Der Schutz Des Arbeitnehmers Vor Betriebsbedingter Kundigung: Die Wirksamkeit Des Geltenden Individualrechtlichen Kundigungschutzes Und Uberlegungen ... (Hamburger Rechtsstudien) (German Edition) 3428046730, 9783428046737

Originally presented as the author's thesis (doctoral--Hamburg, 1978)

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German Pages 201 [202] Year 1980

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Der Schutz Des Arbeitnehmers Vor Betriebsbedingter Kundigung: Die Wirksamkeit Des Geltenden Individualrechtlichen Kundigungschutzes Und Uberlegungen ... (Hamburger Rechtsstudien) (German Edition)
 3428046730, 9783428046737

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JüRGEN WOLTER

Der Schutz des Arbeitnehmers vor betriebsbedingter Kündigung

Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Hamburg Heft 70

Der Schutz des Arbeitnehmers vor betriebsbedingter Kündigung Die Wirksamkeit des geltenden individualrechtlichen Kündigungs· schutzes und Überlegungen zu einer verbesserten Handhabung

Von

Dr. Jürgen Woher

DUNCKER

&

HUMBLOT

I

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

© 1980 Duncker & Hurnblot, Berlin 41

Gedruckt 1980 bei BUchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN

a 428 04678 0

Vorwort Die als Dissertation vom Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg angenommene Arbeit ist Anfang 1978 fertiggestellt worden. Die seitdem geführte Diskussion zum Kündigungsschutz hat sich zwar vorwiegend nicht mit dem geltenden Recht, sondern mit den Alternativen einer Reform beschäftigt. Nach dem gegenwärtigen Stand ist jedoch nicht zu erwarten, daß der rechtspolitische Diskussionsprozeß nicht nur über der Notwendigkeit der Reform an sich, sondern auch über den Umfang und die Eignung der verschiedenen möglichen Instrumentarien kurzfristig durch eine parlamentarische Mehrheitsentscheidung abgeschlossen werden kann. Deshalb werden die hier vorgetragenen Analysen und Vorschläge zum geltenden Kündigungsschutz auf absehbare Zeit aktuell bleiben, abgesehen davon, daß die Untersuchung der Wirksamkeit der wesentlichen Elemente der geltenden Regelung unabdingbare Voraussetzung ist für fundierte Vorschläge zur Reform des Kündigungsschutzgesetzes. Im übrigen hat die zwischenzeitliche Diskussion die Grundgedanken der hier entwickelten überlegungen bestätigt, daß nämlich neben der Vollbeschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik bei der Lösung der Arbeitsmarktprobleme die betriebliche Beschäftigungspolitik nicht unberücksichtigt bleiben darf. Davon ausgehend hat das Problem der Steuenmg der betrieblichen Beschäftigungspolitik Aufmerksamkeit gewonnen, wobei aus naheliegenden Gründen vorrangig die Instrumente der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung, aber auch die Möglichkeiten im Rahmen von Tarifverträgen berücksichtigt worden sind. Angesichts der überzahl kleinerer und mittlerer Betriebe nicht nur im Hinblick auf ihre absolute Zahl, sondern auch hinsichtlich des Anteils der von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, bei denen diese Instrumentarien typischerweise nicht oder nur teilweise wirksam werden können, kommt der Fragestellung erhöhte Bedeutung zu, welchen Beitrag der individuelle Kündigungsschutz bei der Beeinflussung und Kontrolle betrieblicher Beschäftigungspolitik übernehmen kann. Der notwendige Beitrag der Arbeitsgerichte in den Kündigungsschutzverfahren bei der Bewältigung der Problematik der Arbeitsplatzsicherheit wird zwischenzeitlich offenbar zunehmend auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung erkannt. Die Entscheidung des Bundesar-

6

Vorwort

beitsgerichts vom 7. 12. 1978, in der es die Grundsätze zur überprüfung der betriebsbedingten Kündigung noch einmal zusammengefaßt hat, enthält zwar keine Veränderungen in den dogmatischen Grundaussagen, läßt jedoch gegenüber früher gewisse Modifikationen in der Handhabung und Akzentuierung erkennen. Sie stabilisiert damit Tendenzen, die sich nach den hier unternommenen rechts tatsächlichen Untersuchungen in den unteren arbeitsgerichtlichen Instanzen in den letzten Jahren bemerkbar gemacht haben. Damit bestätigt sich im übrigen auch die vorliegend erarbeitete Einschätzung, daß die herrschende Lehre zur Konkretisierung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung aufgrund ihrer Abstraktheit und ihrer Unklarheiten viele Fragen offen läßt und den Arbeitsgerichten bei der konkreten Streitenscheidung einen erheblichen Entscheidungsspielraum eröffnet. Die erkennbaren Veränderungen in der Ausfüllung dieses Entscheidungsspielraums ermutigen letztlich auch den unternommenen Versuch, die wenig aussagekräftigen und durch die Praxis zum Teil relativierten dogmatischen Grundpositionen grundsätzlich in Frage zu stellen und neue problemorientierte Maßstäbe zu finden. Herr Professor Zeuner hat die Arbeit nicht nur angeregt, sondern in allen Phasen gefördert. Nicht nur dafür, sondern darüber hinaus für die Förderung und Toleranz in der langjährigen Zusammenarbeit möchte ich ihm danken, auch wenn ich weiß, daß dieser Dank hier nur einen unangemessenen Ausdruck finden kann. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Hamburger Rechtsstudien" möchte ich dem Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg ebenfalls danken. Die seit Fertigstellung der Arbeit veröffentlichte einschlägige Literatur und Rechtsprechung ist bis März 1980 berücksichtigt worden, aber nur insoweit sie für wesentliche Aussagen der Arbeit erheblich sind.

Inhaltsverzeichnis Einführung

11 1. Teil

Die Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen 1.

13

Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1.1.

Der gesetzliche Normenbestand ... . . . . ... . .. . . .. . . .. . . ... . . ..

13

1.2.

Der Stand der rechtswissenschaftlichen Diskussion. . . . . . . . . ...

14

1.3.

Klärung der praktisch relevanten Entscheidungsebenen bei betriebsbedingten Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15

2.

Die Konkretisierung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung in der Rechtsprechung und Literatur .............................................. 16

2.1.

2.1.3. 2.1.4. 2.1.5.

Die Überprüfbarkeit der wirtschaftlichen Hintergründe der betriebsbedingten Kündigung .................................. Das Postulat der Freiheit von Unternehmerentscheidungen . . .. Der Anwendungsbereich der Theorie ........................ Zur inhaltlichen Bedeutung der Theorie: die Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit................ Die Überprüfung im Hinblick auf offenbare Unvernunft bzw. Willkür .................................................... Die Interessenabwägung .................................... Zur Bedeutung abweichender Lösungsansätze ................ Zusammenfassung ..........................................

25 27 32 38

2.2.

Die Entbehrlichkeit des gekündigten Arbeitnehmers ..........

39

2.3.

2.3.2. 2.3.3. 2.3.4.

Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen durch andere Maßnahmen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Arbeitszeitverkürzungen: Abbau von Überstunden und Kurzarbeit ...................................................... Die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz. . . . .. Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

2.4. 2.4.1.

Das Erfordernis der sozialen Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Kriterien der sozialen Auswahl und Umfang der Überprüfung 56

2.1.1. 2.1.1.1. 2.1.1.2. 2.1.2.

2.3.1.

16 17 18 20

41 43 48 53 54

8 2.4.2. 2.4.3. 2.4.4. 2.4.5.

Inhaltsverzeichnis Bezugsebene für die Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Die Berücksichtigung entgegenstehender betrieblicher Interessen 62 Beweislastverteilung ........................................ 64 Zusammenfassung .......................................... 66

3.

Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen des Arbeitsgerichts Hamburg .................................... 67

3.1.

Die Konkretisierung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung in der Praxis . . . . . . . . .. Die Überprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe der Kündigung ...................................................... Die Fallgruppe der Rationalisierungen ...................... Entscheidungen des Jahres 1967 . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . ... . . ... Entscheidungen des Jahres 1974 . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . .. Die Fallgruppe des Personalabbaus .......................... Entscheidungen des Jahres 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Entscheidungen des Jahres 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Sonstige Fälle .............................................. Die Überprüfung von Weisungen übergeordneter Instanzen. . .. Die Berücksichtigung früherer personeller Maßnahmen. . . .. . .. Der Austausch von Arbeitskräften .......................... Die Entbehrlichkeit des gekündigten Arbeitnehmers ..... . . . .. Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen durch andere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz. . . . .. Die Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze ....... '. . . . . . . . . . . . . . . .. Die Zumutbarkeit von Einarbeitung und Ausbildung . . . . . . . . .. Arbeitszeitverkürzung durch Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Zusammenfassung ..........................................

3.1.1. 3.1.1.1. 3.1.1.1.1. 3.1.1.1.2. 3.1.1.2. 3.1.1.2.1. 3.1.1.2.2. 3.1.1.3. 3.1.1.3.1. 3.1.1.3.2. 3.1.1.3.3. 3.1.2. 3.1.3. 3;1.3.1. 3.1.3.1.1. 3.1.3.1.2. 3.1.3.2. 3.1.4. 3.2. 3.2.1. 3.2.2.

68 68 68 68 70 73 74 76 79 79 80 81 82 84 85 85 87 88 89

Statistische Auswertung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . .. 91 Gegenstand, Ablauf und Dauer des Kündigungsschutzverfahrens ........................................................ 92 Effektivität des Kündigungsschutzes im Hinblick auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 96

4.

Weiterführende Überlegungen .............................. 101

4.1.

Zur begrenzten Gültigkeit und Aussagekraft des Prinzips der unternehmerischen Freiheit im Rahmen des Kündigungsschutzes ........................................................ 101 Die Berücksichtigung des Wortlautes und der Entstehungsgeschichte .................................................... 101

4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4.

Gesetzes- und rechtssystematische Überlegungen. . . . . . . . . . . . .. 104 Pragmatische Argumente .................................... 108 Schlußfolgerungen. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 110

4.2.

Offene Fragestellungen und mögliche Alternativen .......... 110

Inhaltsverzeichnis

9

2. Teil

Zur

recb.~politischen

Orientierung

112

5.

Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen 112

5.1.

Die Stellung der Beschäftigungspolitik im Rahmen der Unternehmensplanung ............................................ 113

5.2.

Tendenzen betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen und deren Folgen ............................................ 115

5.2.1.

Zur Häufigkeit und zu den Ursachen von betriebsbedingten Kündigungen .............................................. 115

5.2.2.

Zur besonderen Betroffenheit bestimmter Arbeitnehmergruppen ........................................................ 118

5.2.3.

Die materiellen und psychosozialen Folgen von Entlassungen .. 121

5.3.

Instrumente betrieblicher Beschäftigungspolitik zur Vermeidung von Entlassungen ...................................... 126

6.

Zielvorstellungen und Zielkonflikte für die betriebliche Kündigungspraxis ................................................ 135

6.1.

Zielvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135

6.1.1.

Personalstabilisierung und -planung als Ziel und Mittel betrieblicher Beschäftigungspolitik ............................ 135 Die Vermeidung von Entlassungen bei Rationalisierungen .... 136

6.1.2.

6.1.4.

Die Vermeidung von Entlassungen bei Beschäftigungsschwankungen insbesondere durch Kurzarbeit ...................... 138 Der Schutz der sozial benachteiligter Arbeitnehmergruppen . . .. 140

6.2.

Zielkonflikte ................................................ 141

6.2.1.

Technischer Fortschritt und weltwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 141

6.2.2.

Betriebliche Rentabilität .................................... 143

6.2.3. 6.2.4.

Die Erhaltung kleiner und mittlerer Betriebe ................ 143 Die Sicherung der Mobilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145

6.2.5. 6.2.6.

Die Freiheit der Berufswahl und das Leistungsprinzip ........ 146 Die Auswirkungen auf die Beschäftigungspolitik bei sonstigen Kündigungen und bei Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 147

7.

Zur Funktions- und Stellenwertbestimmung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes bei der Beeinflussung der betrieblichen Beschäftigungspolitik ............................ 149

7.1.

Sonstige arbeitsrechtliche Regelungen zum Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 150 Individualrechtliche Bestimmungen .......................... 150

6.1.3.

7.1.1. 7.1.2. 7.1.2.1.

Betriebsverfassungsrechtliche Regelungen ........... . . . . . . . .. 150 Die kollektivrechtliche Ergänzung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes ........................................ 151

10

Inhaltsverzeichnis

7.1.2.2. 7.1.3. 7.1.4. 7.1.5.

Eigenständige betriebsverfassungsrechtliche Regelungen Die Mitbestimmungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Tarifvertragliche Regelungen und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . .. Schlußfolgerungen ..........................................

7.2.

Die Berücksichtigung der staatlichen Vollbeschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Ziele dieser staatlichen Maßnahmen im Vergleich mit denen des Kündigungsschutzes .................................... . Zur Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen .. . . . . . . . . . . . . .. Schlußfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

7.2.1. 7.2.2. 7.2.3.

153 157 158 160 162 162 163 166

3. Teil

Vorschläge zur wirksameren Handhabung des geltenden Kündigungsschutzes

168

8.

Zur begrenzten "überprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe von Kündigungen .......................................... 168

8.1.

Die "überprüfung der Notwendigkeit der Maßnahmen i. S. der Interessenabwägung zwischen wirtschaftlicher Dringlichkeit und sozialen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 168

8.2.

Zum Gegenstand der "überprüfung .......................... 169

8.3. 8.3.1. 8.3.2. 8.3.3.

Zur Durchführung der Interessenabwägung .................. Kriterien zur Beurteilung der wirtschaftlichen Dringlichkeit .. Kriterien zur Beurteilung der sozialen Folgen . . . . . . . . . . . . . . .. "überlegungen zur Abwägung der entgegenstehenden Interessen

9.

Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen durch andere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175

9.1.

Allgemeine Entscheidungsmaßstäbe .......................... 176

9.2.

Andere Maßnahmen beim Personalabbau .................... 177

9.3.

Andere Maßnahmen bei Rationalisierungen .................. 179

10.

Die Anforderungen an die soziale Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 182

11.

Zur Durchführbarkeit und Wirksamkeit der Vorschläge ...... 184

11.1.

Der Bestandsschutz bei vollzogener Rationalisierung .......... 184

11.2.

Die Bedeutung der überprüfung wirtschaftlicher Hintergründe für die soziale Rechtfertigung einer von mehreren Kündigungen 185

11.3.

Zu den Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Vorschläge durch die Gerichte ................................................ 186

171 171 172 173

Literaturverzeichnis .................................................. 188

Einführung Die praktische Bedeutung des Kündigungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen bedarf bei der noch fortdauernden Arbeitsmarktentwicklung keiner weiteren Erläuterung. Weniger einsichtig erscheint die Berechtigung bzw. Notwendigkeit einer rechtswissenschaftlichen Behandlung des Themas angesichts der Situation, daß diese Rechtsmaterie seit Jahren keine einschneidenden Veränderungen erfahren hat, daß die Auslegung dazu gefestigt erscheint und daß trotz teilweiser Unzufriedenheit über den jetzigen Rechtszustand keine neuen Ansätze de lege lata erkennbar sind, sondern sich die Bemühungen auf Reformüberlegungen konzentrieren. Daß sich diese Untersuchung trotzdem der Problematik angenommen hat, liegt in dem bereits anfänglich bestehenden Eindruck begründet, daß die bisherigen Lösungsansätze zur Konkretisierung des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen weder theoretisch noch praktisch befriedigen können. Die soziale Bedeutung der Regelung rechtfertigt das Bemühen um Verbesserungen, auch wenn der Spielraum für Veränderungen im Rahmen des geltenden Kündigungsschutzrechtes begrenzt ist und keine endgültig befriedigende Lösung zum Problem der fehlenden Effektivität des Kündigungsschutzes ermöglicht. Dieses Ziel der Entwicklung begründeter Vorschläge zur wirksameren Handhabung des geltenden Kündigungsschutzes erforderte ein Vorgehen, das rechts- und sozialwissenschaftliche Fragestellungen und Ergebnisse berücksichtigt. Die entscheidende Aufgabe, aber auch die Schwierigkeit lag darin, diese verschiedenen Inhalte nicht in einem unfruchtbaren Nebeneinander zu belassen, sondern sie von vornherein wechselseitig auf einander zu beziehen. Aus dieser Intention erklärt sich im wesentlichen der Gang und der Inhalt der Untersuchung. So geht es im ersten Teil der Arbeit nicht um die umfassende Darstellung des individualrechtlichen Schutzes bei der betriebsbedingten Kündigung, sondern um die Analyse der Elemente der Regelungen, die unter dem Aspekt der Wirksamkeit des Schutzes von großer Bedeutung sind. Angesichts der Abstraktion der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Stellungnahmen und deren fehlender Repräsentativität für die tägliche Praxis der Kündigungsschutzprozesse habe ich diese theoretische Bestandsaufnahme ergänzt durch rechtstatsächliche Erhebungen, bevor ich durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem entscheidenden Element der herrschenden Meinung, dem Postu-

12

Einführung

lat der unternehmerischen Freiheit, den Weg geebnet habe für weiterführende Fragestellungen. Zur Beantwortung dieser Fragen bedurfte es einer rechtspolitischen Orientierung, die im zweiten Teil der Arbeit geleistet wurde. Dabei stand nicht die reine Darstellung sozialwissenschaftlicher Ergebnisse zur betrieblichen Beschäftigungspolitik,zur Arbeitsmarkt- und Vollbeschäftigungspolitik und zu den materiellen und psycho-sozialen Folgen des Arbeitsplatzverlustes im Vordergrund, sondern die Verdichtung und Interpretation dieser Erkenntnisse mit dem Ziel, für die notwendigen Wertentscheidungen Problemschwerpunkte zu erkennen und Zielvorstellungen zu entwickeln. Bevor aus den Zielvorstellungen im dritten Teil Vorschläge zur verbesserten Handhabung des geltenden Kündigungsschutzes entwickelt werden konnten, mußte noch eine Funktionsbestimmung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes gegenüber anderen arbeitsrechtlichen, aber auch beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zur Stärkung der Arbeitsplatzsicherheit versucht werden, um die Bedeutung, aber auch die Grenzen von Verbesserungsvorschlägen zum individualrechtlichen Kündigungsschutz zu erkennen. Diese komplexe und aufwendige Methode der Problembehandlung machte auf der anderen Seite Beschränkungen notwendig, nicht nur im Hinblick auf Nebenaspekte der Regelungen zur betriebsbedingten Kündigung, sondern auch im Hinblick auf rechtsvergleichende und rechtshistorische Untersuchungen als weitere wichtige Elemente der rechtspolitischen Orientierung. Von den hier entwickelten Vorschlägen kann nicht erwartet werden, daß sie kurzfristig die gewachsene und gefestigte Theorie und Praxis des Kündigungsschutzes werden verändern können. Das gilt um so mehr, als sich angesichts der Abstraktheit auch der gesetzlichen Regelung, der Komplexität der Ursachen und Folgen und der Wirksamkeit von Interessenstandpunkten bei dieser Problematik nur schwer ein neuer Konsens wird finden lassen. Die Vorschläge können deshalb trotz des Versuchs einer sozialwissenschaftlich fundierten argumentativen Absicherung nur als Diskussionsgrundlage verstanden werden, die von anderen, die Rechtsentwicklung entscheidend beeinflussenden Kräften aufgenommen werden muß, um wirksam werden zu können. Die intensive Aufmerksamkeit, die der Umorientierung der betrieblichen Beschäftigungspolitik insbesondere von seiten der Arbeitnehmervertreter in letzter Zeit entgegengebracht wird, läßt die Erwartung zu, daß im Zuge eines breiten Diskussionsprozesses veränderte Zielvorstellungen für die betriebliche Beschäftigungspolitik entwickelt werden können, Zielvorstellungen, die dann auch von der Rechtsprechung aufgenommen und zu normativen Entscheidungskriterien weiterentwickelt werden können.

Erster Teil:

Die Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen 1. Vorbemerkungen 1.1. Die Wirksamkeit des Kündigungsschutzes ist zum einen von den gesetzlich geregelten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des individuellen Kündigungsschutzes abhängig, d. h. von der Arbeitnehmereigenschaft der von der Kündigung betroffenen Personen1, und zwar unabhängig vom Alter2, von der Erfüllung einer Wartezeit von 6 Monaten3 und von einer Betriebsgröße von mindestens 6 Arbeitnehmern'. Diese Voraussetzungen bieten angesichts ihrer eindeutigen gesetzlichen Regelung keine Anhaltspunkte für eine veränderte Handhabung und sollen deshalb nicht im einzelnen behandelt werden. Anders ist das im Hinblick auf die inhaltlichen Beschränkungen der Kündigungsfreiheit durch das Kündigungsschutzgesetz. Der Gesetzgeber des Kündigungsschutzgesetzes von 1951 hat eine vom Betriebsrätegesetz 1920 und auch vom Arbeitsordnungsgesetz 1934 abweichende Konstruktion gewählt, indem er in § 1 Abs. 1 die Wirksamkeit jeder Kündigung von deren sozialer Rechtfertigung abhängig gemacht hat. Diese generalklauselartige Beschränkung ist in § 1 Abs. 2 durch die Unterscheidung zwischen personen-, verhaltens- und betriebs bedingt er Kündigung näher spezifiziert. Die hier interessierende betriebsbedingte Kündigung erfordert nach dem Gesetzeswortlaut zu ihrer sozialen Rechtfertigung, daß sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

In Anlehnung an das durch das Betriebsverfassungsgesetz in § 102 Abs. 3 eröffnete Widerspruchs recht des Betriebsrats ist in § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG eine weitergehende Konkretisierung der sozialen Rechtfertigung vorgenommen worden, indem bei Kündigungen in Betrieben des privaten Rechts - und entsprechend auch in Betrieben und VerZum Arbeitnehmerbegriff vgl. statt anderer Schaub S. 28 ff. Seit dem Gesetz zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes vom 5. 7. 76 BGBl1976 I, S. 1769; dazu Becker NJW 1976, S. 1486. 3 Vgl. § 1 Abs. 1 KÜSchG. 4 Vgl. § 23 Abs. 1 KÜSchG. 1

2

14 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen waltungen des öffentlichen Rechts - die soziale Rechtfertigung verneint wird, wenn die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 BetrVG 1972 verstößt oder der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb desselben Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, gegebenenfalls auch nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder auch unter geänderten Arbeitsbedingungen, wenn der Arbeitnehmer hierzu sein Einverständnis erklärt hat. Zusätzliche Voraussetzung ist nach dem Gesetzeswortlaut5, daß der Betriebsrat aus einem dieser Gründe frist- und formgerecht widersprochen hat. Speziell die hier interessierende betriebsbedingte Kündigung hat in § 1 Abs. 3 KSchG eine weiter Beschränkung erfahren, indem der Bindung an bestimmte Kündigungsgründe das Erfordernis der sozialen Auswahl im Sinne der ausreichenden Berücksichtigung der sozialen Gesichtspunkte zur Seite gestellt wird8 • Diese gesetzliche Umschreibung der Kündigungsbeschränkung durch unbestimmte Rechtsbegriffe, sowohl hinsichtlich der Kündigungsgründe als auch hinsichtlich der sozialen Auswahl, ergeben aus sich selbst heraus noch keine konkreten Entscheidungskriterien. Der Konkretisierungsgrad der gesetzlichen Norm ist äußerst niedrig, was angesichts der Komplexität der entsprechenden sozialen Sachverhalte und der dabei zu berücksichtigenden Interessen die Auslegung erheblich erschwert. Der Schwerpunkt der Auslegung dieser Regelung durch die Rechtsprechung und Literatur ist deshalb auf die nähere Erläuterung dieser Regelungselemente gerichtet. 1.2. Ein erster Umblick über die Entwicklung der zu dieser Problematik geführten rechtswissenschaftlichen Diskussion läßt allerdings die Beschäftigung mit diesen Fragen nicht sehr lohnend und erfolgversprechend erscheinen, weil die Auseinandersetzung darüber weitgehend abgeschlossen erscheint. So sind in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Kündigungsschutzgesetzes 1951 eine Vielzahl von Kommentaren, Monographien und Aufsätzen erschienen7 ; auffallend aber ist, daß nur wenige Fragen, wie die der richterlichen Überprüfbarkeit von Unternehmerentscheidungen und der sozialen Auswahl, eine herausragende Stellung in der rechtswissenschaftlichen Diskussion eingenommen haben, und daß die Diskussion bald abgeklungen ist, obwohl höchstrichterliche Entscheidungen erst relativ spät ergangen sind. Weder die wirtschaftliche Rezession 1966/67 noch die - allerdings unbedeutenden - Änderungen bei der Neufassung des Kündigungsschutzgesetzes im Näheres dazu Seite 48 ff. Vgl. dazu unter Punkt 2.4. Seite 55 ff. 7 Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Hueck / Hueck § 1 "Schrifttum" und das eigene Literaturverzeichnis. 5 8

1. Vorbemerkungen

15

Rahmen des 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes vom 14. 8. 1969 haben die Diskussion neu entfacht. Auch die durch das Betriebsverfassungsgesetz 1972 erfolgten Änderungen des Kündigungsschutzgesetzes haben nur hinsichtlich des Teilaspektes des Verhältnisses zwischen dem individualrechtlichen Kündigungsschutz gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG und dem kollektivrechtlich gebundenen Kündigungsschutz gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu lebhaften Auseinandersetzungen geführt8 , die aber durch die höchstrichterliche Entscheidung vom 13. 9. 73 9 im wesentlichen ihren Abschluß gefunden haben. Ob aber aus dieser relativen Ruhe in der rechtswissenschaftlichen Diskussion darauf geschlossen werden kann, daß die entscheidenden Fragen im wesentlichen einer überzeugenden Lösung zugeführt worden sind, ist nicht sicher. Eine mögliche Erklärung dafür ist auch, daß die vom Gesetzgeber mit unbestimmten Rechtsbegriffen geregelte Materie einer traditionell dogmatischen Bearbeitung schwer zugänglich ist und daß die praktische Relevanz der Fragen während der langanhaltenden Vollbeschäftigung nicht erkennbar wurde. 1.3. Bei der Analyse der in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen zu den Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung stellt sich das Problem, daß bei der Begründung und Erläuterung der Theorien bzw. Entscheidungskriterien kaum jemals deutlich herausgestellt wird, auf welchen Ebenen des Entscheidungsganges in der betrieblichen Praxis sich die Aussagen beziehen. Um die Meinungen vergleichen und die konkreten Auswirkungen der Theorien abschätzen zu können, müssen sie aber bezogen werden auf die tatsächliche, wenn auch typisierend vereinfachte Entscheidungsstruktur in der betrieblichen Praxis. In diesem Sinne kann im Vorfeld der betriebsbedingten Kündigung zwischen den folgenden Ebenen unterschieden werden: -

Die Ebene der jeweiligen wirtschaftlichen Ausgangslage des Betriebes, d. h. die Rentabilität und Umsatzentwicklung einschließlich der zugrundeliegenden Faktoren.

-

Die Ebene der betriebsgestaltenden Entscheidungen, d. h. der Entscheidung über technische oder organisatorische Veränderungen (z. B. technische Rationalisierung oder Stillegung).

-

Die Ebene der personal politischen Grundentscheidung über die quantitative bzw. qualitative Veränderung der Personalkapazität.

-

Die Ebene der Entscheidung zwischen verschiedenen Instrumenten der Personalpolitik, z. B. ob die beabsichtigte Personalkapazitätsver8

D

Dazu Seite 48 ff. BAG v. 13.9. 73 BB 1973, S. 1635.

16 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebs'bedingten Kündi'gungen änderung durch Personalabbau erreicht werden soll oder durch Kurzarbeit bzw. ob der etwaige Personalabbau durch Entlassungen herbeigeführt werden soll oder durch Einstellungsstop. Die vertretenen Theorien aber auch die Einzelfallentscheidungen sollen daraufhin befragt werden, ob und in welchem Umfang sie auf diesen Entscheidungsebenen eine inhaltliche Bindung des Arbeitgebers beinhalten. 2. Die Konkretisierung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung in der Rechtsprechung und Literatur Die Bemühungen der Rechtsprechung und Literatur zur Konkretisierung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung konzentrieren sich im besonderen auf Theorien zum Problem der überprüfbarkeit der wirtschaftlichen Hintergründe der Kündigung und der die Kündigung bedingenden betriebsgestaltenden Entscheidungen, auf den Versuch, konkret darauf abzustellen, ob der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers entbehrlich ist, und schließlich auf Antworten zu der Frage, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber sich bemühen muß, die Entlassung durch andere Maßnahmen abzuwenden. 2.1. Die 'Uberpriifbarkeit der wirtschaftlichen Hintergründe der betriebsbedingten Kündigung

Im Vordergrund der Versuche, die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung zu bestimmen, steht die Frage der überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidungen, die auch schon im Rahmen des § 84 Abs. 1 Nr. 4 BRG und § 56 Abs. 1 AOG eine Rolle gespielt hatl°. Geht man von der Zahl und dem Umfang der Darstellungen aus, so kommt diesem Problem im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung Priorität zu. Wenn auch der Höhepunkt der Auseinandersetzung seit langem überschritten ist und neue Stellungnahmen zu dieser Frage nicht mehr erkennbar sind, bedarf diese Problematik dennoch wegen ihrer hohen praktischen Bedeutung für die Effektivität des Kündigungsschutzes einer sorgfältigen Analyse. Zunächst mag es überraschen, daß bei dem Versuch der Konkretisierung eines Tatbestandes die Frage des Umfangs der richterlichen überprüfbarkeit eine so entscheidende Rolle spielt. Berücksichtigt man jedoch, daß mit der Frage der überprüfbarkeit inhaltlich auch entschieden 10

Nachweise dazu bei Ribbert S. 60 f.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

17

wird, welche Ebenen des betrieblichen Geschehens bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung überhaupt berücksichtigt werden können, so zeigt sich die Bedeutung der Fragestellung. Ein erster überblick über den Meinungsstand zeigt, daß die ganz herrschende Meinung davon ausgeht, daß die Unternehmerentscheidungen gerichtlich nicht überprüfbar sind, sondern als gegeben hinzunehmen sind, so daß allein die sich daraus ergebende betriebliche Lage Grundlage für die Entscheidung sein soll, ob dringende betriebliche Erfordernisse für die Kündigung vorliegenl l • Doch auch die h. M. will die Unternehmerentscheidungen nicht völlig von einer Kontrolle freistellen, sondern will sie in Ausnahmefällen nicht als Grundlage einer Entlassung akzeptieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die fast uneingeschränkt Zustimmung gefunden hat, liegt die Grenze der Unternehmerfreiheit in offenbarer Unsachlichkeit, Unvernunft oderWillkür12 • Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgericht wiederholt die Interessenabwägung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal auch der betriebsbedingten Kündigung postuliert und dadurch die Unternehmerentscheidung zwar nicht unmittelbar, wohl aber mittelbar der Kontrolle unterzogen, indem im Rahmen der Interessenabwägung geprüft werden soll, ob die durch die Unternehmerentscheidung erstrebten Vorteile im angemessenen Verhältnis zu den sozialen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer stehen19 • Gegenüber dieser vom Bundesarbeitsgericht und der herrschenden Meinung eingenommenen Grundlinie sind vereinzelt Gegenpositionen i. S. der überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung eingenommen worden14 • Aufgabe der nachfolgenden Analyse wird es zunächst sein, den Gehalt dieser weitgehend abstrakt formulierten Theorien aufzuzeigen und das Verhältnis der verschiedenen Lösungsansätze zueinander zu klären. 2.1.1. Der Gehalt des Kündigungsschutzes bei betriebs bedingten Kündigungen wird entscheidend durch den weitestgehend anerkannten Hinweis bestimmt, daß die überprüfung der sozialen Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung nicht die Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen bedeutet1&. Das ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut des Dazu Punkt 2.1.1. Seite 17 ff. Dazu Punkt 2.1.2. Seite 25 ff. 13 Dazu Punkt 2.1.3. Seite 27 ff. 14 Dazu Punkt 2.1.4. Seite 32 ff. 15 Grundlegend in der Rspr.: BAG v. 28. 11. 56 AP Nr. 20 zu § 1 KSchG; v. 17. 9. 57 AP Nr. 8 zu § 13 KSchG; v. 4. 2. 60 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG betrjebsb. K.; v. 28. 11. 60 AP Nr. 28 zu Art. 24 Truppenvertrag; v. 25. 6. 64 AP Nr. 13 11

t!

2 Woller

18 1. Teil: Wirksamkeit does Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen Gesetzes, sondern auch aus dem erschöpfenden Charakter einschränkender Regelungen im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes und der Mitbestimmungsgesetze und aus verfassungsrechtlichen und pragmatischen GrÜnden16 • 2.1.1.1. Die Bedeutung dieser Theorie hängt entscheidend davon ab, was überhaupt als Unternehmerentscheidung, die einer gerichtlichen Kontrolle grundsätzlich entzogen sein soll, anzusehen ist, weil dadurch der noch überprüfbare Bereich und damit die Relevanz des Kündigungsschutzes bestimmt wird. überraschenderweise fehlen in Literatur und Rechtsprechung exakte Definitionen bzw. konkrete Erläuterungen zu diesem Begriff, so daß nur unter Heranziehung des Argumentationszusammenhangs versucht werden kann, eine Klärung darüber herbeizuführen, welche Fragestellungen gerichtlich überprüft werden können.

Dabei muß zunächst berücksichtigt werden, daß die Theorie von der Freiheit der Unternehmerentscheidung erkennbar auf die gängige Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen aufbaut17, wobei als Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln verstanden wird, mit deren Hilfe ein bestimmter arbeitstechnischer Zweck fortgesetzt verfolgt wird, während als Unternehmen die organisatorische Einheit verstanden wird, innerhalb der mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln bestimmte über dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebs liegende Zwecke fortgesetzt verfolgt werden18 • Ausgehend davon, daß demnach das Unternehmen typischerweise durch die wirtschaftliche - in Abgrenzung zu der rein betriebstechnischen - Dimension charakterisiert wird, müßten als Unternehmerentscheidungen, die einer richterlichen Prüfung entzogen sind, alle Maßnahmen angesehen werden, die von wirtschaftlichen überlegungen bestimmt sind19 , also nicht nur die betriebsgestaltenden Entscheidungen, sondern auch die persozu § 1 KSchG betriebsb. K. und v. 7. 12. 78 AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 69 betriebsb. K.; weitere Nachweise bei Ribbert, S. 69 Anm. 7. Grundlegend in der Literatur: Galperin BE 1954, S. 1117; Rappenoecker BB 1958, S. 47; weitere Nachweise bei Ribbert S. 68 Anm. 6. Abweichend: LAG Stuttgart v. 19. 5. 54 BB 1954, S. 806; LAG Frankfurt v. 25. 11. 53 BB 1954, S. 22·8; Diekhoff ArbuR 1957, S. 1114; Joachim BB 1954, S. 1114; Kaufmann NJW 1953, S. 1047; Molitor BB 1953, S. 34 ff.; Schmidt RdA 1957, S. 170 ff. und AR-Blattei D Kündigungsschutz IV Nachprüfung betrieblicher Maßnahmen im Kündigungsschutzverfahren; Schüler ArbuR 1954, S. 54; vgl. dazu später Punkt 2.1.4., Seite 32 ff. 16 Einen ausführlichen 'überblick über die Argumentation gibt Ribbert S. 38 ff.; vgl. dazu auch Punkt 4.1., Seite 101 ff. 17 Vgl. etwa Hueck / Hueck § 1 RN 102; Müller DB 1962, S. 1539; Ribbert S. 43 ff. 18 Dazu statt anderer Dietz / Richardi § 1 RN 45 ff. 19 So auch Rappenecker S. 47, der allerdings als Beispiele nur betriebsgestaltende Entscheidungen nennt und die personellen Folgeentscheidungen erkennbar ausklammert.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigun'g

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nellen Entscheidungen, insoweit sie wirtschaftlich motiviert sind. Alle Entscheidungen, die in einer auf Rentabilität orientierten Organisation wie dem Unternehmen getroffen werden, werden nämlich auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen hin überprüft und entsprechend modifiziert, i. d. R. haben sie sogar in wirtschaftlichen überlegungen ihren Ursprung. Das gilt also nicht nur für die betriebsgestaltenden Maßnahmen, sondern auch für die personellen Dispositionen, sei es als Folgeentscheidungen von betriebsgestaltenden Maßnahmen oder sei es ohne entsprechend vorgeschaltete Entscheidungen. Es gilt aber auch für die Entscheidungen zur Vermeidung von Entlassungen und sogar für das letzte Glied des Entscheidungsablaufs, die soziale Auswahl unter den betroffenen Arbeitnehmern, weil auch dabei wirtschaftliche überlegungen eine entscheidende Rolle spielen. Davon geht auch das Gesetz aus, indem es durch § 1 Abs. 3 KSchG den Einfluß dieser wirtschaftlichen Erwägungen bei der sozialen Auswahl zu begrenzen versucht. Die Konsequenz dieser Interpretation der Theorie wäre also, daß praktisch alle Entscheidungen, die die Kündigung nach Art und Umfang konkret bedingen, als Unternehmerentscheidungen anzusehen sind und insoweit in einem noch zu klärenden Umfang unüberprüfbar sind, abgesehen von den praktisch irrelevanten Grenzfällen, in denen entweder arbeitstechnische Gründe unabhängig von den wirtschaftlichen Konsequenzen überhaupt nur eine Möglichkeit zulassen, oder in denen wirtschaftlich völlig gleichwertige arbeitstechnische Alternativen bestehen. Daß diese Interpretation nicht willkürlich ist, zeigt der Umstand, daß die Theorie von der Freiheit der Unternehmerentscheidung in Einzelfällen tatsächlich auf alle genannten Entscheidungsebenen bezogen wird, d. h. auch bei der Prüfung der Notwendigkeit von Personaleinsparungen, der Möglichkeiten der Vermeidung von Entlassungen durch Kurzarbeit, Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz u. ä. und bei der sozialen Auswahl herangezogen wird20 • Andererseits aber gibt es viele Hinweise dafür, daß als Unternehmerentscheidungen nur die betriebsgestaltenden Maßnahmen gemeint sind, insbesondere durch die Erläuterung, daß zwar die Unternehmerentscheidung selbst frei sei, daß aber die sich daraus ergebende betriebliche Situation daraufhin zu überprüfen sei, ob sie Kündigungen wirklich notwendig mache21 • In die gleiche Richtung weist der zur Begründung der Theorie gegebene Hinweis auf die Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes bei Betriebsänderungen (§ 72 BetrVG 1952 bzw. § 111 BetrVG 20 In bezug auf die Einführung von Kurzarbeit vgl. z. B. Hueck / Hueck § 1 RN 111; näheres dazu Seite 44, 63 u. 36. 21 Vgl. statt anderer BAG v. 7. 12. 78 DB 1979, S. 651, wo das Prinzip aus-

drücklich nur auf die organisatorischen Maßnahmen bezogen wird, die der Arbeitgeber trifft, um seinen Betrieb dem Umsatzrückgang oder der verschlechterten Ertragslage anzupassen.

20 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten KündiglUngen 1972), bei der es sich im Grundsatz jedenfalls um betriebsgestaltende Maßnahmen handelt. Dieses zum Teil unklare und widerspruchsvolle Bild von der Bedeutung des Begriffs Unternehmerentscheidung kann nicht weiter aufgeklärt werden. Es kann nur so erklärt werden, daß die Theorie sich assoziativ an die gängige Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen angelehnt hat 22 , daß aber Inhalt und Zweck dieser Unterscheidung nicht geeignet sind, den Gehalt der Theorie zu konkretisieren. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, daß sich das Verständnis von unternehmerischen Entscheidungen zwar an den betriebsgestaltenden technischen oder organisatorischen Entscheidungen orientiert, aber nicht ausdrücklich darauf begrenzt wird, so daß ein weitergehender Anwendungsbereich für die Theorie von der freien unternehmerischen Entscheidung eröffnet wird. 2.1.1.2. Dieser Befund eines im einzelnen zwar unklaren, aber tendenziell weiten Anwendungsbereichs der Theorie von der freien Unternehmerentscheidung veranlaßt die Frage, in welchem Umfang der freie Entscheidungsspielraum tatsächlich gewährt werden soll bzw. ob - abgesehen von der noch zu erörternden Grobkontrolle bzw. Interessenabwägung - bestimmte Aspekte der Unternehmerentscheidung doch einer überprüfung unterliegen. Zur Klärung dieser Frage fehlt es wiederum an exakten Erläuterungen; Anhaltspunkte könnten sich aber aus der häufigen, im einzelnen aber unterschiedlichen Verwendung des Begriffspaares "Notwendigkeit" und "Zweckmäßigkeit" der Unternehmerentscheidung ergeben. Soweit nicht ganz auf nähere inhaltliche Spezifizierung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit23 verzichtet wird, wird z. T. die Freiheit der Unternehmerentscheidung hinsichtlich der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit postuliert24 , z. T. aber auch nur die Zweckmäßigkeit25 bzw. die Notwendigkeit~ angesprochen. Wegen der fehlenden Erläuterungen zu diesen Formulierungen ist zunächst nicht erkennbar, ob es sich insoweit um eher zufällige Formulierungsunterschiede handelt oder um Anzeichen von inhaltlich voneinander abweichenden Konzeptionen. Näheres dazu Seite 101 f. So AufJlarth / Müller § 1 RN 199/200; Joaehim, BB 1954, S. 1116; Galperin, BB 1954, S. 1118/1119 und RdA 1966, S. 366; Kunkel, NJW 1953, S. 448/9; Meisel, BB 1963, S. 1059/60; Monjau, BB 1967, S. 1213; Müller, DB 1962, S. 1539; Rappenecker, BB 1958, S. 50; Schleßmann S. 140. 24 Hersehel / Steinmann § 1 RN 42 a; Maus § 1 RN 192; Monjau / Heimeier § 1 C 41; Nikiseh S. 762. 25 Ballsehmiede, ArbuR 1953, S. 245; Hueck / Hueck § 1 RN 104; Hueck / Nipperdey S. 636; Kaufmann, NJW 1953, S. 1049. 28 Vgl. etwa Eberl, BB 1954, S. 447. 22

23

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

21

Bei dem Versuch, den möglichen Gehalt des Begriffspaares festzulegen, kann als "Zweckmäßigkeit" die Tauglichkeit der Maßnahme bei betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise, d. h. bei Abwägung der zu erwartenden betrieblichen Vor- und Nachteile, verstanden werden, während die "Notwendigkeit" die Dringlichkeit unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Betriebes betrifft. Dieses Begriffsverständnis ist zwar sinnvoll in dem Sinne, daß es inhaltlich bedeutsame Fragestellungen zu erfassen vermag, es bleibt aber noch zu untersuchen, ob mit diesem Verständnis der Inhalt der Stellungnahmen zu dem Problem zutreffend analysiert werden kann. Dabei führt die Analyse der Literatur kaum weiter, weil in der Regel nicht geklärt werden kann, ob die unterschiedlichen Formulierungen auf der Grundlage des hier vorgeschlagenen Begriffsverständnisses entstanden sind. Erfolgversprechend ist deshalb eher die einzelfallorientierte Analyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung, auf die im übrigen die Stellungnahmen in der Literatur häufig ohne eigene Exemplifizierungen oder Erläuterungen Bezug nehmen. Zwei der einschlägigen Entscheidungen betreffen den öffentlichen Dienst. In der Entscheidung vom 28. 11. 195627 wird zum Problem von haushaltsmäßig bestimmten Personaleinsparungen die richtungsweisende Regel aufgestellt, daß nur ein Haushaltsplan, der die Streichung bestimmter, nach sachlichen Merkmalen charakterisierter Stellen vorsieht, als dringender betrieblicher Grund für entsprechende Entlassungen anerkannt werden kann, daß dagegen allgemeine Einsparungsbeschlüsse erst einer Umsetzung in konkrete Maßnahmen in den einzelnen Dienststellen bedürfen; diese konkretisierenden Entscheidungen seien aber hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nicht überprüfbar. Obwohl die Formel des BAG hier die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit nebeneinander nennt, ist festzustellen, daß ausgehend von dem hier vorgeschlagenen Verständnis nur noch die Zweckmäßigkeit der konkretisierenden Maßnahmen in Frage steht, weil die Notwendigkeit schon durch den allgemeinen Einsparungsbeschluß abgedeckt ist. Denn die Frage der Notwendigkeit betrifft im öffentlichen Bereich - anders als im privaten Bereich - nicht die Frage der Rentabilität, sondern die Interessenabwägung zwischen der Dringlichkeit der öffentlichen Aufgabe einerseits und den fiskalischen Möglichkeiten andererseits. Die Notwendigkeit im Sinne dieser Interessenabwägung wird zwar von dem Gericht auch nicht überprüft, doch läßt sich diese Wertung wegen der unterschiedlichen Sachproblematik nicht ohne weiteres auf den privaten Bereich übertragen. Wenn das BAG die allgemeine Einsparungsentscheidung im Haushaltsplan bzw. diesen Aspekt des spezifizierten Haus27

BAG v. 28. 11. 56 AP Nr. 20 zu § 1 KSchG.

22

1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündi-gungen

haltsplans ohne weitere überprüfung hinnimmt, so kann das mit der Kompetenzbegrenzung der Judikative gegenüber politischen Entscheidungen der demokratisch legitimierten Legislative erklärt werden. Diese Einschätzung wird durch die Analyse der Entscheidung vom

4. 2. 196028 bestätigt, die eine organisatorische Maßnahme i. S. einer Än-

derung der Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben betraf. Das BAG hält die Zweckmäßigkeit dieser durch Verordnung beschlossenen Änderung nicht für überprüfbar. Daß die Notwendigkeit nicht gleichzeitig genannt wird, tatsächlich aber ebenfalls nicht überprüft wird, ist ein Indiz für den eher zufälligen Charakter der Formulierungsunterschiede. Im Ergebnis kann die Nichtüberprüfung der Notwendigkeit der organisatorischen Änderung wiederum mit dem Hinweis auf die spezifische Problematik im öffentlichen Bereich begründet werden. Auch die BAG-Entscheidung vom 18. 11. 196029 kann abgesehen von dem noch zu besprechenden obiter dictum zum wirtschaftlichen Bereich 30 in der Substanz nicht als einschlägig für die hier behandelte Problematik angesehen werden, weil die Zurückhaltung bei der überprüfung nicht wie im privaten Bereich wirtschaftlichen Erfordernissen galt, sondern sicherheitspolitischen Entscheidungen der alliierten Streitkräfte, die nur auf ihre Ernsthaftigkeit hin überprüft wurden. Neuerdings ist vom BAG offenbar die Zurückhaltung gegenüber der überprüfung von Stellenplanstreichungen etwas relativiert worden31 • Das ändert aber nichts dar an, daß sich aus der Sicht der Rechtsprechung die Problematik der überprüfung des dringenden betrieblichen Erfordernisses im öffentlichen Bereich anders stellt als im privaten. Die Entscheidungen über betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst sollen deshalb im folgenden unberücksichtigt bleiben. Die Analyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem privaten Bereich stößt zunächst auf die Entscheidung vom 17. 9. 1957 32 über eine Betriebsstillegung, in der eine verbale Spezifizierung der Theorie von der freien Unternehmer entscheidung hinsichtlich der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit noch nicht enthalten ist. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist vielmehr, daß dieser Entschluß zwar in die Verantwortung des Arbeitgebers gelegt wird, daß das Gericht aber ausdrücklich eine wirtschaftliche Situation als gegeben hinstellt, die eine sinnvolle Weiterarbeit des Betriebes ausschließt. Materiell sind darin also durchaus Ansätze einer überprüfung der Notwendigkeit zu sehen, wobei al28

29 30

31 32

BAG v. 4. 2. 60 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG betriebsb. K. BAG v. 18. 11. 1960 AP Nr. 28 zu Art. 44 Truppenvertrag. Vgl. unten Seite 23. BAG v. 3. 5. 78 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 69 betriebsb. K. BAG v. 17. 9. 1957 AP Nr. 8 zu § 13 KSchG.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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lerdings die Entscheidungsgrundlagen und -kriterien nicht offengelegt werden. Die bereits oben genannte Entscheidung vom 18. 11. 196033 bezieht die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zwar gleichermaßen auf die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, der Gehalt dieser Formel läßt sich jedoch wegen des obiter-dictum-Charakters dieser Aussage nicht überprüfen und sollte angesichts der Zufälligkeit der Formulierungen nicht zu hoch eingeschätzt werden. Dies bestätigt die Analyse der Entscheidung vom 25. 6. 196434, in der sowohl der Formulierung nach als auch inhaltlich eine Beschränkung der Theorie auf den Aspekt der Zweckmäßigkeit enthalten ist. Das Gericht, das über die soziale Rechtfertigung von absatzbedingten Personaleinsparungen zu entscheiden hat, stellt ausdrücklich fest, daß das Anwachsen des Lagerbestandes um das achtfache im Jahresvergleich ein dringender Grund sei, um die Produktion einzuschränken und den Personalbestand der verminderten Produktion anzupassen, weil der Arbeitgeber nicht gezwungen werden könne, sehenden Auges in eine ausweglose Situation zu geraten. Es findet also, und zwar noch deutlicher als in der Entscheidung vom 17. 9.1957 35 , eine Bewertung der unternehmerischen Entscheidung über die Personaleinsparung statt. Daß allerdings eine konkrete Gefahr für die Rentabilität des Betriebes gegeben sein muß, läßt sich aus der vagen und zudem negativ abgrenzenden Formel, daß der Arbeitgeber nicht in eine ausweglose Situation gezwungen werden dürfe, nicht ableiten. Jedenfalls umfaßt die unternehmerische Freiheit auch nach dem Begründungszusammenhang dieser Entscheidung im Kern nicht die Frage der Notwendigkeit der Personaleinsparungen, sondern nur die Frage der Zweckmäßigkeit der zur Abwendung der Schwierigkeiten getroffenen Maßnahmen. Dieser Linie scheint die Entscheidung vom 22. 11. 197336 eindeutig zu widersprechen, und zwar nicht so sehr durch die Formulierung, die das Begriffspaar von Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nicht aufnimmt, sondern dadurch, daß die entsprechende organisatorische Disposition, die Zusammenlegung von Entwicklungsabteilungen zu einer zentralen Stelle, auch materiell weder hinsichtlich ihrer Zweclqnäßigkeit noch ihrer Notwendigkeit bewertet wird. Jedenfalls finden sich in dem veröffentlichten Urteil keine Daten oder Bewertungen zu den wirtschaftlichen Erfordernissen für die Maßnahme. Von den jüngeren Entscheidungen37 ist die vom 7. 12. 197838 von besonderer Bedeutung, weil sie beansprucht, die Grundsätze der überprü38 84

35 36

Vgl. Anm. 29. BAG v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG betriebsb. K. Vgl. Anm. 32. BAG v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KSchG betriebsb. K.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

fung von betriebsbedingten Kündigungen noch einmal zusammenzufassen. Wiederum aber sind die Grundsätze so abstrakt formuliert, daß deren Bedeutung für die konkreten Fragestellungen im Einzelfall nicht ohne weiteres erkennbar ist. So wird zum einen zwar festgestellt, daß die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen des Arbeitgebers nicht überprüfbar sind, andererseits aber sollen die Tatsachen überprüft werden, die seiner Entscheidung zugrunde liegen, und außerdem, ob und in welchem Umfang die Maßnahmen des Arbeitgebers tatsächlich zu einem Wegfall der Arbeitsplätze der betroffenen Arbeitnehmer geführt hat. Ungeklärt bleibt dabei, warum die das betriebliche Erfordernis begründenden außerbetrieblichen und innerbetrieblichen Umstände vom Arbeitgeber im einzelnen dargelegt und vom Gericht überprüft werden sollen. Das Vorliegen der vorgetragenen Umstände ist doch die Grundlage für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Maßnahmen. Was nützt die überprüfung der Umstände, gegebenenfalls mit dem Ergebnis, daß die behauptete Umsatz- bzw. Rentabilitätseinbußen nicht gegeben sind, wenn daraus keine Schlußfolgerung dahingehend gezogen werden kann, daß eine Notwendigkeit für die Maßnahmen nicht bestand. Allein die Möglichkeit der überprüfung der unternehmerischen Entscheidungen auf Willkür kann diese Anforderung an die Darlegungslast des Arbeitgebers nicht rechtfertigen. Es scheint demnach so, daß dem Arbeitgeber zwar von der Rechtsprechung die substantiierte Begründung seiner Maßnahmen abverlangt wird und daß bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung seine Kündigung als sozial nicht gerechtfertigt angesehen wird, daß aber diese dargelegten Umstände vom Gericht nicht unter normativen Kriterien gewürdigt werden können. Diese Selbstbeschränkung des Gerichts auf die überprüfung der vorgetragenen Umstände unter Verzicht auf eine inhaltliche Wertung, erscheint problematisch, weil, jedenfalls theoretisch, dadurch für den Arbeitgeber keine wirksame Bindung seiner Entscheidung begründet wird. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die postulierte Verpflichtung rur Darlegung konkreter und überprufbarer Daten zu den betriebswirtschaftlichen Grundlagen der unternehmerischen Entscheidung sich praktisch doch im Sinne einer Bindung seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit auswirken wird. Abgesehen davon, daß der Arbeitgeber im Einzelfall sogar die Offenlegung der zugrunde liegenden Umstände so sehr scheut, daß er es vorzieht, auf die Entlassung zu verzichten, so 87 BAG v. 1. 7. 76 AP Nr. 2 zu § -I KüSchG 69 betriebsb. K. und v. 18. 10. 76 AP Nr. 3 zu § 1 KüSchG 69 betriebsb. K.; diese Entscheidun~en sind aufgrund ihrer FallkoIlistellationen für die vorliegende Fragestellung nicht ergiebig. a8 BAG v. 7.12.78 AP Nr. 6 zu § 1 KüSchG 69 betriebsb. K.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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wird er im Regelfall jedenfalls vermeiden wollen, eine Begründung vortragen zu müssen, die seine Maßnahmen nach den sozialen Anschauungen nicht rechtfertigen, auch wenn das Gericht die entsprechende Wertung wegen der Unüberprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen nicht vornehmen kann. Die Begründungspflicht kann sich also als Selbstkontrolle des Arbeitgebers in Hinblick auf die Notwendigkeit der Maßnahmen auswirken. Darin liegt die Bedeutung und der Fortschritt dieser Entscheidung im Vergleich zu der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Eine Zusammenfassung der einzelnen Entscheidungsanalysen zeigt, daß abgesehen von den Unterschieden in den Formulierungen tatsächlich die Zweckmäßigkeit von unternehmerischen Entscheidungen durchgängig nicht überprüft worden ist. Dagegen gibt es im Hinblick auf die Notwendigkeit im Sinne der betriebswirtschaftlichen Dringlichkeit der Maßnahmen einige Ansätze einer Kontrolle, zum Teil direkt durch eine normative Bewertung der unternehmerischen Maßnahme, zum Teil indirekt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, seine Maßnahmen im einzelnen mit überprüfbaren Angaben zu begründen. Festzuhalten bleibt weiterhin, daß diese Ansätze einer überprüfung der Notwendigkeit nur in Fällen von Personaleinsparungen bei Auftragsmangel zu finden sind, während Rationalisierungsmaßnahmen ohne weiteres hingenommen werden. 2.1.2. Einer genauen Analyse bedarf nunmehr der die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ergänzende Aspekt, daß diese Freiheit ihre Grenzen finden müsse bei offenbarer Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür". Es erscheint wenig sinnvoll, die zu diesem Aspekt in der Literatur zu findenden Formulierungen im einzelnen aufzuführen und zu vergleichen. Wichtiger ist es, eine Vorstellung davon zu erarbeiten, was tatsächlich an konkreten Fragestellungen und Entscheidungskriterien mit dieser Grobkontrolle verbunden ist. Dabei lassen sich zunächst drei verschiedene Ausrichtungen dieser Kontrolle ausmachen:

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Die betriebswirtschaftliche Grobkontrolle, die die Zweckmäßigkeit der Maßnahme untersucht, also gerade den Aspekt, der nach der Theorie der unternehmerischen Freiheit in jedem Fall unüberprüfbar sein soll. Diese Ausrichtung wird erkennbar in Formulierungen wie "offenbar unvernünftig"40, "offenbarer Verstoß gegen die Grundsätze einer vernünftigen Wirtschaftsführung"41 oder "Ermessensfehler"42.

89 Grundlegend: BAG v. 18. 11. 1960 AP Nr. 28 zu Art. 44 Truppenvertrag; v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG; v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KSchG

betriebsb. K. '0 BAG vgl. Nachw. zu Anm. 39; Müller, DB 1962, S 1539; Schwedes § 1 RN 402.

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1. Teil:

Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

Die soziale Grobkontrolle, d. h. die überprüfung der Berechtigung der Maßnahme bei Berücksichtigung der sozialen Folgen, die in Formeln zum Ausdruck kommt wie "grobe Verletzung sozialer Grundsätze", "unsoziales Gewinnstreben", "grob unsoziale Gesinnung"i3. Die Mißbrauchskontrolle im eigentlichen Sinne, d. h. die Verhinderung von Versuchen, den durch die unternehmerische Freiheit gewährten Entscheidungsspielraum für andere Zwecke auszunutzen, z. B. dadurch, daß die unternehmerische Maßnahme nur deshalb getroffen wurde, um einen Kündigungsgrund zu schaffen44 • Dieser Gedanke könnte mit dem Verbot der Willkür angesprochen sein45 • Darunter wird man aber auch die Fälle erfassen können, in denen die Maßnahme nur zum Schein erfolgt, um einen Kündigungsgrund zu haben, obwohl man in diesen Fällen auch davon ausgehen kann, daß der zum Schein geschaffene betriebliche Grund in Wirklichkeit gar nicht gegeben ist und deshalb die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist46 •

Die Bedeutung dieser Aspekte der Grobkontrolle erscheint schon bei theoretischer Betrachtung aus mehreren Gründen zweifelhaft. Nicht nur, daß der Maßstab, der die Nichtberücksichtigung der Maßnahme als Entlassungsgrund rechtfertigt, sehr streng ist, und zwar bei der betriebswirtschaftlichen und sozialen Grobkontrolle gleichermaßen; hinzu kommt, daß die Beweislast für diese schwer faßbaren z. T. subjektiven Gesichtspunkte dem Arbeitnehmer aufgebürdet wird47 • Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, daß in der Literatur teilweise diese Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit mit dem Hinweis auf allgemeine Rechtsgrundsätze, wie sie in den §§ 138, 242, 162 Abs. 2 BGB enthalten sind, begründet werden48 • So gesehen erscheinen diese Schranken gar nicht als Auswirkung des Kündigungsschutzgesetzes als eines besonderen Schutzgesetzes, sondern als unabhängig von der jeweiligen Kodifikation des Kündigungsschutzes vorgegebene immanente Schranke der unternehmerischen Handlungsfreiheit. 41 Adomeit, S. 60/1; Auffarth / Müller § 1 RN 203; Galperin, BB 1954, S. 1119; Heimeier, DB 1955, S. 1118; Herschel / Steinmann § 1 RN 42 a; Monjau / Heimeier § 1 S. C 41; Pöting, S. 54. 4! Eberl, BB 1954, S. 447; Galperin, BB 1954, S. 1119. 43 Galperin, BB 1954, S. 1118; Siebert, BB 1952, S. 523; RibbertS. 31. 44 Rappenecker, BB 1958, S. 50. 45 Vgl. dazu Ballschmiede, ArbuR 1953, S. 245; Galperin BB 1954, S. 1118/9 und RdA 1966, S. 366; Müller, DB 1962, S. 1539/40; Schwedes § 1 RN 402. 46 Vgl. dazu: Auffarth / Müller § 1 RN 200; Galperin, BB 1954, S. 118; Maus § 1 RN 196; Meisel, BB 1963, S. 1059/60; Müller, DB 1962, S. 1540; Rappenecker, BB 1958, S. 50. 47 Vgl. BAG v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KSchG betriebsb. K. 48 Vgl. dazu: Auffarth / Müller § 1 RN 200; Meise!, BB 1962, S. 1060; Rappenecker, BB 1958, S. 50; Ribbert, S. 27 ff. und 104 ff. hält die Grobkontrolle ausdrücklich mit Hinweis auf diese allgemeinen Schranken für überflüssig.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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Die Relevanz der Grobkontrolle erscheint auch dadurch gemindert, daß einer der drei Aspekte, nämlich der der sozialen Grobkontrolle, sich von der Fragestellung her mit dem anschließend zu behandelnden Aspekt der Interessenabwägung deckt49 • In beiden Fällen wird gefragt, ob die Durchführung der Maßnahme unter Berücksichtigung der sözialen Folgen gerechtfertigt ist. Ob also soziale Grobkontrolle gegenüber der Interessenabwägung eine eigene Bedeutung entfalten kann, erscheint angesichts des zurückhaltenden Entscheidungsmaßstabes sehr zweifelhaft, kann aber endgültig erst nach der Untersuchung der Interessenabwägung entschieden werden. Angesichts dieser schon theoretisch erkennbaren geringen Bedeutung der Grobkontrolle überrascht es nicht, daß tatsächlich keine Entscheidungen auffindbar sind, die anhand der zur Grobkontrolle aufgestellten Kriterien eine Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt halten, wenn man einmal von den untypischen Fällen der zum Schein erfolgten Maßnahmen absieht. Damit wird bestätigt, daß der Grobkontrolle praktisch und theoretisch keine wirkliche Bedeutung zukommt, weil sie nicht als Konsequenz eines spezifisch sozialen Schutzes des Arbeitnehmers konzipiert ist. 2.1.3. Bei der aufgezeigten Relativierung des Kündigungsschutzes durch die Theorie von der unternehmerischen Freiheit, die durch die Grobkontrolle nicht wirksam kompensiert werden kann, beansprucht die vom BAG vertretene Interessenabwägung erhöhte Aufmerksamkeit. Es ist zu klären, was dieser Lösungsansatz des BAG, der in der Literatur nicht ohne Kritik geblieben ist50, zu leisten vermag. Da das Postulat selbst, das die Abwägung der sozialen Nachteile für die Arbeitnehmer gegenüber den Vorteilen für den Betrieb beinhaltet, aus sich selbst heraus keine Entscheidungskriterien liefert und die Literatur in ihren Stellungnahmen sich im wesentlichen auf die Rechtsprechung des BAG bezieht, ohne weitergehende Konkretisierungen zu erarbeiten, ist es auch hier notwendig, den Gehalt des Lösungsansatzes durch die Einzelanalyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu klären. überraschenderweise gibt es aber nur sehr wenige veröffentlichte Entscheidungen dazu. In der grundlegenden Entscheidung vom 4. 2. 196051 ist die Interessenabwägung vom BAG erstmalig auch für die betriebsbedingte Kündi41 Bezeichnenderweise finden sich bei dem BAG im Rahmen der Grobkontrolle keine Anhaltspunkte für eine soziale Grobkontrolle. 50 Ablehnend u. a.: Adomeit, S. 60/61; Bötticher, S. 129 f.; Gottschalk, S. 67; Meisel Anm. zu BAG v. 22. 11. 73 AP Nr. 22 zu 1 KSchG betriebsb. K. unter I; Herschel / Steinmann § 1 RN 41 a; zustimmend u. a.: Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 97; Hueck / Hueck § 1 RN 106. 51 BAG v. 4. 2. 1960 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG betriebsb. K.

