Französische Etymologie: Einführung und Überblick 9783110926866, 9783484540354


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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Die Definition der Etymologie
Abriß der Geschichte der französischen Etymologie
Aufgaben und Probleme der französischen Etymologie
Einzelfälle
Ausblick
Allgemeine Abkürzungen
Autorenregister
Wortregister
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Französische Etymologie: Einführung und Überblick
 9783110926866, 9783484540354

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Romanistische Arbeitshefte

35

Herausgegeben von Gustav Ineichen und Bernd Kielhöfer

Otto Jänicke

Französische Etymologie Einführung und Überblick

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Jänicke, Otto: Französische Etymologie : Einführung und Überblick / Otto Jänicke. - Tübingen : Niemeyer 1991 (Romanistische Arbeitshefte ; 35) NE: GT ISBN 3-484-54035-4

ISSN 0344-676-x

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1

DIE DEFINITION DER ETYMOLOGIE

3

ABRIß DER GESCHICHTE DER ETYMOLOGIE 1. Die vorwissenschaftliche Etymologie a. Die Anfänge der französischen Etymologie (16. Jh.-Anfang 17. Jh.) b. Die Blütezeit der vorwissenschaftlichen Etymologie (17. Jh. - Anfang 19. Jh.) 2. Die wissenschaftliche Etymologie a. Das 19. Jahrhundert b. Das 20. Jahrhundert

8 8

13 21 21 26

AUFGABEN UND PROBLEME DER FRANZÖSISCHEN ETYMOLOGIE 1. Die vulgärlateinischen Elemente 2. Die keltischen Elemente 3. Die germanischen Elemente 4. Die romanische Wortschöpfung

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EINZELFÄLLE Fr. aune "Erle" Fr. son "Kleie" Fr. donjon "Hauptturm" Frpr. brogUckiil. broujä "grübeln"

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AUSBLICK ABKÜRZUNGEN UND BIBLIOGRAPHIE AUTORENREGISTER WORTREGISTER

84 86 91 92

8

Vorwort

Bei der Etymologie haben wir es mit einer Disziplin der Sprachforschung zu tun, deren Ruf nicht immer der beste gewesen ist. Die negative Meinung von der Etymologie ist fast so alt wie die neuzeitliche Etymologie selbst. Man denke nur an die Voltaire zugeschriebene Äußerung »L'^tymologie est une science dans laquelle les voyelles ne sont pour rien, et les consonnes pour fort peu de chose«, die deutlich macht, daß die Etymologie schon frühzeitig mit dem Makel des Dilettantischen behaftet war. Aber selbst seit der Existenz einer sprachwissenschaftlichen Etymologie ist gegen sie immer wieder der Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit erhoben worden; dazu beigetragen haben eklatante Fehlleistungen der Etymologen selbst. Der zwiespältige Eindruck, der sich oft genug auch heute noch mit der Etymologie verbindet, kommt aber nicht von ungefähr, wenn man sich die Situation vergegenwärtigt, in der sie sich befindet. In der Tat hat die Etymologie die undankbare Aufgabe, mit Hilfe von Bekanntem Unbekanntes zu entdecken. Bei der Erhellung seiner Ursprungsprobleme arbeitet der Etymologe auch mit Rekonstruktionen und Hypothesen, die in der Regel subjektiven Einschätzungen entspringen. Dabei kommt es fast zwangsläufig zu Erschließungen und Annahmen, die sich im nachhinein als nicht gerechtfertigt erweisen, was absolut normal ist in einer Wissenschaft mit konjekturalem Charakter. Dies sollte jeder bedenken, der voreilig geneigt ist, den Stab über die Wissenschaftlichkeit der Etymologie zu brechen. Die vorliegende Darstellung der französischen Etymologie will in erster Linie eine Einführung sein. Sie gliedert sich in verschiedene Teile. Nach der Definition des Gegenstandes folgt ein Abriß der Geschichte der französischen Etymologie, in dem neben der allgemeinen Entwicklung vor allem die etymologischen Wörterbücher Berücksichtigung finden werden, da sie die Etymologie beispielhaft repräsentieren und in gewisser Weise Synthesen der etymologischen Forschung darstellen. Zugleich wird ein Überblick über die Entwicklung der Konzeption der Etymologie gegeben. Ausführlich werden dann die Aufgaben und Probleme der französischen Etymologie behandelt. Gerade dieser Teil gewährt Einblick in die etymologische Praxis und orientiert zugleich über ihren Entwicklungsstand. Es folgt noch in Form von Kurzmonographien die Etymologiegeschichte einiger Einzelfälle, die uns für angehende Etymologen besonders lehrreich zu sein scheinen. Mit dieser Einführung ist also zugleich auch ein Überblick über die Entwicklung der französischen Etymologie und ihre Probleme verbunden. Es fehlt nicht an einführenden oder grundlegenden Werken, die in neuerer Zeit zur französischen Etymologie entstanden sind oder aber diese zumindest mitberücksichtigen. Wir verweisen nur auf die einschlägigen Arbeiten von P.Guiraud, M.Pfister, H.Meier und Ch.Brucker, denen wir auch die eine oder andere Anregung verdanken. Jedes dieser Werke behandelt den Gegenstand auf seine spezifische Weise. Auch die vorliegende Arbeit macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Bei allem Bemühen um objektive Darstellung kommen auch in ihr die persönlichen Überzeugungen des Autors zum Ausdruck. So gesehen unterscheiden sich die verschiedenen Arbeiten trotz des gemeinsamen Gegenstandes durch ihre besondere Sichtweise und unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Aspekte und ergänzen sich dadurch auch letztlich.

Die Definition der Etymologie

Die Etymologie ist ein Teilbereich der historischen Sprachwissenschaft, in dessen Rahmen man nach allgemeiner Vorstellung dem Ursprung bzw. der Herkunft der Wörter nachgeht. Mit der Suche nach der Herkunft aus einer älteren Sprache bzw. Sprachphase und nach dem Ursprung im weiteren Sinne wird die Etymologie auch in den hierfür in Frage kommenden Nachschlagewerken identifiziert, wie die folgenden Beispiele zeigen: Der Grand Larousse de la langue frangaise (1973) definiert die Etymologie als »Science qui a pour objet la recherche de l'origine des mots d'une langue donnde, la reconstitution de l'ascendance de ces mots« und das Dictionnaire de linguistique (Larousse 1973) als »la recherche des rapports qu'un mot entretient avec une autre unite plus ancienne qui en est l'origine«. In der Art, wie die Quellen die Zielsetzung der Etymologie umschreiben, zeigen sich nur geringe Abweichungen, so daß man der Etymologie eine klar umrissene Aufgabe zuweisen kann. Bei der Suche nach der Herkunft des erbwörtlichen Wortschatzes, einem ihrer Hauptanliegen, kommt die Etymologie in Berührung mit Sprachstufen, die über die angenommenen Anfänge der jeweiligen Sprache hinausführen und die sich meistens durch Nichtschriftlichkeit auszeichnen. Dies gilt auch für das Französische, obwohl die romanischen Sprachen gegenüber anderen den Vorteil genießen, mit dem Lateinischen ihre Ursprungsbasis zu kennen. Dennoch läßt sich nur ein Teil der lateinischen Vorlagen, die dem erbwörtlichen Wortschatz des Französischen zugrunde liegen, im Schriftlatein nachweisen. Zu dieser Kategorie gehören etwa Wörter wie mur < murum, chanter < cantare. Auf der anderen Seite wurzelt ein nicht unerheblicher Teil des französischen Urwortschatzes im spätantiken Sprechlatein (Vulgärlatein), für das wir nur in recht beschränktem Maße über Zeugnisse verfügen. Hier ist also auch die französische und allgemein die romanische Etymologie auf Hypothesen angewiesen, was zur Ansetzung von nichtbelegten, aus dem Konsens der romanischen Sprachen erschlossenen spätlateinischen Formen führt. Diese nichtbezeugten, aus dem Romanischen erschlossenen Wortformen werden bekanntlich durch ein vorangesetztes Sternchen (Asterisk) gekennzeichnet. Zur Kategorie der französischen Erbwörter, deren spätlateinische Basis erschlossen worden ist, gehören etwa abreuver < *abbiberare (zu bibere), beer < *batare, graisse < *crassia (zu crassus), hausser < *altiare (zu altus), niais < *nidax (zu nidus). Auf das gleiche Phänomen stoßen wir auch bei dem Einfluß, den sogenannte Stratsprachen auf das nach Gallien importierte Latein ausgeübt haben. Wir haben darunter einmal den Einfluß zu verstehen, den das Keltische Galliens auf das dort gesprochene Lateinische ausgeübt hat (Substrat); zum anderen sind damit die germanischen Elemente gemeint, die während des Zusammenlebens von Romanen und Germanen zur Zeit der Merowinger und Karolinger in die sich in Nordfrankreich entwickelnde romanische Sprache übergegangen sind (Superstrat). Ähnlich wie die französischen Wörter vulgärlateinischen Ursprungs lassen sich die aus dem keltischen Substrat und dem germanischen Superstrat stammenden Lexikalien durchweg nur auf erschlossene Vorlagen zurückführen, weil es wiederum an der nötigen schriftlichen Überlieferung fehlt. Es zeigt sich also, daß nicht nur die Etymologie anderer Philologien, sondern auch die französische Etymologie ihre Grauzonen hat, Bereiche also,

4 die auf Grund der mangelnden Textüberlieferung sprachliche Rekonstruktionen erfordern. Die französische Etymologie befaßt sich aber nicht nur mit der genauen Ursprungsbestimmung des erbwörtlichen Wortschatzes, wobei sie sich zugleich in einer sprachlichen Epoche bewegt, die mit den Anfangen der französischen Sprachgeschichte zusammenfällt. Auch im weiteren Verlauf der Entwicklungsgeschichte des Französischen tauchen immer wieder Wörter auf, deren Ursprung ungeklärt ist und die deshalb die Aufmerksamkeit der Etymologen in Anspruch nehmen. Wir denken dabei weniger an die unzähligen Lehnwörter, die das Französische in den verschiedenen Jahrhunderten aus anderen Sprachen übernommen hat und deren Filiation zumindest bei jüngeren Entlehnungen sich auf Grund sachlicher Gegebenheiten meistens ohne größere Probleme ergibt. Daneben gibt es aber eine nicht unerhebliche Anzahl von Wörtern, die in den verschiedensten Epochen der französischen Sprachgeschichte auftreten und uns hinsichtlich ihrer Herkunft Rätsel aufgeben wie etwa um nur einige Fälle zu nennen - echouer (zum ersten Mal 1559 belegt), caniveau (1694), gösse (1798), cabotin (1808), rapin (1832) oder das erst in jüngerer Zeit aufgetauchte ringard »pop., desuet«. Wo der Ursprung dieser und vieler anderer Wörter möglicherweise zu suchen ist, wird uns noch weiter unten beschäftigen. Mit diesen einleitenden Ausführungen sollte der Begriff der Etymologie definiert und zugleich auch das Aufgabengebiet der französischen Etymologie skizziert werden. Im engeren Sinne ist Etymologie immer Erforschung des Wortursprungs; daß man Etymologie auch in einem weiteren Sinne verstehen kann, werden wir noch weiter unten sehen. Neben seiner Verwendung zur Bezeichnung einer sprachwissenschaftlichen Disziplin wird der Terminus Etymologie auch in der Bedeutung »Herkunfts-, Ursprungserklärung« gebraucht; in diesem Sinne kann man beispielsweise sagen, daß eine Etymologie umstritten ist. Schließlich kann Etymologie auch ganz konkret das Ursprungswort bezeichnen, das einem anderen Wort zugrunde liegt; so ist etwa germ. *wardön die Etymologie von fr. garder. In diesem konkreten Sinne wird Etymologie in der Sprachwissenschaft vielfach durch den Terminus Etymon ersetzt. Diese Verwendungen sind übrigens auch dem Französischen eigen. Eine detaillierte Bezeichnungsgeschichte hat P.Zumthor in seinem Artikel Fr. etymologie (essai d'histoire semantique) geliefert. Nachdem wir die Etymologie aus heutiger Sicht definiert und ihre Aufgaben kurz skizziert haben, wollen wir auch einen Blick auf die antiken Anfänge unserer Disziplin werfen, denn die Etymologie als wissenschaftliche Betätigung war bereits den alten Griechen vertraut. Die antike Etymologie verdankte ihre Entstehung philosophischen bzw. sprachphilosophischen Fragestellungen. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Beziehung zwischen den Dingen und ihren Namen entwickelte sich unter den griechischen Philosophen eine Debatte darüber, ob die Bezeichnung eines Gegenstandes auf seiner Natur (φύσει - physei) oder auf einer Übereinkunft zwischen den Menschen (ύεσει - thesei) beruht. Piatons Dialog Krcity los oder über die Richtigkeit der Wörter ist dieser Frage gewidmet. Die Stoiker, die der Theorie von der naturbedingten Entstehung der Wörter anhingen, prägten den Begriff der Etymologie, mit dem die Suche nach der wahren Bedeutung (gr. xö έτυμον), nach einer Bezeichnung in Übereinstimmung mit der damit bezeichneten Sache zum Ausdruck gebracht werden sollte. Abgesehen von diesem unrealistischen Anspruch der Anhänger der physeiTheorie hat die antike Etymologie auch sonst nichts mit ihrer modernen Konzeption gemeinsam, weil sie ahistorisch ist. Griechische bzw. lateinische Wörter werden mit anderen ähnlich lautenden Wörtern derselben Sprachen in Verbindung gebracht. So erklärt Augustinus nach dem Prinzip der Bezeichnung durch das Gegenteil lat. lucus »Hain« mit lucere »hell sein«

5 und bellum »Krieg« mit bellus »schön« (vgl. Sanders 18). Ähnliche Erklärungen finden sich reihenweise in den Etymologiarum sive Originum libri XX des Isidorus von Sevilla (ca. 5 7 0 636), wodurch dieser zugleich zur unbestrittenen Autorität für die lateinische Etymologie des Mittelalters wurde. In der Tat brachte das Mittelalter keine nennenswerte Fortschritte in der Etymologie gegenüber der Antike. Der Mißkredit, in den die Etymologie immer wieder im Laufe der Jahrhunderte durch laienhafte ad-hoc-Interpretationen geraten sollte, datiert also letztlich aus der Antike und dem Mittelalter. Die ahistorische bzw. synchrone Orientierung der Etymologie bei den antiken und mittelalterlichen Gelehrten finden wir wieder in der sogenannten Volksetymologie (Etymologie populaire), wobei diese ebensowenig etwas mit der sprachwissenschaftlichen Etymologie zu tun hat wie die antike Etymologie. Was Volksetymologie ist, läßt sich am besten an einem Beispiel zeigen. Das Alt- und Mittelfranzösische hat ein souffraite (souffrette) f. »manque, privation, disette, misfere« gekannt (< vlat. *suffracta zu suffringere »zerbrechen«, s. FEW 12,415), zu dem seit dem 12. Jh. die Adjektivableitung souffraiteus (souffreteux) »necessiteux, indigent, misärable« belegt ist. Während das Substantiv gegen Ende des 16. Jh. untergegangen ist, bleibt das Adjektiv im Französischen erhalten, wobei es zunächst noch in seiner ursprünglichen Bedeutung, dann vom Anfang des 19. Jh. an in der Bedeutung »qui 6prouve des souffrances physiques« belegt ist (FEW 1 2 , 4 1 6 ) W a s ist geschehen? Da das Adjektiv souffreteux nach dem Verschwinden des Substantivs isoliert dastand und in gewisser Weise herrenlos geworden war, ist es von den Sprechern mit dem Verb souffrir in Verbindung gebracht worden, was zu seiner Verwendung in der Bedeutung »leidend, kränklich« geführt hat. Das Adjektiv souffreteux ist also im Sprachgebrauch von der Wortfamilie souffrir angezogen worden, wozu einmal die Identität des Wortstammes, dann aber auch die semantische Nähe der beiden Bezeichnungen beigetragen hat. Die Annäherung des isoliert dastehenden souffreteux an souffrir, die sich in seiner veränderten Verwendung äußert, ist das Ergebnis einer Volksetymologie. Ähnlich wie im Falle von souffreteux ist fruste »us6« im 19. Jh. auf Grund seiner verwandten Form unter den semantischen Einfluß von rustre geraten und wird seitdem in der Bedeutung »grassier, rude« verwendet. Diese semantische Attraktion wirkt wiederum auf die Form zurück; so taucht gelegentlich auch schon die Graphie frustre auf (Le Figaro 27.11.1989 p. 38). Im Gegensatz zur Etymologie als wissenschaftlicher Forschungsrichtung ist die Volksetymologie demnach ein sich in der Sprache selbst vollziehender Vorgang; bei diesem sprachimmanenten Phänomen bringen die Sprecher Wörter, die auf Grund ihrer Vereinzelung innerhalb der Sprache sich in einer instabilen Lage befinden, in Verbindung mit geläufigeren Wörtern bzw. Wortfamilien und unterziehen sie damit zugleich einer Neuinterpretation bzw. Umdeutung. Voraussetzung für das Wirken der Volksetymologie ist jedoch, daß die implizierten Wortkörper eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen (Paronymie) und daß auch ihre Bedeutungen sich zumindest in einer begrifflichen Nähe zueinander befinden. Von daher ist es durchaus gerechtfertigt, im Zusammenhang mit der Volksetymologie von einer attraction paronymique zu sprechen.

Vom Akademie-Wörterbuch 1694-1762 wird souffreteux in seiner ursprünglichen Bedeutung als »vieux« bezeichnet, bevor es laut FEW 12,416 1826 zum ersten Mal in der Bedeutung »souffrant, maladif« belegt ist. Da femer das vereinzelt vorkommende Verb soufretir bzw. souffreter bereits im 16. bzw. im 17. Jh. in der Bedeutung »souffrir« erscheint, ist es durchaus möglich, daß das Adjektiv souffreteux in seiner modernen Bedeutung auch älter ist, als es die FEW-Angaben vermuten lassen.

6 Häufiger noch als die semantische Attraktion sind volksetymologische Verbindungen, die keine semantischen Verschiebungen verursachen, dafür aber zu Veränderungen im Signifiant bzw. in seiner Graphie führen, wobei sich in diesen die von den Sprechern vorgenommene Neuinterpretation des ursprünglichen Terminus äußert. Dies ist der Fall etwa bei dem aus dem Alemannischen des Elsaß entlehnten su(r)krut, das im Französischen zunächst in der Form sou(r)croute auftritt, bevor es noch im 18. Jh. unter dem Einfluß von fr. chou zu choucroute umgebildet wird (vgl. FEW 17,17 s. Sauerkraut), oder bei afr. mfr. coitepointe (coustepointe) »couverture de lit ouatde et piquie« (< culcita puncto), das als courtepointe (seit 14. Jh.) und zeitweilig auch als contrepointe (16.-19. Jh.) neu interpretiert worden ist (FEW 2,1493 s. culcita). Eine volksetymologische Umdeutung liegt auch vor im Namen des Chateau de la Muette (Paris, XVIe), in dem man das Appellativum la muette »die Stumme« zu erkennen glaubte. In Wirklichkeit geht der Name dieses Schlosses zurück auf ein mfr. nfr. muet(t)e »maison oü l'on löge la meute des chiens, les personnes qui les soignent et les officiers de la vinerie« (bis Ende 18. Jh., FEW 6,3,170 s. movita), das eine Bedeutungsentwicklung von meute (des chiens) darstellt und in dem sich die alte Graphie von meute (muete) erhalten hat. Da es in seiner Aussprache und Graphie von meute abgekoppelt worden ist, konnte es im Namen des Chateau de la Muette zur Umdeutung unter dem Einfluß von la muette »die Stumme« kommen. Die Volksetymologie ist also ein Vorgang, mit dem die Muttersprachler versuchen, in Einzelfällen die Willkürlichkeit der sprachlichen Zeichen zu überwinden und ihnen eine sekundäre Motivation zu geben. Diese nachträgliche Motivation wird dadurch erreicht, daß das undurchsichtige Wort mit einem ähnlich lautenden, aber häufiger gebrauchten Terminus, also einem Paronym, gedanklich assoziiert wird, was eine formale oder inhaltliche Beeinflussung zur Folge hat. Die Volksetymologie erweist sich also letztlich als eine in das Sprachgeschehen aktiv eingreifende, ordnende Kraft, die speziell im Wortschatz wirksam wird. In der neueren Literatur zur Volksetymologie hebt Wartburg die Unterschiede zwischen Volksetymologie und Etymologie hervor: »Die Volksetymologie ist... die Gruppierung der Wörter nach Familien, wie sie vom Sprachgefühl des Volkes in einem gewissen Zeitpunkt vorgenommen wird. ... Sie läßt sich also in keiner Weise von der historischen Etymologie beeinflussen. ... Das sind zwei Begriffe, die gar nicht auf der gleichen Ebene liegen und daher gar nicht kontradiktorisch einander gegenübergestellt werden können: Volksetymologie ist ein in jedem Sprechenden mehr oder weniger lebendiger Trieb; die Etymologie aber ist die von wenigen tatkräftig gepflegte Forschung« (Einführung 125). Im übrigen ist für Wartburg der Ausdruck Volksetymologie irreführend, weil auch gebildete Kreise für diese Erscheinung verantwortlich sein können (ibid. 124). Ullmann, der die gleiche Meinung vertritt, spricht daher auch von association dtymologique (Precis de semantique, 41969, p.l21ss.), die im Grunde jedoch eher eine association pseudo-etymologique ist. J.Orr L' etymologie populaire betont dagegen die Gemeinsamkeiten von Etymologie und Volksetymologie: »L'ötymologie,..., est la recherche d'un rapport de forme et de sens entre deux mots, ou bien le rösultat, le fruit de cette recherche. Le plus souvent, cette recherche est diachronique, c'estä-dire qu'elle vise ä ötablir un rapport entre un mot qui existe, ou qui a exists, et tel mot d'une öpoque ant6rieure: ... Mais eile peut aussi etre synchronique, Etablissant un rapport de parents entre des mots contemporains les uns des autres: ...« (p.129) und »Cependant, tout inconsciente et comme instinctive qu'elle [ΓEtymologie populaire] soit, eile ne laisse pas pour autant d'etre bien de la meme esp^ce que sa soeur savante ... Car que fait cette soeur savante? Ne cherche-t-elle pas, eile aussi, ä reconnaitre ou ä Etablir des rapports de forme ou de sens,...«

7 (p.133). Andererseits sieht J.Orr aber auch das Besondere der Volksetymologie in ihrer sprachgestaltenden Kraft: »c'est par son actuality et par son efficacit6 que Γ Etymologie populate se distingue surtout de l'&ymologie savante, qui, elle,..., reste sans influence sur le fonctionnement de la langue. L'dtymologie populaire, done, ä la difference de l'6tymologie savante, est fonctionnelle, sentie, vivante et agissante« (p. 130).

Arbeitsanregungen: 1. Lesen Sie, was in Saussures Cours de linguistique generale (p. 259s.) zur Definition der Etymologie und zu ihrer Standortbestimmung in der Sprachwissenschaft gesagt wird. 2. Beachten Sie das Kapitel, das in Saussures Cours de linguistique generale (p. 238ss.) der Volksetymologie gewidmet ist, und was dort zur Beziehung zwischen Volksetymologie und Analogie gesagt wird. 3. Untersuchen Sie mit Hilfe eines etymologischen Wörterbuchs, inwieweit bei avalanche, forcene, ouvrable von volksetymologischem Einfluß gesprochen werden kann. 4. Suchen Sie weitere Beispiele für volksetymologische Reinterpretation im Französischen. 5. Kennen Sie Beispiele für die entsprechende Erscheinung im Deutschen? (vgl. etwa blümerant, Hängematte, Rentier, Sündflut/Sintflut, Vielliebchen, Wetterleuchten in Fr.Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache)

Abriß der Geschichte der französischen Etymologie

1.

Die vorwissenschaftliche Etymologie

a.

Die Anfänge der französischen Etymologie (16. Jh. - Anfang 17. Jh.)

