Freiheit und Bindung der Wirtschaft: Beiträge zur Ordnungspolitik. Festschrift anläßlich des 70. Geburtstages von Bodo Gemper [1 ed.] 9783428519453, 9783428119455

"Die Freiheit darf also nicht zu einem Götzendienst werden, ohne Verantwortung, ohne Bindung, ohne Wurzel. Die Verb

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German Pages 321 Year 2006

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Freiheit und Bindung der Wirtschaft: Beiträge zur Ordnungspolitik. Festschrift anläßlich des 70. Geburtstages von Bodo Gemper [1 ed.]
 9783428519453, 9783428119455

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Volkswirtschaftliche Schriften Heft 545

Freiheit und Bindung der Wirtschaft – Beiträge zur Ordnungspolitik – Festschrift anläßlich des 70. Geburtstages von Bodo Gemper

Herausgegeben von

Helmut Jenkis

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

HELMUT JENKIS (Hrsg.)

Freiheit und Bindung der Wirtschaft

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann

Heft 545

Freiheit und Bindung der Wirtschaft – Beiträge zur Ordnungspolitik – Festschrift anläßlich des 70. Geburtstages von Bodo Gemper

Herausgegeben von

Helmut Jenkis

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-11945-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Zum siebzigsten Geburtstag von Professor Dr. Bodo Gemper widmen ihm seine Weggefährten diese Festschrift, die sich mit den Problemen der Wirtschaftsordnungspolitik befaßt. Es ist ein Sujet, dem sich der Jubilar in besonderer Weise verpflichtet fühlt; denn seine Beschäftigung mit der Freiheit und der Bindung der Wirtschaft ist in seinem Lebensweg angelegt: Der Jubilar wurde drei Jahre nach Hitlers Machtergreifung geboren, aber als heranwachsender Jugendlicher hat er das Ende des Zweiten Weltkrieges, die Besatzungszeit nach 1945 und nicht zuletzt das kommunistische System der Gleichschaltung und der Indoktrination bewußt erlebt. Geprägt hat ihn, daß er aus politischen Gründen sein Wunschstudium der Sprachen nicht aufnehmen konnte, das der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Leipzig nur möglich war, weil ihn seine Mutter in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) anmeldete. Noch prägender war der Aufstand am 17. Juni 1953, als er als Schüler in Jena einem sowjetischen Stahlkoloß – einem Panzer – gegenüberstand und nur Dank der Besonnenheit des Panzerfahrers keinen physischen Schaden erlitt. Sein Widerspruchsgeist zum Sozialismus als Student an der Leipziger Universität führte zu einer „Bewährung in der sozialistischen Produktion“, dieses war der letzte Anstoß für seine Flucht in den Westen. Seinen beruflichen und wissenschaftlichen Weg kann man nicht ohne diese persönlichen Erfahrungen verstehen: Er setzte seine wirtschaftswissenschaftlichen Studien an den Universitäten Frankfurt, Würzburg und Bern (Schweiz) fort, wo er 1965 den Grad eines Licentiatus rerum politicarum erwarb und 1970 zum Doktor rerum politicarum promoviert wurde. Nach einigen Umwegen wurde er 1972/73 zum Professor für Volkswirtschaftslehre – insbesondere Finanzwissenschaft – an die Universität-Gesamthochschule Siegen berufen, der er bis zu seiner Pensionierung im Februar 2001 treu blieb. Die bedrückenden Erfahrungen als Jenenser Schüler und als Leipziger Student haben ihn zum Ordnungspolitiker werden lassen: Im Zentrum seiner nahezu dreißigjährigen Lehrtätigkeit und wissenschaftlichen Arbeit stand nicht die abstrakte, mathematisch orientierte Wirtschaftstheorie, sondern die praxisbezogene Ordnungspolitik, das heißt, er stellte sich selbst die Frage und war bemüht, dieses seinen Studenten zu vermitteln: Wie kann und wie muß eine Wirtschaft und Gesellschaft organisiert werden, um

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Vorwort

einerseits erfolgreich und andererseits human zu sein; denn auch Diktaturen können effizient produzieren. Und umgekehrt kann ein marktwirtschaftliches System entarten, indem es den Gewinn – den shareholder value – in das Zentrum der Ordnungspolitik rückt und das Humane vernachlässigt. Aufgabe und Ziel der Wirtschaftsordnungspolitik ist, eine Balance zwischen der Freiheit und der Bindung in der Wirtschaft zu finden – ein schwieriges und zugleich anpassungsbedürftiges Unterfangen. Seine ordnungspolitischen Leitbilder orientierten sich am Ordnungstheoretiker Walter Eucken, am Rechtswissenschaftler Franz Böhm und vor allen Dingen am Wirtschaftspolitiker Ludwig Erhard. Mit dem „Vater der Sozialen Marktwirtschaft“, Ludwig Erhard, hat sich Bodo Gemper mehrere Jahre auseinandergesetzt; denn für ihn war und ist Erhard in mehrfacher Hinsicht ein Vorbild: Er war ein Theoretiker, der über ein festgefügtes Ordnungsbild verfügte, zugleich war er als Politiker ein Pragmatiker, der mit Ausdauer und Zähigkeit sein Leitbild umsetzte. Die Einführung und Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft begann bereits mit der Währungsreform am 20. Juni 1948, als er zahlreiche kriegswirtschaftliche Zwangsmaßnahmen außer Kraft setzte und damit die Grundlagen für den erfolgreichen Wiederaufbau in den drei westlichen Besatzungszonen – der späteren Bundesrepublik – schuf. Das vermeintliche Wirtschaftswunder war kein „Wunder“, sondern die Folge einer ordnungspolitischen Weichenstellung und der Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, das eigene Schicksal zu meistern. Diese Symbiose hat Bodo Gemper fasziniert und er fragt sich, warum nicht ein ähnlicher Erfolg nach der Wiedervereinigung Deutschlands erzielt wurde. Bodo Gemper hat nicht nur seine Studenten mit den Problemen der Ordnungspolitik vertraut gemacht, sondern diese Aufgabe der Wirtschaftspolitik in die Öffentlichkeit und bis in die Vereinigten Staaten und bis nach Südafrika getragen: Neben seinen wissenschaftlichen Publikationen hat er innerhalb und außerhalb der Universität Siegen zahlreiche Veranstaltungen initiiert und moderiert, die sich immer wieder mit den Problemen von Freiheit und Bindung in der Wirtschaft beschäftigten. Begonnen hat er Anfang der siebziger Jahre mit Tagungen in der Evangelischen Akademie zu Loccum. Höhepunkt dürfte der Rückblick auf „25 Jahre Soziale Marktwirtschaft“ im Herbst 1972 gewesen sein; denn Bodo Gemper ist es gelungen, die namhaftesten Vertreter der zeitgenössischen Wirtschaftspolitik zu vereinen. In dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Marktwirtschaft und soziale Verantwortung“ (Köln 1973) hat Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Grußwort gesandt und der Vater des Begriffes „Soziale Marktwirtschaft“, Professor Alfred Müller-Armack, das Vorwort geschrieben. Die Namen der Autoren –

Vorwort

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von Ludwig Erhard, über Götz Briefs, Otto Schlecht, Karl Schiller, Egon Tuchtfeldt, Kurt Biedenkopf, Ernst Benda, Hermann J. Abs, Fritz Karl Mann bis hin zu Norbert Kloten usw. – lesen sich wie der „Gotha“ der Wirtschaftswissenschaften. Bemerkenswert ist, daß bereits hier das Thema dieser Festschrift anklingt; denn im Titel werden die Marktwirtschaft mit der sozialen Verantwortung – man könnte auch von Freiheit und Bindung sprechen – verknüpft. Es folgten Symposien im Kloster Walberberg, die Kolloqiuien „Hochschule und Gemeinde“ sowie die Vortragsveranstaltungen des Franz-BöhmKollegs. Mit diesen Veranstaltungen hat Bodo Gemper nicht nur das Ansehen der Universität Siegen gefördert, sondern auch die interessierte Öffentlichkeit an aktuellen Themen teilhaben lassen. Der Jubilar hat sein ordnungspolitisches Weltbild, das insbesondere durch Ludwig Erhard geprägt worden ist, auch in die weite Welt hinausgetragen: Auf Tagungen internationaler wissenschaftlicher Vereinigungen hat er über die deutschen Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft berichtet, ab 1983 Gastprofessuren an der Portland State University in Portland (Oregon, USA) und ab 1987 an der University of Pretoria in Pretoria (Südafrika) wahrgenommen. Da die Ordnungspolitik ein typisch deutsches Sujet ist, hat er mit Erfolg auf internationaler Ebene für diesen Forschungsbereich geworben. Die Krönung seiner akademischen Laufbahn und seines ordnungspolitischen Denkens erreichte Bodo Gemper, als er am 1. September 2005 – wenige Monate vor Erreichung seines 70. Lebensjahres (sic!) – seine Doktordissertation „A Socially Responsible Free Market Economy: Ludwig Erhard’s Model“ in der Faculty of Economics and Management Sciences at the University of Pretoria verteidigte und damit zum „Doctor Commercii with spezialization in Economics (DCom: Economics)“ promoviert wurde. Eine späte und seltene Ehrung eines Wissenschaftlers, der das Erhard’sche Konzept der Sozialen Marktwirtschaft über die Grenzen Deutschlands hinausgetragen hat. Mit der Festschrift „Freiheit und Bindung der Wirtschaft“ wird Professor Dr. Dr. Bodo Gemper nicht nur geehrt, sondern ihm auch für seine universitären und außeruniversitären Aktivitäten gedankt. Es mögen ihm noch viele fruchtbare Jahre vergönnt sein. Helmut Jenkis

Inhaltsverzeichnis I. Bodo Gemper als Mensch und Wissenschaftler Johannes Mittenzwei Die prägenden Jahre in Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jan Franke-Viebach Laudatio anlässlich der Verabschiedung von Univ.-Prof. Dr. Bodo Gemper . . .

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II. Beiträge zur Ordnungspolitik Artur Woll Freiheit als Handlungsmaxime und Ziel der Wirtschaftsordnung. . . . . . . . . . . . .

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Edgar Nawroth Grundwertentscheidung der christlichen Gesellschaftslehre. Freiheit und Bindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Jürgen Schlösser Ökonometrie und Ordnungstheorie. Die institutionenökonomische Ordnungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Helmut Jenkis „Soziale Marktwirtschaft“ – eine Leerformel? Versuch einer Konkretisierung

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Horst Friedrich Wünsche Elemente einer zukunftsfähigen Sozialen Marktwirtschaft. Eine Lektion Politische Ökonomie im Sinne von Ludwig Erhard. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eberhard Winterhager Die Verantwortung des Journalisten in einer freien Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 119 Franz Blankart Security and Safety. A Contradiction Between Individual Freedom and State Enforcement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Klemens H. Fischer Ordnungspolitische Aspekte des Vertrags über eine Verfassung für Europa . . . 135 Ulrich Penski Zum Verhältnis von Markt und Staat in der Ordnung der Europäischen Union . . 157 Jan Franke-Viebach Die geld- und währungspolitischen Regelungen des Maastricht-Vertrags aus traditioneller ordnungspolitischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

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Inhaltsverzeichnis

Werner Steuer Das Scheitern des Europäischen Stabiliätspakts oder: Wie glaubwürdig ist europäische Politik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Richard Senti Die gesellschaftspolitische Reform der WTO. Die WTO im Spannungsfeld zwischen Handel, Gesundheit, Arbeit und Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Friedhelm Franz Innovationen im Spannungsfeld von Kreativität und Reglementierung . . . . . . . 209 Paul Breuer Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung. Die bewältigten und zu bewältigenden ökonomischen und demografischen Veränderungen im Kreis Siegen-Wittgenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 James Blignaut Towards Economic Participation by All. A South African Case Study . . . . . . . 245 Egon Schoneweg China im Umbruch: Auf dem Wege zu einer neuen Wirtschaftsordnung? . . . . 263

III. Miszellen Werner Düchting Regelkreise in komplexen Netzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Jörg M. Wills Drei Anmerkungen zur Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Frank Hartmann Freiheit und Bindung im Notarrecht. Der Notar im Spannungsfeld von Amtsführung und marktwirtschaftlicher Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 IV. Anhang Veröffentlichungen und Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buchveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausgeberschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge in Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biographische Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Veranstaltungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

I. Bodo Gemper als Mensch und Wissenschaftler

Die prägenden Jahre in Jena Von Johannes Mittenzwei* Wer an eine Entelechie glaubt, ist davon überzeugt, daß in einem Organismus zielstrebige Kräfte und Fähigkeiten wirken, die die Entwicklung lenken und leiten. Diese Einschätzung trifft in hohem Maße auch auf meinen Jenaer Schüler Bodo Gemper zu, den ich als Klassenlehrer von 1952 bis 1954 – also der Hälfte seiner Oberschulzeit1 – in den Fächern Deutsch und Englisch unterrichtete. Diese beiden Jahre waren nicht nur für ihn, sondern für alle Bürger der damaligen DDR von schicksalhafter Bedeutung, denn erstmalig erhob sich die Bevölkerung, um gegen den Staat und sein politisches System zu demonstrieren und Freiheit zu fordern. Bodos Erlebnisse um den 17. Juni 1953 haben ihn für sein gesamtes Leben geprägt. Diese Ereignisse haben maßgeblich dazu beigetragen, daß er später als Hochschullehrer die Studenten mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnungspolitik vertraut machte, mit dem Ziel, junge Menschen in einer freiheitlichen Ordnung zu selbst- und verantwortungsbewußten Bürgern zu erziehen.

I. Bei aller altersbedingten Jungenart unterschied sich Bodo nicht von seinen Klassenkameraden. Aber in seinem Charakterbild war eine Komplementärfarbe nicht zu übersehen: Er vermochte die Sturm und Drang-Periode mit einer nachdenklichen Ernsthaftigkeit zu ergänzen, die mich ahnen ließ, es würden ihm Fragen und Themen bewegen, die über den Rahmen des Unterrichts hinausgingen. Das bewog ihn auch als einzigen Schüler, manchmal – wenn sich dazu Gelegenheit bot – meine Nähe zu suchen, um ein mehr „privates“ Gespräch zu führen, abseits des Schul- und Klassenmi* Dr. phil. Johannes Mittenzwei war 1952–1954 Studienrat an der Adolf-Reichwein-Oberschule Jena, an der Bodo Gemper im Jahre 1955 das Abitur ablegte. 1 In der ehemaligen DDR schloß die Oberschule nach vier Jahren am Ende der 12. Klasse mit dem Abitur ab.

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lieus. Er war ein Suchender, der nach weltanschaulicher Orientierung verlangte. Das war damals ein schwieriges Unterfangen, weil der ungezwungenen, freien Ausbildung des Charakters und dem Bemühen um ein eigenständiges Weltbild die politischen Bedingungen in der DDR entgegenstanden. Die DDR war kein historisch gewachsener Staat, sondern eine aufgezwungene, künstliche Konstruktion, die bewußt einen radikalen Bruch mit der gemeinsamen deutschen Vergangenheit vollzog. Darunter litten die Pädagogen. Die Lehrerschaft hatte – hauptsächlich in den geisteswissenschaftlichen Fächern – die marxistisch-leninistisch konzipierten Richtlinien des Lehrplanes einzuhalten. Die Erziehung war insgesamt darauf gerichtet, die Jugendlichen zu „sozialistisch gesinnten Staatsbürgern“ zu formen. Es oblag dem einzelnen Lehrer, ob er innerhalb seines Faches, wie z. B. im Deutschunterricht, den Lehrstoff nur ideologisch-doktrinär oder weltoffen und politisch unverkrampft zu interpretieren. Aber sowohl für die Lehrer als auch für die Schüler war die Auswirkung der staatlichen Zwänge eine bedrükkende und auch schädliche Last. Die von der SED ausgeübte Diktatur mit dem Ziel der Gleichschaltung des Denkens, Fühlens und Handelns aller Bürger mußte von den meisten als ein Eingriff in ihre persönliche Freiheit, als eine Zwangsmaßnahme empfunden werden, die sich der Staat mit Hilfe eines psychologischen Drucks auch angesichts der im Lande kasernierten 338.800 Rotarmisten als Besatzungsmacht und 10.000 Panzern rücksichtslos anmaßte. Obwohl Bodo Gemper zu den robusteren Naturen zählte, litt er zweifellos unter den Bedrückungen, die das autoritäre Staatsverständnis den meisten Bürgern auferlegte. Das zeigte sich vor allem darin, daß er das Gespräch mit mir suchte, weil er offenbar eines inneren Haltes bedurfte, um sich im Für und Wider des von politischer Propaganda beherrschten Alltags, der in der Schule gehörten Lehrmeinungen und den häuslich-privaten Zweifeln und Gegenargumenten zurecht zu finden. Das Verhältnis meines Schülers Bodo Gemper zu mir war nicht nur ungetrübt, sondern sogar vertrauensvoll, da auch er ein suchender, nach weltanschaulicher Orientierung verlangender Jüngling war. Ich erkannte seine Ernsthaftigkeit, mit der er Antworten auf ihn bedrängende Fragen wünschte, und ich spürte seine Unsicherheit, angesichts der ihn offenbar bedrückenden politischen Verhältnisse die Wahrheit zu erfahren: Was ist gut, und was ist böse, und warum herrscht dieser staatliche Zwang, wohin soll das noch führen, bleibt Deutschland für immer gespalten? Nicht zuletzt bedrückte ihn Walter Ulbrichts abstoßende Lobhudelei der Person Stalins.

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Gemper war zweifellos ein nachdenklicher, intellektueller Charakter, der sich nicht nur um sein weiteres persönliches Schicksal, sondern um das Vaterland, das ihm am Herzen lag, Gedanken machte.

II. Rückblickend darf ich heute annehmen, daß Bodo Gemper damals, als er sich mit den Verhältnissen in Jena und in der gesamten DDR auseinandersetzte, ein politisch denkender und patriotisch gesinnter „Citoyen“, ein überzeugter Demokrat geworden ist, der sich mit seiner Zeit kritisch zu befassen, sie zu hinterfragen begann. Dabei war er durchaus nicht der Typ eines Revolutionärs, bereit, aktiven und gefährlichen Widerstand zu leisten, zumal ein lebensbedrohliches Erlebnis ihm bewußt gemacht hatte, daß es ein falsches Heldentum wäre, einen übermächtigen Gegner mit unzureichenden Mitteln zu bekämpfen. Eine noch so ehrenhafte Gesinnung, handeln zu wollen, konnte in diesem Falle nicht genügen. Als nach Stalins Tod am 5. März 1953 das Zentralkomitee der SED am 14. Mai 1953 den folgenschweren Entschluß faßte, die Arbeitsnormen in den volkseigenen Betrieben um mindestens 10% zu erhöhen, entlud sich der schon lange angestaute Unwillen der Arbeiterschaft zu einem spontanen Streik am 16. Juni 1953 und vor allem am folgenden Tag, der alle großen Industriezentren erfaßte. Es ging den Menschen nunmehr um freie Wahlen, Redefreiheit und die Wiedervereinigung. Unter den Demonstranten waren 51 Todesopfer zu beklagen. Erst die sowjetischen Panzer sorgten für „Ruhe und Ordnung“. In Jena war der 17. Juni 1953 zunächst ein Schultag wie jeder andere. In der großen Pause verließen aber immer mehr Schüler den Schulhof und in der folgenden Unterrichtstunde saßen nur noch wenige Schüler auf ihren Plätzen. Sie informierten mich, in der Stadt wären Unruhen ausgebrochen, weshalb ich die Schule verließ, um mich selbst zu überzeugen. Auf dem Holzmarkt im Zentrum der Stadt angekommen, sah ich eine große Menschenmenge, die unter lautem Beifall begrüßte, daß aus den Fenstern der Kreisleitung der SED Akten, Formulare und Broschüren auf die Straße geworfen wurden. Nach etwa 90 Minuten hörte ich in der Ferne das typische Geräusch von nahenden Panzern, die sich am Stadtrand befanden und das Zentrum bald erreichen würden. Weil ich ein Blutbad befürchtete, ging ich in die Schule zurück. Bodo Gemper hat mir dieses Ereignis als seine Erfahrungen mit bewegten Worten geschildert: Er sprach von einem „das Leben entscheidend prägenden Moment“ in seiner Jugend, den er als eine „Grenzerfahrung“ bezeichnet, „als nämlich die sowjetischen

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Panzer und Mannschaftswagen aus Ohrdruf direkt aus dem Manöver gegen Mittag in Jena hereindonnerten, voller Lehm in den Ketten. Wir Oberschüler, Studenten und Lehrlinge bemühten uns, durch Straßenbahnwagen am Holzmarkt vor dem Gasthof ‚Roter Hirsch‘ ihre Passage vom Holzmarkt auf den Engelplatz und in die Neugasse zu behindern. Das klingt naiv, nicht einmal glaubhaft, Panzern der siegreichen Roten Armee den Aktionsradius zu beschneiden. Es war nicht einmal mutig, es war ein Versuch, sich zu äußern, seiner inneren Haltung und Stimmung Ausdruck zu verleihen, es war ein spontaner Ausbruch gestauten Unmuts: Hilflose Wut, die einen Weg sich bahnte in dem fassungslosen Staunen über das Geschehende, in einer vom Angstschweiß gekühlten körperlichen Verfassung. Aber dann plötzlich: Ein Panzer wollte unbedingt durch die enge Passage zwischen dem ‚Roten Hirsch‘ und dem Haus auf der Straßenseite gegenüber. Aufheulender Motorenlärm, schwarzrußende Abgaswolken und der Gigant drängt in Richtung Neugasse/Engelplatz. Ein unvergesslicher Augenblick. Wir vier oder fünf Schüler zittern, glauben, jetzt sind wir ‚dran‘, er hat uns erwischt, zwischen Panzer und der Straßenbahn. Da auf einmal ein kreischendröhrendes Geheul – der Panzer kommt funkensprühend plötzlich zum Stehen. Und das auf den glatten Straßenbahnschienen mit der Weiche, die die Abzweigung zum Westbahnhof erlaubte, und das zudem auch über Kopfsteinpflaster, von jahrzehntelanger Nutzung glatt wie polierter Marmor. Wie ein Wunder, er stand plötzlich. Ein sekundenlanger Blick in den dunkelgrauen Schlitz des Panzers, aus welchem zwei Augen uns anstierten. Sekunden bibbernden Schreckens durchfuhr uns, zu keiner Äußerung fähig. Auch der ‚Freund‘ aus der Sowjetunion im Panzer dürfte sehr erregt gewesen sein. Aber doch beherrscht genug, um nicht durchzudrehen, wohl aber sein Ungetüm aus Stahl zu drehen, wie sich sehr bald zeigte: Dann wieder Vollgas. Der Panzer dreht auf der Stelle nach rechts. Das Geschützrohr verfängt sich im mittelalterlichen Gemäuer des ‚Roten Hirsch‘, der seinerzeit der Erbengemeinschaft Gemper gehörte. Ein gewaltiges Loch, mindestens anderthalb Meter im Durchmesser, aber doch nicht ganz durch das dicke Mauerwerk hindurch. – Wir hatten Glück, wirklich großes Glück. Der Panzerfahrer hätte nicht auf uns zu achten brauchen, sogar in der Erregung auf uns schießen können, hatte doch der Kommandant der sowjetischen Garnison Jena-Stadt und -Land per Befehl Nr. 1 – wie wir später erfuhren – längst den Ausnahmezustand ausgerufen und bei Widersetzung den Gebrauch der Waffe angedroht. – Bald waren Schüsse vom Holzmarkt zu hören. Der Weg nach Hause war jetzt angezeigt.“

III. Im Unterschied zu seinen Altersgenossen in der Bundesrepublik, denen nach 1945 eine solche lebensgefährliche Konfrontation erspart blieb, mußte Bodo Gemper sein dramatisches Erlebnis verarbeiten, das ihn völlig unvorbereitet aus seinem normalen und unbehelligt ablaufenden Alltag herausriß und ihn zu einem Beteiligten und Zeugen einer historischen Begebenheit werden ließ, was für seine weltanschauliche und charakterliche Entwicklung zweifellos nicht ohne Folgen bleiben mußte. Dieses Erlebnis hat ihn in star-

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kem Maße als politischen Menschen geprägt, indem er seinen Verstand bei der Beurteilung gesellschaftlicher Probleme und Zusammenhänge schärfte, insbesondere dann, wenn es darum geht, sich bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Wahrheit zu engagieren. Er zog aus den Ereignissen nicht den Schluß, im Widerstand gegen das herrschende Unrechtssystem eine aktive Rolle zu spielen, denn in der Bevölkerung war bekannt, wie unnachsichtig und grausam die Staatssicherheit danach trachtete, jeden „Klassenfeind“ auszuschalten. Erwähnt sei nur das schreckliche Schicksal der sieben Jugendlichen aus Werder an der Havel, die Anfang der fünfziger Jahre in Moskau wegen Militärspionage zum Tode verurteilt und durch Genickschuß hingerichtet wurden. Sie gehörten zu einer Gruppe von etwa 30 Jugendlichen, die, wie auch in anderen Ortschaften der DDR (z. B. Aktionen von Oberschülern in Altenburg und Werdau), gegen die Vormachtstellung der SED und der Sowjets aufbegehrten, weil sie sich nicht vorschreiben lassen wollten, „Was wir zu denken haben“. Sie wehrten sich entschieden gegen ihre linientreuen Lehrer und führten Flugblattaktionen durch, ähnlich wie seinerzeit schon die Geschwister Scholl in der Universität München gegen das Hitler-Regime, die 1943 zum Tode verurteilt wurden. Auch unter den l952 hingerichteten aus Werder befand sich ein Geschwisterpaar: Johanna und Karlheinz Kuhfuß, deren Vater sich aus Gram erhängte, während ihre Mutter in Depression versank. Ich war bemüht, meine Schüler im Geiste der deutschen Klassik zu erziehen, indem ich ihnen den Ideengehalt in den Werken Lessings, Herders, Schillers, Goethes und der Ethik Immanuel Kants nahe brachte. Begriffe wie Humanität, Toleranz, Selbstverwirklichung und die Bedeutung einer nützlichen Tätigkeit bzw. schöpferischen Tat, soziale Gesinnung, die Harmonie aller Körper- und Geisteskräfte, den Einklang von Pflicht und Trieb, das Erkennen der Gesetzmäßigkeit unserer Welt, das Bewußtsein für Schönheit und Nützlichkeit und die Fähigkeit, sich in einer klaren, natürlichen, wirklichkeitsnahen Sprache mit Beschränkung auf das Wesentliche auszudrücken. Die Bedeutung dieser Werte wollte ich ihnen bewußt machen und so eine Anleitung für ihr Denken und Handeln mit auf den Weg geben. Es ging mir um die ästhetische Erziehung der jungen Generation, und wer bereit, aufgeschlossen und reif genug war, diese besten Überlieferungen unserer Geistesgeschichte, die mit der Geschichte Jenas so eng verbunden sind, in sich aufzunehmen, mußte in ihrem Sinne charakterlich geprägt werden.2 2 Da ich mich physisch und psychisch den Anforderungen des Schuldienstes nicht mehr gewachsen fühlte, zumal ich 1943 in der Sowjetunion eine schwere Ver-

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IV. Ich nehme an, daß meine Bemühungen auf meinen Schüler Bodo Gemper offenbar nicht ohne Einfluß und Wirkung geblieben sein müssen, denn er hat in zeitlichen Abständen, nicht nachlassend und auch trotz staatlicher Trennung bis 1990 den zunächst schriftlichen, dann auch persönlichen Kontakt mit mir gesucht, der inzwischen den Charakter einer freundschaftlichen Verbundenheit angenommen hat. Vielleicht regte ihn der damalige Unterricht dazu an – was ich besonders hervorheben möchte, weil es auch von seiner Verbundenheit mit der Heimat und von seinen vielseitigen Bedürfnissen und Interessen zeugt –, 1986 die bei Jena gelegene Traditionsstätte deutscher Töpferei aufzusuchen, die ihren guten Ruf bis in die Gegenwart bewahren konnte: „Die Einfachheit seiner Formen“, so schreibt Gemper u. a. im „Jenaer Heimatbrief“ vom Juli 1986, „die Schönheit seiner Glasuren und die Klarheit seiner Konzeption, das sind die kennzeichnenden Elemente der Arbeiten des Töpfermeisters Walter Gebauer. Die Beschäftigung mit dem Werkstoff Ton entfaltet sich in seinen Händen zur Metamorphose von Tonmasse zu Kunstformen.“ Seine Ausführungen haben mich damals so beeindruckt, daß ich ihn dankend antwortete: „Es freut mich, daß Sie ungeachtet Ihrer – beruflich bedingten – wirtschaftswissenschaftlichen Primärinteressen auch für den ästhetischen Aspekt dieses Themas soviel feinsinniges Gespür zeigen, den künstlerischen Kriterien gerecht zu werden vermögen. Dadurch haben Sie Ihren Aufsatz vor Einseitigkeit bewahrt und ihn vollwertig abgerundet, handelt es sich doch bei der Töpferei um ein Kunsthandwerk, was Sie deutlich genug herausstellen. Gefreut habe ich mich auch über die Nebenbemerkung, mit der Sie sich wohlwollend der Adolf-Reichwein-Oberschule erinnern als einen der ‚Ursprünge‘, aus denen Sie Ihren Werdegang herleiten und den Sie zu schätzen wissen, wenn Sie in Ihrem Beitrag noch schreiben: ‚Die Adolf-ReichweinOberschule sehe ich gerne. Was gab es doch einst für gute Lehrerinnen und Lehrer. Noch heute zehre ich von ihrem Wissen, das sie vermittelten‘. Es zeigt, daß Sie diese ‚Ehrfurcht‘ vor Hochmut und Einbildung bewahrt hat.“ Diese enge Bindung an seine Vaterstadt und ihre Umgebung ist für Bodo Gemper bis heute ein Kraftquell geblieben – wenngleich er sich dankbar bewußt ist, seit Jahrzehnten ein zweites, starkes Standbein im Siegerland wundung erlitten hatte, mußte ich nach zwei Jahren diese Tätigkeit als Lehrer aufgeben und fand zunächst freiberufliche Beschäftigung als Mitarbeiter an einem Berliner Verlag.

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gefunden zu haben – und hat ihn z. B. auch dazu inspiriert, zehn Jahre nach der erlangten Wiedervereinigung Deutschlands zwei Schülerbegegnungen zwischen Gymnasiasten der Abiturklassen aus dem Grundkurs Wirtschaft und Recht des Adolf-Reichwein-Gymnasiums und aus dem Leistungskurs Sozialwissenschaften des Gymnasiums Wilnsdorf im Siegerland zu organisieren. Einer seiner ausführlichen Begründungen für seine Initiative lautet: „Jena bot sich für mich dazu besonders an, hatte ich doch an der Adolf-Reichwein-Schule im Jahre 1955 das Abitur abgelegt und an dieser Oberschule wirklich sehr viel gelernt, obwohl ich seinerzeit wahrlich kein Fleißbolzen war. Bei den Herren Dr. Johannes Mittenzwei und Dr. Hugo Schlensog mit ihrer Erziehung zu freiheitlichem Denken im Geiste deutscher Klassik beispielsweise.“3

V. Es scheint, als würde Gempers Bekenntnis zu seiner Jenaer Oberschule die Bedeutung eines pädagogischen Leitmotivs in seinem Leben haben. Als ein Beweis für seine Verbundenheit mit Jena, wo seine aufsteigende Lebensbahn mit dem für seine Zukunft entscheidenden Schulbesuch begann, kann die Tatsache gewertet werden, daß er wohl der intensivste und treueste Autor des „Jenaer Heimatbriefs“ ist. Diese regelmäßige Rückkehr und Anlehnung an den Ausgangsort seiner Biographie hat aber nie zu einer provinziellen Enge seines Weltbildes geführt. Im Gegenteil, die Besinnung auf den Ursprung war für ihn stets ein „Antäus“-Erlebnis: Wie diese Gestalt aus der griechischen Mythologie, der jedes Mal neue Kraft zuteil wurde, wenn sie ihre Mutter, die Erde, berührte, empfand auch Bodo Gemper das Wunder heimatlicher Stärkung, so bald er den Boden seiner Kindheit und Jugendzeit betrat. Statt kleinbürgerlicher Gesinnung vermochte er seine charakterlichen Anlagen und Geisteskräfte so zu entfalten, daß er über die Perspektive des engen Saaletales bald hinauswuchs und als ein Weltbürger kosmopolitische Gesinnung entfaltete, indem er als Wissenschaftler mit Gastprofessuren und Vorträgen rund um den Erdball reiste. Seine Gesinnung als Jenaer Schüler und danach als Student in Leipzig, die sich in Jena als eine kritische Einstellung zu den damals herrschenden politischen Verhältnissen herauszubilden begann, entspricht demselben Geist, der 1989 zu einer Massenbewegung wurde, die mit den „Montagsdemonstrationen“ in Leipzig anfing und schließlich die Berliner Mauer, Symbol der erzwungenen Zweiteilung Deutschlands, zum Einsturz brachte. Diese Entwicklung nahm er für sich selbst vorweg, als er 1959 die DDR 3

Zitiert nach: „Jenaer Heimatbrief“, Juni 2001, 80. Ausgabe, S. 68/69.

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als Zeichen seines Protestes gegen ein System verließ, das ihn weltanschaulich in die Denkrichtung des Marxismus-Leninismus nach sowjetischem Vorbild zwingen wollte und das sein unbändig aufbegehrender Freiheitswille nicht mehr zu ertragen vermochte. Einem solchen Staat konnte und wollte er nicht dienen. Er wußte, daß er sich als Persönlichkeit nur in einer demokratischen Gesellschaftsordnung würde entfalten können.

Laudatio anlässlich der Verabschiedung von Univ.-Prof. Dr. Bodo Gemper Von Jan Franke-Viebach1 Wir sind an dem Tag zusammengekommen, an dem es Ihnen kraft Gesetzes vorgeschrieben ist, aus dem Zyklus regelmäßiger Lehrverpflichtungen herauszutreten. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, einen Blick auf Ihr Leben und Wirken zu werfen. Bevor ich das mache, möchte ich Ihnen aber ganz herzlich zum 65. Geburtstag gratulieren, den Sie auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos feiern konnten. Meine Laudatio soll sich nicht in einer Verlesung persönlicher Daten und wissenschaftlicher Veröffentlichungen erschöpfen; vielmehr möchte ich versuchen, den Lebensweg eines Kollegen nachzuzeichnen, der von Anbeginn dabei ist, die Konzeption der Gesamthochschule als einer Universität neuen Typs in Nordrhein-Westfalen zu verwirklichen, einer Universität, die konzeptionell sowohl auf Praxisorientierung als auch auf gelebte Interdisziplinarität setzt. Dabei will ich einleitend auch versuchen herauszuarbeiten, welche Bezüge Ihr Wirken als Hochschullehrer zu Ihrem Lebenslauf hatte. Dem Brauch folgend, den Lebenshintergrund und -ablauf ein wenig zu beleuchten, darf ich nun beginnen mit der Zeit Ihrer

I. Kindheit, Jugend und Schule (1936 – 1955) Sie werden am 30. Januar 1936 in Jena geboren. Schon von diesem historischen Datum lässt sich auf einen nicht politikfernen Lebensweg schließen. Denn mit Hitlers Machtergreifung drei Jahre zuvor wurde jeder in eine sich entwickelnde Diktatur hineingeboren. Aus meinen Gesprächen mit Ihnen im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften konnte ich erfahren, dass Sie in politischen Bezügen denken, basierend auf Prägungen, die Sie im Laufe Ihres Lebens erfahren haben. Und 1 Am 8. Februar 2001 wurde Professor Dr. Gemper durch den Prodekan des Fachbereiches Wirtschaftswissenschaften der Universität Siegen, Professor Dr. Gero Hoch, in den Ruhestand verabschiedet. Aus diesem Anlass hielt Professor Dr. Franke-Viebach die Laudatio. Mit Zustimmung von Professor Franke-Viebach wird seine Laudatio in leicht gekürzter Fassung wiedergegeben.

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das, obwohl Sie aus einem eher „unpolitischen“ Elternhause stammen; denn Ihr Vater war Bankkaufmann, der seine lebensentscheidenden Berufsjahre in der Schweiz erlebte. Als Einzelkind erfuhren Sie eine straffe Erziehung. Dabei lebte Ihnen der Vater den Wert politischer und beruflicher Unabhängigkeit vor, er sorgte auch dafür, dass Sie weder als Pimpf in die Hitlerjugend noch als Träger eines Blauhemds in die FDJ der DDR gerieten. Auf der anderen Seite war die Mutter stärker auf die Vermittlung guter Sitten sowie auf erträgliche Schulnoten, aber auch auf einen Start in ein akademisches Berufsleben bedacht. Einige Schlüsselerlebnisse in der Jugend dominieren Ihre Erinnerungen, so dass sie auch Ihr Denken erkennbar bestimmen: An einem warmen Frühsommertage des Jahres 1939 in Jena prophezeite der Vater während eines Spazierganges einem befreundeten Amerikaner: „Hitler bedeutet den Krieg!“ Einen Monat später hatte dieser Amerikaner, Mr. Wackwitz, Deutschland verlassen, und zwei Monate später rückte Hitlers Wehrmacht in Polen ein. An das im Dritten Reich politisch gefährliche Abhören des britischen Senders BBC London in Ihrem Elternhaus erinnern Sie sich noch genau. Nach der Befreiung Thüringens durch die Amerikaner im April 1945 folgte ein politisierender Schock, nämlich die Besetzung Thüringens durch die Sowjetarmee. Dieser Schlag war gerade für Ihre Familie um so spürbarer, als die Sowjets versuchten, sowjetische Verhältnisse in ihrer Besatzungszone einzuführen und dabei auch Teile des Vermögens des Vaters und Onkels in Jena zu enteignen. Allein die von Ihren Eltern während des Krieges stillschweigend gewährte materielle Hilfe an politisch Verfolgte und Zwangsarbeiter aus der Ukraine, die im Dritten Reiche bei Strafe verboten war, konnten die beabsichtigte Enteignung mit Hilfe eines sehr guten Rechtsanwaltes verhindern. Damit aber hatten Sie die Behandlung des Privateigentums in einem sozialistischen Regime durch eigene Anschauung kennengelernt. Im März 1953 eröffnete ihnen Ihr Deutsch- und Englischlehrer, Herr Dr. Johannes Mittenzwei, zu dem Sie heute noch freundschaftliche Kontakte pflegen: „Mein lieber Gemper, dieses Regime hat keinen Bestand“. Und in der Tat, der 17. Juni des gleichen Jahres hätte durchaus das Ende der DDR bringen können. Dieser Aufstand, an dem Sie sich zusammen mit Klassenkameraden rege beteiligten, wurde bekanntlich von der Sowjetarmee niedergeschlagen. Dabei wurde Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes „schussartig“ klar, dass der sog. Wettkampf der Systeme erstens nur friedlich und zweitens nur zugunsten der freiheitlichen Gesellschaftsordnung ausgehen konnte.

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Eine Reise mit den Eltern im Jahre 1954 nach Westdeutschland und in die Schweiz bestätigte durch eigenen Augenschein, dass das im Osten geschürte Feindbild gegenüber dem Westen wie auch die angebliche Ausbeutung der Werktätigen im Kapitalismus nur Propaganda war: Einem einfachen Arbeiter oder Angestellten, das konnte man unschwer feststellen, ging es im Westen besser als selbst einem regimetreuen Professor im Osten. Ein weiteres unvergessliches Erlebnis folgte ein Jahr später, als die Direktorin der Adolf-Reichwein-Oberschule, Frau Edith Pelzer-Haun, Sie zu sich bat und fragte, wie es um die Bereitschaft stehe, der FDJ beizutreten; Sie seien der einzige Schüler der Klasse, der das gewünschte geschlossene Bild des sozialistischen Klassenkollektivs störe. Trotz der Furcht vor den möglichen Konsequenzen, nämlich kurz vor der Prüfung disqualifiziert zu werden, lautete Ihre Antwort: „Frau Direktor, das Abitur ist eine Leistungsprüfung, kein politisches Bekenntnis“. Und das sechs Wochen vor dem Abitur! Doch es ging noch einmal gut. Das war im Sommer 1955.

II. Studium „drüben und hüben“ (1955–1965) Beim schwierigen Zugang zum Studium in der DDR deutete sich dann noch deutlicher an, dass Sie, ein praktizierender Individualist, sich in kein Kollektiv, erst recht in kein sozialistisches einordnen wollten. Der Studienwunsch in der Fachrichtung Anglistik wurde mit der folgenden Begründung versagt: „Auf Grund der besonderen Zulassungsrichtlinien, die für das Studium bestehen und denen zufolge sowohl an das fachliche Leistungsvermögen als auch an die gesellschaftliche Einsatzbereitschaft und -fähigkeit außerordentlich hohe Anforderungen gestellt werden, . . . sah sich die Zulassungskommission veranlasst, solchen Bewerbern vor Ihnen den Vorzug zu geben, . . . die bessere Voraussetzungen für dieses Studium mitbrachten als Sie“. Sie versuchten dann über den Umweg Evangelische Theologie und damit über die Alten Sprachen das Studienziel anzusteuern. Auch das ließ sich nicht verwirklichen, obwohl Sie sich um die Hilfe eines Schulkameraden Ihres Vaters, des Thüringischen Landesbischofs Moritz Mitzenheim bemühten. Sie mussten erstaunt feststellen, dass die Ev.-Lutherische Landeskirche in Thüringen sich bereits Mitte der Fünfziger Jahre deutlich regimefreundlich gab. Schließlich kam die Wende zur Wirtschaftwissenschaft, nachdem die Mutter das Heft in die Hände genommen hatte. Sie war nämlich – sogar ohne Ihr Wissen – nach Leipzig gereist, um Sie an der dortigen Universität unterzubringen. Sie tat dies in der Hoffnung, ihres Sohnes Drängen, in den Westen „abzuhauen“, wie das damals hieß, zu neutralisieren.

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Wenn auch nicht im Fach Englisch, so erreichte sie doch eine Immatrikulation an der Karl-Marx-Universität Leipzig in der Fachrichtung „Arbeitsökonomik“. Die Frage, ob der Sohn in der FDJ sei, hatte die Mutter dabei ohne zu zögern bejaht und ihren Sohn nach ihrer Vorsprache im Prorektorat unverzüglich ein Stockwerk tiefer bei der FDJ angemeldet. Drei Jahre konnten Sie sich in dieser Fakultät halten. In politischer Hinsicht erwies sich eine wiederholt gestellte Frage als so störend, dass Sie schließlich ein Disziplinarverfahren durchstehen mussten. Die Frage lautete: „Wie lässt sich eine ‚Diktatur des Proletariates‘ – als die sich die politische Klasse der DDR offiziell verstand – mit einer ‚Volksdemokratie‘, also mit einer Volksherrschaft, welche die DDR auch zu sein vorgab, vereinbaren“? Das Disziplinarverfahren endete mit dem Spruch: „Bewährung in der Produktion vom 20.11.1958–31.5.1959. Wiederaufnahme des Studiums im 3. Studienjahr“. Als die Stasi lange Ohren bekam – Sie hatten auch Vorlesungen bei dem Philosophen Ernst Bloch besucht –, war es 1959 höchste Zeit, über WestBerlin in die Bundesrepublik Deutschland „abzuhauen“. An der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main wurden Ihre Zweifel, dass neben einer auf dem Prinzip der Freiheit wurzelnden marktwirtschaftlichen Ordnung auch eine auf der Diktatur des Proletariats basierende planwirtschaftliche Ordnung in Deutschland einen legitimen Platz haben könnte, nun auch wissenschaftlich erhärtet. Denn die Lehre von Franz Böhm, einem Mitstreiter Ludwig Erhards, einem zudem prominenten Vertreter der Freiburger Schule ordoliberalen Denkens, den die Nazis aus Jena verdrängt hatten, begründete Ihre endgültige Hinwendung zum freiheitlichen Ordnungsbild in Gesellschaft und Wirtschaft. Daneben faszinierten Sie vor allem Lehrveranstaltungen des Finanzwissenschaftlers Fritz Neumark, so dass Sie sich von nun an der Finanzwissenschaft und der Ordnungspolitik zuwandten. Das ist bis zum heutigen Tage so geblieben. In dieser Zeit entfaltete sich bereits in Frankfurt am Main Ihre besondere Neigung, wissenschaftliche Veranstaltungen zu organisieren, auf denen Sie herausragende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik zusammenführten. Einer der Ersten war der Politologe Wolfgang Leonhard, der bereits im Jahre 1950 mit dem DDR-Regime gebrochen hatte. Sie waren in jener Zeit Referent für Staatsbürgerliche Bildung und Kultur im AStA der Universität Frankfurt am Main und hatten ihn 1960 zu einem Vortrag gewinnen können. Leonhards Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ begründete eine Prominenz dieses Publizisten, der, er ist inzwischen achtzigjährig, auch gegenwärtig noch große Säle füllt. Sie verhielten sich anders als die meisten Studenten damals wie heute. Sie wechselten noch einmal Ihre Alma mater, gingen nach Würzburg und

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dann in die Schweiz. Dort mussten Sie Gelegenheitsarbeit annehmen, um sich finanziell über Wasser zu halten. 1965 legten Sie dann auch in Bern Ihr Lizenziat ab. Das Thema der sich anschließenden Dissertation nahmen Sie mit nach Deutschland zurück.

III. Außeruniversitäre Berufstätigkeit und berufsbegleitende Dissertation (1965–1972) Nach einer kurzen Tätigkeit in einem Einzelhandelsverband 1966 in Köln zieht es Sie 1966 in das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der Gewerkschaften, zunächst in Köln, dann in Düsseldorf. Sie erwerben insbesondere sozial- und lohnpolitische Kenntnisse. Es folgte die Tätigkeit beim Institut für „Finanzen und Steuern“ in Bonn. Damit haben Sie beide Seiten des Denkens der Sozialpartner aus nächster Nähe kennen gelernt. Für die Schulung Ihres ordnungspolitischen Beurteilungsvermögens waren es entscheidende Stationen Ihres Berufslebens. Bis heute haben Sie stets die Notwendigkeit betont, die Soziale Marktwirtschaft als – durchaus spannungsvolles – Nebeneinander von Leistungswettbewerb – mit entsprechender Einkommensdifferenzierung – und sozialem Ausgleich zu verstehen. In jüngster Zeit haben Sie das in der Zeitschrift „Diagonal“ unserer Hochschule noch einmal zum Ausdruck gebracht. In Ihrem Beitrag „Sozioökonomischer Aufbruch in ein neues Jahrtausend – Sozial gesehen“ schreiben Sie: „Nur wer sich im Wettbewerb bewährt und gleichzeitig seiner sozialen Verantwortung gerecht wird, ist für den Aufbruch in das neue Jahrtausend gerüstet.“ Aber lassen Sie uns ins Jahr 1970 zurückkehren. Die Dissertation hat inzwischen Gestalt gewonnen, die Promotion zum Doktor rer. pol. an der Universität Bern erfolgt 1970. Das Thema der Dissertation spiegelt Ihre finanzwissenschaftlichen Interessen wieder, wie sie Anfang der 60er Jahre – ich habe das erwähnt – durch Fritz Neumark in Frankfurt geweckt wurden. Es lautet: „Die Vermögensteuer im Rahmen der modernen allgemeinen Einkommensteuer. Eine steuerwirtschaftliche Betrachtung als Beitrag zur Gesamtsteuerreform“. Der Untertitel verdeutlicht Ihren Hang zur Verbindung von Wissenschaft und Praxis, und das heißt für Sie vor allem: den Hang zur Verbindung von Volkswirtschaftslehre und Politik. Diese Verbindung von Ökonomie und Politik wurde dann auch kennzeichnend für Ihre Tätigkeit als Hochschullehrer.

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IV. Wirken als Hochschullehrer (1972–2001) Dies gilt zunächst für die Lehre, die Anleitung und Führung der Studierenden. Die politische, genauer die ordnungspolitische Herangehensweise im Sinne Walter Euckens, Franz Böhms und Ludwig Erhards schlägt sich in allen Lehrveranstaltungen nieder. Von ihr zeugt auch – der Titel sagt es – Ihr Lehrbuch „Wirtschaftspolitik. Ordnungspolitische Grundlagen“ aus dem Jahre 1994. Darüber hinaus schlägt sie sich nieder in Ihrer Neigung, die Studierenden in Exkursionen dahin zu führen, wo Politik gemacht wird, aber auch dorthin, wo produziert wird, wo Dienstleistungen erbracht werden. Hier erwähne ich nur die wichtigsten Anlaufstellen, die Sie mit Ihren Studierenden besucht haben: Es sind die Deutsche Bank und die Frankfurter Börse, der Internationale Flughafen Frankfurt am Main, die Schottwerke in Mainz, die Edelsteinmanufakturen in Idar-Oberstein. Und es sind die regelmäßigen Exkursionen zur Deutschen Bundesbank und zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. Seit 1993 pflegen Sie auch freundschaftliche Beziehungen zur Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation, früher in Waldbröl, jetzt in Strausberg stationiert. Bereits sieben Mal haben Sie von dort Einladungen erhalten und angenommen, um mit Studierenden sicherheits- und ordnungspolitisches Argumentationstraining zu betreiben sowie sich in der Kunst der Rhetorik zu üben. Ein derartiges Training konnte auch im Medienzentrum unserer Hochschule unter sehr engagiertem Einsatz seines Leiters, Herrn Dr. Hartmut Simon, und bei großzügiger personeller und finanzieller Unterstützung durch die Ludwig-Erhard-Stiftung absolviert werden. Ich möchte auch die heimischen Institutionen erwähnen und mich im Namen unseres Fachbereiches sehr herzlich bedanken. Sie haben den Studierenden regelmäßig ihre Gastfreundschaft angeboten, wann immer von Herrn Gemper der Wunsch an sie herangetragen wurde, ihre Tore für Kompaktseminare zu öffnen. Diese Seminare hatten zum Ziele, einen wirklich praxisorientierten Gedankenaustausch zu führen. Dieser besondere Dank richtet sich an die Siegerländer Unternehmerschaft, den Verband der Siegerländer Metallindustriellen und an das Arbeitsamt Siegen ebenso wie an die Gemeinde Wilnsdorf. Um à jour zu bleiben haben Sie die Möglichkeit zu vorlesungsfreien Praxis- und Forschungssemestern regelmäßig genutzt. Erwähnt seien die Tätigkeit im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank in der Kapitalmarktabteilung im Winterhalbjahr 1978/79 in Bern sowie beim Vorstand der Deutschen Bank AG im Sommerhalbjahr 1984 in Frankfurt am Main.

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Außerhalb unseres Fachbereiches haben Sie sich engagiert, um die Botschaft der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards, die negativen Erfahrungen der Teilung Deutschlands und die Folgen repressiven Umgangs mit Menschen im „real existierenden Sozialismus“ aus eigener Anschauung überzeugend zu erklären. Auch das Konzept der Universität als Gesamthochschule haben Sie nach außen vertreten. 161 Vorträge rund um den Erdball mit Schwerpunkten in den USA und in Südafrika zeugen von dieser missionarischen Arbeit. Dabei kam Ihnen zugute, dass Ihr weltoffenes und unabhängiges Denken Ihnen regelmäßig Einladungen zu Gastprofessuren einbrachten. Fünf Mal nahmen Sie Gastprofessuren an der Portland – State – University in Oregon sowie sechs Mal an der Universität Pretoria wahr. Dabei können Sie in Ihren Vorträgen auf die Erträge Ihrer Forschungen zurückgreifen, die sich – bisher – in zwei Monographien und mehr als 100 Aufsätzen niedergeschlagen haben. Ihre bevorzugten Arbeitsgebiete sind neben der bereits erwähnten Finanzwissenschaft Fragen der Stabilitätspolitik im internationalen Vergleich; ich erwähne hier nur Ihre Beiträge zur Europäischen Vereinigung, nicht zuletzt zur Währungsunion. Sodann befassen Sie sich – herkommend von den geistigen Ursprüngen Ihrer Heimatstadt Jena – mit Fragen der Wirtschaftsordnung. Ich nenne hier die Rolle der Industriepolitik in der Marktwirtschaft und den internationalen Vergleich der Wirtschafts- und Sozialordnungen der Schweiz, Südafrikas, der USA und Deutschlands. Ein ganz besonderes Markenzeichen Ihrer langen Jahre als Hochschullehrer waren die wirtschaftspolitischen Tagungen mit namhaften Referenten, die sich an ein breites, insbesondere außeruniversitäres Publikum richteten. Die größte und in ihrer ordnungspolitischen Wirkung wohl nachhaltigste öffentliche Veranstaltung war die des Jahre 1972: Im Oktober jenes Jahres, als Sie gerade nach Siegen gekommen waren, hatten Sie keine Geringeren als den Bankier Hermann J. Abs, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Ernst Benda, den Bundesminister für Wirtschaft, Ludwig Erhard, den Systemforscher und Statistiker Bruno Gleitze, die prominenten Gelehrten Wilhelm Hankel und Alfred Müller-Armack wie auch den Ministerialdirektor aus Erhards Haus, Otto Schlecht, in der Evangelischen Akademie Loccum zusammengeführt, um nach 25 Jahren Sozialer Marktwirtschaft eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Ergebnisband dieser von Ihnen wissenschaftlich allein ausgerichteten viertägigen Loccumer Tagung liest sich wie ein „Wer ist wer?“ Deutscher Ordnungspolitik jener Tage. Nach vier Loccumer Tagungen gestalteten Sie dann zusammen mit dem Dominikanerpater Professor Dr. Edgar Nawroth O. P. im Dominikanerkloster St. Albert zu Walberberg, zwischen Bonn und Köln gelegen, die Wal-

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berberger System-Symposien Gesellschaft und Wirtschaft, bisher siebzehn an der Zahl. Doch sehr bald legen Sie Ihren Schwerpunkt staatsbürgerlicher Interessen und ordnungspolitischer Aktivitäten ins Siegerland. Ich erwähne zunächst die zehn Kolloquien „Hochschule und Gemeinde“, die Sie zwischen 1988 und 1998 zusammen mit dem Wilnsdorfer Gemeindedirektor Karl Schmidt verwirklichen. Im Jahre 1998 begründen Sie dann die Franz-Böhm-Kollegs. Diese Kollegs sind Ausdruck des Bemühens – ohne parteipolitische Färbung – in freimütigem Gedankenaustausch über Zeitfragen mit Zukunftswirkung nachzudenken und zu konstruktiv-kritischem Engagement im Dienste unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung anzuregen. In nur drei Jahren haben nicht nur bereits sieben Kollegs stattgefunden, sondern sich zu einer nicht nur von den Siegerländer Bürgern viel beachteten und von ihnen angenommenen Veranstaltungsreihe entwickelt. Aber auch in der Hochschule haben Sie sich aktiv darum bemüht, die Lehre nicht nur wirklichkeitsnah, sondern auch weltoffen zu präsentieren. Aus der großen Zahl dieser Aktivitäten erwähne ich nur die bemerkenswertesten: Die Einladungen herausragender Gelehrter und Wirtschaftspraktiker, unter ihnen die Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften, die Professoren Jan Tinbergen im Jahre 1978 und James M. Buchanan, der sogar zweimal Ihrer Einladung folgte. Es bleibt für mich ein Geheimnis, mit welcher Zähigkeit und zupackenden Freundlichkeit Sie die Persönlichkeiten gewinnen, den Weg durch die Vorzimmer finden und die zunächst abwinkenden persönlichen Referenten letztlich doch überzeugen. Das verdient unsere Bewunderung. Was Goethe gelegentlich anmahnte, das haben Sie wahr gemacht: „Man kann unendlich viel tun, wenn man mit Folge arbeitet und der Langeweile flieht.“ Über Ihre Interessen der Gestaltung öffentlicher Veranstaltungen und Auslandsreisen haben Sie aber Ihre Pflicht in der akademischen Selbstverwaltung nicht vernachlässigt: Elf Mal waren Sie Mitglied einer Berufungskommission, einmal davon als ihr Vorsitzender, bis zum Jahr 1999 Mitglied des Promotionsausschusses unseres Fachbereiches seit dessen Gründung, neun Mal Mitglied des Fachbereichsrates sowie einmal Mitglied des Senates unserer Hochschule.

V. Die Zukunft ab 2001 Ich habe meine Ausführungen mit dem Hinweis begonnen, dass Herr Kollege Gemper mit Ablauf dieses Wintersemesters 2000/2001 von seinen Lehrverpflichtungen entbunden wird. Aber damit ersterben natürlich nicht

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seine Interessen als Forscher auf dem Felde der Sozialen Marktwirtschaft und natürlich auch nicht sein Wirken als Publizist und Vortragsreisender. Der Fachbereich hat sich über seine spontan gezeigte Bereitschaft sehr gefreut, auftretende Engpässe im Lehrbetrieb durch Übernahme des einen oder anderen Lehrauftrages weiterhin auszugleichen. Das ist bereits im kommenden Sommersemester der Fall. So bleibt uns Herr Kollege Gemper also weiterhin erhalten. Nahezu drei Jahrzehnte Mitglied eines Lehrkörpers zu sein, das entwickelt auch Bindungen, die nicht per Gesetz gekappt werden können. Nicht nur ein in Arbeit befindliches größeres Manuskript für ein Buch mit ordnungspolitischem Schwerpunkt lässt erwarten, dass wir von ihm wieder etwas lesen werden. Auch für die Franz-Böhm-Kollegs hat er für diese Zeit wieder Konkretes im Blick. Gerade sein ehrenamtliches gesellschaftspolitisches Wirken, wie beispielsweise die Gestaltung der Franz-Böhm-Kollegs und das damit verknüpfte geduldige Fischen im Spendenteich empfindet er als Bringschuld eines Hochschullehrers an die Bürgerschaft unserer Industrie- und Kulturregion, und zwar nicht nur als Dank für die intellektuelle Unabhängigkeit, die ihm die Freiheit in Lehre und Forschung gewährt, sondern auch und gerade als Verbundenheit zum Siegerland. Diese starke Verbundenheit zum oberen Tal der Sieg bewies sich, als er die Chance bekam, schon in der Wendezeit am Aufbau neuer freiheitlicher Strukturen in Thüringen in ehrenvoller Position mitwirken zu dürfen. Obwohl er damit auch wieder in sein elterliches Refugium und zu den Wurzeln seiner Bildung hätte zurückkehren können, entschied er sich, im Siegerland zu bleiben. Seine Nachbarn in Grissenbach haben zu diesem Entschluss nicht unwesentlich beigetragen. Damit wird er seine Idee, sich in Bonn niederzulassen, vorerst nicht mehr verfolgen. Immerhin hätte es dies erlaubt, in unmittelbarer Nähe zu den Stätten des Wirkens Ludwig Erhards zu leben, aber auch seiner Frau Linda aus Oregon ein erweitertes englischsprachiges Umfeld zu bieten. Lieber Herr Gemper, wir freuen uns über die Verbundenheit zum Siegerland und zu unserer Hochschule. Wir bedanken uns für Ihren jahrzehntelangen hervorragenden Einsatz in der Lehre, in der Forschung, in der Selbstverwaltung und vor allem in der vielfältigen Verknüpfung unserer Universität mit dem „Rest der Welt“. Abschließend wünsche ich Ihnen weitere Erträge geistigen Reichtums, erwachsend aus der Verwurzelung in der Siegerlandmentalität, die robuste Natur des Rothaargebirges mit seinem Reizklima im Rücken. Und ich rufe Ihnen und Ihrer Gattin zu, wie es im Siegerland üblich ist: „Glück auf“!

II. Beiträge zur Ordnungspolitik

Freiheit als Handlungsmaxime und Ziel der Wirtschaftsordnung Von Artur Woll

I. Freiheit und Ordnung 1. Zum Begriff Freiheit Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich die Idee der Freiheit weltweit durchgesetzt. Freiheit wird verstanden als das Recht des Menschen, für sich und seine Sphäre selbst zu entscheiden, welche Ziele angestrebt und welche Mittel dafür eingesetzt werden. Kurz gesagt ist mit Freiheit Selbstbestimmung oder personelle Autonomie gemeint. Negativ ausgedrückt bedeutet Freiheit, dass der Einzelne keinem äußeren Zwang unterliegt. Zwang setzt einen willentlichen Eingriff anderer Menschen wie auch des Staates voraus und ist vom Unvermögen zu unterscheiden. Eine Lähmung, die jemandem am Gehen hindert, ist ein Unvermögen und keine Unfreiheit. In beiden Definitionen – Selbstbestimmung und Abwesenheit von Zwang – wird auf das Individuum abgehoben und deshalb auch von individueller oder persönlicher Freiheit gesprochen. Zwischen völliger Freiheit und ihrem Gegensatz, der Unfreiheit, gibt es eine breite Zone von eingeschränkter Freiheit.1 Individuelle Freiheit kann generell nicht unbeschränkt sein, wenn sie allen Menschen gleichermaßen zugestanden werden soll. Eine völlig unbeschränkte Freiheit würde auch Handlungen decken, mit denen ein Individuum in die Freiheit eines anderen eingreift. Eine Gesellschaft, in der die Freiheit eines Individuums dort endet, wo die gleiche Freiheit eines anderen beginnt, sei als freiheitliche Gesellschaft bezeichnet.2 Wenn die Freiheit des Einzelnen schrankenlos ist, spricht man von einer individualistischen Anarchie. Die Aussage, dass in einer freiheitlichen Gesellschaft die Freiheit be1

Zu beiden Freiheitsdefinitionen vgl. Berlin (1995, 197 ff.), zu ihrer Genese Gerken (1998, 175 f.). 2 Rawls (1972, 60 ff.) entwickelt in seiner vieldiskutierten Schrift zwei Prinzipien der Gerechtigkeit: Das erste Prinzip deckt sich mit dem hier gewählten Wesensmerkmal einer freien Gesellschaft („gleiche Freiheitsrechte für alle“). Sein zweites Prinzip erfordert, dass Abweichungen vom ersten Prinzip die gesellschaftlich Benachteiligten begünstigen.

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grenzt sein muss, ist inhaltsleer und bedarf deshalb der Konkretisierung. Eine solche Konkretisierung oder Ausgestaltung im Detail nennt man Ordnung, oft auch soziale Ordnung. Eine Ordnung kann sich von selbst entwickeln (spontane Ordnung) oder auferlegt werden (gesetzte Ordnung). Freiheit und Ordnung stehen in einem Spannungsverhältnis. Jede Ordnung bindet oder schränkt Freiheit ein, was einerseits in einer freiheitlichen Gesellschaft unerlässlich ist, andererseits zur Gefahr für die Freiheit werden kann. Als Maßstab für die Beurteilung konkreter Gesellschaften empfiehlt sich eine Ordnung, in der die Freiheit nur im unbedingt nötigen Umfang eingeschränkt wird.3 Wenige Überlegungen und viele Erfahrungen zeigen, dass die Freiheit für alle Lebensbereiche Bedeutung hat, von Religion, Kunst und Wissenschaft bis hin zu Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Freiheit ist unteilbar. Sie kann nicht auf einzelne Bereiche beschränkt werden, wenn Schwierigkeiten in anderen vermieden werden sollen. Deshalb sind unfreie politische Systeme mit einer freien Wirtschaft unverträglich und dauerhaft labil wie umgekehrt. Dass Freiheit unteilbar ist, beruht darauf, dass das Individuum seine Selbstbestimmung bei allen Handlungen, also in jedem Lebensbereich, zu verwirklichen sucht und als Persönlichkeit eine Einheit bildet. Die Unterscheidung nach Lebensbereichen ist aus praktischen oder wissenschaftlichen Gründen sinnvoll, nicht jedoch vom Handeln der Individuen vorgezeichnet. 2. Zur Wirtschaftsordnung Die folgenden Darlegungen beschränken sich gleichwohl auf den Bereich Wirtschaft in seiner Ausgestaltung als freiheitliches Sozialsystem, das im deutschen Sprachraum als marktwirtschaftliche Ordnung, in angelsächsischen Ländern als Capitalism bezeichnet wird. Für eine solche Ordnung ist kennzeichnend, dass autonome Individuen entscheiden, welche Güter angeboten und nachgefragt werden, wobei der Wettbewerb für die Souveränität der Konsumenten sorgt. Gefahren für die Souveränität der Konsumenten sind wettbewerbsschädliche Produzentenmacht und Staatseingriffe in den Markt. Die marktwirtschaftliche Ordnung ist ein Konzept, von dem die Realität mehr oder weniger abweicht. In Deutschland, aber auch in anderen Ländern vor allem Kontinentaleuropas, befindet sich die marktwirtschaftliche Ordnung seit einigen Jahr3 Ein solcher Maßstab deckt sich mit der Forderung klassischer Liberaler und ihrer Nachfolger, dass der Staat die persönliche Freiheit nur beschränken soll, wenn es zum Schutz der Grundrechte anderer Personen unerlässlich ist. Vgl. z. B. Locke (1690), J. St. Mill (1859) und Hayek (1971).

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zehnten in einer Krise oder zumindest in einem Zustand, der von den angestrebten Zielen erheblich abweicht. Die Krisensymptome sind zahlreich und verschiedenartig. Als Beispiele für die Krise seien genannt: die Aushöhlung der individuellen Freiheit durch eine ausufernde Staatstätigkeit, die vor allem auf eine Einkommensumverteilung zwischen Privaten gerichtet ist und die sich in einer sprunghaften Zunahme des Staatsanteils am Sozialprodukt sowie einer enormen Verdichtung rechtlicher Regulierungen niedergeschlagen hat; die Desorientierung des Individuums durch eine Abkehr von gesellschaftlichen Normen, einem Werte- und Institutionenverfall, in deren Zuge für den gesellschaftlichen Bestand unerlässliche Institutionen in Frage gestellt und bewährte soziale Regeln durch persönliche Beliebigkeit ersetzt werden; eine Beseitigung von wohltätigen Wirkungen des Marktes durch staatlich geduldete oder gestützte Arbeitsmarktkartelle, welche die andauernd hohe Arbeitslosigkeit und die Ausgrenzung der Arbeitslosen zu verantworten haben. Oft wird nicht erkannt, dass diese Krisensymptome eine gemeinsame Ursache haben. Zur gemeinsamen Ursache der Krise darf – trotz Bedenken gegen einfache Formeln – die These gewagt werden: Wirkungsweise und Sinn einer freiheitlichen Ordnung werden nicht mehr hinreichend verstanden.4 Ein wichtiger Grund dafür scheint die zunehmende Komplexität und die daraus folgende Unüberschaubarkeit sozialer Beziehungen. Vor allem das Verhältnis zwischen Individuum und Staat ist gestört und durch eine verbreitete Unsicherheit gekennzeichnet. Ein mangelndes Verständnis für Freiheit und Ordnung lässt sich nicht nur in breiten Bevölkerungsschichten feststellen, sondern auch bei maßgeblichen Akteuren in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, nicht ausgenommen viele Intellektuelle. Darüber kann ein gewisser Konsens zu Einzelfragen nicht hinwegtäuschen. Ohne dieses Verständnisdefizit ließe sich die Krise kaum erklären, zumal partielle Konsense nicht verhindert haben, dass in Sozialsystemen, die Freiheit ausdrücklich voraussetzen und sichern wollen, diese tatsächlich im Wesenskern beschnitten worden ist. Es scheint deshalb geboten, den Sinn von freiheitlichen Ordnungen darzulegen, insbesondere die Bedeutung der Freiheit als Handlungsmaxime und als Ziel. Die Verwirklichung der Freiheit erfordert die Beachtung von bestimmten Grundsätzen. Diese werden als elementare Prinzipien eines freiheitlichen Systems bezeichnet.5 Ein freiheitliches System kann nur dann entstehen und 4 In diesem Sinne vor allem Röpke (1979). Dagegen sind nach Popper (1957) die autoritären Gegner einer freien Gesellschaft für deren Krise verantwortlich. 5 Zu nennen ist hier vor allem Eucken (1952), der für den Entwurf einer Wirtschaftsordnung in seinem posthum erschienen Werk „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ ähnliche, mit der folgenden Darstellung teilweise übereinstimmende Prinzipien entwickelt hat (247 ff.).

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existieren, wenn diese Prinzipien allgemeine Anerkennung und Anwendung finden. Das Gegenteil eines von Prinzipien geleitetem Handeln sind interessengebundene Entscheidungen. Handeln nach Interessen ist nicht zufällig das Kennzeichen der Politik, die zur Beute von organisierten Interessenverbänden geworden ist. Die Sicherung der Freiheit, die „täglich neu erobert werden muss“, ist eine unumgängliche und permanente Aufgabe in der Wirtschaft, weil in der Wirklichkeit diese Prinzipien andauernden Gefahren ausgesetzt sind. Es scheint zweckmäßig, zunächst die Bedeutung der Freiheit für die Wirtschaftsordnung zu klären (II.), bevor auf die Frage eingegangen wird, welchen Rang die Freiheit in der Werteordnung unserer Gesellschaft einnimmt, insbesondere im Vergleich mit der Gleichheit (III.). Ist die Freiheit oberstes Ziel der Wirtschaftsordnung oder nur ein Ziel unter anderen? Ausgeklammert bleiben – soweit möglich – die komplexen Fragen nach der Rolle des Staates in einer freiheitlichen Ordnung, auch wenn deren Beantwortung unerlässlich ist für ein vollständiges Konzept.

II. Elementare Prinzipien eines freiheitlichen Systems 1. Personelle Autonomie Personelle Autonomie ist die Möglichkeit, unabhängig vom äußeren Zwang sein Leben gestalten zu können. Diese, durch die positive Definition der Freiheit umrissene individuelle Selbstbestimmung – auch Individualismus genannt – macht den Wesenskern eines freiheitlichen Systems aus.6 Andere Freiheiten, wie die Meinungsfreiheit oder die Freiheit für Wissenschaft und Kunst, sind ebenso Ausfluss der individuellen Selbstbestimmung – so genannte Spezialfreiheiten – wie die nachfolgend behandelte Verfügungsfreiheit über Güter oder die Vertragsfreiheit. Freiheit besagt nach Aristoteles Selbstursächlichkeit: Frei sei derjenige, der sein Handeln aus sich hervorgehen lasse und es sich als letzte Ursache anlaste. Freie Menschen können mit ihren Handlungen ihren Interessen und Wünschen folgen, können tun, was sie für erstrebenswert halten. Jeder ist Herr seiner selbst, Eigentümer seiner Person. Grenzen des Handelns sind die Rechte anderer und die vor allem für deren Schutz erlassenen Gesetze des Staates oder die herrschende Moral.7 Es ist eine Verzerrung, wenn behauptet wird, die personelle Auto6 J. St. Mill (1859, 226): „The only freedom which deserves the name, is that of pursuing our own good in our own way, so long as we do not attempt to deprive others of theirs, or impede their efforts to obtain it.“ 7 Dies deckt sich in etwa mit der einschlägigen Norm der deutschen Verfassung. Art. 2 Abs. I des Grundgesetzes lautet: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung

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nomie bedeute Egoismus, ein Handeln also, das die eigene Person stets in den Mittelpunkt stellt. Die personelle Autonomie schließt Egoismus nicht aus, ist mit dieser jedoch keineswegs zwangsläufig verbunden. Das Prinzip personelle Autonomie wendet sich vor allem gegen eine Fremdbestimmung – auch als Kollektivismus bezeichnet –, mit der die Interessen anderer zur Richtschnur oder gar zur Pflicht von persönlichen Entscheidungen gemacht werden. Solche Eingriffe von außen werden mit dem Vorrang des Kollektivs vor dem Einzelnen, aber auch mit dem „wohlverstandenen Interesse“ des Einzelnen begründet. Die letztere Begründung impliziert, dass Dritte besser wissen, was dem Einzelnen nützt. Personelle Autonomie als Möglichkeit zur Selbstbestimmung ist nach der philosophischen Begründung die Voraussetzung für die Selbstverwirklichung des Individuums. Selbstverwirklichung bedeutet, dass das Individuum sich frei entfalten und vorhandene Möglichkeiten ausschöpfen kann – im Hinblick auf sein Selbstverständnis und seine Zielorientierung. Nach einem verbreiteten, bis auf die Antike zurückgehenden Menschenbild ist deshalb personelle Autonomie unabdingbar für das wahre Sein und die Würde des Menschen.8 Zur menschlichen Entfaltung, Kreativität und Vervollkommnung sei Freiheit als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung ebenso notwendig wie beim Streben nach dem „wahren Glück“.9 Die philosophische Begründung der personellen Autonomie basiert auf einem bestimmten Menschenbild, das jedoch nur in den von der antiken und christlichen Tradition geprägten Ländern weitgehend unbestritten ist.10Wenn Freiheit gleichwohl weltweit ein gern gebrauchtes Wort ist, so deswegen, weil seine positive Wertschätzung für Sachverhalte in Anspruch genommen wird, die mit dem traditionellen Verständnis von Freiheit nichts zu tun haben.11 Für eine personelle Autonomie sprechen auch empirische Gründe. Dabei kann, anders als in der philosophischen Begründung, auf ethische Normen verzichtet werden. Es scheint für die Argumentation zweckmäßig, vom Gegenteil einer freiheitlichen Gesellschaft auszugehen, von Systemen also, in seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ 8 Dazu empfehlenswert die fundierte Monographie von J. B. Schneewind (1998). 9 In diesem Sinne schreibt Humboldt (1967, 22): „Der wahre Zweck des Menschen . . . ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Voraussetzung.“ 10 Seinen Niederschlag hat dieses Menschenbild im ersten Satz des Grundrechtskatalogs der deutschen Verfassung gefunden (Art. 1 Abs. I Satz 1): „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Diese Würde besteht vornehmlich in der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2). 11 Einen Überblick zum ganz unterschiedlichen Wortgebrauch von Freiheit bietet Oppenheim (1968, 554 ff.).

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denen die personelle Autonomie durch staatliche Eingriffe zumindest für einen Teil der Bevölkerung völlig beseitigt oder wesentlich beeinträchtigt ist. Zu denken wäre an eine Sklaverei, in der eine Gruppe von Menschen keine Rechte hat, oder an eine totale Diktatur, in der eine kleine Schicht von Herrschenden – wie z. B. die zur Nomenklatura zählenden Funktionäre in der früheren Sowjetunion – die Masse des Volkes unterdrückt. In solchen Gesellschaften müssen zwangsläufig Machtmittel eingesetzt, aus ökonomischer Sicht Aufwendungen getroffen werden, um die Unterdrückung der Freiheit durchzusetzen. Es entstehen Unterdrückungskosten. Zudem sind die Unterdrückten nicht motiviert, sich besonders anzustrengen oder gar ihr Bestes zu geben. Es treten negative Anreizeffekte auf. Wegen der Unterdrückungskosten und der Anreizeffekte ist der Wert oder das Niveau des Gemeinwohls in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft – wie immer definiert – niedriger im Vergleich zu Sozialsystemen, in denen die personelle Autonomie vorherrscht. Das lässt sich für die Wirtschaft mit exakten Zahlen belegen, wie periodisch veröffentlichte Untersuchungen dokumentieren:12 Empirisch nachweisbar nimmt die Armut mit der wirtschaftlichen Unfreiheit zu und umgekehrt. Der Vorteil der Freiheit lässt sich nicht nur für die Wirtschaft belegen, sondern auch für die Bereiche Staat und Gesellschaft überzeugend dartun.13 Wenn in Sozialsystemen das Wohl aller Menschen Vorrang haben soll vor dem Interesse von bestimmten, in der Regel mit Macht oder Privilegien ausgestatteten Einzelnen oder Gruppen, ist ein hohes Maß an personeller Autonomie erforderlich. Der Individualismus – in seinem Wesenskern „Möglichkeit zur Selbstbestimmung“ – beansprucht nicht zuletzt, eine Theorie der Gesellschaft zu sein, die erklärt, welche Kräfte das soziale Leben der Menschen bestimmen.14 Die zentrale Behauptung dieser Theorie ist, dass viele soziale Institutionen das Ergebnis menschlichen Handelns, nicht jedoch menschlichen Entwurfs sind. Diese Idee einer spontanen Gesellschaft, die vor allem von den schottischen Aufklärern im 18. Jahrhundert – wie Adam Smith und Adam Ferguson – vertreten wurde,15 basiert auf den sozialen Folgen individuellen Tuns: Soziale Erscheinungen, Institutionen im engeren Sinne und Verhaltensregeln, ließen sich nur erklären, wenn man vom Handeln des Einzelnen ausgehe, das sich an andere Menschen richte und von deren erwartetem Verhalten bestimmt werde. Die Idee der spontanen Gesellschaft ist das Gegenstück zu kollektivistischen und konstruktivistischen Gesellschaftstheorien, die vorgeben, soziale Ganzheiten unmittelbar und unabhängig von 12 13 14 15

Vgl. z. B. B. T. Johnson u. a. (2004). Epstein (1995, 30 ff.). So vor allem F. A. von Hayek (1976, 15). Smith (1976, 456); Ferguson (1966, 187).

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den Individuen verstehen zu können. Der häufig zu vernehmende Vorwurf, der Individualismus gehe von isolierten oder für sich abgeschlossene Individuen aus, verkennt dessen wichtiges Anliegen, die Entstehung von Gesellschaften zu erklären. Spontane Ordnungen, die individuelle Freiheit begrenzen oder einbinden, machen eine staatliche Ordnung nicht überflüssig. 2. Privateigentum Das Recht auf Privateigentum ist Ausfluss des Rechts zur Selbstbestimmung. Ein Recht bedingt das andere. Einerseits verlöre personelle Autonomie ohne Privateigentum seinen Sinn, andererseits Privateigentum ohne selbständige Individuen seine Bedeutung. In einer freiheitlichen Gesellschaft sind personelle Autonomie und Privateigentum zwei Seiten einer Medaille. Vor allem gewährt Privateigentum dem Eigentümer selbst Handlungsfreiheit.16 Durch Ausübung der Eigentumsrechte kann er sein Leben gestalten und die Lage nahe stehender Personen verändern. Für wirtschaftliches Handeln sind Eigentumsrechte ebenso fundamental wie Knappheit der Güter und Rationalität der Entscheidungen. Privateigentum kann den Eigentümer von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten freihalten und damit seinen Bewegungsspielraum erweitern. Das Recht auf Privateigentum darf deshalb in einer Gesellschaft, die frei bleiben will, generell nicht ausgehöhlt oder auf Wenige beschränkt werden, gleichgültig, ob es sich dabei um private Personen mit großer Machtfülle – wie Monopolisten – oder um staatliche Funktionäre handelt.17 Das Privateigentum lässt sich – wie die personelle Autonomie – philosophisch begründen. Für eine freiheitliche Gesellschaft hat dies vor allem John Locke dargelegt: „Obwohl die Erde und alle niederen Lebewesen allen Menschen gemeinsam gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas Eigenes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist. Zumindest nicht dort, wo genug und 16 17

Vgl. auch zum Folgenden: H. Willgerodt (1980, 180). Dies wird auch von Eucken (1952, 275) betont.

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ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt.“18 Privateigentum wird nach Locke also nicht durch andere gewährt, der Einzelne brauche niemanden vor dem Akt der Aneignung um Erlaubnis zu bitten. Insbesondere werde Privateigentum nicht durch den Staat konzessioniert oder zugeteilt. Dem Staat komme die Aufgabe zu, das Privateigentum zu achten und zu sichern. Die Auffassung, dass der Staat die Besitzenden vor der Aggression Minderbemittelter zu schützen habe, wird im Gefolge von Locke zu einem festen Bestandteil der schottischen Aufklärung. In der Tradition dieser Aufklärung steht in Deutschland die Befugnis des Eigentümers nach dem Zivilrecht19 und die Garantie des Eigentums in der Verfassung.20 Andere philosophische Begründungen des Privateigentums knüpfen nicht – wie Locke – an die menschliche Arbeit an. Nach Hugo Grotius geht Privateigentum auf die Teilung bisher gemeinsam benutzter oder auf die Okkupation herrenloser Güter zurück.21 Für David Hume und die Philosophen des deutschen Idealismus entsteht Privateigentum – ebenso wie eine Rechtsordnung – durch Gesetze, die sich eine Gesellschaft gibt.22 Allen philosophischen Begründungen für das Privateigentum ist gemeinsam, dass sie bestimmte moralische Normen voraussetzen. Privateigentum lässt sich indes auch empirisch begründen. Für diese Begründung scheint es zweckmäßig zu unterstellen, in einer Gesellschaft gebe es kein Privateigentum. Die Menschen, die Güter benötigen, um existieren zu können, sind in einer solchen Gesellschaft vollständig von einer zentralen Organisation abhängig, gleichgültig, wie diese im Einzelnen heißen mag. Die Güterproduktion muss zentral erzeugt und nach irgendwelchen Kriterien an die Individuen verteilt werden. Der Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere auch der Arbeitskraft, wird durch zentrale Anweisungen geregelt, so dass für persönliche Entscheidungen kein Raum verbleibt. Alle Erfahrungen mit solchen zentralen Organisationen in kommunistisch regierten Ländern belegen eindeutig, dass das Niveau der Güterversorgung im Vergleich zu freiheitlichen Systemen gering und die Verteilung auf die Individuen durch politische Willkür bestimmt ist. Eine weitgehend akzeptierte Erklärung für 18

Locke (1995, 216). Bürgerliches Gesetzbuch § 903 lautet: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ 20 Grundgesetz Art. 14 Abs. I Satz 1 lautet: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“ Nach herrschender Auffassung schließt Eigentum verfassungsrechtlich nicht nur Sachen ein – wie das bürgerliche Recht –, sondern auch Vermögenswerte. Verbindliches Recht in Deutschland ist auch die Konvention der Menschenrechte des Europarates Art. 1, Satz 1: „Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums.“ 21 Grotius (1950, II.2, 21-5). 22 Hume (1992, 258 ff.). 19

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die generelle Unterlegenheit von zentralgelenkten Organisationen gegenüber freiheitlichen Sozialsystemen bietet von Hayek: Eine zentrale Organisation maße sich ein Wissen an, das sie nicht haben könne und verzichte – anders als freiheitliche Sozialsysteme – auf die Nutzung individueller Kenntnisse.23 Wenn – wie bei der personellen Autonomie – das Wohl aller Menschen Maßstab für das Sozialsystem sein soll, ist die Zulassung von Privateigentum unerlässlich. Es leuchtet auch ohne weiteres ein, dass sich personelle Autonomie und Privateigentum gegenseitig bedingen, das eine ohne das andere nicht existieren kann24. Das Privateigentum ist ein unverzichtbares Element einer freiheitlichen Gesellschaft, in der die Individuen über ihre Ziele und die dafür eingesetzten Mittel selbst entscheiden. Eine generelle Beschränkung erwächst daraus, dass andere Individuen die gleichen Rechte haben. In einer freiheitlichen Gesellschaft kann es deswegen keine allgemeinen Verbote für den privaten Erwerb von bestimmten Gütern geben. Ein solches Verbot postulierte beispielsweise Karl Marx für den Erwerb von Investitionsgütern („Kapital“). Marx bezeichnete deswegen eine Gesellschaft mit privaten Produktionsmitteln als „kapitalistisch“, seine Anhänger sprachen nur noch von „Kapitalismus“.25 Analoge Vorschläge wurden von den „Bodenreformern“ gemacht, die privates Eigentum am Boden durch eine Änderung des geltenden Bodenrechts beseitigen wollen.26 Solche allgemeinen Verbote beschneiden unnötig das Recht auf privates Eigentum, ganz abgesehen davon, dass sich die an diese Verbote geknüpften Erwartungen in der Wirklichkeit keineswegs erfüllt haben. 3. Vertragsfreiheit Die Vertragsfreiheit ist – wie das Privateigentum – eine wichtige Ausformung der personellen Autonomie. Als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit steht sie in Deutschland unter verfassungsrechtlichem Schutz.27 Vertragsfreiheit bedeutet, dass jedermann die Möglichkeit hat, Verträge abzuschließen und ihren Inhalt zu gestalten. Die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Vertragsfreiheit scheint evident: Die personelle Autonomie und das Privateigentum betreffen nur die eigene Person und dessen Güter, die in der Natur gesammelt, durch Okkupation erworben oder durch Arbeit erzeugt worden sind. Die Menschen betrachten jedoch in aller 23 24 25 26 27

Hayek (1996, 3 ff.). Eine ausführliche Begründung dazu bietet J. Narveson (1988, 62 ff.). Woll (1997, 272). Diehl (1924, 935). Vgl. Fn. 7.

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Regel diesen Besitz nicht als Endzustand ihrer Güterversorgung und haben den Wunsch, ihre Lage durch Tausch eines Teils ihrer Güter gegen andere Güter zu verbessern – Güter im weiten, materiellen und immateriellen Sinne verstanden. Ein solcher Tausch mit den Gütern anderer kann direkt geschehen (Naturaltauschwirtschaft) oder indirekt durch Verkauf gegen das Medium Geld, mit dem beliebige Güter gekauft werden können (Geldwirtschaft). Ohne die Möglichkeit eines Gütertausches wäre das Versorgungsniveau aller Individuen niedrig, wie bei Robinson Crusoe, der trotz seiner Entwicklung vom Sammler zum Handwerker nur ein bescheidenes Dasein führen konnte. Ein höherer Lebensstandard erfordert einen Gütertausch zwischen den Individuen. Für hoch entwickelte Länder ist eine funktionierende Geldwirtschaft unerlässlich. Je ausgeprägter die Arbeitsteilung in der Produktion und je umfangreicher der daraus folgende Tausch zwischen den Individuen ist, desto wohlhabender kann die Bevölkerung eines Landes insgesamt sein: Das ist die zentrale Botschaft des wohl wichtigsten Buches der Wirtschaftswissenschaft.28 Die Vertragsfreiheit schafft die Voraussetzung dafür, dass die Versorgung mit Gütern durch Tausch den Wünschen der Individuen entspricht. Das Gemeinwohl, verstanden als die Summe des individuellen Nutzens oder „Glücks“ aller Menschen eines Landes, erreicht ein Maximum. Das Ergebnis eines maximalen Gemeinwohls kann sich jedoch nur einstellen, wenn bei der Ausübung der Vertragsfreiheit Wettbewerb herrscht. Wettbewerb oder Konkurrenz ist ein vielschichtiger Begriff. Für eine ordnungspolitische Analyse scheint es zweckmäßig, unter Wettbewerb ein Streben zu verstehen, an Stelle von Mitbewerbern zum Erfolg zu gelangen.29 Bei Wettbewerb wird meistens an wirtschaftliche Vorgänge gedacht. Tatsächlich kann die ordnungspolitische Bedeutung des Wettbewerbs für eine freie Marktwirtschaft kaum überschätzt werden. Der Ausdruck Wettbewerb lässt sich jedoch ohne weiteres auf staatliche und gesellschaftliche Sachverhalte anwenden, was im allgemeinen Sprachgebrauch auch geschieht. So wird vom Wettbewerb der Kandidaten bei politischen Wahlen oder der Ideen bei gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gesprochen. Warum kann das Gemeinwohl nur dann ein Maximum erreichen, wenn die Ausübung der Vertragsfreiheit im Wettbewerb erfolgt? Wenn die Vertragsfreiheit dazu benutzt wird, die Handlungsfreiheit anderer über das bei Wettbewerb feststellbare Maß hinaus zu beschneiden, vermindert sich zwangsläufig der Wohlstand. Das Ausmaß der Wohlstandserhöhung hängt – mit anderen Worten – davon ab, ob Verträge freiwillig und bei Wettbewerb abgeschlossen 28

Smith (1776). Ähnlich Hayek (1976, 127), der Dr. Johnson zitiert, nach dem „competition“ ein „Akt des Bemühens“ ist, „zu gewinnen, was ein anderer sich zur gleichen Zeit zu gewinnen bemüht.“ 29

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werden. Es geht dabei nicht um Eingriffe, die vom Staat ausgeübt werden, sondern um private Macht, die ein Individuum, eine Gruppe oder eine Institution gegen andere einsetzt. Eine Erhöhung des Wohlstandes durch Tausch setzt Freiwilligkeit der Verträge und Wettbewerb unter Tauschinteressenten voraus. Wenn zwei Individuen sich einig sind, Güter in einem bestimmten Verhältnis zu tauschen, wird der individuelle Nutzen von beiden erhöht. Andernfalls würde ein Tauch unterbleiben. Ein Tausch mit einem anderen Individuum, der bei Wettbewerb möglich wäre, unterbleibt, weil er bestenfalls gleich vorteilhaft sein könnte, so dass unter Wettbewerb die jeweils günstigste Option verwirklicht wird. Was für den einzelnen Tausch gilt, trifft in einem größeren Land täglich für Millionen von freiwilligen Tauschakten zu: Der Wohlstand wird durch Gütertausch erhöht und maximiert, sofern Wettbewerb herrscht. Gütertausch bei Wettbewerb ist kein Nullsummen-, sondern ein Gewinnspiel mit Vorteilen für alle. Wird die Vertragsfreiheit jedoch durch Wettbewerbsbeschränkungen vermindert oder beseitigt, bleibt der Wohlstand hinter dem bei einem unbeschränkten Wettbewerb zurück. Der klassische Fall für eine Wettbewerbsbeschränkung ist ein Monopol, das zum Beispiel durch den Zusammenschluss von Marktteilnehmern zu Kartellen oder durch staatlichen Schutz für einen Produzenten entstehen kann. So wird ein Monopolist für Telekommunikationsdienste bestimmte Preise für seine Güter festsetzen und den Nachfragern nur die Wahl lassen, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Die Folge ist, dass die Preise höher und die getauschte Menge geringer sind als bei Wettbewerb, wie sich bei einer Beseitigung des Monopols auch deutlich zeigt. Bei einem Monopol wird der individuelle Nutzen jedes Nachfragers um die Differenz zwischen Monopolund Wettbewerbspreis für dasselbe Gut verringert, damit auch der Wohlstand eines Landes insgesamt. Das Monopol ist nur ein Beispiel für das generelle Problem, dass die Vertragsfreiheit missbraucht werden kann. Wenn Wettbewerb besteht, sind Individuen, Gruppen oder Institutionen nicht in der Lage, die Vertragsfreiheit anderer einzuschränken. Ordnungspolitisch schützenswert ist nur die Vertragsfreiheit bei Wettbewerb.30 Wegen der Gefahr des Machtmissbrauchs, aber auch aus anderen Gründen empfiehlt es sich, der Vertragsfreiheit bestimmte Grenzen zu setzen. Zur Verhinderung von Machtmissbrauch gibt es – erstens – in vielen Ländern Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen, mit denen in die Vertragsfreiheit eingegriffen wird.31 Für Monopolisten ist – häufig in eigenen Gesetzen – 30

Eucken (1952, 275 ff.). So gibt es in Deutschland seit 1958 ein „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)“. Entsprechende Gesetze in anderen Ländern haben ganz unterschiedliche Bezeichnungen. 31

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darüber hinaus ein Kontrahierungszwang vorgesehen, der sie verpflichtet, an jeden Nachfrager zu verkaufen, z. B. eine Fahrkarte oder eine Briefmarke. Eine zweite Gruppe von Einschränkungen der Vertragsfreiheit sind rechtlich vorgeschriebene Vertragstypen, die vor allem bei Grundstückkäufen und bei Vererbungen vorherrschen. Eine Vertragsfestlegung durch Typenzwang kann durchaus im Interesse der Individuen liegen, wenn man an die Sicherheit und Beweisbarkeit des geschäftlichen Verkehrs denkt.32 Drittens gibt es auch für andere Spezialfreiheiten geltende Einschränkungen, die sich gegen gesetzes- oder sittenwidrige Verträge richten, die rechtlich verfolgt und gesellschaftlich verachtet werden, wie z. B. ein Vertrag, jemanden zu betrügen oder umzubringen. Die grundsätzliche Notwendigkeit, die Vertragsfreiheit in bestimmten Fällen zu beschränken oder zu beseitigen, ist weitgehend unbestritten, die Konkretisierung im Einzelfall jedoch kontrovers. Wenn als Regel gilt, dass mit einer freiheitlichen Ordnung nur unvermeidbare Einschränkungen vereinbar sind, ist der Ermessenspielraum für Eingriffe erheblich kleiner, als bei einem fürsorglichen Staatsverständnis. 4. Eigenverantwortung Die Eigenverantwortung gehört zu den Fundamenten freiheitlicher Sozialsysteme. Unter Selbstverantwortung sei verstanden, dass Individuen die Folgen ihrer Entscheidung zu tragen haben. Eine zu verantwortende Entscheidung kann ein Tun oder ein Unterlassen sein. In der Regel treten Folgen nicht nur für das entscheidende Individuum, sondern auch für andere ein. Durch die Eigenverantwortung werden Entscheidungsfreiheit und Entscheidungsfolgen aneinander gekoppelt. Weil die Entscheidungsfolgen oft ungewiss sind und anders als erwartet eintreten können, wird die Eigenverantwortung meistens als Last oder als Risiko empfunden. Sie ist gleichsam der „Preis“ der Freiheit. Das Einstehen für das eigene Tun oder Unterlassen setzt die Geltung von staatlichen Gesetzen oder gesellschaftlichen Regeln voraus, die dem Einzelnen sagen, was geboten, verboten oder erlaubt ist. Nicht immer, aber häufig werden Verstöße gegen Gesetze oder Regeln geahndet, die das Individuum wegen seiner Freiheit zur Entscheidung zu tragen hat. Eigenverantwortung lässt sich normativ begründen, etwa mit der ethischen Forderung, zur Würde der Person gehöre, für sein Tun und Lassen einzustehen, oder mit dem religiösen Glauben, der Mensch habe sich vor Gott und seinem Gewissen zu verantworten. Als verantwortungsfähig gilt im philosophischen und christlich-theologischen Sinne allein der ein32 Aus solchen Erwägungen hat bereits Adam Smith (1776, 112) eine Rechtsvorschrift angeregt, nach der eine Vertragserfüllung erzwungen werden kann. An anderer Stelle (863) schlägt er vor, für die Rechte an Immobilien und Hypotheken Grundbücher anzulegen, was in vielen Ländern heute eine Selbstverständlichkeit ist.