28 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen gung und nicht nur für die personen- oder verhaltensbedingte Kündigung als Tatbestandselement anerkannt worden, und zwar mit der Formulierung, daß zwar die Zweckmäßigkeit der Maßnahme nicht überprüft werden solle, daß aber die sozialen Auswirkungen berücksichtigt werden müßten: eine Kündigung sei dann sozial nicht gerechtfertigt, wenn die durch die Maßnahme erstrebten betrieblichen Vorteile in keinem vernünftigen Verhältnis zu den sozialen Nachteilen ständen. Der Maßstab für die Interessenabwägung läßt sich aus der Entscheidung nicht konkret ableiten, weil im gegebenen Fall die Interessenabwägung schon deshalb zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führte, weil die Behörde als Arbeitgeber überhaupt keinen ins Gewicht fallenden Grund für die organisatorische Änderung, die zum Arbeitsplatzwegfall führte, geltend machen konnte. Die vom BAG verwendete Formel legt allerdings die Auslegung nahe, daß in der Regel bei der Verfolgung betrieblicher Vorteile soziale Nachteile von dem Arbeitnehmer in Kauf genommen werden müssen, und daß eine Schranke nur dann gesetzt werden soll, wenn ein klares Mißverhältnis besteht. Ausgehend davon fragt sich, ob eine so verstandene Interessenabwägung noch sinnvoll unterschieden werden kann von dem, was oben i. S. eines Teilaspektes der Grobkontrolle als soziale Grobkontrolle bezeichnet worden ist62 • Das Ergebnis der hier besprochenen Entscheidung hätte sich jedenfalls auch unter dem Aspekt der sozialen Grobkontrolle begründen lassen. Bei der Suche nach dem Entscheidungsmaßstab bei der Interessenabwägung führt auch die Entscheidung vom 16. 12. 196053 nur wenig weiter, weil das BAG keine eigene Sachentscheidung trifft. Zur Interpretation bleibt deshalb nur die Stellungnahme, daß auch bei einer Stillegung einer Abteilung eine Interessenabwägung notwendig sei, wobei der behauptete Umstand von Bedeutung sei, daß durch diese Maßnahme keine Einsparungen wesentlicher Art zu erreichen seien. Das liegt durchaus auf der Linie der zuvor besprochenen Entscheidung, auf die auch ausdrücklich Bezug genommen wird, weil wieder nur darauf abgestellt wird, ob überhaupt wesentliche betriebliche Vorteile zu erwarten sind, nicht aber, ausgehend von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit beider Interessen, Kriterien zur Gewichtung und Abwägung der entgegenstehenden Interessen angeboten werden. Aufschlußreich ist die Entscheidung vom 25. 6. 196454, in der es um eine durch Auftragsmangel bedingte Entlassung ging. Das BAG hält entgegen der inzwischen geäußerten Kritik an der Interessenabwägung auch bei der betriebsbedingten Kündigung fest, im Rahmen der Interessenabwägung prüft es aber ausschließlich die Frage, ob die EntlassunSI

53 54

Vgl. dazu oben Seite 26; vgl. auch Anm. 49. BAG v. 16. 12. 1960 AP Nr. 22 zu § 56 BetrVG 1952. BAG v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG betriebsb. K.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

29

gen durch Kurzarbeit hätten vermieden werden können. Während in den bisher analysierten Fällen die betriebsgestaltenden Maßnahmen selbst i. S. einer zurückhaltenden Abwägung betrieblicher Vorteile gegen soziale Nachteile überprüft wurden, wird hier nur die Frage nach der Notwendigkeit der Einführung von Kurzarbeit als Möglichkeit zur Vermeidung von Entlassungen gestellt, ein Aspekt, der unabhängig von dem Instrument der Interessenabwägung anerkannt ist55 • Dieser stillschweigende Verzicht auf eine Interessenabwägung bel Kündigungen wegen Auftragsmangel kann nicht mit dem Hinweis ge· rechtfertigt werden, daß es in diesen Fällen anders als bei Rationalisierungen keine den Kündigungen vorgelagerten betriebsgestaltenden Maßnahmen gibt. Die konsequente Übertragung der Fragestellung auf Kündigungen wegen Auftragsmangels würde vielmehr bedeuten, daß im Rahmen der Interessenabwägung die durch die Entlassungen angestrebten betrieblichen Vorteile i. S. von Einsparungen den sozialen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer gegenübergestellt werden. Der Verzicht auf die Interessenabwägung läßt sich aber auf dem Hintergrund des Entscheidungsspielraums bei der Interessenabwägung, wie er sich nach den bisher analysierten Entscheidungen darstellt, erklären. Anders als bei technischen und organisatorischen Dispositionen sind bei Personaleinsparungen betriebliche Vorteile und soziale Nachteile nicht voneinander unabhängig. Grundsätzlich führt jede Entlassung zu entsprechenden betrieblichen Vorteilen i. S. von Kostenentlastungen; als variierender Faktor kommt auf der betrieblichen Seite lediglich die Rentabilität in Betracht, die diese Einsparungen mehr oder weniger dringend macht, und auf der Arbeitnehmerseite lediglich die voraussichtlichen konkreten Folgen des Arbeitsplatzverlustes aufgrund der individuellen Umstände des Arbeitnehmers und der allgemeinen Arbeitsmarktlage. Eine Interessenabwägung ist also grundsätzlich möglich, ist aber nur sinnvoll, wenn man ausgehend von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Interessen diesen konkreten Umständen Bedeutung zumißt. Bei einem Entscheidungsmaßstab dagegen, der wesentliche betriebliche Vorteile unabhängig von den dadurch bedingten sozialen Folgen genügen läßt, der also nur ein grobes Mißverhältnis zu erfassen sucht, ist eine Interessenabwägung bei Personaleinsparungen i. d. R. sinnlos, weil das Ergebnis i. S. einer sozialen Rechtfertigung der Entlassungen von vorneherein feststeht. Der Verzicht auf eine Interessenabwägung in dem hier skizzierten Sinne kann also durchaus die Folge der dargelegten Zusammenhänge sein. Interpretationsbedürftig ist darüber hinaus aber auch, daß in der Entscheidung des BAG unter dem Aspekt der Interessenabwägung die Fragestellung der Vermeidbarkeit von Entlassungen durch andere Maß55

Vgl. unten S. 44 ff.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

nahmen geprüft wird. Darin könnte eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Interessenabwägung zu sehen sein, aber auch - angesichts der massiven Kritik an der Interessenabwägung - eine Verlagerung des Anwendungsbereichs auf Fragestellungen, die an sich bereits aner,;, kannt waren. Die letztgenannte Interpretation wird gestützt durch neuere einschlägige Entscheidungen. In der Entscheidung vom 13. 9. 19735t zur Frage des Verhältnisses vom individualrechtlichen Kündigungsschutz zum Widerspruchsrecht des Betriebsrates finden sich - allerdings nicht entscheidungserhebliche - Ausführungen, in denen als Inhalt der Interessenabwägung z. B. die Frage der Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz verstanden wird. Eine Interessenabwägung im Sinne der Abwägung der betrieblichen Vorteile gegen die sozialen Nachteile der Maßnahme - hier einer technischen Rationalisierung - wird nicht angedeutet. In der Entscheidung vom 22. 11. 197357 schließlich, die eine durch eine organisatorische Rationalisierung bedingte Kündigung betrifft, wird die Frage einer Interessenabwägung überhaupt nicht mehr aufgeworfen, sondern nur der Aspekt der Grobkontrolle, d. h. ob die Maßnahme unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist58 • Auch die Entscheidung vom 7. 12. 1978, die beansprucht, die Geschichte der überprüfung betriebsbedingter Kündigungen zusammenzufassen, erwähnt die Interessenabwägung nicht mehr. Für die Interpretation, daß die Rechtsprechung vom Lösungsansatz der Interessenabwägung wieder Abstand genommen hat, spricht auch das Gewicht der vom Bundesarbeitsgericht argumentativ nicht widerlegten Kritik. Diese macht im wesentlichen geltend, daß die Interessenabwägung mit der Theorie von der unternehmerischen Freiheit in Widerspruch stehe, weil sie im Ergebnis auf eine überprüfung der Unternehmerentscheidung hinauslaufe 59 , eine Einschätzung, die auch von den Befürwortern einer überprüfung der Unternehmerentscheidungen zur Stützung ihrer Meinung geteilt wird60 • Der Zusammenhang der beiden Fragestellungen läßt sich in der Tat nicht leugnen. Zwar betrifft die Frage nach der unternehmerischen Freiheit die Notwendigkeit bzw. die Zweckmäßigkeit der Maßnahme, während die Interessenabwägung auf das Verhältnis der mit der Maßnahme verfolgten betrieblichen Vorteile zu den sozialen Nachteilen abBAG v. 13. 9. 1973 BB 1973, S. 1635. BAG v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KS'chG betriebsb. K. 58 Meisel hat in der Anm. zu diesem Urteil (S. 746 R) daraus auch den Schluß gezogen, daß nunmehr die durch das Postulat der Interessenabwägung in früheren Entscheidungen geschaffene Unsicherheit hinsichtlich der überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung beseitigt sei. 59 Vgl. dazu die Nachweise Anm. 50. 80 Vgl. Gottschalk S. 67 f.; Joachim, BB 1954, S. 1116. 56 57

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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stellt. Diese Interessenabwägung kann aber - konsequent betrieben nur durchgeführt werden, wenn die betrieblichen Vorteile quantitativ bestimmt und im Hinblick auf die betriebliche Situation auf ihre Er~ forderlichkeit bewertet werden. Es muß also zwar keine Zweckmäßigkeitsprüfung derart stattfinden, daß die Maßnahme auf ihre betrieb.~­ wirtschaftliche Eignung im Vergleich zu anderen Maßnahmen überv prüft wird, wohl aber eine Feststellung darüber, ob und in welcher Höhe durch die Maßnahme betriebliche Vorteile erreicht werden können. Darüber hinaus müssen im Rahmen einer Interessenabwägung die betrieblichen Vorteile auch gewichtet werden. Um sie gegenüber den sozialen Nachteilen abwägen zu können, muß auch geklärt werden, welche Bedeutung diese Vorteile für den Betrieb haben, ob sie etwa zur Sicherung der Rentabilität oder Wettbewerbsfähigkeit erforderlich sind oder ob sie eine insoweit gute Ausgangslage lediglich noch verbessern sollen, eine Fragestellung, die sich mit dem oben skizzierten Verständnis von der Notwendigkeit einer unternehmerisehen Entscheidung deckt. Es ist also festzuhalten, daß die Problematik der überprüfung der unternehmerischen Entscheidungen insbesondere hinsichtlich des Gesichtspunktes der Notwendigkeit bei der Interessenabwägung wieder auftaucht. Das BAG hat sich mit dem ihm vorgehaltenen Widerspruch zwischen dem Postulat der unternehmerischen Freiheit und der Interessenabwägung nicht offen argumentativauseinandergesetzt, sondern nur verbal an der Position festgehalten. Das spricht für eine Interpretation des oben dargelegten Befundes in der Rechtsprechung dahingehend, daß angesichts der Kritik doch eine inhaltliche Modifikation des Lösungsansatzes stattgefunden hat: daß die Interessenabwägung zunächst zwar als inhaltlich noch nicht bestimmtes Korrektiv zum Prinzip der unternehmerischen Freiheit bei den betriebsgestaltenden Entscheidungen gedacht gewesen ist, aber nicht durch die Erarbeitung konkreter Entscheidungsmaßstäbe und -kriterien zu einem effektiven Instrumentarium entwickelt worden ist, sondern aufgrund des Spannungsverhältnisses zu dem immer stärker betonten Prinzip der unternehmerischen Freiheit nicht mehr zur Kontrolle der betriebsgestaltenden Entscheidungen arigewendet wurde, sondern nur noch verbal aufrecht erhalten wurde im Zusammenhang mit den Fragen der Vermeidbarkeit von Entlassungen durch sonstige Maßnahmen, die unabhängig vom Instrument der Interessenabwägung anerkannt waren. Diese Deutung wird bestärkt durch die Interpretation, die die Rechtsprechung des BAG zur Interessenabwägung durch Gerhard Müller, den damaligen Senatspräsidenten, schon 1962 gefunden hat61 • Er sieht sich durch die früheren Entscheidungen nicht daran gehindert, die Bedeutung der Interessenabwägung als selbständiges Tatbestandsmerkmal zu 61

Müller, DB 1962, S. 1538 ff.

82

1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

verneinen, und zwar mit dem auch von Kritikern der Interessenabwägung vorgebrachten eher formalen Argument, daß das Gesetz die Interessenabwägung bereits vollzogen habe, so daß bei Vorliegen eines dringenden betrieblichen Grundes die Kündigung gerechtfertigt sei, ohne daß es auf die entgegenstehenden sozialen Interessen ankomme. Jedenfalls habe bei der Interessenabwägung die unternehmerische Maßnahme außer Betracht zu bleiben, weil sie aufgrund der vorgegebenen gesetzlichen Wertung unüberprüfbar sei. Deshalb sei die Abwägung der wirtschaftlichen Vorteile gegen die sozialen Nachteile - m. E. ursprünglich der Kern der Interessenabwägung - "sehr bedenklich". Vielmehr müsse sich die Nachprüfung darauf beschränken, ob und in welchem Umfang die Maßnahme auf der Betriebsebene Auswirkungen zeitige. Diese Interpretation löst das Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat der unternehmerischen Freiheit und der mittelbaren überprüfung auch der betriebsgestaltenden Maßnahmen durch die Interessenabwägung eindeutig zugunsten der unternehmerischen Freiheit auf, wobei allerdings nicht erkennbar ist, welche Bedeutung die Interessenabwägung dann überhaupt noch beanspruchen kann. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Interessenabwägung, die aufgrund des unklaren, aber tendenziell äußerst zurückhaltenden Entscheidungsmaßstabes sowieso nur geringe praktische Bedeutung erlangen konnte, sich faktisch also auf eine Art soziale Grobkontrolle beschränkte, ihre mögliche Funktion als Korrektiv zum Postulat der freien Unternehmerentscheidung, die sie vom theoretischen Anspruch her hätte ausfüllen können, dadurch eingebüßt hat, daß sie offenbar nicht mehr auf die betriebsgestaltenden Maßnahmen bezogen werden soll, sondern nur auf die nachgeordneten Fragen der Vermeidbarkeit von Entlassungen durch andere Maßnahmen wie die Einführung von Kurzarbeit oder die Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz, die unabhängig von der Interessenabwägung allgemein anerkannt waren. 2.1.4. Nachdem die funktional zusammengehörigen Gesichtspunkte der unternehmerischen Freiheit, der Grobkontrolle und der Interessenabwägung analysiert worden sind, erscheint die Beschäftigung mit abweichenden Stellungnahmen zu diesem Aspekt notwendig. Zwar haben derartige Bemühungen weder große Aufmerksamkeit gefunden, noch nachvollziehbaren Einfluß gewonnen und liegen größtenteils auch schon relativ lange zurück, so daß ihre aktuelle Bedeutung keine Behandlung rechtfertigen würde. Diese Stellungnahmen interessieren hier deswegen nicht wegen ihrer rechtstatsächlichen Relevanz, vielmehr sollen die Fragestellungen, Entscheidungsmaßstäbe und praktischen Konsequenzen dieser Lösungsansätze nur ermittelt werden, um einen möglichst

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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umfassenden überblick über den Entscheidungsspielraum in dieser Problematik und die Möglichkeiten seiner Ausfüllung zu bekommen. Nur teilweise allerdings sind die Lösungsansätze hinreichend differenziert und konkretisiert, um ihre praktische Bedeutung erfass~n zu können. Darum bemüht sich insbesondere Schmidt62, der zur Frage der unternehmerischen Freiheit unterscheidet zum einen zwischen den Aspekten der Notwendigkeit, Richtigkeit und Zweckmäßigkeit63 und zum anderen zwischen den Fallgruppen betrieblich-wirtschaftliche Maßnahmen, technische Betriebsgestaltung und organisatorische BetriebsgestaltungM. Ausgehend von diesen Unterscheidungen hält er zunächst nur die Notwendigkeit und Richtigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit für überprüfbar65• Er versteht aber unter Notwendigkeit - insoweit weitergehend als hier vorgeschlagen - nicht die Dringlichkeit der Maßnahme aufgrund der wirtschaftlichen Ausgangslage des Betriebes, sondern läßt jeden mit der Maßnahme verfolgten Vorteil genügen, und zwar nicht nur die Verbesserung der Ertragslage, sondern auch jede technische Verbesserung, auch wenn sie ohne Auswirkung auf die Ertragslage bleibt66. Eine Grenze unter dem Aspekt der Notwendigkeit sieht er für die unternehmerische Entscheidungsfreiheit erst dann, wenn die Maßnahme bei bestehender guter Ertragslage lediglich diese noch verbessern soll, d. h. bei bloßem Gewinnstreben z. B. bei einer Änderungskündigung, die weder aus Gründen der Rentabilität, Konkurrenzfähigkeit oder Rücklagenbildung veranlaßt ist. Diese nicht ganz widerspruchsfreien Erläuterungen lassen insbesondere offen, wie die Unterscheidung zwischen legitimer Verfolgung jeder Art betrieblicher Vorteile unabhängig von der wirtschaftlichen Ausgangslage einerseits und dem sozialwidrigen "bloßen Gewinnstreben" andererseits praktisch getroffen werden soll; eine Unterscheidung, die offenbar in moralischen Wertungen und nicht in objektivierbaren betriebswirtsehaftlichen Kategorien wurzelt. Im Ergebnis scheint jedenfalls die vertretene Notwendigkeitsüberprüfung keinen beachtlichen Schutz begründen zu können. Ähnlich folgenlos bleibt die von ihm vertretene überprüfung der Richtigkeit der Unternehmerentscheidung, die lediglich offensichtliche Widersprüche in der Zweckrichtung verhindern so1l67. Diese recht une! Schmidt RdA 1954, 170, 174 und AR-Blattei Kündigungsschutz Nachprüfung betrieblicher Maßnahmen. es Schmidt AR-Blattei unter A. 64 Schmidt AR-Blattei unter D II. 6S Schmidt AR-Blattei unter D I 3. ee Schmidt AR-Blattei unter D 17. 67 Schmidt AR-Blattei unter D I 8.

3 Wolter

34 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen klare Formulierung läßt sich m. E. nur so verstehen, daß geprüft werden soll, ob die getroffene Maßnahme offensichtlich fehlerhaft ist, weil sie die beabsichtigten Vorteile überhaupt nicht herbeiführen kann. Anders erscheint mir eine Abgrenzung zu der nicht überprüfbaren Zweckmäßigkeit i. S. der betriebswirtschaftlichen Eignung einer Maßnahme nicht möglich. Somit zeigt sich, daß im Ergebnis jedenfalls keine weitergehenden Eingriffe in die unternehmerische Freiheit ermöglicht werden als mit der betriebswirtschaftlichen Grobkontrolle68 • Der verbal weitgehende Lösungsansatz einer überprüfung der Notwendigkeit und Richtigkeit der unternehmerischen Entscheidungen enthüllt sich bei näherer Betrachtung als im Ergebnis kaum von der h. M. abweichend. Vielmehr zeigt sich, daß die Berücksichtigung sozialer Interessen offenbar vollkommen ausgeblendet werden soll, wie sich an der Ablehnung der Interessenabwägung0 9 bzw. der sozialen Grobkontrolle erkennen läßt7o • Auf die von ihm gebildeten Fallgruppen bezogen, hält Schmidt eine richterliche Kontrolle der betriebswirtschaftlichen Maßnahmen, d. h. der wirtschaftlich-kaufmännischen Entscheidungen über Produktion und Geschäftsgang, und der Maßnahmen technischer Betriebsgestaltung generell nicht für überprüfbar, sondern nur die Maßnahmen organisatorischer Betriebsgestaltung71 • Den Ausführungen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob es sich insoweit um Folgerungen aus dem oben dargelegten Verständnis von Notwendigkeits- und Richtigkeitskontrollen handelt, oder ob zusätzliche Schranken für die überprüfbarkeit aufgestellt werden sollen. Für die zweite Interpretation spricht der Versuch einer selbständigen Begründung dieser Thesen: die betrieblich-wirtschaftlichen Maßnahmen gründeten sich nicht auf rationale überlegungen und seien schon deshalb nicht überprüfbar72, während Maßnahmen technischer Betriebsgestaltung im Endergebnis zu einer Vermehrung der Arbeitsplätze und einer Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards führten und schon deshalb grundsätzlich als betrieblich erforderlich gewertet werden müßten73 • Auch die von Gottschalk74 vertretene These von der überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung zeigt bei näherer Betrachtung keine erhebliche Abweichung von der herrschenden Meinung. Diese Zurückhal68 Vgl. Schmidt AR-Blattei unter D III, wo er gegenüber dieser Beschränkung der unternehmerischen Freiheit Vorbehalte erkennen läßt. 69 Schmidt AR-Blattei unter D IV 2. 70 Schmidt AR-Blattei unter D III. 71 Schmidt AR-Blattei unter D II 1 bis 3. 72 Schmidt AR-Blattei unter D II 1. 73 Schmidt AR-Blattei unter D II 2. 74 Vgl. Gottschalk, S. 28 ff.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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tung gründet sich nicht nur auf die Ausklammerung der Betriebsänderungen, die unter die Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes fallen, sondern auch auf die zu den einzelnen Fallgruppen entwickelten Beurteilungskriterien, wobei er zwischen technischen und organisatorischen Rationalisierungen einerseits und Personaleinsparungen andererseits unterscheidet. Maßnahmen der ersten Art sollen Kündigungen immer dann rechtfertigen, wenn sie der Erhaltung oder Steigerung der Konkurrenzfähigkeit dienen, und zwar nicht nur im Sinne einer Kostensenkung, sondern auch im Sinne einer Qualitätsverbesserung oder der Milderung eines Arbeitskräftemangels. Diese Erläuterungen lassen sich dahingehend interpretieren, daß bei technischen und organisatorischen Dispositionen lediglich überprüft werden kann, ob überhaupt ein betriebswirtschaftlicher Vorteil erreicht wird, nicht aber, ob im Sinne der Notwendigkeit die gewählte Maßnahme unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage erforderlich ist, und auch nicht, ob im Sinne der Interessenabwägung die sozialen Folgen im angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen stehen. Bei der Fallgruppe der Personaleinsparungen wegen Auftragsmangels sieht er die Entscheidungen über weniger einschnetdende Maßnahmen wie Abbau von überstunden, Kurzarbeit u. a. als überprüfbare Unternehmerentscheidungen an, geht aber im Ergebnis mit der h. M. kongruent, indem er die Formel übernimmt, daß die technische, organisatorische und wirtschaftliche Zumutbarkeit dieser Maßnahmen gegeben sein müsse 75 , ohne insoweit Entscheidungsmaßstäbe zu entwickeln. Angesichts der von ihm vertretenen Berechtigung der Verfolgung betrieblicher Vorteile ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen, ist anzunehmen, daß nur solche Alternativen als zumutbar angesehen werden, die im Vergleich mit der Entlassung keine betrieblichen Nachteile mit sich bringen, was im Ergebnis nur selten einen Schutz vor Entlassungen begründen kann. Der geringe Gehalt an effektivem Schutz bei beiden bisher behandelten abweichenden Stellungnahmen ist entscheidend darauf zurückzuführen, daß bei allen Unterschieden bei der immanent betriebswirtschaftlichen überprüfung jedenfalls die sozialen Folgen der Maßnahme nicht berücksichtigt werden. Diese Grundtendenz kennzeichnet auch noch einige der anderen Stellungnahmen, die allerdings weniger differenziert sind. So stellt Schüler76 ausdrücklich fest, daß es ihm nicht um die Abwägung der gegensätzlichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gehe. Diese Ablehnung gründet sich auf die Vorstellung von einer Produktionsgemeinschaft und das daraus abgeleitete gemeinsame Ziel für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Produktionsstätte zu erhalten 76

78

Vgl. unten S. 42. Schüler, ArbuR 1954, S. 58/57.

36

1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

und technisch und wirtschaftlich auszubauen. Ob in Verfolgung dieses Zieles die Entlassung dringend erforderlich sei, habe das Gericht aufgrund der ihm vorgetragenen Umstände in freier Beweiswürdigung zu entscheiden, wobei die wirtschaftliche Situation des Betriebes, die Wohlüberlegtheit und die Erfolgsaussichten der Maßnahme zu berücksichtigen seien. Trotz des relativierenden Hinweises, daß die Anforderungen nicht überspannt werden dürften77, geht diese Position in der Überprüfbarkeit der Unternehmerentscheidung am weitesten, weil sie durch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation die Notwendigkeit und durch die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten die Zweckmäßigkeit der Maßnahme einbezieht. Festzuhalten ist allerdings, daß dieses Ergebnis nicht von der Vorstellung der Betriebsgemeinschaft abhängig ist, denn das daraus abgeleitete gemeinsame Ziel der Erhaltung und des Ausbaus der Produktionsstätte könnte mit gleicher Berechtigung als einseitiges Arbeitgeberinteresse angesehen werden. Das Spannungsverhältnis zwischen den betrieblichen Interessen an Erhaltung und Ausbau des Betriebes und den sozialen Interessen der Arbeitsplatzerhaltung der dort jeweils beschäftigten Arbeitnehmer läßt sich durch die Vorstellung einer Betriebsgemeinschaft nicht auflösen. Trotz weitestgehender immanent betriebswirtschaftlicher Kontrolle bleiben deshalb auch bei Schüler die sozialen Interessen ausgeblendet. Im Ergebnis trifft das auch für Kaufmann 78 zu, der zwar eine Interessenabwägung zwischen den volks- und betriebswirtschaftlichen Bedürfnissen und den sozialen Geboten fordert, dabei aber nur prüfen will, ob die Maßnahme willkürlich oder offenbar fehlerhaft ist. Es geht also nicht um eine Gewichtung und Abwägung der betrieblichen und sozialen Interessen, sondern nur um eine immanent betriebswirtschaftliche Betrachtung. Diese Auffassung, die durch den Hinweis gestützt wird, daß das Kündigungsschutzgesetz nicht nur das Erhaltungsinteresse des Betriebes berücksichtige, sondern auch das Interesse an betriebstechnischen Fortschritten und Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit, entspricht im Ergebnis der betriebswirtschaftlichen Grobkontrolle, auch wenn Kaufmann sie als Überprüfung der Notwendigkeit der Unternehmerentscheidung darstellt. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß von den abweichenden Stellungnahmen, die die sozialen Folgen nicht berücksichtigen, aber die Unternehmerentscheidung im Gegensatz zur herrschenden Meinung für überprüfbar halten, Schmidt und Kaufmann sich im Ergebnis im Rahmen der auch von der h. M. vertretenen Grobkontrolle halten, auch Gottschalk sich nicht weit davon entfernt, weil er jeden betrieblichen Vorteil genügen läßt, und nur Schüler eine umfassende betriebswirt77 78

Schüler, ArbuR 1954, S. 58. Kaufmann, NJW 1953, S. 1047 - 1049.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

87

schaftliche überprüfung eröffnet, ohne jedoch diesen Lösungsansatz zu konkretisieren oder zu exemplifizieren. Die übrigen abweichenden Stellungnahmen lassen sich im Kern auf eine Interessenabwägung zwischen den betrieblichen und sozialen Belangen zurückführen. So fordert Diekhoff79 , daß der Unternehmer seine Dispositionen auch auf das Interesse der Arbeitnehmer an der Erhaltung ihrer Arbeitsplätze ausrichten müsse. Es komme also nicht lediglich auf die durch die Unternehmerentscheidung geschaffene betriebliche Situation an, sondern die Maßnahme selbst müsse betrieblich notwendig sein. Auch MolitorBO konkretisiert seine Stellungnahme gegen die Freistellung der unternehmerischen Entscheidungen von einer Notwendigkeits- bzw. Zweckmäßigkeitsprüfung dahingehend, daß z. B. bei Rationalisierungen die Lage des Betriebes so wesentlich verbessert werden müsse, daß demgegenüber die Folgen für die zu kündigenden Arbeitnehmer nicht ins Gewicht fallen. Auch Joachim 81 stellt klar, daß die Unternehmerentscheidungen durch das Erfordernis einer Interessenabwägung zwischen betrieblichen und sozialen Interessen beschränkt sind. Der Unterschied zur Interessenabwägung des BAG liegt darin, daß eindeutig die Ebene der betriebsgestaltenden Dispositionen einbezogen wird, wobei Joachim - wie sein Beispielsfall zeigt - sogar noch weitergeht, indem er auch mittelbar ursächliche Entscheidungen, z, B. die Nichtbesetzung von freigewordenen Vertreterstellen, die zu Auftragsmangel und Entlassungen führt, bei der Interessenabwägung berücksichtigen wi1l82 • Ebenso wichtig sind die Unterschiede gegenüber dem BAG im Bewertungsmaßstab, wobei hier Joachim mit dem relativierenden Hinweis, daß bei der Interessenabwägung Zurückhaltung geboten sei und die Darlegung ausreichend schlüssiger Gründe genügen solle83, sich am weitesten dem BAG annähert, während Diekhoff, soweit aus den knappen Erörterungen erkennbar, mehr die Gleichwertigkeit der entgegenstehenden Interessen betont. Am weitesten geht Molitor, dessen Formulierungen auf die Priorität der sozialen Interessen hindeutet und der bei der Würdigung der betrieblichen Interessen offensichtlich nicht nur abstrakt auf die Höhe der betrieblichen Vorteile abstellen will, sondern i. S. einer Notwendigkeitsprüfung auch darauf, ob diese Vorteile im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Betriebes erreicht werden müssen, um z. B. Gefährdungen von Rentabilität oder Konkurrenzfähigkeit abzuwenden.

78

80

81 8! 83

Diekhoff, ArbuR 1957, S. 198. Molitor, BB 1953, S. 35. Joachim, BB 1954, S. 1114. Joachim, BB 1954, S. 1116. Joachim, BB 1954, S. 1116.

38 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen Die Analyse der abweichenden Stellungnahmen hat gezeigt, daß sie sich bei allen Unterschieden im Anspruch und in der Konstruktion des Lösungsansatzes im Ergebnis häufig nicht wesentlich von der herrschenden Meinung entfernen, insbesondere dann nicht, wenn sie bei der überprüfung der unternehmerischen Dispositionen die Berücksichtigung sozialer Interessen ablehnen. Die Ansätze eines praktisch bedeutsamen Lösungsvorschlags sind eher unter dem Aspekt der Interessenabwägung zu erkennen, wobei es bisher aber auch bei den hier untersuchten Stellungnahmen an einer Konkretisierung des Anwendungsbereichs und des Entscheidungsmaßstabes fehlt. 2.1.5. Thesenartig lassen sich die Einzelergebnisse zu den in einem Problemzusammenhang stehenden Aspekten der unternehmerischen Freiheit, der Grobkontrolle und der Interessenabwägung wie folgt zusammenfassen: Bei den herrschenden wie bei den abweichenden Auffassungen zeigt sich gleichermaßen ein übergewicht der argumentativen Absicherung der vertretenen Position gegenüber der Konkretisierung und Exemplifizierung. Das erschwert die Einschätzung des praktisch relevanten Gehalts der vertretenen Meinungen. Der Grundsatz der unternehmerischen Freiheit ist in seinem Gehalt und seinem Geltungsbereich nicht ausreichend geklärt. Zum einen erfaßt er seinem theoretischen Anspruch nach nicht nur die betriebsgestaltenden Maßnahmen, sondern alle wirtschaftlichen Entscheidungen, ohne aber konsequent angewandt zu werden und angewandt werden zu können. Zum anderen zeigt die nähere Analyse der Rechtsprechung, daß zwar die Zweckmäßigkeit i. S. der betriebswirtschaftlichen Eignung nicht überprüft wird, während sich das für den Aspekt der Notwendigkeit i. S. der betriebswirtschaftlichen Dringlichkeit nicht eindeutig feststellen läßt. Eine weitere Relativierung des Grundsatzes von der unternehmerischen Freiheit ergibt sich nicht so sehr durch die Grobkontrolle, die keine praktische Relevanz beanspruchen kann, sondern durch das theoretisch und praktisch nicht eindeutig geklärte Spannungsverhältnis zur Interessenabwägung. Die Zurückhaltung bei der Ausgestaltung und Durchführung der Interessenabwägung, die im Ergebnis eine Annäherung an die soziale Grobkontrolle bedeutet, und die Verlagerung des Anwendungsbereichs von den betriebsgestaltenden Dispositionen zu den Entscheidungen über die Vermeidbarkeit von Entlassungen signalisieren jedoch die Tendenz zur Priorität der unternehmerischen Freiheit. Die von ihrem Anspruch her vom Postulat der unternehmerischen Freiheit abweichenden Stellungnahmen nähern sich in ihren Ergebnissen weitgehend der herrschenden Meinung an, insbesondere insoweit

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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sie sich auf eine immanent betriebswirtschaftliche überprüfung beschränken. Praktisch bedeutsam erscheinen sie nur insoweit, als sie den Lösungsansatz der Interessenabwägung erweitern und konkretisieren. 2..2. Die Entbehrlichkeit des gekündigten Arbeitnehmers

Das im Vordergrund stehende Postulat der unternehmerischen Freiheit beinhaltet im Kern nur eine negative Konkretisierung des gesetzlichen Tatbestandes in dem Sinne, daß bestimmte Aspekte nicht als Voraussetzung einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung festgestellt oder überprüft werden müssen. Ausgehend davon, daß die soziale Berechtigung der Entlassung nicht auf der Ebene der unternehmerischen Entscheidungen bzw. betriebsgestaltenden Maßnahmen zu prüfen ist, sondern auf der Ebene der dadurch geschaffenen betrieblichen Situation, ist es nur konsequent, daß die positive Konkretisierung des Tatbestandes sich an dieser Ebene orientiert. Es wird darauf abgestellt, ob der entlassene Arbeitnehmer in der gegebenen betrieblichen Situation entbehrlich ist84 • Ein Teilaspekt dieser Fragestellung ist, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung entscheidend ist. Die Rechtsprechung85 hat dazu die tendenziell berechtigte und allgemein anerkannte Formel geprägt, daß der betriebliche Grund bei Ausspruch der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen haben muß, d. h. daß die Entbehrlichkeit des Arbeitnehmers bei Ablauf der Kündigungsfrist zu erwarten sein muß. Das erfordert die Berücksichtigung der zu erwartenden zwischenzeitlichen Entwicklung, z. B. wenn sich ein erneuter Bedarf bis zum Ablauf der Kündigungsfrist voraussehen läßt, und verbietet umgekehrt prophylaktische Kündigungen, etwa wenn die Entscheidung über die Rationalisierung noch gar nicht endgültig getroffen ist. Das prognostische Element bei dieser Betrachtungsweise, insbesondere in Hinblick auf die Auftragsentwicklung bei Personaleinsparungen, erschwert die Kontrolle. Dem kann nur dadurch entgegengewirkt werden, daß in konsequenter Weiterentwicklung des Verbots von prophylaktischen Kündigungen Prognosen nur entsprechend ihrem Grad an Wahrscheinlichkeit berücksichtigt werden können. Selbst dann ist es aber nicht ausgeschlossen, daß einer Kündigung, die sich zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Entwicklung als gerechtfertigt darstellt, durch unerwartete Entwicklungen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Grundlage entzo84 Grundlegend BAG v. 8. 11. 1956 AP Nr. 19 zu § 1 KSchG; v. 27. 2. 1958 AP Nr. 1 zu § 1 KSchG betriebsb. K. und vom 7. 12. 78 AP Nr. 6 zu § 1 KüSchG 69 betriebsb. K.; in der Lit. statt anderer: Adomeit S. 60; Müller, DB 1975, S. 2130; Becker-Schaffner, BIStSozArbR 1975, S. 97. 85 Vgl. Anm. 84.

40 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen gen wird. Für einen solchen Fall wird die Verpflichtung zu einem Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses88 angenommen. Die praktisch wichtigere Frage, wie die Entbehrlichkeit des Arbeitnehmers beurteilt werden soll, wird in Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG allgemein dahingehend beantwortet, daß eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise ausschlaggebend sei87 • Diese Formel kann nur dann als klärend angesehen werden, wenn eine betriebswirtschaftliche Betrachtung eindeutige und objektive Aussagen darüber machen könnte, ob und wieviel Arbeitnehmer in einer gegebenen betrieblichen Situation entbehrlich sind. Das ist nicht nur deshalb zweifelhaft, weil auch eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise diese Entscheidung nicht ohne Berücksichtigung prognostischer und damit nur begrenzt objektivierbarer Faktoren über die zukünftige Entwicklung des Betriebes, der wirtschaftlichen Lage und des Arbeitsmarktes treffen kann. Wichtiger ist, daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß die betriebswirtschaftliche Betrachtung allein auf die Rentabilitätsverbesserung ausgerichtet ist. Neben der Rentabilitätserhöhung bzw. -sicherung stehen andere Ziele, u. a. die Sicherung der Arbeitsplätze der Mitarbeiter, wobei lediglich das Rangverhältnis der Zielsetzungen im Konfliktfall unterschiedlich bewertet wird 88 • Sobald man aber anerkennt, daß bei der betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise auch soziale Folgen bzw. Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt werden müssen, wird offenbar, daß mit der Formel das Problem nur beschrieben, aber nicht gelöst wird. Weder bei einem Produktionsrückgang noch bei einer technischen Rationalisierung läßt sich objektiv exakt feststellen, wieviele der vorher beschäftigten Arbeitnehmer nunmehr entbehrlich sind. Es bleibt vielmehr ein mehr oder weniger großer Entscheidungsspielraum, der in Abwägung der betrieblichen Interessen einerseits und der sozialen Interessen andererseits konkretisiert wird. In der Regel jedenfalls kann angesichts der Variierbarkeit von Arbeitsintensität und Arbeitsplatzstruktur die Zahl der zu beschäftigenden Arbeitnehmer nicht rein rechnerisch von dem jeweiligen Bestand der maschinellen Kapazität und des Produktionsumfangs abgeleitet werden, abgesehen von Teilbereichen, in denen durch den technischen Produktionsapparat die Arbeitsplatzstruktur und die Arbeitsintensität zwingend vorgegeben sind. Im Kern geht es also auch bei der Frage der Entbehrlichkeit des betroffenen Arbeitnehmers darum, die wirtschaftlichen Lasten, die der Arbeitgeber im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung zu tragen hat, zu 8B LAG Düsseldorf v. 24. 6. 1952 DB 1952, S. 700; Becker-Schaffner, BlStsozArbR 1975, S. 197. 87 Vgl. Anm. 84. 88 Vgl. dazu Näheres S. 113 f.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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konkretisieren, und zwar auch schon dann, wenn man den später zu untersuchenden Aspekt der Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen noch außer Betracht läßt. Das bestätigen die vereinzelten Versuche, die Grenzen dieser Belastung abzustecken, positiv z. B. dadurch, daß vorübergehende Beschäftigungseinbußen keine Entlassungen rechtfertigen können 89, oder negativ z. B. dadurch, daß die Entlassungen nicht solange aufgeschoben werden müssen, bis der wirtschaftliche Zusammenbruch bevorstehtoo . Diese an Extremfällen orientierten Maßstäbe helfen in der Mehrzahl der Fälle nicht weiter, ein Mangel, der nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein wird, daß diese Entscheidungen dem Inhalt nach wirtschaftlicher Natur sind, so daß für die überprüfung wieder das Postulat der unternehmerischen Freiheit einschlägig sein kann. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Formel von der Entbehrlichkeit des Arbeitnehmers keine befriedigende Antwort auf die entscheidenden Fragen zu geben vermag. Ihr Geltungsbereich betrifft zum einen die wirtschaftlich motivierte Entscheidung über die Notwendigkeit von Entlassungen bei Auftragsmangel oder infolge von Rationalisierungen, die oben bereits unter dem Aspekt der Notwendigkeit der Entlassungen angesprochen worden ist, und greift zum anderen über auf die noch zu besprechende Frage, inwieweit der Arbeitgeber zu alternativen Maßnahmen zur Abwendung von Entlassungen verpflichtet ist. Ebenso ungeklärt ist der durch die Formel begründete Entscheidungsmaßstab, der durch die Bezugnahme auf die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise im Ergebnis wohl den RentabiIitätsinteressen Vorrang einräumt, dieses Kriterium aber nicht näher begründet oder konkretisiert. 2.3. Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen durch andere Maßnahmen

Die bisher besprochenen Fragestellungen beschränken sich auf die Betrachtung der betrieblichen und personellen Entscheidungen, wie sie tatsächlich abgelaufen sind, und vernachlässigen dabei, daß der Betrieb als System vieler voneinander abhängiger Variabler gesehen werden muß. Das zwingt dazu, die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten zur Bewältigung der personellen Anpassungsprobleme einzubeziehen, die sich bei Umsatzschwankungen bzw. Rationalisierungsmaßnahmen ergeben. Es muß geklärt werden, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Vermeidung von Entlassungen treffen muß. Diese Problemstellung wird auch in der Rechtsprechung und Literatur gesehen und im Grundsatz dahingehend beantwortet, daß eine Kündigung 8D

90

Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 97. Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 97; Müller, DB 1975, S. 2130.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

nur dann als sozial gerechtfertigt angesehen werden kann, wenn andere Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen technisch, organisatorisch und wirtschaftlich nicht möglich, sinnvoll bzw. zumutbar erscheinenD!. Diese Anforderungen an die zur Vermeidung von Entlassungen zu treffenden Maßnahmen bleiben bei allen Unterschieden im einzelnen weitgehend abstrakt und vage; sie erscheinen mehr als Problembeschreibung als Problemlösung. Denn abgesehen von dem weitgehend objektivierbaren Aspekt, ob alternative Maßnahmen überhaupt technisch und organisatorisch möglich sind, eröffnen die anderen Kriterien lediglich Wertungsfragen, ohne daß gleichzeitig konkrete Entscheidungshilfen gegeben werden. Insbesondere die Kriterien, die die wirtschaftliche Betrachtungsweise fordern bzw. darauf abstellen, ob die Maßnahme sinnvoll bzw. zumutbar ist, machen dieses Problem offenkundig. Die konkreten Fragen, ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung durch alternative Maßnahmen Kosten und sonstige Nachteile in Kauf nehmen muß, und ob diese Lasten von der wirtschaftlichen Lage des Betriebes abhängen, bleiben unbeantwortet. über diese Schwierigkeit hilft auch nicht hinweg, daß die Frage der Alternativmaßnahmen z. T. als Teilaspekt der Interessenabwägung gesehen wird D2, denn auch die Interessenabwägung kann - wie oben gezeigt93 - keinen klaren Entscheidungsmaßstab liefern. Diese fehlende Konkretisierung ist im wesentlichen wohl darauf zurückzuführen, daß auch bei der Frage der Vermeidbarkeit von Entlas.sungen durch andere Maßnahmen das Spannungsverhältnis zwischen der unternehmerischen Freiheit und der Konkretisierung der Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung besteht. Es ist nicht zu verkennen und wird mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise auch offengelegt, daß diese Entscheidungen von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt werden und deshalb als unternehmerische Entscheidungen angesehen werden können. Das erscheint eindeutig bei Maßnahmen wie der Einführung von Kurzarbeit, gilt aber grundsätzlich auch für die Frage der Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz, wenn es darum geht, die Lasten festzulegen, die der Betrieb im Interesse der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers an 9! BAG v. 8. 11. 1956 AP Nr. 19 zu § 1 KSchG; v. 17. 9. 1957 AP Nr. 8 zu § 13 KSchG; v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG betriebsb. K. und v. 7. 12. 78 AP Nr. 6 zu § 1 KüSchG 69 betriebsb. K.; Becker-Schaffner, BlStsozArbR 1975, S. 98; Galperin, BB 1954, S. 1119 und RdA 1966, S. 366; Hueck /Hueck § 1 RN 103; Maus, § 1 RN 194; Meisel, BB 1963, S. 1060; Müller, DB 1962, S. 1570; Nikisch S. 763. 92 z. B. BAG v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 ro8chG betriebsb. K.; BeckerSchaffner, BlStSozArbR 1975, S. 98; Maus, § 1 RN 194; Joachim, BB 1954, S.1116. 93 Vgl. oben S. 27 ff.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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einem anderen Arbeitsplatz zu tragen hat. Diese Zusammenhänge werden z. T. durchaus gesehen94 und verstärken die Tendenz, die Anforderungen - und zwar unter dem Aspekt der begrenzten überprüfbarkeit von Unternehmerentscheidungen - einer Konkretisierung zu entziehen, etwa indem die überprüfung darauf beschränkt werden soll, ob der Arbeitgeber die Frage ernsthaft geprüft hat oder ob offensichtliche Fehlentscheidungen vorliegen96 • Unabhängig davon wird die praktische Bedeutung der Verpflichtung zu alternativen Maßnahmen durch die Regelung der Darlegungs- und Beweislast beeinflußt, denn der Arbeitnehmer wird nicht die Einblicke und Kenntnisse haben, um die Möglichkeit alternativer Maßnahmen erkennen und einschätzen zu können. Das Gesetz, das die früheren Streitfragen über die Beweistlastverteilung klären wollte, hat aber durch die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 4 und § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG, daß der Arbeitgeber die Tatsachen beweisen müsse, die die Küdigung bedingen, und der Arbeitnehmer diejenigen, die die soziale Auswahl als ungerechtfertigt erscheinen lassen, keine umfassende Klärung gebracht. Zweifelhaft ist danach noch, ob zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen nur die Umsatzentwicklung bzw. die betriebsgestaltenden Maßnahmen gehören, oder auch solche Umstände, die die Vermeidung der Entlassung durch andere Maßnahmen verhindern. In der Rechtsprechung zeigt sich die Tendenz, die Beweislast dem Arbeitnehmer aufzubürden oo, und zwar u. a. dadurch, daß die Frage alternativer Maßnahmen als Aspekt der Interessenabwägung angesehen wird, bei der jede Partei die ihr günstigen Umstände darlegen und beweisen müsse. Allerdings ergibt sich bei diesem Lösungsansatz nicht zwingend die Beweislast des Arbeitnehmers, weil man ebenso gut vertreten kann, daß die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit von anderen Maßnahmen ein Umstand ist, auf den sich der Arbeitgeber in seinem Interesse beruft, und den er deshalb dartun und gegebenenfalls beweisen muß. Schon aus diesen allgemeinen Vorüberlegungen ergeben sich ernsthafte Zweifel an der praktischen Bedeutung der Verpflichtung des Arbeitgebers zu anderen Maßnahmen. Diese Einschätzung muß aber dahingehend spezifiziert werden, welche Maßnahmen überhaupt in Erwägung gezogen werden, und welche Anforderungen bei den einzelnen Maßnahmen gestellt werden. 2.3.1. Im Mittelpunkt der überlegungen stehen u. a. die Möglichkeiten, durch Arbeitszeitverkürzungen Entlassungen zu vermeiden, eine Fragestellung, die vorwiegend für die Fallgruppe der Personalreduzie94 9.5

98

Vgl. etwa Maus, § 1 RN 194; Monjau, BB 1967, S. 1214. Vgl. dazu Maus, § 1 RN 194; Nikisch S. 763; Hueck / Hueck § 1 RN 111. z. B. BAG v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG betriebsb. K.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

rung wegen Produktionsrückgangs diskutiert wird, theoretisch jedoch auch zur Vermeidung von Entlassungen bei Rationalisierungen in Betracht kommt. Zutreffenderweise wird unterschieden zwischen dem Abbau von überstunden und der Einführung von KurzarbeitD7 • Zur Alternative des Abbaus von überstunden scheint insgesamt die überzeugung vorzuherrschen, daß von einem dringenden betrieblichen Grund für eine Entlassung nicht gesprochen werden kann, wenn andererseits überstunden gemacht werdenD8 • Insoweit wird dem Arbeitgeber auch nicht die Berufung auf die unternehmerische Freiheit zugestanden, obwohl unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Durchführung von überstunden trotz entsprechender Lohnzuschläge durchaus rentabler sein kann als die Kosten für zusätzlich beschäftigte Arbeitnehmer mit normaler Arbeitszeit. Das zeigt sich an der weiten Verbreitung von überstunden, die nicht nur der Abdeckung von momentanen Produktionsspitzen dient, sondern teilweise den regelmäßigen Zustand kennzeichnet. Die Verpflichtung zum Abbau von überstunden zur Vermeidung von Entlassungen-wird demnach - soweit erkennbar - nicht durch den Hinweis auf die unternehmerische Freiheit relativiert; betont werden vielmehr die faktischen Grenzen, daß etwa durch feste Lieferzeiten zeitlich begrenzte überstunden geboten sind, oder daß ein Ausgleich nur durch Umsetzungen zwischen verschiedenen Abteilungen erfolgen kann, die u. U. eine nicht zumutbare Einarbeitung erfordernD9 • Der letzte Gesichtspunkt beschränkt streng genommen aber nicht die Verpflichtung zum Abbau von überstunden, sondern nur die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz, auf die später einzugehen istl oo. Denn durch die Verpflichtung zum Abbau von überstunden ergibt sich die Annahme eines freien Arbeitsplatzes, so daß sich konsequenterweise die Frage stellt, ob die Versetzung auf diesen Arbeitsplatz dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der notwendigen Einarbeitung bzw. Umschulung zumutbar isttOt. Differenzierter ist das Meinungsbild hinsichtlich der Verpflichtung zur Kurzarbeit. Teilweise wird eine dahingehende Verpflichtung mit dem Hinweis auf die unternehmerische Freiheit abgelehnt t02 , oder aber 97 Der Begriff "Arbeits streckung" wird z. T. als Oberbegriff zu Kurzarbeit und Überstundenabbau gebraucht, z. T. aber auch nur als Synonym für überstundenabbau; vgl. BAG v. 8. 11. 56 AP Nr. 19 zu § 1 KSchG und BeckerSchaffner BlStsozArbR 1975, S. 99. 08 BAG v. 8. 11. 1956 AP Nr. 19 zu § 1 KSchG; Auffarth / Müller § 1 RN 196; Monjau, BB 1967, S. 1212 ff.; Schleßmann S. 135. 99 Vgl. BAG Anm. 98. 100 Vgl. Seite 48 ff. lot Jedenfalls sofern nicht nur eine zeitlich begrenzte Tätigkeit an einem anderen Arbeitsplatz in Frage steht.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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man beschränkt sich auf die Prüfung, ob der Arbeitgeber diese Maßnahme ernsthaft erwogen hati°3 • überwiegend wird jedoch in Anlehnung an das BAGHl4 vertreten, daß im Rahmen der Interessenabwägung auch zu prüfen ist, ob die Kurzarbeit mit den betrieblichen Erfordernissen vereinbar, d. h. möglich und sinnvoll sei. Vor der Entscheidung des BAG waren in der Rechtsprechung unterschiedliche Positionen vertreten worden105 • Diese Formulierung des BAG klärt aus sich selbst heraus noch nicht, ob bei der Bewertung nur betriebliche Interessen berücksichtigt werden sollen, oder ob eine Abwägung der betrieblichen Vorteile gegenüber den sozialen Nachteilen zu erfolgen hat. Tatsächlich berücksichtigt das BAG dabei zunächst lediglich alle betrieblichen Nachteile mit dem Ergebnis, daß die Einführung der Kurzarbeit nicht der richtige Weg sei. Insoweit handelt es sich also um eine betriebswirtschaftliche Richtigkeitskontrolle, nach der eine Verpflichtung zur Einführung von Kurzarbeit nur dann begründet werden kann, wenn die Entlassung bereits aus Rentabilitätserwägungen gegenüber der Einführung von Kurzarbeit falsch ist. Im folgenden würdigt das Gericht aber auch die Interessen des Arbeitnehmers und hält sie gegenüber den betrieblichen Interessen als wesentlich unbedeutender. Nach der Entscheidungsbegründung ist die Frage der Einführung von Kurzarbeit somit in Form einer Interessenabwägung zwischen den betrieblichen Vorteilen von Entlassungen gegenüber Kurzarbeit und den sozialen Interessen zu entscheiden, ohne daß dem das Postulat der unternehmerischen Freiheit entgegensteht. Die Verpflichtung, zur Vermeidung von Entlassungen Kurzarbebit einzuführen, würde danach relativ weitgehend sein, zumal das BAG nicht zu erkennen gibt, daß etwa nur ein grobes Mißverhältnis zu Lasten der sozialen Interessen beanstandet werden kann. Der Entscheidungsmaßstab wird zwar nicht ausdrücklich festgelegt, die Tatsache jedoch, daß das BAG längere Erörterungen macht, um ein wesentliches übergewicht der betrieblichen Interessen festzustellen, kann als Indiz dafür gewertet werden, daß die Interessen grundsätzlich als gleichberechtigt angesehen werden. Dieses Zwischenergebnis einer sowohl hinsichtlich der überprüfbarkeit als auch des Entscheidungsmaßstabes relativ weitgehenden Verpflichtung zur Einführung von Kurzarbeit wird der Entscheidung nicht 102 Hersehel, Anm. 2 zu BAG v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSehG; Monjaul Heimeier § I, S. C 38; zweifelnd aueh Galperin, BB 1954, S. 1119. lOS Hueck I Hueck § 1 RN 111; Nikiseh S. 763. 104 BAG v. 25. 6. 1964, Nr. 14 zu § 1 KSehG betrieb sb. K.; Becker-Sehaffner, BlStSozArbR 1975, S. 98/99; Maus § 1 RN 194; Müller, DB 1975, S. 2131. 105 Vgl. dazu LAG Düsseldorf v. 21. 5. 1952, DB 1952, S. 556; v. 6. 3. 19'53, DB 1953, S. 356; LG Stuttgart v. 19. 5. 1954, BB 1954, S. 806; v. 2. 6. 54, DB

1954. S. 784.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

voll gerecht und kann auch nicht erklären, warum die Alternative Kurzarbeit in der Folgezeit sowenig Bedeutung gewonnen hat. Die Erklärung dafür findet sich in den Wertungen des BAG bei der Durchführung des Lösungsansatzes. Im Rahmen der Frage, ob die Kurzarbeit möglich und sinnvoll ist, greift das BAG auf den Grundsatz zurück, daß bei der Interessenabwägung jeder die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände trägt, auf die er sich zu seinen Gunsten beruft. Weil die Kurzarbeit nur ausnahmsweise geeignet sei, einen Umsatzrückgang aufzufangen, brauche der Arbeitgeber nur den Umsatzrückgang zu beweisen, während der Arbeitnehmer den Ausnahmefall darzutun habe. Die entscheidende Wertung betrifft den Ausnahmecharakter der Kurzarbeit, die nicht näher begründet wird und nicht ohne weiteres anzuerkennen istl 06 • Im übrigen werden vom BAG bei der Berücksichtigung der betrieblichen Interessen im Rahmen der Interessenabwägung nicht die mit der Kurzarbeit verbundenen finanziellen Nachteile des Arbeitgebers konkretisiert, sondern es wird allein auf die Gefahr abgestellt, daß die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer sich dagegen wehren oder zumindest unruhig würden und der Arbeitgeber die Kurzarbeit gegebenenfalls durch Änderungskündigungen mit zweifelhafter Aussicht auf Erfolg durchzusetzen hätte. Diese Einschätzung der Reaktion von Arbeitnehmern eines Betriebes bei der Alternative zwischen Kurzarbeit und Entlassungen erscheint selbst für eine Zeit der Vollbeschäftigung und steigender Löhne, von der das BAG ausdrücklich ausgeht, einseitig. Solche möglichen Schwierigkeiten können auch nicht ohne weiteres das Ausweichen auf Entlassungen rechtfertigen, abgesehen davon, daß sie jedenfalls heute nach Einführung der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kaum noch auftreten werden. Besonders bedenklich ist der Umstand, daß das BAG Zweifel an der rechtlichen Durchsetzbarkeit von Kurzarbeit als Alternative zu Entlassungen äußert, weil dadurch indirekt angedeutet wird, daß die Vermeidung von Entlassungen durch die Einführung von Kurzarbeit gerichtlich nicht toleriert werden könnte. Ebenso problematisch sind die Wertungen bei der Berücksichtigung der entgegenstehenden sozialen Interessen. Tatsächlich war die Betroffenheit des Arbeitnehmers nicht unerheblich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Kläger bereits 11 Jahre im Betrieb beschäftigt war, verheiratet war und ein Kind hatte und in seinem Beruf auch in der weiteren Umgebung keine Beschäftigungschance bestand, so daß die Entlassung für ihn entweder einen Berufswechsel oder einen Umzug zur Folge haben mußte107• Diese Gesichtspunkte hätten an sich eine 108

Vgl. S. 128 ff. und 139 f.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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schwierige Einzelfallentscheidung erzwungen, dessen Ergebnis keinesfalls eindeutig ist. Diese einzelfallbezogene Interessenabwägung wird aber vom Gericht gar nicht durchgeführt. Statt dessen wird der auf das Arbeitgeberinteresse orientierte Grundsatz herausgestellt, daß ein längeres Mitschleppen überzähliger Arbeitskräfte nicht zumutbar sei. Eine Relativierung dieses Grundsatzes durch entgegenstehende soziale Interessen - der eigentliche Gehalt einer Interessenabwägung - wird praktisch offenbar nicht akzeptiert, sondern mit der allgemeinen Wertung verstellt, daß jeder aufgrund seiner freien Entscheidung für einen Beruf grundsätzlich das Beschäftigungsrisiko selbst tragen müsse, weil sonst freier Wettbewerb und freie Wirtschaft stagnierten. Mit dieser zumindest einseitigen allgemeinen Wertung wird das Arbeitsplatzsicherungsinteresse generell in Frage gestellt. Es zeigt sich, daß die grundlegende Entscheidung des BAG über die Verpflichtung zur Einführung von Kurzarbeit, die vom Lösungsansatz her eine weitgehende .überprüfung eröffnete, ohne sich unter dem Aspekt der unternehmerischen Freiheit von vornherein Beschränkungen aufzulegen, in der konkreten Durchführung von Wertungen bestimmt ist, die den Ansatz im Ergebnis weitgehend entwerten. Die Wertungen können aber nicht im gleichen Umfang Verbindlichkeit beanspruchen wie der Lösungsansatz selbst. Sie müssen überdies deshalb relativiert werden, weil sie ausdrücklich auf eine Beschäftigungssituation bezogen sind, die durch Vollbeschäftigung und steigende Löhne gekennzeichnet war, und die Kurzarbeit noch nicht in dem Umfang wie heute in ihren negativen Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Kurzarbeitsgeld abgemildert war. Angesichts dieses Befundes wird man hinsichtlich der Alternative Kurzarbeit noch von einem weitgehend offenen Problem sprechen können: Die von der Literatur vertretene weitgehende Zurückhaltung bei der überprüfung wegen des Prinzips der unternehmerischen Freiheit ist höchstrichterlich nicht sanktioniert worden, und der Lösungsansatz über eine Interessenabwägung eröffnet überprüfungsmöglichkeiten, die durch die Wertungen der BAG-Entscheidung nicht als endgültig beschnitten angesehen werden können. Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß erhöhte Anforderungen zur Einführung von Kurzarbeit bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur entwickelt worden sind und jeder dahingehende Versuch mit großen Widerständen rechnen muß. Das zeigt sich u. a. daran, daß keine veröffentlichten Entscheidungen auffindbar waren, die mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit eine Kündigung als sozial nicht gerechtfertigt angesehen haben. 107 Tatsächlich fand der Kläger eine neue Anstellung nur als Hilfsarbeiter, allerdings mit in etwa gleichem Verdienst.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor,betriebsbedingten Kündigungen

2.3.2. Neben der Arbeitszeitverkürzung ist die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz die wichtigste Alternative zur Vermeidung von Entlassungen. Diese Frage hat im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 eine Kodifizierung erfahren. Die Rechte des Betriebsrates bei Kündigungen sind um ein Widerspruchsrecht hinsichtlich bestimmter enumerativ aufgeführter Aspekte erweitert worden, von denen drei (§ 102 III Nr. 3 bis 5 BetrVG) die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung betreffen, nämlich die Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen, gegebenenfalls nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen oder im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer unter geänderten Vertragsbedingungen. Diese betriebsverfassungsrechtliche Regelung ist in den individualrechtlichen Kündigungsschutz integriert worden: § 1 II Nr. 2 und 3 KSchG bestimmt, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, wenn einer der in § 102 III genannten Widerspruchsgründe - mit Ausnahme der fehlerhaften sozialen Auswahl, die in § 1 III KSchG eine besondere Regelung erfahren hat - vorliegt und der Betriebsrat aus einem dieser Gründe fristgerecht und schriftlich widersprochen hat. Die Problematik dieser Regelung wurde zu Recht darin gesehen, daß die Berücksichtigung der Widerspruchsgründe im Kündigungsschutzprozeß von dem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrates abhängig gemacht wird, obwohl wesentliche Aspekte der Widerspruchsgründe bereits vor Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes unabhängig von dem Widerspruch des Betriebsrates berücksichtigt wurden. Es mußte also geklärt werden, ob durch die Neuregelung der individualrechtliche Kündigungsschutz in den Fällen verkürzt worden ist, in denen kein Betriebsrat besteht bzw. der Betriebsrat nicht oder nicht ordnungsgemäß Widerspruch erhoben hat. Dieser Streit ist vom BAG mit der Entscheidung vom 13. 9. 1973 108 in übereinstimmung mit der herrschenden Meinung 109 dahingehend entschieden worden, daß der individualrechtliche Kündigungsschutz durch die Neuregelung nicht beeinträchtigt worden ist, daß also unter dem Gesichtspunkt der sozialen Rechtfertigung der Kündigung die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zumindest in dem Umfang auch ohne WiderBAG v. 13. 9. 1973 AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969. U. a. Auffarth, Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 10, S. 77; Brede, BlStSozArbR 1973, S. 18; Dietz / Richardi § 1 RN 124; Göttling / Hoentges / Zepp, RdA 1972, S. 285; Hanau, BB 1972, S. 454; Hueck/Hueck § 1 RN 76; Kitzelmann, ArbuR 1973, S. 302; ütto, DB 1972, S. 731 und DB 1973, S. 332; Richardi, ZfA 1972, Sonderheft, S. 31; Reuter, ZfA 1975, S. 93; Reuter / Streckel, S. 54. A. M.: LAG Hamm DB 1973, S. 482; Gumpert, DB 1972, S. 50; Meisel, S. 27, und Anm. zu BAG v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KSchG betriebsb. K.; Sahmer § 102 Anm. 24; Wagener, BB 1972, S. 137. 108

109

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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spruch des Betriebsrates berücksichtigt werden kann, wie dies vor der Gesetzesänderung anerkannt war. Die Argumentation und Gegenargumentation soll hier nicht im einzelnen dargestellt und gewürdigt werden. Hervorgehoben werden soll lediglich der Eindruck, daß diese Auslegung, die sich mit dem Wortlaut nur schwer in übereinstimmung bringen läßt, im wesentlichen auf der Wertung beruht, daß der individualrechtliche Kündigungsschutz gegenüber der kollektiven Interessenwahrung im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes eine eigenständige Bedeutung behalten und daß dieser Schutz vom Bestehen und Tätigwerden des Betriebsrates nicht abhängig sein soll; durch das Betriebsverfassungsgesetz darf zwar ein zusätzlicher Schutz geschaffen werden. der naturgemäß nicht allen Arbeitnehmern im gleichen Umfang zugute kommt, eine Sperrfunktion im Hinblick auf den bestehenden allgemeinen Kündigungsschutz wird der kollektiven Interessenvertretung jedoch nicht zugestanden. Offen ist dagegen noch die Frage, ob der individualrechtliche Kündigungsschutz insoweit erweitert worden ist, wie die Widerspruchsgründe gegenüber dem bisherigen Rechtszustand zusätzliche Gesichtspunkte eröffnen, etwa hinsichtlich der Berücksichtigung der Auswahlrichtlinien bzw. der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im gesamten UnternehmenllO• Es erscheint durchaus möglich, daß sich die Vorstellung von einer Erweiterung des Kündigungsschutzes durchsetzen wird. Zwar kann eines der Hauptargumente für die Erhaltung des status quo, daß nämlich der erkennbare gesetzgeberische Wille zur Verbesserung des Kündigungsschutzes nicht zu einer Verkürzung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes führen dürfe, insoweit nicht wirksam werden. Die oben skizzierten Grundvorstellungen über das Verhältnis von individualrechtlichem und kollektivrechtlichem Kündigungsschutz rechtfertigen aber eine Ausdehnung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes, zumal die Festschreibung der einmal erreichten Auslegung auf unabsehbare Zeit kaum vertretbar erscheint. Unabhängig davon, wie diese Frage entschieden werden wird, besteht jedenfalls auch ohne Widerspruch des Betriebsrates die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Entlassung durch die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz abzuwenden, gegebenenfalls nach entsprechender Einarbeitungszeit, Umschulung oder Weiterbildung. Als Grundsatz hat sich dabei durchgesetzt, daß eine Beschränkung auf den Betrieb besteht111 und nur in Ausnahmefällen der gesamte Bereich des Un110 Das BAG (vgl. Anm. 108) hat die Frage ausdrücklich offengelassen ; bejahend: Otto, DB 1972, S. 731; Richardi, ZfA 1972, Sonderheft, S. 32; Löwisch, DB 1975, S. 356; ablehnend: Götting / Hoentges / Zepp, RdA 1972, 284; Kitzelmann, ArbuR 1973, 305; unklar Gilt, ZfA 1974, S. 138. m Statt anderer BAG v. 25. 9. 56 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG; Hueck / Hueck § 1 RN 114/115 m. w. N.

4 Wolter

50 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigung;en ternehmens berücksichtigt werden muß, etwa aufgrund einer gesteigerten Fürsorgepflicht112 oder wenn der Arbeitnehmer für das Unternehmen im ganzen eingestellt worden ist11ll • Offen ist noch, ob die erweiterte Verpflichtung auch schon anzunehmen ist, wenn der Arbeitgeber das Recht zur Versetzung innerhalb des Unternehmens hat114• Komplexer ist die Frage, inwieweit ein freier Arbeitsplatz zu berücksichtigen ist, der dem bisherigen nicht ganz entspricht. Die Neuregelung im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes unterscheidet bei der Regelung dieser Fragen zwischen der einfachen Weiterbeschäftigung an einern anderen Arbeitsplatz, wobei die Notwendigkeit der Einarbeitung ggf. vorn Arbeitgeber in Kauf genommen werden muß, der Weiterbeschäftigung nach entsprechender Umschulung bzw. Weiterbildung, soweit diese dem Arbeitgeber zumutbar sind, und der Weiterbeschäftigung unter geänderten Arbeitsbedingungen, wozu aber das Einverständnis des Arbeitnehmers vorliegen muß. Diese Einteilung und Ausgestaltung von Fallgruppen entspricht dem vorher erreichten Rechtszustand 115 , klärt aber nicht die in vielen Fällen entscheidende Frage, wall an Umschulung bzw. Weiterbildung dem Arbeitgeber zumutbar ist, denn dabei muß das Ausmaß der wirtschaftlichen Lasten bestimmt werden, die der Arbeitgeber im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung zu tragen hat. Soweit es nur um die Einarbeitung geht, werden sich in der Regel keine besonderen Lasten für den Arbeitgeber ergeben. Die wirtschaftlichen Nachteile, die sich durch die verminderte Arbeitsleistung in der Einarbeitungsphase ergeben, entstehen auch sonst bei Einstellung eines neuen Mitarbeiters, weil Arbeitnehmer mit betriebsspezifischen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt selten greifbar sind. Selbst wenn inso.. weit die Einstellung eines neuen Mitarbeiters vorteilhafter sein sollte, stehen dem sonstige Nachteile entgegen, insbesondere die Aufwendungen und Reibungsverluste, die mit dem Ausscheiden des bisherigen bzw der Auswahl und Eingliederung des neuen Mitarbeiters verbunden sind. Aus immanent betriebswirtschaftlicher Sicht wird deshalb die Weiterbeschäftigung nur dann abgelehnt, wenn der betroffene Arbeitnehmer aus anderen Gründen, insbesondere wegen mangelnder Leistungsfähigkeit bzw. Verhaltens entbehrlich ist, und der Arbeitgeber aufgrund der Arbeitsmarktlage die Chance sieht, eine bessere ArbeitsBAG v. 25. 3. 59 AP Nr. 27 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. BAG v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KSchG betriebsb. K. 114 Das BAG (vgI. Anm. 113) hat das offengelassen; vgI. auch Hueck / Hueck § 1 RN 114 m. w. N. 115 Zur Frage der Einarbeitung und Anleitung vgI. Auffarth / Müller § 1 RN 206; Galperin, BB 1954, S. 1119; Herschel! Steinmann § 1 RN 41; Monjau, DB 1952, S. 18; Nikisch, S. 762; zur .Frage der Weiterbildung und Umschulung vgI. BAG v. 7. 5. 1968 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG betriebsb. K.; Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 99; Hueck/ Hueck § 1 RN 115 u. 147. 112 113

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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kraft zu finden. Dieses Verhalten liegt aus betrieblicher Sicht nahe, so daß die entscheidende Funktion der einfachen Weiterbeschäftigungspflicht darin gesehen werden kann, dieses zu verhindern. Dem Arbeitgeber werden dadurch - gemessen am status quo - zwar i. d. R. keine zusätzlichen Lasten aufgebürdet, es soll ihm aber andererseits die Gelegenheit für einen Austausch von Arbeitskräften genommen werden. Schwieriger ist die Wertung bei der Umsetzung auf einen Arbeitsplatz, der eine Weiterbildung oder Umschulung erforderlich macht, weil diese Alternative meist finanzielle Belastungen im Vergleich mit einer entsprechenden Neueinstellung mit sich bringt, jedenfalls dann, wenn eine entsprechend qualifizierte Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt ohne große Schwierigkeiten zu finden ist. Zu den Kosten der Schulung kommt nämlich der Verzicht des Arbeitgebers auf produktive Leistungen während der Schulungszeit. Außerdem ist der Versuch einer Umsetzung nach entsprechender Schulung mit einem gewissen Erfolgsrisiko belastet, ein weiterer Umstand, der den Arbeitgeber eher von dieser Möglichkeit abhalten wird. In der Regel werden diese Nachteile durch die oben skizzierten Vorteile bei der Vermeidung von Entlassung und Neu~ einstellung nicht ausgeglichen, so daß sich entsprechend häufiger die Frage stellt, welche Lasten der Arbeitgeber im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung zu tragen hat. Diese Wertung ist mit der allgemein gebrauchten Formulierung, die auch im Rahmen des Widerspruchsrechts des Betriebsrates ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, daß nämlich die Weiterbildung oder Umschulung für den Arbeitgeber zumutbar sein muß, noch nicht vorgenommen worden, ebensowenig wie durch den Hinweis, daß eine umfassende Interessenabwägung stattfinden müsse116 • Immerhin läßt sich aus diesen Formulierungen entnehmen, daß der Hinweis auf Kosten und sonstige Nachteile allein nicht genügt, um die für den freien Arbeitsplatz qualifizierende Weiterbildung oder Umschulung abzulehnen. Gewisse Opfer werden von dem Arbeitgeber offenbar gefordert, wobei allerdings allgemein geltende Entscheidungsmaßstäbe noch nicht gefunden sind. Auch die Analyse einschlägiger Entscheidungen ergibt kaum Anhaltspunkte für Entscheidungskriterien, macht aber deutlich, daß im Einzelfall sehr weitgehende und kostenintensive Schulungen gefordert werden können. In der Entscheidung des BAG vom 7. 5. 1968 117 wird eine Fluggesellschaft als verpflichtet angesehen, einen Flugkapitän nach Außerdienststellung des von ihm bisher geflogenen Flugzeugtyps auf einen anderen Typ umzuschulen. Die Entscheidung macht keine Aus118 Vgl. Hueck / Hueck § 1 RN 147 und Anm. zu BAG v. 7. 5. 1968 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG betriebsb. K. 117 BAG v. 7.5.1968 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG betriebsb. K.

