Freiheit des gebundenen Erblassers und Schutz des Vertrags- und Schlußerben vor Zweitverfügungen [1 ed.] 9783428473236, 9783428073238


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German Pages 182 Year 1992

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Freiheit des gebundenen Erblassers und Schutz des Vertrags- und Schlußerben vor Zweitverfügungen [1 ed.]
 9783428473236, 9783428073238

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SABINE LORITZ

Freiheit des gebundenen Erblassers und Schutz des Vertrags- und Schlußerben vor Zweitverfügungen

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 148

Freiheit des gebundenen Erblassers und Schutz des Vertrags- und Schlußerben vor Zweitverfügungen

Von

Sabine Loritz

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Loritz, Sabine: Freiheit des gebundenen Erblassers und Schutz des Vertragsund Schlusserben vor Zweitverfügungen / von Sabine Loritz Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 148) Zug!.: Giessen, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07323-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-07323-1

Vorwort

Die Arbeit hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-LiebigUniversität Gießen im Sommersemester 1991 als Dissertation vorgelegen. Herrn Universitätsprofessor Dr. Heinze, Universität Münster, der Erstgutachter der Dissertation war, danke ich sehr herzlich für die Annahme als Doktorandin und für die Betreuung. Weiterhin sei Herrn Universitätsprofessor Dr. Weick für die Erstellung des Zweitgutachtens gedankt. Herrn Rechtsanwalt Professor Simon, Duncker & Humblot Verlag, Berlin, bin ich für die schnelle Aufnahme der Abhandlung in die "Schriften zum Bürgerlichen Recht" besonders verbunden. Würzburg, im Juli 1991 Sabine Loritz

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Problemüberblick und Themenabgrenzung

19

A. Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag - Gesetzliche Vorschriften und offene Fragen - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

B. Themenabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

24

2. Kapitel Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen in Rechtsprechung und Literatur

26

A. Die Rechtsprechung und die Literatur bis zum Jahre 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

2. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs rur die Britische Zone (OGH BrZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

3. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

1I. Zusammenfassung der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

III. Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

B. Die Rechtsprechung und Literatur seit dem Urteil des BGH vom 5.7.1972 . . . . . . .

46

I. DarsteIlung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

11. Zusammenfassung des neuen Ansatzes der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . .

58

8

Inhaltsverzeichnis III. Die Literatur

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... . ....

60

1. Die Aufsatzliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

2. Die Kommentar- und die Lehrbuchliteratur

62

3. Die Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

c. Würdigung der Rechtsprechung und der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

I. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

11. Die Literatur

......... . . . ................. .

66

III. Folgerungen aus der Kritik an Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . .

68

3. Kapitel

Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

69

A. Die systematische Stellung der §§ 2286 - 2289 BGB im Gesetz und die Anwendung der §§ 134, 138, 826 BGB auf Zweitgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

I. §§ 2286 - 2289 BGB als Regelung bestimmter Einzelprobleme oder als abschließende Ordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

I. Wortlaut und Sinnzusammenhangder §§ 2286 - 2289 BGB . . . . . . . . . . . . .

69

2. Die Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

72

11. Die Heranziehung der §§ 134, 138 BGB und des § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . .

76

I. Die Anwendung des § 134 BGB neben §§ 2286 - 2289 BGB

76

2. Die Anwendung des § 138 BGB neben §§ 2286 - 2289 BGB

78

3. Die Anwendung des § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

III. Zwischenergebnis und weiterfijhrende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des gebundenen Erblassers ..... . ...

86

I. Zweck und Funktion der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Inhaltsverzeichnis

9

I. Die literarischen Stellungnahmen zur dogmatischen Einordnung des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

2. Schlußfolgerungen und eigener Lösungsansatz

89

3. Bindung und konkreter Parteiwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

a) Die dogmatische und systematische Einordnung im deutschen Zivilrecht

92

b) Die Bestimmung des der Bindung unterliegenden Erblasservermögens .

94

11. Die Abstu fung nach der Intensität der Bindung . . . . . .

96

I. Der gegenüber der h.M unterschiedliche Ansatz

96

2. Möglichkeiten der Differenzierung . . . . . . . .

97

111. Die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften (§§ 2286 - 2289 BGB) bei Berücksichtigung des Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Differenzierung nach der Rechtsnatur der Zweitverfiigung

99 99

2. Methodische Überlegungen . . . . . . . . . .

100

a) Bislang vertretene Literaturmeinungen .

101

b) Eigener Lösungsansatz . . . . . . . . . .

103

C. Die Konkretisierung der Bindung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

107

I. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente, durch die dem Vertrags- oder Schlußerben im gewöhnlichen Rahmen Vermögen zugewendet werden soll

109

I. Das Tatbestandsmerkmal Schenkung . . . . . . . . . . .

110

a) Die Ansicht der Rechtsprechung und der Literatur

110

b) Würdigung der bestehenden Ansichten . . . . . . .

112

2. Das Tatbestandsmerkmal "Beeinträchtigungsabsicht"

113

3. Maßstäbe fiir die Interessenabwägung . . . . . . . . .

115

4. Konkretisierung anhand von Einzelfallen . . . . . . . .

116

a) In vollem Umfang entgeltliche Rechtsgeschäfte ..

116

b) Unentgeltliche oder teilweise unentgeltliche Zuwendungen

117

10

Inhaltsverzeichnis c) Entgeltliche Rechtsgeschäfte, die das Vennögen des Erblassers erst mit oder nach seinem Tod vennindem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

d) Verfügungen von Todes wegen

125

11. Letztwillige Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten mit möglichst großer Freiheit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126

III. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente mit besonders vereinbarter Bindung

128

D. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

129

4. Kapitel

Bindung und Parteiwille

132

A. Das Problem der Enniulung des Parteiwillens hinsichtlich der Bindung und ihres Umfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

132

B. Der Meinungsstand zur Ennittlung der Bindung beim gemeinschaftlichen Testament und Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

c.

I. Das gemeinschaftliche Testament

133

11. Der Erbvertrag . . . . . . . . . . .

135

Der Parteiwille bezüglich des Umfangs der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140

I. Die Anwendung der Grundsätze der Testaments- oder der Vertragsauslegung beim Erbvertrag .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

140

11. Die Ennittlung des Parteiwillens in konkreten Einzelfällen

142

I. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente zwischen nahen Familienangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

2. Erbverträge mit Gegenleistungen

145

3. Besondere Anhaltspunkte f.ir eine umfassende Verfügungs freiheit

146

4. Gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge mit konkreten Anhaltspunkten über eine besonders intensive Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

147

Inhaltsverzeichnis

II

5. VerallgemeinerungsfähigeErkenntnisse aus den Einzelfällen . . . . . . . . . . . .

148

5. Kapitel Beweislastfragen und Möglichkeiten zur Rechtsverwirklichung des im gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag Begünstigten

150

A. Die Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150

B. Beweislastfragen . . . . . . . . . . . ..... . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

I. Nach § 138 BGB nichtige Zweitverfiigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

151

11. Die Beweislast bei Ansprüchen aus §§ 2287 Abs. I BGB - Darstellung der Rechtsprechung und der Literatur - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

1. Die Unentgeltlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

152

2. Die Beeinträchtigungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

153

III. Die Beweislastverteilung bei den im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Lösungen Modifizierung der Ergebnisse der h.M. - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154

IV. Zwischenergebnis........................ . ..... . . . . . . . .

156

C. Auskunftsanspruch gegen den Beschenkten nach Eintritt des Erbfalles und mögliche Ansprüche gegen diesen zu Lebzeiten des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

156

I. Die Situation der Vertrags- und Schlußerben nach dem Tod des Erblassers

156

11. Die Rechtsprechung zum Auskunftsanspruch nach dem Tod des Erblassers

157

1. Das Urteil vom 26.2.1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

2. Die Stellungnahmen der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

159

3. Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160

III. Mögliche Ansprüche zu Lebzeiten des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

162

I. Die Möglichkeit der Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

a) Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

163

b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die Möglichkeit eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfiigung . . . . . . ..

167

3. Der Auskunftsanspruch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

168

6. Kapitel Zusammenfassung

169

Literatur

173

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

AP

Arbeitsrechtliche Praxis. Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts

Aufl.

Auflage

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayNotZ

Bayerische Notariats-Zeitung und Zeitschrift für die freiwillige Rechtspflege der Gerichte in Bayern (bis 1899); dann: Zeitschrift für das Notariat für die freiwillige Rechtspflege der Gerichte in Bayern (bis 1912); dann: Zeitschrift für das Notariat, für die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Grundbuchwesen in Bayern (bis 1922); dann BayNotV; ab 1933: BayNotZ

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayObLGZ

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen, ab 1948/50

BB

Der Betriebs-Berater (Jahr, Seite)

Bd.

Band

Bearb.

Bearbeiter oder Bearbeitung

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch v. 18.8.1896 (RGB!. 195)

BGB!.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

Abkürzungsverzeichnis

14 BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BI.

Blatt

BrZ

Britische Zone

BWNotZ

Mitteilungen aus der Praxis. Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg

bzw.

beziehungsweise

DB

Der Betrieb

dens.

denselben

ders.

derselbe

dies.

dieselbe(n)

Diss.

Dissertation

DJ

Deutsche Justiz

DNotZ

Deutsche N otarzeitschri ft

DR

Deutsches Recht

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

Einf.

Einführung

Einl.

Einleitung

ErbR

Erbrecht

f., ff.

folgend(e)

FarnRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

Fn.

Fußnote

gern.

gemäß

gg.

gegen

ggf.

gegebenenfalls

gl.

gleich(er)

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Gr.

Gründe

Abkürzungsverzeichnis

15

Halbbd.

Halbband

Halbs., HS

Halbsatz

h.M.

herrschende Meinung

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

insbes.

insbesondere

i.S.d.

im Sinne des (der)

i.V.m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

JFG

Jahrbuch fur Entscheidungen in Angelegenheitender freiwilligen Gerichtsbarkeit

Jhb.

Jahrbuch

JMB1NRW

Justizministerialblatt fur Nordrhein-Westfalen

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht

KGJ

Jahrbuch der Entscheidungen des Kammerg"richts

LG

Landgericht

Li!.

Literatur

LM

Lindenmaier-Möhring. Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs

LZ

Leipziger Zeitschrift fur Deutsches Recht

MDR

Monatsschrift fur Deutsches Recht

MiltBayNot

Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins

MittRhNotK

Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer

MünchKomm

Münchener Kommentar

Abkürzungsverzeichnis

16 m.w.

mit weiteren

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW Rechtsprechungsreport Zivilrecht

Nr.

Nummer

o.

oben

OGH BrZ

Oberster Gerichtshof für die Britische Zone

OGHZ

Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die BritZ in Zivilsachen

OLG

Oberlandesgericht

OLGE

Sammlung der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte

OLGZ

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschi. der freiwilligen Gerichtsbarkeit ab 1965

RG

Reichsgericht

RGBI.

Reichsgesetzblatt

RGRK

Reichsgerichtsrätekommentar

RGZ

Sammlung von Entscheidungen des RG in Zivilsachen

RPfleger

Der Deutsche Rechtspfleger

Rspr.

Rechtsprechung

Rz.

Randziffer

S.

Seite oder Satz

s.

siehe

SeuffArch

Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte

sog.

sogenannte

Sp.

Spalte

sI.

ständiger

str.

streitig

Abkürzungsveneichnis st. Rspr.

Ständige Rechtsprechung

TVG

Tarifvertragsgesetz

u.

und oder unten

u.a.

und andere, unter anderem

Überb!.

Überblick

u.U.

unter Umständen

v.

vom, von

vg!.

vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

WamR

Wameyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

WM

Wertpapier-Mitteilungen

7..8.

zum Beispiel

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZPO

Zivilprozeßordnung

z.T.

zum Teil

zust.

zustimmend

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozeß

2 Loritz

17

1. Kapitel

Problemüberblick und Themenabgrenzung A. Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag - Gesetzliche Vorschriften und offene Fragen Nach § 1941 BGB kann der Erblasser "durch Vertrag einen Erben einsetzen sowie Vermächtnisse und Auflagen anordnen (Erbvertrag)". In einem gemeinschaftlichen Testament können Ehegatten gemeinschaftlich, aber auch jeder einseitig über ihr Vermögen verfügeni. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente bewirken, daß der Erblasser zwar in seiner Testierfreiheit beschränkt, nicht aber an Verfügungen unter Lebenden gehindert ist (§ 2286 BGB)2. Diese Beschränkung erfaßt beim gemeinschaftlichen Testament die sog. wechselbezüglichen Verfügungen. § 2270 Abs. 1 BGB beschreibt sie, allerdings nur vage. Es sind solche Verfügungen, von denen anzunehmen ist, daß die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Die Wechselbezüglichkeit, so § 2270 Abs. 2 BGB, "ist im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht". Bei solchen wechsel bezüglichen Verfügungen erlischt das Recht zum Widerruf sei tens eines Ehegatten mit dem Tode des anderen Ehegatten, es sei denn, er schlägt das ihm Zugewendete aus (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB). Hat er dies, wie in der

I Unstr. Ansicht, statt aller: Palandt/Edenhofer, Einf. vor § 2265, Anm. I; Schlüter, Erbrecht, § 26, S. 173 ff., 178, 183.

2 § 2286 BGB ist nach unstreitiger Ansicht für wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament entsprechend anwendbar. Grundlegend BGHZ 31, I3 (15); BGH DNotZ 1965,357 (358); SoergellWoif, § 2286, Rz. I; § 2271, Rz. 33. Weitere Nachweise in Fn. 7.

20

I. Kap.: Problemüberblick und Themenabgrenzung

Praxis der Regelfall, nicht getan, so ist dem überlebenden Ehegatten die Möglichkeit genommen, sein Vermögen durch Verfügung von Todes wegen nochmals, d.h. in anderer Weise als im gemeinschaftlichen Testament zu "verteilen "3. Beim Erbvertrag kann der Erblasser seine vertraglichen Verfügungen zu Lebzeiten des Vertragspartners nur noch durch Vertrag mit diesem aufheben (§ 2290 Abs. 1 S. 1 BGB). Nach dem Tode des Vertragspartners ist eine Aufhebung nicht mehr zulässig (§ 2290 Abs. 1 S. 2 BGB). Ein durch Testament oder Erbvertrag gebundener Erblasser schließt diese Verträge oft zu einer Zeit, in der er die weitere Entwicklung seiner Lebensumstände nicht vorhersehen kann. Man denke etwa daran, daß er sich nach dem Tode des Ehepartners einen neuen Partner sucht und nunmehr sein - auch vom ersten Ehepartner ererbtes - Vermögen dem neuen Partner und/oder dessen Kindem zuwenden will, hieran jedoch durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag gehindert ist, das/der den Nachlaß einem Verwandten des vorverstorbenen Ehepartners zuweist. In diesem Fall wird der Erblasser häufig nach Möglichkeiten suchen, jedenfalls faktisch die Bindung durch das gemeinschaftliche Testament bzw. den Erbvertrag zu umgehen. Hat er den neuen Partner geheiratet, so kann er nach § 2079 S. 1 BGB wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten - der neue Ehepartner ist mit der Heirat pflichtteilsberechtigt geworden (vgl. § 2303 Abs. 2 BGB) - zwar seine letztwillige Verfügung anfechten4 • Aber hierdurch tritt nach § 2270 Abs. 1 BGB bei wechselbezüglichen Verfügungen im Zweifel die Unwirksamkeit der Verfügungen des erstverstorbenen Ehegatten ein, mit der Folge, daß er, falls er nicht alleiniger gesetzlicher Erbe seines vorverstorbenen ersten Ehegatten ist, dessen Nachlaß nunmehr mit dessen weiteren gesetzlichen Erben teilen muß. In solchen und weiteren Fällen wird der überlebende Ehegatte nicht selten nach Wegen suchen, seine Bindung zu "umgehen", auch, wenn er sie durch Anfechtung, falls diese Nachteile für ihn bringt, beseitigen könnte.

, Lediglich bei groben Verfehlungen des Bedachten (vgl. § 2294 i. V .m. § 2336 BGB) besteht eine gesetzliche Möglichkeit, die wechselbezügliche Verfügung im gemeinschaftlichen Testament aufZuheben. Das interessiert für die Thematik dieser Arbeit im einzelnen nicht.

• MünchKommll..eipold, § 2079, Rz. 11; vgl. auch BayObLG FamRZ 1983.952; LG Tübingen BWNotZ 1982, 166 (167).

A. Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag

21

Was liegt näher als möglichst zu Lebzeiten Vennögen auf diejenigen zu übertragen, denen er es zuwenden will S! Oft behält sich der Erblasser in solchen Fällen trotz der lebzeitigen Zuwendung den Nießbrauch vor, um sich damit den eigenen Genuß und Gebrauch des Vennögens zu erhalten6 • Damit wird ein Widerstreit zwischen den Interessen des Erblassers einerseits und denen des vorverstorbenen Ehepartners und des begünstigten Dri tten andererseits heraufbeschworen. Die gleiche Situation entsteht beim Erbvertrag, wenn ein vertragsmäßig gebundener Erblasser zu Lebzeiten über Teile seines Vennögens verfügt, die ansonsten der Vertragspartner oder der sonstige Bedachte geerbt hätte. Anders als beim gemeinschaftlichen Testament enthält das BGB beim Erbvertrag in § 2287 BGB eine Regelung über beeinträchtigende Schenkungen, in § 2288 BGB, der allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt wird, eine solche über die Beeinträchtigung eines Vennächtnisnehmers. § 2287 Abs. 1 BGB bestimmt: "Hat der Erblasser in der Absicht, den Vertrag serben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht, so kann der Vertragserbe, nachdem ihm die Erbschaft angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern". Diese Vorschriften finden nach unstreitiger Ansicht auf gemeinschaftliche Testamente entsprechende Anwendung7 • Sie regeln freilich die bei gemeinschaftlichen Testamenten und bei Erbverträgen auftretenden Probleme, die, grob umschrieben, darin bestehen, die Grenze zwischen Freiheit und Bindung des Erblassers zu ziehen, keinesfalls umfassend oder gar zufriedenstellend. Literatur und Rechtsprechung haben seit Inkrafttreten des BGB nach Lösungen gesucht. Ohne bereits an dieser Stelle auf Einzelheiten dieses Streits einzugehen,

j Zu solchen Fällen s. die im einzelnen unten (2. Kapitel A I und B I) dargestellte Rechtsprechung.

6 Vgl. BGH LM § 2271 BGB Nr. 9 = NJW 1960,524; FamRZ 1961,72, dargestellt unten 2. Kapitel A 13 (g), (i); BGHZ 59,343 = NJW 1973,240; BGHZ 88.269, dargestellt unten 3. Kapitel B 1 (1.), (12.). 7 Statt aller: BGHZ 59, 343 (348); BGH NJW 1982, 43 (44); FingerlFüseriHammlWeber, FamRZ 1975, 251; MünchKonun/Musielak, § 2287, Rz.2; Soerge1/Woif, § 2271, Rz. 36 f.; Speckmann, NJW 1974,341; SpeIlenberg, FamRZ 1972,349 (354); Teichmann. JZ 1974,32 (33).

22

I. Kap.: Problemüberblick und Themenabgrenzung

sei auf die zwei gewissermaßen grundsätzlichen Wege hingewiesen, die bisher beschritten wurden: Bis zum Jahre 1972, nämlich bis zu seiner Entscheidung vom 5.7 . 197'tl, vertrat der BGIP, wie bereits früher der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone 10 , die sog. Aushöhlungstheorie. Danach wurden Schenkungen, durch weiche ein durch Erbvertrag oder wechselbezügliches Testament gebundener Erblasser diese seine Bindung zu umgehen suchte, als nichtig angesehenli. Man begründete dies überwiegend mit dem Gesichtspunkt der "Testamentsaushöhlung". In der Entscheidung vom 5.7.1972 brach der BGH mit dieser Rechtsprechung. Der BGH stellte im Leitsatz ausdrücklich fest, daß er die Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit aufgebe. Angesichts der klaren Abgrenzung des Gesetzes, das lebzeitige Verfügungen zulasse und nur Verfügungen von Todes wegen die Wirkung versage - so begründete der BGH seine Umkehr -, sei der Gesichtspunkt der Umgehung nicht geeignet, solche Geschäfte unter Anwendung des § 134 BGB für nichtig zu erklären. Die Anwendung des § 138 BGB komme nur in Betracht, wenn weitere Momente hinzukämen, wie z.B. ein anstößiges Zusammenwirken bei der Parteien, um die in einem entgeltlichen Erbvertrag übernommene Bindung im Ergebnis wirkungslos zu machen und einen Dritten zu bereichern 12 • Sechzehn weitere Entscheidungen des BGH sind seit diesem Urteil von 1972 veröffentlicht, in denen er sich um eine Konkretisierung seiner Rechtsprechung bemüht 13 • Man kann diesen Ansatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung somit durchaus als gefestigt bezeichnen. Eine gefestigte Rechtspre{:hung bedeutet indes nicht, daß sie der Praxis zufriedenstellende Ergebnisse und die erforderliche Sicherheit und Klarheit gebracht hätte. Interessanterweise hat der BGH in der besagten Entscheidung vom 5.7.197214 über die frühere Rechtsprechung ausdrücklich

• 8GHZ 59, 343 9

=

NJW 1973,240, im einzelnen 2. Kapitel 81(1.).

S. die Nachweise unten 2. Kapitel A 13.

10

OGHZ I, 161; 2, 160, im einzelnen 2. Kapitel A I 2.

11

S. die Rechtsprechung im 2. Kapitel A 1 3.

12

8GHZ 59, 343 (348).

13

Zur Rechtsprechung bis zum Jahr 1986 Spellenberg, NJW 1986,2351 ff.

14

8GHZ 59, 343.

A. Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag

23

das Urteil gefällt, sie habe "zu einer Rechtsunsicherheit" geführt l5 • Betrachtet man allerdings die Rechtsprechung seit Aufgabe der Aushöhlungstheorie in diesem Urteil, so kommen erhebliche Zweifel auf, ob die Rechtssicherheit größer geworden ist. Schließlich endete bisher der überwiegende Teil der vom BGH entschiedenen Fälle 16 mit einer Zurückweisung. Dies läßt immerhin den Schluß zu, daß offenbar den Oberlandesgerichten durchaus des öfteren die maßgeblichen Kriterien, die sie hätten aufklären müssen, gar nicht klar gewesen sind. Soweit sich die Literatur mit der Rechtsprechung ausführlicher17 auseinandersetzt, ist sie nur zum Teil durchwegs zustimmend 18 , häufig aber hinsichtlich des Ansatzes und ihrer Einzelheiten kritisch und ablehnend l9 • Es erscheint einer Überlegung wert, daß die Rechtsprechung ab 1972 und vor allen in den letzten Jahren kaum noch eine Entscheidung gefällt hat, in der ein Anspruch aus § 2287 BGB oder ein Verstoß gegen § 138 BGB bejaht wurde2D • Das bedeutet nichts anderes, als daß die Bindung heute so gut wie kein Hindernis für einen gebundenen Erblasser mehr darstellt, wenn er trotz der Bindung sogar wesentliche Teile des Vermögens anderen Personen als den vertraglich oder testamentarisch eingesetzten Erben unter Lebenden zukommen lassen will. Er darf nur nicht den Weg der letztwilligen Verfügung wählen, sondern muß die Übertragung durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vornehmen. All diese Fakten lassen es sinnvoll erscheinen, die gesamte Problematik erneut monographisch aufzubereiten 21 •

" BGHZ 59, 343 (346, Gr. 12).

I. Diese werden im einzelnen in 2. Kapitel B I dargestellt, vgl. an dieser Stelle insbes. BGHZ 59. 343; BGH WM 1973,68; FamRZ 1977, 539; WM 1979,442; BGHZ 77, 264; 82,274; 88,269; BGH FamRZ 1986,980 (erneute Zurückweisung durch BGH WM 1988, 1759). 17 Die Kommentarliteratur beschränkt sich häufig darauf, diese Rechtsprechungohne Vertiefung der dogmatischen Fragen zu begrüßen und zu referieren. Vgl. nur Erman/Hense/Schmidl, § 2271, Rz. 19; MünchKomm/Musielak, § 2271, Rz. 49; SoergellWoif, § 2271, Rz. 37.

11

So insbes. SpeIlenberg, FamRZ 1973, 136; ders., NJW 1986,2531; SlrälZ, JR 1973,244.

19 Benkö, S. 49 ff.; FingerlFüser/HammlWeber, FamRZ 1975,251 (255); Speckmann. NJW 1974, 341 (342 f.); Staudinger/Kanzleiler, § 2287, Rz. 13; Slrunz, S. 45 ff.; Teichmann, JZ 1974,32 ff.

20 Von den zahlreichen veröffentlichten und an späterer Stelle näher zu behandelnden BGHUrteilen (im einzelnen unten 2. Kapitel B I) kommen nur drei zu dem klaren Ergebnis, es greife ein Anspruch aus § 2287 BGB ein, und in nur einem Urteil wurde das Zweitgeschäft für nichtig (§ 138 BGB) erklärt. 21 Zumal die letzte monographische Darstellung - es ist die Dissertation Benkös - aus dem Jahre 1974 stammt und lediglich das erste Urteil des BGH (BGHZ 59, 343), mit dem er die Neuorientierung eingeleitet hat, berücksichtigen konnte. Die Dissertation Slrunz 's erschien erst nach Erstellung dieser Arbeit, konnte jedoch noch in vollem Umfang berücksichtigt und eingearbeitet werden.

24

1. Kap.: Problemüberblick und Themenabgrenzung

B. Themenabgrenzung Die Thematik "Bindung und Freiheit" des Erblassers bei gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen hat zahlreiche Aspekte, die sich folgendermaßen beschreiben lassen: (1.) Problematisch ist oftmals bereits, ob einzelne letztwillige Ver-

fügungen in einem gemeinschaftlichen Testament überhaupt wechselbezüglich, in einem Erbvertrag überhaupt vertragsmäßig und damit bindend sind.

(2.) Hat eine Verfügung bindenden Charakter, so stellt sich das zentrale Problem, welche Rechtsgeschäfte des gebundenen Erblassers - man spricht herkömmlicherweise von "Zweitverfügungen .. - gegen die Bindung verstoßen und welche nicht. In diesem Bereich sind die Fragen zu beantworten, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen § 134 BGB und/oder § 138 BGB und/ oder § 2287 BGB und/oder § 2289 BGB eingreifen. (3.) Schließlich besteht die Möglichkeit, durch besondere Regelungen bzw. Vereinbarungen die Verfügungsfreiheit des gebundenen Erblassers einerseits einzuschränken22 , andererseits zu erweitern 23 • (4.) Ferner gibt es verfahrensrechtliche Fragen: - Soweit eine Bindung bejaht wird, stellen sich bei der Anwendung der einzelnen Normen Fragen der Beweislast. Wer muß z.B. beweisen, daß eine Zweitverfügungnach § 138 BGB nichtig oder zwar nach § 2286 BGB wirksam ist, aber einen Kondiktionsanspruch nach § 2287 BGB auslöst? - Gerade in jüngster Zeit ist zudem das Problem eines Auskunftsanspruches des beeinträchtigten Erben gegen den gebundenen Erblasser ins Blickfeld geruckt24 • Auch an eine klageweise

22

Hier kommen z.B. Verfiigungsunterlassungsverträge in Betracht.

23 Die Erbvertragsparteien bzw. beim gemeinschaftlichen Testament die Ehegatten können dem Längstlebenden trotz der Bindung gewisse Zweitverfiigungen ausdriicklich gestatten. 24 Dazu hat die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung beigetragen: BGH JZ 1987, 250 (mit Anmerkung Kuchinke und WinkJer v. Mohrenfels, NJW 1987,2557) bejaht nämlich im

B. Themenabgrenzung

25

Durchsetzung der Rechte des Vertrags- oder Schlußerben ist zu denken. Diese Arbeit wird zunächst die unter (2.) beschriebene Thematik erörtern. Die Frage, in welchen Fällen eine letztwillige Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag (also (1.» überhaupt bindend ist, wird prinzipiell25 ausgeklammert. Es werden nur Konstellationen untersucht, bei denen die Bindung als solche vorliegt bzw. unterstellt werden kann. Auch die Fragen der durch ausdrückliche Regelung bzw. Vereinbarung möglichen Erweiterungen und Beschränkungen der Verfügungsfreiheit des gebundenen Erblassers für Zweitgeschäfte26 (3.) werden nicht vertiefe? Die prozessualen Probleme (4.) werden erläutert, soweit sie mit den die abzuhandelnde Thematik (2.) berührenden materiell-rechtlichen Fragen in Zusammenhang stehen.

Gegensatz zu seinerfriiherenJudikatur(vgl. BGHZ 18,67 (68 f.» einen so\chen Auskunftsanspruch. 2j Wie sich zeigen wird, muß in einem anderen für diese Arbeit wichtigen Zusammenhang auch hierauf kurz eingegangen werden.

26

Hierzu umfassend No/ring, S. 95 ff.

Auch auf sie ist allerdings wegen des untrennbaren Zusammenhangs mit verschiedenen im Rahmen dieser Arbeit interessierenden Fragen an späterer Stelle (4. Kapitel) kurz einzugehen. 27

2. Kapitel

Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen in Rechtsprechung und Literatur Kann oder will ein Erblasser seine Bindung nicht durch Anfechtung beseitigen, so stellt sich die Frage, inwieweit er dennoch zu Lebzeiten über die der Bindung unterliegenden Vermögenswerte verfügen kann oder ob Zweitverfügungen bereits nach § 134 BGB oder § 138 BGB nichtig sind. Ferner ist zu behandeln, ob deljenige, dem durch eine wirksame Zweitverfügung des gebundenen Erblassers zu dessen Lebzeiten etwas zugewendet wurde, nach dessen Tod einem Kondiktionsanspruch des Vertrags- oder Schlußerben aus § 2287 Abs. I BGB ausgesetzt ist. Im Folgenden sollen zunächst die in der Vergangenheit und derzeit in Rechtsprechung und Literatur bestehenden Ansichten dargelegt werden. Die bisherige Rechtsprechung gibt Aufschluß über die relevanten Fälle und die verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten zur Sicherung der Bindung.

A. Die Rechtsprechung und die Literatur bis zum Jahre 1972 I. Die Rechtsprechung 1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Die sog. Aushöhlung von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen wurde erst von der Rechtsprec.hung der Nachkriegszeit als besonderes Problem erkannt l . Das Reichsgericht war der Ansicht, daß lebzeitige Verfügungen des

I

Vgl. auch Reubold, S. 28.

A. Rechtsprechung und Literatur bis 1972

27

Erblassers, auch wenn sie zu einer Aushöhlung des Nachlasses führten, wirksam seien2 • Nur in einem Fa1l3 hielt es ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, das der erbvertraglich gebundene Erblasser bezüglich der zum Nachlaß gehörigen Aktien vornahm, für nichtig. Der Erblasser hatte hier trotz seiner erbvertraglichen Bindung ein Testament errichtet und darin einen Testamentsvollstrecker eingesetzt, der bestimmte Aktien verwalten sollte. Zusätzlich erhielt dieser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden den Auftrag, den Besitz an diesen Aktien nach dem Tod des Erblassers zu behalten und diese zu verwalten. Das Reichsgericht meinte, hier liege eine Verwaltungsmaßnahme vor, der Auftrag sei deshalb eine Testamentsvollstreckung und entbehre der Wirksarnkeit4 • Es ging hier nicht um einen Sachverhalt, in dem dem Vertragserben auf Dauer Vermögen entzogen und einem Dritten zugewendet werden sollt~. 2. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone (OGH BrZ) (a) In seinem Urteil vom 22.9. 1945fi befaßte sich der OGH BrZ erstmals mit der Aushöhlungsproblematik. Hier hatten sich Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben und ihre fünf Kinder als Erben des Längstlebenden eingesetzt. Einem Kind, der Klägerin, wurden zusätzlich als Vorausvermächtnis der Hausrat und ein auf einem Pachtgrundstück errichtetes Wochenendhaus vermacht. Ferner sollte sie das Recht haben, ein Hausgrundstück gegen Abfindung der Miterben zu übernehmen. Der längstlebende Vater (Erblasser) übertrug nach einem Streit mit der Klägerin all diese Vermögensgegenstände auf die anderen Kinder. Der OGH BrZ bejahte die Beeinträchtigungsabsicht (i.S.d. § 2288 Abs. 2 BGB) des Erblassers. Er habe ihr alle, im Testament zugedachten Vorteile vorenthalten wollen. § 2288 Abs. 2 BGB könne auch nicht durch die Erwägung ausgeschaltet werden, die Klägerin habe ihrem Vater durch ihr Verhalten Anlaß zu dessen Vorgehen gegeben; denn immerhin habe er weder angefochten noch einen Rücktrittsgrund gehabt.

2

RGZ 77, III ff.; RG WarnR 1926 Nr. 188, RG DJ 1938, 1368.

, RGZ 139,41. • RGZ 139, 41 (43 f.). 5 Vgl. auch Strum, S. 20 Fn. 2, die hier zu Recht von einem Fall spricht, in dem nicht die "typische" Aushöhlungsproblematikvorgelegen habe. 6

OGHZ I, 161 (163 f., Gr. III)

= NIW

1947/48,690.

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

28

Allerdings, so meinte der OGH BrZ7 , hätte die Vorinstanz berücksichtigen müssen, daß der Vater der Klägerin wegen deren Fortzugs genötigt gewesen sei, eine Regelung zu treffen, um für sein Alter versorgt zu sein. Für weiterhin verfolgenswert hielt der OGH BrZ den Gedanken, daß es dem Erblasser möglich war, unter nur teilweiser Beeinträchtigung der Klägerin dieses Ziel zu erreichen. (b) Der OGH BrZ entschied in einem Urteil vom 19.5.19498 über folgenden Sachverhalt: Ein Ehepaar, die Eltern des Klägers, setzten sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben und den Sohn, den Kläger, zum Erben des Überlebenden ein. Nach dem Tod der Ehefrau übertrug der überlebende Ehegatte sein ganzes Vermögen, insbesondere seinen Grundbesitz, auf seine Tochter, die Beklagte. Von der Übertragung war ein Sparguthaben in Höhe von 41.500 RM ausgeschlossen. Die Tochter verpflichtete sich in einem Übergabevertrag, den überlebenden Ehegatten zu unterhalten, ihm ein Zimmer und dem Kläger eine Wohnung des Hausgrundstücks zu überlassen. Zusätzlich sollte die Beklagte den Kläger und dessen Ehefrau unterhalten und an sie eine monatliche Zahlung in Höhe von 60 RM leisten. Dafür sollte der Kläger die auf dem Grundstück anfallenden Arbeiten erledigen, insbesondere den dort befindlichen Bäckereibetrieb fordern. Nach einiger Zeit errichtete der Vater des Klägers ein Testament, wonach der Beklagten zusätzlich Geldbeträge aus dem Sparguthaben zufließen sollten. Der OGH BrZ prüfte die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte, die der Vermögensübertragung durch den überlebenden Vater des Klägers auf die Beklagte dienten, unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB (Umgehung des Widerrufsverbots) in Zusammenhang mit § 134 BGB. Das Gericht hielt die Geschäfte mit der Begründung, nur §§ 2287, 2288 BGB schränkten die Freiheit des überlebenden Ehegatten, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden, über die Erbschaft zu verfügen, ein, für wirksam. Solle der Überlebende gewissermaßen lediglich Nutznießer des eigenen Vermögens sein, so bestünde die Möglichkeit, ihn zum Vorerben einzusetzen. Auf die vom OGH BrZ aufgeworfene Frage nach der Nichtigkeit des Zweitgeschäfts für den Fall, daß das gesamte Vermögen übertragen wird, kam es im konkreten Fall nicht an. § 138 BGB hielt das Gericht deswegen nicht für anwendbar, weil bei einer

1

OGHZ I, 161 (166, Gr. IV 3)

= NJW

• OGHZ 2, 160 = NJW 1949,581 f.

