Fundort Wien 13/2010


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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Wien vor dem Fall der Mauern
Eine Siedlungsgrube der späten Glockenbecherkultur aus Wien 3, Rennweg 16 (Vorbericht)
Pferde aus der Jungsteinzeit. Endneolithische Tierreste vom Rennweg 16, Wien 3
Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V: Das Intervallum an der westlichen Lagermauer
Gegen den Bösen Blick
Ein römischer Altar im Wiener Augustinerkloster
Der ehemalige Friedhof zu St. Ulrich in Wien-Neubau. Ausgrabung Zollergasse 32
Vom Wiener Neustädter Kanal zum Aspangbahnhof. Ausgrabungen in Wien 3, Aspanggründe
Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991)
Übersichtskarte
Tagungsberichte
Impressum
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Fundort Wien 13/2010

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Fundort Wien Berichte zur Archäologie 13/2010

Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Vorwort

Neben dem Alltagsgeschäft der MitarbeiterInnen der Stadtarchäologie Wien – und im Jahr 2009 waren dies flächenmäßig besonders große Grabungen wie auf den Aspanggründen oder die Untersuchungen auf dem ehemaligen Asperner Flugfeld – ist es ein schwieriges Unterfangen, wissenschaftliche Beiträge zu verfassen und die Aufarbeitung des Gefundenen kontinuierlich weiter zu betreiben. Nicht zuletzt, da der Sektor der Öffentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren enorm gewachsen ist. Ausstellungen, Vorträge und Populärpublikationen sind ebenso gefragt wie die effiziente Nutzung der Neuen Medien und jede Form der Pressearbeit. Umso mehr freut es uns, wieder einen sehr reichhaltigen Jahresbericht präsentieren zu können. Er enthält diesmal neben einem historischen Überblick zur Stadtentwicklung Wiens im 18./19. Jahrhundert und einem Nachtrag zu neuzeitlicher Keramik vom Michaelerplatz, der Einblick in die Koch- und Tafelsitten des gehobenen Bürgerhaushaltes in unmittelbarer Nähe des Kaiserhofes gibt, vor allem Berichte ganz aktueller Grabungen. In der Feuerwehrzentrale Am Hof ermöglichten mehrjährige Umbauarbeiten die Erforschung des römischen Lagermauerbereiches mit seiner wechselnden Nutzung, zudem trat ein mächtiger mittelalterlicher Graben zutage und es konnte ein Haus des ehemaligen jüdischen Viertels dokumentiert werden. Die Bergung einiger Bestattungen anlässlich des Einbaus eines Aufzugsschachtes in der Zollergasse im 7. Bezirk führte zu umfassenden Recherchen vor allem in den Kirchenakten, um die wenig bekannte Geschichte des St. Ulricher Friedhofs aufzurollen. Der anthropologische Befund enthält Hinweise auf eine hohe Kindersterblichkeit, was generell als Anzeichen für schlechte hygienische, sozioökonomische und medizinische Lebensbedingungen gewertet wird, wie sie vielleicht in der von Handwerksbetrieben und frühindustriellen Gewerben geprägten Vorstadt in der Barockzeit herrschten. Die noch laufenden Ausgrabungen auf dem Gelände des ehemaligen Aspangbahnhofes im 3. Bezirk lieferten bislang vor allem Details zur Entwicklung der Transport- und Verkehrswege im Zeitalter des industriellen und technischen Aufschwungs Wiens, denn hier folgte auf das Großbauprojekt des Wiener Neustädter Kanals die mit diesem konkurrierende Anlage einer Eisenbahn, die Wien unter Nutzung bereits existierender Bahnstrecken in den Durchgangsländern mit Saloniki verbinden sollte.

2 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Inhalt

Inhaltsverzeichnis Fundort Wien 13, 2010. Berichte zur Archäologie

Aufsätze

Fundchronik

4

Ingrid Mader Wien vor dem Fall der Mauern – Ein Überblick

222 Übersichtskarte 224 Grabungsberichte 2009

20

252 257 259 259 261 261 261

Martin Penz Eine Siedlungsgrube der späten Glockenbecherkultur aus Wien 3, Rennweg 16 (Vorbericht)

32

Sigrid Czeika Pferde aus der Jungsteinzeit. Endneolithische Tierreste vom Rennweg 16, Wien 3

Tagungsberichte MitarbeiterInnenverzeichnis Namenskürzel Abkürzungsverzeichnis Abbildungsnachweis Inserentenverzeichnis Impressum

50

Martin Mosser Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V: Das Intervallum an der westlichen Lagermauer – Vorbericht zu den Grabungen Am Hof in den Jahren 2008/09

76

Rita Chinelli Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien 1, Am Hof

104 Martin Mosser/Theresia Pantzer Ein römischer Altar im Wiener Augustinerkloster

114 Michaela Binder/Heike Krause Der ehemalige Friedhof zu St. Ulrich in WienNeubau. Ausgrabung Zollergasse 32

146 Michaela Müller Vom Wiener Neustädter Kanal zum Aspangbahnhof. Ausgrabungen in Wien 3, Aspanggründe

Jupiteraltar des Pomponius Respectus (Foto: O. Harl) Apothekenabgabegefäße (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

158 Alice Kaltenberger Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991) – Teil 2

Kurzzitat: FWien 13, 2010

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Fundort Wien : Berichte zur Archäologie / hrsg. von Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie Erscheint jährlich – Aufnahme nach 1 (1998) kart.: EUR 34,– (Einzelbd.) 1 (1998) –

3 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

Wien vor dem Fall der Mauern – Ein Überblick Ingrid Mader Einleitung In den letzten Jahren ergaben sich gleich mehrere Möglichkeiten, Teilbereiche der Stadtbefestigung Wiens auch archäologisch zu untersuchen. 1 Ergänzend dazu versucht dieser Beitrag einen Überblick über die Entwicklung der Stadt, unter besonderer Berücksichtigung ihrer Befestigungsanlagen, vom beginnen1 Siehe dazu zusammenfassend und mit Literatur zu den Ausgrabungen H. Krause/G. Reichhalter/I. Gaisbauer/I. Mader/S. SaklOberthaler/Ch. Ranseder, Mauern um Wien. Die Stadtbefestigung von 1529 bis 1857. WA 6 (Wien 2009). 2 Zum Festungsbau im Osten des Habsburgerreiches siehe R. Rill, Die Festung als Baustelle im 18. Jahrhundert. In: H. Heppner/Zs. Barbarics-Hermanik (Hrsg.), Türkenangst und Festungsbau. Wirklichkeit und Mythos. Neue Forsch. ostmittel- und südosteuropäisch. Gesch. 1 (Frankfurt/Main, Wien 2009) 143–174. 3 S. Békési, Erneuerung und Erinnerung der Stadt. WGBl 58/3, 2003, 177 und E. Lichtenberger, Die Wiener Altstadt. Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City (Wien 1977) 107–113. 4 Etwa WStLA, Alte Registratur, 1.2.1. A2.1770.12/1770 vom 9.1. 1770: Der Bürgermeister der Stadt Wien informiert die Regierung über die Absicht, die Baulinie des Herren Martin Edlen von Sensel erworbenen Hauses zu begradigen. Beigelegt sind fünf Pläne, die dieses Vorhaben illustrieren. 5 F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 42 (Wien 2004) 344 s. v. Nagel Joseph Anton. 6 Békési (Anm. 3) Anm. 30; F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 32 (Wien 2004) 278 f. s. v. Huber-Plan. WStLA, Alte Registratur, Bericht 428 vom 17.11. 1768 und Bericht 215 vom 23. Mai 1769, in dem die Beauftragung Hubers festgehalten ist. 7 F. Baltzarek/A. Hoffmann/H. Stekl, Wirtschaft und Gesellschaft der Wiener Stadterweiterung. Die Wiener Ringstraße 5 (Wiesbaden 1975) 74; H. Bobek/E. Lichtenberger, Wien. Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Schr. Komm. Raumforsch. Österr. Akad. Wiss. 1 (Graz et al. 1966) 23–26. 8 K. Ph. K. von Reitzenstein, Reise nach Wien (1795) 79 ff. 9 Lichtenberger (Anm. 3) Fig. 18. 10 Gemeinderathe der Stadt Wien (Hrsg.), Wien 1848–1888. Denkschrift zum 2. December 1888. II. Bd., Abschnitt III: Die bauliche

den 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu geben. Die Darstellung erfolgt aus drei Blickwinkeln, um das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich die Stadt verändert hat, aufzuzeigen: mit Fokus auf die politisch sozialen Veränderungen, auf die militärischen Erwägungen und auf die Eindrücke Reisender bzw. Stadtfremder. Die Befestigungsanlagen von Wien hatten sich während der zweimonatigen Zweiten Türkenbelagerung im Jahr 1683 bewährt. Die Stadt galt als sicher und avancierte in der Folge zur Haupt- und Residenzstadt sowie zum Verwaltungszentrum des Habsburgerreiches. Damit verbunden war die Entfaltung der Stadt über ihre Mauern hinaus (Abb. 1). Die Entwicklung Wiens im 18. Jahrhundert Nachdem die unmittelbare Kriegsgefahr durch die Türken nach 1683 gebannt worden war, konnte sich das Habsburgerreich als Großmacht manifestieren. Die türkischen Streitkräfte wurden nach Osten zurückgedrängt. Der Kriegsschauplatz verlagerte sich vermehrt nach Südosteuropa. 2 Durch territoriale Zugewinne im Südosten rückte Wien vom ehemaligen Grenzgebiet ins Zentrum des Reiches. Damit verbunden war neben einem vermehrten Zuzug von Menschen aus allen Teilen des Reiches, angezogen v. a. durch den wirtschaftlichen Aufschwung, auch die Konsolidierung der Verwaltung in der Residenzstadt. Dies hatte maßgebliche Veränderungen im Stadtbild zur Folge: Man trachtete die Ämter und Behördenstellen möglichst in repräsentativen Gebäuden unterzubringen. Die benötigten Gebäude brauchten viel Raum. Dieser wurde einerseits dadurch geschaffen, indem man bestehende Adelspaläste ankaufte und adaptierte. Andererseits wurden die auf das Mittelalter zurückgehenden typischen Streifenparzellen zu einer größeren Einheit zusammengefügt. Aber auch größere Parzellen wurden zu noch größeren zusammengefasst. 3 Berichte aus den Jahren 1769 und 1770 lassen erkennen, dass verschiedene Überlegungen angestellt wurden, die Stadt innerhalb der Befestigungsmauern von ihrer mittelalterlichen Beengtheit zu befreien: Gelegentlich wurde über die Einführung einer neuen Häuserfrontlinie beratschlagt, einer Neuordnung der Gassenplanung und die Anlegung von durchgängigen Wegen am Glacis. 4 Im Zusammenhang mit dem Veränderungs- und Gestaltungswillen des Kaiserhauses ist die Beauftragung von Joseph Anton Nagel (1717–um 1804) zu sehen, einen Plan der Stadt Wien und ihrer Vorstädte zu verfassen, den er ab 1770 erarbeitete. 5 Dieser diente mutmaßlich dem Zeitgenossen Jo-

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I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

Aufsätze

Abb. 1: Vogelschau auf Wien und Umgebung vor der Zweiten Türkenbelagerung 1683 von Folbert van Alten-Allen, Kupferstich 1686. (nach M. Eisler [Hrsg.], Das barocke Wien. Historischer Atlas des Wiener Stadtbildes [Wien, Leipzig 1925] Taf. 2)

seph Daniel von Huber (1730/31–1788) als Grundlage für seinen einige Jahre später entstandenen Vogelschauplan. 6 Der Befestigungsgürtel um die Stadt verhinderte eine Erweiterung und damit Verbesserung der Lebenssituation. Die Menschen wohnten daher sehr beengt. Als Folge dieser Zustände wurden die bestehenden Wohnhäuser innerhalb der Mauern teilweise immer höher aufgestockt. 7 So berichtete etwa ein Reisender, der sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Wien aufhielt, dass in der Dämmerung die „wahrhaft Elenden“ aus dem 5. und 6. Stock auf die Straße kommen würden, um Brot zu suchen. 8 Ganz anders entwickelte sich die Situation in den Vorstädten Wiens nach dem Abzug der Türken. Die Vorstädte wurden einerseits teilweise vom Adel besiedelt, der der städtischen Enge entfliehen wollte. Einige Palais entstanden in dieser Zeit als Sommerwohnsitze (z. B. Palais Trautson, Palais Auersperg oder Palais Schwarzenberg) am Rande des Glacis mit Blickrichtung auf die umgürtete Stadt. Andererseits siedelten ebenfalls aus Platzgründen Gewerbetreibende und Handwerker aus der Stadt ab. 9 Dies wurde durch steuerliche Anreize und entsprechende Erlässe von Maria Theresia und Joseph II. noch attraktiver gemacht. 10 Zum Schutz der Vorstädte – die Gefahr von einfallenden aufständischen Kuruzzen aus dem Osten des Reichs11 war in dieser Zeit relativ hoch – wurde am Beginn des 18. Jahrhunderts der Linienwall errichtet, der heute in etwa dem Verlauf des Gürtels entspricht. Er wurde um die Stadt in einem Radius von ca. 13 km angelegt, quasi als zweiter Befestigungsring. 12 Das Areal zwischen den beiden „Ringen“ war für die folgenden Jahrzehnte maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung.

Neugestaltung der Stadt (Wien 1888) 237. Zum Zusammenhang von der Stadtentwicklung innerhalb der Mauern mit der sozioökonomischen Entwicklung in den Vorstädten und den daraus entstehenden sozialen Problematiken siehe R. Banik-Schweitzer, Soziale Schichtung und G. Meißl, Bevölkerungsentwicklung ab 1740. In: P. Csendes/F. Opll (Hrsg.), Die Stadt Wien. Österr. Städtebuch 7 (Wien 1999) 64–68 und 68–71; A. Weigl, Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien. Kommentare Hist. Atlas Wien 1 (Wien 2000) 75–86. 11 F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 32 (Wien 2004) 649 s. v. Kuruzzen. F. A. Edler von Guarient, Codex Austriacus ordine alphabetico compilatus, das ist: eigentlicher Begriff und Innhalt aller unter deß Ertzhauses zu Österreich, … einlaufenden Generalien II (Wien 1704) 498: Verordnung Leopold I. vom 16.1. 1704 betreffend Maßnahmen, die gegen den Einfall der Kuruzzen in die Wege geleitet werden sollten. 12 F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 42 (Wien 2004) 69 f. s. v. Linienwall. Der Linienwall war zunächst als Erdwerk errichtet worden. Um dem Bauwerk mehr Festigkeit zu geben, wurde es einige Jahre später mit Ziegeln ummauert. Siehe weiters L. Eberle, Wien als Festung. In: Geschichte der Stadt Wien 4 (Wien 1911) 265–267; E. Gaál, Die Befestigung der Stadt Wien. Wiener Ziegelmus. H. 5/6, 1989, 108–111.

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Aufsätze

I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

Abb. 2: Detail aus dem Rapportsplan von der Festung Wien mit der Neutorbastion, 1753. (© ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 29, 1753)

Die Befestigung In einigen europäischen Städten setzte im Laufe des 18. Jahrhunderts die große Entfestigungswelle ein. Das hatte teils mit der geänderten Kriegsführung sowie der Reichweite der Artillerie zu tun und der Einsicht, dass die bestehenden Mauern einer Stadt im Kriegsfall keinen ausreichenden Widerstand mehr bieten könnten. Anderseits hatte es auch mit der gravierenden Raumnot zu tun, die in 13 Zusammengefasst bei Th. Melicher, Die städtebauliche Entwicklung im Bereich der ehemaligen Befestigungsanlagen, gezeigt an den sechs größten österreichischen Städten: Graz, Klagenfurt, Salzburg, Wien, Innsbruck und Linz zwischen 1800 und 1900 (unpubl. Diss. Techn. Univ. Wien 1965) 46–435. 14 Das Ingenieurkorps wurde unter Maria Theresia gegründet. Der Geniestab war verantwortlich für die Leitung des kriegsbautechnischen Dienstes, er wirkte mit beim Angriff und der Verteidigung von festen Plätzen. Das Korps inspizierte vorhandene Festungen und Verteidigungswerke und entwarf Pläne für neue Anlagen. 15 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 29–35 und CI/Wien a2, Nr. 15. 16 Neutorbastion, Mönch- bzw. Minnigbastei, Arsenalbastion und auch Elendbastion: F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 22 (Wien 2004) 167 s. v. Elendbastei, Jüngere E. 17 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 29, 1753: „Rapports Plan von der Festung Wienn, über die im 1753ten Militär Jahr daselbst gemachte Fortifications arbeith“. 18 Oder Oberstwachtmeister – nach heutigen Maßstäben ein Major.

den Städten herrschte. In Wien hielt man dessen ungeachtet an der bestehenden Befestigung fest. 13 Offensichtlich konnte man sich das Verwaltungszentrum des Habsburgerreiches nicht ohne schützende Mauer vorstellen. Im Gegenteil, man trachtete danach, die Befestigung von Wien zu modernisieren und für die neuen kriegstechnischen Anforderungen zu wappnen. Dies dokumentieren die jährlichen Rapportspläne des Geniestabs14 aus den Jahren 1753–1759, 1770–1773 und 1777–1778. Die türkische Bedrohung war zwar weitgehend gebannt worden, aber um die Mitte des 18. Jahrhunderts verunsicherte der Einfall bayrischer Truppen in Oberösterreich im Zuge des Österreichischen Erbfolgekrieges die Bevölkerung und eine hektische Instandsetzung der Befestigung begann. Vor allem die in den Jahren 1753 bis 1759 verfassten Rapportspläne zeigen, dass in diesem Zeitraum fast alle Bastionen der Stadtbefestigung mit niederen Mauern (bas-flanq) versehen wurden. Sie waren in der Verlängerung der Face einer Bastion angebaut und dienten dazu, die Bastionsflanken zu schützen. 15 Beispielhaft hervorgehoben seien an dieser Stelle die baulichen Veränderungen an der Bastion „No. X“, der sog. Neutorbastion16. Der Rapportsplan aus dem Jahre 175317, verfasst von Johann Wilhelm Hemeling, Obristwachtmeister18, bestätigt den in Planung befindlichen Anbau der niederen Mauern rechts und links der Face (Abb. 2). Laut Planlegende deuten die grün unterlegten Mauern

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I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

Aufsätze

Abb. 3: Detail aus dem Rapportsplan von der Festung Wien mit der Neutorbastion, 1759. (© ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 35, 1759)

auf die Planungsphase der nächsten Jahre hin. Einige Jahre später, auf einem Plan von 1759, ebenfalls von Hemeling verfasst,19 wird die veränderte Situation wiedergegeben (Abb. 3): Die linke bas-flanq der Neutorbastion ist in Gelb gehalten, d. h. die Arbeiten an dieser Mauer sind für das aktuelle Militärjahr beantragt („angetragen“) worden. Die Waffenplätze auf der Kontereskarpe befanden sich laut Plan noch immer im Projektstatus. Bestätigt wird die Dokumentation durch ein Schreiben aus dem Jahr 1758, worin der Status quo der Befestigung Wiens geschildert wird. 20 Zur Neutorbastion wird vermerkt, dass die linke niedere Flankenmauer bereits errichtet worden sei. Weiters wird erwähnt, dass der Arsenalkanal, der die Bastion an ihrer Ostseite von der Kurtinenmauer trennte, ziemlich verschlammt sei und das Areal zwischen dem Militärstockhaus in der Bastionskehle und der „retirierten“ Flanke beim Kanal sehr schmal sei und dadurch keine Kanone aufgestellt werden könne. Die benachbarte linke Seite der weiter östlich liegenden Gonzagabastion könne daher nicht von der Flanke der Neutorbastion, sondern müsse von der Kurtine aus bestrichen werden. Die ab 1770 bis 1778 neuerlich erstellten Rapportspläne lassen erkennen, dass die Verkleidungsarbeiten an den Niederflanken größtenteils abgeschlossen waren sowie nach und nach auch die Waffenplätze, die sich auf der umlaufenden Kontereskarpe befanden, mit Ziegeln versehen wurden. 21 Der Graben und das anschließende Glacis wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts fast zur Gänze der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Wiener Bevölkerung nutzte diese Bereiche in vielfältigster Weise, etwa als Lagerstätten – im Bereich des Neutores etwa für Bauholz (Abb. 4 a) – oder als Marktplatz: Vor dem Kärntner Tor wurde z. B. Heu verkauft (Abb. 4 b) und vor dem Stubentor war der Ochsenmarkt. 22 Generell scheint das Areal eher uneben gewesen zu

19 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 35, 1759: „Rapports Plan von der Festung Wienn, über die im 1759ten Militär Jahr daselbst gemachte Fortifications arbeith“. 20 ÖStA, KA, CI/Wien a3, Nr. 6 (Mémoires) S. 22. 21 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 36, 1770/71; Nr. 38, 1772; Nr. 39, 1773; Nr. 42, 1777 und Nr. 01, 1778. 22 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 42, 1777. M. Masanz/M. Nagl, Ringstraßenallee. Von der Freiheit zur Ordnung vor den Toren Wiens. Forsch. u. Beitr. Wiener Stadtgesch. 30 (Wien 1996) 57–60.

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Aufsätze

I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

Abb. 4 a: Ansicht von Wien vor dem Schottentor von Johann Adam Delsenbach, Kupferstich 1719. (nach M. Eisler [Hrsg.], Das barocke Wien. Historischer Atlas des Wiener Stadtbildes [Wien, Leipzig 1925] Taf. 4 links oben)

sein und wies keine befestigten Wege auf. Einige Berichte dokumentieren die Zustände auf dem Glacis, die anscheinend als störend empfunden wurden. So wird in einem Schreiben vom Oktober 1769 darauf hingewiesen, dass künftig vermieden werden solle, Kot und Unrat auf dem Glacis anzuhäufen. 23 Aus demselben Jahr stammt die Nachricht, dass die Übernahme der Fahrwege und deren Erhaltung zwischen dem Schotten- und dem Stubentor durch die Gemeinde erfolgen solle. 24 23 WStLA, Alte Registratur, Bericht 393 vom 18. Oktober 1769. 24 WStLA, Alte Registratur, Bericht 225 vom 1. Juni 1769. 25 F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 22 (Wien 2004) 547 s. v. Glacis. 26 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 37, 1771 und Nr. 42, 1777. 27 WStLA, Alte Registratur, Bericht 477 vom 10. Dezember 1770. 28 Masanz/Nagl (Anm. 22) 60 f. F. Fischer, Die Grünflächenpolitik Wiens bis zum Ende des 1. Weltkrieges. Ein Beitrag zur Erhellung der Erholungsproblematik in historisch gewachsenen Städten (unpubl. Diss. Techn. Univ. Wien 1969) 30. 29 F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 52 (Wien 2004) 590 s. v. Wasserglacis, mit weiterführender Literatur. 30 R. Künstler, Stadtbeschreibungen von Wien – Reiseliteratur im 18. Jahrhundert (unpubl. Hausarbeit Univ. Regensburg 1981); K. Kauffmann, „Es ist nur ein Wien!“ Stadtbeschreibungen von Wien 1700 bis 1873. Lit. in Gesch., Gesch. in Lit. 29 (Wien 1994); Th. Sadowsky, Das Bild vom josephinischen Wien in den Berichten deutscher Reisender in den Jahren 1780–1790 (unpubl. Hausarbeit Univ. Hamburg 1990); R. Till, Die Basteien in zeitgenössischer Schilderung. WGBl 14/1, 1959, 3–13.

Im Jahre 1770 verfügte der Kaiser eine Regulierung des Glacis. 25 Laut einem am 19. August 1770 genehmigten Plan führte ein umlaufender Weg auf dem Glacis vom Maria-Theresien-Tor an der Judenschanze im Nordosten rund um die Befestigung bis zum Schanzeltor im Nordwesten. 26 Das dem Magistrat überlassene Areal war mit der Auflage verbunden, das Gelände zu planieren, ein Wegenetz anzulegen und Gräser anzusäen. 27 Auch weitere Fußwege wurden angelegt und ab 1776 mit Laternen beleuchtet. 1781 wurde per kaiserlichem Handschreiben dem Magistrat der Auftrag erteilt, die Straßen und Wege mit Bäumen in Form von Alleen zu bepflanzen. Die Anpflanzung musste innerhalb von zwei Jahren erfolgen, andernfalls wäre das Areal dem zugefallen, der die Bepflanzung vorgenommen hätte. 28 Die Bevölkerung entdeckte das regulierte Areal bald als willkommenen Erholungsraum. Vertreter aus allen Bevölkerungsschichten trafen einander, um zu flanieren, die Aussicht zu genießen und anderen kurzweiligen Verrichtungen nachzugehen. Zum Beispiel wurde im Bereich des Wasserglacis, südöstlich der Braunbastion – entspricht heute etwa einem Teil des Stadtparks –, ein Kaffeezelt aufgestellt, das sich bis in das 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. 29 Eindrücke von Reisenden und „Zugereisten“ Zahlreiche Reisebeschreibungen und Stadtbeschreibungen sind über das Wien des 18. Jahrhunderts erhalten. 30 Aus diesen geht hervor, dass schon in der ersten Jahrhunderthälfte kritische Gedanken zur Wohnsituation in Wien

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I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

Aufsätze

Abb. 4 b: Ansicht von Wien vor dem Kärntnertor von Johann Adam Delsenbach, Kupferstich 1720. (nach M. Eisler [Hrsg.], Das barocke Wien. Historischer Atlas des Wiener Stadtbildes [Wien, Leipzig 1925] Taf. 4 links unten)

auftauchten. Oft zitiert wird ein Brief der englischen Reisenden Lady Mary Wortley Montagu (1689–1762), die sich 1716 auf dem Weg in die Türkei in Wien aufhielt. 31 Sie schilderte darin die Enge der Stadt, dass die Straßen schmal seien, zu viele Menschen auf einem Platz wohnten und oft nur eine Wand den Minister von einem Schuster trenne. 32 In dieselbe Kerbe schlug Anselm Desing (1699–1772), ein Benediktiner, der zur Zeit der Herrschaft Karls VI. einige Jahre in der Stadt lebte. Er merkte an, dass die Häuser der Stadt hoch und die Gassen eng seien, und beobachtete, dass die Leute teilweise unter der Erde wohnten. Im Gegensatz dazu schienen ihm die Vororte freier zu sein, denn sie hätten weite Ebenen und schöne Berge. Das unbewohnte Terrain (Glacis) zwischen den Befestigungswerken und den Vororten mache mehrere hundert Schritte aus und er meinte, dass wenn es einst erlaubt sein sollte dort Häuser zu bauen, würden die schönsten Paläste entstehen. 33 Hervorzuheben ist an dieser Stelle der Schriftsteller Johann Rautenstrauch (1746–1801), der ebenfalls einige Jahre in Wien lebte. Er verpackte seine Anliegen in Zukunftsvisionen, die selbst für den heutigen Leser erstaunlich modern anmuten. Der Protagonist aus dem Buch „Das neue Wien. Eine Fabel“ fällt im Jahre 1785 in einen zwanzig Jahre währenden Schlaf. Als er im Jahre 1805 wieder aufwacht, hat sich alles verändert: Stadt und Vorstädte sind vereint, die Gräben verfüllt (sic!) und der Wienfluss reguliert. 34 Es dauerte allerdings noch einige Jahrzehnte, bis seine „Träume“ in die Tat umgesetzt wurden. Es gab auch Stimmen, die den grünen Gürtel der Stadt positiv hervorhoben. Stellvertretend für eine Reihe bewundernder, aber auch kritischer Äußerungen über Wien seien zwei Beschreibungen erwähnt, nämlich jene von Johann Pezzl und Wilhelm Ludwig Wekhrlin. Der Schriftsteller Johann Pezzl (1756–1823) wurde in Bayern geboren und lebte seit dem Jahr 1784 in Wien, wo er anfangs die Bibliothek des Grafen Kaunitz betreute. Kurze Zeit später begann er mit der Veröffentlichung eines Kultur- und Skizzenbildes sowie einer topografischen Beschreibung von Wien. 35 Pezzl beschrieb in seiner „Skizze von Wien“ (in fünf Heften 1786–1790 erschienen) die

31 M. W. Montagu, Reisebriefe 1716–1718. Übersetzt mit Einleitung und Anmerkung versehen von Max Bauer (Berlin, Leipzig 1907). 32 Ch. Haberler (Hrsg.), Wien in alten Reisebildern. Reiseberichte und Reisebilder aus fünf Jahrhunderten. Alte Reisebilder 1 (Innsbruck 1974) 21. 33 A. Desing, Auxilia Historica, Oder Historischer Behülff, Und Bequemer Unterricht Von Denen darzu erforderlichen Wissenschaften II 1 (Regensburg 1741) 1068–1070. Siehe auch J. Schwerdfeger, Eine Beschreibung Wiens aus der Zeit Kaiser Karls VI. Jahresber. Akad. Gymnasium Wien (Wien 1906). 34 J. Rautenstrauch, Das neue Wien. Eine Fabel (Wien 1785) v. a. Kap. 8–9. 35 F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 42 (Wien 2004) 534 s. v. Pezzl Johann.

9 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

beengenden Verhältnisse der Stadt und bemerkte ironisch, dass unter der Erde manchmal ebenso viele Stockwerke seien wie über dem Boden. 36 Er machte sich aber durchaus Gedanken darüber, wie man zur Verschönerung des Stadtbildes beitragen könnte. 37 Ihm waren v. a. die Verbreiterung von Straßenläufen sowie Regulierung von Baufluchten ein Anliegen, um das Fortkommen im Straßenverkehr zu erleichtern und um generell Platz zu schaffen. In einem Vergleich zu früheren Verhältnissen, von ihm Alt-Wien genannt, stellte er bezüglich des Bauwesens fest, dass die Häuser früher im gotischen Stil, aber solide gebaut worden seien, während sie zu seiner Zeit, Neu-Wien genannt, zwar modern, aber von Beginn an baufällig und klein seien, so dass die Menschen wie in Käfigen zusammengedrängt leben müssten. 38 Gelobt wurden hingegen die Vorzüge eines Rundgangs auf den Basteien, wo man zu jeder Tageszeit Vertreter einer anderen sozialen Schicht antreffen könne. 39 Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739–1792) war ein deutscher Journalist, der einige Zeit in Wien lebte und u. a. kurz die Redaktion des „Wiener Diariums“ übernahm. Wekhrlin erzählte in der satirischen Reisebeschreibung „Denkwürdigkeiten von Wien“, dass der Umgang auf den Kurtinen um die Stadt ca. eine Stunde dauere und dass man zur Sommerzeit alles sehe, was reizend, schön und geschmackvoll sei. 40 Zur Stadt selbst vermerkte er aber auch, dass manche Häuser sieben Stockwerke hoch seien und bezeichnete diese als ungeheure Felsen. Die Bewohner seien eine bunte Mischung aus nahezu allen sozialen Schichten. In der Beletage würden der Adel und unter dem Dach die Schneider oder andere Handwerker wohnen. Letztgenannte hätten allerdings den Vorzug, die beste Luft zu haben. 41 Wien im 19. Jahrhundert Nach der Jahrhundertwende, am Beginn des 19. Jahrhunderts, rückte die Stadt Wien wieder in den Mittelpunkt kriegerischer Ereignisse. Das französi36 J. Pezzl, Skizze von Wien. Ein Kultur- und Sittenbild aus der josefinischen Zeit. Hrsg. v. G. Gugitz u. A. Schlossar (Graz 1923) 16. 37 Pezzl (Anm. 36) 25. 38 Pezzl (Anm. 36) 512 f. 39 Pezzl (Anm. 36) 448–450. 40 W. L. Wekhrlin, Denkwürdigkeiten von Wien (Wien 1777) 18; zum Autor siehe Künstler (Anm. 30) 77. 41 Wekhrlin (Anm. 40) 13. 42 M. Pfaffenbichler, Der Dritte Koalitionskrieg. In: Schallaburg Kulturbetriebsges. m.b.H. (Hrsg.), Napoleon. Feldherr, Kaiser und Genie. Ausstellungskat. Schallaburg 2009 (Schallaburg 2009) 129 f. 43 M. Ch. Ortner, Der Feldzug von 1809. In: Ausstellungskat. Schallaburg (Anm. 42) 149 f. 44 Die Ereignisse in Wien im Jahre 1809 zuletzt zusammengefasst von K. Ma-Kircher, Wien 1809. WGBl Beih. 2/2009 = Veröff. Wiener Stadt- u. Landesarchiv, R. B, Ausstellungskat. 79 (Wien 2009). Zur Demolierung der Festungswerke anno 1809: ÖStA, HHStA, De Vaux Karton 30 – 12.

sche Heer unter der Führung von Feldmarschall Joachim Murat kam am 13. November 1805 zum ersten Mal vor die Tore von Wien. Die Stadt wurde, ohne dass ein Schuss fiel, an Napoleon übergeben. 42 Im Jahre 1809 wurde erneut beschlossen, befürwortet v. a. von Minister Johann Philipp Karl Joseph Stadion, Außenminister des Kaiserreiches Österreich, Napoleon kriegerisch entgegenzutreten, um seine Expansionsbestrebungen einzudämmen. Eine fatale Entscheidung, die letztlich mit großen menschlichen Verlusten, einer Verkleinerung des Reichsgebietes und mit hohen Steuersummen und Kriegsentschädigungen bezahlt werden musste. Die napoleonischen Truppen standen im Mai 1809 erneut vor Wien,43 das nach Beschuss letztlich kapitulierte. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages im Oktober desselben Jahres – bis dahin mussten die Truppen von der Stadt versorgt werden – zogen die Truppen ab, nicht ohne nochmals ihre Macht zu demonstrieren: Napoleon ließ Teile der Befestigung sprengen. 44 Obwohl sich durch die vorangegangenen Kampfhandlungen längst gezeigt hatte, dass die Stadtmauer keinen militärischen Nutzen mehr hatte, weder zur Verteidigung noch als Schutz gegen Eindringlinge, stellte die angeordnete Teilzerstörung durch Napoleon eine weithin sichtbare Demütigung dar. Später

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versuchte man durch repräsentative Bauwerke von der erlittenen Schmach abzulenken. Dessen ungeachtet war das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Bevölkerung soweit gediehen, dass man nicht mehr daran dachte, die zerstörten Teile in ihrer alten Form wieder aufzubauen, sondern die Chance nutzte und zaghaft die Öffnung der Stadt ansteuerte. Den offiziellen Schritt in diese Richtung setzte Kaiser Franz I. im Jahre 1817, indem er den Festungsstatus der Stadt Wien aufheben ließ und damit die militärische Nutzung der Befestigungsanlagen. Die Pläne für die „Stadterweiterung“ zum Zwecke der Raumgewinnung und -nutzung begannen zunehmend Gestalt anzunehmen. Viele Projekte wurden aber nie realisiert. Erwähnt seien hier etwa zwei Konzepte, die eine Verbauung des Glacis zum Inhalt hatten. Ein gewisser A. E. Stache widmete einige kolorierte Lithographien mit dem Titel „Promenaden“ dem Bürgermeister von Wien. Diese Promenaden sollten vom Burgtor bis zum Schottentor bzw. vom Kärntner- zum Burgtor führen. 45 Bei beiden Projekten war eine prominente gärtnerische Gestaltung am Glacis sowie im Stadtgraben vorgesehen. 46 Ein anderer Entwurf sah die Entstehung eines Stadtteiles in der Umgebung des k. k. Belvedere vor. Der Bebauungsplan umfasste das Areal westlich, südlich und östlich des Oberen Belvederes bis zum Linienwall, welches durch rechtwinkelig einander kreuzende Straßen akzentuiert und mit einem eigenen Marktplatz und Parkanlagen ausgestattet worden wäre. 47 Viele namhafte Architekten des 19. Jahrhunderts legten Entwürfe für repräsentative Anlagen vor: Dem Architekt Alois Pichl (1782–1856) erschien das Areal vor dem Kärntner Tor, zwischen der Wasserkunstbastion und der weiter südwestlich liegenden Augustinerbastion, passend zu sein für die Errichtung eines Platzes mit einem zentralen Opernhaus und zwei gegenüberliegenden Museumsgebäuden. 48 Der Architekt Anton Ortner hingegen bevorzugte das Terrain zwischen der Braunbastion und der Wasserkunstbastion zur Anlage eines neuen Stadtteiles. Er legte den Plan 1840 vor. In diesem Fall wären jeweils der südliche Teil der Wasserkunstbastion und der nördliche Teil der Braunbastion erhalten geblieben. Der nördliche und südliche Teil der Bastionen wären nach Osten hinausgeschoben worden, so dass ein neuer Abschnitt der Stadtmauer entstanden wäre. Zentrum des neuen Stadtteiles wäre ein großer rechteckiger Platz mit zahlreichen repräsentativen Gebäuden gewesen. 49 Ein anderer Architekt, Ludwig Christian Förster (1797–1863), widmete sich dem Thema gleich mehrmals. Im Jahre 1844 hielt er einen Vortrag in Prag, der wieder einmal den begrenzten Raum in der Stadt thematisierte, um gleichzeitig einen Plan zu präsentieren, der aufzeigte, wie und wo mehr Entfaltungsmöglichkeiten geschaffen werden könnten. 50 Seine Idee war, die südliche Face der Mölkerbastion nach Nordwesten zu verlängern und im stumpfen Winkel eine Mauer anzusetzen, die in gerader Linie bis zum Donaukanal reichen sollte. Die Umgrenzungsmauer sollte weiter der Krümmung des Donaukanals folgen bis zur großen Gonzagabastion. Die Elend- und Neutorbastion wären abgetra-

45 A. E. Stache, Erklärung von sechs Situationsplänen zur Verschönerung der Städte Wien und Prag, 1818: WM Inv.-Nr. 54.715. 46 A. E. Stache, Plan einer Promenade vom Kärnthner- bis zum Burgthore und Plan einer Promenade vom Burgthor bis zum Schotten Thore, 1817: WM Inv.-Nr. 71.516; 54.714. 47 A. E. Stache, Plan einer Vorstadt in den Umgebungen des K. K. Belvedere am Rennwege in Wien, vermutlich 1817: WM Inv.-Nr. 84.712. 48 Aquarellierter Plan, signiert von Alois Pichl, 1835, Architekt der Erzherzöge von Este, Mitglied der Akademie zu Rom: WM Inv.Nr. 107076/8. Siehe auch R. Kassal-Mikula/ Ch. Benedik, Das ungebaute Wien. Projekte für die Metropole 1800 bis 2000. Sonderausst. HMW 255 (Wien 1999). 49 A. Ortner, Plan des neu projectierten Stadttheiles zwischen der Carolinen- und Wasserkunst Bastey: WM Inv.-Nr. 48.030. Im Zusammenhang mit dem Palais Coburg wurde der Ortner-Plan zuletzt diskutiert von R. Kurdiovsky, Die urbanistische Lage des Palais Coburg. In: K.-P. Högel/R. Kurdiovsky (Hrsg.), Das Palais Coburg. Kunst- und Kulturgeschichte eines Wiener Adelspalastes zwischen Renaissance-Befestigung und Ringstraßenära (Wien 2003) 110 f. 50 L. Förster, Ueber die Ausstellung während der Architektenversammlung in Prag. Allg. Bauztg. 9, 1844, 292–295.

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Abb. 5: Entwurf für die Erweiterung der Inneren Stadt von Ludwig Förster, 1850. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 13.462)

gen worden. Damit wäre ein völlig neuer Stadtteil geschaffen worden. Geplant waren Plätze, eine neue Kirche und Kaserne sowie Wohnhäuser (Abb. 5). 51 51 Förster (Anm. 50) Abb. S. 295. Förster legte noch mehrmals Pläne zur Stadterweiterung vor, basierend auf einem Vorschlag von General Cerini im Jahre 1817 (ÖNB, Kartensammlung, FKB W.20): Innere kais: kön: Haupt- und Residenz-Stadt Wien 1850. Entwurf für die Erweiterung der Inneren Stadt von Ludwig Förster vorgelegt den 21. August 1850 (WM Inv.-Nr. 13.462). Der Entwurf von Cerini wird auch bei A. Schmidl, Wien. Die Kaiserstadt und ihre nächsten Umgebungen (Wien 1843) 13, erwähnt. 52 Weigl (Anm. 10) 77. G. Meißl, Vom Brillantengrund zur Favoritenlinie. Zum Wandel der Produktion im Wiener Vormärz. In: Bürgersinn und Aufbegehren – Biedermeier und Vormärz in Wien, 1815–1848. Sonderausst. HMW 109 (Wien 1988) 552–558. 53 Lichtenberger (Anm. 3) 179 f. 54 Dazu W. Sauer, Grund-Herrschaft in Wien 1700–1848. Zur Struktur und Funktion intermediärer Gewalten in der Großstadt. Kommentare Hist. Atlas Wien 5 (Wien 1993) 73–96. 55 Verordnung des Ministeriums des Inneren vom 9. März 1850, Z 1286-M. I., wegen Erlassung der provisorischen Gemeindeordnung für die Stadt Wien. 56 W. Wagner, Die Stellungnahme der Militärbehörden zur Wiener Stadterweiterung in den Jahren 1848–1857. JbVGW 17/18, 1961/62, 220 f.

Die Vorstädte waren auch am Beginn des 19. Jahrhunderts weiter im Wachsen begriffen. Vor allem die Textilindustrie breitete sich im Wiental aus. 52 Beschäftigte in der Seidenverarbeitung machten sogar ein Fünftel aller Berufstätigen in Wien aus. Nach 1800 wurden auch die südlichen und östlichen Gebiete innerhalb des Linienwalls als Wohn- und Arbeitsraum erschlossen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ließen sich z. B. nach und nach die Beamten in der Vorstadt nieder, um den teuren Mietpreisen der Stadt zu entgehen. 53 Allmählich entstanden auch gewerbliche Zonen in den Vororten außerhalb des Linienwalls. Die niedrigeren Bodenpreise boten Anreize für die im Zuge der Industrialisierung benötigten Fabriken. Ein Großteil der grundherrschaftlichen Gebiete innerhalb der Linien war im Besitz der Geistlichkeit. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts kaufte die Gemeinde nach und nach zwei Drittel der Besitzungen der verschiedenen Grundobrigkeiten innerhalb der Linien auf. 54 Rechtlich gipfelte die Entwicklung schließlich in dem Zusammenschluss der Inneren Stadt mit den Vorstädten (1850) zu einer gemeinsamen Verwaltungseinheit. 55 Die revolutionären Ereignisse im Jahre 1848 brachten die Stadterweiterungspläne Wiens zum Stillstand. Die militärischen Stellen waren jetzt sogar der Meinung, dass die bestehende Befestigung weiter ausgebaut werden müsste. Als zusätzlicher Schutz sollten noch weitere Kasernen, sog. Defensionskasernen, an strategischen Punkten der Stadt errichtet werden. 56 Beispielhaft erwähnt seien die Entwürfe von Major Kronenfels, der sich umfassend mit unterschied-

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Abb. 6: Kommissionsplan aus dem Jahr 1850, eingereicht von Franz Ferdinand Mayern um 1852. Ausschnitt mit der geplanten Neuverbauung zwischen Äußerem Burgtor und Palais Coburg. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 13.463)

lichen militärischen baulichen Anforderungen zum Thema „Kasernenbau“ beschäftigte. 57 In den Jahren, die nach dem Revolutionsjahr folgten, war der militärische Einfluss beim Kaiser besonders weitreichend. Die beständige Angst vor der aufrührerischen Bevölkerung begünstigte eine Vielzahl von strategischen Verteidigungsplänen. Der Kaiser genehmigte alsbald den Bau des Arsenals (1849–1856) außerhalb des Linienwalls sowie den Bau der Kronprinz-Rudolf-Kaserne (= Roßauer Kaserne; 1865–1869) und der Kaiser-Franz-JosephKaserne (1854–1857). 58 Diese Bauwerke bildeten den Teil eines zukünftigen, umfangreichen militärischen Verteidigungskonzeptes, um die aufständische Bevölkerung gegebenenfalls besser unter Beschuss haben zu können. Die Platz- und Wohnungsnot blieben weiterhin aktuelle Themen. Nachdem man die militärischen Bedenken nicht unbeachtet lassen konnte, versuchte man sowohl die zivilen wie auch die militärischen Notwendigkeiten gleichermaßen zu berücksichtigen. Es wurde ein Plan entwickelt, der vorsah, die Bastionen der bestehenden Stadtmauer abzubrechen und mit dem Abbruchmaterial die Stadtgräben aufzufüllen. Anstelle der abgebrochenen Befestigungen sollten weiter hinausgeschobene neue Bollwerke gemeinsam mit einer verbindenden Mauer die neue Umfassung bilden. Damit wäre Raum gewonnen worden, um neue Marktplätze und öffentliche Gebäude innerhalb der Stadtbefestigung zu errichten (Abb. 6). 59 An der Außenseite der Kurtinen hätten Verkaufsläden untergebracht werden können. Im Norden wäre die Linie bis an den Donaukanal vorgezogen worden und im Nordwesten mit dem Abbruch der Neutor- und Elendbastion überhaupt ein neuer Stadtteil entstanden. Etwa zur selben Zeit entstanden noch andere Pläne, die ähnliche Verbauungsstrategien vorsahen. 60 Diese Entwürfe zogen eine langwierige, mehrjährige Diskussion zwischen den zivilen und militärischen Ratgebern (Armeeoberkommando, Generalgeniedirektion, Finanzministerium, Handelsministerium) des Kaisers nach sich. Vor allem

57 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a2, Nr. 06, Befestigung von Wien. Übersicht und Details von Major Kronenfels, 1846 (16 Pläne). 58 Um die Baupläne verwirklichen zu können, wurden Gelder durch Grundstücksverkäufe lukriert, z. B. das Areal zwischen Berggasse und Türkenstraße, das fortan Neu-Wien genannt wurde. A. Kieslinger/E. Mejchar, Die Steine der Wiener Ringstraße. Ihre technische und künstlerische Bedeutung. Die Wiener Ringstraße 4 (Wiesbaden 1972) 353. Die Franz-Joseph-Kaserne wurde zwischen 1900 und 1901 abgebrochen. 59 Wagner (Anm. 56) 256–259. 60 Entwurf der Architekten Paul Wilhelm Eduard Sprenger (WM Inv.-Nr. 13.468), Carl Roesner (WM Inv.-Nr. 13.465) und Ludwig Förster (WM Inv.-Nr. 13.466).

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Abb. 7: Plan der im Militärjahr 1810 ausgeführten Arbeiten. Ausschnitt mit dem zerstörten Ravelin zwischen Löwel- und Mölkerbastion. (© ÖStA, KA, Kartensammlung VIIe 107 b Wien, Inv.-Nr. 169E)

in den Jahren nach der Revolution behielt die militärische Seite die Oberhand. Schließlich verlor der Kaiser zusehends das Interesse an den dargelegten Bedrohungsszenarien. Das Problem der Raumnot war noch immer ungelöst. Letztendlich wurde das Thema „Stadterweiterung“ immer dringlicher und wichtiger, so dass zu den Beratungsgesprächen keine militärischen Vertreter mehr eingeladen wurden. Schließlich fällte der Kaiser eine Entscheidung: Am 25. Dezember 1857 wurde der Inhalt des kaiserlichen Handschreibens an den Innenminister Alexander Freiherr von Bach der Bevölkerung von Wien zur Kenntnis gebracht. 61 Kaiser Franz Joseph I. gestattete die Auflassung der Fortifikation, der Umwallung und des Grabens. Das gewonnene Areal sollte zusammen mit dem Glacis, soweit es keiner anderen Bestimmung zugedacht sei, als Bauareal genutzt werden. Damit wurden die Vorstädte auch real mit der Inneren Stadt verbunden. Die Befestigung Wiens vor ihrem Abriss Am Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden einige repräsentative Bauwerke auf der Stadtmauer selbst. Bestehende Anlagen wurden umgebaut und ausgebaut. Zum Beispiel veranlasste Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738– 1822) den Umbau des Palais Taroucca (die heutige Albertina; 1801–1804) unter Einbeziehung eines Teilbereiches der Stadtmauer und des südöstlich gelegenen Augustinerklosters. Zu einem späteren Zeitpunkt (1843–1847) ließ Ferdinand von Sachsen-Coburg-Saalfeld-Koháry das sog. Coburgpalais errich61 Wiener Zeitung, Nr. 296, Freitag, den 25. Dezember 1857. 62 Zur wechselhaften Geschichte des Coburgpalais siehe Högel/Kurdiovsky (Anm. 49).

ten, welches sich zum Teil auf und an der Stadtmauer südwestlich der Braunbastion befindet. 62 Fertiggestellt wurde es allerdings erst unter seinem Nachfolger Herzog August.

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Abb. 8: Ausschnitt aus einem Detailplan von 1834 mit den baulichen Änderungen im Bereich der Neutor-/Münchbastion. (© ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a2, Nr. 02, 1834)

Wie schon weiter oben erwähnt, ließ Napoleon, bevor er von Wien abzog,Teile der Befestigung sprengen. 63 Davon waren Bastionen und Ravelins sowie Abschnitte der Kontereskarpe der Befestigung (von der Kärntnerbastion bis zur Elendbastion) betroffen. In der Folge stand die Neugestaltung des Burgbereiches im Vordergrund. Situationspläne aus den Jahren 1810 und 1811 zeigen,64 dass zuerst die noch existierenden Reste der niederen Flankenmauern der Löwel- und Burgbastion abgetragen werden sollten (Abb. 7). Die notwendige Infrastruktur wie Kalköfen, Brunnen und Bauhütten war schon errichtet worden. Eine stufenweise Grabenauffüllung um den Ravelin, der sich zwischen den beiden Bastionen befand, sollte in der nahen Zukunft durchgeführt werden. Der ehemalige Grabenbereich vor der Burg wurde aufgefüllt und ein ebenes Gelände geschaffen. Auf dem neu gewonnenen Terrain entstanden das heute noch bestehende Äußere Burgtor (Grundsteinlegung 1821), der sog. Kaisergarten (in etwa der heutige Burggarten; 1818–1823) und der Volksgarten. Zu Letzterem sei bemerkt, dass er die erste Parkanlage Europas war, die von Beginn an für die Öffentlichkeit bestimmt war. 65 Im Zentrum des Gartens entstand der Theseustempel (1820–1823) nach den Plänen von Pietro Nobile (1774– 1854), der auch das Äußere Burgtor, nach den Plänen von Luigi Cagnola, baute. Den Namen erhielt das Bauwerk durch die im Inneren aufgestellte Theseusgruppe von Antonio Canova, die Theseus Sieg über den Minotaurus zum Thema hat. 66 Die ehemalige Linie der Kurtine von der abgebrochenen Löwelbastion, der Burgbastion bis zu der Kärntnerbastion wurde nach Südwesten vorgeschoben und als Hornwerk neu errichtet (1817–1821). 67 In den folgenden Jahren wurden einige Bastionen umgebaut und modernisiert. Die Niederflanken-Mauern, die im 18. Jahrhundert den sensiblen Flankenbereich geschützt hatten, wurden nach und nach abgetragen. Übersichtspläne aus dem Jahr 1834 zeigen die umgebauten Bastionen im Detail, inklusive der

63 Siehe dazu Circulare der k. k. Landesregierung vom 26.10. 1809 (WStLA, Hauptregistratur A1/82, 26.10. 1809), in dem ausdrücklich untersagt wird, Baumaterial von den gesprengten Festungswerken wegzuschleppen. 64 ÖStA, KA, Kartensammlung VIIe 107 b Wien, Inv.-Nr. 169E: „Rapports Plan der im militair Jahre 1810 und 1811 ausgeführten Arbeiten“. 65 Österreichische Gesellschaft für historische Gärten (Hrsg.), Historische Gärten in Österreich. Vergessene Gesamtkunstwerke (Wien 1993) 234–238. 66 Die Skulptur befindet sich seit 1890 im Stiegenaufgang des Kunsthistorischen Museums Wien. 67 ÖStA, HHStA 1247, Mappe D-1; D- 2; D-9. In diesen Mappen sind zahlreiche Detailaufnahmen enthalten, in denen neben der Neuverbauung vor der Burg auch die Grünflächenmaßnahmen eingetragen sind.

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Abb. 9: Wasserglacis mit dem Karolinentor. Aquarell von Johann Tobias Raulino, um 1820. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 105.890)

Kasematten. 68 Die Flankenmauern, die ursprünglich mit Geschützöffnungen versehen waren, wurden vermauert. Zum Beispiel wurde die östliche Flanke der Münch- oder Neutorbastion völlig neu gestaltet (Abb. 8). Der Arsenalkanal, der einst die Zufahrt der Schiffe von der Donau zum Hafen innerhalb der Stadtmauer ermöglichte, existierte nicht mehr. Das Terrain wurde soweit angeschüttet, dass mittels einer Mauer die Verbindung zwischen der bestehenden Bastionsface und der Kurtine geschaffen werden konnte. Mit dieser Maßnahme hatte man sich eines Problems entledigt, das seit der Entstehung des Kanals im 16. Jahrhundert immer wieder zu Klagen geführt hatte. Einerseits musste gegen die Versumpfung angekämpft werden, andererseits bestand die Gefahr, dass bei niederem Wasserstand der Feind durch den Kanal in die Stadt eindringen hätte können. 69 Ein Schreiben, das an die „k. k. Fortifications District Direction“ gerichtet war, gibt Auskunft, dass die Arbeiten am ehemaligen Kanal im Jahre 1828 beantragt wurden. Außerdem wird angeführt, dass die Brustwehren zwischen der Münchund Elendbastion abzutragen und auf der Kurtine Bäume zu pflanzen seien. 70 Einige Bastionen erhielten Zubauten, wie z. B. die westliche Flankenseite der Elend-/Schottenbastion. Die ehemalige, eingezogene linke Flankenmauer wurde zu einem integrierten Bestandteil einer neuen Raumkonzeption. Die vorgesetzte neue Mauer bewirkte eine geschlossene äußere Linie zwischen Bastion und Kurtine. Im Inneren waren durch diese Maßnahmen neue Räume entstanden. 68 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a2, Nr. 02, 1834. 69 Eberle (Anm. 12) 251. 70 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a3, Nr. 21 (Mémoires) 7. Sammelakt, der 1826 angelegt und 1831 geschlossen wurde. Signiert sind die Schriftstücke mit Carl Malony.

Die Bastionen, die dazwischenliegenden Kurtinen und der Stadtgraben wurden auch gärtnerisch gestaltet. Ein Situationsplan aus dem Jahre 1838 verdeutlicht dies. Im Garten auf der Münch-/Neutorbastion stand ein kleines Observatorium. Diese Anlage wurde laut Plan vom „k. k. General Quartiermeister“ benützt. An einer anderen Stelle, im Graben zwischen der Braun- und Wasser-

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kunstbastion, war ein abgesteckter Bereich als „k. k. Hofgarten“ angelegt worden. 71 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde auch der Glacisbereich teilweise verbaut. Östlich des Wienflusses entstanden ein Bau für die „Münze Österreich“ (1834 am Heumarkt) und das „k. k. polytechnische Institut“ (1816 südlich der Karlskirche, die heutige Technische Universität). Im Südwesten, am Rande des Josefstädter Glacis, wurde das „k. k. Militärgeographische Institut“ errichtet (1839). Um eine bessere Verbindung zwischen der Stadt und den Vorstädten herzustellen, wurden neue Tore erbaut. Das Franzenstor bei der Löwelbastion (1815–1817) sollte zur besseren Kommunikation mit der Josefstadt dienen und das Karolinentor (1816–1817) südlich der Braunbastion sollte eine Verbindung von der Stadt zum Wasserglacis herstellen (Abb. 9). 72 Zusätzlich wurde das im Mittelalter vermauerte Kärntner Tor wieder geöffnet und als „neues“ Kärntner Tor bezeichnet. Die Salpeteranlage am Glacis bei der Josefstadt wurde aufgegeben und nach dem Abbruch der Hütten parzellierte man den Bereich in mehrere Baugründe. 73 Das Glacis wurde von der Wiener Bevölkerung weiterhin zur Erholung genutzt. Die gerne besuchte Mineralwassertrinkanstalt am sog. Wasserglacis wurde schon weiter oben erwähnt. Die zahlreichen Alleen und Wiesen luden zu Spaziergängen, zum Spielen und anderem Müßiggang ein. Mehrere Situationspläne, die ab 1816 angefertigt wurden, lassen erkennen, dass am Glacis einige Alleen und Straßen neu angelegt oder die alten reguliert worden waren. 74 Zum Beispiel wurde die Hauptverbindung zwischen dem Äußeren Burgtor und den Hofstallungen durch einen Rundplatz mit sternförmig abgehenden Alleen gestaltet. 75 Im 19. Jahrhundert war die wirtschaftliche Nutzung der Flächen vor den Stadttoren Wiens ein nicht unbedeutender Faktor. Diverse Betriebe konnten sich ausbreiten, da die militärische Funktion des Glacis obsolet geworden war. Es wurden beständige oder saisonbedingte Märkte für Waren aller Art abgehalten oder Mühlen betrieben. Handwerkliche Betriebe, die viel Staub und Lärm verursachten, wie Steinmetze oder Zimmerer, hatten sich niedergelassen oder Fuhrwerksbetriebe, die den Personen- und Warentransport in die Vorstädte sicherstellten. 76 Eindrücke von Reisenden und „Zugereisten“ Das frühe 19. Jahrhundert ist politisch geprägt von den Kriegen gegen Napoleon und von den aufkeimenden politischen und sozialen Forderungen, die schließlich zur Revolution im Jahre 1848 führten. Zahlreiche Reisende machten in Wien Station und beschrieben neben der Wiener Heiterkeit und Gemütlichkeit77 auch die Topographie der Stadt, Vorstädte und Vororte. 78 Das Straßenbild hatte sich seit dem 18. Jahrhundert nicht zum Positiven geändert, sondern verschlechtert. Nach wie vor lebten die Menschen in der Stadt dicht gedrängt auf engem Raum. Durchwegs positiv hervorgehoben wurden aber die Möglichkeiten, auf den Kurtinen (Basteien) der Stadt

71 ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 18, 1838: „Situations-Plan sämtlicher auf fortifikatorischen Terrain befindlichen Gärten Wien anno 1838“. 72 H. Krause, Das Karolinentor. In: Krause et al. (Anm. 1) 61–63. 73 Im Wiener Stadt- und Landesarchiv ist eine Handzeichnung aufbewahrt, die aus Anlass der öffentlichen Versteigerung der Baugründe am 1. 8. 1827 angefertigt wurde (WStLA, Kartographische Sammlung, 3.2.1.P1/135). Tatsächlich wurden die Baugründe erst einige Jahre später verkauft, da der Kaiser die beabsichtigte Lizitation nicht bewilligte. 74 WStLA, Kartographische Sammlung, 3.2.2.P7/165–174; angefertigt um 1816. 75 WStLA, Kartographische Sammlung, 3.2.2.P7/171, vermutlich 1816: „Situations Plan Uiber die von Allerhöchst Sr: Majestät dem Kaiser anbefohlenen neuen Alleen nach ihrer directen Linien zum neuen Burgthor“. 76 Masanz/Nagl (Anm. 22) 63; Ch. Sonnlechner/H. Tauber, Von der Gstätten zum Stadtpark. Zur Nutzung der Flächen vor den Wiener Stadttoren vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Veröff. Wiener Stadt- u. Landesarchiv, R. B, Ausstellungskat. 81 (Wien 2010) 8–15. 77 A. Glassbrenner, Die Kaiserstadt. Lichtund Schattenseiten aus dem öffentlichen und häuslichen Leben der Wiener 1 (Leipzig 1847) 36 f.; Haberler (Anm. 32) 90. 78 E. Zöllner, Wien um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Sicht seiner fremden Gäste. WGBl 33/3, 1978, 116–137.

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spazieren und von dort aus das Panorama der Umgebung genießen zu können. Auch der grüne Gürtel, das Glacis, wurde sehr geschätzt. 79 Friedrich Emanuel von Hurter (1787–1865), ein Schweizer Theologe, wurde 1846 als Historiker nach Wien berufen. Auch er beklagt den Lärm und das Gedränge in den engen Gassen der Stadt. 80 Er betonte jedoch, dass der Wiener, egal ob er in der Vorstadt lebe oder in der Stadt, von keinem Punkt weit zu gehen hätte, um im Grünen frische Luft schöpfen zu können. 81 Der Schriftsteller Adolf Schmidl (1802–1863), geboren in Böhmen, lebte einige Zeit in Wien. Er verfasste zahlreiche Reisehandbücher über verschiedene Landschaften Österreichs. Alleine über Wien und seine „nächsten Umgebungen“ schrieb er mehrere Werke. Er bemängelte etwa die im Vergleich zu Prag geringe Zahl an hervorragenden Gebäuden in der Stadt. Das Glacis trenne die Vorstädte von der Inneren Stadt. In den Vorstädten lebe, wie überall, die arbeitende Klasse und die Stadt bilde den Mittelpunkt allen Lebens und Reichtums. Die Trennung zwischen Vorstädten und Stadt werde nirgendwo so streng genommen wie in Wien, nämlich in dem Sinn, dass der wohlhabende Mittelstand mit einem Achselzucken auf die Bewohner der Vorstädte herabsähe. Er bemerkte weiter, dass diese Mittelschicht eine düstere, stickige Wohnung im fünften Stock der Stadt einer luftigen, großzügigen Wohnung in der Vorstadt vorziehe. Er charakterisierte die Wiener als „Vorstadtscheu“82 und, dass sie diesbezüglich lächerliche Vorurteile hätten. Weiters befand er, dass der Raum, welchen die Stadtwälle einnähmen, zu einem Gürtel von Prachtbauten genützt werden hätte können. Trotz aller Kritik kam er nicht umhin, die Gartenanlagen auf den Basteien und die Alleen am Glacis als größte Reize der Kaiserstadt hervorzuheben. 83 Zuletzt sei der deutsche Schriftsteller und Politiker Robert Blum (1807–1848) erwähnt. Er wurde in Wien als Beteiligter der Oktoberrevolution hingerichtet. In einem Brief, den er einige Tage vor seinem Tod an seine Frau schrieb, lobte er die Stadt, wie prächtig, herrlich und liebenswürdig sie sei. 84 Zusammenfassung Nachdem Wien von der Dauerbedrohung durch die Türken befreit war, konnte sich die Stadt über die Mauer hinaus entfalten. Die Stadt wurde zur Haupt- und 79 P. E. Turnbull, Reise durch die österreichischen Staaten (Leipzig 1841) 134–137. 80 F. Hurter, Ausflug nach Wien und Pressburg im Sommer 1839. Bd. I (Schaffhausen 1840) 290 f. 81 Hurter Bd. II (Anm. 80) 65–67. 82 A. Schmidl,Wien und seine nächsten Umgebungen in malerischen Original-Ansichten nach der Natur aufgenommen und in Stahl gestochen von verschiedenen Künstlern (Wien 1847) 127 f. 83 Schmidl (Anm. 51) 13 f. 84 R. Blum, Briefe und Dokumente. Reclams Universal-Bibl. 865 (Leipzig 1981) 106 f. Brief vom 17. Oktober 1848, geschrieben von Robert Blum an seine Frau Eugenie.

Residenzstadt der Habsburgermonarchie und benötigte daher vermehrt repräsentative Unterbringungsmöglichkeiten v. a. für den Verwaltungsapparat innerhalb der Mauern. Einerseits wurden die Raumansprüche durch Enteignung zahlreicher Klosteranlagen bewerkstelligt, andererseits stockte man die bestehenden Häuser auf. Die Vorstädte wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts ein zunehmend wichtiger Besiedlungsraum und hatten wiederum ihre Begrenzung durch den Linienwall, was aber zu dieser Zeit noch nicht maßgeblich war. Hier ließen sich Adelsangehörige Zweitwohnsitze und Sommerpalais errichten. Wegen der niedrigen Mieten im Vergleich zur Stadt siedelten sich auch vermehrt Gewerbe- und Handwerksbetriebe an. In die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts fällt auch die Regulierung des Glacis. Mit dieser Maßnahme war das Gebiet zum Erholungsraum, zur grünen Lunge Wiens geworden.

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I. Mader, Wien vor dem Fall der Mauern

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Am Beginn des 19. Jahrhunderts rückte Wien wieder in den Mittelpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen. Die Stadt wurde zweimal belagert und von den französischen Truppen besetzt. Der vereinbarte Friedensschluss erbrachte den Abzug Napoleons und seiner Truppen. Bevor er endgültig die Stadt verließ, ordnete er die Sprengung einzelner Befestigungsteile an. Die gesprengten Teile wurden beseitigt, aber ein Abtragen der gesamten Befestigung lag noch nicht im Bereich des Vorstellbaren. Die letzten Kriege hatten mehr als deutlich gemacht, dass die Stadtmauer in einem modernen Krieg weder ausreichend Schutz vor Angreifern noch zur Verteidigung bieten konnte. Schließlich wurde der Status „Festungsstadt“ im Jahre 1817 aufgehoben. Der Burgbereich wurde großzügig gestaltet. Innerhalb der Mauern entstanden der Kaisergarten und der Volksgarten, Letzterer war der erste planmäßig angelegte Park für die Bevölkerung. Ab dem Jahre 1817 wurden beständig Pläne ausgearbeitet, wie man die Innere Stadt unter Erhaltung des Grüngürtels und der Stadtmauern erweitern könnte. Von Anbeginn war der nordwestliche Bereich, zwischen Mölker- und Neutorbastion, ein Hoffnungsgebiet, da im Burgbereich der militärische Exerzierplatz lag, während im Südosten und Osten der Wienfluss eine räumliche Einschränkung vorgab. Das Revolutionsjahr brachte die Stadterweiterungspläne vorerst zum Stillstand. In den ersten Jahren nach 1848 wurden zahlreiche Verteidigungspläne ausgearbeitet, wovon die meisten nicht umgesetzt wurden. Allerdings setzte das Militär den Bau von einigen Kasernen, sog. Defensionskasernen, durch, die an strategisch wichtigen Punkten der Stadt errichtet wurden. Letztendlich wurde die Raumnot dermaßen belastend, dass der Kaiser im Jahre 1857 anordnete, die Stadtbefestigung zu schleifen und die Vorstädte und die Innere Stadt durch ein entsprechendes Erweiterungskonzept zu verbinden. Durchreisende und länger Verweilende thematisierten immer wieder die Enge der Inneren Stadt und das Fehlen von repräsentativen Gebäuden, aber auch die „freie“ und „frische“ Luft in den Vorstädten. Nachdem die Kurtinen (Basteien) für die Spaziergänger freigegeben worden waren, fehlten sie in keinem Reisebericht. Das bunte Bevölkerungsgemisch, das dort und am Glacis anzutreffen war, übte von jeher einen besonderen Reiz auf die Stadtbesucher aus, ebenso die Kaffeehäuser und andere Vergnügungsstätten.

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Eine Siedlungsgrube der späten Glockenbecherkultur aus Wien 3, Rennweg 16 (Vorbericht) Martin Penz Fundort und Fundgeschichte Im Zuge des Neubaus einer Hotelanlage anstelle der ehemaligen Staatsdruckerei am Rennweg 16 (Wien 3-Landstraße) wurde seitens der Stadtarchäologie Wien im Frühsommer 2005 eine Rettungsgrabung durchgeführt. 1 In einem nicht unterkellerten Bereich, einem 232 m2 großen Innenhof, waren – inmitten bereits länger bekannter Überreste der römischen Zivilsiedlung von Vindobona – antike Befunde zu erwarten. Überraschenderweise stieß man hier in der Folge unterhalb des römischen Siedlungsniveaus auf insgesamt acht frühbronzezeitliche Hockerbestattungen, die sich trotz alter Beraubungen bzw. Störungen2 der Wieselburger Kulturgruppe zuordnen lassen, sowie auf ein größeres eingetieftes Siedlungsobjekt endneolithischer Zeitstellung, welches hier kurz vorgestellt werden soll (Abb. 1). Zum Befund Geologisch gesehen liegt der Fundort auf der sog. Stadtterrasse, die unmittelbar an die Donau-Ebene (sog. Praterterrasse) anschließt. Richtung Nord/Nordost zum ehemaligen Uferbereich hin (resp. zum ca. 1,3 km entfernten heutigen Donaukanal) fällt das Gelände nur schwach ab; Richtung Süden zum nächsthöheren Schotterterrassenkörper (sog. Arsenalterrasse) beginnt das Hanggefälle jedoch etwa ab Höhe des Rennwegs stärker anzusteigen. Genau hier befand sich auch die Grabungsfläche, in deren Nordost-Ecke – unter den römischen Fundschichten sowie unter einem bis zu 0,5 m mächtigen Schichtpaket (braunes, lehmig-humoses Kolluvium) – eine Grube von unregelmäßiger Form (Bef.-Nr. 236) erschien, welche ca. 1,50 m in den anstehenden gelbbraunen Lösslehm eingetieft war (Abb. 2 und 3). Aufgrund der neuzeitlichen Kellereinbauten waren leider nur die West- und Südseite mit den Ausmaßen von ca. 3,4064,20 m erhalten geblieben. Der Grubenboden war – abgesehen von seichten Mulden ohne erkennbare Struktur – flach; die ursprünglich nahezu 1 GC 2005_04: M. Mosser, Wien 3, Rennweg 16. FWien 9, 2006, 282 f. 2 Zusätzlich zu den urgeschichtlichen sind auch römerzeitliche Eingriffe in die Grabverbände zu vermerken; vgl. M. Mosser, Eine Translatio cadaveris in der Nachbarschaft des M. Antonius Tiberianus in Vindobona. In: G. Grabherr/B. Kainrath (Hrsg.), Akten des 11. Österreichischen Archäologentages in Innsbruck, 23.–25. März 2006. IKARUS 3 (Innsbruck 2008) 183–194. Publikation der Gräber durch Roman Skomorowski (Univ. Wien) in Vorbereitung.

senkrechte Wandung erschien großteils stark erodiert bzw. eingebrochen und war dementsprechend schwer exakt zu fassen (Abb. 4). Unter einer etwas deutlicheren Ausbuchtung im Südwesten zeigte sich ein markanterer Stufenabsatz, der möglicherweise eine ursprüngliche Eingangssituation (bzw. Abstiegsvorrichtung) anzudeuten vermag. Die Grube war mit dunkelbraunem bis grauem, mitunter sehr dichtem, fettigem Lehm verfüllt, welcher unregelmäßig stark mit hellem Lösslehm vermischt war; ein kleiner Teil der Einfüllung im unteren Drittel war von aschiger verbrannter Beschaffenheit. Das reichlich vorhandene Fundmaterial war relativ stark fragmentiert und gleichmäßig im (wohl als primäre Verfüllung anzusprechenden) Grubeninhalt verteilt.

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Abb. 1: Übersichtsplan zur Grabung Rennweg 16 – urgeschichtliche Befunde. (Plan: M. Mosser)

Eine Interpretation dieses Grubenbefundes ist nicht nur wegen seiner Unvollständigkeit nicht einfach: Trotz der unregelmäßigen Kontur scheint ein Vergleich mit zeitgleichen amorphen Grubenkomplexen,3 die zumeist als Materialentnahmegruben angesprochen werden, im vorliegenden Fall aufgrund der starken Eintiefung, des relativ ebenmäßigen Bodens (und der Wände?) und des Fehlens von unterschiedlichen Teilgruben nicht sehr treffend. Auf jeden Fall haben wir ein systematisch angelegtes und deutlich eingetieftes Siedlungsobjekt vor uns, das wahrscheinlich am besten als Erdkeller (evtl. in Verbindung mit einer Hütte?) gedeutet werden kann, wenngleich auch keine weiteren Konstruktionselemente wie Hüttenlehm oder Pfostengruben gefunden werden konnten. 4 Zu den Funden Neben den Tierknochen (darunter auch einige wenige Artefakte, u. a. zugespitzte und spatelförmige Stücke) setzt sich das Fundmaterial ausschließlich aus Keramik zusammen, Steinobjekte wurden keine gefunden. 5 An keramischen Gerätschaften können ein radförmiger Spinnwirtel (Taf. 2,12) sowie eine stark fragmentierte flache Tonscheibe genannt werden. Im Repertoire der Gefäßkeramik sind Schalen- und Tassenformen, Töpfe und amphorenartige Gefäße vorherrschend. Wie bei Siedlungsmaterialien zu erwarten, ist aber auch ein vielfältiges Spektrum unterschiedlichster Varianten, Sonderformen oder insignifikanter Formen vertreten (z. B. Taf. 1,5.7). Bei den Schalen ist die absatzförmig abgestrichene Verdickung des Randes an der Innenseite überaus charakteristisch (Taf. 2,7.9.10), welche markant abgestuft oder aber auch flauer („lanzettförmig“) erscheinen kann. 6 Kleine Schalenformen weisen nach innen rundlich verdickte Ränder auf; an der Randaußenseite langoval gestaltete Knubben bzw. Auszipfelungen können mitunter senkrecht durchlocht sein (Taf. 2,8) oder sie sind als senkrechte Ösenhenkel ausgeformt (Taf. 2,10). Randständige Doppelhenkel sind als Ösenform und auch als englichtige Bandhenkel vertreten (Taf. 2,10.7).

3 Vgl. beispielsweise Turek/Dvorˇ ák/Peška 2003, 184 und Fig. 1; A. Mateˇ jícˇ ková, Sídlišteˇ kultury zvoncovitých poháru° v Žádovicích (okr. Hodonín). Siedlung der Glockenbecherkultur in Žádovicích (Okr. Hodonín). Praveˇ k Suppl. 5 (Brno 1999) Taf. 9. 4 Ein sonst gut vergleichbarer Siedlungsbefund der Jevišovice-Kultur aus Schrick, NÖ, wurde jüngst als Grubenhütte angesprochen: G. Artner/Ch. Farka/M. Krenn, TrassenArchäologie. Neue Straßen im Weinviertel. FÖMat A, Sonderh. 4 (Wien 2006) 16 f. bes. Abb. auf S. 17. 5 Die Mehrzahl der Knochengeräte hat jedoch den Charakter von Spontanwerkzeugen zur Ad-hoc-Verwendung (siehe Beitrag S. Czeika, 42 ff.). Für die Mithilfe bei der zeichnerischen Aufnahme der Keramik sei Michaela Kronberger herzlich gedankt. 6 L. Franz et al., Die prähistorische Sammlung des Niederösterreichischen Landesmuseums. Mat. Urgesch. Österr. 2 (Wien 1924) 25 sprechen Schalen mit dieser signifikanten Randgestaltung nicht zu Unrecht als „Glockenbecherschüssel“ an.

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M. Penz, Eine Siedlungsgrube der späten Glockenbecherkultur aus Wien 3

Abb. 2: Die fast fertig ausgegrabene endneolithische Grube sowie eine frühbronzezeitliche Hockerbestattung, Richtung Westen. (Foto: M. Mosser)

Abb. 3: Die vollständig ausgegrabene Grube, Richtung Osten. (Foto: M. Mosser)

Bei den Tassen ist eine sehr große Variationsbreite festzustellen. Grundsätzlich ist ein gedrückt-bauchiger bis kugelig-bauchiger Gefäßkörper zu beobachten, auf dem ein (meist deutlich) abgesetzter zylindrischer Hals aufgesetzt ist (Taf. 2,1–6). Die größeren Stücke (Taf. 2,1 und 2,4) tendieren formenkundlich beinahe zu den gleichartig aufgebauten gegliederten Töpfen, sind aber aufgrund ihrer feinen Machart den Tassen bzw. Krügen zuzuordnen. An Verzierungsformen auf Tassen sind sowohl eingeritzte senkrechte Rillenbündel als auch Stempelmuster zu finden, welche umlaufend (linear und zickzackförmig) oder aber in metopenartiger Ausführung (Winkelhaken, Leiterbandmotiv, Zickzackband)7 angeordnet sind (Taf. 1,1–3). Ursprünglich vorhandene weiße Inkrustation ist noch anhand minimaler Reste beim Fragment Taf. 1,2 feststellbar. Auch den Großgefäßen wie Töpfen und Amphoren ist stets ein abgesetzter, annähernd zylindrischer Hals eigen, der Umbruch zur Schulter wird dabei gerne durch eine Leiste mit eingedrückten Verzierungen (v. a. Formstiche, nur selten 7 Die nächsten Entsprechungen findet dieser sonst einzigartige Dekor z. B. auf einer Tasse aus Scharlinz, OÖ (F. Stroh, Funde der Glockenbecherkultur in Oberdonau. Skelettgräber in Scharlinz. WPZ 28, 1941, Abb. 3 und 4) oder im südmährischen Gräberfeld Šlapanice; Zusammenstellung von Tassen aus verschiedenen Gräbern bei P. Dvorˇ ák, Pohrˇ abišteˇ lidu s kulturou se zvoncovitými poháry ve Šlapanicích (okr. Brno-venkov). In: Praveˇ ké a slovanské osídlení Moravy (Sborník k 80. narozeninám Josefa Poulíka) (Brno 1990) Tab. II. 8 Vgl. auch ebensolche Ansprachen bei Ch. Neugebauer-Maresch/J.-W. Neugebauer, (Glocken-)Becherzeitliche Gräber in Gemeinlebarn und Oberbierbaum, NÖ. Festschr. Karl Kromer zum 70. Geburtstag. MAG 123/124, 1993–1994, in den Katalogbeschreibungen (passim). 9 Neugebauer/Neugebauer-Maresch 1998, 307; ausführliche Forschungsgeschichte bei V.

Fingerkuppeneindrücke oder Fingertupfen) markiert. An den Rändern sind neben eingekerbten bzw. eingedrückten Verzierungen auch knubbenförmige Verdickungen bzw. Auszipfelungen auffällig (Taf. 3,2.3.5). Die gängigen Applikationen wie Knubben, Leisten oder auch Henkel sind in aller Regel randständig bis knapp unterrandständig angebracht, nur im Falle der Amphoren liegen sie üblicherweise auf dem bauchigen Gefäßkörper (Taf. 1,4.6 und 3,1). Die Qualität der Gefäßkeramik, insbesonders auch jene der Oberflächenbeschaffenheit, ist als außergewöhnlich gut zu bezeichnen. Dafür mitverantwortlich waren wahrscheinlich die vorteilhaften Erhaltungsbedingungen durch die oberflächenferne Lagerung (in Summe etwa 2,40 m unter rezentem Niveau). Der im Bruch meist graue, graubraune bis grauschwarze Ton wirkt gut aufbereitet (dichte, feine Struktur) und wurde nur mäßig mit Sand bzw. kleinen Steinchen gemagert. Die Tonware wurde überwiegend in reduzierender Atmosphäre hart gebrannt, ihr äußeres Erscheinungsbild ist hauptsächlich graubraun bis schwarzbraun, seltener weist auch hellbraune bis rötlich braune Farbe der Oberfläche auf Sauerstoffzufuhr in der letzten Brennphase hin. Tassen, Krüge

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und Schalen zeigen zusätzlich eine aufwändige Überarbeitung der Oberfläche, grobe bis feine Glättung bzw. Politur ist dabei die Regel. Bisweilen handelt es sich bei den flächig glänzend-glatten Oberflächen wohl auch um überglätteten feinen Schlickerüberzug (Engobe), der sich quasi als hauchdünne Haut vom übrigen Tonscherben abhebt. 8 Selbst bei großen Töpfen oder Amphoren können die oberen Gefäßpartien (Rand, Hals, Schulter) sehr gut überglättet sein, wohingegen die Unterteile (mitunter durch umlaufende Leisten strikt abgegrenzt) intentionell geraute Oberflächen aufweisen (Taf. 1,6 und 3,2). Diese sog. Schlickrauung wirkt wie gleichmäßig verteilter Schlickbewurf, weitere Überarbeitungsspuren wie Fingerverstreichung, Besenstrich, Wirrfurchen etc. sind nur sehr gelegentlich zu beobachten.

Abb. 4: Verfüllungsbänder am Rand, die den anstehenden Lösslehm stark unterschneiden, deuten auf eine eingebrochene Grubenwandung hin. (Foto: M. Mosser)

Auswertung und kulturelle Stellung Der ostösterreichische Raum wird innerhalb der weiten Verbreitung der Glockenbecherkultur (bzw. glockenbecherführender Kulturen) zur mitteleuropäischen Ostgruppe gezählt, wobei wegen der starken Gemeinsamkeiten innerhalb von Mähren, Niederösterreich, Burgenland und Westungarn auch von einer „Mährischen Regionalgruppe“ gesprochen werden kann. 9 Nach wie vor grundlegend ist die durch die tschechische Forschung vorgenommene Dreiteilung des Fundbestandes,10 die grosso modo auch als eine chronologische Gliederung verstanden werden kann. Analog dazu wird auch das österreichische Material in drei Fundgruppen eingeteilt, die an das Ende der neolithischen resp. kupferzeitlichen Epoche zu stellen sind, wobei starke Berührungspunkte bzw. Überschneidungen zur Schnurkeramischen Kultur sowie ein Nachwirken in der frühesten Bronzezeit feststellbar sind. 11 Die Keramikformen vom Rennweg 16, v. a. die charakteristischen Tassen- und Schalenformen, lassen sich problemlos der dritten (sog. Ragelsdorf-Oggau-) Gruppe anschließen und finden beispielsweise in den Grabfunden aus Ragelsdorf, Oberbierbaum oder Zwingendorf beste Entsprechungen. 12 Grundsätzlich kennzeichnend für die späteste Gruppe wäre das Vorherrschen eines breiten Spektrums an unverzierter „Begleitkeramik“ neben den namengebenden, stempelverzierten Glockenbechern in den Gräbern. Nach und nach verschwinden die verzierten Becher zugunsten variantenreicher Tassenformen; die Stempelornamentik wird seltener, tritt höchstens in metopenartigen Mustern in Erscheinung und wird gegen Ende der typologischen Entwicklung von Ritzbzw. Rillenverzierungen sowie plastischem Leistendekor abgelöst. 13 Aus der Sicht des ostösterreichischen Fundmaterials erschien in jüngerer Zeit eine weitere Unterteilung dieser dritten Stufe möglich bzw. nötig, wobei sie nunmehr als „Ragelsdorf-Oberbierbaum-Gruppe“ benannt und eine entwickeltere Stufe als „Oggau-Wipfing-Gruppe“ abgetrennt wurde, welche bereits in die früheste Bronzezeit führt. 14 Es scheint jedoch plausibel, diese beiden Gruppen als auf-

Heyd, Die Spätkupferzeit in Süddeutschland. Untersuchungen zur Chronologie von der ausgehenden Mittelkupferzeit bis zum Beginn der Frühbronzezeit im süddeutschen Donaueinzugsgebiet und den benachbarten Regionen bei besonderer Berücksichtigung der keramischen Funde. Saarbrücker Beitr. Altkde. 73, 2000, 11 f. oder 157 ff. Für regen und fruchtbaren fachlichen Austausch bedanke ich mich bei Daniela Kern und Oliver Schmitsberger. 10 P. Dvorˇ ák, Die Glockenbecherkultur in Mähren. In: M. Buchwaldek (Hrsg.), Das Äneolithikum und die früheste Bronzezeit (14C 3000–2000 b. c.) in Mitteleuropa. Akten 14. Internat. Sympos. Prag-Liblice, 20.– 24.10. 1986. Praehistorica 15 (Praha 1989) 201–205; zuletzt bei B. Metzinger-Schmitz, Die Glockenbecherkultur in Mähren und Niederösterreich (Diss. Univ. Saarbrücken 2004; http://scidoc.sulb.uni-saarland.de/volltexte/ 2004/320 [31.5. 2010]) zu einer fünfstufigen Gliederung erweitert. 11 Neugebauer 1994, 35–48; Neugebauer/ Neugebauer-Maresch 1998 und Neugebauer/ Neugebauer-Maresch 2001. 12 Neugebauer 1994, 35–48; NeugebauerMaresch/Neugebauer (Anm. 8); Neugebauer/ Neugebauer-Maresch 1998 und Neugebauer/ Neugebauer-Maresch 2001; D. Kern, Endneolithisches Gräberfeld mit Glockenbechern von Zwingendorf/Alicenhof, VB Mistelbach, Niederösterreich. ArchA 84/85, 2000/2001, 307– 328. 13 Dvorˇ ák (Anm. 10) 204; Neugebauer/Neugebauer-Maresch 1998, 308 f. 14 Neugebauer/Neugebauer-Maresch 1998; Neugebauer/Neugebauer-Maresch 2001.

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15 GBK IIIa/IIIb nach O. Schmitsberger, Ausgrabungen auf der Trasse der Ortsumfahrung Maissau 2008/Fläche „1-Süd“. Befunde vom Altneolithikum bis zum Frühmittelalter. FÖ 47, 2008, 475 und ebd. 475–478 mit aktueller Diskussion der in der Literatur noch kontrovers gesehenen Feinchronologie. 16 Vgl. innerhalb der reichen mährischen Siedlungsbestände: Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005. 17 Dieses Problem konnte auch in der mährischen Forschung, trotz des besseren Quellen- und Forschungsstandes, noch nicht gelöst werden; vgl. Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005, 16; Turek/Dvorˇ ák/Peška 2003, 188. 18 P. Dvorˇ ák/L. Hájek, Die Gräberfelder der Glockenbecherkultur bei Šlapanice (Bez. Brno-venkov). Katalog der Funde. Mährische Arch. Quellen (Brno 1990) Taf. XXXV,1; XXXVII,1. 19 Heyd (Anm. 9) 310–318; 358–388 Taf. 81; 107. 20 Hier ist Karlheinz Steppan (Freiburg im Breisgau) zu danken, der im Rahmen eines Forschungsprojekts zur DNA von neolithischen Pferden die 14C-Messungen im AMS-Labor Erlangen veranlasste. 21 P. Stadler, Ein Beitrag zur Absolutchronologie des Neolithikums in Ostösterreich aufgrund der 14C-Daten. In: E. Lenneis/Ch. Neugebauer-Maresch/E. Ruttkay, Jungsteinzeit im Osten Österreichs. Wiss. Schriftenr. Niederösterr. 102/105 = Forschber. Ur- u. Frühgesch. 17 (St. Pölten, Wien 1995) 224 mit Tab. 2. 22 E. Ruttkay/P. Stadler, Schwechat. FÖ 18, 1979, 308–310. 23 Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005, 37– 43 Taf. 22–33. 24 Neugebauer 1994, 44. 25 Schmitsberger (Anm. 15) 468–480. 26 Zu Siedlungsnachweisen z. B.: A. Endro˝ di, Results of Settlement Archaeology in Bell Beaker Culture Research in Hungary. In: M. Benz/S. v. Willigen (ed.), Some New Approaches to the Bell Beaker “Phenomenon”: Lost Paradise …? Proc. of the 2 nd Meeting of the “Association Archéologie et Gobelets” Feldberg (Germany), 18 th–20 th April 1997. BAR Internat. Ser. 690 (Oxford 1998) 141–160; J. Turek/J. Peška, Bell Beaker Settlement Pattern in Bohemia and Moravia. In: F. Nicolis (ed.), Bell Beakers Today. Pottery, People, Culture, Symbols in Prehistoric Europe. Proc. Internat. Coll. Riva del Garda (Trento, Italy), 11–16 May 1998 (Trento 2001) 411–428; Turek/Dvorˇ ák/Peška 2003; V. Heyd/L. Husty/L. Kreiner (mit einem Beitrag von H. Manhart), Siedlungen der Glockenbecherkultur in Süddeutschland und Mitteleuropa. Arbeiten Arch. Süddeutschland 17 (Büchenbach 2004); Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005.

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einanderfolgende Zeitstufen noch innerhalb der späten Glockenbecherkultur anzusiedeln. 15 Das innerhalb eines Fundverbandes gemeinsame Auftreten von Ritz- und Stempelzier auf Tassen vom Rennweg 16 (Taf. 1,1–3) ist bislang kaum belegt16 und würde sich nach den Umschreibungen der chronologischen Stufenabfolge sogar tendenziell ausschließen. Einerseits können die stempelverzierten Tassenfragmente als Altstücke angesehen bzw. eine längere Grubenverfüllungszeitspanne angenommen werden, andererseits jedoch sollte nicht vergessen werden, dass unsere Chronologiegerüste aus Grabensembles erstellt wurden und nicht reibungslos auf Siedlungsfunde anwendbar sind. 17 Henkeltassen mit ausschließlich freien umlaufenden Linien und Zickzacklinien sowie senkrechten Ritzlinien- bzw. Rillenbündeln erscheinen aber zumindest vereinzelt im Gräberfeld Šlapanice III, Bezirk Brno-venkov, Grab III/1/36 sowie Grab III/5/36. 18 Bezüglich des süddeutschen Chronologieschemas der Glockenbecherkultur nach Volker Heyd ist unser Material gut mit den spätkupferzeitlichen Phasen GBK B1–B2 a parallelisierbar. 19 Aus der Grubenverfüllung vom Rennweg 16 wurden auch fünf Proben von Tierknochen für 14C-Datierungen entnommen,20 die als kalibriertes Ergebnis einen absolutchronologischen Rahmen von 2465–2146 calBC (1-Sigma-Genauigkeit, d. h. das reale Probenalter liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,2% im angegebenen Intervall) erbrachten. Bedingt durch die zahlreichen Wiggles der flachen Kalibrationskurve in diesem Bereich ergeben sich relativ große Intervalle, welche sich aber alle fünf bei 1 Sigma innerhalb eines Zeitfensters 2396–2301 v. Chr. überlappen (Abb. 5). Diese Datierung ins 24. Jahrhundert v. Chr. entspricht sehr gut den Erwartungen, vergleicht man sie z. B. mit der Gruppenkalibration von bislang 29 Radiokarbondaten für die gesamte Glockenbecherkultur im ostösterreichischen Raum, die ein Intervall von 2600– 2000 calBC (1 Sigma) ergab; allerdings wird der Beginn der Frühbronzezeit heute generell bereits um 2200 v. Chr. angesetzt. 21 Beste Parallelen innerhalb glockenbecherzeitlicher Siedlungsmaterialien finden sich in allernächster Nähe in Wien 11, Csokorgasse/Etrichstraße (siehe Anhang 1) und Schwechat22 sowie in Brno-Obrˇ any, Tschechien23. Bis vor kurzem noch waren in Österreich glockenbecherzeitliche Siedlungen nur durch „Andeutungen“ wie Lesefunde oder schlecht befundete Altfunde erschließbar. 24 Erst in den vergangenen Jahren wurden auch einige größere bzw. gesicherte Fundverbände aus verschiedenartigen Siedlungsgruben bekannt, neben den Wiener Fundorten Rennweg 16 und Csokorgasse/Etrichstraße jüngst auch in Maissau (NÖ), wo u. a. ein Grubenkomplex mit stempelverzierten Becherscherben auch deutlich früher anzusetzen ist. 25 Klare Siedlungsnachweise blieben lange Zeit auch in den übrigen Regionen des Verbreitungsgebietes der Glockenbecherkultur eine Seltenheit, so dass man früher etwa an eine nomadisierende Kulturform oder an eine eingewanderte Reiterkriegerschicht dachte. Mit einer etwas besseren Quellenlage26 verschwanden auch solche pauschalen Etikettierungen, übereinstimmend wird heute von kleinen Siedlungseinheiten in Streulage ausgegangen, welche landwirtschaftlich geeignete Talränder bzw. -ebenen in Gewässernähe bevorzugten. Eine lange Siedlungsdauer ist dabei

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Abb. 5: Kalibrationsergebnisse der 14C-Datierungen anhand des Programms Oxcal v4.1.5 von B. Ramsey (dunkelgrau: Wahrscheinlichkeit von 68,2%; hellgrau: von 95,4%).

nicht zu erwarten, sondern eher ein häufiger Wechsel der Lokalität; da Pfostenbauten selten stichhaltig belegbar sind, setzt man gerne Wohnhäuser in Blockoder Ständerbauweise voraus, die weniger stark eingetiefte Spuren im Boden hinterließen. Darüber hinaus gibt es in Mitteleuropa genügend Hinweise auf eine sesshafte Mischwirtschaft aus Tierzucht und Landwirtschaft, eine breitgefächerte Stein- und Knochenindustrie, Textilhandwerk und sogar lokale Metallurgie. 27 Eine wirtschaftliche Spezialisierung dürfte sich in der ungarischen Glockenbecher-Csepel-Gruppe herausgebildet haben: Hier wurde in den Fundstellen, die sich hauptsächlich rund um Budapest eng entlang der Donau konzentrieren, eine Dominanz von Pferden (bis zu 65% aller Tierknochen) festgestellt, wie dies sonst nur bei Reiternomaden in weiter entfernten Steppengebieten Osteuropas zu finden ist, was an Pferdezucht bzw. Pferdehaltung und -handel denken lässt. 28 Nun ist im Vergleich zu den Wiener Fundstellen nicht nur die Parallele mit dem räumlichen Bezug zur wichtigen Ost-West-Verkehrsader Donau bemerkenswert, sondern gerade auch das hier ebenfalls festgestellte, ähnlich hohe Pferdevorkommen (Csokorgasse 47,89%, Rennweg 82,3%; siehe auch Beitrag S. Czeika, 32 ff.). 29 Wenngleich die archäozoologischen Daten im Detail nicht gut parallelisierbar sind, lässt sich diese Gemeinsamkeit unter Umständen durch ähnliche, einigermaßen günstige landschaftliche Voraussetzungen für Pferdehaltung erklären. In unserem Fall wären dies die Auwälder entlang der Donauniederung sowie das anschließende ausgedehnte Wiener Becken nördlich als auch südlich der Donau, das als flache, baumarme Graslandschaft infrage kommen könnte. Darüber hinaus erscheint es sehr verlockend, die endneolithische Kupferklinge aus Wien-Eßling (siehe Anhang 3), welche den westlichsten Vertreter eines pontisch-kaukasischen Typs darstellt,30 im eben angerissenen Kontext zu sehen, gilt doch eben jene Region gemeinhin als eine der Ursprungsstätten für Pferdedomestikation. 31 Im Anschluss soll noch auf drei weitere Neuigkeiten aus der Forschung zur Glockenbecherzeit im Wiener Raum eingegangen werden:

27 Beispielweise für das benachbarte Mähren: Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005, 14 f. 28 R. Kalicz-Schreiber, Die Probleme der Glockenbecherkultur in Ungarn. In: J. N. Lanting/J. D. van der Waals (Red.), Glockenbecher-Symposion Oberried 1974 (Bussum et al. 1976) 214; R. Kalicz-Schreiber/N. Kalicz, Were the Bell Beakers as Social Indicators of the Early Bronze Age in Budapest? In: Nicolis (Anm. 26) 451–454; N. Benecke, Archäozoologische Studien zur Entwicklung der Haustierhaltung in Mitteleuropa und Südskandinavien von den Anfängen bis zum ausgehenden Mittelalter. Schr. Ur- u. Frühgesch. 46 (Berlin 1994) 127. 29 S. Czeika, Über die Datierbarkeit archäozoologischer Funde – Fallbeispiel Csokorgasse. FWien 5, 2002, 23; dies., Archäozoologische Fundkomplexe im Wiener Stadtgebiet (Diss. Univ. Wien 2008) Kap. 5.2; zusammenfassend M. Penz, New Evidence of Settlements of the Late Bell Beaker Period in Vienna, Austria. In: Proc. Conference “Bell Beaker Days along the Riverside” of the “Association Archéologie et Globelets”, Budapest-Szentendre 7.–11.5. 2009, in Druck. 30 Th. Zimmermann, Zwischen Karpaten und Kaukasus – Anmerkungen zu einer ungewöhnlichen Kupferklinge aus Wien-Essling. Arch. Korrbl. 33, 2003, 469–477. 31 Benecke (Anm. 28) 64–75.

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Abb. 7: Silexpfeilspitze von der Grabung Wien 3, Klimschgasse 19–21, 2004/05. (Foto: M. Penz) Abb. 6: Auswahl an Keramikfunden der Grabung Wien 11, Csokorgasse 1997. (Foto: M. Penz)

Anhang 1: Wien 11, Csokorgasse Vom Bereich Mühlsangergasse–Csokorgasse in Wien-Simmering sind neben einem ausgedehnten awarischen Gräberfeld auch spätbronzezeitliche Grabund Siedlungsfunde bekanntgeworden. Bei der Auswertung der urnenfelderzeitlichen Siedlungsreste wurden auch die Befunde einer Rettungsgrabung von 1997 vom Grundstück Ecke Csokorgasse/Etrichstraße als „Fundstelle 8“ miteinbezogen und ebenfalls in die ältere Urnenfelderkultur datiert. 32 Tatsächlich können wir jedoch, neben einer fundleeren Grube sowie einem schwer einordenbaren (weil fundmäßig durchmischten) größeren amorphen Grubenkomplex, zumindest drei Gruben als eindeutig endneolithisch ansprechen (Gruben 3–5). Da diese Revision bereits an anderer Stelle veröffentlicht wird,33 seien hier nur zwei Bemerkungen angebracht: 1. Es soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass ein Radiokarbondatum, welches eine kupferzeitliche Datierung verifiziert, mit falscher Grubenzuweisung 32 GC 1997_04: Lindinger 2008, 63; 130– 155. Grabungsbericht: N. Piperakis, Wien 11, Csokorgasse/Etrichstraße. FWien 1, 1998, 163–165. 33 Penz (Anm. 29). 34 Czeika 2002 (Anm. 29) 23; Czeika 2008 (Anm. 29). 35 Lindinger 2008, 64. Die unterschiedlichen Zählweisen beziehen sich abwechselnd auf jene der Grabung sowie der Auswertung (freundl. Mitt. des Ausgräbers N. Piperakis). 36 Lindinger 2008, 130–145. 37 K. Willvonseder, Gräber der älteren Bronzezeit von Leopoldsdorf, Niederösterreich. Germania 21, 1937, Taf. 1,4; Neugebauer 1994, Abb. 18,1; 19,2.

publiziert wurde: Bei Grube 7 nach Sigrid Czeika34 handelt es sich richtigerweise um Grube 3 nach der Befundzählung bei Volker Lindinger. 35 Somit kann dem 14C-Ergebnis (2460–2130 calBC) auch ein typologisch homogener Keramikverband zur Seite gestellt werden. 2. Soweit überschaubar, wurden alle Randstücke durch V. Lindinger vorgelegt. 36 Nach einer erneuten (groben) Durchsicht der Funde wären aber folgende Ergänzungen bezüglich aussagekräftiger Boden- bzw. Wandfragmente sinnvoll (Abb. 6): Erstmalig in Österreich erscheint eine Füßchenschale aus gesichertem Siedlungskontext, wie sie sonst etwa von Gräbern aus Leopoldsdorf, Oggau oder Oberbierbaum bekannt ist. 37 Weiters bemerkenswert ist neben unregelmäßigem Besenstrich bzw. Wirrfurchen das mehrmalige Auftreten von feinem Kamm- oder Zinkenstrich (senkrecht als auch waagrecht), wie er

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z. B. am Rennweg 16 nicht auftritt. Diese ansonsten im mittleren Donauraum typisch älterurnenfelderzeitliche Zierweise ist aber auch im endneolithischen Kontext mehrfach bestens belegt. 38 Erwähnt werden soll zuletzt noch die Wandscherbe einer großen, bauchigen Amphore mit plastischen Leisten, die zum Ansatz eines Bandhenkels führen, eine im späten Endneolithikum grundsätzlich sehr beliebte Verzierungsweise. 39 Anhang 2: Eine endneolithische Silexpfeilspitze aus Wien 3, Klimschgasse 19–21 Zu Beginn des Jahres 2005 konnte bei den Grabungen in Wien 3, Klimschgasse 19–21,40 eine Silexpfeilspitze als verlagerter Einzelfund aus dem oberen Bereich einer römerzeitlichen Grabenverfüllung geborgen werden (Abb. 7): Geflügelte und gestielte Pfeilspitze; trianguläre, langschmale Form mit gerade gearbeiteten Kanten, bifacial flächig retuschiert, äußerste Spitze alt abgebrochen; graubläulicher Hornstein mit punktförmigen weißen Einschlüssen; L: 3,05 cm; B: 2,40 cm; D: 0,75 cm; Fnr. 97.

Geflügelte und gestielte Formen gelten üblicherweise als endneolithisch bis frühbronzezeitlich bzw. werden auch als typisch glockenbecherzeitlich, und zwar als explizit westeuropäische Form, angesprochen. 41 Tatsächlich ist im mitteleuropäischen Raum diese Form ausgesprochen

Abb. 8: Lage der Fundstelle der endneolithischen Doppelbestattung in Wien 22, Eßling.

selten, hier waren während des gesamten Spätneolithikums Pfeilspitzen mit gerader oder konkaver Basis bzw. nur geflügelte Formen geläufig. Anhang 3: Verortung der endneolithischen Doppelbestattung von Wien-Eßling Von dem altbekannten Doppelgrab aus Wien-Eßling, aus welchem eine kulturgeschichtlich bedeutende Dolch- bzw. Lanzenspitze aus Kupfer nordpontischkaukasischer Provenienz zutage kam,42 waren in der einschlägigen Literatur bis zuletzt keine näheren Fundumstände bekannt. Nur sehr lapidar erwähnt Josef F. Kastner in seinem Fundbericht: „Eßling. Bei Anlage von Gräben im März–April 1944 in 1,60 m Tiefe eine Doppelhockerbestattung freigelegt mit gegossenem Griffzungendolch aus Kupfer und 2 kl. Wandstücken eines Gefäßes. Späte Jungsteinzeit.“43 Aufgrund laufender Baubeobachtungen und Rettungsgrabungen rückte in den letzten Jahren das ehemalige Flugfeld in Wien-Aspern erneut ins Zentrum stadtarchäologischer Interessen (siehe Beitrag M. Penz, 224 ff.). Bei der Durchsicht des Fundstellenverzeichnisses der Sammlung Kastner44 konnte eben auch jenes Eßlinger Grab identifiziert werden, unter Fundstelle LXXX ist hier vermerkt: „Östliches Flugfeld. Bei Fliegerabwehrgeschütz Nr. 8 (Hauptmann Meixner): Doppelhockerbestattung. Beigaben: ein kupferner Griffzungendolch, 2 Topfscherben. Spätjungsteinzeitlich. 3. IV. 1944.“

38 Neugebauer 1994, Abb. 17,16; Ruttkay/ Stadler (Anm. 22) Abb. 182; Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005, Taf. 25,85.87. 88; 27,128 etc. 39 Z. B. Ch. Neugebauer-Maresch, Die Lokalgruppe der Schnurkeramik des Unteren Traisentales. In: Neugebauer 1994, 23–35 Abb. 9,8.10; Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/Mateˇ jícˇ ková 2005, Taf. 26,105; 76,30; 92,91.94 etc. 40 GC 2004_08: M. Müller, Wien 3, Klimschgasse 19–21. FWien 8, 2005, 213–218. 41 J. Hahn, Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Einführung in die Artefaktmorphologie. Arch. venatoria 10 (Tübingen 1991) 217; L. Hájek, Die älteste Phase der Glockenbecherkultur in Böhmen und Mähren. Pam. Arch. 57/1, 1966, 230– 232. 42 Zimmermann (Anm. 30). 43 GC 1944_08: J. F. Kastner, Wien XXII. – Eßling. FÖ 4, 1940–1945 (1952) 14. 44 Kastners Sammlung kam nebst diversen Unterlagen als Nachlass an das Niederösterreichische Landesmuseum für Urgeschichte in Aspern/Zaya; eine Kopie des Fundstellenverzeichnisses befindet sich auch im Archiv der Stadtarchäologie Wien.

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Tatsächlich waren bzw. sind die östlichsten Teile des ehemaligen – 1939 stark 45 Wien – Aspern, „Teile des ehem. Flugfeldes“. Kampfmitteltechnische Geländebewertung mit Luftbildteilvorauswertung, unveröffentl. Bericht im Auftrag der Wien 3420 Aspern Development AG (2008). 46 Gauß-Krüger-Koordinaten M 34: 6 = 13565; y = 342726.

vergrößerten und nach 1945 wiederum etwas verkleinerten – Asperner Flugfeldes der Katastralgemeinde Eßling zugehörig. Aufgrund der Recherchen der REW Munitionsbergungs GmbH,45 welche sich u. a. auf die Auswertung von kriegszeitlichen Luftbildern stützte, lässt sich der Nahbereich der infrage kommenden Flakstellung eindeutig lokalisieren (siehe Abb. 8)46 – und damit nunmehr auch die Fundstelle dieser endneolithischen Doppelbestattung.

Abgekürzt zitierte Literatur Lindinger 2008 Neugebauer 1994 Neugebauer/Neugebauer-Maresch 1998 Neugebauer/Neugebauer-Maresch 2001 Turek/Dvorˇ ák/Peška 2003

Ondrácˇ ek/Dvorˇ ák/ Mateˇ jícˇ ková 2005

V. Lindinger, Urnenfelderzeitliche Siedlungen in Wien. Untersuchungen zum Siedlungswesen der älteren Urnenfelderzeit in Ostösterreich (Saarbrücken 2008). J.-W. Neugebauer, Bronzezeit in Ostösterreich. Wiss. Schriftenr. Niederösterr. 98/101 = Forschber. Ur- u. Frühgesch. 16 (St. Pölten, Wien 1994). J.-W. Neugebauer/Ch. Neugebauer-Maresch, Zum Forschungsstand der Glockenbecherkultur in Ostösterreich. In: B. Fritsch (Hrsg.), Tradition und Innovation. Festschr. Ch. Strahm. Internat. Arch., Stud. honoraria 3 (Rahden/Westf. 1998) 307–324. J.-W. Neugebauer/Ch. Neugebauer-Maresch, Bell Beaker Culture in Austria. In: F. Nicolis (ed.), Bell Beakers Today. Pottery, People, Culture, Symbols in Prehistoric Europe. Proc. Internat. Coll. Riva del Garda (Trento, Italy), 11–16 May 1998 (Trento 2001) 429–437. J. Turek/P. Dvorˇ ák/J. Peška, Archaeology of Beaker Settlements in Bohemia and Moravia. An Outline of the Current State of Knowledge. In: J. Czebreszuk/M. Szmyt (ed.),The Northeast Frontier of Bell Beakers. Proc. Symposium held at the Adam Mickiewicz University (Poznan´, Poland), 26–29 May 2002. BAR Internat. Ser. S 1155 (Oxford 2003) 183– 208. J. Ondrácˇ ek/P. Dvorˇ ák/A. Mateˇ jícˇ ková, Siedlungen der Glockenbecherkultur in Mähren. Katalog der Funde. Praveˇ k Suppl. 15 (Brno 2005).

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Taf. 1: Glockenbecherzeitliche Keramik (Auswahl) von der Ausgrabung Wien 3, Rennweg 16. (Zeichnung: M. Penz/G. Reichhalter)

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Taf. 2: Glockenbecherzeitliche Keramik (Auswahl) von der Ausgrabung Wien 3, Rennweg 16. (Zeichnung: M. Penz/G. Reichhalter)

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Taf. 3: Glockenbecherzeitliche Keramik (Auswahl) von der Ausgrabung Wien 3, Rennweg 16. (Zeichnung: M. Penz/G. Reichhalter)

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S. Czeika, Pferde aus der Jungsteinzeit

Pferde aus der Jungsteinzeit. Endneolithische Tierreste vom Rennweg 16, Wien 3 Sigrid Czeika Die Anfänge der Pferdehaltung reichen in Mitteleuropa möglicherweise bis in das 4. Jahrtausend v. Chr. zurück. Die Frage nach der Herkunft der Hauspferde ist jedoch im Gegensatz zu den Nutztieren Rind, Schwein, Schaf und Ziege noch nicht völlig geklärt. Dementsprechend von großer Bedeutung ist jeder Fund, der zu Erkenntnissen über die Frühphase der Pferdedomestikation führt (Abb. 1). Im Jahr 2005 wurde im Dritten Wiener Gemeindebezirk bei einer Notgrabung auf einem 232 m2 großen Areal im Hofbereich der ehemaligen Staatsdruckerei u. a. ein eingetieftes Objekt dokumentiert, in dessen Verfüllung viele Tierknochen und Keramik der Glockenbecherkultur enthalten waren (siehe Beitrag M. Penz, 20 ff.). Die Grube war zwar aufgrund neuzeitlicher Störungen unvollständig und durch das Fehlen weiterer Siedlungsspuren aus dieser Zeit bleibt auch ihr Funktionszusammenhang unbekannt, aber es ist sicher, dass sie fast ausschließlich zur Entsorgung von Tierresten, hauptsächlich von Pferden, genutzt wurde. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, mehr über die Anfänge der Pferdedomestikation zu erfahren. Die Tierarten-Zusammensetzung der einzelnen Fundkomplexe der Verfüllung zeigt keine wesentlichen Unterschiede. Alle Fundnummern mit mehr als 50 bestimmbaren Tierresten weisen über 70% an Funden vom Pferd auf. Ein reartikulierbarer Skelettabschnitt aus zwei Fundkomplexen deutet darauf hin, dass es sich um eine einzige Verfüllung handeln dürfte. 1 Die Hauptmenge an versinterten Knochen befand sich in der Mitte der Grube – ein Hinweis auf unterschiedliche Bodenbedingungen innerhalb der Grube. Die Tierreste weisen vorwiegend alte Brüche auf, manchmal sind Schlagmarken stumpfer Gegenstände vorhanden. Vereinzelt sind auch Schnitt- und Hackspuren erkennbar. Selten ist Feuereinwirkung nachzuweisen. Die teilweise stark mit Sinter behafteten und manchmal auch fest aneinandergesinterten Knochen mussten erst von der Kalkauflagerung befreit werden. Allerdings war es notwendig, einige Stücke in ihrem ursprünglichen Zustand zu belassen, weil sie sonst durch die mechanische Reinigung zerstört worden wären. Die Knochengewichte sind daher mit Vorsicht zu betrachten und werden nur ergänzend angegeben. Die Auswertung der Tierreste folgt demnach hauptsächlich der Fundzahl. Von den 1668 (46,1 kg) Tierresten sind 768 (37,8 kg) bestimmbar. 2 Davon ge1 Bef.-Nr./Fnr. 211/187 Fl. 4 und 246/209. 2 Mein Dank gilt dem Paläontologischen Institut der Universität Wien, dessen osteologische Vergleichssammlung ich zu Bestimmungszwecken nutzen durfte.

hören über 80% der Skelettreste zum Pferd, was für Siedlungsbereiche sehr ungewöhnlich ist (Tab. 1). Weiters gibt es von den Haustieren 5,6% Rind, 3,9% Schaf/Ziege, 3,6% Hausschwein und 0,4% Hund. Die Wildtiere Ur, Wildschwein, Rothirsch und Biber sind mit Anteilen von jeweils unter 1% vertreten.