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zelne Mensch und nicht irgendein Kollektiv. Eine empirisch-pragmatische Begründung für Eigenverantwortung ergibt sich aus der Natur freiheitlicher Gesellschaften, deren Ziel es ist, den Einfluss des Staates auf ein unerlässliches Minimum zu beschränken. Weil völlig unbeschränktes Handeln leicht in die Anarchie führt, müssen der persönlichen Autonomie in einer freiheitlichen Gesellschaft Grenzen gesetzt werden. Eine Möglichkeit dazu sind staatliche Gesetze und gesellschaftliche Regeln, mit denen bei Verstößen eingegriffen wird. Eine Alternative dazu ist die Eigenverantwortung, die Entartungen oder Missbräuche der Freiheit verhindert:33 Die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wird – wie alle Erfahrungen zeigen – gewissenhaft wahrgenommen, wenn die Konsequenzen der Entscheidung für die eigene Person und andere, für die man Verantwortung trägt, bedacht werden müssen. Die Eigenverantwortung hat dieselbe präventive Sanktionswirkung, wie staatliche Gesetze oder gesellschaftliche Regeln. Diese Wirkung ist nicht ohne weiteres sichtbar. Erst wenn der Zusammenhang von Entscheidungsfreiheit und -folgen aufgegeben wird, lässt sich feststellen, dass von der personellen Autonomie, der kein oder kaum ein Risiko anhaftet, weniger sorgfältig Gebrauch gemacht wird. Soweit die Eigenverantwortung außerstande ist, die Freiheit zu zügeln, lassen sich Eingriffe von außen nicht vermeiden. Das Einstehen für eigene Entscheidungen ist in einem erheblichen Maße die Alternative zu Staatseingriffen. Die ordnende, systemerhaltende Funktion der Eigenverantwortung wird untergraben, wenn das Individuum vor unangenehmen Entscheidungsfolgen bewahrt wird, die – einmal entstanden – anderen, in der Regel der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Eine Privatisierung von Vorteilen und eine Sozialisierung von Verlusten widerspricht elementaren Anforderungen einer freiheitlichen Gesellschaft. Diese lässt sich nur bewahren, wenn als Regel gilt, dass die Verteilung der Risiken nicht durch Eingriffe des Staates grundlegend geändert wird. Diese Regel der Risikoanlastung, die Koppelung von Entscheidungsfreiheit und Entscheidungsfolgen, erfordert in bestimmten Fällen eine Auflockerung oder Durchbrechung. Erstens ist an Entscheidungen zu denken, die mit einem großen Risiko behaftet sind, wie z. B. die Kraftfahrzeughaltung. Die Kosten eines Unfalls können so hoch sein, dass sie die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Einzelnen überschreiten. Die Folge wäre, dass ein Geschädigter den erlittenen Personen- und Sachschaden nicht ersetzt bekäme. Wozu der Einzelne außerstande ist, können alle Fahrzeughalter, die eine Haftungsgemeinschaft bilden, gleichwohl in der Lage sein. Da nicht alle Fahrzeughalter bereit sein werden, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, ist eine staatliche Vorschrift zum Abschluss einer privaten Ver33

Woll (1991, 7 f.).

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sicherung in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht nur ordnungskonform, sondern geboten, um die Menschen vor den Kraftfahrzeugbesitzern wirtschaftlich zu schützen. Da andererseits jeder staatliche Eingriff die personelle Autonomie beschneidet – wie hier die Vertragsfreiheit –, lassen sich staatlich angeordnete Haftpflichtversicherungen nicht generell begründen. Risiken, die der Einzelne selbst tragen und gegen die er sich auch versichern kann, z. B. das Risiko einer Erkrankung, sollten nicht anderen angelastet werden, bedürfen also keiner staatlichen Regelung, mit der Risiken nur anders verteilt, aber nicht vermieden werden. Der Einwand gegen staatliche Eingriffe gilt verstärkt für Zwangsversicherungen, bei denen der Staat, wie bei der Altenpflege, auch noch die Aufgabe einer Versicherungsfirma übernimmt. Von den wirtschaftlichen Entscheidungen mit großem Risiko sind allgemeine, vom Einzelnen nicht beeinflussbare Entwicklungen zu unterscheiden, die ebenfalls zu Risiken führen können, welche die Kräfte einer Person oder einer Familie übersteigen und die sich oft privat nicht versichern lassen, wie ein lebenslanges Siechtum oder ständige Arbeitsunfähigkeit. Gemeinsames Merkmal solcher Fälle ist, dass die betroffenen Personen in einer Marktwirtschaft keine Einkommen erzielen können, während die Kosten des Lebensunterhalts und der Pflege oft erheblich über dem Durchschnitt liegen. Für diese Fälle ist eine unmittelbare Hilfe des Staates erforderlich und mit einer freiheitlichen Ordnung vereinbar. Die Auflockerung oder Durchbrechung der Eigenverantwortung führt zu Konsequenzen, an denen deutlich wird, warum Staatseingriffe in einer freiheitlichen Ordnung auf ein Minimum zu beschränken sind. In einer Versichertengemeinschaft haftet nicht der Einzelne für den Schaden, den er verursacht, sondern alle Versicherten zugleich. Auf den Einzelnen entfallen nur die durchschnittlichen Schadenskosten. Andererseits wird der Einzelne zu Schäden herangezogen, die andere Versicherte verursachen. Zwischen der Entscheidung, Auto zu fahren und den Unfallfolgen besteht somit kein direkter Zusammenhang. Der Autofahrer wird durch den Versicherungsschutz von den vollen Kosten, die er verursachen kann, abgeschirmt und deshalb zu einer Fahrweise verleitet, die relativ sorglos ist. Es werden mehr Schäden verursacht – vom Versicherungsbetrug ganz zu schweigen –, als wenn der Einzelne die Kosten des Tuns gänzlich zu tragen hätte. Mit einer Versicherung entstehen deshalb zwangsläufig Verluste, weil die Schadenssumme größer ist als ohne jede Versicherung. Soweit eine Versicherung im Interesse aller Individuen angezeigt ist, muss dafür auch ein „Preis“ entrichtet werden. Diese Überlegungen gelten auch für den modernen Wohlfahrtsstaat, der eine Versichertengemeinschaft darstellt, dessen Leistungen mit zwangsweise erhobenen Versicherungsprämien (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge) und mit Krediten finanziert werden. In einem Wohlfahrtsstaat ist die personelle Autonomie, vor allem in ihren Ausformungen Privateigen-

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tum und Vertragsfreiheit, ganz erheblich eingeschränkt. Diese unbestrittene Einschränkung wird oft mit den sozialen Vorteilen eines fürsorglichen Staates begründet. Tatsächlich nimmt die wirtschaftliche Wohlfahrt mit dem Ausmaß staatlicher Interventionen zwangsläufig ab. Dieses Ergebnis ist – wie oben dargelegt – nicht nur theoretisch begründet sondern auch empirisch nachweisbar.34 Freiheit und Wohlstand sind ebenso Zwillinge wie exzessiver Wohlfahrtsstaat und Armut.

III. Gleichheit als gesellschaftspolitisches Ziel 1. Zur Diskussion über Wertehierarchien In der Theorie der Wirtschaftspolitik ist es üblich geworden, zunächst die Ziele der Politik aufzuzeigen und dann darzulegen, welche Instrumente zu deren Verwirklichung geeignet erscheinen. Die Ziele sind nicht alle gleichrangig, sondern haben – nach der Einschätzung in einer jeweiligen Gesellschaft – einen unterschiedlichen Wert. Die Werte in einer Gesellschaft lassen sich deshalb in einer Zielpyramide anordnen.35 In unserer Gesellschaft steht auf der obersten Stufe als Ziel von Staat und Gesellschaft das Gemeinwohl. Darunter werden auf gleicher Ebene Ziele wie Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Friede genannt. Erst darnach folgen rein wirtschaftliche Ziele, auf oberster Stufe die Förderung des Volkswohlstandes mit den Unterzielen Stabilität und Wachstum. Unterziele haben eine instrumentale Funktion, so dass z. B. die im Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft genannten Ziele Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht Instrumente sind, um Stabilität zu erreichen. Von den genannten Zielen des Staates und der Gesellschaft beschränken sich die folgenden Überlegungen auf die Freiheit und die Gleichheit. Diesen Zielen kommt in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion sowohl traditionell als auch gegenwärtig die größte Bedeutung zu. Der Grund dafür ist, dass das Freiheitsrecht und der Gleichheitsgrundsatz eng zusammenhängen. Für die traditionelle Diskussion gab die Forderung der französischen Revolution nach Freiheit und Gleichheit die entscheidenden Impulse.36 Diese Werte bilden die Grundlage moderner Demokratien. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Menschen ihrer Natur nach frei und gleich sind. Sie hat ihren Niederschlag in zahlreichen Verfassungen und Deklarationen 34

Johnson u. a. (1999). Vgl. z. B. Tuchtfeld (1982, 183). 36 Vgl. Stephen. Ausgeklammert sei die Forderung nach Brüderlichkeit (in heutiger Ausdrucksweise Solidarität). 35

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gefunden, wie in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776. Bevor auf die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Gleichheit eingegangen sei, scheint es zweckmäßig, die verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks Gleichheit kurz festzuhalten. Mit Gleichheit ist generell das Fehlen von Unterschieden gemeint. Dabei lassen sich zwei Arten von Gleichheit unterscheiden: Eine erste Bedeutung ist die Gleichheit vor dem Gesetz (gleiche Rechte und Pflichten); diese Gleichheit wird ergänzt durch ähnliche Regeln, die die Menschen freiwillig befolgen (gleiche Stellung). Eine zweite Bedeutung ist materielle Gleichheit. Zu denken ist dabei z. B. an Chancengleichheit für Berufseintritte und Unternehmensgründungen, gleiche Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten und gleiche Ergebnisse als Folge von Aktivitäten. 2. Das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit Mit der zuerst genannten Bedeutung von Gleichheit – gleiche Rechte und gleiche Stellung – ist Freiheit nicht nur vereinbar, sondern für diese auch erforderlich. „Das Hauptziel des Kampfes um die Freiheit war die Gleichheit vor dem Gesetz“.37 Dieser Kampf zog sich über Jahrhunderte hin und endete in den einzelnen Ländern zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Es ging vor allem darum, Sonderrechte und Sonderfreiheiten einzelner Gruppen – Privilegien genannt – zu beseitigen. In einer freien Gesellschaft gibt es keine Vorrechte. Die rechtlichen und gesellschaftlichen Positionen der Menschen unterscheiden sich nicht voneinander. Das Freiheitsrecht als angeborenes und unverlierbares Menschenrecht steht allen Individuen gleichermaßen zu. Soweit Freiheitsrechte beschränkt werden, was auch in einer freien Gesellschaft unerlässlich ist, müssen sie unabhängig von einzelnen Personen oder Gruppen sein, also für alle gelten. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft über die gleiche individuelle Freiheitssphäre verfügen. Gleichheit der Gesetzes- und Verhaltensregeln ist jedoch die einzige Gleichheit, die mit der Freiheit vereinbar und für diese auch erforderlich ist. Die materielle Gleichheit steht zur Freiheit in einem Spannungsverhältnis oder Gegensatz. Die Menschen sind individuell verschieden, materiell mit unterschiedlichen Gaben und Gütern ausgestattet. „Es gibt nicht zwei Menschen auf der Welt mit gleichen Fingerabdrücken“.38 Ihre Aktivitäten führen praktisch immer zu Ungleichheiten, selbst dann, wenn in der Ausgangsposition Gleichheit bestanden haben sollte. Dieses Spannungsverhältnis wird 37 38

von Hayek (1971, 105). Dürig (1986, 1068).

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deutlich in der Forderung nach „sozialer“ Gerechtigkeit. Nach herrschender Vorstellung muss jede Maßnahme in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dieser Forderung genügen, was konkret heißt, dass mit ihr eine gleichmäßigere sekundäre Einkommensumverteilung anzustreben ist. Gleichheit, vor allem in diesem Sinne, hat in der Werthierarchie einen hohen Stellenwert. Befragungen haben ergeben, dass im Jahr 2003 vier Deutsche von zehn der Meinung sind, im Zweifel gehe Gleichheit vor Freiheit.39 Noch einige Jahre zuvor (1992) war nur jeder Dritte dieser Meinung. Offenbar verblasst im Laufe der Zeit die Erinnerung, was es bedeutet, unfrei zu sein. Tatsächlich ist in fast allen Ländern die sekundäre Einkommensumverteilung das bevorzugte Operationsfeld einer egalitären Politik. Der größere Teil von Staatseinnahmen dient nicht der Finanzierung typischer Staatsaufgaben, wie der inneren und äußeren Sicherheit oder der Infrastruktur, sondern der Einkommensumverteilung von „oben nach unten“. Ob und inwieweit dieses Ziel im Einzelfall überhaupt erreicht wird, sei dahingestellt. Die Frage nach der Vereinbarkeit der sekundären Einkommensumverteilung mit dem Freiheitsrecht lässt sich wissenschaftlich nicht beantworten. Auch die Vertreter einer freiheitlichen Ordnung sind sich dabei nicht einig, wie beispielsweise Friedrich August von Hayek und Walter Eucken. Alle Arbeiten von Hayeks – vor allem die seiner letzten Lebensjahrzehnte – durchzieht wie ein roter Faden die Ansicht, das Streben nach sozialer Gerechtigkeit sei das subversive Konzept, um eine freiheitliche Gesellschaft zu zerstören. Jeder Versuch, die Ergebnisse des Marktes zu korrigieren, laufe letztlich darauf hinaus, an die Stelle einer spontanen Ordnung mit unterschiedlichen Ergebnissen eine totalitäre Ordnung zu setzen, die keine individuelle Freiheit kenne. Es sei eine Illusion zu glauben, dass für die Opferung der individuellen Freiheit soziale Gerechtigkeit erlangt werden könne. Deshalb lehnt er auch eine progressive Steuer – wichtigstes Instrument zur Umverteilung – nachdrücklich ab.40 Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit bewertet Eucken anders von Hayek. Die Einkommensunterschiede in einer Marktwirtschaft seien teils aus unterschiedlichen Leistungen im Dienste der Konsumenten, teils aus Monopolstellungen zu erklären. Vor allem die letzteren seien ein Problem der Gerechtigkeit. Das beste Mittel, um soziale Gerechtigkeit erzielen, sei die Beseitigung der Missstände durch Wettbewerb. Doch auch die Einkommensverteilung bei vollständiger Konkurrenz bedürfe der Korrektur, weil sich erhebliche Unterschiede in der Kaufkraft ergeben würden. Die Ungleichheit der Einkommen führe dazu, dass bereits Luxusgüter produziert würden, 39 40

Vgl. Meier (2004). von Hayek (1971, 105 ff. und 386 ff.). Woll (1989, 91).

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wenn Haushalte mit geringem Einkommen Notwendiges noch entbehren müssten. Der Sinn der Steuerprogression sei, die Verteilung in der Wettbewerbsordnung zu korrigieren. Ein besonderer Abschnitt zur Steuerpolitik, den Eucken noch ausarbeiteten wollte, sollte das im Einzelnen darlegen.41

IV. Abschließende Bemerkungen Die Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung ist als Handlungsmaxime und als Ziel einer Wirtschaftsordnung unerlässlich, wenn die angeborenen und unverlierbaren Menschenrechte gewahrt werden sollen. Elementare Erfordernisse eines freiheitlichen Systems sind personelle Autonomie, Privateigentum, Vertragsfreiheit und Eigenverantwortung. Nur wenn diese Elemente in ihrem Wesenskern verwirklicht und gesichert sind, kann von einer funktionsfähigen freiheitlichen Ordnung gesprochen werden. In diesem Sinne ist Freiheit das oberste Ziel oder der höchste Wert. Zur Freiheit steht in einem Spannungsverhältnis oder gar in einem Gegensatz das Ideal der Gleichheit. In fast allen Ländern ist eine staatliche Umverteilungspolitik zu beobachten, die die freiheitliche Ordnung bedroht. Auch wenn man eine staatliche Umverteilungspolitik nicht ausschließt – wozu auch einige Vertreter der marktwirtschaftlichen Ordnung neigen –, sollte bedacht werden: Durch staatliche Mittel erzwungene Gleichheit vermindert zwangsläufig die Freiheit. In jeder Gesellschaft stellt sich deshalb die Frage, wie viel Freiheit aufgeopfert werden soll, um mehr Gleichheit zu erlangen. Literatur Berlin, Isaiah (1995): Freiheit. Vier Versuche, Frankfurt am Main. Diehl, Karl (1924): Bodenbesitzreform, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. A., 2. Bd., Jena, S. 935–954. Dürig, Günter (1986): Gleichheit. II. Gleichheit als rechtliches Problem, in: Staatslexikon, 7. A., 2. Bd., Freiburg/Basel/Wien. Epstein, Richard A. (1995): Simples Rules for a Complex World, Cambridge (Mass.). Eucken, Walter (1952): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern/Tübingen. Ferguson, Adam (1966): An Essay on the History of Civil Society, Ed. by D. Forbes, Edinburgh. Gerken, Lüder (1998): Die Grenzen der Ordnungspolitik, in: ORDO, 49(1998), S. 165–190. 41

Eucken (1952, 300 f. und 316). Woll (1989, 93).

Freiheit als Handlungsmaxime und Ziel der Wirtschaftsordnung

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Artur Woll

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Grundwertentscheidung der christlichen Gesellschaftslehre – Freiheit und Bindung – Von Edgar Nawroth Die Frage liegt nahe, ob die grundsätzlichen Ausführungen über einen christlich geprägten Personalismus, der sich in seiner Mehrdimensionalität darstellt als das Offensein des Menschen für ein spezifisch geprägtes Selbstwertbewußtsein, für eine theologisch vertiefte Solidaritätsverpflichtung gegenüber dem Mitmenschen, für die Wirklichkeit des Glaubens, des Religiösen, des Geistigen im Rahmen der endzeitlich motivierten Lebensauffassung, innerhalb unserer pluralistischen Umwelt nur Selbstgespräche im kleinen Kreis darstellen oder ob sie von ordnungspolitischer Bedeutung sind. Nach christlich-sozialer Auffassung ergibt sich aus dem personalen Geöffnetsein als entscheidende Schlußfolgerung eine spezifisch geprägte Wertsicht und Wertrangfolge in der Beurteilung, Bewertung und Verwirklichung grundlegender Lebensinhalte. Diese dem mehrdimensionalen christlichen Selbstverständnis entsprechende Wertrangfolge bietet nach unserer Auffassung zugleich ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung des echten gesellschaftlich-kulturellen Fortschritts. Zu den wichtigsten Grundwertentscheidungen christlichen Selbstverständnisses, die für die Sinnerfüllung eines menschenwürdigen Lebens ausschlaggebend sind, gehört in erster Linie die grundrechtliche Begründung, sittliche Bindung und zugleich gesellschaftlich-soziale Integrierung der offenbarungs-theologisch vertieften personalen Freiheit. Um die ordnungspolitische Bedeutung und politische Aussagekraft des personalen Freiheitsverständnisses ganz verstehen und werten zu können, ist es zunächst angebracht, das christliche Freiheitsverständnis dem liberalindividualistischen und emanzipatorischen Freiheitsbekenntnis moderner Prägung gegenüberzustellen.

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I. Freiheitsphilosophie des aufgeklärten Individualismus Es gehört heute zu den typischen Kennzeichen unserer geistigen und gesellschaftlichen Situation, daß angesichts einer zunehmenden Bedrohung der persönlichen Freiheit durch Kollektivismus, Totalitarismus und Manipulation in ihren sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen in der freien westlichen Welt ein verstärkter Freiheits-Enthusiasmus und ein dementsprechender Freiheitskult überall feststellbar sind. In grundsätzlichen Erörterungen greift man dabei mit Vorliebe auf das Ideengut der englischen Individualisten des 17. und 18. Jahrhunderts, vor allem auf J. Locke († 1704) zurück. Dessen Philosophie, mit der er die aufklärerische Bewegung in England und Europa einleitete, stellt im Grunde eine Verabsolutierung der intellektuellen Freiheit im Dienste neuzeitlicher Menschenformung dar. Sein Grundgedanke, die individuelle Planungs-, Entschluß- und Handlungsfreiheit als Voraussetzung der menschlichen Selbstintegrierung in allen Lebensbereichen gegen jeglichen Zugriff von außen her abzusichern, spiegelt sich in der Kantischen Freiheitsphilosophie und im neoliberalen Dogma vom „Primat der Freiheit“ (W. Eucken) wider. Für den aufgeklärten Individualisten gilt die Freiheit als Höchstwert schlechthin, als Selbstzweck der Persönlichkeit, als Erstrecht aller übrigen Grundwerte, als Inbegriff der persönlichen Autonomie. Philosophisch gesehen wird damit die Freiheit aus der personalen Wertordnung herausgelöst und verabsolutiert. Ihre institutionelle Sicherung bildet das formale Ziel des rechtlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnungswollens und damit zugleich den ideologischen Angelpunkt des gesamten neoliberalen Systemdenkens. Faktisch löst sich damit die Sozialethik in die Lehre von den Freiheitsrechten auf. Freiheit besagt im Grunde nichts anderes als: Tun- und Lassen- Können, was der einzelne bei der Verfolgung seiner Interessen für richtig hält, wenn er nur nicht die Freiheitsrechte anderer schmälert. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt tritt hinzu: Die Freiheit wird nicht nur als unerläßliche Vorbedingung, sondern als das Wesen der Sittlichkeit selbst begriffen. Diese Art Sittlichkeit lehnt jedes von außen herangetragene Soll ab, weil es angeblich mit der menschlichen Freiheit unvereinbar ist. Das sittliche Soll wird vielmehr aus der Freiheit selbst geschaffen, aus der eigenen Vernunft, aus dem formalen Pflichtbewußtsein (Kant), das sich nur an die Gesetze der Logik, nicht aber an einen fremden Willen gebunden weiß. Darüber hinaus wird die verabsolutierte Freiheit zugleich als das Fundament aller Personrechte begriffen, die vom Recht auf Freiheit her begründet werden, z. B. auch das Eigentumsrecht.

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Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Wenn das Eigentum als „vergegenständlichte“ persönliche Freiheit begriffen und das Eigentumsrecht vom absoluten Rechtsanspruch auf persönliche Freiheit abgeleitet wird, dann ist es ebenso unantastbar wie die Freiheit selbst. Faktisch wird damit die individualistische Freiheitsauffassung zur rechtfertigenden Ideologie bestehender Besitzverhältnisse.

II. Emanzipation und Freiheit Es gehört heute ebenfalls zur sozio-kulturellen Konstellation der Gegenwart, daß allenthalben ein verstärktes Emanzipationsverlangen feststellbar ist. Die Gründe für die zunehmende „Selbstbefreiungstendenz“ sind zahlreich. Die „offene“ Gesellschaft der Gegenwart zum Beispiel, die gekennzeichnet ist durch soziale und weltanschauliche Pluralität und Mobilität, durch Gewinn an Freiheit bei abnehmender sozialer Kontrolle, hat auf der anderen Seite in verschiedener Hinsicht Freiheitsgrade wieder eingeengt und zurückgenommen, und zwar durch Schaffung neuer Abhängigkeitsverhältnisse, durch zunehmende gesellschaftliche Verflechtung und Anonymisierung der arbeitsintensiven Lebensumwelt. Diese neuen Zwänge und Unsicherheiten werden durchweg als irrationale Manipulation empfunden und abgelehnt, man sucht ihr durch Emanzipation zu entkommen. Dabei wird der „Prozeß Emanzipation“ gleichgesetzt mit Selbstbefreiung, Kampf um Gleichberechtigung, Abbau von Benachteiligungen oder Unterdrückung, die von der Gesellschaft ausgehen. Im gegenwärtigen Sprachgebrauch hat der Emanzipationsbegriff offenkundig einen deutlichen Wandel erfahren. Ursprünglich besagt er als Rechtsbegriff die Veränderung des Rechtsstatus bestimmter Individuen oder einzelner sozialer Gruppen durch Entlassung aus rechtlichen Bindungen und Beschränkungen (Sklaven, Juden, Frauen, Katholiken). Heute verkörpert für interessierte Kreise die Emanzipationsforderung ein pädagogisches Programm, „experimentelle Anthropologie“, „politische Funktionalität“, Lebenshilfe und Religionsersatz, Freund-Feind-Schema, Ausweitung zu einem universalen Geschichtsprozeß. Alle modernen Emanzipationsideologen, die für sich den Anspruch erheben, Mündigkeit und Unmündigkeit unserer Zeitgenossen genau fixieren zu können, üben dadurch im Namen der Emanzipation neue Herrschaftsakte aus, daß sie die angeblich Unmündigen durch entsprechende pädagogische Programme zu indoktrinieren suchen. Die Emanzipationsforderung ist in verschiedener Hinsicht zur ideologischen Legitimation neuer Herrschafts-

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verhältnisse und Unfreiheiten geworden. Als Grund dafür wird die Notwendigkeit vorgeschoben, den manipulierten „eindimensionalen“ Menschen zu einem ganz anderen machen zu müssen und zu wollen. Da die ideologischen Emanzipatoren bis zur Stunde durchweg weder ein überzeugendes Sinnkriterium aufweisen können, an dem sie die Sinnlosigkeit der gegenwärtigen Gesellschaft zu messen imstande sind, noch das eigentliche Ziel der Emanzipationsbewegung klar fixieren können, verstärkt sich dadurch der Eindruck, „daß das Medium der Veränderung als solches zur eigentlichen Botschaft erklärt werde“ (G. Rohrmoser).

III. Personale Freiheit und sittliche Bindung Dieser neuen emanzipatorischen Herrschaftsideologie und Entfremdung des Menschen seinem innersten Impuls gegenüber wird es die ständige Aufgabe des Christentums und seiner Freiheitsauffassung bleiben, die Widersprüche zwischen personaler Freiheit und erneuter emanzipatorischer Verfremdung durch Erziehungsdiktatur (Marcuse) aufzulösen. Im Grunde weiß nur der Christ, daß jeder Mensch durch unkontrollierte Triebverfallenheit und Freiheitsmißbrauch ein Hindernis seiner eigenen Freiheit ist. Nur wenn der einzelne sich von sich selbst befreien lasse, und zwar durch die freie Anerkennung eines überindividuellen Sittengesetzes und durch die Annahme der helfenden Hand Gottes, kann er zur wahren menschlichen Freiheit und zur freien Selbstverwirklichung gelangen. Das Konzil selbst hat, die hohe Bedeutung der Freiheit für das menschliche Selbstverständnis herausstellend, die christliche Freiheitsauffassung kurz zusammengefaßt: (1) Gott – ebenbildliche Würde der Freiheit „Die wahre Freiheit aber ist ein erhabenes Kennzeichen des Bildes Gottes im Menschen: Gott wollte nämlich den Menschen in der Hand seines Entschlusses lassen, so daß er seinen Schöpfer aus eigenem Entscheid suche und frei zur vollen und seligen Vollendung in Einheit mit Gott gelange“. (2) Grundvoraussetzung der Moralität „Die Würde des Menschen verlangt daher, daß er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußeren Zwang. Eine solche Würde erwirbt der Mensch, wenn er sich aus aller Knechtschaft der Leidenschaften befreit und sein Ziel in freier Wahl des Guten verfolgt sowie sich die geeigneten Hilfsmittel wirksam und in angestrengtem Bemühen verschafft“.

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(3) Inhaltlich gefüllter Begriff „Die Freiheit des Menschen, die durch die Sünde verwundet ist, kann nur mit Hilfe der Gnade Gottes die Hinordnung auf Gott zur vollen Wirksamkeit bringen. Jeder aber muß vor dem Richterstuhl Gottes Rechenschaft geben von seinem eigenen Leben, so wie er selber Gutes oder Böses getan hat“ (Gs 17).

IV. Freiheit und christliche Gesellschaftslehre Die christliche Gesellschaftslehre schätzt die persönliche Freiheit als eines der höchsten Güter des Menschen, als auszeichnendes Merkmal seiner personalen Würde, als Voraussetzung der menschlichen Selbstentfaltung und sittlichen Verantwortung, und doch folgt sie einem entschieden anderen Freiheitsbegriff im Vergleich zur modernen Emanzipationsideologie. Freiheit besagt demnach nicht in erster Linie das Freisein von etwas, von äußerer Behinderung, sondern umfaßt die unbehinderte Möglichkeit zu etwas: zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung im Hinblick auf die jedem einzelnen gestellte Lebensaufgabe in religiöser, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Die rechtverstandene Freiheit ist also ein inhaltlich gefüllter, positiver und dynamischer Begriff. Er besagt nicht nur das Fehlen von Eingriffen, sondern das sittliche Wahlvermögen und Wollenkönnen, das sich an die sittliche Norm gebunden weiß. Sie erhält ihren Inhalt durch den Wertblick und den Wertgehalt dessen, wofür sie sich entscheidet. Ordnung und Freiheit gehören demnach untrennbar zusammen. Daraus ergibt sich von selbst, daß die Freiheit nicht der höchste Wert schlechthin, sondern nur ein relativer Wert sein kann, neben der Gerechtigkeit, Solidarität, Sicherheit, Wohlfahrt und anderen Werten des gesellschaftlichen Wertgefüges. Wird er aus der gegenseitigen Zuordnung aller Sozialwerte herausgelöst und verabsolutiert, dann wird er zum Unwert und das gesellschaftliche Wertsystem als Ganzes gestört. Damit wird zugleich zum Ausdruck gebracht, daß das Recht auf Freiheit nicht als das grundlegende Erstrecht zu werten ist, auf dem angeblich alle übrigen Menschenrechte aufbauen. Vielmehr bedarf das Freiheitsrecht selbst der Begründung. Sie liegt im natürlichen Recht jedes einzelnen auf Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung. Weil der Mensch nur in Freiheit die ihm vom Schöpfer gestellte Aufgabe verwirklichen kann, darum hat er ein Recht auf Freiheit. Die persönliche Freiheit ist also auf Rechte gegründet, nicht aber die Menschenrechte auf Freiheit.

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Aus dieser Klarstellung ergeben sich bestimmte pädagogische Schlußfolgerungen, die sich um das Spannungsverhältnis zwischen Sittengesetz, Freiheit und Menschenwürde zentrieren.

V. Sexualethik und freie Selbstbestimmung Die Bibel weist in Bezug auf das Verständnis, die Gestaltung und Verantwortung humaner Geschlechtlichkeit auf verschiedene, zunächst vom Glauben her begründete Kriterien hin: Mann und Frau als gleichwertige und gleichberechtigte Persönlichkeiten in einem auf wechselseitige Verantwortung hin verfaßten untrennbaren Partnerschaftsverhältnis und zugleich als Diener gegenseitiger Heiligung. Im Mittelpunkt stehen die Grundforderungen der Partnerschaftlichkeit und der Ganzheit personaler Hingabe als Vorbedingungen geschlechtlicher Gemeinschaft; mit anderen Worten: die wechselseitig verpflichtende Gleichberechtigung sowie die unbedingte Ausschließlichkeit der geschlechtlichen Ganzhingabe. Vom Personenverständnis her geurteilt ist die Geschlechterbegegnung – wie kein anderer menschlicher Bereich – den personbildenden Merkmalen unterworfen: der Freiheit in der Begegnung und der sittlichen Verantwortung in der Gestaltung. Orientierungspunkte humaner Geschlechtlichkeit (1) Den Ausgangspunkt der christlichen Sexualethik bildet die ganzheitliche Sinntiefe und Sinngebung menschlicher, geistgeprägter Sexualität. Wahre menschliche Geschlechtlichkeit ist demnach wesentlich mehr als nur Naturtrieb und emanzipierte Triebbefriedigung. Sie ist darüber hinaus IchDu-Beziehung und intimste Ich-Du-Begegnung zweier auf mitmenschliche Urergänzung angewiesener und ausgerichteter Personen: „Der Mensch kann nicht bei sich selber bleiben, um Mensch zu sein“ (Böckle). Nur dann wird menschlich-personale Liebe gelebt, wenn die natürlichen Grundkräfte der Geschlechtlichkeit zu einer geistbetonten Einheit integriert werden: – die leiblich-biologische Komponente des Geschlechtsverlangens, das auf Befriedigung drängt; – das unbewußte ichbefangene Streben nach Ergänzung im Du; – die über sich hinausweisende schenkende Liebe als Wesensmitte der personalen Ich-Du-Gemeinschaft.

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(2) Der Integrationsprozeß dieser natürlichen Grundkräfte gehört zu den Hauptproblemen der Persönlichkeitsreifung. Der Einbau einer derart durch personale und soziale, also Du-bezogene Verantwortung integrierten Geschlechtlichkeit in die Ganzheit der Person kennzeichnet in erster Linie die Reife der Persönlichkeit. Mit anderen Worten: Die personbezogene Verantwortungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft entscheidet über die geschlechtliche Liebesfähigkeit und damit Ehefähigkeit. Insofern sind in der Wir-Gestalt einer liebenden Geschlechtsgemeinschaft zugleich die Voraussetzungen für eine vertiefende Menschwerdung gegeben. Das volle personale Verständnis der Geschlechtlichkeit bedingt das humane Verhalten im Bereich des Geschlechtlichen. (3) Menschliche Geschlechtlichkeit erschöpft sich nicht in der geschlechtlichen Begegnung, aber letztere ist wie kein anderer Liebeserweis die sprechendste Bestätigung gegenseitiger, auf Einswerdung drängender Liebe. Geht man davon aus, daß geschlechtliche Hingabe von ihrem inneren Ansatz her immer Hingabe der ganzen Person ist, dann ist sie nur unter zwei Voraussetzungen sittlich zu rechtfertigen: der vollen Verantwortung füreinander und des Willens zur gegenseitigen unverbrüchlichen Treuebindung. Andernfalls wird diese an die Wurzel der personalen Existenz greifende Hingabe zur Selbstpreisgabe, zur Selbstaufgabe und zu einem sinnentleerten Sichverschenken. (4) Dieser Wille zur dauernden gegenseitigen und ausschließlichen Hingabe und Bindung ist aber das entscheidende Wesensmerkmal der Ehe selbst. Der totale personale Bindungswille verlangt also den Raum gesicherter ehelicher Verbindung. Ohne diesen Bindungswillen und ohne diesen sicheren Raum kann die Hingabe nicht ihren eigentlichsten Sinn erfüllen: unter diesem Vorbehalt ist der voreheliche Verkehr, der immer einen Mangel einschließt, zu sehen und zu werten. Demnach ist die ganzheitlich-personale Hingabebereitschaft nicht das einzige Kriterium partnerschaftlichen geschlechtlichen Verhaltens. Die Geschlechtlichkeit hat außerdem einen gesellschaftlichen Bezug, wie die in allen Kulturkreisen feststellbare Institutionalisierung partnerschaftlicher Geschlechtsgemeinschaft in bestimmten Eheformen bestätigt. In unserer Gesellschaftsordnung bedeutet der öffentlich-rechtliche Ehestand ein Mehr an Anerkennung, Rechten, Sicherheit, Ungestörtheit für die geschlechtliche Vereinigung. Dieses Mehr kommt erfahrungsgemäß nicht nur der möglichen Nachkommenschaft, sondern in erster Linie der ehelichen Hingabebereitschaft und der Vertiefung der personalen Beziehungen zugute.

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VI. Freiheit, Sittengesetz und Sachgesetzlichkeit Auf den gesellschaftlichen Bereich bezogen ergibt sich aus der christlichen Freiheitsphilosophie zunächst ein allgemeiner Grundsatz: Es besteht kein Gegensatz zwischen Freiheit, Sittengesetz und wirtschaftlicher Sachgesetzlichkeit, sondern vielmehr eine innere Wechselbeziehung. (1) Die Forderung von Nationalökonomen, aus der wirtschaftlichen Diskussion seien alle Freiheitsbegriffe auszuschalten, die irgendwie das Element der sittlichen Verpflichtung enthalten, ist unannehmbar. Sie geht, auf die völlige Verkennung der Freiheit als ethischer Kategorie zurück. Sobald es jenseits der reinen Modelltheorie um das wirtschaftliche Verhalten geht, ist das ethische Soll nicht mehr auszuklammern. Die Autorität des allgemeinen Sittengesetzes, die Sachnotwendigkeiten des Gemeinwohls und die ständige Rückorientierung am eigentlichen Sachziel der Wirtschaft: der allgemeinen Unterhaltsfürsorge, bilden Inhalt und Grenze der sittlich zu verantwortenden Privatinitiative. Es gibt keinen menschlichen Bereich, der aus der sittlichen Gesamtordnung ausgeklammert werden könnte, und damit auch keine Wertfreiheit des Wirtschaftsalltages. (2) Andererseits ist klarzustellen: Die Wirtschaftsethik anerkennt keine sittlich verpflichtende Autorität der Wirtschaftsgesetze, keine Unterwerfung unter sie und keine Begrenzung der Freiheit durch die Wirtschaftsordnung. Der Satz: Wer will, daß der Markt herrscht, muß sich ihm auch unterordnen, ist in dieser Form für die christliche Soziallehre unannehmbar. Diese Lehre will nicht, daß der freie Markt herrscht, sondern nur, daß mit Hilfe des freien Marktes das volkswirtschaftliche Gesamtwohl möglichst zufriedenstellend verwirklicht wird. Läßt sich dieses Ziel mit den Möglichkeiten des freien Marktes nicht erreichen, zum Beispiel in Krisenzeiten, dann muß es auch nicht-marktkonforme Eingriffe geben. Daß diese möglich sind, ohne dabei den ganzen Wirtschaftsapparat zu zerstören, hat sich in der Vergangenheit erwiesen. (3) Die ständige Zuordnung von Freiheit, Sachgesetzlichkeit und sittlicher Verantwortung ist ein ständiges auch marktwirtschaftliches Ordnungsproblem. Die Wirtschaftsethik anerkennt keinen Marktgehorsam, sondern nur ein sozial-wirtschaftlich zielgerechtes Handeln unter kluger Berücksichtigung der erkannten Gesetzmäßigkeiten. Man hat sich ihrer zu bedienen, um die Wirtschaft zu gestalten und zu beherrschen. In der Wahl der Ziele und der Mittel bleibt der wirtschaftende Mensch jedoch frei. Die zu ergreifenden wirtschaftlichen Maßnahmen werden in Freiheit so getroffen, daß die zu erwartenden gesetzmäßigen Wirkungen sittlich verantwortet werden können.

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Ob eine einzelwirtschaftliche Handlung in jeder Beziehung „richtig“ ist, hängt also davon ab, ob sie sachgemäß ist und ob sie die Gemeinwohlbelange im Auge behält. Es bedeutet daher eine eindeutige Grenzüberschreitung der Wirtschaftstheorie, wenn Nationalökonomen dazu übergehen, wirtschaftstechnisch und einzelbetrieblich richtiges Handeln, das nur auf den eigenen Profit und die einzelbetriebliche Wirtschaftsrechnung ausgerichtet ist, dabei aber wissentlich das Gesamtinteresse schädigt, zu legitimieren mit dem Hinweis, es sei abwegig dem privaten Gewinnstreben als entscheidendem Antriebsmotor der Wirtschaft einen sittlichen Vorwurf machen zu wollen, da hier nur die Form fehlerhaft sei. Wenn die übergeordneten Gesichtspunkte sozialwirtschaftlicher Sachnotwendigkeiten und die alles menschliche Tun umgreifenden sittlichen Normen unter Berufung auf die geltende Wirtschaftspraxis aus dem privaten Wirtschaftsgewissen ausgeklammert werden, dann ist der Weg für eine doppelte Moral oder eine Grenzmoral freigemacht. (4) Aus der existentiellen Verbindung zwischen Freiheit und Bindung gibt es in einer sozialen Marktwirtschaft daher auch keine unbegrenzte Eigentumsfreiheit. Daß die Bedeutung des Privateigentums für die Selbstverwirklichung des Menschen, für seine freie Lebensgestaltung und seine Sicherstellung, für die gesamte Wirtschaft und das Staatswesen auch von der christlich orientierten Eigentumsethik voll anerkannt wird, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Trotzdem ist unbedingt festzuhalten, daß sich diese Eigentumslehre bereits in ihrem Ansatzpunkt von der liberalen unterscheidet. Die privatrechtliche Differenzierung des allgemeinen natürlichen Rechtes auf die Güter dieser Welt wird nicht vom Freiheitsrecht des Individuums, sondern vom Wohle des Ganzen, von der sozialen Friedensordnung her begründet. Die Eigentumsfrage wird grundsätzlich als eine Ordnungsfrage und das Privateigentum als ein Rechtsfaktor der sozialen Ordnung verstanden. Mit anderen Worten: Weil das Privateigentum aufgrund der ihm innewohnenden Abgrenzungsfunktion, der freieren Lebensgestaltung und der sichernden Eigenvorsorge ein erhebliches Mehr an Frieden im gesellschaftlichen Zusammenleben mit sich bringt, darum ist es letzten Endes auch berechtigt. Das Privateigentum hat zum Inhalt die Gebrauchs- und Verfügungsfreiheit und das Erstbestimmungsrecht des Eigentümers. Es ist damit rechtsstaatlichem Denken gemäß gegenüber uneingeschränkten Eingriffen der Gesellschaft abgesichert und der Vorrang des Privateigentums gegenüber dem Kollektiveigentum unterstrichen. Andererseits bleibt ebenso bestehen, daß die Sacherfordernisse des Gemeinwohls auch die private Eigentumsordnung umgreifen, womit zugleich der eigentliche Ansatzpunkt für die Berechtigung von Ordnungsmaßnahmen seitens der legitimen Instanz gegeben ist.

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VII. Freie Selbstverantwortung und staatliche Allzuständigkeit Die strikte Beachtung des Subsidiaritätsprinzips als Leitnorm eigenverantwortlicher Gesellschaftsgestaltung und gesellschaftlicher Aktivierung ist heute von aktueller Bedeutung. Dieses freiheitliche Prinzip richtet sich gegen den Zugriff staatlicher Stellen, die unter dem Vorwand staatlicher oder kommunaler „Allzuständigkeit“ in zunehmendem Maße ursprüngliche Aufgaben freier gesellschaftlicher Gruppen an sich zu ziehen versuchen, während den freien Trägern vielfach nur Lückenfunktionen neben der staatlichen Gesamtverwaltung zuerkannt werden. Die Gefahr einer zunehmenden Verfremdung von Einzelmensch und Gesellschaft durch Verbürokratisierung unserer Lebensfunktionen ist das Ergebnis eingeengter gesellschaftlicher Eigenzuständigkeit und Handlungsfreiheit. Literatur Böckle, F.: Ausgewählte Fragen der speziellen Moral I., Bonn 1969 (als Manuskript). Boventer, Hermann: Emanzipation durch Entwicklung? Kritik der Emanzipationspädagogik und die Frage nach den Erziehungswerten, in: Das Parlament, B 13/ 75. Diakonia: Forum über humane Sexualität, in: Diakonia 1972, 251 ff. Flügge, Joh.: Lernzielplanung und totalitäre Gesellschaftspolitik, in: Fragen der Freiheit 1973, 17–41. Forster, Karl (Hrsg.): Freiheit und Determination, München 1969, Studien und Berichte der kath. Akademie in Bayern, Bd. 38. Hildebrandt, Walter: Das nachliberale Zeitalter, Düsseldorf 1973. Loew, Günter: Menschenbild des Automaten. Der Planungsoptimismus in der Curriculum Theorie, in: Rh. Mer, 3/75 S. 15. Metz, Joh. B.: Freiheit in Gesellschaft (Kirche im Gespräch), Thesen und Stellungnahmen, Freiburg 1971. Nawroth, Edgar: Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, Heidelberg 1961. Sammlung Politeia Bd. XIV. Schischkoff, Georgi: Wandlungen des Freiheitsbewußtseins von der Renaissance bis zur Gegenwart, in: Ztschr. f. Ganzheitsforschung 1973, 195–212. Siebel, Wigand: Freiheit und Herrschaftsstruktur in der Kirche, Berlin 1971. Splett, Jörg: Aggression und Freiheit. Philosophische Reflexionen, in: Katholische Bildung 1975, 5–13.

Ökonometrie und Ordnungstheorie – Die institutionenökonomische Ordnungstheorie – Von Hans Jürgen Schlösser

I. Ökonometrie und Ordnungstheorie im benign neglect? Die Grundlagen der Ordnungstheorie sind von Walter Eucken, Franz Böhm und Hans Grossmann-Doerth gelegt worden (Böhm 1937). Die drei Freiburger Gelehrten haben ihre Ideen in der intellektuellen Auseinandersetzung mit der interventionistischen Wirtschaftspolitik ihrer Zeit sowie der damals die Volkswirtschaftslehre beherrschenden Historischen Schule entwickelt, und sie haben an die Grundlinien der Klassischen Ökonomie angeknüpft. Während der Ordoliberalismus später höchst einflussreich in der deutschen Wirtschaftspolitik von der Gründungszeit der Bundesrepublik Deutschland bis in die sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts geworden ist (Oberender 1989), hat die neoklassische Wirtschaftstheorie die Ordnungstheorie kaum zur Kenntnis genommen. Die Ökonometrie wiederum sieht sich selbst als Komplement, wenn nicht sogar als Teil der mathematisch arbeitenden, um das Marktgleichgewicht kreisenden Wirtschaftstheorie an und teilt mit dieser das „Nichtverhältnis“ zur Ordnungstheorie. Im Lauf der späten sechziger Jahr kommt es zu einem folgenreichen, aus ordnungstheoretischer Sicht fatalen Paradigmen- und Strategiewechsel (Gemper 1994, S. 42 ff.) in der Wirtschaftspolitik. Die keynesianisch inspirierte wirtschaftspolitische Konzeption der Globalsteuerung gewinnt zunehmend an Einfluss, und die „keynesianische Revolution“ in der makroökonomischen Theorie1 wird nun auch in der deutschen Wirtschaftspolitik durchgesetzt. Während Keynes selbst zwar Interesse an Wahrscheinlichkeitstheorie, nicht aber an Ökonometrie gehabt hat, führt der Keynesianismus in Theorie und Politik zu einer Fülle ökonometrischer Forschungsarbeiten und zu einem beispiellosen Aufschwung des Wissenschaftsgebietes Ökonometrie. Die Ökonometrie versteht es, sich der keynesianischen Makro1 In der Mikroökonomie gibt es mit Ausnahme früher Arbeiten von Barro und Grossman keine keynesianisch inspirierten Beiträge von Bedeutung.

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ökonomie komplementär zu machen und wird von deren Aufschwung mitgerissen. Gleichzeitig wird die Ordnungstheorie totgesagt (Riese 1972). Die keynesianische Makroökonomik eröffnet der Ökonometrie ein weit größeres Anwendungsfeld als die neoklassische Mikroökonomie, und erst recht als die ökonometrisch unfruchtbar scheinende und wirtschaftspolitisch geächtete Ordnungstheorie. Allein über die Phillips-Kurve sind vermutlich mehr ökonometrische Papers herausgebracht worden als über irgendein anderes Thema der Wirtschaftspolitik. Damit erreicht die „Politische Arithmetik“ den Höhepunkt ihrer wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Bedeutung. In den achtziger Jahren jedoch wird deutlich, dass die keynesianische Verheißung gescheitert ist, und bereits seit den siebziger Jahren gewinnen angebotsorientierte Konzeptionen an Einfluss auf die Wirtschaftspolitik. Mit dem Niedergang des Keynesianismus erwacht wieder das Interesse an Ordnungstheorie. Die stärksten Impulse für ordnungstheoretische Analysen gehen allerdings von der „Neuen Institutionenökonomik“ aus. Die Neue Institutionenökonomik2 entwickelt sich seit den sechziger Jahren vorwiegend in den USA und wird dort von Autoren vorangetrieben, welche meist die Freiburger Ordnungstheorie nicht kennen. Dennoch entsteht mit der Institutionenökonomik eine Wirtschaftstheorie, die starke Ähnlichkeiten und Affinitäten zum Ordoliberalismus aufweist (Tietzel 1990). Die Institutionenökonomik verspricht durch ihre explizite Verknüpfung mit der herrschenden Neoklassik eine stärkere theoretische Fundierung und vielleicht sogar eine „Versöhnung“ (ebd. S. 3) der Ordnungstheorie mit dem Mainstream der Volkswirtschaftslehre in Gestalt einer „Institutionenökonomischen Ordnungstheorie“ (Feldmann 1999, S. 297 ff.). Gleichzeitig werden in institutionenökonomischen Arbeiten, wenn auch erst langsam und schrittweise, ökonometrische Forschungsergebnisse präsentiert, die ordnungstheoretische Analysen empirisch unterfüttern. Mit den Arbeiten von Douglas C. North erhält die institutionenökonomische Forschung eine wirtschaftsgeschichtliche Prägung (North 1981) und die Kliometrie (vgl. i. e. Fogel 1970, McCloskey 1987) findet Eingang in 2 Mit Tietzel (1990, S. 4) verstehen wir unter Institutionenökonomik „all jene Forschungsbereiche, in denen Entstehung, Geltung und Auswirkungen von Regeln analysiert werden, denen mehrere Aktoren bei ihren wiederholten Entscheidungen (freiwillig oder zwangsweise) folgen.“ Dazu gehören im Einzelnen der PropertyRights-Ansatz, die Verfassungsökonomik, die ökonomische Analyse des Rechts, die Agency-Theorie und die Transaktionskostenökonomik. Die Institutionenökonomik wird manchmal mit dem Attribut „Neue“ versehen, um sie vom Institutionalismus im Sinne Veblens und Galbraiths zu unterscheiden.

Ökonometrie und Ordnungstheorie

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die Ordnungstheorie. Typische institutionenökonometrische Aufgaben sind die Messung von Transaktionskosten und Schätzungen des Umfangs von Sektoren, welche die Senkung von Transaktionskosten zur Zielfunktion haben (Wallis, North 1986). Bei der ökonometrischen Arbeit stehen dabei Regressionsanalysen im Vordergrund. Solche traditionellen ökonometrischen Werkzeuge sind allerdings für die Analyse zahlreicher anderer, neuartiger und typischer Fragen der Institutionenökonomik ungeeignet. Der vorliegende Beitrag widmet sich einem solchen Bereich, der Analyse von „Make-or-Buy“-Entscheidungen und erörtert ökonometrische Lösungsversuche und ihre Schwächen. Zuvor werden vor dem Hintergrund einer kurzen wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtung, die ihren Ausgangspunkt in der „Politischen Arithmetik“ nimmt, Vermutungen über Ursachen des prekären Verhältnisses von Ökonometrie und Ordnungstheorie entwickelt.

II. Ökonometrie und Wirtschaftswissenschaft Wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zur Ökonometrie (Epstein 1987, de Marchi und Gilbert 1989) geben typischerweise die Gründung der Econometric Society als „Geburtsstunde“ der Ökonometrie an. Das Ziel der Econometric Society besteht in der Förderung der ökonomischen Theorie in ihrer Beziehung zu Statistik und Mathematik, im einzelnen in der Förderung solcher Arbeiten, die auf eine Vereinigung des theoretisch-quantitativen mit dem empirisch-quantitativen Ansatz abzielen. Die Society orientiert sich dabei an den Naturwissenschaften: Sie fördert Arbeiten, die durchdrungen sind von einem rigorosen Denken, welches in den Naturwissenschaften vorherrschend geworden ist. Der „alten“ Ordnungstheorie ist eine solche Herangehensweise fremd, steht sie doch der verstehenden Methode der Nationalökonomie viel näher als den Methoden der Naturwissenschaften. Umgekehrt vermag sie einem sich so verstehenden Ökonometriker nicht viel zu bieten. Mit dieser Einschätzung stimmt überein, dass die Zeitschrift der Econometric Society, Econometrica, keine Arbeiten zur traditionellen Ordnungstheorie herausbringt und auch institutionenökonomische Ansätze eher zögerlich3 berücksichtigt; zu den positiven Ausnahmen gehört z. B. Brown, Falk, Fehr (2004). Auch die ökonometrischen Monografien lassen mit Ausnahme von Graff (1977) kein Interesse an traditionellen ordnungspolitischen Analysen erkennen. 3 Dieser Eindruck jedenfalls drängt sich auf, wenn man vergleicht, wie schnell die Spieltheorie in der Econometrica aufgenommen worden ist.

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Die Ökonometrie ist fest mit der mathematischen Wirtschaftstheorie neoklassischer oder keynesianischer Provinienz, also der „anglo-amerikanischen Orthodoxie“ (Kirzner) verbunden. So sind die Begründer der modernen Ökonometrie in Europa, Jan Tinbergen und Ragnar Frisch, zwei Ökonomen, die in den zwanziger Jahren beginnen, ökonometrische Instrumente zu entwickeln, um wirtschaftspolitische Interventionen zur Realisierung eines sozialistischen Programms durchzuführen (Tinbergen) bzw. um die Basispostulate der neoklassischen Nutzentheorie zu testen (Frisch). Zum Freiburger Ordnungsdenken zeigen die beiden mathematisch hoch gebildeten Ökonomen – in jener Zeit durchaus keine Selbstverständlichkeit – keine Affinität. Die empirische Wirtschaftsforschung ist deutlich älter als die Ökonometrie. Bereits im 17. Jahrhundert entwickelt William Petty seine „Politische Arithmetik“ – schon vom Begriff her gewiss für die meisten Ordnungspolitiker recht befremdlich. Der politische Arithmetiker darf sich laut Petty ausschließlich in Zahlen ausdrücken, um nur sinnvolle Argumente zu verwenden. Noch weitere politische Arithmetiker setzen die Methodik der Naturwissenschaft für die Analyse der Ökonomie ein: Gregory King schätzt die Steigung einer Nachfragekurve, William Fleetwood entwickelt einen Vorläufer unseres Preisindex. Adam Smith hat kein großes Vertrauen zur politischen Arithmetik, greift aber gleichwohl auf ihre Forschungsergebnisse zurück. Nicht ganz ohne Ironie lobt er Gregory King (Smith 1776, 1974, S. 67, 168); Smiths Behandlung von William Fleetwood dagegen kommt einer intellektuellen Zerschmetterung gleich (S. 157 ff.). Es ist nicht ganz klar, ob Smith der politischen Arithmetik aus prinzipiellen Gründen so kritisch gegenübersteht, oder weil er findet, dass die politischen Arithmetiker schlecht arbeiten – „liederlich“ ist ein oft gebrauchtes Adjektiv. Die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaft durch die Neoklassik und die keynesianische Makroökonomie bringen schließlich die Ökonometrie voran und in die starke Position, die sie heute innerhalb der Wirtschaftswissenschaft einnimmt. Letztlich also kann man die mathematisierte neoklassische Ökonomie und die keynesianischen Makromodelle als die Paten der modernen Ökonometrie ansehen. Auf ihrem Nährboden ist sie gewachsen, ihren Fragestellungen oder besser: ihrer Art der Fragestellung ist sie bis heute aufs engste verbunden. Da ist in der Vergangenheit wenig Raum für das Denken in Ordnungen geblieben. Umgekehrt aber hat auch die Ordnungstheorie an der ökonometrischen Diskussion nicht teilgenommen und etwa Forderungen für eine ordnungstheoretisch relevante Ökonometrie entwickelt.

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III. Neue Institutionenökonomik und Ökonometrie Die Neue Institutionenökonomik (Kasper, Streit 1998) wird von ihren Vertretern als empirisch arbeitender Theorieansatz verstanden, der sich hauptsächlich durch seine Annahmen von der Neoklassik unterscheidet, davon am wichtigsten: – In der Institutionenökonomik existieren Transaktionskosten. – Institutionen, also Regeln und Sanktionsmechanismen zu deren Einhaltung, sind fundamental für das Verständnis der ökonomischen Realität. – Die Wirtschaftssubjekte handeln nur begrenzt rational und neigen zu Opportunismus. Der theoretische Ansatz hat empirisch arbeitende Institutionenökonomen in der Vergangenheit hauptsächlich zur Analyse von Verträgen und Transaktionskosten angeregt (Williamson 1979). Die damit verbundenen Probleme der Datenlage und die spezifischen Fragestellungen der Institutionenökonomik haben dazu geführt, dass dabei die Fallstudie ihre Methode erster Wahl geworden ist. Erst in jüngerer Zeit werden ökonometrische Forschungsmethoden eingesetzt, und es zeichnet sich die Herausbildung einer „Neuen Institutionenökonometrie“ ab (Sykuta 2005). Häufig werden dabei, dem institutionenökonomischen Ansatz entsprechend, volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Fragestellung verzahnt, wobei allerdings derzeit der Schwerpunkt auf der Organisationsforschung liegt. Typisch für institutionenökonometrische Fragestellungen sind diskrete abhängige Variablen. Daher kommen nur selten die Schätzverfahren traditioneller Ökonometrie (z. B. auf der Methode der kleinsten Quadrate beruhende Verfahren) zum Einsatz. Im Folgenden werden die damit verbundenen Fragestellungen beispielhaft an der „Make-or-Buy“-Problematik behandelt, die, auf Coase zurückgehend, in der Entwicklung der Institutionenökonomik eine prominente Rolle einnimmt. 1. Ausgewählte Schätzprobleme bei der empirischen Analyse der „Make-or-Buy“-Entscheidung 1937 hat Ronald Coase die fundamentale Frage aufgeworfen, warum Firmen existieren: Warum wird in einer arbeitsteiligen Wirtschaft nicht allein der Markt (price mechanism) genutzt, weshalb werden stattdessen kostspielige Unternehmensstrukturen (managerial control) aufgebaut? Die Antwort stellt den Beginn der Neuen Institutionenökonomik dar: weil die Benutzung

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des Marktes mit Kosten verbunden ist, eben mit Transaktionskosten. Aber auch in einer Firma entstehen vergleichbare Kosten, die umso höher ausfallen, je größer die Firma ist und je heterogener ihre Transaktionen sind. Daher werden Firmen nicht unendlich wachsen bzw. wird es nicht dazu kommen, dass die gesamte Güterproduktion in einer einzigen Firma stattfindet. Ganz in der Tradition mikroökonomischer Marginalanalyse erreicht die Firma ihr Optimum, wenn die Grenzkosten der Internalisierung einer weiteren Transaktion gleich den Grenzkosten der Benutzung des Marktes für diese Transaktion sind.4 Damit ist die „Make-or-Buy“-Frage aufgeworfen: Wird die Unternehmung eine Leistung selbst erstellen oder wird sie diese Leistung am Markt kaufen? In der einfachsten Modellvariante ist die Entscheidung dichotom: Produzieren oder Kaufen als ausschließende Alternative. Die dichotome Fragestellung legt die Verwendung einer Dummyvariablen y nahe, die den Wert 1 erhält, wenn die Aktivität internalisiert wird und den Wert 0, wenn die Firma die Leistung am Markt bezieht. Das ökonometrische Problem besteht dann darin, auf der Basis von Hypothesen über die Bestimmungsgründe der relativen Kosten von Internalisierung und Marktbenutzung, also einem Vektor erklärender Variablen x, die Wahrscheinlichkeit zu schätzen, mit der die Firma die Leistung selbst erstellen wird, also von PrÈy ã 1jxê:

Bei der ökonometrischen Behandlung solcher Analyseprobleme werden typischerweise keine einfachen linearen Regressionsmodelle, sondern nichtlineare Probit- oder Logitmodelle eingesetzt.5 Sie haben sich auch zur Bearbeitung zahlreicher anderer (dichotomer) institutionenökonomischer Fragestellungen als geeignet erwiesen, zum Beispiel zum Einsatz von Meistbegünstigungsklauseln im Erdgasgeschäft (Hubbard, Weiner 1991) oder zur Reaktion von Firmen auf unterschiedliche Regulierungsregimes (Helland, Sykuta 2004). 4 Die Unternehmung findet ihre Grenze also bei der Internalisierung dieser marginalen Transaktion. Es sei vorausgeschickt, dass alle verfügbaren ökonometrischen Techniken gewiss zu grob sind, diese Grenze der Unternehmung zu identifizieren. 5 Vgl. zu diesen Schätzverfahren Sykuta (2005) und die dort angegebene Literatur, insbesondere Greene (2003). Sykuta argumentiert, dass wegen der Nicht-Linearität von Logit- und Probitmodellen die geschätzten Koeffizienten ökonomisch schwieriger zu interpretieren seien als in linearen oder Log-linearen Regressionsmodellen. Dies gilt besonders dann, wenn die unabhängigen Variablen ebenfalls Dummy-Variablen sind, was in der Institutionenökonomie oft der Fall ist (exogene institutionelle Schocks oder dichotome Transaktionseigenschaften).

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In vielen Fällen sind die Entscheidungen aber nicht dichotom. Eine wichtige Rolle für Hypothesen zum Make-or-Buy-Verhalten von Firmen spielt in der Institutionenökonomie die Spezifizität von Transaktionen. Werden Transaktionen spezifischer6, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie internalisiert werden. Die Firmen entscheiden sich selten ausschließlich für Eigenproduktion oder Marktbezug, sondern praktizieren beides zugleich und bevorzugen hybride Formen: Joint Ventures, Strategische Allianzen, Franchising u. ä. Wenn hybride Formen auftreten, verliert die Entscheidung ihren dichotomen Charakter. Die Dummyvariable könnte dann drei Werte annehmen, den Wert 0 für den ausschließlichen Marktbezug, den Wert 1 für die hybride Lösung und den Wert 2 für die ausschließliche Eigenproduktion. Die genannten ökonometrischen Verfahren werfen dabei keine zusätzlichen Probleme auf7, wenn wie in diesem Beispiel eine inhärente Ordnung vorliegt: Ausschließliche Eigenproduktion (Hierarchie) mit y ã 2 bedeutet mehr Kontrolle als hybride Strukturen mit y ã 1, und diese wiederum bedeuten mehr Kontrolle als Marktbezug mit y ã 0.8 Prinzipiell sind auch mehr als drei diskrete Werte für die abhängige Variable möglich, zum Beispiel um noch einmal zwischen verschiedenen, zu ordnenden hybriden Formen zu differenzieren. Solche geordneten Probit- und Logitmodelle sind den Modellen dichotomer Entscheidungen strukturanalog. Für den Fall einer Entscheidung zwischen Hierarchie, hybrider Form und Markt sind zu bestimmen PrÈy ã 2jxê PrÈy ã 1jxê PrÈy ã 0jxê

6 Die ungenaue Definition von Spezifität in der Institutionenökonomik stellt ein konzeptionelles Hindernis für die Anwendung ökonometrischer Techniken dar, dem hier nicht weiter nachgegangen werden kann. Dies trifft auch für andere Begriffe zu, zum Beispiel für vertikale Integration im Fall von mehr als zwei Ebenen. 7 Allerdings verschärfen sich die Probleme der Parameterinterpretation, vgl. Fn. 5. 8 Eine andere Methodik zur Überwindung des Dichotomieproblems präsentieren Monteverde und Teece (1982) in einer Untersuchung zu Produktion bzw. Zukauf von Bauteilen in der Automobilindustrie. Sie führen den Begriff der „vorherrschenden“ Eigenproduktion ein, wenn 80% der Produktion selbst erstellt wird. Zur Kontrolle führen sie dann Probit-Schätzungen mit Schwellenwerten von 70% und 90% durch, wobei sich die Resultate der Schätzung als robust hinsichtlich des gewählten Schwellenwerts erweisen. In jedem Fall sind, wie es die Transaktionskostentheorie vorhersagt, der Ingenieuraufwand und die Spezifität der Bauteile die Variablen, welche die Make-or-Buy-Entscheidung erklären.

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mit den marginalen Effekten @ PrÈy ã 2jxê @x @PrÈy ã 1jxê @x @ PrÈy ã 0jxê @x

Geordnete Logit- oder Probitmodelle sind zum Beispiel in neueren institutionenökonomischen Untersuchungen zum Verhältnis von Vertrauen in Organisationen und der Allokation von Eigentumsrechten angewandt worden (James, Sykuta 2003). Problemstellungen mit multiplen diskreten Werten der zu erklärenden Variablen, welche keine inhärenten ordinalen Relationen aufweisen, werfen allerdings diffizile zusätzliche Probleme auf, die hier nicht behandelt werden können.9 Monteverde und Teece (1982) gehen das Problem nicht-dichotomer Make-or-Buy-Entscheidungen an, indem sie eine dichotome abhängige Variable konstruieren, die zum Ausdruck bringen soll, ob in der Automobilindustrie eine Komponente „vorwiegend“ selbst erstellt oder aber zugekauft wird. Achtzigprozentige Selbsterstellung gilt als „vorwiegend“ – gewiss eine recht willkürliche Setzung. Allerdings erweisen sich die Ergebnisse auch bei anderen Schwellenwerten als robust (70 Prozent, 90 Prozent) und bestätigen die Voraussage der Transaktionskostentheorie, dass transaktionsspezifisches Wissen die Wahrscheinlichkeit der Eigenproduktion erhöht. Offen bleibt allerdings die wichtige Frage, welcher Schwellenwert notwendig ist, um sich gegen opportunistisches „Recontracting“ des Zulieferers abzusichern. Eine andere ökonometrische Forschungslinie der Institutionenökonomie befasst sich mit kardinalen Maßen zur Untersuchung institutioneller Strukturen, etwa der Zahl von bestimmten Begriffen und Klauseln in Verträgen, Verfassungen und Gesetzen, der Zahl von Abteilungen und Produktionslinien in Firmen oder der Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern. Dabei werden meist Poisson-Regressions-Modelle (Greene 2003) eingesetzt. Gompers und Lerner (1996) untersuchen die Vertragsbeziehungen zwischen Investoren und Venture Capital-Fonds und schätzen mit einem Poissonmodell die Zahl von Vertragsklauseln zur Regelung des allgemeinen Fondsmanagements, der Verhaltensweisen der Fondsmanager und des Portfoliomanagements. 9

Vgl. dazu zum Beispiel Ménard und Saussier (2000), die die Auslagerung der Wasserversorgung in französischen Gemeinden und die gewählten Vertragstypen untersuchen.

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2. Probleme der Modellbildung und der Datenlage Die beschriebenen ökonometrischen Arbeiten zur Institutionenökonomik unterstellen in der Regel, dass Governance-Mechanismen und Transaktionseigenschaften getrennt betrachtet werden können, dass mithin die Governance-Strukturen durch die Transaktionscharakteristika erklärt werden können. Häufig jedoch werden sowohl die Governance-Strukturen als auch die Transaktionscharakeristika endogen festgelegt. So werden zum Beispiel der Umfang spezifischer Investitionen und die Vorkehrungen gegen Opportunismus nach Vertragsabschluss simultan bestimmt. Berücksichtigt man zusätzlich die Dynamik von Governance-Strukturen im Zeitablauf, so greift bisher die ökonometrische Analyse nicht. Gerade die Dynamik von Vertragsstrukturen, also die Evolution von Verträgen und die erfahrungsbasierten Lernprozesse bei den Vertragspartnern, stellt mit die interessanteste Fragestellung der Neuen Institutionenökonomik dar. Sie entzieht sich bisher aber dem Zugriff durch die Ökonometrie. Die Fragestellungen der Institutionenökonomik sind offensichtlich schwer statistisch zu modellieren. Hinzu treten Probleme bei der Datenlage: Häufig sind die benötigten Daten nicht verfügbar.10 Die typischen Methoden der Datensammlung in der Institutionenökonomik sind das Interview, der Firmenbesuch, das Studium von Verträgen oder die Archivforschung. Charakteristisch für diese Methoden sind kleine Stichproben, die den effektiven Einsatz der oben erörterten ökonometrischen Techniken nicht erlauben. Zwar nimmt das Angebot an großen Datenbanken zu, jedoch gehen diese für die institutionenökonomische Forschung nicht genug ins Detail.11 Aber allein das Studium von Verträgen reicht für die empirische Analyse nicht aus. Notwendig ist zusätzlich die direkte Beobachtung der Akteure, welche den persönlichen Kontakt verlangt. Hier geht es um die Motive der vertragsschließenden Parteien, ihre Beziehungen und um den sozialen und ökonomischen Kontext. Diese Analyse können die ausgefeiltesten ökonometrischen Werkzeuge nicht ersetzen. Daher wird auch in Zukunft die Fallstudie die empirische Methode erster Wahl in der Institutionenökonomik bleiben.

10 Für Fogl (1970, S. 19) zieht dieses Argument gegen die Anwendung ökonometrischer Techniken allerdings nicht: „Je dürftiger die Zahlenangaben sind, desto aufwendigere Methoden müssen angewendet werden“. Fogl bezieht sich dabei allerdings im Wesentlichen auf die Regressionsanalyse, die bei der Make-or-BuyForschung keine Anwendung findet. 11 Eine positive Ausnahme stellt – allerdings nur mit US-amerikanischen Verträgen – die Vertragssammlung des „Contracting and Organizations Research Institute“ der Universität Missouri dar.

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„Soziale Marktwirtschaft“ – eine Leerformel? – Versuch einer Konkretisierung – Von Helmut Jenkis Der Begriff „sozial“ gehört zur Alltagssprache der Politiker, der Ökonomen und nicht zuletzt der Bürger. Aber: Was ist „sozial“? Ist es sozial, wenn ein Unternehmen rationalisiert, Personal entläßt und dadurch die Rentabilität erhöht? Ist es sozial, wenn ein Unternehmen die Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagert und den deutschen Standort aufgibt? Ist es sozial, wenn zwei rentable Firmen fusionieren um über Synergieeffekte Personal abzubauen? Die im Frühsommer 2005 ausgebrochene „Kapitalismuskritik“ beinhaltet auch die „Sozialfrage“. Je nach dem eigenen Standort werden diese und ähnliche unternehmerischen Entscheidungen als betriebswirtschaftlich notwendig und damit als sozial angesehen – mittel- und langfristig wird die Marktposition gestärkt und es werden Arbeitsplätze gesichert – oder wegen des Personalabbaus als unsozial kritisiert. Offensichtlich ist der Ausdruck „sozial“ ein unbestimmter und möglicherweise auch ein unbestimmbarer Begriff. Daher wird auch der populäre Ausdruck „Soziale Marktwirtschaft“ von den Einen als ein erfolgreiches Konzept der Wirtschaftsordnung bejaht und von den Anderen als Leerformel – Worthülse – abgelehnt. Es soll der Versuch unternommen werden, diesen unbestimmten Begriff zu konkretisieren.

I. Alfred Müller-Armacks Konzept der „Sozialen Marktwirtschaft“ Entgegen der häufig anzutreffenden Ansicht stammt das ordnungspolitische Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nicht von Ludwig Erhard, sondern von dem Münsteraner Ordinarius Alfred Müller-Armack (1901–1978), er hat es in seinem Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ entwikkelt.1 1 Alfred Müller-Armack: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Hamburg 1947 (Nachdruck herausgegeben von Bertram Schefold/Otto Schlecht/Christian Wa-

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1. Kritik der Wirtschaftslenkung und des Wirtschaftsliberalismus Müller-Armack hat sowohl die Wirtschaftslenkung als auch die liberale (freie) Marktwirtschaft einer Kritik unterzogen und dann auf diesem Hintergrund sein Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt bzw. begründet. Die deutsche Wirtschaftspolitik schaltete seit 1933 die marktwirtschaftlichen Regulatoren aus und ersetzte sie durch die Wirtschaftslenkung, sie war eine Antithese zur liberalen Marktordnung. Seit Mitte der 30er Jahre wurden im Zuge der Aufrüstung zunehmend kriegswirtschaftliche Lenkungssysteme eingesetzt, die zwar das Eigentum an den Produktionsmitteln nicht aufhob, wohl aber den Markt außer Kraft setzte; die freie Preisbildung wurde durch staatlich fixierte Preise – Preisstop – ersetzt. Dieses führte nicht nur zur ökonomischen Ineffizienz, sondern auch zur politischen Unfreiheit. Im Anschluß an diese Kritik gelangt Alfred Müller-Armack zum Ergebnis: „Der Anspruch der Wirtschaftslenkung, das schlechthin überlegene Wirtschaftssystem zu sein, kann nach alledem nicht akzeptiert werden.“2 Im Anschluß daran hat Alfred Müller-Armack auch den Wirtschaftsliberalismus einer kritischen Prüfung unterzogen: Mit dem Wirtschaftsliberalismus wurden die Bindungen des Merkantilismus überwunden, der Staatseinfluß zurückgedrängt, die Gewerbe- und Verkehrsfreiheit, die Goldwährung usw. eingeführt. Mit diesen Prinzipien glaubte man bereits eine Gesamtordnung geschaffen zu haben, aber es war eine gefährliche Unterlassung, darin schon eine Sicherung einer wirtschaftlichen Gesamtlebensordnung zu sehen. Alfred Müller-Armack kommt zu einer kritischen Bewertung des Wirtschaftsliberalismus:3 „So sehr es notwendig ist, die marktwirtschaftliche Ordnung als ein zusammenhängendes Ganzes zu begreifen und zu sichern, so sehr ist es ebenfalls notwendig, sich des technischen und partiellen Charakters der Marktordnung bewußt zu werden. Sie ist nur ein überaus zweckmäßiges Organisationsmittel, aber auch nicht mehr, und es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, der Automatik des Marktes die Aufgabe zuzumuten, eine letztgültige soziale Ordnung zu schaffen und die Notwendigkeiten des staatlichen und kulturellen Lebens von sich aus zu berücksichtigen. Es bedarf hier vielmehr einer bewußten Einstellung der marktwirtschaftlichen Ordnung in eine übergreifende Lebensordnung, welche die notwendigen Korrekturen und Ergänzungen zu dem rein technisch verlaufenden Prozeß der trin: Alfred Müller-Armacks „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“, Vademecum zu einem Klassiker der Ordnungspolitik, Düsseldorf 1999). 2 Müller-Armack, S. 56. 3 Ebenda, S. 85 (Hervorhebung abweichend vom Original, Jk.).

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Gütererzeugung vollzieht. Der Liberalismus hat es unterlassen, diese übergreifende Aufgabe sich zu eigen zu machen.“

In diesem Zitat wird deutlich, daß Alfred Müller-Armack die Wirtschaftsordnung nicht isoliert – modell-theoretisch – begreift, sondern sie in das gesellschaftliche und politische System einordnet. 2. Das Konzept und der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg (1946/47) wirft Alfred MüllerArmack die Frage auf, welches Ordnungssystem den deutschen Wiederaufbau erfolgreich bewältigen kann. Sein Urteil lautet:4 „Es sind die beiden Alternativen, zwischen denen bisher die Wirtschaftspolitik sich bewegte, die rein liberale Marktwirtschaft und die Wirtschaftslenkung, innerlich verbraucht, und es kann sich für uns nur darum handeln, eine neue dritte Form zu entwickeln, die nicht als vage Mischung, als ein Parteikompromiß, sondern als eine aus den vollen Einsichtsmöglichkeiten unserer Gegenwart gewonnene Synthese darstellt.“ Diese neue, dritte Form ist die Soziale Marktwirtschaft. Was versteht Alfred Müller-Armack unter der Wortverbindung „Soziale Marktwirtschaft“? Er hat diese widerspruchsvolle Wortverbindung wie folgt definiert:5 „Der Begriff der sozialen Marktwirtschaft kann so als eine ordnungspolitische Idee definiert werden, deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden.“

Auf eine kurze Formel gebracht hat Alfred Müller-Armack seine Idee wie folgt definiert:6 „Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem sozialen Ausgleich zu verbinden.“ Dieses ist ein wohlklingende Formulierung, aber eine Leerformel, da sie keine Auskunft darüber gibt, was Alfred Müller-Armack unter „sozial“ versteht oder Wirtschaftspolitiker darunter verstehen sollen. Daher kann ein jeder seine eigene Interpretation vornehmen und behaupten, diese sei die richtige.

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Ebenda, S. 87 f. (Hervorhebung erfolgte durch uns, Jk.). Alfred Müller-Armack: Artikel „Soziale Marktwirtschaft“, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. IX, S. 390–392, zitiert S. 390 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 6 Ebenda, S. 390 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 5

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II. Kritik und Anti-Kritik der „Sozialen Marktwirtschaft“ Selbst Alfred Müller-Armack ist sich bewußt, daß die Wortverbindung von „sozial“ und „Marktwirtschaft“ problematisch ist: „Die Wortverbindung: soziale Marktwirtschaft wurde anfänglich als widerspruchsvoll empfunden. Hinzu kam, daß eine vage Verwendung des Begriffes in der Öffentlichkeit gelegentlich den geistigen Anspruch dieses Begriffes verdeckte.“7 Vehementester Kritiker des Begriffes „sozial“ war Friedrich August von Hayek, der auch alle Wortverbindungen wie soziale Gerechtigkeit, soziale Demokratie oder soziale Marktwirtschaft ablehnte. Allerdings haben sich Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard gegen diese Kritik gewehrt. 1. Friedrich August von Hayeks Kritik des Begriffes „sozial“ Der liberale Ökonom Friedrich August von Hayek (1899–1992) hat 1976 in seiner Vorlesung an der Universität Sydney den Begriff der sozialen Gerechtigkeit nachdrücklich abgelehnt:8 „Mehr als zehn Jahre habe ich mich intensiv damit befaßt, den Sinn des Begriffs ‚soziale Gerechtigkeit‘ herauszufinden. Der Versuch ist gescheitert; oder besser gesagt, ich bin zu dem Schluß gekommen, daß für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat. . . . ‚soziale Gerechtigkeit‘ (ist) als nichts anderes als eine völlig nichtssagende Formel zu betrachten. Sie wird üblicherweise dazu benutzt, Sonderansprüche zu rechtfertigen, ohne daß man sie begründen müßte. . . . Die völlige Inhaltslosigkeit des Begriffs ‚soziale Gerechtigkeit‘ zeigt die an den Tatsachen, daß es keine Übereinstimmung darüber gibt, was soziale Gerechtigkeit im Einzelfall erfordert; . . .“.

Auch wenn die Bürger mit dem derzeitigen System der Verteilung unzufrieden sind, besitzt nach von Hayek keiner eine Vorstellung darüber, welches Verteilungssystem als gerecht anzusehen wäre. „Alles, was wir finden können, sind individuelle Urteile über die als ungerecht empfundenen Einzelfälle. Niemand hat bis jetzt eine einzige allgemeine Regel herausgefunden, aus der wir für alle Einzelfälle, auf die sie anzuwenden wäre, ableiten können, was ‚sozial gerecht‘ ist . . .“.9 Und an gleicher Stelle weist von Hayek darauf hin, daß die meisten Leute daran fest glauben, es müsse an dieser Phrase etwas dran sein, weil fast alle daran glauben. 7 Müller-Armack: Artikel „Soziale Marktwirtschaft“ S. 390 (Hervorhebung erfolgte durch uns, Jk.). 8 Friedrich A. von Hayek: Der Atavismus „soziale Gerechtigkeit“, in: Derselbe: Drei Vorlesungen über Demokratie, Gerechtigkeit und Sozialismus, in: Walter Eukken Institut, Vorträge und Aufsätze, Nr. 63, S. 23–38, zitiert S. 23 bzw. S. 24 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 9 Ebenda, S. 25.

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Ausführlich hat sich Friedrich August von Hayek im zweiten Band seiner dreibändigen Untersuchung über „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“ mit der „Illusion der sozialen Gerechtigkeit“ auseinandergesetzt.10 Der Gebrauch des Ausdrucks „soziale Gerechtigkeit“ ist verhältnismäßig jungen Datums, er ist mit dem Begriff der „distributiven Gerechtigkeit“ – der austeilenden Gerechtigkeit – gleichzusetzen, d.h., daß die Gesellschaft jeden gleich gut behandeln soll, der sich um sie im gleichen Maß verdient gemacht hat. Dieses ist das oberste und allgemeine Prinzip der sozialen (austeilenden) Gerechtigkeit. Die Leerheit des Begriffes wird daran deutlich, daß die Forderung nach der sozialen Gerechtigkeit sich nicht an das Individuum, sondern an die Gesellschaft wendet. Es müßte eine Macht geben, die den Individuen oder Gruppen bestimmte Anteile am Sozialprodukt zuweisen kann. Aber die Frage ist, ob es moralisch ist, daß sich Menschen den Gewalten der Lenkung unterwerfen sollen. Nichtsdestoweniger ist die Berufung auf die soziale Gerechtigkeit zu dem am weitesten verbreiteten und wirksamsten Argument in der politischen Diskussion geworden: „Beinahe jede Forderung nach einer Regierungstätigkeit zugunsten bestimmter Gruppen wird in ihrem Namen vorgebracht, und wenn man den Anschein erwecken kann, daß eine bestimmte Maßnahme von der ‚soziale Gerechtigkeit‘ verlangt werde, schwindet jeder Widerstand dagegen schnell dahin.“ Und: Es „muß zweifelhaft bleiben, ob das Verlangen nach Verteilungsgerechtigkeit die Gesellschaft in irgendeinem Sinne gerechter gemacht oder die Unzufriedenheit verringert hat.“11 Von Hayek gibt zu, daß die durch den Marktmechanismus verteilten Wohltaten und Lasten in vielen Fällen als ungerecht empfunden werden. Aber das ist nicht der Fall; denn der Markt funktioniert als Austausch – Katallaktik –, die von Hayek „Spiel des Marktes“ oder „Spiel der Katallaxie“ nennt.12 Ziel der Katallaktik ist, den größten Gewinn zu machen. Daher ist man nur an einem Tauschpartner interessiert, der den höchsten Preis bietet. Es ist ein völlig anderes moralisches Verhalten, das sich nicht an den Bedürfnissen bekannter Mitmenschen orientiert, sondern an den Gewinnchancen. „Gerechtigkeit von einem derartigen Prozeß zu verlangen, ist offensichtlich absurd, und in einer solchen Gesellschaft bestimmte Leute dadurch auszusondern, daß man ihnen einen Rechtsanspruch auf bestimmte Anteile zubilligt, augenscheinlich ungerecht.“13 Und schließlich folgt das 10 F. A. von Hayek: Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, Landsberg am Lech 1981. Siehe den Abschnitt: Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“, S. 93–95. 11 Ebenda, S. 96. 12 von Hayek: Der Atavismus „soziale Gerechtigkeit“, S. 27 f. 13 von Hayek: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, S. 95.

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Verdikt von Friedrich August von Hayek:14 „Der Ausdruck ‚soziale Gerechtigkeit‘ gehört nicht in die Kategorie des Irrtums, sondern in die des Unsinns wie der Ausdruck ‚ein moralischer Stein‘“. Deutlicher kann der Unterschied zwischen Alfred Müller-Armack einerseits und Friedrich August von Hayeks andererseits nicht herausgearbeitet werden. 2. Die Anti-Kritik Es ist Friedrich August von Hayek zuzustimmen, daß mit dem Begriff „sozial“ sehr häufig oder nahezu immer Ansprüche von Individuen oder Gruppen an den Staat (die Gesellschaft) verbunden sind. Gruppen- und Interessentenpolitik führen dazu, daß aus dem Sozialstaat – in dem das Subsidiaritätsprinzip vorherrschen soll – ein Wohlfahrtsstaat wird. Die negativen Erfahrungen der skandinavischen Staaten und deren „Umsteuerung“ haben deutlich gemacht, daß den staatlichen sozialen Wohltaten ökonomische Grenzen gesetzt sind. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in der Phase der sozialen Umstrukturierung. Nicht zuzustimmen ist von Hayeks These, daß das Streben nach sozialer Gerechtigkeit von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil keine allgemeingültige Definition oder Formel vorhanden ist: Wenn man diese These auf den Wettbewerb – die Grundlage der Katallaxie – überträgt, dann müßte von Hayek sein gesamtes Wettbewerbskonzept ablehnen, denn: Im Zuge der Beratungen im Deutschen Bundestag über den Entwurf des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) hatte man bei den Vorarbeiten zum Gesetzentwurf noch die Hoffnung, den zu schützenden Wettbewerb im Rahmen des Kartellgesetzes definieren zu können. Aber: „So enthält auch die Begründung des Regierungsentwurfs vom 2.1.1955 die Vorstellung, es sei die ‚vollständige Konkurrenz‘ und die ‚Marktform des vollkommenen Wettbewerbs‘ so weit wie möglich zu realisieren, (. . .). Spätestens bei dem Bericht des Bundestagsauschusses für Wirtschaftspolitik (. . .) vom 28. und 29.6.1957 hat man diese Hoffnung jedoch begraben. Man hatte sich bei der Verabschiedung des Gesetzes . . . offenbar in dem Glauben sicher gefühlt, daß eine Legaldefinition des Wettbewerbs lediglich ‚gegenwärtig‘ nicht möglich sei. Es ist also nicht zutreffend, wenn unter Hinweis auf die Begründung zum Regierungsentwurf behauptet wird, das GWB fuße auf der Vorstellung der vollkommenen Konkurrenz bzw. habe die Marktform der vollkommenen Konkurrenz zum Leitbild“.15 14

Ebenda, S. 112 (Hervorhebung erfolgte durch uns, Jk.). Siehe Erich Hoppmann: Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: Hans K. Schneider (Hrsg.): Grundlagen der Wettbewerbspolitik, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F., Bd. 48, Berlin 1962, S. 9–49, Fußnote 2, S. 9 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 15

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Im Deutschen Bundestag ist man zum Ergebnis gekommen, daß weder die vollständige Konkurrenz noch die Marktform des vollkommenen Wettbewerbs realisiert werden können und daß daher eine Legaldefinition des Wettbewerbs nicht möglich sei. Der Freiburger Ökonom Erich Hoppmann gelangt gleichfalls zu einem negativen Ergebnis; denn: „Die Nationalökonomie kann der Aufforderung nicht nachkommen, jene wettbewerblichen Prozesse, deren Realisierung das Ziel der Wettbewerbspolitik ist, in positiver Form praktikabel zu beschreiben. . . . Die Regeln (der Wettbewerbspolitik, Jk.) ordnen an, was die Marktteilnehmer nicht tun dürfen. Auf diese Weise wird der Wettbewerb indirekt und negativ normiert, und zwar durch globale und abstrakte Normen.“16 M. a. W.: Man ist nur in der Lage zu sagen bzw. zu definieren, was nicht Wettbewerb ist, allerdings unterliegt auch die negative Abgrenzung zeitgebundenen Abgrenzungskriterien. Friedrich August von Hayek hat als liberaler Ökonom nahezu jeden staatlichen Einfluß als Sozialismus oder Planwirtschaft verurteilt.17 Da er jede Wortverbindung mit „sozial“ ablehnt, weil hierfür keine allgemeingültige Definition oder keine allgemeingültige Regeln gefunden werden können, müßte er auch den Wettbewerb ablehnen, weil es hierfür gleichfalls keine allgemeingültige und positive – sondern nur eine negative – Abgrenzung gibt. Sind aber vollständige oder unvollständige Definitionen über Begriffe, Instrumente oder Institutionen für die Wirtschaftspolitik entscheidend? Noch problematischer ist von Hayeks Satz: „Der Ausdruck ‚soziale Gerechtigkeit‘ gehört nicht in die Kategorie des Irrtums, sondern in die des Unsinns wie der Ausdruck ‚ein moralischer Stein‘“.18 Es ist nicht nachvollziehbar, wie von Hayek Individuen bzw. menschliche (soziale) Institutionen oder Organisationen mit einem leblosen Stein vergleichen kann: Ein Stein ist leblos, er kann nicht sein „Leben“ gestalten und kann nicht soziale Institutionen – wie zum Beispiel – eine Familie bilden. Hingegen können die Menschen und (parlamentarische) Institutionen Leitbilder entwickeln, Normen setzen und diese im Gesetzgebungsverfahren für allgemeingültig erklären. Vereinfacht ausgedrückt: Das menschliche Wesen ist weitestgehend frei, ein Stein ist tote Materie, ohne eigenen Willen und ohne Gestaltungsmöglichkeiten. Menschen und deren Institutionen – so zum Beispiel die Parlamente – können sich irren, die Gerichte können Fehl16

Hoppmann, S. 47 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). In diesem Zusammenhang sei nur auf seinen berühmten Kieler Vortrag verwiesen: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Kieler Vorträge gehalten im Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, N. F., Nr. 56, Kiel 1968. 18 von Hayek: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, S. 112 (Hervorhebung erfolgte durch uns, Jk.). 17

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entscheidungen treffen, aber sie können aus moralischen Motiven, Leitbildern oder Normen die Gesellschaft positiv oder negativ gestalten, Fehler korrigieren oder neue Entscheidungen treffen. Die soziale Gerechtigkeit als Unsinn zu bezeichnen und mit dem „moralischen Stein“ zu vergleichen ist – um von Hayeks Sprache zu gebrauchen – absurd und unsinnig. Hans Kelsen (1881–1973), der – wie Friedrich August von Hayek – aus Österreich stammte und in den USA lehrte, ist der Frage nachgegangen, was Gerechtigkeit sei.19 Er gelangt zu dem Ergebnis, daß er nicht in der Lage sei zu beantworten, was Gerechtigkeit ist, denn: „Es wäre mehr als anmaßend, meine Leser glauben zu machen, mir könnte gelingen, was die größten Dichter verfehlt haben. Und in der Tat, ich weiß nicht und kann nicht sagen, was Gerechtigkeit ist, die absolute Gerechtigkeit, dieser schöne Traum der Menschheit. Ich muß mich mit einer relativen Gerechtigkeit begnügen und kann nur sagen, was Gerechtigkeit für mich ist.“20

Der Unterschied zwischen den beiden Österreichern ist fundamental: Friedrich August von Hayek sucht nach der absoluten (sozialen) Gerechtigkeit, diesem schönen Traum der Menschheit; Hans Kelsen ist weit bescheidener und sagt, daß er diesen Traum nicht erfüllen kann und er sich daher mit der relativen Gerechtigkeit begnügen muß. Wenn von Hayek den Schritt zur relativen Gerechtigkeit gehen würde, könnte er dann die soziale Gerechtigkeit akzeptieren? Oder muß er die relative Gerechtigkeit deshalb ablehnen, um sein Theoriegebäude – die Ablehnung der These von der sozialen Gerechtigkeit – nicht zum Einsturz zu bringen? Der Konstanzer Rechtswissenschaftler Bernd Rüthers hat in seiner Schrift „Das Ungerechte an der Gerechtigkeit“21 festgestellt, daß es in Deutschland (wahrscheinlich auch in anderen Staaten) im zwanzigsten Jahrhundert verschiedene Systemgerechtigkeiten gegeben hat: In Deutschland im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus, in der Bundesrepublik und schließlich in der ehemaligen DDR. Er fügt hinzu: „Vollkommene Gerechtigkeit kann nach allem von staatlicher Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht erwartet werden, auch nicht von einer – noch so idealen – Verfassung oder Verfassungsgerichtsbarkeit.“22 Das, was für die juristischen und die richterlichen Gerechtigkeitsprinzipien gilt, gilt auch für die soziale (ökonomische und gesellschaftliche) Gerechtigkeit. 19 Hans Kelsen: Was ist Gerechtigkeit? – Mit einem Nachwort von Robert Walter, Reclam-Heft 18076, Stuttgart 2000. 20 Ebenda, S. 52 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 21 Bernd Rüthers: Das Ungerechte an der Gerechtigkeit – Definition eines Begriffes, 2. Aufl., Zürich 1993. 22 Ebenda, S. 12 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.).

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Wir pflichten Rüthers bei, wenn er feststellt:23 „Wer letzte Gerechtigkeit von irdischen Instanzen erwartet, scheitert notwendig an der Unerfüllbarkeit seiner illusionären Erwartungen. . . . Gerechtigkeitsprobleme sind Wertfragen. Ihre Beantwortung hängt von weltanschaulichen (ideologischen) Prämissen ab. Niemand hat hier einen berechtigten Anspruch auf den Vollbesitz der Wahrheit oder gar ein Wahrheitsmonopol. Werte und Wertrelationen sind nicht empirisch oder logisch beweisbar. . . . Die Unfehlbarkeit solcher Aussagen ist ein möglicher Gegenstand des religiösen (oder pseudoreligiösen) Glaubens, nicht aber wissenschaftlich begründeter Erkenntnis.“

Diese Feststellung – der wir uns anschließen – gilt auch für Friedrich August von Hayek: Seine Ablehnung der sozialen Gerechtigkeit – damit auch der sozialen Marktwirtschaft – beruht auf der Prämisse einer „Gesellschaft freier Menschen“, für die dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat.24 Ist aber ein moderner demokratischer Staat ohne einen wie auch immer konstruierten Sozialausgleich denkbar? Ausgehend von dieser Prämisse erhebt er den Anspruch, im Vollbesitz der Wahrheit zu sein, er beansprucht sogar ein Wahrheitsmonopol. Aus diesem Anspruch leitet er ab, daß – im philosophischen Sinne – weder die soziale Gerechtigkeit noch die soziale Ungerechtigkeit definiert werden können. Ex falso quod libet, das heißt, aus einer falschen Prämisse kann man beliebig deduzieren. Die Deduktionen sind überzeugend. Wenn aber die Prämisse falsch ist, dann muß auch das Ergebnis falsch sein. In abstraktem Sinne ist die soziale Gerechtigkeit nicht zu definieren. Dennoch kommt kein moderner Staat und keine moderne Gesellschaft ohne Elemente oder Ansätze einer sozialen Gerechtigkeit aus. In dem von Alfred Müller-Armack entwickelten Ordnungsmodell „Soziale Marktwirtschaft“ ist das Adjektiv „sozial“ ein unbestimmter (Rechts-)Begriff, der zeit- und wertgebunden interpretiert bzw. gebraucht werden kann. Dieses hat Ludwig Erhard erkannt und dennoch dieses Modell wirtschaftspolitisch erfolgreich angewandt. Wäre dagegen Ludwig Erhard der These von Friedrich August von Hayek gefolgt, dann hätte er weder die Soziale Marktwirtschaft in der neugebildeten Bundesrepublik Deutschland durchsetzen noch eine praktische Wirtschaftspolitik treiben können, weil es zum Beispiel keine Legaldefinition des Wettbewerbs gibt. In einer unvollkommenen Welt mit unvollkommenen Menschen können keine vollkommenen Regeln oder Institutionen geschaffen werden; denn: „Wer letzte Gerechtigkeit von irdischen Instanzen erwartet, scheitert notwendig an der Unerfüllbarkeit seiner illusionären Erwartungen“ (so Rüthers, S. 24 f.). 23 24

Ebenda, S. 14 f. (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). von Hayek: Der Atavismus „sozialer Gerechtigkeit“, S. 23.