1947/48,690.

A. Rechtsprechung und Literatur bis 1972

29

Schenkung mit Benachteiligungsabsicht §§ 2287, 2288 BGB genügend Schutz böten. Erwogen wurde die Anwendung des § 826 BGB9 • 3. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a) Das erste Urteil des BGH zum Problem der Aushöhlung von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen erging am 8.7.195410 • Der BGH befaßte sich hierbei mit dem Fall eines Ehepaares, das sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben und die bei den Töchter je zur Hälfte als Erben des Überlebenden eingesetzt hatte. Der Tochter A wurde dabei ferner ein Vorausvermächtnis in Höhe von 10.000 DM zugesprochen. Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Ehefrau nacheinander zwei Testamente. Im ersten Testament wandte sie Tochter B ein Grundstück, das einen Wert von 25.000 DM hatte und den wesentlichen Teil ihres Vermögens ausmachte, und Tochter A eine Grundschuld in Höhe von 7.300 DM zu. Das zweite Testament enthielt eine Verminderung der Grundschuld für Tochter A auf 5.000 DM. Danach übereignete sie das Grundstück Tochter B, der Beklagten. Nach Ansicht des BGH war diese Übereignung unwirksam, da die überlebende Ehefrau mit ihrer Verfügung die Vorwegnahme der Erbfolge und damit die Umgehung und Aushöhlung der Bindungswirkungdes gemeinschaftlichen Testaments beabsichtigte. Die Unwirksamkeit ergäbe sich im übrigen auch daraus, daß die Ehefrau ihr wesentliches Vermögen auf B übertragen hat, was faktisch der Ausführung einer unwirksamen Verfügung von Todes wegen gleichkomme. (b) Ein weiteres Urteil zu dieser Problematik erging am 27.11.1957 11 • Der BGH entschied über die Wirksamkeit einer Verfügung des gebundenen Erblassers, der, obwohl er in einem Erbvertrag seinen Neffen A als Alleinerben eingesetzt hatte, ein Drittel seines Vermögens dem Neffen B zukommen ließ. Im Gegensatz zum vorangegangenen Urteil verneinte der BGH hier die Umgehung des Testierverbots und die Vorwegnahme der Erbfolge. Das Zweitgeschäft stand nach Ansicht des BGH auch nicht in offenem Widerspruch zum Erbvertrag. Insgesamt hielt er das Zweitgeschäft für wirksam.

• Der OGH BrZ, OGHZ 2, 160 (170) dieser Vorschrift im konkreten Fall.

= NJW

1949,581, verneinte allerdings das Eingrdfcn

= DNotZ 1955, 85.

10

BGH LM § 2271 BGB Nr. 4

11

BGH - IV ZR 198/57 - unveröffentlicht, zil. nach Mauem, MDR 1960, 1 (c).

30

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfiigungen

(c) Der Entscheidung des BGH vom 24.1.195812 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Ehepaar hatte sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben eingesetzt. Gleichzeitig wurde bestimmt, daß sie an zwei ihrer Kinder, den Kläger und die Beklagte, ihr Hausgrundstück für 8.000 DM verkaufen. Die Zahlung des Kaufpreises sollte ein Jahr nach dem Tod des Überlebenden flillig werden und an die anderen Kinder des Ehepaares ausbezahlt werden. Die überlebende Mutter übereignete der Beklagten zu einem Preis von 8.000 DM das Hausgrundstück 13 • Der Kaufpreis für das Grundstück sollte schon teilweise beglichen sein, weil die Beklagte ihre Eltern bis zum Ableben des Vaters unterhalten hatte und die Mutter auch bis zu deren Tod unterhalten sollte. Der Restbetrag sollte erst ein Jahr nach dem Tod der Mutter fällig werden und unter den vier Kindern gleichmäßig aufgeteilt werden. Nach Ansicht des BGH war die Übertragung des Hausgrundstücks wirksam, da keine Umgehung des gemeinschaftlichen Testaments in gesetzes- oder sittenwidriger Weise bezweckt wurde. Die Mutter hatte zu Lebzeiten alles Erforderliche für den Eigentumsübergang getan und bereits Vorteile aus der Übertragung gehabt. (d) In dem der Entscheidung des BGH vom 26.2.1958 14 zugrundeJiegenden Fall hatte sich ein Ehepaar in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Erben des Überlebenden sollten ihre sieben Kinder sein, wobei ein Kind, der Beklagte, das Hausgrundstück, den wesentlichen Teil des Nachlasses, erhalten und dafür die Geschwister ausbezahlen sollte. Nach dem Tod des Vaters übertrug die Mutter durch Rechtsgeschäft unter Lebenden das Grundstück 15 für 22.000 DM auf den Beklagten, wobei der Betrag dafür erst fünf Jahre nach dem Ableben der Mutter flillig werden sollte. Zusätzlich sollte der Schwester S gegen ein monatliches Entgelt in Höhe von 15 DM ein Wohnrecht eingeräumt werden. Hier hat der BGH Nichtigkeit des Zweitgeschäfts angenommen, weil durch die Grundstücksübertragung die Erbfolge vorweggenommen wurde, das Testierverbot des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB bewußt umgangen und damit das bindend gewordene Testament ausgehöhlt wurde.

12

BGHZ 26, 274

=

NJW 1958,547.

Il Die Eintragung der Beklagten ins Grundbuch erfolgte erst nach dem Tod der Mutter. da die Eintragungsbewilligung dem Grundbuchamt bis dahin nicht zugegangen war

.. BGH DNotZ 1958,654 . ., Dieses hatte zum Zeitpunkt ihres Todes einen Verkehrswert von 55.000 bis 60.000 DM.

A. Rechtsprechung und Literatur bis 1972

31

(e) Ein weiteres Urteil des BGH zur Aushöhlungsproblematik erging am 22.10.195816 • Das Gericht ging hier von der Wirksamkeit des Zweitgeschäfts aus und verwies ausdrücklich auf die bestehende Verfügungsfreiheit unter Lebenden. Der BGH bezweifelte, ob aufgrund des § 2287 BGB ein Zweitgeschäft nichtig sein könne, da § 2287 BGB nur einen schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch gebe. Wegen der §§ 2286 - 2288 BGB sei ein Zweitgeschäft niemals als Umgehungsgeschäft anzusehen. Die Nichtigkeit könne sich allenfalls aus § 138 BGB, nicht aus § 134 BGB ergeben. Mit dieser Entscheidung änderte der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit und erklärte ein Zweitgeschäft nur unter ganz besonderen Voraussetzungen für nichtig. (f) Im Urteil vom 30.9.195917 ging es um einen Erbvertrag, in dem vereinbart war, daß die Klägerin die Grundstücke des Erblassers zum gemeinderätlichen Schätzwert erwerben könne. Danach verkaufte der Erblasser die Grundstücke in einem notariellen Vertrag gegen Zahlung von 30.000 DM an die Beklagte. Kurz darauf verstarb der Erblasser; die Auflassung der Grundstücke an die Beklagte erfolgte durch eine bevollmächtigte Notariatsangestellte. Wenig später wurde die Beklagte ins Grundbuch eingetragen.

Auch hier bestätigte der BGH die Wirksamkeit des Zweitgeschäfts. Durch Auslegung kam er zu dem Ergebnis, daß es sich vorliegend um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden handele. Der Erblasser wollte das Zweitgeschäft noch zu seinen Lebzeiten vollziehen; sein frühzeitiges Ableben sei hierfür ohne Belang. Somit liege eine Aushöhlung des Erbvertrags nicht vor. (g) Mit dem Urteil vom 17.11.1959 18 hat der BGH über folgenden Fall entschieden: Ein Ehepaar hatte sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben und die Klägerin als Erbin des Überlebenden eingesetzt. Nach dem Ableben der Ehefrau heiratete der Ehemann die Beklagte. In einem Testament setzte er sie als Alleinerbin seines Vermögens ein. In einem etwas später verfaßten, gemeinschaftlichen Testament setzten sie sich gegenseitig als Alleinerben ein. Der Ehemann schenkte der Beklagten zur gleichen Zeit durch

'6 BGH BWNotZ 1959,205 f. '7 BGHZ 31,13

=

NJW 1959,2252.

'" BGH LM § 2271 BGB Nr. 9 = BGH NJW 1960,524.

32

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

notariellen Vertrag die streitbefangenen Grundstücke. Für eines dieser Grundstücke sicherte er sich den lebenslangen Nießbrauch. Der BGH bejahte in diesem Fall die Nichtigkeit des Zweitgeschäfts wegen Umgehung des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Nach Ansicht des BGH kam es hinsichtlich der Nichtigkeit nunmehr ausschließlich auf die Gesetzesumgehung bzw. auf die Absicht, das Gesetz zu umgehen, an. Auf eine Differenzierung zwischen Vorwegnahme der Erbfolge und Umgehung des Testierverbots sowie die Ableitung der Nichtigkeit daraus käme es nicht an. Ebensowenig führe der unscharfe Begriff" Aushöhlung" des Testaments weiter. Anhaltspunkte für die Umgehungsabsicht liegen dem BGH zufolge dann vor, wenn die Pflichten aus dem Zweitgeschäft das Vermögen des Erblassers erst nach dessen Tod treffen, ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Testament und dem Rechtsgeschäft unter Lebenden besteht. Ein Zusammenhang besteht beispielsweise dann, wenn ein einheitlicher Akt beabsichtigt ist, aber zur Verschleierung getrennte Rechtsgeschäfte erfolgten und durch das Zweitgeschäft über das Ganze oder einen wesentlichen Teil des Vermögens des Erblassers verfügt wird. (h) Der nächsten Entscheidung des BGH vom 27.4.1960 19 lag folgender Sachverhalt zugrunde: In einem gemeinschaftlichen Testament hatten sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben, ihren Sohn Aals Schluß erben eingesetzt. Die verbleibenden zwei Kinder, Bund C, des Ehepaares sollten von A teilweise ausbezahlt werden. Von Sohn D lag ein Erbverzicht vor. Später wendete der überlebende Ehemann den wesentlichen Teil des Vermögens gegen Übernahme des Lastenausgleichs und Gewährung von Nießbrauch und Wohnrecht seinen Kindern B, C, D zu. Der BGH hielt dieses Zweitgeschäft für wirksam, weil nicht das ganze Vermögen übertragen worden sei. Als weiteren Grund für die Wirksamkeit führte er an, daß keine unwirksame Verfügung von Todes wegen errichtet worden sei, weshalb auch keine Umgehungsabsicht vorliegen könne. (i) Eine weitere Entscheidung des BGH erging am 7 . 10. 1960W . Ein Ehepaar hatte sich in einem Erbvertrag gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Kurz darauf wurde die Ehe geschieden, und der Ehemann lebte bis zu seinem Tod mit seiner Geliebten zusammen. Auf diese übertrug er sein Gut mit dem wesentlichen Inventar. Den Kaufpreis dafür, der ohnehin nur etwa die Hälfte des

'9 BGH - V ZR 4/59, mitgeteilt von Maltern, BWNotZ 1960, 209 (211), sonst nicht veröffentlicht. 10

BGH FamRZ 1961, 72 ff.

A. Rechtsprechung und Literatur bis 1972

33

tatsächlichen Wertes des Anwesens ausmachte, sollte die Geliebte dadurch begleichen, daß sie dem Mann ein lebenslanges Nießbrauchsrecht einräumte, Belastungen aus Grundpfandrechten, die auf dem Hof lagen, übernahm, ihre Forderungen gegen den Mann verrechnete und einen kleinen Restbetrag in bar entrichtete. Auf die Beklagte sollten erst nach dem Tod des Mannes der Besitz, die Nutzungen und Lasten übergehen. In diesem Fall ging der BGH wegen Verstoßes gegen § 138 BGB von der Nichtigkeit des Zweitgeschäfts aus. Der BGH begründete die Sittenwidrigkeit des Geschäfts damit, daß die aus dem Geschäft Begünstigte die Geliebte des Erblassers war und damit, daß der Erblasser aufgrund des Erbvertrags sittlich besonders gebunden war. (j) Ein weiteres Urteil zur Problematik der Aushöhlung von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen erließ der BGH am 12. 10. 196I

S. zu den Möglichkeiten und Grenzen des Widerrufs oben I. Kapitel A.

Der BGH (NJW 1963, 1602) bejahte in einem solchen Fall einen zusätzlichen schuld rechtlichen Vertrag. '2

53

Der Erbvertrag nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch rur das Deutsche Reich, 1899, S. 139.

42

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

Leistung vollzogen ist, als Schenkungen unter Lebenden oder, bei sonstigen Schenkungen auf den Todesfall, als letzter Wille des Erblassers bzw. als Erbvertrag einzuordnen sind. Die Zulässigkeit solcher Schenkungen wird also nicht angezweifelt. Planck/Greif~ untersuchen beim gemeinschaftlichen Testament die Unterschiede zwischen der Stellung des Schlußerben und des Vorerben. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß der Überlebende die volle Freiheit habe, Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu tätigen.

Auch v. Spindler5 ist der Ansicht, daß beim nichterbrechtlichen Erwerb von Todes wegen keinerlei Streitfragen über die Wirksamkeit der Geschäfte entstehen könnten. Der Erblasser könne also unbeschränkt Rechtsgeschäfte unter Lebenden vornehmen. Derselben Meinung sind Kagermann 56 und Langguth 57 , die sich speziell mit der Bindung des Überlebenden auseinandergesetzt haben und die Umgehung der Aushöhlung der Bindungswirkung nicht als Problem erachten. In der Zeit nach 1945 gab es in der Literatur verschiedene Ansätze, das Problem der Aushöhlung zu lösen58 • Ein Teil der Literatur folgte im wesentlichen der Meinung des BGH. Zu nennen ist hier etwa Johannsen 59 • Er hält die Zweitgeschäfte des Erblassers, durch die, in der Absicht, die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments zu umgehen, der Vermögenskern veräußert wird, für unwirksam. Nach Ansicht Kanzleiters60 ist ein Zweitgeschäft nach § 134 BGB nichtig, wenn der Erblasser das gesetzliche Verbot des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB umgeht.

S4

BGB, 4. Aufl., 1930, § 2271, Anm. VII.

" Nichterbrechtlicher Erwerb von Todes wegen, 1933, S. 86 f. ,. Die Bindung des Ehegatten und die Anfechtung letztwilliger Verfügung~n b~i einem wechselseitigen Testament nach deutschem bürgerlichen Recht, 1913, S. 21 ff. >1 Die Bindung des überlebenden Ehegatten in bezug auf letztwillige gemeinschaftlichen Testament nach § 2269 BGB, 1933, S. 27 ff. II

Eine umfassende Literaturautbereitung findet sich bei Reubold, S. 62 ff.

"" RGRKlJohannsen, 11. Aufl., 1961, § 2271, Rz. 14. 60

Verfiigung~n

StaudingerlKanzleiter, 10.111. Aufl., 1960, § 2287, Rz. I.

bd einem

A. Rechtsprechung und Literatur bis 1972

43

Teilweise ging die Literatur aber auch eigene Wege, und vereinzelt lehnte sie die Rechtsprechung des BGH sogar grundsätzlich ab. Einige Autoren zogen mit unterschiedlichen Ansätzen und Ergebnissen den in

§ 2301 BGB enthaltenen Rechtsgedanken heran, um die (erlaubten) Rechts-

geschäfte unter Lebenden von den (verbotenen) Zweitgeschäften von Todes wegen abzugrenzen61 • Dittmann wollte von Fall zu Fall untersuchen, ob über § 2301 BGB hinaus ein Rechtsgeschäft nach § 134 BGB nichtig sei 62 • Andere folgten dem BGH insoweit, als sie Rechtsgeschäfte, die das Testierverbot des gebundenen Erblassers umgehen, nach § 134 BGB als nichtig erachten 63 • Zum Teil stellte man auf § 138 BGB ab 64 • Ehard/Eder rekurrierten zusätzlich zu § 138 BGB auf § 826 BGB65 • Coing wollte die Aushöhlungsrechtsprechung des BGH, die er prinzipiell befürwortete, statt auf den Aspekt der Gesetzesumgehung auf eine extensive Auslegung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB stützen66 • Ähnlich begründete Teichmann die Nichtigkeit des Zweitgeschäfts, allerdings zog er § 2271 BGB analog heran 67 • Kohler wollte über die sog. "Opferrechtsprechung" des BGH 68 hinausgehend dem erbvertraglich Bedachten zu seinem Schutz schuldrechtlicheErsatzansprüche gewähren 69 •

61 Burkan, NJW 1956, 1501 (1503); ders., NJW 1959,2093; Häsemeyer, Die Abhängigkeit erb rechtlicher Verträge von Verkehrsgeschäften, S. 112; Mauem, MDR 1960, I (4).

62

Dittmann, DNotZ 1958,619 (630)

63

Kremer, MittRhNotK 1963, Anlage 1,42 (55 ff.); Speckmann, NJW 1968,2222 (2223 f.) .

.. Bund, JuS 1968,268 (272). 6' SoergellEhardlEder, 9. Aufl., § 2271, Rz. 11. .. Kipp/Coing, Erbrecht, 12. Bearb., 1965, § 38, Fn. 33, S. 188. 67

Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 94 f.

6. s. oben A 13., insbes. (g), (j), (I), (0), (p), (r).

6. Kohler, NJW 1964,547 (548); ders., NJW 1964, 1393 (1394 ff.).

44

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

Lange lehnte eine Aushöhlungsnichtigkeitab. Er hielt §§ 2287, 2288 BGB für ausreichend 70 • Auch Münzenberger71 wandte sich gegen die Testamentsaushöhlung und meinte, man könne bei Zweitgeschäften von "de-facto-Testament" oder "Gegentestament" sprechen. Letztlich handele es sich bei dem, was die Rechtsprechung hier als Gesetzesumgehung erachte, um einen Sonderfall des § 138 BGB. Helfrich vertritt die Ansicht, Zweitverfügungen verstießen gegen die Bindungswirkung des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. wenn sie sich ihrer äußeren Form nach als Verfügungen von Todes wegen darstellten oder wenn sie zwar die äußere Form eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden aufwiesen, aber nach dem Willen der Parteien das Vermögensopfer im rechtlichen Sinn erst mit dem Tod des Erblassers oder danach erbracht werden solle72 • Habe hingegen der Erblasser das Vermögensopfer bereits zu seinen Lebzeiten erbracht, so liege ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vor. Die bloß subjektive Absicht des Erblassers könne ein Rechtsgeschäft, das nach den objektiven Umständen weder gegen das Gesetz noch gegen die guten Sitten verstoße, nicht unwirksam machen 73. Denn die Sondervorschrift des § 2287 BGB ordne sogar für den besonders schwerwiegenden Fall der Beeinträchtigungsabsicht nur schuldrechtliche Rechtsfolgen an. Zweitverfügungen könnten allerdings nach § 138, § 826 BGB nichtig sein, wenn sie gegen die guten Sitten verstießen. Was der BGH hingegen als Umgehungsgeschäfte erachte, seien objektiv Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die gern. § 2286 BGB zulässig und wirksam seien74 • Reubold hat sich am umfassendsten mit der Rechtsprechung und Literatur bis 1972 auseinandergesetzfs. Er lehnt alle Ansichten, die Rechtsgeschäfte eines erbvertraglich gebundenen Erblassers unter Lebenden über §§ 2287, 2288 BGB hinaus für unwirksam ansehen, ab. Lediglich soweit es sich um Verfügungen von Todes wegen handele, seien diese nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam76 • § 138 und § 826 BGB schieden aus, weil sie, selbst wenn ihr Tatbestand

70

Lange, Erbrecht, 1. Aufl., § 37 11 2, S. 405; ders., NIW 1963, 1571 (\576).

71

Münzenberger, BWNotZ 1959, 1.

72

Helfrich, S. 122.

73

Helfrich, S. 123.

7' Helfrich, H

S. 124.

Reubold, insbes. S. 28 fT.

7. Reubold, S. 77 fT.

A. Rechtsprechung und Literatur bis 1972

45

vorläge, wegen Gesetzeskonkurrenz durch §§ 2287, 2288 BGB verdrängt würden77. Auch ein Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB bestehe nicht78 • Der in § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB verwendete Begriff der Verfügung von Todes wegen sei anband des § 2301 BGB auszulegen. § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB sei mangels Bestehens einer Gesetzeslücke einer analogen Anwendung nicht zugänglich 79 • Auch das Institut der Gesetzesumgehung lehnt Reubold ab80 • Im Ergebnis sieht er den Bedachten vor Zweitgeschäften nur in den Fällen als geschützt an, in denen entweder das Zweitgeschäft eine Verfügung von Todes wegen darstellt (§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB) oder wenn §§ 2287,2288 BGB eingreifen oder wenn das Zweitgeschäft sittenwidrig ist und zugleich § 817 S. 2 BGB der Rückforderung durch den Erben nicht entgegensteht oder wenn dem vertraglich Bedachten ein Anspruch aus § 826 BGB zustehfll • SpeIlenberg hat sich noch im Jahre 1972, also kurz bevor der BGH seine Aushöhlungsrechtsprechung aufgegeben hat, damit beschäftigtB2 • Er hat diese Rechtsprechung in den verschiedenen Varianten83 und auch die Literaturansichten84 abgelehnt. SpeIlenberg selbst hielt bereits damals die §§ 2287 f. BGB für ausreichend. Seiner Ansicht nach sollte der Erblasser durch einen Erbvertrag - gleiches gilt wohl auch für ein gemeinschaftliches Testament - nicht in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit behindert werden. Erst dort, wo seine Rechtsgeschäfte nicht mehr von seinem lebzeitigen Eigeninteresse getragen würden, verlaufe die Mißbrauchsgrenze. Soweit ein Mißbrauch der lebzeitigen Verfügungsfreiheit im Hinblick auf den Erbvertrag anzunehmen sei, gingen §§ 2287 f. BGB als Spezialnormen dem § 138 BGB vor. Daneben könne aber das Geschäft aus anderen Gründen nach § 138 BGB nichtig sein85 • Strunz hat jüngst diese Rechtsprechung analysiert und vor allem ihre Uneinheitlichkeit kritisiert86 •

77

Reubold, S. 142 ff.

78

Reubold, S. 154 ff.

79

Reubold, S. \09 ff.

10

Reubold, S. 187 ff.

8' Reubold, S. 201 f. 12

SpeIlenberg, FamRZ 1972,349 ff.

13

S. oben A I 3.

M

S. oben A III.

" SpeIlenberg, FamRZ 1972,349 (355 f.) . .. Strunz, S. 20 ff.

46

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfiigungen

B. Die Rechtsprechung und Literatur seit dem Urteil des BGH vom 5.7.197287 I. Darstellung der Rechtsprechung (1.) In seiner Entscheidung vom 5.7.1972 gab der BGH seine Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit ausdrücklich auflS. Ein Grund dafür mag hierbei auch gewesen sein, daß die Senatszuständigkeit gewechselt hatte und der ab da zuständige IV. Zivilsenat sich der starken Kritik in der Literatur anschloß.

Im konkreten Fall hatte die Klägerin im Jahre 1949 mit ihren Geschwistern Wi und Wa, dem Vater des Beklagten, einen Erbvertrag geschlossen, in dem Wi die Klägerin zu 3/4, Wa sie zu 1/4 als Erbin seines Grundbesitzes in D eingesetzt hatte. Trotz der erbvertraglichen Bindung hatte Wi im Jahre 1954 durch notariellen Vertrag sein gesamtes gegenwärtiges Vermögen, einschließlich des Grundbesitzes in D, dem damals 12-jährigen Beklagten, vertreten durch seinen Vater Wa, übertragen. In diesem Vertrag wurde sogar ein Grund für diese Übertragung angegeben. Die Besitzung sollte nach Wis Wunsch in der Familie bleiben, und insbesondere sollte der Familienname mit dieser Besitzung verbunden bleiben. Wi behielt sich in diesem Vermögensübertragungsvertrag den lebenslangen Nießbrauch an seinem Vermögen vor und untersagte dem Beklagten zu seinen, des Wi Lebzeiten darüber zu verfügen. Sollte er dies tun, so war für diesen Fall Wi ein Rücktrittsrecht eingeräumt. Der Rückautlassungsanspruch bezüglich des Grundstücks und der Nießbrauch waren sogar dinglich gesichert. Der Beklagte mußte 6.500 DM an den Sohn der Klägerin, fällig fünf Jahre nach Wis Tod, bezahlen. Die Klägerin verklagte nach Wis Tod den Beklagten auf Einwilligung dazu, daß sie als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen würde sowie auf Feststellung, daß sie Eigentümerin des vorhandenen Inventars geworden sei. Das Berufungsgericht hatte, anders als das Erstgericht, diesem Begehren stattgegeben, der BGH hingegen aufgehoben und zurückverwiesen. Der erbvertraglich gebundene Erblasser, so meinte der BGH, könne nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 2286 BGB) über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden verfügen. Diese Vorschrift mache keinen Un-

.., BGHZ 59,343

=

NIW 1973,240 .

.. BGHZ 59,343 (346, Gr. 12).

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

47

terschied, welcher Absicht die Verfügung diene und in welchem Umfang das Vermögen von ihr betroffen sei. Erfolge der rechtliche Vollzug eines Geschäfts zu Lebzeiten, so änderten auch vorbehaltene Sicherungs- und Nutzungsrechte nichts daran, daß zu Lebzeiten verfügt werde. Der Gesichtspunkt der Umgehung sei nicht geeignet, Geschäfte nach § 134 BGB für nichtig zu erklären. § 138 BGB komme nur in Betracht, wenn weitere Momente hinzukämen89 • An späterer Stelle nennt der BGH den Gesichtspunkt, daß Wi und Wa (als gesetzlicher Vertreter seines Sohnes, des Beklagten) möglicherweise die ausgewogene Regelung im Erbvertrag hinter dem Rücken der Klägerin abgeändert hätten, um dem mindetjährigen Beklagten den Erwerb des genannten Grundbesitzes und der Gastwirtschaft zu sichern und die Klägerin, die bei der familienrechtlichen Auseinandersetzung ein Opfer gebracht habe, von ihrem Erbvertragsteil ausgeschlossen hätten 90 • Der BGH hob allerdings die vorrangige Bedeutung des § 2287 BGB für eine "zufriedenstellende und dem gesetzlichen Ordnungsplan entsprechende Lösung" der bisher von der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Aushöhlung behandelten Fälle hervor91 • Der BGH betonte allerdings, daß § 2287 BGB dem Zweck der Vorschrift, den Vertragserben gegen Mißbrauch des ihm in § 2286 BGB gewährten Rechts zu schützen, gerecht werden müsse. Dies bedeutete letztlich eine Befürwortung einer erweiternden Auslegung des § 2287 BGB92 • Nur so können auch die Ausführungen des erkennenden IV. Senats verstanden werden, der darauf hinwies, daß der Wortlaut der Vorschrift einer auf den Mißbrauch des Verfügungsrechts abgestellten Auslegung nicht entgegenstehe. Der Senat zog hier einen Vergleich zur Rechtsprechung zu den Gesetzesvorschriften des Anfechtungsgesetzes und der Konkursordnung, die aus der Absicht des Schuldners, die Gläubiger zu benachteilgen, Rechtsfolgen herleiten würden. Seit dieser Entscheidung sind zahlreiche weitere Urteile des BGH veröffentlicht93 , die wenigstens kurz dargestellt werden sollen, weil vielfach erst ein Einblick in den Sachverhalt auch die praktischen Hintergrunde und Probleme vollends verständlich erscheinen läßt.

19

BGHZ 59, 343 (348, Gr. 12) .

.. BGHZ 59, 343 (351, Gr. I 4). 91

BGHZ 59, 343 (348, Gr. 12).

92

Vgl. Dilcher, Jura 1988,72 (77 f.).

93

Vgl. hierzu auch SpeIlenberg, NJW 1986,2531 ff., und Dilcher, Jura 1988,72 (78 ff.).

48

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

(2.) Dem Urteil des BGH vom 28.3.1973 94 lag ein Erbvertrag von 1928 zugrunde, der von einem Ehepaar geschlossen wurde, das sich gegenseitig als Alleinerben und die gemeinsamen sechs Kinder sowie die Tochter des Ehemannes aus erster Ehe als Schlußerben eingesetzt hatte. Die überlebende Ehefrau schloß 1958 mit einem Sohn, dem Beklagten, einen Erbvertrag, in dem er als Alleinerbe eingesetzt wurde. Der Beklagte verpflichtete sich dafür, die Mutter bis zu deren Tod zu pflegen und zwei Jahre nach ihrem Tod je 777 DM an die übrigen Geschwister zu bezahlen. Als der Notar auf die Nichtigkeit dieses Erbvertrags hinwies, übertrug die Ehefrau durch notariellen Vertrag ihren gesamten Grundbesitz auf den Beklagten, behielt sich aber den Nießbrauch vor. Der Beklagte wurde verpflichtet, die schon oben genannten Gegenleistungen zu erbringen. Auch in diesem Urteil betonte der BGH, daß ein Erbvertrag nicht die Vertugungsfreiheit des Erblassers beeinträchtige und dieser sein Vermögen sogar verschenken könne. Gemäß § 2287 BGB stünde den Klägern, sofern sie nicht den Übertragungsvertrag gebilligt hätten, ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten ZU95. (3.) In dem dem Urteil des BGH vom 26.11.1975 96 zugrundeliegenden Fall hatte sich ein Ehepaar in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn, den Beklagten, als Erben des Überlebenden eingesetzt. Nach dem Tod des Ehemannes schloß die Ehefrau mit der Landessparkasse einen Vertrag zugunsten Dritter, wonach ihr Enkelsohn, der Kläger, Gläubiger des Sparguthabens von etwa 9.500 DM sein sollte. Das Verfügungsrecht über die Spareinlage behielt sie sich jedoch bis zu ihrem Tod vor. Der Kläger, der erst nach dem Tod der Erblasserin von alledem erfuhr, beanspruchte das Sparbuch für sich. Auch hier ging der BGH von der Wirksamkeit des Zweitgeschäfts aus; er bestätigte jedoch die gern. § 2287 BGB bestehende Pflicht des Klägers, das zunächst ihm zugefallene Sparguthaben nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung an den Beklagten zu übertragen. Er zog das Kriterium des lebzeitigen Eigeninteresses heran; ein solches lag seiner Meinung nach nicht vor97 •

.. BGH WM 1973,680 . •, BGH WM 1973,680 (682). 96

BGHZ 66,9 = NJW 1976,749.

97

BGHZ 66, 9 (16).

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

49

(4.) Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung vom 30.3. 197'f8 mit einem Erbvertrag zu befassen, der zwischen der Erblasserin und dem Sohn ihres Bruders - zugleich ihr Adoptivsohn -, dem Kläger, abgeschlossen worden ist. In diesem Erbvertrag wurde der Kläger als Alleinerbe eines Bauernhofs eingesetzt. Der Kläger verpflichtete sich, der Erblasserin und ihrem Mann ein lebenslanges Nießbrauchsrecht am gesamten Nachlaß einzuräumen und einer Nichte der Erblasserin ein Leibgedinge zuzuwenden. Nach einem Zerwürfnis zwischen der Erblasserin und dem Kläger und nachdem dieser nicht bereit war, gegen Abfindung auf seine Rechte aus der Adoption und aus dem Erbvertrag zu verzichten, veräußerte erstere den gesamten Hof gegen Zahlung von 70.000 DM an den Beklagten. In Höhe von 27.300 DM übernahm der Beklagte Verbindlichkeiten bzw. Lasten und versprach die Gewährung eines lebenslangen Altenteils an die Erblasserin, ihren Ehemann und ihre Nichte. Der Kläger verlangte vom Beklagten Zug um Zug gegen die Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 57.460 DM den Hof heraus. Das Berufungsgericht hatte der Klage, gestützt auf § 2287 BGB, Zug um Zug gegen Zahlung von 82.645 DM stattgegeben. Der BGH hob auf und verwies zurück. Er stellte darauf ab, ob der Kläger mehrmals ohne hinreichenden Grund die Arbeit auf dem Hof eingestellt und sich dadurch als für die mit dem Erbvertrag beabsichtigte Sicherung der Altersversorgung als unzuverlässig erwiesen habe. In diesem Fall sei die Erblasserin berechtigt gewesen, den Hof auch unter dem vollen Wert an einen Käufer zu veräußern, dem sie Vertrauen entgegenbrachte. Dann sei ein § 2287 BGB ausschließendes lebzeitiges Eigeninteresse anzuerkennen. Anders sei indes zu entscheiden, wenn der Ehemann der Erblasserin aufgrund eines nachträglichen Sinneswandels die Mitarbeit des Klägers auf dem Hof und seine ErbensteIlung nicht mehr gewollt hätte, ohne daß ihm der Kläger hierzu hinreichenden Anlaß gegeben habe. Dann hätte die Erblasserin eine Lösung suchen müssen, die nicht mit einer Beeinträchtigung des Klägers verbunden gewesen wäre99 • (5.) Der Entscheidung vom 30.11.1977 100 lag eine Konstellation zugrunde, in der die längstlebende Erblasserin, die mit ihrem Mann ein gemeinschaftliches Testament errichtet hatte, nach dessen Tod den beklagten Eheleuten für deren Hausneubau ein Darlehen in Höhe von 55.000 DM gewährt hatte. Mit notariel-

9. BGH FamRZ 1977,539 = WM 1977.876. 99

100

BGH WM 1977,876 (877 f.). BGH NJW 1978,423; ablehnend zu diesem Urteil1iedlke, NJW 1978.2572 ff.