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Abb. 1: Pferd mit urtümlichen Merkmalen: kompakte, gedrungene Statur und Stehmähne. (Foto: S. Czeika)

2% der Rinderartigen konnten nicht eindeutig einer der Tierarten zugeordnet werden. Auch könnten sich unter den Rinder- bzw. Schweineresten noch einzelne Skelettelemente von Ur und Wildschwein befinden, denn besonders bei Jungtierknochen dieser Tierarten ist es nicht immer möglich, sie eindeutig zuzuordnen. Das Fehlen von kleineren Säugetieren, Vögeln und Fischen kann durchaus auf die händisch erfolgte Aufsammlungsmethode zurückzuführen sein. Trotz des recht hohen Fragmentierungsgrades der Skelettreste ließen sich etliche Messstrecken abnehmen (Tab. 2). Die meisten Maße stammen von vollständigen Zehenknochen vom Pferd. Die Tierarten Rind Die Skelettelemente vom Rind verteilen sich überwiegend auf Einzelzähne und Unterkieferfragmente, Fragmente von Schulterblatt, Rippe und Schienbeinknochen sowie auf periphere Beinelemente. Es fehlen Reste vom Becken und Mittelfußknochen, beinahe alle Hand- und Fußwurzelknochen und die dritten Zehenknochen. Die Altersverteilung streut breit, wobei etwas mehr Knochen von ausgewachsenen Individuen repräsentiert sind. An Altersstufen sind Jungtiere (eineinhalb Jahre und jünger), unter und über dreijährige Individuen sowie ein altadultes Tier bestimmbar. 3 Die wenigen vorhandenen Maße deuten auf mittelgroße bis kleinere Individuen hin. Verbissspuren gibt es auf etlichen Skelettelementen, Bearbeitungsspuren und Spuren von Feuereinwirkung sind selten. Schaf/Ziege Von den kleinen Hauswiederkäuern konnte nur das Schaf sicher nachgewiesen werden. Rumpffragmente überwiegen, Unterarmknochen, Hand- und Fußwur-

3 Altersbestimmung nach K.-H. Habermehl, Die Altersbestimmung bei Haus- und Labortieren2 (Hamburg, Berlin 1975).

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zelknochen und dritte Zehenknochen fehlen. Es gibt Skelettelemente von Jungtieren, eines davon war ein bis eineinhalb Jahre alt, und von ausgewachsenen Individuen. Wenige Knochen wurden von Hunden verbissen, selten sind Bearbeitungsspuren auf dem stark fragmentierten Material zu sehen. Schwein Die Schweinereste verteilen sich vorwiegend auf den peripheren Extremitätenbereich, gefolgt von Knochen vom Rumpf und mittleren Extremitätenknochen. Es fehlen Unterkiefer, Oberarm- und Oberschenkelknochen, Wirbel und die meisten Wurzelknochen. Von Jungtieren stammen mehr Reste als von adulten Individuen. Vereinzelt sind Bearbeitungsspuren vorhanden, einige Knochen wurden verbissen. Hund Zwei Unterkieferteile und das Fragment eines Oberschenkelknochens eines adulten Tieres repräsentieren die spärlichen Reste vom Hund. Wildtiere Die ebenfalls wenigen Nachweise von Wildtieren verteilen sich auf folgende Skelettelemente: Rippe,Wirbel, Oberarmknochen, Kniescheibe und Zehenknochen vom Ur, Unterkieferfragment,Wirbel, Fußwurzel- und Zehenknochen vom Wildschwein, Geweihfragment und Unterarmknochen vom Rothirsch und das Fragment eines Oberschenkelknochens von einem jungen Biber. Bei den Wildtieren handelt es sich fast durchwegs um Aubewohner, was aufgrund der Nähe zu den Donauauen nicht weiter verwunderlich ist. Pferd Die meisten Knochenreste vom Pferd stammen aus dem Rumpfbereich. Die Schädelregion ist unterrepräsentiert, hier gibt es hauptsächlich Einzelzähne und kleinere Unterkieferfragmente. Ansonsten sind die Funde weitgehend gleichmäßig über das gesamte Skelett verteilt. Bis auf die kleineren kompakten Skelettelemente ist häufig höchstens ein Viertel und nur selten über die Hälfte eines gesamten Knochens erhalten. Trotzdem sind einige Verbandfunde vorhanden: Drei hintere Brustwirbel, Hand- und Fußwurzelknochen, welche teilweise in situ aneinandergesintert sind, und Zehenknochen 1–3. Es liegen vorwiegend Reste von adulten Tieren vor. Zudem konnten einige Altersstufen erkannt werden: Einzelne Funde stammen von Individuen, welche unter einem Jahr, unter zweieinhalb Jahren, zwischen 10 und 15 Jahren und über 15 Jahre alt waren. Mindestens 12 Individuen konnten anhand der Beckenfunde eruiert werden. Alle anderen Skelettelemente ergeben eine geringere Mindestindividuenzahl. 4 Das Geschlechtsverhältnis, soweit an den Beckenfragmenten erkennbar, ist 4 Mittelfußknochen 10, Oberarmknochen 9, Unterarmknochen 8, Fersenbein und Mittelhandknochen je 7, Oberschenkel- und Unterschenkelknochen je 6, Schulterblatt 5 und Schädelfragmente/Zähne 4.

zugunsten weiblicher Tiere verschoben. Es konnten sechs weibliche und zwei männliche Individuen bestimmt werden. Zwei Unterkieferreste mit Eckzähnen weisen auf Hengste hin. Ein Fragment stammt von einer Stute, ein weiterer Teil könnte von einem weiblichen Jungtier sein.

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Krankhafte Veränderungen finden sich selten. Auf zu starke oder einseitige Belastung des Bewegungsapparates weisen verstärkte Muskelansatzleisten auf Schienbein- und Zehenknochen hin. Die häufigsten Bearbeitungsspuren sind Schnittspuren. Hiebspuren aber auch Schlagmarken stumpfer Gegenstände gibt es vereinzelt. Die Abtrennung des Schädels vom Rumpf erfolgte vorwiegend auf der Höhe des ersten Halswirbels, manchmal auch beim zweiten. Schnittspuren auf den peripheren Extremitätenanteilen weisen mehrheitlich auf Zerlegungsvorgänge hin, denn sie liegen in körperfernen Bereichen vorwiegend auf der Rückseite der Knochen, wo kräftige Sehnen ansetzen. Einige seitliche und vorderseitige Spuren an Zehenknochen stammen vom Abhäuten. Die meisten der Eingriffe dienten jedoch der Exartikulation (Abtrennung) im Zuge der Fleischgewinnung. Besonders häufig ist dies beim Ellbogen- und Schultergelenk zu erkennen: Die Knochen wurden nahe dem Gelenk aus dem Sehnenverband geschnitten. Das Unterkiefer wurde unmittelbar beim Gelenk vom Oberschädel abgetrennt. Spuren vom Abfleischen finden sich auf Schulterblattresten, auf Rippen und Wirbeln, vereinzelt auch am Becken. Die Maße der Pferdereste lassen erkennen, dass die Tiere vorwiegend klein und gedrungen gebaut waren. Beurteilung Bis auf die Skelettreste vom Hund und dem Geweihfragment vom Hirsch handelt es sich durchwegs um Reste der Fleischversorgung, welche möglicherweise nur zu einem äußerst geringen Teil durch die sonst üblichen Hauswiederkäuer und das Schwein abgedeckt wurde. Die Hauptmenge an fleischlicher Nahrung aus dieser Grube stammt eindeutig von Pferden. Pferdefleischkonsum war in unterschiedlichen Epochen, wie beispielsweise in der Bronzezeit, durchaus üblich. 5 Eine Aussage bezüglich der Fleischversorgung anhand eines einzigen Grubeninhaltes, noch dazu ohne jeglichen unmittelbaren Siedlungszusammenhang, muss trotzdem mit Vorsicht betrachtet werden. Haus- oder Wildpferd? Generell besteht die Problematik, dass Haus- und Wildpferdreste osteologisch kaum auseinandergehalten werden können. 6 Die allgemeine Größenreduktion während des Domestikationsvorgangs, wie er bei den Hauswirtschaftstieren beobachtet werden kann, ist beim Pferd kaum als Merkmal verwendbar. Einerseits zeigen Pferde wenig Größenabweichungen durch die Domestikation, andererseits waren die Tiere abhängig von den Populationen in Europa unterschiedlich groß. Dies erschwert zusätzlich die Frage nach einer Ausgangspopulation für die Domestikation. 7 Zudem veränderte sich im Laufe des Neolithikums bei lokalen Gruppen von Wildpferden die Größenvariation. 8 Die Frage nach der Ausgangspopulation für die Domestikation ist somit weiterhin offen – möglicherweise gab es mehrere Stellen, wo Pferde gezähmt und letztendlich in den Hausstand übergeführt wurden. Sándor Bökönyi9 nimmt drei Ausgangsgebiete an: zum einen eine Ausbreitung von Südwestasien aus nach Nordosten bis zum Balkan, weiters von Südrussland und der Südukraine aus bis in das

5 Bökönyi 1988, 248–249. 6 Bökönyi 1988, 236. 7 Vgl. Uerpmann 1990, 120–125; 135–140. 8 Vgl. K. Steppan,Taphonomie – Zoologie – Chronologie – Technologie – Ökonomie. Materialh. Arch. Baden-Württemberg 66, 2003, 121–128; ders., The Neolithic Human Impact on Wild Horses in Germany and Switzerland. In: Olsen et al. 2006, 209–220. 9 Bökönyi 1988, 240.

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Abb. 2: LSI-Verteilung der Messstrecken von Lang- und Kurzknochen der Pferdereste vom Rennweg 16 (Wien 3) im Vergleich mit den Funden aus der Csokorgasse (Wien 11), einer südwestfranzösischen neolithischen Fundstelle (Roucadour), süddeutschen neolithischen Fundstellen (beide aus Uerpmann 1990), einer mesolithischen Fundstelle (Mirnoe/Ukraine, Wildpferde), einer endneolithischen Fundstelle (Dereivka/Ukraine, möglicherweise Wildpferde) und einer glockenbecherzeitlichen Fundstelle (Csepel-Háros/Ungarn, Hauspferde) (alle aus Benecke 2006). Eingezeichnet sind Median, 1. und 3. Quartil, Minimum und Maximum.

Karpatenbecken sowie ein Domestikationszentrum in Mitteleuropa. Nach Haskel Greenfield10 befanden sich die Vorfahren der Hauspferde in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres und vielleicht noch weiter östlich und kamen von dort nach Ost- und Mitteleuropa. Norbert Benecke11 meint, dass die Hauspferde des Karpatenbeckens offensichtlich nicht von östlichen Pferdepopulationen ableitbar sind, sondern von einem kleinen, breitwüchsigen Pferdetyp, zu dem auch die mesolithischen Wildpferde von Mirnoe (Südwest10 H. J. Greenfield, The Social and Economic Context for Domestic Horse Origins in Southeastern Europe: a View from Ljuljaci in the Central Balkans. In: Olsen et al. 2006, 221–244; 230. 11 Benecke 1994, 74. 12 Benecke 2006, 203. 13 E. Pucher, Das endneolithische Tierknochenmaterial von Melk-Spielberg (Niederösterreich). Ann. Naturhist. Mus. Wien A 107, 2006, 221–238 bes. 228–230.

ukraine) zu zählen sind. Außerdem haben seiner Ansicht nach große Pferde von Südosteuropa eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Domestikation in Mitteldeutschland und Ostbayern gespielt. 12 Die Grazilisation wird von Erich Pucher als wesentlichstes Merkmal früher Domestikation gewertet. 13 Das bedeutet, die Knochen der Hauspferde sind schlanker und zierlicher als jene ihrer wilden Vorfahren. Eine große Streuung der Knochenmaße weist ebenso auf Hauspferde hin, wobei die durch Domestikation erhöhte Variation in der Regel weit unter das Minimum der Wildform

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streut, aber kaum Abmessungen die Werte der Stammform nach oben übersteigen sollten. Weiters gelten als Indiz für die Haustierhaltung eine erhöhte Häufigkeit im Fundmaterial sowie das Vorkommen außerhalb des Verbreitungsgebiets der Wildform. 14 Nachdem die vorliegende Fundstelle innerhalb des Verbreitungsgebiets von Wildpferden liegt, bleibt das letztere Indiz hier wirkungslos. Die erhöhte Häufigkeit im Fundmaterial weist allerdings auf eine leichte Verfügbarkeit hin. Dies ist sicherlich bei einer Haustierhaltung gegeben. Wenn aber eine Verbesserung der Lebensbedingungen für Wildpferde eintritt, beispielsweise durch die Intensivierung des Ackerbaus, könnte das zu einer stärkeren Bejagung führen, was ebenso in einer erhöhten Häufigkeit im Fundmaterial resultieren kann. 15 Vergleiche mit anderen Fundstellen In der Hoffnung, mehr über die Herkunft der Pferde aus der Grubenverfüllung vom Rennweg zu erfahren, wurden metrische und morphologische Merkmale verglichen. Metrischer Vergleich Für eine metrische Vergleichbarkeit der Pferdeknochen mit anderen Fundstellen wurde der LSI-Index16 als Größenindex verwendet. Die Berechnung ergibt, dass die Variabilität hoch ist, ebenso die Standardabweichung (Abb. 2). Bei den Funden aus der Csokorgasse (Wien 11) stammt der größte Minimalwert von einem geschätzten Maß. Aufgrund der geringen Materialbasis sind auch unvollständige und daher geschätzte Maße in die Analyse eingeflossen. 17 Die LSI-Verteilung ist durchaus mit anderen mitteleuropäischen Fundstellen vergleichbar. 18 Interessanterweise passt der Index der Rennweg-Pferde jedoch besser zur Population Mirnoes als zu den ebenfalls glockenbecherzeitlichen Hauspferden der ungarischen Fundstelle Csepel-Háros (Abb. 2). Der Index süddeutscher Funde ist eher kleiner, noch deutlicher ist dies bei südwestfranzösischen Funden erkennbar. Im Vergleich liegen die Funde aus Wien zwischen jenen des südukrainischen Mesolithikums und süddeutschen neolithischen Funden. Morphologischer Vergleich Ein direkter morphologischer Vergleich wurde anhand eines repräsentativen Teils der Skelettelemente mit Material der Archäologisch-Zoologischen Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien aus möglichst nahe gelegenen Fundstellen durchgeführt. 19 Es zeigte sich, dass die Zähne auffallend klein sind und daher zum Osttyp der Pferde passen würden. Allerdings sind die Molaren des Unterkiefers teilweise stark und unregelmäßig gekrümmt, was zusammen mit der Kleinheit der Zähne20 viel eher als ein Domestikationsmerkmal anzusehen wäre (Abb. 3). Die Extremitätenknochen sind hingegen sehr kompakt und gedrungen, ebenso die Ischiumsäule des Beckens (Abb. 4). Die Fersenbeine wirken sehr massiv (Abb. 5) und die Hufbeine sind relativ spitz (Abb. 6). Unter dem Postulat der Grazilisierung im Laufe der Domestikation weisen die Merkmale des Postcranialskeletts auf Wildpferde hin.

14 Benecke 1994, 64–75. 15 Uerpmann 1990, 109–153. 16 Nach Uerpmann 1990, 116–120. 17 Fundstelle 8, Grube 7; vgl. S. Czeika, Archäozoologische Fundkomplexe im Wiener Stadtgebiet (unpubl. Diss. Univ. Wien 2008). 18 Vgl. Benecke 2006, 195–208. 19 Mein herzlicher Dank geht an Dr. Erich Pucher, Naturhistorisches Museum Wien, der mir mit Vergleichsmaterial und seinem Wissen zur Verfügung stand. 20 Vgl. Bökönyi 1988, 236 f.

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Abb. 3: Kleine, teilweise stark gekrümmte Zähne des Unterkiefers von Pferden der endneolithischen Fundstelle Rennweg 16.

Skelettelemente eines Wildpferdes aus einem stichbandkeramikzeitlichen Materialkomplex aus Frauenhofen (Niederösterreich)21 sind wesentlich stattlicher als jene der Rennweg-Tiere. Lengyelzeitliches Material aus Friebritz (Niederösterreich)22 ist dagegen generell kleiner, zeigt einige Variabilität und hat gewisse morphologische Ähnlichkeiten mit den Knochenfunden vom Rennweg. Die Hauspferde der Bronzezeit waren deutlich schlanker und größer. Eisenzeitliche Pferde waren viel kleiner und zarter, römische Landpferde waren zwar größer, aber deutlich schlanker. Der distale Extremitätenbereich passt erstaunlicherweise gut zu römischen Kavalleriepferden, proximal waren letztere aber eindeutig größer und weniger gedrungen gebaut. Gute Übereinstimmung gibt es auch mit einem der awarenzeitlichen Pferde aus Vösendorf (Niederösterreich)23, welches zudem sehr ähnliche Oberarmknochenproportionen aufweist. Die Knochen dieses Pferdes haben laut E. Pucher einen wildpferdähnlichen Charakter. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Zähne zu Hauspferden gehören müssten, die Extremitätenknochen jedoch durchaus Ähnlichkeiten mit Wildpferden aufweisen. Die Wuchsform der Extremitäten ist distal mit den römischen Kavalleriepferden vergleichbar, sie sind insgesamt jedoch weitaus gedrungener als diese. Die Ähnlichkeit zu dem kompakt gebauten awarenzeitlichen Tier unterstreicht eher die Nähe zu Wildpferden. 21 E. Pucher, Das bronzezeitliche Pferdeskelett von Unterhautzenthal, P. B. Korneuburg (Niederösterreich), sowie Bemerkungen zu einigen anderen Funden „früher“ Pferde in Österreich. Ann. Naturhist. Mus. Wien B 93, 1992, 19–39. 22 E. Pucher, in Vorbereitung. 23 E. Pucher/T. Bruckner/A. Baar et al., Tierskelette und Tierknochen aus dem awarischen Gräberfeld von Vösendorf-Laxenburgerstraße. FÖ 45, 2006, 481–521.

Resümee Soweit an den wenigen vorhandenen Funden abschätzbar ist, scheint die Variationsbreite heimischer Wildpferde im Neolithikum recht groß gewesen zu sein. Nach dem Postcranialskelett zu schließen, wäre eine Zwischenstellung der Pferde vom Rennweg zwischen den wenigen bereits bekannten Wildpferdfunden durchaus denkbar. Die kleinen verkrümmten Zähne stehen jedoch in gewissem Widerspruch dazu. Könnte es sich daher um eine Haustierpopula-

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Abb. 4: Kompakte Beckenform mit kurzer Ischiumsäule von Pferden der endneolithischen Fundstelle Rennweg 16.

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Abb. 5: Kräftig gebaute Fußwurzelknochen von Pferden der endneolithischen Fundstelle Rennweg 16.

tion handeln, welche aus heimischen Wildformen hervorgegangen ist? Nimmt man die Reste des Wildpferdes von Frauenhofen als Vergleich her, dann stammen die Knochen vom Rennweg wegen ihrer Kleinheit von Hauspferden. Aber Letztere sind auch massiver als die Wildpferdknochen und es wäre das Gegenteil einer Grazilisierung bei der Haustierwerdung eingetreten. Ohne den Untersuchungsergebnissen über das Material von Friebritz vorgreifen zu wollen, ergibt sich im ersten Vergleich wiederum ein anders Bild. Die Knochen dieser Wildpferde scheinen weitgehend kleiner zu sein als diejenigen vom Rennweg. Eine Größenvariation der Hauspferde, die eher im unteren Bereich der Werte der Stammform streuen sollte, könnte damit nicht bestätigt werden. Somit ist ein Interpretationsversuch hinsichtlich einer aus heimischen Wildformen entstandenen lokalen Haustierpopulation in der einen oder

Abb. 6: Relativ spitz zulaufende Form des dritten Zehenknochens eines Pferdes der endneolithischen Fundstelle Rennweg 16.

anderen Weise widersprüchlich. Was natürlich zu beachten bleibt, ist die Tatsache, dass bis zu über 2000 Jahre zwischen den Wildtierfunden und den Funden vom Rennweg liegen. Wenn die Pferde vom Rennweg jedoch in anderen Populationen ihren Ursprung haben sollten, so müssten deren Vertreter nicht nur größer, sondern auch mindestens ebenso breitwüchsig gewesen sein. Das würde eine Herkunft der Pferde wegen ihrer massiven Knochen aus dem Osten vermuten lassen. Allerdings scheinen die Individuen der östlicheren Steppenpopulationen als Ausgangspopulation eher zu groß zu sein. Vielmehr könnten sie, so wie die Hauspferde vom Karpatenbecken, von einem kleineren, breitwüchsigen Pferdetyp abstammen, welcher den Wildpferden der Fundstelle Mirnoe nahesteht. 24

24 Vgl. Uerpmann 1990 und Benecke 1994, 74.

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Verblüffend ist auch der urtümliche Charakter der Skelettelemente, der keine Ähnlichkeit zum älteren Fund der Badener Kultur25 sowie zur Bronzezeit mit ihren schlankeren und größeren Individuen aufweist. Zusätzlich wirken die kleinen, verkrümmten Zähne als „fortschrittlichere“ Skelettteile als die Knochen, welche sich aufgrund ihrer Massivität scheinbar sehr „konservativ“ verhalten. Das steht genau im Gegensatz zur allgemeinen Kenntnis der sich im Laufe der Domestikation langsamer als das übrige Skelett verändernden Zähne. Das vorliegende Material wirft offensichtlich mehr Fragen auf, als es Antworten zur frühen Phase der Pferdedomestikation geben kann. Als Interpretation der Knochenfunde scheint eine Zwischenstellung innerhalb der heimischen neolithischen Wildpferde mit ungewöhnlich kleinen Zähnen ebenso möglich zu sein, wie die Annahme von sehr urtümlich wirkenden Hauspferden, die morphologisch den mesolithischen Wildpferden von Mirnoe nahestehen. Überlegungen zum Vorherrschen der Pferdereste Die große Menge an entsorgten Pferderesten aus der Fundstelle Rennweg 16 ist erstaunlich. Wenn die Grube für die Entledigung von Großtierresten „reserviert“ war, wäre die Häufung der Pferdeknochen abhängig von der Entsorgungsstruktur zu betrachten. Allerdings bliebe in diesem Fall das Rind als eigentliches Hauptwirtschaftstier trotzdem eindeutig unterrepräsentiert. Nachdem es sich fast ausschließlich um Nahrungsabfall handelt, geht aus der Zusammensetzung der Funde eine eindeutige Präferenz vom Pferd gegenüber dem Rind hervor. Unterstützt wird diese Beobachtung durch das Material aus der Csokorgasse, wo ein Grubeninhalt derselben Zeitstellung (siehe oben)26 ebenso eine deutlich erhöhte Fundzahl an Pferderesten enthielt. Sie ist zwar bei weitem nicht so hoch wie beim Fundmaterial vom Rennweg, aber mit fast der Hälfte an bestimmbaren Tierresten dennoch beachtlich groß. Zeitstellung und Maße der Knochen beider Fundstellen passen zusammen, so dass das Vorherrschen der Pferdeknochen im Fundmaterial vom Rennweg nicht als zufällige Häufung angesehen werden muss. Weil aus keiner anderen Epoche eine derartige Zusammensetzung der Tierarten bekannt ist, wirkt die Bevorzugung vom Pferd gegenüber dem Rind wie eine vorübergehende deutliche Änderung des ökonomischen Verhaltens. Auch wenn große Zeitspannen zwischen den nähesten bekannten Fundstellen liegen, stellt sich die Frage, warum ein so großer Unterschied zu ihnen besteht. Warum sollte im Endneolithikum eine „plötzliche“ Änderung in der Fleischversorgung stattgefunden haben? Ökologische Vorteile könnten dafür ausschlaggebend gewesen sein. Pferde kommen beispielsweise mit strengen, schnee25 E. Pucher, Ein neuer Tierknochenfundkomplex aus einer Siedlung der Badener Kultur in Ossarn bei Herzogenburg in Niederösterreich. AÖ 17/2, 2006, 104–116. 26 S. Czeika, Über die Datierbarkeit archäozoologischer Funde. FWien 5, 2002, 23. 27 Vgl. E. Pucher, Eine Gegenüberstellung prähistorischer Tierknochenfundkomplexe des Ostalpenraums – Verbindungen und Gegensätze. Fundber. Baden-Württemberg 53, 1994, 231–249.

reichen Wintern besser zurecht als Hausrinder. Allerdings sind solche Erklärungen allein kaum ausreichend, um derart starke Unterschiede begründen zu können. 27 Vielleicht waren auch eine leichte Verfügbarkeit und/oder eine kulturell bedingte Präferenz der Tiere ausschlaggebend. Erstere könnte einerseits auf intensive Jagd auf Pferde oder auf eine spezialisierte Tierhaltung zurückzuführen sein. Wenn die Tiere gejagt worden sind, dann muss das Umfeld günstig für Pferde bzw. die Jagdtätigkeit verstärkt darauf ausgerichtet gewesen sein. Eine spezialisierte Tierhaltung war vielleicht

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möglich, es bleibt aber zu bedenken, dass landwirtschaftliche Systeme von biologischen Abläufen bestimmt und traditionell aufgebaut sind. Das bedeutet, dass sie sich nur langsam verändern. Rasche Veränderungen könnten sich in diesem Bereich durchaus existenzbedrohend auswirken. Bei einer kulturell bedingten Präferenz muss von kulturellen und ökonomischen Änderungen gegenüber dem bereits Bekannten ausgegangen werden. Somit könnten bis dahin unbekannte Kulturelemente übernommen worden sein oder es handelte sich sogar um Personengruppen, die hierhergezogen oder durchgewandert sind. Im Endneolithikum und der frühen Bronzezeit gab es tatsächlich Personengruppen, die Pferde gegenüber dem Rind bevorzugten. Es waren dies Nomaden und Halbnomaden der Steppengebiete des Ostens. Fundstellen in diesen Gebieten wiesen teilweise deutlich mehr Pferde als Rinder auf. 28 Die Anteile vom Pferd variierten stark und konnten sogar fast 99% erreichen. Der Grund für eine derartige Bevorzugung könnte, neben den Vorteilen einer besseren Mobilität der wandernden Personen, durchaus in der hohen Anpassungsfähigkeit und ökologischen Flexibilität der Pferde liegen. Nachdem die Tiere vom Rennweg dem heutigen Wissensstand gemäß keine kontinuierliche Entwicklung innerhalb der Größen und Formen bereits bekannter früher Pferdefunde erkennen lassen, könnten sie auch aus einer anderen Region stammen und mit wandernden Gruppen hierhergelangt sein. Allerdings stößt diese Interpretation auf einen deutlichen Widerspruch. Wenn die Tiere aus dem Osten kamen, kann nicht erklärt werden, warum die Pferdereste der nächstgelegenen östlichen glockenbecherzeitlichen Fundstelle von Csepel-Háros offensichtlich anders dimensioniert sind als jene vom Rennweg. Einige Faktoren lassen jegliche weitergehende Interpretation auf wackeligen Beinen stehen: Anhand von relativ wenigen Funden Aussagen über eine generelle Vorrangigkeit von Pferden als fleischliche Nahrungsgrundlage zu tätigen, ist sicherlich gewagt. Der Grubeninhalt könnte durchaus nur einen sehr kleinen Zeitausschnitt repräsentieren, in dem zufälligerweise oder absichtlich vorwiegend Pferdefleisch konsumiert wurde. Der fehlende Siedlungszusammenhang lässt Hinweise auf den kulturellen Kontext offen. Des Weiteren ist der derzeitige Wissensstand über Pferde der damaligen Zeit, besonders über die morphologische Variationsbreite der heimischen Wildpferde, noch zu gering, um über die Herkunft der Pferde genauere Aussagen zuzulassen. Um nicht irgendwelche Spekulationen zu unterstützen, muss sich die endgültige Interpretation des vorliegenden Materials aus den genannten Gründen deutlich einschränken: Die Zusammensetzung der Tierarten lässt eine kurz- oder längerfristige Bevorzugung von Pferden als fleischliche Nahrungsgrundlage annehmen. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand kann weder die Einordnung der Pferdereste als Wild- oder Haustier noch deren Herkunft eindeutig geklärt werden.

28 P. A. Kosintsev, The Human-Horse Relationship and the European-Asian Border in the Neolithic and Early Iron Age. In: Olsen et al. 2006, 127–135.

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Abb. 8: Spontangeräte (Bef.-Nr./Fnr. 211/187): Langknochen und Rippenfragmente standen in unterschiedlichem Gebrauch.

Abb. 7: Geräthaft verwendete Rippenfragmente (Bef.-Nr./Fnr. 211/187 Fl. 4): Die Nutzkanten sind jeweils unten im Bild erkennbar.

Geräthaft genutzte Skelettelemente An 13 Knochenstücken sind Spuren einer geräthaften Verwendung erkennbar. Alle Exemplare sind vor ihrer Verwendung bestenfalls grob zugerichtet worden. Sie wirken wie Spontangeräte, wobei die Bruchform eines Knochenstückes genutzt wurde. Sie sind von 4,5 bis 20 cm groß und wurden quer oder längs zu ihrer Form eingesetzt. Die Arbeitsflächen sind poliert und weisen öfters kleine, parallelliegende Kratzer auf. Sie sind je nach der Deutlichkeit der Arbeitskanten offensichtlich unterschiedlich lange in Gebrauch gestanden. Bef.-Nr. 211, Fnr. 187, Fl. 4 Pferd, Rippenfragment, 16 cm (Abb. 7 a) Die gesamte Oberfläche ist leicht poliert (Handpolitur), die ventrale Bruchfläche zeigt auf der Lateralseite eine kleine Stelle einer zerkratzten Nutzfläche. Der Rest der Bruchstelle ist alt bzw. frisch gebrochen, so dass die ursprüngliche Gesamtdimension der Nutzfläche nicht abschätzbar ist. Pferd (?), Rippenfragment, 10 cm (Abb. 7 b) Es handelt sich um ein Längsbruchstück einer Rippe, deren spongiöse Innenseite stark versintert ist. Die Knochenoberfläche weist zu einem Ende hin eine stärker werdende Politur und einige parallelliegende Kratzer auf. Eine der Längskanten ist durch den Gebrauch keilartig zugeschliffen. Pferd (?), Rippenfragment, 7 cm (Abb. 7 c) Das Längsbruchstück ist auf einem Ende stark verbissen, das andere ist durch Benutzung U-förmig zugespitzt. Dort ist sowohl die Knochenoberfläche als auch die Innenseite poliert und dieses Ende weist quer zum Knochen liegende Kratzspuren auf.

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Bef.-Nr. 211, Fnr. 187 Pferd, distales Fragment eines Mittelfußknochens, 11 cm (Abb. 8 a) Es handelt sich um ein längs gespaltenes Fragment aus dem distalen Gelenksbereich. Die proximale Seite des Bruchstückes ist frisch gebrochen, womit die ursprüngliche Größe des Stückes nicht erkennbar ist. Das Fragment ist leicht versintert und auf der gesamten frontalen Längsbruchfläche abgerieben. Die polierte Nutzkante ist zum Teil schartig eingeschnitten. Auf dem Hinterrand der Bruchfläche findet sich eine weniger deutliche, ähnlich polierte und ebenso schartige Nutzkante. Pferd/Rind, Langknochenfragment, 11 cm (Abb. 8 b) Das Bruchstück aus der Kompakta hat völlig verrundete Längskanten, welche feine Kratzer quer zur Arbeitskante aufweisen. Die Knochenoberfläche ist leicht poliert. Großes bis mittelgroßes Huftier, Rippenfragment, 4,5 cm (Abb. 8 c) Das schmale Längsbruchstück weist abgeriebene Längskanten auf. Die Knochenoberfläche ist leicht poliert und zerkratzt. Die beiden Querenden des Bruchstückes sind alt gebrochen und nicht überarbeitet. Großes bis mittelgroßes Huftier, Rippenfragment, 4,5 cm (Abb. 8 d) Das hell gefärbte, leicht versinterte Längsbruchstück ist völlig poliert. Ein Ende ist auf der Innenseite des Knochens spatelförmig abgerieben. Die Arbeitskanten ziehen sich seitlich weit an den Bruchflächen entlang. Großes bis mittelgroßes Huftier, Rippenfragment, 5,5 cm (Abb. 8 e) Das Längsbruchstück ist leicht versintert und zeigt auf beiden Enden Nutzflächen. Das eine Ende ist auf der Knocheninnenseite spatelförmig abgerieben. Das andere Ende weist weniger deutlich sichtbare, spitz zulaufende Arbeitskanten auf. Großes bis mittelgroßes Huftier, Langknochenfragment, 6 cm (Abb. 8 f) Der Splitter aus dem Schaftbereich eines Langknochens zeigt auf einem

Abb. 9: Unterschiedlich große Geräte (Bef.-Nr./Fnr. 228/196): Die Arbeitskanten zeigen im Bild nach unten, das zweite Stück von links ist auf der nach oben zeigenden Seite ausgehöhlt.

Ende in der Längsrichtung zwei spitz zulaufende Arbeitskanten. Das andere Ende ist nicht überarbeitet.

Bef.-Nr. 228, Fnr. 196 Mittelgroßes Huftier, Rippenfragment, 4,5 cm (Abb. 9 a) Beide Enden sind frisch gebrochen, damit ist auch hier die ursprüngliche Dimension des Längsbruchstückes nicht mehr erkennbar. Die gesamte Knochenoberfläche ist poliert. Die Arbeitskanten liegen in der Längsrichtung des Stückes auf beiden Seiten. Eine der beiden Kanten ist eher rundlich und stark poliert, die andere läuft spitz zu und weist schräg zur Kante liegende Kratzer auf. Pferd, Dornfortsatz eines Brustwirbels (Fragment), 10 cm (Abb. 9 b) Das leicht versinterte und polierte (Handpolitur) Stück wurde beidseitig genutzt. Bei einem Ende ist die Spongiosa ausgehöhlt. Das andere Ende weist eine asymmetrische, spatelförmige Arbeitskante auf. Pferd, Rippenfragment, 6 cm (Abb. 9 c) Ein Ende des Artefaktes ist frisch gebrochen. Damit ist die ursprüngliche Größe nicht mehr abschätzbar. Die gegenüberliegende Bruchfläche ist asymmetrisch U-förmig abgerieben. Es ist nur eine schwache Politur zu erkennen. Pferd, Rippenfragment, 20 cm (Abb. 9 d) Das gesamte Stück ist leicht poliert (Handpolitur), zum dorsalen Ende hin wird die Politur stärker. Die Bruchstelle dieser Seite ist vorwiegend auf der lateralen Seite werkzeughaft gebraucht worden. Die Arbeitskante ist breit und mediolateral spitz zulaufend. Ein paar Schnittspuren finden sich lateral und medial auf der Knochenoberfläche.

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Zusammenfassung Die glockenbecherzeitlich zu datierende Verfüllung einer Grube in Wien 3, Rennweg 16 enthielt eine große Zahl an Tierresten. Es handelt sich überwiegend um Skelettelemente vom Pferd, Hauswirtschaftstiere wie Rind und Schaf/Ziege sind unterrepräsentiert. Weiters sind Hund und einige Wildtiere bestimmbar. Die Pferdeknochen zeigen eine große Variationsbreite der Maße und weisen auf kleine und stämmige Tiere hin. Bezüglich ihrer Herkunft werden aufgrund des noch geringen Wissensstandes mehrere Interpretationsrichtungen diskutiert. Ökologische, ökonomische oder kulturelle Hintergründe könnten zu der außergewöhnlich deutlichen Bevorzugung von Pferden als fleischliche Nahrungsgrundlage geführt haben. Einige Knochenreste standen werkzeughaft in Verwendung. Sie wurden kaum überarbeitet in ihrer ursprünglichen Form genutzt.

Abgekürzt zitierte Literatur Benecke 1994 Benecke 2006 Bökönyi 1988 Olsen et al. 2006 Uerpmann 1990

Bef.-Nr./Fnr. 211/187 211/187 Fl. 3 211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 5 228/196 245/206 246/209 Summe Bef.-Nr./Fnr. 211/187 211/187 Fl. 3 211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 5 228/196 245/206 246/209 Summe

N. Benecke, Archäozoologische Studien zur Entwicklung der Haustierhaltung in Mitteleuropa und Südskandinavien von den Anfängen bis zum ausgehenden Mittelalter. Schr. Ur- u. Frühgesch. 46 (Berlin 1994). N. Benecke, Late Prehistoric Exploitation of Horses in Central Germany and Neighboring Areas: the Archaeozoological Record. In: Olsen et al. 2006, 195–208. S. Bökönyi, History of Domestic Mammals in Central and Eastern Europe2 (Budapest 1988). S. L. Olsen/S. Grant/A. Choyke/L. Bartosiewicz (eds.), Horses and Humans: the Evolution of Human-Equine Relationships. BAR Internat. Ser. 1560 (Oxford 2006). H.-P. Uerpmann, Die Domestikation des Pferdes im Chalkolithikum West- und Mitteleuropas. Madrider Mitt. 31, 1990, 109–153.

KNZ 884 28 197 222 129 34 174 1668 KGew 13780 446,5 8977,5 11494 2157,5 1585,5 7667,5 46108,5

det. 267 20 138 117 66 26 134 768 det. 9970 388 8581,5 8152,5 1791 1548,5 7325,5 37757

Equide 202 6 122 104 47 26 125 632 Equide 8090,5 123 8248 7449,5 1489 1548,5 6883,5 33832

Bovide 7

Bos 28 5 7 1 2

O/C 8 6 1 5 10

Sus 16 2 5 2 3

Canis 3

30 O/C 76 50,5 1 61 42

28 Sus 112,5 36 32,5 28 48

3 Canis 48,5

194 346,5 140

43 Bos 987,5 167 106 129,5 52

372,5 1654

1442

230,5

257

48,5

3 4 3 5 22 Bovide 601

Cervus 1

Sus scr. 2

Castor fiber 1

1 1

2 Cervus Geweih

4 7 Sus scr. 54

1 Castor fiber 11,5

138 20

138

69,5 143,5

11,5

Tab. 1: Knochenanzahl (KNZ) und Knochengewicht (KGew) der Tierreste aus der endneolithischen Grube Rennweg 16. det. – bestimmbar.

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BOVIDE Bef.-Nr./Fnr. Scapula

GLP 71,9

Epistropheus

BFcd 59,1

Vert cerv

Bpacd 105,0*

Humerus

Bd 105,7

BT 91,9

Patella

GL

GB 81,0 63,5

228/196

211/187 Fl. 5

211/187

246/209

246/209 211/187 Fl. 4

74,1*

LG 57,3

BG 49,8

Tibia

Bd 56,6 61,2 60,5

Calcaneus

GL 117

GB 46

Metacarpus

TD 20,9

Bd 61,8

Td 32,3

Phalanx 1

GLpe 76,2 74,5 57,8*

Bp 45,4 43,2

KD 35,3

Bd 36,8

Phalanx 2

GL 52,3

Bp 39,4

KD 31,2

Bd 31,6

Cranium

34 83,8

35 110,5*

36 35,9

37 41,2

Dens P2 sup

L 33,4

B 22,4

Zahnreihe?

L 25,5

B 23,3

Zahnreihe?

L 24,4 26,3

B 25,9 26,5

L 22,5

B 22,2

Dens M2 sup

L 22,3

B 25,2

Mandibula

8 (P2–P4 Alv) 85,8*

22 c (Höhe vor P2) 55,0

Atlas

GB

GL

147,9

98 88

211/187 Fl. 3 211/187 211/187 Fl. 5

211/187

211/187

211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 4 211/187

211/187

EQUUS Bef.-Nr./Fnr. 211/187

211/187 Fl. 5 Dens P3 sup 211/187 Fl. 5 Dens P4 sup 211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 5 Dens M1 od. M2 sup 211/187 Fl. 5

211/187 Fl. 5

246/209

211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 4

Zahnreihe?

Zahnreihe?

BFcr 89,6 86,8 81,1

BFcd GLF

LAd

H

91,4 86

41,8

65

87

45 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

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Epistropheus 211/187 Fl. 5 Vertebrae 211/187 Fl. 5 Vert thor 211/187 Fl. 5 Vert thor 211/187 Vert lumb 211/187 Vert sacr 211/187 Vert sacr 211/187 Fl. 4 Vert sacr Scapula 246/209 246/209 246/209 211/187 211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 5 211/187 Pelvis 246/209 211/187 211/187 245/206 211/187 211/187 211/187 211/187

PL

BFcr

BFcd 59,8 57,7 43,1 47,3 52,5

HFcr HFcd 32,9 34,8* 36,9 31,7 25,1 23,3 32,2 27,1

43,6 45,6 47,9

68,3 39,3 49,5 44,3 44,9

61,8 62,1

GLP 86,5 84,7 84,5

LG 52,8 55,4 54,2

64,9

83,9* 87,6

56,6 56,3 56,7

BG 41,5 44,5 48,2 50,3* 48,7 45,4* 50,4

LA 60,8

LAR 68,3

KH

KLC

Fl. 4 Fl. 4

Fl. 4 Fl. 5 Fl. 5 Humerus

246/209 246/209 246/209 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187

BFcd 42,9

Fl. Fl. Fl. Fl.

4 5 4 5

Fl. Fl. Fl. Fl. Fl. Fl.

4 4 5 5 5 5

Fl. Fl. Fl. Fl.

4 4 5 4

62,1 62,3 65,7 69,3

60,1 55,8 59,6 62,8

Bp 88,8

Bd

BT

71,4 73,2 75,0 75,2* 74,0 76,3 77,5 78,9 80,0 82,0 82,4 83,2 86,1

68,7* 67,9* 69,8 69,7 70,2* 70,7 72,6 73,9 71,4 77,1* 73,6 75,9

sad f? m? f f

sad

90,0* 83,6 87,2 87,5 88,2 71,6 Femur

211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 5 211/187 211/187

TC

Bd 87* 88 90

54,7 58,2 Patella

246/209 211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 5 245/206

38,3 38,6 41,8 41,8

sad

GL 65,6

GB 62,3 65,4*

52,0* 62,8 66,6

65,4 72,5

46 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

S. Czeika, Pferde aus der Jungsteinzeit

Tibia

Bd 70,5 72,4 78,3 75,4 76,1

Td 43,8 45,2 45,6 44,9

Radius/Ulna

Bp 76,8* 84,0 84,1*

BFp 68,3 75,9 78,5*

246/209 246/209 246/209 211/187 211/187 Fl. 5

246/209 246/209 246/209 246/209 246/209 211/187 211/187 211/187 211/187 245/206 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187

Fl. Fl. Fl. Fl.

4 5 4 5

KTO 44,2

BPc 37,7*

63,6

45,1

62,0

44,4 51,2 48,7

70,7 71,7 73,5 74,7 74,9 76,7 78,8

60,0 58,4 59,4 63,3 61,4 64,9 62,8

Bd 48,8 49,6 52,2

Td 34,3 37,5 36,0

48,9 48,5 49,7 47,7*

36,4 35,3 34,7 33,8

44,5

Fl. 4 Fl. 4 83,3

74,4

Carpale II

GB 44,1

Astragalus

GH 63 61 60 60 59

GB 70 63

BFd 53,7 53,6

LmT 61,3 62,2

60

50,8

56,1

GL 104,6

GB 52 52 53 57

Astr

Bp

Tp

46,5* 52,9 51,9

34,4* 36,0 34,2*

5 4 4 5 Calcaneus

246/209 211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 5

107,9 114,2 Centrotarsale

GB 49,3 50,6

Tarsale III

GB 46,6 46,2 46,5

Sesamoid Ph 3

GB 45,8

Metacarpus Mc III Mc III Mc III Mc III+IV Mc III+IV Mc III+II+ IV Mc Mc III Mc III Mc III

GL

211/187 211/187

211/187 211/187 Fl. 5 211/187 Fl. 5

211/187

246/209 246/209 246/209 246/209 246/209 246/209 211/187 228/196 211/187 Fl. 4 211/187 Fl. 4

BFd

44,0* 37,8*

Fl. 4 Fl. 5

Fl. Fl. Fl. Fl.

Bd

42,4*

211/187

246/209 211/187 211/187 211/187 211/187

TPa 55,6

Aufsätze

204

46,1

Calc+Astr Calc

Calc+Astr

KD

32,0

30,0

TD

21,1

47 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

S. Czeika, Pferde aus der Jungsteinzeit

211/187 Mc III+II 211/187 Fl. 5 Mc III+II+IV

246/209 246/209 246/209 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187

211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 228/196 245/206 246/209 246/209 246/209 246/209 246/209

246/209 246/209 211/187 211/187 211/187 211/187 211/187 246/209 211/187 246/209 211/187 246/209 211/187 211/187 245/206 211/187

Metatarsus MT II+III MT III MT III

GL

47,3 47,7*

32,6 32,6*

Bp 49,9

Tp 44,1

52,7 48,4 51,7

44,3 41,1 39,8 42,3

251 Fl. Fl. Fl. Fl. Fl. Fl.

Fl. Fl. Fl. Fl. Fl. Fl.

5 5 5 4 5 4

4 4 4 5 5 5

Fl. 4 Fl. 4 Fl. 4

Fl. 4

50,6

33,7

22,1

50,5

35,1

KD

TD

Bd

Td

49,4

36,8

30,2 31,6 34,8

sad 27,3

50,4 35,2 48,3* 36,5 50,8 35,2

24,4 26,1 27

47 49,8 51,4

34,5 36,1 39,1

KD 35,4 35,6 37,9

Bd 44,1 46,5 47,4 43,7 46,3 47,1 42,7 44,5 46,2 47,2 42,8 41,9 47,3 45,1 43,9

BFd 42,1 45,0 44,4 43,1 43,2 44,4 42,6 sad 42,1 44,8 45,7 43,8 41,9 43,9 41,4 43,5

45,5

Phalanx 1 post post ant ant post ant ant post post post ant post post post

GL 82 84 82 81* 77 81 81 76 83 83 84 76 78 80 81

Bp 59,1 55,9 54 59,5* 57,9 55,3 53,3 55,6 58,2 58,7 56,2 52,5 57,7 56,3 52,3

BFp 53,2 51,3 49,9 53,3* 53,2 52,1 50,8 52,4 52,1 53,9 53,3 49,8 52,2 50,1 48,3

Tp 38,2 35,3 35,4* 37,5* 38,5 35,6 35,2 38,2 38,1 40,9 35,8* 33,3 35,9* 36,8 32,4

34,4 36,8 33,2 34,2 34,9 37,2 34,2 33,4 35,8 32,4 34,0

Phalanx 2 ant ant ant ant ant ant ant post post post

GL 45 46 47 48 49 50

Bp 54,2 53,4 51,9 53,3 55,9 53,9 56,1 50,5 52,2 53,2 52,7 53,4 53,8 51,9 53,0 54,0

BFp 46,2 45,8 45,0 45,0 48,0 45,1 50,2 42,9 45,4 46,8 46,7 45,9 47,9 45,8 44,8 43,1

Tp 29,9 30,4 33,6 31,8 32,6 34,5 32,7 31,3 31,1 32,8 30,9 32,9 31,5 29,7 32,0 32,2

KD 45,2 47,2 42,7 43,0 47,0 45,7 48,0 40,8 46,0* 43,6 45,3 44,3 47,0 45,0 43,2 47,2

44,3 48,4 45,8 48,1 47,2 49,7 49,2 45,5 48,9

GB 70,1

LF 31,7 25,7 27,8 26,7 33,7* 27,7

BF 56,3 53,2* 46,9 44,9 53,9* 45,2

Ld

HP

52,3 55,5 58,6 51,2

31,5 41,0 40,0 41,0

Fl. 5 Fl. 5 Fl. 5 Fl. 5 Phalanx 3

246/209 228/196 211/187 Fl. 5 211/187 211/187 Fl. 4 211/187

44 46 48 44 46 46 46 46 47 GL 68,5 69 73 75

80,5 73 79,9

M3 L 32,9

M3 B 16,5

Bd 48,3 47,9 46,0 46,5 49,5 49,9

SUS SCROFA (DOM.) Bef.-Nr./Fnr. Mandibula 211/187

M3 im Durchbruch

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S. Czeika, Pferde aus der Jungsteinzeit

Scapula

KLC 22,2 geschätzt

Tibia

Bd 28,3

sad

GLl 50,1 44,6

GLm 44,6 42,7

GL 99,2

GB 28,0

Bd 22,4

zu Mc IV?

sad

Bd 24,7

zu Mc III?

sad

228/196

211/187 Astragalus 211/187 Fl. 5 211/187 Calcaneus 246/209 Mc III 211/187 Mc IV 211/187

Tl

Tm

24,9

26,8

Sus scr

Sus scr

Mt III oder IV

Bd 23,6

Phalanx 2

GL 28,7 26,8

Bp 19,9 20,4

KD 16,1 16,8

Phalanx 3

DLS 36,4 40,2

Ld 36,8 38,8

MBS 17,8 17,6

211/187

246/209 211/187

228/196 211/187

Aufsätze

Bd 18,1 19,4

CAPRA/OVIS Bef.-Nr./Fnr. Scapula 211/187 Humerus

KLC 20,4

Ovis

Bd 33,4

BT 31,2

Ovis

Phalanx 1

GLpe 35,2

Bp 11,7

KD 9,6

Bd 11,1

Phalanx 2

GL 21,2

Bp 11,5

KD 9,4

Bd 9,8

9 60,5 67,8

10 30,1 34,9

12 31,6 31,8

13 a 7,7

211/187

211/187

211/187 Fl. 5

CANIS FAM. Bef.-Nr./Fnr. Mandibula 211/187 211/187

13 b 7,6

14 18,2 18,9

17 18 19 20 22,1 44,8* 20,2 22,2 18,2

CERVUS ELAPHUS Bef.-Nr./Fnr. Radius 211/187 Fl. 5

Bd 59,3

Tab. 2: Maße der Tierreste aus der spätneolithischen Grube Wien 3, Rennweg 16. * – geschätzt, weil unvollständig; sad – subadult.

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Aufsätze

M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V

Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V: Das Intervallum an der westlichen Lagermauer – Vorbericht zu den Grabungen Am Hof in den Jahren 2008/09 Martin Mosser Einleitung Nach den umfangreichen archäologischen Untersuchungen im Zuge der Umbauarbeiten der Feuerwehrzentrale in Wien 1, Am Hof 7–10 in den Jahren 2007 und 20081 konnten vom 16. Dezember 2008 bis zum 23. Dezember 2009 weitere Grabungen anlässlich der Unterkellerung der Atemschutzräume im Haus Am Hof 10 (= ehemaliges Bürgerliches Zeughaus) durch die Stadtarchäologie Wien vorgenommen werden. 2 In der nordöstlich anschließenden Offiziersgarage fanden bereits vom 19. März bis zum 10. Mai 2007 (Schnitt 1) und vom 6. Oktober bis zum 26. November 2008 (Schnitt 7) archäologische Grabungen der Stadtarchäologie statt. 3 Zusammen mit den zuletzt erfolgten Unterkellerungen (Schnitte 8, 9 und 10) wurde damit eine geschlossene Fläche von ca. 3066 m (= ca. 180 m2) bis in ca. 3 m Tiefe archäologisch untersucht. 4 Darüber hinaus konnte auf ca. 12 m2 Fläche der Bereich des Stiegenhauses im Südtrakt der Feuerwehrzentrale bzw. des „Bürgerlichen Zeughauses“ ebenfalls bis in 3 m Tiefe dokumentiert werden (= Schnitt 11). Die Grabungen führten in Bezug auf die römerzeitlichen Befunde (zu den mittelalterlichen Befunden siehe Beitrag I. Gaisbauer/M. Mosser, 233 ff.) zur Aufdeckung eines bislang nahezu unbekannten Abschnittes innerhalb des römi1 Jandl/Mosser 2008; Mosser 2009. 2 Vom 1.9. bis zum 28.9. 2009 nahmen Studentinnen der Universität Wien an dieser Ausgrabung im Rahmen einer Lehrgrabung teil. 3 Siehe M. Mosser, Wien. 1. Bezirk, Am Hof 7–10. FÖ 46, 2007, 716; ders., Wien. 1. Bezirk, Am Hof 10. FÖ 47, 2008, 599–601; Jandl/Mosser 2008, 9–12; Mosser 2009, 198–200. 4 OK Innenhof Am Hof 10: 18,20 m über Wr. Null; UK Grabungsfläche ca. 15,10 m über Wr. Null bzw. im Verlauf des römischen Abwasserkanals bis 13,60 m über Wr. Null. 5 Siehe Mosser 2007 (Anm. 3) 717 f.; Jandl/Mosser 2008, 20–29. 6 A. v. Domaszewski (Hrsg.), Hygini Gromatici Liber de Munitionibus Castrorum (Leipzig 1887, Reprint Hildesheim 1972) 59 f. 7 Vgl. zusammenfassend M. J. Jones, Roman Fort-Defences to A.D. 117, with Special Reference to Britain. BAR 21 (Oxford 1975) 68–103; LeQuesne 1999, 71–75.

schen Legionslagers Vindobona. Neben der Lokalisierung der fabrica bereits im Jahr 20075 waren es hauptsächlich Befunde im Bereich des westlichen Intervallums, die im Fokus der Forschungen standen. Auf einer Länge von 30 m erfolgte eine detaillierte Dokumentation der chronologischen und funktionalen Entwicklung der Baustrukturen zwischen der via vallaris und der westlichen Lagermauer. Auch wenn die Lagermauer selbst knapp außerhalb des Grabungsabschnittes lag, so gelang dennoch eine Rekonstruktion der an sie anschließenden Anlagen (Abb. 5). Das Intervallum stellt neben den Palisaden, Gräben, Türmen, Toren und dem Mauerring einen Teil der Befestigungsanlage römischer Lager und Kastelle dar und bezeichnet den Bereich zwischen der Legionslagermauer und den Innenbauten. 6 Dieser Abschnitt besteht bei einer aus Stein errichteten Umfassungsmauer in der Regel aus einem an die Innenseite dieser Mauer gesetzten Erdwall,7 über den auch der Wehrgang erreicht werden kann (ascensus), und der anschließenden umlaufenden Lagerstraße (via vallaris oder via sagularis). Zwischen Erdwall und Straße können zudem weitere infrastrukturelle Einrichtungen wie Werkstätten, Backstuben, Stallungen oder Abwasserkanäle liegen,

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M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V

Aufsätze

Abb. 1: Rekonstruktionsplan des Legionslagers Vindobona mit markierten Fundstellen (siehe Tab. 1) im Bereich des Intervallums. (Plan: M. Mosser)

wobei v. a. in spätrömischer Zeit Einbauten im Wallbereich vermehrt festzustellen sind. 8

8

Hoffmann 2002.

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Aufsätze

M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V

Bisherige Grabungsergebnisse zum Intervallum des Legionslagers Die Möglichkeiten, die Befestigungsanlagen des Legionslagers archäologisch zu untersuchen, waren bisher eher unzureichend. Trotzdem kann der Verlauf der Umfassungsmauer und des vorgelagerten Grabensystems über Altgrabungsbefunde als einigermaßen gesichert gelten. 9 Der anschließende Erdwall konnte hingegen bis zum Jahr 2009 kein einziges Mal dokumentiert werden. Etwas besser sieht der Forschungsstand bezüglich Kanal und Straßenverlauf der via vallaris aus. Hierzu sind folgende Befunde bekannt (Abb. 1): Der Kanal der via vallaris, zum Teil mit ziegelgedeckter, zum Teil mit gemörtelter Sohle, konnte demnach – oft in unterschiedlicher Breite – bislang in sieben Fällen, die Straßenschotterung selbst hingegen nur vier Mal dokumentiert werden. Nr. GC

Adresse

BauvorhaBefund ben 1 1983_04 Fleischmarkt 1A Hausneubau Steingemauerter Abwasserkanal mit ziegelgedeckter Sohle, der im nordöstlichen Intervallum schräg zur Lagerachse Richtung Graben entwässert (Niveau Sohle: 10,06 m über Wr. Null). 2 1913_03 Fischhof 1 (An- Hausneubau Abwasserkanal mit Seitenmauern aus Bruchsteinen und kerhof) ziegelgedeckter Sohle; bis 0,80 m hoch erhalten; im Verlauf der östlichen via vallaris. 3 1911_02 Graben 29/Tratt- Umbau des Abwasserkanal (1,80 m breit) und Straßenschotterung der nerhof Trattnerhofes via vallaris (5–7 m breit) in der Krümmung der SO-Ecke des Legionslagers. 4 1904_02 Petersplatz 3–4/ Kanalbau Bis 3,20 m unterhalb des Straßenniveaus Kanal der via vallaJungferngasse ris; Seitenmauern aus Bruchsteinen je 0,60 m breit, gemörtelte Kanalsohle 0,50 oder 0,80 m breit. 5 1902_01 Naglergasse 2–4 Hausneubau 8 m westlich der porta decumana folgt nicht ganz senkrecht auf die Lagermauer ein in zwei Räume geteilter, 764 m großer Anbau; nördlicher Innenraum 3,8063,20 m, südlicher Innenraum 1,7063,20 m. 6 1902_01 Bognergasse 7 Hausneubau Bis in 3,80 m Tiefe (OK ca. 13,80, UK ca. 13,30 m über Wr. Null) Kanal der via vallaris, Seitenmauern aus Bruchsteinen 0,40–0,45 m breit, Sohle 0,70 m breit; auf 10 m Länge dokumentiert. 7 1913_08 Am Hof 4 Abbruch der Kanal der via vallaris (mit zwei einmündenden NebenkanäNuntiatur len): Seitenmauern aus Bruchsteinen 0,45 m breit; gemörtelte Kanalsohle 0,90 m breit, ca. 14 m über Wr. Null (?). 8 1913_08 Am Hof 4 Abbruch der Straßenschotterung der via vallaris mit Fund eines KanalgitNuntiatur tersteines (WM Inv.-Nr. MV 2412), OK bei ca. 15 m über Wr. Null. 9 1953_02 Am Hof 9 Hausneubau Kanal der via vallaris: Seitenmauern aus Bruchsteinen 0,60–0,80 m breit, max. Höhe 1,53 m; ziegelgedeckte Sohle 0,60–1 m breit (Niveau 13,50 m über Wr. Null). 10 1953_02 Am Hof 9 Hausneubau Straßenschotterung der via vallaris bis 3 m unterhalb des modernen Niveaus (ca. 15 m über Wr. Null), OK ca. 0,40 m höher. 11 2007_03 Am Hof 8 Tiefgaragen- Auf einer Länge von 7,30 m Schotterpakete der via vallaris bau in einer Breite von 6 m erhalten (davon bis zu 2 m breiter Gehsteigbereich entlang der fabrica); OK ca. 15,50, UK ca. 14,70 m über Wr. Null.

Literatur O. Harl,Wien 1 – Fleischmarkt. FÖ 22, 1983, 312.

FA-RZ I, Hoher Markt/Ecke Judengasse (Ankerhof), 1913. FT IX, 9; FA-RZ I, Graben/Trattnerhof, 1911. F. v. Kenner, Römische Funde in Wien aus den Jahren 1904 und 1905. JZK N. F. 3/1, 1905, 143 f. Fig. 290. FT IV, 15; FA-RZ I, Naglergasse, 1901; Kenner 1904, 119 f. Fig. 99; Genser (Anm. 59) 482 Abb. 106 A’. FA-RZ I, Naglergasse, 1902; Kenner 1903 (Anm. 59) 35 Fig. 1 B.

FA–RZ I, Naglergasse 24/Am Hof, 1913. FA–RZ I, Naglergasse 24/Am Hof, 1913. Neumann 1967, 21–23 Abb. 3; 4; 6. Neumann 1967, 22 Abb. 3; 6.

Jandl/Mosser 2008, 12–14.

Tab. 1: Befunde zum Intervallum von Vindobona von 1902 bis 2007. 9 Vgl. M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil III: Das Lagergrabensystem. FWien 7, 2004, 212–223. 10 Kenner interpretierte den Befund als wahrscheinlichen Zwischenturm, was auch nicht völlig auszuschließen ist. 11 Neumann 1967, 10 Abb. 1.

Ein einziges Mal wurde, abgesehen von den Zwischentürmen, im Jahr 1902 ein Anbau an die Lagermauer im Bereich des Intervallums im südlichen Abschnitt der Befestigungsanlagen nahe der porta decumana festgestellt (Tab. 1 Nr. 5). 10 Ein weiteres Gebäude ist auf einem Plan von Alfred Neumann ohne Kommentar an der Lagermauer im Bereich Naglergasse 22–24 eingetragen. 11 Es handelt

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M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V

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sich dabei um einen langrechteckigen (663 m?), von der Lagermauer ins Innere führenden Bau. Dessen tatsächliche Auffindung ist allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen, da er unter Umständen das Produkt einer Fehlinterpretation der Fundnotizen bzw. Skizzen von Josef Nowalski de Lilia ist. 12 Die angeführten Kanal- und Straßenbefunde sind zwar nur punktuelle Aufschlüsse, passen aber gut in den Gesamtplan des Legionslagers bzw. bilden nicht unwesentliche Bestandteile der Grundrissrekonstruktion. Die Befunde der Grabung 1953 im Haus Am Hof 9 Die Befunde der Grabung im Jahr 1953 im Haus Am Hof 9 (GC 1953_02) werden hier detaillierter besprochen, da es sich um die der Grabung 2008/09 benachbarte Fundstelle handelt und damit die entsprechenden Ergebnisse unmittelbar miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Auch wenn damals nur in geringem Maße Schichtabfolgen bzw. stratigraphische Beziehungen berücksichtigt wurden, so geben die dokumentierten Befunde doch wichtige Aufschlüsse über den erhaltenen Zustand der römischen Umfassungsmauer entlang des während der Römerzeit im Westen des Legionslagers vorbeifließenden Ottakringer Baches. Zum Teil gut erhalten zeigte sich der Kanal entlang der via vallaris, 13 letztere konnte allerdings nur in einem schmalen Abschnitt im Südosten des Grundstücks festgestellt werden. Lagermauer Nach den Beschreibungen, Planaufnahmen und Fotos (Abb. 2–4) von A. Neumann14 zeigte sich entlang des westlichen Randes der Parzelle an sechs von jüngeren Einbauten ungestörten Stellen eine zum Tiefen Graben hin abfallende Böschung (A1–A6). Die Beschreibung dieses Befundes lässt aber einige Fragen offen. Neumann interpretierte die Böschung als künstlich angelegt, indem über einem Mauerfundament eine weitere, schräg gestellte Mauerung aus Bruchsteinen und Kalkmörtel geschaffen und an der Außenseite verputzt worden sei (Abb. 2,2 A3). Inwieweit der gewachsene Boden darunter sich Richtung Tiefen Graben senkt, ist nicht dokumentiert. Nach den Fotoaufnahmen (Abb. 3) lässt sich allerdings der Eindruck gewinnen, dass es sich bei der „geböschten“ Mauer eher um einen abgerutschten oder gekippten Teil der Legionslagermauer handelt, wobei nach der Profilzeichnung Abb. 2,2 zumindest ein Teil des originalen Fundamentabschnitts der Lagermauer auf einer erhaltenen Breite von 1,80 m und einer Höhe von 0,50 m noch vorhanden war. 15 Die Unterkante dieses Fundaments wäre etwas mehr als 4 m unterhalb der damaligen Oberfläche (ca. 14 m über Wr. Null?)16 zu suchen. In weiterer Folge wurde ein 0,80 m breites (lehmgebundenes?) Bruchsteinfundament an die Ostseite der schräg gestellten Mauer angebaut, welches Neumann als mittelalterlich einstufte (Abb. 2,2 h). Ein an diese Mauern anschließender Erdwall wurde offensichtlich nicht angetroffen, wobei zwischen dem Mauerbefund A6 und dem dokumentierten Zwischenturm B ein 0,50 m breiter Streifen ungestörten gewachsenen Bodens bestand (siehe Abb. 2,1). Es fehlte also zumindest im Fundamentbereich eine Verbindung zwischen dem Turm und der in der Linie A1–A6 anzunehmenden Legionslagermauer.

12 Unter Umständen verwechselt mit dem oben erwähnten, im Jahr 1902 aufgefundenen Anbau nahe der porta decumana. 13 Ein Teilstück des Kanals ist noch heute im Keller der Feuerwehrzentrale Am Hof 9 in einem Schauraum des Wien Museums zu besichtigen. Darüber hinaus enthält dieser Raum eine nach 1953 eingerichtete Foto- und Plandokumentation der Grabung, mittelalterliche Keramikfunde, eine vollständige tegula und die Kopie eines römischen Kanaldeckels. 14 Neumann 1967, 12–15 Abb. 3–5 Taf. I 1. 15 Neumann führte auch in weiterer Folge aus, dass die Flucht dieser Böschung wohl einem spätrömischen Verlauf der Legionslagermauer entspräche, die später abgetragen und durch die gemauerte Böschung ersetzt worden wäre; Neumann 1967, 13. 16 Vom heutigen Platzniveau vor Am Hof 9 aus gerechnet (ca. 18 m über Wr. Null).

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Abb. 2: Ausgrabungen in Wien 1, Am Hof 9 im Jahr 1953. 1 – Grabungsplan, 2 – Nordprofil zu Lagermauer und Kanal der via vallaris, 3 – Südprofil zu Kanal und Straßenkörper der via vallaris. (nach Neumann 1967, Abb. 3; 4; 6)

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Zwischenturm Knapp an der Feuermauer zum Haus Am Hof 10, etwa 2 m von der SW-Ecke der Grabungsfläche (Schnitt 10) des Jahres 2009 entfernt, kamen Überreste eines Zwischenturms der Legionslagermauer zutage (Abb. 2,1 B). 17 Dieser bestand aus einem 1 m hohen Gussmauerwerkfundament (UK ca. 14,35 m über Wr. Null), aus bis zu fünf Lagen von teilweise in opus-spicatum-Technik gesetzten Bruchsteinen, das 0,25–0,30 m gegenüber dem aufgehenden Mauerwerk vorsprang. Die Turmreste setzten sich aus drei im rechten Winkel zueinander stehenden und offensichtlich ohne Baufuge aneinandergesetzten Mauern zusammen, deren Verbindung zur Lagermauer, wie oben erwähnt, unterbrochen bzw. im Fundamentbereich offensichtlich nie vorhanden war. Das Fundament hatte eine Breite von 1,50–2 m und Außenmaße von 6,906erh. 3 m. Der Raum im Turminneren zeigte eine Grundfläche von 3,506erh. 1,50 m, dürfte aber ursprünglich wohl 3,5062 m betragen haben. Nach der Fotodokumentation bestand der aufgehende Teil aus Bruchsteinen in massiver Kalkmörtelbin-

Abb. 3: Ansicht der abgerutschten oder gekippten Lagermauer A3 im Bereich der Baustelle Wien 1, Am Hof 9 im Jahr 1953, Blickrichtung Norden. (Foto: Wien Museum, Inv.-Nr. 16013/34)

dung. Die Mauerstruktur ist dadurch und aufgrund starker Störungen kaum auszumachen. Das Aufgehende dürfte aber ca. bis 1 m hoch erhalten gewesen sein. Kanal der via vallaris (Abb. 2 und 4) Etwa 4,80–5 m von der Lagermauer entfernt, folgte in der südlichen Hälfte der Hausparzelle parallel zur Lagermauer der Abwasserkanal entlang der via vallaris. 18 Zwischen Kanal und Lagermauer darf in etwa dieser Breite zum Zeitpunkt der Errichtung des Legionslagers am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein Erdwall angenommen werden, wie er weiter nördlich in Schnitt 10 im Jahr 2009 tatsächlich dokumentiert werden konnte (siehe unten). Der Kanal bestand aus zwei 0,60–0,80 m breiten Seitenmauern aus Bruchsteinen in Kalkmörtelbindung19 und einer dazwischenliegenden, mit tegulae der 13. Legion ausgekleideten Sohle, wobei im Regelfall jeweils zwei tegulae mit den Leisten nach oben nebeneinandergesetzt wurden (Abb. 4). Die äußeren Leisten blieben hingegen eingemauert unter den Seitenmauern unsichtbar. Die Sohle hatte eine unterschiedliche Breite von 0,60 bis 1 m. Die Kanalsohle des noch im Schauraum des Wien Museums ausgestellten Teilstücks liegt bei 13,50 m über Wr. Null,20 also ca. 4,50 m unterhalb des Platzniveaus vor Am Hof 9. Dieser Wert ist um 12 cm niedriger als jener des nächstgelegenen, im Jahr 2009 freigelegten Teilstücks in Schnitt 10 (13,62 m über Wr. Null). 21 Dies zeigt, dass das Gefälle des Kanals Richtung Süden verläuft. Etwa in der Mitte der Parzelle Am Hof 9 schwenkte der Kanal um 3,60 m parallel verschoben Richtung Osten, um sich dann ca. 7,50 m von der Lagermauer entfernt Richtung porta principalis sinistra fortzusetzen. Der Grund für die Änderung des geradlinigen Verlaufs

17 Neumann 1967, 12 Abb. 3 Ba–c; 5 Bc; Taf. I 2. 18 Neumann 1967, 21–23. 19 Im nördlichen Bereich des Grundstücks Am Hof 9 scheint die erhaltene westliche Bruchsteinmauer des Kanals breiter zu sein (siehe Abb. 2,1). Evtl. hängt dies mit einer darübergesetzten spätrömischen Mauer zusammen, die ausgerissen weiter nördlich als östliche Gebäudegrenze 2008/09 rekonstruiert werden konnte (siehe unten). 20 Der Wert konnte durch einen Nivellementzug am 16.3. 2005 durch Mitarbeiter der Stadtarchäologie Wien (W. Chmelar, Ch. Reisinger, M. Mosser) ermittelt werden. 21 Die (ungefähren) Niveauwerte der Kanalsohlen im Bereich der südlichen Lagermauer würden beim Teilstück Bognergasse 7 (Tab. 1 Nr. 6; Niv. 13,30 m über Wr. Null) eine Fortsetzung des Kanalverlaufs Richtung östlichen Lagergraben nahelegen; der angenommene Wert von 14 m über Wr. Null im Bereich Am Hof 4 (Tab. 1 Nr. 7) würde allerdings dagegen sprechen, da er 0,50 m höher liegt als im Bereich Am Hof 9.

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des Abwasserkanals sollte durch die Grabungen im Jahr 2009 ersichtlich werden. Via vallaris Circa 12 m von der westlichen Legionslagermauer entfernt, wurde im Südosten der Parzelle ein kurzes Teilstück der via vallaris freigelegt und auch durch eine Profilzeichnung dokumentiert (Abb. 2,1 D und 2,3 D). 22 Die unterste Schichtung bestand nach A. Neumann aus einem „festen Konglomerat von Steinen, Sand und Erde“, auf dem sich eine Lage Schotter befand. Diese Beschreibung deckt sich mit der Befundsituation zur untersten Lage der via valAbb. 4: Teilstück des Kanals der via vallaris im Bereich der Ausgrabungen in Wien 1, Am Hof 9 im Jahr 1953, Blickrichtung Westen. (Foto: Wien Museum, Inv.-Nr. 16013/19)

laris in Schnitt 5 aus dem Jahr 200723 und in Schnitt 11 im Jahr 2009 (siehe unten). Sie lag ca. 3 m unter der Oberfläche, d. h. bei ca. 15 m über Wr. Null. Bei der nur wenige

Meter weiter südlich dokumentierten untersten Straßenschotterung in Schnitt 5 lag die Oberkante bei 14,86–15,13 m über Wr. Null, 35 m weiter nach Norden steigt dieselbe Schotterung auf 15,30–15,50 m über Wr. Null (Schnitt 11). Parallelen zeigt auch der weitere Befund Neumanns: Über den untersten Schotterlagen folgten zwei weitere Schotterschichten, eine Brandschicht, eine 14– 16 cm hohe Schuttschicht aus Ziegelbruch, Steinen und Kalkmörtel, eine dünne Erdschicht und schließlich als jüngster erhaltener Straßenbelag eine 10– 12 cm hohe Kieslage. Zusammenfassung Von den 1953 aufgedeckten Baustrukturen des römischen Legionslagers konnten bei den jüngsten Grabungen Am Hof Verlauf und Gefälle des Abwasserkanals bestätigt und weiter verfolgt sowie Aufbau, Breite und Verlauf der via vallaris exakter bestimmt werden. Auch wenn bei den Untersuchungen 2008/09 die Lagermauer nicht erfasst werden konnte, so ergaben sich trotzdem Indizien für deren ursprünglichen Verlauf, welche Rückschlüsse auf den schwer zu interpretierenden Befund an der Abbruchkante zum Tiefen Graben zulassen (siehe unten). Die Grabungen der Jahre 2008/09 im Haus Am Hof 10 (Abb. 5) Auch wenn im Detail feinchronologische Unterscheidungen erst in einem fortgeschritteneren Stadium der wissenschaftlichen Grabungsaufarbeitung möglich sein werden, so zeichnet sich mithilfe einer durch das entsprechende Fundmaterial unterstützten Stratigraphie für die Befunde im westlichen Intervallum des Legionslagers Vindobona eine Abfolge von Baumaßnahmen ab, die grob in vier Phasen eingeteilt werden kann. Die ersten beiden Phasen sind chronologisch der Mittelkaiserzeit zuzuordnen und sind durch die Errichtung des Erdwalls an der Innenseite der Lagermauer und den Bau des Abwasserkanals charakterisiert. Zwischen Wall und via vallaris war zunächst eine Backstube 22 23

Neumann 1967, 22 Abb. 6 D. Jandl/Mosser 2008, 12 f. Abb. 8.

festzustellen, welche in der darauffolgenden Phase einer Abfolge von massiven Pfostengruben weichen musste. In spätrömischer Zeit standen nach Abtra-

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Abb. 5: Wien 1, Am Hof 10 – Bauphasenplan von Intervallum und via vallaris im Legionslager Vindobona. (Plan: M. Mosser)

gung des Erdwalls entlang der Lagermauer zwei Gebäude, in welchen zumindest zwei weitere Bauphasen unterschieden werden können, wobei einzelne Räume T- bzw. Y-förmige Schlauchheizungen aufwiesen.

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Mittelkaiserzeit – Phase 1 (Abb. 6) Vallum Die früheste Struktur entlang der westlichen Legionslagermauer war der zur Befestigungsanlage zu zählende Erdwall, der erstmals im Lager Vindobona – zumindest in einem schmalen Abschnitt auf einer Länge von knapp 5 m und einer erhaltenen Breite von ca. 1,70 m – wissenschaftlich dokumentiert werden konnte. Es handelte sich dabei um den befestigten, geschichteten östlichen Randbereich des Walls, der aus unregelmäßig gesetzten, ockergelben und dunkelbraunen Lehmziegeln bestand. Die Lehmziegel waren so dicht gesetzt, dass die Abgrenzungen untereinander kaum zu erkennen waren, nur die farbliche Unterscheidung ließ die Struktur erahnen (Abb. 7), wobei der größte erkennbare Lehmziegel Maße von 30620610 cm aufwies. Die Befestigung war ca. 0,50 m hoch erhalten (OK 16,33, UK 15,85 m über Wr. Null) und von dünnen, graubraunen Erdschichten oder von Lagen aus kleineren Bruchsteinen und Tegelbrocken durchzogen. Die dunklen Schichten könnten dabei auf Holzbretter hinweisen, die regelmäßig zwischen je einem Block aus Lagen von Lehmziegeln gelegt wurden. Die gesamte Wallkonstruktion wurde auf eine großflächige, 0,20–0,30 m hohe Brandschuttlage gesetzt, die vor der Errichtung des Erdwalls offensichtlich zwischen via vallaris und Lagermauer aufgebracht worden war. Diese Planierung enthielt zahlreiches Fundmaterial und nach einer ersten Durchsicht dürfte der Datierungsrahmen der Keramik zumindest nicht mehr in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. reichen. Inwieweit dieser Horizont tatsächlich einen geeigneten Fundkomplex für die Errichtungszeit des Legionslagers am Ende des 1. Jahrhunderts darstellt, muss erst die weitere Aufarbeitung zeigen. 24 In den übrigen Abschnitten der Grabungsfläche im Westtrakt des Hauses Am Hof 10 waren keine Reste des Erdwalls mehr vorhanden, da in spätrömischer Zeit für die Errichtung der Gebäude an der Lagermauer der Wall vollständig beseitigt worden war. Doch unterhalb der spätrömischen Gehniveaus kamen 10 bis 20 m weiter nördlich, in der Flucht der östlichen Wallbegrenzung, die noch erhaltenen Reste von drei eher flachen Gruben mit jeweils ca. 1 m Durchmesser zum Vorschein, die flavisch-trajanische Keramik enthielten. Zwei der drei Gru24 Für die erste Sichtung danke ich K. AdlerWölfl (Stadtarchäologie Wien) und M. Kronberger (Wien Museum). 25 Ph. Crummy, Colchester (Camulodunum/ Colonia Victricensis). In: Webster 1988, 29 f. Viele, v. a. ältere Befestigungssysteme von Holz-Erde- und frühen Steinlagern zeigen Erdwälle in Holzkastenkonstruktionen eingebettet und von Wallstützmauern innen abgegrenzt. In Vindobona konnte bisher weder eine Holzkastenkonstruktion noch eine Wallstützmauer nachgewiesen werden, obwohl durchaus entsprechende Beispiele aus trajanisch-hadrianischen Kastellen existieren; vgl. Gugl/Kastler 2007, 53 mit weiterer Literatur. 26 Unpubliziert; freundl. Mitteilung G. Kuhnle (Straßburg); vgl. auch die Rekonstruktionsversuche bei LeQuesne 1999, 90 f. Fig. III 81–83.

ben, die wohl noch vor Errichtung des Walls angelegt worden waren, waren zudem mit Kalkmörtel ausgestrichen. Eine ähnliche Wallanlage wie in Vindobona beschreibt Philip Crummy für das Holz-Erde-Lager von Camulodunum/Colchester aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Nach Crummy bestand die Außenverkleidung des auf eine Holzlage gesetzten Erdwalls von Camulodunum aus geschichteten, sonnengetrockneten, sandigen Lehmblöcken unterschiedlicher Größe, allerdings mit einer gleichbleibenden Dicke von 10–12 cm. 25 Gut vergleichbar ist auch die etwa 1 m dicke Außenbefestigung des Erdwalls aus verschieden großen Lehmziegeln im Legionslager Argentorate/Straßburg, die den schottrigen Kern des vallum umgibt. 26 Daher ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass auch westlich der Wallbefestigung im Bereich der Grabung Am Hof ursprünglich ein Kern aus anderem Erd- oder Schottermaterial bestanden hatte. Der Erdwall im frühen HolzErde-Legionslager der Periode 1 in Carnuntum bestand aus umgelagertem

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Abb. 6: Wien 1, Am Hof 10 – Bauphase 1 und 2 mit Backstube und Pfostengruben im westlichen Intervallum des Legionslagers Vindobona. (Plan: M. Mosser)

Lehm mit Kieseln, der offensichtlich vom Aushub des vorgelagerten Grabensystems stammte. 27 Nach der Konsistenz der ockergelben und dunkelbraunen Lehmblöcke aus dem vallum von Vindobona zu schließen, dürften auch diese aus dem anstehenden gelben Löss und der darüber folgenden humosen dun-

27

Gugl/Kastler 2007, 33; 52 f. Abb. 16.

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Abb. 7: Wien 1, Am Hof 10 – Reste des Erdwalls im Hintergrund, des Präfurniums (?) der Phase 3 im Vordergrund sowie rechts der aufgehenden Lehmkuppel des südlichsten der vier Backöfen der Phase 1, Schnitt 10, Blickrichtung Westen. (Foto: M. Mosser)

kelbraunen Vegetationsschicht produziert worden sein. 28 Das Material würde dann am ehesten vom Aushub für die Baugrube der westlichen (steinernen) Legionslagermauer stammen, da aufgrund der Plateaulage unmittelbar am Ottakringer Bach an der Westseite des Lagers kein Graben ausgestochen werden musste. Wie folgende Tabelle zeigt, kann für Vindobona die nicht erhalten gebliebene Breite des ursprünglichen Erdwalls etwa auf 3 bis 6,20 m eingeengt werden, wobei ein Wert zwischen 4 und 6 m wie in den vergleichbaren Legionslagern von Straßburg, Carnuntum, Isca/Caerleon oder Inchtuthil am wahrscheinlichsten scheint. 29 Jedenfalls hat dies Auswirkungen auf die Rekonstruktion des Verlaufs der westlichen Umfassungsmauer, wie weiter unten noch ausgeführt werden wird. Legionslager Lindum/Lincoln

28 Dass beim Befestigungsbau auf das lokal verfügbare Erdmaterial zurückgegriffen werden soll, wurde auch von Vitruv empfohlen: Vitr. I, V, 8. 29 Nach Jones (Anm. 7) 69 f. Fig. 14 liegt die Wallbreite bei Kastellen vor 117 n. Chr. bei 4,60–9,10 m, im Durchschnitt bei ca. 6 m. 30 Zur Interpretation derartiger Befunde als Backöfen vgl. Hoffmann 2002, 895; zur Konstruktion vgl. Jacobi 1930, 17.

Breite des Erdwalls 3m

Literatur M. Jones in: Webster 1988, 149 Fig. 7.2 (1 a–b). Camulodunum/Colchester 3,80 m Crummy (Anm. 25) 29–31. Inchtuthil 3,96–5,18 m Pitts/St. Joseph 1985, 60. Carnuntum 4–4,80 m Gugl/Kastler 2007, 35; 53 Abb. 16. Isca Dumnoniorum/Exeter 4,75–5,30 m (16–18 Fuß) Ch. Henderson in: Webster 1988, 105. Viroconium/Wroxeter 5 m (15 drus. Fuß) Webster 1988, 125. Argentorate/Straßburg 5,20 m unpubl. (freundl. Mitteilung G. Kuhnle) Deva/Chester 5,80–6,20 m LeQuesne 1999, 74. Isca/Caerleon 5,85 m LeQuesne 1999, 74 Anm. 6.

Tab. 2: Breite des Erdwalls in ausgewählten römischen Legionslagern.

Backstube Zwischen Erdwall und via vallaris konnte eine Backstube, bestehend aus vier nebeneinandergesetzten, im Grundriss beinahe kreisrunden Öfen (Dm 2,30– 2,50 m) identifiziert werden (Abb. 8). 30 In zahlreichen Kastellen, v. a. in Britan-

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Abb. 8: Wien 1, Am Hof 10 – Steinkränze und Rollierungen der Ofenanlagen in der Backstube der Phase 1 im Intervallum des Legionslagers, Blickrichtung Süden. (Foto: M. Mosser)

Abb. 9: Plan der Backofengruppe C in der Nordwest-Ecke des Kastells Saalburg. (nach Jacobi 1930, Taf. II C)

nien und in den germanischen Provinzen, sind derartige Backofenbatterien an verschiedenen Wallabschnitten festzustellen und werden in den meisten Fällen in die ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. datiert (Abb. 9). 31 Diese über einem Steinkranz aufgebauten Lehmkuppelöfen entstanden auch in Vindobona bereits während der Errichtungszeit des Legionslagers am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. und waren dementsprechend mit zum Teil von der 13. Legion gestempelten tegulae als Ofenplatten versehen. 32 Ein 0,45– 0,75 m breites Trockenmauerfundament (einer Lehmziegelmauer?) westlich der Öfen begrenzte die Backstube gegen den Erdwall. Eine südliche und nördliche Begrenzung des Backraumes konnte nicht festgestellt werden. 33 Dagegen scheint eine auf einer Länge von 1,50 m von der Trockenmauer Richtung Backöfen verlaufende, 0,50 m breite Lehmziegelmauer den Backraum in zwei Hälften geteilt zu haben. Zehn in gleichmäßigen Abständen an den Rand der Öfen gesetzte Pfostenlöcher (Dm ca. 0,30–0,35 m) geben einen Hinweis auf eine einfache Holzkonstruktion, welche zur Überdachung der Backstube diente.

31 Im Kastell Saalburg wurden insgesamt 44 solcher Backöfen im Intervallum dokumentiert; Jacobi 1930, 8–19. Weitere Beispiele: A. H. A. Hogg, Pen Llystyn: A Roman Fort and Other Remains. Arch. Journal 125, 1968, 120–124; Pitts/St. Joseph 1985, 195–200 Fig. 49–53; 83–84 Pl. XXXIII A–B; G. C. Boon, The Legionary Fortress of Caerleon – Isca (Caerleon 1987) 46; Webster 1988, 129; Kuhnle et al. 2001, 160–165; Hoffmann 2002, 895 f.; zu Backöfen in der Zivilstadt von Vindobona vgl. S. Jäger-Wersonig/Ch. Öllerer, Wien 3, Schützengasse 24 und Rennweg 57. FWien 9, 2006, 287 f. Abb. 1; 3. 32 Erdwall und Backöfen entstanden offensichtlich in einem Bauvorgang, wie der „nahtlose“ Übergang von den erhaltenen Lehmkuppelresten des südlichsten der vier Öfen zu den Lehmziegeln des Erdwalls beweist. Zum Stationierungszeitpunkt der 13. Legion in Vindobona von 97 bis 101 n. Chr. vgl. M. Mosser, Die römischen Truppen in Vindobona. FWien 8, 2005, 128–134. 33 Der Backraum könnte durchaus nach drei Seiten hin offen gewesen sein; vgl. Jacobi 1930, 11.

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Abb. 10: Wien 1, Am Hof 10 – Südlichste der vier Pfostengruben mit Steinverkeilung im Intervallum des Legionslagers. Schnitt 8, Blickrichtung Süden. (Foto: M. Mosser)

Die Arbeitsfläche vor den Backöfen war nicht mehr vorhanden, da dieser Bereich durch spätere Baumaßnahmen zerstört worden war. 34 Insgesamt hatte die Backstube entlang der via vallaris eine Länge von mindestens 10 m und eine Breite von ca. 4,20 m. 35 In der älteren Forschung wies man diese Backöfen jeweils einer Zenturie zu,36 doch ist deren Lage innerhalb der Kastelle zu unregelmäßig, ohne bestimmte Anordnungsmuster und oft nur auf gewisse Bereiche des Intervallums konzentriert. Das heißt die Backöfen dürften allgemein den Legionssoldaten für die unmittelbare Brotversorgung gedient haben, wobei durchaus noch mehr Varianten der Versorgung bestanden haben werden, wie letztlich das Schleifen der Backöfen im Intervallum spätestens am Ende des 2. Jahrhunderts nahelegt. 37 Mittelkaiserzeit – Phase 2: Pfostengruben (Abb. 6) Vor einer differenzierten Auswertung des Fundmaterials muss die Frage nach der Benutzungszeit dieser Backofenbatterie noch unbeantwortet bleiben. Gesichert ist, dass spätestens im 3. Jahrhundert n. Chr. eine mächtige Pfostengrube den Steinkranz des nördlichsten der vier Öfen schnitt bzw. störte. Diese 34 Als Beispiele für vollständig erhaltene Grundrisse derartiger Backöfen mit vorgesetzter, ca. quadratischer Plattform vgl. Pitts/St. Joseph 1985, 195–199 Fig. 49–52 (Ofen 42, 43 und 53); vgl. auch Kuhnle et al. 2001, 160–165. 35 Vgl. eine ähnliche Backofengruppe in der NO-Ecke des Kastells Saalburg (Backofengruppe C), die einen Raum von 1063,10 m einnahm und von einer niedrigen Trockenmauer eingefasst war; Jacobi 1930, 11 f. Abb. 3 Taf. II C. Das Backhaus im Legionslager Argentorate/Straßburg umfasste 14,806 4,40 m; Kuhnle et al. 2001, 160. 36 Vgl. Pitts/St. Joseph 1985, 200. 37 Zur Diskussion siehe Hoffmann 2002, 895 f.

Pfostengrube gehörte zu einer Reihe von mindestens drei weiteren Pfosten, die auf einer Länge von 15 m im nördlichen Teil der Grabungsfläche parallel zum Kanal der via vallaris bzw. zur Legionslagermauer angetroffen wurden. Die Abstände zwischen den Pfosten waren unterschiedlich groß; sie betrugen zwischen jeweils zwei Pfosten 3,50 und 4 m. Eventuell könnten noch zwei weitere Pfostenstellungen in tief reichenden mittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Störungen vermutet werden, doch südlich der Backofenanlage sind sie mit Sicherheit auszuschließen. Es handelte sich dabei um im Durchmesser bis zu 1,40 m große und 0,50–0,80 m tiefe Gruben, an deren Sohle noch einmal 0,40–0,50 m tiefe Pfostenlöcher feststellbar waren (Gesamttiefe bis zu 1,20 m), wobei darin eingesetzte große Bruchsteine die Verkeilung der Pfosten anzeigten (Abb. 10). Das Interface lässt auf im Querschnitt quadratische bis rechteckige Hölzer von mindestens 0,20 m bis maximal 0,33 m Seitenlänge schließen. Das jeweilige

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Abb. 11: Wien 1, Am Hof 10 – Bauphase 3 mit Resten des spätrömischen Gebäudes an der westlichen Legionslagermauer. (Plan: M. Mosser)

Verfüllmaterial enthielt äußerst wenig, aber jedenfalls kein spätantikes Fundmaterial. Die Pfostenreihe verlief etwa 1,80 m von der angenommenen östlichen Wallbegrenzung und etwa 1,20 m vom Kanal der via vallaris entfernt. Zu ihrer Funktion lassen sich beim derzeitigen Aufarbeitungsstand folgende Schlüsse

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ziehen: Es muss sich um eine Holzkonstruktion handeln, die nur auf einem bestimmten, mindestens 15 m langen Abschnitt im Intervallum errichtet wurde. Ob der Erdwall entlang dieser Konstruktion zur gleichen Zeit noch vorhanden war, ist aufgrund der späteren Einbauten nicht zu eruieren. Bei dem vorhandenen vallum ist an einen (zweigeschoßigen?) gedeckten Gang bzw. eine Portikus mit 1,80 m Breite zu denken, der/die eventuell gewerblich genutzt wurde oder als Magazin diente. Im anderen Fall – bei einer Abtragung des Erdwalls in diesem Abschnitt – könnten die Pfostengruben Relikte eines hölzernen Vorgängerbaus des späteren steinernen Gebäudes entlang der Lagermauer darstellen. Dafür könnte auch sprechen, dass südlich, außerhalb des spätrömischen Gebäudes, keine weiteren Pfosten mehr nachzuweisen sind. Spätrömische Zeit – Phase 3: Wallverbauung (Abb. 11) Wenn nicht bereits zuvor im Zusammenhang mit den mächtigen Pfostenstellungen der zweiten Bauphase, so wurde spätestens mit der Errichtung von Gebäuden an der Innenseite der Legionslagermauer (ca. ab Ende des 3. Jh. n. Chr.?) der Wall abschnittsweise abgetragen. Diesen ersetzte man durch langrechteckige Bauten, wobei jener Am Hof identifizierte eine Länge von über 22 m aufwies. Dieses Gebäude war durch 0,40–0,50 m breite und ca. 0,40 m hohe Bruchsteinfundamente mit 0,30–0,40 m hohem, aufgehendem Steinmauersockel38 (OK Fundament: 16,05–16,10 m über Wr. Null) in mindestens drei 6,50– 6,80 m lange Raumeinheiten gegliedert (Abb. 12). Südliche, nördliche und östliche Abschlussmauern des Gebäudes waren nur noch in Form von Ausrissgräben rekonstruierbar. 39 Die beiden nördlichen Raumeinheiten wiesen eine (Mittel?-)Achse in Form von 0,40–0,60 m breiten bzw. 0,25–0,40 m hohen Bruchsteinfundamenten für, allerdings nicht erhaltene, aufgehende Lehmziegelmauern auf. Die Breite der beiden östlich anschließenden, an der via vallaris gelegenen Räume betrug ca. 3,30 m. Sie waren sowohl mit Mörtelestrichen als auch mit Lehmstampfböden und vereinzelt mit Ofenanlagen ausgestattet. Reste von Lehmziegelreihen deuten auf weitere Raumgliederungen hin. Die Räume westlich der Mittelachse dürften unmittelbar an die Lagermauer gegrenzt haben, lagen aber zum Großteil außerhalb des Grabungsbereiches. In der dritten, im Süden anschließenden Raumeinheit fehlte die Mittelachse. Eine Abfolge von zahllosen Ascheschichten und verbrannten Lehmplanierungen zusammen mit 38 Auffallend war die geringe Anzahl an Ziegelbruch, der bei der Errichtung der spätrömischen Mauern Verwendung fand. Dieser ist bei neu errichteten spätantiken Räumen im Bereich der Kasernen des Legionslagers ansonsten ein wichtiges Datierungskriterium; vgl. M. Mosser et al., Die römischen Kasernen im Legionslager Vindobona. Die Ausgrabungen am Judenplatz in Wien in den Jahren 1995– 1998. MSW 5 (in Vorbereitung) Kap. 6.1.1. 39 Die östliche Gebäudemauer war ursprünglich etwas versetzt unmittelbar auf die westliche Seitenmauer des Abwasserkanals der via vallaris gestellt worden; vgl. auch Anm. 19 mit dem Befund der Grabung Wien 1, Am Hof 9 im Jahr 1953.

im Fundamentbereich erhalten gebliebenen großen Ofenanlagen (bis 1,5061,70 m im Grundriss) weisen diesen als großen Werkstattraum aus. Da nahezu keine Schlacke oder entsprechende Halbfabrikate gefunden wurden, ist zumindest Metallverarbeitung oder Glasproduktion für diese Werkstätte vorerst auszuschließen. Das Fundmaterial aus jenen der Phase 3 zugeordneten Befunden dieses Gebäudes zeigt nur selten typisch spätrömische Artefakte, sondern hauptsächlich mittelkaiserzeitliche Altfunde, wie u. a. eine Waschschüssel, Reibschüsseln, Pannonische Glanztonware, Tardopadana und mittelgallische Sigillata oder italische Feinware (Fabrikat E). Spätrömische Keramik ist vornehmlich anhand des Scherbentyps bei reduzierend gebrannter Ware zu identifizieren, wie ein Wandstück aus dem untersten Fundamentbereich der Mauer in der Mittelach-

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Abb. 12: Wien 1, Am Hof 10 – Bruchsteinfundamente und aufgehende Steinsockel (Vordergrund/ Hintergrund) der Mauern der dritten Bauphase sowie Seitenmauern des mittelalterlichen Abwasserkanals (Mitte). Schnitt 8, Blickrichtung Süden. (Foto: M. Mosser)

se des Gebäudes oder zwei weitere Wandstücke mit Glättspuren aus Lehmböden der dritten Bauphase. 40 Südlich dieses langgestreckten Gebäudes folgte auf einer Länge von 3,30 m ein unverbauter Abschnitt an der Lagermauer, der noch die oben beschriebenen erhaltenen Reste des Erdwalls aufwies. In der dritten Bauphase wurde östlich dieses erhaltenen Wallabschnitts, nahe an der via vallaris, eine Ofenanlage aus Lehmziegeln errichtet, die allerdings nur noch im zerstörten Zustand dokumentiert werden konnte (Abb. 7). Innerhalb der Anlage fand sich ein Wandfragment eines Trierer Spruchbechers aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Diese Feuerstelle dürfte als praefurnium einer Y-förmigen Kanalheizungsanlage anzusprechen sein, die im südlich anschließenden Gebäude entlang der Legionslagermauer in Ansätzen anzutreffen war. In der Verfüllung der beiden Kanalstränge konnte bereits typisch spätantike Keramik wie Einglättware oder eine verbrannte, gut erhaltene glasierte Schale mit Horizontalrand festgestellt werden. 41 Dieser spätrömische Bau konnte nur noch auf 1,80 m Länge und 4,70 m Breite erschlossen werden. Außer Resten von Lehmstampfböden und einer schmalen Lehmziegelreihe einer Zwischenmauer waren innerhalb dieses Gebäudes keine weiteren Befunde erhalten, da die mittelalterlichen Befunde (siehe Beitrag I. Gaisbauer/M. Mosser, 233 ff.) sowohl die wohl ursprünglich vorhandenen Mauerzüge als auch alle Bodenniveaus der nachfolgenden vierten Bauphase zerstörten. Spätrömische Zeit – Phase 4: Umbaumaßnahmen (Abb. 13) Die letzte große Umbauphase (in valentinianischer Zeit?) im Bereich des intervallum ist durch massive Veränderungen an der Innengliederung des großen spätrömischen Gebäudes an der Lagermauer gekennzeichnet. 42 Im nördlichsten Abschnitt hatte ein Kellereinbau des Bürgerlichen Zeughauses aus dem 16.

40 Freundl. Mitteilung K. Adler-Wölfl. 41 Typ LRG 27 nach T. Cvjetic´anin, Late Roman Glazed Pottery: Glazed Pottery from Moesia Prima, Dacia Ripensis, Dacia Mediterranea and Dardania, National Museum in Belgrade. Arch. Monogr. 19 (Belgrade 2006) 34–39; 138–142; vgl. auch V. Gassner, Late Roman Lead-glazed Pottery at Carnuntum. Contexts and Chronology. In: Ch. Magrini/F. Sbarra (a cura di), La ceramica invetriata tardoromana nell’arco alpino orientale e nelle province danubiane. Atti del I incontro Internazionale di Archeologia a Carlino, Carlino 14–15 dicembre 2007 (Carlino 2009) 54 Taf. 3,3; Dat.: Mitte 4.–Anf. 5. Jh. n. Chr. 42 Ein Centenionalis aus der Zeit des Valentinian I. (364–375 n. Chr.) unmittelbar an der Oberkante der nördlichen der beiden erhaltenen Ost-West orientierten Mauerzüge (Schnitt 8) deutet auch auf eine Neuerrichtung der aufgehenden Lehmziegelmauern über den Steinfundamentsockeln der dritten Bauphase; für die vorläufige Bestimmung der Münzen der Grabung Am Hof danke ich C. Litschauer (Stadtarchäologie Wien).

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Abb. 13: Wien 1, Am Hof 10 – Bauphase 4 mit Resten des spätrömischen Gebäudes an der westlichen Legionslagermauer. (Plan: M. Mosser)

Jahrhundert die Bodenniveaus der jüngsten spätrömischen Phase gestört. Aus dem erhalten gebliebenen Bereich des Gebäudes war abzulesen, dass zunächst die Mittelachse der dritten Bauphase aufgelöst wurde. Die nördliche der beiden dokumentierten Raumeinheiten erhielt eine gegenüber der Phase

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Abb. 14: Wien 1, Am Hof 10 – Lehmziegelmauer innerhalb des spätrömischen Gebäudes der 4. Bauphase im Intervallum des Legionslagers. Schnitt 8, Blickrichtung Süden. (Foto: M. Mosser)

3 nach Osten versetzte, bis zu drei Lagen hoch erhaltene, zweimal abgewinkelte, 0,45 m breite Lehmziegelmauer (Abb. 14; OK 16,50 m über Wr. Null), die auf einen massiven Mörtelestrich gesetzt war (OK 16,15 m über Wr. Null). Durch die Lehmziegelmauer entstanden symmetrisch angeordnete Nischen, in welchen auch Reste von Ofenanlagen festzustellen waren. Eine eindeutige Funktionsbestimmung dieser neu angelegten Räumlichkeiten ist vorerst noch nicht möglich. Der südlich anschließende Raum erhielt hingegen eine T-förmige Schlauchheizung, gemauert aus Lehmziegeln, Bruch- und Flusssteinen sowie Ziegelbruch (Abb. 15). Das dazugehörige Gehniveau wurde für den Bau der Heizanlage gegenüber der vorangegangenen Bauphase um ca. 0,60 m angehoben und war in Form eines Mörtelestrichs (OK 16,70 m über Wr. Null) nur noch rudimentär vorhanden. In der Planierung für diesen Estrich konnte spätrömische Keramik in Form einer reduzierend gebrannten bikonischen Schüssel mit ausgebogenem Rand sowie Einglättware festgestellt werden. Innerhalb der Verfüllung der Schlauchheizung befand sich eine Ansammlung von 23 Münzen der ersten und zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. 43 Als Altfund aus einer Planierung über dem Gehhorizont der vierten Bauphase innerhalb des spätrömischen Gebäudes ist ein Fingerring aus Gold zu werten. Dieser besitzt am Kopf eine Einlage in Form einer Gemme, in welche eine männliche Figur geritzt ist (Merkur?). Typologisch entspricht der Ring mit leicht verbreitertem Kopfteil der Form I/b nach Annamária Facsády und würde demnach in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren. 44 Im Unterschied zur Befundlage im Bereich der Kasernen oder der fabrica des Legionslagers Vindobona 45 konnten bei den Gebäuden entlang der Lagermauer keine typischen Verfalls- oder Versturzhorizonte des 5. Jahrhunderts und nur an wenigen Stellen die sog. Schwarze Schicht festgestellt werden, was offensichtlich hauptsächlich auf Planiermaßnahmen im Zuge der Errichtung des jüdischen Viertels im Hochmittelalter zurückzuführen ist, welchen diese Horizonte konsequent zum Opfer gefallen sind.

43 Eine genaue Auswertung der Münzen steht noch aus. 44 A. Facsády, Jewellery in Aquincum. Az Aquincumi Múzeum gyu˝ jteménye 1 (Budapest 2009) 36; 42 Tab. 1 I/b; 91 Nr. 2–3. 45 Vgl. Jandl/Mosser 2008, 18 f. 29–31 Abb. 10; 19; 31–32.

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Kanal und Straßenkörper der via vallaris Abwasserkanal Über den gesamten Grabungsabschnitt konnte der Verlauf des Kanals der via vallaris an insgesamt fünf Stellen auf einer Länge von ca. 30 m mit einem Gefälle von 6 cm (von 13,68 m im Norden bis 13,62 m über Wr. Null im Süden) verfolgt werden. 46 Wie oben ausgeführt, war dieser unterhalb des südlich benachbarten Hauses Am Hof 9 bereits 1953 aufgedeckt worden und ist somit nun auf einer Länge von über 60 m bekannt. Der Schwenk des Kanals weg vom Verlauf entlang des Erdwalls zu einem größeren Abstand von der Lagermauer (siehe oben, Abb. 2,1) wurde nun durch die im Jahr 2009 aufgedeckten Befunde erklärbar. Denn dieser dürfte durch den Platzbedarf der 4,20 m breiten Backstube notwendig geworden sein, um den Kanal zwischen dieser an den Erdwall gesetzten gewerblichen Anlage und der via vallaris durchzuleiten. Es handelte sich dabei offensichtlich um ein Konzept, das bereits während der Anfangszeit des Legionslagers umgesetzt wurde, da sowohl die Anlage des Kanals als auch der Backöfen nach derzeitigem Forschungsstand zu den ersten nachweisbaren Baumaßnahmen gezählt werden können. Wie bereits in den vorangegangenen Fundberichten erwähnt,47 konnte bei allen fünf ergrabenen Teilstücken des Kanals nur noch die ziegelgedeckte Kanalsohle, jeweils tegulae Abb. 15: Wien 1, Am Hof 10 – Kanalstrang der Schlauchheizung der Phase 4 innerhalb des spätrömischen Gebäudes an der Lagermauer. Schnitt 10, Blickrichtung Süden. (Foto: M. Mosser)

paarweise mit den Leisten nach oben nebeneinandergelegt, festgestellt werden. Die östliche Seitenmauer oder deren Ausriss lag unterhalb des Fundaments des 1562 errichteten Bürgerlichen Zeughauses und konnte daher nicht

dokumentiert werden. Von der westlichen Seitenmauer des Kanals waren nur noch die Ausrissverfüllungen vorhanden. Dazwischen befand sich eine homogene Verfüllschicht oberhalb der Kanalsohle. Sowohl diese als auch die Mauerausrissverfüllung enthielten neben zahlreichen mittelkaiserzeitlichen Funden auch spätrömische Einglättware, glasierte Keramik und eine Münze der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Stratigraphisch wäre allerdings der Mauerausriss 46 Aus statischen Gründen konnte der Kanal nicht auf seiner gesamten Länge freigelegt werden. 47 Mosser 2009, 199 f. Abb. 6. 48 Ein einziges hochmittelalterliches Wandstück innerhalb der Kanalverfüllung ist als Beleg für eine mittelalterliche Maßnahme noch zu wenig aussagekräftig; Bestimmung des Wandstücks: I. Gaisbauer (Stadtarchäologie Wien). 49 Vgl. M. Kemkes/N. Willburger, Der Soldat und die Götter. Römische Religion am Limes. Schr. Limesmus. Aalen 56 (Esslingen 2004) 55 f.

sowohl als spätrömische als auch als älteste (hoch-)mittelalterliche Maßnahme möglich. Die Frage, wann der Kanal verfüllt und die Seitenmauern ausgerissen wurden, kann aber erst eine detaillierte Fundbearbeitung klären. 48 Innerhalb der Ausrissverfüllung der westlichen Seitenmauer des römerzeitlichen Abwasserkanals fand sich ein 8,4 cm großer Bronzeadler mit angelegten Flügeln, auf einem Globus stehend (Abb. 16). Die ursprüngliche Funktion der Statuette ist wohl vielfältig interpretierbar. Der Adler galt jedenfalls als heiliges Tier des Jupiter und als wichtigstes Symbol der römischen Legion. Es handelt sich aber bei jener Am Hof gefundenen Bronzeskulptur aufgrund ihrer geringen Größe nicht um die Adlerfigur auf der aquila, dem wichtigsten Feldzeichen der Legion. 49 Vielmehr dürfte der Adler im Zusammenhang mit Votivgaben in Heilig-

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tümern zu sehen sein. So sind beispielsweise Adler auf Globen neben einer Sitzstatuette des Jupiter aus einem Lararium der römischen Zivilsiedlung von Rouen oder als häufiges Attribut von sog. Votivhänden vergleichbar mit dem Wiener Stück. 50 Sie werden u. a. als Aufsätze von Kultstandarten im Zusammenhang mit den orientalischen Gottheiten (Jupiter Dolichenus, Sabazios) gesehen. 51 Weitere Adlerfunde wurden im Heiligtum des Jupiter Dolichenus in Vetus Salina/Adony als Dekoration einer kultischen Lanze und im rätischen Oberndorf als Aufsatz einer dreieckigen Votivplatte ebenfalls für Jupiter Dolichenus interpretiert. 52 Via vallaris Nur auf einer kleinen Fläche von 12 m2 in Schnitt 11 im südöstlich anschließenden Stiegenhaus der Feuerwehrzentrale konnte die via vallaris bei den Grabungen im Jahr 2009 dokumentiert werden. Die Abfolge der Straßenschotterungen zeigte dabei starke Parallelen zu jenen Teilabschnitten, die 1953 und 2007 entdeckt wurden (siehe oben). 53 Vor allem die unterste Lage aus grob geschichtetem, zum Teil recht großem Steinmaterial (OK 15,57 m über Wr. Null) zeigte sich bei allen drei bekannten Befunden entlang der westlichen via vallaris (Abb. 17). Die Abfolge der darüberliegenden Schotterungen, zum Teil unterbrochen von Kalkmörtellagen und dazwischenliegenden Lehmplanierungen, war über einen halben Meter mächtig (OK 16,20 m über Wr. Null). In einer der

Abb. 16: Bronzene Adlerstatuette aus der Ausrissverfüllung der westlichen Seitenmauer des Abwasserkanals der via vallaris (Schnitt 8), Höhe 8,4 cm. (Foto: N. Piperakis)

jüngsten Schotterungen der Straße fand sich als besonders interessantes Objekt ein Amulett aus getriebenem Gold (siehe Beitrag R. Chinelli, 76 ff.). Die Breite der via vallaris betrug nach den nun bekannten Befunden vom Abwasserkanal bis zu den Innenbauten (festgestellt im Bereich der fabrica 54) ca. 7,50 m (= 25 römische Fuß, inkl. bis zu 2 m breitem Gehsteigbereich). Einschließlich Kanal, dessen Überdeckung wohl auch dem Straßenabschnitt zuzurechnen ist, würde die Breite der via vallaris ca. 9,40 m (= 32 röm. Fuß) ausmachen. Anders als im Bereich des Erdwalls und der spätrömischen Einbauten war oberhalb der jüngsten Schotterung der via vallaris und unterhalb von Lehmbodenniveaus des mittelalterlichen Gebäudes eine mächtige „Schwarze Schicht“ festzustellen, deren unterer Teil allerdings aus grauem Erdmaterial bestand (Abb. 18). Wichtig ist festzuhalten, dass die dunklere, schwarze Schicht neben zahlreicher spätrömischer Keramik und Münzen der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts auch bereits einzelne hochmittelalterliche Keramikwandstücke enthielt. Die klar abzugrenzende „graue“ Schicht über der römischen Straßenschotterung und unterhalb der „Schwarzen Schicht“ enthielt hingegen als jüngste Fundstücke nur spätrömische glasierte Keramik, Einglättware, einen Centenionalis des Valentinian I (364–367 n. Chr.) und eine Zwiebelknopffibel des Typs Pröttel 3/4D55 (Abb. 19). Hypothesen zur Umfassungsmauer des Legionslagers Vindobona (Abb. 20) Auch wenn die Grabungen Am Hof keine Möglichkeit ergaben, die in unmittelbarer Nähe des intervallum zu erwartende Umfassungsmauer des Legionsla-

50 A. Kaufmann-Heinimann, Götter und Lararien aus Augusta Raurica. Forsch. Augst 26 (Augst 1998) 260 f. Abb. 216; C.-G. Alexandrescu, Blasmusiker und Standartenträger im römischen Heer. Untersuchungen zur Benennung, Funktion und Ikonographie (Cluj-Napoca 2010) 238–240 Taf. 103 mit weiteren Beispielen. 51 Der Globus gilt dabei als Symbol der kosmischen Natur des Dolichenus-Kultes; P. Zsidi/A. R. Furger (Hrsg.), Out of Rome. Augusta Raurica/Aquincum – Das Leben in zwei römischen Provinzstädten (Basel 1997) 281; vgl. auch Victoria-Statuetten auf Globen als Aufsatz für Dolichenus-Standarten interpretiert; F. Humer (Hrsg.), Marc Aurel und Carnuntum. Ausstellung 100 Jahre Archäologisches Museum Carnuntinum. Kat. Niederösterr. Landesmus. N. F. 450 (Wien 2004) 106 Kat.-Nr. 6–7. 52 Zs. Bánki, Heiligtum des Iuppiter Dolichenus in Vetus Salina. Alba Regia 19, 1982, 106; 110 Nr. 7–8 Taf. IX 1–2; L. Wamser (Hrsg.), Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht. Ausstellungskat. Rosenheim (Mainz 2000) 404 Kat.-Nr. 177 d. 53 Jandl/Mosser 2008, 12 f. Abb. 8. 54 Vgl. Jandl/Mosser 2008, 23 Abb. 23. 55 Siehe S. Schmid, Die römischen Fibeln aus Wien. MSW 6 (Wien 2010) 48; 68; 119 Kat.-Nr. 273 Taf. 35,273.