52 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vorbetriebsbedingten Kündigungen sagen über die Kosten der Umschulung oder über die Arbeitsmarktsituation für entsprechend qualifizierte Flugkapitäne. Es kann aber wohl davon ausgegangen werden, daß mit der Umschulung im Endergebnis vergleichsweise hohe Kosten verbunden waren. Die Begründung des Gerichts, daß die Fluggesellschaft bei der Einstellung des Flugkapitäns mit der Möglichkeit der AußerdienststeIlung des damals benutzten Flugzeugtyps rechnen mußte, begründet keinen Ausnahmefall, weil entsprechendes i. d. R. bei allen anderen technischen Rationalisierungen gilt. Deshalb überrascht es auf den ersten Blick, daß diese Entscheidung mit ihren relativ weitgehenden Anforderungen an den Arbeitgeber die Bedeutung von Umschulung und Weiterbildung zur Ermöglichung der Umsetzung nicht erkennbar erhöht hat, wie sich an der Seltenheit einschlägiger Entscheidungen zeigt. Eine mögliche Erklärung wäre, daß diese Entscheidung aufgrund der hohen beruflichen Position des Arbeitnehmers als Sonderfall angesehen worden ist, weil in der betrieblichen Praxis bei diesen Arbeitskräften für den Arbeitsplatzerhalt freiwillig höhere Leistungen erbracht werden als für Arbeitnehmer mit mittlerem bzw. unterem Status. Der Umstand jedenfalls, daß andere Flugkapitäne umgeschult worden sind, hat das Ergebnis erkennbar beeinflußt, zwar nicht unter dem Aspekt der Gleichbehandlung, aber unter dem der Betriebsüblichkeit. Das aber bedeutet, daß die normativen Anforderungen an die Weiterbeschäftigungspflicht sich nach der betrieblichen Praxis richten, die aus naheliegenden Gründen zu einer Privilegierung der hochgestellten Angestellten neigt, wobei vernachlässigt wird, daß es auch darum gehen muß, die betriebliche Praxis normativ zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Es bleibt festzuhalten, daß zwar von dem vertretenen Lösungsansatz der Interessenabwägung her die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Entlassung durch Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen abzuwenden, relativ weit gehen könnte, daß aber in der Rechtsprechung und Literatur keine Konkretisierungen erkennbar sind, die dieser Möglichkeit einen weiten Anwendungsbereich sichert. Zu der praktisch bedeutsamen Darlegungs- und Beweislast zur Möglichkeit der Weiterbeschäftigung hat das BAG eine differenzierende Position eingenommen, die im Ergebnis jedoch wieder primär den Arbeitnehmer in Pflicht nimmt. Die Darlegungsverpflichtung der Partei richte sich nach dem jeweiligen Vorbringen der Gegenseite118 ; dabei genüge z; B. nicht der abstrakte Hinweis des Arbeitnehmers, daß in einem großen Unternehmen eine Weiterbeschäftigung möglich sein müsse, son118 BAG v. 22. 11. 1973 AP Nr. 22 zu § 1 KSchG betriebsb. K.; v. 5.8.76, DB 1976, S. 2307; v. 3. 2. 1977, BB 1977, S. 849; für die Beweislast des Arbeitgebers ArbG Celle v. 19. 3. 1974, ARSt 1974, s. 183.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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dern er müsse schon konkrete Alternativen benennen, die der Arbeitgeber sodann zu widerlegen habe. 2.3.3. Die bisher besprochenen Alternativen Arbeitszeitverkürzung und Umschulung stehen im Mittelpunkt der überlegungen über Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen. Andere Möglichkeiten werden nur selten genannt und sind überdies umstritten. Eine Möglichkeit, die aber im Schrifttum kaum diskutiert wird119 , liegt in der Änderungskündigung. 'Wenn aus Kostengründen Personal eingespart werden soll, können statt selektiver Entlassungen die Einsparungen durch Lohnminderungen für alle erzielt werden. Damit wären die bei selektiven Entlassungen erforderlichen organisatorischen und technischen Folgeänderungen nicht notwendig und die Erhöhung der Arbeitsintensität, die in der Regel mit Personaleinsparungen aus Kostengründen verbunden ist, könnte vermieden werden. Tarifvertragliche Hindernisse stehen dem nur dann entgegen, wenn kein übertariflicher Lohn gezahlt wird. Bei dieser Alternative handelt es sich im Grunde um eine Parallele zur Arbeitszeitverkürzung. Ebenso wie bei Produktionsrückgang durch Kurzarbeit die vorhandene Arbeitszeit auf die im Betrieb vorhandenen Arbeitskräfte verteilt wird, wird bei Änderungskündigungen der verfügbare Lohnkostenanteil auf die vorhandenen Arbeitskräfte aufgeteilt. Der wesentliche Grund für die gegenüber den Arbeitszeitverkürzungen noch weitergehende Zurückhaltung bei dieser Alternative liegt zum einen in dem Umstand, daß die direkte Minderung der Lohnhöhe bisher gesellschaftlich als Mittel zur Anpassung an wirtschaftliche Veränderungen nicht anerkannt ist. Darüber hinaus werden die Lasten dieser Alternative anders als bei der Kurzarbeit durch das Kurzarbeitergeid nicht teilweise ausgeglichen und schließlich steht die Lösung im Widerspruch zu dem betriebswirtschaftlichen Leitprinzip, daß Rentabilitätsschwierigkeiten zukunftsweisend durch Erhöhung der Produktivität i. S. von Personaleinsparungen überwunden werden sollen und nicht durch die Anpassung des Lohnes an die unzureichende Produktivität. Eine weitere mögliche Alternative ist das auf-Lager-Arbeiten zur Abwendung von Entlassungen bei Beschäftigungsrückgang; eine dahingehende Verpflichtung des Arbeitgebers wird aber überwiegend abgelehnt12il und nur teilweise für den Fall vorübergehender Beschäftigungs-:schwankungen bejaht121 • Vgl dazu Müller, DB 1975, S. 2131; Galperin, BB 1954, S. 1119. LAG Düsseldorf v. 13. 5. 53, DB 1953, S. 428; LAG Bremen v. 6. 3. 53, BB 1953, S. 532; Auffarth/Müller § 1 RN 176; Galperin, BB 1954, S. 1119; Monjau, BB 1967, S.1213. 121 LAG stuttgart v. 2. 6. 1954, DB 1954, S. 784. 110

120

54 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen Dazu ist zu berücksichtigen, daß das auf-Lag er-Arbeiten schon von der tatsächlichen Seite her in seiner Relevanz begrenzt ist, denn es kommt nur im industriellen Produktionsbereich in Betracht und auch dort nur insoweit, wie die Produktion nicht streng auftragsgebunden ist und freie Lagerkapazität besteht. Zudem müssen die nicht unerheblichen wirtschaftlichen Nachteile beachtet werden, wie insbesondere die Bindung von Kapital mit den Folgen für die Liquidität und Rentabilität, die Lagerungskosten und das Risiko der Wertminderung durch zwischenzeitliche Entwicklungen. Die Zurückhaltung gegenüber dieser Alternative ist wohl auch darauf zurückzuführen, daß diese Verpflichtung den wirtschaftlichen Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers betrifft und sich nicht nur - wie die Arbeitszeitverkürzung und die Änderungskündigungen - auf die Verteilung der Lasten auf die im Betrieb vorhandenen Arbeitskräfte beschränkt. Auf dieser Ebene liegen auch noch ganz andere Alternativen, die gar nicht erst ernsthaft in Erwägung gezogen werden. So kann auf einen Produktionsrückgang nicht nur durch Personaleinsparungen reagiert werden, sondern es kann versucht werden, ihn z. B. durch stärkere Förderung des Absatzes zu überwinden, und auch Rentabilitätsschwierigkeiten können und werden statt durch Entlassungen auch durch Preispolitik und Rationalisierungen kompensiert. Die Zurückhaltung gegenüber der Annahme einer dahingehenden Verpflichtung ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß sie offensichtlich mit dem Postulat der unternehmerischen Freiheit kollidiert. Die Entscheidungen über diese verschiedenen Reaktionen auf wirtschaftliche Gegebenheiten sind immer zum Kernbereich der der unternehmerischen Freiheit gerechnet worden. Eine Verpflichtung zu Maßnahmen dieser Art aufzustellen, würde bedeuten, daß nicht nur die Zweckmäßigkeit der betriebsgestaltenden Maßnahmen, sondern auch der kaufmännischen Entscheidungen über die Preis- und Absatzpolitik überprüft wird. 2.3.4. Es zeigt sich, daß die Frage nach möglichen Abhilfemaßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen verschiedene, offenbar nicht gleichwertige Alternativen erfaßt. Gemessen an der Intensität des Eingriffs in die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit kann man die folgende Unterscheidung treffen: -

Die Umsetzungsverpflichtung, die häufig dem ökonomischen Eigeninteresse des Arbeitgebers entspricht, wenn man vom etwaigen Interesse an einem qualitativ vorteilhaften Austausch von Arbeitskräften absieht. Das Problem der Konkretisierung der wirtschaftli-

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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chen Lasten stellt sich i. d. R erst bei der Verpflichtung zur Weiterbildung oder Umschulung. -

Die Verpflichtung zur Verteilung der Lasten aus wirtschaftlichen Veränderungen auf viele Arbeitnehmer durch Kurzarbeit oder Änderungskündigungen, statt der Entlassung einzelner, die sich nur teilweise mit den Eigeninteressen des Arbeitgebers deckt.

-

Die Verpflichtung zu wirtschaftlichen Alternativmaßnahmen, die personelle Konsequenzen entbehrlich machen.

Angesichts des Schutzes der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit, der sich auch hier auswirkt, ist es nicht überraschend, daß von den Alternativen nur die einfache Umsetzungsverpflichtung, die i. d. R. keine wirtschaftlichen Lasten mit sich bringt, allgemein anerkannt ist, während bei allen anderen Alternativen, die wirtschaftliche Nachteile für den Arbeitgeber begründen können, die Geltung und der Umfang der Verpflichtung noch ungeklärt ist und die Verpflichtung zu Maßnahmen der dritten Gruppe überhaupt nicht ernsthaft erwogen wird. 2.4. Das Erfordernis der sozialen Auswahl

Als Besonderheit der betriebsbedingten Kündigung ist in § 1 Abs. 3 KSchG das Erfordernis der sozialen Auswahl aufgestellt worden, weil sich dabei - anders als bei der personen- oder verhaltensbedingten Kündigung - die Frage stellen kann, welcher von mehreren möglichen Arbeitnehmern betroffen werden sol1122• Der Leitgedanke dieser zusätzlichen Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung bei der betriebsbedingten Kündigung ist, daß der Kündigungsgrund außer halb der Sphäre der Arbeitnehmer liegt und deshalb die Folgen aus sozialpolitischen Gründen diejenigen treffen sollen, für die es relativ am leichtesten zu ertragen ist. Während bei den personen- und verhaltensbedingten Kündigungen die sozialen Folgen aufgrund des individuellen Charakters des Kündigungsgrundes bestimmt sind und im Rahmen der Interessenabwägung zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung berücksichtigt werden können, besteht bei der betriebsbedingten Kündigung die Möglichkeit und Notwendigkeit, die sozialen Folgen durch die Auswahl der sozial Bessergestellten zu minimieren. Die Problematik besteht darin, daß dieses Erfordernis häufig mit betrieblichen Interessen kollidiert, weil die betriebliche Personalpolitik aus Rentabilitätsüberlegungen von Leistungs- und Eignungskriterien ausgehen möchte. Dieses Spannungsverhältnis findet auch im Gesetz 122

Vgl. statt anderer Müller, DB 1975, S. 2132.

56 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vorbetriebsbedingten Kündigungen seinen Niederschlag, indem es zum einen die ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte fordert, zum anderen aber dieses Erfordernis zurückstellt, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betrieblichen Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer bedingen. Die mögliche praktische Bedeutung dieser im einzelnen konkretisierungsbedürftigen Regelung sollte nicht unterschätzt werden, gerade weil die sonstigen Kriterien der betriebsbedingten Kündigung - wie die bisherige Analyse gezeigt hat - in vielen Fällen keine echten Hindernisse für Kündigungen begründen können. Außerdem geht es bei der sozialen Auswahl nicht nur um die Verteilung der Lasten bei Kündigungen, sondern mittelbar auch um den Schutz vor Kündigungen. Die Effektivität des Kündigungsschutzes hängt mittelbar auch davon ab, welche Konkretisierung das Erfordernis der sozialen Auswahl erfährt, ob also eher die soziale Auswahl oder die Auswahl nach Leistungs- und Eignungskriterien dominiert. Denn je stärker die soziale Auswahl gegenüber der Auswahl nach betrieblichen Interessen Vorrang genießt, desto eher können auch leistungsstarke und qualifizierte Arbeitnehmer betroffen werden mit entsprechend negativen Folgen für die Personalstruktur. Der Arbeitgeber würde in diesem Fall schon im eigenen Interesse nach Möglichkeiten suchen, Entlassungen zu vermeiden. Sollten demgegenüber die betrieblichen Interessen bei der Sozial auswahl dominieren, so kann nicht ausgeschlossen werden, sondern entspricht vielmehr betriebswirtschaftlicher Rationalität, daß betriebliche Kündigungsgründe geschaffen werden bzw. bereitwillig akzeptiert werden, um eine qualitative Selektion des Personalbestandes vorzunehmen, zumal die Erfordernisse, die an eine personen- oder verhaltens bedingte Kündigung gestellt werden, von der Rechtsprechung vergleichsweise hoch angesetzt werden. Diese mittelbaren Auswirkungen unterstreichen die Bedeutung der im folgenden zu untersuchenden Voraussetzungen der sozialen Auswahl. 2.4.1. Die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl bedeutet nach übereinstimmender Meinung, daß demjenigen gekündigt werden soll, der durch die Kündigung in seiner Lebensexistenz weniger schwer getroffen wird, d. h. auf seinen Arbeitsplatz nicht so dringend angewiesen ist1 23 • Diese Entscheidung soll unter Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht kommender Einzelumstände getroffen werdenl !., also. nicht nur allgemein einschlägiger Umstände wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter, Zahl der Unterhaltsberechtigten125, BAG v. 20. 1. 1961 AP Nr. 7 zu § 1 KSchG betriebsb. K. BI. 770. BAG v. 27. 2. 1958 AP Nr. 2, zu § 1 KSchG betriebsb. K.; BAG v. 26. 4. 1964 AP Nr. 15 zu § lKSchG betriebsb. K. BI. 1002; vgI. Aufstellung bei Gift, ZfA 1!3

124

1974, S. 140 f.

2. Konkretisierung der VOl'aussetzungeneiner Kündigung

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sondern auch besonderer Umstände1211 wie z. B. finanzielle Lage des Arbeitnehmers bzw. des Ehegatten, Gesundheitszustand und Verdienst des Ehegatten127• Obwohl diese umfassende Betrachtungsweise von der Problematik her durchaus angemessen und wünschenswert erscheint, so bestehen doch Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität und überprüfbarkeit dieses Vorgehens. Dabei stehen nicht die quantitativen Probleme im Vordergrund, die sich stellen, wenn von einer Vielzahl zur Auswahl stehender Arbeitnehmer jeweils viele Einzelumstände geklärt werden müssen. Schwerwiegender ist das Fehlen eines Maßstabes, wie die einzelnen Umstände im Verhältnis zueinander gewertet werden sollen. Dadurch besteht die Gefahr, daß der Anspruch, der mit der umfassenden Abwägung aller Einzelumstände begründet wird, in Wirklichkeit nicht eingelöst werden kann. Dem kann dadurch entgegengewirkt werden, daß die allgemeinen Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Alter und Zahl der Unterhaltsberechtigten jeweils schematisch erfaßt und punktemäßig gewertet werden, so daß die soziale Schutzbedürftigkeit dann durch die Summierung der einzelnen Punkte quantifiziert und verglichen werden kann 128• Der Einwand, daß damit den besonderen Einzelumständen nicht ausreichend Rechnung getragen werden könne, läßt sich dadurch entkräften, daß dieses rechnerische Verfahren auf die Funktion einer Vorauswahl beschränkt wird, die eine nachträgliche Berücksichtigung der besonderen Umstände nicht ausschließt129 • Zuzugeben ist, daß ein solches Verfahren zur Lösung der sozialen Problematik gefühlsmäßige Widerstände hervorruft, aber die daraus abgeleiteten Bedenken werden durch den Vorteil der besseren Objektivierung und damit überprüfbarkeit der sozialen Auswahl weit aufgewogen. Nach dem gegenwärtigen Rechtszustand wird ein solches Verfahren zwar überwiegend akzeptiert, sei es als individuelle Entscheidungsgrundlage für den Arbeitgeber oder sei es als Betriebsvereinbarung über die Auswahlrichtlinien gern. § 95 BetrVG, es wird aber nicht einmal erwogen, es unter Umständen, z. B. bei großen Betrieben, zu fordern. 125 VgI. Anm. 123 und 124 und LAG Frankfurt v. 13. 11. 1957 AP Nr. 46 zu § 1 KSchG BI. 346R. 128 Gewisse Faktoren dürfen dabei nicht berücksichtigt werden; vgI. Art. 6 § 5 des Rentenreformgesetzes v. 16. 10. 1972, BGEl II, S. 1965; § 2 II 2 Eignungsübungsgesetz; § 2 II 2 und § 10 AI'beitsplatzschutzgesetz; § 13 !Ir 2 Gesetz über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung v. 9. 10. 1957. 127 z. B. BAG v. 30. 11. 1956 AP Nr. 26 zu § 1 KSchG BI. 516 (Verdienst des Ehegatten) und LAG BerUn v. 30. 5. 1956 AP Nr 17 zu § 1 KSch.G (frühere Beschäftigung). 128 Müller, DB 1975, S. 2133 . . 120 VgI. LAG München v. 13. 8.1974, DB 1975, S. 1177; Gift, ZfA 1974, S. 141; Müller, DB 1975, S. 2133.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vortbetriebsbedingten Kündigungen

In der Regel muß also eine soziale Auswahl überprüft werden, bei der die Entscheidungskriterien nicht generell festgelegt sind. Das ist deshalb so schwierig, weil allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht entwickelt sind und deshalb eine subjektiv unterschiedliche Gewichtung der allgemeinen und besonderen Umstände naheliegt. Mit Rücksicht darauf und mit dem Hinweis auf den Wortlaut, der lediglich eine ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte verlangt, ist einer begrenzten überprüfbarkeit der sozialen Auswahl das Wort geredet worden, etwa dahingehend, daß nur überprüft werden kann, ob die Entscheidung vertretbar sei130• Dieser Begrenzung der richterlichen überprüfungskompetenz bei der sozialen Auswahl ist das BAG mit der Entscheidung vom 26. 6. 1964131 in übereinstimmung mit der jetzt herrschenden Meinung 132 entgegengetreten: Das Gericht habe eine eigene Beurteilung der sozialen Auswahl vorzunehmen und sei nicht darauf beschränkt, sachfremde Erwägungen oder das Fehlen wesentlicher Gesichtspunkte i. S. der überschreitung des Ermessens- bzw. Bewertungsspielraumes zu rügen. Es genüge nicht das Bemühen des Arbeitgebers um eine richtige Entscheidung, sondern das Ergebnis der Entscheidung müsse richtig sein l33 • Aber auch das BAG macht mit Rücksicht auf die oben skizzierte Problematik und die Formulierung im Gesetz gewisse Konzessionen, indem es bei geringfügigen Unterschieden zwischen der Beurteilung des Arbeitgebers und des Gerichts dessen Entscheidung gelten läßt und nicht durch die des Gerichtes ersetzen Will134 • Theoretisch ist das aber nur eine geringfügige Relativierung der vollen überprüfbarkeit, weil der Grundsatz der eigenen Bewertung der einzelnen Umstände durch das Gericht und die Forderung nach einer richtigen und nicht lediglich vertretbaren Entscheidung unangetastet bleibt. Zusammenfassend wird man sagen können, daß die soziale Auswahl jedenfalls vom Anspruch her optimal ausgeformt ist, sowohl hinsichtlich der Entscheidungsgrundlagen i. S. der Berücksichtigung aller Einzelumstände als auch hinsichtlich der vollen richterlichen überprüfbarkeit der Richtigkeit der sozialen Auswahl. Zweifel an der Wirksam130 LAG Frankfurt v. 15. 10. 1957 AP Nr. 45 zu § 1 KSchG; LAG Düsseldorf v. 3. 10. 1952 DB 1952, S. 1056; LAG Bremen v. 18. 1. 1956 DB 1956, S. 188; Meisel, BB 1963, S. 63; Monjau, RdA 1959, S. 10, der die Bedenken aufrechterhält, vgI. BB 1967, S. 1383; so auch noch LAG Hamm v. 11. 12.75, BB 1976, S.465. 131 BAG v. 26. 6. 1964 AP Nr. 15 zu § 1 KSch:G betrieb sb. K.; die auch vom BAG als Präjudiz angeführte Entscheidung vom 27. 2. 1958, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG betriebsb. K., kann nur bedingt als solche angesehen werden; ebenso schon LAG Frankfurt v. 30. 9. 1958, BB 1969, S. 562. 132 Hueck / Hueck § 1 RN 127 m. w. N. 133 VgI. BAG (Anm. 131) Leitsatz 1. 134 VgI. BAG (Anm. 131) Leitsatz 3 und BI. 1002 R.

2. Konkretisierung .der VOl'aussetzungen einer Kündigung

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keit dieser Regelung bestehen allerdings deshalb, weil erkennbar keine allgemein gültigen Entscheidungskriterien entwickelt worden sind, und es deshalb naheliegt, daß sich das Gericht doch an die jeweiligen Bewertungsmaßstäbe des Arbeitgebers anlehnt. 2.4.2. Die Schwierigkeit der überprüfung, aber auch das Risiko des Arbeitgebers, eine falsche Entscheidung zu treffen, hängt davon ab, wieviele Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl berücksichtigt werden müssen. Je mehr Arbeitnehmer es sind, desto eher sind Konstellationen denkbar, in denen keine eindeutigen Entsche1dungen möglich sind, sondern in denen verschiedene Kriterien gegeneinander abgewogen werden müssen. Deshalb ist die Frage nach der Abgrenzung des Kreises der zu berücksichtigten Arbeitnehmer zu klären, wobei sowohl der räumlich-organisatorische als auch der qualifikatorische Aspekt bedeutsam ist. Hinsichtlich des räumlich-organisatorischen Aspekts ist inzwischen eine Klärung dahingehend erreicht worden, daß in jedem Fall der ganze Betrieb einbezogen werden muß, nicht aber der möglicherweise umfassendere Bereich des Unternehmens 135 • Früher wurde demgegenüber z. T. vertreten, daß bei mittleren und großen Betrieben eine Durchleuchtung der ganzen Belegschaft unter sozialen Gesichtspunkten praktisch unmöglich oder aber äußerst aufwendig und dem Arbeitgeber deshalb nicht zumutbar sei. Die Auswahl könne sich deshalb auf benachbarte Arbeitnehmer beschränken136 • Dabei wurde verkannt, daß sich für diese Beschränkung im Gesetz keine Stütze finden läßt und daß der höhere Aufwand der i. d. R. höheren Leistungs- und Belastungsfähigkeit größerer Betriebe entspricht. Die Argumentation verkennt darüber hinaus, daß unter dem qualifikatorischen Aspekt eine weitgehende Begrenzung der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer eintritt, die den Aufwand bei der sozialen Auswahl auch bei großen Betrieben begrenzt. Es muß keinesfalls die gesamte Belegschaft einbezogen werden, sondern nach h. M. nur die vergleichbaren Arbeitnehmer, d. h. die aufgrund ihrer gleichen Berufsbzw. Beschäftigungsgruppe austauschbar sind137 • Die Formulierung ist nicht eindeutig, gemeint aber sind offenbar die Art und die Anforderungen der Tätigkeiten am Arbeitsplatz und nicht der ausbildungsVgI. Hueck I Hueck § 1 RN 124 m. w. N. LAG Frankfurt v. 13. 11. 1957 AP Nr. 46 zu § 1 KSchG mit abI. Anm. v. Herschel; Müller, DB 1956, S. 965. Die abweichende Meinung von Müller, DB 1975, S. 2133, für die Fälle des Widerspruches des Betriebsrats, der Versetzbarkeit innerhalb des Unternehmens und bei gesteigerter Fürsorgepflicht z. B. bei Zusicherung einer Dauerstellung, beruht offensichtlich auf der Verwechslung mit der Versetzungspflicht, bei der in diesen Fällen eine Ausdehnung auf den Unternehmens bereich diskutiert wird, vgI. S. 49 f. 137 LAG Düsseldorf v. 12.3. 1967, BB 1967, S. 798; Hueck I Hueck § 1 RN 125; Müller, DB 1975, S. 2134; Becker-Schaffner, BIStSozArbR 1975, S. 110. 185 18G

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1. Teil: Wirksamkeit des 'Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen

bedingte Status. Angesichts der starken Ausdifferenzierung der Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen in der heutigen Produktionstechnik, die in der zunehmenden Bedeutung betriebsspezifischer Qualifikationen zum Ausdruck kommt, ist anzunehmen, daß danach auch bei großen Betrieben häufig nur wenige Arbeitnehmer zur Auswahl stehen. Nicht hinreichend geklärt erscheint die deshalb praktisch bedeutsame Frage, inwieweit auch solche Arbeitnehmer einbezogen werden müssen, deren Arbeitsplätze erst nach gewisser Einarbeitungs- bzw. Anlernzeit oder sogar erst nach entsprechender Umschulung oder Weiterbildung von einem anderen Arbeitnehmer eingenommen werden kÖnnen138• Es geht also um die parallele Fragestellung zur Versetzungspflicht auf einen anderen freien Arbeitsplatz, nur bezieht sie sich hier darauf, ob durch die Möglichkeit der Einarbeitung bzw. Umschulung der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer erweitert werden soll. Die Frage ist deshalb schwer zu entscheiden, weil es anders als bei der Versetzungspflicht nicht um eine zweiseitige Interessenabwägung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht, sondern zusätzlich um entgegenstehende Arbeitnehmerinteressen. Denn man wird davon ausgehen können, daß die nicht unmittelbar von der Rationalisierung bzw. dem Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer ein verständliches Interesse daran haben, daß der Kreis der zur Auswahl Stehenden nicht durch die Einbeziehung von Einarbeitungs- und Anlernmöglichkeiten oder gar Umschulungsmöglichkeiten ausgedehnt wird. Bei dieser Betrachtung besteht aber die Gefahr, daß die Einzelinteressen von Arbeitnehmern zu Lasten der Arbeitnehmerinteressen allgemein ausgespielt werden, ohne die Berechtigung der Einzelinteressen zu beachten. Festzuhalten ist demgegenüber, daß bei der betriebsbedingten Kündigung ,die Ursache außerhalb der Sphäre des einzelnen Arbeitnehmers liegt und deshalb aus Gerechtigkeitsüberlegungen die unmittelbar Betroffenen nicht eher belastet werden dürfen als die anderen Beschäftigten. Außerdem wird durch die Erweiterung des Kreises der einbezogenen Arbeitnehmer die Durchführung des Prinzips der sozialen Auswahl optimiert. Schließlich wirkt sich - wie dargelegt - eine konsequente Durchführung der sozialen Auswahl mittelbar möglicherweise zugunsten der Arbeitnehmer insgesamt aus. Letztlich geht es also doch um die Abwägung des betrieblichen Interesses an einer Beschränkung des Auswahlbereiches gegenüber dem mit der Sozialauswahl verfolgten allgemeinen Interesse. M. E. müßte die Entscheidung dahingehend fallen, daß die Notwendigkeit einer Einarbeitung oder Anlernung der Einbeziehung in die soziale Auswahl nicht 138

Zurückhaltend dazu Meisel, BB 1963, S. 1061.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

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entgegensteht, wohl aber die Notwendigkeit der Umschulung oder Weiterbildung, weil das eine kaum beschränkbare Komplizierung und Verzögerung des Verfahrens mit sich bringt, die dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist. Eine parallele Problematik hat größere Aufmerksamkeit gefunden, nämlich, ob auch die Arbeitnehmer unterer, d. h. schlechter bezahlter Beschäftigungsgruppen einbezogen werden müssen. Dazu hat das BAG in der Entscheidung vom 4. 12. 1959 139 festgestellt, daß der Arbeitgeber vor der Kündigung dem Arbeitnehmer kein entsprechendes Angebot machen müsse, mit der allerdings nicht sehr überzeugenden Begründung, daß er sich der Gefahr einer Zurückweisung seines Angebots nicht aussetzen müsse. Die zunächst offengelassene Frage, was bei entsprechender zum Ausdruck gebrachten Bereitschaft des Arbeitnehmers zu gelten habe, ist in der Entscheidung vom 13. 9. 1973 140 in übereinstimmung mit der Literaturmeinung 141 dahingehend beantwortet worden, daß dann die Arbeitnehmer dieser unteren Beschäftigungsgruppen mit berücksichtigt werden müssen. Diese Auffassung erscheint mir nicht ganz so unproblematisch wie allgemein angenommen. Zwar wird diese Lösung dem einzelnen Arbeitnehmer, der zur Herabstufung bereit ist, gerecht und erweitert in diesen Fallkonstellationen den Anwendungsbereich der sozialen Auswahl. Dabei bleibt außer Betracht, daß die unqualifizierten Arbeitnehmer sowieso stärker von Entlassungen bedroht sind142 , und daß diese Tendenz noch verstärkt würde, wenn das relativ geringere Arbeitsplatzverlustrisiko der Qualifizierten auch noch auf diese unterprivilegierten Gruppen verlagert werden könnte. Bei der jetzigen Arbeitsmarktlage könnte von dieser Möglichkeit häufiger Gebrauch gemacht werden, auch in der Form von Kettenreaktionen, bei denen das Arbeitsplatzrisiko jeweils auf die niedriger eingestufen Arbeitnehmer weitergegeben wird. Das würde auch für den Arbeitgeber unvorhersehbare Belastungen durch mehrfache Umsetzungen und Auswahlverfah·· ren bedeuten. Diese theoretisch möglichen Folgewirkungen scheinen praktisch aber kaum aufzutreten, zumindest ist die Problematik nicht erkennbar aktuell geworden. Die Bereitschaft zur Annahme eines schlechteren Arbeitsplatzes scheint gerade innerhalb eines Betriebes gering zu sein. 139 BAG v. 4. 12. 1959 AP Nr. 2 zu § 1 KSchG betriebsb. K., BI. 326 Roben; eine Begründung kann eher darin gesehen werden, daß in Zeiten der Vollbeschäftigung eine entsprechende Bereitschaft i. d. R. nicht gegeben ist, so daß ein Angebot überflüssig erscheint. 140 BAG v. 13. 9. 1973 AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 69 Leitsatz 3 und BI. 758. 141 Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 200; Hueck / Hueck § 1 RN 125; Meisel, BB 1963, S. 1061; Müller, DB 1975, S. 2134. 142 VgI. unten S. 118 ff.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor:betriebsbedingten Kündigungen

Hinzu kommt, daß die laienhaft gängige Vorstellung, höher Qualifizierte könnten ohne weiteres die Arbeit niedriger Eingestufter übernehmen, die Vorstellung also einer dem Ausbildungssystem entsprechenden Hierarchie beruflicher Fertigkeiten, nur für den handwerklichen Bereich zutrifft, aber nicht für den industriellen Arbeitsbereich, wo diskontinuierliche Qualifikationsstrukturen vorherrschen l43 • 2.4.3. Besondere Aufmerksamkeit gebührt der gesetzlichen Formulierung, daß die Erfordernisse der sozialen Auswahl zurückstehen müsse, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer bedingen. Vorrangig erscheint auch insoweit die Analyse der Rechtsprechung des BAG, die sich in mehreren Entscheidungen mit der Problematik beschäftigt hat, zumal diese Rechtsprechung von unterschiedlichen Meinungen für sich in Anspruch genommen wird. In der Tat erscheint die Position des BAG nicht eindeutig und widerspruchsfrei. Bereits in der ersten einschlägigen Entscheidung vom 13. 12. 1956 144 ist die Unklarheit in der Formulierung angelegt, daß die sozialen und betrieblichen Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müßten und daß die betrieblichen Interessen nur unter ganz besonderen Umständen Vorrang hätten146 • Daraus läßt sich nicht erkennen, ob die betrieblichen Interessen in jedem Fall eine modifizierende Auswirkung auf die soziale Auswahl haben sollen, wie es die Formulierung von der umfassenden Interessenabwägung nahelegt, oder ob nur besondere Umstände - was immer darunter zu verstehen ist - das Erfordernis der sozialen Auswahl relativieren oder sogar ganz zurückdrängen können. Diese Unklarheit bleibt auch noch in der Entscheidung vom 28. 3. 1957 146 bestehen, wenn festgestellt wird, daß bei der Auswahl soziale und wirtschaftliche Gesichtspunkte sorgfältig gegeneinander abzuwägen sind, und daß betriebliche Interessen nur dann ein größeres Gewicht haben, wenn sie die Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer bedingen, wobei "bedingen" nach dem Begründungszusammenhang nicht i. S. d. absoluten Notwendigkeit, sondern i. S. einer gewissen Dringlichkeit verstanden wird147 • Klarer i. S. d. Priorität der sozialen Auswahl ist die Entscheidung vom 20. 1. 1961 148, die überdies eine Verdeutlichung dahingehend bringt, daß 143 144 145 148

147 148

VgI. Lenhardt Leviathan 197'5, S. 375. BAG v. 13. 12. 1956 AP Nr. 5 zu § 7 KSchG. Leitsatz und BI. 525. BAG v. 28. 3. 1957 AP Nr. 25 zu § 1 KSchG. Leitsatz 1 und 2 und BI. 514. BAG v. 20. 1. 1961 AP Nr. 7 zu § 1 KSchG bbK.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

63

einfache betriebliche Interessen i. S. von reinen Nützlichkeitserwägungen nicht ausreichen, um die soziale Auswahl zu verdrängen, sondern nur solche Faktoren, die eine erhebliche Bedeutung für den geordneten und rentablen Betriebsablauf haben, d. h. von denen dieser Betriebsablauf in irgendeiner Form abhängig ist1 49 • Die Auffassung von einer grundsätzlichen Dominanz des Prinzips der sozialen Auswahl, die nur in Ausnahmefällen von betrieblichen Interessen durchbrochen werden kann, wird in der Literatur nur von einer Minderheit vertreten150 • überwiegend wird demgegenüber nur auf die vom BAG geforderte Interessenabwägung abgestelltl5l, wobei entweder den betrieblichen oder aber den sozialen Interessen Vorrang eingeräumt wird152 • Danach könnten in jedem Fall gegenüber der sozialen Auswahl betriebliche Interessen geltend gemacht werden, ohne daß für die Abwägung konkrete Entscheidungsmaßstäbe gegeben werden. Die Schwierigkeiten bei der Behandlung des Problems überraschen nicht, wenn man berücksichtigt, daß die Problemstruktur die gleiche ist wie bei der Kontrolle der unternehmerischen Dispositionsentscheidungen und der Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen. Auch hier geht es darum, inwieweit sich soziale Gesichtspunkte gegenüber wirtschaftlichen Interessen des Betriebs durchsetzen können. Dieser Problemzusammenhang wird hier allerdings nicht erkannt bzw. thematisiert, er zeigt sich aber daran, daß wieder auf den Lösungsansatz der Interessenabwägung zurückgegriffen wird. Diese Parallelität der Problematik wird im Grunde auch schon in der gesetzlichen Regelung erkennbar: So wie das soziale Prinzip der Erhaltung des Arbeitsplatzes nur bei dringenden betrieblichen Erfordernissen durchbrochen werden darf, so darf das soziale Prinzip der sozialen Auswahl nur verdrängt werden, wenn dringende betriebliche Interessen eine abweichende Entscheidung bedingen. Die Tendenz zur Relativierung der sozialen Auswahl durch entgegenstehende betriebliche Interessen ist häufig mit dem Hinweis auf die Begründung zum Entwurf des Kündigungsschutzgesetzes gestützt worden l53 , wonach Hilfsarbeiter vor Facharbeitern, Entbehrliche vor Leitsatz 3 und BI. 770 R. VgL LAG Hamburg v. 13. 2. 1952 AP 52 Nr. 232 und Müller, DB 1975, S.2134. 151 LAG Düsseldorf v. 5. 7. 19W, DB 1960, S. 1102/3; Auffarth / Müller § 1 RN 237; Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 100; Hueck / Hueck § 1 RN 117; Herschel / Steinmann § 1 RN 46; Meisel, BB 1963, S. 1062/3; Monjau, RdA 1959, S.9. 152 VgL LAG Frankfurt v. 13. 11. 1957 AP Nr. 46 § 1 KSchG für Vorrang des betrieblichen Interesses; Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, S. 100 für Vorrang der Sozial auswahL 153 BT-Drucksache 1949, Nr. 2090, S. 12. 149

150

64 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen Unentbehrlichen und bei erheblichen Leistungsunterschieden der Leistungsschwächere entlassen werden können. M. E. kann dieser Hinweis aber die Entscheidung zum Problem nicht präjudizieren. Abgesehen von der offenen Frage der Relevanz des sog. gesetzgeberischen Willens, zumal nach so langer Zeit und angesichts des Umstandes, daß es sich nur um die Begründung des Regierungsentwurfs handelt, muß berücksichtigt werden, daß die zitierte Formulierung so problematisch und unklar ist, daß sich daraus überhaupt keine inhaltlich schlüssige Lösung des Problems ableiten läßt. Denn danach müßte in den genannten Fällen nicht einmal eine Interessenabwägung vorgenommen werden, sondern die betrieblichen Interessen hätten grundsätzlich Vorrang. Auch die übrigen Beispiele sind wenig erhellend, denn Hilfsarbeiter und Facharbeiter stehen i. d. R. wegen mangelnder Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze nicht zur Auswahl und die Unterscheidung von Entbehrlichen und Unentbehrlichen gibt für die konkrete Fallentscheidung nichts her. 2.4.4. Neben der materiellrechtlichen Ausgestaltung der Frage ist auch bei der sozialen Auswahl die Zuordnung der Darlegungs- und Beweislast von erheblicher Bedeutung, und zwar nicht nur, weil der einzelne Arbeitnehmer nur schwer die relevanten Daten ermitteln und würdig~n kann, sondern zusätzlich deshalb, weil es für ihn eine z. T. erhebliche psychische und soziale Belastung bedeutet, andere Arbeitnehmer als weniger schutzbedürftig zu benennen und damit zu versuchen, das Entlassungsrisiko auf sie zu verlagern. Die Regelung des Gesetzes zu dieser Problematik beinhaltet zum einen die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers dafür, daß bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden sind, was nicht nur die Darlegung der eigenen schlechten Lage erforderlich macht, sondern auch die der weniger schutzbedürftigen anderen Arbeitnehmer l54 • Der Arbeitgeber hat demgegenüber nur die etwaigen entgegenstehenden betrieblichen Gründe darzulegen155 • Hinzu kommt aber die durch das 1. Arbeitsrechtsbereinigrundgesetz eingefügte Bestimmung des § 1 Abs. 3 Satz 1 2. HS KSchG, daß der Arbeitgeber auf Verlangen die Gründe anzugeben hat, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Es ist zu Recht anerkannt, daß diese Begründungspflicht auch etwaige entgegenstehende betriebliche Gründe umfaßt156, weil anderenfalls der Arbeitnehmer geradezu zu aussichtslosen Prozessen verführt werden könnte. Es fragt sich, in154 BAG v. 30. 11. 1956 AP Nr. 26 zu § 1 KSchG mit Anm. von Schnorr von Carolsfeld; BAG v. 25. 6. 19 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG betriebsb. K. BI. 1000 R; Hueck I Hueck § 1 RN 151 m. w. N. 155 BAG v. 28. 3. 1957 AP Nr. 25 zu § 1 KSchG Leitsatz 3. 158 Statt anderer Hueck I Hueck § 1 RN 130.

2. Konkretisierung der Voraussetzungen einer Kündigung

65

wieweit die Beweislast des Arbeitnehmers für die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl durch die Begründungspflicht des Arbeitgebers wirksam kompensiert wird. Die Begründungspflicht des Arbeitgebers, die entsprechend auch für § 626 BGB eingeführt worden ist, sollte dem Arbeitnehmer die Einschätzung der Erfolgsaussichten des Kündigungsschutzprozesses erleichtern167 • Sie war zuvor schon von der Rechtsprechung für die außerordentliche Kündigung als Ausfluß der Fürsorgepflichtgefordert worden. Ebenso wie nach dieser Rechtsprechung158 sollte durch diese gesetzliche Regelung weder die Beweislastverteilung geändert werden, noch sollte der Verstoß gegen die Begründungspflicht die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge habeni59 • Davon ausgehend ist die Stellung des Arbeitnehmers im Ergebnis nicht wesentlich verbessert worden. Es bleibt das Risiko, innerhalb der Dreiwochenfrist keine oder eine unzureichende Begründung der sozialen Auswahl zu erhalten. Läßt er sich dadurch von der Erhebung der Klage abhalten, ist der Arbeitsplatz endgültig verloren, weil selbst ein etwaiger Schadensersatzanspruch nicht zur Wiedereinstellung führen k:ann I60 • Aber auch der andere Weg der Klageerhebung ist nicht ohne Beschwernis. Die fortdauernde Verweigerung der Begründung kann zwar nach dem Grundsatz der Beweislastverteilung zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dem Arbeitnehmer droht aber im Falle der verspäteten, aber überzeugenden Begründung der sozialen Auswahl durch den Arbeitgeber die Belastung mit den Gerichtskosten, deren Erstattung er als Schadensersatzanspruch - ggf. im Wege d~r Klage - erreichen muß. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß die Begründungspflicht des Arbeitgebers die Beweislast des Arbeitnehmers für die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl nicht ausreichend entschärft, zumal angesichts der aufgezeigten Vielfalt der zu berücksichtigenden Umstände und der Unklarheit der Entscheidungsmaßstäbe letztlich doch der Arbeitnehmer entscheidende neue Umstände oder andere Personen oder Personengruppen ausfindig machen und benennen muß, um die Auswahl in Frage zu stellen, und auch echte Zweüelsfälle, die zu Lasten des Arbeitnehmers gehen, nicht ungewöhnlich erscheinen. Wenn sich dieses Ergebnis auch de lege lata nicht ändern läßt, so ist doch rechtspolitisch unverständlich, weshalb die Begründungspflicht im vorprozessualen Raum nicht ihre Fortsetzung als Darlegungs- und BeBT-Drucksache V!4376 Ausschußbericht s. 2. BAG v. 30. 1. 1963, BAGE 14, 65 (67 f.). 159 Vgl. Anm. 157 und Hueck ! Hueck § 1 RN 129. 160 Hueck! Hueck § 1 RN 129; kritisch zu dieser Regelung Knütel, NJW 1970,122 f. 157 158

5 Wolter

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen

weislast im prozessualen Bereich gefunden hat. Das wäre interessengerecht, weil es den Arbeitgeber, der die Entscheidung über die soziale Auswahl zu treffen hat, nicht unzumutbar belastet, während der Arbeitnehmer auch dann noch der Belastung ausgesetzt ist, das Entlassungsrisiko auf andere Arbeitnehmer übertragen zu müssen. Eine günstigere Position des gekündigten Arbeitnehmers schon nach geltendem Recht ergibt sich aber mittelbar aUS kollektivrechtlichen Bestimmungen, soweit es sich um einen Betrieb mit Betriebsrat handelt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist nunmehr anerkannt1 6 1, daß die Anhörungspfiicht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich auch die Gründe für die soziale Auswahl umfaßt. Einschränkend geht das Bundesarbeitsgericht aber davon aus, daß das Fehlen entsprechender Darlegungen die Kündigung nicht unwirksam macht, sondern den Betriebsrat lediglich berechtigt, die Begründung nachzufordern. Die Wochenfrist für die Stellungnahme des Betriebsrats wird allerdings dadurch unterbrochen, d. h. sie beginnt mit Zugang der geforderten Begründung für die soziale Auswahl neu. In den Händen eines aufmerksamen Betriebsrats wird nach dieser Rechtsprechung die Anhörungspfiicht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ein wirksames Instrument, um vor der Klageerhebung die Berechtigung der sozialen Auswahl anhand der Begründung des Arbeitgebers überprüfen zu können. Das relativiert aber keineswegs die rechtspolitische Notwendigkeit, diesen Schutz unabhängig von den Rechten des Betriebsrats individualrechtlich zu begründen. 2.4.5. Das zweite Element der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung, die soziale Auswahl der Arbeitnehmer, hat nicht nur vom gesetzlichen Normbestand, sondern auch in der Konkretisierung durch die herrschende Meinung eine stärkere Ausprägung erhalten als die überprüfung der Entscheidung über die Notwendigkeit und den Umfang von Entlassungen. Trotzdem bleibt zusammenfassend auf einige Punkte hinzuweisen, die die Wirksamkeit des Schutzes erheblich relativieren: zum einen die im einzelnen unklare, aber tendenziell weitgehende Berücksichtigung entgegenstehender betrieblicher Interessen und zum anderen die Komplexität der dadurch erforderlichen Wertungen, wobei nicht nur die verschiedenen Merkmale aufgeklärt und bei der Gegenüberstellung mehrerer Arbeitnehmer gewichtet werden müssen, sondern zusätzlich noch eine Abwägung mit entgegenstehenden nicht unmittelbar quantitativ oder qualitativ vergleichbaren Interessen stattfinden soll. Das Ergebnis der weitgehend zugestandenen gerichtlichen überprüfung ist deshalb kaum vorhersehbar, was sich eher als Schwelle für die Arbeitnehmer auswirken wird, ihre Rechte auch konsequent bis zur gerichtlichen Entscheidung verfolgen zu wollen. Mehr auf der praktischen Ebene liegen auch die Schwierigkeiten für 161

BAG v. 6. 7.1978, BB 1979, S. 627.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

67

die Verwirklichung der sozialen Auswahl, die durch die Beweislastverteilung begründet sind, oder dadurch, daß ein Arbeitnehmer Hemmungen hat, zu Lasten anderer Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu behaupten, und daß der Richter die ihm zugestandene, aber schwierige eigene Wertung und Abwägung eher zurückhaltend und in Anlehnung an die Arbeitgeberentscheidung vollzieht. 3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen des Arbeitsgerichts Hamburg Das bisher erarbeitete Bild einer komplizierten und in vielen entscheidenden Punkten nicht eindeutigen Auslegung der Regelung zur betriebsbedingten Kündigung fordern eine ergänzende rechtstatsächliche Analyse geradezu heraus. Die Einschätzung der Wirksamkeit des Kündigungsschutzes ist unvollkommen, bevor man keine fundierte Vorstellung davon entwickelt hat, wie die angesprochenen Probleme in der Praxis bewältigt werden, wie z. B. die verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen, zum Teil unklaren Lösungsansätze zur Überprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen in die Praxis hineinwirken, welche Aspekte der sozialen Rechtfertigung und welche Fallkonstellationen besonders relevant sind und wie und mit welchen Ergebnissen Kündigungsschutzverfahren typischerweise ablaufen. Diese Fragen konnten nicht anhand der veröffentlichten Urteile geklärt werden, und zwar nicht nur wegen der relativ geringen Zahl und fehlenden Repräsentativität dieser Auswahl von Urteilen, sondern insbesondere wegen der starken Verkürzung oder gar des Fehlens des zugrundeliegenden Sachverhalts und der fallbezogenen Argumentation. Diesen Fragestellungen konnte nur eine rechtstatsächliche Untersuchung gerecht werden, wobei angesichts der fehlenden Vorarbeiten und der insoweit schlechten Forschungsbedingungen für Juristen nur begrenzt aussagekräftige Ansätze einer empirischen Analyse möglich waren. Um einen repräsentativen Einblick zu bekommen, habe ich alle Urteile des Arbeitsgerichts Hamburg über betriebsbedingte Kündigungen von zwei Jahrgängen zu sammeln versucht. Die Entscheidung für im Jahre 1967 bzw. 1974 anhängig gemachte Verfahren begründet sich zum einen pragmatisch damit, daß nur abgeschlossene Akten zur Verfügung gestellt werden konnten, zum anderen inhaltlich damit, daß ich in diesen Jahren aufgrund der jeweiligen wirtschaftlichen Situation eine größere Zahl von Verfahren über betriebsbedingte Kündigungen erwarten konnte und daß der zeitliche Abstand von sieben Jahren Aufschluß über mögliche Entwicklungen in der Praxis geben konnte. Bei nahezu lückenlosen Recherchen habe ich insgesamt nur 117 Urteile für die beiden Jahrgänge ausfindig machen können, und zwar 37

68

1. Teil:

Wirksamkeit des Schutzes vorbetriebsbedingten Kündigungen

aus 1967 und 80 aus 1974. Dieses rechtstatsächliche Material ist zum einen mehr inhaltlich daraufhin ausgewertet worden, wie die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung in der Praxis gehandhabt und konkretisiert werden, und zum anderen mehr statistisch zu Fragen der Bedeutung, des Ganges und der Ergebnisse von Kündigungsschutzverfahren. 3.1. Die Darstellung der Entscheidungspraxis muß zum einen den Bezug zur theoretischen Diskussion aufrechterhalten, was eine eher systematische Gliederung nahelegt, zum anderen aber muß sie die Eigengesetzlichkeiten der Praxis aufzeigen, zumal durchgängig - allerdings 1967 noch stärker als 1974 - in den Urteilen keine Bezugnahmen oder gar Auseinandersetzung mit den sonst vertretenen Positionen stattfand. Das sprach für eine stärker einzelfall- oder fallgruppenorientierte Analyse. Dieses Spannungsverhältnis soll hier in der Form gelöst werden, daß eine grobe systematische Gliederung der Darstellung zugrundegelegt wird, die unterscheidet zwischen der Aufklärung und Würdigung der wirtschaftlichen Hintergründe der Entlassung, die mit der Frage der überprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen korreliert, den auch in der Praxis auftauchenden Aspekt des tatsächlichen Wegfalls des Arbeitsplatzes und der Verpflichtung zur Vermeidung der Entlassung durch andere Maßnahmen. Aus Platzgründen können die Entscheidungen nicht einzeln referiert und analysiert werden. Um trotzdem eine möglichst plastische und zugleich repräsentative Vorstellung von der Praxis zu bekommen, wird zusätzlich eine fallgruppenorientierte Betrachtung eingeführt: Die verschiedenen Lösungsansätze können dabei besser verglichen und an einzelnen Entscheidungen exemplifiziert werden. Das Fallmaterial machte die Beschränkung auf im wesentlichen zwei Fallgruppen möglich: die technischen und organisatorischen Rationalisierungen einerseits, die primär auf die Verbesserung des Produktions- oder Leistungsapparates ausgerichtet sind, und die Personalabbaumaßnahmen andererseits, bei denen es primär um die Anpassung des Personalbestandes an die veränderte Beschäftigungslage geht. 3.1.1. Bei der Darstellung der Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Hamburg im Hinblick auf die Aufklärung und Würdigung der wirtschaftlichen Hintergründe der Entlassung soll aus den genannten Gründen zwischen der Fallgruppe der Rationalisierung bzw. des Personalabbaus unterschieden werden. 3.1.1.1. Zunächst werden Fälle behandelt, die der Fallgruppe der Rationalisierung zuzuordnen 'sind. 3.1.1.1.1. Bei den sechs einschlägigen Entscheidungen162 aus dem Jahre 1967, die mit einer Ausnahme HI3 Fälle organisatorischer Rationalisierun-

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

69

gen betreffen, sind inhaltlich keine Unterschiede zur Frage der Aufklärung und Würdigung der wirtschaftlichen Hintergründe erkennbar. Durchgängig findet sich insoweit keine überprüfung. Ein Unterschied ist nur darin zu erkennen, daß ein Teil der Entscheidungen dies mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Freiheit der Unternehmerentscheidung begründet164 , während im übrigen gar keine verbale Auseinandersetzung mit der Problematik erfolgt165 , was sowohl als stillschweigende Anwendung dieses Prinzips interpretiert werden kann, aber auch als konkludente Wertung der Maßnahme als zweckmäßig bzw. notwendig. Zu der ersten Gruppe gehört die Entscheidung 7/67 166 : Ein aLs Einkaufs-Verbund bezeichnetes Unternehmen hatte im Rahmen einer innerbetrieblichen organisatorischen Rationalisierung die Hausdruckerei als selbständige Abteilung au:llgelöst und der Abteilung "Marketing und Werbung" unterstellt, wodurch der Arbeitsplatz des Leiters der Hausdruckerei entfallen war. nie von den Partnern unterschiedlich bewertete Frage der Notwendigkeit bzw. Zweckmäßigkeit der Maßnahme, d. h. ob tatsächlich weniger Druckarbeiten anfielen und deshalb eine Einschränkung des Fachpersonals sinnvoll sei bzw. ob die Einschränkung der Hausdruckerei wegen der Möglichkeit der Vergabe von Druckaufträgen an fremde Firmen wegen schwankenden Bedarfs günstiger sei, ließ das Gericht mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf offen, daß es allein darauf ankomme, daß die Rationalisierung als unternehmerische Entscheidung tatsächlich durchgeführt worden und der Arbeitsplatz deshalb weggefallen sei. Als Beispiel der zweiten Gruppe mag die Entscheidung 5/67 dienen: Ein Verla,g hatte einen kleineren und an einem anderen Ort ansässigen anderen Verlag übernommen und wollte diesen Betrieb mit Ausnahme des Lektorats an den eigenen Sitz verlagern. Das führte zur Kündigung einer bereits 30 Jahre lang im übernommenen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerin. Die Rentabilitätsgründe, die für eine solche Zusammenlegung sprechen, liegen auf der Hand; das Gericht hat aber nicht zu erkennen gegeben, ob es darauf abstellt, oder unabhängig davon die Entscheidung in jedem F'all billigen würde. Bemerkenswert ist auch, daß in dieser wie auch in den anderen Entscheidungen die Interessenabwägung i. S. d. Abwägung der betrieblichen Vorteile und der sozialen Nachteile für den betroffenen Arbeitnehmer gar nicht angesprochen wird. Der einzige Fall einer technischen Rationalisierung (E 5/67) ist insoweit ungewöhnlich, als nach der Fallkonstellation zweifelhaft sein konn182 E 5/67, E 7/67, E 17/67, E 19/67, E 20/67, E 21/67; zur Kennzeichnung der herangezogenen Urteile des Arbeitsgerichts Hamburg vgl. die Übersicht auf Seite 198 ff.

183 164

1" 158

E 5/67. E 7/67, E 21/67. E 5/67, E 17/67, E 19/67, E 20/67.

Zur Kennzeichnung vgl. Anm. 162.

70 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigun.gen te, ob wirklich die technische Disposition der Grund für die Kündigung war oder nur vorgeschoben war. Ein Spediteur hatte :rur sein Lager einen Gabelstapler angeschafft, und zwar nach seiner Aussage in der Erwartung, dadurch Arbeitskräfte einzusparen. Die entsprechende Kündigung erfolgte aber erst, als ein Arbeitnehmer erkrankt war und ,sich dabei gezeigt hatte, daß die Arbeit auch ohne ihn zu bewältigen war. Es spricht einiges dafür, daß der Fall nur wegen dieser Besonderheit bis zur Entscheidung gekommen ist, während sonst technische Rationalisierungen in dem Fallmaterial nicht auftauchen. 3.1.1.1.2. Die Entscheidungen aus dem Jahr 1974 liefern nicht nur absolut, sondern auch relativ eine größere Anzahl von Urteilen zu Rationalisierungsmaßnahmen als 1967. ;Auffallend ist die bereits bei den Entscheidungen von 1967 angesprochene Tendenz, daß von den insgesamt 21 einschlägigen Entscheidungen alle organisatorische und nicht technische Rationalisierungen betreffen, ein Umstand, der sicher nicht auf das Fehlen technischer Rationalisierungen in Krisenzeiten zurückgeführt werden kann167, sondern entscheidend darauf, daß davon betroffene Arbeitnehmer nicht zuletzt wegen der Aussichtslosigkeit der inhaltlichen überprüfung solcher Entscheidungen gar nicht erst zu Gericht gehen bzw. sich mit einem Abfindungsvergleich zufriedengeben. Wichtiger aber erscheint mir der Umstand, daß 1974 im Gegensatz zu 1967 Ansätze einer inhaltlichen überprüfung der organisatorischen Rationalisierungen erkennbar sind. Neben Entscheidungen, die wie 1967 die Maßnahme des Arbeitgebers entweder unter ausdrücklichem Bezug auf das Prinzip der unternehmerischen Freiheit oder aber konkludent ohne weiteres hinnehmen168, gibt es eine größere Zahl von Entscheidungen, in denen die wirtschaftlichen Hintergründe aufgeklärt und ansatzweise gewertet werden169 • Unabhängig von diesen Positionen gibt es aber in Einzelfällen eine andere, m. E. bedenkliche Praxis, mit der Problematik fertig zu werden: Wenn der Arbeitnehmer den Vortrag des Arbeitgebers nicht substantiiert bestreitet, wird das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Grundes als unstreitig behandelt1 70• Auch die Entscheidung 59/74 läßt eine mangelnde Trennung zwischen Tatsachenbehauptungen und rechtlicher Würdigung erkennen. Vgl. unten S. 116 f. E 13174, E 15/71, E 33/74, E 46174, E 75174, E 71/74, E 78/74. 169 E 12174, E 21/74, E 22/74, E 24174, E 26/74, E 29/74, E 34174, E 36174, E 37174, E 54174, E 66174, E 20/74, E 39174, E 45174. 187

168

170

E 64174.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

71·

Eine Nußvertriebsgesellschaft hatte 28 von 63 Verkaufsständen in Kauflhäusem mit der Begründung eines konjunkturellen Umsatzrückganges stillgelegt und deshalb u. a. die Klägerin entlassen. Das Gericht akzeptiert diese Kündigung mit dem ausdrück1ichen Hinweis darauf, daß die Klägerin in der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr in Abrede gestellt hat, daß der Arbeitgeber wegen der Geschäftslage genötigt war, die Stillegungen und Entlassungen durchzuführen. Festzuhalten ist demgegenüber, daß die Erklärungspflicht und die sich daran gemäß § 138 ZPO knüpfenden Rechtsfolgen sich auf Tatsachenbehauptungen beschränkt und nicht auf die rechtliche Würdigung dieser Umstände ausgedehnt werden darf, die dem Gericht vorbehalten bleibt l7l • Damit soll nicht in Frage gestellt werden, daß eine mehr oder weniger abstrakte Begründung der Maßnahme ausreichen kann, wenn der Arbeitnehmer diesem Aspekt erkennbar keine Bedeutung zukommen läßt. Auch diese Konstellation entbindet das Gericht aber nicht von der Verpflichtung, diese gegebenenfalls pauschalen Angaben unter dem rechtlichen Aspekt des dringenden betrieblichen Erfordernisses zu würdigen und - falls die Angaben als Entscheidungsgrundlage nicht ausreichen - seinerseits auf Substantiierung zu drängen. Die hier beschriebene Tendenz ist m. E. nicht nur Ausdruck einer Ungenauigkeit, sondern ist auch auf die Unsicherheit im Umgang mit der Frage der überprüfbarkeit von unternehmerischen Entscheidungen zurückzuführen, die so und auf andere Weise17! gern umgangen wird. Von den sieben Entscheidungen, die ähnlich wie 1967 die Rationalisierung ohne weiteres akzeptierten, seien hier nur zwei Beispiele skizziert, die diese Position problematisch erscheinen lassen können. In der E 75/74 war das technische Büro eines Bauunternehmens in der zweiten Jahreshälfte 1974 personell von 14 auf 9 Angestellte eingeschränkt worden, wovon u. a. der Kläger als Bauingenieur betroffen war. Die primäre Begründung dieser Entlassung, daß die Zahl der gewerblichen Arbeitnehmer aufgrund rückläufigen Umsatzes um 30 Ufo reduziert worden sei und daß der Personalbestand im technischen Büro dem angepaßt werden müsse, wurde weder aufgeklärt noch gewürdigt, weil das Gericht diese Maßnahme aufgrund der zusätzlichen, an sich alternativen Begründung, daß die technische Bearbeitung eines neuen großen Bauvorhabens aus Kapazitäts- und Kostengründen an ein fremdes Ingenieurbüro vergeben werde, als nicht überprüfbare Unternehmerentscheidung i. S. einer organisatorischen Rationalisierung klassifizierte. Hier zeigt sich die Gefahr, daß organi,satorische Rationalisierungen und Personalabbau wegen Beschäftigungsrückganges, der häufig auch organisatorische Änderungen zur Folge hat, faktisch nicht hinreichend auseinandergehalten werden. Auch die E 46/74 illustriert, wie durch die Begründung der Maßnahme der Umfang der überprüfung durch das Gericht beeinfiußt werden kann. Dort Rosenberg-Schwab, 12. Aufl., 1977, § 117 I a, S. 627 f. Etwa dadurch, daß - zulässigerweise - die Entscheidung auf andere Gründe gestützt wird: E 1/67, E 37/67. 171

17!

72 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen war zur Begründung einer Änderungskündigung der Fakturistin im Verkaufsbüro des Auslieferungslagers einer Photogroßhandlung, die die Umstellung von der Ganztagsbeschäftigung zur Halbtagsbeschäftigung beinhaltete, allein auf die Weisung der an ein€m and€ren Ort ansässigen Zentrale abgestellt worden, Personalkosten einzusparen. Diesen VOl'gang sah das Gericht als Rationalisierung an, die abgesehen von Fällen eines groben Mißverhältnisses zwischen betrieblichen Vorteilen und sozialen Nachteilen nicht überprüfbar S€i. Das Abstellen auf die Weisung der Z€ntrale bewirkte also, daß weder die wirtschaftlichen Hintergründe noch die Zielsetzung der Maßnahme aufgeklärt wurde, bei der es sich offensichtlich nicht um eine Rationalisierung, sondern um einen Personalabbau wegen der Umsatz- bzw. Rentabilitätsentwicklung handelte. Besonders wichtig erscheint die Analyse der Entscheidungen, die Ansätze einer überprüfung erkennen lassen, wobei insbesondere die Aspekte, die aufgeklärt wurden, und die Maßstäbe, anhand deren die Bewertung vorgenommen wurde, interessieren. Für diese exakten Fragestellungen geben die Entscheidungen nichts her, in denen das Gericht der Klage stattgegeben hat, weil der Arbeitgeber außer dem Umstand der Rationalisierung nichts zur Begründung dieser Maßnahmen vorgetragen hatte173 • Daraus läßt sich nur erkennen, daß überhaupt eine Darlegung der wirtschaftlichen Hintergründe erforderlich ist, nicht aber, worauf sie sich beziehen muß und an welchen Maßstäben diese Angaben gemessen werden. Bemerkenswert ist dabei die E 34/74, in der der Arbeitgeber auf die Begründung verzichten zu können glaubte, weil ein Sozialplan erstellt worden war, in dem der Kläger namentlich genannt war174• Das Gericht hielt demgegenüber den Sozialplan zwar für ein Indiz für die soziale Rechtfertigung der Kündigung, aber allein nicht für eine ausreichende Begründung. Aber auch die anderen Entscheidungen, die teils auf die Umsatzentwicklung175 und teils auf die Rentabilitätsentwicklung176 abgestellt haben, tragen nur begrenzt zur Klärung der Entscheidungsmaßstäbe bei, und zwar insbesondere wegen ihres Charakters als Einzelfallentscheidungen. Daraus läßt sich i. d. R. nur ablesen, daß eine bestimmte wirtschaftliche Situation als sozial rechtfertigender Grund anerkannt wird oder nicht, nicht aber, wo die Grenzlinie zwischen wirksamer und unwirksamer Kündigung verläuft. So lagen in vier der fünf Fälle, in denen die Umsatzentwicklung zur Begründung der Entlassung in Frage stand, offenbar gravierende wirtschaftliche Schwierigkeiten vor177 • In den EntE 26174, E 29174, E 34174. M. E. ist das überhaupt kein zulässiger und verbindlicher Inhalt des Sozialplans, scheint aber durchaus üblich zu sein, vgl. Ochs, S. 226 ff. 175 E 12/74, E 21/74, E 22/74, E 54/74, E 66174. 178 E 24174, E 36/74, E 37/74. 177 Im Fall 12174 wurde das betroffene Einzelhandelsgeschäft noch während des Prozesses endgültig illiquide, im Fall 22V74 waren Umsatzeinbußen 178

174

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

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scheidungsgründen gibt es aber keinen Hinweis darauf, daß die Lage entsprechend schlecht sein muß, um Entlassungen vornehmen zu können. Das wird durch die Entscheidung 66/74 bestätigt: Dabei ging es um die Einsparung des Arbeitsplatzes einer Personalkartenführerin eines Autohandels- und Reparaturunternehmens, deren Aufgabenbereich durch eine andere Arbeitskraft miterledigt werden sollte. Da der zu betreuende Personenkreis durch Personalabbau lediglich von 79 auf 61 reduziert worden war, bedeutete das im Ergebnis nicht nur eine Kompensation des verringerten Arbeitsanfalls in diesem Bereich, sondern eine überproportionale Einsparung von Arbeitskräften. Wohl deshalb stellt das Gericht in seiner Begründung auch darauf ab, daß der Arbeitgeber durch personelle Einsparungen den Betrieb so wirtschaftlich wie möglich gestalten könne. Bei dieser Argumentation bedarf es für Rationalisierungsmaßnahmen überhaupt keiner negativen Veränderung der wirtschaftlichen Grundlagen des Betriebes, die durch die Maßnahme ausgeglichen werden soll. Die gleichen Einschränkungen gelten für die Interpretation der drei Entscheidungen, die zur Begründung der betrieblichen Notwendigkeit nicht auf die Umsatz-, sondern die Rentabilitätsentwicklung abstellen178 • Aus dem Umstand, daß jeweils offenbar für den Betrieb eine schwierige wirtschaftliche Situation gegeben war, läßt sich nicht schließen, daß anderenfalls die Rationalisierungsmaßnahmen nicht gerechtfertigt wären. Immerhin ist es bemerkenswert, daß auch in den Entscheidungsgründen die jeweilige wirtschaftliche Situation skizziert und daraus die soziale Rechtfertigung der Maßnahme gefolgert wird. Es wird in den drei Entscheidungen nicht einfach, wie es nach dem theoretischen Meinungsstand an sich möglich ist, unter Berufung auf die unternehmerische Freiheit von den wirtschaftlichen Hintergründen abstrahiert. 3.1.1.2. Bei dem Versuch der Darstellung der absolut und relativ häufigen Fälle von Personalabbau hat sich als gangbarer Weg erwiesen, nach der Intensität der Aufklärung des zugrundeliegenden wirtschaftlichen Sachverhalts zu differenzieren. Die an sich naheliegende Unterscheidung nach dem Maßstab der überprüfung war nicht durchführbar, weil die Entscheidungskriterien häufig nicht oder nicht konkret benannt waren. Zudem zeigte sich eine gewisse Interdependenz zwischen der Intensität der Aufklärung und den Anforderungen an die wirtschaftlichen Grundlagen von Personalreduzierungen, so daß dieses Vorgehen im Ergebnis auch eine Aufklärung der Entscheidungsmaßstäbe ermöglichte179 •

von 50 % die Ursache für die Auflösung der kaufmännischen Abteilung einer Zweigniederlassung und im Fall 54/74 wurde die Rationalisierung der Schreibabteilung einer Baufirma mit dem Umsatzrückgang von 10 auf 2,3 Häuser monatlich begründet. 178 Vgl. Anm. 176. m Dar arbeitsökonomisch bedingte Abstellen im Regelfall auf den Inhalt des Urteils brachte sicher Verkürzungen und Abstrahierungen des Sachver-

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

3.1.1.2.1. Die Entscheidungen des Jahres 1967 können grob danach unterschieden werden, ob sie sich mit einer mehr oder weniger abstrakten Skizzierung des wirtschaftlichen Sachverhalts zufriedengeben, die auf eine Würdigung unter dem Aspekt der betrieblichen Notwendigkeit weitgehend verzichtet, oder ob sich ausgeprägte Ansätze einer datenmäBigen Aufklärung der Beschäftigungsschwankungen finden lassen. Zuvor sei aber darauf hingewiesen, daß sich auch in dieser Fallgruppe Beispiele finden lassen für den problematischen Ansatz, die Frage des dringenden betrieblichen Erfordernisses als unstreitig zu behandeln 180 • Noch zweifelhafter ist der von der Entscheidung 13/67 beschrittene Weg, der die Tatsache von Entlassungen mit der normativ zu bewertenden sozialen Rechtfertigung der Entlassung gleichsetzt. Die umfangreiche Reduzierung des Personalbestandes, so argumentiert das Gericht, lasse den Schluß zu, daß der Arbeitgeber sich wegen Arbeitsmangels von einem Teil der Arbeitnehmer habe trennen müssen. Die Gruppe der Entscheidungen ohne konkrete Aufklärung der wirtschaftlichen Hintergründe l8l soll hier nicht näher untersucht werden, weil sich nicht immer klären läßt, inwieweit dieser Umstand auf die Auffassung des Gerichtes, die Notwendigkeit von Personaleinsparungen nicht überprüfen zu dürfen, oder aber auf eine vom Kläger nicht angegriffene abstrakte Begründung der Kündigung oder gar nur auf entsprechende Verkürzungen bei der Abfassung des Urteils zurückzuführen ist. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß die zurückhaltende Einstellung des Gerichts zur überprüfbarkeit von Personalreduzierungen der entscheidende Faktor ist, weil anderenfalls eine stärkere Aufklärung des Sachverhalts erfolgt wäre, und i. d. R. dann auch, wenn auch in verkürzter Form, im Urteil seinen Niederschlag gefunden hätte. Zu dieser Gruppe der unkritischen Akzeptierung der Personalreduzierungen können auch die Entscheidungen gerechnet werden, in denen ohne Zugrundelegung exakter betriebswirtschaftlicher Daten allgemeine Plausibilitätsgesichtspunkte zusammengetragen werden, die eine eigenständige Bewertung der wirtschaftlichen Notwendigkeit nicht erkennen lassen l82 • So wird in der Entscheidung 25/67 die Entlassung einse Bauarbeiters vom Gericht mit dem Hinweis auf ganz heterogene Einzelaspekte gerechtfertigt: daß nämlich eine Baustelle ausgelaufen sei, daß zwei erwartete Aufträge nicht erteilt worden seien, daß zwei krankheitsbedingte Ausfälle von Arbeitskräften beendet seien, und daß in Baufirmen zur Winterzeit üblicherhalts mit sich, zeigte aber andererseits deutlich die Bedeutung, die den Fakten nach der Auffassung des Gerichtes zukamen. 180 E 11167, E 29/67, vgl. oben S. 70 f.; der legitime Weg des Abstellens auf andere Aspekte findet sich in E 2/67, E 4/67, E 18/67, E 28/67. 181 E 12/67, E 15/67, E 22/67, E 27/67. 182 E 8/67, E 25/67, E 26167.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

75

weise Entlassungen ausgesprochen wül'den. Eine Zusammenfassung und Ergänzung dieser Einzelaspekte zu einer Auftrags- und Personalbestandsstatistik erfolgt nicht, so daß die wirtschaftlichen Hintergründe im Ergebnis ungeklärt bleiben. Es gibt nur relativ wenige Entscheidungen, die eine datenmäßige Aufklärung der betriebswirtschaftlichen Hintergründe enthalten. Teilweise sind diese Ansätze aber nicht durchgeführt worden oder betreffen einen nicht generalisierbaren Einzelfall. So finden sich zwar in der Entscheidung 14/67 Angaben des Arbeitgebers zum Beleg der Unrentabilität des Arbeitsplatzes des Klägers, eines Versicherungs angestellten im Außendienst. Die Notwendigkeit, die Gültigkeit und der Wert dieser Begründung werden aber nicht geklärt, weil die Entscheidung auf einem anderen Gesichtspunkt basiert. Und auch der interessante Versuch des Arbeitgebers in der Entscheidung 29/67, die Entlassung durch den Vergleich des betrieblichen Personalkostenanteils am Umsatz mit den niedrigeren branchenüblichen zu rechtfertigen, wird von dem Gericht in den Entscheidungsgründen nicht gewürdigt183 • Als Ausnahmefall mit weitgehender überprüfung der wirtschaftlichen Entscheidung, aber ohne exemplarischen Charakter muß die Entscheidung 30/67 angesehen werden: In dieser Entscheidung ist die Entlassung einer Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber damit begründet worden, daß der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 13 ufo und der Gewinn um 25 % zurückgegangen sei. Das Ger,icht hielt diese Begründung nicht für ausreichend, sondern folgerte aus dem Umstand, daß der Klägerin 5000,- DM für das freiwillige Ausscheiden 'geboten worden waren, daß die wirtscha.ftliche Situation des Betriebes nicht so schlecht sein könne. Diese Begründung ist nur zu verstehen auf dem Hintergrund der Tatsache, daß der Arbeitgeber sich von der Klägerin aus persönlichen Gründen trennen wollte, die Klägerin ein Abfindungsangebot abgelehnt hatte und daraufhin eine u. a. auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützte Kündigung erhielt. 1m Kern geht es dem Gericht deshalb nicht um die immanente überprüfung einer wirtschaftlich bedingten Kündigung, wie es die Formulierungen nahelegen, sondern um die Abwehr einer persönlich motivierten Kündigung unter dem Deckmantel eines betrieblichen Grundes. Eine konsequente Aufklärung und Bewertung der wirtschaftlichen Hintergründe findet sich deshalb nur in drei Entscheidungen einer Kammerl84 • Darin wird jeweils die Umsatz- und z. T. auch Gewinnentwicklung datenmäßig aufgeklärt und daraufhin bewertet, ob sie Entlassungen rechtfertigt. Das Gericht betont, daß es lediglich überprüfen wolle, ob die betriebliche Situation wirtschaftliche Abhilfemaßnahmen notwendig mache. Die Entscheidung für die eine oder andere Reaktion liege in der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers und könne auf ihre Zweckmäßigkeit hin nicht überprüft werden. Die Freiheit der unternehmeri183 Vielmehr wird die soziale Rechtfertigung wegen Nichtbestreitens der Daten als unstreitig angesehen, vgl. oben S. 70 f. 18' E 32/67, E 35/67, E 34/67.