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III. Exkurs: Zur Leerformelproblematik Im Titel dieses Beitrages haben wir die Frage aufgeworfen, ob es sich beim Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ um eine Leerformel handelt. Es erscheint angebracht, in einem Exkurs die Leerformelproblematik zu skizzieren: In den Soziallehren – wozu auch die Nationalökonomie gehört – treten Handlungsanweisungen und Werturteile im Gewande von Aussagen über objektive Tatsachen und Aussagen über die empirische Realität mit dem Anspruch auf, wissenschaftliche Wahrheit zu beinhalten. Diese Theorien – oder Pseudotheorien – wollen absolute Wertbegründung, Unwiderlegbarkeit und wissenschaftliche Wahrheit in sich vereinigen. Diese Sätze werden so formuliert, daß sie mit jedem empirischen Sachverhalt oder mit jeder möglichen Wertung bzw. Handlungsanweisung vereinbar sind. Das aber bedeutet, daß sie keinen empirischen Gehalt besitzen. So zum Beispiel haben Sätze mit sehr weitem oder totalem Spielraum nur einen sehr geringen oder gar keinen Informationsgehalt, da der logische Spielraum alle jene Sachverhalte umfaßt, die mit der betreffenden Aussage vereinbar sind und jene ausschließt, die mit ihr unvereinbar sind. Folglich: Je größer der Spielraum ist, desto geringer ist die Gefahr der Widerlegung, desto geringer ist auch der Informationsgehalt und umgekehrt. Man kann jede Aussage und jedes Aussagesystem vor der Entkräftung retten, indem man sie so formuliert, daß sie nichts über die Erfahrungstatsachen aussagen. Es handelt sich um eine Immunisierungsstrategie, die gern von Politikern gebraucht wird und die – wenn man sie nicht durchschaut – in verblüffender Weise die Unfehlbarkeit einer Theorie vortäuschen. Die Gefahr der Täuschung besteht auch darin, daß ein und derselbe Satz eine sachliche Aussage oder eine (unwiderlegbare) Leerformel ist. In der Sprachlogik werden drei Arten von Leerformeln unterschieden:25 (1) Pseudo-empirische Leerformeln: Darunter kann man sprachliche Formulierungen verstehen, die mit dem Anspruch auftreten, über die empirische Realität zu informieren, tatsächlich aber keinen Informationsgehalt haben; denn sie sind mit jeder logisch möglich bzw. faktisch auftreten25 Ernst Topitsch: Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, in: Logik der Sozialwissenschaften, herausgegeben von Ernst Topitsch, Neue Wissenschaftliche Bibliothek; Köln/Berlin 1970, S. 17–36; erschienen auch als: Ernst Topitsch unter Mitarbeit von Peter Payer: Logik der Sozialwissenschaften, in: Athenäum Taschenbücher, AT 4066, 11. Aufl., Königstein/Ts. 1984, S. 15–36 (es wird aus der zuerst genannten Quelle zitiert). Ernst Topitsch/Kurt Salamun: Ideologie – Herrschaft des Vor-Urteils, München 1972; Michael Schmid: Leerformeln und Ideologiekritik, in: Heidelberger Sociologica, Bd. 11, Tübingen 1972.

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den Sachlage vereinbar. Auf Grund dieses fehlenden Gehaltes sind sie nicht falsifizierbar. Bekannt ist der dem König Krösus erteilte Orakelspruch, er werde ein großes Reich zerstören, wenn er den Halys überschreite. Gleichgültig, wer siegt, der Spruch des Orakels bleibt unwiderlegbar (Krösus zerstörte sein eigenes Reich). (2) Pseudo-normative Leerformeln: Sie schließen keine oder nur so wenige Verhaltensweisen und Handlungsalternativen aus, daß man aus ihnen in spezifischen Entscheidungssituationen keine konkreten Verhaltensanweisungen ableiten kann, weil sie nahezu jede Handlungsmöglichkeit erlauben. Hierzu gehören die moralischen und humanistischen Sentenzen, die sich bei genauer Analyse als gehaltlose Worthülsen erweisen. Derartige Formulierungen sind vor allem in der Naturrechtslehre anzutreffen, die durch ihre Leerheit den Eindruck zeitloser Grundsätze erwecken. Die Gerechtigkeitsformel „Jedem das Seine“ (suum cuique) oder „Jedem nach seinen Leistungen“ bleiben so lange eine Leerformel, wie keine operationalen Maßstäbe angegeben werden. „Mangelt es den pseudoempirischen Leerformeln an Sachgehalt, so mangelt es diesen pseudonormativen Leerformeln an Normgehalt.“26 (3) Essentialistische Leerformeln: Diese versprechen eine Erkenntnis des „Sinnes“ oder des „Wesens“ von physischen oder sozialen Gegebenheiten. Es sind Wesensaussagen über die „wahre“ Bedeutung von Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie oder die Soziale Marktwirtschaft. Die logische Analyse von Wesensaussagen zeigt, daß bei definitorischen Festsetzungen vorausgesetzte, aber nicht ausgewiesene Wertungen vorliegen. Derartige „Wesensaussagen“ – Definitionen und Werturteile – sind vom wissenschaftlichen Standpunkt frei wählbar, dennoch erheben sie den Anspruch, eine „absolute (Wesens-)Wahrheit“ zu beinhalten. Überträgt man die Leerformelproblematik auf Alfred Müller-Armack und auf Friedrich August von Hayek, so kann man die folgenden Unterschiede konstatieren: (1) Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft beinhaltet zum Teil eine pseudo-empirische und zum Teil eine pseudo-normative Leerformel, denn es mangelt sowohl an einem Sach- als auch an einem Normgehalt. (2) Die These von der sozialen Gerechtigkeit im Sinne von Friedrich August von Hayek ist eine essentialistische Leerformel, da von Hayek beansprucht, das „wahre“ Wesen dieses Begriffes zu kennen, daher lehnt er diesen auf Grund seiner subjektiven Wertungen ab. 26

Topitsch, S. 28.

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Es sind in der Interpretation der Sozialen Marktwirtschaft auch essentialistische Elemente enthalten; denn in der Diskussion über die Frage, ob nach über 50 Jahren die Soziale Marktwirtschaft – von Alfred Müller-Armack konzipiert und von Ludwig Erhard politisch durchgesetzten – noch der ursprünglichen Idee entspricht, das heißt, ob die „wahre“ Soziale Marktwirtschaft noch existiert oder ob diese im Laufe der Zeit denaturiert wurde. Daher wird die Forderung erhoben, eine „neue“ Soziale Marktwirtschaft zu entwickeln. Da es sich sowohl bei der „alten“ als auch bei der „neuen“ Sozialen Marktwirtschaft um Leerformeln handelt, wird man auf Grund von (subjektiven) Werturteilen die jeweilige Form der Sozialen Marktwirtschaft positiv oder negativ beurteilen.

IV. Ludwig Erhard – „Vater“ der Sozialen Marktwirtschaft? Alfred Müller-Armack ist der geistige Vater des Modells der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard der wirtschaftspolitische Vater, der dieses Konzept gegen erhebliche Widerstände durchsetzte. War aber Ludwig Erhard von diesem Konzept geistig überzeugt? Ludwig Erhard (1897–1977) war von der Wortverbindung „sozial“ und „Marktwirtschaft“ nicht überzeugt, da er ein Vertreter des Ordoliberalismus war, dennoch hat er diese Formel gebraucht. Der Erhard-Biograph Hentschel27 stellt hierzu fest:28 „Erhard scheint die undeutlich-vielsagende Wortverbindung zunächst fremd geblieben zu sein. Als er sie kennenlernte, begriff er intuitiv die Werbewirksamkeit und machte sie sich zu eigen. Ob er auch Müller-Armacks Begriff begriff, ist allerdings fraglich. Er verwendete das Wortpaar in seinen Reden als selbstverständlich ohne es eingehend zu erläutern. Deutungsansätze liefen aber allemal darauf hinaus, daß die Marktwirtschaft sozial sei, weil sie frei und sofern sie Wettbewerbswirtschaft ist. . . . Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, daß Erhard sein ordoliberales Verständnis von Marktwirtschaft in Müller-Armacks Worte kleidete, ohne das Verständnis Müller-Armacks Begriff anzupassen.“

Ludwig Erhard hat die Wortverbindung von „sozial“ und „Markt“ abgelehnt; denn nach seiner Ansicht wirkt die Marktwirtschaft aus sich heraus sozial, sie bedarf keines Zusatzes. Im Deutschen Bundestag hat Erhard 1950 sich zum Ordoliberalismus bekannt: „Ich bin allerdings der Meinung, daß es nur eine gerechte Verteilung gibt, und das ist die, die durch die Funktion des Marktes erreicht wird. Der Markt ist der einzig gerechte de27 Volker Hentschel: Ludwig Erhard – Ein Politikerleben (Ullstein-Ausgabe), Berlin 1998, S. 102 (Hervorhebung erfolgte durch uns, Jk.). 28 Zitiert nach Hentschel, S. 102.

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mokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt.“ In dieser Aussage ist keine sozial orientierte Korrektur der Marktergebnisse enthalten; Erhard stand geistig näher zu Friedrich August von Hayek als zu Alfred Müller-Armack. Andererseits hatte Ludwig Erhard erkannt, daß die Leerformel Soziale Marktwirtschaft in der Bevölkerung akzeptiert wurde, mit der in Ermangelung einer konkreten Ausfüllung nur positive Vorstellungen assoziiert werden können. Geistig stand Ludwig Erhard dem Begriff und dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft skeptisch gegenüber, hat diesen aber aus psychologischen und politischen Gründen – ob seiner Anziehungskraft in Wahlkämpfen – gebraucht, „obwohl er befürchtete, daß die Bezeichnung ‚Soziale Marktwirtschaft‘, . . ., zu Mißverständnissen und zur Denaturierung der Marktwirtschaft infolge Aufblähung des Sozialen führen konnte, beließ es Erhard bei diesem dubiosen Begriff für die von ihm präferierte Wirtschaftsordnung, die faktisch mehr der ordoliberalen Wettbewerbsordnung als der von Müller-Armack konzipierten Sozialen Marktwirtschaft entsprach.“29 Ludwig Erhard als der „Vater“ der Sozialen Marktwirtschaft neigte mehr dem Ordoliberalismus denn dem Konzept von Alfred Müller-Armack zu. Wenn er sich dennoch dieses Begriffes bediente, dann deshalb, weil es sich um eine pseudo-normative Leerformel handelte, die psychologisch und politisch bei der Bevölkerung gut ankam. Der wirtschaftliche Wiederaufbau, der fälschlich als „Wirtschaftswunder“ bezeichnet wird, gab ihm und dem von ihm verbal vertretenen Konzept Recht. An diesem Beispiel wird deutlich, daß Leerformeln ob ihrer Inhaltslosigkeit erfolgreich sein können. Ludwig Erhard war der wirtschaftspolitische, nicht aber der ordnungspolitische „Vater“ der Sozialen Marktwirtschaft.

V. Die ordnungspolitische Neutralität des Grundgesetzes Der von Alfred Müller-Armack eingeführte Begriff der Sozialen Marktwirtschaft ist eine (pseudo-normative) Leerformel, die nicht konkretisiert bzw. operationalisiert ist. Es soll daher der Frage nachgegangen werden, ob die Soziale Marktwirtschaft im (Bonner) Grundgesetz normiert worden ist, so daß eine verfassungsrechtliche Grundlage vorliegt. Im Gegensatz zur (sozialistischen und damit kollektivistischen) Verfassung der ehemaligen DDR von 1963/1974 beruht das Grundgesetz auf dem Individualprinzip, denn: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Art. 1 I, 29 Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik, 4. Aufl., München/Wien 2002, S. 154 (Hervorhebung im Original, Jk.).

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Satz 1 GG). Für die Gestaltung der Wirtschaftsordnung ist Art. 14 GG in doppelter Hinsicht von Bedeutung: In Absatz I „(werden) das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet.“ Absatz II enthält die Sozialpflichtigkeit des Eigentums: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“.30 Dieses ist eine der zentralen Verfassungsgrundsätze, die nicht nur die Wirtschafts-, sondern auch die gesamte Gesellschaftsordnung betreffen: Einerseits wird die Eigentumsgarantie in der Form des persönlichen Vermögens als Garant für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit gesehen – sie ist die Basis für ein menschenwürdiges Dasein –, andererseits ist ein Ausgleich zwischen der individualrechtlichen Freiheitsgarantie und der ordnungspolitischen Komponente, dem Zusammenspiel von Freiheits- und Ordnungsfunktion durch die Sozialbindung des Eigentums herbeizuführen. Zwischen der Eigentumsgarantie und der Sozialbindung des Eigentums besteht ein Spannungsverhältnis, das im Einzelfall einer permanenten Klärung bedarf. Der Art. 14 II GG kann man als ein Hinweis auf die sozialen Elemente der Marktwirtschaft ansehen. Die These, daß das Grundgesetz auf dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft beruht, wird durch die Art. 20 und 28 GG gestützt: Art. 20 I GG bestimmt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Und Art. 28 I Satz 1 GG legt fest: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“ Im Art. 14 GG wird das Adjektiv „sozial“ nicht gebraucht, es umschreibt aber die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, in den Artikeln 20 und 28 GG wird das Adjektiv „sozial“ expressis verbis – ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte – genannt. Das „Bild“ vom Sozialstaat ist unschärfer als der historisch gewachsene Demokratiebegriff. Dennoch ist der Begriff des „Sozialstaates“ weder ein substanzloser Blankettbegriff noch kann man dem Attribut „sozial“ die Eigenschaft als Rechtsbegriff absprechen. Die Sozialstaatsklausel ist unmittelbar geltendes Recht, wenn auch ein der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip. Mit der Sozialstaatsklausel erfolgte eine Abkehr vorn bürgerlich-liberalen Rechtsstaat, der als Rechtsbewahrstaat die bestehende Güterverteilung sicherte, sie aber nicht im Sinne eines sozialen Ausgleichs änderte. Im Gegensatz zum liberalen Rechtsstaat ist der Sozialstaat aufgerufen und legitimiert, die gesellschaftliche Ordnung zu gestalten. Adressat der Sozialstaatsklausel ist in 30

Der Art. 14 II GG hatte in Art. 153 III Weimarer Reichsverfassung von 1919 einen Vorläufer: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“

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erster Linie der Gesetzgeber, dem die Präzisierung des Attributs „sozial“ durch legislatorische Entscheidungen überlassen wird. Der nachmalige (liberale) Bundesminister der Justiz, Hans A. Engelhard (FDP), hat vor dem Zentrum der Inneren Führung der Bundeswehr am 29. Oktober 1984 in Koblenz zum Thema „Verfassungsrecht und Rechtspolitik“ Stellung genommen und zum Sozialstaatspostulat folgendes ausgeführt:31 „Das Rechtsstaatsprinzip steht in einem engen Zusammenhang mit dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit. Das Grundgesetz spricht in Artikel 28 Grundgesetz vom ‚sozialen Rechtsstaat‘. Überließen frühere Gesellschaftsordnungen die Regelung gesellschaftlicher Probleme dem freien Spiel der Kräfte, so erklärt sich das Grundgesetz hierin für die Gestaltung der sozialen 0rdnung mitverantwortlich. In Form einer Staatszielbestimmung stellt das Sozialstaatsprinzip dem Staat die Aufgabe, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen Die Beantwortung der Frage, mit welchen Mitteln gesellschaftliche Konfliktfelder befriedet werden sollen und wie etwa soziale Bedürftigkeit zu definieren ist, stellt es in das Ermessen des Gesetzgebers. Welche Maßnahmen im Einzelfall dem Sozialstaatsprinzip mehr entspricht, kann im allgemeinen nur politisch bewertet werden.“

In mehrfacher Hinsicht ist die Interpretation der Sozialstaatsklausel durch den damaligen Bundesjustizminister Engelhard von Bedeutung: Einmal handelt es sich nicht um eine substanzlose Blankettformel, zum anderen soll ein Ausgleich der sozialen Gegensätze – eine gerechte Sozialordnung – erfolgen und schließlich entscheidet der Gesetzgeber (die Politik) ob und wie in konkreten Fall das Sozialstaatsprinzip realisiert werden soll. Wenn man Alfred Müller-Armacks Kritik am Liberalismus mit Hans A. Engelhards Interpretation des Sozialsstaatspostulat vergleicht, dann stellt man eine große Übereinstimmung fest. Da die Artikel 20 und 28 GG soziale Verfassungsnormen sind, könnte man daraus schließen, daß die Soziale Marktwirtschaft gleichfalls im Grundgesetz als Element der Wirtschaftsordnung festgeschrieben worden ist. Das ist aber nicht der Fall. In Ermangelung einer Verfassungsnorm hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Investitionshilfeurteil vom 20. Juli 1954 (BVerfGE 4, 7 ff.) den Grundsatz der ordnungspolitischen Neutralität des Grundgesetzes aufgestellt.32 Dem Investitionshilfeurteil liegt der folgende Sachverhalt zu Grunde: Im Zuge des Wiederaufbaus fehlten dem Kohlenbergbau und der eisenschaffenden Industrie Investitionsmittel, da diese an Höchstpreise gebunden waren. 31 Hans A. Engelhard: Verfassungsrecht und Rechtspolitik, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 132 vom 3. November 1984, S. 1161–1167, zitiert S. 1166 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 32 Siehe Hans Kremendahl/Thomas Meyer (Hrsg.): Sozialismus und Grundgesetz, in: Scriptor Taschenbücher, Kronberg/Ts. 1974. Das Investitionshilfeurteil ist abgedruckt auf S. 61–70.

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Der Gemeinschaftsausschuß der gewerblichen Wirtschaft beschloß am 27. April 1951, die gewerbliche Wirtschaft soll einen Betrag von 1 Mrd. DM freiwillig als Investitionshilfe aufbringen. Da sich dieser Plan nicht verwirklichen ließ, wurde am 7. Januar 1952 das „Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft“ beschlossen. Gegen dieses Gesetz wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Grundrechtsverletzungen – auch den der Verletzung der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes – hat das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen und in diesem Zusammenhang ausgeführt:33 „Das Grundgesetz garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde ‚soziale Marktwirtschaft‘. Die ‚wirtschaftspolitische Neutralität‘ des Grundgesetzes besteht lediglich darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann. Daher ist es verfassungsrechtlich ohne Bedeutung, ob das Investitionshilfegesetz im Einklang mit der bisherigen Wirtschafts- und Sozialordnung steht und ob das zur Wirtschaftslenkung verwandte Mittel ‚marktkonform‘ ist.“

Der nachmalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda,34 hat darauf hingewiesen, daß aus diesem Urteil nahezu jedes – auch das radikalste – Modell einer Wirtschaftsordnung aus politischen oder ideologischen Gründe zu rechtfertigen ist. Aber das Bundesverfassungsgericht hat in einem bedeutungsvollen Nebensatz hinzugefügt, daß der Gesetzgeber bei der Festlegung der Wirtschaftspolitik frei ist, „sofern er dabei das Grundgesetz beachtet“. Dieses bedeutet, daß das Grundgesetz weder ein fertiges Modell der Wirtschaftsverfassung liefert noch in das Belieben der jeweiligen Parlamentsmehrheit stellt, vielmehr werden der gesetzgeberischen Entscheidung wesentliche Richtpunkte und nicht überschreitbare Grenzen gesetzt. Es erhebt sich die Frage, warum das Grundgesetz, das die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und das Sozialstaatspostulat normiert hat, keine vergleichbaren Bestimmungen für die Wirtschaftsordnung enthält. Hierfür können die folgenden Gründe genannt werden: (1) Man könnte anführen, daß der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ zwar in der (Wirtschafts-)Politik häufig gebraucht, letztlich aber unbestimmt 33

Ebenda, S. 67. Ernst Benda: Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, in: Bodo Gemper (Hrsg.): Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, in der Reihe Gesellschaft-Kirche-Wirtschaft, Bd. 4, Köln 1978, S. 185–200, insbesondere S. 189 f. 34

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– eine Leerformel – ist. Dieses trifft zu. Aber auch die Bestimmungen über die Sozialpflichtigkeit und das Sozialstaatspostulat sind Leerformeln, dennoch hat man sie in das Grundgesetz aufgenommen und der Rechtsprechung überlassen, diese unbestimmten Rechtsbegriffe im Einzelfall zu konkretisieren. Was für das Sozialstaatspostulat gilt, könnte auch für die Soziale Marktwirtschaft gelten. (2) Die Auffassung, daß mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 und der von Ludwig Erhard verfügten partiellen Beseitigung der (Kriegs-) Zwangswirtschaft nicht nur die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft geschaffen wurden, sondern bis zur Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 diese so fest im Bewußtsein der Bevölkerung verankert war, daß eine Erwähnung im Grundgesetz überflüssig gewesen sei, ist irrig: Ernst Benda, der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, hat auf der von Bodo Gemper organisierten Loccumer Tagung im Oktober 1972 folgendes ausgeführt:35 Aus der Tatsache, daß in das Grundgesetz keine Einzelbestimmungen über die Wirtschaftsordnung aufgenommen wurden, ist nicht darauf zurückzuführen, daß die Bedeutung der Wirtschaft nicht erkannt wurde, sondern: daß die „bestehende Ungewißheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung und durch nicht überbrückbare Meinungsverschiedenheiten der politischen Kräfte über den künftigen Weg hinreichend erklärbar: Dies war die Zeit, in der das große Ringen zwischen den Verfechtern der Sozialen Marktwirtschaft und den Befürwortern des Sozialismus in vollem Gange und noch nicht entschieden war.“ Die von Ernst Benda vorgetragene Begründung erscheint plausibel, das heißt, die Soziale Marktwirtschaft war als Wirtschaftsordnung keineswegs etabliert und die politische Auseinandersetzung war noch nicht abgeschlossen. In dieser unentschiedenen Situation wollten die Verfassungsväter die Politik nicht präjudizieren. Es wäre aber denkbar gewesen, daß im Rahmen von Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes – so zum Beispiel im Zuge der Wiedervereinigung – die Soziale Marktwirtschaft als Ordnungssystem eingefügt worden wäre, hierauf hat man aber bisher verzichtet, obgleich die Soziale Marktwirtschaft anerkannt ist. Ludwig Erhard hat in seiner Rede auf dem Bundesparteitag der CDU in Goslar am 22. Oktober 1950 eine Deutung des Adjektivs „sozial“ vorgenommen:36 35

Ebenda, S. 187 (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). Ludwig Erhard: Kühle Köpfe – starke Herzen, in: Derselbe: Deutsche Wirtschaftspolitik – Der Weg der Sozialen Marktwirtschaft, Düsseldorf/Wien und Frankfurt 1962, S. 138–152, zitiert S. 149. 36

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„Wir wollen uns ehrlich die Frage stellen, ob wir in unserer Lage noch das Recht haben, von ‚sozialer‘ Marktwirtschaft zu sprechen, denn, so könnte man einwenden, das Prädikat ‚sozial‘ ist mit den Erfordernissen einer Konsumbeschränkung wohl schwer in Einklang zu bringen. . . . Sozial darf sich eine Wirtschaftspolitik immer dann nennen, wenn und solange die soziale Zielsetzung oberstes Gebot bleibt, und wenn ihre Ordnungselemente und Triebkräfte einen besseren Erfolg als andere Wirtschaftssysteme erwarten lassen.“

Während des Korea-Krieges entstanden weltweite politische und ökonomische Spannungen – die prekäre Devisenlage erforderte (Konsum-)Beschränkungen –, die Erhard zweifeln ließen, ob es sich noch um eine Soziale Marktwirtschaft handele. Aber durch den Hinweis auf die Wirtschaftspolitik wird das Prädikat „sozial“ nicht konkretisiert, auch die „soziale Zielsetzung“ ist eine Leerformel. In dem gemeinsam von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack herausgegebenen Manifest ’72 „Soziale Marktwirtschaft“37 wird das Adjektiv „sozial“ gleichfalls nicht ausgefüllt.

VI. Versuch der Konkretisierung des Begriffs „sozial“ Mit der „drei Komponenten- bzw. Elemententheorie“ soll der Versuch unternommen werden, den unbestimmten Begriff „sozial“ zu konkretisieren und damit operabel zu gestalten. Es handelt sich um die im subjektiven Bereich liegenden „Grundannahmen“, das Demokratie- oder Mehrheitsprinzip und das Ökonomieprinzip. 1. Die „Grundannahmen“ Jedes Individuum geht – meistens unausgesprochen – von bestimmten Grundannahmen aus, die sprachlich mit „ich glaube, daß . . .“ ausgedrückt werden. Da „ich glaube“ als religiös motivierte Aussage interpretiert werden kann, soll hierauf verzichtet und stattdessen von den Grundannahmen – man könnte diese auch „Wertbasis“ oder „Vorverständnis“ nennen – gesprochen werden. Der „Werturteilsstreit“ ist auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik 1909 in Wien ausgebrochen.38 Seitdem gibt es eine nahezu unendliche Literatur, die sich mit der Problematik der Wertfreiheit der Wissenschaft beschäftigt.39 Diesem Werturteilsstreit waren die Abhandlungen von Max 37 Ludwig Erhard/Alfred Müller-Armack: Soziale Marktwirtschaft: Ordnung der Zukunft – Manifest ’72, Ullstein Buch Nr. 3647, Frankfurt/Berlin/Wien 1972, S. 41– 75, insbesondere S. 41 f. (Abschnitt: Was ist Soziale Marktwirtschaft?). 38 Siehe: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik in Wien, 1909, Leipzig 1910, insbesondere S. 563 ff. (Diskussion).

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Weber (1864–1920) „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ (1904), „Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ (1917) und „Wissenschaft als Beruf“ (1919) vorausgegangen bzw. von ihm gefordert worden. Die Kontroverse bestand und besteht zum Teil auch heute noch darin, daß gefordert wird, daß in der Wissenschaft nur Aussagen darüber gemacht werden können, was ist (Seins-Aussagen) und nicht (normative) Aussagen darüber, was sein soll (Sollens-Aussagen). Auf der Jahrestagung 1909 des Vereins für Socialpolitik in Wien wurde im Anschluß an das Referat von Eugen von Philippovich über das unverfängliche Thema „Die Produktivität der Wirtschaft“ diskutiert. Werner Sombart (1863–1941) wies darauf hin, daß zwar im Wirtschaftsleben ethische Momente vorhanden sind, diese aber ausgeschaltet werden müssen; denn: „. . . wenn wir trotzdem das Ethische ausschalten wollen, so meinen wir damit, daß die Ethik nicht im Leben eine Rolle spielt, sondern wir meinen damit, daß sie in der nationalökonomischen Wissenschaft keine Rolle spielen soll. . . . Ja, nun warum, werden Sie fragen. Aus dem Grunde, weil, solange Werturteile in der wissenschaftlichen Betrachtung eine Rolle spielen, eine objektive Verständigung über irgend etwas, was ist, nicht möglich ist, die wissenschaftliche Erkenntnis aber dahin drängt, festzustellen und objektiv zu beweisen, daß etwas ist.“40 Was „Wohlstand“ ist, exemplifiziert Sombart an einigen Beispielen. Besonders eindrucksvoll ist das folgende:41 „. . . Bedeutet der Bau einer Kirche die Förderung des Wohlstandes? Der gläubige Mann wird natürlich sagen: Gewiß, das gehört dazu, so wie die Mehlsuppe, die wir essen, und der Atheist wird sagen: Es ist eine Schande, daß schon wieder eine Kirche gebaut wird, das Geld für so unproduktive Ausgaben zu verzetteln.“

Hat der Gläubige oder hat der Atheist Recht? Diese Frage ist nicht zu entscheiden; denn beide Aussagen beruhen auf Grundannahmen (oder der subjektiven Wertbasis oder dem Vorverständnis), die weder begründbar noch widerlegbar sind. Treffend hat dieses Sombart charakterisiert:42 „Ich will nur dies andeuten: jedes Werturteil ist letzten Endes in der persönlichen Weltanschauung des Menschen verankert. Die persönliche Weltanschauung ist immer auf metaphysischer Basis ruhend, sie geht in Sphären hinein, die außerhalb der empirischen Welt liegen und in diese Tiefen der Weltanschauung reicht kein Senkblei der wissenschaftlichen Erkenntnis. . . . Wir werden uns wieder darauf be39 Hans Albert/Ernst Topitsch (Hrsg.): Werturteilstreit, in: Wege der Forschung, Bd. CLXXV, Darmstadt 1971. 40 Verein für Socialpolitik, S. 566 f. (Hervorhebungen erfolgten durch uns, Jk.). 41 Ebenda, S. 568. 42 Ebenda, S. 568 f.

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schränken müssen, daß wir sagen: gewisse Dinge können wir nicht entscheiden als Wissenschaftler.“

In theoretischen Sinne kann und muß die Forderung nach der Wertfreiheit der Wissenschaft erhoben werden, wohl wissend, daß dieses Ideal nicht oder nur unvollkommen verwirklicht werden kann. Vielmehr ruhen in jedem Menschen Weltanschauungen, Grundannahmen, Werte oder ein Vorverständnis, die weder zu begründen noch zu widerlegen sind, im religiösen Sinne kann man vom Glauben sprechen. Dieses gilt auch für Friedrich August von Hayek. Diese Grundannahmen werden durch Herkunft, Ausbildung, Entwicklung, Erfahrung, Einkommen usw. beeinflußt bzw. bestimmt. Dieses gilt auch für das Adjektiv „sozial“: Ein Arbeitnehmer und Gewerkschafter wird sowohl über wirtschaftspolitische als auch über unternehmerische Entscheidungen anders denken und urteilen als ein Unternehmer oder Vertreter des Arbeitgeberverbandes. Die Grundannahmen werden bei der politischen Auseinandersetzung noch deutlicher; denn hier prallen die Grundannahmen als ideologische Positionen aufeinander; Märtyrer sind für ihre Grundannahmen sogar gestorben. 2. Das Demokratie- oder Mehrheitsprinzip In jeder demokratisch verfaßten Institution können Entscheidungen nicht einseitig dekretiert werden, vielmehr wird in einem Prozeß die Willensbildung entweder einstimmig oder mehrheitlich herbeigeführt. In das Demokratie- oder Mehrheitsprinzip fließen auch die subjektiven Grundannahmen ein. Dieses gilt sowohl für die Familie als auch für die politischen Gremien, von der Kommune über die Länder, den Bund bis hin zu den Vereinten Nationen. Das Demokratieprinzip erfordert, daß unterschiedliche Meinungen oder Interessen ausgeglichen und zu einem Konsens geführt werden. Dieser Abstimmungsprozeß innerhalb der eigenen Gruppierung setzt Kompromißfähigkeit voraus, der dann zwischen den Gruppen oder Fraktionen erneut gesucht werden muß. Beispiel hierfür ist der Vermittlungsausschuß des Deutschen Bundestages, in dem nicht selten durch ein do ut des der Interessenausgleich herbeigeführt wird. Auch wenn mancher Kompromiß als ein „fauler Kompromiß“ abqualifiziert wird: Es ist das zum Teil langwierige Verfahren, das verhindert, daß einseitige Interessen durchgesetzt werden. Dieses gilt auch für das, was unter dem unbestimmten Begriff „sozial“ kontrovers diskutiert wird: Im Sinne von Friedrich August von Hayek mag dieses Verfahren zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen, es ist aber demokratisch und trotz seiner Unzulänglichkeit oder Fehlerhaftigkeit richtig, weil die Mehrheit entschieden hat. Ob eine demokratische Mehrheitsent-

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scheidung „gerecht“ ist, wird subjektiv unterschiedlich beantwortet werden, zumal es im Sinne von Hans Kelsen nicht eine objektive, sondern nur eine individuelle Gerechtigkeit gibt. In der Rechtsprechung kann lediglich das Bundesverfassungsgericht Gesetze bestätigen, diese ganz der teilweise verwerfen bzw. – wie im Investitionshilfeurteil – das Grundgesetz interpretieren und damit Vorgaben für die künftigen parlamentarischen Entscheidungen machen. Nach den negativen Erfahrungen mit zwei Diktaturen werden die demokratischen Willensbildungen und die darauf beruhenden Mehrheitsentscheidungen als selbstverständlich hingenommen oder dann kritisiert, wenn diese den eigenen Grundannahmen nicht entsprechen. Dieses gilt insbesondere für die Sozialleistungen, die im Zuge der Umgestaltung des deutschen Sozialsystems Einschränkungen erfahren. Lediglich bei den Wahlen können die unzufriedenen Bürger eine andere politische Zusammensetzung der Parlamente herbeiführen und hierdurch eine Korrektur der Konsensfindung erreichen. Diesen Korrekturen können aber ökonomische Grenzen gesetzt sein. 3. Das Ökonomieprinzip Den Grundannahmen setzt das Demokratieprinzip Grenzen, das Ökonomieprinzip begrenzt das Mehrheitsprinzip: Es kann mehrheitlich Konsens darüber bestehen, bestimmte Sozialleistungen entweder neu einzuführen – so zum Beispiel die Pflegeversicherung vor einigen Jahren – oder bestehende auszuweiten, zum Beispiel das Kindergeld, das Wohngeld oder die Studentenförderung. Hierbei kann es sich um durchaus rational begründbare und „vernünftige“ Vorschläge handeln: Aus demographischen Gründen soll durch die staatliche Förderung die Kinderzahl erhöht und das Wohnen für kinderreiche Familien bezahlbar gemacht werden, die Studentenförderung erhöht die Qualität des Humankapitals, durch das die deutsche Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt zunimmt. Diesen berechtigten Zielsetzungen werden durch das Ökonomieprinzip – das man auch als Finanzierungsprinzip bezeichnen kann – Grenzen gesetzt: Friedrich August von Hayek lehnt den unbestimmten Begriff „soziale Gerechtigkeit“ deshalb ab, weil dieser üblicherweise dazu benutzt wird, Sonderansprüche zu rechtfertigen. Diese Anspruchshaltung ist solange unproblematisch, wie diese aus dem Steueraufkommen finanziert wird, zumal der Umfang der Staatseinnahmen auf Grund des Demokratieprinzips legitimiert ist. Sollen dagegen die Sonderansprüche durch die Kreditaufnahme finanziert werden, dann greift Art. 115 GG:

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„. . . Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“ Mit dieser Grundgesetzbestimmung sind der Staatsverschuldung und der Anspruchshaltung Grenzen gesetzt. Es ist Aufgabe der jeweiligen Opposition, dieser Verfassungsnorm Geltung zu verschaffen. Eine weitere Bremse für die Kreditaufnahme durch den Staat ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU, der die jährliche Neuverschuldung des Staates auf 3% und die Bruttoverschuldung auf 60% des BIP (Referenzwerte) begrenzen soll. Der insbesondere von Deutschland vorgeschlagene und durchgesetzte Stabilitäts- und Wachstumspakt wird von der Bundesrepublik (und anderen EU-Mitgliedern) seit 2002 verletzt, ohne das die im Pakt vorgesehenen Sanktionen greifen. Auch wenn der Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzt wird, bestand zumindest ursprünglich die Absicht, der Kreditaufnahme des Staates Grenzen zu setzen, daß bedeutet unter anderem, daß die von Hayek befürchteten sozial motivierten Sonderansprüche, die über Kredite finanziert werden, ökonomisch begrenzt werden. Durch das ökonomische (Finanzierungs-)Prinzip wird sogar das Mehrheitsprinzip ganz oder teilweise aufgehoben. Wenn diese Instrumente nicht immer ihre ursprüngliche Aufgabe erfüllen, dann liegt dieses am politischen Willen. Das Demokratie- und das Ökonomieprinzip üben eine gegenseitige Kontrolle oder Korrektur aus: Das, was auf Grund des Mehrheitsprinzips wünschenswert ist, scheitert am Ökonomieprinzip und – umgekehrt – das, was ökonomisch finanzierbar ist, scheitert am Mehrheitsprinzip. Beispiel hierfür sind Infrastrukturmaßnahmen wie der Bau von Autobahnen, die Erweiterung von Flugplätzen, die Anlage von Mülldeponien usw., für die öffentliche und private Finanzmittel zur Verfügung stehen, die aber aus ökologischen Gründen scheitern; umgekehrt ist der wünschenswerte Bau von Kindergärten, der Ausbau der Schulen und Universitäten auf Grund fehlender Mittel nicht immer realisierbar. Friedrich August von Hayek geht von abstrakten Überlegungen aus und gelangt zu dem negativen Ergebnis, daß die soziale Gerechtigkeit keinen Sinn hat. In dieser Form ist ihm zuzustimmen. Die wirtschaftspolitische Realität ist aber sowohl im positiven als auch im negativen Sinne komplexer. Auch wenn die eingebauten Stabilisatoren nicht oder nur begrenzt wirksam werden, es ist der (unvollkommene) Versuch, von Hayeks Befürchtungen wenn nicht auszuräumen, so doch zumindest abzumildern. Würde man abstrakte Regeln zum Maßstab für die Beurteilung von politischen Entscheidungen und für die von Instrumenten nehmen, dann könnte faktisch keine Politik betrieben werden, weil menschliches Handeln fast immer unvollkommen ist.

„Soziale Marktwirtschaft“ – eine Leerformel?

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VII. Fazit Alfred Müller-Armack hat als Antwort auf den Zweiten Weltkrieg 1947 das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt, Ludwig Erhard hat dieses politisch umgesetzt und gegen politische Widerstände durchgesetzt. Die Soziale Marktwirtschaft wird als Verbindung der Wettbewerbswirtschaft, der sich daraus ergebenden Leistung und dem sozialen Fortschritt definiert. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um Marktwirtschaft plus soziale Ergänzung. Diese einfache und (politisch) überzeugende Definition ist aber eine pseudo-normative Leerformel, weil das Adjektiv „sozial“ keine konkrete Aussage beinhaltet, sie ist nicht operabel. Heftigster Kritiker aller Wortverbindungen mit dem Prädikat „sozial“ ist der liberale Nationalökonom Friedrich August von Hayek: Die soziale Gerechtigkeit ist nach seiner Ansicht eine nichtssagende, inhaltsleere Formel. Im Gegensatz dazu hat der austroamerikanische Jurist Hans Kelsen darauf aufmerksam gemacht, daß der schöne Traum der absoluten Gerechtigkeit nicht realisiert werden kann, wohl aber gibt es ein subjektives Empfinden dafür, was Gerechtigkeit ist. Bemerkenswert ist, daß das Grundgesetz in Art. 14 II GG die Sozialpflichtigkeit des Eigentums normiert und in den Art. 20 und 28 GG die Bundesrepublik Deutschland als sozialen Rechtsstaat definiert. Auch wenn es ein problematischer Begriff ist – eine Leerformel –, sind die Verfassungsrechtler mehrheitlich der Auffassung, daß es sich nicht um eine substanzlose Blankettformel handelt.43 Wider Erwarten ist in das Grundgesetz keine Aussage über die Wirtschaftsordnung gemacht worden, d.h., daß die Soziale Marktwirtschaft nicht erwähnt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Investitionshilfeurteil 1954 festgestellt, daß das Grundgesetz hinsichtlich der Wirtschaftsordnung neutral ist; die Soziale Marktwirtschaft ist eine der denkbaren Ordnungssysteme. Trotz dieser verfassungsrecht1ichen Vorbehalte kann davon ausgegangen werden, daß sowohl die Bevölkerung als auch die politische Klasse die Soziale Marktwirtschaft bejaht, allerdings wird diese unterschiedlich interpretiert und in jüngster Zeit eine „neue“ oder die Rückkehr zur „echten“ Sozialen Marktwirtschaft gefordert, ohne anzugeben, was „neu“ und was „echt“ ist – typische Anzeichen für eine Leerformel. Wir haben den Versuch unternommen, nicht die Soziale Marktwirtschaft als Ordnungssystem zu charakterisieren, sondern lediglich das schmückende 43 Siehe hierzu die von Ernst Forsthoff herausgegebene Aufsatzsammlung „Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit“, in: Wege der Forschung, Bd. CXVIII, Darmstadt 1968.

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Beiwort „sozial“ durch die drei Komponenten- bzw. Elemententheorie zu konkretisieren. Die drei Komponenten sind die Grundannahmen sowie das Demokratie- und das Ökonomieprinzip: Bei den Grundannahmen handelt es sich um die subjektive Lebenseinstellung, d.h. die Wertebasis, das Leitbild oder das Vorverständnis, die durch die Herkunft, die Erziehung, die Lebenserfahrung, die Ausbildung, das Einkommen usw. bestimmt wird. In diesen subjektiven Bereich reicht kein Senkblei der wissenschaftlichen Erkenntnis. Diese Grundannahmen – die man auch als Glaubenssätze bezeichnen kann – beeinflussen maßgeblich, was als „sozial“ angesehen wird. Die zweite Komponente ist das Demokratie- oder Mehrheitsprinzip, d.h., daß in der parlamentarischen Demokratie mehrheitlich darüber entschieden wird, was im konkreten Fall als „sozial“ angesehen und gesetzlich festgelegt werden soll. Die dritte Komponente beinhaltet das Ökonomie- oder Finanzierungsprinzip, denn nicht jeder parlamentarische Mehrheitsbeschluß kann finanziert und somit auch nicht realisiert werden wie – umgekehrt – nicht jedes ökonomisch realisierbare Projekt findet die erforderliche Mehrheit. Das Demokratie- und das Ökonomieprinzip beeinflussen und kontrollieren sich gegenseitig, es ist eine balance of power. Mit diesen drei Komponenten wird das schmückende Beiwort „sozial“ ausgefüllt, aus einer pseudo-normativen Leerformel wird eine konkrete und operabele Aussage über das Wirtschaftsordnungssystem gemacht.

Elemente einer zukunftsfähigen Sozialen Marktwirtschaft Eine Lektion Politische Ökonomie im Sinne von Ludwig Erhard Von Horst Friedrich Wünsche

I. Die Aktualität antiquierter Grundsätze Soziale Marktwirtschaft ist eine Ordnungsvorstellung aus dem letzten Jahrhundert. Ludwig Erhard hat sie in Westdeutschland von 1948 an mit so großem Erfolg praktisch umgesetzt, dass bereits wenig später von einem „Wirtschaftswunder“ gesprochen wurde. Dennoch, vielleicht gerade deshalb, entstanden schon in den 1950er Jahren – zunächst in der Wissenschaft, bald auch in der Politik – Bestrebungen, dieses Konzept durch eine modernere wirtschaftspolitische Doktrin zu ersetzen. Das Wunder sollte keine Episode bleiben. Erhard stand diesem Restitutionsbemühen im Wege. Für ihn war die Soziale Marktwirtschaft die bestmögliche Politik. Er sah keine ernst zu nehmende Alternative zu ihr, schon gar nicht in der damals tonangebenden keynesianischen Lehre. Er hielt den Keynesianismus zwar für eine intellektuell durchaus faszinierende Theorie, meinte aber, deren Prämissen passten nicht auf die in Deutschland herrschende Situation. Man könne sich über Keynes und die Keynesianer in akademischen Seminaren die Köpfe heiß reden; es müsse aber verhindert werden, dass derlei Ideen in die wirtschaftspolitische Praxis eindringen. Mehr als ein Jahrzehnt dauerte diese Diskussion. Erst 1967, unmittelbar nach dem Rücktritt von Ludwig Erhard aus der aktiven Politik, wurde – wie es dann hieß – „Opas Marktwirtschaft“ durch eine Neue Wirtschaftspolitik mit „Globalsteuerung“ und „Konzertierter Aktion“ ersetzt. So kam, was bei Moden häufig vorkommt: Das keynesianische Projekt war sorgfältig arrangiert, in strenge Gesetzesform gebügelt und mit Vorschußlorbeeren überschüttet worden. Es wurde bewundert und gelobt, aber bald zeigte sich, dass es für den praktischen Gebrauch nicht taugt. Die „Konzertierte Aktion“ platzte mit großem Getöse. Die Globalsteuerung

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hatte unangenehme Effekte und wurde stillschweigend abgelegt. Der Mentor der neuen Politik, Karl Schiller, trat schon 1972 zerknirscht von seinem Amt als Bundesminister für Wirtschaft zurück. Seine Nachfolger versuchten zu retten, was sie retten zu können hofften. Sie initiierten zuerst einige Korrekturen, dann eine umfassende Wende, schließlich grundlegende Reformen, und weil alles nichts half, begannen sie, die Reformen zu reformieren, und sie tun das bis zu dieser Stunde. Die erhofften, erwarteten und versprochenen Verbesserungen blieben aus. Die Distanz zu den Erfolgen in der Ära Erhard vergrößerte sich von Jahr zu Jahr. Statt hoher Wachstumsraten von Sozialprodukt und Volkseinkommen gab es Stagnationsphasen, die nur kurz von leichten Erholungen oder aber von Rezessionen unterbrochen wurden. Statt dauerhafter Vollbeschäftigung stieg die Massenarbeitslosigkeit. Erhard waren jährlich ausgeglichene öffentliche Haushalte überaus wichtig. Er war zurückgetreten, als dieser Haushaltsausgleich nicht mehr die erforderliche politische Unterstützung fand und Staatsschulden aufgenommen werden sollten, die erst bei ansteigender Konjunktur getilgt werden sollten. Wäre es nur bei dieser Aufweichung geblieben. Wie glücklich könnte sich Deutschland jetzt schätzen! Tatsächlich sind die Staatsschulden nach Erhards Rücktritt lawinenartig angewachsen und zur leviathanischen Bedrohung geworden. Das Hauptziel der Erhardschen Wirtschaftspolitik war, die Wirtschaftsentwicklung durch ordnungspolitische Maßnahmen dauerhaft zu stabilisieren und dadurch Wirtschaftskrisen auszuschließen. Erhard war überzeugt, dass nur eine konsequent betriebene Ordnungspolitik wirtschaftliche Zusammenbrüche vermeiden kann. Andersherum gesagt: Erhard meinte, ohne die Soziale Marktwirtschaft würde sich eine Krise über die andere lagern. Eines Tages käme es dann zur „völligen Erstarrung des Marktes und schließlich zu einer unlösbaren Verhärtung.“1 „Schön und gut“, könnte man sagen: Erhard war eben von den Erfahrungen aus den Tagen von Freitag, dem 25. Oktober 1929, bis Montag, dem 30. Januar 1933, und ihrer Vorgeschichte geprägt. Er hatte den „Schwarzen Freitag“ und die Machtübernahme durch die NSdAP und zudem die große Inflation 1923 erlebt. Man meint jetzt, gegen derartige Schicksalsschläge gefeit zu sein. Ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland seit 1967 genügt, um zu ahnen, wie aktuell Erhards Befürchtungen sind. In Deutschland gab es seit 1967 vier Wirtschaftskrisen. Keine wurde überwunden; gelungen sind lediglich kurzfristige Stabilisierungen. So setzte 1

Vgl. Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf/Wien 1964, Seite 184. Erhard hat diesen Gedanken in einem Vortrag, gehalten am 31. Mai 1954 in Antwerpen, näher ausgeführt.

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jede neue Krise auf dem hohen Niveau der vorangehenden an. Inzwischen belaufen sich die nicht ausgenutzten Ressourcen in der deutschen Volkswirtschaft auf rund sechs Millionen Arbeit Suchende und riesige brach liegende Produktionskapazitäten. Nach dem Krisenmuster der vergangenen Jahre wäre eine neue Krise bald zu erwarten. Nach Erhards Prognose könnte aber auch eine „völlige Erstarrung des Marktes“ bevorstehen.2

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Stabilisierungsphase nach der Krise

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Arbeitslosenquoten

Krisensymptom: Ungenutzte Ressourcen

So gesehen ist es natürlich nicht überraschend, dass man in Deutschland heutzutage viele besorgte Menschen trifft. Viele machen sich Gedanken über die Zukunft und träumen von besseren Tagen. Einige erinnern sich an Erhards Soziale Marktwirtschaft, andere haben vom „Wirtschaftswunder“ gehört und hätten nichts dagegen, wenn es erneut geschähe. Nicht überraschend ist auch, dass Vereine gegründet wurden, die in diesen existentiell wichtigen Fragen richtige und schnelle Entscheidungen bewirken möchten. Bürger haben sich zu Foren und Konventen zusammengeschlossen. Verbände haben mächtige „Initiativen“ errichtet und „Botschafter“ ernannt, die sich für eine „Neue Soziale Marktwirtschaft“ einsetzen sollen. Stiftungen haben sich dieser Aufgabe angenommen. In Deutschland wird jetzt massive Öffentlichkeitsarbeit und intensive Politikberatung zu Gunsten der Sozialen Marktwirtschaft betrieben. 2 Erhards konjunkturtheoretische Ansichten sind gegenwärtig noch kaum erforscht. Erhard hatte sich schon als Doktorand in Frankfurt/Main intensiv mit der marxistischen Krisenlehre befasst. Vermutlich waren ihm – dem Leiter einflussreicher Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland – auch die Schriften von Eugen Varga bekannt. Jedenfalls kommt Erhard bei seinen Versuchen, die Weltwirtschaftskrise theoretisch zu erklären, zu ähnlichen Ansichten, wie sie Varga vertrat. Varga war in den zwanziger und dreißiger Jahren in einflussreichen Positionen in Berlin und Moskau tätig. Unter anderem war er von 1927 bis 1947 Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau.

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Genau besehen sind alle diese Aktivitäten überflüssig. In Deutschland wird – wie gesagt – schon seit langer Zeit und sehr umtriebig reformiert. Die Situation hat sich nicht gebessert, und sie wird sich gewiss nicht dadurch bessern, dass mehr und immer mehr über die Soziale Marktwirtschaft gesprochen wird. Die Öffentlichkeit und fast alle Politiker bekennen sich – und viele schon seit langem – zur Sozialen Marktwirtschaft. Selbst Wissenschaftler, denen es vor ein paar Jahren noch unzumutbar erschien, ihre Vorstellungen von Marktwirtschaft mit dem „Wieselwort ‚sozial‘ “ zu verbinden, nennen sich jetzt glühende Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft. Kaum jemand muss noch über die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft aufgeklärt, niemand muss überzeugt, keiner muss missioniert werden. Das Problem liegt nicht – wie viele meinen – darin, dass zu wenig, sondern im Gegenteil darin, dass zu viel, und zwar zu viel Oberflächliches, Unzureichendes und Falsches über die Soziale Marktwirtschaft gesagt wird. Das kommt daher, dass der Begriff vor Jahrzehnten wiederentdeckt und in aller Munde geraten ist, als sich die wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven eintrübten. Er wurde verwendet, um Sehnsüchte auszudrücken und Politiker an bessere Tage zu erinnern. Hierzu wurde vieles vereinfacht und vieles schön geredet. Die Soziale Marktwirtschaft wurde mit Legenden illuminiert. Allmählich ist sie zum Mythos geworden. Keiner weiß mehr so recht, was sie eigentlich ist. Aber jeder findet sie gut und schön und erstrebenswert. Viele Interessenten haben sich das zunutze gemacht. Politische Absichten, die mit Widerspruch oder Ablehnung rechnen, werden entweder als „sozial gerecht“ oder als „marktwirtschaftlich effizient“ präsentiert. Wenn sie eine dieser Eigenschaften besitzen, ist das Fehlen der zweiten nicht tragisch, denn auf der einen Seite heißt es jetzt, das Effiziente sei zugleich das Sozialste. Von der anderen Seite hört man: Das Soziale sei zwar teuer, aber auf längere Frist sei der soziale Frieden niemals zu teuer erkauft, denn er diene der Marktwirtschaft mehr als vieles andere.3 Die heute so weit verbreitete Hochachtung für die Soziale Marktwirtschaft beruht nicht auf Wissen und Verständnis, und noch nicht einmal auf einer blassen Ahnung von Funktion und Wirkungsweise der Sozialen Marktwirtschaft. Es ist schon richtig: Die Soziale Marktwirtschaft ist durch Erhards Erfolg zu einem Begriff geworden, „den die verschiedenen politischen Gruppierungen zu besetzen versuchen, um für ihre Forderungen vom 3

Vgl. demgegenüber Ludwig Erhard, Vortrag, gehalten am 31. Mai 1954 in Antwerpen. Dort sagt er: „Wir haben unsere Wirtschaftspolitik in Deutschland mit dem Begriff ‚Soziale Marktwirtschaft‘ ausgestattet. Das Beiwort ‚sozial‘ ist dabei mehr als nur eine Arabeske oder gar nur eine Verbrämung von Absichten, die auf wenig Zuspruch hoffen können. Soziale Marktwirtschaft ist fest und ehrlich gemeint.“

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Nimbus eines wirtschafts- und sozialpolitisch erfolgreichen ordnungstheoretischen Ansatzes zu profitieren. Die einen empfehlen sich als Verteidiger der Sozialen Marktwirtschaft gegen Tendenzen zur Wiederbelebung des Manchesterliberalismus, die anderen als Bewahrer der Sozialen Marktwirtschaft gegen die Lähmung der marktwirtschaftlichen Antriebs- und Steuerungskräfte durch ein Übermaß an sozialstaatlichen Interventionen.“4

II. Der Beitrag von Bodo Gemper zur notwendigen Begriffsklärung Bodo Gemper gehört zu den wenigen, der den Begriffsverfall der letzten Jahre registriert hat und ihm entgegenwirken will. Er hat intensive Studien betrieben, um den Kern der Sozialen Marktwirtschaft zu bestimmen. Inzwischen hat er seine Erkenntnisse in einer englischsprachigen Schrift niedergelegt, die er demnächst veröffentlichen wird.5 Jedem, dem er begegnet, erklärt er, dass Erhards Vorstellungen von Sozialer Marktwirtschaft so tief bedacht seien, dass man sie als unwandelbar feststehende Grundsätze einer zukunftsfähigen Politik ansehen muss. Er sagt: Erhards Soziale Marktwirtschaft sei eine Politikkonzeption, aus der jede Generation die politische Programmatik entwickeln muss, die ihrer jeweiligen Situation angemessen ist. Es gäbe nur richtige oder falsche Grundsätze. Zwischen richtig und falsch sei kein Kompromiss denkbar. Dementsprechend gäbe es nur Soziale Marktwirtschaft oder aber wirtschafts-, sozial- und finanzpolitisches Scheitern. Ich teile diese Ansicht, und mir ist auch klar, dass sie in zwei Punkten den heute herrschenden Ansichten widerspricht und deshalb mit Widerspruch rechnen muss: (1) Zum einen sieht Gemper in Erhard einen Wissenschaftler, der über politische Fragen intensiv nachgedacht hat und zu Erkenntnissen gekommen ist, die sich im Experimentalbeweis als gültig erwiesen haben. Erhard ist für Gemper also gleichermaßen gründlich analysierender Wissenschaftler wie erfolgreich handelnder Politiker. Bislang war über Erhard nur anderes zu hören. Wissenschaftler haben behauptet, Erhard sei ein typischer konsenssüchtiger oder kompromissbereiter Politiker gewesen. Politiker rechneten ihn dagegen zur Gruppe der weltfremden Professoren, die in der Politik versagen müssen, weil sie mit Macht nicht umzugehen vermögen. Nach diesem weit verbreiteten Urteil – und immerhin handelt es sich dabei um 4 Dieter Reuter, Soziale Marktwirtschaft und Rechtsentwicklung, in: KonradAdenauer-Stiftung (Hrsg.), Historisch-politische Mitteilungen, Band 4, 1997, Seite 191. 5 Bodo Gemper, Socially Responsible Free Market Economy: The Ludwig Erhard-Model.

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die Meinung der jeweiligen Experten – hat Erhard weder in der Wissenschaft noch in der Politik Brauchbares zu leisten vermocht. Aus Sicht der Wissenschaftler taugte er nicht zum Wissenschaftler, aus Sicht der Politiker nicht zum Politiker. (2) Wie gesagt: Gemper entlarvt diese Meinung als unhaltbares Vorurteil. Aber nicht nur, dass er Erhard als politischen Philosophen anerkennt und als entscheidungsfreudigen Politiker schätzt. Sein Urteil verlangt auch, sich mit Erhard als einem selbständigen Denker zu befassen, seine Schriften und Reden im Original zu studieren, um die Soziale Marktwirtschaft wirklich verstehen zu können. Wenn Erhard über zentrale und existentiell wichtige Fragen nachgedacht und Lösungen gefunden hat, die ungewöhnlich erscheinen, weil sie in keinem Lehrbuch stehen, dann muss bei Erhard selbst nachgelesen werden. Es wäre jedenfalls eine geradezu groteske Ignoranz, Erhard auf das standardmäßige Lehrbuchwissen zurückzuschneiden. Doch auch hier muss gesagt werden: Das ist eine andere als die jetzt beharrlich vertretene Sicht. Heute wird allenthalben behauptet, Erhard habe sich – nachdem er mehr oder weniger zufällig in die Politik geraten sei – an das gehalten, was ihm Franz Böhm, Walter Eucken, Friedrich A. von Hayek, Leonhard Miksch, Alfred Müller-Armack, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow (und gewiss gab es auch noch andere) zugeflüstert haben – natürlich nur so weit, wie er das zu verstehen und umzusetzen vermochte. Für Gemper ist es ein unentschuldbarer Fehler – ein Dünkel –, Erhard nicht zu lesen und seine Aussagen nicht vollständig ernst zu nehmen. Doch lassen wir das! Gempers Buch wird bald zur Verfügung stehen. Er hat aus reichen Quellen geschöpft und kann vieles belegen und begründen, was sich bisher nur erahnen lässt. Ehrlich gesagt, scheue ich mich auch, in meiner allzu nüchternen Sprache darzulegen, was Gemper so viel plastischer zu formulieren versteht. Ich möchte meine Anmerkungen zu Erhard und zur Sozialen Marktwirtschaft deshalb von einem Gesichtspunkt her entwickeln, der in Gempers Buch wahrscheinlich nicht behandelt wird. Mir ist aufgefallen, dass es liberale Absichten in der Vergangenheit oft sehr schwer hatten, in der Politik anerkannt zu werden. Liberale Politiker haben in der Regel nur dann Beachtung gefunden, wenn sie von wesentlichen Merkmalen ihrer Haltung Abstand genommen und fremde politische Absichten unterstützt haben. Vielfach haben Liberale nur als konservative oder progressive Konvertiten politischen Einfluss nehmen können, also nur dann, wenn sie ihr eigenes Politikverständnis außer Acht gelassen oder verraten haben. Ich glaube, dieses Phänomen hat eine prinzipielle Ursache. Und ich meine, dass dieser schmerzlich wunde Punkt – dieses unvermeidliche Versagen des Liberalismus – durch Erhards Soziale Marktwirtschaft geheilt

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wurde. Erhard hat den Liberalismus auf eine neue, eine eigenständige – vermutlich auf die einzig tragfähige Legitimationsbasis – gestellt. Ich halte das für eine grandiose Leistung, die nur dadurch gelungen ist – und nur dadurch gelingen konnte –, dass Erhard den Begriff Soziale Marktwirtschaft in beiden seiner Teile vollständig ernst genommen hat. So gesehen ist der entscheidende Punkt in Erhards Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft: Erhard hat nicht – wie Walter Eucken – den Wettbewerbsgedanken in das Zentrum seiner Überlegungen gestellt. Er ist auch nicht – wie Alfred Müller-Armack – von sozialen Anliegen ausgegangen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren nicht marktwirtschaftliche Effizienz oder die sozial gerechte Lösung von Verteilungsfragen. Erhards Überlegungen hatten einen anderen Ansatzpunkt. Ihm ging es um individuelle Freiheit und um eine Politik, die Freiheit als oberstes Ziel liberaler Politik so sichert, dass sie durch nichts und niemanden eingeschränkt wird. Das aber ist in der modernen Industriegesellschaft nur möglich, wenn jeder in unmittelbarer Weise am Ertrag der arbeitsteiligen Wirtschaftsprozesse teilhat und keiner einen anderen für seine Zwecke ausnutzen kann. Die Marktwirtschaft war für Erhard das am besten geeignete Mittel, Freiheit zu sichern. Das heißt: Marktwirtschaft war für Erhard Mittel, nicht aber Selbstzweck.

III. Der falsch verstandene Liberalismus: Ursachen und Folgen Ein derart streng auf Freiheit konzentrierter Liberalismus passt generell nicht in das gängige Denkschema, nach dem sich alle Politik im Spannungsfeld von progressiven und konservativen Haltungen abspielt. Dieses Denkschema scheint das Spektrum geistig-politischer Bewegungen vollständig abzudecken, weil Sachverhalte entweder verändert oder Veränderungen verhindert werden können. Man kann etwas wollen (wie der Progressive) oder etwas nicht wollen (wie der Konservative). Entwicklungen lassen sich beschleunigen oder abbremsen. Etwas Drittes scheint nicht möglich. Die skizzierte liberale Politikauffassung – die Haltung, die der Erhardschen marktwirtschaftlichen Politik zu Grunde liegt – passt nicht in die Schablone von progressiv oder konservativ. Der strenggläubige Liberale will nichts Konkretes bewirken; er will auch keine Entwicklung behindern, um etwas zu bewahren. Es geht ihm nicht um bestimmte Politikziele. Er will völlig zweckfrei Freiheit garantieren. Aus diesem Sachverhalt wurde oft gefolgert, dass die liberale Politikhaltung eine rein passive sei: Der Liberale wolle den Dingen ihren Lauf las-

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sen. Er vertrete das Prinzip: „Laissez-faire, laissez passer“. Jeder soll tun und lassen können, was er will. Dieses Urteil ist ein grobes Missverständnis. Laissez faire kann für den Liberalen nie einfach „Gewähren lassen“ bedeuten. Der Liberale will dafür sorgen, dass kein Einzelner in seinem Wollen und Tun behindert wird. In dieser Interpretation verlangt Laissez faire aktiven politischen Einsatz, und zwar in jedwedem gesellschaftlichen Zustand: In einer unfreien Gesellschaft muss Freiheit erkämpft, in einer schon freien Gesellschaft müssen freiheitsbedrohende Mächte und Tendenzen niedergehalten werden. Das Fehlurteil über das liberale Politikanliegen hat nicht nur dazu geführt, dass der Liberalismus als eigentlich unpolitische Bewegungen angesehen wurde. Es schien auch, dass er in der sogenannten „freien Welt“ überflüssig geworden ist. So kommt es, dass er in der Wissenschaft jetzt fast nur als historisches Forschungsobjekt erscheint, während im populären Schrifttum vielfach ausgeführt wird, dass die Forderungen der Liberalen unverlierbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens geworden seien, so dass man von einem „realisierten Liberalismus“ sprechen könne.6 Der Liberalismus ist tot, weil er das ewige Leben gewonnen hat. – Aus liberaler Sicht ist dieser seltsame Befund nicht akzeptabel. Zum einen hat der Liberale – wie gesagt – keine konkreten Politikziele verfolgt. Somit kann auch nicht behauptet werden, dass er etwas erreicht oder dass sich die liberale Bewegung verwirklicht habe. Wichtiger aber ist, dass es dem Liberalen auch um Bewahrung, nicht nur um das Erkämpfen von Freiheit geht. Sein Einsatz für die Freiheit kann folglich nicht abgeschlossen sein, solange es Politik im traditionellen Sinn, also progressive Veränderungs- oder konservative Bewahrungsstrategien, gibt. Überall, wo und solange Macht existiert; überall, wo Politik bestimmte Interessen durchzusetzen versucht – also auch in einer freien Gesellschaft –, ist die Freiheit gefährdet. Überall, wo die Freiheit gefährdet ist, ist liberales Engagement nötig.

IV. Auseinandersetzungen um die Grundsätze freiheitlicher Politik Offensichtlich war das auch Erhards Meinung, denn er hat am Ende seines Lebens in geradezu erschütternder Weise beklagt, dass der Kampf für die Freiheit nicht mehr, zumindest nicht mehr in der erforderlichen Weise geführt wird. Erhard erklärte in aller Deutlichkeit Mitte der siebziger Jahre und für die Situation in der Bundesrepublik Deutschland, dass dies ver6 Vgl. etwa: Konrad Fuchs/Heribert Raab, Artikel „Liberalismus“, in: Wörterbuch zur Geschichte, München 1980.

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hängnisvolle Folgen habe. In Deutschland werde zwar immerzu behauptet, die Freiheit jedes einzelnen Bürgers sei gewährleistet. In Wahrheit sei das aber nur eine „törichte Beruhigung“. Der „wahre liberale Geist“ sei verschwunden. Der Begriff „liberal“ diene in der Politik nur noch als „Fassade durchaus antiliberaler, sozialistischer Kräfte“. Die Politik bringe oder zwinge die Bürger in immer ausgeklügelterer Form in neue und größere Abhängigkeiten von staatlichen Organen. Im Prozess der zunehmenden Politisierung und Bürokratisierung sei der Spielraum für die spontane private Betätigung, für die Eigenverantwortung, die Selbstbestimmung und die Selbstvorsorge überaus eng geworden.7 Erhard hat die Schuld an dieser Entwicklung nicht bei irgendwelchen freiheitsfeindlichen Mächten, sondern in erster Linie in Leichtfertigkeiten und Oberflächlichkeiten der Liberalen selbst gesehen. Viele seiner Kollegen an den Hochschulen hätten die Neigung der Politik zu Pragmatismus, Konformismus und Opportunismus argumentativ gefördert – gewiss sei das nicht beabsichtigt gewesen, aber im Endeffekt sei das gleichgültig.8 Selbst in der Gruppe der Neoliberalen, zu der er sich rechne, hätte nicht jeder den „tiefen Sinn“ der Sozialen Marktwirtschaft verstanden. Da sei mancher Versuch unternommen worden, seine Wirtschaftspolitik aus ihrer grundsätzlichen ordnungspolitischen Fundierung zu lösen, um sie in Richtung bestimmter Politikziele zu drängen. Einige Neoliberale hätten von einem Staat geschwärmt, der mit „liberalen Interventionen“ in den Wirtschaftsablauf eingreift und unternehmerische Anpassungsprozesse fördert oder erleichtert.9 Andere hätten verlangt, dass der Staat die Ergebnisse marktwirtschaftlicher Prozesse nach irgendwelchen Maßstäben sozialer Gerechtigkeit umverteilt.10 Manche hätten sich dafür ausgesprochen, dass die 7 Vgl. Ludwig Erhard, Lebensordnung im Geist der europäischen Freiheit, Ansprache am 6. November 1974 im Schloss Auel, Wahlscheid/Sieg. 8 Diese Ansicht war schon 1967 das Motiv für Ludwig Erhard, eine Stiftung zu gründen. In der Stiftungsurkunde heißt es: „In einer Zeit, in der ein verwerflicher Opportunismus und ein verderblicher Konformismus sich immer weiter ausbreiten, gilt es, die Werte verantwortlicher Gesinnung und menschlicher Gesittung zu stärken und neu zu beleben.“ 9 Vgl. Alexander Rüstow, Liberale Interventionen, Diskussionsbeitrag auf der 32. Tagung des Vereins für Socialpolitik am 28. November 1932 in Dresden. 10 Alfred Müller-Armack hat für diese Konzeption in fast allen seinen Schriften geworben. Vgl. etwa Alfred Müller-Armack, Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft (1947), Bern/Stuttgart 1976. Dort schreibt er unter der Kapitelüberschrift „Soziale Marktwirtschaft“ auf Seite 144: „Eine gesteuerte Marktwirtschaft bietet genügend Spielraum, bestimmte soziale Beeinflussungen wirkungsvoll durchzusetzen. Theoretisch gesehen, könnte der Staat durch scharfe Erfassung aller höheren Einkommen eine Kaufkraftumleitung ins Werk setzen, die die denkbar stärkste Nivellierung zur Folge hätte.“

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Politik die Wirtschaft mit „marktkonformen Mitteln“ auf bestimmte Ziele hin lenkt.11 Wieder andere hätten Idealmodelle entworfen, nach denen die Wirtschaft rekonstruiert und das Wirtschaftsgeschehen in einen vorgegebenen Rahmen gepresst werden sollte.12 Alle diese Ideen hätten nicht dem Liberalismus entsprochen, wie er ihn verstehe. Er habe sich in seiner Politik konsequent an liberalen Grundsätzen orientiert und sich jeder Art von Interventionismus, allen Forderungen nach Eingriffen in marktwirtschaftliche Prozesse und allen kollektivistischen Umverteilungsabsichten widersetzt. Auch der wirtschaftspolitische Konstruktivismus habe in seiner Politik keine Chance gehabt. Die Kritik Erhards an den neoliberalen Politikvorstellungen auf der einen und die zahlreichen negativen Äußerungen von neoliberalen Wissenschaftlern über Erhards Soziale Marktwirtschaft auf der anderen Seite zeigen, dass zwischen Sozialer Marktwirtschaft und neoliberaler Politkauffassung große Differenzen bestehen. Sie zeigen aber auch, dass es keine einheitliche neoliberale Denkschule gibt, so dass sich nicht der Neoliberalismus als solcher, sondern nur die jeweilige neoliberale Position kritisieren lässt. In Übersicht 1 sind die wichtigsten Positionen und Vorschläge neoliberaler Wissenschaftler aufgelistet. Dabei wurde versucht, sie systematisch zu ordnen und auf ein Hauptanliegen zuzuspitzen.

V. Das Erhardsche Politikverständnis Erhard hat seine Politik nicht an einer neoliberalen Doktrin orientiert, sondern sie aus seinem eigenen Verständnis von den Aufgaben liberaler Politik entwickelt. Dabei ist schon der Umstand bedeutsam, dass Erhards Politik theoretisch konzipiert und nicht ad hoc durchgeführt wurde. Politik orientiert sich üblicherweise nicht an wissenschaftlich erarbeiteten Konzepten. Sie will in der Regel in unmittelbarer Weise die Probleme lösen, die 11

Die Forderung, die Wirtschaftspolitik mit „marktkonformen“ Maßnahmen zu betreiben, stammt von Wilhelm Röpke, vgl. Wilhem Röpke, Civitas humana. Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform, Erlenbach-Zürich 1949, Seiten 73 ff. Röpke plädiert dort dafür, unter verschiedenen Maßnahmen stets die „marktkonformere“ anzuwenden. Alfred Müller-Armack hat das verallgemeinert und unter „marktkonform“ ein Patentrezept verstanden, das ermöglicht, Probleme, die in der Marktwirtschaft entstanden sind, mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu beseitigen. Wenn aber Probleme durch die marktwirtschaftliche Ordnung selbst verursacht sind, dann wäre das die Empfehlung, sich wie Baron Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. 12 Gemeint ist hier vor allem das ordo-liberale Konzept des „vollständigen Wettbewerbs“. Vgl. Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik (1950), Tübingen 1971.

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Übersicht 1

Das Spektrum des Neoliberalismus I.

Neoliberalismus im engeren Sinne Friedrich A. von Hayek Den klassischen Liberalismus erneuern!

II. Revisionistischer Neoliberalismus 1. Liberaler Interventionismus a) Gesellschaftspolitischer Neoliberalismus Wilhelm Röpke Gesellschaftliche Integration stärken! b) Marktpolitischer Neoliberalismus Alexander Rüstow Anpassungsprozesse unterstützen! c) Sozialer Neoliberalismus Alfred Müller-Armack Marktergebnisse sozial korrigieren! 2. Ordoliberalismus Franz Böhm, Walter Eucken Für „vollständigen Wettbewerb“ sorgen! III. Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhard Systematisch freiheitliche Politik betreiben!

ihr die Gegenwart stellt. Erhard meinte jedoch, dass eine überzeugende und letztlich erfolgreiche Politik eine klare Leitvorstellung besitzen muss, von der nicht abgewichen werden dürfe. Vage ausformulierte oder noch nicht endgültig bedachte Konzeptionen sowie alle hin und her erwogenen Maßnahmen würden Interessengruppen einladen, die Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Odysseus habe unter dem Sirenengeheul zwischen Scylla und Charybdis Kurs zu halten vermocht. Er sei ohne Nachfolger geblieben. Alle Politiker würden seither im Getöse der Interessen nur noch unsicher und orientierungslos herumpaddeln und sich notgedrungen von den Strömungen der Zeit treiben lassen, statt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und zu tun, was im allgemeinen Interesse liegt. Erhard ging es darum, Politik konsequent auf der Grundlage einer vorbedachten Konzeption zu betreiben. Er sah die eigentliche Ursache für den Untergang des Liberalismus in der unzureichenden konzeptionellen Begrün-

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dung von Politik. Den Liberalen sei es nicht gelungen, exakt und nachvollziehbar darzulegen, was Politik aus ihrer Sicht eigentlich bedeutet. Niemals sei ein hinreichend rigides Politik- und Staatsverständnis entwickelt worden. So konnte das Missverständnis entstehen und fortbestehen, der Liberale würde unter einer freien Gesellschaftsordnung jenes ungeregelte Chaos verstehen, in dem jeder tun darf, was ihm beliebt. Für Erhard gehörten somit zwei Punkte zu den unverzichtbaren liberalen Leitvorstellungen: (1) Ausgangspunkt seiner Vorstellung von Sozialer Marktwirtschaft war das unbedingte und zweckfreie Bekenntnis zur Freiheit. Er glaubte, dass nur Freiheit, und kein anderes Motiv, der liberalen Politik eine Legitimation verleihen kann. Freiheit dürfe aber nicht für irgendwelche Zwecke instrumentalisiert werden. (2) Zum anderen verlangte er, dass die freiheitliche Leitvorstellung zu einer politischen Konzeption verdichtet wird, in der die politischen Absichten eindeutig beschrieben und insbesondere auch die Kriterien exakt bestimmt werden, mit denen sich die notwendigen ordnungspolitischen Maßnahmen von unzulässigen prozesspolitischen Interventionen unterscheiden lassen. 1. Unbedingtes Bekenntnis zu Freiheit Aufgrund seiner Freiheitskonzeption war für Erhard klar, dass nur jene Entscheidungen beachtenswert sein können, die von Individuen in Bezug auf ihre eigenen Angelegenheiten und Interessen selbst getroffen werden. Politiker entscheiden für andere. Auch wenn diese Entscheidungen für die Betroffenen ökonomisch oder sozial vorteilhaft sind, stellen sie eine Bevormundung oder Entmündigung dar. Jede politische Entscheidung zu Gunsten Dritter muss deshalb in jedem Einzelfall zureichend begründet werden. Solange eine solche Begründung nicht vorliegt, muss jeder Paternalismus und jede Fürsorge als unzulässiger Eingriff in die private Autonomie gewertet werden. Aus solcher Sicht besitzt Politik niemals per se eine Legitimation.13 Auch der Begriff „freiheitliche Politik“ stellt nichts anderes dar als eine Contradictio in adiecto: Politik will gestalten; freiheitlich verlangt, dass 13

Auch demokratisch getroffene Mehrheitsentscheidungen können politische Eingriffe in die Privatautonomie nicht legitimieren, solange bei solchen Entscheidungen Meinungen der betroffenen Minderheit unberücksichtigt bleiben. Darauf hat vor allem Friedrich A. von Hayek hingewesen. Vgl. Friedrich A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971, Seiten 128 ff.

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sich die Dinge in Freiheit, das heißt ohne politischen Einfluss entwickeln. Dieser Widerspruch muss durch ein spezifisches „freiheitliches“ Politikverständnis aufgelöst werden. Für Erhard lag die Legitimation freiheitlicher Politik in der permanent existierenden Bedrohung von Freiheit. Wenn Freiheit unbedingtes Ziel liberaler Politik ist und wenn dieses Ziel stets gefährdet ist, dann ist „freiheitiche Politik“ jederzeit nötig, und die Politik muss entschieden vorgehen, aber: Es geht um Freiheit! Somit geht es nicht an, dass die Freiheit geschützt werden soll, indem sich die Politik in private Angelegenheiten einmischt und Einzelnen vorschreibt, was sie als freiheitsbedrohend zu unterlassen haben. Diese Feststellung ist besonders wichtig, weil Erhard meinte, eine Freiheitsgarantie müsse auch die Sorge um die materiellen Voraussetzungen umfassen, unter denen von Freiheit erst Gebrauch gemacht werden kann. Er konnte sich Freiheit ohne „Wohlstand für alle“ nicht vorstellen. Aus dieser Sicht ist die von allen Neoliberalen geteilte Auffassung, dass der Staat der Freiheit der Einzelnen Grenzen setzen müsse, nicht akzeptabel. Eine Begrenzung der Freiheit durch den Staat bedeute, dass dem Einzelnen von Staats wegen ein autonomer Bewegungsspielraum garantiert wird. Es sei jedoch keine Freiheit, wenn sich einer bis an die Grenzen der Zelle bewegen darf, die ihm zugewiesen wurde. Freiheit, die – von wem auch immer – begrenzt wird, sei keine „originäre Freiheit“.14 2. Untrennbarkeit von Freiheit und Verantwortung Freiheit verschwindet, wenn sie durch Mächtige unterdrückt wird; sie verschwindet aber auch, wenn irgendwem das Recht zugesprochen wird, Macht im Namen der Freiheit zu beschränken. Nach Erhard existiert Freiheit nur dort, wo der Freie seiner Freiheit selbst und freiwillig Grenzen setzt. Mit dieser Ansicht knüpft Erhard an die Sozialethik an, wie sie die alten Liberalen, allen voran Adam Smith 1759 in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ ausgearbeitet haben. Nebenbei bemerkt: Adam Smith selbst hat seine Sozialethik für weitaus bedeutender gehalten als sein später veröffentlichtes, noch heute gern zitier14 In diesem Punkt widerspricht Erhard der Ansicht von Friedrich A. von Hayek. Von Hayek sagt in seiner „Verfassung der Freiheit“, Freiheit könne nur „negativ“, als Abwesenheit von Zwang, definiert werden, und er begründet auf dieser Basis sein Politik- und Staatsverständnis. Vgl. Friedrich A. von Hayek, Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971, Seiten 13 ff. Nach Erhard kann Freiheit überhaupt nicht definiert werden – weder positiv noch negativ. Freiheit ist weder inhaltlich noch intentional vorhersehbar. Weder die Zielsetzungen, noch die Motivationen der Einzelnen sind im Voraus bekannt.

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tes Buch „Der Wohlstand der Nationen“. Die Erklärung dafür ist einfach. Die „Theorie der ethischen Gefühle“ ist eine Beschreibung gesellschaftlicher Zustände, wie sie im Allgemeinen anzutreffen sind. Der „Wohlstand der Nationen“ beschäftigt sich demgegenüber nur mit einem Spezialfall, nämlich mit dem Wirtschaften in einer Gesellschaft, die dem Eigennutz verfallen ist und in der die im Ursprungszustand vorherrschenden Sozialkräfte abgestorben sind. Adam Smith schreibt in der „Theorie der ethischen Gefühle“: „Wenn zwischen den verschiedenen Gliedern der Gesellschaft keine wechselseitige Liebe und Zuneigung herrschten, so wird die Gesellschaft zwar weniger glücklich und harmonisch sein, wird sich aber deshalb doch nicht auflösen müssen. Die Gesellschaft kann zwischen einer Anzahl von Menschen – wie eine Gesellschaft unter mehreren Kaufleuten – auch aus einem Gefühl ihrer Nützlichkeit heraus, ohne gegenseitige Liebe und Zuneigung bestehen bleiben . . . Eine Gesellschaft kann ohne Wohltätigkeit weiter bestehen, wenn auch freilich nicht in einem besonders guten und erfreulichen Zustande.“15 Der „Wohlstand der Nationen“ ist der Beschreibung dieser offensichtlich nicht sonderlich erstrebenswerten „Kaufmannsgesellschaft“ gewidmet. Nach Erhard (bzw. Adam Smith) werden Menschen nicht als Egoisten geboren. Sie verhalten sich sozial, solange sie nicht durch ungünstige gesellschaftliche Umstände umerzogen oder gezwungen werden, vorwiegend an sich und ihre Interessen zu denken. Ursprünglich betrachten sie sich und ihre Absichten stets und in erster Linie aus der Sicht der anderen. Sie versuchen, sich so zu verhalten, dass sie die Anerkennung der anderen gewinnen. Das gehe so weit, dass sie selbst, wenn sie im Verborgenen agieren, an das Urteil der anderen denken. Den anderen sympathisch und liebenswert zu erscheinen, von anderen geschätzt und geachtet zu werden, sei ihnen mehr wert, als sich durch Vermögen und Geld auszuzeichnen.16 3. Das Soziale der Sozialen Marktwirtschaft Erhard sah die Aufgabe der liberalen Politik darin, diese naturgemäße soziale Orientierung der Menschen aufrecht zu erhalten.17 Das sei nicht 15

Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, 2. Teil, 2. Abschnitt, 3. Kapitel. Diesen Punkt bestätigt sogar Thorstein Veblen in seiner „Theorie der feinen Leute“ (1899). Seine Theorie beschäftigt sich vornehmlich mit der Rolle von Geld als gesellschaftlichem Differenzierungsphänomen. Dabei wird aber klar, dass Geld allein keine Ehre bringen kann. „Neureiche“ hoffen zwar, sich durch Geld Achtung verschaffen zu können. Aber oft können sie nur Spott und Verachtung erreichen. 17 Auch hier zeigt sich ein großer konzeptioneller Unterschied beispielsweise zu der Auffassung von Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow. Diese meinten, dass durch das wettbewerbliche Verhalten in einer marktwirtschaftlichen Ordnung gesell16

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leicht, denn in modernen Gesellschaften herrsche ein ausgeprägtes Verlangen nach Sicherheit. Diesem Verlangen versuche die Sozialpolitik nachkommen. Dabei greife sie immer wieder zu Maßnahmen, mit denen die Grundlagen einer „gesunden Sozialordnung“ zerstört werden. Jeder Mensch versuche, sein Leben selbst zu bewältigen. Jeder scheue sich, auf Kosten anderer zu leben. Zwar strebe jeder nach Sicherheit, aber keiner wolle, dass seine Sicherheit zu einer Last wird, die von anderen getragen werden muss. Die Sozialpolitik tendiere jedoch dazu, Unterstützungsleistungen zu einem rein technischen Zahlungsvorgang zu anonymisieren. Wenn den Menschen nicht mehr klar ist, wer wen unterstützt und in welchem Ausmaß das geschieht, dann ist es für den Einzelnen kaum noch möglich, an seiner Sozialmoral, seinem natürlichen Sozialempfinden festzuhalten. Er muss befürchten, dass er von anderen ausgenutzt wird. So wird er versuchen, möglichst wenig zum Sozialsystem beizutragen und möglichst viel aus ihm herauszuziehen. Aus diesem Grund war es für Erhard wichtig, die soziale Sicherung – das heißt: die Fürsorge, die unstrittig ist und die in jeder Gesellschaft für die wirklich Hilfsbedürftigen geleistet werden muss – auf das Niveau zu begrenzen, das durch das Verantwortungsgefühl, das die Einzelnen füreinander empfinden, gedeckt ist. Erhard meinte, nur auf diese Weise könne die unter Menschen natürlicherweise vorherrschende soziale Orientierung erhalten werden. Nur in diesem Falle könne man damit rechnen, dass neben einem starken Verlangen nach Freiheit und Autonomie auch Solidarität und Subsidiarität gewährleistet sind. Nur in einem „gesunden Sozialklima“ sei gewährleistet, dass die Menschen ihren Alltag in eigener Regie bewältigen wollen und damit Leistungen erbringen, die allen nutzen. Nur in einem solchen Klima seien Menschen bereit, anderen vorbehaltlos zu helfen, während sie sich nur in wirklich ausweglosen Situationen der Hilfe anderer bedienen.18 Damit ist klar: Für Erhard konnte Soziale Marktwirtschaft nichts mit den Vorstellungen einer umverteilenden Sozialpolitik zu tun haben, für die vor allem Alfred Müller-Armack geworben hat. Erhard befürchtete, dass mit dem Ausbau sozialer Leistungen schwere Schäden für Wirtschaft und Geschaftliche Bindungskräfte systematisch geschädigt werden. So forderten sie eine spezielle Gesellschaftspolitik, mit der die „Vitalkräfte“ gestärkt werden, die der Wettbewerb ruiniert. Erhard sah das Problem ganz anders. 18 Vgl. hierzu Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf/Wien 1957, Kapitel XII. Auch Walter Eucken war überzeugt, dass die moderne Industriegesellschaft eine neue Art von Sozialpolitik benötigt. Vgl. Walter Eucken, Die soziale Frage, in: Synopsis. Festgabe für Alfred Weber, Basel/Heidelberg 1948. Während Eucken nur die Notwendigkeit dieser Neuorientierung beschreibt, hat Erhard mit der Sozialen Marktwirtschaft die Grundlagen dafür gelegt.

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Horst Friedrich Wünsche Übersicht 2 Alfred Müller-Armack, 1956:

Ludwig Erhard, 1957:

„Sinn der Sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“

„Der tiefe Sinn der Sozialen Marktwirtschaft liegt darin, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs und der sittlichen Verantwortung jedes einzelnen dem Ganzen gegenüber zu verbinden.“

sellschaft verursacht werden, weil in einem Sozialstaat die Ansprüche steigen, während die Leistungsbereitschaft und die Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe sinkt. Übersicht 2 zeigt, dass Erhard mit der heute oft zitierten Definition von Sozialer Marktwirtschaft, die Alfred Müller-Armack 1956 im „Handwörterbuch für die Sozialwissenschaften“ gegeben hat, nicht einverstanden war.19 4. Der Begriff „Marktwirtschaft“ Alles in allem gründete sich Erhards Position auf die sozialphilosophischen, sozialpsychologischen und sozialethischen Forschungen, die er zwischen 1929 und 1942 betrieben hat. Sie führte zur Zurückweisung vieler Grundkonzepte, die in Wissenschaft und Politik seinerzeit als selbstverständlich angesehen wurden und noch heute das Denken bestimmen: Erhard verwirft das weit verbreitete, brüchige Verständnis von Freiheit. Er entwirft ein weitaus strikteres Leitbild und kritisiert von daher die gängige Politik- und Staatsauffassung. Er ersetzt das Phantombild des Homo oeconomicus, das fast allen ökonomischen Betrachtungsweisen zugrunde liegt, durch das realistische Bild eines prinzipiell sozial orientierten Menschen und definiert das Soziale der Sozialen Marktwirtschaft anders, als es jetzt 19 Der abgedruckte Widerspruch ist bemerkenswert. Zum einen, weil Alfred Müller-Armack den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ 1947 vermutlich als erster verwendet hat und deshalb eine besondere Kompetenz beansprucht hat, ihn zu definieren. Müller-Armack hat in der ersten Hälfte der fünfziger Jahren Erhards Auffassung von Sozialer Marktwirtschaft vehement kritisiert, weil sie nicht die sozialen Anliegen erfülle, die er beschrieben habe. Vielleicht berief Erhard Müller-Armack in sein Ministerium, um ihn mundtot zu machen. Er beschäftigte ihn mit Fragen der Europapolitik.

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üblich ist. Besonders wichtig erschien ihm dabei, dass sich die Wirtschaftspolitik ihrer freiheitlichen Leitvorstellung entsprechend an allgemeinen, nicht an speziellen Interessen orientiert. Dieser Punkt führt dazu, dass Erhard auch den Begriff der Marktwirtschaft spezifisch definiert und anders verstanden hat, als er heute verstanden wird.20 Marktwirtschaft ist für Erhard „völlige Freiheit des Handelns und der Entscheidungen“ für alle wirtschaftenden Menschen, wo immer sie tätig sind, als Unternehmer wie auch als Verbraucher. Erhard sagt: „Marktwirtschaft als ökonomisches Prinzip bedeutet, dass sich jeder einzelne Mensch als Unternehmer, ohne vom Staat behindert oder gegängelt zu werden, frei entfalten kann und dass es seine Angelegenheit ist (sein Risiko aber auch seine Chance ausmacht), im Markt zu gewinnen, was seine Existenz gewährleistet. Auf der Seite des Verbrauchers bedeutet Freiheit, dass jeder Einzelne in freier Konsumwahl sein Leben so gestalten kann, wie es seinem eigenem Willen und seinen Vorstellungen von Glück, Zufriedenheit und Würde entspricht.“ Wer sagt, Erhard vertrete das Konzept einer absolut freien Marktwirtschaft, hat damit Recht. Allerdings darf er den Erhardschen Begriff der „freien Marktwirtschaft“ nicht willkürlich erweitern. Mit Marktwirtschaft im Sinne von Erhard lässt es sich beispielsweise nicht vereinbaren, wenn die Politik Wachstumspotenziale in der Wirtschaft sucht, um sie zu fördern. Schon der Begriff „Wachstumspolitik“ steht für Erhard in Widerspruch zur freiheitlichen Politik. Er nennt ihn eine gefährliche Ausgeburt planwirtschaftlicher Denkweise. In einer Marktwirtschaft entsteht Wirtschaftswachstum aus dem Wunsch von Menschen, die ihre Lebensumstände verbessern wollen. Die marktwirtschaftliche Politik soll nicht den Menschen bescheren, was diese sich wünschen. Sie muss dafür sorgen, dass keiner in seinen Anstrengungen um bessere Lebensumstände behindert wird. Die Erfahrungen mit Wirtschaftskrisen und seine Studien haben Erhard gelehrt, dass eine so definierte wirklich freie Marktwirtschaft nur unter zwei Bedingungen bestehen kann. Bei beiden gehe es – wie er sagt – um die „eigentlich banale Selbstverständlichkeit“, dass die laufende Güterpro20 Marktwirtschaft war für Erhard jenes System, in dem Wirtschaftsfreiheit realisiert ist. So konnte es für ihn auch keine unterschiedlichen Formen von Marktwirtschaft geben. Erhard hat diesen Umstand einmal mit einer Analogie verdeutlicht: Mit der Marktwirtschaft stünde es wie mit der Schwangerschaft. Es gäbe sie, oder es gäbe sie nicht. Die Neigung, von unterschiedlichen Marktwirtschaften zu sprechen, ist das typische Kennzeichen für den Pseudo-Liberalismus, dem es nicht um die persönliche Freiheit geht, sondern um eine definitionsbedürftige „Freiheit des Marktes“, die in Dingen wie Marktzugang, Umfang und den Schutz von Eigentumsrechten (Vertragsfreiheit) etc. in durchaus unterschiedlicher Weise realisiert sein kann.

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duktion (das Sozialprodukt) und die laufende Einkommensbildung (das Volkseinkommen) übereinstimmen müssen: (1) Erstens sei die Übereinstimmung von Sozialprodukt und Volkseinkommen makroökonomisch nur zu erreichen, „wenn die Politik die Kraft und den Willen aufbringt, Disziplin zu üben und sich keiner Sünden auf finanz- und kreditwirtschaftlichem Gebiet schuldig macht.“ (2) Sofern ein solches makroökonomisches Gleichgewicht existiert, bedarf es zweitens einer wirklich „freien Unternehmungswirtschaft“, damit sich neben der rein quantitativen auch eine strukturelle (qualitative) Übereinstimmung zwischen Sozialprodukt und Volkseinkommen ergibt. Beide Bedingungen sind heute verletzt. Über den einen Punkt, die jetzt existierende Staatsverschuldung, erübrigen sich weitere Ausführungen. Der andere Punkt, das Verschwinden wirklicher Unternehmer und einer Marktwirtschaft im Erhardschen Sinne erfordert ein paar Erläuterungen. Erhard meint, in einer freien Wirtschaft müsse das Schicksal jedes einzelnen Unternehmers daran gebunden sein, „dass er mit seiner Leistung Gnade vor den Augen des Verbrauchers findet. Er muss auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen sein, sich im Wettbewerb zu behaupten.“ Für Erhard heißt das: Wenn nicht verhindert wird, dass Unternehmer ohne entsprechende Marktleistung starke Positionen erlangen, wird ein Weg geöffnet, der – wie in früheren Zeiten – unweigerlich in eine Wirtschaftskrise führt. Sobald sich Produzenten – statt sich dem Markt anzupassen – „darauf einigen, für sich einen höheren Anteil der zum Markt kommenden Kaufkraft zu binden, bedeutet das, dass in anderen Bereichen der Wirtschaft diese Kaufkraft fehlt . . . So entstehen Krisen. Die vorhandene Kaufkraft reicht nicht mehr aus, um das ganze Sozialprodukt vom Markt zu nehmen. Der Versuch, sich durch Verkürzung der Produktion der verminderten Kaufkraft anzupassen, führt in den merkwürdigen Zustand, dass immer mehr unabsetzbare Güter im Markt verbleiben, denn die verkürzte Produktion bedeutet absinkende Beschäftigung und Verminderung des Volkseinkommens, und natürlich auch eine Verminderung von vielen Individualeinkommen und der Kaufkraft. So lagert sich eine Krise über die andere. Schließlich kommt es zu jener krisenhaften Erstarrung, die wir in den dreißiger Jahren erlebt haben. Nur eine freie Wirtschaft kann die notwendigen Anpassungen sofort und beweglich erreichen.“21

21 Hier und im Folgenden wird aus dem bereits eingangs erwähnten Vortrag zitiert, den Ludwig Erhard am 31. Mai 1954 in Antwerpen gehalten hat.