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Abb. 17: Wien 1, Am Hof 10 – Straßenschotterung der via vallaris im Westteil von Schnitt 11, Blickrichtung Norden. (Foto: M. Mosser)

gers zu dokumentieren, so existieren doch Indizien, die den präzisen Verlauf der Mauer rekonstruierbar machen können oder diesen zumindest zur Diskussion stellen können. Da der römischen Lagervermessung genormte Maßeinhei56 Domaszewski (Anm. 6) 42. 57 Vgl. z. B. die Legionslagermauer von Eburacum/York, die eine Breite von 1,20–1,48 m aufweist: P. Ottaway, The Archaeology of York 3. The Legionary Fortress. Excavations and Observations on the Defences and Adjacent Sites, 1971–90 (York 1996) 263 f. In Carnuntum zeigen die Befunde zur mittelkaiserzeitlichen Lagerbefestigung eine Mauer von 1,25 m Breite, welche in Periode 3 a (180/220 bis ca. Mitte 3. Jh.) und in Periode 5 (letztes Drittel 4. Jh.) jeweils eine 1,10 bzw. 0,50 m breite Verstärkung erfuhr; vgl. Gugl/Kastler 2007, 45; 60 f. 109–111 Abb. 37–38; 83. 58 Welchen Zustand der Lagermauer das 1953 aufgenommene Profil (Abb. 2,2) dokumentierte, kann nur spekuliert werden. Es kann sowohl den mittelkaiserzeitlichen, den spätantiken oder auch einen abgebrochenen spätantiken Zustand darstellen. Jedenfalls würde die Mauer auch der Flucht des westlichen der beiden dokumentierten südlichen Maueransätze an der porta principalis sinistra nach Süden entsprechen; vgl. Kenner 1904, 105–109 Fig. 95 Mauer e. 59 F. v. Kenner, Neueste Funde in Wien. Mitt. ZK 27, 1901, 169; ders., Römische Funde in Wien. Mitt. ZK 28, 1902, 17; ders., Römische Funde aus Wien (1902). Mitt. ZK 3. F., 2. Bd., 1903, 32 f. Fig. 1; Kenner 1904, 117–120 Fig. 99; K. Genser, Der österreichische Donaulimes in der Römerzeit. RLÖ 33 (Wien 1986) 481 Abb. 105.

ten zugrunde liegen, die das Lager nach Pseudo-Hyginus in sog. Hemistrigia, also Streifen mit 30 Fuß Breite, unterteilen,56 ist es legitim, den Abstand zwischen der Front der Lagermauer und der via vallaris mit 30 Fuß (= ca. 8,89 m) zu veranschlagen. Bei einer angenommenen Breite der Mauer der mittelkaiserzeitlichen Befestigungsanlage von ca. 1,20–1,50 m57 blieben etwa 7,50 m Platz für Erdwall und Infrastruktur entlang der umlaufenden Lagerstraße. Auch der dokumentierte Erdwallbefund bestätigt diesen Verlauf der Lagermauer, da dessen festgestellter östlicher Rand etwa 4,50 m von der postulierten Innenseite der Mauer entfernt wäre. Dieser Wert entspräche dabei den Wallbreiten vergleichbarer Militäranlagen (siehe Tab. 2). Bei dieser Hypothese käme auch der Verlauf der abgerutschten bzw. gekippten Mauer an der Böschung zum Tiefen Graben, wie sie 1953 dokumentiert wurde (siehe oben), genau in der entsprechenden Flucht nach Süden zu liegen. 58 Wie bereits bei der dritten Bauphase besprochen, lägen damit die raumteilenden Achsen des ersten spätrömischen Anbaus genau in der Mitte mit demselben Abstand (3,30 m, ca. 11 Fuß) zur Lagermauer wie zur östlichen Abschlussmauer entlang der via vallaris. Die Veränderungen und Achsenverschiebungen in der vierten Bauphase wären somit auch ein starkes Indiz für die Verbreiterung der Legionslagermauer auf bis zu über 3 m, wie sie in spätrömischen Lagern oft dokumentiert ist und auch in Vindobona im Bereich der Naglergasse im Jahr 1902 festgestellt wurde. 59 Verstärkt wird dieses Indiz bei Betrachtung der T-förmigen Kanalheizung im südlichen Raum des Gebäudes der vierten Bauphase. Falls diese Heizungsanlage symmetrisch in den Raum gesetzt war, dann wäre die Umfassungsmauer nur noch 2,90 m von der Mitte des Kanalstrangs entfernt gewesen und diese damit entsprechend nach Osten verbreitert. Als offene Fra-

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ge bleibt allerdings im Raum stehen, warum im Haus Am Hof 9 keinerlei Anhaltspunkte für diese verbreiterte Lagermauer zu finden waren. Künftige Fragestellungen Nachdem die letzten Jahrzehnte in der Erforschung des Legionslagers Vindobona mit den Grabungen am Wildpretmarkt und am Judenplatz im Zeichen der Innenbauten bzw. der Mannschaftsunterkünfte standen und zahlreiche neue Erkenntnisse zur Baugeschichte des Garnisonsstandortes der legio X gemina brachten,60 bilden die hier vorgestellten Grabungskampagnen in Wien 1, Am Hof eine willkommene Ergänzung. Beim derzeitigen Bearbeitungsstand kristallisierten sich dabei eine Reihe von übergeordneten, das gesamte Legionslager betreffende Fragestellungen heraus, die im Zentrum der kommenden archäologischen Aufarbeitung stehen werden: Die Frühphase des Legionslagers Durch die Truppengeschichte und durch epigraphische Forschungen ist der Stationierungszeitpunkt der legio XIII gemina und damit der Baubeginn des Lagers Vindobona zwischen 97 und 101 n. Chr. einigermaßen gesichert an-

Abb. 18: Wien 1, Am Hof 10 – Nordprofil in Schnitt 11 mit „grauer“ und „schwarzer“ Schicht über den Schotterungen der via vallaris. (Foto: M. Mosser)

zunehmen. 61 Doch die Grabungen innerhalb des Legionslagerareals brachten kaum Gelegenheiten, entsprechende Fundkomplexe diesem nachgewiesenen Zeitraum gegenüberzustellen. Sowohl 2007 in den Ofengruben der fabrica 62 als auch 2009 im Brandschutthorizont unterhalb des Erdwalls (siehe oben) sind nun erstmals umfangreiche frühe Fundensembles zutage getreten, die nicht nur für die Keramikforschung von Vindobona enorme wissenschaftliche Relevanz haben. Die entsprechende wissenschaftliche Beurteilung der Komplexe steht aber noch aus. Konkordanz der Bauphasen der Kasernenbauten mit den Befunden im Intervallum Die Aufarbeitung der Grabungen im Bereich der römischen Kasernen in Wien 1, Judenplatz erbrachte folgende Phasenabfolge (Tab. 3): Phase 1 2 3 4 5 6

Datierungsrahmen 97–114 114–180/200 180/200–280/320 280/320–350/360 360/375–390/410 390/410–420/440

stationierte Legion – Charakteristika der Bauten 13. und 14. Legion – Holz-/Fachwerkbauten 10. Legion – Holz-/Fachwerkbauten 10. Legion – Neuerrichtung in Stein (Kontubernien) Kasernenumbauten (Korridore, Feuerstellen, Öfen) Auflösung der militärischen Strukturen – Werkstätten Partielle zivile Nutzung der Gebäude

Tab. 3: Chronologie zu den römischen Lagergebäuden am Judenplatz.

Die bisherigen Erkenntnisse zu den Grabungen Am Hof lassen auf eine ganz ähnliche baugeschichtliche Entwicklung im Bereich des Intervallums schließen.

60 M. Mosser, Die Kasernen der ersten Kohorte im Legionslager Vindobona (unpubl. Diss. Univ. Wien 2007); Mosser et al. (Anm. 38). 61 Zs. Mráv/O. Harl, Die trajanische Bauinschrift der porta principalis dextra im Legionslager Vindobona – Zur Entstehung des Legionslagers Vindobona. FWien 11, 2008, 36– 55. 62 Jandl/Mosser 2008, 25–28.

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Auch hier wird erst die künftige Aufarbeitung darlegen können, ob diese Gegenüberstellung auch tatsächlich wissenschaftlich tragbar ist. Vor allem die Entwicklung in der Spätantike verspricht dabei interessante Erkenntnisse. Es drängt sich die Vermutung auf, dass Phase 4 am Judenplatz, mit der Umstrukturierung der Kasernenbauten, zu Phase 3 im Intervallum, mit dem Einbau der Gebäude entlang der Lagermauer, in Beziehung gesetzt werden kann. Ebenso wie die offensichtlich valentinianischen Baumaßnahmen der Phase 5 am Judenplatz, welche mit der nach bisherigem Forschungsstand letzten spätrömischen Umbauphase (Phase 4) im Intervallum verglichen werden können. Militärische oder zivile Nutzung Eine weitere nicht unbedeutende Fragestellung betrifft die Nutzung der spätrömischen Gebäude im Intervallum, v. a. aufgrund der Reduktion der Mannschaftsstärke der Legion am Standort Vindobona in der Spätantike und den damit frei gewordenen Siedlungsplätzen innerhalb des umwehrten Lagerareals. Abb. 19: Zwiebelknopffibel vom Typ Pröttel 3/ 4D aus der grauen Schicht oberhalb der via vallaris. (Zeichnung: S. Schmid)

Am Judenplatz konnten spätestens für die valentinianische Zeit Handwerksbetriebe in den alten Kasernenbauten festgestellt und anhand des Fundmaterials die Anwesenheit ziviler Bevölkerungselemente verifiziert werden. Die Räume der spätrömischen Gebäude im Intervallum waren im Vergleich dazu relativ großzügig dimensioniert und zum Teil mit Fußbodenheizungen und auch offensichtlich abschnittsweise mit Werkstätten ausgestattet. Architektonisch fehlen die militärischen Charakteristika wie langgestreckte, aber sehr schmale Baracken mit eher kleinen Vor- und Haupträumen. Auch spätantike Militaria wurden, wenn überhaupt, nur sporadisch aufgefunden. Das heißt, vorläufig ist eine militärische Nutzung der Bauten an der Lagermauer nicht zu beweisen. 63 Ende der antiken Besiedlung Der Übergang zum Frühmittelalter, das Auflösen bzw. der Verfall der römischen Siedlungsstrukturen ist ein weiterer, mit vielen Fragen behafteter Forschungsschwerpunkt. Am Judenplatz ist bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts noch eine allerdings reduzierte Siedlungstätigkeit nachweisbar, bevor das Legionslagerareal vollständig verlassen wurde. Im Bereich des Intervallums sind zwischen den noch eindeutig der spätrömischen Zeit und den mit Sicherheit

63 Die Grabungen Am Hof brachten auch über 200 gestempelte Ziegel zutage, die als Diplomarbeit der Universität Wien von Th. Koch bearbeitet werden. Es handelt sich dabei hauptsächlich um mittelkaiserzeitliche Ziegel der 13., 14. und 10. Legion, die kaum Rückschlüsse auf eine militärische Nutzung der Gebäude im Intervallum zulassen werden.

dem Hochmittelalter zuzuordnenden Horizonten – abgesehen von der „Schwarzen Schicht“ – noch Siedlungsstrukturen feststellbar, die hier nicht näher beschrieben wurden, weil für diese beim derzeitigen Aufarbeitungsstand noch keine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden kann. Unter Umständen tragen diese aber zu einem besseren Verständnis von Nutzung und Verfall der antiken Überreste während der „Dark Ages“ bei.

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M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V

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Abb. 20: Zusammenschau der Befunde der Grabungen 1953 und 2007–09 im Bereich Wien 1, Am Hof 9–10. (Plan: A. Neumann/M. Mosser)

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M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V

Abgekürzt zitierte Literatur Gugl/Kastler 2007 Hoffmann 2002

Jacobi 1930 Jandl/Mosser 2008 Kenner 1904 Kuhnle et al. 2001 LeQuesne 1999 Mosser 2009 Neumann 1967 Pitts/St. Joseph 1985 Webster 1988

Ch. Gugl/R. Kastler (Hrsg.), Legionslager Carnuntum – Ausgrabungen 1968–1977. RLÖ 45 (Wien 2007). B. Hoffmann, The Rampart Buildings of Roman Legionary Fortresses. In: Ph. Freeman/J. Bennett/Zb. Fiema/B. Hoffmann (ed.), Limes XVIII. Proceedings of the XVIIIth International Congress of Roman Frontier Studies held in Amman, Jordan (September 2000). BAR Internat. Ser. 1084/2 (Oxford 2002) 895–899. H. Jacobi, Kastell Saalburg – Die Ausgrabungen der Jahre 1925–1928. Saalburg-Jahrb. 7, 1930, 8–34. M. Jandl/M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil IV: Vallum, fabrica und Kasernen in der westlichen retentura – Vorbericht zu den Grabungen Am Hof im Jahr 2007. FWien 11, 2008, 4–34. F. v. Kenner, Römische Funde in Wien aus den Jahren 1901 bis 1903. JZK N. F. 2/1, 1904, 105–170. G. Kuhnle/J. Baudoux/M. Werlé, Strasbourg «Grenier d’Abondance». Document final de synthèse de sauvetage urgent, AFAN/SRA Alsace (Strasbourg 2001). Ch. LeQuesne, Excavations at Chester. The Roman and Later Defences 1. Investigations 1978–1990. Chester Arch. Excav. and Survey Report 11 (Chester 1999). M. Mosser, Wien 1, Am Hof 10. FWien 12, 2009, 195–200. A. Neumann, Forschungen in Vindobona 1948 bis 1967. I. Teil. Lager und Lagerterritorium. RLÖ 23 (Wien 1967). L. F. Pitts/J. K. St. Joseph, Inchtuthil – The Roman Legionary Fortress. Britannia Monogr. Ser. 6 (London 1985). G. Webster (ed.), Fortress into City. The Consolidation of Roman Britain, First Century AD (London 1988).

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R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien 1, Am Hof Rita Chinelli Im Jahr 2010 wurde während der archäologischen Untersuchungen am Platz Am Hof im Ersten Wiener Gemeindebezirk ein seltenes Goldobjekt gefunden (Abb. 1 und 2; siehe Beitrag M. Mosser, 50 ff.). 1 Dieses als Amulett (lat. amuletum oder fascinum)2 anzusprechende Stück lag im jüngsten Straßenschotter des hier befindlichen westlichen Abschnitts der via vallaris des Legionslagers Vindobona. Es ist rund, mit einem Durchmesser von 2 cm, die Dicke des Goldblechs beträgt 0,7 mm (Gewicht: 0,99 g). Die getriebene Amulettplatte ist umgeben von einer applizierten, tordierten, leicht überstehenden, im Querschnitt rundlichen Fassung mit einer Aufhängeschlaufe. 3 Die Oberfläche weist mehrere erhabene, zum Teil verformte Figuren auf sowie eine kaum erkennbare umlaufende Perlverzierung. Das Objekt war in zwei Teile gebrochen und wurde restauriert. 4 In der Mitte des Objekts befindet sich die Darstellung eines Auges, dessen Pupille am oberen Lidrand zentriert zu sehen ist. Alle anderen Darstellungen sind auf dieses Auge ausgerichtet; im Uhrzeigersinn am oberen Rand beginnend: eine Schlange, ein Adler (?) mit ausgebreiteten Flügeln, ein Phallus, ein Skorpion, ein Hund, ein Dolch, ein Dreizack, ein kleines froschartiges Tier, gefolgt von einem größeren; gegenüber dem Vogel – in der Symmetrieachse – ein weiterer Adler (?). Ein bislang unpubliziertes Amulett (Abb. 3) aus Fuveau in Südfrankreich (nördlich von Marseille) – ein Zufallsfund – ist dem Wiener Stück ähnlich und kann zu dessen Deutung herangezogen werden. 5 Auch dieses Amulett besteht aus Gold, doch ist es nicht kreisrund, sondern oval und hat die Öse mittig an der Rückseite; es wurde also wahrscheinlich nicht um den Hals getragen. Im Gegensatz zu dem Amulett vom Platz Am Hof besitzt das Objekt nur einen getriebenen Rahmen, der mit einem Perlkreis verziert ist. Im Zentrum der Vorderseite befindet sich ebenfalls ein Auge mit der Pupille am oberen Lidrand. Auch hier ist das Auge von verschiedenen Darstellungen umringt. Im Uhrzeigersinn aufgezählt handelt es sich um: ein Blitzbündel, eine Eidechse, einen geflügelten Phallus, einen Skorpion, einen Hund, einen Löwen, (eine Schlange?), einen Vogel (Strauß?), zwei Schlangen und einen Stern. Einleitung Zunächst soll versucht werden, anhand der Position und Form der Figuren/Darstellungen eine Deutung der beiden Objekte zu finden. Unterstützt werden die folgenden Erläuterungen durch ähnliche Darstellungen wie sie in Tabelle 2 (Nr. 1–30) gelistet sind: Die meisten der vergleichbaren Stücke wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts publiziert. Dieser Umstand stellt insofern eine

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R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

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Abb. 1: Goldamulett aus Wien 1, Am Hof (restaurierter Zustand), links Vorderseite, rechts Rückseite. (Foto: U. Egger)

Erschwernis dar, als die entsprechenden Publikationen oft schwer aufzufinden sind, selten Abbildungen enthalten – und wenn, dann sogar unterschiedliche Figurenanordnungen zeigen können – und Beschreibungen nicht in der gewünschten Ausführlichkeit erfolgten. Das Auge steht im Zentrum und kann wohl die Funktion beider Goldobjekte erklären. Alle Figuren sind auf das Auge ausgerichtet und dienen offensichtlich der symbolhaften Darstellung eines Angriffs: So nähern sich z. B. der Kopf der Schlange, der Schnabel des Adlers, die Schnauze des Hundes oder die Spitzen des Dreizacks. Sie alle scheinen zu versuchen, eine Bedrohung, die von der zentralen Darstellung ausgeht, abzuwehren6. Welche Gefahr kann das Auge symbolisieren? Der Blick des Auges erscheint sowohl bei dem Amulett aus Wien als auch bei jenem aus Fuveau teilweise verhüllt, denn die Pupille befindet sich am oberen Rand des Lides und ist sogar ein wenig von diesem bedeckt. Diese Darstellungsweise begegnet auch bei anderen Funden (siehe Tab. 2 Nr. 1, 3, 9, 12, 14, 21 und 25). Seit jeher ist das Auge ein „Machtinstrument“ in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Es dient nicht nur der äußeren Wahrnehmung von Gegenständen und Personen, sondern es ermöglicht in der wechselseitigen Betrachtung auch ein inneres Bild/das Innenleben des Gegenüber zu erfassen. Mit dem Anblicken beginnt eine intuitive Kommunikation, die die seelische Haltung ans Licht bringt, z. B. als Liebesblick oder als sog. Böser Blick. 7 Letzterer kann viele negative Empfindungen offenbaren: Wut, Rache, Neid etc. Dass mit dem Auge und seinem verhüllten Blick der Neid gemeint ist, lässt sich anhand einer Darstellung an einem Bronzeamulett mit dem Reitermotiv, das als „Salomon-Siegel“ bezeichnet wurde, beweisen: Über dem zentralen Auge ist hier das Wort Phthonos (Uhmo|, Neid) eingraviert. 8 Andere Inschriften aus rö-

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mischer Zeit mit Darstellungen des Bösen Blicks in heidnischem Kontext verdeutlichen die Bedeutung dieses Motivs. 9 Ein Mosaik in Kefalonia aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. setzt mit einer Inschrift eine menschliche Figur, die sich mit eigenen Händen würgt und von wilden Tieren angefallen wird, mit Uhmo| gleich. 10 Es sind aber auch Darstellungen ohne Beischrift bekannt, in welchen die Figur im Zentrum entweder sich selbst würgt oder versucht, sich von einer würgenden Schlange zu befreien (Abb. 4). 11 Um diesen Mann sind ebenfalls mehrere Figuren und Objekte gruppiert – Waffen, menschliche Gestalten, wie Kämpfer, und Tiere –, die eine aggressive Haltung demonstrieren. Die Tatsache, dass das Böse Auge von ähnlichen Darstellungen umgeben ist, zeigt, dass dieser Mann (Uhmo|) an der zentralen Stelle durch das neidische Auge ersetzt werden kann. Katherine M. D. Dunbabin und Matthew W. Dickie unterstreichen in ihrer ikonographischen Untersuchung entsprechender Darstellungen, dass nicht alle diese Symbole an sich gefährlich sind, wohl aber gegen den Bösen Blick schützen können. 12 Nach Karl Meisen wurden manche Tiere abgebildet, weil sie damals als giftig galten, z. B. Amphibien oder Reptilien. 13 Durch den Bösen Blick sollte Personen und Objekten Schaden zugefügt werden. Die Ursache dafür ist der Neid, d. h. das unbewusste Verlangen nach Erfüllung unbefriedigter Wünsche (lat. invidia/in-videre). Das Abwenden der unheilvollen Kraft des Bösen Blicks konnte auch dadurch erreicht werden, indem gewisse atypische Motive – wie der Zwerg mit Zaubergeräten im Mosaik aus Jekmejeh, bei Antiochia am Orontes (Abb. 5 Nr. 20), oder der cossim cacans (Darstellung einer hockenden Gestalt bei der Darmentleerung: Taf. 1 Nr. 25) in einem Relief in Woburn Abbey – gewählt wurden, die den Betrachter zum Lachen bringen oder bei ihm Entsetzen und Erstaunen auslösen sollten. 14 So wird das Lachen als eine Waffe eingesetzt, die zur Verwirrung führt und deshalb die Angst vor den Dämonen abwendet. 15 Obwohl hier das Auge mit all den umgebenden Figuren als Böser Blick zu verstehen ist,16 kann es auch als „vielleidendes Auge“ gesehen werden,17 eine Deutung, die durch die Metapher des sich selbst würgenden Mannes gestützt wird. Der Neid, eine negative Energie, die einen anderen trifft, ist zugleich das Leiden, das dieser bereits in sich trägt. Zauber und Energie (Neid), die vom Bösen Blick ausgehen, werden fascinum oder fascinus genannt und durch einen spiegelbildlichen Gegenzauber (ebenfalls fascinum)18 bekämpft. Das Bodenmosaik aus Jekmejeh (Abb. 5), das den Bezug des Neides zu einem Eintretenden herstellt (JAI RT, Auch Du!), deutet stark in diese Richtung. Der Böse Blick kann neben anderen Dingen auch Krankheiten verursachen. Amulette wurden daher sowohl zur Prophylaxe als auch Therapie getragen. 19 Krankheiten wurden meistens auf den Einfluss übernatürlicher Kräfte zurückgeführt:20 Die Griechen z. B. nahmen an, dass sie von bösen Gottheiten verursacht würden und um die Sympathie der Götter zu gewinnen, musste man sich also die verschiedenen Kräfte des Kosmos (Sterne,Tiere, Pflanzen etc.) zunutze machen. 21

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Abb. 2: Goldamulett aus Wien 1, Am Hof. M 5:1 (Zeichnung: G. Reichhalter)

Die Form des Objekts In römischer Zeit wurden Schutzsymbole im Alltag oft verwendet. Schon allein die runde Form – wie in unserem Fall – konnte eine magische, symbolische Bedeutung haben: Sie galt für böse Kräfte als undurchdringlich. 22 Mehrere Metallamulette (vgl. Tab. 2 Nr. 1–11) besitzen diese Form. 23 Runde, aus Glas gefertigte Amulette (Ende 3.–6. Jh. n. Chr. datiert) lassen sich hier anschließen: Sie waren teilweise gelb bemalt; vielleicht in Reminiszenz an die Farbe des teuren Goldes. 24 Diese Anhänger waren v. a. im Norden Syriens weit verbreitet und wurden wahrscheinlich in der heutigen Türkei, im bereits genannten Antiochia am Orontes, produziert. 25 Für Syrien und Palästina wurde von Campbell Bonner auch eine über viele Jahrhunderte anhaltende Produktion von runden – christlichen/jüdischen – Metallamuletten gegen den Bösen Blick vermutet. 26 Am Rand des Wiener Amuletts befindet sich eine Verzierung, die bei antiken Metallamuletten üblich war (Tab. 2 Nr. 1–3, 5–7 und 9 Taf. 1). Das Material Gold hatte sowohl für die vorrömischen Kulturen als auch in römischer Zeit eine besondere Bedeutung. Es war wegen seiner prophylaktischen Wirkung besonders für die Fertigung von Amuletten beliebt (Tab. 2 Nr. 1–8, 10–11). 27 Plinius der Ältere unterstrich hinsichtlich der Pflanzen und medicamenta den Wert der signatura rerum, d. h. der äußeren Merkmale der Dinge – darunter die Farbe in therapeutischer Verwendung. 28 Die Wirksamkeit eines Amuletts lag demnach nicht nur in den dargestellten Figuren, sondern auch in dem Material, aus

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dem es hergestellt wurde, begründet. 29 Gelb ist auch die Farbe des Bernsteins, der oft zum symbolischen Schutz von Frauen und Kindern getragen wurde. 30 Gold bedeckte v. a. in Syrien die Statuen der Sonnengottheiten. 31 Selbst in der mittleren und späten Kaiserzeit sind es solare Gottheiten, die auf orientalischen gnostischen oder – besser gesagt – magischen Gemmen am häufigsten dargestellt wurden. 32 So ist, wie andere Amulette auch, das hier vorgestellte durch die Eigenschaften der Sonne (rund und golden) gekennzeichnet. 33 Das Material Gold gibt aber nicht zuletzt auch Hinweis auf den sozialen Status des Besitzers. 34 Die Wirksamkeit Der Riss im Amulett aus Wien, ziemlich genau über dem Auge – die Zweiteilung –, könnte eine absichtliche Zerstörung mittels eines Rituals nahelegen,35 diese ist jedoch nicht nachweisbar. Derartige magische Objekte bedurften, um wirksam zu werden, der Weihe durch einen Magier und mussten, um ihre Macht zu verlieren, absichtlich zerstört werden. 36 Wie man aus kaiserzeitlichen und spätantiken Zauberpapyri erfährt, identifizierte sich der Magier während der Fertigung magischer Gemmen mit einem der griechisch-ägyptischen Götter, und nach Abschluss der Arbeit rief er Aion an, den Regenten der Zeit mit solarem Charakter. 37 Ebenfalls vorgegeben war eine bestimmte Art der Herstellung, die an gewissen Tagen zu erfolgen hatte. 38 Um die Wirksamkeit zu erhöhen, musste das Objekt direkt am Körper getragen werden (adligare), weshalb das vorliegende Exemplar als Anhänger an einer Halskette – wie z. B. nachgewiesen für ein Amulett in London (Tab. 2 Nr. 10) – getragen worden sein dürfte, was die Aufhängevorrichtung nahelegt. 39 Es gab auch Ringplatten in Form eines Auges aus Gold oder auch aus Glas. 40 Wenn das Böse Auge – oder auch der Phallus (siehe unten) allein – an einem Gebäude oder einer Skulptur angebracht wurde, so geschah dies an einem gut sichtbaren Ort, wie dies Mosaike im Eingangsbereich z. B. in Jekmejeh (Abb. 5 Nr. 20) oder der Basilica Hilariana in Rom (Nr. 21 Taf. 1) belegen; interessant ist auch ein Mosaik in Salzburg. 41 Die Darstellungen Pagane Metallamulette, wie das hier beschriebene, wurden selten gefunden. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, eine Darstellung zu finden, die in der Reihenfolge und Auswahl der Figuren dem Wiener Beispiel völlig entspricht. Diese Tatsache würde die Auffassung von Dunbabin und Dickie bestätigen, dass es sich um Einzelanfertigungen handelt. 42 Beobachtungen zu Position und Reihenfolge der Figuren Bemerkenswert ist, dass manche Figuren – sofern vorhanden oder identifizierbar – auf Metallamuletten sehr oft nebeneinander, paarweise auftreten (vgl. auch Tab. 1 – Motive nicht gereiht): •

Skorpion/Phallus: Wien (A), Fuveau (B), Nr. 1–4, 7



Vogel/Schlange: Wien (A), Fuveau (B), Nr. 1, 3–5, 7

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Abb. 3: Goldamulett aus Fuveau (Frankreich). (Foto: M. Feugère)



Eidechse/Blitzbündel: Fuveau (B), Nr. 1–5



Hund/Skorpion: Wien (A), Fuveau (B), Nr. 6, 10



Löwe/Hund: Fuveau (B), Nr. 1–2, 4

Sie erscheinen nicht nur paarweise, sondern sie sind – v. a. auf Amuletten – oft an einer gleichbleibenden Stelle zu finden; an einer Position, die häufig derjenigen in mithrischen Darstellungen entspricht: Skorpion rechts unten, Löwe und Hund links unten, Blitzbündel und Eidechse rechts oben. Phallus Auf dem Amulett von der Grabung Am Hof befindet sich rechts neben dem Auge ein Phallus – im Uhrzeigersinn betrachtet nach dem Adler und vor dem Skorpion. Das Amulett aus Fuveau zeigt an der gleichen Stelle einen Phallus mit Flügeln, nach einer Eidechse und vor dem Skorpion. Die Darstellung des Phallus war prophylaktisch und glückbringend. Die Deutung als glückbringendes Symbol stützt sich auf die Beziehung des Phallus zu Priapus. Priapus war der Gott der Fruchtbarkeit, des Glücks, der Fülle und des Reichtums, aber auch der Beschützer vor Neid. 43 Er begegnet sogar als cossim cacans innerhalb der Darstellungen des Bösen Blicks. 44 Seine Zeugungskraft verschafft dem Phallus eine zentrale Position als ordnende Kraft im Universum. 45 Plinius der Ältere benutzt für den Phallus den Terminus fascinus (Zauber), er wird als Gott und als medicus invidiae bezeichnet. 46 In der römischen Welt gibt es zahlreiche Darstellungen, sogar auf einfacher Gebrauchskeramik. 47 So gehörten zum Hausinventar Gesichtsbecher, die manchmal auch Phallus-Darstellungen tragen konnten; unterhalb von Fundamenten deponiert, sollten sie nach Stefan F. Pfahl die Errichtung des Hauses günstig beeinflussen. 48 Derartige Gefäße wurden in Wien in der römischen Zivilsiedlung (Wien 3, Rennweg 44) und in den canabae legionis gefunden. 49 Diese Darstellungen können als Schutz des Gefäßinhaltes vor Verderben, Tierfraß oder Diebstahl interpretiert werden. 50 Auf einer spätantiken Bronzemedaille, aufbewahrt in Paris, ist ebenfalls ein Phallus dargestellt. Der Zweck der Darstellung war es, den Besitzer vor Neid zu schützen, worauf eine beigefügte Inschrift hinweist. 51 In Pompeji und Herculaneum wurde bei verschiedenen Werkstätten (mit Backofen bzw. Keramikbrennofen) oberhalb der Tür, also an einem auffälligen Ort, die Darstellung eines Phallus angebracht; in einem Fall begleitet von der In-

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schrift HIC HABITAT FELICITAS. Hier ist die rein apotropäische Bedeutung offensichtlich. 52 An Decken oder neben Türen hingen möglicherweise phallische tintinnabula (Schellen, Glocken), ebenso an Wagen. Weiters wurden menschliche Figuren mit riesigem erigiertem Phallus gefertigt, auch in Kombination mit Lampen, wie im termopolium, einer Art Gaststätte in Pompeji. 53 Phalli im Bereich von Hauseingängen finden sich z. B. im Mosaik im Museum von Antakya (Abb. 5 Nr. 20) und in Ostia. 54 Drei Mal ist er in der Gallia Belgica auch auf einer sog. Votivhand von Sabazios nachgewiesen55. Der Phallus ist in vielen unserer Vergleichsbeispiele aufgerichtet (ithyphallisch) und zielt auf das Auge: Auf dem Amulett aus Fuveau besitzt er zudem Flügel (Abb. 3), im Mosaik von Jekmejeh geht diese Bewegung von einer Figur aus. Auf Lampen mit der Darstellung des Phthonos (Abb. 4) ist der Phallus nicht ithyphallisch, sondern nur mit abnormer Länge abgebildet und befindet sich in der Mitte der Darstellung als Teil der nackten menschlichen Figur und wird so selbst Ziel des Angriffs. Skorpion Auf den Phallus folgt die Abbildung eines sechsfüßigen Skorpions (Abb. 2), auf dem Beispiel aus Fuveau (Abb. 3) erscheint er achtfüßig. 56 Er ist fast immer in Darstellungen des Bösen Blicks nachgewiesen. 57 Er kann auch bis zu drei Mal auf demselben Amulett abgebildet sein, wie auf einem Achat, der die invidia in der Mitte zeigt. 58 Laut antiker Magie wirkte der Skorpion gegen Insektenstiche oder heilte Augenkrankheiten. Tatsächlich stand er mit der untergehenden Sonne in Verbindung. 59 Er erscheint in Darstellungen des Bösen Blicks oft zusammen mit der Schlange und wurde auf Gemmen mit syrischen Gottheiten sogar als Attribut zur Verstärkung der apotropäischen Wirkung beigefügt. 60 Beide Tiere sind in der Natur schwer auszumachen wie die invidia. 61 Die der invidia eigene Ambivalenz (siehe oben) wohnt auch der Kraft beider Tiere inne:62 So wirkt das Gift des Skorpions auch gegen seine eigenen Stiche. 63 Erscheint der Skorpion als Sternbild – von oben gesehen, mit geöffneten Scheren und sechs Beinen (mit Schwanz nach links gebogen) –, dann steht er nach astrologischer Auffassung mit dem Mars in einem engen Verhältnis (sein „Wohnsitz“)64 und schützt gemäß astromedizinischer Theorie die Geschlechtsorgane. 65 In diesem Zusammenhang sei an das häufige Auftreten des Skorpions gemeinsam mit dem Phallus erinnert. Außerdem tritt der Skorpion in Mithras-Darstellungen stets neben dem Stier-Phallus in Erscheinung. Im Gegensatz zu Mithras (Frühling) stellt er den Herbst dar. 66 Hund Links neben dem Skorpion befindet sich ein Hund. Auch er ist so gut wie immer bei Darstellungen des Bösen Auges nachgewiesen, wo er in einer typischen Angriffshaltung zu sehen ist. Hunde wurden in der persischen Welt sehr geachtet, auch weil sie die Körper der Toten fraßen. 67 Astrologisch entspricht er dem

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Sternbild canis minoris. Der Hund ist auch das Tier der Hekate; in der Tat hatte sie selbst das Aussehen eines bellenden Hundes und vermochte vor Geistern und Dämonen zu schützen. Gleichzeitig verkörpert der Hund den Dämon und vertreibt diesen auch durch sein Bellen. 68 Dolch In der Reihenfolge als Nächstes erscheint der Dolch. Dessen Darstellung hebt sich insofern von den anderen ab, als seine Spitze dem Auge abgewandt ist. Auf das Auge zielend erscheint er auf einer Gemme (Nr. 15), in zwei Malereien in Dura-Europos (Nr. 28 und 29) und auf einem Felsrelief in Burdur (Nr. 22). Der Dolch ist auch fester Bestandteil des Mithraskultes, da mit ihm der Stier getötet wird. Er bezeichnet den fünften Weihegrad, d. h. Perses. Perses ist der Sohn des Perseus, der nach David Ulansey mit Mithras verwandt ist. 69 Perseus ist zugleich ein Sternbild und scheint in der Ahnentafel von Mithridates VI. Eupator, König von Pontos, auf. Mithridates setzte sich mit Mithras gleich. 70 Der Dolch könnte in erster Linie – im Zusammenhang mit dem folgenden Dreizack – einem retiarius, dem leicht bewaffneten Gladiator, zugeordnet werden. Er lässt sich aber auch als Waffe (pugio) eines weiteren Gladiatoren, dem secutor interpretieren.

Abb. 4: Lampe aus Ephesos, Kunsthistorisches Museum Wien. (Foto: KHM Wien, Inv.-Nr. V 2535)

Dreizack Die anschließende Waffe ist der Dreizack (fuscina). Auf einem Relief mit der Darstellung des Bösen Blicks in England (Taf. 1 Nr. 25), das in die Zeit des Septimius Severus datiert wird, ist ein retiarius mit dieser Waffe in der Hand zu sehen. In einem Steinrelief aus Leptis Magna (Lybien) befindet sich der Dreizack in der Hand eines ithyphallischen Zentauren (Tab. 2 Nr. 26). Der Dreizack ist weiters in dem schon mehrfach angeführten Fußbodenmosaik im Museum Antakya (Abb. 5 Nr. 20) sowie auf einem Felsrelief aus Burdur (Nr. 22), beide Anatolien, auf einem Goldamulett in London (Nr. 6) und auf einem aus Mainz (Nr. 11) zu sehen. In einigen der oben genannten Darstellungen mit retiarius konnte zusätzlich ein secutor oder mirmillo (schwer bewaffneter Gladiator) abgebildet gewesen sein, da jeder von ihnen üblicherweise gegen den Erstgenannten kämpfte. 71 Der Dreizack des retiarius – des populärsten der Gladiatoren – hatte eine starke symbolische Bedeutung, so war er auch Symbol für negative Vorsehungen wie uns Artemidor von Ephesos (von Daldis) in seiner Abhandlung zur Traumdeutung überlieferte: Er kündigt Verluste an. 72 Außerdem übte sein Träger einen ungeheuren Zauber auf das Publikum aus und sein gewaltsamer Tod wurde im übertragenen Sinn als magisches Mittel gegen Dämonen verstanden. 73 Sein Blut wurde als Heilmittel gegen Epilepsie (morbus comitialis) getrunken. 74

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Unter den unzähligen bekannten phallischen Amuletten gibt es auch ein Beispiel in Bologna, das den Phallus selbst als Gladiator zeigt. 75 Die Figur eines isolierten ithyphallischen Gladiators erscheint auch auf einem tintinnabulum aus Herculaneum. 76 Dieser kämpft gegen seinen eigenen Phallus, der sich in einen Panther verwandelt hat: eine spiegelbildliche Allegorie der Macht des Neides (fascinum). In der griechischen Welt wird der auf Amuletten dargestellte Dreizack als militärische Waffe angesehen. 77 Interessanterweise gab es im spätantiken Trier einen Töpfer namens Strambus (ab dem 4. Viertel des 3. Jh. n. Chr.), der eine besondere Produktion leitete: Hier wurden Kannen mit phallischem Ausguss, Plaketten mit Gladiatoren (darunter retiarii und secutores) sowie Kalender hergestellt, auf denen Planetengötter abgebildet waren und die ausschließlich dem Zweck dienten, die dies fasti et nefasti (Glücks- und Unglückstage) anzuzeigen. 78 Frosch Im Anschluss an den Dreizack ist ein kleines froschartiges Tier zu sehen, gefolgt von einem größeren,79 dessen Beine nach innen gerichtet sind; nicht nach außen wie bei der Eidechse oder beim Salamander. 80 Der Hals dieser auch als Frosch anzusprechenden größeren Figur ist ziemlich lang und ähnelt dem einer Schildkröte, seltsamerweise scheint sie auch den Schwanz einer Eidechse zu besitzen. Der Frosch ist in einem ähnlichen Kontext auf einer Gemme (Taf. 1 Nr. 12), auf einer Glaspaste (Nr. 16), auf einem magischen Nagel (Taf. 1 Nr. 17)81 sowie auf einer Lampe (Nr. 19) – alle ohne Fundort – vorhanden. Er symbolisiert Fruchtbarkeit (tatsächlich findet man einen kleineren Frosch an seiner Seite) und sowohl im Christentum als auch im Alten Ägypten war er ein Symbol für Wiederbelebung und Auferstehung. 82 Das Tier hat metamorphischen Charakter. 83 Der Frosch kann in antiker griechischer Vorstellung dem durstigen Wanderer das Vorhandensein von Wasser anzeigen,84 durch sein Quaken aber Götter ebenso wie Menschen belästigen. Um einen Feind auf Abstand zu halten, starrt er diesen an, bis er sich entfernt. 85 Laut griechisch-römischer Vorstellung kündigte er auch schlechtes Wetter an. 86 Außerdem gehört er zur Unterwelt. Zusammen mit anderen Lebenssymbolen wie Schlange, Eidechse oder Schildkröte wird der Frosch – jedoch manchmal in Gestalt einer Kröte dargestellt – auf Gefäßen, die dem Sabazios geweiht sind, oder auf solchen, die dem Kultbereich des Jupiter Heliopolitanus angehören, abgebildet. 87 Bei Letzteren, nachgewiesen in Carnuntum, ist es, wie im Fall des vorliegenden Wiener Objekts, schwierig, den Unterschied zwischen Kröte, Frosch und Schildkröte festzustellen. 88 Die Kröte scheint im magischen Sinn wirksamer als auch gefährlicher zu sein. 89 Adler (?) Dem Frosch folgt ein Vogel, der, mit einem weiteren, ein symmetrisch angeordnetes Paar im oberen Teil des Amuletts bildet. Wie auf anderen Amuletten ist es auch hier schwierig, die betreffende Art zu erkennen. 90 Gestalt und Länge der Flügel legen jedenfalls eine Deutung als Adler nahe. Er ist z. B. auf Gemmen in

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Abb. 5: Mosaik aus Jekmejeh (bei Antiochia am Orontes, Türkei) im Museum von Antakya. (Foto: Antakya Arkeoloji Müzesi)

„Inszenierungen“ des Bösen Blicks zusammen mit dem Blitz und einem Serapiskopf dargestellt (Nr. 13) und teilweise auch in mithrischen Darstellungen, zusammen mit dem Raben, belegt. 91 Wegen des Erhaltungszustandes des Wiener Objekts ist eine gesicherte Ansprache des Vogels nicht möglich. Laut Siegfried Seligmann ist „ein Tier mit ausgebreiteten Flügeln besonders wirksam gegen die Faszination“, das fascinum. 92 Symmetrische Anordnungen von Tieren – wie im Mosaik der Basilica Hilariana (Taf. 1 Nr. 21) – betreffen sonst v. a. Schlangen (Tab. 2 Nr. 28–29),93 doch auf einigen Beispielen von Darstellungen des Bösen Blicks erscheinen in solcher Weise auch Vögel: z. B. auf einem Steinrelief in Aquileia (2. Jh. n. Chr., Nr. 27) und wahrscheinlich auch auf einem Relief von der Via Appia in Rom (Nr. 24) ebenso wie auf einem Amulett in London (Nr. 6). Die Darstellung auf Amuletten sollte dessen Träger bei Koliken helfen und Gebärende unterstützen. Sein Kot wurde gegen Zahnschmerzen und Husten von Kindern verwendet. Der Adler selbst soll seherische Fähigkeiten besessen haben. 94 Der Adler kann sich in vielfältiger Weise auch auf Jupiter beziehen95 und tritt schließlich auch auf sog. Votivhänden des Sabazios auf. 96 In vielen Traditionen ist er, wie viele andere Vogelarten einschließlich des Raben, Symbol der Offenbarung der göttlichen Macht des Himmels. 97 Exkurs: Rabe Der Rabe ist in vielen Darstellungen des Bösen Auges nachgewiesen. Der Vogel ist einer der vier Helfer bei der tauroctonia (der Tötung des Stiers durch Mithras). Als corvus oder corax ist er mithrischer Weihegrad und lässt sich an-

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hand des Mosaiks im Mithräum des Felicissimus in Ostia und der Inschriften des Mithräums unter der Kirche Santa Prisca in Rom als Planet Merkur identifizieren. 98 In der Tauroktonie kommt der Rabe vor der Morgendämmerung mit dem Auftrag zu Mithras, den Stier zu töten. 99 Das charakteristische Krächzen des Raben in der Nacht wird noch heute als unheilvolles Vorzeichen interpretiert. 100 Schlange Im oberen Teil des Amuletts aus Vindobona findet man Reste der Darstellung einer einzelnen oder mehrerer Schlangen wie sie auch im oberen Teil des Objekts aus Fuveau begegnet. Unterhalb der Öse des Wiener Stücks lässt sich ein Schlangenkopf erahnen. In Darstellungen des Bösen Auges wie auch in mithrischen Szenen sind Schlangen fast immer nachgewiesen. 101 Auf dem Amulett von Am Hof lässt sich nicht entscheiden, ob die Schlange sich um andere Figuren windet, wie es auf dem Amulett von Fuveau sein könnte. Im Mosaik in Antakya (Abb. 5) dagegen ist dies nicht der Fall. Auf dem hier vorgestellten Fund könnte die Schlange eine Schutzfunktion ausgeübt haben. 102 Ganz allgemein wurde der Schlange eine schützende Wirkung gegen Krankheiten zugeschrieben. 103 Das Kriechtier galt als sehr mächtiges Mittel gegen Vergiftung. 104 In der Antike war die Schlange der Beschützer par excellence (a$cah¿| da‹lxm, wohlwollender Genius), sie war oft Bestandteil privater Kultschreine (Lararien) in Pompeji105 und bezeichnete die tutela loci (Schutzgottheit einer Örtlichkeit). 106 Schlangen stellen eine kosmische Macht dar: Sie symbolisieren den Lauf der Sonne am Himmel, lenken den Lauf der Dinge und sorgen für ihre Erneuerung. 107 Zurvân (Zeit-, Himmels-, Schicksals- und Totengott) wurde oft wie Aion als schlangenumwundener Mann dargestellt. 108 Auf einem Achatamulett ist ein nackter Mann, der sich mit seinen eigenen Händen würgt, von einer Schlange völlig umwunden. 109 Hier besitzt die Schlange eine andere Funktion: Sie unterstützt die invidia bei ihrer Tat, sich selbst zu erdrosseln. 110 Die Schlange symbolisiert auch Hekate und den Tag des Saturn,111 sie ist aber auch der Gott des Schattens und in Ägypten der Dämon des Horus. 112 Sie entspricht auch dem Sternbild Hydra. Dieses Kriechtier ist oft auf magischen Nägeln dargestellt, zusammen mit dem Bösen Blick (Tab. 1 Nr. 17 und Taf. 1). 113 Es erscheint auf Gefäßen, die Sabazios geweiht sind, sowie stets auf dessen bronzener sog. Votivhand. 114 Die Schlange war ein Hauptsymbol des phrygisch-thrakischen Sabazioskultes und erscheint auch auf Gefäßen des Bacchuskultes in Italien. 115 Das Amulett aus Fuveau Von den eben besprochenen Darstellungen des Wiener Amuletts befinden sich einige auch auf dem Objekt aus Frankreich (Phallus, Skorpion, Hund, Schlange). Während andere (Dolch, Dreizack, Frosch, Adler?) fehlen, sind weitere Tiere wie auch ein Blitzbündel in den Kreis um das Auge eingefügt (Abb. 3 Tab. 1).

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Blitzbündel Auf dem Amulett von Fuveau ist im oberen Teil neben den Schlangen und einem sechsstrahligen Stern116 ein Blitzbündel dargestellt (Abb. 3). Alle drei Elemente können dem Himmel zugeordnet werden – wo sich auch die Tauroktonie abspielt. Das Blitzbündel tritt häufig im oberen Teil von Amuletten, manchmal zusammen mit anderen Himmelssymbolen, auf (vgl. Tab. 1). Das Blitzbündel (Symbol des Zeus/Serapis) ist auch sonst auf Metallamuletten v. a. aus Italien (Nr. 1, 3, 5–6, 8), auf Gemmen (Nr. 13–15) und auf magischen Nägeln (Nr. 18) nachgewiesen. Es stellt den Tag des Jupiter oder des Serapis, des Sonnengottes, dar. 117 Der Schutz des Serapis war vielgefragt. 118 Das Blitzbündel erscheint auch an der Votivhand des Sabazios, meist unterstützt von einem Adler. 119 Das Blitzbündel symbolisiert auch leo, die vierte Weihestufe der Anhänger des Mithras. 120 Eidechse Auf dem Amulett aus Fuveau steht wahrscheinlich121 eine Eidechse neben dem Blitzbündel, wie es auf anderen Amuletten oft zu sehen ist. Sie ist vielleicht Teil einer Darstellung des Bösen Blicks am Grabdenkmal des Geminius Saturninus in Auzia, Algerien (Nr. 23), kommt vor in einem Relieffragment von der Via Appia in Rom (Nr. 24), auf sechs Metallamuletten (Nr. 1–4, 5? 7? 11), einer Gemme (Nr. 12), einer Glaspaste (Nr. 16) sowie auf magischen Nägeln (Nr. 17). 122 Die Eidechse sollte vor Augenkrankheiten schützen123 und konnte durch ihre Verbindung mit der aufgehenden Sonne sogar Blindheit heilen, weshalb sie auch allein auf Amuletten abgebildet wurde. 124 Die Eidechse tritt manchmal auch in Mithras-Darstellungen auf. 125 Sie ist zusammen mit der Schildkröte ein chthonisches Element, das sich oft bei Sabazios findet, aber auch ein Sonnensymbol. 126 Sie ist in Carnuntum auf Gefäßen nachgewiesen, die aus Kultbereichen von Liber/Libera und Jupiter Heliopolitanus stammen. 127 Die Eidechse gehört zum Herbst, der Jahreszeit der Weinlese, und so wird sie auch mit Dionysos dargestellt. 128 Stelzenläufer (Strauß?) Auf dem Amulett von Fuveau befindet sich ein Vogel, der einem Strauß sehr ähnlich sieht. 129 Der Kopf ist nicht zu sehen. Er scheint einen Berührungspunkt mit der Schlange zu haben, indem er sie anzugreifen versucht oder umgekehrt. Stelzenläufer in dieser Aktion begegnen auch auf christlich-jüdischen Amuletten oder magischen Gemmen. 130 Normalerweise kämpfen innerhalb von Darstellungen des Bösen Auges die umgebenden Figuren nicht miteinander. Ein ähnlicher Vogel ist auch auf dem Steinrelief in der Woburn Abbey (Taf. 1 Nr. 25) abgebildet, wo man auch den Dreizack in der Hand des retiarius findet. Seligmann sieht in der „Inszenierung“ des Bösen Blicks auf einem „Salomon-Siegel“131 ebenfalls einen Strauß, der jedoch auch ein Flamingo sein könnte. Am besten ist der Vogel des Amuletts von Fuveau mit dem Strauß auf zwei Lampenfragmenten aus Jerash in Jordanien (2./3. Jh. n. Chr.) zu vergleichen. 132

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Langbeinige Vögel – Stelzenläufer – kommen nicht selten vor (Nr. 1, 4, 5? 6, 7? 11, 25):133 Sie sollten vor giftigen Schlangen schützen, und da sie angeblich jene wie auch Skorpione fressen ohne selbst Schaden zu nehmen, waren sie auch Sinnbild für eine gute Verdauung. 134 Außerdem konnte z. B. der Ibis in antiker Vorstellung vor der Einnahme von Giften schützen, da er ausschließlich sauberes Wasser trinkt. 135 Löwe Das Symbol des Löwen umfasst eine Vielfalt an Bedeutungen, die in der Spätantike auf verschiedenen religiösen Ebenen liegen konnten. 136 Auf dem Amulett aus Frankreich folgt auf den Skorpion und den Hund der Löwe. Der Löwe ist in mithrischen Darstellungen in den germanischen und gallischen Provinzen und jenen an der Rhein-Donau-Grenze üblich, in den Donauprovinzen jedoch selten. 137 Man begegnet ihm auch auf mithrischen Kultgefäßen. 138 Er ist weiters das heilige Tier der Kybele, der Mutter aller Götter. 139 Er ist bei den hier gelisteten Objekten nachgewiesen auf Metallamuletten (Nr. 1–2, 4– 7? 10), auf Gemmen (Nr. 14–15), auf einem Relief (Nr. 25) und in einem Mosaik aus Rom (Nr. 21: Löwin?). Dieses Tier wird fast immer im linken unteren Teil der Artefakte dargestellt (Nr. 1–2, 14, 25). 140 Bereit zum Angriff, wie auf dem Amulett in Fuveau, ist er auf vielen Gemmen des 2. und 3. Jahrhunderts dargestellt. 141 Astrologisch gesehen ist leo – meist im Profil und in Bewegung dargestellt – der „Wohnsitz“ des Helios. 142 Er steht für die Sommersonnenwende, da er oberhalb der Ekliptik, der angenommenen Bahn der Sonne, seinen Platz hat. 143 Er schützt das Herz, den Rücken, den Magen und die Hüften,144 aber auch das Augenlicht. Er symbolisiert die Krankheit – deshalb konnte er sie auch heilen – und die Wachsamkeit, da er nach altem Glauben immer mit offenen Augen schlief. 145 Die solare Symbolik des Löwen findet sich in der Magie sehr häufig. 146 Vergleiche zum Amulett aus Fuveau (Abb. 3) In dem französischen Beispiel fällt der geflügelte Phallus auf, dieser ist nicht nur auf Metallamuletten aus Italien (z. B. hier Nr. 1, 5), sondern auch auf verschiedenen anderen Objekten (Kalktafel, Bronzering, tintinnabula) belegt. 147 Die meisten Vergleiche mit dieser Reihe von Gestalten finden sich bei Metallamuletten (Nr. 1–2) und bei Gemmen, die ebenfalls als Amulette benutzt wurden (Nr. 14). Laut Beschreibung das beste Vergleichsstück ist ein Amulett, ebenfalls aus Gold, in der Sammlung Borgia, auf dem genau dieselben Figuren zu finden sind, ebenfalls mit einer Öse in der Mitte der Rückseite (Nr. 4). Ein weiteres Amulett aus einem römischen Grab (Ende 1. Jh. n. Chr.) in Etrurien (Accessa-See, in der Nähe von Massa Marittima) stellt fast dieselben Figuren dar, wenn auch nicht in derselben Reihenfolge (Nr. 5). Auch dieses Amulett trägt eine Öse an der Rückseite. Ähnliche Darstellungen sind auf dem Amulett aus Sizilien zu finden (Nr. 1), jedoch befindet sich bei diesem Stück die Öse oben an der Einfassung.

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Mögliche Hintergründe der Darstellungen Der symbolische Gehalt dieser Amulette kann auf verschiedenen Ebenen liegen: In der mittleren Kaiserzeit und in der Spätantike wurden Darstellungen von Tieren oder geometrische Motive als kosmische und magische Schutzsymbole für unterschiedliche Objekte benutzt. 148 Die Symbole, die das Auge auf dem Goldanhänger in Wien umringen, erinnern an zodiakale Darstellungen, die Teil des Mithraskultes, der Tauroktonie sind,149 insbesondere Schlange, Hund und Skorpion, drei von vier Helfern des Mithras (siehe die Einzelbesprechungen oben); aber auch der Dolch, der in dieser Reihung zum Mythos passt: Mit dem Dolch wird der Stier getötet, ein Hund springt hinzu, um das Blut zu trinken, ein Skorpion sitzt an den Genitalien des Stiers. Der Hund ist auf den Amuletten aus Wien und Fuveau und im Mosaik in Antakya (Abb. 1–3, 5) springend dargestellt, wie in den Darstellungen des den Stier tötenden Mithras. 150 In den drei genannten Beispielen ist auch der Skorpion immer entsprechend den mithrischen Darstellungen wiedergegeben: von oben betrachtet, mit geöffneten Scheren und sechs bzw. acht Beinen. 151 Innerhalb dieses Mythos gibt es eine komplexe Symbolik, die unterschiedlich interpretiert werden kann. Insbesonders wurde von Ulansey für die Stiertötungsszene eine astrologische Deutung vorgeschlagen:152 Sie stellt demnach die Präzession der Äquinoktien dar. Die verschiedenen Gestalten entsprächen Sternbildern in einem bestimmten Zeitalter (Stierzeitalter), das von ca. 4000 bis 2000 v. Chr. reichte: der Skorpion scorpio, der Hund canis minor, die Schlange hydra und der Löwe leo. Demnach wäre die Stiertötungsszene am FrühlingsÄquinoktium positioniert, wo Tag und Nacht dieselbe Länge haben. In dieser Theorie wird der Kontrast zwischen Licht und Dunkel deutlich, der neutralisiert wird durch die Position am Äquinoktium. Der Ursprung der Tauroktonie ist jedoch sehr umstritten und wird allgemein auch so erklärt:153 Aus dem Körper des sterbenden Stiers entstand die Vegetation, deshalb ist im Schöpfungsmythos die Gestalt des Stiers als Urbild aller Tier- und Pflanzenarten enthalten. 154 Dieses Opfer wurde jedes Jahr wiederholt, um die Erneuerung der Vegetation und insbesondere das Wachstum der Kulturpflanzen (Ähren) – und somit das Überleben der Menschheit – zu sichern. 155 In Rom war das taurobolium, in welchem der taurus geopfert wurde, eine der feierlichsten Zeremonien. Die Stiertötungsszene, die auf diese Weise eine kosmische Bedeutung erhält, steht auch im Zentrum aller Mithräen. Auf dieser Basis wird behauptet, dass innerhalb des Mithraskultes das Fest selbst der Erlösung seiner Anhänger diente. 156 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass diese Szene in der Forschung im Lauf der Zeit zwar auf unterschiedliche Weise erklärt wurde, aber die Auslegungen unterstreichen den ihr innewohnenden Dualismus: die symbolische Darstellung des ewigen kosmischen Kampfes zwischen Gut und Böse, Licht und Nacht,Tod und Auferstehung. Sie könnten sich demnach sowohl in der schützenden als auch angreifenden Funktion der das Böse Auge umgebenden Figuren widerspiegeln. In der Antike haben die Menschen versucht, sich bei den Göttern einzuschmeicheln, damit sie dieses Gleichgewicht, diese Harmonie erreichen können. Die Amulette waren ein Mittel dazu. 157

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Schlange, (Schildkröte), Frosch, Eidechse und Adler sind auch die typischen Elemente, die auf den bronzenen sog. Votivhänden des Fruchtbarkeitsgottes Sabazios, manchmal mit Sol oder Zeus Helios gleichgesetzt, auftreten. 158 Diesen Händen waren apotropäische Attribute beigefügt, so dass sie, wie man auch vermutete, fast zu Amuletten wurden. 159 Demgegenüber waren sie aber auch Instrument der Anbetung in den Mysterien. 160 Die Verehrer des Sabazios glaubten auch an die zyklische Erneuerung und an die Rettung der Seele nach dem Tod. 161 Bei der Wahl der Motive auf dem Amulett in Wien bemerkt man eine Präferenz für Symbole der Kulte orientalischer Götter – in Pannonien in der Spätantike nicht ungewöhnlich –, insbesondere des Mithras und Sabazios, die auch gleichgesetzt wurden. 162 Für ähnliche Darstellungen wurden weitere astrologische Interpretationen vorgeschlagen: Interessant ist die Gemme Nr. 14 in New York (Taf. 1), wo rund um ein Auge sieben Motive – Kauz, Schlange, Hirsch, Skorpion, Hund, Löwe, Blitzbündel – angeordnet sind, für die Charles William King eine Verbindung zu den Wochentagen herstellt. Mithilfe einer Inschrift auf einem Jaspis wurde ein Amulett mit Darstellung des Bösen Auges als Schutz für Nase, Augen und Zähne interpretiert. 163 Nach hellenistisch astrologischer Lehre gibt es einen Einfluss (Melothesie) des Zodiakos auf die Erde und die menschlichen Organismen, weshalb die antike Magie ihre Methoden aus dem astrologischen Wissen ableitete: Verkörperungen von Göttern dienten dazu, die Dekane der astrologischen Lehre darzustellen, die eine therapeutische Eigenschaft hatten. Einen Nachweis dafür erbringen die astrologischen Tafeln aus Grand (Frankreich) aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. 164 Einige der Symbole des Amuletts in Wien könnten in astrologischer Auslegung wohl mit dem Wunsch in Verbindung gebracht werden, vor Krankheiten, z. B. Geschlechtskrankheiten, zu schützen. Wegen der Vielfältigkeit an Kombinationen der einzelnen Gestalten und ihrer verschiedenen möglichen Zusammenhänge, wurde eine eindeutige Interpretation dieser Darstellungen generell als schwierig bezeichnet. 165 Denn in Verbindung mit dem Bösen Auge treten neben Figuren, die astrologisch/mithrisch belegt sind, auch andere auf – Elefant,166 Tarantel, Tausendfüßler,167 Raubkatze, Bär, Wildschwein (z. B. Nr. 10) und menschliche Gestalten (Waffen als Sinnbild des retiarius, Zwerg, cossim cacans, Nr. 25 Taf. 1). Und sobald astrologische Symbole aus ihrem ursprünglichen Kontext losgelöst erscheinen – wie z. B. auf magischen Gemmen –, liegt auch deren Neuinterpretation nahe. 168 Diese „Mischung“ könnte generell einer Verstärkung der apotropäischen Wirkung von Objekten gedient haben. 169 Doro Levi zitiert in seiner Arbeit über das Böse Auge auch Artemidor von Ephesos (von Daldis; 2. Jh. n. Chr.). In dessen Abhandlung zur Traumdeutung werden gewisse Tiere wie Skorpion, Spinne und Tausendfüßler mit bösen Männern gleichgesetzt und als Vorboten schlimmer Ereignisse bezeichnet. Aber gleichzeitig schützen die meisten von ihnen auch vor Krankheit oder Unglück, die sie wiederum selbst mit sich bringen können. 170

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Unter Berücksichtigung all der oben angeführten Aspekte kann zusammenfassend momentan nur festgehalten werden, dass die hier behandelten Darstellungen in Verbindung mit dem Bösen Auge in erster Linie als Ausdruck des Aberglaubens, sie könnten die Gefahr des Bösen Blicks eindämmen, angesehen werden müssen. Direkte und indirekte Einflüsse auf die Vorstellung vom Bösen Auge Erwin R. Goodenough bemerkte in ikonographischer Hinsicht einige Ähnlichkeiten zwischen dem Auge des Horus auf Amuletten und den Darstellungen des Bösen Auges. 171 Im Cabinet des Médailles et Antiques in Paris gibt es unter den griechisch-ägyptischen Gemmen ein kleines rundes Amulett aus Bein, in dessen Mitte ein Auge eingraviert ist, auf das Pfeile zielen. 172 Auf der Rückseite trägt es ein Graffito, in dem die Sonnengottheit Chnoubis angerufen wird. 173 Bereits in der altägyptischen Kultur war udjat, das Auge, als Schutzsymbol gegen den Bösen Blick sehr verbreitet. 174 Griechisch-ägyptische Amulette zeigen oft synkretistische Darstellungen von Sonnengottheiten, die in Ägypten, aber auch in Persien, Babylon und Syrien vorherrschten. 175 Unter den magischen Papyri – datiert v. a. zwischen dem 2. und dem 5. Jahrhundert n. Chr. –, mit Texten verschiedener Traditionen und Religionen,176 befindet sich eine Anleitung zur Herstellung solcher Objekte. Interessanterweise wird darin Helios angerufen, ein Gott, der im Laufe des Tages verschiedene Tiergestalten annimmt. 177 Jede von ihnen verleiht ihm eine schützende Macht und der Gott wird gebeten, diese an den Träger des Amuletts weiterzugeben. 178 Die Darstellungen des Auges sollten dem Träger des Amuletts gegen das Böse die Stärke der Sonne verleihen, was nach Frederick E. Brenk am Beispiel einer dem Kaiser Nero geweihten Stele zu sehen ist. 179 Jene Stele wird in Cambridge aufbewahrt und enthält apotropäische Formeln, wie sie auch auf dem Mosaik in Antakya (Abb. 5) und anderen Amuletten mit Darstellungen des Bösen Blicks zu lesen sind. Der römische Glaube griff im Kontakt mit der hellenistischen Magie und Religion viele ihrer Inhalte auf, wovon die pseudowissenschaftlichen Mitteilungen Plinius des Älteren in der Naturalis Historia zeugen. 180 Die Sonnengottheiten überwogen auf den „magischen“ Edelsteinen der Spätantike, für deren „Aktivierung“ der Magier – wie bereits gesagt wurde – die Gottheit Aion anrufen musste. 181 Man sollte nicht außer Acht lassen, dass bei Aion-Statuen182 an der Brust der Gottheit ein Auge dargestellt sein kann. Der Leontokephalos – Regent des Tierkreises –, der manchmal als Aion183 oder als Zurvân, Vater des Guten und des Bösen, interpretiert wird oder im gnostischen Kontext mit Horus gleichgesetzt werden kann184, war – zusammen mit Osiris – der Gott des Todes und der Unterwelt, aber auch der Auferstehung. 185 Aus der Sicht des Zoroastrismus, einer Lehre der persischen Magier, ist Zurvân derjenige, in dem sich die Gegensätze (Gut/Böse,Tod/Leben, Licht/Dunkelheit) treffen und am Ende das Gute überwiegt. 186 Solche Themen treten häufig auf magischen Gemmen auf. 187 Goodenough schreibt über das Auge: “It was, indeed, associated with so many deities that it stood for no one deity specifically.”188 Rita Paris verbindet dieses Symbol mit dem Kult der Kybele oder Magna Mater, da im Eingangsbereich der

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Basilica Hilariana (Taf. 1 Nr. 21), die ihrem Kult gewidmet war, eine Darstellung des Bösen Auges gefunden wurde. 189 Attilio Mastrocinque wiederum weist anhand von Gemmeninschriften darauf hin, dass Darstellungen des Bösen Blicks v. a. mit der Schutzgottheit Serapis, die Sonnengottheit par excellence,190 in Verbindung stehen könnten. 191 Serapis eignet sich sehr gut für diese Art von Darstellungen, da er alle hier vorgestellten Ebenen berührt: Er lässt sich sowohl mit Zeus – dem Herrn des Universums – als auch mit Dionysos, dem Gott der Fruchtbarkeit, gleichsetzen, wie auch mit Asklepios – Gott der Heilkunst –, Helios – Sonnengott – und Hades – Totengott und Herrscher über die Unterwelt. 192 Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass man durch die Verwendung des Bösen Auges unter vielversprechendem Schutz verschiedenster solarer Gottheiten stehen konnte. 193 In der Spätantike nahm der Synkretismus der Religionen, der philosophischen und kosmologischen Anschauungen und magischen Praktiken zu. Damals flossen Elemente von Traditionen und Kulturen aus verschiedenen Teilen des römischen Reiches zusammen, so dass Herkunft und Hintergründe der Darstellungen des Bösen Blicks aus einem spezifischen kulturellen Bereich schwierig zu deuten sind; sie können auf unterschiedlichste Weise interpretiert werden. 194 Datierung und Verbreitung Es ist sehr problematisch, für diese Art der Objekte eine Datierung zu finden: Es handelt sich meist um Altfunde, aufbewahrt in Antikensammlungen, großteils ohne detaillierte Informationen der Fundumstände, manchmal ist nicht einmal der Fundort bekannt. 195 Nach Dunbabin und Dickie ist das ikonographische Konzept der invidia und des Bösen Auges in die spätenhellenistische Zeit zurückzuführen, obwohl seine Existenz schon bei den Sumerern, Babyloniern und Assyrern und auch im Neolithikum nachgewiesen ist. 196 In der römischen Epoche ist die Blütezeit seiner Verwendung jedoch in der mittleren und v. a. späteren Kaiserzeit anzusetzen. 197 C. Bonner gibt als früheste Datierung römischer Amulette das 3. Jahrhundert n. Chr. an, dem widerspricht jedoch ein später gefundenes Exemplar in einem Grab vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. nahe Massa Marittima in Italien (Nr. 5). In der Spätantike, aber schon seit severischer Zeit, mussten die ägyptischen Priester infolge administrativer Einschränkungen durch den römischen Staat ihr Angebot an religiösen Handlungen einem breiteren Markt anpassen, wodurch magische Praktiken größere Verbreitung erlangten. 198 Im christlichen Umfeld werden sogar Figuren – Heilige oder Ritter – gegen den Bösen Blick verwendet. 199 Diese heidnischen Praktiken wurden von der Kirche nicht nur geduldet, sondern sogar selbst durchgeführt. 200 Und so benutzte man auch weiterhin den Bösen Blick in synkretistischer Weise oft in christlichen und jüdischen Darstellungen. 201 Pilger trugen insbesondere während ihrer Reise Amulette. 202

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Die Darstellungen des Bösen Blicks, die für den Vergleich mit dem Wiener Amulett interessant sind, wurden in Anatolien bzw. Italien gefunden. 203 Im Osten wurden Lampen (datiert 4./frühes 5. Jh. n. Chr.) mit dem Motiv der invidia produziert, die hinsichtlich der Figurenauswahl einen weiteren Vergleich mit unseren bieten (Abb. 4). 204 Der im Zusammenhang mit dem Bösen Blick selten dargestellte Dreizack findet sich ebenso v. a. im Osten – in Anatolien, im Fußbodenmosaik von Jekmejeh bei Antiochia am Orontes (frühes 2. Jh. n. Chr., Nr. 20) und auf einem Felsrelief in Burdur (Nr. 22). 205 Der Mithraismus, die orientalischen Religionen, Sitten und Glaubensvorstellungen wurden v. a. von Soldaten verbreitet. 206 In dem Vindobona benachbarten Legionsstandort Carnuntum war – nach ihrem Aufenthalt im Orient und der Teilnahme am jüdischen Krieg – die legio XV Apollinaris im späten 1. bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. stationiert. Eine Altarinschrift, die als Weihenden einen ihrer Zenturionen C. Sacidius Barbarus nennt, stellt den frühesten Hinweis auf den Mithraskult entlang der Limesstrecke Vindobona–Carnuntum dar. 207 Die legio XV Apollinaris hätte demnach diese Lehren verbreiten können. 208 Später waren mit der legio X wohl auch Anhänger des Mithraskultes und orientalischer Gottheiten in Vindobona (Ende 2. Jh. n. Chr.) stationiert. 209 Das Amulett wurde am Platz Am Hof in einer spätantiken Straßenschotterung (4./Anf. 5. Jh.) gefunden. 210 Es ist schwierig zu beweisen, dass gerade die eben genannten Legionen, v. a. die Letztere (in Vindobona stationiert bis in die Spätantike), samt zugehöriger Verwaltung und begleitenden Händlern in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Amulett zu sehen sind,211 da in der Spätantike auch von einer zivilen Nutzung des Lagerareals ausgegangen werden muss. 212 Tatsächlich wurden auch v. a. von Frauen und Kindern getragene Amulette aus spätantiken Gräbern geborgen. 213 Obwohl der kulturelle Hintergrund des Besitzers einen Einfluss auf die Auswahl der Motive haben konnte, musste der Träger nicht zwangsläufig an den „angerufenen“ Gott glauben oder die Lehre der Magier kennen. 214 Wichtig war die Wirksamkeit des Objekts: Sowohl auf magischen Gemmen als auch auf Metallplättchen gibt es eine Auswahl von Motiven und Zauberformeln – auch gegen den Bösen Blick –, die eine benutzerdefinierte Bestellung beweisen können. Die Frage ist in unserem Fall, welche Ebene haben diese manchmal mehrschichtigen Symbole berührt?215 Stand nur ganz allgemein der Wunsch dahinter, Übel und Unheil abzuwehren, oder war die Intention des Trägers eine sehr persönliche, nämlich die, eine bestimmte Krankheit zu verhindern bzw. zu überwinden oder Fruchtbarkeit zu erlangen? Nicht nur Phallus-Darstellungen, sondern auch solche mit dem Bösen Blick waren zu allen Zeiten verbreitet und sind auch heute – und das weltweit – in Verwendung. 216 Bereits in der Antike waren sie Ausdruck der Volksfrömmigkeit;217 und da die Trennung zwischen Magie, Religion und „Wissenschaft“ nicht so streng war wie heute,218 wurden die magischen/apotropäischen Praktiken von allen Gesellschaftsschichten ausgeübt. 219

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Anmerkungen 1 Mein Dank für die Diskussion und Literaturhinweise geht an M. Feugère, der mir auch die Erlaubnis gab, das Amulett aus Fuveau zu publizieren, und A. Giovannini (Associazione Nazionale per Aquileia). Für vielfältige Unterstützung bedanke ich mich weiters bei A. Bernhard-Walcher, E. Flaiani, G. Gruber, C. Litschauer, G. Reichhalter; für die sprachliche Überarbeitung des Textes: M. Böck. – GC: 2008_02; Fläche: 31, Schnitt: S11, Bef.-Nr.: 2885. 2 Z. B. Plin. nat. 25, 67, 115; Daremberg/ Saglio 1875, 252 Anm. 1 s. v. amuletum (E. Labtut). – RE 6, 2 (1909) 2009–2014 s. v. fascinum (F. Kuhnert); RE 1, 2 (1894) 1984 s. v. Amulett (E. Riess). 3 Vgl. L. M. Caliò, La tecnica orafa in età romana. In: M. Galli/G. Pisani Sartorio (a cura di), Machina. Tecnologia dell’antica Roma. Ausstellungskat. (Roma 2009) 217 f. 4 Das Blech ist so dünn, dass es wohl eine Unterlage aus Holz oder Leder benötigte, um ein Zerbrechen während des Tragens zu vermeiden: freundl. Mitt. A. Giovannini. – Restauratorin U. Egger: „Beide Hälften wurden mit einem Bambusstäbchen von Erdresten befreit. Es erfolgte eine Kunststoffklebung (Araldit 2020). Auf die noch nicht ausgehärtete Klebestelle wurde Blattgold aufgelegt – alle Arbeiten fanden unter dem Mikroskop statt.“ Um die Figuren besser sichtbar zu machen, wurde von der Firma 7reasons eine 3D-Rekonstruktion mittels Laserscan versucht, doch war wegen der kleinen Dimensionen des Objekts und der Rückstrahlung des Goldes das Ergebnis nicht zufriedenstellend. Mein Dank geht an die Firma 7reasons. Die Umzeichnung wurde wegen der geringen Größe des Objekts auf Basis verschiedener Fotografien erstellt. 5 Privatbesitz: Inv.-Nr. AML- 4001, L: 14 mm, Gewicht: 0,43 g. 6 Bienkowski 1893, 294 f. 7 Ch. Breuer, Malocchio – AugenBlicke des Begehrens. Momente eines Theaters der Blicke (Dipl. Univ. Wien 1995) 6–9; Budge 1930, 354. 8 Goodenough 1953, 238 cat. 1063; Engemann 1975, 31 Abb. 1, für die begleitende Inschrift auf einer Statuette in Berlin, die auf diesen Inhalt hinweist: 35 f. mit Lit.; Seligmann 1910, fig. 230; Perdrizet 1922, 26 f. fig. 7 f. – Zu den literarischen Quellen: Dunbabin/Dickie 1983, 10 f. Taf. 8.c. – Zur Erklärung und Verbreitung des Motivs: Michel 2001, 268 f. – Zur Macht der Salomon-Siegel, wie es oft auf magischen Nägeln erscheint: Bevilacqua 2001, 143. 9 Engemann 1975, 34 f. 37 f.; Dunbabin 1999, 312 fig. 311; Bianchi Bandinelli et al. 1964, Abb. 196; Levi 1941, 225; Meisen 1950, 156. Inschriften allein wurden auch auf

pergamenischer Terra Sigillata gestempelt, siehe H. Goldman (Ed.), Excavations at Gözlü Kule, Tarsus. 1, The Hellenistic and Roman Periods (Princeton, NJ 1950) 176 nn. 909–913 und 284. 10 Dunbabin 1999, 312 Abb. 311. 11 Dunbabin/Dickie 1983, 19–24; noch in der Spätantike in Athen: C. Grandjouan, The Athenian Agora 6. Terracottas and Plastic Lamps of the Roman Period (Princeton, NJ 1961) 31 Pl. 23,889–895; Mastrocinque 2003, 418. 12 Für die Komplexität des Begriffs und seine Ambivalenz siehe auch Anm. 8; Dunbabin/Dickie 1983, 9 f. 26; 37; W. Deonna, Le symbolisme de l’œil (Berne 1965) 183. 13 Meisen 1950, 149. 14 Meisen 1950, 151 f.; Engemann 1975, 30; 33; R. Nenova-Merdjanova, Images of Bronze Against the Evil Eye (Beyond the Typological and Functional Interpretation of the Roman Bronze Vessels for Oil). Kölner Jahrb. Vor- u. Frühgesch. 33, 2000, 303–312; auf einer Lampe (Grandjouan [Anm. 11] 40; 80 cat. 1066: Athen, später als 1. H. 3. Jh. n. Chr.) isoliert, aber mit Priapus identifiziert (auch weil frontal dargestellt): Corti 2001, fig. 5.1 (SolieraModena); 2.2 (Kertch-Krim); Seligmann 1910, 196; 200. Weibliche cossim-cacans-Figuren: Jahn 1855, 93 f. 15 Levi 1941, 225. 16 Engemann 1975, 24; A. Z. Bryen/A. Wypustek, Gemellius’ Evil Eyes (P.Mich. VI 423– 424). Greek, Roman and Byzantine Stud. 49 (Durham NC 2009) 548; Levi 1941, 220. 17 Goodenough 1953, 240; dagegen Engemann 1975, 39, in einigen Darstellungen wird sogar von „Gutem Auge“ gesprochen. Zum leidenden durchbohrten Auge: Salvetti et al. 2004, 466 Anm. 9. Für den Dualismus des Auges siehe Maloney 1976, 2–4; E. R. Goodenough, Jewish Symbols in the Greco-Roman Period 9. Symbolism in the Dura Synagogue (Toronto 1964) 55; Bryen/Wypustek (Anm. 16) 551. 18 Deshalb wird das Amulett ebenfalls als fascinum bezeichnet. Plinius d. Ä. nennt es auch medicus invidiae: Plin. nat. 28, 7, 39; Jahn 1855, 62; 68; 70; fascinum invidiae: vgl. Corti 2001, 72; 74; Kuhnert (siehe Anm. 2). 19 Martini 1977, 123. Die Amulette wurden zuerst in der Medizin angewendet: Devoto/Molayem 1990, 237. 20 Mastrocinque 2003, 37. 21 Martini 1977, 154; Maioli 2007, 99. 22 Giovannini 2008, 39; Giovannini, in Druck, mit Lit. Diese Form wird in verschiedenen Kulturen und Epochen für Amulette benutzt: vgl. Hansmann/Kriss-Rettenbeck 1966, 133–139. 23 Wie tlw. auch Gemmen, siehe Delatte/ Derchain 1964, 224 cat. 306.

24 Giovannini 2008, cat. 135–150. 25 Giovannini 2008, 39; Giovannini, in Druck. 26 Bonner 1950, 219. 27 Turchi 1939, 156; Bonner 1950, 9; Corti 2001, 70 mit Lit.; Jahn 1855, 43; 96 f.; Meisen 1950, 148 mit Lit. Auch auf Metallplättchen: Kronberger 2005, 141. 28 Plin. nat. 27, 43, 66; Martini 1977, 100 f. bes. 155; was auch in anderen antiken Kulturen der Fall war: Budge 1930, 327 f. Die Sprache der Farben ist die Grundlage des symbolischen Denkens: Giovannini, in Druck. 29 Seligmann 1910, 230; Corti 2001, 69; Maioli 2007, 103; für die Gemmen: Mastrocinque 2003, 26; Sfameni 2004, 394. 30 Giovannini, in Druck. 31 Felletti Mai 1956, 157 f.; Ensoli/Andaloro 2000, 293; 377 f.: zur großen Bedeutung solarer Götter in der Spätantike auch für die politische Propaganda. 32 Maioli 2007, 101. 33 Budge 1930, 291; Giovannini, in Druck. 34 Dasselbe gilt für die Edelsteine bei magischen Gemmen: Zwierlein-Diehl 1992, 16 f. 35 Was z. B. bei einem Goldanhänger aus der Völkerwanderungszeit (skandinavischen Ursprungs) sicher der Fall ist, K. Andersson, Gold des Nordens. Arch. Deutschland Sonderh. 2008 (Stuttgart 2008) 63: Figuren mit einem scharfen Instrument abgekratzt. Zu Münzen: G. Dembski/H. Winter/B. Woytek, Regalianus und Dryantilla. Historischer Hintergrund, numismatische Evidenz, Forschungsgeschichte. In: M. Alram/F. Schmidt-Dick (Hrsg.), Numismata Carnuntina. Forschungen und Material (Wien 2007) 545. 36 Mastrocinque 2003, 32; Sfameni 2004, 380; Maioli 2007, 103; Mastrocinque 1998; Zwierlein-Diehl 1992, 15. 37 Sfameni 2004, 380; Ensoli/Andaloro 2000, 373; A. Dosi, L’integrazione spazio-temporale in Roma antica. In: Galli/Pisani Sartorio (Anm. 3) 63. Zu verschiedener Herkunft und unterschiedlichem Wissen der Magier im römischen Reich, die nicht nur mit den magischen Gemmen zu tun gehabt haben: I. Chirassi, Il Magos e la Pharmakis: Excursus attraverso il lessico storico in ottica di genere. In: C. Bonnet/J. Rüpke/P. Scarpi (Hrsg.), Religions orientales – culti misterici. Neue Perspektiven. Potsdamer Altertumwiss. Beitr. 16 (Stuttgart 2006) 171. 38 Mastrocinque 2003, 25; 32; Maioli 2007, 101. Zu vorgeschriebenen und angemessenen Tagen: vgl. Sfameni 2004, 400. 39 Martini 1977, 67; 123; Mastrocinque 2003, 57; Bonner 1950, 2 f. Kontakt war auch erforderlich, um Schaden zuzufügen: M. W. Dickie, The Fathers of the Church and the Evil Eye. In: Maguire 2008, 17; Corti 2001, 69; Maioli 2007, 101; manchmal auch direkt auf

94 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

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Aufsätze

136. Siehe auch Anm. 76. 54 In der Vorhalle; Dunbabin 1999, 313. 55 M. J. Vermaseren, The Hands. Corpus Cultus Iovis Sabazii. EPRO 100/1 (Leiden 1983) 18 cat. 42. 56 Zu Darstellungsweisen des Skorpions: z. B. G. Faider-Feytmans, Les Bronzes romains de Belgique 2 (Mainz 1979) Pl. 129,388.7. 57 Siehe auch Kotting 1954, 478; Bevilacqua 2001 (zu magischen Nägeln). 58 Dunbabin/Dickie 1983, 24; Bonner 1950, 97; 277 Pl. VII,D148. 59 Giovannini 2008, 41. 60 Felletti Mai 1956, 159 fig. 6. 61 Dunbabin/Dickie 1983, 18 f. 62 Siehe Anm. 12. 63 Levi 1941, 231; Bonner 1950, 77; zum Konzept similia similibus: Bienkowski 1893, 295 f.; Levi 1941, 231. 64 Giovannini 2008, 41; J. Engemann, Spätantike Funde an Rhein und Mosel. In: S. Ristow (Hrsg.), Neue Forschungen zu den Anfängen des Christentums im Rheinland. Jahrb. Ant. u. Christentum Ergbd. Kl. R. 2 (Münster 2004) 26; Elworthy/Murray 1895, 132; M. Buora/W. Jobst (a cura di), Roma sul Danubio. Da Aquileia a Carnuntum lungo la via dell’ambra. Cat. e monogr. arch. civici musei di Udine 6, Catalogo della mostra (Roma 2002) 275 f. Nr. Vc.3 (?); Mastrocinque 2003, 122. 65 Delatte/Derchain 1964, 269; Bonner 1950, 78 f.; Michel 2001, 216. 66 Campbell 1968, 26. 67 Herodot berichtet, dass die magi das Leben eines Hundes und das eines Menschen gleich einschätzten: Hdt. I 140; Campbell 1968, 13. 68 Levi 1941, 224 mit Lit. 69 Mastrocinque 1996, 47; Ulansey 1998, 26 f.; Huld-Zetsche 1999, 100. 70 Huld-Zetsche 1999, 100. 71 Nowak 2006, 155. 72 Artemidor von Ephesos (von Daldis) 2, 32. Außerdem repräsentiert der retiarius das Wasser, stellt zusammen mit dem secutor den Kampf zwischen Mensch und Natur dar und lässt an Neptun denken, Ethymologie Isid., orig. 18, 54. 73 PGM IV, 1390–1495; H. D. Betz, The Greek Magical Papyri in Translation (Chicago 1992) 64. 74 Plin. nat. 28, 2, 4. 75 Siehe z. B. Faider-Feytmans (Anm. 56) 160 f. cat. 311–318; Corti 2001, 73. 76 Maioli 2007, 206 cat. 97; De Caro 1994, cat. 265. Aus der Nähe von Wien (Laab im Walde) stammt ein bronzener secutor mit einem riesigen Phallus und einer Ratte: Vindobona-Katalog 1978, 250 M9 mit Lit. 77 Manganaro 2003, 789. 78 M. K. N. Weidner, The Roman Pottery

District in Trier. RCRF Acta 41, 2010, 606 fig. 4; 607 fig. 5 f.; 608 fig. 8 f. (retiarius und secutor). Siehe auch Anm. 38. 79 Frosch-Darstellungen: Marshall 1911, Pl. LXX cat. 3095. 80 Michel 2001, 264 Kat. 424. 81 Allgemeine Hinweise zur Funktion des magischen Nagels: Jahn 1855, 106 f. 82 Auch auf babylonischen, assyrischen und ägyptischen Amuletten: Budge 1930, 85; 91; 143 f.; Bonner 1950, 205; 243. Im Mittelalter: Hansmann/Kriss-Rettenbeck 1966, 176. 83 Fellmann 1981, 324. 84 Manganaro 2003, 787 Anm. 106. 85 Seligmann 1910, 468; Lane 1989, 23. 86 Der Neue Pauly 4 (1998) 681 s. v. Frosch (Ch. Hünemörder). 87 Sempere Ferrándiz 2006, 268; Gassner 2004, 232 f. 236 Abb. 10; Buora/Jobst (Anm. 64) 150; G. Stefani (a cura di), Uomo, ambiente nel territorio vesuviano. Guida all’antiquarium di Boscoreale (Pompei 2003) 67; Fellmann 1981, 323; Jahn 1855, 106 Taf. IV 2 b; Seligmann 1910, 181 fig. 169; 179; die Verbindung der Sabazios-Symbole mit anderen Göttersymbolen stärkte die apotropäische Wirkung dieser Votivhände, vgl. Corti 2001, 70; Maioli 2007, 103. 88 Manganaro 2003, 787 Anm. 106: Der Unterschied zwischen Frosch und Kröte wird in der griechischen Welt nicht klar ausgedrückt. 89 Außerdem galt sie als unheimlich und hässlich: Der Neue Pauly 4 (1998) 682 s. v. Frosch (Ch. Hünemörder); Plin. nat. 32, 18, 49: gegen Gift, Ameisen, Hunde wie auch Fieber oder Ehebruch; zur Belebung oder Steigerung der libido. 90 Levi 1941, 223. 91 Auch in synkretistischer Weise mit Jupiter Dolichenus: Campbell 1968, 22. Auf einem Blitzbündel: M. Clauss, The Roman Cults of Mithras (Edinburgh 2000) 90. Eine Gemme mit mithrischer Darstellung zeigt einen Adler als Symbol des Zeus: Mastrocinque 1996, 48; Mastrocinque 2003, cat. 256. 92 Seligmann 1910, 144. 93 Z. B. Engemann 1975,Taf. 14 c, auch Löwe Abb. 1. Die Position der beiden Adler unseres Objekts erinnert an die Stellung von Cautes und Cautopates innerhalb mithrischer Darstellungen. 94 Bonner 1950, 65 f.; Der Neue Pauly 1 (1996/1999) 116 s. v. Adlerstein (Ch. Hünemörder). 95 Er wird auf Votivhänden auch mit Blitz in den Klauen dargestellt: Jahn 1855, 105. Auch für Jupiter gleichgesetzt mit Baal-Hadad, vgl. Gassner 2004, 234. 96 Fellmann 1981, 321; 324 f. 330 Taf. IV; Blinkenberg 1904, 78 fig. 37; 83 f. 106. Sabazios kann auch als Jupiter verehrt werden:

dem Schmerzpunkt: Gal., de simpl. med. temp. 10, 19. 40 Aus Glas: Giovannini 2008, 16 cat. 12; Daremberg/Saglio 1875, 987 s. v. fascinum (G. Lafaye). 41 In Salzburg: E. Krüger, Römische Mosaiken in Deutschland. Jahrb. DAI 48, 1933, 706 Abb. 24. – Zu Beispielen in Syrien, Griechenland und Tunesien siehe Engemann 1975, 27 f. Taf. 8 a; 14 c; auch auf Schiffsbügen: Seligmann 1910, 197; Nowak 2006. 42 Dunbabin/Dickie 1983, 32. 43 Nowak 2006, 157; Der Neue Pauly 10 (2001) 308 s. v. Priapos (T. Heinz); Corti 2001, 73. 44 Corti 2001, 74 und Anm. 15. 45 Schon im Mythos von Osiris: Sempere Ferrándiz 2006, 268. Osiris verliert den Phallus und deshalb die Regenerationskraft, dagegen steht die Sonne Ra, die immer diese Kraft behält: Goodenough 1953, 239. 46 Siehe Anm. 18. 47 S. F. Pfahl, Die römischen Gesichtsgefäße von Nida-Heddernheim. In: B. Liesen/U. Brandl (Hrsg.), Römische Keramik. Herstellung und Handel. Kolloquium Xanten, 15.–17.6. 2000. Xantener Ber. 13 (Mainz/Rhein 2003) 173–196; R. Chinelli/P. Donat/I. Pavic´, Importazioni dall’Italia ed elementi di tradizione italica nella ceramica romana rinvenuta a Vienna (Austria), con particolare riferimento agli scavi urbani effettuati nel Michaelerplatz (1990/ 1991). RCRF Acta 38, 2003, Anm. 42. 48 S. F. Pfahl, Ein römisches pars pro totoDoppelbauopfer mit Gesichtstopf der Zeit um 200 n. Chr. aus dem Keller eines Wohnhauses der Augusta Treverorum. Trierer Zeitschr. 63, 2000, 260; Bauopfer möglicherweise in Frankreich: O. Leblanc/A. Desbat, Un lot de cèramique du début du IIIe siècle à Saint-Romain-enGal (Rhône). Rev. Arch. Narbonnaise 25, 1992, 141; 143 Abb. 11,1. 49 WM Inv.-Nr. 675/1111; M. Kronberger, Herrengasse (in Vorbereitung) Taf. Nr. 30/ 100/1 (Verfärbung T). 50 Pfahl (Anm. 47) 185; Pfahl (Anm. 48) 257; E. Schindler-Kaudelka/F. Butti Ronchetti/G. Schneider, Gesichtsbecher vom Magdalensberg im Umfeld der Funde aus Oberitalien. RCRF Acta 36, 2000, 275; M. Renard, Poteries à masques prophylactiques. A propos des vases “planétaires”. Latomus 14, 1955, 223. 51 Manganaro 1996, 138. 52 Seligmann 1910, 198; Stefani 2005, 139; Engemann 1975, Taf. 13.c, auch in einem Badebassin in Köln, ebd. Taf. 11.d. 53 Stefani 2005, 123 cat. 174; A. Dierichs, Klingendes Kleinod. Ein unbekanntes Tintinnabulum in Dänemark. Ant. Welt 2, 1999, 147; dies., Erotik in der römischen Kunst. Ant. Welt Sonderh. 1997 (Mainz/Rhein 1997) 121 Kat.

95 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

Lane 1989, 27; P. Eschbauer/V. Gassner/S. Jilek et al., Der Kultbezirk des Iuppiter Optimus Maximus Heliopolitanus in den östlichen Canabae von Carnuntum. CarnuntumJb 2003, 159 mit Lit.; LIMC 8 Suppl. 1 (1997) 1068 s. v. Sabazios (R. Gicheva). 97 Campbell 1968, 25. 98 Campbell 1968, 23. 99 Campbell 1968, 25. 100 Levi 1941, 223. 101 Dunbabin/Dickie 1983, 24; Seligmann 1910, 130. 102 Dunbabin/Dickie 1983, 32 f.; Campbell 1968, bes. 21, aber auch 17; Levi 1941, 221. 103 Levi 1941, 231. 104 Sfameni 2004, 398. 105 Siehe z. B. De Caro 1994, cat. 252. 106 Jahn 1855, 98; Seligmann 1910, 130. 107 Bottini 2005, 264; Bevilacqua 2001, 141; Dunbabin/Dickie 1983, 33; Zwierlein-Diehl 1992, 39 f. Sie sind auch Symbole der Ewigkeit: Seligmann 1910, 181. 108 Dunbabin/Dickie 1983, 33; zur Forschungsgeschichte: P. Casari, Un leontocefalo mitriaco nel Civico Museo di Storia ed Arte di Trieste. Atti e Mem. Soc. Istriana di Arch. 101 N. S. 49, 2001, 161 f. (mit Löwenkopf und Flügeln, umwickelt von Schlangen identifizierbar auch mit Ahriman, Gott des Bösen); C. Sfameni Gasparro in: Bottini 2005, 101; zu Varianten: Mastrocinque 2003, 303 mit Lit. 109 Dunbabin/Dickie 1983, 24; Bonner 1950, 97; 277 Pl. VII,D148. 110 Dunbabin/Dickie 1983, 9 f. 111 Elworthy/Murray 1895, 132. 112 Levi 1941, 221; zu einer Bulle im Louvre mit griechischer Inschrift, in der Dämonen die Gestalt einer Schlange zugeschrieben wird: Seligmann 1910, 232. 113 Für die Nägel: Bevilacqua 2001, 141. 114 Seligmann 1910, 131 f.; Stefani 2005, 35; Levi 1941, 221 mit Lit. Die Hände haben auch eine apotropäische Bedeutung: C. G. Alexandrescu, Blasmusiker und Standartenträger im römischen Heer (Cluj-Napoca 2010) 239; Fellmann 1981, 322. 115 Fellmann 1981, 323; Collins-Clinton 1977, 17; 32 f. 41; 34: auch Dionysos konnte in Gestalt einer Schlange erscheinen; Blinkenberg 1904, 106. 116 Auf magischen Nägeln oft ein achtstrahliger Stern: Bevilacqua 2001, 135–137. 117 Elworthy/Murray 1895, 132. 118 Kotting 1954, 479; Jahn 1855, 46. 119 De Caro 1994, cat. 253; M.-O. CharlesLaforge, Le “complexe des rites magiques” et le culte de Sabazios à Pompéi. Contributi di archeologia vesuviana II. Stud. Soprintendenza Arch. Pompei 18 (Roma 2006) 169; in seiner Identifikation mit Zeus: Blinkenberg 1904, 106. Siehe auch Anm. 91 und 96. 120 Mastrocinque 1996, 47.

121 Die beiden hinteren Extremitäten sind aneinandergelegt; ein Schwanz ist nicht zu erkennen. 122 Bevilacqua 2001, fig. 6. 123 Jahn 1855, 99; Seligmann 1910, 116; Levi 1941, 222; Devoto/Molayem 1990, 238; Michel 2001, 264 mit Lit.; Plin. nat. 29, 38, 129– 130; Ail. nat. 5, 47. 124 Levi 1941, 231; Der Neue Pauly 3 (1997/ 1999) 910 s. v. Eidechse (Ch. Hünemörder); Michel 2001, 264 cat. 424 (Ringstein, 3. Jh. n. Chr.); zusammen mit dem Skorpion: Mastrocinque 2003, 408. 125 Campbell 1968, 16 f.; Gassner 2004, 234. 126 Giuffrè Scibona 1982, 557; Levi 1941, 231 f.: Sie läuft immer in den Bodenritzen. Lane 1989, 24; Sempere Ferrándiz 2006, 268; Fellmann 1981, 323; 327; 330; 338 Taf. 4; 339 Taf. 5; Collins-Clinton 1977, 35; 40; 43; 85 cat. 72 a; Pl. XXII.fig. 60: Die ungewöhnliche Konnotation der Eidechse auf einem Gefäß im Heiligtum des Bacchus lässt daran denken, dass immer die Fundsituation berücksichtigt werden muss. – Zur Verbindung des Sabazios mit Amuletten: Giuffrè Scibona 1982, 559. 127 Gassner 2004, 233. 128 Levi 1941, 232. 129 Nachgewiesen auf römischen Artefakten, im europäischen Teil des römischen Reiches: H. J. Jesnick,The Image of Orpheus in Roman Mosaic. BAR Internat. Ser. 671 (Oxford 1997) 89. Der Strauß war eines der gefährlichsten Tiere im Amphitheater, ebd. 82. 130 Bonner 1950, 212–215. 131 Siehe Anm. 8. 132 Dunbabin/Dickie 1983, Taf. 5 c–d 28. 133 Z. B. ist der Schwan Symbol des Frühlings: Jahn 1855, 98; Meisen 1950, 155; Dunbabin/Dickie 1983, 26 Taf. 7 a–b (Marmorblock in Xanthos); der bekannteste Feind des Bösen Blicks war der Ibis, heiliges Tier des Thoth, des ägyptischen Hermes: H. Seyrig, Invidiae medici. 1. La faim de l’ibis et la soif de Tantale. Berytus 1, 1934, 1. Wenn das Auge als Horus interpretiert wird, dann ist der Vogel Thoth, im Mythos sein Beschützer: Sfameni 2004, 384. 134 Zwierlein-Diehl 1992, 85; Goodenough 1953, 242 mit Lit.; Plin. nat. 10, 40, 75; Iuv. 15, 3. 135 Mastrocinque 2003, 63; ein Amulett mit dieser Darstellung konnte das Wasser reinigen: Zwierlein-Diehl 1992, 85. 136 Giovannini, in Druck. 137 Huld-Zetsche 1999, 101; Ulansey 1998, 22; 48. Für die Verbindung mit Mithras: Bonner 1950, 150; Weiß 2001, 261; Humer 2009, 35 Kat. 30; Campbell 1968, Pl. V 75. Der Löwe ist in mithrischen Darstellungen normalerweise zusammen mit einem Krater/Kelch (oder mit einem Mann, der diesen ausgießt – aquarius/

Wassermann) abgebildet. 138 G. Ristow, Mithras im römischen Köln. EPRO 42 (Leiden 1974) 22 Abb. 14 Taf. XIII (Köln). 139 Sie wird oft in einem von Löwen gezogenen Wagen oder auf einem Löwen reitend dargestellt, oder man sieht das Tier neben ihrem Thron: Der Neue Pauly 6 (1999) 952 s. v. Kybele (S. A. Takacs); Bottini 2005, 227 cat. 50; 231 cat. 52; 233 cat. 53. 140 Engemann 1975, 25 Abb. 1. 141 M. Lavizzari Pedrazzini, Un’impronta di gemma su bicchieri tipo-Aco. In: G. Sena Chiesa/E. Gagetti (a cura di), Aquileia e la glittica di età ellenistica e romana. Atti del Convegno “Il fulgore delle gemme. Aquileia e la glittica di età romana”, Aquileia, 19–20 giu. 2008 (Trieste 2009) 115–117 fig. 6–11. 142 Dann aber mit einem astralen Symbol: Mastrocinque 1998, 12; Michel 2001, 156; Giovannini 2008, 41; Bonner 1950, 144. 143 Huld-Zetsche 1999, 101. 144 In der zodiakalen Melothesie: A. J. Festugière, La révélation d’Hermès Trismégiste 1 (Paris 1989) 129: Hüfte und Magen; gegen Koliken: Bienkowski 1893, 296; Mastrocinque 2003, 41. 145 Giovannini, in Druck. 146 Michel 2001, 156; 171 mit Lit. (Gemmen); Mastrocinque 2003, 303. 147 Manganaro 1996, Taf. XII 7; XI 3 a–b und Lit.; D. Bondoc, Bronzuri figurate romane. Muzeul Olteniei Craiova I (Craiova 2000) 56 cat. 56; Dierichs 1999 (Anm. 53) 145–149; Nowak 2006, 157; typische Eigenschaft des Dämons: Jahn 1855, 76; Dierichs 1997 (Anm. 53) 112; Corti 2001, 73. 148 Siehe z. B. Maioli 2007, 209 cat. 106; Giovannini, in Druck; Maguire 2008. 149 Jahn 1855, 96. Gegen eine Verbindung des Konzeptes „Böses Auge“ und „Mithras“: Bonner 1950, 98. 150 Siehe z. B. Brigetio: Campbell 1968, Pl. XXXIII.1727. 151 Z. B. Campbell 1968, Pl. XIII.435. 152 Ulansey 1998; Weiß 2001; Humer 2009, 25; 27. 153 Zur umstrittenen Verbindung von Mithras und Zoroastrismus: vgl. B. Lincoln, Mithra(s) as Sun and Savior. In: Bianchi/Vermaseren 1982, 506 (proto-indoeuropäische Ursprünge); Mastrocinque 1998, 50; 90; 154; Ulansey 1998, 13; 51 f.; F. Prescendi, Riflessioni e ipotesi sulla tauroctonia mitriaca e il sacrificio umano. In: Bonnet et al. (Anm. 37) 114; zur gesamten Problematik: Der Neue Pauly 8 (2000) 288 s. v. Mithras (R. Gordon). 154 Martini 1977, 108; 111; Mastrocinque 1996, 45. 155 Turchi 1939, 271; I. Chirassi Colombo, Il sacrificio dell’essere divino e l’ideologia della salvezza nei tre più noti sistemi misterici dei pri-

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2001, 193 f.; Mastrocinque 2003, 78. 174 Budge 1930, 360; Kotting 1954, 474 f.; aber auch Mittel um ewiges Leben zu gewinnen: Goodenough 1953, 239; F. E. Brenk, Caesar and the Evil Eye or What to Do with “ja› r¸ se* jmom”. In: G. Schmeling/J. D. Mikolson (Ed.), Qui miscuit utile dulci. Festschrift Essays for Paul Lachlan MacKendrick (Wauconda, Ill. 1998) 41 f. 175 Bonner 1950, 133; 154. 176 Sfameni 2004, 390 f. 177 Mastrocinque 2003, 30; Sfameni 2004, 384. 178 Betz (Anm. 73) 68; PGM IV, 1596–1715. 179 Brenk (Anm. 174) 42; 49; vgl. zum Konzept auch Goodenough 1953, 239. 180 Martini 1977, 131. 181 Zu seinem solaren Charakter: Ensoli/Andaloro 2000, 373; Mastrocinque 1998, 12; Bevilacqua 2001, 144. 182 M. J. Vermaseren, Corpus Inscriptionum et Monumentorum Religionis Mithriacae 1 (Den Haag 1956) 147 f. fig. 89 f. cat. 326; Casari (Anm. 108) 164; P. Liverani, L’antiquarium di villa Barberini a Castel Gandolfo, Monumenti e Gallerie Ponteficie (Città del Vaticano 1989) 97 f. fig. 36.1–2. 183 Siehe Anm. 108; Mastrocinque 1998, 91; vgl. dagegen: Felletti Mai 1956, 151. 184 Sfameni 2004, 389; Michel 2001, 170. 185 Delatte/Derchaine 1964, 134 cat. 172; Jahn 1855, 50; Ensoli/Andaloro 2000, 377. 186 Lincoln (Anm. 153) 511. 187 S. Michel, Die magischen Gemmen: zu Bildern und Zauberformeln auf geschnittenen Steinen in der Antike und Neuzeit. Stud. Warburg-Haus 7 (Berlin 2004) 38; 41 mit Lit. 188 Goodenough 1953, 239; dazu auch Donati 2000, 196. 189 Paris 1981, 242; Salvetti et al. 2004. 190 V. Tran Tam Tinh, Iconographie d’Isis, Etat des études iconographiques à Isis, Sérapis et Sunnaoi Theoi. In: ANRW II.17.3 (Berlin, New York 1984) 1721; die Mithrasanhänger haben manchmal auch Serapis verehrt: M. J. Vermaseren/C. C. Van Essen, The Excavations in the Mithraeum of the Church of Santa Prisca in Rome (Leiden 1965) 134. 191 Michaelis 1885, 317 mit Lit.; Dunbabin/ Dickie 1983, Taf. 7 a–b; 26; Bonner 1950, 96; Kotting 1954, 479; Engemann 1975, 31; Mastrocinque 2003, 418. Serapis wird auch auf den goldenen lamellae angerufen (vgl. A. Giovannini, Un pendente-amuleto del Museo Archeologico Nazionale di Aquileia. Significati e correlazioni cultuali. Aquileia Nostra 72, 2001, 170) und auf gnostischen Gemmen (Devoto/ Molayem 1990, 238), gleichgesetzt mit Asklepios (Sfameni 2004, 396). Zu Serapis, Mithras, Helios in Zauberpapyri: C. Wessely, Bericht über griechische Papyri in Paris und London. Wiener Stud. H. 2, 1886, 183; 202.