Die Geschichte der volkssprachlichen Etymologie in Frankreich beginnt mit der Renaissance, was nicht von ungefähr kommt. Neben der intensiven Beschäftigung mit der Antike und ihren Sprachen interessieren sich die Renaissancephilologen mehr und mehr auch für die Volkssprache. Leo Weisgerber spricht zu Recht von der Entdeckung der Muttersprache im europäischen Denken (1948) zur Zeit der Renaissance. Das neuentdeckte Interesse für die Vulgärsprache hatte eine starke sprachhistorische Orientierung, in deren Gefolge auch die Frage nach der Herkunft der französischen Wörter an Bedeutung gewann. Dabei kann die französische Etymologie auf Anhieb recht beachtliche Erfolge aufweisen. In Fällen, in denen die Etyma im Schriftlatein belegt sind und ihr Zusammenhang mit dem französischen Resultat wegen der Bedeutungsidentität nicht zu übersehen war, liefert das 16. Jh. bereits viele richtige Etymologien. So wird etwa in Robert Estiennes Dictionnaire frangois-latin (1549) für aube, chambre, chose, chou, clore, cloistre, corner, couvrir, cuider, cuve usw. ausdrücklich die jeweils richtige Etymologie erwähnt. In anderen Fällen (cailler, chevre, clou, croire, croix, cuisse usw.) steht das richtige lateinische Etymon kommentarlos neben dem französischen Lemma, so daß es hier primär die Funktion einer Übersetzung hat. Dennoch ist aber davon auszugehen, daß auch in diesen Fällen der etymologische Zusammenhang zwischen lateinischer Vorlage und romanischem Ergebnis erkannt, seiner Evidenz wegen aber nicht weiter ausgeführt worden ist. Auffällig ist ferner, mit welcher Häufigkeit in der etymologischen Literatur des 16. Jh. die Herkunft der französischen Wörter im Griechischen gesucht wurde. Die Graecomanie, die ein Charakteristikum der französischen Etymologie des 16. Jh. darstellt, führte in der Regel zu Herleitungen, die sich in der Folge als unhaltbar erwiesen. Die zahlreichen Wörter, deren Ursprung das 16. Jh. zu Unrecht dem Griechischen zugeschrieben hat (in R.Estiennes Dict.fr.latin, 1549, etwa ban, bas, blesser, bois, borne, braire, braise, briser, brouster/brouter, charogne usw.), fanden später ihre Erklärung im Vulgärlateinischen, im Keltischen oder Germanischen. Die Versuche, das Französische mit dem Griechischen in Verbindung zu bringen, zogen sich über das ganze 16. Jh. hin und betrafen nicht nur die Herkunft von französischen Wörtern, sondern auch die Grammatik und Idiomatik (Gerighausen 96 ss.). Diese forcierte Annäherung des Französischen an das Griechische hatte seine wichtigsten Vertreter in Guillaume Bud6, Joachim Ρέήοη und Henri Estienne und gipfelte in des letzteren Traite de la conformite du langage frangois avec le grec (1565). Zu einer Zeit, als die Frage nach der Entstehung des Französischen noch nicht eindeutig geklärt war, hatte diese Ursprungstheorie nicht wenige Anhänger unter den französischen Vulgärhumanisten. Die für heutige Begriffe abenteuerlich anmutende griechisch-keltische Filiation wurde auch dazu benutzt, das Französische im Wettstreit mit dem Italienischen durch eine spezifische antike Abstammung

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aufzuwerten. Die auffällige Neigung des 16. Jh., den Ursprang von Elementen des französischen Erbwortschatzes im Griechischen zu suchen, hat also letztlich Gründe, die über den engen Rahmen der Etymologie hinausreichen. Es kann daher auch nicht überraschen, daß Äußerungen zur französischen Etymologie im Schrifttum des 16. Jh. von beeindruckenden Ausmaßen sind. Angaben zur Etymologie einzelner Wörter begegnen praktisch in allen Gattungen des Renaissance-Schrifttums. Besonders häufig finden sie sich natürlich in den sprachtheoretischen und sprachgeschichtlichen Schriften der Philologen, die sie als Beispiele für Spracheinflüsse oder zum Beweise von Ursprungstheorien zitieren; gerade im letzteren Falle handelt es sich dabei um ad-hocKonstruktionen, die einer modernen Etymologie-Kritik nicht standhalten. Auf das Anführen von Beipielen soll hier verzichtet werden; es genügt ein Hinweis auf die Arbeit von J.Gerighausen über die historische Deutung der Nationalsprache im französischen Schrifttum des 16. Jh., wo eine ganze Reihe von Etymologien aus den Schriften der französischen Vulgärhumanisten zitiert wird. Aber auch in Werken, die primär nicht sprachlichen Belangen gewidmet sind, werden französische Wörter, die unter sachlichen Gesichtspunkten gebraucht werden, hinsichtlich ihres Ursprungs erklärt. Dabei kommen neben richtigen Etymologien auch recht abenteuerliche Erklärungen zustande. So wird in der Agriculture et Maison rustique von Charles Estienne und Jean Li6bault noyer s.m. mit nuire in Zusammenhang gebracht (6d. 1564 p. 78 r°), und escourgeon »eine Gerstenart« in der Form secourgeon wird durch succursus gentium »secours des gens« erklärt (έά. 1583 p. 301 v°, Klare 75s.). Angaben zur Etymologie der Wörter finden sich aber auch und vor allem in den Sprachwörterbüchern des 16. Jh.. Die volkssprachliche Wörterbuchschreibung in Frankreich ist in ihren Anfängen eng verbunden mit der von Robert Estienne begründeten humanistischen Lexikographie des Lateinischen. Was die Präsenz der Etymologie in den Wörterbüchern des 16. Jh. angeht, so zeigen R.Estienne und seine Nachfolger ein nicht zu übersehendes Interesse für die Herkunft der von ihnen registrierten französischen Wörter, obwohl Angaben dieser Art keineswegs von zwingender Notwendigkeit in einem zweisprachigen Wörterbuch sind. So werden im Dictionnaire frangois-latin (1549) von R.Estienne in den Buchstaben A-C zu ca. 130 Lemmata etymologische Kurzkommentare gegeben (»il vient de...«, »semble qu'il vienne de...« usw.). In den späteren Ausgaben nehmen die Angaben zur Etymologie noch zu. In einzelnen Fällen führt dies dazu, daß mehrere voneinander abweichende Erklärungen zur Herkunft ein und desselben Wortes gegeben werden. Am umfangreichsten sind die etymologischen Angaben in J.Nicots Thresor de la langue frangoyse (1606). Nicot zieht auch ziemlich regelmäßig die Formen der anderen romanischen Sprachen (Ital., Span., Okzit.) zum Vergleich heran und verschafft damit den Äußerungen zur Etymologie zugleich eine solidere Grundlage. Es hat im übrigen den Anschein, als wenn die Autoren eine Erklärung nur in für sie etymologisch schwierigen Fällen versucht hätten. Wie schon weiter oben ausgeführt wurde, kann man ferner aus dem kommentarlosen Nebeneinander von chevre und capra, chevrefueil und caprifolium, ciel und caelum, conseil und consilium, courre, courir und currere usw. schließen, daß den Lexikographen des 16. Jh. der genetische Zusammenhang zwischen den beiden Termini selbstverständlich war, auch wenn der lateinische Terminus primär die Funktion eines Interpretaments des französischen Lemmas hatte. Das Interesse des 16. Jh. an der volkssprachlichen Etymologie wird schließlich auch unterstrichen durch das Erscheinen der ersten etymologischen Wörterbücher des Französischen, auch wenn sie noch von recht bescheidenem Ausmaß sind. Von den beiden etymologischen Spezialwörterbüchern, die im 16. Jh. erschienen sind, ist dasjenige, welches Charles de

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Bovelles 1533 zusammen mit seinem Liber de differentia vulgarium linguarum et Gallici sermonis varietate unter dem Titel Tabulae breves Gallicanarum vocum publiziert hat, relativ bekannt, da es seit einigen Jahren in einem kommentierten Nachdruck vorliegt (6d. C.Dumont-Demaiziüre, 1973). Weitgehend unbekannt ist dagegen das Etymologicon frangois de l'Hetropolitain (Paris 1571), dessen Autor-Jean Le Bon (15307-1583?) aus Autreville (Vosges) - sich als Arzt des Cardinal de Guise einen Namen gemacht hat, aber auch vielfaltigen literarischen Ambitionen frönte. In Bovelles' Tabulae breves Gallicanarum vocum werden 623 französische Appellativa erwähnt; von diesen werden 48 von Bovelles überhaupt nicht etymologisiert, für 213 werden Etymologien vorgeschlagen, die dem heutigen Erkenntnisstand nicht mehr entsprechen, während für die übrigen Wörter Erklärungen gegeben werden, die auch heute noch akzeptabel sind (6d. Dumont-Demaiztere 251). Die Nomenklatur des Etymologicon frangois mit ihren 962 Lemmata ist umfangreicher als die der Tabulae, wobei auch zu jedem Lemma eine Erklärung gegeben wird. Die alphabetische Reihenfolge der Wörter wird von Bovelles und J.Le Bon nur in grober Weise respektiert; d.h. entsprechend ihrem Anlaut werden die Wörter wohl einem bestimmten Buchstaben zugeordnet, hier werden die Wörter jedoch nicht weiter geordnet, wie es auch sonst in Wörterbüchern des 16. Jh. häufig der Fall ist. Gegenüber den Tabulae, in denen alle Erklärungen noch ausschließlich in lateinischer Sprache gegeben werden, verwendet J.Le Bon zu gleichem Zwecke bereits eine französisch-lateinische Mischsprache, wie sie auch sonst in der französischen Lexikographie der zweiten Hälfte des 16. Jh. anzutreffen ist. Eine Beziehung zwischen den Tabulae und dem Etymologicon scheint im übrigen nicht vorzuliegen. Die Nomenklatur der beiden etymologischen Glossare weist nur geringe Übereinstimmungen auf; und dort, wo die gleichen Lemmata vorliegen, werden oft genug unterschiedliche Erklärungen gegeben . Was die Qualität der Etymologien in beiden Wörterbüchern angeht, so sind wir über Bovelles' Tabulae dank der Kommentierung von C.Dumont-Demaizi&re gut informiert. Eine entsprechende Analyse des Etymologicon frangois von J.Le Bon ist hier begreiflicherweise nicht möglich, so daß wir uns auf einige allgemeine Feststellungen beschränken. Generell gilt, daß die Quote der richtig etymologisierten Wörter im Etymologicon kaum höher ist als in den Tabulae. Ansonsten liegen hier wie auch sonst in den etymologischen Angaben des 16. Jh. Licht und Schatten dicht beieinander. So wird eine ganze Anzahl von Wörtern, die sich in ihrer Entwicklung erheblich gegenüber ihrer lateinischen Basis verändert haben, etymologisch richtig interpretiert, etwa doien, escuelle, escuyer, espee, huis, Hesse, mais, maire. Auf der anderen Seite sind Etymologien, die im Spätlateinischen ihren Ursprung haben oder mit Bedeutungswandel verbunden sind, noch nicht richtig erkannt worden; so wird etwa espaule (< lat. spathula) auf lat. scapula »Schulter« zurückgeführt, noyau (für noiel < vlat. *nodellus) auf lat. nucleus »Kern«, poix (= poids) (< lat. pensum) auf lat. pondus »Gewicht«. Wie J.Gerighausen in seiner Arbeit über die historische Deutung des Französischen zur Zeit der Renaissance gezeigt hat, sind alle wichtigen Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Entstehung des Französischen zumindest im Ansatz bereits im Schrifttum des 16. Jh. anzutreffen. Das gilt einmal für die Tatsache, daß sich das Französische wie die übrigen romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein entwickelt hat und nicht aus dem Schriftlatein. Auch der Anteil des Keltischen und des Germanischen am Zustandekommen des Französischen ist bereits erkannt worden. Dabei hat das 16. Jh. den Einfluß des Keltischen überhöht veranschlagt. Zugleich konstruierte man eine Beziehung zwischen den Kelten und dem Griechischen, um das Griechische zu den Quellen des Französischen zählen zu können und ihm dadurch gegenüber dem Italienischen und seinem privilegierten Verhältnis zum Latein ein zu-

11 sätzliches Prestige zu verleihen. Der Einfluß des Germanischen wurde dagegen eher unterschätzt bzw. in seinem Ausmaß noch nicht richtig erfaßt. Immerhin erwähnt Etienne Pasquier in den Recherches de la France schon eine Anzahl fränkischer Wörter (Gerighausen 164). Auch der Begriff des Lautwandels war dem 16. Jh. nicht mehr fremd, selbst wenn man noch nicht seine Gesetzmäßigkeiten erkannt hatte; und das sollte noch lange so bleiben. Sind also im vulgärhumanistischen Schrifttum des 16. Jh. viele für die Entstehung und Entwicklung des Französischen wichtige Sachverhalte enthalten - wenn auch nur ansatzweise so haben diese Erkenntnisse auf der anderen Seite in keiner Weise ihren Niederschlag in den beiden etymologischen Wörterbüchern des 16. Jh. gefunden, die uns hier beschäftigen. So läßt sich in Jean Le Bons Etymologicon (1571) auch kein wirklicher Fortschritt gegenüber Charles de Bovelles' Tabulae (1533) feststellen, da letztlich der Schlüssel zum Verständnis der Sprachentwicklung fehlte. Als Quellen für ihre Etymologien bevorzugen beide Autoren das Lateinische und Griechische. Beim Lateinischen handelt es sich naturgemäß um die überlieferte Schriftsprache der klassischen Autoren und noch nicht um die volkstümliche Umgangssprache. Die Herleitung aus dem Griechischen, die bei Bovelles noch relativ selten ist, wird von J.Le Bon bedeutend häufiger praktiziert. Beispiele erübrigen sich hier, da es sich in den meisten Fällen um willkürlich vorgenommene Verbindungen mit griechischen Wörtern handelt, die von der wissenschaftlichen Etymologie nicht bestätigt worden sind. Im übrigen wird der sich bei J. Le Bon manifestierende Hang zu griechischen Etymologien in Zusammenhang stehen mit der graecophilen Strömung, deren markantester Vertreter bekanntlich Henri Estienne mit seinem Traite de la conformite du langage frangois avec le grec (1565) gewesen ist. Die Möglichkeit eines germanischen Ursprungs wird in den beiden etymologischen Wörterbüchern des 16. Jh. nur erst in wenigen Fällen in Erwägung gezogen. Bovelles erwähnt nur in einem Fall ausdrücklich die Herkunft aus dem Germanischen: »Bigot, vox barbara, ä Germanis quasi par dieu«. Auch sonst gebraucht er mehrfach die Bezeichnung »vox barbara« (s. banc, beguin/besgart, drap), ohne jedoch ein spezielles Etymon für die einzelnen Wörter zu nennen. Im übrigen werden auch die zahlreichen mit h aspirä anlautenden Wörter (hardi, hache, honte usw.) oder jene mit fr. g-/ostfr. w- noch nicht mit dem Germanischen in Zusammenhang gebracht. Sie werden entweder als »vox dubia«, »incertae originis vox« usw. deklariert oder auf fragwürdige Weise erklärt; so wird hardi mit lat. ardens und garder/ostfr. warder mit lat. videre in Verbindung gebracht. Im Etymologicon fehlen germanische Etymologien völlig, was um so mehr überrascht, als J.Le Bon aus den Vogesen stammt, also aus der Nähe der deutsch-französischen Sprachgrenze. Er verlegt den Ursprung der germanischen bzw. deutschen Wörter ins Keltische (hauber/hober »bouger«, haie, hart »corde«, gangue) oder ins Griechische (hameau); dabei wird die Annahme keltischen Ursprungs (»terme, vocable gaulois«) natürlich nicht durch entsprechende Etyma belegt. Die etymologischen Wörterbücher von Bovelles und Le Bon bestätigen nur, daß für die Beurteilung der Frage nach einer möglichen Herkunft aus dem Keltischen oder Germanischen im 16. Jh. die Voraussetzungen noch fehlten. Erwähnt werden soll schließlich noch, daß beide gelegentlich eine synchrone, der Volksetymologie verwandten Erklärung praktizieren, die schon in der Antike bekannt war. Für Bovelles ist z.B. beffroi (befroy) zusammengesetzt aus bie (von beer < vlat. *batare) + ejfroi (zu effrayer), und bonnet wird von ihm zerlegt in bon + est, weil die Mütze gut ist als Schutz gegen Erkältungskrankheiten. Der diesbezügliche Einfallsreichtum von J.Le Bon steht dem des Ch. de Bovelles in nichts nach: »Echevins, quasi menant ä chef & ä fin les affaires. Le vulgaire dit Echeves vin, pour autant qu'ils boivent le bien public« wird also mit achever in Verbindung gebracht (und noch nicht mit an-

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frk. *skapin »Schöffe« FEW 17, 94) und »secourgeon,..., orge, quasi securrens (sic!) gentibus« mit secourir, secours (und noch nicht mit lat. corrigia »Riemen« FEW 2, 1224). Der Entwicklungsstand der französischen Etymologie des 16. Jh. macht deutlich, daß wichtige Voraussetzungen für die Entstehung einer wissenschaftlichen Etymologie noch nicht gegeben waren. Die Regelhaftigkeit des Lautwandels und die spezifischen Gesetzmäßigkeiten der französischen Lautentwicklung waren noch nicht erkannt worden. Eine Sprachgeschichte existierte noch nicht, und folglich konnte der Zusammenhang zwischen Wortgeschichte und Etymologie den Sprachforschern der Renaissance auch noch nicht vertraut sein. Die realitätsfernen Vorstellungen vom Ursprung des Französischen, die auch die praktische Etymologie beherrschten, haben sich in zahlreichen oberflächlichen Verknüpfungen französischer Wörter mit form- und bedeutungsverwandten Wörtern des Griechischen niedergeschlagen. Die in der zweiten Hälfte des 16. Jh. sich allmählich durchsetzende Erkenntnis, daß die romanischen Sprachen aus der spätlateinischen Umgangssprache hervorgegangen sind, hatte noch keine Auswirkungen auf die etymologische Praxis. Um die Bedeutung des Keltischen und des Germanischen für den französischen Wortschatz wußte man bereits; über den Umfang der Präsenz dieser Sprachen im Französischen war man sich dagegen im unklaren, da die Voraussetzungen für eine angemessene Einschätzung des keltischen und germanischen Spracheinflusses noch nicht gegeben waren. Schließlich soll hier noch das etymologische Wörterbuch erwähnt werden, das Etienne Guichard 1606 unter dem Titel L'Harmonie etymologique des langues Hebrai'que, Chaldaique, Syriaque, Greque, Latine, Frangoise, Italienne, Espagnole, Allemande, Flamande, Angloise,... veröffentlicht hat. Wenn man einmal von der Tatsache absieht, daß der Autor eine Vielzahl von Sprachen in seine Betrachtungen miteinbezieht, so verdient vor allem Erwähnung, daß die Konzeption der Harmonie etymologique des langues noch ganz und gar den Vorstellungen des christlichen Mittelalters verhaftet ist. Für Guichard ist das Hebräische als eine der drei heiligen Sprachen zugleich Ursprache schlechthin, auf die alle übrigen Sprachen zurückgehen, wie aus dem folgenden Passus der Vorrede hervorgeht: »..., depuis que par la grace de Dieu sa parole nous a estö revelee en langue Hebrai'que, tous ont reconnu facilement que ceste langue precedoit toutes les autres en antiquit6. ... Adam aiant communique toutes les sciences ä sa posterite par le moien de sa langue, qui estoit Γ Hebrai'que, il s'ensuivoit necessairement qu'icelle fust la premiere de toutes« (p. III v°). Die Rückführung französischer Wörter auf das Hebräische, wie sie Guichard vornimmt, ist mit einem recht willkürlichen Umgang mit dem Wortkörper verbunden, wie das folgende Beispiel zeigt: »lagab signifie deridere, irridere, subsannare. Dont il semble qu'on puisse deriver, omettant la premiere radicale,..., gaber en Frangois, gabbare en Italien,...« (p. 477). Etienne Guichards Harmonie etymologique bringt keinen Fortschritt gegenüber der Etymologie des 16. Jh.; nach wie vor kann der Wortkörper gegebenenfalls nach dem Gutdünken des Etymologen verändert werden, um die Verbindung mit der auf Grund von Bedeutungsähnlichkeit angenommenen Basis herzustellen. Zusammenfassend läßt sich zur ersten Phase der sogenannten vorwissenschaftlichen Etymologie des Französischen sagen, daß das 16. Jh. im Gefolge des sich entwickelnden Vulgärhumanismus eine volkssprachliche Etymologie entstehen sieht, während sich die Etymologen bis dahin ausschließlich mit den klassischen Sprachen befaßt hatten. Da jedoch die Voraussetzungen für die Entstehung einer wissenschaftlichen Etymologie noch nicht gegeben waren, weist die französische Etymologie des 16. Jh. und des beginnenden 17. Jh. in methodischer Hinsicht keinen Fortschritt gegenüber der antiken und mittelalterlichen Etymologie auf.

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b.

Die Blütezeit der vorwissenschaftlichen Etymologie (17. Jh. - Anfang 19. Jh.)

Bei der Beschäftigung mit der zweiten Phase der sogenannten vorwissenschaftlichen Etymologie wird uns die Frage interessieren, ob und inwieweit sich die französische Etymologie dieser Phase auch qualitativ von derjenigen des 16. Jh. unterscheidet. Wir werden uns hier vor allem mit Gilles Manage (1613-1692) zu befassen haben, der die französische Etymologie im 17. Jh. im guten wie im schlechten Sinne beherrscht hat und dessen etymologisches Oeuvre auch im 18. Jh. noch eine Autorität darstellte. Manage veröffentlichte 1650 eine erste Fassung seines etymologischen Wörterbuchs unter dem Titel Les Origines de la langue frangoise, wobei Origines in der lateinischen Bedeutung von Etymologie zu verstehen ist. Diese erste Fassung, die überstürzt zusammengestellt worden ist - M6nage gebraucht selbst in diesem Zusammenhang die Termini haste und precipitation -, umfaßt neben dem eigentlichen Wörterbuch umfangreiche Additions et Corrections sowie Secondes Additions·, ihre Nomenklatur weist jedoch noch große Lücken auf. Die Ausgabe von 1694 mit dem Titel Dictionnaire etymologique ou Origines de la langue frangoise, die noch von Manage erstellt wurde, aber erst nach seinem Tode erschienen ist, hat eine erheblich erweiterte Nomenklatur und ist das erste umfassende etymologische Wörterbuch des Französischen. In diesem Folio-Band sind in einem Anhang die bis dahin unveröffentlichten Origines frangoises von Pierre de Caseneuve (1591-1652) abgedruckt worden. Schließlich ist das Wörterbuch von M6nage lange nach seinem Tode noch in einer dritten, zwei Folio-Bände umfassenden Ausgabe erschienen. In dieser Ausgabe von 1750 sind Caseneuves Origines in das Wörterbuch von Manage integriert worden. Hinzu kommen noch zahlreiche Artikel von anderen Etymologen, unter denen die bekanntesten Pierre-Daniel Huet (1630-1721), Jacob Le Duchat (1658-1735) sowie der Herausgeber Auguste-Fran§ois Jault (1700-1757) sind. Die Anteile der einzelnen Autoren sind im übrigen genau gekennzeichnet worden. Das Dictionnaire etymologique de la langue frangoise par Μ.Menage von 1750 stellt gewissermaßen die Summe der etymologischen Forschung des 17. Jh. und der ersten Hälfte des 18. Jh. dar. Die Bedeutung von M6nage für die französische Etymologie wird bereits von Pierre Besnier in seinem Discours sur les etymologies frangoises pour servir de preface aux Origines de M.Menage hervorgehoben, der zum ersten Mal in der 6d. 1694 veröffentlicht wurde: »Suppose que les Etymologies ne fussent d'elles-memes qu'une espüce de bagatelles savantes, comme les Critiques se croyent en droit de le penser, elles cesseroient de l'etre d£s que M.Mönage les a prises sous sa protection« (id. 1750 p. XXVIII). Diese Äußerung läßt aber auch erkennen, daß die etymologischen Erklärungen bereits im 17. Jh. keine ungeteilte Zustimmung gefunden haben. Und gerade Mdnage ist auf Grund seiner Etymologien immer wieder zum Gegenstand von Kritik und Spott seiner Zeitgenossen geworden (vgl. Popelär 348 Anm. 5). Dabei ist zu sagen, daß dieser schlechte Ruf in der Hauptsache auf Herleitungen wie haricot aus faba {faba, fabarius, fabaricus, fabaricotus, faricotus, haricot), laquais aus verna (verna, vernula, vernulacus, vernulacaius, lacaius), larigot »esp^ce de flute« aus fistula (fistula, fistularius, laricus, laricotus, larigot), blanc bzw. blond aus albus {albus, albicus, blaicus, blacus, blancus bzw. albus, albidus, blidus, blodus, blondus) zurückgeht, die immer zitiert werden, wenn es gilt, Manages Etymologisieren zu illustrieren. Mögen diese Verbindungen in der Tat eklatante Fehlleistungen gewesen sein, die Manage zu Recht den Ruf eingebracht haben, ein Wortjongleur zu sein, so darf man andererseits nicht übersehen, daß das von Manage dabei angewandte Verfahren, das darin bestand, für das zu etymolo-

14 gisierende Wort einen mehr oder weniger gleichbedeutenden Anknüpfungspunkt zu suchen und jenes durch willkürlich angenommene Lautveränderungen aus diesem herzuleiten, bis ins 17. Jh. gang und gäbe war, also keineswegs nur von Manage praktiziert wurde. Man wird aber Manage und seiner Rolle, die er in der Entwicklungsgeschichte der französischen Etymologie gespielt hat, nicht gerecht, wenn man sich mit einem Hinweis auf die obenzitierten »Etymologien« (haricot, laquais usw.) begnügt. Es muß auch gesagt werden, daß sich Manage auf der anderen Seite bemerkenswerte Verdienste um die französische Etymologie erworben hat. Schon G.Gröber hat im Grundriß der romanischen Philologie (1888) auf die relativ hohe Quote richtiger Etymologien bei Manage aufmerksam gemacht: »Unter den 300 Wörtern, die er (bis cascade) und Fr.Diez gemeinschaftlich behandeln, hat Diez bei nicht weniger als 216, also bei etwa 72%, die von Mönage empfohlene Herleitung anerkannt und freilich erst bewiesen« (Bd.I S. 25). In neuerer Zeit sind Gröbers Angaben von I.Popelär an Hand des Buchstabens Ε (400 Wörter) überprüft worden. Die Autorin kommt nur auf 55,75% auch heute noch gültiger Erklärungen, was aber immer noch ein beachtlicher Prozentsatz für die bereits von Manage richtig erkannten Etymologien ist. Hier nun soll nicht noch einmal die Frage nach dem Umfang der von M6nage vorgeschlagenen und heute noch gültigen Etymologien aufgegriffen werden. Vielmehr soll auf einige Züge hingewiesen werden, die Manages etymologische Praxis charakterisieren. Zuvor soll jedoch noch auf die Epitre dödicatoire zu den Origines de la langue frangoise (1650) aufmerksam gemacht werden, in der sich interessante Äußerungen zu grundsätzlichen Aspekten der französischen Etymologie finden. Nachdem sich Mönage hier zunächst sehr kritisch über die Etymologie der Antike wie auch seiner unmittelbaren Vorgänger des 16. Jh. geäußert hat (»les Etymologies jusques icy ont estö l'dcueil de tous ceux qui en ont escrit« p.f), nennt er die Voraussetzungen bzw. die Vorkenntnisse, die ihm für die Beschäftigung mit der französischen Etymologie unerläßlich erscheinen. Dabei steht die Kenntnis des Lateinischen bzw. des Spätlateinischen als Basissprache an erster Stelle: »Pour reüssir en la recherche des Origines de nostre Langue, il faudroit avoir une parfaite connoissance de la Langue Latine dont eile est venue, & particulierement de la basse Latinit^,...« (p.f). In Artikeln der Ausgabe von 1694 verwendet Manage auch den Begriff des Vulgärlateins und gebraucht dafür die Bezeichnung latin barbare. Speziell für die Erforschung der französischen Wörter keltischen und germanischen Ursprungs hält er die Kenntnis des Bretonischen und des Deutschen mit seinen Dialekten für erforderlich. Die Kenntnis des Italienischen und Spanischen empfiehlt Manage für die Ermittlung von Lehnwörtern aus diesen Sprachen; er gebraucht sie aber auch zu vergleichenden Betrachtungen, um auf dem Wege über die südromanischen Sprachen, die den lateinischen Wortkörper besser bewahrt haben, dem richtigen Etymon leichter auf die Spur zu kommen. Überaus modern muß Manages Forderung anmuten, die Dialekte und altfranzösischen Sprachzeugnisse für die Erhellung der Entwicklungsgeschichte der Wörter und damit für ihre Etymologie nutzbar zu machen: »II faudroit ssavoir avec cela tous les divers idiomes de nos Provinces & le langage des Paysans, parmy lesquels les Langues se conservent plus longuement. II faudroit avoir leu tous nos vieux Poetes, tous nos vieux Romans, tous nos vieux Coutumiers, & tous nos autres vieux Escrivains, pour suivre comme ä la piste & dicouvrir les alterations que nos mots ont souffertes de temps en temps« (p.g-h). M£nage hat hier der französischen Etymologie eine Perspektive eröffnet, die erst sehr viel später, nämlich in der Phase der wissenschaftlichen Etymologie, systematisch genutzt wurde und die Etymologie unlösbar mit der Wortgeschichte verbunden hat. Auch wenn Manage im unmittelbaren Anschluß an den soeben zitierten Text eingesteht: »Et je n'ay qu'une legere con-

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noissance de la moindre partie de toutes ces choses«, muß man doch sagen, daß er selbst versucht, dem eigenen umfangreichen Programm, mit dem er der Etymologie eine solide Grundlage verschaffen will, gerecht zu werden. Daß ihm dies zumindest teilweise auch gelungen ist, ergibt schon eine Durchsicht der Origines de la langue frangoise (1650). Die Erwähnung der entsprechenden Formen des Italienischen und Spanischen ist recht häufig. Dies ist der Fall einmal bei Entlehnungen aus den beiden Sprachen, dann aber auch bei Wörtern lateinischen Ursprungs, bei denen die Formen aus den südromanischen Sprachen Hilfe bei der Identifizierung des Etymons leisten können (etwa s. chevaucher < caballicare, sp. cabalgar, it. cavalcare). Große Beachtung schenkt Manage auch dem germanischen Einfluß, auch wenn er hierbei noch recht undifferenziert verfährt. Er kennt natürlich noch nicht das Altniederfränkische und unterscheidet die daher stammenden Elemente nicht von den später entlehnten Wörtern etwa aus dem Deutschen. So führt Manage nicht nur das im 15. Jh. entlehnte lansquenet, sondern auch das schon im 12. Jh. belegte, auf das Altniederfränkische zurückgehende breche auf das Deutsche (alleman) zurück. Er zitiert aber auch häufig das Englische und Flämische. Der Gesamtkomplex der Wörter germanischen Ursprungs bei M6nage macht im ganzen schon einen recht positiven Eindruck. Neben unvermeidlichen Fehlgriffen werden viele Germanismen bereits als solche erkannt (garder, garni, gaufre, jardin, haie, hanap, here, hetre usw.), auch wenn zu sagen ist, daß sich Manage bei dieser Identifizierung oft genug auf die Äußerungen anderer nichtfranzösischer Etymologen stützen kann. Beachtung verdient auch, mit welcher Häufigkeit galloromanische Dialektformen bereits in den Origines von 1650 zitiert werden. Auch wenn M6nage die meisten dieser Formen in den von ihm benutzten Quellen gefunden haben wird, manifestiert sich in ihrer Erwähnung doch ein unverkennbares Interesse für die Dialekte Frankreichs. Mundartwörter kommen in den Origines in zwei verschiedenen Verwendungen vor. Einmal werden sie in den Artikeln mit französischen Lemmata zum Vergleich oder im Rahmen der Erklärung des französischen Wortes zitiert. So wird s. chanvre bzw. vilebrequin für das Anjou, Manages Heimatregion, chanbre bzw. virebrequin genannt, s. chatouiller für die Pikardie catouiller, s. jardin für das Boulonnais gardin. Zur Erklärung der Wortbildung von chauve-souris wird für das Lyonnais das synonyme ratpennade erwähnt, und zum Beweis, daß chenet eine übertragene Verwendung von afr. chiennet »petit chien« darstellt, wird für Rouen ein quenot angeführt, das noch im 17. Jh. beide Bedeutungen hatte. Daneben hat Manage auch eine ganze Anzahl regionaler Termini in die Nomenklatur seiner Origines aufgenommen, wobei er auch in diesen Fällen eine etymologische Erklärung versucht. Zu diesen dialektalen Lemmata gehören etwa carpot »...en Bourbonnais un droict qu'on leve sur le vin«, guimaux »... dans le Poictou les prez qu'on fauche deux fois l'annde«, hommee de vignes »... en Anjou ce qu'un homme peut faire de vignes«, preveil »... en Poictou certaines assembles que les Villageois font, oü ils dansent & chantent toute la nuict...«. Zahlreich sind auch die alt- und mittelfranzösischen Texte und Autoren, die Mdnage heranzieht, um ältere Bedeutungen und Formen zu belegen. Auch nichtliterarische Quellen werden in den Origines zitiert, vor allem Urkundenbücher, aber auch Geschichtswerke. Vereinzelt hat Manage auch altfranzösische Lemmata in die Nomenklatur der Origines aufgenommen, so etwa avoutrie »adultöre«, chalonger »riclamer, contester«. Neben vielen alt- und mittelfranzösischen Texten hat er schließlich auch antike und mittellateinische Quellen benutzt. Selbst wenn Manage den einen oder anderen Beleg bei seinen Vorgängern gefunden haben wird, so ist doch sicher, daß er auch ein eingehendes Quellenstudium im Zusammen-