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VI. Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft Seit langem wird davon gesprochen, dass die Wirtschaft unserer Tage dem „Shareholder value“ verpflichtet ist. Es ist nicht erforderlich, zu ermitteln, inwieweit das zutrifft und in welchem Ausmaß sich Wirtschaft und Politik an Börsennotierungen etc. orientieren. Für Erhard stand fest, dass diese Orientierung grundsätzlich falsch ist. Erhard bekennt: „In meinem Bild der Wirtschaft gibt es nur einen Maßstab, und das ist der Verbraucher; denn welchen anderen Zweck sollte eine Wirtschaft haben als den, der Gesamtheit eines Volkes zu immer besseren und freieren Lebensbedingungen zu verhelfen, Sorgen zu überwinden und den Segen der Freiheit allen teilhaftig werden zu lassen? Wenn es viele Menschen in einem Staat gibt, die von der Sorge gequält sind, was morgen ihr Schicksal sein wird, so kann man nicht von Freiheit sprechen. Frei, wahrhaft frei als Persönlichkeit und wahrhaft frei gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen, ist nur derjenige, der gewiss sein kann, kraft eigener Leistung und eigener Arbeit bestehen zu können, ohne Schutz, aber auch ohne Behinderung durch den Staat.“ Erhard war überzeugt, er habe mit seiner Politik das Grundübel beseitigt, an dem die freiheitliche Politik früherer Zeiten regelmäßig gescheitert ist. Die Wirtschaft sei nie gezwungen gewesen, sich ausschließlich am Verbraucher zu orientieren. Immer habe die Produktion an erster Stelle gestanden. Stets sollten vorhandene Produktionskapazitäten ausgelastet und gemäß dem technischen Fortschritt neue errichtet werden. Die Produzenten hätten sich nie primär am Markt orientiert, sondern lediglich erwartet, dass die Verbraucher ihnen die Kosten ihrer Produktion und aller Neuerungen vergüten. „Moralisch ist dagegen nichts einzuwenden. Bloß: Mit einer Marktwirtschaft sind diese Vorstellungen nicht in Einklang zu bringen.“ Erhard bezeichnet die Wirtschaftssysteme der Vergangenheit als „unternehmerische Planwirtschaften“, die in vielem unangenehmer seien als staatliche Planung, denn sie führen zu Pfründen und Renten, zu ständestaatlichen Verhältnissen wie im Mittelalter, zu Abwehr von Konkurrenten, zu Macht, Machtmissbrauch und Korruption, zu einzelnen durchaus beträchtlichen Profiten, aber nicht zu wirtschaftlichen Fortschritten, die im harten Wettbewerb an den Verbraucher weitergegeben werden. In solchen „unternehmerischen Planwirtschaften“ übe der Staat großen und immer größeren Einfluss auf die Wirtschaft aus. Dem Einzelnen werde immer mehr Verantwortung abgenommen. Damit wandele sich auch das Soziale zum Kollektivistischen und Sozialistischen, denn: „Es war nur eine Selbstverständlichkeit, dass sich der Einzelne sagte: Wenn ich mich schon nicht frei entfalten kann, wenn ich schon nicht das tun und lassen kann,

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was ich für richtig halte und was ich für mein persönliches Wohlergehen für notwendig erachte, dann, lieber Staat, trage du auch bitte die Verantwortung für mein ökonomisches Schicksal.“ Ludwig Erhard ist 1977 verstorben. Es ist klar: Alles, was ich zitiert habe, hat er in lange zurück liegender Zeit gesagt. Aber mir scheint, seine Ausführungen klingen durchaus aktuell. Bedeutet das, dass wir wieder auf den Weg geraten sind, der früher beschritten wurde und der in einem Verhängnis endete, das erst mit der Wirtschaftsreform 1948 beendet werden konnte? Ist das Wirtschaftssystem unserer Tage eine „unternehmerische Planwirtschaft“? Ist sie keine Soziale Marktwirtschaft, weil sie weder sozial, noch eine Marktwirtschaft im Erhardschen Sinne ist? Ich stelle diese Fragen, weil sie sich meines Erachtens eindeutig beantworten lassen: Wir haben keine Soziale Marktwirtschaft mehr. Wir benötigen eine Rekonstruktion der Sozialen Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard. Viele der bisher durchgeführten Reformen waren lediglich Symptomtherapien. Deshalb haben sie nicht erreicht, was sie erreichen sollten. Die notwendigen Fundamentalkorrekturen stehen noch aus. Um sie durchführen zu können, muss aber bekannt sein, was Soziale Marktwirtschaft ist. In erster Linie sind also Begriffsklärungen nötig. Um sie hat sich Bodo Gemper unermüdlich bemüht. Er hat sich damit bleibende Verdienste erworben.

Die Verantwortung des Journalisten in einer freien Gesellschaft Von Eberhard Winterhager

I. Die nicht mehr ganz freie Gesellschaft Die Zeiten, in denen sich eine freie Gesellschaft wesentlich aus ihrem Gegensatz zum Staat bestimmte und neben den verfassungsrechtlichen „checks and balances“ vor allem die Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat auf ihrer Seite wusste, sind in den vergangenen Jahrzehnten schleichend einer neuen Verfassungswirklichkeit gewichen. Zum einen war es zunächst der Wohlfahrtsstaat, der eine stetig wachsende Zahl von Bürgern am goldenen Gängelband staatlicher Zuwendungen bzw. großzügiger Zahlungen aus den Kassen der Sozialversicherung zu führen verstand und so ihre freie Selbstbestimmung in die staatlichen Vorbedingungen der Zuwendungen einband. Zum andern wurde der erwähnte, freiheitssichernde reine Abwehrcharakter der Grundrechte gegenüber dem Staat in vielen Bereichen dadurch relativiert, dass sie – zunächst durch die Interpretation der allgemeinen Gesetze „im Lichte der Verfassung“ und später direkt durch neue Gesetze – eine „Drittwirkung“ entfalteten, d. h. sie wurden für das Verhältnis der Bürger untereinander mitbestimmend. In diesem Sinne markiert das aktuell zur Verabschiedung anstehende Antidiskriminierungsgesetz eine Art systematischen Höhepunkt, insofern hier die Vertragsfreiheit, die für die freie Gesellschaft und besonders für ihre Wirtschaftsordnung von entscheidender Bedeutung ist, in wichtigen Bereichen massiv eingegrenzt wird. Mit der zunehmenden Anwendung von Grundrechten auf die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander entstehen nicht zuletzt über die Justiz weitreichende neue Eingriffsmöglichkeiten des Staates in den Privatsrechtsbereich, obwohl Deutschland schon jetzt – gemessen an der Zahl der Richter pro Bürger – über das „dichteste“ Rechtssystem auf der Welt verfügt. Schließlich hat das Steuerrecht als die am meisten ausdifferenzierte Disziplin deutscher Rechtsetzungskunst – auch bedingt durch die fast ungebremst wachsende Staatsverschuldung – ein Überwachungssystem auf den Weg gebracht, das die seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht entwickelte, grundrechtsartige „informationelle Selbstbestimmung“ einfach beiseite schiebt, wo es dem Staat und seiner Bürokratie passt.

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Alles zusammengenommen aber ist eine Rechtswirklichkeit entstanden, die vom durchschnittlichen Bürger nicht mehr durchschaut werden kann, zumal sie obendrein z. T. noch von europäischem Recht überlagert wird. Der Bürger, der sich nicht fügsam im Hauptstrom durchschnittsbürgerlicher Lebensweisen mit den größten Freiheiten im Konsumbereich hält, muss insbesondere bei unternehmerischen Ambitionen auf Schritt und Tritt befürchten, mit einem Rechtssystem in Konflikt zu geraten, das noch nicht einmal entfernt seine „Erfinder“, d. h. die Abgeordneten der Parlamente, in der vollen Breite überschauen.

II. Der Journalist und seine Verantwortung Im Vergleich damit sind die Rechte des Journalisten – zumindest aus den verfassungsrechtlichen Garantien für die Zeitungs-, Hörfunk- und Fernsehunternehmen – sehr gut zu überblicken. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich diese Rechte gemäß Art. 5 I GG, konkreter ausgelegt in den Landespressegesetzen (LPG), aus dem alten Grundrechtsverständnis der Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat herleiten. Eine positive Verantwortung des Journalisten für die freie Gesellschaft ist deshalb nirgendwo in Gesetzen festgelegt, wenn auch der Deutsche Presserat als Selbstkontrollorgan der Presse mit zumeist zeitgeistnahen, aber nicht unbedingt immer fundiert begründeten Entscheidungen teilweise eine positive Verantwortung des Journalisten für die freie Gesellschaft zu formulieren sucht. Die innere Struktur des Gremiums liegt dabei ganz auf der Linie dessen, was viele Lebensbereiche der Republik prägt: Es ist mit Vertretern der Zeitungsverlage und der Journalistengewerkschaften besetzt und deshalb von vornherein im Sinne der oben erwähnten Entwicklungsrichtung des bundesdeutschen Rechtsverständnisses „formatiert“. Soweit der Journalist in der Ausübung seines Berufs die der Presse zugesicherten verfassungsmäßigen Rechte nutzt, hat er sich an die allgemeinen Gesetze (Art. 5 II GG) zu halten, wobei insbesondere die Rechte Dritter über die journalistische Sorgfaltspflicht (§ 6 LPG) die gebotene Berücksichtigung finden. Diese Bestimmung stellt auf „Inhalt, Herkunft und Wahrheit“ der Berichte ab und gibt dem Journalisten auf, die „nach den Umständen geforderte Sorgfalt“ zu beachten. Solches lässt für eine positive Bestimmung der Verantwortung des Journalisten einen angemessen großen Freiheitsraum, der allenfalls durch einige Bestimmungen des Strafrechts eingegrenzt wird, wenn es um Staatsgeheimnisse, Bestimmungen zum Schutze der Jugend, strafrechtlich geschützte geschichtliche Wahrheiten usw. geht. Diskussionen der jüngsten Zeit, die in einem neuen Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Freiheit der Presse bedroht sahen, weil es stärker auf den

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Schutz der Privatsphäre von Personen des Zeitgeschehens abstellte (im konkreten Fall: Caroline von Monaco), hatten mehr mit einer defizienten Form des Journalismus zu tun und wurden von seriösen Presseorganen wohl nur aus beruflicher bzw. institutioneller Solidarität unterstützt. Wollte man eine Norm angeben, in der die Aufgabe des Journalisten zumindest erwähnt ist, führt das Grundgesetz nicht weiter. Zu beachten ist aber § 3 LPG (Fassung von NRW), der lautet: „Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe insbesondere dadurch, dass sie Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.“ Wenn man will, ist hier die Aufgabe der Presse in einer freien Gesellschaft angesprochen, aber kaum ihre Aufgabe für eine freie Gesellschaft. Vor dem Hintergrund jedoch, dass die freie Durchführung dieser Aufgabe immer auch die Sicherung der Freiheit voraussetzt, wird man aus der zitierten Bestimmung auch auf die Verantwortung für die freie Gesellschaft schließen können. Fest steht aber auch, dass diese Bestimmung als solche weitgehend deklamatorischen Charakter hat, weil sie keine rechtlichen Konsequenzen abseits des Art. 5 GG nach sich zieht. Für eine positive Fixierung der Verantwortung des Journalisten für eine freie Gesellschaft gibt es indes abseits des rechtlichen Normgefüges speziell mit Blick auf Tageszeitungen gesellschaftlich verankerte, normativ wirkende Erwartungen, deren Einhaltung z. T. im Rahmen der Behandlung konkreter Beschwerdefälle vom Deutschen Presserat überwacht wird. Es handelt sich um die bekannte Chronistenpflicht und die damit zusammenhängende Forderung nach Ausgewogenheit der Berichterstattung. Es bedürfte einer eigenständigen sozialempirischen Untersuchung, um zu klären, ob sich die Normvorstellungen „Chronistenpflicht“ und „Ausgewogenheit“, die trotz aller geschichtlichen Einschnitte in Deutschland einem mündigen Bürgertum sehr wohl bewusst waren und bewusst sind, mit der verstärkten Verbreitung neuerer Medien quasi auf dem Rückzug befinden. Dafür, dass insoweit trotz vielfältigen politischen Unterrichts seit vielen Jahren ein Prozess der Verwässerung läuft, sprechen manche Indikatoren. Die gesellschaftlich zu konkretisierenden Maßstäbe der Nachrichtenselektion weisen eine relativ große Unbestimmtheit auf und sind stets – offen oder verdeckt – umstritten. Wird aber diese Nachrichtenselektion bei immer komplexeren Sachverhalten in manchen elektronischen Medien sehr weitgehend komprimiert, kann sich auf der Seite der Rezipienten keine rationale Vorstellung mehr von den Auswahlkriterien herausbilden. Vor allem die Chronistenpflicht der Journalisten und daneben die Forderung nach Ausgewogenheit der Berichterstattung haben für eine freie Gesellschaft eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Greifen Journalisten im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe alle Themen von öffentlichem Interesse

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zuverlässig auf, findet der Bürger in der Presse das, was ihn als Bürger interessieren muss. Je nach „Schattierung“ der Darstellung in den unterschiedlichen Presseorganen mag zwar auf den einen oder anderen Gesichtspunkt mehr Wert gelegt werden, aber in dem offenen Diskussionsprozess einer freiheitlichen Gesellschaft, deren Freiheit sich gerade in solchem Prozess immer wieder in die verschiedensten Bereiche erneuert, öffnen unterschiedliche Zuordnungen bzw. Wertungen bei im Kern überprüfbaren Fakten nur den Blick für das, was in einer Gesellschaft auch an Toleranz gefordert erscheint. Ohne mit dem Ausgeführten schon den Anspruch zu erheben, dass damit alles Erforderliche einschließlich entsprechender Differenzierungen z. B. betreffend die verschiedenen Staatsgewalten usw. gesagt sei, lässt sich doch erkennen, dass das zugrunde liegende Modell des Zusammenspiels von freiheitlichem Staat, Presse und dem auf seine Freiheit bedachten, mündigen Bürger im Prinzip funktionsfähig sein muss. Nur fragt sich, inwieweit dieser Idealtyp noch einer staatlichen Realität gerecht wird, die oben skizziert worden war. Wenn nämlich der Staat – ob aus lauteren Motiven bzw. aus der festen Überzeugung der politischen Parteien, für die Bürger das Beste zu wollen, um zugleich die eigene Wiederwahl zu sichern – die Freiheit der Bürger in ganz bestimmter Weise gleichsam zu modellieren beginnt und ein nicht geringer Teil der Bürger dies um der zunächst offen erkennbaren Vorteile in ihrer Lebensgestaltung willen sogar wünscht und (etwa unter dem Titel einer erweiterten Daseinsvorsorge) für eine originäre Aufgabe des Staates hält, dann verlagern sich die journalistischen Aufgaben. Nicht mehr die Sicherung einer freien Gesellschaft steht dann im Vordergrund, sondern der Streit um die niemals endgültig zu fixierenden Maßstäbe der austeilenden Gerechtigkeit. Freiheit und Gerechtigkeit werden für eine große Zahl der Bürger im Zuge dieser Entwicklung überlagert vom Ringen um „soziale Gerechtigkeit“.

III. Die „differenzierte“ Verantwortung Vor solchem Hintergrund zerlegt sich die Verantwortung des Journalisten offensichtlich in viele Richtungen. Er kann und wird beim Eintreten für die freie Gesellschaft in Konflikt mit ganz anderen Erwartungen von Bürgern geraten. Und je nach dem Menschenbild und dem daraus folgenden Staatsideal, die hinter den jeweiligen Vorstellungen stehen, kann der Anhänger und Verteidiger der freien Gesellschaft ins Abseits geraten. Der „Neoliberale“ gilt heute vielen anderen schon als abgestempelt und z. T. gar nicht mehr als diskussionswürdig. Freilich sind es dann wieder politische Kräfte aus dem Lager der Verteidiger insbesondere der sozialen Gerechtigkeit, die unter den gegenwärtigen, letztlich orientierungslosen, nicht mehr finanzier-

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baren Verhältnissen je nach politischem Tagesbedarf auch nach dem selbstverantwortlichen Bürger rufen. Das schließt indes nicht aus, dass sie schon kurze Zeit später wieder z. B. das Konzept einer schlanken Staatsorganisation ablehnen, weil man sich dieses angesichts der Lage vieler Bürger nicht erlauben könne usw. Somit gilt also auch für den Journalismus, insoweit das vorausgesetzte Menschenbild und der davon abzuleitende Staatsbegriff unter oft genug lediglich tagespolitischen Einflüssen changieren, in wichtigen Bereichen mehr oder weniger postmoderne Beliebigkeit. Speziell Regionalzeitungen, die einer Leserschaft aus allen Lagern und Schichten ein passendes Informationsangebot zu machen suchen, müssen damit fertig werden, dass es nur noch in Ausnahmefällen des Vorliegens großer Ereignisse einen Konsens darüber gibt, was zu berichten geboten ist. Natürlich treten dabei auch immer wieder Konstellationen auf, in denen jene ältere Ordnung mit dem klaren Dualismus von Staat und Gesellschaft offensichtlich Vorrang verdient. Verstöße gegen das Parteiengesetz, dreiste Vermischung staatlicher Aufgaben mit privaten Interessen durch Politiker usw. rufen noch immer recht zuverlässig den Großteil der Journalisten auf den Plan. Allerdings haben sich hier im Rahmen der parlamentarischen Vertretung bestimmter Interessen auch gewisse „Kooperationsformen“ entwickelt, die als völlig legitim gelten. Als eines der jüngsten Beispiele wäre hier etwa der Aufruf von Betreibern von Windkraftanlagen zu sehen, die zu Spenden für jene Partei aufrufen, welche trotz volkswirtschaftlich überhöhter Kosten in der Windkraft ein bedeutendes Konzept zur Lösung des Energieproblems sieht. Derlei gilt als legitim und hat übrigens in der Geschichte der Bundesrepublik immer als legitim gegolten. Für die Vereinbarkeit solcher Interessenvertretung mit dem Anspruch der Regierenden, für das ganze Volk bzw. den ganzen Staat zu handeln, haben sich entsprechende semantische Strategien seit Jahrzehnten bewährt. Inwieweit diese Strategien dazu beitragen, dass eine schlüssige Neuorientierung des Gemeinwesens kaum möglich scheint, bedürfte einer eignen Untersuchung. Solange sich der Staatsbegriff – auch bedingt durch die immer noch wachsende Komplexität – für einen großen Teil der Menschen fortschreitend auf die gekonnte oder nicht gekonnte mediale Inszenierung des Staates reduziert und solange auch keine demokratische Gegenkraft vorhanden ist, die bessere Konzepte bietet, haben auch die entsprechenden Beiträge namhafter Persönlichkeiten – darunter frühere Verfassungsrichter und bekannte Volkswirtschaftslehrer – keine Chance auf eine für die demokratische Willensbildung relevante Berücksichtigung.

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IV. Ein verbindliches Menschenbild? Wo sich die Dinge solchermaßen entwickelt haben, ist nicht zu erwarten, dass seitens der Journalisten bessere Ordnungsvorstellungen bestünden. Es können – wie in den Wissenschaften – auch hier mitunter nur wenige sein, die über den Tellerrand der bestehenden Verhältnisse hinausschauen. Dabei ist es zweierlei, die entstandenen Missstände zu analysieren und dann auch normative Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie man zu einer besseren Ordnung gelangt. Die wichtigsten Anstöße hat der Heidelberger Staatsrechtslehrer und spätere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde gegeben. Schon in den 70er Jahren führte er in einem Artikel im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt aus, dass der Staat des Grundgesetzes von Voraussetzungen lebt, deren Bestand er selber nicht garantieren kann. Bei Böckenförde war es die religiöse Orientierung des Menschen, die sein Verhältnis zum Staat maßgeblich beeinflusste. Der religiös verankerte Mensch wird einerseits angesichts der eigenen Verantwortung gegenüber Gott nicht zuviel vom Staat verlangen und andererseits eine Verantwortung für den Staat akzeptieren. Diesen Gedanken hat später der Philosoph Hermann Lübbe aufgenommen (in dem Buch „Religion nach der Aufklärung“). In der Gegenwart ist es vor allem der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof, der in diversen Veröffentlichung darauf hingewiesen hat, dass Wohl und Wehe des Staates letztlich an den Menschen und an dem hängt, auf welchen Grundlagen diese selbst abseits des Staates stehen. Fest steht, dass die heutige Grundverfassung der Bundesrepublik Deutschland strukturelle Defizite aufweist, für deren Korrektur – gemessen an dem, was die in den Parlamenten vertretenen demokratischen Parteien anbieten – kein Konzept, geschweige denn eine wirkliche handlungsleitende Agenda vorliegt. Das mag zwar einerseits an den Mängeln des nicht mehr voll funktionsfähigen Föderalismus und andererseits an einem Wahlrecht liegen, das praktisch keine klare Verantwortlichkeit der regierenden Mehrheit, sondern nur Koalitionen mit diffuser Verantwortung kennt, es hat aber genauso viel wenn nicht noch mehr damit zu tun, dass der freiheitliche Staat und der dazu vorausgesetzte mündige, auf sich selbst gestellte Bürger für die meisten politischen Kräfte allenfalls in Sonntagsreden das politische Leitbild darstellt. Gleichwohl scheint die Hypothese nicht sehr gewagt, dass sich die Probleme des Staates nicht lösen lassen, wenn er weiterhin in alle Lebensbereiche fast aller Menschen hineinzuregieren versucht, statt – was immer sich freiheitlich im Wettbewerb lösen lässt – den freien Kräften zu überlassen und so auch deren eigene Verantwortung zu stärken. In der klaren Fixierung

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von mehr Autonomie und der Einforderung der entsprechenden Verantwortlichkeit käme eine Ordnungsidee zur Realisierung, die offensichtlich einer freien Gesellschaft weit gemäßer ist als das über Jahrzehnte gewachsene, inzwischen lähmende Mischverhältnis. Wie weit sich die Bürger von der politischen Semantik des herrschenden Systems haben verführen lassen, fällt übrigens am Beispiel der Tarifordnungen besonders krass ins Auge: Es gibt, wie erwähnt, im bundesdeutschen Regelungsgefüge kaum einen Bereich, in dem wenigstens die Verfassung klare Verantwortlichkeiten verankert. Die Autonomie der Tarifparteien bildet hierbei die wichtigste Ausnahme. Gestützt auf Art. 9 III GG wird sie von den Tarifparteien eisern verteidigt, so dass es kein Gesetzgeber gewagt hat, das Arbeitsrecht in ein Gesetz zu gießen. Noch weniger hat ein Gesetzgeber je den Mut besessen, die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 GG, die bei Massenarbeitslosigkeit prinzipiell für viele Menschen durch die Tarifordnungen ausgehebelt wird, mit der Koalitionsfreiheit des Art. 9 III GG in ein tragfähiges Verhältnis zu bringen. Trotz dieser praktisch unumschränkten Autonomie der Rechtsetzung durch die Tarifparteien gilt es dennoch in der Bundesrepublik als unpassend, die Verantwortung der Tarifparteien für das Millionenheer der Arbeitslosen offen anzumahnen. Hier hat sich wohl das schamloseste System verweigerter Verantwortung bei unumschränkter Autonomie etabliert, das sich denken lässt. Gerade solche Beispiele zeigen aber, dass an der erwähnten neuen Ordnungsidee nicht vorbeizukommen ist, wenn man denn überhaupt den freiheitlichen Staat noch mit Erfolg managen will. Darin liegt natürlich kein Patentrezept, und der Staat hat selbstverständlich noch immer viel zu regeln, wenn er sich aus dem heraushielte, was freie Bürger und freier Wettbewerb unter sich ausmachen können. Aber die wichtigsten Probleme der Sozialversicherung wie auch die Sanierung des Staatshaushalts kommen nicht ohne eine Rückkehr zum Menschenbild des mündigen Staatsbürgers aus, der auf eigenen Beinen steht. Diese Überlegungen haben übrigens nicht unbedingt mit vielen, heutzutage wohlfeilen Konzepten zu einer wiederbelebten oder zu stärkenden „Bürgergesellschaft“ oder „Zivilgesellschaft“ zu tun. Bei einem Großteil dieser erneuerten Ideenwelt scheint nämlich seitens der Politiker die Hoffnung Pate gestanden zu haben, man könnte diese Bürgergesellschaft zur Entlastung des überforderten staatlichen Systems einplanen, ohne deshalb seine sonstige Politik ändern zu müssen. Genau das verträgt sich aber nicht mit jenen älteren Ideen. Indem sich der Staat das Recht vorbehält, auf solche Bürgergesellschaft, auf Bürgerstiftungen usw. offen oder verdeckt mit zahllosen Regelungsvorbehalten – besonders filigran natürlich mit dem Steuerrecht – Einfluss zu nehmen, dürften sich freiheitliche Kräfte nicht

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wirklich entfalten. Umso leidenschaftlicher könnte es allerdings bei den typischen Satzungsdebatten und den Vereinsregularien hergehen, in die hinein sich in Deutschland schon immer sehr viel bürgerschaftliches Engagement erstreckt.

V. Zurück zur ungeteilten Orientierung an der Freiheit? Es erscheint vor diesem Hintergrund trotz aller Probleme des heutigen bundesdeutschen Staates kaum denkbar, dass der Journalismus zu jenem älteren Idealtyp zurückkehrt, der in der grundgesetzlichen Ordnung des Jahres 1949 angelegt schien. Nur ließe sich vielleicht eine Hierarchie der Aufgabenstellungen begründen, nach welcher die Freiheitssicherung der Gesellschaft den Vorrang vor allen Ausfächerungen des Sozialstaats mit seinem niemals zu begrenzenden Leitbild der sozialen Gerechtigkeit und vor allen sonstigen staatlichen Betätigungen – im Bildungswesen – genießen sollte. Ja, über die Anwendung wirtschaftswissenschaftlich begründeter Optimierungsstrategien ließe sich sogar eine faktische, nicht aber eine normative Legitimation einer solchen Hierarchie aufzeigen. Wenn es so ist, dass der konsequent freiheitlich ausgestaltete Staat mit dem größtmöglichen Freiheits- und Verantwortungsspielraum der freien Bürger letztlich auch der leistungsfähigste Staat ist, dann wäre ein entsprechend engagierter Journalist derjenige, der um größere Freiräume kämpft, um so letztlich knappe Ressourcen zum Vorteil aller bestmöglich zu nutzen. Zugleich wäre es dann seine Sache darzutun, wie sehr das heutige, dem durchschnittlichen Bürger nicht mehr durchschaubare engmaschige staatliche Normsystem die Freiheit sowohl durch die Regulierung als solche als auch durch den Verlust des klaren Wissens um die Spielräume einengt. Man sollte sich keine Illusionen darüber machen, dass es eine gegenläufige deutsche Tradition gibt, die ihre Hoffnungen darauf setzt, ihre Gerechtigkeitsvorstellungen in einer Fülle von Regelungen durchzusetzen. Hinzunehmen, dass Freiheit immer auch Ungleichheit nach sich zieht, ist eben nicht jedermanns Sache. Und so nimmt es nicht wunder, dass sich die Gegensätze in der Gesellschaft auch unter den Journalisten wiederfinden. Eine gehörige Portion von Wissen um die Vorteile einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung dürfte allerdings hilfreich sein, unter vielen in ihren Überzeugungen schwankenden Journalisten etwas mehr Engagement für die Freiheit auszulösen. Dagegen, dass solches nicht geschieht, haben die Verfechter einer an mehr Gleichheit und „sozialer Gerechtigkeit“ ausgerichteten Ordnung jedoch wirkungsvolle Schutzwälle aufzurichten verstanden: einfach dadurch, dass man – aus Gründen des Proporzes oder anderen Gründen – Wissen-

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schaftler einsetzt, die sich damit beschäftigen, den überall regelnden Staat mit ihren Methoden zu unterstützen, für seine Legitimität zu streiten und den einschlägig tätigen Politikern die Möglichkeit einer Optimierung auf diesem Wege zu versichern. Mit solchem Vorgehen, daran lässt es sich am klarsten erkennen, weiß man z. B. auch abzusichern, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung immer mit mehreren Zungen redet, so dass die Gefahr der Eindeutigkeit auch auf dieser Ebene gebannt ist. Solche Sicherung der Vielfalt der Meinungen erscheint sogar wieder ihrerseits als wichtig für die Sicherung der Freiheit. Wie sollten die Journalisten zu so etwas wie einer „herrschenden Meinung“ oder gar einer „überaus herrschenden Meinung“ gelangen können, wie dies die Jurisprudenz teilweise kennt.

Security and Safety A Contradiction Between Individual Freedom and State Enforcement? By Franz Blankart* Anticipation is the basis for preventing catastrophes: adjustment is the basis for survival. Since we humans began to dream of escaping the ever present danger of becoming a meal for the big carnivores we have acted to prevent catastrophes and to outwit danger. Increasing mastery of our environment has brought great material progress, but not enduring security. True, an increasing share of the world population is no longer at great risk from famine and disease – yet this has been achieved at the price of social inequality and environmental depredation. We have solved local problems, and created global risks. In addition obsession with security and safety can threaten the core values of our societies – individual freedom, private initiative, and property rights. What should we do?

I. The received wisdom is to let caution decide – better safe than sorry. This was the essence of the justification for the current war in Iraq. Plus bringing democracy to the Middle East. This is the philosophy underlying US National Security Strategy of September 17th 2002, which sets out the case for pre-emptive, preventive, and even precautionary wars. This is the philosophy underlying many calls for a restrictive environmental policy today. How good is such a principle? On a mundane level, it is certainly a wise guide for action. Where we know the risks and the costs involved – if not their incidence - it is reasonable to establish security standards and safety regulations. We have done so * The author thanks Ph. D. Aldo Matteucci, former Deputy Secretary General of EFTA, for his kind cooperation on the elaboration of this text.

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in the industrial health and the environmental field. This is encouraging, even though the disparities between national norms may create obstacles to trade. Further international efforts are called for to mutually recognise the equivalence of these standards or even to harmonise them. Implementation of safety standard is a question of leadership – this is the role of the CEO. The matter becomes more difficult when we don’t know the risks involved. Then one would argue that the burden of proof lies with those who downplay the risks of disaster, rather than with those that argue that the risk are real, albeit small. The problem is that the application of the principle becomes quite arbitrary. In rejecting the Kyoto Protocol the US has argued that the reality of global warming and the threat to mankind was insufficiently known. More risk assessment was needed. Two years later the same government rejected closer risk assessment of the existence of Weapons of Mass Destruction and went to war in Iraq anyway. In some cases, the principle is self-defeating in that it would forbid risk assessment. In order to assess the risks and benefits of Genetically Modified Organisms one needs to deploy them. Yet the principle would argue against deployment in the first place. I’m afraid there is no easy substitute for understanding the risks and comparing them in a rational manner. The alternative is subjectivity – weighing my hunch or belief against yours, with no way of objectively verifying and weighing them. The alternative may even be a battle of “good intentions” – I’m entitled to act because my motives are pure – an argument first used to justify the Kosovo intervention. So were those of Dostoevsky’s Great Inquisitor.

II. Knowing the risks implies a deeper understanding of the historic context of individual actions – as in the case of September 11th. The cause of events should not be allowed to stand in silence as in environmental policy. The historic context of September 11th is of course the fragmentation of the Ottoman Empire at the end of WW I – which gave the world of Islam in the Middle East some sense of cohesion and belonging – and its replacement with a plethora of small states without historical roots, with foreign rulers and Western overlordship coupled with control of the countries’ natural resources. The difficulties that theocratic Islam faces in evolving into a modern and secular society add to sense of disenfranchisement. Osama bin Laden’s utterances over the years hint at a “defensive” aim of clearing the world of Islam from Western presence and influence but also

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point to the possibility of an “offensive” stance – the creation of a Caliphate that would expand the world of Islam. American sources have labelled the latter as “Islamo-fascism” and are portraying the current situation as “World War IV”. The West in general, and the US in particular, have a long-standing tendency wildly to exaggerate threats and impute the worst intentions to their opponents – while failing even minimally to understand their motivations. Motivations are one thing, capabilities are another. The handful of nihilist anarchists that killed Czar Alexander II severely disrupted that autarchic state but never came even close to unsettling the regime. In fact, within a couple of years the Russian Secret Police ran the whole movement. Terrorism is a despicable scourge to be combated with all vigour. The question is whether a military response, which involves large scale disruption of the social fabric as well as innocent casualties and widespread destruction of property and infrastructure is the appropriate means. Targeted “police-style” action might be a slower, but more effective tool, and one less likely to provoke “blowback”. Over the millennia there always was at least one political pole in the Middle Eastern region: the Assyrians and the Babylonians, the Pharaohs, the Roman Empire, or the Sassanides. Just as Mitteleuropa needs an overlordship – to-day to be provided by the EU – so the Middle East requires a political pole. Fighting Islamic extremism should not blind us to the fact that the region needs self-sustaining stability. How to create, sustain and legitimise such a pole is of course the challenge of this century. Failure would result in a wedge of instability traversing and threatening the Eurasian continent. Beyond geo-political goals, one should also count the costs at home. These are not only the fiscal costs – even though the runaway budget deficit may trigger international monetary instability. These are not just the military costs, the US is badly over-extended. The more profound threat is the fostering of a culture of fear that may lead to the weakening of the very civil liberties that made the US a beacon of hope to the world. Freedom is indivisible, and innovation is rooted in freedom and free exchange of ideas. A culture of secrecy and a fortress mentality might also threaten the dynamics of the American economy. Precaution is no ground for failing to address causes and evaluate the relative appropriateness of means to address the catastrophic threat. The world cannot and should not bow to terrorism, but neither should it let itself be ruled by the fear of it. This would be tantamount to vindicating this despicable means.

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III. In the environmental field I’d like to highlight what I consider to be one of the most crucial issues of the next decade: the availability of fresh water. Human civilisations were born of fresh water and irrigation, which allowed agricultural surpluses to accumulate and hierarchical societies to emerge. Water gives, lack of water takes away. Lack of water – be it due to poor resource management or climatic change – has spelled doom for many a traditional civilisation, starting from the Sumerians and the Babylonians to the Nasca civilisation in Peru. Essentially all arable land has already been put into cultivation or grazing. Any increased production has to come from irrigation. Even if world population stabilises, we’ll need higher production to better the diet. But feeding the world with a Western diet of meat would be equivalent to adding four billion people to the world. Water is needed to provide sanitation, jobs, and leisure. Water is irreplaceable. Yet governments have been late in realising the challenge, and acting to improve the utilisation of water. Water is a highly complex resource needing integrated approaches that do not respect political or administrative boundaries. Water is the ultimate challenge to international co-operation. Mankind has the longest experience with sustainable use of water. Alas, we have often forgotten these traditional methods of water harvesting and storage as we moved to “big is beautiful” projects that seemed to bring instant solutions. In fact we are “future eaters” – robbing future generations of the resources they need to make a decent living as we argue that thanks to our spendthrift ways they will have higher technological standards and thus be more in a position to find alternatives than we. Water is everyone’s concern. Water can only be tackled in a co-operative fashion. At the global level, water is, in my view, a more urgent and dramatic problem than global warming. For without fair water allocation wars are likely to take place – or mass migrations. And the matter is becoming more urgent as the result of climatic change: whatever its underlying cause. The West is so used to regular seasonal waterfall that it cannot conceive of multi-annual fluctuations in rainfall. Yet, as El Niños become more frequent and extreme, these glob perturbations are going to exacerbate a chronic situation of water shortfall or excess. Which are the regions at greatest risk? The Levant for one. Already now the water issue there would have become very critical were it not for the massive imports of water in the form of grains and other food. Faced with the same lack of reliable water other regions – China for one – are competing for food imports. Technology is unlikely to bail us out this time. Desalination requires energy resources beyond our capacity to finance.

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IV. Anticipating catastrophes in a globalised world requires a stronger security and safety culture. Governments, firms and individuals as well as social groups have to shape and share this culture. This is our foremost challenge. As major forces of innovation firms have a role to play. They can create challenges, or bring about solutions. Adopting codes of conduct, which allow for more sustainable use of natural and renewable resources, is a step in the right direction. New and imaginative forms of co-operation between the public and the private sector are also needed. Switzerland has been making positive experiences with voluntary agreements between Government and industry in terms of sustainability and safety. A multi-stakeholder review of the efficiency of company performance is a significant step in this direction. But in the end, safety awareness begins at home, in each and every company. That’s why individually applied standards are significant incentives towards increasing collective awareness of and responsibility for safety and security.

Ordnungspolitische Aspekte des Vertrags über eine Verfassung für Europa Von Klemens H. Fischer

I. Einführung 1. Allgemeine Bemerkungen zur europäischen Integration Der Wandel von einer – zumindest prima facie – rein ökonomisch begründeten und ausgerichteten Gemeinschaft hin zu einer eher politisch orientierten Union stellt sicherlich eine der wesentlichsten Zäsuren in der europäischen Integration dar.1 Diese Entwicklung umfasste aber auch eine Ausdehnung der ursprünglich vorgesehenen Kompetenzen.2 Die heutige Europäische Union ist als logische Konsequenz der Integrationsbemühungen der vergangenen rund fünfzig Jahre zu sehen; die korrespondierende Ansicht in den Mitgliedstaaten, transnationale Probleme gemeinsam besser lö1 Zur historischen Entwicklung der Europäischen Union cf. Fischer, Klemens H., Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts [Fischer 1], Baden-Baden/Wien/ Zürich 2004, 17 ff. 2 Der sukzessive Ausbau der Kompetenzen der Union wurde in folgenden Schritten vollzogen (zu der Entwicklung der einzelnen Politiken, wenn nicht explizit anders verwiesen, cf. Fischer 1; in Klammer ist die jeweilige Referenz angeführt): Einheitliche Europäische Akte (EEA): Forschung und technologische Entwicklung (cf. 318 ff.); Umwelt (cf. 323 ff.). Vertrag von Maastricht (VvM): Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) (cf. 246 ff.); Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (cf. 138 ff.); Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (cf. 155 ff.); Bildung und Jugend (cf. 292 ff.); Kultur (cf. 296 f.); Gesundheitswesen (cf. 298 ff.); Verbraucherschutz (cf. 303 f.); Transeuropäische Netze (cf. 304 f.); Industriepolitik (cf. 306 ff.); Entwicklungszusammenarbeit (cf. 330 ff.). Vertrag von Amsterdam (VvA): Visa, Asyl und Einwanderung (cf. 201 ff.); Beschäftigung (cf. 270 ff.). Vertrag von Nizza (VvN): Wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittstaaten (cf. 333 ff., und Fischer, Klemens H., Der Vertrag von Nizza [Fischer 2], 2. Auflage, Baden-Baden/Zürich 2003, 128 f.). Vertrag über eine Verfassung für Europa (EUVV): Tourismus (cf. Fischer, Klemens H., Der Europäische Verfassungsvertrag [Fischer 3], Baden-Baden/Wien/Zürich 2004, 394 f.); Katastrophenschutz (cf. Fischer 3, 398 f.); Humanitäre Hilfe (cf. Fischer 3, 429); Raumfahrt (cf. Fischer 3, 363 ff.).

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sen zu können als alleine, bildete die Basis dieser stets enger werdenden Verflechtung.3 Die außergewöhnliche Initiative Frankreichs, die Nachkriegsordnung Europas in den 1950er Jahren in einer anderen Form zu entwickeln als nach dem Ersten Weltkrieg, ist per se als ordnungspolitische Initiative zu bewerten, wenn auch einzuräumen ist, dass damit nicht der ursprüngliche ökonomische Begriff der Ordnungspolitik zu unterlegen ist. Der Begriff Ordnungspolitik muss im Zusammenhang mit der europäischen Integration sowohl im ökonomischen als auch im politischen Sinne betrachtet werden.4 Frankreich jedenfalls plädierte für eine Abkehr von der 1920er-Jahre-Politik der Isolation des Kriegsverlierers Deutschland und stellte dieser die Politik der Integration entgegen. Wiewohl die erste Gründungsgemeinschaft, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), rein ökonomisch begründet zu sein scheint, unterliegt ihr ein eindeutig sicherheitspolitischer Aspekt, der den ökonomischen in den Hintergrund treten lässt. Frankreich ging von der Tatsache aus, dass die Basis einer konventionellen Militärmacht – zumindest in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg – in der Verfügbarkeit von Kohle und Stahl lag. Sollte ein Staat ohne Kontrolle Ver3 Nicht nur die Übereinstimmung bei den Gründerstaaten Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden hinsichtlich dieses problemlösungsorientierten Integrationsansatzes ist als entscheidendes Element zu betrachten, sondern auch die Annäherung von bislang mehr als zwanzig weiteren Staaten, die in diesem Ansatz eine adäquate Lösung gemeinsamer Probleme ansehen. Die politische Überzeugungsarbeit der Gemeinschaft – und in Folge der Union – führte letztendlich dazu, dass aus einer Sechser-Gemeinschaft im Jahre 2004 eine Fünfundzwanziger-Gemeinschaft wurde, die absehbar am 1. Jänner 2007 aus siebenundzwanzig Mitgliedstaaten bestehen wird. 4 Ordnungspolitik ist im Zusammenhang mit der europäischen Integration sowohl in einem weiten Sinne (= allgemeinpolitischer Ansatz) als auch in einem engen Sinne (= ökonomischer Ansatz) zu betrachten. Spätestens seit der Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht und das Hinzutreten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wird unter Ordnungspolitik im weiteren Sinne vor allem eine globale Ordnungsaufgabe der EU verstanden, die sich in ihren außenpolitischen Maßnahmen niederschlagen sollte. Cf. beispielsweise in Akude, John/Jäger, Thomas/Oppermann, Kai, Globale Ordnungsaufgaben der Europäischen Union – Europäische Krisenprävention im südlichen Afrika – Policy Paper, Lehrstuhl Internationale Politik, Universität zu Köln 2004, aber auch in Volmer, Ludger, Die Sicherheitsstrategie der EU – Auf dem Weg zur globalen Struktur- und Ordnungspolitik?, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 18. Februar 2004, http:/ /www.gruene-fraktion.de/cms/europaeische_union/dok/22/22492-print.htm (14. Februar 2005). Ebenfall unter den Begriff Ordnung wird gelegentlich auch das innere System der Union, ihre Verfahren und Normenhierarchie subsumiert, so jüngst beispielsweise in Maurer, Andreas, Ordnung, Effizienz und Demokratie – Verfahren und Normenhierarchie im Verfassungsvertrag, in: Jopp, Mathias (Hrsg.), Der Europäische Verfassungsvertrag – Analysen und Bewertungen, Baden-Baden 2005.

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fügungsgewalt über diese beiden Stoffe haben, könnte er dementsprechend Aufrüstung betreiben. Die geopolitische Situation Deutschlands – insbesondere unter dem Aspekt der sich abzeichnenden Teilung in West- und Ostdeutschland – verbot es jedoch nahezu, diesen Staat vom Kohle- und Stahlmarkt auszuschließen, dadurch würde geradezu ein militärisches Vakuum zwischen den sich soeben entwickelnden Blöcken provoziert werden. Einen unkontrollierten Zugang zu diesen Märkten konnte und wollte man Deutschland jedoch ebenso wenig zugestehen, wie man davon ausgehen konnte, dass Deutschland sich einer einseitigen Kontrolle zu unterwerfen gedachte. Als Ausweg aus diesem Trilemma schlug Frankreich vor, den betreffenden Markt einer Kontrolle zu unterwerfen, die einerseits alle beitrittswilligen Staaten gleich behandeln würde, an der aber gleichzeitig diese Staaten gleichberechtigt beteiligt würden. Eine derartige – gleichberechtigte und gleichbehandelnde – Kontrolle konnte aber nicht von einer internationalen Organisation im klassischen Sinne durchgeführt werden, da derartige Organisationen nicht zuletzt auf dem Prinzip der Einstimmigkeit der Mitglieder beruhen und damit Blockadesituationen als absehbar einzustufen waren. Die Lösung dieses Problems lag in der Ausformung der zu gründenden Einrichtung als supranationale Organisation. Supranationale Organisationen zeichnen sich dadurch aus5 – umfassen demnach als konstitutive Elemente –, dass (a) die Organisation die Befugnis hat, die Mitgliedstaaten auch durch bloß mehrheitlich gefasste Beschlüsse zu binden, (b) diese Befugnis durch ein unabhängiges Organ ausgeübt werden kann, (c) die Grundsätze der Unmittelbarkeit der Anwendung und der Direktwirkung zum Tragen kommen, und (d) die Organisation über eine obligatorische Gerichtsbarkeit verfügt. Die EGKS erfüllte alle diese Kriterien kumulativ und ist somit als nahezu klassische Ausformung einer supranationalen Organisation anzusehen.6 Nur wenige Jahre nach der Gründung der EGKS kamen die Gründerstaaten überein, ihre Integrationsbestrebungen 5

Cf. Fischer 2, 18 f. Die EGKS – und die dazutretenden Organisationen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europäische Atomgemeinschaft (EAG), sowie in weiterer Folge die Europäische Union (EU) – konnte ihre Mitgliedstaaten durch mehrheitlich gefasste Beschlüsse des Rates binden (Kriterium a), die Kommission ist berechtigt, beispielsweise durch Kommissionsverordnungen, Teile von Ratsverordnungen selbständig zu ändern (Kriterium b), der Rat kann Rechtsakte in Form von Verordnungen erlassen, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht darstellen, das keiner weiteren mitgliedstaatlichen Transformation bedarf und aus dem den Rechtsunterworfenen direkt Rechte und Pflichten erwachsen (Kriterium c), der Europäische Gerichtshof (EuGH) nimmt die obligatorische Gerichtsbarkeit in der Gemeinschaft/Union zur Beilegung von Konflikten zwischen den Mitgliedstaaten, Organen der Gemeinschaft, diesen wechselseitig und – eingeschränkt – zwischen diesen und Einzelpersonen wahr (Kriterium d). 6

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auszudehnen, und beschlossen die Gründung zweier weiterer Gemeinschaften, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Der Gründungsprozess war somit im Jahre 1957 zu einem vorläufigen Abschluss gekommen, die europäische Nachkriegsordnung in der westlichen Hemisphäre gleichzeitig in eine integrationspolitische Richtung gelenkt worden. 2. Grundsätze der Ordnungspolitik Ordnungspolitik im engeren Sinne ist untrennbar mit dem Freiburger Nationalökonomen Walter Eucken verbunden. Eucken forderte als grundlegende Basis für das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft, dass Erster einerseits den Rahmen abstecken sollte, in dem sich Letztere frei entwickeln kann, andererseits sollte er darüber wachen, dass die Menschen, die diese Wirtschaft betreiben, die vorgegebene Ordnung nicht verletzen. Entscheidend in den Augen von Eucken war aber die Forderung, dass der Staat in den wirtschaftlichen Ablauf nicht eingreifen dürfe.7 Damit grenzte sich Eucken klar von denjenigen Ökonomen ab, die – wie beispielsweise Keynes – staatliche Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme forderten. Keineswegs darf Eucken jedoch unterstellt werden, dem Manchester Liberalismus das Wort geredet zu haben. Eucken war sich im Klaren, dass ein vollständiger oder gar perfekter Wettbewerb, der ausschließlich der Regulierung des Marktes unterliegt, schon deshalb nicht möglich ist, da die einzelnen Anbieter auf dem Markt stets dazu tendieren, den Wettbewerb einzuschränken und sich insbesondere gegen Konkurrenz abzusichern. So sehr Eucken auch liberales Wirtschaftsdenken zu unterstellen ist, seine Theorien richteten sich – auch und vor allem – gegen jede Art von Marktmacht, sei es gegen unternehmerische oder gewerkschaftliche. In seinen Grundsätzen der Wirtschaftspolitik8 postuliert Eucken, dass eine Gesellschaft sich nur zwischen zwei Wirtschaftssystemen entscheiden könne: entweder sie wählt die Planwirtschaft oder sie entscheidet sich für die Verkehrs- respektive Marktwirtschaft; im ersten Fall ist der Staat die ausschließliche Planungs- und Gestaltungsmacht, im zweiten Fall obliegt die Planung und Ausgestaltung den einzelnen Marktteilnehmern. Entscheidend ist, dass in der Verkehrswirtschaft dem Staat lediglich die Rolle zukommt, die Rahmenbedingungen festzulegen und auf deren Einhaltung zu achten. Schon in seiner vorangegangenen und ebenso grundlegenden Veröffentlichung unterschied Eucken auch zwischen offenen und geschlossenen 7

Cf. insb. Koesters, Ökonomen verändern die Welt, 5. Auflage, Hamburg 1990,

225. 8

Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik [Eucken 1], Tübingen 1952.

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Märkten, als deren geradezu konstitutives Unterscheidungsmerkmal er die vollständige Konkurrenz bezeichnet.9 Wichtigstes Element für einen funktionsfähigen Markt ist nach Eucken ein funktionierender Wettbewerb. Entgegen den wirtschaftsliberalen Thesen, dass der Wettbewerb automatisch Angebot und Nachfrage in Einklang bringen würde und überdies selbst diejenigen Regeln erstellen und erhalten würde, die für sein Funktionieren garantieren, stellte Eucken fest, dass diese Theorien nahezu zwanghaft zur Ausbildung von Monopolen führen würden.10 Von Hayek vertrat in seiner Veröffentlichung Der Weg zur Knechtschaft11 die These, dass sich Wettbewerb und zentrale Lenkung gegenseitig ausschlössen; vielmehr zöge schon der geringste Eingriff des Staates in die Wirtschaft immer weitere und womöglich rigidere Maßnahmen nach sich, die letztendlich in einer Planwirtschaft münden würden. Für Eucken stellt die reine und vollständige Konkurrenz jedoch eher eine Leitlinie dar, da sie in der Realität nicht erreicht werden könne. Die Grundsätze von Eucken lassen sich im Wesentlichen dahingehend zusammenfassen, dass (a) der Staat der unentbehrliche Wächter des Wettbewerbs sei, (b) der Staat eine gesetzlich verankerte Macht haben müsse, die vollständige Konkurrenz durchzusetzen und zu sichern, (c) der Staat jedoch nicht in den Wirtschaftsprozess selber eingreifen dürfe. Diese Grundsätze, die Eucken als konstituierende Prinzipien ansah,12 bedeuten, dass beispielsweise (a) der Staat für eine stabile Währung Sorge tragen muss, (b) der Zugang zu den Märkten offen sein müssen, und (c) die Wirtschaftspolitik kontinuierlich zu gestalten ist. Ordnungspolitik im Sinne von Eucken weist dem Staat somit eine Lenkungsfunktion zu, nicht aber eine Interventionsfunktion.

II. Die Europäische Union als Träger der Ordnungspolitik Ordnungspolitik im klassischen – engen – Sinne ist somit die Gesamtheit staatlicher Maßnahmen, die den rechtlichen und institutionellen Rahmen einer Volkswirtschaft konstituieren. Das Imperium des Staates, hoheitlich verbindliche Normen zu erlassen und deren Durchführung zu erzwingen, wird dadurch nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern als Grundvoraussetzung festgelegt. In demokratischen Systemen unterliegt der Staat naturgemäß dem Willen seiner Bevölkerung, als sie diejenigen Parlamente respektive Regierungen wählt, die Träger der Staatsmacht sind. Dies impliziert aber 9

Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie [Eucken 2], Tübingen 1950. Cf. Eucken 1, 172. 11 Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, München 1981. 12 Cf. Koesters, 243. 10

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auch die Möglichkeit von Veränderung, unterstellt man den einzelnen wahlwerbenden Parteien unterschiedliche Vorstellungen von der Ausübung und inhaltlichen Ausformung des staatlichen Imperiums. Das bedeutet, dass die vom Staat zur Durchführung gelangende Politik – und somit auch die Wirtschaftspolitik – nicht zuletzt von der inhaltlichen Ausrichtung der im Amt befindlichen Regierung abhängt. Betrachtet man die europäische politische Landschaft, so teilt sich das Spektrum vor allem in einen linken, von den Sozialdemokraten geprägten, und in einen rechten, von den christdemokratischen Parteien dominierten Flügel. Diese beiden größten politischen Bewegungen13 unterscheiden sich – neben anderen Merkmalen – auch dadurch, dass sie unterschiedliche Vorstellungen von der Rolle des Staates in der Wirtschaft vertreten. Wollen Erstgenannte dem Staat eine stärkere – interventionistische – Rolle zuweisen, so tendieren Zweitgenannte hin zu einer zurückhaltenderen Stellung des Staates. Zu unterstellen, dass dieselben Unterschiede vorliegen wie zwischen Keynes und Hayek, entspräche jedoch nicht der politischen Realität. Nahezu unbestritten scheint den heutigen großen politischen Lagern das System der sozialen Marktwirtschaft als Arbeitsgrundlage für Wirtschaftspolitik gemein zu sein. Soll der Staat in der – reinen – Marktwirtschaft nur dann regulierend eingreifen, wenn der Markt nicht ohne diese Regulierung funktioniert, so hat er in der sozialen Marktwirtschaft auch das Recht, soziale Maßnahmen zu setzen, die als Korrektiv dienen und Umverteilung von oben zulassen. Die Aufgabe der Ordnungspolitik in einer sozialen Marktwirtschaft ist darin zu suchen, dass die einzelnen staatlichen Maßnahmen (soziale Korrektive und Umverteilung) so ausbalanciert werden, dass staatliche Eingriffe den Marktmechanismus nicht marginalisieren. Die großen europäischen politischen Lager tendieren immer mehr hin zur so genannten Mitte, die Pendelausschläge bei Regierungswechseln halten sich demnach in Maßen, da der Grundkonsens stabil ist. Nicht nur diese Annäherung der (wirtschafts-)politischen Ansichten lässt den möglichen Pendelausschlag gering bleiben, auch die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für einen radikalen Schwenk beschränken die Möglichkeit – oder eher Wahrscheinlichkeit – krasser Abweichungen. Im Regelfall verlangen die Verfassungen der europäischen Staaten extrem hohe Mehrheitsverhältnisse für grundlegende (Verfassungs-)Änderungen, in einigen Fällen überdies die Zustimmung der Bevölkerung in Form eines Referendums. Dazu ist festzustellen, dass auch die Bevölkerungen im Wesentlichen die 13 Dieser langfristige Trend spiegelt sich auch in den seit Mitte der 1980er Jahre stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament wider, bei denen die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) stets die mit Abstand stärksten Parteien wurden.

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Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft mittragen – nicht zuletzt auf Grund des sozialen Netzes, das als systemimmanent betrachtet wird. Die westeuropäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg richteten ihre jeweilige Wirtschaftsordnung grosso modo marktwirtschaftlich aus, der Sozialaspekt taucht bei allen auf, wobei dessen Ausprägung gelegentlich stärker oder schwächer vorzufinden ist.14 Dementsprechend geprägt ist auch die Wirtschaftsordnung der Europäischen Gemeinschaften der 1950er Jahre, der Europäischen Union, die durch den Vertrag von Maastricht (EUV) im Jahre 1991 gleichsam als Dach über die Gründungsgemeinschaften aufgesetzt wurde, und der Europäischen Union, die durch den Vertrag über eine Verfassung für Europa (EUVV) aus dem Jahre 2004 gegründet werden und in der die bisherige Union und die Gemeinschaft aufgehen soll.15, 16 Bislang wurde stets vom Staat als richtunggebendem Organ der Wirtschafts- respektive Ordnungspolitik gesprochen. Die europäische Integration führte jedoch dazu, dass die wirtschaft- und ordnungspolitische Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten sukzessive von diesen selbst auf die EG respektive EU überging. Auf Grund des supranationalen Charakters dieser Organisation verfügt dieselbe über die rechtliche Qualität, an die Stelle des Staates zu treten, soweit ihr von den Mitgliedstaaten diese Kompetenzen übertragen werden. Die unbestrittenermaßen unterschiedlichen Kulturen innerhalb der Europäischen Union treten besonders dann augenscheinlich zu Tage, wenn man die einzelnen Politiken und den institutionellen Aufbau der Union betrachtet. Schon bei der Gründung der EGKS musste der Gegensatz zwischen dem französischen und dem deutschen Staatsgedanken beachtet werden. Nicht nur der Staatsaufbau konnte unterschiedlicher nicht sein – stand und steht Frankreich für einen zentral aufgebauten Staat, so spielt Deutschland dieselbe beispielhafte Rolle betreffend den Föderalismus –, auch die Frage nach der Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik hätte nicht unterschiedlicher beantwortet werden können; auch hier stand Frankreich für eine stär14 Sicherlich am unteren Ende dieser Skala liegt das Vereinigte Königreich, das sich traditionell dem eher rein marktwirtschaftlichen Prinzip verpflichtet fühlt. Die skandinavischen Staaten – und hier wohl am ausgeprägtesten Schweden – sind im Vergleich dazu am oberen Ende der Skala anzusiedeln. Deutschland und Österreich könnten im oberen Teil des mittleren Drittels angelagert werden. 15 Zur Geschichte der Regierungskonferenz 2004, cf. Fischer 3. 16 Der Vertrag über die EGKS ist bereits ausgelaufen und nicht mehr verlängert worden. Die EAG geht nicht in der neuen Europäischen Union auf, da sich die RK 2004 über diese Frage nicht einigen konnte. Die neue Europäische Union fasst somit die Europäische Union de lege lata und die Europäische Gemeinschaft in einer Organisation zusammen.

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kere Stellung des Staates, Deutschland wiederum entwickelte sich hin zu einer vergleichsweise radikalen sozialen Marktwirtschaft.

III. Marktwirtschaft – Soziale Marktwirtschaft – Europäische Integration 1. Marktwirtschaft als ordnungspolitisches Prinzip der europäischen Integration Trotz aller Divergenzen zwischen diesen beiden und den übrigen vier Gründerstaaten normierte der Vertrag über die EGKS jedoch bereits die Prinzipien, die für die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes maßgeblich sind.17 Als Grundprinzipien lassen sich demnach identifizieren: Gewährleistung (a) der Freiheit des Warenverkehrs, (b) der Niederlassungsfreiheit, (c) der Freizügigkeit, (d) der Dienstleistungsfreiheit und (e) Freiheit des Kapitalverkehrs. Die Gründerväter wollten aber den sich aus der Öffnung der Märkte entstehenden grenzüberschreitenden Wettbewerb keineswegs sich selber überlassen, vielmehr übertrugen sie die Kompetenz zur Errichtung und Entwicklung des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs – nach Maßgabe des EWG-Vertrags (EWGV) – den Gemeinschaftsorganen (Rat, Kommission, Parlament). Durch diese Entscheidung haben die Gründerväter aber nicht nur die Gemeinschaft marktwirtschaftlich ausgerichtet, sondern auch die genannten Organe verpflichtet, auf die Erhaltung der Marktwirtschaft zu achten. Der EuGH hat im Übrigen bereits sehr früh in seinen Erkenntnissen diese Prinzipien unterstrichen und als rechtens eingestuft.18 Die Frage der Verwirklichung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsordnung wirft jedoch auch die Frage nach dem Primat des Rechts auf, genauer die Frage, ob Gemeinschaftsrecht gegenüber mitgliedstaatlichem Recht Vor17

Cf. Mestmäcker, Ernst-Joachim, Auf dem Wege zu einer Ordnungspolitik für Europa, in: Mestmäcker, Ernst-Joachim/Möller, Hans/Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.), Eine Ordnungspolitik für Europa, Baden-Baden 1987, 13. 18 So beispielsweise in der Rechtssache (Rs) 56 und 58/1964, Grundig-Consten vs. Kommission, Erkenntnis vom 13. Juli 1967,Sammlung (Slg) 322, 344, in der der EuGH betonte, dass der EWGV eine Wettbewerbsordnung der Gemeinschaft geschaffen habe. Überdies führte der EuGH in der Rs 229/1983, Leclerc vs. Au Blé Vert, Erkenntnis vom 10. Jänner 1985, Slg 1, 30, aus, dass die Artikel 2 und 3 EWGV die Errichtung eines Marktes mit freiem Warenverkehr ohne Wettbewerbsverfälschung zum Ziel hätten; die Erreichung dieses Ziels werde vor allem durch die Bestimmungen über das Verbot von Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels und durch die Bestimmungen betreffend die Wettbewerbsregeln gewährleistet.

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rang genießt. Nur ein Primat des Gemeinschaftsrechts macht eine gemeinschaftliche Wettbewerbsordnung möglich. Auch dazu hat der EuGH ein Grundsatzerkenntnis erlassen,19 in dem er feststellte, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt seien, Maßnahmen zu treffen, sei es in Form von Verordnungen oder Gesetzen, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln ausschalten könnten. Noch fundamentaler hatte der EuGH den Vorrang des Gemeinschaftsrechts dadurch festgestellt, als er ausführte,20 dass der EWGV eine eigenständige Rechtsordnung geschaffen habe, die in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden sei. Es würde dem Wesen dieser Rechtsordnung widersprechen, wenn es den Mitgliedstaaten gestattet wäre, Maßnahmen zu ergreifen oder aufrechtzuerhalten, welche die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen könnten. Die Geltungskraft des EWGV und der zu seiner Anwendung getroffenen Maßnahmen dürften nicht von Staat zu Staat aufgrund der nationalen Rechtsakte verschieden sein; andernfalls würde die Wirkung der Gemeinschaftsordnung beeinträchtigt und die Verwirklichung der Vertragsziele gefährdet werden. Normenkonflikte zwischen dem Gemeinschafts- und innerstaatlichen Kartellrecht seien daher nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu lösen. Vereinfacht ausgedrückt besteht in denjenigen Teilen des europäischen Primärrechts,21 in denen der Union die Hauptkompetenz zugewiesen wird,22 ein absolutes Primat des Gemeinschaftsrechts;23 wie immer geartete Maßnahmen der Mitgliedstaaten müssen den Gemeinschaftsnormen entsprechen. Es ist demnach zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die Wirtschaftspolitik der Union über ordnungspolitische Aspekte verfügt und in einem zweiten Schritt, wie diese Aspekte ausgeformt sind und dementsprechend der klassischen Ordnungspolitik entsprechen. Ausgehend davon, dass Ordnungspolitik vor allem eine Markt- und Finanzverfassung beinhalten muss, ist festzuhalten, dass das EU-Primärrecht 19 Cf. EuGH, Rs 229/1983, Leclerc vs. Au Blé Vert, Erkenntnis vom 10. Jänner 1985, Slg 1, 31. 20 EuGH, Rs 14/1968, Wilhelm vs. Bundeskartellamt, Erkenntnis vom 13. Februar 1969, Slg 1, 14. 21 De lege lata EUV und EGV, de lege ferenda EUVV. 22 I. e. Zollpolitik, Handelspolitik, Agrarpolitik, Fischereipolitik, Wettbewerb, Binnenmarkt, Wirtschafts- und Währungspolitik, Verkehrspolitik, Umweltpolitik. 23 In denjenigen Fällen, in denen die Hauptkompetenz bei den Mitgliedstaaten und lediglich Teilkompetenzen bei der Union liegen (beispielsweise in der Sozialpolitik, der Steuerpolitik, der Energiepolitik und der Industriepolitik), ist die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften jedoch insofern eingeschränkt, als sie nicht geeignet sein dürfen, die Erreichung der Vertragsziele zu konterkarieren.

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ordnungspolitische Aspekte aufweist, als sie klare Vorschriften für die Marktwirtschaft umfasst (Binnenmarkt und Wettbewerbsregeln) und durch die Wirtschafts- und Währungsunion auch über eine eigene Finanzverfassung verfügt. Die Marktverfassung führt für die Union eine marktwirtschaftliche Ordnung ein, deren Ziel ein funktionsfähiger Markt ist. Das bedeutet, dass nicht der perfekte – und somit völlig freie – Wettbewerb das Ziel der Union ist, sondern ein Wettbewerb, der funktionsfähig ist und den politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht. Als konstruktive Prinzipien des funktionsfähigen Marktes sind (a) private Eigentums- und Verfügungsrechte, (b) Geldwertstabilität, (c) Vertrags- und Gewerbefreiheit, sowie (d) die Prinzipien von Verantwortung und Haftung zu identifizieren. Das erste Prinzip verbleibt in der Regelungssphäre der Mitgliedstaaten, die dieses Prinzip in ihren jeweiligen innerstaatlichen Verfassungen umgesetzt haben.24 Die Geldwertstabilität ist durch EU-Primärrecht der Europäischen Zentralbank zugewiesen worden. Die Vertrags- und Gewerbefreiheit ist einerseits eine Frage der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, durch EU-Sekundärrecht25 aber auch gemeinschaftlichen Regelungen unterworfen. Die Prinzipien von Verantwortung und Haftung sind im Wesentlichen eine Frage der innerstaatlichen Regelungen, aber auch hier wird durch EU-Sekundärrecht26 eine weitere Absicherung gewährt. Als wertneutrale regulierende Prinzipien sind vor allem die Kontrolle von Monopolen, die Regelung des öffentlichen Vergabewesens und die Korrektur von Marktversagen zu bezeichnen; als politische regulierende Prinzipien sind beispielsweise Umverteilung, der Schutz von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) soziale Mindestsicherung anzusehen. Die EU-Wettbewerbsregeln stellen ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Verfügung, die ein umfassendes Instrumentarium zur Einhaltung wertneutraler regulierender Prinzipien sicherstellen beinhalten; sowohl die Begrenzung der mitgliedstaatlichen Macht gegenüber Privaten als auch die Kontrolle privater Wirtschaftsmacht ist im EU-Primärrecht enthalten. Gleichfalls enthält das EU-Primärrecht aber auch Elemente zur Umsetzung der politischen regulierenden Prinzipien, namentlich in Form der Kohäsionspolitik. Jedenfalls wird mögliches Staatsversagen durch die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln weitestgehend hintangehalten. 24

Durch den EUVV wird durch die EU-Grundrechtecharta, die eine Verdichtung der mitgliedstaatlichen Grundrechtsüberlieferungen darstellt, auf Primärrechtsebene gehoben. Artikel II-77 EUVV, Eigentumsrechte, sichert dieses Prinzip nunmehr auch auf EU-Ebene ab (cf. Fischer 3 235 f.). 25 Insbesondere durch die EU-Diplomanerkennungsrichtlinie. 26 So beispielsweise durch die EU-Umwelthaftungsrichtlinie.

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2. Soziale Marktwirtschaft als konkrete Ausformung des ordnungspolitischen Prinzips der europäischen Integration Die Identifikation politisch regulierender Prinzipien ist insofern nicht zu vernachlässigen, da sie als Nachweis dienen, ob die Europäische Union das gesellschaftlich und politisch gewollte Leitbild der sozialen Marktwirtschaft primärrechtlich internalisiert hat. Erklärt man Effektivität und Effizienz als benchmarks für die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft und definiert (a) Effektivität als Zugestehung der Unterstützung für Förderwürdige, (b) Effizienz als Verpflichtung zur Unterstützung ausschließlich Förderwürdiger, so verfügt die Europäische Union mit ihrer Kohäsionspolitik über ein Instrumentarium, das – gemessen an diesen benchmarks – nahezu idealtypisch ausgerichtet ist. Die EU-Kohäsionspolitik basiert auf dem Grundsatz der Heranführung der ärmeren Regionen an die reicheren Regionen, indem Strukturförderung in gerade dem Ausmaß gewährt werden soll, das diesem Ziel entspricht, ohne gleichzeitig den Binnenmarkt nachhaltig zu stören. Die Gewährung derartiger Förderungen ist eng mit der Stellung eines Mitgliedstaates als Nettozahler oder Nettoempfänger hinsichtlich des EU-Budgets zu sehen. Die reicheren EU-Mitgliedstaaten zahlen demnach mehr in das EU-Budget ein, als sie aus diesem – zum Beispiel in Form von Strukturförderung – erhalten, die ärmeren Mitgliedstaaten erhalten mehr Förderungen aus diesem gemeinsamen Topf, als sie einzuzahlen im Stande sind. Das hypothetische Ziel dieses Systems ist es, die Anzahl der Nettozahler stetig zu erhöhen.27 Damit entspricht die EU-Wirtschaftspolitik der Forderung von Alfred Müller-Armack, dass es der Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.28 Der soziale Ausgleich kann aber letztlich nur annähernd gleichen Wohlstand für alle zum Ziel haben. Um jedoch nicht nur dem sozialen Ziel zu folgen, sondern auch marktwirtschaftlich zu agieren, kann dieser Wohlstand nur durch Wettbewerb herbeigeführt werden. Beide Elemente sind im EU-Primärrecht verankert. 27

Die Erfahrung der vergangenen rund zwanzig Jahre der EU-Kohäsionspolitik zeigt jedoch ein gegenteiliges Bild. Die Anzahl der förderfähigen Mitgliedstaaten hat sich nicht verringert, sie ist – letztlich auch durch die jüngste Erweiterungswelle um zehn neue Mitgliedstaaten – sogar angestiegen. Ein herausragendes Gegenbeispiel ist Irland – eingeschränkt auch Portugal –, das durch die EU-kohäsionspolitische Maßnahmen äußerst rasch an das Niveau der reicheren Mitgliedstaaten herangeführt werden konnte. 28 Cf. Müller-Armack, Alfred, Soziale Marktwirtschaft, in: Handbuch der Sozialwissenschaften, Band 9, 1956.

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Die Debatte über die EU-Ordnungspolitik wurde erstmals seit Gründung der Gemeinschaft im Zuge der Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht geführt und mündete in der Verankerung der Wirtschafts- und Währungsunion im Vertragsrecht. Durch dieses Vertragskapitel wird die währungspolitische Verantwortung in die ausschließliche Sphäre der Gemeinschaft übertragen, die wirtschaftspolitische Verantwortung jedoch in der grundsätzlichen Sphäre der Mitgliedstaaten belassen. Die mitgliedstaatliche Verantwortung im wirtschaftspolitischen Bereich erfährt aber durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt insofern eine klare Einschränkung, als die Mitgliedstaaten gebunden sind, die so genannten Maastrichtkriterien einzuhalten.29 Erst im Zuge des Konvents zur Zukunft Europas30 in den Jahren 2002 und 2003 – dieser Konvent diente als ein Element zur Vorbereitung der Regierungskonferenz (RK) 2004 – wurde die Frage der wirtschaftlichen Ausrichtung der Europäischen Union wieder transparent und breit diskutiert. Der Konvent hatte eine eigene Gruppe Ordnungspolitik eingerichtet, die sich mit den Themen Währungspolitik, Wirtschaftspolitik und damit zusammenhängenden institutionellen Fragen31 auseinandersetzte. Die Gruppe legte ihr Mandat weit aus und setzte sich sogar mit der Frage auseinander, ob wirtschafts- und sozialpolitische Ziele überhaupt in den auszuarbeitenden EUVV aufgenommen werden sollten.32 In ihren Debatten konnte die Gruppe jedoch nicht immer Einstimmigkeit hinsichtlich der konkreten Ausformung der Ordnungspolitik der Union gelangen, wobei dies im Wesentlichen in den unterschiedlichen gesellschafts- und parteipolitischen Betrachtungsweisen der Mitglieder der Gruppe begründet ist. Die Gruppe Ordnungspolitik gelangte am Ende ihrer Beratungen zu folgendem Ergebnis respektive sie einigte sich auf folgende Empfehlungen:33, 34 29 I. e. (a) 3% für das Verhältnis zwischen dem geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizit und dem Bruttoinlandsprodukt, (b) 60% für das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Schuldenstand und dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen, (c) Preisstabilität. 30 Zur Geschichte und den Ergebnissen des Konvents cf. Fischer, Klemens H., Der Konvent zur Zukunft Europas [Fischer 4], Baden-Baden/Wien/Zürich 2003. 31 Die institutionellen Fragen beschäftigten sich jedoch mit grundsätzlich unumstrittenen Themen der Euro-Gruppe. 32 Diese Grundfrage beantwortete die Gruppe positiv, nachdem sie zur Überzeugung gelangt war, dass die Ordnungspolitik einen Grundpfeiler der europäischen Integration darstellt. 33 Cf. Fischer 4, 74 ff. 34 Zum genauen Wortlaut der Empfehlungen cf. Europäischer Konvent, Bericht der Gruppe Ordnungspolitik, CONV 357/02 vom 21. Oktober 2002, in: Fischer 4, Begleit-CD-ROM.

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a) Allgemeine Empfehlungen Die Formulierung de lege lata (EUV und EGV) sollte nach Ansicht einiger Mitglieder um eine Bezugnahme auf nachhaltiges Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit erweitert werden. Im Gegensatz dazu verlangten andere Mitglieder, dass die Vollbeschäftigung, die Kohäsion sowie ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Wettbewerb und öffentlichem Dienst in einer sozialen Marktwirtschaft als Ziele hervorgehoben werden sollten. Diese Debatte in der Konventsgruppe zeigt, dass ihre Mitglieder zu keiner eindeutigen Entscheidung gelangt waren, ob sie die ordnungspolitische Ausrichtung eher in die Richtung reine Marktwirtschaft oder verstärkt hin zur sozialen Marktwirtschaft vorschlagen sollte. b) Währungspolitik Die Währungspolitik im Euro-Raum sollte – weiterhin – jedenfalls in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen. Die überwiegende Mehrheit der Gruppe plädierte dafür, dass Aufgaben, Mandat und Satzung der EZB nicht geändert und von etwaigen neuen Vertragsbestimmungen nicht berührt werden dürften. Einige der Mitglieder sprachen sich allerdings dafür aus, dass das Mandat der EZB auf die Ziele Wachstum und Beschäftigung ausgeweitet werden sollte. c) Wirtschaftspolitik Die Wirtschaftspolitik ist grundsätzlich eine Entscheidung der Mitgliedstaaten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten aber als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse betrachtet wird, wie dies aus Artikel 99 EGV eindeutig hervorgeht und weshalb es auf diesem Gebiet eine Reihe von Gemeinschaftsregelungen gibt, war die Gruppe der übereinstimmenden Auffassung, dass die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten besser abgestimmt werden müsste. Aus Sicht einiger Mitglieder der Gruppe sollte dabei die makroökonomische Politik künftig – also im EUVV – in die geteilte Zuständigkeit der Union und der Mitgliedstaaten fallen, damit Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und sozialer Zusammenhalt gewährleistet werden können. Letztendlich wird deutlich, dass die Wirtschaftspolitik nicht nur besser abgestimmt werden müsste, sondern man bereits von Koordination sprechen müsste. Insbesondere das Engagement der Mitgliedstaaten bei wirtschaftspolitischen Beschlüssen, die im Rahmen der EU-Koordination gefasst werden, müsste erheblich verbessert werden.

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Hinsichtlich der Grundzüge der Wirtschaftspolitik zeigte sich die Gruppe im Wesentlichen einverstanden mit der bisherigen Vorgehensweise, schlug jedoch vor, dass die Europäische Kommission nicht nur Empfehlungen, sondern förmliche Vorschläge unterbreiten können sollte. Damit stand die Gruppe jedoch im klaren Widerspruch zur Auffassung einiger Mitgliedstaaten, die dadurch die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten eingeschränkt sahen und somit einer derartigen Verfahrensänderung ablehnend gegenüber standen.35 Als weiteres entscheidendes Element betrachtete die Gruppe die strikte Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wobei sie der Europäischen Kommission mehr Einflussmöglichkeiten geben wollte.36 Einig war sich die Konventsgruppe – und stieß dabei jedenfalls auf die uneingeschränkte Zustimmung des Vereinigten Königreichs während der RK 2004 –, dass die Europäische Union keine weiter gehenden Kompetenzen im Steuersektor erhalten sollte.37

IV. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa und sein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitischem Prinzip der Europäischen Union38 Die RK 2004, an deren Beratungsende die Annahme des EUVV stand, änderte die wesentlichen Elemente der ordnungspolitischen Ausrichtung der Europäischen Union nicht. Weiterhin sind die Währungspolitik und die Wirtschaftspolitik die Säulen der EU-Ordnungspolitik, wobei Erstere gemäß Artikel I-13 EUVV in die ausschließliche Kompetenz der Union fällt, Letztere gemäß Artikel I-15 EUVV eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten 35

Die RK 2004 konnte sich in ihren Beratungen weder auf diesen Vorschlag einigen, noch darauf, dass die Europäische Kommission eine verbesserte Stellung im Falle der Nichtdurchführung durch einen Mitgliedstaat erhalten sollte (cf. Fischer 3, 89). 36 Dieser Vorschlag stieß bei einigen Delegationen der RK 2004, namentlich Deutschland, auf ebenso heftige Ablehnung, wie er von anderen Delegationen, allen voran den Niederlanden, unterstützt wurde. Am Ende der RK 2004 konnte als Kompromiss zumindest erreicht werden, dass die Stellung der Europäischen Kommission nicht geschwächt wurde (cf. Fischer 3, 89). 37 Das Vereinigte Königreich hatte sich seit seiner Mitgliedschaft – erfolgreich – gegen jegliche gemeinschaftliche Kompetenz im Steuerwesen gewehrt. Nicht zuletzt die harte Haltung des Vereinigten Königreichs ist der Grund, dass auch im Falle des Inkrafttretens des EUVV Beschlüsse in Steuerfragen weiterhin ausschließlich mit Einstimmigkeit herbeigeführt werden können (cf. Fischer 3, 101). 38 Die folgenden Bestimmungen des EUVV sind Fortschreibungen der Bestimmungen des EGV.

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bleibt, der Ministerrat zum Zwecke der Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken aber Maßnahmen beschließen kann; insbesondere beschließt der Rat die Grundzüge der Wirtschaftspolitik. Die RK 2004 hat aber ein entscheidendes neues Kriterium in den EUVV eingebettet, indem sie die soziale Marktwirtschaft erstmals in der Geschichte der europäischen Integration expressis verbis als Ziel in das Primärrecht aufgenommen hat.39 Artikel I-3 Absatz 3 EUVV stellt fest, dass die Union a) auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, b) eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie c) ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hinwirkt. Artikel I-3 Absatz 3 EUVV verlangt von der Union aber zugleich, dass sie den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, sowie den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt fördert. Der EUVV bekennt sich also eindeutig zur sozialen Marktwirtschaft, fraglich ist jedoch, (a) ob das Schwergewicht auf der marktwirtschaftlichen oder der sozialen Komponente liegt, und (b) wie stark das interventionistische Element ausgeprägt ist. 1. Elemente der Schwergewichtsbildung für eine soziale Marktwirtschaft im EUVV Binnenmarkt (Artikel III-130 bis 160 EUVV) und Wettbewerbspolitik (Artikel III-161 bis 169 EUVV) lassen prima facie den Schluss zu, dass das Schwergewicht auf der marktwirtschaftlichen Komponente liegt. Dies gilt jedenfalls für die Binnenmarktvorschriften, die auf der Gewährung der so genannten vier Freiheiten (Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehrsfreiheit) basieren. Gleiches lässt sich hinsichtlich der Wettbewerbsvorschriften feststellen, zumindest soweit es sich um die Vorschriften für Unternehmen (Artikel III-161 bis 166 EUVV) handelt. Diese Vorschriften stellen unmissverständlich fest, dass alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander ab39 Damit wird gleichsam verrechtlicht, was bereits als immanentes Prinzip gegolten hatte.

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gestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind. Die Union bekämpft derartige Vorgehensweisen unter anderem durch Monopol- und Fusionskontrollen sowie durch Kartellbekämpfung. Um Beeinträchtigungen durch öffentliche Aufträge zu verhindern, existiert überdies eine strenge Kontrolle auch für diesen Sektor. Betrachtet man jedoch die Wettbewerbsregeln im Zusammenhang mit Beihilfen der Mitgliedstaaten, so wird evident, dass das strikte marktwirtschaftliche Prinzip zugunsten der sozialen Komponente durchbrochen wird. Als generelles Prinzip gemäß Artikel III-167 Absatz 1 EUVV gilt zwar, dass Beihilfen der Mitgliedstaaten oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, der Vertrag macht davon aber wesentliche Ausnahmen. Der Vertrag stellt jedoch bestimmte staatliche Beihilfen außerhalb dieses grundsätzlichen Verbots: Gemäß Artikel III-167 Absatz 2 EUVV sind folgende Beihilfen – ohne vorherige Kontrolle durch die Europäische Kommission – mit dem Binnenmarkt vereinbar und somit zulässig (Kategorie 1): – Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, wenn sie ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Waren gewährt werden; – Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind; – Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind. Gemäß Artikel III-167 Absatz 3 EUVV können folgende Beihilfen – jedoch erst nach vorheriger Kontrolle und Genehmigung durch die Europäische Kommission – mit dem Binnenmarkt als vereinbar und somit als zulässig angesehen werden (Kategorie 2): – Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen der Lebensstandard außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, und der in Artikel III-424 EUVV genannten Gebiete40 unter Berücksichtigung ihrer strukturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lage;

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– Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats; – Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; – Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; – sonstige Arten von Beihilfen, die durch vom Rat auf Vorschlag der Kommission erlassene Europäische Verordnungen oder Beschlüsse bestimmt werden. Die Beihilfen der Kategorie 1 können aus marktwirtschaftlicher Sicht zumindest für den ersten Anwendungsfall als unbedenklich eingestuft werden. Die Beihilfen wegen Beeinträchtigungen, die durch vis major verursacht werden, sind als Korrektiv zu betrachten, das sicherstellen soll, dass derartige Schäden keinen Wettbewerbsnachteil für die betroffenen Regionen nachsichziehen. Die Ausnahmebestimmung für Deutschland ist jedoch bereits kritischer zu betrachten, insbesondere hinsichtlich der Frage, (a) welche Nachteile eindeutig durch die Teilung hervorgerufen worden sind und (b) wie lange die Nachwirkungen der Teilung nachweislich andauern; zu einem Dauerzustand soll diese Ausnahme aber auch nach dem EUVV nicht werden.41 Die Beihilfen der Kategorie 2 stellen aber eindeutig eine Einschränkung der reinen Marktwirtschaft dar und unterstreichen die soziale Komponente in herausragender Weise. Die erste Gruppe ist die Basis für die Regionalund Strukturpolitik (= Kohäsionspolitik), die zweite Gruppe eröffnet der Union selbst Interventionsmöglichkeiten beispielsweise in den Feldern Forschung und technologische Entwicklung sowie Transeuropäische Netze, die dritte Gruppe kann als Grundlage für die Förderung – und somit den Schutz – beispielsweise der KMU betrachtet werden. Die vierte Gruppe ist dahingehend wohl eher als vernachlässigbar einzustufen, dient sie doch vornehmlich dem Schutz und dem Erhalt des kulturellen Erbes.

40 Diese Ausnahme betrifft Guadeloupe, Französisch-Guayana, Martinique, Réunion, die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln. 41 Der Rat kann fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrags über eine Verfassung für Europa auf Vorschlag der Kommission einen Europäischen Beschluss erlassen, mit dem diese Bestimmung aufgehoben wird.

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2. Die interventionistischen Elemente im EUVV Im voranstehenden Unterabschnitt wurden bereits vier Felder angesprochen, die die soziale Komponente der Ordnungspolitik bedienen und interventionistische Züge aufweisen (i. e. Kohäsionspolitik (Artikel III-220 bis 224 EUVV)), Forschung und technologische Entwicklung (Artikel III-248 bis 255 EUVV), Transeuropäische Netze (Artikel III-246 f EUVV, KMUPolitik). Der EUVV weist jedoch noch weitere Politikfelder auf, die interventionistische Elemente haben, namentlich die Beschäftigungspolitik (Artikel III-203 bis 208 EUVV), die Sozialpolitik (Artikel III-209 bis 219 EUVV), die Verbraucherschutzpolitik (Artikel III-235 EUVV), sowie die Industriepolitik (Artikel III-279 EUVV). Im Folgenden werden die beiden Politikfelder Kohäsionspolitik und Industriepolitik als Beispielfälle näher untersucht, da eine detaillierte Darstellung aller dieser Politikfelder den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. a) Kohäsionspolitik42 Getreu der beiden oben zitierten sozial-marktwirtschaftlichen benchmarks Effektivität und Effizienz soll die Kohäsionspolitik in denjenigen Regionen zur Anwendung gelangen, die im Vergleich zu den übrigen Regionen der Union einen signifikanten Entwicklungsrückstand aufweisen. Als besonders betroffen gelten Regionen, die ein BIP/capita von weniger als 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts aufweisen (so genannte Ziel-1-Regionen),43 aber auch Regionen mit strukturellen Schwierigkeiten (so genannte Ziel-2-Regionen). Um die Schere zu schließen und diese Regionen an die besser entwickelten – sprich: reicheren – Regionen heranzuführen, werden EU-Beihilfen und nationale Beihilfen zugelassen. Grundsätzlich sind Beihilfen dadurch nur in dieser Beihilfenkulisse zulässig, mitgliedstaatliche Beihilfen in anderen als diesen Regionen bis auf wenige Ausnahmen jedoch untersagt. Die Europäische Union stellt im Zeitraum 2000 bis 2006 für die Ziel-1-Regionen rund 136 Milliarden e, für die Ziel-2-Regionen und das so genannte Ziel 3 (Unterstützung für Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, sowie Beschäftigungspolitik – und -systeme) rund 47 Milliarden e zur Verfügung. Der Kohäsionsfonds, der ursprünglich eingeführt wurde, um die besonders armen Mitgliedstaaten44 an die Euro-Kriterien heranzuführen, ist in diesem 42

Zur Entwicklung der Kohäsionspolitik cf. Fischer 1, 309 ff., zur Ausgestaltung im EUVV cf. Fischer 3, 342 ff. 43 Diese Regelung gilt bis zum 31. Dezember 2006. Nach der Erweiterung der Union am 1. Mai 2004 wurden sämtliche neuen Mitgliedstaaten zu Regionen dieser Kategorie eingestuft. 44 I. e. Griechenland, Spanien, Portugal und Irland.

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Zeitraum mit rund 18 Milliarden e ausgestattet. Darüber hinaus kann die Europäische Kommission im Rahmen der Gemeinschaftsinitiativen45 weitere rund 12 Milliarden e verausgaben. Insgesamt ist der kohäsionspolitische Fördertopf demnach mit rund 213 Milliarden e für einen Zeitraum von sieben Jahren ausgestattet. Diese Regional- und Strukturpolitik dient der Reduktion der sozioökonomischen Disparitäten innerhalb der Europäischen Union und der Herstellung der inneren Kohäsion der Union. Naturgemäß läuft eine derartige Politik einer reinen Marktwirtschaft zuwider, die eben darauf abstellt, dass die Marktmechanismen selbst greifen respektive sich eben bestimmte Regionen im Wettbewerb durchsetzen. Die Union hat sich jedoch zum Ziel gesetzt, diejenigen Regionen wettbewerbsfähig zu machen, die über diese Eigenschaft auf Grund der oben dargestellten Umstände nicht verfügen. Damit sollen unter anderem Abwanderungsbewegungen und die dadurch bedingte weitere Verschlechterung der Situation betroffener Regionen vermieden werden. b) Industriepolitik46 Die Industriepolitik, die durch den VvM in das Primärrecht der Union aufgenommen worden ist, dient folgenden Ziele, – die Anpassung der Industrie an die strukturellen Veränderungen zu beschleunigen; – ein günstiges Umfeld für die Initiative und Weiterentwicklung der Unternehmen, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen, in der gesamten Union zu fördern; – ein günstiges Umfeld für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen zu fördern; – eine bessere Nutzung des industriellen Potenzials der Politik in den Bereichen Innovation, Forschung und technologische Entwicklung zu fördern. Gegenständlich sollen nur das zweite Ziel näher untersucht werden, da das erste sowie das dritte und vierte Ziel in der historischen Entwicklung als Unterstützung der Industrie gegenüber dritten Märkten zu sehen ist. Das zweite Ziel ist jedoch als nahezu klassisches Instrument der sozialen Marktwirtschaft zu betrachten. In der Überzeugung, dass KMU ein wesentlicher 45 Die Gemeinschaftsinitiativen – beispielsweise URBAN und INTERREG – stellen punktuelle Schwerpunktförderungen von Seiten der Gemeinschaft dar. 46 Zur Entwicklung der Industriepolitik cf. Fischer 1, 306 ff., zur Ausgestaltung im EUVV cf. Fischer 3, 392 f.

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Bestandteil der Wirtschaft der Europäischen Union darstellen, und in der Erkenntnis, dass KMU gegenüber der Großindustrie Wettbewerbsnachteile haben, steht die Union vor der Entscheidung, zugunsten der KMU zu intervenieren respektive derartige Interventionen zuzulassen, oder aber die KMU dem freien Spiel des Marktes auszusetzen. Mit dem Hintergrund der sozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitischem Prinzip hat sich die Union entschlossen, KMU zu unterstützen, um so deren schwächere Position auf dem Markt zu stärken.

V. Abschließende Bemerkungen Gegenstand der Ordnungspolitik ist die Gestaltung der ethischen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen des Verhaltens von Wirtschaftssubjekten und politischen Entscheidungsträgern, das heißt der Wirtschaftspolitik einerseits (Wirtschaftsordnungspolitik) und der politischen Ordnung andererseits (Staatsordnungspolitik).47 Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich hinsichtlich der Wirtschaftsordnungspolitik für die Marktwirtschaft entschieden. Die ethischen Rahmenbedingungen, die sie dieser Marktwirtschaft unterlegen, erfüllen die Kriterien der sozialen Marktwirtschaft, da die Mitgliedstaaten und die Union anerkennen, dass bestimmte Wirtschaftssubjekte und Regionen nicht über ausreichende Wettbewerbsfähigkeit verfügen, um sich auf einem selbstregulierenden Markt behaupten zu können, und dementsprechend Unterstützungsmaßnahmen zulassen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllen ebenfalls die marktwirtschaftlichen Grundsätze, insbesondere durch die klaren Regelungen betreffend den Binnenmarkt; die soziale Komponente wird insofern verrechtlicht, als Ausnahmen im Wettbewerbsrecht eindeutig und klar festgelegt werden. Die institutionellen Rahmenbedingungen werden durch die eindeutige Zuweisung der Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten und die einzelnen Organe der Europäischen Union erfüllt. Die Staatsordnungspolitik wird einerseits durch die mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen ausgefüllt, andererseits auf eine – zusätzliche – höhere Ebene gehoben, indem der von den Mitgliedstaaten gebildeten supranationalen Europäischen Union eine quasi-staatsrechtliche Ordnung in Form des Primärrechts gegeben wird. Die ordnungspolitische Ausrichtung der Europäischen Union entspricht demnach eindeutig der sozialen Marktwirtschaft. Der Forderung Euckens, dass der Staat in den wirtschaftlichen Ablauf nicht eingreifen dürfe, ent47 Cf. Cassel, Dieter, Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik, in: Cassel, Dieter/ Ramb, Bernd-Thomas/Thieme, Jörg (Hrsg.), Ordnungspolitik, München 1988, 313.

Ordnungspolitische Aspekte des Vertrags über eine Verfassung für Europa

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spricht die Ordnungspolitik der Europäischen Union sicherlich nicht, keineswegs aber wendet sie sich aber der Planwirtschaft zu. Die Balance zwischen der sozialen und der marktwirtschaftlichen Komponente der EU-Ordnungspolitik hängt naturgemäß von der politischen Ausrichtung der Mitgliedstaaten ab, gerade aber die unterschiedlichen Gewichtungen, die die einzelnen Mitgliedstaaten in ihrer innerstaatlichen Sphäre vornehmen, garantiert einen Ausgleich auf europäischer Ebene, der sicherstellt, dass die Balance zwischen den beiden Komponenten gewahrt wird und dadurch einen funktionierenden Wettbewerb in einem sozial ausgewogenen Markt garantiert.

