt: „Die Bildung der Gemeinschaft beschleunigte die Positionierung eines westeuropäischen Wettbewerbszentrums und förderte dadurch den Übergang vom Monozentrismus zum Polyzentrismus im kapitalistischen Weltsystem.“413 Mit Blick auf Afrika und die Karibik wird festgestellt: „Die Europäische Gemeinschaft brachte einiges an Neuem ein in die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem industriell entwickelten kapitalistischen Zentrum und der Peripherie der kapitalistischen Weltwirtschaft.“414 Wenn es auch noch verfrüht sei, von einer einheitlichen Aussenpolitik der EG zu sprechen, komme es doch ständig zu einer mühsamen gegenseitigen Abstimmung: „Und nichtsdestoweniger, indem sie ein ganzes Arsenal von Mitteln ökonomischen, diplomatischen und propagandistischen Charakters mobilisiert, versucht die EG ihre Präsenz in der Weltarena als vollberechtigtes Mitglied und als spezifisches Subjekt der internationalen Beziehungen zu bekräftigen.“415 „Zwischen den westeuropäischen Ländern kann man eine deutliche Ausweitung des Umfangs militärisch-politischer und militärisch-industrieller Verbindungen beobachten.“416 Mit Blick auf die Entwicklung von gegenseitiger Sicherheit, Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen allen Staaten Europas wird der Kooperation zwischen den beiden Integrationsvereinigungen EG und RGW besondere Bedeutung beigemessen und allgemein festgestellt: „(…) die westeuropäische Integration könnte ein wichtiger konstruktiver Faktor der internationalen politischen Entwicklung 412 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 14, im Original: “Dejatel’nost’ ES i provodimaja ego stranami edinaja vnešnetorgovaja politika gluboko zatronuli interesy drugich gosudarstv, prežde vsego ostal’nych stran Zapadnoj Evropy.” 413 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 15, im Original: “Sozdanie Soobščestva, uskoriv stanovlenie zapadnoevropejskogo centra soperničestva, tem samym sposobstvovalo perechodu ot monocentrizma k policentrizmu v mirovoj kapitalističeskoj sisteme.” 414 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 16, im Original: “Evropejskoe soobščestvo vneslo nemalo novogo vo vzaimootnošenija promyšlenno razvitogo kapitalističeskogo centra s periferiej mirovogo kapitalističeskogo chozjajstva.” 415 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 17, im Original: “I tem ne menee, mobilizuja celyj arsenal sredstv ėkonomičeskogo, diplomatičeskogo i propagandistskogo charaktera, ES pytaetsja utverdit’ svoe prisutstvie na mirovoj arene v kačestve polnopravnogo učastnika i specifičeskogo sub-ekta meždunarodnych otnošenij.” 416 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 17, im Original: “Meždu zapadnoevropejskimi stranami nabljudaetsja zametnoe uveličenie ob-ema voenno-političeskich i voennopromyšlennych svjazej.”
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werden und einen gewichtigen Beitrag zugunsten der Stärkung des Friedens und der Gewährleistung allseitiger Sicherheit leisten.“417 Die 14 Thesen kennzeichnen sich somit durch: - die Anerkennung der Entwicklung der EG zur einflussreichen internationalen Organisation, - die Feststellung einer objektiven historischen Tendenz zur Internationalisierung der Wirtschaft mit unterschiedlichen Ausprägungen in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, - die Einordnung der EG als eines natürlichen Partners und „Kontrahenten“ des RGW, - die Schaffung einer vermeintlichen Traditionslinie bei gleichzeitiger Begründung eines neuen Ansatzes, in dem behauptet wird, dass sich die Thesen von 1962 „im Wesentlichen bestätigt“ hätten, dass jedoch „die tiefgreifenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen der letzten 25 Jahre“ einen „neuen Blick“ erforderten.418 Aus Sicht Čubar’jans standen Ende der 1980er-Jahre zwei fundamentale Hindernisse einer Annäherung Russlands an Europa im Wege: zum einen der „(…) deutliche Rückstand Russlands (der Sowjetunion) zu Europa in Bezug auf Lebensstandard und Konsum“, zum anderen die „(…) gesellschaftlich-politische Sphäre: Demokratischer Staatsaufbau der europäischen Länder, Mehrparteiensystem, Gewährleistung der Rechte und Freiheiten befanden sich im Widerspruch zum sowjetischen politischen System.“419 Das Ringen um eine Neuorientierung sollte bis zum Ende des Bestehens der Sowjetunion dauern. So kritisierte die Internationale Abteilung des ZK der KPdSU noch im Januar 1991 den aussenpolitischen Kurs Gorbačevs, dessen Bemühungen „das Land nach Europa zu führen“ wechselseitig mit dem aussenpolitischen Kurs der osteuropäischen Staaten zusammhingen. Die Empfehlung der ZK-Analytiker bestand darin, dass „auf dem Gebiet der Aussenpolitik wir uns auf eine objektive gemeinsame Interessenlage der UdSSR und der osteuropäischen Länder bei der Entwicklung des gesamteuropäischen 417 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 18, im Original: “(…) zapadnoevropejskaja integracija smogla by stat’ važnym konstruktivnym faktorom meždunarodno-političeskogo razvitija, vnesti vesomyj vklad v delo upročenija mira i obespečenija vseobščej bezopasnosti.” 418 Evropejskoe soobščestvo segodnja 1988: 6, im Original: “(…) podtverdilis’ v glavnom (…) Odnako glubokie ėkonomičeskie, social’nye i političeskie izmenenija (….) trebujut novogo vzgljada (….). 419 Čubar’jan 2006: 353, im Original: „(..) rezkoe otstavanie Rossi (Sovetskogo Sojuza) ot Evropy po urovnju žizni i potreblenija.“ „(...) obščestvenno-političeskoj sfery. Demokratičeskoe ustrojstvo evropejskich stran, mnogopartijnaja sistema, obespečennost’ prav i svobod nachodilis’ v protivorečii s sovetskoj političeskoj sistemoj.”
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Prozesses stützen können, durch die Einrichtung von weitergefassten und fruchtbaren Beziehungen zum Westen …“. 420 In seiner Verfügung vom 21. Januar 1991 formulierte das Sekretariat des ZK der KPdSU, gestützt auf die Analyse: „Die UdSSR ist interessiert an einer friedlichen Entwicklung Osteuropas, welche zwischenstaatliche, territoriale und andere Konflikte ausschliesst, insofern als die Umgestaltung Osteuropas in eine Region der Stabilität, der wechselseitigen Zusammenarbeit, eine unabänderliche Voraussetzung für den Vorstoss zu einem einheitlichen europäischen Raum und der Beteiligung der UdSSR an diesem Raum ist.“421 Die folgenden Ereignisse des Jahres 1991, August-Putsch und schliesslich Auflösung der Sowjetunion, so Ulunjan, belegten die inadäquate Wahrnehmung der realen Weltlage durch die sowjetische Führung bis zu diesem Zeitpunkt. Ševardnadze, bereits nicht mehr in der Funktion des Aussenministers, richtete im Frühjahr 1991 den Fokus auf die verbindenden Grundwerte und Rechtsnormen: „If we manage to settle our national, economic and political problems and continue the construction of a law-ruled and democratic state, we will continue to participate in the creation of an integral European economic, legal, humanitarian, cultural and ecological space. Its foundation has already been built. (…) If we want to be a civilized country we should have the same law and standards as all other civilized countries.”422 Eine neue Etappe ortet Čubar’jan zu Beginn der 1990er-Jahre, als ein demokratisches Russland seine Beziehungen zu Europa auf neue Grundlagen zu bauen begann: „Und gleichzeitig erneuerten sich die Diskussionen über die Zugehörigkeit Russlands zu Europa. In den breitesten Schichten der russländischen Bevölkerung und der gesellschaftlichen Kräfte besteht der überzeugte Glaube an die organische Zugehörigkeit Russlands zu Europa, seine Anbindung an die Werte der europäischen Kultur, Zivilisation und Demokratie. Russland anerkennt nicht nur die Bedeutung der gesamteuropäischen Integration, sondern sieht in ihr auch ein Vorbild für die Beziehungen Russlands zu den ehemaligen Republiken der Sowjetunion. Gleichzeitig erhalten in den gegenwärtigen Bedingungen, wie schon 420 Zitat aus der Notiz der ZK-Abteilung nach Ulunjan 1995: 216 mit Archivfundstelle, im Original: „vvesti stranu v Evropu“.Und: „v oblasti vnešnej politiki my možem opirat’sja na ob-ektivnuju obščuju zainteresovannost’ SSSR i vostočnoevropejskich stran v razvitii obščeevropejskogo processa, nalaživanija bolee širokich i plodotvornich otnošenij s Zapadom...“ 421 Zitiert nach Ulunjan 1995: 216 mit Archivfundstelle, im Original: „SSSR zainteresovan v mirnom razvitii Vostočnoj Evropy, isključajuščem mežnacional’nye, territorial’nye i drugie konflikty spory, poskol’ku prevraščenie Vostočnoj Evropy v region stabil’nosti, vzaimodejstvija i sotrudničestva – nepremennoe yslovie prodviženija k edinomu evropejskomu prostranstvu i učastii SSSR v takom prostranstve.“ Übersetzunng M.W. 422 Literaturnaja gazeta, 10.4.1991, zitiert in Malcolm 1989: 16, hier zitiert nach Rey 2004: 63.
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erwähnt, Ideen einer ‚russischen Exklusivität‘ (russkaja isključitel’nost’) und sogar eines ‚Messianismus‘ (messianstvo) weite Verbreitung.“423 Genau auf einer solchen russozentrischen Linie argumentiert der am Europa-Institut in Moskau forschende Historiker V. Razuvaev und stellt 1991 die Frage nach einem möglichen „rapprochement“ zwischen Russland und Europa mit Skepis: „(…) it is impossible to deny the fact that Russia has actually never been a real participant in the community which is commonly called ‚European’“. Wenn also eine Annäherung stattfinden soll, dann nur über die Bildung einer russisch-europäischen Identität, welche jedoch kaum zu einer „community“ zwischen Russland und Europa, speziell zwischen der Sowjetunion und Europa, führen wird.424 In Zusammenarbeit mit dem Friedensforschungsinstitut in Frankfurt/Main gibt Borko 1992 eine Publikation in den USA heraus und umschreibt darin die vier wesentlichen Elemente der europäischen Integrationsphilosophie so: „Western Europe has largely succeeded in overcoming traditional nationalism and prejducies“, „economic interdependence is not only inevitable but also beneficial“, „integration can be developed only on the basis of free and equal participation of all the states involved“, „contradictions and crises may not only slow down the process of integration or even stop it but also serve as signals for mobilizing intellectual and political pro-integration efforts”.425 Das äusserst positive Bild, das hier vom europäischen Integrationsprozess gezeichnet wird, ändert nach Ansicht von Zuev in einem Beitrag im selben Band nichts am bestehenden Kenntnisdefizit und an der gleichbleibend negativen Einstellung russischer Offfizieller: “However, mistrust of the EC is still prominent amongst many politicians and bureaucrats, even in the post-Soviet era. Much of this mistrust results from misapprehension or mere ignorance of EC policies, the extent of which is sometimes unbelievable. But this is only a natural consequence of a thirty-year absence of diplomatic relations with the community.”426 A. Mitropol’skij und P. Smirnov publizieren 1993 im Russischen Wissenschaftsfonds, einer 1991 gegründeten staatsnahen Nichtregierungsorganisation, welche sich Forschungen zur Wiedergeburt (vozroždenie) Russlands widmet, eine 423 Čubar’jan 2006: 2: „I odnovremenno vozobnovilis’ diskussii o prinadležnosti Rossii k Evrope. V samych širokich slojach rossijskogo naselenija i obščestvennych sil suščestvuet ubeždennost’ v organičeskoj prinadležnosti Rossi k Evrope, ee priveržennosti cennostjam evropejskoj kul’tury, civilizacii i demokratii. Rossija ne tol’ko priznaet značenie obščeevropejskoj integracii, no vidit v nej nekij primer i dlja otnošenij Rossii c byvšimi respublikami Sovetskogo Sojuza. No v to že vremja v sovremmenych uslovijach, kak uže otmečalos’ snova polučajut širokoe rasprostranenie idei ‚russkoj isključitel’nosti’ i daže ‚russkogo messianstva’.“ 424 Razuvaev 1991: 41, 48. 425 Borko 1992a: 45. 426 Zuev 1992: 269.
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europhil-russozentrisch geprägte Schrift unter dem Titel „Russland und die Europäische Integration“. Sie zeigen sich erstaunt, dass die EU seit Mitte der 1980erJahre aus dem Zustand der „Halbsklerose“ (poluskleroza) herausfand und mit dem Maastrichter Vertrag ein „ambitiöses Programm“ zum Aufbau Europas vorlegen konnte.427 Bei allen Bedenken bezüglich wirtschaftlicher Probleme, beispielsweise aufgrund der Lasten der Wiedervereinigung in Deutschland, anerkennen die Autoren eine zunehmende Tendenz zur Integration sogar im aussenpolitischen Bereich. Die EU werde zur „führenden Kraft“ (lidiruščaja sila), denn: „Die Autorität und Attraktivität der EU für Länder, die nicht Mitglieder sind, sind begründet in der Fähigkeit der Mitglieder der Vereinigung, Widersprüche effektiv zu aufzulösen, und dabei in der Folge ihre vereinte finanzielle, industrielle und politische Macht zu stärken.“428 Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Wegfall der vom Westen wahrgenommenen „sowjetischen Gefahr“ (sovetskaja ugroza) ändere sich auch die Situation für die Westeuropäer: „Die Idee selbst der europäischen Integration wird neue konzeptionelle Ansätze nötig haben, denn das Fundament des Integrationsaufbaus wurde in jener Periode gelegt, als die Sowjetunion als Hauptgegner betrachtet wurde, und die eigentliche Idee der Integration war streng den Aufgaben der Realisierung der amerikanischen Dominanz im westlichen Teil Europas untergeordnet. Die Anwesenheit der Sowjetunion als Hauptgegner war für die Westeuropäer ein Faktor, der in sich Bedrohung und unerlässliches Stimulans zum Antreiben des Integrationsprozesses dialektisch vereinte.“429 Logischerweise hätten die Westeuropäer auch keinen Handlungsspielraum für eine Annäherung an die Sowjetunion gehabt. Die negative und ausschliesslich auf bilaterale Beziehungen ausgerichtete Haltung der Sowjetunion, wie sie bis zur Perestrojka üblich war, habe als zusätzlicher „Faktor der Entfremdung“ (faktor otčuždenija) Russlands von Europa gewirkt. Der amerikanische Druck und die Prioritäten, die Washington diktierte, hätten „(…) objektiv die gesunde Grundlage zerstört, auf welcher sich die europäische Integration entwickelte, und welche eine friedliche Koexistenz und eine Zusammenarbeit mit Russland (der Sowjetunion) 427 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 3. 428 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 15, im Original: „Avtoritet i privlekatel’nost’ ES dlja stran, ne javljajuščichsja ego členami, osnovany na sposobnosti učastnikov ob-edinenija ėffektivno razrešat’ protivorečija, posledovatel’no ukrepljaja svoju sovokupnuju finansovuju, promyšlennuju i političeskuju mošč’.“ 429 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 17, im Original: „Sama ideja evropejskoj integracii budet nuždat’sja v novych konceptual’nych podchodach, ved’ fundament integracionnogo stroitel’stva zakladyvalsja v tot period, kogda Sovetskij Sojuz sčitalsja osnovnym protivnikom, a sama ideja integracii byla žestko podčinena zadačam osuščestvlenija amerikanskogo dominirovanija v zapadnoj časti Evropy. Naličie Sovetskogo Sojuza v kačestve osnovnogo protivnika bylo dlja zapadnoevropejcev faktorom, dialektičeski sovmešavšim v sebe ugrozu i neobchodimyj stimul dlja podstegivanija integracionnogo processa.“
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voraussetzte, welches soziale System dort auch herrschte.“430 Die Autoren distanzieren sich mit dieser – im Grundsatz aus der sowjetischen Zeit herübergeretteten Koexistenzklausel – gleichzeitig von russischen EU-Beitrittsambitionen, müssten dazu doch hohe Anforderungen gemäss der Kopenhagener Kriterien erfüllt werden. Hinzu kämen mehrere Faktoren, die eine Annäherung Russlands an die EU erschwerten: Einerseits der ökonomische Faktor aufgrund der Rückständigkeit der russischen Wirtschaft, andererseits der politische Faktor, d.h. demokratische Standards, die noch weit entfernt von den EU-Standards liegen: „Praktisch in allen post-sowjetischen Staaten bestätigen sich in der einen oder anderen Form Ideen eines ‚aufgeklärten Autoritarismus’ (obwohl sich die ‚Aufgeklärtheit’ zuweilen nicht zeigt) als gleichsam unerlässliche Etappe auf dem Weg vom Totalitarismus zur Demokratie.“431 Bei der Betrachtung des geopolitischen Faktors im Verhältnis EU-GUS täuschen sich die Autoren in Bezug auf die EUBeitrittsperspektiven der baltischen Staaten: „Wenn die Möglichkeit der einen oder anderen Form des Beitritts von anderen europäischen Republiken der ehemaligen UdSSR (vor allem der baltischen) zur Gemeinschaft wenigstens theoretisch von den Architekten der europäischen Integration zugestanden wird, so stellt sich im Verhältnis zu Russland eine gleichartige Frage vorläufig nicht einmal. Russland (wie zum Beispiel auch der Türkei) wird oft das Recht abgesprochen, sich als europäischen Staat zu betrachten. (…) Deutlich spürbar sind, trotz der Beendigung des Kalten Krieges, sowohl das Bestreben einer Reihe von EUFührern und Ideologen der Integration, die Widersprüche zwischen Russland und anderen ehemaligen Unionsrepubliken (besonders der Ukraine) auszuspielen, als auch Hoffnungen darauf, dass sie, wenn nicht als cordon sanitaire, so doch als ein gewisser Schutzschild dienen für Westeuropa vor einem Russland, das tief ins Innere Eurasiens geschoben wird, jedoch danach strebt, seine früheren geopolitischen Positionen wiederherzustellen.“432 Als Folge entstehe in Russland ein „Ge430 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 18, im Original: „(...) ob-ektivno razrušala tu zdorovuju osnovu, na kotoroj mogla razvivat’sja evropejskaja integracija, i kotoraja predpologala mirnoe sosuščestvovanie i sotrudničestvo s Rossiej (Sovetskim Sojuzom), kakaja by social’naja sistema tam ni gospodstvovala.“ 431 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 40f., im Original: „Praktičeski vo vsech postsovetskich gosudarstvach utverždajutsja v toj ili inoj forme idei ‚prosveščennogo avtoritarizma’ (chotja ‚prosveščennost’’ poroij i ne projavljaetsja) kak jakoby neobchodimogo ėtapa na puti ot totalitarizma k demokratii.“ 432 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 42f., im Original: „Esli vozmožnost’ toj ili inoj formy prisoedinenija k Soobščestvu drugich evropejskich respublik byvšego SSSR (prežde vsego pribaltijskich) chotja by teoretičeski dopuskaetsja architektorami evropejskoj integracii, to v otnošenii Rossii podobnyj vopros poka daže ne stavitsja. Rossi (tak že kak i, naprimer, Turcii) často otakzyvajut v prave sčitat’sja evropejskim gosudarstvom. (…) Javno čuvstujetsja, nesmotrja na okončanie cholodnoj vojny, stremlenie rjada rukovoditelej ES i ideolo-
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fühl der Entfremdung von Europa“ (čuvstvo otčuždenija ot Evropy).433 Solange Russland der EU nicht beitrete, biete die Zusammenarbeit mit dem Europarat Chancen: „Der Beitritt zu dieser Organisation, die mehr Staaten umfasst als die EU, hätte für Russland und andere Länder der ehemaligen UdSSR ihre Vorzüge, sie könnte für sie eine der unumgänglichen Übergangsetappen auf dem Weg zu einer höheren Stufe der Integration werden.“434 Erstaunlich grosse Erwartungen gegenüber dem Europarat bringt A. Avdeev 2000 in der Hauszeitschrift des Europa-Instituts der RAN zum Ausdruck: „Der Europarat ist dazu berufen, ein wichtiges Instrument des Baus eines tatsächlichen einigen Europas zu werden. Er besitzt alle Grundlagen, sich zu einem nebst der OSZE tragenden Pfeiler der europäischen Architektur zu wandeln, deren Formierung sehr schwierig verläuft, und die Rolle eine Key-Players bei der Gewährleistung der demokratischen, sozialen, humanitären Komponente europäischer Sicherheit zu spielen.“435 Mit der Bewältigung des Niedergangs des Sozialismus und den möglicherweise resultierenden Inferioritätsgefühlen gegenüber dem Westen beschäftigt sich ein umfangreicher, vom Historiker N. Kosolapov 1995 am IMEMO RAN herausgegebener Band zum Thema „Russland und die zukünftige europäische Organisation“. Nach dem Verweis auf den europäischen Ursprung des Sozialismus wird der Frage nachgegangen, wie sich Russland in den europäischen Wertekanon und die europäischen Institutionen eingliedern kann. Bezeichnend für die Suche nach Orientierung ist ein von Kosolapov formulierter Vergleich zwischen dem europäischen Modell und dem sowjetischen Modell: „Auch hier hat die Erklärung des westlichen Modells zum universalen nicht mehr wissenschaftlichen Sinn und trägt in sich nicht weniger eines jeden Risikos, als die nicht so lange zurückliegenden Ansprüche der KPdSU und der UdSSR darauf, dass nur sie die sozial-historische
gov integracii igrat’ na protivorečijach meždu Rossiej i drugimi byvšimi sojuznymi respublikami (osobenno Ukrainoj), nadeždy na to, čto oni mogut služit’, esli ne sanitarnym kordonom, to opredelennym zaslonom dlja Zapadnoj Evropy ot Rossii, zadvinutoj vglub’ Evrazii, no stremjaščejsja vosstanovit’ svoi prežnie geopolitičeskie pozicii.“ 433 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 44. 434 Mitropol’skij/Smirnov 1993: 46, im Original: „Prisoedinenie k ėtoj organizacii, bolee širokoj po svoemu ochvatu, čem ES, imelo by dlja Rossii i drugich stran SSSR svoi preimuščestva, ono moglo by stat’ dlja nich odnim iz neobchodimych perechodnych ėtapov na puti k bolee vysokoj stupeni integracii.“ 435 Avdeev 2000, im Original. „Važnym instrumentom stroitel’stva dejstvitel’no edinoj Evropy prizvan stat’ Sovet Evropy. U nego est’ vse osnovanija prevratit’sja, narjadu s OBSE, v odnu iz nesuščich opor evropejskoj architektury, formirovanie kotoroj očen’ neprosto, igrat’ rol’ ključevogo igroka po obespečeniju demokratičeskoj, social’noj, gumanitarnoj sostovljajuščej evropejskoj bezopasnosti.“
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Wahrheit und alle Geheimnisse des Umgangs mit ihr kannten.“436 Bemerkenswert ist die völlige Fehleinschätzung des Verhältnisses Russlands zum Europarat, die M. Strežneva in einem weiteren, russophil-russozentrisch ausgerichteten Beitrag des Sammelbandes äussert: Russland sei noch weit entfernt von den Normen der Demokratie und zu gross und zu spezifisch (svoeobrazna), „(…) um mit anderen europäischen Staaten auf gleicher Höhe dem Europarat beizutreten,“ und rät deshalb von einer Mitgliedschaft Russlands entschieden ab.437 Dieselbe Autorin hält auch eine Aufnahme Russlands durch die EU für „selbstmörderisch“ (samoubijstvennym), da ihre „zerbrechliche Struktur“ (chrupkuju strukturu) zerstört würde, zudem sei Russland „organisch nicht in der Lage“ (organičeski ne sposobna) den acquis communautaire zu übernehmen. Ihr Fazit: „Russland bleibt im Unterschied zu den mittel- und osteuropäischen Ländern ausserhalb der sich unmittelbar integrierenden Zone“. 438 Noch 1998 beklagt der Sankt-Petersburger Integrationsforscher Lešukov, dass es praktisch unmöglich sei, ein offizielles Dokument zu finden, welches die offizielle Politik des Landes gegenüber der europäischen Integration definiere. 439 Schon die Forschung zur Integration sei nur eingeschränkt möglich gewesen: „Some academic experts viewed the Communities’ experience as attractive economic strategies to follow, yet under Soviet rule, public discussions were not feasible, let alone the dreams of making it operational. (…) With the benefits of hindsight, I can argue that Russia’s attitude toward the phenomenon of European integration tends to mirror the country’s relationship with the West. When the ideological and the political-military confrontation between the West and the East was high, no pragmatic assessment of European integration was feasible. When the first improvement was reached and the Helsinki process started, the first chances for normalisation emerged, but the time was not ripe. Only under Mikhail Gorbachev did the cooperation between the EU and USSR/Russia become possible. Thus, Russia’s perspective of the EU has always been subordinate to the general state of the country’s relations with the West, to the peculiarity and the mood of these relations.”440
436 Kosolapov 1995: 190, im Original: „I zdes’ ob-javlenie nynešnej zapadnoj modeli universal’noj imeet ne bol’še naučnogo smysla i neset v sebe ne men’še vsjačeskogo riska, čem ne stol’ ešče davnie pretenzii KPSS i SSSR na to, čto tol’ko im vedomy byli social’noistoričeskaja istina i vse tajny obraščenija s neju.“ 437 Kosolapov 1995: 231, im Original: „(...) čtoby vstupat’ v Sovet Evropy naravne s drugimi evropejskimi gosudarstvami“. 438 Kosolapov 1995: 234, 240, im Original:“Rossija, v otličie ot stran Central’noj i Vostočnoj Evropy, ostaetsja vne neposredtsvennoj integrirueščejsja zony“. 439 Lešukov 1998: 5. 440 Lešukov 1998: 19f.
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4.3.2 Aufnahme offizieller Beziehungen mit der EU
Am 30. Mai 1985 deklarierte Gorbačev die Überwindung des „selbst auferlegten Isolationismus“441 und formulierte: „In dem Masse, in dem die EWG-Länder als ‚politische Einheit’ auftreten, sind wir bereit, mit ihr eine gemeinsame Sprache auch für konkrete internationale Probleme zu suchen.“ In Zuevs Einschätzung blieb jedoch der Unglaube an die ökonomischen Perspektiven der EG erhalten.442 Erst die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte443 löste in der Sowjetunion Befürchtungen aus, es könnten „Festungsmauern auf dem Weg für Waren und Dienstleistungen nach Europa“ entstehen.444 Der erfolgreiche Abschluss dieses Vertragswerks kam für die Sowjetunion überraschend und stelle einen Wendepunkt in den Beziehungen zur EG dar: „Und als alle zwölf Mitgliedstaaten letztlich die Einheitliche Europäische Akte ratifizierten, zog dies das Interesse für die Europäische Gemeinschaft auf sich. Seit diesem Datum trat das Interesse auf allen Ebenen in Erscheinung – auf der politischen, wissenschaftlichen, praktischen und bei der gewöhnlichen Bevölkerung.“445 Der Imagewechsel war auch der Rolle der EG bei der Koordination von technischer und finanzieller Hilfe für die osteuropäischen Staaten einschliesslich der Sowjetunion zu verdanken. Damit einher ging die Erkenntnis, dass auch Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung voneinander abhängig sind: „Erst in der Periode der Perestrojka wurde die Schlussfolgerung möglich, dass die Interdependenz wünschbar ist als ein Faktor, der die internationalen Beziehungen stabilisiert.“446 Die Geschichte der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der EG beginnt in institutioneller Hinsicht erst mit der Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung über die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der EWG vom 25. Juni 1988.447 Im selben Jahr (und zum letzten Mal
441 Čerkasova 1995: 168. 442 Zit. nach Čerkasova 1995: 168, im Original: „V toj mere, v kakoj strany EĖS vystupajut kak ‚političeskaja edinica’, my gotovy iskat’ s nej obščij jazyk i po konkretnym meždunarodnym problemam.“. Vgl. Zuev 1995: 260. 443 Unterzeichnung am 17. und 28. Februar 1986 in Luxemburg, in Kraft am 1. Juli 1987. 444 Zuev 1995: 261, im Original: „voznyknovenija krepostnych sten na puti dviženija tovarov i uslug v Evropu“. 445 Zuev 1995: 261, im Original: „I kogda v konečnom itoge Edinyj evropejskij akt ratificirovali vse dvenadcat’ stran-členov, ėto privleklo interes k Evropejskomu soobščestvu. S ėtoj daty interes stal projavljat’sja na vsech urovnjach – političeskom, naučnom, praktičeskom, v srede obyčnogo naselenija.“ 446 Zuev 1995: 262, im Original: „Tol’ko v period perestrojki stal vozmožnym vyvod o želatel’nosti vzaimozavisimosti kak faktora, stabilizirujuščego meždunarodnye otnošenija.“ 447 Zur Literatur über die EU-Russland-Beziehungen gibt Bastian 2006 eine systematische Einführung.
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als sowjetische Institution) hatte das IMEMO Thesen zum gegenwärtigen Stand der europäischen Integration publiziert.448 Mit einer in Russland in dieser Form erstmaligen wissenschaftlichen Konferenz zur europäischen Integration wurde 1997 in St. Petersburg das 40–jährige Jubiläum der Römer Verträge auch in Russland begangen, sie sollte den Auftakt zu jährlichen Folgeveranstaltungen bilden.449 In einem Rückblick auf neun Jahre offizieller Beziehungen zwischen der Sowjetunion bzw. Russland und der Europäischen Union qualifiziert der Ökonom Vladimir Šemjatenkov vom Europa-Institut der RAN und 1990/91 sowjetischer Vertreter bei der Europäischen Kommission, die ersten Kontakte kritisch: „In jener Periode zeichnete sich die Position der sowjetischen Führung in Bezug auf die Gemeinschaften durch einen ordentlichen Anteil unbegründeter Romantik aus. Gorbačev und seine Umgebung hatten keine klare Vorstellung über den Partner. Sie übertrieben die vermutlich positive Wirkung der Beziehungen zur EU auf die Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft und ihre Reform deutlich. Über Beziehungen zur EU hofften sie, die Integration der UdSSR in die Weltwirtschaft zu beschleunigen und einen breiteren Zugang zu den Weltkapitalmärkten und zur Spitzentechnologie zu erhalten. Politisch sahen sie in diesen Beziehungen, trotz unzweideutiger Warnungen der anderen Seite, ein unmittelbares Element des ‚gesamteuropäischen Hauses’“.“450 Die im Dezember 1989 geschlossene Vereinbarung über Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit wertet Šemjatenkov an gleicher Stelle als „Übergangsdokument“, in welchem unausgesprochen immer noch von der Existenz zweier unterschiedlicher sozialökonomischer Systeme ausgegangen wird. 1989 schloss die Sowjetunion ein Abkommen mit der EG und am 24. Juni 1994 wurde das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) unterzeichnet. 451 Es trat jedoch nach dem durch den Tschetschenienkrieg verzögerten Ratifikationsprozess erst am 1. Dezember 1997 in Kraft und bildet die rechtliche Grundlage und den institutionellen Rahmen für regelmässige Konsultationen auf politischer und technischer Ebene. 448 Vgl. Evropejskoe soobščestvo segodnja (1988) sowie Ausführungen oben. 449 Tagungsbeiträge bei Lešukov 1997. 450 Šemjatenkov 1997: 112, im Original: „V tot period pozicija sovetskogo rukovodstva v otnošenii Soobščestv otličalas’ izrjadnoj dolej neobosnovannogo romantizma. Gorbačev i ego okruženie ne imeli četkogo predstavlenija o partnere. Oni javno pereuveličivali verojatnoe položitel’noe vozdejstvie svjazej s ES na razvitie sovetskoj ėkonomiki i ee reformirovanie. Čerez svjazi s ES oni nadejalis’ uskorit’ integraciju SSSR v mirovuju ėkonomiku i polučit’ bolee širokij dostup k mirovym rynkam kapitala i peredovoj technologii. Političeski, nesmotrja na nedvusmylennye predupreždenija drugoj storony, oni videli v ėtich svjazach neposredstvennyj ėlement ‚obščeevropejskogo doma’.“ 451 Hier und im Folgenden: http://ec.europa.eu/external_relations/russia/docs/index_en.htm , einen guten Überblick gibt Gower (2000).