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hang mit seinen etymologischen Forschungen getrieben hat. Systematisch hat Manage seine Quellen aber noch nicht ausgewertet. Er beschränkt sich vielmehr darauf, für ältere Bedeutungen und Formen einzelne Belege zu geben, die in der Regel wohl auch Zufallsfunde sind; so belegt er s. chetif die alte Bedeutung »captif« mit einer Stelle aus dem Lancelot du Lac, und s. chercher heißt es nach einem Hinweis auf die ursprüngliche Form cercher. »On disoit aussi cerquier, & il est ainsi escrit dans Perceforest«. Oft begnügt sich Menage mit allgemeinen Angaben zum Vorkommen (s. craindre »Cremir se trouve dans nos anciens Autheurs Francis pour craindre«), oder es passiert ihm auch, daß er versäumt hat, die Belegstelle zu notieren (»II me souvient d'avoir leu quelque part chetivoison pour captivite«, s. chetif). Selbst wenn die Angaben zur Wortgeschichte noch recht fragmentarisch sind und sich auch nicht unter jedem Lemma finden, kommt man nicht umhin festzustellen, daß Ansätze zur wortgeschichtlichen Betrachtungsweise bereits bei Manage vorhanden sind, und zwar selbst in den Origines von 1650. Aber noch in einem anderen Punkt unterscheidet sich Manage von seinen Vorgängern des 16. Jh.. Er vermittelt nicht nur ansatzweise wortgeschichtliche Daten, sondern er diskutiert auch die zu seiner Zeit noch sehr zahlreichen etymologisch zweifelhaften Fälle, d.h. er setzt sich mit den bereits vorliegenden Ansätzen auseinander, die von namentlich genannten Autoren stammen, entscheidet sich für einen davon oder macht einen eigenen Vorschlag und begründet in der Regel auch kurz seine Entscheidung (bordel, boulevart, griper). Dabei muß Manages Etymologie keineswegs die für heutige Begriffe gültige sein (alleu, braque, galoches, gobelet). Schließlich ist noch ein dritter Punkt zu nennen, der neben den wortgeschichtlichen Elementen und der Berücksichtigung der schon vorliegenden Erklärungsversuche die etymologische Methode unseres Autors gegenüber der des 16. Jh. charakterisiert. In vielen Fällen praktiziert Manage eine für seine Zeit neue Art des Etymologisierens, die man als explikative Etymologie bezeichnen könnte, d.h. er erklärt nicht nur den Wortursprung, sondern er versucht auch, an Hand der Einzelfälle - sofern möglich - allgemeine Prinzipien zu formulieren. Zur Illustrierung dieser Neuerung sollen hier drei Artikel ganz oder teilweise aus den Origines (1650) zitiert werden, die bemerkenswerte Einsichten enthalten: »Bougie. Peutestre de Bugie ville d'Afrique. Les marchandises prennent souvent leur nom du lieu d'oü elles viennent. Or il est constant que nos Marchands nous apportent souvent de la cire & des bougies d'Afrique«; »Chenille. De canicula, acause de la ressemblance qu'ont certaines chenilles ä de petits chiens. II n'est pas extraordinaire de d&iommer de petits animaux de la ressemblance qu'ils ont avec les grands. Ainsi nous avons appell6 le Roitelet le boeufde Dieu, & porcelets les Clausportes«; »Here, comrae quand on dit pauvre Here. Je croy que ce mot est venu de Γ Alleman Her qui signifie Seigneur, & que nous avons dit par mocquerie un pauvre Here pour dire un pauvre Seigneur, comme nous disons Prince malaise. Et ä ce propos il est ä remarquer que nous tournons souvent en dörision les mots que nous empruntons des langues estrangeres, comme rosse, bouquin, rapiere, lande, habler, savate, &c.« Der Schwachpunkt in der von M6nage praktizierten Etymologie ist jedoch die Erklärung der Lautentwicklung. Hier zeigt er sich noch stark der im Mittelalter und in der Renaissance verbreiteten Vorstellung verhaftet, der Etymologe könne einer allein semantisch gerechtfertigten Herleitung durch willkürliche Eingriffe in die Lautstruktur der Wörter die nötige Legitimation verschaffen. Erklärungen, denen diese Vorstellung zugrunde liegt, wurden bereits weiter oben zitiert (haricot aus faba, laquais aus verna usw.). Der ungehemmte Umgang mit dem Wortkörper läßt sich auch an Hand von weniger spektakulären Verbindungen zeigen:

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»Blesser. De laesare en y preposant un B«. Auf den ersten Blick scheint auch Manages Erklärung von gäteau hierher zu gehören: »Je pense qu'il vient de pastellum diminutif de pasta, duquel vient paste. Pastellum, vastellum, gastellum, gasteau. Les Picards disent ouasteau«. Es ist aber zu sagen, daß Manage hier im guten Glauben eine Lautentwicklung ρ > ν angenommen haben wird, die ihm von cupa > cuve her bekannt war. Er hatte aber eben noch nicht erkannt, daß diese Entwicklung an eine Bedingung, nämlich die intervokalische Position, gebunden ist. Man täte Manage im übrigen unrecht, wollte man ihm unterstellen, er würde durchweg willkürlich mit dem Wortkörper verfahren, wie er es bei der von ihm angenommenen Herleitung von haricot, laquais und anderen Fällen getan hat. Schon in den Origines de la langue frangoise (1650) gibt es genügend Anzeichen dafür, daß Menage zahlreichen Gesetzmäßigkeiten in der französischen Lautentwicklung auf die Spur gekommen war. Natürlich werden die verschiedenen regelhaften Lautveränderungen, die die Entwicklung des Französischen geprägt haben, noch nicht eindeutig formuliert, und vor allem - und das ist der entscheidende Punkt - ist ihre Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen noch nicht erkannt worden. Immerhin hat Manage schon in den Origines die ihm vertrauten Lautveränderungen unter dem Titel »Exemples de la conversion des lettres« zusammengefaßt und dem eigentlichen Wörterbuch vorangestellt; in den έά. 1694 und 1750 heißt die erweiterte Fassung dieser Übersicht dann »Principes de Γ art des etymologies, ou Exemples de la diverse altöration des lettres«. Dabei fällt auf, daß diese Aufstellung nicht nur Lautveränderungen des Französischen, sondern auch solche des Griechischen, Lateinischen, Italienischen und Spanischen mit Wortbeispielen belegt, ansonsten aber kommentarlos verzeichnet. So werden in den 6d. 1694 und 1750 s. A change en Ε nebeneinander »Margarita, Marguerite, mare, mer« aufgeführt, obwohl es sich in den beiden Fällen um grundverschiedene, unter ganz unterschiedlichen Bedingungen eingetretene Lautentwicklungen handelt, auch wenn sie in der Schrift durch den gleichen Buchstaben festgehalten worden sind. Daß im 17. Jh. der Blick noch nicht genügend geschärft war für die Bedingtheit des Lautwandels, zeigt auch das obenerwähnte gäteau, das M6nage mit Hilfe von ρ > ν aus einem lat. *pastellum herleitet. Bei besserer Beobachtung hätte er selbst merken müssen, daß die von ihm in den Exemples s. Ρ change en V zusammengestellten Fälle alle ausnahmslos diese Entwicklung in intervokalischer Stellung aufweisen (sapo, savon. cepa, cive. cupa, cuve usw.) und nicht im Wortanlaut. Das, was wir weiter oben die explikative Methode genannt haben, mit der Manage die Motivation der Wörter erklärt, wird von ihm auch bei der Erklärung der Lautentwicklung praktiziert, soweit er sie bereits durchschaut hat. In der Tat verweist M6nage häufig auf analoge Fälle, d.h. strukturell verwandte Wörter, um die Lautentwicklung zu rechtfertigen, so etwa »Alleger. De alleviare, comme leger de leviarius«; »Chambre. De camera. On y a adjoustd un Β comme en nombre de numerus, etc.«; »Gresle. De gracilis, comme fresle de/ragilis«·, »Huistre. De ostreum, comme huile de oleum«', »Parrein pour parin. De patrinus, Τ en R, comme arrement de atramentum, vieux mot qui se trouve dans Froissard pour dire de l'ancre«', »Queux pour cuisinier.... De cocus. On a fait queu de cocus, comme de focus feu, de iocus jeu, de locus leu\ car on prononfoit ainsi anciennement, & non pas lieu, & les paysans en plusieurs lieux de ce Royaume prononcent encore apresent de mesme«. Die Identifizierung dieser und vieler anderer Parallelfälle hat in nicht geringem Maße zur Aufdeckung der Gesetzmäßigkeiten in der französischen Lautentwicklung beigetragen. Mögen auch die Schwächen der Etymologie Manages vor allem im Bereich der Lautentwicklung zu suchen sein, so wird man nach dem hier Ausgeführten nicht mehr behaupten

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können, Manage habe den Wortkörper noch durchweg mit der gleichen Unbekümmertheit behandelt wie das 16. Jh.. Wohl geht noch eine ganze Reihe von abenteuerlichen Herleitungen auf sein Konto; andererseits hat er durch die Anwendung der Analogie in vielen Fällen sein Streben nach einer Erhellung des Lautwandels unter Beweis gestellt. Auch wenn nicht vergessen werden darf, daß M6nage in einer Entwicklung steht und seinen Vorgängern und Zeitgenossen für manche Erkenntnis verpflichtet ist, wird dies seine Verdienste um eine Versachlichung der Etymologie kaum schmälern. In diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, daß die der Graecomanie des 16. Jh. entsprungenen griechischen Etymologien von Mdnage in vielen Fällen durch überzeugendere Erklärungen ersetzt worden sind. Im übrigen haben wir gesehen, daß er bestrebt ist, der Etymologie durch die Berücksichtigung zusätzlicher Sprachfakten eine solidere Grundlage zu geben. Indem er vielfach zumindest ansatzweise die Etymologie um eine wortgeschichtliche Dimension ergänzt, dem Lautwandel vermehrte Aufmerksamkeit schenkt und die schon vorliegenden Erklärungen in seine Überlegungen miteinbezieht, hat Manage einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine Verwissenschaftlichung der Etymologie getan und ist damit zugleich zum bedeutendsten Etymologen der sogenannten vorwissenschaftlichen Phase in Frankreich geworden. Wenn wir uns nun dem 18. Jh. zuwenden, ist gleich eingangs festzustellen, daß sich die Fortschritte in der praktischen Etymologie des Französischen in recht bescheidenen Grenzen halten. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einmal entwickelte sich in Fortführung der mit der Grammaire de Ρort-Royal (1660) eingeleiteten rationalistisch orientierten Grammatikstudien eine systematisch-beschreibende Sprachforschung, in der der Etymologie keine Beachtung geschenkt wurde. Andererseits wandte sich die von der sensualistischen Philosophie beeinflußte Sprachbetrachtung der Frage des Sprachursprungs zu und verhalf damit der Etymologie zu einer Neuorientierung bzw. zu einer Rückbesinnung auf ihre Anfänge in der griechischen Antike. In der Tat glaubte man im 18. Jh. die Etymologie dazu berufen, einen entscheidenden Beitrag zur Frage des Sprachursprungs leisten zu können. Es entwickelte sich eine Art allgemeine, sprachphilosophische Etymologie, zu deren Vertretern in Frankreich Charles deBrosses mit seinem Traite de la formation mecanique des langues et des principes physiques de l'etymologie (1765) gehört. In diesem Werke, das sich mit der Entstehung und den Grundlagen der menschlichen Sprache befaßt, vertritt de Brasses eine Auffassung, die den Vertretern der physei-Ursprungstheorie bzw. den Stoikern als den Begründern der Etymologie bereits eigen gewesen ist (s. oben S. 4); so heißt es schon im Discours präliminaire: »... la premiere fabrique du langage humain n'a done pu consister, ..., qu'en une peinture plus ou moins complette des choses nommöes; telle qu'il 6toit possible aux organes vocaux de l'effectuer par un bruit imitatif des objets röels« (t.I p.XIV s.) und wenig später »... le langage humain & la forme des noms impos6s aux choses n'est done pas,..., Γ operation de la νοίοηΐέ arbitraire de l'homme:... dans la premiere fabrique du langage humain & des noms radicaux, cette forme est l'effet n^cessaire des sensations venues des objets ext&ieurs, sans que la volontd y ait eu presque aucune part« (p. XVIII). Wichtiger für die Entwicklungsgeschichte der Etymologie im üblichen Sinne ist der in Band 6 (1756) der Encyclopedie publizierte Artikel Etymologie (vgl. auch έά. M.Piron, 1961). Dieser umfangreiche, von Turgot stammende Artikel ist primär ein Beitrag zur theoretischen Etymologie, d.h. zu ihrer Grundlegung; auf Grund der darin enthaltenen Gedanken und Erkenntnisse hat er seine Bedeutung auch für die praktische Etymologie des Französischen. Der gut strukturierte Artikel besteht aus drei Teilen - Sources des conjectures ötymologiques, Principes de critique pour appr6cier la certitude des Etymologies, Quelques reflexions

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sur Γ utility des recherches 6tymologiques von denen vor allem die beiden ersten Beachtung verdienen. Hier wird auf Grund der damals vorliegenden Erkenntnisse zur Sprach- und Wortgeschichte eine Reihe von Grundsätzen genannt, deren Beachtung dazu beitragen kann, krasse etymologische Fehlleistungen zu vermeiden. Die von Turgot aufgestellten Grundsätze zur Etymologie haben auch noch heute ihre Gültigkeit, auch wenn zu sagen ist, daß ihre Beachtung noch keineswegs das Auffinden der richtigen Etymologie garantiert. Auf eine detaillierte Aufführung der von Turgot in den beiden ersten Teilen des Artikels formulierten Prinzipien kann hier verzichtet werden, weil dies bereits bei Guiraud Etymologie 27ss. geschehen ist. Es soll hier aber besonders hervorgehoben werden, daß für Turgot bei der Ansetzung einer Etymologie die Berücksichtigung der historisch-ethnischen Gegebenheiten unerläßlich ist, wie er im übrigen auch bei der Identifizierung von Lehnwörtern den wirtschaftlich-kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern Aufmerksamkeit schenkt. Überhaupt hat Turgot den sachkundlichen Kenntnissen im Rahmen der Etymologie schon beachtliches Interesse entgegengebracht, wie die folgende Stelle zeigt: »Comme l'examen attentif de la chose dont on veut expliquer le nom, de ses qualites,..., est une des plus riches sources de l'invention; il est aussi un des moyens les plus sürs pour juger certaines 6tymologies« (öd. Piron p.36). Andererseits ist aber auch zu sagen, daß die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Verwissenschaftlichung der Etymologie, nämlich die nach der Regelhaftigkeit der Lautentwicklung, auch bei Turgot noch ohne Antwort geblieben ist. Dennoch bleibt bestehen, daß Turgots Artikel Etymologie in Diderots Encyclopedic ein hervorragendes Beispiel von Reflexion über sprachliche Phänomene in der sogenannten vorwissenschaftlichen Phase der Sprachforschung darstellt; zugleich handelt es sich hierbei um die erste theoretische Schrift zur Etymologie, die auch heute noch lesenswert ist. Wie bereits weiter oben angedeutet wurde, ist im 18. Jh. der Fortschritt in der praktischen Etymologie des Französischen nur gering, weil sich die Methoden und Grundlagen der etymologischen Forschung gegenüber dem 17. Jh. nicht verändert haben. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht, daß mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Erscheinen die erweiterte Fassung des etymologischen Wörterbuchs (1694) von Manage - in ihrer Substanz unverändert, wenn auch durch Beiträge anderer Etymologen ergänzt - noch einmal veröffentlicht werden konnte (1750). Den Eindruck eines allgemeinen Stillstandes in der etymologischen Forschung vermittelt auch das heute weitgehend unbekannte Dictionnaire etymologique de la langue frangoise, das Antoine Court de Göbelin (1728-1784) als Band 8 (1778) seines Monde primitif analyse et compare avec le monde moderne veröffentlicht hat. In formaler Hinsicht weist dieses Wörterbuch insofern eine Besonderheit auf, als innerhalb eines jeden Buchstabens die Lemmata nach ihrer vom Autor angenommenen Herkunft (kelt., lat., griech. usw.) geordnet in getrennten Abteilungen aufgeführt werden. Ansonsten sucht Court de Gobelin den Ursprung der französischen Wörter vorzugsweise im Keltischen und erweist sich damit als später Nachfahr der keltophilen Etymologen des 16. Jh.. Am Platz, den er den einzelnen Abteilungen etwa im Buchstaben Β einräumt, erkennt man schon die Willkürlichkeit der hier praktizierten etymologischen Zuordnung: Keltisch Spalte 78-195, Lateinisch Sp. 197-204, Griechisch Sp. 203/7, Orientalisch Sp. 207/8; das Germanische findet dagegen keine Berücksichtigung. Die von Court de Gebelin vertretene Etymologie mißachtet elementare Daten der französischen Sprachgeschichte, die auch schon im 18. Jh. bekannt waren, und stellt damit zugleich einen Rückschritt gegenüber Mönage dar. Neben den dominierenden Grammatikstudien und einer Etymologie, der der entscheidende Durchbruch zur Wissenschaftlichkeit wegen der fehlenden Einsicht in die Regelhaftigkeit

20 des Lautwandels noch versagt bleibt, kommt in der Sprachforschung des 18. Jh. auch der Sprachgeschichte ein Platz zu. Das Interesse an der französischen Sprache des Mittelalters hat seit den Publikationen von Etienne Pasquier und Claude Fauchet im 16. Jh. stetig zugenommen und sich auch bald in der Abfassung von altfranzösischen Wörterbüchern niedergeschlagen (Pierre Borel, Tresor de recherches et antiquitez gauloises et frangoises, 1655, das noch einmal 1750 im Anhang zum etymologischen Wörterbuch von Menage publiziert wurde; Frangois Lacombe, Dictionnaire du vieux langage frangois, 2 vol. 1765/7; J.-B.B.Roquefort, Glossaire de la langue romane, 1808). Die schon recht stattliche altfranzösische Lexikographie der vorwissenschaftlichen Phase hat in nicht geringem Maße zur Kenntnis der Sprache des Mittelalters und der Renaissance beigetragen und sollte damit auch ihre Bedeutung für die Etymologie haben, auch wenn ein Zusammenhang zwischen Sprachgeschichte und Etymologie bis zum 18. Jh. nur von wenigen gesehen wurde. Immerhin hat die französische Etymologie des 19. Jh. ihr Wissen über das Französische des Mittelalters zu einem guten Teil aus dieser frühen Lexikographie des Altfranzösischen bezogen. Der schon erwähnte Roquefort hat 1829 auch ein Dictionnaire etymologique de la langue frangoise, ou les mots sont classes par families veröffentlicht, wobei gerade der Nachsatz des Titels über den besonderen Charakter des Werkes Aufschluß gibt (vgl. auch Klaus 59ss., 107ss.). Die Ordnung des französischen Wortschatzes nach Wortfamilien gestattet Roquefort, in der Regel nur den Lemmata eine Angabe zur Etymologie beizugeben; andererseits versieht er jeden aufgeführten Terminus mit einer Definition. Dadurch hat man den Eindruck, es eher mit einem systematischen Sprachwörterbuch als mit einem etymologischen Wörterbuch zu tun zu haben, um so mehr als sich die etymologischen Angaben meistens auf die Nennung des angenommenen Etymons beschränken und eine Diskussion der Etymologie nur in Einzelfällen (etwa alleu, argot, battre) stattfindet. Die eigenwillige Konzeption dieses Wörterbuchs äußert sich aber auch darin, daß alle französischen Wörter, die auf der Ebene des Lateinischen miteinander verwandt sind, zu Wortfamilien zusammengestellt werden, was vielfach zu umfangreichen, unübersichtlichen Artikeln führt; so wird etwa unter dem Lemma amputer u.a. compter, decompter, escompter, depute, disputer, imputer, putatif, refuter, supputer aufgeführt oder aber s. äme animer, animal, magnanime, unanime usw.. Auch wenn sich Roquefort auf die neueste Entwicklung in der Sprachforschung beruft (»l'ötude comparative des langues« p. X) und sein Wörterbuch als »une consequence de ces progrös et des nouvelles conquetes faites dans la science...du langage« (p.Xs.) bezeichnet, zeigt sich doch, daß die Voraussetzungen für ein so anspruchvolles Unternehmen noch nicht gegeben waren. So zeigen sich in der Zuordnung zu den einzelnen Wortfamilien erhebliche Mängel, die letztlich aus dem ungenügenden Entwicklungsstand der französischen Etymologie zu Beginn des 19. Jh. resultieren; als Beispiele für die von Roquefort konstruierten Wortfamilien können dienen blanc (das noch mit lat. albus in Verbindung gebracht wird) mit aube und blond, boire mit buee, burette, poison, potion, pot, potage usw. und bouc mit boucan, biche, bique, bougran. Auch sonst läßt sich bei den etymologischen Ansätzen kein merklicher Fortschritt gegenüber Manage feststellen; so geht für Roquefort bord auf lat. ora zurück, aider auf lat. adjuvare, ajouter auf lat. adjicere, allecher auf lat. allicere, um nur einige Kostproben zu nennen. Im ganzen vermittelt Roqueforts Wörterbuch den Eindruck eines allgemeinen Stillstandes in der französischen Etymologie. Zu seinen Gewährsmännern gehören neben M6nage Autoren, die z.T. mehr als 200 Jahre alt sind (Nicot usw.). Es zeigt sich deutlich, daß Roquefort nicht die Möglichkeit hat, die etymologischen Ansätze, die er von anderen übernimmt, zu überprüfen, sie als richtig oder falsch zu erkennen. Zu Beginn des 19. Jh. steckt die französi-

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sehe Etymologie unübersehbar in einer Krise, aus der sie erst durch die Entdeckung der Lautentwicklungsgesetze befreit wird. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich die Art des Etymologisierens innerhalb der vorwissenschaftlichen Phase nicht grundlegend geändert hat. Während der ganzen Epoche versuchte man den etymologischen Problemfällen, zu denen die vulgärlateinischen, keltischen und germanischen Elemente sowie spezielle französische Wortschöpfungen gehörten, dadurch beizukommen, daß man sie auf bedeutungs- und formverwandte Wörter in den klasssischen Sprachen zurückführte oder aber auf nur bedeutungsverwandte unter gleichzeitiger Annahme von willkürlich konstruierten Zwischenstufen. Gelegentlich tendierten die Etymologen der vorwissenschaftlichen Phase auch dazu, das zu erklärende Wortgut vorzugsweise in bestimmten Sprachen (Griechisch, Keltisch, Hebräisch) anzusiedeln. Es handelte sich aber trotz der Inanspruchnahme der alten Sprachen um eine weitgehend ahistorische Etymologie, die sich nicht grundlegend von der antiken und mittelalterlichen Etymologie unterscheidet, da sie ihre Herleitungen ohne jeden wirklichen sprachgeschichtlichen Bezug konstruiert hat. Ansätze zu einer methodischen Erneuerung der Etymologie gehen von Mönage aus, der vor allem die Bedeutung der Sprachgeschichte für die Etymologie erkannt hat. Ihm ist ferner bewußt, welchen Nutzen die französische Etymologie aus der Berücksichtigung der Dialekte und der anderen romanischen Sprachen ziehen kann. Das größte Manko in der vorwissenschaftlichen Etymologie ist jedoch die Behandlung des Wortkörpers. Zwar erweist sich Manage auch hier in begrenztem Maße als Neuerer, indem er etwa durch den Vergleich strukturell verwandter Wörter versucht, Licht in die Lautentwicklung zu bringen. Es gelingt ihm aber noch nicht, die Gesetzmäßigkeiten des Lautwandels eindeutig zu formulieren und vor allem seine Bedingtheit zu erkennen.

2. a.

Die wissenschaftlichen Etymologie Das 19. Jahrhundert

Die Entstehung einer wissenschaftlichen Etymologie wie die Begründung der romanischen Sprachwissenschaft ist untrennbar mit dem Namen von Friedrich Diez verbunden. Mit seiner Grammatik der romanischen Sprachen (3 Bände 1836, 1838, 1844) hat er die Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Sprachen der Romania geschaffen. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei dem ersten, der Lautlehre gewidmeten Band zu, weshalb 1836 zu Recht als das Geburtsjahr der romanischen Sprachwissenschaft bezeichnet worden ist (Kukenheim 70). In der Tat kann man die Bedeutung des ersten Bandes der Diezschen Grammatik für das wissenschaftliche Studium der romanischen Sprachen nicht hoch genug veranschlagen. Mit seiner historischen Lautlehre hat Diez ein Kompendium geschaffen, in dem zum ersten Mal alle wesentlichen Lautentwicklungen der romanischen Schriftsprachen mit ihren speziellen Bedingungen auf Grund genauer Beobachtung regelhaft beschrieben worden sind. Der Wortkörper und seine Veränderungen, die bis dahin zu den wildesten Spekulationen Anlaß gegeben hatten und deren Gesetzmäßigkeiten man bestenfalls ansatzweise erkannt hatte, waren mit der Lautlehre von Diez fast schlagartig transparent geworden. Es ist im übrigen absolut einleuchtend, daß die Aufdeckung der lautlichen Entwicklungsgesetze der Einzelsprachen nur im Rahmen einer Gesamtdarstellung der Lautlehre der romanischen Sprachen geschehen konnte, bei der sich diese gegenseitig erhellen.