76 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen schen Entscheidung sei deshalb nicht tangiert. Das Gericht unterscheidet also zwischen der Notwendigkeit i. S. der wirtschaftlichen Dringlichkeit von Abhilfemaßnahmen und der Zweckmäßigkeit i. S. der Geeignetheit der verschiedenen möglichen Reaktionen und hält den ersten Aspekt für voll überprüfbar. über den Entscheidungsmaßstab bei der Beurteilung dieser Frage kann aufgrund der wenigen einzelfallorientierten Begründungen nichts Endgültiges gesagt werden, sondern nur, daß offenbar erhebliche, durch exakte Zahlen belegte Beschäftigungsschwankungen vorliegen müssen. In der Entscheidung 32/67 ,ging es um die Entlassung der Direktrice der Konfektionsabteilung einer Stickerei. Sde wurde von dem Gericht akzeptiert, nachdem es sich in der Beweisaufnahme davon überzeugt hatte, daß der Umsatz im Jahresverlauf um 27,2 % und bezogen auf das von der Klägerin vorwiegend betreute Objekt sogar um 38,4 Ofo ruruckgegangen war. Dagegen wurde in der Entscheidung 3'5/67 die Kündigung eines Vermesmungsingenieurs, der in einem Tiefbauunternehmen als Bauführer im Straßenbau eingesetzt war, nicht als wirksam anerkannt. Der Arbeitgeber hatte zur Begründung vorgetragen, daß der Umsatz bis zur Jahresmitte im Vergleich ru den beiden Vorjahren um 33,4 Ofo gesunken sei, daß die Baustelle des Klägers ausgelaufen sei und eine Beschäftigungsmöglichkeit auf einer anderen Baustelle nicht gegeben sei. Weitergehende Angaben wollte er aus Geheimhaltungsgründen nicht machen. Das Gericht hielt dieses Vorbringen nicht für ausreichend, weil die soziale Rechtfertigung der Kündigung nur auf der Grundlage absoluter Zahlen über Umsatz und Gewinn beurteilt werden könne. 3.1.1.2.2. Das Bild der Entscheidungen von 1974 zu Fällen des Personalabbaus hat sich gegenüber 1967 deutlich gewandelt. Während 1967 die Mehrzahl der Entscheidungen die abstrakten Begründungen für die Entlassungen hinnahmen und nur eine Kammer konsequent die Aufklärung und Bewertung der wirtschaftlichen Lage des Betriebes vornahm, ist es 1974 eine Minderheit von Entscheidungen, die sich mit einer abstrakten Kennzeichnung und Würdigung der Situation zufrieden geben185 • Daneben finden sich auch in diesem Jahrgang wieder Entscheidungen, die der Sachproblematik aus dem Wege zu gehen versuchen, indem sie die rechtliche Frage der sozialen Rechtfertigung als unstreitig behandelnl8G oder aber aus der Tatsache der Vornahme umfangreicher Entlassungen auf die normativ zu entscheidende Notwendigkeit der in Frage stehenden Entlassung schließenl87 • Die Entscheidungen, die sich um eine Aufklärung der wirtschaftlichen Hintergründe für die Entlassungen bemühen, lassen sich nicht auf eine Linie bringen, sondern ergeben ein differenziertes Bild, das sich ver185 E 20174, E 36f74, E 38174, in diesen Fällen lag die Zustimmung des Betriebsrats vor oder war die Frage des dringenden betrieblichen Grundes offenbar nicht Gegenstand der Auseinandersetzung der Parteien. 18G E 17174, E 23/74, aber auch E 42174, E 79/74. 187 E 7/74, E 10/74.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

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einfachend auf vier verschiedene Lösungsansätze zurückführen läßt: Zum einen wird - wie bereits in einigen Entscheidungen 1967 - die Umsatzentwicklung aufgeklärt, darüber hinaus wurde z. T. die Relation von Umsatzentwicklung und Personalentwicklung einbezogen; in anderen Entscheidungen wird von vornherein stärker auf die Rentabilitätsentwicklung abgestellt; z. T. aber wird nicht die wirtschaftliche Lage des Betriebes, sondern die faktische Auslastung des betroffenen Arbeitnehmers zum Maßstab der Entscheidung genommen. Diese Betrachtungsweisen sind u. a. durch das jeweilige Vorbringen der Arbeitgeber bedingt und schließen sich nicht immer gegenseitig aus, erscheinen aber wichtig genug, um hier anhand einzelner Entscheidungen verdeutlicht und verglichen zu werden. Die erste Gruppe von insgesamt neun Entscheidungenl88 stimmt darin überein, daß die soziale Rechtfertigung der Kündigung aufgrund konkreter Daten zur Umsatzentwicklung beurteilt wird, wobei hinsichtlich der Exaktheit der Daten und der Länge des Vergleichszeitraums erhebliche Unterschiede bestehen. Häufig ergibt sich der Eindruck, daß die Informationen zu begrenzt sind, um die wirtschaftliche Notwendigkeit von Entlassungen zu beurteilen, aber auch, daß die Richter die betrieblichen Zusammenhänge nicht sorgfältig und sachkundig genug einschätzen. So war in der Entscheidung 1/74 zur Begründung der Kündigung einer Arbeiterin einer Schleifmittelfabrik die Umsatzentwicklung der drei Abteilungen eines von zwei Bereichen der Produktion ermittelt worden, und zwar der Umsatz im 1. Quartal 1974 verglichen mit dem durchschnittlichen viertel,;. jährlichen Umsatz 1973. Es ergab sich in der ersten Abteilung ein Umsatzrückgang von 19,6 9 / 0 bei einer Entlassung - nämlich der Klägerin -, in der zweiten von 2,6 % bei zwei Entlassungen und in der dritten von 24,05 Dfo bei sieben Entlassungen. Das Gericht anerkannte daraufhin die soziale Rechtfertigung der Kündigung, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob der Umsatz des 1. Quartals 1974 bei der Kündigung zum 2.4.74 schon berücksichtigt werden durfte, ob durch den Vergleich mit durchschnittlichen vierteljährlichen Umsätzen saisonale Schwankungen verdeckt werden, und wie das unterschiedliche Verhältnis von Umsatzrückgang und Zahl der Entlassenen in den einzelnen Abteilungen zu erklären ist. Dieser Eindruck wird allgemein dadurch verstärkt, daß auch in den Entscheidungsgründen der datenmäßigen Skizzierung der wirtschaftlichen Situation unmittelbar die Wertung der Entlassung als sozial gerechtfertigt oder nicht folgt, ohne daß diese Entscheidung durch Einführung betriebswirtschaftlicher Kategorien oder Offenlegung von Entscheidungsmaßstäben nachvollziehbar wird. So bleibt bei dieser ersten Gruppe der Entscheidungen regelmäßig außer Betracht, daß eine bestimmte Umsatzentwicklung die Rechtferti188 Z.

B. E 1/74.

78 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen gung einer Entlassung nur tragen kann, wenn gleichzeitig die Personalentwicklung berücksichtigt wird, daß also sachgerecht gar keine Beziehung zwischen der allgemeinen wirtschaftlichen Situation und der einzelnen Kündigung hergestellt werden kann, sondern nur zwischen der Umsatzentwicklung und dem jeweiligen Personalbestand, woraus sich dann mittelbar die Entscheidung über die soziale Rechtfertigung einer oder mehrerer Entlassungen ableiten läßt. Daraus ergibt sich auch die Frage, ob sich die überprüfung einer Entlassung, die im Zusammenhang mit anderen ausgesprochen worden ist, darauf beschränken kann, die Rechtfertigung einer Entlassung zu beurteilen, oder ob zuvor der Umfang der notwendigen Personalreduzierung festgestellt werden muß. Ansätze dieser Betrachtungsweise zeigen sich nur undeutlich, etwa wenn in einigen Entscheidungen neben der Umsatzentwicklung auch die Entwicklung des Personalbestandes bzw. die Anzahl der insgesamt ausgesprochenen Entlassungen genannt wird189 • In die Entscheidungsbegründung fließt diese Betrachtungsweise ausdrücklich nur bei der Entscheidung 29/74 ein, in der das Produktionsvolumen einer Abteilung mit der Anzahl der dort Beschäftigten in Beziehung gesetzt wird und dementsprechend von deren Produktionsrückgang auf die Entbehrlichkeit eines entsprechenden Anteils der Arbeitnehmer geschlossen wird190. Teilweise finden sich ergänzend oder alternativ zu der Umsatzentwicklung Angaben zu der tatsächlichen Auslastung des betroffenen Arbeitnehmers. Diese Betrachtungsweise ist nahezu zwangsläufig und deshalb nicht bemerkenswert, wenn es sich, wie in der Entscheidung 74174, um den einzigen Arbeitnehmer einer Abteilung handelt, sie findet sich aber auch in der Form, daß die Wartezeiten des gekündigten Angestellten, d. h. die Stunden ohne Beschäftigung, pro Monat zusammengestellt und zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden19 t, oder daß die Anzahl der Reparatureinsätze eines in einer Reparaturabteilung angestellten Arbeitnehmers pro Jahr verglichen wird192• Insgesamt fünf Entscheidungen193 stellen nicht auf die Umsatzentwicklung bzw. damit zusammenhängende Gesichtspunkte ab, sondern auf die Rentabilitätsentwicklung. Wie schon bei den Rationalisierungsfällen wird in diesen Fällen mit einer Ausnahme die Kündigung anerkannt. Wie verschieden aber trotz gleicher Betrachtungsweise die Entscheidungsmaßstäbe sein können, verdeutlichen die Entscheidungen 55174 und 80177. 18D

E 18/74, E 19/74, E 44/74, E 29174.

Allerdings in der Durchführung problematisch, weil es nur um einen relativ geringfügigen Umsatzrückgang von ca. 2,5 Ofo ging, der einen entsprechenden Personalabbau rechtfertigen sollte. 190

1D1

E 11/74.

m E 18174. 193 E 2174, E 4174, E 55174, E 60/74, E 80/74.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

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In der E 55174 war die Entlassung des Versandleiters eines Beleuchtungskörperherstellers von dem Arbeitgeber damit begründet worden, daß der projektierte Umsatz von 36 Millionen DM nicht erreicht sei, sondern nur 30 Millionen DM und deshalb auch nicht der erwartete Gewinn. Dabei bleibt mangels konkreter Zahlen und Vergleichszahlen unklar, ob überhaupt Verluste eingetreten waren, oder ob es lediglich um den geplanten Gewinn ging. Das Gericht jedenfalls hielt den Vortrag zur Erklärung der Kündigung für ausreichend, weil der Arbeitgeber den Personalbestand ror Erhöhung des Gewinns reduzieren könne. Der Hinweis, daß diese Entscheidung eine unternehmerische Entscheidung sei, läßt nur den Schluß zu, daß die Rentabilitätsentwicklung im Ergebnis auch nicht entscheidungserheblich ist. Die Entscheidung 80174, die zu einem für den Arbeitnehmer günstigen Urteil kommt, stellt nicht auf die Rentabilitätsentwicklung selbst, sondern nur auf einen der zugrundeliegenden Faktoren, den Personalkostenanteil, ab. Die Kündigung der Verkäuferin einer Filiale einer Textilverkaufsfirma war mit dem aufgrund rückläufigen Umsatzes steigenden Personalkostenanteils begründet worden, der sich wie folgt entwickelt hatte: 1972: 37,3 Ofo von einem Umsatz von 580 133,02 1973: 45,2 Ofo von einem Umsatz von 479587,60 1974: 44,4 % von einem Umsatz von 473428,71. Das Gericht erkannte diese Erklärung nicht an, weil die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation bereits 1973 eingetreten sei und sich 1974 zur Zeit der Kündigung am 29. 10. 74 bereits etwas gebessert habe. Die Kündigung sei nicht mehr gerechtfertigt, weil die Klägerin seit der Verschlechterung der Lage nahezu zwei Jahre weiterbeschäftigt worden seP94. Dieser strenge überprüfungsmaßstab ist wohl auf dem Hintergrund der häufig anzutreffenden Fallkonstellation zu erklären, daß die Klägerin kurz nach einer Erkrankung entlassen worden ist, und das Gericht die wirtschaftlichen Gründe als vorgeschoben betrachtete, ohne die Entscheidung ausdrücklich darauf stützen zu können. 3.1.1.3. Die Mehrzahl der Entscheidungen läßt sich den beiden Fallgruppen Rationalisierung und Personalabbau zuordnen. Die sonstigen Entscheidungen sollen nur insoweit Erwähnung finden, wie sie einen bedeutsam erscheinenden Sachverhalt betreffen oder auf in der threoretischen Diskussion vernachlässigte Problempunkte hinweisen. 3.1.1.3.1. Unbefriedigend ist die Behandlung der Fälle, in denen die Begründung für die Kündigung nicht aus den wirtschaftlichen Daten des jeweiligen Betriebes abgeleitet wird, sondern auf den Willen einer übergeordneten wirtschaftlichen Instanz verwiesen wird. So wird die Tatsache einer Weisung der Zentrale in den zwei vorliegenden Entscheidungen195 ohne weiteres mit dem Vorliegen eines dringenden betrieblichen Grundes gleichgesetzt, was zwar den tatsächlichen Entschei-

194 Theoretisch jedenfalls ist es nicht berechtigt, eine möglicherweise sozial motivierte Verzögerung zwischen der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und den personellen Konsequenzen zu sanktionieren. 195 E 24/67 und E 46/'74 (vgl. S. 71 f.).

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1. Teil: Wirksamkeit des Scbutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

dungskompetenzen und Abhängigkeitsverhältnissen entsprechen mag, aber jeden Ansatz einer überprüfung ausschließt. Statt dessen müßten doch, schon um eine Gleichstellung selbständiger Betriebe mit Betrieben als Teil einer größeren Unternehmensorganisation zu erreichen, die wirtschaftlichen Hintergründe für die Weisung der Zentrale möglichst bezogen auf den jeweiligen Betrieb zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden. Eine ähnliche Problematik zeigt die Entscheidung 10/67: Der Kläger war als Arbeiter auf einer Baustelle beschäftigt, auf der der Arbeitgeber nur als Subunternehmer arbeitete. Die Kündigung wurde u. a. damit cegründet, daß der bauleitende Ingenieur des Generalunternehmers sich über die Arbeitsweise des Klägers beschwert habe und dessen Entfernung gewünscht habe, was von dem Gericht akzeptiert wurde. Dem ist entgegenzuhalten, daß durch vermeintliche oder tatsächliche Abhängigkeiten vom Generalunternehmer Umstände, die unter dem Aspekt der verhaltensbediIigten Kündigung geklärt und gewürdigt werden müßten, nicht ohne weiteres zur Grundlage einer davon abstrahierenden betriebsbedingten Kündigung gemacht werden dürfen1" . 3.1.1.3.2. Ein die Praxis verschiedentlich beschäftigendes Problem besteht darin, inwieweit frühere personelle Maßnahmen bei der Beurteilung der Notwendigkeit von Entlassungen berücksichtigt werden sollen. Während vorhergehende unternehmerische Entscheidungen auch in der Praxis keine Berücksichtigung erfahren, also etwa die Frage einer verfehlten Preispolitik, die erst zu dem Absatzmangel geführt hat, die Berechtigung der deshalb notwendigen Entlassungen nicht beeinträchtigen kann197, ist die Haltung in diesen Fällen nicht so eindeutig188• In der Entscheidung 36/67 war der im Briefverteilungsdienst der Bundespost beschäftigten Klägerin mit dem Hinweis auf ein vermindertes Verkehrsaufkommen gekündigt worden. Da die Klägerin erst einige Monate zuvor auf ihren Wunsch auf diesen Arbeitsplatz versetzt worden war, ohne auf den drohenden Arbeitsplatzverlust hingewiesen worden zu sein, berücksichtigte das Gericht nur die Entwicklung des Verkehrsaufkommens seit der Versetzung der Klägerin, das allein keine Entlassung rechtfertigte. In der Entscheidung 10/67 hatte sich die Notwendigkeit der Kündigung noch unmittelbarer durch vorhergehende personelle Maßnahmen des Arbeitgebers ergeben, weil in der Buchhaltung des Röhrengroßhandelsunternehmens nicht nur für einen freiwillig ausscheidenden, sondern auch für zwei krankheitsbedingt ausfallende Arbeitskräfte insgesamt zwei neue Arbeitnehmer eingestellt worden waren, so daß nach Gesundung der beiden Arbeitnehmer ein Zu diesem Problem der Druckkündigung vgl. Hueck / Hueck § 1 RN. 92 - 94. E 22/74; vgl. dazu auch BAG v.!. 7. 1976, NJW 1977, S. 124 (Arbeitskräfteüberhang bei Auftragsmangel wegen vorheriger rationalisierungsbedingter Versetzungen). 198 Vgl. auch E 6/67, wo das Gericht darauf abstellt, daß der Arbeitgeber bei dem früheren, von Arbeitnehmern abgelehnten Angebot eines anderen Arbeitsplatzes darauf hätte hinweisen müssen, daß ihre Arbeitsplätze gefährdet seien. 198

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3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

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Arbeitnehmer zuviel vorhanden war. Trotzdem hielt das Gericht die Kündigung für sozial gerechtfertigt, indem es vordergründig auf den vorhandenen Arbeitskräfteüberschuß abstellte, ohne zu überprüfen, ob der krankheitsbedingte Ausfall nicht anders als durch unbefristete Neueinstellungen hätte kompensiert werden können. 3.1.1.3.3. Einzelne Fälle weisen auf eine Problematik hin, die wahrscheinlich in der betrieblichen Praxis nicht ohne Bedeutung ist, aber weder in der theoretischen Diskussion noch sonst in dem rechtstatsächlichen Material auftaucht. In der Entscheidung 9/67 geht es um die Kündigung von zwei Hilfskräften in der Buchhaltung eines Industriebetriebes, durch die die Neueinstellung einer weiteren Fachkraft neben der bereits vorhandenen ermöglicht werden sollte. Diese Umstrukturierung des Personalbestandes wurde aufgrund der Begründung, daß dadurch Einsparungen erzielt werden könnten U9 und die Vertretung der anderen Fachkraft bei Krankheit und Urlaub gesichert sei, auch vom Gericht gebilligt, ohne daß überprüft worden ist, ob der Einsparung nicht eine geringere Arbeitsleistung gegenübersteht, und welche Schwierigkeiten vorher in Krankheits- oder Urlaubszeiten aufgetreten sind und g,gfs., ob sie anders hätten bewältigt werden können. Insbesondere fehlt auch hier eine Interessenabwägung zwischen den exakt zu bestimmenden betrieblichen Vorteilen und den Nachteilen für die zwei entlassenen Arbeitnehmer. Im Kern geht es auch in der Entscheidung 30174 um den Austausch von Arbeitskräften. Eine Autohandelsgesellschaft hatte wegen hoher Verluste Personaleinsparungen beschlossen. In der Buchhaltung waren zwei von vier Mitarbeitern ausgeschieden, die verbleibenden zwei, darunter die Klägerin, konnten aber die Arbeit nicht schaffen. Um neue Personalkosten durch eine zusätzliche Kraft zu vermeiden, hatte der Arbeitgeber der Klägerin gekündigt, um einen anderen Arbeitnehmer einzustellen, der ein Konzept entworfen hatte, nachdem er allein zusammen mit einer bereits vorhandenen Kraft die Arbeit bewältigen könne. Das Gericht konnte der Kündigung die Wirksamkeit mit dem Hinweis versagen, daß ein konkreter Organisationsplan, der den Arbeitsplatz der Klägerin entfallen lasse, nicht vorgetragen sei, und umging damit die entscheidende Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Arbeitskraft durch eine andere leistungsstärkere oder besser qualifizierte ersetzt werden kann. Es geht also um das Problem der Zulässigkeit von Entlassungen mit dem Ziel der Umstrukturierung des Personalbestandes, sei es - wie in den Beispielsfällen - in qualitativer Hinsicht oder sei es zur Verbesserung der Altersstruktur. Soweit erkennbar, sind zur Behandlung dieser Fallgruppe noch keine Regeln entwickelt worden, andererseits ist anzunehmen, daß nicht jede personelle Umstrukturierung dieser Art in der Praxis durchführbar ist, daß vielmehr soziale Normen und der mittelbare Einfluß von Arbeitnehmervertretungen insoweit gewisse, im einzelnen allerdings unterschiedliche Grenzen setzt. 199 Statt DM 1900 für die zwei Hilfskräfte kostete die eine Fachkraft nur DM 1500 monatlich.

6 Wolter

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

3.1.2. Die theoretisch nicht klar definierbare und abgrenzbare Funktion des Merkmals, daß der Arbeitsplatz tatsächlich weggefallen bzw. daß der Arbeitnehmer entbehrlich sein muß, läßt es besonders lohnend erscheinen, die relativ vielen Entscheidungen, in denen mit diesem Kriterium gearbeitet wird, zu untersuchen. In diesen Entscheidungen finden sich sehr häufig Hinweise darauf, daß die Kündigung nicht oder nicht nur betriebsbedingt ist, sondern anderen Zielen dient, sei es daß die Leistungsfähigkeit, -bereitschaft oder Gesundheit des Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber in einem anderen Zusammenhang beanstandet wird 200 oder sei es daß die Kündigung sogar auch auf diese personen- oder verhaltensbedingten Gründe gestützt worden ist2il1 • Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß nicht in allen Fällen diese Zielsetzung der überprüfung erkennbar ist 202 • In Anwendung dieses Kriteriums wird untersucht, ob überhaupt eine zwingende Beziehung zwischen den angegebenen Gründen und dem Arbeitsplatzverlust des Arbeitnehmers besteht oder ob lediglich ein wirtschaftlicher Aspekt angeführt worden ist, um die anders motivierte Kündigung als betriebsbedingte Kündigung erscheinen zu lassen203 • In der Entscheidung 18/67 ging es um einen 52jähl'igen Kläger, der in einem Großhandelsunternehmen in der Kunststoffabteilung zusammen mit zwei anderen Al'beitnehmern tätig war. Nachdem er im Juli 19,74 nach einem Herzinfarkt für längere Zeit arbeitsunfähig wurde, ist ihm ein Monat später gekündigt worden mit der Begründung, daß die Abtei1ung wegen Umsatzrückganges von drei auf einen Arbeitnehmer reduziert werden müsse und daß der Kläger fachlich für die Arbeit nicht geeignet sei. Da die Krankheit und die eingeschränkte Leistungsfähigkeit als Kündigungsgründe vom Gericht nicht anerkannt wurden, blieb der Gesichtspunkt der notwendigen Personaleinschränkung, der sich jedoch als vorgeschoben herausstellte, weil die anderen Arbeitskräfte der Abteilung ihrerseits ausgeschieden waren. In der Entscheidung 49174 war die Kündigung einer 53jährigen Arbeiterin eines Ventilherstellerbetriebes mit der wirtschaftlichen Lage in der Branche und dem Betrieb und den sich daraus ergebenden Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen begründet worden. Der Arbeitgeber hatte aber auch auf die regelmäßigen El'krankungen und die begrenzte Leistungsfähigkeit der Klägerin hingewiesen. Das Gericht beanstandete dabei, daß die Auswirkungen dieser allgemeinen Umstände auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Klägerin nicht konkret dargelegt worden seien und gab der Klage statt. In vielen Fällen ist der Zusammenhang zwischen der vorgetragenen Begründung und der Entlassung nicht so leicht zu verneinen, ohne daß der Verdacht, daß andere Gründe bestimmend waren, ausgeräumt ist. Diese Fallkonstellation ergibt sich insbesondere deshalb, weil die Zu200 201 202 203

E 8 und 9174, E 15174, E 49/74, E 52174, E 62/74, E 69/74. E 3/67, E 16/67, E 17/67, E 18/67, E 20/67. E 3174, E 27174, E 28174. E 18/67, E 49174.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

83

rückhaltung bei der .überprüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit von Entlassungen dem Arbeitgeber die Möglichkeit gibt, eine plausible betriebliche Begründung für die anders motivierte Kündigung vorzutragen. Dieser Fallkonstellation versuchen die Gerichte zum Teil mit der Fragestellung auf die Spur zu kommen, ob der Arbeitsplatz endgültig weggefallen oder ob er wieder neu besetzt worden ist bzw. nur vorübergehend freigehalten wird 204 , wobei letzteres nur selten nachweisbar sein wird, etwa wenn der Arbeitgeber eine entsprechende neue Arbeitskraft gesucht hat. So war in der Entscheidung 52174 der 32jährigen Klägerin nach über einjähriger Krankheit mit der Begründung gekündigt worden, daß ihre Arbeit als Sachbearbeiterin der Mitgliederverwaltung der Ersatzkasse durch den Einsatz von EDV -Anlagen ersetzt worden sei. Abgesehen davon, daß die Auswirkung der Rationalisierungsmaßnahmen auf den Arbeitsplatz der Klägerin, die von der Klägerin bestritten worden war, nicht klar genug dargelegt worden sei, stellte das Gericht darauf ab, daß einige Monate nach der Entlassung neue Arbeitskräfte mit vergleichbaren Arbeitsplatzbeschreibungen gesucht und z. T. auch eingestellt worden seien. Diese Argumentation, die mit dem Hinweis, daß das Arbeitsverhältnis nicht arbeitsplat~bezogen sei, untermauert wird, überschneidet sich allerdings mit der Frage der Weiterbeschäftigungspflicht an einem anderen freien Arbeitsplatz. Am einschneidendsten ist die Fragestellung, die sich nicht darauf beschränkt, die Kausalität zwischen den vorgetragenen Gründen und der Entlassung in Frage zu stellen, sondern die wirtschaftlichen Hintergründe relativiert und allein darauf abstellt, ob die Art und der Umfang der vom Arbeitnehmer bisher erledigten Aufgaben sich so weitgehend verändert haben, daß ein Wegfall des Arbeitsplatzes berechtigt ist205 • Diese Betrachtungsweise führt, konsequent durchgeführt, zu einer weitgehenden Einschränkung der Möglichkeit, auf wirtschaftliche Veränderungen mit personellen Maßnahmen zu reagieren, insbesondere bei Rentabilitätsschwierigkeiten, die an sich die Art und den Umfang der zu erledigenden Aufgaben noch nicht verändern, trotzdem aber die Notwendigkeit von Personaleinsparungen durch eine Umverteilung der Arbeit auf weniger Arbeitskräfte begründen kann. Dies verdeutlicht die Entscheidung 69174, in der es um die Kündigung eines 55jährigen Oberkellners eines Hotels geht, die mit Umsatzeinbußen im gastronomischen und Logissektor und bilanzmäßig ausgewiesenen Verlusten begründet wurde; diese Verluste müßten durch personelle Einsparungen zumindest vermindert werden. Das Gericht hält dem entgegen, daß der Fortfall des Arbeitsplatzes nicht unmittelbar von Umsatz und Gewinn abhinge, sondern von dem tatsächlichen Arbeitsanfall und dessen Verteilung auf die Arbeitsplätze. Der Arbeitgeber müsse deshalb außer der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Einsparung auch darlegen, wie die anfallende Arbeit auf die verbleibenden Arbeitskräfte verteilt werden könne. Diese Argumentation, die 204 205



E 15/67, E 52/74, E 62174, E 78174. E 3/67, E 16/67, E 17/67, E 20/67, E 8 und 9/74, E 27174, E 69/74.

84 1. Teil: Wirksamkeit des Schlutzes vor betriebsbedingten Kündigungen so nicht überzeugen kann 206 , die aber auch die Entscheidung nicht alleine tragen soll, ist vielleicht damit zu erklären, daß eine Grundlage für die als billig empfundene, vom Kläger beantragte Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung gesucht wurde. Zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung führen auch die parallelen Entscheidungen 8/74 und 9/74, die zudem verdeutlichen, daß diese Betrachtungsweise insbesondere bei Angestellten ohne vorgegebenen Arbeitsrhythmus dem Gericht einen breiten Entscheidungsspielraum eröffnet. In der Entscheidung 9/74 geht es um die Kündigung des Leiters der AUgemeinen Verwaltung einer Werft, die nach verschiedenen Krisen und Sanierungsversuchen wieder in die Verlustzone geraten war. Die Entlassung des Klägers und anderer leitender Mitarbeiter sollte der Kosteneinsparung dienen, insbesondere die umfangreiche Leitungs- und Verwaltungs abteilung der stark geschrumpften Produktionsabteilung anpassen. Das Gericht hielt die Kündigung u. a. deshalb nicht für gerechtfertigt, weil - wie die Beweisaufnahme ergeben habe - die Tätigkeiten des Klägers nach wie vor notwendig und lediglich auf andere Personen verteilt worden seien. Deshalb könne sein Arbeitsplatz nicht als entbehrlich angesehen werden. Zusammenfassend gesehen hat das rechtstatsächliche Material bestätigt, daß die überprüfung der Entbehrlichkeit des Arbeitnehmers bzw. des Wegfalls des Arbeitsplatzes insbesondere dann relevant wird, wenn eine andere Motivation für die Kündigung vermutet wird. In anderen Fällen drängt sich die Vermutung auf, daß damit das an sich zwingende Ergebnis bei einer berechtigten betriebsbedingten Kündigung, d. h. der ersatzlose Arbeitsplatzverlust, zugunsten einer für billig empfundenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung korrigiert werden soll. Es bleibt festzuhalten, daß dabei z. T. durch das Abstrahieren von den wirtschaftlichen Hintergründen und das Abstellen auf die vom Arbeitnehmer bisher erledigten Tätigkeiten insbesondere bei Angestellten ein Lösungsansatz gewählt wird, der von der üblichen Akzeptierung wirtschaftlich bedingter personeller Folgeentscheidungen erheblich abweicht. 3.1.3. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Entlassungen zu treffen, hat besonders 1967, aber auch 1974 nur in relativ wenigen Entscheidungen eine Rolle gespielt; insbesondere ist insoweit fast nur die Versetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz diskutiert worden. Vor der Darstellung der Fallgruppen sei auf Entscheidungen hingewiesen, die übergreifende Aspekte zur Frage der Vermeidbarkeit von Entlassungen betreffen. 206 Weil es m. E. nur auf die wirtschaftliche Notwendigkeit der Entlassung ankommen kann; die Möglichkeit der organisatorischen Bewältigung der Arbeit ohne den entlassenen Arbeitnehmer kann nur für die Frage bedeutsam sein, ob die Arbeitskrafteinsparung ernstgemeint ist, d. h. kein neuer Arbeitnehmer eingestellt werden soll.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

85

Die Konkretisierung der Anforderungen an den Arbeitgeber, die durch den Begriff der "Zumutbarkeit" nicht geleistet wird, erfolgt nicht allgemein, sondern nur für den einzelnen Fall. Dabei wird zum einen auf das Alter und die Betriebszugehörigkeit abgestellt, so z. B. in der Entscheidung 3/74, wo betont wird, daß selbst der behauptete Umsatzrückgang von 40 6 / 0 angesichts der siebenjährigen Betriebszugehörigkeit des 56jäh..:. rigen Klägers allein die Kündigung nicht rechtfertige, sondern daß der Arbeitgeber in diesem Fall darüber hinaus darzulegen habe, daß die Entlassung nicht durch Arbeitszeitverkürzungen oder die Entlassung anderer Arbeitnehmer zu vermeiden sei. Dadurch wird dem Arbeitgeber - abweichend vom üblichen207 - aufgrund der besonderen Umstände die Darlegungs- und Beweislast auferlegt. In der Entscheidung 77/74 findet sich der interessante Ansatz, die Anforderungen nach der Größe des Unternehmens zu bestimmen: besonders größere Unternehmen könnten nicht mit einer schwankungsfreien wirtschaftlichen Stabilität und Auftragsentwicklung rechnen, sondern müßten mit Rückschlägen rechnen und sich darauf einstellen und entsprechende Vorsorge treffen. Beide Entscheidungen enthalten aber aufgrund der Fallkonstellation keine konkrete Durchführung ihres Lösungsansatzes i. S. der Festlegung bestimmter Verpflichtungen. Die Entscheidung 40/74 betrifft demgegenüber sicher einen Einzelfall, ist aber deshalb erwähnenswert, weil dort vertraglich praktisch die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz ausgeschlossen worden ist und das von dem Gericht akzeptiert worden war. Die beklagte Verkehrsgenossenschaft hatte unwidersprochen vorgetragen, daß der Kläger nur für den neu aufgenommenen Reifen- und Ölhandel im Außendienst angestellt worden sei und Einverständnis darüber bestanden habe, daß das Arbeitsverhältnis beendet werde, wenn dieser neue Geschäftszweig nicht innerhalb eines Jahres rentabel werde. 3.1.3.1. Als Alternative zu der drohenden Entlassung wird in dem untersuchten Entscheidungsmaterial hauptsächlich die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz angesprochen. 3.1.3.1.1. Im Vordergrund steht dabei die Frage der Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze, d. h. ob ein bestimmter freier Arbeitsplatz seinem Charakter nach dem Arbeitnehmer hätte zugewiesen oder angeboten werden müssen. In den drei einschlägigen Entscheidungen aus 1967 finden sich weitgehend übereinstimmende Fragestellungen und Lösungen 208 • Der Arbeitnehmer hatte jeweils auf freie Arbeitsplätze verwiesen, die hinsicht207 208

Vgl. oben S. 43 und 52 f. E 23/67, E 32/67, E 33/67.

86

1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vorbetriebsbedingten Kündigungen

lich der beruflichen Qualifikation geringere Anforderungen stellten und offenbar auch schlechter bezahlt wurden, und das Gericht hatte in allen Fällen die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung verneint. Es wurde also nicht abgestellt auf die Bereitschaft, den ggf. schlechteren Arbeitsplatz zu übernehmen, und auf die Befähigung, ihn zufriedenstellend auszufüllen, was - soweit erkennbar - nicht in Frage gestellt werden konnte, sondern auf die qualifikationsbedingte Einstufung in der Betriebshierarchie. Diese Abweichung von der an sich bereits schon damals anerkannten und jetzt kodifizierten Verpflichtung, bei Einverständnis des Arbeitnehmers ihn auch unter veränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, ist bemerkenswert, wobei nicht geklärt werden kann, inwieweit sie darauf zurückzuführen ist, daß das Gericht - ohne es offenzulegen - von der Bereitschaft des Arbeitnehmers nicht überzeugt war, sondern sie als vorgespiegelt interpretierte, um eine Abfindung zu erlangen. Allerdings läßt eine andere Entscheidung dieses Jahrgangs, die E 20/ 67, erkennen, daß die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung gar nicht beachtet wird. Die Beweisaufnahme hatte zwar die Behauptung des Klägers bestätigt, daß nach seiner Entlassung drei neue Arbeitskräfte eingestellt worden sind, das Gericht stellte aber vor allem darauf ab, daß der Arbeitsplatz des Klägers nicht neu besetzt worden ist, ohne die Versetzungsmöglichkeit auf die anderen freien bzw. frei werdenden vergleichbaren Arbeitsplätze in den Lagerabteilungen des Speditionsbetriebes geprüft zu haben. Die Entscheidung 8/67 verdeutlicht, daß in Betrieben mit verschiedenen Baustellen die Fragen der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Kündigung und der Versetzungspflicht schwer zu trennen sind, weil die Frage der Versetzung auf eine andere Baustelle nach dem Auslaufen der bisherigen beiden Fragestellungen zugeordnet werden kann. Das erklärt vermutlich auch, daß bei dieser Fallkonstellation - anders als in den anderen bisher besprochenen Entscheidungen - die Einsatzmöglichkeit auf anderen Baustellen in einer umfangreichen Beweisaufnahme überprüft wird. Differenzierter ist das Bild der Entscheidungen von 1974 zu diesem Problem. Zwei Entscheidungen209 bestätigen die bei der theoretischen Analyse aufgestellte Vermutung, daß das Postulat der unternehmerischen Freiheit wegen seiner Unbestimmtheit auch auf diese Entscheidungsebene übertragen werden kann. Danach soll es dem freien Ermessen des Arbeitgebers überlassen sein, welche Qualifikation er für einen bestimmten Arbeitsplatz fordert, und es wird nicht auf die tatsächliche Eignung abgestellt. 209

E 2/74, E 64/74.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

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In der Entscheidung 2/74 ging es z. B. um die Weiterbeschäftigung eines Verkäufers, der in einem anderen Betrieb auch schon als Dekorateur gearbeitet hatte, in der Dekorationsabteilung. Das Gericht verneinte eine dahingehende Verpflichtung des Arbeitgebers, weil dieser frei entscheiden könne, ob er in der betreffenden Abteilung nur voll ausgebildete Arbeitnehmer beschäftigen wolle. Ein anderes Beispiel für die Ignorierung der anerkannten Verpflichtung zur Versetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz enthält die Entscheidung 23174, die das Begehren eines entlassenen Lagerarbeiters als Dachdeckergehilfen u. a. mit dem Argument zurückweist, daß der Arbeitgeber dazu vertraglich nicht verpflichtet sei. Neben dieser Tendenz zur Relativierung der Weiterbeschäftigungspflicht finden sich aber im Jahrgang 1974 auch mehrere Entscheidungen, in denen aufgrund der Verpflichtung zur Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz der Klage stattgegeben wird, und zwar nicht nur in Fällen, in denen der freie Arbeitsplatz dem alten Arbeitsplatz relativ ähnlich ist210 , sondern auch in einem Fall, in dem die Versetzungspflicht nicht auf der Hand lag. In der Entscheidung 53/74 war die Klägerin bisher halbtätig als Schreibkraft beschäftigt worden und hatte aushilfsweise in der Mittagszeit den Telefondienst verrichtet. Das Gericht hielt die Entlassung für unwirksam, weil der Arbeitgeber der Klägerin den freien Arbeitsplatz einer ganztägig beschäftigten Telephonistin und Schreibkraft nicht angeboten hatte. 3.1.3.1.2. Auch bei der Behandlung der Frage, welche Einarbeitungszeit bzw. welchen Ausbildungsaufwand der Arbeitgeber auf sich nehmen muß, um die Versetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz zu ermöglichen, bestehen zwischen 1967 und 1974 Unterschiede, die trotz der wenigen einschlägigen Entscheidungen nicht nur als zufällig angesehen werden können. 1967 wird in allen drei Entscheidungen211 , in denen die Versetzung auf einen Arbeitsplatz mit unterschiedlichen Qualifikationsanforderungen in Frage steht, die Versetzungspflicht abgelehnt, ohne daß der Einarbeitungs- bzw. Weiterbildungsaufwand bestimmt und gewürdigt wird. Die Möglichkeit wird also gar nicht ernsthaft erwogen, obwohl sie nach der Sachlage durchaus in Betracht kam, etwa in der Entscheidung 17/67, wo der neue Aufgabenbereich offenbar nur eine gewisse Anlernzeit erfordert hätte, aber auch in der Entscheidung 21/67, bei der ein bisher als Lohnabrechner beschäftigter Arbeitnehmer ohne buchhalterische Ausbildung in der Buchhaltung weiterbeschäftigt werden wollte. 210 E 5/74 und E 52/74. Auch in E 28/74 findet sich eine grundlegende Überprüfung der Versetzungsmöglichkeiten, auch wenn sie im Ergebnis zur Verneinung führt. 211 E 17/67, E 21/67, E 27/67.

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor1betriebsbedingten Kündigungen

Umgekehrt ist in den beiden einschlägigen Entscheidungen von 1974 die Versetzungspflicht trotz der Notwendigkeit einer vorausgehenden Ausbildung bzw. Einarbeitung bejaht worden. So hielt das Gericht in der Entscheidung 32/74 den Arbeitgeber für verpflichtet, dem Arbeitnehmer einen Ausbildungskurs von 2 bis 3 Monaten zu ermöglichen, um die neu im Lichtsatzstudio installierte Fotosetzanlage bedienen zu können, und begründete das mit der durch die vierjährige Betriebszugehörigkeit verstärkten Fürsorge- und Treuepflicht. In der anderen Entscheidung 74/74 karn es im Ergebnis nur auf die Zumutbarkeit einer zweiwöchigen Anlernzeit an, aber das Gericht ließ erkennen, daß auch die Verpflichtung zu einer halbjährigen Anlernzeit unter Aufsicht einer erfahrenen Kraft nicht von vornherein ausscheiden würde. 3.1.3.2. Die andere neben der Versetzung relevante Maßnahme zur Vermeidung von Entlassungen, nämlich die Einführung von Kurzarbeit, hat nach dem vorliegenden Entscheidungsmaterial praktisch keine Bedeutung. In den Entscheidungen des Jahrgangs 1967 wird diese Problematik überhaupt nicht behandelt. Aber auch die zunehmende Bedeutung der Kurzarbeit in den letzten Jahren, nicht zuletzt wegen der stärkeren Unterstützung durch das Kurzarbeitergeid, schlägt sich in den Entscheidungen nicht in der Form nieder, daß insbesondere bei Kündigungen wegen Beschäftigungsschwankungen die Möglichkeit der Kurzarbeit überprüft wird. Die wachsende praktische Bedeutung von Kurzarbeit wird nur dadurch erkennbar, daß häufig zur Unterstützung der betrieblichen Notwendigkeit von Entlassungen darauf hingewiesen wird, daß es vorher bereits Kurzarbeitsperioden gegeben habe2 12 , oder daß später Kurzarbeit hätte eingeführt werden müssen213 • Die Frage, ob durch früher, länger oder umfangreicher eingeführte Kurzarbeit die Entlassung hätte vermieden werden können, wird auch in diesen Fällen überhaupt nicht gestellt214 • Auch der Hinweis auf andere Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen, nämlich durch Abbau von überstunden, Einstellungsstop, Angebot unbezahlter Freistellung von der Arbeit, ,auf-Lager-Arbeiten u. a., findet sich nur im Zusammenhang der Substantiierung der betrieblichen Notwendigkeit, d. h. wenn sie tatsächlich vorn Arbeitgeber praktiziert worden sind, nicht aber im Zusammenhang mit der Fragestellung, was der Arbeitgeber zur Vermeidung von Entlassungen unternehmen muß. E 19/74, E 44/74. E 1/74, E 11/74, E 29/74. 214 Eine fundierte Stellungnahme da:ru findet sich nur in der Berufungsentscheidung :7jU E 77/74, in der das LAG betont, daß bei nachhaltiger und über drei Monate anhaltendem Auftragsrückgang bei schlechter Prognose für die weitere Entwicklung der Ausgleich des Beschäftigungsrückgangs durch Kurzarbeit nicht verlangt werden könne. 211

213

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

89

3.1.4. Die inhaltliche Analyse der arbeitsgerichtlichen Urteile hat die folgenden wesentlichen Einsichten erbracht: -

In den Urteilen finden sich nur in Ausnahmefällen Auseinandersetzungen mit den theoretisch relevanten Fragen der Auslegung und Konkretisierung des Kündigungsschutzes bei betriebs bedingten Kündigungen, sei es in Form der Begründung oder Absicherung der eigenen Position oder in der Darstellung und Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen. In der Regel wird die Position auch gar nicht offengelegt und spezifiziert, sondern läßt sich nur ungenau aus dem Begründungszusammenhang erschließen.

-

Manche in der Theorie breit diskutierten Instrumente der überprüfung spielen in der Praxis keine Rolle, so die Interessenabwägung zwischen den betrieblichen Interessen und dem Arbeitsplatzerhalt und die verschiedenen Ausprägungen der Grobkontrolle.

-

Das Fehlen einer offenen Auseinandersetzung mit den anstehenden Fragen und die Reduktion der Komplexität durch den Verzicht auf einige dogmatische Instrumente ist aber nicht gleichzusetzen mit Einheitlichkeit und Problemlosigkeit bei der praktischen Umsetzung des Kündigungsschutzes. Vielmehr zeigen sich im Verhältnis der Kammern zueinander erhebliche Unterschiede. Der Entscheidungsspielraum, der durch die Abstraktheit und Unklarkeit der zum Kündigungsschutz vertretenen Theorien belassen wird, wird offenbar von den einzelnen Richtern entsprechend ihrer jeweiligen Einstellung ausgefüllt, und zwar i. d. R. pragmatisch und fallbezogen statt in offener argumentativer Auseinandersetzung mit dem Grundproblem der überprüfbarkeit der wirtschaftlichen Entscheidungen.

-

Bei nahezu allen Aspekten der überprüfung lassen sich tendenziell deutliche Unterschiede zwischen 1967 und 1974 feststellen, die i. d. R. nicht auf Zufälligkeiten zurückgeführt werden können, und zwar im Sinne der stärkeren Aufklärung der wirtschaftlichen Hintergründe und der Verschärfung der Anforderungen an den Arbeitgeber, den Arbeitsplatz zu erhalten.

-

Die überprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe der betriebsgestaltenden Entscheidungen ist trotz dieser Entwicklung nach wie vor sehr zurückhaltend, und zwar bei Rationalisierungen noch stärker als beim Personalabbau. Die relativ wenigen Fälle von Rationalisierungen, unter denen sich zudem kaum technische Umstellungen finden, lassen keine eindeutige Beurteilung des Umfangs und des Maßstabes der überprüfung erkennen. Es finden sich neben offenem oder immanentem Verzicht auf jede überprüfung Ansätze einer Würdigung unter dem Aspekt der Umsatz- oder Rentabilitätsentwicklung. Doch läßt die einzelfallorien-

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1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

tierte Argumentation den Entscheidungsmaßstab nicht erkennen. Im übrigen bleibt fraglich, ob alle Erwägungen der Gerichte zur Notwendigkeit der Rationalisierungen als Ausdruck einer entsprechenden überprüfbarkeit interpretiert werden können oder lediglich als psychologisch motivierte Erwägungen, die dem unterlegenen Arbeitnehmer die Kündigung eher hinnehmbar erscheinen lassen sollen. Bei den Entscheidungen, die Beschäftigungsschwankungen betreffen, finden sich die deutlichsten Unterschiede zwischen 1967 und 1974. Während 1967 mit Ausnahme einer Kammer keine überprüfung der Notwendigkeit eines Personalabbaus vorgenommen wurde, finden sich 1974 verschiedene Ansätze einer überprüfung: z. T. wird allein auf den Umsatz bzw. die Rentabilitätsentwicklung abgestellt, z. T. exakter auf das Verhältnis des Personalbestands zur Produktionsentwicklung, z. T. aber auch unabhängig von diesen Kriterien auf die konkrete Auslastung der Arbeitskraft des betroffenen Arbeitnehmers. Die Bezugsebene der überprüfung, d. h. ob auf die Situation des einzelnen Arbeitsplatzes, der entsprechenden Abteilung oder des ganzen Betriebes abgestellt wird, ist ganz unterschiedlich, ebenso der Wertungsmaßstab für die Notwendigkeit von Entlassungen. Es verdient dabei herausgestellt zu werden, daß einerseits der Abbau von Personal zur Steigerung des Gewinns ohne weiteres akzeptiert wird, während andererseits dem Arbeitgeber der Arbeitsplatzerhalt trotz beachtlicher Umsatz- und Rentabilitätseinbußen zugemutet wird. -

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vermeidung von Entlassungen durch andere Maßnahmen wird trotz gewisser Veränderungen zwischen 1967 und 1974 nach wie vor sehr restriktiv gehandhabt und deshalb als Problem nur in relativ wenigen Entscheidungen angesprochen. Dabei wird z. T. nicht nur bei Alternativen wie Kurzarbeit, sondern auch bei der Frage der Versetzungspflicht auf einen freien Arbeitsplatz das Argument der freien unternehmerischen Entscheidung herangezogen. 1967 und 1974 spielte praktisch nur die Versetzungspflicht eine Rolle, die zudem bei Verschiedenheit der Arbeitsplätze von vornherein verneint wurde, ohne - wie teilweise in Entscheidungen von 1974 - zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage und bereit war, den ggf. schlechteren Arbeitsplatz anzunehmen. Auch erst 1974 finden sich Entscheidungen mit der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbildung oder Anleitung des Arbeitnehmers, die über das wohlverstandene Eigeninteresse des Betriebes hinausging. Die anderen theoretisch diskutierten Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen trotz der Notwendigkeit des Personalkapazitätenabbaus oder der Rationalisierung, wie insbesondere Kurzarbeit, aber auch Arbeitszeitverkürzungen, Ein-

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

91

stellungsstop, Abfindungsaktionen, auf-Lager-Arbeiten u. a., sind auch 1974 noch nicht bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung erwogen worden. 3.2. In der Literatur finden sich nur vereinzelt Aussagen zum Ablauf und zu den Erfolgsaussichten von Kündigungsschutzprozessen allge-mein, deren empirische Grundlagen zudem häufig nicht offengelegt oder vorhanden sind und die i. d. R. auch nur einige allgemeine Aspekte betreffen215 • Im Vordergrund des Interesses steht dabei zum einen die lange Dauer der arbeitsgerichtlichen Verfahren, die gerade bei Kündigungsschutzprozessen den Rechtsschutz praktisch entscheidend beeinflußt218. Danach haben in den letzten Jahren insbesondere die Kündigungsschutzklagen stark zugenommen, die einen erheblichen Anteil der arbeitsgerichtlichen Verfahren insgesamt beanspruchen217 • Auch der Anteil der betriebsbedingten Kündigungen von den Kündigungsschutzverfahren insgesamt liegt sehr hoch218 • Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß die Arbeitnehmer intensiver um den Erhalt des Arbeitsplatzes zu kämpfen bereit sind und deshalb die Vergleichsbereitschaft abnehme. Diese Entwicklung hat aber offenbar die grundsätzliche Tendenz, .daß die Kündigungsschutzverfahren i. d. R. anders als durch Urteil, insbesondere durch Vergleich oder Klagrücknahme 219 , enden, nicht verändert. Die thematische Begrenztheit dieser Aussagen zum Kündigungsschutzverfahren, aber auch die geringe empirische Absicherung ermutigen dazu, das vorliegende Material auch statistisch auszuwerten, und zwar nicht nur in Hinblick auf die schon bekannten Aspekte, sondern auch unter konkreteren Fragestellungen zum Ablauf und den Erfolgsaussichten von Kündigungsschutzprozessen bei betriebsbedingten Kündigungen. Die begrenzte Gültigkeit der hier aufzuzeigenden Befunde wegen der Beschränkung auf die mit Urteil abgeschlossenen Verfahren und auf die 215 Neuerdings hat diese Problematik erhöhte Aufmerksamkeit auf sich gezagen, vgl. Fezer u. a.; IG Metall, Kündd.gungsschutztagungen; Schönholz / Albrecht / Reidegeld, BIStSozArbR 1979, S. 273 ff.; Klees, BIStSozArbR 1978, S. 177 ff.; Notter, BIStArbR 1978, S. 182; eine umfassende empirische Untersuchung ist von dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in Auftrag gegeben worden; die Ergebnisse des Forschungsprojektes "Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland", das von der sozialwissenschaftlichen Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg durchgeführt wird, sollen. Mitte 1980 vorliegen. 218 Vgl. dazu Klees, ZRP 1976, S. 152 m. w. N. 211 Der Anteil von Kündigungsschutzklagen an den arbeitsgerichtlichen Verfahren liegt offenbar zwischen 25 Ofo und 50 %; vgl. dazu Becker / Rommelspacher, ZRP 1976, S. 40; Schönholz, S. 7. 218 Der Anteil der betriebsbedingten Kündigungen an den Kündigungsschutzprozessen liegt offenbar bei 50 %; vgl. FR v. 3. 3. 1976, S. 16. 219 VgI. dazu u. a. Notter, DB 1976, S. 772; Schönholz, S. 19.

92 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen Urteile des Arbeitsgerichts Hamburg von zwei Jahrgängen wird dabei nicht verkannt. Sie beeinträchtigt aber nicht den Wert dieser Untersuchungen bei der Zielsetzung, einen zusätzlichen Informationsgehalt des vorliegenden rechtstatsächlichen Materials aufzuschlüsseln und daraus begründete Fragestellungen und Hypothesen zu entwickeln, die mit anderen Erfahrungswerten verglichen werden können und zu weiteren Untersuchungen den Anstoß geben können22o • 3.2.1. Eine Identifizierung und Zuordnung des Kündigungsgrundes ist nicht in allen Entscheidungen eindeutig möglich. Trotz der deshalb unvermeidlichen einzelnen Zweifelsfälle ist unverkennbar, daß die Fallgruppe des Personalabbaus, sei es wegen Beschäftigungsmangels oder sei es unmittelbar wegen Rentabilitätsschwierigkeiten, eindeutig dominiert, daß daneben Fälle der organisatorischen Rationalisierung eine gewisse Rolle spielen, während technische Rationalisierungen kaum vorkommen221 • Der Vergleich dieses Befundes mit den Ursachen von betriebsbedingten Kündigungen allgemein zeigt Unterschiede insbesondere bei den durch Stillegungen bzw. Rationalisierungen bedingten Kündigungen, die in der betrieblichen Beschäftigungspolitik hinter denen wegen Auftragsmangels eine beachtliche Rolle spielen. Während der Unterschied bei den Stillegungen unmittelbar einleuchtet, weil der Kampf um den Arbeitsplatzerhalt bei einer Betriebsstillegung i. d. R. an faktische Grenzen stößt, ist der Unterschied bei den technischen Rationalisierungen wohl nur damit zu erklären, daß die in der rechtswissenschaftlichen Diskussion allgemein anerkannte Auffassung von der Unabänderlichkeit der durch technischen Fortschritt bedingten Entlassungen Auswirkungen auf die Verfahren insoweit hat, daß solche Kündigungen nicht so entschieden bekämpft werden, es sei denn aus Gründen der Versetzungsmöglichkeit oder der fehlerhaften sozialen Auswahl. Zu den Fragen, wann es sich um kleinere, mittlere oder große Unternehmen bzw. um Einzel- oder Massenkündigungen gehandelt hat, fehlen oft Angaben, so daß eine statistische Auswertung nicht lohnend erscheint. Immerhin scheint es, daß relativ häufig kleinere Betriebe in Kündigungsschutzverfahren wegen betriebsbedingter Kündigung verwickelt werden, was der Tendenz nach dem Umstand entspricht, daß kleine Betriebe nicht nur einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer beschäftigen, sondern darüber hinaus überproportional viele Entlassungen aussprechen22l!. Der Status der Kläger soll hier nicht hinsichtlich der Berufs- und Qualifikationsgruppe, sondern nur hinsichtlich der Zuordnung als ArVgl. Anm. 215. m Das Verhältnis von Fällen der Rationalisierung und des Personalabbaus war 1967 10 zu 27 und 1974 13 zu 55. tU Vgl. S. 115 f. 220

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

93

beiter oder Angestellter ausgewertet werden, weil sich dazu u. a. aus den Kündigungsfristen regelmäßig Feststellungen treffen lassen. Dabei fällt auf, daß schon 1967, aber noch stärker 1974 die Urteile mit Angestellten als Kläger in der überzahl sind223 • Der Vergleich dieses Befundes mit der Tatsache, daß Angestellte trotz steigender Tendenz relativ weniger von Entlassungen betroffen sind, läßt die Deutung zu, daß Angestellte eher bereit sind, um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes zu kämpfen bzw. das Verfahren bis zum Urteils spruch durchzuhalten22'. Die Auswertung des Materials unter dem Aspekt des Alters der Kläger in Tabelle 1 zeigt u. a. im Vergleich der Jahrgänge 1967 und 1974 eine deutliche Verminderung des Anteils älterer Arbeitnehmer zu Lasten jüngerer Arbeitnehmer. Auch das entspricht der Tendenz bei den Entlassungen allgemein 225 , ist aber trotzdem bemerkenswert, weil offenbar auch jüngere Arbeitnehmer nicht ohne weiteres bereit sind, den Arbeitsplatzverlust hinzunehmen. Tabelle 1

Altersstruktur der Arbeitnehmer

Altersstufe bis 29

39

49

59

über 60

20,6

20,6

6,9

27,6

24,1

28,8

31,3

15,5

17,7

6,6

1967 (n = 29)

Ofo 1974 (n = 45)

Ofo

Die Tabelle 2 zur Einbeziehung von Prozeßvertretern durch den Arbeitnehmer zeigt zum einen, daß die Praxis eines ohne Rechtsbeistand geführten arbeitsgerichtlichen Prozesses weiter im Schwinden ist, daß aber jedenfalls 1974 nicht von der regelmäßigen Erfolglosigkeit der selbständigen Vertretung gesprochen werden kann. Bemerkenswert ist der starke und sich offenbar sogar noch verstärkende Einsatz von Rechtsanwälten neben den gewerkschaftlichen Rechtsbeiständen. 223 Das Verhältnis von Angestellten zu Arbeitern war 1967 19 zu 18 und 1974 41 zu 33. 224 Allerdings ist zu berücksichtigen, daß Hamburg einen überproportional ausgeprägten Dienstleistungsbereich hat. 225 Vgl. dazu S. 120.

94 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen Tabelle 2

Der Einsatz von Rechtsbeiständen

Gewerkschaftsvertreter 1967 (n

=

=

kein

37,8

32,4

29,4

34,2

47,3

18,43

38)

% 1974 (n

Rechtsanwalt

76)

Ofo

Zur vieldiskutierten Frage der Verfahrensdauer ist nicht nur der durchschnittliche Wert aufschlußreich, der sich von 4,3 Monaten 1967 auf 6,7 Monate 1974 erhöht hat. Anschaulicher und problemadäquater ist eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Verfahrensdauerstufen (vgl. Tabelle 3), aus der sich u. a. ablesen läßt, daß eine Verfahrensdauer von bis zu 3 Monaten, die sich mit der Zielsetzung des faktischen Arbeitsplatzerhaltes gerade noch vereinbaren ließe, von einem Anteil von 45,9 (J/o im Jahre 1967 auf einen Anteil von 12,9 (J/o im Jahre 1974 sank. Tabelle 3

Verfahrensdauer (in Monaten)

3

6

9

über 10

45,9

35,1

16,2

2,7

12,9

42,8

31,1

12,9

1967 (n = 37)

Ofo 1974 (n = 77)

Ofo

Die Diskussion über die Möglichkeiten der Gerichte, die wirtschaftlichen Hintergründe von Entlassungen aufzuklären und zu beurteilen, lenkt das Augenmerk auf die Häufigkeit, das Thema und die Mittel von Beweisaufnahmen. Die entsprechenden Zusammenstellungen in der Tabelle 4 zeigen hinsichtlich des Beweisthemas, daß es zwar meistens um das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Grundes ging, dabei aber relativ häufig unter dem Aspekt, ob der Arbeitsplatz tatsächlich weggefallen ist. Bei den Beweismitteln gibt es eine absolute Dominanz der

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

95

Zeugenvernehmung von Vorgesetzten und leitenden Angestellten, während der Betriebsrat auch 1974 nur ganz selten gehört wird und die Einbeziehung von Sachverständigen überhaupt nicht vorkommt. Wenn man zudem berücksichtigt, daß die relative Häufigkeit von Beweisaufnahmen 1974 gegenüber 1967 noch abgenommen hat, ist der Schluß erlaubt, daß die Arbeitsgerichte in der Beurteilung des Sachverhaltes weitgehend auf die Darstellung des Arbeitgebers angewiesen sind, die durch die Zeugenvernehmung leitender Angestellter oder Vorgesetzter i. d. R. nicht korrigiert wird. Möglichkeiten einer selbständigen, unabhängigen Aufklärung und Würdigung der wirtschaftlichen Hintergründe sind faktisch noch nicht erschlossen worden. So erklärt sich vielleicht auch das zunächst überraschende Ergebnis, daß die Verfahren mit Beweisaufnahme deutlich seltener zu einem für den Arbeitnehmer günstigen Ergebnis führen: Die Erfolgsquote, d. h. der Prozentsatz der die Kündigung als unwirksam feststellenden Urteile, beträgt 1967 bei allen Urteilen 48 % gegenüber W % bei den Verfahren mit Beweisaufnahme und 1974 ist das Verhältnis entsprechend 50 6 10 zu 170/0. Mit der geringen Bedeutung der Arbeitnehmervertreter bei der Beweisaufnahme korrespondiert der Befund, daß die Stellungnahme des Betriebsrates bei der Anhörung zur beabsichtigten Kündigung in den Tabelle 4

Beweisthemen und Beweismittel (in absoluten Zahlen)

Beweisthema betrieb!. Grund

Weiterbeschäftigung möglich

soziale Auswahl

Anhörung des BR'es

1967

10

5

2

.1.

1974

15

1

1

1

1967

.t.

. t.

.t.

.t.

1974

1

. t.

.1.

·1.

1967

. t.

.I.

.t.

.1.

1974

1

.1·

·1.

1

Beweismittel Leitende Angestellte und Vorgesetzte

Betriebsrat

beide

96

1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

Urteilen bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung kaum Beachtung findet. In nur 19 der 37 Entscheidungen des Jahres 1974, in denen das Vorhandensein des Betriebsrates festgestellt wurde, war aus dem Urteil überhaupt ersichtlich, ob die Betriebsräte Bedenken gegen die Kündigung geltend gemacht hatten oder nicht. Auch in diesen Fällen wurden im übrigen die Argumente der Betriebsräte nicht im einzelnen dargelegt oder gewürdigt. 3.2.2. Neben diesen Befunden zu einzelnen Aspekten des Kündigungsschutzverfahrens erscheint mir eine empirisch fundierte Einschätzung der Effektivität des Kündigungsschutzes besonders wichtig, die hier zwar nicht verläßlich ermittelt, zu der aber ein kleiner Beitrag geleistet werden kann226• Zu einem positiven Urteil könnte man kommen, wenn man allein auf die Erfolgsquote der mit Urteil abgeschlossenen Kündigungsschutzverfahren abstellt, d. h. darauf, daß 1967 und 1974 jeweils bei der Hälfte der bis zu dem erstinstanzlichen Urteil geführten Prozesse die Kündigung als sozial nicht gerechtfertigt anerkannt wurdeW. Dieses Ergebnis muß aber ergänzt bzw. korrigiert werden. Bei der Fragestellung, ob der Arbeitsplatz durch den Kündigungsschutz erhalten werden konnte, muß nicht nur berücksichtigt werden, in wievielen Fällen trotz Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis durch das Gericht unter Festsetzung einer Abfindung aufgelöst worden ist, sondern auch, ob im weiteren Verfahrensablauf eine Modifikation des Ergebnisses eingetreten ist. Dabei zeigt sich, daß besonders 1967, aber auch noch 1974, die Arbeitgeber i. d. R. nicht bereit sind, das für sie ungünstige Urteil zu akzeptieren, sondern in die Berufung gehen, so 1967 in 11 von 15 Fällen und 1974 immerhin in 11 von 40 Fällen, in denen nach dem erstinstanzlichen Urteil das Arbeitsverhältnis fortbestand2l!8. Sie konnten dabei kaum jemals ein für sie günstiges Urteil erstreiten, 1967 bei keiner der elf Berufungen und 1974 nur bei einer von elf Berufungen. Trotzdem ging im Ergebnis i. d. R. dem Arbeitnehmer der Arbeitsplatz verloren, indem in der Berufungsinstanz eine vergleichsweise Auflösung des Arbeitsplatzverhältnisses vereinbar wurde, 1967 in 10 von 11 Fällen und 1974 in 9 von 11 Fällen. Umgekehrt versuchen Arbeitnehmer i. d. R. nicht, das Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils durch die Berufungsinstanz korrigieren zu lassen. 1967 haben sie nur in 2 von 19 Fällen und 1974 nur in einem von 40 Fällen Berufung gegen ein ihre Klage abweisendes Urteil eingelegt. U8 127 818

Vgl. zu dieser Problematik die in Anm. 215 aufgeführte Literatur. 1967 bei 48 % und 1974 bei 50 Ofo der Urteile. Dieses Phänomen hat auch Schönholz S. 23 aufgedeckt.

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

97

Sie konnten jeweils durch die vergleichsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung nur einen Teilerfolg erreichen. Bei der Zusammenstellung dieser verschiedenen Faktoren zeigt sich, daß das Zwischenergebnis beim erstinstanzlichen Urteil im Laufe des Verfahrens sich noch erheblich zuungunsten des Arbeitnehmers verändert, daß nämlich nach der endgültigen Aktenlage 1967 nur in 5 von 37 Fällen und 1974 nur in 24 von 80 Fällen das Arbeitsverhältnis aufrechterhalten blieb. Das entspricht einer Erfolgsquote von 13 % bzw. 32 Ofo. Ob diese Arbeitnehmer dann auch tatsächlich weiterbeschäftigt worden sind, läßt sich im übrigen nicht feststellen. Die entscheidende Relativierung der Erfolgsquote von Kündigungsschutzurteilen liegt aber nicht im hier analysierten Verlauf des Kündigungsschutzverfahrens begründet, sondern in den vorgeschalteten Schranken. Einen Hinweis darauf gibt die extrem niedrige Anzahl von Urteilen über betriebsbedingte Kündigungen in den beiden untersuchten Jahrgängen des Arbeitsgerichts Hamburg, wenn man sie mit der vermutlich hohen Zahl von tatsächlich erfolgten und wirksam gewordenen betriebsbedingten Kündigungen in dem Einzugsbereich vergleicht. Wegen fehlender bzw. ungenauer statistischer Angaben lassen sich diese Zusammenhänge nicht exakt erfassen; es sollen aber die verschiedenen Schwellen, die der Durchsetzung des Arbeitsplatzerhaltungszieles entgegenstehen, aufgezeigt und näherungsweise gewichtet werden. Auf Grund eigener Ermittlungen und Schätzungen229 ist davon auszugehen, daß weniger als 10 % der betriebsbedingten Kündigungen überhaupt einer arbeitsgerichtlichen Prüfung durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zugeführt werden230 • Von den schätzungsweise 2000 bzw. 3000 Klagen gegen betriebsbedingte Kündigungen in den Jahren 1967 bzw. 1974 sind nur 37 bzw. 80 durch Urteil entschieden worden, also nur 2 bis 3 Ofo. Das zeigt, daß die Zahl der Erledigung anders als durch Urteil, insbesondere durch Vergleich oder Klagrücknahme, bei betriebsbedingten Kündigungen noch höher ist als in den Kündigungsschutzprozessen allgemein, für die übereinstimmend ein Anteil von ca. 90 % angegeben wird. Dafür spricht auch der vorliegende Befund, daß beim Arbeitsgericht Hamburg 1967 nur ca. 8 "'/0 und 1974 nur ca. 16 % der Ur229 Ausgegangen wurde von der eher vorsichtigen SchätzuIlJg von 20 000 (1967) bzw. 30000 (1974) betriebsbedingten Künddgungen im Einzugsbereich des Arbeitsgerichtes Hamburg; dem standen ca. 7800 (1967) bzw. ca. 10 000 (1974) Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg gegenüber, von denen schätzungsweise 25 0/ 0, d. h. 2000 (1967) bzw. 2500 (1974), betriebsbedingte Kündiigungen betrafen. 230 Zu entsprechenden Werten kommt auch Kohl in: Brehm / Pohl, S. 311 und Wlotzke in: IG Metall, Kündigungsschutztagungen, S. 156, weil man den dort gegebenen Wert um 5 % wegen der Einbeziehung der ca. 50 Ofo Arbeitnehmerkündigungen verdoppeln muß.