192 Für die Gleichsetzung: LIMC 7 Suppl. 1 (1994) 666–687 s. v. Sarapis (G. Cerc/J. Leclant). 193 Zwierlein-Diehl 1992, 17; Salvetti et al. 2004, 467. 194 Z. B. finden sich auf demselben Objekt jüdische, christliche und heidnische Darstellungen: Jahn 1855, 46; Meisen 1950, 157–177; Bonner 1950, 38 f.; Ensoli/Andaloro 2000, 379; Mastrocinque 2003, 68; Sfameni 2004, 403; Michel (Anm. 187) 41; Maioli 2007, 101. Sogar heidnische Darstellungen in christlichen Kontexten: Giovannini, in Druck; synkretistische Glaubenswelt auch auf Metallplättchen: Kronberger 2005, 141; in Zauberpapyri: Wessely (Anm. 191) 183. 195 Dunbabin/Dickie 1983, 28; J. Russell, The Archaeological Context of Magic in the Early Byzantine Period. In: Maguire 2008, 44. 196 Budge 1930, 358; Deonna (Anm. 12) 189; M. L. Thomsen, The Evil Eye in Mesopotamia. Journal Near Eastern Stud. 51/1, 1992, 27: ab Ende 3. Jahrtausend v. Chr. 197 Dunbabin/Dickie 1983, 29; Donati 2000, cat. 21; Salomon-Siegel: Engemann 1975, 37. 198 Sfameni 2004, 399; Kondoleon 2000, 163–167 (Antiochia). 199 Engemann 1975, 37; Salvetti et al. 2004, 467. 200 Engemann 1975, 22 f. 43 f.; H. Maguire, Magic and Geometric in Early Christian Floor Mosaics and Textiles. In: H. Maguire (Ed.), Rhetoric, Nature and Magic in Byzantine Art (Brookfield et al. 1998) 268; Dickie (Anm. 39) 11. 201 Seligmann 1910, 420 zu den Kirchenvätern und passim; Hansmann/Kriss-Rettenbeck 1966, 178 f.; Engemann 1975, 37 f.; Donati 2000, cat. 21; L. Cracco Ruggini, A proposito di Dura Europos: l’acculturazione ebraica nel tardo ellenismo. Mediterraneo Ant. 6/2, 2003, 679. Sogar Bischöfe und Priester trugen selbst Amulette: Devoto/Molayem 1990, 238. 202 G. Vikan, “Guided by Land and Sea”. Pilgrim Art and Pilgrim Travel in Early Byzantium. In: J. Engemann/E. Dassman (Hrsg.), Tesserae. Festschrift für Josef Engemann. Jahrb. Ant. u. Christentum Ergbd. 18 (Münster 1991) 74 (bzgl. 4.–7. Jh. n. Chr.). 203 Allgemein zu Beispielen im Osten: Dunbabin/Dickie 1983, 27 f. Besonders Antiochia, wo verschiedene Religionen aufeinandertrafen: Kondoleon 2000, 197. 204 Dunbabin/Dickie 1983, Taf. 5 a–b. 205 Paris 1981, 242, Terminus ante quem: Erdbeben in Antiochia 115 n. Chr. – Auch für das in Tab. 2 Nr. 25 gelistete Stück wird eine phrygische Mütze beschrieben: Daremberg/ Saglio 1875, 886 s. v. fascinum (G. Lafaye). 206 Mastrocinque 1998, 156: mit Hilfe des Mithraismus wurden die orientalischen Lehren und Religionen für Legionssoldaten und Ver-

mi secoli dell’impero. In: Bianchi/Vermaseren 1982, 309. 156 Martini 1977, 111; Clauss (Anm. 91) 81; Der Neue Pauly 8 (2000) 289 s. v. Mithras (R. Gordon); Weiß 2001, 260; Humer 2009, 25. Das Taurobolium wurde im Frühling zu Ehren der Kybele abgehalten: Bienkowski 1893, 300. 157 Sfameni 2004, 388; Mastrocinque 1998, 90; 156: mithrische Themen begegnen auch auf anderer Art bei Amuletten. Goodenough 1953, 240. 158 Hansmann/Kriss-Rettenbeck 1966, 193 cat. 608; 198; Fellmann 1981, 316; 323; Giuffrè Scibona 1982, 557; W. Jobst (Hrsg.), Carnuntum. Das Erbe Roms an der Donau. Ausstellungskat. ([Wien] 1992) 51 cat. 8; P. Zsidi/A. R. Furger, Out of Rome. Augusta Raurica/Aquincum. Das Leben in zwei römischen Provinzstädten (Basel et al. 1997) 273; Stefani 2005, 37 (Sabazios war beliebt bei Gladiatoren). – Frosch, Schildkröte, Skorpion, Schlange erscheinen oft auch auf ägyptischen Amuletten: vgl. Budge 1930, 152. 159 Turchi 1939, 275. 160 Charles-Laforge (Anm. 119) 173; Corti 2001, 70. 161 Collins-Clinton 1977, 42; Bevilacqua 2001, 141. 162 LIMC 8 Suppl. 1 (1997) 1070 s. v. Sabazios (R. Gicheva); Corti 2001, 70. 163 Mastrocinque 2003, 420 cat. 390. 164 Festugière (Anm. 144) bes. 128 f.; Mastrocinque 2003, 40–42; 116 f.; Sfameni 2004, 387 (Hl. Buch der Dekane); Maioli 2007, 102; L. Bellizia, Da Teucro il Babilonio a Palazzo Schifanoia: I Decani (Ferrara 2009). 165 Seligmann 1910, 154; Bonner 1950, 98; Engemann 1975, 31; Dunbabin/Dickie 1983, 32; Salvetti et al. 2004, 468. 166 Angesichts der Konzentration von Amuletten in der syrisch-ägyptischen Welt/Palästina – vgl. z. B. Bonner 1950 – ist die Darstellung von exotischen Tieren nicht verwunderlich, aber auch in Italien: hier Tab. 2 Nr. 5. Nach Artemidor von Ephesos (von Daldis) 2, 12 ist der Elefant kein gutes Vorzeichen; auch Jahn 1855, 97. Er kann möglicherweise Kronos zugewiesen werden: Mastrocinque 2003, 410. 167 Tausendfüßler ebenfalls oft auf Amuletten und Gemmen: vgl. Dunbabin/Dickie 1983, 24 und auf Lampen (ebd. Taf. 5 a–b). 168 Mastrocinque 2003, 121. 169 Corti 2001, 70. 170 Levi 1941, 222; 231 f. – Artemidor von Ephesos (von Daldis) 2, 13, 101 f. 171 Goodenough 1953, 239; Goodenough (Anm. 17) 54; auch: Budge 1930, 364; Hansmann/Kriss-Rettenbeck 1966, 179; Maloney 1976, 2; Donati 2000, cat. 21. 172 Delatte/Derchain 1964, 73 cat. 89. 173 Zur Interpretation von Chnoubis: Michel

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waltungsbeamte vereinfacht; so auch Humer 2009, 26. Orientalische Kulte sind in Aquileia, einem wichtigen Truppenverteilungsort in der Spätantike, nachgewiesen: Giovannini (Anm. 191) 170; M. Scotti Maselli, Presenze di culto mitraico nell’alto Adriatico. In: M. Buora (a cura di), Le regioni di Aquileia e Spalato in epoca romana. Convegno Castello di Udine 4 apr. 2006 (Treviso 2007) 81–106. 207 M. Mosser, Die Steindenkmäler der legio XV Apollinaris. WAS 5 (Wien 2003) 125; 267 Kat.-Nr. 204 Taf. 27,204 (Dat. 71–114 n. Chr.). 208 D. Schön, Die orientalischen Kulte im römischen Österreich (Diss. Univ. Innsbruck 1984) 32. 209 Vindobona-Katalog 1978, 64 S 51 = CIL III 4560–4561 (aus Legionslager; 198–200 n. Chr.); S 70 = CIL III 14.359 (Sieveringer Straße); U. Eisenmenger/E. Eleftheriadou, Ein neues Schlangengefäß aus dem Legionslager Vindobona. FWien 3, 2000, 38; M. Mosser, Die römischen Truppen in Vindobona. FWien 8, 2005, 127. Allgemein für Pannonien: A. Perrissin Fabert, Isis et le dieux orientaux dans l’armée romaine. Actes du IIème Colloque Inter-

national sur les études Isiaques, Lyon 16–17 mai 2002 (Leiden 2004) 451. 210 Freundl. Mitt. M. Mosser. 211 Für die teilweise Anwesenheit der legio X im Orient: Vindobona-Katalog 1978, 49. Der Besitzer könnte auch direkt von den orientalischen Kultgemeinschaften in Carnuntum (vgl. V. Gassner, Heiligtümer in Carnuntum – ein kritischer Überblick. In: Stadt und Landschaft in der Antike. Anodos Suppl. 3 [Trnava 2003] 135–151; Eschbauer/Gassner/Jilek et al. [Anm. 96]) beeinflusst worden sein: siehe E. Schwerthem, Die Denkmäler orientalischer Gottheiten im Römischen Deutschland. EPRO 40 (Leiden 1974) 309 f. – Zur Verbreitung: G. Lipovac-Vrljan, Mithraic Center on the Road Comunications in Croatia (Parts of Roman Dalmatia, Pannonia Inferior, Pannonia Superior and Histria): The Example of Mursa. Akten des Internationalen Symposium, Ptuj 11.–15. Oktober 1999. Arch. Poetovionensis 2 (Ptuj 2001) 236. Schön (Anm. 208) 21–24; 33, 117 betont, dass die Dedikanten in Carnuntum nicht nur Soldaten waren. – Zur Problematik allgemein Mastrocinque 1998, 137. 212 Nach H. Ubl, Gedanken zu einem früh-

christlichen Amulett vom norischen Limes. In: G. Grabherr et al. (Hrsg.), Vis Imaginvm. Festschrift für E. Walde zum 65. Geburtstag (Innsbruck 2005) 542–547 könnten Soldaten in der Spätantike üblicherweise Amulette getragen haben. 213 Kronberger 2005, 138–141: Taf. 29 Grab B6,2 (Lunulaanhänger, 2.–1. H. 3. Jh. n. Chr.); Mädchengrab B3 mit Anhängern, darunter ein lunulaförmiger: Taf. 28 (2. H. 3.–Anf. 4. Jh. n. Chr.); goldene Amulettkapsel Taf. 32 Grab C2,3 (spätes 3.–Anf. 4. Jh. n. Chr.). 214 Sfameni 2004, 403. 215 Manchmal sind die Symbole auch auf ein und derselben Ebene mehrschichtig (z. B. mehrere Krankheiten). 216 Seligmann 1910; Hansmann/Kriss-Rettenbeck 1966, 178 f. Kat. 568; Maloney 1976; Thomsen (Anm. 196) 26. 217 Sfameni 2004, 403. 218 Mastrocinque 1998; in der ägyptischen Religion war die Magie eine Göttermacht: Sfameni 2004, 397. 219 Zwierlein-Diehl 1992, 17.

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R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

Aufsätze

Abgekürzt zitierte Literatur Arneth 1850 Bevilacqua 2001 Bianchi/Vermaseren 1982 Bianchi Bandinelli et al. 1964 Bienkowski 1893 Blinkenberg 1904 Bonner 1950 Bottini 2005 Budge 1930 Campbell 1968 Camporeale 1985 Caylus 1762 Caylus 1764 Collins-Clinton 1977 Corti 2001 Daremberg/Saglio 1875 De Caro 1994 Delatte/Derchain 1964 Devoto/Molayem 1990 De Witte/De Jonghe 1898 Donati 2000 Du Chastel de la Howarderie 1898 Dunbabin 1999 Dunbabin/Dickie 1983 Elworthy/Murray 1895 Engemann 1975 Ensoli/Andaloro 2000 Felletti Mai 1956 Fellmann 1981 Gassner 2004

Giovannini 2008 Giovannini, in Druck Giuffrè Scibona 1982 Goodenough 1953 Hansmann/KrissRettenbeck 1966 Huld-Zetsche 1999 Humer 2009

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99 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

Jahn 1855 King 1887 Koenig 1975 Kondoleon 2000 Kotting 1954 Kronberger 2005 Lane 1989 Levi 1941 Maguire 2008 Maioli 2007 Maloney 1976 Manganaro 1996 Manganaro 2003 Martini 1977 Marshall 1911 Mastrocinque 1996 Mastrocinque 1998 Mastrocinque 2003 Meisen 1950 Michaelis 1885 Michel 2001 Millingen 1821 Nowak 2006 Paris 1981 PGM Perdrizet 1922 Sacken/Kenner 1866 Salvetti et al. 2004

Scrinari 1972 Seligmann 1910 Sempere Ferràndiz 2006 Sfameni 2004 Stefani 2005 Turchi 1939 Ulansey 1998 Vindobona-Katalog 1978 Weiß 2001 Zoega 1878–1880 Zwierlein-Diehl 1992

R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

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100 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

Phallus Amulette A (Wien) x B (Fuveau) x Nr. 1 x Nr. 2 x Nr. 3 x Nr. 4 x Nr. 5 x Nr. 6 x Nr. 7 x Nr. 8 x Nr. 9 – Nr. 10 – Nr. 11 – Gemmen Nr. 12 – Nr. 13 – Nr. 14 – Nr. 15 – Nr. 16 – magische Nägel Nr. 17 – Nr. 18 – Lampe Nr. 19 x Mosaike Nr. 20 x Nr. 21 – Reliefs Nr. 22 x? Nr. 23 – Nr. 24 – Nr. 25 – Nr. 26 x Nr. 27 – Wandmalereien Nr. 28 – Nr. 29 – Terrakotta Nr. 30 –

Skorpion

Hund Dolch Dreizack Frosch Rabe Adler Schlange

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Aufsätze

Blitzbündel

Eidechse

Löwe Stelzenläufer

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x?





x?



Tab. 1: Die Motive auf den Amuletten aus Wien und Fuveau in vergleichbaren Darstellungen (Nr. beziehen sich auf die Vergleichsstücke in Tab. 2). Jahn 1855

Elworthy/ Murray 1895

Seligmann Engemann 1910 1975

Varia

Fig. 117

Abb. 2

Caylus 1764, Pl. XXXVIII,3; du Chastel de la Howarderie 1898, 459; Meisen 1950, 153 f.

Fig. 118

Abb. 2

Taf. III 4 Fig. 16

Fig. 119

Abb. 2









Arneth 1850, 30 S IV G96 Fig. 69; Sacken/Kenner 1866, 351 Kat. 41; Daremberg/Saglio 1875, s. v. fascinum (G. Lafaye) fig. 2888; Meisen 1950, 154. Caylus 1762, Pl. LVII,1–2; Meisen 1950, 154; Koenig 1975, Abb. 32 b. Zoega 1878–1880, III cat. 19; Bonner 1950, 98.









Camporeale 1985, cat. 398.







Taf. 11 c

Marshall 1911, Pl. LXVIII cat. 2888.

Nr. Objekt Amulette 1 Metallamulett – FO: Sizilien; AO: Taf. III 2 Fig. 14 Spa (Belgien), Slg. du Chastel de la Howarderie 2 Metallamulett; AO: Wien, KHM Taf. III 3 Fig. 15

3 4 5 6

Metallamulett – FO: Herculaneum Metallamulett – AO: Velletri (Rom), Museo Borgiano Metallamulett – FO: Massa Marittima (Toskana) Metallamulett – AO: London, British Museum (Slg. Towneley)

101 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

Aufsätze

Metallamulett – AO: London, British Museum (Slg. Hamilton) 8 Metallamulett – AO: Rom, Musei Vaticani (Slg. Bonifacio Falcioni) 9 Metallamulett – AO: Paris, Louvre 10 Metallamulett – AO: London, British Museum (Slg. Towneley) 11 Metallamulett – FO: Mainz; AO: Brüssel Gemmen 12 Gemme – AO: Florenz 13 Onyx – AO: „Sammlung Gerhard“ 14 Gemme – AO: New York, Metropolitan Museum 15 Gemme – Zeichnung von F. Buonarotti 16 Glaspaste – AO: Berlin magische Nägel 17 Nagel – AO: Rom, Museo Nazionale Romano 18 Nagel – AO: Paris, Cabinet des Mèdailles Lampe 19 Keramiklampe – AO: Berlin Mosaike 20 Mosaik – FO: Jekmejeh (bei Antiochia am Orontes, Türkei); AO: Antakya Müzesi 21 Mosaik – FO: Rom, Basilica Hilariana (Ospedale Militare del Celio) Reliefs 22 Felsrelief – FO: Burdur (Anatolien, Türkei) 23 Grabdenkmal – FO: Auzia (Algerien) 24 Relief – FO: Via Appia, Rom; AO: Rom, Museo Nazionale Romano 25 Relief – AO: Bedfordshire (England), Woburn Abbey 7

26 Relief – FO: Leptis Magna (Libyen) 27 Relief – AO: Museo Archeologico di Aquileia Wandmalereien 28 Wandmalerei – FO: Dura-Europos (Deckenkassette) 29 Wandmalerei – FO: Dura-Europos Terrakotta 30 Terrakotta-Applike – FO: Koenigshoffen, Straßburg









Marshall 1911, Pl. LXVIII cat. 2887.









Donati 2000, 196 cat. 21.



Fig. 12

Fig. 133













Marshall 1911, Pl. LXVIII cat. 2889.





152 Kat. 11 –

Michaelis 1885, 313; De Witte/De Jonghe 1898, 372; Meisen 1950, 153 f.

Taf. III 5 Fig. 17 Taf. III 7 Fig. 18 – Fig. 19

Fig. 120 Fig. 121 Fig. 122

– – –







Meisen 1950, 154. Meisen 1950, 154. King 1887, 256 fig. 11; Levi 1941, 221 fig. 101 a; Meisen 1950, 154; Bonner 1950, 98. Mastrocinque 2003, 420 cat. 390.

Taf. III 6 Fig. 17





Meisen 1950, 154.

Taf. III 9 –

Fig. 24







Abb. 7

Goodenough 1953, II fig. 1139; Bevilacqua 2001, 134 f. fig. 4. Bevilacqua 2001, 140 fig. 11.

Taf. IV 1 –

Fig. 51



Meisen 1950, 154 f.









Fig. 159

Fig. 124

Taf. 10 a.b.c Levi 1941, Pl. 56; Dunbabin/Dickie 1983, Taf. 8 a; Dunbabin 1999, fig. 311; Manganaro 1996, tav. XII 8; Kondoleon 2000, 165 fig. 1. Taf. 11 a.b Bienkowski 1893, 286; Perdrizet 1922, fig. 9; Bonner 1950, 98; Meisen 1950, 154; Koenig 1975, Abb. 32 a; Salvetti et al. 2004, 465; 474 fig. 4; Bottini 2005, 80.







Taf. 12e







Fig. 125

Taf. 13 b







Taf. 12 c.d

Bonner 1950, 99; Meisen 1950, 154; Salvetti et al. 2004, 467. Bonner 1950, 98; Paris 1981, III 36.

Taf. III 1 Fig. 24

Fig. 123







Abb. 4 Taf. Millingen 1821, Pl. VI.74; Michaelis 1855, 313; 9a Daremberg/Saglio 1875, s. v. fascinum (G. Lafaye) fig. 2887; Meisen 1950, 155; Corti 2001, 81 fig. 1; Nowak 2006, 153 fig. 4.6. Taf. 8 b Bianchi Bandinelli et al. 1964, fig. 196–197.

72





Taf. 9 b.c

Scrinari 1972, fig. 572; 574 cat. 574 f.







Abb. 8

Goodenough 1953, II fig. 46 f.; III fig. 1065 f.







Abb. 5

Meisen 1950, 156







Abb. 3

Bonner 1950, 99.





Tab. 2: Vergleichsbeispiele zu Darstellungen des „Bösen Auges“ – Konkordanz der relevanten Literatur (FO: Fundort; AO: Aufbewahrungsort nach zitierter Literatur).

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R. Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien

Aufsätze

Taf. 1: Vergleichsbeispiele zu den Darstellungen auf dem Goldamulett aus Wien (Nummern beziehen sich auf Tab. 2). (Nr. 1 nach Du Chastel de la Howarderie 1898, Abb. S. 459; alle anderen nach Seligmann 1910, Fig. 117; 119; 120; 122–124; 133)

103 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

M. Mosser/Th. Pantzer, Ein römischer Altar im Wiener Augustinerkloster

Ein römischer Altar im Wiener Augustinerkloster Martin Mosser/Theresia Pantzer Dank eines Hinweises auf einen bis zu diesem Zeitpunkt in der Forschung un1 GC: 2009_04. Für den Hinweis auf den Altar, der als „römischer Stein“ in Dehio Wien 2003, 35 eine kurze Erwähnung findet, sei Renate Kohn (ÖAW) und Ingrid Weber-Hiden (Universität Wien) sehr herzlich gedankt. 2 Unser besonderer Dank gilt Pfarrer Pater A. Scheuch für die unbürokratische Unterstützung des Projekts. An den Grabungen selbst beteiligten sich neben den AutorInnen noch S. Fasching, A. Ginalis, Ch. Reisinger, R. Skomorowski, St. Stefan. Für die fotografische Dokumentation und die Aufnahme des Altars in die Web-Plattform www.ubi-erat-lupa.org (ID-Nr. 15673) danken wir Ortolf und Friederike Harl. 3 Siehe ausführlich R. Perger/W. Brauneis, Die mittelalterlichen Kirchen und Klöster Wiens. Wiener Geschichtsbücher 19/20 (Wien, Hamburg 1977) 155–164; F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 12 (Wien 2004) 195–197 s. v. Augustinerkirche; Reichel 1996; Dehio Wien 2003; für weitere Detailangaben danken wir Pater A. Scheuch. 4 Vgl. F. Rennhofer, Die Augustiner-Eremiten in Wien (Würzburg 1956) 52; 55–66; H. Rauscher-Csanadi, Untersuchungen zur mittelalterlichen Baugeschichte der Wiener Augustinerkirche und Georgskapelle (Dipl. Univ. Wien 1997). 5 Bruchsteinfundamente dieser Bebauung an der Hochstraße vor Errichtung des Klosters wurden 1996 anlässlich von Restaurierungsarbeiten entdeckt; GC: 1996_21; Reichel 1996, 53. 6 Der gemauerte Latrinenturm der Augustiner an der mittelalterlichen Stadtmauer, nur ca. 30 m westlich der Fundstelle des Altars, wurde 1999 archäologisch dokumentiert; E. H. Huber, Wien 1, Albertina. FWien 3, 2000, 206– 209; S. Fritsch (mit einem Beitrag von S. Czeika und U. Thanheiser), Essen im Augustinerkloster in Wien (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit) – Rekonstruktionsversuch der klösterlichen Ernährung mit Unterstützung schriftlicher Quellen und bioarchäologischer Funde. FWien 6, 2003, 188–197; vgl. Perger/Brauneis (Anm. 3) 158. 7 C. Wolfsgruber, Geschichte der Loretokapelle bei St. Augustin in Wien (Wien 1886) 4 und 8.

bekannten Römeraltar in der Loretogruft der Wiener Augustinerkirche (Wien 1, Augustinerstraße) kam es zunächst im Jahr 2009 zu Besichtigungen vonseiten der AutorInnen. 1 Auch wenn eine erste Lesung der Inschrift bereits durchgeführt werden konnte, steckte der Sockel des Altars zu diesem Zeitpunkt noch im Erdreich (Abb. 1). Daher wurde mit dem verantwortlichen Pater des Augustinerklosters, Pfarrer Albin Scheuch, vereinbart, am 28. Jänner 2010 im Rahmen der vollständigen Freilegung des römischen Steindenkmals auch stratigraphische Untersuchungen in der unmittelbaren Umgebung des Altars durchzuführen, um eventuell nähere Aufschlüsse über die Herkunft bzw. die Auffindungsumstände gewinnen zu können. Die Grabungen konnten in der Folge unter reger Anteilnahme von FachkollegInnen2 im Zuge einer eintägigen Kampagne zwar nicht alle Fragestellungen klären, aber doch neue Aspekte zur Diskussion stellen. Zur Geschichte der Augustinerkirche3 Im Jahr 1327 stiftete Friedrich der Schöne ein Areal in unmittelbarer Nachbarschaft der Wiener Hofburg, auf dem in der Folge das Augustinerkloster samt Kirche und Friedhof entstand (siehe auch Abb. 8). 4 Dieses lag unmittelbar an der damaligen Hochstraße, einem Straßenzug, der auf die antike, durch die römischen canabae legionis von Vindobona führende Limesstraße zurückgeht (heute Augustinerstraße). Dem Klosterbau fielen fünf Häuser und eine Badstube zum Opfer. 5 Die Augustiner-Eremiten übersiedelten nach Fertigstellung aus der Vorstadt beim Werdertor in die neue Anlage an der Hochstraße. 6 Im Zuge der Gegenreformation ersetzte Ferdinand II. im Jahr 1630 die Beschuhten durch die aus Prag berufenen strengeren Unbeschuhten Augustinermönche (Augustiner-Barfüßer) und machte die Kirche 1634 zur Hofkirche. In der damals im mittleren Kirchenschiff errichteten Loretokapelle ließ Ferdinand II. das „Herzgrüftel“ einbauen, eine Begräbnisstätte für die Herzen der verstorbenen Habsburger. Auch Abraham a Santa Clara lebte im 17. Jahrhundert im Kloster und hielt in der Kirche seine berühmten Predigten. Ende des 18. Jahrhunderts kam es unter Joseph II. zu einer Regotisierung der seit 1631 barockisierten Kirche, und sie wurde auch Stadtpfarre. Aufgrund fehlenden Nachwuchses übernahmen ab 1838 Säkularkleriker die Kirche. 1848 wurde sie durch einen Brand stark beschädigt und 1873 erfolgte eine umfangreiche Restaurierung, bei welcher auch ausgedehnte Gruftanlagen freigelegt wurden. Nach Wiederherstellung der Kriegsschäden des Zweiten Weltkriegs bezogen 1951 wieder die Augustiner-Eremiten Pfarre und Kloster.

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Zur Geschichte der Loretogruft (Abb. 2) Ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Auffindung des römischen Altars in der heutigen Loretogruft ist die Frage nach dem Errichtungszeitpunkt der Gruft. Hier sind allerdings – zumindest aus der Sekundärliteratur – keine exakten Daten eruierbar. Die nicht mit der heutigen Gruft zu verwechselnde erste Loretogruft entstand 1657/58 unterhalb der bereits oben erwähnten Loretokapelle im mittleren Kirchenschiff, die 1784 abgebrochen und in Räumlichkeiten westlich der Kirche verlegt wurde. 7 Hier befand sich zuvor ab 1627 die Kapelle der Totenbruderschaft, die sich um die Beerdigung von Hingerichteten kümmerte. Diese Bruderschaft war im gleichen Jahr wie die erste Loretokapelle durch Kaiserin Eleonore gegründet worden und erhielt ihren Sitz im Bereich des 1341 geweihten südlichen Kreuzgangflügels mit dem Kapitelsaal des Klosters (= Vorhalle der Georgskapelle und anschließender Raum). 8 Darunter befand sich die Gruft der Bruderschaft, wobei nicht klar ist, zu welchem Zeitpunkt diese angelegt wurde. Ab 1657 sind jedenfalls in dieser Gruft Bestattungen von Adelsfamilien nachweisbar. 9 Nicht zuletzt die archäologischen Untersuchungen im Jänner 2010 weisen darauf hin, dass der an einem Pfeiler der Gruft stehende römische Altar wohl im Zuge der Errichtung aufgefunden und vor Ort belassen wurde. Die archäologischen Untersuchungen (Abb. 3) Der Altar steht im in der Grundfläche etwa 6613 m großen, vorderen Gruftraum. Dieser ist vom fünften Joch des westlichen Kirchenseitenschiffes aus durch Abnahme der Bodenplatten (Niveau Kircheninnenraum: 18,62 m über Wr. Null) zugänglich. 10 Eine Reihe aus drei im Grundriss quadratischen, verputzten Pfeilern, die ein Kreuzgratgewölbe tragen, teilt den Raum in zwei Hälften. An der Ostseite des hintersten (westlichen) der drei Pfeiler steht unmittel-

Abb. 1: Römischer Jupiteraltar vor der Freilegung im Jänner 2010. (Foto: M. Mosser)

8 Dehio Wien 2003, 21. Hinweise auf den gotischen Kreuzgang ergaben Freilegungen 1960 und 1999: S. 24; Reichel 1996, 53. 9 Wolfsgruber (Anm. 7) 53 f.; Dehio Wien 2003, 19–21; 31 f. 35. 10 Dieser Zugang wurde in seiner heutigen Form im Rahmen der Restaurierungsarbeiten der Jahre 1996–2000 geschaffen; vgl. Reichel 1996, 53; Dehio Wien 2003, 23.

Abb. 2: Die heutige Loretogruft, nach Westen. (Foto: M. Mosser)

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Abb. 3: Archäologische Aufnahme der Befunde innerhalb der Loretogruft im Bereich des Jupiteraltars. (Plan: M. Mosser)

bar davor gesetzt der römische Jupiteraltar. Den Boden der Gruft bildet über die gesamte Fläche ein aufplanierter, ockerfarbener, lössartiger, relativ lockerer, sandig-lehmiger Stampfboden, dessen Oberfläche ca. 3,80 m unterhalb des Kirchenbodens liegt (OK: 14,80–15,00 m über Wr. Null, nach Osten anstei11 Für die vorläufige Bestimmung der etwa ein Dutzend Keramikfragmente danken wir K. Adler-Wölfl, I. Gaisbauer und M. Kronberger. Es handelt sich neben zwei mittelalterlichen Fragmenten um Keramik des 2. und 3. Jh. (inkl. eines Wandstückes Terra Sigillata aus Rheinzabern). Hervorzuheben ist allerdings ein größeres, reduzierend gebranntes Tellerfragment, welches Ende 3./4. Jh. zu datieren ist; vgl. B. Petznek, Römerzeitliche Gebrauchskeramik aus Carnuntum. Teil 1. CarnuntumJb 1997 (1998) 262 f.; dies., Römerzeitliche Gebrauchskeramik aus Carnuntum. Teil 2. CarnuntumJb 1998 (1999) 371 Taf. 51.1038 Typ 21.6; V. Gassner/S. Jilek, Carnuntum zur Zeit der Soldatenkaiser – eine Bestandsaufnahme. In: J. Tejral (Hrsg.), Das mitteleuropäische Barbaricum und die Krise des römischen Weltreiches im 3. Jahrhundert. Spisy Arch. Ústavu AV Cˇ R Brno 12 (Brno 1999) 57–62 Abb. 8; Kronberger 2005, 162 Grab B2 Taf. 27,4; Grab H1 Taf. 35,3–4.

gend). Dieser Horizont war ca. 0,30 m stark und mit Ziegelbruch sowie in geringen Mengen mit Holzkohle, Mörtelgries, Kieseln und Ziegelsplitt durchsetzt und enthielt sowohl römische als auch mittelalterliche Keramik. 11 Dislozierte menschliche Knochen, Schuhsohlenreste und eine planierte Lage eines Holzsarges mit eisernem Sargring innerhalb der Schicht weisen auf einen aufgelassenen Bestattungshorizont hin. Auch Grabgruben, die in den darunter folgenden anstehenden Löss (14,50 m über Wr. Null) eingetieft und mit dem erwähnten Planiermaterial verfüllt waren, sind mit diesen ersten Bestattungen in der Gruft in Verbindung zu bringen. Für den Gewölbepfeiler, an welchem der römische Altar stand, konnte ein massives Fundament aus stark vermörtelten Bruchsteinen und Ziegelbruch dokumentiert werden (Abb. 4). Dieses springt – zumindest im untersuchten Bereich unterhalb des Altars – 0,50 m gegenüber dem aufgehenden Pfeiler vor. Die freigelegte Fundamentoberkante liegt bei 14,38 m über Wr. Null. Über dem Pfeilerfundament folgt eine 0,12 m dicke Baugrubenverfüllung, die mit der erhaltenen Oberfläche des anstehenden ockergelben Löss abschließt. Dieses Verfüllmaterial war in seiner Zusammensetzung, Farbe und Konsistenz nicht von der jüngeren, darüber liegenden, bereits oben

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Abb. 4: Altar, Baugrube und Pfeilerfundament während der Ausgrabung im Jänner 2010. (Foto: M. Mosser)

beschriebenen Aufplanierung zu unterscheiden. Der römische Altar stand – mit der Baugrubenkante abschließend – mit der Unterkante unmittelbar auf dieser Verfüllung auf Höhe des anstehenden Löss, was als Indiz für eine intentionelle Aufstellung unmittelbar nach Fertigstellung der Gruftanlage zu interpretieren ist. Die Auflassung und Planierung des älteren Bestattungshorizontes bewirkte in weiterer Folge, dass das Bodenniveau auf bis zu 15,00 m über Wr. Null angehoben und damit auch der Sockelbereich des Altars abgedeckt wurde. Welche archäologischen Anhaltspunkte gibt es nun zur Datierung der Gruftanlage: Die Aufplanierung nach Auflassen des ältesten Bestattungshorizontes ist ohne Zweifel ins 17. Jahrhundert zu datieren, da die bei den Holzsargresten gefundenen Metallringe jenen der ab 1657 aufgestellten Metallsärge entsprechen. Auch beim durchaus zahlreich vorhandenen Ziegelbruch, der in der Aufplanierung gefunden wurde, handelt es sich um neuzeitliches Material. Der Errichtungszeitpunkt der Pfeilerreihe, der offensichtlich im Kontext mit der Aufstellung des römischen Altars zu sehen ist, wäre durch das Fundmaterial innerhalb der Baugrubenverfüllung zu fassen. Diese enthielt allerdings neben unsignifikanten Eisennägeln keine datierende Keramik. Ziegelbruch innerhalb des Pfeilerfundaments, der Stil der Kreuzgratgewölbe sowie eine Ritzinschrift mit der Jahresangabe „1638“, die in den Verputz des Pfeilers unmittelbar über den Altar gesetzt ist, deuten aber auf eine entsprechende Errichtungszeit. Der Jupiteraltar des Pomponius Respectus (Abb. 5–7) Bei dem Inschriftstein handelt es sich um eine Ara aus Marmor von 94,5 cm Höhe, 61 cm Breite und 47 cm Tiefe, die von einem viereckigen ebenen Aufsatz bekrönt wird (Abb. 5). Zu beiden Seiten weist dieser pulvini mit dreigliedrigen Rosetten auf. An der Vorderseite ist er mit einem flachen Giebel mit einem Palmettenmuster verziert. Die Oberfläche sowie die glatten Seitenflächen sind

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durch mehrere Kratzer gestört. Die Lesung der Inschrift ist aber trotz der Versinterung klar und unzweifelhaft (Abb. 6): I(ovi) O(ptimo) M(aximo) Pompo(nius) Respectus optio v(otum) s(olvit) l(ibens) l(aetus) m(erito) Faustino et Rufino co(n)s(ulibus) „Dem Jupiter Optimus Maximus. Der optio (= Unteroffizier) Pompo(nius) Respectus hat sein Gelübde gerne und freudig nach Verdienst eingelöst. Als Faustinus und Rufinus Konsuln waren.“ Glücklicherweise trägt der Votivstein eine Datierung und kann damit chronologisch genau eingeordnet werden. Eine Jahresangabe nach Konsuln war gerade für Weihungen von Heeresangehörigen ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts üblich. Hier sind M. Acilius Faustinus und A. Triarius Rufinus gemeint, die ordentlichen Konsuln des Jahres 210 n. Chr. Der Weihende bezeichnet sich als optio, gibt also seinen Dienstgrad an, den er bei der Armee hatte, nicht aber die Einheit, der er angehörte. Ob er damit seinen Dienstrang besonders betonen wollte oder ob er die Nennung schlicht für unnötig erachtete, weil jeder Leser sofort gewusst haben dürfte, um welche Einheit es sich handelte, lässt sich nicht mehr beantworten. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit diente der Unteroffizier Respectus nämlich bei der legio X Gemina, die seit Trajan in Vindobona stationiert war und deren Soldaten mehrere Inschriften in Vindobona hinterlassen haben. 12 Als optio war Respectus Stellvertreter eines Zenturios und konnte hoffen, selbst einmal in diese Position aufzusteigen. Auch bei seinem Namen war der Dedikant wenig präzise, gab er doch sein Gentile nur in der abgekürzten Form Pompo- an. Diese Abkürzung erlaubt mehrere Varianten der Auflösung wie Pomponianus, Pomponisius oder Pomponenus, von denen die beiden letzteren allerdings höchst unwahrscheinlich sind, da es für sie jeweils nur einen einzigen Beleg aus Italien gibt. 13 Die Form Pomponianus ist bisher nur als Cognomen bezeugt. 14 Das naheliegendste, weil 12 Zur legio X Gemina siehe zuletzt M. Mosser, Die römischen Truppen in Vindobona. FWien 8, 2005, 140–142. 13 OPEL III, 151 s. v. Pomponenus resp. Pomponisius. Bei H. Solin/O. Salomies, Repertorium nominum gentilium et cognominum Latinorum (Hildesheim, Zürich, New York 1988) finden sich außerdem Pompon(a)eus, Pomponati(us)? sowie Pomposidius und Pomposius. 14 OPEL III, 151 s. v. Pomponianus führt neun Fälle an. 15 OPEL III, 151 f. s. v. Pomponius. 16 OPEL IV, 26 f. s. v. Respectus.

am weitesten verbreitete Gentile ist Pomponius, das wir über hundert Mal im gesamten römischen Reich antreffen, hauptsächlich in Italien (34 Zeugnisse) und Hispanien (34), aber besonders häufig in Dalmatien (40). 15 Allein die Tatsache, dass der Name abgekürzt wurde, scheint außerdem dafür zu sprechen, dass es sich um einen geläufigen Namen handelte, dessen Auflösung jedem sofort klar gewesen sein dürfte. Auch das Cognomen Respectus ist gut belegt und taucht besonders häufig in den Provinzen Noricum und Pannonien auf. 16 Die Kombination der beiden Bestandteile scheint darauf hinzudeuten, dass Respectus im Umland der Legion rekrutiert wurde. Eine Untersuchung der Herkunft der Soldaten der legio X Gemina scheint dies zu bestätigen. Von insgesamt 16 Angehörigen der legio X aus der Zeit ab Hadrian, deren Heimat be-

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Abb. 6: Inschriftfeld des Jupiteraltars. (Foto: O. Harl)

Abb. 5: Der Jupiteraltar des Pomponius Respectus nach der Freilegung im Jänner 2010. (Foto: O. Harl)

Abb. 7: Giebelornament des Jupiteraltars. (Foto: O. Harl)

kannt ist, stammen sechs aus Pannonia Superior, also aus der Provinz, in der die Legion stationiert war. Ein weiterer Legionär gibt seine Herkunft allgemein mit nat(ione) Pann(onius) an. Zudem kommen drei Legionäre aus der Nachbarprovinz Noricum. 17 Auch vom Figurenschmuck her reiht der Altar sich gut in die bereits bekannten Stücke ein. Votivaltäre mit Volutenpolster und Giebel mit einem einfachen Sockel sind eine durchaus gängige Form, vor allem im Rhein-Donau-Raum. Bemerkenswert an diesem Stück ist, dass das Tympanon vergleichsweise flach ist und in seinem Feld stilisierte Palmetten zeigt (Abb. 7). Eine vergleichbare Ornamentik findet sich im Giebelfeld eines Grabaltars aus Mérida in Hispanien (CIL II 491) sowie in Britannien als Schmuckband auf der Basis eines Weihesteins

17 G. Forni, Esercito e marina di Roma antica. Raccolta di contributi. Mavors 5 (Stuttgart 1992) 132.

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(CSIR GB I 1, 304). Obwohl genauere Hinweise zu den Fundumständen des Altars fehlen, können im Folgenden weitere Überlegungen angestellt werden, ob der Altar auch tatsächlich im Umkreis des Fundorts geweiht wurde, etwa in einem kleinen Heiligtum nahe der durch die canabae legionis führenden Hauptstraße. Forschungsgeschichtliche Aspekte zur Auffindung des Jupiteraltars Wie oben dargelegt dürfte beim Bau der Loretogruft im 17. Jahrhundert ein römischer und wohl auch ein mittelalterlicher Siedlungshorizont zerstört worden 18 Periodisierung nach Niegl 1980, 13–16. 19 Falls es sich nach P. Albin bei der Gruft um eine im Kern bereits mittelalterliche Anlage handelt, ist es nicht völlig auszuschließen, dass der Altar bereits im Mittelalter aufgefunden wurde. Da die Gruftmauern verputzt sind, können darüber keine näheren Aussagen von bauhistorischer Seite gemacht werden. 20 Über 20 Steine im Lapidarium des W. Lazius und sechs Steine in jenem des H. Schallauczer; Niegl 1980, 41 f.; P. Svatek, Wolfgang Lazius. Leben und Werke eines Wiener Gelehrten des 16. Jahrhunderts. WGBl 61/1, 2006, 2 und 8. 21 Niegl 1980, 14 f.; am spektakulärsten war im 17. Jh. wohl die Auffindung eines zwar bereits aufgebrochenen, aber noch mit einigen Grabbeigaben versehenen spätrömischen Sarkophages (E. 3./Anf. 4. Jh.) im Jahr 1662 bei der Errichtung des Leopoldinischen Traktes der Hofburg (GC: 1662_01); Kronberger 2005, 53–55; 246 f. Grab C2 Taf. 4 und 32, mit weiterer Literatur; vgl. auch ein spätrömisches Ziegelplattengrab, das bei der Errichtung einer Triumphpforte für Joseph I. am Stock-im-Eisen-Platz im Jahr 1690 aufgefunden wurde (GC: 1690_01); Kronberger 2005, 72 f. 268 Grab K1 Taf. 9 und 39. 22 GC: 2009_11; sekundär abgeschnittene Reliefblöcke mit Opferszenen und mythologischen Motiven, vgl. V. Böhm, Das lateinische Erbe der Serviten in Wien (Wien 2009) 113– 121. 23 Straßenniveau vor Reitschulgasse 2: ca. 19 m über Wr. Null; bei der Grabung Stallburg (GC: 2005_03) in den Jahren 2004/05 war eine 3 m dicke Schichtabfolge zu dokumentieren; M. Krenn/P. Mitchell/J. Wagner, Wien 1 – Reitschulgasse 2, Stallburg. FÖ 44, 2005, 69 f. 24 E. H. Huber, Wien 1, Albertina. FWien 4, 2001, 258 f.; GC: 2000_11. 25 Vgl. Kronberger 2005, 64 Taf. 1 G; 3. 26 Krenn/Mitchell/Wagner (Anm. 23) 69; vgl. C. S. Sommer, Kastellvicus und Kastell. Untersuchungen zum Zugmantel im Taunus und zu den Kastellvici in Obergermanien und Rätien. Fundber. Baden-Württemberg 13, 1988, 457–707.

sein. Einzig der Jupiteraltar fand wohl aufgrund seines ausgezeichneten Erhaltungszustandes jene Beachtung, die dazu führte, dass er innerhalb der Gruft als Denkmal seinen entsprechenden Platz erhielt. Dass dieser Stein einer breiteren Öffentlichkeit bzw. der Wissenschaft unbekannt blieb, ist wohl darauf zurückzuführen, dass die „humanistische Periode“ der österreichischen Altertumsforschung18, die in Wien mit den Namen Wolfgang Lazius (1514–1565), Hermes Schallauczer (1503–1561) und Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (1525–1596) in Verbindung zu bringen ist, zum Auffindungszeitpunkt bereits vorüber war. 19 So legten zum Beispiel Lazius und Schallauczer bereits kleine Lapidarien für die bei der Errichtung der Wiener Stadtbefestigung zutage gekommenen römischen Grab- und Votivdenkmäler an. 20 Aus dem darauffolgenden 17. Jahrhundert sind hingegen nur spärliche Fundmeldungen aus dem Wiener Stadtgebiet überliefert, das Interesse an römischen Funden und Denkmälern ging im Barock spürbar zurück. 21 Unter diesem Aspekt können auch zwei römische Reliefblöcke (eines Grabbaus?) gesehen werden, die im Bibliotheksgang des ab 1646 erbauten ehemaligen Servitenklosters im 9. Wiener Gemeindebezirk zu finden sind und ebenfalls erst kürzlich der Fachwelt bekannt wurden. 22 Der Jupiteraltar innerhalb der Siedlungsstruktur Vindobonas (Abb. 8) Dass der Einbau der Loretogruft die Beseitigung der im Bereich der Augustinerkirche vorhandenen Befunde zur Folge hatte, beweisen auch die eruierten Tiefenangaben. Die Sohle der Loretogruft, an der, wie oben ausgeführt, bereits der anstehende gelbe Löss festzustellen war, befindet sich in ca. 4 m Tiefe bei 14,50–14,80 m über Wr. Null. In der etwa 170 m nördlich der Loretogruft gelegenen Stallburg traten die tiefsten römischen Befunde bei etwa 16 m über Wr. Null23 zutage und der Horizont des ca. 95 m südlich der Gruft gelegenen römischen Gräberfeldes, das im Jahr 2000 im Bereich der Albertina aufgedeckt wurde, liegt bei etwa 17 m über Wr. Null. 24 Jene beiden letztgenannten Grabungskampagnen belegen, dass der Auffindungsort des Jupiteraltars im Randbereich der römischen Lagervorstadt (canabae legionis) nahe des vom 1. bis mindestens zum 4. Jahrhundert n. Chr. existenten Gräberfeldes entlang der nach Südosten außerhalb des Siedlungsgebietes sich fortsetzenden Limesstraße zu suchen ist. 25 Im Hof der Stallburg wurden nämlich mehrere Phasen einer dichten Streifenhausbebauung als typisches Merkmal der Siedlungsstruktur von Kastellvici bzw. canabae legionis aufgedeckt. 26 Die Limesstraße selbst wurde in unmittelbarer Nähe der Augustinerkirche im August 1935 bei

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Abb. 8: Umgebungsplan der Fundstelle des Jupiteraltars. (Plan: M. Mosser)

einer Kanalgrabung in 1,25–3,00 m Tiefe (ca. 16,00–17,75 m über Wr. Null) beinahe auf der gesamten Länge der Augustinerstraße zwischen Josefsplatz und Lobkowitzplatz nachgewiesen. 27 Da wohl ausgeschlossen werden kann, dass der nahezu unbeschädigte römische Altar aus der Loretogruft in sepulkralem Zusammenhang sekundär innerhalb eines römischen Gräberfeldes Verwendung gefunden hatte, ist dieses Steindenkmal als wichtiges Zeugnis für die südliche Ausdehnung der canabae legionis zu werten, deren Grenze in etwa entlang den heutigen Ost-West orientierten Straßenzügen Führichgasse und Annagasse angenommen wird. 28 Im Verlauf dieser Straßen wurde 1882 auch ein antiker Weg dokumentiert. 29 Dieser Weg kreuzte im Bereich Kärntner Straße eine wohl ebenfalls antike Vorgängerstraße, die von der porta principalis dextra entlang des äußeren Grabens des Legionslagers durch die canabae legionis nach Süden führte. Indiz für diese Straßenkreuzung ist in erster Linie ein weiterer, 1893 im Bereich dieser angenommenen Kreuzung aufgefundener römischer Altar, geweiht dem Silvanus, den Silvanae und den Quadrubiae, wobei letztere Synonyme für Weggabelungen darstellten. 30 Der Altar in der Augustinerkirche ist nur unweit nördlich dieser Linie zu lokalisieren und das mit der Jupiterweihung in Verbindung zu bringende Heiligtum lag vielleicht entlang der Fortsetzung dieses antiken Weges jenseits der Limesstraße nach Westen. Auffallend ist dabei, dass beide Weihungen am südlichen Rand der canabae legionis von principales (optio und signifer) der legio X Gemina durchgeführt wurden. In der Spätantike, als die Lagervor-

27 GC: 1935_18, Augustinerstraße: zusammen mit Münzen, Tierknochen, römischer und mittelalterlicher Keramik: FP 1935/5; FA-RZ I, Augustinerstraße 1935; R. Wadler, Wien. 1. Bezirk. FÖ 2, 2, 1935, 104. 28 Zur Frage der Ausdehnung der canabae legionis von Vindobona vgl. Kronberger 2005, 37 f. 29 GC: 1882_01; Kronberger 2005, 43 Anm. 242 mit weiterer Literatur. 30 Kronberger 2005, 43 f. mit weiterer Literatur; Altar: GC 1893_01, Fundort Annagasse 3; Inv.-Nr. KHM III 804; Lesung: Silvano/ et Silvanis/ et Quadrubis/ sacrum/ L(ucius) Minicius/ Honoratus/ sig(nifer) leg(ionis) X G(eminae) v (otum)/ s(olvit) l(ibens) l(aetus).

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stadt aufgegeben wurde und weite Teile des vorangegangenen Siedlungsgebietes als Gräberfelder genutzt wurden, könnte dies auch auf dem Areal um die Augustinerkirche geschehen sein, wie vielleicht der bei den archäologischen 31 Aufgrund des geringen Fragmentierungsgrades könnte dieser durchaus als Beigabe eines Körpergrabes des 4. Jh. n. Chr. benutzt worden sein; vgl. Kronberger 2005, 162 mit Anm. 1053.

Untersuchungen im Jahr 2010 geborgene, gut erhaltene spätrömische Teller vermuten lassen kann. 31 Die Frage, in welcher Form der Altar in weiterer Folge in spätrömischer Zeit innerhalb des anzunehmenden Gräberfeldes deponiert wurde, muss schließlich offenbleiben.

Abgekürzt zitierte Literatur Dehio Wien 2003 Kronberger 2005 Niegl 1980 OPEL III und IV Reichel 1996

Dehio-Handbuch Wien. I. Bezirk – Innere Stadt (Horn, Wien 2003) 19–37 s. v. Augustinerkirche und -kloster. M. Kronberger, Siedlungschronologische Forschungen zu den canabae legionis von Vindobona. Die Gräberfelder. MSW 1 (Wien 2005). M. A. Niegl, Die archäologische Erforschung der Römerzeit in Österreich. Eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung (Wien 1980). Onomasticon provinciarum Europae Latinarum III und IV, bearb. von B. Lo˝ rincz et al. (Wien 2000 u. 2002). M. Reichel, Wien 1 – Augustinerkirche. FÖ 35, 1996, 53 f.

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M. Binder/H. Krause, Der ehemalige Friedhof zu St. Ulrich in Wien-Neubau

Der ehemalige Friedhof zu St. Ulrich in Wien-Neubau. Ausgrabung Zollergasse 32 Michaela Binder/Heike Krause Einleitung Während der Aushubarbeiten für einen Lift (Baugrube 2,8063,10 m) im Hof des Hauses Zollergasse 32 im 7. Wiener Gemeindebezirk trafen Bauarbeiter im Mai 2008 auf menschliche Skelettreste. Die Stadtarchäologie Wien wurde daraufhin verständigt. Anfangs wurden nur zahlreiche dislozierte menschliche Knochen geborgen. Ab einer Tiefe von 2,35 m unter heutigem Hofniveau (45,94 m über Wr. Null) kamen zudem Überreste von sechs West-Ost orientierten Gräbern zutage. 1 Diese Gräber stammten vom Friedhof zu St. Ulrich, der sich von 1590 bis Ende 1783 auf dem Areal befand, das von den Straßen Mondscheingasse, Zollergasse und Siebensterngasse eingeschlossen ist. Im Zentrum dieses Aufsatzes steht die anthropologische Auswertung aller aufgefundenen menschlichen Überreste unter Einbeziehung der schriftlichen Überlieferungen zum Ort St. Ulrich und seines Friedhofs sowie zu seinen einstigen Bewohnern. Christliche Friedhöfe des Mittelalters und der frühen Neuzeit Im west- und mitteleuropäischen Kulturraum entstanden in der zunehmend christlich geprägten Spätantike (seit dem 4./5. Jahrhundert) sog. Reihengrä1 H. Krause/M. Binder, Wien 7, Zollergasse 32 – ehemaliger Friedhof zu St. Ulrich. FWien 12, 2009, 217–220. 2 LexBestattung 2, 102 f. s. v. Friedhof; 305 f. s. v. Reihengräberfelder/-kultur; LexMA 4, 924 s. v. Friedhof, B. Mittelalter I. Archäologie und Anthropologie (H. Rötting). 3 MGH Leges, Capit. 1 (1883) Nr. 26, 69: 22. Iubemus ut corpora christianorum Saxanorum ad cimiteria ecclesiae deferantur et non ad tumulus paganorum. 4 A. Zajic, „Zu ewiger gedächtnis aufgericht“. Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Niederösterreichs. MIÖG Ergbd. 45 (Wien, München 2004) 88 f. 5 Bauer 2004, 23. 6 Ph. Ariès, Geschichte des Todes2 (München 1982). 7 LexBestattung 1, 38 f. s. v. Beinhaus. 8 Bauer 2004, 249: 1768 wurden die Grabruhezeiten erstmals geregelt. Leichen sollten nicht vor Ablauf von zehn Jahren ausgegraben und anstelle des Friedhofs in derselben Frist kein Haus errichtet werden. 9 LexMA 4, 925 s. v. Friedhof, B. Mittelalter II. Städtischer und dörflicher Friedhof (B.-U.

berfelder als kollektive Bestattungsplätze, in denen Verstorbene einer Gemeinschaft in der Reihe bestattet wurden. Dies bedeutete die allmähliche Abkehr von familiären Grabstätten der Antike bzw. den Brandbestattungen im germanischen Raum. In spätantiker Zeit lagen diese Grabstätten nicht bei der Kirche. Diese meist West-Ost orientierten Gräber dürften nicht prinzipiell eine christliche Religionszugehörigkeit implizieren. Daher wird die Reihengräbersitte heute eher als eine Art Kulturphänomen angesehen. Der Übergang zum mittelalterlichen Kirchhof (im Mittelalter Coemeterium genannt), der sich um die Kirche herum befand, entwickelte sich allmählich und kam erst im 10./12. Jahrhundert zum Abschluss. 2 Die Grundlage dazu dürfte die 782 von Karl dem Großen erlassene Capitulatio de partibus Saxoniae geliefert haben, in der die Bestattung der Toten bei den Kirchen anstatt auf heidnischen Bestattungsplätzen befohlen wurde. 3 Die mittelalterlichen Kirchhöfe blieben bis in die Neuzeit der vorrangige christliche Begräbnisort. Dadurch waren die Grabstätten stets im Blickfeld der Hinterbliebenen, denn der Gang zur Kirche führte unmittelbar an den Gräbern vorbei. Somit hatte diese räumliche Ordnung eine deutlich Totengedenken stiftende Funktion. 4 Der durch die begrenzte Fläche der Kirchhöfe im innerstädtischen Bereich hervorgerufene Begräbnisplatzmangel machte es jedoch unvermeidbar, ältere Bestattungen ungestört zu lassen. Die Grabruhezeit betrug – soweit ermittelbar –

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in Städten im Allgemeinen etwa 8–10 Jahre, konnte in Notfällen aber auch verkürzt werden. 5 Die Knochen aus den gestörten Gräbern wurden zunächst großteils achtlos beiseite geräumt, was sich auch in zahlreichen mittelalterlichen Bildquellen, auf denen der Boden von Knochen und Leichenteilen übersät ist, widerspiegelt (Abb. 1). 6 Darüber hinaus entstanden als Konsequenz des Platzmangels ab dem 12. Jahrhundert vielerorts Beinhäuser, auch Ossuarien bzw. Karner genannt, um die exhumierten Knochen aufzunehmen. 7 Für eine relativ kurz andauernde Respektierung der Grabruhe und einen wenig zimperlichen Umgang mit älteren Bestattungen sprechen auch die zahlreichen Schnittspuren und Brüche an den Knochen, die durch die Grobwerkzeuge der Totengräber entstanden sein dürften. Das Bruchverhalten von Knochen ändert sich im Laufe der Verwesung, so dass „frischer“ Knochen anders bricht als trockener. Die Brüche, die zum Teil an den Knochen aus dem Friedhof zu St. Ulrich festgestellt werden konnten, deuten darauf hin, dass die Leichen recht bald nach ihrer Bestattung umgelagert wurden. 8 Bereits im Spätmittelalter, vor allem aber im 16. Jahrhundert, begann man, Friedhöfe wegen ihrer Überfüllung bzw. wegen der als ungesund angesehenen Dämpfe und Ausdünstungen der Leichen vor die Stadt zu verlegen. 9 Die verwesenden Leichen auf den Kirchhöfen, die oft nicht tief genug eingegraben wurden, führten allerdings bereits im Mittelalter vornehmlich in den Städten zu massiven sanitären Problemen, nicht zuletzt, weil der Friedhof auch Aufenthaltsort der Lebenden war und unter anderem als Zufluchtsort, Gerichtsstätte, Marktplatz und Versammlungs-

Abb. 1: Brixener Dom (Südtirol), Detail der Wandmalerei im Kreuzgang um 1420/1430. Totengräber heben ein Grab aus, daneben die Skelettreste älterer Bestattungen. (Foto: E. Klotzner)

ort diente. 10 Erst im Zeitalter der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert wurde der traditionelle Kirchhof vor allem in Städten von „kommunalen“ Friedhöfen abgelöst, die zunächst weiter durch die Pfarren verwaltet wurden. Man befürchtete in dieser Zeit, dass von den verwesenden Leichen Krankheiten und Seuchen auf die Lebenden übertragen werden könnten. 11 Dadurch stellten die Friedhöfe in den ohnehin von Seuchen und Infektionskrankheiten geprägten Städten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit eine zusätzliche Bedrohung der öffentlichen Gesundheit dar, der man sich zunehmend vor allem seit dem 18. Jahrhundert bewusst wurde. Dieses Problem sollte durch die Schaffung neuer Friedhöfe außerhalb der Ortskerne gelöst werden. Dadurch wurde aufgehoben, „was über ein Jahrtausend lang zum Kernbereich christlicher Existenzweise gehört hatte: Die räumliche Gemeinschaft der Lebenden und der Toten“. 12 In Wien wurden erstmals 1732 Bestattungen in der Kirche und innerhalb der Stadt verboten wegen der – wie man damals glaubte – schädlichen, die Gesundheit gefährdenden Ausdünstungen (Miasmen). Daraufhin befahl Karl VI.

Hergemöller). B. Happe, Die Entwicklung der deutschen Friedhöfe von der Reformation bis 1870 (Tübingen 1991) 183–207, geht v. a. auf den Einfluss des Protestantismus bei der Anlage von außerörtlichen Begräbnisplätzen im 16. Jh. ein. Zu Wiener Friedhöfen des 16. und 17. Jh. siehe L. Senfelder, Der kaiserliche Gottesacker vor dem Schottenthor. BMAVW 36/37, 1902, 215–271. 10 LexMA 4 (Anm. 9); Illi 1992, 40 f.; F. J. Bauer, Von Tod und Bestattung in alter und neuer Zeit. Hist. Zeitschr. 254, 1992, 6 f. 11 Bauer 2004, 72 f.: In Paris wurde die Schließung innerstädtischer Friedhöfe und die Errichtung neuer Friedhöfe vor der Stadt bereits 1755 angeordnet. – J. Schweizer, Kirchhof und Friedhof – Eine Darstellung der beiden Haupttypen europäischer Begräbnisstätten (Linz 1956); Illi 1992. 12 Bauer (Anm. 10) 5.

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die Schließung des Friedhofs bei St. Stephan. Die innerstädtischen Friedhöfe endgültig auf Areale der Vorstädte bzw. Vororte zu verlegen, war ein länger andauernder Prozess. 13 Joseph II. (1741–1790) reformierte schließlich in den 1780er Jahren das Begräbniswesen nach damaligen, von der Aufklärung beeinflussten, von Ordnung und Hygiene geprägten Kriterien. 14 So wurden 1782 Kirchenbegräbnisse generell verboten und eine Stol-Tax-Ordnung für Wien und die Vorstädte innerhalb des Linienwalls erlassen, in der die Gebühren 13 Bauer 2004, 26; J. Wimmer, Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung. Fallstudien aus den habsburgischen Erbländern. Veröff. Komm. Neuere Gesch. Österr. 80 (Wien, Köln 1991) 163. 14 Wimmer (Anm. 13) 176–185 mit Angabe der Originalquellen; LexBestattung 1, 35 f. s. v. Begräbnisreform. 15 Bauer 2004, 45. 16 Bauer 2004, 27 und 71. 17 H. Steuer, Vorwort. In: St. Fassbinder, Wallfahrt, Andacht und Magie. Religiöse Anhänger und Medaillen. Beiträge zur neuzeitlichen Frömmigkeitsgeschichte Südwestdeutschlands aus archäologischer Sicht. Zeitschr. Arch. Mittelalter Beih. 18 (Bonn 2003) 7. 18 M. Müller, Die menschlichen Skelettreste aus dem Friedhof nördlich des Schlosses Kaiserebersdorf. In: M. Müller et al., Die archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen im Schloss Kaiserebersdorf. MSW 3/I (Wien 2008) 398–403; N. Hofer, Die Funde aus dem Friedhof nördlich des Schlosses, ebd. 364–375; E. H. Huber, Wien 11, Münnichplatz. FWien 3, 2000, 213 f.; C. Litschauer/Th. Pototschnig, Ein neuzeitliches Bestattungsareal im Bereich der Sensengasse in Wien 9. FWien 12, 2009, 4–41; M. Binder, Der Soldatenfriedhof in der Marchettigasse. Die Lebensbedingungen einfacher Soldaten in der theresianisch-josephinischen Armee anhand anthropologischer Untersuchungen. MSW 4 (Wien 2008). 19 N. Müllauer, Geschichte und Archäologie der Pfarrkirche St. Andreas in Wien-Hütteldorf. Interdisziplinäre Forschungen zur Entwicklung der Wiener Vororte vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (Dipl. Univ. Wien 2003). 20 Freundl. Mitt. F. Blakolmer, Universität Wien. 21 E. H. Huber, Wien 18, Währinger Straße – Schubertpark. FWien 5, 2002, 296–299; C. P. Huber/K. Traunmüller, Wien 18, Währinger Straße – Schubertpark. FWien 6, 2003, 262– 264; dies., Wien 18, Franz-Klein-Gasse – Währinger Park. FWien 6, 2003, 266–268; E. H. Huber, Wien 15, Märzpark. FWien 6, 2003, 259 f. 22 Das Skelettmaterial wird derzeit von M. Binder anthropologisch untersucht. 23 Faber 1995, 72.

von Begräbnissen festgeschrieben wurden. 15 1783 wurde die Errichtung neuer Friedhöfe außerhalb des Linienwalls angeordnet. Die endgültige Schließung sämtlicher Friedhöfe „inner den Linien“ wurde per Hofdekret vom 20. August 1784 wiederholt verfügt. 16 Friedhöfe der frühen Neuzeit in Wien und Umgebung Die archäologische Untersuchung neuzeitlicher Friedhöfe ist – wie auch die Neuzeitarchäologie – ein relativ junges Forschungsfeld und methodisch eng mit der Mittelalterarchäologie, der Anthropologie, der Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte sowie der Ethnologie verknüpft. 17 In der Geschichtswissenschaft ist die Auseinandersetzung mit dem Tod ebenfalls ein junges Arbeitsgebiet und vorrangig das Verdienst französischer Forscher. In den letzten Jahren wurden an mehreren Stellen in Wien neuzeitliche Friedhöfe ausgegraben. Einige dieser Friedhofsgrabungen, z. B. auf dem Gelände des Schlosses Kaiserebersdorf und um die dortige Pfarrkirche am Münnichplatz in Wien 11, in der Sensengasse in Wien 9 sowie auf dem ehemaligen Militärfriedhof von Gumpendorf in Wien 6, wurden bereits in Form von mehr oder weniger ausführlichen Artikeln bzw. einer Monographie vorgelegt. 18 Zudem wurden 68 Gräber in der einstigen Pfarrkirche St. Andreas in Wien 14, Hütteldorf sowie in dem diese umgebenden ehemaligen Friedhof des 17./18. Jahrhunderts archäologisch untersucht und ausgewertet. 19 Unmittelbar südlich der Jakobskirche in Heiligenstadt,Wien 19, wurden ca. 400 Kinderbestattungen aus der frühen Neuzeit ausgegraben. 20 Im Vorfeld der Errichtung von Tiefgaragen unter städtischen Parks wurden Gräber ehemaliger Friedhöfe in Wien 18, Währing (Schubertpark und Währinger Park) sowie in Wien 15, Rudolfsheim-Fünfhaus (Märzpark) aufgedeckt. 21 Im Herbst 2009 wurden ca. 300 Bestattungen des 1786 aufgelassenen Friedhofs der Pfarre Hernals in Wien 17 geborgen, der seit dem Mittelalter um die Pfarrkirche herum an der Stelle des St.-BartholomäusPlatzes bestand (siehe Beitrag H. Krause, 240 ff.). 22 Die Geschichte des Ortes und des Friedhofs zu St. Ulrich Der ursprüngliche mittelalterliche Ortskern von St. Ulrich liegt im 7. Wiener Gemeindebezirk (Neubau) um die Kirche Maria Trost und St. Ulrich auf dem St.Ulrichs-Platz. Noch heute stehen hier Häuser, deren Bausubstanz bis in das späte Mittelalter (St.-Ulrichs-Platz 4) und die frühe Neuzeit zurückreicht. Die Besiedlung erstreckte sich hier zunächst entlang des nördlich gelegenen Ottakringer Baches. 23 St. Ulrich ist eine der ältesten vorstädtischen Siedlungen Wiens. Nach einem Eintrag in dem verschollenen, aber durch eine spätere Abschrift überlieferten Liber privilegiorum des Klosters Heiligenkreuz von 1251 dürfte

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die früheste Nennung des Ortes Zeizmanebrunnen für 1202 belegt sein. 24 1211 wird Zaismannsbrunn in Zusammenhang mit der Kirchenstiftung (ecclesia) in honore sancti Vdalrici durch den Wiener Bürger Dietrich (seit 1267 als „der Reiche“ bezeichnet) genannt. 25 Diese Kirche wurde vom Sprengel der Pfarre St. Stephan in Wien abgetrennt und somit zu einer eigenständigen Kirche mit Präsentationsrecht. Die Sakramente der Taufe und des Begräbnisses waren jedoch ausgenommen. 26 Herrschaftliche Zusammenhänge zwischen St. Ulrich und dem Wiener Schottenkloster wurden erstmals 1216 und im 14. Jahrhundert deutlich. 27 1302 kam erneut die capella bzw. ecclesia St. Udalrici in Zaysmansprune in der schriftlichen Überlieferung vor. 28 Aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind weitere Nennungen von Zaismannsbrunn bzw. St. Ulrich überliefert. 29 Der vom Kirchenpatron stammende Name St. Ulrich ersetzte schließlich den ursprünglichen Ortsnamen Zaismannsbrunn. 1451 wurde die Kirche dem Schottenkloster einverleibt. 30 1473 stürzte sie durch einen Sturm ein und begrub unter sich den Pfarrer, den Kaplan und 30 weitere Personen, die sich gerade zur Vesperandacht versammelt hatten. 31 Über einen danach erfolgten Wiederaufbau der Kirche ist nichts überliefert. 1529, während der Ersten Türkenbelagerung, wurde St. Ulrich, das zu dieser Zeit aus ca. 50 Häusern bestand, samt Kirche weitgehend zerstört. 32 Es lassen sich vom 13. bis zum 17. Jahrhundert verschiedene Besitzer in St. Ulrich ermitteln, jedoch nicht „mit wünschenswerter Genauigkeit“. 33 Über einen mittelalterlichen Friedhof in St. Ulrich ist aus schriftlichen Quellen offenbar nichts bekannt. Die Frage, ob es im Mittelalter einen Friedhof um die Kirche St. Ulrich gab, wird daher unterschiedlich beantwortet. Aus der Umgebung der Kirche liegen bislang keine archäologischen Funde vor, die darauf hindeuten könnten. In der Literatur wird die Errichtung des Friedhofs im Jahr 1590 anlässlich der Pfarrerhebung angegeben. 34 Aus einem Pfarrprotokoll der Wiener Pfarre St. Michael geht hervor, dass der Bischof die Kirche von St. Ulrich von der Pfarre St. Michael 1589 abgeschieden und zu einer eigenständigen Pfarre – von nun an mit Tauf- und Begräbnisrecht ausgestattet – erhoben hat. So sind auch seit 1590 Trauungsmatriken der Pfarre St. Ulrich erhalten. 35 Auch ein Schriftstück im Archiv des Schottenstifts, in dem von der Wiederherstellung der Kirche, der Weihe ihrer Altäre und der Stiftung eines neuen Friedhofs die Rede ist, deutet in diese Richtung. 36 Ob es vorher einen Friedhof um die Kirche St. Ulrich gab, wird einerseits angenommen37, andererseits abgelehnt. So ging Elfriede Faber davon aus, dass die Toten auf dem Michaelerfriedhof begraben wurden, weil die Kirche St. Ulrich offenbar nach 1529 von St. Michael betreut wurde. 38 Maximilian I. forderte aber bereits 1508, die Begräbnisse auf dem Friedhof bei der Michaelerkirche einzustellen. Die Toten sollten auf einem Gottesacker bei der Stadt Wien beigesetzt werden. Dieses Verbot musste 1530 durch Ferdinand I. erneuert werden, weil man sich bis dahin nicht daran gehalten hatte. Es ist die Frage, wo dieser Friedhof zu lokalisieren ist, auf dem die Toten der Pfarre St. Michael begraben werden sollten. Leopold Senfelder vermutete, dass dieser vor dem Kärntner Tor lag und „wohl nur der Bürgerspitalsfreithof diesseits des Wienflusses“ gewesen sein könne. 39 Dieser Friedhof war – wie auch der des Heiligengeistspitals jenseits des Wienflusses (heute Karlsplatz,

24 H. Watzl, „… in loco, qui nunc ad sanctam crucem vocatur …“. Quellen und Abhandlungen zur Geschichte des Stiftes Heiligenkreuz (Heiligenkreuz 1987) 91 Nr. 57: Liber privilegiorum 1251 n. 173 (C); Lohrmann/Opll 1981, 82 Nr. 274. 25 FRA II/18, 21 f. Nr. 15; Lohrmann/Opll 1981, 94 Nr. 316; HONB 7, 181, Z 10 und E. Schuster, Die Etymologie der niederösterreichischen Ortsnamen. Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich R. B 3 (Wien 1994) 490, Z 10 fälschlich mit BUB II, 2 angegeben; Opll 1985, 52; zu Dietrich dem Reichen siehe: R. Perger, Die Grundherren im mittelalterlichen Wien. III. Teil. Bürgerliche und adelige Grundherrschaften. JbVGW 23/25, 1967–69, 10–13. 26 Mansfeld 1953, 1; E. Klebel, Zur Frühgeschichte Wiens (Wien 1932) 53; FRA II/18, Nr. 15. 27 BUB II, 2 Nr. 201; Lohrmann/Opll 1981, 96 f. Nr. 329; Opll 1985, 52. 28 HONB 7, 181, Z 10; Schuster (Anm. 25) 350, U 4; die Nennung als capella in: FRA II/ 18, 105 Nr. 88 in Zusammenhang mit einer Tauschurkunde zwischen Griffo, Bürger zu Wien, und dem Wiener Schottenkloster, in der er die Kapelle St. Ulrich dem Kloster abtritt. 29 HONB 7, 181, Z 10. 30 Mansfeld 1953, 1; M. Aschinger, 250 Jahre Gnadenbild Maria Trost in der Pfarrkirche zu St. Ulrich in Wien 7 (Wien 1949) 7. 31 Aschinger (Anm. 30) 5; Kisch 1895, 422 und Rotter 1925, 133 nennen das Jahr 1474. 32 HONB 7, 5, U 5; Faber 1995, 19. 33 Opll 1985, 53 f.; Klebel (Anm. 26) 91 f.; Faber 1995, 14–20. 34 Czeike, Wien Lexikon 5, 501 s. v. Ulrichskirche; Aschinger 1920, 10 und 32. 35 Mansfeld 1953, 1. 36 Archiv des Schottenstifts, Scrinium 134 Nr. 1, 1590 Juli 8: Cum donatione Noui Cœmiterij (von zweiter Hand wenig später für eine durchgestrichene Passage ergänzt). 37 Rotter 1925, 125; Bauer 2004, 38. 38 Quellenmäßig belegt: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien. Hrsg. v. Alterthums-Vereine zu Wien 3 (Wien 1897) 97 Nr. 2682, 1566: Die Kapelle zu St. Ulrich wurde vor dem Türkenkrieg vom Schottenstift besorgt, nun von St. Michael aus versehen; Faber 1995, 64. 39 Senfelder (Anm. 9) 217.

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Technische Universität Wien) – durch die Erste Türkenbelagerung von 1529 verwüstet und entweiht worden. In der Folgezeit wurde das Heiligengeistspital samt Friedhof aufgelassen und das Bürgerspital in das Kloster St. Clara in die Stadt verlegt. Das Friedhofsareal des Bürgerspitals wurde neu geweiht, um schließlich die Toten der Pfarren St. Stephan und St. Michael aufzunehmen. 40 Ob man die Verstorbenen von St. Ulrich auch hier begrub, ist unklar. Belegbar ist aber, dass ein Friedhof zu St. Ulrich im Jahr 1590 neu gestiftet wurde. Hans Rotter wusste zu berichten, dass Abt Georg für dessen Errichtung einen Grund außerhalb von St. Ulrich schenkte, der „gegen St. Tibold zu“ (Mariahilf) lag. 41 Damit könnte das ehemalige Friedhofsareal gemeint sein, das heute von der 40 Bauer 2004, 36; M. Kaltenegger, Der ,Karlsplatz‘ im Mittelalter. Das Spitalsviertel vor der Stadt. In: E. Doppler/Ch. Rapp/S. Békési (Hrsg.), Am Puls der Stadt: 2000 Jahre Karlsplatz. 348. Sonderausst. WM (Wien 2008) 68. 41 Rotter 1925, 125. 42 Rotter 1925, 125. Auf den Stifter der Kapelle findet sich auch in den Kirchenrechnungen der Pfarre St. Ulrich ein Hinweis: WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 1 – Kirchenrechnungen 1680–1828, 1, 1680–1681, fol. 7: 1681 April 17, wegen herrn Zauner seel: seinen gestüfften Capelln in St: Vlrichs gottsäkher […]. 43 WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 1 – Kirchenrechnungen 1680–1828, 2, 1682– 1685, fol. 5; 7v: Dieselbe Summe wurde auch für die Jahre 1683 bis 1685 gezahlt. – Außer dieser Kapelle dürfte es noch drei weitere, kleinere Kapellen gegeben haben (Rotter 1925, 125). 44 WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 1 – Kirchenrechnungen 1680–1828, 3, 1689– 1691, fol. 2 f. 45 WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 1 – Kirchenrechnungen 1680–1828, 3, 1689– 1691, fol. 42v, Nr. 3. 46 WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 1 – Kirchenrechnungen 1680–1828, 3, 1689– 1691, unpag. Nr. 9. 47 M. Fuhrmann, Historische Beschreibung Und kurz gefaste Nachricht Von der Römisch. Kaiserl. und Königlichen Residenz-Stadt Wien, und Ihren Vorstädten. 2. Teil, Bd. 1 (Wien 1766) 325. 48 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 5. 49 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 5, 1689 September 19. Es wurden dafür 10 Gulden bezahlt. 50 Aschinger 1920, 13. 51 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 2. 52 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 4. 53 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 10, 1712 Dezember 10, starb der Herr Johann Achhammer, Kaiserlicher Stuck- (= Kanone) und Glockengießer, 62 Jahre alt, Conduct Ort in der Kirche: 10 Gulden. Zu Achhamer siehe H.

Siebenstern-, Mondschein- und Zollergasse eingeschlossen wird. 1658 wurde dort durch Wilhelm von Zaunern eine Kapelle gestiftet. 42 Aus den Kirchenrechnungen der Pfarre St. Ulrich geht hervor, dass dem Testament des verstorbenen Herrn Zauner gemäß durch seinen Sohn Johann Wilhelm Zauner 1682 acht Gulden gezahlt wurden, die die Pfarre für die jährliche Reparatur der Kapelle auf dem Gottesacker verwenden sollte. 43 Allerdings leistete der Sohn nicht regelmäßig diesen Betrag an die Kirche. Ein Vermerk im Kirchenrechnungsbuch von 1689 bis 1691 weist auf seinen Zahlungsrückstand hin. 44 Am Ende dieses Buchs steht ein Kommentar vom 21. Jänner 1692, in dem der Vorschlag unterbreitet wird, dass Johann Wilhelm Zauner im Beisein des Pfarrers wegen „der Totenkapelle auf dem Gottesacker und die dazu gemachte Zaunersche Stiftung“ eine ordentliche Zusammenrechnung durchführen und man sich über die Entrichtung des Ausstands einigen solle. 45 Weiters wird vorgeschlagen, möglichst bald auf dem Gottesacker eine Hütte oder ein Totenhäusel zu errichten, um die „Totenbeiner darunter zusammen zu tragen und zu bewahren“. 46 Der Theologe und Historiker Matthias Fuhrmann erwähnte 1766 eine St. Johanns Kirchen auf dem Gotts-Acker von St. Ulrich, die unter der geistlichen Verwaltung der Herren PP. Schottnern aus der Stadt stünde. 47 In diesem Zusammenhang ist ein Eintrag aus dem Totenprotokoll zum 4. September 1689 interessant: Carl de Furlany, Obrist der Röm: Kayl: Mayt: Leibquarti Härtschieren Leutenant ist für 10 Gulden mit dem Conduct Vnd Seelambt begraben worden in die Kirche in S: Joannis Capelln. 48 Ob es sich bei letzterer um die Kapelle auf dem Friedhof handelte oder um eine solche, bisher nicht bekannte, in der Kirche St. Ulrich, lässt sich nicht eindeutig sagen. Seine Frau Susanna Elisabetha wurde nach Angabe im Totenprotokoll 1689 jedenfalls in der Kirche mit dem Conduct begraben. 49 Daher dürfte diese Kapelle eher in der Pfarrkirche zu verorten sein. Es hat zweifelsohne Bestattungen in der Kirche St. Ulrich gegeben, die vor allem dem Adel und der (vor-)städtischen Oberschicht vorbehalten war. 1650 wurde der Preis eines solchen Grabplatzes mit 10 Gulden festgelegt. 50 An dieser Stelle können nur exemplarisch einige dieser Bestattungen genannt werden. Laut Totenprotokoll 2 der Pfarre St. Ulrich wurde Graf Johann Dionysius Setschi etc. am 8. April 1650 in der Pfarrkirche St. Ulrich beigesetzt, für das Bahrtuch und die Depositione wurden 12 Gulden gezahlt. Am 18. August 1651 starb die Frau des Hofquartimeister, Magdalena, sie wurde in die St. Ul-

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richskirche conducirt. Für den Ort des Begräbnisses wurden 10 Gulden bezahlt. 51 Für das Begräbnis der Maria Mechthildis Winckelmüllnerin in der Kirche am 13. Dezember 1687 wurden sogar 20 Gulden bezahlt. 52 Der 1712 verstorbene Johann Achamer, Glockengießer der Pummerin, wurde ebenfalls in der Kirche selbst beigesetzt (Abb. 2). 53 Den Sackpfeifer und Wiener Bänkelsänger Marx Augustin, bekannt als „lieber Augustin“, brachte man der Legende folgend während der Pestepidemie 1679 eines Nachts betrunken und schlafend in eine Pestgrube, die sich in der Nähe der Pfarrkirche St. Ulrich befunden haben soll. 54 Die Totenprotokolle der Pfarre St. Ulrich In der Pfarre St. Ulrich sind ab 7. August 1634 die Totenprotokolle mit Ausnahme der Zeiträume November 1661 bis September 1669 und September 1678 bis Dezember 1684 erhalten. Darin sind die Stolgebühren verzeichnet, der nächste Angehörige des/der Verstorbenen, der Sterbeort und ab 1685 auch das Sterbealter, zum Teil auch der Beruf des Angehörigen bzw. des/der Verstorbenen. 55 Auch Ausnahmen sind vermerkt wie mittellose Personen (Bettler und Arme), die ohne Gebühr beigesetzt wurden. Es finden sich weiters Begräbnisse von Personen, die ursprünglich nicht der Pfarrgemeinde St. Ulrich angehörten, aber dennoch auf ihrem Friedhof beigesetzt wurden. Da das vorhandene Datenmaterial so umfangreich ist, konnte es in diesem Rahmen nur stichprobenartig durchgesehen

Abb. 2: Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 10, 10. Dezember 1712: Eintrag des Begräbnisses des Glockengießers Johann Achhamer. (Foto: H. Krause)

werden. Es birgt eine Vielfalt von Informationen in sich, die nur exemplarisch wiedergegeben werden kann. So finden sich Hinweise auf die Folgen der Zweiten Türkenbelagerung von 1683: Im August 1689 wurden „ein getauftes Türken Kind“, 7 Jahre alt, sowie ein getaufft Türcken Kindt, genannt Joseph, 6 Wochen alt, begraben. In den Jahren nach der Türkenbelagerung gibt es auch vermehrt Einträge verstorbener, armer Vertriebener. 56 Zum 13. April 1689 findet sich unter dem Eintrag eines mit 18 Wochen verstorbenen Säuglings namens Anna Helena eine Notiz, dass dieses Kind das erste gewesen sei, so nach der Belagerung mit dem gleuth [Geläut] begraben, Vnd allein in den Gottsacker eingesegnet worden. 57 Interessant sind auch Angaben zu Religion, Berufen und Herkunft der Verstorbenen. Zum Beispiel starb 1781 der 34-jährige Zeugmachergeselle Kaspar Knott, bei dem notiert wurde, dass er der evangelischen Religion angehörte,58 1782 wird ein ehemaliger Ingenieur-Oberleutnant, ebenfalls evangelischer Religionszugehörigkeit, genannt. 59 1783 wurde der mit 77 Jahren verstorbene Heinrich Dominikus Hübner, ein gewester Verheürather Zeich=machergesell, aus Hamburg an der Elbe gebürtig, welcher auf der Gasse gestorben war, auf den Gottesacker der Pfarre St. Ulrich gebracht und begraben. 60 Ein ehema-

Haupt, Das Hof- und hofbefreite Handwerk im barocken Wien 1620 bis 1770. Forsch. u. Beitr. Wiener Stadtgesch. 46 (Innsbruck, Wien, Bozen 2007) 189 mit Sterbetag 9. Dezember; Faber 1995, 80 f. 54 Kisch 1895, 448; Bauer 2004, 26; Czeike, Wien Lexikon 1, 193 f. s. v. Augustin N. 55 P. Paulus Bergauer OSB und Frau Michaela Hirschl sei für die Einsicht in die Totenprotokolle und Herrn Fritz Nowotny für wichtige Hinweise zur Geschichte der Pfarre und des Friedhofs herzlich gedankt. 56 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokolle 4 und 5, Zeitraum 1685 bis 1692. Totenprotokolle aus der Zeit der bzw. unmittelbar nach der Zweiten Türkenbelagerung sind nicht erhalten. 57 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 4. 58 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 23, 1781 Juni 21. 59 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 23, 1782 September 21. 60 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 23, 1783 Januar 24.

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liger kaiserlicher Architekt und Ingenieur, Johann Franz Lamberth, 95 Jahre alt, wurde 1713 auf dem Friedhof beigesetzt. 61 Immer wieder sind auch sog. unschuldige bzw. arme Kinder in den Totenprotokollen verzeichnet. Ihnen wurden auch Plätze auf dem Friedhof zugewiesen, für die am wenigsten gezahlt bzw. zum Teil auch aus Barmherzigkeit Abb. 3: Pfarre St. Ulrich,Totenprotokoll 23, 21. August 1783: Eintrag des Begräbnisses von Wolfgang Amadeus Mozarts erstem Sohn Reymund. (Foto: H. Krause)

keine Gebühren verrechnet wurden. Ebenso stößt man auf zahlreiche Eintragungen gestorbener Kinder lediger Frauen sowie auf Hinweise von Begräbnissen von offenbar

notgetauften Neugeborenen bzw. von erwarteten Totgeburten, bei denen noch vor der Entbindung die Mutter und damit das Kind eine Nottaufe erhielt. 62 1783 starb der Anna Maria Lintnerin, einer ledigen „Weibsperson“, ihr Todt gebohrenes unvollkomenes Zeit K[ind] Weibl. geschlechts […] Von k: k: Statt G[e]r[i]cht beschaut. 63 Am 21. August 1783 ist das Begräbnis von Reymund, dem ersten Sohn Wolfgang Amadeus Mozarts, verzeichnet, der im Alter von neun Wochen verstarb. Er wurde ebenfalls auf dem Friedhof St. Ulrich begraben (Abb. 3). Für die Grabstelle wurden 30 Kreuzer bezahlt. 64 Bisher gibt es weder eine Edition noch Indizes der Totenprotokolle der Pfarre St. Ulrich. Eine gründliche Analyse dieser Totenprotokolle sowie der erhaltenen Totenbeschauprotokolle im Wiener Stadt- und Landesarchiv zu Fragen der Bevölkerungsstruktur, Sterbealter, Todesursache, Sterblichkeitsraten durch Epidemien und des vorstädtischen Bevölkerungswachstums wäre jedoch eine lohnende und verdienstvolle Forschungsaufgabe. Die Rechnungen der Friedhofskapelle Unter dem Bestand der im Wiener Stadt- und Landesarchiv aufbewahrten Archivalien des Pfarramts St. Ulrich befinden sich neben den Kirchenrechnungen aus der Zeit von 1680 bis 1828 auch die Einnahmen- und Ausgabenauflistung der Friedhofskapelle aus der Zeit von 1726 bis 1751. Neben der Ausstattung der Kapelle, den zur Messe benötigten Utensilien, wie der Kauf von Oblaten, 61 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 11, 1713 Juni 17. 62 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 5, 1689 Oktober 15: Kind so frau getaufft, ebenso zum 20. Oktober 1689. Zur Nottaufe noch ungeborener Kinder siehe: H.-Ch. Seidel, Eine neue „Kultur des Gebärens“. Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland. Medizin, Gesellschaft u. Gesch. Beih. 11 (Stuttgart 1998) 47 f. und S. Ulrich-Bochsler, Totgeboren, wiederbelebt und getauft. Vom „enfant sans âme“ zum „enfant du ciel“. Die mittelalterlichen Totgeburten von Oberbüren. Ethnogr.-Arch. Zeitschr. 50, 1/2, 2009, 295–309. 63 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 23, 1783 Martius 22. 64 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 23.

Kerzen, Opferwein und Baumöl für die Lampe, und den Löhnen für verschiedene Tätigkeiten scheinen auch Reparaturarbeiten auf. Auch die Ausgaben für den Johannistag im Juni (24. Juni) – denn die Kapelle war dem hl. Johannes geweiht – werden genau aufgelistet. Für diesen Tag wurde jeweils ein grüner Baum gekauft und aufgestellt. Die ersten drei erhaltenen Rechnungsjahrgänge von 1726 bis 1729, der auf dem St. Ulrichs gotts Acker befindlichen Capellen, wurden durch […] Friderich Schwab, behaustern Nachbarn am Neubau geführt, von 1730 bis 1747 von seiner Witwe Rosalia Schwab und ab 1748 bis 1751 von ihrem Sohn Joseph Schwab, einem bürgerlichen Goldarbeiter. In regelmäßigen Abständen mussten Kapelle und Sakristei gereinigt, „ausgeweißt“ und die Heiligenbilder geputzt werden. Hin und wieder wurden der Turm, die Kanzel, die Kapellentür, die Fenster oder die Orgel repariert. 1728 ließ man das Thürl in gotts Acker reparieren und bezahlte den Maurer sowie den Schlosser dafür, welcher zugleich

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Abb. 4: Vogelschau von Joseph Daniel Huber 1769–1773, Ausschnitt mit dem Friedhof zu St. Ulrich. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 196.846/9,10)

auch einen neuen Schlüssel zum Turm und einen zur Kapellentür herstellte. Im selben Jahr ließ man einen neuen Rahmen samt Verglasung zur Einfassung des päpstlichen Ablasskonsenses anfertigen. 1734 bekam das „Johannesbild“ einen neuen Rahmen. 1732 war eine Glocke heruntergefallen, die dadurch verursachten Schäden mussten beseitigt werden, der Altar wurde erneuert und die Fenster ausgebessert. 65 Eine neue Friedhofsmauer wurde 1738 errichtet. 66 Das Ende des Friedhofs zu St. Ulrich Ab dem 1. Jänner 1784 wurden die Toten von St. Ulrich auf einem neu angelegten Friedhof außerhalb des Linienwalls begraben. 67 Ignaz de Luca schrieb 1794 im ersten und einzigen Band seiner Topographie von Wien, dass alle „Kirchhöfe (Freudhöfe)“ in der Stadt und in den Vorstädten geschlossen worden seien und seit dem 1. Jänner 1784 „alle Leichen außerhalb den Linien gebracht“ würden. 68 Ein Teil der Leichen der Pfarre St. Ulrich kam offenbar auf den Kirchhof vor der Hundsturmer Linie, ein anderer auf den Kirchhof der Währinger Linie. 69 Das 1784 aufgelassene Friedhofsareal wurde zunächst zu einer Wiese70 und schließlich 1790 an den Seidenfärber Lorenz Vinier verkauft, in 14 Parzellen unterteilt und mit Mietzinshäusern verbaut. 71 Als erstes ließ er das Haus Siebensterngasse 33 errichten, das den Namen „Zur Hofstatt“ oder

65 WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 4 – Rechnungen der Friedhofskapelle 1726– 1751. 66 WStLA, Pfarramt St. Ulrich – 2.6.1.3. B 1 – Kirchenrechnungen 1680–1828, 19, 1738, fol. 11v. 67 Pfarre St. Ulrich, Totenprotokoll 23, zum 1. Januar 1784: Elisabeth Geyerin, Seilerwitwe, 67 Jahre alt ist im Neüen Gotts Aker ausser den Linien begraben worden. 68 I. de Luca, Topographie von Wien 1 (Wien 1794) 493. 69 De Luca (Anm. 68) 494. 70 Bauer 2004, 257: Kaiser Joseph II. äußerte sich in einem Hofdekret vom 24. Januar 1785 zur Frage der Weiternutzung ehemaliger Friedhöfe, dass erst nach Ablauf von zehn Jahren darauf Häuser errichtet werden dürften, die Gründe jedoch schon früher als Wiesen, Gärten und Acker genutzt werden könnten. 71 Kisch 1895, 469; Rotter 1925, 125; Großstadtlärm 1938, 30.

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„Friedhofstätte“ trug. In den folgenden Jahren bis 1803 wurden auch die anderen Parzellen verbaut. 72 Die neue Gasse, die nach Auflassung des Friedhofs westlich von diesem entstand, heißt heute Zollergasse, wurde aber zunächst Totengassel oder auch Leichenhof-Gasse genannt. 73 Der Name „Totengasse“ bezeichnete im Perspektivplan von Joseph Daniel Huber aus der Zeit von 1769 bis 1773 (Abb. 4) jedoch die heute so genannte Kirchengasse. 74 Historische Ansichten und Pläne Nur auf wenigen historischen Plänen und Ansichten aus dem 18. Jahrhundert ist der Friedhof zu St. Ulrich dargestellt, von denen auf zwei hier näher eingegangen werden soll: Ein Perspektivplan der Vorstädte St. Ulrich, abgebildet in F. Dolfins „Lustra Decem Coronae Viennensis […]“ aus dem Jahr 1734 (Abb. 5), zeigt auch den Friedhof St. Ulrich, der hier – der mittelalterlichen Tradition folgend – als Cœmeterium bezeichnet wird. Er ist von einer Mauer umgeben, der Eingang lag in der heutigen Mondscheingasse nahe der Siebensterngasse. Die Friedhofskapelle zeigt sich im Stil des Barock mit Volutengiebel auf der Portalseite, Pilastergliederung und einem Zwiebelturm von quadratischem Grundriss, der sich über dem Dach der Kapelle erhebt. Wahrscheinlich ist der Bau hier – im Zentrum des Friedhofs – viel größer wiedergegeben, als er in Realität war. 72 M. Aschinger, Wo die alten St. Ulricher ruhen. Pfarrbrief der Pfarre St. Ulrich vom November 1949/1950, 6. 73 Aschinger 1920, 33. Im Plan „K. K. Polizey=Bezirk St. Ulrich“ von Carl Graf Vasques aus der Zeit nach 1830 ist der Name „Leichenhof G.“ für den nördlichen Teil der Zollergasse verzeichnet (siehe www.wien.gv.at/kultur/ kulturgut/karten/vasquez/ulrich3.html); Kisch 1895, 4; 6; 8 schreibt, dass der obere Teil der Zollergasse noch in den 20er Jahren des 19. Jh. „Leichenhofgasse“ hieß. Faber 1995, 183. 74 Siehe auch St. Ulrich, Totenprotokoll 4, 1687 Martius 26: beym Schwarzen Adler in Todengässel. 75 Faber 1995, 175 und 182. Möglicherweise bezieht sich die Bezeichnung „Am Platzl nächst den Freidhof“ auf diesen Platz (Neue Pfarreintheilung in der K. K. Haupt- und Residenzstadt Wien und allen Vorstädten inner den Linien nach der allerhöchsten Verordnung vom 25ten Hornung 1783 [Wien 1783] 66). 76 Die neue Pfarreinteilung von 1783 nennt ein Todtengassel, das der Beschreibung nach der Kirchengasse entsprechen könnte, und auch noch den zu jener Zeit bestehenden Gottesacker. Außerdem wird die Schwabengasse (heute Siebensterngasse) „gegen den Gottesacker über“ genannt: Neue Pfarreintheilung (Anm. 75) 65 f. 77 GC: 1876_07; Kisch 1895, 469; Großstadtlärm 1938, 29.

Den besten Eindruck vom einstigen Aussehen des Friedhofs dürfte die Perspektivdarstellung von Wien und den Vorstädten bis zum Linienwall („Scenographie oder Geometrisch Perspect. Abbildung der Kayl: Königl: Haubt: u: Residenz Stadt Wien in Oesterreich“) von Joseph Daniel Huber aus der Zeit von 1769 bis 1773 vermitteln (Abb. 4). Wir sehen den trapezförmigen Grundriss des Friedhofs, der mit einer Mauer umgeben war. Der Zugang erfolgte wie in der Ansicht von 1734 von der Mondscheingasse aus, nahe der Einmündung in die Siebensterngasse. Huber zeigt hier einen Platz mit dreieckigem Grundriss. Diese Erweiterung der Siebensterngasse wurde früher „Am Holzplatzl“ genannt. 75 Der Friedhof ist mit Kreuzen übersät dargestellt, die jedoch wohl weniger der Wirklichkeit entsprachen, sondern vielmehr als Signatur zu werten sind. Ein breiter Weg führt zur Kapelle, die auf der rechten hinteren Seite des Friedhofs steht. Sie ist in ähnlicher Gestalt wie auf der Ansicht von 1734, aber in etwas anderen Proportionen dargestellt. Rechts neben dem Friedhofseingang bildet ein kleines, schmales Gebäude den Abschluss zur Siebensterngasse, die als „Schwabengasse“ bezeichnet ist. 76 Dank der erhaltenen Ansichten und Rechnungen der Friedhofskapelle ergibt sich ein recht plastisches Bild des einstigen Friedhofs und seiner Kapelle. Friedhofsbefunde im 19. und 20. Jahrhundert Im Zuge von Aufgrabungen innerhalb der ehemaligen Friedhofsfläche traf man bereits im 19. und 20. Jahrhundert mehrmals auf menschliche Skelettreste (Abb. 6). 1876 wurde beim Neubau des Hauses Mondscheingasse 12 eine große Anzahl übereinandergeschichteter Totenschädel und Knochen gefunden. 77 Wilhelm Kisch schrieb 1895 über diese Entdeckung: Das Haus an der

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Abb. 5: Perspektivplan der Vorstädte St. Ulrich mit dem Friedhof St. Ulrich (Nr. 13), aus F. Dolfin, Lustra Decem Coronae Viennensis … aus dem Jahr 1734. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 105.977/4)

Ecke Mondscheingasse 12/Zollergasse 24 wurde – wie er wohl fälschlicherweise angibt – „Anfang der Achzigerjahre von Grund aus neugebaut“. In unterirdischen Gewölben traten viele menschliche Skelettreste zutage. Der hier abgebildete Holzschnitt (Abb. 7) zeigt die Abbrucharbeiten und die freiliegenden Gewölbe, die mit Schädeln und „menschlichen Gebeinen“, „bunt durcheinander gewürfelt“ verfüllt sind. 78 Möglicherweise dienten diese Gewölbe als Beinhaus, in das man die Skelettreste älterer Bestattungen, die bei einer Wiederbelegung zutage getreten waren, transferierte. 79 Circa 1937 kamen an der Ecke Zollergasse/Mondscheingasse wiederum menschliche Skelettreste zum Vorschein. 80 Auch 1935 traf man in der Zollergasse und 1967 nahe der Zollergasse 31 erneut auf ehemalige Gräber. 81 1991 wurden in der Mondscheingasse 10 sowie auf einem nicht genauer lokalisierbaren Fundplatz in der Zollergasse82 Überreste von Bestattungen geborgen. Die „K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale“ notierte 1897 den Fund menschlicher Skelette beim

78 Kisch 1895, 469. 79 Hierzu passt möglicherweise der Eintrag von 1692 in den Kirchenrechnungen (Anm. 46). 80 Großstadtlärm 1938, 29. 81 GC: 1967_07 und 1935_15; siehe www. kulturgut.wien.at. 82 GC: 1991_04 und 3002_35 (freundl. Mitt. Karin Wiltschke-Schrotta, NHM, Anthropologische Abteilung).

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Abb. 6: Friedhof St. Ulrich mit den Fundplätzen innerhalb des Areals Siebensterngasse/Mondscheingasse/Zollergasse. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Umbau der Häuser in der Mondscheingasse 8 und Siebensterngasse 35. 83 Der Bericht des k. k. Polizeiarztes Dr. M. Landesmann vom 18. März 1897 liegt diesem Akt bei. Er teilte mit, „dass in dem derzeit in Umgrabung befindlichen Erdreich bei den Umbauten der Häuser VII. Mondscheing. 8 u. VII. 7sterng. 35 bereits mehr als 10 Säcke voll menschlicher Knochen gefunden worden sind, die am Centralfriedhof wieder beigesetzt worden u. dass noch fortwährend zahlreiche Skelettheile daselbst gefunden werden. Bei der Abgrabung des Erdreiches VII. Mondscheing. 8 sind (in ähnlicher Weise wie bei einem geologischen Aufschlusse) derzeit zahlreiche Querschnitte von Holzsärgen sichtbar, Kreise von röthlich-braunem, morschem Holze, welche menschliche Skelettheile umschliessen. Effekten sind bisher noch nicht gefunden worden. Bei dem Hause 7sterng. 35 sind nach der Angabe des Poliers einige Skelette von gelöschtem Kalk bedeckt gefunden worden (Sollte dies auf die von Kaiser Josef II. erlassene Vorschrift, die Leichen mit Kalk zu bedecken, zurückzuführen sein?).“ Matthäus Much, Konservator der „K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale“ in Wien, fasste daraufhin zusammen, dass die Beschreibung der Funde und Fundverhältnisse deutlich mache, dass es sich „nicht um prähistorische Reste, sondern um einen christlichen Friedhof handelt, der für die lokale Geschichte von Wien nicht ohne Interesse 83 GC: 1897_58 und 1897_59; siehe www. kulturgut.wien.at. 84 Akt der K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, Zl. 562 vom 24.3. 1897, Ortsakten BDA, Abteilung für Bodendenkmale. 85 Das Gehniveau im Hof liegt bei 45,94 m über Wr. Null.

sein dürfte“. 84 Die Grabung Zollergasse 32 – Befundbeschreibung (Abb. 8) In der Baugrube für den Lift im Hof des Hauses Zollergasse 32, die die Ausmaße von 2,8063,10 m und eine Tiefe bis zu 43,04 m über Wr. Null85 hatte, traf man während der Aushubarbeiten auf menschliche Skelettreste. Die daraufhin

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Abb. 7: „Das Massengrab in der Mondscheingasse“. (nach Kisch 1895, Fig. 169)

erfolgte archäologische Untersuchung erbrachte eine große Anzahl dislozierter menschlicher Knochen, Reste von sechs intakten Gräbern sowie Beigaben, vereinzelt auch Kleidungs- und Sargbestandteile. Erdschichten Oberhalb der „Friedhofsschicht“ wurde eine heterogene, feste und feuchte Schicht angetroffen, die sich unter der Hofoberfläche bis in eine Tiefe von ca. 1,35 m verfolgen ließ. Diese Schicht war bereits durch Künetten für Abwasserkanäle gestört und dürfte der Wohnbauära dieses Areals, also der Zeit um/nach 1800 zuzuordnen sein. Sie war lehmig und beinhaltete viele Ziegelfragmente, Kalk- und Mörtelreste, kleine Kiesel, umgelagerte menschliche Knochen, wenige neuzeitliche Keramik- und Porzellanscherben und einige kleinteilige Fensterglas- und Flaschenbruchstücke, vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert. Die grau- bis hellbraune, lehmig-lössige Friedhofsschicht war ab ca. 1,35 m unter Hofniveau zu beobachten. Sie enthielt wenige Einschlüsse, ihr Lössanteil stieg mit zunehmender Tiefe. Diese Schicht wiederum wurde von Mehrfachbelegungen sowie durch Baumaßnahmen nach Aufgabe des Friedhofs – wie dem Anlegen der Baugrube für das Wohnhaus sowie der Künetten für die Abwasserkanäle – gestört. In dieser Schicht befanden sich die Reste von sechs Gräbern sowie umgelagerte menschliche Knochen, Sargbestandteile, Keramikfragmente und weitere Kleinfunde.

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Die Gräber Alle Skelette befanden sich in gestreckter Rückenlage und wiesen eine West-Ost-Ausrichtung auf, d. h. der Kopf lag im Westen mit Blick nach Osten. Diese Orientierung entspricht der für christliche Bestattungen üblichen Art, denn aus dem Osten erwartete man die Wiederkehr Christi am Jüngsten Tag. Grab 1 Archäologischer Befund Die Reste des Grabes 1 lagen direkt an der westlichen Baugrubenkante in einer Tiefe von ca. 43,59 m über Wr. Null, wo unmittelbar die Mauer des Hauses Zollergasse 32 anschloss. Die Knochen des Oberkörpers und ein Teil des Schädels befanden sich noch in situ. Der Rest der Bestattung war nicht mehr erhalten. Hand- und Fingerglieder waren bereits großteils disloziert. Das Skelett lag auf einem dünnen, schlecht erhaltenen Holzbrett. Darunter wurde Löss festgestellt. Beigaben/Beifunde Die Reste einer um das Handgelenk gelegten Perlenkette dürften als Rosenkranz zu interpretieren sein. Insgesamt waren es 20 Perlen (12 Ave-Maria-Perlen aus poliertem Bein in doppelkonischer Form mit max. Dm 0,6 cm, drei kugelförmige Paternosterperlen mit Dm 0,8 cm sowie fünf kleinere Perlen aus Buntmetall mit max. Dm 0,4 cm, die urAbb. 8: Übersichtsplan der Grabung Zollergasse 32 mit den Gräbern 1 bis 6. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

sprünglich wohl zur Absetzung der Paternosterperlen aufgefädelt waren; Inv.-Nr. MV 74603/1). Es wurden auch Reste von Fäden, die zu einer Schnur gehört haben dürften, aufgefunden. Wahrscheinlich waren die

Perlen ursprünglich auf einen Metallfaden (Lahn) gefädelt, der die Grünfärbung der Knochen und der Perlen aus Bein verursachte. Im Halsbereich fand sich ein kleiner Gewandhaken (Inv.Nr. MV 74603/2), ein sog. Haftel, das möglicherweise zum Verschließen eines Hemdchens diente. Anthropologischer Befund Die gestörten Überreste aus Grab 1 gehören zu einem etwa acht bis neun Jahre alten Kind. 86 Erhalten sind Teile des Schädels, des rechten Beckens sowie der rechten oberen Extremität. Sowohl an den Milchzähnen als auch an den Dauerzähnen weist das Kind deutliche Schmelzhypoplasien auf, darüber hinaus lassen sich keine Anzeichen einer Erkrankung feststellen.

Grab 2 Archäologischer Befund 86 Die Alters- und Geschlechtsbestimmung an den adulten und subadulten Individuen wurde ausschließlich morphognostisch nach den in der physischen Anthropologie üblichen Methoden durchgeführt, zusammengefasst in D. Ferembach/I. Schwidetzky/M. Stloukal, Empfehlungen für die Alters- und Geschlechtsdiagnose am Skelett. Homo 30, 1979, 1–32 sowie J. E. Buikstra/D. H. Ubelaker (eds.), Standards for Data Collection from Human Skeletal Remains. Arkansas Arch. Survey Research Ser. 44 (Fayetteville 1994).

Das bei 43,49 m über Wr. Null aufgefundene Grab war nicht mehr komplett erhalten. Der Schädel wurde im Zuge der Verlegung eines Abwasserkanals disloziert. Es wurden Fragmente eines hölzernen Sarges (erh. Länge 1,40 m; Breite des Fußendes 0,26 m; Breite des Kopfendes 0,50 m) beobachtet, auch Reste des Deckels waren erhalten. Beigaben/Beifunde Es wurden keine Funde festgestellt. Anthropologischer Befund Grab 2 beinhaltete ein etwa 10–15 Jahre altes juveniles Individuum. Das Geschlecht ließ sich aufgrund des Sterbealters und des fragmentarischen Erhaltungszustandes nicht mehr ermitteln. Erhalten ist das gesamte Postkranium mit Ausnahme der Wirbelsäule.

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Abb. 9: Gnadenmedaille Christus-Maria aus Grab 3.

Grab 3 Archäologischer Befund Grab 3 lag direkt im nördlichen Baugrubenprofil, so dass nur ein Teil des Skeletts freigelegt werden konnte. Das Grab befand sich in einer Tiefe von 2,80 m unter Hofniveau (ca. 43,14 m über Wr. Null) und wies ein Holzbrett unter dem Skelett auf. Auch diese Bestattung war im Bereich des Schädels gestört, was vermutlich mit dem Anlegen der Baugrube für das Wohnhaus in Zusammenhang zu bringen ist. Beigaben/Beifunde Im Beckenbereich wurde eine Gnadenmedaille Christus-Maria (Kupferlegierung gegossen, hochoval, 2,663,4 cm; Inv.-Nr. MV 74604) in situ angetroffen (Abb. 9). Reste dreier Noppen sind ansatzweise zu erkennen. Die Öse ist abgebrochen. Auf der Vorderseite sind im Vordergrund eine Christusbüste mit Heiligenschein und dahinter eine Marienbüste mit Schleier und Heiligenschein mit dem Blick nach rechts dargestellt. Auf der Rückseite findet sich Christus am Kreuz mit kirchlichem Wetterexorzismus (Jesus Christus rex gloriae venit in pace […]). 87 Ein ähnliches Exemplar einer Christus-Maria-Medaille aus Kleinmariazell wird in die zweite Hälfte des 17./18. Jahrhunderts datiert. 88 Anthropologischer Befund Grab 3 enthielt die gut erhaltenen Reste der linken oberen Extremität und Teile des Stammskelettes eines erwachsenen Individuums. Da keine geschlechtsspezifischen Merkmale mehr vorhanden waren, konnte dieses nicht mehr ermittelt werden. Das Alter lässt sich lediglich grob zwischen 30 und 50 Jahren eingrenzen. Besondere Pathologien waren nicht festzustellen.

Grab 4 Archäologischer Befund Reste eines weiteren Grabes kamen bei einer Tiefe von 43,04 m über Wr. Null zum Vorschein. Unter dem Skelett wurde ein Holzbrett festgestellt. Am linken Knie konnte eine Grünfärbung des Knochens beobachtet werden, was auf die einstige Lage eines nicht mehr erhaltenen Buntmetallobjektes hindeuten dürfte. Beigaben/Beifunde Es konnten keine Beifunde bzw. Beigaben geborgen werden.

87 H. Dimt, „Haus- und Schutzbrief aus der Schloßkapelle Weinberg. JbOÖMV 132, 1987, 78. 88 Fundort Kloster. Archäologie im Klösterreich. Ausstellungskat. Stift Altenburg 1. Mai bis 1. November 2000. FÖMat A 8 (Horn 2000) 302 f. Kat.-Nr. 28.34 mit Abb. S. 303: Kleinmariazell, Grab 31/1; Bronze, gegossen, hochoval, 2,762,2 cm, Öse; auf der Vorderseite Christusbüste und Marienbüste mit Schleier nach links, auf der Rückseite Kreuzigung mit vollständigem Wetterexorzismus.

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Abb. 10: Grab 5 während der Freilegung, Blick nach Süden. (Foto: H. Krause)

Anthropologischer Befund In Grab 4 fand sich das unvollständige Skelett eines weiblichen Individuums, das im Alter zwischen 25 und 40 Jahren verstarb. Vorhanden sind Teile der unteren Extremität, die aufgrund der Bestattung in einem Holzsarg deutlich schlechter erhalten sind als Knochen sargloser Bestattungen. Die Knochen weisen keine weiteren Besonderheiten auf.

Grab 5 (Abb. 10) Archäologischer Befund Grab 5 war das vollständigste von allen untersuchten Gräbern. Es befand sich unter Grab 2 in einer Tiefe von ca. 43,09 m über Wr. Null. Die Reste vom hölzernen Sarg, vom Unterteil, den Wänden und auch vom Deckel sowie Sargnägel waren noch in situ erhalten. Die Knochen wiesen einen schlechten Erhaltungszustand auf. Beigaben/Beifunde Es wurden Reste feiner, bronzefarbener Fäden (Lahn) auf dem Schädeldach beobachtet, die vielleicht von einer einstigen Totenkrone oder -haube stammten. 89 Eine kugelförmige Perle (opakes, blauschwarzes Glas mit Dm 0,98 cm; Inv.-Nr. MV 74609/1) fand sich im Bauchbereich. Aus dem Grab stammen außerdem eine weitere kugelförmige Perle aus graublauem, milchigem Glas (Dm 0,7 cm; Inv.-Nr. MV 74609/2) sowie eine aus Bein (Dm 0,5 cm; Inv.-Nr. MV 74609/3) und der Rest einer kleinen Metallnadel mit kugelförmigem Kopf (erh. Länge 0,8 cm; Inv.-Nr. MV 74609/ 4) sowie fremdes Knochenmaterial anderer ehemaliger Bestattungen. Unterhalb des Hüft- und Bauchbereichs lag ein weiterer dislozierter Oberschenkelknochen. Anthropologischer Befund In Grab 5 fand sich die Bestattung einer etwa 30 bis 40 Jahre alten Frau. Mit einer errechneten Körperhöhe von etwa 1,50 m war die Frau klein, was möglicherweise auf mangelbedingte 89 Vgl. dazu: M. Ullermann, Ausstattung und Kleidung der Toten in der Michaeler Gruft. In: A. Rainer (Hrsg.), Die Michaeler Gruft in Wien. Retten, was zu retten ist (Wien 2005) 66 f.; J. Lippok, „Bei den Toten unten …“ – Ergebnisse einer archäologischen Annäherung. In: Totenhochzeit mit Kranz und Krone. Zur Symbolik im Brauchtum des Ledigenbegräbnisses. Hrsg. vom Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur Kassel (Kassel 2007) 253–277.

Wachstumsstörungen (siehe unten), die sich an den Langknochen der unteren Extremität manifestierten, zurückzuführen sein könnte. Die stark deformierten Oberschenkel der Frau aus Grab 5 deuten darauf, dass die Frau im Kindesalter an einer Rachitis (chronischer Vitamin-D-Mangel) litt. Darüber hinaus finden sich an der Innenseite der Rippen Knochenneubildungen, die durch eine länger zurückliegende Entzündung der Lungenpleura verursacht wurden. Am Unterkiefer konnten Knochenneubildungen festgestellt werden, die auf eine, zum Zeitpunkt des Todes noch bestehende Entzündung im Bereich des Nervus alveolaris zurückzuführen sind und mit Erkrankungen der Zähne in Zusammenhang stehen dürften.

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Abb. 11: Wallfahrtsmedaille Mariazell/Maria Taferl.

Grab 6 Archäologischer Befund Der Überrest (Knochen der Wirbelsäule) eines weiteren Grabes lag unmittelbar an der nördlichen Baugrubenkante ungefähr in gleicher Tiefe wie die Gräber 4 und 5. Auch hier zeigten sich Holzbretter als Teile eines Sarges. Knochen dieses Grabes wurden nicht geborgen, Beigaben traten nicht zutage.