4 Loritz

50

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

lern Erbvertrag erließ sie ihnen schließlich mit Wirkung von ihrem, der Erblasserin Tod die Darlehensschuld in Anerkennung der ihr von der beklagten Ehefrau erbrachten Dienste. Das Darlehen war bis zum Tod, ebenso wie seit seiner Ausreichung, mit 4,5 % zu verzinsen. Der Sohn der Erblasserin und ihres verstorbenen Ehemannes, dem aufgrund deren gemeinschaftlichen Testaments nach deren inzwischen eingetretenem Tod die Erbschaft zufallen sollte, begehrte nunmehr die Feststellung, daß die beklagten Eheleute ihm als Alleinerben seiner Mutter den Darlehensbetrag in Höhe von 55.000 DM schuldeten. - Die Klage wurde in letzter Instanz abgewiesen. Interessant, weil aus dem üblichen sonstigen Rahmen fallend, ist die Begründung des BGH. Er stellt zunächst fest, daß die in § 2271 BGB angeordnete Bindung keine Ausnahme vom Verbot, erneut letztwillig zu verfügen, gestatte, und zwar auch in den Fällen nicht, in denen durch die letztwillige Verfügung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen werden solle lOl • Um nun aber zu vermeiden, daß der durch den neuerlichen Erbvertrag der gebundenen Erblasserin erstrebte Erlaß der Darlehensschuld zusammen mit dem Erbvertrag unwirksam war, deutete der BGH diesen nach § 140 BGB in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden um. Der BGH meinte, es könne eine Konversion in eine befristet vollzogene Schenkung vorgenommen werden mit der Folge, daß mit dem Tod der Erblasserin die Darlehensschuld erlosch 102. Daß durch die Umdeutung praktisch die Bindungswirkung des § 2271 Abs. 2 BGB entkräftet werde, stehe hier nicht entgegen. (6.) Im Urteil vom 3.7.1980 103 bestätigte der BGH seine frühere Rechtsprechung lO4 , wonach der Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB nicht zum Nachlaß gehört lO5 • (7.) In dem vom BGH am 20.12.1978 106 entschiedenen Fall hatte ein erbvertraglieh gebundener Erblasser einer anderen Frau, mit der er über längere Zeit trotz bestehender Ehe zusammengelebt und die ihn - er war beinamputiert gepflegt hatte, zu Lebzeiten erhebliche Zuwendungen gemacht. So hatte er ihr

101

BGH NJW 1978,423 (Gr. 1).

102 BGH NJW 1978, 423 (424, Gr. 2), wies darauf hin. daß dann § 2301 Abs.2 BGB einschlägig sei. 103

BGHZ 78,1 = NJW 1980.2461.

104

BGH FamRZ 1981,76 (78).

10'

BGHZ 78, 1 (3).

106

BGH WM 1979,442.

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

51

z.B. einen größeren Geldbetrag zur Bezahlung einer Eigentumswohnung überlassen. Die Ehefrau des Erblassers klagte nun gegen dessen Lebensgefährtin auf Zahlung von 250.000 DM. Beide Vorinstanzen verurteilten antragsgemäß. Der BGH hob auf und verwies zurück. Das OLG, so lautete seine Begründung, habe rechtsfehlerhaft ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der Zuwendung verneint und deshalb dem Zahlungsanspruch aus § 2287 BGB stattgegeben. Ein lebzeitiges Eigeninteresse hielt der BGH für möglich, wenn der Erblasser die Eigentumswohnung der Beklagten zugewendet habe, weil sie ihn gepflegt habe und damit er mit ihr dort nach seinem Ruhestand zusammenleben und sie ihn weiterhin pflegen könne. (8.) In einem weiteren FaII 107 hatte ein gebundener Erblasser seiner (zweiten) Ehefrau, der Beklagten, zu Lebzeiten Geldbeträge zugewendet, obwohl er durch einen Erbvertrag, in dem er seinerzeit seine drei Kinder als Erben eingesetzt hatte, gebunden war. Die Besonderheit lag darin, daß die beklagte (zweite) Ehefrau auf ihr gesetzliches Erbrecht (nach § 2346 BGB) verzichtet hatte. Der BG H warf hier die Frage auf, ob der Schutz, den § 2287 BGB dem Vertragserben allgemein gewährt, gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten, der auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet hat, Einschränkungen erfahre. Er bejahte dies \08. Da, so der BGH, der Pflichtteilsverzichtjederzeit nach § 2351 BGB wieder aufgehoben werden könne, könnten die Vertragserben den Schutz des § 2287 BGB jedenfalls insoweit nicht beanspruchen wie die Rechte des Erblassers aus § 2351 BGB reichten. (9.) Im Fall BGHZ 82, 274 109, hatten sich die Eltern der Parteien in einem handschriftlichen gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und die bei den Söhne - jetzt Parteien des Rechtsstreits - zu Erben des Längstlebenden eingesetzt und bestimmt, der überlebende Ehegatte solle berechtigt sein, die Verteilung unter den Söhnen zu bestimmen. Der längstlebende Erblasser übertrug mit notariellem Vertrag den größten Teil seines Grundbesitzes auf den Beklagten und behielt sich den Nießbrauch vor. Der Beklagte übernahm die Verpflichtung zum Unterhalt und zur Pflege des Erblassers sowie zur Zahlung einer monatlichen Rente an ihn. Der Kläger begehrte vom Beklagten den hälftigen Anteil an den noch vorhandenen Grundstücken und die Hälfte des Erlöses des weiterveräußerten Grundstücks. Der BGH hob dieses der Klage stattgebende Urteil der Vorinstanzen auf. § 2287 BGB, so lautete die Begründung, greife

107

BGHZ 77, 264.

101

Vgl. BGHZ 77,264 (269).

109

=

BGH NIW 1982, 43.

52

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

nicht ein, wenn und soweit die lebzeitige Verfügung des Erblassers außerhalb des Schutzbereichs der von ihm eingegangenen Bindungen liege und somit die berechtigte Erwartung des Vertragserben nicht geschmälert werde. Der Erblasser sei hier berechtigt gewesen, im Wege vorweggenommener Erbfolge die Grundstücke auf einen der beiden Schlußerben zu übertragen 110. Bezüglich des bereits weiterveräußerten Grundstücks könne der Kläger aus § 2287 BGB möglicherweise einen Ausgleichsanspruch gegen den Beklagten haben 111. Nach der Zurückverweisung ging die Sache erneut zum BGH, der wiederum zurückverwies ll2 • Der BGH wies darauf hin, daß § 2287 BGB voraussetze, daß der Erblasser berechtigte Erberwartungen objektiv beeinträchtigt habe. Ansonsten könne eine dennoch in Benachteiligungsabsicht vorgenommene Schenkung des Erblassers dem Schlußerben keinen Anspruch aus § 2287 BGB verschaffen. Sofern im vorliegenden Fall der Nachlaß ausreiche, um die Parteien mit Hilfe der Ausgleichung (§§ 2052,2050 Abs. 3 BGB) völlig gleichzustellen, bleibe für § 2287 BGB kein Anwendungsbereich 113. (10.) In seinem Urteil vom 27.1.1982114 konkretisierte der BGH das lebzeitige Eigeninteresse weiter. Es genüge zwar nicht, daß nach dem Erbvertrag beim Erblasser ein Sinneswandel eingetreten sei, wenn im übrigen die Umstände, wie sie im Zeitpunkt der Verfügung vorgelegen hätten, unverändert fortbestünden lls • Jedoch könne auch ein nicht erst nach Abschluß des Erbvertrags entstandenes, sondern bereits vorher vorhandenes Interesse des Erblassers durchaus einmal eine benachteiligende Schenkung - bei Berücksichtigung nachträglich eingetretener Veränderung - rechtfertigen l16 • (11.) In dem der Entscheidung des BGH vom 23.2.1983 117 zugrundeliegenden Fall hatten sich der Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau in einem gemeinschaftlichen Testament zu Alleinerben eingesetzt und bestimmt, daß "erst nach dem Tode des zuletzt Verstorbenen ... unsere Erben in den Besitz des dann noch vorhandenen Nachlasses kommen" sollten. Noch wenige Monate vor

110

BGHZ 82, 274 (278).

111

BGHZ 82, 274 (280 ff.).

112

BGH WM 1988, 1759 = FamRZ 1989, 175 mit Anm. Musielak.

113

BGH WM 1988,1759 (1760).

114

BGHZ 83, 44.

11$

BGHZ 83, 44 (46), verweist hier auf seine frühere Entscheidung BGHZ 77. 264 (268 f.).

116

BGHZ 83, 44 (46).

117

BGHZ 87, 19.

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

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seinem Tod im April 1976, und auch kurz vor dem Tod seiner Ehefrau (im Februar 1976) hatte der Erblasser allerdings den Beklagten bevollmächtigt, "unwiderruflich" über zwei seiner Bankkonten zu verfügen. Ein Dr. B, der vom Erblasser Vollmacht über den Tod hinaus besaß, hob nach dem Tod des Erblassers auch bestimmte Beträge von diesen Konten ab und gab sie an den Beklagten weiter. Der Kläger ist einer der Erben und verlangt diese Beträge nunmehr vom Beklagten heraus. Nachdem das OLG die Klage abgewiesen hatte, hatte die Revision nur teilweise Erfolg. Einen Anspruch aus § 2287 BGB lehnte der BGH hier bereits deshalb ab, weil 'der Erblasser die Schenkung zu einer Zeit vorgenommen hatte, als seine Ehefrau noch lebte und damit die wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament noch nicht bindend geworden waren 1J8. (12.) In der Entscheidung des BGH vom 28.9.1983 119 hatten die Eltern der Klägerin im Jahre 1955 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, sich gegenseitig zu Alleinerben und die Klägerin als ihre einzige Tochter zum Erben des Längstlebenden eingesetzt. Danach hatten sie zwei Eigentumswohnungen erworben. Wiederum danach verstarb die Mutter und zehn Jahre später der Vater der Klägerin. Er hatte aber noch einige Jahre vor seinem Tod an die Beklagte - nunmehr seine 2. Ehefrau -, die seit Jahren seine Haushälterin gewesen war, eine der Eigentumswohnungen verschenkt und sich den lebenslangen Nießbrauch vorbehalten. Die andere Eigentumswohnung hatte er an den Sohn der Beklagten verkauft und sich gleichfalls den Nießbrauch vorbehalten. Landgericht und OLG hatten die Klage auf Übereignung der auf die Beklagte übertragenen Eigentumswohnung für begründet erachtet. Der BGH hob auf und verwies zurück. Es komme, so sein Ansatz, nach der neueren Rechtsprechung nicht mehr entscheidend darauf an, ob es die maßgebliche Absicht des Erblassers gewesen sei, der Klägerin nichts zukommen zu lassen l2D • Hinsichtlich des Anspruchs aus § 2287 BGB sei zu berücksichtigen, daß Vertragserbe und Schlußerbe bei ihrer Erberwartung mit der Pflichtteilslast rechnen müßten. Ihr Anspruch aus § 2287 BGB könne nur so weit reichen wie sie in ihrer berechtigten Erberwartung beeinträchtigt seien.

111

BGHZ 87, 19 (23 C.).

119

BGHZ 88, 269.

120

BGHZ 88, 269 (270 C.).

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

54

(13.) In seinem Urteil vom 23.11.1983 121 nahm der BGH Stellung zum lebzeitigen Eigeninteresse betreffend ein Vermächtnis. Ein lebzeitiges Eigeninteresse, so der BGH, könne auch der Anwendung des § 2288 BGB entgegenstehen. Es könne aber nur dann bejaht werden, wenn es sich gerade auf die Veräußerung des vermachten Gegenstands richte und der erstrebte Zweck nicht auch durch andere wirtschaftliche Maßnahmen zu erreichen gewesen wäre. Zudem müsse nach Abschluß des Erbvertrags eine Änderung der Sachlage eingetreten sein l22 • (14.) In seinem Urteil vom 26.2.1986123 mußte der BGH u.a. l24 über die Wirksamkeit der Übertragung von Gesellschaftsanteilen trotz erbvertraglicher Bindungen entscheiden. Im Streitfall hatten sich die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann in einem Erbvertrag als Alleinerben und den Bruder des Klägers (den der Kläger inzwischen, weil er Ersatzerbe war, beerbt hatte) als Erben des Längstlebenden eingesetzt. Der Beklagte sollte aufgrund des Erbvertrags das Recht haben, vom Schlußerben in das Unternehmen als gleichberechtigter persönlich haftender Gesellschafter aufgenommen zu werden. Seine Kapitaleinlage sollte aus der für ihn - er war bereits im Unternehmen vor Abschluß des Erbvertrags tätig - angesammelten Umsatzvergütung bezahlt werden. Soweit dies nicht ausreichte, sollte der Erbe gegen angemessenes Entgelt den entsprechenden halben Anteil abtreten. Trotz der erbvertrag lichen Bindung hatte die Erblasserin den Beklagten nach dem Tod ihres Ehemannes als Gesellschafter aufgenommen und ihm den hälftigen Gesellschaftsanteil zum Nominalwert übertragen. Als weitere Gesellschafterin war zudem die Ehefrau des Beklagten aufgenommen worden. Die Erblasserin schied schließlich ganz aus der Gesellschaft aus. Als Gegenleistung wurde ihr Kapitalkonto in ein Darlehenskonto umgewandelt. Auf das Darlehen waren monatlich 5.000 DM Zins und Tilgung zu bezahlen, zudem erhielt die Erblasserin eine monatliche Rente und konnte, soweit die Vermögenslage der OHG es zuließ, weitere Zahlungen verlangen. Nachdem der Kläger Ersatzerbe geworden war, klagte er auf Auskunft gegen den Beklagten und seine Ehefrau. In diesem Rahmen war unter anderem zu entscheiden, ob ein Anspruch aus § 2287 BGB bestehen konnte.

\2\

BGH NJW 1984,731.

\22

BGH NJW 1984,731 (732).

\23

BGHZ 97, 188 = BGH NJW 1986, 1755 = JZ 1987,250 mit Anm. Kuchinke.

\24 Das Urteil fand allerdings primär wegen der Ausführungendes BGH zum AuskunfisaJlspru~h des Vertragserben Beachtung.

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

55

Der BGH lehnte dies abl2.'i. Seiner Ansicht nach bestand hier keine durch § 2287 BGB geschützte Erberwartung. Eine beeinträchtigende Schenkung verneinte der BGH mit der Begründung, bei Vereinbarung des Nominalwerts als Gegenleistung (für den Gesellschaftsanteil) bestünde kein auffallend grobes Mißverhältnis, so daß auch eine gemischte Schenkung ausscheide l26 • Es bestehe ein lebzeitiges Eigeninteresse. Denn auch eine ideellen Gesichtspunkten dienende wirtschaftlich nicht notwendige Verfügung, für die der Erblasser möglicherweise ein deutlich höheres Entgelt hätte erhalten können, könne "vom anzuerkennenden lebzeitigen Eigeninteresse" gedeckt sein 127 • (15.) Im Fall, der dem Urteil vom 23.4.1986 128 zugrundelag, handelte es sich um einen Sachverhalt, in dem im angeblichen Interesse des Schlußerben eines gemeinschaftlichen Testaments nach dem Tode des Längstlebenden eine dem Schlußerben nachteilige Schenkung vorgenommen wurde. Hier hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament die Eltern des Klägers gegenseitig als Alleinerben und diesen als Schlußerben eingesetzt. Er sollte, so hieß es, Erbe des überlebenden Teils, nicht etwa Nacherbe des Erstverstorbenen sein. Nach dem Tod der Ehefrau (Mutter des Klägers) heiratete der Ehemann (Vater des Klägers) erneut und schenkte seiner neuen Ehefrau, der Beklagten, einen 5/8Miteigentumsanteil am sog. "Stammhaus" unter Nießbrauchsvorbehalt. Die Besonderheit war, daß im gemeinschaftlichen Testament ein Testamentsvollstrecker nach dem Tode des Längstlebenden eingesetzt war, der gerade dafür sorgen sollte, daß das "Stammhaus" erhalten blieb, damit der Lebensunterhalt des debilen, unter Vermögenspflege stehenden Sohnes, des Klägers und Schlußerben, gesichert war. Die Beklagte versorgte den Kläger nach dem Tode des Erblassers. Im Rechtsstreit trug sie vor, der Erblasser habe seine Verfügungsfreiheit durch die Schenkung nicht mißbraucht, sondern auf diese Weise sicherstellen wollen, daß sie, die Beklagte, den Kläger auch nach dem Tode des Erblassers versorgen und betreuen werde. Nachdem die Klage in zwei Instanzen erfolglos gewesen war, hob der BGH auf und verwies zurück. Es bedürfe, so der BGH, keiner Entscheidung, ob hier das Motiv des Erblassers als lebzeitiges Eigeninteresse anzuerkennen sei oder ob nicht eher ein "postmortales", und zwar ein "primär fremdes Interesse" vorliege. Zwar liege ein Mißbrauch der Verfügungsfreiheit (nach § 2286 BGB)

m BGH NJW 1986, 1755 (1756 f.). 126

BGH NJW 1986, 1755 (1756).

127

BGH NJW 1986, 1755 (1757).

12.

BGH FamRZ 1986,980

= DNotZ 1987,

115.

56

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

bei einem lebzeitigen Eigeninteresse an der Schenkung nicht vor. Das schließe aber nicht aus, einen Mißbrauch auch sonst im Einzelfall zu verneinen l29 • Der BGH sieht also hier offenbar das lebzeitige Eigeninteresse nicht als einzigen und abschließenden Grund für eine nach § 2286 BGB zulässige Schenkung an. Das Bemerkenswerte an diesem Urteil liegt darin, daß im gemeinschaftlichen Testament gerade Regelungen getroffen wurden, um die Versorgung und Betreuung des Klägers sicherzustellen, der BGH nunmehr aber offenbar glaubte, das hindere den Erblasser nicht, sich schon prinzipiell darüber hinwegzusetzen. (16.) In seinem Urteil vom 21.6.1989130 hatte der BGH erstmals über die Anwendbarkeit des § 826 BGB bei Schädigung von Vertragserben durch einen Dritten zu entscheiden. Der frühere Beklagte, den der jetzige Beklagte beerbt hatte, hatte von der erbvertraglich gebundenen Erblasserin deren Hausgrundstück unter Nießbrauchsvorbehalt erworben. Der Kaufpreis war aufgrund eines Wertgutachtens mit 183.348 DM angesetzt worden. Der vorbehaltene Nießbrauch wurde angesichts der aufgrund des hohen Alters der Erblasserin (80 Jahre) nur noch niedrigen Lebenserwartung von sechs Jahren mit 7.779 DM bewertet und auf den Kaufpreis angerechnet. Der Restbetrag wurde verrentet und sollte durch eine lebenslange Rente in Höhe von monatlich 1.894 DM abgegolten sein. Sogleich nach der Umschreibung belastete der frühere Beklagte den Grundbesitz mit Grundschulden in Höhe von insgesamt 165.000 DM. Die Kläger, die als Ersatzvertragserben die Erblasserin beerbten, trugen vor, der frühere Beklagte habe die Erblasserin ohne begründeten Anlaß in Sorge um ihre künftigen wirtschaftlichen Verhältnisse versetzt und sie hierdurch in unredlicher Weise zum Verkauf veraniaßt. Die Rente sei nur der Form halber auf ein Konto der Erblasserin überwiesen und die Beträge seien sogleich wieder abgehoben worden. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz) hielt den Beklagten aus § 826 BGB für verpflichtet, den Grundbesitz lastenfrei an die Erbengemeinschaft nach der Erblasserin, bestehend aus den Klägern und ihrem Halbbruder zu übereignen. Der BGH hob auf und verwies zurück. § 2287 BGB, so ist seinen Ausführungen zu entnehmen, hielt er nicht für anwendbar, weil seiner Ansicht nach keine Schenkung vorlag. §§ 2286,2287 BGB seien, so der BGH, abschließende Regelungen, die selbst dann, wenn der Erblasser mit einem Dritten kollusiv

129

BGH FamRZ 1986,980 (981 f.).

no BGHZ 108,73 = FamRZ 1989,961 unten 3. Kapitel A 11 3.

= JR

1990, 157 mit Anm. Schuhen; s. hierzu auch

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

57

zusammenwirke, um den Vertragserben zu schädigen, § 826 BGB vorgingen. Ein Vertragserbe brauche den vom Erblasser abgeschlossenen Vertrag trotz möglicherweise sittenwidrigen Verhaltens nur dann nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn ihn das Geschäft nicht binde. Das komme im vorliegenden Fall nur bei Unwirksamkeit des Kaufvertrages nach § 138 BGB in Betracht. (17.) Erwähnt sei schließlich noch eine Entscheidung des OLG Düsseldorf 31 • In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Erblasser einen Erbvertrag geschlossen, in dem er die spätere Beklagte zu 1) und ihren Ehemann je zur Hälfte als alleinige Erben einsetzte. Als Gegenleistung wurde deren Verpflichtung festgeschrieben, den Erblasser "bis an sein Lebensende zu pflegen und zu warten". Nachdem es zwischen dem Erblasser einerseits und der Beklagten zu 1) und ihrem Ehemann andererseits zu Spannungen gekommen war, schloß der Erblasser zugunsten des Klägers und fünf weiterer Personen mit einer Sparkasse einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall, durch den mit dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers alle Rechte aus dessen Konto unmittelbar zu gleichen Teilen auf den Kläger und die fünf weiteren Personen übergehen sollten. Das OLG Düsseldorf hatte im Rechtsstreit unter anderem zu entscheiden, ob die Beklagte zu 1) das Konto "freigeben" mußte oder ob diese ihrerseits gegen den Kläger nach § 2287 Abs. 1 BGB ein Recht auf Abtretung des durch den Vertrag (des Erblassers) zugunsten Dritter erlangten Forderungsrechts hatte. Dies bejahte das OLG und führte zur Begründung aus, der Erblasser habe die Schenkung in der Absicht vorgenommen, die Beklagte zu 1) und ihren Ehemann zu beeinträchtigen, zudem habe der Erblasser sein Recht zu lebzeitigen Verfügungen nach § 2286 BGB mißbraucht. Das lebzeitige Eigeninteresse, das einen Mißbrauch ausschließe, fehle hier. Es komme dafür darauf an, "ob die Gründe des Erblassers ihrer Art nach so seien, daß ein durch Erbvertrag Bedachter sie anerkennen und deswegen die sich aus der Verfügung für ihn ergebende Benachteiligung hinnehmen" müsse. Das werde in der Regel nicht der Fall sein, wenn ohne Veränderung der bei Abschluß des Erbvertrags vorhanden gewesenen Umstände allein wegen eines auf eine Korrektur des Vertrags gerichteten Sinneswandels des Erblassers an Stelle einer bedachten Person einer anderen wesentliche Vermögenswerte ohne entsprechende Gegenleistung zugewendet würden, nur weil sie dem Erblasser genehmer sei. Hier sei das Motiv der schenkweisen Zuwendung des Erblassers dessen Wunsch gewesen "allen Verwandten etwas zukommen zu lassen". Das sei kein anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse 132 •

131

OLG DüsseldorfNJW-RR 1986,806.

132

OLG DüsseldorfNJW-RR 1986,806 (807).

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfiigungen

58

11. Zusammenfassung des neuen Ansatzes der Rechtsprechung Ohne daß an dieser Stelle auf alle Einzelheiten der neuen Rechtsprechung eingegangen werden SOll133 , lassen sich doch bereits hier einige Schlußfolgerungen ziehen. Der BGH hat mit dem "lebzeitigen Eigeninteresse" zwar eine Einheitsformel, einen einheitlichen verbalen Ansatz gefunden, so daß die Rechtsprechung der Untergerichte und die Praxis Sicherheit hinsichtlich dieses Ansatzes ihrer Lösung gewonnen haben. Das Ergebnis der Einzelfälle als solches ist allerdings wohl kaum besser vorhersehbar geworden. Ein Gewinn in bezug auf die allgemein und auch hinsichtlich der "Aushöhlungsproblematik " vielbeschworene Rechtssicherheit134 ist nicht größer geworden. Immerhin mußte der BGH in den allermeisten Fällen aufheben und zurückverweisen, was bei Betrachtung der konkreten Entscheidungen erkennen läßt, daß die Oberlandesgerichte recht häufig trotz oder vielleicht sogar wegen des neuen Lösungsansatzes im Streitfall bei besonderen Problemen nicht genau wußten, worauf es ankam. Von der Tendenz her zeigt die neue Rechtsprechung, daß der BGH offenbar darum bemüht ist, die Freiheit des Erblassers auch zu beeinträchtigenden Schenkungen zu erhalten, solange diese mit den materiellen Grundgedanken des Erbrechts in Einklang stehen. Dies zeigen seine Urteile, in denen er auf die berechtigten Erwartungen des Erben abstellt 13S , die nach Auffassung des BGH durch ein Pflichtteilsrecht136 eines Dritten geschmälert sein können, aber auch durch die dem Erblasser testamentarisch eröffnete Möglichkeit der Verteilung des Nachlasses, die ihm der BGH dann auch bereits zu Lebzeiten gestattet137 • § 2287 BGB soll offenbar nach Ansicht des BGH bei all denjenigen Schenkungen nicht eingreifen, bei denen der Erblasser das gleiche Ziel auch auf anderem erlaubten Wege hätte erreichen können. So sehr diese Abstandnahme von einem formalistischen Denken im allgemeinen zu befürworten ist, so stößt sie dennoch, wie sogleich dargelegt werden wird,

133 Die wesentlichen Einzelheiten werden im Zusammenhangmit denjeweiligen Einzelproblemen noch gewürdigt werden. 134

Vgl. BGHZ 59,343 (346, Gr. 12).

13>

BGHZ 88, 269 (272), s. oben (12.); BGHZ 82, 274 (278), s. oben (9.).

136

BGHZ 88, 269, s. oben (12.); BGHZ 77,264 (269 f.), s. oben (8.).

137

BGHZ 82, 274 (277 f.), s. oben (9.).

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

59

auf Bedenken. Soweit sich im übrigen überhaupt "größere Linien" der Rechtsprechung erkennen lassen, sind die folgenden Tendenzen festzuhalten 138 : (1.) Der BGH wendet § 2287 BGB an, ohne im einzelnen näher zu prüfen, ob überhaupt eine Schenkung vorliegt. Er interpretiert diese Norm extensiver als vor 1972 139, kommt aber nur recht selten dazu, das nunmehr seiner Ansicht nach maßgebliche lebzeitige Eigeninteresse zu verneinen.

(2.) Die Grenze zwischen lebzeitigen und letztwilligen Verfügungen zieht er bei § 2287 BGB in gleicher Weise wie ansonsten in der Rechtsordnung. (3.) Der Begriff Schenkung wird, wo der BGH näher darauf eingeht, wie in § 516 BGB interpretiert. (4.) § 2287 BGB stellt nach Ansicht des BGH vom Ansatz her eine Generalklausei dar l40 , die einem Mißbrauch der nach § 2286 BGB dem Erblasser offenstehenden Freiheit, unter Lebenden über sein Vermögen zu verfügen, entgegenwirken SOW 41 • (5.) Tendenziell verlangt der BGH eine Rechtfertigung für eine Schenkung l42 , um dem Anspruch aus § 2287 BGB die Grundlage zu entziehen. (6.) Wie die Entscheidung vom 26.02.1986143 ausweist, ist das lebzeitige Eigeninteresse nicht der einzige Grund, der eine Schenkung rechtfertigt. Es wird als ausreichend erachtet, wenn "berechtigte Erwartungen" nicht beeinträchtigt werden. Wie das OLG Düsseldorf 44 deutlich herausgestellt hat, rechtfertigt ein bloßer Sinneswandel des Erblassers, anders als eine Veränderung der tatsächlichen Umstände, beeinträchtigende Schenkungen nicht.

". Vgl. auch SpeIlenberg, NIW 1986,2531 (2532 ff.). 139

S. oben A 13.

140

Vgl. auch Strunz, S. 48.

141

Vgl. SpeIlenberg, NIW 1986, 2531 (2535 ff.).

142

Vgl. SpeIlenberg, NJW 1986,2531 (2536).

143

BGHZ 97, 188, s. oben BI (14.).

1..

NJW-RR 1986,806 (807), s. oben BI (17.).

60

2. Kap.: Freiheit und Bindung fiir Zweitverfiigungen

ill. Die Literatur Die Aufgabe der Aushöhlungstheorie durch den BGH hat in der Literatur größtenteils Zustimmung gefunden. Die neue Rechtsprechung hat aber insbesondere hinsichtlich ihrer Einzelausgestaltung und auch hinsichtlich des methodischen Ansatzes sowohl Kritik als auch Beifall erhalten 145. 1. Die Aufsatzliteratur Auch in einer neueren Darstellung und Analyse der Rechtsprechung seit dem Urteil des BGH vom 5.7.1972 146 begrüßt Spellenberg l47 diese Rechtsprechung und versucht, §§ 2287 f. BGB anband von Fallgruppen klarere Konturen zu geben l48 • Zustimmend hat sich auch Strätz l49 geäußert. Er wies u.a. darauf hin, daß es der früheren Rechtsprechung nicht gelungen sei, die Voraussetzungen der Gesetzesumgehung hinreichend zu präzisieren. Darum dürfe der Richter nur noch über § 2287 BGB oder § 138 BGB eingreifen. Es sei Sache der Beteiligten, die Sicherung der Erwartungen des Bedachten zu betreiben, etwa durch VerfügungsunterlassungsverpflichtungenlSO • Teichmann l51 wies darauf hin, daß er selbst seinerzeit einem Mißbrauch lebzeitiger Verfügungsfreiheit durch analoge Anwendung der Bindungsnormen § 2271 Abs. 2 BGB und § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB habe begegnen wollen152 , was der BGH indes abgelehnt habe. Es müsse nach der Überlegenheit des vom BGH vorgeschlagenen Lösungswegs gefragt werden, und zwar unter den Kriterien der klareren Bestimmungen der Rechtsvoraussetzungen und der angemesseneren Rechtsfolge .

.., Nachweise sogleich im Verlauf der nachfolgenden Darstellung. '46 BGHZ 59,343 (oben BI (1.» . ..7

SpeIlenberg, NJW 1986,2531.

,•• SpeIlenberg, NJW 1986,2531 (2537).

"9 Strätz, JR 1973,244. ,,., Strätz, JR 1973, 244 f .

." Teichmann, JZ 1974,32 (33) . .,2 Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 93 ff.; ders., MDR 1972, I (4 ff.).

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

61

In bezug auf die Rechtsvoraussetzungen sei anzunehmen, daß beim "lebzeitigen Eigeninteresse" weite Gruppen der zur Aushöhlung verwandten Maßstäbe in anderer Form wieder auftreten würden. Bezüglich der Rechtsfolgen würde sich bei Anwendung (allein) des § 2287 BGB eine angemessenere Lösung im Vergleich zur starren Nichtigkeitdes "Aushöhlungsgeschäfts" zeigen. Aber auch insoweit äußerte Teichmann Skepsis ls3 , gleichfalls bezüglich des vom BGH vorgeschlagenen Weges, der Erwerber könne unter Umständen nach § 419 BGB haften müssen l54 • Kritisch zum Wandel der Rechtsprechung im Jahre 1972 äußerte sich auch Speckmann l55 • Er meint, es müsse skeptisch stimmen, daß § 2287 BGB plötzlich als "deus ex machina" auf der juristischen Bühne erscheine, um so statt der Aushöhlungsnichtigkeit nunmehr einen Schutz des Vertragserben gegen "mißbräuchliche" Schenkungen des Erblassers herbeizuführen l56 • Für wenig überzeugend hält Speckmann auch den seiner Ansicht nach weiterhin verwendeten Ansatz des BGH, daß der Wille, den Vertragserben zu beeinträchtigen, der "treibende" oder "eigentlich leitende" Beweggrund für die Schenkung gewesen sein müsse. Das treffe nämlich im Regelfall nicht zu, weil der Erblasser zuerst den Wunsch haben werde, über sein Vermögen in einer bestimmten Weise zu verfügen und die erbvertragliehe Bindung für ihn oftmals nur insoweit eine Rolle spiele, als er fragen werde, ob er sich über sie hinwegsetzen könne. Eine Auslegung des § 2287 BGB, die dessen Wortlaut nicht sprenge, führe daher zum Ergebnis, daß die neue Rechtsprechung des BGH nicht haltbar sei I57 • Finger/Füser/HammlWeberI58 vertreten die Ansicht, der vom BGH eingeschlagene neue Weg führe nicht weiter. Zwar bekenne sich der BGH in deutlicher Abkehr von seiner bisherigen Praxis mit Nachdruck zur Rege1ungsautonomie des Erblassers. Doch öffne er Schleusen (§§ 138,2287 BGB), weIche die "bekannten Wertungen und Abwertungen" leicht passieren könnten. Es liege nur "alter Wein in neuen Schläuchen" vor l59 •

'" Teichmann, JZ 1974,32 (33). 1S4

Teichmann, JZ 1974,32 (34).

'" Speckmann, NJW 1974,341 ff. ". Speckmann, NJW 1974,341 (342).

m Speckmann, NJW 1974,341 (342 f.). 1>0

FingerlFüser/HammlWeber, FarnRZ 1975,251 ff.

1.59 FingerlFüseriHammlWeber, FamRZ 1975,251 (258); dagegen SpeIlenberg. NJW 1986, 2531, der dem entgegenhält, der BGH sei ·zu den richtigen Schläuchen zuriickgekehrt·.

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfiigungen

62

Dilcherl60 hat jüngst die Rechtsprechung aufbereitet, ohne sie allerdings selbst einer umfassenden Würdigung zu unterziehen. Er begrüßt sie im Ergebnis und äußert die Ansicht, die Rechtsprechung habe mit einer bereicherungsrechtlich wirkenden Sanktion wegen fehlender Rechtfertigung eines Zweitgeschäfts zwar die Freiheit des § 2286 BGB äußerlich nicht eingeschränkt, in ihren Wirkungen aber doch sachgerecht reduziert. Die in der Rechtsprechung vertretenen Ergebnisse könnten als plausibel bezeichnet werden '61 • 2. Die Kommentar- und die Lehrbuchliteratur Die Kommentarliteratur stimmt der neuen Rechtsprechung durchweg zu. M. Wolf 62 befürwortet, daß der BGH die frühere Rechtsprechung, wonach sich die Nichtigkeit des Zweitgeschäfts auch aus § 134 BGB ergeben könnte, aufgegeben habe. Ein gesetzeskonformer Schutz, der neben den Interessen der im gemeinschaftlichen Testament bedachten Erben und Vermächtnisnehmer auch den Schutz des rechtsgeschäftlichen Verkehrs und die Interessen der Gläubiger des Beschenkten beachte, lasse sich allein auf dem Weg über eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB erreichen '63 • Auch Musielak '64 stimmt der neuen Rechtsprechung zu. Nur wenn besondere Umstände vorlägen, könne ein lebzeitiges Rechtsgeschäft, das im Widerspruch zu den in einer bindenden Verfügung von Todes wegen verfolgten Absicht entstehe, als mit den guten Sitten unvereinbar und damit nach § 138 BGB nichtig sein '65 • Kanzleiter stimmt ebenfalls der Rechtsprechung des BGH im Grunde ZU I66 , widerspricht aber der ausdehnenden Anwendung des § 2287 BGB, weil seiner Ansicht nach die Herabsetzung der Anforderungen an die Beeinträchtigungsabsicht im Gesetz keine Grundlage habe '67 •

'60

Dilcher, Jura 1988, 72 fT.

'6'

Dilcher, Jura 1988, 72 (79).

'62

SoergellWoif, § 2271, Rz. 37, § 2286, Rz. 10.

'6' SoergellWoif, § 2271, Rz.