7 Woltet

98

1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

teile von Kündigungsschutzprozessen betriebsbedingte Kündigungen betrafen, während der Anteil der betriebsbedingten Kündigungen bei den eingereichten Kündigungsschutzklagen erheblich höher, nämlich bei ca. 50 Ofo liegt231 • Die Zusammenschau dieser einzelnen Faktoren, die faktisch der Durchsetzung des Ziels der Arbeitsplatzerhaltung entgegenstehen, erlaubt eine quantitative Einschätzung der Effektivität des Kündigungsschutzes, die jede verbleibende Erwartung oder positive Wertung zerstören muß. Danach werden deutlich weniger als 1 Ofo der betriebs bedingten Kündigungen einer urteilsmäßigen überprüfung unterzogen. Und auch für diese restlichen Fälle ergibt sich unter Berücksichtigung des weiteren Verfahrensganges nur eine Erfolgsquote von 13 bzw. 32%. Offenbar kann also nur in ca. einem von tausend Fällen durch den Kündigungsschutz im Ergebnis der Verlust des Arbeitsplatzes verhindert werden232• Aus diesen Ergebnissen gewinnt man aber noch keine eindeutige Antwort auf die rechtspolitisch entscheidende Frage nach den Gründen für die mangelhafte Wirksamkeit. Geklärt werden müßte, warum so wenige Klage gegen betriebsbedingte Kündigungen anhängig gemacht und bis zum Urteil durchgehalten werden. Sind es primär die geringen Aussichten, die Kündigung rechtlich als unwirksam anerkannt zu bekommen, die die Arbeitnehmer von der Verfolgung des Zieles, den Arbeitsplatz zu behalten, abhalten, und handelt es sich dementsprechend bei den wenigen durch Urteil beendeten Verfahren um eine untypische Auswahl, die nur deshalb eine relativ hohe Erfolgsquote aufweist, oder sind es im wesentlichen andere Umstände, die die faktische Durchsetzung eines an sich bestehenden materiell rechtlich ausreichenden Schutzes verhindern? Die Bedeutung dieser anderen Umstände ist wiederholt betont worden233 • Ohne Zweifel bestehen bei Kündigungen sehr wirksame Hemmnisse, den Rechtsweg zu beschreiten: z. B. das mangelnde Wissen um den bestehenden ReChtsschutz, die Nichteinhaltung der drei-WochenFrist für die Klageerhebung, das Kostenrisiko, das nur für den kleineren Teil der gewerkschaftlich Organisierten beseitigt ist. Hierin kommt die auch psychisch bedingte Zurückhaltung aufgrund momentaner Betroffenheit oder Resignation, die Hemmung, gegen den sozial höher gestellten Arbeitgeber anzugehen, bzw. die Unlust, die eigene Arbeit jemandem anzubieten oder aufzuzwingen, der sie nicht mehr freiwillig in Anspruch nehmen will. Vgl. Anm. 218. Zu entsprechenden Erfahrungswerten kommt Teichmüller in: IG Metall, Kündigungsschutztagungen, S. 87. 233 Becker / Rommelspacher, ZRP 1976, S. 40 f.; Notter, DB 1976, S. 772. 231

282

3. Rechtstatsächliche Untersuchungen anhand von Urteilen

99

Diese Faktoren erklären aber im wesentlichen nur, warum nur ein kleiner Prozentsatz der betroffenen Arbeitnehmer überhaupt Kündigungsschutzklage erhebt, nicht aber, warum i. d. R. das Verfahren vom Kläger nicht bis zum Urteil weitergeführt wird. Zur Erklärung dieses Umstandes ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß nach Ablauf der Kündigungsfrist der gekündigte Arbeitnehmer trotz rechtzeitiger Erhebung der Kündigungsschutzklage faktisch und rechtlich gehalten ist, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen und anzunehmen23'. Faktisch, insoweit die Untätigkeit aus persönlichen und praktischen Gründen, d. h. wegen negativer Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen, nicht empfehlenswert erscheint, und rechtlich wegen der Bestimmung des § 11 KSchG und der Bindung der Arbeitslosenunterstützung an die Voraussetzung, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen (§§ 100, 103 AFG). Damit soll nicht geleugnet werden, daß auch ein je nach Arbeitsmarktlage schwankender Teil der klagenden Arbeitnehmer von sich aus entschlossen ist, einen anderen Arbeitsplatz zu suchen bzw. schon einen in Aussicht hat, und die Kündigungsschutzklage im wesentlichen nur dazu dient, durch die vergleichsweise Auflösung eine Abfindung zu erlangen. Die Wirksamkeit der rechtlichen und faktischen Zwänge zu einer anderweitigen Arbeitsaufnahme, die den Kampf um den Erhalt des Arbeitsplatzes im Grunde gegenstandslos macht, ist nach den hier vorliegenden Befunden ungebrochen. Auch die Regelung des § 102 V BetrVG über die Weiterbeschäftigungspfiicht des Arbeitgebers bei Widerspruch des Betriebsrats hat keine einschneidenden Änderungen bewirkt236• Nur in sieben der 80 Urteile ist ein Hinweis auf den Widerspruch des Betriebsrats enthalten, aber - soweit erkennbar - resultierte daraus nur in einem Fall die tatsächliche Weiterbeschäftigung, während in einem anderen um die Durchsetzung der Weiterbeschäftigungspfiicht und die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspfiicht je ein Rechtsstreit geführt wurde. Die in den letzten Jahren vieldiskutierte Frage der vorläufigen Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzverfahrens unabhängig von § 102 Abs. 5 BetrVG236, 237, spielte in den von mir untersuchten noch keine Rolle. 23' Vgl. u. a. Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, S. 41; zur begrenzten Möglichkeit der Lohn- bzw. Gehaltszahlungen während des Kündigungsschutzverfahrens durch einstweilige Verfügung vgl. Eich, Beilage 10 zu DB, Heft 20

v. 21. 5. 1976.

Näheres dazu Seite 151 f. Nachweise zum neuesten Schrifttum bei Nickel, ZfA 1979, S. 422. 237 Zur Entscheidung über den Vorlagebeschluß des 2. Senats des Bundesarbeitsgerichtes v. 18. 1. 1979, BB 19'79, S. 165 f. durch den Großen Senat wird es nicht kommen. 235

138



100 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen Trotz der ungebrochenen Wirksamkeit des Druckes, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen, auf die Vergleichsbereitschaft der Arbeitnehmer kann der hohe Prozentsatz der Vergleiche nicht allein darauf zurückgeführt werden. Anderenfalls wäre der Fortbestand der hohen Vergleichsquote auch in Zeiten schlechter Arbeitsmarktchancen, in denen ein großer Teil der aus betrieblichen Gründen Entlassenen jedenfalls kurzfristig keine andere Arbeit findet, nicht zu erklären. M. E. sind die Vergleiche häufig auch eine Konsequenz der geringen und nicht vorhersehbaren Aussichten des Arbeitnehmers, den Prozeß zu gewinnen, zumal die Akzeptierung des Arbeitsplatzverlustes durch den Arbeitnehmer i. d. R. durch eine Abfindungszahlung belohnt wird. Die Abfindung ist nicht nur ein Äquivalent für das verbleibende Prozeßrisiko des Arbeitgebers bzw. die mit dem Verfahren verbundenen Kosten und Unannehmlichkeiten, sondern unabhängig davon auch die Konsequenz der vom Rechtsstab überwiegend akzeptierten sozialen Anschauung, daß auch eine betrieblich notwendige Kündigung in ihren Folgen z. T. durch eine Abfindung kompensiert werden sollte. Die Wirksamkeit dieser Wertung, die mit der gesetzlichen Wertung im Kündigungsschutzgesetz nicht übereinstimmt, privilegiert aus der Sicht des Arbeitnehmers vom Ergebnis her den Vergleich gegenüber dem Urteil. Die Vergleichsbereitschaft des Arbeitnehmers liegt also nicht nur darin begründet, daß für ihn aufgrund der psychischen und sozialen Situation der gegenwärtige, berechenbare Teilerfolg i. S. einer Abfindung wichtiger ist als die entsprechend geringere Chance auf den vollen Erfolg i. S. des Arbeitsplatzerhalts, sondern wird verstärkt dadurch, daß er aufgrund der vom Rechtsstab weitgehend internalisierten Tendenz zur vergleichsweisen Auflösung gegen eine Abfindung häufig auch dann eine Abfindung erreichen kann, wenn er kein für ihn günstiges Urteil erwarten kann. Zusammenfassend ergibt sich, daß die extrem geringe Effektivität des Kündigungsschutzes gemessen am Ziel des Arbeitsplatzerhalts vermutlich auf ganz unterschiedliche, jeweils sehr wirksame Faktoren zurückzuführen ist: - die kognitiven, materiellen und psychischen Schwellen, den Rechtsschutz gegen eine betriebsbedingte Kündigung zu suchen; - die rechtlichen und faktischal Zwänge, die das Ziel des Arbeitsplatzerhalts durch die Aufnahme anderweitiger Arbeit weitgehend gegenstandslos machen; - die Förderung des vergleichsweisen Verzichts auf den Arbeitsplatz, nicht nur durch die rechtlich begrenzt wirksame und unklare Ausgestaltung des Kündigungsschutzes, sondern auch durch die Privilegierung des Vergleichs aufgrund der Wirksamkeit sozialer Anschauungen über die Berechtigung von Abfindungen.

4. Weiterführende überlegungen

101

4. Weiterführende tJberlegungen Die rechtstatsächlichen Untersuchungen haben die Wirksamkeit außergerichtlicher Faktoren bei der Beeinträchtigung der Effektivität des Kündigungsschutzes veranschaulicht. Davon unberührt bleibt aber die Einschätzung, daß hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung des Kündigungsschutzes das Postulat der unternehmerischen Freiheit von entscheidender Bedeutung ist. Das Ergebnis der theoretischen Analyse, daß dieses Prinzip die Wirksamkeit der überprüfung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung auf allen Ebenen bestimmen kann, wird durch die rechtstatsächlichen Befunde im wesentlichen bestätigt, weil die unterschiedlichen Lösungsansätze im Kern darauf zurückgeführt werden können, inwieweit doch auf den verschiedenen Entscheidungsebenen eine Aufklärung und überprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe und Folgen stattfindet. Die bestehenden Unklarheiten und Widersprüche berechtigen nicht dazu, das Postulat der unternehmerischen Freiheit zu ignorieren und unabhängig davon einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln. Vielmehr ist davon auszugehen, daß dieses Prinzip nicht nur in der Vergangenheit die inhaltliche Konkretisierung des Kündigungsschutzes wesentlich bestimmt hat, sondern auch in Zukunft bestimmen wird und darüber hinaus wegen seines Anspruchs auf grundsätzliche Geltung auch die rechtspolitische Diskussion über die Reform des Kündigungsschutzes beeinflussen wird. Eine Auseinandersetzung mit der Gültigkeit und Aussagekraft dieses Prinzips erscheint deshalb unvermeidlich. 4.1. Die Begründung des Prinzips der unternehmerischen Freiheit, die in der Rechtsprechung kaum gegeben wird, die die Literatur dagegen lange beschäftigt hat, stellt zu Recht nicht nur auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte, sondern auch auf gesetzes- bzw. rechtssystematische und pragmatische Gesichtspunkte ab. 4.1.1. Teilweise ist versucht worden, aus dem Begriff "betrieblicher Grund" eine Beschränkung auf Umstände abzuleiten, die nicht den unternehmerischen Bereich betreffen238 • Ausgehend von der Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen239 werden unternehmerische Gesichtspunkte als außerhalb des Regelungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes liegend angesehen. Bei der überprüfung der Kündigung bleiben danach die unternehmerischen Entscheidungen als Ursache für die betrieblichen Erfordernisse von vorneherein außer Betracht, und es Vgl. u. a. Ribbert, S. 43 ff. und S. 78 m. w. N. und Maus § 1 RN 186. Grundlegend dazu Jacobi, Betrieb und Unternehmen, 1926; zur Bedeutung der Unterscheidung vgl. statt anderer Dietz-Richardi § 1 RN 49 ff.; Gramm, ArbuR 1964, S. 293 ff. 238

23U

102 1. Teil: Wirksamkeit d€s Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen.

darf allein auf die sich aus dieser Entscheidung ergebende betriebliche Situation abgestellt werden. Die Berechtigung und der Sinn der Unterscheidung zwischen dem Betrieb als der organisatorischen Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe ein bestimmter arbeitstechnischer Zweck fortgesetzt verfolgt wird, und dem Unternehmen als der organisatorischen Einheit, innerhalb der mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln bestimmte hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes liegende Zwecke fortgesetzt verfolgt werden, braucht hier nicht diskutiert zu werdenl!4O. Es kommt hier allein darauf an, daß aus dieser Unterscheidung nicht nach formaljuristischer Methode eine inhaltliche Bestimmung dessen abzuleiten ist, was als betrieblicher Grund im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes angesehen werden kann. Zwar hat auch das BAG die Betriebsbezogenheit des Kündigungsschutzgesetzes anerkannt, jedoch beziehen sich die einschlägigen Entscheidungen auf die Weiterbeschäftigungspflicht, orientieren sich deshalb nicht an dem Aspekt des "betrieblichen Erfordernisses", sondern an dem der "Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb"l!41. Die Betriebsbezogenheit bedeutet demnach nicht eine Beschränkung auf die organisatorischen bzw. technischen unter Ausklammerung von wirtschaftlichen Aspekten, sondern die Beschränkung auf den Betrieb als kleinere gegenüber dem Unternehmen als möglicherweise aus verschiedenen Betrieben bestehende und deshalb größere Einheit. Hinzu kommt, daß diese Begriffsbestimmung praktisch kaum durchführbar erscheint. Bei Ausblendung der im unternehmerischen wirtschaftlichen Bereich liegenden Gründe bleiben keine anderen selbständigen Gründe mehr übrig. Denn arbeitstechnische, d. h. auf konkrete Produktions- oder Verwaltungsaufgaben bezogene Zwecke können Kündigungen allein nicht begründen, sondern sind ihrerseits bestimmt und konkretisiert durch die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Zwecke der Gewinnerzielung bzw. anderer untergeordneter unternehmerischer Zielsetzungen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß ausgehend von der hier kritisierten Auffassung festgestellt worden ist, daß es nur zwei Arten von betrieblichen Gründen für Kündigungen gebe, nämlich den Arbeitsplatzwegfall und den Arbeitsmangel242 • Dazu ist anzumerken, daß die Fallgruppe Arbeitsmangel vom Ansatzpunkt her nicht einmal be240 Kritisch dazu u. a. Raiser, S. 123 ff.; vgl. auch die Relativierung der Unt€rscheidung in BAG v. 19. 1. 1974, BiB 1974, S. 1530. 241 Vgl. BAG v. 25. 9. 195'6 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG, BI. 43; B.A!G v. 12.3. 1968 AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Krankheit; diese Beschränkung der Versetzungspflicht innerhalb des Betriebes ist im übrigen u. a. durch § 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 b KSchG überwunden worden, vgl. dazu S. 48 u. 49 f. 242 Ribbert, S. 46.

4. Weiterführende überlegungen

103

rechtigt ist, weil die Entscheidung, ob bzw. in welchem Umfang bei einem gegebenen Arbeitsmangel Konsequenzen i. S. von Kündigungen gezogen werden sollen, primär auf wirtschaftlichen Erwägungen beruht und nicht auf arbeitstechnischen. Danach bliebe als einzig möglicher Grund für eine betriebs bedingte Kündigung der Arbeitsplatzwegfall, womit der Normgehalt der Regelung entscheidend verkürzt würde. Denn während das Kündigungsschutzgesetz fordert, daß die betrieblichen Erfordernisse der Weiterbeschäftigung entgegenstehen müssen, daß also ein dem Arbeitsplatzverlust vorgelagertes dringliches Erfordernis gegeben sein muß, wird bei dieser Auslegung der hinsichtlich seiner Berechtigung zu überprüfende Arbeitsplatzwegfall selbst als rechtfertigender Grund verstanden. Die Bestätigung für die hier dargelegte Kritik läßt sich im Kündigungsschutzgesetz selbst finden, wo bei der Regelung der sozialen Auswahl in § 1 Abs. 3 Satz 2 von betriebstechnischen, wirtschaftlichen oder sonstigen berechtigten betrieblichen Bedürfnissen die Rede ist. Es liegt klar auf der Hand, daß danach als betriebliche Erfordernisse auch und gerade wirtschaftliche Aspekte verstanden werden. Festzuhalten bleibt somit, daß durch die Begriffsbestimmung wirtschaftliche, die Unternehmensebene betreffende Aspekte nicht ausgeblendet werden dürfen, sondern vielmehr das Gewicht der betrieblichen Gründe in der Regel ausmachen243 • Auch die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte kann diese enge Auslegung nicht tragen. Die Regelung und Auslegung des Kündigungsschutzes nach dem Betriebsrätegesetz von 1920 und dem AOG von 1934 können die Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes von 1951 nicht präjudizieren, weil nicht nur vom Wortlaut her strengere Anforderungen gestellt wurden. Auch die Gesetzesbegründung betont die von den früheren Gesetzen abweichende Normierung der Voraussetzungen und Ausgestaltung des Schutzes im Hinblick auf die Notwendigkeit, den Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit als Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Existenz stärker als früher zu schützen244 • Andererseits kann nicht verkannt werden, daß die Unklarheiten der aufgezeigten Rechtsentwicklung schon in der Begründung und Erläuterung des Gesetzes angelegt sind. Denn der tatsächliche Gehalt dieses verstärkten Schutzes wird nicht geklärt, wenn es im folgenden heißt, daß die wirklich notwendigen, d. h. aus triftigen Gründen ausgesprochenen Kündigungen nicht verhindert oder auch nur erschwert werden dürften, sondern nur solche, die einer hinreichenden Begründung entbehrten und deshalb willkürlich erschienen. Vielmehr bildet das Nebeneinander von 243 Das zeigt sich bei der Erläuterung und Exemplifizierung der betrieblichen Gründe in der Lit.; vgl. u. a. Hueck I Hueck § 1 RN 102. 2U BT-Drucksache 49, 2090, S. 11.

104 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen

unbestimmten und nicht einmal kongruenten Begriffen wie "wirklich notwendig", "triftig", "hinreichend", "nicht willkürlich" die Ausgangsbasis für ganz unterschiedliche Interpretationen. Die Geltung und der Aussagewert des Prinzips der unternehmerischen Freiheit läßt sich deshalb mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Regelung nicht bestimmen. 4.1.2. Die entscheidende Argumentationsebene zur Frage der unternehmerischen Freiheit ist die rechtssystematische Betrachtung. Wesentliche Aufgabe der Auslegung und Konkretisierung einer unbestimmten rechtlichen Regelung ist es, eine mit anderen gesetzlichen Lösungsansätzen kongruente Lösung zu finden, weil dadurch die Gerechtigkeit i. S. der Gleichbehandlung und die Wirksamkeit des rechtlichen Schutzsystems verbessert wird. Diese Argumentationsebene ist hier besonders wichtig, weil Kündigungsschutzregelungen i. w. S. auch auf anderen arbeitsrechtlichen Ebenen bestehen und die Problematik der Beschränkbarkeit der unternehmerischen Freiheit im Hintergrund all dieser Regelungen steht. Bei der rechtssystematischen Argumentation ist vorwiegend auf das Betriebsverfassungsrecht, insbesondere die Regelung über Betriebsänderungen, abgestellt worden. Zum Teil wird aber auch die unternehmerische Mitbestimmung einbezogen, die nunmehr außer durch das neue Mitbestimmungsgesetz vom 4. 5. 1976 für jeweils unterschiedliche Anwendungsbereiche auch durch das Montan-Mitbestimmungsgesetz vom 21. 5. 1951, das Betriebsverfassungsgesetz vom 11. 10. 1952 und das Mitbestimmungsergänzungsgesetz vom 7. 8. 1956 geregelt wird. Denn diese Regelungen verkörpern den jeweiligen Standpunkt zu der übergreifenden Frage, inwieweit die unternehmerischen Entscheidungen zugunsten von Arbeitnehmerinteressen gebunden werden können. Sie haben mit Ausnahme der Montan-Mitbestimmungsregelungen245 schon hinsichtlich der Besetzung des Aufsichtsrates ein übergewicht der Anteilseigner vorgesehen, d. h. bei der Ausgestaltung dieser mittelbaren Bindung und Beeinflussung unternehmerischer Entscheidungen ist die Entscheidungsfreiheit im Kern geschützt worden. Der Hinweis auf diese Ausgestaltung der Mitbestimmung und die sie stützenden verfassungsrechtliche Argumentation kann aber das Prinzip der unternehmerischen Freiheit im Rahmen der Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes nicht stützenJ2MI. Die unternehmerische Mitbe245 Bei der Einschätzung der Regelung der Montan-Mitbestimmung müssen die Entstehungsbedingungen berücksichtigt werden, aber auch die konkrete Ausgestaltung der Parität: der sog. 11. Mann, der im Konfliktfalle entscheidet, wird gem. § 8 MontanMitbestG in einem Wahlverfahren bestimmt, das im Streitfall doch die Anteilseigner etwas begünstigt.

4. Weiterführende überlegungen

105

stimmung ist gerichtet auf eine mittelbare, im Aufsichtsrat verankerte Beeinflussung aller unternehmerischer Entscheidungen durch die Wahl der Vorstandsmitglieder einerseits und die Kontrolle und selektive Mitwirkung bei wichtigen Entscheidungen andererseits. Es bestehen also mehrere wesentliche Unterschiede zur Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes, die nur die zu Kündigungen führenden Entscheidungen betrifft und nur eine nachträgliche und normativ gebundene überprüfung durch das Gericht ermöglicht. Die Zielsetzung und die Instrumente der Regelungen sind also zu verschieden, als daß von der gesetzgeberischen Entscheidung für die Dominanz der Anteilseignerseite bei der Mitbestimmung auf die Geltung und den Gehalt des Prinzips der unternehmerischen Freiheit im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes geschlossen werden könnte. Aus der Wertentscheidung des Gesetzgebers zum Mitbestimmungsrecht kann nur abgeleitet werden, daß eine direkte Kontrolle der unternehmerischen Entscheidungen i. S. der Bindung bei der Entscheidungsfindung und Durchführung nicht gewollt ist. Es liegt auf der Hand, daß diese rechtstatsächlich nicht überschrittene und rechtspolitisch umkämpfte Schwelle der Kontrolle wirtschaftlicher Entscheidungen nicht durch eine bestimmte Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes tangiert werden darf, und zwar selbst dann nicht, wenn man verfassungsrechtlich eine entsprechende Ausgestaltung der Mitbestimmung für zulässig hält. Das legitimiert aber nur den Kernbereich dessen, was unter dem Aspekt der unternehmerischen Freiheit gefordert wird, nämlich daß durch den Kündigungsschutz keine Bindung betriebsgestaltender Entscheidungen erfolgen darf. Denn mit dem Instrument des Kündigungsschutzgesetzes, d. h. der Feststellung der Unwirksamkeit von einzelnen Kündigungen, kann nur in Ausnahmefällen solche Wirkung erzielt werden, z. B. wenn die auf einer Teilstillegung beruhenden Kündigungen für unwirksam erklärt werden, und auch in diesem Fall nicht durch einen rechtlichen, sondern faktischen Zwang, indem nämlich die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer i. d. R. die Weiterführung oder Wiedereröffnung des stillgelegten Teils erfordert. Es zeigt sich also, daß die rechtssystematische Kongruenz mit den Mitbestimmungsregelungen nur einen Teilaspekt des Prinzips der unternehmerischen Freiheit legitimiert, nicht aber die vielen anderen aus diesem Prinzip abgeleiteten Beschränkungen des Kündigungsschutzes. Wichtiger als die Vereinbarkeit mit den Mitbestimmungsregelungen und den verfassungsrechtlichen Prinzipien ist die Kongruenz des Kündigungsschutzgesetzes mit entsprechenden Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes. Dazu wird überwiegend vertreten, daß die Ausgestal241 So aber unter Hinweis auf Art. 2 und 14 GG u. a. Auffarth / Müller § 1 RN 202; Müller, DB 1962, S. 1539.

106 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen tung der Mitwirkung der Arbeitnehmervertretung in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz zeige, daß die unternehmerische Gestaltungsfreiheit selbst durch kollektive Interessenvertretung nicht tangiert werden soll, so daß erst recht eine Bindung durch das individualrechtliche Kündigungsschutzgesetz nicht vertretbar seim. Diese Argumentation bezog sich nicht nur auf das BetrVG 1952, sondern gilt auch für das BetrVG 1972, das dieses Prinzip sogar noch klarer herausgearbeitet hat. Während nach den §§ 72 ff. BetrVG 52 bei Betriebsänderungen bei gescheiterten Verhandlungen über den Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat die angerufene Vermittlungsstelle einen Einigungsvorschlag aufstellte, der zwar für den Arbeitgeber nicht bindend war,jedoch bei Abweichung davon ohne zwingenden Grund einem Abfindungsanspruch der betroffenen Arbeitnehmer ausgesetzt war, unterscheidet das BetrVG 72 in §§ 111 ff. von vorneherein zwischen dem Interessenausgleich über die Betriebsänderung und dem Sozialplan als Ausgleich oder Milderung der wirtschaftlichen Nachteile infolge der Betriebsänderung. Während über den Sozialplan bei fehlender Einigung der Parteien die Einigungsstelle verbindlich entscheiden kann (§ 112 IV BetrVG), bleibt es hinsichtlich der zugrundeliegenden Betriebsänderung auf allen Verhandlungsebenen bei Hilfestellungen für eine freiwillige Einigung. Die Entscheidung und Durchführung der betriebsgestaltenden Maßnahmen wird also durch diese Regelung nicht tangiert. Aber auch die Bedeutung dieser Regelung für die Legitimation und den Gehalt des Prinzips der unternehmerischen Freiheit darf nicht überschätzt werden. Zwar ist anders als bei den Mitbestimmungsregelungen eine starke übereinstimmung in dem Anwendungsbereich feststellbar, weil es nicht um die Kontrolle des unternehmerischen HandeIns allge. mein, sondern nur solcher Maßnahmen geht, die Nachteile für die Arbeitnehmer, insbesondere in Form von Entlassungen, mit sich bringen. Es bleibt aber der wesentliche Unterschied, daß der Gesetzgeber im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes zu regeln hatte, ob er die Entscheidung über die Durchführung von Betriebsänderungen an die Zustimmung des Betriebsrats binden, d. h. eine unmittelbare und präventive Kontrolle einführen sollte. Daß er diesen Schritt nicht getan hat, sagt nichts darüber aus, ob und in welchem Umfang bei der nachträglichen überprüfung der aus der Betriebsänderung resultierenden Kündigung die wirtschaftlichen Hintergründe der Entscheidung aufgeklärt und beurteilt werden können. Gefolgert werden kann daraus auch hier nur. daß auch durch den Kündigungsschutz keine unmittelbare Einwirkung auf die Durchführung von betriebsgestaltenden Entscheidungen ausgeübt werden darf. 247

U. a. Ribbert, S. 87; Müller, DB 1962, S. 1539.

4. Weiterführende überlegungen

107

Hinzu kommt, daß der Gehalt der Regelung über Betriebsänderungen durch den Hinweis auf die unternehmerische Freiheit und die Beschränkung auf den Ausgleich sozialer Folgen nicht vollständig erfaßt wird. Es geht darüber hinaus auch um eine mittelbare Steuerung der Maßnahmen selbst. Indem dem Arbeitgeber durch den erzwingbaren Sozialplan soziale Folgelasten aufgebürdet werden, wird mittelbar die Entscheidungsfindung i. S. einer Selbststeuerung beeinflußt, weil der Arbeitgeber diese Folgelasten als Rahmenbedingung berücksichtigen muß. Dieser Lösungsansatz einer mittelbaren Steuerung unternehmerischer Entscheidungen bedeutet nicht zwingend die Absage an eine begrenzte nachträgliche Kontrolle. Er kann auch als pragmatisch begründete wirksame Ergänzung verstanden werden, weil er anders als die nachträgliche Kontrolle die Schwierigkeit der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung und Durchsetzung vermeidet und deshalb möglicherweise effektiver ist. Aus der Ausgestaltung der Mitbestimmung des Betriebsrates bei Betriebsänderungen können deshalb nicht ohne weiteres Grenzen im Hinblick auf die Handhabung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes abgeleitet werden. Die Doppelgleisigkeit des gesetzlichen Instrumentariums zum Schutz des Arbeitnehmers vor Betriebsänderungen verbietet es, durch Auslegung eine Kongruenz herbeiführen zu wollen, die die unterschiedliche Funktion der Instrumente nicht berücksichtigt. Die unterschiedliche Wirkungsweise der Regelungen führt noch zu sehr viel einschneidenderen Inkongruenzen: Während nach dem Kündigungsschutzgesetz bei Vorliegen eines dringenden betrieblichen Grundes auch dann keine Abfindung zu zahlen ist, wenn es dem Unternehmen gut geht und die Maßnahme noch zusätzliche betriebliche Vorteile bringt, ist nach §§ 111 ff. BetrVG auch ein notleidender Betrieb bei einer dringend erforderlichen Sanierungsmaßnahme erzwingbaren Sozialplan ansprüchen ausgesetzt ist, die allerdings der Höhe nach auch die wirtschaftliche Situation des Unternehmens berücksichtigen müssen (vgl. § 112 IV 2 BetrVG). Die Konsequenz der rechtssystematischen Betrachtung, die anhand vieler anderer Regelungen ergänzt werden könnte, ist die Einsicht, daß die unternehmerische Entscheidungsfreiheit rechtlich nur in ihrem Kernbereich geschützt ist in dem Sinne, daß eine direkte Bindung betriebsgestaltender Entscheidungen ebensowenig realisiert ist wie bei den Entscheidungen über die zu produzierenden Leistungen oder Waren und deren Preis. Diese rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers muß bei der Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes respektiert werden, und zwar unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob und inwieweit eine weitergehende Bindung mit Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu vereinbaren wäre248. Allerdings kann dieses Prinzip durch die Anwen-

108 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen dung des Kündigungsschutzgesetzes, daß nur die Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einzelner Kündigungen betrifft, nur in Ausnahmefällen und nur faktisch, nicht rechtlich tangiert werden. Abgesehen von diesem Kernbereich hat das Postulat der unternehmerischen Freiheit keinen aus anderen Regelungen ableitbaren allgemein gültigen Inhalt, der auch auf die überprüfbarkeit betriebsbedingter Kündigungen übertragbar ist. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die umfassend verstandene wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des Unternehmers tendenziell im Zuge der sozialstaatlichen Entwicklung begrenzt wird. Das illustriert im arbeitsrechtlichen Bereich nicht nur das neue Mitbestimmungsgesetz, sondern auch die Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsrechts von 1972 etwa durch die Erweiterung der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, die die Beschränkung auf formelle Arbeitsbedingungen überwindet und deshalb auch stärker die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des Unternehmens tangiert249, etwa durch die Mitbestimmung bei überstunden und Kurzarbeit oder bei der Lohngestaltung (§ 87 I Ziff. 2, 3, 10 und 11 BetrVG). Die Intensität der Bindung ist nicht abstrakt bestimmbar, sondern hängt von der rechtspolitischen Gewichtung des zu schützenden Rechtsguts ab. Je schutzwürdiger das Interesse, desto stärker ist die Bindung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit25o • So stand die Kontrolle personeller Entscheidungen, sei es durch Schutzgesetze oder sei es durch kollektiv-rechtliche Normen, seit jeher im Mittelpunkt arbeitsrechtlicher Regelungen und auch die Zielrichtung der Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz ist vorwiegend auf die Steuerung der personellen Folgen ausgerichtet. Der Kündigungsschutz etwa der Schwerbeschädigten, werdender Mütter und Betriebsratsmitglieder verdeutlicht im übrigen, daß die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers weitgehend aufgehoben wird, wenn das entgegenstehende soziale oder sonstige Interesse rechtspolitisch hoch eingeschätzt wird1l51 • 4.1.3. Es bleibt die Auseinandersetzung mit dem pragmatischen Argument, daß die Arbeitsgerichte tatsächlich gar nicht in der Lage sind, die unternehmerischen Entscheidungen zu überprüfen, und zwar sowohl wegen fehlenden Sachverstands als auch wegen des unvergleichbar 248 Vgl. dazu ausführlich BVerfG v. 1. 3. 1979 zur Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes v. 4. 5. 76, Beilage 2/1979 des BB, S. 15 ff. 248 Vgl. Simitis in: IG Metall, Krise und Reform der Industriegesellschaft, Band 2, S. 62 f. 250 Vgl. BVerfG (Anm. 248) S. 15 m. w. N. 251 Vgl. dazu u. a. § 15 Berufsbildungsgesetz; § 15 KSchG; § 14 f. Schwerbehindertengesetz; § 9 Mutterschutzgesetz; § 2 Arbeitsplatzschutzgesetz und § 13 des Ersten Gesetzes über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung.

4. Weiterführende überlegungen

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höheren Arbeitsaufwandes2 52 • Darüber hinaus wird geltend gemacht, daß eine unternehmerische Entscheidung häufig nicht wieder rückgängig gemacht werden und deshalb die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung den Arbeitsplatz im Ergebnis doch nicht erhalten könne2 53 • Diese Argumente sind gerichtet gegen die Möglichkeit einer überprüfung der unternehmerischen Entscheidungen hinsichtlich der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit und sind insoweit teilweise berechtigt. So ist anzuerkennen, daß die überprüfung der Zweckmäßigkeit betriebsgestaltender Maßnahmen wegen der Vielfalt der zu berücksichtigenden Umstände, der Unsicherheit ihres Eintretens und des Fehlens objektiver Beurteilungsmaßstäbe nahezu unlösbare Schwierigkeiten für die Gerichte mit sich bringen würde. Andererseits sollte die Sachkompetenz der Gerichte nicht von vorneherein in Frage gestellt werden: Der nahezu tägliche Umgang mit entsprechenden Problemen, die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter und schließlich die Möglichkeit der Heranziehung von Sachverständigen ermöglichen die sachgerechte Beurteilung auch betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge. Die fast ausschließliche Berufung von Arbeitsrichtern zu Vorsitzenden der Einigungsstelle ist u. a. doch auch darauf zurückzuführen, daß den Richtern entsprechende Sachkompetenz zugetraut wird. Auch die Frage der Durchsetzbarkeit und Folgen der richterlichen Entscheidung ist wichtig, jedoch kann der Hinweis auf Ausnahmefälle, in denen nach vollzogenen unternehmerischen Dispositionen die Weiterbeschäftigung tatsächlich unmöglich ist, den grundsätzlichen Verzicht auf die überprüfung der wirtschaftlichen Entscheidungen nicht rechtfertigen. Im übrigen stellt sich das gleiche Problem, wenn die Kündigung nicht aufgrund der überprüfung der wirtschaftlichen Entscheidungen, sondern aus anderen Gründen für unwirksam erklärt wird, etwa wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats oder fehlerhafter Auswahl. Es zeigt sich also, daß auch die gängigen pragmatischen Argumente nicht den vollständigen Verzicht auf die überprüfung der wirtschaftlichen Entscheidungen begründen können, weil sie eine extreme Gegenposition unterstellen und deshalb auf differenzierende Lösungen nicht ohne weiteres zutreffen254• 252 Vgl. dazu Rappenecker, BB 1958, S. 49; Müller, DB 1962, S. 1539; Ribbert, S. 102; kritisch gegenüber diesem Argument Molitor, BB 1953, S. 35. 253 Vgl. dazu u. a. Auffarth I Müller § 1 RN 202; Rappenecker, BB 1958, S. 49. 254 Die pragmatischen Gesichtspunkte können deshalb abschließen nur anhand eines konkreten Lösungsvorschlages erörtert werden, vgl. dazu S. 184 ff.

110 1. Teil: Wirksamkeit des Schutzes vor betriebsbedingten Künddgungen 4.1.4. Diese kritische Auseinandersetzung mit dem Postulat der unternehmerischen Freiheit hat gezeigt, daß sich weder aus dem Wortlaut noch aus rechtssystematischen oder pragmatischen überlegungen ein konkreter Gehalt dieses Prinzips ableiten läßt, der den umfassenden Verzicht auf die überprüfung der die betriebsbedingte Kündigung bedingenden wirtschaftlichen Entscheidungen legitimiert. Das erklärt auch den Befund der theoretischen und rechtstatsächlichen Analyse, daß trotz weitestgehender übereinstimmung zu diesem Prinzip der Gehalt und Anwendungsbereich offenbar ganz unterschiedlich bestimmt wird. Wegen der fehlenden allgemeingültigen Bedeutung des Prinzips läßt sich daraus eben nicht konkret ableiten, inwieweit die Hintergründe einer betriebsbedingten Kündigung überprüft werden können. Die Berufung darauf dient nur der Legitimation des durch konkretere Wertungen und Einsichten bestimmten Ergebnisses. 4.2. Die Relativierung der Bedeutung des Prinzips der unternehmerischen Freiheit löst die anstehenden Fragen nicht, sondern eröffnet lediglich den Weg für eine unvoreingenommene sachbezogene Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der überprüfung. Die noch zu lösende Aufgabe wird klar, wenn man sich den Umfang und die Spannweite der auftauchenden Alternativen und Fragen vergegenwärtigt. Es zeigt sich dabei, daß der durch die unbestimmten Rechtsbegriffe des Gesetzes eröffnete Entscheidungsspielraum noch nicht ausgelotet worden ist. Zum einen stellt sich die bereits oben255 angesprochene Frage, welche der möglichen Aspekte der wirtschaftlichen Dispositionen der überprüfung entzogen werden sollen, die Notwendigkeit i. S. der betriebswirtschaftlichen Dringlichkeit einer wirtschaftlichen Maßnahme dieser Art ader die Zweckmäßigkeit i. S. der betriebswirtschaftlichen Rentabilität der konkreten Maßnahme im Vergleich zu anderen Möglichkeiten. Darüber hinaus wird man unterscheiden müssen zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen des wirtschaftlichen Handelns, der allgemeinen Preis- und Produktionspolitik, den unmittelbar die Kündigung auslösenden wirtschaftlichen Dispositionen, den Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen und der Entscheidung über den Umfang von Entlassungen256• Es wird zu entscheiden sein, auf welche dieser Ebenen sich die überprüfung beziehen kann. Die Antwort muß im übrigen auf die wichtigsten Fallgruppen hin konkretisiert und gegebenenfalls differenziert werden und darf sich nicht auf die bisher diskutierten Alternativen beschränken. 255 258

Vgl. Seite 20 ff. Vgl. Seite 15.

4. Weiterführende 'Überlegungen

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Wenn überhaupt eine überprüfung akzeptiert wird, müssen die Kriterien der überprüfung konkretisiert werden. Die bisherigen Analysen haben dazu verschiedene Alternativen aufgezeigt, aber keine Klärung gebracht. Offen ist z. B., ob bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Situation auf die Absatz- oder auf die Rentabilitätsentwicklung abzustellen ist, und ob zusätzlich oder alternativ auch die allgemeine finanzielle Lage des Betriebes zu berücksichtigen ist; aber auch, ob auf die Lage im gesamten Betrieb oder gar Unternehmen abzustellen ist, oder ob konkretere Aufklärung etwa zur Lage in der betreffenden Abteilung oder hinsichtlich des jeweiligen Arbeitsplatzes notwendig ist. Schließlich bleibt die entscheidende Frage zu klären, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um Entlassungen oder eine zu Entlassungen führende Disposition zu rechtfertigen: Reicht jede angestrebte Verbesserung in der Verfolgung betriebswirtschaftlicher Ziele, bietet das Ziel der Sicherung des status quo eine ausreichende Grundlage, muß die Minimalrendite gefährdet oder gar eine konkrete Gefährdung des Betriebes gegeben sein? Ferner wird zu entscheiden sein, ob darüber hinaus eine Interessenabwägung mit den entgegenstehenden sozialen Interessen geboten ist, und wenn ja, wie diese vollzogen werden kann: ob bei der Gewichtung der sozialen Belange ein allgemeiner Wert für die Arbeitsplatzerhaltung zugrunde gelegt werden soll oder ob die konkreten Einzelumstände berücksichtigt werden sollen, d. h. die voraussichtlichen materiellen und psychosozialen Belastungen für den betroffenen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung u. a. seiner Qualifikation, seiner Betriebszugehörigkeit, seiner sonstigen sozialen Einbindung und seiner sich auch durch die allgemeine Arbeitsmarktlage ergebenden Arbeitsmarktchancen. Die Vielzahl der offenen Fragen und Alternativen zeigt die Komplexität der Problematik und verbietet den Versuch eines nur juristisch begründeten Lösungsansatzes. Der von dem Kündigungsschutzgesetz eröffnete Auslegungsspielraum kann mit Anspruch auf Gültigkeit nur ausgefüllt werden, wenn neben der rein rechtlichen Argumentation eine begründete rechtspolitische Position erarbeitet wird, die nicht nur eigene Vorverständnisse, begrenzte Erfahrungen und Wertungen reproduziert, sondern sie durch die argumentative Auseinandersetzung mit Fakten, Zusammenhängen und entgegenstehenden Wertvorstellungen zu objektivieren versucht. Bevor also im letzten Teil ein eigener Lösungsvorschlag gemacht wird, sollen im folgenden die Grundlagen für die rechtspolitische Orientierung gelegt werden, die nicht nur zur Begründung von Reformvorschlägen, sondern auch bei der Konkretisierung des normativ nicht endgültig vorgegebenen Gehalts des Kündigungsschutzes notwendig ist.

ZweiterTeU

Zur rechtspolitischen Orientierung Der Versuch einer rechtspolitischen Orientierung kann, insbesondere bei der gegebenen Komplexität des Problems, ganz unterschiedlich verwirklicht werden. Der hier gewählte Weg beruht auf der Überzeugung, daß die rechtspolitischen Wertungen auf einer möglichst umfassenden Kenntnis der Daten, Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der sozialen Wirklichkeit beruhen sollten, auf die die Regelung bezogen ist. In einem ersten Abschnitt wird deshalb versucht, Probleme und Folgen der betrieblichen Beschäftigungspolitik aufzuzeigen, um deren Lösung sich eine verantwortliche Stellungnahme bemühen sollte. Aus dem Erkennen sozialer Probleme können zwar rechtspolitische Zielvorstellungen entwickelt werden, sie bedürfen aber vor der Umsetzung in konkrete Lösungsvorschläge einer doppelten Absicherung: Zum einen müssen sich die Zielsetzungen eine Relativierung und Beschränkung durch konkurrierende oder gar gegensätzliche Ziele oder Wertvorstellungen gefallen lassen, zum anderen gilt es, der Gefahr vorzubeugen, die berechtigten Ziele durch ein nur bedingt oder gar nicht geeignetes Instrumentarium verwirklichen zu wollen. Es muß also die Funktion des individualrechtlichen Kündigungsschutzes im Verhältnis zu anderen arbeitsrechtlichen Instrumenten bestimmt werden, aber auch im Verhältnis zu präventiven und kompensatorischen Instrumenten der Vollbeschäftigungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. 5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen Die betriebliche Beschäftigungspolitik ist erst in den letzten Jahren angesichts der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Entwicklung in den Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Die seitdem veröffentlichten empirischen und theoretischen Untersuchungen vermitteln zwar noch kein umfassendes und abgesichertes Bild von den entscheidenden Vorgängen und Zusammenhängen in der betrieblichen Praxis, ermutigen aber den Versuch, Problempunkte und Lösungsmöglichkeiten nicht nur spekulativ oder einzelfallorientiert zu untersuchen, sondern in Anlehnung an empirische Befunde und Tendenzen.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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Allerdings kann das inzwischen vorliegende Material nicht im einzelnen dargestellt werden. Vielmehr sollen ausgehend von der Wechselwirkung zwischen sozial- und rechtswissenschaftlichen Fragestellungen einerseits sozialwissenschaftliche Einsichten herausgearbeitet werden, die für die bereits erkannten rechtlichen Fragestellungen bedeutsam sind, andererseits aber auch solche sozialwissenschaftlichen Einsichten aufgegriffen werden, die Anstoß sein könnten für weitergehende oder neue praktische Fragestellungen bzw. Lösungsansätze. 5.1. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind Entlassungen ein Einzelaspekt der Personalpolitik, die ihrerseits integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik ist 1• Personalreduzierungen durch Entlassungen dienen ebenso wie Personalbeschaffungen der Anpassung der Personalkapazität an das geplante Produktionspotential. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht entweder bei technischen und organisatorischen Änderungen der Anlagenkapazität, wenn deren optimale Auslastung eine Veränderung der Personalkapazität fordert, oder aber bei Beschäftigungsschwankungen, weil die Aufrechterhaltung des bisherigen Personalbestandes die Rentabilität mindert2 • Diese Zusammenhänge geben noch keine Erklärung oder Handlungsanleitung für die Vornahme von Entlassungen. Dazu bedarf es der Zielvorgabe unternehmerischen HandeIns, die durch die Betriebswirtschaftslehre nicht objektiviert werden kann, sondern auf gesellschaftspolitischen Wertungen beruhtlI. überwiegend wird jedoch für die Personalpolitik ebenso wie für die Unternehmenspolitik insgesamt als Konsequenz des bestehenden Wirtschaftssystems das Ziel der mittelund langfristigen Gewinnoptimierung als richtig angesehen. Allerdings sind die Stellungnahmen nicht ganz deutlich, weil auch das Ziel der Arbeitsplatzsicherung der Belegschaft als Ziel anerkannt ist und nicht geklärt wird, inwieweit das Rentabilitätsprinzip im Konfliktfall durch das Arbeitsplatzsicherungsziel modifiziert werden kann. Abgesehen davon gibt es Meinungen, die die Priorität des Rentabilitätsprinzips zugunsten einer arbeitnehmerorientierten Unternehmenspolitik in Frage stellen4 • Die Betriebswirtschaftslehre kann also nicht entscheiden, welche betriebliche Beschäftigungspolitik richtig ist, sondern kann nur aus1 Näheres bei Bieding / Wendler, S. 40 ff.; Frey, BB 1973, S. 389; Hax, S. 20 ff.; Mohr S. 15 ff., Schultz-Wild / Sengenberger, WSI Mitt 1976, S. 446 ff. 2 Vgl. statt anderer Hax, S. 41. 3 Zu den Unternehmenstheorien und ihren Auswirkungen auf die Zielsetzungen der Personalpolitik statt anderer Hax, S. 15 ff. u. S. 20. 4 Ausführlich dazu Kohl, Betriebliche Beschäftigungspolitik; IG Metall, Personalplanung und Betriebsrat; Rehhahn, WSI Mitt 1978, S. 21f.; WSI Projektgruppe, Grundelemente; WSI Projektgruppe, Betriebliche Beschäftigungspolitik; kritisch zu diesen Ansätzen Chmielewics, S. 113 ff. und Hax, S.17.

8 Wolter

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

gehend von bestimmten Zielsetzungen Handlungsanweisungen und -alternativen für unternehmerische Entscheidungen entwickeln bzw. die Voraussetzungen und Konsequenzen abweichender Zielsetzungen aufzeigen. Unabhängig von der theoretischen Auseinandersetzung um die Zielbestimmung unternehmerischen HandeIns wird tatsächlich eine steigende Tendenz zur Personalstabilisierung in der betrieblichen Beschäftigungspolitik festgestellt, d. h. das Bestreben, den Personalbestand auf dem Niveau des mittel- bzw. langfristigen Bedarfs stabil zu halten, indem man Beschäftigungsschwankungen anders als durch Entlassungen zu begegnen und den durch technische und organisatorische Rationalisierungen bedingten veränderten Qualifikationsbedarf möglichst durch innerbetriebliche Rekrutierung und Qualifizierung abzudecken versucht 5• Dieses Phänomen kann aber nicht ohne weiteres als Zeichen der Relativierung des Rentabilitätsprinzips gewertet werden, sondern umgekehrt auch als Konsequenz dieses Zieles. Die Personalstabilisierung läßt sich besonders in Zeiten der Vollbeschäftigung und beschränkt auf die Stammbelegschaft allein mit betrieblichen Interessen ohne Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte rechtfertigen, nämlich im Hinblick auf die Kosten und den Aufwand von Einstellungen und Entlassungen und die zunehmende Bedeutung von betriebsspezifischer Qualifikation. Im übrigen gibt es keine quantifizierenden Analysen zur Tendenz der Personalstabilisierung. Wenn man allerdings davon ausgeht, daß eine entsprechende Personalpolitik nur wirksam durchgeführt werden kann, wenn eine Personalplanung als Teil einer mittel- und langfristigen Unternehmensplanung besteht, so ist die Annahme berechtigt, daß die Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft sind. Empirische Untersuchungent zeigen nämlich, daß eine Personalplanung in Betrieben mit unter 50 Arbeitnehmern kaum zu finden ist und erst bei Betrieben mit über 2 000 Arbeitnehmern zum allgemeinen Standard gehört, wobei die Ausdehnung des Standards auch auf mittelgroße Betriebe zu beobachten ist. Festzustellen ist auch, daß das Niveau der Personalplanung mit dem Niveau sonstiger Planung, d. h. der Investitions-, Produktions- und Absatzplanung korreliert, aber nur auf einem deutlich niedrigeren Standard etwa im Hinblick auf den Planungszeitraum, der bei der Personalplanung selten ein Jahr überschreitet, während z. B. Investitionsplanungen sich auf erhebliche längere Dauer von z. T. sogar über 5 Jahren erstrecken. Es gibt also keinen Grund für die Annahme, daß die Möglichkeiten einer Personalstabilisierung ausreichend genutzt werden, und erst recht 5 8

Vgl. Böhle / Lutz, S. 24 ff.; Weltz, GewMH 1976, S. 10 f. Scl1ultz-Wild / Sengenberger, WSI Mitt 1976, S. 446 ff.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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nicht dafür, daß im allgemeinen die Personalstabilisierung auf Kosten der Rentabilität betrieben wird. 5.2. Neben der übergeordneten Frage der Stellung und der Zielsetzung der Personalpolitik im Rahmen der Unternehmensplanung ist es für die rechtspolitische Orientierung von besonderem Interesse herauszufinden, wie häufig und aus welchen Gründen in der sozialen Wirklichkeit betriebsbedingte Kündigungen vorgenommen werden, welche Arbeitnehmergruppen besonders betroffen sind und welche materiellen und psychosozialen Belastungen bei Entlassungen auftreten. 5.2.1. Zur Häufigkeit und zu den Ursachen betriebsbedingter Kündigungen liegen nur wenige repräsentative Untersuchungen vor, so daß ich mich auf wenige Aspekte beschränken muß. Das umfangreiche Material etwa der Arbeitslosenstatistik sagt zur Frage der Häufigkeit von betriebsbedingten Kündigungen nichts aus, weil es sich nur auf die jeweils arbeitslos Gemeldeten bezieht. Die Arbeitslosenzahl wird aber nicht nur von der Anzahl der betriebsbedingt bzw. aus anderen Gründen entlassenen oder freiwillig ausgeschiedenen Arbeitnehmer bestimmt, sondern insbesondere auch dadurch, ob diese Arbeitnehmer neue Arbeitsplätze finden. Auch Untersuchungen oder Schätzungen zu den durch Rationalisierungen endgültig weggefallenen Arbeitsplätzen7 dürfen nicht gleichgesetzt werden mit der Anzahl der dadurch bedingten betriebsbedingten Kündigungen, weil diese Personaleinsparungen, wie sich insbesondere in den 60er Jahren gezeigt hat, innerbetrieblich anders als durch Entlassungen kompensiert werden können. Einen gewissen Anhaltspunkt für die Anzahl betriebsbedingter Kündigungen kann man nur gewinnen, wenn man die geschätzte Anzahl jährlicher neuer Arbeitsaufnahmen, die mit Ausnahme der Fälle der erstmaligen Arbeitsaufnahme in etwa der Anzahl der Arbeitsverhält~ nisauflösungen entspricht, in Beziehung setzt zu dem Verhältnis von Arbeitnehmerkündigungen zu Arbeitgeberkündigungen und von personen- und verhaltensbedingten Kündigungen zu betriebsbedingten Kündigungen. Dabei ergibt sich für 1976 ein Schätzwert von über eine Million betriebsbedingter Kündigungen8 • Bemerkenswert ist die Verteilung dieser betriebsbedingten Kündigungen auf die Betriebe unterschiedlicher Größenordnung. Es gibt eine Kohl, GewMH 1976, S. 36; Osterland, S. 43. Ausgehend von 1. ca. 5 Mill. Arbeitsaufnahmen (vgl. BR-Drucksache 305/77 v. 22. 6. 77 zur Begründung des 4. Gesetzes zur Änderung des AFG), 2. ca. 50 Glo Arbeitgeberkündigungen und 50 Ofo Arbeitnehmerkündigungen, 3. ca. 50 Ofo betriebsbedingte Kündigungen bei den Arbeitgeberkündigungen (vgl. dazu Böhle I Lutz, S. 39 m. w. N.). 7

-8

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

stark ausgeprägte Tendenz, daß größere Betriebe relativ zu der Anzahl der bei ihnen Beschäftigten weniger betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Betriebe mit unter 50 Beschäftigten z. B. kündigen etwa viermal häufiger als Betriebe mit über 500 Arbeitnehmern'. Die Unterscheidung nach den wichtigsten Fallgruppen zeigt tendenziell ein deutliches übergewicht der Kündigungen wegen Auftragmangels gegenüber denen wegen Rationalisierung und Betriebsauflösung bzw. Teilauflösungen1o• Obwohl die Kündigungen wegen der Auflösung des Betriebes oder Betriebsteils häufiger sind als die rationalisierungsbedingten, und zwar nicht nur in Krisenzeiten, in denen die Zahl der Konkurse stark ansteigtl1 , spielt diese Fallgruppe für die Ausgestaltung des Kündigungsschutzes nur eine geringe Rolle. Da sie i. d. R. durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch oder eine ernsthafte Krise des Unternehmens verursacht sind, ist das Instrumentarium des Kündigungsschutzes im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung hier i. d. R. ohne Funktion. Diese Fallgruppe zeigt vielmehr, daß der betriebsbezogenen Arbeitsplatzsicherung in unserem Wirtschaftssystem bestimmte Grenzen gesetzt sind. Es kann nicht sinnvoll sein, den Kündigungsschutz bei Beschäftigungsschwankungen oder Rationalisierungen so zu verstärken, daß eine Verschiebung zur Fallgruppe der Betriebsstillegungen bewirkt wird. Bedeutsam sind nur die Fälle, in denen es um eine Teilstillegung bzw. um die Stillegung eines Betriebes als Teil eines größeren Unternehmens geht, Konstellationen, in denen anders als bei den obigen Fällen durchaus ein Entscheidungsspielraum des Unternehmens gegeben sein kann. Das gleiche gilt für subjektiv motivierte Betriebsstillegungen, die nicht auf wirtschaftlichen Schwierigkeiten beruhen. Doch handelt es sich dabei m. E. um seltene Ausnahmefälle, weil die möglichen subjektiven Gründe des Unternehmers, den Betrieb nicht fortzuführen, wie Krankheit, Desinteresse oder Alter, bei einem gesunden Betrieb eben nicht zur Stillegung führt, sondern zum Verkauf o. ä. und damit i. d. R. nicht zum Verlust der Arbeitsplätze. Eine Stillegung ist nur dann sinnvoll, wenn der Wert der bei der Liquidation übrigbleibenden Gegenstände höher ist als der mögliche Erlös bei dem Verkauf des Betriebes, was aber kaum jemals der Fall sein wird. Trotz ihrer im Vergleich zum Beschäftigungsmangel geringeren Bedeutung der rationalisierungsbedingten Entlassungen darf diese Fallgruppe nicht vernachlässigt werden. Es darf nicht vergessen werden, 9 Vgl. Böhle / Lutz, S. 27; zu abweichenden Ergebnissen kommt Gruhler, Arbeitgeber 1979, S. 512 ff. 10 Vgl. Böhle / Lutz, S. 39 und 43. 11 So sind 1975 bei 9 195 Konkursen ca. 100 000 Arbeitsplätze verloren gegangen; vgl. ZEIT v. 4.5.1977, S. 2.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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daß die negativen Auswirkungen der Technisierung und Automatisierung auf die Sicherheit der Arbeitsplätze in den 60er Jahren im Brennpunkt des Interesses stand und u. a. auch zu gewerkschaftlichen Anstrengungen zur Problembewältigung, z. B. in Form der Rationalisierungsschutzabkommen, geführt hat. Die relative Seltenheit dieser Fallgruppe trotz der gewaltigen technischen Umstellungen im Produktionsbereich mag z. T. auf diese Bemühungen und auf Auswirkungen der sich bei der Diskussion gebildeten Zielvorstellungen und Erwartungen an die betriebliche Beschäftigungspolitik zurückzuführen sein. Wesentlicher aber sind die objektiven Umstände, die den Ausgleich der durch Rationalisierungen eingesparten Arbeitsplätze in demselben Betrieb ermöglichen: Die allgemeine hohe Rate wirtschaftlichen Wachstums führte auch in dem einzelnen Betrieb i. d. R. zu einer Erhöhung der Produktion im Umfang des durch die Rationalisierung erzielten Produktivitätszuwachses, zum al die Rationalisierungen relativ häufiger von florierenden und expandierenden Branchen bzw. Betrieben und von größeren Unternehmen mit relativ besseren Umsetzungsmöglichkeiten und besserer Personalplanung durchgeführt werden. Hinzu kommt, daß viele der technischen Rationalisierungen keine völlig andere Qualifikation der Arbeitnehmer fordern, sondern nur eine Einarbeitung oder ein Anlernen auf etwa dem gleichen Qualifikations- und Schwierigkeitsniveau. Manche dieser Umstände sind gegenwärtig und möglicherweise auch in der Zukunft nicht mehr gegeben, etwa die hohe Rate des allgemeinen Wachstums, aber auch die Konzentration der Rationalisierungen auf den Produktionsbereich. Es gibt Anzeichen dafür, daß rationalisierungsbedingte Freisetzungen im Verwaltungs- und Dienstleistungssektor stark zugenommen haben12 • Es ist deshalb davon auszugehen, daß ra~ tionalisierungsbedingte Kündigungen auch quantitativ wieder an Be·· deutung gewonnen haben. Die hohe Zahl der durch Auftragsmangel bedingten Entlassungen ist nicht nur auf die systembedingte zyklische Wirtschaftsentwicklung zurückzuführen, sondern auch darauf, daß die Methoden zur Personalstabilisierung bei Rationalisierungen stärker entwickelt und verbreitet sind als bei Auftragsschwankungen. Konjunkturelle Entwicklungen sind schwerer vorhersehbar und deshalb kaum in eine mittelfristige Planung einzubeziehen. Hinzu kommt, daß die Betriebe eher geneigt sind, die Folgen von Rationalisierungen auszugleichen oder zu mindern als dit! Folgen von Absatzentwicklungen, die sie in der Regel nicht selbst steuern können.

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Vgl. Engelen-Kefer, S. 98 und 121 ff.

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

Diese Faktoren führen dazu, daß von den vier verschiedenen Artb'Il der Beschäftigungsschwankungen allenfalls bei den kurzfristigen Schwankungen, die sich innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten vollziehen und ihre Ursache nicht in volkswirtschaftlichen Entwicklungen, sondern eher in zufälligen oder innerbetrieblichen Umständen haben, in größerem Umfang der Versuch der Arbeitsplatzerhaltung für die Beschäftigten gemacht wird. Bei den mittelfristigen Schwankungen, die im Jahresturnus auftreten und saisonal bedingt sind, bei den langfristigen Schwankungen, die durch den Konjunkturzyklus bedingt sind und sich über mehrere Jahre hinziehen, und bei strukturell bedingtem Auftragsmangel, der Folge langfristig wirksamer Entwicklungen im nationalen und internationalen Wirtschaftssystem ist, gibt es generell keine Tendenz, die Folgen durch innerbetriebliche Maßnahmen ohne Entlassungen zu bewältigen13 • Die saisonalen, insbesondere aber die konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen wirken sich deshalb - wenn auch mit jeweils längerem Verzögerungseffekt - relativ ungebrochen auf die Anzahl der wegen Beschäftigungsmangels entlassenen Arbeitnehmer aus14 • 5.2.2. In der aktuellen Diskussion zur Arbeitslosigkeit hat die besondere Betroffenheit von bestimmten Arbeitnehmergruppen erhöhte Aufmerksamkeit gefunden. Die Befunde zu diesen sogenannten Problemgruppen interessieren in diesem Zusammenhang insbesondere deshalb, weil das rechtliche Prinzip der sozialen Auswahl bei betriebsbedingten Kündigungen an sich gerade die Arbeitnehmer schützen will, die von einer Entlassung besonders hart betroffen sind. Bei der Analyse der besonderen Betroffenheit bestimmter Arbeitnehmergruppen müssen zwei Faktoren berücksichtigt, aber auch auseinandergehalten werden, zum einen die Häufigkeit, von betriebsbedingten Kündigungen betroffen zu werden, und zum anderen die Wiedereingliederungschancen der Entlassenen, die die Dauer der Arbeitslosigkeit bestimmen. Die Arbeitslosenstatistik sagt dazu direkt nichts aus, sondern verrät nur, daß bei dem Zusammenwirken beider Faktoren bestimmte Personengruppen besonders betroffen sind, z. B. Frauen, Jugendliche, Unqualifizierte und Ausländer, die unter den Erwerbslosen, bezogen auf ihren Anteil an den Erwerbstätigen, überproportional vertreten sind15 • 13 Vgl. dazu Hax, S. 36 ff., der auch betont, daß die Flexibilität der Personalkapazität im Verhältnis zur Anlagen- und Beschäftigungskapazität größer ist und sein müsse (S. 33). 14 Vgl. dazu ausführlich Abels, besonders S. 26 und 92 ff. 15 Vgl. dazu z. B. Strukturanalyse der Arbeitslosen von Ende Mai 1977 von der Bundesanstalt für Arbeit ANBA Nr. 8/1977, S. 900 - 909 und Engelen-Kefer, S. 125 ff.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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Die stärkere Betroffenheit dieser Personengruppen ist zum Teil bereits an der Kündigungsquote erkennbar, d. h. an dem Prozentsatz der in einem bestimmten Zeitraum von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer16• Diese Kündigungsquote ist bei Ungelernten und Hilfsarbeitern deutlich höher als bei Facharbeitern oder Angestellten, und zwar insbesondere bei Rationalisierungen und Personalabbau, aber auch noch bei Betriebs- oder Betriebsteilstillegungen. Auch die relativ häufige Betroffenheit von jüngeren Arbeitnehmern insbesondere bei Personalabbau kann danach als gesichert gelten, während der Unterschied zwischen Männern und Frauen in den vorliegenden Untersuchungen nicht signifikant ist. Die relativ größere Arbeitsplatzsicherheit älterer Arbeitnehmer ist primär auf die typischerweise, aber nicht notwendigerweise längere Betriebszugehörigkeit und nicht auf das Alter an sich zurückzuführen. Während Arbeitnehmer mit kurzer Betriebszugehörigkeit stark von Personalabbaumaßnahmen betroffen werden, spielt dieser Grund bei über lOjähriger Betriebszugehörigkeit praktisch keine Rolle mehr, d. h. die Entlassungen sind bei dieser Personengruppe im wesentlichen auf Betriebs- oder Betriebsteilauflösungen oder auf Rationalisierungen zurückzuführen. Diese Befunde decken sich mit der Theorie von der Aufteilung des Arbeitsmarktes in weitgehend verselbständigte Teilarbeitsmärkte17 : Danach gibt es neben den betrieblichen Teilarbeitsmärkten mit starker betriebsspezifischer Qualifikation, geringer Mobilität und geringem Entlassungsrisiko und den fachlichen Teilarbeitsmärkten von Arbeitnehmern mit allgemein anerkannten und verwertbaren beruflichen Qualifikationen den Bereich der unqualifizierten oder angelernten Arbeitnehmer, insbesondere Hausfrauen, Ausländer und sonstiger Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung mit hoher Mobilität, die also auf Arbeitsplätzen eingesetzt werden, an denen sie schnell und ohne viel Aufwand angelernt werden oder sich einarbeiten können. Diese letzte Gruppe ist in besonderer Weise von betriebsbedingten Entlassungen betroffen, weil der Betrieb in sie keine hohen Ausbildungs- oder Einarbeitungskosten oder sonstige Aufwendungen investiert hat und sie bei erneutem Bedarf kurzfristig neu rekrutiert werden können. Auch ältere Arbeitnehmer dieser Gruppe sind wenig geschützt, weil ihr Alter nur in Kombination mit langer Betriebszugehörigkeit eine gewisse Stabilität des Arbeitsverhältnisses begründet, die diese Arbeitnehmer i. d. R. aber nj.cht aufzuweisen haben, weil ihnen nicht nur häufiger gekündigt wird, sondern sie auch ihrerseits eher bereit sind, den Arbeitsplatz z. B. wegen einer anderweitigen höheren Verdienstchance aufzugeben. Zum Folgenden vgl. Böhle / Lutz, S. 44 ff. Grundlegend Lutz / Sengenberger; vgl. auch Freiburghaus / Schmidt, Leviathan 1975, S. 417 ff. und Engelen-Kefer, S. 46 f. 18 17

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

Die Berücksichtigung der Dauer der Arbeitslosigkeit aufgrund unterschiedlicher Wiedereingliederungschancen18 verstärkt einige der bisher aufgezeigten Tendenzen, aber begründet zum Teil auch ganz neue. Die stärkere Betroffenheit der unqualifizierten Arbeitskräfte wird durch die typischerweise schlechteren Wiedereingliederungschancen noch potenziert19 • Von den ungelernten bzw. angelernten Arbeitnehmern findet z. B. innerhalb eines Jahres ein sehr viel kleinerer Prozentsatz einen neuen Arbeitsplatz als von Facharbeitern bzw. Angestellten in gehobener Tätigkeit. Noch krasser ist die Differenzierung der Wiedereingliederungschancen nach Alter, welche bewirkt, daß die geringere Betroffenheit von älteren Arbeitnehmern durch Kündigungen mittelfristig überkompensiert wird durch die lange Dauer der Arbeitslosigkeit; d. h. der Anteil der älteren Arbeitslosen steigt mittelfristig auf den Durchschnittswert und darüber, weil der Anteil der älteren Arbeitnehmer unter den langfristig Arbeitslosen unverhältnismäßig hoch ist. Untersuchungen haben gezeigt, daß sich die Wiedereingliederungschancen schon bei über 40jährigen, besonders aber bei über 50jährigen deutlich verschlechtern20• Die Wiedereingliederungschancen sind, abgesehen von der allgemeinen Arbeitsmarktlage und der Personalpolitik der Betriebe, auch von der Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen abhängig21 • Allgemein zeigt sich dabei, daß ein erheblich geringerer Verdienst, die Notwendigkeit eines Umzugs oder der berufliche Abstieg die Bereitschaft zur Annahme eines neuen Arbeitsplatzes entscheidend mindert, während ein Branchenwechsel, ein längerer Anfahrtsweg, ein anderer Tätigkeitsbereich und weniger Interesse an der Arbeit relativ häufig in Kauf genommen werden. Besonderheiten gibt es bei Frauen und bei älteren Arbeitnehmern im Hinblick auf geringere Konzessionsbereitschaft gegenüber einem weiten Anfahrtsweg oder Umzug und bei Facharbeitern, die stärker als andere Berufsgruppen ihren Verdienst und ihre berufliche Position bewahren wollen. Insgesamt zeigt sich, daß der ArbeitsplatzverIust nach Häufigkeit und Dauer insbesondere solche Arbeitnehmergruppen trifft, die dadurch existentiell stärker belastet werden22 : Jugendliche, weil deren psychi" 18 Vgl. dazu: Böhle / Lutz, S. 46 f.; Brinkmann / Schober-Gottwald, Mitt.AB HJ76, S. 91 ff.; Cramer / Egle, Mitt.AB 1976, S. 482 ff. 19 Vgl. Brinkmann / Schober-Gottwald, Mitt.AB 1976, S. 107 ff.; zur neueren Entwicklung vgl. Sozialpolitische Umschau des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 158/79. 20 Nach Brinkmann / Schober-Gottwald, Mitt.AB 1976, S. 91 ff. 21 Vgl. dazu ausruhrlich Saterdag, Mitt.AB 1975, S. 140 ff. 22 Näheres zu den verschiedenen Problemgruppen vgl. Engelen-Kefer, S. 125 ff. und darüber hinaus Seifert, WSI Mitt 1976, S. 13 ff. (Frauenarbeits-

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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sche und soziale Entwicklung durch einen frühzeitigen Arbeitsplatzverlust ebenso wie durch die vergebliche Suche nach einem ersten Ausbildungs- oder Arbeitsplatz erheblich beeinträchtigt werden kann; ausländische Arbeitnehmer, weil mit dem Arbeitsplatzverlust häufig auch der Zwang zur Rückkehr in das eigene Land und die noch unsichere Zukunft dort verbunden ,ist; ältere Arbeitnehmer, weil das häufig das frühzeitige und unvorbereitete endgültige Ausscheiden aus dem Arbeitsieben bedeutet; und Frauen, weil das die gesellschaftspolitisch wichtigen, in Jahren aufgebauten Ansätze einer beruflichen Emanzipation zerstört. 5.2.3. Die Einstellung zur Notwendigkeit eines verbesserten Kündigungsschutzes ist entscheidend auch von der Einschätzung der materiellen und psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit bestimmt, die in den letzten Jahren erstmals gründlicher untersucht worden sind. Die materiellen Folgen des Arbeitsplatzverlustes sind im wesentlichen bestimmt durch die Regelungen über Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe im Arbeitsförderungsgesetz vom 25. 6. 196!}23; Ergänzend zu der allgemeinen und im internationalen Vergleich24 im Grundsatz berechtigten Anerkennung dieses Elements der sozialen Sicherung muß doch auf die Aspekte hingewiesen werden, die für die betroffenen Arbeitnehmer bereits materiell eine erhebliche Belastung bedeutet. So darf der Verlust von 32 Ofo des Nettoeinkommens insbesondere bei kleinen und mittleren Einkommen, die weitgehend durch feste Belastungen aufgezehrt werden, nicht bagatellisiert werden, zumal bei der Berechnung der etwaige frühere überstundenverdienst nicht berücksichtigt wird. Angesichts der Tendenz zur Dauerarbeitslosigkeit25 bekommt die nach Versicherungszeit gestaffelte begrenzte Dauer der Arbeitslosenunterstützung erhebliche Bedeutung. Ein zunehmender Anteil der Arbeitslosen ist deshalb auf die Arbeitslosenhilfe angewiesen, die nicht nur wegen der geringeren Höhe, sondern auch wegen der Subsidiarität gegenüber bestimmten Unterhaltsansprüche und eigenem Vermögen materiell eine erhebliche Verschlechterung bedeutet, sondern überdies mit psychisch belastenden Antrags- und Prüfungsverfahren verbunden ist. Zu berücksichtigen ist der nach wie vor bestehende Druck zur Abstiegsmobilität durch die Regelung der zumutbaren Beschäftigung in losigkeit); Pohl, WSI Mitt 1976, S. 197 ff. (ältere Arbeitnehmer); Laturner u. a. (Jugendarbeitslosigkeit). 28 Eine übersicht dazu gibt Eckert, BlStSozArbR 1975, S. 107. 24 Zur sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit in anderen EWG-Staaten vgl. Kommission der EWG (Hrsg.), S. 116 ff. 25 Im Mai 1977 waren 23,7 Ofo der Arbeitslosen 6 bis 12 Monate und 18,10f0 länger als 1 Jahr arbeitslos (davon 6,2 Ofo über 2 Jahre), vgl. dazu die Strukturanalyse der Bundesanstalt ror Arbeit v. Mai 1977, ANBA 1977, S. 908.