Funde aus der Friedhofsschicht Es wurden auch Beigaben(-reste) geborgen, die sich in der Friedhofsschicht, d. h. nicht mehr in situ befanden, aber ehemaligen Bestattungen zuzuordnen sein dürften. Wallfahrtsmedaille Dazu gehört eine Wallfahrtsmedaille Mariazell/Maria Taferl (Abb. 11; Inv.-Nr. MV 74606), die aus dem Umfeld der Gräber 4 und 5 stammte. Sie ist aus Buntmetall gegossen und hat eine ovale Form (1,962,2 cm) mit einer Öse als Anhängevorrichtung (0,7 cm). Auf der Vorderseite ist die Mariazeller Madonna dargestellt: Maria mit Mantel und Kind auf dem Arm, beide gekrönt, im Prachtgewand; Umschrift: S. MARIA ZELL. Auf der Rückseite findet sich eine PietàDarstellung vor einem Baum. Die bekrönte Maria, in langem Gewand und mit Schleier, betrachtet den tot auf ihrem Schoß liegenden Christus mit Heiligenschein. Von der Umschrift ist nur noch TAF lesbar. Diese Medaille ist anhand von Analogien wohl ins 18. Jahrhundert zu datieren. 90 Breverl Erwähnenswert ist der Fund eines leider schlecht erhaltenen Papierrestes mit Druckgrafik, auf dem die Wörter Maria vobis zu lesen sind (Abb. 12; Inv.-Nr. MV 74602/1). Er haftete auf einem ca. 262 cm großen, 2 mm starken, weißen, leichten und fragilen Plättchen (Gips?) und weist eine Grünfärbung auf, die von einem nicht mehr erhaltenen Objekt aus einer Kupferlegierung stammen könn-

90 Vgl. Fassbinder (Anm. 17) 479 Nr. 186 und Taf. 11,3.

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te, in dem sich dieses Gebetstextfragment ursprünglich befand. Diese Reste dürften einst zu einem sog. Breverl gehört haben. Ein Breverl ist ein Komposit-Amulett, das – quasi als „geistliche Hausapotheke“91 am Körper getragen – vor Unheil aller Art schützen sollte. Es wurde in einer Hülle aufbewahrt oder in ein Leinensäckchen eingenäht und beinhaltete in der Regel gefaltete Bögen mit Heiligenbildchen, Gebetszettel, zuweilen aber auch Kräuter, Reliquien bzw. Sekundärreliquien. 92 Bis ins 18. Jahrhundert Abb. 12: Rest eines Breverls, Gebetstextfragment aus Papier. (Foto: H. Krause)

waren sie hauptsächlich in Metallkapseln eingeschlossen, vereinzelt in Leder oder Stoffe, in der ersten Hälfte des

19. Jahrhunderts kommen vermehrt Stoff- und Papierbreverl vor. 93 Der Beginn des Breverlbrauchtums ist nach Roland Halbritter bis ins 14. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Die größte Popularität erfuhren die Breverl jedoch im 18. Jahrhundert. 94 Verbreitet waren sie vor allem in Österreich, Südtirol, Süddeutschland und der Schweiz. Ein unserem Fund vergleichbares Objekt stammt aus einem Grab aus Klostermarienberg. Dieses Breverl wird in das 18. Jahrhundert datiert. In einer rechteckigen Bronzeblechhülse von 3,662,8 cm, dessen Sichtfenster mit orangefarbenem Glas abgedeckt war, befindet sich ein Papierbildchen mit dem Gnadenbild von Maria Taferl. Die Umschrift lautet: Jesus et Maria vobis cor cum anima mea. 95 Somit ergäbe sich für unser Fundstück in Analogie eine Datierung ins 18. Jahrhundert. Perlen Weiters kamen sechs kugelförmige Perlen unterschiedlicher Größe aus Bein (fünf von ihnen poliert und grün gefärbt, zum Teil mit Fadenrest, Dm 0,5– 0,74 cm) und Glas (opak, weiß mit Dm 0,4 cm) zutage, die sicherlich einst zu Rosenkränzen gehörten (Inv.-Nr. MV 74602/2). Schmuckeinsatzstein Ein ovaler, einseitig gewölbter Einsatzstein (Dm 0,5–0,6 cm) aus dunkelsmaragdgrünem, transparentem Glas dürfte zu einem Schmuckstück gehört haben (Inv.-Nr. MV 74601/1). Gewandhaken Reste eines weiteren Gewandhakens und einer Öse aus Bronze, die wohl zum Verschließen eines Totengewandes gehörten, wurden ebenfalls gefunden (Inv.91 P. Ochsenbein, Zur Typologie der Breverl. Über ein in St. Gallen 1996 aufgefundenes Exemplar. ÖZV 103/1, 2000, 65. 92 Halbritter 2004, 64 f. 93 Halbritter 2004, 66. 94 Halbritter 2004, 61–82 bes. 64. 95 Fundort Kloster (Anm. 88) 308 f. Kat.-Nr. 28.62: Klostermarienberg, Grab 537, Inv.-Nr. 1042.

Nr. MV 74601). Särge, Sargnägel, Beschläge Als Reste von Särgen wurden zahlreiche eiserne Sargnägel, wahrscheinlich auch einige korrodierte, fragmentierte Eisenbeschläge (Inv.-Nr. MV 74602) und Holzbretter beobachtet, die im Zuge neu angelegter Bestattungen in älteren Gräbern in die Friedhofsverfüllung gelangten.

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Abb. 13: Produktionsabfälle der Knopfherstellung und ein fragmentiertes Beinplättchen. (Foto: H. Krause)

Weitere Funde ohne Befundzuordnung Weiters wurden Funde aus dem Aushub geborgen, die nicht mit der Funktion des Friedhofs in Zusammenhang stehen. Zum Beispiel fanden sich drei Abfallreste von beinverarbeitendem Handwerk. Es handelt sich dabei um Knochenleisten mit zylindrischen Durchbohrungen. Sie sind sicherlich als Überreste der Knopfherstellung zu interpretieren. Schriftliche Hinweise auf Knopfmacher in St. Ulrich finden sich in den Totenprotokollen der Pfarre St. Ulrich. Ein geglättetes, ursprünglich wohl kreisrundes Beinplätt-

Abb. 14: Rest eines Tafelaufsatzes aus dem 19. Jahrhundert. (Foto: H. Krause, Zeichnung: G. Reichhalter)

chen mit einem Durchmesser von 2,8 cm dürfte zerbrochen sein, so dass nur noch ein annähernd halbkreisförmiger Überrest geborgen wurde (Abb. 13; Inv.-Nr. MV 74602/3–4). Nur wenige Keramikfragmente vom späten Mittelalter, von der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert wurden geborgen. Bei der mittelalterlichen Keramik handelt es sich durchwegs um unsignifikante reduzierend gebrannte Fragmente. Bruchstücke von Irdenware aus dem 18./19. Jahrhundert zeigen die typischen Kremp- und Kragenränder sowie innenseitige Glasur. Unter den Fayence-, Steingut- und Porzellanscherben tragen einige Stücke das sog. Wiener Muster und ein Fragment weist Streublümchendekor auf. Aus dem 19. Jahrhundert stammt ein Porzellanfragment (Abb. 14; Inv.-Nr. MV 74602/5), bei dem es sich vermutlich um ein Stück eines Tafelaufsatzes – ein dekoratives Element der Tischkultur – handelt. Ein kleiner Teil der ehemals sehr komplexen Verzierung lässt noch erkennen, dass es sich bei der Oberflächengestaltung um blaue Unterglasurbemalung (Grotesken) handelt. Dargestellt sind eine auf einem Bauwerk erhöht stehende Figur mit einem Stab in der rechten Hand sowie Kopf und Hals eines vogelartigen Fabelwesens. Weiters wurden 18 Glasfragmente geborgen, von denen 14 von ehemaligen, ursprünglich transparenten grünweißen Fenstergläsern, vier von Flaschen (drei davon grün, eine braun) stammen dürften, die ins 19./20. Jahrhundert weisen. Außerdem deutet ein Glasschlackerest auf Werkstattabfall hin. 96

96 Für die Bestimmung der Keramik- und Porzellanfragmente danken wir herzlich I. Gaisbauer, für die Bestimmung der Glasobjekte K. Tarcsay, beide Stadtarchäologie Wien.

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Zusammenfassung und Interpretation Die vorgefundenen Grabbeigaben wie Rosenkränze,Wallfahrts- bzw. Gnadenmedaillen sind als Devotionalien anzusprechen und als „Ausweis der Frömmigkeit des Verstorbenen“ anzusehen. 97 Das nur spärlich vorhandene Fundmaterial erlaubt keine präzise Datierung. Die anhand von Analogien abgeleitete grobe zeitliche Einordnung der aufgefundenen Objekte aus den Gräbern deckt sich mit den Daten aus der schriftlichen Überlieferung über den Bestand des Friedhofs. Darüber hinaus fanden sich Artefakte, die entweder in die Verfüllung des Friedhofs gelangten oder aus der Aufsiedlungszeit des Areals nach Aufgabe des Friedhofs stammen. Die Gräber 2, 4, 5 und 6 bilden annähernd eine Grabreihe, wobei Grab 2 über dem Grab 5 liegt. Die zahlreichen dislozierten menschlichen Knochen in der Friedhofsverfüllung sprechen für eine frequente Wiederbelegung des Friedhofs während seiner annähernd 200 Jahre währenden Existenz. Die Grabung Zollergasse 32 – Paläopathologische Auswertung der dislozierten menschlichen Knochen Individuenzahl Insgesamt konnten in dem 9 m2 großen Areal etwa 2500 einzelne, dislozierte Knochen und Knochenfragmente aus älteren, gestörten Gräbern geborgen und bestimmt werden. Die genaue Anzahl der Individuen lässt sich bei vermischten Skelettresten, insbesondere bei derart großen Mengen an einzelnen Knochenelementen, nicht mehr ermitteln. Es bleibt lediglich die Möglichkeit eine Mindestanzahl an Individuen abzuschätzen98. Abbildung 15 und Tabelle 1 zeigen die Verteilung der aufgefundenen Knochenelemente. Basierend auf der Anzahl der Unterkieferknochen stammen die geborgenen menschlichen Überreste von zumindest 41 Erwachsenen sowie, basierend auf der Anzahl der Oberschenkelknochen, von mindestens 32 Kindern. Die wahre Anzahl der Individuen könnte jedoch weit höher liegen. Element Schädel Clavicula Scapula Humerus Ulna Radius Kleine Extremitätenknochen Hand

% 16,0% 2,3% 2,8% 4,0% 3,9% 4,0% 6,4%

Element Rippen Wirbel Becken Femur Tibia Fibula Kleine Extremitätenknochen Fuß

% 13,4% 18,4% 6,9% 6,5% 4,0% 2,6% 8,8%

Tab. 1: Verteilung der Knochenelemente unter den dislozierten Knochen.

Sterbealter Bei den Skelettresten der Kinder konnten insgesamt 119 Elemente zur Sterbealterbestimmung herangezogen werden (Abb. 16). Die Kindersterblichkeit ist ein sehr wichtiger Indikator für die Lebensbedingungen einer Bevölkerung. Zwar lässt sich über die genaue Frequenz der Kindersterblichkeit in St. Ulrich keine Aussage mehr treffen, die große Anzahl von Individuen lässt allerdings 97 LexBestattung 2, 129. 98 T. D. White/P. A. Folkens, Human Osteology2 (San Diego et al. 2000) 292 f.

vermuten, dass diese relativ hoch gewesen sein dürfte. Wichtige Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen lassen sich auch aus der Altersverteilung der verstorbenen Kinder ziehen. Unter schlechten wirtschaftlichen, sozialen und hy-

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Abb. 15: Verteilung der Knochenelemente unter den dislozierten Knochen.

gienischen Bedingungen ist das Risiko, an einer Infektionskrankheit oder an Mangelernährung zu sterben, in den ersten fünf Lebensjahren am größten, da das Immunsystem noch nicht vollständig entwickelt ist. Zusätzliche Hürden innerhalb dieses Zeitraums sind der erste Lebensmonat sowie der Zeitpunkt des Abstillens, an dem die Nahrungsumstellung zu Verdauungsstörungen und Durchfallerkrankungen führen kann. 99 Der hohe Anteil an Säuglings- und Kleinkinderbestattungen sowie der geringe Anteil von verstorbenen Kindern über 5 Jahre, die bei den menschlichen Überresten aus dem St.-Ulrichs-Friedhof festgestellt werden konnten, entsprechen dem typischen Muster von Bevölkerungsgruppen unter ungünstigen Lebensbedingungen. 100 Interessant ist das Vorhandensein einer größeren Anzahl an Knochen von Frühgeburten. Föten sind im archäologischen Befund aus taphonomischen, methodischen oder kulturellen Gründen generell eher selten anzutreffen. 101 Im christlichen Zentraleuropa war nach spätmittelalterlichem Kirchenrecht die Bestattung von ungetauften Kindern innerhalb des geweihten Friedhofs eigentlich nicht gestattet. 102 Trotzdem finden sich in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Friedhöfen immer wieder auch Föten, die entweder in eigens geschaffenen, nicht geweihten Bereichen des Friedhofs bestattet wurden oder die zeigen, dass man in der Realität von den Bestimmungen des Kirchenrechts abwich. Bei den Skelettresten der erwachsenen Individuen wurde ebenfalls versucht, ein annäherndes Mortalitätsprofil zu erstellen, wobei in den meisten Fällen lediglich die Zähne zur Sterbealterbestimmung herangezogen werden konnten. Dies erwies sich jedoch insofern als schwierig, als der Prozentsatz an intravitalem Zahnausfall insbesondere im Bereich der zur Altersbestimmung herangezogenen Backenzähne sehr hoch lag. Darüber hinaus ist die Sterbealterbestimmung allein anhand des Abkauungsgrades der Zähne problematisch, da

99 M. A. Katzenberg/S. A. Herring/S. R. Saunders, Weaning and Infant Mortality. Evaluating the Skeletal Evidence. Yearbook Physical Anthr. 39, 1996, 177–199. 100 Website der WHO: www.who.int/featu res/qa/13/en/index.html (25.11. 2008). 101 M. W. Tocheri et al., Roman Period Fetal Skeletons from the East Cemetery (Kellis 2) of Kellis, Egypt. Internat. Journal Osteoarch. 15, 2005, 326–341. 102 Illi 1992, 57.

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Abb. 16: Sterbealterverteilung der Kinder.

zahlreiche Faktoren wie Art und Zusammensetzung der Nahrung, Kieferfehlstellungen oder genetische Veranlagung diese stark beeinflussen können und die Schlussfolgerungen daher in Abwesenheit weiterer altersspezifischer Merkmale nur eine beschränkte Gültigkeit haben. 103 Von 37 bestimmbaren Unterkieferfragmenten waren bei elf sämtliche Molaren bereits zu Lebzeiten ausgefallen. Inwieweit der hohe Prozentsatz an intravitalem Zahnausfall auf ein generell hohes Sterbealter schließen lässt oder vielmehr Zeugnis von schlechter Zahnhygiene ist, lässt sich aufgrund des weitgehenden Fehlens anderer Altersbestimmungsmerkmale nicht mit Sicherheit sagen. Auch die Geschlechtsbestimmung anhand isolierter Knochen oder Knochenelemente ist immer mit gewisser Vorsicht zu betrachten, da hier ebenfalls große Variabilität herrschen kann. Basierend auf den Beckenknochen, die das relativ sicherste Element darstellen, um das Geschlecht eines Menschen am Skelett zu bestimmen104, befanden sich 13 Männer und sieben Frauen unter den geborgenen Bestattungsresten. Die paläopathologischen Befunde Einige Vorbemerkungen Der Gesundheitszustand eines Menschen lässt sich auch Jahrhunderte nach dem Tod anhand bestimmter Veränderungen am Skelett nachvollziehen, da sich manche Infektionskrankheiten, Mangelerscheinungen, aber auch Belastungszeichen auf die Knochen auswirken können. Der Wissenschaftszweig, der sich mit der Erforschung von Krankheiten an Skelettresten befasst, wird als Paläopathologie bezeichnet. Eine der großen Schwierigkeiten in der paläopathologischen Diagnostik ist die Tatsache, dass der Knochen lediglich sehr begrenzte Möglichkeiten hat, auf Krankheitsreize zu reagieren und daher unterschiedliche Ursachen die gleichen oder sehr ähnliche Veränderungen an den 103 A. Chamberlain, Demography in Archaeology (Cambridge et al. 2006) 105; 108 f. 104 Chamberlain (Anm. 103) 35. 105 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 101–103.

Knochen hervorrufen können. In solchen Fällen können sich differentialdiagnostische Hinweise aus zusätzlichen, spezifischeren Veränderungen an anderen Stellen des Skelettes und/oder Verteilungsmustern am Skelett gewinnen lassen. 105 Trotzdem bleibt oftmals nur die Möglichkeit, zwar eine krankhafte

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Veränderung festzustellen, deren genauere Ursache jedoch nicht bestimmen zu können. Dieser Umstand kommt bei isolierten Knochen besonders schwer zum Tragen, da sich über Verteilung oder zusätzliche diagnostische Merkmale keine Aussagen mehr treffen lassen können. Darüber hinaus liegt das primäre Ziel der Paläopathologie nicht in der Fallbeschreibung einzelner Krankheiten, sondern in der Analyse von Krankheitshäufigkeiten und -verteilungen auf der Ebene von Bevölkerungsgruppen, da dies Aussagen über soziale, hygienische, wirtschaftliche oder auch klimatische Bedingungen zulässt. 106 Um gültige Rückschlüsse zu ermöglichen, müssen auch Faktoren wie Alter und Geschlecht der/des Kranken miteinbezogen werden, da ohne das Wissen um diese Parameter epidemiologische Aussagen in vielen Fällen nicht zu treffen sind. Aus diesem Grund ist bei den menschlichen Überresten aus dem St.-Ulrichs-Friedhof eine systematische Auswertung der Pathologien auf Populationsebene nur sehr begrenzt möglich. Im Folgenden werden daher in erster Linie einzelne Fälle beschrieben und die differentialdiagnostischen Möglichkeiten diskutiert. Säuglingssterblichkeit Der Anteil an Säuglings- und Kleinkinderknochen der in der Zollergasse geborgenen Skelettreste entspricht mit 33,61% respektive 37,82% dem normalen Spektrum für urbane Unterschichten der frühen Neuzeit. Hinweise auf mögliche Todesursachen der verstorbenen Kinder lassen sich hauptsächlich an den Schädelknochen feststellen, von denen 34% Krankheitszeichen aufwiesen. Pathologische Veränderungen finden sich in Form von Porosierungen an den Außenflächen des Schädeldaches und im Bereich des Orbitadaches sowie von Knochenneubildungen, die sowohl im Schädelinneren als auch außen auftraten. Endokranial waren diese vor allem im Bereich der großen venösen Hirnblutleiter zu finden (insbesondere Sulcus sinus saggitalis und transversus). Die Knochenneubildungen an der Lamina interna können auf entzündliche oder hämorraghische Prozesse im Sinne eines epiduralen Hämatoms zurückzuführen sein, wobei eine Abgrenzung zumeist nur durch eine mikroskopische Untersuchung möglich ist. 107 Unterschiedliche Ursachen kommen für die Entstehung dieser pathologischen Veränderungen infrage. Die Tatsache, dass es sich um isolierte Knochen handelt und daher weitere differentialdiagnostische Merkmale fehlen, erschwert somit eine genauere Diagnose. Ursachen für einen hämorraghischen Ursprung (Blutung) der beobachteten Veränderungen können Traumata (beispielsweise im Zuge der Geburt, durch Unfall oder Kindesmisshandlung) oder Mangelerkrankungen (Vitamin-C-Mangel) sein. 108 Entzündliche Prozesse können durch verschiedene Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Brucellose, Meningitis sowie Rachitis ausgelöst werden. Aufgrund dieser Vielzahl an differentialdiagnostischen Möglichkeiten und dem Fehlen von Merkmalen, die eine Abgrenzung erlauben würden, ist es oftmals selbst bei vollständigen Skeletten nicht möglich, die beobachteten Läsionen bestimmten Krankheitsbildern zuzuordnen. Aus diesem Grund ist die Aussagekraft solcher Veränderungen zumeist sehr begrenzt. 109 Nichtsdestotrotz machen ihr häufi-

106 Larsen 1997, 3 f. 107 W.-R. Teegen/M. Schultz, Die Kinderskelete von der frühgeschichtlichen Wurt Elisenhof. Ergebnisse einer paläopathologischen Untersuchung. In: P. Westphalen, Die Kleinfunde aus der frühgeschichtlichen Wurt Elisenhof. Stud. Küstenarch. Schleswig-Holstein A 7 (Neumünster 1999) 234–303. 108 M. Schultz, Paleohistopathology of Bone. A New Approach to the Study of Ancient Diseases. Yearbook Physical Anthr. 44, 2001, 106–147. 109 M. E. Lewis, Endocranial Lesions in Nonadult Skeletons. Understanding Their Aetiology. Internat. Journal Osteoarch. 14/2, 2004, 82–97.

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ges Auftreten sowie die hohe Anzahl von verstorbenen Kindern in der Gruppe deutlich, dass das Lebensumfeld ein sehr ungesundes war. Mangelerkrankungen Zu den auffälligsten Pathologien, die unter den menschlichen Überresten aus dem St.-Ulrichs-Friedhof festgestellt werden konnten, zählen mehrere Fälle von Rachitis, die sich durch stark deformierte Langknochen an oberer und unterer Extremität manifestiert. Rachitis bezeichnet einen chronischen Mangel an Vitamin D, welches eine wichtige Rolle bei der Einlagerung von Calcium in Knochen spielt. Kommt es bei heranwachsenden Kindern zu einem Mangel, werden die Knochen nicht richtig mineralisiert, wodurch es durch den Druck auf die Langknochen zu den charakteristischen Deformierungen an ihnen kommen kann. Die Position der Langknochen kann dabei Auskunft über den Zeitpunkt des Einsetzens der Krankheit geben, da bei Kindern, die bereits gehen können, die Knochen der unteren Extremität betroffen sind, während bei krabbelnden Kindern die Knochen der oberen Extremität der höchsten Belastung unterworfen sind. 110 Da Rachitis an sich nicht letal ist, können sich die Deformationen, wenn die Erkrankung längere Zeit zurückliegt, entweder zurückbilden oder bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben. 111 Zum letzten Fall gehört das relativ vollständige weibliche Individuum in Grab 5, bei dem die Langknochen der unteren Extremität eine deutliche Krümmung aufweisen (siehe oben). Ausgelöst wird die Erkrankung im Normalfall nicht durch mangelnde Aufnahme von Vitamin D durch die Nahrung, sondern durch einen Mangel an UV-Strahlung, die der Körper benötigt, um Vitamin D verarbeiten zu können. Daher war Rachitis besonders in den frühindustriellen Städten Englands und Nordeuropas, in denen die Kinder durch die enge Verbauung und die starke Luftverschmutzung kaum der Sonne ausgesetzt waren, ein verbreitetes Problem. So gibt es Schätzungen, nach denen im 19. und frühen 20. Jahrhundert über 90% der Kleinkinder an dieser Erkrankung litten. 112 Wien und seine Vorstädte dürften in dieser Hinsicht keine Ausnahme dargestellt haben, denn das Fehlen von Sonnenlicht in den engen Gassen zwischen den hohen Häusern findet 110 D. J. Ortner/S. Mays, Dry-bone Manifestations of Rickets in Infancy and Early Childhood. Internat. Journal Osteoarch. 8/1, 1998, 45–55. 111 M. Brickley/S. Mays/R. Ives, Evaluation and Interpretation of Residual Rickets Deformities in Adults. Internat. Journal Osteoarch. 20/ 1, 2010, 54–66. 112 S. Mays, The Rise and Fall of Rickets in England. In: P. Murphy/P. E. J. Wiltshire (eds.), The Environmental Archaeology of Industry. Symposion Assoc. Environmental Arch. 20 (Oxford 2003) 144–153. 113 Z. Wertheim, Versuch einer medicinischen Topographie von Wien (Wien 1810, Repr. 1999) 24. 114 Teegen/Schultz (Anm. 107). 115 Ortner/Mays (Anm. 110).

auch in zeitgenössischen Beschreibungen der Stadt Erwähnung. 113 Interessant bei den Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof ist das Auftreten von Anzeichen einer Rachitis bei vier Kindern, die jünger als ein Jahr waren. Dies ist insofern bemerkenswert, da bei Säuglingen, die noch gestillt werden, der Vitamin-D-Bedarf eigentlich durch die Muttermilch gedeckt sein sollte. 114. Dass sich Hinweise auf Rachitis dennoch finden, könnte also darauf hindeuten, dass die Kinder nicht oder nur unzureichend gestillt wurden. Abgesehen von den sehr charakteristischen Deformationen an den Langknochen gibt es insbesondere bei Säuglingen noch eine Reihe weiterer Symptome, zu denen Veränderungen am Schädel (siehe oben), verdickte, stark poröse Langknochen sowie Veränderungen an den Metaphysenplatten zählen. 115 Stark verdickte, wie aufgebläht wirkende Langknochen konnten unter den isolierten Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof in zehn weiteren Rachitisfällen festgestellt werden.

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Neben Vitamin-D-Mangel gibt es unter den Kinderknochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof auch Hinweise auf Skorbut, also auf einen Mangel an Vitamin C. Skorbut lässt sich am Knochen nur bei Kindern gut diagnostizieren und verursacht in erster Linie Auflagerungen von neugebildetem Knochen im Bereich der Langknochen und am Schädel. 116 Obwohl diese Veränderungen nicht ausschließlich bei Skorbut, sondern auch bei Infektionskrankheiten auftreten, wobei eine Unterscheidung nur auf dem histologischen Wege möglich wäre, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Skorbutfälle handelt, durchaus gegeben. Ebenfalls zu den, zumindest nach heutigem Wissensstand mit Mangelerkrankungen in Verbindung stehenden Veränderungen, die besonders bei den Kinderskeletten häufig festzustellen waren, zählen Porosierungen und Knochenneubildungen in den Augenhöhlen. Porosierungen in diesen Bereichen werden als Cribra orbitalia bezeichnet. Zusammen mit Porosierungen am Schädel (porotische Hyperostose oder Cribra cranii), die mit den Veränderungen in den Augenhöhlen in Verbindung stehen dürften, zählen sie zu den am häufigsten in archäologischen Skelettserien beschriebenen Pathologien – und außerdem zu den heute umstrittensten. Traditionell wurden diese Veränderungen auf eine Anämie (chronischer Eisenmangel) zurückgeführt, die sowohl durch mangelnde Aufnahme von Eisen über die Nahrung als auch durch mangelnde Eisenabsorption, beispielsweise bei chronischen Durchfallerkrankungen oder starkem Blutverlust, induziert werden kann. Insbesondere infektiöse oder parasitäre Durchfallerkrankungen werden als Ursache für das häufige Auftreten von Cribra orbitalia und porotischer Hyperostose in historischen und prähistorischen Skelettserien verantwortlich gemacht. 117 In den letzten Jahren vermehrt kritisiert wurde jedoch die Tatsache, dass sich ohne histologische Untersuchungen keine Unterscheidung zwischen Porosierungen durch Knochenmarkshypoplasie (durch Anämie) und ausgeheilten Knochenneubildungen (durch Skorbut, Rachitis oder Infektionen der Augenhöhle oder Kopfschwarte) treffen lässt. 118 Da sämtliche mögliche Ursachen für die beobachteten Veränderungen an den Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof bei den Kindern infrage kommen, kann das Auftreten wiederum nur als Anzeichen für allgemein ungesunde Lebensumstände gewertet werden. Verletzungen Frakturen konnten unter den dislozierten Knochen nur selten festgestellt werden. Am häufigsten zu beobachten waren verheilte Rippenbrüche in insgesamt neun Fällen, darauf folgen Frakturen der Unterarme mit drei Radius- und einer Ulna-Fraktur. In allen Fällen handelte es sich um einfache, gut und relativ gerade verheilte Brüche. Darüber hinaus gibt es mehrere eher selten beobachtete Frakturen. An einer Scapula (Schulterblatt) konnte ein verheilter Bruch des Acromions festgestellt werden. Frakturen dieser Art sind sowohl im archäologischen als auch im klinischen Kontext sehr selten und treten zumeist infolge direkter Gewalteinwirkung auf. 119 Interessant ist auch eine gut verheilte Fraktur des rechten Processus transversus eines ersten Lendenwirbels, bei dem die Spitze des Processus transversus leicht verschoben wurde.

116 D. J. Ortner/M. F. Ericksen, Bone Changes in the Human Skull Probably Resulting from Scurvy in Infancy and Childhood. Internat. Journal Osteoarch. 7/3, 1997, 212–220. 117 P. L. Stuart-Macadam, Anemia in Past Human Populations. In: P. L. Stuart-Macadam/S. Kent (eds.), Diet, Demography, and Disease. Changing Perspectives on Anemia. Foundations of Human Behavior (New York 1992) 151–173. 118 Schultz (Anm. 108). 119 N. C. Lovell, Trauma Analysis in Paleopathology. Yearbook Physical Anthr. 40, 1997, 139–170.

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Eine weitere Fraktur, die in archäologischem Material relativ selten zu finden ist, ist eine Fraktur des Oberschenkelhalses an einem stark osteoporotisch veränderten Femur. Bei der Fraktur handelt es sich allerdings nicht um einen vollständigen Durchbruch des Oberschenkelhalses, sondern um einen Einriss an der Oberseite des Halses, durch den der Gelenkskopf leicht nach distal verschoben wurde. Die Bruchlinie zeigt lediglich erste Anzeichen eines Heilungsprozesses, das Individuum dürfte jedoch verstorben sein, bevor es zu einer vollständigen Heilung kam. Frakturen dieser Art sind typisch bei Menschen, die unter fortgeschrittener Osteoporose, einer Erkrankung, bei der es zu einem Abbau von Knochenmasse kommt, leiden. Sie tritt vor allem bei älteren Menschen und insbesondere bei Frauen auf, wobei die Ätiologie dieser Krankheit nach wie vor nicht vollständig geklärt ist. 120 Infektionskrankheiten Bei der Differentialdiagnose von Infektionskrankheiten kommt das Problem der isolierten Knochen besonders schwer zum Tragen. Wie bereits beschrieben, hat der Knochen nur begrenzte Möglichkeiten, auf einen Krankheitsreiz zu reagieren, und daher können verschiedene Ursachen zu selben oder ähnlichen Symptomen am Skelett führen. Unter den Infektionskrankheiten beeinträchtigen generell nur diejenigen das Skelett, die über einen längeren Zeitraum von zumindest zwei bis drei Wochen bestehen. 121 Aus diesem Grund hinterlassen beispielsweise kulturhistorisch bedeutsamere Seuchenerkrankungen wie Pest, Cholera, Pocken oder Typhus keine Spuren am Knochen, da sie zu schnell wieder abklingen oder zum Tod führen. Durchaus nachweisen lassen sich jedoch Lepra, Syphilis und in speziellen Fällen auch Tuberkulose. Häufigstes Symptom einer Infektion am Knochen sind Knochenneubildungen, die durch eine Entzündung des Periosts (Knochenhaut) ausgelöst und als Periostitis bezeichnet werden. Ursache ist entweder eine primäre Infektion der Knochenhaut durch systemische Infektion oder eindringende Bakterien bei Verletzungen, eine sekundäre Reaktion bei Infektionskrankheiten wie Syphilis oder Trauma. 122 Periostitis zählt zu den häufigsten, in archäologischem Skelettmaterial beobachteten pathologischen Veränderungen. Insbesondere finden sich periostale Reaktionen an der Tibia und selbst wenn nicht immer sicher abgeklärt werden kann, ob die Veränderungen traumatischen oder infektiösen Ursprungs sind, sind sie heute allgemein als häufigstes, wenn auch unspezifisches Anzeichen von Infektionskrankheiten am Skelett akzeptiert. 123 Unter den isolierten Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof war die Häufigkeit 120 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 314. 121 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 117 f. 122 D. J. Ortner, Identification of Pathological Conditions in Human Skeletal Remains2 (London, New York, Oxford 2003) 206 f. 123 Larsen 1997, 84. 124 J. Schrank, Die Prostitution in Wien in historischer, administrativer und hygienischer Beziehung (Wien 1886).

von periostalen Reaktionen jedoch überraschend gering. Herausragend ist ein besonders schwerer Periostitis-Fall an einem ausgewachsenen Individuum, bei dem zwei Drittel des Knochens durch die Knochenneubildung mehr als das Doppelte des normalen Umfangs erreicht haben. Derart schwere Fälle werden zumeist Infektionen zugerechnet und sind beispielsweise ein typisches Symptom tertiärer Syphilis. Wie aus zeitgenössischen Schilderungen hervorgeht, war Syphilis im Wien der frühen Neuzeit allgemein ein verbreitetes gesundheitliches Problem. 124 Obwohl sich eine sichere Diagnose von Syphilis am Skelett nur bei

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charakteristischen Veränderungen am Schädel stellen lässt, liegt bei Periostitis dieses Schweregrades der Verdacht einer tertiären Syphilis nahe. Tuberkulose gehört ebenfalls zu den Infektionskrankheiten, die das Skelett beeinträchtigen können, und tritt in etwa 5% der Fälle in Form von Knochentuberkulose auf, die sich in erster Linie an der Wirbelsäule und den Gelenken manifestiert. Am häufigsten ist hierbei die obere Lenden- und untere Brustwirbelsäule betroffen. Im Zuge des Krankheitsprozesses kann der Wirbelkörper durch lytische Infektionsherde vollständig zerstört werden und zumeist sind dabei mehrere Wirbel betroffen. 125 Ein mögliches Beispiel einer solchen Knochentuberkulose an der Wirbelsäule konnte unter den isolierten Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof ebenfalls festgestellt werden. Es handelt sich dabei um einen Lendenwirbel, bei dem der Wirbelkörper durch mehrere lytische Herde insbesondere im vorderen Bereich relativ stark zerstört wurde. Obwohl für die Erkrankung an sich untypisch, findet sich im vorderen Bereich auch neugebildeter Knochen, der mit einer möglichen Heilung in Zusammenhang stehen könnte. Ein weiterer Verdacht auf Knochentuberkulose besteht bei einer Tibia, bei der das proximale Gelenk stark zerstört und umgebaut ist. Eine Beeinträchtigung des Kniegelenks zählt ebenfalls zu den häufigeren Manifestationen von Knochentuberkulose. Obwohl auch hier keine sichere Diagnose gestellt werden darf, deuten Art und Lokation der beobachteten lytischen Veränderungen sowie das für Gelenkstuberkulose typische Fehlen von neugebildetem Knochen auf diese Krankheit als Ursache hin. 126 Zu den unter den Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof am häufigsten anzutreffenden Pathologien zählten periostale Knochenneubildungen an der Innenseite der Rippen, die durch Entzündungen der Lungenpleura verursacht werden. Ursachen für diese Entzündungen sind neben chronischen viralen oder bakteriellen Lungenentzündungen auch Tuberkulose und Brucellose. Versuche, aufgrund der Verteilung der Veränderungen am Brustkorb oder entlang der Rippe differentialdiagnostische Hinweise zu erlangen, brachten bisher wenig befriedigende Ergebnisse. 127 Da im Falle der isolierten Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof ohnehin keine weiteren Merkmale beurteilt werden können, verbleibt lediglich, die differentialdiagnostischen Möglichkeiten zu präsentieren und mögliche Ursachen zu diskutieren. Erkrankungen der Lunge sind in urbanen, frühneuzeitlichen Skelettserien keine Seltenheit, denn gerade Infektionen der Atemwege gehören zu den typischen Erkrankungen von Menschen, die unter schlechten Bedingungen auf sehr engem Raum zusammenleben, da die Erreger hoch ansteckend sind und dort günstigste Verbreitungsbedingungen finden. 128 Degenerative Veränderungen und Gelenkserkrankungen Die systematische Auswertung von degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenksveränderungen kann Auskunft über bestimmte Betätigungsmuster und allgemeine körperliche Belastungslevel in einer Bevölkerungsgruppe geben. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn mehrere Gelenke und/oder Wirbel beurteilbar und darüber hinaus Sterbealter und idealerweise auch Geschlecht des untersuchten Skeletts feststellbar sind. Nur so lässt sich feststellen, ob eine de-

125 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 134–137. 126 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 134. 127 A. L. Santos/Ch. A. Roberts, Anatomy of a Serial Killer. Differential Diagnosis of Tuberculosis Based on Rib Lesions of Adult Individuals from the Coimbra Identified Skeletal Collection, Portugal. American Journal Physical Anthr. 130/1, 2006, 38–49. 128 Ch. A. Roberts/D. Lucy/K. Manchester, Inflammatory Lesions of Ribs. An Analysis of the Terry Collection. American Journal Physical Anthr. 95/2, 1994, 169–182; Binder (Anm. 18).

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generative Veränderung als Konsequenz eines hohen Alters zu werten oder vielmehr ein Hinweis auf starke körperliche Belastung ist. Degenerative Veränderungen (Arthrosen) äußern sich an den Wirbeln und Gelenken in erster Linie auf drei Arten: Knochenneubildungen in Form von „Lippen“ (Osteophyten) am Gelenksrand, Porosierungen sowie sog. Eburnisationen an den Gelenksflächen, die je nach Schweregrad einzeln (insbesondere Osteophytenbildungen) oder gemeinsam auftreten können. Als Ursache für diese Veränderungen können neben degenerativen, idiopathischen Prozessen (~80%) auch traumatische, metabolische, vaskuläre, infektiöse oder entzündliche (z. B. rheumatoide Arthritis) infrage kommen. 129 Die genaue Abgrenzung bleibt bis heute eines der meistdiskutierten Probleme der Paläopathologie. Aufgrund der Natur des Samples aus dem St.-Ulrichs-Friedhof ist hier eine systematische Auswertung nicht möglich. Einzelne schwere Fälle degenerativer Veränderungen konnten vermehrt an isolierten Wirbeln (v. a. Hals- und Lendenwirbelbereich), Oberschenkelköpfen und im Bereich der Handknochen festgestellt werden. Ein Sonderfall einer Gelenkserkrankung konnte an der Beckenhälfte eines erwachsenen Individuums diagnostiziert werden, bei der das Kreuzbein vollständig mit dem Becken verwachsen war. Veränderungen dieser Art sind typisch für ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew). 130 Diversa Ein 1. Brustwirbel wies an der ventralen Seite des Wirbelkörpers eine senkrecht verlaufende, erosive, nichtentzündliche Veränderung auf, die auf ein Aneurysma zurückzuführen sein dürfte. Bei einem Aneurysma handelt es sich allgemein um eine Erweiterung der Gefäßwand, die angeboren oder degenerativ, infektiös oder entzündlich erworben sein kann. Durch den Druck, den die Gefäßerweiterung auf die darunterliegenden, knöchernen Strukturen ausübt, kann es zu einer Erosion des Knochens kommen und es entstehen quasi Abdrücke des Gefäßes. Am häufigsten sind Aneurysmen im Bereich der großen Arterien (Aorta und ihre Hauptzweige) zu beobachten, prinzipiell kann aber jedes Gefäß betroffen sein. 131 Die häufigsten Ursachen für Aortenaneurysmen sind Arteriosklerose und tertiäre Syphilis. 132 Während bei Arteriosklerose fast immer die Aorta abdominalis betroffen ist, treten syphilitische Aneurysmen fast ausschließlich im Brustbereich auf und können nicht nur die Wirbel, sondern auch Clavicula und Sternum beeinträchtigen. Folgt man dieser Faustregel, könnte es sich auch bei dem Brustwirbel aus dem St.-Ulrichs-Friedhof um ein syphilitisch bedingtes Aneurysma handeln. Um diese Diagnose abzusichern, müssten jedoch wiederum mehrere Skelettelemente betroffen sein, daher ist auch hier nur der Verdacht zu äußern. 129 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 93. 130 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 102 f. 131 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998, 78. 132 M. A. Kelley, Infectious Disease. In: M. Y. I˙s¸can/K. A. R. Kennedy (eds.), Reconstruction of Life from the Skeleton (New York 1989) 191–199.

Zähne Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates können ebenfalls wichtige kulturhistorische Aussagen über Bevölkerungsgruppen liefern, da für ihre Entstehung neben genetischen vorrangig hygienische, degenerative sowie ernährungs- und entwicklungsbedingte Faktoren verantwortlich sind. Die am häufigsten in archäologischem Skelettmaterial zu beobachtenden Pathologien

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dieser Gruppe sind Karies, Zahnstein, Parodontopathien sowie intravitaler Zahnausfall. 133 Für die Entstehung von Karies ist in erster Linie die Art und Zusammensetzung der Nahrung verantwortlich. Neben kohlenhydratreicher Nahrung als Hauptursache kann weiche und gekochte Nahrung die Anlagerung von kariogenem Zahnbelag zusätzlich begünstigen. Obwohl Karies zu den ältesten nachweisbaren Erkrankungen der Menschheit zählt, ist eine starke Steigerung der Kariesfrequenzen allgemein erst mit der Einführung von Zucker und Kartoffel im Speiseplan ab dem späten Mittelalter zu verzeichnen. Auch verfeinerte Mahlmethoden beim Getreide ab der frühen Neuzeit, durch die weniger abrasive Bestandteile im Mehl zu finden waren, trugen zum starken Anstieg der Kariesfrequenzen bei. 134 Ein weiterer Einflussfaktor, der die große Häufigkeit von Karies in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bevölkerungsgruppen zu erklären vermag, ist mangelnde Zahnhygiene, denn die Verwendung der Zahnbürste und die systematische Zahnmedizin setzten sich in Österreich erst ab dem 19. Jahrhundert durch. 135 Darüber hinaus ist auch der allgemeine Gesundheitszustand einer Person ein Einflussfaktor auf die Entstehung von Karies und Parodontopathien, da dies bei bereits belastetem Immunsystem zusätzlich begünstigt wird. 17,54% der Zähne aus isolierten Kieferteilen wiesen Kariesläsionen auf. Dieser Wert ist jedoch keinesfalls repräsentativ, da sich aufgrund des hohen Anteils an intra- und postmortalem Zahnausfall nur etwa ein Drittel der Zähne in den Kiefern erhalten hatte. Besonders auffallend bei den isolierten Knochen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof ist die hohe Frequenz an intravitalem Zahnausfall, die 30,41% beträgt. Die Hauptgründe für intravitalen Zahnausfall sind entzündliche Veränderungen des Zahnhalteapparats oder degenerative Prozesse, beispielsweise durch starke Abkauung. Während letzteres eher bei prähistorischen Populationen eine Rolle spielt, sind bei historischen Bevölkerungsgruppen Parodontitis oder Infektionen der Wurzelhöhle für Zahnverlust verantwortlich. 136 Darüber hinaus ist dies auch ein typisches Symptom von Skorbut. 137 Da sich gerade Zahnpathologien mit steigendem Lebensalter akkumulieren, ist bei systematischen Untersuchungen von Zahnpathologien vor allem die Alterszusammensetzung der analysierten Gruppe ein wichtiger Parameter für die Zulässigkeit von Rückschlüssen auf die Lebensbedingungen. Obwohl dies im Falle der Bestattungen aus dem St.-Ulrichs-Friedhof nicht möglich ist und er sicher auch einer gewissen Verzerrung durch die fragmentarische Natur des Samples unterliegt, ist der ausgesprochen hohe Wert von 30,41% ein deutlicher Hinweis auf allgemein schlechte Zahngesundheit. Ähnlich hohe Werte ließen sich aus der Literatur nur für einen kanadischen Friedhof138 mit 24% finden, während andere vergleichbare frühneuzeitliche zivile Skelettserien wie London-Spitalfields139 mit 7,7% deutlich unter dem Wert für den St.-Ulrichs-Friedhof liegen. Resümee Obwohl vom Fundplatz Zollergasse 32, der dem zwischen 1590 und 1783 bestandenen Friedhof zu St. Ulrich zuzuordnen ist, neben wenigen, großteils un-

133 Larsen 1997, 65–82. 134 Sh. Saunders/C. De Vito/M. A. Katzenberg, Dental Caries in Nineteenth Century Upper Canada. American Journal Physical Anthr. 104/1, 1997, 71–87. 135 W. Regal/M. Nanut, Von Kurpfuschern und Zahnbrechern (Altes Medizinisches Wien 10). Ärzte Woche 16/38, 2002, www.aerztewo che.at/viewArticleDetails.do?articleId=3855 (23.01. 2008). 136 T. F. Strohm/K. W. Alt, Periodontal Disease – Etiology, Classification and Diagnosis. In: K. W. Alt/F. W. Rösing/M. Teschler-Nicola (eds.), Dental Anthropology – Fundamentals, Limits and Prospects (Wien, New York 1998) 227–246. 137 Ortner (Anm. 122) 387. 138 Sh. Saunders/A. Herring/L. Sawchuk/H. Boyce/R. Hoppa/S. Klepp, The Health of the Middle Class. The St. Thomas’Anglican Church Cemetery Project. In: R. H. Steckel/ J. C. Rose (eds.), The Backbone of History. Health and Nutrition in the Western Hemisphere (Cambridge et al. 2002) 130–161. 139 Th. Molleson/M. Cox, The Spitalsfields Project 2. The Anthropology. The Middling Sort. CBA Research Reports 86 (London 1993).

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vollständigen Bestattungen nur dislozierte Knochen aus älteren, gestörten Gräbern geborgen werden konnten, lassen sich doch Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen der Menschen der frühneuzeitlichen Vorstadt St. Ulrich ziehen. In der Anordnung der Gräber 4 bis 6 lässt sich eine Grabreihe erkennen. Die Gräber 2 und 5 lagen übereinander. Dadurch, dass man mehrfach an derselben Stelle bestattete, wurden bereits in der Zeit des Bestehens des Friedhofs Gräber zerstört und Knochen umgelagert. Anhand der Brüche an den Knochen ließ sich feststellen, dass dies zum Teil bereits kurze Zeit nach der Bestattung erfolgt sein muss. Die statistische Altersverteilung unter den isolierten Knochen deutet auf einen hohen Anteil an Kinderskeletten, insbesondere von Kleinkindern und Säuglingen hin. Eine hohe Sterblichkeitsrate bei Kindern unter 5 Jahren wird auch heute noch als Anzeichen für schlechte hygienische, sozioökonomische und medizinische Bedingungen gesehen. 140 Hauptursachen für die hohe Kindersterblichkeit waren vermutlich mangelnde Ernährung und Infektionskrankheiten wie Typhus, TBC, Pocken, Ruhr oder andere Durchfallerkrankungen. In den erhaltenen Totenprotokollen der Pfarre St. Ulrich aus dem 17. und 18. Jahrhundert finden sich Hinweise zu Bestattungen von sog. unschuldigen Kindern, von offenbar notgetauften Neugeborenen und auch zu einer verstorbenen Frühgeburt (siehe oben), die sich auch durch die anthropologische Untersuchung der Skelettreste auf dem einstigen Friedhof erschließen. Die Lebensbedingungen für die zahlenmäßig rasch anwachsende Bevölkerung in den Vorstädten Wiens waren in der frühen Neuzeit und insbesondere ab dem Einsetzen der Industrialisierung im 18. Jahrhundert alles andere als gut. Hungersnöte und die Hoffnung auf ein besseres Leben waren die Beweggründe für zahlreiche Menschen aus allen Teilen der österreichischen Monarchie in die Hauptstadt abzuwandern. Zeitgenössische Schilderungen berichten von Unrat auf Straßen, engen Wohnverhältnissen, Staub, schlechtem Klima und verseuchtem Wasser. Die offene, stark verschmutzte Kanalisation, die durch immer wiederkehrende Hochwasser der Donau und ihrer Zubringer – in unserem Falle des Ottakringer Baches, auch St. Ulrichsbach genannt – überschwemmt wurde und dadurch auch die Brunnen verunreinigte, trug ebenfalls zum häufigen Auftreten von Seuchenkrankheiten bei. 141 Sowohl in den ungestörten Bestattungen als auch in den dislozierten Knochen, die aus dem Friedhof zu St. 140 Website der WHO: www.who.int/featu res/qa/13/en/index.html (25.11. 2008). 141 K. Vocelka, Österreichische Geschichte 1699–1815. Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat (Wien 2001); A. Weigl, Wien im epidemiologischen Übergang: ein mitteleuropäischer Weg in die Moderne. In: J. Vögele/W. Woelk (Hrsg.), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert). Schr. Wirtschafts- u. Sozialgesch. 62 (Berlin 2000) 159– 185.

Ulrich geborgen werden konnten, spiegeln sich diese schlechten Lebensbedingungen und die hohe Krankheitsbelastung, unter der die (Vor-)Stadtbevölkerung in der frühen Neuzeit zu leiden hatte, deutlich wider. Die Auswertung sollte darüber hinaus zeigen, dass selbst die Bearbeitung von derart gestörtem und daher auf den ersten Blick vielleicht (wissenschaftlich) wertlos erscheinendem Skelettmaterial durchaus lohnenswert sein kann. Auch wenn sich in vielen Fällen keine genauen Diagnosen stellen (was in der Paläopathologie ohnehin zumeist nicht möglich ist) und keine systematischen Untersuchungen über die Frequenzen bestimmter Krankheiten durchführen ließen, sind gerade zur Kindersterblichkeit oder zu Zahnpathologien doch gewisse Schlüsse über allgemeine Lebensbedingungen zu ziehen.

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Zusätzlich zum anthropologisch ausgewerteten Skelettmaterial liegen durch die Totenprotokolle der Pfarre St. Ulrich, seit August 1634 mit einigen fehlenden Jahrgängen im 17. Jahrhundert, wertvolle schriftliche Überlieferungen vor, die zusätzlich Rückschlüsse auf Sterbealter, -ort und soziale Herkunft erlauben. 142 Diese Schriftquellen gründlich auszuwerten, ist jedoch ein Forschungsvorhaben, das in diesem Rahmen nicht zu bewerkstelligen war und somit ein lohnendes Betätigungsfeld künftiger Forschung bleibt. Anhand der historischen Überlieferungen lässt sich feststellen, dass sich vom ausgehenden 16. bis zum 18. Jahrhundert die Bevölkerungsstruktur des Ortes St. Ulrich allmählich wandelte. Lebten die Dorfbewohner seit dem Mittelalter hauptsächlich von der Landwirtschaft (vor allem auch Weinbau), so kam es in der frühen Neuzeit zu einschneidenden Veränderungen in der Erwerbstätigkeit. 143 Es siedelten sich in der Vorstadt immer mehr Handwerker und Gewerbetreibende an. 144 In St. Ulrich war die Zuwanderung aus dem Reich bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert beträchtlich. Zahlreiche Söldner zog es in der Zeit von 1593 bis 1606 während des „Langen Türkenkrieges“ nach Wien, viele ließen sich in St. Ulrich nieder. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges war sie „die größte und am meisten expandierende Vorstadt“. 145 Das Bevölkerungswachstum resultierte rein aus Zuwanderungsströmen, denn die Geburtenbilanzen – neben der ohnehin schon hohen Kindersterblichkeitsrate – waren nämlich generell negativ. 146 Aus den Trauungsmatriken der Pfarre St. Ulrich der Jahre 1642 bis 1678 lässt sich die Herkunft der Zuwanderer recht zuverlässig ermitteln: Nur 18,6% der Bräutigame kamen aus Wien, 45,8% der Migranten stammten aus den österreichischen Alpenländern, die Hälfte davon wiederum aus Niederösterreich, 19% der Zuwanderer kamen aus dem süddeutschen Raum. 147 Auch nach der Zweiten Türkenbelagerung von 1683 ließen sich weiterhin Migranten aus dem bayerisch-fränkischen Raum, den österreichischen Alpenländern und aus Niederösterreich in St. Ulrich nieder. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts arbeiteten viele der Zuwanderer in proto- und frühindustriellen Werkstätten und Manufakturen, die vor allem Bekleidung und Textilien herstellten sowie Metall verarbeiteten. Sie wählten die Vorstädte zu ihren Standorten. 148 Durch diesen Bevölkerungszuwachs kam es zu einem regelrechten Bauboom in den Vorstädten Wiens. „Insbesondere im späten 17. Jahrhundert bildete sich um St. Ulrich ein dichtverbauter Kern gewerblicher Niederlassungen.“149 Arbeiteten 1672 noch 161 Menschen in der Landwirtschaft, waren es 1789 nur noch 109, das entsprach ca. 0,7% der Bevölkerung. 150 Zudem wurden 1667 Leibgardisten (Hatschiere), Trabanten und Soldaten der Stadtguardia einquartiert. Die Hausbesitzer mussten ihnen für eine geringe Miete eine Stube oder Kammer zur Verfügung stellen. 151 Auch ihre Angehörigen wurden auf dem Friedhof zu St. Ulrich beigesetzt. 152 Angehörige des Adelsstandes, aber auch wohlhabendere, nichtadelige Leute ließen sich in der Kirche selbst begraben. Seit 1650 wurden die Kosten für einen dortigen Begräbnisplatz mit 10 Gulden festgelegt. 153 Die Auswertung und Interpretation der Grab- bzw. menschlichen Überreste sowie der historischen Quellen führte zu gleichen Schlüssen über die offenbar äu-

142 Andreas Weigl, WStLA – Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung Wien, sei für die Hinweise herzlich gedankt. 143 Mansfeld 1953, 3–9. In den erhaltenen Trauungsmatriken von St. Ulrich aus der Zeit von 1590 bis 1599 sind unter den Bräutigamen viele Hauer, aber auch Handwerker und „Kriegsmänner“ (Söldner). Viele der Brautleute stammten aus dem süddeutschen Raum und aus anderen Teilen Österreichs; Griehbaum 1958, 152. 144 Zu den einzelnen Berufen siehe Griehbaum 1958, 67–80; 100–137 bes. 93 und 106–108 mit Hinweis auf die zunehmende Berufsvielfalt. 145 Weigl 2001, 55 und 95 f. 146 Weigl 2001, 62. 147 Weigl 2001, 97 und Griehbaum 1958, 85–87. 148 Griehbaum 1958; für den Zeitraum von 1590 bis 1599: Mansfeld 1953, 3–9; Faber 1995, 80; A. Weigl, Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien (Wien 2000) 75– 77. 149 Weigl (Anm. 148) 75. 150 Faber 1995, 80. 151 Faber 1995, 72 f. 152 Pfarre St. Ulrich,Totenprotokolle ab Bd. 3 passim. 153 Aschinger 1920, 13.

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ßerst bescheidenen Lebensverhältnisse der einstigen Bewohner der Vorstadt St. Ulrich, die auf diesem Friedhof „ihre letzte Ruhe fanden“. Hier wurden vor154 Dies wird auch durch die Berufs- bzw. Altersangaben der Verstorbenen bzw. ihrer Angehörigen in den Totenprotokollen bestätigt.

wiegend weniger Begüterte, Arme, Mittellose, Alte und Kinder bestattet. 154 Ihre aus der Grabung Zollergasse 32 geborgenen Skelettreste werden auf dem Zentralfriedhof wiederbestattet.

Abgekürzt zitierte Literatur und gedruckte Quellen Aschinger 1920 Aufderheide/Rodríguez-Martín 1998 Bauer 2004 BUB II

Czeike,Wien Lexikon Faber 1995 FRA II/18 Griehbaum 1958 Großstadtlärm 1938 Halbritter 2004 HONB 7 Illi 1992 Kisch 1895

Larsen 1997 LexBestattung LexMA Lohrmann/Opll 1981 Mansfeld 1953 Opll 1985 Rotter 1925 Weigl 2001

M. Aschinger, Geschichte der Pfarre St. Ulrich (Maria Trost) in Wien-Neubau nebst der Entstehung der Tochterpfarren Altlerchenfeld u. Schottenfeld (Wien 1920). A. C. Aufderheide/C. Rodríguez-Martín, The Cambridge Encyclopedia of Human Paleopathology (Cambridge, New York 1998). W. T. Bauer, Wiener Friedhofsführer. Genaue Beschreibung sämtlicher Begräbnisstätten nebst einer Geschichte des Wiener Bestattungswesens5 (Wien 2004). Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich II. Die Siegelurkunden der Babenberger und ihrer Nachkommen von 1216 bis 1279, bearb. v. H. Fichtenau/E. Zöllner. Publ. Inst. Österr. Geschforsch. III 2 (Wien 1955). F. Czeike, Historisches Lexikon Wien. 6 Bde. 2 (Wien 2004). E. Faber, Neubau. Geschichte des 7. Wiener Gemeindebezirks und seiner alten Orte (Wien et al. 1995). Urkunden der Benedictiner-Abtei Unserer Lieben Frau zu den Schotten in Wien, vom Jahre 1158–1418, hrsg. von E. Hauswirth. Fontes rerum Austriacarum, 2. Abt., Diplomataria et Acta 18 (Wien 1859). W. Griehbaum, Beiträge zur Geschichte der Vorstädte St. Ulrich – Neubau – Schottenfeld (1620–1820) (unpubl. Mskr. WStLA Archivbibliothek 1958). Großstadtlärm über 100000 Gräbern. Neues Wiener Tagblatt, 1. November 1938, Nr. 301, 27–30. R. Halbritter, Amulette aus Papier zwischen Magie und Heilserwartung. In: Ch. Pieske/K. Vanja/S. Nagy (Hrsg.), Arbeitskreis Bild Druck Papier. 7. Tagungsbd. Esslingen 2002 (Münster et al. 2004) 61–82. H. Weigl, Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich. R. A 7 (Wien 1975). M. Illi, Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt (Zürich 1992). W. Kisch, Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. Ein Beitrag zur Culturgeschichte Wiens mit Rücksicht auf vaterländische Kunst, Architektur, Musik und Literatur. Bd. 2 (Wien 1895, Reprint 1967). C. S. Larsen, Bioarchaeology. Interpreting Behavior from the Human Skeleton. Cambridge Stud. in Biological Anthropology 21 (Cambridge 1997). Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, hrsg. v. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel. Bd. 1 (Braunschweig 2002); Bd. 2 (Braunschweig 2005). Lexikon des Mittelalters. Taschenbuchausg. 9 Bde. (München 2002). K. Lohrmann/F. Opll, Regesten zur Frühgeschichte von Wien. Forsch. u. Beitr. Wiener Stadtgesch. 10 (Wien, München 1981). H. A. Mansfeld, Wiener Kirchenbücher des 16. Jahrhunderts. Trauungsmatriken der Pfarren St. Ulrich, St. Michael, Schotten und St. Stephan (Wien 1935, Reprint 1953). F. Opll, Der Burgfried der Stadt Wien. Forsch. u. Beitr. Wiener Stadtgesch. 15 (Wien 1985). H. Rotter, Neubau. Ein Heimatbuch des 7. Wiener Gemeindebezirkes (Wien 1925). A. Weigl, Residenz, Bastion und Konsumptionsstadt: Stadtwachstum und demographische Entwicklung einer werdenden Metropole. In: A. Weigl (Hrsg.), Wien im Dreißigjährigen Krieg. Bevölkerung, Gesellschaft, Kultur, Konfession. Kulturstud. 32 (Wien, Köln, Weimar 2001) 31–105.

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M. Müller, Vom Wiener Neustädter Kanal zum Aspangbahnhof

Vom Wiener Neustädter Kanal zum Aspangbahnhof. Ausgrabungen in Wien 3, Aspanggründe Michaela Müller Auf den sog. Aspanggründen, dem neuen Stadtentwicklungsgebiet „Eurogate“ im 3. Wiener Gemeindebezirk, sollen bis 2019 mindestens 1600 Wohnungen im Passivhausstandard und tausende Arbeitsplätze entstehen. Das große Baugelände zwischen Aspangstraße und Landstraßer Gürtel hat seine Benennung nach dem ehemals hier befindlichen Bahnhof einer Eisenbahn nach Aspang im südlichen Niederösterreich. Die nordöstlich des Bahnhofs verlaufende Aspangstraße wurde 1907 in Richtung Osten verlängert. Da auf den westlichen Grundstücken entlang der Südseite der Aspangstraße (Bauplätze 1–3 und 6) mit Bodendenkmalen aus der Antike, eventuell des Frühmittelalters und Verkehrsbauten – Zeugen der Entwicklung der Transportmittel im Zuge der industriellen Revolution – zu rechnen war, wurden vor dem Baubeginn zwischen dem 17. August 2009 und dem 15. April 2010 archäologische Untersuchungen durch die Stadtarchäologie Wien durchgeführt. Diese erfolgten jeweils in zwei Phasen. Zunächst wurde bis auf die archäologisch relevanten Schichten oder, wenn keine Befunde vorhanden waren, bis auf den gewachsenen Boden (Schwemmlöss1, OK: 21,60–20,95 m über Wr. Null) abgebaggert. Danach fanden die Ausgrabung und Dokumentation der Bodendenkmale statt. Es konnten römische Strukturen vom Rand der Zivilstadt (siehe Beitrag M. Müller, 227 ff.), eine große neuzeitliche Grube, Gerinne des Wiener Neustädter Kanals, ein Teil des Hafenbeckens, Kanäle und ein Teil des Bahnhofsgebäudes erfasst werden (siehe Beitrag M. Müller, 247 f.). Einige Eckdaten zum Wiener Neustädter Kanal2 und zur Aspangbahn 1 Wir danken Dr. Sabine Grupe (Wiener Gewässer Management GmbH) und Dr. Christine Jawecki (MA 29, Grundbau – Baugrundinformation) für den Besuch und die Informationen zur Geologie. 2 Lange 2003, 7–9; 21–40; de.wikipedia. org/wiki/Wiener_Neustädter_Kanal (15.7. 2010). 3 Nach Czeike, Wien Lexikon 5, 639 s. v. Wiener Neustädter Kanal, waren 64 Lastkähne im Einsatz. 4 Vgl.: Ch. M. Merki, Verkehrsgeschichte und Mobilität (Stuttgart 2008) 18: Im 18. Jh. betrugen die Kosten für den Gütertransport auf einem Kanal zwar das 3-Fache gegenüber dem Seeweg, Fuhrwerke kosteten aber neunmal so viel und Lasttiere das 27-Fache. 5 Schlöss 2003, 135. 6 M. Rosecker in: Wiener Neustädter Kanal 1997, 17. 7 Slezak et al. 1981, 9.

Bis zum Jahr 1879 verlief parallel zur heutigen Aspangstraße der Wiener Neustädter Kanal. Ursprünglich war diese zwischen 1797 und 1803 von Wien bis Wiener Neustadt erbaute Wasserstraße bis Triest bzw. bis zur Adria geplant. Über sie konnten Lasten auf eigens dafür konstruierten, schmalen und von Pferden gezogenen Schiffen (pro Kahn reichte ein Zugtier) befördert werden (Abb. 1). 3 Da mit Pferdewagen auf schlechten Straßen das schwere Heizund Baumaterial nur sehr langsam und teuer transportiert werden konnte,4 suchte die „Wiener Neustädter Steinkohlegewerkschaft“ im Jahr 1794 bei Kaiser Franz II. darum an, einen Kanal aus der Gegend von Schottwien (im südlichen Niederösterreich) bis Wien bauen zu dürfen. 5 Dieser genehmigte das Kanalbauprojekt in der Hoffnung auch militärischen Nutzen daraus ziehen zu können. 6 Im Sommer 1797 begann die „k. k. priv.[ilegierte] Kanal- und Bergbaukompanie“ bei Guntramsdorf mit dem Bau. Die Bauarbeiten wurden zunächst von Sebastian von Maillard geleitet, von Zwangsarbeitern ausgeführt und die Baukosten vom Staat bestritten. 7 Die Errichtung des Gerinnes gestaltete sich jedoch als äußerst schwierig wegen des Gefälles im Wiener Becken,

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Abb. 1: Paul Eduard Sprenger, „Das Tierarznei-Institut am Wiener Neustädter Kanal“ 1826, Aquarell. (© Wien Museum Inv.-Nr. HMW 34272)

des geologischen Untergrunds, des Facharbeitermangels und der nicht immer (rasch) möglichen Grundstücksankäufe. Den Wiener Stadtbereich erreichten die Grabungsarbeiten ab 1799, als der spätere Hofbaudirektor Joseph Maria Schemerl von Leythenbach8 die Bauleitung übernahm. 9 Im Bereich des heutigen Bahnhofs Wien Mitte, im 3. Bezirk, wurde 1801 beim Wienfluss das große erste Wiener Hafenbecken dieser Wasserstraße erbaut. 10 In Wien verlief der Kanal damals von diesem Hafenbecken über die heutige Linke bzw. Rechte Bahngasse über die Kreuzung Rennweg/Ungargasse, südlich der Aspangstraße in Richtung Simmering (heute Am Kanal) und in großem Bogen um den Wienerberg (Kledering) weiter in Richtung Süden. 1803 war der Kanal 56 km lang und wegen des Gesamtgefälles von ca. 100 m in 46 Abschnitte mit 2 bis 2,5 m breiten Schleusen unterteilt. 11 Die zwischen zwei Dämmen verlaufenden Haltungen (Kanalstrecken) hatten eine Sohlenbreite von 5,7 m und der Wasserspiegel war 11 m breit. 12 Durch einen Zuleitungskanal wurde er aus der Leitha bei Neudörfl im damaligen Ungarn gespeist. 13 Das Kanalbett musste jährlich gereinigt werden, wozu es vor Beginn der Frostperiode abgelassen wurde. Da der Kanal allerdings in vielen Abschnitten undicht war, kam es immer wieder zu Dammbrüchen und Unterspülungen von angrenzenden Gebäuden. Somit verursachten häufig notwendige Reparaturarbeiten und der Ausbau höhere Kosten als Einnahmen. Als Folge davon konnte im Jahr 1810 nur noch ein kurzes Teilstück vom Neudörfler Speisekanal bis zur Pöttschinger Höhe (Burgenland, Bezirk Mattersburg) errichtet werden. Obwohl

8 Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, 10 Lfg. 46 (Wien 1994) 75 f. s. v. Schemerl von Leythenbach, Josef Maria (N. Gspan). 9 Schlöss 2003, 135. Beim Aushub wurde im Frühling 1800 unweit des Belvedere der Fuß einer römischen Bronzestatue gefunden (siehe Beitrag M. Müller, 227 ff.); M. Großmann, Untersuchungen zum Iuppiter- und Kaiserkult im municipium Vindobonense – Ein Diskussionsbeitrag. FWien 7, 2004, 200. 10 Schlöss 2003, 135. 11 Schlöss 2003, 135; S. Knotek, Eine Reise in die Vergangenheit auf dem Wiener Neustädter Kanal. Rubrik Stadtgespräch, Ausgabe 02/ 10. www.dascitymagazin.at/de/rubriken/get/ page/eine-reise-in-die-vergangenheit-aufdem-wiener-neu/ (16.7. 2010). 12 Schlöss 2003, 135; Slezak et al. 1981, 11. 13 H. Rosmann in: Wiener Neustädter Kanal 1997, 14.

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man damals noch vorhatte, den Kanal – wenn schon nicht bis zur Adria – doch mindestens bis Ödenburg (Sopron in Ungarn) zu bauen, beließ man schließlich sein Ende bzw. den Anfang bei Wiener Neustadt. Dadurch wurde der schiffbare „Wiener Canal“ oder „k. k. Franzens-Canal“ nun mit der Zeit als „Wiener Neustädter (Schiffahrts)Kanal“ bezeichnet. 14 Von 1803 bis 1822 wurde der Kanal unter staatlicher Verwaltung betrieben, da er aber keine Einnahmen erbrachte, sondern zeitweise sogar Mehrausgaben erforderte, wurde er dann verpachtet. Zwischen 1846 und 1871 verfügten so die Ziegelproduzenten Alois Miesbach und Heinrich Drasche über diese Wasserstraße und konnten auf diesem Weg auch ihre Materialien und Produkte anliefern. Sowohl die häufigen Reparaturen und Abdichtungen als auch die später errichtete Eisenbahnlinie machten die Anlage von Umleitungsgerinnen notwendig. In Wien wurde der Kanal nicht ganz ein halbes Jahrhundert nach seiner Errichtung etwas verkürzt, da die Kanaltrasse für eine Verbindungsbahn zwischen dem Wiener Südbahnhof und dem Nordbahnhof benötigt wurde und deswegen der Hafen vom Wienfluss etwa 1,8 km den Kanal „aufwärts“ (bzw. stadtauswärts Richtung Süden), in den Bereich der späteren Aspanggründe verlegt wurde. 15 Die Bauarbeiten für den neuen Kanalhafen und am Zuleitungsgerinne für die Werke und Fabriken nördlich davon, deren Besitzer ein Vertragsverhältnis über die Wasserlieferung mit der Kanalgesellschaft hatten, begannen im Mai 1848. Das Nutzwasser des Wiener Neustädter Kanals wurde hierfür durch einen unterirdischen Kanal nördlich des neuen Hafens zu den Werksbesitzern geleitet. Teile dieses Kanals erstrecken sich abschnittsweise noch unbeschädigt unter dem heutigen Gelände und wurden im Jahr 2000 bei einer Aufgrabung in der Oberen Bahngasse 2–4 auf einer Länge von 229 m dokumentiert. 16 Um 1869 entschloss sich der Staat, den Kanal zu verkaufen, um seine Finanznöte zu mildern. Obwohl die neue Eigentümerin die „Erste Österreichische Schifffahrts-Canal-Actien-Gesellschaft“ („Kanal A. G.“) 1871 und in den folgenden Jahren Gewinne erzielte, bevorzugten die Betreiber die Bahnprojekte. 17 Das Vorhaben war, eine Bahnverbindung zwischen Wien und Saloniki zu schaffen. Im Jahr 1877 erhielt die Gesellschaft die Konzession für den Bahnbau bis Aspang am Wechsel und nannte sich in „Austro-Belgische Eisenbahngesellschaft“ um; denn das Kapital kam von der belgischen Eisenbahngesellschaft. 14 Lange 2003, 8. 15 M. Rosecker in: Wiener Neustädter Kanal 1997, 20. 16 Ch. Öllerer, Wien 3, Obere Bahngasse 2– 4. FWien 4, 2001, 271–272. 17 Lange 2003, 8. 18 Slezak et al. 1981, 32–33. 19 H. Rosmann in: Wiener Neustädter Kanal 1997, 26. Der Wiener Neustädter Kanal fließt nach wie vor, reduziert auf eine Länge von 36 km, von Wiener Neustadt bis Biedermannsdorf und mündet bei Biedermannsdorf in den Mödlingbach: Knotek (Anm. 11). 20 Kletter 2006, 28; Czeike, Wien Lexikon 1, 174–175 s. v. Aspangbahnhof.

Diese gründete die Aktiengesellschaft „k. k. privilegierte Eisenbahn Wien–Aspang“, der alle Rechte und das Hafengelände sowie die Kanalstrecke in Wien übertragen wurden. 18 Bahnhof der Aspangbahn Im Jahr 1879 wurde auch das zweite bei den Grabungen des Vorjahres freigelegte Hafenbecken zugeschüttet und der Schiffsverkehr schließlich endgültig von der Bahn verdrängt. Der verkürzte Schifffahrtskanal wurde zu einem Werkskanal umfunktioniert, an dem auch kleine Wasserkraftwerke errichtet wurden. 19 Zwischen 1880 und 1881 errichtete man über dem Nordwest-Teil des Hafenbeckens das Bahnhofsgebäude der Aspangbahn im Neorenaissance-Stil des Historismus. 20

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Abb. 2: Übersichtsplan der Befunde des 19. Jahrhunderts auf den vier westlichen Bauplätzen der Aspanggründe. (Plan: N. Piperakis)

Die Aspangbahn nahm 1881 ihren Betrieb auf. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde bereits 1937 die Betriebsführung den Österreichischen Bundesbahnen übertragen. Der Aspangbahnhof war ab 1939, vor allem 1941 und 1942, Ausgangspunkt für Deportationen von Wiener Jüdinnen und Juden. Mindestens 47 Züge mit mehr als 50.000 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern gingen von dort zunächst in Ghettos genannte Sammellager und in der Folge in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten ab. den Tod.

21

Manche Deportierungen waren Transporte direkt in

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Erst 1971 wurde der Aspangbahnhof geschlossen. Schon lange nicht mehr renoviert, wurde das Gebäude 1977 abgetragen. Befunde der Ausgrabungen 2009/2010 (Abb. 2) Neuzeitliche Befunde auf Bauplatz 1 Auf Bauplatz 1 (GC: 2009_09) war der älteste Befund eine riesige Grube mit einem Durchmesser von über 30 m. Sie war etwas unregelmäßig rund und hatte nahezu senkrechte Wände. Sie war im Randbereich mindestens 3 m tief und wurde in der Mitte noch tiefer (Abb. 3). Sie befand sich hauptsächlich nördlich,

21 Kletter 2006, 77–88 bes. 84 f.; A. Gottwaldt/D. Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich von 1941–1945. Eine kommentierte Chronologie (Wiesbaden 2005) 45–50; 216; 285; W. Kos/G. Dinhobl (Hrsg.), Großer Bahnhof. Wien und die weite Welt. 332. Sonderausst. WM (Wien 2006) 140 f. 351; B. Bailer et al., Die Ermordung der österreichischen Juden 1938–1945. In: G. Milchram (Hrsg.), Judenplatz. Ort der Erinnerung. Kat. Mus. Judenplatz Wien (Wien 2000) 57; F. Freund/H. Safrian, Expulsion and Extermination. The Fate of the Austrian Jews 1938–1945 (Wien 1997) 31. 22 Sonderzüge 1942 vom Aspangbahnhof nach Minsk: Kletter 2006, 85.

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Abb. 3: Große Grube auf Bauplatz 1, links der Werkskanal, nach Osten. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

aber auch südlich der Hafenbeckenmauer und war erstaunlicherweise auch unter dem Kanal und dem Bahnhofsgebäude erhalten und somit älter. Im oberen Bereich war sie mit lehmigen Schichten verfüllt, die abwechselnd dunkel und hell waren. Vor allem in den dunklen Streifen fanden sich viele Tierknochenreste und Keramikfragmente, auch etliche aus der Römerzeit, aber überwiegend neuzeitliche. Im unteren Bereich an der Nordseite bestand die Verfüllung aus sandigen und tonigen Schichten mit Lösskindeln und Kies darin. Hierbei handelte es sich höchstwahrscheinlich um eine Materialentnahmegrube für Ziegel- oder Keramikproduktion. Ziegelproduktion ist hier schon für das 2. Jahrhundert n. Chr. etwas weiter westlich durch ein Ziegellager im Bereich Mechelgasse nachgewiesen. 23 Im Südteil der Aspanggründe gab es Gruben und Einrichtungen der Ziegelei Drasche. 24 Die Grube scheint aufgrund der stratigraphischen Lage und ihrer jüngeren Funde im 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts angelegt worden zu sein. Südlich davon lag eine kleine rechteckige Grube mit senkrechten Wänden (1,7561,45 m, 0,30 m tief). Sie war mit ähnlichen, sandig-lehmigen Schichten wie die große Grube verfüllt. Befunde des 19. Jahrhunderts auf den Bauplätzen 1, 2, 3 und 6 Umleitungsgerinne des Wiener Neustädter Kanals An der Nordostseite der Baugrube für die neu zu errichtenden Gebäude konnte auf Bauplatz 6 (GC: 2009_06) ein einfach in den Erdboden eingetieftes Umleitungsgerinne des Wiener Neustädter Kanals festgestellt werden. Es war nur mehr ca. 1 m tief erhalten und durchschnittlich 4,50 m breit. Verfüllt war das 23 M. Mosser, Wien 3, Rennweg 16. FWien 9, 2006, 290 f. mit Anm. 6. 24 Ch. Öllerer, Wien 3, Adolf-Blamauer-Gasse/Aspanggründe Areal A. FWien 1, 1998, 178.

Gerinne mit braunem, sandigem Lehm mit wenigen Steinen, darüber mit lockerem Schotter, Sand und Steinen. Darauf war gelber und dunkelgrauer, kieshaltiger Lehm geschüttet. Weiters wurde in diesem Bereich eine Schotter/Steinschicht und auf dieser eine grüngraue, tonige Lehmschicht mit Molluskenresten

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Abb. 4: Südost-Profil eines Schnittes mit dem Umleitungsgerinne im Nordostteil des Bauplatzes 6. Das verfüllte Umleitungsgerinne schneidet links die Schlammschicht des erhöht angelegten älteren Hauptgerinnes des Wiener Neustädter Kanals. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

vorgefunden. Darüber war eine rötlich braune, sandige Lehmschicht aufplaniert (Abb. 4). Diese Schichten wurden vom Umleitungsgerinne geschnitten. Dieses bog nach rund 16 m Verlauf (gemessen von der Nordwestseite des Bauplatzes 6) in Richtung Aspangstraße um. An dieser Stelle war erkennbar, dass auch sein südlicher Rand schlammige Tonschichten (UK: 19,80 m über Wr. Null) schnitt. Die Schotter/Steinschicht und die schlammigen Tonschichten stammten wohl vom älteren Hauptgerinne, das vor dem Hafenbecken auf den Aspanggründen errichtet worden war. Entlang der Nordostseite der Baugrube für das neue Wohnhaus auf Bauplatz 3 (zu den römischen Befunden siehe Beitrag M. Müller, 227 ff.; GC: 2009_05) konnte zunächst ebenfalls die Südkante dieses Umleitungsgerinnes erfasst werden. An der Stelle einer älteren Aufgrabung im Ostteil des Geländes wurde ein Querschnitt angelegt. Hier war das Gerinne nur etwa 2,50 m breit und 2,60 m tief (UK: 20 m über Wr. Null). Es war in das ältere, breitere Kanalbett eingetieft, von welchem ein schlammiger Rand mit Mollusken, an der Südseite entlanglaufend, noch vorhanden war. Eine grabenartige Struktur im rechten Winkel dazu (in Verlängerung der Linie zwischen Aspangstraße 49 und 51) war mit ähnlichem Material verfüllt wie die anderen Gräben. Sie gehörte vielleicht zu einer kleinen, kurze Zeit bestehenden Ab- oder Weiterleitung. Von der Stelle, an welcher dieser Graben auf das Gerinne traf, setzte sich die leicht gebogene, wenig verschlammte Umleitung Richtung Südwesten fort. Sie umfuhr anscheinend das Hafenbecken, wie die lediglich oberflächlich gesichteten Konturen auf Bauplatz 1 erahnen lassen. Holzgebäude Südlich davon wurden Reste eines Holzgebäudes ausgegraben (Abb. 5). Es war 9,80 m breit und noch 13 m lang (nördlicher Teil des Gebäudes). In eine massive Planierung aus festem, gelbem Lehm (mit etwas Schutt und Holzkohle an der Oberkante) waren entlang des Gebäudeumrisses große Pfostenlöcher

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Abb. 5: Überblick über den Bereich des Holzgebäudes, nach Süden. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

eingetieft. Zwischen den Pfosten fanden sich auch noch Holzreste und Spuren der Außenwände. Auf der Planierschicht befand sich eine Unterbodenkonstruktion aus Holzlatten. Darüber waren noch Reste des Holzbodens erhalten. Darauf lag großflächig, aber nicht überall, eine dünne Schicht leicht rosa gefärbten Mörtelgrußes. Auch vom Eingang im Norden waren noch Nägel, Reste der Türschwelle und eines Estrichs vor derselben erhalten. Das Gebäude war an den drei Seiten von einem 0,60 bis 1,26 m breiten, umlaufenden Graben umgeben. Von seiner Südseite war aufgrund von Störungen nichts mehr erhalten. Vielleicht handelte es sich um ein Stallgebäude aus dem 19. Jahrhundert, das auf alten Plänen eingezeichnet ist. Im Bereich der Bauplätze 1 und 2 (GC: 2009_09) lag früher die jüngere, Mitte des 19. Jahrhunderts erbaute Hafenanlage. Hafenbecken Im Osten von Bauplatz 2 konnte die Einmündung des im Zuge der Errichtung des Hafens gebauten Kanals in das gemauerte Hafenbecken erfasst werden. Die östliche und die südliche Außenmauer dieses zweiten Wiener Hafenbeckens waren noch relativ gut erhalten und beide 46,60 m lang. Sie waren ursprünglich aus Ziegeln gemauert und an der Wasserseite über einem sechs Ziegellagen hohen Fundamentvorsprung mit Steinquadern verkleidet (Abb. 6). Davor gab es in regelmäßigen Abständen Ausnehmungen für Holzpiloten. Die Steine waren regelmäßig versetzt, jeder zweite war als Binder in das Ziegelmauerwerk eingebunden. Diese Quaderverkleidung bestand teilweise aus Leithakalkstein, der feinkörnige scheint in Kaisersteinbruch (Niederösterreich) abgebaut worden zu sein. Derjenige, in welchem große Moostierchen erkennbar waren, dürfte eher aus Wöllersdorf (Niederösterreich) stammen. 25 Das Baumaterial (Steine und Ziegel) wurde wahrscheinlich über den Kanal antransportiert. Vom Ziegelproduzenten und Kanalpächter Alois Miesbach (1791–1857) wur25 Für die Sichtung und Steinbestimmungen sei Dr. Andreas Rohatsch (Institut für Ingenieursgeologie der TU Wien) gedankt.

den in der Mauer, wie zu erwarten war, Ziegel mit seinen Initialen „A M“, mit einem Herzwappen, in dessen Mitte sich meist ein „G“ befindet (Werk Guntrams-

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Abb. 6: Südwestliche Hafenbeckenmauer. Abschnitt mit erhaltener Quaderverkleidung, nach Westen. (Foto: M. Schulz)

Abb. 7: Das polygonale Pflaster an der Ostseite des Hafens auf Bauplatz 2, nach Westen. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

dorf) oder ein „L“ (Werk Leopoldsdorf), gesichtet. 26 Außerdem kamen die Ziegelzeichen „G C“ mit einem „G“ im Herz (Werk Gansterer in Guntramsdorf) vor. Die jüngeren Ziegel von Heinrich Drasche (1811–1880)27 mit den Ziegelzeichen „H G D“ (nach 1857,Werk Guntramsdorf) deuten auf ausgebesserte Mauerabschnitte hin, sie befanden sich meist in den oberen erhaltenen Lagen. Von der westlichen Mauer, zum schmalen Abschnitt des Hafenbeckens hin, war nur mehr das Ziegelfundament erhalten. Nach Westen zu gab es in Richtung Bauplatz 1 Abschnitte, die im Fundament riesige, unregelmäßige Steine aufwiesen. Innerhalb des Hafenbeckens zeichnete sich deutlich eine schlammige, dunkle Schicht ab, welche die Sohle bildete. Darüber war das Becken mit sehr lehmigen Schichten aufgefüllt. Einige Keramikfragmente des 19. Jahrhunderts wurden aus diesen Schichten geborgen. An der Ostseite des Hafens waren noch 13 Reihen (in Richtung Südosten) von dicken, polygonalen, rötlichen Kalksteinen erhalten (Abb. 7), bei denen es sich wohl um eine Kalksteinbreccie aus

26 Zu Alois Miesbach siehe auch Czeike, Wien Lexikon 4, 262 s. v. Miesbach Alois; P. Mitchell, Bricks in the Central Part of AustriaHungary. Historische Archäologie 2009. www.histarch.uni-kiel.de/2009_Mitchell_low. pdf (19.7. 2010) 8. Auch Dr. Gerhard Zsutty (Bezirksmuseum Penzing/Ziegelmuseum) sei für sein Interesse und die Unterstützung gedankt. 27 Zu Heinrich Drasche: Czeike, Wien Lexikon 2, 90 f. s. v. Drasche Heinrich; Mitchell (Anm. 26) 8 f.

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Abb. 8: Der eingewölbte Werkskanal auf Bauplatz 1, nach Südosten. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Rohrbach bei Mayerling handelt. Zwischen mehreren Reihen von quadratischen Platten mit abgeschrägten Ecken, also achteckig geformten Steinen, lagen zwei Reihen etwas kleinerer, sechseckiger Blöcke. Auf diesem Pflaster (OK: 21,44 m über Wr. Null) wurden vermutlich schwere Lasten ausgeladen. Das Hafenbecken konnte nun etwas genauer lokalisiert werden als es zuvor auf Plänen des 19. Jahrhunderts möglich war. 28 Es zeigte sich, dass es sehr sorgfältig und ziemlich massiv gebaut war. Trotzdem waren in seiner kurzen Betriebszeit von rund 30 Jahren Reparaturen notwendig. Es war mindestens 2

6.500 m groß. Auf Bauplatz 1 war die Hafenbeckenmauer schlechter erhalten. Das Fundament bestand zum Teil aus sehr großen, unregelmäßigen Steinen, teilweise aus Ziegeln. Von der Verkleidung oder dem aufgehenden Mauerwerk war nichts mehr vorhanden, da seine Steine und Ziegel für den eingewölbten Werkskanal verwendet worden waren. Werkskanal Der Werkskanal verlief nur 4 bis 5 m nordöstlich der Südmauer des Hafenbeckens (Abb. 8). Er führte ab 1880, eingeengt unter dem Perron der Aspangbahn, durch das Hafenbecken in Richtung ehemaliger Rennwegschleuse. Die Seitenwände waren überwiegend aus kleinen Hau- und Bruchsteinen (auch Steine aus Kaisersteinbruch, aber minderer Qualität) mit einem festen Mörtel gemauert. Das segmentbogige Gewölbe bestand aus Ziegeln. Die lichte Weite betrug 1,95 m, die Höhe bis zum Scheitel 1,50 m. Innerhalb desselben war ein (jüngeres?) Rohr mit 49 cm Durchmesser verlegt. 28 Wien 1863 mit Vororten 1856–1868. Hist. Atlas Wien, 4. Lfg. (Wien 1990) 4.1.3; Generalbaulinienplan 1866. Hist. Atlas Wien, 5. Lfg. (Wien 1994) 5.3.2.

Bahnhofsgebäude Unmittelbar nordöstlich des Werkskanals befanden sich massive Ziegelmauern auf Steinfundamenten (UK: 17,32 m über Wr. Null). Es handelte sich um den

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Abb. 9: Mauern im Bahnhofsbereich auf Bauplatz 1, in der Mitte dicke Ziegelaußenwand, rechts daneben der Werkskanal, nach Südosten. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Abb. 10: Kleiner Ziegelkanal mit Steinabdeckung auf Bauplatz 6, nach Südwesten. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

südlichen Kellerbereich des Aspangbahnhofgebäudes (Abb. 9). Im Grabungsschnitt gab es außer der Südmauer drei eingesetzte Zwischenmauern, zwei von der Mittelmauer abgehende Mauerzungen sowie Einbauten. Kanal Unter den Auffüllungen der bereits abgebrochenen Bahnhofsrampe kam auf Bauplatz 2 ein in Nordwest-Südost-Richtung verlaufender Kanal mit Ziegelwänden (vier Lagen Binder: 24616/1767/8 cm) und einer Abdeckung aus großen Steinblöcken (60657628 cm) zum Vorschein, der bis zum Bauplatz 6 verfolgt werden konnte. Außerdem wurde im rechten Winkel dazu ein schmaler Kanal, quer über das Baugrundstück 6 führend, dokumentiert (Abb. 10). Er

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war 1 m breit und ca. 0,70 m hoch und die Seitenwände waren aus Binderziegeln (füng Lagen, rot, 29–3061466,5–7 cm, Fugen 1,5–3,5 cm) gemauert. Die Abdeckung bestand ebenfalls aus rötlichen Steinblöcken (66662625, 74660633 cm). An der Sohle befand sich feiner Kies mit schwarzem Schlamm. Darüber waren im Kanal schräg gestellte Steine (45620 cm) eingesetzt, über denen eine schwarze Lehmschicht und Kies lag. Diese Kanäle stammten aus der Betriebszeit des Bahnhofs.

Abgekürzt zitierte Literatur Czeike,Wien Lexikon Kletter 2006 Lange 2003 Schlöss 2003 Slezak et al. 1981 Wiener Neustädter Kanal 1997

F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 1–62 (Wien 2004). G. Kletter, Der Aspangbahnhof und die Wien-Saloniki-Bahn. Auf Schienen unterwegs (Erfurt 2006). F. Lange, Von Wien zur Adria. Der Wiener Neustädter Kanal. R. Archivbilder (Erfurt 2003). E. Schlöss,Vom Hafenbecken des Wiener Neustädter Schifffahrtskanals zum Bahnhof Wien-Mitte. WGBl 58/2, 2003, 135–144. P. Slezak/F. Slezak/J. O. Slezak, Vom Schiffskanal zur Eisenbahn. Wiener Neustädter Kanal und Aspangbahn (Wien 1981). Industrieviertel-Museum Wiener Neustadt (Hrsg.), 200 Jahre Wiener Neustädter Kanal. 1797–1997 (Wiener Neustadt 1997).

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991) – Teil 2 Alice Kaltenberger An dieser Stelle soll weiteres neuzeitliches Fundmaterial aus den von der Stadtarchäologie Wien 1990/1991 durchgeführten Grabungen am Michaelerplatz in der Wiener Innenstadt vorgestellt werden,1 das bei der Endpublikation 20082 nicht berücksichtigt wurde. Es beinhaltet ergänzende Bestände3 zu den bereits durch die Verfasserin unter Punkt „6. Haus Nr. 5, Keller 10–11: Verfüllung des Entsorgungsschachtes“4 publizierten Keramikfunden (hier als „Teil 1“ bezeichnet). Gemeinsam mit den übrigen Funden wurde der Datierungsrahmen für die Masse des Fundmaterials aus der „unteren“ Verfüllung schwerpunktmäßig auf die Zeit „um 1760 bis um 1790“ eingegrenzt,5 der durch die Keramik mit einem „1764“ oder „1784“ datierten Fayencekrug, einer kleinen Fayenceschale aus 1 Zur Auswertung der neuzeitlichen Befunde siehe H. Krause/G. Reichhalter/S. SaklOberthaler, Neuzeitliche Befunde der Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991). FWien 11, 2008, 86–131. Ferner H. Krause, Von der Straßenkreuzung zum Platz – Die Geschichte des Michaelerplatzes vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. FWien 10, 2007, 4– 42. 2 Kaltenberger 2008. 3 Kaltenberger 2008, 158–173: „Verfüllung des unteren Schachtbereiches – kreisrunder Entsorgungsschacht (Kat.-Nr. 37–88)“. Die Funde beschränken sich auf fünf Fundnummern, unter denen sich abermals viele Passscherben finden: 1055 – FO: bis 8,86 OWN (= m über Wr. Null); 1061 – FO: unter 8,86 bis 7,76 OWN; 1071 – FO: unter Niveau 7,76 OWN; 1075 – FO: bis 7,73 OWN; 1143 – FO: 7,76 bis 6,73 OWN. 4 Kaltenberger 2008, 157–179, zum Befund vgl. bes. 157 f. 5 Glas: Tarcsay 2008; Münzen: C. Litschauer, Das neuzeitliche Münzspektrum aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991). FWien 11, 2008, 132–143 bes. 134 f.: rund 70% der Prägungen aus der Zeit Maria Theresias (1740–1780) stammen aus dem Entsorgungsschacht und stellen einen chronologischen Schwerpunkt dar. 6 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 79; 84 und 87. 7 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 43 (Henkeltopf); 57 (Dreibeinschüssel mit Doppelhenkel) sowie vermutlich Kat.-Nr. 56 („Nachttopf“). 8 Genaue Beschreibung siehe Kaltenberger 2008, 145, dazu die Formen aus diesem Fundensemble S. 158.

der Werkstatt Johann Michael Mosers aus Salzburg aus dem dritten Viertel des 18. Jahrhunderts sowie einem Koppchen der Wiener Porzellanmanufaktur aus dem Zeitraum „nach 1749 bis vor 1784“ erhärtet wird. 6 Dennoch liegen auch ältere Stücke vor, die chronologisch bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen. 7 Da der Publikationsstand zu Keramik aus dem Verbrauchermilieu des 18. Jahrhunderts in Österreich noch als äußerst schwach zu bezeichnen ist, werden im Folgenden die übrigen Keramikfunde dieses Komplexes vorgelegt, die sich einerseits gut in das bereits erarbeitete Chronologiegerüst einfügen, andererseits das für diesen Zeitraum repräsentative Gebrauchskeramikspektrum ergänzen und mit – erstmals als Bodenfunde belegter – teurer Importware einen Nachweis für den sich abzeichnenden Wandel der Tischkultur der gehobenen Kreise bieten. Scherben Oxidierend gebrannte Irdenware Die Mehrzahl der Stücke, wie auch die beiden malhorndekorierten Schalen, entsprechen wieder dem bereits erarbeiteten Scherbentyp8: Michaelerplatz-Ox 2 Hellbeige bis hellrosa gebrannte Irdenware, sehr stark gemagert, Magerungsanteile mittelfein bis (mittel)grob. Formen: Henkeltopf mit Kragenrand Kat.-Nr. 1, 2; Henkeltopf mit profiliertem Kragenrand Kat.-Nr. 3; Henkeltopf mit aufgestelltem Rand Kat.-Nr. 4, 5; Hohldeckel Kat.-Nr. 8, 9; kleine Schalen mit Malhorndekor Kat.-Nr. 10, 11.

Auch in diesem Nachtrag sind mit den beiden „Nachttöpfen“ Kat.-Nr. 6 und 7 wieder Einzelstücke mit anderem, sehr stark fein bzw. mittelfein gemagertem, orangerosa gebranntem Scherben zu beobachten, deren genaue Beschreibung im Katalog zu finden ist.

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Fayence Die Fayencen lassen sich ebenfalls weitgehend den bereits festgestellten fein gemagerten und hell gebrannten9 Scherbentypen10 Michaelerplatz-Fay 1 und Michaelerplatz-Fay 2 zuordnen. 11 Die Fayencen aus Savona und Holitsch besitzen jeweils charakteristische Scherbentypen, die neu mit diesem Fundensemble auftreten. Michaelerplatz-Fay 1 Scherben durchgehend rosa, Magerungsanteile fein bis sehr fein. Magerungsanteile: fein bis sehr fein; (sehr) wenige gerundete, farblos durchscheinende Partikel (Quarz/Feldspat) bis 0,25 mm, vereinzelte gerundete, rostfarbige Eisenoxidkonkretionen bis 0,25 mm. Matrix: sehr schwach gemagert, geringfügig porig bis dicht. Farbe der frischen Bruchfläche: orangerosa 5YR 7/6 reddish yellow, rosa 5YR 7/4 pink, rosa 7.5YR 7/4 pink, hell rosabeige 7.5YR 8/4 pink. Im Einzelfall beige 10YR 8/4 very pale brown über rosa Kern. Oberfläche: beidseitig opak weiß glasiert. Brand: ox., (sehr) hart gebrannt. Formen: Krug Kat.-Nr. 27; Krug in Fassform Kat.-Nr. 33; Kanne Kat.-Nr. 34.

Michaelerplatz-Fay 2 Scherben durchgehend sehr hellbeige, sehr fein. Magerungsanteile: sehr fein; sehr vereinzelte gerundete, rostfarbige Eisenoxidkonkretionen bis 0,1 mm. Matrix: sehr fein, dicht, sehr selten sehr vereinzelte Poren bis 0,1 mm. Farbe der frischen Bruchfläche: sehr hell beige 10YR 8/2 white, hellbeige 10YR 8/3 very pale brown. Oberfläche: beidseitig opak weiß glasiert. Brand: ox., (mäßig) hart gebrannt. Formen: Henkeltopf Kat.-Nr. 12; Apothekenabgabegefäße Kat.-Nr. 13–18, 21; Birnkrüge Kat.-Nr. 28, 29; Walzenkrug Kat.-Nr. 31; kleiner Krug Kat.-Nr. 32; Henkelschüssel Kat.-Nr. 36; Henkeltassen Kat.-Nr. 37, 38; Unterteller Kat.-Nr. 39; Teller Kat.-Nr. 40, 42.

Scherbentyp Holitsch Sehr fein gemagert, oxidierend hellbeige und hart gebrannt. Magerungsanteile: sehr fein, nicht erkennbar. Matrix: geringfügig feinstporig. Farbe der frischen Bruchfläche: hellbeige 10YR 8/3 very pale brown. Oberfläche: glasiert. Glasur tendenziell mit mehr oder weniger ausgeprägtem Graustich, vielen sehr feinen schwarzen Partikeln, stark krakeliert. Brand: ox., hart gebrannt. Alle drei vorliegenden Stücke haben den gleichen Scherbentyp. Formen: Terrine Kat.-Nr. 43; Teller Kat.-Nr. 44, 45.

Scherbentyp Savona Sehr fein gemagert, oxidierend rosa und mäßig hart gebrannt. Magerungsanteile: sehr fein; sehr vereinzelte rostfarbige Eisenoxidkonkretionen bis 0,15 mm. Matrix: feinstporig. Farbe der frischen Bruchfläche: rosa 7.5YR 8/4 pink Brand: ox., mäßig hart gebrannt. Formen: Henkeltasse Kat.-Nr. 46; hohe Tasse Kat.-Nr. 47; eckige Schüssel Kat.-Nr. 48.

9 Fayence erfordert generell einen feineren Scherben als Irdenware, da die Fayenceglasur sonst blasig wird oder zu Abrollungen führt. Eine hellere Scherbenfarbe begünstigt zudem die Deckkraft der weißen Glasur. Bei roten Scherben erscheint die Glasur rosa. 10 Kaltenberger 2008, 159. 11 Angesichts der Tatsache, dass die Fayencen vermutlich nicht von einem Ort bzw. aus einer Werkstatt stammen, erscheint die Aufteilung in Kaltenberger 2008 mit nur wenigen Fayencen in zwei Scherbentypen nunmehr als zu eng gefasst, die Scherbenbeschreibungen könnten unter dem treffenderen Terminus „Keramikart“ geführt werden, die makroskopisch gleich bzw. sehr ähnlich aussehende Scherbentypen zusammenfasst.

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Herstellungstechnologische Merkmale Wie bereits in Teil 112 beobachtet, sind auch bei den nunmehr vorgestellten Töpfen aus Irdenware die unteren Henkelangarnierungsstellen mit Fingerdruckmulden betont. Die Herstellung der Fayenceteller Kat.-Nr. 41, 42, 44 und 45 erfolgte durch Überdrehen. 13 Die reliefierte Wandung der Terrine Kat.-Nr. 43 aus der Fayencemanufaktur in Holitsch (Slowakei) entstand durch Eindrücken in eine Form, wie schwache Verstreichspuren auf der Innenseite belegen. Sowohl bei den Fayencekrügen Kat.-Nr. 26–31 als auch bei sämtlichen Apothekenabgabegefäßen, die als Massenprodukte rasch hergestellt wurden, fällt die nachgearbeitete bzw. gut verstrichene Bodenunterseite auf, an der keine Abschneide- oder Abhebespuren mehr zu erkennen sind. Glasuren Bei den Töpfen der oxidierend gebrannten Irdenware Kat.-Nr. 1–7 beschränkt sich die transparente Glasur auf die Gefäßinnenseite, mit ockerfarbenen Farbnuancen und unter Betonung der Randzone durch nochmaligen Auftrag. Die beiden Hohldeckel Kat.-Nr. 8 und 9 wurden beidseitig transparent dunkelbraun glasiert. Die Farbpalette der prinzipiell opak weißen Glasuren der Fayencen bewegt sich von nahezu reinem Weiß über schwach rosa oder hellgrau getönt bis zu RAL 9002 Grauweiß, wobei RAL 9001 Cremeweiß dominiert. Hinsichtlich der Glasurqualität lässt sich eine Gruppe beobachten, deren gut deckende Glasur kein Krakelee aufweist. Generell sind häufig feine schwarze Partikel in der Glasur festzustellen. Nur selten sind Nadelstiche14 zu beobachten. Bei den beiden Apothekenabgabegefäßen Kat.-Nr. 13 und 14 mit opak „hellblaugrauer“ bzw. opak „hellgrünlichgrauer“ Außenglasur ist die Innenseite mit einer nur schwach getrübten Glasur versehen. Auch die beiden Teller Kat.Nr. 40 und 42 tragen auf der Unterseite eine nur getrübte und nicht opak deckende Glasur. Diese Vorgehensweise ist als Sparmaßnahme zu betrachten, da die deckende Zinnglasur teuer ist und umso teurer wird, je mehr Zinn sie enthält. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Fayencen ist die flache Bodenunterseite nicht glasiert, eine Ausnahme stellt lediglich das Apothekenstandgefäß Kat.-Nr. 25 dar. Hingegen ist die Bodenunterseite bei Gefäßen mit Standring glasiert, aus brenntechnischen Gründen wurde nur die Standring-Unterseite unglasiert belassen. 15 Sämtliche Teller ohne Standring, Kat.-Nr. 41, 42, 44 und 45, sind auch auf der flachen Unterseite glasiert. Dekore Malhorndekor findet sich nur bei den zwei kleinen Schalen Kat.-Nr. 10 und 11. 12 Kaltenberger 2008, 159 f. 13 Dazu Kaltenberger 2009, 197. 14 Kaltenberger 2009, 286. 15 Kleiner Krug Kat.-Nr. 32, Krug in Fassform Kat.-Nr. 33, Henkelschüssel Kat.-Nr. 36, Tassen Kat.-Nr. 37 und 47, Teller Kat.-Nr. 40 und Terrine Kat.-Nr. 43.

Er beschränkt sich auf alternierend rotbraune und dunkelbraune senkrechte Linien, die im inneren Bodenbereich im nassen Zustand durch Verziehen oder Schütteln des Gefäßes die Marmorierung ergaben. Die Dekore der Fayencen und Porzellane wurden mit dem Pinsel entweder nur kobaltblau oder bunt in den Scharffeuerfarben Kobaltblau, Manganbraun/-vio-

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lett, Kupfergrün und Antimongelb aufgetragen, die den hohen Brenntemperaturen im Glasurbrand standhalten. Andere Farben müssen auf die Glasur aufgetragen und in einem weiteren Brand mit niedrigerer Temperatur, dem sog. Muffelbrand, eingebrannt werden, wobei die Stücke zum Schutz vor Ascheanflug in sog. Muffeln/Kapseln geschützt werden. Ein Nachweis dafür liegt mit Kat.-Nr. 60 mit rosa Dekorteilen vor. Gebrauchsspuren Wie bereits in Teil 1 festgestellt, sind auch hier wieder an den Henkeltöpfen (Kat.-Nr. 2–6) an der dem Henkel gegenüberliegenden Wandung mehr oder weniger starke Kohlenstoffablagerungen durch Stehen am offenen Feuer zu beobachten, weshalb diese in ihrer Funktion als Kochgefäße angesprochen werden dürfen. Der Henkeltopf Kat.-Nr. 12 besitzt auf der Innenseite und besonders auf dem Deckelfalz sowie auf der dem Henkel gegenüberliegenden Außenseite einen braunen Belag. In den weiten Bereich der Gebrauchsspuren fällt auch die durch Bodenlagerung im sauren (Latrinen-)Milieu verursachte großflächige Korrosion der Glasur (Kat.-Nr. 6, 8, 9, 12). Sehr stark korrodierte Glasur weisen die drei Apothekenabgabegefäße Kat.-Nr. 19, 20 und 21 auf, die ehemals opak weiße Glasur, die nur mehr an kleinen Stellen zu erkennen ist, erscheint nunmehr großflächig braun bis dunkelbraun. Sie könnte vor allem auf der Innenseite, wie bei dem Apothekenabgabegefäß Kat.-Nr. 22, bei dem nur die Innenseite dunkelbraun verfärbt ist, möglicherweise das Resultat einer korrodierenden Einwirkung von sauren Bestandteilen des Gefäßinhaltes sein, die die Glasur zerstörten. Sehr starke Korrosionsschäden weisen der Birnkrug Kat.-Nr. 28, die Kanne Kat.-Nr. 34 und der zugehörende Deckel Kat.-Nr. 35 auf, deren Oberfläche nunmehr homogen braun bis dunkelbraun erscheint. Der ursprünglich bunte Dekor der Fayencen ist nur mehr sehr schwach an gelben oder grünen Farbflecken und an seiner geringfügig erhabenen Struktur im Streiflicht zu erkennen. 16 Die einzelnen Bruchstücke des Tellers Kat.-Nr. 41 sind unterschiedlich stark korrodiert, was auf die verschiedenen Lagerungsplätze zurückzuführen sein dürfte. Bei allen Fayencen mit kobaltblauem Dekor ist die blaue Farbe an den dick aufgetragenen Stellen zu Braun korrodiert, wodurch sich nunmehr ein dominierend braunes bzw. braun-blaues Erscheinungsbild des Dekors ergibt (Taf. 7,36.38.40). Bei den beiden Porzellantassen Kat.-Nr. 59 und 60 ist die zu Braun korrodierte Farbe nicht mehr zu eruieren.

16 Wenn der das Glas stabilisierende Zinngehalt in der Alkalibleiglasur nicht hoch ist, ist sie durch Laugen und Säuren leichter angreifbar und die Korrosion wird begünstigt (freundl. Mitt. DI Wolf Matthes, Leutesdorf). Liegen solche Fayencen über einen längeren Zeitraum in Fäkalien, so erfährt die Fayenceglasur eine chemische Umwandlung (freundl. Mitt. Dr. Silvia Glaser, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg).

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Abb. 1: Töpfe und Deckel, glasierte Irdenware. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

Formen Oxidierend gebrannte, innenseitig glasierte Irdenware (Abb. 1) Henkeltöpfe Das Spektrum der bereits in Teil 1 vorgelegten Töpfe wird nun um fünf Henkeltöpfe erweitert, die alle den bereits mehrfach nachgewiesenen,17 sehr stark gemagerten, hellbeige bis hellrosa gebrannten Scherbentyp Michaelerplatz-Ox 2 besitzen. Sie sind innenseitig ockerfarbig glasiert, mit Betonung der Randinnenseite durch nochmaligen Glasurauftrag. Die Randdurchmesser reichen von 7,7, über 9,5, 9,8, 10,0 bis 10,5 cm, ihre Höhe von 8,4 bis 11,7 cm. Die Kontur ist wiederum bauchig, wobei der Fuß mehr (Kat.-Nr. 1, 3, 4) oder weniger (Kat.-Nr. 2) stark eingezogen ist. Für sämtliche Töpfe ist jeweils ein bandförmiger Henkel nachgewiesen, an den unteren Angarnierungsstellen befinden sich Fingerdruckmulden. Für Kat.-Nr. 4 und 5 ist ein dem Henkel gegenüberliegender gezogener Ausguss belegbar. – Henkeltöpfe mit Kragenrand (Kat.-Nr. 1–2) Die Henkeltöpfe zeigen ein breites Spektrum an Randformen. So findet der Kragenrand des stark bauchigen Henkeltopfes Kat.-Nr. 1 keine weitere Entsprechung im Fundensemble selbst, während für Kat.-Nr. 2 bereits aus Teil 118 eine zwar ähnliche Gefäßkontur anzuführen ist, von der sich das vorliegende Exemplar jedoch durch den Kragenrand mit gerundetem oberem Abschluss und weniger starker Unterschneidung unterscheidet. Der markante Umbruch des Randes findet sich bei dem Fragment eines bauchigen, gleichfalls ockerfarbig glasierten Topfes19 wieder. Der stark bauchige Henkeltopf Kat.-Nr. 1 dürfte noch in älterer Formentradition stehen, während das Exemplar mit breiterem 17 18 19 20

Kaltenberger 2008, 145; 153 und 158. Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 44. Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 49. Dazu bereits Kaltenberger 2008, 162 f.

Boden und tiefer liegender schwacher Bauchung, Kat.-Nr. 2, eine jüngere Ausformung repräsentiert, die vermutlich in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gestellt werden darf. 20

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– Henkeltopf mit profiliertem Kragenrand und Deckelfalz (Kat.-Nr. 3) Der Henkeltopf mit profiliertem Kragenrand Kat.-Nr. 3 setzt sich mit einer Höhe von 10,4 cm von den bereits vorgestellten größeren Exemplaren21 ab, die zudem mehrheitlich innenseitig grün glasiert sind. – Henkeltopf mit aufgestelltem Rand (Kat.-Nr. 4) Neu im Formenspektrum ist der Henkeltopf mit aufgestelltem, geringfügig verdicktem Rand und Deckelfalz, der gegenüber dem Henkel einen kleinen, gezogenen Ausguss besitzt. Der Rand steht in einer längeren Formentradition, die in Fundkomplexen ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fassbar22 ist. – Henkeltopf mit dreieckig verdicktem Rand (Kat.-Nr. 5) Gleichfalls als Einzelstück liegt der kleine Henkeltopf Kat.-Nr. 5 mit dreieckig verdicktem Rand mit Deckelfalz und gezogenem Ausguss vor. Als einziger besitzt er eine horizontal umlaufende Rille auf der Schulter. – „Nachttöpfe“ (Kat.-Nr. 6–7) Die beiden „Nachttöpfe“ Kat.-Nr. 6 und 7 erweitern das Formenspektrum dieser charakteristischen Gefäßgattung innerhalb dieses Ensembles. Das größere Exemplar mit Doppelhenkel Kat.-Nr. 7 findet in Landshut eine Parallele aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts23 und scheint – wie auch Kat.-Nr. 56 in Teil 1 – eine ältere Formentradition des 17. Jahrhunderts zu vermitteln, die über einen längeren Zeitraum, zumindest bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, aktuell geblieben sein dürfte. Das kleinere, nahezu zylindrische Exemplar Kat.-Nr. 624 besitzt nur einen Henkel und einen etwas steileren „Sitzrand“. Gemeinsam mit den vier bereits publizierten „Nachttöpfen“ dieses Komplexes, dem innenseitig ockerfarbig glasierten bauchigen Exemplar25, dem beidseitig glasierten stark bauchigen Doppelhenkeltopf mit weit ausladendem profiliertem Rand26, dem gleichfalls beidseitig glasierten zylindrischen Stück27 sowie dem schwach konischen Fayence-„Nachttopf“ mit charakteristischer geschlechtsspezifischer Formgebung28, überliefern diese sechs Individuen ein synchron verwendetes Inventar. Die unterschiedlichen Formvarianten sowie die technologische Bandbreite deuten die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten im alltäglichen Gebrauch an. Auch in hohen und höchsten Kreisen fand der „Pot de chambre“ aus Irdenware in einem Nachtstuhl in der „Retirade“, dem privaten Rückzugsraum, Verwendung. 29 Hohldeckel (Kat.-Nr. 8–9) Im Gegensatz zu den bereits vorgestellten Hohldeckeln aus reduzierend und oxidierend gebrannter, unglasierter Irdenware,30 für die eine Verwendung in der Küche angenommen werden darf, sind die beiden beidseitig transparent braun glasierten Hohldeckel dem „besseren“ Geschirr zuzuordnen.

21 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 50–53. 22 Dazu bereits Kaltenberger 2002, 211. 23 W. Endres, Fundort Landshut. Keramik vom 13. bis zum frühen 19. Jahrhundert. In: F. Niehoff (Hrsg.), Stadtarchäologie in Landshut. Archäologische Zeugnisse aus sieben Jahrhunderten. Schr. Mus. Stadt Landshut 4 (Landshut 1999) Abb. 43. 24 Der Scherben (sehr stark fein gemagerte, oxidierend orangerosa gebrannte Irdenware) entspricht weitgehend Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 60. 25 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 56. 26 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 59. 27 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 61. 28 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 66. 29 Lehner-Jobst 2009, 605 f. Anm. 50: Im Nachlassinventar von Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein vom 27. August 1772: Nachtstühl mit erdenem Geschier. 30 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 37–41.