37.

'64

MünchKomrnlMusielak, § 2271, Rz. 49.

'65

MünchKomrnlMusielak, § 2271, Rz. 49.

'66

StaudingerlKanzleiler, § 2287, Rz. 12 f.; vgl. ferner § 2286, Rz. 15, und § 2289. Rz. 23 ff.

'67

StaudingerlKanzleiler, § 2287, Rz. 13.

B. Rechtsprechung und Literatur seit 1972

63

Die Lehrbuchliteratur stellt im wesentlichen die Rechtsprechung dar, ohne ihr Vorbehalte entgegenzubringen '68 • 3. Die Monographien (a) Nach Benkös Ansicht '69 kann der Lösung des BGH nicht gefolgt werden, weil ihrer Meinung nach sein Ansatzpunkt nicht stichhaltig ist170. Der vom BGH entschiedene Fall l7l einer Übertragung von Vermögen mit lebenslanger Nießbrauchsbestellung lasse sich nicht unter § 2287 BGB subsumieren. Der Aushöhlungsfall stelle keinen Schenkungsvertrag i.S.d. § 2287 BGB dar, weil durchaus eine die Parteien gegenseitig verpflichtende Abrede vorliege. Der Begriff der Schenkung sei keineswegs untrennbar mit dem Begriff des Mißbrauchs der lebzeitigen Verfügungsfreiheit in dem Sinn verbunden, daß die Schenkung etwa den Prototyp eines Rechtsgeschäfts darstelle, das eine besondere Gefährdung der bindend eingesetzten Erben in sich trage. Ob das vorgenommene Geschäft mißbräuchlich sei, bestimme sich danach, ob es vom Erblasser zwecks Schädigung der bindend eingesetzten Erben getätigt worden sei und deshalb einen Mißbrauch des dem Erblasser zugestandenen lebzeitigen Verfügungsrechts gemäß § 2286 BGB darstelleIn. Benkö schlägt ihrerseits eine erweiternde Auslegung des § 2287 BGB vor und meint, diese Norm müsse als allgemeine Mißbrauchsgrenze zu § 2286 BGB sowohl für beeinträchtigende Schenkungen als auch für entgeltliche Rechtsgeschäfte herangezogen werden '73 (b) Umfassend hat sich neuerdings Strunz mit der Rechtsprechung auseinandergesetzt 174 • Sie stellt und verneint die Frage, ob es dem BGH in den vergangenen Jahren gelungen sei, "die zur Schutzfunktion des § 2287 BGB neu gewonnenen Erkenntnisse in einen subsum~ionsfähigen Übersatz einfließen zu lassen oder aber doch den Instanzgerichten und der notariellen Praxis handhabbare, einheitliche Auslegungskriterien für die Einstufung 'böslicher' Schenkungen zur Verfügung zu stellen". Zwar hält der BGH ihrer Ansicht nach in

16. Brox, Erbrecht, Rz. 156 ff., 193; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 Il2, S. 642 ff.. § 38 II 5. S. 680 f.; Leipold, Erbrecht, Rz. 399 ff.; Schlüter, Erbrecht, § 26 VII 5. S. 189 f. 16.

Benkö, S. 49 ff.

170

Benkö, S. 49 ff. behandelt nur das Urteil BGHZ 59,343 = NJW 1973.240

171

S. oben AI 3 (g), (i); B (I.), (12.).

172

Benkö, S. 63 ff.

173

Benkö, S. 59 ff.

174

Strnnz, S. 42 ff.

64

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

Erkenntnis der Schutzfunktion des § 2287 Abs. 1 BGB eine Auslegung der Vorschrift für erforderlich, die nicht nur auf subjektiven Momenten beruhe, sondern auch objektive Kriterien berücksichtige. Zur Gewichtung dieser Kriterien hingegen fänden sich widersprüchliche Ausführungen. Der BGH habe zugunsten eines wirksamen Interessenschutzes durch § 2287 BGB entgegen dessen Wortlaut das Erfordernis einer Beeinträchtigungsabsicht praktisch aufgegeben und die Norm wie einen generalklauselartigen Tatbestand behandelt, der durch eine Interessenabwägung im konkreten Fall auszufüllen sei 17s • Strunz wählt eine Lösung, bei der sie zunächst den Begriff der Schenkung konkretisiert176 und davon die Bewertung der für die Verfügung maßgeblichen Beweggründe des Erblassers trennt. Notwendig sei, diejenigen Verhaltensweisen zu bestimmen, die einen Verstoß des Erblassers gegen die gebotene Vertragstreue und somit einen Mißbrauch des lebzeitigen Verfügungsrechts darstellten. Dazu sei die Formel des BGH vom "lebzeitigen Eigeninteresse" ungeeignet. Ein Mißbrauch liege vielmehr dann vor, wenn nach Abwägung der bei einer unentgeltlichen Verfügung widerstreitenden Interessen des Erblassers an seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit einerseits und des Vertragserben am Erhalt des ungeschmälerten Nachlasses andererseits die Gründe des Erblassers nicht "billigenswert" , sondern ihrer Art nach so seien, daß der Vertragserbe sie nicht anzuerkennen brauche. Dann sei der Anspruch aus § 2287 BGB zu bejahen. Der Beeinträchtigungsabsicht komme keine eigenständige Bedeutung zu. Sie sei lediglich zusammen mit anderen Beweggründen des Erblassers im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen 177. All diese für den Vertragserben entwickelten Grundsätze seien auch auf den Schlußerben zu übertragen 178. Die Literatur, die sich mit der Rechtsprechung seit 1972 ausführlich auseinandersetzt, steht dieser also zum Teil skeptisch, vielfach sogar kritisch gegenüber. Ein grundlegend neuer Lösungsansatz wurde aber kaum vorgeschlagen. Lediglich Benkö 179 befürwortet, wie erörtert, eine analoge Anwendung des § 2287 BGB, was in der Sache aber kaum eine Änderung bedeutet; denn auch der BGH müßte, obwohl er seiner verbalen Aussage nach am Wortlaut des § 2287 BGB verhaftet bleibt, diese Vorschrift erweiternd auslegen, soll sie überhaupt noch praktische Bedeutung haben.

'" Strunz, S. 45 ff. 176

Strunz, S. 49 ff.

177

Strunz, S. 90 ff.

178

Strum, S. 156 ff.

179

S. 59 ff.

C. Würdigung der Rechtsprechung und Literatur

c.

65

Würdigung der Rechtsprechung und der Literatur I. Die Rechtsprechung

Würdigt man nunmehr die Rechtsprechung zur Problematik der Zweitgeschäfte des gebundenen Erblassers, so stellt man fest, daß offenbar zu keiner Zeit recht klare Vorstellungen darüber existierten, anband welcher teleologischen Argumente man die Grenzziehung zwischen den Rechtsgeschäften vornehmen soll, die der Erblasser trotz der Bindung vornehmen kann und die auch über seinen Tod hinaus Bestand haben und denen, die entweder bereits zu Lebzeiten unwirksam oder zumindest nach seinem Tod im Wege eines Kondiktionsanspruches des Vertrags- oder Schlußerben rückgängig gemacht werden können. Solche teleologische Argumente erschließen sich erst durch eine grundlegende Betrachtung des Sinnes und Zweckes der mit Hilfe eines gemeinschaftlichen Testaments oder eines Erbvertrags eingegangenen Bindungen. Es erscheint sogar notwendig, generell über den Sinn und Zweck dieser Rechtsinstitute nachzudenken. Ansonsten besteht stets die Gefahr, die Lösung oder zumindest den Lösungsansatz in einer begrifflichen Fonnulierung zu suchen, welche der sachlichen Überzeugungskraft entbehrt. Was besagen schon die in der Rechtsprechung bis zum Jahre 1972 herangezogenen Kriterien, wie z.B. das vom Erblasser bereits zu Lebzeiten erbrachte Opfer l80 , die Umgehung bzw. Aushöhlung der Bindungswirkung 81 oder auch der Hinweis, §§ 2286 - 2288 BGB enthielten eine gesetzliche Regelung l82? Auch die Aussagekraft des "lebzeitigen Eigeninteresses"183 muß bezweifelt werden. Die entscheidende Frage ist doch, ob sich dieses Interesse, auch wenn es vorhanden ist, gegenüber dem Interesse des Erbvertragspartners bzw. des vorverstorbenen Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament durchzusetzen vermag. Auch das "lebzeitige Eigeninteresse" ist nichts, das sich in den jeweils zu lösenden konkreten Fällen dem Sachverhalt entnehmen ließe. Irgendein Interesse findet man immer, weil ein gebundener Erblasser kaum jemals grundlos oder nur, um den Vertragserben bzw. den Schlußerben zu schädigen, eine Zweitverfügung vornehmen wird. Das "lebzeitige Eigeninteresse" ist letztlich eine Leerfonnel, die der Richter im Streitfall konkretisieren muß und die ihm einerseits einen sehr weiten Spielraum beläßt, ihm aber andererseits keine teleologischen, sachlich fundierten Kriterien an die Hand gibt.

\10

Oben Allmit Fn. 45.

\8\

Oben Allmit Fn. 38.

\82

Oben Allmit Fn. 42.

\83

Oben B I.

5 Loritz

66

2. Kap.: Freiheit und Bindung für Zweitverfügungen

An materiellen Kriterien, die es unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten geboten erscheinen lassen, im Einzelfall dem Erben einen Kondiktionsanspruch zu geben, um die Zweitverfügung rückgängig zu machen, gibt das "lebzeitige Eigeninteresse" nichts her. Ihm ist, wie vielen juristischen Begriffen, nur das zu entnehmen, was man vorher "hineingelegt" hat. Dies gilt ebenso für die "berechtigten Erberwartungen " des Begünstigten. Sie hängen davon ab, was der gebundene Erblasser darf und was nicht. Dafür gilt es, teleologische Kriterien zu finden. Man kann nicht umgekehrt die Frage, was der Erblasser darf und was nicht, damit beantworten, was der Dritte erwarten darf. Das läuft oftmals auf einen Zirkelschluß hinaus. Positiv zu bewerten ist die neue Rechtsprechung des BGH zumindest unter dem Aspekt der Sicherheit für den Erblasser zu seinen Lebzeiten insofern, als nunmehr, da der BGH offenbar § 138 BGB bei Zweitverfügungen kaum jemals zur Anwendung bringt, ein gebundener Erblasser gewiß sein kann, zu Lebzeiten nahezu alle Verfügungen rechtswirksam vornehmen zu können. Bei näherem Hinsehen indes stellt sich dies kaum als Vorteil heraus. Denn, wie das Fallmaterial zur früheren "Aushöhlungsrechtsprechung" zeigt l84 , hatte faktisch der benachteiligte Erbe auch damals keine Möglichkeit, zu Lebzeiten des gebundenen Erblassers die - nach damaliger Rechtsprechung - nichtigen Verfügungen zu unterbinden oder die entsprechenden Vermögenswerte zum Erblasservermögen zurückzubringen. Ob er aber nach dem Tod des Erblassers wie nach der neuen Rechtsprechung mit einem Kondiktions- oder wie nach der alten Rechtsprechung mit einem Vindikationsanspruch vorgehen kann, ist in vielen Fällen für ihn ebenso wie für den betroffenen Anspruchsgegner, der sich nunmehr der Rückforderung ausgesetzt sieht, gleichgültig.

11. Die Literatur Die Aufsatz- und Kommentarliteratur hat, möglicherweise auch bedingt durch den Umfang der Problematik, keine fundamental neuen Ansätze entwickelt. Soweit sie Kritik am neuen Ansatz der Rechtsprechung äußert, ist dieser aus den soeben dargelegten Erwägungen l85 zwar zuzustimmen. Doch führt die Kritik allein ohne Entwicklung eigener neuer Lösungen nicht entscheidend weiter.

,.. Oben A I 3.

'8' S. oben, I.

C. Würdigung der Rechtsprechung und Literatur

67

Das Verdienst Benkös liegt darin, daß sie nicht formal am Wortlaut des § 2287 BOB haften geblieben ist, und erkannt hat, daß ein" Aushöhlungserfolg" nicht nur durch eine Schenkung, sondern in gleicher Weise auch durch ein entgeltliches Rechtsgeschäft herbeigeführt werden kann 186 • Allerdings erscheint fraglich, ob ihr Ansatz mit einer erweiternden Auslegung des § 2287 BOB ausreicht. Denn damit kann z.B. nicht verhindert werden, daß Rechtsgeschäfte, die ihre wirtschaftlich entscheidenden Auswirkungen erst mit oder nach dem Tode des Erblassers zeitigen (z.B. Schenkungen auf den Todesfall, lebzeitige Eigentumsübertragungen unter gleichzeitiger Einräumung des lebenslangen Nießbrauchs zugunsten des Erblassers), tatsächlich nach diesem Zeitpunkt noch vollzogen werden, obwohl der beeinträchtigte Vertrags- oder Schlußerbe dann wiederum nach § 2287 BOB ihre "Rückgängigmachung" im Wege des Bereicherungsausgleichs verlangen kann. Benkö hat ferner ebensowenig wie die Rechtsprechung das Problem erkannt, ob in allen Fällen ohne Rücksicht auf die konkreten Vereinbarungen Jer Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament bzw. der Erbvertragspartner im Erbvertrag stets diesselben Maßstäbe hinsichtlich dessen gelten können, was dem Erblasser an Zweitgeschäften erlaubt ist, was über seinen Tod hinaus Bestand haben soll und was nicht. Diese beiden Mängel müssen auch Strunz 187 entgegengehalten werden. Ihre Lösung hat zudem den Nachteil, daß sie bereits im Ansatz zu stark dem Begrifflichen verhaftet bleibt und im wesentlichen lediglich die Tatbestandsmerkmale des § 2287 BOB neu zu interpretieren sucht ohne zu fragen, ob ein Lösungsansatz allein mit dieser Norm überhaupt ausreichend ist. Strunz verengt das Problem auch auf die Schenkung 188 , die sie, wie die Rechtsprechung, in gleicher Weise wie im Sinne der §§ 516, 518 f. BOB versteht l89 • Damit blendet sie von vorneherein all diejenigen Konstellationen aus, in denen der gebundene Erblasser sein Ziel, den Vertrags- oder Schlußerben zu beeinträchtigen, durch andere Rechtsgeschäfte erreicht, die angesichts des Erfindungsreichtums der Kautelatjurisprudenz seit langem in der Praxis eine ganz maßgebliche Rolle spielen.

'16 Benkö, S. 64 ff. m S. oben, B III 3 (b). 188 vgl. Strunz, S. 49 ff., die einen wesentlichenTeil ihrer Arbeit der Abgrenzung der Schenkung von entgeltlichen Rechtsgeschäften widmet. 189 Die Frage, ob die genaue AbgrenzungderSchenkungvon anderen, insbesondereentgdtlichen Rechtsgeschäften im Rahmen des § 2287 BGB überhaupt erforderlich und weiterführend ist, wird an späterer Stelle (s. unten, 3. Kapitel eIl) noch erörtert.

68

2. Kap.: Freiheit und Bindung fiir Zweitverfiigungen

ill. Folgerungen aus der Kritik an Rechtsprechung und Literatur Eine überzeugende Lösung, so läßt sich feststellen, setzt voraus, daß man sich über den Sinn und Zweck und die Reichweite der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments und Erbvertrags klar wird. Nur wenn man gerechtigkeitstransparente Argumente dafür findet, was mit der Bindung überhaupt erreicht und bezweckt werden soll, kann man sachgerecht darüber entscheiden, wie es zu erreichen ist. Rechtsprechung und Literatur haben sich auch, wie dargelegt, nicht damit auseinandergesetzt, ob in allen Fällen ohne Rücksicht auf die konkreten Vereinbarungen im gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag, die ja Ausdruck des Erblasserwillens sind, stets dieselben Maßstäbe hinsichtlich dessen gelten sollen, was als Zweitgeschäft des gebundenen Erblassers erlaubt ist und über seinen Tod hinaus Bestand haben soll und was nicht. Die entscheidenden Fragen lauten letztlich: Wie findet man sachorientierte, allgemeingültige und die Lösungen vorausschaubar machende Kriterien, um zu beurteilen, was ein gebundener Erblasser darf und was nicht? Wie findet man solche Kriterien um zu ermitteln, welche Zweitverfügungen der Vertrags- oder Schlußerbe unter Berücksichtigung des Willens des vorverstorbenen Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament bzw. des Erbvertragspartners hinnehmen muß und welche nicht? Es ist aber auch erforderlich, sich erneut über den dogmatischen Lösungsansatz Gedanken zu machen. Hier stellt sich die grundlegende Frage, ob mit §§ 2286, 2287 und 2289 BGB in ihrem derzeitigen Verständnis der Konflikt zwischen "Bindung und Freiheit" eines "gebundenen Erblassers" abschließend geregelt ist. Soll dem gebundenen Erblasser tatsächlich und ohne Rücksicht auf den konkreten Einzelfall alles erlaubt sein mit Ausnahme einer "mißbräuchlichen Schenkung ohne lebzeitiges Eigeninteresse"? Dies ist zunächst (3. Kapitel A I) zu klären. Falls es zu verneinen wäre, wäre weiterhin zu untersuchen, ob §§ 134, 138 BGB und § 826 BGB zusätzlich geeignet wären, um einen wirksamen Schutz des Vertrags- oder Schlußereben zu sichern. Möglicherweise könnte hierzu auch ein anderes "Verständnis", eine andere Interpretation der §§ 2286 - 2289 BGB geeignet und ausreichend sein.

3. Kapitel

Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen A. Die systematische Stellung der §§ 2286 - 2289 BGB im Gesetz und die Anwendung der §§ 134, 138, 826 BGB auf Zweitgeschäfte I. §§ 2286 - 2289 BGB als Regelung bestimmter Einzelprobleme oder als abschließende Ordnung? Zunächst ist, wie dargelegt, zu untersuchen, ob die §§ 2286 - 2289 BGB die Problematik der Freiheit und Bindung bei Zweitgeschäften abschließend regeln oder ob das Gesetz hier nur punktuelle Regelungen enthält. 1. Wortlaut und Sinnzusammenhang der §§ 2286 - 2289 BGB Betrachtet man den Wortlaut der Gesetzesvorschriften, so gewinnt man keinesfalls den Eindruck, hier seien alle Konstellationen der "Aushöhlung" abschließend erfaßt. Denn § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB regelt (nur) die Nichtigkeit einer der Bindung zuwiderlaufenden letztwilligen Verfügung, § 2286 BGB die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte unter Lebenden und § 2287 BGB den speziellen Fall der unentgeltlichen in Beeinträchtigungsabsicht vorgenommenen Rechtsgeschäfte unter Lebenden (Schenkungen). Wie die mit Inkrafttreten des BGB von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschiedenen Fälle zeigen, lassen sich oftmals Konstellationen nicht oder nicht eindeutig in eine dieser drei vom Gesetz ausdrücklich genannten Kategorien einordnen, und nicht in jedem Fall, in dem die Einordnung etwa als Verfügung von Todes wegen möglich ist, erschien der Rechtsprechung die gesetzliche Rechtsfolge als angemessen. Man denke beispielhaft an das Urteil des BGH vom 23.9.1981, in dem beeinträchti-

70

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

gende Schenkungen trotz § 2287 BGB als nicht kondizierbar angesehen wurden, weil sie nur die Erbfolge vorwegnahmenI. Das Gesetz ist schon deshalb unter Gerechtigkeitsaspekten unbefriedigend, weil es die Wirksamkeit einer Vermögensverschiebung, die der bindenden Anordnung im gemeinschaftlichen Testament oder im Erbvertrag zuwiderläuft, davon abhängig macht, ob sie durch letztwillige Verfügung oder durch Verfügung unter Lebenden erfolgt. Die Kautelaljurisprudenz hat aber längst zahlreiche Möglichkeiten entwickelt, Rechtsgeschäfte dergestalt abzuschließen, daß sie zwar von der Rechtsprechung als solche unter Lebenden klassifiziert werden, deren Wirkungen den Verfügenden zu Lebzeiten aber gleich wenig oder nahezu gleich wenig wie bei einer letztwilligen Verfügung treffen. Beispielhaft ist hier die Veräußerung eines Hausgrundstücks oder eines Unternehmens unter Einräumung eines lebenslangen Nießbrauchsrechts 2 zu nennen. Gerade wegen des lebenslangen Nießbrauchs rechts des Erblassers erscheint es unter wirtschaftlichen Aspekten sogar für einen objektiven Betrachter häufig durchaus angemessen, wenn der Erwerber nur ein relativ geringes Entgelt bezahlen muß. Mitunter liegt dann nicht einmal eine gemischte Schenkung vor. Dennoch muß zumindest kritisch in Frage gestellt werden, ob der Erblasser auf solche Art faktisch am gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag mit ihrer Bindungswirkung "vorbei" das Schicksal seines Nachlasses über seinen Tod hinaus bestimmen darf. Denn de facto führt die Veräußerung bei gleichzeitiger lebenslanger Nießbrauchseinräumung an den gebundenen Erblasser doch dazu, daß er zu Lebzeiten die für ihn wichtigen Nutzungsmöglichkeiten in vollem Umfang behält. Er muß sich also nicht vom Hausoder Fabrikgrundstück trennen, hat aber dessen rechtliches Schicksal nach seinem Tode allein und anders bestimmt, als er dies im gemeinschaftlichen Testament oder im Erbvertrag zusammen mit dem Ehegatten oder dem Erbvertragspartner getan hat. Auch muß bedacht werden3, daß das Gesetz den Bereicherungsanspruch des § 2287 Abs. 1 BGB vom Vorliegen einer Schenkung abhängig macht, obwohl nicht nur durch Schenkungen die erbvertragliche oder die durch gemeinschaftliches Testament erzeugte Bindung unterlaufen werden kann. Bedenken gegen die heutige Rechtsprechung4 und Teile der Literatu..s ergeben sich vor allem auch deshalb, weil sie Rechtsgeschäfte unter Lebenden und letzt-

I

BGH NJW 1982,43; s. oben, 2. Kapitel B I (9.).

2

Vgl. BGHZ 88, 269; s. oben, 2. Kapitel B I (12.).

3

So zu Recht Benkö, S. 64 ff., s. oben 2. Kapitel B I 3 (a).

• S. oben 2. Kapitel B I und die Zusammenfassung in 11. , S. oben 2. Kapitel B 1Il.

A. Die systematische Ste\1ung der §§ 2286 - 2289 BGB

71

willige Verfügungen bezüglich der Frage ihrer Wirksamkeit zu Lebzeiten und ihrer Bestands- bzw. Kondiktionsfestigkeit nach dem Tod des Erblassers trotz Bindung durch ein gemeinschaftliches Testament oder durch einen Erbvertrag in gleicher Weise wie ansonsten im Rahmen der §§ 2301, 331 BGB6 abgrenzt. Die teleologischen Argumente sind indes bei den bei den Abgrenzungen unterschiedlich: Bei der Abgrenzung im Rahmen der §§ 2301, 331 BGB geht es um die Frage, ob es sachgerecht erscheint, daß eine Verfügung den Formvorschriften des Testaments oder Erbvertrags oder denen des Rechtsgeschäfts unter Lebenden unterstellt werden soll. Demgegenüber geht es bei der" Aushöhlungsproblematik" um das Problem, ob es richtig ist, eine Zweitverfügung für wirksam zu erachten, obwohl sie einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag widerspricht. Beides sind völlig unterschiedliche Problembereiche, so daß die Richtigkeit der Einordnung im Rahmen der §§ 2301, 331 BGB nichts über die bei der" Aushöhlungsnichtigkeit" auszusagen vermag. Das bedeutet nicht zwangsläufig, daß die Einteilung nunmehr entgegen der h.M.? bei bei den Problembereichen unterschiedlich vorgenommen werden müßte. Nur stellt es die These in Frage, daß die Qualifizierung einer Zweitverfügung als Rechtsgeschäft unter Lebenden all eine oder auch zusammen mit anderen Kriterien eine ausreichende Legitimation ist, um dieses Geschäft als mit einer im gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag eingegangenen Bindung im Einklang befindlich zu erachten. Dieses Beispiel erhellt, daß die gesetzliche Einteilung in beeinträchtigende Schenkungen, sonstige Rechtsgeschäfte unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen ein zu grobes Raster darstellt, als daß damit die diffizile Problematik der "Aushöhlung" zufriedenstellend zu lösen wäre. Eine Analyse der Rechtsprechung ergibt denn auch, daß diese sich zu allen Zeiten in schwierigen Grenzfällen nie mit diesem Raster begnügt hat. Sie hat allerdings keine einheitliche Linie gefunden. So blieb bis heute ungeklärt, ob grundsätzlich die wirtschaftlich-materiellen Wirkungen einer Zweitverfügung oder ihr formeller Rechtscharakter für ihre Qualifizierung und Subsumierung unter § 2286 BGB, § 2287 BGB oder § 2289 BGB entscheidend sind. So sah der BGH einerseits zwar Verfügungen von Todes wegen auch dann als unwirk-

• Hierzu stau vieler: MünchKommlMusielak, § 2301, Rz. 30 ff. m.w.N. und Bark. JZ 19118. 1059 jeweils mit Darste\1ung der Rechtsprechung und umfassenden Nachweisen. 7 StaU a\1er: SpeIlenberg, NJW 1986,2531 (2532); Strunz, S. 49; BGHZ 66, 8 (14) - der BGH meint in dieser Entscheidung, es würde "zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. wenn man für Bindungsfä\1eeine eigenständige Grenzlinie im Sinne eines größeren Einflussesdererbrechtlichen Vorschriften festlegen wo\1te"; BGHZ 82, 274 (281).

72

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

sam an, wenn sie einer sittlichen Pflicht entsprachen8 , stellte hier also rein auf den formellen Charakter des Rechtsgeschäfts als Verfügung von Todes wegen ab. Demgegenüber ließ der BGH z.B. eine zu Lebzeiten des erbvertraglich gebundenen Erblassers vorgenommene Schenkung von Geldbeträgen, die ersichtlich dem Zweck dienen sollte, diese Beträge nicht dem Schlußerben zukommen zu lassen, ihn also zu beeinträchtigen, mit der Begründung zu, es hätten ohnehin Pflichtteilsrechte der Beschenkten nach dem Tod des Erblassers bestanden. Der Erbe habe somit in Wahrheit nicht weniger erhalten, als ihm zugestanden sei9 • Hier wurde also auf den inhaltlichen Charakter der Verfügung und ihre praktisch-wirtschaftlichen Wirkungen abgestellt. Gleiches gilt für das Urteil vom 23.4.1986, in dem der BGH § 2287 BGB mit der Begründung ablehnte, die Beeinträchtigungsabsicht fehle dann, wenn der Erblasser eine Schenkung gerade in dem Bestreben vorgenommen habe, den Vorteil des begünstigten Vertragsoder Schlußerben wahrzunehmen 1o • All das legt den Schluß nahe, daß mit dem derzeitigen Verständnis der Rechtsprechung von §§ 2286 - 2289 BGB die Problematik der "Bindung und Freiheit" nicht zufriedenstellend gelöst ist. Angesichts dieser aus systematischen und praktisch-wirtschaftlichen Erwägungen heraus gewonnenen Erkenntnisse, erscheint es erforderlich, zum besseren Verständnis der Problematik auch die Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelungen zu betrachten. 2. Die Entstehungsgeschichte § 2286 BGB - im 1. Entwurf § 1951 - hatte bereits von Anfang an denselben Inhalt und sogar nahezu denselben Wortlaut wie heute. Auch in den Beratungen bestand Einigkeit, daß der Erblasser durch einen Erbvertrag in der Verfügung durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden nicht beschränkt werden sollte! I. Die 1. Kommission wollte in § 1952 damaliger Fassung einen Mißbrauch dieses lebzeitigen Verfügungsrechts unterbinden, indem sie dem Vertragserben, wenn und soweit er Erbe geworden war, gegen den Beschenkten nach dem Tode des Erblassers einen Bereicherungsanspruch gab. Eine Beschränkung auf beeinträch-

I

BGH NJW 1978,423 (Gr. I), oben 2. Kapitel B I (5.).

9

BGHZ 77,264 (269), s. oben 2. Kapitel B 1 (8.).

10

BGH FamRZ 1986,980 (982, Gr. III 3), s. oben 2. Kapitel B 1 (15.).

11

Mugdan, Motive V, S. 327.

A. Die systematische Stellung der §§ 2286 - 2289 BGB

73

tigende Schenkungen fand sich im 1. Entwurf nichtl2 • Nur Schenkungen, die "durch eine sittliche Pflicht oder die auf den Anstand zu nehmende Rücksicht gerechtfertigt" waren, sollten dem Bereicherungsanspruch nicht ausgesetzt sein 13 • Darauf, aus welchen Motiven die Schenkung vorgenommen wurde oder welchen Bruchteil der Erbschaft die Schenkung umfaßte, sollte es gezielt nicht ankommen l4 • Für ein zum weitergehenden Schutz des Vertragserben bestehendes Verbot hinsichtlich einer den Vertragserben benachteiligenden und in dieser Absicht vorgenommenen Veräußerung bestand nach Auffassung der 1. Kommission kein Bedürfnis. Es könne, so meinte man, der Praxis und der Lehre überlassen bleiben, zu entscheiden, inwieweit im Abschluß eines derartigen Geschäfts seitens des Erwerbers ein Verstoß gegen die guten Sitten zu erblicken sei. Praxis und Lehre hätten zu prüfen, "ob nicht unter Umständen der Erwerber nach den Grundsätzen über unerlaubte Handlungen haftpflichtig werden" könne l5 • Die 1. Kommission hatte also durchaus die Problematik erkannt, daß nicht nur durch Schenkungen, sondern auch durch sonstige Veräußerungen der Vertragserbe geschädigt und der Erbvertrag "ausgehöhlt" werden konnten. Sie hatte eine Regelung bewußt unterlassen. Das geschah aber nicht, weil sie dem Vertragserben keinen Schutz gewähren wollte, sondern, weil sie die Lösung bei Rechtsprechung und Literatur in guten Händen befindlich glaubte. Im Verlaufe der Diskussion des 1. Entwurfs war mehrfach der Gedanke aufgekommen und der Vorschlag unterbreitet worden, auch Veräußerungen, die lediglich getätigt würden, um den Vertragserben zu schädigen, für anfechtbar zu erklären, wenn der Erwerber diese Absicht des Erblassers gekannt habe. Es erscheine, so wurde argumentiert, nicht angängig, den Schutz auf Schenkungen zu beschränken; denn erfahrungsgemäß seien Geschäfte, bei denen die Schenkungsabsicht mit anderen Zwecken vermischt werde, außerordentlich häufig l6 • Dagegen wurde eingewandt, daß ein Teil dieser Fälle schon durch die aufzunehmenden Vorschriften über Schenkungen des Erblassers erfaßt würden, nämlich diejenigen Veräußerungen, in denen tatsächlich eine "verschleierte Schenkung" vorliege. Man erkannte zwar, daß durch Leibrentenverträge und

12

Vgl. zur BegriindungMugdan, Motive V, S. 328.

\3

Mugdan, Motive V, S. 330.

14

Mugdan, Motive V, S. 329.

1>

Mugdan, Motive V, S. 330.

16

Mugdan, Protokolle V, S. 7280.

74

3. Kap.: Das Vemältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

ähnliche Geschäfte, bei denen der Erblasser sein ganzes Vermögen oder einen Teil davon hingab, um eine höhere Gegenleistung als nur die gewöhnlichen Nutzungen zu erhalten, das Vermögen zu Lebzeiten verbraucht wurde. Man wollte derartiges aber mit der Begründung nicht unterbinden, eine "direkte Schädigung des Vertragserben" liege im Abschluß derartiger Verträge nicht, sondern werde erst dadurch herbeigeführt, daß der Erblasser, anstatt zu sparen, die erzielten größeren Gewinne verausgabe 17 • Der Erblasser wolle sich dieser Freiheit mit dem Abschluß eines Erbvertrages nicht begeben. Das Interesse des Vertragserben verlange keine besondere Regelung. Dieser könne sich vertragsmäßig gegen die vollständige Erschöpfung des Nachlasses sichern. In eklatanten Fällen biete zudem § 749 (das ist § 826 BGB heutiger Fassung) eine Handhabe, um einem "illegalen Verhalten" zu begegnen J8 • Der Erblasser stehe dem Vertragserben nicht wie im Rahmen eines Konkursverfahrens gegenüber, der (dort) verpflichtet sei, sein Vermögen zusammenzuhalten, soweit dieses zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sei J9 • Einig war man sich allerdings darüber, daß dem Erblasser überhaupt Schranken hinsichtlich der Verfügungen unter Lebenden gesetzt werden mußten 20 • Man beschränkte sich schlielllich aber auf in Beeinträchtigungsabsicht vorgenommene Schenkungen2J , wobei auch insoweit unstreitig war, daß § 826 BGB (heutiger Fassung) in gravierenden Fällen eine Handhabe gegen den Mißbrauch der Verfügungsfreiheit ues Erblassers biete22 • Würdigt man aus heutiger Sicht die Beratungen und Begründungen zum 2. Entwurf des BGB, so muß man feststellen, daß bereits damals das Bewulltsein vorhanden war, der Erblasser könne den Erbvertrag nicht nur durch Schenkungen "aushöhlen". Man fand aber keine Möglichkeit, einerseits die Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten, zu erhalten und nicht in einer Weise zu beschränken, mit der der Erblasser beim Abschluß des Erbvertrags nicht rechnete, andererseits aber doch den Vertragserben wirksam zu schützen. So beschränkte man sich darauf, mißbräuchliche Schenkungen zu unterbinden. Daraus kann man sicher nicht den Schluß ziehen, die Schöpfer des BG 8 hätten sich positiv dafür entschieden, gezielt andere Rechtsgeschäfte außer mißbräuch-

\7

Mugdan, Protokolle V, S. 7281.

\S

Mugdan, Protokolle V, S. 7282.

\9

Mugdan, Protokolle V, S. 7280.

20

Mugdan, Protokolle V, S. 7279.

2\

Mugdan, Protokolle V, S. 7283.

22

Mugdan, Protokolle V, S. 7282.