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2. Teil: Zur rechbspoHtischen Orientierung

§ 103 Abs. 1 a AFG26, die der Arbeitslose anzunehmen verpflichtet ist, wenn er nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld gefährden will.

Die Auswirkungen dieser Faktoren sind in repräsentativen Untersuchungen erforscht worden und bestätigen, daß typischerweise doch mit erheblichen materiellen Belastungen der Arbeitslosigkeit gerechnet werden muß27. Es hat sich gezeigt, daß i. d. R. nicht nur persönliche Ausgaben eingeschränkt und Neuanschaffungen zurückgestellt werden müssen, sondern auch echte finanzielle Schwierigkeiten auftreten, sei es, daß Schulden gemacht werden, feste Zahlungsverpflichtungen wie z. B. Mietzahlungen nicht eingehalten werden können oder Ersparnisse ganz oder teilweise verbraucht werden. Diese Befunde rechtfertigen die Einschätzung, daß die materielle Absicherung bei Arbeitsplatzverlust unvollkommen ist und insbesondere bei längerer Arbeitslosigkeit und bei fehlender Bezugsberechtigung für Arbeitslosengeld ernsthaft gefährdet ist. Ausgehend von der Wertung der betriebsbedingten Kündigung als individuell nicht zurechenbaren oder gar verschuldeten Eingriff kann diese Situation nicht befriedigen. Sie legitimiert sich allenfalls aus dem Zielkonflikt der sozialen Absicherung mit dem arbeitsmarktpolitischen Interesse, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme auch durch den Anreiz, wieder mehr Geld zur Verfügung zu haben, zu fördern, Es ist das Verdienst mehrerer Forschungsvorhaben der letzten Jahre, auch die psycho-sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit nicht nur bewußt gemacht, sondern erstmals auch repräsentativ untersucht zu haben28 • Die Bedeutung der materiellen Sicherungen für die Milderung der psycho-sozialen Folgen soll nicht geleugnet werden, vielmehr gibt es Hinweise für eine starke Abhängigkeit2u . Das enthebt aber nicht von der Notwendigkeit, die psycho-sozialen Belastungen in die Betrachtung einzubeziehen, die sich teils aufgrund der Grenzen der materiellen Absicherung, teils unabhängig davon einstellen. Die Untersuchungen zeigen auf, daß die Beunruhigung über die Situation der Arbeitslosigkeit, die als bedrohlich empfunden wird und die man durch die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz möglichst schnell zu überwinden sucht, quantitativ im Vordergrund steht. Insbesondere schlechte Arbeitsmarktchancen, d. h. die Aussicht, vielleicht längerfristig arbeitslos zu sein, sind eine stark belastende Perspektive. 1!8 Vgl. die wiederholten Änderungen durch das Gesetz v. 18. 12. 1975 und 23. 7. 1979, BGBl1979, I S. 1189; kritisch dazu Paul! Wacker, KJ 1975, S. 389 ff. n Vgl. dazu insbesondere Brinkmann, Mitt.AB 1976, S. 397 ff.; Wacker, S. 62 ff. 18 Vgl. dazu u. a. Braginsky, Psychologie heute, 1975, S. 23 ff.; Brinkmann, MitlAB 1976, S. 397 ff.; Wacker insbes. S. 65 ff.; Busch insbes. S. 219 ff. n Vgl. Wacker, S. 62 m. w. N.

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Diese Beunruhigung ist nicht allein auf die bestehenden oder drohenden materiellen Beeinträchtigungen zurückzuführen, sondern auf die Auswirkung der Arbeitslosigkeit auf die Selbsteinschätzung3o • Mit steigender Dauer der Arbeitslosigkeit verliert der Arbeitslose sein Selbstwertgefühl und kommt sich überflüssig vor. Obwohl von dei Mehrzahl der Arbeitnehmer die Arbeit als belastend empfunden wird, ist sie doch ein konstituierender Faktor für die Stabilität und Identität der Persönlichkeit. Der Verlust des Arbeitsplatzes wird selbst bei materieller Absicherung i. d. R. nicht als Befreiung empfunden, sondern als Verlust, der zur Idealisierung der Arbeit führt. Diese Funktion der Arbeit als Faktor der Selbstverwirklichung zeigt sich auch daran, daß die große Mehrheit der Arbeitnehmer nach ihren Angaben auch dann arbeiten würde, wenn sie es nach ihrer wirtschaftlichen Lage nicht notwendig hätten. Allerdings scheint sich diese Haltung zugunsten einer eher pragmatischen instrumentellen Einstellung zu ändern, die die Arbeit primär als Notwendigkeit zur Befriedigung materieller Bedürfnisse sieht und den Freizeit- und Privatbereich entsprechend aufwertet. Ein anderer nicht zu unterschätzender Faktor ist die Gefährdung der sozialen Kontakte, und zwar auf allen wichtigen Ebenen31 • Denn der Verlust des sozialen Kontaktes am Arbeitsplatz führt häufig nicht zu einer Intensivierung und Verbesserung der tendenziell positiveren, weil stärker selbstbestimmten und emotional besetzten Beziehungen zur Familie, Verwandtschaft und Bt!kanntschaft. Vielmehr scheint es so, daß die Stabilität der familiären Verhältnisse zum Teil noch von der Rolle des Vaters als Ernährer, seiner primär davon abgeleiteten Autorität und der Trennung des Arbeits- und Familienbereichs abhängt. Je stärker diese Familienstruktur dominiert und nicht durch primärorientierte familiäre Beziehungen verdrängt bzw. relativiert ist, desto stärker ist die Desorientierung, Verunsicherung und Konfliktträchtigkeit der familiären Beziehungen bei Arbeitslosigkeit. Diese Auswirkungen sind sogar in verschlechterten Schulleistungen der Kinder statistisch nachgewiesen worden. Die Belastungen der Arbeitslosigkeit können häufig auch nicht durch die Intensivierung freundschaftlicher und verwandtschaftlicher Bindungen kompensiert werden; vielmehr reduzieren sich aus diese Kontakte, zum Teil aus den materiellen Beschränkungen, im wesentlichen aber wegen der Verminderung des Selbstwertgefühls, die zu Kontaktscheu und Selbstisolierung führt, möglicherweise aber auch, weil der Arbeitslose tatsächlich aufgrund seines Status diskriminiert wird. 30

31

Wacker, S. 86ff. und Braginsky, Psychologie heute, 1975, S. 23ff. vgl. Bosch, S. 166 ff. u. 224 ff. und Wacker, S. 76 ff. und S. 80 ff.

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

Das Zusammenwirken dieser Faktoren rechtfertigt die Einschätzung, daß der Arbeitsplatzverlust die psycho-soziale Existenz i. d. R. stärker als die materielle Existenz beeinträchtigt, daß sich das Schwergewicht der Folgen von den materiellen auf die psycho-sozialen verlagert hat, eine Entwicklung, die auch durch die nachgewiesene Häufung psychosomatischer und psychischer Erkrankungen bei Arbeitslosigkeit gestützt wird32 • Die Dominanz psychisch-sozialer Belastungen erklärt sich wohl auch als Folge der mit dem Aufbau des Netzes sozialer Sicherung einher": gehenden Tendenz zur Individualisierung der Folgen der Arbeitslosigkeit33 • Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit sind trotz der sozialen Sicherung und etwaiger gewerkschaftlicher Zugehörigkeit mehr denn je ein individuell erlittenes Schicksal. Der Widerstand gegen den Arbeitsplatzverlust muß i. d. R. selbst bei gewerkschaftlichem Rechtsschutz vom einzelnen initiiert und durchgestanden werden, und auch die Folgen der Arbeitslosigkeit müssen wegen des Auseinanderfallens von Arbeits- und Familienbereich und der Institutionalisierung der Arbeitslosenunterstützung ohne den erfahrbaren solidarischen Kontakt mit anderen betroffenen oder nicht betroffenen Arbeitnehmern ertragen werden. Diese Darstellung der negativen Folgen soll nicht den Blick für den statistisch gesicherten Umstand verstellen, daß nicht zuletzt wegen der relativ guten materiellen Absicherung für einen Teil der Arbeitslosen die Arbeitslosigkeit subjektiv als nicht sehr belastend angesehen wird34 ; insbesondere nicht von Frauen, wenn der Ehemann berufstätig ist und sie wieder die Hausfrauenrolle übernehmen. Das ist die Folge des Umstandes, daß die Berufstätigkeit der Frau häufig primär oder ausschließlich von der Notwendigkeit des Geldverdienens bestimmt ist und eine schwer erträgliche Doppelbelastung begründet. Auch jüngere Arbeitnehmer unter 35 Jahren sind eher in der Lage, mit der Situation der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, z. T. wegen geringerer finanzieller Schwierigkeiten, aber wohl auch wegen einer stärker instrumentellen Einstellung zur Arbeit bei Betonung des familiären und Freizeitbereiches. Bei der Unterscheidung nach der Dauer der Arbeitslosigkeit zeigt sich eine deutliche und gleichmäßige Tendenz, daß man sich mit zunehmender Dauer daran gewöhnt, daß aber nach einem Jahr die Beunruhigung wieder steigt. Diese gedrängte Analyse der sozialen Folgen der betriebsbedingten Kündigung relativiert die verschiedenen Ansätze in der öffentlichen 32

33 34

VgI. dazu Wacker, S. 69 und S. 71 m. w. N. Vgl. dazu im einzelnen Wacker, S. 138 ff. VgI. dazu im einzelnen Brinkmann, Mitt.AB 1976, S. 397 ff., Tabelle 3.

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Meinung, die den Arbeitslosen selbst die Verantwortung für ihr Schicksal zurechnen wollen. Das gilt für den Versuch, die Arbeitslosigkeit im wesentlichen auf die Arbeitsunwilligkeit und die Ausnutzung des sozialen Sicherungs systems zurückzuführen 35 , ebenso wie für die Tendenz, eine individuelle Verantwortlichkeit der Betroffenen durch den Hinweis auf deren fehlende Aus- oder Weiterbildungsbereitschaft zu begründen36 • Selbstverständlich gibt es auch bei der Arbeitslosenunterstützung Mißbrauchsfälle, ebenso wie bei anderen Leistungs- und Versicherungssystemen. Es gibt aber nach den vorliegenden Untersuchungen keine Beweise dafür,daß entsprechende Haltungen ein bestimmender Faktor des fortdauernden Problems der Arbeitslosigkeit sind. Die genannten Tendenzen in der öffentlichen Diskussion müssen 'deshalb z. T. auch als Vorurteile angesehen werden, die auch sozialpsychologisch damit zu erklären sind, daß das schlechte Gewissen darüber, daß die Lasten der wirtschaftlichen Krise systembedingt besonders eine Minderheit trifft, durch die Fiktion der Selbstverantwortlichkeit entlastet wird und sich sogar in eine tendenziell aggressive Haltung gegen diese Gruppe umkehrt. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß der von einer betriebsbedingten Kündigung betroffene Arbeitnehmer durch den Arbeitsplatzverlust bei nachfolgender Arbeitslosigkeit i. d. R. erhebliche materielle und psycho-soziale Lasten zu tragen hat, deren Legitimation objektiv und subjektiv nicht begründet ist. Insbesondere aber verdient der Umstand Aufmerksamkeit, daß die verschiedenen aufgezeigten Aspekte derart zusammenwirken, daß die sozial an sich schon benachteiligten Arbeitnehmer besonders häufig von betriebsbedingten Kündigungen betroffen sind, aufgrund ihres relativ geringen Ausgangslohnes, fehlender finanzieller Reserven, schlechter Wiedereinstellungschancen usw. typischerweise stärker von finanziellen Schwierigkeiten bedroht sind und wegen ihres typischen Rollenverständnisses in der Familie und gegenüber der Arbeit auch stärker psycho-sozialen Belastungen ausgesetzt sind. Die Kumulation solcher belastenden Faktoren begründet die Gefahr des Abgleitens in eine soziale Randgruppe, sei es durch den Wohnungsverlust in die Obdachlosigkeit, sei es aufgrund psychischer oder physisch labiler Disposition in die Arbeitsunfähigkeit, den Alkoholismus, die Kriminalität oder die politische Radikalisierung. Abgesehen von fundamentalen humanitären Gesichtspunkten sollten die Folgen von Arbeitslosigkeit auch im Hinblick auf die hohen sozialen Folgekosten solcher Entwicklungen, auch wenn sie 35 Zum Problem der induzierten Arbeitslosigkeit, d. h. der Verursachung von Arbeitslosigkeit dadurch, daß relativ hohes Arbeitslosengeld gezahlt wird, vgl. Pfriem, WSI Mitt. 1976, S. 203 ff. m. w. N. 38 Vgl. dazu Lenhardt, Leviathan 1975, S. 370 ff.

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nur eine Minderheit der Arbeitslosen betreffen, nicht leicht genommen werden37• Die Gefahr des Abgleitens eines Teils der Arbeitslosen in soziale Randgruppen wird durch administrative Maßnahmen i. S. des verschärften Zwanges zur Arbeitsaufnahme eventuell noch verstärkt. Es muß damit gerechnet werden, daß der Arbeitsplatzverlust auch subjektiv als ungerechtfertigt empfunden wird und eine latente Aggressivität und die Erwartung einer Kompensation begründet. Daraus erklärt sich die Hemmung, freiwillig existentiell wichtige Positionen, wie die berufliche Stellung, das Verdienstniveau und die soziale Einbindung am Wohnort aufzugeben, um eine neue Arbeitsstelle zu finden. Diese psychologisch verständliche Abwehr einer weitergehenden Benachteiligung liegt der oben skizzierten begrenzten Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen zugrunde. Die überwindung dieser Haltungen durch Sanktionen und Zwang kann das Gefühl der ungerechtfertigten Diskriminierung und die Aggressionen verstärken, sie kann die Bereitschaft zur Verweigerung der geforderten Anpassung vermindern und sie kann Resignation und Apathie hervorrufen, alles Dispositionen, die das mögliche Abgleiten in soziale Randgruppen nicht verhindern, sondern fördern. Um dieser Gefahr vorzubeugen, muß vielmehr stärker als bisher durch finanzielle, praktische und psychologische Hilfestellung eine Kompensation der erlittenen Beeinträchtigungen und eine Erleichterung der geforderten Umstellungen geleistet werden38 • 5.3. Die aufgezeigten Tendenzen betrieblicher Beschäftigungspolitik und deren sozialen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer lassen die Fragestellung dringlich erscheinen, welche Alternativen der betrieblichen Beschäftigungspolitik insbesondere zur Vermeidung von Entlassungen zur Verfügung stehen. Dabei geht es zunächst um die Möglichkeit, bereits die Notwendigkeit einer Personaleinsparung zu beseitigen. Ausgehend davon, daß der Grund für eine Personalreduzierung aus betriebswirtschaftlicher Sicht i. d. R. ein Mißverhältnis zwischen dem Produktionsvolumen und der Personalkapazität ist, kann das entweder durch die Erhöhung des Produktionsvolumens oder durch die Verminderung der Personalkapazität geschehen. Den Handlungsmöglichkeiten zur Erhöhung der Produktion sind i. d. R. enge Grenzen gesetzt, wenn man von den Möglichkeiten der Änderung der Absatz-, Preis- oder Modellpolitik absieht. Denn die Stabilisierung der Produktion trotz schwankender Nachfrage bedeutet S7

a8

Vgl. dazu auch Wacker, S. 69 f. und 101. In diesem Sinne auch Lutz in FR v. 23. 8. 1977, S. 10.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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in konjunkturellen Aufschwungsphasen, daß man die Absatzchancen nicht voll nutzt, sondern durch Lieferzeiten zu verschlechtern bereit ist, während man in Zeiten nachlassender Nachfrage bereit und in der Lage sein müßte, auf Lager zu arbeiten. Die Voraussetzungen dafür sind innerbetrieblich häufig gar nicht gegeben, weil Lieferzeiten vom Abnehmer nicht hingenommen werden bzw. Lagerkapazität nicht vorhanden ist, insbesondere aber bedeutet diese Strategie eine erhebliche wirtschaftliche Belastung sowohl durch die Lagerkosten als auch durch die Festlegung unproduktiven Kapitals, die kaum freiwillig übernommen wird. Diese wirtschaftlichen Nachteile für den einzelnen Betrieb treten nicht auf, wenn der Betrieb sein Produktionsvolumen trotz schwankender Nachfrage dadurch stabilisiert, daß er die sogenannte Beschaffungskapazität verändertSI, d. h. den Anteil der Leistungen, die er von anderen Betrieben bezieht. Das setzt natürlich voraus, daß die von anderen Betrieben erbrachten Leistungen ohne große Anpassungsschwierigkeiten durch den eigenen Produktionsapparat und das eigene Personal erbracht werden können, was in der zum Teil hochspezialisierten Wirtschaft nur teilweise möglich ist. Der Hinweis z. B. auf die Bauwirtschaft aber illustriert, daß solche Möglichkeiten durchaus gegeben sind und tatsächlich in beachtlichem Umfang praktiziert werden. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist damit nichts gewonnen, weil das Problem nur verlagert, aber nicht gelöst wird. Die Anpassungslast wird nämlich i. d. R. von dem größeren und wirtschaftlich stärkeren Unternehmen auf ein kleineres abgewälzt, das die Folgen ohne die Vornahme von Entlassungen schwerer bewältigen kann. Es zeigt sich also, daß die arbeitsmarktpolitisch sinnvollen Möglichkeiten zur Stabilisierung der Produktion trotz rückläufiger Nachfrage innerbetriebliche Belastungen mit sich bringen, die der verbreiteten Anwendung entgegenstehen. Die andere Möglichkeit ist die Anpassung der Personalkapazität an die verminderte Produktion, die - falls sie nicht durch Entlassungen geschehen soll - durch die Verminderung der Arbeitsintensität bzw. Arbeitszeit erfolgen muß. Der Möglichkeit der Verminderung der Arbeitsintensität wird, soweit sie überhaupt diskutiert wird, kein beachtlicher Stellenwert zuerkannt40 • Das ist m. E. aber nicht unproblematisch, wenn man sich vergegenwärtigt, daß im Angestelltenbereich, und zwar nicht nur in leitenden Funktionen, ein großer Teil der Veränderungen im Arbeitsanfall durch die Anpassung der Arbeitsintensität ausgeglichen wird 41 • Der Unterschied 39 40

Vgl. Hax, S. 31. Vgl. Hax, S. 37.

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

läßt sich wohl erklären, wenn auch nicht ohne weiteres rechtfertigen mit dem Hinweis auf die stärkere Reglementierung und überwachung körperlicher Tätigkeiten. Vielmehr ist zu fragen, ob die z. T. hohe körperliche und psychische Arbeitsbelastung in diesem Bereich bei einem überhang an Arbeitskapazität gesenkt werden kann, und zwar sowohl kurzfristig zur Anpassung an kurzfristige Beschäftigungsschwankungen als auch mittelfristig bei langanhaltendem Arbeitskräfteüberangebot. Die Verringerung der Arbeitsintensität, die unter dem Aspekt der Humanisierung der Arbeitswelt einen eigenen Wert beansprucht, könnte in Zeiten eines Nachfragemangels realisiert werden, wenn jedenfalls das Gegenargument der Produktivitätseinbuße durch den Hinweis auf das überangebot von Arbeitskräften relativiert werden kann. Die Problematik dieser Handlungsalternative liegt in der Kostenfrage, weil die Verminderung der Arbeitsintensität und damit Produktivität die Unkosten des Betriebes relativ erhöht. Eine größere Bedeutung könnte dieser Möglichkeit deshalb nur zuwachsen, wenn diese Belastungen innerbetrieblich getragen oder durch die gleichzeitige Anpassung der Lohnhöhe kompensiert werden könnten. Der entscheidende Vorteil der betrieblichen Arbeitszeitverkürzung ist deshalb, daß für die geringere Leistung auch weniger bezahlt werden muß, sowohl beim Abbau von überstunden, der sogar eine überproportionale Einsparung bringt, als auch bei der Einführung von Kurzarbeit, bei der an sich nur die verbleibende Arbeitszeit bezahlt zu werden braucht. Dabei sind dem Abbau der überstunden z. T. - etwa durch Lieferfristen - tatsächliche Grenzen gesetzt, insbesondere aber kann innerhalb eines Betriebes der Beschäftigungsmangel i. d. R. rein quantitativ durch den Abbau von überstunden nicht gelöst werden. Mit der Kurzarbeit steht jedoch ein Mittel zur Verfügung, das theoretisch eine weitgehende, sehr variable Anpassung nicht nur an kurzfristige Auftragsschwankungen gestattet. Darüber hinaus ermöglicht es den Arbeitgebern, die eingearbeitete und bewährte Belegschaft zu halten und die Belastungen des Wechsels zwischen Entlassungen und Einstellungen zu verhindern. Die Folgelasten tragen, so scheint es, im wesentlichen die Arbeitnehmer, die weniger Lohn beziehen, doch wird dieser Lohnausfall durch das KurzarbeitergeId zu 68 Ofo des Nettobetrages kompensiert. Bei der Wahl zwischen der Arbeitslosigkeit weniger Arbeitnehmer einerseits und der partiellen Lohneinbuße vieler dürfte die Wahl zugunsten der Kurzarbeit nicht schwerfallen42 • 41 So erklärt sich auch die Beobachtung, daß von Kurzarbeit häufig nur Arbeiter und nicht Angestellte betroffen werden; vgl. Osterland u. a., S. 41. 42 Zur Bedeutung von Arbeitszeitverkürzungen allgemein Mittelsiefen, WSI Mitt. 1978, S. 195 f.

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In der Tat hat die Kurzarbeit in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen; sie hat z. B. 1975 über 1 Million Arbeitnehmer betroffen4.3. Wenn man aber berücksichtigt, daß durchschnittlich etwa ein Drittel der Arbeitszeit durch Kurzarbeit wegfällt, daß gleichzeitig auch 1 Million Arbeitnehmer arbeitslos waren und daß die Zahl der Kurzarbeiter vorher und nachher trotz etwa gleichbleibender Zahl von Arbeitslosen deutlich absank, zeigt sich, daß doch nur ein geringer Teil der Krisenfolgen durch Kurzarbeit bewältigt wird. Es muß auch aus betrieblicher Sicht bedeutsame Faktoren geben, die gegen die Einführung von Kurzarbeit sprechen. Kurzarbeit bedeutet aus betrieblicher Sicht, daß die Arbeitsplätze und damit der Produktionsapparat erhalten bleiben. Bei längeren oder jedenfalls nicht absehbaren Beschäftigungsschwankungen wird der Unternehmer aber bestrebt sein, auch die Fixkosten für den Produktionsapparat zu vermindern. Darüber hinaus muß der Unternehmer, um ein Abwandern qualifizierter Arbeitskräfte zu verhindern, diesen ggf. einen teilweisen Ausgleich des trotz KurzarbeitergeIdes eintretenden Minderverdienst geben. Im übrigen zeigt sich, daß für den Arbeitgeber die Entlassung von unqualifizierten und austauschbaren Kräften, die deshalb auf dem Arbeitsmarkt leicht zu rekrutieren sind, keine große Belastung ist, daß er sogar auf die Möglichkeit, gezielt gegenüber leistungsschwachen Arbeitnehmern verhaltens- und personenbedingte Kündigungen auszusprechen und durch einzelne betriebsbedingte Kündigungen die Leistungsbereitschaft zu steigern, nicht gerne verzichten möchte. Aus betrieblicher Sicht ist deshalb die Einführung von Kurzarbeit trotz der Gewährung von KurzarbeitergeId nur eine von mehreren Möglichkeiten, die nur unter bestimmten Voraussetzungen angezeigt erscheint, etwa wenn es sich um eine kurzfristige oder jedenfalls absehbare Beschäftigungsschwankung handelt und wenn dadurch qualifizierte und bewährte Arbeitskräfte gehalten werden können. Nicht nur diese theoretischen überlegungen, sondern auch die Erfahrungen sprechen dafür, daß die Kurzarbeit bei der Bewältigung von Beschäftigungsschwankungen nicht das erste Mittel ist. Tendenziell versuchen die Betriebe, die ihre Personalkapazität reduzieren wollen, zunächst, den leistungsschwachen Arbeitnehmern soweit möglich aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen zu kündigen und den unqualifizierten Teil der Belegschaft durch betriebsbedingte Kündigungen zu verkleinern. Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen und aus Rentabilitätsgründen auch bei dem qualifizierten Stammpersonal Kosteneinsparungen vorgenommen werden müssen, liegt Kurzarbeit auch im Interesse des Betriebes, zumal die Gewährung von KurzarbeitergeId i. d. R. keine Schwierigkeiten macht. 48

Näheres dazu Seite 165.

9 Wolter

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

M. E. ist also eine Divergenz in der Bewertung der Kurzarbeit aus arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sicht einerseits und aus betriebswirtschaftlicher Sicht andererseits festzustellen. Vom Standpunkt des Allgemeininteresses zeichnet sie sich nicht nur durch hohe Flexibilität aus, sondern auch dadurch, daß die Folgelasten relativ gerecht verteilt sind zwischen der von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern insgesamt finanzierten Bundesanstalt für Arbeit, die das KurzarbeitergeId zahlt, den betroffenen Arbeitnehmern, die die Lohneinbußen zu tragen haben, und dem jeweiligen Betrieb, der u. a. eine erhöhte Fixkostenbelastung in Kauf nehmen muß. Aus betrieblicher Sicht aber ist die Einführung von Kurzarbeit zum Ausgleich von Beschäftigungsmangel nur unter bestimmten Voraussetzungen optimal, so daß nur ein Teil der Anpassung an ein sich verringerndes Produktionsvolumen dadurch bewältigt wird. Während die bisher skizzierten Möglichkeiten betrieblicher Beschäftigungspolitik nur eine Anpassung des Arbeitsvolumens, aber nicht des Personalbestandes bedeuten, wird bei anderen Alternativen der Abbau des Personalbestandes hingenommen, aber ohne Entlassungen zu erreichen versucht. So wird bei dem Einstellungsstop ein Personalabbau dadurch erreicht, daß die natürliche Fluktuation durch freiwilliges Ausscheiden, Erreichen der Altersgrenze, Tod usw., die immerhin jährlich durchschnittlich 5 bis 10 % der Belegschaft ausmacht44 , nicht durch Neueinstellungen kompensiert wird. Die Wirksamkeit dieses Instruments ist jedoch abhängig von verschiedenen Faktoren, insbesondere der Größe und finanziellen Belastbarkeit des Unternehmens und der Qualifikationsstruktur der Belegschaft: Nur bei einer großen Belegschaft hat die natürliche Fluktuation eine relativ feste Größe, die eine darauf aufbauende Personalplanung ermöglicht; eine deutliche Auswirkung macht sich auch erst mittelfristig bemerkbar, so daß das zeitweilige Halten überzähliger Arbeitskräfte und damit verbundene Belastungen notwendig werden; und schließlich setzt dieses Vorgehen voraus, daß die Qualifikationsstruktur des Personals relativ homogen ist, damit die freiwerdenden Arbeitsplätze von den verbliebenen Arbeitskräften ausgefüllt werden können. Abgesehen davon ist davon auszugehen, daß die natürliche Fluktuation antizyklischen Charakter hat, d. h. daß sie in Krisenzeiten insbesondere wegen weniger freiwilliger Arbeitnehmerkündigungen abnimmt. Auf einen Personalabbau anders als durch Entlassungen sind auch die sogenannten Abfindungsaktionen gerichtet45 , die in den Jahren 1974/75 insbesondere von Großunternehmen durchgeführt worden sind und erhebliche Publizität beansprucht haben. Es geht dabei um das Angebot, das meist an bestimmte Gruppen von Beschäftigten wie z. B. an ältere U

4G

Vgl. Hax. S. 34. Allgemein dazu Hax, S. 34.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

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Arbeitnehmer oder Ausländer gerichtet ist, das Arbeitsverhältnis einverständlich gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Die Höhe der Abfindung richtet sich i. d. R. nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit, aber z. T. auch noch nach anderen Kriterien, z. B. bei älteren Arbeitnehmern zusätzlich danach, wieviele Jahre vor Erreichen der Altersgrenze sie auf ihren Arbeitsplatz verzichten. Mit diesen Aktionen haben einzelne große Firmen ihren Personalbestand drastisch verringert und dafür relativ hohe Mittel aufgewandt. Der Erfolg dieser Aktionen kann nur damit erklärt werden, daß diese Methode der Personalreduzierung offenbar sowohl für die Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber gegenüber dem üblichen Weg der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung Vorteile verspricht. Aus betrieblicher Sicht steht dem Nachteil recht hoher Kosten der Vorteil entgegen; daß - anders als beim Einstellungsstop - der Personalbestand dadurch kurzfristig erheblich verändert werden kann, und zwar unabhängig davon, ob der Umfang der Personalreduzierung unter dem Gesichtspunkt des dringenden betrieblichen Interesses zu rechtfertigen ist. Hinzu kommt, daß die Aktionen auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet werden können, so daß der Arbeitgeber dadurch den Entscheidungsspielraum wiedergewinnt, der durch die Anforderungen der sozialen Auswahl beschränkt worden ist. Schließlich werden von den Arbeitnehmern und der öffentlichen Meinung Abfindungsaktionen eher akzeptiert als Massenentlassungen, so daß der Ruf des Unternehmens nicht so schwer beeinträchtigt wird. Soweit diese positive Bewertung auf der Einschätzung beruht, bei den Abfindungsaktionen treffe der Arbeitsplatzverlust nur solche, die freiwillig dazu bereit sind und die überdies daraus noch finanziellen Nutzen ziehen können, ist sie vordergründig und einseitig. Sicher gibt es Fälle, in denen die Abfindung einen "unverdienten" Vorteil darstellt, weil unmittelbar danach ein neues Arbeitsverhältnis zu entsprechenden Bedingungen begründet werden kann. Es ist aber sehr zu bezweifeln, ob das den Regelfall charakterisiert, ob nicht vielmehr in vielen Fällen die Arbeitnehmer die negativen Folgen der Arbeitsauflösung verkannt haben, d. h. ihre vielleicht schlechten Arbeitsmarktchancen, die Wartezeit für den Bezug der Arbeitslosenunterstützung aufgrund der freiwilligen Auflösung des Arbeitsverhältnisses bzw. aufgrund des Abbedingens der Kündigungsfrist46 , die etwaige Versteuerungspflicht der Abfindung u. ä. 47 • Auch die Charakterisierung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses als freiwillig muß relativiert werden. In den entsprechenden Fällen ist das Ziel eines bestimmten Umfangs des Personalabbaus festgelegt, das, " Vgl. dazu § 117 AFG. 47 Zu den steuerrechtlichen Problemen Weisemann, BB 1976, S·. 462 ff. 9·

182

2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

wenn nicht durch Auflösungsverträge, durch Kündigungen erreicht werden soll. Die Alternative zur Auflösung des Vertrages für die angesprochenen Arbeitnehmer ist deshalb nicht, den Arbeitsplatz mit Sicherheit zu behalten, sondern das Risiko, den Arbeitsplatz vielleicht doch durch eine betriebsbedingte Kündigung, und zwar dann ohne Abfindung, zu verlieren. Diese überlegung wird neben den finanziellen Anreizen zur Bereitschaft der Arbeitnehmer beigetragen haben. Diese kritischen Einwände können die vergleichsweise positive Einschätzung der Abfindungspraktiken nur relativieren, nicht aber aufheben. Die zumindest relative Freiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes und' die Ansätze einer materiellen Kompensation der Folgen' sind wichtige Vorteile gegenüber der betriebsbedingten Kündigung, die bezeichnenderweise auch nur von großen Unternehmen unter maßgeblicher Beteiligung des Betriebsrates angeboten werden. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht müßte aber zusätzlich gesichert sein, daß durch solche Aktionen der Umfang des betrieblich notwendigen, d. h. auch durch betriebsbedingte Kündigungen realisierbaren Personalabbau nicht überschritten wird und daß die betroffenen Arbeitnehmer über die Konsequenzen des Auflösungsvertrages umfassend informie~t werden. Der Vollständigkeit halber muß noch auf zwei andere Möglichkeiten hingewiesen werden, die Personalkapazität ohne Entlassungen zu verändern, nämlich durch befristete Verträge oder Arbeitnehmerüberlassung. Der Möglichkeit des Abschlusses einer Vielzahl von befristeten Verträgen, die bei Ablauf jeweils nur bei Bedarf verlängert werden, sind Grenzen gesetzt, weil das nach der Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen zulässig ist48 • M. E. ist etwa die Befristung von Verträgen unwirksam, wenn sie dazu dient, bei unübersichtlicher Konjunktur- bzw. Arbeitskräfteentwicklung einen teilweise disponiblen Arbeitskräftebestand zu schaffen. Die Risiken der wirtschaftlichen Entwicklung können nicht als besonderer Grund für den Abschluß befristeter Verträge anerkannt werden, was offenbar aber in der betrieblichen Beschäftigungspolitik nicht immer beachtet worden ist49 • Auch die Arbeitnehmerüberlassung hat eine beschäftigungspolitische Dimension, die allerdings nicht im Vordergrund der Problematik dieses Phänomens steht. Die sich ausweitende Möglichkeit, einen steigenden Arbeitskräftebedarf kurzfristig durch überlassene Arbeitnehmer zu dekken, erleichtert dem einzelnen Betrieb die Ausrichtung des Personal bestandes am Minimalbedarf50. Wenn er sich darauf verlassen kann, kurzfristig bei höherem Bedarf geeignete Arbeitskräfte zur Verfügung ge48 Grundlegend BAG (OS) v. 12. 10. 1960 AP Nr. 16 zu § 620 BGB befristete Arbeitsverträge, näheres da7JU bei Lindner, DB 1975, S. 2082 ff. 48 Etwa bei Opel; vgl. dazu FR v. 29. 7. 1975, S. 11. 60 Vgl. dazu Leminsky, WSI Mitt 1975, S. 60 und Becker, ZRP 1976, S. 289.

5. Probleme betrieblicher Beschäftigungspolitik bei Entlassungen

133

stellt zu bekommen, kann ,er darauf verzichten, innerbetrieblich Arbeitskräftereserven für diese Phase erhöhten Arbeitsanfall zu bilden. Die steigende Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung zeigt die Berechtigung dieser Einschätzung, obwohl nicht verkannt wird, daß der Ausbreitung Grenzen gesetzt sind. Sie rentiert sich wegen der höheren Kosten nur bei kurzfristigem Bedarf, die zur Verfügung stehenden Arbeitnehmer und deren Qualifikationen sind begrenzt und die Leistung ist aus betrieblicher Sicht wegen der fehlenden sozialen Einbindung und Einarbeitung des Arbeitnehmers und der begrenzten Kontrollmöglichkeit nicht gesichert. Die arbeitsmarktpolitische Würdigung des Phänomens wird einerseits anerkennen müssen, daß eine Möglichkeit geboten wird, trotz schwankenden Arbeitskräftebedarfs in vielen Betrieben einer begrenzten Zahl von Arbeitnehmern ein relativ stabileres Arbeitsverhältnis, wenn auch mit wechselnden Arbeitsplätzen, zu sichern. Andererseits muß gesehen werden, daß durch die erleichterte Möglichkeit, den Personalbestand am Minimalbedarf auszurichten, insgesamt Arbeitsplätze eingespart werden. Insgesamt wird man die Arbeitnehmerüberlassung aus arbeitsmarktpolitischer Sicht als Chance insbesondere kleinerer Betriebe zur Personalstabilisierung akzeptieren können, weil ein Verzicht zwar zunächst zu mehr Arbeitsplätzen in den Betrieben führen könnte, diese aber gefährdet wären. Die übersicht zeigt, daß eine große Anzahl z. T. sehr wirksamer Instrumentarien besteht, Entlassungen zu vermeiden. Von einer dringenden Notwendigkeit von Entlassungen bei Beschäftigungsschwankungen oder bei Rationalisierungen kann deshalb nicht gesprochen werden, bevor nicht die einschlägigen alternativen Möglichkeiten geprüft worden sind. Damit soll nicht gesagt werden, daß Entlassungen i. d. R. vermeidbar sind. Schon bei der Diskussion der einzelnen Möglichkeiten ist darauf hingewiesen worden, daß die Geeignetheit und Wirksamkeit der Maßnahme von bestimmten Rahmenbedingungen abhängig ist. Bei idealtypischer BetrachtungS1 ist die Aussage berechtigt, daß der mittelgroße bis große wirtschaftlich gesunde Betrieb das Ziel der Personalstabilisierung weitgehend erreichen kann. Eine mittelfristige Personalplanung ist für ihn in eigenem Interesse sinnvoll und möglich, durch die rationalisierungsbedingte qualitative und quantitative Personalveränderungen rechtzeitig vorhergesehen und durch Einstellungsstop, Ausund Weiterbildungsmaßnahmen und Versetzungen ohne Entlassungen erreicht werden können. Soweit der Betrieb von Beschäftigungsschwankungen betroffen ist, die er nicht durch Variation der Beschaffungskapazität abwenden kann und die sich nicht durch die Diversifikation der Produktion gegenseitig kompensieren, ist er finanziell auch eher in der S1

Vgl. zum Folgenden Böhle I Lutz, S. 32 ff.

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

Lage und aufgrund der öffentlichen Meinung und zur Erhaltung des Rufes als wirtschaftlich solides Unternehmen eher gezwungen, die überzähligen Arbeitskräfte entweder anderweitig zu beschäftigen, die Anpassung über die Einführung von Kurzarbeit zu erreichen, mittelfristig den Personalbestand durch einen Einstellungsstop zu reduzieren oder eine Abfindungsaktion durchzuführen. Ganz anders sind die Ausgangs- und Rahmenbedingungen für kleinere und mittlere Betriebe ohne eine gesicherte Marktstellung und finanzielle Rücklagen. Sofern sie Rationalisierungen durchführen, sind sie z. T. nicht Folge einer mittelfristigen Investitionsplanung, sondern kurzfristig durchgeführte Sanierungsmaßnahmen, bei denen die sozialen Folgen nicht gesteuert oder kompensiert werden können. überdies werden sie wegen ihrer schwachen Marktstellung, untauglicher Planungs- und Prognosekapazität und einseitiger Produktionsausrichtung eher von Beschäftigungsschwankungen überrascht und haben nicht die finanziellen Reserven, um die notwendigen quantitativen Personalanpassungen mittelfristig durch andere Maßnahmen als Entlassungen zu erreichen oder durch die Einführung von Kurzarbeit ganz zu vermeiden. Die Wirksamkeit dieser und anderer Faktoren erklärt den oben skizzierten Umstand, daß große Unternehmen relativ erheblich weniger betriebsbedingte Kündigungen aussprechen als kleine und mittlere Unternehmen. Das rechtfertigt allerdings nicht den Schluß, daß die großen Betriebe ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen52 und die kleineren Betriebe tatsächlich nicht mehr zur Personalstabilisierung beitragen können, sondern nur, daß bei gleicher Anstrengung größere Betriebe das Ziel typischerweise leichter erreichen können. Die Selbststeuerung bringt i. d. R. nur den Grad der Personalstabilisierung, der auch im betrieblichen Interesse liegt bzw. ohne ~eiteres damit vereinbar ist. Es kann nicht angenommen werden, daß darüber hinaus regelmäßig wirtschaftliche Belastungen im Interesse der Arbeitsplatzsicherheit übernommen werden. Hinzu kommt, daß die Konkurrenzsituation der Betriebe eher eine Nivellierung der Beschäftigungspolitik in umgekehrter Richtung bewirkt. Weil eine konsequente Personalstabilisierungspolitik einen Unkostenfaktor darstellt, wird sie typischerweise durch Wettbewerbsnachteile sanktioniert, ein Druck, dem sich nur sehr starke Unternehmen entziehen können. Diese Auswirkungen können nur durch die öffentliche Meinung und durch die Attraktivität von Betrieben mit sicheren Arbeitsplätzen für qualifizierte Arbeitnehmer gemildert werden, doch ist fraglich, ob diese Faktoren ein ausreichend starkes Gegengewicht bilden können. 62 Zur kritischen Einschätzung gerade auch der Personalpolitik großer Unternehmen vgl. Schultz-Wild in: Kohl, Betriebliche Beschäftigungspolitik, 5.132 f.

6. Zielvorstellungen und Zielkonflikte für Kündigungspraxis

135

Die Selbststeuerung der betrieblichen Beschäftigungspolitik ist auch deshalb unzureichend 53, weil eine prozyklische Beschäftigungspolitik zwar aus der Sicht des einzelnen Betriebes rational und sinnvoll, arbeitsmarktpolitisch aber negativ ist. In Aufschwungsphasen mit tendenziell engem Arbeitsmarkt neigen die Betriebe dazu, Arbeitskräfte zu horten, d. h. mehr zu beschäftigen, als sie eigentlich brauchen, weil sie sich qualifizierte Arbeitskräfte für einen ggf. noch steigenden Bedarf sichern wollen und sich das finanziell leisten können. In Zeiten eines konjunkturellen Tiefs kehrt sich diese Tendenz um, indem die Betriebe ihren Personalbestand am Minimalbedarf ausrichten, nicht nur, weil die wirtschaftliche Situation Einsparungen erfordert, sondern auch, weil sie darauf vertrauen können, bei erneutem Bedarf unter den vielen freigesetzten Arbeitskräften kurzfristig geeignete Arbeitskräfte finden zu können. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit werden also eher Arbeitskräfte freigesetzt und ein höherer Arbeitsbedarf eher durch überstunden als durch Neueinstellungen abgesichert als in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs, wenn Arbeitskräfte knapp sind, eine Tendenz, die sich aufgrund ihrer Rationalität aus einzelbetrieblicher Sicht selbständig nicht umkehren wird. 6. Zielvorstellung und Zielkonflikte für die betriebliche Kündigungspraxis 6.1. Aus der Analyse der Tendenzen, Folgen und Möglichkeiten betrieblicher Beschäftigungspolitik sollen Zielvorstellungen für die Beeinflussung der betrieblichen Kündigungspraxis entwickelt werden, zwar nicht im Sinne einer logischen Ableitung, aber doch im Sinne einer begründeten und nachvollziehbaren Wertung. 6.1.1. Angesichts des oben aufgezeigten Umstandes, daß die Tendenzen betrieblicher Beschäftigungspolitik zur Stabilisierung der Personalkapazität nur schwach ausgeprägt sind, und zwar wegen der Priorität von Rentabilitätserwägungen ebenso wie wegen der mittelbaren Konkurrenznachteile, erscheint es notwendig, diese Zielsetzung über die beschränkten autonomen Ansätze hinaus rechtlich zu verstärken. Es muß also darum gehen, der Vermeidung von Entlassungen einen eigenständigen Wert zuzuerkennen, der nicht von vorneherein gegenüber Rentabilitätserwägungen zurücktreten muß. Das bedeutet nicht, daß umgekehrt die Arbeitsplatzerhaltung unabhängig von den finanziellen Folgen Vorrang hat, sondern lediglich, daß in der häufig gegebenen Konkurrenzsituation zwischen Rentabilität und Arbeitsplatzerhaltung letzteres Ziel einen im einzelnen noch zu bestimmenden modifizierenden Einfluß 113

Vgl. dazu im einzelnen Abels u. a., bes. S.92.

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

auf die Beschäftigungspolitik beanspruchen kann. Die noch zu konkreti.. sierende Zielvorstellung ist also, daß auch der einzelne Betrieb im In·· teresse der Arbeitsplatzerhaltung seinen Beitrag zu leisten und die seiner wirtschaftlichen Lage entsprechenden Lasten zu übernehmen hat. Das bedeutet eine deutliche Abkehr von der Vorstellung, daß der Kündigungsschutz einen Beitrag zur Arbeitsplatzsicherheit nur insoweit leisten kann, als er sachfremde und willkürliche Entscheidungen verhindern soll". Die Konkretisierung dieser Zielvorstellung wird sich sachgerecht nur

i. S. einer Interessenabwägung zwischen den jeweiligen betrieblichen

Erfordernissen und Konsequenzen und dem Arbeitsplatzerhaltungsinteresse der betroffenen Arbeitnehmer vornehmen lassen. Der modifizierende Einfluß der Zielvorstellung der Personalstabilisierung wird auch von der jeweiligen wirtschaftlichen und Arbeitsmarktlage abhängen, weil der Wert der Arbeitsplatzsicherheit subjektiv und objektiv von diesen Umständen abhängt: Sowohl die subjektive Einschätzung der Arbeitsplatzsicherheit durch die Arbeitnehmer5 5 als auch die objektivierbaren materiellen und psycho-sozialen Auswirkungen des Arbeitsplatzverlustes sind von der Arbeitsmarktlage abhängig. Das Ziel der Personalstabilisierung erfordert als Mittel der Umsetzung eine mittelfristige mit der Unternehmensplanung integrierte Personalplanung. Erst die Kombination von Zielvorstellung und Methode der Realisierung verspricht den wünschenswerten Erfolg, den weder eine Personalstabilisierung ohne Personalplanung noch eine Personalplanung ohne die inhaltliche Ausrichtung auf die Vermeidung von Entlassungen garantieren kann. Einige Ansätze zur Erzwingung einer Personalplanung sind in § 92 BetrVG, aber auch in § 8 AFG in Vbd. mit § 18 Abs. 3 KSchG enthalten, können aber wegen ihrer zurückhaltenden Ausgestaltung und mangelhaften Durchsetzung keine Wirksamkeit entfalten" .. 6.1.2. Die Konkretisierung dieser Zielvorstellung für rationalisierungsbedingte Kündigungen muß darauf ausgerichtet sein, im Rahmen einer integrierten Investitions- und Personalplanung Entlassungen gegebenenfalls auch auf Kosten der Rentabilität möglichst zu vermeiden. So aber Reuter, ZfA 1975, S. 91. D. h. die Bedeutung der Arbeitsplatzsicherheit für den einzelnen Arbeitnehmer ist von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und den jeweiligen Erfahrungen abhängig; dazu ausführlich Bunz, insbesondere S. 160 f. 58 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Verpflichtung zur Meldung geplanter Entlassungen gern. § 8 AFG, die allerdings praktisch kaum erfüllt wird (vgl. Kohl, WSI Mitt. 1976, S. 101), eine vorausschauende Personalplanung voraussetzt; zur Bedeutung der Personalplanung auch Engelen-Kefer, S. 202 f. 54

55

6. Zielvorstellungen und Zielkonflikte für Kündigungspraxis

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Das beinhaltet zum einen die Berücksichtigung der personellen Konsequenzen schon bei der Entscheidung über die Art, den Umfang und den Zeitpunkt der Rationalisierung. Der Unternehmer sollte die personalpolitischen Konsequenzen von Rationalisierungen schon vor der Entscheidung über die Durchführung konkret berechnen, diese auf dem Hintergrund der speziellen Arbeitsmarktsituation gewichten und sie als modifizierende Variable in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Das kann nicht bedeuten, daß Rationalisierungsentscheidungen im Hinblick auf den daraus folgenden reduzierten Personalbedarf nicht durchgeführt werden sollen, obwohl eine solche Möglichkeit unter speziellen Arbeitsmarktverhältnissen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Erhebliches wäre schon dann gewonnen, wenn z. B. Zeitpunkt und Zeitraum der Durchführung mit der Zielsetzung festgelegt werden, daß möglichst wenige Entlassungen ausgesprochen werden müssen. Durch die Veränderung des Zeitpunkts und Zeitraums der Rationalisierung soll nämlich nicht nur die notwendige Zahl von Entlassungen auf einen anderen bzw. längeren Zeitraum verteilt werden. Die Bedeutung liegt vielmehr darin, daß die durch die Rationalisierung bedingte Veränderung der Personalkapazität in quantitativer und qualitativer Hinsicht anders als durch Entlassungen bewirkt werden kann. überwunden werden soll dadurch eine Konzeption, die - vereinfacht dargestellt - davon ausgeht, daß die Rationalisierung nur nach technischen und wirtschaftlichen Kriterien optimiert werden muß und daß die daraus folgenden Veränderungen hinsichtlich der Personalkapazität kurzfristig durch Entlassungen und NeueinsteIlungen herbeigeführt werden kann. Danach würde sich die PeI1Sonalpolitik bedingungslos der sonstigen Unternehmungsplanung anpassen. Demgegenüber sollten die anderen Möglichkeiten der Personalkapazitätsanpassung an die geplante Rationalisierung voll ausgeschöpft werden, d. h. der berechtigte quantitative Personalabbau sollte möglichst anders als durch Entlassungen durch Einstellungsstop, Arbeitszeitverkürzungen und Abfindungsaktionen erreicht werden, und den veränderten Leistungsanforderungen sollte durch rechtzeitige Fortbildung, Umschulung oder Anleitung der vorhandenen Arbeitnehmer entsprochen werden. Diese Möglichkeiten schließen die Notwendigkeit von Entlassungen nicht grundsätzlich aus, doch liegen die Grenzen der Wirksamkeit der Instrumente nicht so sehr in ihrer begrenzten Eignung, sondern daran, daß die Verwirklichung dieser Zielvorstellungen die Personalpolitik in ihrer Flexibilität behindert und hohe Kosten verursacht. Nach den hier vertretenen Zielvorstellungen können diese Nachteile aber die Anwendung dieser Instrumente nicht von vornherein ausschließen, weil der extensiven Nutzung anderer Möglichkeiten der Personalpolitik zur Vermeidung von Entlassungen ein eigener Wert zukommt,

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2. Teil: Zur rechtspol:itischen Orientierung

für dessen Verwirklichung der Arbeitgeber auch finanzielle Opfer tragen muß. 6.1.3. Die regelmäßigen, wenn auch nach Dauer und Umfang unterschiedlichen und nicht vorhersehbaren Schwankungen des Wirtschaftswachstums stellen quantitativ die entscheidende Gefährdung der Arbeitsplatzsicherheit dar. Statt die daraus resultierenden Lasten im wesentlichen der Minderheit von Arbeitslosen aufzubül'den, die einem ernst zu nehmendem materiellen und psycho-sozialen Druck ausgesetzt sind, erscheint es dringend notwendig, die Folgen dieser systembedingten Entwicklungen, solange sie nicht durch Veränderungen im nationalen und internationalen Wirtschaftssystem beseitigt werden können, gerechter zu verteilen. Dazu gehört auch, daß der einzelne Betrieb einen seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten entsprechenden Beitrag leistet, d. h. daß er die Personalkosten nicht primär als disponible Variable behandelt, um möglichst schnell die Auswirkungen der Krise zu überwinden. Die geforderte Ausrichtung der Beschäftigungspolitik auf Personalstabilisierung auch bei Beschäftigungsschwankungen aktualisiert die vielfältigen Möglichkeiten, Entlassungen trotz Produktionsschwankungen zu verhindern. Denn nur in Ausnahmefällen kann davon ausgegangen werden, daß die personellen Entscheidungen durch die wirtschaftliche Situation zwingend vorbestimmt sind und deshalb kein Entscheigungsspielraum bleibt. Bei der Wahl der Mittel ist die Alternative zu bevorzugen, die die geringsten sozialen Folgelasten mit sich bringt. Danach ist die Vermeidung jeglichen Personalabbaus, sei es durch Stabilisierung der Produk": tion oder es sei durch Minderung der Arbeitsintensität oder Arbeitszeit, optimal. Aber auch bei einer mittelfristigen personellen Anpassung durch Einstellungsstop werden jedenfalls Entlassungen vermieden; wenn sich auch am Wegfall der Arbeitsplätze im Ergebnis nichts ändert. Bei, Abfindungsaktionen bleibt es demgegenüber ebenso wie bei Entlassungen bei dem Arbeitsplatzverlust der betroffenen Arbeitnehmer, allerdings gemildert durch eine eingeschränkte Freiwilligkeit und eine gewisse materielle Kompensation. Dieser Abstufung nach dem Kriterium der Minimierung der sozialen Lasten entspricht häufig, aber nicht notwendig, die daraus dem Betrieb entstehende wirtschaftliche Belastung. Zwar bedeutet eine umfangreiche Hortung überzähliger Produkte auf Lager zur Stabilisierung der Produktion eine mehrfache wirtschaftliche Belastung, aber schon die Anpassung der Arbeitszeit oder Arbeitsintensität oder der mittelfristige Personalabbau durch Einstellungsstop kann bei einer Verzahnung von Unternehmens- und Personalpolitik die wirtschaftlichen Belastungen für den Betrieb in Grenzen halten.

6. Zielvorstellungen und Zielkonflikte für Kündigungspraxis

139

Die Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit zur Vermeidung von Entlassungen bei Beschäftigungsschwankungen verdient nicht nur deshalb besondere Beachtung, weil sie sehr flexibel und unter dem Aspekt der Minimierung der sozialen Folgen geeignet ist, sondern auch, weil sie durch die Gewährung des von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam finanzierten KurzarbeitergeIdes aufgewertet ist57 • Durch das KurzarbeitergeId wird die Verteilung der Folgelasten aus der wirtschaftlichen Entwicklung entscheidend dadurch verändert, daß 68 fJ/o des Nettoentgelts der ausgefallenen Arbeitszeit kompensiert wird. Für die betroffenen Arbeitnehmer bleibt der Nettoverdienstverlust von 32 G/o der ausgefallenen Arbeitszeit, die aber zusätzliche Freizeit bedeutet, während der Arbeitgeber die relativ erhöhten Fixkosten zu tragen hat, die zum Teil dadurch kompensiert werden, daß er seine eingearbeitete Belegschaft halten und die Kosten und Risiken eines kurz- oder mittelfristigen Wechsels zwischen Entlassungen und Einstellungen vermeiden kann. Auch aus der Sicht der Bundesanstalt für Arbeit und der Allgemeinheit ist die Einführung von Kurzarbeit sinnvoll, weil nicht nur finanzielle Mittel ausgegeben, sondern gleichzeitig die eingespart werden, die sonst zur Unterstützung einer größeren Anzahl von Arbeitslosen notwendig wären. Die finanzielle Belastung der Bundesanstalt für Arbeit wird im Ergebnis durch die Zahlung von KurzarbeitergeId nicht wesentlich größer. Auch das läßt die weitere Verbreitung von Kurzarbeit zur Reduzierung von Entlassungen als wünschenswert erscheinen. Diese besondere Ausgestaltung des Instruments Kurzarbeit begründet aber auch eine gesteigerte Verpflichtung, es zur Abwehr von Entlassungen einzusetzen. Die Gewährung von Kurzarbeitergeid, die an sich nur eine Berechtigung begründet, muß m. E. im Rahmen der Fragestellung, welche Maßnahmen dem Arbeitgeber zur Vermeidung von Entlassungen zumutbar sind, in diesem Sinne berücksichtigt werden, weil das die Rahmenbedingungen für die betriebliche Beschäftigungspolitik und damit den Aspekt der Zumutbarkeit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten beeinflußt. Das soll nicht bedeuten, daß die Einführung von Kurzarbeit ein Mittel zur Vermeidung aller Entlassungen bei Beschäftigungsschwankungen sein kann. Aber im Grundsatz erscheint es angemessen, nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristige Beschäftigungsschwankungen durch Kurzarbeit zu überbrücken, d. h. auch saisonale und konjunkturelle Schwankungen, insbesondere dann, wenn aufgrund der allgemeinen Arbeitsmarktlage die Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeid gern. § 67 II AFG über den Regelzeitraum von 6 Monaten verlängert worden ist. Deutliche Grenzen für die Vermeidung von Entlassungen durch Kurzarbeit ergeben sich aber dann, wenn die verbleibende Belastung den Betrieb in Schwierigkeiten bringen würde und wenn 57

Dazu bereits oben Seite 128 f.

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

es sich um strukturell langfristige Entwicklungen handelt, bei denen der Arbeitsplatzverlust nicht verhindert, sondern nur aufgeschoben werden kann. Die entscheidende Schwierigkeit besteht dabei in der verläßlichen Abgrenzung von saisonalen und konjunkturellen gegenüber strukturellen Entwicklungen, die sich häufig überlagern und prognostisch - wie die Erfahrungen zeigen - auch von Fachleuten schwer zu unterscheiden sind58• Es ist aber vertretbar, bei unsicherer Prognose nicht ohne weiteres die Annahme einer strukturellen Entwicklung zu akzeptieren, sondern umgekehrt bis zum Eintritt sicherer Anhaltspunkte zunächst von vorübergehenden Veränderungen auszugehen. Das wird dem Umstand gerecht, daß voreilige Entlassungen i. d. R. nicht korrigierbar sind, während die Kurzarbeit keine endgültigen Fakten schafft und selbst bei Vorliegen einer strukturellen Krise nicht sinnlos ist, weil die notwendigen Freisetzungen zur Entlastung des Arbeitsmarktes zeitlich verzögert und verteilt erfolgen können. 6.1.4. Die Feststellung, daß sozial schwache Arbeitnehmer relativ häufiger von Entlassungen betroffen und durch die materiellen und psycho-sozialen Folgen besonders gefährdet sind, kann bei den hier zu formulierenden Zielvorstellungen nicht unbeachtet bleiben. Die Relativierung dieser Tendenz erscheint auch deshalb erforderlich, weil sie vermutlich eine stabilisierende Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit hat. Je ungehinderter die Betriebe in Krisenzeiten, sei es durch personenund verhaltensbedingte Kündigungen, sei es im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen, leistungsschwache Arbeitnehmer freisetzen können, desto weniger werden andere Betriebe bereit sein, aus diesem Arbeitskräftereservoir eine Aufstockung ihres Personalbestandes vorzunehmen. Die arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen von Freisetzungen sind also um so gravierender, je leistungsschwächer und unqualifizierter und damit schwerer vermittelbarer die entlassenen Arbeitnehmer sind.

Deshalb sollte versucht werden, den sozial Benachteiligten, z. B. den Arbeitnehmern ohne Berufsausbildung oder den aufgrund ihrer physischen oder psychischen Disposition leistungsschwächeren Arbeitnehmern einen besseren Schutz zu gewähren. Dabei muß zum einen der Tendenz entgegengewirkt werden, den notwendigen Personalabbau zunächst dadurch zu erreichen, daß leistungsschwachen Arbeitnehmern aus personen- und verhaltensbedingten Gründen gekündigt wird, Gründen also, die in besseren wirtschaftlichen Zeiten nicht zum Anlaß von Kündigun58 Deshalb ist - unabhängig von inhaltlichen Gesichtspunkten - die Unterscheidung zwischen konjunkturellen und strukturellen Krisen für die Gewährung von Kurzarbeitergeid nicht praktikabel; vgl. dazu auch Säcker, BB 1973, S. 1217 ff.

6. Zielvorstellungen und Zielkonflikte für Kündigungspraxis

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gen genommen worden sind. Gegenüber dem Einwand, daß die Anforderungen an die Arbeitnehmer an die wirtschaftliche Lage des Betriebes angepaßt werden müßten, ist zu betonen, daß diese Abhängigkeit der persönlichen Kündigungsgründe von der wirtschaftlichen Situation gerade den überlagernden und dominierenden Charakter der betrieblichen Gründe bei den personen- und verhaltensbedingten Kündigungen sanktionieren würde. Auch die naheliegende überlegung, daß einzelne Entlassungen die Leistungsbereitschaft der vorerst nicht Betroffenen erhöht, kann den Ausspruch an sich vermeidbarer Kündigungen nicht rechtfertigen. Bedenklich ist auch die Tendenz, Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitsplätze z. B. durch die Einführung von Kurzarbeit nur zugunsten der qualifizierten Stammbelegschaft zu treffen, während unqualifizierte, leicht austauschbare Arbeitnehmer aus Rentabilitätsüberlegungen auch dann entlassen werden, wenn in absehbarer Zeit mit einem erneuten Bedarf gerechnet wird. Schließlich wäre es notwendig, eine wie immer begründete Leistungsschwäche nicht als Faktor zu berücksichtigen, der bei der sozialen Auswahl benachteiligt, sondern umgekehrt als Faktor, der zugunsten des Arbeitnehmers ins Gewicht fällt. Das läßt sich damit begründen, daß diese Arbeitnehmer aufgrund ihrer schlechten Wiedereingliederungschancen stärker von einer etwaigen Entlassung betroffen und deshalb schutzwürdiger sind. 6.2. Die hier entwickelten Zielvorstellungen für eine stärker sozial ausgerichtete betriebliche Beschäftigungspolitik müssen damit rechnen, daß ihnen unter Hinweis auf die Bedeutung bzw. Unverzichtbarkeit der betrieblichen Rentabilität, des wirtschaftlichen Fortschritts und der weltwirtschaftlichen Konlrurrenzfähigkeit die Berechtigung und Realisierbarkeit bestritten wird. Abgesehen von diesen gängigen Argumenten müssen aber auch mögliche arbeitsmarktpolitische und individualrechtliche Zielkonflikte bedacht werden. 6.2.1. Ein verbreitetes Argument gegen die soziale Bindung der unternehmerischen Entscheidungen, insbesondere bei Rationalisierungen, betont, daß im Interesse der Allgemeinheit technischer Fortschritt nicht unterbunden oder behindert werden dürfe, weil davon das Funktionieren und die Stabilität unserer gesellschaftlichen Ordnung wesentlich abhängen würden59 • Trotz der unbestreitbaren objektiven Bedeutung und allgemeinen subjektiven Erwünschtheit des technischen Fortschritts und der daraus re58 Vgl. z. B. die Argumentation des BAG in der Entscheidung v. 25. 6. 1964 AP Nr. 14 zu § 1 KSchG betriebsb. K., BI. 1000.

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

sultierenden materiellen Leistungsvermehrungen und der Arbeitserleichterungen wird die Dominanz dieses Zieles für die gesellschaftliche Entwicklung zumindest nicht mehr unbestritten akzeptiert, wie die öffentliche Diskussion um Umweltschutz, Energieversorgung u. a. gezeigt hat. Ebenso wie sich technischer Fortschritt in Konkurrenz zu andererl Zielen hat Bindungen und Beschränkungen gefallen lassen müssen, kann angesichts der individuell und gesellschaftlich z. T. schweren Folgen der Arbeitslosigkeit nicht von vornherein mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit technischen Fortschritts jede überlegung zur Bindung auch von Rationalisierungsentscheidungen im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung abgelehnt werden. Wichtiger noch als diese Gegenüberstellung und Abwägung abstrakter Gesichtspunkte erscheint mir der Einwand, daß gar kein prinzipieller Zielkonflikt besteht. Das zeigt sich nicht nur daran, daß tatsächlich die Mehrzahl der technisch bedingten Arbeitsplatzeinsparungen innerbetrieblich kompensiert worden sind. Darüber hinausgehend erscheint es grundsätzlich vertretbar, die Bewältigung der personellen Konsequenzen vor Rationalisierungen als Folgekosten dem jeweiligen Betrieb aufzubürden. Dadurch würde technischer Fortschritt nicht prinzipiell verhindert, sondern nur entsprechend dem Ausmaß der sozial nachteiligen Folgen erschwert. Die schwerwiegendsten Bedenken gegen diese Zielvorstellungen gründen sich vielmehr darauf, daß für die große Zahl kleiner und mittlerer Betriebe, aber auch für wirtschaftlich schwache große Betriebe, diese zusätzlichen Lasten kaum tragbar sein dürften, im Ergebnis deshalb häufig zum Verzicht auf technische Innovationen und damit mittelfristig zur Bedrohung der Existenzfähigkeit führen würden. Auf diese Schwierigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Struktur und Belastungsfähigkeit der Betriebe wird deshalb gesondert eingegangen werden müssen~JO. Zuzugeben ist darüber hinaus, daß etwaige Bindungen im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung technische Innovationen z. T. verzögern oder auch verhindern können und die daraus erwachsenden Belastungen mittelfristig sich in Preiserhöhungen auswirken, Folgen, die die Frage der Vertretbarkeit entsprechender Regelungen unter dem Gesichtspunkt der weltwirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit aufwerfen. Doch diese Auswirkungen sind im einzelnen so unsicher und gemessen etwa an den Konkurrenznachteilen infolge der sich verändernden Wechselkurse so geringfügig, daß sich daraus keine Entscheidungshilfe für die Ausgestaltung des Kündigungsschutzes gewinnen läßt, zum al in vielen benachbarten Ländern in den letzten Jahren eine Verbesserung des Kündigungsschutzes erfolgt ist,4l1. 80

VgI. Seite 143 f.

6. Zielvorstellungen und Zielkonflikte für Kündigungspraxis

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Zusammenfassend kann betont werden, daß Schwierigkeiten für den technischen Fortschritt und die Konkurrenzfähigkeit als Folge einer Beschränkung von Rationalisierungen im Interesse der Arbeitsplatzsicherheit nicht geleugnet werden können und sollen; es geht vielmehr darum, die Bedeutung dieser Schwierigkeiten zu relativieren, um den Weg freizumachen für die Abwägung der Vor- und Nachteile der konkreten noch zu entwickelnden Vorschläge. 6.2.2. Der stärkeren Beschränkung von Entlassungen insbesondere bei Beschäftigungsschwankungen wird weiter entgegengehalten werden, daß dadurch die Rentabilität der Betriebe noch stärker als bisher gefährdet sei62 • Es ist bereits oben anerkannt worden, daß die Verstärkung des Kündigungsschutzes eine natürliche Grenze dort hat, wo die Existenzfähigkeit des einzelnen Betriebes auf dem Spiel steht, und daß kein Sinn darin liegt, das Problem des Arbeitsplatzverlustes auf die Gruppe der durch Betriebsstillegungen bedingten Entlassungen zu verlagern. Trotzdem kann den Bemühungen um die Verstärkung des Kündigungsschutzes mit diesem Argument nicht die Grundlage entzogen werden. Auch hier wird man, anknüpfend an die obigen überlegungen zum technischen Fortschritt, entgegnen können, daß jedenfalls kein grundsätzlicher Widerspruch zwischen Rentabilität und Arbeitsplatzsicherheit besteht, weil diese Belastungen innerbetrieblich verteilt, durch Zahlungen der Allgemeinheit erheblich vermindert und im übrigen mittelfristig in Form von höheren Preisen an die Allgemeinheit weitergegeben werden können. Es wäre also eine politisch durchaus vertretbare Entwicklung, die Belastung einer Minderheit von Arbeitslosen mit den Folgen der wirtschaftlichen Krisen zu verringern zu Lasten einer stärkeren Belastung der Betriebe bzw. der anderen Arbeitnehmer. Das Hauptproblem besteht auch hier darin, daß aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der Betriebe von ihnen nicht gleiche Belastungen zur Vermeidung von Entlassungen bei Produktionsschwankungen übernommen werden können. 6.2.3. Ein übergreifender Zielkonflikt für die Verstärkung des Kündigungsschutzes liegt, wie die überlegungen zum Aspekt technischer Fortschritt und Rentabilität gezeigt haben, in der unterschiedlichen Belastungsfähigkeit der Betriebe begründet. Erhöhte Anforderungen an die betriebliche Beschäftigungspolitik führen nämlich zu relativ stärkeren Belastungen der ohnehin schwächeren Betriebe, was die technische In81 Zum Kündigungsschutz in anderen EWG-Staaten vgl. die übersicht in RdA 1972, S. 288 - 296: Bestimmungen zugunsten der Arbeitnehmer bei Entlassungen nach dem Recht der Mitgliedstaaten der EG - Sythesebericht und Schlußfolgerungen der Kommission der EG; zur Reform des Kündigungsschutzes z. B. in Schweden vgl. BArbB11974, S. 113. 82 Vgl. Böhle I Lutz, S. 28; Hax, S. 39.