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Malhorndekorierte Irdenware (Kat.-Nr. 10–11) Kleine Schalen Die beiden kleinen Schalen besitzen gleichen Scherben und gleichartigen Dekor. Vielleicht können sie als Salz- oder Gewürzgefäße bei Tisch angesprochen werden. Malhorndekor ist im gesamten Fundkomplex nur mit diesen Schalen nachgewiesen. In Teil 1 der Fundbearbeitung wurden drei Teller mit Träufeldekor vorgestellt. 31 Damit dürfte sich abzeichnen, dass im 18. Jahrhundert Irdenware mit solch einfachen Dekoren dem Geschmack der gehobenen Kreise in der Stadt nicht entsprach. Fayence (Abb. 2–6) Fayence ist eine „verfeinerte“ Irdenware mit farbigem Scherben. Der Ton wird meistens sorgfältiger aufbereitet und enthält häufig einen erhöhten Kalkanteil zur besseren Haftung der deckenden, oft weißen Zinndioxidglasur. Fayencen entstanden aus dem vergeblichen Versuch, aus untauglichen Rohstoffen Porzellan herzustellen. Blieb das Porzellan anfänglich auf nur wenige Manufakturen, wie Meissen und Wien, beschränkt, so dienten im 18. Jahrhundert, neben Zinn und Silber, Fayencegefäße der Tafelkultur fast aller Gesellschaftsschichten. Damit erlebte die Fayence nach der Erfindung des Porzellans in Europa ihre höchste Blüte, da man sich bemühte, das Formenspektrum und die Dekore des technisch vollkommeneren, aber sehr teuren Porzellans nachzuahmen. Dieser Aufschwung führte dazu, dass die hohe künstlerische Qualität der Fayencen im 18. Jahrhundert mitunter das technologisch noch am Beginn stehende Porzellan in den Schatten stellte. Andererseits deckte die massenhafte Verbreitung fabriksmäßig hergestellter Fayencen die Bedürfnisse des Großteils der damaligen Gesellschaft. Die Fayencemanufakturen stellten für adelige und bürgerliche Haushalte eine reiche Palette an Speisegeschirren, Krügen, Kannen, Tellern, aber auch Toilettenartikel, Leuchter, Tintenzeuge sowie Tafelaufsätze her. Man übernahm dabei auch bereits bekannte Formen anderer Werkstoffe wie Kupfer, Silber, Zinn, Glas oder Bronze. Zum Untergang der Fayence im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts führte zunächst das Steingut und verstärkt ab dem 19. Jahrhundert die wachsende Verbreitung des nunmehr auch für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglichen Porzellans. Henkeltopf (Kat.-Nr. 12) Der Henkeltopf mit opak hell graublauer Innenglasur und manganbraun gespritzter Außenseite besitzt einen nur schwach bauchigen, formalen Vorläufer aus dem Fundensemble aus der Zeit „um 1700“ aus der Eslarngasse in Wien 31 32

Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 63–65. Kaltenberger 2002, Kat.-Nr. 30.

332, mit blau-weißem Spritzdekor. Seine Herkunft ist aus Niederösterreich anzunehmen.

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Kleine bauchige Töpfe – Apothekenabgabegefäße (Kat.-Nr. 13–24 Abb. 2) In Teil 1 wurden drei weiße Fayencetiegel33 vorgelegt, von denen nur einer als Ganzform erhalten ist. Nunmehr werden 12 weitere zur Gänze überlieferte Abgabegefäße vorgestellt mit unterschiedlicher Formgebung und Größe. In Archivalien (Hafnerrechnungen, Nachlass- und Apothekeninventaren) des süddeutschen Raumes werden sowohl Abgabe- als auch Standgefäße meist als Tiegel (in allen Varianten der Umgangssprache des 18. und 19. Jahrhunderts), seltener als Büchsen bezeichnet, was allerdings keine Rückschlüsse auf die jeweilige Form oder das Material zulässt. 34 Bei den Standgefäßen überwiegen die Begriffe Büchse und Topf. 35 Keramische Gefäße dienten in der Apotheke schwerpunktmäßig zur Aufnahme und Abgabe von Zubereitungen mit salbenartig zäher und flüssiger Konsistenz (Lattwergen, Salben), während die Abgabe von Pulvern in Tiegeln nur selten erwähnt wird. Da die älteren Medizinalordnungen vorwiegend nur eine Auswahl an Gefäßmaterialien vorgeben und dem Apotheker die Entscheidung entsprechend seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten überlassen wurde, kommen Überschneidungen mit anderen geeigneten Werkstoffen wie Glas häufig vor. 36 Die Arzneitaxen führen, hauptsächlich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, meist zweierlei preislich und qualitativ unterschiedliche Arten von Abgabegefäßen an, die durch Zusätze wie weisse Tiegel, Fayence Töpfe und Porcellain Häffelein von gemeinen, irdenen Töpfen oder ordinären irdenen Tiegeln zu unterscheiden sind, wobei letztere auch für den Verkauf von Arzneien an ärmere Kunden dienten. 37 In einem pharmazeutischen Lexikon aus dem Jahr 1770 wird angeführt, dass Gefäße von weißer Erde verfertiget sowie solche aus noch eine[r] andere[n] Sorte von weißer Erde, und ein wenig blau angemachet dafür dienen die Salben und Säfte für vornehme Leute hinein zu thun. 38 Die „soziale“ Differenzierung bei vermeintlich unbedeutenden Abgabegefäßen wird in den historischen Quellen bis in das 19. Jahrhundert betont: Latwergen, Gallerte, Senf-Teig und Salben kommen in irdene Tiegel, oder für vornehme und reiche Personen in porzellanene oder Gläserne Gefäße und wird bis in das 20. Jahrhundert fortgeführt. 39 Der Zweck der Glasuren liegt hauptsächlich darin, das Gefäß weitgehend abzudichten, wobei dafür bei einfacher Irdenware auch die Innenglasur als ausreichend empfunden wurde. Der andere Aspekt besteht in der Verbesserung des Aussehens, weshalb die teureren Abgabegefäße entweder beidseitig transparent oder als Fayence opak glasiert wurden. 40 Bei der Verwendung glasierter Keramikgefäße (Irdenware, Fayence, Steingut) ist allerdings zu berücksichtigen, dass Inhaltsstoffe wie Säuren, saure Säfte etc. mit der bleihaltigen Glasur

41

in Wechselwirkung treten können, vor allem

dann, wenn die Substanzen und Zubereitungen über längere Zeit hinweg in oft konzentrierter Form darin aufbewahrt werden. Ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurde auf die Zersetzung der Glasur, chemische Veränderungen der darin aufbewahrten Substanzen sowie auf gesundheitsschädliche Wechselwirkungen hingewiesen,42 dass selbst die Thonwaare zu deren Glasur Bley kommt, und aus eben demselben Grunde die Fayence erfordert […] die äußerste Vorsicht, weil das Bley […] fast von jeder, selbst von sehr schwachen

33 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 67–69. 34 Kranzfelder 1982, 20 f. 35 Kranzfelder 1982, 25 f. 36 Kranzfelder 1982, 36 f. 37 Kranzfelder 1982, 41 f. 38 Kranzfelder 1982, 43 und Anm. 5. 39 Kranzfelder 1982, 43 und Anm. 7. 40 Kranzfelder 1982, 120. 41 Vgl. dazu zusammenfassend: „Blei als Schadstoff in Glasuren“ in: Kaltenberger 2009, 237–243. 42 Kranzfelder 1982, 45 f.

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Abb. 2: Apothekenabgabegefäße, Fayence. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

Säuren angegriffen wird 43. Als Alternative zu Irdenware und Fayence mit bleihaltiger Glasur wird zur Verwendung von Steinzeug, Porzellan und Glas44 geraten. Für die unter der Bezeichnung „Apothekengefäße“ zusammengefassten Behältnisse ist keine ausschließliche Verwendung im direkten pharmazeutischen Umkreis in Anspruch zu nehmen. Sie können aus einer ärztlichen oder tierärztlichen Handapotheke oder einer Drogerie stammen. Auch Berufsgruppen wie Theriakkrämer45, Geheimmittelhersteller und -händler, Materialisten46 sowie Chirurgen und Bader bedienten sich dieser Gefäße. 47 Die zeitliche Einordnung gestaltet sich bei Abgabegefäßen insoferne schwierig, als bei handwerklich gefertigten Stücken und insbesondere bei Kleinformen die Herstellung über einen längeren Zeitraum in ähnlicher Form und Technik erfolgte. Bei den Konturen sind die herstellungsbedingten Schwankungen (u. a. „Drehen vom Stock“) zu berücksichtigen, die gerade bei kleinformatigen Ausführungen zu relativ großen Abweichungen führen können. Diese Kleingefäße sind als billige Massenware zu betrachten, von deren nach43 Kranzfelder 1982, 48 und Anm. 1 und 2. 44 Siehe dazu die verhältnismäßig große Anzahl an Apothekenabgabefäßen aus Glas in den Verfüllungen dieses Schachtes: Tarcsay 2008, 257 f. 45 Theriak: Seit dem Mittelalter beliebtes universelles Arzneimittel, das aus zahlreichen Bestandteilen gemischt wurde, darunter beispielsweise Baldrian, Vitriol, Schlangenfleisch und Opium. 46 Lehner-Jobst 2009, Anm. 42: Materialisten waren Großhändler, die der Gesundheitsund Schönheitspflege dienende Kräuter und andere Waren importierten und diese auch an Apotheken verkauften. 47 Kranzfelder 1982, 59 f.

lässiger Massenproduktion bei den vorliegenden Exemplaren Herstellungsmängel (Kat.-Nr. 16: „Beule“ in der Wandung durch Verdickung innen und außen) und Glasurfehler (Kat.-Nr. 23: schlecht verronnene Glasur während des Brandes) zeugen. Kat.-Nr. 22 zeigt, dass selbst ein Gefäß mit beschädigtem Rand noch glasiert, gebrannt und verkauft wurde. Abgabegefäße erfordern keine geeichten, sondern nur annähernd genaue Volumensbezeichnungen. Diese Inhaltangaben erleichtern Bestell- und Liefervorgänge sowie den Gebrauch dieser Behältnisse in den Apotheken. Sie bieten meist den einzigen Anhaltspunkt zum Vergleich mit anderen Gefäßen, da – vor allem in älteren Aufzeichnungen – genaue Beschreibungen von Form, Material, Glasur oder Ausführung häufig fehlen oder unterschiedliche Deutungen zulassen. Dies trifft insbesondere für Apothekenabgabegefäße zu, die von Haf-

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nern und Manufakturen oft nur als Randsortiment „nebenbei“ gefertigt wurden. 48 Von den im vorliegenden Fundensemble zur Gänze erhaltenen Abgabegefäßen wurden die Volumina mit Wasser gemessen, das bis zur inneren Randumbruchskante eingefüllt wurde. Dabei wurden die in Tabelle 1 angeführten Werte ermittelt. Das Ergebnis zeigt, dass die überwiegende Mehrzahl ein Fassungsvermögen von rund 1/20 Liter besitzt. Die Abgabegefäße wurden nach Vorgaben des Apothekers von den Hafnern auf Bestellung gefertigt. Für feste Salben (weißes Wachs oder hydrophile Sal-

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Kat.-Nr. 17 15 16 20 23 22 24 19

Liter 3/20 1/10 1/10 etwas weniger als 1/20 etwas weniger als 1/20 1/20 geringfügig mehr als 1/20 rund 1/30

Tab. 1: Volumina der Apothekenabgabegefäße.

ben, die schwerer als Lösungen von ätherischen Ölen sind) wurde das Volumen in Unzen (heute in Gramm)49 angegeben. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sowohl bei den Standgefäßen als auch bei den Abgabegefäßen die zylindrischen Formen ohne ausgeprägte Fußzone dominieren und für die bauchigen Tiegel eine Datierung in das erste und zweite Drittel des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen wird,50 herrschen in diesem Fundensemble in Wien mehr oder weniger stark bauchige Formen mit abgesetztem Fuß vor. Die beiden kleinen stark bauchigen Abgabegefäße Kat.-Nr. 13 und 14 sind durch die deckende „hellgrünlichgraue“ und „hellblaugraue“ Außenglasur und die lediglich getrübte Innenglasur, die als Sparmaßnahme zu betrachten ist, verbunden. Ein der Kat.-Nr. 13 ähnliches Exemplar mit gerundet eingezogener Fußzone aus beidseitig grün glasierter Irdenware, das schwerpunktmäßig in das 18. Jahrhundert datiert, ist aus Schloss Hallwil in der Schweiz51 zu nennen. Als formaler Vergleich lässt sich zu Kat.-Nr. 14 eine Parallele aus Fayence aus Nürnberg heranziehen, die schwerpunktmäßig in das erste/zweite Drittel des 18. Jahrhunderts gestellt wird. 52 Mit Kat.-Nr. 15–18 lassen sich vier Abgabegefäße formal und technologisch zu einer einheitlichen Gruppe zusammenfassen, die sich durch ihre Dünnwandigkeit, ihre nahezu weiße, nur etwas graustichige, gut deckende und glänzende Glasur ohne Krakelierung sowie den gleichen Scherbentyp manifestiert. Die kleinen bauchigen Töpfe haben eine abgesetzte Fußzone, eingezogenen Hals und einen als Kremprand zu bezeichnenden Binderand. Aufgrund der genannten Gemeinsamkeiten darf für diese Gruppe die Herkunft aus einer Werkstatt vermutet werden. Ihre verhältnismäßig dünne Wand lässt auf eine Herstellung auf der Scheibe schließen, während für die übrigen Gefäße durch ihre dicke Wandung eine rationelle Produktion „vom Stock“ nicht auszuschließen ist. Eindeutige Nachweise für die eine oder andere Ausformung lassen sich nicht erbringen, da die Bodenunterseiten aller Tiegel gut nachbearbeitet wurden und somit keine Abschneide- bzw. Abhebespuren mehr zu erkennen sind. Zu Kat.-Nr. 16 findet sich eine formale Übereinstimmung mit einem etwas kleineren Fayencetiegel in Wien, der ebenfalls in das 18. Jahrhundert datiert wird. 53 In Teil 1 der Publikation der Funde vom Michaelerplatz liegt zu Kat.Nr. 19 ein formal übereinstimmendes Exemplar mit gleicher Höhe von 5,2 cm vor, dessen weiße Farbe der Fayenceglasur noch intakt ist. 54 Technologisch lässt sich dieses bereits vorgestellte Stück anhand des Scherbens und der nicht krakelierten, gut deckenden weißen Glasur mit vielen feinsten schwar-

48 Kranzfelder 1982, 191. 49 Gewichtsmenge für feste Stoffe, 1 Unze entspricht 10 Gramm. Freundl. Mitt. Dr. Ursula Kranzfelder, Apothekerin, Augsburg. 50 Kranzfelder 1982, 94 f. 51 Kranzfelder 1982, Nr. 467 c. 52 Kranzfelder 1982, Nr. 655. 53 G. Kohlprath, Neuzeitliche Keramikfunde in Wien. In: Keramische Bodenfunde aus Wien. Mittelalter – Neuzeit. Kat. Mus. Stadt Wien (Wien o. J. [1982]) Kat.-Nr. 403 (die Glasur ist nach der Abbildung stark krakeliert). 54 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 67.

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zen Punkten der Gruppe Kat.-Nr. 15–18 zuordnen. Eine im Vergleich zu Kat.Nr. 19 formal ähnliche Kontur weist ein Exemplar aus Fayence aus Nürnberg aus der Zeit des ersten/zweiten Drittels des 18. Jahrhunderts auf. 55 Mit Kat.-Nr. 23 und 24 liegen zwei Salbentöpfe mit etwas abweichender Form vor, Kat.-Nr. 23 mit weiter Öffnung und Kat.-Nr. 24 mit aufgestelltem Rand und hoch liegender, abgesetzter Schulter. Zu Kat.-Nr. 23 finden sich wieder Analogien in Schloss Hallwil in der Schweiz, mit beidseitig grün glasierter56 sowie nur innenseitig grün glasierter Irdenware57, die schwerpunktmäßig dem 18. Jahrhundert zugewiesen werden. Wie Archivalien belegen, wurden Abgabegefäße von den Hafnern üblicherweise in Einheiten zu 100 Stück angeboten. 58 Die Praxis, Apothekenabgabegefäße bei nicht zu entfernt gelegenen Hafnern anfertigen zu lassen, hält sich bis in das 20. Jahrhundert. 59 Bei der Belieferung durch Fayencemanufakturen in Deutschland bestand die Tendenz, den nahe gelegenen Einzugsbereich vorzuziehen. Neben finanziellen Erwägungen darf der Grund auch darin gesehen werden, dass die Beförderung dieser bruchempfindlichen Ware über weite Strecken, oftmals mit häufigem Umladen, große Risiken in sich birgt. 60 Das breite Spektrum an Formen und Technologien der Apothekenabgabegefäße vom Michaelerplatz deutet eine Herstellung in verschiedenen Werkstätten an. Das Herkunftsgebiet ist derzeit nicht anzugeben, zu vermuten ist der Stadtbereich bzw. das Umfeld von Wien oder Niederösterreich. Doch ist auch ein weiterer Transportweg, etwa aus der Westslowakei, nicht auszuschließen, der für diese „besseren“ Tiegel mit beidseitig opak weißer Glasur vielleicht nicht zu kostspielig war. Die Zusammensetzung des nunmehr vorhandenen Bestandes61 resultiert möglicherweise aus der Belieferung der Apotheken durch verschiedene Hafnereien bzw. aus dem Kauf von Produkten, die über einen längeren Zeitraum hinweg und/oder von mehreren Apotheken erworben wurden. Im Gegensatz zu Tiegeln aus Deutschland, deren Innenseiten meist transparent (häufig farblos mit beiger Farbwirkung) glasiert sind,62 tragen die meisten vom Michaelerplatz auch auf der Innenseite die teure opak weiße Glasur. Diese hervorgehobene Qualität lässt darauf schließen, dass darin nicht nur Arzneien enthalten gewesen sein müssen, sie könnten als Behälter für teure Essenzen im Bereich der Kosmetik, wie Duftsalben, Schminkpasten oder Pomade, gedient haben, vielleicht wurden sie auch als Bestandteil eines Toilettenservices gut sichtbar auf dem Toilettetisch aufgestellt. Gerade im 18. Jahrhundert war man einer übermäßigen Verwendung von Wasser nicht zugetan und Personen höheren und höchsten Standes wendeten 55 Kranzfelder 1982, Nr. 655. 56 Kranzfelder 1982, Nr. 467 a. 57 Kranzfelder 1982, Nr. 468 a. 58 Kranzfelder 1982, 194. 59 Kranzfelder 1982, 217. 60 Kranzfelder 1982, 231. 61 Etliche weitere stark fragmentierte Gefäße sind im Fundbestand nachweisbar. 62 Freundl. Mitt. Dr. Ursula Kranzfelder, Apothekerin, Augsburg. 63 Lehner-Jobst 2009, 596.

erhebliche Sorgfalt für das Kaschieren der Konsequenzen dieser Wasserscheu und für die eigene repräsentative Erscheinung auf. Wohlriechende Essenzen und Pflegetinkturen waren sehr teure Produkte, unentbehrlich in einer Zeit, in der man der Trockenwäsche mit Puder, Balsam und Aromen mehr Wirkungskraft zugestand als Wasser und Seife. Man glaubte durch den Kontakt mit Wasser könnten Krankheitserreger durch die Haut in den Körper gelangen, folglich wurde dieses in nur geringen Mengen verwendet und möglichst mit duftenden Zusätzen versetzt, die Reinheit suggerierten. 63

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Habanische Fayence aus der Westslowakei Die Anwendung der Zinnglasur64 dürfte im böhmisch-slowakischen Raum ab dem Ende des 15. Jahrhunderts auf die Kachelproduktion beschränkt geblieben sein. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts kam es in Südostmähren zur Herstellung von Fayencegeschirr in den Werkstätten der eingewanderten Wiedertäufer. Die Bezeichnung „Habaner“65 steht im Slowakischen für die Anabaptisten oder Wiedertäufer, einer abgespalteten Gruppierung des Protestantismus, die die Unentbehrlichkeit der christlichen Taufe im Erwachsenenalter und die Verdammung des Privateigentums verkündeten. Während der Zeit der Reformation entstand 1524 die Wiedertäufersekte in der Schweiz. Neben der eigenen Auffassung von der Taufe, erkannten sie weder eine weltliche noch eine geistliche Obrigkeit an und erklärten allen Besitz für Gemeingut. Vielfach verfolgt, siedelte sich eine größere Gruppe im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts in Mähren an. Dort lebten sie in gemeinsamen Höfen, die „Haushaben“ genannt wurden. Ihre Gemeinschaft wuchs beständig durch den Zustrom von Flüchtlingen aus Deutschland, Tirol, der Schweiz, Holland und Italien, so dass sie in Mähren, als sie 1622 das Land verlassen mussten, 50 große Höfe hinterließen. In der religiös toleranten Slowakei, die damals dem ungarischen Staatsgebiet angehörte, konnten sie ihren wirtschaftlichen Standard jedoch nicht mehr erreichen. In ihren „Haushaben“ lebten sie isoliert von der übrigen Bevölkerung. Sie arbeiteten gemeinsam und bekamen dafür alles zugeteilt, was sie benötigten. Geld kannten sie nicht. Sie übten über 20 verschiedene Handwerke aus, wie Messer-, Klingen- und Scherenschmiede, Schlosser, Uhrmacher, aber auch Wagner und Brunnenbauer. Den größten Erfolg erzielten sie jedoch mit der Herstellung von Fayence. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts blieben sie den italienischen, insbesondere den Vorbildern aus Faenza, verpflichtet. Der nüchterne Pflanzendekor in den Scharffeuerfarben wurde im Einklang mit der strengen Glaubenslehre in verschiedenen geringfügig voneinander abweichenden Varianten in den mährischen Werkstätten und nach 1622, als die Wiedertäufer des Landes verwiesen wurden, bis 1667 nur mehr in den slowakischen Werkstätten hergestellt. Eine Auflockerung der Vorschriften aus dem Jahre 1612, die es verboten, die Keramik mit Darstellungen von Menschen und Tieren zu verzieren, wurde den mährischen Wiedertäufern um die Mitte des 17. Jahrhunderts durch ihre Verbindung mit den holländischen Glaubensgenossen vermittelt. Durch sie erhielten sie die Anregung zu den monochrom kobaltblauen Dekoren, in die gegen Ende des Jahrhunderts bereits einzelne kleine architektonische Elemente und Tiere eingefügt wurden. Der übernationale Charakter der Sekte und der ständige Zustrom neuer Einwanderer aus wirtschaftlich höher entwickelten Ländern vermittelten den wiedertäuferischen Fayenceerzeugern die Kenntnis immer fortgeschrittenerer Herstellungstechniken, mit denen die bodenständige Produktion nicht Schritt halten konnte. Dennoch blieb der Charakter der Fayencen noch rein handwerksmäßig. Die Habaner glichen sich mit der Zeit in ihrer sozialen und ökonomischen Struktur den örtlichen Lebensbedingungen an. Nach 1667 begannen bereits katho-

64 Kybalová 1970, 9. 65 Dazu Kybalová 1970, 9 f.; Kalesný 1981, 369 f.; I. Bauer/Ch. Zimmermann (Red.), Die Hutterischen Täufer. Geschichtlicher Hintergrund und handwerkliche Leistung. Hrsg. vom Bayerischen Nationalmuseum München (Bolanden, Mennonitische Forschungsstelle Weierhof 1985); F. Kalesný, Die Habaner in der Tschecho-Slowakei (Cˇ SFR). Ostbair. Grenzmarken 32, 1990, 67–83; ders., Die Wiedertäufer in Mähren. Ostbair. Grenzmarken 34, 1992, 46–59; Pastieriková 2005.

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lisierte Habanermeister aus der Slowakei nach Böhmen und Mähren wegzuziehen, um dort mit der Gründung von Werkstätten die Fayenceerzeugung einzuführen. Waren die Fayencen der Habaner in der Zeit von 1546 bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hauptsächlich für den Adel und die Höfe bestimmt, so wandelte sich in der habanisch-slowakischen Phase im 18. Jahrhundert der Auftragge66 Pišútová 1981, 46. 67 Pišútová 1981, 16. 68 Kalesný 1981, Abb. 211 = Pišútová 1981, Abb. 2: Habanisches Apothekengefäß, Westslowakei, dat. 1672; J. Kybalová, Keramische Sammlung Hugo Vavrecˇ ka (Prag 1995) Kat.-Nr. 41: sechsseitige Flasche, Westslowakei, dat. 1674; A. Kalinová, Die hutterischen Täufer und ihre Fayenceproduktion auf mährischem und slowakischem Gebiet. In: A. Kalinová/B. Fassbinder-Brückler/Th. Brückler, Täufer – Hutterer – Habaner. Geschichte, Siedlungen, Keramik in Südmähren, Westslowakei und Niederösterreich. Forsch. Stadtmus. „Alte Hofmühle“ Hollabrunn Sonderbd. (Horn 2004) Abb. 10: Fass, Westslowakei, 2. H. 17. Jh.; Pastieriková 2005, 118 SNM E1102: Teller, Westslowakei, um 1680. 69 Aus dieser Verfüllschicht stammende Albarelli aus Glas, die gleichfalls die Funktionen des Apothekenstandgefäßes bzw. Abgabegefäßes erfüllten, werden Ende 17./18. Jh. bzw. 17./18. Jh. datiert: Tarcsay 2008, G31; G32. 70 In der älteren, vorwiegend volkskundlichen Literatur auch „Weißhafner“ genannt, da sie weiß glasierte Fayence herstellten. In Deutschland wird unter „Weißhafnerware“ nur Fayence verstanden. Diese Bezeichnung kann zu Verwechslungen mit den in Oberösterreich „Weißhafner“ genannten Töpfern, die Gefäße aus hellbeige gebrannter Irdenware herstellten, führen. Eine weitere Verunklärung ergibt sich durch die Verwendung des Begriffes „Weißhafnerware“ für weiß gebrannte Irdenware mit hohem Kaolinanteil. Wegen der unklaren Definition sollten die Bezeichnungen „Weißhafner“ und „Weißhafnerware“ künftig vermieden und die korrekte technologische Ansprache als Fayence oder hell gebrannte Irdenware verwendet werden. – Dazu auch Kaltenberger 2009, 154 f. 71 Langer 1988, 71. 72 Langer 1988, 71. 73 Langer 1988, 72. 74 Langer 1988, 75. Selbst bei den im Wesentlichen auf das Steinfeld begrenzten Werkstätten (z. B. Leobersdorf), deren Dekore in den Scharffeuerfarben durch die rote Farbe (Purpurrot aus Dukatengold) ergänzt wurden, das in einem weiteren, niedrigeren Brand eingebrannt werden musste, sind lokale Zuschreibungen nur äußerst selten möglich. 75 Langer 1988, 80.

berkreis zum wohlhabenden Bürgertum, dessen Geschmack entsprechend berücksichtigt wurde. Mit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begann die slowakische (posthabanische) Phase der Fayence. 66 Bauchiger Topf – Apothekenstandgefäß, Albarello (Kat.-Nr. 25) Zum Gebrauch in den Apotheken stellten die Habaner Gefäße her, und zwar zunächst nach dem Vorbild der italienischen Albarelli, die sich das ganze 17. Jahrhundert hindurch in ihrem Herstellungsrepertoire hielten. 67 Der Gefäßunterteil Kat.-Nr. 25 stammt vermutlich von einem Albarello. Der sehr stark fein gemagerte, oxidierend hellbeige gebrannte Scherben überliefert mit noch sichtbaren Magerungsanteilen – im Gegensatz zu den übrigen Fayencen – die Tradition der Irdenware. Der kobaltblaue Dekor zeigt eine Kartusche (für die Beschriftung zur Angabe des Inhaltes), eingerahmt von floralem Rankenwerk. Anhand analoger Dekore68 ist für dieses Gefäß die Herstellung in einer habanischen Werkstatt während des dritten Drittels des 17. Jahrhunderts verbürgt. 69 Mit Scharffeuerfarben dekorierte Fayencen aus Niederösterreich (Abb. 3–4) Für nur sehr wenige Fayencen des vorliegenden Bestandes ist die Herkunft gesichert, die überwiegende Mehrzahl wird aufgrund des noch schwachen Forschungsstandes und der derzeit verfügbaren Literatur hauptsächlich dem südlichen und östlichen Teil Niederösterreichs zugewiesen, wobei eine Produktion in der Westslowakei oder in Mähren gegenwärtig nicht auszuschließen ist. Obwohl in Niederösterreich rund 300 Namen von Hafnern70, Meistern und Gesellen sowie deren Werkstätten bekannt sind, lassen sich ihnen keine realen Gefäße zuordnen. 71 Fayence herstellende Hafnereien befanden sich in der Region Krems–St. Pölten, in Herzogenburg, Siegersdorf, St. Pölten, Pottenbrunn und Franzhausen, da dort in den Tonlagern von Oberfucha, wenige Kilometer südlich von Krems, ausgezeichnete Rohstoffe zur Keramikherstellung anstehen. Aus archivalischen Quellen ist nachgewiesen, dass von hier Ton für die Brennkapseln nach Holitsch in die kaiserliche Majolikafabrik auf der Donau kostengünstig transportiert wurde. 72 Auch nördlich der Donau sind im Weinviertel, u. a. in Langenlois, Hollabrunn und Zellerndorf, Hafnereien bekannt. 73 Generell ist die Zuordnung der niederösterreichischen Fayencen zu bestimmten Orten oder Werkstätten nur selten möglich, obwohl viele Krüge mit Bodenmarken bezeichnet wurden74 (Birnkrug Kat.-Nr. 27 „S“ und fassförmiger Krug Kat.-Nr. 33 „A“). Denkbar erscheint, dass die Initialen für die Namen der Maler stehen, wobei ein einzelner Buchstabe den Anfangsbuchstaben des Familiennamens bedeuten könnte75 und nicht den Anfangsbuchstaben des Hafneror-

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Abb. 3: Krüge und Teller, Fayence. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

Abb. 4: Mit Scharffeuerfarben dekorierte Fayencen. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

tes. Als Ausnahme davon wird das „L“ (auch spiegelverkehrt), dünn mit Feder geschrieben, für Leobersdorf in Betracht gezogen. 76 Bodensignierte Fayencen sind in Niederösterreich gegenüber unsignierten in der Überzahl. 77 Werkstätten, die Fayencen herstellten, gab es auch in unmittelbarer Nähe von Wien, so in St. Ulrich (archivalisch belegt für das Jahr 1698), heute 7. Bezirk, in Erdberg (wahrscheinlich Anfang 18. Jh.), heute 11. Bezirk, und in Ober-St.-Veit (1764 bis 1842), heute 13. Bezirk. 78 Ob diese Werkstätten für die höheren Ansprüche der Stadtbevölkerung oder im Stil der niederösterreichischen Werkstätten arbeiteten, ist derzeit nicht bekannt.

76 Langer 1988, 79. 77 Langer 1988, 80. 78 Langer 1988, 79: Teils sind die Namen aus den Pfarrbüchern, teils durch Hafnerhäuser bekannt.

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Die habanisch-slowakische Fayence des 18. Jahrhunderts lässt in ihren Formen und auch im dominierenden Teil ihrer Dekore eine klare und direkte Abhängigkeit vom ursprünglichen Schaffen der Habaner erkennen. Es wurde die elegante Wirkung der weißen Glasur genutzt, die besonders dann hervortritt, wenn ein Motiv wie die Initialen des Eigentümers oder eine Jahreszahl konzentrisch auf die Mitte des Gefäßbauches beschränkt ist. 79 Birnkrüge (Kat.-Nr. 26–29) Die Höhe der Krüge variiert von 17,8, über 18,1 und 18,2 bis zu 18,5 cm nur gering. Krüge mit mehr oder weniger trichterförmigem Hals und hochgezogenem Henkel, wie sie mit Kat.-Nr. 26–29 vorliegen, werden derzeit als typisch für den slowakisch-ungarischen Raum angesehen. Die beiden Krüge mit blauem (Kat.-Nr. 26) und mit grünem Kranz (Kat.-Nr. 27) stehen in der Habaner-Tradition, insbesondere wird der grüne Kranz als typisch für Produkte aus der Slowakei aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrachtet,80 der sich von dem grünen Kranz der Habaner ableitet. Der Krug mit dem kobaltblauen Kranz aus einer Fiederblattleiste, die oben und unten mit einer manganbraun fein strukturierten Masche geschlossen ist, zeigt die Jahreszahl 1786. Diese wird oben und unten von einer zarten manganbraunen Zierleiste begleitet, die aus einem zentralen Stern und seitlich immer kleiner werdenden vertikalen Strichen besteht. Das gleiche Zierelement trägt ein weiterer Birnkrug in diesem Ensemble, mit vertikal geripptem Unterteil und aufwändigerem Dekor auf Hals und Schulter, dessen Jahreszahl durch Beschädigung als 1764 oder 1784 gelesen werden kann. 81 Der grüne, ebenfalls unten und oben mit Masche gebundene Kranz des Kruges Kat.-Nr. 27 umrahmt einen nach links gerichteten braunen Bären. Darüber ist der Rest einer manganbraunen Buchstabenkombination „A . O(Rest fehlt)“ zu erkennen, darunter die Jahreszahl 1784. Auf der Bodenunterseite ist eine manganbraune, 4,3 cm große Marke „S .“ angebracht. Für ein mit den beiden Krügen vergleichbares Exemplar, dessen grüner Kranz gleichfalls oben und unten mit einer Masche geschlossen ist, mit der manganbraunen Jahreszahl 1780, wird als sog. Leutgebkrug eine Provenienz aus Niederösterreich angegeben. 82 Somit ist für die beiden Krüge Kat.-Nr. 26 und 27 eine Herstellung in Niederösterreich in posthabanischer Tradition wahrscheinlich. 79 Pišútová 1981, 21. 80 Für vielfache Hinweise zu niederösterreichischen und slowakischen Fayencen bin ich Dr. Heide und Mag. Helmut Lehner, Linz, zu Dank verpflichtet. 81 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 79. 82 Langer 1988, Kat.-Nr. 198. 83 Langer 1988, Nr. 195 (3. D. 18. Jh.); Österreichische Fayencen 1993, Nr. 246 (2. H. 18. Jh.); Nr. 247 (E. 18. Jh.); Nr. 248 (2. D. 18. Jh.); Nr. 249 (2. H. 18. Jh.); bes. Nr. 252 (2. H. 18. Jh.) mit gelbem Geweih nach links zurückschauend.

Der Dekor eines weiteren Birnkruges, Kat.-Nr. 28, mit analoger Formgebung, ist durch die stark korrodierte Oberfläche nur mehr fragmentarisch überliefert. Ein manganbraun konturierter springender Hirsch nach rechts mit nach links zurückgewendetem Haupt und Geweih ist in einer gleichfalls manganbraun konturierten Landschaft mit Vegetation zu erkennen. Von der bunten Staffierung sind nur mehr gelbe Felder erhalten. Das Motiv des springenden Hirsches in Manganbraun ist mit mehreren Belegstücken dokumentiert, deren zeitlicher Schwerpunkt im zweiten Drittel bzw. der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts liegt. 83 Eine Herstellung in Niederösterreich während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist anzunehmen.

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Zu dem Krug mit manganviolettem Doppeladler Kat.-Nr. 29 lässt sich derzeit keine Parallele anführen. Als Provenienz darf Niederösterreich, eventuell auch die Westslowakei, vermutet werden, als chronologischer Rahmen dürfte ebenfalls die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts vorzuschlagen sein. Krug mit Doppelhenkel – „Maienvase“ (Kat.-Nr. 30) Die Form des Doppelhenkelkruges hat eine lange Tradition, für die auch die Bezeichnung „Maienvase“ geläufig ist. Zwei außenseitig blau glasierte Exemplare mit spiralförmig eingerolltem Wulsthenkel liegen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus einem frühneuzeitlichen Depotfund aus dem Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg vor. 84 Aus Wien stammt ein reliefverziertes Exemplar aus den Grabungen in der Alten Universität, das ebenfalls außen kobaltblau glasiert ist und eingerollte Wulsthenkel besitzt. Seine Datierung wird im Zusammenhang mit Baumaßnahmen zwischen 1623 bzw. 1654 gesehen. 85 Doppelhenkelvasen aus Fayence mit kobaltblauem Dekor, wiederum mit eingerolltem, derbem Wulsthenkel, dessen volutenförmige Enden an den Gefäßkörper angarniert sind, wurden in Salzburg in der Werkstatt Moser um 1750 hergestellt. 86 Der bauchige Krug Kat.-Nr. 30 mit einer Höhe von 15 cm, nahezu zylindrischem Hals, abgesetztem Fuß und eingerollten, wulstförmigen Doppelhenkeln ist auf der Vorder- und der Rückseite jeweils in Kobaltblau mit einer dreilappigen Blüte mit Fiederblättern und darüber einem Granatapfelmotiv verziert. Eine sehr ähnliche Kombination aus dreilappiger Blüte mit Fiederblättern in Blau auf Weiß ist auf einem Birnkrug überliefert, dessen Herkunft aus Niederösterreich um 1770 angegeben wird. 87 Stilistisch steht dieser Dekor in der Nachfolge von Krügen aus der Zeit um 1700 bis Anfang des 18. Jahrhunderts, wie ein Birnkrug aus dem Fundmaterial der Eslarngasse in Wien 388 und ein weiterer aus einem Fundkomplex aus Mannersdorf mit analoger Dekorweise, der in den Zeitraum 1700 bis 1730/35 datiert wird,89 zeigen. Zusammenfassend darf für Kat.-Nr. 30 eine Herstellung in Niederösterreich, während des zweiten oder dritten Drittels des 18. Jahrhunderts, angenommen werden. Walzenkrug (Kat.-Nr. 31) Der Walzenkrug mit ausgestelltem Fuß und wandständigem Wulsthenkel Kat.Nr. 31 besitzt zwischen jeweils drei manganbraunen horizontal umlaufenden Linien entlang des Randes und des Fußes dreimal das gleiche Motiv. An einer vertikalen manganbraunen Linie stehen seitlich alternierend gelbe Blüten und jeweils zwei grüne Blätter ab, die nach oben hin kleiner werden. Dieser einfache, stilisierte florale Dekor ist bereits dem späten 18. Jahrhundert zuzuweisen. Die Herkunft des Kruges aus Niederösterreich ist zu vermuten. Krüge in Fassform (Kat.-Nr. 32–33) Hinsichtlich seiner Form nimmt der kleine Krug Kat.-Nr. 32 mit einer Höhe von 6,7 cm eine Zwischenstellung ein. Für eine Zuordnung zu den Walzenkrügen

84 C. Ulbert, Ein frühneuzeitlicher Depotfund aus dem Kloster St. Ulrich und Afra, Augsburg. In: Forschungen zur Geschichte der Keramik in Schwaben. Arbeitsh. Bayer. Landesamt Denkmalpflege 58 (München 1993) Abb. 4 a; 4 b. 85 Th. Kühtreiber, Die Ausgrabungen in der Alten Universität in Wien (1997–2002) (Diss. Univ. Wien 2006) Kat.-Nr. A652. 86 Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 182. 87 Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 263. 88 Kaltenberger 2002, Kat.-Nr. 33. 89 F. Grieshofer, Chinoiserien in Blau. Ein Fayencefund aus Mannersdorf in Niederösterreich. In: C. I. Bucur (Hrsg.), Keramische Oberflächen und ihre Gestaltung. Beitr. 39. Internat. Hafnereisymposium Arbeitskr. Keramikforsch., Hermannstadt (RO), 2006 (Sibiu 2007) 41–45 Abb. 7.

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spricht die nur sehr schwach bauchige Ausformung, für die Zugehörigkeit zur Gruppe der fassförmigen Krüge die Kombination mit dem naturalistisch ein Fass imitierenden Dekor in Manganbraun. Die Dauben werden als vertikale Streifen wiedergegeben, horizontale Linien stellen die Weidenruten dar. Der unterrandständig angarnierte, geschwungene Wulsthenkel erinnert an die wesentlich aufwändiger gestalteten Henkelformen aus modellierten Voluten von zwei kleinen Porzellankrügen90 der Manufaktur Du Paquier in Wien, die aber in der Grundform gut vergleichbar sind. In der Henkeloberseite befindet sich ein eingestochenes Loch für die Montage eines Deckels. Der Deckel sollte verhindern, dass der Schaum auf dem Bier an der Luft zu schnell zusammenfällt und das Getränk im Krug frisch halten. Deckel waren auch nützlich, um heißes Würzbier warm zu halten. 91 Mit Kat.-Nr. 33 liegt ein etwas größerer, fragmentierter, fassförmiger Krug vor, dessen Dekor mit braunen vertikalen Linien für die einzelnen Fassdauben und horizontalen, braun und ockerfarbig strukturierten Rillenbündeln für die Weidenruten zum Zusammenhalten der Dauben das realistische Erscheinungsbild eines Fasses bietet. Auf der Bodenunterseite befindet sich eine manganbraune Marke in Form eines „A“ mit einer Höhe von 1,5 cm. Die gleiche Marke zeigt ein Birnkrug mit kobaltblauer Bemalung aus Niederösterreich aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 92 Krüge in Fassform finden sich vielfach unter den Produkten der Wiener Porzellanmanufaktur des Claudius Innocentius Du Paquier, sie zählen zu den am schönsten bemalten Porzellanen. Für einen 19 cm hohen Krug mit einem als Henkel fungierenden Fassbinder93 wird der Konsum von Bier angenommen. 94 Die Bürger Wiens hatten keine große Auswahl an vor Ort gebrauten Bieren, da die Winzer Verkaufsbeschränkungen dafür durchgesetzt hatten und das Bürgerspital bis 1727 das Braumonopol besaß. Man konnte aber Bier aus Oberösterreich, Böhmen und Mähren beziehen. Das Braumonopol dürfte aber nicht für Bürger gegolten haben, die außerhalb der Stadtmauern ansässig waren. Zu festlichen Gelegenheiten wurde bei Festbanketten in Fürstenhäusern und auch bei Hof Bier ausgeschenkt. 95 90 Chilton 2009, Abb. 8.52 a und b: fassförmige Krüge, Wien, Manufaktur Du Paquier, um 1725; Abb. 8.52 b = Neuwirth 1990, Abb. 5: H: 10,5 cm. 91 Chilton 2009, 737. 92 Wiener Kunstauktionen im Palais Kinsky, Katalog zur 24. Kunstauktion 15. Oktober 1999, Kat.-Nr. 591. 93 Chilton 2009, Abb. 8.51: Wien, Manufaktur Du Paquier, 1730–1735. 94 Chilton 2009, 733. 95 Chilton 2009, 730. 96 Chilton 2009, 733. 97 K. Cˇ ernohorský, Moravská lidová keramika (Praha 1941) Abb. 122; 123: E. 18. Jh.; Abb. 128; 146: um 1800. 98 Österreichische Fayencen 1993, Nr. 268: Stampfen, E. 18. Jh.; Nr. 270: Stampfen, um 1800.

In den Lotterielisten der Wiener Porzellanmanufaktur Du Paquiers werden auch Wermut-Fässer (Wermuth-Vässl) genannt, die als Krüge, die wie Fässer geformt sind, gedeutet werden. Wermutwein und Wermutbier waren populäre Getränke, die ihr Aroma von Bitterem Beifuß erhielten und denen gelegentlich auch andere Kräuter zugesetzt wurden. 96 Die Bemalung dieser fassförmigen Porzellankrüge mit Landschaften oder Blumen ist nicht naturalistisch wie jene der vom Michaelerplatz vorliegenden Fayencen. Fassförmige Fayencekrüge, meist floral dekoriert, waren in Mähren bis um 1800 aktuell. 97 Gleiche Zeitstellung wird für solche Krugformen auch aus Stampfen (Stupava) angegeben. 98 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass fassförmige Krüge in der Manufaktur Du Paquiers seit den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts in Porzellan hergestellt wurden und diese Form in Fayence im mährisch-slowakischen Raum zumindest bis um 1800 aktuell blieb. Analog zu den übrigen Krügen ist eine

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Provenienz der beiden Exemplare Kat.-Nr. 32 und 33 aus Niederösterreich wahrscheinlich. Kanne mit Deckel (Kat.-Nr. 34–35) Mit Kat.-Nr. 34 und 35 ist eine Kombination aus Kanne und passendem Deckel überliefert. Der kantig gedrückten und ausgezogenen Schnauze der Kanne passt sich der einfallende Zargendeckel mit gleichfalls spitz zu einer Schnauze gezogener Zarge exakt an. Die bauchige Kanne hat einen knapp unterrandständigen Henkel, dessen untere Angarnierung in einem „Schwänzchen“ endet. Der Dekor beider Stücke ist durch die sehr stark braun korrodierte Glasur kaum mehr erkennbar, auf der Kanne zum Teil nur mehr im Streiflicht anhand des Reliefs des Farbauftrages sowie geringer gelber, grüner und blauer Farbreste. Die Bemalung ist sehr fein und zart, die Konturierung ursprünglich kobaltblau oder manganbraun. In der Begrenzungsleiste entlang des Randes ist eine feine sternförmige Blüte mit gelbem Mittelpunkt und daneben eine zarte tulpenförmige Blüte zu erkennen. In der Mitte seitlich unter der Schnauze befindet sich floraler Dekor, der gelb und grün gehöht ist. An den Seiten ist jeweils in gezackten bzw. sternförmigen Kartuschen Architektur auszumachen, darin sind Reste von gelber Höhung erhalten. Als Verbindungselement sitzt vorne eine breite Leiste, gefüllt mit feinen Zacken. Als untere Begrenzung ist eine horizontal umlaufende blaue Linie noch partiell sichtbar. Der Dekor des Deckels ist wesentlich einfacher. Um den Knauf verläuft ein konzentrischer Ring, beidseitig begleitet jeweils durch eine Reihe aus alternierend angeordneten kleinen Sternen und Dreipunkt-Motiven. Entlang des Randes ist eine Bogenreihe, gefüllt mit vertikalen Strichen, bekrönt von einem Punkt, zu erkennen. Mangels Parallelen wird eine Herkunft aus Niederösterreich vorgeschlagen, doch lässt die feine Malerei der Kanne auch an eine westliche Provenienz denken. Henkelschüssel (Kat.-Nr. 36) Die kalottenförmige Henkelschüssel mit Kremprand, randständig angarniertem Bandhenkel und ausgedrehtem Standring wurde kobaltblau dekoriert. Auf dem Rand verlaufen gezackte Büschel, auf der Wandung befinden sich Behangornamente. Die kobaltblaue Farbe ist an den dicker aufgetragenen Stellen zu Braun korrodiert. Die Henkelschüssel könnte ebenfalls in Niederösterreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hergestellt worden sein, wobei der Dekor mährischen Einfluss aufweist. Henkeltassen (Kat.-Nr. 37–38) Die kleine Henkeltasse Kat.-Nr. 37 hat einen knapp unterrandständigen Henkel, der unten mit einer kleinen Volute angarniert wurde. Eine monochrom manganbraune/-violette Bordüre mit gefüllten Bögen und hängenden Spitzblättern verziert die Außenseite.

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Die zweite, etwas größere Henkeltasse Kat.-Nr. 38, gleichfalls mit unterrandständigem Henkel, unten mit einer kleinen Volute, trägt auf der Außenseite einen Fries aus kobaltblauen „Pfeifen-“ oder Zungenmotiven zwischen horizontal umlaufenden Linien. Sog. Pfeifendekor ist sehr häufig als untere Dekorzone auf Birnkrügen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus Niederösterreich anzutreffen, seltener in Kobaltblau99, häufiger in verschiedenen Scharffeuerfarben, in unterschiedlichen Varianten100. Anhand dieser Hinweise darf eine Herkunft aus Niederösterreich angenommen und die Datierung in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gesetzt werden. Unterteller (Kat.-Nr. 39) Der Teller mit geringfügig ausgebogenem Rand und ausgedrehtem Standring Kat.-Nr. 39 dient als Unterteller zu einer Tasse oder einem Koppchen. Die kobaltblaue und manganviolette Bordüre findet eine Entsprechung auf dem Rand eines Birnkruges aus Niederösterreich, der um 1770 datiert wird. 101 Teller (Kat.-Nr. 40–42) Die Randdurchmesser der Teller reichen von 19,8, über 21,8 bis zu 22 cm, ihre Höhen von 2,4 bis 2,8 cm. Der Teller mit abgesetzter Fahne und ausgedrehtem Standring Kat.-Nr. 40 wurde auf der Fahne kobaltblau mit abstrahiertem Granatapfelmotiv und Fiederblätterranken verziert. Die Glasur ist auf der Oberseite opak weiß, auf der Unterseite ist sie – vermutlich aus Sparsamkeitsgründen – nur weiß getrübt und nicht opak, sodass die Farbe des darunterliegenden Scherbens durchscheint. Die Stoßstelle der unterschiedlichen Glasuren ist auf der Unterseite der Fahne sichtbar. Als Herkunft ist wieder Niederösterreich anzunehmen, die Datierung dürfte in das zweite Drittel des 18. Jahrhunderts führen. Mit Kat.-Nr. 41 liegt ein zur Gänze zusammengesetzter einfacher Teller mit glattem Rand und opak weißer Glasur vor. Der Teller Kat.-Nr. 42 mit abgesetzter Fahne mit fünf vertikalen, erhabenen Rippen und leicht geschwungenem Rand trägt auf der Bodeninnenseite vielfache Kratz- und Schneidespuren, die von der intensiven Nutzung als Speiseteller zeugen. Beide Teller könnten aus Niederösterreich stammen. Die k. k. Majolika-Geschirrfabrik in Holitsch, Westslowakei (1743–1827; Kat.Nr. 43–45 Abb. 5) Gesichert ist die Provenienz aus der Fayencemanufaktur Holitsch in der West99 Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 210: Birnkrug, Niederösterreich, 2. H. 18. Jh. 100 Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 211–214; 216; 220–225; 227–229; 232–237. 101 Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 207. 102 Nach Kybalová 1970, 13 f.; Pichelkastner/Hölzl 1981, 150 f.; F. Kalesný, Die kaiserlich-königliche Majolika-Geschirrfabrik in Holitsch (Holicˇ ) in der Slowakei. Ostbair. Grenzmarken 35, 1993, 181 f.

slowakei für die Terrine Kat.-Nr. 43 und die beiden Teller Kat.-Nr. 44 und 45. Die höfischen Kreise, der Adel und die Kirche waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf die Einfuhr holländischer, französischer und deutscher Fayencen angewiesen. Im Zuge merkantilistischer Bestrebungen gründete102 Franz Stephan von Lothringen, Gemahl Maria Theresias, im Zusammenhang mit der von ihm betriebenen Industrialisierung im Jahr 1743 oder etwas früher in der kleinen Stadt Holitsch (heute Holícˇ , Slowakei) an der mährisch-slowakischen Grenze eine Fayencemanufaktur, die das gesamte Gebiet der Monarchie

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Abb. 5: Teller und Terrine, k. k. Majolika-Geschirrfabrik in Holitsch, Westslowakei. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

mit Tafelgeschirr versorgen sollte. In der Westslowakei existierte bereits eine Reihe von Habanerhöfen, die sich auf handwerklicher Basis mit der Herstellung von Fayence beschäftigten, deren Produkte zu dieser Zeit jedoch nicht mehr dem Geschmack des gehobenen Bürgertums und des Adels entsprachen. Die Manufaktur wurde von Wien aus geleitet, als Direktor wurde von 1743 bis 1751 Johann Karl Thöller eingesetzt. Die hervorragenden Mitglieder der ersten Belegschaft waren der Modelleur Claude Lorent, ein Franzose, und zwei ehemalige habanische Töpfermeister aus Velké Leváry. Die engen Verbindungen Franz Stephans zu Lothringen ermöglichten von dort die Heranziehung von Facharbeitern und die Errichtung der neuartigen „lothringischen“ Muffelöfen neben den konservativeren „deutschen“ Brennöfen. Der Lothringer Nicolas Germain führte die Technik der Muffelmalerei nur wenig später als in Straßburg ein. In personeller Hinsicht war die Manufaktur um 1750 mit Drehern, Malern, Modelleuren, Retuscheuren sowie Haupt- und Hilfsheizern sehr gut ausgestattet und in den 50er Jahren ist die Wirtschaftslage der Manufaktur als hervorragend zu bezeichnen, in den folgenden Jahren stieg der Umsatz noch stetig an. Die Manufaktur produzierte jährlich eine riesige Menge an Waren, die in Preis und Qualität stark differierten. Aus einer Rechnung aus dem Jahr 1765 ist ersichtlich, dass neben feinem Geschirr auch weiße Gefäße, darunter ordinäre Teller, verkauft wurden. 103 Die bedeutendsten Aufträge kamen vom Kaiserhof und vom Hochadel, aber auch vom Bürgertum. Der Geschirrverkauf erfolgte nicht mehr nur im Fabrikslager und der Wiener Zweigstelle, nach und nach wurden auch in Prag, Brünn, Preßburg, Troppau, Budapest und vielen kleineren Städten Filialen errichtet. Der bescheidenere Zweig der Produktion war für die städtischen Handelslager und für die Jahrmärkte bestimmt.

103 Kalesný (Anm. 102) 183.

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Einflüsse aus anderen Fayencemanufakturen, u. a. Straßburg, Durlach, Crailsheim und Nürnberg, sind in den Formen und Dekoren zu erkennen. So wurden in den ersten Jahren neben den sog. Straßburger Servicen mit Blumenmalerei in bunten Muffelfarben seit 1744 auch naturalistische Gefäße in Tier-, Blumenund Früchteform hergestellt, wofür gleichermaßen die Einflüsse aus Straßburg kamen. Figuren wurden im Stil der Wiener Porzellanmanufaktur ausgeführt, Krüge nach Vorbildern der Habaner Fayencen. Obwohl die Stücke Marken aufweisen, können diese (derzeit noch) nicht mit bestimmten Malern in Verbindung gebracht werden. Bis in die 80er Jahre des 18. Jahrhunderts brauchte man kaum Konkurrenz zu fürchten. Doch diese erwuchs neben anderen Fayencemanufakturen wie Proskau (Schlesien) und Tata (Ungarn) vor allem aus dem Aufkommen des englischen Steingutes. Auf Befehl Kaiser Joseph II. wurden seit Ende der 70er Jahre Experimente mit Steingutmasse angestellt, um 1786 mit der regelmäßigen Erzeugung von Steingut zu beginnen, zugleich trat die Fayenceproduktion in den Hintergrund, die Manufaktur nannte sich nunmehr „Majolika und Englische Geschirrfabrik“. Die Herstellung von Steingut erlebte zwischen 1790 und 1802 ihre Blütezeit, Maler und technisches Personal dafür kamen von der Wiener Porzellanmanufaktur. Ende der 80er Jahre kam es zu ersten Versuchen einer Porzellanerzeugung, deren Resultate jedoch zum Großteil negativ bewertet wurden. 104 Zunehmende wirtschaftliche Probleme seit Beginn des 19. Jahrhunderts, verursacht durch die rasant wachsende böhmische Porzellanindustrie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, führten zum Niedergang und 1827 zur Stilllegung des Betriebes in Holitsch. Produkte Das Charakteristikum der Holitscher Fayencen ist ihre sorgfältige handwerkliche Herstellung, die eine Produktion von hochwertigen Geschirren in Serie ermöglichte. Die Stärke der Holitscher Manufaktur bestand darin, dass jedes Jahr eine Menge gefragter Waren auf den Markt gebracht wurden, die bis dahin aus dem Ausland eingeführt worden waren. In der Mannigfaltigkeit ihrer Waren kam ihr keine zeitgenössische Manufaktur gleich. Holitsch kennzeichnet das von kommerziellem Interesse bestimmte Streben, der Nachfrage auf breitester Basis zu entsprechen, von den repräsentativen Bedürfnissen des Hofes und des Hochadels bis zu den Wünschen der kleinstädtischen und dörflichen Abnehmer. Einer Manufaktur mit solch anspruchsvollen Zielen durfte keine modische Strömung entgehen, man ging mit der Mode, der damals auch die Keramik unterworfen war. Dabei spielte auch der Konkurrenzkampf mit anderen Fayencemanufakturen eine Rolle, deren Absatzmärkte die neu gegründete Manufaktur zu erobern trachtete. Ihr Einfluss ging in Richtung Schlesien, insbesondere nach Proskau, sowie nach Tata in Ungarn, erreichte aber auch in den 70er und 80er Jahren des 18. Jahrhunderts die norddeutschen Betriebe in Kiel, Eckernförde und Stockelsdorf, was vordringlich durch Personalaustausch be104 Kybalová 1970, 15.

dingt war.

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Die Manufaktur produzierte eine große Menge verschiedener Tafelservice parallel nebeneinander. Davon verschwanden einzelne früher aus der Herstellung, weil die Nachfrage nachließ und sie darüber hinaus unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand erforderten, andere wurden bis zu einem Vierteljahrhundert lang erzeugt. 105 Aus der Tatsache, dass die Holitscher Manufaktur ihren Ruhm auf die Serienerzeugung von Tafelservicen gründete, resultiert, dass diese Fayencen und das Steingut wirklich im täglichen Gebrauch standen und diesem zum Opfer fielen. So sind beispielsweise Tassen in musealem Zusammenhang und in Sammlungsbeständen nur in sehr geringer Zahl erhalten, da sie tatsächlich verwendet wurden. Dies gilt auch für Suppenteller, die sich im Vergleich zu den flachen Tellern, von denen die drei- bis vierfache Anzahl zu den Servicen hergestellt wurde, wie aus den Preislisten hervorgeht, wesentlich seltener erhalten haben. 106 Formen Die Geschirre bis zum Beginn der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts erinnern noch an die schweren barocken Formen der Silber- und Zinngefäße. Dies vermitteln vor allem die Terrinen, die durch senkrechte Rippen gegliedert sind, wie sie Kat.-Nr. 43 überliefert. Ihren Deckel schmückte als Griff eine sich stereotyp wiederholende Artischocke mit vier geschweiften Blättern. Dieses plastische Detail wurde um 1750 von mehreren deutschen Manufakturen verwendet und taucht zwei Jahrzehnte später noch in Kiel auf. Bei den Tellerformen wurden anfänglich zwei Typen hergestellt: ein nicht so häufiger glatter und ein zweiter mit gewelltem Rand. 107 Von letzterem liegen im Fundmaterial ein mit Scharffeuerfarben dekoriertes, Kat.-Nr. 44, und ein weißes Exemplar, Kat.-Nr. 45, vor. Die Maße differieren gering, so hat Kat.Nr. 44 einen Randdurchmesser von 24 cm und eine Höhe von 2,8 cm, Kat.Nr. 45 hat einen Randdurchmesser von 23,8 cm und ist 3,4 cm hoch. Unter dem Druck des immer unaufhaltsameren Vordringens der französischen Kultur nach Mitteleuropa gab auch die Holitscher Manufaktur in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts ihre schweren barocken Formen auf. 108 Dekore Eine Gruppe von Fayencen ist mit einem Dekor verziert, das zur Zeit seiner Herstellung unter der Bezeichnung „Früchteservice“ lief. In den Scharffeuerfarben zieren Kompositionen von Blumensträußen, Früchten und Insekten die Geschirre. Die Motive der verstreuten Schmetterlinge, Libellen, Fliegen und Maikäfer sowie die verschiedenen Früchte wurden von dem zeitgenössischen Porzellan übernommen. Aufgrund der durch das technisch noch unvollkommene Brennen unschönen und fleckigen Farben und den Blumen-, Früchte- und Insektenmotiven nach zu schließen, muss das „Früchteservice“ bald nach der Gründung der Manufaktur hergestellt worden sein. Da es offenbar dem Geschmack der Abnehmer entsprach, wurde es über einen längeren Zeitraum hinweg, von 1750–1765, ausgeformt. Davon zeugt außer den häufigen Erwäh-

105 106 107 108

Kybalová 1970, 16 f. Kybalová 1970, 18. Kybalová 1970, 19 und Formentaf. Nr. 2. Kybalová 1970, 20.

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nungen in den Archivalien auch die Menge der obertägig in Museen und Sammlungen erhaltenen Stücke. 109 Im vorliegenden Fundensemble befinden sich mit dem Teller mit Wellenrand Kat.-Nr. 44 und der Terrine Kat.-Nr. 43 Teile aus diesem Service mit dem Dekor aus Früchten und Insekten in den Scharffeuerfarben Gelb (Antimon), Kobaltblau, Manganbraun/-violett, Grün (Kupfer) und Rostrot (Eisenrot), das in der Zeit von 1750–1765 hergestellt wurde110 Marken Nur ein unbedeutender Prozentsatz der Fayencen verließ die Holitscher Manufaktur ohne Bezeichnung; größtenteils ist die Ware gemarkt, in der ersten Periode bis zum Jahr 1786 durch eine handgeschriebene, farbige Marke. Der Buchstabe „H“ bedeutet zweifellos „Holitsch“, kommt häufig allein in Schwarz oder Mangan vor, seltener in Grün oder Braun. Zusätzlich finden sich noch nahezu alle Buchstaben des Alphabets, die dem bestimmenden „H“ entweder in Ligatur oder – seltener – getrennt stehend beigefügt sind. Eine befriedigende Interpretation dieser zweiten Buchstaben gelang bis heute nicht. 111 Durch die Menge der verwendeten Marken unterscheidet sich Holitsch von allen anderen Manufakturen, deren wesentlich einfachere Bezeichnungsmethode – die heute größtenteils geklärt ist und mit den Namen der Begründer, Direktoren oder Künstler in Verbindung gebracht wird – auf die Holitscher nicht übertragen werden kann. Die Fayence wurde gekennzeichnet, um im Herstellungsland frei verkauft werden zu können, während ausländische Erzeugnisse – soweit sie überhaupt verkauft werden durften – hoch besteuert wurden. Umgekehrt wurden jene Fayencen nicht gekennzeichnet, die einer anderen Fabrikation auffallend ähnelten, um Schwierigkeiten bei der Ausfuhr zu vermeiden. Dies trifft auf die naturalistischen Gefäße der Holitscher Produktion zu, die Straßburger Fayencen täuschend ähnlich sehen. 112 Die Marken zeigen deutlich die individuelle Handschrift einzelner Maler. Der größte Teil des heute vorhandenen Bestandes aus Holitsch trägt die einfache Bezeichnung „H“ in Schwarz oder Mangan, seltener auch in der im Dekor überwiegenden Farbe, schwach und stark und in verschiedenen Größen gemalt. 113 Mit „H“ in Blau114 wurde die Unterseite des weißen Tellers Kat.-Nr. 45 gemarkt. Die häufig anzutreffende Marke „HP“ in Ligatur115 in Blau, das zu Braun korro109 Kybalová 1970, 26. 110 Kybalová 1970, 72 und Abb. 9. 111 Kybalová 1970, 57. 112 Kybalová 1970, 58. 113 Kybalová 1970, 58. 114 Kybalová 1970, 157 ähnlich Nr. 5–7; Pichelkastner/Hölzl 1981, 151, sehr ähnlich Marke 8. 115 Kybalová 1970, 59 und Markentaf. Nr. 66–74. 116 Kybalová 1970, 159 Nr. 67; Pichelkastner/Hölzl 1981, 151 Marke 7. 117 Kybalová 1970, 157 ähnlich Nr. 2–3. 118 Kybalová 1970, 60.

diert ist, befindet sich auf der Unterseite des Tellers mit dem „Früchtedekor“ Kat.-Nr. 44. 116 Die Bodenunterseite der Terrine Kat.-Nr. 43 ist mit einem kleinen manganbraunen „H“117 gemarkt. In der letzten Phase der Fayenceerzeugung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die einheitliche blaue Marke „HF“ üblich. 118 Fayencen aus Savona (Ligurien), Italien (Kat.-Nr. 46–48 Abb. 6) Im vorliegenden Fundensemble bilden drei Gefäßbruchstücke eine kleine technologisch einheitliche Gruppe. Auf opak „türkiser“ Glasur ist kobaltblaue (Kat.Nr. 47–48) bis kräftig kobaltblaue (Kat.-Nr. 46) Bemalung aufgetragen, wobei Kat.-Nr. 46 und 48 beidseitig bemalt sind. Das Formenspektrum umfasst eine

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Abb. 6: Fayencen aus Savona, Italien. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

Henkeltasse (Kat.-Nr. 46), eine hohe Tasse (Kat.-Nr. 47), die vielleicht als „Schokoladebecher“ angesprochen werden darf, und das Fragment einer eckigen Schüssel (Kat.-Nr. 48). Aufgrund der charakteristischen Kombination von Glasur und Dekor lässt sich ihre Herkunft aus Werkstätten aus Savona aus der zweiten Hälfte des 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts nachweisen. Die italienische Küstenstadt Savona liegt etwa 80 km westlich von Genua. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich die Keramikproduktion in den drei ligurischen Städten Savona, Genua und Albissola stärker, man rückte von den kräftigen Farben ab und ging, von Talavera (Spanien), Delft (Holland) und China beeinflusst, zur Fayence über. Zwar sind Töpfernamen bekannt, doch lassen sie sich in vielen Fällen nicht mit Bestimmtheit einzelnen Manufakturen zuordnen. Im 17. Jahrhundert hat sich allgemein der Barockstil durchgesetzt mit geschweiften Rändern, Reliefs nach Silberart (wie die eckige Schüssel Kat.-Nr. 48) und Durchbruchsornamenten. Mit dünn ausgeformten Gefäßen (wie der hohen Tasse Kat.-Nr. 47) ist die Fayence mit der Schildmarke aus Savona in die Nähe des Porzellans zu stellen. 119 Die ligurischen Manufakturen in Savona, Genua und Albissola waren auch bedeutende Lieferanten von Apothekenkeramik. 120 Der Dekor der Tasse Kat.-Nr. 46 findet gute Entsprechungen auf einem Teller121 der Werkstatt Grosso in Savona, die in der Zeit von 1648 bis 1698 tätig war, auf einer Kanne122, die in den Zeitraum von 1650–1700 datiert wird, und einem Apothekengefäß (Chevrette)123 aus der Werkstatt Guidobono, um 1690. Die sehr fein gezeichnete Marke auf der Unterseite der hohen Tasse Kat.-Nr. 47 vermittelt den Eindruck einer Kombination der beiden Marken des Wappens von Savona („Stemma di Savona“). 124 Fayence aus Iznik (Türkei) Koppchen (Kat.-Nr. 49) Das fragmentierte Koppchen Kat.-Nr. 49 trägt auf seiner Außenseite innerhalb schwarzbrauner Umrisslinien blaue Blüten und eisenrote Punkte als Füllmotive. Auf der Bodeninnenseite befindet sich eine Blüte, gleichfalls blau innerhalb

119 Pichelkastner/Hölzl 1981, 261. 120 Mez-Mangold 1990, 14. 121 Glaser 2000, Kat.-Nr. 68. 122 Glaser 2000, Kat.-Nr. 69. 123 Mez-Mangold 1990, 159 Nr. 209. 124 Mez-Mangold 1990, 230 Nr. 209 und 313.

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schwarzer Umrisslinien. Ein schwarzbrauner Stern bildet die Marke auf der Bodenunterseite. Der Scherben ist sehr fein, Magerungspartikel sind nicht erkennbar, sehr hart hellrosa gebrannt, darüber ist eine opak weiße Glasur mit hochglänzender Oberfläche aufgetragen. Dieses qualitätvolle Produkt stammt aus Iznik (Türkei), der Zeitrahmen umfasst das späte 16. bis frühe 17. Jahrhundert. 125 Porzellan Im Teil 1 der Bearbeitung wurde der für das 18. Jahrhundert verhältnismäßig geringe Anteil von Porzellanen vermerkt. 126 Dieser Umstand wird durch die nunmehr vorzustellenden Stücken relativiert, wobei eine unerwartet hohe Anzahl ostasiatischer Porzellane zu verzeichnen ist. In China war Porzellan das Ergebnis eines viele Jahrhunderte dauernden Entwicklungsprozesses in der Herstellung von Keramik mit einem weißen Scherben. Gesichert ist Porzellan im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert nachweisbar. 127 In Japan tritt die Porzellanproduktion zu Beginn der Edo-Zeit (1603–1868) auf, also gegenüber China mit einer Verzögerung von rund 900 Jahren. In Europa gelang erst 1710 Johann Friedrich Böttger in Meißen die Herstellung von weißem Porzellan. Bereits 1718 gründete Claudius Innocentius Du Paquier in Wien die zweite Porzellanmanufaktur Europas. Technisch zeichnet sich Porzellan gegenüber anderen Keramikarten durch seine größere Härte sowie die Weiße und die Lichtdurchlässigkeit seines Scherbens aus. Doch zunächst kam ihm in China kein besonderes Interesse zu. Erst in der Zeit des frühen 14. Jahrhunderts war die neue, aus Persien übernommene Dekortechnik mit der Verwendung von Kobaltblau als Malpigment unter der Glasur die Ursache dafür, dass Porzellan zur dominierenden Keramikgattung wurde, die zunächst vorwiegend nach Westasien exportiert wurde. 128 Reisende wie der Venezianer Marco Polo (ca. 1254–1324) brachten die ersten Porzellane gegen Ende des 13. Jahrhunderts nach Europa. Marco Polo nannte diese Keramik „porcellana“, da ihre glänzende Oberfläche und Transparenz einer Muschel „porcella“ gleicht. 129 Allerdings blieb das Porzellan in Europa bis in das 16. Jahrhundert noch weitgehend unbekannt. So galten die wenigen chinesischen Keramiken und Porzellane, die bis dahin auf Umwegen nach Europa gelangten, als etwas so Ausgefallenes, dass sie in ihrer Kostbarkeit durch Goldund Silberfassungen noch gesteigert wurden und als Schaustücke in die Schatzkammern und „Raritätenkabinette“ kamen. 130 Erst mit der Gründung 125 Freundl. Mitt. Dr. Omur Tufan, Topkapi Sarayi Müzesi, Istanbul. 126 Kaltenberger 2008, 172. 127 Wiesner 1981, 15. 128 Wiesner 1981, 15; Reichel/Schulle 1982, 51. 129 Heinitz-David 1977, 7; Girmond 1990, 107. 130 Heinitz-David 1977, 7; Reichel/Schulle 1982, 51. 131 Heinitz-David 1977, 7.

der mächtigen „Ostindischen“ Handelskompanien zu Beginn des 17. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern Europas, die von ihren jeweiligen Regierungen das Monopol für den Handel mit den Ländern des Ostens erhielten, entwickelte sich der Import ostindischer Luxusgüter in großem Ausmaß, darunter auch Porzellan131. Die Importgüter aus Asien beeinflussten den Geschmack in Europa. Neue Dekormotive und eine Vorliebe für das Exotische führten zur „ChinaMode“ und Chinoiserien prägten von nun an das äußere Bild Europas. Alle Kulturbereiche wurden davon erfasst. Porzellan wurde so beliebt, dass es in keinem Palast oder Patrizierhaushalt fehlen durfte. Fürsten und Könige richteten

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eigene Porzellankabinette ein, in denen das Porzellan die Funktion eines Dekorationselementes in der barocken Innenausstattung zu erfüllen hatte. 132 Die Widerstandsfähigkeit des Porzellans gegen chemische Einwirkungen ließ Porzellangeschirr für Salate, Konfitüren und Früchte als begehrenswert erscheinen, also für Speisen, deren Geschmack durch Silber oder Zinn beeinträchtigt wird. Als im Laufe des 17. Jahrhunderts die Heißgetränke Tee, Kaffee und Kakao für eine kaufkräftige Schicht zunehmend beliebt wurden, begann man auch die Widerstandsfähigkeit gegen plötzliche Erhitzung zu schätzen. 133 Während man am Kaiserhof in Wien bis ins späte 18. Jahrhundert noch von Gold- und Silbergeschirr speiste, ging der aufgeschlossene Adel dazu über, zur Repräsentation und zum Pläsier hoher Gäste, den ersten Gang und die kostbaren Desserts wie Konfekt, Gesülztes, Gefrorenes oder seltene Früchte auf dem Luxusgut Porzellan mit Besteck mit Porzellangriffen zu servieren. China (Abb. 7) Um 1400 wurde auf kaiserlichen Erlass in der alten Töpferstadt Jingdezhen (Ching-tê-chên) in der südchinesischen Provinz Kiangxi eine kaiserliche Porzellanmanufaktur gegründet, die ausschließlich für den Palast arbeitete. In der folgenden Zeit scharten sich um diese offizielle Manufaktur nach und nach zahlreiche private Werkstätten. Der Bezirk Fou-liang, in dem Jingdezhen liegt, ist reich an Lagerstätten der beiden für die Porzellanherstellung notwendigen Rohstoffe Kaolin und Feldspat (Petuntse) (siehe dazu unten „Herstellung“). Das erforderliche Brennmaterial wurde auf dem Wasserweg bezogen. 134 Durch die verkehrstechnisch günstige Lage konnten sowohl Nanking, die Hauptstadt der Ming-Dynastie, als auch die spätere Hauptstadt Peking ebenso wie die Exporthäfen auf dem Wasserweg erreicht werden. 135 Der Ort Jingdezhen entwickelte sich zu einem „Industriezentrum“, in dem rund eine Million Menschen für und durch das Porzellan lebten und Tag und Nacht 3.000 Öfen brannten. Der Arbeitsprozess war durch Arbeitsteilung rationalisiert. Jeder Arbeiter war auf eine bestimmte Tätigkeit spezialisiert und die Stücke gingen im Verlauf der Produktion durch bis zu 70 Hände. Selbst beim gemalten Dekor waren die Aufgaben auf mehrere Ausführende aufgeteilt. 136 Die Arbeitsteilung der Porzellanmaler ist eines der frühen Beispiele für Massenfabrikation, wodurch ihr Lebensstandard, ebenso wie der sämtlicher anderer Arbeiter, sehr niedrig war. 137 Diese so vervollkommneten Produktionsmethoden in den privaten Werkstätten ermöglichten es, den unaufhörlich wachsenden Bedarf der Importländer, anfangs der arabischen Welt, später der europäischen Länder, zu befriedigen. 138 In den Wirren des Überganges von der Ming- (1368–1644) zur Qing- (Ch’ing-) Dynastie (Mandschu; 1644–1912) wurde während eines Aufstandes Jingdezhen geplündert und niedergebrannt. Erst 1683 konnte unter dem zweiten Mandschu-Kaiser in der Periode Kangxi (K’ang-Hsi) 1662–1722 die Produktion des offiziellen Porzellans wieder aufgenommen werden. Die privaten Porzellanmacher in Jingdezhen hatten auch in der Zwischenzeit in den Traditionen der letzten Phase der Ming-Periode weitergearbeitet, so dass sich Stücke, die im dritten Viertel des 17. Jahrhunderts entstanden sind, kaum von den jünge-

132 Heinitz-David 1977, 8. 133 Reichel/Schulle 1982, 51. 134 Reichel/Schulle 1982, 51. 135 Feddersen 1972, 16; Heinitz-David 1977, 52; Wiesner 1981, 17. Da die allermeisten Porzellane seit dem 14. Jh. aus den Töpfereien von Jingdezhen stammen, wird dies als Herkunftsbezeichnung bei der Bestimmung eines Stückes nicht mehr besonders erwähnt. 136 Heinitz-David 1977, 52. 137 Du Boulay 1987, 72. 138 Heinitz-David 1977, 57.

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Abb. 7: Porzellan aus China. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

ren unterscheiden lassen. 139 Daher stammen unter den in Europa befindlichen Porzellanen der Ära Kangxi die weitaus meisten aus den privaten Werkstätten von Jingdezhen. Ihre Merkmale sind die bläuliche Glasur, der unglasierte untere Rand, der sich durch den Brand meist blass-orange verfärbte, sowie der grauweiße, dünne und sehr feste Scherben. 140 Die Kangxi-Periode ist besonders wegen ihres Blau-weiß-Porzellans berühmt geworden, das eine ungekannte technische Höhe in der Qualität der Malerei, des verwendeten Kobalts, des Scherbens und der Glasur erreichte. 141 Im frühen 17. Jahrhundert machte man in den chinesischen Werkstätten einen deutlichen Unterschied zwischen Inlands- und geringerwertiger Exportware. 142 Doch im 18. Jahrhundert vollzog sich der Aufstieg und Niedergang eines neuen Exportporzellans, das sich von Waren für den Binnenmarkt nicht mehr durch mindere Qualität, sondern durch Formen und Dekore unterschied, die nach europäischen Vorlagen auf Bestellung gestaltet wurden („Chine de Commande“). Nach Grafikvorlagen tragen die Geschirre, neben den Wappen der Auftraggeber, Blumen und die jeweils modernen Ornamente. Anfang des 18. Jahrhunderts waren Teeschalen (Koppchen), Teller und Schalen verschiedener Größe 139 Du Boulay 1987, 71. 140 Du Boulay 1987, 72 f. 141 Wiesner 1981, 20. 142 Reichel/Schulle 1982, 54; F. Reichel, Die Porzellansammlung Augusts des Starken. Porzellankunst aus China – Die Rosa Familie (München 1993) 13. 143 Du Boulay 1987, 111 f. 144 Reichel (Anm. 142) 17. 145 Kaolin, ein weißer Ton mit hohem Schmelzpunkt, ist ein Verwitterungsprodukt des Feldspates auf primärer Lagerstätte, weshalb er auch keine Verunreinigung durch Transport enthält.

und Tiefe die häufigsten Formen,143 da man in Europa für den schnell steigenden Verbrauch von Kaffee und Tee Trinkgeschirr aus Porzellan für unverzichtbar hielt. So erreichten im 18. Jahrhundert durch die Ostindienfahrer riesige Mengen an chinesischem Porzellan Europa. Doch mit dem Wachstum der Porzellan- und Steingutfabrikation in Europa im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert verlor die Exportware ihre wirtschaftliche Grundlage. 144 Herstellung des Porzellans in China Porzellan ist ein keramisches Erzeugnis aus Kaolin145, Quarz und Feldspat mit reinweißem, transparentem und klingend hart gebranntem Scherben. Dem plastischen Kaolin verdankt die Masse ihre Formbarkeit und Feuerfestigkeit,

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Feldspat und Quarz sind Magerungsmittel, die die Brenn- und Trockenschwindung herabsetzen und als Flussmittel wirken. Europäisches Porzellan unterscheidet sich in der chemischen Zusammensetzung und in den dadurch bedingten höheren Brenntemperaturen von bis zu 1400 °C von ostasiatischem Porzellan, das Brenntemperaturen von maximal 1300 °C benötigt. Je nach Mischungsverhältnis zwischen Kaolin, Feldspat und Quarz wird Porzellan als Hart- oder Weichporzellan definiert. Je mehr Kaolin die Ware enthält, desto höher muss sie gebrannt werden, um die notwendige Versinterung der Masse zu erzielen. Normalerweise enthält europäisches Porzellan mehr Kaolin als ostasiatisches (etwa 45–60%) und wird entsprechend schärfer gebrannt (bei ca. 1300–1400 °C), doch gibt es auch ostasiatische Porzellansorten, die man zu den Hartporzellanen rechnet. Dazu gehören die chinesischen Blau-weiß-Porzellane und die farbig bemalten Waren späterer Zeit sowie das japanische Arita-Porzellan. 146 Zwei Briefe, die der Jesuitenpater François Xavier d’Entrecolles in den Jahren 1712 und 1722 nach Paris gesandt hatte, geben eine ausführliche Beschreibung von Jingdezhen, den Methoden der Porzellanherstellung sowie der Organisation der Manufaktur. 147 Als Grundmaterial der chinesischen Porzellanfabrikation werden in allen Quellen zwei Rohstoffe genannt: Petuntse (pai-tun-tzu) und Kaolin, dessen Lagerstätten in der Nähe von Jingdezhen ausgebeutet wurden. Die Verglasung (Sinterung) und damit auch die Transparenz des Scherbens erzielte man durch Zugabe von Petuntse als Flussmittel, einem ebenfalls weißen Gemisch von gemahlenem Feldspat und Quarz, das gleichfalls nahe von Jingdezhen abgebaut wurde. Die Glasur, die grundsätzlich aus denselben Rohstoffen besteht wie der Scherben selbst, eventuell mit farbgebenden Zusätzen, verschmilzt im Brand untrennbar mit dem Scherben. 148 Nach dem Abbau wurden Kaolin und Petuntse149 zerkleinert und mehrfach geschlämmt, danach wurden die beiden Rohstoffe zu einer homogenen Masse vermengt. Daraus wurden die gewünschten Formen auf der Scheibe gedreht bzw., da die Porzellanmasse sehr schwer formbar ist, grob auf der Scheibe vorgedreht und dann in vorgefertigten Modeln weiterbearbeitet. Nach dem Antrocknen wurde die Wandung von Tellern, Schalen, Vasen und ähnlichen Formen abgedreht und der Standring ausgedreht. Das getrocknete, aber noch ungebrannte Gefäß wurde mit Unterglasurfarben – Kobalt- oder Kupferoxid – bemalt.

150

Das Bemalen erfolgte arbeitsteilig in vielen kleinen Schritten. Für den Porzellanmaler jedoch besteht die Schwierigkeit darin, dass jeder Pinselstrich sofort vom porösen Material aufgesogen wird und Retuschen (wie bei den Fayencen) nicht möglich sind. Das Malmittel ist zunächst schwarz und erhält erst durch den reduzierenden Brand seine blaue Farbe. Glanz und Reinheit des Blaus hängen zum großen Teil vom Grad der Reduktion ab. Nur allzu leicht wird der Farbton grau oder es bilden sich schwarze Punkte. Das chinesische Kobalt war von minderer Qualität, da es große Mengen an Verunreinigungen (Mangan) enthielt, so dass man zunächst aus den islamischen Ländern (Persien) importiertes Kobalt verwendete („Mohammedaner-Blau“). 151

146 Girmond 1990, 112. 147 Du Boulay 1987, 72; Girmond 1990, 108. 148 Heinitz-David 1977, 18; Girmond 1990, 112. 149 Die Arbeitsvorgänge sind auch mehrfach durch historische Zeichnungen belegt: dazu Girmond 1990, 107–111 und 116–117 bes. Abb. A1–A23. 150 Demgegenüber erfolgt in Europa die Bemalung mit Unterglasurfarben auf dem bei ca. 800°C vorgebrannten (geschrühten) Scherben; dieser ist poröser, was einen weniger flüssigen und malerischen Auftrag der Unterglasurfarben nach sich zieht. 151 Heinitz-David 1977, 45; Wiesner 1981, 225; Reichel/Schulle 1982, 51.

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Danach wurden die Gefäße durch Tauchen in die Glasurmasse, durch Übergießen oder durch Aufblasen mit Hilfe eines mit Stoff bespannten Bambusrohres glasiert. 152 Nach dem Trocknen erfolgte der erste Brand bei einer Temperatur um 1300 °C. Um die Glasur im Brand nicht zu beschädigen, wurden die Rohlinge in Brennkapseln (Muffeln) gesetzt und darin gebrannt. Die transparente Glasur des chinesischen Porzellans besitzt im Gegensatz zum europäischen Porzellan einen leicht grünlichen oder bläulichen Farbton. 153 Bis in das späte 17. Jahrhundert dominierten in den chinesischen Werkstätten die blau-weißen Porzellane. Im späten 17. Jahrhundert entstanden über der Glasur aufgetragene, polychrome Dekore mit Emailfarben154, die aufgrund der Dominanz grüner Farbtöne „famille-verte“ genannt werden. Seit dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts wurden sie von Dekoren abgelöst, die wegen ihrer den Gesamteindruck bestimmenden rosenroten Farbnuancen in Europa als „famille-rose“ bezeichnet werden. 155 In ebenso vielen Arbeits- und Brennvorgängen wie Farben vorgesehen waren, wurden die einzelnen Überglasurfarben aufgetragen und mit niederer Temperatur gebrannt. Jede Farbe hat eine andere chemische Zusammensetzung und erfordert deshalb auch eine andere Brenntemperatur. Dieser Brand erfolgte in kleinen Muffelöfen, die nur Brenntemperaturen bis zu ca. 900°C erreichten. 156 Goldhöhung erforderte ebenfalls einen zusätzlichen Brand, jedoch bei noch niedrigerer Temperatur als für die Schmelzfarben. 157 Deshalb reibt sich Gold im Gebrauch auch am raschesten ab. 158 Die braune Glasur, die Eisenbestandteile beinhaltet, wurde meist in Verbindung mit Famille-verte-Dekor benutzt, zuerst in blasser Kaffeefarbe, „café-au-lait“ benannt. In Verbindung mit unterglasurblauen und Famille-rose-Reserven hatte es später eine dunklere Tabakfarbe und wurde von den Kaufleuten der Ostindischen Kompanie unter dem Namen „Bataver-Ware“ geführt. 159 Die Dekorationsweise des kleinen braun glasierten Tellers Kat.-Nr. 58 mit brau152 Während in Europa das Porzellan zunächst einem Schrühbrand unterzogen wird, glasiert der chinesische Töpfer das luftgetrocknete Gefäß und brennt Glasur und Scherben in einem Brand. 153 Feddersen 1972, 6. 154 Emailfarben, Schmelzfarben: mit Metalloxiden gefärbte Glasflüsse, die bei niedriger Temperatur auf den glasierten und bereits gebrannten Scherben aufgeschmolzen werden. 155 Feddersen 1972, 34; Wiesner 1981, 21. 156 Feddersen 1972, 8; Wiesner 1981, 15; Girmond 1990, 113. 157 Heinitz-David 1977, 78. 158 Freundl. Mitt. Dr. Johannes Wieninger, MAK. 159 Du Boulay 1987, 90. 160 Freundl. Mitt. Dr. J. Wieninger, MAK. 161 Wiesner 1981, 228. 162 Feddersen 1972, 9; R. Kreissl, Weißes Gold aus dem Fernen Osten (München 1975) 6.

nem Dekor in den Reserven ist bislang unbekannt. 160 Marken Viele Stücke tragen auf der Bodenunterseite (Kat.-Nr. 50, 51), meist in Unterglasurblau, eine Periodenmarke (nianhao, Nien-hao). Sie geben als Regierungsmarken die Periode an, in der ein Stück entstanden ist, werden aber auch als Reverenz gegenüber einer früheren Epoche verwendet, weshalb sie kein Datierungskriterium darstellen. Diese Marken geben die Regierungsdevise an, die ein Kaiser bei der Thronbesteigung verkünden ließ und unter der er bekannt wurde, während sein persönlicher Name nicht genannt werden durfte. Die Marken auf chinesischen Porzellanen bezeichnen also Regierungsperioden und in der Regel auch nicht, wie in Europa, Manufakturen. 161 Die Marke gibt im Allgemeinen zunächst die Dynastie an (Ming 1368–1644, Qing- oder Mandschu-Zeit 1644–1912), dazu kommt dann die Periodenbezeichnung, d. h. die Devise, die bei der Thronbesteigung eines Herrschers für seine Regierungszeit gewählt wurde: z. B. Periode Kangxi (K’ang-Hsi) – „friedliche Freude“ (1662– 1722). 162

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Während der Kangxi-Ära tragen nur wenige Stücke die Periodenmarke, da der Oberaufseher der kaiserlichen Fabriken, Ch’ang Ch’-ching, zwischen 1677 und 1680 durch ein Edikt den Töpfern verboten hatte, das „Nien-hao“ des Kaisers auf ihren Waren anzubringen. Es ist nicht sicher, ob das Verbot immer eingehalten wurde, es ist aber anzunehmen, da es viel Porzellan dieser Epoche gibt, das keine Marke trägt und nur mit einem Rautenblatt, einer Lotosblüte, einem endlosen Knoten, einem Räuchergefäß oder anderen Symbolen in einem Doppelkreis gezeichnet ist. 163 In diesen Kontext darf auch der achteckige Teller Kat.-Nr. 50 gestellt werden, dessen Marke bislang nicht bekannt ist. 164 Porzellan mit unterglasurblauem Dekor aus China, Periode Kangxi (Kat.-Nr. 50–53) Der fragmentierte achteckige Teller Kat.-Nr. 50 ist auf der Innenseite mit einem dichten floralen Dekor bemalt, auf der Außenseite befindet sich in jedem Feld eine Blüte. Auf der Bodenunterseite ist eine unterglasurblaue Marke angebracht, eine Lotosblüte im Doppelkreis. Solche Doppelringmarken sind charakteristisch für die Kangxi-Periode (1662–1722). 165 Anhand seiner Form und des Dekors166 kann der Teller in die Zeit um 1700 bis 1720 datiert werden. Zwei Koppchen mit geschwungen ausgebogenem Rand, Kat.-Nr. 51 und 52, sind auf der Außenseite mit Blütenzweigen bemalt, auf der Innenseite finden sich ebenfalls Reste floralen Dekors. Ihre Datierung ist in das erste Drittel des 18. Jahrhunderts zu stellen. Das Koppchen Kat.-Nr. 53 mit beidseitig floralem Dekor mit dünner Umrisszeichnung und Füllung mit dunkelblauen Punkten findet eine vergleichbare Dekorweise auf einem Teller, der in das späte 17. bis in das frühe 18. Jahrhundert datiert wird. 167 Japan Die Porzellanproduktion in Japan tritt nicht vor Anfang der Edo-Zeit (1603– 1868) in Erscheinung. Der Impuls kam über Korea, als nach Feldzügen verschleppte koreanische Töpfer auf der Insel Kyu¯shu¯ angesiedelt wurden. 1616 wurden im Gebiet von Arita Vorkommen von Rohstoffen zur Porzellanherstellung entdeckt. Nach diesem plötzlichen Beginn erlebte die Porzellanherstellung eine rasche Entwicklung. Einige ältere Werkstätten stellten auf die Produktion von Porzellan um, während die Mehrzahl an verschiedenen Plätzen im Gebiet von Arita neu errichtet wurde. Das japanische Porzellan erschien zu einem günstigen Zeitpunkt auf dem internationalen Markt, nämlich als China – im 17. Jahrhundert in politische Wirren verstrickt, die zum Sturz der Ming-Dynastie führten – nicht in der Lage war, die europäische Nachfrage zu befriedigen. Die neue Porzellanindustrie in Japan hatte sich kaum konstituiert, als bereits ihre Erzeugnisse zu Tausenden den Weg nach Europa nahmen. Dies geschah durch Vermittlung der holländischen Ostindischen Handelskompanie, der Japan, als den einzigen westlichen Ausländern, 1641 die Errichtung einer Niederlassung in der Bucht von Nagasaki zugestanden hatte. 168 In der ersten Produktionszeit, die noch vor den Exporten lag, wurden lediglich blau-weiße Porzellane hergestellt. Dieser Periode folgte eine deutlich von China

163 Du Boulay 1987, 82. 164 Freundl. Mitt. Dr. J. Wieninger, MAK. 165 Freundl. Mitt. Dr. J. Wieninger, MAK. 166 Krahl 1986, Form: Kat.-Nr. 2337; 2351; Dekor: Kat.-Nr. 2335. 167 Schmidt 1990, Kat.-Nr. 116. 168 Heinitz-David 1977, 97.

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beeinflusste Produktion. Schließlich, gegen Mitte des 17. Jahrhunderts, trat ein echter japanischer Stil auf: Um 1644 entwickelte in Arita der Töpfer Sakaida Kakiemon polychromen Dekor. Die Technik hatte er von einem in Nagasaki lebenden chinesischen Emigranten erlernt. Sakaida war der Begründer einer großen Töpferdynastie und gleichzeitig Schöpfer eines Stils, der durch Generationen den Ruhm des japanischen Porzellans ausmachte. Diese Porzellane wussten die europäischen Fürsten jener Zeit zu schätzen und sie gaben auf der Suche nach Anregungen diese Porzellane als Modelle an ihre jungen Manufakturen, wodurch der europäische Kakiemon-Stil169, beispielsweise in Meißen und Wien170, entstand. Viele andere Werkstätten in und bei der Stadt Arita entwickelten im 17. Jahrhundert eine Ware, die sich in Europa unter dem Namen „Arita- oder Imari-Porzellan“ – nach dem Hafen Imari auf der Insel Kyu¯shu¯, von dem aus es verschifft wurde – großer Beliebtheit erfreute. Der Dekor ist durch üppige Malerei in Unterglasurblau sowie über der Glasur in Eisenrot171 und Gold charakterisiert. Dekore in diesen Farben waren in Europa besonders in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr beliebt, weshalb Imari-Porzellan in großen Mengen für den Export nach Europa hergestellt wurde. 172 Die höchste Qualitätsstufe des blau-rot-goldenen Imari war preiswerter als das ebenfalls aus Arita stammende elitäre Kakiemon und war vor 1750 erschwinglicher als das bis dahin höchst feudale Meissener und Wiener Porzellan. Die einfacheren Handelsklassen des Imari konnten sich im 18. Jahrhundert schon der Kleinadel, die Kaufleute, das reiche Bürgertum und die hohen Beamten leisten. 173 169 Heinitz-David 1977, 98. 170 J. Lessmann, Du Paquier und Meissen: Inspiration und Konkurrenz. In: M. Chilton (Hrsg.), Fired by Passion. Barockes Wiener Porzellan der Manufaktur Claudius Innocentius Du Paquier 1 (Stuttgart 2009) 445. 171 Heinitz-David 1977, 58: Das Eisenrot wird nicht als Schmelzfarbe, der ein Glasfluss zugesetzt ist, sondern als „trockene Farbe“ bezeichnet, weil es als Pigment aus Eisensulfat direkt auf die Glasur aufgebracht wird und während des Brennens in diese eindringt, ohne dass sich, wie bei den Schmelzfarben, ein Relief auf der Oberfläche bildet. 172 Heinitz-David 1977, 98; Du Boulay 1987, 91. 173 Hakenjos 2000, 13. 174 Hakenjos 2000, 12. 175 Heinitz-David 1977, 100; Du Boulay 1987, 91. 176 Herrn Dr. J. Wieninger, MAK Wien, danke ich sehr herzlich für die Begutachtung der ostasiatischen Porzellane und für die Unterstützung bei deren Bestimmung und Datierung. 177 Reichel 1980, 119; Du Boulay 1987, 91; E. Handke, Japanisches Porzellan. Edition der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten. Kat. 3 (Bad Homburg 1992) 21; Hakenjos 2000, 13.

Die Teller, Schüsseln, Kummen und Flaschen, auch die Auftragsarbeiten der europäischen Gebrauchsformen wurden mit symbolischen Dekoren nach der Natur, mit Pflanzen und Tieren in bestimmter Kombination versehen, die meist Glück verheißen oder jahreszeitliche Stimmungen tragen. Die Chrysantheme steht für den Herbst und symbolisiert genügsames Leben und den Rückzug von öffentlichen Ämtern. Die Päonie ist Zeichen des Frühlings, verspricht Liebe und Zuneigung und ist Emblem weiblicher Schönheit. 174 Dieser Imari-Dekor erzielte einen ungeheuren Erfolg und wurde von China, das den verlorenen Markt zurückerobern wollte, aufgenommen und imitiert. 175 Chinesisches Porzellan im Imari-Stil („China-Imari“, Quing-Dynastie, Periode Kangxi 1662–1722)176 (Abb. 8) Als der Einkaufspreis für japanisches Porzellan so stark anstieg, dass der Profit für die V. O. C. (Vereinigte Ostindische Compagnie) zu gering wurde, und nachdem sich die Verhältnisse in China in der Periode Kangxi (1662–1722) der QingDynastie konsolidiert hatten, kehrten die holländischen Händler im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts auf den Festlandmarkt nach Jingdezhen zurück. Sie nahmen japanisches Imari-Porzellan, das in der Zwischenzeit in Europa Mode geworden war, als Muster mit und ließen es seitdem billiger als Exportware im Imari-Stil in China herstellen. 177 Nach 1710 entstanden die ersten Stücke Chinees-Japans, wie es in zeitgenössischen Dokumenten genannt wird, mit der Farbpalette Unterglasurblau, Eisen-

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Abb. 8: Chinesisches Porzellan im Imari-Stil – „China-Imari“. (Foto: R. Kaltenberger-Löffler)

rot und Gold. Es lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: eine Ware in reiner Nachahmung, die das japanische Farb- und Dekorschema übernimmt, und eine andere, die chinesisch gestaltete Motive im japanischen Farbschema wiedergibt. 178 Die erste Gruppe, die mit der Farbgebung aus Unterglasurblau, Eisenrot und Gold bewusst das japanische Imari imitierte, konnte dieses problemlos wegen des viel niedrigeren Preises teilweise vom niederländischen Markt verdrängen. In China nannte man es „Nachahmung des östlichen Meeres“, d. h. Japans. 179 Die zweite Gruppe, die chinesischen Nachahmungen, imitierten zwar die Farben, behielten aber in der Regel ihre eigenen traditionellen Muster bei, indem sie die japanischen Dekorelemente in ihren sehr viel strengeren und symmetrischen Formenkanon einpassten, um die typisch japanische Asymmetrie zu vermeiden. Echtes japanisches Imari lässt sich auch deshalb mit großer Sicherheit bestimmen,180 da generell das originale Imari-Blau weniger rein und tief in der Farbe ist und das Eisenrot opaker als die entsprechenden Farben in China. Die größere Reinheit der Farben Kobaltblau und Eisenrot auf den chinesischen Stücken sind der jahrhundertelangen Erfahrung der chinesischen Werkstätten zu verdanken, zudem trägt das chinesische Imari eine weichere, öligere Glasur, sein Biskuitscherben am Fuß tendiert leicht ins Bläuliche181, der Scherben ist dünner, auf dem Boden fehlen die Brennstützenspuren und der Gefäßrand ist oft braun glasiert. 182 Die Formen des chinesischen Imari-Porzellans sind den sonst in Jingdezhen üblichen weitgehend gleich. Einige geben sich jedoch als europäisch beeinflusst zu erkennen, da sie nach europäischen Vorbildern für die Ausfuhr geschaffen wurden183 (vgl. Kat.-Nr. 57). In Europa wurde oft japanisches Porzellan gemeinsam mit chinesischem verwendet oder zur Präsentation aufgestellt. Dies lag nicht daran, dass man die Herkunftsländer nicht unterscheiden konnte, wenngleich es vorkam, dass der asiatische Handel die Käufer in Europa oft absichtlich in die Irre führte. Chinesische Werkstätten stellten Produkte im Stil von Imari her oder Werkstätten in

178 Achenbach 1990, 352. 179 Reichel 1980, 119. 180 Reichel 1980, 119; Hakenjos 2000, 13: Im Einzelfall führt die Unterscheidung zwischen dem sog. China-Imari und den japanischen Originalen selbst unter Fachleuten zu längeren Diskussionen. Die frühesten Eintragungen im ältesten Inventarbuch der Dresdner Porzellansammlung von 1721 deuten darauf hin, dass „chinesisches Imari“ damals in Europa als japanisch gehandelt wurde. 181 Reichel 1980, 119; Handke (Anm. 177) 22; Hakenjos 2000, 14. 182 Achenbach 1990, 352. 183 Reichel 1980, 119.

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Arita brachten unterglasurblaue chinesische Marken an. Es waren die Knappheit und die hohen Preise, die den Käufer zwangen, Geschirr aus beiden Produktionen zu erwerben, gelegentlich noch ergänzt durch Imitationen der Fayencen und neuen Porzellane in Europa. 184 Chinesische Imari-Imitationen stellten für das Bürgertum eine gehobene Ware dar, gleiche Gefäße standen aber auch im Kaiserhaus im Alltag in Verwendung. 185 „China-Imari“ ist in Europa, besonders in Delft, auch als Fayence kopiert worden. 186 Europäische Porzellankopien des klassischen Imari lassen sich von den Originalen leichter unterscheiden. In der Frühzeit von Meissen spielte es neben dem dort bevorzugten Kakiemon-Stil eine Nebenrolle, in der Wiener Manufaktur des 18. Jahrhunderts nahm es breiteren Raum ein, nicht zuletzt wegen der Habsburger-Sammlung der Originale (siehe dazu unten). Von dort zog sich eine dekorative Entwicklungslinie in die böhmischen und schlesischen Porzellanfabriken des 19. Jahrhunderts. 187 In der prunkliebenden Welt des Barock gehörte es zum guten Ton, Porzellane zu sammeln. Vor allem ostasiatisches Porzellan, das durch holländische Händler nach Wien kam, wurde nicht nur bei Tisch verwendet, sondern auch für die Dekoration der sog. chinesischen Kabinette, die in vielen Schlössern und Palais des 18. Jahrhunderts zum unabdingbaren Repräsentationsbestand einer barocken Hofhaltung gehörten. Imari-Porzellan zierte die Residenzen der Barockzeit und schmückt noch heute in beträchtlicher Anzahl die Schlösser und fürstlichen Paläste. 188 So wurde auch im Schloss Schönbrunn von Maria Theresia das „Japanische“ und das „Chinesische Kabinett“ eingerichtet. 189 Weitere Imari-Porzellane in Wien stammen aus der Regierungszeit des Karl Alexander von Lothringen in Belgien (1744–1780), die schönsten Stücke gingen auf dem Erbweg an Kaiser Joseph II. und sind derzeit in der Hofsilber- und Tafelkammer ausgestellt. 190 Diente das japanische Imari-Porzellan vor allem der Raumdekoration, so überwog bei dem chinesischen Produkt das Gebrauchsgeschirr. 191 Durch die große und regelmäßige Einfuhr in Europa verlor chinesisches Porzellan im Laufe des 18. Jahrhunderts seinen exklusiven Status und entwickelte sich zu einem Artikel, der für ein breites Publikum bestimmt war. Das Sortiment des 18. Jahr184 Pantzer 2000, 24. 185 Freundl. Mitt. Dr. J. Wieninger, MAK. 186 Feddersen 1972, 44. 187 Hakenjos 2000, 14. 188 Heinitz-David 1977, 98; H. Galen (Hrsg.), Münster und das alte Japan. Stadtmuseum Münster 5.6.–24.12. 1987 (Greven 1987) 32. 189 Pantzer 2000, 25. 190 H. Ch. Winkler, Nachlaß Karl Alexander von Lothringen. In: Ehemalige Hofsilber- & Tafelkammer. Sammlungskat. 1 (Wien et al. 1996) 130–145; Pantzer 2000, 21 f. 191 Achenbach 1990, 352. 192 C. J. A. Jörg, Der Porzellanhandel der VOC im 17. und 18. Jahrhundert. In: Schmidt 1990, 151. 193 Freundl. Mitt. Dr. J. Wieninger, MAK.

hunderts unterscheidet sich daher erheblich von dem des 17. Jahrhunderts. 192 Koppchen (Kat.-Nr. 54–55) Die beiden Koppchen Kat.-Nr. 54 und 55 belegen mit nahezu gleichen Maßen (RDm: 8,8 bzw. 8,9 cm, H: 4,7 cm) eine standardisierte Produktion, sie sind auch sehr ähnlich dekoriert mit einer Landschaft mit einem Baum und einem Tempel, wobei nur die Intensität des Unterglasurblaus differiert. Bei beiden Koppchen sind die Aufglasurfarben Gold und Eisenrot zum Teil stark abgerieben. Ihre Datierung ist um 1730 anzusetzen. 193 Unterteller (Kat.-Nr. 56–57) Vermutlich gehören die Unterteller Kat.-Nr. 56 und 57 zu den beiden oben genannten Koppchen. Kat.-Nr. 56 ist auf der Außenseite mit einem unterglasur-

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blauen Zweig und auf der Innenseite mit einer Landschaft mit Doppelhaus und links daneben stehender Fahne dekoriert. Der etwas kleinere Teller Kat.-Nr. 57 folgt mit seiner gerippten Wandung bereits europäischen Vorbildern aus Meißen. Auch von den Tellern sind wieder Gold und Eisenrot etwas abgerieben. Die Datierung um 1730 entspricht jener der beiden Koppchen. Die vorliegenden Funde ostasiatischen Porzellans aus den Grabungen am Michaelerplatz machen die Diskrepanz zwischen obertägig in musealen Beständen erhaltenen hochwertigen Stücken und Grabungsfunden, die aus dem Verbrauchermilieu stammen, deutlich. Deshalb sind kaum Vergleiche aus der kunsthistorischen Literatur beizubringen, da dort Spitzenobjekte bei weitem dominieren. Somit bleiben derzeit einzelne Objekte, wie die hohen Henkeltassen Kat.-Nr. 59 und 60, ohne nähere Zuweisung. Eine Parallele zu dem kleinen Teller (Unterteller) Kat.-Nr. 58, mit braunem Fond auf der Innenseite und drei Kartuschen mit braunem, floralem Aufglasurdekor, ist derzeit ebenfalls nicht bekannt. Als Datierung wird das erste Drittel des 18. Jahrhunderts vorgeschlagen. Vielleicht gelangten die chinesischen Porzellane durch Schiffe der Österreichisch-Ostindischen Handelskompanie (1722–1727) nach Wien. 1722 gründete Kaiser Karl VI. in Ostende eine Übersee-Handelskompanie, deren voller Name lautete: „Kaiserliche und Königliche Indische Kompanie, errichtet in den Österreichischen Niederlanden unter dem Schutz des Heiligen Karl“. In Indien (an der Koromandelküste und an der Gangesmündung) und in Kanton entstanden österreichische Handelsniederlassungen. Produkte aus China und Japan fanden damit direkt ihren Weg nach Österreich. Neben Seide oder Tee waren die Schiffe, wie aus den Packlisten zu ersehen ist, mit 426 großen und 4326 kleineren Kisten mit Porzellan beladen. 194 Auf Verlangen der westeuropäischen Mächte im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion verpflichtete sich der Kaiser im Gegenzug zur Aufhebung der Kompanie. Sie wurde 1727 liquidiert und 1731 aufgelöst. 195 Damit verschwanden die österreichischen Schiffe wieder von den Weltmeeren und der Kaiser und die adeligen Familien des Reiches mussten ihre chinesischen und japanischen Porzellane aus anderen Quellen beziehen. 196 Porzellanmanufaktur Wien Unter Kaiser Karl VI. wurde in Wien die zweite Porzellanmanufaktur Europas 1718 als Privatunternehmen des Claudius Innocentius Du Paquier ins Leben gerufen. Nach Ablauf des 25 Jahre dauernden Privileges unter Maria Theresia wurde sie 1744 in ärarische Verwaltung des Staates übernommen. Man suchte nun nach neuen Formen und Dekoren, die man teilweise in Meissener Vorbildern fand. Der stilistische Umschwung zum Rokoko setzte ein, begleitet von einer weiterhin fortlebenden starken Strömung der Chinoiserie, manchmal kombiniert mit europäischem Formengut. 197

194 Pantzer 2000, 18. 195 R. Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Wien 1995) 120. 196 Pantzer 2000, 21. 197 Neuwirth 1990, 9.