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Bedeutet das Erscheinen der Diezschen Lautlehre (1836) den Beginn der unvoreingenommenen, systematischen Beschreibung der romanischen Sprachen, die überhaupt erst den Namen Wissenschaft rechtfertigt, so hat dieser erste Band der romanischen Grammatik auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Etymologie. Während bisher die Etymologen gegebenenfalls nach Belieben in die äußere Form der Wörter eingriffen, um sie mit ihren etymologischen Ansätzen in Einklang zu bringen, wird jetzt offenbar, daß der Wortkörper gewissermaßen eine Eigenexistenz führt und die ihm eigenen Veränderungen sich regelhaft vollziehen bzw. sich in »Gesetze« fassen lassen. Dadurch, daß die etymologischen Ansätze nachprüfbar werden, wird dem gar zu kühnen Etymologisieren ein Riegel vorgeschoben. Die Etymologen müssen ihre Annahmen fortan der strengen Kontrolle der Lautentwicklungsgesetze unterwerfen. Diez selbst zieht gleich zu Beginn der Vorrede zu seinem Etymologischen Wörterbuch, der romanischen Sprachen (1853) eine klare Trennungslinie zwischen der vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Etymologie: »Im gegensatz zur unkritischen methode unterwirft sich die kritische schlechthin den von der lautlehre aufgefundenen principien und regeln, ohne einen fußbreit davon abzugehen, sofern nicht klare thatsächliche ausnahmen dazu nöthigen« (S. VII), und im folgenden heißt es noch eindeutiger: »Die etymologie hat ihre wissenschaftliche grundlage in der lautlehre« (S. XVII). Daß die Sprachforschung und damit auch die Etymologie in der ersten Hälfte des 19. Jh. eine neue Qualität bekommen hat, macht auch Gaston Paris im Vorwort zu der von ihm übersetzten Introduction a la grammaire des langues romanes von Fr.Diez (1863) deutlich: »C'est en effet grace ä la comparaison, ä l'histoire et ä la phonologie, que non-seulement la science etymologique, mais la linguistique tout entire, doit le progrfcs qu'elle accomplit chaque jour. De ces trois guides, Tun des plus sürs et le moins connu, en France du moins, est la phonologie. La phonologie est la science de tout ce qui, dans une langue, se rapporte aux sons. Outre Γ appreciation et l'histoire de chaque lettre, sa tache est sp£cialement d'etudier les modifications que subissent les voyelles et les consonnes pour passer d'une langue m£re dans une langue d&iv6e; de constater les transformations plus ou moins r6guli£res d'un meme son,...« (p. VII). Daß die neue Wissenschaft neben dem Sprachvergleich und der historischen Lautlehre auch der Sprachgeschichte gerade im Hinblick auf die Etymologie besondere Bedeutung beimißt, geht noch aus einer anderen Stelle in demselben Vorwort hervor: »on est persuade qu'il n'y a pas dans une langue un fait qu'on puisse expliquer sans avoir recours ä l'histoire de cette langue, et que l'ätat präsent d'un idiome n'est que la consequence de son etat anterieur, qui seul peut le faire comprendre. Pour les mots en particulier, on ne croit plus, comme autrefois, qu'on puisse expliquer un terme dont l'origine est inconnue sans se soucier des formes successives qu'il a revetues dans la langue ä laquelle il appartient, et l'on regarde cette etude autrefois si decriee de l'etymologie comme une des branches ä la fois les plus difficiles et les plus fructueuses de la linguistique« (p. VI). Das in erster Auflage 1862 erschienene Dictionnaire d' etymologie frangaise d'apres les resultats de la science moderne von Auguste Scheler ist das erste etymologische Wörterbuch des Französischen, das den Anspruch erheben kann, die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft systematisch angewendet zu haben (vgl. auch Klaus 74ss., 125ss.). Auch Scheler, der sich in erster Linie der »nouvelle ecole allemande, fondee par les Bopp, les Grimm, les Diez« (preface p. II) verpflichtet fühlt, unterscheidet scharf zwischen unkritischer und kritischer Etymologie: »Tout ce qui ne peut etre scientifiquement demontre par des preuves soit historiques, soit physiologiques, est reiegue dans le domaine du caprice, de la fantaisie, de rarbitraire.... Bref, la divination a fait son temps, et l'etymologie est parvenue au rang d'une

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science positive, nous disons meme d'une science exacte. Cette science, ä la vEritE, n'est pas faite encore, mais en pleine Elaboration« (ρ.Π). Die Verwissenschaftlichung der Etymologie, von der hier die Rede ist, ist unlösbar mit dem Namen von Fr.Diez, mit seiner Grammatik der romanischen Sprachen und seinem Etymologischen Wörterbuch der romanischen Sprachen verbunden. Die romanische wie die französische Etymologie verdankt den Schlüssel zum Verständnis der Lautentwicklungsgesetzmäßigkeiten - Scheler nennt sie zutreffend »la grammaire 6tymologique« (p.I) - keinem anderen als Fr.Diez. Für diese bahnbrechende Leistung zollt Scheler dem Begründer der romanischen Sprachwissenschaft seine uneingeschränkte Anerkennung: »C'est, avant tout, ä l'homme Eminent, ä qui revient la gloire d'avoir le premier fixe et mEthodiquement expos6 les lois qui president ä la formation des langues πέο-latines, au vEnErable professeur Diez, de Bonn, que nous avons voulu rendre hommage, en consignant dans notre livre, pour mieux les faire valoir en dehors des frontteres de sa patrie, ses heureuses dEcouvertes, ses judicieuses demonstrations, ses habiles et prudentes conjectures« (ρ.Π s.). Aber auch in Schelers Wörterbuch selbst, in dem die etymologisch umstrittenen Fälle eingehend diskutiert werden, begegnet man immer wieder dem Namen von Fr.Diez. In einem Überblick über die Entwicklungsgeschichte der französischen Etymologie darf Emile Littre nicht fehlen, auch wenn man sich daran gewöhnt hat, in ihm vor allem den maßgebenden Lexikographen des Französischen im 19. Jh. zu sehen. Sein Dictionnaire de la langue frangaise (4 vol. 1863-1872, Supplement 1877) ist aber nicht nur eine genaue Beschreibung des Französischen zwischen dem Anfang des 17. Jh. und dem des 19. Jh., sondern es verfügt auch über eine historisch-etymologische Komponente, d.h., sofern das betreffende Wort älteren Datums ist, enthält der jeweilige Artikel eine Rubrik Historique, in der alt- und mittelfranzösische Belege nach Jahrhunderten geordnet zusammengestellt sind, und eine Rubrik Etymologie, in der sich LittrE zur Herkunft der Wörter äußert. Schon im Vorwort, in dem die Behandlung der Probleme der Wortgeschichte und der Etymologie einen breiten Raum einnimmt, weist LittrE ausdrücklich auf die Abhängigkeit der Etymologie von der Wortgeschichte hin (p.XX). Im Wörterbuch selbst finden sich dann zahlreiche Fälle, deren richtige Etymologie er auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden wortgeschichtlichen Daten zwingend nachweisen konnte. Es sei hier nur die Herleitung von danger < *dominiarium und von son »Kleie« < secundum erwähnt. Littrö ist der erste Etymologe des Französischen, der die Wortgeschichte systematisch berücksichtigt und damit nicht unerheblich zum Fortschritt in der französischen Etymologie beigetragen hat. Littres Verdienste um die französische Etymologie sind schon von A.Scheler in der zweiten Auflage (1873) seines Dictionnaire d'etymologie frangaise gewürdigt worden: »L'illustre acadEmicien, ..., en exposant sous une rubrique speciale l'historique de chaque mot, a singulterement facility la tache de l'Etymologiste. Pour Etablir rationnellement la provenance d'un vocable, rien n'est plus fructueux que la connaissance de l'Epoque et du terrain oü il apparait pour la premiere fois. D'autre part, le Dictionnaire de M.LittrE m'a non seulement renseignE sur un bon nombre d'Etymologies qui m'&aient inconnues et mEritaient toute mon attention, mais il m'a sugg6r6 aussi des indications propres ä confirmer ou ä invalider celles que j'avais posees ou adoptEes« (p.IX). Auch wenn hier vor allem von Auguste Brächet als Etymologen die Rede sein soll, so muß doch zunächst seine Fr.Diez gewidmete Grammaire historique de la langue frangaise erwähnt werden, die er noch vor seinem etymologischen Wörterbuch publiziert hat (1867). Dieses kleine, einbändige Werk, das durch seine klare, übersichtliche Darstellung besticht,

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besteht aus den drei Teilen: Phon&ique ou ötude des lettres (im Text selbst wird auch der Terminus sons verwendet), Flexion ou Etude des formes grammaticales, Formation des mots. Das Dictionnaire etymologique de la langue frangaise (1868) des gleichen Autors, das gewissermaßen auf seiner Grammaire historique aufbaut und auf diese beständig Bezug nimmt (vgl. Klaus 84ss., 141ss.), ist ein etymologisches Wörterbuch besonderer Art und mit dem von A. Scheler in keiner Weise zu vergleichen. Während Schelers Dictionnaire d'etymologie frangaise sich an Fachkreise wendet, hat Brachets etymologisches Wörterbuch eine didaktische Zielsetzung. Brächet geht es vor allem darum, die Erkenntnisse der historischen Lautlehre in ihrer Anwendung auf die französische Etymologie einem weiteren Publikum nahezubringen. So beschreibt er detailliert in den Artikeln des Buchstabens Α die Entwicklung vom lateinischen Etymon zum neufranzösischen Resultat, wobei jeder einzelne Lautwandel erwähnt und mit Parallelfällen belegt wird. Im folgenden wird dann bei der Erklärung der Lautentwicklung auf analoge Fälle im Buchstaben Α verwiesen. Da Brächet ein »manuel de la science Etymologique« (p. V) liefern will, wird nur den Wörtern mit gesicherter Etymologie der nötige Platz eingeräumt. Eine Diskussion von etymologisch ungeklärten oder umstrittenen Fällen findet nicht statt; diese werden lediglich mit der Bemerkung »origine inconnue« gekennzeichnet. Auf Grund seiner besonderen Konzeption bedeutet das Wörterbuch von Brächet keinen eigentlichen Fortschritt für die etymologische Forschung des Französischen. Dennoch verdient dieses Werk auch heute noch Beachtung, weil es zur Verbreitung der Erkenntnisse der wissenschaftlichen Etymologie beigetragen hat und seine umfangreiche Introduction (pp. XI-CVII) ein Vademekum der etymologischen Forschung mit den zu berücksichtigenden Komponenten (la phonEtique, l'histoire, la comparaison, les variations de sens) darstellt. Während die wissenschaftliche französische Etymologie in ihren Anfangen vor allem von der Anwendung der neuentdeckten Lautentwicklungsgesetze geprägt ist, erfährt sie in der Folge eine materielle und methodische Erweiterung ihrer Grundlagen. Im Zusammenhang mit der Vertiefung und Intensivierung der etymologischen Forschung soll an erster Stelle die Begründung romanistischer Fachzeitschriften genannt werden, die sich um die französische Etymologie besondere Verdienste erworben haben. Eine spezielle Erwähnung verdienen die Romania (seit 1872) und die Zeitschrift für romanische Philologie (seit 1877), in deren Spalten zahlreiche Beiträge zur französischen Etymologie veröffentlicht worden sind und sich mehrfach eine fruchtbare Diskussion über etymologische Einzelprobleme entwickelt hat. Schon A.Scheler hat im Vorwort zur dritten Auflage (1888) seines Dictionnaire d'etymologie frangaise die Bedeutung dieser beiden Zeitschriften für die französische Etymologie erkannt und gewürdigt: »Ce sont deux recueils pEriodiques de philologie romane, sous l'impulsion desquels la science que je cultive a realisE des progrEs surprenants dans ces derniers temps et qui continuent ä la fEconder de la noble Emulation qu'ils ont suscitEe: en France, la Romania de MM. P.Meyer et G.Paris,..., et en Allemagne, la Zeitschrift für romanische Philologie, ..., dirigee depuis par G.Gröber« (p.X). An der Aufklärung der zunehmend schwieriger werdenden etymologischen Problemfälle, die gelegentlich zu lebhafter Diskussion Anlaß gaben, waren neben den Herausgebern der Romania zahlreiche andere Romanisten beteiligt. Bedeutsam für die Etymologie sollte ferner auch das Aufkommen einer sprachhistorischen Lexikographie sein. Die Veröffentlichung zweier umfassender Wörterbücher des Alt- und Mittelfranzösischen fällt in diese Zeit: zunächst das schon im 18. Jh. entstandene Dictionnaire historique de l'ancien langage frangois von La Curne de Sainte-Palaye (10 vol., 1875/82) und danach das Dictionnaire de l'ancienne langue frangaise et de tous ses dialectes du DCe au XVe siecle von FrEdEric Godefroy (10 vol., 1880-1902). Parallel dazu beginnt man, die Texte der

25 altfranzösischen Literatur in philologisch überzeugenden bzw. kritischen Ausgaben zu edieren. In diesem Zusammenhang soll hier zumindest die Societe des anciens textes frangais (SATF; seit 1875) genannt werden, in deren Rahmen viele hervorragende Textausgaben erschienen sind. Die sprachhistorische Lexikographie wie auch die zuverlässigen Textausgaben haben überhaupt erst eine fundierte und detaillierte Wortgeschichte ermöglicht und damit eine unerläßliche Voraussetzung für die wissenschaftliche Etymologie geschaffen. Etwa gleichzeitig konstituiert sich die Semantik endgültig als autonomer Zweig der Sprachwissenschaft (Michel Β rial: Les lois intellectuelles du langage, fragment de semantique, 1883; id.: Essai de semantique, 1897); die Aufwertung der semantischen Studien hat zur Folge, daß dem Bedeutungswandel auch im Rahmen der Etymologie vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Um die Jahrhundertwende hat die französische Etymologie ihren produktivsten Vertreter in Antoine Thomas, der vielen Romanisten auch heute noch bekannt ist als Kontrahent von Hugo Schuchardt in der Diskussion um den Ursprung von fr. trouver (s. weiter unten). Neben der Betreuung der etymologischen Angaben in den Artikeln des Dictionnaire general de la langue frangaise (1890-1900) von Adolphe Hatzfeld hat sich A.Thomas vor allem einen Namen gemacht durch eine Vielzahl von etymologisch-wortgeschichtlichen Miszellen auch zu altfranzösischen und dialektalen Wörtern, die in drei Sammelbänden zusammengefaßt worden sind: Essais de philologie frangaise (1897), Nouveaux essais de philologie frangaise (1904), Melanges d'etymologie frangaise (1902; 2e ed. 1927). In jüngerer Zeit hat man in A.Thomas einen einseitigen Anhänger der Junggrammatiker sehen wollen, der in seinen Forschungen nur die Lautentwicklung der Wörter im Auge gehabt hat (»... la tradition des neogrammairiens dont Thomas reste le prototype« und »... Thomas, qui ne reconnait que le cötö phondtique du mot« Kukenheim 117 und 119; »Thomas neigt dazu, in der Sprache eine Art Mechanismus zu sehen, der ohne Leben ist« Iordan 406). Richtig ist, daß A.Thomas der Lautentwicklung immer besondere Beachtung geschenkt hat, was aus seiner Sicht nicht ohne Grund geschehen ist: »La phonetique historique est peut-etre l'auxiliaire le plus precieux de Fetymologiste« (Thomas Nouveaux Essais 22). Die Aufstellung einer Etymologie unter Mißachtung der Lautentwicklungsgesetze war für ihn zu Recht nicht vorstellbar. Die Erklärung der Lautentwicklung hat bei A.Thomas Vorrang vor den semantischen Aspekten: »la semantique nous apparait comme l'aide de la phon6tique. Presque toujours il convient que la phonetique passe devant et prepare l'ouvrage auquel la simantique viendra, pour ainsi dire, donner le dernier coup de pouce. Pourtant celle-ci est autre chose qu'une finisseuse« (Thomas Nouveaux Essais 30). Auch seine etymologischen Miszellen zeigen, daß A.Thomas keineswegs die Fragen der Bedeutungsentwicklung vernachlässigt hat. In der Diskussion um die Etymologie von fr. trouver (vgl. FEW 13,2,321s. s. *tropare) wird die Position von A.Thomas noch einmal deutlich. Während Diez trouver noch auf lat. türbare »verwirren« (> »durchstöbern, -suchen« > »suchen« > »finden«) zurückgeführt hatte, hat G.Paris schon 1878 gezeigt, daß aus Gründen der Lautentwicklung als Etymon für fr. trouver, aprov. trobar nur ein *tröpare in Frage kommen kann und nicht türbare (apr. -b- kann nur auf lat. -p- zurückgehen, nicht auf lat. -b-; der Stammvokal der romanischen Folgeformen setzt ein lat. δ bzw. ρ voraus, nicht aber ein ü oder o). Für *tropare, das für ihn von spätlat. tropus »m61odie, air, chant« abgeleitet sein muß, setzt Paris die folgende Bedeutungsentwicklung an »composer, inventer un air« > »inventer« > »decouvrir«. In der Folge griff H.Schuchardt das schon von Diez vorgeschlagene türbare noch einmal auf, suchte den Ausgangspunkt für seine Bedeutungsentwicklung jedoch in der Fischerei (»das Wasser trüben [turbare], um Fische zu fangen bzw. zu finden«). In beiden Fällen beruht aber die Bedeu-

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tungsentwicklung aus Mangel an Belegen auf bloßen Annahmen. Unter diesen Umständen kommt der Lautentwicklung begreiflicherweise eine besondere Rolle bei der Entscheidung für die eine oder andere Etymologie zu. So hat denn auch A.Thomas in seinen Beiträgen zu dieser etymologischen Diskussion noch einmal deutlich gemacht, daß eine Etymologie steht oder fällt mit der Begründung seiner Lautentwicklung: »*Tropare est le seul type que la phonätique puisse avouer. ... Si türbare ne peut pas supporter l'examen phon6tique, il ne compte plus, il est mort. ... On ne peut rien pretendre en Etymologie sans l'aveu de la phonetique, mais la phondtique ne suffit pas ä tout« (Ro 31,7). Die von Schuchardt verteidigte Verbindung von fr. trouver usw. mit lat. türbare ist heute aufgegeben worden. Es darf aber nicht vergessen werden, daß Schuchardt andererseits der etymologischen Forschung neue Wege eröffnet hat, indem er die Sachkunde und die vergleichende Sprachforschung für die Etymologie nutzbar machte, auch wenn sie im Falle von türbare > trouver am falschen Objekt angewendet worden sind. Im ersten halben Jahrhundert ihrer Existenz - also etwa bis zur Wende vom 19. zum 20. Jh. - wurde die wissenschaftliche Etymologie des Französischen eindeutig beherrscht von der historischen Lautlehre. Dies kann nicht eigentlich Uberraschen, da es zunächst darum gehen mußte, die bereits vorliegenden Erklärungen aus der vorwissenschaftlichen Phase auf ihre Haltbarkeit hin zu überprüfen, und dazu waren die gerade erst formulierten Gesetzmäßigkeiten der französischen Lautentwicklung ein geeignetes Mittel.

b.

Das 20. Jahrhundert

Auch wenn keine wirkliche Zäsur in der etymologischen Forschung zwischen dem 19. und 20. Jh. vorliegt, wich doch gegen die Jahrhundertwende die ursprüngliche, vorwiegend auf der historischen Lautlehre fußende Etymologie mehr und mehr einer umfassenderen Konzeption der Etymologie, die in verstärktem Maße zusätzliche Informationen wortgeschichtlicher und sachkundlicher Art verwendete. Angesichts der zunehmend schwieriger werdenden Probleme, vor die sich die Etymologen gestellt sahen und die nicht mehr durch den bloßen Rückgriff auf die Lautgesetze zu lösen waren, versuchte H.Schuchardt die Stagnation in der Etymologie durch die Erschließung neuer Erkenntnisquellen zu überwinden. Daß er in seinen Romanischen Etymologien (1898/99) durch die Berücksichtigung der Wortgeschichte und Sachkunde, aber auch durch die auf breiter Basis betriebene vergleichende Betrachtung der Verhältnisse in anderen Sprachen und bei anderen Bezeichnungen neue Wege in der etymologischen Forschung eingeschlagen hat, ist schon frühzeitig erkannt worden. So stellt M.Roques schon 1905 in seinem Artikel Methodes itymologiques der von A.Thomas praktizierten Etymologie, die ihr Hauptaugenmerk auf die Lautentwicklung der Wörter und ihre Übereinstimmung mit den Lautgesetzen richtet, die von H.Schuchardt vertretene neue Richtung gegenüber, die er wie folgt charakterisiert: »Dös lors la recherche ötymologique doit prendre une orientation nouvelle, ne plus s'exercer sur un mot isol£ ..., mais sur des groupes s&nantiques et phonätiques dont il nous faudra Studier globalement l'histoire; c'est moins encore des mots que doit partir la recherche, que des objets, des notions, dont il faut examiner d'ensemble les denominations ou les expressions dans certaines limites d'espace et de temps. La conception de Μ. Schuchardt ne tend pas ä modifier seulement les habitudes £tymologiques, mais presque tout le travail linguistique, car cette m£thode nouvelle demande des outils nouveaux« (p. 114s.).

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Hatte die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. sich kräftig entwickelnde historische Lexikologie die Etymologie bereits mit zahlreichen wortgeschichtlichen Daten versorgt, so lieferte die um die Jahrhundertwende entstehende Sprachgeographie ihr nicht nur zusätzliche Materialien, sondern auch neue Erkenntnisse. Die Entwicklung der romanischen Sprachgeographie ist eng verknüpft mit der Veröffentlichung des Atlas linguistique de la France (ALF) zwischen 1902 und 1910. Jules Gillidron, der Initiator des ALF, hat selbst die ersten und beispielhaften sprachgeographischen Studien publiziert (vgl. Iordan 184ss.), in denen er die Daten einzelner Karten interpretiert hat, wobei er die verschiedenen Bezeichnungstypen in Beziehung zueinander gesetzt und ihnen eine historische Dimension gegeben hat. Die Sprachgeographie kann an Hand der Sprachatlanten als ihr bevorzugtes Arbeitsinstrument das Wirken der Sprache in unmittelbarer Anschauung beobachten; so zeigt sie etwa, wie die Sprache mit Konfliktsituationen fertig wird (Kollision von homophonen Wörtern) oder wie es zur Umgestaltung von Wortformen infolge volksetymologischer Reinterpretation kommt (vgl. GaugerOW 127ss.). Die romanischen Dialektstudien verdanken dem ALF und der aus ihm hervorgegangenen Sprachgeographie entscheidende Impulse. Die Sprachgeographie hat aber auch und vor allem ihre Bedeutung für die Sprach- bzw. Wortgeschichte und damit für die Etymologie. Die Sprachkarten projizieren gewissermaßen in die Horizontale, was auf der vertikalen Achse der Sprachentwicklung entstanden ist. Den konservierenden, archaischen Charakter der ländlichen Mundarten hatte übrigens schon Mdnage erkannt (s. oben S.14). In der Tat zeigt uns die Sprachgeographie, daß die Mundarten Entwicklungsphasen bzw. Zwischenglieder bewahrt haben, die den sprachlichen Entwicklungsprozeß erst verständlich machen (vgl. GaugerOW 122ss.). Die Sprachkarten gestatten der Sprachgeographie schließlich auch, die geographische Verteilung lexikalischer Typen zu bestimmen und daraus Rückschlüsse hinsichtlich ihrer ursprünglichen Verbreitung und ihrer Herkunft zu ziehen. So haben sich die Sprachatlanten und die darauf basierende Sprachgeographie als überaus nützlich für die historische Wortforschung und damit auch für die Etymologie erwiesen. Ihre Bedeutung für die Etymologie haben schließlich auch noch zwei methodische Neuerungen, die im Zusammenhang mit der Sprachgeographie zu sehen sind, auch wenn sie schon in den letzten Jahren des 19. Jh. auftreten. Einmal handelt es sich um die von H.Schuchardt und R.Meringer propagierte Sachforschung als Voraussetzung für die Sprachforschung (vgl. Kukenheim 107s.). Die stark sachkundlich orientierten Sprachstudien, die unter der Bezeichnung Wörter und Sachen bekannt geworden sind, haben in der romanischen Sprachwissenschaft zusätzliche Impulse durch die Veröffentlichung des ALF erhalten. Ähnlich ist es der Onomasiologie ergangen, die die für einen Begriff verwendeten Bezeichnungen im Zusammenhang untersucht. Auch die onomasiologischen Studien entwickeln sich zunächst unabhängig von der Sprachgeographie, stellen dann aber mehr und mehr das Bezeichnungsmaterial der entsprechenden Sprachkarten in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen (vgl. Iordan 278ss.). Am Anfang der französischen etymologischen Lexikographie des 20. Jh. steht mit dem 1912 in erster Auflage erschienenen Dictionnaire itymologique de la langue frangaise von Louis Ctedat ein Wörterbuch besonderer Art. Es setzt weder die stark lautgeschichtliche Orientierung des Dictionnaire itymologique de la langue frangaise (1868) von A.Brachet noch die mehr wortgeschichtliche Orientierung der dritten Auflage (1888) des Dictionnaire d' etymologie frangaise von A.Scheler fort. Auch sonst werden die fachlichen und methodischen Fortschritte, die die romanische Sprachwissenschaft seit 1870 erzielt hat, nicht genutzt. Ctedat versteht etymologique in einem sehr engen Sinne; wortgeschichtliche Fakten sind in seinem Wörterbuch nur rudimentär vertreten, wenn sie nicht ganz fehlen. Die Etyma wer-

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den nur bei der Herkunft aus dem Lateinischen und Griechischen durchgängig gegeben; bei Wörtern keltischer oder germanischer Provenienz fehlen sie vielfach. Eine Diskussion etymologisch strittiger Fälle findet bei C16dat nicht statt; er begnügt sich in solchen Fällen mit der lapidaren Feststellung »origine incertaine/inconnue«. Das einzig Originelle an diesem etymologischen Wörterbuch ist letztlich die Anordnung des französischen Wortschatzes, den Cledat nach Wortfamilien zusammengestellt hat. Danach werden alle lexikalischen Elemente des Französischen in einem Artikel zusammengefaßt, wenn deren griechisch-lateinische Etyma miteinander verwandt sind. A.Meillet hat sich in einem Artikel (A propos d'un recent dictionnaire itymologique du frangais in Linguistique historique et linguistique generale t.I p.292-296) mit der konzeptionellen Schwäche, die Cledats Wörterbuch innewohnt, auseinandergesetzt und kommt zu folgendem Schluß: »A quoi bon ramener ä un primitif unique le plus de mots qu'il est possible, si Γ on ne Signale pas le passe propre de chacun de ces mots? La plupart du temps, il s'agit de faits trös divers, et l'unite d'origine mise en evidence est de beaucoup ce qu'il y a de moins interessant pour expliquer la forme et le sens des mots considöres« (p. 293). In einem Überblick über die Entwicklungsgeschichte der französischen Etymologie darf auf keinen Fall Walther von Wartburgs Französisches etymologisches Wörterbuch (FEW) fehlen, dessen erstes Faszikel 1922 herauskam und dessen Publikation 1969 mit dem Erscheinen der letzten Lieferung der etymologisierten Materialien ein vorläufiges Ende gefunden hat (seitdem wird an der Herausgabe der Materialien unbekannten bzw. unsicheren Ursprungs sowie an einer überarbeiteten Fassung der Artikel des ersten Bandes gearbeitet). Dabei ergibt sich der besondere Stellenwert, der dem FEW beizumessen ist, nicht etwa aus dem Bezug zur Etymologie, der aus dem Titel des Werkes hervorgeht. Man könnte sogar sagen, daß der etymologische Aspekt am FEW im Grunde eher zweitrangig ist. Es ist daher auch nicht in eine Reihe zu stellen mit den etymologischen Handwörterbüchern des Französischen, von denen bereits Schelers Dictionnaire d'etymologie frangaise erwähnt wurde und einige andere in der Folge noch genannt werden. Was das FEW wirklich ist, geht dagegen aus dem Untertitel des Werkes hervor, nämlich Eine Darstellung des galloromanischen Sprachschatzes. Das FEW erfaßt dabei alle Sprachformen, die seit der Existenz einer romanischen Textüberlieferung im Bereich der Galloromania schriftlich fixiert worden sind, also nicht nur die Schrift- und Literatursprache, sondern auch die Umgangssprache bis hin zum Argot sowie die Mundarten. Es wird versucht, für das Französische und in begrenztem Maße auch für das Altprovenzalische den Gebrauch der einzelnen lexikalischen Einheiten und ihrer verschiedenen Bedeutungen chronologisch genau zu bestimmen. Da das FEW den in der Galloromania durch die Jahrhunderte hindurch gebräuchlichen Wortschatz möglichst erschöpfend erfassen will, haben wir es hier mit einem Sprachschatz zu tun, weshalb G.Rohlfs das FEW durchaus zutreffend als Thesaurus galloromanicus bezeichnet hat. Da die Darstellung des galloromanischen Wortschatzes in all seinen Manifestationen eindeutig im Vordergrund steht, ist das FEW primär ein lexikologisches Informationsmittel und damit auch ein Forschungsinstrument für den Etymologen. Die Frage ist nun, welche Rolle die Etymologie selbst im FEW spielt. Einmal wird in dem sich an den Materialteil anschließenden Kommentar eines jeden Artikels in der Regel zur Etymologie Stellung genommen. Zum anderen gibt das Etymon den Kopf bzw. das Lemma des jeweiligen Artikels ab. Die letztere Entscheidung dürfte unter dem Einfluß des in erster Auflage zwischen 1911 und 1920 erschienenen Romanischen Etymologischen Wörterbuchs (REW) von W.Meyer-Lübke gefallen sein, dem Wartburg neben J.Gilliöron das FEW gewidmet hat. Das REW mehr noch als das FEW stand