A. Die systematische Stellung der §§ 2286 - 2289 8GB

75

lichen Schenkungen in unbegrenztem Umfang zuzulassen. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte man nicht sowohl in den Beratungen des 1. Entwurfs als auch in denen des 2. Entwurfs darauf hingewiesen, gegen mißbräuchliche Ausnutzung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit käme der Schutz durch das Deliktsrecht, namentlich durch § 826 BGB in Betracht. Letztlich hat man wohl mehr aus dem Bewußtsein heraus, die Mißbrauchsfälle, die in rechtlich anderer Form als einer Schenkung vorgenommen werden, nicht zufriedenstellend regeln zu können, als im Bewußtsein, solche nicht regeln zu müssen, weil dem Erblasser mit Ausnahme beeinträchtigender Schenkungen alles erlaubt sein sollte, eine Regelung nicht getroffen. Vor allem der Hinweis der 1. Kommission, die Lösungen sollten Praxis und Lehre überlassen werden23 , macht dies deutlich. Was der Gesetzgeber des BGB selbstverständlich nicht voraussehen konnte, waren die vielfältigen Möglichkeiten, die die Kautelarjurisprudenz bis heute entwickelt hat, um es dem Erblasser zu ermöglichen, im wirtschaftlichen Ergebnis doch den Nachlaß (nach seinem Tod) nicht dem Vertragserben, sondern anderen zukommen zu lassen. Angesichts dessen erwiesen sich die Vorstellungen der Verfasser des BGB, der Vertragserbe sei ausreichend geschützt, wenn man beeinträchtigende Schenkungen unterbinde und in Extremfällen Deliktsrecht eingreife, als unzureichend, ja zum Teil sogar als unrichtig. Es darf schließlich auch nicht außer acht gelassen werden, daß zur Zeit der Gesetzesberatungen des BGB hinsichtlich der Art und Weise der Vertragserfüllung in bezug auf die sich aus Treu und Glauben ergebenden Verhaltensanforderungen noch grundlegend andere Vorstellungen herrschten als heute. Der Inhalt eines Schuldverhältnisses Z.B. wurde damals weitaus stärker auf den geschriebenen oder ausdrücklich vereinbarten Vertragswortlaut beschränkt. Die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB und die vertraglichen Pflichten (§ 242 BGB), zu denen unzweifelhaft auch gehört, einen Vertrag nicht inhaltlich auszuhöhlen, waren damals in vieler Hinsicht, verglichen mit heute, doch nur recht schwach oder gar nicht entwickelt. Der Erbvertrag bildet insoweit keine Ausnahme. Auch wenn er keine lebzeitigen Verpflichtungen enthält, kann dies nicht bedeuten, daß dem Verfügenden zu Lebzeiten alles erlaubt sein müßte. Daß dies nicht zutrifft, zeigt schließlich bereits § 2287 Abs. 1 BGB. Es wäre deshalb auch verfehlt, die historischen Vorstellungen des Gesetzgebers des BGB zum Erbvertrag unreflektiert heranzuziehen, um eine unbegrenzte Verfügungs freiheit des vertraglich gebundenen Erblassers bezüglich aller Rechtsgeschäfte unter Lebenden mit Ausnahme beeinträchtigender Schenkungen herzuleiten.

23

Mugdan, Motive V, S. 330.

76

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

Die Entstehungsgeschichte, so ist zusammenfassend festzuhalten, läßt nicht den Schluß zu, daß das bisherige Verständnis der §§ 2286 - 2289 BGB, das letztlich dem Vertragserben bzw. dem Schlußerben (beim gemeinschaftlichen Testament) nur sehr unzureichenden Schutz bietet, das einzig mögliche wäre. Vielmehr liegt der Schluß nahe, der Gesetzgeber habe hier nur eine Regelung für beeinträchtigende Schenkungen, nicht aber für sonstige Fälle mißbräuchlicher Ausnutzung seiner Verfügungsfreiheit durch den Erblasser vornehmen wollen. Im folgenden soll nunmehr untersucht werden, ob der Schutz der Vertragsund Schlußerben außerhalb der beeinträchtigenden Schenkungen, soweit er - was im einzelnen noch darzulegen ist - überhaupt besteht, durch andere Vorschriften, namentlich durch § 134 BGB, § 138 BGB und § 826 BGB gewährt werden könnte, oder ob vielleicht §§ 2286 - 2289 BGB dazu ausreichen würden und nur anders zu interpretieren wären, als dies Rechtsprechung und Literatur heute machen.

11. Die Heranziehung der §§ 134, 138 BGB und des § 826 BGB Es ist bereits strittig, ob neben §§ 2286 ff. BGB die §§ 134, 138 BGB als die Normen des Allgemeinen Teils des BGB anwendbar sind oder durch §§ 2286 ff. BGB (als leges speciales) verdrängt werden2A • 1. Die Anwendung des § 134 BGB neben §§ 2286 - 2289 BGB § 134 BGB setzt einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot voraus. Ob § 2289 BGB ein gesetzliches Verbot2S darstellt, was wohl wenig naheliegt26 , braucht nicht entschieden zu werden. Denn § 2289 BGB ordnet im Falle einer letztwilligen Zweitverfügung selbst eine spezielle Rechtsfolge an. Für die

2A

In diesem Sinn Reubold, S. 113 ff., m.w.N.

Umfassend zur Frage, wann eine Vorschrift gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB ist, SoergellHefermehl, § 134, Rz. 2 ff., der zutreffend feststellt (Rz. 2), daß Bestimmungen, die nicht das Rechtsgeschäft als solches mißbilligten, sondern allgemein die rechtsgeschäftliehe Gestaltungsmacht beschränken, keine gesetzlichen Verbote darstellten. Bei Anwendung dieser Erkenntnisse kann auch § 2289 BGB nicht als gesetzliches Verbot qualifiziert werden. 2S

2I

S. oben, 2. Kapitel B 1 (I).

52

Vgl. bis 1970 die Darstellung Reubolds, S. 169 ff.

OGHZ 2, 161 (163, 170); Bartholomeyczik, in: 5. Denkschrift des Erbrechtsausschussesder Akademie rur Deutsches Recht, Arbeitsberichte der Akademie rur Deutsches Recht, N r. 21, 1942, S. 115; Burkardt, NJW 1956, 1501 (1502); ders., NJW 1959,2093; Helfrich, S. 119 ff.; Johannsen, WM 1969, 1222 (1226); Kipp/Coing, Erbrecht, § 38 IV 3 a, S. 252; Kohler, NJW 1964, 1393 (1395); Manzberg, JuS 1961,389 (393); PalandtlEdenhofer, § 2271, Anm. 2 a und § 2287, Anm. 4 b; Planck/Greiff, § 2287, Anrn. 2 b; Reubold, S. 173 ff. mit eigener Differenzierung; RGRKJohannsen, § 2286, Rz.9; SoergellWoif, § 2271, Rz.36; Speckmann , NJW 1968, 2222; Staudinger/Kanzleiler, § 2286, Rz. 4. II

" Boehmer, FamRZ 1961,253 ff.; Kipp, Erbrecht, 8. Auflage, § 341, Fn. I; Lange, Erbrecht, 1. Auflage, S. 405, Fn. 8; ders., aber differenzierend in, NJW 1963, 1571 (1577 ff.); Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 3711, Fn. 65, S. 648; P. Meyer, Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs rur das Deutsche Reich, S. 447, deran anderer Stelle (S. 446, Fn. 8) jedoch schreibt, ein Anspruch aus § 826 könne "unter Umständen" gegen den Empfänger bestehen; MünchKommlMllsielak, § 2286, Rz. 5. »Leonhard, § 2287,Anrn. IV A, B; PalandtIEdenhofer,§ 2287, Anm. 4b; Rellbold,S. 178 ff.; Slrohal, Erbrecht I, S. 369, Fn. 34. j6 Kipp, Erbrecht, 8. Auflage, § 341, Fn. 1; Lange, Erbrecht, 1. Auflage, S. 405, Fn. 8, weist ohne Begründung auf den abschließenden Charakter der §§ 2287, 2288 BGB hin; P. Meyer, Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs rur das Deutsche Reich, S. 446, Fn. 8.

" Kipp, Erbrecht, 8. Auflage, § 34 I, Fn. 1. "Boehmer, FamRZ 1961,253 (255); Lange, Erbrecht,!. Auflage, S. 405, Fn. 8. 6 Loritz

82

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

nach dessen Tod der Sittenkontrolle durch den Erben unterstellt werde59 • Ferner widerspreche ein Anspruch aus § 826 BGB dem Grundprinzip, daß der Erblasser Freiheit "bis zum letzten Atemzug" genieße60 • Der BGH hat erstmals in seinem Urteil vom 21.6.1989 über die Anwendbarkeit des § 826 BGB bei Zweitverfügungen entschieden und sie grundsätzlich verneint61 • Er begründet dies damit, daß §§ 2286, 2287 BGB als abschließende Sonderregelungen einem eigenen Anspruch des Erben aus § 826 BGB vorgingen und zwar sogar dann, wenn ein Dritter kollusiv mit dem Erblasser zusammengewirkt habe, um den Vertragserben zu schädigen. Nur wenn der Erblasser seine Verfügungsbefugnis nicht selbst mißbraucht und ihn ein Dritter etwa durch Täuschung zur Verfügung über Teile seines Vermögens veranlaßt und ihm Schaden zugefügt habe, könne § 826 BGB eingreifen. Dieser Anspruch gehe auf den Erben über. In dessen Person hingegen könne kein selbständiger Anspruch entstehen. Sei das zwischen Erblasser und Drittem abgeschlossene Rechtsgeschäft schuldrechtlich und dinglich wirksam, so müßten es der Erblasser und der Vertragserbe gegen sich gelten lassen. Der Vertragserbe könne gegen sittenwidriges Verhalten nur dann geschützt sein, wenn der Erwerb mindestens schuldrechtlich seiner Wirkungen entkleidet sei oder werde (beispielsweise nach §§ 2113 Abs. 2, 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGß62). Zahlreiche der von der Literatur und auch der vom BGH vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Daß der Gesetzgeber keinerlei über §§ 2287, 2288 BGB hinausgehenden Schutz gewollt habe, wird bereits durch die Entstehungsgeschichte widerlegt 63 • Zudem kann man fast 100 Jahre nach Entstehung der §§ 2287, 2288 BGB allein mit dem Hinweis, der Gesetzgeber habe etwas so oder so gewollt, oder nicht gewollt, jedenfalls dann nicht überzeugend argumentieren, wenn man nicht zugleich den Nachweis erbringt, daß auch die tatsächlichen Verhältnisse, von denen der Gesetzgeber ausging und auf die er seine Normen zugeschnitten hat, damals richtig eingeschätzt wurden und im wesentlichen unverändert geblieben sind. Das Argument, es fehle am Schaden, trifft jedenfalls nach dem Tode des Erblassers sobald der Vertrags- bzw. Schlußerbe Eigentümer des Erblasser-

,. Staudingerl Boehmer, 11. Auflage, Ein!. zum Erbrecht, § 20, Rn. 2. 60

Lange, Erbrecht, 1. Auflage, S. 405.

61 BGHZ 108,73 = FamRZ 1989,961 = JR 1990, 157 mit Amn. Schuben. Zum Sachwrhalt s. 2. Kapitel B I (16.); S. jetzt auch BGH NJW 1991, 1952. 62

BGHZ 108,73 (78 f.).

63

S. oben, A I 2.

A. Die systematische Stellung der §§ 2286 - 2289 BGB

83

vermögens ist, nicht mehr ZU64. Hier liegt nämlich eine vom Dritten (mit-) verursachte Minderung des - vom Erblasser ererbten - Vermögens des Vertragsund Schlußerben vor. Gänzlich unhaltbar erscheint das Argument, das Leben des Erblassers dürfe nach dessen Tod keiner Sittenkontrolle durch den Vertragsbzw. Schlußerben unterliegen. Denn der Tod vermag die rechtliche Bewertung eines Verhaltens des Erblassers nicht zu ändern und seine "Freistellung" von deliktischen, ja sogar sittenwidrigen Schädigungen auch im Verhältnis zum Erben nicht herbeizuführen. § 826 BGB kann, weil es zu Lebzeiten des Erblassers am Schaden des Vertrags- bzw. Schlußerben - mangels einer zu diesem Zeitpunkt vermögenswerten und durch das Deliktsrecht geschützten Rechtsposition - fehlt, keinen Anspruch des Vertragserben gegen den Erblasser gewähren 65 • Insoweit ist dem BGH66 im Ergebnis zuzustimmen. Aber ein Anspruch des Erblassers gegen den Dritten, dem Vermögen durch das Zweitgeschäft zugewendet wurde und der den Erblasser sittenwidrig geschädigt hat, ist mit der h.M. durchaus möglich. Und wenn sich der Dritte bewußt durch die Zweitverfügung Vermögen des Erblassers, das der Bindung unterliegt, zuwenden läßt, und hierdurch dem Vertrags- oder Schlußerben (künftigen, nämlich mit dem Erbfall eintretenden) Schaden zufügt, so kann grundsätzlich durchaus § 826 BGB zur Anwendung gelangen. Diese Norm hat eine völlig andere Zielrichtung als § 2287 BGB. Während § 2287 BGB einem Vertrags- und Schlußerben nur das ihm unter Verstoß gegen die Bindung entzogene Vermögen zurückgewähren will, sanktioniert § 826 BGB generell in der Rechtsordnung in besonderer Weise begangene Schädigungen durch einen Ersatzanspruch. Von einer "Sonderregelung" kann deshalb bei § 2287 BGB in bezug auf § 826 BGB nicht gesprochen werden. Wenn § 826 BGB bislang allerdings so gut wie keine praktische Bedeutung bei Zweitgeschäften gebundener Erblasser erlangt hat, so ist dafür entscheidend, daß die Vorschrift vorsätzliche sittenwidrige Schädigung voraussetzt. Selbst wenn heute an die Sittenwidrigkeit (auch) bei § 826 BGB keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden 61, so handelt der durch das Zweitgeschäft

.. Umfassend zur Begründung Reubold, S. 173 ff. 65 So im Ergebnis auch Maltern, BWNotZ 1966, I (10); vgl. ferner Reubold, S. 175 f., d~r allerdings - was eigentlich selbstverständlich ist - § 826 BGB in den Fällen bejaht, in d~n~n der erbvertrag lieh Bedachte ·über sein erbvertragliches Erwerbsinteresse hinaus· vom Erblasser durch eine Zweitverfiigung geschädigt wird. 66

BGHZ 108,73 (78 f.).

67 S. statt aller: SoergellHönn, § 826, Rz. 5 ff.; ferner Palandtl7homas, § 826 Anm. 2 ff. mit Darstellung insbesondere auch der aktuellen Rechtsprechung.

84

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

begünstigte Dritte nicht schon dadurch sittenwidrig, daß er sich vom Erblasser Vermögensgegenstände zuwenden läßt, die ohne dieses Zweitgeschäft der Vertrags- bzw. Schlußerbe erhielte. Erforderlich ist wie generell bei § 826 BGB eine vorsätzliche, gegen das Anstands- und Sittengefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßende Schadenszufügung. § 826 BGB gibt ebensowenig wie § 138 BGB teleologische Argumente und Maßstäbe für die entscheidende Frage, welche Zweitgeschäfte erlaubt sind und über den Tod des Erblassers hinaus Bestand haben können und welche nicht. Und wie bei § 138 BGB, so ginge es auch bei § 826 BGB nicht an, etwa den Begriff der Sittenwidrigkeit für den speziellen Fall der Zweitgeschäfte zu erweitern, falls man aufgrund - noch im einzelnen zu untersuchender - teleologischer Argumente zum Ergebnis gelangen soHte, daß ein Vertrags- bzw. Schlußerbe nicht nur vor Schenkungen ohne lebzeitiges Eigeninteresse in dem heute von der Rechtsprechung verstandenen Sinn68 , sondern in weiterem Umfang, also auch vor einzelnen anderen Zweitgeschäften geschützt werden muß. Falls dies der Fall sein soHte, wäre es - wie sich auch bereits bei § 138 BGB ergeben hat - vorzugswürdig, anband der §§ 2286 - 2289 BGB sachgerechte Lösungen zu suchen. § 826 BGB ist also nicht etwa besonders weitgehend zu interpretieren, um den Vertrags- bzw. Schlußerben zusätzlich zu § 2287 BGB zu sichern. Auch insoweit kann dem BGH 69 beigepflichtet werden. Es erscheint aber, wie dargelegt verfehlt, wenn der BGH mit der Begründung, §§ 2286,2287 BGB seien abschließend, generell § 826 BGB im Verhältnis zwischen Erben und Begünstigtem der Zweitverfügung ausschließt. Da § 826 BGB bei ZweitverfügungenaHerdings nicht anders als ansonsten in der Rechtsordnung zu interpretieren ist, bedarf es einer weiteren Darstellung im Rahmen dieser Arbeit nicht.

ffi. Zwischenergebnis und weiterführende Ansätze Die Rechtsprechung und die Literatur haben bisher kein klares Verständnis hinsichtlich der Maßstäbe für die Bewertung von Zweitgeschäften gebundener Erblasser gefunden. Dies liegt zum einen daran, daß der historische Gesetzgeber mit § 2287 BGB den Vertragserben zwar gezielt nur vor beeinträchtigenden Schenkungen des Erblassers geschützt hat, er aber nicht erkennen konnte, durch welche sonstigen Zweitverfügungen der Erblasser mit Hilfe der Kautelarjurisprudenz mit gleichem Erfolg seine Bindung künftig umgehen würde. Zum

.. Hierzu oben 2. Kapitel B I. 69

BGHZ 108,73 (80 f.)

A. Die systematische Stellung der §§ 2286 - 2289 BGB

85

anderen ging man bei den Gesetzesberatungen davon aus, eklatante Fälle des Mißbrauchs der Verfügungsfreiheit könnten durch § 826 BGB unterbunden werden, obwohl diese Vorschrift angesichts der heutigen Verhältnisse keinen wirksamen Schutz darstellt und dazu schon aus dogmatischer Sicht kaum geeignet ist. Soweit der historische Gesetzgeber beiläufig erwähnte, der Vertragserbe könne sich durch besondere Vereinbarung wirksam vor der vollständigen Erschöpfung des Nachlasses schützen1O , kann dieses Argument beim gemeinschaftlichen Testament schon deshalb nicht tragfähig sein, weil der (historische) Gesetzgeber die" Aushöhlungsproblematik" nur für den Erbvertrag geregelt und beraten hat. Es trifft vor allem aber deshalb auf das gemeinschaftliche Testament nicht zu, weil der nicht von einem Notar beratene Testierende oftmals diese Möglichkeit der zusätzlichen Sicherung nicht kennt, vor allem aber nicht für erforderlich erachtet. Wer denkt bei Abfassung eines gemeinschaftlichen Testaments schon daran, der Ehepartner werde es, falls er der Längstlebende sei, aushöhlen? Ein weiteres entscheidendes Faktum kommt hinzu: Der historische Gesetzgeber ging davon aus, daß immer dann, wenn der Erblasser durch einen Erbvertrag - auf das gemeinschaftliche Testament wurde § 2287 BGB bekanntlich erst von der Rechtsprechung und der Literatur analog angewendee' - der Bindung unterworfen war, diese Bindung ohne Rücksicht auf die Parteivorstellungen, den Parteiwillen und die konkreten Vereinbarungen im Einzelfall stets diesseIben Rechtsfolgen auslösen müßte. Dies ist aus historischer Sicht angesichts des bereits oben erörterten72, allenfalls gering entwickelten Verständnisses von der Bedeutungungeschriebener Parteivorstell ungen und Nebenpflichten verständl ich. Heute ist indes längst juristisches Allgemeingut, daß die Rechte und Ptlichten der Vertragsparteien auch bei ein und demselben Vertragstyp nicht schematisch gleich sind, sondern vom konkreten Vertragsinhalt, aber auch von den Vorstellungen abhängen, die sie stillschweigend dem Vertragsabschluß zugrundegelegt haben und durch die sie unter Umständen auch ein bestimmtes Vertrauen beim anderen Vertragspartner erzeugt haben. Auch wenn Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament keine schuldrechtlichen Verträge sind, und die Rechtsentwicklung der letzteren auf Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente nicht, zumindest nicht ohne weiteres übertragen werden können, so kann doch festgehalten werden, daß bisher den Partei- bzw. Erblasservorstellungen beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament keinerlei Bedeutung

70

Mugdan, Protokolle V, S. 7282, s. bereits oben A 12.

71

Nachweise s. 1. Kapitel, Pn. 7.

72

S. oben A 12.

86

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

für den Umfang, für die Intensität der Bindung beigemessen wurde. Hier wurde von der Rechtsprechung und der Literatur stets nur eine "Einheitslösung" gesucht: Was dem Erblasser trotz der Bindung erlaubt und was wegen dieser verboten oder doch nach dem Tod des Erblassers nicht von Bestand war (und im Wege des Bereicherungsanspruchs rückabgewickelt werden konnte), wurde bei allen Erbverträgen und Testamenten ohne Rücksicht auf deren Einzelheiten und die konkrete Umstände des Einzelfalles in gleicher Weise bestimmt. Es erscheint hingegen erforderlich, einmal grundlegend darüber nachzudenken, ob die von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen erzeugte Bindung tatsächlich auch heute noch so undifferenziert verstanden werden darf und soll. Nur dieser Ansatz ermöglicht es auch, nunmehr abschließend zu entscheiden, wie der Schutz des Vertrags- und des Schlußerben auszugestalten ist, ob und gegebenenfalls inwieweit er über beeinträchtigende Schenkungen hinaus zu entwickeln ist. Sollte dies der Fall sein, so böten §§ 2286 - 2289 BGB dazu ein ausreichendes dogmatisches Instrumentarium. Für eine Heranziehung des § 134 BGB bleibt, wie dargelegt13 , kein Raum. § 138 BGB und § 826 BGB sind zwar grundsätzlich anwendbar. Sie greifen aber nur in besonders gelagerten Fällen ein, können jedoch nicht zur Lösung des grundlegenden Konflikts zwischen "Freiheit und Bindung" bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten herangezogen werden 74 •

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des gebundenen Erblassers Zunächst muß Klarheit über die Zielsetzung und das Verhältnis der Bindung und Freiheit eines Erblassers gewonnen werden. Die Rechtsprechung ist nicht zuletzt deshalb bis heute in vieler Hinsicht schwankend geblieben, weil sie sich mit dieser Zielsetzung zu wenig beschäftigt hat.

71

S. oben

An

I.

7. S. oben All 2 und 3.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

87

I. Zweck und Funktion der Bindung Die hier an erster Stelle interessierende Frage lautet im wesentlichen: Verfolgen der Erbvertrag und das gemeinschaftliche Testament als Mittel unserer Zivilrechtsordnungnurdas Ziel, den gebundenen Vertragsteil bzw. Erblasser (beim gemeinschaftlichen Testament den Längstlebenden) daran zu hindern, über das der Bindung unterliegende Vermögen von Todes wegen in anderer Weise zu verfügen als im Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament angeordnet ist? Oder dienen sie zumindest in Einzelfällen auch dem Ziel und sind sie geeignete Mittel, um das zur Zeit des Abschlusses des Erbvertrages bzw. der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vorhandene Vermögen oder gar auch noch das danach, eventuell beim gemeinschaftlichen Testament sogar noch das nach dem Tode des Erstverstorbenen hinzugekommene Vermögen den jeweils begünstigten Personen zukommen zu lassen? Falls dies zuträfe, so könnte jedenfalls ein "lebzeitiges Eigeninteresse" des gebundenen Erblassers allein nicht jedes lebzeitige Zweitgeschäft rechtfertigen. Hier müßten zumindest auch die konkreten Vorstellungen und Interessen des Erbvertragspartners bzw. des vorverstorbenen Erblassers, die beim Vertragsabschluß bzw. bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments zugrundelagen, in die Entscheidung mit einbezogen werden. Das haben Rechtsprechung und Literatur bisher nicht getan. Die Rechtsprechung, dies sei nochmals erwähnt, hat vielmehr lediglich die "berechtigten Erberwartungen " des Vertrags- bzw. Schlußerben herangezogen, und dies auch nur um zu begründen, warum sogar letztwillige beeinträchtigende Verfügungen - entgegen dem Wortlaut der §§ 2287 - 2289 BGB - Bestand haben können 75 • 1. Die literarischen Stellungnahmen zur dogmatischen Einordnung des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments Die hier angesprochene Frage nach dem Ziel des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments führt zur grundlegenden Problematik des dogmatischen Charakters dieser Rechtsinstitute.

"Vgl. BGHZ 8, 274 und B3H WM 1988, 1759 (1760), oben 2. Kapitel B I (9.); BGHZ 88, 268 (270 ff.), oben 2. Kapitel B I (12.); BGH NIW 1986, 1755 (1756 f.), oben 2. Kapitd B I (14.).

88

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

Die literarischen Abhandlungen hierzu sind nicht zahlreich. Im Jahre 1974 hat Battes eine Untersuchung vorgelegt76 • Auch Hülsmeier hat sich mit dogmatischen Fragen des Erbvertrags kurz befaßtTI. Einige Abhandlungen, namentlich diejenigen Hasses 78 , Beselers19 und HartmannsSO stammen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Alle diese Abhandlungen geben aber keinen Aufschluß darüber, ob Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament stets auch das Ziel haben oder es doch zumindest in konkreten Einzelfällen entsprechend dem Willen der Erbvertragsparteien bzw. der Testierenden haben können, dem begünstigten Dritten ein bestimmtes Vermögen zukommen zu lassen. Interessant ist bei der historischen Betrachtung die Erkenntnis, daß der Erbvertrag bis ins 18. Jahrhundert als ein "gemeiner Kontrakt" galt, der lediglich eine "gemeine obligatio" erzeuge8t • Hasse hat diese Ansicht widerlegt und festgestellt, daß neben der vertraglichen Erbeinsetzung als Verfügungsgeschäft kein obligatorischer Vertrag bestehe82 • Beseler hat diese Auffassung dahingehend weiterentwickelt, daß der Erbvertrag reines Verfügungsgeschäft mit Wirkungen auf den Todesfall sei83 • In den Motiven des BGB entschied man über die Rechtsnatur nicht. Dort heißt es - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Interesse - nur, der Erbvertrag könne nicht lediglich obligatorische Pflichten haben, wenn er seinen Zweck erfüllen solle. Derart beschränkte Wirkung "lege ihm kein geltendes Recht bei "84. Der Wissenschaft bleibe es unbenommen, "aus den gegebenen Vorschriften die Konstruktion zu begründen". Diese darzulegen, sei nicht Aufgabe des Gesetzes85 • In den Protokollen finden sich Überlegungen über die Rechts-

76 Balles, Gemeinschaftliches Testament und Ehegauenerbvertrag als Gestaltungsmilld für die Vermögensordnung der Familie, insbes. S. 28 ff.; vgl. auch dens., AcP 178 (1978), 337 ff. 77

Hülsmeier, S. 3 ff.

7. Hasse, Zur Lehre von den Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten. 79

Beseler, Die Lehre von den Erbverträgen, 11. Theil, I. Bd.

00

Hanmann, Die Lehre von den Erbverträgen und den gemeinschaftlichen Testamenten. 1860.

11

Hasse, in: Rheinisches Museum für Jurisprudenz, 2. Jahrgang, 1828, 149 (219).

11

Hasse, (Fn. 78).

'3

Beseler, (Fn. 79), S. 207 ff.

.. Mugdan, Motive V, S. 311. ., Mugdan, Motive V, S. 312.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

89

natur des Erbvertrages nicht mehr, obwohl seine Zulässigkeit als solche und uhIreiche Einzelfragen ausführlich diskutiert wurden86• Die Ansicht, der Erbvertrag sei Verfügung von Todes wegen und kein schuldrechtlicher Vertrag, ist bis heute herrschend87 , wenngleich sie vor allem in der älteren Literatur zum Teil abgelehnt wurde88 • Die Literatur sagt heute ausdrücklich, ein Erbvertrag begründe keine schuldrechtlichen Ptlichten89 • Erbvertrag und bestehende schuldrechtliche Verptlichtungen seien selbständige Verträge90 • M. Wolf stellt allerdings klar, daß der zweiseitige Erbvertrag mit der Gegenleistung des Vertragspartners oder des Bedachten in einem "Entgeltlichkeitszusammenhang" stehe91 , so daß man hier von einem synallagmatischen Vertrag nicht obligatorischen Charakters" sprechen könne92 • Im Gegensatz dazu stehe der unentgeltliche Erbvertrag, bei dem der Vertragspartner oder der Bedachte keine Verpflichtungen übernehme93 • 2. Schlußfolgerungen und eigener Lösungsansatz All diese Ansichten lassen lediglich den sich ohnehin aus § 2286 BGB ergebenden Schluß zu, daß auch nach Eintritt der Bindungswirkung den Erbvertragspartner bzw. den überlebenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament nicht etwa zu seinen Lebzeiten im Interesse des Vertrags- bzw. Schlußerben eine besondere Vermögenssorgeptlicht mit der Folge, daß ihre Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen würde, trifft. Das Fehlen schuldrechtlicher Ptlichten vermag hingegen nichts darüber auszusagen, ob Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament stets auch dem Ziel dienen oder zumindest im konkreten Einzelfall dienen und Mittel sein können, um dem Begünstigten Vermö-

.. Mugdan, Protokolle V, S. 7238 ff., 7240 ff. 17 Battes, (Fn.76), S.30, mit Darstellung des historischen Meinungsstands. S. 30 ff.; MünchKommlMusielak, Vor § 2274, Rz. 9.

" Hartmann, (Fn. 80), S. 1- 13, insbes. S. 11 f.; Hellwig, Die Verträge auf Leistung an Dritte. 1899, S. 597 ff. (insbes. S. 603 f.); Wemeburg, DNotZ 1916, 209 (215 ff. und 223 ff.); s. auch aus neuerer Zeit Stöcker, WM 1980, 482 (485 ff.), nach dessen Ansicht im Erbvertrag ein schuldrechtliches Grundgeschäft enthalten ist . .. MünchKommlMusielak, Vor § 2274, Rz. 9; SoergellWolf, Vor § 2274, Rz. 4. 90 SoergellWolf, Vor § 2274, Rz. 4; s. auch Boehmer, in: Festschrift-Lehmann, S. 461 ff.; Knieper, DNotZ 1968, 331.

9' SoergellWolf, Vor § 2274, Rz. 4. 92

SoergellWolf, Vor § 2274, Rz. 4, nimmt hier Bezug auf Mugdan, Motive V, S. 345.

93

SoergellWoif, Vor § 2274, Rz. 4.

90

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

genswerte zukommen zu lassen. Dagegen könnte sprechen, daß die Rechtsprechung schon vor 1972 die auch in den Motiven erwähnte94 Möglichkeit bejaht hat, das Interesse des Erbvertragspartners bzw. Testierenden oder des Vertragsbzw. Schlußerben durch eine zusätzlich neben dem Erbvertrag oder dem gemeinschaftlichen Testament bestehende schuldrechtliche Absprache 95 in besonderer Weise zu schützen 96 • Namentlich Strätz vertritt, wie dargelegt, allerdings ohne jede Begründung und Reflexion die Ansicht, es sei Sache der Beteiligten, die Sicherung der Erwartungen des Bedachten etwa durch Verrugungsunterlassungsverpflichtungen zu betreiben91 • In diese Richtung zielt generell die neuere Literatur, die teilweise Sicherungsmöglichkeiten aufzeigt98 • Indes wäre der Schluß vorschnell, eine notarielle Beratung verdeutliche den Parteien stets auch alle Sicherungsmöglichkeiten. Schon ein Blick in die Handbücher der Beratungspraxis zeigt, daß solche Möglichkeiten weithin nicht einmal erwähnt werden, ihnen also durchaus nicht etwa zentrale Bedeutung beigemessen wird99 • Die Möglichkeit, Erwartungen eines Bedachten zu sichern - die in der Praxis sicher empfehlenswert sind -, bedeutet nicht, daß dort, wo die Sicherung fehlt, gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag überhaupt nicht dazu dienen sollten und könnten, zumindest das zur Zeit ihrer Errichtung vorhandene und eventuell sogar noch das bis zum Tode des Erblassers bzw. beim gemeinschaftlichen Testament bis zum Tod des Erstverstorbenen gemeinsam zu erwerbende Vermögen "in eine gewisse Richtung" zu lenken, im Gegenteil. Ehegatten, die ohne über die juristischen Probleme hinsichtlich der Bindung beraten worden zu sein, ein gemeinschaftliches Testament erstellen, glauben, sie könnten das Schicksal des der Bindung unterliegenden Vermögens über den Tod hinaus bestimmen .

.. Mugdan, Protokolle V, S. 7282, s. oben AI 2. 95 In Betracht kommt eine besondere Verpflichtung, bestimmte Gegenstände einer bestimmten Person zuzuwenden oder die Verpflichtung, sie nicht zu veräußern (s. zu Einzdheiten unten 4. Kapitel C 11 4) .

.. BGHZ 31, 13 (18 f.), oben 2. Kapitel A 13 (f); BGH NJW 1963. 1602 (1603), oben 2. Kapitel A I 3 (m); BGH LM § 2288 BGB Nr. 2; BGH FamRZ 1964,429 (430). 97

Strätz, JR 1973,244 (245), oben 2. Kapitel B III I mit Fn. 147. 148.

Baumgärtel, MDR 1960,296; Bund, JuS 1968,268 (272 ff.); Coing, JZ 1960,538 (539); Kohler, NJW 1964, 1393 (1394); Lange, NJW 1963, 1571 (1576); Langenfeld. NJW 1987. 1577 (1580 f.); Mattem, BWNotZ 1966, I (11 ff.); PalandtlEdenhofer, § 2286. Anm. 2 b; SoergdlWolf, § 2286, Rz. 4; StaudingerlKanzleiter, § 2286, Rz. 16 ff. 98

99 Nicht erwähnt werden die Sicherungsmöglichkeiten in folgenden Beratungshandbüchern: Firsching, Nachlaßrecht, S. 76 ff.; Mönnichs, Das große deutsche Rechtshandbuch. S. 660 ff., 668 ff.; MähleriFiedleriFritz, Das Testament, S. 60 f., 66 f.; Nath/Schilling/Fingerhut, Fonnularbuch für Rechtsfälle, S. 183 ff., 191 ff. Erörtert wird die Problematik der Rechtsfolgen der Bindung von Prausnitz, in: Fonnularkommentar, Bürgerliches Recht 111, Erbrecht, S. 533 ff.. ohne daß allerdings im einzelnen Sicherungsmöglichkeitenaufgetan würden.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

91

Eine Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament, wie z.B. die in einem Berliner Testament vorkommende gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten und die Einsetzung ihrer Kinder nach dem Tod des Längstlebenden 100, hätte für den Erstverstorbenen keinen Sinn, wenn er wüßte, daß der Längstlebende vom Vermögen nichts mehr hinterläßt. Denn warum sollte man dann noch die Kinder als Erben einsetzen? Der Wille der Erbvertragsparteien und der Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament geht sicher in vielen Fällen sogar in erster Linie dahin, den Vertragsbzw. Schlußerben Vermögen zukommen zu lassen. Es ist für sie gleichsam selbstverständlich, daß der gebundene andere Teil ihren Willen nicht konterkarieren darf. Angesichts dieses Parteiwillens erscheint es widersprüchlich, wenn die h.M. 101 dennoch Verfügungen unter Lebenden in sehr großem Umfang zuläßt. Denn das bedeutet eine Gesetzesinterpretation, bei der der Wille eines Erbvertragspartners bzw. des Erstverstorbenen schon apriori schlichtweg ignoriert wird. Wenn aber generell im Erbrecht bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen der Erblasserwille oberste Bedeutung hat102 , dann liegt in der Rechtsordnung ein Bruch vor, wenn dem Erblasserwillen, soweit es um die Bindung bei gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen und um das Ausmaß der gegen diese Bindung verstoßenden Zweitverfügungen geht, so gut wie keine Bedeutung beigemessen wird. Vielmehr ist hier zu überlegen, ob die Intensität der Bindung, ihr Umfang also, und damit das Maß "erlaubter" bzw. kondiktionsfester Zweitverfügungen (vgl. § 2287 Abs. 1 BGB) nicht weitaus stärker als bisher am Willen der Testierenden bzw. der Erbvertragspartner ausgerichtet werden muß. Ja es ist sogar zu fragen, ob die Bindungswirkung vielleicht zumindest in bestimmten Fällen sogar dazu dienen kann, dem Vertrags- bzw. Schlußerben entsprechend dem konkreten Parteiwillen der Erbvertragsparteien bzw. der testierenden Ehegatten, bestimmte Vermögensgegenstände zuzuwenden. Allein der Hinweis auf ein lebzeitiges Eigeninteresse lO3 kann jedenfalls als Begründung für ein "erlaubtes" und kondiktionsfestes Zweitgeschäft nicht ausreichen. Die nunmehr entscheidende Frage ist, ob und bejahendenfalls inwieweit gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge überhaupt, insbesondere rechtsdogmatisch gesehen, geeignet sind, jedenfalls teilweise stärker als bisher

100

Vgl. zu solchen letztwilligen Verfügungen liibben, NJW 1988, 2706.