Zum Verhältnis von Markt und Staat in der Ordnung der Europäischen Union Von Ulrich Penski

I. Markt und Staat stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander. Es handelt sich um zwei Handlungszusammenhänge, die an unterschiedlichen Zielen ausgerichtet sind und insofern auch unterschiedlichen Grundsätzen folgen. Beim Marktgeschehen geht es um wirtschaftliche Tätigkeit, der Staat stellt eine Ordnung des Zusammenlebens von Menschen überhaupt dar. Er beansprucht, auch Markthandeln zu ordnen und sich gegebenenfalls auch an ihm zu beteiligen. Damit ergeben sich notwendigerweise Berührungspunkt und Reibungsflächen in den Beziehungen zwischen ihnen. Sie fordern immer wieder zur Frage nach dem Verhältnis beider Ordnungen sowie ihrer Abgrenzung auf. Diese Frage hat auch den Jubilar als Hochschullehrer ständig in seinen Überlegungen und Veröffentlichungen zur Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik beschäftigt. Im interdisziplinären Gespräch und auch in gemeinsamen Veranstaltungen in den Jahren kollegialer Zusammenarbeit hat sich auch der Verfasser an diesen Überlegungen aus rechtlicher Sicht beteiligt. Sie sollen hier im Hinblick auf die Ordnung der Europäischen Union unter Berücksichtigung ihrer Osterweiterung aufgegriffen werden. Freilich können dabei nur die grundlegenden Beziehungsfelder behandelt werden, die sich durch die europäischen Regelungen zum europäischen Markt ergeben. Besondere Bereiche wie die Agrarmarktordnung sollen ausgespart bleiben. In der Ordnung der Europäischen Union wird der Begriff des Marktes nicht näher bestimmt. Er wird im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (EGV) mit der Verwendung der Ausdrücke „gemeinsamer Markt“ und „Binnenmarkt“ (Art. 2 u. 14 EGV) vorausgesetzt; im Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVfE), der allerdings noch der allseitigen Ratifizierung bedarf, wird nur noch der Ausdruck „Binnenmarkt“ verwandt. Unter Markt ist im weitesten Sinne eine Veranstaltung zu verstehen, bei der Anbieter und Nachfrager von Gütern, Dienstleistungen und Kapital zum Austausch zusammentreffen. Auf bestimmte Marktformen kommt es hier nicht an. Wir haben es insofern mit einem Handlungszusammenhang zu tun, bei

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dem Austauschhandlungen im individuellen Interesse der Anbieter und Nachfrager vorgenommen und zwischen ihnen „koordiniert“ werden, wie es in den Wirtschaftswissenschaften heißt. Beim Staat haben wir es mit einem Handlungszusammenhang zu tun, in dem es vornehmlich um das gewaltfreie Zusammenleben einer Gesamtheit von Menschen überhaupt auf der Grundlage einer allgemeinen öffentlichen Gewalt geht, die im allgemeinen Interesse das Zusammenleben rechtsförmig regelt und eine Gewaltanwendung unter den jeweils Beteiligten unterbindet. Er ist damit eine rechtlich begründete Ordnung des Zusammenlebens und des äußeren Friedens. Ist ein Markt ein Raum von gewaltfreien Austauschhandlungen, so setzt er grundsätzlich für seine Gewährleistung staatliche Gewalt im genannten Sinne voraus. Hier jedenfalls soll von der These ausgegangen werden, dass sich ein Markt nicht durch sich selbst gewährleistet. W. Eucken vertritt entsprechend die Meinung, dass „ohne die ordnende Potenz des Staates eine zureichende Wirtschaftsordnung nicht aufgebaut werden kann“ (Grundsätze, S. 332) Der mögliche Einwand, die Marktteilnehmer könnten sich selber eine Ordnung des Marktes geben und ihre Beachtung durchsetzen, wäre nicht stichhaltig. In einem solchen Falle würden sie sich gleichzeitig als politische Gemeinschaft, d.h. im Kern als staatliche Gemeinschaft, konstituieren. Diese wäre vom Handlungszusammenhang des Marktes zu unterscheiden und würde in Beziehung zu diesem politisch-rechtlich, nicht marktmäßig, handeln. Aus diesem Grunde setzt ein Markt in vieler Hinsicht einen Staat als Handlungszusammenhang voraus, überstaatliche Märkte setzen zwischenstaatliche Regelungen als ihre Grundlage und ihren Rahmen voraus, wie es das GATT und die WTO zeigen. Entsprechendes gilt auch für den Markt der Europäischen Union.

II. Das Verhältnis von Markt und Staat in der Europäischen Union stellt sich in einer besonderen Weise dar, die von den Zielsetzungen und der rechtlichen Struktur der Union abhängt. Abgesehen von sonstigen Zielsetzungen wie innereuropäischer Rechtssicherheit und gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik ist sie in ihrem Kernbereich Wirtschaftsgemeinschaft und versteht sich als ein Vorhaben zur Überwindung national begrenzter Märkte durch Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 2 EGV). Der gemeinsame Markt soll dabei als „Binnenmarkt“ hergestellt werden (Art. 3 Abs. 1c EGV). Im Entwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa wird als Bestandteil der Union ein „Binnenmarkt mit freien und unverfälschtem Wettbewerb“ angegeben (Art. I-3); der Begriff „gemeinsamer Markt“ wird nicht mehr verwendet. Im

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Folgenden soll deshalb allgemein vom „europäischen Markt“ gesprochen werden. Das Verhältnis von Markt und Staat betrifft dabei zum einen die Errichtung eines solchen Marktes als Binnenmarkt, zum anderen die Erhaltung des errichteten Marktes gegen Entwicklungen, die diesen Markt beeinträchtigen. In diesem Falle kann es durch die Marktteilnehmer selbst geschehen, z. B. durch Kartellbildung oder Bildung marktbeherrschender Unternehmen oder durch die Mitgliedstaaten, die die vorgesehene Marktfreiheit durch Maßnahmen ihrer Wirtschaftspolitik behindern. In der Ordnung der Union tritt der Staat im Verhältnis zum Markt in verschiedener Gestalt und in verschiedenen Beziehungen auf. Er stellt sich als vergemeinschaftete Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten dar, die Regelungen zur Errichtung eines Marktes als Binnenmarktes vornimmt. Diese Hoheitsgewalt wird weiter in Gestalt der Unionsorgane als markterhaltende Gewalt sowohl gegenüber den Marktteilnehmern als auch gegenüber den Mitgliedstaaten tätig. Die Aufgaben der Währungsunion werden durch die Europäische Zentralbank (EZB) als ein unabhängiges und rechtlich verselbständigtes Organ der Union zusammen mit den nationalen Zentralbanken (System der Zentralbanken) wahrgenommen (Art. 8 u. 107 EGV; Art. I-30 VVfE). Nicht zuletzt nimmt die europäische Hoheitsgewalt fördernde Aufgaben in verschiedenen Hinsichten wahr, insbes. zur Behebung regionaler Marktschwächen (Art. 158 EGV; Art. III-220 VVfE) sowie zur Hebung von Beschäftigungsmöglichkeiten über einen Sozialfond (Art. 146 EGV; Art. III-219 VVfE). Schließlich ist der Staat in Gestalt der jeweiligen mitgliedstaatlichen Aufgabenwahrnehmung zu betrachten. Für den Bereich der „alten“ Mitgliedstaaten, d.h. der Mitgliedstaaten vor der erfolgten Osterweiterung, gilt der Binnenmarkt seit 1993 als erreichtet. In Bezug auf die Beitrittsstaaten Ostmitteleuropas kann dies allerdings noch nicht angenommen werden, insofern als für verschiedene Marktbereiche und marktkonstituierende europäische Regelungen, z. B. Arbeitnehmerfreizügigkeit, noch Übergangsfristen vereinbart wurden. Die europäische vergemeinschaftete Hoheitsgewalt stellt sich diesbezüglich vielfach noch als marktkonstituierende öffentliche Gewalt dar, die die Bedingungen festlegt, unter denen der europäische Markt als Binnenmarkt auch für den Beitrittsbereich errichtet und bestehen soll. a) Die Errichtung des europäischen Marktes erfolgt durch die Bildung einer Zollunion, wodurch Markthürden in Gestalt von Zöllen zwischen den beteiligten Staaten beseitigt werden, und dadurch, dass bestimmte marktkonstituierende allgemeine Verbote aufgestellt und Grundfreiheiten für die Bürger der Mitgliedstaaten durch den EG-Vertrag bzw. künftig durch den Verfassungsvertrag gewährleistet werden. In bisher noch räumlich eingegrenztem Umfang wird er durch eine Währungsunion vervollständigt.

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Allgemein gehört es zur Konstituierung eines Marktes, dass für die möglichen Teilnehmer Rechte wie insbes. Eigentum und Vertragsfreiheit gewährleistet und auch rechtliche Handlungsformen vorgegeben werden, die Markthandlungen erst ermöglichen und in ihren Wirkungen absichern. Damit Leistungen und Gegenleistungen im Marktverkehr in ihrem wirtschaftlichen Wert erkennbar und vergleichbar sind, d.h. insofern Markttransparenz geschaffen wird, müssen allgemein – und insofern staatlich – zudem Maßeinheiten, Qualitätsstandards und nicht zuletzt auch Währungseinheiten bzw. Währungsparitäten festgelegt werden. In diesem Sinne grundlegend für den gemeinsamen Markt ist zunächst ein Diskriminierungsverbot, das unterschiedliche Behandlungen von Bürgern anderer Mitgliedstaaten wegen ihrer Staatsangehörigkeit im Verhältnis zu Inländern ausschließt (Art. 12 EGV; Art. I-4(2) VVfE). Dadurch wird in Bezug auf markterhebliche Tätigkeiten ein allgemeiner Rechtsstatus geschaffen, der grundsätzlich gleiche Teilnahmefreiheit am Marktgeschehen im Bereich der Mitgliedstaaten gewährleistet. Eine solche Teilnahmefreiheit ist notwendige Bedingung dafür, dass von einem „gemeinsamen Markt“ in der bisherigen Terminologie gesprochen werden kann. Eigentums- und Vertragsfreiheit werden dabei als in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewährleistete Rechte vorausgesetzt. Sie bedürfen insofern keiner besonderen konstitutiven Gewährleistung für den europäischen Markt. Vermittelt durch die allgemeine Teilnahmefreiheit werden sie über den jeweils mitgliedsstaatlichen Bereich ausgedehnt. Sie sind als marktkonstitutive Rechte auch gegenüber der europäischen Hoheitsgewalt zu schützen, was in Form der Anerkennung als europäische Grundrechte geschieht. Sie erfolgte durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und soll künftig im Verfassungsvertrag, Teil II, verankert werden. Ihnen wird damit gleichzeitig eine europäische Grundlage gegeben. Konstituierende Bestandteile des europäischen Marktes sind weiter die vier Grundfreiheiten: die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 ff. EGV; Art. III-133 ff. VVfE), die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV; Art. III137 ff. VVfE), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff.; Art. III-144 ff. VVfE) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 ff.; Art. III-156 ff. VVfE). Hierbei handelt es sich um Konkretisierungen der allgemeinen Teilnahmefreiheit, die durch das allgemeine Diskriminierungsverbot begründet wird. Dieses Verbot, das sich gegen die Mitgliedstaaten richtet, wird gleichsam in marktrelevante Rechte umgewandelt, die die Mitgliedstaaten zu beachten haben, worüber dann die europäische Hoheitsgewalt wacht. Durch diese Grundfreiheiten wird die allgemeine Teilnahmefreiheit näher bestimmt im Hinblick auf den Ort der Arbeitsleistung (Freizügigkeit der Arbeitnehmer), den Ort der Marktteilnahme (Niederlassungsfreiheit), die grenzüberschrei-

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tende Dienstleistung (Dienstleistungsfreiheit) und den Raum der Verwendung von Kapital (Kapitalverkehrsfreiheit). Die gleiche Teilnahmefreiheit in Gestalt der vier Grundfreiheiten reicht für einen Markt als Binnenmarkt für den Unionsraum aber nicht aus, wenn von den einzelnen Staaten Beschränkungen für die Güterbewegungen zwischen den Staaten festgesetzt würden. Dadurch würde gleichsam das Güterangebot der jeweils anderen Staaten „diskriminiert“. Um dies auszuschließen, ist das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und von Maßnahmen gleicher Wirkung festgesetzt und somit im Rahmen der Zollunion freier Warenverkehr (Art. 28, 29 EGV; Art. III-153 ff. VVfE) geschaffen. Erst durch ein solches Verbot wird auch in Bezug auf das Warenangebot ein grenzüberschreitender Markthandel im Sinne eines Marktes als Binnenmarktes ermöglicht. Wird nun ein Markt auf diese Weise durch private Rechte und Freiheiten konstituiert, so folgt daraus grundsätzlich der Wettbewerb der Rechtsträger bei ihren Markthandlungen. Bei einer Vielzahl von Marktteilnehmern mit entsprechenden Rechten ist Wettbewerb unter ihnen eine natürliche Folge bei der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Interessen. Die Union ist deshalb auch dem Grundsatz einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichtet (Art. 4 EGV; Art. III-178 VVfE). Die Teilnahmefreiheiten und der durch sie bedingte Wettbewerb sichern als solche freilich noch keine „freie Wettbewerbsordnung“ ab. Die Ausübung der Freiheiten durch bestimmte Teilnehmer kann andere Teilnehmer in der Ausübung ihrer Freiheiten beeinträchtigen. Das geschieht beim unlauteren Wettbewerb, bei dem Mitbewerber durch herabsetzendes oder täuschendes Verhalten geschädigt werden. Es erfolgt beim ruinösen Wettbewerb, der zu Handlungen veranlasst, die unwirtschaftlich sind oder bestimmte Qualitäts- und Sicherheitsstandards missachten, wodurch andere benachteiligt und gefährdet werden können. Nicht zuletzt gibt es Handlungen, andere vom Wettbewerb und damit von der Wahrnehmung ihrer Teilnahmerechte auszuschließen oder zumindest zu beschränken. Das geschieht durch die Bildung von Oligopolen, Monopolen und Kartellen, aber auch durch eine marktbeherrschende Stellung von Marktteilnehmern. Um überhaupt die Wirkung zu entfalten, die von ihm erwartet wird, nämlich hochwertige und preiswerte Güter und Dienstleistungen, muss der Wettbewerb eine Ordnung erhalten, die die Freiheit für die Marktteilnehmer gegen Beeinträchtigungen durch jeweils andere gewährleistet. Freiheit findet ihre Grenze dort, wo die Freiheit anderer verletzt wird (A. Woll, S. 81). Hier zeigt sich wie bei der Gestaltung der staatlichen Rechtsordnung allgemein, dass Freiheit nur gerechtfertigt ausgeübt werden kann unter Bedingungen der Vereinbarkeit mit der Freiheit anderer. Die Gestaltung und Wahrung

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der Wettbewerbsordnung ist Aufgabe des Staates, in der Europäischen Union Aufgabe der Unionsgewalt in Bezug auf den europäischen Markt als Binnenmarkt. Sie muss für die Marktteilnehmer gleichartige Wettbewerbsbedingungen festlegen und teilnahmebeeinträchtigende Markthandlungen ausschließen. Dementsprechend enthält die Ordnung der Union ein Kartellverbot (Art. 81 EGV; Art. III-161 VVfE) und ein Missbrauchsverbot (Art. 82 EGV; Art. III-162 VVfE). Darüber hinaus unterliegen die Mitgliedstaaten einem grundsätzlichen Beihilfeverbot Art. 87 EGV; Art. III-167 VVfE), damit nicht durch staatliche Zuwendungen mitgliedstaatlichen Marktteilnehmern Wettbewerbsvorteile zuteil werden. Diese Verbote sollen die Ordnung des europäischen Marktes als Raum „unverfälschten Wettbewerbs“ begründen und erhalten. Aufgrund dieser marktkonstituierenden Regelungen wird die europäische Hoheitsgewalt in den verschiedenen Handlungsformen wie Verordnung, Richtlinie und Entscheidung – künftig bei Inkrafttreten des Vertrags über eine Verfassung für Europa „Europäisches Gesetz“, „Europäisches Rahmengesetz“, „Europäische Verordnung“, „Europäischer Beschluss“ – tätig, um diese allgemeinen Regelungen einerseits abzustützen und andererseits gegen Verstöße zu schützen. Damit greift sie nicht in den Handlungszusammenhang des europäischen Marktes im Sinne eines Wirtschaftsprozesses ein, sondern setzt lediglich die Bedingungen fest, unter denen dieser Markt als wirtschaftliche Wettbewerbsordnung bestehen kann. Von den jeweils nationalen Märkten, die dadurch betroffen werden, wird die europäische Hoheitsgewalt dabei als markteingreifende Gewalt erfahren, weil bisherige Handlungsmöglichkeiten und -bedingungen geändert und beseitigt werden. Die Errichtung und Erhaltung eines europäischen Marktes als Binnenmarkts im Sinne der umrissenen marktkonstituierenden Regelungen und Folgeentscheidungen bedeutet eine europaweite Angleichung der Marktbedingungen, die sich bis in die Angleichung von Marktprodukten (Güter, Dienstleistungen) hinsichtlich bestimmter Merkmale auswirkt. Unter dem Gesichtspunkt der gleichartigen Wettbewerbsbedingungen werden unterschiedliche Qualitätsstandards und Produktnormen in den einzelnen Mitgliedsstaaten notwendigerweise als wettbewerbsbeeinträchtigend angesehen. Beispiele bieten bestimmte mitgliedstaatliche Normen für Verpackungsgegenstände, deren Außerkraftsetzung gefordert wird, oder bestimmte Qualifizierungsanforderungen für dienstleistende Personen wie etwa für Handwerker oder im Handel mit Lebensmitteln tätige Personen. Gegenwärtig ist die sog. Dienstleistungsrichtlinie umstritten, der zufolge Dienstleistungen entsprechend den Anforderungen des Herkunftslandes des betreffenden Unionsbürgers grenzüberschreitend erbracht werden können. Dies führt zur Angleichung von Wettbewerbsbedingungen auf einem niedrigen Standard.

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Eine solche Gefahr besteht gerade im Hinblick auf die vollzogene Osterweiterung, insbes. im Bereich des Handwerks (Bergmann, S. 115, 130). Hier stellt sich deshalb die Frage, ob eine solche Angleichung für eine Wettbewerbsordnung notwendig und sinnvoll ist. Führt sie jedenfalls zu unübersichtlicher Vielfalt von Größen etwa bei Verpackungsgegenständen oder zu niedrigeren Qualifizierungsforderungen für dienstleistende Personen, so dient das nicht ohne weiteres einer erforderlichen Markttransparenz und auch nicht besseren Leistungsergebnissen beim Wettbewerb. Die sog. Deregulierung mitgliedstaatlicher Marktbedingungen führt zu einer im Hinblick auf Markttransparenz und Dienstleistungsqualität fragwürdigen europäischen Regulierung. Die marktkonstituierenden europäischen Regelungen und Entscheidungen finden allerdings noch Grenzen an bestimmten Regelungen, die den Mitgliedstaaten vorbehalten sind. Es handelt sich in der Hauptsache um Regelungen, die deren öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit betreffen (Art. 30, 39 Abs. 3 u. 46 EGV) sowie die Ausübung öffentlicher Gewalt (Art. 45, 55) und in gewissen Rahmen die Dienste von allgemeinem Interesse (Art. 16). Während sich die zuerst genannten Bereiche auf die Verbote der Diskriminierung, mengenmäßigen Beschränkungen und Grundfreiheiten beziehen, geht es bei den Diensten von allgemeinem Interesse um Grenzen der Verbote wettbewerbsbeschränkender Handlungen und von Beihilfen. Diese Grenzen für die europäische Hoheitsgewalt erklären sich daraus, dass die Europäische Union im Kern nur erst eine Wirtschafts- und Währungsunion mit entsprechend eingeschränkter Aufgabenstellung ist. Daran wird auch der vereinbarte, aber noch nicht ratifizierte Vertrag über eine Verfassung für Europa grundsätzlich nichts ändern. Andere Aufgaben werden jedenfalls nicht vergemeinschaftet, sondern verbleiben im Bereich der intergouvernementalen Koordinierung. Die Kommission und auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) versuchen allerdings die angegebenen Grenzen eng zu ziehen mit dem Ziel, den europäischen Binnenmarkt als Wettbewerbsordnung auszudehnen. Das zeigen z. B. die Vorstöße der Kommission gegen die kommunalen Sparkassen als öffentlich-rechtliche Organisationen des Geld- und Kreditwesens oder die Rechtsprechung des EuGH zum gleichberechtigten Eintritt von Frauen und Männern in die Bundeswehr. Diese ist sicherlich kein Wirtschaftsunternehmen, wenn sie auch „wirtschaftlich“ geführt werden sollte, wird aber im Hinblick auf die europäische Richtlinie zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Arbeitsleben als solches betrachtet. An den dargelegten Grenzen konstituierender Regelungen für den gemeinsamen europäischen Markt zeigt sich, dass das Verhältnis von Markt und Staat in der Ordnung der Europäischen Union auch noch durch Rege-

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lungen der einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt wird. Unter Berufung auf die staatlichen Aufgaben „öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“, die Ausgestaltung der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ und die Organisation der „Dienste von allgemeinem Interesse“ nehmen die Mitgliedstaaten jeweils von ihren wirtschaftspolitischen Traditionen und Gegebenheiten an der konkreten Gestaltung des gemeinsamen Marktes teil. Dieser stellt sich daher als ein Markt dar, der hinsichtlich seiner Bedingungen für wirtschaftliches Handeln in den Bereichen der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägt ist. Dieser Sachverhalt führt zu regelmäßigen Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen der europäischen Hoheitsgewalt und den einzelnen Mitgliedstaaten. Die europäischen Vorgaben für die Struktur des gemeinsamen Marktes stoßen sich immer wieder an der besonderen Struktur der nationalen Märkte. Zur Beseitigung dieser Spannungen und Reibungen wird deshalb eine Politik der Koordinierung und Harmonisierung der nationalen Regelungen verfolgt. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa enthält einen ausdrücklichen Auftrag, die Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten anzugleichen (Art. I-42 VVfE). Der Grund für eine solche Politik liegt vermutlich darin, dass der europäische Markt als Binnenmarkt und unverfälschte Wettbewerbsordnung eine weitergehende Vereinheitlichung der ihn tragenden Rechtsordnung verlangt, als es die Union als bloßer Staatenverbund, der selbst noch kein Staat ist wie etwa ein Bundesstaat, zulässt. Ein einheitlicher Markt, wie es der europäische Markt sein soll, verlangt wahrscheinlich einen Staat als tragende Ordnung. Ist diese nicht vorhanden, müssen die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ersatzweise vereinheitlicht werden. Das Gegenmodell wäre eine Wirtschaftsgemeinschaft mit konkurrierenden nationalen Märkten. Politisch entspräche sie eher einem Europa der Nationalstaaten. Der Charakter des europäischen Marktes als Binnenmarkt enthält insofern die Tendenz zu einem Europa zentraler Staatsgewalt. Da andererseits eine solche Zentralisierung staatlicher Gewalt angesichts der Ausweitung der Union auf Schwierigkeiten stoßen wird, wird der europäische Markt in einem Spannungsfeld zwischen europäischer Hoheitsgewalt und mitgliedstaatlicher Staatsgewalt verbleiben. Ihm kommt insofern eine gewisse Unübersichtlichkeit zu. b) Entsprechend dem Entwicklungsstand der heutigen Wirtschaft als Geldwirtschaft gehört zum europäischen Markt die Verwendung von Geld. Damit werden für das Marktgeschehen bestimmte Bedingungen gefordert, die sich aus der Verwendung von Geld bei den Austauschhandlungen ergeben, um deren wirtschaftlichen Sinn zu gewährleisten. Im Unterschied zu den sonstigen Tauschgütern eines Marktes ist Geld das allgemeinste Tauschgut, das als Tauschmittel für alle anderen Tauschgüter, d.h. Sachgüter, eingesetzt werden kann. Diese „Tauschmitteleigen-

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schaft“ ist als „dominierendes Merkmal“ des Geldbegriffs anzusehen (D. Kath, S. 177). Geld repräsentiert insofern alle anderen Sachgüter und dient für diese als Rechen- und Wertmaßstab. Als allgemeinstes Tauschgut kann es zudem zur Wertaufbewahrung verwendet werden. Geht man von diesem Begriff und dieser Bedeutung des Geldes aus, dann bedarf es für die Verwendung von Geld zunächst einmal der Herstellung von Gegenständen, die als solches verwendet werden können und der Festsetzung von Werteinheiten, die sie bedeuten sollen. Im Hinblick darauf, dass Geld alle anderen Sachgüter repräsentieren soll, muss auch ein Verhältnis zwischen dem Bestand und Wert dieser Güter und der Menge des Geldes als allgemeinstes Tauschmittel hergestellt werden. Mit Geld als allgemeinstem Tauschgut wird der Anspruch und die Erwartung verbunden, dass konkrete Sachgüter mit entsprechendem Wert eingetauscht werden können. Sein Sinn liegt insofern darin, dass es etwas gilt. Besteht deshalb ein Missverhältnis zwischen dem Bestand und Wert konkreter Sachgüter und der Menge des Geldes, muss dies die Tauschhandlungen auf dem Markt stören. In welcher Weise dies im einzelnen erfolgt, soll jedoch hier nicht weiter vertieft werden. Angesichts dieses Sachverhalts ist es erforderlich, dass die genannten Aufgaben von einer Stelle wahrgenommen werden. Aus dem Markt heraus kann dies letztlich nicht geleistet werden. Eine Vielzahl von Geldherstellern würde die Transparenz der Wertverhältnisse auf dem Markt beeinträchtigen. Zur Behebung dessen müssten die vielen Währungen in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt werden, was wiederum eine übergeordnete Entscheidung erforderte. Würde dies nicht gemeinschaftlich von den Beteiligten geleistet, bildete sich erfahrungsgemäß eine Leitwährung heraus, was aber zu einer Monopolbildung eines Marktteilnehmers führen könnte, die jedenfalls einem Markt als Wettbewerbsordnung widerspräche und letztlich auch ein Politikum darstellte. Es bestünde die Gefahr der Verfälschung der Geldfunktionen durch den Monopolisten zu seinen Gunsten, etwa durch unangemessene Vermehrung der Geldmenge. Es handelte sich insofern um ein Politikum, den der Monopolist über die wirtschaftliche Freiheitsausübung der anderen Marktteilnehmer Entscheidungsmöglichkeiten ohne deren Einverständnis erhielte. Deshalb ist von vornherein eine politische Lösung zu bevorzugen, d. h. die genannten Aufgaben einer staatlichen Stelle zu übertragen. Auch dies erfordert allerdings die Beachtung bestimmter Bedingungen. Der Staat kann sich ebenfalls, wenn auch nicht wie der private Monopolist aus Eigeninteresse, so doch aus politischen Interessen unangemessener Festsetzungen des Geldwertes bedienen. Um die Stabilität des Geldwertes durch die Bestimmung eines angemessenen Verhältnisses des allgemeinsten Tauschgutes „Geld“ zu den konkreten Sachgütern zu gewährleisten, legt es sich deshalb nahe, eine von der staatlichen Politik unabhängige Stelle zu schaffen, die für die Ausgabe der Geld-

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mittel und die Geldmenge zuständig ist. Dies entspricht der Errichtung unabhängiger Gerichte im Bereich des Rechts zur Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten. Wie im Bereich des Rechts über die zwischen Beteiligten umstrittenen Rechte wirksam nur eine selbst unbeteiligte und unabhängige Instanz entscheiden kann, so zeigt es sich auch als erforderlich, dass eine entsprechend ausgestaltete Instanz über die Bedingungen der Stabilität des Geldwertes bestimmt. Ohne diese Voraussetzungen besteht jedenfalls die Gefahr der verfälschenden Bestimmung des Geldwertes und damit des Eingriffs in den jeweiligen Bestand von Werten bei den Marktteilnehmern. Dadurch aber würden die Grundlagen wirtschaftlicher Freiheitsausübung beeinträchtigt. Durch die Errichtung der Währungsunion mit dem Vertrag von Maastricht ist die Europäische Union grundsätzlich den oben aufgezeigten Weg für eine Geldordnung des europäischen Marktes gegangen. Sie ist nicht bei einem „Wettbewerb“ der mitgliedstaatlichen Währungen geblieben, sondern hat sich für einen „Währungszentralismus“ – wie es der Jubilar genannt hat (Wirtschaftspolitik, S. 168) – entschieden, der allerdings bisher noch nicht alle Mitgliedstaaten erfasst. Bis auf diese Staaten ist für den Bereich des europäischen Marktes im Rahmen eines Systems der mitgliedstaatlichen Zentralbanken eine Europäische Zentralbank (EZB) geschaffen worden (Art. 8 EGV; Art. I-30 (1) VVfE). Diese ist mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet (Art. 107 Abs. 2 EGV; Art. I-30(3) VVfE) und von Weisungen anderer Organe der Union unabhängig (Art. 108 EGV; Art. I-30(3) VVfE). Mit dieser organschaftlichen Struktur nimmt sie ihre Aufgaben wahr. Sie gibt zwar nicht unmittelbar die Banknoten der Euro-Währung aus, aber sie hat das „ausschließliche Recht der Genehmigung“ der Ausgabe von Banknoten durch die mitgliedstaatlichen Zentralbanken; entsprechendes gilt für die Ausgabe von Münzen (Art. 106 EGV; Art. III-186 VVfE). Abgesehen davon ist es ihr „vorrangiges Ziel“ im Rahmen des Systems der Zentralbanken „die Preisstabilität zu gewährleisten“ (Art. 105 EGV; Art. III-185 (1) VVfE). Unter Beachtung dieses Zieles unterstützt sie die Wirtschaftspolitik der Union. Mit ihrer Aufgabenstellung in Bezug auf den europäischen Markt sieht sich die EZB allerdings in einer besonderen Lage insofern, als die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten noch nicht vergemeinschaftet ist. Sie kann also ihre Aufgaben nicht im Rahmen und in Bezug auf eine einheitliche staatliche Wirtschafts- und Haushaltspolitik wahrnehmen und hat es zudem mit mitgliedstaatlichen Wirtschaften unterschiedlicher Wirtschaftskraft zu tun. Diese Schwierigkeit wird zwar dadurch zu regeln versucht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, ihre Wirtschaftspoli-

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tik auf den europäischen Markt mit „freiem Wettbewerb“ auszurichten und zu „koordinieren“ (Art. 98 u. 99 EGV; Art. III-178 u. 179 VVfE). Zudem sind die Mitgliedstaaten angehalten, „übermäßige öffentliche Defizite“ zu vermeiden und insofern „Haushaltsdisziplin“ zu wahren (Art. 104 EGV; Art. III-184 VVfE). Wie aber die Staatenpraxis zeigt, versuchen die einzelnen Mitgliedstaaten im jeweiligen Eigeninteresse sich diesen Verpflichtungen auf verschiedene Weise, sogar durch Angabe unvollständiger und verfälschter Wirtschaftsdaten oder durch Beanspruchung von Ausnahmen, zu entziehen oder Betreiben ihre Abschwächung. Der europäische Markt sieht sich im Hinblick auf die geforderte Politik der Währungsstabilität unter diesen Voraussetzungen einer gespaltenen Staatlichkeit ausgesetzt. Die vergemeinschaftete EZB bezieht sich auf ihn als einen einheitlichen Markt, die Mitgliedstaaten in ihrer Wirtschafts- und Hauhaltspolitik gliedern ihn aber in ihre jeweiligen Bereiche auf, insbesondere wenn deren Koordination hinter den Vertragszielen zurückbleibt. Dadurch sind bereichsbezogene Verzerrungen der Wertaussagen der Euro-Währung anzunehmen, die die Aufgabenwahrnehmung der EZB beeinträchtigen. An diesem Sachverhalt zeigt sich auch, dass ein einheitlicher Markt für die von staatlicher Gewalt zu gewährleistenden Bedingungen seines Bestandes und des wirtschaftlichen Wertes seiner Markthandlungen vermutlich einer einheitlichen staatlichen Autorität bedarf. Bei dezentraler Staatlichkeit müsste man sich mit dezentralen Märkten begnügen. Die Ordnung der Europäischen Union zeigt insofern noch Widersprüche, die sich aus dem Anspruch, einen Binnenmarkt zu schaffen und zu gestalten, einerseits und dem Mangel an einer einheitlichen „staatlichen Infrastruktur“ ergeben, die ein solcher Markt erfordert.

III. Im Verhältnis von Markt und Staat kann sich dieser nicht in Maßnahmen erschöpfen, die marktkonstituierende und -ordnende Bedingungen schaffen. Die behandelten Verbote und Grundsätze sowie die Grundfreiheiten, die für den europäischen Markt als Binnenmarkt konstitutiv sind, bestimmen diesen zunächst nur als normativen Begriff. D.h. es wird nicht die Wirklichkeit eines Marktes beschrieben, sondern es werden in Form von rechtlichen Festsetzungen die Voraussetzungen für einen Markt als Wettbewerbsordnung bestimmt. In der Wirklichkeit des Wirtschaftslebens wird ein Markt kaum diesen Forderungen genügen. Insofern muss zwischen dem normativen Entwurf bzw. Modell eines Marktes und seiner Verwirklichung im Wirtschaftsleben unterschieden werden. a) Als wirklicher Handlungszusammenhang ist ein Markt immer auch eine geschichtlich gewordene Veranstaltung in dem, wer am Markt mit wel-

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chen Fähigkeiten und welchem Vermögen teilnimmt und was an Gütern und Dienstleistungen angeboten und nachgefragt wird. Er ist in seinem tatsächlichen Charakter insofern abhängig von den Fähigkeiten und Vermögen der einzelnen Marktteilnehmer. Zudem unterliegt er dem Einfluss des Staates als politischer Gemeinschaft, insofern als bestimmte Güterangebote und Dienstleistungen vom Selbstverständnis dieser Gemeinschaft her bevorzugt oder vernachlässigt oder sogar ausgeschlossen werden. Dies kann durch normative Festsetzungen geschehen, z. B. Reinheitsgebote für Bier oder Einschränkungen für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel. Da die Marktteilnehmer grundsätzlich individuellen Interessen und Möglichkeiten folgen, ist es weiterhin nicht gewährleistet, dass denkbare und wünschbare andere und neue Angebote aufgegriffen werden. Ganz allgemein ließe sich sagen, dass ein als Wettbewerbsordnung konstituierter Markt in seinen tatsächlichen Ausgangs- und Handlungsbedingungen nicht ohne weiteres dem entspricht, was für eine solche Ordnung und den ihr zugeschriebenen wirtschaftlichen Wirkungen erforderlich wäre. Aus diesen Gründen lässt es sich auch durch eine normativ konstituierte Wettbewerbsordnung nicht vermeiden, dass einzelne Unternehmen oder Wirtschaftszweige dem Wettbewerb nicht gewachsen sind und aus ihm herausfallen oder dass bestimmte Angebote von den Teilnehmern nicht aufgegriffen werden. In diesen Fällen ist ein Markt von der tatsächlichen Struktur seines Handlungszusammenhangs nicht geeignet, Schwächen und Verluste der Wettbewerbsfähigkeit von Teilnehmern aufzufangen. Die jeweiligen Ausgangsbedingungen eines Marktes als wirklichen Handlungszusammenhangs sind nicht schon die Bedingungen, unter denen eine Wettbewerbsordnung zureichende Erfolge hervorbringt. Unter solchen Voraussetzungen steht der Staat vor der Aufgabe, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Veränderung und Erneuerung des Marktangebots führen, z. B. Aufbau neuer Industrien wie der europäischen Flugzeugindustrie oder Anpassung bestimmter Industrien an veränderte Umstände wie Kapazitätsabbau in der Stahlindustrie oder Aufgreifen neuer Produktionsweisen. Man könnte dies allgemein als Marktstrukturpolitik bezeichnen, zu der insbes. auch Industriepolitik zu zählen wäre. Die Maßnahmen des Staates betreffen unter den aufgezeigten Voraussetzungen nicht marktkonstituierende Bedingungen, sondern greifen in den Handlungszusammenhang des Marktes, d.h. in den auf ihm stattfindenden Wirtschaftsverlauf (Wirtschaftsprozess), ein. Das kann durch verschiedene Arten von Hilfen erfolgen, die hier nicht weiter angegeben werden sollen, aber auch durch Teilnahme am Markthandeln selbst, wobei der Staat als Anbieter oder Nachfrager auftreten kann. In der Theorie der Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik – auch vom Jubilar – wird gefordert, dass der Staat in diesen Fällen subsidiär und marktkonform handeln solle (Gemper, S. 60, 61), d.h. nicht in der Form von Geboten und Verboten als hoheit-

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lichen Mitteln. Das Subsidiaritätsprinzip ergibt sich in diesem Zusammenhang aus den Freiheitsgewährleistungen als marktkonstituierenden Rechten; diese haben den grundsätzlichen Vorrang vor staatlichem Handeln. Ob sich die Forderung nach marktkonformem Handeln ohne Einschränkung erfüllen lässt, ist allerdings fraglich. So werden etwa Beihilfen zur Förderung bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten, auch wenn sie in Form eines Darlehens gewährt werden, nicht vollständig unter Marktbedingungen vergeben, sondern zu Sonderbedingungen unter Gesichtspunkten der staatlichen Wirtschaftspolitik; und verlorene Zuschüsse des Staates sind kaum mit privaten Schenkungen zu vergleichen. Die Teilnahme des Staates am Markt in privater Form (AG; GmbH) würde die Forderung grundsätzlich erfüllen, gleichwohl bestehen zu privaten Marktteilnehmern insofern Unterschiede, als der Staat als Steuerstaat andere finanzielle Quellen und Möglichkeiten hat als Private. Mit diesen Vorbehalten sind das Subsidiaritätsprinzip und die Forderung marktkonformen Handelns gleichwohl allgemein Gesichtspunkte der Eingrenzung bei einer Marktstrukturpolitik. Die Übertragung dieser Aufgabe auf Organisationen von Marktteilnehmern oder ihrer Vereinigungen, z. B. Industrieverbände oder Arbeitnehmer- und Verbrauchervereinigungen, stellt m. E. keine reine Marktkonformität dar, sondern hätte eher den Charakter einer wirtschaftspolitischen Selbstverwaltung von Marktteilnehmern. Dabei würde das für den Markt wesentliche Element des Wettbewerbs unter den Teilnehmern zugunsten von Kooperation im Gesamtinteresse verlassen. Immerhin wären Formen der Selbstverwaltung unter bestimmten Bedingungen einer unmittelbaren staatlichen Tätigkeit aus dem Gesichtspunkt der Sachnähe vorzuziehen. In der Ordnung der Europäischen Union wird den oben angesprochenen Marktschwächen mit einer Struktur- und Regionalpolitik zu begegnen versucht. Mit der Zielsetzung einer Stärkung des „wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“ (Art. 158 EGV; Art. III-220 VVfE) in der Union dient sie dem „Ausgleich der wichtigsten regionalen Ungleichgewichte“ (Art. 160 EGV; Art. III-222 VVfE) insbes. durch die finanzielle Förderung von Investitionen und Infrastrukturvorhaben. Aus der Zielsetzung, einen Ausgleich von regionalen Ungleichgewichten zu bewirken, ist zu entnehmen, dass der errichtete und weiter zu verwirklichende europäische Markt – normativ – eine gleichgewichtige Marktteilnahme gewähren soll, dass die tatsächlichen Marktbedingungen dies aber nicht gewährleisten. Durch die vorgesehene Förderung wird der Markt dabei nicht sich selbst überlassen, sondern durch die Europäische Hoheitsgewalt wird im Zusammenwirken mit den jeweiligen Mitgliedstaaten durch den Einsatz öffentlicher Mittel eine Verbesserung regionaler tatsächlicher Marktbedingungen im Sinne einer Angleichung an die Bedingungen des Gesamtmarktes zu bewirken versucht. Mit seiner Förderung wirkt der Staat lenkend auf das Marktgeschehen, d.h. den Wirt-

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schaftsprozess, ein, weil der Markt die Bedingungen, die er als Wettbewerbsordnung voraussetzt, nicht durch sich selbst herzustellen vermag. Gleichwohl wird auch durch eine solche Förderung der beabsichtigte Erfolg nicht ohne weiteres gewährleistet. Ebenso wenig wie ein Markt als tatsächlicher Handlungszusammenhang immer befriedigende Strukturen und Ergebnisse hervorbringt, ebenso wenig ist hoheitliches Handeln in Bezug auf die Wirtschaft fehlerlos. Wenn im Hinblick auf staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsprozess darüber gestritten wird, ob es überhaupt Marktschwächen oder Marktversagen gibt oder ob solches nicht nur auf Eingriffe des Staates zurückzuführen sei, so scheint mir dem eine unzureichende Auffassung über die Leistungsfähigkeit beider Ordnungen zugrunde zu liegen. Weder kann man von einem Markt als tatsächlichem Handlungszusammenhang – auch wenn er Bedingungen einer Wettbewerbsordnung unterliegt – erwarten, dass er zureichende Ergebnisse erbringt, noch kann man von Staat als politischer Ordnung erwarten, dass er die zutreffenden Maßnahmen zur Verbesserung der Marktergebnisse ergreift. Beide Ordnungen sind gleichermaßen – was eine Selbstverständlichkeit ist – in ihren tatsächlichen Handlungen und Ergebnissen fehleranfällig. Bei marktstrukturfördernden Maßnahmen des Staates allgemein und auch der europäischen Hoheitsgewalt wird es darauf ankommen und ist zu fordern, dass sie von einer angemessenen wirtschaftlichen Beurteilung der betreffenden Marktsituation ausgehen und grundsätzlich nur eine Anstoß- bzw. Anreizwirkung für die betreffenden Handlungen der Marktteilnehmer entfalten, im Übrigen aber deren Marktrationalität berücksichtigen. Verfehlt wären jedenfalls politische Tauschgeschäfte. Hier liegen wohl die Gefahren einer europäischen Marktstrukturpolitik, die dann statt die Marktrationalität anzustoßen die Rationalität der Anforderung von Finanzmitteln fördert. So wird von einer „Rentseeking-Mentalität“ gesprochen (Schäfer, S. 254). Im Hinblick auf das erhebliche Wohlstandsgefälle zwischen den „alten Mitgliedstaaten“ und den ostmitteleuropäischen Beitrittsstaaten könnte sich diese Gefahr verstärken. Wenn also auch der Staat aus politischen Gründen den Markt wegen der oben genannten Schwächen nicht einfach sich selbst überlassen kann, so muss er doch bei strukturfördernden Maßnahmen dessen eigene Rationalität beachten. b) Ein Markt als Wettbewerbsordnung konstituiert sich, wie dargelegt, durch die Gewährleistung von Freiheiten zur Marktteilnahme. Dabei setzt er die Fähigkeiten und das Vermögen zur Ausübung dieser Freiheiten bei den Marktteilnehmern voraus. Soweit diese Fähigkeiten und dieses Vermögen fehlen, können die betreffenden Personen nicht oder nicht hinreichend am Marktgeschehen teilnehmen. Die Gründe dafür können verschieden sein: Es kann an Marktbedingungen liegen oder durch persönliche Umstände verursacht sein. Persönliche Umstände wie Unfälle, Krankheiten und

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Behinderungen oder Alter, also die Wechselfälle und Unvermeidlichkeiten des Lebens, die jeden treffen können, vermögen eine erfolgreiche Teilnahme am Marktgeschehen zu verhindern. Dann führt der Wettbewerb dazu, dass unfähige Teilnehmer ausscheiden müssen. Den betreffenden Personen wird damit die Existenzgrundlage vorenthalten oder genommen. Vom Staat kann dieser Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt des Zusammenlebens der politischen Gemeinschaft, deren Organisation er darstellt, nicht gerechtfertigt und hingenommen werden. Damit wird das soziale Problem als Aufgabe des Staates im Verhältnis zum Markt gekennzeichnet. Der Markt als solcher ist nicht sozial in dem Sinne, dass bei gegebener Bedürftigkeit wegen nicht hinreichender Möglichkeit zur Marktteilnahme Hilfen geleistet würden. Wenn Hilfen angeboten werden, dann gegen marktgängige Gegenleistungen. Wer diese nicht erbringen kann, erhält deshalb keine Hilfe. Es lässt sich auch nicht begründet sagen, er sei deshalb sozial, weil er als Wettbewerbsordnung zu den besten wirtschaftlichen Ergebnissen führe, die dann jedenfalls den meisten zugute komme. Eine solche vom Utilitarismus geleitete Meinung lässt sich schwerlich vertreten, wenn man von Freiheitsrechten des Einzelnen ausgeht, aufgrund deren sich auch ein Markt konstituiert. Freiheit und Freiheitsausübung ist für jeden gefordert, was in den Gewährleistungen der Grund- und Menschenrechte zum Ausdruck kommt. Im Handlungszusammenhang des Marktes ist der Einzelne grundsätzlich nicht für die Erfolge der Freiheitsausübung anderer verantwortlich, sondern darf seine eigenen Interessen im Rahmen der Beachtung der Freiheit anderer verfolgen. Der Staat als Organisation der politischen Gemeinschaft, welche die Lebensbedingungen ihrer Mitglieder umfassend zum Zweck hat, ist jedoch für die materiellen Bedingungen ihrer Freiheitsausübung verantwortlich. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass der Staat nicht nur eine Ordnung darstellt, in der die Einzelnen im Rahmen der Freiheitsrechte ihren Zwecken und Interessen nachgehen können, sondern auch als ein „Unternehmen“ gemeinsamer Freiheitsausübung zu betrachten ist, sowohl bei der Ordnung und Sicherung gemeinsamer Freiheit als insbes. auch bei der Nutzung und Ausnutzung natürlicher Lebensgrundlagen und bei der Behauptung gegenüber anderen Staaten und Machtbildungen. Freiheit der Mitglieder wird insofern mit bestimmtem Inhalt gemeinsamer Zweck. Damit aber begründet sich grundsätzlich ein gegenseitiges Einstehen für die den Einzelnen treffenden Nachteile und Gefahren, die sich mit den Bedingungen des gemeinsamen Zusammenlebens allgemein ergeben und denen jeder in gleicher Weise ausgesetzt ist. Diese zu beheben und abzuwenden ist deshalb Aufgabe des Staates, der insofern als Sozialstaat zu bezeichnen ist. Es handelt sich um eine grundlegende rechtliche Verpflichtung. Aus dem allgemeinen Freiheitsprinzip ergibt sich jedoch, dass die Verantwortlichkeit des

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Staates unter dem Vorbehalt der Ausschöpfung der Selbsthilfemöglichkeiten des Einzelnen steht und ebenso unter dem Vorbehalt der Möglichkeiten der politischen Gemeinschaft. Der Umfang des einen und des anderen muss nach den jeweiligen Gegebenheiten unter dem Gesichtspunkt gerechter Lastenverteilung bestimmt werden. Genauere Maßstäbe lassen sich kaum angeben. Aus den genannten Gründen und mit den angegebenen Einschränkungen unterliegt der Markt bzw. seine Teilnehmer im Verhältnis zum Staat einer allgemeinen Sozialpflichtigkeit. Das bedeutet, dass auf dem Markt vorhandenes Vermögen und erzieltes Einkommen zur Finanzierung der sozialen Aufgaben des Staates belastet werden darf. Von der Marktrationalität her gesehen mag das als eine Art Umverteilung von Einkommen und Vermögen verstanden werden. Geht man jedoch von einer allgemeinen sozialen Verpflichtung der Mitglieder einer politischen Gemeinschaft aus, wird damit nur die Erfüllung dieser Verpflichtung eingefordert. Die soziale Verantwortlichkeit wird nach den europäischen Regelungen weit gefasst. Zu ihr gehören insbes. „die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“, ein „angemessener sozialer Schutz“, „der soziale Dialog“, „Entwicklung des Arbeitskräftepotentials“ und die „Bekämpfung von Ausgrenzungen“ (Art. 136 EGV; Art. III-209 VVfE). Die Zuständigkeit für diese Aufgaben bleiben in der Europäischen Union grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten; das gilt insbesondere für den Bereich der Sozialversicherung (P. Oberender/J. Zerth, S. 517). Damit bestehen unterschiedliche Sicherungssysteme und das Recht der Union beschränkt sich darauf, eine Koordinierung der verschiedenen Regelungen vorzunehmen. Um die für den europäischen Markt konstitutive Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, werden nach einer europäischen Verordnung (Nr. 1408/71) die sozialen Leistungen für die jeweils anderen Staatsangehörigen geöffnet und sozialversicherungserhebliche Beschäftigungszeiten gegenseitig angerechnet. Die Koordinierungspolitik geht derzeit darüber hinaus auf eine Angleichung der jeweiligen mitgliedstaatlichen Sicherungen dahin, dass für erwerbsfähige Erwerbslose „die für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Mittel zur Verfügung stehen“(vgl. Behning, S. 219). Auf diese Weise sollen die betreffenden Personen angehalten werden, Erwerbsarbeit aufzunehmen und soll soziale Ausgrenzung behoben und vermieden werden. Die Grenze der sozialen Verantwortlichkeit des Staates wird hier deutlich durch die Rationalität des Marktes bestimmt, nach der Arbeit auf dem Markt gesucht wird, nämlich bei kaum ausreichenden ohne Arbeit einkommenden Mitteln. Eine solche Grenzziehung ist allerdings nur dann vertretbar, wenn Arbeitsplatzangebote in angemessenem Umfang vorhanden sind. Ist das nicht der Fall und werden solche Angebote nicht gleichzeitig durch eine Marktstrukturpolitik zu schaffen versucht, lässt

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sich auf diese Weise eine soziale Ausgrenzung schwer vermeiden und der sozialen Verantwortlichkeit des Staates bzw. der Union wäre nicht genügt. Eine besondere Gruppe von Marktteilnehmern, nämlich die Beschäftigten, die durch ungünstige Marktbedingungen Nachteilen ausgesetzt sind, erfährt allerdings eine Förderung durch die Union. Für diese Gruppe ist ein Europäischer Sozialfond mit der Zielsetzung errichtet worden, „die berufliche Verwendbarkeit und die örtliche und berufliche Mobilität zu fördern sowie die Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme . . . zu erleichtern“ (Art. 146 EGV; Art. III-219 VVfE). Durch die europäische Hoheitsgewalt wird hierbei nicht unmittelbar in das Marktgeschehen eingegriffen, sondern gleichsam im Vorfeld die Teilnahmefähigkeit für den Arbeitsmarkt herzustellen und zu verbessern versucht. Die Marktrationalität wird grundsätzlich beachtet, die Wirksamkeit solcher Förderung hängt aber auch hier davon ab, ob Arbeitsplätze für die Geförderten vorhanden sind. Es kommt dann ebenso vorrangig auf eine Marktstrukturpolitik an, wobei für den europäischen Markt die oben angesprochenen Probleme einer solchen Politik bestehen.

IV. Das Verhältnis von Markt und Staat in der Ordnung der Europäischen Union wird zunächst grundlegend durch die marktkonstituierenden Grundsätze und Freiheiten bestimmt. Der europäische Markt zeigt sich durch die insofern gewährleisteten Teilnahmefreiheiten als eine Einrichtung und Veranstaltung der europäischen Hoheitsgewalt in Gestalt einer Wettbewerbsordnung. Vom Anspruch als Binnenmarkt her setzt er freilich eine einheitliche Staatsgewalt voraus, die wegen der rechtlichen Struktur der Union nicht vorhanden ist, insofern als wirtschafts- und finanzpolitische wie auch sozialpolitische Kompetenzen noch vielfach bei den Mitgliedstaaten liegen. Durch die somit bestehende gespaltene Staatlichkeit ergeben sich Unübersichtlichkeiten und Schwierigkeiten in diesem Verhältnis, die die für einen Markt erforderliche Ordnungssicherheit einschränken. Der politische Wettbewerb unter den Mitgliedstaaten liegt vielfach quer zu den Ordnungsgrundlagen des europäischen Marktes. Vermutlich werden jene Unübersichtlichkeiten und Reibungsflächen durch die vorgenommene Osterweiterung eher zunehmen, da eine Vereinheitlichung europäischer Hoheitsgewalt nicht zu erwarten ist, von den Folgen weiterer Erweiterungen ganz zu schweigen. Insofern bleibt die Frage, ob nicht für die europäische Ordnung eine Struktur konkurrierender Märkte insbes. im Hinblick auf die vertraglich anerkannte und zu beachtende „nationale Identität der Mitgliedstaaten“ (Art. 6 Abs. 3 EUV; Art. I-5(1) VVfE) angemessener wäre.

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Literatur Behning, Ute: Hartz IV und Europa, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/05, S. 217–227. Bergmann, Jan: Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf das öffentliche Leben und Recht, ZEuS Heft 1-2003, S. 103–134. Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 7. Aufl., Tübingen 2004. Gemper, Bodo: Wirtschaftspolitik, Heidelberg 1994. Kath, Dietmar: Geld und Kredit, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 3. Aufl. München 1988. Oberender, Peter/Zerth, Jürgen: Europäische Sozialpolitik, in: Kompendium Europäische Wirtschaftspolitik, München 2001. Schäfer, Wolf: EU-Osterweiterung, in: Kompendium Europäische Wirtschaftspolitik, München 2001. Woll, Artur: Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., München 1992.

Die geld- und währungspolitischen Regelungen des Maastricht-Vertrags aus traditioneller ordnungspolitischer Sicht Von Jan Franke-Viebach

I. Einleitung Zum Jahresbeginn 1999 begann die dritte Stufe der Europäischen Währungsunion (EWU). Seitdem ist der Euro die gemeinsame Währung der an der EWU teilnehmenden Länder. Die geldpolitische Verantwortung ging auf das Eurosystem über, bestehend aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZBen) der an der Währungsunion teilnehmenden Länder. Grundlage hierfür war die formale Errichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB 1998. Geistig verankert in den Traditionen der Ordnungspolitik Euckenscher Prägung und der auf ihr basierenden Sozialen Marktwirtschaft hat Bodo Gemper (1994, S. 26 ff.) auf die herausragende Bedeutung der Währungspolitik hingewiesen. Im folgenden soll die EWU aus dieser Sicht, d. h. aus der Perspektive der traditionellen deutschen Ordnungspolitik, betrachtet werden. Hierzu interpretieren wir die Einführung der EWU, also der gemeinsamen Geld- und Währungspolitik, als ordnungspolitische Maßnahme. Im einzelnen referieren wir zunächst in Abschnitt II. die einschlägigen Überlegungen Walter Euckens. Anschließend stellen wir in Abschnitt III. die wesentlichen Merkmale des Eurosystems als Träger der Geldpolitik dar. Schließlich bemühen wir uns um dessen ordnungspolitische Beurteilung.

II. Grundlagen der Ordnungspolitik, speziell im Bereich der Geld- und Währungspolitik 1. Was versteht man unter Ordnungspolitik? Nach Thieme (1994, S. 3) beinhaltet eine Wirtschaftsordnung Regeln und Institutionen, die für alle Wirtschaftssubjekte gelten und als längerfristig angelegte Rahmenbedingungen deren Entscheidungsspielraum abstecken. Ihr

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Zweck besteht darin, die Beziehungen zwischen Menschen, Gütern und Institutionen so zu ordnen, dass die Probleme arbeitsteiligen Wirtschaftens in der Gesellschaft möglichst gut gelöst werden: Allokation, Distribution, Stabilisierung, Abhängigkeit und wirtschaftliche Macht, Motivation und Sanktion, Ungewissheit und Effizienz des Tausches. Ordnungspolitik umfasst die Einführung wie auch die Änderung der Wirtschaftsordnung. Nach Berg/Cassel (1995, S. 207) beinhaltet sie die Einführung von Institutionen, die Zuweisung von Kompetenzen, die Bestimmung von Trägern und die Schaffung von Instrumenten. Aus dieser Sicht stellte die Schaffung der EWU, insbesondere die Einrichtung des Eurosystems, einen ordnungspolitischen Akt dar, denn sie beinhaltete: – die Einführung geld- und währungspolitischer Institutionen, – die Zuweisung geld- und währungspolitischer Kompetenzen an diese Institutionen als Träger, – die Schaffung geld- und währungspolitischer Instrumente. 2. Stabilitätsdisziplin und Gestaltungsprinzipien Nach Gemper (1994, S. 21 ff.) ist die Wirtschaftsordnung – und damit auch die Währungsordnung – Ausdruck von Gestaltungsprinzipien. Diese beruhen auf moralischen Überzeugungen und haben eine hervorragende Bedeutung für die soziale Marktwirtschaft (ebenda, S. 33). Sie schlagen sich nämlich in Ordnungsgrundsätzen nieder, die der Wirtschafts- und Währungsordnung zugrunde liegen, und bestimmen auch den Geist der laufenden Wirtschafts- und Währungspolitik. Was die soeben erwähnten Überzeugungen angeht, so ist aus deutscher Sicht vor allem auf die – von Gemper in all seinen Schriften stets betonte – „Stabilitätsdisziplin“ hinzuweisen. Gemeint ist damit die Überzeugung, dass die Stabilität von Währung und Finanzen ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Ziel ersten Ranges sei. Den wirtschaftshistorischen Hintergrund dieser Auffassung bilden nicht zuletzt die beiden Währungszusammenbrüche in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Den wirtschaftstheoretischen Hintergrund liefern die Analysen der geistigen Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre Beiträge haben das Gempersche Denken nachhaltig geprägt. An vorderster Stelle sind hier die Mitglieder der sog. Freiburger Schule zu nennen. Es handelte sich dabei um eine Gruppe liberaler Ökonomen und Juristen, die das ordnungspolitische Denken vorangetrieben haben (Ordoliberale); ihr geistiges Zentrum war von Ende der 30er bis in die 50er Jahre hinein Freiburg i. B. (vgl. Thieme 1994, S. 16). Einige ihrer Mitglieder (Franz Böhm,

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Walter Eucken) waren auch Dozenten an der Universität Jena, in Gempers Heimatstadt (vgl. Gemper 1983). Wir wollen im Folgenden prüfen, ob das Geflecht der geld- und währungspolitischen Institutionen, Kompetenzen und Instrumente der EWU ein „Fundament, in welchem die gesamtwirtschaftlichen Stabilitätsziele . . . ihren Halt finden“ (Gemper 1994, S. 23), hat. Ganz im Gemperschen Sinne ziehen wir als Kriterien die von Walter Eucken (1952, S. 254 ff.) formulierten „Konstituierenden Prinzipien“ einer wettbewerblichen Wirtschaftsordnung heran, soweit sie für die ordnungspolitische Beurteilung der EWU wichtig sind. 3. Euckens „Konstituierende Prinzipien“, speziell im Bereich der Geld- und Währungspolitik Konstituierende Prinzipien kommen nach Eucken (1952, S. 253) bei der Herstellung einer Wettbewerbsordnung zum Tragen. Anschließend sind sog. regulierende Prinzipien zu beachten, um die Wettbewerbsordnung funktionsfähig zu halten. Im vorliegenden Kontext der ordnungspolitischen Beurteilung der neu etablierten EWU beschränken wir uns auf die konstituierenden Prinzipien. Eucken arbeitet sieben konstituierende Prinzipien heraus, um in einem achten Punkt deren Untrennbarkeit zu unterstreichen: 1. „Das Grundprinzip: Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz“, 2. „Primat der Währungspolitik – Der währungspolitische Stabilisator“, 3. „Offene Märkte“, 4. „Privateigentum“, 5. „Vertragsfreiheit“, 6. „Haftung“, 7. „Konstanz der Wirtschaftspolitik“, 8. „Die Zusammengehörigkeit der konstituierenden Prinzipien“. Im vorliegenden Kontext der EWU sind die Prinzipien 2., 3. und 7. von besonderem Interesse. Bevor wir deren Inhalte betrachten, müssen wir vorab auf das unter Punkt 1. genannte Prinzip kurz zu sprechen kommen. Maßgeblich hierfür ist nicht nur die in 8. genannte Zusammengehörigkeit aller Prinzipien, sondern auch die zentrale Bedeutung, die Eucken (1952, S. 254 f.) diesem Prinzip beimisst: „Die Hauptsache ist es, den Preismechanismus funktionsfähig zu halten.“ Maßgeblich für dieses Grundprinzip sei die Bedeutung des Preissystems für die Koordination der einzelwirtschaftlichen Pläne (ebenda, S. 246).

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Deshalb sei das „Denken in Preisrelationen“ wichtig. Insbesondere sei bei jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme zweierlei zu beachten: – die Funktionsfähigkeit des Preissystems dürfe nicht – etwa durch Beeinträchtigung des Wettbewerbs – beeinträchtigt werden, – es müsse beachtet werden, wie eine konkrete wirtschaftspolitische Maßnahme – bei gegebenem Wettbewerb – „das Gesamtsystem der Preise und damit die ganze Lenkung des Wirtschaftsprozesses“ beeinflusse. Eucken (1952, S. 254) nennt es das „wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundprinzip“, dass „die Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz zum wesentlichen Kriterium jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme gemacht wird.“ Wenden wir uns nun dem zweiten „konstituierenden Prinzip“ einer Wettbewerbsordnung zu, dem „Primat der Währungspolitik – Der währungspolitische Stabilisator“. Nach Eucken (1952, S. 256) ist „eine gewisse Stabilität des Geldwertes“ für eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung unabdingbar: genau deshalb komme der – den Geldwert stabilisierenden – Währungspolitik eine herausragende Rolle, das Primat, zu. Eucken begründet die Bedeutung eines stabilen Geldwertes wie folgt: – Bei Inflation steigen die Preise ungleichmäßig, so dass die Preisrelationen nicht mehr den Knappheitsrelationen entsprechen. Aufgrund dieser Fehlinformationen büßt das Preissystem seine Fähigkeit ein, „den Wirtschaftsprozess zureichend zu dirigieren“. Es kommt daraufhin zu Fehlallokationen und Umverteilungen von Gläubigern zu Schuldnern. – Im Fall einer Deflation kommt es ebenfalls zu Fehlallokationen und zu Umverteilungen (in umgekehrter Richtung, also von Schuldnern zu Gläubigern). Eine Stabilisierung des Geldwertes durch eine entsprechende „Konstruktion der . . . Währungsverfassungen“ bedeutet also nicht, dass „die Wirtschaft der Währung geopfert“ wird, sondern stellt eine unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft heraus. Wie sollte eine „gute Währungsverfassung“ gestaltet sein? Nach Meinung von Eucken sollte die Geldversorgung der Wirtschaft „möglichst automatisch funktionieren“. Konkret empfiehlt er eine „Waren-Reserve-Währung“, in der die Geldmenge bei sinkenden Preisen eines Referenz-Warenkorbs durch Ankäufe dieses Korbs erhöht und bei steigenden Preisen durch Verkäufe reduziert wird. Maßgeblich für die Forderung nach einem Automatismus in der Geldversorgung ist das Misstrauen in die Fähigkeiten und den guten Willen der Geldpolitiker: – Zum einen sei für sie die „Versuchung . . . übergroß“, mit Mitteln einer inflationären Geldpolitik die Beschäftigung zu stimulieren. „Eine solche

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Geldpolitik verfährt wie ein Baumeister, der anstatt dem Gebäude ein solides Fundament zu geben, seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf das Dach konzentriert.“ – Zum anderen habe der Staat ein Interesse an einer Niedrigzinspolitik, um seine Schulden leichter bedienen zu können. Insbesondere hebt Eucken als Vorzug einer automatischen Geldversorgung die Unabhängigkeit der Geldpolitik „von den staatlichen Instanzen, . . ., z. B. vom Finanzministerium“ hervor. In ökonomischer Hinsicht ist bei der von Eucken favorisierten Waren-Reserve-Währung neben der erwähnten Orientierung an einem Inflationsziel auch auf die Unabhängigkeit der Geldversorgung von der Kreditvergabe der Banken hinzuweisen. Die Mitwirkung der Kreditinstitute bei der Geldschöpfung sei die „eigentliche Ursache der Unstabilität“. Sie sei zu ersetzen durch einen „rationalen Automatismus, . . . eine sinnvolle Regulierung der Geldmenge nach gewissen festgelegten Spielregeln“, nämlich gemäß dem erwähnten Waren-Reserve-System. Das vorstehend als drittes konstituierendes Prinzip genannte Postulat der offenen Märkte beinhaltet die Forderung nach einer aktiven Wettbewerbspolitik des Staates. Er habe alle eigenen und privaten Maßnahmen zu unterlassen bzw. zu bekämpfen, die „den Zuzug von Menschen und Kapital in ein Gewerbe behindern“. Hiervon gebe es nur wenige Ausnahmen, etwa das Monopol der Zentralbank zur Ausgabe von Banknoten. Schutzzölle lehnt Eucken (1952, S. 267) nicht völlig ab, weist aber darauf hin, dass sie die Monopolbildung erleichtern. Schließlich fordert Eucken (1952, S. 285 ff.), wie erwähnt, die „Konstanz der Wirtschaftspolitik“: „Die Wirtschaftspolitik stelle einen brauchbaren wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmen für den Wirtschaftsprozess her; an diesem Rahmen halte sie beharrlich fest und ändere nur mit Vorsicht.“ Wir notieren auch, dass Eucken nicht von einem guten oder gar perfekten Rahmen spricht; selbst ein (nur) brauchbarer Rahmen soll nicht ohne weiteres geändert werden! Eine rasch wechselnde Wirtschaftspolitik – und hiermit meint Eucken nicht nur die Ordnungspolitik – erhöhe nämlich die Unsicherheit der unternehmerischen Investitionsplanungen. Dies verkürze zum einen den Planungshorizont und damit die von Unternehmen geforderte Amortisationsdauer. Langfristige Projekte unterblieben, das Investitionsvolumen nehme ab, und Produktion und Beschäftigung würden beeinträchtigt. Zum anderen entstehe ein Anreiz zur Konzentration: um das Risiko der unternehmerischen Tätigkeit zu reduzieren, kaufe man Firmen, die in anderen als dem eigenen Geschäftsbereich tätig seien.

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III. Der ordnungspolitische Rahmen der gemeinsamen Geld- und Währungspolitik Die folgenden Darstellungen in diesem Abschnitt III. orientieren sich an Kißmer (2000, S. 9 ff.), Görgens/Ruckriegel/Seitz (1999, S. 23 ff., 103 ff.), EZB (2004, S. 14 ff., 75 ff.) 1. Rechtsgrundlagen Die gültige Rechtsgrundlage der Europäischen Union (EU) und damit auch der Europäischen Währungsunion bildet seit Februar 2003 der Vertrag von Nizza (einschließlich der beigefügten Protokolle und Erklärungen). Er übernimmt die Regelungen hinsichtlich der Währungsunion, die im sog. Maastricht-Vertrag (EU-Vertrag) fixiert wurden. Dieser Vortrag war schon im November 1993 in Kraft getreten und verweist als Mantelvertrag auf bereits bestehende Verträge, u. a. den EG-Vertrag. Der Maastricht-Vertrag definiert drei Stufen des Übergangs zur einheitlichen Währung. Mit Eintritt in die dritte Stufe am 1. Januar 1999 wurde der Euro unwiderruflich als gemeinsame Währung der an der Währungsunion teilnehmenden Staaten eingeführt. Zugleich wurden dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) insbesondere die Zuständigkeit für die Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet übertragen (Art. 105 (2) EG-Vertrag). 2. Die Institutionen der Geld- und Währungspolitik: Organe und Entscheidungsstrukturen Das ESZB besteht aus der EZB und den NZBen aller Mitgliedstaaten der EU. Der Begriff „Eurosystem“ taucht in den o. g. Verträgen nicht auf, sondern wurde vom EZB-Rat eingeführt (der EZB-Rat ist das oberste Beschlussorgan der EZB; s. u.). Das Eurosystem umfasst neben der EZB nur die NZBen derjenigen Länder, die den Euro eingeführt haben; nur diese NZBen wirken maßgebend an der gemeinsamen Geldpolitik mit. ESZB

Eurosystem

EZB NZBen der Euroländer

NZBen der EU-Länder, die nicht den Euro eingeführt haben

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Die EZB, die im Gegensatz zum Eurosystem und zum ESZB eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, nimmt im Eurosystem eine besondere Stellung ein (vgl. Kißmer 2000, S. 13): – ihre Beschlussorgane leiten das Eurosystem, – sie soll die Erfüllung der Aufgaben des Eurosystems sicherstellen, – sie hat das Monopol der Genehmigung der Emission von Banknoten, die auf Euro lauten (und muss zudem der Ausgabe der Euro-Münzen zustimmen), – der EZB-Rat bestimmt die Geldpolitik. Zwar wird die Geldpolitik zentral und einheitlich für alle EU-Länder formuliert. Allerdings wirken die NZBen an der Entscheidungsfindung maßgeblich mit, denn ihre Präsidenten stellen die Mehrheit im EZB-Rat. Ihm gehören – neben den Präsidenten der NZBen – die sechs Direktoriumsmitglieder der EZB an. EZB-Rat

Direktorium der EZB (6 Mitglieder)

Präsidenten der am Euro teilnehmenden NZBen (derzeit 12)

Die Mitglieder des Direktoriums sollen Persönlichkeiten sein, die in Währungs- und Bankfragen anerkannt und erfahren sind. Sie werden von den Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder einvernehmlich ernannt, während die Präsidenten der NZBen entsprechend den nationalen Gesetzen berufen werden. Als oberstes Beschlussorgan bestimmt der EZB-Rat Leitlinien, damit das Euro-System die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt. Insbesondere entscheidet er, wie erwähnt, über die Geldpolitik. Bei geldpolitischen Abstimmungen hat jedes Mitglied des EZB-Rats eine Stimme; die Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit getroffen, wobei das Votum des EZB-Präsidenten bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt. Das Direktorium ist das oberste ausführende Organ des Eurosystems. Es verantwortet die Umsetzung der vom EZB-Rat festgelegten Geldpolitik. Dabei erteilt es den NZBen, die gemäß Maastricht-Vertrag an der Durchführung der Geldpolitik beteiligt werden, die erforderlichen Weisungen.

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3. Kompetenzen in der Geld- und Währungspolitik: Ziele, Aufgaben und Freiräume Nach Art. 105 (1) des EG-Vertrages ist Preisstabilität das vorrangige Ziel des Eurosystems. Nur soweit dies Ziel nicht beeinträchtigt wird, hat das Eurosystem die allgemeine Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft zu unterstützen. Es muss „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ handeln und dabei die folgenden weiteren „richtungsweisenden Grundsätze“ (Art. 4) beachten: gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz. Nach Art. 105 (2) des EG-Vertrages haben das ESZB und damit das Eurosystem die folgenden „grundlegenden Aufgaben: – die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen, – Devisengeschäfte im Einklang mit Artikel 111 durchzuführen, – die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten, – das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern.“ Die erstgenannte Aufgabe weist dem Eurosystem die Funktion einer geldpolitischen Instanz zu. Wie bereits erwähnt, hat hier der EZB-Rat die alleinige geldpolitische Entscheidungskompetenz. Lediglich bei der Umsetzung der Entscheidungen kommt es zu einer Dezentralisierung in Form der Beteiligung der NZBen, wobei freilich der EZB-Rat festlegt, wer konkrete geldpolitische Maßnahmen durchführt. Die Funktion der EZB als Notenbank wird in Art. 106 ausgeführt. Danach hat sie das Monopol der Genehmigung der Ausgabe von Banknoten in der Gemeinschaft. Zudem genehmigt sie den Umfang, in dem die Mitgliedstaaten Euro-Münzen emittieren dürfen. Die Funktion als „Bank der Banken“ wird im letzten vorstehend aufgeführten Unterpunkt von 105 (2) angesprochen, wonach das ESZB das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern hat. Zu diesem Zweck leitet, steuert und kontrolliert der EZB-Rat das sog. TARGET-System. Dabei handelt es sich um ein einheitliches Zahlungsverkehrssystem, das für alle Zahlungen im Zusammenhang mit den geldpolitischen Operationen des Eurosystems obligatorisch ist. Es soll zur Schaffung eines einheitlichen Geldmarktes mit einem einheitlichen Geldmarktzins beitragen, indem es die schnelle Beseitigung von Zinsunterschieden durch Arbitrage fördert (vgl. Kißmer 2000, S. 17). Unklar ist, inwieweit die in Absatz 5 des Art. 105 angesprochene Aufgabe des ESZB eine „Feuerwehr“-Funktion in

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Form eines Lender of Last Resort begründet; gemäß Absatz 5 trägt das ESZB nämlich „. . . zur reibungslosen Durchführung der von den zuständigen Behörden auf dem Gebiet der Aufsicht über die Kreditinstitute und der Stabilität des Finanzsystems ergriffenen Maßnahmen bei.“ Die o. g. Aufgaben der Durchführung von Devisengeschäften und der Verwaltung der Währungsreserven der Gemeinschaft sprechen die Rolle des ESZB als Währungsbank an. Zwar fallen grundlegende wechselkurspolitische Entscheidungen nicht in die Kompetenz des Eurosystems. Vielmehr obliegt nach Art. 111 zum einen die Einführung eines Festkurssystems mit anderen Währungen dem Ministerrat. Eine solche Entscheidung ist aber an mehrere Voraussetzungen gebunden: – der Ministerrat muss sie einstimmig befürworten, – sie muss auf Empfehlung der EU-Kommission mit anschließender Anhörung der EZB zustande kommen. Dabei muss diese Anhörung „in dem Bemühen, zu einem mit dem Ziel der Preisstabilität in Einklang stehenden Konsens zu gelangen“, stehen, – das EU-Parlament muss gehört werden. Zum anderen kann der Ministerrat der EZB auch für den Fall flexibler Kurse „allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik“ geben. Für derartige Orientierungen gelten die soeben genannten Voraussetzungen, wobei jedoch die Entscheidung des Ministerrats nur eine qualifizierte Mehrheit erfordert. Dies gilt auch für die Änderung von Leitkursen, nachdem ein Festkurssystem eingeführt wurde. Was die Funktion einer Hausbank des Staates betrifft, so ist dem Eurosystem die Kreditgewährung an die Mitgliedstaaten bzw. die Gemeinschaft verboten (Art. 101 EG-Vertrag). Die NZBen dürfen lediglich die Konten der öffentlichen Stellen führen sowie als „fiscal agent“ Kurspflege für Wertpapiere betreiben, die von der öffentlichen Hand emittiert wurden. Neben der erwähnten vertraglichen Fixierung der Preisstabilität als primärem Ziel der Geldpolitik stellt die Unabhängigkeit der geldpolitischen Instanzen eine wichtige Voraussetzung einer optimalen Geldverfassung dar. Diese Voraussetzung versucht der EG-Vertrag zu schaffen. So legt Art. 108 fest, dass das Eurosystem in der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht an Weisungen der Regierungen oder der Gemeinschaft gebunden ist (institutionelle Unabhängigkeit). Damit ist zugleich eine weitgehende funktionelle Unabhängigkeit gewährleistet, d. h. das ESZB kann den Einsatz der ihm zugewiesenen Instrumente (s. u.) selbst festlegen. Die personelle Unabhängigkeit der Mitglieder des EZB-Direktoriums soll durch lange Amtszeiten von acht Jahren und ein Verbot der Wiederernennung gewährleistet werden (Art. 112). Allerdings gelten für die Präsidenten der NZBen die jeweiligen

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nationalen Regelungen. Schließlich soll Artikel 28 des „Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank“ die finanzielle Unabhängigkeit des Eurosystems gewährleisten. Er gesteht der EZB ein eigenes Kapital zu, das zudem allein durch die NZBen gezeichnet wird. 4. Die Instrumente der Geld- und Währungspolitik Der EZB-Rat hat seine geldpolitischen Instrumente so einzusetzen, dass sie der Erreichung seiner Ziele dienen, insbesondere also der Stabilität des Geldwerts. Konkret versucht das Eurosystem, die kurzfristigen Geldmarktsätze zu steuern, um so letztlich das Preisniveau zu beeinflussen; vgl. EZB (2004, S. 75). Die Geldmarktzinsen werden gesteuert durch Signale hinsichtlich des geldpolitischen Kurses sowie durch die Steuerung der Liquiditätsversorgung am Geldmarkt. Grundlage für die Fähigkeit zur Kontrolle der Liquiditätsbedingungen und damit der Zinsen am Geldmarkt ist das Monopol der EZB als Anbieter der sog. monetären Basis (Bargeldumlauf, Reserveguthaben und in Anspruch genommene Einlagefazilitäten beim Eurosystem). Die wichtigste Instrumentengruppe sind die Offenmarktgeschäfte. Sie werden auf Initiative der EZB durchgeführt und spielen eine wichtige Rolle bei der Lenkung der Liquidität und der Zinssätze am Geldmarkt sowie bei der Signalisierung des geldpolitischen Kurses. Die Mittelbereitstellung erfolgt normalerweise für einen befristeten Zeitraum, d. h. die EZB kauft Aktiva im Rahmen einer Rückkaufsvereinbarung (sog. Pensionsgeschäfte) oder gewährt Kredite gegen Stellung von Sicherheiten. So beträgt die Laufzeit der Hauptrefinanzierungsgeschäfte zwei Wochen. Diese Geschäfte sind das wichtigste geldpolitische Instrument des Eurosystems: über sie wird dem Bankensystem der Großteil der Liquidität bereitgestellt. Der Zinssatz für diese Geschäfte ist der wichtigste Zinssatz des Eurosystems. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der Tagesgeldsatz zwischen Banken – abgesehen von kurzfristigen Ausschlägen – tatsächlich eng am Hauptrefinanzierungssatz liegt. Neben den Hauptrefinanzierungsgeschäften bietet die EZB den Kreditinstituten verschiedene weitere Formen von Offenmarkttransaktionen an, die z. T. der befristeten Bereitstellung von Liquidität dienen. Im Gegensatz zu den Offenmarktgeschäften können die sog. ständigen Fazilitäten der EZB von den Kreditinstituten auf eigene Initiative in Anspruch genommen werden. So können die Banken im Rahmen der Spitzenrefinanzierungsfazilität Übernachtkredite gegen Sicherheiten aufnehmen. Allerdings berechnet die EZB hierfür einen Zins, der deutlich oberhalb des

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entsprechenden Marktzinssatzes liegt; er bildet u.a. die Obergrenze des Tagesgeldsatzes. Umgekehrt bildet der Satz der Einlagefazilität dessen Untergrenze. Diese Fazilität bietet den Kreditinstituten die Möglichkeit, überschüssige Liquidität bei der EZB über Nacht anzulegen zu einem vorgegebenen Zinssatz (Einlagesatz). Zusammenfassend bleibt festzuhalten: – durch Festsetzen der Zinssätze für die ständigen Fazilitäten bestimmt der EZB-Rat den Korridor, innerhalb dessen der Tagesgeldsatz zwischen Banken am Geldmarkt schwankt, – der Tagesgeldsatz liegt nahe dem Hauptfinanzierungssatz der EZB. Um der EZB die Steuerung der Geldmarktsätze über die o. g. Geldmarktgeschäfte zu erleichtern, ist eine „strukturelle Liquiditätsknappheit im Bankensystem“ (EZB 2004, S. 84) hilfreich. Um den damit angesprochenen Bedarf der Kreditinstitute an Zentralbankgeld zu erhöhen, verlangt die EZB die Haltung von Mindestreserven. Die Geschäftsbanken müssen also auf Girokonten bei den NZBen Pflichteinlagen halten, die sich als Prozentsatz bestimmter Bilanzverbindlichkeiten der Banken berechnen. Die Mindestreservepflicht muss nur im Monatsdurchschnitt, nicht aber an jedem einzelnen Tag erfüllt sein. Deshalb können die Banken tägliche Liquidationsschwankungen glätten, indem sie vorübergehende Unterfüllungen der Reservepflicht durch Überfüllungen an anderen Tagen ausgleichen. Die damit verbundene „intertemporale Arbitrage“ (EZB 2004, S. 84) trägt zur Stabilisierung der Geldmarktzinsen bei. Um das Mindestreservesystem möglichst marktkonform zu gestalten, werden die Mindestreserveguthaben der Banken verzinst mit dem Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte, also praktisch zum Tagesgeldsatz des Geldmarktes. Anders als beim ehemaligen Mindestreservesystem der Deutschen Bundesbank wird den Banken so kein Anreiz geboten, ihre Geschäftstätigkeit an mindestreservefreie ausländische Bankplätze zu verlagern.

IV. Beurteilung der europäischen Geld- und Währungspolitik aus der Sicht der Euckenschen „Konstituierenden Prinzipien“ 1. „Funktionsfähiges Preissystem vollständiger Konkurrenz“ Wie in Abschnitt III. 3. erwähnt, muss die EZB grundsätzlich „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ handeln. Im einzelnen gibt es in den Verträgen und Protokollen des Maastricht-Vertrags und seinen Nachfolge-Verträge nur eine Stelle, die eine eindeutige Einschränkung des Preismechanismus ermöglicht, nämlich die Einführung eines festen Wechselkurses. Allerdings sind die Hürden für

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eine solche Maßnahme erheblich (einstimmige Entscheidung des EU-Ministerrats, Konsens mit der EZB). Im Übrigen setzt die EZB auch bei dem Einsatz ihrer geldpolitischen Maßnahmen auf den Wettbewerb, so etwa in Form des Tenderverfahrens bei den Offenmarktgeschäften (vgl. Görgens/ Ruckriegel/Seitz 1999, S. 114). Insgesamt scheint der Preiswettbewerb durch die ordnungspolitischen Grundlagen der europäischen Geld- und Währungspolitik nicht in Frage gestellt. 2. „Offene Märkte“ Die Vorschrift des Leitbildes einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichtet die EZB in ihrem Bereich zu entsprechenden Verhaltensweisen. Dies gilt etwa bei der Zulassung von Geschäftsbanken als Partner von geldpolitischen Transaktionen. Ebenso gilt es bei der Akzeptanz von Finanztiteln, die im Rahmen der Offenmarktpolitik angekauft werden. Eine Durchsicht der entsprechenden Vorschriften lässt ungebührliche Beschränkungen des Wettbewerbs nicht erkennen, also Einschränkungen, die nicht aus dem erforderlichen Sicherheitsbedürfnis der EZB als Verwalterin öffentlicher Mittel oder aus der Notwendigkeit eines stabilen Finanzsystems entspringen. Dass der EZB das Monopol der (Genehmigung der) Emission von Banknoten zusteht, entspricht völlig dem unter Punkt III. 4. referierten Denken Walter Euckens. 3. Stabilität des Geldwertes: „Primat der Währungspolitik“ Das primäre Ziel der gemeinsamen Geld- und Währungspolitik ist nach Art. 105 (1) EG-Vertrag die Preisstabilität. Dies steht völlig im Einklang mit dem entsprechenden Euckenschen Postulat. Darüber hinaus treffen der Maastricht-Vertrag und das „Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB“ Vorkehrungen hinsichtlich der von Eucken geforderten Unabhängigkeit der geldpolitischen Instanzen. Insofern wird der Euckenschen Forderung entsprochen, die Geld- und Währungspolitik nicht für Zwecke der Beschäftigungsförderung oder der Finanzierung des Staatshaushalts heranzuziehen. Dieser Forderung dient ganz besonders auch Art. 101 EG-Vertrag, welcher der EZB die Kreditgewährung an die Mitgliedstaaten bzw. die Gemeinschaft verbietet. Gleichwohl ist kritisch anzumerken, dass eine „politische“ Geldpolitik, die etwa aus beschäftigungs- oder finanzpolitischen Gründen eine Politik des niedrigen Zinses betreibt, nicht völlig ausgeschlossen ist. Die nationalen Regierungen können nämlich versuchen, Einfluss auf die Geldpolitik über

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die Wahl und Wiederwahl der NZB-Präsidenten auszuüben: Während, wie in Abschnitt III. 3. erläutert, eine Wiederernennung von Mitgliedern des Direktoriums nicht möglich ist, gilt dies nicht für die Präsidenten der NZBen. Zudem können nationale Regierungen ein geldpolitisches „Wohlverhalten“ eines Direktoriumsmitglieds zu gewinnen versuchen, indem sie ihm die (zulässige!) spätere Berufung als NZB-Präsident oder in ein anderes politisches Amt in Aussicht stellen. Allerdings bietet die nationale, mentalitätsmäßige und politische Vielfalt der Mitglieder des EZB-Rats eine gewisse Gewähr, dass in der praktischen Geldpolitik die vorgeschriebene Stabilitätsorientierung nicht stillschweigend zugunsten anderer Ziele zurückgestellt wird. Zwar erfüllt die Geldversorgung der Wirtschaft in den Euro-Staaten nicht das in Abschnitt II. 2. referierte Euckensche Postulat eines Automatismus in Form einer Waren-Reserve-Währung. Eine derartige Vorstellung hat sich in den Jahrzehnten seit Euckens geistiger Prägung allein schon von der Technik der Geldpolitik und der Finanzmärkte überlebt. Immerhin entspricht die Zielvorgabe für die Eurogeldpolitik in Form der Preisstabilität dem Leitmotiv Euckens. Eine ernste Gefahr für die stabilitätsorientierte Geldmengensteuerung stellt nur die in Abschnitt III. 3. skizzierte Möglichkeit zur Einführung fester Wechselkurse sowie zu kursbeeinflussenden Devisenmarktbegriffen bei flexiblen Kursen dar. Die damit verbundenen Interventionen am Devisenmarkt können Geldmengenänderungen mit sich bringen, welche die Preisstabilität beeinträchtigen. Allerdings gibt es vor allem für die Einführung von festen Kursen, in geringerem Maße auch für wechselkurspolitische „Orientierungen“ bei flexiblem Kurs die beschriebenen institutionellen Hürden.

4. „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ In den rechtlichen Grundlagen des ESZB findet sich kein expliziter Hinweis darauf, dass die Geld- und Währungspolitik es vermeiden sollte, durch rasche Wechsel Unsicherheit in den Wirtschaftsprozess hineinzutragen. Allenfalls sehr indirekt lässt sich herleiten, dass das Eurosystem hierzu angehalten ist, die Euckensche Begründung der „Konstanz der Wirtschaftspolitik“, vor allem die Vermeidung der Verunsicherung der Investoren, ist allgemein für eine Marktwirtschaft akzeptiert; die Maßgabe des MaastrichtVertrags, dass die EZB ihr Handeln an einer nach außen offenen Marktwirtschaft auszurichten hat, lässt sich dann auch als Forderung nach einer gewissen Berechenbarkeit der Geld- und Währungspolitik interpretieren.

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V. Fazit In diesem Beitrag haben wir versucht, die vertraglichen Grundlagen der gemeinsamen Geld- und Währungspolitik der EWU-Staaten aus der ordnungspolitischen Sicht Euckenscher Prägung zu betrachten. Dazu haben wir in Abschnitt II. die relevanten Ideen Walter Euckens referiert. Abschnitt III. war den vertraglichen Grundlagen der gemeinsamen Geld- und Währungspolitik gewidmet. Als Ergebnis der in Abschnitt IV. unternommenen Betrachtung dieser Grundlagen aus Euckenscher Perspektive ist festzuhalten, dass der Maastricht-Vertrag einschließlich seiner geld- und währungspolitisch relevanten Zusätze der Euckenschen ordnungspolitischen Forderung nach einem „brauchbaren wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmen für den Wirtschaftsprozess“ entspricht. Insoweit ist die skeptische Haltung Gempers (1992) zur EWU zu relativieren. Abschließend beachten wir, dass Eucken keine Anforderungen an die Finanzpolitik als flankierende Rückendeckung für die Geldpolitik gestellt hat. Die entsprechenden Passagen im Maastricht-Vertrag sowie im StabilitätsPakt, wonach die jährliche Neuverschuldung sowie die Höhe des staatlichen Schuldenstands bestimmte Grenze nicht übersteigen sollen, haben wir deshalb nicht thematisiert. Vielleicht kann die Euckensche Vernachlässigung Anlass geben, die gegenwärtige Misere der Staatsfinanzen gelassener zu sehen, wenn auch nur aus geld- und währungspolitischer Sicht. Literatur Berg, Hartmut/Cassel, Dieter (1995): Theorie der Wirtschaftspolitik. In: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Band 2, 6. Aufl., S. 163–238. München. Eucken, Walter (1952): Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Bern/Tübingen. Europäische Zentralbank (2004): Die Geldpolitik der EZB. Frankfurt am Main. Gemper, Bodo (1994): Wirtschaftspolitik. Ordnungspolitische Grundlagen. Heidelberg. – (1992): Keine Experimente mit der Stabilität. In: Diagonal. Zeitschrift der Universität – GH Siegen zum Thema „Experimente“. – (1983): Die Jenaer Wegbereiter der Freiburger Schule. In: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 18. Jg., Heft 4. Görgens, Egon/Ruckriegel, Karlheinz/Seitz, Franz (1999): Europäische Geldpolitik. Düsseldorf. Kißmer, Friedrich (2000): Geldpolitik. Kurseinheit 2: Die Geldpolitik in der Europäischen Währungsunion. FernUniversität in Hagen. Thieme, H. Jörg (1994): Soziale Marktwirtschaft. Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung. 2. Aufl. München.

Das Scheitern des Europäischen Stabilitätspakts oder: Wie glaubwürdig ist europäische Politik? Von Werner Steuer Auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Währungspolitik hat die Europäische Union ehrgeizige Projekte hervorgebracht: die Liberalisierung der Märkte, den gemeinsamen Binnenmarkt und schließlich die Währungsunion zwischen 12 der mittlerweile 25 Mitglieder. Darüber hinaus setzte sie sich auf dem Gipfel von Lissabon (2000) das Ziel, binnen eines Jahrzehnts wettbewerbsfähigster und dynamischster Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Diese Bilanz erscheint auf den ersten Blick überaus eindrucksvoll. Doch bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass die zentralen Grundprobleme ungelöst blieben. Während der Binnenmarkt unvollkommen ist und gegen protektionistische Tendenzen in den Mitgliedstaaten verteidigt werden muss1, erweisen sich die Fundamente der Währungsunion – Haushaltsdisziplin und stabilitätsgerechte Geldpolitik – als brüchig. Zwar ist die Währungsunion mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und einer unabhängigen, der Geldwertstabilität verpflichteten Zentralbank institutionell gut ausgestattet. Es mangelt aber an der Bereitschaft der Politik, dieses Regelwerk voll zur Wirkung kommen zu lassen. Seit Jahren verletzen Frankreich und Deutschland die Normen des Pakts – schlimmer noch: beide Länder widersetzen sich dem vertraglichen Sanktionsverfahren und verlangen mit aller Macht eine Aufweichung der Haushaltsregeln. Damit nicht genug, drängen sie die Europäische Zentralbank, ihre ohnehin überexpansive Geldpolitik durch Zinssenkungen weiter zu lockern, ohne dass die EU-Kommission gegen diese vertragswidrige Praxis einschreitet.2 1 Vor dem Europäischen Gerichtshof sind derzeit etwa 1500 Verfahren wegen Verstößen gegen die Binnenmarktvorschriften anhängig. Ein Viertel aller Richtlinien sind noch nicht überall in nationales Recht umgewandelt. Vgl. Vision ohne Schwung. FAZ vom 1.2.2005 in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 2.2. 2005, S. 15 f. 2 Artikel 108 EUV verpflichtet die Regierungen und Organe der Gemeinschaft, „nicht zu versuchen, die Mitglieder und Beschlussorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen“.

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Stabilitätspolitik erfordert die Kraft, Wirtschaftsprobleme nicht mit höherer Staatsverschuldung und einer Politik des billigen Geldes, sondern mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu bekämpfen. Diesem Anspruch werden die großen Euro-Länder nicht gerecht. Der „leichtfertige Umgang“ (Bundesbank3) mit dem Stabilitätspakt demonstriert die Unfähigkeit der EU, den Anforderungen einer Stabilitätsgemeinschaft gerecht zu werden, er stellt die Glaubwürdigkeit europäischer Politik in Frage. Denn kaum ein anderes EUProjekt wurde von seinen Protagonisten mit so vollmundigen Versprechungen verknüpft wie der Stabilitätspakt.4 In der Hauptsache dazu bestimmt, das Misstrauen der deutschen Bevölkerung gegenüber einer gemeinsamen Währung zu überwinden, erwies er sich rasch als überfordert. Der Niedergang des Stabilitätspakts stigmatisiert so die Währungsunion. Er ist exemplarisch für Anspruch und Wirklichkeit europäischer Politik und verdient daher Aufmerksamkeit weit über den Kreis der Währungsexperten hinaus.

I. Ein Pakt mit Dissens Der Stabilitätspakt ist kein Pakt im üblichen Sinn. Er besteht aus zwei Verordnungen der EU und stützt sich im Wesentlichen auf längst etabliertes EU-Recht, auf Artikel 104 EUV, der den Verzicht auf „übermäßige öffentliche Defizite“ fordert. Als „übermäßig“ gelten Defizite von über 3% des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings obliegen sowohl die Feststellung eines „übermäßigen Defizits“ als auch die Beschlüsse im Rahmen eines Überwachungs- und Sanktionsverfahrens nicht einem unabhängigen Gremium, sondern den Finanzministern, also einer durch und durch politischen Ent3

Stellungnahme vom 10.12.2003 in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 11.12.2003, S. 3. 4 Stellvertretend für zahllose Äußerungen: „Der Stabilitätspakt sichert die notwendige Haushaltsdisziplin auch nach dem Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion.“ Bundeskanzler Helmut Kohl, Rede beim VI. Europäischen Bankenkongreß am 22.11.1996 in Frankfurt am Main. Bulletin der Bundesregierung Nr. 99 vom 5.12.1996, Seite 1071. „Mit dem von mir vorgeschlagenen Stabilitäts- und Wachstumspakt haben wir einen verlässlichen, rechtlich verbindlichen Rahmen geschaffen. . . . Der Pakt kann weder durch beschäftigungspolitische Maßnahmen noch durch andere ausgabenwirksame Initiativen unterlaufen werden. . . . Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt wird die Stabilität des Euro auch von der finanzpolitischen Seite her wirksam abgesichert.“ Bundesfinanzminister Theo Waigel in der Maastricht-Schlussdebatte des Deutschen Bundestages am 23.4.1998, Plenar-Protokoll 13/230, Seite 21030 f. „Die Einführung des Euro ist . . . eine entscheidende Voraussetzung für die Schaffung neuer und sicherer Arbeitsplätze. . . . Diese Währungsunion als Stabilitätsunion wird auch zum Nukleus eines großen, eines gesamteuropäischen Wirtschafts- und Wachstumsraumes werden.“ Außenminister Hans-Dietrich Genscher, ebenda, Seite 21044.