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Eine der ersten umfassenden juristischen Analysen der europäischen Aussenwirtschaftspolitik legt Ju. Jumašev vom Institut für Staat und Recht 1989 unter dem Titel „Völkerrechtliche Formen der Aussenwirtschaftsbeziehungen der EWG“ vor: „In unserem Land befassten sich im Allgemeinen Ökonomen und Politologen mit den Problemen der EWG. Juristische Untersuchungen, einschliesslich wissenschaftlicher Artikel, waren gering an der Zahl. Deshalb wird es nicht übertrieben sein zu sagen, dass die rechtlichen Aspekte der westeuropäischen Aspekte nicht zum Gegenstand eines systematischen Studiums durch sowjetische Rechtsgelehrte wurden. Insbesondere gibt es in der sowjetischen Rechtsliteratur keine monographischen Untersuchungen, die den aussenwirtschaftlichen Beziehungen der EWG gewidmet sind. Dieses Buch ist einer der ersten Versuche auf diesem Gebiet.“452 Beträchtliche Summen investierte die EU in ihr 1990 eingerichtetes Hilfsprogramm TACIS zur technischen Unterstützung der neuen unabhängigen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und der Mongolei. Šemjatenkov schätzt jedoch die Effizienz von TACIS gering ein.453 TACIS wird nichtsdestotrotz von russischer Seite zuweilen in Analogie zum Marshall-Plan gesehen, wobei sogar die revolutionäre Proletarier-Losung eine neue Lesart erhält: „Sehr symbolisch erweist sich der Umstand, dass 1947 ein Programm der ökonomischen Wiedergeburt Europas angenommen wurde, welches die Grundlage legte für das Entstehen eines neuen Europas, was mit der weiteren Unterzeichnung der Verträge über die Einrichtung der Europäischen Gemeinschaften (Rom 1957) ausgestaltet wurde. Das Prinzip ‚Proletarier aller Länder, vereinigt euch’, wurde in einer anderen Formulierung wiederverwendet: ‚Länder ganz Europas, vereinigt euch’.“454 So wie in der Nachkriegszeit der Marshall-Plan den Wiederaufbau und die Einigung Europas beschleunigt habe, so Malacha 1997, so helfe die EU mit TACIS Russland, seine eigenen Kräfte zu mobilisieren. 452 Jumašev 1989: 4, im Original: „V našej strane problemami EĖS zanimalis’ v osnovnom ėkonomisty i politologi. Juridičeskie issledovanija vključaja i naučnye stat’i, byli maločislenny. Poėtomu ne budet preuveličeniem skazat’, čto pravovye aspekty zapadnoevropejskoj integracii ne stali predmetom sistematičeskogo izučenija sovetskich učenych-juristov. V častnosti, v sovetskoj pravovoj literature net monografičeskich issledovanij, posvjaščennych vnešneėkonomičeskim EĖS. Ėta kniga – odin iz pervych opytov v dannoj oblasti.” 453 Šemjatenkov 1997: 115. 454 Malacha 1997: 95, im Original: „Ves’ma simvoličnym javljaetsja tot fakt, čto v 1947 g. byla prinjata programma ėkonomičeskogo vozroždenija Evropy, kotoraja položila načalo stanovleniju novoj Evropy, čto bylo oformleno v dal’nejšim podpisaniem dogovorov ob učreždenii Evropejskich soobščestv (Rim, 1957 g.). Princip‚ proletarii vsech stran, obedinjajtes’ byl vzjat na vooruženie v drugoj formulirovke: ‚strany vsej Evropy, obedinjajtes’.“
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Einen grossen Durchbruch sieht Šemjatenkov im politischen Dialog, der mit dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1994 deutlich verbessert worden sei: „Die Bedeutung des Abkommens von 1994 ist schwerlich zu überschätzen. Es ist das am weitesten gefasste, weitreichendste und detaillierteste wirtschaftliche Abkommen in der ganzen Geschichte der Beziehungen zwischen Russland (oder der Sowjetunion) und den Ländern Westeuropas.“ Der Autor verbirgt aber nicht seine Enttäuschung darüber, dass auch nach drei Jahren der Ratifizierungsprozess innerhalb der EU wegen ihrer eigenen Probleme noch nicht abgeschlossen sei: „Leider ist die Euphorie, mit welcher seine Unterzeichnung begangen wurde, in bedeutendem Masse in einem Nichts aufgegangen.“455 Der St. Petersburger Dekan der Fakultät für Internationale Beziehungen, Konstantin Chudolej, zieht hingegen eine äusserst kritische Bilanz des PKA: Es habe nie in vollem Umfang funktioniert und funktioniere auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Gemeinsame Interessen bestünden in der wirtschaftlichen und der EnergieZusammenarbeit, seit dem 11. September 2001 auch zunehmend im Sicherheitsbereich. Insgesamt lasse sich eine Normalisierung feststellen: „Die Politik Russlands wurde in der letzten Zeit ebenfalls realistischer und pragmatischer. Russland bemüht sich (wenn auch nicht immer), sich wie ein normaler europäischer Staat zu benehmen (…), seine Aussenpolitik von ideologischen Dogmen und Stereotypen vergangener Jahre zu befreien, und die Zahl der Versuche nahm ab, die Unterschiede zwischen den USA und der Europäischen Union auszuspielen.“456 Noch Mitte der 1990er-Jahre konstatiert Zuev, dass die Beziehungen zur EG zwar als unumgänglich, nicht aber als prioritär im Vergleich zu bilateralen Beziehungen angesehen werden: „Eine für die Politik in Bezug auf die EG seit der sowjetischen Zeitperiode charakteristische Erscheinung war das Misstrauen gegenüber beliebigen politischen Aktionen der Gemeinschaft. Teilweise erklärte sich dieses Misstrauen durch schlichtes Unverständnis oder elementares Unwissen über die reale Politik der EG. Manchmal ist es schwierig, sich die Massstäbe dieses Unwissens vorzustellen. Es rührte von der Abwesenheit diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der EG im Verlauf von drei Jahrzehnten und dem In-
455 Šemjatenkov 1997: 115. im Original: „Značenie Soglašenija 1994 g. trudno pereocenit’. Ėto najbolee širokoe, daleko iduščee i detail’noe ėkonomičeskoe soglašenie za vsju istoriju otnošenij meždu Rossiej (ili Sovetskim Sojuzom) in stranami Zapadnoj Evropy.“ (...) „K sožaleniju, ėjforija, kotoroj bylo otmečeno ego podpisanie, v značitel’noj mere sošla na net.“ 456 Chudolej 2000: 53, im Original: „Politika Rossii v poslednee vremja takže stala bolee realističnoj i pragmatičnoj. Rossija staraetsja (chotja i ne vsegda) vesti sebja kak normal’noe evropejskoe gosudarstvo (...), osvobodit’ svoju vnešnjuju politiku ot ideologičeskich dogm i stereotipov prošlych let, umen’šilos’ čislo popytok sygrat’ na različijach meždu SŠA i Evropejskim sojuzom.“
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formationsvakuum, das sich um die EG gebildet hatte.“457 Die Aktivitäten wurden deshalb oft nur auf das ausschliessliche EG-Kompetenzfeld der Handelsbeziehungen beschränkt und schlossen einen breiteren Ansatz zugunsten von Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie aus. Nicht unterschätzt werden darf die Zunahme von informellen Kontakten und des Austauschs auf Expertenebene, die ebenfalls zu einer Intensivierung der Beziehungen beitrugen.458 Bestimmten vor der Perestrojka politische und militärische Aspekte das Verhältnis der Sowjetunion, so rückte ab Ende der 1980er-Jahre das ökonomische Interesse in den Vordergrund. Nebst der offiziellen Linie, betont Zuev, existierte jedoch stets noch „(…) ein inoffizielles Verhältnis zur EG, welches sich lange Zeit im Schatten befand und sich völlig vom offiziellen unterschied. (…) Das negative Verhältnis zur Gemeinschaft bildete sich im Verlauf langer Jahre. Die akademische Wissenschaft trug in einem gewissen Grad zur Änderung dieser Sichtweise bei. In dieser Periode wurden einige fundamentale Forschungen durchgeführt, und auch eine grosse Zahl von praktischen Empfehlungen an die herrschenden Strukturen gemacht, wofür in Zeiten der Perestrojka eine sehr grosse Nachfrage bestand. Natürlich fehlte auch unter den Wissenschaftlern eine einheitliche Sichtweise. Dies ist auch besser so. Sogar innerhalb von einzelnen Instituten unterschieden sich die Herangehensweisen wesentlich. Eine dissidente Sicht der europäischen Integration war nicht nur der wissenschaftlichen Sphäre immanent. Der reflektierende Teil der Funktionäre der Ministerien für Auswärtiges, Aussenhandel, und weiterer Ministerien sowie der Auslandsvertretungen, der zu ausländischen Informationsquellen Zugang hatte, war über den tatsächlichen Stand der Dinge auf dem Laufenden und billigte die offizielle Politik nicht. Jedoch waren die Möglichkeiten der Funktionäre, auf die Politik einzuwirken, in jener Zeit beschränkt. Natürlich bildete der beschriebene Umstand eher die Ausnahme, und ein Grossteil der Ministerialbeamten versorgte die Oberen mit den für sie gewünschten Informationen.“459 457 Zuev 1995: 263, im Original: „Dlja politik po otnošeniju k ES sovetskogo perioda vremeni charakternym javleniem bylo nedoverie k ljubym političeskim akciam Soobščestva. Častično ėto nedoverie ob-jasnajalos’ prostym neponimaniem ili ėlementarnym neznaniem real’noj politiki ES. Poroj trudno sebe predstavit’ masštaby ėtogo nevedenija. Ono proischodilo iz-za otsutstvija diplomatičeskich otnošenij meždu SSSR i ES v tečenie trech desjatiletij i obrazovavšegosja informacionnogo vakuuma vokrug ES.“ 458 Zuev 1995: 264. 459 Zuev 1995: 262f., im Original: „(...) neoficial’noe otnošenie k ES, kotoroe dolgo vremja nachodilos’ v teni i ves’ma otličalos’ ot oficial’nogo. (...) Negativnoe otnošenie k Soobščestvu formirovalos’ v tečenie dolgich let. Akademičeskaja nauka v nekotoroj stepeni sposobstvovala izmeneniju ėtogo videnija. V ėtot period bylo provedeno nemalo fundamental’nych issledovanij, a takže sdelano bol’šoe količestvo praktičeskich rekomendacij vlastnym strukturam, spros na kotorye vo vremja perestrojki byl ves’ma vysok. Konečno,
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Šemjatenkov bedauert, dass das PKA 1994 „(…) das letzte starke Abkommen einer progressiven Bewegung zu einem einheitlichen Europa“ gewesen sei, beide Seiten wurden sich bald bewusst, wie illusorisch die anfänglichen Hoffnungen gewesen seien: „Die existierende Kluft, welche die reifen Bürgergesellschaften im Westen und die Transitionsgesellschaften im Osten trennte, und welche zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Frage einer EU-Mitgliedschaft Russlands, der Ukraine und anderer postsowjetischer Staaten ausschliesst, wurde augenfällig.“460 Als Beispiel dazu dient der Tschetschenienkrieg: „Das Einfrieren des temporären Handelsabkommens mit Russland war ein völlig korrekter Schritt der EU, sowohl vom moralischen, wie vom politischen Gesichtspunkt aus. Aber in einem weiteren Sinn, in Anbetracht der realen Situation in Russland, war dieser Entscheid nicht nur nicht wirksam, sondern auch kontraproduktiv.“461 Bestraft worden seien auch die 80 Prozent der Bevölkerung, die den Krieg in Tschetschenien verurteilten, und die Reformen in Russland seien auch nicht unterstützt worden. Den Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach der künftigen Ausgestaltung sieht Šemjatenkov ganz im Sinne der Anfänge der Gorbačevschen Reformen: Einzige Alternative zu einem neuerlichen Kalten Krieg sei „(…) die Schaffung einer lebensfähigen gesamteuropäischen Architektur, das heisst der Aufbau jenes ‚Gemeinsamen Europäischen Hauses“, von dem in den Jahren 1987 bis 1990 die Rede war.“462 Die Verabschiedung einer Russland-Strategie von Seiten der Europäischen Union am Europäischen Rat vom 3.–4. Juni 1999 in Köln führte zur Vorstellung eines entsprechenden russischen Strategie-Dokuments zu den Entwicklungsperedinstvo vzgljadov učenych tože otsutstvovalo. Dissidentskoe videnie evropejskoj integracii bylo immanentno ne tol’ko naučnoj sfere. Dumajuščaja čast’ činovnikov MID, MVĖS, drugich ministerstv, predstavitel’stv za rubežom, imeja dostup k innostrannym istočnikm informacii, byla v kurse dejstvitel’nogo položenija veščej i ne odobrjala oficial’nuju politiku. No vozmožnosti činovnikov vlijat’ na politiku v to vremja byli ograničeny. Konečno, otmečennoe obstojatel’stvo bylo skoree isključeniem, i bol’šaja čast’ ministerskich rabotnikov snabžala vercha želannoj dlja nix informaciej.“ 460 Namazova/Emerson 1995: 288, im Original: “(...) poslednij sil’nyj akkord postupatel’nogo dviženija k edinoj Evrope“. (...) „Očevidnoj stala suščestvujuščaja propast’, razdeljajuščaja zrelye graždanskie obščestva na Zapade i perechodnye obščestva na Vostoke, isključajuščaja, po krajnej mere na sovremennom ėtape, vopros o členstve Rossii, Ukrainy i drugich postsovetskich gosudarstv v ES.“ 461 Namazova/Emerson 1995: 288, im Original: “Zamorživanie vremennogo soglašenija o torgovle s Rossiej bylo soveršenno korrektnym šagom ES i s moral’noj, i s političeskoj točki zrenija. No v bolee širokom plane, s učetom real’noj situacii v Rossii, ėto rešenie ne tol’ko ne dejstvenno, no i kontraproduktivno.“ 462 Namazova/Emerson 1995: 289, im Original: „(...) sozdanie žiznesposobnoj obščeevropejskoj architektury, to est’ stroitel’stvo togo ‚obščego evropejskogo doma’, o kotorom šla reč’ v 1987-1990 gg.“
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spektiven bis 2010 am EU-Russland Gipfel vom 22. Oktober 1999.463 Die Zusammenarbeit erstreckt sich heute über ein breites Spektrum von Themen wie Handel, Energie und Investitionen bis zu den sogenannten „Gemeinsamen Räumen“, in denen seit 2003 die Themen „Wirtschaft“, „Sicherheit und Recht“, „äussere Sicherheit“ und „Forschung und Bildung“ bearbeitet werden. Dies zwar nicht im Widerspruch zum PKA, aber über die „Gemeinsame Russland-Strategie“ der EU von 1999 hinaus.464 2005 wurden zu diesen Räumen „Roadmaps“ mit den mittelfristig zu erreichenden Zielen festgelegt. Seit 2000 finden jährlich zwei EURussland-Gipfeltreffen sowie permanente Verhandlungsrunden auf technischer und politischer Ebene in den vereinbarten Kooperationsbereichen statt, und am Juni-Gipfel 2008 wurde die Neuverhandlung des PKA lanciert. Dem „Gemeinsamen Haus“ scheint somit, jedenfalls, wenn man die sprachliche Metapher der „Gemeinsamen Räume“ (obščie prostranstva) als Ausgangspunkt nimmt, ein Fortbestehen garantiert zu sein. Wohin der Weg zur Erneuerung oder Ablösung des PKA führt, bleibt Ende 2010 noch offen. Russische Forscher schlagen neuerdings Modelle wie ein „Advanced Partnership/Association Agreement“ (Arbatova) oder einen „Strategic Union Treaty“ (Bordačev) vor. Mit Valko ist davon auszugehen, dass das „Gemeinsame Haus“ noch einige Jahre über mehrere auszuhandelnde, pragmatische und greifbare sektor-spezifische Abkommen gestaltet werden wird.465
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4.4.1 Ausrichtung der Forschungslandschaft auf Europa
In institutionengeschichtlicher Hinsicht führte das „neue Denken“ zur Gründung des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, bedingt „durch die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit den tiefgreifenden Veränderungen in Europa“, wie auf der Internetseite des Instituts dar-
463 Strategija razvitija otnošenij Rossijskoj Federacii s Evropejskom Sojuzom na srednesročnuju perspektivu (2000-2010 gody), vgl. Kaškin 2003: 492ff., deutsche Fassung abgedruckt in: Ivanov 2002: 318-342. 464 Die vier Räume sind: gemeinsamer Wirtschaftsraum, gemeinsamer Raum der Freiheit, Sicherheit und der Justiz, gemeinsamer Raum der äusseren Sicherheit, gemeinsamer Raum von Forschung und Bildung. Zu ihrer Implementierung wurden im Mai 2005 „Road Maps“ verabschiedet. Vgl. Valko 2010: 63ff. 465 Valko 2010: 76f.
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gelegt wird.466 2001 richtete die Europäische Kommission hier den ersten JeanMonnet-Lehrstuhl in Russland ein. 1996 wurde das Institut für Europäisches Recht467 als einzige Lehranstalt dieser Ausrichtung in der Russischen Föderation am Moskauer Staatlichen Institut für internationale Beziehungen (MGIMO) eingerichtet – auf der Grundlage einer Präsidialverfügung zur Beteiligung Russlands am Europarat und finanziert von der EU im Rahmen von TACIS. 2003 erfolgte am selben Institut die Gründung des ersten russischen Lehrstuhls für Europäische Integration.468 2005 beschlossen Russland und die EU, ein Ausbildungsprogramm für Verwaltungsfachleute einzurichten und gründeten das Europäische Lehrinstitut am MGIMO, das 2006 seine Arbeit aufnahm.469 Europawissenschaften oder „Europäistik“ (evropeistika) verbreiteten sich in den 1990erJahren in der russischen Hochschullandschaft: 1994 wurde in St. Petersburg eine „Europäische Universität“ gegründet, und Europalehrgänge findet man inzwischen auch an Universitäten wie Ekaterinburg oder Irkutsk in Sibirien. Wurde kurz vor der Perestrojka noch der “bourgeoise Europäismus” als Ideologie der westeuropäischen Einigungsbefürworter denunziert (Utkin 1981), so erscheinen zehn Jahre später immer öfter Beiträge zum „evropeizm“: Borko (1991a, 1991b), schliesslich Čubar’jan (2006) mit einem über 400–seitigen Werk, das ausschliesslich dem „russländischen Europäismus“ gewidmet ist. Darunter wird die spezifische, russisch-nationalstaatliche Beschäftigung mit der (gesamt)“europäischen Idee“ verstanden. Europäische Einigungspläne der vergangenen Jahrhunderte werden nachgezeichnet und die marxistisch-leninistischen Deutungsmuster einer Umwertung unterzogen. Im Geist von Glasnost’ gewinnt auch die Menschenrechtsdimension in der KSZE ein, wie zugestanden wird, berechtigtes neues Gewicht. Dem schon immer europhil publizierenden Čubar’jan scheint der Wechsel zu einer ausgesprochen eurozentrischen Position in den 1990ern mühelos zu gelingen. Filitov (1991) zeichnet – bereits im Geist des „neuen Denkens“ – akribisch die historiographischen Diskussionen über den Kalten Krieg in der westlichen Forschung nach. Die „gegenwärtige sowjetische Historiographie“ distanziere sich von einseitigen Schuldzuweisungen (Kalter Krieg als Phänomen westlicher Politik) und suche von der Schuldfrage zur Frage „Was wurde versäumt?“ zu gelangen.470 Die historische Aufarbeitung des Kalten Krieges stehe in Russland noch bevor und 466 Institut Evropy Rossijskoj Akademii Nauk, www.ieran.ru Hier und im Folgenden vgl. Katri Pynnöniemi: Russian Foreign Policy Think Tanks in 2002. In: upi Working Papers 38 (2003), www.upi.fiia.fi 467 Institut Evropejskogo Prava –IEP. 468 Kafedra Evropejskoj Integracii. 469 Evropejskij Učebnyj Institut (EUI) / European Studies Institute (ESI). 470 Filitov 1991: 6-8.
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hänge zu einem wesentlichen Teil von einer weiteren Öffnung der Archive ab, wie Čubar’jan in einer 2003 gemeinsam mit Egorova herausgegebenen „historischen Retrospektive“ auf den Kalten Krieg 1945–63 festhält.471 Als Folge der Erschliessung erster neuer Quellen erscheinen 1995 Forschungsbeiträge zu „neuen Ansätzen“ und „neuen Dokumenten“, die Anlass zu „neuer Lesart“ geben.472 1994/95 unterzieht Narinskij in Zusammenarbeit mit westlichen Historikern die sowjetische Ablehnung einer Beteiligung am Marshall-Plan einer Neubewertung, die zuerst im Rahmen des Cold War History Projects publiziert wird, 1995 dann von A. Namazova und B. Emerson. In ihrem vom Institut für Allgemeine Geschichte und dem Europa-Institut der RAN herausgegebenen Sammelband „Geschichte der europäischen Integration 1945–1994“ tragen Namazova und Emerson (1995) eine ganze Reihe von historischen Aufarbeitungen der Nachkriegsgeschichte mehrerer „Europawissenschaftler“ zusammen (Arzakanjan, Borko, Čerkasova, Chesin, Čubar’jan, Filitov, Glucharev, Narinskij, Razmerov, Šatochina-Mordvinceva, Zuev, Zueva). Der Band wird noch 2006/2009 von Mueller und Lipkin als bisher umfassendste Analyse sowjetischer Dokumente gewürdigt.473 In der Folge entstehen weitere kleinere Forschungsarbeiten: Ganz im Geist des Neuen Denkens erteilen Baranovskij (1992) und Borko (1992) in einem in den USA erschienenen Sammelband der „totalitären“ sowjetischen Ideologie eine Absage. In zwei weiteren Beiträgen im selben Band untersuchen Nekipelov (1992) Gründe für den Erfolg der Integration und den Zerfall des RGW im Osten sowie Zuev (1992) Entwicklungschancen einer Partnerschaft zwischen der EG und Russland. Mit der kritischen Neubewertung des RGW und den sozioökonomischen Entwicklungen in der EG/EU beschäftigt sich der Beitrag der Ökonomin T. Androsova (1993) vom Institut für Allgemeine Geschichte. Ab Mitte der 1990er erheben sich zunehmend russozentrische, europakritische Stimmen: A. Panarin (1997)474 distanziert sich in seinem Beitrag in der Zeitschrift „Fragen der Philosophie“ unter dem Titel „Das ‚Zweite Europa’ oder das ‚Dritte Rom’? Paradoxa des Europäismus im gegenwärtigen Russland“ aus nationalkonservativer Sicht vom Glauben an eine europäische Einigung. Dem „isolationistischen“, sich als „auserwählt“ betrachtenden Westen wird vorgeworfen, dass nur eine „ausgewähle Minderheit der Menschheit“ erfolgreich in die postindustrielle 471 Čubar’jan 2003a: 631, vgl. Egorova / Čubar’jan (2003). 472 Egorova 2003b: 3, Fn. 1 nennt: Cholodnaja vojna: Novye podchody, novye dokumenty. Otv. Red. M. M. Narinskij, Moskva, 1995, sowie Sovetskaja vnešnjaja politika v gody cholodnoj vojny (1945–1985). Novoe pročtenie. Otv. red. L. N. Nežinskij. Moskva, 1995. 473 Mueller 2009: 67, Fn. 2; Lipkin 2006a: 300: „(...) nothing serious has been published since“. 474 Der Beitrag wurde 2002 in einer Anthologie des MGIMO (Šakleina 2002) erneut abgedruckt.
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Zukunft voranschreitet: „Diese isolationistische Geschichtsphilosophie konkretisiert sich in der praktischen Politik des Vereinten Europas, die immer protektionistischer wird. So entfernen die Schenger Übereinkommen Barrieren innerhalb der EU, verstärken sie aber gleichzeitig zwischen der EU und der umgebenden Welt.“475 Einher geht nach Ansicht des Autors ein Prozess der Deindustrialisierung, der von der herrschenden Elite als in der „Logik einer internationalen Arbeitsteilung“ gesehen wird, dies sei „nicht mehr eine Europäisierung, sondern eine De-Europäisierung“.476 In der europäischen Integration sieht Panarin eine Reaktion auf den sowjetischen Hegemonismus, der mit russischem Imperialismus gleichgesetzt wird, die letztlich zur Integration in die NATO führt, und bei der lediglich Deutschland den USA etwas entgegenzusetzen hat: „Heute wird alles auf die Karte der europäischen Integration gesetzt, aber erweist sich diese Karte als verlustlos? Es ist eine Sache, ob man die europäische Integration als einfache Erweiterung des Systems des Atlantismus denkt, eine andere, ob man voraussetzt, dass eine räumliche Erweiterung des Westens auf Kosten Osteuropas unvermeidlicherweise eine Schwächung des Atlantismus mit sich bringt und die Möglichkeit einer neuerlichen Differenzierung Europas in ein Westliches (atlantisches) und ein Zentrales, mit einem vereinten Deutschland an der Spitze.“477 Noch Mitte der 1990er-Jahre beklagt Čerkasova aus europhiler Sicht den bis heute mangelhaften Kenntnisstand über die europäische Integration: „Wozu führte die negative Haltung der UdSSR zu den Integrationsprozessen in Westeuropa? In erster Linie zu praktisch vollständigem Unwissen über das Wesen und den Charakter der Römer Verträge in der ehemaligen UdSSR, zu einer weiten Verbreitung im öffentlichen Bewusstsein von zutiefst irrigen Vorstellungen (die EG wurde zum Teil mit der NATO gleichgesetzt).“478
475 Panarin 1997: 433, im Original: „Ėta izoljacionistkskaja filosofija istorii konkretizieruetsja v praktičeskoj politike Ob-edinennoj Evropy, stanovjaščejsja vse bolee protekcionistkoj. Tak, Šengenskie soglašenija, snimaja bar-ery vnutri ES, odnovremenno usilivajut ich meždu ES i okružajuščim mirom.“ 476 Panarin 1997: 433, im Original: „logiki meždunarodnogo razdelenija truda” / “Ėto uže ne evropeizacija, deevropeizacija!” 477 Panarin 1997: 434, im Original: „Sejčas vse postavleno na kartu evropejskoj integracii, no javljaetsja li ėta karta besproigryšnoj? Odno delo – myslit’ evropejskuju integraciju kak prostoe rasširenie sistemy atlantizma, drugoe –predpoložit’, čto prostranstvenno rasširenie Zapada za sčet Vostočnoj Evropy neminuemo povlečet za soboj oslablenie atlantizma i vozmožnost’ novoj differenciacii Evropy na Zapadnuju (atlantičeskuju) i Central’nuju, vo glave s ob-edinennnoj Germaniej.“ 478 Čerkasova 1995: 169, im Original: „K čemu že privelo negativnoe otnošenie SSSR k integracionnym processam v Zapadnoj Evrope? Vo-pervych, k praktičeski polnomu neznaniju suti i charaktera Rimskogo dogovora v byvšem SSSR, širokomu rasprostraneniju
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Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der europäischen Integration vollzog sich zunehmend im Rahmen von öffentlichen Tagungen. Im Rahmen einer Konferenz zur Geschichte der europäischen Integration 1945–1994, die im Juni 1995 in Moskau stattfand, erörterten die Teilnehmer die Frage nach der neuen Stellung Russlands im sich integrierenden Europa. 479 Sie kamen zum Schluss, dass es im Kern um folgende Frage geht: „das Problem der Wahl eines zukünftigen Modells der Beziehungen zwischen zwei unterschiedlichen, aber gleichzeitig verwandten Zivilisationen, eines solchen Modells, welches optimal wäre, auch aus der Sicht ihrer Beziehungen zu anderen Regionen oder Zivilisationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“480 Der russische EU-Diplomat Šemjatenkov sieht zwei Wendepunkte: „Zu Beginn, in der Zeit von Gorbačevs Perestrojka, vollzog sich die erste Metamorphose – vom ‚Kalten Krieg’ zur gegenseitigen Euphorie. Auf den höchsten Ebenen des sowjetischen und parteilichen staatlichen Apparates und innerhalb der Intelligencija entstanden romantisierte Vorstellungen über die Erfolge der europäischen Integration und die Möglichkeiten einer raschen Vereinigung mit der EG, parallel zu dynamischen internen Umwandlungen im Land. Seinerseits wandelte sich in Westeuropa die anfängliche Vorsicht in Bezug auf die Perestrojka in eine wahrhaftige ‚Gorbimanie’, und nach dem Zerfall der UdSSR in Hoffnungen darauf, dass die Reformen in Russland einen relativ raschen und geordneten Prozess durchlaufen würden, welcher zur Bildung einer Gesellschaft westeuropäischen Typs führen würde. In Übereinstimmung mit solchen Vorstellungen schien eine neuerliche Spaltung Europas nicht nur unerwünscht, sondern auch undenkbar.“481
v obščestvennom soznanii gluboko prevratnych predstavlenij (ES začastuju otoždevljalsja s NATO).“ 479 Namazova/Emerson 1995: 281–294 gibt einen Überblick über die Podiumsdiskussion („Kruglyj stol“). 480 Namazova/Emerson 1995: 286, im Original: “(..) problema vybora buduščej modeli otnošenij meždu dvumja različnymi, no vmeste tem rodstvennymi civilizacijami, takoj modeli, kotoraja byla by optimal’noj i s točki zrenija ich otnošenij s ostal’nymi regionami ili civilzacijami v nastupajuščem XXI stoletii.“ 481 Namazova/Emerson 1995: 287, im Original: “Snačala, v period gorbačevskoj perestrojki, proizošla pervaja metamorfoza – ot ‚cholodnoj vojny’ k vzaimnoj ėjforii. V vysšich slojach sovetskogo i partijnogo gosudarstvennogo apparata i sredi intelligencii voznikli romantizirovannye predstavlenija ob uspechach evropejskoj integracii i vozmožnosti bystrogo prisoedinenija k ES parallel’no dinamičnym vnutrennim preobrazovanijam v strane. V svoju očered’, v Zapadnoj Evrope pervonačal’naja nastorožennost’ v otnošenij perestrojki smenilas’ nastojaščej ‚Gorbimaniej’, a posle raspada SSSR nadeždami na to, čto reformy v Rossii budut otnositel’no neprodolžitel’nym i uporjadočennym processom, kotoryj privedet k sozdaniju obščestva zapadnoevropejskogo tipa. V sootvetsvii s takimi vzaimnymi predstavlenijami, novyj raskol Evropy kazalsja ne tol’ko neželatel’nym, no i nemyslimym.“
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Am 6./7. Juni 1997 fand aus Anlass des 40–Jahr-Jubiläums der Römer Verträge in St. Petersburg eine erste auf die EU fokussierte Konferenz zu Fragen der europäischen Integration statt. 482 Die in enger Zusammenarbeit mit Borkos „Gesellschaft für Europaforschung“ (AEVIS) durchgeführte Tagung wurde im Folgejahr wiederholt und widmete sich dem Thema „Ein Jahrzehnt der Zusammenarbeit (1988–1998): Die Europäische Union und Russland in der Perspektive“.483 Im Tagungsband zur Veranstaltung im Jahr 1997, der wie die folgenden Tagungsbände von I. Lešukov, damals Lehrbeauftragter für Europäische Integration und Europäische Sicherheit an der St. Petersburger Staatlichen Universität, herausgegeben wurde, resümiert Borko „Die Evolution der Ansichten über die europäische Integration in der UdSSR und in Russland“ unter politischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten.484 Für die auf 1997 folgenden Jahre skizziert Borko ein Forschungsprogramm, das sich der „weissen Flecken“ annehmen müsse, die in sowjetischer Zeit nicht untersucht werden konnten: Wechselwirkung zwischen Integration und fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen, Wechselwirkung zwischen Integration und Blockspaltung, einschliesslich der aussenpolitischen Orientierung der EG, Erarbeitung einer Theorie der regionalen Integration.485 Im erwähnten Tagungsband zur Veranstaltung im Jahr 1998 stehen tagesaktuelle aussenpolitische Fragen im Vordergrund. In historischer Perspektive von Interesse ist der Beitrag der St. Petersburger Forscherin Ju. Dunaeva (1999) zum Thema „Russland und die Idee der Formierung eines geeinten Europas“. Die Autorin beobachtet eine gewagte Parallele zwischen dem gegenwärtigen Zustand der EU und der Struktur Europas im ausgehenden 19. Jahrhundert, als kein Staat dominiert habe, und Konflikte durch Gespräche gelöst worden seien, ohne auf das durch den Ersten Weltkrieg ausgelöste Ende des „langen Jahrhunderts“ einzugehen.486 Die St. Petersburger Forscherin N. Zaslavskaja würdigt in ihrem Beitrag die Rolle des Europäischen Parlaments bei der Ausgestaltung der EU-Beziehungen zu Russland und hebt dessen Zustimmung zum PKA im November 1995 sowie die Anerkennung der marktwirtschaftlichen Verhältnisse in Russland im Dezember 1997 hervor, nicht ohne die kritische Haltung des Parlaments bezüglich der
482 Lešukov 1997, „K čitatelju“. Russische Bezeichnung der Gesellschaft: Associacija Evropejskich Issledovanij - AEVIS. Die Tagungsbeiträge wurden 1997 im Internet (Lešukov 1997) und 1998 als Buch publiziert, darin Beiträge von Borko, Boroznjak, Glucharev, Gorskij, Gautron, Ivanov A.G., Ivanov S.A., Kapustkin, Kargalova, Klemin, Kosov, Koval’skij, Kutejnikov, Kuz’min, Kusnecov, Malacha, Morozov, Šemjatenkov, Šiškov. 483 Lešukov 1999, darin über 30 Beiträge von russischen (vorwiegend Universität SanktPeterburg) und westlichen Autoren. 484 Borko 1997. Dieser Beitrag ist auch in Borko 2003 abgedruckt. 485 Borko 1997 : 21. Absatz. 486 Dunaeva 1999: 81.
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Verteilung von TACIS-Mitteln zu erwähnen. In ihrem europhil-eurozentrisch geprägten Fazit klingt noch einmal die Idee des „Gemeinsamen Europäischen Hauses“ an, denn die EU-Russland-Beziehungen müssten sich nach Meinung des Parlamentes in drei Richtungen entwickeln: „Konsolidierung der russländischen Gesellschaft und Errichtung der jungen russländischen Demokratie; Entwicklung der Zusammenarbeit in den verschiedensten Gebieten; und schliesslich die Integration Russlands in die grössere europäische Familie, indem die Idee einer ‚europäischen Konföderation’ oder des ‚Gemeinsamen Europäischen Hauses’ zum Leben gebracht werden“.487 Der eher russozentrische St. Petersburger Forscher A. Kutejnikov relativiert den Platz der europäischen Integration, die „nur einen der Integrations-‚Ströme‘“ darstelle, neben der militärisch-politischen (NATO) und der sozio-kulturellen (Europarat) Integration.488 Noch nicht von marktwirtschaftlichem Verständnis zeugt seine Einschätzung der vier Freiheiten, die er als Hauptziel der EU versteht: „Ziel dieser Konstruktion ist die Gewährleistung der freien Bewegung von Personen, Gütern, Dienstleistungen und Kapital (!), was deutlich kein nationales, und folglich kein staatliches Interesse darstellt.“489 „Um der Gerechtigkeit willen“ lobt Kutejnikov die EU als vollkommenste aller heute bestehenden Integrationsvereinigungen“, die ihren Beitrag zur Bewahrung des Friedens leistet: „Sich mit ihr vergleichen konnte nur die frühere UdSSR, aber sie hatte einen sehr wichtigen Fehler, den die EU vorläufig nicht hat – den Föderalismus, der sich als Mine einer verlangsamten Handlung erwies, die ihre Arbeit im für den Staat ungünstigsten Moment erledigte – in der Zeit der Perestrojka.“490 Die Entstehung einer politischen Ordnung auf neuer Ebene bildet das Thema von Lešukovs Beitrag, in welchem er die Ausbildung der in der EU entwickelten Supranationalität (nadnacional’nost’) im Gegensatz zu dem in Europa nicht ausgebildeten „super-state“ (sverch-gosudarstvo) untersucht.491 Nach einer Analyse 487 Zaslavskaja 1999: 108, im Original: „konsolidacija rossijskogo obščestva i stanovlenie molodoj rossijskoj demokratii; razvitie sotrudničestva v samych raznych oblastjach; i nakonec, integracija Rossii v bol’šuju evropejskuju sem’ju, pretvorjaja v žizn’ idei ‚evropejskoj konfederacii’ ili ‚obščego evropejskogo doma’“. 488 Kutejnikov 1999: 229, im Original: „Evropejskaja integracija javljaetsja liš’ odnim iz integracionnych ‚potokov’. Parallel’no s nej razvivajutsja voenno-političeskaja integracija (prežde vsego v ramkach NATO), social’no-kul’turnaja integracija (Sovet Evropy).“ 489 Kursive Hervorhebung und (!) so im Orginal, vgl. Kutejnikov 1999: 232, im Original: „Cel’ etoj konstrukcii – obespečenie svobodnogo dviženija ljudej, tovarov, uslug i kapitala (!), čto javno ne javljaetsja nacional’nym i, sledovatel’no, gosudarstvennym interesom.“ 490 Kutejnikov 1999: 232, im Original: „Sravnit’sja s nej mog liš’ prežnij SSSR, no u nego byl važnejšij iz-jan, kotorogo poka net u ES – federalizm,okazavšijsja minoj zamedlennogo dejstvija, srabotavšej v krajne nepodchodjaščij dlja gosudarstva moment – vo vremja perestrojki“. 491 Lešukov 1999: 243.
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westlicher politikwissenschaftlicher Literatur kommt der Autor zum Schluss, dass herkömmliche staatsrechtliche Kriterien vor dem Hintergrund der Anpassung an die Herausforderungen der Globalisierung der EU nicht Genüge tun: „In diesem Licht beobachten wir im Rahmen der Europäischen Union, dieses ‚staatsähnlichen’ Organismus, wahrscheinlich den Prozess der Entstehung einer neuen Form von Staatlichkeit, die mit einer neuen Etappe der Gesellschaftsentwicklung übereinstimmen wird.“492 Weitere wissenschaftliche Konferenzen sind in dieser Zeit zu nennen. Ein historisches Kolloquium in Paris über die 1920er-Jahre führt zur Publikation mehrerer russischer, auf neue Archivquellen gestützter Beiträge über die Europapolitik der Zwischenkriegszeit (Belousova, Narinskij, Zueva 2000). Es schliesst sich eine Reihe weiterer Arbeiten an: Filitov (2001) über die sowjetische Führung und die Integrationsprozesse der 1940er- und 1950er-Jahre, Narinskij (2002) über die Sicht der UdSSR auf die europäische Integration 1948–1953 sowie Egorova (2003) über die militärisch-politische Integration 1947–1953. Žurkin (2001) hält Rückblick auf über zehn Jahre Europaforschung am Europa-Institut der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Auf eine Medienanalyse des aussenpolitischen Diskurses führender russischer Zeitungen stützt sich im Jahr 2000 I. Kobrinskaja, ihres Zeichens Mitarbeiterin am USA- und Kanada-Institut der RAN, und kommt zum Schluss, dass sich die Identitätsfindung der 1990er-Jahre in weiten Bereichen mit den Diskussionen der „Westler“ und „Slavophilen“ und der „Eurasier“ des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts decke.493 4.4.2 Die 1990er Jahre im Rückblick
Der Anbruch des neuen Millenniums löste grundlegend bilanzierende Arbeiten wie diejenige des Direktors des Europa-Instituts, N. Šmelev (2000) aus. Unter dem Titel „Russland und Europa auf der Schwelle des 21. Jahrhunderts“, unterzieht er die EU-Russland-Beziehungen einer kritischen Würdigung, rückt die EU selbst jedoch in das allerbeste Licht – nicht ohne einen kurzen marxistischleninistischen Schwenker auf die überwundenen „Widersprüche der zentripetalen und zentrifugalen Kräfte“: „Die Europäische Union wurde wahrscheinlich zur beeindruckendsten, zur wirksamsten und konstruktivsten Anstrengung der Menschheit im 20. Jahrhundert.“ Nachdem über Jahrzehnte kein ernsthafter Rückschlag zu verzeichnen gewesen sei, nähere sich die EU heute „(…) der Bildung 492 Lešukov 1999: 254, im Original: „V ėtom svete v ramkach Evropejskogo Sojuza, ėtogo ‚gosudarstvosposobnogo’ organizma my, verojatno, nabljudaem process roždenija novoj formy gosudarstvennosti, kotoraja budet sootvetsovat’ novomu ėtapu razvitija obščestva.“ 493 Kobrinskaja 2000: 387. Die Autorin unterscheidet nicht zwischen „Westen“ und „Europa“ und geht auf die Integrationsprozesse nicht ein.
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einer tief integrierten Einheit der Mehrheit der europäischen Staaten mit einer gemeinsamen supranationalen Steuerung, einer gemeinsamen Politik, einer gemeinsamen Verteidigung, einer gemeinsamen Währung und einem einheitlichen Wirtschafts- und Sozialraum, der die völlige Freiheit des Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskraft von einem Land ins andere gewährleistet.“494 Im Rückblick auf die 1990er Jahre erscheinen Šmelev Enttäuschungen auf beiden Seiten zentral: Auf einen Dollar westlicher Hilfen und Kredite seien 4 Dollar aus Russland in die westliche Wirtschaft abgeflossen, wofür nur die eigene Dummheit beigetragen habe. „Aber nichtsdestotrotz, Fakt bleibt Fakt: In diesen Jahren gab es nicht nur keinerlei neuen ‚Marshall-Plan’ für Russland, sondern es wurden auch keinerlei Versuche, diese mörderische ‚Drainage’ zu verhindern, oder wenigstens irgendwie ihre Massstäbe zu verkleinern, weder von der einen noch von der anderen Seite unternommen. Aber nicht kleiner war die Enttäuschung auch im Westen. Im Bewusstsein der westlichen Massen stellt Russland ein ungeheuerliches Monstrum dar, ein von Gott verfluchtes Land, wo alles nicht so ist, wie es sich für Menschen gehört. (…) Fazit all dieser Stimmungen wurde leider einerseits ein erneut auftretendes Gefühl der Feindschaft gegenüber dem Westen in einem bedeutenden Teil der russischen Gesellschaft, andererseits der Verlust jeden Interesses in den Ländern des Westens gegenüber Russland.“495 Handlungsbedarf ortet Šmelev primär im eigenen Land: „Das, was Russland tun muss, wenn es letztlich seine Selbserhaltungsinstinkte nicht einbüsst, hat das übrige Europa schon getan, nämlich: sich seine Territorien angeeignet, eine hocheffektive Marktwirtschaft aufgebaut, ein würdiges Lebensniveau erreicht, und eine Zivilund Rechtsgesellschaft geschaffen.“496
494 Šmelev 2000: 121, im Original: „(...) k sozdaniju gluboko integrirovannogo edinstva bol’šinstva evropejskich gosudarstv s obščej nadnacional’noj sistemoj upravlenija, obščej politikoj, obščej oboronoj, obščej valjutoj i edinym ėkonomičeskim i social’nym prostranstvom.“ 495 Šmelev 2000: 133, im Original: „No tem ne menee fakt ostaetsja faktom: ne tol’ko nikakogo novogo ‚Plana Maršalla’ dlja Rossii za ėti gody ne bylo, no daže kakich-to popytok predotvratit’ ėtot ubijstvennyj ‚drenaž’ ili chotja by kak-to sokratit’ ego masštaby tože ne predprinimalis’ ni s toj, ni s drugoj storony. No ne men’šim bylo razočarovanie i na Zapade. V massovom zapadnom soznanii sovremennaja Rossija predstaet kakim-to čudoviščnym monstrom, Bogom prokljatoj stranoj, gde vse ne tak, kak u ljudej. (...) Itogom vsech ėtich nastroenij stalo, k sožaleniju, s odnoj storony, vnov’ voznikajuščee čuvstvo neprijazni k Zapadu sredi značitel’noj časti rossijskogo obščestva i, s drugoj – poterja vsjakogo interesa v stranach Zapada k sovremennoj Rossii.” 496 Šmelev 2000: 120, im Original: “To, čtó predstoit sdelat’ Rossii, esli ona okončatel’no ne utratit svoi instinkty samosochranenija, ostal’naja Evropa uže sdelala, a imenno: osvoila svoi territorii, postroila vysokoėffektivnuju rynočnuju ėkonomiku, dobilas’ dostojnogo urovnja žizni i sozdala graždanskoe, pravovoe obščestvo.”
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2002 publiziert die Russländische Akademie der Wissenschaften (RAN) einen über 800 Seiten starken Sammelband unter dem Titel „Europa – gestern, heute, morgen“ (Šmelev 2002a, mit Beiträgen von Rubinskij, Butorina, Borko und anderen). Im Eigenlob des Herausgebers handelt es sich „(…) im Grunde genommen um den ersten Versuch in der russländischen Wissenschaft, ein möglichst vollständiges Bild über die grundlegenden Tendenzen zu zeichnen, welche die sichtbare Entwicklungsperspektive des gegenwärtigen Europa und sein wahrscheinliches Gesicht in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts definieren“.497 In diese Phase einer wissenschaftlichen Bilanzierung des ersten postsowjetischen Jahrzehnts fällt auch eine vierbändige Anthologie des MGIMO zur „Aussenpolitik und Sicherheit des gegenwärtigen Russland, 1991–2002“ (Šakleina 2002), welche bereits früher publizierte Beiträge498 vereint und im Dokumentationsteil u.a. das PKA und die Russland-Strategie der EU vom 22. Oktober 2000 in russischer Fassung wiedergibt. Bemerkenswert umfassend ist die 2003 von S. Kaškin herausgegebene Sammlung von rechtlichen Dokumenten und Materialien, welche Grundlagendokumente des Europäischen Rechts sowie bilaterale Abkommen zwischen der EU und Russland zum Teil erstmals in russischer Sprache zugänglich macht.499 Die Anthologie knüpft an einen bereits zuvor publizierten Kontrapunkt zur romantischen Annäherungsphase, den IMEMO-Sammelband „Russland und die zukünftige europäische Organisation“ (Kosolapov 1995) an. Die dort enthaltenen Beiträge von Strežneva, Naročnickaja, Oleščuk und Kosolapov setzen aus russozentrischer Sicht deutliche Fragezeichen hinter die sogenannte „Rückkehr nach Europa“ und betonen die nationalstaatliche Eigenständigkeit Russlands. Wie sehr sich in sowjetischer Zeit sozialisierte Forscher damit schwer tun, den europäischen Integrationsprozess ohne ideologische Brille zu beschreiben, äussert sich im Beitrag des bereits erwähnten Šemjatenkov, seines Zeichens 1990–1991 russischer Vertreter bei der EU-Kommission und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europa-Institut der RAN. Zum einen deutet er in seiner am ehesten als russophil-eurozentrisch zu charakterisierenden Analyse, die oft zu vernehmende Gleichsetzung von „Europa“ mit „Europäischer Union“, als Zeichen für den „phänomenalen Erfolg des Integrationsprozesses“.500 Zum anderen identifiziert er in klassischer spätmarxistischer Manier drei Konstituanten der westeuropäischen Zivilisation: den Individualismus, das Privateigentum und später den National497 Šmelev 2002b: 11, im Original: „(...) po suščestvu pervoj popytkoj v rossijskoj nauke dat’ maksimal’nuju polnuju kartinu osnovnych tendencij, kotorye opredeljajut vidimuju perspektivu razvitija sovremennoj Evropy i ee verojatnoe lico v pervye desjatiletija XXI v.“ 498 Vgl. etwa: Panarin (1997). Das russische Aussenministerium nutzt die Zeitschrift International Affairs (Moscow) regelmässig für offizielle Positionsbezüge, so etwa Šišaev (1999). 499 Zuvor schon Borko 1994c. 500 Šemjatenkov 2002: 309, im Original: „fenomenal’nyj uspech integracionnogo processa”.