29 vor der Notwendigkeit, Materialien aus verschiedenen Sprachen in einem Artikel zusammenzufassen; unter diesen Umständen war es naheliegend, das Etymon als Ausgangspunkt und gemeinsamen Nenner dem Artikel voranzustellen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Wahl eines Etymons zur Einführung romanischer Sprachformen auch Gefahren in sich birgt, wie noch zu zeigen sein wird. Wenn Wartburg trotz der primär lexikologischen Ausrichtung des FEW im Haupttitel des Werkes am Bezug zur Etymologie festhält, so geschieht dies durchaus im Bewußtsein des sich in der Etymologie selbst vollziehenden Wandels. Wie der Autor im Vorwort zum FEW (S.V) deutlich macht, hat die Wortgeschichte die rein lautgeschichtlich orientierte Etymologie abgelöst. Er möchte daher die Etymologie in einem weiteren, die Wortgeschichte implizierenden Sinne verstanden wissen, wie sie im übrigen auch schon von H.Schuchardt in seinen Romanischen Etymologien (1898/99) praktiziert worden ist. Die Konzeption des FEW als galloromanischer Sprachschatz in Gestalt eines etymologischen Wörterbuchs nach Art des REW stand für Wartburg von Anfang an fest. Die praktische Ausführung dieser Konzeption hat dagegen im Verlaufe der Ausarbeitung des Werkes Veränderungen erfahren. Ursprünglich hatte Wartburg unter dem Eindruck der Materialfülle des ALF und der sich daraus ergebenden Erkenntnisse vor, vor allem die weitverstreuten, z.T. schwer zugänglichen Mundartmaterialien zusammenzustellen, die Angaben zur französischen Schriftsprache aber eher summarisch zu halten. Die Bevorzugung der Dialekte prägt eindeutig den ersten Band (A-B; 1928), in dem die französischen Formen in der Regel ohne Definition, ohne Angaben zur Bedeutungsentwicklung sowie zur Chronologie des Gebrauchs erwähnt werden. Eingedenk der Tatsache, daß die mündlichen und schriftlichen Ausdrucksmittel letztlich eine Einheit bilden und zwischen beiden Formen vielfältige Wechselbeziehungen bestehen, wurde der Darstellung der französischen Schriftsprache in den Bänden ΙΠ (D-F; 1934) und II/l (C-cohortile; 1940) vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt. Aber erst vom 1946 abgeschlossenen Band Π/2 an fanden die Belange des Französischen durch eine beträchtliche Erweiterung der Dokumentation eine angemessene Berücksichtigung. Am Ende der dreißiger Jahre kam es schließlich noch zu einer recht tiefgreifenden Änderung in der Anlage des Werkes. Im Zuge seiner Zusammenarbeit mit dem Leipziger Germanisten Theodor Frings entschließt sich Wartburg nämlich, den Komplex der germanischen Elemente im galloromanischen Wortschatz gesondert darzustellen. Dies hat zur Folge, daß von Band Π/2 an der eigentliche Korpus des FEW (bis Band XIV) den lateinischen, altgriechischen und altkeltischen Elementen vorbehalten ist, während die Wörter germanischen Ursprungs in einer speziellen Abteilung (Bände XV-XVII) dargestellt werden. In der Folge wurden noch andere kleinere Herkunftskomplexe ausgesondert (Bd. XVIII Anglizismen, Bd. XIX Orientalia, Bd. XX Sonstige Sprachen). Mit der Schaffung einer werkinternen Systematik nach Herkunftssprachen wurde zumindest äußerlich die etymologische Komponente des FEW gestärkt. Mag diese innere Gliederung des FEW unter etymologischen Gesichtspunkten zu begrüßen sein, so ist andererseits nicht zu übersehen, daß sie für den primär lexikologisch interessierten Benutzer zusätzliche Orientierungsprobleme schafft, um so mehr als sich noch eine weitere Abteilung mit den nach Begriffen geordneten Materialien unbekannten oder unsicheren Ursprungs anschließt (Bände ΧΧΙ-ΧΧΙΠ)Κ

1

Ferner wird die Neubearbeitung des Buchstabens A (lat., griech. und kelt. Elemente) in Kürze abgeschlossen vorliegen; sie bildet die Bände XXIV und XXV.

30 Noch auf ein anderes grundsätzliches Problem, das sich für das FEW stellt, soll hier kurz hingewiesen werden. Wie wir festgestellt haben, ist das FEW primär ein lexikologisches Quellenwerk. Dennoch ist die Frage der Etymologie von eminenter Wichtigkeit, da nur das Etymon in seiner Funktion als Lemma gestattet, dem romanischen Sprachmaterial einen Platz im FEW zuzuweisen. Wohl ist ein Großteil des galloromanischen Wortschatzes heute etymologisch zweifelsfrei identifiziert; andererseits sind nach wie vor die Fälle zahlreich, in denen die Herkunft umstritten ist bzw. sich nicht näher bestimmen läßt. Auf Grund seiner Anlage ist das FEW aber auch in diesen Fällen gezwungen, sich zu entscheiden, d.h. ein mögliches Etymon unter mehreren vorgeschlagenen auszuwählen, ein solches zu kreieren oder bei völliger Aussichtslosigkeit die fragliche Wortfamilie den Materialien unbekannten Ursprungs zuzuweisen. Die Entscheidung für die eine oder andere Lösung ist letztlich eine Ermessensfrage, bei der auch persönliche Überzeugungen eine Rolle spielen können. So stellt sich etwa im Zusammenhang mit den germanischen Etymologien des FEW die Frage, ob sie sich alle auf Dauer als haltbar erweisen werden. In den etymologisch unsicheren Fällen wäre es sicher sinnvoller gewesen, auf die Ansetzung eines Etymons zu verzichten und statt dessen ein romanisches Wurzelmorphem als Ersatzlemma zu verwenden. Eine solche Lösung wäre einer leichteren Auffindbarkeit des galloromanischen Wortmaterials gewiß zuträglich gewesen und hätte im übrigen auch eine spätere, einleuchtendere Erklärung nicht präjudiziell. Sie hätte letztlich aber auch die Beibehaltung eines einzigen, alphabetisch geordneten Korpus erforderlich gemacht. Etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen des ersten Bandes des FEW hat Ernst Gamillscheg zwischen 1926 und 1928 sein Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache (EWFS) veröffentlicht, in dem der Autor den Versuch unternimmt, die Erträge der für die französische Etymologie besonders fruchtbaren Phase zwischen ca. 1885 und 1923 kritisch zu sichten. Gamillscheg hat sich also die Aufgabe gestellt, im EWFS einen Überblick über »den gegenwärtigen Stand der etymologischen Forschung auf dem Gebiet des Französischen« (S.VII) zu geben. Im Rahmen dieses Forschungsberichtes in Wörterbuchform skizziert Gamillscheg kurz die Geschichte der etymologischen Deutung all der Fälle, deren Ursprung unbekannt oder umstritten ist, wobei die wichtigsten Beiträge mit ihrer genauen Quellenangabe genannt werden. Wie nicht anders zu erwarten, nimmt der Autor eine Wertung dieser Beiträge aus eigener Sicht vor. Die bibliographischen Angaben zur etymologischen Deutungsgeschichte stellen das eigentliche Charakteristikum des EWFS dar und gestatten dem Etymologen, sich in den Problemfällen rasch Zugang zu der wichtigsten Literatur zu verschaffen. Seine Absicht, »wirkliche Wortgeschichte [zu] bringen« (S.VII), kann Gamillscheg dagegen nur in begrenztem Maße in seinem Werke verwirklichen. Die wortgeschichtlichen Angaben im EWFS - wenn überhaupt vorhanden - haben eher summarischen Charakter. Die Nomenklatur des EWFS stützt sich auf die des Dictionnaire general de la langue frangaise (1890-1900), wobei jedoch die meisten Ableitungen keine Berücksichtigung finden, auch nicht im Artikel des jeweiligen Simplex. Ferner sind viele spätere Entlehnungen aus den klassischen Sprachen nicht vom EWFS aufgenommen worden; Gleiches gilt auch für jüngere Lehnwörter aus lebenden Sprachen (vor allem Anglizismen). Auch eine angemessene Berücksichtigung der semantischen Komponente, die sich für eine wortgeschichtliche Orientierung eigentlich von selbst versteht, findet nicht statt, was Gamillscheg in der Vorrede zur zweiten Auflage (1969) des EWFS folgendermaßen begründet: »Die Bedeutungsentwicklur eines Wortes wie morale ist ebenso lehrreich wie die Entwicklung einer Sachbezeichnung, z.B. eines Werkzeuges. Dies darzustellen ist aber nicht Aufgabe eines etymologischen Wörterbuches, sondern der

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Geistesgeschichte, der Gesellschaftsgeschichte u.ä.« (S.XVI). Das EWFS ist also ein etymologisches Wörterbuch im klassisch-restriktiven Sinne und setzt in gewisser Weise die von A.Scheler mit seinem Dictionnaire d' etymologie frangaise begründete Tradition fort, in dem die etymologische Orientierung dominiert und die ausführliche Diskussion der etymologischen Problemfälle im Vordergrund steht. Leo Spitzer hat also sicher Unrecht, wenn er im EWFS eine unnötige Konkurrenz für das FEW sieht (ZrPh 46, 582), da dieses bei aller Berücksichtigung der etymologischen Belange vor allem eine lexikologische Ausrichtung hat. Schließlich muß noch auf die heftige Kontroverse zwischen L.Spitzer und Gamillscheg hingewiesen werden, die sich schon vor dem Erscheinen des EWFS entwickelt hat (vgl. L.Spitzer: Aus Anlaß von Gamillschegs »Französischen Etymologien« in ZrPh 42 [1922], 5 34). In diesem wie in seinem die ersten Faszikel des EWFS rezensierenden Artikel (Ein neues »Französisches Etymologisches Wörterbuch« in ZrPh 46 [1926], 563-617) setzt sich Spitzer kritisch mit einer Anzahl von Gamillscheg vertretener Etymologien auseinander. Spitzers Kritik gipfelt in ein paar schwerwiegenden Vorwürfen allgemeiner Art; danach soll Gamillscheg seine Erklärungen vorzugsweise im keltischen Substrat oder im germanischen Superstrat suchen, zu Konstruktionen neigen, sein Heil in Kontaminationen suchen, ein Schreibtischlinguist sein, ein Bild vom Sprachleben haben, das nichts mit der Realität zu tun hat, und das EWFS wird nach dem Erscheinen der ersten Lieferung bereits als ein nicht wesentliche wissenschaftliche Fortschritte aufweisendes Nachschlagewerk bezeichnet (ZrPh 46, 583). Auf diese massive, nicht immer sachliche Kritik antwortete Gamillscheg mit einem langen Artikel (Zur Methodik der etymologischen Forschung in ZfSL 50 [1927], 216-298), in dem sich neben den sachlichen Argumenten auch viel beißende Ironie findet. In einer Erwiderung (Zur Methodik der etymologischen Forschung in ZrPh 48 [1928], 77-113) hat Spitzer noch einmal seine prinzipiellen Positionen verteidigt und seine etymologischen Einzelinterpretationen gerechtfertigt. Diese Diskussion, deren polemischer Ton bisweilen etwas Peinliches, Ehrenrühriges an sich hat, weist aber auch einen positiven, didaktischen Aspekt auf. In der Tat gestattet uns dieser Meinungsstreit, zwei grundverschiedene Wissenschaftspositionen (aber wohl auch Temperamente) kennenzulernen, die ihre Erklärungen für dieselben etymologischen Problemfälle in ganz verschiedenen Richtungen suchen. Während Gamillscheg die stratsprachliche Erklärung favorisiert, tendiert Spitzer dazu, der sprachinternen Wortschöpfung (Onomatopöie usw.) eine größere Bedeutung beizumessen. Schon vor L.Spitzer hat Lazare Sain6an (1859-1934) die Aufmerksamkeit auf die romanische Wortschöpfung gelenkt und ihrer Rolle speziell in der französischen Etymologie ein umfangreiches Oeuvre gewidmet: La Creätion metaphorique en frangais et en roman. Images tirees du monde des animaux domestiques I. Le chat (1905), II. Le chien et le porc (1907); Les Sources indigenes de /'etymologie frangaise (3 vol., 1925, 1925, 1930); Autour des sources indigenes. Etudes d' etymologie frangaise et romane (1935). Diese Arbeiten Saindans sind als Reaktion auf die zu seiner Zeit praktizierten Etymologie und in ständiger Auseinandersetzung mit deren Ansätzen entstanden. Der verbreiteten Bevorzugung der vulgärlateinischen, gallischen und altgermanischen Etymologien setzt er die sprachinterne Wortschöpfung entgegen, die seiner Meinung nach von den Etymologen seiner Zeit nicht genügend berücksichtigt worden ist. Die Ziele, die Sain6an mit seinen Publikationen verfolgt, hat er selbst im Vorwort zu Autour des sources indigenes in zwei Punkten zusammengefaßt: »1° Faire valoir Γ importance capitale des facteurs indigenes, en premier lieu celle de la creation mitaphorique et de la creation spontanie; 2° Battre en bräche le proc6d6 reconstructif, encore trop souvent pratiqu6 dans le domaine de l'dtymologie romane et fran9aise« (p.VII). Mit dem

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Ausdruck proc6d6 reconstructif, wofür er an anderer Stelle den Terminus constructivisme verwendet, bezeichnet Saindan die seiner Ansicht nach übertriebene Tendenz, für französische Wörter gegebenenfalls etymologische Ansätze zu konstruieren - »les attributions arbitrages des mots fran5ais ä des idiomes de fantaisie (latin postute, gaulois reconstruit, germanique restitu6)« (Sources 3 p.IX) - , während es sich für ihn bei denselben Wörtern um romanische Wortschöpfungen handelt. Sicher beanstandet Sainöan zu Recht etymologische Ansätze, die für relativ junges Wortgut etwa der neufranzösischen Zeit unter Mißachtung der wortgeschichtlichen Gegebenheiten erschlossen worden sind, obwohl es sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit um eigenständige, volkstümliche bzw. dialektale Wortschöpfungen oder Entlehnungen aus anderen Sprachen (Okzit. usw.) handeln wird. In diesem Zusammenhang weist Sain6an auch noch einmal auf die Bedeutung der Wortgeschichte sowie der Chronologie und Geographie der Belege für die Etymologie hin. Generell wird man aber vulgärlateinische oder stratsprachliche Etymologien nicht in Zweifel ziehen dürfen, nur weil sie erschlossen sind. Gerade diesen rekonstruierten Etyma - und nicht den gesicherten lateinischen und germanischen Etymologien - sowie den französischen Wörtern unbekannter Herkunft gilt Sain6ans Aufmerksamkeit, und wo er deren Ursprung sucht, liegt auf der Hand: »Mes recherches portent ä peu pr£s exclusivement sur les termes d'origine inconnue ou sur ceux qu'on a fait remonter, en desespoir de cause, ä une latiniti suspecte. Quant aux etymologies positives - latines, germaniques, etc. - elles sortent du cadre de cet ouvrage, qui s'est uniquement propose de mettre en valeur les sources indigenes du vocabulaire« (Sources 1 p.X). Man darf aber nicht glauben, daß sich Sainöan bei seinen Erklärungen mit Hilfe der creation populaire auf vage Vermutungen und nicht zu beweisende Behauptungen verläßt, wie es Gamillscheg suggeriert (ZfSL 50, 293/7). Vielmehr ist Sainäan ein hervorragender Kenner der galloromanischen Mundarten, des Argots (vgl. L'Argot ancien (1455-1850), 1907; Les Sources de I'argot ancien, 2 t., 1912) und der Umgangssprache (vgl. Le Langage parisien au XIXe siecle, 1920), in denen er die wahren Quellen der spontanen Wortschöpfung sieht (metaphorische Verwendung, Schallwörter, hypokoristische Bezeichnungen, also verniedlichende Diminutivableitungen). Auf Grund seiner intimen Kenntnis des sprachlichen Umfeldes des Französischen kann er für eine ganze Anzahl von schriftfranzösischen Wörtern durchaus einleuchtende Erklärungen vorschlagen (vgl. Sources 1, 7-25), mit denen die Sprachkreativität des Volkes oder »1'originality et la fertility de l'esprit populaire«, wie er es nennt (Sources 1, 7), unter Beweis gestellt werden soll. Während die Vertreter der herkömmlichen Etymologie (etwa Meyer-Lübke LGRP 1927, 247, Gamillscheg ZFSL 50, 293ss.) Sainian eher skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehen, findet er bei anderen (etwa Spitzer Werkstatt 133, Rohlfs ZFSL 49, 171) uneingeschränkte Zustimmung. Gerade die Ablehnung kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß Sainöan seine Thesen auf recht militante Art mit manchem Seitenhieb für seine Zeitgenossen verfochten hat und mit der gleichen Ausschließlichkeit, mit der andere die erschlossenen Ansätze verteidigten, das von ihm selbst vertretene Prinzip der sprachinternen Wortschöpfung propagiert hat: »Faute d'une Etymologie positive latine ou germanique, c'est dans les Elements originaux des langues romanes, dans leur activity crdatrice ou simplement föconde qu'il faudra chercher la solution de la plupart des problemes qui ont rösisti jusqu'ici ä l'investigation 6tymologique« (Sources 1 p.IX). Gerade die Verabsolutierung der spontanen Wortschöpfung als etymologisches Erklärungsprinzip und die Einseitigkeit, mit der er dieses gegen die Erschließung von vulgärlateinischen oder stratsprachlichen Ansätzen vertreten hat, ist Sainian zum Vorwurf gemacht worden. In welcher Richtung die Lösung der Ursprungsfrage zu suchen ist, entscheiden letztlich die objek-

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tiven Gegebenheiten der Wortgeschichte. Es ist aber nicht zu leugnen, daß die französische Etymologie Sainöan wichtige Impulse verdankt. Durch seine Forschungen hat er die Aufmerksamkeit der Etymologen auf die romanische Wortschöpfung und ihre Quellen (volkstümliche Umgangssprache, Argot, Dialekte) gelenkt und damit zu einer Erweiterung ihres Blickfeldes beigetragen. Schon wenige Jahre nach Abschluß der Publikation des EWFS erscheint ein weiteres etymologisches Handwörterbuch des Französischen, das sich in seiner Konzeption erheblich von dem Gamillschegs unterscheidet; es handelt sich um das Dictionnaire etymologique de la langue frangaise von Oscar Bloch und Walther von Wartburg (1932). Da der Anteil der beiden Autoren am Zustandekommen dieses Werkes in seiner ursprünglichen Form ganz verschieden ist, soll hier kurz darauf hingewiesen werden: Bloch hat das Wörterbuch allein redigiert; Wartburgs Mitwirkung an dieser ersten Auflage beschränkt sich auf die Durchsicht des Textes sowie auf Korrekturen und Ergänzungen, die er auf Grund der Arbeiten am FEW beisteuern konnte. Der Bloch-Wartburg (BW) wendet sich an ein »public non spöcialiste« bzw. ein »public cultive«, wie Bloch (Introduction p.XIX, XXIV) ausführt, während Gamillschegs EWFS mehr ein wissenschaftlich interessiertes Publikum im Auge hat, worauf auch die zahlreichen bibliographischen Angaben im Text hindeuten. Hinsichtlich der Nomenklatur besteht kein grundlegender Unterschied zwischen dem EWFS und dem BW; beide legen den Wortschatz der französischen Standardsprache zugrunde. Der BW will aber auch die speziellen Termini der Umgangssprache (frangais populaire) berücksichtigen. Im Gegensatz zum EWFS führt der BW die französischen Ableitungen auf, die jedoch dem jeweiligen Simplex zugeordnet werden, so daß kumulative Artikel entstehen. Zudem werden die Ableitungen wie auch die Simplices mit möglichst genauen chronologischen Angaben versehen, die anzeigen sollen, wann das betreffende Wort zum ersten Mal belegt ist; das EWFS begnügte sich hier noch mit der vagen Angabe des Jahrhunderts. Aber auch sonst hat Bloch die Akzente anders gesetzt. Der Wortgeschichte, deren Bedeutung für die Etymologie Bloch in der Introduction noch einmal unterstreicht, wird mehr Platz eingeräumt, und auch die kulturgeschichtlichen Gegebenheiten, die sich in der Wortgeschichte widerspiegeln, finden Erwähnung: »Etablir l'6tymologie d'un mot, c'est, dans la mesure du possible, faire l'histoire de ce mot, c'est mettre en Evidence les conditions particuliferes de sa presence dans la langue et les faits de civilisation auxquels cette presence röpond« (p.XX). Unter den etymologischen Handwörterbüchern des Französischen bietet der BW, und zwar gerade in der ersten Auflage, die ausführlichsten Angaben zur Wortgeschichte. Zum Vergleich wird mit ziemlicher Regelmäßigkeit auf die Entwicklung des jeweiligen Etymons in anderen romanischen Sprachen (vor allem Ital., Okzit., Span.) hingewiesen, und die eingehende Beschreibung der dialektalen Verhältnisse der Galloromania in vielen Artikeln verrät, daß Bloch auch Dialektologe war. Auch bei der Behandlung der rein etymologischen Fragen schlägt der BW einen anderen Weg ein als das EWFS. Er entscheidet sich für eine etymologische Erklärung, die gegebenenfalls mit Vorbehalten gegeben wird; alle anderen bleiben in der Regel unerwähnt. Eine Übersicht über die etymologische Deutungsgeschichte mit den Autoren der Beiträge und genauen bibliographischen Angaben sucht man also vergeblich im BW, was sich daraus erklärt, daß das Wörterbuch zumindest nach den Vorstellungen von Bloch - für ein größeres, gebildetes Publikum bestimmt war, das nicht unbedingt ein wissenschaftliches Interesse an der Etymologie hat. Nach dem Tode Blochs (1937) übernahm Wartburg die alleinige Betreuung des BW, der von der zweiten Auflage (1950) an aus verlegerischen Gründen von seiner ursprünglich zweibändigen Ausgabe auf ein einbändiges Handbuch reduziert wurde. Hatte Wartburg schon einiges

34 aus dem FEW-Fundus zum Zustandekommen der ersten Fassung des B W beigesteuert, so sollten die zweite wie die folgenden Auflagen (3 e öd. 1960, 4 e έά. 1964, 5 e έά. 1968) unmittelbar vom Fortgang der Arbeiten am FEW profitieren. Die hier neu gewonnenen wortgeschichtlichen und etymologischen Erkenntnisse sowie neue Erstdatierungen gingen direkt in den B W über. Wenn Guiraud Etymologie 35 den B W als ein »ouvrage qui est un r£sum6 du F.E.W.« bezeichnet, wird er beiden Werken nicht ganz gerecht. Wohl ist der B W von der zweiten Auflage an mehr und mehr zu einer Art Sprachrohr des FEW geworden; dennoch ist er als ein vom F E W unabhängiges Werk entstanden, dessen ursprüngliche Fassung als Textgrundlage auch noch in den späteren Ausgaben zu einem guten Teil erhalten geblieben ist. Und das FEW ist seinerseits weitaus mehr als nur die Darstellung des französischen Wortschatzes. In den dreißiger Jahren ist neben der von Bloch redigierten, ursprünglichen Fassung des BW auch noch das Dictionnaire etymologique de la langue frangaise von Albert Dauzat erschienen (1938). Beide Wörterbücher weisen Gemeinsamkeiten auf, in einigen wesentlichen Punkten unterscheiden sie sich aber auch. Ähnlich wie Bloch wendet sich Dauzat mit seinem Wörterbuch an ein weiteres Publikum (»grand public«) und nicht an ein spezielles Fachpublikum, wie es Gamillscheg getan hat. Dauzat wählt für die Artikel seines Wörterbuchs auch die kumulative Form, d.h. die französischen Ableitungen werden dem Artikel ihres jeweiligen Simplex einverleibt. Schließlich versieht auch Dauzat seine Lemmata wie die ihnen zugeordneten Ableitungen mit möglichst genauen Daten zu ihrem ersten Auftreten im Schrifttum. Andererseits will Dauzat gegenüber seinen Vorgängern einen umfangreicheren Wortschatz in seinem Wörterbuch berücksichtigt haben (»une plus grande richessse du vocabulaire enregisträ«). Da der Dauzat nach Format und Umfang wesentlich kleiner ausfällt als das EWFS und der B W 1932, muß dieser Anspruch mit Abstrichen in anderen Bereichen erkauft worden sein. In der Tat zeichnen sich die etymologischen und wortgeschichtlichen Angaben durch äußerste Knappheit aus. Eine Diskussion der etymologischen Problemfälle findet nicht statt; Dauzat entscheidet sich mit oder ohne Einschränkung für eine der vorgeschlagenen Etymologien oder verzichtet ganz auf eine Erklärung (»d'origine obscure« usw.). Textstellen, wie sie etwa der BW im Rahmen der Wortgeschichte gibt, werden nicht zitiert. Ergänzende Angaben zu den galloromanischen Dialekten sowie zu den Verhältnissen in anderen romanischen Sprachen, die sich zahlreich im EWFS und B W finden, fehlen bei Dauzat völlig. Nach dem Tode A.Dauzats (1955) überarbeiteten Jean Dubois und Henri Mitterand sein Wörterbuch, das 1964 in zweiter Auflage unter dem Titel Nouveau dictionnaire etymologique et historique erschien. Trotz der vielversprechenden Titelerweiterung bleibt die Konzeption und Anlage des Wörterbuchs unverändert; eine Aufwertung der wortgeschichtlichen Komponente - wie es der neue Titel erwarten läßt - findet nicht statt. Bei gleichbleibendem Format wurde jedoch der Umfang des Wörterbuchs geringfügig vergrößert (805 S. gegenüber 762 S. der ersten Auflage von 1938). Hierzu kam es vor allem durch eine Ergänzung bzw. Modernisierung der Nomenklatur, die jedoch nicht immer als glücklich zu bezeichnen ist. Auf die Aufnahme von politischen Termini, die in ihrer Bildung für jeden transparent sind (marxisme, spartakisme, stakhanovisme, stalinien usw.), sollte man tunlichst verzichten. Daß man russ. spoutnik aus aktuellem Anlaß erwähnt, ist einsichtig; nur hätte man erklären sollen, was das Wort im Russischen bedeutet (»Weggefährte; Erdtrabant«). Dagegen fragt man sich, was ein Wort wie russ. zakouski »Vorspeise« in einem etymologischen Wörterbuch des Französischen zu suchen hat; auch sonst ist die Nomenklatur mit der eines enzyklopädischen Wörterbuchs verwechselt worden. Wie schon A.Dauzat haben sich auch