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

novationsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit dieser Betriebe erheblich beeinträchtigen würde. Erschwerend kommt in unserem Zusammenhang hinzu, daß die Belastung für verschiedene Betriebe durch die Beschränkung von Entlassungen nicht wie bei anderen sozialen Schutznormen, z. B. Mutterschutzgesetz, Lohnfortzahlungsgesetz oder Arbeitsstättenverordnung, relativ et": wa gleich ist, sondern sich tendenziell umgekehrt proportional zur Belastungsfähigkeit verändert. Wie gezeigt, sind kleinere und wirtschaftlich schwächere Betriebe eher von Beschäftigungsschwankungen oder von kurzfristig notwendigen Sanierungsrationalisierungen betroffen als größere und wirtschaftlich gesunde Unternehmen63 • Wenn man aufgrund dieser Rahmenbedingungen nicht ganz auf die Verbesserung des Kündigungsschutzes verzichten will, kommen folgende Lösungsansätze in Betracht: -

Die mittelfristige Gefährdung kleinerer bzw. schwächerer Betriebe i. S. eines sich verstärkenden Konzentrationsprozesses wird bewußt in Kauf genommen zugunsten allgemeiner und hoher Anforderungen zur Sicherung der Arbeitsplätze.

-

Die Anforderungen werden differenziert nach der jeweiligen Belastungsfähigkeit der Betriebe.

-

Man kombiniert die Einführung allgemein gültiger hoher Anforderungen mit einem von allen Beteiligten finanzierten Ausgleichssystem, wie es in Ansätzen beim Kurzarbeitergeid oder beim Konkursausfallgeld vorgezeichnet ist.

Der erste Weg impliziert weitgehende gesellschaftspolitische Konsequenzen und der dritte Weg erfordert eine umfassende gesetzliche Neukonzeption. Sie sollen deshalb im Rahmen der hier verfolgten Fragestellungen nicht weiter diskutiert werden. Es bleibt praktisch nur der Weg der nach der jeweiligen Belastungsfähigkeit des Betriebes differenzierenden Anforderungen. Es können also keine allgemein gültigen Handlungsnormen für die betriebliche Beschäftigungspolitik festgelegt werden, sondern nur gewisse Wertmaßstäbe, aus denen im konkreten Fall entsprechend der betrieblichen Situation bestimmte Verhaltensanforderungen abgeleitet werden. Die Schwächen dieses Lösungsansatzes liegen allerdings auf der Hand. Zum einen ist die Konkretisierung und überprüfung entsprechender Zielvorstellungen im Einzelfall schwierig und mit Unsicherheiten behaftet. Zum anderen ist die Effektivität begrenzt, weil die Beschäftigungspolitik kleinerer und schwächerer Betriebe, die die Mehrzahl der betriebsbedingten Kündigungen verursachen, relativ weniger beein83

Vgl. Seite 115 f. und 134.

6. Zielvorstellungen und Z'ielkonflikte für Kündigungspraxis

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flußt werden kann. Trotzdem muß dieser Weg beschritten werden, weil das Fehlen angemessener, auch rechtlich sanktionierter Standards in der Beschäftigungspolitik aufgrund der Konkurrenzsituation zu einer Privilegierung der Betriebe mit sozial unverantwortlicher Beschäftigungspolitik führt und damit im Ergebnis zu einer Angleichung auf einem relativ niedrigem Niveau. 6.2.4. Der Verstärkung des Kündigungsschutzes allgemein kann entgegengehalten werden, daß eine Priorität der Arbeitsplatzsicherheit aus arbeitsmarktpolitischer Sicht gar nicht gegeben sei. Dafür könnte sprechen, daß nach den Zielsetzungen des Arbeitsförderungsgesetzes nicht di€ Arbeitsplat:rerhaltung, sondern der hohe Beschäftigungsstand €in Hauptziel ist, also nicht die Verhinderung des Arb€itsplatzverlustes an sich, sondern nur der fortdauernden Arbeitslosigkeit (vgl. § 1 und § 2 Ziff. 1 AFG). Daneben ist die Sicherung und Verbesserung der beruflichen Mobilität ausdrücklich als Ziel aufgenommen worden (§ 2 Ziff. 2 AFG). Die genauere Analyse aber zeigt, daß die Mobilität als arbeitsmarktpolitische ZielsetzungM den Wert der Arbeitsplatzsicherheit nicht relativieren kann. Die Mobilität ist kein Wert an sich, sondern dient der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, indem sich die Arbeitnehmer den sich verändernden Anforderungen des wirtschaftlichen Bereichs anpassen. Eine solchermaßen funktional verstandene Mobilität, die überdies durch die Fragestellung relativiert werden muß, ob nicht eine wechselseitige Anpassung stattfinden muß, also nicht nur der Arbeitskräfte an die wirtschaftlichen Veränderungen, sondern auch die wirtschaftlichen Entscheidungen an das vorh_andene Arbeitskräftepotential, steht mit den hier verfolgten Zielen der Arbeitsplatzsicherung nicht in Konflikt. Insbesondere der Wechsel zwischen Entlassungen und Einstellungen bei kurz- und mittelfristigen Beschäftigungsschwankungen hat mit dieser Mobilität nichts zu tun. Vielmehr erschweren diese saisonal und konjunkturell bedingten Freisetzungen das Erkennen langfristiger struktureller Veränderungen, auf die hin die Mobilität der Arbeitskräfte ausgerichtet werden muß. überdies gibt es nach der Konzeption des Arbeitsförderungsgesetzes keinen Anhaltspunkt dafür, daß eine durch vorhergehenden Arbeitsplatzverlust erzwungene Mobilität gewoUt ist. Die Förderung der beruflichen Bildung, Fortbildung und Umschulung setzt vielmehr Freiwilligkeit voraus. Nur die freiwillige Mobilität ermöglicht eine zugleich humane und optimale Anpassung der Arbeitskräfte an die veränderten Anforderungen. Hinzu kommt, daß jede durch Entlassungen erzwun14 Zur Bedeutung und den Voraussetzungen von Mobilität vgl. u. a. Fürstenberg, Schmollers Jahrbuch 1967 (Bd. 87), S. 707 ff., Lutz / Weltz und Tebert / Schmelzer.

10 Woller

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

gene Mobilität die Mobilitätsbereitschaft insgesamt hemmt und damit sogar immanent unter dem Aspekt der Förderung der Mobilität untaug . . lich is1;G6. . 6.2.5. Nicht nur gegenüber der Verstärkung des Kündigungsschutzes, sondern im Grunde auch gegen den bereits bestehenden Schutz ist geltend gemacht worden, daß er im Zusammenwirken mit anderen Schutzbestimmungen und Mitwirkungsrechten des Betriebsrates die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit beschränke66•

Man könnte diese Argumentation schon mit dem Hinweis auf die zugrunde liegenden Annahmen zur sozialen Wirklichkeit entkräften, weil u. a. ausdrücklich davon ausgegangen worden ist, daß ernsthafte Einbrüche für die Vollbeschäftigung aufgrund des Lenkungsinstrumentariums des Staates nicht mehr zu befürchten seien67 • Unabhängig davon ist aber auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser These erforderlich. Im Kern geht es dabei um die Annahme, daß der Kündigungsschutz den Arbeitsmarkt verfestige und damit zu Lasten der leistungsund aufstiegsbewußten Arbeitnehmer die Verwirklichung des Leistungsprinzips im Arbeitsbereich verhindere. Soweit die Argumentation auf die fehlende Flexibilität bei der Be.. setzung der Führungspositionen eines Betriebes abstellt, geht sie am Kern des Problems vorbei. Denh soweit dabei Leistungskriterien nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt werden, ist dafür nicht der gesetzliche Kündigungsschutz verantwortlich, sondern vielmehr die über diesen Bestandsschutz hinausgehende verbreitete Praxis, leitenden Angestellten nur unter besonderen Umständen zu kündigen und auch in dringenden Fällen eine einverständliche Vertragsaufhebung gegen eine Abfindung anzustreben. Die größere Arbeitsplatzsicherheit qualifizierter und leitender Arbeitnehmer ist nicht die Folge der gesetzlichen Bestimmungen, sondern der Wirksamkeit sozialer Normen in der betrieblichen Beschäftigungspolitik. Soweit die mangelnde Aufstiegsmobilität für breite Kreise der Arbeitnehmerschaft als Folge des Kündigungsschutzes behauptet wird, kann diese Einschätzung nicht als realistisch angesehen werden. Durch den Kündigungsschutz wird im wesentlichen nur die Sicherung des Arbeitsplatzes in einem Betrieb angestrebt, was angesichts der Möglichkeiten einer Änderungskündigung bzw. der Versetzung auf einen Arbeitsplatz mit schlechteren Arbeitsbedingungen nicht einmal immer den status quo des Arbeitnehmers gewährleisten kann. Das verhindert also nicht die Aufstiegschancen, die sich schon innerbetrieblich bei der Besetzung 85 Näheres dazu bei Böhle I Lutz, S. 58 f. ee Vgl. dazu Reuter, RdA 1973, S. 345 - 353, bes. S. 35·2 f. 67

Vgl. Reuter, S. 346.

6. Zielvorstellungen und Zielkonftikte für Kündigungspraxis

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der durch natürliche Fluktuation freiwerdenden Stellen und der Einrichtung neuer Stellen ergeben. Insbesondere aber stehen dem Aufstiegswilligen vielfältige Möglichkeiten aufgrund zwischenbetrieblicher Mobilität offen. Angesichts von schätzungsweise 5 Millionen Neubegründungen yon Arbeitsverhältnissen z. B. im Jahr 1976 kann von einer allgemeinen Erstarrung des Arbeitsmarktes und der zwischenbetrieblichen Mobilität sicher nicht die Rede sein68 • Im übrigen ist die hier beabsichtigte Verstärkung des Kündigungsschutzes insbesondere auf sozial benachteiligte Arbeitnehmergruppen ausgerichtet, die überproportional stark vom Entlassungsrisiko betroffen sind. Es ist nicht zu erkennen, wieso der stärkere Schutz dieser Arbeitsplätze die Aufstiegs- und Veränderungschancen von anderen Arbeitnehmern in relevanter Weise beeinträchtigen kann. Soweit aber doch der bestehende oder verbesserte Kündigungsschutz die Aufstiegschancen .anderer Arbeitnehmer beeinträchtigen sollte, kann die Interessenabwägung nur zugunsten des verstärkten Schutzes der von Entlassungen Bedrohten ausfallen. Den Ausschlag gibt das ebenso einfache wie überzeugende Argument, daß der beanspruchte sozialstaatliche und humane Charakter unserer Gesellschaftsordnung es nicht zuläßt, den Schutz vor individuell nicht steuerbaren und verantwortbaren existenziellen Bedrohungen lückenhaft zu lassen oder sogar noch abzubauen, um anderen zusätzliche Aufstiegschancen zu ermöglichen68 • 6.2.6. Wichtiger erscheint mir deshalb der Hinweis auf mögliche un·· erwünschte Folgen in der Einstellungspolitik der Betriebe, die sich aus einer Verstärkung des Kündigungsschutzes ergeben könnten. Es geht dabei zwar nicht um Zielkonftikte im engeren Sinne, aber um die ebenso wichtige Frage, ob nicht die beabsichtigten positiven Wirkungen durch mittelbare negative Folgewirkungen aufgehoben werden. In unserem Zusammenhang vorrangig70 ist die :Überlegung, ob die Verstärkung des Kündigungsschutzes die Betriebe zu stärkerer Zurückhaltung bei der Einstellung neuer Arbeitskräfte veranlassen wird, und zwar sowohl was die Zahl der NeueinsteIlungen als auch was die Qualifikationsanforderungen betrifft71 • Dadurch könnte die :Überwindung der Arbeitslosigkeit noch erschwert werden. Diese Auswirkungen auf das es VgI. BR-Drucksache 305177 v. 22. 6. 77 zur Begründung des 4. Gesetzes zur Änderung des AFG. 89 In diesem Sinne auch Herschel, RdA 1975, S. 28 ff. 70 Es kann auch nicht übersehen werden, daß die verstärkte Bindung von Arbeitnehmern an einen Betrieb ihrerseits Probleme schafft, wie Entqualiftzierung, bzw. betriebsspezifische Qualifizierung und steigende Leistungsanforderungen. vgI. Böhle I Altmann; diese Gesichtspunkte können aber die Bedeutung der Arbeitsplatzsicherheit nicht relativieren. 11 Vgl. dazu Böhle I Lutz, S. 31 und Pohl, WSI Mitt. 1976, S. 197.

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

Einstellungsverhalten der Betriebe können im Grundsatz nicht bestritten werden, obwohl das Ausmaß nicht im voraus bestimmt werden kann. Diese Folgen widersprechen aber mittelfristig nicht der hier verfolgten Zielsetzung der Personalstabilisierung, sondern sind die Voraussetzung dafür. Denn nur wenn sich die Personaleinstellungen an dem mittelfristig gesicherten Bedarf orientieren, können die Arbeitsplätze auch bei Beschäftigungsschwankungen erhalten werden. Angesichts der gegenwärtig hohen Arbeitslosigkeit mag diese Einstellung sozial ungerechtfertigt erscheinen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß der Wert neuer, aber nur kurzfristig gesicherter Arbeitsplätze auch im allgemeinen Interesse gering ist, weil dadurch das Erkennen und Bewältigen mittel- und langfristig wirkender Veränderungen verhindert wird. Nur wenn das Ziel der Personalstabilisierung von den Betrieben im großen Umfang und konsequent verfolgt wird, kann eine sich verstärkende Arbeitslosigkeit eher und eindeutiger als bisher als strukturelles Problem erkannt werden, das wirksame Gegenmaßnahmen der verantwortlichen Gruppen in politischen Parteien und Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen herausfordert. Bei der heutigen, auch von Sachverständigen nicht gegeneinander abgrenzbaren Gemengelage von zufälligen, saisonalen, konjunkturellen und strukturellen Faktoren vergehen - wie die Erfahrungen zeigen - z. T. Jahre, bevor das Arbeitslosenproblem in seiner Struktur und Schwere erkannt wird und bevor überhaupt damit begonnen wird, angemessene Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren und zu verwirklichen. Es bleibt das Problem der Stigmatisierung von bestimmten Arbeitnehmern und deren Diskriminierung bei der Einstellung, wie es sich u. a. bei dem Schutz der Schwerbehinderten gezeigt hat. Das gilt aber nur für Regelungen, die auf vorher nach objektiven Kriterien bestimmbare Personen bezogen sind, weil nur dann eine entsprechende Selektion bei der Einstellung möglich ist. Das hier vertretene Ziel des verstärkten Schutzes der besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen mit schlechten Arbeitsmarktchancen ist nur ein relativer und sich überdies nach der konkreten Arbeitsmarktlage verändernder Maßstab, dessen Anwendung durch eine bestimmte Einstellungspolitik nicht verhindert werden kann. Die beabsichtigte Beschränkung der Möglichkeit von betriebsbedingten Kündigungen und der stärkere Schutz sozial schwacher Arbeitnehmer wird voraussichtlich auch dazu führen, daß der Arbeitgeber verstärkt von der personen- bzw. verhaltensbedingten und der außerordentlichen Kündigung Gebrauch zu machen versucht. Das auch jetzt schon bestehende Problem des betrieblich motivierten, aber durch eine Vielzahl von personen- bzw. verhaltensbedingten Kündigungen erreichten Personalabbaus würde sich deshalb noch erheblich verschärfen.

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 149 Diese möglichen Folgewirkungen können aber die Berechtigung und Notwendigkeit des verstärkten Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen nicht entkräften. Sie verdeutlichen nur, daß der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen nicht isoliert ohne Berücksichtigung funktional angrenzender Regelungen gestaltet werden kann. Daraus ergibt sich deshalb lediglich die Notwendigkeit, bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes eine stärkere Kongruenz des Schutzes bei betriebsbedingten Kündigungen einerseits und bei verhaltens- bzw. personenbedingten Kündigungen andererseits anzustreben, die ein Ausweichen auf andere als betriebsbedingte Kündigungen erschwert. Ausgangspunkt entsprechender Versuche müßte die Wertung sein, daß Kündigungen auf Grund persönlicher Umstände oder Verhaltensweisen, die bei normaler Arbeitsmarktlage geduldet werden, aber bei Beschäftigungsmangel zu personen- und verhaltensbedingten Kündigungen führen, auch oder sogar überwiegend den Charakter von betriebsbedingten Kündigungen haben. Dem muß bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung zum einen dadurch Rechnung getragen werden, daß man deutliche Hinweise bzw. Abmahnungen fordert, bevor der Arbeitgeber ein bisher ggfs. stillschweigend geduldetes Verhalten oder Persönlichkeitsmerkmal zur Grundlage einer Kündigung machen darf. Zu überlegen ist, ob darüber hinaus von einer gewissen Selbstbindung des Arbeitgebers ausgegangen werden kann, d. h. daß er, ggfs. für eine beschränkte Zeit, an die Standards seiner Personalpolitik gebunden bleibt und deshalb Umstände dulden muß, die an sich nach den Kriterien der Rechtsprechung zur personen- oder verhaltensbedingten Kündigung berechtigen. Es geht dabei um die Möglichkeit einer rechtlichen Stabilisierung von sozialen Normen in der Beschäftigungspolitik. Diese überlegungen können und brauchen hier nicht weiter verfolgt zu werden, weil es lediglich darum geht, aufzuzeigen, daß das Problem der mangelhaften Kongruenz des Kündigungsschutzes trotz verbleibender Schwächen nicht prinzipiell unlösbar ist und deshalb der Verbesserung des Kündigungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen nicht entgegensteht. 7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes bei der Beeinflussung der betrieblichen Beschäftigungspolitik Aus den erarbeiteten Zielvorstellungen können nicht unmittelbar Vorschläge zum individualrechtlichen Kündigungsschutz entwickelt werden. Andernfalls droht die Gefahr, daß die Ziele mit untauglichem Instrumentarien verwirklicht werden sollen, weil die Möglichkeiten und

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

Grenzen der Regelungsmöglichkeiten im Verhältnis zu anderen Instrumentarien verkannt werden. Es soll deshalb zunächst ansatzweise eine Funktions- und Stellenwertbestimmung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes insbesondere im Vergleich zu anderen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen, aber auch im Verhältnis zur staatlichen Vollbeschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik versucht werden. 7.1. Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ist mittelbar oder unmittelbar das Ziel vieler arbeitsrechtlicher Instrumente, also nicht nur individualrechtlicher und betriebsverfassungsrechtlicher Bestimmungen, sondern auch der Mitbestimmung und der Tarifautonomie. Diese Regelungen sollen hier nicht im einzelnen dargestellt werden, sondern nur kurz unter dem Gesichtspunkt der Effektivität gewürdigt werden. 7.1.1. Auf der individualrechtlichen Ebene 1St die hier thematisierte Regelung des § 1 KSchG der Kern des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen, mit der hinsichtlich der Zielsetzung und des Anwendungsbereichs keine andere Bestimmung konkurrieren kann.

Die Kündigungsfristen72 zielen demgegenüber nur auf die Milderung der Folgen, indem dem Arbeitnehmer eine gewisse übergangszeit bis zur Wirksamkeit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses eingeräumt wird. Dadurch wird die Flexibilität des Arbeitgebers bei der Personalplanung gemindert, was im Ergebnis zur Verhinderung einiger Kündigungen führen kann, sei es dadurch, weil bei kurzfristigen Beschäftigungsschwankungen eine Personalanpassung aufgrund der Kündigungsfristen nicht mehr sinnvoll und wirtschaftlich vorteilhaft ist, oder sei es, weil dadurch Ansätze einer vorausschauenden Personalplanung initiiert werden. Diese hier primär interessierenden mittelbaren Wirkungen könnten zwar durch eine Verlängerung der Fristen noch verstärkt werden, doch sind diese Möglichkeiten begrenzt, wenn man nicht unverhältnismäßige negative Nebenfolgen in Kauf nehmen will. Der besondeIe Kündigungsschutz73 für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern begründet zwar auch einen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen, doch haben diese Regelungen keine Breitenwirkung. Interessant sind sie in unserem Zusammenhang nur deshalb, weil sie illustrieren, wie weitgehend die personelle Dispositionsfreiheit beschnitten wird, wenn das entgegenstehende soziale oder öffentliche Interesse rechtspolitisch einen entsprechend hohen Stellenwert hat. 7.1.2. Die zahlreichen einschlägigen betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen zeigen, daß die unmittelbare oder mittelbare Einwirkung 72 § 622 BGB und § 2 des Gesetzes zu den Fristen für die Kündigung von Angestellten. 73 vgl. Anm. 251.

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes

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auf personelle Entscheidungen, und zwar insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen, ein Kernpunkt dieser Rechtsmaterie ist. Dabei muß man unterscheiden zwischen den kollektivrechtlichen Ergänzungen des individualrechtlichen Kündigungsschutzes und den sonstigen eigenständigen Regelungen. 7.1.2.1. Die kollektivrechtliche Ergänzung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes beinhaltet nicht nur die Verpflichtung zur Anhörung des Betriebsrates vor dem Ausspruch der Kündigung mit der nunmehr positiv rechtlich geregelten Sanktion der Nichtigkeit der Kündigung (§ 102 I, II BetrVG), sondern seit dem BetrVG 1972 ein inhaltlich beschränktes Widerspruchs recht des Betriebsrates, das unter bestimmten Voraussetzungen die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung bei unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits begründet. Darüber hinaus gibt es die primär faktische Unterstützung des Arbeitnehmers bei der Entscheidung über die Klageerhebung und bei der Prozeßführung, nicht nur durch die Möglichkeit des Betriebsrats, seine Bedenken im Rahmen der Anhörung schriftlich zu äußern (§ 102 II 1 BetrVG), sondern auch durch den zu begründenden Widerspruch des Betriebsrats, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zuleiten muß, wenn er trotzdem die Kündigung ausspricht (§ 102 III BetrVG), und schließlich durch das Recht des Arbeitnehmers, nach Ausspruch der Kündigung bei dem Betriebsrat Einspruch zu erheben, und - falls dieser ihn für begründet hält - eine schriftliche Stellungnahme zu verlangen (§ 3 KSchG). Die Anhörungspflicht bedeutet keine Bindung oder auch nur gesicherte Beeinflussung der personellen Entscheidung des Arbeitgebers, sondern nur eine Verfahrensregel. Deshalb wäre die Wirksamkeit dieser Regelung, von den einschneidenden Folgen des Verfahrensverstoßes abgesehen, wohl unbedeutend, wenn man nicht auf einen gewissen mittelbaren Einfluß vertrauen könnte, daß nämlich das formalisierte Verfahren und der Begründungszwang die Kündigungsentscheidung erschweren und objektivieren und dadurch mittelbar auch betriebsbedingte Kündigungen verhindern können. Wichtiger noch ist, daß der Einfluß des Betriebsrats bei der Anhörung faktisch z. T. stärker ist als normativ abgesichert, weil der Arbeitgeber wegen rechtlich begründeter Abhängigkeiten in anderen Fragen die Kooperationsbereitschaft und den Verständigungswillen des Betriebsrats nicht durch fehlende Kompromiß- und Einsichtsbereitschaft gefährden will. Umgekehrt erscheint das Widerspruchsrecht nach seiner rechtlichen Ausgestaltung wichtiger und wirksamer als in der Realität. Immerhin tangiert die als Rechtsfolge des Widerspruchs vorgesehene Weiterbe-

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

schäftigungspfiicht, die nach überwiegender Ansicht zu Recht die tatsächliche Beschäftigung und nicht nur die Lohnzahlung betrifft74, die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers erheblich, indem z. B. bei einer beabsichtigten Lohnkostenreduzierung durch Personalabbau dieses Ziel bis zum Abschluß des Prozesses nicht erreicht werden kann oder bei Rationalisierungen u. U. sogar die Durchführung verzögert oder verhindert wird. Die Konsequenzen werden allerdings durch die Möglichkeit der Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht durch einstweilige Verfügung in besonderen Fällen gern. § 102 V 2 Ziff. 2 BetrVG gemildert76 • Trotzdem hat diese Regelung die Wirksamkeit des Kündigungsschutzes nicht wesentlich verbessert7i1 , obwohl sie den für die faktische Durchsetzung des Arbeitsplatzerhaltungsinteresses wichtigen vorläufigen Bestandsschutz betrifft77 . Diese relative Unwirksamkeit ist zum einen auf die gesetzliche Begrenzung möglicher Widerspruchsgründe zurückzuführen, wonach im wesentlichen nur die fehlerhafte soziale Auswahl und die Versetzungsmöglichkeit geltend gemacht werden können, nicht aber das fehlende dringende betriebliche Erfordernis selbst oder andere Alternativen zur Vermeidung von Entlassungen. Hinzu kommen die praktischen Schwierigkeiten für den Betriebsrat, innerhalb der kurzen Frist von einer Woche die soziale Rechtfertigung zu prüfen und unter einem der genannten Gesichtspunkte den Widerspruch schriftlich zu begründen, zumal die Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit des Widerspruchs z. T. bedenklich hoch gesetzt werden. Zuzugeben ist, daß die einschneidenden Rechtsfolgen des Widerspruchs die Versuchung begründen können, in jedem Fall erst einmal Widerspruch einzulegen. Diese Gefahr sollte aber nicht überschätzt werden, zumal für diese Fälle der § 102 V 2 Nr. 1 und 3 BetrVG Abhilfe ermöglicht. Schließlich besteht die Schwierigkeit, daß der Anspruch auf Weiterbeschäftigung noch nicht die tatsächliche Weiterbeschäftigung garantiert, daß vielmehr dieser Anspruch bei einer verhärteten Haltung des Arbeitgebers erst im Wege der einstweiligen Verfügung und der Vollstreckung gern. § 888 ZPO durchgesetzt werden muß78, ein Weg, den viele Arbeitnehmer nicht zu gehen bereit sind. 74 So schon ArbG Villingen-Schwenningen v. 29. 3. 1972, BB 1972, S. 615 und LAG Berlin v. 2. 6. 1976, BB 1976, S. 1273 entgegen der Auffassung des ArbG Berlin v. 7. 4. 76, BB 1976, S. 603; für die Beschäftigungspflicht auch Böhm, BB 1974, S. 1641 ff.; Braasch, BB 1976" S. 319 und Helkenberg, S. 66 m. w. N. 75 Vgl. dazu im einzelnen Borrmann, DB 1975, S. 882 ff. 78 Vgl. dazu ~rster / Zachert, S. 105; Notter, DB 1976, S. 773; Otto, RdA

1975, S. 70. 77 78

Dazu im einzelnen Otto, RdA 1975, S. 68 ff. und Kempff, DB 1976, S. 2111 f. Zu den dabei möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten Otto, RdA

1975, S. 69.

7. Die Funktions-und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 153 Diese Begrenzung der Wirksamkeit des Widerspruchsrechts, das den vorläufigen Bestandsschutz nur in Ausnahmefällen zu sichern vermag, wird in dem durch § 102 VI BetrVG sanktionierten Modell überwunden, d. h. wenn die Kündigung der Zustimmung des Betriebsrats bedarF9. Danach ist die Mitwirkung des Betriebsrats auf alle Aspekte der sozialen Rechtfertigung ausgedehnt und das Problem des vorläufigen Bestandsschutzes stellt sich nicht, weil der Arbeitgeber seinen Standpunkt von der sozialen Rechtfertigung der Kündigung erst durchsetzen muß, bevor er die Kündigung aussprechen kann. Dieses Modell hat aber, soweit erkennbar, praktisch keine Bedeutung erlangt. Zwar wollte der § 102 VI BetrVG nach der Gesetzesbegründung nur eine bereits bestehende Praxis sanktionieren80 ; die fehlende Verbreitung ist aber verständlich, weil im allgemeinen nicht erwartet werden kann, daß ein Arbeitgeber freiwillig seine Dispositionsfreiheit bei Entlassungen über das Kündigungsschutzgesetz hinaus entscheidend begrenzt. Die übersicht zeigt, daß mehrere Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes sich darauf beschränken, die Wirksamkeit des individualrechtlichen Kündigungsschutzes faktisch oder rechtlich abzusichern und zu ergänzen. Wenn diese Regelungen aus den genannten Gründen die Effektivität des Kündigungsschutzes auch nicht sichern können, so zeigt sich doch daran die nach der arbeitsrechtlichen Gesamtkonzeption zentrale Funktion des individualrechtlichen Kündigungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen. 7.1.2.2. Die sonstigen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes mit Bezug zum Arbeitsplatzbestandsschutz sind insbesondere die Mitwirkung bei der Personalplanung (§ 92 BetrVG) und bei der Aufstellung von Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG), aber auch die Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, etwa bei Betriebsänderungen (§ 111 BetrVG), und durch den Wirtschaftsausschuß (§ 106 BetrVG)81.

Die Bedeutung einer mit der Unternehmensplanung koordinierten Personalplanung für die betriebliche Beschäftigungspolitik ist bereits herausgestellt worden und liegt im wesentlichen darin begründet, daß die personellen Einzelmaßnahmen weitgehend durch übergeordnete frühere Entscheidungen im Rahmen der Personalplanung präjudiziert sind82 • Allerdings sind durch § 92 BetrVG die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats auf dieser Ebene in Form von Informations-, Beratungsund Vorschlagsrechten, die in keinem Fall eine rechtlich abgesicherte 71 Zu den Einzelfragen dieser Regelung Dietz-Richardi § 102 RN 131 und Halberstadt, BB 1973, S. 1442 ff. m. w. N. 80 BT-Drucksache VI/1786, S. 52. 81 Zur Wirksamkeit dieser Regelungen aus gewerkschaftlicher Sicht Rose, GewMH 1973, S. 614 ff. und Zachert, GewMH 1977, S. 271 ff. m. w. N. 82 Vgl. BT-Drucksache VI/1786, S. 50.

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2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

Kompetenz zur inhaltlichen Mitgestaltung der Entscheidungen begründen, so schwach ausgestaltet, daß ein effektiver Schutz daraus nicht erwachsen kann83 • Noch schwächer und entsprechend unwirksam sind die Rechte des Wirtschaftsausschusses bei den wiederum vorgelagerten wirtschaftlichen Entscheidungen (§ 106 BetrVG). Bei der Einschätzung der Bedeutung der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Aufstellung von Auswahlrichtlinien ist davon auszugehen, daß nach der Rechtsprechung 84 die Auswahlrichtlinien die anerkannten Kriterien der sozialen Auswahl nicht modifizieren, sondern nur konkretisieren können. Trotzdem wäre es kurzsichtig, die Bedeutung der Bestimmung deshalb gering einzuschätzen. Die Wirksamkeit der Sozialauswahl ist entscheidend dadurch beeinträchtigt, daß die etwaige Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl wegen der Vielzahl der zu berücksichtigenden Personen und Faktoren häufig schwer erkennbar und nachweisbar ist. Diese faktischen Schwierigkeiten können durch die Konkretisierung der Auswahlkriterien in den Richtlinien weitgehend überwunden werden85 • Allerdings ist die Wirksamkeit durch die rechtliche Begrenzung der Kompetenz des Betriebsrats beeinträchtigt, weil der Arbeitgeber zwar nicht einseitig wirksame Auswahlrichtlinien aufstellen kann, aber bei fehlender Einigung mit dem Betriebsrat die Einigungsstelle nur auf seinen Antrag hin verbindlich entscheidet (§ 95 I BetrVG). Nur bei Betrieben mit über 1000 Arbeitnehmern kann die Aufstellung von Richtlinien vom Betriebsrat erzwungen werden (§ 95 II BetrVG). Auf die Bedeutung der Regelungen über die Betriebsänderungen gern.

§§ 111 ff. BetrVG nicht nur für den teilweisen Ausgleich der sozialen

Nachteile, sondern mittelbar auch für die Beeinflussung der wirtschaftlichen Entscheidungen selbst, ist bereits oben hingewiesen worden88 • Der Anwendungsbereich dieser Regelung deckt sich nur teilweise mit dem des Kündigungsschutzes vor betriebsbedingten Kündigungen, weil bei § 111 BetrVG anders als beim Kündigungsschutzgesetz zumindest erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sein müssen. Unter dieser Fragestellung ist von ganz entscheidender Bedeutung, ob der Hauptanwendungsfall der betriebsbedingten Kündigung, der Personalabbau, von der Regelung des § 111 BetrVG erfaßt ist oder ob es dabei an der notwendigen Voraussetzung der Veränderung des tech83 Zum Gegenstand der Personalplanung vgl. Frey, BB 1973, 288 ff.; zur Verbreitung der weitergehenden Möglichkeit der Bildung von Personalplanungsausschüssen vgl. Maase / Mendius, WSI Mitt. 1976, S. 523 ff. 84 BAG v. 11. 3. 1976, BB 1976, S. 883; vgl. zur Funktion der Auswahlrichtlinien auch BT-Drucksache VI11786, S. 50. 85 Vgl. Seite 57 f. 8S Vgl. Seite 107.

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes

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nischen Produktionsapparates fehlt 87 • Diese Frage ist nunmehr zu Recht vom Bundesarbeitsgericht entgegen der bis dahin wohl herrschenden Meinung zugunsten des weiten Anwendungsbereichs entschieden worden88• Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit auf Massenentlassungen ist diese Regelung Ausdruck und Stärkung des Abfindungsgedankens bei betriebsbedingten Kündigungen, der auf eine normative Kontrolle zugunsten eines erzwingbaren sozialen Ausgleichs verzichtet. Die beiden Regelungen können zwar auch als sich ergänzende Instrumentarien verstanden werden, faktisch besteht wohl aber eine Art Konkurrenz, bei der die Abfindungsregelung wegen ihrer leichteren Durchführbarkeit und ihrer übereinstimmung mit verbreiteten Wertungen die überhand gewinnt. Ein ,sicheres Indiz dafür ist, daß in der Praxis in dem Sozialplan häufig nicht nur die zu entlassenden Arbeitnehmer im einzelnen benannt werden, sondern außerdem die Klausel enthalten ist, daß keine Zahlung nach der Betriebsvereinbarung verlangen kann, wer die Kündigungsschutzklage erhebt. Dadurch wird das rechtliche Nebeneinander von individualrechtlichem Schutz vor Kündigungen und kollektivrechtIichem Ausgleich der sozialen Folgen für den einzelnen Arbeitnehmer zu einer Alternative; er muß sich zwischen der sicheren Abfindung beim Arbeitsplatzverlust und der sehr unsicheren Aussicht auf Arbeitsplatzerhaltung durch einen Kündigungsschutzprozeß entscheiden und wild dabei i. d. R. die Abfindung wählen, zumal er realistischerweise damit rechnen muß, daß seine Aussichten vor Gericht bei entsprechenden Fallkonstellationen noch schlechtez: als üblich sind. Der Vorteil, daß ein Sozialplan auch bei betrieblich notwendigen Kündigungen einen Ausgleich ermöglicht, entwickelt sich bei dieser Praxis zu der Unterstellung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung, wenn ein Sozialplan eine Abfindung dafür vorsieht. Demgegenüber muß betont werden, daß die Abfindungsregelungen bei Betriebsänderungen jedenfalls in ihrer jetzigen Ausprägung kein Ersatz für den Kündigungsschutz sein können. Abgesehen davon, daß der zudem nur teilweise Ausgleich der sozialen Folgen des Arbeitsplatzverlusts gegenüber dem Bestandsschutz von der Zielsetzung her einen Rückschritt bedeutet, darf die praktische Bedeutung von Sozialplänen nicht überschätzt werden. Der AnwendungS'bereich ist aufgrund mehrerer einschränkender Voraussetzungen relativ begrenzt. Das bestätigt der Umstand, daß nur ein sehr geringer Teil der Arbeitslosen Sozialplanleistungen erhalten hat8t • 87 So LAG Baden-Württemberg v. 10. 2. 77, BB 1977, S. 996; LAG Hamm v. 25. 2. 77, BB 1977, S. 649; Vogt, DB 1976, S. 626 m. w. N.; a. M. LAG München v. 26. 10. 76, BB 1977, S. 1048; ArbG Lörrach v. 14. 5. 1975, DB 1975, S. 1104; differenzierend Hunold, BB 19'75, S. 1441. 88 BAG v. 22. 5. 1979, DB 1979, S. 1896.

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2. Teil: Zur rechtspolitischen Orientierung

Die auf den ersten Blick nicht offenkundige Bedeutung der Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten liegt darin begründet, daß insbesondere die gem. § 87 I Nr. 3 BetrVG initbestimmungspflichtigen Arbeitszeitregelungen wichtige Elemente der betrieblichen Beschäftigungspolitik sind. Der Umfang von überstunden und Kurzarbeit beeinflußt das Einstellungs- bzw. Entlassungsverhalten. Ein bloßes Zustimmungserfordernis bei der Einführung von K~rzarbeit bewirkt aber noch nicht viel, weil die Wahl zwischen Kurzarbeit und Entlassungen dem Arbeitgeber belassen bleibt und dieses Wahlrecht zudem das Recht des Betriebsrats faktisch relativiert, weil der Arbeitgeber ihn mit der Ankündigung von andernfalls notwendig werdenden Entlassungen unter Druck setzen kann. Einschneidend wäre erst die Möglichkeit des Betriebsrats, im Rahmen des an sich anerkannten Initiativrechts bei drohenden Entlassungen alternativ dazu die Einführung von Kurzarbeit vorzuschlagen und ggf. über die Einschaltung der Einigungsstelle zu erzwingen, eine Möglichkeit die bisher aber weder rechtlich anerkannt noch praktisch verwirklicht worden ist110 • Unabhängig davon aber begründen diese und andere wichtige Mitbestimmungsrechte mittelbaren Einfluß auf personelle Entscheidungen über den gesetzlich gesicherten Rahmen hinaus. So sind - zum Teil erfolgreiche - Versuche von Betriebsräten bekannt geworden, die Zustimmung zu überstunden von der Zusage einer befristeten Beschäftigungsgarantie für die Belegschaft, d. h. von dem zeitweiligen Verzicht auf Entlassungen oder von der Bildung von Kurzarbeitergeldausgleichsfonds abhängig zu machen, die dem Ausgleich des Minderverdienstes bei Kurzarbeit dienen sollenl/ 1• Bei der Zusammenstellung der für den Bestandsschutz relevanten Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes zeigt sich, daß der Gesetzgeber die Entscheidungsebenen erkannt hat, auf denen in der betrieblichen Praxis die Vorentscheidungen für Entlassungen fallen, und dort die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats angesetzt hat. Andererseits ist unverkennbar, daß die Mitwirkung desto schwächer ausgeprägt ist, je weiter die Entscheidungsebene der Entlassung vorgelagert ist. Sicher können die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats noch erweitert und damit in ihrer Wirksamkeit für den Bestandsschutz verbessert werden, der entscheidenden Schwäche der Regelungen läßt sich aber nicht abhelfen, daß nämlich dieser Schutz nur den Arbeitnehmern zukommt, die in einem Betrieb mit Betriebsrat beschäftigt sind. Schon das verbietet 89 Nach den Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit erhielten im Mai 1974 nur 1,9 % der Arbeitslosen Leistungen aus Sozialplänen, und zwar waren davon über 3/4 der Arbeitnehmer über 55 Jahre, vgl. ANBA 1974, S. 793. DO Vgl. dazu Dietz / Richardi § 87 RN 6 ff. insbesondere RN 9. 91 Vgl. dazu die Vorgänge bei Opel, FR v. 9.1. 1976, S. 17.

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 157 die Einschätzung, daß die betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen den individualrechtlichen Schutz ersetzen oder auch nur ernsthaft in seiner Bedeutung beeinträchtigen können. 7.1.3. Für die Funktionsbestimmung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes ist das Verhältnis zu den Regelungen der unternehmerischen Mitbestimmung von zentraler Bedeutung, weil die Inhalte und Zielsetzungen unternehmerischen HandeIns, auf deren Beeinflussung die Mitbestimmung ausgerichtet ist, nicht nur die Art und Durchführung der betriebsgestaltenden Entscheidungen bestimmen, sondern im wesentlichen auch die Folgeentscheidungen in personeller Hinsicht. Es ist deshalb ernsthaft die Frage zu prüfen, ob der vollzogene Ausbau der Mitbestimmungsregelung dem individualrechtlichen Kündigungsschutz zwar nicht die Grundlage entzieht, aber doch seine Bedeutung entscheidend relativiert.

M. E. können die Mitbestimmungsregelungen schon wegen ihrer begrenzten Wirksamkeit die Bedeutung des individualrechtlichen Kündidungsschutzes nicht mindern. So werden nur die großen Unternehmen in die neue Regelung einbezogen, die wegen ihrer größeren Möglichkeiten und der stärkeren öffentlichen Verantwortung und Aufmerksamkeit sowieso nur für einen absolut und relativ kleineren Teil der Entlassungen verantwortlich sind92 • Hinzu kommt die Beschränkung auf einen mittelbaren Einfluß durch die Verankerung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat, dessen Aufgaben sich bei der Aktiengesellschaft im wesentlichen auf die Bestellung und überwachung des Vorstandes beschränken und dem keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden können, sondern der lediglich bestimmen kann, daß bestimmte Geschäfte nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Bei dieser Aufgabenverteilung sollten die Einflußmöglichkeiten des Aufsichtsrates auf die praktische Geschäftspolitik weder überbetont noch ganz geleugnet werden. Realistisch ist es wohl, daß die Grundkonzeption der Unternehmenspolitik durch die Bestimmung der Vorstandsmitglieder, durch die überwachung und durch die Abstimmung der Geschäftspolitik in einzelnen wichtigen Fällen durch den Aufsichtsrat beeinflußbar ist. Schließlich muß berücksichtigt werden, daß bei dem Versuch der Durchsetzung einer alternativen Beschäftigungspolitik wegen der einschneidenden wirtschaftlichen Implikationen ein Konsens zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern nicht zu erwarten ist, so daß das übergewicht der Anteilseignervertreter bedeutsam wird. Fraglich ist sogar schon, ob die verschiedenen Arbeitnehmervertreter, insbesondere der Vertreter der leitenden Angestellten, in solchen Fragen einer Mei92

Vgl. S. 115 f.

158

2. Teil: Zur rechtspoLitischen Orientierung

nung sein werden. Der Einfluß auf die Beschäftigungspolitik wird sich deshalb voraussichtlich auf begrenzte Modifikationen beschränken, die von den Vertretern der Anteilseigner im Interesse der Zusammenarbeit des Betriebsfriedens und des Eindrucks der Geschlossenheit hingenommenwerden. Obwohl die unternehmerische Mitbestimmung vom Ansatzpunkt her eine unvergleichlich höhere Wirksamkeit bei der Kontrolle betriebsbedingter Kündigungen entfalten könnte, kann sie wegen des Zusammenwirkens mehrerer den Einfluß der Arbeitnehmer begrenzender Faktoren in den aktuell geltenden Regelungen die Notwendigkeit eines individualrechtlichen Kündigungsschutzes nicht ernsthaft in Frage stellen93• Selbst eine wirksamere Mitbestimmung auf Unternehmensebene könnte m. E. nicht als ausschließlicher Lösungsansatz zum Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen akzeptiert werden. Gerade der Kündigungsschutz erhält seinen Stellenwert trotz der beschäftigungs- und atbeitsmarktpolitischen Implikationen wegen der individuellen Betroffenheit des jeweiligen Arbeitnehmers. Dieser individuelle Schutz kann nicht in einem wie immer gestalteten kollektivrechtlichen Schutz aufgehen; zumal nicht gesichert ist, daß die kollektivrechtliche Interessenvertretung immer wirksam ist und sich jeweils des individuellen Interesses annimmt. Auch der tendenziell wirksamere kollektivrechtliche Schutz bedarf der Ergänzung und Kontrolle durch die rechtlich gesicherten Abwehrmöglichkeiten des einzelnen Arbeitnehmers94 • 7.1.4. Schwieriger ist die Abgrenzung gegenüber der tarifvertraglichen Beeinflussung betriebsbedingter Kündigungen, weil nicht nur darauf abgestellt werden kann, was insoweit bisher geschehen ist, sondern auch auf den rechtlich ungeklärten Aspekt, was insoweit erreicht werden könnte. Die wichtigsten Ergebnisse tarifvertraglicher Verhandlungen zum Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen sind die vielen Rationalisierungsschutzabkommen in den sechziger Jahren und die Ansätze eines besonderen Schutzes für ältere Arbeitnehmer in neuerer Zeit. Die Rationalisierungsschutzabkommen96 schließen die Lücke, die das BetrVG 52 durch die Ausklammerung der Betriebsänderungen gelassen hatte, die offensichtlich dem technischen Fortschritt entsprechende oder ihm dienende neue Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren betrafen (§ 72 es So auch die Einschätzung u. a. von Zachert, GewMH 1977, S. 284.

84 Das ist bezeichnenderweise auch der tragende Gedanke für die Meinung, daß die Verstärkung der kollektiv-rechtlichen Elemente des Kündigungsschutzes durch das BetrVG 1972 nicht zu einer Einschränkung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes geführt hat, vgl. Seite 48 f. Ga Vgl. dazu im einzelnen Böhle / Lutz, S. 15 ff.; Borrmann, F. K. und die Rationalisierungsschutzabkommen in der Metallindustrie und im graphischen Gewerbe, RdA 1968, S. 222 und 260.

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 159 I Zu. 2 e BetrVG 52). Sie erklären sich auch aus der in der damaligen Zeit vorrangigen Bedeutung des technischen Fortschritts für die Arbeitsplatzsicherheit, jedenfalls in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Eine Einzeldarstellung der wesentlichen Inhalte der Rationalisierungsschutzabkommen ist deshalb entbehrlich, weil ihr Gehalt im wesentlichen bei der Neuregelung der Betriebsän!derungen im Betriebsverfassungsgesetz 1972 (§§ 111 ff. BetrVG) berücksichtigt worden ist. Denn auch nach den Rationalisierungsschutzabkommen verbleibt die betriebsgestaltende Maßnahme in der Entscheidungskompetenz des Arbeitgebers, können Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen nicht vom Betriebsrat erzwungen werden und ist nur ein teilweiser Ausgleich der sozialen Nachteile insbesondere in Form von Abfindungen bei Entlassungen und von abgestuften Verdienstsicherungen bei Versetzungen gewährleistet. Neueren Datums ist ein besonderer tarifvertraglich vereinbarter Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer von mindestens 53 Lebensjahren und 3 Jahren Betriebszugehörigkeit, der einen absoluten Schutz vor ordentlichen Kündigungen, also nicht nur vor personen- und verhaltens-, sondern auch vor betriebsbedingten Kündigungen beinhaltet". Die Kombination zwischen den Faktoren Lebensalter und Betriebszugehörigkeit erklärt sich aus dem Zwiespalt der Notwendigkeit des Sonderschutzes einerseits und der Gefahr der Diskriminierung andererseits, hat aber umgekehrt zur Folge, daß die Problemgruppe der unqualifizierten Arbeitnehmer, die wegen des großen Entlassungsrisikos und ihrer eigenen Mobilität i. d. R. auch bis zum Alter keine langjährige Betriebszugehörigkeit erwerben, durch diese Regelung keinen Schutz bekommen87 • Diese relativ bescheidenen Ansätze eines über den gesetzlich fixierten Bestand hinausgehenden tarifvertraglich begründeten Bestandsschutzes könnten den Blick dafür verstellen, welche weitergehenden Gestal...; tungsmöglichkeiten denkbar sind, aber teils wegen dominierender Tendenzen gewerkschaftlicher Tarifpolitik, teils wegen rechtlich ungeklärter Kompetenzen nicht realisiert worden sind. Im Mittelpunkt der neueren tarifpolitischen Diskussion stehen Arbeitszeitverkürzungen durch Kürzung der wöchentlichen Arbeitszeit bzw. durch Verlängerung des Jahresurlaubs u8• Die rechnerisch leicht ermittelbaren großen Auswirkungen auf den Mehrbedarf von Arbeitskräften sind aber empirisch nicht gesichert8u • Nach den bisherigen Erfah8S Vgl. Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg e. V. und der Industriegewerkschaft Metall v. 20. 10. 1973. 87 Dazu im einzelnen Böhle I Lutz, S. 45 ff., insbesondere Tabelle 7. 98 Vgl. dazu u. a. Vilmar GewMH 1977, 26 ff.; Zachert, GewMH 1977, 289 ff.; Mittelsiefen, WSI Mitt. 1978, S. 195 ff.; Mendius, WSI Mitt. 1978, S. 202 ff.

2. Teil: Zur rechtspoHtischen Orientierung

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rungen ist wohl davon auszugehen, daß nur weniger als die Hälfte des dadurch verlorenen Arbeitsvolumens durch NeueinsteIlungen kompensiert wird. Weil die Arbeitszeitverkürzungen überdies nicht kurzfristig wirksam werden und auch kaum revidierbar sind, scheinen sie auch nur für die Anpassung an die mittelfristige Arbeitskräfteentwicklung geeignet. Ergänzend wäre deshalb an den Versuch zu denken, für kurz- und mittelfristige Beschäftigungsschwankungen arbeitspla tzsichernde Verein...l barungen zu treffen, also dem Rationalisierungsschutz einen Schutz gegenüber diesem praktisch bedeutsameren Arbeitsplatzrisiko hinzuzufügen. Eine effektive Regelung dieser Art müßte aber Bindungen des unternehmerischen Verhaltens in der Beschäftigungspolitik beinhalten, was hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit Bedenken hervorruft, die aber m. E. noch nicht erschöpfend diskutiert worden sind1oo • Die theoretische Aufmerksamkeit hat sich statt dessen auf die allerdings auch sehr wichtige Frage konzentriert, ob durch Tarifverträge die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats z. B. bei personellen Entscheidungen erweitert werden können101 • Der Umstand, daß die überwiegende Meinung das Betriebsverfassungsgesetz auch insoweit als zwingende Regelung und nicht als erweiterungsfähige Grundregelung ansieht und daß selbst von der abweichenden Mindermeinung überwiegend die Durchsetzung entsprechender Forderungen durch Arbeitskampfmaßnahmen für unzulässig gehalten wird, hat trotz m. E. begründeter Zweifel dagegen sicher dazu beigetragen, daß die Gewerkschaften das Risiko entsprechender Vorstöße nicht eingegangen sind102 • 7.1.5. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die sonstigen arbeitsrechtlichen Instrumente 2Jum Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen die Bedeutung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes nicht ernsthaft beeinträchtigen können. In der Regel nämlich haben sie einen sehr viel begrenzteren Anwendungsbereich; das gilt für die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen ebenso wie für die bisherigen tarifvertraglichen Bestimmungen und die Mitbestimmungsregelungen. Darüber hinaus sind sie regelmäßig auf eine mittelbare Steuerung der Entschei98

Kritisch zu dieser Möglichkeit Adam / Buchheit, Politik und Zeitgeschichte

1977, S. 3 ff.

100 Vgl. dazu insbesondere Biedenkopf, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. 1, Teil 1, S. 159; Däubler, Grundrecht, S. 68 ff. und 334 ff.; Simitis, ArbuR 1975, S. 321 ff. (bes. 329 ff.). Hinweise zu entsprechenden Ansätzen in der gewerkschaftlichen Tarifpolitik bei Zachert, GewMH 1977, S. 287; zur Tarifpolitik ausländischer Gewerkschaften, z. B. Italien, vgl, Lecher, WSI Mitt. 1977, S.40ff. 101 Dazu ausführlich Schuschke, Schwendy und Ritter. 102 Vgl. aber den Manteltarifvertrag zwischen der Gewerkschaft NahrungGenußmittel - Gaststätten und der Zigarettenindustrie v. 18. 12. 1975 nach Zachert, GewMH 1977, S. 288.

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 161 dungen über Entlassungen ausgerichtet, deren Effektivität angesichts der zurückhaltenden Ausgestaltung keinesfalls gesichert istl°3• Diese Grenzen der sonstigen Regelungen schließen nicht aus, daß sie gesamtgesellschaftlich insgesamt einen höheren Beitrag zur Arbeitsplatzsicherheit erbringen104 und daß in bestimmten Betrieben der individualrechtliche Schutz neben den anderen Regelungen keine große Bedeutung erlangt, z. B. wenn der Betriebsrat aufgrund seiner sonstigen Kompetenzen und seines Engagements sich über die rechtlichen Kompetenzen hinaus einen starken Einfluß auf die Personalpolitik sichert. Diese Auswirkungen sind aber allein nicht ausreichend bzw. nicht rechtlich gesichert. Auch die mit dem Bestandsschutz der Idee nach konkurrierende Konzeption der Abfindungsregelung, die über die weitgehende Praktizierung im Kündigungsschutzverfahren hinaus für Betriebsänderungen eine gesetzliche Ausformung erhalten hat, kann die Berechtigung und Notwendigkeit des individualrechtlichen Kündigungsschutzes nicht in Frage stellen. Dagegen spricht nicht nur, daß diese Konzeption weder rechtlich noch faktisch allgemein verbreitet ist, sondern auch, daß sie solange nur als subsidiär angesehen werden kann, wie die Berechtigung oder Realisierbarkeit der Bestandsschutzkonzeption nicht endgültig widerlegt ist. Die Pluralität und konzeptionelle Verschiedenheit der rechtlich verankerten Instrumente zum Schutz vor und bei Entlassungen ist zwar nicht frei von Komplikationen und Widersprüchen; sie muß aber im Kern als angemessen angesehen werden, weil nach der gegenwärtigen Ausgestaltung kein einzelnes Instrwnent allein einen ausreichenden Schutz gewährleistet. Der notwendige Schutz kann wohl auch nicht durch die Verbesserung einer einzigen Regelung erreicht werden, weil das der Komplexität des zu Entlassungen führenden betrieblichen Entscheidungsganges nicht gerecht wird und an die systembedingten Grenzen jedes einzelnen Instruments stößt. Die Aufgabe liegt vielmehr darin, die einzelnen Bestimmungen, d. h. auch den individualrechtlichen Kündigungsschutz, wirksamer zu handhaben und auszugestalten und dabei im Interesse der Kongruenz und der Effektivität dem Zusammenwirken der Regelungen verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Schon auf Grund des weiten Anwendungsbereichs und der von Zufälligkeiten unabhängigen Wirkung wird der individualrechtliche Kündigungsschutz dabei in jedem Fall eine wichtige Rolle spielen. Der Stellenwert des individualrechtlichen Kündigungsschutzes sollte im übrigen nicht nur darin gesehen werden, daß er auf Grund des wei103 104

Die begrenzte Wirksamkeit betont u. a. auch Zachert, GewMH 1977, S. 285. Vgl. dazu Kohl, WSI Mitt. 1978, S. 222 ff., Punkt III 3.

It Wolter

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2. Teil: Zur rechtspoLitischEm Orientierung

ten Anwendungsbereiches die Lücken der sonstigen Instrumentarien abdeckt. Fruchtbar erscheint mir ergänzend dazu eine auf das Zusammenwirken der Regelungen abgestellte Funktionsbestimmung. Danach kommt den tarifvertraglichen und betriebsverfassungsrechtlichen Instrumentarien die Bedeutung zu, in der institutionalisierten Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter neue Zielvorstellungen und Wege für die betriebliche Beschäftigungspolitik zu entwickeln bzw. zu erproben. Durch das Kündigungsschutzgesetz in seiner Konkretisierung durch die Rechtsprechung können legitime und bewährte Elemente dieser Praxis als Entscheidungskriterien bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung übernommen werden. Im Sinne dieser dynamischen Funktionsbestimmung kommt dem Kündigungsschutz die entscheidende Aufgabe zu, soziale Normen zu verrechtlichen und ihnen damit über das Kündigungsschutzgesetz allgemeine Gültigkeit zu verleihen. 7.2. Ebenso wichtig wie die Funktionsbestimmung des individualrechtlichen Kündigungsschutzes gegenüber anderen arbeitsrechtlichen Instrumenten ist die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des arbeitsrechtlichen Schutzes überhaupt gegenüber anderen Formen der Bewältigung des Problems der Arbeitsplatzsicherheit, d. h. ob nicht die Vollbeschäftigungspolitik, Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem die angemesseneren und wirksameren Ebenen der Bewältigung des Problems sind. Es versteht sich, daß die überlegungen zu dieser Problematik trotz der Wichtigkeit im Rahmen dieser Arbeit nur angedeutet werden können. 7.2.1. Schon auf der Ebene der Zielsetzungen zeigen sich Unterschiede des arbeitsrechtlichen Schutzes gegenüber der Vollbeschäftigungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Während die arbeitsrechtlichen Instrumente betriebsbezogen sind und die Verhinderung von Kündigungen bzw~ den Ausgleich der sozialen Folgen von Kündigungen zum Ziele haben, ist die Zielsetzung der staatlichen Vollbeschäftigungspolitik zum einen grundlegender, weil sie die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Verhalten der Betriebe und damit die Ursachen für die Notwendigkeit VOn Kündigungen zu steuern versucht, zum anderen aber auch beschränkter, weil die Arbeitsplatzsicherheit nur ein Teilaspekt des angestrebten hohen Beschäftigungsstandes ist, es also nicht in jedem Fall darum geht, Entlassungen zu vermeiden, sondern letztlich darum, freigesetzte Arbeitskräfte kurzfristig wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Arbeitsmarktpolitik wiederum, die im wesentlichen durch das Arbeitsförderungsgesetz vom 25. 6. 1969 geprägt ist, verfolgt mehrere, sich ergänzende Ziele. Es geht zum einen um präventive Maßnahmen in

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes

163

Form der Förderung der beruflichen Bildung, die allgemein i. S. der Stützung des wirtschaftlichen Fortschritts und individuell i. S. der erhöhten Arbeitsplatzsicherheit bei besserer Qualifikation wirken soll. Die Zahlung von Kurzarbeitergeid und der Förderungsmaßnahmen zur ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft haben die Unterstützung von personalstabilisierender betrieblicher Beschäftigungspolitik zum Ziele Hl5 • Den Schwerpunkt allerdings bilden restitutive Zielsetzungen i. S. der Wiedereingliederung von freigesetzten Arbeitskräften durch Arbeitsvermittlung und Berufsberatung, durch die Förderung der Arbeitsaufnahme durch Leistungen an Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber und durch Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung 106 • Unter Berücksichtigung auch der Arbeitslosenunterstützung mit kompensatorischer Funktion wird man zwischen den präventiven, restitutiven und kompensatorischen Zielsetzungen und zwischen der Ausrichtung entweder auf den einzelnen Betrieb oder auf die allgemeinen arbeitsmarktpoIitischen Entwicklungen unterscheiden müssen. Es zeigt sich also, daß mit den Zielsetzungen des arbeitsrechtlichen Schutzes nur einige arbeitsmarktpoIitische Maßnahmen, insbesondere die Zahlung von Kurzarbeitergeid, korrespondieren. 7.2.2. Entscheidend kommt es deshalb darauf an, ob und inwieweit die zu einem guten Teil abweichenden Zielsetzungen und Lösungsansätze der Vollbeschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik verwirklicht werden und die Notwendigkeit der Verbesserung des betriebsbezogenen Bestandsschutzes relativieren können.

Die begrenzte Wirksamkeit der Vollbeschäftigungspolitik verdeutlicht schon der Umstand, daß die Vollbeschäftigung im Stabilitätsgesetz neben den anderen Zielen Wirtschaftswachstum, Geldwertstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht genannt ist und der häufig gegebene Zielkonflikt vielfach weder theoretisch noch praktisch lösbar ispo7. Tatsächlich hat sich insbesondere in den letzten Jahren gezeigt, daß die Vollbeschäftigung trotz entsprechender Zielsetzungen und umfangreicher Programme der Bundes- und Länderregierungen nicht erreicht werden konnte. Allerdings läßt sich die Wirksamkeit der staatlichen Vollbeschäftigungspolitik aus diesem Tatbestand allein nicht objektiv bestimmen, weil zum einen die Richtigkeit der getroffenen Maßnahmen umstritten ist und zum anderen keine Feststellungen darüber möglich sind, welche Entwicklung ohne entsprechende Eingriffe eingetreten wäre108• Vgl. dazu im einzelnen Heberer / Wagner. Vgl. dazu im einzelnen Hoppe, BB 1976, S. 470 f., Engelen-Kefer, S. 169 ff. 107 Vgl. § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft v. 8.6.1967, BGBl. I, S. 482; zum Problem der HarmonisierunJg u. a. Lutz, GewMH 1976, S. 479. 105

101

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2. Teil: Zur rechtspol!i.tischen Orientierung

Immerhin gibt es, abgesehen von den bisherigen Erfahrungen, mehrere Gesichtspunkte, die eine eher vorsichtige Einschätzung zur Wirksamkeit der Vollbeschäftigungspolitik des Staates stützen. Dafür spricht zum einen, daß in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion die Theorie der Globalsteuerung zunehmend in Frage gestellt worden ist10U, ohne daß durch andere Theorien, insbesondere dem Monetarismus llO , gesicherte Alternativen gegeben sind. Dieser wirtschaftswissenschaftliche Dissens setzt sich fort auf der politischen Ebene in unterschiedlichen Programmen und Vorschlägen der Parteien und unterschiedlichen Forderungen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zur Vollbeschäftigungspolitik ll1 . Insgesamt ist in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion eine Tendenz zur Relativierung der staatlichen Möglichkeiten zu erkennen, indem auf die Verantwortung bzw. den Einfluß der Tarifparteien, der weltwirtschaftlichen Entwicklung, der wirtschaftlichen Entscheidungsträger in den Unternehmungen, der Verbraucher oder der Marktmechanismen verwiesen wird. Diese Unsicherheit in der Zielsetzung und Wahl der Mittel beruht zum einen auf der Komplexität der Wirkungszusammenhänge in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, zum anderen aber auch darauf, daß der Wirtschaftsablauf auf vielen Ebenen auch und zum Teil entscheidend durch individuelle und subjektive ~~~scheidungen gesteuert wird. Das macht die Auswirkungen möglicher Maßnahmen kaum kalkulierbar, was für Maßnahmen zur Beeinflussung des Arbeitgeberverhaltens, z. B. die Investitionszulage, ebenso gilt wie für Maßnahmen zur Beeinflussung der Verbraucher, etwa die Erhöhung der Massenkaufkraft. Hinzu kommt, daß viele Maßnahmen erst mittelfristig wirksam werden können und daß wegen der sich noch verstärkenden weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten zusätzliche, schwerwiegende und kaum steuerbare Faktoren wirksam werden. Im übrigen darf die Größenordnung des Problems nicht unterschätzt werden. Die hohe Produktivität unserer Volkswirtschaft hat dazu ge108 Zu den beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung durch Konjunktursteuerung in den Krisen 1966/67 und 1974/75 und deren begrenzte und überdies nicht exakt zu bestimmenden Auswirkungen vgl. Engelen-Kefer, S. 164 ff. m. w. N. 109 Diese zunehmende Unsicherheit und skeptische Einstellung gegenüber der staatlichen Globalsteuerung spiegelt sich auch in den Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung wider; kritisch dazu u. a. Priewe, WSI Mitt. 1976, S. 11 ff. und Blätter für deutsche und internationale Politik 1977, S. 52 ff. und Freiburghaus. 110 Grundlegend dazu Friedman. 111 Eine Gegenüberstellung der Vorstellungen dazu findet sich in der FR v. 18. 6. 1977, S. 6; dazu im einzelnen Altvater / Hoffmann u. a., WSI Mitt. 1979, S. 59 ff.; Biedenkopf/ Miegel; DGB, Vorschläge; Rath; Uhereck u. a., Blätter f. deutsche und internationale Politik 1977, S. 625 ff. und Zinn (Hrsg.).