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staat, die alle in sich unauflösliche Widersprüche enthielten. Es sei deswegen bezeichnend, dass gerade in Europa als Antipode zu diesen drei Elementen die Ideologie und die Doktrin des proletarischen Internationalismus und später der so genannte „realexistierende Sozialismus“ (real’nyj socializm) entstanden seien. In einer ideologiekritischen Volte nimmt sich in dieser Sichtweise der europäische Integrationsprozess als Vollendung der vom Marxismus geforderten Auflösung kapitalistischer Widersprüche aus: „Das, was Karl Marx und seine Nachfolger für antagonistische und unauflösbare Widersprüche der kapitalistischen Produktionsmethode hielten, war in Wirklichkeit nicht absolut. Die Auflösung dieser Widersprüche erwies sich als möglich, auch wenn sie nicht von einem Moment auf den anderen vollzogen werden konnte. In voller Übereinstimmung mit den Prinzipien der marxistischen Dialektik selbst, verlief der Prozess der Auflösung der Widersprüche des Kapitalismus gleichzeitig mit ihrer Entwicklung und Reifung, und nahm nicht nur ein Jahrhundert in Anspruch. Auf diese Weise führten die Logik des marktwirtschaftlichen Austausches, die vom Staat gefestigte Rechtsordnung und die Aufklärung schliesslich zu einer immer grösseren Sozialisierung der Individuen. Sie zwangen die von einander isolierten, miteinander rivalisierenden Menschen nicht nur, sich an bestimmte Regeln zu halten, sondern auch, in komplizierte, sozial vermittelte Beziehungen der Zusammenarbeit und Kooperation zu treten. Die tragische Erfahrung der Geschichte beförderte bei den Europäern ein schrittweises Sich-Bewusstwerden des Prinzips der bewussten Selbsbegrenzung der persönlichen Freiheit im Namen des Friedens und des allgemeinen Gedeihens. Jedoch stiessen die ersten Keime dieser zutiefst zivilisierten Bewegung auf noch nicht überwundene Realien des Klassenkampfs und des internationalen Wettstreits. Abschliessend setzte sich dieses Prinzip erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Die ‚europäische Idee’, die bis zu diesem Zeitpunkt eine unrealisierbare Chimäre war, erhielt erstmals eine reale historische Chance. Sie eroberte die Geister der Menschen und verkörperte sich, endlich, in realen gesellschaftlichen Einrichtungen.“501 Dem Nationalstaat als typischer Schöpfung des Kapitalismus hät501 Šemjatenkov 2002: 310f., im Original: „To, čto Karl Marks i ego posledovateli sčitali antagonističeskimi i nerazrešimymi protivorečijami kapitalističeskogo sposoba proizvodstva, v dejstvitel’nosti ne bylo absoljutom. Razrešenie ėtich protivorečij okazalos’ vozmožnym, chotja ono ne bylo i ne moglo byt’ odnomomentnym aktom. V polnom sootvetstvii s prinicipami samoj marksistskoj dialektiki process razrešenija protivorečij kapitalizma šel odnovremenno s ich razvitiem i sozrevaniem i zanjal ne odno stoletie. Tak, logika rynočnogo obmena, utverždavšijsja gosudarstvom pravoporjadok i prosveščenie posledovatel’no veli ko vse bol’šej socializacii individov. Oni zastavljali obosoblennych, soperničajuščich drug s drugom ljudej ne tol’ko priderživat’sja opredelennych pravil, no i vstupat’ v složnye, social’no oposredovannye otnošenija sotrudničestva i kooperacii. Tragičeskij opyt istorii sposobstvoval postepennomu vnedreniju v soznanie evropejcev principa soznatel’nogo samoograničenija ličnoj svobody vo imja mira i vseobščego procvetanija.
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ten die Westeuropäer viel von ihrer Entwicklung zu verdanken, aber auch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, nach welchem ein „System der internationalen Sicherheit und Zusammenarbeit“ unausweichlich wurde. Die UNO bleibe jedoch dem System der intergouvernementalen Zusammenarbeit verhaftet, so Šemjatenkov weiter: „Die Integration in Westeuropa ging von Anfang an deutlich weiter und, wie oben festgestellt, bedeutete eine Modifikation der grundlegenden zivilisatorischen Pfeiler – des Individualismus, des Privateigentums und des Nationalstaates. Die Völker und Regierungen von anfänglich sechs Ländern Westeuropas gingen bewusst und freiwillig über zu einer Limitierung ihrer Souveränität auf der Ebene einzelner Bürger, privater Firmen und Staaten und zu einer Übertragung eines Teiles ihrer Vollmachten in die Befugnis supranationaler Integrationseinrichtungen. Insbesondere das supranationale Prinzip machte die Integration zu einer höheren und bis anhin unübertroffenen Form internationaler Zusammenarbeit.“502 Doch will Šemjatenkov die heutige Europäische Union nicht als „geniale Schöpfung ihrer ‚Gründerväter’“ sehen: „Im Gegenteil, die heutigen Strukturen der EU erweisen sich als Produkt einer objektiv bedingten, wenn auch in vielem spontanen und widersprüchlichen historischen Entwicklung Westeuropas in der Nachkriegsperiode.“503 Mit Unterstützung der USA und mit drei Verfahren seien die ersten Integrationserfolge erzielt worden: durch das Primat der ökonomischen Integration, durch das Prinzip der Subsidiarität, und drittens durch das etappierte Vorgehen. Doch habe schon die EGKS „offen politischen Charakter“ getragen, das Gewicht schon früh in Richtung der supranationalen Organe verschoben: „Das Paradoxon der ganzen folgenden Entwicklung der europäischen Integration besteht darin, dass das supranationale Prinzip, welches den wesentlichen und Odnako pervye rostki ėtogo glubokogo civilizacionnogo sdviga natalkivalis’ na poka ešče preobladavšie realii klassovoj bor’by i mežgosudarstvennogo soperničestva. Okončatel’no ėtot prinicip vozobladal liš’ posle Vtoroj mirovoj vojny. ‚Evropejskaja ideja’, kotoraja do togo vremeni byla neosuščestvimoj chimeroj, vpervye polučila real’nyj istoričeskij šans. Ona zavoevala umy ljudej i voplotolilas’, nakonec, v real’nych obščestvennych institutach.“ 502 Šemjatenkov 2002: 312, im Original: „Integracija v Zapadnoj Evrope s samogo načala šla značitel’no dal’še, i kak uže otmečalos’ vyše, označala modifikaciju osnovopologajuščich civilizacionnych ustoev – individualizma, častnoj sobstvennosti i gosudarstvo-nacii. Narody i pravitel’stva pervonačal’no 6 stran Zapadnoj Evropy soznatel’no i dobrovol’no pošli na ograničenie svoego suvereniteta na urovne otdel’nych graždan, častnych firm i gosudarstv i peredaču časti svoich polnomočij v vedenie nadnacional’nych integracionnych institutov. Imenno nadnacional’noe načalo sdelalo integraciju vysšej i poka ešče neprevzojdennoj formoj meždunarodnogo sotrudničestva. 503 Šemjatenkov 2002: 312f., im Original: „Naprotiv, nynešnie struktury ES javljajutsja produktom ob-ektivno obuslovlennogo, chotja i v mnogom spontannogo i protivorečivogo istoričeskogo razvitija Zapadnoj Evropy v poslevoennyj period.
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systembildenden Zug darstellt, sein erstes Apogäum gerade im ersten, noch unentwickelten System von Einrichtungen erreichte – die Kräftebalance im Rahmen der EGKS war deutlich in Richtung des supranationalen leitenden Organs verschoben.“504 Zum „unstrittigen Triumph des Integrationsprinzips“ erklärt Šemjatenkov die Einheitliche Europäische Akte, weil sie wirksam den Römer Vertrag umsetze, den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft erweiterte und den Entscheidungsmechanismus innerhalb der Gemeinschaft perfektionierte.505 Im Zuge der Osterweiterung der EU kamen die Kopenhagener Kriterien zum Tragen, die demokratische, rechtliche und wirtschaftliche Mindestvoraussetzungen für einen Beitritt zur EU fixierten. In Bezug auf Russland sieht Šemjatenkov nicht ohne eine gewisse Verbitterung eine versteckte Aussperrklausel in diesen Kriterien enthalten: „Aber im Kopenhagener Beschluss war noch eine Bestimmung enthalten, die anfänglich nicht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zog. Dieser Bestimmung zufolge ist die Erweiterung der Union nur in dem Fall möglich, wenn sie den Integrationsprozess selbst nicht bedroht. Ursprünglich musste die Kopenhagener Formel nur einem Ziel dienen – den ‚unverständigen’ Russen zu verstehen geben, dass sie weder jetzt, noch in Zukunft mit einem Beitritt in die EU rechnen können, infolge der riesigen Dimensionen ihres Landes, seiner geographischen Lage und aufgrund historischer Besonderheiten.“506 Den Lissabonner Gipfel vom 23./24. März 2000 und seinen Appell, die EU müsse auf die Herausforderungen der Globalisierung antworten, kommentiert Šemjatenkov mit den Worten: „Nach langen Jahren der lackierten* offiziösen Phraseologie, prasselten plötzlich, wie aus dem Füllhorn, tiefreichende und ausserordentlich interessante Einschätzungen massgeblicher westeuropäischer Politiker und öffentlicher Akteure über die Zukunft der Europäischen Union nieder, über den Umbau (Perestrojka) ihrer Grundlagen, und in diesem Zusammenhang über das Prob-
504 Šemjatenkov 2002: 314f., im Original: „Paradoks vsego posledujuščego razvitija evropejskoj integracii zaključaetsja v tom, čto nadnacional’noe načalo, predstavljajuščee soboj ego suščnostnuju i sistemoobrazujuščuju čertu, dostiglo svoego apogeja imenno v pervoj, ešče nerazvitoj sisteme institutov – balans v ramkach EOUS byl javno smeščen v storonu nadnacional’nogo rukovodjaščego organa.“ 505 Šemjatenkov 2002: 320, im Original: „besspornym triumfom integracionnogo načala”. 506 Šemjatenkov 2002: 324f., im Original: „No v kopengagenskom rešenii bylo ešče odno položenie, kotoroe ponačalu ne priveklo vnimanie obščestvennosti. Soglasno ėtomu položeniju rasširenie Sojuza vozmožno liš’ v tom slučae, esli ono ne stavit pod ugrosu sam integracionnyj process. Pervonačal’no kopengagenskaja formula dolžna byla služit’ liš’ odnoj celi – dat’ ponjat’ ‚neponjatlivym’ russkim, čto ni sejčas, ni v buduščem oni ne mogut rassčityvat’ na vystuplenie v ES v silu ogromnych razmerov svoej strany, ee geografičeskogo položenija i istoričeskich osobennostej.“
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lem der Erweiterung.“507 Ein Widerspruch klaffe zwischen Vertiefung und Erweiterung – doch, so schliesst Šemjatenkov versöhnlich, auch wenn die EU zu Beginn des neuen Jahrtausends suchend und mit Zweifeln dastehe, dann handle es sich um „(…) eine neue Erscheinung des unruhigen europäischen Genies, welches unentwegt rationale Lösungen für Probleme sucht, die im realen Leben auftreten. Das ist Zeugnis der Lebenskraft der europäischen Völker, die wie früher danach streben, an der Spitze des weltumspannenden Fortschritts zu stehen, und die die Chance haben, dieses Ziel zu erreichen.“508 Mit dieser mehrfachen diskursiven Kehrtwende versöhnt der Autor in typischer postsowjetischer Manier die lineare Tendenz der Weltgeschichte, hin zur kollektiven Weltorganisation und Friedenssicherung, mit den europäischen Völkern (einschliesslich des russischen Volkes) an der avantgardistischen Spitze. T. Islamov (2003), Leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Slavistik der RAN, sieht für die historische Wissenschaft „(…) eine prinzipiell neue Aufgabe der Reflexion und der Beleuchtung der europäischen Vergangenheit aus den Positionen des neuen integrierten Europas“.509 Der Beitrag zeugt davon, dass die Rezeption von Europa-Historikern wie Jacques Le Goff, Hagen Schulze, Jürgen Kocka, Wolfgang Schmale, Gerald Stourzh oder Klaus Zernak in Russland begonnen hat, und auch Arbeiten der Verbindungsgruppe der Historiker bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften seit 1982 und ihres Publikationsorgans „Journal of European Integration History“ seit 1995 zur Kenntnis genommen werden. Islamov bedauert, dass die (west-)europäischen Historiker bei ihrer Arbeit die Ende der 1990er-Jahre publizierte mehrbändige „Geschichte Europas“ des IVI RAN aus dem Blickfeld verloren hätten, sei es aufgrund mangelnden Informationsaustausches, sei es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse.510 Westeuropäische Gesamtdarstellungen gingen oft nur sehr punktuell auf die osteuropäische Geschichte ein, belegt Islamov an zwei Beispielen: „In einer weit be507 Šemjatenkov 2002: 330, im Original:“Posle dolgich let lakirovočnoj* officioznoj frazeologii vdrug, kak iz roga izobilija posypalis’ glubokie i črezvyčajnointeresnye suždenija avtoritetnych zapadnoevropejskich politikov i obščestvennych dejatetej o buduščem Evropejskogo sojuza, o perestrojke ego osnov i v ėtoj svjazi o probleme rasširenija.“ *Mit ‘lakirovka’ wird gemeinhin der offizielle sowjetische Diskurs, der marxistischleninistischer Ideologie zu genügen hatte, bezeichnet – hier in rhethorischer Umkehrung gemünzt auf einen Europa-Integrations-Diskurs. 508 Šemjatenkov 2002: 332, im Original: „(...) novoe projavlenie bespokojnogo evropejskogo genija, kotoryj neprestanno iščet racional’noe rešenie voznikajuščich v real’noj žizni problem. Ėto – svidetel’stvo žiznennoj sily evropejskich narodov, kotorye po-prežnemu stremjatsja byt’ vo glave obščemirovogo progressa i imejut šans dostič’ ėtoj celi.“ 509 Islamov 2003: 3, im Original: „(...) principal’no novuju zadaču osmyslenija i osveščenija evropejskogo prošlogo s pozicij novoj integrirovannoj Evropy“. 510 Islamov 2003: 7.
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worbenen, in mehrere Sprachen übersetzten Ausgabe511 figuriert die östliche Thematik mehr oder weniger gleichwertig nur im Mittelalter in Verbindung mit der Beleuchtung der Geschichte Byzanz’; darauf verschwindet sie für lange Jahrhunderte völlig, um dann in der sowjetischen Epoche erneut zu erscheinen.“512 Auch eine mehrbändige Taschenbuchausgabe der Europäischen Geschichte im Fischer-Verlag berücksichtige zwar ungarische und polnische Historiker, nicht aber diejenigen Russlands oder Südosteuropas. Sein Fazit: „Aber wenn die Erweiterung ‚Europas’ nach Osten von beiden Seiten eine Bewegung zur Begegnung erfordert, dann besteht eine ebensolche Situation auch auf dem Gebiet der historischen Wissenschaften. Die Schaffung einer neuen europäischen Geschichte erfordert beiderseitige Anstrengungen. Nur so kann sie eine wirklich neue und wirklich integrierte Geschichte Europas werden. Das Ziel wird erreicht sein, wenn sich Historiker in Ost und West freundschaftlich der Demontage jahrhundertealter gegenseitiger Vorurteile und Stereotypen annehmen, wenn diejenigen überwunden sein werden, die immer noch Entfremdung und Misstrauen sowie die Überbewertung der eigenen Errungenschaften und die Geringschätzung fremder Errungenschaften erkennen lassen, wenn schliesslich Osteuropa nicht als ein Teil des Kontinents betrachtet wird, der ewig dem ‚fortschrittlichen Westen’ hinterherjagt und ‚sich ewig auf dem Weg zur Zivilisation befindet’.“513 Weitgehend sowjetischen Argumentationsmustern verhaftet wirkt der Beitrag des Philosophen A. Myslivčenko, der „Perspektiven des europäischen Modells des Sozialstaates“ untersucht und sich auf die Arbeitslosenzahlen in Westeuropa stützt. Im Lissabonner Gipfel vom März 2000 sieht er daher primär einen Schritt zum Aufbau eines sozialen Europas. Die Debatten um die EU-Osterweiterung finden ihren Niederschlag unter anderem in einer umfangreichen zweibändigen Publikation des Instituts für interna511 Gemeint ist „Das europäische Geschichtsbuch. Von den Anfängen bis heute. Eine europäische Initiative von Frédéric Delouche. Stuttgart, Klett, 1998. 512 Islamov 2003: 12, im Original: „V široko razreklamirovannom, perevedennom na neskol’ko jazykov izdanii vostočnaja tematika bolee ili menee ravnocenno figuriruet liš’ v srednevekov’e v svjazi s osveščeniem istorii Vizantii; zatem na dolgie veka ona naproč’ isčezaet s tem, čtoby vnov’ voskresnut v sovetskuju ėpochu.“ 513 Islamov 2003: 20f., im Original: „No esli rasširenie ‚Evropy’ na Vostok trebuet ot obeich storon vstrečnogo dviženija, to takaja že situacija skladyvaetsja i v oblasti istoričeskich nauk. Sozdanie novoj evropejskoj istorii trebuet obojudnych usilij. Tol’ko tak ona možet stat’ dejstvitel’no novoj i dejstvitel’no integrirovannoj istoriej Evropy. Cel’ budet dostignuta, esli na Vostoke i na Zapade istoriki družno voz’mutsja za demontaž vekovych vzaimnych predubeždenij i stereotipov, esli budut preodoleny vse ešče dajuščie o sebe znat’ otčuždennost’ i nedoverie, nedoocenka sobstvennych dostiženij i pereocenka čužich, esli, nakonec, Vostočnaja Evropa ne budet rassmatrivat’sja večno dogonjajuščej ‚peredovoj Zapad’ čast’ju kontinenta, ‚postojanno nachodjaščejsja na puti k civilizacii‘.“
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tionale ökonomische und politische Studien der RAN unter dem Titel „Russland und Mittelosteuropa – Transformationen am Ende des 20. und Beginn des 21. Jahrhunderts“. Im Rückblick auf die Perestrojka bilanziert der Historiker I. Orlik: „Die Ideen der Umgestaltung der internationalen Beziehungen – ‚das neue politische Denken’ – erfuhren keine Entwicklung an der Schwelle des Jahrhunderts. Viele Ideen der Perestrojka in der Sphäre der internationalen Politik erwiesen sich ungeachtet ihrer Attraktivität für Russland als unrealisiert. ‚Das grosse Europa’ (Ch. de Gaulles Parole ‚Vom Atlantik bis zum Ural’, später von M. Gorbačev verteidigt) erfasste nur Mittel- und Westeuropa und teilte so den Kontinent in zwei Teile.“514 Die russozentrische Ökonomin S. Glinkina charakterisiert in derselben Publikation die „Rückkehr nach Europa“ ehemals sozialistischer Länder ohne auf die offensichtlichen Ursachen des über Jahrzehnte auf Westeuropa begrenzten Integrationsprozesses einzugehen: „Die Europäische Union realisiert einen ambitiösen Plan der Umwandlung der westeuropäischen Integration in eine europäische, indem sie erstmals über die Grenzen der westlichen Region hinausgeht und einen riesigen Binnenmarkt schafft, der 450 Millionen Einwohner umfasst. Es wird das äusserst schwierige, sich als schwer umsetzbar erweisende Projekt der Bildung eines ‚grossen Europas“ realisiert.“515 Für Glinkina entsteht so die Gefahr neuer Trennlinien in Europa. Rechtsgrundlage der Beziehungen zwischen der EU und Russland bilde das PKA, das 1994 unterzeichnete wurde, „(…) in einer Periode, als die Vertragspartner voller übermässiger Hoffnungen und Illusionen bezüglich der Perspektiven der gegenseitigen Zusammenarbeit waren. Heute weist das PKA einen unbedeutenden praktischen Einfluss auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der EU auf.“516 In der Folge erwartet Glinkina in den meisten Bereichen negative Auswirkungen der Osterweiterung der EU auf Russland, sei es in der „protektionisti514 Glinkina, Orlik 2005: 14, im Original: „Idei preobrazovanija meždunarodnych otnošenij – ‚novoe političeskoe myšlenie’ – ne polučili razvitija na rubeže vekov. Mnogie idei perestrojki v sfere meždunarodnoj politiki, nesmotrja na ich privlekatel’nost’, okazalis’ dlja Rossii nerealizovannymi. ‚Bol’šaja Evropa’ (lozung Š. de Gollja ‚Ot Atlantiki do Urala’, a zatem otstaivaemyj M. Gorbačevym) ochvatila tol’ko Central’nuju i Zapadnuju Evropu, razdeliv Evropejskij kontinent na dve časti.“ 515 Glinkina, Orlik 2005: 23, im Original: „Evropejskij Sojuz osuščestvlajet ambicioznyj plan prevraščenija zapadnoevropejskoj integracii v evropejskuju, poskol’ku vpervye vychodit za predely zapadnogo regiona i sozdaet ogromnyj vnutrennyj rynok, vmeščajuščij 450 mln žitelej. Realizuetsja složnejsij, kazavšijsja trudno vypolnimym proekt sozdanija ‚Bol’šoj Evropy’.“ 516 Glinkina, Orlik 2005: 25, im Original: „(…) v period, kogda dogovarivajuščiesja storony byli polny črezmernych nadežd i illjuzij otnositel’no perspektiv vzaimnogo sotrudničestva. Segodnja SPS okazyvaet neznačitel’noe praktičeskoe vlijanie na razvitie ėkonomičeskich svjazej meždu Rossiej i Evrosojuzom.“
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schen“ Agrarpolitik oder in den verschlechterten Rahmenbedingungen für Kaliningrad. Auch beim Projekt eines Gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraums rückt die Autorin die EU-Forderungen nach Anpassungsleistungen durch Russland in den Vordergrund: „Im Fazit entstand der Eindruck, dass via den Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum Russland eher ein ‚Patronat’ der EU vorgeschlagen wurde, wobei noch auf sehr eng gefasster technischer Grundlage, als eine Partnerschaft mit der EU.“517 Uneingeschränkt für den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der EU plädieren hingegen V. Šenaev und N. Šmelev (Vizedirektor und Direktor des Europa-Instituts der RAN) am Schluss einer detaillierten Analyse der Handels- und Finanzbeziehungen Russlands mit der EU: „Wie sich das geopolitische Weltbild auch immer zusammensetzt, Russland war und wird immer Europa sein. Natürlich ein besonderes Europa, mit seinen eigenen spezifischen, zuweilen selbstgenügsamen Interessen an der Peripherie des euroasiatischen Kontinents und in anderen Weltregionen, doch trotz allem Europa.“518 Lipkin (2006a, 2006b, 2008b) wendet sich in seinen neuesten Forschungen den 1970er-Jahren und den vorangehenden Jahrzehnten (2009a) zu. Prozorov (2006) entwickelt ein ausgefeiltes Analysemodell zum besseren Verständnis der Konflikte zwischen Russland und der EU und verweist damit auf die „Limits of Integration“, wie der Untertitel verdeutlicht. Mošes (2007) geht auf die Optionen im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik ein, deren Ziel in der erfolgreichen Transformation dieser Staaten zu Marktwirtschaft und Demokratie liege. Technisch geprägte Analysen wie Zonova (1999) zum Europa der Regionen und Obydenkova (2006) zur transnationalen regionalen Zusammenarbeit finden am Beispiel von Themen wie TACIS, Ostseekooperation und Nördliche Dimension Anschluss an den westlichen Forschungsdiskurs. In einem Sammelband aus dem Jahre 2003 stellt Borko verschiedene eigene Beiträge aus den Jahren 1991–2003 zusammen. Auch wenn er sich seines ersten, zusammen mit Kollegen verfassten Beitrags zum „Gemeinsamen Markt“ erinnert, so begründet er den Nichtabdruck von Beiträgen aus den Jahren 1963–1990 lapidar damit, dass sie sich auf „eine Epoche beziehen, die Vergangenheit geworden ist“, nun habe „ein neues Kapitel begonnen“.519 Die Stossrichtung der Beiträge 517 Glinkina, Orlik 2005: 37, im Original: „V itoge sozdavalos’ vpečatlenie, čto čerez OEĖP Rossii predlagalsja, skoree, patronaž ES, pričem na uzkotechničeskoj baze, čem partnerstvo s nim.“ 518 Šenaev/Šmelev 2000, im Original: „Kak by ni skladyvalas’ geopolitičeskaja kartina mira, Rossija byla i vsegda budet Evropoj. Konečno, osoboj Evropoj, so svoimi specifičeskimi, podčas samodovlejuščimi interesami na periferii Evroaziatskogo kontinenta i v drugich regionach mira, - i vse-taki Evropoj.“ 519 Borko 2003a: 5. 1963 erschienen die „Thesen über die imperialistische ‚Integration’ in Westeuropa (‚Gemeinsamer Markt’)“ in einem ungezeichneten Artikel in der Zeitschrift
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wird mit dem Titel „Von der europäischen Idee – zum einen Europa“ vorgezeichnet, beginnt mit europhilen Beiträgen wie dem Artikel unter dem Titel „Russland und Europa: Wenn nicht ein ‚Gemeinsames Haus’, was dann?“, und endet mit äusserst pragmatischen Einschätzungen der Partnerschaftsperspektiven zwischen der EU und Russland in den Jahren 2002/2003. Bezeichnend für die neue Auseinandersetzung mit dem alten Thema Europa sind drei von Borko im Jahre 1996 publizierte Beiträge. Im vom Europa-Institut herausgegebenen Sammelband über „Europa und Russland: Die Erfahrung ökonomischer Reformen“ leitet er seinen Beitrag wie folgt ein: „Nachdem wir uns auf den dornigen Weg fundamentaler gesellschaftlicher Reformen begeben haben, betrachten wir von Neuem die Erfahrung anderer Länder und gesellschaftlicher Systeme. Der ideologisierte und nihilistische Ansatz wird durch die Analyse ersetzt, die nicht nur dahin orientiert ist, das Weltgeschehen zu verstehen, sondern auch auf eine Auslese all dessen, was in unserem Land praktisch genutzt werden könnte.“520 Im Sinne dieses Wissenstransfers und auf der Suche nach der zukünftigen Ausgestaltung des Verhältnisses Russland-EU nach der Unterzeichnung des PKA erscheinen nun immer häufiger Beiträge zu diesen aktuellen institutionellen Fragen.521 Ebenfalls ganz im Zeichen des „Neuen Denkens“ steht die beim erwähnten Russländischen Wissenschaftsfonds erschienene Publikation von A. Mitropol’skij und P. Smirnov (1993), die den Erfolg der europäischen Integration basierend auf dem Prinzip der teilweisen Souveränitätsübertragung anerkennt. Im Rückblick auf die El’cin-Ära der „Demokraten der ersten Welle“ ortet J. Rubinskij, ehemaliger Botschafter in Frankreich und Mitarbeiter des EuropaInstituts der RAN Defizite der russischen Europapolitik: „Vor diesem Hintergrund erwies sich als seriöser Mangel der Europapolitik der ‚Demokraten der ersten Welle’ ihre Überbewertung der Bereitschaft des Westens, einschliesslich der EU, mit dem neuen Russland Beziehungen wie mit einem vollberechtigten Mitglied der Gemeinschaft ‚zivilisierter’ Länder aufzubauen, solange Russland nicht die eigenen inneren Probleme löst und ein entsprechendes Gewicht in Weltangelegenheiten erreicht.“ 522 Auch wenn Rubinskij die Einschätzung teilt, dass ein „Weltwirtschaft und internationale Beziehungen“, vgl. Borko 1963. Im Sammelband von 2003 wird der genaue Titel nicht wiedergegeben. 520 Borko 1996e: 336, im Original: „Vstupiv na ternistyj put‘ fundamental’nych obščestvennych preobrazovanij, my zanovo prismatrivaemsja k opytu drugich stran i obščestvennych sistem. Ideologizirovannyj i nigilističeskij podchod smenjaetsja analizom, orientirovannym ne prosto na to, čtoby ponjat‘, čto proischodit v mire, no i na otbor vsego togo, čto možet byt‘ praktičeski ispol’zovano v našej strane.“ 521 So bspw. Borko 1996b in deutscher Sprache und Borko 1996c. 522 Rubinskij 2000a, im Original: „Na ėtom fone ser’eznym nedostatkom evropejskoj politiki ‚demokratov pervoj volny’ okazalas’ pereocenka imi gotovnosti Zapada, v tom čisle Evrosojuza, stroit’ otnošenija s novoj Rossiej kak s polnopravnym členom soobščestva ‚civiliza-
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russischer EU-Beitritt auch in ferner Zukunft ausgeschlossen bleibt – weil er die EU selbst in ihrer Existenz bedrohen würde – so sieht er doch in der Realisierung einer ausbalancierten sozialen Marktwirtschaft und auf der Ebene der Werte gemeinsame Ziele: „Der gemeinsame zivilisatorische Nenner, mit dem die europäischen Völker ins 21. Jahrhundert eintreten, erweist sich als bedeutender als die geopolitischen Beziehungen Osteuropas. Deshalb hat der Prozess der Annäherung der Wertesysteme auf dem Kontinent unumkehrbaren Charakter gewonnen: Eine Alternative dazu gibt es weder im Westen noch im Osten.“523 Aus kurzer zeitlicher Distanz resümiert T. Bordačev, Sekretär der Zeitschrift Pro et contra, der oft in Publikationen beim Moskauer Zentrum der CarnegieStiftung publiziert, die Suche während der 1990er-Jahre nach einer Neuorientierung in der Politik gegenüber Europa in seinem Beitrag unter dem Titel „Terra incognita, oder die europäische Politik Russlands“. Er beurteilt die russische EUPolitik der 1990er-Jahre kritisch als „nicht adäquate Wahrnehmung“. Unter Bezug auf westliche Forschung bemängelt er das Fehlen einer einheitlichen, koordinierten Politik gegenüber der EU: Moskau habe nie Beziehungen zur EU als solcher gehabt, sondern fortgefahren, die EU als eine unter vielen internationalen Organisationen wahrzunehmen. „Ein solches Verhältnis zur EU erbte die russländische Aussenpolitik von der UdSSR, welche sich bis zum Ende der 80er prinzipiell weigerte, Angelegenheiten mit den Europäischen Gemeinschaften als supranationaler Organisation zu besprechen; und in ihr ein ökonomisches Anhängsel zur NATO sah.“ So wurde, Bordačev zufolge, ein ganzes Jahrzehnt lang das supranationale Element in der EU unterschätzt – und dafür die Rolle der OSZE als Gremium zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa überschätzt.524 „In den 90erJahren wurde die Gegenüberstellung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zur alltäglichen Praxis der russländischen Diplomatie. Sowohl im cionnych’ stran do tech por, poka ona sama ne rešit svoi vnutrennie problemy i ne obretet sootvetsvujuščij ves v mirovych delach.“ 523 Rubinskij 2000a, im Original: „Obščij civilizacionnyj znamenitel’ s kotorym evropejskie narody vstupajut v XXI v., javljaetsja bolee značitel’nym, neželi geopolitičeskie svjazi Vostočnoj Evropy. Poėtomu process sbliženija sistem cennostej na kontinente priobrel neobratimyj charakter: al’ternativy emu net ni na zapade, ni na vostoke.“ Ausführlicher zum Aspekt der Zivilisation: Rubinskij (2000b) sowie der Bericht über einen Runden Tisch (Kruglyj stol’) zum Thema „Russland und der Westen im 20. Jahrhundert: das Problem der Wahl des Entwicklungsweges Russlands“, der Zeugnis ablegt über die Rezeption der „Zivilisations“- und „Kultur“-Thesen Samuel Huntingtons, vgl. Rossija i Zapad v XX v. (1999). 524 Bordačev 2001: 24ff., im Original: „Takoe otnošenie k ES rossijskaja vnešnjaja politika unasledovala ot SSSR, kotoryj do konca 80-ch v principe otkazyvalsja vesti dela s Evropejskimi soobščestvami kak nadnacional’noj organizaciej i videl v nej ėkonomičeskij pridatok NATO.“
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akademischen Diskurs wie in politischen Verlautbarungen wurde unterstrichen, dass die objektiven Interessen Europas und der USA häufig entgegengesetzt sind, und ausserdem prinzipielle Abweichungen erzeugen können.“525 Bordačev unterscheidet drei Phasen in der russischen Europapolitik nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: 1. der Beginn der 90er mit der Aushandlung des PKA, 2. die Jahre 1996–1999, als die EU als Teil angespannter russisch-amerikanischer Beziehungen gesehen wurde, und 3., die Phase seit 1999 mit dem Ziel, Konfrontation zu vermeiden und aus dem rapprochement den grösstmöglichen ökonomischen Nutzen zu ziehen (Erklärung der „European affiliation“ Russlands am Gipfel mit der EU 2000).526 In der gleichen Zeitschrift entwickelt die St. Petersburger Forscherin T. Romanova (2001) Strategien zur Beteiligung Russlands an einem „Gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum“, den sie als ersten Schritt zur konkreten Zusammenarbeit seit Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Russland und der EU bewertet – wenn auch nach wie vor mit dem Nachteil einer „asymmetrischen Integration“, d.h. mit von der EU definierten Regeln, behaftet.527 Die westeuropäische Integration als Methode zur Beseitigung der deutschen Gefahr beschreibt V. Fedorov in einem Aufsatz in der Hauszeitschrift des EuropaInstituts der RAN aus dem Jahre 2001 unter dem Titel „Russland im Ensemble Europas“. Schumans Plan beinhaltete für ihn primär das Ziel, einen erneuten Krieg zwischen Deutschland und Frankreich materiell unmöglich zu machen. In diesem Sinn habe sich „die Gründung der Europäischen Union zweifellos als Erfolg der progressiven Vereinigungskräfte auf dem Kontinent erwiesen, als Errungenschaft eines historischen Plans“. Die Einschätzung erstaunt angesichts der in sowjetischer Zeit üblichen Kategorisierung der Einigungsbewegung als typischerweise katholisch, konservativ, antisowjetisch. In Bezug auf militärische Fragen, und da eine Europäisierung Russlands vergleichbar zu der Deutschlands ausgeschlossen sei, könne man von einer „(…) begrenzten Zulassung Russlands zu Europa, oder einer gemässigten Isolation“ sprechen.528 Bei der Bewertung von „Licht und Schatten der europäischen Integration“ überwiegen für Borko und Butorina trotz zunehmender Heterogenität der erwei525 Bordačev 2001: 29, im Original: „V 90-e gody protiovpostavlenie Soedinnenych Štatov Evrosojuzu stalo povsednevnoj praktikoj rossijskoj diplomatii. I v akademičeskom diskurse, i v političeskich zajavlenijach podčerkivalos’, čto ob-ektivnye interesy Evropy i SŠA byvajut často protivopoložnymi i, bolee togo mogut porodit’ prinicpal’nye raschoždenija.“ 526 Bordačev 2003: 32f. 527 Romanova 2001: 63 und 73. 528 Fedorov 2001, im Originaltitel: „Rossija v ansamble Evropy“, mit dem Zwischentitel „Integracija kak metod ustranenija germanskoj opasnosti“. Die weiteren Passagen im Original: „Sozdanie Evropejskogo Sojuza javljaetsja nesomnennym uspechom progressivnych ob-edinitel’nych sil na kontinente, dostiženiem istoričeskogo plana.“ „(...) ograničennyj dopusk Rossii v Evropu, ili umerennaja izoljacija“.
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terten Union und demographischer Probleme in Europa deutlich die positiven Faktoren. Sie sehen das geeinte Europa als irreversible, von durchschnittlich 70– 80 Prozent der in den vergangenen 50 Jahren befragten Bürger unterstützten, Realität. Ihr Fazit aus dem Jahr 2001 liest sich wie eine Paraphrase sozialistischer Friedensprogramme der 1970er- und 1980er-Jahre: „Im Wesentlichen wurde das ‚eine Europa’ nie als ökonomisches Phänomen betrachtet. Im Gegenteil, ihm zugrunde lagen Ideen der Einheit der christlichen Völker, der Einheit der europäischen Zivilisation, Ideen des Friedens, der Solidarität, der Zusammenarbeit und des Fortschritts. Gerade dank dieser kulturellen und zivilisatorischen Grundlage verfügt die europäische Integration über einzigartige Züge, die bei anderen Integrationsverbündeten fehlen, und bewegte sich deutlich weiter voran als sie. (…) Heute, nach Ablauf von 50 Jahren, wird Europa als etwas Ganzes und Unteilbares wahrgenommen, nicht nur von den politischen und intellektuellen ‚Spitzen’, sondern auch von einem bedeutenden Teil der Bevölkerung.“529 Auch eine so prominent platzierte Person wie der Direktor des EuropaInstituts der RAN, N. Šmelev, anerkennt die Bedeutung der Europäischen Union noch 2002 aus einer eher pragmatisch-realpolitischen Sicht, als aus einer Integrationsbefürwortenden: „Nach allem zu urteilen, wird es Russland schon in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts in Europa nicht nur mit einer Gruppierung zu tun haben, die den USA und China ebenbürtig und Japan überlegen ist, sondern mit einer Art Vereinigter Staaten von Europa. Die Europäische Union ist heute schon vollständig zur Bildung einer voll integrierten Einheit von Staaten übergegangen, mit gemeinsamem supranationalem Verwaltungssystem, gemeinsamer Politik, gemeinsamer Verteidigung, gemeinsamer Währung und einheitlichem Wirtschafts- und Sozialraum. Im Verlaufe dieses Prozesses muss die Europäische Union schärfste Widersprüche zwischen zentripetalen und zentrifugalen Kräften überwinden. Dessen ungeachtet wurde in den vergangenen Jahrzehnten kein einziger ernsthafter Rückschlag in der europäischen Integration verzeichnet. Es ist völlig wahrscheinlich, dass die Europäische Union sich auch mit der Aufgabe der Erweiterung ihres Bestands durch neue Mitgliedsländer mit verhältnismässig
529 Borko/Butorina 2001d, im Original: “V suščnosti, ‘edinaja Evropa’ nikogda ne rassmatrivalas’ kak ėkonomičeskij fenomen. Naprotiv, v ee osnove ležali idei edinstva christianskich narodov, edinstva evropejskoj civilizacii, idei mira, solidarnosti, sotrudničestva i progressa. Imenno blagodarja ėtoj kul’turnoj i civilizacionnoj osnove evropejskaja integracija obladaet unikal’nymi čertami, kotorye otsutsvujut y drugich integracionnych sojuzov, i prodvinulas’ značitel’no dal’še, čem oni. (…) Teper’, po prošestvii 50 let, Evropa vosprinimaetsja kak nečto celoe i nerazdel’noe ne tol’ko političeskimi i intellektual’nymi ‘verchami’, no i značitel’noj časti naselenija.”