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die Bearbeiter seines Wörterbuchs ausdrücklich zur Aufnahme des speziellen Wortschatzes des fransais populaire bekannt; um so mehr überrascht, daß loufiat schon in der ersten Auflage (1938) fehlt und verbreitete Ausdrücke wie arnaquer, arnaque, loulou, loubard, magouille noch nicht von der vierten Auflage (1982) aufgenommen worden sind. Was die etymologische Komponente angeht, so weist die von Dubois und Mitterand überarbeitete Fassung kaum originelle Erklärungen auf; vielmehr fällt auf, daß solche, die von Wartburg vertreten werden, übernommen worden sind (aune »Erle«, tirer). Mag auch die Nomenklatur des Nouveau dictionnaire etymologique et historique weiter angewachsen sein, was für ein etymologisches Wörterbuch nicht unbedingt ein Positivum sein muß, so ist dieses Wörterbuch in wesentlichen Punkten unverändert geblieben, d.h. es bietet nach wie vor nur ein absolutes Minimum an etymologischen und wortgeschichtlichen Informationen. Mit einem durchaus originellen Beitrag hat sich Pierre Guiraud (gest. 1983) einen Platz in der Entwicklungsgeschichte der französischen Etymologie gesichert. Guiraud selbst hat dafür den Begriff der Etymologie structurale geprägt, nachdem er zunächst den sicher zutreffenderen Terminus lexicologie structurale verwendet hat. Der strukturellen Lexikologie bzw. den von ihm angenommenen morpho-semantischen Strukturen im französischen Wortschatz, die ihre Bedeutung auch und gerade für die französische Etymologie haben, hat Guiraud zwischen 1956 und 1966 mehrere Artikel gewidmet, die zunächst in verschiedenen Fachzeitschriften (Bulletin de la Societe de linguistique de Paris, Le Frangais moderne, Zeitschrift für romanische Philologie) veröffentlicht und dann in einem Sammelband unter dem Titel Structures etymologiques du lexique frangais (1967) zusammengefaßt worden sind. Weitere grundlegende Darlegungen zu den lexikalischen Strukturen sowie zur Rolle, die sie bei der Klärung etymologischer Probleme spielen können, finden sich ferner in dem von Guiraud redigierten Que sais-je?-Band Nr. 1122 L'Etymologie (erste Auflage 1964 und jede spätere, p.88ss.) sowie in der Introduction zu seinem Dictionnaire des etymologies obscures (1982). Bei seinen Untersuchungen zur inneren Strukturierung des Wortschatzes richtet Guiraud seine Aufmerksamkeit nicht etwa auf die abgeleiteten bzw. zusammengesetzten Wörter, sondern auf Fälle, die weniger transparent sind und daher in etymologischer Hinsicht auch vielfach Probleme aufgeben. Um sie durchsichtig, d.h. in ihrer Bildungsart verständlich zu machen, betrachtet Guiraud als wichtigste Voraussetzung die Erstellung eines möglichst vollständigen Korpus, der alle vergleichbaren Fälle, Synonyme oder gleichstrukturierte Wörter, umfaßt. Da die traditionelle Etymologie seiner Meinung nach die Wörter isoliert betrachtet und daher für sie in der Regel von der Intuition inspirierte ad-hoc-Erklärungen gegeben hat, glaubt Guiraud zur inneren Motivation der Bezeichnungen vordringen zu können, wenn er den einzelnen Terminus im Zusammenhang mit Parallelfällen im Rahmen seines Bezeichnungsmodells behandelt. Aus der gemeinsamen Behandlung aller gleichgearteten Fälle erhofft er sich Aufschluß hinsichtlich ihrer Wortbildungsart. An Hand zahlreicher Beispiele hat Guiraud tatsächlich zeigen können, daß etwa Synonyme verbreitet Übereinstimmung in formaler Hinsicht aufweisen oder aber ihnen die gleiche Vorstellung, das gleiche Bild (Metapher) zugrunde liegt. Als Beipiel soll das fr. baliverne »propos futile et creux« erwähnt werden, das Guiraud als tautologisches Kompositum identifiziert hat; es steht im Zusammenhang mit expressiven Verbalkomposita wie baliverner, lantiverner, lantiponner, in die jeweils zwei synonyme Bewegungsverben aufgegangen sind. Nach Guiraud deutet alles darauf hin, daß die synonymen billevesee,faribole, calembour, calembredaine, die bisher unzureichend erklärt worden sind, gleich strukturiert sind wie baliverne und sich auf dieselbe Weise erklären (Structures 10ss.). Die durch die vergleichende Betrachtungsweise

36 zu Tage geförderten Bezeichnungsmodelle werden von Guiraud auch als morphosemantische Strukturen verstanden. Sie bloßzulegen ist die vornehmlichste Aufgabe der strukturell orientierten Lexikologie, da sie Aufschluß über die Bezeichnungsmotivation verschaffen und so auch für die Etymologie von Bedeutung sein können. Der von der herkömmlichen Etymologie praktizierten, isolierten Betrachtungsweise mit ihren äußeren Kriterien (Lautentwicklung, Geschichte usw.) stellt Guiraud seine »analyse interne (paradigmatique)« (Etymologie 116) gegenüber, die er wie folgt beschreibt: »La möthode consiste ä itablir la relation entre une catigorie de sens et le paradigme lexical ä travers lequel eile est exprimee; ... Le mot est identifie par la place qu'il occupe dans un champ de formes et de significations. C'est pourquoi j'ai design^ ce type d'analyse sous le nom d'ötude du champ morphosömantique d'un mot« (ibid.). Bei aller Aufmerksamkeit, die Guirauds morphosemantische Strukturen im Rahmen der Lexikologie verdienen, darf doch ihre Bedeutung für die praktische Etymologie auch nicht überschätzt werden. Einmal zeigen Guirauds Untersuchungen selbst, daß dieses Prinzip nur begrenzt anwendbar ist, und zwar in erster Linie im Bereich der spontanen, umgangssprachlichen Wortschöpfung, aus dem auch das oben erwähnte Beispiel stammt. Zugleich ergibt sich aus demselben Beispiel, daß keineswegs alle Synonyma den gleichen Wortbildungstypus aufweisen müssen. So ist sornette »baliverne« sicher kein tautologisches Kompositum, sondern eine Ableitung von mfr. some »plaisanterie«. Andererseits gibt es genügend isoliert dastehende Bezeichnungen, die keinen morphosemantischen Strukturen zugeordnet werden können. Schließlich muß noch auf Guirauds Dictionnaire des etymologies obscures (1982) hingewiesen werden, dessen Introduction bereits im Zusammenhang mit den morphosemantischen Strukturen erwähnt wurde. Guiraud hat sich in diesem Wörterbuch die Aufgabe gestellt, die im BW zahlreich enthaltenen unsicheren Etymologien (ca. 1.500) einer kritischen Prüfung zu unterziehen. In seiner Auseinandersetzung mit den unsicheren Etymologien des BW gibt er nur seine eigene Meinung wieder und berücksichtigt fast überhaupt nicht die Beiträge anderer Etymologen, so daß dieses Wörterbuch im Grunde ein Dialog zwischen Guiraud und Wartburg ist. Im Gegensatz zu Wartburg werden Guirauds Erklärungen charakterisiert von einer weitgehenden Ablehnung des stratsprachlichen Einflusses (Gallisch, Altgermanisch); seine eigenen Erklärungen sucht er vorzugsweise in einer nichtbelegten, rekonstruierten Latinität oder in der romanischen Wortschöpfung. Seine strukturelle Methode, die er in der Introduction noch einmal darlegt, findet im Wörterbuch nur begrenzte Anwendung. Dafür behandelt Guiraud die zu erklärenden Termini üblicherweise im größeren Zusammenhang der von ihm angenommenen Wortfamilien. Er greift aber auch zu durchaus herkömmlichen Mitteln, wenn er etwa willkürlich angenommene Wortkombinationen oder Zwischenstufen konstruiert (vgl. bigoudi, falzar), obwohl er sonst das Konstruieren von Etyma entschieden ablehnt. Im übrigen kann auf zwei ausführliche Besprechungen des Dictionnaire des etymologies obscures von H.Meier verwiesen werden (RJ 33 [1982], 163-168; RF 96 [1984], 5 3 77), in denen dieser die Stärken und Schwächen der von Guiraud vertretenen Etymologien aufzeigt. Von den Repräsentanten der heutigen Etymologie, die mit ihren Leistungen im einzelnen zu würdigen uns der Platz fehlt, soll hier ferner noch auf Harri Meier (gest. 1990) eingegangen werden, wofür mehrere Gründe sprechen. H.Meier hat in den letzten dreißig Jahren ein umfassendes etymologisches Oeuvre vorgelegt, das romanische Dimensionen hat, also nicht nur das Französische und die übrigen Sprachen der Galloromania betrifft, sondern die Gesamtheit der romanischen Idiome. Hinzu kommt die Tätigkeit als Herausgeber und Betreuer von zahl-

37 reichen etymologischen Arbeiten, die aus der Feder seiner Schüler stammen. Meier hat sich mit vielen Problemfällen der französischen und romanischen Etymologie befaßt, aber auch der Geschichte der Etymologie seine Aufmerksamkeit geschenkt (Zur Geschichte der romanischen Etymologie, in ASNS 201 [1964], 81-109; Zur Geschichte der Erforschung des germanischen Superstratwortschatzes im Romanischen, in Sprachliche Interferenz. Festschriftfür W.Betz, 1977, S.292-334). In neuerer Zeit hat sich Meier auch vermehrt mit Prinzipienfragen der Etymologie beschäftigt. In den Prinzipien der etymologischen Forschung. Romanistische Einblicke (1986) hat er eine Bilanz seiner Erfahrungen und Überzeugungen gezogen; hier kann man sich am umfassendsten Uber die von ihm vertretene Richtung in der romanischen Etymologie informieren. Meiers etymologische Forschungen sind geprägt von der weitgehenden Infragestellung des stratsprachlichen Einflusses - und vor allem des germanischen Superstrats - auf die romanischen Sprachen. Hier ergeben sich im übrigen Berührungspunkte mit P.Guiraud, der in etwa die gleiche Meinung vertritt. Nur ist Meier konsequenter in der Ablehnung des Germaneneinflusses, während Guiraud bei seinen Etymologien immer wieder Kompromisse mit der Germanenthese in Form von Kreuzungen schließt. Meier sucht seine Erklärungen in der spätlateinischen Umgangssprache, weil er davon überzeugt ist, »daß das vulgäre und das regionale Latein sich von der literarisch überlieferten Wortbildung wesentlich weiter unterschieden haben, als allgemein angenommen wird« (RF 96, 74). In der Tat schöpft er seine vulgärlateinischen Ansätze in einem bisher noch nicht dagewesenen Maße aus den von ihm angenommenen Möglichkeiten der umgangssprachlichen Suffigierung und Präfigierung. Als Beispiele seien etwa erwähnt: fr. braise < spätlat. brasa < vlat. *perarsa (zu perardere) statt germ, (got.) *bras- »Glut« (ASNS 205, 259ss.), fr. rötir < vlat. *reustire (zu spätlat. ustuire von urere) statt westgerm. *raustjan »rösten« (ASNSL 205, 277ss.), fr. cracher < vlat. *corradicare (zu corradere) statt lat. *craccare (onomatop.) (Onomatopöien 80ss.), gratter < vlat. *corraditare statt germ, (anfrk.) *krattön »kratzen«. An Meiers erschlossenen vulgärlateinischen Etyma (vgl. dazu auch weiter unten S. 50, 53, 61s.), mit denen auch in den Untersuchungen seiner Schüler gearbeitet wird, hat die Kritik mehrfach Anstoß genommen. Meier warnt übrigens selbst vor einer überzogenen Ausnutzung dieser Möglichkeit: »Die Verwendung oft einer ganzen Reihe von postulierten komplexen (mehrfach präfigierten und/oder suffigierten) Grundformen quasi als Kinderschreck ist der Sache nicht nützlich« (Aufsätze 27). Es ist aber zweifellos richtig, wenn er fortfährt: »Es ist an der Zeit, daß wir gerade für solche Fälle ein klareres Bild von den Möglichkeiten der vulgärlateinischen Wortbildung gewinnen« (ibid.). Die Projizierung romanischer Dialektbezeichnungen auf die Ebene des Vulgärlateins kann im übrigen nicht bedeuten, daß diese Formen in jedem Falle auch tatsächlich im Vulgärlatein existiert haben. Bei der Erschließung rein vulgärlateinischer Ansätze, die auch auf die Kreuzung mit entsprechenden germanischen Wörtern verzichten, berücksichtigt Meier ferner einige Lautentwicklungen und -phänomene, die erst in neuerer Zeit verstärkte Beachtung gefunden haben, die Anlautsonorisierung (Figge), das fr. h aspirö als Wortanlautmarkierung (Greive), die Liquidenmetathese usw., aber auch andere Lauterscheinungen wie die Synkope des Präfixvokals (s. oben) oder die Entwicklung von lat. v-> g(u) (vastare > guastare > gäter), deren genaue Bedingungen noch eingehenderer Untersuchungen bedürfen. Bei der von H.Meier vertretenen Richtung handelt es sich also um eine Etymologie, die bei Fehlen entsprechender (vulgär)lateinischer Ansätze ihre Erklärungen nicht im Germanischen sucht, wie es in der Vergangenheit oft genug geschehen ist, sondern nach neuen Interpretationsmöglichkeiten aus

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dem Vulgärlatein heraus Ausschau hält. Eine solche Richtung hat deshalb nicht von vorneherein Unrecht, nur weil sie nicht überkommene etymologische Erklärungsschemata übernommen und mit der langen Stratophilen Tradition in der romanischen und französischen Etymologie gebrochen hat. Altniederfränkische oder burgundische Etyma etwa, die aus anderen germanischen Sprachen erschlossen worden sind und über deren effektive Existenz wir genauso im unklaren sind wie über rekonstruierte vulgär- oder regionallateinische Formen der spätrömischen Zeit, können im Prinzip nicht mehr Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen als die letzteren. Jede Erklärung - aus welcher Schule sie auch immer kommt - verdient Beachtung und ist es wert, überdacht zu werden, sofern sie den wortgeschichtlichen Fakten Rechnung trägt. Welche Erklärung - die stratsprachliche oder die vulgärlateinische letztlich mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat, wird sich nur in der intensiven Auseinandersetzung mit ihnen zeigen. Eins ist schon heute sicher, daß H.Meier und sein Kreis, indem sie die Wortbildungsmöglichkeiten des Vulgärlateins und bestimmte Lautphänomene in ihrer Bedeutung für die romanischen Sprachen anders und höher als bisher veranschlagt haben, Bewegung in die romanische Etymologie gebracht haben. Das von Jacqueline Picoche 1971 (bei Hachette-Tchou) veröffentlichte Nouveau dictionnaire etymologique du frangais, das 1979 unter dem Titel Dictionnaire etymologique du frangais in unveränderter Form (in den Usuels du Robert) erneut erschienen ist, unterscheidet sich erheblich von den schon behandelten etymologischen Handwörterbüchern (EWFS, BW, Dauzat). In der Tat steht J.Picoches Dictionnaire etymologique du frangais nicht in der Tradition der etymologischen Wörterbücher des Französischen, die die Etymologie in enger Verbindung mit der Wortgeschichte sehen, sondern praktiziert diese im Sinne einer reinen Herkunftsbestimmung. Während sich bei ihr die wortgeschichtliche Komponente auf Hinweise zum ursprünglichen Status der Wörter im Französischen (erbwörtlich, halbgelehrt, gelehrt) sowie auf summarische Angaben zur Erstbezeugungschronologie der Wörter beschränkt, hat sich J.Picoche zur Aufgabe gemacht, Beziehungen, die die Etyma französischer Wortfamilien auf der Ebene des Lateinisch-Griechischen bzw. des Indogermanischen unterhalten, aufzudecken. Diese eindeutig außerhalb des Französischen liegenden Zusammenhänge sind in Picoches Wörterbuch Anlaß zu kumulativen, das französische Wortmaterial betreffenden Artikeln, wobei jeweils in einer Einleitung diese Beziehungen erklärt werden und der Materialteil des Artikels entsprechend strukturiert ist. So finden sich etwa s. deux neben diesem double, douter, becher, biseauter, biner, duel, dualisme, duplicite, dubitatif, bisser, combiner, dyade, deuteronome, dichotomie, diplöme usw. und s. luire neben diesem lueur, luzerne, lucide, elucubration, allumer, lumiere, lune, illustration, lustrer, sunlight, leucemie usw.. Die auf indogermanischer Ebene bestehenden Beziehungen schließen gegebenenfalls auch das auf altkeltische bzw. altgermanische Etyma zurückgehende französische Wortgut mit ein; so wird s. mer neben diesem marin, se marrer, (germ. >) marais, maraicher, marecage, mare; (kelt. >) morue usw. und s. serf neben diesem sergent, servir, servitude, conserver, vergogne, reverence·, (germ. >) garder, garnir, guerir, egarer, garer, vareuse', (gr. >) panorama usw. erwähnt. Da viele französische Wortfamilien auf Grund des etymologischen Zusammenhangs auf der indogermanischen Ebene in großen, kumulativen Artikeln Aufnahme gefunden haben und J.Picoche auf Verweise am alphabetischen Orte verzichtet, führt der Weg in vielen Fällen über den Wortindex am Werkende, der auf Grund seiner kapitalen Bedeutung für den Zugang zum Material seinen Platz eher am Anfang hätte haben sollen. Die Autorin warnt selbst ihre Leser: »La consultation de ce dictionnaire demandera done au lecteur quelque exercice du pouce et de l'oeil,...« (p.VI).

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Die Zusammenstellung des ganzen französischen Wortmaterials, das in einem indogermanischen Verwandtschaftsverhältnis steht, mag sicher originell sein. Die Frage ist aber, ob diese große Zusammenschau gerade das ist, was der Leser - vom Indogermanisten einmal abgesehen - von einem etymologischen Wörterbuch des Französischen erwartet, oder ob er nicht vielmehr nur über die unmittelbare Herkunft des Wortes sowie dessen Entwicklung innerhalb des Französischen informiert sein will. Ganz neu ist diese Art von etymologischem Wörterbuch im übrigen nicht; wie erinnerlich hatten bereits Clddat und vor ihm Roquefort eine ähnliche Materialanordnung versucht. Schon A.Meillet (s. oben S. 28) hat auf die Fragwürdigkeit eines solchen Unternehmens hingewiesen, da die einzelnen Komponenten dieser indogermanischen Großfamilien wortgeschichtlich, d.h. auf der Ebene des Französischen, nichts miteinander zu tun haben. Wenn J.Picoche 1971 (1979) in der Einleitung zu ihrem Wörterbuch schreibt: »la seule justification d'un nouveau dictionnaire 6tymologique est la presentation synthötique des faits« (ρ.ΠΙ), so kann diese Begründung gerade aus heutiger Sicht nicht mehr überzeugen. Es zeigt sich nämlich, daß die gegenwärtig im Handel befindlichen etymologischen Wörterbücher des Französischen nicht den neuesten Entwicklungsstand der etymologischen Forschung widerspiegeln bzw. den Erkenntnissen der neueren Wortforschung Rechnung tragen. Das EWFS ist seit dem Tode seines Autors verwaist. Dem BW geht es nicht viel anders; seine letzte überarbeitete Ausgabe ist von 1968 (5.Auflage). Die letzte Ausgabe des DauzatDM (4e 6d. 1982) weist nur geringfügige Veränderungen gegenüber seiner zweiten Auflage (1964) auf. Es macht sich also mehr und mehr das Fehlen eines etymologischen Handwörterbuchs des Französischen bemerkbar, das die etymologische und wortgeschichtliche Forschung der letzten zwanzig Jahre berücksichtigt. Schließlich soll an dieser Stelle noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß mehrfach der Versuch unternommen worden ist, die an sich kontinuierliche Entwicklung der Etymologie in verschiedene Phasen bzw. Richtungen zu unterteilen. Wartburg unterscheidet in seinem Aufsatz Grundfragen der etymologischen Forschung (1931) zwischen einer äußeren Etymologie, die sich dem »Studium der Laute und Formen« (S. 224) widmet und mit dem 19. Jh. in Zusammenhang gebracht wird (S. 223), und einer inneren Etymologie, die nicht nur die wortgeschichtlichen Fakten berücksichtigt, sondern das Wort auch in seinen Wechselbeziehungen mit anderen Wörtern zeigen will: »Die innere Etymologie aber studiert das Leben der Wörter, die Stelle, die sie im Ganzen der Sprache einnehmen; sie verfolgt ihre Verschiebungen, ihre allmähliche semantische Umdeutung, den Einfluß anderer Wörter, in deren lautliche oder semantische Nähe sie rücken« (S. 224). Die Beipiele, mit denen diese erweiterte Konzeption der Etymologie belegt wird - etwa lat. edere mit seinen romanischen Entsprechungen (S. 232) machen deutlich, daß Wartburg die isolierte, einzelwortliche Betrachtungsweise überwinden will. Die Etymologie bekommt eine lexikologische Dimension, weil sie das einzelne Wort und sein Schicksal in engem Zusammenhang mit etwaigen Konkurrenzwörtem sieht. Es ist gerade die Fülle der im FEW zusammengetragenen Materialien mit der sich vielfach daraus ergebenden neuen Sicht der etymologisch-lexikologischen Probleme, die Wartburg dazu geführt hat, eine erweiterte Konzeption der Etymologie zu entwickeln: »Die Erforschung der Radix eines Wortes oder einer Wortgruppe ist heute nicht mehr die einzige Aufgabe der Etymologie. Sie hat die zu betrachtende Wortgruppe in ihrer vielfachen Verästelung und mit all ihren Beziehungen zu anderen Gruppen während der ganzen Zeit, da sie einer Sprache angehört, zu verfolgen, ohne jemals

40 die etymologisierende Fragestellung aufzugeben« (S. 235). In Wartburgs Vorstellung von einer inneren Etymologie, die auf die Frage nach den Gründen für Wortentstehungen bzw. -untergange bzw. Bedeutungsverschiebungen aus dem Gesamtzusammenhang der Sprache heraus antworten soll, äußert sich eine strukturell-lexikologische Betrachtungsweise. In seinem 1959 erschienenen, heute als klassisch zu bezeichnenden Aufsatz L'etymologie hier et aujourd'hui hat K.Baldinger den Versuch unternommen, eine Methodengeschichte der französischen Etymologie zu liefern. Dieser reich dokumentierte Artikel gibt nicht nur einen Überblick über die wichtigsten Etappen der französischen Etymologie, sondern gewährt auch Einblick in ihre spezifischen Probleme und erlaubt so eine umfassende Orientierung Uber die französische Etymologie in relativ kurzer Zeit. Was die großen Entwicklungsphasen der wissenschaftlichen französischen Etymologie angeht, äußert Baldinger ähnliche Gedanken wie Wartburg. Während im 19. Jh. die Etymologie-origine, die Erklärung der Lautentwicklung im Vordergrund stand, dominiert im 20. Jh. die etymologie-histoire du mot, deren Anfänge Baldinger in den Arbeiten von GilliEron sieht. Hier ist die Wortgeschichte nicht mehr nur Voraussetzung für die Etymologie, sondern sie wird geradezu in die Etymologie integriert: »L'etymologie, au sens moderne, c'est done la biographie du mot. Sa naissance, dont s'occupait exclusivement l'ancienne Etymologie, n'en est que le point de depart« (p. 239). Der Umstand, daß die isolierte Untersuchung von Einzelwörtern losgelöst von ihren innersprachlichen Beziehungen letztlich nicht Aufschluß über die Ursachen ihrer Veränderungen gibt, aber auch die sprachwissenschaftliche Strömung, die in der Sprache ein System sieht, haben die als erweiterte Wortgeschichte verstandene Etymologie nach Baldinger fast zwangsläufig dahin geführt, das Wort und seine Entwicklung in einem weiteren Umfeld zu sehen bzw. das Wort als Teil eines sprachinternen Spannungsfeldes zu verstehen, in dem die Elemente sich gegenseitig beeinflussen. Eine ähnliche Betrachtungsweise hatte Wartburg bekanntlich schon in seinen Grundfragen der etymologischen Forschung (1931) angeregt (und danach in der Einführung in Problematik und Methodik der Sprachwissenschaft,11943). Ansätze zu einer die größeren Kontexte berücksichtigenden Sichtweise finden sich auch schon früher, etwa bei H.Schuchardt gleich zu Beginn seiner Romanischen Etymologien I (1898): »Was wir eine Etymologie nennen, ist nichts als eine mehr oder weniger abgekürzte Wortgeschichte, und eine Wortgeschichte wiederum bildet keinen festen Ausschnitt aus der gesammten Sprachgeschichte, sondern verfliesst ohne bestimmte Grenzen in andere Wortgeschichten«. P.Guiraud unterscheidet drei Phasen in der Entwicklungsgeschichte der wissenschaftlichen französischen Etymologie (Etymologie 8ss., 86ss., 122ss.), wobei er Termini gebraucht, die schon von seinen Vorgängern verwendet worden sind, auch wenn er ihnen teilweise eine andere Bedeutung beilegt. Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der sich an den Lautgesetzen orientierenden Etymologie des 19. Jh., der etymologie phono-historique, und der sich auf eine umfassende Wortgeschichte stützenden Etymologie des 20. Jh., der etymologie lexicohistorique, die für Guiraud ihren Höhepunkt erreicht im FEW von W. von Wartburg. Beide Entwicklungsphasen verkörpern zugleich die analyse externe oder die Etymologie historique traditionnelle. Ihr stellt Guiraud die analyse interne (paradigmatique) bzw. die Etymologie interne gegenüber, die die Bezeichnungsmotivation, die den Bezeichnungen zugrundeliegenden morphosemantischen Strukturen ergründen soll. Er betont aber ausdrücklich, daß die beiden Methoden - die analyse externe und die analyse interne - sich keineswegs ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen können (Etymologie 9). In der Folge bezeichnet Guiraud seine eigene Methode auch als Etymologie structurale (Structures 201; Dictionnaire

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13ss. pass.) und definiert sie wie folgt: »Elle [i.e. Γ Etymologie] est structurale dans la mesure oü eile 6tudie non les mots mais les ensembles de mots apparentes (par la forme et le sens); eile vise ä 6tablir moins l'histoire de chaque mot (ce qu'elle fait aussi d'ailleurs) que celle des classes de mots, de leur origine, de leur Evolution« (Dictionnaire 13). Guirauds Versuch, der inneren Motivation der Benennungen auf die Spur zu kommen, indem er synonyme Bezeichnungen und solche, die andere Gemeinsamkeiten aufweisen, im Zusammenhang betrachtet, um sie so gegenseitig zu erhellen, gehört sicher zu den interessantesten Beiträgen zur französischen Etymologie in neuerer Zeit. Aber auch in diesem Falle ist vor übertriebenen Erwartungen zu warnen. Nicht überall, wo etymologische Probleme vorliegen, haben wir es mit Synonymen zu tun, sondern auch mit Einzelbezeichnungen. Zudem muß synonymen Bezeichnungen keineswegs immer die gleiche Vorstellung zugrunde liegen. Aus verschiedenen Blickwinkeln können an ein und derselben Sache ganz unterschiedliche Aspekte relevant sein, was sich wiederum in der Namengebung niederschlägt (vgl. dazu die S. 73 genannten Bezeichnungen für zweifelhafte Machenschaften). So gesehen ist Guirauds Methode bei aller Originalität letztlich nur begrenzt anwendbar. Bei allen terminologischen und begrifflichen Unterschieden, die bei der Einteilung der wissenschaftlichen Etymologie in Entwicklungsphasen zu Tage getreten sind, handelt es sich nicht um konkurrierende Schulen oder Doktrinen, die sich gegenseitig ausschließen, sondern um Strömungen, die alle das gleiche Ziel haben, der Etymologie neue Erkenntnisquellen zu erschließen. Diese Strömungen betreffen im übrigen nicht allein die Etymologie, sondern ganz allgemein die Entwicklung der Sprachwissenschaft. Die historische Phonetik, die Semantik, die Sprachgeographie, die Dialektologie, die Onomasiologie, die sachkundlich orientierte Wortforschung (»Wörter und Sachen«), die strukturalistische Sprachbetrachtung, die breitangelegte Lexikologie, die all diese Entwicklungen verarbeitet, - sie alle sind zunächst einmal Neuerungen im weiteren Rahmen der Sprachwissenschaft, bevor sie sekundär auch für die Etymologie nutzbar gemacht worden sind. Die Etymologie ist denn auch in methodischer Hinsicht nicht selbständig, sondern macht sich die in anderen Bereichen der Sprachwissenschaft entwickelten Methoden zu eigen. Die Etymologie ist durchaus eklektisch in der Wahl ihrer Mittel, und im Prinzip verschließt sie sich keiner Methode, sofern sie zur Lösung des Ursprungsproblems beitragen kann. Wie man sich dem jeweiligen etymologischen Problem nähert, kann im übrigen nur von Fall zu Fall entschieden werden. Parallelfälle sind in der Etymologie nicht allzu häufig, und als solche werden sie auch erst erkannt, wenn das Problem ihrer Herkunft gelöst worden ist. Ein für alle Fälle verbindliches Rezept, ein Allheilmittel gibt es also in der Etymologie nicht. Voraussetzung ist in jedem Falle eine möglichst erschöpfende Wortgeschichte, die besondere Aufmerksamkeit der Bedeutungsentwicklung und speziell der ursprünglichen Verwendung sowie den ältesten Formenvarianten schenkt. Eine möglichst genaue Bestimmung des Alters der Bezeichnungen ist erforderlich, weil das Alter einer Bezeichnung bereits einen Hinweis hinsichtlich der Richtung enthält, in der man den Ursprung zu suchen hat. Für ein Wort, das zum ersten Mal im 14. Jh. oder gar noch später belegt ist, dürfte kaum ein vulgärlateinischer oder stratsprachlicher Ursprung in Frage kommen (vgl. dazu echouer, unten S. 71s.); vielmehr ist in solchen Fällen daran zu denken, daß möglicherweise eine sprachinterne Wortschöpfung vorliegt, sofern es sich nicht um eine Entlehnung handelt. Eine Berücksichtigung der Verhältnisse in den anderen romanischen Sprachen ist in jedem Falle von Nutzen. Schließlich kann auch eine genaue Analyse der Wortstruktur unter Beachtung der französischen Lautentwicklungsgesetze Aufschluß darüber verschaffen, ob das zu etymologisieren-

42 de Wort dem erbwörtlichen Fundus angehört oder ein Lehnwort ist bzw. aus den galloromanischen Dialekten übernommen worden ist. Trotz aller Möglichkeiten, die dem Etymologen heute dank des umfangreichen wortgeschichtlichen Materials und der verschiedenen sprachwissenschaftlichen Erkennmisse und Methoden zu Gebote stehen, hat er keineswegs die Gewähr, der richtigen Etymologie auf die Spur zu kommen. Den Prozeß der Bezeichnungsgebung nachzuvollziehen - und das ist letztlich die Aufgabe der Etymologie - ist deshalb so schwierig, weil diesem verschiedene Vorstellungen zugrunde liegen können.