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scheidung. Außerdem ist das in Artikel 104 EUV verfasste Sanktionsverfahren viel zu langatmig; vom Sündenfall bis zur Verurteilung des Sünders benötigt es 3 bis 4 Jahre. Unter dem Eindruck der öffentlichen Kritik an diesem Reglement schlug Bundesfinanzminister Theo Waigel 1995 ein objektiviertes Verfahren vor: Die Euroländer sollten ihre Budgetdefizite „in wirtschaftlichen Normallagen“ auf 1% des BIP begrenzen; bei Überschreiten der 3%-Grenze sollte automatisch (also ohne förmlichen Beschluss des Ministerrates) eine unverzinsliche Einlage fällig werden, die ohne rasche Defizitkorrektur in eine Geldbuße umzuwandeln wäre. Ohne Frage hätte dieser Vorschlag, wäre er von den Partnern angenommen worden, eine wesentliche Verschärfung und Präzisierung der Maastrichter Vorschriften zur Sicherung der Haushaltsdisziplin bedeutet.5 Doch nur scheinbar stimmten die Partner Waigels Vorschlag zu. In Wirklichkeit lehnten sie eine Ent-Politisierung des Sanktionsverfahrens ab. Deshalb schnitten sie ihn in den folgenden 11/2 Jahren auf die Normen von Artikel 104 EUV zurück.6 Was übrig blieb, aber gleichwohl weiterhin als „Waigels Stabilitätspakt“ diskutiert wurde, hatte wenig mit Waigels Vorschlag gemeinsam: Es ist ein Regelwerk, das sich eng an den Maastrichtvertrag anlehnt, dessen Verfahrensschritte präzisiert und beschleunigt, den Finanzministern aber die Herrschaft über das Verfahren belässt. Nach wie vor bedarf es zur Verurteilung eines Haushaltssünders einer qualifizierten Mehrheit. Um beispielsweise die Verurteilung eines großen Landes zu verhindern, genügen 20 Stimmen, d.h. die Stimmen von nur zwei großen EuroMitgliedern. Der Stabilitätspakt fordert, die öffentlichen Haushalte mittelfristig nahezu auszugleichen oder in eine Überschussposition zu bringen. Die häufig erwähnte 3%-Grenze markiert lediglich eine Marge, die das Atmen der Haushalte im Auf und Ab der Konjunktur ermöglichen soll. Ein Land, dessen 5 Die Palme dieses fortschrittlichen Gedankens gebührt übrigens nicht Theo Waigel, auch nicht Wolfgang Grüger, dem Präsidenten der Volks- und Raiffeisenbanken, der seinerzeit zuerst einen Stabilitätspakt ins Gespräch brachte. Der Vater der Idee saß in der Bundesbank und hieß Hans Tietmeyer. Er animierte den Bankenpräsident zu seinem Vorschlag und zwang über die so angestoßene öffentliche Debatte den sich sträubenden Waigel, sich den Vorschlag zu eigen zu machen. 6 „Frankreich wollte keinen Automatismus. Das heißt, dass die politische Macht die Verantwortung behält . . . Darin – das stimmt – waren wir mit unseren deutschen Freunden nicht einer Meinung. Wir wollten keinen Automatismus hinnehmen.“ Jacques Chirac im Anschluss an den Gipfel in Dublin am 14.12.1996 in: Frankreich-Info, hrsg. von der Französischen Botschaft in Bonn, 19.12.1996. – „Es musste gewährleistet sein, dass der Rat in seinen Beschlüssen souverän bleibt. Es dürfen nicht die Computer sein, die entscheiden.“ Der französische Finanzminister Arthuis nach Handelsblatt vom 23.12.1996, S. 1.

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Defizite sich im Lauf eines Konjunkturzyklus zwischen 2 und 3% bewegen, wird dem Pakt nicht gerecht. Die EU-Kommission hätte deshalb viele Länder schon vor Jahren zu einem Abbau der Defizite auffordern müssen. Der Pakt lässt eine Überschreitung der 3%-Grenze nur in einer Rezession von wenigstens 2% p.a. zu. Davon blieben Deutschland und Frankreich, die Haupt-Defizitsünder, in den letzten Jahren weit entfernt.

II. Unverhohlener Einsatz von Willkür Als erstes Land geriet Portugal mit dem Stabilitätspakt in Konflikt (2001: 4,2%). EU-Kommission und Ministerrat zögerten nicht, dem Land einen Blauen Brief zu schicken und Sanktionen anzudrohen. Ähnlich energisch verfuhr die EU mit Irland, als die Dubliner Regierung trotz konjunktureller Überhitzung und hoher Preissteigerungen die Haushaltsausgaben nicht einschränkte und so gegen das Gebot der wirtschaftspolitischen Koordinierung verstieß (Artikel 99 EUV). Als sich aber Anfang 2002 eine Defizitüberschreitung durch Deutschland und Frankreich abzeichnete, wehrten sich beide Länder mit Erfolg gegen die Einleitung eines Sanktionsverfahrens: – Mit dem Blick auf die herannahende Wahl brachte Bundeskanzler Schröder rücksichtslos das Gewicht Deutschlands zur Geltung. Er unterstellte der EU-Kommission andere als rechtliche Gründe und verlangte Dispens. Die Mehrheit der Finanzminister beugte sich dem Druck und verzichtete auf eine Frühwarnung. Eichel erlangte ebenso wie Frankreich den Verzicht mit der Zusage, 2002 die 3%-Marke zu unterschreiten und – man höre und staune! – bis 2004 eine nahezu ausgeglichene Haushaltsposition vorzuweisen. – Die Haltung Frankreichs war noch kühner. Staatspräsident Chirac erklärte, Frankreich fühle sich an die Zusagen früherer Regierungen nicht gebunden; der Pakt habe „keinerlei juristischen Wert“.7 In der Folge machten sich die drei großen Euroländer daran, den Pakt systematisch auszuhöhlen: – Italien forderte, die Verteidigungsausgaben herauszunehmen, – Frankreich wollte die Investitionsausgaben herausrechnen, – Deutschland möchte neben der Staatsverschuldung die Inflationsrate berücksichtigt wissen. 7 Provokant abschätzig Ministerpräsident Raffarin: „Meine oberste Pflicht heißt Beschäftigung und nicht das Lösen irgendwelcher Buchführungsprobleme und mathematischer Aufgaben, bis dieses oder jenes Büro in welchem Land auch immer zufriedengestellt ist.“ Télévision francaise 1, 5.9.2003.

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Ausgerechnet der Kommissionspräsident, von Amts wegen zur Wahrung des EU-Rechts verpflichtet, unterstützte diese Bestrebungen mit der Bemerkung, der Pakt sei „dumm“. Unmittelbar vor der Bundestagswahl setzte Eichel der Aushebelung des Rechts die Krone auf, indem er es unterließ, die deutschen Haushaltszahlen fristgerecht nach Brüssel zu melden. Er hätte – entgegen allen früheren Beteuerungen – eine Neuverschuldung von über 3% melden müssen. Um den Sündern entgegenzukommen und die eigene Autorität nicht zu beschädigen, schlug die Brüsseler Kommission den Finanzministern vor, den Haushaltsausgleich zu strecken und nur noch konjunkturbereinigte (also niedrigere) Haushaltssalden heranzuziehen – ein Verfahren, das vom Stabilitätspakt nicht gedeckt ist. Zu Unrecht will sich die Bundesregierung mit der anhaltenden Wachstumsschwäche exkulpieren. Ihre Einlassung ist schon deshalb nicht akzeptabel, weil sie es in den konjunkturell guten Jahren versäumte, die Haushalte zu konsolidieren. Vor allem aber ist sie als Träger der Wirtschaftspolitik für die anhaltende Wachstumsschwäche selbst verantwortlich. Nicht nur würgte die Bundesregierung den Aufschwung durch immer neue Belastungen ab, sie leitete auch den Kurswechsel über die Agenda 2010 zu spät und zu vorsichtig ein. Als infolge anhaltender Überschreitung der Defizit-Obergrenze die nächste Sanktionsstufe nahte, machte Eichel mit einer eigenwilligen Interpretation des Stabilitätspakts Druck auf die Öffentlichkeit. Der Pakt sei weder ein „Strafgesetzbuch“ noch ein „rein mechanistisches Verfahren“, sondern „ein flexibler ökonomischer Handlungsrahmen“. Wer von Aufweichung spreche, könne den Pakt nicht gelesen haben8: Äußerungen, die an Ignoranz und Zynismus kaum zu übertreffen waren. Vollends scheiterte der Pakt Ende November 2003, als sich für den Vorschlag der Kommission, Deutschland und Frankreich weitere Haushaltsauflagen zu erteilen, unter den europäischen Finanzministern nicht die erforderliche Mehrheit fand. Zwar billigten acht der zwölf Euroländer den Antrag der Kommission; doch acht kleine Länder besitzen nicht das erforderliche Stimmgewicht. Anstatt die Haushaltssünder nach dem Regelbuch des Stabilitätspakts in Verzug zu setzen und mit einer unverzinslichen Geldeinlage zu bedrohen (Artikel 104, Abs. 8 EUV), begnügten sich die Finanzminister mit einer Selbstverpflichtung der beiden Haushaltssünder, ihre Defizite spätestens 2005 unter die 3%-Grenze zurückzuführen.9 Zugleich setzten sie die Fortsetzung des Sanktionsverfahrens bis auf weiteres aus. 8 9

Hans Eichel: Der Pakt ist kein Strafgesetzbuch. FAZ vom 15.11.2003, Seite 12. Solche Selbstverpflichtungen hatte es bereits für 2003 und 2004 gegeben!

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Der unverhohlene Einsatz von politischer Willkür machte den Pakt zu einem stumpfen Schwert.10 Der Beschluss außerhalb des Regelwerks musste den Widerspruch der Kommission in ihrer Rolle als Wächter des EU-Rechts finden. Allein vier kleinere Länder (Spanien, Österreich, Finnland, die Niederlande) widersetzten sich der Vergewaltigung des Rechts. Ausgerechnet Deutschland, Initiator des Pakts, tat sich als dessen Totengräber hervor. Es war nur konsequent, dass die EU-Kommission den Ministerrat vor dem Europäischen Gerichtshof verklagte. Bei den politischen Institutionen stieß dieser Schritt indes auf herbe Kritik. Während Luxemburgs Ministerpräsident Juncker ihn als „Propaganda“ herabstufte, bezeichnete der österreichische Finanzminister ihn als „falsches Signal“. Vollends befremdlich war die ablehnende Haltung des Präsidenten des EU-Parlaments und der Vielzahl jener Politiker, die den Konflikt nicht auf dem Rechtsweg, sondern durch „Kooperation“ – sprich: Mauschelei – entschieden sehen wollten. Diese Reaktionen sind um so befremdlicher, als Parlamentarier eher auf der Seite des Rechts und der Bürger als auf der Seite der Regierungen stehen sollten.11 Die EU-Kommission hatte mit ihrer Klage insoweit Erfolg, als der EuGH Mitte 2004 den Beschluss des Ministerrats für rechtswidrig erklärte. Der Rat dürfe nur über Vorschläge der Kommission, nicht über eigene Vorschläge abstimmen. Inkonsequent war es jedoch, dass die Kommission auf weitere Vorschläge zur Fortsetzung der Sanktionsverfahren gegen Deutschland und Frankreich verzichtete. Unter dem neuen Kommissar Almunia auf Kooperation mit dem Rat bedacht, entwickelte sie statt dessen Vorschläge für eine weichere Interpretation der Haushaltsregeln. Im Einvernehmen mit dem Rat sollen künftig „länderspezifische Gegebenheiten“ wie Höhe und Tendenz der Schuldenquote, Wirtschaftslage, Reformen und öffentliche Investitionen berücksichtigt werden. Überschreitungen der Reizschwellen von 3% und 60% würden demnach nur noch sehr bedingt Sanktionen auslösen. Die EUKommission entfernte sich damit von ihrer ursprünglichen Position, einmal gesetzte Regeln nicht der politischen Beliebigkeit anheim zu stellen.

10 Eine detaillierte Darstellung hierzu liefert Martin Heipertz: Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt. Eine wirtschaftspolitische Fehlkonstruktion im Selbstbindungsdilemma. Inauguraldissertation an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, 2004 (noch nicht veröffentlicht). 11 Eine Erklärung für dieses Verhalten liefern Andreas Oldag und Hans-Martin Tillack: Raumschiff Brüssel. Wie die Demokratie in Europa scheitert. Frankfurt am Main 2005, S. 104 f.

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III. Erfreulich kritische Reaktionen In der Öffentlichkeit fand die Aufweichung des Stabilitätspakts ein erfreulich kritisches Echo. Die Presse nannte sie „verantwortungslos“ und rieb sich besonders an der Art und Weise, wie sich die deutsche und französische Regierung „mit machtpolitischer Kälte gegen den Sicherheitszaun der Währungsunion geworfen und das Sicherheitspersonal, die EU-Kommission, niedergerissen“ haben.12 In einem wahren Schurkenstück habe sich das Kartell der Finanzminister darauf verständigt, die Regeln auszusetzen. Aus einem vermeintlichen Stabilitätsanker sei ein „Fetzen Papier“ geworden13. Jürgen Stark, der als Finanz-Staatssekretär den Pakt in den 90er Jahren verhandelte, sieht das Fundament der Währungsunion und das Vertrauen der Bürger zur Solidität der Staatsfinanzen beschädigt. Überdies sei „der Rückfall in einen schon überwunden geglaubten haushaltspolitischen Schlendrian vorgezeichnet“14. Die europäischen Politiker sündigten „mit Faust und Trug“; der Pakt sei „nicht mehr das Papier wert, auf dem die Prinzipien einer soliden Finanzwirtschaft beschworen werden“15. Die Währungsunion sei an einem Scheideweg angelangt.16 Europa befinde sich nun „in einer äußerst kritischen Phase“: Die Verletzung des Pakts ist für ihn ein Zeichen dafür, dass die nationale Interessenpolitik nicht überwunden und die Vision von der Einheit Europas nicht wachgehalten werden konnte. Die europäischen Notenbanken reagierten auf die Aushebelung des Stabilitätspakts beunruhigt, ja empört. Die Entscheidung des Ministerrates berge „schwere Gefahren“. Das Nichtbefolgen der im Stabilitätspakt vorgesehenen Regeln beschädige die Glaubwürdigkeit des institutionellen Rahmens und höhle das Vertrauen in solide öffentliche Finanzen der Euroländer aus.17 Pedro Solbes, der zuständige EU-Kommissar, warf die Frage auf, „warum . . . eine neue Verfassung verabschiedet werden soll, wenn die Regierungen nicht einmal gewillt sind, die Regeln der bestehenden Verträge einzuhalten“18. Heftiger noch reagierte die Bundesbank auf den „leichtfertigen Umgang mit dem Stabilitätspakt“. Mit seiner Entscheidung habe der Rat dem Ver12

Verantwortungslos. FAZ vom 26.11.2003, Seite 1. Weichmacher. FAZ vom 4.6.2003, Seite 1. 14 Kurzsichtige Demontage des Stabilitätspakts. FAZ vom 22.5.2003, Seite 14. 15 Hans D. Barbier. FAZ vom 5.9.2003, Seite 15. 16 Joachim Starbatty: Menetekel über der Währungsunion. FAZ vom 3.11.2003, Seite 15. 17 Otmar Issing: Stabiles Geld und solide öffentliche Finanzen gehören zusammen. FAZ vom 6./7.12.2003, Seite 15. 18 Pedro Solbes: Keine Gentlemen’s Agreements. Handelsblatt vom 19.11.2003 in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 19.11.2003, Seite 11. 13

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trauen in den europäischen Stabilitätskonsens und der europäischen Idee geschadet. Auch zeige sich, „dass die Teilnehmerländer nicht bereit sind, die notwendigen und souveränitätsbeschränkenden Regeln einer Währungsunion zu akzeptieren“.19 Ferner erinnerte die Bundesbank an das Versprechen der Politik gegenüber der deutschen Bevölkerung, die Währungsunion unverrückbar als Stabilitätsgemeinschaft zu begreifen. Der Pakt, seinerzeit eine wichtige Voraussetzung für die zustimmende Haltung der Bundesbank, gehöre „zur Geschäftsgrundlage der Währungsunion“. Einen Grund für die mangelhafte Umsetzung der Finanzregeln sieht die Bank auch darin, „dass in den Verhandlungen zum Pakt die deutschen Forderungen nach einem Entscheidungsautomatismus nicht durchsetzbar waren“. Nun drohe die Glaubwürdigkeit der Stabilitätsorientierung der Gemeinschaft verloren zu gehen.20

IV. Das Fazit Das Schicksal des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts beleuchtet exemplarisch die opportunistische Neigung der Politik, namentlich der Europapolitik. Nicht die Überzeugung vom ökonomisch als richtig Erkannten, nicht die Treue zu den daraus abgeleiteten Prinzipien und Regelwerken, auch nicht die Bindung an einmal gegebene Zusagen, sondern allein die mannigfachen Unbequemlichkeiten einer disziplinierten Haushaltspolitik bestimmen das Handeln. Die Politik gefällt sich darin, hochgesteckte Ziele und Strategien zu proklamieren. Rasch löst sie sich aber von ihren Verheißungen und Visionen, sobald diese mit den Gefälligkeiten der Tagespolitik in Konflikt geraten. Erheischt Haushaltsdisziplin eine Beschränkung der Staatsausgaben, dann ist die Versuchung übermächtig, sie hintanzustellen, mögen auch einst feierlich gegebene und in einem Regelwerk verankerte Versprechungen gebrochen werden.21 Der Hauptzweck des Stabilitätspakts war es, das Misstrauen der deutschen Bevölkerung gegenüber einer gemeinsamen Währung überwinden helfen. Der Pakt lag aber auch im Interesse der nationalen Haushaltspolitik, kann er doch den Regierungen eine große Hilfe sein im Bemühen, die finanziellen Begehrlichkeiten abzuwehren und die Haushalte aus ihrer über19 Stellungnahme vom 10.12.2003 in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 11.12.2003, S. 3 f. 20 Zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Monatsbericht Januar 2005, S. 43 ff. – Vgl. auch: Zur Debatte über eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank November 2004, Seite 9. 21 Eine Parallele bildet das von den Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel von Lissabon (2000) beschlossene Ziel, die EU bis 2010 zur wettbewerbfähigsten Zone der Welt zu machen. Dieses Ziel wurde wegen der Reformschwäche besonders der großen EU-Länder verfehlt und deshalb kurzerhand aufgegeben.

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aus prekären Lage herauszuführen. Die Staats- und Regierungschefs der EU unterstrichen das Versprechen, der gemeinsamen Währung durch Haushaltsdisziplin eine finanzwirtschaftliche Flankierung zu geben, indem sie die Verabschiedung des Stabilitätspakts (1997) mit einer feierlichen Erklärung verbanden, in der sie ihre Finanzminister und die EU-Kommission „nachdrücklich“ (sic!) aufforderten, „den Vertrag und den Stabilitätspakt strikt und fristgerecht umzusetzen“.22 Vollmundige Erklärungen deutscher Spitzenpolitiker begleiteten diese Beteuerungen.23 Auch Frankreichs Spitzenpolitiker beteiligten sich an verbalen Verherrlichungen. Nicht einmal fünf Jahre nach Beginn der Währungsunion sind diese Beteuerungen Schall und Rauch. Soweit die Budgetzahlen nicht frisiert werden24, heißt es in staatsmännischer Pose, die Finanzpolitik müsse ihrer konjunkturpolitischen Verantwortung gerecht werden. Die Förderung von Wachstum und Beschäftigung habe Vorrang vor der Rückführung der Neuverschuldung (Raffarin)25. Der Pakt müsse daher „flexibel“ angewendet werden. Unmittelbaren Schaden nimmt durch diesen Denkwandel nicht die Geldwertstabilität. Sie geht nicht von heute auf morgen verloren, wenn sich das eine oder andere Land eine „übermäßige“ Staatsverschuldung erlaubt. Die stabilitätspolitischen Konsequenzen wachsender Staatsverschuldung treten erst langfristig und in dem Maße zutage, wie die Last der öffentlichen Verschuldung eine stabilitätsgerechte Geldpolitik erschwert, wenn nicht am Ende unmöglich macht.26 22 Entschließung des Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt vom 17.6.1997 (Amtsblatt Nr. C 236 vom 2.8.1997, S. 1), Ziffer IV. 23 Helmut Kohl: „Die Konferenz in Amsterdam hat auch klargemacht: Es gibt keinen Gegensatz zwischen Stabilität und Beschäftigung. . . . Preis- und Haushaltsstabilität sind gemeinsam unabdingbare Grundlage für dauerhaftes Wachstum und damit für mehr Arbeitsplätze.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 13/185 vom 27.6.1997, Seite 16737. – Theo Waigel: „Ich nehme für uns, für die Finanzminister, in Anspruch, dass wir ähnlich wie in Maastricht auch jetzt durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt . . . die wichtige Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass dieses säkulare politische Ereignis optimal vorbereitet worden ist und jetzt auch eintreten kann. Auf EU-Ebene haben wir alles getan, damit Haushaltsdisziplin auf Dauer gesichert wird. Es wird keinen weichen Euro geben.“ Ebenda, Seite 16754. – „Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt . . . (ist) Haushaltsdisziplin aller Mitgliedstaaten auf Dauer gesichert.“ Bericht aus Bonn Nr. 13/1997 vom 17.7.1997, Seite 1. 24 „In Euroland wird getrickst, getäuscht und gelogen.“ Andreas Oldag und HansMartin Tillack: Raumschiff Brüssel. Wie die Demokratie in Europa scheitert. Frankfurt am Main, Februar 2005, S. 310. 25 Der Canard enchaîné legte deshalb Ministerpräsident Raffarin das Wortspiel „Maastricht = ma triche“ (Maastricht = mein Betrug) in den Mund, als die französische Regierung den Vertrag von Maastricht aushebelte: Raffarin: „Je préfère le traité de Ma Triche!“ Le Canard enchaîné vom 10.9.2003, Seite 1.

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Unmittelbaren Schaden indes erleidet die Glaubwürdigkeit der Politik, bricht sie doch das dem Bürger hoch und heilig gegebene Versprechen, durch ein rigoros angewendetes Regelwerk für Haushaltsdisziplin zu sorgen. Denn wie viel Vertrauen verdient ein Europa, das gestern Regeln aufstellte, die es heute mit Füßen tritt? Wer Spielregeln mit großem Tamtam installiert und für unabdingbar erklärt, in der ersten Bewährungsprobe aber ignoriert und schließlich außer Kraft setzt, muss sich bewusst sein, dass die Öffentlichkeit die Geschehnisse auf der europäischen Bühne nur noch mit Bitterkeit – wenn nicht mit Abscheu – verfolgt.

26 Auf diese Konsequenz weist freimütig Jürgen Stark, Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, hin: „Eine umsichtige Finanzpolitik vermindert den Druck, eine übermäßige Staatsverschuldung durch Hinnahme einer hohen Inflationsrate beseitigen zu müssen, wenn sonst erhebliche Störungen an den Finanzmärkten oder im Extremfall die Zahlungsunfähigkeit eines Landes drohen. Auch unabhängigen Zentralbanken könnte es bei einem solchen Szenario schwer fallen, dem Ziel Preisstabilität Priorität einzuräumen.“ Schlussworte zur Tagung der Deutschen Bundesbank „Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen“ am 26.1.2005 in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 2.2.2005, S. 8 f.

Die gesellschaftspolitische Reform der WTO Die WTO im Spannungsfeld zwischen Handel, Gesundheit, Arbeit und Umwelt* Von Richard Senti „Jedes wirtschaftspolitische Programm bedarf nach einer Phase seiner Erprobung einer kritischen Überprüfung im Blick auf das Erreichte und auf das künftig zu Erreichende. Wirtschaftspolitische Leitbilder können nicht von ihrer Zeitsituation abgelöst werden. Sie erfüllen dann ihre Aufgabe am besten, wenn sie die zwingende Antwort auf die Frage einer bestimmten Zeitlage sind“. Mit diesen Worten reagierte Alfred Müller-Armack Ende der fünfziger Jahre auf die Kritik am marktwirtschaftlichen Programm Ludwig Erhards, es beschränke sich zu sehr auf die blosse Deckung der Nachfrage nach Nahrungsmitteln, Kleidern und Wohnraum und vernachlässige die gesellschaftspolitischen Bedürfnisse und Nöte der Bevölkerung (Müller-Armack, S. 23). In einer ähnliche Situation befindet sich heute die Welthandelsordnung. Den Begründern der Nachkriegs-Handelsordnung ist es gelungen, die in der Kriegszeit abgebrochenen Handelsbeziehungen neu zu knüpfen. Das 1948 (provisorisch) in Kraft getretene Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und die 1995 vereinbarte Welthandelsorganisation (WTO) haben viele ihrer Ziele erreicht: Öffnung der Märkte, Abbau der Importzölle für Industriegüter von durchschnittlich 40 Prozent in den frühen fünfziger Jahren auf heute knapp 5 Prozent sowie die Schaffung einer internationalen Streitschlichtungsstelle mit relativ breiter Akzeptanz. Nach den Rückschlägen in den siebziger und achtziger Jahren (aus dieser Zeit stammen die Redewendungen „the GATT is dead“ und „the GATTastrophe“) hat das GATT im Rahmen der Uruguay-Runde (1986–1993) erneut Tritt gefasst: Die Güter-Handelsordnung wurde auf die grenzüberschreitenden Dienstleistungen und die handelsrelevanten Aspekte der geistigen Eigentumsrechte ausgeweitet, die Sonderprobleme (z. B. in den Bereichen Agrar- und Textilhandel) in Zusatzabkommen geregelt, die Streitschlichtung verrechtlicht und der provisorische GATT-Vertrag durch die WTO als internationale Or* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist vorab in der NZZ vom 12./13. März 2005, Nr. 60, S. 19 erschienen

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ganisation mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit ersetzt. Aber wie nach zehn Jahren der Marktwirtschaft in Deutschland, wird heute nach einem halben Jahrhundert der Welthandelsordnung vorgeworfen, sie übersehe die tatsächlichen Auswirkungen des grenzüberschreitenden Handels auf das Leben und die Gesundheit der Menschen, Tiere und Pflanzen, sie trage den Wechselwirkungen zwischen Weltwirtschaft, Arbeit und sozialer Sicherheit nicht genügend Rechnung und zerstöre durch die Öffnung und Liberalisierung der Märkte die Umwelt.

I. Beredte Ratlosigkeit in der WTO Der internationale Handel hat in den letzten Jahren aufgrund des technischen Fortschritts und der kostengünstigen und schnellen Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten zu einer ausserordentlich intensiven gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Verflechtung und Verdichtung geführt. Die WTO als Institution und die für die Welthandelsordnung verantwortlichen Regierungen nehmen zwar diesen Wandel wortreich zur Kenntnis, lassen aber keine ernsthaften Anstrengungen zur Anpassung der heute geltenden Handelsordnung an die neuen gesellschaftspolitischen Anforderungen erkennen. Im Gesundheitswesen kam es während der Uruguay-Runde zur Weiterführung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen) und zur Schaffung eines neuen Zusatzabkommens über gesundheitspolitische und pflanzenschutzrechtliche Massnahmen (SPS-Abkommen). Die beiden WTO-Abkommen stehen aber mit ihrem Bezug auf das ISOHandbuch und den Kodex Alimentarius auf einer recht brüchigen Legitimitätsbasis, weil nicht alle WTO-Mitglieder diesen Bestimmungen zugestimmt haben (vgl. weiter unten). Im Bereich der sozialen Sicherheit haben sich die Vertreter der Welthandelsordnung seit jeher zurückgehalten. Dies zeigt sich in der Nichtübernahme der „Fair labour standards“ der Havanna Charta ins GATT-Vertragswerk als auch in der Ablehnung der USA-Vorschläge zur Schaffung arbeitsrechtlicher GATT-Bestimmungen in den Jahren 1953, 1979 und 1986. Am Vorabend der Singapur-Konferenz von 1996 erklärte Renato Ruggiero, Generaldirektor der WTO, ein Einbezug von Sozialfragen in die WTO sei nicht notwendig, da die WTO-Mitglieder den sogenannten Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ohnehin angehörten. Die Sozialfragen, so der Generaldirektor, könnten im Rahmen der WTO nur zu einem Störfaktor werden (FOCUS 1996, 12/8). Auch beim Umweltschutz fehlt eine Hinterfragung durch das GATT beziehungsweise die WTO. Obwohl mit der Veröffentlichung „Grenzen des

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Wachstums“ im Jahr 1972 und der im gleichen Jahr durchgeführten „Conference on Human Environment“ die Umweltschutzprobleme weltweit zur Diskussion standen, trat die damals geschaffene GATT-Arbeitsgruppe für Umweltschutzfragen in ihrer zwanzigjährigen Geschichte nie zusammen. Auch in der Tokio- und Uruguay-Runde fand der Umweltschutz – sieht man von der Präambel der WTO-Vereinbarung ab – keine Erwähnung. In der Doha-Konferenz (2001) schliesslich beauftrage der Ministerrat einen inzwischen neu geschaffenen Ausschuss den Umweltschutzfragen nachzugehen, ohne indessen das Handelssystem die Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder zu tangieren (Ziff. 31 und 32). Derart inhaltsleere Erklärungen zusammen mit den Tunfisch-Delfin-Entscheiden von 1991 und 1994, wonach keine Importverbote zum Schutz der Delfine erlaubt sind, haben in weiten Kreisen der Bevölkerung wenig Verständnis gefunden und viel zum Misskredit der WTO beigetragen.

II. Kritik und Reformvorschläge Im Gegensatz zur hohen Anerkennung, welche das GATT und die WTO dank ihrer Verdienste um die weltweite Marktöffnung im Waren- und Dienstleistungshandel geniessen, gerät die Welthandelsordnung in gesellschaftspolitischer Sicht immer stärker unter Beschuss. Wie diese Probleme anzugehen sind, beschäftigt heute sowohl die Politiker als auch die Vertreter der Wirtschaft und Wissenschaft. In den letzten Jahren standen vor allem vier Lösungsvorschläge zur Diskussion: Fordern die einen eine Handelsordnung ausserhalb der gesellschaftspolitischen Bezüge, verlangen die anderen unter Beibehaltung des bisherigen Vertragswerks, eine Neuinterpretation der Vertragsbestimmungen. Eine dritte Gruppe setzt sich für die Vernetzung der WTO mit den Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzorganisationen ein. Einen Schritt weiter gehen die Pläne, die gesellschaftspolitischen Vereinbarungen in die WTO zu integrieren. In den folgenden Ausführungen werden die einzelnen Lösungsvorschläge dargestellt, ergänzt durch die Argumente für und gegen die entsprechenden Ansätze. 1. Die WTO als reine Handelsorganisation (Variante I) Die Befürworter der „reinen Handelsorganisation“ schlagen vor, die WTO in ihrer bisherigen prioritär auf den Handel ausgerichteten Form zu belassen. Sie argumentieren, die Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzpolitik sei Sache der Nationalstaaten und der speziell dazu geschaffenen internationalen Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation

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(ILO). Die erstmals in der Tokio-Runde von der International Textile, Garmet and Leather Worker’s Federation gemachte Anregung, die Sozialfragen ins GATT aufzunehmen, wurde von der Mehrheit der GATT-Vertragspartner abgelehnt. Nicht anders erging es dem Vorschlag von Seiten der International Confederation of Free Trade. Für eine Trennung von Handels- und Gesellschaftspolitik setzen sich vor allem die Vertreter der Entwicklungsländer ein. Zusätzliche Gesundheits-, Sozial- und Umweltschutzvorschriften würden nach Jagdish Bhagwati (Columbia University) die wirtschaftlich schwachen Staaten um ihre Kostenvorteile bringen und eine Wettbewerbseinbusse gegenüber den Industrieländern bedeuten. Ein Abrücken von der WTO als reiner Handelsorganisation sei auch ein Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Entwicklungsländer wären weder dem GATT noch der WTO beigetreten, hätten sie nicht die Gewissheit gehabt, es handle sich um eine reine Handelsorganisation. Es sei staatspolitisch unredlich, nachträglich die Spielregeln zu ändern (Bhagwati et al.). 2. Die Neuinterpretation des bisherigen WTO-Vertragswerks (Variante II) Die Reformvariante II besteht darin, die WTO in ihrer bisherigen Form zu belassen und die gesellschaftspolitischen Probleme über eine extensive Interpretation des Vertragswerks zu berücksichtigen. Eine Reform dieser Art findet zurzeit in der WTO-Streitschlichtung bereits statt, indem die Panels und die Rekursinstanz gesellschaftspolitische Fakten in ihre Überlegungen einfliessen lassen und den Handel mit Gütern und Dienstleistungen unter Berücksichtigung der Gesundheits-, Sozial- und Umweltschutzaspekte beurteilen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Garnelen-Seeschildkröten-Streit. In der Beurteilung dieses Falls trat anstelle der historischen die teleologische Interpretationsweise. Unter Ressourcen werden heute nicht mehr, wie bisher, allein mineralische, sondern auch biologische und erneuerbare Naturschätze verstanden. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch der Tunfisch-Delfin-Fall im Hinblick auf die Beurteilung der Extraterritorialität und der Gas Guzzler Tax-Fall mit der Anerkennung des Rechts auf Umweltschutz. Die Befürworter dieser Reformvariante, z. B. Wolfgang Benedek (Universität Graz), argumentieren mit der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) von 1969 und 1985, wonach ein Völkerrechtsvertrag „in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks“ auszulegen ist. Dabei bedeute „im Zusammenhang“, dass bei der Auslegung des Ver-

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trags auch vertragsrelevante Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien zu berücksichtigen sind, unabhängig vom Zeitpunkt des Abschlusses der Übereinkünfte (Benedek, S. 149 ff.). Die Rechtfertigung einer extensiven Interpretation des WTO-Rechts durch die WVK bleibt indessen nicht unwidersprochen. Die Beurteilung von nichtökonomischen Werten falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der WTO, sondern obliege den WTO-Mitgliedern. Werte wie Sicherheit, öffentliche Ordnung, Gesundheit, Verteidigung der Sozialstandards und Umweltschutz stünden zwar in enger Verbindung mit handelspolitischen Belangen. Sie seien aber nach anderen Massstäben zu bewerten und hätten gegenüber dem Handel den unbedingten Vorrang. Diesem Umstand werde seit jeher in den Handelsverträgen Rechnung getragen. Auch das GATT habe in Art. XX entsprechende Vorbehalte gemacht und dem Ausnahmekatalog eine Missbrauchsklausel vorangestellt. Dieser „Vorspann“ stelle sicher, dass die anerkannten Beschränkungen „nicht zu willkürlicher Diskriminierung oder zur Schaffung verdeckter Handelshindernisse“ führen. Verständlich würden diese Vorbehalte nur im Zusammenhang mit dem in Art. III GATT festgehaltenen Inländerprinzip. Danach blieben die GATT-Partner für alle Fragen zuständig, die sich auf den Vertrieb von Gütern innerhalb ihres eigenen Marktgebiets beziehen, unter der Bedingung, dass diese Massnahmen Güter und deren Anbieter aus einem Vertragspartnerland nicht diskriminierten. Pierre Pescatore (EuGH Luxemburg) vertritt die Meinung, „dass im System des GATT-Abkommens (das im Rahmen der WTO ungeschmälert fortbesteht) das allgemeine Prinzip der Inländerbehandlung nach Artikel III den spezifischen Vorbehalten des Artikels XX vorangeht“. Die WTO verfüge über keine originäre Zuständigkeit für nichtwirtschaftliche Belange. Die Befugnis, für solche Werte Sorge zu tragen, stünde ausschliesslich den einzelnen WTO-Mitgliedern zu. Daran hätten auch die Zusatzabkommen nichts geändert (Pescatore, S. 27).

3. Die WTO als Verknüpfung internationaler Institutionen (Variante III) Die ersten beiden Reformvarianten gehen von der Beibehaltung der WTO als eigenständige Organisation aus. Die dritte Variante sieht eine institutionelle Verknüpfung und Vernetzung der WTO mit anderen internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen vor. Thomas Gehring (Universität Bamberg) spricht in seinen Arbeiten von einem „Netzwerk miteinander verknüpfter internationaler Institutionen“. Die rechtliche Grundlage der Zusammenarbeit der WTO mit anderen Organisationen finde sich in Art. V.1 der WTO-Vereinbarung, der den Allgemeinen Rat der WTO er-

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mächtigt, „geeignete Vorkehrungen zur wirksamen Zusammenarbeit mit anderen zwischenstaatlichen Organisationen, deren Aufgaben mit denen der WTO im Zusammenhang stehen“, vorzunehmen. Auf dieser Ermächtigung gründet heute die Rechtsverknüpfung zwischen den TBT- und SPS-Abkommen einerseits und den technisch- und gesundheitsrelevanten internationalen Organisationen andererseits (Gehring, S. 111 f. und 134). Das TBT-Abkommen hat zum Ziel, den Missbrauch technischer Vorschriften als Handelshemmnisse zu verhindern. Dabei bedient sich das Abkommen der Produktvorschriften und technischen Normen (Standards) der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) und der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC). Eine gleichartige Verknüpfung zwischen der WTO und einer Nicht-WTO-Institution findet sich im Gesundheitswesen. Gemäss SPS-Abkommen übernimmt die WTO die Nahrungsmittel- und Gesundheitsbestimmungen der Codex Alimentarius Kommission der FAO, des Internationalen Tierseuchenamts und des Sekretariats der Internationalen Pflanzenschutzkonvention. Nach Art. 3.1 SPS-Abkommen haben sich die WTO-Mitglieder bei der Harmonisierung der sanitarischen und phytosanitarischen Massnahmen „im weitest möglichen Umfang [. . .] auf allenfalls bestehende internationale Normen, Richtlinien oder Empfehlungen“ abzustützen. Gegenwärtige Vorschläge gehen dahin, die Zusammenarbeit zwischen der WTO und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu intensivieren, um mit den in der WTO gut funktionierenden Streitbeilegungsverfahren die Durchsetzung der ILO-Konventionen zu stärken. Auch ein Näherrücken von WTO und Umweltschutzabkommen wird zurzeit diskutiert. Eine Verbindung der Umweltschutzstandards und -klauseln mit dem WTORecht bestünde darin, dass die in den Umweltschutzabkommen eingegangenen Verpflichtungen für alle WTO-Mitglieder verbindlich wären. Eine Neuausrichtung der WTO in Form einer gegenseitigen Vernetzung der internationalen Organisationen wird folgendermassen gerechtfertigt: Der internationale Handel und die Gesellschaftspolitik seien zu sehr ineinander verwoben, als dass sie unabhängig voneinander gestaltet werden dürften. Zudem ermögliche die WTO-Streitschlichtungsordnung eine wirkungsvollere Durchsetzung der internationalen Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzvereinbarungen, als dies im Rahmen der einzelnen Organisationen möglich sei. Und drittens entschärfe eine Vernetzung der internationalen Vereinbarungen die gegenwärtige Kritik der NGOs an der Welthandelsordnung. Die Gegenargumente einer institutionellen Verknüpfung der WTO mit anderen internationalen Organisationen weisen auf die brüchige Legitimation, die fehlende Transparenz und den damit verbundenen Souveränitätsverlust der einzelnen WTO-Mitglieder hin. So entschied beispielsweise das WTO-

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Panel im Streit um den Import von hormongemästetem Fleisch aufgrund des Codex Alimentarius gegen die EU, obwohl die EU diesen Standards im Rahmen der Codex Alimentarius Kommission nicht zugestimmt hatte und sich daher heute zu deren Einhaltung nicht verpflichtet fühlt. 4. Die WTO als internationale Organisation für Handel und Soziales (Variante IV) Die vierte Reformvariante sieht die WTO als ein Vertragswerk, das in Ergänzung zum internationalen Handel auch Fragen der Gesundheit, der sozialen Sicherheit und des Umweltschutzes regelt, als ein Vertragswerk, in dem Handel und gesellschaftspolitische Fragen rechtlich gleichrangig nebeneinander stehen. Die Verfechter dieser Variante, zum Beispiel HansMichael Wolffgang und Wolfram Feuerhake (Universität Münster), sind überzeugt, eine weltweite Sozialordnung, die allen Menschen eine soziale Sicherheit garantiere, sei aus moralisch-ethischen Erwägungen unverzichtbar und daher auf internationaler Ebene zu realisieren. Der Einbezug der Sozialprobleme in die heute geltende Welthandelsordnung sei der erfolgreichste Ansatz („the most promising approach“) zu deren Lösung (Wolffgang/ Feuerhake, S. 181; Sautter, S. 29 ff.). Die Befürworter dieser Reformvariante finden in Art. III.2 der WTO-Vereinbarung die entsprechende Rechtsgrundlage, der besagt, die WTO habe als „Forum für weitere Verhandlungen zwischen den Mitgliedern über deren multilaterale Handelsbeziehungen sowie als Rahmen für die Durchführung der Ergebnisse solcher Verhandlungen“ zu dienen. Bei einer relativ extensiven Interpretation des Vertragstexts würden letztlich alle Verträge über das Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzrecht unter „Handelsbeziehungen“ fallen, denn diese Verträge berührten stets den internationalen Handel. Die Reformvariante IV mag aus völkerrechtlicher Sicht logisch und machbar erscheinen. Ob der Vorschlag politisch und institutionell realisierbar ist, ist eine andere Frage. In den letzten Jahren erwuchs dem GATT und der WTO von Seiten organisierter Akteure eine wachsende Opposition. Die NGOs und Verbrauchergruppen sehen ihre Interessen in der WTO nicht gewahrt und machen die Welthandelsorganisation (zusammen mit anderen internationalen Organisationen) für eine Entwicklung verantwortlich, die ihren Zielen zuwiderläuft. Mit den umweltfeindlichen GATT-Entscheiden im Tunfisch/Delfin- und Garnelenstreit sowie mit der Nichtanerkennung des Vorsorgeprinzips im Nahrungsmittelrecht der EU haben die WTO-Gegner in weiten Bevölkerungskreisen an Rückhalt gewonnen. Mit dem Einbezug der Gesundheits-, Sozial- und Umweltschutzpolitik würde sich die WTO ei-

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nem Erwartungsdruck von Seiten der Nichtregierungsorganisationen und Verbrauchergruppen aussetzen, dem sie kaum gewachsen wäre, auf jeden Fall so lange nicht, als sie sich prioritär für einen freien und offenen Handel einsetzt. Nach Ansicht von Jagdish Bhagwati ist das „moralische Getue“ der Industriestaaten und ihrer Gewerkschaften in Sachen höherer Arbeits- und Umweltschutzstandards in den Entwicklungsländern nichts anderes als eine Maske, hinter der sich das wahre Gesicht des Protektionismus verbirgt (Bhagwati et al.). Schliesslich ist auch einzugestehen, dass die WTO in ihrer heutigen Form institutionell nicht in der Lage wäre, sich neben dem Handel auch der gesellschaftspolitischen Probleme anzunehmen. In den letzten Jahren sind im Gesundheits-, Sozial- und Umweltschutzbereich Institutionen herangewachsen, die über ein entsprechend qualifiziertes Fachpersonal und eine dazu notwendige Infrastruktur verfügen. Zu glauben, die WTO könnte diese Aufgaben „stante pede“ übernehmen, ist vermessen.

III. Die Lösung steht noch aus Das GATT und seine Folgeorganisation WTO haben die vor über fünfzig Jahren in sie gesetzten Erwartungen – sieht man von einzelnen Bereichen wie zum Beispiel dem Agrarhandel ab – im grossen Ganzen erfüllt. Die damals hohen Zölle konnten reduziert und viele nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigt werden. Indessen sind im Verlauf der letzten Dekaden im Zuge der verstärkten Verflechtung der internationalen Märkte und der anhaltenden Neuerungen in Produktion und Handel Probleme und Unsicherheiten aufgetreten, die eine Neuausrichtung der Welthandelsordnung erfordern, vor allem in den Problembereichen Gesundheit, Arbeit und Umweltschutzes. Die Menschen fühlen sich heute durch den ständigen Wandel, die Komplexität und Undurchschaubarkeit des internationalen Handels und der Wirtschaft mehr und mehr verängstigt und verunsichert. Dabei ist es weder der Wirtschaft noch der Politik gelungen, die Lebens- und Zukunftsängste sowie die Verunsicherung der Bevölkerung aufzufangen und abzubauen. Im Gegenteil, die immer wieder zu Tage getretenen Fälle von Missmanagement in der Wirtschaft und Korruption in der Politik haben dazu beigetragen, die allgemeine Beunruhigung zu verstärken und die Menschen in Gruppen und Verbände zu drängen, die ihren Unmut verstärkt an die Öffentlichkeit tragen und die bestehenden Institutionen und Organisationen in Frage stellen. Der künftigen WTO kommt die Aufgabe zu, erstens das bisher im Aussenhandel Erreichte zu wahren und weiterzuführen und zweitens – als Antwort auf die aktuellen gesellschaftspolitischen Probleme – die Handelspoli-

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tik und Gesellschaftspolitik miteinander in Einklang zu bringen, das heisst die Welthandelsordnung auf die gesellschaftspolitischen Erfordernisse auszurichten und – so weit es ihr zu Gebote steht – die Gesellschaftspolitik auf die handelspolitischen Gegebenheiten abzustimmen. Wie die Lösung all dieser Probleme aussieht, diese Frage ist noch offen. Weiterführende Literatur Benedek, Wolfgang (1990): Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, Berlin u. a. Bhagwati, Jagdish et al. (1999): Third World Intellectuals and NGOs, in: (Stand März 2005). Gehring, Thomas (2002): Schutzstandards in der WTO? in: Jachtenfuchs/Knodt (Hrsg.), Regieren in internationalen Institutionen, Opladen, S. 111–139. Müller-Armack, Alfred (1960): Studien zur Sozialen Marktwirtschaft, Köln. Pescatore, Pierre (1999): Heikler Schutz nichtökonomischer Interessen, in: NZZ vom 1.12.1999, Nr. 280, S. 27. Sautter, Hermann (2004): Weltwirtschaftsordnung, Die Institutionen der globalen Ökonomie, München. Wolffgang/Feuerhake (2002): Core Labour Standards in World Trade Law, JWT, Vol. 36/5, S. 883–901. WTO, Focus Newsletter, Genf.

Innovationen im Spannungsfeld von Kreativität und Reglementierung Von Friedhelm Franz „Keine neue Erhellung hat die Frage erfahren, warum arme Länder arm sind und reiche Länder reich“. Mit dieser Aussage aus dem Jahr 1976 wird Paul Samuelson von David S. Landes in „Wohlstand und Armut der Nationen – Warum die einen reich und die anderen arm sind“ (November 2002) zitiert. Diese zentrale Frage aller Nationalökonomie, Thema schon für Smith, Malthus und Ricardo, wird sicherlich auch in Zukunft immer wieder Anstoß zu großen und Erkenntnis liefernden Untersuchungen sein, sie wird auch sicherlich nie abschließend beantwortet werden können. Dies schon allein deshalb, weil ständig neue Einflüsse und Ursachen, u. a. kulturelle Umwälzungen auf Schaffung und Verteilung des Reichtums einwirken werden.

I. Wohlstand und Freiheit 1. Definitionen von Armut Zudem gibt es nicht einmal eine verbindliche Definition was denn nun arm bzw. reich sei. Offenkundig ist das Empfinden hierzu auch wesentlich von dem Bezugsrahmen abhängig, in dem entsprechende Überlegungen angestellt werden. Dabei spielt nicht nur die zeitliche (historische) Einordnung eine Rolle, sondern auch die räumliche. So bedingt die globalisierte Information durch die Medien, daß nicht allein der unmittelbare Nachbar als Maßstab herangezogen wird – nun wird nach Orientierung im Weltmaßstab gesucht. Auch in der nationalen deutschen Diskussion ist die Definition von Armut durchaus umstritten – zur Zeit scheint es einer überbordenden Wohlfahrtsindustrie (die auch extreme Einbrüche in der Kirchensteuer zu kompensieren hat) zu gelingen, eine Definition für verbindlich zu erklären, die sich an der Abweichung vom durchschnittlichen Einkommen festmacht. Damit wäre dann sichergestellt, daß es unabhängig von der tatsächlichen Einkommenssituation (oder auch der Situation im internationalen Vergleich) immer einen die Existenz dieser Wohlfahrtsindustrie sichernden Bestand an Armut gibt. Die Grundforderung „Not ist nötig“ wäre damit auf Dauer erfüllt.

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2. Rahmenbedingungen Abgesehen von diesen definitorischen Problemen scheint doch einigermaßen sicher zu sein, daß der tatsächliche Wohlstand einer Nation wesentlich von kulturellen Faktoren bestimmt ist. Das allgemeine menschliche Potential, sich im Einklang mit der Natur oder auch diese rücksichtslos beherrschend und ausbeutend, Werte sich nicht nur anzueignen, sondern solche neu zu schaffen und zu entwickeln, kann unter bestimmten Rahmenbedingungen besser aktiviert werden. Zu diesen Rahmenbedingungen, die den Aufbau von Wohlstand begünstigen, gehören aber nicht allein natürliche (ebenfalls z. T. veränderbare) Lebensumstände, sondern vor allem die gesellschaftlichen und kulturellen Regeln, die sich eine Nation gibt bzw. die ihr auferlegt sind. Es besteht auch weitreichender Konsens, der sogar die Maximen einer globalen Politik bestimmt, daß Rechtsstaatlichkeit und Demokratie für eine wirtschaftliche Prosperität wenn nicht notwendig, so doch förderlich sind. In einer solchen Gesellschaft gedeihen auch die Kräfte am ehesten, die im Lauf der Geschichte Rechtsstaatlichkeit und Demokratie erst erdacht (oder entdeckt?) und errungen haben. Insofern sind es also die gemeinsamen Wurzeln von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Wohlstand, die bei der Frage nach dem Wohlstand der Nationen im Zentrum des Interesses stehen. 3. Die Industrialisierung der westlichen Gesellschaft Den wohl größten Sprung in der dokumentierten Geschichte machte der menschliche Wohlstand wahrscheinlich durch die Industrialisierung in der westlichen Gesellschaft. Dies hatte nicht nur eine Ursache, vielmehr wurden hier viele Entwicklungsstränge zusammengeführt, die erst diesen Aufbruch ermöglichten. Eine dieser Entwicklungen ist die Suche nach bzw. der Kampf um individuelle Freiheit und um individuellen Wohlstand gewesen – und diese Entwicklung ist sicherlich nicht zu Ende. Sie hängt eng mit dem westlichen Menschenbild zusammen und hat mit dem in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung deklarierten Recht des Menschen auf pursuit of happiness eine Konkretisierung erfahren, die aus der Philosophie und Wissenschaft hinaus direkt auf die moderne westliche Gesellschaft zusteuerte. Eng mit diesem Kampf verbunden war die Entwicklung der Naturwissenschaften mit ihrer Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält und den damit verbundenen Überlegungen, was denn „Wahrheit“ sein könnte. Diese Entfesselung der Forschung und der Experimentierfreude schuf neben anderen Einflüssen auch die Grundlagen für das systematische, auf wirtschaftliche Nutzung gerichtete technische Experiment, für die „Erfindung des Erfindens“.

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4. Der schöpferische Geist als Quelle des Wohlstands So wurde der schöpferische Geist zur Quelle des Wohlstands erst in Gesellschaften, in denen eine Belohnung solcher technischer Kreativität in Form von Eigentum und persönlicher Entwicklung möglich war: der Markt als Plattform bürgerlicher Freiheit motivierte erst die technische Entwicklung und die Nutzung einer zunächst eher „reine“ Erkenntnis suchenden Naturwissenschaft zu wirtschaftlichen Zwecken. Die Geschichte ist voller Beispiele von Erfindungen, die spontan und unabhängig in den verschiedensten Gesellschaften und Zeiträumen gemacht wurden. Aber es zeichnet die bürgerliche westliche Gesellschaft aus, mit dem Instrumentarium der systematisch betriebenen Innovation eine so rasante Steigerung des menschlichen Wohlstands und damit eine so fundamentale Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse geschaffen zu haben. Eng einher ging dies mit dem Aufbau einer breiten Bildung der Bevölkerung, etwa über eine allgemeine Schulpflicht. Daß die Bedeutung von Bildung für die Verteilung von Chancen früh erkannt wurde, zeigt sich auch in der kämpferischen Forderung nach einem „Recht auf Bildung“, die in der industriellen Gesellschaft erstmals so nachdrücklich erhoben und auch durchgesetzt wurde. Dabei sind dann die fundamentalen Innovationen nicht allein rein naturwissenschaftlich-technischer Art. Schon das legendäre Beispiel der Nadelfertigung, an dem von Adam Smith erstmals der Produktivitätssprung durch Arbeitsteilung verdeutlicht wurde, zeigt, wie wirkungsstark organisatorische Entwicklungen sein können. Dies zieht sich über Fließband und Taylorismus bis zur lean production. Auch finanztechnische Innovationen, wie etwa die Entwicklung der Aktiengesellschaft als ein Instrument der Kapitalbildung gehören in diesen Zusammenhang. 5. Arbeitsteilung und Markt Diese Einstellung zum Fortschritt war eine Hinwendung zur positiven Wertung von Änderung – man entwickelte das Wissen und das Gefühl, daß mit Änderungen nicht nur Risiken, sondern auch Chancen verbunden sein können. So ist nicht verwunderlich, daß mit dem Zeitalter der technischen Revolution auch tiefgreifende gesellschaftliche Änderungen kamen, die wiederum weitere wirtschaftliche Freiheiten mit sich brachten, die das technische Entwicklungstempo nochmals beschleunigten. Bereits Adam Smith hat darauf hingewiesen, daß Arbeitsteilung und Markt zu den wichtigsten Voraussetzungen für Innovationen und deren erfolgreiche Umsetzung zählen. So hat das Phänomen der Innovation die Entstehung und Entwicklung unserer Gesellschaft maßgeblich beeinflußt und begleitet – sie war häufig mit

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der Ausweitung bürgerlicher Freiheiten verbunden und war Ausdruck der Emanzipation des Individuums von einer unkontrollierten Obrigkeit. Zeitgleich betrat erstmals der Typus des Unternehmers die Weltbühne, auch Ausdruck einer besonders starken, vielleicht nicht immer allen besonders sympathischen individuellen Freiheit. Aus dieser Sichtweise scheint zu einer innovationsoffenen Gesellschaft am ehesten der „Nachtwächterstaat“ zu passen.

II. Innovation als Aktionsfeld des Staates 1. Paradigmenwechsel in Deutschland Tatsächlich aber wurde das Thema Innovation zu einem wesentlichen Aktionsfeld des Staates erklärt: Die Bundesregierung hatte das Jahr 2004 zum Jahr der Innovation ernannt, wesentliche Steuermittel von Bund, Ländern und der Europäischen Gemeinschaft sind ausdrücklich für die Innovationsförderung reserviert. Und in der öffentlichen Diskussion spielt die Sorge, daß Europa, insbesondere aber Deutschland in einem Innovationswettlauf mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan zurückfällt eine zentrale Rolle. Innovation scheint also längst nicht mehr ein Phänomen von Markt und Freiheit, von Individuum und Experimentierfreude zu sein, sondern zur hoheitlichen Aufgabe mutiert. Auf der Abschlußveranstaltung zum Jahr der Innovation in Brüssel am 24.11.2004 sagte der DIHK-Präsident Braun: „Innovationen können nur alle gemeinsam realisieren. Nicht warten, bis alles anders und besser wird, sondern selbst handeln muß die Maxime sein. Dies gilt für Politiker, aber auch für uns Unternehmern und jeden Europäer.“ Nach diesem Verständnis ist Innovation also Ergebnis eines breiten Konsens, weniger von individueller Kreativität und singulärer Gestaltungskraft und Gestaltungswillen. Zunächst sind die Politiker gefragt, dann „auch“ die Unternehmer und schließlich jeder Europäer. Wie war dieser Paradigmenwechsel möglich, war er vielleicht sogar nötig und welches neue Verständnis von Innovation steht dahinter und wie erfolgreich kann eine staatliche Strategie (offenkundig mit getragen von Spitzenverbänden der Wirtschaft) sein, die die individuelle Kreativität zu managen beansprucht? 2. Frühe Beispiele von Innovationssteuerung durch die „Obrigkeit“ Sicherlich wurde die Bedeutung von Wissen und Technologie in vielen Gesellschaften früh erkannt. Auch der gestaltende Eingriff des Staates ist früh zu erkennen. Zunächst erstreckte sich dieses Regelungsbemühen aller-

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dings auf den Know-How-Schutz, also die Verhinderung von Technologietransfer. Dies geschah etwa durch Abwanderungsverbote für Know-HowTräger oder auch durch das explizite Unter-Strafe-Stellen der Know-HowWeitergabe. Ein frühestes überliefertes Zeugnis für solche Denkansätze stellt das Durchschneiden der Kniesehnen sagenhafter Schmiede dar. Ganz konkret wurde dies im Reidemeistersystem der siegerländer Stahlproduktion, aber auch die Versuche zur Geheimhaltung der Glasherstellung (Murano) oder der Porzellanherstellung legen hiervon Zeugnis ab, ebenso wie diverse Exportverbote (Seidenraupe, Maulbeerbaum, Gummibaum). Umgekehrt wurden aber auch von der „Obrigkeit“ Versuche unternommen, Know-How systematisch zu erwerben – sei es durch Forschung oder durch Technologietransfer mittels Personaltransfer. Beispiele sind die zahlreichen Versuche Gold herzustellen, wobei die berühmte Meißener Geschichte auch zeigt, wie die Nebenprodukte solcher Versuche zu überragenden Erfolgen werden können (1709 Beginn der europäischen Porzellanproduktion mit dem Meißener Porzellan. Auch setzte sofort der Versuch des Know-How-Schutzes ein: erste Maßnahme war die Dauerinhaftierung des überlebenden Erfinders Johann Friedrich Böttger; der Mitentwickler Graf Walter von Tschirnhaus war bereits vorher gestorben). Hätte man damals bereits die Natur der chemischen Elemente erkannt und Gold als ein solches identifiziert, wäre vielleicht das erste europäische Porzellan das englische bone china geworden, dessen ca. vierzig Jahre spätere Erfindung aus der systematischen Befassung mit eben dieser Entwicklungsaufgabe hervorging – die Lösung war hier der Einsatz von Knochenmehl anstelle von Kaolin. Zu den wohl bekanntesten Beispielen staatlich initiierten Technologietransfers mit dem Ziel der Wirtschaftsförderung darf sicherlich schon vor der gezielten Einwanderungspolitik gegenüber Hugenotten, Salzburger Metallurgen (Hermann und Dorothea) und niederländischen Agrarfachleuten durch die preußischen Kurfürsten und Könige auch die Kette der Klostergründungen bereits der Karolinger gerechnet werden, die damit nicht allein erste Verwaltungsstrukturen errichteten, sondern auch medizinisches, pharmazeutisches und lebensmitteltechnisches Know-How importierten. Und immer spielte natürlich die Wehrtechnik eine Hauptrolle, sowohl im Versuch des Know-How-Transfers als auch im Versuch seiner Verhinderung; heute: Spionage und Abwehr. 3. Innovationsgeschwindigkeit und Freiheit Insofern ist also der Einfluß des Staates in der Technologiegeschichte eine konstante und lange bedeutende Komponente, die allerdings allein nie die Kraft hatte, das explosionsartige Wirtschaftswachstum zu generieren,

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das mit der Entstehung von freiem Markt und bürgerlichen Freiheiten einher ging. Der zu verzeichnende Paradigmenwechsel liegt daher in dem Anspruch des Staates, nun die Führungsrolle, zumindest aber die wesentliche Steuerungsrolle im Innovationsgeschehen zu übernehmen. Der emanzipatorische Charakter der Innovation, der die Wirtschaftskraft und Freiheit des Bürgers und Unternehmers gegen einen Obrigkeitsstaat etablierte, wird nun von Staaten kassiert, die mittlerweile auch die Ergebnisse der Wirtschaftstätigkeit immer stärker ihrer Verteilungshoheit unterwerfen, zu messen etwa an der Staatsquote. Gleichzeitig haben aber auch die Bedeutung und Geschwindigkeit der Innovation in schier unvorstellbarem Maße zugenommen – längst wird sie nicht mehr als exotisches singuläres Ereignis wahrgenommen, sie ist Standardphänomen und Triebfeder einer globalen Wirtschaft und weckt allein schon aus diesem Grund den staatlichen Regelungshunger – ohne daß damit automatisch ein Verständnis des Phänomens Innovation gegeben wäre. Aber vielleicht gibt es auch gute Gründe für die Eroberung des Innovationsgeschehens, zumindest aber für die massive Einflußnahme durch den Staat. 4. Neue Motive für die staatliche Steuerung des Innovationsprozesses Ein Motivbündel politischer Kräfte, die dem technischen Wandel eher skeptisch gegenüber stehen, sei hier der Vollständigkeit wegen genannt, wenngleich das Hauptmotiv des Staates wohl eher positiv, nämlich durch die vermuteten segensreichen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung bedingt ist, wie später noch gezeigt werden soll. Der Versuch der staatlichen Zügelung von Innovation ist durch die Angst vor dem Unbekannten, vor ungewollten schädlichen Nebenwirkungen und einer eher antiaufklärerischen Grundhaltung motiviert: unter der Überschrift „Technologiefolgenabschätzung“ läßt sich eine Überfülle teurer Beispiele finden. Der bewußte Verzicht auf bestimmte Technologien ist jedoch nicht auf Europa beschränkt: die japanische Entscheidung gegen die Nutzung des Radfahrzeugs war lange konsequent durchgehalten worden. Allerdings war diesem Verzicht kein so erheblicher und teurer Entwicklungsaufwand wie für die deutsche Kernkraftindustrie vorausgegangen. Die sicherlich vorhandenen retardierenden Strategien blühen eher im Verborgenen und werden operativ etwa durch Verordnungen, z. B. die zwar wenig kreative aber wirkungsvolle permanente Verschärfung von Parametern umgesetzt. Insgesamt aber ist die politische Großwetterlage eher durch eine euphorische Zuwendung zur Innovation als abstraktem Begriff gekennzeichnet, wie schon die Erklärung des Jahres 2004 zum Jahr der Innovation zeigte. Erst

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bei der Konkretisierung werden die Vorbehalte wach. Innovation wird abstrakt bei der Nahrungsherstellung und der Kommunikationsindustrie ebenso verlangt wie bei den Sozialversicherungssystemen. Damit ist noch keine gesellschaftliche Zustimmung zu Gen-Food, Elektrosmog und Rentenprivatisierung gesichert. Gleichwohl wird diese Priorität in der politischen Aufmerksamkeit durch einige wesentliche wirtschaftliche Daten sicherlich gerechtfertigt. Und es läßt sich auch politischer Handlungsbedarf daraus ableiten. Etwa an der Exportorientierung der deutschen Wirtschaft läßt sich mit Hilfe der FuE-Intensität des Handels die Bedeutung von Innovationen für das wirtschaftliche Wohlergehen belegen: 1998 hatten die USA einen Welthandelsanteil von 20,1% bei FuE-intensiven Gütern, Deutschland folgte mit 15% vor Japan mit 13%. Dabei nahm der Anteil des Welthandels mit Spitzentechnologieerzeugnissen mit jährlich über 10% in den 90er Jahren am stärksten zu, bei hochwertigen Erzeugnissen lag diese Zunahme lediglich hei 8%, bei nicht forschungsintensiven Waren nur noch 5%. Bei den OECD-Ländern machten die forschungsintensiven Waren im Jahre 1998 einen Anteil von 51,5% am Außenhandel aus (Quelle: Drucksache des Deutschen Bundestages 14/ 6268 vom 11.06.2001). Daraus läßt sich schließen, daß eine weiterhin führende Rolle als Exportnation auf Dauer nur zu verteidigen und erst recht auszubauen ist, wenn eine entsprechende Position in der Spitzentechnik und bei der Produktion forschungsintensiver Güter erreicht wird. Wie entstehen Innovationen, welche typischen Innovationen gibt es und läßt sich aus einer wie auch immer gestalteten Charakterisierung und Typisierung vielleicht auch ableiten, welche Arten von Innovation durch Regierungshandeln zu initiieren oder wenigstens zu fördern sind? Einige der zuvor erwähnten Beispiele geben sicherlich erste Hinweise auf mögliche Gestaltungsinstrumente für die Initiierung von Innovationen und die Steuerung des Technologietransfers. Dabei soll aber die Behandlung der Kniesehnen von Innovatoren nicht im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

III. Was sind Innovationen? 1. Hardware oder Software-Innovation Schon das von Adam Smith untersuchte Beispiel der Nadelproduktion weist darauf hin, daß nicht allein naturwissenschaftlich-technische Phänomene, sondern eben auch Entwicklungen im „soften“ Bereich von Management, Organisation, Recht, etc. bedeutende Innovationen sein können. So wurde in den letzten Jahrzehnten gerade das Gebiet der Unternehmensführung immer weiterentwickelt, wobei sich viele Impulse als Wegbereiter und

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später integrale Bestandteile der Globalisierung erwiesen, angefangen von der durchaus negativ gemeinten Formel vom „amerikanischen Management“ bis zur aktuellen Diskussion um Outsourcing und internationale Arbeitsteilung und Arbeitsplatzverlagerung. Mit dem Einsatz der IT-Technologien wird noch einmal verdeutlicht und verstärkt, wie sich die Bereiche Führungsinnovation und technische Innovation berühren und durchdringen. Die ständige Weiterentwicklung von Mikroprozessor und Speichermedien, begleitet von Programmentwicklungen, die es jeweils erst erlauben, die von der Hardware bereitgestellten Potentiale in die Verbesserung und Beschleunigung betrieblicher Prozesse umzusetzen, macht die permanente Weiterentwicklung des Produktionsprozesses auch im zwischenbetrieblichen Zusammenspiel möglich. Ein bekanntes Beispiel ist das in der Nachfolge der Entdeckung des Phänomens „lean production“ neu organisierte Zusammenspiel von Automobilherstellern und Lieferanten. 2. Wechselspiel von gesellschaftlicher und technologischer Innovation Aber auch andere große bekannte Beispiele beleuchten das Wechselspiel gesellschaftlicher und technologischer Innovation: Erstes Beispiel: Das Fernsehen in seiner alten Gestalt mit maximal drei Programmen, wie wir es jahrzehntelang erlebt haben. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft waren im wesentlichen konvergenzstiftend: Durch Orientierung an einer bestimmten zeitlichen Struktur der Programme (Tagesschau um 20.00 Uhr), die von der Mehrzahl der Bürger konsumiert wurden, entstanden ein bestimmter gemeinsamer Erfahrungsbereich und eine verbindliche Rhythmisierung des Alltags (Anruf nicht während der Tagesschau!). Fast kann man sagen, das Fernsehen übernahm die Aufgabe, die im Mittelalter von den Kirchen(glocken) geleistet wurde. Durch die technische Möglichkeit und die entsprechende Umsetzung am Markt, mit dem Fernseher eine große Zahl von nicht zeitlich koordinierten Programmen zu empfangen, hat sich die Wirkung des Fernsehens umgedreht: nun wird eher einer Atomisierung der Gesellschaft Vorschub geleistet. Zweites Beispiel: Zwei naturwissenschaftlich-technische Innovationsketten, nämlich einmal die mechanische Entwicklung und der Fortschritt in der Chemie haben gemeinsam zu einer Revolution der Landwirtschaft geführt, die die industrielle Revolution noch einmal weiter beschleunigt hat und Erwerbstätigkeit und wirtschaftliche Grundlagen nahezu aller Menschen, zuerst in Europa und Nordamerika, massivst beeinflußt hat. Der Weg von der Agrargesellschaft in eine industrielle Gesellschaft, die nun wie-

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derum im Wandel ist und ihren Umgang mit der Zeit neu überdenken muß, wurde nur durch diese beiden Innovationsketten möglich. Das dritte Beispiel: eine pharmazeutische Entwicklung, nämlich die Ovulationshemmer, sprich: die Pille, hat neben einer sexuellen Revolution auch Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Sozialversicherungssysteme, deren Folgen noch immer nicht vollständig eingeschätzt, geschweige denn bewältigt werden können. Das vierte Beispiel: umgekehrt haben gesellschaftlich-politische Entscheidungen innovativ sein können und damit erst Änderungen in Wirtschaft und Technik ermöglicht. Die Gewerbeordnung von 1869 bzw. die Fortschreibung im Grundgesetz von 1949, wo die Gewerbefreiheit als Rechtsgut anerkannt und Rahmenbedingung für wirtschaftliche Tätigkeit festgeschrieben werden sollte, haben die Hemmnisse einer Ständegesellschaft überwunden, auch wenn die aus dieser Ständegesellschaft resultierenden Institutionen heftigsten Widerstand leisteten, immer noch leisten und dabei auch erfolgreich sind (Kammermitgliedschaft, Gewerbeordnung). Es wird interessant zu beobachten bleiben, wie die Europäische Kommission diese Entwicklung in Zukunft steuern wird. 3. Innovation oder Imitation/Organisation des Technologietransfers Die Vokabel Technologietransfer wird gemeinhin als positive, oft staatliche Aufgabe verstanden. Die Kniesehnen des Schmiedes Wieland hingegen mußten leiden, weil König Nidung Nachteile dadurch befürchtete, daß das Geheimnis der Herstellung von Kohlenstoffstahl in andere Hände geriet. Als positive Aufgabe, die als äußerst wirkungsvoll erfüllt angesehen werden kann, ist hingegen der Technologieexport über den Anlagenbau oder auch über die Entwicklungshilfe in Teile der ehemals so genannten Dritten Welt anzusehen: angesichts der internationalen Wettbewerbssituation sind wir wohl das eine oder andere Mal auch über das Ziel hinaus geschossen – Beispiele bietet die internationale Verteilung der Chipproduktion, vor allem aber die vollständige Abwanderung kompletter Industrien, in denen Deutschland ehemals führend war. Zumeist ist dieser Transfer über Ausbildung und Personaltransfer organisiert worden, häufig im Zusammenhang mit Anlagenlieferungen. Aber Deutschland war keineswegs nur Geberland im internationalen Technologietransfer: So sind viele fundamentale Fortschritte der deutschen Wirtschaft, die als Innovationen bezeichnet und empfunden wurden, bei genauer Betrachtung Imitation, teilweise durch Modifikationen gemildert. Das gilt exemplarisch für die Wellen der verschiedenen Nutzung des Mikropro-

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zessors. Eine der ersten Wellen (voraus ging noch die Sekretariatsmodernisierung, wo erstmals die elektronische Textverarbeitung Einzug hielt) war der Siegeszug der CNC-Techniken und der damit verbundenen Techniken, der die zweite Hälfte der achtziger Jahre beherrschte. Diese wurden in Deutschland noch in den frühen neunziger Jahren generell als „Neue Technologien“ bezeichnet, obwohl ihre (amerikanischen) Ursprünge damals schon fast vier Jahrzehnte zurücklagen. Eine ähnliche Fehlwahrnehmung scheint sich nun bei der Satellitennavigation abzuzeichnen: Das entsprechende 1999 beschlossene europäische Projekt (im Rahmen von Galileo), dessen avisierte Inbetriebnahme für 2008 mittlerweile gefährdet scheint, wird politisch und öffentlich als fundamentale Neuentwicklung verkauft. Aber der erste, natürlich amerikanische GPSSatellit wurde 1978 erfolgreich gestartet, der Beschluß zum Aufbau wurde bereits 1973 getroffen (GPS: global positioning system – richtiger Name eigentlich NAVSTAR für navigation system for timing and ranging). Schon 2003 waren ca. 900 000 neu zugelassene Automobile allein in Deutschland mit Navigationssystemen auf dieser Basis ausgestattet, der entsprechende Umsatz machte ca. 1,5 Milliarden Euro aus. In der Trägerraketentechnologie liegt Europa ähnlich hoffnungslos hinter China und demnächst Brasilien zurück. Beide Länder erhalten übrigens noch deutsche Entwicklungshilfe. Der mit der CNC-Technik verbundene Modernisierungsprozeß für die deutsche Wirtschaft bestand also im wesentlichen in der Einführung entwikkelter, überlegener Techniken. Diese wurden sowohl flächendeckend in die Fertigung, also in die Produktionstechnologie eingeführt als auch mit zeitlichem Verzug in die Produkte, etwa des Maschinenbaus integriert. Dann wurden diese neuen Chancen vorbildlich genutzt, aber eher im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses als im Sinne eines Innovationssprungs. Insbesondere die Maschinenbauer verstanden es, die Nutzung dieser Technik und auch ihre Weiterentwicklung in ihre Kernkompetenz zu integrieren. In diesen Kontext gehören auch die Variationen zur eigentlichen CNC-Technik, wie etwa DNC, CAD, CAM, SPS, etc. Interessant sind Management und die Methodik dieses Transferprozesses, auch weil sie ein positives Beispiel für eine führende Rolle des Staates bzw. der öffentlichen Infrastrukturen abgeben. Die ersten Investitionen in diese neuen Maschinen (vor allem und zuerst in der spanabhebenden Fertigung, etwa beim Drehen und Fräsen) versuchten die deutschen Unternehmen dadurch zu organisieren, daß sie die für diese neuen Aufgaben vorgesehenen Mitarbeiter zu Kurzschulungen bei den Maschinenherstellern schickten. Parallel dazu hatten erste freie Bildungsträger mit öffentlicher Förderung, u. a. von Landesministerien, vom Bundesinstitut für Berufsbildung oder von

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der Bundesanstalt für Arbeit, begonnen, ein systematisches Weiterbildungsund Umschulungsangebot aufzubauen. Dies führte zu einem breiten Angebot entsprechend qualifizierter Kräfte, die nun in den Unternehmen die Möglichkeit schufen, in diese Technologien einzusteigen. Auch die Unternehmen, die von sich aus entsprechende Investitionen machten und dabei auf die Kurzschulung durch die Maschinenhersteller setzten, erkannten schnell den Sinn einer systematischen Ausbildung, die der Einweisung in das Handling eines bestimmten Maschinentyps vorausging. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die öffentlich geförderte und von der Infrastruktur spezialisierter Bildungsunternehmen durchgeführte Kampagne zeitlich der entsprechenden Welle betrieblicher Investitionen vorauseilte und diese wesentlich erleichterte und in vielen Fällen auch erst ermöglichte. Die Standardisierung dieser Curricula und der Einbau in die staatlich regulierten Lehrpläne etwa der Berufsschulen in Zusammenhang mit einer entsprechenden Neuordnung der betroffenen Berufe erfolgte erst ein halbes Jahrzehnt später. Ein wesentliches Element für diese erfolgreiche Innovation war also das Transferinstrument der beruflichen Bildung. Zunächst als Weiterbildung und Umschulung, dann auch in der Ausbildung.

4. Innovation als Frage oder Antwort Die Produktivitätssteigerung durch die Automatisierung der Fertigung war immens – auch weil dieser Modernisierungsschub durch die begleitende notwendige leistungssteigernde Innovation bei Werkstoffen und Werkzeugen begleitet wurde. Interessant also, wie die durch die Geschwindigkeitssteigerung der neuen Steuerungstechnik, das ist nämlich CNC im wesentlichen, aufgeworfene Aufgabenstellung, nun Werkzeuge und Werkstoffe bereitzustellen, die diesen Geschwindigkeiten gewachsen sind, sofort entsprechende Entwicklungen und Innovationen bei diesen Lieferanten induzierte – im übrigen ist kaum aufgefallen, daß das Potential der CNC-Technik eben nur zu realisieren war, weil diese „Begleittechnologien“ ihren Fortschritt sozusagen synchronisierten. Diese Begleitinnovationen zur CNCTechnik weisen auf ein Standardphänomen des Innovationsgeschehens hin: die intensive und systematischen Auseinandersetzung mit einem realen Problem führt zu neuen Lösungen. Das Beispiel der europäischen PorzellanNeuerfindung wurde schon geschildert. Deutlich ist auch das Beispiel der Systematisierung der Mikroskopherstellung. Die bis dahin übliche Montage von Mikroskopen durch Probieren am Produkt regte Ernst Abbe, der vor 100 Jahren verstarb, dazu an, eine „Theorie der Abbildung im Mikroskop“ auszuarbeiten – die Grundlage der Jenaer Erfolgsgeschichten der ZeissWerke sowie der entsprechenden Glasproduktion bei Schott.

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Dieser Ansatz der systematischen Entwicklung, der von einem definierten Problem ausgeht, bestimmt seit jeher die Tätigkeit von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Die Pharmazie kann geradezu als die systematische Suche nach der Antwort durch ein Medikament bzw. durch eine medikamentöse Behandlung auf die durch eine Krankheit gegebene Frage verstanden werden. Auch die beiden größten Erkenntnissprünge in der Physik im zwanzigsten Jahrhundert gehen darauf zurück, daß die Beschäftigung mit bis dahin nicht hinreichend erklärten Phänomenen zu neuen, tragfähigeren Theorien führten: die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen auch bei bewegten Quellen zur Relativitätstheorie und das dem klassischen Modell eines Dipols widersprechende Verhalten des Wasserstoffatoms zur Quantentheorie. Die Petrochemie zeigte ihre Leistungsfähigkeit sehr deutlich und vor aller Augen, als die Forderung nach geringerem Schadstoffausstoß zur Entwicklung bzw. Weiterführung des Katalysatoreinsatzes im Automobil führte und nun klopffeste Kraftstoffe ohne Blei(-tetraethyl bzw. -tetramethyl)zusatz gefragt waren: die Produktion wurde in der öffentlichen Wahrnehmung „einfach umgestellt“. Die Suche nach Ersatzstoffen für das Erdöl führte zur Kohleverflüssigung im Bergius-Verfahren, das zwar in Deutschland nicht mehr zu diesem Zweck angewandt wurde, immer noch in Südafrika und in naher Zukunft auch in China. Selbst in der Musik gibt es Beispiele: etwa die den Jazz revolutionierende Gitarrenspieltechnik des Jean Baptist („Django“) Reinhard, der nach einem Brandunfall nur noch drei Finger der linken Hand bewegen konnte und deshalb eine Alternative entwickelte. Die Wehrtechnik kann in vielen Bereichen geradezu als Frage- und Antwortspiel gesehen werden: etwa zwischen Belagerungstechnik und Festungsbau. Dies gilt ebenso für die Entwicklung von Panzerungen und Hieb-, Stich- und Schußwaffen. Besonders deutlich und immer noch aktuell ist der Wettlauf im Feld des Chiffrierens und Dechiffrierens. 5. „Schwache Innovation“ Diese Art des Innovationsprozesses, dessen Grundidee feststeht und nur noch Parameter weiterentwickelt werden, weist bereits auf den vielfach untersuchten und mittlerweile sehr rigoros durch stringentes Management vorangetriebenen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß (KVP). Allerdings gehört die stete Parameterweiterentwicklung, wie etwa Erhöhung des Wirkungsgrades, die Verbesserung der Wärmedämmung oder die

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Steigerung der Prozeßausbeute und damit die Vermeidung von Abfallstoffen schon lange zum Kern der Ingenieurarbeit: Der Wirkungsgrad wird seit Carnot untersucht, der Übergang von der atmosphärischen zur Überdruckdampfmaschine gehört zu den wesentlichen Fortschritten in der frühen Industrialisierung und Tausende von Chemiestudenten sind an der Aufgabe verzweifelt, sogenannte Gattermannausbeuten zu erzielen. Viele klassische chemische Verfahren sind nicht zuletzt wegen ihrer Eleganz beim Wiedereinsatz von Zwischenprodukten und der Vermeidung von Nebenprodukten zu Lehrbeispielen geworden. Insofern ist auch die öffentliche, wohl politisch gewollte Wahrnehmung, erst durch gesetzliche Vorgaben würde die Industrie gezwungen, Energie und Rohstoffe sparsam einzusetzen, schlicht irreführend. Außerdem ist die Einfallslosigkeit erschütternd, mit der einfach durch regelmäßiges Vorantreiben parametrischer Vorgaben – etwa Wärmedämmung, Kraftstoffverbrauch oder Senkung des Anteils bestimmter Schadstoffe in Produkten – eine Steuerung des gesamten Wirtschaftsprozesses betrieben wird. An den letzten Beispielen ist auch zu erkennen, wie ein solcher nur in eine Richtung fortschreitender Innovationsprozeß nach und nach an Kreativität verliert. Dickeren Festungsmauern werden stärkere Geschütze entgegen gestellt; elektronisch komplizierteren Diebstahlsicherungen wird mit mehr Rechnerkapazität, größerer Rechnergeschwindigkeit und besseren Programmen zu Leibe gegangen. Zum Schluß aber kann eine kreative Zerstörung – ganz im Sinne von Schumpeter – eine solche Entwicklung ins Leere laufen lassen. In der Wehrgeschichte ist dies mehrfach durch einen plötzlichen und überaus erfolgreichen Übergang zur beweglichen Kriegführung vollzogen worden. Dies ist von Sun Tzu über Dschingis-Khan, Sherman im amerikanischen Bürgerkrieg bis zum ersten Weltkrieg zu beobachten, wo die Tanks die Stellungskriege ablösten. Die routinierten Innovationsprozesse verlieren zunehmend an Kreativität; ersetzt wird dies durch Material- und Geldeinsatz. Das wirklich Neue kommt zumeist von einer unvorhergesehenen Stelle und ist oft reine Geistesleistung. Die Geschichte der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts ist voller Beispiele hierzu. 6. Die deutsche Hochschule als Innovationsquelle Dem steht jedoch ein anderer Ansatz gegenüber, der geradezu zum Paradigma der deutschen Innovationspolitik geworden zu sein scheint: Zu schönen, vor allem zu geförderten Antworten muß es doch auch eine passende Frage geben. Insbesondere der ehemalige nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Prof. Dr. Reimut Jochimsen vertrat und propagierte bereits in den frühen achtziger Jahren die Auffassung, die Hochschulen und

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ihr Umfeld seien eine ldeenbonanza, die zum entscheidenden Motor für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung werden könne. Man müsse nur noch ihre Ausbeutung, den Transfer organisieren. Diese Auffassung wurde zu einem entscheidenden Element der Wirtschafts- und Strukturpolitik in Deutschland. Ähnliche Entwicklungen waren und sind auch im europäischen Ausland zu beobachten. In diesen Versuch, Technologietransfer aus der Hochschule in die Wirtschaft zu organisieren wurde viel Geld gesteckt und es wurden umfangreiche Infrastrukturen aufgebaut. Ziel war und ist es, einen permanenten Innovationsprozeß zu implementieren, bei dem in den Hochschulen Know-How produziert, von den dazu geschaffenen Institutionen in die Wirtschaft transferiert und dort unverzüglich durch die Unternehmen in Produkte und Verfahren umgesetzt wird, was zu einem immerwährenden Vorsprung der deutschen, später auch der europäischen Wirtschaft im globalen Wettbewerb führen würde. Dem stehen mittlerweile allerdings eher enttäuschende Erfahrungen gegenüber. So klagte der damalige Rektor der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, Gerd Kaiser, in einem Bericht für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21. Oktober 1997 zur Leipziger Innovationsmesse unter dem Titel „Zum Jagen getragen“, daß die Ideenfülle der Hochschule nicht genügend Nachfrage bei den Unternehmen fände. Er unterstellt dort der Wirtschaft insgesamt, an Innovationen und Ideen nicht interessiert zu sein. Übersehen wird bei dieser weit verbreiteten Betrachtungsweise, daß man damit eigentlich testiert, daß es keinen Mangel an Ideen- und Know-HowProduktion in den Hochschulen gibt. Vielmehr wird an der Nachfrage der Gesellschaft gemessen eine Überproduktion festgestellt. In der Diskussion um die finanzielle Ausstattung der Hochschulen findet diese Beobachtung allerdings kaum ihren Niederschlag. Erwähnt werden sollte in diesem Zusammenhang, daß im Jahr 2002 gerade 401 Patente von deutschen Hochschulen, Universitäten und Fachhochschulen beim deutschen Patent- und Markenamt angemeldet wurden, von insgesamt 51513 Anmeldungen, also ein Anteil von 0,78 %. Nimmt man die Anmeldungen aus Instituten und von einzelnen Professoren hinzu, so schätzt das Patent- und Markenamt diesen Anteil auf allenfalls 3–5 %.

IV. Erwartungen, Hoffnungen und Pläne 1. Innovation als permanenter Impuls Eng verbunden mit dem Glauben an diese Art der spontan, quasi ohne vorherige Herausforderung durch ein konkretes Problem entstehenden Innovation ist die manchmal überzogene Erwartung an eine nachgerade perma-

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nente Impulswirkung von Innovationen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Insbesondere die Erfahrungen mit der CNC-Technologie haben zu der Fehlerwartung verleitet, nun sei von jeder „neuen“ Technologie ein ähnlich gravierender Wachstumsschub und eine vergleichbare Erfolgsstory zu erwarten. Vielleicht liegt hier sogar eine der Wurzeln für die Abläufe am neuen Markt, die letztlich in einem Absturz endeten. Aber schon vorab war eine Kette von solchen an Technologien geknüpfte Euphorien und Enttäuschungen zu beobachten: man erinnere sich nur an Btx, fuzzy logic, Plasmatechnologie oder Lasertechnik, die ihren Wert und ihre Bedeutung haben, aber nie die überzogenen Erwartungen erfüllen konnten. Eher Unterhaltungswert hat die Geschichte des Memory-Metalls, einer Zufallsentdeckung, der nun seit mehr als einem halben Jahrhundert epochale Anwendungsmöglichkeiten avisiert werden, allerdings konnten diese bislang noch nicht konkret ausgemacht werden – als Beispiel für eine Antwort, die auf ihre Frage noch wartet, scheint es nur noch vom Videorecorder mit seinen vielfältigen, aber nie benötigten Programmierungsmöglichkeiten übertroffen.

2. Die wirtschaftliche Umsetzung von Innovationen und die Rolle des Staates Bei dieser Erwartung an die unmittelbare wirtschaftlich erfolgreiche Umsetzung einer Innovation wird ebenfalls außer Acht gelassen, daß in der Regel nicht der Erstanwender den Ertrag einfährt, vielmehr scheint die unternehmerische Kunst vor allem auch in der Wahl des richtigen Zeitpunktes zum Einstieg zu liegen. In der Mehrzahl der Fälle sind nicht Erfinder und Erstentwickler die Nutznießer – sie übernehmen nur eine gesellschaftlich wichtige, aber äußerst undankbare Aufgabe. In dieser Erfahrung liegt sicherlich eines der Haupthindernisse für die Umsetzung von Ideen, Entdeckungen und Erfindungen in unternehmerischen Erfolg. Neben das Risiko der ersten unternehmerischen Umsetzung tritt der immens hohe Kapitalbedarf für Investitionen gerade in den Spitzentechnologien. Die Chancen für ein Scheitern potenzieren sich und dies ist häufig mit finanziellem Ruin verbunden. Logischerweise ist deshalb neben die staatliche Forschungs- und Entwicklungsförderung auch die Suche nach geeigneten Finanzierungsmodellen für technologieorientierte junge Unternehmen getreten, aber sicherlich sind noch keine idealen Lösungen gefunden worden. Die zur Zeit gepriesene Partnerschaft eines jungen Innovatorunternehmens mit einem etablierten Unternehmen, dessen Kernkompetenz eine Affinität zu der anstehenden Innovation hat, birgt häufig die Gefahr des Kannibalismus in sich. Relativ unverhohlen wird auf Kapitalanbietertreffen

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auf die zur Zeit äußerst günstigen Einkaufskonditionen auf dem Markt der innovativen jungen Unternehmen hingewiesen: nach dem Zusammenbruch des neuen Marktes ist auch der Markt für Frühfinanzierungen von jungen Technologieunternehmen im Jahr 2002 geradezu eingebrochen: 60 Millionen Euro gegenüber 388 Millionen Euro im Jahr 2000 (Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung: „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002“). Überließe man das Innovationsgeschehen ganz allein diesem Markt, so käme das sicherlich manchem etablierten Unternehmen zugute, aber am Nachwachsen tüchtiger innovativer Unternehmer würde es mangeln.

3. Innovation und globaler Wettbewerb Die zu Beginn zitierte Stellungnahme des DIHK-Präsidenten zeigt, daß es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, wonach die Innovation erstens als Motor der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Nation betrachtet wird und zweitens ihre Förderung auch als gesellschaftliche, vor allem staatliche Aufgabe betrachtet wird. Diese Auffassung ist in dieser konsequenten Fassung wahrscheinlich nicht in allen Gesellschaften mit einer freien Marktwirtschaft vorherrschend – aber auch etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika spielt der Staat eine wichtige Rolle, vielleicht sogar eine Schlüsselrolle im Innovationsgeschehen: zumeist allerdings tut er es als Marktteilnehmer, nämlich als Auftraggeber, etwa in der Luft- und Raumfahrt. Es soll hier aber nicht Deutschland und Europa eine Gegenrolle zum Idealmodell einer freien Marktwirtschaft, in der technologische Innovationen ausschließlich Sache der Bürger und Unternehmen wären, zugeschrieben werden. Und in der Tat sind einige wesentliche Rahmenbedingungen völlig anders als zur Zeit von Adam Smith. Der sicherlich größte Unterschied liegt in der anderen Form von Globalisierung, die wir zur Zeit erleben: wir leben erstmals in einer Epoche der „Gleichzeitigkeit“. Verdeutlicht wird dies etwa durch die Aussage von Arno Schmidt, der noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts feststellte, daß unsere intellektuell maßgeblichen Zeitgenossen immer schon tot seien, weil ihre Gedanken und Ideen zur Verbreitung soviel Zeit brauchten. Das ist radikal anders geworden, nicht nur in der Literatur: zum ersten Mal ist möglich, Ideen und Informationen praktisch noch zum Entstehungszeitpunkt weltweit zu verteilen und dies findet permanent statt. Ein Vorsprung durch Innovationen ist damit deutlich kurzlebiger geworden. Dies bedeutet in der Tat, daß die Innovationsgeschwindigkeit steigt bzw. daß zu einer ausgeprägten Wettbewerbsstrategie auch eine Innovationsstrategie gehört.

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Schließlich wurde es möglich, Dienstleistungen, die in der Informationserzeugung oder -verarbeitung liegen, ortsunabhängig auszuführen. Dies wird als Problem des Arbeitsplatzexports diskutiert – die rigorose Allokation verschiedener Wertschöpfungsschritte allein nach Kostengesichtspunkten á la Adam Smith stößt nicht allein hei den Gewerkschaften zunehmend auf Bedenken. Neben diesem geschichtlich neuen Phänomen der Gleichzeitigkeit aber hat sich auch die Verteilung komparativer Merkmale der Nationen und Kulturen kräftig verschoben. So profitierte die deutsche Wirtschaft über einen langen Zeitraum von einem enormen Bildungsvorsprung im internationalen Vergleich. Angefangen mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht, die auch die Einübung vieler für eine Industriegesellschaft wichtiger Sekundärtugenden mit sich brachte, über den Aufbau eines Ausbildungssystems für die Industrie (angelehnt an handwerkliche Traditionen) und ein exzellentes Hochschulsystem haben die verschiedenen deutschen Staaten, allen voran Preußen, der Wirtschaft hervorragende Rahmenbedingungen für den Wettbewerb in einer Welt geliefert, in der die Verteilung von Bildung nicht üppig und zum Teil sehr ungerecht war. Das Verschwinden dieses Vorteils ist eine insgesamt positive Erscheinung, weil die Angleichung (von Deutschland, Stichwort PISA, abgesehen) im wesentlichen nach oben stattgefunden hat; Bildung und Ausbildung sind weltweit zu finden, die Situation verbessert sich noch (aus humanitärer Sicht), aber die naive Erwartung, deutsche Produkte seien von vorn herein besonders wettbewerbsfähig, ist schon lange nicht mehr zu halten. Anders ausgedrückt: mit der Angleichung bestimmter kultureller Rahmenbedingungen hat sich die Situation im internationalen Wettbewerb, auch bezogen auf das Thema Innovation, entscheidend geändert. 4. Innovation und der Steuerungsanspruch der Europäischen Gemeinschaft Vor diesem Hintergrund ist sicherlich auch die im 6. Rahmenprogramm erklärte Zielsetzung der Europäischen Gemeinschaft zu sehen, „die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemeinschaft zu stärken und die Entwicklung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger Unterstützung von bestimmten Forschungsmaßnahmen zu fördern“. Dies umfaßt auch den Anspruch, die Richtung von Forschung und Entwicklung als Basis wirtschaftsrelevanter Innovation vorzugeben. Damit hat das Phänomen der Innovation in der europäischen Geschichte einen weiten Weg vom Motor der vor allem vom Bürger und Unternehmer

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Friedhelm Franz

gestalteten industriellen Revolution in einen staatlich und überstaatlich organisierten „Europäischen Forschungsraum“ zurückgelegt. Es bleibt zu hoffen, daß dieser Forschungsraum auch als Lebensraum für individuelle Kreativität geeignet ist und in diesem Raum auch eine durch Innovation untermauerte unternehmerische Kultur gedeihen kann.

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung Die bewältigten und zu bewältigenden ökonomischen und demografischen Veränderungen im Kreis Siegen-Wittgenstein Von Paul Breuer Zwischen den Wirtschaftsräumen Ruhrgebiet, Rheinland und dem RheinMain-Gebiet zentral gelegen, bietet der Kreis Siegen-Wittgenstein den Menschen, die in ihm leben, ein hohes Maß an Lebensqualität. Das Siegerland als eine der ältesten Industrieregionen Mitteleuropas hat in den zurückliegenden Jahren einen gewaltigen, aber erfolgreichen Strukturwandel bewältigt. Hierzu hat seit ihrem Bestehen die Universität Siegen in besonderer Weise als Impulsgeber beigetragen. Heute rückt – nicht nur in der Region Siegen-Wittgenstein – die demografische Entwicklung immer stärker in den Blickpunkt der zuständigen Entscheidungsträger. Hier liegt auch eine wesentliche Grundlage im Hinblick auf zukunftsgerichtete Weichenstellungen. Nicht nur die Politik ist auf allen Ebenen gefordert, sondern sämtliche gesellschaftlichen Kräfte, die in wesentlichen Fragen an einem Strang ziehen müssen, um Siegen-Wittgenstein zu einer Region voller individueller Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu gestalten.