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weniger entwickelter Wirtschaft auf die eine oder andere Weise zurechtfinden wird.530 Im Rückblick aus dem Jahre 2002 stellt sich Borko (2002a) die Frage, weshalb nach einem Jahrzehnt und einem Start mit optimistischen Deklarationen von einem „Neustart“ in den Beziehungen Russland–EU gesprochen werden muss. Von 1992 bis 1998 habe sich die Zusammenarbeit – wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten – auf einer aufsteigenden Linie entwickelt. Der Handel entwickelte sich, und dank der EU-Unterstützung sei Russland auch in den Europarat aufgenommen worden. In den drei vereinbarten Gebieten habe sich jedoch nur die kulturelle Zusammenarbeit entwickelt: „In den anderen beiden Sphären der Zusammenarbeit – der politischen und der wirtschaftlichen – fanden sich, nebst Errungenschaften, über welche weiter unten gesprochen wird, ausgesprochene Krisen, in denen alle verborgenen Probleme und Widersprüche in den Beziehungen zwischen Russland und Westeuropa auftraten.“531 Zur Verbesserung des Verhältnisses enumeriert Borko einen ausführlichen, pragmatisch-realistischen und von Detailkenntnis zeugenden Massnahmenkatalog: 1. Vertiefung des politischen Dialogs; 2. Schaffung optimaler Bedingungen für Handel und ausländische Investitionen; 3. Teilnahme Russlands an der Lösung gesamteuropäischer Probleme und Umsetzung gesamteuropäischer Programme (Energiefragen, transeuropäische Transportverbindungen, Wissenschaft und Forschung); 4. Nutzung des PKA für den Aufbau von Marktwirtschaft, stabiler Bürgergesellschaft, eines demokratischen Staates in Russland; 5. Annäherung bei Gesetzgebung, Standardisierung, Normierung, Diplomen, Statistik, Rechnungslegung; 6.Bekämpfung internationaler Kriminalität; 7. Zusammenarbeit in Kultur, Bildung, regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit.532 530 Šmelev 2002b: 10, im Original: „Sudja po vsemu, uže v pervye desjatiletija XXI v. Rossii v Evrope pridetsja imet’ delo ne prosto s gruppirovkoj, ravnoj po sile SŠA i Kitaju i prevoschodjaščej Japoniju, no so svoego roda Soedinennymi Štatami Evropy. Evrosojuz k nastojaščemu vremeni uže vplotnuju podošel k sozdaniju gluboko integrirovannogo edinstva gosudarstv s obščej nadnacional’noj sistemoj upravlenija, obščej politikoj, obščej oboronoj, obščej valjutoj i edinym ėkononomičeskim i social’nym prostranstvom. V chode ėtogo processa Evrosojuzu prichoditsja preodolevat’ ostrejšie protivorečija meždu centrostremitel’nymi i centrobežnymi silami. No tem ne menee ni odnogo ser’eznogo otkata nazad za prošedšie desjatiletija v evropejskoj integracii ne nabljudalos’. Vpolne verojatno, čto i s zadačej rasširenija svoego sostava za sčet novych stran s otnositel’no menee razvitoj ėkonomikoj Evrosojuz tak ili inače spravitsja.“ 531 Borko 2002a: 357, im Original: „V dvuch drugich sferach sotrudničestva – političeskoj i ėkonomičeskoj – narjadu s dostiženijami, o kotorych govoritsja niže, imeli mesto vyražennye krizisy, v kotorych projavilis’ vse podspudnye problemy i protivorečija otnošenij meždu Rossiej i Zapadnoj Evropoj.“ 532 Borko 2002a: 372f.
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Bei allen Unterschieden in den von der EU und von Russland verabschiedeten Strategiedokumenten sieht Borko den gemeinsamen Nenner darin, dass die Bedeutung, Unausweichlichkeit und Priorität einer strategischen Partnerschaft der beiden Partner unbestritten ist. Aus seiner Sicht liegt dies in vier Faktoren begründet: im hohen Grad an gegenseitiger sozialer und politischer Abhängigkeit; im gegenseitigen Interesse an der militärischen Sicherheit in Europa; in der Möglichkeit der gegenseitigen wirtschaftlichen Ergänzung; in den jahrhundertealten historischen Verbindungen zwischen Russland und Westeuropa. Borko ergänzt diese Einschätzung durch eine nüchterne, pragmatische Anerkennung des europäischen Integrationsprozesses als unumkehrbarer Erfolgsgeschichte: „Wenn man den Platz der EU in den internationalen Prioritäten Russlands analysiert, ist es unumgänglich, sich vor Augen zu halten, dass gerade sie den Haupt-Integrator in Europa bildet und faktisch schon heute, und in 10 bis 15 Jahren auch formal, in der Weltwirtschaft und in der Weltpolitik fast alle europäischen Länder bis zu den westlichen Grenzen Russlands, der Ukraine und Weissrusslands vertreten wird. Zudem hat diese Organisation aufgrund ihrer Kompetenz und Tätigkeitssphäre universalen Charakter, und die von ihr gefassten Beschlüsse in vielen Schlüsselfragen, darunter solche, die die Interessen aller europäischen Völker berühren, erweisen sich als bindend für alle Mitgliedstaaten.“533 In der Frage einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft Russlands ist Borkos Meinung eindeutig und unterscheidet sich sowohl in der Beantwortung wie in der Begründung von euphorischen Vorstellungen der frühen 1990er-Jahre: „Die objektive Analyse zeigt jedoch, dass dieses Ziel unrealistisch ist und nicht den strategischen Zielen Russlands entspricht: Unrealistisch aus dem Grund, dass die EUMitgliedstaaten einem Beitritt Russlands kaum zustimmen würden, insofern die Europäische Union ganz einfach nicht in der Lage ist, den riesigen östlichen Nachbarn mit all seinen historischen, ethnopolitischen, ökonomischen, sozialen, geopolitischen und kulturellen Besonderheiten zu ‚verdauen’; er entspricht nicht den strategischen Zielen Russlands, weil diese lebenswichtige Interessen in derart weit von Europa entfernten Regionen wie Zentral- und Südostasien und das pazifische Becken umfassen.“ Auf der internationalen Szene hätte Russland keine Handlungsfreiheit mehr, so dass einzig die Alternative EWR oder eine vergleich533 Borko 2002a: 375ff., letzter Absatz im Original auf S. 378: „Analiziruja mesto ES v meždunarodnych prioritetach Rossii, neobchodimo imet’ v vidu, čto imenno on javljaetsja glavnym integratorom v Evrope i uže sejčas faktičeski, a čerez 10-15 let i formal’no budet predstavljat’ v mirovoj ėkonomike i politike počti vse evropejskie strany vplot’ do zapadnych granic Rossii, Ukrainy i Belorussii. K tomu že po svoej kompetencii i sfere dejatel’nosti ėta organizacija imeet universal’nyj charakter, a prinimaemye eju rešenija po mnogim ključevym voprosam, v tom čisle zatragivajuščim interesy vsech evropejskich narodov, javljajutsja objazatel’nymi dlja vchodjaščich v nee gosudarstv.“
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bare Regelung in Frage käme, was jedoch zwei bis drei Jahrzehnte beanspruchen würde. Zwischenetappen könnten daher der Ausbau des PKA oder eine Freihandelszone bilden.534 In einem Artikel unter dem Titel „Eine zweideutige Partnerschaft“ nimmt Borko 2004 eine vorsichtige Beurteilung der russisch-europäischen Beziehungen vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung vor: „Russland und die EU sind keine Brüder, sondern nahe Nachbarn, zu mächtig, als dass sie sich gegenseitig unterschätzen würden, und infolge der wesentlichen gegenseitigen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit einfach zur Zusammenarbeit verdammt, auch aufgrund des Vorhandenseins einiger gemeinsamer Interessen von langfristigem Charakter. Russland und die EU sind keine Feinde mehr, aber sich immer noch nicht vertrauende Personen, die sehr verschieden sind und nur mit grosser Mühe eine gemeinsame Sprache finden.“535 Da die EU Russland als potenziellen Partner für den Fall sehe, dass eine funktionierende Marktwirtschaft und eine stabiles demokratisches System geschaffen werde, jedoch Russland seinerseits primär an wirtschaftlicher Zusammenarbeit interessiert sei, ergebe sich eine „(…) Dissonanz zwischen ambitiösen Projekten und der dürftigen Praxis der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland. Die Projekte sind auf mindestens 15–20 Jahre ausgelegt, sie umsetzen müssen neue Politiker, solange jedoch kompensieren sie gleichsam die Absenz beeindruckender realer Früchte der Kooperation.“536 S. Karaganov, Stellvertretender Direktor des Europa-Instituts der RAN, geht von einem unbestrittenen Erfolgsmodell ‚EU‘ aus, um dann umso schärfer Kritik an der aussenpolitischen Handlungsfähigkeit zu üben: „The European Union (EU) has scored impressive achievements in forming a new model of interstate
534 Borko 2002a: 379, im Original: „No ob-ektivno analiz pokazyvaet, čto gosudarstva-členy ES vrjad li soglasjatsja na vstuplenie Rossii, poskol’ku Evrosojuz poprostu ne v sostojanii ‚perevarit’’ ogromnogo vostočnogo soseda so vsemi ego istoričeskimi, etnopolitičeskimi, ėkonomičeskimi, social’nymi, geopolitičeskimi i kul’turnymi osobennostjami; ne sootvetsvuet strategičeskim celjam Rossii potomu, čto u nich imejutsja žiznenno važnye interesy v takich udalennych ot Evropy regionach, kak Central’naja i Jugo-Vostočnaja Azija, bassejn Tichogo okeana.“ 535 Borko (2004b), hier zitiert nach: Šišelina 2006: 238f., im Original: „Rossija i ES – ne brat’ja, no oni blizkie sosedi, sliškom krupnye, čtoby nedoocenivat’ drug druga, i prosto obrečennye na sotrudničestvo v silu suščestvennoj ėkonomičeskoj i političeskoj vzaimozavisimosti, a takže naličija nekotorych obščich interesov dolgovremennogo charaktera. Rossija i ES uže ne vragi, no vse ešče ne doverjajuščie drug drugu persony, očen’ raznye i s bol’šim trudom nachodjaščie obščij jazyk.” 536 Borko (2004b), hier zitiert nach: Šišelina 2006: 250, im Original: „(...) dissonans meždu ambicioznymi proektami i skudnoj praktikoj sotrudničestva ES i Rossii. Proekty rasčitany kak minimum na 15–20 let, vypolnjat’ ich pridetsja novym politikam, a poka oni kak by kompensiruet otsutstvie vpečatljajuščich real’nych plodov sotrudničestva.”
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relations and creating a precedent of a ‚world government’ – the cherished dream of many humanists of the last centuries. The integration process in Europe has overcome the grave legacy of continual war and is creating a new political culture. (…) However, at the same time the EU has failed to work out a genuinely common foreign and security policy. Many observers (…) have reached the conclusion that integration is consuming more political energy than it is producing, and that it is weakening the EU position in the world rather than consolidating it.” Die Osterweiterung und weitere komplizierte Entscheidungsmechanismen würden diese Entwicklung verstärken.537 L. Šišelina vom Institut für internationale ökonomische und politische Studien der RAN unterteilt die Positionen der EU-Experten in zwei Hauptgruppen: „Eurooptimisten“ (evrooptimisty, bspw. Arbatova, die Europa ein Interesse an gleichberechtigen Beziehungen unterstellen) und „Transatlantiker“ (transatlantisty). Zu Letzteren rechnet sie den grösseren Teil der „offiziellen russländischen Wissenschaft“, insbesondere auch die Kreise um den „Rat für Aussen- und Verteidigungspolitik“ (Sovet po vnešnej i oboronnoj politike, SVOP), seinen Präsidenten S. Karaganov und den ehemaligen Premierminister E. M. Primakov, die den Beziehungen Russlands zu den USA ein höheres Gewicht verleihen als jenen zu Europa. Der Publizist Bordačev formuliert einen typischen Standpunkt dieser Schule so: „Gegenwärtig durchlaufen die Beziehungen Russlands und der Europäischen Union (…) eine schwierige Periode ihrer Geschichte. Hauptursache der entstehenden Schwierigkeiten ist die fehlende Bereitschaft der EU, mit Russland Beziehungen wie mit einem gleichberechtigten strategischen Partner aufzubauen, der in der Folge eigene aussenpolitische Aufgaben und Interessen realisiert. Andererseits hat auch Russland kein Arbeitssystem in die EU hinein und mit der EU geschaffen, welches der Bedeutung des Partners entsprechen würde.“538 Eine deutliche Prioritätenverschiebung entnimmt Šišelina der Position der Beziehungen Russlands zu den europäischen Ländern in den aussenpolitischen Konzepten der Russländischen Föderation: in El’cins aussenpolitischem Konzept vom 23. April 1993 figurieren diese noch an fünfter Stelle, hinter der GUS, den USA und allgemeinen Fragen der Sicherheit und der wirtschaftlichen Entwicklung. In Putins aussenpolitischem Konzept vom 28. Juni 2000 rangieren die Beziehungen zur EU bereits an zweiter Stelle, nach den Beziehungen zu den GUS-Staaten, und 537 Karaganov 2005: 27. 538 Bordačev (2004b), hier zitiert nach: Šišelina 2006: 240., im Original: „V nastojaščee vremja otnošenija Rossii i Evropejskogo sojuza …. pereživajut složnyj period svoej istorii. Glavnoj pričinoj voznikajuščich složnostej javljaetsja negotovnost’ ES vystraivat’ otnošenija s Rossiej kak s ravnopravnym strategičeskim partnerom, posledovatel’no realizujuščim sobstvennye vnešnepolitičeskie zadači i interesy. S drugoj storony, Rossija tak i ne sozdala sistemy raboty v ES i s ES, kotoraja sootvetstvovala by važnosti partnera.”
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werden zudem als „Schlüsselbeziehungen“ (ključevye) bezeichnet.539 Hier geht Šišelina auch auf die Strategie für die mittelfristige Entwicklung der Beziehungen der Russländischen Föderation und der Europäischen (2000–2010)540 ein, in der im Rahmen der strategischen Partnerschaft auch eine „Freihandelszone Russländische Föderation – Europäische Union“541 anvisiert wird, und im Übrigen passim von der Interessenwahrung Russlands und der Selbständigkeit der Europäer gegenüber den USA und der NATO die Rede ist. Šišelina unterstellt der EU doppelte Standards und „unkonstruktive antirussische Positionen“, insbesondere die Einmischung in die innere Organisation der GUS.542 4.4.3 Desillusionierung und Pragmatik ab dem Jahr 2000
Ambitionierte Erwartungen in die Partnerschaft zwischen Russland und der EU gingen nicht in Erfüllung. Kritische und enttäuschte Stimmen mehren sich daher in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. In der erwähnten Untersuchung Šišelinas wird knapp zehn Jahre nach seinem Inkrafttreten eine Bilanz des PKA aus dem Jahr 1994 gezogen, die von Verbitterung zeugt: „Über zehn Jahre können sich die Beziehungen Russlands und der EU, nachdem sie Perioden geschäftiger Aktivierung und von Rückschlägen durchliefen, dennoch nicht besonderer Resultate rühmen. Die institutionellen Rahmen werden erfüllt, die Delegationen besuchen sich gegenseitig, die höchsten Staatsrepräsentanten treffen sich, aber besondere Resultate sind nicht sichtbar. Und die Ausdehnung der EU nach Osten, zudem sogar noch weiter als ursprünglich geplant, fand trotz der Proteste und Bitten Russlands dennoch statt. Das ist jedoch der wichtigste Indikator der ‚Effektivität’ der Wechselwirkung, wenn eine Seite so überzeugt ist von der Schwäche der anderen, dass sie es nicht für nötig erachtet, ihre Meinung in Betracht zu ziehen.“543 In der Konklusion äussert Šišelina vehemente Zweifel an einem „einheitlichen effektiven Integrationsmechanismus“ (edinyj ėffektivnyj integracionnyj
539 Šišelina 2006: 244f. 540 Strategija otnošenija Rossijskoj Federacii s Evropejskim sojuzom na srednesročnuju perspektivu (2000-2010 gg.), deutsche Übersetzung in Ivanov 2002: 318-342. 541 Ministerpräsident Putin lancierte die Idee neu wieder am 26. November 2010 in Berlin, vgl. Neue Zürcher Zeitung, Nr. 277, 27. November 2010 542 Šišelina 2006: 247ff. 543 Šišelina 2006: 250, im Original: „Za desjat’ let otnošenija Rossii i ES, projdja čerez periody delovoj aktivizacii i spadov, vse že ne mogut pochvastat’sja osobymi rezul’tatami. Institucional’nye ramki oformljajutsja, delegacii drug druga poseščajut, vysšie lica gosudarstv vstrečajutsja, no osobych rezul’tatov ne vidno. I prodviženie ES na Vostok, pričem daže dal’še, čem ėto planirovalos’ iznačal’no, vopreki protestam i pros’bam Rossii, vse že sostojalos’. A ėto glavnyj pokazatel’ ‘ėffektivnosti’ vzaimodejstvija, kogda odna iz storon nastol’ko uverena v slabosti drugoj, čto ne sčitaet nužnym brat’ ee mnenie vo vnimanie.”
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mechanizm) für Ost- und Westeuropa zu Beginn des 21. Jahrhunderts.544 Der St. Petersburger Dekan der Fakultät für Internationale Beziehungen, K. Chudolej, zieht eine äusserst kritische Bilanz des PKA: Es habe nie in vollem Umfang funktioniert, und funktioniere auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Gemeinsame Interessen bestünden in der wirtschaftlichen und Energie-Zusammenarbeit, seit dem 11. September 2001 auch zunehmend im Sicherheitsbereich. Insgesamt lasse sich eine Normalisierung feststellen: „Die Politik Russlands wurde in der letzten Zeit ebenfalls realistischer und pragmatischer. Russland bemüht sich (wenn auch nicht immer), sich wie ein normaler europäischer Staat zu benehmen (…), seine Aussenpolitik von ideologischen Dogmen und Stereotypen vergangener Jahre zu befreien, und die Zahl der Versuche nahm ab, die Unterschiede zwischen den USA und der Europäischen Union auszuspielen.“545 Ein Beispiel aus dem Bildungsbereich illustriert die skeptische Haltung, die offenbar auch in den Schulunterricht Eingang finden soll. In einem 2007 in einer Auflage von 10'000 Exemplaren publizierten Lehrerhandbuch zur „Neuesten Geschichte Russlands 1945–2006“ taucht der Begriff EGW/EU auf 485 Seiten praktisch nicht auf, allenfalls im Zusammenhang mit Beschränkungen der Reisefreiheit für Russen: „In diesem Sinne nicht weniger wichtig ist die Visabarriere, mit welcher die USA und die Europäische Union Russland abgezäunt haben. Nicht um neuer Grenzen willen wurde der ‚Eiserne Vorhang’ zerschlagen, nicht dafür riss man die Berliner Mauer nieder, um russische Bürger daran zu hindern, nach Kaliningrad zu fahren, gerade so wie BRD-Bürger beim Höhepunkt des ‚Kalten Kriegs’ nach Westberlin fuhren. Die Träume von einem einheitlichen Kulturraum, von der Möglichkeit, sich heute eine Fahrkarte zu kaufen und morgen in Berlin, Paris, London zu sein, stolperten über Visabarrieren. Die Verschärfung der westlichen und die Einführung der osteuropäischen Visabarriere gestalteten die Isolation Russlands derart, dass sie an den ‚Eisernen Vorhang’ erinnert. Das Ignorieren Russlands im neuen System europäischer Sicherheit ändert das ganze Paradigma der Wohlgewogenheit gegenüber dem Westen, welches 1991 über den kommunistischen Isolationismus gesiegt hat.“546 Das kurz darauf erschienene 544 Šišelina 2006: 292. 545 Chudolej 2000: 53, im Original: „Politika Rossii v poslednee vremja takže stala bolee realističnoj i pragmatičnoj. Rossija staraetsja (chotja i ne vsegda) vesti sebja kak normal’noe evropejskoe gosudarstvo (...), osvobodit’ svoju vnešnjuju politiku ot ideologičeskich dogm i stereotipov prošlych let, umen’šilos’ čislo popytok sygrat’ na različijach meždu SŠA i Evropejskim sojuzom.“ 546 Filippov 2007: 419, im Original: „V ėtom smysle ne menee važen vizovyj bar’er, kotorym otgorodili Rossiju SŠA i Evropejskij sojuz. Ne radi novych granic razbivalsja ‘železnyj zanaves’, ne radi togo krušili Berlinskuju stenu, čtoby vosprepjatstvovat’ rossijskim graždanam ezdit’ v Kaliningrad chotja by tak, kak graždane FRG v pik ‚cholodnoj vojny’ ezdili v Zapadnyj Berlin. Mečty o edinom kul’turnom prostranstve, o vozmožnosti kupit’ segodnja
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eigentliche Schulbuch wird von der am Institut für Russische Geschichte der RAN forschenden E. Zubkova als „government version of history“ bezeichnet. Kennzeichen des „Filippov Syndroms“ seien neo-stalinistische, nationalistische Tendenzen sowie die staatliche Politik der Bevorzugung dieses Lehrmittels, u.a. dadurch, dass es kostenlos abgegeben wird.547 Aus der kritischen Analyse entwickeln sich zunehmend programmatische Ansätze zur Neuausrichtung Russlands gegenüber der EU mithilfe neuer Modelle. N. Arbatova, Abteilungsleiterin im Zentrum für Europaforschung des IMEMO RAN, spricht einer „besonderen Assoziation“ Russlands an die EU das Wort, und impliziert dadurch eine Form der Assoziation, die sich von bestehenden Abkommen unterscheidet. Sie sieht darin günstige Auswirkungen auf: „die Annäherung der politischen und öko-nomischen Systeme sowie der Rechtsordnung; ein stabiles Wirtschaftswachstum; die Entwicklung der Demokratie in Russland und die engere Zusammenarbeit auf verschiedensten Gebieten, einschliesslich der Sicherheit.“548 Für die Zukunft der EU zeichnet O. Butorina, Leiterin des Departements Europäische Integration am MGIMO und Vertreterin der russophilrussozentrischen Schule, ein zwiespältiges Modell: Auch wenn die Union in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht auseinanderbrechen werde, so sieht sie doch die Gefahr, dass das Integrationstempo in verschiedenen Bereichen und Mitgliedstaaten auseinanderlaufen wird. Das Resultat einer Integration mit variabler Geometrie sei, bildlich gesprochen, ein mehrstöckiges Wohnhaus (Zollunion – Binnenmarkt – EWS) mit einem umgebenden Dorf aus Privathäuschen für individuelle Projekte (Verkehr, Energie, Verteidigungspolitik).549 Drei Jahre später formuliert dieselbe Autorin noch kritischer, in origineller rhetorischer Nähe zu marxistischleninistischen Zukunftsversprechungen: „Integration is a shared dream about a bright future for oneself, one’s children and grandchildren. And like any dream, it may or may not come true. However, a dream, especially backed up by viable plans, is better than no dream at all. Therefore, integration is both a dream and an ongoing project at the same time. In this sense, the EU today is indeed reminiscent of a bilet i byt’ zavtra v Berline, Pariže, Londone spotknulis’ o vizovye bar’ery. Užestočenie zapadnogo i vvedenie vostočnoevropejskogo vizovogo bar’era sdelali izoljaciju Rossii takoj, kotoraja napominaet ‚železnyj zanaves’. Ignorirovanie Rossii v novoj sisteme evropejskoj bezopasnosti menjaet vsju paradigmu blagoraspoloženija k Zapadu, vostoržestvovavšuju v 1991 g. nad kommunističeskim izoljacionizmom.“ 547 Zubkova 2009. Kaplan 2009: 100 weist darauf hin, dass Filippov weder Historiker noch Pädagoge ist, sondern in einer aussenpolitischen Unterabteilung des Büros des Präsidenten tätig war. Russische Staatlichkeit und geopolitische Interessen nähmen daher im Buch eine zentrale Stellung ein. 548 Arbatova 2003: 1499. Vgl. Valko (2010). 549 Butorina 2004.
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hypermarket. To a well-off individual, it is a place where he can resolve domestic problems quickly and without hassles. To a provincial teenager, it is a model for a better life. It is an exhibition of international economic achievements that he can easily access (…). Herein lies the EU’s greatest attraction.” Der Binnenmarkt habe versagt, da die Preisunterschiede zwischen Schweden und Bulgarien immer noch riesig seien. Nun, am Beginn des neuen Jahrhunderts, sei die Bildung einer europäischen Identität von primärer Bedeutung. Dies zum einen in einer sehr heterogen gewordenen EU, zum anderen sei mit der Sowjetunion ein Feindbild weggefallen: „Second, following the breakup of the Soviet bloc, the EU no longer had an ideological adversary, whose existence helped European nations – so different and not always amenable toward one another – to share something of a common identity. It has to be said that the Soviet Union was an ideal opponent for Western Europe, and today it cannot be replaced either by the United States or by other global forces or regions.” Zudem seien die EU-Mechanismen so komplex geworden, dass die Bevölkerungsmehrheit sie nicht mehr verstehe.550 Der Ökonom G. Černikov und die Historikerin D. Černikova publizieren 2003 in der russischen Zeitschrift „International Affairs“ ein programmatisches Plädoyer für Russlands Rolle in der neuen multipolaren Welt: „Russia sees itself as a component part of Greater Europe whose role in modern world in this case is becoming definitive. (…) Today United Europe is already one of the pillars of a new world order. A component part of this multipolar world will be Russia (…).”551 Zu Beginn des Jahres 2005 konstatiert eine Expertengruppe552 Desillusionierung und Irritation im Verhältnis zwischen der EU und Russland. Das PKA von 1994 werde nicht vollständig umgesetzt, eine Perspektive auf Weiterführung nach 2007 fehle, weshalb neue, aufwändige Mechanismen wie die vier gemeinsamen Räume entwickelt würden: „Acting by administrative inertia, Russian and EU officials are drafting a large package of agreements, whose fulfilment will require much time and effort from Russia.“553 Die Expertengruppe sieht die russische Seite angesichts einer EU, die sich „increasingly aggressive“ verhält, unter zu starkem Verhandlungsdruck, und schlägt ein neues umfassendes Abkommen zwischen den beiden Partnern vor: „In a way, the European Union, abiding by its goal of ‚Europeanising’ Russia and by its cooperationist agenda, is a tough rival of Russia in the economic field.“ In Anbetracht dessen schlagen die Experten eine Art „Pause“ in der Weiterentwicklung der Beziehungen vor: „A pause is needed because the Russian economy and businesses are unprepared for closer relations with the 550 Butorina 2007. 551 Černikov / Černikova 2003: 56. 552 Karaganov et al. 2005: 4. Die Expertengruppe umfasste Sergej Karaganov, Timofej Bordačev, Vagif Gusejnov, Fedor Luk’janov, Dmitrij Suslov. 553 Karaganov et al. 2005: 6f.
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EU. The Russian business community and even the government lack enough knowledge about EU mechanisms, while the Russian state does not defend domestic businesses from the pressure of rival companies and bureaucracy of the European Union. (…) The experts concluded that Russia’s administrative machinery is not prepared for the tasks set down by its EU policy. The structures that are responsible for interaction with the European Union are organisationally disunited, and the number of qualified personnel is insufficient to effectively work with the powerful bureaucratic machinery of Brussels. (…) Russia’s society, political establishment and bureaucracy lack adequate knowledge of how the European Union operates. The number of people in Russia who are well informed about the inner workings of the European Union is very small (estimated in tens), and over the past few years their numbers have not increased.”554 In der Folge hinke die russische Seite beim Redigieren von Dokumenten der EU hinterher, die die Prozesse unter ihre Kontrolle nehme. Russische Experten wanderten auch schnell in die Privatwirtschaft ab, und insgesamt sei die russische Vertretung in Brüssel viel zu klein. Bei der Empfehlung zukünftiger Szenarien stünden nebst dem „Nachbarschaftsmodell“ der EU auch das norwegische oder das Schweizer Modell zur Debatte. Dringlich sei aber zunächst, den Wissensstand über die EU zu verbessern: „(…) Russia must urgently adopt a state programme for studying in the European Union. Emphasis in these efforts must be placed not on purely theoretical studies, as is done in Russian academic institutes or institutions of higher education (the description of the European Union’s institutions and its history), but on the study of all practical EU mechanisms – most importantly, European law – and on the training of experts in EU affairs, both in Russia and abroad.” Nur so könne gewährleistet werden, dass Russland seine Interessen gegenüber der EU verteidigt. Junge Spezialistinnen und Spezialisten sollten in der EU ausgebildet werden und so nicht nur die EU von innen kennen lernen, sondern auch Netzwerke aufbauen.555 Aus juristischer Sicht widmen sich S. Kaškin und P. Kaliničenko (2006) der Frage, welche Gestalt das Vertragswerk zwischen der EU und Russland nach Auslaufen des PKA im Jahr 2007 annehmen könne. Die Periode 1990–2006 sei vom Übergang vom Zustand „nutzloser Gleichgültigkeit“ (bezpolesnogo bezrazličija) zu dem „strategischer Partnerschaft“ (strategičeskogo partnerstva) gekennzeichnet. Basierend auf dem aktuellen Zustand der vertraglichen Regelungen mit den drei Pfeilern PKA, sektorielle Abkommen und „Road Maps“ schlagen sie Bestandteile eines neuen, unbefristeten Abkommens vor. Darin sollten enthalten sein: die vier Räume, eine Freihandelszone, freier Verkehr von Waren, Personen, Dienst554 Karaganov et al. 2005: 8f. 555 Karaganov et al. 2005: 15f.
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leistungen und Kapital, politischer Dialog, neue institutionelle Strukturen. Dabei sei, wie von Schuman 1950 vorgezeichnet, der Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen Prioriät zu geben: „Die wirtschaftliche Integration ist das Schlüsselglied der gegenwärtigen Europäischen Union. Russland muss zum Aufbau normaler gleichberechtigter Beziehungen mit der EU als wichtigem Aussenhandelspartner insbesondere die ökonomische Komponente der Integrationsprozesse mit der EU stärken.“556 N. Kavešnikov, Mitarbeiter des Moskauer Europa-Instituts, untersucht 2003, gestützt auf Meinungsumfragen und aufgrund eigener Überlegungen, die Beziehungen EU–Russland: Wie kann das gegenseitige Missverstehen überwunden werden? Für Kavešnikov geht klar hervor: „The principal stumbling block in EU– Russia relations is the contradiction between Russia’s unreal claims for overall equality and the EU’s desire to integrate Russia on a differentiated basis. Russian opposition to such an approach is perceived as an unwillingness to cooperate, which leads to an increase in practical disputes and to overall stagnation of the relations. The EU’s approach demonstrates a lack of perspective: It isn’t ready to make minor concessions today in the name of strategic gains in the near future.” Dabei sei die Frage, ob Russland ein Teil Europas sei oder nicht, längst beantwortet, sähen sich die Russen in ihrem Selbstverständnis unbestrittenerweise als Europäer: „Actually, we have been and remain Europeans; Russia is de facto a European country. But what do we mean by ‚Europe’? To integrate into Europe does not mean to join the EU, especially since this aim is completely unrealistic and potentially harmful both to Russia and to the EU itself.” Die EU selbst bilde je länger desto weniger eine homogene Einheit, sie ersetze vielmehr “fragmentation among countries” durch “fragmentation among groups of Member States”. Die Fragmentierung des europäischen Rechtsraum schreite voran – als Beispiel nennt Kavešnikov u.a. die Eurozone, Schengen, die Sicherheitspolitik (EU-Staaten, die zugleich NATO- und/oder WEU-Mitglieder sind), den EWR – und werde damit von einem temporären vorübergehenden Phänomen zu einem permanenten und formalisierten Mechanismus. Im Fazit schwebt dem Autor eine funktionale, sektorielle (z.B. Energie, Forschung) Teilintegration Russlands vor: „Russia should not strive to catch up with the European Union. Equal strategic partnership might be called an illusion, like EU membership. On the contrary, the existing asymmetries could be successfully used while integrating with Europe in various fields. (…) Regional, as well as functional and sectorial integration, while trying to bridge
556 Kaškin/Kaliničenko 2006, Abschnitt 7, im Original: „Ėkonomičeskaja integracija – ključevoe zveno sovremennogo Evropejskogo sojuza. Rossija dlja vystraivanija normal’nych ravnopravnych otnošenij s ES kak glavnym vnešnetorgovym partnerom dolžna usilit’ imenno ėkonomičeskuju sostavljajuščuju intergracionnych processov s ES.“
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current division only where it is possible (…), could play a positive role in reshaping the EU-Russia relationship. Leaving aside the bright slogans about strategic partnership we should maintain several asymmetries and dividing lines.”557 In dieser Formulierung widerspiegelt sich der gemeinsame Nenner der meisten Arbeiten zu Beginn des 21. Jahrhunderts: eine europhile Grundhaltung, kombiniert mit einer klaren russozentrischen Interessensabgrenzung.
557 Kavešnikov (2003).
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Modernisierung gleich Europäisierung?
Der kritische Rückblick auf die Europa-Euphorie der 1990er-Jahre und die programmatischen Ansätze zur Definition des künftigen Verhältnisses zwischen Russland und der EU führen seit der Jahrtausendwende zu einer vertieften Beschäftigung mit den grundsätzlichen Fragen von Europäisierung, Modernisierung, Normen und Recht, denen die folgenden Kapitel gewidmet sind. Die Schlagworte „Europäisierung“ und „Modernisierung“ bilden seit Jahrhunderten Ausdruck einer spezifischen Konzeptualisierung des russischen Geschichtsverlaufs. In der Tradition der Aufklärung werden „Europa“ und „Moderne“ positiv konnotiert und zu Russland kontrastiert.558 Europa bildet so den kulturellen Bezugsrahmen, Ursprung und Ziel der russischen Entwicklung zugleich. In der integrationstheoretischen Literatur werden drei Arten von Europäisierung unterschieden: 1. Europäisierung als Äquivalent zu Europäischer Integration; 2. die Wirkung von EUPolitiken auf die Mitgliedstaaten der EU; 3. Europäisierung als Einflussnahme der EU-Politiken und -Werte auf den Rest der Welt, d.h. auf NichtMitgliedstaaten.559 Russland gehört in Bezug auf EU-Normen sicherlich in die dritte Kategorie und ist dort auch einer Politik der Konditionalität ausgesetzt, die sich beispielsweise auf den Abschluss von Verträgen zwischen der EU und Russland erstreckt. Andererseits hat sich Russland in einem definierten Rahmen für ein verbindliches Mass an Europäisierung entschieden, in dem es dem Europarat beigetreten ist. Die Modernisierung Russlands könnte sich theoretisch unabhängig von einer Europäisierung vollziehen, hängt in der Verbindung von wirtschaftlichtechnologischen Entwicklungen mit normativ-rechtlichen jedoch auf das Engste mit dieser zusammen. In der Sowjetunion verbreitet sich der vom westlichen Begriff Modernisierung abgeleitete Begriff „modernizacija“ in den 1930er-Jahren, wurde aber selten verwendet, und lag auch nahe zum pejorativen „modernizm“, also Modernismus im Sinne einer modischen Oberflächlichkeit.560 1995 verweist Dašičev auf eine mögliche historische Parallele und spricht einer „Westbindung Russlands“, d.h. einer künftigen Integration in die europäische Völkergemeinschaft, das Wort: „Gerade die Einbindung Russlands in den Westen wäre die beste Gewähr für die Demokratisierung seiner Innen- und Aussenpolitik. Hier kann man eine gewisse Parallele zwischen Russland und Deutschland, das nach seiner Vereinigung zum wirtschaftlichen Giganten der Europäischen Union 558 Bohn/Neutatz 2009: 211f. 559 Héritier 2005: 199f. 560 Fitzpatrick 2000: 382.
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wurde, ziehen.“ Dabei hält er eine Mitgliedschaft Russlands in der EU „in der absehbaren Zukunft“ für „unrealistisch“.561 Der Historiker V. Sogrin vom Institut für Allgemeine Geschichte der RAN setzt sich eingehend mit der Bedeutung des Begriffs „Modernisierung“ für das postsowjetische Russland auseinander, einem Begriff, der gemäss Theoretikern wie Parsons und Bendix den Übergang von traditionellen Gesellschaften zu „modernen“ bezeichnet. Idealtyp der modernen Gesellschaft stellt die westliche liberale Demokratie dar. Sogrin verwahrt sich gegen eine nationalistisch motivierte Ablehnung der Anwendung der Modernisierungstheorie auf Russland, und sieht die Frage aus erkenntnisorientierter Sicht einzig und allein darin, ob der Gebrauch westlicher Bilder „den Charakter einer langfristigen historischen Tendenz“ und „auf die progressive Veränderung der russischen Gesellschaft eingewirkt“ habe – eine Frage, die aus unvoreingenommener Sicht positiv zu beantworten sei.562 Da Industrialisierung nicht mit Modernisierung gleichgesetzt werden könne, sei die Anwendung des letzteren Begriffs auf die Stalin-Ära problematisch. Hingegen orientierten sich die späteren sowjetischen Führer indirekt doch sehr deutlich – und in Anbetracht des propagierten Niedergangs des Kapitalismus paradoxerweise – am westlichen Vorbild: „Den Westen ‚ein- und überholen’, auf der Basis einer sozialistischen Entwicklung, setzten sich auch ‚liberale’ sowjetische Reformatoren von N. S. Chruščev bis M. S. Gorbačev zum Ziel. Aber wenn Modernisierung auch kein Modell für sowjetische Reformen war, so stellte sie sich doch als ihr Alter Ego dar: Die sowjetischen Führer hatten den Wettbewerb gerade mit der westlichen und nicht mit irgendeiner anderen Zivilisation im Blick, und indem sie diese unfreiwillig als zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht als die führendste anerkannte, versuchte die UdSSR auf die eine oder andere Weise im Minimum westliche technologische und organisatorische Vorbilder zu kopieren.“563 Die Ambivalenz in den sowjetischen Beziehungen liess sich, so Sogrin, nur durch völlige Isolierung oder die eine oder andere Form der Übernahme westlicher Vorbilder auflösen. Die Perestrojka habe gezeigt, dass die Möglichkeiten zur Reform auf sozialistischer Grundlage erschöpft gewesen seien, und nun in Rich-
561 Dašičev 1995: 416, 414. 562 Sogrin 1999: 74f, Zitat p. , im Original: „(...) imeet li ono charakter dolgovremennoj istoričeskoj tendencii i vlijalo li na progressivnoe izmenenie rossijskogo obščestva“. 563 Sogrin 1999: 76, im Original: „’ Dognat’ i peregnat’ ‘ Zapad, razvivajas’ po socialističeski, stavili svoeij cel’ju i ‘liberal’nye’ sovetskie reformatory ot N. S. Chruščeva do M. S. Gorbačeva. No esli modernizacija i ne byla model’ju dlja sovetskich preobrazovanij, to ona okazyvalas’ kak by ich alter ego: sovetskie lidery imeli v vidu sorevnovanie imenno s zapadnoj, a ne s kakoj-libo inoj civilizaciej, i, nevol’no, priznavaja ee samoj peredovoj chotja by v ėkonomičeskom otnošenij, SSSR pytalsja tak ili inače kopirovat’, kak minimum, zapadnye technologičeskie i organizacionnye obrazcy.“
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tung liberal-demokratischer Mechanismen gehen müssten: „Damals begann sich die Modernisierung der UdSSR und später Russlands mehr und mehr nach ihrem klassischen, d.h. liberalen, Muster zu entwickeln.“564 Dabei unterscheidet Sogrin drei Etappen: eine erste 1985–1986, als Gorbačev „kommando-administrative Massnahmen“ einzusetzen suchte; eine zweite 1987–1991, als Gorbačev dieses System durch eine Art sowjetisches Modell des demokratischen Sozialismus ersetzen wollte; und eine dritte, als El’cin, z. T. mit „Schockvariante“ (šokovyj variant) eine Modernisierung nach „reinem“ (čistym) liberalen Vorbild durchsetzen wollte. Sogrin bilanziert, dass die Modernisierung und „Westernisierung“ (vesternizacija) somit von der russischen Gesellschaft angenommen wurden – aus Einsicht in die Unmöglichkeit einer weiteren Entwicklung auf sozialistischer Grundlage.565 Sogrin analysiert schliesslich auch die seit 1985 zunehmende Verwendung des Begriffs „Zivilisation“: „Der Begriff ‚Zivilisation’ wurde in der UdSSR nach 1985 populär und erhielt von Anbeginn ideologischen Charakter. M. S. Gorbačev und seine Umgebung traten mit der Idee universaler allgemeinmenschlicher Ideale, der Werte der Weltzivilisation, hervor, denen als Ergebnis der Reformen auch Russland einverleibt werden sollte. Im Verlauf der Entwicklung der Perestrojka brachte die Summe dieser Werte – Zivilgesellschaft, Rechtsstaat, freier Markt, politischer Pluralismus, Mehrparteiensystem – in immer grösseren Masse prowestlichen und proliberalen Charakter zutage.“566 Vor diesem Hintergrund beobachtet Sogrin das rasche Ansteigen von historischen Forschungen nach eurasischem Konzept, d.h. mit Betonung der russischen Einzigartigkeit und Selbstgenügsamkeit, in den 1990er-Jahren. In seiner geopolitischen Auslegeordnung, „The End of Eurasia“, schlägt D. Trenin, Stellvertretender Direktor des Carnegie-Zentrums Moskau, vor, Russland solle in Anbetracht der wachsenden Grösse des geeinten Europas die Beitrittsperspektive nicht völlig ausser Acht lassen, sondern als „long-term policy goal“ betrachten: „Achieving this goal may well take the efforts of two generations, but 50 years is too long a period to be meaningful to those who are active today. Thus, a 30–year time frame should be advised instead. The decision to seek acces-
564 Sogrin 1999: 76, im Original: „Togda-to modernizacija SSSR, a potom Rossii stala vse bolee i bolee razvivat’sja po ee klassičeskomu, to est’ liberal’nomu obrazcu.“ 565 Sogrin 1999: 77. 566 Sogrin 1999: 78, im Original: „Ponjatie ‚civilizacija’ stalo populjarnym v SSSR posle 1985 g., i s samogo načala ono priobrelo ideologičeskij charakter. M. S. Gorbačev i ego okruženie vystupili s ideej universal’nych obščečelovečeskich idealov, cennostej mirovoj civilizacii, k kotorym v rezul’tate reform dolžna byt’ priobščena i Rossija. Po mere razvitija perestrojki nabor ėtich cennostej – graždanskoe obščestvo, pravovoe gosudarstvo, svobodnyj rynok, političeskij pljuralizm, mnogopartijnost’ – obnaružival vo vse bol’šej mere prozapadnyj i proliberal’nyj charakter.”