101

S. oben 2. Kapitel B I und

m.

102

Vgl. statt aller MünchKommlLeipold, § 2084, Rz. 14; SoergellDamrau, § 2084. Rz. 5

10'

S. die Rechtsprechung oben 2. Kapitel B I.

92

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

angenommen wurde, den Willen der Testierenden bzw. der Erbvertragsparteien vor beeinträchtigenden Zweitverfügungen zu schützen. 3. Bindung und konkreter Parteiwille a) Die dogmatische und systematische Einordnung im deutschen Zivilrecht

Der entscheidende Mangel in der Rechtsprechung und der Literatur liegt darin,

daß sie aus der zutreffenden dogmatischen Charakterisierung des Erbvertrags,

soweit er Verfügungen von Todes wegen enthält, als Vertrag ohne lebzeitige Pflichten den Schluß gezogen haben, damit sei zu Lebzeiten alles erlaubt. § 2287 BGB sei lediglich eine Ausnahme, die schließlich heute oftmals bis nahezu zur praktischen Wirkungslosigkeit zurückgedrängt wurde. Doch diese, in vielen Fällen dem Parteiwillen widersprechende Rechtsinterpretation ist durchaus, auch und gerade angesichts der gesetzlichen Entstehungsgeschichte, nicht zwingend. Vielmehr ist es erforderlich, die Grenzen der zulässigen Rechtsausübung des gebundenen Erblassers dogmatisch korrekt und praktisch nachvollziehbar anband des Systems des Zivilrechts zu bestimmen.

Dabei läßt sich folgendes feststellen: Das BGB geht davon aus, daß längst nicht alles, wozu bei einem Vertrag (unter Lebenden), etwa bei einem Kauf-, Werkoder Dienstvertrag, beide Parteien verpflichtet sind, ausdrücklich im Vertrag oder im Gesetz geregelt sein muß und auch nur sein kann. Deshalb gibt es die Generalklausel des § 242 BGB, die jede Vertragsbeziehung, ja jede Rechtsausübung überhaupt, dem Grundsatz von Treu und Glauben unterstellt lO4 • Gerade die Nebenpflichten und Unterlassungsgebote ergeben sich anband der Interpretation des konkreten Vertrages, namentlich unter Berücksichtigung der Parteivorstellungen. Beim Erbvertrag - und dies gilt erst recht beim gemeinschaftlichen Testament können die Parteivorstellungen nicht etwa dazu führen, daß der Erblasser zu Lebzeiten Unterlassungspflichten hat, deren Verletzung vielleicht sogar Schadensersatzansprüche auslösen könnte. Denn es gibt ja, wie bereits dargelegt, für denjenigen, der im Erbvertrag nur Verfügungen von Todes wegen trifft, keine lebzeitigen Pflichten. Dennoch kann dies nicht bedeuten, daß der Erblasser hierdurch einen "Freibrief" sogar für mißbräuchliches Handeln hätte oder der

'04 Zu diesem Grundsatz und der systematischen Struktur des § 242 BGB stall aller: SoergellTeichmann, § 242, Rz. 2 ff.

B. Die Bindung und ihr Verltältnis zur Freiheit des Erblassers

93

Grundsatz des venire contra factum proprium nicht gelten würdelos. Dieser gilt durchaus und auch mißbräuchliches Handeln bleibt nicht "sanktionslos" . Anders als bei schuldrechtlichen Verträgen gibt es allerdingsjedenfalls nach den gesetzlichen Regelungen (§§ 2287, 2288 BGB) eine "Sanktion" erst nach dem Tod. Sie besteht darin, daß von der Rechtsordnung wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung des Erbvertrags oder des gemeinschaftlichen Testaments nicht zu billigende Vermögensübertragungen einen Bereicherungsanspruch nach § 2287 Abs. 1 BGB auslösen lf)6. Aus dieser Betrachtung heraus erscheinen §§ 2286 - 2289 BGB systemgerecht. Das BGB stuft gewissermaßen hinsichtlich der Nebenpflichten und der Folgen bei einem Verstoß gegen diese ab: Bei Rechtsgeschäften unter Lebenden bestehen umfassende Nebenpflichten und Sanktionen zu Lebzeiten, weil auch ihre Rechtswirkungen zu Lebzeiten eintreten. Bei Verfügungen von Todes wegen kann es, da es sich nicht um schuldrechtliche Geschäfte handelt, auch keinerlei Nebenpflichten, Rechtsfolgen oder gar Sanktionen zu Lebzeiten der Verfügenden geben. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente nehmen eine ZwischensteIlung ein. Zwar sind auch Erbverträge (bezüglich der Verfügungen von Todes wegen) und gemeinschaftliche Testamente keine Rechtsgeschäfte unter Lebenden; ihre Wirkungen treten erst nach dem Tode ein, so daß es keine lebzeitigen Pflichten und Sanktionen bei deren Verletzung zu geben braucht. Aber ein treuwidriges Verhalten - als solches charakterisiert § 2287 Abs. 1 BGB die mißbräuchliche Schenkung - bleibt nicht folgenlos. Nur tritt die Folge erst nach dem Tod ein, weil auch dann erst die Wirkung eintritt. Diese Folge besteht darin, daß der Vertrags- bzw. Schlußerbe die Verfügungen nicht gelten lassen muß, sondern einen Bereicherungsanspruch gegen den Begünstigten erhält. Somit kann durchaus berücksichtigt werden, was die Parteien beim Abschluß des Erbvertrags bzw. des gemeinschaftlichen Testaments bezüglich des Schicksals des Nachlasses wollten, was sie ihren letztwilligen Verfügungen zumindest konkludent, aber füreinander erkennbar, zugrundegelegt haben. Nur löst aus den dargelegten Gründen ein Verstoß gegen diese Vorstellungen Rechtsfolgen erst nach dem Tode aus. Ebensowenig wie bei schuldrechtlichen Verträgen die Nebenpflichten, kann auch bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten das, was die Parteien wollten und was dann dafür entscheidend ist, welche Verfügungen gegen die Bindung verstoßen, pauschal und ohne Rücksicht auf 10' Vgl. van Venroy, JZ 1987, 10 (14), der darauf hinweist, daß eine Rechtsstdlung nicht folgenlos verletzt werden könne. § 2287 BGB und § 2288 BGB zeigten, daß dies auch beim Erbvertrag so sei. ·Vom Typ her" handele es sich um Fälle positiver Vertragsverletzung. 106 Ob ein Schutz des Vertrags- oder Schlußerben bereits zu Lebzeiten möglich ist, soll hier noch offen bleiben und erst an späterer Stelle untersucht werden (s. 5. Kapitel C.).

94

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfilgungen

den konkreten Einzelfall bestimmt werden. Die Bindung zeitigt nicht in allen Fällen dieselben Rechtsfolgen. Es gibt deshalb im Gegensatz zur herrschenden Ansicht keinen Grundsatz "Bindung = Bindung". Der Umfang der Bindung muß vielmehr so bestimmt werden, daß trotz der Bindung umso mehr an Zweitverfügungen unter Lebenden und eventuell sogar von Todes wegen erlaubt ist, je weniger intensiv sich die Parteien binden wollten. Es kommt mit anderen Worten darauf an, ob den Parteien daran lag, durch den Erbvertrag bzw. das gemeinschaftliche Testament dem Vertrags- bzw. Schlußerben z. B. verschiedene Vermögensgegenstände wenn möglich zuzuwenden oder ob sie sich mit einer ganz losen Form der Bindung begnügten, etwa in dem Sinne, daß nur etwas zu vererben sei, wenn noch etwas vorhanden sei. Genauere Einzelheiten hinsichtlich der Intensität der Bindung gemäß dem Parteiwillen, sind im folgenden 107 noch zu entwickeln. An dieser Stelle soll nur der Grundsatz festgehalten werden, daß für das Ausmaß der Bindung kein allgemeiner einheitlicher Maßstab gelten kann, sondern dieses vielmehr vom konkreten Partei willen abhängt. b) Die Bestimmung des der Bindung unterliegenden Erblasservermögens

Schon an dieser Stelle ist es möglich, das Vermögen zu bestinunen, das überhaupt einer Bindung unterliegen kann. Diese kann von vorneherein nur Vermögensgegenstände erfassen, die in die bindenden Klauseln des Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments aufgenommen und nicht ausdrücklich von der Bindung ausgenommen sind. Häufig enthalten aber Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente keine Regelungen darüber, welches Vermögen der Bindung unterliegt. Dann muß unterschieden werden: Beim gegenseitigen Erbvertrag schließen die Parteien den Vertrag in dem Bewußtsein, daß sich das Vermögen des Erblassers bis zu dessen Tod im normalen Rahmen vermehren oder vermindern kann. Wenn der Erblasser dennoch undifferenziert sein gesamtes Vermögen oder auch einen Bruchteil hiervon dem Vertragserben von Todes wegen zuwendet, so vertraut der Erbvertragspartner (der nicht zugleich Vertragserbe sein muß) darauf, daß das Vermögen ab dem Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags, von dem er sich ebensowenig wie der Erblasser einseitig lösen kann, der Bindung, wie immer sie im einzelnen aussehen mag, unterliegt. Erwirbt der Erblasser nach Eintritt der Bindungswirkung unerwartet (etwa durch eine unvorhergesehene Erbschaft) Vermögen hinzu, so ist zu überlegen,

'00 S. 4. Kapitel.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

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ob auch das der Bindung unterliegen soll. Denn immerhin kann der andere Vertragsteil insoweit kein schützenswertes Vertrauen haben. In einem solchen Fall wird man schon im Wege der Auslegung das Ergebnis gewinnen, eine Bindung erstrecke sich auf das unerwartet hinzugekommene Vermögen nicht. Andernfalls kann der Erblasser, wenn er die Bindung bezüglich des hinzugekommenen Vermögens nicht will, den Erbvertrag nach § 2281 i.V.m. § 2078 Abs. 2 BGB anfechten, weil er durch die irrige Erwartung bestimmt wurde, sich nur hinsichtlich des vorhandenen und im üblichen Rahmen hinzukommenden Vermögens zu binden. Die dargelegten Überlegungen gelten entsprechend beim gemeinschaftlichen Testament. In jedem Fall unterliegt hier das Vermögen, das beim Tod des Erstversterbenden vorhanden ist, der Bindung, auch wenn es erst nach Abschluß des gemeinschaftlichen Testaments (unter Umständen sogar unerwartet) hinzugekommen ist. Hätte bezüglich des letzteren ein Ehegatte die Bindung nicht gewollt, so hätte er seine Verfügung nach § 2270 Abs. 1 S. 1 i. V.m. § 2296 BGB widerrufen können. Ob auch das nach diesem Zeitpunkt erworbene Vermögen uneingeschränkt der Bindung unterliegt, ist zweifelhaft und hängt von den Vorstellungen der Ehegatten im Einzelfall ab. Grundsätzlich werden sie damit rechnen, daß - wie nach Abschluß des Erbvertrags - auch nach dem Tode des Erstversterbenden noch Vermögen im üblichen Rahmen wie bisher, etwa durch Zinseinkünfte, hinzukommt. Der erstversterbende Ehegatte kann aber nicht erwarten, daß der Längstlebende auch hinsichtlich des Vermögens der Bindung unterliegt, das dieser unerwartet nach dem Tod des Erstversterbenden zum Beispiel durch Erbschaft oder außergewöhnliche Aktivitäten (z. B. Gründung eines ertragreichen Unternehmens) erwirbt, ohne daß dies überhaupt etwas mit dem bisherigen Vermögen zu tun hat. Bezüglich solchen, unerwartet hinzugetretenen Vermögens wird man im Wege der Auslegung zu dem Ergebnis kommen, es unterliege der Bindung nicht. Andernfalls wird man, wie beim Erbvertrag, die Anfechtung zulassen müssen. Maßgeblich kann für die jeweiligen Vorstellungen der Erbvertragspartner bzw. der testierenden Ehegatten, wie generell bei letztwilligen Verfügungen, nur ihr Wille zur Zeit der Errichtung der Verfügung sein. Danach eintretende Ereignisse sind entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu würdigen 108.

101 Daß generell der Wille zur Zeit der Errichtung einer letztwilligen Verfügung maßg~bend ist, ist ganz hM: RGZ 99,85; 108,33; 142, 174; BGHZ 31,13; FamRZ 1962, 156 f.; LM Nr. 7 zu § 242 (A); WM 1972,780; MünchKomm/Leipold, § 2084, Rz. 21; SoergellDamrau, § 2084. Rz. 8; umfassende weitere Nachweise bei LangelKllchinke, Erbrecht, § 32 1I12 Fn. 15, S. 557. di~ sdbst aber eine differenzierende Auffassung vertreten.

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3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

Zusammenfassend läßt sich festhalten: Das bis zum Eintritt der Bindung elWorbene sowie das nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu elWartende Vermögen unterliegt der Bindung. Das durch ungewöhnliche Ereignisse nach Eintritt der Bindung hinzuelWorbene Vermögen kann schon anband der Erbvertrags- bzw. Testamentsauslegung als nicht der Bindung unterliegend angesehen werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf das der Bindung unterliegende Vermögen.

11. Die Abstufung nach der Intensität der Bindung 1. Der gegenüber der h.M. unterschiedliche Ansatz Die bisherigen Überlegungen haben zu der Erkenntnis geführt, daß die Bindung nicht in allen Fällen dieselben Rechtsfolgen auslöst, sondern diese vom konkreten Parteiwillen abhängen. Auch Literatur und Rechtsprechung haben übrigens durchaus erkannt, daß Erbvertragspartner bzw. Erblasser nicht in allen Fällen eine Bindung gleicher Intensität mit stets denselben Konsequenzen wollen. Nur so ist es zu erklären, daß über die Zulässigkeit eines vertraglichen Änderungsvorbehalts bei Erbverträgen diskutiert wird lO9 • Die h.M. hält ihn zu Recht für an sich zulässig 11O • Wenn man beim Erbvertrag anerkennt, daß die Parteien das Recht haben müssen, selbst über die Intensität der Bindung zu bestimmen, so erscheint es nur als eine konsequente Weiterführung dieses Gedankens und damit als ein zweiter Schritt, die gesetzlich angeordnete Bindung bei Verfügungen von Todes wegen nicht als in allen Fällen stets gleich zu erachten. Sowohl beim gemeinschaftlichen Testament als auch beim Erbvertrag darf man sich anders als bisher nicht ausschließlich nur mit den rechtlichen Folgen und Wirkungen der Bindung beschäftigen, sondern muß bereits auf ihrer "Tatbestandsseite" differenzieren .

• 09 Umfassend hierzu mit Darstellung der Rechtsprechung und Literatur Noi/ing. S. 98 ff.; vg!. femerBGHZ 26, 204 (208); BGH NIW 1982,441 (442); BayObLGZ 1961. 206 (209); Coing. NJW 1958,689 (691); MünchKommlMusielak. § 2278, Rz. 14 ff. m.w.N.

110 BGHZ 26,204 (208 f.); BGH WM 1970,483; BayObLGZ 1961, 206 (2\0); Bengel. in: DittmannIReimannlBenge1,§ 2278, Rz. \0; Brox, Erbrecht, Rz. 160; Coing. NJW 1958.689 (691); Küster, JZ 1958,394 (395); Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37111 4, S. 652 f.; v. Lüb/ow. Erbr.:chl I. S. 426 f.; Nolfing, S. 99 ff.; Pa1andtIEdenhofe,.. Überb!. v. § 2274, Anm. 3 a.

B. Die Bindung und ihr Vemältnis zur Freiheit des Erblassers

97

Nach h.M. gibt es, was die Intensität der Bindung und der Freiheit des Erblassers eines gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags betrifft, nur drei Stufen111 : (1.) Die Parteien können vereinbaren, daß der Erblasser trotz eines gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags hinsichtlich gewisser Vermögensgegenstände keiner Bindung unterliegt.

(2.) Wenn die Parteien nichts vereinbaren, gilt die gesetzliche Regelung. Hierbei geht die h.M. stillschweigend vom Grundsatz aus: Bindung = Bindung. (3.) Die Parteien können hinsichtlich einzelner Gegenstände neben dem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag einen Verfügungsunterlassungsvertrag schließen. (Nur) in diesem Fall sind auch lebzeitige Verfügungen untersagt und stellen eine Vertragsverletzung dar. Diese grobe Einteilung überzeugt in Punkt (1.) und auch in Punkt (3.) soweit es den Verfügungsunterlassungsvertrag als solchen betrifft. In Punkt (2.) überzeugt die Einteilung nicht. Die Parteien können nämlich, wie dargelegt, beim Verfassen des gemeinschaftlichen Testaments bzw. beim Abschluß des Erbvertrags durchaus unterschiedliche Vorstellungen in bezug auf die Bindung haben. 2. Möglichkeiten der Differenzierung Nun muß allerdings, wie stets in derartigen Situationen, ein tragfähiger Kompromiß gefunden werden zwischen der allzu starken Differenzierung, die letztlich für die Praxis nicht mehr nachvollziehbar wäre und zu einer uferlosen Kasuistik führte, und einer zu oberflächlichen Unterscheidung - wie sie bisher bestand -, die zu unausgewogenen Ergebnissen führt. Analysiert man die seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle, so bietet sich entsprechend dem Willen und den Vorstellungen der Parteien beim Abschluß des Erbvertrags bzw. beim Verfassen des gemeinschaftlichen Testaments innerhalb der Stufe (2) an, prinzipiell folgende drei Kategorien zu unterscheiden:

111

Die in dieser Deutlichkeit allerdings, soweit ersichtlich, bisher nicht herausgestdlt wurden.

7 Loritz

98

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

(1.) Die 1. Kategorie - und dies dürfte der Regelfall sein - ist diejenige, in der die Ehegatten bzw. Erbvertragspartner beim Abschluß des Erbvertrags bzw. des gemeinschaftlichen Testaments die Vorstellung haben, der durch die Bindung Begünstigte solle und werde das entsprechend den obigen Ausführungen l12 vom Bindungswillen umfaßte Vermögen erben. Das ist prinzipiell das zur Zeit des Abschlusses des Erbvertrags bzw. des Abfassens des gemeinschaftlichen Testaments vorhandene und das nach gewöhnlichem Verlauf der Dinge bis zum Tode des Erblassers bzw. Längstlebenden hinzukommende Vermögen llJ • Die Erbvertragsparteien bzw. die Ehegatten gehen trotz der grundsätzlichen Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten - sofern man diese überhaupt kennt l14 - davon aus, daß ihre Vorstellungen nicht konterkariert werden.

(2.) Ausnahmsweisewerden die Ehegatten (beim gemeinschaftlichen Testament) bzw. die Erbvertragsparteien (beim Erbvertrag) den Willen haben, die Bindung soll nur dazu führen, daß der Vertrags- bzw. Schlußerbe lediglich etwas erhalten soll, falls überhaupt noch Vermögenswerte vorhanden sind. Zugespitzt formuliert handelt es sich um ein gemeinschaftliches Testament bzw. um einen Erbvertrag, bei dem die Bindungswirkung nur den Zweck hat, den gebundenen Erblasser an der freien Verfügung von Todes wegen zugunsten eines anderen als dem im gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag eingesetzten Schluß- bzw. Vertragserben zu hindern. (3.) Die 3. Kategorie umfaßt die Fälle, in denen die Ehegatten bzw. Erbvertragsparteien besondere Bindungen auf sich nehmen wollen, weil sie dem gemeinsamen Wunsch und Willen entsprechen wollen, daß das gesamte Vermögen oder daß gerade ein bestimmtes Vermögensstück, etwa ein Hausgrundstück, dem begünstigten Erben definitiv zufällt. In dieser Kategorie ist aber fraglich, ob gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag überhaupt dazu geeignet sind, diesen Parteiwillen zu verwirklichen.

112

S. B I 2.

m S. oben, 3. Kapitel B I 3 b.

"< Häufig gehen die Ehegatten beim gemeinschaftlichenTestament davon aus, si!! könnt!!nauch

zu Lebzeiten keine "größeren Vermögensverschiebungen" mehr vornehmen. weil sie sich gebunden hätten.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

99

Iß. Die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften (§§ 2286 - 2289 BGB) bei Berücksichtigung des Parteiwillens 1. Die Differenzierung nach der Rechtsnatur der Zweitverfügung Hat man bezüglich der Intensität der Bindung drei unterschiedliche Kategorien ermittelt, so gilt es nunmehr, präzise rechtliche Maßstäbe zu finden, welche Zweitverfügungen bei jeder der Kategorien jeweils erlaubt sind und welche Rechtsfolgen sich bei einer Überschreitung der durch die Bindung gezogenen rechtlichen Schranken ergeben. Die verschiedenen Zweitverfügungen können bezüglich ihrer Rechtsnatur in folgender Weise unterschieden werden: (1.) Es gibt Zweitverfügungen in Form voll entgeltlicher Rechtsgeschäfte, bei denen der Erblasser die volle Gegenleistung erhält. (2.) Ferner gibt es ganz oder teilweise unentgeltliche Zweitverfügungen unter Lebenden. (3.) Bei manchen entgeltlichen Rechtsgeschäften erhält der Erblasser die Gegenleistung zu Lebzeiten, er erbringt aber seine eigene Leistungjedenfalls zum Teil nicht zu Lebzeiten, sondern erst mit oder nach seinem Tod. (4.) Der Erblasser trifft trotz Bindung eine entgegenstehende Verfügung von Todes wegen. Die Interpretation anband des Wortlauts der §§ 2286 - 2289 BGB reicht indes, wie dargelegt und wie auch ein Blick auf die bisherige Rechtsprechung zeigt, nicht aus. Entscheidend ist, ob teleologische Argumente gefunden werden können, die im Einzelfall eine Zweitverfügung als nicht sachgerecht erscheinen lassen und sie deshalb gegenüber dem Vertrags- bzw. Schlußerben nicht bestehen kann und unter § 2287 BGB zu subsumieren ist. Ein Blick auf die gesetzlichen Regelungen gibt hier schon deswegen kaum Aufschluß, weil diese prinzipiell nur nach abstrakten objektiven Gegebenheiten differenzieren. Lediglich § 2289 Abs. 2 BGB enthält ein konkret-subjektives, einzelfallbezogenes Element. Er erlaubt nämlich trotz der Bindung solche letztwilligen (Zweit-) Verfügungen, die lediglich im Interesse eines verschwendungssüchtigen oder grob überschuldeten pflichtteilsberechtigten Abkömmlings Anordnungen i.S.d. § 2338 BGB treffen, also z.B. die Anordnung, daß der Ab-

100

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

kömmling nur Vorerbe, dessen gesetzliche Erben dann Nacherben sein sollen115 • Hier hat der Gesetzgeber immerhin zugelassen, daß eine letztwillige Zweitverfügung, die der bindenden Erstverfügung zuwiderläuft, dennoch wirksam ist, wenn sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, die höher als die Interessen des Erbvertragspartners und des Vertragserben an der Bindung einzustufen sind. Allerdings kann man daraus nicht einen allgemeinen Grundsatz des § 2289 BGB dergestalt herleiten, daß stets letztwillige Zweitverfügungen aus höherrangigem Interesse entgegen dieser Vorschrift wirksam wären. Denn die Besonderheit bei § 2289 Abs. 2 BGB ist gerade, daß der Erbe die Erbschaft in vollem Umfang erhält und lediglich in seinem eigenen Interesse mit einer Beschränkung versehen wird, die der Gesetzgeber sogar gegenüber Ptlichtteilsberechtigten zugelassen hat. Diese gesetzliche Regelung legt aber immerhin den allgemeinen Schluß nahe, daß generell für die Wirksamkeit von Zweitverfügungen auch sachlich-inhaltliche, nicht allein formale Gesichtspunkte entscheidend sind. Wie wichtig dieser Ansatz ist, zeigt sich gerade bei Rechtsgeschäften unter Lebenden, deren Wirkungen den Erblasser erst nach seinem Tod treffen. Hier vermag die Aussage, es handele sich um eine Schenkung auf den Todesfall, die aber bereits zu Lebzeiten vollzogen sei und deshalb nach § 2301 Abs. 2 BGB den Rechtsnormen über die Schenkungen unter Lebenden unterliege 116 , keine sachliche Begründung dafür zu liefern, ob die Schenkung gegenüber dem Vertrags- bzw. Schluß erben bestandsfest sein kann oder nicht. Das muß anband sachlicher Kriterien, nicht anband der rechtlich formalen Qualifizierung des Rechtsgeschäfts entschieden werden. Ehe nunmehr die einzelnen Fälle näher untersucht werden, gilt es, den methodischen Rahmen für die hier entwickelten Lösungsansätze abzustecken. 2. Methodische Überlegungen Methodisch gibt es, um die hier gefundenen Erkenntnisse zu verwirklichen, jedenfalls theoretisch, folgende Wege:

JU § 2289 Abs. 2 BGB beruht auf der Überlegung, daß der Bedachte als pflichtteilsberechtigter Abkömmling auf die Interessen der Familie Rücksicht nehmen und deshalb im Regelfall mit Anordnungen i.S.d. § 2338 BGB einverstanden sein wird. Vgl. KG KGJ 48, 143 (150); MünchKommJMusielak, § 2289, Rz. 3; RGRK-Kregel, § 2289, Rz. 4. 116

S. hierru im einzelnen oben A I I.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

101

(1.) Es besteht die Möglichkeit § 2287 BGB unmittelbar und gegebenenfalls erweiternd auf alle Geschäfte anzuwenden, die zwar solche unter Lebenden sind, aufgrund teleologischer Wertungen jedoch im Verhältnis zum Vertrags- bzw. Schlußerben keinen Bestand haben können, weil sie wirtschaftlich Verfügungen von Todes wegen gleichkommen.

(2.) In Betracht käme ferner eine analoge Anwendung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB oder des in ihm enthaltenen Rechtsgedankens in den genannten Fällen sowie eine teleologische Reduktion des § 2286 BGB. (3.) Schließlich könnte man speziell bei Verfügungen unter Lebenden, insbesondere bei voll unentgeltlichen, die erst mit oder nach dem Tode des Erblassers Wirksamkeit entfalten, weil sie z.B. aufschiebend bedingt sind, § 2289 Abs.l S. 2 BGB dergestalt interpretieren, daß der Begriff "Verfügung von Todes wegen" hier anders als ansonsten in der Rechtsordnung, etwa anders als in § 2301 BGB verstanden würde. Er müßte dann vielleicht auch Geschäfte erfassen, deren wirtschaftliche Folgen erst nach dem Tod des gebundenen Erblassers eintreten. a) Bislang verlrelene Lileralurmeinungen

Die ausdehnende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB wurde in der Vergangenheit - allerdings in anderem Zusammenhang - von Benkö l17 vorgeschlagen. Sie hält § 2287 BGB auf alle Rechtsgeschäfte, nicht nur auf Schenkungen für anwendbar, die der Erblasser ohne lebzeitiges Eigeninteresse, sondern zwecks Schädigung eines bindend eingesetzten Erben vorgenommen hat l 18. Auch wenn Benkös Ansicht sich mit der hier vorliegenden nicht deckt und somit in Einzelheiten sicher nicht übernommen werden kann, so zeigt sie doch das Bestreben der Autorin, das lückenhafte System der §§ 2286 - 2289 BGB durch extensive Anwendung einer Norm zu ergänzen. Eine Analogie zu § 2271 BGB wurde von Teichmann l19 mit der Begründung vorgeschlagen, die für eine solche Analogie erforderliche Gesetzeslücke liege

117

Benkö, S. 62 ff.

Benkö, S. 62 f., die § 2287 BGB analog in den Fällen anwenden will, in denen sich Ehegath:n in einem gemeinschaftlichen Testament zu Erben eingesetzt haben und einer von ihnen eine Schenkung auf den Todesfall (§ 2301 BGB) abschließt. Vgl. auch Speth, NJW 1985,463 ff. IIS

119

Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 93 ff.

102

3. Kap.: Das Vemältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

in dem Bedürfnis, einen über §§ 2287, 2288 BGB hinausgehenden Schutz des vertraglich Bedachten zu erreichenl:!D. Das entspricht bezüglich des Grundgedankens auch der hier vertretenen Meinung. Doch erscheint es als unnötige Komplizierung, § 2271 BGB heranzuziehen, obwohl §§ 2287 - 2289 BGB die Problematik der Zweitgeschäfte regeln und durchaus einer ausdehnenden oder entsprechenden Anwendung zugänglich sind. Am weitaus umfassendsten hat sich Reubold mit der Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB auseinandergesetzt l21 , nachdem er zunächst begründet hat, daß die sog .• Aushöhlungsfalle" nicht unter § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB subsumiert werden könnten122 • Reubold gelangt zu dem Ergebnis, daß eine analoge Anwendung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB nicht in Betracht komme, weil es an einer Gesetzeslücke fehle 123 • Reubolds Ansicht kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil er die hier auch interessierende Problematik der Rechtsgeschäfte, die die Rechtsprechung "noch· als solche unter Lebenden einstuft, die aber den Erblasser wirtschaftlich erst nach dem Tode belasten, in ihrer Tragweite nicht erkannt hat. Reubold beschäftigt sich zwar umfassend mit der Abgrenzungsproblematik zwischen Rechtsgeschäften unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen anhand des § 2301 BGB I24 • Aber er hat hier nicht berücksichtigt, daß diese Abgrenzung im Rahmen des § 2301 BGB nicht die Wertungen einbeziehen kann, die bei der hiesigen Problematik der Abgrenzung von erlaubten und nicht mehr hinnehmbaren Zweitgeschäften maßgeblich sind. Reubolds Ansicht ist deshalb nicht tragfahig. Zudem leidet sie an einem methodischen Fehler: Wenn man, wie Reubold, eine im gesamten Erbrecht für alle Vorschriften einheitliche Abgrenzung zwischen Rechtsgeschäften unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen sucht, dann muß man hierbei auch bei allen, den Begriff "Verfügung von Todes wegen· enthaltenden Vorschriften die maßgeblichen Probleme ausloten und in die Betrachtung einbeziehen. Es kann nicht angehen, die Abgrenzung,

120 Teichmann, (Fn. 119), S. 93 ff., hat hierbei allerdings primär die Fälle der lebuitigen Veräußerungsgeschäftedurch den Erblasser im Auge. 121

Reubold, S. 109 ff.

122

Reubold, S. 81 - 109.

123

Reubold, S. 109 ff.

12.

Reubold, S. 87.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

103

die im wesentlichen anband des § 2301 BGB vorgenommen wird J2S auf eine andere Norm (§ 2289 BGB) mit völlig anderen Funktionen zu übertragen. Nicht nutzbringend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht von Strunz, die von vorneherein das Argumentationsfeld zu sehr verengt, indem sie sich durch die Begriffe "Schenkung" und "Beeinträchtigungsabsicht" in § 2287 BGB gebunden glaubt J26 • Ob auch andere Rechtsgeschäfte als Schenkungen einen Bereicherungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 2287 BGB auslösen können, weil sie als gegen die Bindungswirkung verstoßende Zeitgeschäfte zu qualifizieren sind, ist für Strunz deshalb kein zentrales Problem. Insgesamt gesehen kann also keine der Literaturansichten im Ergebnis oder im methodischen Ansatz unbesehen übernommen werden, weil sie gegenüber dem hier vertretenen Ausgangspunkt grundlegend verschieden sind und auch in der Sache nicht überzeugen. b) Eigener Lösungsansatz

Betrachtet man die hier vorgeschlagenen drei methodischen Ansätze, so stellt man fest, daß keiner für sich allein der hier zu lösenden Problematik gerecht zu werden vermag, weil weder § 2287 BGB noch § 2289 Abs. I S. 2 BGB auf sie paßt. § 2289 Abs. 1 BGB meint, wenn er von "letztwilliger Verfügung" bzw. "Verfügung von Todes wegen" spricht, die Anordnung im Testament oder Erbvertrag, nicht etwa das einzelne dingliche Rechtsgeschäft, das den Wechsel der Rechtsinhaberschaft herbeiführt. Der Gesetzgeber konnte diesen Wechsel mit § 2289 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB bereits dadurch unterbinden, daß er schon die letztwillige Verfügung, also die" Anordnung" im Testament oder Erbvertrag, für unwirksam erklärte. Dies läßt sich auf die hier in Frage stehenden Konstellationen, bei denen es um Rechtsgeschäfte geht, in denen der Erblasser zu Lebzeiten eine Leistung empfängt und sein Vermögensopfer erst nach seinem Tod erfolgen soll, nicht ohne weiteres übertragen. Denn dem § 2287 BGB kann ja gerade der Grundsatz entnommen werden, daß ein Zweitgeschäft des gebundenen Erblassers zu seinen Lebzeiten sogar dann Bestand hat, wenn es eine beeinträchtigende Schenkung ist. Dazu stünde eine erweiternde Interpretation

12> Reubold, S. 90 f., zieht zusätzlich noch die Höfeordnung für die Britische Zone heran, daß aber hielVon Impulse für die Abgrenzung ausgingen.