Arbeitsanregungen: 1. Stellen Sie an Hand eines modernen etymologischen Wörterbuchs fest, wie die S. 8 erwähnten, von R.Estienne dem Griechischen zugeschriebenen Wörter (ban, bas, blesser, bois usw.) heute erklärt werden. 2. Ermitteln Sie, was im BW zur Etymologie der S. 9 genannten Wörter noyer und escourgeon gesagt wird. 3. Orientieren Sie sich über die Etyma der schon von Jean Le Bon (S. 10) richtig etymologisierten Wörter (doyen, ecueile, ecuyer usw.). 4. Informieren Sie sich über die germanischen Etymologien jener Wörter, für die Charles de Bovelles und Jean Le Bon noch andere Erklärungen geben (S. 11): hardi, hache, honte usw.. 5. Vergewissern Sie sich über die genauen germanischen Etyma der S. 15 erwähnten Wörter (garder, garni, gaufre, jardin usw.), die bereits von Menage dem Germanischen zugeschrieben worden sind. 6. Stellen Sie an Hand eines modernen etymologischen Wörterbuchs (etwa BW) fest, wie heute die Herkunft von alleu, braque, galoche, gobelet (vgl. S. 16) erklärt wird. 7. Suchen Sie die richtigen Etymologien zu fr. bord, aider, aiguille, ajouter, allecher (vgl. S. 20) in einem modernen etymologischen Wörterbuch. 8. Informieren Sie sich über die genaue Herkunft der einzelnen, S. 38s. als Beispiele genannten Wörter (double, douter, becher usw., se marrer, marais usw.). 9. Erklären Sie, weshalb man die Etymologie als eine Art angewandte Sprachwissenschaft bezeichnen kann. Setzen Sie dazu in Beziehung die beiden Charakterisierungen: »L'Etymologie...c'est seulement une application speciale des principes relatifs aux faits synchroniques et diachroniques« (Saussure, CLG p.259) und »...cette discipline, la plus difficile de toutes, parce qu'elle resume toutes les autres« (I.Iordan, Un catechisme etymologique in RLiR 1, 162). 10. L. Spitzer hat in seinem Artikel Aus der Werkstatt des Etymologen eine Anzahl von Prinzipien formuliert, die in der etymologischen Forschung beherzigt werden sollten. Wegen des praktischen Wertes dieses Aufsatzes ist seine Lektüre jedem an der französischen Etymologie Interessierten dringend zu empfehlen.

Aufgaben und Probleme der französischen Etymologie

Die Tatsache, daß die romanischen Sprachen aus dem Lateinischen hervorgegangen sind, ihr Ursprung gewissermaßen bekannt ist, könnte Außenstehende zu der Annahme verleiten, die romanische Etymologie im Vergleich etwa mit der germanischen oder slawischen Etymologie habe es mit weniger und geringeren Problemen zu tun. Daß dies nicht der Fall ist, hat man schon früh erkannt. So warnt Fr.Diez in seinem Etymologischen Wörterbuch der romanischen Sprachen vor allzu großem Optimismus: »Die romanische Wortforschung hat eben so dunkle partien zu beleuchten wie vielleicht irgend eine andere; selbst die erkenntnis des lateinischen stoffes ist in zahlreichen fällen nicht bequemer als die des fremden« (S. VIII), und Littri äußert die gleiche Meinung in seinem Dictionnaire de la langue frangaise: »Les difficultis 6tymologiques sont, dans les langues romanes, beaucoup plus grandes et plus nombreuses qu'on ne le croit communöment« (preface p. XXXVI). Und selbst P.Guiraud, der sich zunächst noch recht euphorisch gegeben hatte (»La majeure partie du lexique a έΐέ döfirichie et la recherche se trouve ddsormais plac6e en face d'un petit nombre de termes obscurs ou douteux« (Etymologie 109), ist in neuerer Zeit zu einem anderen Ergebnis gekommen: »il ressort que 25% du vocabulaire fransais (1500/6000) ont une origine inexpliqu6e ou mal expliqu6e« (Dictionnaire 7), und zwar nach Abzug des umfangreichen, etymologisch transparenten Wortgutes erbwörtlichen oder gelehrten Ursprungs. Selbst nach bald eineinhalb Jahrhunderten Existenz als Wissenschaft sind also in der französischen Etymologie die Fälle immer noch zahlreich, deren Herkunft unbekannt oder umstritten ist. An Erklärungsversuchen hat es dabei nicht gefehlt. In vielen Fällen sind sie aber nicht so überzeugend, daß ihre Diskussion als abgeschlossen betrachtet werden kann. Bei den umstrittenen Etymologien haben wir es durchweg mit Rekonstruktionen zu tun, also mit Etyma, die nicht belegt, sondern nur erschlossen sind. Zugleich stellt sich die Frage, welchen Sprachen die erschlossenen Etyma zuzuweisen sind. In neuerer Zeit ist den erschlossenen Etymologien insofern besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden, als mehrfach Versuche unternommen worden sind, stratsprachliche Erklärungen, und zwar gerade solche aus altgermanischen Sprachen, in Frage zu stellen und durch vulgärlateinische Ansätze zu ersetzen. Im einzelnen lassen sich für die französische Etymologie die folgenden Problembereiche feststellen: 1. die vulgärlateinischen Elemente 2. die keltischen Elemente (das gallische Substrat) 3. die germanischen Elemente (das altniederfränkische Superstrat) 4. die romanische Wortschöpfung Problembereiche sind vor allem die ersten drei Punkte, weil wir uns hier in Dunkelzonen der sprachlichen Überlieferung bewegen. In allen drei Fällen liegen - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - nur sehr spärliche Zeugnisse vor. Dies zwingt dazu, Etyma von Wörtern, die aus diesen Sprachen stammen (sollen), aus dem Romanischen zu rekonstruieren oder aus verwandten Sprachen zu erschließen. Dies kann aber auch dazu verleiten, in diesen ungenügend bekannten Sprachformen das anzusiedeln, was man auf andere Weise nicht

44 erklären kann. Die Rückführung französischen Wortgutes auf das Vulgärlatein, das gallische Altkeltisch oder das Altniederfränkische ist sicher eine permanente Herausforderung für die französische Etymologie, sie kann aber auch zur Versuchung werden.

1.

Die vulgärlateinischen Elemente

Daß die romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein hervorgegangen sind, ist eine allgemein bekannte Tatsache. Die Vorstellungen, die sich mit diesem Begriff verbinden, sind dagegen nicht immer klar. Das Vulgärlatein ist in jedem Falle nicht eine besonders vulgäre Form des Lateins, eine Art lateinischer Argot; es ist auch nicht die sozusagen letzte Entwicklungsphase des Lateins, aus der dann die romanischen Idiome unmittelbar hervorgegangen sind. Das Vulgärlatein ist vielmehr - wie schon der lateinische Terminus sermo vulgaris besagt - die Sprechweise des vulgus, der vulgares, des gemeinen Volkes, des gemeinen Mannes. Es ist die Alltagssprache (sermo quotidianus) der breiten Massen der Bevölkerung, die natürlich je nach regionaler Herkunft und gesellschaftlicher Stellung der Sprecher auch Unterschiede aufweisen konnte. Im übrigen ist der sermo quotidianus die ursprünglichste und lebendigste Form des Lateins; er ist auch das sprachliche Fundament, auf dem sich die lateinische Schriftsprache entwickelt hat. Aus dieser Umgangssprache des einfachen Volkes sind in der Übergangsphase zwischen Spätantike und frühem Mittelalter allmählich und kontinuierlich Idiome hervorgegangen, die jeden Kontakt zum geschriebenen Latein ihrer Zeit verloren hatten bzw. in diesem nicht mehr ihre schriftliche Fixierung erkannten und deshalb später als romanisch bezeichnet wurden. Die überlieferten lateinischen Texte verwenden eine vom Sprechlatein abgehobene Sprache, was praktisch für die ganze Dauer der lateinischen Sprachgeschichte gilt, selbst wenn an ihrem Anfang und gegen ihr Ende der Abstand zwischen beiden Sprachformen, Schriftund Sprechsprache, weniger groß gewesen sein mag. Die klassische Latinität (Mitte 1. Jh. v.Chr. - 14 n.Chr.), in der man gewöhnlich das Latein beispielhaft repräsentiert sieht, ist dem Umgangslatein vollends entrückt und stellt in gewisser Weise eine Sublimierung der normalen Schrift- bzw. Literatursprache dar. Das klassische Latein ist demnach eine hochentwikkelte Literatursprache, die sich vor allem in syntaktisch-stilistischer Hinsicht vom übrigen Sprachgebrauch unterscheidet. Es ist also abwegig, von dieser Kunstsprache Aufschluß über den Zustand der Volkssprache, des Vulgärlateins erwarten zu wollen. Aus der besonderen Überlieferungslage des Lateins ergibt sich ein Dilemma für die Romanisten: Während die Sprache, die in Texten reichlich belegt ist, für sie nur bedingt von Interesse ist, finden sich für die Sprachform des Lateins, die für die romanischen Sprachen von Bedeutung ist, nur spärliche Zeugnisse. Die besonderen Probleme im Zusammenhang mit dem Vulgärlatein ergeben sich daraus, daß wir es mit einer gesprochenen Sprache zu tun haben, die nicht für wert erachtet wurde, um ihrer selbst willen fixiert zu werden. Da die Antike der Umgangssprache keine Beachtung schenkte und ihr schon gar nicht das Privileg einräumte, schriftlich festgehalten zu werden, stellen sich die Quellen des Vulgärlateins eher als ein Stückwerk dar. So finden sich sporadische Zeugnisse für die lateinische Umgangssprache bei den Grammatikern, in Inschriften, Glossaren, literarischen Texten, in denen die verwendeten vulgärlateinischen Elemente vielfach eine stilistische Funktion haben, in der Fachliteratur und im christlichen Schrifttum (vgl. dazu V.Väänänen, Introduction au latin vulgaire, 31981, p. 14ss., K.Vossler, Einführung ins Vulgärlatein, 1954, S. 55ss.). Eine nicht unwesentliche Quelle für die Kenntnis des Vulgärlateins sind schließlich die romanischen

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Sprachen, die unter bestimmten Umständen Rückschlüsse hinsichtlich der vulgärlateinischen Verhältnisse zulassen. So läßt sich etwa aus der Existenz von ital. avanzare, kat. okzit. avansar, fr. avancer usw. folgern, daß bereits das Vulgärlatein ein *abantiare als Ableitung von abante gekannt hat, obwohl es in den vorhandenen (vulgär)lateinischen Zeugnissen nicht belegt ist. Die romanischen Sprachen können also in nicht unerheblichem Maße dazu beitragen, die lateinische Umgangssprache der spätrömischen Zeit zu rekonstruieren. Der romanistische Etymologe muß gerade bei volkstümlichem romanischem Wortgut, das vom Beginn der schriftlichen Überlieferung an belegt ist, mit der Möglichkeit rechnen, daß die Quelle dafür im Vulgärlatein zu suchen ist, auch wenn hier eine unmittelbare Vorlage dafür zur Zeit noch fehlt. Bei einer Charakterisierung des vulgärlateinischen Wortschatzes sind im Prinzip drei Aspekte zu berücksichtigen, einmal die lexikalischen Elemente, die dem Vulgär- und dem Schriftlatein gemeinsam sind, zum andern die der Schriftsprache eigenen Elemente, die dem Vulgärlatein fehlen, und schließlich die Elemente, die dem Vulgärlatein eigen sind. Auch wenn in einer umfassenden Charakterisierung des vulgärlateinischen Wortschatzes die ersten beiden Aspekte nicht fehlen dürfen, wollen wir uns hier, wo uns das Vulgärlatein lediglich aus der Perspektive der romanischen bzw. französischen Etymologie interessiert, auf den dritten Aspekt beschränken. Wie das Schriftlatein - nur in noch viel stärkerem Maße - hat die lateinische Umgangssprache die gemeinsame lexikalische Basis auf ihre Weise weiterentwickelt, wobei sich die auftretenden Phänomene in drei verschiedene Kategorien einteilen lassen: 1. semantische Entwicklungen 2. morphologische Entwicklungen 3. eigene Wortschöpfungen 1. Zahlreich sind die aus der Schrift- bzw. Literatursprache bekannten Wörter, die in der Umgangssprache in einer abweichenden, weiterentwickelten Bedeutung verwendet werden; in dieser vulgärlateinischen Bedeutung leben die Wörter dann in den romanischen Sprachen fort. Lat. manducare, das wie sein Simplex mandere zunächst »kauen« heißt, ist vom 1. Jh. n.Chr. an in der Bedeutung »essen« belegt. Zusammen mit comedere verdrängt manducare »essen« gleichbedeutendes edere aus der spätlateinischen Umgangssprache; beide lexikalischen Typen teilen sich dann auch später die Wiedergabe des Begriffs »essen« in den romanischen Sprachen. Lat. plorare, das »(klagend) schreien, wehklagen, laut weinen« bedeutet, wird in der Umgangssprache zum Normalwort für den Begriff »weinen« und verdrängt in dieser Funktion flere, das sich in den romanischen Sprachen nicht erhalten hat. Lat. portare, das in den literarischen Texten vor allem in der Bedeutung »befördern, schleppen« vorkommt, tritt in der Volkssprache an die Stelle von ferre »tragen« und ersetzt dieses neben anderen Verben auch in den romanischen Sprachen. Etwas anders liegt der Fall bei lat. sapere\ dieses Verb, das normalerweise »schmecken, riechen« bedeutet, hat in der Umgangssprache die Bedeutung »verstehen, wissen« entwickelt. Nach Ausweis der romanischen Sprachen hat sich aber die ursprüngliche Bedeutung neben der vulgärlateinischen Neuerung gehalten, und auch lat. scire »wissen« ist von gleichbedeutendem sapere nicht gänzlich verdrängt worden (vgl. rum. §ti, sard, [logud.] iskire). Unter den nominalen Bezeichnungen sei einmal auf lat. bucca »Backe« aufmerksam gemacht, das schon früh in der familiären Ausdrucksweise als expressives Synonym von os »Mund« verwendet wurde. In der Folge wurde bucca in der Umgangssprache zum Normalwort für den Begriff »Mund«, was auch durch die konstitutionelle Schwäche von os »Mund« begünstigt wurde. Spätlat. gamba (camba < gr. καμπή »Gelenk«)

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wird zunächst vom Sprunggelenk des Pferdes gebraucht und findet sich in dieser Verwendung auch bei den Veterinärschriftstellern, bevor es dann in der allgemeinen Umgangssprache auch auf das Bein des Menschen übertragen wird. Eine ähnliche Entwicklung macht perna »Hinterkeule, Hinterschinken (besonders vom Schwein)« durch, das im Vulgärlatein auch als Bezeichnung für das menschliche Bein verwendet wird (belegt schon bei Ennius und dann in spätrömischer Zeit). Beide vulgärlateinischen Bezeichnungen treten dann auch das Erbe von lat. crus »Bein« in den romanischen Sprachen an. Lat. caballus, dessen ursprüngliche Bedeutung »Arbeitspferd« war, konnte vom 1. Jh. v.Chr. an in der Volkssprache abwertend von jedem Pferde gesagt werden, bevor es hier vom 4. Jh. an mehr und mehr zum wertneutralen Normalwort wurde und damit definitiv an die Stelle von equus trat; dieses ist im Spätlatein nur noch ein Wort der Literatursprache und hat auch in den romanischen Sprachen keine Spuren hinterlassen. Schließlich sei noch auf eine Bedeutungsverschiebung im adjektivischen Bereich aufmerksam gemacht. Lat. bellus »hübsch, niedlich, angenehm, köstlich« und formosus »wohlgestaltet«, die bereits demselben Wortfeld wie pulcher »schön« angehörten, aber nur Teilaspekte der Schönheit bezeichneten, haben dieses in seiner zentralen Funktion im Vulgärlatein ersetzt. So hat sich denn auch pulcher nicht in den romanischen Sprachen erhalten, die statt dessen in Fortsetzung des vulgärlateinischen Gebrauchs seine Konkurrenzwörter verwenden. Diese wenigen Beispiele für Bedeutungsentwicklung lassen bereits erkennen, daß das Vulgärlatein wie übrigens jede Volkssprache die plastische Ausdrucksweise, die ausdrucksstarken Bezeichnungen bevorzugt; diese haben im weiteren Verlauf der Entwicklung der lateinischen Umgangssprache ihre ursprüngliche Ausdruckskraft verloren, so daß aus Expressivwörtern Normalwörter geworden sind, und als solche fungieren sie auch in den romanischen Sprachen. 2. Hinsichtlich der Wortbildung unterscheidet sich das Vulgärlatein ganz erheblich von der lateinischen Schrift- bzw. Literatursprache. Prinzipiell gilt, daß die Umgangssprache gegenüber der Schriftsprache eine weitaus größere Zahl von Ableitungen aufweist. Dabei entwickelte das Vulgärlatein einmal bereits vorhandene Wortbildungsmöglichkeiten, zum andern verwendet es neue Ableitungselemente. Diese die lateinische Umgangssprache charakterisierende Tendenz soll hier nur an Hand einiger Beipiele illustriert werden, da es im Rahmen einer Übersicht Uber die Quellen des französischen Wortschatzes und ihre etymologischen Probleme nicht darum gehen kann, eine Wortbildungslehre des Vulgärlateins - und sei es nur in ihren Grundzügen - zu entwerfen (ausführlichere Angaben dazu finden sich in den schon zitierten Arbeiten von Väänänen und Vossler). Aus dem Bereich der Nominalableitungen sei etwa auf die im Vulgärlatein verbreitet vorkommenden Diminutiva hingewiesen. Die Diminutivableitungen auf -iculus, -a, -um mit den Varianten -Tculus, -uculus finden sich besonders häufig in der Volkssprache, auch wenn sie nicht ausschließlich hier vorkommen. Im Vulgärlatein übernehmen sie im Laufe der Zeit dieselbe Funktion wie das Simplex und verdrängen dieses sogar in etlichen Fällen: auris »Ohr« - auricula (die Glosse »auris non oricla« in der Appendix Probi bezeugt u.a. auch, daß das Diminutivum in der spätlateinischen Umgangssprache in der Funktion des Simplex verwendet wurde), genu »Knie« - zunächst gemculum, dann genüculum, ovis »Schaf« - ovicula, corbis »Korb« - corbicula, acus »Nadel« - acücula, cornix »Krähe« - cornicula usw.. Ein anderes Diminutiv suffix, das im Vulgärlatein besonders produktiv wird, ist -Sllus, das im Latein zunächst eine wortstrukturell eingeschränkte Verwendung kannte (vgl. Vossler 145). Die Ableitung auf -ellus trat im Vulgärlatein vielfach an die Stelle von -ulus, dessen vor-

47 letzte Silbe durch die umgangssprachliche Reduzierung vieler Proparoxytona instabil wurde (nidulus > nid'lus). Das Suffix -ellus kam zugleich dem vulgärlateinischen Trend entgegen, die Ableitungen auf der Endung zu betonen und damit das Suffix eindeutiger vom Stamm zu trennen. Als Beispiele lassen sich nennen: agnus »Lamm« - agnulus - agnellus, an(n)us »Ring« - an(rt)ulus - an(n)ellus, avis »Vogel« - avicula - avicella, vitula »Kalb« - vitellus. Auch in diesem Falle übernimmt die volkstümlichere Ableitung auf -ellus nach Ausweis der romanischen Sprachen die Funktion des Simplex. Über das Suffix -Xttus (-ättus, -öttus), das seine Diminutivfunktionen in den romanischen Sprachen besser bewahren konnte als -ellus, sind wir hinsichtlich seiner vulgärlateinischen Phase eher noch schlechter orientiert als über die schon erwähnten Diminutivsuffixe. Dieses Wortbildungselement, das erst relativ spät in Inschriften der Kaiserzeit auftaucht und über dessen Ursprung wir nichts Genaues wissen, wird zunächst in weiblichen Eigennamen verwendet (Julitta, Bonitta, Livitta, Suavitta), bevor es auch im appellativischen Bereich gebraucht wird. Auf jeden Fall ist -ittus ein typisches Suffix der spätlateinischen Umgangssprache, dessen geographische Verbreitung und effektive Produktivität nur indirekt aus den romanischen Sprachen erschlossen werden kann. Nicht nur die Diminutivsuffixe, sondern auch viele andere Nominalsuffixe haben im Vulgärlatein eine Entwicklung eingeschlagen, die in den romanischen Sprachen ihre Fortsetzung gefunden hat. Es sei nur das die Zugehörigkeit ausdrückende Adjektivsuffix -oticus erwähnt: via »Weg« - viaticus, silva »Wald« - silvaticus (im Altfranzösischen zunächst noch produktiv: ombrage, ramage usw. neben ererbtem sauvage, volage usw.). Schon im Lateinischen kommt es vereinzelt zu Substantivierungen (viaticum »Reisegeld, Wegzehrung«). Im Vulgärlatein entwickelt sich daraus ein selbständiges Substantivsuffix, das nach Ausweis der romanischen Sprachen den Begriff der Zugehörigkeit auf verschiedene Weise spezialisiert (vgl. Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen 2 [1894], 522 § 482). Hier sei nur auf die für die Galloromania spezifische Verwendung zur Bildung von Kollektivabstrakta aufmerksam gemacht (feuillage, branchage, plumage), die im Spätlatein der späteren Galloromania bereits vorgegeben ist (vgl. viatica »Wegstrecke« bei Venantius Fortunatus, FEW 14,383). Auch im Bereich der Verbalbildung sind die vulgärlateinischen Neuerungen zahlreich, und auch hier ist vieles erst aus den romanischen Sprachen zu erschließen. Die allgemeine Tendenz kann umschrieben werden mit den Begriffen Vereinfachung (der Verbalmorphologie: Neubildungen gehören nur der -are- und -ire-Konjugation an) und Verdeutlichung (d.h. klare Trennung von Verbalstamm und Flexion). In diesem Sinne sind auch die zahlreichen Verbalneubildungen vom Stamm des Partizips Perfekt zu verstehen, die zum Teil schon im Latein eine beachtliche Verbreitung gehabt haben: canere »singen« - cantare (ital. cantare, span, port, cantar, fr. chanter), adiuvare »helfen« - adiutare (ital. aiutare, span, ayudar, port, ajudar, fr. aider), nare »schwimmen« - natare (span. port, nadar, *nötare: ital. nuotare, afr. mfr. no(u)er), iacSre »werfen« - iactare (ital. gettare, span, echar, port, geitar, fr. jeter), uti »gebrauchen« - usare (ital. usare, span. port, usar, fr. user), oblivisci »vergessen« - *oblitare (span. port, olvidar, fr. oublier). Der Verbalbereich in der lateinischen Umgangssprache ist ferner gekennzeichnet durch eine ganze Reihe von Suffixerweiterungen, wovon einige zur Intensiv- bzw. Frequentativbildung vom Latein schlechthin verwendet wurden, auch wenn sie erst in der Umgangssprache besondere Verbreitung gefunden haben. Von diesen sollen hier nur drei erwähnt werden. Einmal -icare, das auch im Schriftlatein genügend belegt ist, etwa claudicare (claudus »lahm, hinkend«), communicare (communis), fodicare (fod&re »graben«) usw.. In der spätlateinischen Umgangssprache nimmt -icare noch an Verbreitung