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sion would have to be a unilateral one, not predicated on the European Union’s stated willingness to consider the idea some time in the future. No effort should be wasted, for Russia will need to adapt to the reality of the expanding Union anyway. Even a 30–year period is not waiting time, but time to be used to harmonize Russia’s economic, political, legal and humanitarian practices with those of the European Union. (…) there is need to integrate Russia into something that is much larger than Russia.”567 Auf den Einwand, dies sei ein Verrat an Russlands einzigartiger Identität, entgegnet Trenin, Russlands Identität und Kultur würde nicht leiden: “What passes for ‚Western’ values has a universal ring to it.” 568 Eine solche “Europa-Bindung”, wie Trenin sie in Analogie zur westdeutschen “Westbindung” nach 1945 bezeichnet, würde von der russischen Bevölkerungsmehrheit unterstützt. Ähnlich dezidiert postuliert Trenin Russlands Europäisierung in einem Beitrag aus dem folgenden Jahr unter der Kapitelüberschrift „Europa als Modell“: „Eines der frühen Opfer von Putins Neuordnung der Prioritäten war die Idee eines speziellen russischen ‚dritten Weges’ in Politik, Wirtschaft, gesellschaftlichen Werten usw. Für Putin und diejenigen, die seinen Ansatz unterstützen (…), gibt es keinen besonderen russischen Weg. Für sie ist Russland im Wesentlichen europäisch, selbst wenn es auf einigen Gebieten rückständig und unterentwickelt ist. Folglich bedeutet Modernisierung in erster Linie Europäisierung. Bei der Integration Russlands mit (nicht in) Europa geht es um das Wie, nicht um das Ob. Russlands ‚Eintritt in Europa’ heisst nichts anderes, als innere Transformation entlang europäischer Leitlinien.“569 Trenin sieht zwei wesentliche problematische Charakteristika Russlands in der postsowjetischen Ära: „Im Unterschied zu den Staaten Osteuropas und des Baltikums erwies sich der Bruch mit der Vergangenheit als unvollständig. Ein radikaler Wechsel der Eliten vollzog sich nicht.“ Als Folge entwickelte sich eine zunehmende Marginalisierung Russlands in Europa: „Gerade diese wirtschaftliche, soziale, technologische und informationsbezogene Marginalisierung, und nicht eine geopolitische ‚Kompression’ seines Territoriums, treten als aktuelle Herausforderung Europas für Russland hervor.“570 Aufgrund der von Putin deklarierten Bedürfnisse nach einer gesteigerten „Konkurrenzfähigkeit“ Russlands, leitet Trenin auch 2002 die Notwendigkeit der inneren Transformation ab – die Beitrittsfrage ist nun kein Thema mehr, denn 567 568 569 570
Trenin 2001: 299f. Trenin 2001: 300f. Trenin 2002a: 15. Trenin 2000: 15, im Original: “V otličie ot gosudarstv Central’noj Evropy i Baltii razryv s prošlym okazalsja nepolnym. Radikal’noj smeny ėlit ne proizošlo.” / “Imenno ėta ėkonomičeskaja, social’naja, technologičeskaja i informacionnaja marginalizacija Rossii, a ne geopolitičeskaja ‘sžimanie’ ee territorii, vystupaet v kačestve aktual’nogo vyzova Evropy dlja Rossii.”
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Russland müsste ohnehin das Schicksal der Türkei eines „ewigen Kandidaten“ (večnogo kandidata) teilen: „Für Russland ist ‚Europa’ (genauer, sein westlicher Kern, in der jetzigen historischen Etappe die EU) vor allem eine mächtige äussere Quelle der inneren Transformation. Das Ziel Russlands (…) ist es nicht, ‚in Europa aufgenommen zu werden’, sondern ‚Europa zu werden’ durch seinen inneren Aufbau und seine innere Qualität.“ Ein konkurrenzfähiges, erfolgreiches Land zu sein, bedeute „(…) jedoch nicht nur Technologie und Investitionen, sondern auch entwickelte politische Einrichtungen, eine handlungsfähige Zivilgesellschaft, stabile Werte. Russland ist ein Land von europäischer Tradition, das der Modernisierung bedarf.“571 Den Zustand Russlands zu Beginn des 21. Jahrhunderts bewertet Borko vergleichsweise positiv: „(…) über Jahrzehnte des Gegenüberstehens von zwei Ideologien und zwei gesellschaftlichen Systemen hat sich der zivilisatorische Bruch zwischen Russland und Europa vergrössert. Jedoch besteht die Eigenart der jetzigen Situation darin, dass sich an der Schwelle zum neuen Jahrhundert die Möglichkeiten zur Überwindung dieses Bruches deutlich ausgeweitet haben. Im Unterschied zum Beginn des 20. Jahrhunderts bildet das heutige Russland eine industrialisierte und urbanisierte Gesellschaft mit ziemlich hohem Bildungsniveau, mit (ungeachtet aller Verluste) grossem kulturellem Potenzial, mit für unser Land präzedenzlosem Informationsstand der Bevölkerung über die Aussenwelt, mit klarer Orientierung einer Mehrheit der Russen an europäischen Standards bei Konsum und Lebensqualität.“ Dies und die kommunikative Nähe zu Westeuropa gebe „(…) nicht geringe Chancen dafür, dass der Prozess der Annäherung zweier Zivilisationen sich erneuert und sich schneller entwickeln wird als im vergangenen Jahrhundert. Aber eine solche Möglichkeit wird nur in dem Falle realisiert, wenn der von der neuen Regierung verkündete Kurs auf eine Fortsetzung struktureller Reformen genügend konsequent und energisch durchgeführt wird.“572 571 Trenin 2002c: 2, im Original: „Dlja Rossii, ‚Evropa’ (točnee, ee zapadnoe jadro, na nynešnem istoričeskom ėtape – ES) – ėto prežde vsego moščnij vnešnij istočnik vnutrennej transformacii. Cel’ Rossii (...) – ‘ne byt’ prinjatoj v Evropu’, a ‘stat’ Evropoj’ po svoemu vnutrennemu stroeniju i kačestvu. (...) odnako, ėto ne tol’ko technologii i investicii, no i razvitiy političeskie instituty, deesposobnoe graždanskoe obščestvo, ustojavšiesja cennosti. Rossija – strana evropejskoj tradicii, nuždajuščajasja v modernizacii.” 572 Borko 2002a: 381, im Original: „(...) za desjatiletija protivostojanija dvuch ideologij i dvuch obščestvennych sistem civilizacionnyj razryv meždu Rossiej i Zapadnoj Evropoj uveličilsja. Odnako svoeobrazie neynešnej situacii zaključaetjsa v tom, čto na rubeže dvuch vekov rezko rasširilis’ vozmožnosti preodolenija ėtogo razryva. V otličie ot načala XX v. nynešnjaja Rossija javljaet soboj industrial’noe i urbanizirovannoe obščestvo s dostatočno vysokim urovnem obrazovanija, bol’šim (nesmotrja na vse poteri) kultur’nym potencialom, besprecedentnoj dlja našej strany informirovannost’ju naselenija o vnešnem mire, četkoj orientaciej bol’šinstva rossijan na evropejskie standarty potreblenija i kačestva žizni.
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Der Historiker V. Ščukin widersetzt sich in seinem Beitrag über „Das historische Drama des russischen Europäismus“ aus dem Jahre 2002 der üblichen Kontrastierung Russland – (lateinisches) Europa, denn schon die ‚Kiever Rus‘ sei ein vollberechtigter europäischer Staat gewesen.573 Für die westeuropäischen Staaten markiere die Modernisierung (modernizacija) einen komplizierten Prozess des Übergangs von traditionellen patriarachalischen Strukturen zur Industriegesellschaft der Neuzeit. Im Unterschied zu diesen Ländern verbinde sich die Modernisierung in den orthodoxen slavischen Ländern (aber auch Griechenland, Asien und Afrika) mit einer Reorientierung ihrer Kulturen nach Westen. Eine solche „Westernisierung“ (vesternizacija) sei auch das Schicksal Russlands. Mit einer Reihe von Publikation zur russischen Aussenpolitik und dem Verhältnis zu Europa tritt im vergangenen Jahrzehnt L. Ševcova, MGIMO-Dozentin und leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin am Carnegie-Zentrum Moskau, in Erscheinung. Aus den Hilfsbedürfnissen der El’cin-Ära erwächst aus ihrer Sicht in der Putin-Ära eine grundsätzliche Westorientierung: „Though Russia under Yeltsin attempted to get financial assistance and economic support of Western countries, nurturing hope for a new Marshall Plan, under Putin a significant part of the population has come to understand that only integration into Western society can help Russia to become a modern state. For them, the West is not only a means of modernization and a mine of resources that Russia lacks but also a goal in itself – an altogether new phenomenon in Russian thinking.”574 In der Frage jedoch, inwieweit eine Werteumorientierung stattfinden soll, teilen sich gemäss der Autorin die Meinungen: „There is still hope, at least among the elite groups, that Russia can integrate without adaptation to Western values because adaptation by many politicians and pundits is considered to be weakness, a rejection of Russian identity, and even a betrayal of Russian state interests. There is still an illusion that while integrating into the Western structures Russia can preserve its full sovereignty and old rules of the game, the same prejudices and complexes (…).”575 Dass das integrierte Europa und der sich neu findende postsowjetische Staat grundlegende strukturelle Unterschiede aufweisen, ist für die Autorin eindeutig: “Europe is creating a polity of a new kind – fashioning transnational governance, liquidating some functions of the nation-state, and destroying borders between countries, (...) nemalye šansy na to, čto process sbliženija dvuch civilizacij vozobnovitsja i budet razvivatsja bystree, čem v prošlom veke. No takaja vozmožnost’ budet realizovana v tom slučae, esli provozglašennyj novym rukovodstvom strany kurs na prodolženie strukturnych reform budet provoditsja v žizn’ dostatočno posledovatel’no i ėnergično.“ 573 Hier und im Folgenden: Ščukin (2002), Seitenangaben in der zitierten Internetquelle nicht möglich. 574 Ševcova 2005: 103, kursive Hervorhebung im Original. 575 Ševcova 2005: 104f.
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expanding its economic and political space. Russia continues building a traditional state with all its attributes and has been trying to lace civil society into a tight corset. There is a serious question: How can Russian modernism and European postmodernity coexist?”576 Zwei Jahre später unternimmt die Autorin unter der Kapitelüberschrift “Russland und Europa: zum Zusammenleben verdammt”, einen Deutungsversuch. Sie stellt fest, dass bei der gegenseitigen Annäherung Hindernisse auftraten, die vor allem darin begründet waren, dass Russland einen besonderen Status einforderte: „Obwohl Russland den Entscheidungsprozess der EU beeinflussen wollte, war es natürlich nicht bereit, sich an die normativen Grundlagen der Union anzupassen. (…) Die Wertedifferenzen zwischen Moskau und Brüssel führten zu Verstimmungen.“ Die deklarierte Partnerschaft kühlte ab, aus dem Hauptgrund, „dass Russland und das vereinigte Europa zwei entgegengesetzte Entwicklungsmodelle darstellen.“577 Geographische Nähe, kulturelle Gemeinsamkeiten und ökonomische Interessen würden die beiden Partner jedoch verbinden. „Die gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen zwischen Russland und der EU überlagern die Unvereinbarkeit ihrer Werte.“ Die Strategie der EU fasst Ševcova dabei wie folgt zusammen.“In den 1990er-Jahren verfolgte die EU einen Kurs, der sich als ‚Transformation durch Integration’ bezeichnen lässt. Als dieser Kurs nicht zu den erwarteten Ergebnissen führte, begann die EU einer anderen Formel den Vorzug zu geben: ‚Integration durch Transformation’. Sie sah eine Annäherung Russlands an die EU nur in dem Masse vor, wie Russland sich reformiert und bereit ist, die Prinzipien der EU zu übernehmen. Einstweilen haben Russland und die EU ihre Divergenzen akzeptiert, ohne damit eine künftige Annäherung endgültig auszuschliessen: Sie imitieren eine Partnerschaft.“578 2006 entwickelt der Moskauer Ökonom S. Medvedev Szenarien für die Modernisierung Russlands und die zukünftigen EU-Russland-Beziehungen und beklagt dabei die überholten Grundannahmen, die nach wie vor auf den beiden Seiten vorherrschen: „(…) namely, the outdated modernist ‚sovreignty’ concept for Russia and the neoimperialist civilizing discourse of ‚Europeanization’ for the EU. In questioning ‚sovereignty’ and ‚Europeanization’, Russia and Europe will have to go beyond their current thinking and the rituals of ‘othering’ and try to accept the ‘Other’ as a given, rather than something to opposed or transformed. This could create a new ontological foundation for a durable EU-Russian partnership.”579 Das Jahrzehnt zuvor betrachtet er als “period of disillusionment”, mit der Rückkehr eines quasi-autoritären bürokratischen Staates in Russland und der Enttäuschung
576 577 578 579
Ševcova 2005: 107. Ševcova 2007: 45. Ševcova 2007: 46. Medvedev 2006: 8.
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über die Aussichten auf eine Europäisierung Russlands in der EU. Den Grund für Missverständnisse sieht er im überholten eigenstaatlichen Souveränitätsdenken: „The fundamental problem for Russia is that is has not yet figured out how to deal with a new sort of political animal, namely, the European Union. Strategic thinking in Moscow is still deeply embedded in Westphalian notions of sovereignty. Moreover, the vision of a ‘sovereign democracy’ is now the official ideology of the regime, as made public by the Kremlin’s main ideologist, Vladislav Surkov.”580 Aber auch auf EU-Seite mangle es an strategischem Denken: “For EU policy planners, the basic structural impediment is that Russia does not have a vocation for membership, and they have not quite figured out what to do with their enormous non-acceeding neighbour. (…) The technocratic integrationist logic of the EU largely explains the ‘intrusive’ nature of the EU’s policy towards Russia that so often irritates the Russian side. In an apparent desire to shape Russia in its own image, the EU projects its values, norms and regulations (but also fosters its material interests), expecting Russia to comply with an EU-defined code of conduct.”581 Diese Logik sei in allen EU-Dokumenten, vom PKA über die Gemeinsame Strategie für Russland und von der ENP bis zu den Roadmaps für die gemeinsamen Räume nachzuweisen. Medvedevs Szenarien umfassen Partnerschaft, Kalten Frieden und Stagnation. Letztere werde kurzfristig die Oberhand gewinnen – eine nicht unrealistische Einschätzung in Anbetracht der Tatsache, dass Ende 2010 noch kein Nachfolgeabkommen für das PKA abgeschlossen werden konnte.582 In ähnlicher Weise stellt der Philosoph B. Mežuev von der Moskauer Staatsuniversität 2008 das europäische postmoderne Wertesystem dem traditionellen modernen Staat, den Russland zu verkörpern sucht, gegenüber: „Russia is seeking self-determination in the international arena and is being guided by a modernistic perception of sovereignty.“ Europa aber erwarte mehr als ein Bekenntnis zur Demokratie: „(…) the critical issue is the inadmissibility of the majority’s cultural or political domination over regional, ethnical or sexual minorities. To speak in earnest, Russia is required to abandon its political independence for the sake of an all-European peace and wellbeing. (…) And Russia should realize that its integration into the European world will require that it radically restructure its system of values, a thing that it is unable to do right now.” Solange dies nicht geschehe, müssten Russland und Europa lernen, ohne gegenseitiges Verständnis zu leben und zu kooperieren: „To some extent, the right to remain different and misunderstood is the starting point for moving our value coordinates closer together.“583 580 Medvedev 2006: 10. 581 Medvedev 2006: 12. 582 Das ursprünglich auf 10 Jahre abgeschlossene Abkommen verlängert sich jährlich automatisch, sofern es von keiner Seite gekündigt wird. Vgl .Valko 2010: 67. 583 Mežuev 2008: 84f.
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E. Klicunova, Programmdirektorin am Zentrum für Integrationsforschung in St. Petersburg, sieht eine zunehmende Bedeutung der EU als Modernisierungspartner vor dem Hintergrund eines verschärften globalen Wettbewerbs: „The beginning of the 21st century was marked by a significant revival of EU-Russian relations. Moreover, Russia’s European discourse and policy changed considerably during the Putin’s presidency. Russia’s current national idea, as expressed by president Putin and his administration, is modernization and competitiveness of Russian economy. This reframed the Russian discussion on the EU in new terms: Russia’s European policy seems to be very much understood in terms of promoting Russian development goals; the forging EU-Russian relations is presented as vital to achieving Russia’s modernization and Russia’s competitiveness in a globalizing world. Consequently, the EU has become a constant theme in Russian official discourse, and Russian policy-makers have begun taking a more assertive role with regard to Russia’s partnership with the EU. There are very positive signs that the Russian leadership has been willing to advance Russia’s partnership with the European Union much farther and much faster – as Putin’s policy towards the EU has been an interrelated part of a larger enterprise – Putin’s “Russian project”. Serious attempts have been made to identify areas of practical cooperation with the EU, to develop initiatives with concrete instruments, financing, and content which would go beyond the realm of “virtual” cooperation. Several sectoral cooperation initiatives were launched – ranging from the energy dialogue through ecology and security to home affairs.”584 V. Lukin, Historiker und Ombudsmann für Menschenrechte, äussert sich im März 2008 prononciert zugunsten des europäischen Wegs Russlands, das er immer noch von einem Rückfall in sowjetische Kommandomethoden bedroht sieht, und warnt mit der Erinnerung an den Zerfall des byzantinischen Reiches vor einer neo-byzantinischen Strategie der Abwendung von Europa: „This situation makes a deepening of relations with the EU useful from another point of view – that of studying and assimilating modern mechanisms and technologies of state governance, especially in view of the fact that this huge country comprises constituent territories with various levels of development. The EU has amassed impressive experience in regional and sectoral development amid conditions of tough international competition. (…) Russia can copy a lot from the EU, avoid the mistakes it made and the need to start from scratch in the areas where the algorithms of successful problem solving already exist. Last but not least, Russia cannot lose its civilizational specificitiy if it integrates deeper into Europe. (…) Christian values that make up the essence of European civilization are as organic for Russians as for the majority of European nations (even the most ardent adepts of Russocentric doc584 Klicunova 2007
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trines will scarcely dare claim that Russia lost its specificity with the adoption of Christianity). Along with its continuing unification, the Old World remains ‘a Europe of fatherlands,’ including the Russian fatherland. (…) It is very important for Russia and the rest of the world sees it as part of an integral European system. Russia’s European identity would eliminate a sizable portion of political uncertainty that is still present in the way Europeans see the country.”585 Die an der Universität Bremen lehrende G. Michaleva (2007) äussert sich in dem von ihr herausgegebenen Lehrbuch kritisch zu den Modernisierungserfolgen in Russland: „Russlands Ziele sind die marktwirtschaftliche Modernisierung des Landes und seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Die Einstellung zur Globalisierung und dem Westen war damals unklar und inkonsequent. Einerseits drückte sich das ‚post-sowjetische Syndrom’ in imperialer Rhetorik und der Propagierung entsprechender Ziele aus, andererseits wurde jegliche westliche finanzielle Unterstützung angenommen. Trotz der deklarativen Entscheidung Russlands im Jahre 1994 zugunsten einer Europäisierung (Abkommen über Partnerschaft und Kooperation) hatte Russland nicht die Absicht und war auch nicht imstande, die unterschriebenen Vereinbarungen zu erfüllen.“586 Aber auch die EU ging von falschen Vorstellungen aus: „Das Abkommen über Partnerschaft und Kooperation war aus Sicht der EU ein Systemfehler. Es war als Instrument einer Quasiintegration Russlands in die EU gedacht gewesen, auch wenn der Beitritt Russlands zur EU nie praktisch erwogen wurde.“587 Die 1999 von der EU verabschiedete Gemeinsame Strategie der EU für Russland umfasst strategische Ziele wie Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Integration in den gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Sozialraum, Zusammenarbeit zugunsten von Stabilität und Sicherheit in Europa, in Energiefragen und beim Kampf gegen organisierte Kriminalität. Demgegenüber rückt die Mittelfristige Strategie der Beziehungen zwischen der Russländischen Föderation und der EU (2000–2010) andere Ziele in den Vordergrund: „Hauptziele der Strategie sind die Garantie der nationalen Interessen und die Stärkung der Rolle und Autorität Russlands in Europa und der Welt durch den Aufbau eines kollektiven europäischen Sicherheitssystems; die Nutzung des wirtschaftlichen Potenzials und der Verwaltungserfahrung der Europäischen Union zur Schaffung einer entwickelten sozialen Marktwirtschaft in Russland, die auf den Prinzipien fairen Wettbewerbs basiert; der weitere Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats.“ Der Begriff „demokratischer Rechtsstaat“ wird ein einziges Mal in dieser Eingangsformel der
585 Lukin 2008: 72. 586 Michaleva 2007: 158f. 587 Michaleva 2007: 164.
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Strategie verwendet, merkt Michaleva an.588 An anderer Stelle verweist sie auf die Problematik der von der EU eingeführten Konditionalitäten im Bereich der Menschenrechte: „Eine effektive Partnerschaft kommt praktisch nicht zustande. Hierfür gibt es objektive wie subjektive Hindernisse. Zu den objektiven Hindernissen gehören Unterschiede in den politischen Systemen und Schwierigkeiten einer institutionellen Angleichung; zu den subjektiven zählen Unterschiede im Verständnis der ‚Partnerschaft’. Die RF sieht in der EU einen Partner, der bei der Modernisierung helfen soll, während die EU in den letzten Dokumenten ein Junktim von wirtschaftlicher Modernisierung und Demokratisierung aufstellt. Autoritäre Tendenzen in der RF widersprechen den Verpflichtungen, die in bereits unterschriebenen und schon in der Umsetzung befindlichen Vereinbarungen eingegangen wurden.“589 Für Michaleva beschränkt sich letztlich Russland darauf, den Demokratisierungswünschen der EU Genüge zu tun und auf effektive innerstaatliche Umsetzungen zu verzichten: „Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den strategischen Dokumenten und den wirklichen Zielen; dennoch wird die Rhetorik der ‚Partnerschaft’ beibehalten. Die Diffusion von Regierungs- und Geschäftspraktiken hat natürlich ihre Grenzen. Die Realität des politischen Lebens und die Regeln der Zusammenarbeit zwischen politischen und wirtschaftlichen Akteuren erlauben nur teilweise die Umsetzung der zum ‚Import’ vorgeschlagenen Normen und Institutionen. Man verwendet sie in aussenpolitischen Aktivitäten, bei Kontakten mit ausländischen politischen oder Wirtschaftspartnern; zu einer ‚Revolutionierung’ der Innenpolitik kommt es jedoch nicht. Die Forderungen nach ‚Demokratisierung’ bleiben eine rhetorische Figur.“590 In jüngster Zeit nimmt die Skepsis gegenüber der realen Modernisierung des heutigen Russlands zu. Der St. Petersburger Politikwissenschafter V. Gel’man zerpflückt Hoffnungen auf eine baldige Modernisierung Russlands in einem 2010 auf Deutsch erschienenen Essay. Kaum ein unabhängiger Beobachter oder Mitarbeiter der russischen Machtstrukturen halte „eine grundlegende Demokratisierung des autoritären Regimes (…) in naher Zukunft für eine realisierbare Option“, ja „nicht einmal als eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung des Landes“. Die wünschbare Option sei nach Ansicht vieler eine autoritäre Modernisierung. Während die Länder Ostmittel- und Osteuropas mehrheitlich die Übergänge zu Mehrparteiensystemen, Marktwirtschaft und neuem Nationalstaat „gleichzeitig“ bewältigen konnten und dabei auf einen Teil ihrer Souveränität verzichteten, konnten Russland und andere postsowjetische Länder diesen Modernisierungsweg aus vorwiegend innenpolitischen Gründen nicht einschla588 Michaleva 2007: 168, Zitat der Strategie nach Michaleva a.a.O. 589 Michaleva 2007: 170. 590 Michaleva 2007: 171.
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gen. 591 Die autoritäre Modernisierung Russlands befinde sich heute in einer Sackgasse, so Gel’man, denn: „Das ‚Dilemma der Gleichzeitigkeit’ ist in Russland heute aktueller als Anfang der 1990er-Jahre. Für jeden Politiker, der daran interessiert ist, Russland aus der autoritären Sackgasse herauszuführen, und der die Demokratisierung des Landes als unumgänglich und notwendig begreift, ist die gleichzeitige Modernisierung von Politik und Wirtschaft (neben der Modernisierung des nationalstaatlichen Aufbaus des Landes) unausweichlich.“592 Den in diesem Kapitel zitierten Autorinnen und Autoren ist, da sie sich der Modernisierung Russlands auf einer an Europa orientierten Basis annehmen, insgesamt eine europhil-eurozentrische Grundhaltung zuzuordnen. Für alle bildet Russland ein Bestandteil Europas, der sich an europäischen Werten und Normen orientieren muss. Sie insistieren auf der Relevanz dieser Normen für die Europäer und auf der uneingeschränkten Verpflichtung Russlands, sich ihnen anzupassen. Gleichzeitig warnen sie vor einer erneuten Isolation oder „eurasisch“ orientierten Abwendung von Europa sowie vor der Möglichkeit einer Entwicklung in Richtung Autoritarismus. Wie Kapitel 5.3 zeigt, ist dieser Standpunkt in den neuesten Forschungen nicht mehr allein dominierend, sondern weicht zunehmend einem europhil-russozentrischen Denken.
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In der russischen Historiographie treten Aspekte der Rechtsentwicklung eher marginal auf. Das Feld scheint hier den juristischen Fachleuten überlassen, obwohl es ein Schlüsselthema für die Annäherung des Landes an westliche und europäische Institutionen bildet. Michaleva beschäftigt sich mit dem europäischen Einfluss auf das Rechtssystem des jungen postsowjetischen Russlands zu Beginn der 1990er-Jahre und stellt denn auch Forschungsdefizite fest: „Im Ganzen gesehen gab es jedoch keinen systematischen Einfluss auf die russländische Gesetzgebung. Aus unserer Sicht sind in Russland westliche Rechtsnormen nicht direkt übernommen worden. Darüber hinaus haben wir keine Untersuchung finden können, die die Unterstützung im Bereich des Rechts und ihre Auswirkungen auf die föderale und regionale Gesetzgebung Russlands zusammenfassend beschreibt.“593 O. Potemkina, Leiterin Regionalstudien am Europa-Institut der RAN, sieht ebenfalls Defizite im europarechtlichen Wissen und demgegenüber ein grosses Potenzial in der Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU im 591 Gel’man 2010: 3f. Das ‚Dilemma der Gleichzeitigkeit“ rekurriert auf Claus Offe: Capitalism by Democratic Design? In: Social Research, 4/1991, pp. 865–893. 592 Gel’man 2010: 13. 593 Michaleva 2007: 162.
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Bereich Justiz und Inneres, insbesondere in den Bereichen Schengen und Europol. Der gesamte Bereich werde im Vergleich mit den übrigen Kooperationsbereichen vernachlässigt, und nur wenige in Russland wüssten um seine Probleme und Chancen.594 Europafreundliche Beobachter wie E. Kuznecova von der russischen Zeitschrift “International Affairs” verbinden eine langsame Europäisierung Russlands insgesamt mit der Hoffnung auf mehr Rechtsstaatlichkeit: „From this point of view, the orientation to Europe gives Russian society a chance to get rid of ‚the state monopoly on truth’, an arrangement where national development course is defined by a narrow group of bureaucrats indifferent to the interests and inspirations of the citizenry. Rapprochement with Europe gives Russian society hope that domestic bureaucracy will be placed within a strict legal framework if only by virtue of inevitable adaptation, even partial, of European legislation.”595 Die Bedeutung des europäischen Rechts für Russland und das Verhältnis des russischen Rechts zu ihm zu beurteilen, heisst zunächst, sich der besonderen Stellung des Rechts in Russland bewusst zu werden. Sowjetisches und ganz allgemein kommunistisches Recht war nur unter Berücksichtigung seiner politischen Dimension zu verstehen, bemerkt der ehemalige Direktor des Leidener Instituts für Osteuropäisches Recht und Russlandstudien, F. Feldbrugge: „The political watershed represented by perestroika occasioned a complete overhaul of the legal system, but, more intriguingly, manifested itself through, and was brought about by, law reform.“596 Es erstaunt in diesem Kontext nicht, dass die postsowjetischen Forschungen auch das europäische Recht zunächst unter politischen Gesichtspunkten bewerteten und in ihm vor allem einen Hebel zur Einführung westlicher Normen sahen. Europäisches Recht steht dabei hier und im Folgenden als Oberbegriff sowohl für das Rechtssystem der Europäischen Union als eines „Partners“ Russlands wie des Europarates als einer Organisation, der gegenüber Russland als Mitglied Verpflichtungen eingegangen ist.597
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Potemkina 2002: 8. Kuznecova 2005: 70. Feldbrugge 2007: 203. Russland gehört seit dem 28. Februar 1996 dem Europarat an, nachdem es 1992 den Beitrittsantrag gestellt hatte. Der im Rahmen des Europarats beschlossenen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 trat Russland dementsprechend auch erst am 5. Mai 1998 bei. Ein Ausschluss Russlands drohte im April 2000, als die Parlamentarische Versammlung des Europarates aufgrund der Ereignisse in Tschetschenien den Beginn des entsprechenden Verfahrens einleitete. Russland blieb jedoch Mitglied und verweigerte sich zu Beginn des Jahres 2010 auch nicht mehr einer Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der unter der hohen Zahl russischer Klagen blockiert zu werden drohte. Vgl. Althauser 1997, Brunn 2002: 52ff. sowie Schmale 2008a: 117a.
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1999 gedenkt Aussenminister Igor’ Ivanov in einem europhil gefärbten Artikel in der russischen Zeitschrift „International Affairs“ des bevorstehenden 50jährigen Jubiläums der Gründung des Europarats (Council of Europe, CE) und begründet den Beitritt seines Landes zu dieser Organisation mit „really panEuropean status“: „Our country’s accession to the CE was a conscious strategic choice by Russia’s state leadership, the Federal Assembly, and the pro-active strata of civil society. This choice was based on the conviction that CE membership would help put into place and consolidate in Russia the institutions of democracy and a rule-of-law-state, and promote the fundamental human rights and freedoms, which are among the most valuable gains of the reform period in Russia. (…) Russia has adopted the generally accepted European legal norms constituting the tissue of the continent’s legal area, becoming party to 28 European conventions. (…) We are increasingly feeling a part of the democratic civilized community of European states.”598 Eine Schlüsselrolle spielt für die 1970er- und 1980er-Jahre der „HelsinkiProzess“, der zur Bildung der Konferenz (bzw. später Organisation) für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geführt hat. Schmale gelangt gar zum Schluss, „dass der nach 1989 in Gang gesetzte EG- bzw. EU-Integrationsprozess bezüglich Ost(mittel)europa im Grunde genommen mit dem KSZE-Prozess schon einsetzte.“ Dies aufgrund dichter Kommunikationsnetze auf politischer, staatlichinstitutioneller und zivilgesellschaftlicher Ebene. Er bewirkte „das transnationale kommunikative Aushandeln von Wertorientierungen auf verschiedenen Ebenen“, was „weder zu verhindern noch rückgängig zu machen“ war.599 Im Verbund mit dem Beitritt Russlands zum Europarat und seinen Konventionen stellt sich auch die Frage, inwieweit sich Russland in das europäische Rechtssystem einfügt. Wie die sowjetische Aussenpolitik dazu kam, ab 1985 nicht die Konfrontation, sondern die Kooperation zu suchen, und welche Rolle dabei der zehnjährigen Vorgeschichte der Kooperation im Rahmen der KSZE zukommt, untersucht Schlotter (1999). Ihm zufolge trug der Helsinki-Prozess wesentlich dazu bei, dass sich die sowjetische Führung „für den Weg, Anschluss an das Wertesystem des Hegemoniekonkurrenten zu suchen“, entschied: „Die Wirkung des KSZE-Prozesses bestand darin, in dieser Situation einer ‚Weggabelung’ einen – bereits konsensual vereinbarten – Fundus von Normen und Regeln bereitgestellt zu haben, wie mit dem Problem des Selbstbestimmungsrechts ohne eine konfrontative Verschärfung in den Ost-West-Beziehungen umzugehen sei, auf den die sowjetische Führung (…) zurückgreifen konnte.“ Über Verhandlungen und wissenschaftlich-politische Netzwerke waren die sowjetischen Partei- und Staatseliten mit westlichem Ge598 Ivanov 1999: 33. 599 Schmale 2008b: 31.
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dankengut in Berührung gekommen. Im Sonderfall der Sowjetunion vollzug sich eine Normadaptierung auf Elitenebene, und „die KSZE ist somit ein Beispiel für die Funktion einer internationalen Institution als ‚Hebamme’ für die Entstehung systemkritischer Bewegungen“, sie war „ein – gewiss unzureichendes – funktionales Äquivalent für den fehlenden verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenund Bürgerrechte in den sozialistischen Staaten.“600 Nach den ersten chaotischen Transitionsjahren der El’cin-Ära steht heute das postsowjetische, russische Rechtssystem, auch dank des Beizugs ausländischer und internationaler Erfahrungen. Bleibt die Frage, wie Russland sich im Verhältnis zu seinen grossen Nachbarn, und zu Europa im Speziellen, definiert. Im Westen herrsche, so Feldbrugge, oft ein vom rechtlichen Status quo dominiertes Bild vor, das historische und politische Realitäten ausblendet: „Russia is to be regarded as an ordinary European country, a member of the Council of Europe and other clubs of which self-respecting countries are members, a country that asserts, in its Constitution, to be democratic and devoted to the Rule of Law. In its foreign relations therefore, especially within the European space, Russia cannot claim more than any other European country.”601 Artikel 15–4 der Verfassung der Russländischen Föderation vom 12. Dezember 1993 stipuliert uneingeschränkt den Vorrang des internationalen Rechts: “Allgemein anerkannte Prinzipien und Normen des internationalen Rechts und internationale Verträge der Russländischen Föderation bilden Bestandteil ihres Rechtssystems. Wenn durch einen internationalen Vertrag der Russländischen Föderation andere Regeln festgelegt werden als durch das Gesetz vorgesehen, so werden die Regeln des internationalen Vertrags angewendet.“602 Die Bedeutung dieser Bestimmungen relativiert Namazova: „(…) der russische Staat anerkennt die Prinzipien und Normen, die in der UNOCharta erklärt werden, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Helsinki-Schlussakte, und verpflichtet sich sie einzuhalten. Jedoch besteht zwischen der Erklärung der Prinzipien und ihrer konsequenten Umsetzung in die Praxis eine grosse Distanz.“603 Die Probleme, die aus westlicher Sicht im russischen Um600 Schlotter 1999: 333, 335. 601 Feldbrugge 2007: 212. 602 Quelle: http://www.gov.ru/main/konst/konst0.html , im Original: „Stat’ja 15. Konstitucija Rossijskoj Federacii. 4. Obščepriznannye principy i normy meždunarodnogo prava i meždunarodnye dogovory Rossijskoj Federacii javljajutsja sostavnoj čast’ju ee pravovoj sistemy. Esli meždunarodnym dogovorom Rossijskoj Federacii ustanovleny inye pravila, čem predusmotrennye zakonom, to primenjajutsja pravila meždunarodnogo dogovora.“ 603 Namazova 1995: 289, im Original: „(...) Rossijskoe gosudarstvo priznaet i objazuetsja nabljudat’ principy i normy, provozglašennye v ustave OON, Vseobščej deklaracii prav čeloveka, Chel’sinkskom Zaključitel’nom akte. Odnako ot provozglašenija principov do ich posledovatel’nogo pretvorenija v žizn’ – bol’šaja distancija.“ Der Slavist U. Schmid
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gang mit Menschenrechten und einer verstärkten Hinwendung zu autoritären Regierungsformen bestehen, liegen aus Sicht Feldbrugges in zwei Aspekten begründet. Zum einen sieht sich die russische Regierung mit Situationen konfrontiert, die im Westen so nicht vorkommen, und bei denen eine bestimmte Politik im Grundsatz vielleicht legitim war, jedoch die angewendeten Massnahmen das in internationalen Standards vorgeschriebene Mass überschritten. Zum anderen sieht Feldbrugge das zentrale Problem darin, dass Russland seine historische Vergangenheit und insbesondere das Stalin-Regime noch nicht aufgearbeitet hat und dadurch eines Kontinuitätsproblems in der eigenen Staatswahrnehmung gewahr wird.604 Trenin sieht deutliche Unterschiede im Stellenwert, der den Menschenrechten in den USA und in Europa beigemessen wird. So sieht er die Kritik Europas (der EU und des Europarates) am russischen Vorgehen in Tschetschenien 1999 heftiger ausfallen als die der USA, die Menschenrechtsfragen mit politischer Flexibilität handhaben; für die Europäische Union hingegen „(…) bilden die Menschenrechte nicht nur einen eigenständigen Wert, sondern stellen eine der Grundlagen des sich einigenden Europas dar.“605 Auch im Europarat ging es Russland zunächst vor allem darum, vollberechtigtes Mitglied zu werden, um dann innerhalb des Europarates russische Positionen verteidigen zu können. „Die Prinzipien und Ziele der Tätigkeit des Europarates selbst erwiesen sich dabei als einigermassen zweitrangig.“606 Auch wenn Russland mittel- und langfristig nicht der EU beitritt, so sollte es doch seine Wirtschaft und seine Politik auf einen „Eurostandard“ bringen, unterstreicht Bordačev: „Als nützliches Beispiel mag die Erfahrung der Schweiz dienen, welche, ohne dass sie beabsichtigt, der Europäischen Union beizutreten, nichtsdestotrotz schon vor langem ein spezielles Ministerium für europäische Integration (gemeint ist das Integrationsbüro EVD/EDA, M.W.) eingerichtet hat, das sich mit der Übereinstimmung der schweizerischen Rechtsnormen mit den gemeineuropäischen befasst, um zusätzliche Kosten beim Handel mit dem gemeinsamen Markt zu vermeiden.“ Entsprechend sollte auch Russland darüber nachdenken 2010: 447 sieht in seiner Textanalyse der Verfassung von 1993 eine Verschmelzung der Anerkennung von allgemeinen Menschenrechtsnormen und internationalem Recht, also eines Rechtssystems mit ziemlich unterschiedlichen Wurzeln, und von altem sowjetischen Sprachgebrauch: „The main problem oft he 1993 Constitution is the fact that it relies on the same linguistic material, the same worn-out wording that was used in the discredited Soviet Constitutions.“ 604 Feldbrugge 2007: 214ff. 605 Trenin 2000: 18f., im Original: „(...) dlja Evrosojuza prava čeloveka ne tol’ko predstavljajut samostojatel’nuju cennost’, no i javljajutsja odnoj iz osnov ob-edinjajuščejsja Evropy.“ 606 Trenin 2000: 19, im Original: „Sami principy i celi dejatel’nosti Soveta okazyvalis’ pri ėtom čem-to vtorostepennym.”