126

Vgl. Strunz, S. 48 ff.

ohn~

104

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

oder eine analoge Anwendung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB in Widerspruch, die für Rechtsgeschäfte unterhalb dieser Schwelle der beeinträchtigenden Schenkung Nichtigkeit bereits zu Lebzeiten anordnen würden. Aber auch eine (alleinige) analoge Anwendung des § 2287 Abs. 1 BGB auf die hier in Frage stehenden Fälle reicht nicht aus. Denn diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, daß der Erblasser und sein Vertragspartner einen Vertrag zu Lebzeiten schließen und nur dessen Erfüllung auf Erblasserseite ganz oder zum Teil nach dessen Tod aufschieben. Es wäre aber sinnlos, in den Fällen nach dem Tod des Erblassers erst noch Rechtswirkungen eintreten zu lassen, in denen aufgrund teleologischer Betrachtung das Ergebnis gewonnen wird, ein Rechtsgeschäft könne gegenüber dem Vertrags- oder Schlußerben keinen Bestand haben und dieser müsse nach dem Tod einen (Kondiktions-) Anspruch erhalten, mit dem er diese Rechtswirkungen wieder rückgängig machen könnte. Man tindet deshalb eine dogmatisch korrekte und zugleich praktisch sinnvolle Lösung nur, wenn man auf die Grundprinzipien, die §§ 2286 - 2289 BGB insgesamt enthalten, rekurriert. Diese stellen sich wie folgt dar: Ausweislich der den § 2286 BGB und § 2287 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken sind Rechtsgeschäfte des Erblassers zu Lebzeiten prinzipiell wirksam 127 , weil insoweit seine Verfügungsfreiheit über sein Vermögen möglichst weitgehend erhalten bleiben soll. Deshalb gibt es sogar für Zweitgeschäfte, die der Gesetzgeber mißbilligt und als im Verhältnis zum begünstigten Erben nicht als "endgültig und dauerhaft beständig" qualifiziert hat, nach § 2287 BGB erst nach dem Tod des Erblassers einen Kondiktionsanspruch. Aus § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt sich die Zielsetzung der Rechtsordnung, zu verhindern, daß nach dem Tod des Erblassers unzulässige, weil in Widerspruch zur Bindung stehende Vermögensverschiebungen überhaupt noch eintreten. Das einfachste Mittel hierzu war aus der Sicht des historischen Gesetzgebers, letztwillige Verfügungen, die zu solchen Vermögensverschiebungen geführt hätten, generell für unwirksam zu erklären. Das "Gesamtkonzept" der in §§ 2286 - 2289 BGB enthaltenen Rechtsgedanken lautet also: Alles, was der Erblasser zu Lebzeiten vornimmt, ist wirksam und allenfalls durch einen Kondiktionsanspruch (nach dem Tod) rückgängig zu machen. Nach dem Tod darf es keine Vermögensverschiebungen mehr geben.

117 Eine Ausnahme gilt nur bei Verstoß gegen die guten Sitten, § 138 BGB (s. oben A 11 2). Darauf braucht hier nicht eingegangen zu werden, weil, wie dargelegt, allein eine von der Rechtsordnung nicht hinnehmbare Beeinträchtigung des begünstigten Erben noch nicht sittenwidrig ist.

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

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Dieses Prinzip kann und muß auch für die Fälle gelten, in denen aufgrund teleologischer Argumente das Ergebnis gewonnen wird, ein Rechtsgeschäft des Erblassers, das ihn wirtschaftlich erst nach seinem Tod trifft, könne wegen Verstoßes gegen eine Bindungswirkung keinen Bestand haben. Somit gilt: Alle Rechtsgeschäfte, die der gebundene Erblasser zu Lebzeiten vornimmt, sind bzw. waren wirksam. Alle Vermögensverschiebungen, die erst nach oder mit dem Tod des gebundenen Erblassers eintreten sollen, treten nicht mehr ein. Wenn also der gebundene Erblasser - was noch im einzelnen zu klären ist unter Verstoß gegen die Bindung beispielsweise mit seiner Bank einen Darlehensvertrag zugunsten eines Dritten auf den TodesfaW28 geschlossen hat '29 , dann tritt der Vollzug der Schenkung mit dem Tod nicht ein. Das zu Lebzeiten abgegebene Angebot des gebundenen Erblassers an den Dritten '30 erlischt mit dem Tod des Erblassers. War das Angebot (im Valutaverhältnis) wegen Formmangels unwirksam, so kann nach h.M. nach dem Tod des Erblassers (Versprechensempfängers) eine wirksame Schenkung noch zustandekommen, wenn der Versprechende - in "Sparbuchfallen " 131 also die Bank - dem Dritten das Angebot, das dann als solches des Versprechensempfängers gilt\32, übermittelt. In einem solchen Fall müssen nach hier vertretener Ansicht mit dem Tod der Auftrag und die Vollmacht der Bank zu dieser Übermittlung erlöschen. Sollte der Dritte bereits zu Lebzeiten den (wirksamen) Schenkungsantrag des Erblassers antezipiert angenommen haben, so träte nach hier vertretener Ansicht mit dem Tod die Bedingung, die ansonsten zum Erwerb der Darlehensforderung führen würde, nicht ein. Denn aufschiebende Bedingung ist hier der Tod, mit dem aber entsprechend den hier dargestellten Prinzipien gerade die Ver-

12. Zur Zu lässigkeit solcher Verträge vgl. die sI. Rspr., insbes. BGHZ 66, 9 (13); BGH NJW 1975, 382 (383); vgl. ferner BGHZ 91, 288 (291, bezüglich eines Lebensversicherungswrtrags), OLG Karlsruhe FarnRZ 1989, 322 bezüglich eines Erlaßvertrages, durch den eine Darlehensschuld mit Wirkung auf den Tod erlassen wurde. 129

So z.B. im Fall BGHZ 66, 9; s. oben 2. Kapitel B I (3.).

hn Falle der Schenkung bedarf es der notariellen Beurkundung (§ 518 Abs. I BGB), um wirksam zu sein (vgl. BGHZ 91, 291). 130

131

S. die Nachweise in Fn. 128.

m Nach sI. Rspr. können die Erben den Vertragsschlußdurch Widerruf des Angebots verhindern (BGH NJW 1975,382 (383 f.); Hager, in: Festschrift v. Caemmerer, 1978, S. 127 (135 ff.); Palandt/Edenhofer, § 2301, Anm. 4 b)

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3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfiigungen

fügungsmacht des Erblassers erlischt. Rechtsveränderungen treten somit nach dem Tod nicht mehr ein. Falls der Dritte bei gemischten Schenkungen seinerseits eine Leistung erbracht hat, muß er diese, soweit er vom Erblasser nunmehr die Gegenleistung nicht mehr erhält, zurückverlangen können. Handelt es sich um einen teilweise entgeltlichen einheitlichen Vertrag, so wäre eventuell an eine Anwendnng der §§ 320 ff. BGB für die Rückabwicklung zu denken. Die Anwendung der §§ 320 ff. BGB wird allerdings beim Erbvertrag von der h.M. abgelehnt133 • Vielmehr wird in Fällen, in denen eine Partei des Erbvertrags ihre Leistung nicht erbringt, allenfalls eine Anfechtung nach § 2078 Il BGB zugelassen l34 , so daß dann nach Bereicherungsrecht abzuwickeln ist. Sachgerechter ist jedenfalls in den Fällen, in denen es nur um die Rückforderung der Leistung eines Erbvertragspartners geht, der nicht letztwillig verfügt hat, eine Rückabwicklung entsprechend §§ 346 ff. BGB. Der Streit soll hier nicht vertieft werden, weil er im vorliegenden Zusammenhang kaum praktische Bedeutung hat. Hier hat nämlich in den meisten Fällen der Dritte seine Leistungen bereits zu Lebzeiten des Erblassers im Hinblick auf den Erhalt der Vermögenszuwendung nach dessen Tod erbracht, die er nunmehr aber nicht erhält. In einem solchen Fall ist der Tatbestand des § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB (condictio causa data, causa non secuta = condictio ob rem) erfüllt. Erblasser und Dritter haben einen Erfolg bezweckt, der nicht eingetreten ist 135 • Soweit der Erblasser bereits eine Leistung zu Lebzeiten erbracht hat, die wegen dieser Zweckverfehlung ebenfalls keinen Bestand haben kann, kann auch der Vertragserbe kondizieren. Schwieriger ist die Rechtslage in den Fällen, in denen der Erblasser zu Lebzeiten das Eigentum beispielsweise an einem Grundstück überträgt, sich aber den Nießbrauch bis zu seinem Tod vorbehält l36 • Kommt man in einem derartigen Fall zu dem Ergebnis, das Rechtsgeschäft könne wegen Verstoßes gegen die in §§ 2287 - 2289 BGB enthaltenen Prinzipien wegen der Bindungswirkung keinen Bestand haben, so reicht allein der hier

ll3 Umfassende Nachweise bei Stünebecher, NJW 1988,2171, Fn. 2, der selbst §§ 320 ff. BGB zur Anwendung bringen will.

,:14 Nachweise bei Stüntbecher, NJW 1988,2717, Fn. 2. Zu Einzelheitendes § 812 Abs. 1 S. 2,2. Alt. BGB Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, S. 55 ff.; Kupisch, JZ 1985, 101 und 163; Palandt/Thomas, § 812. Anm. 6 A d; Weber, JZ 1987, 25 ff. m

136

(12.).

Vgl. BGHZ 82, 274, s. oben 2. Kapitel B I (9.), und BGHZ 88, 268, s. oben 2. Kapitd B 1

B. Die Bindung und ihr Verhältnis zur Freiheit des Erblassers

107

entwickelte Rechtsgedanke, nach dem Tod des Erblassers könnten keine Vermögensverschiebungen mehr eintreten, nicht aus. Dieser führte nur dazu, daß der Nießbrauch mit dem Tod nicht erlöschen würde. Hierdurch wäre aber den Interessen des Vertrags- bzw. Schlußerben noch nicht ausreichend Rechnung getragen. Hier muß dieser in entsprechender Anwendung des § 2287 BGB enthaltenen Rechtsprinzips das Grundstück mit einem Kondiktionsanspruch vom Dritten zurückfordern können. Dieser kann unter Umständen eigene Gegenleistungen bzw. ein Wertersatzverlangen entgegenhalten137 •

c. Die Konkretisierung der Bindung im einzelnen Nunmehr, da der methodische Rahmen abgesteckt ist, kann untersucht werden, wie intensiv entsprechend dem Willen der Erbvertragspartner bzw. der testierenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament die Bindung ist oder anders ausgedrückt, welche Zweitverfügungen trotz der Bindung in den jeweils in eine der obigen Kategorien einzustufenden Einzelfällen zulässig und somit nach dem Tode des Erblassers "kondiktionsfest" sind. Hierbei erweist sich die vorgenommene Rechtsprechungsanalyse als nutzbringend und geradezu unverzichtbar. Sie gibt nämlich die praktisch häufig vorkommenden Konstellationen und die Beweggründe gebundener Erblasser für Zweitgeschäfte wieder. Die Rechtsprechung hat bis zum Jahr 1972 bei der Entscheidung, ob eine Aushöhlung des Erbvertrags oder des gemeinschaftlichen Testaments vorliegt l38 und ab 1972 bei der Frage, ob ein lebzeitiges Eigeninteresse besteht l39 , durchwegs auf die Gründe, auf die Motive für das Zweitgeschäft abgestellt. Diese Gründe können auch für die nachfolgende Untersuchung herangezogen werden. Dabei ist - die Rechtsprechung hat dies allerdings in dieser Deutlichkeit nicht immer herausgestellt - stets zu beachten, daß einer Zweitverfügung ein unentgeltliches Rechtsgeschäft (Schenkung), ein teilunentgeltliches Rechtsgeschäft (gemischte Schenkung) oder ein vollentgeltliches Rechtsgeschäft (z.B. ein Kaufvertrag) zugrunde liegen kann.

137

Hierzu statt aller: MünchKommlMusielak, § 2287, Rz. 17 f.

'"~

S. oben 2. Kapitel A 13.

139

S. 2. Kapitel B I.

108

3. Kap.: Das Verhältnis von Bindung und Freiheit bei Zweitverfügungen

Folgende Beweggründe und Ursachen für Zweitgeschäfte sind häufig: (1.) Der gebundene Erblasser will, ohne daß sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten, zu Lebzeiten die Erbfolge vorwegnehmen, um sie anders als im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament zu regeln l40 • (2.) Die persönlichen Verhältnisse des gebundenen Erblassers zum Vertragsbzw. Schlußerben haben sich geändert, sei es, daß ein Zerwürfnis eingetreten ist l41 oder daß der Erblasser plötzlich wegen enger Bindung zu einer dritten Person dieser Vermögen entgeltlich oder (teil-) unentgeltlich zuwenden will 142 • (3.) Der Erblasser verfügt unentgeltlich oder teilunentgeltlich, um seme Versorgung und Pflege im Alter zu sichem l43 oder als Dank für geleistete Hilfel44 • (4.) Die unentgeltliche Verfügung entspricht einer dem Erblasser obliegenden sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht l4\ etwa wenn sie eine Hilfe des Erblassers für einen nahen Angehörigen in einer Notlage darstellt. (5.) Die unentgeltliche Verfügung führt zu einer Vermögensübertragung, die nur ganz oder zum Teil die ohnehin eintretende Erbfolge vorwegnimmt. Hier sind etwa die "Vorwegerfüllung" eines nach dem Tode des Erblassers entstehenden Pflichtteilsrechtsl46 oder eines Vermächtnisanspruchs l41, aber auch eine vorweggenommene Nachlaßverwaltung l48 zu nennen. (6.) Der Erblasser, der ein Anfechtungsrecht hat, durch dessen Ausübung er sich von der Bindung lösen und dadurch die Erberwartungen des begünstig-

'40 Vgl.

BGHZ 82, 274 (278); oben 2. Kapitel B I (9.).

14' Vgl. LG Gießen MDR 1981,582. "2

Vgl. BGH FamRZ 1983,53.

'0 Vgl. BGHZ 66, 8 = LM Nr. 6 zu § 2301 BGB mit Anm. Johannsen; BGHZ 83, 44 (46).

,.. Vgl. BGHZ 66, 8 (16), obiter dictum. ,BGHZ 26,204(208 ff.); BGHFamRZ 1961, 76; BGHWM 1970,482 f.; ebenso: BayObLG RPfleger 1982, 285; BayObLG RPfleger 1983, 70. 26

BGH FamRZ 1961,76 (77); BGH WM 1970,482 (483); vgl. BGH WM 1983,234 (236).

17

Einzelheiten bei Nolting, S. 15 f.

21 BGHZ 26, 204 (208); BGH DNotZ 1978,298 (299); OLG Hamm DNotZ 1974, 627 (628); vgl. auch BGH FamRZ 1989,496.

29 BGH NJW 1961, 120; Keßler, DRiZ 1966,395 (398) unter BezugnahmeaufBGH· I1126/63 vom 9.7.1964; BGH DNotZ 1970,356 (357 f.). 30 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 5. Bd., Erbrecht, § 657, 11, S. 137; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 3. Bd., I. Hälfte, Erbrecht, § 80 V a, S. 630; Hellwig, Die Verträge auf Leistung an Dritte, S. 616; KrelZ$chmar, Das Erbrecht des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, 1910, § 51 13, S. 229; Planck, I. und 2. Aufl., § 2278, Anm. 1,2. 31

Leonhard, § 2299, Anm. 11 D; Staudinger/Her7jelder, 9. Aufl., § 2278, Anm. 6.

B. Der Meinungsstand zur Erminlung der Bindung

137

und, wenn dieser nicht festgestellt werden könne, der hypothetische Parteiwille zu ennitteln. Die Rechtsprechung verwendet nach Coings Ansicht den Begriff des Interesses • als eine Art Leitfaden·, um den Partei willen zu erforschen32 • Ähnliche Ergebnisse gewinnt Siebert33 • Die ganz herrschende Meinung in der Literatur steht bis heute auf dem Standpunkt, es gebe keine Auslegungsregel dergestalt, daß die in einem Erbvertrag enthaltene Erbeinsetzung im Zweifel eine vertragsmäßige Verfügung sei. Was gewollt sei, müsse im Einzelfall durch Auslegung ennittelt werden34 • Ähnlich und weithin in Einklang mit der Rechtsprechung35 werden allenfalls bestimmte Vermutungen und Indizien zugelassen 36 • Sehr ausführlich hat sich, wie erwähnt, Nolting mit der gesamten Problematik und allen hierzu vertretenen Ansichten auseinandergesetzt37 • Er lehnt die und auch alle übrigen bislang vertretenen Ansichten ab und stellt - mit ausführlicher Begründung - die Auslegungsregel auf, daß jede Verfügung im Erbvertrag im Zweifel als bindend anzusehen sei 38 • Nolting räumt allerdings ein, daß der Anwendungsbereich für diese seine generelle Auslegungsregel erst dann eröffnet sei, wenn ein Zweifelsfall vorliege, sich also mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungsmittel, §§ 133, 157 BGB, ein gerechtes Ergebnis nicht finden lasse39 • Grunsky hat gegen die Ansicht Noltings drei Argumente vorgebracht40 : Erstens treffe die Kritik Noltings an der h.M., daß der Interessenbegriff zu unbestimmt sei, nur teilweise zu. Die Offenheit der Interessenjurisprudenz

32

Coing, NJW 1958,689 ff.

"Sieben, in: Festschrift-Hedernann, 1958, S. 237 ff. .. Bengel, in: DittrnannlReirnannlBenge1, § 2278, Rz. 6; Brox, Erbrecht, Rz. 149; Buchholz, FamRZ 1987,440 ff.; Giencke, FamRZ 1974,241 ff., der allerdings gern. § 157 BGB auch die Interessen des anderen Vertragsteils berücksichtigen will; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 I 2, S. 641; Leipold, Erbrecht, Rz. 384, S. 179; v. Lübtow, Erbrecht I, S. 400; Schliiter, Erbrecht, § 25 V 2, S. 157; aus der Kommentarliteratur: ErmanlHense/Schmidt, § 2278, Rz. 2; JauerniglSliimer, § 2278, Anrn. 1 a; MünchKornmlMusielak, § 2278, Rz. 2 ff.; PalandtlEdenhofer, § 2278, Anm. 2; SoergellWolf, § 2278, Rz. 2 ff. " Oben mit Fn. 17,21 - 26. 36 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 I 2, Fn. 13, S. 641; Schlüter, Erbrecht, § 25 V 2, S. 157; deutlicher: StaudingerlKanzleiter, § 2278, Rz. 10.

37

Nolling, S. 5 ff.

Nolling, S. 23 ff.; kritisch hienu: Buchholz, FamRZ 1987,440 (443 ff.), und Gmnsky, AcP 188 (1988), 653 ff. II

39

Nolling, S. 62 f .

.. Grunsky, AcP 188 (1988), 653 (655 f.).

138

4. Kap.: Bindung und Parteiwille

gegenüber den Interessen des Einzelfalls sei ihr stärkstes Argument. Es sei nicht einzusehen, warum es beim Erbvertrag damit besondere Probleme geben solle. Soweit gegen das Ergebnis der h.M. bei der Ermittlung der Bindungswirkung Probleme bestünden, scheine naheliegend, daß nur der Interessenbegriff nicht richtig eingesetzt worden sei und dahingehend korrigiert werden müsse, daß ein rein moralisches Interesse am Bestehenbleiben einer erbrechtlichen Beschwerung nicht ausreiche, um eine Bindung des Erblassers zu begründen. Zweitens könne die Auslegungsregel Noltings, die ja nur im Zweifel gelte, vom Richter leicht umgangen werden, indem er seine Zweifel unterdrücke. Drittens helfe der Ansatz Noltings, daß die Form des Erbvertrags nur dann gewählt werde, wenn man sich binden wolle, bei Erbverträgen mit mehreren - nicht nur einer - letztwilligen Verfügungen nicht weiter. Damit lasse sich zwar begründen, daß eine Verfügung bindend sein solle. Er gebe hingegen nichts dafür her, wie viele und weIche Verfügungen hier bindend seien41 • Grunsky meint allerdings, Nolting habe seinen Ansatz nicht hinreichend gegen mögliche Einwände abgesichert 42 • In der Sache erscheint die Kritik Grunskys in allen Punkten berechtigt. Darüber hinausgehend mag bezweifelt werden, ob die Auslegungsregel Noltings der Praxis tatsächlich mehr Klarheit und eine Vereinfachung brächte. Denn da auch nach dieser Ansicht zunächst im Wege der Auslegung der Parteiwille ermittelt werden muß - und gerade dies ist ja in Prozessen oft die mühevollste und schwierigste Aufgabe -, wird hierbei in vielen Fällen der Richter kaum judizieren, er habe trotz gründlicher Aufklärung des Sachverhalts das Ergebnis gewonnen, daß sich bezüglich der Bindung nichts ermitteln lasse, und deshalb müsse er zu einer Auslegungsregel greifen, die eine Bindung unterstelle. Einen zumindest hypothetischen Partei willen gibt es fast immer. All das muß nicht zwingend dagegen sprechen, bei der Ermittlung der Bindung Auslegungsregeln zu entwickeln. Es spricht indes gegen die gänzlich undifferenzierte Auslegungsregel Noltings, die im Ergebnis nur zu einer Beweislastumkehr führt. In den Fällen, in denen es nämlich nicht gelingt, die Vertragsmäßigkeit einer Zuwendung zu beweisen - der Beweis obliegt dem, der sich darauf beruft -, wird dem Beweispflichtigen dieser Beweis durch die Auslegungsregel Noltings abgenommen. Dies erscheint wenig überzeugend. Sinnvoll wäre es, allenfalls anband der Analyse zahlreicher sachgerecht gelöster Einzelfälle zu einer differenzierten Auslegungsregel zu finden. Sie müßte erkennen lassen, daß und wann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzun-

4'

Grnnsky, AcP 188 (1988), 653 (655 f.).

42

Grnnsky, AcP 188 (1988), 653 (657).

B. Der Meinungsstand zur Enniulung der Bindung

139

gen bzw. Fakten der Schluß auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Vertragsmäßigkeit der betreffenden Verfügung naheliegt oder nicht. Da diese Arbeit allerdings nicht die Existenz der Bindung als solche zum Gegenstand hat, kann von einer weiteren Vertiefung dieser Problematik Abstand genommen werden. Denn eine Regelung, die über das "Ob" der Bindung entschiede, müßte nicht zwangsläufig auch bei Problemen der Einzelausgestaltung anwendbar sein. Wenn sie aber bereits für das "Ob" als zu undifferenziert abzulehnen ist, gilt das erst recht für die wesentlich diffizilere Frage des Umfangs der Bindungswirkung im einzelnen. Faßt man die bisher von der Rechtsprechung und Literatur gewonnenen Erkenntnisse zur Ermittlung der Vertragsmäßigkeit und damit des bindenden Charakters letztwilliger Verfügungen beim Erbvertrag zusammen, so stellt man fest, daß die Rechtsprechung und h.M. auch hier dem Parteiwillen die entscheidende und vorrangige Funktion einräumen. Rechtsprechung und Literatur sind im Verlauf der Jahrzehnte seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bislang allerdings über einzel fall bezogene Lösungen nicht hinausgekommen. Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, daß man häufig nicht mit der nötigen Klarheit festgestellt hat, es lasse sich kein realer Parteiwille finden, so daß es gelte, nach Kriterien und eventuell sogar nach Regeln für die Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens zu suchen. Wenn nämlich die Parteien das Problem der Vertragsmäßigkeit und Bindung in seinen Konsequenzen erkannt und bedacht hätten, so hätten sie wohl häufig Regelungen getroffen. Beim Erbvertrag, der ja stets der notariellen Form bedarf (§ 2276 BGB), und bei notariellen gemeinschaftlichen Testamenten muß der Notar die Parteien bzw. Ehegatten über die Bindung und insbesondere auch über deren Umfang und deren Folgen aufklären. Deshalb ist bei der Klärung, welche Intensität die Parteien in bezug auf die Bindung wollten, welcher Kategorie also eine Verfügung zuzuordnen ist, wie schon oben ausgeführt, stets zu differenzieren zwischen den Fällen, in denen die Parteien tatsächlich beraten wurden und denen, in denen dies nicht der Fall war. Wurden die Parteien tatsächlich und so, daß sie es auch verstanden haben, etwa darüber beraten, welch relativ weitgehenden Spielraum die Rechtsprechung dem gebundenen Erblasser für Zweitgeschäfte beläßt und haben sie dennoch keine besonderen, diese Freiheit einschränkenden Regelungen getroffen, so ist davon auszugehen, daß die Freiheit ihrem Willen entspricht. Die Bindung ist dann ähnlich "schwach" ausgeprägt wie in den hier in die 2. Kategorie eingeordneten Fällen, wenn auch nicht unbedingt durchgehend damit deckungsgleich. Dieser besondere Parteiwille geht dem vor, was im folgenden als Regelflille dargestellt wird.

4. Kap.: Bindung und Parteiwille

140

Die nachstehenden Ausführungen beschäftigen sich daher nur mit den Fällen, in denen die Parteien entweder nicht oder doch nur so allgemein beraten wurden, daß aus dem Fehlen besonderer Sicherungen der Bindung nicht auf ihren Willen geschlossen werden kann, sie billigten zumindest gewisse nach der derzeitigen Rechtsprechung43 zulässige Zweitverfügungen. Soweit bei nicht rechtskundigen und nicht beratenen Vertragsparteien bzw. Ehegatten die von ihnen einvernehmlich gewünschte Intensität der Bindung ermittelt werden soll, lautet in den vielen Fällen, in denen sich ein realer Wille nicht feststellen läßt, die entscheidende Frage: Was hätten die Parteien bzw. beim gemeinschaftlichen Testament die Eheleute vereinbart bzw. ins gemeinschaftliche Testament aufgenommen, wenn sie um die Problematik der Bindung gewußt hätten? Die Frage soll aus den dargelegten Gründen44 nicht bezüglich des "Ob" der Bindung gelöst werden, sondern im folgenden nur für die hier primär interessierende Problematik des inhaltlichen Umfangs der Bindung.

C. Der Parteiwille bezüglich des Umfangs der Bindung Ehe einzelne Fälle untersucht werden, ist kurz die Frage 45 zu klären, inwieweit bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung in einem Erbvertrag die Grundsätze der Testamentsauslegung und inwieweit die Grundsätze der Vertragsauslegung heranzuziehen sind.

I. Die Anwendung der Grundsätze der Testaments- oder der Vertragsauslegung beim Erbvertrag Während das gemeinschaftliche Testament ausschließlich Verfügung von Todes wegen ist und deshalb unstreitig die erbrechtlichen Auslegungsvorschriften und -prinzipien, wenn auch unter Berücksichtigung des Willens bei der Ehegatten, zur Anwendung gelangen46 , ist es beim Erbvertrag durchaus problematisch,

43

S. oben 2. Kapitel B I.

.. Die Arbeit behandelt nur Fälle, in denen tatsächlich eine Bindung besteht. s. oben I. Kapitel B. 45 Behandelt wird sie in der Literatur unter anderen von Nolting, S. 34 ff.; MünchKolllllllLeipold, § 2084, Rz. 22 ff.; SoergellDamrau, § 2084, Rz. 22; StaudingerlOlle, Vorbelll. zu §§ 20642086, Rz. 134. 46

Vgl. die oben 2. Kapitel A und B I, 111, dargestellte Literatur und Rechtsprechung.

C. Der Parteiwille bezüglich des Umfangs der Bindung

141

ob diese oder die Prinzipien der Vertragsauslegung Anwendung finden müssen. Der entscheidende Unterschied beider Auslegungsmaßstäbe liegt darin, daß im Rahmen der erbrechtlichen Auslegungsgrundsätze ausschließlich auf den Willen des verfügenden Erblassers abzustellen ist41 , während bei der Vertragsauslegung der Empfängerhorizont eine maßgebliche Rolle spielrs. Überwiegend wird die Problematik, die auch bei der Ennittlung, ob eine Verfügung vertragsmäßig ist oder nicht, von erheblicher Bedeutung ist, nicht sehr umfassend erörtert49 . Die h.M. in der Literatur und die Rechtsprechung stellen durchwegs auf die Interessen beider Erbvertragsparteien abso . Daraus kann unschwer der Schluß gezogen werden, daß die Grundsätze der Vertragsauslegung jedenfalls insofern herangezogen werden, als auf den Empfängerhorizont hinreichend Rücksicht genommen wirdsI. Ein Teil der Literatur2 differenziert danach, ob es sich um einseitige oder vertrags mäßige Verfügungen handelt. Im ersten Fall sollen ausschließlich die Regeln über die Testamentsauslegung herangezogen werden, im letzteren komme es hingegen auch darauf an, wie der Vertragspartner die Erklärung habe verstehen dürfen s3 . Brox will nur beim entgeltlichen Erbvertrag auch den Empflingerhorizont berücksichtigen, für Zuwendungen ohne Gegenleistungen hingegen nur die erbrechtlichen Auslegungsprinzipien heranziehens4 . Nolting will sowohl für die Frage, ob überhaupt eine Bindung vorliegt, als auch für die Ennittlung des sachlichen Inhalts der Bindung die Grundsätze der Vertragsauslegung heranziehenss .

•7

Statt aller: MünchKommlLeipold, § 2084, Rz. 14; SoergellDamrau, § 2084. Rz. 5 .

•• Statt aller: Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, S. 92 ff. •• Dies kritisiert zu Recht Nolting, S. 34. '" Deutlich SoergellDamrau, § 2084, Rz. 22; StaudingerlOlle, Vorbem. zu §§ 2064 - 2086, Rz. 134; Johannsen, WM 1969, 1222 (1223); BGH FamRZ 1983,380; BGH NIW 1984.731 f. 5. So versteht auch Nolting, S. 34, die h.M. und die Rechtsprechung: BGH FamRZ 1983.380; BGH NIW 1984,731 f.; deutlich insbesondere BGHZ 106,359 (361) = FamRZ 1989,496 = WM 1989,960; Johannsen, WM 1969, 1222 (1223). 52 Giencke, FamRZ 1974,241 (242); MünchKommlLeipold, § 2084, Rz. 23; MünchKomml Musielak, Einl. vor § 2274, Rz. 33; PalandtlEdenhofer, ÜberbI. v. § 2274, Anm. 4.

53 MünchKommlMusielak, Ein!. vor § 2274, Rz. 33; PalandtlEdenhofer, ÜberbI. v. § 2274, Anm.4. 54

Brox, (Fn. 48), S.169 tT.

" Nolting, S. 35 f., er stellt auf das dem Vertrag zugrundeliegendeKonsensprinzip sowie darauf ab, daß beim Erbvertrag stets weitere Personen in den Vorgang der Errichtung eingeweiht s.:ien.

142

4. Kap.: Bindung und Parteiwille

Die h.M. in der Literatur und die herrschende Ansicht in der RechtsprechungS2

BGHZ 97, 188.

53 Grundlegend hierzu Stümer, Die Aufklärungspflichtder Parteien im Zivilprozeß; er behandelt u.a. auch die Problematik des Infonnationsanspruchsdesjenigen, dessen Ansprüche gegen den vom Erblasser Beschenkten in Frage stehen (Srümer, a.a.O., S. 319 f.); vgl. auch Winkler v. Mohrenfels, Abgeleitete Infonnationspflichten im deutschen Zivilrecht, insbes. S. 30 ff., 40 ff.

C. Auslrunftsanspruchgegen den Beschenkten nach Eintritt des Erbfalles

159

werden. Die Thematik muß hier allerdings auf die Problematik des Auskunftsanspruchs des Vertrags- und Schlußerben beschränkt werden. 2. Die Stellungnahmen der Literatur Kuchinke hat sich mit dem Urteil des BGH54 auseinandergesetzt55 • Er stimmt ihm insofern zu, als das Auskunftsbegehren nicht dazu dienen dürfe, eine Schenkung auszuforschen. Doch, so Kuchinke, setze ein Auskunftsverlangen den Nachweis einer Schenkung nicht voraus, sondern lediglich Anhaltspunkte für die behaupteten unentgeltlichen Verfügungen, dann werde in einem gewissen Rahmen die Ausforschung zugelassen. Fraglich sei nun, unter weIchen Voraussetzungen genügend Anhaltspunkte für eine Rechtfertigung des Auskunftsbegehrens dargetan seien56 • Der BGH nehme dem Kläger mit der einen Hand, was er ihm mit der anderen gebe, indem er dem Kläger die Last aufbürde, den Hauptanspruch schlüssig darzulegen, wozu er wegen seiner Informationsnot gerade nicht in der Lage sei. Nach Kuchinkes Ansicht wäre es besser, wenn der BGH formuliert hätte, daß ein Auskunftsbegehrenjedenfalls dann nicht berechtigt sei, wenn feststehe, daß der Hauptanspruch nicht existiere. Die Darlegungslast des Klägers müsse sich in der Regel auf Anhaltspunkte für eine Schenkung beschränken, wobei man nur noch darüber streiten könne, unter weIchen Voraussetzungen dieser Anforderung im Einzelfall Rechnung getragen sei. Zum zweiten Tatbestandsmerkmal , der Beeinträchtigungsabsicht, äußert sich Kuchinke nur undeutlich, indem er auf die derzeitige Rechtsprechuni 7 verweist58 • Winkler v. Mohrenfels stimmt dem BGH im Ergebnis, nicht aber in der dogmatischen Begründung zu. Er will den Auskunftsanspruch des Vertragserben auf eine Analogie zu § 2028 BGB (Auskunftspflicht des Hausgenossen über die von ihm geführten erbrechtlichen Geschäfte) stützen59 • Winkler v. Mohrenfels verweist auf die grundlegende Abhandlung Stürners, der nachgewiesen hat, daß sich der Auskunftsanspruch nicht allein auf § 242 BGB stützen läßf'O, weil das

54

Fn. 52.

" JZ 1987, 252 ff. ,. Kuchinke, JZ 1987,252. " S. oben B 11 2. 58

Kuchinke, JZ 1987,252 (253).

S9

Wink/er v. Mohren/eis, NJW 1987,2557 (2558).

60

Srümer, (Fn. 53), S. 317 ff.

160

5. Kap.: Beweislastfngen und Möglichkeiten zur Rechtsverwirklichung

Vorliegen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien gerade nicht feststehe. Der Zweck des § 2028 Abs. 1 BGB, nämlich die durch den Wegfall des Erblassers entstandene Informationslücke zu füllen, greife auch gegenüber dem vom Erblasser Beschenkten ein. Die für die Analogie erforderliche Gleichheit der Interessenlage sei mithin gegeben. Die Einzelanalogie zu § 2028 Abs. 1 BGB helfe über die fehlende rechtliche Sonderbeziehung zwischen den Beteiligten hinweg61 • 3. Eigene Ansicht Der Auffassung des BGH ist zunächst im dogmatischen Ansatz insofern nicht zu folgen, als er den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ableitd2 • Stürner hat überzeugend nachgewiesen, daß die Rechtsprechung in der Vergangenheit der Gefahr einer Ausuferung der Informationspflichten nicht entgangen isf3 • Er verweist zutreffend darauf, daß das Reichsgericht und ursprünglich auch der BGH64 das "Rechtsverhältnis" im Sinne einer Sonderbeziehung sehr bewußt als Regulativ gegen die Gefahr einer "uferlosen Ausweitung" gesetzt hätten 65 • Gerade die vorliegende Entscheidung des BGH vom 26.2.198666 zeigt nun eine zusätzliche Gefahr: Der BGH ist heute auch dort, wo er selbst die Notwendigkeit der Gewährung eines Auskunftsanspruchs erkennt, offenbar in Sorge, die Auskunftspflicht könne ausufern67 • Vielleicht war er deshalb beim Informationsanspruch des Vertragserben so (unnötig) zurückhaltend, weil er die Konstruktion über den "allgemeinen" Auskunftsanspruch aus § 242 BGB gewählt hat. Hätty er unter Heranziehung und Beachtung der Ausführungen Stürners zu einer "ausgewogenen Rechtsfortbildungin Einzelfällen"68 gegriffen und § 2028

6'

WinkJer v. Mohrenfels, NJW 1987,2557 (2558).