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 165 führt, daß zusätzliche Nachfrage von ca. 90 Milliarden DM geschaffen werden muß, um ca. 1 Million Arbeitslosen Beschäftigung zu geben112, wobei zwar verstärkend der sog. Multiplikationseffekt bei zusätzlichen staatlichen Konjunkturmaßnahmen zu berücksichtigen ist, aber auch der die Wirksamkeit abschwächende Umstand, daß ein steigendes Auftragsvolumen insbesondere bei geringer Kapazitätsauslastung nicht direkt und nicht voll in Neueinstellungen umgesetzt wird. In ihren Wirkungen meßbarer, aber auch beschränkter ist ein Teil der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen 113, z. B. die betriebsbezogenen präventiven Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen und die restitutiven Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. So hat die Bedeutung von Kurzarbeit in der konjunkturellen Krise von 1974/1975 gegenüber früher erheblich zugenommen, d. h. ein zunehmender Anteil des nicht ausgelasteten Arbeitsvolumens ist durch Kurzarbeit an Stelle von Entlassungen ausgeglichen worden114 • Allerdings ist nicht exakt zu bestimmen, in welchem Umfang Kurzarbeit auch ohne KurzarbeitergeId eingeführt worden wäre. Deutlich geworden ist aber auch, daß Kurzarbeit gegenwärtig trotzdem nur in übergangszeiten, d. h. in Erwartung einer sich schnell wieder erholenden Konjunktur oder zur überbrückung der Zeit bis zur Durchführung der notwendigen Entlassungen eine große Rolle spielt, daß sie aber nicht konsequent zur Vermeidung von konjunkturell bedingter Arbeitslosigkeit eingesetzt wird. Den restitutiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik sind noch deutlichere Grenzen gesetzt. So haben zwar unter dem Druck der Verhältnisse Arbeitsbeschaffungsprogramme eine erhöhte Bedeutung bekommen, doch sind die Projekte nach Art und Trägerschaft sehr einseitig und in ihrer langfristigen Wirkung nicht gesichert115 • Auch die zusätzlichen Mobilitätshilfen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben keine durchgreifende Besserung gebracht, vielmehr sind die bereitgestellten zusätzlichen Mittel zum Teil nicht einmal voll in Anspruch genommen worden, wohl auch deshalb nicht, weil Mobilitätshilfen nur die Besetzung Vgl. dazu Seifert, WSI Mitt. 1976, S. 69. So sollen durch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit 1975 insgesamt ca. 300 000 und 1976 insgesamt 400000 Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen worden sein, vgl. dazu Kühl, WSI Mitt. 1976, S.59m.w.N. 114 1967 nur 4 Ofo gegenüber 11 Ofo bzw. 20 Ofo 1974 und 1975, vgl. dazu im einzelnen Reyher, WSI Mitt. 1975, S. 68. 115 Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollen 1974 ca. 10000 und 1975 84000 Arbeitsplätze geschaffen worden sein, davon ca. 90 % im Hoch- und Tiefbau, vgl. dazu Seifert, WSI Mitt. 1976, S. 69; Reyher, WSI Mitt. 1975, S. 6a und Engelen-Kefer, S. 169 f. lU

113

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2. Teil: Zur rechtsI!oldtischen Orientierung

vorhandener Stellen erleichtern, nicht aber freie Arbeitsplätze oder die geforderten Qualifikationen schaffen können, und weil einige Mobilitätshindernisse sich durch finanzielle Anreize dieser Größenordnung nicht überwinden lassen116• Die Bedeutung der verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen läßt sich zusammenfassend auch anhand der Ausgaben für die verschiedenen Zielsetzungen illustrieren. Danach haben in den Krisenjahren der stärksten Bedrohung der Arbeitsplatzsicherheit die kompensatorischen Leistungen der Arbeitslosenunterstützung die größten Unkosten verursacht, vor den allgemein präventiven Maßnahmen, den betriebsbezogenen arbeitsplatzerhaltenden Förderungen und den erst an letzter Stelle rangierenden restitutiven Maßnahmen i. S. der Wiedereingliederung der Arbeitslosen und der Arbeitsbeschaffung 117 • Auch das zeigt, daß das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium die Beschäftigungsentwicklung im wesentlichen nicht steuern, sondern nur die Auswirkungen von volkswirtschaftlichen Entwicklungen auf den Arbeitsmarkt geringfügig abmildern kann118• 7.2.3. Trotz der aufgezeigten Grenzen der Wirksamkeit von beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen des Staates gibt es keinen Zweifel daran, daß ihnen im Verhältnis zu den Wirkungen des arbeitsrechtlichen Schutzes allgemein und des Kündigungsschutzgesetzes speziell die größere Bedeutung zukommt. Das ändert aber nichts an der Einsicht, daß die Vollbeschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik allein keine befriedigende Lösung für die Arbeitsplatzsicherung gebracht haben oder werden bringen können119 • Wenn man nicht bereit ist, sich mit dem lückenhaften Schutz vor Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen abzufinden, was angesichts der sozial-psychologischen und auch volkswirtschaftlichen Folgen der Arbeitslosigkeit weder verantwortlich noch vernünftig ist, müssen alle Instrumentarien zur Erhöhung der Arbeitsplatzsicherheit und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit neu überdacht und gegebenenfalls verVgl. dazu Saterdag, Mitt.AB 1975, S. 140 ff. und Tabelle 18. m Vgl. dazu Seifert, WSI Mitt. 1976, S. 67 ff. und Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsstatistik 1975, 250 f. 118 Zur Weiterentwicklung der Arbeitsmarktpolitik vgl. Bundesanstalt f. Arbeit, überlegungen Ir; Pfriem / Seifert, WSI Mitt. 1979, S. 68 ff.; EngelenKefer, WSI Mitt. 1978, S. 182 ff.; dies., Beschäftigungspolitik, S. 153 ff. und 276 ff.; Kühl, WSI Mitt. 1976, S. 58 f.; Priewe, WSI Mitt. 1976, S. 516 ff.; zu den Modellen und Erfahrungen im Ausland vgl. Meidner, GewMH 1977, S. 12 ff. undSchmid. 119 Zumal noch ganz andere Faktoren als konjunkturell oder arbeitskraftbedingte Arbeitsplatzverluste das Vollbeschäftigungsproblem verstärken, vgl. dazu u. a. Mertens I Reyher, GewMH 1977, S. 1 ff.; Kühl, WSI Mitt. 1976, S. 58 ff.; Engelen-Kefer, S. 86 f. und Freiburghaus. 118

7. Die Funktions- und Stellenwertbestimmung des Kündigungsschutzes 167 bessert werden l20 • Der Verbesserung des Kündigungsschutzes kommt dabei deshalb eine wichtige Rolle zu, weil die betriebliche Beschäftigungspolitik die Schaltstelle für die verschiedenen Wirkungsfaktoren ist121 • Viele mittelbare oder unmittelbare staatliche Maßnahmen zur Sicherung der Arbeitsplätze müssen von einzelnen Betrieben in ihrer Personalpolitik umgesetzt werden, bevor der gewünschte Effekt eintreten kann. Diese Steuerung über die betriebliche Beschäftigungspolitik ist deshalb unverzichtbar. Sie bedeutet nicht, daß die Betriebe wegen der begrenzten Tauglichkeit präventiver und restitutiver Instrumentarien die Auswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklungen allein kompensieren können oder sollen, sondern nur, daß sie den ihnen zumutbaren Anteil der Lasten übernehmen und die staatlichen Angebote und Programme zur Erhöhung der Arbeitsplatzsicherheit annehmen und zugunsten ihrer Belegschaft umsetzen sollen. Die staatlichen Maßnahmen der Vollbeschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik sollten den zumutbaren eigenen Beitrag der Betriebe zur Arbeitsplatzsicherung nicht ersetzen, sondern ihn ergänzen. Sicher wird also eine Verstärkung des Kündigungsschutzes allein das Problem der Arbeitsplatzsicherung keinesfalls lösen können, die notwendigen stützenden und entlastenden Maßnahmen bedürfen aber der auch arbeitsrechtlich gesicherten Umsetzung in die betriebliche Beschäftigungspolitik, wenn man verhindern will, daß diese Maßnahmen sich im wesentlichen nur zugunsten der betrieblichen Rentabilität auswirken l22 • Es kann also nicht darum gehen, ein individuell durchsetzbares Recht auf Arbeit durch die Verstärkung des Kündigungsschutzes zu verwirklichen; andererseits kann aus der fehlenden Realisierbarkeit des Rechtes auf Arbeit in unserem Wirtschafts system keine Ablehnung des bestehenden Kündigungsschutzes bzw. seiner Verbesserung abgeleitet werdenl23 •

120 Dazu gehört auch ein Vergleich der Kosten und der Verteilung der Kosten bei den verschiedenen Instrumentarien, vgl. dazu Reyher, WSI Mitt. 1975, S. 63 ff. m Darauf weisen auch hin Leminsky, WISI Mitt. 1975, S. 62 und Kohl, GewMH 1976, S. 37 f.; ders., WSI Mitt. Sonderheft 1976, S.92 ff.; Spieker / Kohl in: Kohl (Hrsg.), Betriebliche Beschäftigungspolitik, S. 17 ff. und Krieger, WlSI Mitt. 1979, S. 108 ff. 122 Die Funktion des Kündigungsschutzes darf nicht auf die Vermeidung von Willkür beschränkt werden, wodurch der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik die ausschließliche Verantwortung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Vollbeschäftigung gegeben wird; so aber Reuter, ZfA 1975, S. 9l. 123 Vgl. dazu die Kontroverse Schwerdtner, ZfA 1977, S. 47 ff. und Herschel, BB 1977, S. 708 ff.

Dritter Teil

Vorschläge zur wirksameren Handhabung des geltenden Kündigungsschutzes Die vorstehenden Analysen und überlegungen sollen einmünden in konkrete Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes. Dieser Schritt ist trotz der analytischen und argumentativen Grundlegung auch von subjektiven Wertungen geprägt. Das dabei auftretende Spannungsverhältnis zwischen dem subjektiv Vertretbaren und dem in der Theorie und Praxis Konsens- bzw. Realisierungsfähigen soll hier so gelöst werden, daß zwar die im Grundsatz stark abweichende Position aufrechterhalten wird, aber auf die praktischen Anforderungen und die vorhandenen Ansätze hin orientiert wird. Dieser auf Dialog und Konsensbildung angelegte Versuch kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abgeschlossen werden, so daß die folgenden Ausführungen nur als erster Schritt i. S. einer Diskussionsgrundlage verstanden werden können. 8. Zur begrenzten tJ'berprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe von Kündigungen Auch bei den überlegungen zur wirksameren Handhabung des Kündigungsschutzes muß die Frage im Vordergrund stehen, ob und in welchem Umfang unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen eine stärkere Aufklärung und Wertung der wirtschaftlichen Hintergründe bei der Entscheidung über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung möglich ist. 8.1. Ausgangspunkt weiterführender überlegungen muß die oben entwickelte Einsicht sein, daß die undifferenzierte Geltung des Prinzips der unternehmerischen Freiheit theoretisch nicht aufrechtzuerhalten ist und faktisch nicht nur den Kündigungsschutz weitgehend entwertet, sondern auch die Wirksamkeit staatlicher arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischer Maßnahmen schwächt, weil diese der Umsetzung in die betriebliche Beschäftigungspolitik bedürfen. Eine überwindung dieser anfechtbaren Position erscheint mir möglich in Anlehnung an Ansätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur

8. Zur begrenzten überprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe

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Frage der Interessenabwägung, indem man die Notwendigkeit von Kündigungen i. S. der Interessenabwägung zwischen der wirtschaftlichen Dringlichkeit und den sozialen Folgen für überprüfbar hält. Dieser Lösungsansatz überwindet den widersprüchlichen Tatbestand, daß die Gerichte zum Teil zwar exakte Angaben zu der wirtschaftlichen Lage des Betriebes fordern, sich aber weitgehend einer Würdigung dieser Umstände enthalten mit der Folge, daß die Erfolgsaussicht des Arbeitgebers nicht von der inhaltlichen überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung abhängt, sondern davon, ob er in der Lage und bereit ist, überhaupt detaillierte Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung vorzutragen. Die Darlegungen zur betrieblichen Situation, die gegebenenfalls auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sind, müssen vielmehr die Entscheidungsgrundlage für die vom Gericht zu treffende Wertung sein, ob im betrieblichen Interesse die Entlassungen hingenommen werden müssen oder ob das Arbeitsplatzerhaltungsinteresse Vorrang verdient. Nur so wird die soziale Bindung des Arbeitgeberverhaltens bei Entlassungen verwirklicht werden können. Das bedeutet - wie auch hier noch einmal klargestellt werden soll keine überprüfung der Zweckmäßigkeit i. S. der betriebswirtschaftlichen Rationalität der Maßnahme. Aufgabe des Kündigungsschutzes kann es nicht sein, eine bessere Betriebsführung zu erzwingen oder auch nur den Arbeitnehmer vor den Folgen einer schlechten Betriebsführung zu schützen, abgesehen davon, daß eine solche überprüfung angesichts der Unsicherheiten der Entscheidungsgrundlagen und der Pluralität der Unternehmensziele nicht mit dem Anspruch auf Objektivität durchgeführt werden könnte. M. E. ist deshalb selbst eine entsprechende Grobkontrolle entbehrlich, die faktisch - soweit erkennbar - sowieso keine Bedeutung erlangt hat. Als Sanktion für eine unvernünftige Geschäftsführung kann der Kündigungsschutz auch in Extremfällen nicht benutzt werden, ohne dessen Grundlage i. S. der sozialen Bindung des unternehmerischen Verhaltens zugunsten der Arbeitsplatzsicherheit zu verlassen. 8.2. Gegenstand der überprüfung sollten alle Maßnahmen sein, die erkennbar personalpolitische Konsequenzen in Form von Entlassungen haben, d. h. nicht nur Personalabbauentscheidungen, sondern auch tech.:. nische und organisatorische Rationalisierungen. Während dieser Vorschlag hinsichtlich des Personalabbaus zum Teil auf allerdings theoretisch nicht abgesicherte Ansätze in der Praxis zurückgreifen kann, wird hinsichtlich der Rationalisierungen eindeutig Neuland beschritten.

Die überprüfung der Notwendigkeit eines Personalabbaus, d. h. der Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang die Personalkapazität vermindert werden soll, ist m. E. unverzichtbar, weil andernfalls der

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

Kündigungsschutz kaum Wirksamkeit entfalten kann. Denn die nachgeordnete Frage, ob dieser Personalabbau anders als durch Entlassungen zu erreichen ist, eröffnet nicht mehr den gleichen Entscheidungsspielraum und ist im übrigen auch abhängig von der Vorentscheidung über das Ausmaß des notwendigen Personal abbaus. M. E. sprechen aber auch mehrere Gesichtspunkte für die Einbeziehung der Rationalisierungen in die überprüfung unter dem Aspekt der Notwendigkeit. Zu berücksichtigen ist zunächst, daß es im Gesetz keine Anhaltspunkte für die Berechtigung einer Differenzierung gibt und daß praktisch die Freistellung der Rationalisierungsentscheidungen eine nicht unerhebliche Lücke im Kündigungsschutz beläßt. Aber auch wertend betrachtet erscheint es nicht einsichtig, Rationalisierungen, die typischerweise eher von gesunden, florierenden Unternehmen vorgenommen werden, gegenüber dem Personalabbau, der typischerweise eher der Abwendung oder Vermeidung von Schwierigkeiten dient, zu privilegieren. Schließlich kann nicht außer acht gelassen werden, daß sich in der Praxis gerade bei Rationalisierungen Tendenzen zur Personalstabilisierung verbreitet haben, die im Interesse der Relativierung der Beschäftigungspolitik als Faktor des Konkurrenzkampfes zwischen den Betrieben durch die Anwendung entsprechender rechtlicher Entscheidungsmaßstäbe stabilisiert werden sollten. Die überprüfung der Notwendigkeit von Rationalisierungen überschreitet auch nicht die sich nach der heutigen Rechtslage ergebende Grenze, nach der die wirtschaftlichen i. S. betriebsgestaltender Entscheidungen keiner direkten Fremdbestimmung unterworfen werden dürfen l • Denn die hier diskutierte überprüfung betrifft nicht die Zweckmäßigkeit der Rationalisierung, sondern nur, ob sie hinsichtlich ihrer Umstände und dem Zeitpunkt bzw. Zeitraum der Durchführung notwendig ist, d. h. ob die sozialen Folgen ausreichend berücksichtigt worden sind. Im übrigen wird durch die überprüfung die Durchführung der Rationalisierung selbst nicht kontrolliert bzw. verhindert, sondern lediglich die Zulässigkeit der dadurch bedingten Kündigungen2 • Zuzugeben ist, daß Rationalisierungen mit Produktivitätssteigerungen und tendenziell auch mit Arbeitserleichterungen verbunden sind, denen ein auch im allgemeinen Interesse liegender Wert nicht abgesprochen werden kann. Es ist aber bereits oben dargelegt worden, daß diese Werte nicht als absolute angesehen werden können, sondern gegebenenfalls aufgrund einer Interessenabwägung mit entgegenstehenden Zielen relativiert werden müssen. Im übrigen kann kein prinzipieller Unterschied zwischen Personalabbau und Rationalisierung anerkannt Vgl. oben Seite 107 f. Zur Durchsetzbarkeit des Bestandsschutzes bei vollzogenen Maßnahmen vgl. S. 184 f. 1

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8. Zur begrenzten überprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe

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werden, weil unter Umständen auch der Personal abbau im allgemeinen Interesse liegt, insbesondere wenn die Sicherheit der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit des Betriebes in Frage steht. Dem verbleibenden Wertungsunterschied zwischen Personal abbau und Rationalisierung kann durch unterschiedliche Anforderungen an die wirtschaftliche Notwendigkeit entsprochen werden, nicht aber durch die Freistellung der Rationalisierungen von jeglicher überprüfung. Zuzugeben ist auch, daß die Durchführung der überprüfung durch die Gerichte bei Rationalisierungen i. d. R. schwieriger und aufwendiger ist als beim Personalabbau. Die Notwendigkeit eines Personalabbaus läßt sich relativ leicht nach dem Verhältnis von Beschäftigungsentwicklung und Personalbestandsentwicklung beurteilen, während die Entscheidung über Rationalisierungen auch von zukünftigen Faktoren wie den erzielbaren Produktivitätssteigerungen oder Qualitätsverbesserungen abhängt, die nicht immer eindeutig und sicher bestimmbar sind. Doch auch diese größeren praktischen Schwierigkeiten können den Verzicht auf die überprüfung der Notwendigkeit von Rationalisierungen nicht rechtfertigen. . 8.3. Die entscheidende Weichenstellung bei der verbesserten Handhabung des Kündigungsschutzes erfolgt bei der Beantwortung der Frage, nach welchen Kriterien und Maßstäben die Notwendigkeit der die Entlassungen bedingenden Entscheidungen überprüft werden sollen. 8.3.1. Die Einschätzung der betrieblichen Erfordernisse kann sich an den immanent betriebswirtschaftlichen Zielvorstellungen orientieren, wonach die Rentabilität des Betriebes als entscheidendes Kriterium anzusehen ist. Alle sonstigen Zielvorstellungen betrieblicher Unternehmensplanung hinsichtlich der Umsatzentwicklung, der preislichen und qualitativen Konkurrenzfähigkeit, der Krisenstabilisierung durch Diversifikation u. a. sind entweder Teilaspekte dieses Unternehmensziels oder daraus abgeleitete Konkretisierungen. Das betriebliche Interesse an einer Maßnahme ist deshalb i. d. R. danach zu bestimmen, inwieweit die Rentabilität als primäres Unternehmensziel dadurch beeinftußt wird. Für den Fall des Personalabbaus muß demnach die Auslastung der Arbeitnehmer, also das Verhältnis zwischen der Produktions entwicklung und der Personalbestandsentwicklung und die Auswirkungen auf die Rentabilität dargelegt werden. Bei Rationalisierungen dagegen kommt es auf die zu erwartenden Produktivitäts- oder Qualitätsverbesserungen an und deren Auswirkungen auf die Rentabilitätsentwicklung. Zu klären bleibt, für welchen Bereich jeweils das betriebliche Interesse dargetan und gewürdigt werden muß, nur für die jeweils betroffenen Arbeitsplätze, für Abteilungen oder sonstige Untergliederungen, oder für den gesamten Betriebs- oder Unternehmens bereich.

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

Grundsätzlich wird man möglichst konkrete Angaben fordern, d. h. solche über die wirtschaftlichen Entwicklungen und Auswirkungen in dem jeweiligen Bereich. Was jedoch die Auswirkungen auf die Rentabilität betrifft, so wird man gewisse betriebswirtschaftliche Gegebenheiten berücksichtigen müssen, daß nämlich i. d. R. eine auf den einzelnen Arbeitsplatz oder auf einen Teilbereich bezogene Rentabilitätsberechnung nicht möglich ist3, wenn z. B. deren Teilleistungen keinen kalkulierbaren eigenen Marktwert haben. Häufig werden deshalb die Auswirkungen auf die Rentabilität sich nur mittelbar aus den Daten zu größeren Teilbereichen oder zu dem Betrieb insgesamt erschließen lassen. Das bedeutet allerdings nicht, daß die betriebliche Dringlichkeit nur angenommen werden kann, wenn die Rentabilität des gesamten Betriebes betroffen ist. Das verbietet sich nicht nur wegen des damit verbundenen hohen Darlegungs- und überprüfungs aufwandes, sondern auch, weil es berechtigt sein muß, Teilbereiche eines Betriebes durch Personalabbau oder Rationalisierungen zu sanieren, auch wenn der Betrieb insgesamt den Verlust noch kompensieren kann. Es bleibt die Frage, inwieweit das betriebliche Interesse mit dem Hinweis auf mehr oder weniger wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen begründet werden kann. Das teilweise spekulative Element des unternehmerischen Handeins sollte nicht überbetont werden und verliert sicher tendenziell an Bedeutung; doch läßt es sich weder ganz leugnen noch verhindern. Das schließt aber nicht aus, daß man versuchen soll, die individuell und sozial belastenden Kündigungen möglichst weitgehend von diesen spekulativen Elementen unabhängig zu machen, indem man das betriebliche Interesse grundsätzlich nur anhand der bereits eingetretenen oder zumindest objektivierbaren Umstände bewertet. Zumindest kann Prognosen nur ein ihrem Wahrscheinlichkeitsgrad entsprechendes geringeres Gewicht zukommen. Eine vorausschauende Unternehmens- und Personalpolitik darf nicht dazu führen, daß bloße Hypothesen oder Befürchtungen zur Grundlage von Entlassungen gemacht werden. Sie muß vielmehr darauf ausgerichtet sein, daß die Entschei~ dungsgrundlagen objektiviert, die Entwicklungen rechtzeitig erkannt und ihre Auswirkungen möglichst frühzeitig gemildert werden. 8.3.2. Die Einschätzung des entgegenstehenden sozialen Interesses am Arbeitsplatzerhalt muß sich entsprechend dem individualrechtlichen Charakter des Kündigungsschutzes an den Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer orientieren und nicht an den Aufwendungen für die Arbeitslosenunterstützung oder sonstigen von der Allgemeinheit zu tragenden Folgen. Dabei wird man außer den materiellen Folgen auch die psycho-sozialen Folgen berücksichtigen müssen. 8

Vgl. dazu Becker, BB 1976, S. 747 m. w. N. in Anm. 19.

8. Zur begrenzten "Oberprüfung der wirtschaftlichen Hintergründe

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Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Folgen der Entlassung zum Zeitpunkt der Kündigung, auf den es bei der Beurteilung der Frage der sozialen Rechtfertigung ankommt, noch nicht eingetreten sind und auch nicht individuell bestimmbar sind. Wenn man nicht ganz auf eine konkrete Betrachtungsweise verzichten will, bleibt nur die Möglichkeit einer typisierenden Betrachtungsweise, die von den individuellen Merkmalen der betroffenen Arbeitnehmer ausgeht und die typischen Folgen des Arbeitsplatzverlustes anhand der durch die Arbeitsmarktforschung gesicherten Einsichten und unter Berücksichtigung der jeweiligen spezifischen Arbeitsmarktlage ermittelt. Gewisse Unsicherheitsfaktoren lassen sich bei dieser Betrachtungsweise nicht ausschalten. Andererseits aber ermöglicht sie tendenziell eine Berücksichtigung der individuellen Merkmale der betroffenen Arbeitnehmer und eröffnet durch die Berücksichtigung der spezifischen Arbeitsmarktlage einen Ansatzpunkt zur Verstärkung einer antizyklischen Beschäftigungspolitik. Der Aufwand für diese Gewichtung der sozialen Interessen hält sich deshalb in Grenzen, weil dabei die gleichen Umstände wie bei der sozialen Auswahl eine Rolle spielen. Auch bei der Beurteilung der sozialen Schutzwürdigkeit muß typisierend auf die voraussichtlichen Folgen des Arbeitsplatzverlustes abgestellt werden. 8.3.3. Auf die Schwierigkeit der wertenden Abwägung zwischen den betrieblichen Erfordernissen einerseits und dem sozialen Interesse am Arbeitsplatzerhalt andererseits als heterogenen und deshalb nicht unmittelbar quantitativ vergleichbaren Werten ist bereits oben hingewiesen worden. Gefordert ist eine Entscheidung zu der Frage, ob und inwieweit das Rentabilitätsinteresse sich zugunsten der Arbeitsplatzsicherheit Einschränkungen gefallen lassen muß. Dabei soll wieder zwischen den Fallgruppen Personalabbau und Rationalisierung unterschieden werden, nicht nur, weil sich ggf. unterschiedliche Maßstäbe rechtfertigen lassen, sondern auch, weil die Interessenabwägung anders strukturiert ist. Beim Personalabbau besteht die Besonderheit, daß die betrieblichen Vorteile der Entlassungen grundsätzlich korrespondieren mit den sozialen Folgen: die Höhe der Einsparungen und damit der betriebliche Vorteil entspricht in der Regel der Anzahl der Entlassungen und damit der Gewichtigkeit der sozialen Folgen. Als zu berücksichtigende Variable bleiben somit nur noch die Dringlichkeit dieser Einsparungen aufgrund der Beschäftigungs- und Rentabilitätsentwicklung auf der einen Seite und die besonderen Umstände bei den betroffenen Arbeitnehmern und die konkrete Arbeitsmarktlage auf der anderen Seite. Bei dem schwierigen Versuch einer wertenden Stellungnahme zu dieser Interessenabwägung halte ich es für berechtigt, grundsätzlich nur

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3. Teil: Vorschlägt! zur Handhabung des Kündigungsschutzes

einen erheblichen und länger andauernden Produktionsrückgang in dem jeweiligen Bereich als Rechtfertigung für einen Personalabbau anzusehen, also eine zeitlich und quantitativ einschneidende Entwicklung. In der Regel wird dann durch den überhöhten Personalbestand die Rentabilität im entsprechenden Bereich so stark beeinträchtigt sein, daß ein weiteres Aufrechterhalten des Personalbestandes dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, daß also die typischen dadurch bedingten Folgen des Arbeitsplatzverlustes hingenommen werden müssen. Ein geringfügiger Produktionsrückgang muß hingegen genügen, wenn die Rentabilität des jeweiligen Bereiches oder des Betriebes schon vor dem Produktionsrückgang gefährdet war. Im Extremfall kann sogar allein die Notwendigkeit der Sanierung eines gefährdeten Betriebes ohne den Nachweis eines Produktionsrückgangs Personaleinsparungen als Beitrag zur Kostenreduzierung rechtfertigen. Die Entscheidung über die Notwendigkeit eines Personalabbaus wird sich also primär an der Auslastungsentwicklung des jeweils betroffenen Bereichs orientieren und ergänzend an besonderen Umständen in bezug auf die Rentabilität des Betriebes. Bei diesem Entscheidungsmaßstab sind die typischen Folgen von Entlassungen berücksichtigt, so daß modifizierend nur noch etwaige spezifische Umstände der betroffenen Arbeitnehmer in der jeweiligen Arbeitsmarktlage berücksichtigt werden müssen. Die Interessenabwägung bei Rationalisierungen ist demgegenüber schwieriger, weil die betrieblichen Vorteile und die sozialen Folgen nicht wie beim Personalabbau typischerweise korrespondieren, vielmehr können u. U. Maßnahmen mit großen personellen Folgen nur geringe wirtschaftliche Vorteile bringen und umgekehrt. Der Entscheidungsgang ist deshalb komplizierter, weil zunächst die wirtschaftlichen Vorteile der Maßnahme, d. h. die durch die Rationalisierung erreichbaren Produktivitäts- bzw. Qualitätssteigerungen, bestimmt und auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lage des Betriebes gewürdigt werden müssen. Es kommt also auch darauf an, wie wichtig die durch die Rationalisierung erreichbaren Vorteile für die Unternehmensentwicklung sind, ob sie etwa zur Sanierung dringend erforderlich sind oder ob sie nur der Verbes-' serung der schon gesicherten Rentabilität bzw. Konkurrenzfähigkeit dienen. Das so gewichtete betriebliche Interesse muß gegenüber dem nach obigen Kriterien bestimmten Interesse der Arbeitnehmer am Arbeitsplatzerhalt abgewogen werden. Für die dabei geforderten Wertungen sollen und können hier keine allgemeingültigen Regeln entwickelt werden. Solche Regeln sich mit Aussicht auf Wirksamkeit nur in Anlehnung an sozial anerkannte Wertungen aufstellen, an denen es bisher aber weitgehend noch fehlt. Es kann also vorerst nur darum gehen, die rechtlichen Möglichkeiten und

9. Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen

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die Notwendigkeit einer sozialen Bindung auch bei Rationalisierungsentscheidungen darzutun, in der Erwartung, daß dadurch der Prozeß zur Entwicklung neuer Maßstäbe beschleunigt wird. So wird schon die Notwendigkeit, im Kündigungsschutzprozeß die soziale Rechtfertigung auch der Rationalisierungsmaßnahme selbst darzulegen, nicht nur zu einer Selbstkontrolle des Arbeitgebers führen, sondern darüber hinaus zu einer Auseinandersetzung zwischen den unmittelbar Beteiligten über diese Fragestellung, die zu neuen Einsichten und überzeugungen führen kann. Dabei wird sich herausstellen, daß die völlige Bindungsfreiheit auch in der betrieblichen Praxis nicht mehr die Regel ist, sondern daß auch jetzt schon Zielvorstellungen und Regeln bestehen, mit denen sich normative überlegungen fruchtbar auseinandersetzen können. Andererseits werden Beschränkungen von Rationalisierungsmaßnahmen nur sehr zurückhaltend vorgenommen werden können. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß wegen der tendenziell positiven Folge von Rationalisierungen diese nicht nur wie beim Personal abbau dann akzeptiert werden können, wenn es gilt, den status quo gegenüber negativen wirtschaftlichen Entwicklungen zu halten, sondern schon dann, wenn gewichtige, die sozialen Folgen rechtfertigende Aspekte der Zukunftssicherung des Betriebes betroffen sind. Das bedeutet allerdings nicht, daß gegenwärtig noch keine Entscheidung möglich ist, die die Notwendigkeit einer Rationalisierungsmaßnahme verneint, etwa wenn die negativen personellen Folgen im Verhältnis zu den betrieblichen Vorteilen unverhältnismäßig groß sind, wenn eine besondere Schutzbedürftigkeit der Betroffenen gegeben ist oder wenn die Rationalisierung mit einschneidenden personellen Folgen in einer ungünstigen Al'beitsmarktlage nur der Verbesserung einer ohnehin gesicherten Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit dient. Immerhin wird man zusammenfassend davon ausgehen können, daß die überprüfung eines Personalkapazitätsabbaus bei Beschäftigungsmangel nicht nur auf Grund der einfacheren Durchführung, sondern auch auf Grund strengerer überprüfungsmaßstäbe eher zur Verneinung der Notwendigkeit führen kann als die überprüfung einer Rationalisie": rungsmaßnahme. 9. Die VerpßichtungzurVermeidung von Entlassungen durch andere Maßnahmen Die bisherigen überlegungen haben gezeigt, daß die verbesserte Handhabung des Kündigungsschutzes sich besonders der Frage annehmen muß, wie die Verpflichtung des Arbeitgebers, Entlassungen durch andere

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

beschäftigungspolitische oder organisatorische Maßnahmen zu vermeiden, konkretisiert werden kann. Die praktische Bedeutung beruht im wesentlichen darauf, daß die Entscheidung über den notwendigen Personalkapazitätsabbau bzw. die notwendige Rationalisierung noch nicht eine bestimmte Anzahl von der Entlassung präjudiziert, sondern die entsprechende Anpassung der Personalkapazität häufig auch anders vollzogen werden kann, jedenfalls wenn man, wie hier vorgeschlagen, dadurch bedingte finanzielle Belastungen des Arbeitgebers nicht von vornherein als unzumutbar ansieht. Die entscheidende Frage ist deshalb, wie man diese Verpflichtung des Arbeitgebers konkretisiert, d. h. welche Maßnahmen er in Betracht ziehen muß und welche Mehrbelastung er zur Verhinderung von Entlassungen auf sich nehmen muß. Bevor der Versuch einer Antwort bezogen auf die Fallgruppen Personalabbau und Rationalisierung versucht werden soll, seien einige allgemeine Entscheidungsmaßstäbe in die Diskussion eingeführt. 9.1. Zunächst wird man davon ausgehen müssen, daß alle Maßnahmen in Betracht kommen, die technisch und organisatorisch möglich sind, um Entlassungen zu vermeiden, eine Fragestellung, deren überprüfung keine entscheidenden Schwierigkeiten aufwirft. Sinnvollerweise wird man sich bei der überprüfung an dem Prinzip des mildesten Mittels orientieren, d. h. man wird zunächst die Maßnahmen in Betracht ziehen, die typischerweise der geringsten sozialen Folgen nach sich ziehen. Für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Entlassung ist allerdings nur erforderlich, daß die alternativen Maßnahmen für den Arbeitnehmer weniger belastend sind als die Entlassung, was grundsätzlich für alle bisher diskutierten Alternativen gilt. Für die jeweils in Frage stehende Alternative müssen die Mehrbelastungen für den Arbeitgeber berechnet und auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lage des Betriebes gewürdigt werden. Dabei muß berücksichtigt werden, inwieweit auch durch Entlassungen dem Arbeitgeber Belastungen entstehen, die bei anderen Maßnahmen entfallen, sei es durch die Arbeitsfreistellung nach Ausspruch der Kündigung und die geringere Produktivität in der letzten Phase des Arbeitsverhältnissses, sei es durch Abwicklungskosten einschließlich etwaiger Abfindungszahlungen und der Risiken von Kündigungsprozessen, sei es durch die relativ hohen Kosten bei einer später notwendig werdenden Neueinstellung von anderen Arbeitnehmern. Die verbleibende Mehrbelastung einer Maßnahme muß im Sinne einer Interessenabwägung dem sozialen Wert der dadurch erreichbaren Verhinderung von Entlassungen gegenübergestellt werden. Die Suche nach einem Entscheidungsmaßstab bei der Abwägung dieser kaum vergleich-

9. Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen

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baren Größen macht die eigentliche Schwierigkeit aus, die wiederum nicht primär durch theoretische Reflexion, sondern eher in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Regeln und Wertungsmaßstäben gelöst werden kann. Insoweit besteht bereits jetzt ein Nachholbedarf des Rechtes gegenüber den Maßstäben, die sich teilweise in der betrieblichen Praxis als Ergebnisse der Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern gebildet haben. Danach erscheint es nicht mehr gerechtfertigt, den Arbeitgeber nur zu solchen Maßnahmen verpflichtet anzusehen, die mittelfristig seinem wohlverstandenen eigenen Interesse dienen, obwohl schon nach diesem Maßstab alternativen Maßnahmen zur Entlassung in der Rechtsprechung größere Bedeutung zukommen müßte als bisher. Weitergehend wird man überlegen müssen, wie das Opfer, das der Arbeitgeber nach dem hier als Sozialbindung unternehmerischen Handelns verstandene Kündigungsschutzgesetz erbringen muß, konkreter bestimmt werden kann. Dabei bietet sich an, daß der Arbeitgeber einen Teil der Einsparungen bzw. Vorteile, die er durch die die Kündigung bedingende Maßnahme erlangt, einsetzen muß, um Entlassungen zu vermeiden. Der Anteil wird höher bemessen werden können, wenn die Maßnahme, wie bei Rationalisierungsmaßnahmen in florierenden Betrieben, nur der Erhöhung der Rentabilität dient, obwohl auch dann die Vorteile dem Arbeitgeber nicht wieder gänzlich genommen werden dürfen. Ein geringerer Einsatz für Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen muß aber ausreichen, wenn der Personalabbau bzw. die Rationalisierung der Abwendung einer Rentabilitätskrise dient, weil sonst eben dieser Zweck wieder gefährdet würde. 9.2. Bei dem Versuch, die Vorschläge auf die Fallgruppe des Personalabbaus wegen Beschäftigungsmangel zu beziehen, wird eine Vielzahl von Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen in Betracht zu ziehen sein, allerdings kommt ihnen sehr unterschiedliche Bedeutung zu. Ausgehend von dem Vorschlag, daß die Notwendigkeit eines Personalabbaus in der Regel erst angenommen werden kann, wenn zeitlich und quantitativ ein entscheidender Einbruch in der Nachfrage zu verzeichnen ist, wird man unterstellen können, daß eine solche Entwicklung kaum jemals dadurch aufgefangen werden kann, daß auf Lager gearbeitet wird. Dieser Möglichkeit kann auch auf Grund ihrer verhältnismäßig großen Nachteile nur geringe ergänzende Bedeutung zukommen. Kaum größere Bedeutung wird in der Regel die Möglichkeit des Abbaus von Überstunden haben. Bei Beschäftigungslagen der gekennzeichneten Art werden überstunden, falls überhaupt, allenfalls in anderen Bereichen des Betriebes gegeben sein. Entlassungen können dann aber 12 Woller

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

durch den Abbau von überstunden nur verhindert werden, wenn die überzähligen Arbeitnehmer dorthin versetzt werden können. Um dieser Alternative eine wirtschaftliche Bedeutung zukommen zu lassen, müßte man in Erwägung ziehen, ob bei nicht synchron verlaufender Beschäftigung in verschiedenen Bereichen eines Betriebs zur Vermeidung eines Nebeneinander von Entlassungen in einem Bereich und überstunden bzw. Einstellungen in einem anderen Bereich, ein interner Ausgleich derart vorgenommen werden muß, daß entweder entsprechend der jeweiligen Lage bestimmte Arbeitnehmer für die Arbeit in einem anderen Bereich angelernt oder angeleitet werden, oder daß bestimmte Arbeitnehmer von vornherein mehrfach einsetzbar ausgebildet werden. Der Umfang der dafür geforderten Aufwendungen des Arbeitgebers müßte sich nach der Dauer des zu erwartenden Einsatzes des Arbeitnehmers in dem anderen Bereich richten; um einen kurzfristigen Einsatz zu ermöglichen, wird man dem Arbeitgeber nur eine gewisse Einarbeitung des Arbeitnehmers zumuten können; für einen langfristig projektierten Einsatz bzw. die Befähigung zum Einsatz in verschiedenen Bereichen wird man eine längere Schulungszeit als zumutbar ansehen können. Die entscheidende Fragestellung bei der überprüfung von Kündigungen wegen Beschäftigungsmangels aber wird sein, ob die Entlassung durch die Einführung von Kurzarbeit vermieden werden kann. Angesichts der oben dargelegten betriebswirtschaftlichen Vorteile, der sozialen Ausgewogenheit und der öffentlichen Förderung dieser Alternative durch Zahlung des Kurzarbeitergeides wird man von dem Arbeitgeber eine Begründung dafür fordern können, warum er nicht oder nicht länger den Beschäftigungsmangel durch Kurzarbeit ausgleichen kann. Die Möglichkeit und Berechtigung von entgegenstehenden technischen, organisatorischen oder finanziellen Gesichtspunkten soll nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Aber diese Gesichtspunkte müssen konkret dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden. Bedenken habe ich, regelmäßig vom Arbeitgeber zu fordern, den Personalabbau auch durch das Angebot von Abfindungszahlungen für freiwillig Ausscheidende zu erreichen. Zum einen müßte man, um diese Verpflichtung wirksam werden zu lassen, konkrete Regeln dazu aufstellen, wie hoch die anzubietende Abfindung sein muß und inwieweit sie sich an bestimmte Zielgruppen richten darf, was nicht nur schwierig, sondern zudem wenig sinnvoll erscheint. Hinzu kommt, daß diese Regeln für ein Instrument entwickelt werden müssen, dessen soziale Vorteile im Verhältnis zu betriebsbedingten Entlassungen nach den Regeln der sozialen Auswahl nicht unbestritten, jedenfalls nicht erheblich sind. Wichtiger ist demgegenüber die Fragestellung, ob der notwendige Personalabbau ganz oder teilweise durch eine Einstellungsstop hätte erreicht werden können, ob und in welchem Umfang die dadurch beding-

9. Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen

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ten Belastungen im Vergleich zu einem Personalabbau durch Entlassungen für den Betrieb wirtschaftlich tragbar erscheinen. Als Regel bei normalen betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten könnte man in Erwägung ziehen, daß der Umfang des notwendigen Personalabbaus um den Anteil gekürzt werden kann, der auf Grund der durchschnittlichen natürlichen Fluktuation innerhalb eines Jahres durch Einstellungsstop erreicht werden kann. 9.3. Für die Fallgruppe der Rationalisierungen kommen als Alternative zu Entlassungen insbesondere die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz gegebenenfalls nach entsprechender Fortbildung oder Umschulung in Betracht, wie sie auch in § 102 Abs. 3 Ziff. 3 und 4 BetrVG vorgesehen ist. Danach muß der Arbeitgeber versuchen, die von Entlassung bedrohten Arbeitnehmer durch Anleitung und Weiterbildung für die übernahme der Arbeitsplätze zu befähigen, die nach Durchführung der Rationalisierung anstelle der weggefallenen entstehen. Die Bedeutung dieser Möglichkeiten und darüber hinaus anderer Alternativen zur Vermeidung von Entlassungen werden erst eröffnet, wenn man in die Überlegung die Verpflichtung des Arbeitgebers einbezieht, gegebenenfalls die Rationalisierung zu verschieben bzw. zeitlich zu strecken, d. h. sie erst später bzw. stufenweise durchzuführen. Dadurch wird ein größerer Spielraum eröffnet für Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen, wobei zu beachten ist, daß Entlassungen bei Rationalisierung unterschiedliche Gründe haben können: Entweder kann die Produktivität so stark erhöht werden, daß insgesamt nach der Umstellung weniger Arbeitskräfte benötigt werden, so daß die überzähligen durch Entlassungen abgebaut werden sollen, oder durch die Maßnahme verändern sich die Qualifikationsanforderungen für die Arbeitsplätze, worauf mit Entlassung der bisherigen Arbeitnehmer und Neueinstellung entsprechend qualifizierter Arbeitnehmer reagiert werden soll. Zur Verhinderung der qualifikationsbedingten Entlassungen eignet sich die oben genannte Alternative der Anleitung, Weiterbildung oder Umschulung für den neuen Arbeitsplatz. Dabei kann nach der hier vertretenen Sicht zunächst danach gefragt werden, ob die vorhandenen Arbeitnehmer überhaupt durch entsprechende Schulungsmaßnahmen für die neuen Arbeitsplätze qualifiziert werden können, und erst einschränkend dazu in einem zweiten Schritt, ob die Kosten für eine möglicherweise längere Umschulung und dementsprechend lange Verzögerung der Durchführung der Rationalisierung dem Arbeitgeber zumutbar sind. Ebenso wichtig ist, daß durch die Einbeziehung der Möglichkeit einer Verschiebung bzw. Streckung der Rationalisierung auch Alternativen eröffnet werden, die quantitativen Änderungen hinsichtlich der Personalkapazität anders als durch Entlassungen zu bewältigen. Damit wer12·

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

den auch für die Rationalisierung die Möglichkeiten aktuell, die oben für den Fall eines Personalabbaus bei Beschäftigungsmangel diskutiert worden sind. Allerdings kann nicht einfach auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden, jedenfalls nicht hinsichtlich des dort als besonders wichtig herausgestellten Instruments, die Vermeidung von Entlassungen durch Kurzarbeit. Diese Möglichkeit kann bei Rationalisierungen typischerweise kaum eine Bedeutung bekommen, weil die rationalisierungsbedingte personelle überkapazität grundsätzlich nicht vorübergehender Natur ist, und weil es nicht vertretbar erscheint, den Arbeitgeber nach der Durchführung von arbeitsplatzsparenden Rationalisierungen allein mit dem Hinweis auf mögliche Absatzsteigerungen zur Einführung von Kurzarbeit zu zwingen. Anderes gilt nur hinsichtlich der Entlassungen, die durch den vorübergehenden Beschäftigungsmangel während der Durchführung der Rationalisierung bedingt sind, die also nach Abschluß der technischen bzw. organisatorischen Umstellung durch neue Einstellungen kompensiert werden müßten. Es versteht sich, daß dieser vorübergehende Beschäftigungsmangel grundsätzlich durch Kurzarbeit überbrückt werden muß. Für alle hier diskutierten Möglichkeiten zur Vermeidung von rationalisierungsbedingten Entlassungen wegen qualifikatorischen ebenso wie quantitativen Veränderungen der Personalkapazität, ist die entscheidende Frage, inwieweit man den Arbeitgeber als verpflichtet ansehen kann, die dadurch bedingten Belastungen zu tragen, eine Frage, die durch den unbestimmten Rechtsbegriff in § 102 Abs. 3 Ziff. 4 BetrVG auch nur thematisiert, aber nicht gelöst worden ist. Diese Frage läßt sich auch nicht isoliert für die einzelnen Alternativen beantworten, weil häufig eine Entlassung nur durch eine Kombination von Maßnahmen zu vermeiden ist, z. B. wenn die Umschulung des Arbeitnehmers für den neuen Arbeitsplatz erst durch eine Verschiebung der entsprechenden technischen oder organisatorischen Umstellung ermöglicht wird. Es versteht sich, daß bei der Bestimmung dessen, was dem Arbeitgeber zumutbar ist, alle Belastungen berücksichtigt werden müssen, sowohl für die Schulungsmaßnahme als auch für die Verzögerung der Umstellung. Wie immer bei neuen Fragestellungen ist ein Maßstab dafür, was dem Arbeitgeber zumutbar ist, nur schwer zu finden. Zur Orientierung kann deshalb nur auf die obigen Darlegungen verwiesen werden, wonach nicht nur das wohlverstandene Eigeninteresse als Maßstab dienen darf, sondern vom Arbeitgeber im Interesse der Arbeitsplatzsicherung gefordert werden kann, je nach den konkreten Umständen einen Teil der rationalisierungsbedingten Vorteile für Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen einzusetzen.

9. Die Verpflichtung zur Vermeidung von Entlassungen

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Zur Ermutigung entsprechender Maßstäbe kann der Hinweis dienen, daß das Bundesarbeitsgericht4 in einem Fall, der - soweit erkennbarallerdings ohne Folgeentscheidungen geblieben ist, den Arbeitgeber zu überaus kostspieligen Umschulungsmaßnahmen verpflichtet angesehen hat, und daß gerade bei Rationalisierungsmaßnahmen sich bei Vorhandensein einer mittelfristigen integrierten Personalplanung z. T. Standards zur Sicherung der Betriebszugehörigkeit der bisherigen Mitarbeiter herausgebildet haben, die von der Rechtsprechung nicht länger ignoriert werden sollten. Zusammenfassend sei noch einmal darauf hingewiesen, daß mit diesen überlegungen zur Verpflichtung des Arbeitgebers, Entlassungen möglichst durch andere Maßnahmen zu vermeiden, noch keine Maßstäbe gesetzt werden können und sollen, von denen konkrete Einzelfallentscheidungen logisch abgeleitet werden können. Die notwendigen Konkretisierungen, aber auch Modifikationen sind auch hier von einem Diskussionsprozeß zu erhoffen, die entscheidend von d€n Positionen bzw. Kompromissen der soziJal€n Gegenspieler in der Arbeitswelt bestimmt

wiro.

Unabhängig davon sollte bei der überprüfung der sozialen Rechtfertigung von betriebsbedingten Kündigungen der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vermeidung von Entlassungen schon jetzt eine größere Bedeutung zukommen, eine größere jedenfalls als der hier vorgeschlagenen überprüfung der Notwendigkeit des Personalabbaus bzw. der Rationalisierung selbst. Diese Forderung rechtfertigt sich schon mit dem Hinweis auf den Stand der Diskussion um die Arbeitsplatzsicherheit im gesellschaftlichen und rechtspolitischen Raum, die die Frage der überprüfung der betriebsgestaltenden oder personalpolitischen Entscheidungen noch nicht ernsthaft angegangen ist, so daß €s häufig noch an Orientierungspunkten fehlt, um im Einzelfall eine Bewertung als sozial ungerechtfertigt zu treffen. Demgegenüber ist das Problem der betrieblichen Beschäftigungspolitik speziell unter dem Aspekt der Vermeidung von Entlassungen nunmehr schon seit einiger Zeit Gegenstand von Diskussionen und Auseinandersetzungen, so daß sich die rechtliche Beurteilung nicht auf unbekanntem Terrain bewegen muß. Hinzu kommt, daß auch die Rechts- und Sozialordnung hier insbesondere durch die Ausgestaltung der Kurzarbeit Wertungen vorgenommen hat, die bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung nicht außer acht gelassen werden dürfen.

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BAG v. 7. 5. 1968 AP Nr. 18 zu § 1 KüSchG betriebsb. K.

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

10. Die Anforderungen an die soziale Auswahl Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Anforderungen an die soziale Auswahl ist das Verständnis der gesetzlichen Regelung als Ausdruck der auch hier immer wieder betonten Wertung, daß bei Kündigungen die von den sozialen Folgen her mildeste Durchführung gewählt werden soll. Dieses Prinzip muß gegenüber relativierenden Tendenzen konsequenter durchgehalten und als Instrument gegenüber entgegengesetzten Tendenzen betrieblicher Beschäftigungspolitik ausgebaut werden. Besonders wichtig erscheint mir die Begrenzung der Aspekte, die als entgegenstehende betriebliche Gründe anerkannt werden können. M. E. dürfen Leistungs- und Verhaltensgesichtspunkte dabei nicht berücksichtigt werden, weil dadurch die Kongruenz mit der Regelung der personen- und verhaltensbedingten Kündigung gefährdet wird und ein Anreiz zu betriebs be dingten Kündigungen unter dem Aspekt der Selektion von leistungsschwachen Arbeitnehmern entsteht. Umgekehrt kann sich die konsequente Durchsetzung der sozialen Auswahl mittelbar als Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen erweisen. Die Gefahr der Inkongruenz mit der personen- und verhaltensbedingten Kündigung liegt darin begründet, daß unter dem Aspekt der Berücksichtigung entgegenstehender betrieblicher Interessen auch solche persönlichen Gesichtspunkte für die Entlassung den Ausschlag geben können, die an sich als Grundlage für eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung nicht anerkannt sind. Dieser problematischen Konsequenz kann entgegengewirkt werden, wenn man davon ausgeht, daß die Berücksichtigung entgegenstehender betrieblicher Interessen lediglich verhindern soll, daß infolge der nach sozialen Kriterien vorgenommenen Entlassungen eine QualifikatiD,-ns- oder Altersstruktur der Belegschaft entsteht, die dringenden betrieblichen Erfordernissen widerspricht. Danach bleibt die Gültigkeit der sozialen Auswahlkriterien an sich unangetastet, nur sollen die dadurch indizierten negativen Folgen für die Zusammensetzung der Belegschaft auf das Zumutbare begrenzt werden. Ausgehend davon korrespondiert die Frage der Berücksichtigung entgegenstehender betrieblicher Interessen mit der Frage der sozialen Rechtfertigung einer Austauschkündigung, d. h. der Kündigung eines Arbeitnehmers zum Zwecke der Einstellung eines anderen jüngeren oder qualifizierteren Arbeitnehmers. In beiden Fällen stellt sich das Problem, unter welchen Umständen sich das Interesse des Arbeitgebers an einer besseren Qualifikations- bzw. Altersstruktur der Belegschaft gegenüber sozialen Interessen durchsetzen kann. Allerdings ist zu beachten, daß die Anforderungen an das Abweichen von der Sozialauswahl nicht so hoch angesetzt werden können wie bei der Austauschkün-

10. Die Anforderungen an die soziale Auswahl

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digung, weil das entgegenstehende Interesse der Minimierung der sozialen Folgen bei der Sozialauswahl keinen so hohen Wert beanspruchen kann wie das Interesse am Arbeitsplatzerhalt bei der Austauschkündigung. Vielmehr werden sich die Anforderungen daran orientieren müssen, wie deutlich der Unterschied zwischen dem Entlassenen und dem sozial weniger Schutzbedürftigen ist. Zur Durchführung der sozialen Auswahl selbst ist es notwendig, die Tendenz zur Anwendung von allgemeinen Maßstäben zu fördern, um die überprüfbarkeit auch faktisch zu gewährleisten. Diese Standardisierung soll die Bewertung besonderer Einzelumstände nicht ausschließen, sondern dafür nur hinsichtlich der typischen Kriterien eine objektive Grundlage schaffen. Diese Sicht führt zu der überlegung, daß man etwa von Mittel- und Großbetrieben bei der Durchführung der sozialen Auswahl ein entsprechend standardisiertes Verfahren fordern könnte. Bedenken dagegen lassen sich aber aus der gesetzgeberischen Wertung in § 95 BetrVG herleiten, wonach ein Initiativrecht des Betriebsrates für die Aufstellung von Auswahlrichtlinien nur in Betrieben mit über 1 000 Arbeitnehmern besteht. Mit Rücksicht darauf wird man wohl allenfalls bei Betrieben dieser Größenordnung eine soziale Auswahl nach allgemeinen Richtlinien als Voraussetzung einer sozial gerechtfertigten Kündigung ansehen können. Bei der Bewertung der inhaltlichen Kriterien der Sozialauswahl sehe ich die Gefahr der Dominanz der Betriebszugehörigkeit. Diesem Kriterium kann eine große Bedeutung nicht abgesprochen werden, doch entspricht die Betonung dieses Kriteriums z. T. einseitig den Interessen des Arbeitgebers und der Stammbelegschaft und tendiert deshalb dazu, wie die Entwicklung etwa in den USA zeigt, sich gegenüber der Intention der sozialen Auswahl als umfassenderes Anliegen zu verselbständigen. Bei konsequenter Durchführung des Prinzips der sozialen Auswahl können auch die gesicherten arbeitsmarktpolitischen Einsichten über die typischerweise einschneidenden Folgen bei der Entlassung bestimmter Arbeitnehmer nicht außer acht gelassen werden. Danach kann etwa eine krankheits- oder persönlichkeitsbedingte Leistungsschwäche nicht nur nicht unter dem Aspekt der entgegenstehenden betrieblichen Interessen zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, sondern muß wegen der sich im Einzelfall ggf. konkretisierenden Gefahr der langfristigen Arbeitslosigkeit zu seinen Gunsten berücksichtigt werden5 • Darüber hinaus muß zumindest die Frage gestellt werden, ob die nach der betrieblichen Beschäftigungspolitik tendenziell stärkere Betroffenheit von qualifikations- bzw. statusmäßig schlechtergestellten Arbeits Vgl. dazu die Ansätze in den Entscheidungen des LAG Hamm v. 9. 7. 76, DB 1976, S. 1822 und des ArbG Wetzlar v. 18.5. 1976, NJW 1977, S. 1504.

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

nehmern mit dem Prinzip der sozialen Auswahl kollidiert, ob es also hingenommen werden muß, daß z. T. bei der Notwendigkeit von Einsparungen durch Personalabbau dieser nur bei bestimmten Arbeitnehmergruppen oder jedenfalls bei diesen zuerst vorgenommen wird. Diese Zielgruppenbestimmung beim Personalabbau kann auch als Teil der Sozialauswahl angesehen werden, weil sie das Ergebnis der Sozialauswahl durch die Begrenzung der in die Auswahl kommenden Arbeitnehmer z. T. präjudiziert. Es erscheint deshalb durchaus problematisch, diese Zielgruppenbestimmung, die im Ergebnis das Ausmaß der sozialen Folgen von notwendigen Entlassungen beeinflußt, allein der freien Entscheidungskompetenz des Arbeitgebers zu überlassen. Die übertragung der Prinzipien der Sozialauswahl auf diese übergeordnete Entscheidung, in welchem Bereich oder welcher Arbeitnehmergruppe beim Personal abbau Entlassungen vorgenommen werden sollen, würde nicht nur bedeuten, daß der Personalabbau in den verschiedenen Abteilungen grundsätzlich entsprechend ihrer Betroffenheit vom Produktionsrückgang vorgenommen werden muß, sondern auch, daß innerhalb einer Abteilung oder des Betriebes die Arbeitnehmergruppen mit verschiedenem Status entsprechend berücksichtigt werden, jedenfalls soweit sich der Produktionsrückgang dort auch in geringerer Auslastung der Arbeitskräfte auswirkt. 11. Zur Durchführbarkeit und Wirksamkeit'der Vorschläge 11.1. Insbesondere die begrenzte Einbeziehung der Rationalisierungen in die überprüfungen wird u. a. den Einwand herausfordern, daß bei vollzogener technischer Änderung die tatsächliche Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich sei, so daß das Ziel des Arbeitsplatzerhalts faktisch gar nicht erreicht werden könne6 • Dem ist zum einen entgegenzuhalten, daß dieses Problem sich nicht nur bei dem hier vertretenen Lösungsansatz stellt, sondern auch, wenn nach der herrschenden Meinung auf Grund der Grobkontrolle oder der Interessenabwägung eine Rationalisierung nicht als Entlassungsgrund akzeptiert wird. Nur ist diese Fallkonstellation wegen der geringen praktischen Bedeutung dieser Gesichtspunkte offenbar kaum aktuell geworden bzw. diskutiert worden7 • Abgesehen davon ist davon auszugehen, daß die mögliche Entscheidung des Arbeitsgerichts, daß die Kündigung auf Grund der Rationalisierung nicht wirksam ist, keine rechtliche Verpflichtung zur WiederherVgl. Rappenecker, BB 1958, S. 50; AufJlarth I Müller § 1 RN 2{)2. Mit Ausnahme etwa der Entscheidung vom BAG v. 4. 2. 1960 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG betriebsb. K. 8

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11. Zur Durchführbarkeit und Wirksamkeit der Vorschläge

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stellung des alten Zustandes impliziert. Auch faktisch wird sich häufig in absehbarer Zeit bzw. nach entsprechender Ausbildung oder Anleitung in dem Betrieb ein neuer Arbeitsplatz finden lassen, wenn man die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen für den Betrieb nicht von vorneherein begrenzend berücksichtigt. Im übrigen ist fraglich, ob die vollzogene Änderung immer als unabänderlich angesehen werden kann, auch dann, wenn sie ohne großen organisatorischen und wirtschaftlichen Aufwand revidiert werden kann 8 • Schließlich würden diese praktischen Schwierigkeiten dadurch entschärft werden, wenn durch die Novellierung des Arbeitsgerichtssverfahrens tatsächlich eine Verkürzung der Dauer von Kündigungsschutzverfahren erreicht wird oder wenn der vorläufige Bestandsschutz verbessert würde. In den Fällen aber, in denen trotzdem eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich oder zumutbar ist, und mit solchen Fällen muß man rechnen, rechtfertigt sich eine Anwendung des § 9 I 2 KSchG, d. h. die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung durch das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers. Der Wortlaut, der auf die fehlende Erwartung einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit abstellt, deckt diese Anwendung, allerdings besteht bisher weitgehend Einigkeit, daß der Arbeitgeber für seinen Antrag nur Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers geltend machen kann, nicht dagegen wirtschaftliche oder betriebliche Gründeo. Diese Begrenzung soll aber nur verhindern, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte, die eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen konnten oder aber erst nach der Kündigung eingetreten sind, doch zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Bei der hier vertretenen Lösung geht es aber nicht um wirtschaftliche Gründe dieser Art, sondern nur um die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belastungen, die die an sich gebotene Weiterbeschäftigung wegen des Vollzugs der Rationalisierung verursachen würde. 11.2. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß die überprüfung der Rationalisierung und des Personalabbaus ebenso wie der Möglichkeiten zur Abwendung von Entlassungen häufig zu dem Ergebnis führen kann, daß ein Teil der durchgeführten Entlassungen nicht sozial gerechtfertigt ist. Soweit erkennbar, ist bisher nicht ausdrücklich geklärt worden, wie sich eine solche Einschätzung auf den jeweiligen Einzelfall auswirkt. 8 Vgl. die Entscheidung des ArbG Kassel v. 3.5.77, BB 1977, S. 1098, das bei der Aufhebung einer Versetzung wegen der Verletzung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrats ausdrücklich in Kauf nimmt, daß der Arbeitgeber die unternehmerische Maßnahme rückgängig machen muß. e Vgl. dazu BAG v. 14. 10. 54 AP Nr. 6 zu § 3 KSchG; v. 9. 12. 55 AP Nr. 2 zu § 7 KSchG; Hueck / Hueck § 9 RN 19 m. w. N.

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3. Teil: Vorschläge zur Handhabung des Kündigungsschutzes

Die Möglichkeit, daß alle Arbeitnehmer sich auf den sozial nicht gerechtfertigten Umfang von Kündigungen berufen können, scheidet deshalb aus, weil das mögliche Ergebnis nicht sachgerecht ist und den Arbeitgeber unverhältnismäßig belastet. Diese Gefahr kann zwar durch die Anwendung des Prinzips der Priorität vermieden werden, was aber im Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander andere Ungerechtigkeiten nach sich ziehen würde. Es bleibt nur die Möglichkeit, daß unabhängig von der Anzahl der Kündigungen insgesamt nur der Arbeitnehmer mit seiner Klage durchdringt, der nach den Kriterien der Sozialauswahl nicht zu der Gruppe der zu Recht entlassenen Arbeitnehmer zählt. Dadurch wäre auch die Unabhängigkeit der einzelnen Prozesse voneinander gewährleistet, sofern sie nicht sinnvollerweise verbunden werden. 11.3. Die Wirksamkeit der hier entwickelten Vorschläge könnte auch mit dem Hinweis darauf bezweifelt werden, daß die geforderte Überprüfung der unternehmerischen Entscheidungen theoretisch zu kompliziert und praktisch zu aufwendig sei, daß darüber hinaus die vorgeschlagenen Lösungen zuviel Wertungsspielraum eröffneten, der unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bedenklich sei, und daß schließlich die beabsichtigten Verbesserungen an der Grundproblematik der fehlenden Effektivität des Kündigungsschutzes nichts ändern könnten.

Zuzugeben ist, daß die vorgeschlagene Handhabung des Kündigungsschutzes mit einem Mehraufwand an theoretischen Fragestellungen und aufklärungsbedürftigen Sachverhaltselementen verbunden ist. Andererseits bleibt festzuhalten, daß die Beschränkung der überprüfung von wirtschaftlichen Entscheidungen auf den Gesichtspunkt der Notwendigkeit unter Ausklammerung der Zweckmäßigkeit die Schwierigkeiten für die Arbeitsgerichte in Grenzen hält und daß die dabei erforderliche Interessenabwägung durchaus typischer juristischer Kompetenz und Praxis entspricht. Sicher bedarf es dazu eines fundierten betriebswirtschaftlichen Sachverstandes, der ausbildungs- und praxisbedingt nicht ohne weiteres als gegeben angesehen werden kann. Aber es besteht kein Anlaß, die Möglichkeit einer sukzessiven Verbesserung der entsprechenden Qualifikation zu verneinen, weil der tägliche Umgang mit diesen Fragestellungen in Zusammenarbeit mit den z. T. fachkundigen ehrenamtlichen Richtern, die Möglichkeit der Weiterbildung und gegebenenfalls die Heranziehung von Sachverständigen genügend Ansatzpunkte dafür geben. Größere Probleme könnten darin gesehen werden, daß der hier vertretene Lösungsansatz den Richtern einen großen Entscheidungs- und Wertungs spielraum beläßt, weil auch hier noch keine hinreichend konkreten Entscheidungsmaßstäbe entwickelt werden konnten. Die daraus

11. Zur Durchführbarkeit und Wirksamkeit der Vorschläge

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resultierende Gefahr für die Rechtssicherheit angesichts unterschiedlicher Wertvorstellungen der Richter ist aber zu verantworten, weil mittelfristig durch die Kontrolle höherer arbeitsgerichtlicher Instanzen immer wieder eine starke Vereinheitlichung stattfindet. Im übrigen muß in Erinnerung gerufen werden, daß die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gegenwärtig auch nicht als gesichert angesehen werden kann. Die Unklarheiten über Geltung und Anwendungsbereich mancher Theorien der h. M. zur betriebsbedingten Kündigung und deren auch von Arbeitsrichtern nicht durchgehend anerkannte inhaltliche Berechtigung führen, wie die rechtstatsächlichen Untersuchungen exemplarisch aufgezeigt haben, gerade in der jetzigen Zeit zu beachtlichen Divergenzen in der Entscheidungspraxis verschiedener Arbeitsgerichte. Auf den Einwand der geringen Auswirkungen auf die Chance, durch die Kündigungsschutzklage den Arbeitsplatz tatsächlich zu behalten, muß betont werden, daß das Problem der fehlenden Effektivität des Kündigungsschutzes natürlich nicht durch eine Verbesserung des Kündigungsschutzes de lege lata überwunden werden kann, daß aber andererseits sich die Bedeutung von Verbesserungen nicht auf die einzelnen Fälle beschränkt, in denen der Arbeitnehmer obsiegt. Denn sowohl der geringe Prozentsatz der betriebsbedingten Kündigungen, gegen die überhaupt durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage angegangen wird, als auch die hohe Vergleichsbereitschaft insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen sind auch abhängig von der zurückhaltenden Handhabung des Kündigungsschutzes durch die Gerichte. Bei einer veränderten Praxis entsprechend den hier entwickelten Vorschlägen würde voraussichtlich auch die Zahl der Kündigungsschutzklagen steigen und der Anteil der Arbeitnehmer, die sich mit einer vergleichsweisen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zufriedengeben oder die Klage zurücknehmen, sinken. Im übrigen darf bei der Beurteilung der Effektivität nicht allein auf das Verhältnis der betriebsbedingten Kündigungen insgesamt zu den erfolgreichen, d. h. zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führenden Kündigungsschutzprozessen abgestellt werden. Wichtig ist auch, ob durch die Rechtsprechung Verhaltensnormen oder Entscheidungskriterien entwickelt werden, die die betriebliche Beschäftigungspolitik beeinflussen und so die Anzahl von Kündigungen vermindern können. Das ist bisher in Konkretisierung des Kündigungsschutzgesetzes noch kaum geschehen, ist aber in Fortentwicklung des hier vorgeschlagenen Lösungsansatzes durchaus möglich.

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Verzeichnis der herangezogenen Urteile des Arbeitsgerichts Bamburg Kennzeich- Urteil nung im Text vom E l/M E 2/67 E 3/67 E 4/67 E 5/67 E 6/67 E 7/67 E 8/67 E 9/67 E 10/67 E 11/67 E 12/67

1. 12. 67 22. 2.68 28. 3.68 5. 9.68 1. 8.67 23. 5.67 8. 8.67 6. 2.68 24. 4.67 12. 4.67 29. 1. 68 22. 1. 68

Aktenzeichen 1 Ca 549/67 1 Ca 690/67 1 Ca 698/67 1 Ca 705/67 2Ca 156/67 2 Ca 252/67 2 Ca 307/67 2Ca530/67 3 Ca 33/67 3 Ca 89/67 3 Ca 333/67 3 Ca 560/67

Litera turverzeichnis Kennzeich- Urteil nungimText vom

199

Aktenzeichen

E 13/67

21. 3.67

4 Ca 27/67

E 14/67

10.10.67 22. 9.67 10.11.67

4 Ca 90/67 4 Ca 144/67 4 Ca 189/67

8.12.67

4 Ca 224/67

5. 3.68 17.11.67

4 Ca 275/67 4 Ca 313/67

26. 1. 68 30.11.67 12. 6.67

4 Ca 363/67 5 Ca 350/67 6 Ca 158/67 6Ca 385/67

E 15/67 E 16/67 E 17/67 E 18/67 E 19/67 E E E E

20/67 21/67 22/67 24/67

E25/67

15.11.67 18.12.67

6 Ca 609/67

10. 1. 68

6 Ca 654/67

E 28/67 E 29/67

14. 4.67 30. 5.67 12.10.67

7 Ca 129/67 7 Ca 210/67 8 Ca 22/67

E 30/67 E 31/67

14. 9.67 19. 2.68

8 Ca 90/67 11 Ca 454/67

E 32/67 E 3,3/67

14. 3.68 30.11.67

11 Ca 463/67 11 Ca 466/67

E 34/67

7. 2.68 22. 2.68 22. 4.68

11 Ca 467/67 11 Ca 478/67

13. 6.68 5. 9.74

11 Ca 539/67 1 Ca 183/74

16. 7.74 4. 2.75

1 Ca 474/74 2 Ca 42/74

E 26/67 E 27/67

E 35/67 E 36/67 E 37/67 E 1/74 E 2/74 E 3/74

11 Ca 511/67

E 4/74 E 5/74

29. 5.75

2 Ca 326/74

5.11.74

2 Ca 449/74

E 6/74 E 7/74 E 8/74 E 9/74 E 10/74

21. 11. 74 20. 2.75 30.10.74

2Ca 496/74

E 11/74 E 12/74 E 13/74

15. 1. 75 2. 4.75 12.12.74

E 14/74

24. 4.75

2 Ca 573/74 4Ca 6/74

16.10.74

4Ca

22. 5.74

4 Ca 18/74 4 Ca 113/74 4Ca319/74

7/74

5Ca 270/74 5 Ca 546/74

Literaturverzeichnis

200

Kennzeich- Urteil nungimText vom E 15/74 E 16/74 E 17/74 E 18/74 E 19/74 E 20/74 E 21/74 E22/74 E 23/74 E 24/74 E 25/74 E 26/74 E 27/74 E 28/74 E 29/74

17. 7.74 18.11.74 5. 2.75 30. 7.75 14. 5.75 30. 4.75 28. 5.75 28. 5.75

Aktenzeichen 6 Ca 84/74 6 Ca 278/74 6 Ca 292/74 6 Ca 502/74 6 Ca 569/74 6 Ca 618/74 6 Ca 660/74

26.11. 74

6 Ca 661/74 7 Ca 46/74

29.10.74 18. 2.75

7 Ca 117/74 7 Ca 149174

19.10.74

7 Ca 270/74 7 Ca 453/74

29. 4.75 3. 6.75

7 Ca 615/74

E 30/74

7.11.74 3.10.74

8 Ca 198/74 8 Ca 283/74

E 31/74 E 32/74

21. 11.74 4. 1. 75

8 Ca 330/74 8 Ca 368/74

a.12.75

8 Ca 440/74 8 Ca 509/74

E 33/74 E 34/74 E 35/74 E 36/74 E 37/74

30. 1. 75 10. 5.74 22.11. 75 11. 6.75

9 Ca 71/74 9 Ca 447/74 9 Ca 518/74

3. 7.74 26. 7.74

10 Ca 23/74

E 41/74 E 42/74

26. 7.74 27. 9.74 11. 6.75

10 Ca 121/74 10 Ca 275/74

E 43/74

25. 4.75

E 38/74 E 39/74 E 40/74

10 Ca 105/74

10Ca 282/74

E 44/74

18. 4.75

10 Ca 382/74 10 Ca 513/74

E 45/74

27. 6.75

10 Ca 604/74

E 46/74

25. 6.75 12. 6.74 19. 3.75

10 Ca 635/74

15.11. 74

11 Ca 386/74 12 Ca 140/74

E 47/74 E48/74 E 49/74

11 Ca 96/74 11 Ca 337/74

E 50/74 E 51/74

27. 2.75 7. 8.75

12 Ca 522/74

E 52/74

5. 6.75

12 Ca 523/74

Literaturverzeichnis Kennzeich- Urteil nung im Text vom

.,. .,. .,.

Aktenzeichen

E 53/74 E 54/74 E 55/74 E 56/74 E 57/74

20. 8.74

E 58/74 E 59/74 E 60/74 E 61/74 E 62/74 E 63174 E 64/74

3. 9.74 25. 2.75 3.12.74 17.12.74 31. 1. 75 21. 1. 75 14. 3.75

13 Ca 489/74

E 65/74 E 66174 E 67/74 E 68/74 E 69/74 E 70/74 E 71/74 E 72/74 E 73/74 E 74/74 E 75/74 E 76/74 E 77/74 E 78/74 E 79/74 E 80174

22. 4.75 2. 4.74 21. 5.75 7. 6.74 8.11.74

13 Ca 507/74 14 Ca 96/74 14 Ca 121/74 14 Ca 200/74 14 Ca 401/74

18. 4.75 11. 2.75 5. 4.74 11. 3.75 8. 4.75 4. 3.75 18. 4.74 1. 10.74 14. 4.75 18. 6.75 18. 5.75

14 Ca 480/74 14Ca 503/74 15 Ca 69/74 15 Ca 471/74 15 Ca 484/74 15 Ca 498/74 16 Ca 184/74 17 Ca 49/74 18 Ca 114/74 18 Ca 247/74 18 Ca 300/74

30. 8. 74

13 Ca 100/74 13 Ca 124/74 13 Ca 128/74 13 Ca 148/74 13 Ca 149/74 13 Ca 201/74 13 Ca 277/74 13 Ca 289/74 13 Ca 349/74 13Ca 423/74 13Ca 479/74

201