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„(….) eine eigene russländische Struktur einzurichten, welche mit Brüssel mit einer Zunge sprechen würde, welche die europäischen Rechtsnormen kennen würde, welche die Perspektiven und die Dynamik der europäischen Integration erkennen würde, welcher die Denkweise der europäischen Bürokratie verständliche wäre, und welche den anderen Staatsorganen der Russländischen Föderation die so unerlässliche Unterstützung bieten könnte.“607 Für Bordačev, mittlerweile Stellvertretender Chefredaktor der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“, wird 2004 deutlich, dass der Ansatz des PKA, eine faktische Europäisierung Russlands zu lancieren, gescheitert ist. Für ihn steht das Modell einer „Europäisierung ohne Mitgliedschaft“ (Evropeizacija bez členstva) im Vordergrund: „Worin lag der Grund für das Scheitern des PKA und das Stagnieren anderer Initiativen? Das Abkommen von 1994 war gedacht als Instrument für die Bildung einer quasiintegrierenden Vereinigung zwischen Russland und der Europäischen Union. Dabei wurde die Frage eines Beitritts Russlands zur EU nie untersucht. Hier lag auch ein Systemfehler begründet, der das PKA jeglicher praktischer Bedeutung beraubte. Das Fehlen einer Perspektive der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft macht eine freiwillige Übernahme der in ihr angenommenen Normen und Regeln völlig sinnlos.“ 608 Anstelle einer einseitigen Übernahme europäischer Normen sollte nach Bordačev eine „horizontale Integration“ (gorizontal’naja integracija) die künftigen Beziehungen definieren, der ausschliesslich gemeinsam ausgearbeitete Normen und Regeln zugrunde liegen. Dabei könne Russland sich im Unterschied zu den USA nicht auf Handelsbeziehungen beschränken, sondern müsse die Grenzsitutation und das gemeinsame kulturelle Erbe berücksichtigen.609
607 Bordačev 2002a: 3, im Original: „Poleznym primerom možet služit’ opyt Švejcarii, kotoraja, ne imeja namerenija vojti v Evropejskij sojuz, tem ne menee davno učredila special’noe ministerstvo po delam evropejskoj integracii, kotoroe zabotitsja o sootvetsvii švejcarskich pravovych norm obščeevropejskim, daby izbežat’ dopolnitel’nych izderžek pri torgovle s obščim rynkom.“ „(...) ob učreždenii sobstvennoj rossijskoj struktury, kotoraja govorila by s Brjusselem na odnom jazyke, znala evropejskie pravovye normy, osoznavala perspektivy i dinamiku evropejskoj integracii, kotoroj bylo by ponjatno myšlenie evropejskoj bjurokratii i kotoraja mogla by okazyvat’ stol’ neobchodimoe sodejstvie drugim gosudarstvennym organam Rossijskoj Federacii.“ 608 Bordačev 2004: 2, im Original: „V čem pričina provala SPS i stagnacija drugich iniciativ? Soglašenie 1994 g. zadumyvalos’ kak instrument dlja sozdanija kvaziintegracionnogo obedinenija Rossii i Evropejskogo Sojuza. Vmeste s tem vopros o vstuplenii Rossii v ES nikogda ne rassmatrivalsja. Zdes’ i byla založena sistemnaja ošibka, privedšaja k potere SPS vsjakogo praktičeskogo značenija. Otsutsvie perspektivy členstva v soobščestve delaet soveršenno bessmyslennym dobrovol’noe vosprijatie prinjatych v nem norm i pravil.” 609 Bordačev 2004: 4; Bordačev 2005: 119.
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Mit Danilov und Gračev äussern sich zwei europhil-russozentrische Stimmen, die den Wert europäischer Normen anerkennen, aber auf russischer Autarkie beharren. Das Dilemma der Übernahme dieser Normen bringt aus russischer Sicht D. Danilov, Leiter der Abteilung Europäische Sicherheit am Europa-Institut RAN, auf den Punkt: „Das Ziel der Schaffung gemeinsamer Politikbereiche (Russlands und der EU, M.W.) wird von den Partnern unterschiedlich verstanden: Für die EU ist es ein Prozess der Annahme ihrer Standards und Normen durch Russland, d.h. die Integration Russlands in Europa. Für Russland ist es eher eine Integration Russlands mit Europa, d.h. eine gegenseitige Annäherung, selbst wenn Russland dabei den längeren Weg in Richtung EU wird zurücklegen müssen. Nach Ansicht vieler Russen zeigt die Europäische Union keine Bereitschaft, sich gemeinsam mit Russland auf Kompromisslösungen hinzubewegen (…).“610 Bei diesen Verhandlungen würden westliche Normen auch gerne instrumentalisiert. So hält Danilov 2005 das Ende der Diskussionen um Positionsbezüge für gekommen: „The EU has been recognized as Russia’s natural and priority partner – time has come to transform this into effective cooperation with an aim of integrating Russia into Europe.“ In der Wertediskussion führt dies jedoch zu einer leicht despektierlichen Einschätzung europäischer Grundwerte, mit einem Seitenhieb auf ihre angebliche beliebige Instrumentalisierung zur Beschleunigung oder Bremsung von Verhandlungsprozessen: „Common values are still the basic criterion of EU Russian policies. In its summary of the relations with Russia the European Commission says that true strategic partnership should be based on shared values and mutual interests. It is obviously very important for Russia to take into account Europe’s devotion to human rights and democratic freedoms. At the same time, European criticism of Russia, in which the latter is interested, should be constructive. So far Brussels frequently exploits ‘common values’ as tools to either limit its cooperation with Russia or to push them to the backburner in expectation of important negotiation results.”611 Für den Historiker A. Gračev könnte sich aus dem Blickwinkel des Jahres 2005 das Problem der mangelnden russischen Anpassung an europäische Normen als unüberwindlich erweisen: „The problem of divergent norms may become an insuperable one if Putin’s second term confirms the authoritorian evolution of the current political regime.”612 Der Direktor des Europa-Instituts der RAN, N. Šmelev bringt 2005 zugleich Respekt und Geringschätzung vor europäischen Normen zum Ausdruck: „Vor allen Dingen ist es, bei noch soviel Anspannung der Phantasie, unmöglich, sich vorzustellen, dass ein 610 Danilov 2004: 14. 611 Danilov 2005a: 148 und 153. 612 Gračev 2005: 271.
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geeintes Russland (…) irgendwann irgendeinem supra-nationalen Organ in der Art der Europäischen Kommission oder des Europäischen Parlamentes erlauben wird, über sein Schicksal zu verfügen. Sogar wenn man den wachsenden Eurobürokratismus und die unentwegt zunehmenden Komplexitäten der gesamteuropäischen Prozeduren vergisst, so kann dieses Organ noch so demokratisch und auf seine Art sogar effektiv sein, und das kodifizierte gesamteuropäische Recht noch so human und sorgfältig ausgearbeitet, aber die Realitäten des gegenwärtigen Russlands, sein historisches Erbe und die Spezifika seiner nationalen Aufgaben lassen jede mögliche lenkende Einmischung von aussen ungerechtfertigt (und einfach unnötig) erscheinen, durch welche demokratischen Prinzipien auch das Abstimmungsverfahren in der Europäischen Kommission, im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament bestimmt würde. Die europäischen Rechtsnormen muss man zum grössten Teil anerkennen, man muss sich weiter schrittweise auf sie zu bewegen. Aber Russland ist eine Grossmacht, und die Wahl seines weiteren Schicksals, seiner Politik und der Dynamik seiner Reformen, ist vor allen Dingen seine eigene Wahl, und nicht die einer vielstimmigen Versammlung grosser, kleiner und kleinster europäischer Staaten.“613
5.3
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5.3.1 Die europäische Idee
„Russland und Europa“ steht für eine jahrhundertealte Diskussion614, die vor dem Hintergrund des europäischen Integrationsprozesses vom Historiker Čubar’jan
613 Šmelev 2005: 54, im Original: „Prežde vsego, pri ljubom naprjaženii fantazii nevozmožno sebe predstavit’, čto edinaja Rossija (…) pozvolit kogda-nibud’ kakomu-to nadancional’nomu obščeevropejskomu organu, vrode Evrokomissii ili Evroparlamenta, rasporjažat’sja svoej sud’boj. Daže esli zabyt’ o narastujuščem evrobjurokratizme i neuklonno usilivajuščejsja složnosti obščeevropejskich procedur, ėtot organ možet byt’ kak ugodno demokratičen i po-svoemu daže ėffektiven, a kodificirovannoe obščeevropejskoe pravo kak ugodno gumanno i tščatel’no razrabotano, no real’nosti sovremennoj Rossii, ee istoričeskoe nasledie i specifika ee nacional’nych zadač delajut neopravdannym (da i prosto nenužnym) ljuboe rukovodjaščee vmešatel’stvo izvne, kakimi by demokratičeskimi principami ni opredeljalos’ golosovanie v Evrokomissi, Evrosovete i Evroparlamente. Evropejskie pravovye normy po bol’šej ich časti nado priznavat’, k nim nado I dal’še postepenno dvigat’sja. No Rossija velikaja deržava, i vybor ee dal’nejšej sud’by, ee politiki i dinamiki ee preobrazovanij – ėto, prežde vsego, ee sobstvennyj vybor, a ne mnogogolosogo sobranija bol’šich, malych i mel’čajšich evropejskich gosudarstv.” 614 Ein knapper Aufriss zum Thema Russen über Europa und Russlands Platz in ihm (16971920) bei Glebov (2004). Zum Eurasien-Diskurs ab 1920 ausführlich Wiederkehr (2007).
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unter dem Begriff „russländischer Europäismus“ (rossijskij evropeizm) weitergeführt wird und die Frage nach der Zugehörigkeit Russlands zu Europa in den Vordergrund rückt. Zur Bestimmung dieses Verhältnisses sieht er vier entscheidende Faktoren: Geographie, zivilisatorische Vergangenheit (mit dem „asiatischen Substrat“ Russlands), Asymmetrien in den Entwicklungsprozessen (mit zumindest oberflächlicher Europäisierung seit Peter dem Grossen) sowie eine (ideologische Selbst-) Isolation. 615 Kein anderer russischer Historiker hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mit der Geschichte der „Idee Europa“ in gleich umfassender Weise beschäftigt wie A. O. Čubar’jan, der ungeachtet seiner langen Karriere im sowjetischen Wissenschaftsbetrieb als europhiler und eurozentrischer Forscher gelten muss. Russland bildet für Čubar’jan untrennbar Bestandteil der europäischen Idee: „Die ‚europäische Idee’ oder die ‚Idee Europas’ ist die Beziehung zu Europa als einer bestimmten Gemeinschaft mit einer ihr eigenen Spezifik, ihre Betrachtung vor dem Hintergrund innerer Einheit und der Unterscheidung von anderen Teilen der Welt.“616 Und weiter: „Für einige ist die Idee Europas vor allem eine kultur-psychologische Gemeinschaft. (…) Europa stellt sich uns nicht nur als geographischer Begriff (ein Raum, wovon Russland einen Teil darstellt), sondern vor allem als historischer Begriff dar.“617 Dabei gelingt es Čubar’jan immer wieder, in sowjetischer Zeit definierte Urteile, wie die „Anerkennung objektiver Realitäten“, mit eigenen ideengeschichtlichen Vorstellungen zu verbinden: “Eine neue Etappe in der Evolution der europäischen Idee brach nach dem Zweiten Weltkrieg an. Auf der Grundlage eines Komplexes von objektiven und subjektiven Faktoren ökonomischen und politischen Charakters wurde in Westeuropa eine Integrationsvereinigung gebildet. Nachdem sie sich auf ökonomischer Grundlage zusammenschlossen hatte, wurde sie in der Folge durch ein System von politischen Organen ergänzt. In einer allgemeinen Sicht erwies sich die europäische Integration als Resultat jener zahlreichen Ideen und Projekte, welche von Denkern und Akteuren Europas in der Vergangenheit herEine Anthologie zur russischen Geopolitik unter dem Titel „Russland und Europa“ publizierte Šišelina (2007). Ideologisch und kulturell begründete aussenpolitische Stereotypen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht Golubev (1998). Zu den „Stereotypen Russlands im europäischen gesellschaftlichen Denken des 18. Jahrhunderts“ vgl. Mezin (2002). 615 Čubar’jan 2008a: 7f. 616 Čubar’jan 2006: 5, im Original: „’Evropejskaja ideja’ ili ‚ideja Evropy’ – ėto otnošenie k Evrope kak k opredelonnoj obščnosti s prisuščej ej specifikoj, passmotrenie ee v plane vnutrennogo edinstva i otličija ot drugich častej sveta.“ 617 Čubar’jan 2006: 6, im Original: „Dlja nekotorych ideja Evropy – ėto prežde vsego, obščnost kul’turno-psichologičeskaja. (…) Evropa predstaet nami ne tol’ko kak geografičeskoe ponjatie (prostranstvo, čast’ju kotorogo javljaetsja i Rossija), no, prežde vsego, kak ponjatie istoričeskoe.“
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vorgebracht wurden. Die Schaffung des vereinten Europas ist nicht zu trennen von den Gründervätern Europas J. Monnet, A. Spinelli, R. Schuman, A. De Gasperi, P. A. Spaak, K. Adenauer u.a.“618 Integrationsfortschritte anerkennt Čubar’jan vorbehaltlos: „Die Europäische Union erwies sich als reale Verkörperung der ‚Idee Europas’ und schuf die Bedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung der Länder Europas, garantierte die Stabilität Westeuropas, seiner Wirtschaft, seiner politischen und sozialen Systeme. Im Rahmen der Europäischen Union wurde eine Synthese gefunden, welche es erlaubte, Tendenzen zur Einigung und das Bestreben, Eigenart und Eigenständigkeit der europäischen Länder und Völker zu bewahren, in Einklang zu bringen.“619 Čubar’jan definiert ein auch für Russland gültiges Bezugssystem zur Erfolgsgeschichte der europäischen Idee: „Wenn wir davon ausgehen, dass wir unter der Bedeutung des Begriffs ‚Europäismus (Evropeizm)’ die Beziehung zu Europa und seine Wahrnehmung als bestimmte Gemeinschaft verstehen, die sich von anderen Kontinenten unterscheidet, dann bezeichnet auch der Terminus ‚russländischer Europäismus (rossijskij evropeizm) eine ebensolche Beziehung und Wahrnehmung Europas und der Europäer durch Russland.“620 Und er resümiert mit kritischem Seitenblick auf russophile und russozentrische Tendenzen die russischen Strömungen in Bezug auf Europa wie folgt: “Und gleichzeitig erneuerten sich die Diskussionen über die Zugehörigkeit Russlands zu Europa. In den breitesten Schichten der russländischen Bevölkerung und der gesellschaftlichen Kräfte besteht die Überzeugung einer organischen Zugehörigkeit Russlands zu Europa, seiner Verbundenheit mit den Werten der europäischen Kultur, Zivilisation und Demokratie. Russland anerkennt nicht nur die Bedeutung der gesamteuropäi618 Čubar’jan 2006: 11f., im Original: „Novyj ėtap v ėvoljucii evropejskoj idei nastupil posle Vtoroj mirovoj vojny. Na osnove kompleksa ob-ektivnych i sub-ektivnych faktorov ėkonomičskogo i političeskogo charaktera v Zapadnoj Evrope bylo sozdano intergracionnoe ob-edinenie. Složivšis’ na ėkonomičeskoj osnove, ono vposledstvii bylo dopolneno sistemoj političeskich organov. V obščem plane evropejskaja integracija javilas’ rezul’tatom tech mnogočislennych idej i proektov, kotorye vydvigalis’ mysliteljami i obščestvennymi dejateljami Evropy v prošlom. Sozdanie edinoj Evropy neotdelimo ot ‘otcov-osnovatelej’ Evropy – Ž. Monnė, A. Spinelli, R. Šumana, A. De Gasperi, P. A. Spaaka, K. Adenauėra i dr.’“ 619 Čubar’jan 2006: 12, im Original: “Evropejskij sojuz, javivšijsja real’nym voploščeniem ‘idei Evropy’, sozdal uslovija dlja uspešnogo razvitija stran Evropy, obespečil stabil’nost’ Zapadnoj Evropy, ee ėkonomiki, političeskich i social’nych system. V ramkach Evrosojuza byl najden sintez, pozvolivšij soedinit’ tendencii k ob-edineniju i stremlenie sochranit’ svoeobrazie i samobytnost’ evropejskich stran i narodov.“ 620 Čubar’jan 2006: 13f., im Original: “Esli prinjato sčitat’ smyslom obščego ponjatija ‚evropeizm’ otnošenie k Evrope i ee vosprijatie kak opredelonnoj obščnosti, otličnoj ot drugich kontinentov, to i termin ‚rossijskij evropeizm’ označaet takoe že otnošenie i vosprijatie Rossiej Evropy i evropejcev.“
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schen Integration, sondern sieht in ihr auch ein Beispiel für die Beziehungen Russlands zu den ehemaligen Republiken der Sowjetunion. Aber gleichzeitig erhalten unter den gegenwärtigen Bedingungen, wie schon angemerkt, die Ideen einer russischen Exklusivität und sogar eines russischen Messianismus erneut weite Verbreitung.“621 Auch der umgekehrte Blick aus dem integrierten Europa nach Russland bildet für Forscher ein Thema. „Brüssel“ als Metapher für die EU und den Westen führt im Beitrag von M. Nosov über „Russland und der Westen: Stereotypen und Realität“ aus dem Jahr 2007 zu einer faktischen Gleichsetzung von „Washington / USA “ und „Brüssel / EU“ als Machtzentren des Westens. Die negativen Stereotypen bezüglich Russlands aus der Zeit des Kalten Krieges hätten überdauert, die wirtschaftliche Krise habe das Interesse an Russland reduziert, die Furcht vor einer Rückkehr der Kommunisten an die Macht halte an, der Zerfall des Regierungsund Verwaltungssystems im ersten postsowjetischen Jahrzehnt habe eine negative Reputation gefördert, und Befürchtungen, dass die Nuklearmacht Russland wieder ein Imperium begründen wolle, hielten an. Nosov fasst zusammen: „Das heutige Bild Russlands im Westen entsteht auf der Grundlage der Enttäuschung darüber, dass Russland nicht so geworden ist, wie man es in Washington oder Brüssel sehen möchte.“622 Implizit wird hier wohl der höchste Grad an Anerkennung der europäischen Integration ausgesprochen, der aus russischer Sicht denkbar ist: die machtpolitische Gleichwertigkeit des vereinten Europas mit den Vereinigten Staaten. Ė. Batalov, Historiker am USA- und Kanada-Institut der RAN, ein Forscher der insbesondere die Arbeiten Iver Neumanns rezipiert623, sieht vier beständige Russlandbilder, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts herauskristallisiert hätten: 1. „Russland ist nicht Europa“624 2. „Russland ist nicht nur ein nichteuropäisches, sondern ein halbwildes Land, das den Übergang von der Barbarei
621 Čubar’jan 2006: 21, im Original:“I odnovremenno vozobnovilis’ diskussii o prinadležnosti Rossii k Evrope. V samych širokich slojach rossijskogo naselenija i obščestvennych sil suščestvuet ubeždennost’ v organičeskoj prinadležnosti Rossii k Evrope, ee priveržennosti cennostjam evropejskoj kul’tury, civilizacii i demokratii. Rossija ne tol’ko priznaet značenie obščeevropejskoj integracii, no vidit v nej nekij primer i dlja otnošenij Rossii c byvšimi respublikami Sovetskogo Sojuza. No v to že vremja v sovremmenych uslovijach, kak uže otmečalos’, snova polučajut širokoe rasprostranenie idei ‚russkoj isključitel’nosti’ i daže ‚russkogo messianstva’.“ 622 Nosov 2007: 11, im Orginal: „Segodnjašnij obraz Rossii na Zapade stroitsja na osnove razočarovanija v tom, čto Rossija ne stala takoj, kakoj eë choteli by videt’ v Vašingtone ili v Brjussele.“ 623 Batalov 2007: 70, Fn. 3. 624 Batalov 2007: 53, im Original: „Rossija – ne Evropa.“
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zur Zivilisation noch nicht vollendet hat.“625 3. „Russland ist ein europäisches Land, aber es ist doch ein irgendwie anderes Europa.“626 4. „Russland ist das Land der Zukunft, dem es noch bevorsteht, der Welt sein Wort zu sagen, d.h. etwas Neues vorzuweisen (möglicherweise mit Hilfe anderer und vor allem europäischer Länder), das die Menschheit möglicherweise bereichert oder sogar rettet.“627 Dahinter stehe der Wunsch, ein zwar liberales, kapitalistisches und demokratisches Russland zum Nachbarn zu haben, aber jedenfalls auch ein „(…) ungefährliches für Europa und die westliche Welt insgesamt“ – mit einem sorgsam gepflegten Bild im Westen.628
5.3.2 Europäische Werte
Den Schlüsselfaktor für die Spaltung Europas sieht Čubar’jan im Bruch des Wertesystems: „Aber das Wesen des sowjetischen Regimes war unannehmbar für die Verteidiger des Europäismus. Grundlegender Eckstein der entstehenden Integration waren nicht nur international-politische Interessen, sondern vor allem das Wertesystem – demokratischer Aufbau, Gewährleistung der Freiheiten und Menschenrechte, Toleranz auf allen Gebieten, einschliesslich der Religion, das Menschenrecht auf politische Wahl. Und genau aufgrund dieser Parameter, nicht infolge der Geographie, wurde Russland nicht als Mitglied oder Partner in den europäischen Integrationsprojekten des 20. Jahrhunderts betrachtet.“629 Als Chronist der europäischen Ideengeschichte reichen für Čubar’jan die Wurzeln dieses Wertesystems weit in die Vergangenheit: „Die Führer der Länder Westeuropas, welche mit dem Bau des vereinten Europas begonnen hatten (vor allem Frankreichs, des Benelux, Italiens, Westdeutschlands, Grossbritanniens u.a.), folgten vor allem den Traditionen eines Europäismus mit jahrhundertealter eige625 Batalov 2007, 54, im Original: „Rossija – ne prosto neevropejskaja, no poludikaja strana, ešče ne zaveršivšaja perechod ot varvarstva k civilizacii.” 626 Batalov 2007: 56, im Original: “Rossija – strana evropejskaja, no ėto vse-taki kakaja-to drugaja Evropa.” 627 Batalov 2007: 56, im Original: “Rossija – strana buduščego, kotoroj ešče predstoit skazat’ miru svoe slovo, to est’ javit’ (vozmožno s pomošč’ju drugich i prežde vsego evropejskich stran) nečto novoe, čto, vozmožno, obogatit ili daže spaset čelovečestvo.” 628 Batalov 2007: 70, im Original: “(…) neopasnoj dlja Evropy zapadnogo mira v celom”. 629 Čubar’jan 2006: 288f., im Original: “No suščnost’ sovetskogo režima byla nepriemlema dlja pobornikov evropeizma. Osnovnym kraeugol’nym kamnem naroždajuščejsja integracii byli ne tol’ko interesy meždunarodno-političeskie, no prežde vsego sistema cennostej – demokratičeskoe ustrojstvo, obespečenie svobod i prav čeloveka, terpimost’ vo vsech oblastjach, vključaja i religiju, pravo čeloveka na političeskij vybor. A imenno po ėtim parametram, a ne vsledstvie geografii Rossija ne rassmatrivalas’ v kačestve člena ili partnera v proektach evropejskoj integracii XX stoletija.”
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ner Geschichte. Das Erbe der Antike, des Christentums, der europäischen Renaissance und der Aufklärung, die Traditionen der europäischen Demokratie, des Liberalismus und des Pazifismus, der Verteidigung der Menschenrechte, weitere Faktoren der europäischen Geschichte, sie alle bildeten das theoretische Fundament, auf welchem die europäischen Ideen und Einigungsprojekte in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wiederauflebten.“630 Dem eigenen Glauben in die Europäizität Russlands folgend, sieht Čubar’jan aber dennoch einen Platz für Russland in Europa: „Auf diese Weise kann man sagen, dass das Westliche Europa das Sowjetische Russland aus dem europäischen Wertesystem ausschloss, aus der gesamteuropäischen Integration, d.h. aus dem Prozess der Realisierung der sogenannten ‚europäischen Idee’ oder des ‚Europäismus’. Aber Europa akzeptierte Russland auch in der Periode des Kalten Krieges nicht einfach als gewöhnlichen internationalen Partner, sondern als europäisches Land, natürlich im Rahmen des europäischen Kontinents, als Nachbar, mit welchem über Jahrhunderte Systeme politischer, ökonomischer und kultureller Wechselwirkung bestanden, vor allem zu Problemen des europäischen Friedens, der Stabilität und Sicherheit.“631 Die Bringschuld zur Verbesserung des Verhältnisses und zur demokratischen Weiterentwicklung verortet Čubar’jan dabei deutlich beim sozialistischen Partner: „Im Verlauf vieler Jahrzehnte war das Haupthindernis für engere Beziehungen zwischen Russland und Westeuropa auch der tiefgreifende Unterschied im Wertesystem, das Nichtannehmen westlicher Prinzipien der Demokratie und des Liberalismus in Russland (der Sowjetunion), von Konzepten der Wahrung der Menschenrechte, des Mehrparteiensystems und des Pluralismus, d.h. all dessen, was den wichtigsten Teil der Zivilgesellschaft bildete, und was dementsprechend verschiedene Projekte der europäischen Einheit und des Europäismus als Ganzem mit dem grundlegenden Inhalt erfüllte. Die Betonung der Persönlichkeitsrechte wurde 630 Čubar’jan 2006: 289, im Original: “Lidery stran Zapadnoj Evropy, načavšie stroitel’stvo ob-edinennoj Evropy (prežde vsego Francii, Beniljuksa, Italii, Zapadnoj Germanii, Velikobritannii i dr.), sledovali, prežde vsego, tradicijam evropeizma, imevšim sotni let svoej istorii. Nasledie antičnosti, christianstva, evropejskogo Renessansa i Prosveščenija, tradicii evropejskoj demokratii, liberalizma i pacifizma, zaščity prav čeloveka, drugie faktory evropejskoj istorii, sostavili tot teoretičeskij fundament, na kotorom vozrodilis’ evropejskie idei i ob-edinitel’nye proekty v pervye gody posle Vtoroj mirovoj vojny.“ 631 Čubar’jan 2006: 317, im Original: „Takim obrazom, možno skazat’, čto Zapadnaja Evropa isključala Sovetskuju Rossiju iz evropejskoj sistemy cennostej, iz obščeevropejskoj integracii, t. e. iz processa realizacii tak naz. ‚evropejskoj idei’ ili ‚evropeizma’. No Evropa i v period cholodnoj vojny prinimala Rossiju ne prosto kak obyčnogo meždunarodnogo partnera, no kak evropejskuju stranu, estestvenno, v ramkach evropejskogo kontinenta – soseda, s kotorym v tečenie mnogich stoletij suščestvovali sistemy političeskogo, ėkonomičeskogo i kul’turnogo vzaimodejstvija, prežde vsego po problemam evropejskogo mira, stabil’nosti i bezopasnosti.“
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in der Sowjetunion als Erscheinung des bourgeoisen Individualismus betrachtet, die den wahren Werten des Kollektivismus, verkörpert in den Ideen und der Praxis des Sozialismus, fremd war.“632 Für Čubar’jan sind die europäischen Werte sowohl mit der politischen Sphäre verbunden, wie – und vielleicht noch stärker – mit der kulturellen und psychologischen: „Wir sprechen über die in Europa seit den Zeiten der Französischen Revolution vorherrschenden Strömung zur Demokratie, zur Respektierung der Menschenrechte, zum Leben im Rechtsstaat. Diese Werte gingen den Europäern in Fleisch und Blut über und wurden zu einem wesentlichen Element des europäischen Lebens. In diesem Sinne hat Russland noch viel zu erledigen, damit man von der Einheit Russlands und Europas im allgemeinen Wertesystem sprechen kann.“633 Rückblickend auf die Entwicklung Russlands der vergangenen zwei Jahrzehnte zeigt sich Čubar’jan zuversichtlich und als Vertreter der europhileurozentrischen Schule: „Wenn wir über Tendenzen sprechen, dann kann man im Grossen und Ganzen feststellen, dass der Entwicklungsvektor Russlands, der zu Beginn der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts ausgerichtet wurde, ungeachtet aller augenscheinlichen Schwierigkeiten beibehalten wird: Das Land geht in Richtung Übernahme der europäischen Werte.“634 Selbst ein europäisch orientierter – aber russozentrischer – Forscher wie J. Borko bringt hier Zweifel an. 1996 nimmt er zusammen mit B. Orlov in der IMEMO-Publikation635 die bis zum Zerfall der Sowjetunion gepflegten „europäische Dialoge“ wieder auf – abgedruckt als Artikel in der Form eines Zwiegesprächs der beiden Autoren. Während Orlov von der westlichen „Wertegemeinschaft“ (so der 632 Čubar’jan 2006: 368, im Original: „V tečenie mnogich desjatiletij glavnym prepjatstviem dlja bolee tesnych svjazej meždu Rossiej i Zapadnoj Evropoj bylo takže glubokoe različie v sisteme cennostej, neprijatie v Rossii (v Sovetskom Sojuze) zapadnych principov demokratii i liberalizma, koncepcii zaščity prav čeloveka, mnogopartijnosti i pljuralizma, t. e. vsego togo, čto sostavljaet važnejšuju čast’ graždanskogo obščestva i sootvetsvenno napolnjalo osnovnym soderžaniem različnye proekty evropejskogo edinstva i evropeizma v celom. Akcent na pravach ličnosti rassmatrivalsja v Sovetskom Sojuze kak projavlenie buržuaznogo individualizma, čuždogo istinnym cennostjam kollektivizma, voploščennym v idejach i praktike socializma.“ 633 Čubar’jan 2008a: 9, im Original: „My govorim o vozobladavšem v Evrope so vremen Francuzskoj revoljucii XVIII v. stremlenii k demokratii, k uvaženiju prav čeloveka, k žizni v pravovom gosudarstve. Ėti cennosti vošli v plot’ i krov’ evropejcev, stali suščestvennym ėlementom evropejskoj žizni. V ėtom smysle Rossii ešče predstoit mnogo sdelat’, čtoby možno bylo govorit’ o edinstve Rossii i Evropy v obščej sisteme cennostej.“ 634 Čubar’jan 2008a: 11, im Original: “Esli govorit’ o tendencijach, to, v obščem i celom, možno utverždat’, čto, nesmotrja na očevidnye trudnosti, vektor razvitija Rossii, kotoryj byl opredelen v načale 90-ch godov XX v., vyderživaetsja: strana idet v napravlenii prinatija obščeevropejskich cennostej.“ 635 Borko/Orlov (1996c).
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auf Deutsch verwendete Begriff, M.W.) ausgeht, die letzlich seit dem Zerfall der Sowjetunion auch in Russland den Massstab setzt, relativiert Borko, indem er Russland als eigenständige „Zivilisation“ von der Pflicht zur Übernahme aller westlichen Werte befreit: „(…) Orientierungen an Werten sind nie die Einzigen und werden nie die Einzigen sein. Sie spielen eine äusserst wichtige, vielleicht bestimmende Rolle in den Beziehungen zwischen Ländern, die einer Zivilisation, einem Kulturtyp angehören. Ich denke, dass entstehende regionale Integrationsvereinigungen beständig sein können, wenn sie sich nicht nur auf wirtschaftliche Kooperation und Sicherheitsimperative stützen. Die Grundlage aller Grundlagen muss aber dennoch eine gemeinsame Zivilisation sein. In den Beziehungen zwischen Ländern, die unterschiedlichen Zivilisationen angehören, spielen die Werteorientierungen eine eingeschränktere Rolle. Man kannn eher von einem beschränkten Satz allgemeinmenschlicher Werte sprechen.“636 Der Sozialdemokrat B. Orlov, in der Zwischenzeit Mitarbeiter am INION RAN, wendet sich in einem Beitrag aus dem Jahre 2005 unter dem Titel „Ein Europa mit menschlichem Antlitz“ den „Soziokulturellen Aspekten der europäischen Zivilisation“ zu. Als Ergebnis des historischen Friedens- und Einigungsprozesses, den Europa nach 1945 durchlaufen hat, sieht er einen „einheitlichen demokratischen Raum“: „In den Ländern Westeuropas begannen sich demokratische Reformen zu vollziehen, und mit Ende des ‚Kalten Krieges’ bildete praktisch diese gesamte Region einen einheitlichen demokratischen Raum. Die Übereinstimmung der Werteeinstellungen erlaubte es diesen Ländern, im Rahmen von Integrationsprozessen erfolgreich eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu entwickeln. Schrittweise bildeten sich supranationale Organe, und gegen Ende des 20. Jahrhunderts bot sich Westeuropa vor der Weltgemeinschaft als Europäische Union dar, mit eigenem Parlament, dem Urbild einer Regierung in der Form der Europäischen Kommission und einheitlicher Währung, dem Euro. Nach 1945 entstanden zwischen den westeuropäischen, demokratischen, Ländern keine militärischen Konflikte, und das war vielleicht die längste Periode des Friedenszustandes in der ganzen europäischen Geschichte.“637 Orlov unterstreicht den Zusam636 Borko/Orlov 1996c: 71, im Original: „(...) cennostnye orientiry – ne edinstvennye, i nikogda ne budut edinstvennymi. Oni igrajut važnejšuju rol’, možet byt’, opredeljajuščuju rol’ v otnošenijach meždu stranami, prinadležaščimi k odnoj civilizacii, odnomu tipu kul’tury. Ja dumaju, čto voznikajuščie regional’nye integracionnye sojuzy mogut byt’ ustojčivymi, esli oni bazirujutsja ne tol’ko na ėkonomičeskoj kooperacii i imperativach bezopasnosti. Osnovnoj osnov dolžna byt’ vse-taki obščaja civilizacija. B otnošenijach meždu stranami, prinadležaščimi k raznym civilizacijam, cennostnye orientiry igrajut bolee ograničennuju rol’. Možno govorit’ skoree ob ograničennom nabore obščečelovečeskich cennostej.” 637 Orlov 2005: 69, im Original: „V stranach Zapadnoj Evropy stali osuščestvljat’sja demokratičeskie preobrazovanija, i k okončaniju ‘cholodnoj vojny’ praktičeski ves’ ėtot region
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menhang dieser erfolgreichen Entwicklung mit der Bedeutung des gemeinsamen Wertefundaments, welches auch in Bezug auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und der EU von entscheidender Bedeutung ist: „Russländischen Politikern, die auf einen zutiefst pragmatischen Ansatz in den Beziehungen zu Europa setzen, muss verdeutlicht werden, dass ein „Nicht-Anschluss“ an Werteeinstellungen, besonders in Fragen der Einhaltung der Menschenrechte und der Demokratie, die Entwicklung praktisch aller Formen der Zusammenarbeit, seien es wirtschaftliche, wissenschaftliche oder kulturelle, wesentlich erschwert. Es scheint, als ob die abstrakte Frage nach der Bedeutung der Werteeinstellungen in der Zivilisation sich in Realien verwandelt, auf die eine Antwort gefunden werden muss, wenn sich Russland nicht erneut in Isolation sehen will.“638 Während Orlov aus europhil-eurozentrischer Sicht vor einer erneuten Selbstisolation Russlands warnt, versucht K. Voronov, ein ebenfalls am IMEMO RAN forschender Historiker, in einem europhil-russozentrischen Zeitungsartikel aus dem Jahr 2005 unter dem Titel “Westliche Kritik: Emotionen und Raisonnements“ westliche und russische Ansprüche an eine Partnerschaft zwischen Russland und der EU zusammenzuführen, indem ein Recht auf einen eigenen Weg Russlands postuliert wird: „Die westliche Kritik an Russland widerspiegelt möglicherweise die Unzufriedenheit des Mentors mit den Fähigkeiten des ‚ungeschickten Schülers’, die jahrhundertealte Erfahrung des ‚Triumphs des Kapitalismus und der liberalen Demokratie’ anzunehmen, welche im Übrigen nicht zwingend für die gesamte Menschheit taugt.“639 In Europa würden viele Stimmen laut, die in Russland nur ein ressourcenstarkes Land sehen, in Russland dagegen herrsche die Meinung vor, predstavljal soboj edinoe demokratičeskoe prostranstvo. Schodstvo demokratičeskich cennostnych ustanovok pozvoljalo ėtim stranam uspešno razvivat’ ėkonomičeskoe sotrudničestvo v ramkach integracionnych processov. Postepenno formirovalis’ nadnacional’nye organy, i k koncu XX v. Zapadnaja Evropa predstala pered mirovym soobščestvom kak Evropejskij sojuz so svoim parlamentom, proobrazom pravitel’stva v vide Evropejskoj komissii i edinoj valjutoj – evro. Posle 1945 g. meždu zapadnoevropejskimi, demokratičeskimi, stranami ne voznikali voennye konflikty i ėto byl, požaluj, samyj dlitel’nyj period sostojanija mira vo vsej evropejskoj istorii.” 638 Orlov 2005: 73, im Original: „Rossijskim politikam, orientirovannym na sugubo pragmatičeskij podchod v otnošenijach s Evropoj, pridetsja ujasnit’, čto ‘nestykovka’ v cennostnych ustanovkach, osobenno v voprosach sobljudenija prav čeloveka i demokratii, suščestvenno osložnit razvitie edva li ne vsech vidov sotrudničestva – ėkonomičeskogo, naučnogo, kul’turnogo. Kazalos’ by, abstraktnyj vopros o značenii cennostnych ustanovok v civilizacii oboračivaetsja realijami, na kotorye pridetsja iskat’ otvet, esli Rossija ne zachočet snova okazat’sja v izoljacii.” 639 Voronov 2005, im Original: “Zapadnaja kritika Rossii otražaet, vozmožno, nedovol’stvo mentora sposobnostjami ‘neumelogo učenika’ vosprinimat’ vekovyj opyt ‘triumfa kapitalizma’ i liberal’noj demokratii’, kotoryj, vpročem, otnjud’ ne objazatel’no goditsja dlja vsego čelovečestva.”