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Mit der Übernahme der verschuldeten Privatmanufaktur des Claudius Innocentius Du Paquier durch den Staat im Jahr 1744 wurde die Verwendung einer Fabriksmarke vorgeschrieben. Zunächst als Blindstempel eingeführt, wurde der Bindenschild in Unterglasurblau ab 1749 bis 1827 üblich und von 1827 bis 1864 wiederum als Blindstempel eingeprägt. 198 Der Jahresstempel zur Datierung von Wiener Porzellan wurde 1784 durch Conrad Sörgel von Sorgenthal eingeführt, der im 18. Jahrhundert mit den letzten zwei Ziffern des Jahres und im 19. Jahrhundert mit den letzten drei Ziffern als Blindstempel in die Masse geprägt wurde. Unterglasurblaue Dekore (Kat.-Nr. 61–63) Im vorliegenden Fundbestand sind zwei Koppchen und zwei Untertassen mit unterglasurblauen Dekoren überliefert. Kobaltblau ist (bis zum erst 1817 entwickelten Chromoxidgrün) die einzige Unterglasurfarbe für Hartporzellan. Der Dekor wird auf den geschrühten Scherben aufgebracht. Im Gegensatz zur Aufglasurmalerei, bei der die Farben mit Terpentinöl flüssig gemacht werden und Korrekturen möglich sind, besteht bei der Blaumalerei diese Möglichkeit nicht, da die Farbe sofort in die poröse Oberfläche eindringt. 199 Reduzierende Brennbedingungen verursachen die Weiße des Scherbens und das leuchtende Unterglasurblau. Ungefähr ab der Mitte des 18. Jahrhunderts war unterglasurblaues Porzellan eine preisgünstige Gebrauchsware für Bürgertum und Beamte. Als „indianische Blumen“ werden florale Malereien bezeichnet, die ihren ur198 Neuwirth 1978, 8. 199 Zur Blaumalerei allgemein: Barsewisch 1988; K.-P. Arnold/V. Diefenbach (Hrsg.), Meissener Blaumalerei aus drei Jahrhunderten (München 1989); R. E. Röntgen, Blaumalerei auf Meissener Porzellan. Zwiebel, Stroh und blaue Blume (Leipzig 2004). – Eine andere Variante ist das Malen auf die trockene Glasur (Aufglasurmalerei mit Scharffeuerfarbe). Während des Brandes sinkt die blaue Farbe tief ein. Die intensive Ionenfärbung des Kobaltoxides lässt dabei mikroskopisch keine eindeutigen Farbgrenzen erkennen. W. Goder/R. Fratzscher, Die Technikgeschichte der Blaumalerei. In: Arnold/Diefenbach a. a. O. 121. 200 Dazu D. Lübke, Chinesische „Zwiebelmuster“-Teller bemalt mit den Farben der famille rose. KERAMOS 206, 2009, 33–42. 201 Neuwirth 1990, Abb. 6. – Auch zwei jüngere Objekte mit unterglasurblauem Bindenschild, ohne Blaumalernummer, wurden Wien zugewiesen: Barsewisch 1988, Abb. 57 a: Teller mit unterglasurblauem Dekor „Indianische Blumen und Insekten“, E. 18. Jh.; Abb. 96 f: Koppchen mit Fels und Vogel-Dekor, E. 18./ Anf. 19. Jh. 202 W. Neuwirth, Der Bindenschild als Porzellanmarke. Original, Imitation, Fälschung, Verfälschung2 (Wien 1977) 4 f.; L. Danckert, Handbuch des europäischen Porzellans (Neuausgabe München 1992) 953. 203 Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 87.

sprünglichen ostasiatischen Sinnzusammenhang verloren haben, weil den europäischen Malern der Symbolwert der Formen200 verschlossen blieb. Daher passten sie diese ihrem Verständnis an. Vor allem aus dem Formenschatz der japanischen Kakiemon-Dekore auf Arita-Porzellanen entwickelten sie die phantasievoll umgebildeten und umgedeuteten indianischen Blumen. Eine Kombination aus Koppchen (Kat.-Nr. 61) und Unterteller (Kat.-Nr. 62) liegt mit unterglasurblauem floralem Dekor vor. Das Koppchen ist mit dem unterglasurblauen Bindenschild gemarkt, der nach 1749 verpflichtend eingeführt wurde. Es ist keine Blaumalernummer angegeben. Da auch keine Jahresangabe eingestempelt ist, muss die Datierung vor 1784 liegen. Auf der Unterseite der fragmentiert überlieferten Untertasse mit gleichem Dekor ist nur ein Rest der unterglasurblauen Marke erhalten, die evtl. als Bindenschild zu interpretieren ist. Vergleichbarer floraler Dekor ist auf zwei Schalen überliefert, die mit dem Bindenschild, einmal gestempelt (1744–1749) und einmal unterglasurblau (nach 1749), gemarkt sind, ebenfalls ohne Blaumalernummer. 201 Da die Manufakturen, die nachweislich eine bindenschildartige Marke verwendeten, erst wesentlich später, nämlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gegründet wurden202, ist die Provenienz des Ensembles aus der Wiener Manufaktur aus dem Zeitraum „nach 1749 bis vor 1784“ als gesichert anzunehmen. Die beiden Stücke unterscheiden sich mit ihrem dünneren und weißeren, dicht gesinterten Scherben wesentlich von dem größeren Unterteller mit Fels und Vogel-Dekor. Zu dem bereits in Teil 1 publizierten Koppchen aus der Wiener Porzellanmanufaktur mit Fels- und Vogel-Dekor203 liegt nun mit Kat.-Nr. 63 ergänzend der da-

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zugehörende Unterteller vor. Vor allem das Fels- und Vogel-Dekor ist in Abhängigkeit von den ostasiatischen Vorbildern zu sehen. Der als Basis dargestellte Löcherfelsen, ein durchbrochener, phantastisch gebildeter Zierfelsen, gehörte zur Ausstattung chinesischer Gärten. 204 Auf dem Unterteller ist die Blaumalernummer „11“ unter dem Bindenschild angebracht, die für Aloisius Neumann für die Jahre 1783–1787 belegt ist. 205 Die blind gestempelte Weißdrehernummer „8“ ist für Georg Clausner für 1783 nachgewiesen. 206 Da das Objekt noch keine Jahresangabe trägt, liegt der Zeitpunkt der Herstellung vor 1784. Da der Weißdreher nur für 1783 in dieser Tätigkeit gesichert ist, darf als Herstellungsjahr 1783 angenommen werden. Der Teller aus dem Jahr 1783 bildet nun mit dem Koppchen207, das ebenfalls keine Jahresangabe trägt und dessen Herstellungszeitraum mit der Blaumalernummer 7 (Christian Eder, mit der Arbeitszeit von 1766 bis 1787) noch näher in die Jahre zwischen 1766–1784 einzugrenzen ist, ein Ensemble208. Koppchen dienten dem Genuss von Kaffee und Tee, die hohen Tassen dem von Schokolade, die als gesund galt und besonders Magen und Stimme zuträglich sein sollte. In Archivalien zur Wiener Porzellanmanufaktur unter Du Paquier wird zwischen Bechern für Schokolade und Kaffee und Koppchen für Kaffee und Tee unterschieden. Bei den Schokoladebechern wird meist angegeben, ob sie henkellos oder mit einem oder zwei Henkeln versehen sind, während bei Kaffeebechern üblicherweise keine Angaben zu den Henkeln gemacht werden. Hingegen werden Schalen oder Becher mit Henkel für Tee oder Kaffee nicht ein einziges Mal erwähnt. Es wurde klar zwischen Bechern und Tassen für Schokolade, Kaffee, Tee und anderen Getränken unterschieden und die Unterscheidungskriterien wurden als bekannt vorausgesetzt; dieses Wissen ist jedoch in Vergessenheit geraten. 209 Aus den Archivalien der Wiener Porzellanmanufaktur unter Du Paquier geht hervor, dass für Tee weitaus weniger Service hergestellt wurden als für Kaffee und Schokolade. Vielleicht wurde Teezubehör entweder nach wie vor aus Ostasien importiert oder Tee war Anfang des 18. Jahrhunderts in Wien weniger populär als die anderen neuen Heißgetränke, wie auch Reisende berichten: „Tee wird sehr wenig in Wien getrunken.“210 Die erzeugten Teekoppchen waren der chinesischen Standardform nachempfunden. Auswertung Das vorgelegte Fundmaterial ist ein Nachtrag zu den bereits publizierten Funden aus der unteren Verfüllung eines bei den Grabungen am Michaelerplatz 1991/1992 freigelegten mittelalterlichen211 Entsorgungsschachtes und ergänzt die 2008 erfolgte zusammenfassende Auswertung von Teil 1212. Der dort erarbeitete Datierungsschwerpunkt wird generell bestätigt und durch zwei mit 1784 und 1786 datierte Fayencekrüge erhärtet. Eine weitere Bestätigung liefern die Wiener Porzellane, von denen ein Teller auf das Jahr 1783, das dazu passende Koppchen und ein weiterer Teller auf den Zeitraum „nach 1749 bis vor 1784“ einzugrenzen sind. Wenn auch in diesem zweiten Teil gehobene Keramik mit Fayence und Porzellan dominiert, so liegen doch wiederum einige Henkeltöpfe aus Irdenware vor,

204 Dazu bereits ausführlich Kaltenberger 2008, 172 f. 205 Neuwirth 1978, 84. 206 Neuwirth 1978, 106. 207 Kaltenberger 2008, 173 und Kat.-Nr. 87. 208 Das Koppchen muss nicht im gleichen Jahr wie der Teller hergestellt worden sein, es wurden häufig Stücke aus verschiedenen Produktionsjahren kombiniert. 209 Chilton 2009, 688 f. 210 Chilton 2009, 703. 211 I. Gaisbauer/G. Reichhalter/S. SaklOberthaler, Mittelalterliche Befunde der Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991). FWien 10, 2007, 59 f. und Abb. 1,13.14. 212 Kaltenberger 2008, 177 f.

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die aus dem Bereich Küche, Kochen und Vorratshaltung stammen. Die Formen des Kochgeschirres sind generell in Haushalten aller Schichten annähernd gleich, sie sind im 18. Jahrhundert meist aus innenseitig glasierter Irdenware. Wohlhabendere Haushalte unterscheiden sich lediglich durch größere Gefäße und eine höhere Anzahl. Entscheidend setzten sich die gehobeneren Schichten mit dem Tischgeschirr ab. Ebenso finden sich wieder zwei „Nachttöpfe“, die in Haushalten des 18. Jahrhunderts unverzichtbar waren. Das Konvolut von Apothekenabgabegefäßen mit den charakteristischen, markant aus/umgebogenen Randformen als Binderand für die Tektur spiegelt mit den differierenden Konturen die Variationsbreite dieses Gefäßtyps im 18. Jahrhundert wider. Die bei den meisten Objekten beidseitig aufgetragene teure opak weiße Fayenceglasur hebt sie von den einfachen Abgabegefäßen deutlich ab, sie waren für einen kaufkräftigen Abnehmerkreis bestimmt. Sie stehen deshalb vielleicht nicht nur im Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneien zur Bekämpfung von Krankheiten, sondern auch mit Behältnissen für teure Essenzen, die für die tägliche Toilette der gehobenen Kreise unerlässlich waren. Das vermutlich als Albarello anzusprechende fragmentiert überlieferte Fayencegefäß stammt aus einer habanischen Werkstatt in der Westslowakei und schließt sich mit seiner Datierung in das dritte Drittel des 17. Jahrhunderts den ältesten aus der Verfüllung geborgenen Gefäßen an. Einen beträchtlichen Anteil nehmen Fayencekrüge ein, die entweder Blau auf Weiß oder mit den Scharffeuerfarben bunt bemalt sind. Aufgrund des sehr schwachen Forschungsstandes lässt sich ihre Herkunft aus Niederösterreich lediglich annehmen, wenngleich eine Herstellung in der Westslowakei, zumindest für einige Exemplare, die in posthabanischer Tradition stehen, derzeit nicht auszuschließen ist. Von bislang ungewöhnlicher Form sind zwei fassförmige Krüge, die dem Genuss von Bier oder Wermut gedient haben könnten. Von dem Bestreben nach einheitlichem Tischgeschirr zeugen eine Terrine und ein Teller eines Services aus der Fayencemanufaktur in Holitsch. Die Präsenz von Fayence aus der von Kaiser Franz Stephan in der Westslowakei gegründeten Manufaktur ist im Nahbereich des Hofes nicht weiter verwunderlich. Wie bereits mit wenigen Stücken in Teil 1 belegt, treten nun vermehrt Koppchen und (Henkel-)Tassen und die entsprechenden Untertassen auf, sowohl in Fayence als auch, in größerer Anzahl, in Porzellan. Zu den importierten teuren Fayencen zählen die Tassen und die Schüssel aus Savona in Italien, ebenso wie das türkische Koppchen. Ausschließlich dem Genuss von Kaffee und Tee vorbehalten blieben wahrscheinlich die Koppchen und Untertassen aus chinesischem Porzellan, das sich sowohl aus traditionellen blau-weißen Porzellanen als auch aus „ChinaImari“, den chinesischen Imitationen japanischen Porzellans, zusammensetzt. Die Datierung dieser Porzellane in die Zeit um 1700 bis um 1730 lässt sich mit einigen qualitätvollen Kelchgläsern213 und Gläsern mit dem charakteristischen Bandelwerkdekor214 aus dieser Verfüllschicht in Verbindung bringen, 213 Tarcsay 2008, G24; G25. 214 Tarcsay 2008, bes. G22; G26.

die gleichfalls in die Zeit um 1700 bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts gestellt werden. Die im Verhältnis zur Masse des Fundmaterials ältere Zeitstel-

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lung der chinesischen Porzellane deutet die gehobene Wertschätzung dieser teuren Importstücke an, weshalb sie über einen längeren Zeitraum verwendet bzw. aufbewahrt worden sein dürften. Besseres Geschirr wurde üblicherweise stärker geschont und weist daher durchschnittlich eine längere Lebensdauer auf. Ergänzt bzw. abgelöst wurden die chinesischen Koppchen und Unterteller durch gleich gestaltete Formen aus der Wiener Manufaktur, die im Zeitraum „nach 1749 bis vor 1784“ hergestellt wurden. Koppchen, die dem Genuss von Kaffee und Tee dienten, sind im Fundspektrum häufiger vertreten als hohe Tassen für Schokolade. Der Wandel vom Koppchen zur niedrigen Henkeltasse dürfte sich um oder knapp nach der Mitte des 18. Jahrhunderts anbahnen. Zumindest drei Fayencen dieser Form liegen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor. Mit dem ergänzenden Fundmaterial wird vornehmlich Tischgeschirr aus Fayence und Porzellan überliefert, das den gehobenen Lebensstil und die Tafelkultur der hier ansässigen wohlhabenden Bürger und Hofbeamten im Umfeld des Kaiserhofes beleuchtet. Mit Porzellan aus China, Fayencen aus Savona in Italien und aus der Westslowakei wird ein Schlaglicht auf die Handelsbeziehungen in Wien im 18. Jahrhundert geworfen. Katalog Abkürzungen BDm Bodendurchmesser Brst(e). Bruchstück(e) BS Bodenbruchstück Frgm. Fragment H Höhe ox. Oxidationsbrand RDm Randdurchmesser RS Randbruchstück S Scherbenbeschreibung WS Wandbruchstück Korngrößenbestimmung richtet sich nach der überwiegenden Anzahl der Magerungspartikel; einzelne größere werden extra vermerkt. sehr fein keine bzw. kaum erkennbare Magerungspartikel fein bis 0,25 mm mittelfein bis 0,5 mm mittelgrob bis 1 mm grob bis 2 mm sehr grob über 2 mm Magerungsmenge/-dichte schwach bis 5/cm2 mäßig 5 bis 10/cm2 stark 10 bis 20/cm2 sehr stark über 20/cm2 Porengröße – Porosität feinstporig gerundete Poren bis um 0,1 mm feinporig gerundete Poren bis 0,25 mm Größere Poren werden einzeln nach Form und Größe beschrieben. Glasurfarben/Scherbenfarben nach RAL-K3 Übersichtskarte und (in „“) nach MICHEL-Farbenführer. 36. erweiterte Aufl. (München 1992). Konnten keine Übereinstimmungen festgestellt werden, so wurden sie in freier Wortwahl beschrieben. Farbe des Scherbens nach Munsell Soil Color Charts (Baltimore 1975).

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Oxidierend gebrannte Irdenware Innenseitig glasierte Irdenware Töpfe 1 4 RS, 5 WS, 1 BS eines bauchigen Henkeltopfes mit Kragenrand und randständigem Bandhenkel. – 18. Jh. (Taf. 1,1) RDm: 9,5 cm, H: 11,4 cm, BDm: 5,9 cm. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: Innenseite „mittelockerbraun“ glasiert, innere Randzone durch nochmaligen Glasurauftrag betont. Inv.-Nr. 1055/480, 519, 561, 603, 660, 891. FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 2 5 RS, 9 WS, 5 BS eines bauchigen Henkeltopfes mit Kragenrand und randständigem Bandhenkel, unten mit Fingerdruckmulde angarniert. – 2. H. 18. Jh. (Taf. 1,2) RDm: 10,5 cm, H: 11,7 cm, BDm: 7,5 cm. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: Innenseite und Henkeloberseite „lebhaftbraunocker“ glasiert, glänzend, stark kleinteilig krakeliert, mit wenigen dunkelbraunen, nicht ausgebrannten Pigmenten. Gebrauchsspuren: an der dem Henkel gegenüberliegenden Seite sekundär geschwärzt durch Stehen am offenen Feuer, korrespondierend an der Innenseite Glasurfarbe zu Oliv verändert. Inv.-Nr. 1071/83, 257, 264, 332, 334, 337, 342, 346, 359, 443, 564; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/190, 337, 492; FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 3 1 RS-WS, 1 WS und Boden eines bauchigen Henkeltopfes mit profiliertem Kragenrand und Deckelfalz. Henkel unten mit Fingerdruckmulde angarniert. – 18. Jh. (Taf. 1,3) RDm: 9,8 cm, H: 10,4 cm, BDm: 5,5 cm. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: Innenseite „dunkelgelbocker“ mit vielfachen feinen dunkelbraunen, nicht ausgebrannten Pigmenten glasiert, etwas rau; innerer Randbereich durch weiteren Glasurauftrag betont glasiert, dort Oberfläche glatt. Gebrauchsspuren: an der dem Henkel gegenüberliegenden Seite im Fußbereich sekundär geschwärzt. Inv.-Nr. 1143/56, 77, 84. FO: 7,76 bis 6,73 m über Wr. Null. 4 R-W-Boden, 4 RS eines bauchigen Henkeltopfes mit aufgestelltem, geringfügig verdicktem Rand, Deckelfalz und gegenüber dem Henkel kleinem, gezogenem Ausguss. Bandhenkel unten mit Fingerdruckmulde angarniert. – 18. Jh. (Taf. 1,4) RDm: 10 cm, H: 11,5 cm, BDm: 6 cm. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: Innenseite „ocker“ glasiert, glänzend, mit wenigen dunkelbraunen, nicht ausgebrannten Pigmenten. Gebrauchsspuren: an der dem Henkel gegenüberliegenden Wand sekundäre graue Fleckung. Inv.-Nr. 1061/6, 7, 12, 14, 34, 150. FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 5 Brste. eines kleinen Henkeltopfes mit aufgestelltem, dreieckig verdicktem Rand, Deckelfalz und gegenüber dem Henkel gezogenem Ausguss (Ansatz nachweisbar). Bandhenkel unten mit einer Fingerdruckmulde angarniert. – 2. H. 18. Jh. (Taf. 2,5) RDm: 7,7 cm, H: 8,4 cm, BDm: 4,9 cm. Dekor: auf der Schulter eine horizontal umlaufende Rille. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: innen „lebhaftocker“ glasiert, innere Randzone durch weiteren Glasurauftrag betont. Gebrauchsspuren: auf der dem Henkel gegenüberliegenden Seite großflächig sekundär geschwärzt. Inv.-Nr. 1071/293, 345, 560, 662, 667, 669, 800. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null.

„Nachttöpfe“ 6 2 RS, 3 WS, 2 BS eines schwach bauchigen Henkeltopfes mit breitem, schräg ausladendem, nach unten verdicktem Rand. Wandständiger Bandhenkel unten mit Fingerdruckmulde angarniert („Nachttopf“). – 2. H. 18. Jh. (Taf. 2,6) RDm: 15,4 cm, H: 12 cm, BDm: 10,5 cm. Dekor: auf dem Bauch zwei horizontal umlaufende Rillen.

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S: sehr stark fein gemagerte, oxidierend orangerosa gebrannte Irdenware. Magerungsanteile: fein; sehr viele gerundete, farblos bis weiß durchscheinende Partikel (Quarz/ Feldspat) bis 0,25 mm, wenige kantige und verrundete, opak hellbeige Partikel bis 0,5 mm. Matrix: feinporig und mehrfach unregelmäßige größere und längliche Poren bis 3 mm. Farbe der frischen Bruchfläche: orangerosa 7.5YR 7/6 reddish yellow. Oberfläche: Außenseite unglasiert, Innenseite „mittelorangebraun“ glasiert, innere Randzone durch nochmaligen Glasurauftrag betont, dort durch dickeren Glasurauftrag stellenweise dunkelbraun. Brand: ox., hart gebrannt. Gebrauchsspuren: Die Oberfläche ist beidseitig – durch Benutzung oder Bodenlagerung? – korrodiert. Inv.-Nr. 1075/102, 290, 302, 315, 399, 400, 519, 531. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 7 4 RS, 9 WS, 5 BS eines bauchigen Doppelhenkeltopfes mit breitem, schräg ausladendem, nach unten verdicktem Rand. Wandständige Bandhenkel unten mit Fingerdruckmulde angarniert („Nachttopf“). – 2. H. 18. Jh. (Taf. 2,7) RDm: 19 cm, H: 14,5 cm, BDm: 12 cm. Dekor: auf dem Bauch zwei horizontal umlaufende Rillen. S: sehr stark mittelfein gemagerte, oxidierend orangerosa gebrannte Irdenware. Magerungsanteile: mittelfein; sehr viele gerundete, farblos bis weiß durchscheinende Partikel (Quarz/Feldspat) bis 0,5 mm, vereinzelte gerundete, dunkelrostfarbige Eisenoxidkonkretionen bis 0,5 mm. Matrix: porig, mehrfach längliche Poren bis 4 mm. Farbe der frischen Bruchfläche: orangerosa 7.5YR 7/6 reddish yellow, Außenseite dünn graubraun. Oberfläche: Außenseite überbrannt, daher graubraun ähnlich 10YR 5/2 grayish brown, etwas rau und strukturiert. Innenseite ähnlich „dunkelorangebraun“ glasiert, durch dünnen Glasurauftrag matte, raue und strukturierte Oberfläche; im inneren Randbereich durch nochmaligen Glasurauftrag betont, dort Oberfläche „braunocker“, glatt und glänzend. Brand: ox., mäßig hart gebrannt. Vgl.: Landshut: Endres (Anm. 23) Abb. 43 links (grün glasiert) und rechts vorne (blau glasiert), 2. H. 18. Jh. Inv.-Nr. 1071/384, 444, 445, 480, 504, 793; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/30, 116, 167, 172, 393, 395, 533; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Hohldeckel 8 2 Brste. eines Hohldeckels mit pilzförmigem Knauf. – 18. Jh. (Taf. 2,8) RDm: 6,8 cm, H: 2,7 cm, Knauf-Dm: 1,6 cm. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: beidseitig dunkelbraun (RAL 8016 Mahagonibraun) glasiert; ein Bruchstück durch Bodenlagerung korrodiert. Inv.-Nr. 1071/238, 672. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 9 2 Brste. eines kleinen Hohldeckels mit dreieckig zugespitztem Knauf. – 18. Jh. (Taf. 2,9) RDm: 5,5 cm, H: 2,5 cm, Knauf-Dm: 1,3 cm. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: beidseitig schwarzbraun glasiert, etwas korrodiert, nur stellenweise glänzend. Inv.-Nr. 1975/181, 345. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Malhorndekorierte Irdenware Kleine Schalen 10 Brste. einer kleinen Schale mit abgesetztem Fuß. – 18. Jh. (Taf. 2,10) RDm: 5,5 cm, H: 2,6 cm, BDm: 3,6 cm. Dekor: außen unter dem Rand eine horizontal umlaufende Rille. Auf der Innenseite Malhorndekor auf weißer Grundengobe: auf der Wandung senkrechte, alternierend rotbraune und dunkelbraune Linien, auf der Bodenseite durch Schütteln/Verziehen marmoriert. Darüber transparente, schwach gelbstichige Glasur. S: Michaelerplatz-Ox 2.

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Oberfläche: Innenseite glasiert, hochglänzend, feinteilig krakeliert. Brand: ox., hart gebrannt. Inv.-Nr. 1075/184, 324. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 11 Brst. einer kleinen Schale mit abgesetztem Fuß. – 18. Jh. (Taf. 2,11) RDm: 5,5 cm, H: 3 cm, BDm: 3,6 cm. Dekor: außen unter dem Rand eine horizontal umlaufende Rille. Auf der Innenseite Malhorndekor auf weißer Grundengobe: auf der Wandung senkrechte, alternierend rotbraun und dunkelbraune Linien, auf der Bodenseite durch Schütteln/Verziehen marmoriert. Darüber transparente, schwach gelbstichige Glasur. S: Michaelerplatz-Ox 2. Oberfläche: Innenseite glasiert, hochglänzend, feinteilig krakeliert. Brand: ox., hart gebrannt. Inv.-Nr. 1075/159, 225. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Fayence Henkeltopf 12 2 RS, 4 WS, 1 BS eines bauchigen Henkeltopfes mit etwas verdicktem, aufgestelltem Rand, Deckelfalz, randständigem Bandhenkel, gegenüber auf dem Rand angarnierter Haltenase/Griffknubbe und abgesetztem, umgeschlagenem Fuß. – 2. H. 18. Jh. (Taf. 3,12) RDm: 10,3 cm, H: 12,5 cm, BDm: 7,4 cm. Dekor: auf dem Hals ein horizontal umlaufender Grat. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: auf der Innenseite opak hell graublau („dunkelgraugrün“) glasiert, glänzend, stark krakeliert. Außenseite fein manganbraun gespritzt, darunter opak weiß getrübte Stellen erkennbar, stark korrodiert (durch Bodenlagerung?). Bodenunterseite unglasiert, hellbeige. Gebrauchsspuren: auf der Innenseite und besonders auf dem Deckelfalz sowie auf der dem Henkel gegenüberliegenden Außenseite brauner Belag. Inv.-Nr. 1075/113, 163, 193, 287, 340, 364, 377, 530. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Kleine bauchige Töpfe (Apothekenabgabegefäße) 13 2 RS, 1 WS und Boden eines kleinen, stark bauchigen Topfes mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,13) RDm: 3,9 cm, H: 4,9 cm, BDm: 3 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: Außenseite und Randinnenseite opak „hellblaugrau“ glasiert, glänzend bis seidenmatt, kaum krakeliert. Glasur der Innenseite geringfügig getrübt, nahezu farblos mit beiger Farbwirkung. Bodenunterseite unglasiert. Herstellungstechnologische Merkmale: auf der Innenseite anhaftender Tonpatzen. Vgl.: Schweiz, Schloss Hallwil: ähnlich, mit gerundet eingezogener Fußzone; Kranzfelder 1982, Nr. 467 c: beidseitig grün glasierte Irdenware, schwerpunktmäßig 18. Jh. Inv.-Nr. 1071/41, 629, 668. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 14 2 RS, 4 WS und Boden eines kleinen, stark bauchigen Topfes mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,14) RDm: 4,9 cm, H: 7,4 cm, BDm: 3,7 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: Außenseite und Randinnenseite opak „hellgrünlichgrau“ glasiert, glänzend bis seidenmatt, sehr stark krakeliert. Glasur der Innenseite nur schwach getrübt, mit beiger Farbwirkung. Bodenunterseite unglasiert. Vgl.: Nürnberg: Kranzfelder 1982, Nr. 655: Fayence, schwerpunktmäßig 1./2. D. 18. Jh. Inv.-Nr. 1075/15, 56, 126, 149, 187, 237, 498. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 15 Kleiner bauchiger Topf mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,15) RDm: 5,5 cm, H: 7,2 cm, BDm: 3,5 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2 – museales Ganzgefäß, nur ein Abschlag auf dem Rand. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß glasiert, mehrfach feinste schwarze Punkte, hochglänzend, nicht krakeliert. Fassungsvermögen: 1/10 Liter. Inv.-Nr. KF 405/1. FO: Niveau 1, bis 8,86 m über Wr. Null.

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

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16 Kleiner bauchiger Topf mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem, umgeschlagenem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,16) RDm: 4,9 cm, H: 8,2 cm, BDm: 3,8 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß mit geringem Graustich glasiert, glänzend, nicht krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: Gefäß nicht einwandfrei gedreht, an einer Stelle Verdickung. Fassungsvermögen: 1/10 Liter. Vgl.: Wien: Kohlprath (Anm. 53) Kat.-Nr. 403: Tiegel, H: 6,7 cm, weiß glasiert, 18. Jh. Inv.-Nr. KF 433/1. FO: unter 7,76 m über Wr. Null. 17 Kleiner bauchiger Topf mit waagerecht umgelegtem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,17) RDm: 6,1 cm, H: 8,3 cm, BDm: 4 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß mit geringem Graustich glasiert, vielfach feinste schwarze Punkte, glänzend, nicht krakeliert. Fassungsvermögen: 3/20 Liter. Inv.-Nr. KF 403/1. FO: Niveau 1, bis 8,86 m über Wr. Null. 18 2 RS, 5 WS, 2 BS eines kleinen bauchigen Topfes mit waagerecht umgelegtem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,18) RDm: 7 cm, H: 9,8 cm, BDm: 4,4 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß mit leichtem Rosastich glasiert, darin vielfach feine schwarze Partikel, ein grün ausblutender Punkt, glänzend, nicht krakeliert. Inv.-Nr. 1055/150, 224, 409, 575, 583, 635, 640, 754. FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 19 Kleiner bauchiger Topf mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,19) RDm: 4 cm, H: 5,2 cm, BDm: 3 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2 zugewiesen – nahezu intaktes museales Ganzgefäß mit kleiner alter Abschlagstelle auf dem Fuß – keine Scherbenprobe entnommen, Beobachtungen an Bodenunterseite. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite ursprünglich opak weiß glasiert. Glasur durch Korrosion jetzt überwiegend dunkelbraun, matt, stark krakeliert. Fassungsvermögen: rund 1/30 Liter. Vgl.: Wien, Michaelerplatz: Kaltenberger 2008, Taf. 12 Kat.-Nr. 67: Fayence, H: 5,2 cm; Nürnberg: formal ähnlich; Kranzfelder 1982, Nr. 655: Fayence, schwerpunktmäßig 1./2. D. 18. Jh. Inv.-Nr. KF 440/1. FO: bis 6,73 m über Wr. Null. 20 Kleiner bauchiger Topf mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,20) RDm: 4 cm, H: 5,5 cm, BDm: 3 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2 zugewiesen – nahezu intaktes museales Ganzgefäß mit kleiner alter Bruchstelle – keine Scherbenprobe entnommen, Beobachtungen an Bodenunterseite. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite ursprünglich opak weiß glasiert. Glasur durch Korrosion jetzt überwiegend dunkelbraun, seidenmatt bis matt, stark krakeliert. Nadelstiche, feinkörnig bzw. nicht aufgeplatzte Blasen. Auf der Bodenunterseite braune Glasurflecke, sehr viele Nadelstiche. Fassungsvermögen: etwas weniger als 1/20 Liter. Inv.-Nr. KF 434/1. FO: unter 7,76 m über Wr. Null. 21 1 RS, 7 WS und Boden eines kleinen bauchigen Topfes mit waagerecht umgelegtem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,21) RDm: 4 cm, H: 6,8 cm, BDm: 4 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite ursprünglich opak weiß glasiert. Glasur durch Korrosion jetzt vor allem auf der Außenseite überwiegend braun, matt, sehr stark sehr feinteilig krakeliert.

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Inv.-Nr. 1071/60, 62, 63, 76, 82, 234, 244, 505, 595, 609. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 22 Kleiner bauchiger Topf mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,22) RDm: 5 cm, H: 5,7 cm, BDm: 3,4 cm. S: Michaelerplatz-Fay 1 – museales Ganzgefäß, keine Scherbenprobe entnommen, Beobachtungen an unglasiertem Fuß. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak hellgrau (RAL 9018 Papyrusweiß) glasiert, seidenmatt, stark krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: Der umgelegte Rand wurde an einer Stelle bereits vor dem Auftragen der Glasur beschädigt, so dass eine größere Fehlstelle entstand. Dennoch wurde das Gefäß glasiert, verkauft und verwendet. Gebrauchsspuren: Innenseite dunkelbraun – durch Einwirkung des Inhaltes auf die Glasur. Auf der Bodenunterseite anhaftender rotbrauner Belag (Sinter?). Fassungsvermögen: 1/20 Liter. Inv.-Nr. KF 407/1. FO: Niveau 1, bis 8,86 m über Wr. Null. 23 Kleiner bauchiger Topf mit waagerecht umgelegtem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 3,23) RDm: 5,5 cm, H: 5,1 cm, BDm: 3 cm. S: Fayence, mäßig mittelfein gemagert, oxidierend hellbeige mit rosa Kern gebrannt. Magerungsanteile: mittelfein; mehrfach gerundete, opak weiße Partikel bis 0,5 mm, sehr vereinzelte kantige, ziegelfarbige Partikel bis 0,5 mm. Matrix: mäßig gemagert, feinporig. Farbe der frischen Bruchfläche: Kern rosa 5YR 7/6 reddish yellow, darüber dünn hellbeige 10YR 8/4 very pale brown. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß glasiert mit unregelmäßig beige bis nahezu weißer Farbwirkung, je nach Dicke des Glasurauftrages, seidenmatt, stark krakeliert. Brand: ox., mäßig hart gebrannt. Herstellungstechnologische Merkmale: Glasur während des Brandes schlecht verronnen. Fassungsvermögen: etwas weniger als 1/20 Liter. Vgl.: Schweiz, Schloss Hallwil: Kranzfelder 1982, Nr. 467 a: beidseitig grün glasierte Irdenware, schwerpunktmäßig 18. Jh.; Nr. 468 a: innen grün glasierte Irdenware, schwerpunktmäßig 18. Jh. Inv.-Nr. KF 404/1. FO: Niveau 1, bis 8,86 m über Wr. Null. 24 Kleiner bauchiger Topf mit ausgebogenem Rand (Binderand) und abgesetztem Fuß (Apothekenabgabegefäß). – (2. H.) 18. Jh. (Taf. 4,24) RDm: 4,6 cm, H: 5,4 cm, BDm: 3,8 cm. S: Michaelerplatz-Fay 1 – museales Ganzgefäß, keine Scherbenprobe entnommen, Beobachtungen an alten Abschlagstellen auf dem Bauch. Magerungsanteile: mehrfach unregelmäßig gerundete, dunkelrostfarbige Eisenoxidkonkretionen bis 0,25 mm. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak RAL 9001 Cremeweiß glasiert, mit großflächiger grauer Fleckung unter der Glasur (durch ehemaligen Inhalt oder Bodenlagerung? verursacht), glänzend, stark krakeliert. Fassungsvermögen: geringfügig mehr als 1/20 Liter. Inv.-Nr. KF 431/1. FO: bis 8,86 m über Wr. Null.

Habanische Fayence aus der Westslowakei Bauchiger Topf (Apothekenstandgefäß, Albarello) 25 12 WS und Boden eines schwach bauchigen Topfes mit abgesetztem Fuß (Apothekenstandgefäß). – Westslowakei, habanisch, 3. D. 17. Jh. (Taf. 4,25) BDm: 6,6 cm. Dekor: Kobaltblau, abgesetzter Fuß mit blauer Linie dekoriert; auf der Wandung Rest einer Kartusche, eingerahmt von floralem Rankenwerk.

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Vgl.: Kalesný 1981, Abb. 211 = Pišútová 1981, Abb. 2: habanisches Apothekengefäß, Westslowakei, dat. 1672; Kybalová (Anm. 68) Kat.-Nr. 41: sechsseitige Flasche, Westslowakei, dat. 1674; Kalinová (Anm. 68) Abb. 10: Fass, Westslowakei, 2. H. 17. Jh.; Pastieriková 2005, 118 SNM E-1102: Teller, Westslowakei, um 1680. S: Fayence, sehr stark fein gemagert, oxidierend hellbeige gebrannt. Magerungsanteile: fein; sehr viele gerundete, farblos bis weiß durchscheinende Partikel (Quarz/ Feldspat) bis 0,25 mm, vereinzelte rostfarbige Eisenoxidkonkretionen bis 0,25 mm. Matrix: sehr stark gemagert, geringfügig feinstporig. Farbe der frischen Bruchfläche: hellbeige 10YR 8/3 very pale brown. Oberfläche: beidseitig und Bodenunterseite opak hellgrau RAL 9018 Papyrusweiß glasiert, seidenmatt, etwas krakeliert. Glasur auf der Bodenunterseite mit vielen Nadelstichen und aufgeplatzten Blasen. Brand: ox., hart gebrannt. Vgl.: Wien, Michaelerplatz: formal Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 83, Scherben hier geringfügig heller, sonst gleich. Inv.-Nr. 1061/43; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1071/16, 44, 200, 236, 241, 607, 678, 699, 704; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null.

Mit Scharffeuerfarben dekorierte Fayencen aus Niederösterreich Birnkrüge 26 Birnkrug mit trichterförmigem Hals, ausgestelltem Fuß und unterrandständig angarniertem, hochgezogenem Bandhenkel. – Niederösterreich, posthabanisch, dat. 1786 (Taf. 4,26) RDm: 7,4 cm, H: 17,8 cm, BDm: 7,2 cm. Dekor: in kobaltblauem Kranz aus Fiederblattleiste und einer mit Manganbraun fein strukturierten Masche oben und unten, manganbraune Jahreszahl 1786, begleitet oben und unten von einer zarten manganbraunen Zierleiste, bestehend aus zentralem Stern und seitlich immer kleiner werdenden vertikalen Strichen. – Die gleiche Zierleiste Birnkrug Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 79. S: Michaelerplatz-Fay 1 – museales Ganzgefäß, keine Scherbenprobe entnommen, Beobachtung an alten Bestoßungen auf dem Rand und Henkelabrissen. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß (sehr ähnlich RAL 9001 Cremeweiß) glasiert, glänzend, im Henkelbereich etwas krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: auf der Außenseite des Bauches Drehrillen unter der Glasur erkennbar. Auf der Bodeninnenseite markante Drehschnecke. Inv.-Nr. KF 409/1; FO: Niveau 1, bis 8,86 m über Wr. Null. 1055/755; FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 27 2 RS, 4 WS und Unterteil eines Birnkruges mit schwach trichterförmigem Hals, ausgestelltem Fuß und unterrandständig angarniertem, hochgezogenem Bandhenkel. – Niederösterreich, posthabanisch, dat. 1784 (Taf. 4,27) RDm: 7,3 cm, H: 18,5 cm, BDm: 8 cm. Dekor: in grünem Kranz aus einer Fiederblattleiste mit Masche oben und unten mit manganbrauner Binnenzeichnung brauner Bär nach links. Darüber manganbraun „A . O(Rest fehlt)“, darunter Jahreszahl 1784. Marke: auf der Bodenunterseite manganbraun großes „S .“ – H: 4,3 cm. S: Michaelerplatz-Fay 1. Oberfläche: beidseitig opak weiß (sehr ähnlich RAL 9001 Cremeweiß) glasiert, glänzend, im Henkelbereich etwas krakeliert. Bodenunterseite unglasiert. Inv.-Nr. KF 388/1 und 1055/38, 72, 120, 176, 428, 648, 686. FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 28 Birnkrug mit trichterförmigem Hals, ausgestelltem Fuß und unterrandständig angarniertem, hochgezogenem Bandhenkel. – Niederösterreich, 2. H. 18. Jh. (Taf. 5,28) RDm: 6,7 cm, H: 18,2 cm, BDm: 7,5 cm. Dekor: durch sehr starke Korrosion nur mehr Dekorreste erkennbar: manganbraun konturierter, springender Hirsch nach rechts mit nach links zurückgewendetem Haupt und Geweih. Reste der Landschaft und Vegetation manganbraun konturiert und zum Teil gelb gemalt. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig stark braun korrodiert. Bodenunterseite unglasiert. Inv.-Nr. KF 435/1. FO: unter 7,76 m über Wr. Null. 1 RS nicht anpassend 1071/211.

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29 Brste. eines Birnkruges mit schwach trichterförmigem Hals, abgesetztem Fuß und unterrandständig angarniertem, hochgezogenem Bandhenkel. – Niederösterreich, 2. H. 18. Jh. (Taf. 5,29) RDm: 6,8 cm, H: 18,1 cm, BDm: 7,5 cm. Dekor: manganvioletter Doppeladler, in den Klauen Palmwedel, grün hervorgehoben. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig opak RAL 9001 Cremeweiß glasiert, seidenmatt, stellenweise glänzend, sehr viele feinste schwarze Partikel in der Glasur, nicht krakeliert. Bodenunterseite unglasiert. Inv.-Nr. 1061/2, 94; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1071/11, 79, 218, 255, 415, 416, 518, 579, 617, 630, 720; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/236, 349; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Krug mit Doppelhenkel („Maienvase“) 30 Bauchiger Krug mit nahezu zylindrischem Hals, abgesetztem Fuß und eingerollten Doppelhenkeln („Maienvase“). – Niederösterreich, 2./3. D. 18. Jh. (Taf.5,30) RDm: 6,5 cm, H: 15 cm, BDm: 5,8 cm. Dekor: kobaltblaue dreilappige Blüte mit Fiederblättern, darüber Granatapfelmotiv. Vgl.: Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 263: Birnkrug, Niederösterreich, um 1770. S: vermutlich Michaelerplatz-Fay 2. Keine Scherbenprobe entnommen – museales Gefäß, mit abgebrochenem Henkel und einer alten Abschlagstelle auf dem Rand; keine rezenten Abschläge. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß mit Graustich glasiert, stellenweise mit vielen feinsten schwarzen Partikeln, glänzend, nur stellenweise sehr wenig krakeliert. Inv.-Nr. KF 441/1. FO: bis 6,73 m über Wr. Null.

Walzenkrug 31 Brste. eines Walzenkruges mit ausgestelltem Fuß und wandständigem Wulsthenkel. – Niederösterreich, spätes 18. Jh. (Taf. 6,31) RDm: 7,7 cm, H: 10,5 cm, BDm: 8 cm. Dekor: dreimal an vertikaler manganbrauner Linie seitlich alternierend gelbe Blüten und jeweils zwei grüne Blätter, nach oben hin kleiner werdend. Entlang des Randes und des Fußes jeweils drei manganbraune horizontal umlaufende Linien. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig mit Ausnahme der Bodenunterseite opak weiß mit blaugrauem Farbstich glasiert. Außenseite braun korrodiert, matt, stark krakeliert; Innenseite kräftiger graublau, glänzend, stark krakeliert. Inv.-Nr. 1071/96, 230, 243, 252, 254, 418, 745, 780; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/247; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Krüge in Fassform 32 Brste. eines kleinen, sehr schwach bauchigen Kruges mit unterrandständig angarniertem, geschwungenem Wulsthenkel. – Niederösterreich? (2. H.) 18. Jh. (Taf. 6,32) RDm: 6,8 cm, H: 6,7 cm, BDm: 5,8 cm. Dekor: Fass, zur Angabe der Fassdauben vertikale manganbraune Streifen, jeweils drei horizontal umlaufende manganbraune Linien zur Angabe der Weidenruten. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig und Bodenunterseite mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak weiß glasiert. Auf der Außenseite braun korrodiert, seidenmatt bis matt, nicht krakeliert; auf der Innenseite Glasur mit kräftigem Rosastich, eine größere Stelle mit grüner Schattierung, seidenmatt, großflächig mit vielen feinsten schwarzen Partikeln; Bodenunterseite mit graublauer Fleckung, glänzend, krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: ausgedrehter dünner Standring. In der Henkeloberseite eingestochenes Loch für die Montage eines Deckels. Inv.-Nr. 1055/629; FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 1071/253, 576; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/488, 540; FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 33 2 RS, 1 WS, 3 BS eines fassförmigen Kruges, unterer Henkelabriss erhalten. – Niederösterreich? (2. H.) 18. Jh. (Taf. 6,33) RDm: 8 cm, H: 11,8 cm, BDm: 7,3 cm.

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Marke: auf der Bodenunterseite manganbraunes „A“ – H: 1,5 cm. Vgl.: gleiche Marke manganbraun: Wiener Kunstauktionen (Anm. 92) Kat.-Nr. 591: Birnkrug mit kobaltblauer Bemalung, Niederösterreich, 2. H. 18. Jh. Dekor: an Außenseite braune vertikale Linien zur Angabe der einzelnen Fassdauben, horizontale Rillenbündel mit Braun und Ocker strukturiert zur Angabe der Weidenruten zum Zusammenhalten der Fassdauben. S: Michaelerplatz-Fay 1. Oberfläche: beidseitig und Bodenunterseite (hier stellenweise abgeplatzt) mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak weiß mit kräftigem Rosastich glasiert, seidenmatt, nicht krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: ausgedrehter Standring. Inv.-Nr. 1075/219, 257, 282, 294, 339. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Kanne mit passendem Deckel 34 Kanne mit kantig gedrückter und ausgezogener Schnauze, knapp unterrandständig angarniertem Henkel, unten mit „Schwänzchen“ angarniert. – Niederösterreich? 18. Jh. (Taf. 6,34) Dazu passender Deckel Kat.-Nr. 35. RDm: 6,7 cm. Dekor: durch sehr stark braun korrodierte Glasur kaum mehr erkennbar, zum Teil nur mehr im Streiflicht anhand des Reliefs des Farbauftrages sowie geringer gelber, grüner und blauer Farbreste. Gesamter Dekor sehr fein und zart, Konturierung ursprünglich kobaltblau oder manganbraun. In der Begrenzungsleiste entlang des Randes feine sternförmige Blüte mit gelbem Mittelpunkt, daneben zarte tulpenförmige Blüte. In der Mitte seitlich unter der Schnauze floraler Dekor, gelb und grün gehöht. An den Seiten jeweils in gezackten/sternförmigen Kartuschen Architektur, Reste von gelber Höhung erhalten. Als Verbindungselement vorne eine breite Leiste, gefüllt mit feinen Zacken. Untere Begrenzung als blaue horizontal umlaufende Linie noch partiell erkennbar. S: Michaelerplatz-Fay 1. Oberfläche: beidseitig braun korrodiert. Inv.-Nr. 1055/862. FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 35 Einfallender Zargendeckel mit spitz zu einer Schnauze gezogener Zarge. Zur Kanne Kat.-Nr. 34 gehörend und genau passend; Zarge entsprechend der Kannenschnauze spitz ausgezogen. – Niederösterreich? 18. Jh. (Taf. 6,35) RDm: 6,8 cm, Zargen-Dm: 4,5 cm. Dekor: auf der Oberseite durch starke Korrosion nur mehr schlecht erkennbar. Um den Knauf konzentrischer Ring, beidseitig begleitet jeweils durch eine Reihe aus alternierend angeordneten kleinen Sternen und Dreipunkt-Motiven. Entlang des Randes eine Bogenreihe, gefüllt mit vertikalen Strichen, bekrönt von einem Punkt. S: nicht erkennbar – museales Objekt mit zwei alten Bestoßungen, keine Scherbenprobe entnommen. Oberfläche: beidseitig aufgetragene Glasur braun korrodiert, glänzend, nicht krakeliert. Inv.-Nr. 1055/565. FO: bis 8,86 m über Wr. Null.

Henkelschüssel 36 4 RS, 4 WS, 1 BS einer kalottenförmigen Henkelschüssel mit Kremprand, randständig angarniertem Bandhenkel und ausgedrehtem Standring. – Niederösterreich? 2. H. 18. Jh. (Taf. 7,36) RDm: 22 cm, H: 7,7 cm, Standring-Dm: 10,2 cm. Dekor: Kobaltblau, auf dem Rand gezackte Büschel, auf der Wandung abstrahierter floraler Dekor, Behangornament. Kobaltblau an dicker aufgetragenen Stellen zu Braun korrodiert. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig und Bodenunterseite mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak RAL 9002 Grauweiß glasiert, glänzend, stellenweise geringfügig krakeliert. Inv.-Nr. 1071/39; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/49, 216, 252, 362; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

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Henkeltassen 37 2 RS, 1 RS-WS-BS einer kleinen Henkeltasse mit knapp unterrandständigem Henkel, unten mit kleiner Volute angarniert und ausgedrehtem Standring. – Niederösterreich, (2. H.) 18. Jh. (Taf. 7,37) RDm: 6 cm, H: 3,3 cm, Standring-Dm: 3,5 cm. Dekor: monochrom Manganbraun/-violett: Bordüre mit gefüllten Bögen und hängenden Spitzblättern. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig und Bodenunterseite mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak weiß glasiert, glänzend, sehr wenige Nadelstiche, nicht krakeliert. Inv.-Nr. 1071/19, 725; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1143/27; FO: 7,76 bis 6,73 m über Wr. Null. 38 3 RS, 1 WS einer Henkeltasse mit unterrandständigem Henkel, unten mit kleiner Volute angarniert (Henkeltasse). – Niederösterreich, (2. H.) 18. Jh. (Taf. 7,38) RDm: 8 cm. Dekor: Kobaltblau, auf der Außenseite vertikale „Pfeifen-“/Zungenmotive zwischen horizontal umlaufenden blauen Linien oben und unten. Kobaltblau an dicker aufgetragenen Stellen zu Braun korrodiert. Vgl.: sog. Pfeifendekor sehr häufig auf Birnkrügen aus Niederösterreich, z. B. in Kobaltblau: Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 210: Birnkrug, Niederösterreich, 2. H. 18. Jh.; in verschiedenen Scharffeuerfarben und unterschiedlichen Varianten, auf Krügen der 2. H. 18. Jh. ebd., Kat.-Nr. 211–214; 216; 220–225; 227–229; 232–237. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig opak weiß glasiert, glänzend, an der Außenseite sehr wenige Nadelstiche, nicht krakeliert. Inv.-Nr. 1071/233, 414, 574, 687. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null.

Unterteller 39 5 RS, 1 BS eines Tellers mit geringfügig ausgebogenem Rand und ausgedrehtem Standring (Unterteller zu Tasse oder Koppchen). – Niederösterreich, (2. H.) 18. Jh. (Taf. 7,39) RDm: 12 cm, H: 3,3 cm, Standring-Dm: 6,9 cm. Dekor: Kobaltblau und Manganbraun/-violett: innerhalb manganbrauner Linien und Umrissen kobaltblauer Dekor, in der Tellermitte abstrahierte sternförmige Blüte. Vgl.: eine sehr ähnliche Bordüre auf dem Rand eines Birnkruges, ebenfalls in den Farben Kobaltblau und Manganviolett: Österreichische Fayencen 1993, Kat.-Nr. 207: Niederösterreich, um 1770. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: beidseitig opak RAL 9001 Cremeweiß glasiert, vielfach feinste schwarze Partikel, glänzend, nicht krakeliert. Inv.-Nr. 1075/110, 144, 148, 168, 198, 372. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Teller 40 4 RS, 1 RS-WS-BS eines Tellers mit abgesetzter Fahne und ausgedrehtem Standring. – Niederösterreich? 2. D. 18. Jh. (Taf. 7,40) RDm: 22 cm, H: 2,4 cm, Standring-Dm: 13,5 cm. Dekor: auf der Fahne kobaltblauer, abstrahierter floraler Dekor, gebildet aus Granatapfelmotiv und Fiederblätterranken. Kobaltblauer Dekor an dick aufgetragenen Stellen braun korrodiert. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: Glasur auf der Oberseite opak weiß, auf der Unterseite (mit Ausnahme der StandringUnterseite) nur weiß getrübt, nicht vollständig opak. Die Stoßstelle der unterschiedlichen Glasuren ist auf der Unterseite der Fahne sichtbar. Inv.-Nr. 1075/118, 128, 145, 174, 183, 208. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 41 1 RS, 4 RS-WS-BS eines (zur Gänze zusammengesetzten) Tellers mit glattem Rand. – Niederösterreich? (2. H.) 18. Jh. (Taf. 7,41) RDm: 19,8 cm, H: 2,8 cm, BDm: 14,5 cm.

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S: Michaelerplatz-Fay 1 – Beobachtung anhand alter Bruchstellen, keine Scherbenprobe entnommen. Oberfläche: beidseitig opak RAL 9001 Cremeweiß glasiert, viele schwarze Partikel, seidenmatt bis matt, großteilig krakeliert; einzelne Bruchstücke unterschiedlich stark braun korrodiert. Herstellungstechnologische Merkmale: überdreht. Vor allem auf der Bodenunterseite deckt die Glasur häufig über den rostfarbigen Eisenoxidkonkretionen nicht ab, diese liegen frei und bluten rostfarbig aus. Inv.-Nr. 1061/3; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1071/551; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/312, 347, 477; FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 42 3 RS-WS-BS eines Tellers mit abgesetzter Fahne mit fünf vertikalen, erhabenen Rippen und leicht geschwungenem Rand. – Niederösterreich? (2. H.) 18. Jh. (Taf. 8,42) RDm: 21,8 cm, H: 2,8 cm, BDm: 15,5 cm. S: Michaelerplatz-Fay 2. Oberfläche: auf der Oberseite opak RAL 9010 Cremeweiß glasiert, mit vielen, stellenweise sehr vielen, schwarzen feinen Partikeln, seidenmatt, nicht krakeliert. Unterseite mit getrübter, jedoch nicht so stark opaker Glasur wie auf der Oberfläche glasiert. Herstellungstechnologische Merkmale: überdreht, auf der Bodenunterseite drei konzentrische Rillen. Auf der Rückseite der Fahne korrspondierend mit den erhabenen Stegen der Oberseite längliche Druckmulden, in der Mitte mit einem kantigen Werkzeug verstärkt. Gebrauchsspuren: auf dem Boden vielfache Kratz- und Schneidespuren. Inv.-Nr. 1061/24, 27, 115; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1071/432, 717; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null.

K. K. Majolika-Geschirrfabrik, Holitsch, Westslowakei (1743–1827) Terrine 43 5 RS-WS und Boden einer ovalen Schüssel (Terrine) mit vertikal eingedrückter Wandung, Standring und quergestellten Wulsthenkeln. – Holitsch, 1750–1765 (Taf. 8,43) RDm: 22,5 cm, H: 8,3 cm, BDm: 12,5 cm. Marke: auf der Bodenunterseite Manganbraun „H“ oder „HF“ ligiert – H: 0,4 cm. Vgl.: Kybalová 1970, 157 ähnlich Nr. 2–3. Dekor: in den Scharffeuerfarben Manganbraun, Kupfergrün, Antimongelb, wenig Kobaltblau und Eisenoxidrot: Dekor mit Früchten und Insekten. S: Holitsch. Oberfläche: beidseitig und Bodenunterseite mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak weiß mit kräftigem Graustich glasiert, vielfach feine schwarze Partikel, glänzend, stark krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: in eine Form gedrückt, die das Außenrelief vorgibt. Henkel nicht symmetrisch gegenüberliegend angarniert. Vgl.: Kybalová 1970, Form Typentaf. Nr. 11; gleiche Terrine mit gleichem Dekor ebd., Abb. 9: Terrine mit Dekor aus Früchten und Insekten, 1750–1765. Inv.-Nr. 1071/640; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/101, 130, 241, 281, 501; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Teller 44 4 RS, 4 WS, 6 RS-WS-BS, 12 BS eines Tellers mit abgesetzter Fahne und geschwungenem Rand. – Holitsch, 1750–1765 (Taf. 9,44) RDm: 24 cm, H: 2,8 cm, BDm: 15 cm. Marke: auf der Bodenunterseite manganbraun „HP“ ligiert – H: 0,9 cm. Vgl.: Kybalová 1970, 159 Nr. 67; Pichelkastner/Hölzl 1981, 151 Marke 7. Dekor: in den Scharffeuerfarben Manganbraun, Kupfergrün, Antimongelb, wenig Eisenoxidrot: Dekor mit Früchten und Insekten, in der Bodenmitte Zwetschken. S: Holitsch. Oberfläche: beidseitig opak weiß mit kräftigem Graustich glasiert, vielfach sehr feine schwarze Partikel, glänzend, stark krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: überdreht. Vgl.: Kybalová 1970, Form Typentaf. Nr. 2.

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Inv.-Nr. 1071/411, 562, 637; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/35, 115, 158, 205, 226, 230, 233, 284, 298, 316, 341, 350; FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 45 2 RS, 1 WS, 8 RS-WS-BS, 8 BS eines Tellers mit abgesetzter Fahne und geschwungenem Rand. – Holitsch, 3. V. 18. Jh. (Taf. 9,45) RDm: 23,8 cm, H: 3,4 cm, BDm: 16 cm. Marke: auf der Bodenunterseite manganbraun „H“ – H: 1 cm. Vgl.: Kybalová 1970, 157 ähnlich Nr. 5–7; Pichelkastner/Hölzl 1981, 151 sehr ähnlich Marke 8. S: Holitsch. Oberfläche: beidseitig opak weiß mit Graustich glasiert, vielfach sehr feine schwarze Partikel, glänzend, stark krakeliert. Herstellungstechnologische Merkmale: überdreht. Vgl.: Form: Kybalová 1970, Typentaf. Nr. 2. Inv.-Nr. 1055/581; FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 1071/2, 83, 171, 220, 237, 261, 569, 604, 634, 641, 678, 705; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/57, 84, 120, 191, 206, 240, 265, 353, 360, 451, 809; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Savona, Italien 46 RS-WS einer Henkeltasse; dazugehörender, jedoch nicht anpassender kleiner Henkel. – Savona, 2. H. 17.–18. Jh. (Taf. 9,46) RDm: 9 cm. Dekor: beidseitig auf opak „türkiser“ Glasur, kobaltblauer floraler Dekor mit dünnen dunkelblauen Umrisslinien und Binnenzeichnung. Auf der Außenseite auf einem Strauß ein Vogel nach links. Innenseite in zwei Zonen gegliedert, in der unteren wieder floraler Dekor und Girlande wie auf dem Teller Glaser 2000, Kat.-Nr. 68. Vgl.: Mez-Mangold 1990, 159 Nr. 209: Chevrette, Marke: Wappen von Savona, Savona, Werkstatt Guidobono, um 1690; Glaser 2000, Kat.-Nr. 68: Teller, Savona, Werkstatt Grosso, 1648– 1698; Kat.-Nr. 69: Kanne, Savona, 1650–1700. S: Savona. Oberfläche: beidseitig opak „türkis“ glasiert, glänzend bis seidenmatt; entlang des Randes zwei Nadelstiche. Inv.-Nr. 1071/206. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 47 1 RS, 1 WS, Boden einer hohen Tasse/Koppchen („Schokoladebecher“). – Savona, 18. Jh. (Taf. 9,47) Standring-Dm: 3 cm. Dekor: auf opak hellblauem Grund zart kobaltblauer gemalter Dekor: abstrahierte Vegetation unter Wolken (?). Marke: auf der Bodenunterseite in Kobaltblau dünn gemalte „Krone“. – Der Oberteil entspricht annähernd dem Wappen von Savona („Stemma di Savona“): Mez-Mangold 1990, 230 Nr. 313. S: Savona. Oberfläche: beidseitig, nur mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak „türkis“ glasiert, glänzend bis seidenmatt. Herstellungstechnologische Merkmale: Gefäß außergewöhnlich zart und dünnwandig gedreht. Inv.-Nr. 1061/62, 73; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1071/99; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 48 Randfrgm. einer eckigen Schüssel, außen an einer Seite vertikal gerippt. – Savona, 18. Jh. (Taf. 9,48) erhaltene H: 1,5 cm. Dekor: beidseitig auf opak hellblauem Grund zart kobaltblauer gemalter Dekor. Auf der Innenseite Motive aufgrund der Kleinheit des Stückes nicht zu erkennen. Auf der Außenseite einfache schräge Striche. S: Savona. Oberfläche: Beidseitig opak „türkis“ glasiert, glänzend bis seidenmatt. Inv.-Nr. 1075/318. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Fayence aus Iznik (Türkei) 49 Rand-Wand-Boden eines Koppchens. – Türkei, spätes 17.–18. Jh. (Taf. 9,49) RDm: 6,7 cm, H: 3,8 cm, Standring-Dm: 2,9 cm.

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Dekor: an Außenseite floraler Dekor innerhalb schwarzbrauner Umrisslinien blau („schwarzgraublau“), eisenrote Punkte als Füllmotive. Auf der Bodeninnenseite Blüte: innerhalb schwarzer Umrisslinien blau („schwarzgraublau“). Marke: auf der Bodenunterseite schwarzbrauner Stern. S: sehr fein; keine Magerungspartikel erkennbar. Matrix: porig. Farbe der frischen Bruchfläche: hellrosa ähnlich 5YR 8/2 pinkish white. Oberfläche: beidseitig nur mit Ausnahme der Standring-Unterseite opak weiß glasiert, hochglänzend. Brand: ox., sehr hart gebrannt. Inv.-Nr. 1055/525, 613. FO: bis 8,86 m über Wr. Null.

Porzellan China Porzellan mit unterglasurblauem Dekor – Teller 50 5 RS, 1 WS, 5 BS eines achteckigen Tellers. – China, Qing-Dynastie, Periode Kangxi (1662– 1722), um 1700–1720 (Taf. 10,50) RDm: 11,6 cm, H: 2 cm, Standring-Dm: 6,6 cm. Marke: Unterglasurblau: Lotosblüte im Doppelkreis. Dekor: Unterglasurblau, auf der Innenseite dichter floraler Dekor, auf der Außenseite in jedem Feld eine Blüte. S: Porzellan, gesintert, weiß, darüber transparente farblose Glasur. Vgl.: Krahl 1986, Form: Kat.-Nr. 2337; 2351; Dekor: Kat.-Nr. 2335: um 1700–1720. Inv.-Nr. 1071/37, 73, 610, 707; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/36, 38, 79, 90, 156, 297; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

– Koppchen 51 3 RS, 2 BS eines Koppchens. – China, Qing-Dynastie, Periode Kangxi, 1. D. 18. Jh. (Taf. 10,51) RDm: 8,9 cm, H: 5,5 cm, Standring-Dm: 4,2 cm. Marke: auf der Bodenunterseite geringer Rest einer unterglasurblauen Marke. Dekor: Unterglasurblau, auf der Außenseite Blütenzweige, auf der Bodeninnenseite Reste eines floralen Dekors. S: Porzellan, gesintert, weiß, darüber transparente, schwach hellblaue Glasur. Inv.-Nr. 1071/1, 3, 22, 38; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/500; FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 52 RS-WS eines Koppchens. – China, Qing-Dynastie, Periode Kangxi, 1. D. 18. Jh. (Taf. 10,52) RDm: 7,4 cm. Dekor: Unterglasurblau, auf der Außenseite Blütenzweige, auf der Innenseite Rest einer Blüte. S: Porzellan, gesintert, schwach graustichig, darüber transparente farblose Glasur. Im Model geformte, plastische Rippen. Inv.-Nr. 1055/697. FO: bis 8,86 m über Wr. Null. 53 RS eines Koppchens. – China, Qing-Dynastie, Periode Kangxi, spätes 17. bis frühes 18. Jh. (Taf. 10,53) RDm: 9 cm. Dekor: Unterglasurblau, beidseitig floraler Dekor mit dünner Umrisszeichnung und Füllung mit dunkelblauen Punkten. Vgl.: vergleichbare Dekorweise Schmidt 1990, Kat.-Nr. 116: Teller, China, spätes 17. bis frühes 18. Jh. S: Porzellan, gesintert, weiß, darüber transparente, schwach hellblaue Glasur. Inv.-Nr. 1055/169. FO: bis 8,86 m über Wr. Null.

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Chinesisches Porzellan im Imari-Stil („China-Imari“) Koppchen 54 1 RS, 3 WS, 1 BS eines Koppchens. – chinesischer Imari-Stil, um 1730 (Taf. 10,54) RDm: 8,8 cm, H: 4,7 cm, Standring-Dm: 3,5 cm. Dekor: Unterglasurblau, Aufglasurfarben Eisenrot und Gold. Außen Landschaft mit Baum, darunter Tempel in kräftigem Unterglasurblau. Auf der Bodeninnenseite unterglasurblaue Blüte im Doppelkreis, ergänzt mit eisenroten Blütenspitzen. S: Porzellan, gesintert, schwach graustichig, darüber transparente, schwach hellblaue Glasur. Gold sehr stark, Eisenrot etwas abgerieben. Inv.-Nr. 1071/5, 235, 592, 702, 736. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 55 3 RS, 1 BS eines Koppchens. – chinesischer Imari-Stil, um 1730 (Taf. 10,55) RDm: 8,9 cm, H: 4,7 cm, Standring-Dm: 3,4 cm. Dekor: Unterglasurblau, Aufglasurfarben Eisenrot und Gold. Landschaft mit Baum und Tempel/Haus (sehr ähnlich wie Kat.-Nr. 54) nur helleres Blau. Auf der Bodeninnenseite unterglasurblaue Blüte in Doppelkreis. S: Porzellan, gesintert, weiß, darüber transparente, schwach hellblaue Glasur. Gold sehr stark, Eisenrot etwas abgerieben. Inv.-Nr. 1071/209, 231, 689, 695. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null.

Unterteller 56 4 RS, 2 RS-WS-BS, 2 BS eines kleinen Tellers (Unterteller). – chinesischer Imari-Stil, um 1730 (Taf. 10,56) RDm: 13,1 cm, H: 2,5 cm, Standring-Dm: 6,9 cm. Dekor: Unterglasur Kobaltblau, Aufglasurfarben Eisenrot und Gold. Außenseite unterglasurblauer Zweig. Auf der Innenseite Landschaft mit Doppelhaus mit links daneben stehender Fahne. S: Porzellan, gesintert, schwach graustichig, darüber transparente, schwach hellblaue Glasur. Gold sehr stark, Eisenrot etwas abgerieben. Inv.-Nr. 1071/13, 17, 20, 247, 593, 628, 650, 714. FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 57 1 RS-WS-BS, 1 WS-BS eines kleinen Tellers mit gerippter Wandung (Unterteller) – chinesischer Imari-Stil, um 1730 (Taf. 10,57) RDm: 10,7 cm, H: 2 cm, Standring-Dm: 5,9 cm. Dekor: Unterglasur Kobaltblau, Aufglasurfarben Eisenrot und Gold. Auf der Innenseite Blütenranken mit Päonie und Granatäpfeln, auf der Außenseite Zweige. S: Porzellan, gesintert, schwach graustichig, darüber transparente, sehr schwach hellblaue Glasur. Gold sehr stark, Eisenrot etwas abgerieben. Vgl.: Krahl 1986, 1063 Kat.-Nr. 2373: ca. 1700–1725 (außen entsprechend, Innenseite mit anderem Dekor). Inv.-Nr. 1071/434; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null. 1075/361; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Porzellan mit braunem Fond Teller (Unterteller) 58 3 RS, 3 BS eines kleinen Tellers (Unterteller). – China, Qing-Dynastie, 1. D. 18. Jh.? (Taf. 11,58) RDm: 11,8 cm, H: 2,1 cm, Standring-Dm: 7 cm. Dekor: auf der Innenseite brauner Fond, darin drei Kartuschen mit braunem floralem Aufglasurdekor. S: Porzellan, gesintert, schwach graustichig, auf der Außenseite (ohne Dekor) transparente, sehr schwach hellblaue Glasur. Inv.-Nr. 1061/61; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1071/7, 59, 213; FO: unter Niveau 7,76 m über Wr. Null.

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China (?) nach europäischem Vorbild Tassen 59 1 RS-WS, 1 WS, 1 BS einer hohen Henkeltasse mit dünnem Wulsthenkel. – 18. Jh.? (Taf. 11,59) RDm: 6,6 cm, H: 6,9 cm, Standring-Dm: 3,8 cm. Dekor: Aufglasurdekor in Eisenrot und weitere Farbe?, jetzt zu Braun korrodiert. Blütenzweig und Insekten. S: Porzellan, gesintert, darüber sehr dünne transparente, farblose Glasur. Inv.-Nr. 1075/348, 352, 363. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 60 2 BS-WS einer hohen Tasse. – 18. Jh.? (Taf. 11,60) Standring-Dm: 3,6 cm. Dekor: Aufglasurdekor in Eisenrot, Rosa und jetzt zu Braun korrodierter Farbe. S: Porzellan, gesintert, darüber sehr dünne, transparente, farblose Glasur. Inv.-Nr. 1075/7, 342. FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Porzellanmanufaktur Wien Koppchen 61 1 RS-WS-BS, 2 RS, 1 BS eines Koppchens. – Wien, nach 1749 bis vor 1784 (Taf. 11,61) RDm: 6,9 cm, H: 4,3 cm, Standring-Dm: 3,5 cm. Dekor: Unterglasurblau. Auf der Außenseite „indianische Blumen“ wie Untertasse, auf der Bodeninnenseite eine Blüte (gleiche wie Untertasse). Marke: auf der Bodenunterseite unterglasurblauer Bindenschild. Innerhalb entlang des Standrings eingeritztes Blindzeichen „VX“ ligiert. Keine Blaumalernummer, keine Jahresangabe, vor 1784. S: Porzellan gesintert, weiß, darüber transparente, farblose Glasur. Inv.-Nr. 1061/81; FO: unter 8,86 bis 7,76 m über Wr. Null. 1075/85, 131, 346; FO: bis 7,73 m über Wr. Null.

Teller (Unterteller) 62 1 RS-WS-BS, 1 RS eines Teller (Untertasse). – Wien, nach 1749 bis vor 1784 (Taf. 11,62) RDm: 12 cm, H: 2,3 cm, Standring-Dm: 6 cm. Dekor: auf der Innenseite unterglasurblaue „indianische Blumen“. In der Bodenmitte eine Blüte (gleiche wie Koppchen auf Bodeninnenseite) – Hinweis auf Zusammengehörigkeit. Marke: auf der Bodenunterseite Rest des unterglasurblauen Bindenschildes (?). Innerhalb entlang des Standringes zwei kleine eingestochene Punkte (Funktion Blindstempel?). S: Porzellan gesintert, weiß, darüber transparente, farblose Glasur. Inv.-Nr. 1075/212, 273. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. 63 3 RS-WS-BS, 1 BS-WS eines Tellers (Untertasse). – Wien, 1783 (Taf. 11,63) RDm: 14 cm, H: 3,2 cm, Standring-Dm: 6,8 cm. Dekor: Unterglasurblau. Fels und Vogel. Marke: auf der Bodenunterseite unterglasurblauer Bindenschild, darunter Blaumalernummer „11“ (Aloisius Neumann 1783–1787), Blindstempel „8“: Weißdrehernummer (Georg Clausner 1783). – Keine Jahresangabe, vor 1784. S: Porzellan gesintert, hellbeige, darüber transparente, farblose Glasur (schlechteres Produkt?). Inv.-Nr. 1075/355, 357, 374, 727. FO: bis 7,73 m über Wr. Null. Zu Koppchen Kaltenberger 2008, Kat.-Nr. 87 (nach 1749 bis vor 1784) – Auch dort Hinweis auf nicht reinweißen Scherben: mit zarter gelblich grauer Tönung.

209 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Abgekürzt zitierte Literatur Achenbach 1990 Barsewisch 1988 Du Boulay 1987 Chilton 2009 Feddersen 1972 Girmond 1990 Glaser 2000 Hakenjos 2000 Heinitz-David 1977 Kalesný 1981 Kaltenberger 2002 Kaltenberger 2008 Kaltenberger 2009 Krahl 1986 Kranzfelder 1982

Kybalová 1970 Langer 1988 Lehner-Jobst 2009 Mez-Mangold 1990 Neuwirth 1978 Neuwirth 1990 Österreichische Fayencen 1993 Pantzer 2000 Pastieriková 2005

Pichelkastner/Hölzl 1981 Pišútová 1981 Reichel 1980 Reichel/Schulle 1982 Schmidt 1990 Tarcsay 2008 Wiesner 1981

Nora v. Achenbach in: Schmidt 1990, 352. B. v. Barsewisch, Unterglasurblaue Malerei. KERAMOS 121, 1988. A. du Boulay, Chinesisches Porzellan (Essen 1987). M. Chilton, Die Freuden des Trinkens. In: M. Chilton (Hrsg.), Fired by Passion. Barockes Wiener Porzellan der Manufaktur Claudius Innocentius Du Paquier 2 (Stuttgart 2009) 672–763. M. Feddersen, Chinesisches Porzellan. Ein Brevier2 (Braunschweig 1972). S. Girmond, Die Porzellanherstellung in China, Japan und Europa. In: Schmidt 1990, 107–142. S. Glaser, Majolika. Die italienischen Fayencen im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Bestandskat. (Nürnberg 2000). B. Hakenjos, Ri Sampei und Toseki. Eine Kurzgeschichte des Arita- und Imari-Porzellans. In: Pantzer 2000, 8–16. F. Heinitz-David, Wunder des Porzellans. Ferner Osten (Baden-Baden 1977). F. Kalesný, Habáni na Slovensku (Die Habaner in der Slowakei) (Bratislava 1981). A. Kaltenberger, Frühneuzeitliches Fundmaterial aus Wien 3, Barmherzigengasse 17. FWien 5, 2002, 198–240. A. Kaltenberger, Die neuzeitliche Keramik aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991). FWien 11, 2008, 144–240 bes. 158–173 Kat.-Nr. 37–88; 178. A. Kaltenberger, Keramik des Mittelalters und der Neuzeit in Oberösterreich 1. Grundlagen. Stud. Kulturgesch. Oberösterr. 23 = Nearchos 17 (Linz 2009). R. Krahl et al., Chinese Ceramics in the Topkapi Saray Museum Istanbul. A Complete Catalogue. III. Qing Dynasty Porcelaines (London 1986). U. Kranzfelder, Zur Geschichte der Apothekenabgabe- und Standgefäße aus keramischen Materialien unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Süddeutschland vom 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert (Diss. Univ. München 1982). J. Kybalová, Holitscher Fayence. Kunstwiss. Stud. 44 (München, Berlin 1970). H. Langer, Österreichische Fayencen (München 1988). C. Lehner-Jobst, Die kultivierte Welt: Porzellan im höfischen Alltag. In: M. Chilton (Hrsg.), Fired by Passion. Barockes Wiener Porzellan der Manufaktur Claudius Innocentius Du Paquier 2 (Stuttgart 2009) 568–671. L. Mez-Mangold, Apotheken-Keramik-Sammlung „Roche“. Katalog (Basel 1990). W. Neuwirth, Markenlexikon für Kunstgewerbe 4. Österreich, Wiener Porzellan. Malernummern, Bossiererbuchstaben und -nummern, Weißdreher- und Kapseldrehernummern 1744–1864 (Wien 1978). W. Neuwirth, Wiener Porzellan vom Spätbarock zum Art Déco, im Zeichen des Bindenschilds2 (Wien 1990). Österreichische Fayencen. Sammlung Dr. Hermann Langer und andere. Auktion 15. Mai 1993. Heilbronner Kunstund Auktionshaus Dr. Jürgen Fischer 73 (Heilbronn 1993). P. Pantzer, Imari-Porzellan am Hofe der Kaiserin Maria Theresia, Hetjens-Museum Düsseldorf, Deutsches Keramikmuseum, 21. Juli–15. Oktober 2000 (Düsseldorf 2000). M. Pastieriková, Die Keramiksammlung des Slowakischen Nationalmuseums in Martin. In: Keramik3 – gebrannte Idylle. Typen, Regionen, Museen. Ethnographisches Museum Schloss Kittsee, 9.5.–1.11. 2004. Kat. Ethnograph. Mus. Schloss Kittsee 26 (Kittsee 2005) 116–121. E. Pichelkastner/E. Hölzl, Bruckmann’s Fayence-Lexikon. Majolika, Fayence, Steingut (München 1981). I. Pišútová, Fayencen (Bratislava 1981). F. Reichel, Altjapanisches Porzellan aus Arita in der Dresdner Porzellansammlung (Würzburg 1980). F. Reichel/W. Schulle, Das ostasiatische Porzellan und die Bemühungen um seine Nacherfindung in Europa. In: R. Sonnemann/E. Wächtler (Hrsg.), Johann Friedrich Böttger. Die Erfindung des europäischen Porzellans (Stuttgart 1982) 50–70. U. Schmidt (Hrsg.), Porzellan aus China und Japan. Die Porzellangalerie der Landgrafen von Hessen-Kassel. Staatl. Kunstslg. Kassel. Kat. Abt. Kunsthandwerk u. Plastik 3 (Berlin 1990). K. Tarcsay, Die neuzeitlichen Glasfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991). FWien 11, 2008, 246–310 bes. 250–261; 264. U. Wiesner, Chinesisches Porzellan. Die Ohlmer’sche Sammlung im Roemer-Museum, Hildesheim (Mainz 1981).

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Aufsätze

Taf. 1: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: oxidierend gebrannte, innenseitig glasierte Irdenware (Kat.-Nr. 1–4). M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

211 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Aufsätze

A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Taf. 2: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: oxidierend gebrannte, innenseitig glasierte Irdenware (Kat.-Nr. 5–7), beidseitig glasierte Hohldeckel (Kat.-Nr. 8–9) und malhorndekorierte Irdenware (Kat.-Nr. 10–11). M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Aufsätze

Taf. 3: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Fayence (Kat.-Nr. 12–23), Henkeltopf und Apothekenabgabegefäße. M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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Aufsätze

A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Taf. 4: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Apothekenabgabegefäß aus Fayence (Kat.-Nr. 24), Albarello aus habanischer Fayence (Kat.-Nr. 25), Birnkrüge aus Fayence (Kat.-Nr. 26–27). M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Aufsätze

Taf. 5: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Fayence (Kat.-Nr. 28–30), Birnkrüge und „Maienvase“. M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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Aufsätze

A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Taf. 6: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Fayence (Kat.-Nr. 31–35), walzen- oder fassförmige Krüge und Kanne mit passendem Deckel. M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

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Taf. 7: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Fayence (Kat.-Nr. 36–41), Henkelschüssel und -tassen sowie Teller. M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Taf. 8: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Fayenceteller (Kat.-Nr. 42) aus Niederösterreich? sowie Terrine (Kat.-Nr. 43) aus Holitsch, Westslowakei. M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger/G. Reichhalter, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

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Taf. 9: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Fayence aus Holitsch, Westslowakei (Kat.-Nr. 44–45), aus Savona, Italien (Kat.-Nr. 46–48) und aus der Türkei (Kat.-Nr. 49). M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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Aufsätze

A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Taf. 10: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Porzellan aus China (Kat.-Nr. 50–53) und „China-Imari“ (Kat.-Nr. 54– 57). M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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A. Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz

Aufsätze

Taf. 11: Haus Nr. 5, Keller 10–11, untere Verfüllung des Entsorgungsschachtes: Porzellan aus China (Kat.-Nr. 58–60) und aus der Porzellanmanufaktur in Wien (Kat.-Nr. 61–63). M 1:3 (Zeichnungen: A. Kaltenberger, Fotos: R. Kaltenberger-Löffler)

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Fundchronik

Übersichtskarte

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Übersichtskarte

Fundchronik

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Fundchronik

Spätneolithikum/Späte Bronzezeit/Neuzeit

Wien 22, Aspern – ehemaliges Flugfeld Im Vorfeld der geplanten Verbauungen im Rahmen des Stadterweiterungsprojektes „Seestadt Aspern“ wurden zwischen 29.6. und 30.11. 2009 am ehemaligen Flugfeld Aspern gezielt archäologische Untersuchungen von der Stadtarchäologie Wien angesetzt. Grundsätzlich wird von der Projektplanung (Wien 3420 Aspern Development AG) versucht, durch zeitlich vorgezogene Kriegsmittelbergung und archäologische Abklärung die darauf folgenden Einzelbauvorhaben zu beschleunigen bzw. zu entlasten (sog. Baufeldbereinigung). So wurden 2009 einige als öffentliche Freiflächen und Straßen geplante Bereiche vorgegeben, die mittels Suchschnitten bzw. flächiger Humusabnahme sondiert und gegebenenfalls weitergehend untersucht wurden. Abb. 1: Fundpunkt 1 (GC: 2009_03). Wien 22, Aspern, ehemaliges Flugfeld – zukünftige „Seestadt“.

Obwohl wir uns inmitten einer ursprünglich reichen und weitläufigen urgeschichtlichen Siedlungszone befinden, lässt sich wegen großflächiger Bodenstörungen des 20. Jahrhunderts (Verbauungen, Lehm- und Sandgruben, Geländeplanierungen, Bodenaustausch) die Fundwahrscheinlichkeit in keiner Weise vorab einschätzen (abschnittsweise Fundleere ist v. a. erhaltungsbedingt). 1 In den Untersuchungsgebieten wurde daher möglichst großflächig die Humusdecke abgezogen; im Hinblick auf eine rationelle Arbeitsweise mussten aber Teilbereiche mit offensichtlich negativem Befund oder mit intakten Leitungen oder Wegen ausgespart werden. Bei sehr weitläufigen Baufeldern wurden Suchschnitte gezogen, welche den räumlichen Möglichkeiten entsprechend möglichst gleichmäßig verteilt und mindestens 8 m breit angelegt wurden. Die Mächtigkeit der abgezogenen Humusauflage betrug zwischen 0,35 und 0,55 m; in Bereichen von dunklen, lehmig verfüllten Geländeabsenkungen (Gerinne, Sutten) wurde auf etwa 0,75–1,15 m abgetieft. Vereinzelt aber nahezu überall wurden moderne Störungen angetroffen, wie z. B. von Leitungskünetten, Flughafeneinbauten, Kriegseinbauten, Bombentrichtern, Altgrabungen, Schuttvergrabungen etc. Bei den untersuchten Flächen – insgesamt wurden ca. 23.000 m2 aufgedeckt – handelt es sich in erster Linie um einen ca. 18 m breiten Streifen, welcher von der Johann-Kutschera-Gasse weg in Verlängerung der Straße „An den alten Schanzen“ quer durch das beinahe gesamte ehemalige Flugfeld führt, sowie

1 Siehe dazu auch die weiter nördlich gelegenen Sondierungen aus dem Jahr 2008: M. Penz, Wien 22, Aspern – ehemaliges Flugfeld. FWien 12, 2009, 221 f. (auch mit älterer Literatur). 2 Entgegen der Ansicht der Ausgräber (O. Harl/Ch. Spiegel, Wien 22 – Aspern. FÖ 19, 1980, 432 f.) lässt sich in deren Materialien sehr wohl „eine Vielfalt der Kulturperioden wie zur Zeit Kastners“ finden (nach Durchsicht im Depot des Wien Museums sowie von Ch. Spiegel, Siedlungsfunde der frühen Urnenfelderzeit aus Wien XXII – Aspern [Diss. Univ. Innsbruck 1985]: mittleres und spätes Neolithikum [Lengyel, Badener Kultur], Mittel- und Spätbronzezeit, Spätlatène, Römische Kaiserzeit, Neuzeit).

nördlich und südlich daran anschließende Bereiche im westlichen bis mittleren Abschnitt dieses Streifens. Etwa 360 m von der Johann-Kutschera-Gasse entfernt ist derzeit eine Informationsstelle über die geplanten Bauvorhaben eingerichtet (Infopoint – Abb. 1). In deren Umkreis konnten noch zahlreiche ungestört gebliebene archäologische Befunde aufgedeckt werden, obwohl hier bereits durch Josef F. Kastner (Zwischenkriegszeit) und Otto Seewald (1939) punktuell sowie durch Ortolf Harl und Christine Spiegel (1979/80) mittels flächiger Freilegungen archäologische Bergungen vorgenommen wurden. Ganz ähnlich den Ergebnissen der Rettungsgrabungen von 1979/80 anlässlich des Baues des General-Motors-Opel-Werkes wurden 2009 erneut urgeschichtliche Siedlungsreste aus der späten Jungsteinzeit (klassische Badener Kultur) sowie aus der späten Bronzezeit (frühe/ältere Urnenfelderkultur) erfasst. 2 Es handelt sich dabei um verstreut gelegene, unterschiedliche Arten

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Spätneolithikum/Späte Bronzezeit/Neuzeit

Fundchronik

Abb. 2: Viele der Befunde wie hier diese spätneolithische Vorratsgrube waren hauptsächlich mit feinem, graubraunem (Au-)Lehm verfüllt. (Foto: M. Penz)

Abb. 3: Neuzeitliche Pferdebestattung, ein Überrest der Schlacht von Aspern 1809. (Foto: M. Penz)

von Siedlungsgruben mit entsprechenden Funden (Keramik, Knochen, Steinund Geweihgeräte, Hüttenlehm). Die Befunde waren in den unterschiedlich mächtig anstehenden gelblichen Lösslehm eingetieft, der hier über Schotterlagen anzutreffen ist; unter einem 0,45–0,75 m mächtigen Oberboden waren sie meist noch zwischen 0,2 und 0,9 m tief erhalten geblieben. Die vereinzelte Lage der Gruben spiegelt dabei nicht die vollständige bzw. ursprüngliche Siedlungsstruktur wider, sondern nur die besseren Erhaltungsbedingungen der tiefer reichenden Keller- bzw. Vorratsgruben (Abb. 2) im Vergleich zu den in der Regel etwas seichter eingetieften Hausfundamenten oder Grabstätten. In einem 245 m weiter östlich gelegenen Grabungsbereich waren erfreulicherweise auch die alten oberflächennahen Bodenschichten besser erhalten geblieben (Arbeitsplanum auf ca. 0,30 m über Wr. Null; ca. 0,45 m Humusaufla-

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Fundchronik

Hallstatt/Latènezeit

ge), wo dann zusätzlich zu den sonst üblichen Siedlungsgruben auch (erstmals in Aspern) ein vollständiger Grundriss eines urgeschichtlichen Pfostenbaues dokumentiert werden konnte. Der annähernd West-Ost gerichtete Bau ist einschiffig, weist jedoch an seinen Längsseiten Zu- bzw. Vorbauten auf und erreicht insgesamt eine Ausdehnung von ca. 6612 m. 3 In den von hier wiederum weiter östlich anschließenden Bereichen zeigte sich völlige Befundleere, hier wurden als geologischer Untergrund weder der gelbliche Lösslehm noch die seichter abgelagerten Schotterkörper angetroffen, sondern nur tiefer reichende, teils schluffigere, teils sandigere, helle Lehme. Ergänzend erwähnt werden soll noch eine isoliert gelegene, höchstwahrscheinlich spätmittelalterliche Speichergrube sowie vereinzelte kleine neuzeitliche Gruben und Tierreste, u. a. verscharrte Pferdekadaver. Dass die äußersten Extremitäten und Schädel bei diesen Pferdeskeletten fehlten, lässt auf eine Verwertung der Tierhäute (Gerberei) schließen. Jedenfalls sind letztere Befunde mit der großen Napoleonschlacht bei Aspern im Jahre 1809 in Verbindung 3 Die Datierung muss derzeit noch offenbleiben; infrage kommen Badener- oder Urnenfelderkultur.

zu bringen, mit deren Relikten hier im Gelände ebenfalls immer wieder gerechnet werden muss (Abb. 3).

(M. P.)

Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz Vom 22. September bis 10. November 2009 fand im Zuge der Neugestaltung des St.-Bartholomäus-Platzes eine Denkmalschutzgrabung durch die Stadtarchäologie Wien statt (Abb. 1). Dafür musste bis zu einer Tiefe von ca. 0,60 m die bisherige Oberfläche entfernt werden. Nachdem die Asphaltdecke abgetragen worden war, traten unmittelbar darunter in zwei Arealen auf dem Platz Reste von frühneuzeitlichen Bestattungen und zahlreiche dislozierte menschliche Knochen zutage (siehe Beitrag H. Krause, 240 ff.). Neben diesem ehemaligen Friedhof fanden sich auch urgeschichtliche und römische Siedlungsreste (siehe Beitrag H. Krause, 231 ff.). Westlich der Kalvarienbergkirche wurde eine Grube von annähernd quadratischer Form (oberer Dm: 1,2061,30 m, erhaltene OK Abb. 1: Fundpunkt 2 (GC: 2009_02). Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz.

44,80 m über Wr. Null, unterer Dm: 1,1061,20 m, UK 44,60 m über Wr. Null) mit deutlich abgerundeten Ecken festgestellt (Abb. 2), deren gräulich braune

Abb. 2: Grube aus der späten Hallstatt-/frühen Latènezeit nach Abbau ihrer Verfüllung. (Foto: H. Krause)

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Römerzeit

Fundchronik

Verfüllung einige Keramikscherben, wenige Tierknochen, vereinzelt Schlacke sowie Holzkohlepartikel und gebrannten Lehm (Dm: bis 3 cm) enthielt. Einige der großteils graphithältigen bzw. graphitierten Keramikfragmente können anhand ihrer Form bzw. Verzierung wohl in die späte Hallstatt- bis frühe Latènezeit datiert werden.

(H. K.)

Wien 1, Am Hof 10 Vom 16. Dezember 2008 bis zum 23. Dezember 2009 wurden die Ausgrabungen auf dem Grundstück der Zentralfeuerwache anlässlich der Unterkellerung der Atemschutzräume im Haus Am Hof 10 (= ehemaliges Bürgerliches Zeughaus) durch die Stadtarchäologie Wien fortgesetzt (dazu ausführlich Beitrag M. Mosser, 50 ff.; zu den mittelalterlichen Befunden siehe Beitrag I. Gaisbauer/M. Mosser, 233 ff.). Das Areal lag im Nahbereich der westlichen Umfassungsmauer des Legionslagers Vindobona. Den ältesten, während der Grabungen erfassten Strukturen aus der Errichtungszeit des Lagers am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. sind Reste des Erdwalls sowie eine Backstube mit vier nebeneinandergesetzten Lehmkuppelöfen zuzuordnen. Diese lag entlang der ebenfalls aufgedeckten via vallaris, die vom bereits seit 1953 bekannten, an der Sohle mit Ziegeln gedeckten Abwasserkanal begleitet wurde. Nach

Abb. 1: Fundpunkt 3 (GC: 2008_02). Wien 1, Am Hof 10.

Aufgabe der Backöfen folgte eine Reihe mächtiger Pfostengruben, welche vielleicht zu einem hölzernen Einbau an der Lagermauer zu ergänzen sind. In spätrömischer Zeit wurde dieser jedenfalls von einem in zwei Bauphasen fassbaren, langgestreckten Gebäude abgelöst, welches durch Bruchsteinfundamente mit aufgehendem Steinsockel charakterisiert war.

(M. M.)

Wien 3, Aspanggründe Auf dem Bauplatz 3 der Aspanggründe (GC: 2009_05) fand vor der Neuverbauung des Geländes vom 17. August bis zum 27. Oktober 2009 eine archäologische Untersuchung durch die Stadtarchäologie Wien statt. Außer Bauten des 19. Jahrhunderts, die von Verkehrs- und Transportstrukturen stammen (siehe Beitrag M. Müller, 247 f.), konnten verschiedene Gruben aus der Römerzeit dokumentiert werden. Die Aspanggründe gehören zu den archäologisch interessanten Gebieten, da sie im Bereich der Zivilstadt von Vindobona liegen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in diesem Umfeld immer wieder zahlreiche Befunde und Funde angetroffen wurden. Überblick über bedeutende Funde und Befunde aus der nächsten Umgebung der Aspanggründe1 Bereits Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden hier im Zuge der Arbeiten für den Wiener Neustädter Kanal (siehe Beitrag M. Müller, 146 ff.) etliche nennenswerte Funde aufgedeckt. So fand man 1799 einige Ziegel und 298 römische Goldmünzen2 und im Jahr darauf 1446 römische Silbermünzen3. Auch der rechte Fuß einer überlebensgroßen Bronzestatue und eine ägyptische Hockerstatue (um 1200 v. Chr., 19. Dynastie) gehören zu diesem Fundspektrum. 4

1 Hier werden vorwiegend Funde aufgeführt, deren Fundortangaben mit dem Aspangbahnhof oder dem Wiener Neustädter Kanal in Zusammenhang gebracht wurden. Sie liegen in etwa in dem Areal südlich des Rennwegs, ab der Fasangasse nach Osten bis St. Marx. Die reichhaltige Siedlungsfundstelle zwischen Rennweg 44 und Aspangstraße (GC: 1990_01) befindet sich ebenfalls in diesem Bereich. Dazu siehe: M. Müller, Die Auswertung der Grabungen Rennweg 44 (1989/90) im Bereich der römischen Zivilsiedlung von Vindobona. FWien 5, 2002, 302–312. 2 GC: 1799_01; G. Dembski, Drei römische Münzschatzfunde aus der Umgebung Rennweg – ein Exkurs. In: Ausgewählte Funde vom Rennweg 44 in Wien. WAS 6 (Wien 2004) 96 f. 3 GC: 1800_01, im Bereich des Rennwegs ca. auf Höhe der Fasangasse; Dembski (Anm. 2) 98 f. 4 GC: 1798_01, genauer Fundort ist nicht bekannt („unfern dem Belvedere“); M. Großmann, Untersuchungen zum Iuppiter- und Kaiserkult im municipium Vindobonense – Ein Diskussionsbeitrag. FWien 7, 2004, 200–210 Abb. 3; H. Satzinger, Das Kunsthistorische Museum in Wien. Die Ägyptisch-Orientalische Sammlung. Zaberns Bildbd. Arch. 14 (Mainz/ Rhein 1994) 5 f.

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Römerzeit

Abb. 1: Römische Befunde am Südostrand der Zivilstadt von Vindobona (Aspanggründe und Rennweg 93). (Plan: N. Piperakis)

5 GC: 1803_01; F. A. de Paula Gaheis, Wanderungen und Spazierfahrten in die Gegenden um Wien 42 (Wien 1801) 123; 285 f.; F. v. Kenner, Neue römische Funde in Wien II. Mitt. ZK 5 N. F., 1879, 35; ders., Die archäologischen Funde aus römischer Zeit. In: Geschichte der Stadt Wien I (Wien 1897) 122–124. 6 GC: 1849_02; Großmann (Anm. 4) 198– 210; Kenner 1897 (Anm. 5) 124; 159. 7 GC: 1903_27; FT V, 16–17. 8 GC: 1903_32, Gräberfeld in der Steingasse 36–40 und 33–37; GC: 1904_24, Ofen in der Steingasse 33–36; FT IV, 138; V, 16; F. v. Kenner, Römische Funde in Wien in den Jahren 1901 bis 1903. JZK N. F., 2. Bd., 1. Teil, 1904, 166; ders., Römische Funde in Wien aus den Jahren 1904 und 1905. JZK N. F., 3. Bd., 1. Teil, 1905, 214–222. 9 GC: 1905_32, Rennweg 97; Kenner 1905 (Anm. 8) 211–212; ders., Forschungen in Vindobona. JA 3, 1909 (1910) Beibl. 59–60. 10 GC: 1907_22; FT V, 100–104; FA-RZ III, Karte 7, Rennweg u. Verlängerung Aspang Bahn gegenüber Kasärne, 11./12. und 13. Juni 1907 und Karte 9, Aspang Bahn vis à vis Kasärne, 2. Juli 1907. 11 GC: 1907_21; Kenner 1909 (Anm. 9) Beibl. 80–84 Plan 40 nach S. 60; FT V, 97.

Entlang des Rennwegs wurden sowohl in den nahe liegenden Schottergruben als auch bei der Anlage des Wiener Neustädter Kanals und der Errichtung von Gebäuden mehrere römische Stein- und Ziegelsärge, Keramik, Münzen, Glasgefäße und Lampen sowie Mauerreste und Gewölbe gefunden. 5 Bei Bauarbeiten für die Verbindungsbahn zwischen Süd- und Nordbahn kamen 1849 beim Wiener Neustädter Kanal ein Marmortorso einer männlichen Statue und ein Finger einer weiteren Bronzestatue zutage. 6 Etwas weiter östlich, in der Steingasse, wurden 1903 römische Mauern, Estrichböden7 sowie viele Befunde, die auf ein Gräberfeld hindeuten, und ein Ofen aufgedeckt8. Als 1905 das alte Linienamtsgebäude bei St. Marx demoliert wurde, entdeckte man einen Fußboden aus Ziegeln und einen Straßenrest. 9 Und beim Abgraben des Erdreiches im Bereich Rennweg/Aspangstraße/Ziakplatz fanden sich 1907 römische Brandgräber, Gruben und (Töpfer-)Öfen mit unzähligen Funden. 10 Nordöstlich des Aspangbahnhofgeländes, zwischen der Lissagasse und der Landstraßer Hauptstraße, wurden beim Abtragen einer bis zu 3 m hohen Bodenerhebung eine römische Kulturschicht, Gräbchen und Gruben (Dm rund 2,90 m), römische Keramik, darunter Terra Sigillata, Eisenstücke, ein Schwert und Ziegelstücke ausgegraben (Abb. 1). 11 Eine weitere, seichte Grube, die als Brandgrube oder Mulde bezeichnet wurde, fand man im Jahre 1910 beim Bau einer Wasserleitung in 2 m Tiefe vor dem Haus Aspangstraße 29. Ihr oberer Durchmesser betrug 7–8 m und sie enthielt römische Keramik sowie ein Fragment einer Beinnadel. 12

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Abb. 2: Die im Jahr 2009 aufgedeckten römischen Befunde auf Bauplatz 3. (Plan: N. Piperakis)

Im Osten der Aspanggründe konnten 1999 Reste eines Grabensystems auf einer Länge von 20 m in Nordost-Südwest-Richtung und 15 m in Nordwest-Südost-Richtung sowie eine römische Grube freigelegt werden (Abb. 1). 13 Römische Befunde und Funde der Grabung von 2009 Die römischen Befunde wurden im nördlichen Teil des Bauplatzes 3 angetroffen (Abb. 2). In der südlichen Hälfte des Geländes wurde größtenteils nur 0,60 m tief gebaggert, da unter den durchschnittlich nur 0,50 m mächtigen modernen Planierschichten (Schuttschichten mit Resten von Einbauten, die nach Abbruch des Bahnhofs 1977 einplaniert wurden, und Teile der geschotterten Gleiskörper) der geologische Boden anstand. Dabei handelt es sich hier um Schwemmlöss, von dem allerdings fast nirgendwo die originale Oberkante vorhanden war (gem. OK: 21,60–20,95 m über Wr. Null). Unmittelbar südlich des Wiener Neustädter Kanals befanden sich rötlich braune, schluffige Lehmschichten, die dem sog. antiken Humus oder Waldboden ähnelten (OK max.: 21,71 m über Wr. Null). Der östlichste römische Befund in dieser Fläche war ein kleines, sich nach unten verjüngendes Gräbchen (4). Es verlief in Nordost-Südwest-Richtung und war rund 4 m lang, oben 0,50 m breit und an der Sohle 0,10–0,20 m schmal. Es befand sich ca. 320 m nordwestlich von dem bereits oben erwähnten Grabensystem (Abb. 1 GC: 1998_17) und hatte dieselbe Orientierung. Rund 12 m nordwestlich des Gräbchens lagen drei seichte Grubenkomplexe (Abb. 3). Zu einer annähernd ovalen, 11 m großen, Nordost-Südwest ausgerichteten Grube lassen sich anscheinend drei Vertiefungen (166) ergänzen. Ihre Mitte und ihr südöstlicher Rand waren von Bahneinbauten und Kabeltrassen zerstört worden. An ihrer Ostseite schnitt eine ovale, muldenförmige, 1,80 m

12 GC: 1910_37; FA-RZ III, Aspangstrasse vis à vis d. Bahnhof und Aspangstrasse 29, 13. und 14. Juni 1910. 13 GC: 1998_17, Aspanggründe (Grabungen der Jahre 1998–2000); E. H. Huber, Wien 3, Aspangbahnhof. FWien 2, 1999, 166; dies., Wien 3, Aspangbahnhof. FWien 3, 2000, 200; dies., 3 – Aspangbahnhof. FÖ 39, 2000, 693–694.

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Abb. 3: Überblick über die römische Grubenlandschaft am Ende der Grabung. (Foto: M. Müller)

lange Vertiefung ein (59). In die zweitoberste der einander ähnlichen Verfüllschichten dieses Grubenkomplexes waren 12 Steckenlöcher eingetieft. Westlich daneben befand sich eine Grube (154), die mindestens etwa 4,3064,30 m groß gewesen sein dürfte. In dieser gab es verschiedene Verfüllungen, darunter auch lössige Schichten, die an der Sohle einen länglichen Buckel in Nord-Süd-Richtung bildeten. Besonders an der Südseite der Grube gab es mehrere muldenförmige Vertiefungen. Diese drei ovalen Gruben waren je ca. 0,75–1 m lang und lagen etwas höher (OK: durchschnittlich 21,50 m, gegenüber 21,40 m über Wr. Null der großen Grube). Die ovale Grube (71) südlich davon war 1,8061,20 m groß. Südöstlich der soeben besprochenen Befunde waren zwei weitere muldenförmige Gruben nur mehr sehr seicht erhalten. In die 2,20 m lange Grube (46) war eine 0,80 m große runde Grube eingetieft. Die zweite Grube (53) war 1,80 m lang. Ganz im Norden, am Rand des Wiener Neustädter Kanals bzw. des Umleitungsgerinnes, lag unter neuzeitlichen Schichten und Pfostenlöchern eine Mulde (167), die mit rötlichem Lehm und fragilen, bemalten römischen Wandverputzstückchen, Ziegelfragmenten und Keramikresten verfüllt war. Die Grubenreste (155) nordwestlich davon waren von einer Störung unterbrochen. Der östliche Teil war noch 0,80 m lang und 0,45 m breit erhalten und enthielt eine Brandgrabverfüllung. Darin fanden sich Fragmente einer tegula und etwas Keramik. Insgesamt hatte dieser Befund eine Ausdehnung von 2,95 m. Südlich davon befand sich eine große, unregelmäßig ovale, 0,25 m tiefe Grube (157). Sie war 4,80 m lang und 3,25 m breit und mit mittelbraunem, sandigem Lehm verfüllt. In ihren Boden waren im Norden und im Süden zwei ovale Mulden (noch 16 cm tiefer, bis 20,56 m über Wr. Null) eingetieft. Die südliche Mulde war 2 m lang und 1,80 m breit. Sie enthielt rötlich braunen, lössigen Lehm mit einigen kleinen römischen Keramikfragmenten. Am Übergang von der oberen Verfüllschicht der größeren Grube zu dieser Verfüllung gab es einen flachen

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Römerzeit

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Stein und mehrere große Knochenstücke. Die nördliche Vertiefung hatte ebenfalls eine Länge von 2 m. In der Schicht über der sandig-lehmigen Verfüllung der großen Grube fand sich ein zarter Terra-Sigillata-Rand eines Bechers aus severischer Zeit. Resümee Zur Erforschung der römischen Zivilstadt konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden: Es scheint sich hier tatsächlich um den südlichen Stadtrandbereich gehandelt zu haben (Abb. 1). Die eigentliche Siedlung mit Wohn- und Werkstattbauten hat sich offensichtlich – da im Schwemmlöss im südlichen Bereich des Bauplatzes keine tieferen Grubenbauten erhalten waren – nicht weiter nach Süden ausgedehnt als bis zu den Gruben in der nördlichen Hälfte des Bauplatzes. 14 Die südlichste aufgefundene Grube (53) war 121 m von der Mitte des Rennwegs (= Limesstraße) entfernt. Bei den unregelmäßigen Grubenkomplexen wird es sich um Lehmentnahmegruben gehandelt haben. Die Wohnund anderen Gebäude dürften sich noch etwas weiter nordöstlich, näher an der Limesstraße befunden haben. 15 Die zuletzt und bereits 1999 ausgegrabenen Strukturen weisen alle dieselbe Orientierung auf, nämlich rechtwinkelig und parallel zur Limesstraße. Dieser Abschnitt der Limesstraße verläuft (nach einem Knick) in diesem Bereich in derselben Ausrichtung wie die via principalis des Legionslagers, d. h. sie folgt anscheinend dem ursprünglichen römischen Vermessungssystem. Auf Bauplatz 3 konnten neben Bruchstücken der üblichen Gebrauchskeramik des späten 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. 20 kleine Terra-Sigillata-Fragmente geborgen werden, die sich fast alle in spätantoninische bis severische Zeit datieren (ca. 170–235 n. Chr.) lassen. 16

(M. Mü.)

14 Höher liegende Befunde wie seichte Gruben und Gräbchen könnten durch die Bahnbauten entfernt worden sein. 15 An dieser Stelle seien vorab die weiteren Grabungen im Ostteil der Aspanggründe im Jahr 2010 erwähnt, die ebenfalls Gruben, Gräbchen, aber auch Ausrissmauern der Römerzeit zutage brachten (siehe auch Abb. 1). GC: 2010_02, Bauplatz 5, südlich von Aspangstraße 59–65; GC: 2010_03, Rennweg 93 und 93 a; Grabungsleitung: S. Jäger-Wersonig und I. Mader. 16 Ich danke D. Gabler und S. Jäger-Wersonig für die Hilfe.

Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz Anlässlich der Neugestaltung des St.-Bartholomäus-Platzes im 17. Wiener Gemeindebezirk führte die Stadtarchäologie Wien vom 22. September bis 10. November 2009 eine Denkmalschutzgrabung durch (Abb. 1). Diese brachte neben mittelalterlich/neuzeitlichen Friedhofsbefunden und einer urgeschichtlichen Grube (siehe auch Beiträge H. Krause, 226 f. sowie 240 ff.) römische Siedlungsreste zum Vorschein. Seit dem 18. Jahrhundert wurden um die Kalvarienbergkirche sowie in ihrer unmittelbaren Umgebung immer wieder Funde aus der Römerzeit geborgen. 1 Nordöstlich der Grube mit Fundmaterial aus der späten Hallstatt-/frühen Latènezeit wurde ein Nord-Süd verlaufendes Gräbchen (Abb. 2) mit hellbraun-orangefarbener, sandig-lehmiger Verfüllung festgestellt, das viel Ziegelbruch und -splitt sowie Kies, Schotter und Steine bis 10 cm Durchmesser enthielt (siehe

Abb. 1: Fundpunkt 2 (GC: 2009_02). Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz.

Beitrag H. Krause, 241 Abb. 1). Das Gräbchen war auf einer Länge von ca. 7 m zu verfolgen, hatte eine Breite von 0,32 bis 0,37 m und war noch ca. 0,22 bis 0,24 m tief erhalten (UK 44,43 m über Wr. Null). Sein Querschnitt war rechteckig. Nach einer ca. 2 m breiten Unterbrechung (Störung durch Grabgruben und Künette) folgte im Süden ein weiteres Gräbchen mit ähnlicher Verfüllung und Dimension mit einer Länge von ca. 3 m (erhaltene OK 44,76 m,

1 Siehe www.kulturgut.wien.at s. v. St.Bartholomäus-Platz (GC: 1953_06), St.-Bartholomäus-Platz 4 (GC: 1958_03), Kalvarienberggasse 28 (GC: 1748_02), Elterleinplatz (GC: 1748_01; 3000_63), Hernalser Hauptstraße 67 (GC: 1897_18).

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Römerzeit

Abb. 2: Nördliches Mauerausrissgräbchen mit teilweise entfernter Verfüllung. (Foto: H. Krause)

UK 44,69 m über Wr. Null), das aber nicht exakt in der Flucht des nördlichen Pendants lag, so dass nicht sicher ist, ob diese beiden Befunde zu einem Objekt gehörten. 2 Diese Befunde stellen wohl die Verfüllung eines Ausrisses einer ehemaligen Mauer dar. Ihre ursprünglichen Längen waren nicht mehr ermittelbar. Unmittelbar westlich des nördlichen Mauerausrisses konnte ein Pfostenloch (erhaltene OK 44,66 m, UK 44,57 m über Wr. Null) festgestellt werden, das offenbar zur Mauerkonstruktion gehört haben dürfte. In der Verlängerung des südlichen Mauerausrisses wurden ebenfalls zwei Pfostenlöcher in einer Tiefe von 44,81 bzw. 44,73 m über Wr. Null angetroffen. Eine eventuell in Analogie zum nördlichen Befund östlich von ihnen verlaufende Mauer war an dieser Stelle nicht mehr feststellbar, da hier die oberen Schichten bereits gestört waren. Die Verfüllung des nördlichen Mauerausrisses enthielt auch ein Keramikbruchstück aus der Spätlatènezeit und Reste römischer Ziegel. Unter ihnen war auch ein römischer Warzenziegel. Ebenfalls dürfte die westlich des nördlichen Mauerausrisses ergrabene orange-hellrote Planierschicht (erhaltene OK von 44,92 bis 45,07 m über Wr. Null) diesem wahrscheinlich römerzeitlichen Bau zuzuordnen sein. Die Planierschicht bestand aus verziegeltem Lehm mit Abdrücken pflanzlicher Beimengungen und enthielt vereinzelt Holzkohle- und Kalkpartikel sowie Ziegelsplitter. Sie war vielfach durch die in der frühen Neuzeit angelegten Grabgruben gestört. Dadurch fand sich auch umgelagertes Material dieser ehemaligen Schicht in den Grabgruben und -verfüllungen, in denen auch zahlreiche römische Ziegelfragmente von Tegulae und Imbrices sowie vereinzelt römische Keramikscherben angetroffen wurden. Auch innerhalb der Grabungsfläche im Norden des Platzes (nördliches Friedhofsareal) fanden sich an einigen Stellen Reste einer Planierschicht aus verziegeltem Lehm (erhaltene OK 44,45 m, UK 44,22 m über Wr. Null), die hier ca. 0,23 m stark und vergleichbar mit der orange-hellroten Planierschicht westlich 2 Die Platzoberfläche fällt nach Norden hin ab, so dass auch die archäologischen Befunde der leichten Hanglage entsprechende Tiefen aufweisen.

der Kalvarienbergkirche war. Die Verziegelung des Lehms und die Holzkohlepartikel deuten auf einen Brand hin, der zur Zerstörung eventuell auch hier vorhandener Bauten aus der Römerzeit geführt haben dürfte. Ebenso wurden auf

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Mittelalter

Fundchronik

diesem Areal in den Friedhofsschichten und Grabgrubenverfüllungen einige römische Dachziegel- und Keramikfragmente angetroffen.

(H. K.)

Wien 1, Am Hof 10 Vom 16. Dezember 2008 bis zum 23. Dezember 2009 wurden im Zuge der Unterkellerung der Atemschutzräume der Feuerwehrzentrale Am Hof 10 archäologische Untersuchungen durch die Stadtarchäologie Wien vorgenommen. Neben den überaus umfangreichen römerzeitlichen Befunden (siehe Beitrag M. Mosser, 50 ff. und 227) lieferten die Grabungen auch weitreichende Erkenntnisse zu mittelalterlichen Strukturen im Bereich des ehemaligen Bürgerlichen Zeughauses (Abb. 1). 1

1 Zum Bürgerlichen Zeughaus siehe W. Hummelberger, Das Bürgerliche Zeughaus. Wiener Geschichtsbücher 9 (Wien 1972); vgl. auch ders., Zur Geschichte des Bürgerlichen Zeughauses in Wien. In: Das Wiener Bürgerliche Zeughaus. 3. Sonderausst. HMW (Wien 1960) 7–21.

Abb. 1: Fundpunkt 3 (GC: 2008_02). Wien 1, Am Hof 10: Mittelalterliche Siedlungsreste innerhalb des ehemaligen Bürgerlichen Zeughauses (= Zentralfeuerwache). (Plan: M. Mosser, Ch. Ranseder)

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Mittelalter

Auf der Parzelle des im Jahr 1562 errichteten Zeughauses sind zwei Vorgängerbauten durch historische Quellen dokumentiert. Beide gehörten dem jüdischen Viertel an, das mit dem Pogrom von 1421 aufgelöst wurde. 2 Das nördliche dieser beiden Häuser ist als der jüdische Fleischhof überliefert. 3 Dieser war zwar in seiner Bausubstanz nur spärlich archäologisch zu erfassen, eine überaus hohe Zahl an Tierknochen innerhalb der Erdplanierungen für die ältesten Fußböden des Bürgerlichen Zeughauses geben allerdings ein eindrucksvolles Zeugnis für diesen mittelalterlichen Schlachtbetrieb. 4 Zuvor soll im Hochmittelalter, nach der Quellenlage ab dem 12. Jahrhundert, die erste Babenbergerresidenz im Umfeld des heutigen Platzes Am Hof gelegen haben. 5 Eindeutige archäologische Spuren für diese Babenbergerpfalz sind bislang nur in geringem Maße vorhanden. 6 Wohl zu den ältesten mittelalterlichen Befunden, die bei den Grabungen Am Hof zum Vorschein kamen, zählt ein mächtiger, 4 m breiter und bis zu 1,90 m tiefer Graben (OK 16,80, UK 14,90 m über Wr. Null), der unmittelbar oberhalb des Nord-Süd orientierten römischen Abwasserkanals in dessen Flucht angelegt worden war (Abb. 2). Von diesem Graben konnte nur die westliche Böschung aufgedeckt werden. Dessen Sohle liegt genau unterhalb der frühneuzeitlichen Mauer zum Innenhof des Bürgerlichen Abb. 2: Hochmittelalterliche Grabenanlage in Schnitt 8, Blickrichtung Süden. (Foto: M. Mosser)

Zeughauses, also der östlichen Begrenzung des Grabungsareals. Die Datierung dieses Grabens ins Mittelalter

ergibt sich durch den Umstand, dass dessen Oberkante in etwa jener der sog. Schwarzen Schicht entspricht, die allerdings nur auf einer kleinen Fläche 2 Hummelberger 1972 (Anm. 1) 34 f. 3 K. Lohrmann, Die Wiener Juden im Mittelalter. Gesch. Juden Wien 1 (Berlin, Wien 2000) 55; 102. 4 M. Mosser, Wien. 1. Bezirk, Am Hof 10. FÖ 47, 2008, 598; ders., Wien 1, Am Hof 10. FWien 12, 2009, 203. 5 R. Perger, Die Grundherren im mittelalterlichen Wien, Teil I. JbVGW 19/20, 1963/64, 40–45; K. Lohrmann/F. Opll, Regesten zur Frühgeschichte von Wien. Forsch. u. Beitr. Wiener Stadtgesch. 10 (Wien 1981) 108 Nr. 380 mit Quellenangaben und weiterer Literatur. 6 Vgl. G. Buchinger/P. Mitchell/D. Schön, Das Palais Collalto – Vom Herzogshof und Judenhaus zum Adelspalast. ÖZKD 56/4, 2002, 404–408. 7 So wurde u. a. unterhalb der Grabenböschung eine Münze des Theodosius (388– 395 n. Chr.) aufgefunden. Für die Bestimmung danken wir C. Litschauer.

im östlich anschließenden Schnitt 11 angetroffen wurde. Die Funde aus und unterhalb der Grabenböschung bzw. aus der Verfüllung bestanden aber ausschließlich aus römerzeitlichem bzw. spätrömischem Material. 7 Die Verfüllung dieses Grabens und eine weitere Grubenverfüllung mit umfangreichem mittelalterlichem Fundmaterial liegen stratigraphisch unterhalb eines Ost-West orientierten Bruchsteinmauerfundaments eines mittelalterlichen Hauses. Auch wenn in der oben erwähnten Grube verschiedene Verfüllschichten dokumentiert werden konnten, so lässt sich aufgrund der Keramik keine zeitliche Abfolge dieser Schichten feststellen. Abgesehen von einem gewissen Anteil römischer Fragmente liegt v. a. hochmittelalterliche Keramik des 12./13. Jahrhunderts vor. Alle Fragmente sind scheibengedreht und wechselhaft gebrannt, als Magerung finden sich sowohl Graphit als auch Glimmer in unterschiedlichem Verhältnis. Formal handelt es sich um Topfbruchstücke. Auch aus der Lehmplanierung für die mittelalterliche Bruchsteinmauer stammt entsprechende Keramik des 12./13. Jahrhunderts, darunter das Randfragment einer Lampe mit deutlichen Nutzungsspuren.