62

BGHZ 97, 188 (192).

63

Stümer, (Fn. 53), S. 319 .

.. Stümer, (Fn. 53), S. 319 verweist aufRGZ 140, 403 und BGHZ 18,67 (69); 28, 177 (179, 180). 65

Stümer, (Fn. 53), S. 319 .

.. Fn. 62. 67 Diese Sorge, die zu einer restriktiven Handhabung des Auskunftsanspruchs fUhrt, wird besonders in einem neuerlichen Urteil des BGH vom 07.12.1988(FamRZ 1989,377) deutlich. Daß § 242 BGB als dogmatische Grundlage Probleme mit sich bringt, zeigt sich durch den vom BGH FamRZ 1990, 41 ff. anerkannten Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Erben gegen den vom Erblasser Beschenkten, der auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch genommen wird .

.. So wörtlich Stümer, (Fn. 53), S. 319.

C. Auslrunftsanspruch gegen den Beschenkten nach Eintritt des Erbfalles

161

BGB analog herangezogen 69 , so hätte es dieser Vorsicht und der damit verbundenen und abzulehnenden EinengungiO des Auskunftsanspruchs nicht bedurft. Denn die anband des Einzelfalls, genauer des Einzelproblems, entwickelte Analogie beugt grundsätzlich der Gefahr vor, daß künftigjedermann, der sich eines Anspruchs berühmt, vom Anspruchsgegner - eventuell nur zum Zwecke der Ausforschung - Auskunft verlangen kann. Dem BGH kann nicht nur hinsichtlich des dogmatischen Ansatzes, sondern auch insofern nicht gefolgt werden, als er das Auskunftsverlangen nur für berechtigt hält, "wenn und soweit vom Bestehen des Anspruchs ausgegangen werden kann "71. Die Kritik Kuchinkes12 hieran ist berechtigt. Wie soll derjenige, der keine Kenntnisse über die Schenkung haben kann, diesen vom BGH verlangten Nachweis erbringen, oder anders ausgedrückt: Wenn er ihn erbringen könnte, bräuchte er doch gar keinen Auskunftsanspruch mehr! Die Analogie zu § 2028 BGB hilft auch hier weiter. Bei § 2028 BGB mull vom Anspruchsteller (dem Erben) nur nachgewiesen werden, daß derjenige, von dem er die Auskunft verlangt, "Hausgenosse" des Erblassers war. Es muß also - abstrahiert man den zugrundeliegenden Gedanken - nur nachgewiesen werden, daß der Auskunftspflichtige diejenige enge Beziehung zum Erblasser hatte, die es ihm ermöglicht, die für den Erben wichtigen Fakten zu kennen. Übertragen auf den Auskunftsanspruch des Vertrags- bzw. Schlußerben bedeutet das: Dieser muß nur darlegen und beweisen, daß er Vertrags- oder Schlußerbe ist und daß der Begünstigte vom Erblasser eine Zuwendung erhalten hat, für die möglicherweise keine oder wenigstens keine volle Gegenleistung erbracht wurde. Ausgeschlossen ist der Anspruch, insoweit ist Kuchinke73 zu folgen, wenn feststeht, daß der Hauptanspruch aus § 2287 BGB nicht bestehen kann, denn dann wäre auch die Zuerkennung eines Auskunftsanspruchs, der den Auskunftspflichtigen immerhin belastet, sinnwidrig. Der Auskunftsverpflichtetekann somit den Auskunftsanspruch zunichte machen, indem er (nur) eine Quittung vorlegt, die die volle Entgeltlichkeit der Zweitverfügung beweist.

6. Auch WinkJer v. Mohrenfels, (Fn. 61), folgt insoweit Slümer, (Fn. 68). 70

Die Kritik Kuchinkes, JZ 1987,252 (253), ist insoweit in vollem Umfang berechtigt.

,. BGHZ 97, 188 (193). Ebenso in anderem Zusammenhang BGH FamRZ 1989. 377 (388) = JR 1990, 16 (17) mit insoweit zustimmender Anmerkung P. Wassermanns . 72

S. oben C 11 2.

13

JZ 1987, 252 (253), s. oben C 11 2.

II Lorilz

162

5. Kap.: Beweislastfragen und Möglichkeiten zur Rechtsverwirklichung

Da nach hier vertretener Ansicht der Vertrags- und Schlußerbe stärker geschützt sind als nach h.M. 74 und deshalb auch ein Anspruch aus § 2287 BGB weitaus häufiger gegeben ist, sind auch die Voraussetzungen für einen Informationsanspruch leichter zu erfüllen. Es genügt, daß der Vertrags- bzw. Schlußerbe darlegt, es sei eine Zweitverfügung des Erblassers zugunsten des Informationspflichtigen erfolgt, deren Entgeltlichkeit er, der Anspruchsteller, jedenfalls nicht kennen könne. Da im Regelfall 75 solche Zweitverfügungen einen Anspruch aus § 2287 BGB auslösen, reicht dieses Vorbringen für den Informationsanspruch aus.

111. Mögliche Ansprüche zu Lebzeiten des Erblassers 1. Die Möglichkeit der Feststellungsklage Der Anspruch eines Vertrags- und eines Schlußerben geht häufig de facto ins Leere, weil weder der Beschenkte noch das unentgeltlich übertragene Vermögen erreichbar sind. Diese Gefahr besteht vor allem, wenn eine im Widerspruch zur Bindung stehende Zweitverfügung an Personen im Ausland erfolgt. Angenommen, ein gebundener Erblasser will anstatt des ihm unsympathischen Schlußerben seinem Neffen in Costa Rica einen erheblichen Teil seines Vermögens zuwenden, und tätigt deshalb mehrere gegen die Bindung verstoßende Schenkungen unter Lebenden an den Neffen, so wird es dem Schlußerben nach dem Tod des Erblassers sehr schwer fallen, seinen Bereicherungsanspruch aus § 2287 BGB durchzusetzen. Selbst wenn er von den Schenkungen erfahren hat und Namen und Anschrift des beschenkten Neffen kennt, ist die Rechtsverfolgung im Ausland mit erheblichem Aufwand und erheblichen Kosten verbunden. Es ist für ihn kaum kontrollierbar, ob der Neffe die Zuwendung überhaupt noch besitzt und ob er sich nicht, so überhaupt ein Titel erstritten werden kann, der Vollstreckung entziehen wird. Aber nicht nur bei Zweitgeschäften des Erblassers mit Personen in entfernten Ländern, sondern generell, also auch wenn diese in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, wäre es für einen Vertrags- und für einen Schlußerben vorteilhaft, wenn er sogleich zu Lebzeiten seinen künftigen Anspruch aus § 2287

,. s. oben 3. Kapitel B I, 01. 1>

Oben 3. Kapitel B 11 2 (1).

C. Auskunftsanspruch gegen den Beschenkten nach Eintritt des Erbfalles

163

Abs. 1 BGB (in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung), einklagen oder zumindest klageweise feststellen lassen könnte. Dann hätte er im erstgenannten Fall und nach dem Tod des Erblassers sogleich einen Titel, der es ihm ermöglichen würde, gegen den aus der Zweitverfügung Begünstigten zu vollstrecken. Hier, aber auch bei bloßer gerichtlicher Feststellung könnte sich der Begünstigte nicht auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen, weil ihm der Mangel des Rechtsgrundes bekannt würde (§ 819 Abs. 1 BGB). Ein Bedürfnis des Vertrags- oder Schlußerben, bereits zu Lebzeiten des Erblassers das Bestehen eines Anspruchs gegen den Beschenkten aus § 2287 BGB gerichtlich feststellen zu lassen oder ihn gar einzuklagen, kann also durchaus bestehen.

a) Überblick über den Meinungssland

In neuerer Zeit hat das OLG Koblenz in seinem Urteil vom 14.7.1987 76 ausgesprochen, daß der nur noch durch den Tod des überlebenden Erblassers bedingte Anspruch des durch böswillige Schenkung in seinem vertraglichen Erbrecht beeinträchtigten Erben Gegenstand einer Feststellungsklage sein könne. Aus der Tatsache, daß der gebundene Erblasser nach § 2286 BGB frei und ungehindert verfügen dürfe und der Anspruch aus § 2287 BGB erst mit dem Erbfall entstehe, lasse sich nicht herleiten, daß vor dem Erbanfall kein der rechtlichen Feststellung f"ahiges und bedürftiges Rechtsverhältnis bestehen könne. Nur könne gegen Veräußerung und Erwerb nicht durch einstweilige Verfügung vorgegangen werden. Allerdings könne das Rechtsverhältnis zwischen Vertragserben und Beschenktem schon zu Lebzeiten des Erblassers durch eine Feststellungsklage geklärt werden77. Auch das Reichsgericht hatte bereits entschieden, daß Rechtsverhältnisse zwischen Miterben aus einem gemeinschaftlichen Testament, die nur durch den Tod des überlebenden Elternteils bedingt seien, Gegenstand einer Feststellungsklage sein könnten78 • Das OLG Düsseldorf vertritt ebenfalls diese Ansiche9 • In der Literatur wird, soweit man sich überhaupt mit der Problematik beschäftigt, vereinzelt die Meinung vertreten, der benachteiligte Vertrags- oder

76

OLG Kob1enz MDR 1987,935.

77

OLG Kob1enz MDR 1987,935 (936).

7. RG HRR 1928, Nr. 843. 79

OLG Düsse1dorfNIW 1957,266.

164

5. Kap.: Beweislastfragen und Möglichkeiten zur Rechtsverwirklichung

Schlußerbe könne schon zu Lebzeiten des Erblassers eine Feststellungsklage erhebenSO. Teilweise lehnt man dies ab81 • Die Möglichkeit des Vertrags- oder Schlußerben, bereits zu Lebzeiten des Erblassers im Wege der einstweiligen Verfügung oder mittels Arrestes gegen den Beschenkten vorzugehen, wird überwiegend verneint, und zwar schon deshalb, weil es an einem Anspruch fehle82 • Diskutiert wurde des öfteren die Streitfrage, ob das künftige Recht des erbvertrags mäßig Bedachten, das er möglicherweise mit dem Erbfall erwerbe, bei einem Grundstück durch Vormerkung gesichert werden könne. Die Rechtsprechung und Literatur verneinen dies mangels Bestehens eines Anspruchs überwiegend83 •

b) Stellungnahme

Wenn der Erblasser zu Lebzeiten frei über sein Vermögen verfügen kann, so ist es konsequent, wenn auch rechtspolitisch wenig sinnvoll, daß der Anspruch nach § 2287 BGB, wie auch der eindeutige Wortlaut dieser Norm besagt, erst nach Anfall der Erbschaft entsteht. Davon zu unterscheiden ist, ob bereits zu Lebzeiten ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 ZPO zwischen Beschenktem und Vertrags- bzw. Schlußerben besteht und klageweise festgestellt werden kann. Das OLG Koblenz hat bei des bejahf!4. Der BGH hat, soweit ersichtlich, die Problematik bisher nicht entschieden.

80

Kipp/Coing, Erbrecht, § 38 IV 2 a, Fn. 26, S. 250; PalandtlEdenhofer, § 2287, Anm. 3 a.

"' Lange, Erbrecht, I. Aufl., § 37 II 2, S. 405, Fn. 6; StaudingerlKanzleiter, § 2287, Rz. 18. BGHZ 12, 115 = JZ 1954,436 mit Anmerkung Coing; BGH FamRZ 1967,470; BayObLGZ 1953,226 (230); KG KGJ 48,189; OLGE 21, 362; OLG Frankfurt NJW 1953, 1848 (Vorlagebeschluß); OLG Hamm DNotZ 1956, 151 (152); Kipp/Coing, Erbrecht, § 38 IV 2 a. Fn.26, S. 250; Kretzschmar, Das Erbrecht des deutschen BGB, 2. Aufl., § 51, Fn. 16. A.A.: OLG Cdle NJW 1953,27; Schulte, DNotZ 1953, 355 (360 tT.); Strohal, Das deutsche Erbrecht. § 45. Fn. 38. 12

83 BGHZ 12,115; BGH FamRZ 1967,470; BayObLGZ 1953,226 (230); KG KGJ 48, 189; OLGE 21, 362; OLG Frankfurt NIW 1953, 1848 (Vorlagebeschluß); OLG Hamm DNotZ 1956, 151 (152); OLG Celle MDR 1987,935 (936); SoergellWolf, § 2286, Rz. 6; StaudingerlKanzleitcr, § 2286, Rz. 7; a.A.: OLG Celle NIW 1953,27; Schulte, DNotZ 1953, 355 (360). Hingegen wird zur Möglichkeit, ein vertragliches Veräußerungsverbot im Zusammenhang mit einem Erbvertrag durch Auflassungsvonnerkung zu sichern vom BayObLG FamRZ 1989, 321 f. bejaht.

.. OLG KobienzMDR 1987,935 (936); gleicher Ansicht Kipp/Coing, Erbrecht, S. 180, Fn. 21; PalandtlEdenhofer, § 2287, Anm. 3 a; a.A.: StaudingerlKanzleiter, § 2287, Rz. 18.

C. Auslrunftsanspruchgegen den Beschenkten nach Eintritt des Erbfalles

165

Der Begriff des Rechtsverhältnisses i.S.d. § 256 ZPO ist in Literatur und Rechtsprechung äußerst streitigB5. Als Rechtsverhältnis versteht man u.a. eine bestimmte, konkrete rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu einer anderen oder zu einer Sache86 • Ein bedingtes Recht oder Rechtsverhältnis genügt, wenn die es begründenden Tatsachen vorliegen und nur das Ereignis noch aussteht, das den Eintritt der Bedingung bewirkt7 • Der Anspruch aus § 2287 BGB entsteht nun allerdings zu Lebzeiten des Erblassers überhaupt nicht, auch nicht bedingt. Vielmehr entsteht er erst mit dem Erbfall. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß alle Fakten, die zur Entstehung des Anspruchs führen, bereits vorliegen. Allerdings ist hier zu unterscheiden zwischen Erbverträgen, in denen der Erbvertragspartner selbst und solchen, in denen ein Dritter vertragsmäßig als Erbe eingesetzt wird. Der Dritte hat zu Lebzeiten des Erbvertragspartners (dessen Erbe er ja nicht werden soll) insoweit eine ziemlich ungesicherte Rechtsstellung als ihm diese von den Erbvertragsparteien jederzeit durch Aufhebung oder Änderung des Vertrages entzogen werden kann. Insofern kann für ihn vor dem Tode des Erbvertragspartners, also solange der Erblasser diese (einvernehmliche) Entziehungsmöglichkeit hat, von vornherein keine Feststellungsklage in Betracht kommen, weil nur eine bloße ungesicherte tatsächliche Erwerbsaussicht vorliegt. Gleiches gilt, solange ein Anfechtungsgrund besteht und die Anfechtungsfrist (vgl. § 2082 BGB) noch nicht abgelaufen ist. Wo die Möglichkeit, einem Vertrags- oder auch einem Schlußerben diese Rechtsstellung zu entziehen, nicht (bzw. nicht mehr) besteht, handelt es sich allerdings um ein künftiges Rechtsverhältnis, dessen Entstehen (nur) noch vom Tod des Erblassers abhängt. Auch wenn generell ein erst künftiges Rechtsverhältnis nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann88 , so kann dies bezüglich des Anspruchs aus § 2287 BGB nicht gelten. Er steht sachlich einem bedingten Anspruch so nahe, daß er auch in prozessualer Hinsicht nicht anders behandelt werden sollte. Denn beim Anspruch aus § 2287 BGB hängt sein Entstehen nicht mehr vom Willen der Beteiligten des künftigen Rechtsverhältnisses

.5 Zum Überblick über den Meinungsstand statt aller: RosenberglSchwab, Zivilprozeßrecht, S. 551 ff.; ZöllerlSlephan, ZPO, § 256, Rz. 3 ff. .. RGZ 107, 303 f.; 144, 54 ff.; 148, 3 (6); BGHZ 22, 43 (47); Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, S. 551; ZöllerlSlephan, ZPO, Rz. 3. S7 Vgl. BGHZ 4, 133 (134); BGH ZZP 67 (1954), 291 (293 f.); BGH NJW 1984,2950; BGH MDR 1986,743; BAG NJW 1965, 1042; RosenberglSchwab, Zivilprozeßrecht, S. 553 .

.. BGH MDR 1983,836; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht,S. 553; weitergehend Trzaskalik, Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivil- und Verwaltungsprozeß, S. 59 ff., 127; großzügiger auch BAG AP Nr. 20 zu § 1 TVG, BI. 1087 (Rückseite).

166

5. Kap.: Beweislastfragen und Möglichkeiten zur Rechtsverwirklichung

ab, sondern vom Tod des Erblassers, einem Ereignis, das sich ihrem Einfluß entzieht, dessen Eintritt aber gewiß ist. Wenn generell eine Feststellungsklage über künftige Rechtsverhältnisse nicht zugelassen wird, so hat dies nicht zuletzt prozeßökonomische Gründe. Es soll verhindert werden, daß die Parteien über Rechtsbeziehungen streiten, die u. U. niemals zur Entstehung gelangen und sich der Streit somit als überflüssig erweist. Beim Anspruch aus § 2287 BGB indes besteht diese Gefahr nicht. Von ihm ist gewiß, daß er entstehen wird, allerdings nur, wenn das Erbrecht des Vertrags- bzw. Schlußerben vererblich ist. Ist es dies nicht, was vomjeweiligen Erbvertrag bzw. gemeinschaftlichen Testament abhängt89 , dann kann der Erblasser den Vertrags- bzw. Schlußerben überleben. Dann ist dessen Anspruch aus § 2287 BGB so ungewiß, daß hier ein der Feststellungsklage zugängliches Rechtsverhältnis abzulehnen ist. Ansonsten, also bei Vererblichkeit, ist ein solches zu bejahen. Selbstverständlich ist auch hier, daß die übrigen Voraussetzungen der Feststellungsklage, namentlich ein Feststellungsinteresse90 vorhanden sein müssen. Ein solches ist immer gegeben, wenn der Vertrags- bzw. Schlußerbe dartun kann, daß der Beschenkte den künftigen Anspruch bestreitet und zu vereiteln droht. Solange er die geschenkte Sache nur selbst benutzt, fehlt das Feststellungsinteresse, weil in diesem Fall der Erbe seinen Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB nach dem Tod des Erblassers mit einer Leistungsklage verfolgen kann. Die Feststellungsklage als solche hat hier keinen praktischen Nutzen. Die für § 819 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis, die dazu führt, daß sich der Beschenkte nicht mehr auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, kann ihm der Vertrags- oder Schlußerbe auch durch formlose Mitteilung verschaffen. Die Möglichkeit des Vertrags- bzw. Schlußerben, Feststellungsklage zu erheben, impliziert zugleich die umgekehrte Variante, nämlich die negative Feststellungsklage des Beschenkten gegen den Vertrags- bzw. Schlußerben. Sie ist darauf gerichtet, daß ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB nicht besteht. Diese Möglichkeit kann etwa beim "preisgünstigen" Erwerb eines Hausgrundstücks von einem gebundenen Erblasser von großem Vorteil sein, denn hierdurch kann sich der Käufer, ehe er etwa umfangreiche Umbaumaßnahmen vornimmt, absichern, daß er das Hausgrundstück nicht nach dem Tod des Erblassers dem Erben zurückübereignen muß .

.. Wenn dort keine Regelungenenthalten sind, entscheiden die Testamentsauslegungsvorschri fien und -grundsätze, z.B. bei Bedenkung von Kindern und Abkömmlingen §§ 2068, 2069 BGB . .. Hierzu Rosenherg/Schwab, Zivilprozeßrecht, S. 554 fT.

C. Auslcunftsanspruchgegen den Beschenkten nach Eintritt des Erbfalles

167

2. Die Möglichkeit eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung Zu entscheiden ist nunmehr noch, ob ein Vertrags- oder ein Schluß erbe den künftigen Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB auch durch Arrest (§§ 916 ff. ZPO) sichern kann. Erforderlich sind ein Arrestanspruch91 und ein Arrestgrund. § 916 ZPO bestimmt, daß der Arrestanspruch eine Geldforderung sein kann oder auch ein Individualanspruch, der in eine Geldforderung übergehen kann. Soweit allerdings der Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB eine Geldforderung darstellt, könnte man überlegen, zur Sicherung dieses künftigen Anspruchs den Arrest zuzulassen. Welche Kriterien für die Zulässigkeit der Sicherung eines künftigen Anspruchs vorliegen müssen, ist generell streitig92 • Es kann hier offen bleiben. Ein Arrest scheidet nämlich schon deshalb aus, weil nach Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 2286 - 2289 BGB die Verfügungsfreiheit des gebundenen Erblassers zu Lebzeiten gerade nicht beschränkt werden soll. Dem widerspräche es, wenn er zwar eine der Bindung zuwiderlaufende Zweitverfügung schuldrechtlich und dinglich wirksam vornehmen könnte, aber der Zuwendungsempfänger der Gefahr ausgesetzt würde, mit einem Arrest belegt zu werden. Der Gesetzgeber hat gerade in § 2289 BGB nur der Bindung widersprechende letztwillige Vefügungen für unwirksam erklärt, nicht auch lebzeitige. Dies darf nicht dadurch umgangen werden, daß man mit prozessualen Mitteln bereits zu Lebzeiten einen tatsächlichen Zugriff des Vertrags- oder Schlußerben auf das durch Zweitverfügungen zugewendete Vermögen zuläßt. Aus diesem Grund kann ungeachtet aller anderen Probleme93 auch eine einstweilige Verfügung, gerichtet z.B. auf ein Verbot an den durch das Zweitgeschäft mit einer beweglichen oder unbeweglichen Sache Begünstigten, diese zu veräussern94 , nicht zulässig sein. Denn auch auf diese Weise würde das Prinzip, daß der Erblasser lebzeitig bis zur Grenze des § 138 BGB95 frei verfügen ,kann, mißachtet.

91 Zum Arrestanspruch statt aller Schilken, in: RosenbergIGaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, S. 776. 92 Hierzu statt aller: SteinlJonas/Gnmsky, ZPO, § 916, Rz. 9 ff. und ZöllerlVolikommer, ZPO, § 916, Rz. 8, jeweils mit Darstellung des Streitstandes. 93 Zum VertügungsanspruchSchilken, (Fn. 91), S. 781 f. In Betracht käme nur die Sicherungsverfügung .

.. Hier handelte es sich um eine Sicherungsvertügung. 9>

Hierzu oben 3. Kapitel A Il 2.

168

5. Kap.: Beweislastfragen und Möglichkeiten zur Rechtsverwirklichung

3. Der Auskunftsanspruch Schließlich ist noch die Frage offen, ob ein Vertrags- und ein Schluß erbe bereits zu Lebzeiten des Erblassers den (materiellrechtlichen) Auskunftsanspruch haben, den sie dann mit einer Leistungsklage einklagen können. Hülsmeier lehnt das Bestehen eines solchen Anspruchs zu Lebzeiten ohne Begründung ab96 • Für die Feststellungsklagezu Lebzeiten des Erblassers kann der Vertrags- bzw. Schlußerbe zur Prozeßführung durchaus auf einen Auskunftsanspruch gegen den Dritten angewiesen sein. Ein Bedarf allein gibt allerdings kein Argument für das Bestehen eines Rechts. Doch dieses läßt sich auch methodisch korrekt begründen: Stützt man den Auskunftsanspruch auf eine Analogie zu § 2028 BGB97 , so stellt man fest, daß der dort geregelte Anspruch gegen den Hausgenossen erst nach dem Tod des Erblassers besteht. Allerdings rührt dies allein daher, daß er nur dem Erben zusteht und die ErbensteIlung eben erst mit dem Tod anfällt. Vorher ist sie ungewiß, ein Auskunftsanspruch würde die Interessen, ja sogar die Persönlichkeitssphäre des Erblassers empfindlich stören. Anders ist dies wenn ein gebundener Erblasser unter Verstoß gegen die Bindung etwas an einen Dritten verschenkt. Den Dritten belastet ein Auskunftsanspruch nicht unzumutbar, ja nicht einmal übermäßig. Wenn er unentgeltlich etwas vom gebundenen Erblasser erhält, das er ohnehin nach dessen Tod dem Vertrags- bzw. Schlußerben zurückgeben muß, so ist es ihm zumutbar, schon zu Lebzeiten hierüber Auskunft zu geben. Einen solchen Anspruch hat allerdings nur deJjenige Vertrags- oder Schlußerbe, dem seine Rechtsposition nicht mehr entzogen werden kann und nur dann, wenn sie wegen Vererblichkeit in jedem Falle entstehen wird98 • Ein solcher Auskunftsanspruch erleichtert es dem Vertrags- bzw. Schlußerben immerhin, "zeitnah" das Schicksal der unter Verstoß gegen die Bindung vom Erblasser weggegebenen Vermögensgegenstände zu verfolgen .

.. Hü/smeier, S. 13. 97

S. oben C U 3.

·'1nsoweit kann auf die Ausfiihrungenzur Feststellungsklage Bezug genommen werden. S. oben C III 1 b.

6. Kapitel

Zusammenfassung (1.)

Die Ansicht der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur führt dazu, daß die Bindung des Erblassers durch vertragsmäßige Verfügungen eines Erbvertrags oder durch wechselbezügliche bindend gewordene Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments einem begünstigten Vertrags- oder Schlußerben praktisch kaum noch Schutz vor ihn benachteiligenden Zweitverfügungen des Erblassers gewährt. Dies ist abzulehnen.

(2.)

Die Analyse der Rechtsprechung seit Inkrafttreten des BGB bis heute hat gezeigt, daß man zu stark die Lösung anhand begrifflicher Einheitsformeln suchte. Weder die "Aushöhlungsnichtigkeit" noch das "lebzeitige Eigeninteresse" vermögen gerechtigkeitstransparente Argumente für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Zweitverfügungen abzugeben.

(3.)

Der gewählte Lösungsansatz hatte davon auszugehen, daß §§ 2286 - 2289 BGB zwar wichtige Einzelprobleme lösen, aber kein abschließendes, in sich geschlossenes, sondern ein zum Teil lückenhaftes Konzept darstellen. Die Ergänzung muß und kann allerdings weder mit § 134 BGB (Aushöhlung oder Umgehung der Bindungswirkung) noch mi t § 138 BG B (Sittenwidrigkeit von Zweitverfügungen) noch mit § 826 BGB erfolgen. Für § 134 BGB bleibt neben §§ 2286 - 2289 BGB überhaupt kein Anwendungsbereich. § 138BGB findet nur Anwendung, wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Sittenwidrigkeit begründen. Diese liegt nicht schon dann vor, wenn eine Zweitverfügung die Bindung beeinträchtigt und einen Anspruch aus § 2287 BGB auslöst oder wegen § 2289 BGB keinen Bestand hat. Ein Anspruch des Vertrags- oder Schlußerben gegen den begünstigten Dritten aus § 826 BGB ist zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen. Denn §§ 2287 ff. BGB können nicht als Spezialnormen mit dem Zweck

12 Loritz

170

6. Kap.: Zusammenfassung

qualifiziert werden, den vom gebundenen Erblasser schenkweise begünstigten Dritten von der Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu entbinden. Rein tatsächlich werden die Voraussetzungen des § 826 BGB aber nur selten vorliegen, weil der bloße Verstoß gegen die Bindung den Tatbestand dieser Vorschrift noch nicht erfüllt. Diese Norm kann jedenfalls nicht zu einem besonderen Schutzinstrumentarium für Vertrags- und Schlußerben ausgestaltet werden. (4.)

Entscheidend für die Interpretation der §§ 2286 - 2289 BGB ist der Zweck der Bindungswirkung. Dieser liegt allerdings nicht allein darin, den gebundenen Erblasser nur an beeinträchtigenden letztwilligen Verfügungen zu hindern. Es kommt auf den Parteiwillen an.

(5.)

Im Gegensatz zur h.M. gibt es einen Grundsatz: "Bindung = Bindung" ohne Rücksicht auf den Erblasserwillen nicht. Vielmehr ist dieser für die Intensität der Bindung maßgeblich. Wenn deshalb festgestellt ist, daß eine letztwillige Verfügung im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament bindend ist, hat dies nicht in allen Fällen genau dieselben Wirkungen. Vielmehr ist zu differenzieren.

(6.)

Hierbei konnten drei grundlegende Kategorien unterschieden werden: 1. Im Regelfall verbinden die Erbvertragspartner bzw. die testierenden Ehegatten die Vorstellung, der Erbvertragspartner bzw. der längstlebende Ehegatte werde den Erbvertrag bzw. das gemeinschaftliche Testament nicht unterlaufen.

2. Ausnahmsweise bedeutet die Erbeinsetzung nur, daß der Begünstigte lediglich Vermögen erhalten soll, falls noch Vermögen vorhanden ist. Die Parteien wollen also dem anderen Vertragspartner bzw. dem Längstlebenden eine möglichst große Freiheit gewähren. 3. Ausnahmsweise wird die Bindung durch besondere Vereinbarungen verstärkt. (7.)

In methodischer Hinsicht genügt es nicht, sich bezüglich der Rechtsfolgen, die eine Bindung entsprechend ihrer dargelegten Intensität auslöst, nur am Gesetzeswortlaut zu orientieren. Denn §§ 2286 - 2289 BGB hat der Gesetzgeber zu einer Zeit erstellt, als er längst nicht alle derzeitigen Probleme kennen konnte. Entscheidend ist deshalb, ob jeweils teleologische Gesichtspunkte gefunden werden können, die unter Berücksichtigung der in §§ 2286 - 2289 BGB zum Ausdruck kommenden

6. Kap.: Zusammenfassung

171

Rechtsprinzipien eine Zweitverfiigung im Verhältnis zum Vertrags- oder Schlußerben als beständig erscheinen lassen oder nicht. (8.)

Können danach Zweitverfiigungen keinen Bestand haben, so gilt der Grundsatz: Alle Rechtsgeschäfte, die der gebundene Erblasser zu Lebzeiten tätigt, sind wirksam, können aber nach seinem Tod vom Erben durch einen Kondiktionsanspruch entsprechend dem in § 2287 Abs. 1 BGB enthaltenen Rechtsgedanken rückgängig gemacht werden. Alle Rechtsänderungen, die erst mit oder nach dem Tod des Erblassers eintreten sollen, treten in Heranziehung des dem § 2289 Abs. 1 BGB, insbesondere seinem Satz 2 zu entnehmenden Rechtsgrundsatzes nicht etn.

(9.)

Zwar läßt sich angesichts der Vielgestaltigkeit der gemeinschaftlichen Testamente und Erbverträge und des Erblasserwillens keine Einheitsformel fmden, wie die h.M. sie stets gesucht hat. Anhand häufig vorkommender Fälle konnten aber immerhin zahlreiche praktisch verwertbare Lösungen gefunden werden. Folgende sind beispielhaft hervorzuheben: (a)

Setzen sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag als Erben und ein gemeinsames Kind oder mehrere gemeinsame Kinder als Erben des Längstlebenden ein, so sind diese Fälle typischerweise in die 1. Kategorie einzuordnen.

(b)

Auch die Fälle, in denen in einem Erbvertrag ein Teil eine Gegenleistung verspricht (und diese zu Lebzeiten erbringt), damit er Erbe wird, gehören in die 1. Kategorie, ebenso Fälle, in denen sich Ehegatten im Erbvertrag gegenseitig als Erben einsetzen, ohne einen Dritten zu benennen.

(c)

Sollen die Erben des Längstlebenden laut Testament oder Erbvertrag nur erhalten, "was noch da ist", dann spricht dies für den Willen nach umfassender Freiheit des längstlebenden Erblassers. Die Fälle gehören in die 2. Kategorie.

(d) Wird in einem gemeinschaftlichen Testament als Erbe des Längstlebenden ein naher Angehöriger (nur) eines Ehegatten eingesetzt, so ist - vorausgesetzt es besteht überhaupt bezüglich des Dritten eine bindende Verfiigung - zu unterscheiden: Stirbt dieser letztgenannte Ehegatte zuerst, so soll der andere durchaus nicht etwa eine möglichst große Verfiigungsfreiheit haben (es handelt sich insoweit vielmehr um eine Bindung im Rahmen der 1. Kategorie). Stirbt hin-

6. Kap.: Zusammenfassung

172

gegen deIjenige Ehegatte zuerst, der mit dem Erben nicht verwandt ist bzw. ihm nicht nahesteht, so ist ihm in aller Regel gleichgültig, was der Längstlebende mit dem Nachlaß macht. Hier ist im Zweifel eine möglich~t umfassende Freiheit des Längstlebenden gewollt (Bindung der 2. Kategorie). In vergleichbaren Konstellationen bei Erbverträgen ist ebenso zu entscheiden. (e)

Wo im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament besonders erwähnt ist, daß bestimmte Vermögensgegenstände dem Erben zufallen sollen, oder wo besondere Vorkehrungen getroffen sind (etwa eine Testamentsvollstreckung angeordnet ist), um den Erhalt eines Vermögensstücks über den Tod des Längstlebenden hinaus sicherzustellen, ist für diesen eine möglichst umfassende Bindung gewollt. Diese Fälle sind in die 3. Kategorie einzuordnen.

(10.) Durch sachgerechte, von der h.M. weithin vorgezeichnete Beweislastverteilungen kann erreicht werden, daß ein Vertrags- und Schlußerbe seinen Anspruch aus § 2287 BGB auch effektiv durchsetzen kann. (11.) Um seine mangelnden Kenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen Abwick1ung des Zweitgeschäfts zwischen Erblasser und Beschenktem zu kompensieren, ist dem Vertrags- oder Schlußerben gegen den Beschenkten unter bestimmten Voraussetzungen ein materiellrechtlicher Auskunftsanspruch zuzubilligen. Dieser ist im Gegensatz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht auf § 242 BGB, sondern auf eine Analogie zu § 2028 BGB zu stützen. (12.) Diese Analogie ermöglichte die Gewährung dieses Anspruchs in Ausnahmefallen bei Vererblichkeit der "Erbaussicht" des Vertrags- oder Schlußerben bereits zu Lebzeiten des Erblassers. Gleichfalls zu dessen Lebzeiten kann der Vertrags- oder Schlußerbe in besonderen Fällen Feststellungsklage auf Bestehen eines Anspruchs aus § 2287 BGB gegen den Beschenkten erheben. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrests scheidet hingegen aus. (13.) Insgesamt ist es damit gelungen, ein System zu entwickeln, das die "Bindung" von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen nicht länger der Wirkungslosigkeit gegenüber kautelaIjuristisch geschickt angelegten Zweitverfügungendes Erblassers preisgibt. Ein insbesondere in materiellrechtlicher Hinsicht bei intensiven Bindungen (3 . Kategorie) wirksamerer gesetzlicher Schutz wäre zwar wünschenswert, ist aber de lege lata nicht zu erreichen. Hier helfen nur Verfügungsunterlassungsverträge.

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Literat