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dass es eine „autarke Grösse und ein eigenständiger Spieler“ (samodostatočnaja veličina i samostojatel’nyj igrok) sei: „Moskau seinerseits bemüht sich, der Europäischen Union zu verstehen zu geben, dass Russland, wenn man seine materiellen, technischen, humanen und intellektuellen Ressourcen in Betracht zieht, nicht nur ein Partner, sondern ein langfristiger strategischer Makrofaktor ist, von welchem die zukünftige Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung ganz Europas ernsthaft abhängen.“640 Die europhil-russozentrischen Forscher J. Borko, V. Žurkin und A. Maslennikov vom Europa-Institut der RAN sind sich 2002 „völlig einig, dass das gegenwärtige Europa nicht nur einen geographischen, politischen oder ökonomischen Begriff darstellt, sondern auch eine umfassend definierte zivilisatorische Gemeinschaft, deren Mitglieder sich zu denselben sozio-ökonomischen, kulturellen, religiösen und moralisch-ideologischen Werten bekennen. Insbesondere diese zivilisatorische Gemeinschaft, die sich über Jahrhunderte gebildet hat, erlaubte es den Europäern Standards des gesellschaftlichen und privaten Verhaltens auszuarbeiten, welche einerseits die europäische Einheit selbst zementieren, andererseits andere Länder und Völker wie ein Magnet an das sich integrierende Europa anziehen.“641 Die scheinbare Werte-Orientierung an Europa beurteilt Baranovskij als typischer russozentrischer Autor kritisch, ja sogar als mögliche Grundlage für eine Neudefinition des nationalen Interesses an grösstmöglicher Eigenständigkeit: „Even Russia’s ideological reorientation, bringing it closer to Europe on the level of some fundamental values, is not necessarily making the two more compatible. Ironically, even the contrary may prove true. Indeed, it was sufficient for the former Soviet Union simply to proclaim its ‘Europeanness’ to gain a sympathetic reaction from Europe. This is no longer the case for post-Soviet Russia: since it pretends to operate as a ‘normal’ member of the international community, the quality of the factors certifying its participation in the family of ‘civilized’ countries (democracy, human rights, market economy and so on) becomes a critical 640 Voronov 2005, im Original: „V svoju očered’, Moskva stremitsja dat’ Evrosojuzu ponjat’, čto Rossija, učitivaja ee material’nye, techničeskie, ljudskie, intellektual’nye resursy, javljaetsja ne tol’ko partnerom, no i dolgosrocnym strategičeskim makrofaktorom, ot kotorogo ser’ezno zavisjat buduščaja bezopasnost’ i ėkonomičeskoe razvitie vsej Evropy.” 641 Borko, Žurkin, Maslennikov 2002: 814, im Original: „Avtory polnost’ju edinoglasny v tom, čto sovremennaja Evropa predstavljaet soboj ne prosto geografičeskoe, političeskoe ili ėkonomičeskoe ponjatie, no i vpolne opredelennuju civilizacionnuju obščnost’, členy kotoroj ispovedujut odni i te že social’no-ėkonomičeskie, kul’turnye, religioznye i moral’no-ideologičeskie cennosti. Immeno ėta civilizacionnaja obščnost’, skladyvavšajasja na protjaženie vekov, pozvolila evropejcam vyrabotat’ standarty obščestvennogo i ličnogo povedenija, kotorye, s odnoj storony, cementirujut samo evropejskoe edinstvo, a s drugoj, kak magnit, pritjagivajut k integrirujuščejsja Evrope drugie strany i narody.“
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test. Serious difficulties that the country experiences in this regard represent a challenge for Russia first of all, but also for its European engagement. This might even lead to the paradoxical conclusion that Russia would have a better chance of interacting with Europe as an ‘outsider’ than as an ‘insider’, since the criteria for the latter status are more demanding and more difficult to fulfil.”642 Paradox scheint der Einsatz des Arguments der Religion in der Diskussion über Russlands Zugehörigkeit zu Europa: Einerseits bildet es wie dargestellt eine durchgehende Linie in Bezug auf die historische christliche Werte- und Kulturgemeinschaft, andererseits lebt das Schisma des 11./13. Jahrhunderts auch in gegenwärtigen Abgrenzungstendenzen der russisch-orthodoxen Kirche fort. Einen äusserst kritischen Blick auf die Rolle der Orthodoxie wirft der am IMEMO RAN lehrende Historiker N. Pavlov: „In my view, the Russian Orthodox Church played a highly negative role in the alienation of Russia from Europe. Even today, centuries later, after the double collapse of the Soviet empire (the breakup of the socialist camp and the disintegration of the USSR), the Russian Orthodox Church has been quietly trying to assume the functions of a ‚state religion’ and doing its utmost to prevent Russia’s proper entry into the European civilization.”643 Auf einen religiös begründeten, gesamteuropäischen Ansatz aus der russisch-orthodoxen Kirche, von Seiten Metropolitans Kirill (Gundiaev), verweist der in den USA forschende N. Gvosdev: „Kirill has sketched out a vision for pursuing European unity that takes as its starting point the importance of the Eastern and Western European approaches’ providing balance and complementarity. (…) he has maintained that with some degree of convergence (‚Western individualism and Eastern conciliarity’, M.W.), then the European integration will be a success. If it does not happen, this grand geopolitical project will collapse.’” Gvosdev hält Kirill deswegen nicht für eine Slavophilen oder Eurasier mit ihrer Betonung des Trennenden, denn „(…) Kirill is committed to a vision of European integration in which, following Churchill’s dicta, Russia must play its part. And in contrast to the traditional Westernizers (…) for whom Russian integration with the West is predicated on Russia undergoing a process of Westernization, Kirill’s approach is not to accept the idea of Europe as being the ‘Romano-Germanic’ civilization of the High Middle Ages, Renaissance, Reformation and Enlightenment (where it can be argued Russia was peripheral at best). Rather, he sees Europe as having been generated from the Christian Roman Empire, whose seeds were planted in the emerging nations of Europe from Franks and Angles in the West to the tribes of Rus in the East. For him, just as Russia benefits from its encounters with Western Europe, so
642 Baranovskij 2000: 447f. 643 Pavlov 2003: 118.
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too Europe would benefit from how the common European tradition has evolved in Russia and other parts of ‘Eastern Europe’.644
5.3.3 Europa als Modell
V. Gutnik, Leiter des Instituts für Weltwirtschaft am IMEMO, spricht sich aus russophil-eurozentrischer Warte gegen eine allzu einseitige Übernahme westlicher Normen durch Russland aus, das durchaus einen Anspruch auf Gegenseitigkeit und erleichterten Marktzugang für Russland im europäischen Binnenmarkt habe.645 Hingegen propagiert er die Assoziierung Russlands an die EU: „Muss Russland der EU beitreten? Üblicherweise wird diese nicht aktuelle und sogar alberne Frage auf zweierlei Art beantwortet: ‚Man ruft uns dort nicht herbei und niemand wartet dort auf uns’ und/oder ‚wir möchten gar nicht so sehr’.“646 Solche Aussagen brächten Russland einer Lösung nicht näher. Auch ein Ausbau des PKA oder Abkommen, wie sie die Schweiz mit der EU abgeschlossen hat, würden nicht weiterführen, so Gutnik: „Die politischen Herausforderungen und die ökonomischen Bedürfnisse erfordern eine Formalisierung des Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraums durch die Bildung einer speziellen Assoziierung. Meiner Ansicht nach stärkt sie nicht nur die Schaffung einer Freihandelszone (was man völlig auf der Basis des PKA machen könnte), sondern sie öffnet auch den Weg zu einer institutionellen Annäherung Russlands und der EU, verstanden als einer Annäherung von Normen und Regeln, und zur Bildung von Rahmenbedingungen des Wirtschaftens. Dabei darf man Regeln nicht entlehnen, sondern muss sie an unsere Bedingungen anpassen, eher noch auf der Grundlage des europäischen acquis russländische Regeln ausarbeiten, welche jedoch mit den europäischen in maximaler Weise übereinstimmen müssen und ihnen keinesfalls in grundsätzlichen Fragen widersprechen dürfen.“647 Auf gängige Diskussionsmuster eines „Europessi-
644 Gvosdev 2007: 136f., unter Bezug auf ein Interview Kirills vom Sept./Okt. 2005, vgl.www.orthodoxytoday.org, hier zitiert nach Gvosdev. 645 Gutnik 2003: 19f. 646 Gutnik 2003: 20., im Original: „Nado li Rossii vstupat’ v ES? Obyčno na ėtot neaktual’nyj i daže nesuraznyj vopros otvečajut dvojakim obrazom: ‚nas tuda ne zovut i nikto nas tam ne ždet’ i/ili ‚ne očen’-to i chotelos’.“ 647 Gutnik 2003: 23, im Original: „Političeskie vyzovy i ėkonomičeskie nuždy trebujut formalizirovat’ Obščee evropejskoe ėkonomičeskoe prostranstvo, sozdav osobuju associaciju. Na moj vzgljad, ona ne tol’ko zakrepit sozdanie zony svobodnoj torgovli (čto vpolne možno bylo by sdelat’ na osnove Soglašenija o partnerstve i sotrudničestve), no i otkroet put’ k institucional’nomu sbliženiju Rossii i ES, ponimaemomu kak sbliženie norm i pravil, k sozdaniju ramočnych uslovij chozjajstvovanija. No pri ėtom sleduet ne zaimstvovat’ pravila, a prisposablivat’ ich k našim uslovijam, skoree daže vyrabatyvat’ na osnove
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mismus“ rekurrierend, stellt Gutnik die mehr oder weniger rhetorische Frage, ob sich Russland im Verhältnis zu Europa mit „secondary ‚grievances’ (observance of civil rights and freedoms)“ abgeben oder sich eher alternativen Partnern in Ostund Südostasien zuwenden sollte. Doch hält er einen solchen Standpunkt für riskant in Anbetracht der zentralen Stellung der EU, ihrer Rolle und ihrer Bedeutung für die Weltwirtschaft: „That Russia should continue to view its partnership with the EU as a priority and make it really strategic in nature exceeds in importance any calculus of current und future gains or otherwise from mutual trade, the opening of the markets, or capital flows.“648 Jedoch sei die periodische Verlängerung des PKA die einfachste und am wenigsten effektive Methode, sich des Problems anzunehmen, es bedeute nur Stagnation in den gegenseitigen Beziehungen: “The movement towards EU unity will be continued (within the next few years), and our hopes that we may effectively cooperate with separate countries while ignoring the EU as an integral structure are likely to prove ungrounded. Consequently, there is an insistent need to pursue negotiations on a new treaty, complete with a comprehensive (system) search for compromise solutions in all controversial issues.”649 Für Čubar’jan hingegen bildet die EU unbestritten das nachzuahmende Modell: „Das Wesentliche besteht darin, dass in Russland heute faktisch überall nicht nur Anerkennung und eine positive Wahrnehmung der Europäischen Wirtschaftsunion überwiegen, sondern dass die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung in Westeuropa als Beispiel und bekanntes Modell für die russische Wirtschaft, für die Entwicklung von russländischem Geschäftswesen und Unternehmertum dienen kann.“650 Ursache für europafeindliche Entwicklungen resultieren nach Ansicht Čubar’jans möglicherweise aus einer gefährlichen Wechselwirkung: Die russlandkritische Position in Nachbarstaaten Russlands, die heute der EU angehören, „wirkt auch auf die Stimmungen bestimmter politischer Kräfte innerhalb Russlands und verstärkt dabei das negative Verhältnis zu ‚europäischen Werten’ und einem grösseren Aufgehen Russlands in Europa.“651 Čubar’jan hält einen
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evropejskich acquis rossijskie pravila, kotorye, odnako, dolžny maksimal’no sootvetsvovat’ evropejskim i ne v koem slučae ne protivorečit’ im v principal’nych voprosach.“ Gutnik 2007a: 13f. Gutnik 2007a: 21. Čubar’jan 2006: 368 „Glavnoe sostoit i v tom, čto v Rossii teper’ faktičeski povsemestno preobladajut ne prosto priznanie i pozitivnoe vosprijatie Evropejskogo Ėkonomičeskogo Sojuza, no i ponimanie togo, čto poslevoennoe ėkonomičeskoe razvitie v Zapadnoj Evrope možet služit’ primerom i izvestnoj model’ju dlja rossijskoj ėkonomiki, dlja razvitija rossijskogo biznesa i predprinimatel’stva.“ Čubar’jan 2006: 401, im Original: „vlijaet i na nastroenija opredelennych političeskich sil vnutri Rossii, usilivaja ich negativnoe otnošenie k ‚evropejskim cennostjam’ i bol’šemu vchoždeniju Rossii v Evropu.“
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Beitritt Russlands zur EU für theoretisch möglich, ihm stünden jedoch mehrere Hindernisse entgegen: „Ein ernsthaftes Hindernis für einen möglichen Beitritt Russlands zur Europäischen Union stellt der wesentliche wirtschaftliche Rückstand Russlands vom modernen Europa dar.“ (…) „ Ausserdem ist sowohl für die Europäische Union als Ganzes wie für ihre einzelnen Mitglieder heute ein Beitritt Russlands zur EU unannehmbar, wenn man die riesigen Territorien und die Bevölkerungszahl des Landes berücksichtigt, und auch die nicht überwundenen Schwierigkeiten auf dem Weg zur Bestätigung der Marktwirtschaft und die Instabilität der politischen Situation. Deshalb ist die Frage des EU-Beitritts Russlands eine Perspektive für die ferne Zukunft, die zudem mit vielen Bedingungen verbunden ist (Bestätigung und Akzeptanz des europäischen Vektors der Entwicklung des Landes durch eine Mehrheit der Bevölkerung Russlands, Regelung der Probleme mit den Nachbarn Russlands, darunter auch denjenigen im postsowjetischen Raum, und wesentliche Veränderungen in den Stimmungen der Öffentlichkeit in den Ländern Europas in Bezug auf Russland.“652 Am Anfang des 21. Jahrhunderts, so Čubar’jan, sei deshalb die Entwicklung und Stärkung „institutioneller Beziehungen“ zwischen Russland und der EU angesagt, wie sie 1994 durch das PKA begründet und in den jeweiligen Strategien der EU und Russlands im Jahr 1999 definiert wurden: „Das Wichtige bestand darin, dass Russland nicht als gewöhnlicher, sondern im bekannten Sinne als besonderer Partner anerkannt wurde, welcher die Werte der europäischen Zivilisation, Politik und Kultur teilt. Diese Vereinbarungen legten eine Zwischenbilanz der Ausrichtungen und Prioritäten der gemeinsamen Aktivitäten fest, und in ihnen konnten schon von assoziativen Verbindungen zwischen Russland und der EU gesprochen werden. Der Optimismus bei der Bewertung der angenommenen Dokumente wird durch den Umstand verstärkt, dass einige vollwertige EU-Mitglieder seinerzeit ebenfalls eine ähnliche Übergangsperiode von der Assoziierung zur Vollmitgliedschaft durchliefen (u.a. Spanien).“653 Diese in der Tat überaus optimistische 652 Čubar’jan 2006: 402, im Original: „Ser’eznoe prepjatstvie dlja vozmožnogo prisoedinenija Rossii k Evropejskomu Sojuzu sostovljaet suščestvennoe ėkonomičeskoe otstavanie Rossii ot sovremennoj Evropy.“ (...) „Krome togo, i dlja Evropejskogo Sojuza v celom i ego otdel’nych členov segodnja nepriemlemo vstuplenie Rossii v Evrosojuz, učityvaja ee ogromnye territorii i količestvo naselenija, ešče ne preodolennye trudnosti na puti utverždenija rynočnoj ėkonomiki, nestabil’nost’ političeskoj situacii. Poėtomu vopros o vstuplenii Rossii v Evropejskij Sojuz – ėto perspektiva dalekogo buduščego, k tomu že svjazannaja so mnogimi uslovijami (utverždenie i prinjatie bol’šinstvom naselenija Rossii evropejskogo vektora ee razvitija, uregulirovanie problem s sosedjami Rossii, v tom čisle i na postsovetskom prostranstve, i suščestvennye peremeny v nastroenijach obščestvennosti v stranach Evropy po otnošeniju k Rossii.” 653 Čubar’jan 2006: 403, im Original: „Glavnoe sostojalo v tom, čto Rossija priznavalas’ ne obyčnym, a v izvestnom smysle osobym partnerom, razdeljajuščim cennosti evropejskoj ci-
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Einschätzung der Vereinbarungen zwischen Russland und der EU, die von vielen Beobachtern absolut nicht geteilt wird, lässt Čubar’jan auch auf eine Anpassungsleistung Russlands hoffen: „Nebst politischen, wirtschaftlichen und geistigen Faktoren, die eine Annäherung Russlands an die Europäische Union begünstigen, findet auch ein Prozess statt, bei welchem durch Russland normativ-rechtliche gesamteuropäische Bestimmungen übernommen werden. Dabei rufen viele Vertreter der russischen Öffentlichkeit zur Bewahrung russländischer Besonderheiten, zur Bewahrung der bereits gemachten Erfahrung auf dem Gebiet der Bildung, in der Sphäre von Wissenschaft und Kultur, auf.“ So tue sich Russland bspw. mit der Harmonisierung der Studiengänge im Bologna-Prozess schwer.654 In schon fast sowjetischer Tradition kommt Čubar’jan unter Berufung auf Präsident Putin – und wohl mit einer guten Portion Überschätzung der deklaratorischen Aussagen des Interessenspolitikers Putin – zum Schluss, dass „(…) Russland sich auf den Weg demokratischer Reformen gemacht habe, die es den europäischen Werten annähern“.655 Andere europhil-eurozentrische Autoren entwickeln praktische Ansätze zur Verbesserung des Transfers von europäischen Werten und Erfahrungen. Der Historiker J. Pliais, der am Departement Politologie der Finanzakademie unterrichtet, sieht im Verhältnis Russland – Europa einen „Civilizational Divide“, den es im gegenseitigen Interesse zu überwinden gelte. Als Massnahme denkt er, ähnlich wie Zbigniew Brzezinski, an eine massive Verstärkung eines kulturellen und bildungsorientierten Austausches: „It seems to me that Russia should also receive assistance in developing institutions of civil society. A kind of Marshall Plan, if you will, would be valuable, one providing not financial aid but assistance with civilization and human concerns. Direct contacts and help in training employees, including professional political scientists, are especially needed.”656 Gestützt auf vergleichende Meinungsforschung in Europa und in der GUS skizziert E. Furman, Politologin am Institut für Ökonomie der RAN 2006 die Entwicklungsperspektiven vilizacii, politiki i kul’tury. Ėti soglašenija opredelili predvaritel’nyj perečen’ napravlenij i prioritetov sovmestnoj dejatel’nosti i mogli govorit’ uže ob associativnych svjazach Rossii s Evrosojuzom. Optimizm v ocenke prinjatych dokumentov usilivaetsja tem, čto nekotorye polnopravnye členy Evrosojuza v svoe vremja takže prochodili perechodnyj period ot associacii k polnopravnomu členstvu.“ 654 Čubar’jan 2006: 404, im Original: „Pomimo političeskich, ėkonomičeskich i duchovnych faktorov, sposobstvujuščich sbliženiju Rossii s Evropejskim Sojuzom, idet process prinjatija Rossiej normativno-pravovych obščeevropejskich ustanvlenij. Pri ėtom mnogie predstaviteli rossijskoj obščestvennosti prizyvajut k sochraneniju rossijskich osobennostej, k sochraneniju nakoplennogo opyta v oblasti obrazovanija, v sfere nauki i kul’tury.“ 655 Čubar’jan 2006: 409Im Original: (...) Rossija vstala na put’ demokratičeskich reform, sbližajuščich ee s evropejskimi cennostjami“. 656 Pliais 2001: 90f.
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des europäischen Integrationsprozesses und eines sich um Russland zentrierenden „eurasischen“ Integrationsprozesses: „Die Einzigartigkeit des europäischen Integrationsprozesses liegt vor allem darin, dass in ihm eine in der Geschichte erstmalige Form supranationaler Herrschaftsformen gebildet wird, die einen engen wirtschaftlichen und politischen Zusammenhalt unterschiedlicher Staaten voraussetzt, welcher nicht auf imperialer, sondern auf freiwilliger Grundlage basiert.“657 Und weiter kommt sie zum Schluss: „Die Eurointegration – ist ein neuer Prozess, ohne Präzedenzfälle. Es ist eine Reise in eine unbekannte Zukunft. Es ist nicht klar, wo und womit sie enden muss. Wird die EU das ganze europäische Territorium umfassen, einschliesslich der Türkei, der Ukraine und, wer weiss, vielleicht auch Russland, führt sie zu einem einheitlichen Superstaat, und welche institutionellen Formen kann dieser Superstaat annehmen?“658 Dem gegenüber steht im postsowjetischen Raum ein gänzlich anderes Integrationsmodell zur Debatte: „Die postsowjetische Integration dagegen, hat klar ein Modell in der Vergangenheit – die UdSSR.“659 Furman verweist auf einen zusätzlichen Aspekt, der die Differenz zwischen den beiden Modellen verdeutlicht: „Der Kern der EU sind Länder mit entwickelter Demokratie und entwickelter Marktwirtschaft. Das Bestreben, mit ihnen eine Union einzugehen, ist für andere, weniger entwickelte Länder ein Bestreben, sich auf ihr Niveau ‚hochzuziehen‘. Das natürliche Zentrum jeglicher postsowjetischer Vereinigung ist Russland, ein Land mit einer nicht sonderlich entwickelten Wirtschaft und ‚gelenkter’ Demokratie.“660 Aus dem Blickwinkel der Regionalismus-Forschung betrachtet I. Busygina (2002a) vom MGIMO in ihrem Lehrbuch über „Politische Regionalistik“ drei Faktoren, die zur raschen regionalen Entwicklung auf dem Gebiet der EU (mit ihren damals 15 Mitgliedern) führten: „1. Die besondere Geschichte des Konti657 Furman 2006: 57, im Original: „Unikal’nost’ evropejskogo integracionnogo processa zaključaetsja , prežde vsego, v tom, čto v nem sozdaetsja odin iz pervych v istorii nadnacional’nych vidov vlasti, predpologajuščij tesnuju ėkonomičeskuju i političeskuju vzaimosvjaz’ različnych gosudarstv, kotoraja bazieruetsja ne na imperskoj, a na dobrovol’noj osnove. 658 Furman 2006: 76, im Original: „Evrointegracija – process novyj, ne imejuščij precedentov. Ėto putešestvie v neizvestnoe buduščee. Ne jasno, gde i na čem ona dolžna ostanovit’sja, budet li ES ochvatyvat’ vsju evropejskuju territoriju, vključaja Turciju, Ukrainu i, kto znaet, možet byt’ i Rossiju, privedet li ona k edinomu supergosudarstvu, i kakie institucional’nye formy ėto supergosudarstvo možet prinjat’.“ 659 Furman 2006: 76, im Original. „Postsovetsjkaja integracija, naprotiv, imeet jasnuju model’ v prošlom – SSSR.“ 660 Furman 2006: 76, im Original: „Jadro ES – strany s razvitoj demokratiej i razvitoj rynočnoj ėkonomikoj. Stremlenie vojti v sojuz s nimi dlja drugich, menee razvitych stran – ėto stremlenie ‚podtjanut’sja’ do ich urovnja. Estestvennym centrom ljubogo postsovetskogo ob-edinenija javljaetsja Rossija – strana s ne sliškom razvitoj ėkonomikoj i ‚upravljaemoj’ demokratiej.“
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nents, die nebst anderem, seine kulturelle Ganzheit bedingte. So bestand neben der nationalen und regionalen Kultur und Selbstsicht immer auch eine europäische. Es bildete sich eine besondere europäische Identität heraus, ‚der ‚europäische Mensch’. Es ist offensichtlich, dass Westeuropa immer mehr war, als eine Zone der Sicherheit und der Stabilität, mehr als gemeinsamer Agrarmarkt, mehr als ein ‚Euro-Raum’. Die Suche nach dem ‚gemeinsamen europäischen Geist’ durchdringt die gesamte Geschichte Europas. Dieser ‚Geist’ war weitergefasst als ‚Demokratie’ und ‚Rechtsstaat’. Es genügt, sich der Kreuzzüge, des gesamteuropäischen Rufs von Künstlern und Gelehrten in der Zeit der feudalen Renaissance zu erinnern. Die grundlegende europäische Idee von heute ist die soziale Idee. 2. Die rasche Entwicklung der Integrationsprozesse, die eine neue Epoche in der Geschichte Europas eröffnet haben, wozu eine dynamische Entwicklung der Produktionskräfte und nicht zuletzt das Bestreben nach Bewahrung und Stärkung der politischen Stabilität, nach Unterstützung demokratischer politischer Regime, beitrugen. Hierdurch erklärt sich auch die Osterweiterung der EU. 3. Ein objektiver Faktor ist die Existenz einer gigantischen Vielfalt von regionalen ethnokulturellen Landschaften auf einem verhältnismässig (nach russischen Massstäben) kleinen Territorium. Diese Vielfalt wird verstärkt durch eine völlig unterschiedliche Stellung der Regionen innerhalb der Länder der Union.“661 In einem am MGIMO herausgegebenen Lehrbuch vertieft Busygina 2006 ihre präzise Aufarbeitung der verschiedenen Erscheinungsformen des Regionalismus in Europa und diskutiert, auf englisch- und deutschsprachige Quellen gestützt, die Rolle des „Europa der Regionen“ im Integrationsprozess. Sie geht dabei sowohl auf regionalpolitische Programme wie INTERREG ein, als auch – anhand der Beteili-
661 Busygina 2002a: 398f., im Original: “1. Osobaja istorija kontinenta, kotoraja pomimo pročego, obuslovila ego kul’turnuju celostnost’. Tak, narjadu s regional’nymi i nacional’nymi kul’turoj i samoznaniem vsegda suščestvovali i evropejskie. Složilas’ osobaja evropejskaja identičnost’, ‚evropejskij čelovek’. Očevidno, čto Zapadnaja Evropa vsegda byla bol’še, čem zona bezopasnosti i stabil’nosti, bol’še čem obščij sel’skochozjajstvennyj rynok, bol’še čem ‚prostranstvo evro’. Poiski ‚obščego evropejskogo ducha’ pronizivajut vsju istoriju Evropy. Ėtot ‚duch’ byl šire ‘demokratii’ i ‘pravovogo gosudarstva’. Dostatočno vspomnit’ krestovye pochody, obščeevropejskuju slavu chudožnikov, učenych v period feodal’nogo Vozroždenija. Osnovnaja evropejskaja ideja segodnja – ėto ideja social’naja. 2. Bystroe razvitie integracionnych processov, otkryvšee novuju ėpochu v istorii Evropy, kotoromu sposobstvovalo dinamičnoe razvitie proizvoditel’nych sil i ne v poslednjuju očered’ stremlenie sochranit’ i ukrepit’ političeskuju stabil’nost’, podderžat’ demokratičeskie političeskie režimy. Ėtim že stremleniem ob-jasnjaetsja i rasširenie ES na Vostok. 3. Ob-ektivnyj faktor – samo suščestvovanie na otnositel’no (po rossijskim masštabam) nebol’šoj territorii gigantskogo raznoobrazija regional’nych ėtnokul’turnych landšaftov. Ėto raznoobrazie podkrepljaetsja ves’ma različnym položeniem regionov vnutri stran Sojuza.“
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gungsmechanismen der deutschen Bundesländer an der Europapolitik – auf Probleme der Multi-Level-Governance. Baranovskij beantwortet die Frage, ob Russland geteilt von Europa oder ein Teil Europas sei, mit einer Differenzierung zwischen der kulturell-zivilisatorischen und der geopolitischen Identität Russlands: „Contrary to the expectations of the early post-Cold War period, the 1990s did not reduce the overall ‚existential’ ambivalence of Russia’s perceptions of attitudes to, and policies towards Europe. It is worth recalling that the post-Soviet Russia came onto the international scene with a strong pro-Western orientation (ipso facto also a pro-European one). Destroying the old regime, getting rid of the communist past, proclaiming itself decisively in favour of democracy and a market economy – all this was considered to provide Russia with a ticket to the ‘community of the civilized countries’.”662 Die Orientierung an Europa ist im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts jedoch nicht mehr automatisch gesichert. So warnt Gutnik in einer 2006 vom europafreundlichen Komitee „Russland im Vereinigten Europa“ organisierten Diskussionsrunde davor, dass Russland sich verstärkt einer „multi-vektoriellen“ Aussenpolitik zuwenden könne: „As a result, Russia could well stop seeing the EU as its principal economic and maybe also its political partner since there are serious alternatives and opportunities, for example in Asia.“663 Die Frage, ob Russland letztendlich nur auf der Empfängerseite europäischer Errungenschaften steht, oder ob es einen eigenständigen Beitrag zur europäischen „Erfolgsgeschichte“ beigesteuert habe, ist für das russische Selbstverständnis von Bedeutung. Šmelev versteigt sich 2005 zu einer befremdlich anmutenden positiven Umwertung eines vermeintlichen russischen Beitrags zur europäischen Integration: „Und schliesslich ist, wie man sagt, auch eine negative Erfahrung eine Erfahrung. Ohne die romantischen, messianistischen Zielsetzungen Russlands und seiner blutigen Fehler hätte die gegenwärtige europäischen Zivilisation kaum jene Balance zwischen menschlicher Initiative und sozialer Verantwortlichkeit, zwischen ökonomischer Effektivität und gesellschaftlicher Solidarität, gefunden, die heute die Grundlage ihrer politischen und sozio-ökonomischen Stabilität und ihres wachsenden internationalen Einflusses bildet.“664 Wie schon drei Jahre zuvor in einem anderen Beitrag, steht für Šmelev der Erfolg des europäischen Integrati662 Baranovskij 2000: 446f. 663 ROE 2006: 121. 664 Šmelev 2005: 51, im Original: „I, nakonec, kak govoritsja, otricatel’nyj opyt – tože opyt. Bez romantičeskich, messianskich ustremlenij Rossii i ee krovavych ošibok sovremennaja evropejskaja civilizacija vrjad li sumela by najti tot balans meždu čelovečeskoj iniciativoj i social’noj otvetstvennost’ju, meždu ėkonomičeskoj ėffektivnost’ju i obščestvennoj solidarnost’ju, kotoryj sostavljaet segodnja osnovu ee političeskoj i social’no-ėkonomičeskoj stabil’nosti i ee rastujuščego meždunarodnogo vlijanija.“
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onsprozess, der seinen Anfang mit einem „bescheidenen Vertrag“ (skromnyj dogovor) zur EGKS genommen und sich über fünf Jahrzehnte bis hin zum Verfassungsvertrag immer weiter entwickelt hat, in historischer einmaliger Position, wie ein schon verklärend-euphorisches Zitat zeigt: „(…) all dies zeugt davon, dass das grandiose friedliche schöpferische Experiment, welches in Europa vor gut 50 Jahren begonnen wurde, alle Chancen hat, in nicht allzuferner Zukunft die grösste konstruktive Errungenschaft der Menschheit in ihrer ganzen Geschichte zu werden.“665 D. Trenins Buch „Integration und Identität“ trägt den bezeichnenden Untertitel „Russland als der ‚neue Westen’“. Trenin geht dabei zunächst von einer Definition aus, die „Westen“ als umfassende Metapher einer modernen Gesellschaft versteht: „Dabei verstehen wir ‚Westen‘ nicht als geographische Gegebenheit, die einmal und für immer definiert ist, sondern als die Gesamtheit der grundlegenden Einrichtungen der gegenwärtigen Gesellschaft – Privateigentum, konstitutionelle Verfassung, Zivilgesellschaft, Garantie der Menschenrechte und der Grundfreiheiten und, schliesslich, liberale Demokratie.“ Ohne eine umfassende Modernisierung würde Russland in einer globalisierten Welt nicht konkurrenzfähig.666 Das Schlagwort von der Integration habe deshalb, so Trenin, Ende der 1980er- und zu Beginn der 1990er-Jahre bei Liberalen und Demokraten im Vordergrund gestanden: Russland sollte „normal“ (normal’naja) oder, wie man damals sagte, „zivilisiert“ (civilizovannaja) werden, als führender Teil des Westens. Die Hauptschlagwörter zu Beginn der 2000er Jahre wurden dann „Identität – Eigenart, Souveränität, Unabhängigkeit“ (identičnost’ – samobytnost’, suverennost’, nezavisimost’), oder wie Trenin zusammenfasst: „Wenn die Ideologie in den Zeiten Gorbačevs und El’cins im Kern revolutionär war, so definierte sich die Ideologie der Putin-Periode offiziell als Konservativismus.“667 5.3.4 Differenzierung von Europa und Russland
S. Prozorov gehört zu den jüngeren russischen Wissenschaftlern, die bereits in ihrer Ausbildung vom direkten Austausch mit dem Westen profitieren konnten. 665 Šmelev 2005, 53, im Original: „(...) vse ėto svidetel’stvuet o tom, čto grandioznyj mirnyj, sozidatel’nyj ėksperiment, načatyj v Evrope 50 s lišnim let nazad, imeet vse šansy stat’ v ne stol’ už i otdalennom buduščem samym bol’šim konstruktivnym dostiženiem čelovečestva za vsju ero istoriju.“ 666 Trenin 2006: 10, im Original: „Pri ėtom Zapad ponimaetsja ne kak geografičeskaja dannost’, tem bolee raz i navsegda opredelennaja, a kak sovokupnost’ osnovnych institutov sovremennogo obščestva – častnoj sobstvennosti, konstitucionnogo stroja, graždanskogo obščestva, garantij prav čeloveka i osnovnych svobod i, nakonec, liberal’noj demokratii“ 667 Trenin 2006: 19, im Original: „Esli ideologija vremen Gorbačeva i El’cina byla po suti revoljucionnoj, to ideologija putinskogo perioda oficial’no opredeljala sebja kak konservatizm.“
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Nach der Promotion in Internationalen Beziehungen in Tampere (Finnland) lehrt und forscht er heute am Departement für Internationale Beziehungen der Petrozavodsker Staatsuniversität. Basierend auf einer Anzahl kleinerer Studien zur regionalen Zusammenarbeit im russischen Norden, erschien 2006 seine bisher grösste Studie zum Verständnis der Konflikte zwischen der EU und Russland mit dem Untertitel „The Limits of Integration“.668 Aufgrund ihrer empirischen Basis und einer fundierten Innensicht der Funktionsweise der EU – der Autor hat selbst im Rahmen von EU-Forschungsprojekten mitgewirkt – sei im Folgenden ausführlicher auf ihre Kernaussagen eingegangen. Prozorov hält der allgemeinen positiven Sichtweise der europäischen Integration als „Friedensprojekt“, der sich grundsätzlich auch die russische Aussenpolitik verschrieben habe, entgegen, dass sich seit Ende der 1990er-Jahre eine Reihe von Konflikten entwickelt habe. Ziel seiner Untersuchungen ist es, diese aus betont europhiler, gleichwohl aber strikt russozentrischer Orientierung zu analysieren. Trotz offizieller Partnerschaftsdeklarationen würden neuerliche Abgrenzungen bei Handelstarifen und Visaregime zeigen, dass die EU gegenüber Russland eine Politik der Exklusion verfolge. Dies habe zu einer regelrechten Aufwallung an kritischer Literatur über negative Auswirkungen von EU-Politiken im russischen politischen und akademischen Diskurs geführt. Prozorov wehrt sich jedoch in seiner Studie gegen eine allzu simplifizierende Sicht: „Against the simplistic image of EU-Russian relations as an encounter between a ‚postmodern’ polity, which has transcended sovereignty and embraced globalisation, and a state that stubbornly sticks to the anachronistic ideal of sovereignty, we shall empirically demonstrate that both sovereign and integrationist logics are at work in the policies of both Russia and the EU.”669 Am EU-Russland-Gipfel wurde das Ideal der “ever-closer integration without eventual membership” durch die “vier Räume” verkörpert – “an arrangement whereby Russia would be able to enjoy the benefits of the process of European integration without participating in the political institutions of the EU”. Trotz dieses offiziellen Diskurses über eine strategische Partnerschaft hätten sich seit Ende der 1990er-Jahre zahlreiche Konfliktfelder eröffnet, am deutlichsten durch die NATO-Intervention in Kosovo 1999: „In the Russian discourses, the European support for the war was read as a betrayal of the ultimate European political ideal
668 Prozorov 2006. Zuvor beispielsweise Prozorov (2001) zu TACIS als „Instrument postkommunistischer Transformation“ sowie Prozorov (2004a), (2004b) und (2004c) zu Grenzbeziehungen und –konflikten zwischen der EU und Nordwestrussland. In Prozorov (2005) und (2007) werden einzelne Aspekte seiner Hauptstudie aus dem Jahr 2006 „Understanding Conflict between Russia and the EU: The Limits of Integration“ dargestellt. 669 Prozorov 2006: ix-xi, hier: x, sowie 1.
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of state sovereignty and its substitution with a chimerical universalist ideal of human rights and democracy promotion.“670 Obwohl es bisherigen Studien zu EU-Russland-Beziehungen und -Konflikten an theoretischer Reflexion mangle, unterscheidet Prozorov drei Hauptschulen: eine liberale, eine institutionelle und eine kulturelle. Erstere wird durch Autoren wie Trenin vertreten und ist charakterisiert durch das Argument, Russland gehöre zu Europa: „Russia’s ‚Europeanness’ in not merely historico-cultural but also in political terms is the foundation of the identity of a Russian liberal, which makes any contemporary divergence between Russia and the EU deeply problematic for the liberal discourse.”671 Die Herausforderung Europa wird so zunächst zu einer innenpolitischen Herausforderung, oder wie Trenin formuliert: “Russia must become European to enter Europe” bzw. „(…) we may suggest that the integration with Europe proceed through Russia’s adoption of European norms, rules and principles“.672 Die russische akademische Forschung, mit Autoren wie Bordačev, Lešukov und Chudolej, neigt zur zweiten, der institutionellen Schule, derzufolge Konflikte nicht so sehr auf ideologischen Faktoren, denn auf kognitiven, auf Fehlwahrnehmungen und Missverständnissen, beruhen. Konsequenterweise werden in dieser Schule Probleme der Geringschätzung des umfassenden Charakters der europäischen Integration, und der Bedeutung von technischen Kontakten und der Notwendigkeit einer strafferen Koordination der russischen EU-Politik, hervorgehoben. Die dritte Schule betont, so Prozorov, tiefliegende substanzielle kulturelle oder ‚zivilisatorische’ Differenzen zwischen Russland und der EU, die Konflikte unvermeidlich machen. Der links-konservative, geopolitisch orientierte, russische Zweig dieser Schule – mit Autoren wie Naročnickaja – postuliert in einer gewissen Nachfolge der Slawophilen eine grundsätzliche Unvergleichbarkeit der beiden Seiten, die a priori „anders“ sind.673 „Within the left-conservative discourse the identity conflict over exclusion centres on the problematisation of the increasingly common equation of the cultural or civilisational concept of Europe with the normative and administrative apparatus of the EU, an equation which excludes Russia by definition as the only ‚non-European European country’.“674 Hier, so Prozorov, wird der Spiess beispielsweise von Naročnickaja, umgedreht: „It 670 Prozorov 2006: 3 und 5. 671 Prozorov 2006: 11. Zur liberalen Schule rechnet Prozorov auch das Komitee „Russland im Vereinigten Europa“ mit Exponenten wie Arbatova, aus den zahlreichen im Internet publizierten Publikationen hier nur beispielhaft zur Thematik von Schengen und Visafreiheit: ROE (2002, 2003). 672 Trenin 2000 und 2004, hier zitiert nach Prozorov 2006: 12. 673 Prozorov 2006: 14. Prozorov rekurriert auf Neumanns Untersuchungen zu Russland als das „Andere“ zu Europa, vgl. Neumann (1996). 674 Prozorov 2006: 41.