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Mittelalter

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Die mittelalterliche Keramik lässt zwar noch gewisse Spielräume in der präzisen Datierung offen, die Beschaffenheit des Materials suggeriert jedoch eine relativ zeitgleiche Verfüllung. Von diesem südlich des Fleischhofs liegenden Privathaus, das sich bis 1421 im Eigentum der jüdischen Familien Suesman und Smoyel befunden hatte,8 wurden bei den Ausgrabungen das bereits oben erwähnte, auf bis zu 12 m Länge nachgewiesene Bruchsteinfundament der Südmauer (B 1,20 m), eine 20 m nördlich davon und parallel dazu verlaufende Steinrollierung (B 0,95 m) als Fundament einer weiteren Mauer sowie Ausrisse und Lehmfachwerkwände von Zwischenmauern aufgedeckt (Abb. 1). Dazu kommt eine Reihe von infrastrukturellen Einrichtungen: Im südlichen Teil des Hauses fand sich ein kreisrunder, ursprünglich mit Holz ausgekleideter, mit zahlreicher mittelalterlicher Keramik und Tierknochen verfüllter Latrinen(?)schacht9 (Dm 1,60 m). Im Spätmittelalter ist in dessen Verfüllung eine Feuerstelle gesetzt worden. Bei der Keramik aus dem möglicherweise als Latrinenschacht anzusprechenden Objekt handelt es sich großteils um Material des 14. bzw. des 13./14. Jahrhunderts. Vereinzelt sind auch noch Fragmente eher dem 12./13. Jahrhundert zuzuordnen. Römisches Material fehlt vollständig. Eine zeitliche Abfolge der verschiedenen Verfüllschichten wird sich erst nach einer vollständigen Bearbeitung bestätigen oder verwerfen lassen. Allerdings scheint sich abzuzeichnen, dass die tiefste dokumentierte Verfüllschicht geringfügig älter ist als die übrigen. Ein ebenfalls runder Grubenschacht (Dm 1,80 m) mit mittelalterlichem Verfüllmaterial wurde weiter nördlich angelegt. Die Keramik aus diesem Schacht entstammt dem 13./14. Jahrhundert, auch wenn sich eine größere Anzahl von Fragmenten dem 12./13. Jahrhundert zuordnen lässt. Die Fragmente weisen zum Teil deutliche grobschuppige Glimmermagerung bzw. Graphitbeimengung auf. Die beiden Schächte wurden insgesamt ca. 3,50 m tief ausgegraben, ohne dass ihre Unterkanten erreicht worden wären. Von Bedeutung sind weiters zwei sehr gut erhaltene, in den Tiefen Graben entwässernde Abwasserkanäle. Die Seitenmauern des auf 6 m Länge nachgewiesenen nördlichen Kanals (B 0,35 m) bestanden hauptsächlich aus Bruchsteinen mit wenig (römerzeitlichem) Ziegelbruch, wobei die Abdeckplatten und die Steinplatten der Sohle in der frühen Neuzeit (vor oder im Zuge des Zeughausbaus von 1562) entfernt worden waren. Bei der Keramik, die von unterhalb der Kanalsohle, aus der Verfüllung des Kanals bzw. aus dem Bereich der Kanalmauern stammt, überwiegen die römischen Fragmente. Einzigen Anhaltspunkt für eine Datierung bieten vier reduzierend gebrannte Fragmente, die beim Abbau der nördlichen Kanalmauer zutage traten und dem 14./15. Jahrhundert zugeordnet werden können. Bei einem der Stücke handelt es sich um das gut erhaltene Randfragment eines spätmittelalterlichen Flachdeckels. Die entsprechende Ausrissverfüllung über dem Kanal enthielt zahlreich Keramik, u. a. Ganzgefäße des 16. Jahrhunderts. Generell setzt sich das Material aus Fragmenten zusammen, die vom 14./15. bis zum 16. Jahrhundert streuen.

8 P. Harrer-Lucienfeld, Wien, seine Häuser, Menschen und Kultur. Bd. 2 Teil 2 (unpubl. Mskr. WStLA, Wien 1941) 284. 9 Die Ansprache als Latrinenschacht erfolgte aufgrund der Grünfärbung des anstehenden Löss am Rand der Grube.

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Mittelalter

Abb. 3: Spätmittelalterlicher Kanal mit Fäkalienverfüllung und südlich angrenzender Mauer des jüdischen Privathauses (Schnitt 10), Blickrichtung Osten. (Foto: M. Mosser)

Bei den Fragmenten, die dem 16. Jahrhundert zugeordnet werden können, handelt es sich um stark verdickte, tendenziell sogar wieder zur Gefäßwand gebogene Krempränder und in einigen Fällen um innen glasierte Kragenrandfragmente. Das Spektrum der älteren Formen des 14./15. Jahrhunderts umfasst neben Topffragmenten auch Becher und Krugformen sowie Kachelfragmente, in einem Fall liegt sogar ein kleines Fragment einer glasierten Maßwerkkachel vor. Der südliche Abwasserkanal, unmittelbar an die Innenseite des südlichen Bruchsteinmauerfundaments gesetzt, war in noch beinahe vollständigem Zustand auf 5,80 m Länge in einem leicht geschwungenen Verlauf erhalten. Die Seitenmauern (B 0,20–0,30 m) bestanden aus in Lehm und Mörtel gesetzten, mittelalterlichen handgestrichenen Ziegeln (Maße: 2461165 cm) sowie aus großen steinernen Abdeckplatten (bis zu 75650 cm). Auch die mit Steinplatten (bis 80650 cm) gepflasterte Kanalsohle war noch vollständig vorhanden. Die keramischen Funde aus dem Bereich unter der Kanalsohle – dem Baugrubenunterbau – setzen sich aus römischen und mittelalterlichen Fragmenten zusammen. Die mittelalterlichen Fragmente entstammen dem 12./13. Jahrhundert und zeigen sowohl plattigen Glimmer als auch Graphit, die Oberfläche weist auf eine oxidierende Brennphase nach reduzierendem Brand. Die Verfüllung dieses südlichen Kanals enthielt noch getrocknete Fäkalienreste (Abb. 3). Aus der geplanten naturwissenschaftlichen Analyse der Verfüllung sind überaus spannende Ergebnisse über die Ernährungsgewohnheiten oder auch Krankheitsbilder der mittelalterlichen Bevölkerung von Wien zu erwarten. (I. G./M. M.)

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Mittelalter/Neuzeit

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Wien 1, Riemergasse 7 Im Zuge einer geplanten, bis dato allerdings noch nicht durchgeführten Umgestaltung des ehemaligen Handelsgerichtsgebäudes Riemergasse 7 zu einem Hotel mit Tiefgarage konnten zwischen dem 4.11. 2008 und dem 15.1. 2009 die dreizehn im Vorfeld des Bauvorhabens angelegten Bohrprofile auch archäologisch untersucht werden. Der dreiseitig freistehende, sich von der Zedlitz- bis zur Jakobergasse erstreckende Monumentalbau wurde um 1906/08 bzw. 1909/11 im Sezessionsstil errichtet und diente von 1912 bis 2003 als Sitz des Handels- und Bezirksgerichts. 1 Aus historischer Sicht liegt der Standort im Bereich der Lagervorstadt von Vindobona bzw. unweit der mittelalterlich/neuzeitlichen Stadtbefestigung. Eine Reihe von römerzeitlichen und mittelalterlichen Altfunden in der Umgebung lassen auf neue archäologische Erkenntnisse hoffen. Historische Ausgangssituation Nach dem Bau des Legionslagers von Vindobona um die Wende vom 1. zum 2. nachchristlichen Jahrhundert2 entwickelten sich entlang der Ausfallstraßen kleine Siedlungen (canabae legionis) und es sind auch Bestattungsplätze außerhalb der Lagermauern nachzuweisen, die in den meisten Fällen Nachnutzungen

1 Dehio-Handbuch Wien. I. Bezirk – Innere Stadt (Horn, Wien 2003) 358 f. 2 Einen Überblick zur Geschichte des Legionslagers bietet M. Mosser, Judenplatz. Die Kasernen des römischen Legionslagers. WA 5 (Wien 2008) mit weiterführender Literatur.

Abb. 1: Fundpunkt 5 (GC: 2009_01). Wien 1, Riemergasse 7 sowie Fundorte in der näheren Umgebung. (Plan: Ch. Reisinger)

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Abb. 2: Die Jakobskirche beim Stubentor im Jahr 1724, Handzeichnung von Salomon Kleiner. (nach M. Eisler [Hrsg.], Das barocke Wien – Historischer Atlas der Wiener Ansichten [Wien, Leipzig 1925] Taf. 113)

dieser Vorstädte darstellen, als sich etwa ab dem zweiten Drittel des 3. Jahrhunderts nach Dezimierung der Truppenstärke deren Bevölkerung in den Schutz der Lagermauern zurückzog. 3 Eine dieser Ausfallstraßen verlief unweit des Handelsgerichts, und zwar ausgehend von der porta principalis dextra des Lagers etwa bei der Kramergasse/Ertlgasse über die Wollzeile nach Osten und somit in Richtung Zivilsiedlung von Vindobona im 3. Wiener Gemeindebezirk. 4 Entsprechend konnten am Grundstück selbst in der Riemergasse 7 sowie im näheren Umfeld Befunde zu Bauten der canabae legionis als auch zu mittelkaiserzeitlichen und spätantiken Bestattungen dokumentiert werden (vgl. Abb. 1). Es handelt sich unter anderem um drei Grabsteine aus dem 2. bis 3. Jahrhundert sowie um einen Altar der Fortuna Conservatrix, Funde, die bereits Mitte des 16. Jahrhunderts gemacht wurden und bis auf eine Grabstele (GC: 1553_01, Riemergasse 7) heute verschollen sind. Bei der Errichtung des rück3 M. Kronberger, Siedlungschronologische Forschungen zu den canabae legionis von Vindobona. Die Gräberfelder. MSW 1 (Wien 2005) bes. 36–40. 4 S. Sakl-Oberthaler, Untersuchungen zur Limesstraße in Wien-Simmering. FWien 2, 1999, 110–114. 5 Zu den römerzeitlichen Funden und Befunden aus dem Projektgebiet siehe Kronberger (Anm. 3) 69–72; 265–267 Taf. 13,15–17; 37–38.

wärtigen Teils des Handelsgerichtsgebäudes Jakobergasse 3/Zedlitzgasse 2A wurde 1910 außerdem ein spätantiker Sarkophag mit Skelettbestattung geborgen (GC: 1910_04). Weitere entsprechende Funde wurden am Dr.-KarlLueger-Platz 4/Dominikanerbastei (GC: 1901_5) und in der Wollzeile 29 (GC: 1900_14) aufgedeckt. 5 Bezüglich der mittelalterlich/neuzeitlichen Besiedlung Wiens (Abb. 1) dürften sich Spuren des erstmals im Jahr 1236 erwähnten Klosters der AugustinerChorfrauen St. Jakob auf der Hülben auf dem Areal entdecken lassen

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(Abb. 2). 6 Es handelte sich hierbei um das einzige Frauenkloster, das unter den Babenbergern innerhalb der Stadtmauer entstand. 7 Häufige Brände sowie die Türkenbelagerung im Jahr 1529 und ein Erdbeben im Jahr 1590 fügten der Kirche mit ihrem rechteckigen, zweischiffigen Innenraum und dem Kloster mit Kreuzgang immer wieder schwere Schäden zu. 8 Im Zuge der weitreichenden Reformen Josephs II. wurde das Kloster 1783 aufgehoben, 1784 von den Nonnen verlassen und die Klostergruft im Jahr 1786 geräumt. 9 In der Folge wurde das Areal anderweitig genutzt und baulich verändert. 1884 konnten beim Abtragen der Reste der Stubenbastei die östlichen Fundamente der Kirche mit Strebepfeilern dokumentiert werden. Beim Abbruch des Klosterhofes im Jahr 1906 legte man schließlich die gesamte Westfassade der ehemaligen Kirche frei, die in ein nach 1784 errichtetes dreistöckiges Wohnhaus einbezogen worden war, in dem auch alte Grabplatten als Hofpflasterung Verwendung gefunden haben sollen. 10 Ob durch die geplante Umgestaltung des ehemaligen Handelsgerichtsgebäudes auch Teile der mittelalterlich/neuzeitlichen Stadtbefestigung archäologisch erfasst werden können bzw. etwaige mittelalterliche Vorgängerbauten des Klosters zum Vorschein kommen, wird abzuwarten sein. Auswertung der Bohrprofile11 Die Probebohrungen wurden relativ regelmäßig verteilt in den bereits eingeschoßig unterkellerten Bereichen des Gebäudes durchgeführt. Die Ergebnisse lassen tiefgreifende historische (Bau-)Maßnahmen vermuten und in den nicht unterkellerten Hofbereichen noch relativ ungestörte Befunde erhoffen. Unterhalb einer rund 1,4–1,5 m starken, offensichtlich flächendeckenden neuzeitlichen Bauschuttschicht (durchschnittliche UK 5,7 m über Wr. Null), die vermutlich auf das oben erwähnte dreistöckige Wohnhaus zurückzuführen ist, konnte zumeist eine unterschiedlich mächtige, dunkelbraune lehmige Kulturschicht (durchschnittliche UK 4,5 m über Wr. Null) mit mittelalterlichem und neuzeitlichem Material dokumentiert werden. Hier dürfte es sich aus derzeitiger Sicht um die Reste der Einplanierung des Chorfrauenklosters St. Jakob auf den Hülben handeln. Einzelne etwas tiefer reichende Lagen (tiefste dokumentierte UK: 1,25 m über Wr. Null) unterschiedlicher Zusammensetzung stellen vermutlich sekundär verfüllte Fundament- bzw. Mauerausrisse unbekannter Zeitstellung dar oder sind im Bereich von Gruben angelegt worden. Ein Bohrkern im Westen des nordöstlichen Traktes (KB11e_n) könnte weiters aufgrund der Tiefe und der wenig kompakten, lockeren Zusammensetzung des zum Teil aschigen Materials auch einem Grabenbereich entstammen. Möglicherweise ist er Teil des Grabensystems der im 13. Jahrhundert errichteten und in der Mitte des 16. Jahrhunderts umgebauten älteren Stadtmauer Wiens. An Funden konnte neben neuzeitlicher Keramik und einem Reitersporn auch mittelalterliches und römisches Material geborgen werden.

(C. L.)

6 P. Csendes, Die Entwicklung der Stadt im 13. und 14. Jahrhundert. In: P. Csendes/F. Opll (Hrsg.), Wien. Geschichte einer Stadt 1. Von den Anfängen bis zur Ersten Wiener Türkenbelagerung (1529) (Wien, Köln, Weimar 2001) 77. 7 F. Opll, Eine Stadt im Aufbruch – Wien in der spätbabenbergischen Epoche. In: Csendes/Opll (Anm. 6) 100. 8 R. Perger/W. Brauneis, Die mittelalterlichen Kirchen und Klöster Wiens. Wiener Geschichtsbücher 19/20 (Wien, Hamburg 1977) 198–200; F. Opll, Krisenzeiten und ihre Bewältigung – Vom Interregnum zur frühhabsburgischen Epoche. In: Csendes/Opll (Anm. 6) 108; F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 3 (Wien 2004) 336 f. s. v. Jakobskirche. 9 Perger/Brauneis (Anm. 8) 200 f.; Czeike (Anm. 8). 10 Zur Nachnutzung siehe Anm. 9. 11 Messung jeweils ab rund 7,25 m über Wr. Null.

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Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz Durch die vom 22. September bis 10. November 2009 durchgeführte Denkmalschutzgrabung der Stadtarchäologie Wien anlässlich der Neugestaltung des sich um die Kalvarienbergkirche in Hernals erstreckenden St.-Bartholomäus-Platzes wurden neben einigen wenigen urgeschichtlichen und römischen Siedlungsresten (siehe Beiträge H. Krause 226 f. und 231 ff.) vor allem frühneuzeitliche Bestattungen sowie zahlreiche dislozierte menschliche Knochen freigelegt und dokumentiert (Abb. 1). Unmittelbar unter der Asphaltdecke bis zum untersten, von den Baumaßnahmen betroffenen Niveau (0,60 m unter der Platzoberfläche) traten in zwei Bereichen des Platzes mehr als 300 Gräber zutage. Das eine Areal erstreckte sich westlich der Kalvarienbergkirche (südlicher Friedhof). Das andere lag im Norden des Platzes (nördlicher Friedhof). Durch rezente Aufgrabungen (Künetten) in den letzten Jahrzehnten waren bereits zahlreiche Gräber zerstört worden. Dies war vor allem im Westen und Norden des Platzes der Fall. Die Ausgrabungen ergaben, dass dieser ehemalige Friedhof der Pfarre Hernals einst jeweils durch eine Mauer und eine dazwischenliegende grabfreie Zone, die wohl ursprünglich ein Weg bzw. ein kleiner Platz gewesen sein dürfte, in zwei Bereiche getrennt war. Der nördliche Friedhof Das ausgegrabene nördliche Friedhofsareal gehörte offenbar unmittelbar zur nördlich von ihm gelegenen ehemaligen Pfarrkirche, die 1784/85 aufgelassen und abgetragen worden war und deren Reste (gotischer Chor) 1958 beim Bau des Hauses St.-Bartholomäus-Platz 4 dokumentiert wurden (GC: 1958_03; Abb. 1). Bei dieser Ausgrabung kamen auch Bestattungen zutage. Die Existenz einer dem hl. Bartholomäus geweihten Pfarrkirche in Hernals ist für das 14. Jahrhundert bezeugt. 1 Eine 0,50–0,55 m breite Friedhofsmauer, die in Spuren noch im Osten und im Südosten dieses Grabungsbereichs erfasst werden konnte (erhaltene OK von Süden nach Norden von 44,51 m bis 43,76 m über Wr. Null), bildete die Umgrenzung des einstigen Gottesackers und zog sich wohl ursprünglich komplett um die Kirche herum. Ihre spärlichen Reste bestanden aus einem Mauerausrissgräbchen, in das Baumaterial wie kleine Steine (Dm: bis 8 cm) und Dachziegelfragmente sowie viel kalkhaltiger Mörtel locker eingebracht worden war. Die Mauer war mehrmals leicht abgewinkelt. Dies lässt auf einen dem Chor der Kirche angepassten, polygonalen Verlauf schließen. Der Bereich von der nördlichen Grabungsgrenze bis zum Haus St.-Bartholomäus-Platz 4 und der westlichen bis zum Pfarrhaus war durch mehrere rezente Künetten derart umgegraben, dass hier keine Gräber bzw. Grabreste mehr ungestört vorhanden waren. Dislozierte Knochen und spärliche Grabreste in diesen Bereichen wiesen aber diese dennoch als ursprüngliches Friedhofsareal aus. Aufgrund der räumlichen Beschränktheit des um die Pfarrkirche liegenden Friedhofs kam es über Jahrhunderte hinweg zur Wiederbelegung älterer Grabstellen. Daher wiesen die 1 W. J. Bandion, Steinerne Zeugen des Glaubens. Die heiligen Stätten der Stadt Wien (Wien 1989) 344 f.

Friedhofsstraten und Grabgrubenverfüllungen sehr viele dislozierte menschliche Knochen auf. Teilweise wurden auch regelrechte Deponierungen solcher

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Abb. 1: Fundpunkt 2 (GC: 2009_02). Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz. Übersichtsplan der Grabungsbefunde. (Plan: Ch. Reisinger)

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Abb. 2: Nördlicher Friedhof. Grab 246, Ausschnitt mit Gürtel und Textilresten aus der Renaissancezeit. (Foto: H. Krause)

Abb. 3: Nördlicher Friedhof. Grab 280 (juveniles Individuum mit Totenhaube bzw. -krone) schneidet Gräber 279 und 281. (Foto: H. Krause)

Überreste in Grabgruben beobachtet. Insgesamt wurden 164 Gräber bzw. Reste von ihnen freigelegt und geborgen. Die Gräber lagen teilweise übereinander oder überschnitten einander. Im mittleren Teil der Grabungsfläche war die Belegung am dichtesten, zur Friedhofsmauer hin gab es nur wenige Gräber, eine Bestattung befand sich sogar außerhalb der Friedhofsmauer im Südosten. Beim derzeitigen Aufarbeitungsstand lassen sich keine Grabreihen erkennen. Auffällig ist, dass es zwei verschiedene Ausrichtungen der Gräber gab, die sich auch stratigraphisch trennen ließen. So dürften die West-Ost ausgerichteten Gräber älter als die Süd-Nord ausgerichteten sein. Unter den West-Ost orientierten Gräbern sind diejenigen die älteren, bei denen keine Sargreste und zumeist auch keine Beigaben oder Trachtbestandteile, ausgenommen Gewandhäkchen bzw. -schließen, vorhanden waren. Wie die oberirdische Grabgestaltung ausgesehen haben mag, ist anhand archäologischer Befunde nicht zu klären, hier ist man auf entsprechendes Bildmaterial angewiesen. Die für christliche Bestattungen typische Art der Beisetzung war die gestreckte Rückenlage des Toten mit dem Kopf im Westen und dem Blick nach Osten, von wo die Wiederkehr Christi am Jüngsten Tag erwartet wurde. Aus welchem Grund es zu einer Änderung dieser Ausrichtung kam, wird noch zu untersuchen und zu klären sein. Unter den Funden aus den Gräbern sind die Reste von in situ aufgefundenen Gürteln mit Metallbeschlägen und -schließen hervorzuheben. Besonders bemerkenswert ist der Gürtel aus einer West-Ost orientierten Sargbestattung (Grab 246; Abb. 2) sowie die Totenhaube bzw. Totenkrone eines juvenilen Individuums aus einer Süd-Nord orientierten Sargbestattung (Grab 280; Abb. 3). In der Grube des Grabes 280, das die Gräber 279 und 281 schnitt, fanden sich auch Reste einer Garnrolle mit Lahnfaden. In einigen Gräbern wurden zudem religiöse Beigaben (Devotionalien) wie Rosenkränze, Medaillen und Kompositamulette, sog. Breverl, gefunden. Über die genaue Datierung der Gräber kann bei derzeitigem Aufarbeitungsstand noch nicht viel gesagt werden. Anhand der schriftlichen Überlieferung ist mit einer Belegungsdauer vom Mittelalter bis Oktober 1786 zu rechnen, als der Friedhof im Zuge der josephinischen Begräbnisreform von 1784, die

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Abb. 4: Südlicher Friedhof mit Kalvarienbergkirche. Überblick über die Grabungsfläche mit Grabgruben, nach Osten. (Foto: E. Pichler)

die Schließung aller Friedhöfe innerhalb von Ortschaften forderte, aufgelassen wurde. 2 Der südliche Friedhof (Abb. 4) Der südliche Friedhof erstreckte sich westlich der seit dem Barock bestehenden Kalvarienbergkirche, die nach Abriss der alten Pfarrkirche deren Funktion übernahm. Auch dieser Friedhof war von einer Mauer umgrenzt. Spärliche Reste von ihr konnten im Nordosten dieses Areals festgestellt werden (Abb. 1 und Abb. 5; erhaltene OK: 44,68–44,80 m, UK: 44,60–44,68 m über Wr. Null, nach Norden abfallend). Sie verlief von Südosten nach Nordwesten, war 0,60 m breit und auf einer Länge von 1,48 m zu verfolgen. Das Mauerwerk bestand aus kleinteiligen Bruchsteinen in Kalkmörtelbindung. Sie schnitt ein Süd-Nord ausgerichtetes Grab (Grab 31) und ist daher jünger als dieses. Daraus folgt, dass die Mauer erst errichtet wurde, nachdem dieser Bereich bereits für Bestattungen genutzt worden war. Durch die Grabungen wurde nur ein kleiner Teil dieses einstigen Friedhofs freigelegt. Er dürfte sich in südlicher und westlicher Richtung weiter fortsetzen bzw. bereits der Errichtung der Häuser St.-Bartholomäus-Platz 1 und 2 großteils zum Opfer gefallen sein. Die Belegungsdichte war hier weitaus geringer als auf dem nördlichen Friedhof. Insgesamt wurden 136 Gräber festgestellt. Aber auch hier gab es Bestattungen, die einerseits zum überwiegenden Teil Süd-Nord (vereinzelt Nord-Süd) und andererseits West-Ost orientiert waren, wobei Erstere von Letzteren geschnitten wurden. Daraus ergibt sich, dass die West-Ost orientierten Gräber hier die jüngeren sein dürften. Eine Massierung von Gräbern ließ sich im Nordosten dieses Areals feststellen, während im südlichen Teil deutlich weniger Gräber zutage traten. Es waren hier durchaus Grabreihen erkennbar. Wann es zu der Umorientierung der Gräber gekommen sein mag, ist derzeit noch unklar. Die Toten lagen ebenfalls in gestreckter

2 Pfarre Hernals – Kalvarienbergkirche, Sterbe-Buch. Für die Pfarre Herrnals V.U.W. W. von 1ten Monats Tage May, im Jahre 1784–1809, 36.

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Rückenlage, ihre Armhaltung konnte variieren, meist waren die Arme angewinkelt (Gebetsgestus), so dass die Hände auf dem Brustkorb bzw. Bauchbereich verschränkt waren. Viele der Gräber enthielten als Zeichen der barocken Frömmigkeit Devotionalien wie Rosenkränze, Wallfahrtsund Gnadenmedaillen, Kreuze sowie Kompositamulette. Vereinzelt trugen Individuen Fingerringe. Reste von Schuhen, Knöpfen und Gewandhäkchen bzw. -ösen sowie eine Schuhschnalle sind Zeugnisse der Bekleidung der Toten. Gürtel, wie die auf dem nördlichen Friedhof aufgefundenen, fanden sich jedoch nicht. Zwei Individuen waren mit einer Totenkrone aus Perlen, Pailletten und Lahnfäden (Grab 62 mit nur wenig erhaltenen Resten, Grab 176) beigesetzt worden. Anhand der historischen Überlieferungen und der Beigaben sowie der Trachtbestandteile der Verstorbenen kann von einer Belegungszeit des südlichen Friedhofs ca. vom zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts bis Oktober 1786 ausgegangen werden. 3 Dieser Friedhofsbereich ist demnach später als der zur Pfarrkirche gehörige nördliche Friedhof entstanden und war ebenfalls von einer Mauer umschlossen. Auffällig ist auch, dass sich hier weitaus mehr Gräber mit beigegebenen Devotionalien fanden, die damit einen Hinweis auf die Belegungszeit Abb. 5: Südlicher Friedhof. Reste der Mauer (Befund 32) als nördlicher Abschluss des Friedhofs, geschnitten von Grab 31. (Foto: G. Reichhalter)

nach der Rekatholisierung bzw. Gegenreformation geben (siehe unten). Möglicherweise wurde dieser Friedhof annähernd zeitgleich mit dem Kalvarienberg angelegt. Eine ge-

nauere Datierung kann erst die Auswertung liefern. Weiters kamen im südlichen Teil des südlichen Friedhofes zwei mit Bauschutt verfüllte Kalkgruben zum Vorschein, eine weitere fand sich im Nordosten des Platzes (Abb. 1, KBG). Sie enthielten vorwiegend neuzeitliches Baumaterial wie Ziegel-, Mörtel- und Stuckreste. Historische Überlieferung 1301 wurde erstmals ein St.-Bartholomäus-Altar in Hernals urkundlich er3 Freundl. Mitteilung E. Pichler: Aus den Sterbematriken der Pfarre Hernals geht hervor, dass bis Oktober 1786 Bestattungen auf dem Friedhof um die Pfarrkirche Hernals durchgeführt wurden. 4 www.kalvarienbergkirche.at (Stand 7.4. 2010); St. Zabusch, 17 Bezirksmuseum Hernals. WGBl Beih. 3 (Wien 2002) 19 f. 5 R. Leeb, Der Streit um den wahren Glauben – Reformation und Gegenreformation in Österreich. In: R. Leeb et al., Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Österr. Gesch. Ergbd. 3 (Wien 2003) 251 f.

wähnt. 4 In dieser Zeit ist bereits auch ein Friedhof bei der Kirche anzunehmen. In der Reformationszeit im 16. Jahrhundert wurde Hernals ein Zentrum des Protestantismus, das mit den Herrschaftsinhabern, den Familien Geyer (1515–1587) und Jörger (1587–1622), in Zusammenhang stand. 1568 und 1571 gewährte Kaiser Maximilian II. dem Adel im Erzherzogtum Österreich Religionsfreiheit in dessen Herrschaften. Nach der Auflösung des evangelischen Zentrums im Landhaus in der Herrengasse in Wien im Jahr 1577 durch Kaiser Rudolf II. strömten evangelische Wiener Bürger zur Predigt nach Hernals. 5 1609 führte Helmhard der Jörger in seiner Patronatskirche den öffentlichen, evangelischen Gottesdienst ein. Ab 1576 wurden auf dem Kaiserlichen Gottesacker vor dem Schottentor, der sich auf dem Areal des alten Allgemeinen Kran-

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kenhauses (Hof 8/9) befand, auch Tote evangelischer Konfession bestattet. 6 Eine gedruckte Leichenpredigt aus dem Jahr 1623 berichtet von einer in Hernals gehaltenen Predigt und danach erfolgten Beisetzung auf dem neuen Gottesacker zu Wien vor dem Schottentor. 7 Ob in der protestantischen Zeit der Friedhof um die Hernalser Pfarrkirche ebenfalls belegt wurde, ist derzeit noch offen. Matthäus Merian zeigt in seiner „Topographia Provinciarum Austriacarum“ von 1649 auch Hernals und berichtet über die Geschichte des Ortes in der Zeit des Protestantismus und der Gegenreformation. 8 Auf der abgebildeten Ansicht des Schlosses Hernals ist der „Hernalsische Gottesacker“ oben links im Bild deutlich abseits der Kirche gelegen gezeichnet. Ob die Lage des Friedhofs der Wahrheit entspricht und mit dem von Matthias Fuhrmann genannten außerhalb des Ortes, auf freiem Feld gelegenen, viereckigen evangelischen Friedhof gleichzusetzen ist, kann bei derzeitigem Kenntnisstand nicht geklärt werden. 9 Annähernd an derselben Stelle ist in jüngeren Plänen (z. B. im Franziszeischen Katasterplan von 1819) aber ebenfalls ein Friedhof dargestellt, der sich beim heutigen Lorenz-Bayer-Platz/Haslingergasse befand. Vielleicht wurde dieses Areal später erneut als Friedhof genutzt. Bisher ist man allerdings davon ausgegangen, dass dieser Friedhof erst am 28. Oktober 1786 eingeweiht worden ist. 10 1620 begann die Gegenreformation. Im Zuge dieser wurden die Güter der Jörger durch den kaiserlichen Fiskus eingezogen, weil sie sich weigerten, dem Kaiser Ferdinand II. zu huldigen und sich ihm zu unterwerfen. 1625 kam die Pfarre Hernals daher an das Domkapitel zu St. Stephan. 11 Um den Katholizismus an diesem Ort wieder zu festigen, wurde ein Passionsweg errichtet, der von St. Stephan in Wien seinen Ausgang nahm. Am 23. August 1639 gab es die erste Wallfahrt von Wien zum Heiligen Grab, das neben der Pfarrkirche von Hernals errichtet worden war. Zum Jahr 1641 ist überliefert, dass ein neuer Friedhof geweiht wurde. 12 Der Kreuzweg wurde während der Zweiten Türkenbelagerung im Jahre 1683 zerstört. Von 1709 bis 1714 wurde der Kalvarienberg mit einer kleinen Kirche errichtet. Auf dem Stich von Salomon Kleiner von 1724 sind dieser Kalvarienberg mit der kleinen Kirche sowie die Annenkapelle13 im Vordergrund dargestellt. Man sieht rechts vom Kalvarienberg auch das von einer Mauer umgebene Friedhofsareal mit Grabkreuzen und einem zentralen Hochkreuz. Ein im Diözesanarchiv aufbewahrter „Einreichplan“ zur Errichtung eines Klosters der Pauliner-Eremiten aus der Zeit um 1742 zeigt auch die Grundrisse des Kalvarienberges, der Annenkapelle und der Pfarrkirche. Die Ausdehnung des südlichen Friedhofs mit seiner nördlichen Mauer, die vom Kalvarienberg zur Annenkapelle verlief, wird daraus ebenfalls ersichtlich. Interessant ist jedoch, dass das Areal um die Pfarrkirche (nördlicher Friedhof) nicht als Kirchhof ausgewiesen ist. Bauliche Überreste der Annenkapelle haben sich archäologisch nicht eindeutig nachweisen lassen. Ob die spärlichen Reste von Ziegelmauerwerk, die an zwei Stellen im Westen des Platzes beobachtet wurden, zur Annenkapelle oder zu einem anderen Bau an dieser Stelle gehörten, muss offenbleiben. 1785 wurde die alte Pfarrkirche abgetragen. Seit November 1786

6 L. Senfelder, Der kaiserliche Gottesacker vor dem Schottenthor. BMAVW 36/37, 1902, 221 f. 240. 7 E. Ursinus, Christliche Leich- und Trostpredigt nach ableiben der Frau Barbara Bayrin … gehalten zu Hernals den 8. Aug. 1623 (Nürnberg 1623). 8 M. Merian, Topographia Provinciarum Austriacarum … (Frankfurt a. M. 1649, Reprint Wien 2005) 43 mit Abb. zwischen S. 42 und 43. 9 M. Fuhrmann, Historische Beschreibung Und kurz gefaste Nachricht Von der Römisch. Kaiserl. und Königlichen Residenz-Stadt Wien, Und Ihren Vorstädten. Teil 1 (Wien 1766) 375. 10 Siehe Anm. 2. 11 www.kalvarienbergkirche.at (7.4. 2010); Zabusch (Anm. 4) 23. 12 Diözesanarchiv Wien, Protokolle des Wiener Domkapitels, Bd. 13 (1640–1648) fol. 102. 13 M. Lehmann, Der Kalvarienberg im Abendland. In: J. F. Aumann/F. Zabusch (Hrsg.), 200 Jahre Kalvarienbergkirche in Hernals. Festschr. – Ausstellungsführer. Schr. Hernalser Heimatmus. (Wien 1969) 23.

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wurden keine Bestattungen mehr auf dem Friedhof um die Pfarrkirche bzw. den 14 Freundl. Mitteilung E. Pichler. Allerdings ist zumeist nicht bekannt, auf welchem der damals bereits bestehenden Friedhöfe. 15 F. Zabusch, Die Ausstellung „200 Jahre Kalvarienbergkirche“. In: Aumann/Zabusch (Anm. 13) 10.

Kalvarienberg durchgeführt. Den Sterbematriken der Pfarre Hernals, die seit 1684 erhalten sind, lässt sich entnehmen, dass von 1684 bis 1786 ca. 7000 Menschen auf dem Hernalser Friedhof begraben wurden. 14 1769 wurde anstelle der kleinen Kirche eine größere Kalvarienbergkirche gebaut und geweiht. Der heutige Erweiterungsbau der Kirche wurde 1894 vollendet. 15

(H. K.)

Wien 1, Rudolfsplatz 12 (Rudolfspark) Anfang März 2009 wurde im Zuge der Vorbereitungen für die Neugestaltung der Parkanlage am Rudolfsplatz eine unter das Platzniveau führende Stiegenanlage aufgedeckt (Abb. 1). Eine Untersuchung ergab, dass diese Stiege und der mit ihr verbundene Gang zu einer massiven, aus Stahlbeton errichteten Bunkeranlage aus dem Zweiten Weltkrieg gehört (Abb. 2). Der Vorfall wurde sofort bei der Bundespolizeidirektion Wien gemeldet. 1 Von der Landesleitzentrale der Bundespolizeidirektion Wien wurden die Feuerwehr und ein „sprengstoffkundiges Organ“ angefordert, um allfällige gefährliche Kriegsrelikte zu entsorgen. Bei dieser Sichtung wurden keine explosiven Stoffe vorgefunden. Diese unterirdische Anlage, deren Decke aus der sog. Braunschweiger BewehAbb. 1: Fundpunkt 6 (GC: 2009_10). Wien 1, Rudolfsplatz 12 (Rudolfspark).

rung2 errichtet worden war, besteht aus zwei miteinander verbundenen Tiefgeschoßen und einem Stollensystem, das für die Anrainer über die angrenzenden Keller und Fluchtgänge zugänglich war. Es handelt sich hierbei somit um eines der Hauptausstiegs-Bauwerke des „Luft-Schutz-Raumnetzes Innere Stadt“,

1 Meldung am 5.3. 2009 beim Stadtpolizeikommando Innere Stadt, Polizeiinspektion Laurenzerberg 2. Bericht im Kurier vom 7.3. 2009, 21. 2 Es handelt sich hierbei um mehrere in den Beton eingelassene Schichten von Stahldrahtmatten mit genau definiertem Abstand. Durch diese Konstruktion erzielte man eine höhere Festigkeit bei Bombentreffern. Die Bewehrung wurde an der Technischen Hochschule in Braunschweig entwickelt. Dazu: A. Winter/ Th. Kristen, Die Braunschweiger Schutzbewehrung. Baulicher Luftschutz 6, 1942, 8– 12; E. Hampe, Der Zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg (Frankfurt a. M. 1963) 273; www. amaot.de/bunker/bunker8.htm (14.5. 2010). 3 Pläne von Hauptausstiegen in Wien 1 sind für den Morzinplatz, Burggarten, Volksgarten, Stadtpark und die Mölker Bastei erhalten. Dazu siehe: R. Hauptner, Das „Luftschutz-Raumnetz Innere Stadt“ in Wien 1944/45. WGBl 50/ 2, 1995, 98–101; M. La Speranza, Luftschutzeinrichtungen in den Kellern der Wiener Innenstadt. FWien 3, 2000, 187. 4 Hauptner (Anm. 3) 96–104 bes. 102 f.; La Speranza (Anm. 3) 187 f.; ders., … und für die Bevölkerung wird angeordnet: Luftschutzmaßnahmen in Wien. In: Im Keller. Österreich im Zeichen des Luftschutzes. Begleitbd. Sonderausstellung Heeresgeschichtliches Museum Wien, 21.11. 2007–25.5. 2008 (Wien 2008) 58.

die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zum Schutz der Bevölkerung bei Bombenangriffen meist unter Parkanlagen errichtet wurden. 3 Über diese Ausgänge konnten die Anrainer das großräumig angelegte unterirdische Gangsystem, das die einzelnen Luftschutzkeller miteinander verband, nach Zerstörungen der angrenzenden Gebäude verlassen. 4

Abb. 3: Plan von 1944 zu dem „L-S-Raumnetz Innere Stadt“ mit dem Hauptausstiegsbauwerk Rudolfsplatz. (© WStLA, Kartographische Sammlung, Inv.-Nr. 120.099)

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Nach dem aus dem Jahr 1944 erhaltenen Plan (Abb. 3) waren in dieses Bauwerk auch ein Raum für eine Wache und eine Schleuse integriert. Bei der Schleuse handelt es sich um einen verschließbaren, abgedichteten Raum, der das Eindringen von Kampfstoffen (Gasen) in das Stollensystem verhindern sollte. 5 Ein zwei Meter breiter, im zweiten Tiefgeschoß befindlicher Tunnel führt unter der Straße direkt in Richtung des Hauses Rudolfsplatz 12. Dieser war, wie sich bei der Besichtigung der Anlage herausstellte, nach wenigen Metern mit Erd- und Schuttmaterial verfüllt. Einen Hinweis darauf, dass diese Bunkeranlage offensichtlich erst knapp vor dem Kriegsende gebaut worden war, gibt die nicht entfernte Holzverschalung der Haupttreppe im zweiten Tiefgeschoß. Aus dem Schutt des Luftschutzbauwerks konnten einige zeithistorische Funde geborgen werden. Neben einigen

Abb. 2: Verschütteter Stiegenabgang zum ersten Tiefgeschoß und Abgang zum zweiten Tiefgeschoß (links). (Foto: M. La Speranza)

Militaria (Wehrmachtshelm, Gürtelschnalle …) und etlichen Gebrauchsgegenständen (Batterie, Glasflaschen, Kamm, Parfüm- und Arzneifläschchen, Taschenlampe, Teller, Töpfe, Vasen …) lagen auch zahlreiche grün glasierte Ziegel eines Keramikofens im Schutt verstreut. 6 Der Bauschutt befand sich hauptsächlich in den beiden oberen Stiegenabgängen. Weiters wurden mehrere Winterhilfswerk-Abzeichen gefunden, darunter etliche Kunststofffiguren (Fallschirmspringer, Polizist, Sturzkampfbomber) aus diversen Straßensammlungen. 7 Bauarbeiter fanden im Park die Reste eines Karabiners und eines Degens. Von einem Baggerfahrer wurden in einer Künette an einer anderen Stelle des Parks mehrere scharfe russische Werfergranaten aufgedeckt. Aus der Sachverhaltsdarstellung geht hervor, dass insgesamt 19 russische Werfergranaten sichergestellt wurden. 8 Das Bauwerk wurde nach wenigen Wochen wieder vollkommen zugeschüttet. (M. La Sp.)

5 Aufgrund des vorgefundenen Zustands (keine Türen) ist davon auszugehen, dass er nicht mehr fertiggestellt wurde. 6 Für die Hilfe bei der Bergung der Funde sei Herrn Dr. Gerhard Hertenberger vielmals gedankt. 7 Zu den Winterhilfswerk-Abzeichen, die während des Krieges als Massenware in Umlauf waren: Ch. Öllerer/M. La Speranza, Wien 17, Dornerplatz. FWien 4, 2001, 275. 8 Meldung beim Stadtpolizeikommando Innere Stadt, Polizeiinspektion Laurenzerberg 2 vom 30.3. 2009.

Wien 3, Aspanggründe Im Vorfeld der Errichtung eines neuen Wohn- und Geschäftsareals auf den sog. Aspanggründen in Wien 3 wurden auf den westlichen vier Bauplätzen (Bauplatz 1–3 und 6) vom 17. August 2009 bis zum 15. April 2010 durch die Stadtarchäologie Wien Ausgrabungen durchgeführt (Abb. 1). Neben römischen Gruben auf Bauplatz 3 (siehe Beitrag M. Müller, 227 ff.) konnten zahlreiche neuzeitliche Befunde freigelegt werden (dazu ausführlich Beitrag M. Müller, 146 ff.). Der stratigraphisch älteste Befund auf Bauplatz 1 war eine große neuzeitliche Grube. Weiters konnten hier Reste des Kellerbereichs des 1977 geschleiften Bahnhofsgebäudes der Aspangbahn, ein eingewölbter Werkskanal und eine weitere kleine Grube entdeckt werden. Ein Teilbereich des Mitte des 19. Jahrhunderts fertiggestellten Hafenbeckens des von 1797 bis 1803 gebauten Wiener Neustädter Kanals konnte auf den Bauplätzen 1 und 2 (GC: 2009_09) freigelegt werden. Von dieser zwischen Wien und Wiener Neustadt

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Fundchronik

Neuzeit

Abb. 1: Fundpunkt 4 (GC: 2009_09; 2009_05; 2009_06). Wien 3, Aspanggründe.

für den Transport von Lasten errichteten Wasserstraße konnten stellenweise sowohl das ältere, vor der Errichtung des Hafenbeckens gebaute Hauptgerinne als auch die Einmündungsstelle des jüngeren Hauptkanals in das Hafenbecken dokumentiert werden. Ein offensichtlich um das Hafenbecken geführtes Umleitungsgerinne wurde auf allen vier Bauplätzen festgestellt. Von der einst aufwändigen Pflasterung des Hafenbeckens wurden auf Bauplatz 2 noch einige Reihen mit polygonal geformten, rötlichen Kalksteinen vorgefunden. Auf Bauplatz 3 konnte nur mehr der Nordteil eines Holzgebäudes (Stall?) ausgegraben werden, das vermutlich ins 19. Jahrhundert zu datieren ist. Ein Kanal mit Ziegelwänden und einer Abdeckung aus großen Steinblöcken verlief in Nordwest-Südost-Richtung und konnte auf den Bauplätzen 2, 3 und 6 aufgenommen werden. Im rechten Winkel dazu wurde auf dem Baugrundstück 6 ein weiterer schmaler Kanal (1 m breit) dokumentiert.

(M. Mü.)

Wien 9, Währinger Straße 29–31 Vom 28. bis zum 30. September 2009 wurde von der Stadtarchäologie Wien auf den Grundstücken Währinger Straße 29–31 anlässlich der Errichtung eines Institutsgebäudes der Universität Wien eine archäologische Voruntersuchung durchgeführt (Abb. 1). Historische Ausgangssituation Die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Areal auf archäologisch aufschlussreiche Befunde zu stoßen, war aufgrund der bereits dokumentierten Funde im Bereich der näheren Umgebung sehr hoch. Funde und Befunde, die vor allem auf die Existenz eines römerzeitlichen Gräberfeldes hinweisen, wurden auf den nächstAbb. 1: Fundpunkt 7 (GC: 2009_07). Wien 9, Währinger Straße 29–31.

gelegenen Grundstücken1 dokumentiert. Von ganz besonderem Interesse war der erhöhte westliche Bereich der beiden Liegenschaften, der – wie auf Plandarstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu sehen ist – als Ziergarten gestaltet und bis in unsere Zeit unverbaut geblie-

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Neuzeit

Fundchronik

ben war. Der östliche, zur Straße gewandte Bereich war hingegen verbaut gewesen. 2 Das ehemals weiter südlich gelegene Haus, Währinger Straße 29, war zum Großteil nicht unterkellert gewesen, das nördlich gelegene Bauwerk,Währinger Straße 31, hingegen schon. In letzterem Bereich war demnach nicht mehr mit römischen Gräberbefunden zu rechnen. 3 Archäologische Dokumentation Um das Gebiet flächendeckend sondieren zu können, wurden acht Schnitte über den gesamten Baubereich verteilt angelegt; drei davon im erhöhten westlichen Gelände, vier im nördlichen Teil des Grundstückes und einer im östlichen, nicht unterkellerten Bereich des ehemaligen Hauses Währinger Straße Nr. 29. Ergebnis In keinem der Schnitte wurden Befunde oder Funde römischer Herkunft angetroffen. Alle acht enthielten zwei bis drei Schichten von ähnlichem Aufbau: Die obersten ein bis zwei Straten waren als Planierungen anzusprechen, die unterste Schicht war von sandiger/lössiger Konsistenz und fundleer. Eine Mauer, die in drei Schnitten von Osten nach Westen an der Terrainkante des erhöhten Bereichs verlaufend dokumentiert werden konnte, könnte schon in der Barockzeit eventuell als Gartenmauer oder Grundstücksgrenze fungiert haben. Sie hatte eine Breite von 0,55 m und war bis zu einer Höhe von ca. 0,70 bis 0,80 m im Profil erhalten. Die Mauerziegel waren, soweit sie dokumentiert werden konnten, durchwegs handgefertigt und wiesen keine Stempelung auf. 4 Funde Aus den Planierungsschichten wurden einige Ziegelfragmente geborgen. Sie waren mit den Stempeln „H D“ (Heinrich Drasche), „A M“ (Alois Miesbach) und „E M“ (vermutlich Familie Engelmaier aus Pfaffstätten?), also von Ziegelproduzenten des 19. Jahrhunderts, versehen. Einige wenige Keramikfragmente konnten nach einer ersten Sichtung an das Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts datiert werden.

(I. M.)

1 Siehe www.kulturgut.wien.at s. v. VanSwieten-Gasse 1 (GC: 1861_04); Boltzmanngasse 5 (GC: 1910_52); Währinger Straße/ Boltzmanngasse (GC: 1912_21); Währinger Straße 25 (GC: 1956_06). 2 Zum Beispiel Vogelschau von Joseph Daniel Huber (1769–1774), Franziszeischer Kataster (1817–1824). 3 Die Befunde aus der näheren Umgebung befanden sich, soweit publiziert, in einer Tiefe von 0,80 bis 2 m gemessen von der Geländeoberkante. 4 Dokumentierte Ziegelmaße 2761367; 2661367 und 25612,566,5 cm.

Wien 13, Einsiedeleigasse 4 Anfang März 2009 wurde ein Teil des Altbestandes des Hauses in Wien 13, Einsiedeleigasse 4 abgerissen. Da in Ober-St.-Veit bereits an mehreren Stellen verschiedene unterirdische Kanäle angetroffen worden waren, informierten historisch interessierte Anrainer die Stadtarchäologie Wien über diese Baustelle und ersuchten um deren Beobachtung. 1 Tatsächlich wurde am 11.5. 2009 am Westrand des Grundstücks ein Kanal angeschnitten und zum Teil abgetragen (Abb. 1). Die beiden 0,90 m dicken Seitenwände des 2 m breiten Kanals (lichte Weite) waren aus Bruchsteinen errichtet. Die östliche Kanalwange war 2,03 m hoch, ihre Oberkante lag bei 68,13 m und ihre Unterkante bei 66,10 m über Wr. Null. Den oberen Abschluss der Mauer bildete ein Steinquader. Auf einer Höhe von

1 An dieser Stelle sei besonders Herrn R. Wawera gedankt, der die Stadtarchäologie Wien durch zahlreiche Informationen unterstützte.

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Neuzeit

67,39 m über Wr. Null setzte ein auf einem Gesims ruhendes Ziegelgewölbe an. Es war 0,50 m stark und aus einander abwechselnden Läufer- und Binderscharen gefertigt. Das Gewölbe erhob sich um 0,35 m, der innere Scheitel lag bei 67,74 m über Wr. Null (Abb. 2). Die lichte Höhe konnte nicht ermittelt werden, da am Boden Schutt lagerte und eine Begehung oder Räumung aus Sicherheitsgründen nicht möglich war; sie wurde auf 1,30 m geschätzt. Eine LaserMessung ergab, dass das in Richtung Süden ansteigende Teilstück bis zu 15 m erhalten war. Am gestörten Nordende knickte das Gewölbe um etwa 60 Grad nach unten ab, von diesem Teil konnte nur noch der Ansatz knapp nach der Baunaht verfolgt werden. Ob der Kanal an dieser Stelle abgesenkt worden war und weiterführte oder ob er hier in einen Brunnen oder eine ZisterAbb. 1: Fundpunkt 8 (GC: 2009_12). Wien 13, Einsiedeleigasse 4.

ne abgeleitet wurde, ließ sich nicht mehr feststellen. Über der östlichen Hälfte des Kanals war im Südprofil eine 0,60 m hohe Bruchsteinlage zu erkennen, die von der Oberseite der Kanalabdeckung bis zur rezenten Planierung (d. h. bis auf eine Höhe von 69,09 m über Wr. Null) reichte. Sie war im unteren Teil 1,10 m breit, im oberen 0,70 m. Obwohl stellenweise sauber geschlichtet, scheinen die Steine im oberen Bereich nur lose aufeinandergelegt worden zu sein. Mangels Mörtelverbindung liegt hier eine Trockenmauer, möglicherweise ein Fundament vor. Da diese Mauer an den Kanal angebaut wurde, ist sie zweifellos jüngeren Datums, ihr Zweck bleibt ungewiss.

2 www.wien.gv.at/kulturportal/public (17.5. 2010). 3 G. Weissenbacher, In Hietzing gebaut. Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirks 1 (Wien 1996) 14; www.hietzing.at/Bezirk/geschichte1.php?id=238&tags=Ober_St_ dot_Veit&menu=3 (17.5. 2010). 4 MA 37 – Baupolizei, KG 01209 Ober-St.Veit, EZ 29. Für die Aushebung des Plans ist Dr. G. Klözl vom Bezirksmuseum Hietzing zu danken.

Am Franziszeischen Kataster aus der Zeit um 1830 ist westlich der Einsiedeleigasse der Marienbach eingezeichnet, der einst als offenes Gerinne in NordSüd-Richtung durch Ober-St.-Veit floss. 2 Obwohl er nur als kleiner Bach dargestellt ist, konnte er im Falle von Unwettern zu einem reißenden Gewässer anschwellen, das mitunter ganze Häuser schwer beschädigte, was nachweislich im Juni 1898 das letzte Mal der Fall war. 3 Um weiteren derartigen Verwüstungen vorzubeugen, wurde die Einwölbung des Marienbaches beschlossen. Der Einreichplan für dieses Projekt liegt aus dem Dezember 1903 vor. Laut Vermerk

Abb. 2: Kanalöffnung von Süden. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

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Neuzeit

Fundchronik

wurde dieses Vorhaben allerdings erst im Mai 1905 verhandelt. 4 Am Generalstadtplan von 1904 ist jedoch an dieser Stelle kein Wasserlauf mehr zu sehen. 5 Das bedeutet, dass der Bach in diesem Bereich im Jahre 1904 schon eingewölbt war, aber möglicherweise musste die Einwölbung nach weiteren Überschwemmungen ausgebessert oder sogar neu errichtet werden. 6 Darauf scheinen auch die Ergebnisse von Mörteluntersuchungen hinzudeuten, die anlässlich der Aufdeckung des Kanals im Jahre 1991 in der Hietzinger Hauptstraße 149 vorgenommen wurden. Die Verfugung der Gewölbeziegel erfolgte demnach im 20. Jahrhundert. 7

(J. G./Ch. Ö.)

5 www.wien.gv.at/kulturportal/public (17.5. 2010). 6 Auch das bei F. Czeike, Historisches Lexikon Wien 42 (Wien 2004) 179 s. v. Marienbach, angegebene Datum der Fertigstellung am 1.3. 1916 lässt in diesem Zusammenhang vermuten, dass die Einwölbung in Etappen erfolgte. 7 Untersuchungen durch das BDA, Hinweis Dr. G. Klözl.

Negativkataster Adresse/Vorhaben Wien 1, Drahtgasse 3: Aufzug im Hof geplant Wien 1, Kärntner Straße 29–33: Abbruch Wien 1, Kärntner Straße: neue Pflasterung

mögliche Bodendenkmale Legionslager, mittelalterliche Siedlungsreste Bereich der canabae legionis, mittelalterliche Siedlungsreste Bereich der canabae legionis, mittelalterliche Siedlungsreste

Wien 2, Kleine Sperlgasse: Neubau

Friedhof

Wien 3, Landstraßer Hauptstraße 48: Neubau

urgeschichtliche Siedlungsreste, römische Gräber, mittelalterliche Vorstadt urgeschichtliche Siedlungsreste, römische Gräber römische Straße

Wien 3, Ungargasse 21–23: Neubau im Hof Wien 10, Gudrunstraße: Suchschnitt für UVP Hauptbahnhof Wien 12, Tivoligasse: Errichtung eines Hotels Wien 13, Markwardstiege: Ausstiegsschacht des Lainzer Tunnels Wien 13, Angermayergasse: Ausstiegsschacht des Lainzer Tunnels Wien 13, Veitingergasse: Ausstiegsschacht des Lainzer Tunnels Wien 21, Brünner Straße 250: Neubauten Wien 21, Senderstraße: Straßenverbreiterung (Anlegen eines Radwegs) Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße/Lavaterstraße: Neubauten Wien 23, Rudolf-Waisenhorn-Gasse: Neubauten diverse Kanalverlegungsarbeiten im gesamten Stadtgebiet lt. Information MA 31 – Wasserwerke

Beobachtung Das Vorhaben wurde bisher nicht realisiert. Der Aushub blieb in der bestehenden Kubatur, es wurde kein neues Erdreich abgehoben. Es wurde lediglich die alte Pflasterung entfernt und neue aufgetragen. Leitungen und Kanäle wurden stellenweise ausgewechselt, allerdings in der bestehenden Trasse. Im infrage kommenden Bereich nur Baurestmasse. lediglich Streufunde in Planierungen, keine Befunde Das Vorhaben wurde bisher nicht realisiert. keine Befunde und Funde

römische Siedlungsreste mittelalterliche Siedlung

Das Vorhaben wurde bisher nicht realisiert. keine Befunde oder Funde

urgeschichtliche Siedlungsreste

keine Befunde oder Funde

urgeschichtliche Siedlungsreste

vereinzelt urgeschichtliche Keramikfragmente

urgeschichtliche Siedlungsreste urgeschichtliche Siedlungsreste

keine Befunde oder Funde Das Vorhaben wurde bisher nicht realisiert.

urgeschichtliche Siedlungsreste

keine Befunde oder Funde

römische Wasserleitung

keine Befunde oder Funde

Fundmeldungen Adresse Wien 12, Altomontegasse 35 Wien 22, Wagramer Straße 174

Objekte Bein, Metall Brunnen mit Balustrade

Bestimmung Rinderzahn, rezentes Metall rezent

(J. G./Ch. Ö.)

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Tagungsberichte

Tagungsberichte

“Late Roman Glazed Pottery Production

Der Grund, weshalb Produkte, die mit denen

mis stellte die Möglichkeit vor, die Herkunft des

in Carlino and in Central-East Europe.

aus Carlino vergleichbar sind, in so weitläufigen

in der Glasur enthaltenen Bleis zu analysieren.

Production, Function and Distribution”

Gebieten wie z. B. entlang des limes vorkom-

In der anschließenden Diskussion schlug Clau-

Carlino (I)

men, könnte in ihrer gezielten Herstellung für

dio Capelli eine Anwendung dieser Methode

27.–29. März 2009

das Militär liegen. Diese Hypothese wird aller-

zusammen mit der traditionellen archäometri-

Carlino, ein römisches Töpferzentrum nahe

dings durch das Fehlen von militaria in Carlino

schen Methode für den Scherbentyp vor, um

Aquileia in Oberitalien, war in der Spätantike

und Umgebung nicht unterstützt.

bessere Ergebnisse in der Erforschung des

auf die Produktion glasierter Ware spezialisiert.

Die Ergebnisse der beiden Kongresse haben

Herstellungsortes zu erzielen.

Die für die Forschung wichtigen Fragen nach

gezeigt, dass bei punktueller Prüfung aus mor-

Für die Bleiglasur in den untersuchten Gebieten

den Abnehmern dieser Produkte und nach

phologischer wie auch archäometrischer Sicht

lässt sich wahrscheinlich nur im Falle von Stü-

den Gründen für diese Spezialisierung in die-

ein gemeinsames technisches Wissen ange-

cken aus Vindobona-Leopoldau ein Doppel-

sem Gebiet, wurden bereits 2006 formuliert

nommen werden kann, aber die Produkte nicht

brennverfahren nachweisen (R. Chinelli, R.

(siehe R. Chinelli/Ch. Magrini/F. Sbarra, Die Er-

identisch sind und daher auf keine zentrale Pro-

Sauer). In den anderen Fällen kann nach den

forschung der spätantiken Produktion römi-

duktion geschlossen werden kann. Die Exis-

Hypothesen und Untersuchungen von C. Ca-

scher glasierter Keramik in der Ostalpenregion

tenz mehrerer kleiner Produktionsstätten für

pelli nur ein Brennvorgang infrage kommen. In-

und in den Donauprovinzen. FWien 9, 2006,

glasierte Keramik kann angenommen werden.

teressant ist auch ein Beispiel aus Savaria

276–279) und während einer ersten Tagung

Durch Untersuchungen der Produktionsstätten

(Szombathely-Romkert) in Ungarn (Ch. Magri-

im Jahr 2007 international diskutiert (siehe Ta-

(Ch. Magrini, F. Sbarra; R. Chinelli) konnte ge-

ni, F. Sbarra), bei dem besondere Strukturen

gungsbericht in FWien 11, 2008, 350 und Ch.

zeigt werden, dass es, mit Ausnahme von Car-

und technische Erfindungen das Brandglasur-

Magrini/F. Sbarra [a cura di], La ceramica inve-

lino, in den betrachteten Regionen tatsächlich

verfahren vereinfacht haben könnten. Gerwulf

triata tardoromana nell’arco alpino orientale e

keine komplexen Töpferzentren gegeben ha-

Schneider konnte durch chemische Untersu-

nelle province danubiane. Atti del I incontro In-

ben dürfte. Das ihnen gemeinsame technische

chungen (WD-XRF) bestätigen, dass die gla-

ternazionale di Archeologia a Carlino, Carlino

Wissen könnte durch zirkulierende Töpfermeis-

sierte Keramik von Carlino im Vergleich mit

14–15 dicembre 2007 [Carlino 2009]). Das

ter zustande gekommen sein.

der lokalen Gebrauchskeramik kalkarm ist: Ei-

zweite internationale Treffen, welches wieder

Im Folgenden möchte ich mich auf einige Bei-

ne Beobachtung, die auch bei der spätantiken

in Carlino vom 27. bis zum 29. März 2009 statt-

träge der letzten Tagung, die die Themenkom-

glasierten Keramik in anderen Gebieten des

fand, stand unter dem Titel “Late Roman Gla-

plexe Archäometrie, Produktion und Distribu-

Römischen Reiches gemacht werden konnte.

zed Pottery Production in Carlino and in Cent-

tion zum Schwerpunkt hatte, konzentrieren.

Die Ergebnisse eines Survey in der Umgebung

ral-East Europe. Production, Function and Dis-

In der Einleitung beklagte Ninina Cuomo di

von Carlino (Ch. Magrini, F. Sbarra) haben kei-

tribution”.

Caprio das fehlende Studium der traditionellen

ne neuen Hinweise für die Interpretation des

Bemerkenswert ist, dass die glasierten Kera-

Techniken des Töpferhandwerks in der ar-

Fundortes gebracht. Es scheint, dass das Töp-

mikprodukte (v. a. geschlossene Formen) prak-

chäologischen Forschung. Dieser Bereich sei

ferzentrum in Carlino nur für kurze Zeit glasierte

tisch kaum in der Umgebung von Carlino und

ebenso wichtig wie die Archäometrie, er könne

Keramik produzierte, entweder hatte das Zen-

auch nur selten im benachbarten Aquileia zu

in einigen Fällen sogar herangezogen werden,

trum wirtschaftlichen Misserfolg oder es kam

finden sind, obwohl Aquileia, wie C. Zaccaria

um archäometrische Ergebnisse zu verifizieren.

zu einem anderen Ereignis, das archäologisch

während der zweiten Tagung betonte, in der

Di Caprio erinnerte an das komplizierte Herstel-

nicht nachweisbar ist. Trotzdem ist die Menge

Spätantike eine Nachblüte erlebte und daher

lungsverfahren von Keramik und hob v. a. die

der dort produzierten und gefundenen gla-

eigentlich der natürliche Markt für Carlino ge-

Trocknungsphase hervor, die darüber ent-

sierten Keramik so groß wie in keinem anderen

wesen wäre. Diese Keramik ist dagegen v. a.

scheidet, ob ein Objekt verwendbar ist oder

bis jetzt erforschten Töpferzentrum Panno-

in den Gebieten der Claustra Alpium, am Do-

nicht. Die bekannte Forscherin stellte außer-

niens. In der letztgenannten Region scheinen

naulimes und in Pannonien verbreitet.

dem die Frage in den Raum, warum für die Gla-

verschiedene Töpferzentren existiert zu haben,

Die erste Tagung konzentrierte sich darauf, die

sur dieser Keramik im westlichen Teil des Rö-

nach den Keramikproben zu schließen, die bis-

Ähnlichkeiten zwischen den glasierten Produk-

mischen Reiches Blei benutzt wurde, wo doch

lang archäometrisch untersucht wurden (C.

ten von Carlino und den glasierten Keramikfun-

ausreichend Sand zur Verfügung stand.

Capelli, R. Sauer). Bereits 1981 hatten P. Ar-

den der oben genannten Fundorte (insbeson-

Claudio Zaccaria wies in diesem Zusammen-

thur und D. Williams auch aufgrund ihrer Stich-

dere in Slowenien, Österreich und Ungarn) zu

hang darauf hin, dass die Bleiminen in Spanien

proben diesen Verdacht geäußert.

prüfen. Bei der zweiten Tagung wurde der Ra-

und auf dem Balkan unter kaiserlicher Kontrolle

Herkunft und Entwicklung der spätantiken gla-

dius auf Serbien, Bulgarien und die Slowakei (D. Dobreva, Sn. Cˇ ernacˇ -Ratkovic´, M. Tapa-

standen. Blei habe man auch recycelt, ein Um-

sierten Keramik sind noch immer offene For-

stand, der die Interpretation von Blei-Isotopen

schungsfragen: In Pannonien gibt es bereits

vicˇ ki-Ilic´, E. Krekovicˇ ) erweitert.

in der Keramikglasur behindern kann. Paolo Ni-

vom 2. bis zum Anfang des 3. Jahrhunderts

252 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Tagungsberichte

n. Chr. eine Herstellung glasierter Keramik, die

fahren bei der Verrichtung von Erdarbeiten

hat, dass sich die von ihm getroffenen Maßnah-

die Formen der Terra Sigillata nachzuahmen

und die notwendige Absicherung der Baustel-

men zum Schutz seiner Mitarbeiter nicht nach-

scheint. Diese Produktion ließ sich noch nicht

len in diesem Zusammenhang sowie über die

teilig für Dienstnehmer anderer Unternehmen

in einen Zusammenhang mit der späteren gla-

notwendigen Schutzmaßnahmen bei Arbeiten

auswirken. Die einzelnen Arbeitgeber haben

sierten Keramik bringen, nichtsdestoweniger

im Freien, über die Gefahren im Umgang mit

auch darauf zu achten, dass die Schutzmaß-

ist klar, dass die Glasurtechnik in Pannonien

Elektrogeräten sowie über Absturzgefahren

nahmen koordiniert werden.

nicht unbekannt war.

und die korrekte Aufstellung von Leitern und

Aus den Berichten über die Gefahren und Vor-

die Sicherung von Verkehrswegen auf den

schriften bei der Verrichtung der alltäglichen Ar-

Baustellen berichtet.

beit auf Baustellen sollen folgende Hinweise

Grundsätzlich besteht die Pflicht, jeden Ar-

und Bestimmungen erwähnt werden: Bei Ab-

beitsunfall innerhalb von fünf Tagen dem Versi-

sturzgefahr (besteht u. a. bei Vertiefungen im

cherungsgeber zu melden. Auch „Beinahe-Un-

Boden usw. sowie bei mehr als 2 m Absturzhö-

fälle“ sind meldepflichtig, denn die Analysen der

he) müssen Absturzsicherungen, Abgrenzun-

Situationen sind grundlegende Voraussetzun-

gen und dergleichen angebracht werden. De-

gen zur Verbesserung zukünftiger Bedingun-

taillierte Ausführungen über Absturzsicherun-

gen. Es ist auch darauf zu achten, dass ausrei-

gen (sog. Wehre) erfolgten in dem Vortrag über

chend ausgebildete Ersthelfer auf den Baustel-

Erdarbeiten und Baustellenabsicherung. Bei

len anwesend sind (ab fünf Personen muss ein

Erdarbeiten geschehen leider oft tödliche Un-

ausgebildeter Ersthelfer vor Ort sein). Ist der

fälle, da das Gewicht des Erdmaterials unter-

Ersthelfer abwesend, muss sein Stellvertreter

schätzt wird. Demnach müssen bei Arbeiten

diese Aufgabe übernehmen. Diese Bestim-

ab einer Tiefe von 1,25 m besondere Sicher-

mung wird umso wichtiger, als dass sich laut

heitsmaßnahmen (Abböschen, Verbauen oder

Unfallstatistik in Österreich täglich 470 Arbeits-

Bodenverfestigungen) getroffen werden. Fällt

unfälle ereignen und die Arbeiten in der Bau-

die Entscheidung auf das Abböschen, so gilt,

branche zu den gefährlichsten zählen. Jeder

je härter das Material ist, desto steiler kann

fünfte Unfall ereignet sich auf einer Baustelle.

der Neigungswinkel sein. Auch die Arbeits-

Zu den Grundsätzen der Gefahrenverhütung

raumbreiten sind genau festgelegt, sie richten

(§ 7 AschG [ArbeitnehmerInnenschutzgesetz])

sich nach der Tiefe in den Gräben. Prinzipiell

gehören dem Arbeitsbeginn vorausgehende

müssen alle Vorrichtungen unter fachkundiger

organisatorische und technische Maßnahmen

Aufsicht durchgeführt werden. Ist die Auf-

zur Beseitigung und Vermeidung von Gefahren

sichtsperson nicht anwesend, muss ein Stell-

sowie die entsprechende Ausrüstung zum

vertreter schriftlich genannt werden.

Schutz des Arbeitnehmers. Weiters muss der

Bei der Verwendung von Leitern ist darauf zu

Dienstnehmer vor der Aufnahme der Tätigkeit

achten, dass lediglich stabile, genormte Model-

über die sichere Verrichtung der Arbeit unter-

le (EN 131) zum Einsatz gebracht werden. Un-

wiesen werden (§ 14 AschG). Der Beschäftigte

ter anderem wurde in diesem Zusammenhang

hat im Sinne der Gefahrenverhütung u. a. fol-

auch über das richtige bzw. sichere Benützen

gende Pflichten zu erfüllen (§ 15 AschG): die Ar-

der Leitern (Greiftechnik, beim Auf- oder Ab-

beitsmittel (Behälter, Geräte, Maschinen …)

stieg wenig Werkzeug tragen, auf Standsicher-

vorschriftsgemäß zu benutzen, die persönliche

heit achten usw.) informiert, wobei auch die

Schutzausrüstung zweckentsprechend zu ver-

Länge der Leiter eine wichtige Rolle spielt; sie

wenden, Schutzeinrichtungen ordnungsgemäß

soll bei der Aufstellung mindestens 1 m Über-

zu benutzen, die Meldepflichten (Arbeitsunfälle,

stand haben.

Beinahe-Unfälle usw.) zu beachten. Missach-

In dem Vortrag über Ergonomie waren Erläute-

tungen dieser Vorschriften führen zu Verwal-

rungen über die möglichen gesundheitlichen

tungsstrafen. Auf Empfehlung des Juristen

Probleme, die durch falsches Heben und Tra-

Thomas Pfeiffer ist es vor allem aus strafrechtli-

gen an der Wirbelsäule (z. B. Bandscheiben-

cher Sicht für ArchäologInnen von Vorteil –

vorfälle) entstehen können, zentrales Thema.

auch wenn es sich bei Ausgrabungen verwal-

Auch Ratschläge über Sonnenschutzmaßnah-

tungsrechtlich nicht immer um Baustellen han-

men und die Verwendung von Sonnenbrillen

delt –, die Vorschriften der Bauarbeiterschutz-

mit dem notwendigen UV-Schutz wurden ge-

verordnung und jene zur Unfallverhütung einzu-

geben.

halten. Eine Verordnung, die sich auf Arbeit-

Abschließend ist festzuhalten, dass es mittler-

nehmer verschiedener Arbeitgeber auf einer

weile glücklicherweise viele Vorkehrungen

Baustelle bezieht und somit auch von auf Bau-

zum Schutz der ArbeitnehmerInnen auf Bau-

stellen tätigen ArchäologInnen zu befolgen ist,

stellen gibt und dass selbst die Zeit in dem äu-

besagt, dass jeder Vorgesetzte dafür zu sorgen

ßerst lehrreichen zweitägigen Seminar kaum

(R. Ch.)

„Sicherheitsschulung – Archäologie“, Seminar der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), Unfallverhütungsdienst Wien (A) 29.–30. April 2009 Da die Ausgrabungen der Stadtarchäologie Wien zumeist baubegleitend als Notgrabungen auf den zahlreichen Baustellen Wiens durchgeführt werden, besteht für alle, die in diesem Bereich tätig sind, ein erhöhtes Unfallrisiko und somit auch der Bedarf, über die Gefahren auf diesem Arbeitsplatz und deren Verhütung Bescheid zu wissen. Bewusstseinsbildend hinsichtlich der Bedeutung der Unfallverhütung auf Ausgrabungen war der dramatische tödliche Arbeitsunfall eines Salzburger Archäologen im März 2005. Infolgedessen organisierte der Verein der „Standesvertretung der MuseumsarchäologInnen Österreichs“, der sich mit Sicherheitsfragen und Unfallverhütung auf Ausgrabungen auseinandersetzt, im Februar 2006 die erste Sicherheitstagung in Salzburg. Eine weitere Gelegenheit, Wissenswertes über Gefahrensituationen, Unfallvermeidung bzw. mehr Sicherheit auf dem gefährlichen Arbeitsplatz Ausgrabung und Baustelle zu erfahren, wurde den ArchäologInnen der Stadtarchäologie Wien auch im Rahmen des zweitägigen Seminars „Sicherheitsschulung – Archäologie“ geboten, das von Mitarbeitern des Unfallverhütungsdienstes und einem Referenten der Rechtsabteilung der AUVA vom 29. bis 30.4. 2009 geleitet wurde und in Räumlichkeiten der Stadtarchäologie Wien stattfand. Nach der Information über die Aufgaben der AUVA wurde in den fünf Vorträgen des ersten Seminartages auf folgende Themenschwerpunkte eingegangen: Grundsätze der Gefahrenverhütung generell sowie bei der Benützung von Hebezeugen,Werkzeugen und Maschinen, eine rechtliche Einführung zu Fragen über Verantwortung, Recht und Haftung, Risiken im Umgang mit chemischen Substanzen, ein Vortrag über Ergonomie – besonders über das korrekte Heben und Tragen von Lasten – sowie über Transport und Richtlinien der Ladegutsicherung. Am zweiten Tag wurde über die Ge-

253 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Tagungsberichte

ausreichend war (wie auch die Vortragenden

schließlich im Nah- bzw. Uferbereich der Do-

“The XXIst International Limes (Roman

immer wieder betonten), die wichtigsten Fakten

nau in und um Budapest (mit der namengeben-

Frontiers) Congress 2009”

darzulegen.

den Csepel-Insel).

Newcastle upon Tyne (GB)

Im Anschluss an die Vorträge wurde den Mitar-

Die wissenschaftlichen Beiträge zum Tagungs-

16.–23. August 2009

beiterInnen der Stadtarchäologie Wien die

programm spannten sodann auch geografisch

Der alle drei Jahre stattfindende Limeskon-

Möglichkeit geboten, im Zuge einer Fotoprä-

einen Bogen von England über Portugal, Spa-

gress, als Sammelpunkt zu allen archäologi-

sentation Situationen des Baustellenalltags zu

nien und Frankreich bis ins östliche Mitteleuro-

schen Aspekten der römischen Militärge-

kommentieren und zu analysieren, um in Zu-

pa. In der Hauptsache wurden aktuelle Gra-

schichte, kehrte 2009 anlässlich seines 60-jäh-

kunft Gefahren sofort zu erkennen und präven-

bungen (zumeist Bestattungsplätze) vorge-

rigen Bestehens an den Ort seiner Gründung,

tiv agieren zu können.

stellt, doch gab es auch eine Reihe von über-

nach Newcastle upon Tyne zurück. Das Flair

greifenden Abhandlungen, die zumeist als

der eher mittelgroßen Stadt am östlichen Aus-

Zwischenberichte laufender Aufarbeitungspro-

gangspunkt des Hadrianswalls bildete ideale

jekte ebenfalls die derzeitigen Probleme und

Voraussetzungen zur Zelebrierung dieser tradi-

Ergebnisse zur Diskussion brachten (etwa Fra-

tionellen Veranstaltung.

gestellungen zu Siedlungsmuster, sozialen Ver-

Stilecht ging im Vorprogramm die alle 10 Jahre

änderungen, Metallurgie, Archäozoologie und

stattfindende, diesmal 13., “pilgrimage” entlang

Anthropologie). Neueste österreichische Quel-

des Hadrianswalls vonstatten, ehe nach einer

len zu den seltenen Siedlungsnachweisen

weiteren Vorexkursion zum Legionsstandort

konnten aus Wien (durch den Berichterstatter)

York (Eburacum) das eigentliche Kongresspro-

als auch aus Niederösterreich (durch D. Kern)

gramm startete. Hier mussten an der Universi-

präsentiert werden. Größter Gewinn aus öster-

tät 200 Vorträge für 300 TeilnehmerInnen an

reichischer Sicht konnte natürlich aus den Bei-

vier Tagen jeweils auf vier parallel laufende Sek-

trägen benachbarter Länder geschöpft wer-

tionen aufgeteilt werden. Diese vier Vortragsta-

den, da die archäologischen Hinterlassen-

ge wurden durch drei Exkursionen zu Militäran-

schaften hier aufs Engste miteinander ver-

lagen, die im Gegensatz zu den Kastellen und

wandt

waren

Befestigungen am Hadrianswall weniger be-

KollegInnen (auch ohne Vorträge) aus der

kannt sind, unterbrochen. Es handelte sich da-

Tschechischen und der Slowakischen Repu-

bei hauptsächlich um Marschlager und Kastelle

blik sowie natürlich aus Ungarn sehr zahlreich

im Vorfeld und im Hinterland des Hadrianswalls

vertreten. Gerade Letztere konnten eine breite

wie High Rochester, Risingham, Corbridge,

Palette aktuellster Forschungsergebnisse prä-

Lanchester, Binchester, Piercebridge oder

sentieren, gab es doch durch die großflächigen

Whitley Castle. Daneben führte ein Teil der Ex-

Rettungsgrabungen auf den neu errichteten

kursion in den Lake District und auch ein Ab-

Autobahntrassen um Budapest in den letzten

stecher in die Küstenstadt Scarborough mit ih-

Jahren enorme Fundzuwächse in quantitativer

rer Burg aus dem 12. Jahrhundert und weni-

wie auch qualitativer Hinsicht. Erfreulicherweise

gen römischen Überresten war inkludiert. Zahl-

ist auch eine Publikation der Tagungsbeiträge

reiche Museumsbesuche und die Besichtigung

geplant.

der beiden Hadrianswall-Kastelle und Archäo-

Ein wesentlicher Punkt neben den Vorträgen

logieparks von Wallsend und South Shields er-

waren die Besuche von Ausstellungen und Mu-

gänzten das überaus reiche Rahmenpro-

seen, wo in zusätzlichen „Workshops“ (Aquin-

gramm.

cum Museum und Ausstellungsräumlichkeiten

Die Vorträge selbst wurden auf nicht weniger

in Szentendre) Gelegenheit zur Begutachtung

als 22 Sektionen aufgeteilt und bildeten einen

und zum „Be-greifen“ der zahlreichen Neufun-

bunten Querschnitt zu zahlreichen Themen im

de geboten wurde. Willkommene Abwechs-

Umfeld des römischen Limesgebietes. In Erin-

lung im Rahmenprogramm bot ein Ausflug

nerung an die erst kürzlich verstorbene Vivien

zum archäologischen Park in Százhalombatta

Swan fanden Referate zum Themenkreis

südwestlich von Budapest, in dem u. a. auch

Frauen und Familien in der römischen Armee

eine glockenbecherzeitliche Hausrekonstruk-

statt, wobei v. a. der Beitrag von Penelope Alli-

tion präsentiert wird. Einzigartiger Höhepunkt

son über die Verteilung von Fundmaterial in rö-

war jedoch eine ausgedehnte Schifffahrt auf

mischen Lagern, das Frauen und Kindern zuzu-

der Donau: „Unter Deck“ wurden Teile der Kon-

ordnen ist, für kontroverse Diskussionen sorg-

ferenz abgehalten, „auf Deck“ konnte man in

te.

den Pausen, „eingedeckt“ mit ungarischen

Neben den jeweiligen Sektionen zu den jüngs-

Buffetköstlichkeiten, die Uferzonen der Donau

ten regionalen archäologischen Forschungen in

vorüberziehen lassen. Auch auf diese Weise

den römischen Militärprovinzen bzw. im Barba-

näherte man sich – über den Genius Loci –

ricum, galt diesmal das besondere Augenmerk

den “Bell Beaker Csepel People”.

dem “Presenting the Roman Frontiers”: Hier

(U. E.-K.)

“Bell Beaker Days along the Riverside”, Tagung der «Association Archéologie et gobelets» Budapest, Szentendre (H) 7.–11. Mai 2009 Die «Association Archéologie et gobelets» ist eine internationale Vereinigung von Archäologen (Vereinssitz in Genf), die Phänomene der Glockenbecherkultur erforschen. Ursprünglich von einer schweizererisch-französischen Forschergruppe initiiert, umfasst dieses Netzwerk von Spätneolithikum- und Frühbronzezeitspezialisten mittlerweile ca. 80 Personen bzw. Institutionen aus 12 europäischen Ländern. Der Umstand, dass das “Bell Beaker Package”, quasi als Markenzeichen dieser Kulturerscheinung, von Marokko bis Dänemark und von Irland bis Ungarn ziemlich gleichartig und zeitgleich in der 1. Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. in Erscheinung tritt, begünstigt natürlich intensive überregionale Vergleiche und Kontakte. (Unter “Bell Beaker Package” sind Leitformen wie die stempelverzierten Glockenbecher, Kupferdolche, Armschutzplatten und Silexpfeilspitzen gemeint, die als Prestigegüter regelhaft herausragenden Männergräbern beigegeben wurden. Um den falschen Eindruck einer einheitlichen archäologischen Kultur zu vermeiden, spricht man auch vom „Glockenbecherphänomen“, das verschiedene Kulturen innerhalb seines Verbreitungsgebietes miteinander verbindet.) Die seit 1996 jährlich stattfindenden Treffen werden dementsprechend in den verschiedensten (natürlich „glockenbecherführenden“) Ländern abgehalten. Zuletzt erklärten sich das Historische Museum der Stadt Budapest und das Museum des Komitates Pest bereit, die Tagung zwischen 7. und 11. Mai 2009 in Budapest und Szentendre (Ungarn) zu veranstalten. Der Titel “Bell Beaker Days along the Riverside” nimmt nicht nur Bezug auf die Veranstaltungsorte, sondern passenderweise auch auf die Fundorte der dortigen CsepelGruppe der Glockenbecherkultur. Deren Siedlungsspuren konzentrieren sich fast aus-

sind.

Glücklicherweise

(M. P.)

254 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Tagungsberichte

wurden u. a. neben den Weltkulturerbe-Projek-

200. Jahrestag der Sprengung der Wiener

Markus Jeitler (ÖAW, Hofburgprojekt) stellte

ten oder der Neugestaltung des Museums in

Burgbefestigung im Herbst 1809, der sich an-

„Schriftquellen zur Bauorganisation der Wiener

Vindonissa auch das neu eröffnete Römermu-

bot, den aktuellen Stand des „Forschungspro-

Stadtbefestigung im 16. Jahrhundert“ vor;

seum in Wien von Michaela Kronberger prä-

jektes zur Bau-, Ausstattungs- und Funktions-

exemplarisch für die Wiener Löblbastion, wo ei-

sentiert. Die Beiträge dieser Sektion werden

geschichte der Wiener Hofburg“ zu reflektieren.

ne gute Quellenevidenz vorliegt. Sein Vortrag

auch in einer eigenen, vom Kongressband un-

Dieses, insbesondere auch mit der Figur des

zeigte die Dringlichkeit einer gründlichen Quel-

abhängigen Publikation veröffentlicht.

Andreas Hofer verbundenen Datums aus der

lenrecherche, ohne die jede Aufarbeitung einer

Auch soziologische Aspekte, aus der Interpre-

Zeit der Napoleonischen Kriege wurde auch

entsprechenden Thematik auf der Strecke blei-

tation des archäologischen Fundguts gewon-

andernorts und in zahlreichen Medien „ge-

ben wird.

nen, wurden verstärkt unter die Lupe genom-

dacht“.

Claudia Reichl-Ham (Heeresgeschichtliches

men. Vor allem der Unterschied zwischen mili-

Wegen der meist noch bevorstehenden Aufar-

Museum Wien) schilderte in ihrem Beitrag „…

tärisch und zivil, aber auch Essensgewohnhei-

beitungsprojekte der Stadtarchäologie Wien

die Festung zu halten oder mit ihr zu fallen.

ten oder die Identität der römischen Soldaten

zur Stadtbefestigung (Grabungen Weihburg-

Die Burgbastei und ihre militärhistorische Be-

waren Thema zahlreicher Vorträge, wie z. B.

gasse, Ronacher, Wipplingerstraße und Neu-

deutung 1683“ in dramatischer Form die Ereig-

der Beitrag von Sabine Deschler-Erb, der das

torgasse) wurde dieser Termin von einigen da-

nisse der Belagerung durch die Türken 1683, in

Pozential archäozoologischen Fundmaterials

ran beteiligten KollegInnen wahrgenommen

deren Mittelpunkt die Burgbastion stand, und

im Bezug auf soziale Differenzierungen ver-

und mit großem Interesse verfolgt. Die (ange-

gab Einblicke in den Festungskrieg dieser Zeit.

schiedener Bevölkerungsgruppen beleuchtete.

kündigten) 16 Beiträge stammten von einer

Diether Kramer (ehem. Landesmuseum Joan-

Von den TeilnehmerInnen wurde eine weitere

hochkarätigen, zum Teil internationalen Riege

neum Graz) stellte die „Entwicklung der Grazer

Sektion zur Rezeption des römischen Limes

von Wissenschaftlern und widmeten sich einer

Stadtbefestigung im 16. und 17. Jahrhundert“

“in a globalized world” sehr gut angenommen,

breit gefächerten Palette von Themen, die ei-

vor, die enge zeitliche Parallelen mit Wien auf-

die Studien zu Grenzen allgemein, zum „Li-

nen zeitlichen Bogen von den Anfängen der

weist und somit im Rahmen einer allfälligen Ge-

mes“-Begriff in Nazi-Deutschland und zu den

Befestigung bis zu ihrem Ende spannten und

samtdarstellung mit einzubeziehen ist.

sich ändernden Perspektiven bezüglich Gren-

dabei z. B. auch vergleichende städteplaneri-

Der nächste Abschnitt war bereits „nichtkriege-

zen und dem römischen Limes in der heutigen

sche oder soziologische Aspekte behandelten.

rischen“ Themen gewidmet; Jochen Martz

Zeit zum Inhalt hatte.

Die Anfänge vermittelte Ferdinand Opll (Wiener

(ÖAW, Hofburgprojekt) gab Einblicke in die Ent-

Natürlich wurden auch weitere, eher traditionell

Stadt- und Landesarchiv) mit dem Thema

wicklung der „Gärten auf der Burgbastei“ vom

bei den Limeskongressen verankerte Themen

„Schutz und Symbol – Zur Stadtbefestigung

16. bis zum 19. Jahrhundert, darüber hinaus

wie Gräberfelder und Bestattungssitten, Zivil-

Wiens vom hohen Mittelalter bis zur Mitte des

aber auch in die der benachbarten kaiserlichen

siedlungen im Umfeld der Lager und Kastelle,

19. Jahrhunderts“. Heike Krause (Stadtar-

Gartenanlagen, die nach und nach der Bevöl-

Fragen der Truppenversorgung oder zu den rö-

chäologie Wien) bot unter dem Titel „Die früh-

kerung geöffnet worden waren. Aber auch

mischen Flottenverbänden beleuchtet. Beson-

neuzeitliche Stadtbefestigung von Wien: Ak-

Werner Michael Schwarz (Wien Museum) zeig-

ders von Interesse im Bezug auf die Vergleich-

tuelle Grabungsergebnisse der Stadtarchäolo-

te mit dem Referat „Stau und Unbehagen. Zur

barkeit mit dem römischen Legionslager Vindo-

gie Wien (Weihburggasse, Ronacher, Wipplin-

Kritik der Stadtbefestigung im 18. Jahrhun-

bona, dessen aktuelle Befundsituation der Au-

gerstraße und Neutorgasse)“ grundlegende

dert“, basierend auf zeitgenössischen Reisebe-

tor in Grundzügen vorstellte, waren die

und „tiefgehende“ Einblicke in den Aufbau

richten, die verkehrstechnischen und sozialen

Vorträge zu den neuesten Ergebnissen der

und die innere Organisation der Befestigung

Probleme, die die Befestigung um das zuneh-

Grabungen im Legionslager Straßburg von

und wies auf die offenen Fragestellungen hin-

mend anwachsende Wien verursacht hatte.

Gertrud Kuhnle und der Geoprospektionen im

sichtlich Bauablauf, Planung, Nutzung, Nach-

Anna Mader-Kratky und Christian Benedik

Lager Caerleon von Peter Guest (www.cardiff.

nutzung etc. hin. Paul Mitchell (ÖAW, Hofburg-

(ÖAW, Hofburgprojekt) leiteten mit ihren Vorträ-

ac.uk/hisar/archaeology/crc/index.html),

die

projekt) präsentierte die „Hofburg als Festung

gen bereits die Endphase der Befestigung mit

einige in diesen Lagern bisher unbekannte

(13.–16. Jahrhundert)“ und somit deren Ent-

der Sprengung von 1809 und den Planungen

Baustrukturen präsentierten.

wicklung im angegebenen Zeitraum als auch

für den Äußeren Burgplatz ein. Die abschlie-

Nach einer emotionalen Abschlussveranstal-

deren Bezug zur frühneuzeitlichen Befestigung,

ßenden Beiträge widmeten sich der Nutzung

tung, bei der Ruse in Bulgarien als nächster

insbesondere zur Burgbastion, von der – zur

im Vormärz, der „Bildwürdigkeit“ der Befesti-

Austragungsort des Limeskongresses 2012

Überraschung der Teilnehmer – Reste entdeckt

gung und schließlich der Planung der Ringstra-

vorgestellt wurde, folgten an drei Tagen noch

werden konnten.

ße.

weitere Nachexkursionen ins römische Schott-

Den europäischen Kontext stellte Pieter Mar-

Die virtuelle „Wiederauferstehung“ war durch

land bzw. zum Hadrianswall.

tens (Department of Architecture, Urbanism

Herbert Wittine (Technische Universität Wien)

und Planning, Katholieke Universiteit Leuven)

unter dem Titel „Möglichkeiten einer dreidimen-

mit dem Vortrag “Vienna’s 16th-Century Forti-

sionalen Visualisierung historischer Objekte am

fications in Their European Context” her. Im

Beispiel der Wiener Hofburg“ zu erleben. Beim

Rahmen der Präsentation früher Festungsanla-

abschließenden Besuch der Kleinausstellung

gen der 1520er- und 1530er-Jahre in den Nie-

„Wien 1809“ im Wiener Stadt- und Landesar-

derlanden, Belgien, Frankreich, Italien und

chiv – mit der Möglichkeit, im Studiensaal Be-

Deutschland stellte er die Frage, ob italienische

festigungspläne zu studieren – konnten sich

oder auch lokale Einflüsse bei Planung und Er-

die TeilnehmerInnen in die Materie vertiefen.

(M. M.)

„Die Wiener Burgbefestigung“ Wien (A) 30. November–1. Dezember 2009 Am 30. November und 1. Dezember 2009 veranstaltete die Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Kunstgeschichte, eine Tagung unter dem Motto „Die Wiener Burgbefestigung“. Anlass war der

richtung zum Tragen gekommen seien.

(G. R.)

255 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Tagungsberichte

“Vindobona – Aquincum”, Problems of

satorischen und wissenschaftlichen Strukturen

dung neuer Technologien vorgestellt, wie z. B.

Urban Archaeology in Budapest and

der beiden Einrichtungen oder auch zur techni-

akustische Messsysteme in der Unterwasser-

Vienna

schen Ausrüstung, EDV-Einsatz und Daten-

archäologie

Wien (A)

banken, zur Vermittlungs- und Öffentlichkeits-

vom Flugzeug aus (Airborne Laserscan), um

3.–4. Dezember 2009

arbeit etc. Während die KollegInnen in Wien

das Bodenrelief ohne störenden Bewuchs auf-

Dieser im kleinen Kreis, also hauptsächlich von

bereits über eine gut bestückte Datenbank zu

nehmen und hinsichtlich archäologisch rele-

MitarbeiterInnen des Aquincum Museums, der

den Fundorten und Funden auf dem Stadtge-

vanter Spuren auswerten zu können.

Stadtarchäologie Wien und der Kuratorin der

biet verfügen, die nicht nur das wissenschaftli-

Dem reichhaltigen Beiprogramm, u. a. die Er-

Archäologischen Abteilung des Wien Museums

che Arbeiten erleichtert, sondern v. a. schon

öffnung der von der Stadtarchäologie Wien

abgehaltene Workshop zu den speziellen

bei der Planung eines Bauvorhabens für die

konzipierten Posterausstellung zur neuzeitli-

Problemen einer Stadtarchäologie in beiden

Verhandlungen eingesetzt werden kann, ist

chen Befestigung von Wien, eine Mittelalterfüh-

Hauptstädten stellte bereits die Gegeneinla-

das diesbezügliche Äquivalent in Budapest

rung durch die Innenstadt sowie ein Lokalau-

dung dar zu einer Tagung desselben Themen-

noch im Aufbau begriffen. Die Wiener hingegen

genschein im neuen Römermuseum und auf

kreises, die im Herbst 2008 in Budapest statt-

ließ der Umstand aufhorchen, dass das Aquin-

der Grabung „Am Hof“, wurde reges Interesse

gefunden hatte (siehe FWien 12, 2009,

cum Museum für die Kalkulation der Kosten

entgegengebracht. Überhaupt war die Tagung

220 f.). Diesmal traf man einander für zwei Ta-

und die Logistik rund um die Ausgrabungen ei-

von einer sehr freundschaftlichen Atmosphäre

ge in den Räumlichkeiten der Stadtarchäologie

nen eigenen Angestellten beschäftigt, was die

geprägt und wir profitierten alle von dem ge-

Wien zu einem dichten Programm von Vorträ-

ungarischen Wissenschaftler erheblich entlas-

meinsamen Erfahrungsaustausch. Nachdem

gen.

ten dürfte.

die Budapester Delegation mit den frisch ge-

Zum einen dienten diese der Vertiefung der Bei-

Zum anderen wurde über aktuelle Grabungen

druckten Beiträgen der Vorjahrstagung als

träge des Vorjahres beispielsweise zur rechtli-

in den beiden Hauptstädten berichtet, die ja ei-

Gastgeschenk überraschte, wurde beschlos-

chen Situation zwischen Denkmalschutzge-

ne ähnliche geschichtliche Entwicklung eng

sen, auch die in Wien gehaltenen Vorträge in ei-

setz, privaten und öffentlichen Bauwerbern

miteinander verbindet. Es wurden auch inter-

nem weiteren Band von „Aquincum Nostrum“

und archäologischen Institutionen, den organi-

disziplinäre Forschungsprojekte unter Anwen-

zu veröffentlichen.

oder

eine

Laserscanmethode

(U. St.)

256 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

MitarbeiterInnenverzeichnis

MitarbeiterInnen der Stadtarchäologie Wien 2009 In der Auflistung nicht angeführt sind die zahlreichen temporären Mitarbeiter auf den Ausgrabungen der Stadtarchäologie Wien, deren Bezahlung dankenswerterweise von den jeweiligen Bauträgern übernommen wurde. Name

Projekt

Tätigkeit

Adler-Wölfl, Dr. Kristina

Judenplatz

Grabungsaufarbeitung

Ausstellung

Konzept

Börner, Mag. Wolfgang

EDV

Betreuung und Koordination

Internetportal „Wien Kulturgut“

Projektleitung und Koordination

Tagung „Kulturelles Erbe und neue Technologien“

Tagungsorganisation

Initiative zur „Harmonisierung von Kulturportalen österreichweit“

Projektleitung

Rennweg 44

Grabungsaufarbeitung, zeichnerische Aufnahme der Funde

Projekte „Glasierte Keramik“ und „Oxidierend gebrannte Gebrauchskeramik“

Projektleitung, zeichnerische Aufnahme der Funde

Chinelli, Dott.ssa Rita

Depot des Wien Museum

Mitbetreuung der archäologischen Bestände

Judenplatz

Grabungsaufarbeitung

Aspern (Flugfeld), U-Bahn-Archäologie, St.-Bartholomäus-Platz, Währinger Straße 29–31

Ausgrabung

Czeika, Dr. Sigrid

Wipplingerstraße 33 und 35, Rennweg 16, Weihburggasse 28–32

Wissenschaftliche Bearbeitung der Tierknochenfunde, Restaurierung von Tierknochen

Dollhofer, Mag. Lotte

Publikationswesen

Redaktion

Eisenmenger, Dr. Ursula

Rennweg 44, Schützengasse 24

Grabungsaufarbeitung

St.-Bartholomäus-Platz

Ausgrabung

Eisenmenger-Klug, Dr. Ursula

Publikationswesen

Redaktion

Am Hof 10, Aspanggründe

Ausgrabung

Eleftheriadou, Mag. Eleni

Projekt Zivilstadt

Grabungsaufarbeitung

St.-Bartholomäus-Platz

Ausgrabung

Fischer Ausserer, Mag. Karin

Leitung Stadtarchäologie Wien

Projektkoordination, Management

Gaisbauer, Mag. Ingeborg

Öffentlichkeitsarbeit

Junior- und Seniorarchäologie, Ausstellungen

Weihburggasse 28–32, Sensengasse 1–3, Neutorgasse 4–8

Grabungsaufarbeitung

Groiß, Mag. Johannes

Bodendenkmalpflege

Baustellenbeobachtung, Transporte

Gruber, Dr. Gertrud

Publikationswesen

Redaktion

Chmelar, Werner

Bibliothek

Inventarisierung, Bücherankauf und -tausch

Hanus, Petra

Restaurierung

Restaurierung von Keramik- und Knochenfunden in Zusammenarbeit mit der Initiative Seniorarchäologie

Helgert, Mag. Heidrun

Administration

Assistenz der Leitung, Personalangelegenheiten

Jäger-Wersonig, Mag. Sabine Krause, Mag. Heike

Öffentlichkeitsarbeit

Medienkontakte

Judenplatz, Schützengasse 24

Grabungsaufarbeitung

Aspanggründe

Ausgrabung

Ausstellung

Konzept, Gestaltung

Zollergasse 32

Grabungsaufarbeitung

St.-Bartholomäus-Platz

Örtliche Grabungsleitung

Projekt Stadtbefestigung

Aufarbeitung

Burgenprojekt

Burgeninventarisierung Wien

Krüger, Doris

Restaurierung

Restaurierung von Keramik- und Knochenfunden in Zusammenarbeit mit der Initiative Seniorarchäologie

Litschauer, Mag. Constance

Antike Münzfunde Wiens

Bearbeitung der Münzen

Diverse Grabungen

Zeichnerische Aufnahme der Funde

Sensengasse 1–3

Grabungsaufarbeitung

Am Hof 10, St.-Bartholomäus-Platz, Aspanggründe

Ausgrabung

Riemergasse 7

Baustellenbeobachtung

257 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

MitarbeiterInnenverzeichnis

Mader, Dr. Ingrid

Mosser, Dr. Martin

Währinger Straße 29–31

Örtliche Grabungsleitung

Aspanggründe

Ausgrabung

Projekt Stadtbefestigung

Auswertung

Öffentlichkeitsarbeit

Juniorarchäologie, Stadtführung

EDV

Digitalisierung

Judenplatz, Wipplingerstraße 35, Rennweg 16

Grabungsaufarbeitung

Am Hof 10

Örtliche Grabungsleitung

Digitale Bauaufnahme der Tribunenhäuser Müller, Mag. Michaela

Öllerer, Dr. Christoph

Rennweg 44

Koordination der Fundbearbeitung

Projekt Zivilstadt

Auswertung für Museum und Vorträge

Aspanggründe

Örtliche Grabungsleitung

Wissenschaftliche Koordination Bodendenkmalpflege

Penz, Mag. Martin Piperakis, Nikolaos

Baustellenbeobachtung, Transporte

UVP-Gutachten

Gutachten Kulturgut

Einsiedeleigasse 4

Örtliche Grabungsleitung

Aspern (Flugfeld)

Örtliche Grabungsleitung

Rennweg 16

Grabungsaufarbeitung

Projekt Zivilstadt

Planbearbeitung

Am Hof 10, Aspanggründe

Ausgrabung

Fundbearbeitung

Fotografieren

Ranseder, Mag. Christine

Publikationswesen

Gestaltung von Publikationen und Werbemitteln, Anzeigenverwaltung

Ausstellungen

Konzept, Gestaltung

Reichhalter, Dipl. Graph. Gerhard

Diverse Grabungen

Zeichnerische Aufnahme der Funde

Burgenprojekt

Burgeninventarisierung Wien

Reisinger, Dr. Christian

Sakl-Oberthaler, Mag. Sylvia

Schulz, Mag. Michael

Stipanits, M. A. Ute

Burgenprojekt

Burgeninventarisierung Niederösterreich (Kooperationsprojekt)

Projekt Stadtbefestigung

Aufarbeitung

St.-Bartholomäus-Platz

Ausgrabung

EDV

Aktualisierung der Fundort-Datenbank

Kulturgüterkataster

GIS-Anwendung (ArchKat)

Am Hof 10, Aspanggründe, St.-Bartholomäus-Platz

Ausgrabung

U-Bahn-Archäologie

Baustellenbetreuung, Grabungsleitung

Wipplingerstraße 33, Judenplatz, Rennweg 44, Schützengasse 24

Grabungsaufarbeitung

Aspern (Flugfeld), St.-Bartholomäus-Platz

Ausgrabung

Kulturvermittlung

Ausstellungskonzepte, Vorträge, Führungen

Projekt „Die römischen Lampen von Vindobona“

Projektleitung

Inventarisation

Diathek, Inventar

Administration

Personalangelegenheiten

Aspanggründe

Ausgrabung

Publikationswesen

Redaktion

Aspanggründe

Ausgrabung

Tarcsay, Dr. Kinga

Judenplatz

Aufarbeitung

Uhlirz, DI Susanne

EDV

GIS, Homepages, Systemadministration, User-Betreuung

Tagung „Kulturelles Erbe und neue Technologien“

Publikation, Tagungsorganisation

Administration

258 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Namenskürzel/Abkürzungsverzeichnis

Namenskürzel C. L. Ch. Ö. G. R. H. K. I. G. I. M. J. G. M. La Sp. M. M. M. Mü. M. P. R. Ch. U. E.-K. U. St.

Constance Litschauer Christoph Öllerer Gerhard Reichhalter Heike Krause Ingeborg Gaisbauer Ingrid Mader Johannes Groiß Marcello La Speranza Martin Mosser Michaela Müller Martin Penz Rita Chinelli Ursula Eisenmenger-Klug Ute Stipanits

Abkürzungsverzeichnis Zitate und Abkürzungen basieren im Allgemeinen auf den Publikationsrichtlinien der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts. Abkürzungen antiker Autoren und deren Werke erfolgen nach Der Neue Pauly 1 (Stuttgart 1996).

Weitere Abkürzungen ADV

Anf. Anm. ANRW AÖ ArchA B BAR BDA BDm Bef.-Nr. Beih. bes. BMAVW BS CarnuntumJb CIL CSIR D. Dig. Diss. Dm E. ebd. EPRO erh. FA Fl. Fnr. FÖ fol. FÖMat FP FRA FT FWien GC H H. HHStA HMW

Automationsunterstützte, elektronische Datenverarbeitung, Informations- und Kommunikationstechnologie Anfang Anmerkung Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt (Berlin, New York) Archäologie Österreichs Archaeologia Austriaca Breite British Archaeological Reports Bundesdenkmalamt Österreich Bodendurchmesser Befundnummer Beiheft/e besonders Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien Bodenstück Carnuntum Jahrbuch Corpus Inscriptionum Latinarum Corpus Signorum Imperii Romani. Corpus der Skulpturen der römischen Welt Drittel Digitalisiert Dissertation Durchmesser Ende ebenda Études préliminaires aux religions orientales dans l’Empire romain (Leiden) erhalten Fundakten des Wien Museum Karlsplatz Fläche Fundnummer Fundberichte aus Österreich folio Fundberichte aus Österreich Materialheft Fundprotokolle des Wien Museum Karlsplatz Fontes Rerum Austriacarum Fundtagebücher des Wien Museum Karlsplatz; verfasst von J. Nowalski de Lilia und F. v. Kenner Fundort Wien Grabungscode Höhe Hälfte Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Historisches Museum der Stadt Wien – jetzt Wien Museum Karlsplatz

Inv.-Nr. JbOÖMV JbVGW JZK

KA Kat.-Nr. KHM Wien L Lfg. LIMC M M. MA MAG MAK MGH MIÖG Mitt. ZK Mskr. MSW MV

MZK N. F. NHM Wien NÖ ÖAW o. J. OK OPEL ÖStA ox. ÖZKD ÖZV RAC RDm red. Reg.

Inventarnummer Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines Jahrbuch des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien Jahrbuch der K. K. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmäler Kriegsarchiv Katalognummer Kunsthistorisches Museum Wien Länge Lieferung Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (Zürich) Maßstab Mitte Magistratsabteilung Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien Österreichisches Museum für angewandte Kunst/ Gegenwartskunst Monumenta Germaniae Historica Mitteilungen des Institutes für Österreichische Geschichtsforschung Mitteilungen der Zentral-Kommission für Denkmalpflege Manuskript Monografien der Stadtarchäologie Wien Museum Vindobonense – Inventarisationskürzel für Objekte aus der archäologischen Sammlung der Museen der Stadt Wien Mehrzweckkarte der Stadt Wien Neue Folge Naturhistorisches Museum Wien Niederösterreich Österreichische Akademie der Wissenschaften ohne Jahr Oberkante Onomasticon provinciarum Europae latinarum I–IV (Wien 1999–2005) Österreichisches Staatsarchiv oxidierend Österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege Österreichische Zeitschrift für Volkskunde Reallexikon für Antike und Christentum (Stuttgart) Randdurchmesser reduzierend Regest/en

259 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Abkürzungsverzeichnis

rek. RIB RLÖ RS Rst RZ SoSchrÖAI T Tab. Vindol. UH UK Univ. unpubl.

rekonstruiert R. G. Collingwood/R. P. Wright (ed.), The Roman Inscriptions of Britain Der römische Limes in Österreich Randstück Randstärke Römerzeit Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Institutes Tiefe Tabulae Vindolandenses Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich Unterkante Universität unpubliziert

v VB Verf. vgl. WA WAS WGBl WHO WM WPZ Wr. Null WS Wst WStLA WStLB Zl.

verso Verwaltungsbezirk Verfasser/in vergleiche Wien Archäologisch Wiener Archäologische Studien Wiener Geschichtsblätter World Health Organization Wien Museum Wiener Prähistorische Zeitschrift Wiener Null = 156,68 m über Adria Wandstück Wandstärke Wiener Stadt- und Landesarchiv Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Akten-)Zahl

260 Fundort Wien 13, 2010. – Urheberrechtlich geschützt, Keine unerlaubte Vervielfältigung gestattet. © Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie

Abbildungsnachweis/Impressum/Inserentenverzeichnis

Abbildungsnachweis FWien 13, 2010 Die Stadtarchäologie Wien war bemüht, sämtliche Bild- und Urheberrechte zu eruieren und abzugelten. Bei Beanstandungen ersuchen wir um Kontaktaufnahme. Als Grundlage für Pläne und Kartogramme (Fundchronik) wurde, wenn nicht anders vermerkt, die MZK der Stadt Wien (MA 14 – ADV, MA 41 – Stadtvermessung) verwendet. Wir danken den Kollegen für die gute Zusammenarbeit. Für die Drucklegung wurden sämtliche Pläne und Tafeln von L. Dollhofer, G. Gruber, Ch. Ranseder und S. Uhlirz nachbearbeitet. Einband: Wasserglacis mit dem Karolinentor, Aquarell v. J. T. Raulino, um 1820, © WM, Inv.-Nr. 105.890 – S. 6, Abb. 2, © ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 29, 1753 – S. 7, Abb. 3, © ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a1, Nr. 35, 1759 – S. 12, Abb. 5, © WM, Inv.-Nr. 13.462 – S. 13, Abb. 6, © WM, Inv.-Nr. 13.463 – S. 14, Abb. 7, © ÖStA, KA, Kartensammlung VIIe 107 b Wien, Inv.-Nr. 169E) – S. 15, Abb. 8, © ÖStA, KA, Geniestabspläne CI/Wien a2, Nr. 02, 1834 – S. 16, Abb. 9, © WM, Inv.-Nr. 105.890 – S. 55, Abb. 3, © WM, Inv.-Nr. 16013/34 – S. 56, Abb. 4, © WM, Inv.-Nr. 16013/ 19 – S. 83, Abb. 4, © KHM Wien, Inv.-Nr. V 2535 – S. 85, Abb. 5, © Antakya Arkeoloji Müzesi – S. 121, Abb. 4, © WM, Inv.-Nr. 196.846/9,10 – S. 123, Abb. 5, © WM, Inv.-Nr. 105.977/4 – S. 147, Abb. 1, © WM, Inv.-Nr. HMW 34272 – S. 246, Abb. 3, © WStLA, Kartographische Sammlung, Inv.-Nr. 120.099.

Impressum

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Fundort Wien. Berichte zur Archäologie erscheint einmal jährlich.

Wiener Geschichtsblätter

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145

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ARWAG

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Herausgeber: Stadtarchäologie Wien. Leitung: Karin Fischer Ausserer

Albrechtsberger

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Redaktion und Lektorat: Lotte Dollhofer, Ursula Eisenmenger-Klug,

BIG

157

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