I. Ökonomische Herausforderungen selbstbewusst angegangen Die Wirtschaftsgeschichte der Region weist erhebliche strukturelle Veränderungen auf, die in den zurückliegenden Jahrzehnten zu bewältigen waren. Betriebe, Bildungseinrichtungen, Politik und Verwaltung haben hierzu die entscheidenden Weichen gestellt. Aus heutiger Sicht bleibt festzuhalten, dass die Region Siegen-Wittgenstein u. a. auf eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten in ganz Nordrhein-Westfalen verweisen kann. Das Siegerland gehört zu den ältesten und traditionsreichsten Industrieregionen Europas, vor allem im Bereich der Eisen- und Stahlverarbeitung.

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Paul Breuer

Bereits vor mehr als 2600 Jahren begannen hier die Menschen, Eisenerz zu fördern, in Hochöfen zu schmelzen und weiter zu verarbeiten. Charakteristisch für die Region war und ist ein einmaliger Wirtschaftskreislauf, der sich nicht nur ökonomisch bewährte, sondern auch durch Umweltverträglichkeit auszeichnet: Das Holz der endlosen Wälder lieferte die Holzkohle für die Verhüttung. Die Wasserkraft bewegte die Schmiedehämmer für die Bearbeitung des Roheisens. Der so genannte „Siegerländer Hauberg“ ist bis heute ein Beispiel für den nachhaltigen Umgang mit der Natur. In der Folge der großen Tradition der Eisen- und Stahlverarbeitung entstanden industrielle Strukturen, die das Siegerland über Jahrhunderte hinweg geprägt haben und heute noch beobachtet werden können. Dazu zählen etwa die vielen mittelständischen Betriebe und eine enge Verbundenheit der Beschäftigten mit ihren Unternehmen. Die letzte Eisenerzgrube wurde in den sechziger, der letzte Hochofen in den siebziger Jahren geschlossen. Was geblieben ist, ist eine breitgefächerte und leistungsfähige Metallindustrie, die das Siegerland nicht nur heute noch prägt, sondern auch international bekannt gemacht hat. Die „Flaggschiffe“ der Siegen-Wittgensteiner Industrie sind die Anlagen- und Maschinenbauunternehmen mit einem bemerkenswert hohen Exportanteil, unter anderem auch in die USA. Überhaupt zeichnet sich der industrielle Sektor durch eine überdurchschnittliche Exportorientierung aus, in einigen Branchen erreicht der Exportanteil 85 Prozent der Produktion. Im Walzenbau und in der Röhrenindustrie gehört die Region zu den ersten Adressen in Europa. Wichtig sind seit jeher der Apparate- und Behälterbau sowie die eisen-, blech- und metallverarbeitende Industrie. Eine Zäsur gab es Mitte der 90er Jahre: Nachdem die aus der Wiedervereinigung resultierenden Effekte abgeklungen waren, setzte – insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe – der Beschäftigungsrückgang wieder ein. Gleichzeitig stagnierte auch die bis dahin kontinuierliche Beschäftigtenzunahme in den „sonstigen Dienstleistungen“. Die strukturelle Umschichtung hat auch die Rangfolgen der Berufsgruppen im Kreisgebiet teilweise sehr deutlich verändert. Gewinner waren in erster Linie die Gesundheitsund Körperpflegeberufe, die Erziehungs- und Ausbildungsberufe, die Chemie- und Kunststoffarbeiter (Verdoppelung von 1.160 auf 2.330!) sowie die Forschung und Entwicklung, d.h. im Wesentlichen Dienstleistungsberufe. Wittgenstein hat sich bei den strukturellen Veränderungen der vergangenen 3 Jahrzehnte sehr gut behaupten können. An der überdurchschnittlich positiven Entwicklung waren mit Ausnahme der Bereiche „Verkehr und

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

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Nachrichtenübermittlung“ sowie „übrige Dienstleistungen“ alle Wirtschaftszweige, vor allem aber die Industrie und die Reha Kliniken beteiligt. Häufig wird vermutet, das Wittgensteiner Bergland sei im Gegensatz zum wirtschafts- und bevölkerungsreichen Siegerland noch überwiegend durch ländliche Forst- und Landwirtschaft bestimmt. Das ist falsch, in Wittgenstein arbeiten – ebenso wie im Siegerland – der überwiegende Teil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im produzierenden Gewerbe. Das Wittgensteiner Land hat allerdings alle landschaftlichen und naturräumlichen Voraussetzungen für Tourismus und Naherholung, die einer weiteren Förderung bedürfen. Das Produkt Rothaarsteig ist dabei bisher eine Erfolgsgeschichte. Geblieben ist auch die starke Ausrichtung der Region auf die Weiterverarbeitung von Eisen, Stahl und Blech sowie den Maschinenbau. Diese Palette wird durch innovative Unternehmungen, etwa aus den Bereichen Oberflächen- und Sensortechnik, Umwelttechnologie oder im Bereich der Medien- und Kommunikationstechnologie ergänzt. Hier liegen die lebendigen Nahtstellen für einen Technologietransfer der Siegener Universität in die betriebliche Praxis. Produkt- und Verfahrensinnovationen werden so zum Nutzen der Region beschleunigt. Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg in der Region ist in erster Linie ihr charakteristischer, hoher Fachkräfteanteil. Industrie und Handel stellen die stärksten Ausbildungsträger dar. Ein Großteil aller jungen Menschen schließt dort seine Lehrverträge ab. Tatsächlich lässt sich die hohe Zahl der qualifizierten Arbeitnehmer auf die überdurchschnittliche Ausbildungsleistung der Unternehmen und natürlich die Bereitschaft der Mitarbeiter zurückführen, sich einer Weiterbildung zu unterziehen. Die seit Jahren vergleichsweise geringe Arbeitslosenquote in der Region ist sicher auch hierauf zurückzuführen. (siehe Seite 230). Eine wichtige Rolle spielt dabei ein weiteres Kennzeichen der Region Siegen-Wittgenstein: Sie ist nämlich im Wesentlichen durch mittelständische Betriebe geprägt. Gerade sie haben sich in der Vergangenheit im Bereich der Erstausbildung besonders engagiert. Mittelständische Betriebe zeichnen sich durch eine Einheit von Eigentum, Leitung, Haftung und Risiko aus, aber auch durch die Mitwirkung der Leitung an allen unternehmenspolitischen Entscheidungen. Flexibilität, flache Hierarchien und kurze Entscheidungswege sind dabei Grundlage einer bemerkenswert hohen Innovationsbereitschaft. Unternehmerisches Verhalten, die Lebensführung, die Anbindung der Familie an das Unternehmen und die Nachfolge sehen häufig ganz anders aus

0,0

2,0

4,0

6,0

8,0

10,0

Januar

8,1

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11,0

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Februar

8,3

10,4

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März

8,5 8,1

10,4

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8,1

Mai

7,6

10,2 10,3

7,8

10,2

8,1

Juli

7,5

10,3

10,5

August

7,7

8,3

10,3

Kreis Siegen-Wittgenstein

10,0

Juni

7,2

Arbeitsamtsbezirk Siegen

April

7,8

8,3

10,3

7,5

8,1

10,1

NRW

7,4

8,0

10,0

BRD

Oktober

10,3

September

10,5

7,7

8,3

10,0

10,3

8,2

8,8

November Dezember

10,1

Arbeitslosenquoten (bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen) im Verlauf des Jahres 2004

Zahlen: Bundesagentur für Arbeit

Prozent

12,0

230 Paul Breuer

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

231

als in managergeführten Betrieben. Die örtliche Verankerung der Unternehmer hat neben einem für die Region bedeutsamen und häufig zu beobachtenden „Pioniergeist“ eine ausgeprägte gesellschaftliche Verantwortung und ein entsprechendes Engagement zur Folge – es war der Mittelstand, der dem Strukturwandel in der Region sein Gesicht gegeben hat. Der Kreis Siegen-Wittgenstein ist Träger von vier berufsbildenden Schulen, den Berufskollegs. Im Rahmen des dualen Ausbildungssystems kommt ihnen eine große Bedeutung zu. Sie haben die Schüler praxisnah und zeitgemäß ausgebildet und so dazu beigetragen, dass sie sich in den Betrieben bewähren und so übernommen werden konnten. Als sinnvolle Ergänzung für die zielorientierte Ausbildung haben sich in den vergangenen Jahren die in der Region vertretenen leistungsfähigen überbetrieblichen Ausbildungszentren, wie etwa das Berufsbildungszentrum „bbz“ der Industrie und Handelskammer Siegen erwiesen. Sie greifen den Unternehmen dort unter die Arme, wo sie die immer komplizierter werdenden fachspezifischen Inhalte alleine nicht mehr vermitteln können. Rund 30 Weiterbildungsanbieter leisten in der Region gute Arbeit. Der größte unter ihnen ist die Volkshochschule Siegen-Wittgenstein, die ebenfalls vom Kreis getragen wird. Angesichts der herausfordernden wirtschaftlichen Lage und der Erkenntnis, welche Rolle eine ausreichende Qualifikation spielt, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, hat die VHS in den vergangenen Jahren das Kursangebot im Schwerpunktbereich der beruflichen Weiterbildung deutlich ausgebaut. Da der Strukturwandel kein abgeschlossenes Kapitel ist, sondern vielmehr ein dauerhafter Prozess, ist es wichtig, dass er im Sinne der heimischen Wirtschaft auch politisch begleitet und mitgestaltet wird. Der Wirtschaftförderung und Strukturentwicklung des Kreises Siegen-Wittgenstein kommt deshalb in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Bedeutung zu. Gemeinsam mit den Kommunen, den wirtschaftsnahen Institutionen, Verbänden und Fachbehörden sowie benachbarten Kreisen zielt die Wirtschaftsförderung auch heute darauf ab, den regionalen Strukturwandel auszubauen und zu unterstützen. Jenseits der direkten und tagesaktuellen Serviceleistungen der Wirtschaftsförderung für Unternehmen gilt es, Infrastruktur auszubauen sowie langfristige Entwicklungsziele zu formulieren und umzusetzen. Das Regionalbüro Strukturentwicklung arbeitet in diesen strategischen Feldern an der langfristigen Sicherung guter Rahmenbedingungen für die Unternehmen in Siegen-Wittgenstein. Regionale Standortbestimmungen müssen optimiert, außerdem Entwicklungshemmnisse und Engpässe beseitigt werden, um Unternehmenssituationen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern. Neue Arbeitsplätze

232

Paul Breuer

entstehen durch neue Ideen. Diese neuen Ideen liefern kleine und mittelständische Unternehmen sowie Existenzgründer und junge Firmen. Zu den bedeutenden Faktoren auf diesem Gebiet gehört auch ein starkes und leistungsfähiges Gründungsnetzwerk. Das „REgionale Netzwerk EXistenzgründung“ (RENEX) wurde 1996 im Rahmen der Gründungsoffensive „Go!“ des Landes NRW eingerichtet und hat sich seitdem bewährt. Ziel ist es, mehr erfolgreiche Existenzgründungen zu erreichen, indem vorhandene Gründungspotentiale optimal ausgeschöpft werden. Ausreichende Information und Beratung können ausschlaggebend sein für den Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmensgründung. Der Kreis Siegen-Wittgenstein begleitet diesen Wandel seit Jahren aktiv im Rahmen der bei der Wirtschaftsförderung und Strukturentwicklung angesiedelten SIEAG, der Siegener Beratungs-Agentur für Existenzgründung und Unternehmensentwicklung. In ihrem Rahmen informiert und berät ein engagiertes Beraterteam zu Fragen der Existenzgründung, der Unternehmensentwicklung und den Möglichkeiten der Förderung aus öffentlichen Programmen. Die Kooperations- und Innovationsinitiative Siegerland-Wittgenstein „KISS“ wurde im April 1997 von der Verwaltungsstelle Siegen der IG Metall und vom Verband der Siegerländer Metallindustriellen e. V. unter Einbeziehung des Kreises Siegen-Wittgenstein initiiert und eingerichtet. Finanziell unterstützt wird das Projekt durch das Land Nordrhein-Westfalen. Ziel ist es, den konkreten Beratungsbedarf von Unternehmensleitungen und Betriebsräten der heimischen Metall- und Elektroindustrie zu begleiten sowie betriebsübergreifende Problembereiche zu bündeln und zu koordinieren. Dies geschieht auf der Grundlage praxisorientierter Projektvorhaben mit wissenschaftlicher Unterstützung. Aus dieser Initiative und der in ihrem Rahmen durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchung zu den Voraussetzungen und Möglichkeiten der Unternehmens- und Beschäftigungssicherung in der Siegener Region ging schließlich auch die Idee zur Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Unternehmenssicherung und -entwicklung Siegen (KUSS) hervor, das im Rahmen des Wettbewerbs der Mittelstandsoffensive des Landes NRW als besonders förderungswürdiges Modellvorhaben ausgewählt wurde. Ziele sind hier die frühzeitige Information der Unternehmen für vorausschauende Entscheidungen, die Nutzung von Synergieeffekten durch Unternehmenskooperationen, die Stärkung der Innovationsbereitschaft sowie die gezieltere Einbindung der Mitarbeiterschaft in die Unternehmensentwicklung. Die Ausbildung junger Menschen in den Betrieben, den beruflichen Schulen, den Ausbildungszentren und die Weiterbildung spielen eine Schlüsselrolle, wenn es um den wirtschaftlichen Erfolg der Region SiegenWittgenstein geht. Eine besondere Bedeutung kommt hier der Universität

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

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Siegen zu, die nicht nur dauerhaft eine hohe Zahl an hoch qualifizierten Absolventen hervorbringt, sondern auch darüber hinaus ein wichtiger gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Akteur in Südwestfalen ist.

II. Zentrale Rolle der Universität Siegen Die Universität Siegen ist die kleinste Universität im Land NRW mit rund 12.000 Studierenden. Dabei bedeutet „klein“ keineswegs „unwichtig“ – ganz im Gegenteil! Wer sich eingehender mit den Studierendenzahlen befasst, der stellt schnell fest, dass auch viele auswärtige Studierende sich ganz bewusst für ein Studium an der Universität Siegen entscheiden: Charakteristisch für die meisten Fachbereiche ist ein besonders enges und vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen Studierenden und Dozenten – was durchaus Vorteile hat. Diese Universität unterscheidet sich von anderen Hochschulen im Land, weil sie dem Modell einer typischen „Regionaluniversität“ entspricht. Damit ist gemeint, dass es einen engen Bezug der Region zur Hochschule gibt. Wie sehr diese Region hinter ihrer Universität steht, ist auch über die Grenzen unserer Region hinaus bei den Strukturdiskussionen der zurückliegenden Jahre mit Interesse beobachtet worden. Mehrere Faktoren sind für die Bindung der Menschen an ihre Universität entscheidend: Nahe liegend der unmittelbare Effekt: Die Universität bietet Arbeitsplätze und schafft Einkommen in der Region. Eine solche Einrichtung besteht nicht nur aus Studierenden und Dozenten, aus Hochschulassistenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Assistenten, sondern auch einer Vielzahl nicht-wissenschaftlicher Arbeitnehmer, die hier ihr tägliches Brot verdienen. Seitens der Universität gehen Beschaffungs- und Dienstleistungsaufträge an die heimische Wirtschaft. Auch die Studierenden, von denen ein Großteil aus der Region kommt, sind Kunden etwa des regionalen Einzelhandels oder nehmen Dienstleistungen in Siegen-Wittgenstein in Anspruch. Hinzu kommen Arbeitsplätze, die Ergebnis des Wissenstransfers sind. Neues Know-how und neue Technologien schaffen neue Arbeitsplätze in der Region, allerdings nur dann, wenn sie hier ihre Weiterentwicklung und schließlich die Umsetzung erfahren. Einrichtungen wie das Technologiezentrum Siegen, das Zentrum für Sensorsysteme (ZESS), die Forschungstransferstelle der Universität oder das Forschungszentrum für multidisziplinäre Analysen und Angewandte Strukturoptimierung (FOMAAS) leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.

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Paul Breuer

Dieser Wissenstransfer in die Region ist wichtig. Die große Bedeutung der Universität für die Region lässt sich auch an der Vielzahl der Projekte ablesen, die von den einzelnen Fachbereichen mit Institutionen und Firmen durchgeführt werden. Im Bereich der Veröffentlichungen kommt dem regionalen Bezug eine besondere Bedeutung zu.1 Der Kreis Siegen-Wittgenstein bietet hier seit 1987 mit seinem Studienpreis einen besonderen Anreiz für Forschungsarbeiten mit einem konkreten regionalen Bezug. Durch den Preis wird vor allem das forscherische Bemühen um die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im regionalen Einzugsbereich der Universität gefördert. Die heimischen Unternehmen pflegen ein gutes Verhältnis zur Universität und sind über das normale Maß hinaus sensibilisiert für akademischen Output welcher Art auch immer. Wie empfänglich sie für den Wissenstransfer sind, hängt freilich von ihrem Produktprogramm ab. Damit leistet die Universität einen ganz unmittelbaren Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Lage Siegen-Wittgensteins. Wir erleben darüber hinaus seit Jahren einen starken Personaltransfer von der Universität in die regionale Wirtschaft: der Wechsel von Studienabsolventen und wissenschaftlichem Personal in ein Arbeitnehmer- oder Selbstständigenverhältnis im heimischen Wirtschaftsraum. Die günstigere Verfügbarkeit von höherqualifizierten Arbeitskräften deckt nicht nur eine gegebene Nachfrage bei den Unternehmen ab, sondern erhöht auch ihre grundsätzliche Bereitschaft, akademisch ausgebildete Arbeitskräfte einzustellen. Durch die Universität Siegen ist die Akademisierung in der Region und in der regionalen Wirtschaft in den vergangenen 25 Jahren um das Vierfache gestiegen! Rund 35 Prozent der Absolventen der Universität finden in der Region eine Anstellung. Sie bilden eine wichtige Nahtstelle für den Wissenstransfer zwischen Universität und betrieblicher Praxis. Einen zeitlichen befristeten Personaltransfer stellen die Praktika der Studierenden im Rahmen ihres Studiums dar. Zwischen der Universität und der Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein besteht seit einiger Zeit eine Kooperationsvereinbarung. Der Kreis stellt eine Reihe zusätzlicher Praktikumsplätze für Studierende zur Verfügung; auf diese Weise werden Sachkenntnisse erworben und neues Wissen vermittelt. Die Universität hat nicht zuletzt auch demografische Auswirkungen, indem sie gerade durch den beschriebenen Personaltransfer junge Menschen 1

Vgl. Clapham R. + Grote B.: „Beiträge der Universität-Gesamthochschule-Siegen für die Wirtschaft der Region“. In: Diskussionsbeiträge zur Ökonomie des technischen Fortschritts Nr. 7, Siegen 1988, S. 36 ff.

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

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an die Region bindet. Die Hochschule trägt so dazu bei, dass das Angebot an Arbeitskräften in der Region vergleichsweise jung gehalten werden kann und damit die regionalen Unternehmen in der Einstellung solcher Beschäftigten begünstigt sind. Die demografischen Entwicklungen sind in der Vergangenheit wenn überhaupt, dann nur selten, berücksichtigt worden. Gerade die Region Siegen-Wittgenstein unterliegt dabei einigen Besonderheiten, die für die Politik, aber auch für alle gesellschaftspolitischen Akteure zukünftig maßgeblich sein werden. Die Universität war und ist ein unverzichtbarer Motor für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung der gesamten Region. Etliche Kooperationsprojekte von Wissenschaftlern der Universität und Unternehmern aus den unterschiedlichsten Branchen der heimischen Industrie dokumentieren die Bedeutung der Hochschule für den wirtschaftlichen Strukturwandel und die Erhaltung der Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau und der Automobilzulieferindustrie. Angesichts der Planungen der Landesregierung, für die an den Hochschulen des Landes Lehr- und Forschungsbereiche Kapazitätsziele festzulegen und die Frage, an welchen Standorten welche dieser Bereiche künftig angeboten werden sollen, über erfolgsbezogene Kennziffern im Wettbewerb zu beantworten, musste gehandelt werden: Im April 2004 hatte ich gemeinsam mit meinen Amts-Kollegen Frank Beckehoff (Kreis Olpe) und Dr. Alfred Beth (Kreis Altenkirchen), sowie dem Bürgermeister der Stadt Siegen, Ulf Stötzel, NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft zu einer Regionalkonferenz nach Siegen eingeladen, um ihr den „Struktur- und Entwicklungsplan der Universität Siegen bis 2010“ vorzustellen. Dieser Plan war vom Rektorat und dem Senat der Universität vorgelegt worden. Er stellt vor dem Hintergrund des Hochschulkonzepts NRW 2010“ die Perspektive für die Zukunft dar. Kernpunkte sind dabei die – zielgerichtete Bündelung der Forschungsaktivitäten, – Förderung weiterer profilbildender Bereiche nach den Medienwissenschaften und der Mikro- und Nanochemie, – Konsequente Fortführung der Umstellung auf die erfolgreichen BachelorMasterstudiengänge, – Beibehaltung der Breite an Studienmöglichkeiten, die für unsere Region so wichtig ist. Ein wichtiges Element ist bei alldem die praxisnahe Lehre. Die Entwicklung der Universität wird in vielen Bereichen durch die Wirtschaftsförderung und Strukturentwicklung des Kreises unterstützt. Der be-

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reits erwähnte Studienpreis des Kreises Siegen-Wittgenstein für herausragende Abschlussarbeiten ist nur ein Beispiel hierfür. Die Bedeutung der Universität für die heimische Wirtschaft, aber auch als Motor der intellektuellen Entwicklung in der Region, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Schon jetzt steht fest, dass die Hochschule auch in Zukunft hierbei eine Schlüsselrolle spielen wird.

III. Demografische Entwicklung: Die Zukunftsinitiative Siegen-Wittgenstein 2020 Der Kreis Siegen-Wittgenstein steht vor gravierenden Veränderungen. Dabei meint „Veränderung“ nichts negatives! Veränderungen jeglicher Art bieten Chancen für Entwicklung und Gestaltung. Voraussetzung: Sie müssen erkannt und entsprechende Handlungsmodelle professionell abgeleitet werden. Eines der ganz wesentlichen Instrumente zur Zukunftsgestaltung unserer Region steht dem Kreis Siegen-Wittgenstein und seinen Kommunen nach wie vor mit der kommunalen Wirtschaftsförderung zur Verfügung. Zwar gehört sie zu dem Bereich der so genannten freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben, hat aber als Arbeitsfeld dennoch eine herausgehobene Stellung. Künftig wird es vermehrt darauf ankommen, dass die Entscheidungsträger im Kreis Siegen-Wittgenstein die Augen offen halten für das, was in den Nachbarkreisen geschieht. In ihrer Wirkung konträre Aktivitäten müssen auch theoretisch ausgeschlossen werden. Deshalb gilt es, die gesamte Region Südwestfalen im Blick zu behalten. Die Aufgabe der Wirtschaftsförderung habe ich schon kurz nach meinem Amtsantritt im Sommer 2003 innerhalb der Kreisverwaltung zur „Chefsache“ gemacht. 1. Neuausrichtung Wirtschaft und Strukturentwicklung In den vergangenen Jahren haben sich die Ausgangspunkte für diese Aufgabe verändert und damit auch die Zielsetzungen. Lange Zeit wurde die Neuansiedlung von Unternehmen in den Vordergrund der Arbeit gestellt. Tatsache ist aber, dass bedeutsame Neuansiedlungen (mit mehr als 30 Arbeitsplätzen) Ausnahmecharakter hatten. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die Deutsche Einheit und die Ost-Erweiterung der Europäischen Union und die Globalisierung verändern die Ausgangslage zusätzlich. Bei der strategischen Neuausrichtung von Handlungsschwerpunkten sind aber auch Änderungen der örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen:

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

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– Umfeldveränderungen (zum Beispiel einschneidende gesellschaftliche Veränderungen, wie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, ein verändertes Gründungsverhalten oder die Weiterentwicklung des Technologiemarktes), – Folgen des demografischen Wandels auf regionaler Ebene, – Finanzengpässe zwingen uns, die finanzielle Grundlage unserer Aufgabenerledigung zu hinterfragen und weiter zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund muss auch die Wirtschaftsförderung im Kreis Siegen-Wittgenstein neu ausgerichtet werden. Es ist vorgesehen, eine neue Zukunftskonzeption für die Wirtschaftsförderung des Kreises Siegen-Wittgenstein zu entwickeln und diesen Prozess fachlich extern begleiten zu lassen. Erstes Ziel muss dabei ein „integriertes Handlungskonzept“ sein. Die Wirtschaftsförderung des Kreises muss mit seinen unterschiedlichen Instrumenten, wie das Wirtschaftsreferat, die Fortbildungsakademie Medien oder das Technologiezentrum, in ihrer Gesamtheit betrachtet und untersucht werden. Künftiges Handeln muss sich dadurch auszeichnen, dass es eine größtmögliche Wirkung entfaltet und dass es finanzierbar ist. Bewegung ist unbequem, ist manchmal mit Arbeit verbunden, aber sie wird stets belohnt. Nicht zeitgemäße Strukturen beizubehalten, wird zwangsläufig bestraft. 2. Ausgangslage: Bevölkerungsgutachten Abseits der Ergebnisse dieses Prozesses sind die groben Handlungsfelder und Ausgangsdaten aber bereits heute zu erkennen. Eine Bevölkerungsexpertise zeigt hierzu einige regionale Besonderheiten auf. Noch in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Wirtschaftsförderungsausschusses des Kreises Siegen-Wittgenstein hatte ich die Erstellung dieses „Gutachtens zu den wirtschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen für den Kreis Siegen-Wittgenstein“ durch den renommierten Bevölkerungswissenschaftler Prof. Dr. Paul Klemmer initiiert. Die zwei wichtigsten Ergebnisse vorweg: – Die Zahl der Einwohner im Kreis wird sich bis zum Jahr 2015 um rund 7.000 Menschen verringern. – Besonders schwierig ist die Entwicklung in der Personengruppe der 27–45-Jährigen: Bis 2015 werden rund 16.500 Menschen aus dieser Gruppe weniger im Kreisgebiet leben. Zwar haben wir gegenüber dem Landesdurchschnitt und gegenüber vergleichbaren Regionen mehr junge

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Menschen. Aber: Gerade in diesem Altersspektrum ist eine starke Abwanderungsbewegung in das Rheinland und in den Wirtschaftsraum Frankfurt am Main festzustellen. Das bedeutet: Wir müssen unseren örtlichen Arbeitsmarkt ins Visier nehmen. Aber es gibt noch weitere Aspekte, die für die Wirtschaftsförderung von Bedeutung sind: – Rationalisierungen in der Industrie haben in der 90er Jahren dazu geführt, dass die Beschäftigungsentwicklung negativ war. – Die Gewinner waren in der Vergangenheit die Gesundheitswirtschaft, die Kunststoffverarbeitung und sonstige Dienstleistungen. Die traditionell regional bedeutsamen Branchen Stahlbearbeitung, Eisen-, Blech- und Metallverarbeitung, die Eisenerzeugung und der Bau mussten dagegen deutliche Einbußen bei den Beschäftigten hinnehmen. – Siegen ist Oberzentrum. Die positive Wirkung eines prosperierenden Oberzentrums für die Stadt selbst, aber gerade auch für das Umland, ist offensichtlich. Derzeit stellen wir hier leider eine sehr schwache Entwicklung fest. Dies führt dazu, dass auch der Speckgürtel der Umlandkommunen seine positiven Effekte nicht voll ausspielen kann. – Die Abwanderung junger, berufstätiger Menschen ist besonders deutlich im Wittgensteiner Land. 3. Zukunftsinitiative Siegen-Wittgenstein 2020 Die genannten Tendenzen zeigen deutlich, in welchen Feldern die Wirtschaftsförderung und Strukturentwicklung in den kommenden Jahren aktiv sein muss. Dabei ist zu beachten, dass sämtliche Aktivitäten aufeinander abgestimmt sein müssen. Wichtigste Aufgabe ist es, die Anbindung der Region an die Fernverkehrsachsen zu verbessern. Das gilt vor allem für den Wittgensteiner Raum, für den diese Forderung bereits seit Jahrzehnten besteht. Es fehlt die OstWest-Verbindung von den Autobahnen und dem Siegerländer Kernraum in das Wittgensteiner Land. Die Konzeption zur B 62 als „Entwicklungsachse Siegen-Wittgenstein“ ist richtig, weil sie dazu geeignet ist, den beschriebenen Abwanderungstrend aus dem Wittgensteiner Land aufzuhalten. Auch eine innere Optimierung des Straßennetzes, insbesondere durch Ortsumgehungen, ist dringend erforderlich. Außerdem müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, die Anbindung der Region an den Schienenfernverkehr zu erhalten. Gleichzeitig muss der öffentliche Personennahverkehr innerhalb der Region auf einem

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modernen Stand gehalten und bedarfsgerecht und finanzierbar ausgerichtet werden. Wir brauchen wieder mehr junge Familien. Es muss untersucht werden, warum es zu wenig junge Familien bei uns gibt und was unternommen werden kann, um unsere Region für diese Zielgruppe attraktiv zu machen. Ein entscheidendes Argument kann in diesem Zusammenhang die Möglichkeit sein, dass hier der Traum vom eigenen „Häuschen im Grünen“ noch verwirklicht werden kann. Hierfür müssen optimale Rahmenbedingungen geschaffen werden. Klassisches Arbeitsfeld der Wirtschaftsförderung und Strukturentwicklung ist die Stärkung der Rahmenbedingungen für die regionale Wirtschaft. Aus den vielfältigen Anstrengungen des Kreises möchte ich vier Bereiche herausheben: Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um unseren Unternehmen attraktive Gewerbegebiete anzubieten, um ihnen eine Expansion vor Ort zu ermöglichen. Außerdem müssen auswärtige Unternehmen die Chance einer Neuansiedlung haben. Beides gilt in verstärktem Maße für Siegen. Im Siegener Kernraum stehen lediglich 8,5 ha Fläche, verteilt auf 12 Einzelflächen, zur sofortigen Bebauung zur Verfügung. Ohne ein ausreichendes Angebot an frei verfügbaren gewerblichen Bauflächen ist der Strukturwandel in SiegenWittgenstein nicht zu bewältigen, was sich schlagartig negativ auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Nur wo genügend Platz für Handel und Gewerbe ist, können Arbeitsplätze in größerem Umfang entstehen. Derzeit schließt die Gewerbeflächenbilanz mit einem Fehlbedarf von 150 bis 200 ha ab. Heimische Betriebe müssen auf eine gute Verkehrs-Infrastruktur zugreifen können. Dazu zählt die schon erwähnte Anbindung an Schiene und Straße, aber auch ein leistungsstarker Siegerland-Flughafen. Ein weiterer Faktor, den wir mit bewegen können, ist der Bildungsbereich, vor allem die berufliche Bildung. Wir dürfen nicht darin nachlassen, die Berufskollegs angemessen auszustatten. Vor einigen Wochen konnten wir Richtfest für den Erweiterungsbau am Berufskolleg Wirtschaft und Verwaltung feiern, wo der Kreis insgesamt mehr als 9 Mio EUR investiert hat. Derzeit erarbeiten wir einen neuen Schulentwicklungsplan der die demografische Entwicklung berücksichtigt. Die Universität Siegen hat sich, wie gezeigt, für die kommenden Jahre hervorragend aufgestellt. Bei der schon angeführten Regionalkonferenz Ende April diesen Jahres hatten wir Gelegenheit, der zuständigen Ministerin Hannelore Kraft den Struktur- und Entwicklungsplan der Universität bis 2010 vorzustellen. Er sieht unter anderem die weitere Umstellung auf Bachelor-/Master-Studiengänge, eine stärkere Profilbildung in der Forschung

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und die Umwandlung der Fachhochschulstudiengänge in Universitätsstudiengänge vor. Angesichts der immer stärkeren Globalisierung der Märkte, muss für die Unternehmen eine stärkere Kooperation untereinander, aber auch mit Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, ein Thema sein. Hierfür können wir einen Rahmen bieten, wie das Beispiel der Kooperationsbörsen zeigt, die der Kreis regelmäßig veranstaltet. In diesen Bereichen liegen die thematischen Herausforderungen für die Wirtschaft und Strukturentwicklung für die Zukunft, um unsere Region zu einer Region voller individueller Lebenschancen zu gestalten. Das Bevölkerungsgutachten erlaubt Rückschlüsse für alle Aufgabengebiete der Kreisverwaltung, von denen die Wirtschaft und Strukturentwicklung nur eines ist. Die Herausforderungen der Zukunft können nur gemeinsam gelöst werden. Daher habe ich mit der „Zukunftsinitiative Siegen-Wittgenstein 2020“ einen breit angelegten Kommunikations- und Diskussionsprozess angestoßen. Wir laden zum Aufbruch ein. Gleichzeitig wurden auf regionaler Ebene verschiedene Handlungsfelder definiert, darunter die Bereiche „Wirtschaft/Arbeit/Bildung“, „Soziale Infrastruktur“, „Gesundheitsinfrastruktur“, „Touristische Infrastruktur“, „Bauen und Wohnen“, „Mobilität“ sowie eine moderne Dienstleistungsverwaltung. Diese Felder müssen im Sinne einer zukunftsorientierten und auf die Bedürfnisse der Region zugeschnittenen Politik auf regionaler Ebene bearbeitet werden. Die wesentlichen Bereiche der Entwicklung sind auf kommunaler Ebene verankert. Hier entscheiden Städte und Gemeinden darüber, ob und in welchen Bereichen und mit welchen Inhalten sie in eigener Hoheit Handlungsempfehlungen für die Bewältigung der demografischen Herausforderungen erarbeiten. Die Kommunen sind eingeladen, ihre individuell erarbeiteten Handlungsempfehlungen auf Kreisebene zusammen zu fassen, damit die Region Siegen-Wittgenstein im kommunalen Verbund ihre Strukturentwicklung gegenüber der Landesregierung und anderen Stellen offensiv vermitteln kann. Zu den einzelnen Handlungsfeldern sind zum Teil im Bereich „Leben und Wohnen im Alter“, bereits Zukunftsforen eingerichtet worden, in denen die Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet werden. Eine breit angelegte Regionalkonferenz soll die Initiative vordiskutieren. Zur Koordination der einzelnen Maßnahmen und Entscheidungen wurde ein Initiativkreis ins Leben gerufen, an dem sich Persönlichkeiten aus regionalen Institutionen und Unternehmen beteiligen.

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

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a) Zukunftsinitiative Siegen-Wittgenstein 2020 – Leben und Wohnen im Alter Vergleichsweise weit vorangeschritten ist der Prozess im Hinblick auf die künftige altenpolitische Positionierung des Kreises und der Steuerung des Pflegemarktes in Siegen-Wittgenstein. Derzeit leben im Kreis Siegen-Wittgenstein rund 12.500 „hochbetagte“ Menschen (älter als 80 Jahre). Wir wissen bereits heute, dass es im Jahre 2020 ca. 20.000 sein werden (Zahlen: Kreis Siegen-Wittgenstein/Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik). Mit der Neufassung des Landespflegegesetzes liegt die Pflegeplanung und die hieraus folgende Kostenträgerschaft allein in der Kreiszuständigkeit. Um die richtigen Weichen für die Zukunft stellen zu können, hat die Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein ein offenes und transparentes Beteiligungs- und Einbindungsverfahren aller in der Region am Geschehen Beteiligten durchgeführt. Ein Kernpunkt war dabei die Durchführung einer Repräsentativbefragung zur Erfassung der Lebenslage von Menschen im Alter von über 60 Jahren im Kreis Siegen-Wittgenstein. Hierzu wurden beinahe 11.500 Fragebögen verschickt, die von nahezu jedem zweiten Befragten beantwortet zurück gesandt wurden (Rücklaufquote: 48 Prozent). Eine vergleichbare Befragungsaktion hatte bereits 1991 stattgefunden, so dass die jetzt gewonnenen Ergebnisse Rückschlüsse auf Entwicklungen in diesem Zeitraum zulassen. Gleichzeitig wurde eine Reihe von „SeniorenForen“ veranstaltet, um entsprechende Meinungsbilder von den betroffenen Menschen, den Pflegeanbietern, den Hausärzten und anderen Beteiligten einzuholen. Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass ältere Menschen im Kreis Siegen-Wittgenstein so lange wie möglich selbstbestimmt in den „eigenen vier Wänden“ leben wollen. Ein vergleichsweise hoher Anteil der Pflegebedürftigen im Kreis Siegen-Wittgenstein wird offensichtlich zu Hause versorgt, was große Gestaltungsspielräume bei der Ausgestaltung ambulanter Hilfen aufzeigt. Weiteres, wesentliches Ergebnis der Repräsentativbefragung: Zwar hat sich in der subjektiven Wahrnehmung der Befragten die allgemeine Versorgungslage generell verbessert. Dem stehen aber deutliche Verschlechterungen und Sorgen beim Schlüsselthema Pflegebedürftigkeit gegenüber: Im Falle der Pflegebedürftigkeit empfinden die Menschen in Siegen-Wittgenstein ganz subjektiv trotz Pflegeversicherung weniger Sicherheit als im Jahre 1991. Der Kreistag Siegen-Wittgenstein als politisches Gremium hat die Ansätze der Initiative und die entsprechenden Handlungsempfehlungen hinsichtlich der künftigen Altenpolitik einstimmig begrüßt und beschlossen. Die Politik hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie in der Altenpolitik

242

Paul Breuer

ein wesentliches Aufgabenfeld der Zukunft sieht. Das Handlungsinstrument hierfür ist die „Zukunftsinitiative Siegen-Wittgenstein 2020 – Leben und Wohnen im Alter“. Der Kreis wird in Zukunft seine altenpolitischen Aktivitäten darauf ausrichten, den älteren Menschen in Siegerland und Wittgenstein „das selbst bestimmte Wohnen in den eigenen vier Wänden“, solange wie es geht, zu ermöglichen. Hierzu werden mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität die Hilfs-, Unterstützungs- und Beratungsangebote für den Wohnbereich, die Haushaltsführung, die Mobilität sowie die ambulanten Pflegeleistungen gestärkt und gefördert. Diese Angebote werden sich sowohl an die betroffenen Menschen als auch die Angehörigen wenden. Außerdem spricht sich der Kreis damit eindeutig für einen Heimstopp aus. Eine weitere „Verheimung“ des Kreises wird nach den Berechnungen von Ökonomen im schlechtesten Fall zu einer zusätzlichen Belastung der öffentlichen Hand in Höhe von 31 Mio. EUR jährlich in der Hilfe zur Pflege (Sozialhilfe) führen. In Siegen-Wittgenstein werden unter Berücksichtigung der abgestimmten Planungen auf Jahre hinaus keine weiteren zusätzlichen Heimplätze benötigt. In Zukunft wird die Stärkung der häuslichen Versorgung im Mittelpunkt stehen. Die bestehenden und jetzt schon mit dem Kreis geplanten stationären Einrichtungen sollen auf diesem Weg unterstützt werden. Auf diese Einrichtungen kommt in Zukunft eine schwierige Aufgabe zu, wobei der Kreis ihnen zur Seite stehen wird. Ähnlich wie im Bereich der Altenpolitik werden auch in anderen Handlungsfeldern die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen werden. Ein noch höherer Stellenwert als bislang muss dabei familienfreundlichen Strukturen eingeräumt werden. Sie werden im Rahmen der „Zukunftsinitiative Siegen-Wittgenstein 2020 – Familie ist Zukunft“ unterstützt und ausgeweitet werden. Vor dem Hintergrund der Bevölkerungsprognosen muss gefragt werden, was unternommen werden kann, unsere Region gerade für die 27–45-Jährigen so attraktiv zu machen, dass sie sich hier niederlassen und vielleicht sogar eine Familie gründen. Bei der Wahl des Wohnsitzes spielt für junge Menschen sicher der Arbeitsplatz die entscheidende Rolle. Darüber hinaus gibt es allerdings eine Reihe anderer Faktoren, die ausschlaggebend sein können. Dazu gehören auch und besonders familienfreundliche Bedingungen.

Der Strukturwandel in der Region als Herausforderung

243

IV. Tradition und Erneuerung verknüpfen Die wesentliche Rolle bei der Erhaltung und Ausgestaltung der Lebensqualität in der Region kommt nach wie vor der Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu. Genauso, wie dem Kreis Siegen-Wittgenstein kein radikaler Abschied vom industriellen Sektor zugunsten des Dienstleistungssektors bevorsteht, müssen auch bisherige Ansätze der Wirtschaft und Strukturentwicklung nicht über Bord geworfen werden, weil sie ständig den Erfordernissen der Zeit angepasst worden sind. Deshalb können wir bei allen künftigen Aktivitäten auch auf erfolgreiche und richtige Maßnahmen zurückgreifen. Gemeinsam mit den Städten und Gemeinden hat der Kreis die regionale Gewerbeflächenbilanz erstellt und mittlerweile fortgeschrieben. Über das Technologiezentrum bieten der Kreis und die Stadt Siegen IngenieurDienstleistungen für den Bereich Oberflächen- und Werkstofftechnologie für unsere Leitbranchen an. Mit einem umstrukturierten, den zukünftigen Erfordernissen angepassten Technologiezentrum werden wir auch zukünftig wichtige Beiträge leisten. In der Vergangenheit hat es bereits viele Bestrebungen der Wirtschaft zur Strukturentwicklung gegeben, die Rahmenbedingungen für Innovation, Kooperation, strategisches Management und die Früherkennung von Chancen und Risiken positiv zu gestalten. Ein Beispiel ist die Innovationsinitiative Kunststoff, die wir gemeinsam mit der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein ausbauen. Sie zielt auf die Informationen, die Bildung von Kooperationen und das Angebot von Fortbildungen ab. Unsere Region braucht neue Unternehmen. Deshalb bietet der Kreis schon seit geraumer Zeit als kostenlosen Service die genannten Beratungen für Existenzgründer an. Mit „Strukturwandel“ wird gemeinhin die Bewältigung der sogenannten „Stahlkrise“ in unseren Breiten bezeichnet. Diese Definition verkennt jedoch die Prozesshaftigkeit des Strukturwandels in Siegen-Wittgenstein. Entscheidend ist jetzt – und das beinhaltet die Zukunftsinitiative SiegenWittgenstein 2020 – ein einladendes Aufbruchsignal. Wie Bundespräsident Horst Köhler wollen wir kein Lamento veranstalten, sondern den Aufbruch wagen.

Towards Economic Participation by All: A South African Case Study By James Blignaut

I. Introduction The extent of poverty in southern Africa has been well researched and documented (Sahn et al. 1997: 22–46, Bhorat et al. 2001: 41–72, Collier and Gunning 1999 and Easterly and Levine 1997). Arguably, the main problem associated with poverty is the fact that it leads to the marginalisation of people, which, in turn, leads to disillusionment about life among the maginalised since it drains people’s enjoyment of life. This disillusionment becomes a disease that threatens the well-being of all. Furthermore, those that are affected by poverty are economically and socially vulnerable, with little ability to adapt. This economic and social vulnerability and inability to adapt are especially acute when confronted with disasters such as droughts, floods or the outbreak of diseases. Also, as will be illustrated below, those who live in poverty are hardly affected by economic and even social policies aimed at improving their well-being. The question of economic empowerment therefore is one of how to meaningfully engage the poor in the economy, or alternatively, achieve economic participation by all. This question is the focus of the paper and will be addressed by providing background information, then discussing a development model and its consequences and thereafter proposing a practical solution to the quest for economic participation.

II. Background to the Problem 82 per cent of South Africa’s population enjoys an income of less than 67 per cent of the national income per capita and 11,5 per cent of the population lives under the international poverty line of $ 1/day (SARPN 2003). Should one extend this poverty measure, 50 per cent of South African households could be classified as “poor”, meaning earning less than R352.53 per adult per month, approximately $ 2/day. This poverty is con-

246

James Blignaut

centrated among Africans (61%) and female-headed households (60%) and those living in rural areas (72%) (May 1998). One of the main ways to improve income is through employment, as is clearly illustrated in Figure 1. The concern though is under-employment as a result of the low labour absorption capacity (the ability of the economy to absorb new market entrants) of the economy, which is a multi-faceted problem. On the one hand, unemployment is fuelled by population growth, which, in turn, is affected by low levels of income. The latter is affected by the low level of labour absorption, low self-esteem and a low standard of living. These factors not only depict but also influence the nature of the supply of labour. On the other hand, unemployment is fuelled by the inadequate demand for labour due to inappropriate and insufficient economic growth, which is the result of, inter alia, low levels of saving and investment. The latter is the result of low levels of income that also contribute to limited educational opportunities, inadequate skills and a further dampening of the labour absorption capacity of the economy (Todaro 1997: 62–68 & 115–122). These demand-side factors have a serious quantitative impact on the number of people that can be absorbed by the economy not only in the short run, but also in the long run, since neither human nor industrial capacity is increased. The factors influencing the supply and demand for labour, however, do not operate in a vacuum, but are interactive, affecting also people’s health and levels of nutrition.

Population growth

Excess or surplus labour

Poor health and nutrition

Poor attitudes to work

High unemployment and under-employment

Labour absorption capacity

Limited employment opportunities

Inadequate skills

Limited educational opportunities

Low Income Low self-esteem, identity, dignity, respect, honour, recognition

Low levels of saving and investment

Low levels of living: • Absolute poverty • Inadequate health and housing • Poor education and social services

Source: Adapted from Todaro 1985: 89.

Figure 1: Relationship Between Employment, Growth and the Socio-economic Environment

Towards Economic Participation by All

247

8 6 4 2

%

0 -2 -4

19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02

-6

Employment % change

Real GDP % change

Source: South African Reserve Bank, Quarterly Bulletin, various issues.

Figure 2: Economic Growth and Formal Employment: %

Should a person not be able to actively participate in an economy, such person is not economically empowered. He1 is then merely a spectator, a witness of an economy functioning without him. The issue at stake is whether a person can identify himself with his condition and state of mind with dignity or not. Dignity is a key element within the social fibre of an economy and, more often than not, a person’s economic position is linked to his dignity. Should a person live under trying economic conditions, unable to participate in the economy, it is dignity, and hence the social fibre of the country, that suffers. As is indicated in Figure 2, employment in absolute terms has been declining ever since the mid-1960s. Initially this decline was matched by a decline in the rate of growth, but since the mid1990s, employment has declined irrespective of economic growth. This is indicative of what has now become known as the jobless growth phenomenon, indicated by the increase in the gap between the economic growth and the growth in employment graphs during the latter years, as indicated in Figure 2. Two reasons for this phenomenon can be mentioned, namely the fact that economic growth in the majority of countries, including South Africa, has lately been based on the expansion of the services and IT-related sectors, excluding a great number of people since this sector requires a skilled labour force. Lastly, the worldwide trend of big corporations to become more capital and less labour intensive is also mirrored in South Africa. Following these trends there is a significant demand for skilled la1

In this paper reference to the one gender includes both.

248

James Blignaut

Policies/models: Neo-liberal/Neo-classical Supply-side Keynesian Washington consensus NEPAD

The hope is on absorbing the lower decks, but in fact it leads to increased marginalisation through the efficiency and competitiveness criteria.

Top-deck

65% income

20% population

Middle-deck

17% income

20% population

Bottom-deck

18% income

60% population

Source: Stats SA 2002 and own analysis.

Figure 3: South Africa’s “Triple-decker” Economy

bour, though the demand for semi-skilled and unskilled labour is declining because of factor substitution, accentuating the problems related to a skills mismatch in the economy. The reasons for the factor substitution from labour to capital are complex and varied, but many argue that one of the reasons is that of labour market rigidity (BEPA 2003: 10–12). Jobless growth is intensifying one of the many negative and painful legacies of Apartheid, namely the income disparities within the South African economy. Resultantly, the economy has lately been called a “doubledecker”, or even “triple-decker” economy (Sparks 2003), implying an economy with multiple layers of income with little or no interaction between them, as illustrated in Figure 3. While the conventional economic development models are essentially biased towards the top-deck (see also Pritchett 1997, Max-Neef 1989 and Blignaut and De Wit 2004), it is the bottom-decks that are in need of employment. The bottom-deck of the economy consists essentially of a small closed economy, as will be illustrated below, characterised by being mainly rural, mainly women, mainly illiterate and largely dependent on pensions, welfare payments and transfers for up to 60 per cent of their monthly income (Stats SA 2002). The population within the bottom-deck largely consists of individual communities that have limited economic contact with one another (see Figure 4). One could identify these individual communities as being geographically defined (economically closed) cells. These various geographically dispersed cells have little economic contact with each other because they do not have the means to cover transport costs and have limited produce, both

Towards Economic Participation by All Cell A

Cell B

249 Cell C

Bottom-deck

Transfers to cells via government expenditure

Top-deck

Commercial sector Tax income

Multinational corporations

Other expenditures, i.e. debt repayment

Source: Own analysis.

Figure 4: Illustration of the Financial Flows from a Community Perspective

in terms of variety and volume, to justify trade beyond their immediate locations. Neither do they have the knowledge or capacity to trade beyond their borders. This implies that the majority of people not employed in the formal commercial sector are dependent on selling low value-added commodities locally within their geographic cells to each other. Consequently, both the individual and the cell as a whole are characterised by constrained purchasing power and the purchasing power that exists is continually recycled within the same cell, without the cell being able to expand itself or an individual within the cell being able to escape from the constraints placed on the cell as a whole. In addition, not only is money continually recycled within the geographically dispersed cells (much of it in unrecorded but not necessarily illegal transactions), but a portion of the money is also transferred to the commercial sector in the form of payments for services, such as electricity, transport, telecommunication and wholesale and retail trade. Unfortunately, there is very little return flow from the commercial sector back to the individual cells, except what is returning in the form of wages, but, as discussed, this is not much since service delivery is a technology-driven, capital-intensive venture with only a few people who directly benefit as a result. The interaction between the individual communities and the commercial sector is therefore mainly uni-directional, namely towards the commercial sector from where the money flows to the government in the form of taxes (which, among others, transfers some of it back to the communities and repay debt) and to multinational corporations in the form of investments, divi-

250

James Blignaut

dends and/or debt repayment. Having said this does not imply that the commercial services sector is redundant or should be done away with. Only that in the absence of any form of intervention resulting in the change of the status quo, poverty will not decline, rather, it might deepen. This is clearly illustrated should one take a view from the community’s side. Communities pay for commercial services and thus money flows out of their region. While buying services from the commercial sector, the communities buy low value-added commodities, such as food and water locally, from people within their community. This implies the recycling of an ever-decreasing pool of funds, only occasionally boosted by external remittances or the inflow of aid. Resultantly, the purchasing power remains constrained. Matters are further aggravated by the fact that, viewed from the supplyside, communities currently have virtually nothing to offer the commercial sector. Trade is therefore one-dimensional, namely communities buy from the commercial service providers, but the commercial sector does not buy anything except labour services from the communities and that on a very limited basis. If communities cannot actively participate, they are not economically empowered. The issue of economic participation is of immense importance for broadening the development base, but is often overlooked in the wake of large-scale, capital-intensive investments regularly prescribed as the cure. It is therefore evident that if nothing is done that focuses on the unique features of marginalised communities, they will remain marginalised with a very narrow purchasing power base. This implies that both communities and individual community members are doomed to live under a curse of poverty, unless they are able to sell something to the commercial sector. One can also speak of a poverty trap that has engulfed the communities and from which they cannot escape unless an alternative is provided. Mainstream macroeconomics takes little notice of the fact that local institutional structures are economies in their own right. Hence many countries in recent times have introduced measures to deal with specifically depressed areas, by awarding greater responsibilities for job creation to local authorities and the establishment of local development units (World Bank 1996:87). A new vision in respect of local development, which focuses strongly on greater self-reliance, fits in well with this proposed vision of a transition to own work. Local development implies that much emphasis should be on the entitlements of people and the capabilities that these entitlements generate. The process of economic development must therefore be ultimately concerned with what people can or cannot do, e. g. their life expectancies, opportunities to participate in white collar work, social expectations, etc. The process of individuals being dominated by circumstances and events must be

Towards Economic Participation by All

251

changed to enable them to really manage their own living conditions and work opportunities (Sen 1996:18). According to Sen (1996), entitlements refer to the set of alternatives that a person can command in a society using the totality of rights and opportunities that he/she faces. The limitation is therefore set by his ownership (endowment) and purchasing power. Entitlement greatly depends on a person’s ability to secure a job, the income associated with that job as well as the rate of inflation. Therefore, the mere increase in a person’s level of income does not necessarily indicate an increase in these entitlements. As soon as the price of a commodity that a person demands increases, the claim of income on the corresponding entitlement weakens. Although real income is a moderately efficient instrument for weighing commodities, it is totally inefficient when it comes to social equality or self-respect. This people-centred approach of entitling the community is thus aimed at the promotion of greater self-reliance at all levels of society, as opposed to dependency. Such an approach would imply, especially at local level, that more self-reliant development initiatives should be pursued, i. e. initiatives that are pertinently consistent with people’s (diverse) aspirations, history, culture and eco-systems. The appropriate role of government would have to change quite substantially from current conventions, viz. from largely providing outputs of commodities to providing inputs of various kinds for initiatives undertaken and driven by particular communities. The inputs can be either technical assistance or assistance with regard to the purchase of raw material and marketing of the output. The major difference between supplying inputs rather than outputs lies in allowing lower-tier communities (whichever way defined) sufficient authority to assume greater management control over the delivery of whichever outputs they should decide upon – in their own right. Because of its peculiar economic structure, the usual economic growth and development strategies cannot be applied to South Africa. There is a need for an integrated policy. The question therefore is how to improve the link between the various decks in the economy to foster economic participation and empowerment. One model proposed to achieve this objective is the Economic Systems Approach since it promotes the active intervention to facilitate the building and strengthening of relationships among economic participants.

III. Economic Systems Approach: an Analysis The ESA focuses on the technical and managerial capabilities of the participants in the economy, while markets refer to the relational arrangements among them. Decision-making and action taken by subjects to estab-

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James Blignaut

lish and change the interrelationships between them create and develop markets. The ESA revolves around building the productive capacity of subjects by focusing on their personal capacities (education, training and health), and developing the institutional framework in which they operate (Yanagihara 1997:6). This includes the physical and social infrastructure as well as the natural environment, which surrounds them. This is done to enhance the processes of production and employment in such a way that the subjects consider themselves participants and not mere recipients or spectators in the process. Economic growth and development is a joint process driven by subjects. As for the infrastructural framework, the economic process is also embedded in an institutional, a physical and a social framework surrounded by the natural environment. These building blocks that form the economic process must be of a certain character and quality and need to be revised and adapted continuously to ensure sustained growth and development. However, the subjects who drive the process and bring about the changes also need to possess certain capabilities. Therefore, the productive capacities of the subjects and a smooth-running, production-enhancing process (dynamic relationships) within a supporting institutional, physical, social and natural environment have to be developed. The private subjects are the active players, while the government promotes, supports and deals with failures or breakdowns in the system and the capacity-generating process (IDE 1996; Yanagihara 1996 and Yanagihara and Sambommatsu 1997). Given this background, what are the features of the ESA as an approach towards economic growth and development? The essence of the features are presented in Table 1 and compared with features of conventional development approaches. The ESA emphasises economic relationships, which acknowledge the dynamic nature of the real world. Theory and policy will therefore have to be accommodating enough, giving room to a broad playing field, based on an integration of processes. Additionally the ESA is descriptive and humancentred, focusing on people and their capabilities to achieve progress. Lastly, ESA captures the diversity of the participants by postulating that markets are an integral part of the diverse economic and development process. Markets, their quality, volume, scope and nature, can and will be influenced by people and the infrastructure surrounding them (De Wet, Harmse and Blignaut 1997). An application of the ESA constitutes a decisive paradigm shift from past practices. It has broken ties with a mechanical and deterministic concept of economic growth and development. It postulates that people and dynamic relationships are essential to economic development.

Towards Economic Participation by All

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Table 1 Approaches to Development Conventional Approaches

Economic Systems Approach

Economic functions Mechanic/deterministic Prescriptive – top-down Narrow, specific development path Segregation of processes Abstracting Analytical People are instruments Policy Markets are neutral

Economic relationships Dynamic Accommodating – bottom-up Broad playing-field – openness Integration of processes Focus on the real world Descriptive People do matter after all Capabilities Markets are part of the development process

Source: Own analysis.

The importance of this paradigm shift is summarised in the following comments: 1. The ESA recognises the fact that the structure of society is complex, a fact which development theory, policy and practice must take into account. This radically differs from simplifying abstractions, assumptions and functional equations of conventional approaches such as Neo-classical economics. 2. Society and the economy are determined by relationships that can vary in all possible ways, allowing society its unique features. 3. The ESA acknowledges that part of the solution lies within complexity and diversity. By recognising the complexities and diversities, it is possible to create the right environment for development without enforcing a pre-set formula according to a deterministic model for each individual society or nation. The government must provide the institutional, legal and policy frameworks (environment) for subject-driven development. There is no room for a clear-cut, formal, rigorous policy (fine-tuning and the like). What matters is the creation of an atmosphere conducive to development. The real ESA question therefore is: How can the capacity of and relationship between economic participants be strengthened and developed? The active and deliberate devel-

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James Blignaut

opment of an institutional environment as part of an infrastructural development programme can, and has indeed, promoted the process of capacity and relationship building. This process will consequently enhance economic growth and development. The development of infrastructure comprises both the physical infrastructure (e. g. the sustainable use and development of natural resources and man-made capital) and a social infrastructure (e. g. health, housing, financing and other services delivery institutions). The ESA therefore focuses on the process of human development by means of the building of capacity and the strengthening of relational arrangements among participants due to investment rather than the act of investment itself. The last issue at stake here is how to implement such a system.

IV. A Model Towards Economic Participation for All 1. The Concept Following the above analysis, a possible solution is arguably as simple as it is revolutionary. Communities need to organise themselves in such a way as to ensure that they can sell a product to the commercial sector to ensure an inflow of money and thereby increase the purchasing power of the cell. Essential ingredients of such a project to make a direct contribution to the welfare of the communities are that it should be a community-owned, community-driven, commercial project. Communities themselves should have shareholding and should take joint ownership of the projects. This is not a topdown investment solution, but a pull-yourself-up-by-your-ownbootlaces approach to a way out of the poverty swamp. Should the project be a success, the main beneficiary is the community, if it fails the community will pay the price. There is therefore a very real incentive to the community to make the project work. The focus is people-centred, based on the relationships among the various community members, and not capitalcentred focusing on external economic activity. The alternative provided here ensures economic participation by the vast majority of people in a community, and, in the process, empowering them with an economic entitlement, which is important for self-esteem, dignity and a sense of ownership. Furthermore, the projects should be for commercial purposes and not subsistence. Commercial projects will produce a surplus that could be distributed to the members in a way that the collective purchasing power will increase whereas subsistence projects will imply reverting back to the recycling of commodities within the community. There is nothing new about this idea; the challenge is to achieve this rather simple-looking objective. Arguably a good place to start is to have a dream.

Towards Economic Participation by All

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It is proposed here that one should harness the dream of a JustAfrica (Blignaut and De Wit 2004). The term JustAfrica suggests at least four different aspects. First, and most evident, a dream of more justice in Africa. Most of Africa’s inhabitants have been excluded from national and international economies for a long time, as is accurately depicted by the term ‘triple-decker’ economies. Whereas justice should provide the intrinsic value of a common moral denominator for economics, the instrumental value, the enabler thereof, is management. It is through appropriate and proper management of resources, relationships and institutions that the intrinsic value of justice will come to realisation. Justice is a value in itself but this value will not be upheld if it is not sufficiently enabled through management. Interestingly enough, the word economics originates from two Greek words, namely oikos (house) and nomos (law or rule), which then combine as oikonomia, to be understood as household administration, household management or the law of the household. Likewise, the word economist in the original Greek would be oikonomos, which translates to administrator, who, in ancient Greece, was also regarded as the ruler of the house or the manager – Greek: epitropos. This links the function of an oikonomos or epitropos to the science of oikonomia. Historically, therefore, economists were supposed to be managers viewing their function as one of management. Second, the term JustAfrica refers to the fact that it is also accurately true that natural resources will continue to play an important role in Africa’s development path for the future. It is the platform of economic development, but also portrays the harsh day-to-day reality for a large part of Africa’s population. Third, it sends out the message that Africa barely can continue on the current (under)development path, solutions must be sought and implemented. Fourth, solutions to Africa’s problems will have to be custom-made for African realities. The challenge is to make JustAfrica practical. Before attempting this, however, one should reflect on reasons for the failure or lack of development in poor regions. This can be analysed using an analytic model for development. 2. The Model The model presented here draws from various sources (Hall 2001:308– 312, Harris 1999: 358–365, Baccarini and Archer 2001: 142–144, Fox 1999: 120–126, Baldry 1998: 36–38, Just and Pope 2003: 1250–1252 and Palmini 1999: 465–466), but it indicates development as a function of a variety of factors, as illustrated in function 1, but expanded upon in the subsequent functions (see Box 1). The main element in this function is that of finance, which is, in turn, a function of risk and profitability. In addition

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James Blignaut

to the conventional project or programme-related risk variables, a community or economic development programme is also influenced by a number of possible (exogenous) variables that might influence or affect the program or project, the possible variance in the change of these variables and the probability of this change. In a development project involving communities, there are a large number of variables over and above the normal project variables. These additional variables from the project standpoint include issues such as resource tenure, community organisation, communication skills and communication channels, management arrangements, etc. These variables are also subject to large variations between communities and even within a community, but over time. The variables mentioned are also subject to different forms of interpretation between the various parties who come from different backgrounds. The ability to access market opportunities, an important determinant for development, depends in turn on the capacity, resources, information and the necessary institutional (tacit and non-tacit) vehicles for transaction (transaction mechanisms) of a community and/or person. The transaction mechanisms include, but are not restricted to, cultural issues, good and strong leadership, proper and appropriate management principles and systems, socio-economic and demographic variables and the existence and ability of institutions to facilitate a transaction. The transaction mechanism, or the way, process, institutions and relationships required to conduct a transaction, could pose a significant barrier for development. This is since this mechanism reflects the community organisation as a whole and no individual or single institution would be able to change this system, albeit not in the short run. If this social contract is weak and perverse, the likelihood of any development initiative to be successful is slim.

Box 1: Conceptual functional relationships of the model 1. development = f(access to finance, access to market opportunities, transaction mechanisms, . . .) 2. access to finance = f(risk, profitability, . . .) 3. risk = f(project related factors, the number of exogenous variables, variance in variables, probability of variance, . . .) 4. profitability = f(markets, product design, . . .) 5. access to market opportunities = f(capacity, resources, information, transaction mechanisms, . . .) 6. transaction mechanisms = f(cultural, leadership, management, socio-economic/demographic variables, institutions, relationships, market opportunities, . . .)

Towards Economic Participation by All

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These functions do not follow each other chronologically since they are interactive (see Economic Systems Approach). If any of the variables in the function mentioned fails, or does not exist or support the programme or project, or change to the extent that it triggers the failure of another variable, the probability of development to occur or succeed declines immediately. For example, when considering a development project, the risk is high as measured in terms of the large number of variables and the high probability of significant changes in these variables. Accessing development finance immediately becomes problematic. Further, should an outsider (even with good intentions) wish to force development onto a community, the transaction mechanism is likely to break down, leading to failure. The following conditions for a successful community project are therefore very enlightening (Salafsky et al. 2001: 1591–1594 and Zanetell 2004:803–804): – Financial success for the enterprise, inclusive of aspects such as good management (also financial), bookkeeping, good market research, and the ability to use technologies; – Local ownership and involvement in the enterprise is a prerequisite for success; – Definite and clear financial benefits, not just in kind, to all concerned; – A core value in the community to preserve the local assets; – The support of these values mentioned above must come from strong community leadership; and – Various institutions should support the community in their efforts. 3. The Operational Framework The ultimate objective of any economic development programme should be to enable individuals from local communities to engage meaningfully in the formal economy. Due to various barriers to entry, this does not occur automatically due to various barriers to entry, and this process should be facilitated. It is suggested here that inhabitants of a community who share the same occupational passion, whether agriculture, carpentry, garment making, etc., form a co-operative. This co-operative forms a tri-partied alliance with a local community/conscious-based or non-government organisation (to facilitate the transaction mechanism) and a large-scale commercial venture (or engine room, see discussion below). This tri-partied alliance becomes the incubation centre. An incubation centre is a small-scale, but community-owned, community-driven commercial venture (see Jones 2004:691–692). These incubators form the vehicle through which the collective product of the co-operative could be sold to the commercial sector

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and through which the proceeds could be distributed to its members. It could be foreseen that one region or village could have more than one incubation centre since each centre is focused around a single occupation. Also, there is power in numbers. Though each occupational incubation centre could be small in scale, there could be a number of them across the landscape of the country. It would be possible for the collective number of incubation centres to produce a sufficient volume to justify trans-boundary trade. Also, the distribution of a variety of incubation centres in one area will diversify the community’s stream of income and involve more people. It is then the express purpose of this incubator to exit its community members, currently organised as a co-operative, into their own private small-scale commercial ventures after a period of training. Start-up capital for this private individual venture comes from the incubator’s own retained funds. The smaller the retained funds are, the smaller the change to be exited into your own venture, therefore the higher the incentive to use the retained funds productively. It should be stated that the concept of an incubation centre as a focal point for capacity building is not new. Examples of business development incubation centres are the SEBIC incubation centre in Ireland, the Loughborough Innovation Centre in England, the Novi Sad centre in Serbia, the SIDBI innovation centres in India, IICK in Belgium, The Economic Development Board of China and the School of Computing Incubation Centre in Singapore. The application of the concept within a rural African context presented here is, however, new. From these examples it is clear that government, especially local government, could play a very constructive role in assisting the incubators to be more efficient and productive through capacity building programmes, legal and administrative guidance and provision of facilities, such as workshop space, access to transport, etc. (see also Vonortas 2002:434–436). Though incubation centres act as important vehicles in capacitating people and taking them en route to development, they are, by their very nature, small-scale, extremely regionally orientated, involving only a few people at a time, and slow and costly to establish due to distances and high transaction costs. As mentioned before, private sustainable commercial funding for such community development projects is hard to find due to risk and indifferences regarding the transaction mechanisms. Finance of this kind also tends to be erratic and very prescriptive. Government’s resources are also limited, but could be very useful to act as seed finance. There is, therefore, a need to establish a large-scale commercial venture (the engine room) that could generate internal funds (venture capital) that could be used as funding

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Incubator 1: Small-scale commercial outlet with profits to retainment fund to support local upstart

Incubator 2: Small-scale commercial outlet with profits to retainment fund to support local upstart

Engine Room: Large-scale commercial undertaking with profits to a venture capital fund

Incubator 3: Small-scale commercial outlet with profits to retainment fund to support local upstart

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Incubator . . . . n: Small-scale commercial outlet with profits to retainment fund to support local upstart

Incubator 4: Small-scale commercial outlet with profits to retainment fund to support local upstart

Source: Own analysis.

Figure 5: An Economic Development Concept

source for the various incubation projects, reduce transaction cost and overcome the various barriers to entry for small scale operations. The aim of the engine room (which could entail more than one largescale commercial operation with little or no community participation) is to reduce the development risk, provide finance and expertise to the incubation centres and access to international markets of local produce. This type of commercial enterprise has recently also been called venture philanthropy (see philanthropy in list of references). The engine room could have many activities, two of which are: – Produce or manufacture goods and services for maximum gain to generate the venture capital fund through which the incubation centres could be financed, and – Buy the produce from the various incubation centres and small individual enterprises, almost monopsonistic-like (especially from those that have been exited from the incubation centre), and sell the produce to the international market in bulk.

V. Conclusion It has been stated here that economic empowerment implies the economic participation by all. This is an essential ingredient to foster a stable and socially healthy society. Unfortunately conventional economic development theories of economic growth through investment programmes focus on the act of investment, rather than on the establishment and fostering of the various economic relationships present in the economy. These relationships

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are, for example, those between the top-income earners and the lower-income earners of the economy. A theoretic model, the Economic Systems Approach, however, realises this deficiency in the conventional economic models and postulates that economic development is a process of capacitybuilding and the strengthening of the participants’ entitlements. A model has been suggested here that includes the promotion of the interaction between large-scale commercial enterprises (engine rooms) and small-scale commercial enterprises (incubators). Thereby current marginalized communities become participants in the economy. This should have various beneficial effects on the social fibre of society as a whole.

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China im Umbruch Auf dem Wege zu einer neuen Wirtschaftsordnung? Von Egon Schoneweg

I. Einleitung China hat den Westen und insbesondere Europa seit jeher fasziniert1 – zu Recht, handelt es sich doch nicht nur um das bevölkerungsreichste Land der Erde, sondern auch um die einzige ungebrochene Hochkultur, die nach unserer Chronologie bis ins Altertum zurückreicht. Jeder gebildete Chinese kann Schriftrollen aus einer Zeit lesen, die bei uns dem klassischen Altertum der Griechen und Römer entspräche. Um die Kontinuität der Schrift zu wahren, sind alle wichtigen Rechtschreibe- und Grammatikregeln in Stelen eingemeißelt, die in einem Kloster der alten Hauptstadt Xian aufbewahrt werden und alle Umwälzungen, einschließlich der Kulturrevolution, überdauert haben. Aus der neueren Zeit, als die Geopolitik für die europäischen Großmächte eine immer wichtigere Rolle zu spielen begann, ist der Napoleon zugeschriebene Ausspruch berühmt geworden: Quand la Chine s’éveillera . . . le monde tremblera (Wenn China erwacht, wird die Welt erzittern), der später oft aufgegriffen wurde, u. a. von Lenin in einer seiner letzten Schriften, und der einem der Minister General de Gaulles, nämlich Alain Peyrefitte, im Jahre 1973 zu einem gleichnamigen Bestseller verhalf. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht hat China oft eine wichtige Rolle gespielt. Münzfunde belegen, dass es schon zur Römerzeit Handelsaustausch gegeben hat. Im Mittelpunkt des westlichen Interesses stand dabei natürlich die Seidenproduktion, ein Geheimnis, das in Europa erst zu Beginn der Neuzeit gelüftet werden konnte. 1 Gegenwärtig gibt es wieder eine – verständliche – Welle der China-Bewunderung. Die New York Times veröffentlichte im Juli 2004 einen Beitrag mit dem Titel „The Chinese Century“. Ähnlich in Frankreich: Robert de Herte, Le siècle de l’Asie, G.R.E.C.E. Nr. 90, Nov. 1997, Alain Boublil, Le siècle des Chinois, Paris 1997 und neuerdings: Erik Israelewicz, Quand la Chine change le monde, Paris 2005. Hierzu Mark Siemons: Die kulturelle Lücke, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 28.1.2005, S. 35.

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II. Die Transformation der chinesischen Wirtschaft Gegenwärtig macht China durch eine beispiellose wirtschaftliche Expansion auf sich aufmerksam: Wachstumsraten von bis zu 10% des Bruttoinlandsprodukts sind keine Seltenheit2 und haben weltweit zu einer Verknappung von Rohstoffen, insbesondere Erdöl und z. B. von Stahl geführt – und dies trotz der Tatsache, dass China mittlerweile der bei weitem größte Stahlproduzent der Welt geworden ist3 –, was bereits Weltfirmen wie Nissan zwang, Produktionspausen einzulegen4. Auch beim Zufluss von ausländischem Investitionskapital liegt China ganz weit vorne, und diese Erscheinung ist nicht nur der chinesischen Diaspora5 zuzuschreiben. Wie konnte es zu einem solchen Boom kommen, und dies in einem kommunistischen Land, d.h. der Volksrepublik China?6 Alle westlichen Beobachter sind sich darin einig, dass der Ausgangspunkt der Transformation Beschlüsse der 3. Plenartagung des XI. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas waren. Die wirtschaftlichen Reformen wurden vom Westen aus zwei Gründen zuerst nicht wahrgenommen: Erstens waren sie eingebunden in ein umfassendes Programm, das neben Industrie und Landwirtschaft auch noch Verteidigung und Wissenschaft umfasste (die sog. Vier Modernisierungen) und zweitens bezog sich die praktische Anwendung zunächst nur auf die Landwirtschaft, in der zum ersten Mal auch private Produktion und Vermarktung zugelassen wurden. Hinter dieser Politik stand die Einsicht in die nur bedingte Leistungsfähigkeit der kollektivierten Landwirtschaft und die Tatsache, dass angesichts der Bevölkerungszahl Versorgungsengpässe jederzeit in Hungersnöte umschlagen konnten. Immerhin waren damit, wie beschränkt auch immer, Privateigentum und 2 Folgende Werte wurden erzielt: Für 2004: 9,5%. Durchschnitt 1980–1996: 10,1%. Durchschnitt 1951–2000: 6,9%. Quelle: FAZ, 26.1.2005, S. 11. Da diese Werte den nationalen Durchschnitt widergeben, kommen die sog. Sonderwirtschaftszonen (s. Text) auf Raten von 15–25%. FAZ, 27.1.2005, S. 22. Natürlich ist die Ausgangsbasis sehr niedrig, aber das Pro-Kopf-Einkommen hat sich von 1978 bis 2004 verfünffacht, von etwa 190 Dollar auf über 1000 Dollar, Erik Israelewicz, a. a. O., S. 38. 3 Für 2003: 1. China 220 Mio. t, 2. Japan 111 Mio. t, 3. USA 90 Mio. t . . . 6. Deutschland 45 Mio. t. Quelle: DPA. 4 FAZ, 30.11.2004, S. 15. 5 Es handelt sich um etwa 60 Mio Chinesen in 120 Ländern, die in Südostasien ein „Bambusnetz“ bilden. Ihr BSP übertrifft dasjenige ganz Afrikas. Siehe Fußnote 1 – G.R.E.C.E. 6 Zum Folgenden: Hansjörg Herr, China: Mit regulierter Marktwirtschaft auf Erfolgskurs, in Orientierungen, Ludwig-Erhard-Stiftung Bonn, Nr. 101, September 2004, S. 57 ff. und Peter Oberender, Jochen Fleischmann: Chinas Reformen, in: Volkswirtschaftliche Korrespondenz der Adolf-Weber-Stiftung, Nr. 7, 2004.

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privates Wirtschaften anerkannt. Erstmals gab es auch einen freien Preismechanismus. In der Industrie ging es zunächst um eine gewisse Dezentralisierung der Entscheidungen der Unternehmen, die aber dann im Laufe der Zeit zu immer größerer Selbständigkeit und schließlich zu der Zulassung von Joint ventures führten (ab 1979), wenn auch immer mit chinesischer Mehrheitsbeteiligung, wodurch in größerem Ausmaß Kapital- und Know-how-Transfers möglich wurden. Es wurden sog. Nicht-Plan-Unternehmen bzw. Kollektivbetriebe zugelassen, was eine regelrechte Gründerwelle auslöste. Diese Unternehmen waren von Anfang an dem Markt ausgesetzt, aber von Sozialbeiträgen befreit. Diese Formel war ein großer Erfolg. Durch ihr Herauswachsen aus der Planwirtschaft haben diese neuen Unternehmen einen Zusammenbruch der Investitionstätigkeit verhindert und China eine Transformationskrise erspart. Eine weitere Neuerung waren sog. Sonderwirtschaftszonen, vor allem im Küstengebiet, für die besondere Steuerprivilegien geschaffen wurden. Neben Schanghai ist vor allem Shenzhen als Konkurrent von Hongkong bekannt geworden. Mit einem sich entwickelnden privaten Sektor der Wirtschaft ergab sich als nächste Aufgabe der Aufbau eines funktionsfähigen Kreditwesens. Ausgehend von der staatlichen (planwirtschaftlichen) Monopolbank wurden vier große Geschäftsbanken gegründet, die zunächst den weitaus überwiegenden Anteil an der Kreditvergabe auf sich vereinigten. Da sie keine Privatbanken waren, wurden Kredite oft nach politischen Gesichtspunkten, z. B. an ineffiziente Staatsbetriebe, vergeben und oft hohe Verluste verursacht. Erst Ende der 90er Jahre kam es zu einer Strukturreform mit nunmehr echten, d.h. privatwirtschaftlichen, Geschäftsbanken, die dann aber in zu großer Anzahl und mit oft zu geringem Eigenkapital gegründet wurden. Eine weitere Bereinigung des Bankensektors scheint also unvermeidlich. Die notleidenden Kredite der Staatsbetriebe werden wohl der Staatsschuld zugeschlagen, was aber bei deren geringer Höhe von nur etwa 20% des BIP kein großes Problem darstellen sollte. Ein letzter wesentlicher Aspekt der Transformation war die Privatisierung eines großen Teils der Staatsbetriebe: In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde im Grundsatz beschlossen, den staatlichen Besitz auf die 1000 größten Unternehmen zu beschränken und die kleinen und mittleren Betriebe zu privatisieren. Der Gedanke der Privatisierung war eher aus der Not geboren, da gerade die kleinen und mittleren Unternehmen die höchsten Verluste machten. Schon Mitte der 90er Jahre wurden daher Kleinbetriebe verkauft, anschließend mittlere, und schließlich sogar Großunternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt. Dieser Prozess hatte zwei „Nebenwirkungen“: Die Schaffung von Börsen und das Heranwachsen einer

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zunächst mittelständischen Unternehmerschicht, die sich im Hinblick auf ihren Wohlstand schnell und weit von Arbeitern und Bauern absetzte, und deren Nützlichkeit vor nicht allzu langer Zeit selbst von der Kommunistischen Partei Chinas offiziell anerkannt wurde. Damit waren alle wesentlichen Voraussetzungen für ein im Grunde kapitalistisches Wirtschaftssystem geschaffen: Privateigentum, eine dynamische Unternehmerklasse, ein funktionierendes Banksystem, billige, aber immer besser qualifizierte Arbeitskräfte und ein riesiger Markt mit wachsender Kaufkraft, auf dem alle Unternehmen der Welt präsent sein wollen. Das Ergebnis sind enorme Kapitalzuflüsse aus dem Ausland, die mittlerweile Größenordnungen von über 50 Mrd. US-Dollar pro Jahr erreichen und damit denjenigen in die USA nicht nur vergleichbar sind, sondern diese sogar übertreffen7. Sie entsprechen etwa 7% des chinesischen BIP und etwa 25% der Bruttoanlageinvestitionen. Fast noch wichtiger ist jedoch der damit verbundene Transfer von Know-how. Erst kürzlich überraschte China die Welt mit dem Aufkauf der Personalcomputersparte von IBM durch den LenovoKonzern8. Mit dem Ausmaß seiner Exporte und seiner Währungsreserven9 wächst auch Chinas Bedeutung für die Weltwirtschaft: Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Welthandelsorganisation (WTO), der China seit dem Jahre 2001 angehört, aber auch auf die Möglichkeit, Mitglied der derzeit führenden Industrienationen (G7) zu werden10. Auch Europa ist sich dieser Veränderungen bewusst11. Bereits 1973, also 20 Jahre vor Russland, hatte China die Europäische Gemeinschaft anerkannt. Im Laufe der Jahre wurden die Beziehungen, mit Ausnahme des Rückschlags von 1989, immer enger12. Dies hatte auch wichtige Auswirkungen auf den oben erwähnten Beitritt Chinas zur WTO, über den siebzehn Jahre verhandelt wurde. Auch gegenwärtig bestehen enge Kontakte auf höchster Ebene. Erst am 8. Dezember 2004 wurde der chinesische Premierminister Wen Jiabao von Kommissionspräsident José Manuel Barroso und dem niederländischen Ratsvorsitzenden Jan Peter Balkenende empfangen. In diesem Zusammenhang könnten auch 7

2004: 60,6 Mrd. Dollar (+ 13,3%), FAZ, 14.1.2005, S. 11. Hierzu: Richard Kämmerlings, Das Denken wird chinesisch, FAZ 10.12.2004, S. 42. 9 Handelsüberschuss 2004: 32 Mrd. Dollar. Export 2004: 593,4 Mrd. Dollar (+ 35,4%). Währungsreserven 2004: 609,9 Mrd. Dollar (2003: 403,3 Mrd. Dollar). Quelle s. Fußnote 2. 10 Benedikt Fehr, China und die G7, FAZ, 1.8.2004, S. 11. 11 Hierzu: Europe and China – Special Report, Time 18.10.2004, S. 48 ff. 12 Dies galt auch für die Präsenz der EG in China. So wurde z. B. in Pudong bei Schanghai eine europäische Business School gegründet. Quelle: Vortrag des ersten Botschafters der EG in Peking, Pierre Duchateau, Brüssel, den 7.7.2004. 8

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die mittlerweile sechs China-Reisen von Bundeskanzler Gerhard Schröder erwähnt werden, der jedesmal von einer umfangreichen Delegation von Industriellen begleitet wurde13. Bei dem Versuch einer Wertung des Transformationsprozesses in China sei zunächst auf die wirtschaftlichen Folgen dieser beispiellosen Expansion eingegangen. Intern hat sich das Wohlstandsniveau deutlich gehoben, wie z. B. die Ausstattung der Haushalte mit Konsumgütern belegt. Dabei haben die Disparitäten jedoch deutlich zugenommen, vor allem zwischen Stadt und Land, was praktisch Synonym für arm und reich geworden ist. Verringert hat sich dagegen das regionale Gefälle. Während vor noch zehn Jahren praktisch alle bedeutenden Wirtschaftszentren im Küstengebiet lagen (d.h. Schanghai, Kanton, Shenzhen), so nehmen nunmehr auch im Hinterland gelegene regionale Zentren wie Chongqing oder Xian an der Entwicklung teil14. Zu berücksichtigen ist natürlich auch, dass große Teile des Landes aus topographischen (Berggebiete) oder klimatischen (Wüsten) Gründen unbesiedelt sind. Schattenseiten sind die Umweltbelastungen, die noch verstärkt werden durch eine Neigung zur Gigantomanie, d.h. zu Großprojekten, wie z. B. den Drei-Schluchten-Damm im Tal des Jangtsekiang, dessen Nützlichkeit im Hinblick auf Flutregulierung und Elektrizitätserzeugung zwar unbestritten ist, der jedoch über Hunderte von Kilometern die Strömungsgeschwindigkeit des Flusses stark verlangsamt, mit allen Konsequenzen für die Abwasserentsorgung.15 Weltweit spürbar sind die Verknappung von Rohstoffen und die Verlagerung von Arbeitsplätzen in großem Ausmaß, so z. B. in der Textilindustrie. Das größte Problem bildet aber auch in diesem Zusammenhang die Belastung der Umwelt. Um es nur kurz anzudeuten: Gegenwärtig beträgt die Fahrzeugdichte in China etwa 1 Automobil pro 1.000 Einwohner. Wie aber sähe die (Um-)Welt aus, wenn sich dieses Verhältnis auf 1 zu 2 wie in Westeuropa oder gar 1 zu 1 wie in den Vereinigten Staaten erhöhte?

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Hierzu: Der Kontinent der alten Kulturen: FAZ, 8.12.2004, S. 3. Die regionalen Disparitäten sind immer noch bedeutend. Das Pro-Kopf-Einkommen lautete im Jahre 2001 wie folgt (in US-Dollar): Durchschnitt 1070; Schanghai 3380; Peking 2073; Nordost-China 1154; Zentral-China 705; NordwestChina 479; Südwest-China 389. Quelle: Wochenbericht der Bank Julius Bär Nr. 19, Zürich 22.5.2003, S. 3. 15 Hierzu z. B. Petra Kolonko, Staudamm-Fieber im Südwesten Chinas, FAZ, 18.11.2004, S. 5. 14

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III. Schlussbetrachtungen Abschließend stellt sich natürlich die Frage, ob, und wenn ja, warum das System funktioniert. Hierbei sind positive und negative Aspekte hervorzuheben: Auf der positiven Seite steht zunächst einmal der Aufbau- und Modernisierungswille im Gegensatz zu der Erfahrung der Kulturrevolution, die in großem Maße Volksvermögen vernichtet hatte und auch ideologisch rückwärts gerichtet war. Vor dem gleichen Hintergrund erhellt sich auch die Betonung des Pragmatismus im Gegensatz zu dem rigiden Dogmatismus der Mao-Zeit. Dieser Pragmatismus treibt zuweilen seltsame Blüten, sowohl in theoretischer Hinsicht mit der Schaffung von Begriffen wie „sozialistische Marktwirtschaft“, als auch in praktischer, wie der letztlich fehlenden Rechtssicherheit des Privateigentums. Unleugbar ist jedoch, dass die ideologische Öffnung ungeheure Produktivkräfte freigesetzt hat. Man fühlt sich an das nachnapoleonische Frankreich, in dem zuvor die gesamte Wirtschaftsleistung des Landes der Kriegführung untergeordnet war, erinnert und an den berühmten Ausspruch des damaligen (liberalen) Premierministers François Guizot: Enrichissez-vous! (Bereichern Sie sich!)16. Ein zweiter positiver Aspekt liegt zweifellos in der Sozialphilosophie Chinas, die noch immer stark von Konfuzius17 beeinflusst ist. Dazu gehören Prinzipien, die im Westen nicht mehr viele Anhänger hätten, wie die Herrschaft des Kaisers über die Untertanen, des Mannes über die Frau, der Eltern über die Kinder, aber andererseits auch „Sekundärtugenden“ wie Fleiß, Disziplin, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit usw. Ohne diese wären weder die chinesische Arbeitsorganisation noch das Alltagsleben denkbar oder machbar. Auf der negativen Seite ist vor allem eine Erscheinung zu nennen, die sich durch alle Bereiche des öffentlichen Lebens zieht: die Korruption. Auch diese hat eine lange Tradition in China, entwickelt aber mit dem zunehmenden Reichtum immer extremere Formen und hört auch vor den Spitzen des Partei- und Staatsapparates nicht auf. Es herrscht mittlerweile der Eindruck vor, dass sich mit Bestechung de facto alle Verbote umgehen und alle notwendigen Genehmigungen erhalten lassen. Von Zeit zu Zeit führt die Partei „Säuberungen“ durch, die aber niemanden mehr beeindrucken und an dem Phänomen auch nichts Grundlegendes ändern, da sich die Partei nicht selbst kontrollieren kann.18 16 François Guizot (1787–1874), Premierminister unter dem „Bürgerkönig“ Louis-Philipe, Erklärung vor dem Parlament vom 1.3.1843. 17 Eigentlich Kong Qui (551–479 v. Chr.). Beamter, zeitweise Berater des Kaisers und Philosoph. Bekannt durch seine Ethik („Der Immanuel Kant Chinas“). Die ursprünglichen Tugenden waren Treue, Selbstlosigkeit, Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Schicklichkeit, Weisheit und Aufrichtigkeit. Quelle: Brockhaus Enzyklopädie, Wiesbaden 1970, 10. Bd, S. 411.

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Damit rückt das politische System in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ist es mit der sich entwickelnden Marktwirtschaft kompatibel oder – im Sinne der „Interdependenz der Ordnungen“ von Walter Eucken19 – eben nicht, d.h. kann die Regierungsform weiterhin so autokratisch bleiben oder ist eine Entwicklung zu einer, wie auch immer gearteten, Form der Demokratie unvermeidlich? Eine erste Antwort auf diese Frage ist die Feststellung, dass es zumindest keinen Automatismus gibt. Auch wenn sich die Kommunistische Partei Chinas im Hinblick auf die Wirtschaft „liberal“ gibt (und sich an ihr bereichert), so hat sie bislang ihr Herrschaftsmonopol stets mit allen Mitteln verteidigt – am brutalsten anlässlich der Niederschlagung der Studentenrevolte auf den Tienanmen-Platz im Jahre 1989. Sie verfügt über ein umfassendes Spitzel- und Überwachungssystem, das keine abweichenden politischen, sozialen oder auch religiösen Gruppierungen zulässt und seine Kontrolle selbst über das Internet ausübt. Wie lange dieser Schwebezustand zwischen liberalisierter Wirtschaft und autoritärem politischen System Bestand haben kann, ist offen und wird wohl, wie vorher in Europa, von der Entstehung eines Mittelstandes und damit eines „Bürgertums“ abhängen. Zwei Voraussetzungen fehlen allerdings in China, nämlich eine nennenswerte demokratische Tradition20 und die in Europa vorherrschenden Bedeutung des Individuums und seiner Autonomie. Hierzu ein längeres Zitat: „Im Unterschied zu dieser Autonomie kommt dem Individuum im chinesischen Staatsverständnis geringere Bedeutung zu. Ordnung, politische Stabilität und soziale Harmonie sind wesentlicher als der Meinungsstreit zwischen Individuen mit ihren Individualinteressen. Im Mittelpunkt der Vorstellungen steht die konsultative Demokratie. In ihr vollzieht sich Willensbildung idealerweise nicht konflikthaft, sondern durch ständige Gespräche „konsultativ und harmonisch“. Im Alltag sind Netze persönlicher „Guanxi“ im Sinne von Seilschaftstreue präsent. Nach dieser chinesischen Variante der Volksherrschaft finden Gestaltungsprozesse im Konsensverfahren statt. Nicht die liberal-demokratische Mehrheit, also die Hälfte plus eins zählt, sondern allein der breite Konsens zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen. Hierbei werden anstehende Entscheidungen auf lokaler Ebene von kleinen Gremien, die selbst einen Konsens herbeiführen müssen, vorgeprägt. Das 18 Hierzu: Petra Kolonko, Korruption im Mittelpunkt, FAZ, 2.10.2004, S. 1. Es gibt mittlerweile ein Besuchsverbot von Spielkasinos in den Nachbarländern einschließlich Nordkoreas (!) für Parteifunktionäre. FAZ, 21.1.2005, S. 17. 19 Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 4. Aufl. Tübingen, Zürich 1968, S. 180–184 und 332–334. 20 Die einzige Ausnahme ist die Episode von Dr. Sun yat-sen, dem ersten chinesischen Präsidenten nach dem Sturz der Monarchie (1912–1924), der aber aus der (amerikanischen) Diaspora stammte. Bereits sein Nachfolger, General Tschiang Kaischek, war wieder ein Diktator. Hierzu: Immanuel C. Y. Hsü, The Rise of Modern China, 2. Auflage, New York, London, Toronto 1975, S. 550 ff.

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mächtigste dieser den immer gleichen Verfahrensregeln unterliegenden Gremien ist der Ständige Ausschuss des Politbüros, der derzeit auch das letzte Wort hat.“21 Was sind nun die Zukunftsperspektiven? In wirtschaftlicher Hinsicht deutet alles darauf hin, dass man an dem System der regulierten Marktwirtschaft22, oder der „sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Charakteristika“23 festhalten wird. Dies bedeutet neben den nunmehr freien Unternehmen das Fortbestehen eines umfangreichen staatlichen und halbstaatlichen Sektors, der zusammen mit den ausländischen Unternehmen die industrielle Entwicklung des nächsten Jahrzehnts vorantreiben wird24. In der Tat steht die politische Führung unter einem außerordentlichen Erfolgsdruck, und dies aus drei Gründen: Der erste ist die demographische Entwicklung. Selbst bei der mit großer Strenge durchgeführten Ein-Kind-proEltenpaar-Politik bedeutet nur 1% Bevölkerungswachstum, rund 13 Mio. Personen. Der zweite liegt in der zunehmenden Lebenserwartung: sie hat seit 1970 um rund 10 Jahre zugenommen25. Schließlich, und das ist der dritte Grund, erlebt China eine Landflucht großen Ausmaßes. Es wird geschätzt, dass trotz aller Beschränkungen der Freizügigkeit bis 2020 etwa 300 bis 500 Mio. Menschen in die Städte ziehen werden26. Dies entspricht in der Größenordnung der gesamten Bevölkerung der Europäischen Union. Bereits heute findet eine rasche Urbanisierung statt; das spektakulärste Beispiel hierfür ist die bereits mehrfach erwähnte neue Industriestadt Shenzhen im Hinterland von Hongkong: sie wuchs von knapp 30.000 Einwohnern im Jahre 1980 auf gegenwärtig über 5 Mio. an27. Damit sind wir noch einmal bei dem Primat der Politik. Auch wenn viele Beobachter eine Öffnung der Kommunistischen Partei Chinas für unvermeidlich halten28, ist diese durch nichts garantiert. Die gegenwärtige Führung um Präsident Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao lässt sich eher als technokratisch denn als ideologisch ausgerichtet beschreiben29. Dies 21

Wilfried Röhrich, Chinas demokratische Reformen, FAZ, 10.11.2004, S. 10. Hansjörg Herr, s. Fußnote 6, S. 57. 23 Martin F. Krott, Wirtschaftsmacht Nummer eins, in: China verstehen, München 2000, S. 19. 24 A. a. O., S. 60. 25 Erik Israelewicz, s. Fußnote 1, S. 39. 26 A. a. O., S. 41. 27 A. a. O., S. 32. 28 Wilfried Röhrich, s. Fußnote 21 a. a. O. Dieser Artikel schließt mit dem Satz: „Es gibt keinen anderen Weg; der elementare Konflikt zwischen Marktwirtschaft und einer noch autoritären politischen Kultur tritt immer offener zutage.“ Hierzu auch: Kay Möller, Wirtschaftliche Öffnung und politische Blockade in China, in: Der Mittler-Brief, 4. Quartal 2004. 22

China im Umbruch

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muss jedoch nicht so bleiben. Interessant ist gegenwärtig eine gewisse Schwächung der Macht der Zentralregierung zugunsten der Provinzen und ihrer zuweilen selbstherrlichen Gouverneure30. Dies sollte jedoch auf keinen Fall als Tendenz zu einer Föderalisierung des Landes verstanden werden. Auch der Föderalismus hat in China, das seit alters her immer ein Einheitsstaat war, keine Tradition. So ist es nicht erstaunlich, dass nunmehr eine Ideologiekampagne durchgeführt wird, die von der Kommunistischen Partei Chinas unter dem Leitmotiv der „Regierungsfähigkeit der Partei“ steht und letztlich ein Disziplinierungsversuch unbotmäßiger Funktionäre ist31. Zuletzt sei noch einmal ein Blick in die Vergangenheit geworfen. Hinter grundlegenden historischen Umwälzungen oder, in einer anderen Terminologie, Veränderungen der Produktionsverhältnisse, stehen Persönlichkeiten. Zwei davon sind hier besonders zu nennen: Deng Xiaoping und Zhao Ziyang. Der eigentliche Vater der Transformation ist Deng Xiaoping (1904– 1997)32. Er, der De facto-Herrscher Chinas von den 70er bis zu den 90er Jahren, ist der Erfinder des oben bereits erwähnten „Pragmatismus“. Mittlerweile chinesisches Sprichwort und weltweit bekannt ist sein Ausspruch: Ob weiße oder schwarze Katzen, fangen sie Mäuse, sind sie gute Katzen. Hinter seinem Pragmatismus stand allerdings die für ihn selbst und seine Familie überaus schmerzliche Erfahrung mit der Kulturrevolution, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Der offizielle Protagonist der Reformen war sein Geistesgenosse, der damalige Ministerpräsident und spätere Parteichef Zhao Ziyang (1919–2005), ebenfalls beinahe ein Opfer der Kulturrevolution. Aber selbst in diesen beiden ähnlichen Biographien spiegelt sich die Dichotomie der Herrschenden wider. Deng Xiaoping (zusammen mit Premierminister Li Peng) war es im wesentlichen, der den Militäreinsatz gegen die Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens anordnete, Zhao Ziyang dagegen sympathisierte mit den Studenten und hatte versucht, mit ihnen zu diskutieren und sie zur Aufgabe ihrer Demonstration zu bewegen. Er fiel daraufhin im Politbüro in Ungnade, wurde abgesetzt und musste die letzten 15 Jahre seines Lebens unter Hausarrest verbringen.33 29

Hu Jintao ist von Hause aus Tiefbauingenieur (Quelle: Wikipedia, the Free Encyclopedia – www), Wen Jiabao war zunächst Geologe, s. FAZ 9.12.2004, S. 12. Beide versuchen, eine gewisse Nachhaltigkeit in das Wachstum zu bringen und es hierfür eventuell sogar zu bremsen. 30 Petra Kolonko, Unbotmäßige Provinz, FAZ 2.2.2005, S. 6. 31 A. a. O. 32 Biographie in: Wikipedia, the Free Encyclopedia – www. 33 Nachruf von Petra Kolonko, Der Parteichef unter Hausarrest, FAZ, 18.1.2004, S. 3.