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is rather Europe that is challenged with the ‘Russian question’, aware of Russia’s cultural or ‘civilisational’ commonality but unable to accommodate Russia’s political difference. Russia is in many ways identical to Europe, but not quite identical, and it is this minor, yet noticeable gap that makes full Russian-European convergence impossible and is therefore far more irritating and dangerous to Europe than Russia’s complete and categorical difference would have been.”675 Seit Ende der 1999er-Jahre beobachtet Prozorov auch auf liberaler Seite eine Abwendung von der EU, die sich in der definitiven Absage an eine potenzielle Mitgliedschaft Russlands manifestiert: „In contrast to the more conventional opposition to Russia’s EU membership from the geopolitical and other ‚multipolarity-oriented’ discourses, the liberal opposition to the EU membership proceeds from the unwillingness to abide by the detailed prescriptions of the acquis communautaire, particularly insofar as the resurgence of (neo)liberal economic reforms in the Putin presidency has increased the right-wing liberal forces’ sense of self-certitude and thus makes integration into European structures less important politically and symbolically than in the beginning of the 1990s.”676 Aus seiner Untersuchung leitet Prozorov eine nur auf den ersten Blick erstaunliche, in sich aber schlüssige Konsequenz ab: “Both liberal and conservative strands of discourse therefore move, in a fully logical manner, from the initial endorsement of integration through the problematisation of the EU’s exclusionary policies or the hierarchical nature of the offered inclusion to the disillusioned abandonment of the integrationist ideal in the reaffirmation of sovereignty.”677 In der Konklusion skizziert Prozorov die “Logik der Integration” in vier Paradoxa, wobei jedes folgende aus dem vorhergehenden deduzierbar sei.678 Das erste, das teleologische Paradoxon bestehe darin, dass Konflikte zwischen Staaten dadurch gelöst werden, dass die Staaten eliminiert werden und ihre Souveränität an eine integrierende Instanz, letztlich an einen globalen Staat abgeben.679 Das strukturelle Paradoxon besteht nach Prozorov darin, dass es sich, wie das Verhältnis der EU zu Russland zeigt, um eine hierarchische Inklusion handelt. Merkmale sind Asymmetrien bei der Interaktion oder eine „pedagogical technology of governance“: „It is therefore possible to empirically establish the existence of the ‚subject-object’ asymmetry in any concrete project of EU-Russian integration by focusing on either its design or the process of its implementation.” Wenn auch der Integrationsprozess selbst nicht-hierarchisch und “intersubjektiv” abläuft, so resultiere doch am Ende eine hierarchische Autoritätsstruktur, die neue souveräne Linien der 675 676 677 678 679
Prozorov 2006: 42. Prozorov 2006: 54. Prozorov 2006: 69. Prozorov 2006: 157. Prozorov 2006: 157ff.
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Exklusion zieht. Für Prozorov entsteht damit ein grundsätzliches Problem beim Umgang mit Differenzen zwischen ungleichen Partnern: „Indeed, unless the recognition of legitimate difference is a constitutive principle of interstate interaction, as it is in the pattern of mutual delimitation of sovereignties, it appears impossible to avoid a priori asymmetries even on the level of the process of design and implementation of integrationist initiatives.“ Für Russland hat dieser Umstand integrationsfeindliche Konsequenzen: “In the case of EU-Russian relations, the structural paradox creates powerful incentives for the party that is asymmetrically cast as the ‘object of integration’ to self-exclude itself from the integrative process and reassert sovereignty over its spatially delimited polity.” Durch den asymmetrischen Inklusionsprozess stelle sich Russland unweigerlich die Frage, “what kind of benefits integration could possibly carry that could justify the acquiescence with the status of a passive object in the hierarchical structure of asymmetric governance. The increasing Russian disillusionment with the project of ‘integration with Europe’ indicates that no satisfactory answer to this question has yet been given.”680 Das epistemologische Paradoxon geht von der Annahme aus, dass jeder Integrationsprozess sich auf einen substanziellen Inhalt, eine Vision oder Ideologie stützt, welche universelle Geltung hat. Das aktive Subjekt ist Träger der ‚Doktrin’ der Integration, während das passive Subjekt in diese hinein ‚indoktriniert’ werden muss. „In the specific case of EU-Russian relations, this hegemonic universalisation takes the shape of the appropriation by the EU of the right to define its own mode of ‘governance’ as ‘good’, which presupposes that it is also ‘good’ for others and that their resistance to it is merely an indicator or malevolence, and that, for their own ‘good’, the others must be indoctrinated or, if necessary, coerced into the acceptance of the doctrine.”681 Das ontologische Paradoxon besteht nach Prozorov darin, dass die Logik der Integration trotz der deklaratorischen Unterstützung des Pluralismus „both dismantles the actually existing international pluralism in the drive for world unity and conditions the pluralism of individuals and groups by their enfolding into the hierarchical distribution of identities”. Illustriert wird dies wiederum am Beispiel der asymmetrischen Zusammenarbeit in der Euregio Karelia.682 Im Fazit skizziert Prozorov das Modell eines „gemeinsamen europäischen Pluralismus“, in dem Beziehungen und Interaktion ohne Integration als das am wenigsten konfliktbehaftete Szenario für EU-Russland-Beziehungen entwickelt werden. Das Konzept der „common spaces“ sei eben gerade durch Asymmetrien 680 Prozorov 2006: 160ff., Zitate pp. 162 und 163. 681 Prozorov 2006: 163. 682 Prozorov 2006: 167ff.
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gekennzeichnet. Ihm hält der Autor ein Konzept entgegen, das das Nebeneinanderexistieren auch mit Differenzen erlaubt: „In such a conception, commonality is no longer owing to any substantive similiarity, unity or identity, but is rather sustained by the mutual recognition of irreducible difference: after all, our difference is what we have in common.”683 Der Vorteil besteht darin, dass auf diese Weise die Identität des Anderen nicht in Frage gestellt wird: „In contrast to the integrationist logic which effaces the identity of the Other through its incoroporation into the new aggregate identity of the Self, the logic of commonality rather points to the need to relax the ontopological containment of identity in the appreciation of the radical pluralism, which is in fact the very condition of possibility of ontopology in itself.”684 Im Rekurs auf Foucaults Heterotopien, Orte der freien Entfaltung von Unterschieden, erkennt Prozorov praktische Konkretisierungen in drei Bedingungen, die für die EURussland-Beziehungen typisch sind. Erstens liege die Herausforderung für die EU „in abandoning the understanding of Russia’s political difference from the EU in the purely negativ terms of deficiency, underdevelopment or irrationality and the appreciation of the fact that this difference is not a transitory effect of the ‚transitional’ period, but quite possibly a permanent feature of Russian politics, likely to be consolidated rather than left behind in the present period of socio-political stabilisation.”685 Zweitens müssten Unterschiede ausgedrückt werden können, ohne sogleich auf statische kulturelle oder zivilisatorische Unterschiede reduziert zu werden: “Such an understanding of difference would undoubtedly permit a more dynamic and flexible practice of EU-Russian relations than the interaction under the weight of historical fiction, in which concrete practical problems are mere symptoms of perennial Self-Other contradictions.”686 Drittens sieht Prozorov Chancen in einer “Internationalisierung” der EU-Russland-Beziehungen, in einer Ungleichsetzung von EU und Europa: “Thirdly, the establishment of an internationalised common space of EU-Russia relations requires the dissociation of the notion of the ‘European’ from the institutional figure of the EU. As we have discussed in detail above, the increasing identification of the historico-cultural figure of Europe, which is part of Russia’s own self-definition, with the institution of the EU as its political embodiment has been frequently problematised in the Russian political discourse. (…) The dissociation of Europe from the EU permits us to evade this dualism by positing the existence of a European political space that is wider than the integrated unity of the EU, a space in which the EU interacts as
683 684 685 686
Prozorov 2006: 177, Hervorhebung im Original. Prozorov 2006: 177f., Hervorhebung im Original. Prozorov 2006: 180f. Prozorov 2006: 182.
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an ‘international’, rather than a ‘domestic’, actor with other European actors, which unlike the EU, are sovereign states, but are no less equal to the EU in the common space of pluralistic interaction.”687 Während die Logik der europäischen Integration in Antagonismus zu Differenzen steht, erlaubt ein “gemeinsamer europäischer Pluralismus”, so Prozorov, einen Raum pluralistischer Interaktion zu bewahren, in welchem legitime Unterschiede gegenseitig anerkannt werden: “In this pluralistic setting, Russia and the EU may succesfully interact and cooperate in the absence of the temptations of integration, which have animated both the European hierarchical inclusion of Russia and Russia’s tenacious assertion of its ‘European identity’.”688 Die Behauptung kann gewagt werden, dass Prozorov mit seinem theoretischen Fundament die Grundlagen für eine weitergehende Forschung zum Verhältnis Russland-EU gelegt hat, welches auf dem zu Beginn des Jahrhunderts verbreiteten europhil-russozentrischen Ansatz beruht: Die europäischen Werte werden respektiert, partiell in Geltung auch für Russland gesehen, doch verfolgt Russland einen eigenstaatlichen, an eigenen Interessen orientierten Weg.
687 Prozorov 2006: 183. 688 Prozorov 2066: 184.
6
Schluss
Zwanzig Jahre nach dem Umbruch, der zur Auflösung der Sowjetunion und damit der Grundlagen einer marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung geführt hat, steht die russische Wissenschaft dem Phänomen der europäischen Integration mit Offenheit und teilweise grosser Detailkenntnis gegenüber. Nichtsdestotrotz führt die unzureichende Archivlage dazu, dass historische Entwicklungen der Zeit nach 1945 bis heute nur unzureichend erforscht werden können. Eine historische Aufarbeitung der frühen Europakonzeptionen von Kautsky, Trockij und Lenin hat in der post-sowjetischen Forschung bis heute nicht stattgefunden. Objektive Arbeiten über pazifistische Ideen, die oft mit europäischen Einigungsprojekten verbunden wurden und dem sozialdemokratischen Gedankengut entsprangen, entstanden in der sowjetischen Historiographie nicht. Wie schon Zellentin feststellte, versuchte die sowjetische Führung mit „Geschichtsklitterung“, eine Kontinuität der russischen Haltung zu konstruieren, indem sie ihre Rede Stalins von 1930 gegen den Briand-Plan und Paneuropa in direkte Verbindung zur Ablehnung des Marshall-Plans setzte. Lenins Dogma gegen eine europäische Einigung von 1915 nahm bis zum Untergang der Sowjetunion die Stellung eines unausweichlichen Referenztexts ein. Erst das Tauwetter in der Ära Chruščev führte zu einer Entstalinisierung auch im Forschungsbereich. Forscher am neu eingerichteten Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) gehörten zu den Ersten, die versuchten, eine objektive Bewertung der europäischen Institutionen vorzunehmen. Ihre Annahme, dass bestimmte ökonomische Voraussetzungen erfüllt sein müssen, in deren Folge sich der Integrationsprozess als Realität weiterentwickelt, führten zum entscheidenden “shift” der sowjetischen Position, der sich bis 1962 vollzog und sich in den „32 Thesen“ des IMEMO artikulierte. In der Entspannungsphase bis Mitte der 1970er-Jahre wandte sich die Forschung neu den politischen Integrationsprozessen und den supranationalen und transnationalen Strukturen zu. Die grundlegende Arbeit von Maksimova aus dem Jahr 1971 konzediert der europäischen Integration, dass sie über Lenins Diktum über die „Tendenz zur Entwicklung der Produktivkräfte im Weltmassstab“ hinaus einen „qualitativ neuen Grad“ der Wirtschaftsentwicklung darstellt. Noch 1986 (in spätsowjetischer Zeit, als die Partei noch einmal die Theorie vom Imperialismus als letztem Stadium des Kapitalismus offiziell bekräftigte) konstruiert Baranovskij eine neue ideologische Legitimation: Der europäische Integrationsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg wird nun unter Berufung auf Marx und Engels sowie Lenin als „gesetzmässig“ (zakonomernoj) zur Tendenz der von den Klassikern des Marxismus-Leninismus beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklung dargestellt. Die entscheidende Weichenstellung in den Nachkriegsjahren, die zum Wiederaufbau Westeuropas mit Marshall-Plan-Geldern führte, findet sowohl aus histori-
Schluss
209
schem Interesse wie aus einem Analogieschluss Beachtung: sollte das postsowjetische Russland nicht in ähnlicher Weise Unterstützung aus dem Westen finden? In der Konsolidierung der sowjetischen Kontrolle über die Einflusszone in Osteuropa, und damit auch in der Ablehnung des Marshall-Plans, lag, so Narinskijs Fazit, die Priorität Moskaus. Sie erlaubte dem Westen eine Stabilisierung der Situation und den Auf- und Ausbau der westlichen Allianz. Die Entscheidung wird in der neueren Historiographie als Spaltung der realen europäischen Integration in eine westeuropäische und eine osteuropäische gesehen. Wiederholt wird der geringe Kenntnisstand und die Fehleinschätzungen betreffend der Zielsetzungen und Auswirkungen der europäischen Integration bedauert. Sowjetische Fachleute sahen weder das Potential der wirtschaftlichen Integration, noch vermochten sie die supranationale Kontrolle über die Rüstungsindustrie zu relativieren (letztere hatte im Westen einen viel geringeren Anteil am BIP und verursachte daher auch unter supranationaler Kontrolle noch nicht den Verlust der ökonomischen Unabhängigkeit der sich integrierenden Staaten). Bewerteten in den 1950er und 1960er Jahren sowjetische Experten die Integrationsschritte als krisenbedingte Massnahmen, so werden 1995 die Römer Verträge als „ein langfristiges Programm der ökonomischen und politischen Integration der teilnehmenden Staaten, eine Vereinigung ihrer Märkte, eine abgestimmte Wirtschafts- und später auch Aussen- und Verteidigungspolitik“ (Čerkasova) beurteilt. Beklagt wird, dass in den 1950er Jahren kaum jemand das Phänomen der europäischen Integration im modernen Sinn verstanden habe. Insbesondere die zur politischen Einigung drängenden Kräfte wurden regelmässig unterschätzt. Nach dem „shift“ von 1962 wird die Tatsache, dass die Bildung von drei Kräftezentren innerhalb des imperialistischen Systems – USA, EWG, Japan – anerkannt wurde, als wichtigste Veränderung in der Einstellung der sowjetischen Wissenschaft zur „Integration“ bewertet. Die sowjetische Integrationsforschung, so die neuere russische Historiographie, habe kein umfassendes Verständnis dafür entwickelt, was „Integration“ tatsächlich beinhaltet, auch nicht in der Zeit der Perestrojka. Integration im Sinne der Bildung eines neuen Ganzen wurde nicht pragmatisch untersucht und nicht verstanden, sondern als Prozess der Wechselwirkung beschrieben und gesamthaft unterschätzt – nicht zuletzt aus einem Misstrauen gegenüber der Zielerreichungschancen von weitreichenden „Plänen“, wie ein Historiker mit spitzer Feder notiert. Obwohl in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre in ökonomischer Hinsicht die Grundlage für die folgende Annäherung in der Entspannungsphase gelegt wurde, liegt nach Lipkin für diese Periode noch keine einzige auf Archivquellen gestützte Untersuchung vor, in welcher das Verhältnis zwischen RGW und EWG analysiert würde. Im Rückblick wird die sowjetische Europaforschung als „eklektizistische Mischung“ (Borko) bezeichnet, die sich in der Regel auf drei Komponenten stützte: einige obligatorische ideologische Klischees, einige konkrete Thesen der mar-
210
Schluss
xistischen Politökonomie und Soziologie, eine empirische Analyse der Integrationsprozesse mit entsprechenden konkreten Verallgemeinerungen. Ab Mitte der 1980er-Jahre setzte sich eine Entideologisierung und ein evolutionär wachsendes Verständnis für die Bedeutung der europäischen Integration durch, welches zur Anerkennung ihrer Eigenart und ihres wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einflusses führte. Forscher, deren Laufbahn ihren Anfang innerhalb der sowjetischen Strukturen nahm, distanzieren sich in teils scharfen, teils resignierenden Worten („So waren die Spielregeln.“) vom ideologisierten Wissenschaftsbetrieb. Dem Integrationsprozess wird schliesslich eine eigene, vorwärts treibende „Trägheitskraft“ und das Vermögen, sich aus momentanen Rückschlägen weiterzuentwickeln zuerkannt. Aus dem Bedürfnis einer Neuausrichtung nach Europa wird das „Informationsvakuum über die europäische Integration“ bedauert und die Europa-Forschung in der Zeit der Perestrojka organisatorisch gestärkt. Kritisch beurteilt die neuere russische Historiographie Gorbačevs Konzept (oder eben konzeptlose Idee) vom „gesamteuropäischen Haus“: Die Etikettierungen reichen von „allgemeinem Aufruf zu einer gewissen paneuropäischen Identität“ bis „naiv, wirr“. Als neues Element charakterisiert das Konzept die Bereitschaft, einige Werte europäischer Demokratie anzunehmen, die früher als bourgeois und unannehmbar für die sowjetische Ideologie bezeichnet wurden. Nachdem die negative und ausschliesslich auf bilaterale Beziehungen ausgerichtete Haltung der Sowjetunion zu einer Entfremdung Russlands von Europa führte, intensivierten sich die Diskussionen über die Zugehörigkeit Russlands zu Europa rasch. Die 1990er-Jahre sehen daher ein Aufblühen der Integrationsforschung in der Form von Tagungen und Konferenzen wie derjenigen zum 40–jährigen Jubiläum der Römer Verträge. Grundlagendokumente des Europäischen Rechts sowie bilaterale Abkommen zwischen der EU und Russland sind zum Teil erstmals in russischer Sprache zugänglich. Sehr bald stellt sich Desillusionierung über anfängliche Hoffnungen ein, beispielhaft am Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu illustrieren, welches kurz nach seinem Inkrafttreten als wirkungslos qualifiziert wird, und dem bis heute eine Perspektive der Weiterführung fehlt. Der Anbruch des neuen Jahrhunderts löst eine grosse Zahl grundsätzlich bilanzierender, oft kritischer und enttäuschter Arbeiten aus, die sich nach ersten optimistischen Deklarationen einen „Neustart“ in den Beziehungen Russland–EU wünschen. Aus der kritischen Analyse entwickeln sich mithilfe neuer Modelle zunehmend programmatische Ansätze zur Neuausrichtung Russlands gegenüber der EU. Die dieser Untersuchung zugrunde gelegte Orientierung an vier Hauptschulen unterschiedlich ausgeprägter Interessensorientierung (russozentrisch vs. eurozentrisch) und Werteorientierung (europhil vs. russophil) mag hier zur Erklärung einer doppelten Neuorientierung in postsowjetischer Zeit dienen: War die sowjetische Zeit von einer ideologisch bestimmten Situierung im russozentrischen und
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211
russophilen Bereich geprägt, so kennzeichnet die 1990er-Jahre eine starke Fokussierung auf Europa. Die anfängliche, später als romantisch-naiv bezeichnete Hoffnung, dass Russland vielleicht schon bald als Beteiligter oder Mitglied die Zukunft der europäischen Integration mitprägen würde, erforderte einen völlig neuen Blick auf Europa. Aus diesem Blickwinkel entstehen europhil-eurozentrische Arbeiten, die auf der Annahme basieren, dass Russland sich an europäischen Werten und Interessen orientieren soll. Sie markieren den Kontrapunkt zur russophilrussozentrischen Forschung sowjetischer Prägung, die im Diskurs eurasischer Geopolitiker fortlebt. Am weitesten verbreitet scheint heute der europhilrussozentrische Ansatz, der sich zwar an (gesamt-)europäischen Werten orientiert, für Russland jedoch einen an eigenen Interessen orientierten Weg sucht. Vor dem Hintergrund dieser Reorientierung im postsowjetischen Russland steht die russische Historiographie vor der Aufgabe, das Verhältnis Russlands zur europäischen Integration in sowjetischer und früher postsowjetischer Zeit in dem Masse abzubilden wie die Archivlage es erlaubt.
7
Abkürzungen Kurzform
Originalbezeichnung
Entsprechung in Übersetzung
AEVIS
Associacija evropejskich issledovanij
Vereinigung für europäische Studien
AN SSSR
Akademija nauk SSSR
Akademie der Wissenschaften der UdSSR
BRD
Bundesrepublik Deutschland
FRG
CE
Council of Europe
Europarat, russ. SE
CEEC
Committee of European Economic Cooperation
CK
Central’nyj komitet
ZK
DDR
Deutsche Demokratische Republik
GDR
DIE
Doklady Instituta Evropy
Berichte des Europa-Instituts
D.I.N.
Doktor istoričeskich nauk
Doktor der historischen Wissenschaften
EAG
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom)
Evratom
EAST
Evropejskaja associacija svobodnoj torgovli
EFTA
EĖK
Evropejskaja ėkonomičeskaja komissija (OON)
EEC (UNO)
EEC
European Economic Commission EĖK
EĖS
Evropejskoe ėkonomičeskoe soobščestvo
EWG
EFTA
Europäische Freihandelszone
EAST
Abkürzungen
213
EG
Europäische Gemeinschaft (en)
ES
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EOUS
EOUS
Evropejskoe ob-edinenija uglja i stali
EGKS
EOS
Evropejskoe oboronitel’noe soobščestvo
EVG
ES
Evropejskoe soobščestvo, Evropejskie soobščestva, Evropejskij sojuz
EG (Gemeinschaft) EG (Gemeinschaften) EU
EPG
Europäische Politische Gemeinschaft
EPS
EPS
Evropejskoe političeskoe soobščestvo
EPG
EVG
Europäische Verteidigungsgemeinschaft
EOS
Evrosojuz
Evropejskij sojuz
EU
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EĖS
EU
Europäische Union
ES
Europäischer Rat
Evropejskij Sovet
Europarat
Sovet Evropy (oft auch: Evropejskij sovet)
EURATOM
Europäische Atomgemeinschaft
Evratom
FRG
Federativnaja Respublika Germanii
BRD
214
Abkürzungen
FRUS
Foreign Relations of the United States
GATT
Allgemeines Tarif- und Handelsabkommen
GSTT
GDR
Germanskaja Demokratičeskaja Respublika
DDR
GSTT
General’noe soglašenie po tarifam GATT i torgovle
IERAN
Institut Evropy Rossijskoj Akadamii Nauk
Europa-Institut der Russländischen Akademie der Wissenschaften
IMEMO
Institut mirovoj ėkonomiki i meždunarodnych otnošenij
Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen
IMF
International Monetary Fund
MVF
INION
Institut naučnoj informacii po obščestvennym naukam
Institut für wissenschafliche Information über Gesellschaftswissenschaften
IVI
Institut Vseobščej Istorii
Institut für allgemeine Geschichte
KGB
Komitet gosudarstvennoj bezopasnosti
Komitee für Staatssicherheit
K.I.N.
Kandidat istoričeskich nauk
Kandidat der historischen Wissenschaften
KPdSU
Kommunistische Partei der Sowjetunion
KP SSSR
KPSS
Kommunističeskaja partija Sovjetskogo Sojuza
KPdSU
KSZE
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
SBSE
ME(I)MO
Mirovaja ėkonomika i meždunarodnye otnošenija
Abkürzungen
215
MGIMO
Moskovskij gosudarstvennyj institut meždunarodnych otnošenij
Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen
MID
Ministerstvo innostrannych del
Aussenministerium
MVF
Meždunarodnyj valjtunyj fond
IMF
NATO
Nordatlantik-Pakt
NATO
OBSE
Organizacija bezopasnosti i sotrudničestva v Evrope
OSZE
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
OĖSR
OEEC
Organisation for European Economic Cooperation
OEĖS
OEĖS
Organizacija evropejskogo ėkonomičeskogo sotrudničestva
OEEC
OĖSR
Organizacija ėkonomičeskogo sotrudničestva i razvitija
OECD
OMEO
Otdel Meždunarodnych Ėkonomičeskich Organizacij MID
Abteilung für Internationale Wirtschaftsorganisationen des MID
OON
Organizacija ob-edinennych nacij UNO
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
OBSE
PASE
Parlamentarskaja assambleja soveta Evropy
Parlamentarische Versammlung des Europarats
PKA
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen
SPS
RAN
Rossijskaja Akademija Nauk
Russländische Akademie der Wissenschaften
216
Abkürzungen
RGW
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe
SĖV
ROE
(Komitet) Rossjija v ob-edinennoj (Komitee) Russland im Vereinigten Evrope Europa
SE
Sovet Evropy
Europarat
SBSE
Soveščanie po bezopasnosti i sotrudničestvu v Evrope
KSZE
SĖV
Sovet ėkonomičeskoj vzaimopomošči
RGW
SPS
Soglašenie o partnerstve i sotrudničestve
PKA
SŠA
Soedinennye štaty Ameriki
USA
SSSR
Sojuz sovetskich socialističeskich respublik
UdSSR
TACIS
Technical Assistance for the Commonwealth of Independent States
TASIS
TASIS
Techničeskoe sodejstvije gosudar- TACIS stvam-učastnikam Sodružestva Nezavisimych Gosudarstv
UdSSR
Union der Sozialistischen Sowjet- SSSR republiken
UNO
Vereinte Nationen
OON
USA
Vereinigte Staaten von Amerika
SŠA
ZK
Zentralkomitee
CK
8
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Register
Adenauer 185, 219 Adomeit 27, 83, 86, 217 Afanas’ev 11, 217 Alekseev 43 Alexandrova 11, 217 Althauser 30, 177, 217 Andréani 31, 217 Androsova 135, 217 Arbatova 21, 133, 157, 160, 203, 217 Arutunjan 68 Arzakanjan 80, 81, 135, 217 Arzumanjan 44 Avdonin 11, 218 Baily-Wiebecke 30 Bakulin 75 Baranovskij 17, 50, 76, 93, 94, 95, 103, 104, 113, 114, 115, 135, 192, 193, 200, 208, 218 Barčukova 11, 218 Bastian 127, 219 Batalov 186, 187, 219 Belousova 25, 38, 39, 40, 140, 219 Belov 106 Berija 73 Bevin 59, 61 Binns 27, 36, 77, 83, 86, 87, 219 Bogomolov 61 Bohn 12, 14, 23, 24, 34, 100, 165, 220 Boldyreva 11, 220 Bonwetsch 34, 36, 220 Bordačev 20, 133, 151, 152, 157, 161, 180, 181, 203, 220 Borko 14, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 27, 42, 43, 44, 45, 78, 79, 83, 84, 100, 102, 104, 106, 122, 134, 135, 138, 142, 149, 150, 152, 153, 154, 155, 156, 169, 189, 190, 192, 209, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 230, 252 Boroznjak 138, 224 Branickij 11, 224 Brežnev 49, 89, 90, 97, 104, 105 Briand 38, 39, 40, 51, 208, 219 Brunn 51, 64, 67, 177, 224 Busygina 19, 27, 198, 199, 224, 225, 233
Butorina 106, 142, 152, 153, 160, 161, 223, 225 Caffery 61 Carlyle 62 Čerkasova 37, 76, 77, 78, 82, 83, 84, 127, 135, 136, 209, 226 Černaev 106 Černikov 161, 226 Černikova 161, 226 Chesin 98, 99, 135, 226 Chromova 11, 226 Chruščev 30, 42, 43, 45, 75, 82, 83, 89, 90, 104, 166, 208 Chudolej 21, 130, 159, 203, 226, 237 Churchill 53, 54, 55, 57, 193 Confino 13, 14, 29, 32, 226 Coudenhove-Kalergi 38, 51 Cox 26 Čubar’jan 18, 42, 51, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 68, 70, 71, 77, 92, 93, 103, 104, 111, 115, 120, 121, 122, 134, 135, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 195, 196, 197, 226, 227, 228 Čumakov 11, 227 Danilov 21, 29, 106, 182, 224, 227 Dašičev 165, 166, 227 Davies 24, 29, 102, 227 De Gasperi 77, 185 de Gaulle 54, 79, 80, 84, 114, 148 de Keghel 102, 227 Dunaeva 138, 228 Dutoit 26, 41, 44, 77, 82, 83, 84, 228 Eden 53 Egorova 32, 65, 66, 70, 135, 140, 226, 228 El’cin 22, 150, 157, 167, 170, 179, 201 Emerson 132, 135, 137, 217, 222, 226, 230, 232, 243, 244, 247, 249, 255, 258 Engels 50, 208 Erhard 70 Fadeeva 21, 228, 229 Faraldo 24, 229 Fedorov 152, 229 Feldbrugge 177, 179, 180, 230 Filippov 159, 160, 230, 258
Register Filitov 19, 27, 32, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 69, 70, 71, 73, 134, 140, 230 Fischer 11, 230, 235 Fitzpatrick 24, 32, 165, 230 Forte 26, 230 Franz 77, 83, 104, 220, 230, 240, 255 Furman 197, 198, 230 Fursenko 30, 230 Gaddis 25, 230 Galinka 11, 230 Gasteyger 36, 37, 39, 41, 51, 231 Gautron 42, 138, 231, 232 Gel’man 175 Geyer 102, 231, 249 Glinkina 148, 149, 231 Glucharev 15, 100, 102, 135, 138, 226, 231, 232 Goebbels 52 Golubev 184, 232 Gorbačev 30, 31, 35, 41, 79, 92, 94, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 114, 120, 126, 127, 128, 137, 148, 166, 167, 201, 210, 223, 232, 233, 247, 248, 258 Gorskij 138, 232 Gower 128 Gračev 40, 41, 43, 56, 68, 73, 74, 75, 79, 80, 105, 106, 182, 232, 233 Grigor’jan 74 Gromyko 40, 73, 79, 105 Gusejnov 161 Gutnik 21, 194, 195, 200, 233 Gvosdev 193, 194, 233 Herbst 85, 86 Himmler 52 Hösler 102, 233 Ignatov 27, 28 Inozemcev 21, 234 Islamov 146, 147, 234 Ivanov 133, 138, 158, 178, 234, 235 Ivanova 15, 225 Jacobs 26, 235 Jahn 28, 235 John 26, 230, 235, 246, 252, 256 Jumašev 129, 235 Jung 27, 235 Jurin 43
261 Kaliničenko 162, 163, 236 Kant 51, 70 Kappeler 23, 235 Kapustkin 138, 236 Karaganov 29, 104, 156, 157, 161, 162, 221, 236 Kargalova 21, 138, 236 Karpenko 11, 236 Kaškin 133, 142, 162, 163, 236 Kautsky 38, 103, 208 Kavešnikov 11, 163, 164, 237 Kišilov 62, 93, 95, 96, 97, 103, 237 Klemin 138, 237 Klicunova 173, 237 Knjažinskij 15, 39, 100, 101, 102, 237, 258 Kobrinskaja 140, 238 Kocka 146 Kornienko 70 Kosolapov 125, 126, 142, 238 Koval’skij 106, 138, 238 Kovalev 106 Kozlov 25 Krethlow 28, 238 Krylova 102 Kudrov 106, 221, 222, 238 Kuklinskij 11, 238 Kutejnikov 138, 139, 238, 239 Kuz’min 11, 138, 239 Kuznecova 177, 234, 239 Lazebnikova 11, 239 Le Gall 26, 239 Le Goff 146 Leffler 58 Lenin 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 44, 46, 50, 77, 86, 96, 100, 208, 220, 239 Lepeškov 11, 239 Lešukov 20, 97, 126, 128, 138, 139, 140, 203, 222, 224, 225, 228, 232, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 250, 252, 253, 257 Linke 93, 105, 240, 255 Lipgens 51, 52, 55, 240 Lipkin 21, 25, 32, 64, 65, 74, 75, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 86, 88, 89, 90, 91, 92,
262 104, 135, 149, 209, 227, 238, 240, 244, 248, 252, 253 Litvin 13, 240 Litvinov 38, 39, 56 Loth 25, 51, 230, 240 Luk’janov 161 Lukin 110, 173, 174, 241 Lun’kov 11, 241 Lynch 29, 31, 227, 236, 241 Macievič 11, 241 Majskij 53 Maksimova 45, 46, 47, 48, 76, 93, 103, 104, 113, 208, 241 Malacha 129, 138, 241 Malcolm 26, 27, 104, 110, 111, 121, 241 Marshall 40, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 66, 85, 104, 111, 129, 135, 141, 170, 197, 208, 244 Marx 35, 50, 143, 208 Masaryk 61 Maslennikov 192, 223 McCloy 69 Medvedev 22, 171, 172, 242 Menzinskij 43 Mežuev 172, 242 Michaleva 174, 175, 176, 242 Mitropol’skij 122, 123, 124, 125, 150, 242 Molčanov 43, 76 Molotov 30, 40, 60, 68, 73 Monnet 17, 54, 56, 69, 70, 71, 134, 185, 223, 237 Morozov 20, 28, 31, 138, 226, 242, 243 Mueller 23, 24, 25, 26, 30, 36, 37, 39, 42, 57, 71, 75, 77, 78, 79, 80, 82, 84, 88, 89, 90, 91, 92, 135, 243 Myslivčenko 147, 243 Namazova 132, 135, 137, 179, 217, 222, 226, 230, 232, 243, 244, 247, 249, 255, 258 Narinskij 19, 25, 32, 58, 59, 60, 61, 62, 66, 68, 135, 140, 209, 217, 244 Naročnickaja 142, 203 Neumann 13, 24, 28, 31, 34, 36, 79, 82, 84, 100, 104, 105, 117, 203, 244, 245, 257 Neutatz 12, 14, 23, 24, 34, 100, 165, 220
Register Newton 28, 79, 245 Nežinskij 135 Nosov 186, 245 Novik 103, 217 Obydenkova 149, 245 Oleščuk 142 Orlik 148, 149, 231 Orlov 16, 189, 190, 191, 221, 222, 245 Panarin 135, 136, 142, 245 Parchalina 21, 245, 246 Paulsen 26, 246 Pavlov 193, 246 Pétain 52 Peter 13, 28, 34, 218, 220, 234, 238, 240, 244, 246, 249, 250, 254, 258 Plaggenborg 23, 35, 102, 246 Pleven 66, 67, 68, 71, 72 Pliais 197, 246 Podiebrad 70 Poljanskij 11, 246 Potemkina 176, 177, 246 Prozorov 21, 28, 149, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 246, 247 Puškin 68 Puškov 29 Putin 22, 158, 168, 170, 173, 182, 197, 201, 204, 233, 241, 254 Pynnöniemi 42, 134, 247 Razmerov 15, 65, 71, 72, 135, 247 Razuvaev 122, 247 Rey 29, 30, 80, 84, 92, 104, 105, 106, 109, 110, 111, 112, 121, 224, 233, 247, 248, 249 Robin-Hivert 29, 30, 248 Roščin 103, 226, 248 Rosenberg 52 Rubinskij 7, 142, 150, 151, 248, 249, 256 Ržeševskij 53 Šachnazarov 98, 249 Saint-Pierre 51 Saint-Simon 51 Šakleina 135, 142, 245, 249 Saksin 78 Sannwald 26, 249 Šatochina 51, 65, 135, 249 Šatochina-Mordvinceva 51, 135, 249 Schalhorn 26, 249
Register Scherrer 30 Schlotter 31, 92, 178, 179, 249 Schmale 23, 24, 32, 51, 52, 58, 64, 85, 86, 104, 146, 177, 178, 249 Schmid 179, 249 Schmidt 26, 230, 250 Schulz 26, 27, 36, 39, 44, 45, 46, 47, 77, 82, 86, 89, 92, 250 Schulze 11, 146, 238, 250, 254 Schuman 54, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 77, 85, 163, 185 Ščukin 170, 250 Šemjatenkov 106, 128, 129, 130, 132, 137, 138, 142, 143, 144, 145, 146, 250 Šenaev 149, 222, 251, 252 Ševcova 21, 170, 171, 251 Simon 11, 251 Šišaev 49, 142, 251 Šišelina 12, 62, 63, 156, 157, 158, 159, 184, 220, 224, 251 Šiškin 49 Šiškov 47, 48, 49, 95, 96, 100, 138, 241, 251, 252 Šmelev 18, 106, 140, 141, 142, 149, 153, 154, 182, 183, 200, 201, 223, 225, 227, 249, 250, 251, 252, 259 Smirnov 122, 123, 124, 125, 150, 242 Sodaro 27, 252 Sogrin 166, 167, 252 Soutou 25, 29, 219, 227, 240, 248, 252, 256, 258 Spaak 185 Spinelli 51, 185 Stalin 11, 30, 34, 38, 39, 40, 41, 42, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 60, 63, 72, 73, 74, 75, 79, 104, 111, 166, 180, 208, 220, 240, 257, 258 Stourzh 146, 235, 249 Strežneva 126, 142, 253 Sully 70 Surkov 172
263 Tėvdoj-Burmuli 11, 106, 253 Thierry 51 Timmermann 11, 222, 241, 250, 253, 254, 255 Tomaševskij 15, 95, 97 Törnudd 36, 37, 40, 58, 60, 78, 255 Trenin 21, 29, 63, 64, 99, 100, 167, 168, 169, 180, 201, 203, 218, 219, 231, 240, 241, 254, 255 Trockij 37, 38, 103, 208, 255 Truman 58, 62 Ulunjan 115, 116, 121, 255 Utkin 100, 134, 256 Valko 133, 160, 172, 256 Varga 42, 59, 78 Vassilieva 19, 66, 67, 256 Vinogradov 80 von Ranke 23 Voronov 191, 192, 256 Webber 30, 241, 256 Wettig 25, 56, 60, 67, 89, 257 Wiederkehr 11, 12, 102, 183, 257 Winkler 31, 32, 257 Wüstenhagen 24, 28, 257 Yamamoto 30, 257 Zaslavskaja 138, 139, 243, 257 Zaslavsky 25, 257 Ždanov 62 Zellentin 26, 36, 38, 39, 40, 41, 208, 257 Zernak 146 Zonova 149, 258 Zubkova 11, 25, 29, 33, 34, 160, 258 Zubok 25, 26, 41, 42, 59, 62, 70, 73, 97, 98, 111, 258 Zuev 41, 87, 88, 104, 113, 114, 122, 127, 130, 131, 135, 218, 258 Zueva 51, 69, 70, 71, 72, 73, 76, 135, 140, 258 Žukov 70 Žurkin 16, 106, 107, 140, 192, 219, 223, 245, 252, 258, 259
BIANKA PIETROW-ENNKER (HG.)
RUSSLANDS IMPERIALE MACHT INTEGRATIONSSTRATEGIEN UND IHRE REICHWEITE IN TRANSNATIONALER PERSPEKTIVE
Der Band schließt an die aktuelle Imperiumsforschung an und widmet sich dem neuzeitlichen Russland bis in die Gegenwart. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive werden an prägnanten Beispielen Integrationsstrategien untersucht, die die Macht des russischen Imperiums an dessen labilen Peripherien und auf internationaler Ebene sichern sollten. Im Fokus der Studien stehen dabei Symbolpolitiken, Kommunikations- und Erinnerungskulturen. Gleichzeitig wird gezeigt, inwiefern die russische/sowjetische Machtpolitik an ihre Grenzen stieß und welche Formen von Widerständigkeit sich herausbildeten. 2012. 398 S. 10 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-20949-0
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