III. Miszellen

Regelkreise in komplexen Netzwerken Von Werner Düchting

I. Was sind komplexe Netzwerke? „Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.“ (Antoine De Saint-Exupéry)

Sowohl im täglichen Leben als auch in der Wissenschaft begegnen wir ständig Systemen mit zunehmender Komplexität, die viele Menschen in ihrem technischen, wirtschaftlichen und sozialen Umfeld nicht mehr verstehen, weil – wie sie feststellen – „alles von allem abhängt“. Dabei versteht man unter einem System ganz allgemein eine geordnete Gesamtheit von Elementen (Objekten), zwischen denen Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können. Man unterscheidet „offene“ Systeme, die Verbindung zur Umwelt haben, von „geschlossenen“ Systemen, die in sich abgeschlossen sind. Eine Möglichkeit, Licht in das Dunkel von einigen Teilnetzwerken beispielsweise von Produktions-, Kommunikations-, Organisations-, Verkehrs-, Energie-, Informations-, Automatisierungs-, Rechner-, Medizin- und Sozialnetzwerken zu bringen, besteht in der Entwicklung von so genannten Modellen (Beschreibungs-, Erklärungs-, Entscheidungs-, Gestaltungsmodellen), die auf Ansätzen der modernen Systemtheorie (einschließlich Chaos- und Katastrophentheorie sowie der Theorie der Selbstorganisation) und der Kybernetik als der Lehre von den sich selbststeuernden und regulierenden Systemen basieren. Ein Modell ist ein gedanklich vorgestelltes System, welches das Original nur bedingt abbildet, gleichzeitig aber neue Informationen liefert. Lässt sich ein Modell durch einen geschlossenen Satz von Gleichungen beschreiben, so spricht man von einem „mathematischen Modell“. Ist dieses Modell so komplex, dass es nur mit numerischen Methoden ausgewertet werden kann, spricht man von einem „Computermodell“. Derartige Modelle, welche die zu untersuchenden Teile der Realität möglichst genau beschreiben sollen, lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen entwickeln. Bild 1 zeigt beispielsweise das Wirtschaftswachstumsnetzwerk eines Entwicklungslandes auf „globaler“ Ebene, während Bild 2 die Komplexität des Signalflusses in einem Kraftfahrzeug auf „mittlerer“ Ebene an-

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Werner Düchting

Bild 1: Wirtschaftswachstumsnetzwerk eines Entwicklungslandes [1]

Bild 2: Signalflussnetzwerk in einem Kraftfahrzeug [2]

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Bild 3: Genetisches Netzwerk [3]

deutet. Selbst auf der „untersten“ Ebene beispielsweise des genetischen Netzwerkes eines Zellkernes ist nach Bild 3 eine hohe Komplexität zu beobachten. Zur Darstellung der Struktur und des dynamischen Verhaltens derart völlig unterschiedlicher komplexer Netzwerke hat sich eine Symbolik entwickelt, mit der sich die Material-, Energie-, Informationsflüsse und -beziehungen einheitlich durch abstrakte Strukturdiagramme (Signalflussgraphen) nach Bild 4 beschreiben lassen. Dabei müssen die Grenzlinien so gewählt werden, dass eine eindeutige Charakterisierung des jeweiligen Teilsystems möglich ist. Eine ständige Beobachtung lediglich der Ein- und Ausgangsgröße eines Systems lässt allerdings noch keine Einsicht in die inneren Zusammenhänge zu. Eine wesentliche Grundkomponente vieler Strukturdiagramme stellt die Rückführung (Rückkopplung), d.h. ein einschleifiger Regelkreis dar, welche als ein universelles Prinzip in den unterschiedlichsten Teilnetzwerken anzusehen ist.

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Werner Düchting

Bild 4: Strukturdiagramm eines Teilsystems (E: Elemente)

II. Wie sieht der Grundbaustein Regelkreis aus? „One of the principle objects of theoretical research in any department of knowledge is to find the point of view from which the subject appears in its greatest simplicity“. (J. W. Gibbs)

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestanden viele bekannte technische Regelungen wie zum Beispiel die Temperaturregelung mit einem Thermostaten aus noch relativ einfach zu verstehenden einschleifigen Regelkreisen, denen als gemeinsames universelles Prinzip das der negativen Rückführung zugrunde liegt. Auch hoch komplexe Netzwerke lassen sich in eine Anzahl von Teilsystemen nach Bild 5 zerlegen und dann voneinander isoliert analysieren. Bei der Darstellung nach Bild 5 spricht man jedoch noch nicht von einer Regelung, sondern von einer „Steuerung“ (offener Regelkreis), weil die Ausgangsgröße nur dann dem Eingangssignal folgt, wenn (1) die dynamischen Eigenschaften des Teilsystems (Steuerkette) vollständig bekannt sind und (2) auf das Teilsystem keine äußeren nicht erfass- und kompensierbaren Störungen (Störgrößen) einwirken. Als Beispiele für Steuerungen lassen sich Aufzugssteuerungen oder auch Folgesteuerungen in der Werkzeugmaschinenindustrie anführen. Unter einer

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Bild 5: Systemgedanke

Steuerung wird also die zielgerichtete Beeinflussung eines dynamischen Systems bezeichnet, wobei äußere Störungen das angestrebte Ziel verfälschen können. Im Gegensatz zur „Steuerung“ besitzt eine „Regelung“ diesen Nachteil nicht. Unter einer „Regelung“ versteht man deshalb dagegen eine Anordnung, durch welche bei unvollständig bekanntem Prozess (Regelstrecke), insbesondere bei unvollständiger Kenntnis einer Störgröße z(t), die zu regelnde Größe y(t) (Regelgröße, Istwert) als Ausgangsgröße der Regelstrecke laufend erfasst und mit der Führungsgröße w(t) (Sollwert) verglichen wird, um mittels der so gebildeten Differenz e(t) (Regelabweichung, Fehler) eine Regeleinrichtung genannt „Regler“ so zu beeinflussen, dass das Ausgangssignal des Reglers u(t) (Stellgröße) so auf den Prozess (Regelstrecke) einwirkt, dass die Regelgröße y(t) (Istwert) an die Führungsgröße w(t) (Sollwert) – trotz auftretender Störgröße z(t) – ständig angeglichen wird (Bild 6). Bei der Regeleinrichtung kann es sich dabei sowohl um ein analog oder digital wirkendes Gerät (Hardware) als auch um einen Software-Algorithmus handeln, der auf einem Mikrorechner implementiert wird. Jede Regelung beinhaltet somit die drei Schritte:

Bild 6: Grundstruktur eines Regelkreises

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(1) Erfassung der Abweichung vom Sollzustand (Messen), (2) Vergleichen, (3) Einleitung von Korrekturmaßnahmen zur Wiederherstellung des gewünschten Zustandes (Stellen). Die Führungsgrößen sind dabei entweder konstant (Festwertregelungen) oder von anderen Größen abhängig (Führungs- oder Nachlaufregelungen beispielsweise bei der Satellitenverfolgung im Weltraum). Wegen der universellen Bedeutung dieses Regelungsprinzips, d. h. der selbsttätigen gezielten Beeinflussung dynamischer System, finden wir dessen Anwendungen nicht nur im technischen Bereich (Temperatur-, Druck-, Spannungs-, Geschwindigkeitsregelungen) sowie im militärischen Bereich der Waffenregelungen, sondern auch in der Wirtschaft (Konjunkturregelkreise) und Soziologie sowie in der Biologie und Medizin (Temperatur- und Blutdruckregelkreise) bis hin zu selbstlernenden Regelkreisen in der Psychologie und Pädagogik. Der Begriff der Rückführung kann wie in einer Regelung nach Bild 6 als „negative“ Rückkopplung (Gegenkopplung) bezeichnet werden, d. h. der Erfolg wirkt „hemmend“ zurück. Bei anderen Aufgabenstellungen wie z. B. zur Erzeugung von Dauerschwingungen lässt sich auch eine „positive“ Rückkopplung (Mitkopplung) einführen, d. h. der Erfolg wirkt „stimulierend“ zurück. In diesem Zusammenhang muss der Begriff „Stabilität eines Regelkreises“ erläutert werden, weil in jeder Disziplin der Stabilitätsbegriff anders definiert ist. Während bei einer intakten Regelung nach Bild 7a) die Regelgröße y(t) (Istwert) nach einer gewissen Zeit die Führungsgröße w(t) (Sollwert) erreicht hat und das System somit als „stabil“ bezeichnet werden kann, ist das bei einem Verlauf der Systemantwort y(t) nach Bild 7b) nicht der Fall. Ein derartiges Zeitverhalten bezeichnet man als „instabil“. Das Auftreten von Instabilitäten lässt sich auf drei Ursachen, die jede für sich, aber auch zusammen auftreten können, zurückführen. Nämlich (1) auf Parameteränderungen bzw. -schwankungen innerhalb des Prozesses (der Regelstrecke), (2) auf Strukturänderungen einzelner Regelkreisglieder und (3) auf das Auftreten von Nichtlinearitäten, wie z. B. Sättigungen. Bei einem Entwurf eines Reglers ist deshalb darauf zu achten, dass auf jeden Fall die Stabilität des Systems gewährleistet ist. Natürlich gibt es bei einem Regelkreis-Entwurf noch weitere Kriterien als Vorbedingungen. So müssen beispielsweise auch noch die Kriterien der Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit erfüllt sein. In unserer Politik hat man zurzeit den Eindruck,

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Bild 7: Stabilitätsbetrachtung

dass diese nur noch beobachtbar, aber nicht mehr steuerbar ist. Bei komplexeren Regulationssystemen, wie z. B. bei der Regelung und Steuerung von Produktionsanlagen oder Flugkörpern handelt es sich in der Praxis vielfach um vernetzte und vermaschte Mehrgrößensysteme höherer Ordnung, bei denen „nicht alle“ Regelgrößen y(t) messbar sind. Die für eine Regelung erforderlichen Zustandsvariablen lassen sich dann mit einer bestimmten Genauigkeit über so genannte Zustandsgrößenbeobachter-Algorithmen schätzen. Weiterhin ist es möglich, die gegebenenfalls sich zeitlich ändernden Parameter komplexer Prozesse mit Hilfe von parallelgeschalteten Modellen mittels Software zu identifizieren. Damit hat man gleichzeitig eine Basis für die Entwicklung von adaptiven, d. h. selbstlernenden Regelkreisen wie z. B. adaptiven Herzschrittmacher-Regelkreisen gelegt, bei denen in Abhängigkeit von sich ändernden Prozessparametern die Parameter der Regeleinrichtung nachgeführt werden können (Bild 8). Schließlich ist es möglich, sowohl die Führungsgröße w(t) als auch den Entwurf des Reglers über einen Optimierungs-Algorithmus zu berechnen, der beispielsweise auf einer Minimierung der Summe der Fehlerquadrate oder der Kosten basiert.

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Bild 8: Grundstruktur eines adaptiven Regelkreises

III. Warum haben sich einzelne Teilsysteme so unterschiedlich entwickelt? 1. In der Technik „Die Cockpit Crew der Zukunft wird aus einem Piloten und einem Hund bestehen. Die Aufgabe des Piloten ist es, den Hund zu füttern. Die Aufgabe des Hundes wird es sein, den Piloten zu beißen, wenn er irgendetwas anfasst.“ (aus „Fortune“)

Die zweifellos großen Erfolge der gezielten Anwendung des Rückführungsprinzips in der Technik, d.h. der Einführung des Regelkreises, sind darauf zurückzuführen, dass es unseren Ingenieuren zum einen gelungen ist, die jeweiligen technologischen Prozesse weitgehend zu analysieren und alle Veränderungen und Schwankungen (von Parameter und Strukturen) während des Betriebes ständig zu erfassen. Zum anderen ist es mit Hilfe der modernen Regelungstheorie möglich (Neuronale Netze, Fuzzy Control, prädiktive Regler-Entwurfsansätze), Regler in Form von Geräten oder Software-Programmpaketen zu entwickeln, welche – angeordnet im Rückführkreis nach Bild 6 – in der Lage sind, die an den Regelkreis-Entwurf gestellten hohen Anforderungen wie z. B. nach Einhaltung eines bestimmten Gütekriteriums (minimaler Fehler, minimale Kosten) oder auch nach „Stabilität“ zu erfüllen. Denn mit Hilfe von Regelalgorithmen ist es grundsätzlich möglich, instabile Prozesse (Regelstrecken), wie sie z. B. in der Raumfahrttechnik oder bei Kernkraftwerken auftreten, zu stabilisieren. Regelkreise stellen also heute eine wichtige Basis in hochkomplexen multitechnischen Systemen dar. Letztere reichen von den Prozessleitsyste-

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Bild 9: Roboterregelung [4]

men in Kraftwerken mit mehreren tausend Messfühlern (Sensoren) und Stellgliedern (Motoren) über Produktionssysteme mit Schweiß- und Montagerobotern (Bild 9) bis hin zu den Verkehrssystemen mit der automatischen Navigation von Fahrzeugen (Autopilot) und von Satelliten. In der modernen Automatisierungstechnik, welche mit dem Begriff Mechatronik die Gebiete Mechanik, Elektronik und Informatik miteinander verbindet, finden sich weiterhin zahlreiche Beispiele von vermaschten Mehrgrößenregelkreisen, die bis hin in die Konsumelektronik von Videorecorder und Mobiltelefon sowie bis hin zur digitalen Kamera reichen.

2. In der Wirtschaft „Richtig denken ist nicht ganz dasselbe wie Richtiges denken. Falsch Gedachtes kann zufällig richtig sein, und richtig Gedachtes ist sogar häufig falsch; dann nämlich, wenn der Ausgangspunkt eine unzutreffende Voraussetzung war.“ (Eduard Study)

Auch die Wirtschaft ist ein dynamisches Gebilde, das von Ausgleichsund Regelvorgängen, die jedoch zeitlich wesentlich langsamer als die in der Technik ablaufen, beherrscht wird. Man denke nur an die großen Leistungs-

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und Güterströme (Arbeitskraft, privater und öffentlicher Verbrauch) und an die Übertragungen (Steuern, Sozialleistungen), die zwischen den Wirtschaftsbereichen (Haushalte, Regierung, Unternehmen, Ausland) fließen. Da diesen ebenfalls das Prinzip der negativen Rückkopplungsschleife zugrunde liegt, sind sowohl in der Makro- als auch in der Mikroökonomie zahlreiche Teil-Modelle zur Beschreibung des hoch komplexen Netzwerkes „Wirtschaft“ entwickelt worden (Wirtschaftskreislauf-, Wachstums-, Preisbildungs-, Konjunktur-, Prognose-, Arbeitsmarkt-, Unternehmensmodelle), die teilweise wie z. B. bei den Prognosemodellen auf hoher Mathematik (nichtlineare Parameterschätzung, Kalman-Filter) basieren. Auf globaler Ebene treten dabei Ziele (Führungsgrößen) wie die Maximierung des Lebensstandards auf, die zu der schwierig zu beantwortenden Frage führen, welche Teilprozesse das Wirtschaftssystem genau lenken [5]. Derart sich selbstorganisierende Systeme bestehen auf mehreren Ebenen aus zahlreichen komplexen Mehrgrößen-Regel- und Steuerkreisen, welche die auftretenden Störgrößen, beispielsweise eine Preiserhöhung, optimal im Sinne der jeweiligen Zielgröße auszuregeln versuchen. Die krisenhafte Erscheinung „Inflation“ lässt sich vom Standpunkt der Regelkreistheorie als instabil gewordener Geldmengenregelkreis interpretieren, der sich durch eine geeignete Wahl von Korrekturmechanismen stabilisieren lässt. Einer Erklärung der Regelschwingungen von Konjunkturzyklen liegt die Arbeitsweise eines Zweipunktreglers (analog zur Temperaturregelung eines Bügeleisens) zugrunde, der zu einer stabilen Dauerschwingung der Systemantwort y(t) um die Führungsgröße (Sollwert) w(t) ã 1 führt, welche das wirtschaftliche Gleichgewicht widerspiegelt, vorausgesetzt, die Schwingungsamplitude überschreitet nach Bild 10 nicht einen zuvor festgelegten Grenzwert. Trotzdem lassen sich im Bereich der Wirtschaftsmodelle im Vergleich zu technischen Model-

Bild 10: Stabile Dauerschwingung um die Führungsgröße (Sollwert) w(t) ã 1

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Bild 11: Regelungstechnisches Managementmodell eines Unternehmens [6]

len mehr qualitative als quantitative Aussagen treffen. Betrachtet man das einzelne „Unternehmen“ aus regelungstechnischer Sicht als ein kybernetisches System, so lassen sich auf mehreren Ebenen für den Marketing-, Fertigungs-, Material-, Rechnungswesen- und für den Personalbereich analog zu den technischen Regelkreisen entsprechend komplexe Netzwerke als Subsysteme entwickeln. Allerdings muss mindestens „eine“ Rückführungsschleife immer da sein, nämlich die Verbindung zwischen den Resultaten und den Zielen (Bild 11). Im Gegensatz zur Technik lassen sich (1) die wirtschaftlichen Zusammenhänge in den meisten Fällen nicht isolieren und damit getrennt analysieren und (2) treten in der Wirtschaft als Regler keine Geräte bzw. Softwarealgorithmen, sondern „Menschen“ auf. Der große Vorteil der Technik gegenüber der Wirtschaft in der Regelungstechnik ist deshalb darin zu sehen, dass es in der Technik gelungen ist, an vielen Stellen, wo bislang der Mensch als Regler wirkt (Fahrzeugführer, Pilot, Schiffskapitän, Fließbandarbeiter), diesen durch Automaten (Autopilot, Roboter) zu ersetzen, die im Gegensatz zum Menschen nahezu fehlerfrei arbeiten, obwohl manche Skeptiker meinen, „Technik ist das, was manchmal funktioniert.“

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3. in der Biologie und Medizin „Der Fortschritt ist rasant. Die Neuheiten überschlagen sich. Doch nur weniges bewährt sich und bleibt auf Dauer.“

Lange bevor das Rückführungs-(kopplungs-)prinzip in Technik und Wirtschaft angewendet worden ist, hat die Natur Regelungsmechanismen eingesetzt, um Organismen durch korrigierende Einflüsse und Anpassung an wechselnde Umgebungseinflüsse (z. B. schwankende Umgebungstemperatur) zu schützen und damit die weitere Evolution (z. B. aufrechter Gang) erst möglich zu machen. Nachdem die Physiologen das Prinzip der Homöostase (die Eigenschaft, bestimmte physiologische Größen konstant zu halten) auf allen Ebenen – von der Zelle bis hin zu den Organen – entdeckt hatten, wurde das Regelungsprinzip sogar als die Voraussetzung und Kennzeichnung allen Lebens betrachtet. Die negative Rückführungsschleife nach Bild 6 war das tragende Element zur Konstanthaltung beispielsweise des Blutdrucks, des Blutzuckers, der Körpertemperatur, des Hormonhaushaltes, des PH-Wertes, des Taktes der inneren Uhr oder der Anzahl der roten Blutkörperchen (Bild 12). Schrittweise wurde in den Folgejahren versucht, auch Systeme wie den Pupillenregelkreis als Nachlaufregelung zu untersuchen bzw. die Anpassung des Herzkreislaufsystems, z. B. beim Treppensteigen als adaptiven Regelkreis zu interpretieren. Eigene Arbeiten über den Zellvermehrungsregelkreis führten dazu, Krebserkrankungen als strukturinstabil gewordene Regelkreise zu untersuchen [7]. Zwischenzeitlich sind komplexe Modelle, die beispielsweise den Metabolismus, das Immunsystem, die Pharmakoki-

Bild 12: Zellerneuerungsregelkreis [7]

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Bild 13: Roboterunterstützter chirurgischer Eingriff [8]

netik, Epidemien, biomechanische Vorgänge wie Sportübungen, die Informationsverarbeitung im Gehirn oder genetische Netzwerke (Bild 3) beschreiben, entwickelt worden. Darüber hinaus werden Modelle konstruiert, welche Krankheiten wie Parkinson-, Alzheimer- oder HIV-Erkrankungen als Regulationsstörungen auf biochemischer Ebene studieren. Während die Systemanalyse und die Modellbildung auf diesen Gebieten mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie bei dem Studium von komplexen Wirtschaftsprozessen, haben besonders in den letzten Jahren die Regelkreise über die „Medizintechnik“ ihren Siegeszug in verschiedenen medizinischen Sektoren angetreten. Die Einsatzfelder reichen von der Computertomographie über Dialyse-, Beatmungs-, Stimulationsgeräte, Herz- und Hirnschrittmacher, künstliches Herz bis zur Neuroprothetik, Rehabilitationsunterstützung, roboterunterstützter Navigation und Chirurgie (Bild 13) sowie bis zur Telemedizin.

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4. In der Soziologie „Man verirrt sich nie so leicht, als wenn man glaubt den Weg zu kennen.“ (Chinesisches Sprichwort)

Während es sich bei den Objekten in der Technik überwiegend um Geräte und Maschinen handelt, bestehen soziologische Systeme aus einer Vielzahl von Menschen, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Mindestvoraussetzung für ein soziales System ist somit die Interaktion mindestens zweier personaler Systeme oder Rollenhandelnder. Je nachdem wie man die Grenzlinie von Teilsystemen in Bild 4 legt, können als soziale Teilsysteme gelten: der Staat, die Gesellschaft, eine Religionsgemeinschaft, eine Berufsgruppe, Menschen eines Kulturbereiches, die Einwohner einer Stadt, die Besucher eines Sportstadions, eine Terroristengruppe oder bei Tieren die Ameisen- oder Termitenstaaten. Da soziale Netzwerke zweifellos großen Einfluss auf die Machtstrukturen in unserer Welt haben, sind zahlreiche Modelle u. a. mit Hilfe der Graphentheorie (und Petri-Netzen) nach Bild 4 entwickelt worden, welche empirisch den Einfluss und die Beziehungen beispielsweise zwischen Banken, Versicherungen und ihren industriellen Partnern oder das Wählerverhalten, das Lernverhalten zwischen Lehrer und Schülern als Regelkreis oder das Kommunikationsverhalten innerhalb eines Unternehmens oder eines Freundeskreises untersuchen. Die Schwierigkeit, quantitative Aussagen über Regulationsmechanismen in sozialen Systemen zu machen, liegt darin begründet, dass sich in diesen noch stärker als in der Wirtschaft permanent Strukturen und Verhalten ändern. Für qualitative Studien lässt sich auf der untersten Ebene jedes einzelne Individuum vereinfacht durch einen Informationsregelkreis nach Bild 14 beschreiben, der auch neben ererbten Verhaltensmechanismen, dem

Bild 14: Informationsverarbeitungsregelkreis eines Individuums [9]

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Lernen und der Anpassung zum Inhalt hat, dass sowohl Erfahrung als auch erlernte Verhaltensformen nach einer gewissen Zeit teilweise oder ganz verschwinden können. Damit überhaupt ein Lernvorgang mit rationalem Entscheidungsverhalten stattfinden kann, müssen gesellschaftliche und ökonomische Ziele als Führungsgrößen in die Regelkreise eingeführt werden, wie z. B. das Streben nach Macht, Wohlstand, Gerechtigkeit, Sicherheit, Freiheit. Allerdings muss bei der Modellbildung auch noch die emotionale Erregung, die sich in Form von Freude, Begeisterung, Wut oder Enttäuschung und Trauer äußert, berücksichtigt werden. Die Trauer könnte dabei als negative Freude eingeführt werden. Auf höherer (globaler) Ebene beruht das Verhalten eines soziologischen Teilsystems z. B. einer Gruppe auf einem konkurrierenden Streben einerseits nach Ordnung (Anpassung) und andererseits nach Freiheit (Differenzierung). Das Auftreten einer „Revolution“ lässt sich regelungstechnisch wieder als ein instabiler gewordener Regelkreis deuten, in Analogie zur „Inflation“ in der Wirtschaft oder zu den Krebserkrankungen in der Medizin. Auslöser für soziologische Instabilitäten (Revolution) können beispielsweise Erregungsprozesse sein, wie Gerüchte, schlechte Lebensbedingungen, Chaos, plötzliche Panik, Ausrichtung nach einer bestimmten Ideologie. Die vielfältigen Kopplungen zwischen den Menschen führen dann letztlich zu einer „positiven“ Rückführungsschleife, d. h. zu einer sich in Panik äußernden Instabilität des Systems. Damit letztere nicht eintritt, haben unsere Politiker unbewusst einen Ansatz der modernen Regelungstechnik aufgegriffen. In letzterer versucht man die Dynamik eines stabilen Systems dadurch zu verbessern, dass man dem Regler nicht den „wahren“ Istwert zuführt, sondern – wenn man über Zusatzinformationen über das zukünftige Verhalten des Systems verfügt – einen „vorgetäuschten“. Diese vorausschauende Regelung (look-ahead Regelung) hat das Ziel, die Differenz zwischen Sollund Istwert, also den Fehler noch kleiner zu machen, als er ohne diese Manipulation sein würde. Eine Unseriösität in der Politik liegt jedoch dann vor, wenn der den Wählern „vorgetäuschte“ Istwert einer reinen Illusion bzw. dem reinen Machtinstinkt entspringt.

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IV. Wohin geht die künftige Entwicklung? „Die eine Generation baut die Straße, auf der die nächste fährt.“ (Chinesisches Sprichwort)

Obwohl in diesem Beitrag als universelles Prinzip die negative Rückführungs-(kopplungs-)schleife, die in zahlreichen Disziplinen auftritt, herausgearbeitet worden ist, bleibt nach Bild 15 noch viel zu tun, weil (1) es an der Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Gebieten mangelt, (2) es in einigen Bereichen an dem unbedingt erforderlichen naturwissenschaftlich-technischen Verständnis fehlt und (3) die Betrachtungsweisen „top-down“-Ansatz mit dem „bottom-up“ Ergebnis nach Bild 15 in der Mitte nicht immer zum gleichen Resultat führen. In der Technik werden sich moderne Regelverfahren wie die prädiktive Regelung, in die Schätzwerte über den zukünftigen Zustand eines Systems eingehen, weiter ausbreiten. Zukunftsträchtige Anwendungsgebiete reichen von der automatischen Verkehrsflussregelung, Ortung und Navigation von führerlosen Fahrzeugen bis hin zur digitalen Fabrik mit mobilen Robotern oder bis zur aktiven Dämpfung von Hochhäusern bei Erdbeben. In den Wirtschaftswissenschaften steht – wie auch in der Technik – die verbesserte Modellbildung mit modernen mathematischen Verfahren auf der

Bild 15: Schnittstellenprobleme

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Agenda. Die bisher angeführte Schwierigkeit von einer zu großen Zahl von sich ständig ändernden Parametern und Variablen dürfte im Zeitalter des Computers jedoch ausgeräumt sein. Der Schwerpunkt könnte somit dann auf die Frage gelegt werden, wie sich mit Hilfe der Regelungstheorie Instabilitäten in den Wirtschaftsprozessen vermeiden lassen. Auf den Feldern der Biologie und Medizintechnik ist wohl die größte Dynamik zu erwarten. Sie reichen von Studium der Gen-Regulation über die Selbstreproduktion von Molekülen bis zum Klonen und von automatischen Diagnosesystemen bis hin zur minimalinvasiven Roboterchirurgie. Das weite Gebiet der Soziologie, bei dem ein erheblicher Nachholbedarf an naturwissenschaftlicher Basiskenntnis zu beobachten ist, dürfte neue richtungweisende Impulse aus den Fortschritten der Neurobiologie, d. h. der Gehirnforschung, erhalten, die versucht, über neuronale Netze und komplex vermaschte Regelkreise, die Wirkungsweise der menschlichen Regelkreise, die Wirkungsweise des menschlichen Lernens und Denkens zu erforschen, so dass einige Teildisziplinen wie die Psychologie künftig als Submenge in den Neurowissenschaften aufgehen könnten. Über alle Spekulationen hinweg bleiben uns allen die philosophischen Grundfragen erhalten: Was kann ich wissen? Was muss ich tun? Was darf ich hoffen? Schrifttum [1] Odum, H. T.: Simulation models of ecological economics developed with energy language methods, Simulation, August 1989, pp. 69–72. [2] Cunning, S. J./Schulz, S./Rozenblit, J. W.: An Embedded System’s Design Verification Using Object-Oriented Simulation, Simulation, April 1999, pp. 238–249. [3] McAdams, H. H./Shapiro, L.: Circuit Simulation of Genetic Networks, Science, Vol. 269, 1995, pp. 650–659. [4] Weber, W.: Industrieroboter, Carl Hanser Verlag, München 2002. [5] von Hayek, F. A.: Die Anmaßung von Wissen, herausgegeben von Wolfgang Kerber, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1996. [6] Schwab, A. J./Krebs, V.: Management und Controlling aus Sicht der Regelungstechnik, Automatisierungstechnische-Praxis, atp 41, Heft 5, 1999, S. 16–25. [7] Düchting, W.: Medizin und Technik: Computersimulationen in der Krebsforschung, Medizinische Klinik 9, 1998, S. 565–570. [8] Wahrburg, J./Gross, I./Knappe, P./Pieck, S.: Design concept of an universal robotic system to support surgical interventions, Kongreßband Mechatronics & Robotics 04, Vol. 4/4, Sascha Eysoldt Verlag Aachen, 2004, pp. 1421–1424. [9] Gilles, E. D.: Struktur und Dynamik soziologischer Systeme, Oldenbourg Verlag, München 1974.

Drei Anmerkungen zur Mathematik Von Jörg M. Wills

I. Wirtschaft und Mathematik; Wechselwirkungen Mathematik gehört nicht gerade zu den beliebtesten Schulfächern. Zwar können viele Schüler das Fach nach dem Schulabschluss abhaken, aber den meisten Akademikern ist dies nicht vergönnt und das gilt auch für VWLund BWL-Studenten. Mathematik ist auch für sie unentbehrlich und kann bei guter Lehre sogar Spaß machen. Bei schlechter Lehre allerdings nicht, wie insbesondere Siegener BWL- und VWL-Studenten wissen. Die Unentbehrlichkeit der Mathematik für Ökonomen wird durch Schlagworte wie Stochastik, Spieltheorie, Optimieren, Versicherungsmathematik, etc. belegt. Und durch die Nobelpreisträger für Ökonomie, von denen ein beachtlicher Anteil als Mathematiker begonnen hat. Aber nur selten wird betont, dass umgekehrt die Mathematik eine ihrer wichtigsten frühen Errungenschaften der Wirtschaft und dem Handel verdankt, nämlich das Dezimalsystem. Die Erfindung der Null durch die Inder und der damit verbundene Aufbau des Stellensystems ermöglichte eine einfache Handhabung der Grundrechenarten (Addition, Subtraktion, Multiplikation) für jedermann. Die Araber, die nach dem 7ten Jahrhundert den Mittelmeerraum eroberten und beherrschten, entwickelten das so flexible Zahlungssystem weiter und brachten es über Spanien und Italien (Giro, Konto, Disagio, etc.) nach Europa, wo es Handel und Wirtschaft beflügelte. In Deutschland sorgten Rechenbücher wie das von Adam Riese für die Verbreitung des neuen Systems, das schnell die bisherigen, vor allem die römischen Ziffern ablöste. So wie der Bedarf der Physik und Astronomie die Einführung der Differential- und Integralrechnung erzwang, so haben die Bedürfnisse von Handel und Wirtschaft das heute weltweit gültige Dezimalsystem erzwungen, das aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist.

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II. Intermezzo Wie haben die Menschen vor der Einführung des Dezimalsystems gerechnet? Die Griechen, denen wir die entscheidenden Anfänge der Mathematik verdanken (z. B. Euklid, Archimedes), kannten kein vergleichbares Zahlensystem. Dennoch konnten sie hervorragend rechnen, aber es war vorwiegend für den wissenschaftlichen Gebrauch und die Kunst einer Elite. Die Sumerer hatten ein hoch entwickeltes 60er-System, das auch für Handel und Wirtschaft brauchbar war, aber doch nicht so flexibel wie unser Dezimalsystem. Die Römer hatten wir schon erwähnt. Und die anderen Kulturen? Sie haben Mathematik vorwiegend für die wichtige Kalenderbestimmung, für Religion und Mythologie benötigt, wie wir beispielsweise aus der Bibel wissen. Die Zahlenmystik reicht von der Schöpfung in 7 Tagen über die 10 Gebote und die 12 Jünger zu den 40 Tagen in der Wüste und der Auferstehung nach 50 Tagen. Und unsere Vorfahren in Mitteleuropa? Im 3ten und 4ten Abschnitt präsentieren wir zwei hübsche und relativ neue Beispiele aus der Kulturgeschichte, die die Mathematik von der entspannten Seite her zeigt.

III. Die kaiserliche 19 In einer 16-eckigen Kapelle im Magdeburger Dom thront das abgebildete gekrönte Paar. Historiker und Kunsthistoriker sind sich einig, dass es sich um den Gründer des Magdeburger Doms, Kaiser Otto I., dem Großen und seine Gemahlin Editha handelt. Die etwa 60 cm hohen und sehr qualitätvollen Sandsteinfiguren sind um 1250 entstanden, also etwa 200 Jahre nach dem Tod Otto des Großen. Die Kaiserin hält die geöffnete Bibel in ihrer rechten Hand, und die symbolische Bedeutung ist unmittelbar einleuchtend. Der Kaiser hält in seiner Rechten eine große, flache Schale mit 19 Kugeln, die an zentraler Stelle der Bildkomposition steht. Was bedeuten diese Kugeln, und warum sind es gerade 19? Sicher wollte der Kaiser kein Angebot an landesüblichem Obst, Gemüse, Gebäck oder Mozartkugeln offerieren. Was also sonst? Kunsthistoriker, sonst eher redselig, drücken sich meist um die Beantwortung dieser Frage, obwohl diese seit über 100 Jahren im Wesentlichen geklärt ist: Die 19 Kugeln gliedern sich in 12 äußere und 7 innere Kugeln. Die inneren symbolisieren die 7

Drei Anmerkungen zur Mathematik

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Tage der Woche und die äußeren die 12 Monate des Jahres. Und die Botschaft der Schale mit den 19 Kugeln ist die Herrschaft des Kaisers über die Zeit und damit die imperiale Gottähnlichkeit. Einige Forscher deuten die inneren 7 Kugeln auch als Siebengestirn (d.h. die Plejaden), aber das ändert nichts an der Botschaft des Kaisers. Wichtig ist dagegen, dass die 19 Kugeln sich auf diese geometrischästhetische Weise in die Schale einfügen und dadurch den göttlichen Anspruch unterstreichen.

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IV. Die göttliche 29 Zu den häufigsten Funden der Bronzezeit in Mittel- und Nordeuropa gehören bronzene Sicheln, die etwa 1200 v. Chr. (also in der mittleren Bronzezeit) in großen Mengen hergestellt und, offenbar ungenutzt mit nie geschärften Klingen, als Kultgeräte zu Hunderten in Kulthorten vergraben wurden.

Die Archäologen haben plausible Erklärungen für diese „Kult“geräte. Zum einen erinnert die Sichelgestalt klar an die Mondsichel, zum anderen wurde der Übergang von der leuchtend goldenen Schmelze zum mattgelben festen Metall sicherlich als ein göttlicher Vorgang empfunden. Außerdem stand und steht die Sichel als Symbol für Ernte und eine Gabe von Sicheln an die Götter konnte sich gut nach dem Motto „Do ut des“ mit der Hoffnung auf eine gute Ernte verknüpfen. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die Sicheln als einheitliches Tauschobjekt, also als bronzene Münzen dienten. Soweit die überaus plausiblen Argumente der Archäologen. Uns in-

Drei Anmerkungen zur Mathematik

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teressiert hier ein weiteres Phänomen: Viele der Sicheln, immerhin mehrere hundert, enthalten eingeprägte und unverwechselbare Strichmarken. Wieder sind die Archäologen schnell auf des Rätsels Lösung gekommen. Die Striche bedeuten die Zahlen 1 bis 29, nach dem Prinzip, wie der Wirt die Getränke auf dem Bierdeckel zählt. Während der Wirt nach je 4 Strichen den 5ten als Querstrich zum Bündel vervollständigt, wird hier nach 4 links geneigten ein rechts geneigter Strich genommen. Die Zählweise des Wirtes lässt sich im Prinzip bis unendlich fortführen, man denke auch an das Auszählen von Stimmzetteln bei Wahlen. Aber die Striche auf den Sicheln enden bei 29; es gibt keine Sicheln mit größeren Zahlen. Warum? Es gibt zwei Gründe dafür, und man darf annehmen, dass diese doppelte Bedeutung von dem bronzezeitlichen Menschen als etwas Besonderes empfunden wurde. Der erste Grund ist die synodische Umlaufzeit des Mondes von 29,5 Tagen. Nach der eingangs genannten Beziehung zwischen Sichel und Mondsichel ist diese Begründung offenbar. Der 2te Grund ist subtiler. Bedenkt man die soeben beschriebene Zählweise und dass in der Bronzezeit nicht schriftlich, sondern mit den Fingern gezählt wurde, dann ist klar, dass die Einer z. B. mit links, die Fünfer mit rechts gezählt wurden. Jede Hand besitzt aber nur fünf Finger und dieses Zählsystem musste bei 29 abbrechen, da für 30 sechs Finger an einer Hand benötigt wurden. Diese doppelte Eigenschaft der 29 dürfte als göttlich empfunden worden sein.

Freiheit und Bindung im Notarrecht – Der Notar im Spannungsfeld von Amtsführung und marktwirtschaftlicher Dienstleistung – Von Frank Hartmann Der durch diese Festschrift Geehrte ist mit seinem wissenschaftlichen Lebenswerk zu einem Bekenner zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland geworden. Sein wissenschaftlicher Werdegang führte ihn von seiner Heimatstadt Jena über die Universität Leipzig an die Gesamthochschule in Siegen. Sein demokratisches Engagement läßt sich von der Teilnahme am Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR bis zur Mitgestaltung der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 verfolgen. Heute konzentriert sich sein wissenschaftliches Denken auf eine zentrale Frage der Reformfähigkeit Deutschlands in Gestalt der Erforschung der sozialen Marktwirtschaft als Erbe Ludwig Erhards und deren Anwendung in der Gegenwart. Dies beinhaltet die philosophische Frage nach Freiheit und Bindung menschlicher Entscheidungen auf die Wirtschaftspolitik bezogen. Freiheit und Bindung der Entscheidung des Einzelnen und darüber hinaus aller Einrichtungen der Gesellschaft im Hinblick auf die Grundwerte unserer Verfassung können auch als wichtiges Problem des öffentlichen Rechts und darüber hinaus jeder Art von Rechtsverwirklichung angesehen werden. Je dynamischer sich das Recht entwickelt, um so drängender wird seine Neuorientierung auf dieses Problem, mit dem Ergebnis der gesetzgeberischen Selbstbeschränkung. Angesichts der immer zahlreicher und komplizierter werdenden Regelungen und der damit verbundenen Einschränkungen der betroffenen Personen, ist dies eine Existenzfrage des Gemeinwesens. Der Zug der Reformdiskussion hat jetzt auch sehr traditionsgebundene Rechtsmaterien erreicht. So stellt sich auch im Notarrecht das Problem von Freiheit und Bindung für den Gesetzgeber. Eine Spezialproblematik ist hier die Übertragung der Notarrevision (Notarprüfung nach §§ 92 ff. BNotO) auf die Notarkammern. De lege lata obliegt gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 BNotO den Aufsichtsbehörden nach § 92 BNotO die regelmäßige Prüfung und Überwachung der Amtsführung der

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Notare und des Dienstes der Notarassessoren. Die Zuständigkeit zur Durchführung der Prüfung richtet sich gem. § 93 Abs. 3 Satz 1 BNotO nach den hierzu erlassenen Bestimmungen der Landesjustizverwaltung. Im Freistaat Sachsen veranlaßt der Präsident des jeweiligen Landgerichts gem. Ziff. IV. Nr. 19 lit. a) der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz zur Ausführung der Bundesnotarordnung (VwVausfBNotO) die Prüfung der Amtsgeschäfte des Notars. Der Präsident des Landgerichts kann gem. § 93 Abs. 3 Satz 2 BNotO nach Anhörung der Notarkammer Notare zu Prüfungen hinzuziehen. Der Notarkammer obliegt in diesem Zusammenhang nach dem System der Bundesnotarordnung gem. § 67 Abs. 1 Satz 2 BNotO lediglich eine die Aufsichtsbehörden unterstützende Funktion. Diese Problemlösung zeigt, daß der Notar gem. § 1 BNotO Träger eines öffentlichen Amtes ist und staatliche Rechtspflegeaufgaben erfüllt. Die Übertragung „originärer Staatsaufgaben“ durch Verleihung hoheitlicher Befugnisse auf nicht unmittelbar in die behördliche Organisation des Staates eingegliederte natürliche Personen erfordert eine staatliche Aufsicht. Wenn der Staat durch Gesetze zwingend vorsieht, daß Bürger bei bestimmten Rechtsgeschäften die Dienste eines Notars in Anspruch nehmen müssen, so muß der Staat auch dafür sorgen, daß funktionierende Notariate zur Verfügung stehen. Die staatliche Aufsicht über die Notare ist damit zwingende Folge ihrer hoheitlichen Funktionen und ihrer Teilhabe an der vorsorgenden Rechtspflege.1 Dieses System der staatlichen Aufsicht gem. § 92 ff. BNotO hat sich bewährt und trägt wesentlich dazu bei, daß der Notar nach wie vor in der Bevölkerung ein hohes Ansehen genießt. Im Falle des Auftauchens von Verdachtsmomenten für Unregelmäßigkeiten bei der Amtsführung eines Notars regt die Notarkammer eine Sonderprüfung bei dem zuständigen Präsidenten des Landgerichts an. Das Erfordernis einer unmittelbaren staatlichen Aufsicht über die Notare kann nicht dadurch kompensiert werden, daß im Zusammenhang mit der Übertragung der Notarrevision nach § 92 ff. BNotO auf die Notarkammern gleichzeitig auch der Landesjustizverwaltung statt einer Rechtsaufsicht gem. § 66 Abs. 2 BNotO die Fachaufsicht über die Notarkammern übertragen wird. Der Gesetzgeber hat deshalb in der Bundesnotarordnung zwischen den in deren dritten Teil ausdrücklich den Aufsichtsbehörden übertragenen Aufsichtsbefugnissen und den in deren zweiten Teil übertragenen Selbstverwal1 Baumann, MittRhNotK 1996, S. 1 ff.; Eylmann/Vaasen, BNotO, § 93 Rn. 2; Schippel, DNotZ 1965, S. 595 ff.

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tungsaufgaben differenziert. Das System der berufsständischen Kammern findet seine Grundlage und Rechtfertigung im Prinzip der Selbstverwaltung und dem damit zusammenhängenden Grundsatz der Subsidiarität staatlicher Organisation. Das Wesen der Selbstverwaltung besteht darin, daß die entsprechenden Angelegenheiten in eigener Verantwortung geregelt werden können. Eigenverantwortlichkeit bedeutet dabei Ermessens-, Gestaltungs-, und Weisungsfreiheit.2 Daraus ergibt sich, daß die Übertragung von Selbstverwaltungsbefugnissen nur Rechtsaufsichtsbefugnisse nicht aber Fachaufsichtsbefugnisse umfaßt. In § 66 Abs. 2 BNotO berücksichtigt der Gesetzgeber dieses Prinzip. Folgerichtig ist in der Bundesnotarordnung die Übertragung weiterer Staatsaufgaben nicht vorgesehen. Diese Argumente beanspruchen erst recht Geltung, soweit erwogen wird, die Notarprüfung auf externe Sachverständige zu übertragen. Die Einschaltung von externen Sachverständigen würde im Ergebnis einen Teil der staatlichen Aufsichtsbefugnisse in die Hände von Nichtamtsträgern verlagern, die auf diese Weise zudem in intensiver und gravierender Weise in die besonders geschützte notarielle Verschwiegenheitssphäre eindringen würden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BNotO Gegenstand der Prüfung die ordnungsgemäße Erledigung der Amtsgeschäfte des Notars ist. Die Prüfung erstreckt sich gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 BNotO auch auf die Einrichtung der Geschäftsstelle, auf die Führung und Aufbewahrung der Bücher, Verzeichnisse und Akten, auf die ordnungsgemäße automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, auf die vorschriftsmäßige Verwahrung von Wertgegenständen, auf die rechtzeitige Anzeige von Vertretungen sowie auf das Bestehen der Haftpflichtversicherung. In jedem Fall ist gem. § 93 Abs. 2 Satz 3 BNotO eine größere Anzahl von Urkunden und Nebenakten durchzusehen und dabei die Kostenberechnung zu prüfen. Es bestehen Zweifel, ob externe Sachverständige, wie beispielsweise Wirtschaftsprüfer, über die nötige Fachkompetenz für derartige Prüfungen verfügen. Es ist auch zu berücksichtigen, daß mehrere in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Fälle aus der Wirtschaft gezeigt haben, daß es beispielsweise Wirtschaftsprüfern nicht gelungen ist, in ihrem originären Aufgabenbereich Bilanzmanipulationen zu Lasten von Anteilseignern und Gläubigern zu verhindern. Soweit erwogen wird, die Notarprüfung auf Notarkammern respektive Notare zu übertragen, ist in kleineren Kammerbereichen zu berücksichtigen, 2

Baumann, in: Eylmann/Vaasen, BNotO, 2. Aufl. 2004, § 93 Rn. 2.

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daß die Gefahr der Befangenheit von Notaren, die mit der Prüfung ihrer Kollegen beauftragt werden, nicht ausgeschlossen werden kann. Hier könnte nicht garantiert werden, daß an die Prüfungen dieselben Maßstäbe gelegt würden, wie an die durch staatliche Aufsichtsbehörden durchgeführten Prüfungen. Insgesamt gesehen wird durch die eben diskutierten Vorschläge zur Veränderung des Notarrechts das verfassungsrechtlich begründete und von der Bundesnotarordnung vorgezeichnete Leitbild des unabhängigen Notars in unzulässiger Weise zur Disposition gestellt. „So ist die heute in der Bundesnotarordnung ausdrücklich erwähnte Unabhängigkeit eine Folge des im Grundgesetz verankerten Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit. Sie muß gewährleistet sein, um dem Notar die Verwirklichung des Rechts in der vorsorgenden Rechtspflege in vollem Umfang zu ermöglichen. Der Notar soll – wie der Richter – in seiner rechtlichen Entscheidung frei und allein dem Gesetz unterworfen sein . . .“3 Freiheit und Bindung bedeuten für die Gestaltung der Notarverfassung, daß sich im Notarrecht der Staat nicht ohne weiteres aus seiner Garantenfunktion für ein rechtsstaatlich gefestigtes Notariat zurückziehen kann. Er befindet sich in einem ordnungspolitischen Pflichtensystem, daß seinem gesetzgeberischen Handlungsspielraum Grenzen setzt. Der Jubilar hat diesen rechtspolitischen Gesichtspunkt oft betont. Insbesondere in seiner Monographie „Wirtschaftspolitik“ entwickelt er eine organische Auffassung der Ordnungspolitik, die eine diesbezüglich gewährleistende Rechtspolitik auf der Grundlage des Grundgesetzes fordert. Er schreibt: „Gegenstand der Ordnungspolitik im weiteren Sinne ist die Gestaltung der Gesellschaftsordnung mit deren Grundpfeilern, der Rechtsordnung, der Wirtschaftsordnung, der Sozialordnung sowie dem System von Bildung und Ausbildung. Das verfassungsrechtliche Fundament hierzu wurde im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) im Jahre 1949 gelegt.“4

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Pfeiffer, DNotZ, 1981, S. 7. Gemper, Bodo, Wirtschaftspolitik, Heidelberg 1994, S. 3.

IV. Anhang

Veröffentlichungen und Veranstaltungen Buchveröffentlichungen „Die Vermögensteuer im Rahmen der modernen allgemeinen Einkommensteuer. Eine steuerwirtschaftliche Betrachtung, als Beitrag zur Gesamtsteuerreform“ (Volkswirtschaftliche Schriften, 159). Berlin 1971. „Zur Steuerreform: Das Steuersystem – Grundsätze und Leitlinien für das Steuersystem in einem sozialen Rechts- und Industriestaat“, (Als Manuskript vervielfältigt). Bonn 1972. „Probleme der Nominalwertrechnung bei inflatorischer Geldentwertung.“ Beiträge des Deutschen Industrieinstituts, 10. Jahrgang, Heft 12, Deutsche Industrieverlags GmbH, Köln 1972. „Wirtschaftspolitik. Ordnungspolitische Grundlagen.“ Physica Lehrbuch, Heidelberg 1994. „A Socially Responsible Free Market Economy: Ludwig Erhard’s Model“ (Manuskript 2005).

Herausgeberschaften „Marktwirtschaft und soziale Verantwortung“ mit einem Vorwort von Alfred MüllerArmack, Köln 1973. „Gewinn und Verlust“, Band 1 der Reihe „Materialien zur Betriebs- und Volkswirtschaft“, Köln 1976. „Stabilität im Wandel. Wirtschaft und Politik unter dem evolutionsbedingten Diktat“. Festschrift für Staatsminister a. D. Prof. Dr. Bruno Gleitze anläßlich seines 75. Geburtstages, Berlin 1978. „Energieversorgung – Expertenmeinungen zu einer Schicksalsfrage“ mit einem Geleitwort von Walter Scheel. München 1981. „Religion und Verantwortung als Elemente gesellschaftlicher Ordnung“, Siegen 1982. „Protektionismus in der Weltwirtschaft – Verstöße gegen die Spielregeln der Marktwirtschaft und das Freihandelsprinzip“, Hamburg 1984. „Industrial Policy – Structural Dynamics“, Hamburg 1985. „Industriestruktur und Politik“, Siegener Studien, Band 41, Essen 1987. „Gewerkschaftspolitik und Arbeitnehmerinteresse. Neue Rollen- und Verständnisprobleme sozialer Partnerschaft bei der Bewältigung von Zukunftsproblemen“, Hamburg 1988.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

„The International Trend Towards Indicative Targeting, Case Studies on Canada, Ghana, Great Britain, the People’s Republic of China, South Africa, The Soviet Union, Taiwan, the United States of America and West Germany“, Hamburg 1988. „Symbiose oder Konflikt? Föderalismus – Demokratie – Marktwirtschaft: Ordnungspolitische Gedanken aus der Siegerländer Werkstatt“, Hamburg 1989. „Internationale Koordination und Kooperation: Stille Diplomatie – Politischer Dialog – Innovativer Wettbewerb“, Hamburg 1990. „Die Finanzierung der Zukunftsaufgaben: Finanzwirtschaftliche Gedanken aus der Siegerländer Werkstatt“, Hamburg 1991. „James M. Buchanan: Prospects For Economic Theory In The 1990s And Beyond“, Netphen und Siegen 1993. „Politik in der Krise. Überfordert das deutsche und das europäische Einigungswerk Bürger und Politiker? Gedanken zur Politik aus der Siegerländer Werkstatt“, Siegen 1993. „Deutsche Geldpolitik und monetäre Integration in Europa“, Vortrag des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, Netphen und Siegen 1995. „Arbeit und Kapital. Sozialparteien – Partner oder Gegner?“, Siegen 1995. „Hochschule und Gemeinde. Eine Festakademie nach 25 Jahren Lehre, Studium und Forschung an der Universität als Gesamthochschule, Siegen 1997. „Aktuelle Fragen der Geld- und Währungspolitik“, Lohmar/Köln 1999. „Was würde Ludwig Erhard heute tun?“: Wettbewerb im Rahmen des 8. Wirtschaftssymposiums der European Business School (ebs), Lohmar/Köln 1999. „Die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft. Die Verantwortung der Gesellschaft für den Einzelnen.“ Wilhelm Münkers Werk zum Gedenken, Lohmar/ Köln 1999. „Wirtschaftsfreiheit und Steuerstaat.“ Vortrag von Paul Kirchhof zu Ehren des Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung, Christian Otto Schlecht, Lohmar/Köln 2001. „Gibt es einen Ideenzyklus? Zum Wandel oder zur Zerstörung von Institutionen“, Lohmar/Köln 2001.

Aufsätze „750 Jahre Magna Charta Libertatum.“ In: Der Bund, unabhängige liberale Tageszeitung, Nr. 243, Bern, 1. Juni 1965. „Die Pläne zur Reform des internationalen Geldwesens.“ In: Österreichisches BankArchiv, Wien 1965. „50 Jahre Eidgenössische Steuerverwaltung.“ In: Neue Zürcher Zeitung, Abendausgabe, Zürich, 12. Januar 1966, Bl. 6.

Veröffentlichungen und Veranstaltungen

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„Der Staat im Wirtschaftskreislauf 1966.“ In: WWI-Mitteilungen, Nr. 2, Köln 1968. „Das Nationalbudget – ein Mittel planvoller Wirtschaftspolitik.“ In: Gewerkschaftliche Monatshefte (Zeitschrift für soziale Theorie und Praxis), Heft 6, Juni 1968. „50 Jahre Schweizerische Bundessteuerverwaltung 1918–1968.“ In: Finanzarchiv, N. F., Bd. 27, Heft 3, Tübingen 1968. „Die Entwicklung der Vermögensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland.“ In: WWI-Mitteilungen, Nr. 11, Köln 1969. „Statistische Interpretation des Nobelpreises (1901–1969).“ Ein Beitrag zur Kulturstatistik. In: Allgemeines Statistisches Archiv, Bd. 54, Heft 3, Göttingen 1970. „Der Nobelpreis und seine Träger. Eine Analyse in Zahlen.“ In: Der Bund, unabhängige liberale Tageszeitung. Bern, 13. Dezember 1970. „Einige Bemerkungen zu den Abschreibungen in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.“ In: Allgemeines Statistisches Archiv, Bd. 55, Heft 2, Göttingen 1971. „Besteuerung in einer sozialen Marktwirtschaft – Einfluß volkswirtschaftlicher Aspekte auf die Gestaltung des Steuerrechts.“ In: Der Volks- und Betriebswirt, Heft 11, Bonn 1971. „Geldentwertungen, Nominalwertprinzip und Besteuerung. Fehlende wirtschaftliche Interpretation des Nominalwertprinzips.“ In: Der Betriebsberater, Heft 18, Heidelberg, 30. Juni 1972. „Soziale Marktwirtschaft: Zwischenbilanz nach 25 Jahren. Am Anfang der zweiten Entwicklungsphase.“ In: Junge Wirtschaft. Die Aussprache, Zeitschrift für fortschrittliches Unternehmertum, Nr. 10, Bonn-Bad Godesberg 1972. „Das Vermögen und seine fiskalische Belastbarkeit.“ In: Der Betriebswirt, Zeitschrift für angewandte Betriebswissenschaft, Heft 1, Köln/Bonn 1973. „Volkswirtschaftslehre der Marktwirtschaft“ (1): Zur Entwicklung der Volkswirtschaftslehre des gesteuerten marktwirtschaftlichen Prozesses. In: Der Betriebswirt, Zeitschrift für angewandte Betriebswissenschaften, Heft 2/3, Köln/Bonn 1973. „Von der ‚Ökonomisierung der Finanzpolitik‘ zur ‚Konzertierten Aktion‘.“ In: Gemper, Bodo (Hrsg.): Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, Köln 1973. „Finanztheorie und Politik. Aktuelle Bemerkungen zum bisherigen Werke von Fritz Karl Mann.“ In: Der Betriebswirt, Zeitschrift für angewandte Wirtschaftswissenschaften in Studium und Beruf, Köln/Bonn 1974. „Die Grenzen der Besteuerung des Vermögens.“ In: Der Betriebswirt, Zeitschrift für angewandte Wirtschaftswissenschaften in Studium und Beruf, Köln/Bonn 1974. „Co-Integration: Theory of economic integration which transcends the existing systems. The integration of national economies of a different level of development and an opposite quality of system.“ Discussion paper for working group (I): „Integration by Market Forces and through Planning“ at the 4th International Congress of Economists of the International Economic Association, N. G. O. – UNESCO, Budapest, 19–24. August 1974.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

„A Theory of System-transcending Integration.“ In: Intereconomics, Nr. 10, (Oktober) Hamburg 1974. „Die internationale Ordnung systemüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen.“ In: Die Neue Ordnung in Kirche, Staat und Gesellschaft, Heft 1, Paderborn 1975. „Die politisch-ökonomische Lage des westeuropäischen Einigungswerkes. Ein Weg ohne Umkehr.“ In: Die Neue Ordnung in Kirche, Staat und Gesellschaft, Paderborn 1975. „‚Bangkok-Agreement‘ – Scope for Increasing Trade.“ In: Intereconomics, Hamburg 1975. „Co-Integration: Theory of Economic Integration. The International Order of Economic Relations and the Bangkok-Agreement.“ In: UNITAS, quarterly for the arts and sciences, Manila/Philippines 1975. „Inflatorische Geldwertminderung – Ursachen, Konflikte, Konsequenzen.“ In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Gewinn und Verlust, Materialien zur Betriebs- und Volkswirtschaft, Köln 1976. „Das Bangkok-Abkommen. Europäische Impulse für die Ordnung der Wirtschaftsbeziehungen in Asien.“ In: Die Neue Ordnung in Kirche, Staat, Gesellschaft, Kultur, Paderborn 1976. „Zur geistigen Gestalt der Integrierten Gesamthochschule. Bildungsgesinnung, Reformgeist und Integrationsdisziplin.“ In: Die Deutsche Universitätszeitung, vereinigt mit Hochschul-Dienst, Jg. 1976, Bonn-Bad Godesberg 1976. „Probleme der Vermögensbesteuerung – Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland“ (1). In: Das Wirtschaftsstudium (wisu), Zeitschrift für Ausbildung, Examen und Kontaktstudium, Tübingen und Düsseldorf 1976. „Probleme der Vermögensbesteuerung – Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland“ (II). In: Das Wirtschaftsstudium (wisu), Zeitschrift für Ausbildung, Examen und Kontaktstudium, Tübingen und Düsseldorf 1977. „Has the EEC reached the Point of No Return?“ In: Intereconomics, Hamburg 1977. „Hat Deutschland als Einheit eine Zukunft? Das Dilemma binationaler Argumentation für die DDR.“ In: Paderborner Studien, Paderborn 1977. „Zur Frage von Leistung als Chance an einer Universität als Gesamthochschule. Integrationserfahrungen in einem wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich nach fünf Jahren.“ In: Deutsche Universitätszeitung, vereinigt mit Hochschul-Dienst, Bonn-Bad Godesberg 1977. „Die ordnungspolitische Dimension eines ‚Rechtes auf Arbeit‘ in einem sozialen Industrie- und Rechtsstaat.“ In: Festschrift für Ernst Känzig, herausgegeben von Irene Blumenstein-Steiner und Heinz O. Masshardt zum 70. Geburtstag des Jubilars, Beilage zum 47. Band des Archivs für Schweizerisches Abgaberecht, N. F. Bern 1978. „ ‚Recht auf Arbeit‘ – Politikum oder Problem ökonomischer Gesetzmäßigkeit und Realisierbarkeit?“ In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Stabilität im Wandel. Wirtschaft

Veröffentlichungen und Veranstaltungen

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und Politik unter evolutionsbedingten Diktat. Festschrift für Staatsminister a. D. Prof. Dr. Bruno Gleitze zum 75. Geburtstag, Berlin 1978. „Das Recht auf Arbeit – eine politische Deklamation.“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. November 1978. „Ein nicht einlösbares Versprechen als Verfassungsrecht?“ In: Neue Zürcher Zeitung vom 30. Januar 1979. „Stabilitätsgerechte Regulierung der Geldmarktliquidität in der Schweiz.“ Wirtschaftspolitische Mitteilungen, Zürich 1979. „Der Schweizerische Geldmarkt nach der Revision des Nationalbankgesetzes.“ In: Österreichisches Bank-Archiv, Wien 1979. „Nominalwertprinzip und Besteuerung bei nachhaltiger inflatorischer Geldwertminderung, Examensklausur aus der Finanzwissenschaft.“ In: Das Wirtschaftsstudium (wisu), Zeitschrift für Ausbildung, Examen und Weiterbildung, Düsseldorf 1979. „Der Geldmarkt als Vollzugskomponente konjunkturstabilisierender Finanzpolitik.“ In: Österreichisches Bank-Archiv, Wien 1980. „‚Human Resources‘ – Das Humanvermögen: Dominante im Entwicklungspotential der Bundesrepublik Deutschland.“ In: Siegener Studien, Heft 27, Siegen 1980. „Bleibt Arbeitszeitverkürzung im Schatten einer Energiekrise eine verantwortungsbewußte Forderung?“ In: Bodo B. Gemper (Hrsg.): Energieversorgung – Expertenmeinungen zu einer Schicksalsfrage. München 1981. „Der ‚Faktor Geist‘ muß mehr genutzt werden. Warum die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung so wenig zeitgemäß ist.“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 21. Februar 1981. „Die europäische Gemeinschaft in der Krise. Die Wirtschaftsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz als Paradigma für die Gestaltung des Atlantischen Bündnisses.“ In: Die Neue Ordnung in Kirche, Staat, Gesellschaft, Kultur, Paderborn 1982. „Bekenntnis zur Gesinnung. Zu einem Manko sozialer Grundhaltung.“ In: Bodo B. Gemper (Hrsg.): Religion und Verantwortung als Elemente gesellschaftlicher Ordnung. Festschrift für Karl Klein zum 70. Geburtstage, Siegen 1982. „Die Interpretation des Nominalwertprinzips in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz.“ In: Archiv für Schweizerisches Abgaberecht, Bern 1982. „Grundsätze für die Ordnung von Währung und Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz.“ In: Wirtschaft und Recht, Zürich 1983. „Die Jenaer Wegbereiter der Freiburger Schule.“ In: Orientierungen zur Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, Ludwig-Erhard-Stiftung, Heft 18, Bonn 1983. „Marktwirtschaft in einer wettbewerbsfeindlichen Weltwirtschaft.“ In: Bodo Gemper (Hrsg.): Protektionismus in der Weltwirtschaft. Verstöße gegen die Spielregeln der Marktwirtschaft und des Freihandelsprinzip, Hamburg 1984.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

„Finanzwissenschaftliche Theorie.“ In: Horst-Joachim Jaeck (Hrsg.): Volkswirtschaftslehre, Landsberg am Lech 1984. „Industriepolitik: Von prinzipieller zu taktischer Wirtschaftspolitik?“ In: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Ludwig-Erhard-Stiftung, Heft 21, Bonn 1984. „Industriepolitik als gezielter Strukturwandel.“ In: Der Arbeitgeber, Heft 11, Köln 1985. „Gezielter Strukturwandel als Gegenstand marktorientierter Industriepolitik. Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland.“ In: INFORMATION der Internationalen Treuhand AG, Basel/Genf/Zürich 1985. „Industriestrukturpolitik: So beargwöhnt wie nötig.“ In: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Ludwig-Erhard-Stiftung, Heft 26, Bonn 1985. „Industrial Policy in a Free Market Economy: A Matter of Conviction or Desperation?“ In: Bodo B. Gemper (Hrsg.): Industrial Policy – Struktural Dynamics, Hamburg 1985. „Orientierungskrise der Wirtschaftspolitik.“ In: Der Arbeitgeber, Heft 13, Köln 1986. „Europäische Technologiegemeinschaft.“ In: WiSt, Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Zeitschrift für Ausbildung und Hochschulkontakt, Heft 12, München/ Frankfurt am Main 1986. „Die ordnungspolitische Dimension von Globalstrategien in Forschung und Entwicklung, erläutert am EUREKA-Konzept.“ In: Jahrbuch für Betriebswirte 1987, Aktuelle Informationen für Wirtschaftspraktiker, Stuttgart/Wien/Zürich 1987. „Ziele der Wirtschaftspolitik.“ In: Artur Woll (Hrsg.): Wirtschaftslexikon, München/ Wien 1987. „Initiative, marktorientierte Industriepolitik für gezielten Strukturwandel in der Europäischen Gemeinschaft.“ In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Industriestruktur und Politik, Siegener Studien, Bd. 41, Essen 1987. „Südafrika als wirtschaftspolitische Aufgabe: Moralische Rigorosität – ein schlechter Ratgeber.“ In: Der Arbeitgeber, Heft 1, Köln 1987. „Marktkonforme Industriepolitik.“ In: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Ludwig-Erhard-Stiftung, Heft 31, Bonn 1987. „Funktionen initiativer Industriestrukturpolitik in der Marktwirtschaft.“ In: Dicke, D. Ch./Th. Fleiner-Gerster (Hrsg.): Staat und Gesellschaft. Festschrift für Leo Schürmann zum 70. Geburtstag, Freiburg i. Ue. (Schweiz) 1987. „Probleme und Grundsätze initiativer Industriestrukturpolitik in einer Marktwirtschaft.“ In: Gesellschaft, Wirtschaft, Wohnungswirtschaft, Festschrift für Helmut Jenkis, herausgegeben von Theo Thiemeyer und W. W. Engelhardt, Berlin 1987. „Indicative Targeting by an Intermediary Consultancy – Industrial Development Prospects in South Africa: An Outline.“ In: Van de Wal I. N. A./J. Louis van Pletsen (Eds.): Modern Trends in Industrialization – With Reference to South Africa, Sandton, South Africa, 1988.

Veröffentlichungen und Veranstaltungen

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„Über die Notwendigkeit, die ‚unsichtbare Hand‘ zu unterstützen.“ In: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Ludwig-Erhard-Stiftung, Heft 35, Bonn 1988. „Die Verantwortung der Gewerkschaften für das Investitionsklima in der Bundesrepublik Deutschland.“ In: Gemper, Bodo, B. (Hrsg.): Gewerkschaftspolitik und Arbeitnehmerinteresse. Neue Rollen- und Verständnisprobleme sozialer Partnerschaft bei der Bewältigung von Zukunftsproblemen, Hamburg 1988. „Redefining the Gouvernment’s Role in Contemporary National Economies: Essentials of State Participation in Market Economies.“ In: Bodo B. Gemper (Ed.): The International Trend Towards Indicative Targeting. Case Studies on Canada, Ghana, Great Britain, the People’s Republic of China, South Africa, the Soviet Union, Taiwan and West Germany, Hamburg 1988. „Europäische Integration: Die Deutsche Bundesbank, – Vorbild aber kein Modell.“ In: Der Arbeitgeber, Heft 1, Köln 1989. „Europäische Integration: Chancen für den Staatsbürger?“ In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Symbiose oder Konflikt? Föderalismus – Demokratie – Marktwirtschaft. Ordnungspolitische Gedanken aus der Siegerländer Werkstatt. Hochschule und Gemeinde (1), Hamburg 1989. „Deutsche Wirtschaftspolitik und europäische Integration.“ In: Gutowski, Armin und Bruno Molitor (Hrsg.): Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Tübingen 1989. „Redefining the Government’s Role in Contemporary Collectivist and Market Systems: New Trends of Convergence or Inevitable Pragmatism in East and West?“ In: International Economic Association (Ed.) 9th World Congress, Congress Proceedings, Vol. I, Athens 1989. „Deutschlandpolitik: Auf dem Wege in ein deutsches Dilemma.“ In: Der Arbeitgeber, Heft 3, Köln 1990. „Mandela ist frei, doch der Zündstoff wächst.“ In: Der Arbeitgeber, Heft 9, Köln 1990. „Deutsche Einheit: Eine ordnungspolitische Bewährungsprobe.“ In: Das Wirtschaftsstudium, Zeitschrift für Ausbildung, Examen und Weiterbildung, Heft 6, Düsseldorf 1990. „Auch in Südafrika ist die Wirtschaft das Schicksal.“ In: Südafrika Zeitung, Nr. 8/90, Frankfurt (August) 1990. „Wirtschaftspluralismus und Finanzföderalismus versus Währungszentralismus in der Europäischen Gemeinschaft.“ In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Internationale Koordination und Kooperation, Stille Demokratie – Politischer Dialog – Innovativer Wettbewerb, Hamburg 1990. „Reformen: Blaupause für die Marktwirtschaft. Pflichtlektüre. Bei der Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft sind Walter Euckens Grundsätze der Wirtschaftspolitik richtungweisend.“ In: Wirtschaftswoche, Nr. 3, 11. Januar 1991.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

„Zur Komplementarität von Geldpolitik und Finanzpolitik im Dienste der Integration von Währung und Wirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft.“ In: Bodo B. Gemper (Hrsg.): Die Finanzierung der Zukunftsaufgaben. Finanzwirtschaftliche Gedanken aus der Siegerländer Werkstatt, Hamburg 1991. „Monetary-Fisoal-Policy – Ausdruck einer sensiblen Beziehung.“ In DIAGONAL „Zum Thema Geld“, Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen, Siegen 1991. „Zur Frage der Komplementarität demokratischer Strukturprinzipien in Staat und Wirtschaft – Anmerkungen zu den Reformbestrebungen im südlichen Afrika.“ In: Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für die Afrikanischen Staaten Portugiesischer Sprache, Sonderband 6 der DASP-Hefte, Bonn 1991. „Probleme der Transformation der sowjetischen Kommandowirtschaft: Führt der Systemwechsel zum Kollaps?“ In: Der Arbeitgeber, Heft 19, Köln 1991. „Industriepolitik im offenen Wirtschaftsraum.“ In: Orientierungen zur Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, Ludwig-Erhard-Stiftung, Heft 49, Bonn 1991. „Redefining the Government’s Role in Contemporary Collectivist and Market Systems“. In: Partha Dasgupta (Ed.): Issues in Contemporary Economics, Proceedings of the Ninth World Congress of the International Economic Association, Athens, Greece, Vol. 3, Policy and Development, Houndsmills and London 1991. „The Protestant Work Ethic, The Spirit of Enterprice and the Siegerland Mentality.“ In: KOERS, Bulletin for Christian Scholarship, Vol. 56 (4), Potchefstroom, RSA, December 1991. „Währungs- und Finanzordnung als Stabilitätspfeiler“. In: Sparkasse Siegen (Hrsg.): Geldpolitik im Zeichen nationaler und internationaler Anforderungen, Siegen 1992. „Keine Experimente mit der Stabilität. Euromanie macht blind für Realität, D-Mark muß Stabilitätsanker bleiben“. In: DIAGONAL „Zum Thema Experimente“, Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen, Siegen 1992. „Für die EG-Währungsunion bleibt viel zu tun: Die Wirtschaftsgesinnung ist die Quelle einer Währung“. In: Der Arbeitgeber, Heft 11, Köln 1992, Wiederabdruck in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 44, Frankfurt am Main, 25. Juni 1992. „Der Deutsche Einigungsprozeß: Ein Jahrhundertwerk sucht seine Baumeister“. In: Der Arbeitgeber, Heft 23, Köln 1992. „Befindet sich das deutsche und das europäische Einigungswerk in der Krise?“ Industrieverband Stahlverarbeitung, Siegen, 1992. „The Jena Pioneers of the Freiburg School“. In: Gemper, Bodo (Hrsg.): James M. Buchanan et al: Prospects For Economic Theory In The 1990s And Beyond, Netphen and Siegen, Edition Ensis, 1993. „Die Europäische Gemeinschaft nach der Ost-West-Konfrontation – Positives und Kritisches“ In: „VEGA-Blatt 1992/93. Nachrichten aus der VEGA (Vereinigung

Veröffentlichungen und Veranstaltungen

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ehemaliger Gymnasiasten) und vom Rivius-Gymnasium Attendorn, Attendorn 1993. „Verfassungsrechtliche Integration: Eine Magna Charta für Europa. Freiheitlichdemokratische Grundstrukturen für Stabilität im Wandel“. In: Bodo B. Gemper (Hrsg.): Politik in der Krise. Überfordert das deutsche und das europäische Einigungswerk Bürger und Politiker? Gedanken zur Politik aus der Siegerländer Werkstatt, Siegen 1993. „Religion und Wirtschaftssystem. Anmerkungen zur ‚Siegerland-Mentalität‘ “. In: Die Neue Ordnung, Heft 3, Bonn. „Ubi veritas ibi iustitia – Was leistet man sich mit der Leistung?“ In: Universität Siegen (Hrsg.): Arbeit und Kapital. Sozialparteien – Partner oder Gegner. Siegener Universitätsreden, Siegen 1995. „Der Bürger – fest in öffentlicher Hand“. In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Deutsche Geldpolitik und monetäre Integration in Europa, Edition Ensis, Netphen und Siegen 1995. „Monetary-Fiscal Policy Ausdruck einer sensiblen Beziehung. In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Geld. Siegen 1991. „Industrie- und Industriestrukturpolitik“. In: Jenkis, Helmut (Hrsg.): Raumordnung und Raumordnungspolitik. München/Wien 1996. „Nachgefragt: Helmut Schmidt im Gedankenaustausch mit Bodo B. Gemper.“ In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Einfach Schmidt. Siegen 1997. „Ordnungspolitische Koordinaten einvernehmlicher Negoziation“. In: Corti, Mario A. & Peter Ziegler (Hrsg.): Diplomatische Negoziation. Festschrift für Franz A. Blankart, 2. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien 1997. „Nachgefragt: Marion Gräfin Dönhoff antwortet Bodo B. Gemper.“ In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Zeit. Siegen 1998. „Politik und Wirtschaft zwischen Schicksal und Wollen. Goethe hatte auch schon ein Gespür für das Soziale“. In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Zeit. Siegen 1999. „Pacta sunt servanda – Primat der Politik versus Primat der Währungspolitik“. In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Aktuelle Fragen der Geld- und Währungspolitik. Reihe: Wirtschafts- und Sozialordnung, Franz-Böhm-Kolleg – Vorträge und Essays, Bd. 1, Lohmar/Köln 1999. „Unus pro multis – Persönlichkeit, Staat, Natur: Kontraste zur Vergangenheit“. In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft – Die Verantwortung der Gesellschaft für den Einzelnen. Reihe: Wirtschaftsund Sozialordnung, Franz-Böhm-Kolleg – Vorträge und Essays, Bd. 3, Lohmar/ Köln 1999.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

„Sozioökonomischer Aufbruch in ein neues Jahrtausend – Sozial gesehen“. In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Jahrtausendwende. Siegen 1999, Heft 2. „Ein Vorwort: „Auctoritas primi inter dominans est: mehr Persönlichkeit, weniger Worte“. In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Wirtschaftsfreiheit und Steuerstaat. Reihe: Wirtschafts- und Sozialordnung, Franz-Böhm-Kolleg – Vorträge und Essays, Bd. 4, Lohmar/Köln 2001. „Ein Vorwort: Ubi stabilitas, ibi bonum publicum: Stabilität im Wandel“. In: Gemper, Bodo B. (Hrsg.): Gibt es einen Ideenzyklus? Reihe: Wirtschafts- und Sozialordnung, Franz-Böhm-Kolleg – Vorträge und Essays, Bd. 5, Lohmar/Köln 2001. „Nachgefragt: Bernhard Vogel im Gedankenaustausch mit Bodo B. Gemper.“ In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Netz. Siegen 2001. „Hehre Weltbilder zwischen Ideal und Wirklichkeit. Das Ende sozialistischer Experimente und die zyklischen Krisen deutscher Sozialdemokratie nach Godesberg“. In: DIAGONAL. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema: Bilder/Weltbilder. Siegen 2001, Heft 2. „Von der Kultur einer wissenschaftlichen Disziplin: Die Nationalökonomie im 21. Jahrhundert“. In: Rusterholz, Peter & Rupert Moser (Hrsg.): Die Zukunft der Natur- und Kulturwissenschaften. Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 1999. Bern/Stuttgart/Wien 2002. „Der Mensch im Mittelpunkt: Ludwig Erhards genuiner Humanismus“. In: Die Neue Ordnung, 57. Jg., Nr. 1, Walberberg 2003.

Beiträge in Lexika Beiträge zur Problematik der Geldentwertung, in: „Lexikon der Volkswirtschaft“, herausgegeben von Friedrich Geigant, Dieter Sobotka, Horst M. Westphal, München 1975, 1976 (2), 2000 (7). „Ziele der Wirtschaftspolitik“. In: Woll, Artur (Hrsg.): Wirtschaftslexikon, 9. Aufl., München/Wien 2000. „Finanzpolitik“. In: May, Hermann & Ulla (Hrsg.): Lexikon der ökonomischen Bildung. 5. Aufl., München/Wien 2004.

Biographische Veröffentlichungen Professor Oskar Lange zum Gedenken. In: Der Bund, unabhängige liberale Tageszeitung, Abendausgabe vom 13. Oktober 1965, Nr. 437. Oskar Lange, Planer und Ökonometriker. In: Der Volkswirt, Nr. 40, Frankfurt/Main, 8. Oktober 1965. Professor Wilhelm Röpke in memoriam. In: Berner Student, Nr. 7, Bern 1966.

Veröffentlichungen und Veranstaltungen

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Professor Dr. Irene Blumenstein, magistra laureata. In: Berner Student, Nr. 9, Bern 1966. Humanist und Sozialist, Professor Bruno Gleitze wird 65 Jahre alt. In: Handelsblatt, Deutsche Wirtschaftszeitung, vereinigt mit Deutsche Zeitung, 23. Jg., Nr. 146 vom 1. August 1968. Das Prinzip ideologischer Toleranz, Professor Bruno Gleitze zum 70. Geburtstag. In: Der Betriebswirt, Zeitschrift für angewandte Betriebswissenschaft, Nr. 2–3/ 1973.

Rezensionen Rudolf Richter: Volkswirtschaftliche Gesamtrechung. Volkswirtschaftliche Finanzierungsrechnung, Zahlungsbilanz. Ein Grundriß, Wiesbaden 1966. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, Heft 2, Köln 1968. Franz Klein: Gleichheitssatz und Steuerrecht. Eine Studie über Gleichheit und Gerechtigkeit der Besteuerung im System des Grundgesetzes, Köln-Marienburg 1966. In: WWI-Mitteilungen, Heft 12, Köln 1968. Jürgen Mura: Das niederländische lohnpolitische System seit 1945. Beispiel einer gesamtwirtschaftlich orientierten Lohnpolitik als Instrument der staatlichen Wirtschaftspolitik, Bonn 1967. In: WWI-Mitteilungen, Heft 6, Köln 1969. Ein „Klassiker“ der modernen Finanzpolitik. Besprechungsaufsatz zu Fritz Neumark: Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, Tübingen 1970. In: Der Volkswirt, Wirtschaftswoche, Nr. 29, Frankfurt/Main 1970. Burkhard Strümpel: Steuersystem und wirtschaftliche Entwicklungen, Tübingen 1968. In: WWI-Mitteilungen, Heft 12, Köln 1972. Alfred Stobbe: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, Heidelberger Taschenbücher, 2. revidierte und erweiterte Auflage, Berlin/Heidelberg/New York 1969. In: WWI-Mitteilungen, Köln 1972. Bernd A. Schmid: Arbeitsbuch zu Stobbe, Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Heidelberger Arbeitsbücher, 1, Berlin/Heidelberg/New York 1970. In: WWIMitteilungen, Köln 1972.

Wissenschaftliche Veranstaltungen „Wirtschaftsstruktur und Währungssystem“. Tagung vom 10. bis 12. Dezember 1971 in der Evangelischen Akademie Loocum. „Der Familienlastenausgleich in den gegenwärtigen Überlegungen zur Steuerreform in der Bundesrepublik Deutschland“. Tagung vom 7. bis 9. April 1972 in der Evangelischen Akademie Locoum. „Inflatorische Geldentwertung als Problem in Recht und Wirtschaft – Möglichkeiten einer aktiven Anti-Inflationspolitik in der Bundesrepublik Deutschland –“. Tagung vom 10. bis 12. Mai 1972 in der Evangelischen Akademie Loccum.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

„25 Jahre Soziale Marktwirtschaft – Zwischenbilanz eines ordnungspolitischen Experiments“ mit Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack, Hermann J. Abs und Otto Schlecht. Tagung vom 6. bis 9. Oktober 1972 in der Evangelischen Akademie Loccum. Toronto Seminar on „Ordnungspolitik“, ein „Associated Programme“ des 4. Weltkongresses für Sozialökonomie am 12. August 1986. Mitgestaltung des First RAU (Rand Afrikaans University) International Symposium on Industrial Development: „Modern Trends in Industrialization and the Third World“, 29. September bis 1. Oktober 1986 in Johannesburg. „Creating the Structures for a Dynamic Economy. The Cases of Canada, Ghana, Israel, Taiwan, South Africa, the United Kingdom, the United States and West Germany“. Session I and II, 5th World Congress of Social Economics: „Economics as though people mattered“, 2.–4. August 1988, Universität York, York, Großbritannien.

Walberberger System-Symposien „Die Sozialbindung moderner Wirtschaftspolitik“, 1. Walberberger System-Symposium am 6. und 7. Juni 1975 zus. mit Pater Prof. Dr. Edgar Nawroth, OP. „Humane Gestaltung unserer Wirtschaftswelt“, 2. Walberberger System-Symposium, zus. mit Pater Prof. Dr. Edgar Nawroth, OP. am 23./24. Januar 1976. „Gesellschaftsreform – wohin?“, 3. Walberberger System-Symposium vom 11. bis 13. November 1976 zus. mit Pater Prof. Dr. Edgar Nawroth, OP. „Sozialversicherung als Existenzsicherung heute“. 4. Walberberger System-Symposium vom 2. bis 4. Juni 1977 zus. mit Pater Prof. Dr. Edgar Nawroth, OP. „Ist die totale Politisierung unser Schicksal?“, 5. Walberberger System-Symposium vom 3. bis 5. November 1977. „Familie im Notstand?“, 6. Walberberger System-Symposium am 11. Februar 1978 zus. mit Pater Prof Dr. Edgar Nawroth, OP. „Wissenschaft und Forschung im Dienste des Ausgleichs abnehmender Ressourcen und struktureller Verwerfungen: Energieverknappung und Strukturwandel“, 7. Walberberger System-Symposium vom 2. bis 4. November 1978. „Vom Wohlfahrtsstaat zum Versorgungsstaat? – Leistungsprinzip und Sozialstaatlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland“, 8. Walberberger System-Symposium am 21. und 22. November 1980. „Aushöhlung des rechtsstaatlichen Legalitätsprinzips durch opportunistische Duldung von Rechtsbrüchen“, 9. Walberberger System-Symposium am 27. und 28. November 1981. „Soziale Marktwirtschaft in einer wettbewerbsfeindlichen Weltwirtschaft“, 10. Walberberger System-Symposium am 11. und 12. November 1983. „Industriepolitik in der Bundesrepublik Deutschland: Grenzen und Möglichkeiten“, 11. Walberberger System-Symposium am 18. Januar 1985.

Veröffentlichungen und Veranstaltungen

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„Industrial Policy in a Free Market Economy?“, 12. Walberberger System-Symposium vom 6. bis 9. März 1985. „Einheitsgewerkschaft in einer freiheitlichen Demokratie. – Ordnungsfaktor – Gegenmacht – Sachwalter des sozialen und technischen Fortschritts: Anspruch und Wirklichkeit.“, 13. Walberberger System-Symposium vom 5. bis 7. März 1986. „Meet the Trend: The Path towards Indicative Targeting“, 14. Walberberger System-Symposium vom 27. bis 29. April 1987. „Internationale Koordination und Kooperation. Wirtschafts- und Währungsdiplomatie als Stille Diplomatie“, 15. Walberberger System-Symposium vom 4. bis 6. Oktober 1989. „The Economics of Federalism and Political Integration“, 16. Walberberger System- Symposium vom 27. bis 29. Juni 1990. „Religion und Marktwirtschaft. Theologie – Ethik –Wirtschaftsordnung“., 17. Walberberger System-Symposium Gesellschaft und Wirtschaft zu Ehren von Pater Edgar Nawroth, OP, aus Anlaß des 80. Geburtstages am 6. November 1992. „Humanum zwischen Ideal – Moral – Laisser-faire“, 18. Walberberger SystemSymposium Gesellschaft und Wirtschaft zu Ehren von Pater Edgar Nawroth, 2. November, vom 1. bis 3. November 2002.

Kolloquien „Hochschule und Gemeinde“ Zusammen mit Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (1). Lehre und Forschung in ihrer Wechselwirkung zu Bürger und Staat. Kolloquium zu Ehren des Gründungsrektors der Universität-Gesamthochschule Siegen, Prof. Dr. Artur Woll, am 4. November 1988, Wilnsdorf. Zusammen mit Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (2). „Wer bezahlt die Zukunft? Die Finanzierung der Zukunftsaufgaben in den Gemeinden“ am 10. November 1989, Wilnsdorf. Zusammen mit Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (3). „Die Gemeinden Deutschlands im Europa der Regionen. Auftrag für die bürgerliche Selbstverwaltung“. Kolloquium am 8. November 1991, Wilnsdorf. Zusammen mit Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (4). „Wie mündig ist der Bürger? Bürgerschaftliche Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung: Nur leere Worte?“ Kolloquium am 30. Oktober 1992, Wilnsdorf. Zusammen mit Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (5). Verwundbarkeit der freiheitlichen Ordnung in Deutschland und in Europa. Gratwanderung zwischen bürgerfreundlicher Freizügigkeit und ordnungspolitischer Strenge.“ Kolloquium am 6. Mai 1994, Wilnsdorf. Zusammen mit Bürgermeister Elmar Schneider und Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (6). „Die Wende 1989 – und die Zeit danach.

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Veröffentlichungen und Veranstaltungen

Erfüllte Erwartungen – enttäuschte Hoffnungen.“ Kolloquium am 27. Oktober 1995, Wilnsdorf. Zusammen mit Gemeindedirektor Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (7). „Arbeit und Kapital. Sozialparteien oder Gegner.“ Vortragsabend zu Ehren von Frau Edeltraut Wilmes, Direktorin des Arbeitsamtes Siegen, am 26. Januar 1995. Zusammen mit Bürgermeister Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (8). „25 Jahre – 1972–1967 – Universität-Gesamthochschule Siegen; Kommunale Selbstverwaltung in der föderativen Staatsordnung. – Anspannung der Finanzbeziehungen als Folge des deutschen und europäischen Einigungsprozesses sowie der öffentlichen Finanzpolitik –.“ Kolloquium am 2. Juni 1997, Siegen. Hochschule und Gemeinde (9) mit dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Kurt H. Biedenkopf. Vortrag: „Erneuerung des Bildungsangebotes: Qualifizierung des Wissenschafts- und Industriestandortes Deutschland für das 21. Jahrhundert“. „1972–1997“: am 26. September 1997, Universität Siegen. Zusammen mit Bürgermeister Karl Schmidt: Hochschule und Gemeinde (10). „50 Jahre Deutsche Mark und Soziale Marktwirtschaft. Bilanz einer schöpferischen Symbiose“. „1972–1997“: am 23. April 1998, Wilnsdorf.

Franz-Böhm-Kollegs Franz-Böhm-Kolleg (1) mit dem Präsidenten der Landeszentralbank in NordrheinWestfalen, Prof. Dr. Dr. h. c. Reimut Jochimsen „Aktuelle Fragen der Geld- und Währungspolitik im Hinblick auf die Europäische Währungsunion“, am 6. Mai 1998, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (2) mit dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Staatsminister für Soziales, Gesundheit und Familie des Freistaates Sachsen, Dr. rer. nat. Hans Geisler: „Die Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft – die Verantwortung der Gesellschaft für den Einzelnen“, Hilchenbach, am 16. November 1998, Siegen. Zus. mit Dr. Friedhelm Franz: Franz-Böhm-Kolleg (3) mit dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. h. c. Wolfgang Clement: „Strukturwandel aus dem Stahl heraus“, zu Ehren von Oberkreisdirektor Karlheinz Forster, am 17. Februar 1999, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (4) mit dem Präsidenten des Verwaltungsrates der Nestlé AG, Vevey/Schweiz, Dr. h. c. Helmut O. Maucher: „Innovationsfähigkeit und unternehmerische Verantwortung als wesentliche Bestimmungsfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaften“, am 27. April 1999, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (5) mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes, Ministerialdirigent Dieter Wolff: „Wettbewerbspolitik in einem zusammenwachsenden Europa“, am 8. Juni 1999, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (6) mit Professor Dr. Dr. h. c. Helmut Jenkis, Universität Dortmund: „Gibt es einen Ideenzyklus? – Zum Wandel oder zur Zerstörung von In-

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stitutionen“ –, zu Ehren von Landrat a. D. Walter Nienhagen, am 17. November 1999, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (7) mit Professor Dr. jur. Paul Kirchhof, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Richter am Bundesverfassungsgericht: „Das Steuerrecht als Ausdruck einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung“, zu Ehren von Staatssekretär Christian Otto Schlecht, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn, am 19. Oktober 2000, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (8) mit Professor Wolfgang Leonhard: „Was haben wir von der Putin-Führung in Russland zu erwarten?“ am 25. Oktober 2001, Siegen. Franz-Böhm-Kolleg (9) mit dem Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, Professor Dr. Dr. h. c. mult. Bernhard Vogel, MdL: „Bildung und Religion. Das christlich geprägte Menschenbild in einem säkularisierten Umfeld“ aus Anlaß des 400. Geburtstags von Fürst Moritz von Nassau-Siegen, am 24. Juni 2004, Siegen.

Autorenverzeichnis Blankart, Franz A., Professor Dr. phil., Staatssekretär und Direktor des Bundesamtes für Aussenwirtschaft a. D. der Schweiz Blignaut, James, Professor DCom (Econ), Department of Economics, University of Pretoria Breuer, Paul, Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein, Siegen Düchting, Werner, em. Univ.-Professor Dr.-Ing., Universität Siegen Franke-Viebach, Jan, Univ.-Professor Dr. rer. pol., Universität Siegen Franz, Friedhelm, Dr. rer. nat., Siegen Fischer, Klemens H., Dr. jur., Gesandter an der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union, Brüssel, Lehrbeauftragter der Universität Siegen und der Auburn University, AL (USA) Hartmann, Frank, Dr. jur., Notar in Görlitz Jenkis, Helmut, Professor Dr. rer. pol., Dr. h. c., Universität Dortmund, Garbsen (Hannover) Mittenzwei, Johannes, Dr. phil., Literaturwissenschaftler, Berlin Nawroth OP, Edgar, em. Univ.-Professor Dr. phil., Dominikanerkonvent Vechta Penski, Ulrich, Univ.-Professor Dr. phil., Universität Siegen Schlösser, Hans Jürgen, Univ.-Professor Dr. rer. pol., MSc. (LSE), Universität Siegen Schoneweg, Egon, Dr. phil., Europäischer Beamter i.R., Brüssel, Lehrbeauftragter der Universität Siegen Senti, Richard, em. Professor Dr. oec., Eidgenössische Technische Hochschule Zürich Steuer, Werner, Dr. rer. pol., Geschäftsführer a. D. der Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer, Bonn (Troisdorf) Wills, Jörg M., em. Univ.-Professor Dr. rer. nat., Dr. h. c., Universität Siegen Winterhager, Eberhard, Dr. phil., Chefredakteur der Siegener Zeitung, Siegen Woll, Artur, em. Univ.-Professor Dr. rer. pol., Dr. h. c. mult., Gründungsrektor der Universität Siegen Wünsche, Horst Friedrich, Dr. rer. pol., Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V., Bonn