48 zu; zu den belegten Fällen gehören etwa caballicare »reiten« (ital. cavalcare, span, cabalgar, port, cavalgar, fr. chevaucher), carricare »beladen« (ital. caricare, span, cargar, port. carregar, fr. charger), masticare »kauen« (ital. masticare, span. port, mascar, fr. mächer), excorticare »schälen« (ital. scorticare, fr. ecorcher). Zahlreich sind aber vor allem jene Bildungen auf -icare, die im Latein nicht belegt sind und sich allein auf Grund der romanischen Folgeformen rekonstruieren lassen: *nivicare (von nix bzw. ntvSre) > ital. nevicare, fr. neiger, *bullicare (von bullire »sprudeln«) > ital. bulicare, fr. bouger, *cloppicare (von cloppus »lahm«) > fr. clocher, Haxicare (von laxare) > fr. lächer, *coacticare (von coactare »zusammendrücken«) > fr. cacher, *plumbicare (von plumbum) > fr. plonger usw.. Viele andere vulgärlateinische Verbalneologismen auf -icare sind aus dem älteren Französischen, aus den anderen romanischen Sprachen oder aus den Dialekten erschlossen worden (vgl. etwa im FEW *furicare, *movicare, *volvicare usw.). Das Suffix -itare weist eine ähnliche Entwicklung auf wie -icare. Sein Gebrauch zur Bildung von Intensiva bzw. Frequentativa betrifft die ganze Sprache und ist daher auch in der Schrift- und Literatursprache gut belegt, etwa gestitare (von gerere »tragen«), volitare (von volare »fliegen«), vomitare (von vomSre »sich erbrechen«); zu den spätlateinischen umgangssprachlichen Bildungen gehören vanitare »prahlen« (von vanus »eitel«) > ital. vantare, fr. vanter sowie viele Fälle, die erst aus den romanischen Sprachen erschlossen worden sind: *taxitare »betasten« (von taxare »anrühren«) > aprov. tastar, fr. täter (ital. tastare < gallorom.?), *asseditare »setzen« (von sedSre) > ital. assettare, afr. soi aseter »s'asseoir«, *ambitare (von ambire »herumgehen«) > ital. andare, span. port. andar, aprov. anar und ferner im FEW *coactitare, *movitare, *mugitare, *volvitare usw.. Ein anderes Verbalsuffix, das sich in der spätlateinischen Umgangssprache besonderer Beliebtheit erfreute, ist -iare. Belegt ist es noch im Spätlatein in Ableitungen von Adjektiven auf -is, -e: abbreviare > fr. abreger, alleviare > alliger. Die meisten dieser vulgärlateinischen Verbalneubildungen, die zudem eine Ausdehnung auf andere Stämme erkennen lassen, sind dagegen aus den romanischen Sprachen erschlossen worden; hierzu gehören etwa *fortiare > fr. forcer, *molliare > mouiller, *altiare > hausser, *bassiare > baisser, *excurtiare > afr. escorcier »raccourcir«, *quietiare > afr. coisier »calmer, apaiser«, *frustiare (von frustum »kleines Stück«) > froisser, *captiare > chasser, *tentiare > tancer, *tractiare > tracer, *strictiare > afr. mfr. estrecier »r6tr£cir«. Die zahlreichen Ableitungen, die die Umgangssprache gegenüber der Schriftsprache charakterisieren, haben den Zweck, den Wörtern bei einer zunehmend nachlässiger werdenden Aussprache mehr Substanz zu geben. So erklärt sich, daß im Vulgärlatein ursprüngliche Diminutiva sowie Frequentativa bzw. Intensiva in vielen Fällen an die Stelle ihrer Grundwörter getreten sind. Die erweiterten Formen haben einen stärker individualisierenden Charakter als die ein- oder zweisilbigen Grundwörter und haben damit in der Sprechsprache größere Überlebenschancen. Sie tragen zur Vermeidung lästiger Homonymien bei und kommen schließlich der umgangssprachlichen Tendenz nach mehr Transparenz und Vereinfachung in der Nominal- und Verbalflexion entgegen. 3. Neben den semantischen und morphologischen Entwicklungen von im Latein bereits vorhandenen Elementen, wie wir sie unter den ersten beiden Punkten kennengelernt haben, weist die spätlateinische Umgangssprache auch gänzlich neue Wortschöpfungen auf, für die es also im überlieferten Latein keine oder nur bedingt Anhaltspunkte gibt. In diesem Zusammenhang sind einmal sogenannte onomatopoetische Wortschöpfungen bzw. Expressivwörter zu nennen. Dazu gehören etwa die Verben batare »offenstehen; gähnen« (in Glossen des 8./9. Jh.; > ital. badare, ft. bier) mit der Ableitung bataculare (ibid.; > fr. bäiller) und *toc-

49 care »berühren« (> ital. toccare, fr. toucher), das auf Grund der Lautentwicklung im Französischen relativ alt sein muß (mindestens seit 6. Jh.), sowie das auch erst im 8./9. Jh. belegte sottus »dumm« (> fr. sot), dessen Verbreitung wohl auf das Gebiet der späteren Galloromania beschränkt war, das aber mit anderen Anlautkonsonanten auch in anderen Teilen der Romania auftaucht (vgl. FEW 12,511). Expressive Wortschöpfungen des spätrömischen Sprechlateins dürften ferner sein cloppus > afr. mfr. clop »boiteux« (dazu auch *cloppicare > fr. clocher), *musus (dazu fr. museau), *pittittus > fr. petit, *trippa > ital. trippa, fr. tripe, kat. span. port, tripa. Ein typisch vulgärlateinisches Element ist ferner das Adjektiv bassus. Bassus ist zunächst nur als Beiname römischer Geschlechter belegt; in spätlateinischen Glossen hat es die Bedeutung »fett, dick, untersetzt« und in solchen des 8. Jh. auch die romanische Bedeutung »niedrig«. In der spätlateinischen Umgangssprache ist zu bassus auch noch das Verb *bassiare gebildet worden, das wie sein Grundwort in fast allen romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) anzutreffen ist. Eine spätlateinische Neuerung ist auch ein ab oculis, das zum ersten Mal im 5./6. Jh. belegt ist und dem fr. aveugle zugrunde liegt. Ein vlat. *traginare »schleppen« (zu trahere, vgl. tragula »Schleife«) wird vorausgesetzt von ital. trainare, aprov. kat. traginar, fr. trainer. Sprechlateinische Varianten liegen vor in *abismus (statt kirchenlat. abyssus < gr.) > fr. abime, *blastemare (statt kirchenlat. blasphemare) > ft. blämer, *pasmare (statt lat. spasmare) > fr. pämer. Schließlich könnte man noch spätlateinische Entlehnungen aus dem Griechischen erwähnen wie etwa buttis »Faß«, ballare »tanzen«, *bastare »heben, tragen« (davon abgeleitet *bastum »Trage«), die alle im Romanischen fortleben. Aus anderen Sprachen sind übernommen (aus dem Gallischen bzw. durch gallische Vermittlung) *baccus > fr. bac, *rocca > fr. röche, *traucum (traugum 8. Jh.) > fr. trou. Wie an Hand von einigen Beispielen gezeigt wurde, weist der Wortschatz der spätlateinischen Umgangssprache eine ganze Reihe von Besonderheiten auf, die dazu beitragen, daß er sich von dem der Schrift- bzw. Literatursprache trotz der nicht zu übersehenden Gemeinsamkeiten erheblich unterscheidet. Im übrigen - und das ist ein weiteres Charakteristikum sind wir nur recht unvollkommen über den Zustand des vulgärlateinischen Wortschatzes orientiert, weil wir es hier mit einer vorzugsweise gesprochenen Sprache zu tun haben, was man nicht oft genug wiederholen kann. Unsere Kenntnis des Vulgärlateins wäre noch lückenhafter, wenn wir nicht vieles aus den romanischen Sprachen erschließen könnten. Eine romanische Etymologie ohne ein Rekonstruieren vulgärlateinischer Basen aus den romanischen Sprachen ist im Grunde nicht vorstellbar. So hat man, seitdem man die Lautentwicklungsgesetze der romanischen Sprachen erkannt hatte, vulgärlateinische Vorlagen auf Grund romanischer Wortformen erschließen können, sofern die Umstände auf eine Existenz im Spätlateinischen hindeuteten. Bereits Fr.Diez hat diese Rekonstruktion umgangssprachlicher Elemente im Etymologischen Wörterbuch der romanischen Sprachen praktiziert. G.Gröber hat zwischen 1884 und 1889 mehrere im Archiv für lateinische Lexikographie publizierte Artikel der Erschließung vulgärlateinischer Etyma aus romanischem Wortgut gewidmet, von denen einige im nachhinein tatsächlich in lateinischen Texten entdeckt worden sind, so etwa abbreviare oder ab oculis. Die Anwendung dieser Rekonstruktionsmethode hat nichts Auffälliges oder gar Außergewöhnliches an sich, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, daß das den romanischen Sprachen zugrundeliegende Vulgärlatein eine gesprochene Umgangssprache war, die nur bruchstückartig überliefert ist. Andererseits ist es naheliegend, sofern man es mit dem vulgärlateinischen Ursprung der romanischen Sprachen ernst meint, daß man zunächst die sich aus dem Vulgärlatein selbst ergebenden Erklärungsmöglichkeiten ausschöpft, bevor man

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etwa nach stratsprachlichen Interpretationen Ausschau hält. In neuerer Zeit haben H.Meier und seine Schüler in ihren etymologischen Arbeiten wieder vermehrt auf das Vulgärlatein rekurriert. Bei der massiven Rekonstruktion vulgärlateinischer Ansätze, wie wir sie in diesen Arbeiten antreffen, kann man sich in etlichen Fällen fragen, ob diese postulierten Etyma alle tatsächlich schon in der spätlateinischen Umgangssprache existiert haben oder ob sie nicht vielmehr als vulgärlateinische Transpositionen romanischer Wortbildungen zu verstehen sind. In den etymologischen Arbeiten aus dem Umkreis von H.Meier wird auch immer wieder versucht, stratsprachliche Etymologien durch vulgärlateinische Ansätze zu ersetzen. Eine solche Infragestellung überkommener keltischer und germanischer Etymologien ist im Interesse der wissenschaftlichen Diskussion nicht um jeden Preis abzulehnen. Welche Erklärung den Vorzug verdient, kann sich nur aus der eingehenden Beschäftigung mit den Einzelfällen selbst ergeben, wobei letztlich der mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeitsgrad des jeweiligen Vorschlages entscheidend ist. Dabei ist keineswegs sicher, ob sich in den Fällen, wo gegensätzliche Erklärungen vorliegen, eine Entscheidung treffen lassen wird, da wir uns mit dem Vulgärlatein wie mit dem stratsprachlichen Einfluß in einer überlieferungsgeschichtlichen Dunkelzone befinden, die ihre Geheimnisse nur in Ausnahmefällen preisgibt. Aber auch für die neuerdings im Vulgärlateinischen angesiedelten Etymologien muß gelten, daß sie die wortgeschichtlichen Daten respektieren. Dies scheint uns nicht der Fall zu sein bei braise, das auf ein schon in spätlateinischen Glossen belegtes brasa »glühende Kohlen, Glut« zurückgeht. Dieses brasa, das in großen Teilen der Romania fortlebt, wird von H.Meier (ASNS 205, 259ss.) aus einem *perarsa (zu einem spärlich und spät belegten [4.-5. Jh.] perardere »sehr brennen, durchbrennen«) erklärt. Die Frage ist nur, wie sich dieses *perarsa dem Einfluß von perardere hat entziehen können und in kürzester Zeit zu brasa werden konnte, ohne Spuren seiner ursprünglichen Form zu hinterlassen, obwohl alles darauf hindeutet, daß brasa bereits in spätlateinischer Zeit in der Romania weit verbreitet war. Hier bleiben wesentliche Fragen offen, wodurch der Ansatz *perarsa sicher nicht an Glaubwürdigkeit gewinnt. Wir werden also weiterhin annehmen müssen, daß spätlat. brasa ein stratsprachliches Element ist, dessen genaue Herkunft umstritten ist (germanisch bzw. gotisch oder vorlateinisch, s. FEW 15,1,159s.). Auch der Versuch, das seit dem 8. Jh. belegte, aber sicher ältere röcca »Fels« (> fr. röche usw.) aus einem *rupica (zu rüpes »Fels«) herzuleiten (RF 68,17), kann aus lautlichen Gründen nicht überzeugen (vgl. Rohlfs Methodologie 503). Selbst wenn sich bisher keine Anhaltspunkte für einen auf Grund der ursprünglichen Verbreitung (Galloromania, Oberitalien, Katalonien) naheliegenden keltischen Ursprung gefunden haben, werden wir es doch mit einem bodenständigen Wort in dem umschriebenen Gebiet zu tun haben (s. FEW 10,440 s. *rocca). Schließlich darf als sicher gelten, daß ein vorgeschlagenes vlat. *colliginare (in Meier Beiträge 321ss.) angesichts eines spätlat. glen(n)are (6. Jh.) kaum geeignet ist, fr. glaner überzeugender als die bisherige keltische Etymologie zu erklären, womit nicht gesagt sein soll, daß diese in jeder Hinsicht befriedigen kann (vgl. dazu weiter unten S. 53s.). Vulgärlateinische Ansätze, wenn sie stratsprachliche Etymologien ersetzen sollen, erfordern besondere Sorgfalt und können nicht einfach die wortgeschichtlichen Daten des Spätlateins unberücksichtigt lassen. Auch sonst stößt man bei dieser Welle neuer vulgärlateinischer Etymologien auf leichtfertige Ansätze. Ein *peractiare etwa, mit dem man brasser in Bedeutungen wie »remuer, m&anger, troubler, ndgocier en secret« erklären will (in Meier Beiträge 153s.), erweist sich als absolut überflüssig, da die besagten Bedeutungen von jedem Frankophonen als übertragene Verwendung von brasser »(Bier) brauen« empfunden werden, was auch durch den entsprechenden Gebrauch von engl, to brew, d. brauen etwa bestätigt wird. Im

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übrigen kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß ungenügend bekannte Lauterscheinungen (Verlust des Anlautsilben- bzw. Präfixvokals mit nachfolgender Anlautsonorisierung) jetzt bei der Erschließung vulgärlateinischer Ansätze über Gebühr in Anspruch genommen werden.

2.

Die keltischen Elemente

Das Keltische der Gallier gehört zu den vorrömischen Substraten, die in begrenztem Maße d.h. vor allem im Wortschatz - das Latein in den verschiedenen Regionen des Römischen Reiches beeinflußt haben. Der hier im Zusammenhang mit dem Spracheinfluß der Gallier gebrauchte Terminus Substrat bezieht sich auf das (Vulgär)Latein als das für die romanischen Sprachen wichtigste Stratum, das einige lexikalische Elemente aus dem Gallischen übernommen hat, bevor es dieses verdrängt hat. Damit wird zugleich deutlich, daß kein direkter Kontakt zwischen dem Gallischen und den entstehenden romanischen Sprachen existiert hat und daß ihnen die gallischen Elemente als integrierende Bestandteile des Vulgärlateins vermittelt worden sind. Die keltischen Sprachelemente, die das Latein übernommen hat, stammen im übrigen keineswegs nur aus der Gallia transalpina, der späteren Galloromania. Noch bevor die Römer das transalpine Gallien eroberten, sind sie in Oberitalien, in der Gallia cisalpina, mit den Galliern in Kontakt getreten. Hier befindet sich die erste Quelle für die Wörter keltischen Ursprungs im Lateinischen. Da die gallischen Wörter in den romanischen Sprachen vom (Vulgär)Latein vermittelt worden sind, stellt sich natürlich die Frage nach ihrer Überlieferung im Lateinischen. Nach Dottin 30 finden sich bei römischen Autoren ca. 150 Wörter, die ausdrücklich als gallisch bezeichnet werden; hinzu kommen weitere sechzig, im Lateinischen belegte Wörter, die nach demselben Autor wahrscheinlich ebenfalls gallischen Ursprungs sind. Nur ein Teil dieser Wörter lebt in den romanischen Sprachen fort. Zu diesen gehören die folgenden Wörter, die im Grunde als lateinisches Wortgut eine über die Siedlungsgebiete der Gallier hinausgehende Verbreitung in den romanischen Sprachen gefunden haben: alauda »Lerche« (> afr. aloe, nfir. alouette usw.), beccus »Schnabel« (> ital. becco, afr. bec usw.), bracae »Hose« (> ital. brache, fr. braies usw.), carrus »Wagen« (> ital. carro, fr. char usw.), cervesia »Bier« (> afr. cervoise, span, cerveza usw.). Die Mehrzahl der gallischen Elemente, die sich im Romanischen erhalten haben, lebt jedoch in Gebieten fort, die den festländischen Siedlungsräumen der Kelten in Westeuropa entsprachen (Frankreich, Oberitalien, die nördliche PyrenäenHalbinsel). Der weitaus größte Teil der gallischen Wörter, die sich im Romanischen erhalten haben, ist im übrigen nicht belegt. So sind von den etwas mehr als 300 Etyma, die im FEW mit dem Gallischen in Verbindung gebracht werden, mehr als zwei Drittel erschlossen. Die Wortfamilien, denen man einen gallischen Ursprung zuschreibt, weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf, die man zugleich als Bedingungen für die Ansetzung einer gallischen Etymologie betrachten kann. Wie nicht anders zu erwarten, hängen die meisten Wörter in begrifflicher Hinsicht mit dem ländlichen Lebensraum zusammen; sie bezeichnen Dinge der bäuerlichen Sachkultur, Pflanzen und Tiere, Gegebenheiten aus dem topo- und hydrographischen Bereich usw.. Sofern das Lateinische nicht schon frühzeitig für einen größeren Bekanntheitsgrad gesorgt hat, respektiert die geographische Verbreitung dieser Wörter den schon oben abgesteckten Rahmen, wobei das Vorkommen der einzelnen Bezeichnungen auch auf Teile dieses äußersten Verbreitungsgebietes beschränkt sein kann. In den einschlägigen Artikeln des FEW findet man denn auch häufig den Hinweis auf die geographische Verbrei-

52 tung als Rechtfertigung für die angenommene gallische Herkunft; so heißt es etwa s. *bucco (gall.) »Ziegenbock«: »Die sippe von fr. bouc ist außerhalb des gallorom. noch durch kat. boc (schon im 13. jh.), arag. buco, boque, piem. boch, Arbedo bok vertreten. Diese Verbreitung spricht eher zugunsten einer gallischen etymologie, und in der tat würde dem ir. bocc, kymr. bwch, bret. bouc'h ein gall. *bucco- entsprochen haben, ... Dazu kommt, daß innerhalb der benennungen des kleinviehs mehrere keltische Wörter erhalten sind, besonders für die männlichen tiere,...« (FEW 1,590); s. *osca (vorrom.) »Kerbe«: »Die vorliegende Wortfamilie lebt ziemlich genau auf dem gebiet der ehemaligen gallischen Siedlung, vgl. ausser dem gallorom. [fr. osche »coche, entaille« usw.] noch gen. osca »fuge der bretter«, oscä »(bretter) zusammenfügen«, piem. osca »kerbe«, kat. »scharte«,... , astur, güezca »kerbe«,..., galiz. osca,... Diese Verbreitung weist eindeutig auf gall, ursprung. Am nächsten liegen im kelt. kymr. osg »kerbe«, bret. ask,..., denen ein gall. *osca entsprochen haben kann« (FEW 7,432); s. *sudia (gall.) »russ«: »Die obenstehenden Wörter für »russ« [fr. suie usw.] haben ihre entsprechungen ... in Lecco sciugia, Valsassina suggie, kat. sutge, Valencia suja. Im übrigen herrscht in der Romania lt. FULIGO,... Im gallorom. hat sich dieses nur einen ganz beschränkten räum erobert. Diese geographische Verteilung deutet schon auf gallischen ursprung der sippe von suie. Ihr entsprechen altir. suide »russ«, mir. suithe,...« (FEW 12, 397). Die Annahme einer Herkunft aus dem Gallischen wird auch noch in vielen anderen Fällen durch die Wortgeographie gerechtfertigt (vgl. etwa camminus FEW 2, 147, capanna FEW 2, 246, *cassanus FEW 2, 461, *pott- FEW 9, 261, randa FEW 10, 57, rusca FEW 10, 584). Wie aus den zitierten Textstellen hervorgeht, wird die Annahme einer Herkunft aus dem Gallischen neben der Wortsemantik und der Verbreitung in den romanischen Sprachen auch noch durch die Existenz verwandter Formen in den lebenden keltischen Sprachen gestützt. Finden sich hier Anknüpfungspunkte, gewinnt die Annahme einer gallischen Etymologie zusätzliche Wahrscheinlichkeit. Auch auf den numerischen Aspekt im Zusammenhang mit den gallischen Wörtern soll hier noch einmal hingewiesen werden. Bereits weiter oben war die Rede davon, daß etwas mehr als 300 Wortfamilien, die z.T. über die Grenzen der Galloromania hinausführen, im FEW mit der Sprache der Gallier in Zusammenhang gebracht worden sind. Dies ist die z.Zt. höchste Anzahl gallischer Etyma, die für den Bereich der Galloromania in Anspruch genommen worden sind. Die Zahl der sich auf die gesamte Romania beziehenden altkeltischen Etyma dürfte kaum höher liegen, da Gallien das Kernland der keltischen Besiedlung auf dem westeuropäischen Festland darstellt. Ansonsten ist seit dem 19. Jh. eine ständige Zunahme der für die Galloromania angenommenen gallischen Etymologien zu beobachten. Während A.Brachet in seiner Statistik zur Zusammensetzung der französischen Wortschatzes, die er in der Introduction zu seinem Dictionnaire etymologique de la langue frangaise (1868, p. LXX) gibt, nur 20 Wörter altkeltischen Ursprungs unter den »4.260 mots d'origine populaire« ausmacht, werden im Traite de la formation de la langue frangaise, der dem Dictionnaire general de la langue frangaise (1890ss.) vorangeht, bereits 45 Wörter aufgeführt, die sicher oder sehr wahrscheinlich gallischer Herkunft sind; hinzu kommen noch 47 Wörter, die für A.Thomas möglicherweise aus dem Altkeltischen stammen (vol. I p. Iis.). In Wartburgs Evolution et structure de la langue frangaise (p. 25) ist dagegen schon von 180 aus dem Gallischen stammenden Wörtern die Rede. Wartburgs Bezugsbasis ist jedoch eine andere; er berücksichtigt das durch die Arbeit am FEW ihm vorliegende gesamte Sprachmaterial aus der Galloromania und nicht mehr nur das der französischen Schriftsprache, wie es bei Brächet und im Dictionnaire general der Fall ist. Nach Abschluß der Arbeiten am FEW ist die

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Zahl der Wortfamilien, für die mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit gallischer Ursprung angenommen wird, auf über 300 angewachsen. Dabei konnte sich Wartburg auf die etymologischen Einzeluntersuchungen zu den altkeltisch-romanischen Sprachbeziehungen stützen, die von R.Thurneysen, J.Jud, J.U.Hubschmied, J.Hubschmid und vielen anderen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts vorgelegt worden sind. Im übrigen darf die Zahl der gallischen Etyma nicht als endgültig angesehen werden, d.h. die Rückführung der fraglichen romanischen Wortfamilien ist nicht in jedem einzelnen Fall als unumstößlich zu betrachten. So wird das dem fr. greve zugrundeliegende *grava, das in Wartburgs Evolution et structure de la langue frangaise (p. 28) noch dem Gallischen zugeschrieben wird, im FEW 4,259 mit einer noch älteren Sprachschicht in Verbindung gebracht, oder fr. reche »rude«, das die Evolution et structure de la langue frangaise (p. 25) im Anschluß an REW (1. Aufl.) 7240 noch durch ein gall. *rescos erklärt, wird im FEW 16, 740 auf ein anfrk. *rubisk »rauh« zurückgeführt. Unsicher erscheinen auch verschiedene gallische Etymologien, die auf Grund von vereinzelten Dialektbelegen konstruiert worden sind. Ein lang, bardal »alouette«, das zudem unauffindbar sein soll, wird mit einem in spätlateinischen Glossen mehrmals belegten bardala »Haubenlerche« in Zusammenhang gebracht, das »wohl gallischen ursprungs [ist], obschon im kelt. sichere anknüpfungspunkte fehlen« (FEW 1,253). Dottin 231 verzeichnet bardala dagegen mit der Bedeutung »Rotdrossel«. Schließlich ist das im FEW an gleicher Stelle als Ableitung verzeichnete ang. berluche »alouette lulu« in seinem Verhältnis zu dem nicht nachweisbaren lang, bardal völlig ungeklärt. Unter dem Etymon *tonna (gall.) »Haut« (FEW 13,2,29) wird als einzige romanische Folgeform bgät. tonner v.a. »peler (un arbre)« aufgeführt, und im Kommentar dazu heißt es: »Bgät. tonner ist ein letzter Zeuge dafür, dass gall. *tonna »haut« auch im gallorom. weitergelebt hat«. Für eine solche Annahme fehlen aber bisher noch eindeutige Beweise in Form von älteren Belegen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß wir es bei bgät. tonner »peler (un arbre)« mit der Variante eines anderen weiter verbreiteten und noch zu identifizierenden Verbs zu tun haben. Zweifel an einer gallischen Herkunft gerade auf Grund des unbefriedigenden Belegmaterials sind auch noch in anderen Fällen angebracht (vgl. etwa *briccos FEW 1,522, *derua 1. FEW 3,50, redo FEW 10,180). In all diesen Fällen muß zunächst versucht werden, die Einzelbelege in einen größeren Zusammenhang zu stellen, bevor man daran denken kann, Verbindliches zur etymologischen Frage zu äußern. Im Grunde gilt auch für die Mundartwörter, was für die schriftsprachlichen Bezeichnungen Gültigkeit hat: Eine möglichst erschöpfende Wortgeschichte ist Voraussetzung für eine erfolgversprechende Suche nach der Etymologie, auch wenn die Geschichte der Dialektwörter auf Grund der mangelhaften Überlieferung aus älteren Epochen sich vor allem im Raum entwickelt und nicht auf der Zeitachse wie bei den schriftsprachlichen Bezeichnungen. Der Kreis um H.Meier hat bei seinen Bemühungen, romanische Wortfamilien unsicherer Herkunft vermehrt aus dem Vulgärlatein heraus zu erklären, verschiedentlich versucht, etablierte gallische Etymologien in Frage zu stellen bzw. durch vulgärlateinische Ansätze zu ersetzen. Hier sollen zwei Fälle erwähnt werden. Kl.Weinrich (Fr. glaner und seine Familie in Meier Beiträge 321-341) hat sich noch einmal eingehend mit dem gallischen Ursprung des vor allem in der Galloromania vorkommenden spätlat. glen(n)are befaßt und kommt zum Ergebnis, daß der auf Gamillscheg zurückgehende Ansatz gall. *glenn- »höchst fragwürdig, ja unwahrscheinlich« (S. 333) ist, weil man dieser Wurzel eine Bedeutung (»auflesen, sammeln«) beigelegt hat, die vielmehr den mit di- präfigierten, altirischen Verbalformen eigen ist. Weinrich konstruiert seinerseits gleich zwei vulgärlateinische Ansätze: einen ersten *ge-

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minulare, den er selbst zu Recht wieder fallen läßt, weil er der Hauptbedeutung von glaner »Ähren lesen« nicht Rechnung trägt, und einen zweiten *colliginare (von colligSre), der für Weinrich »eine gegenüber den bisherigen [Erklärungen] beträchtlich realistischere Lösung darstellt« (S. 339). Mag auch ein *colliginare in semantischer Hinsicht eher befriedigen, wenn man an die Verbreitung von colligere in der Bedeutung »ernten« in den romanischen Sprachen denkt, so weckt doch dieser Ansatz in formaler Hinsicht erhebliche Bedenken. Da das angesetzte Verb im Latein nicht belegt ist, müßte es sich um eine relativ späte Wortschöpfung im Gallolatein handeln, die zudem noch den Verlust des Anlautsilbenvokals und die Anlautsonorisierung hätte erfahren müssen, bevor bereits im 6. Jh. das gegenüber seiner angenommenen Basis *colliginare stark veränderte glen(n)are in der Lex Salica erscheint. Daß in so kurzer Zeit eine derart radikale Umgestaltung der Wortkörpers möglich gewesen sein soll, ohne daß der Einfluß von colligere wirksam geworden wäre, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn der Ansatz eines gallischen Etymons für fr. glaner usw. tatsächlich Schwächen aufweist, ist das vulgärlateinische Konstrukt *colliginare kaum geeignet, die Herkunft von glaner überzeugender zu erklären. Fr. creux und seine Wortfamilie werden auf Grund seiner Verbreitung in der Galloromania und in Oberitalien im allgemeinen mit einem gall. *krosu- in Verbindung gebracht, obwohl sich keine überzeugenden Anknüpfungspunkte für diesen Ansatz in den inselkeltischen Sprachen finden lassen. Dies hat P.Gunkel veranlaßt, nach einem lateinischen Etymon für creux/ereuser Ausschau zu halten (Zur Etymologie von fr. creuser! creux in Meier Beiträge 155-159). Er glaubt ein solches im vlat. *corroteare gefunden zu haben, da sich seiner Meinung nach für die Materialien im FEW-Artikel *krosu- »diverse Beziehungen zur Wortfamilie von lat. rota« (S. 155) herstellen lassen. Die Frage ist nur, was dieses *corroteare bedeutet haben soll (zu erwarten wäre ein »(zusammen)rollen«, was aber nicht recht zu »hohl; aushöhlen« passen will). Die Beziehungen zwischen creux!creuser und der Wortfamilie von röta »Rad« begründet Gunkel u.a. damit, daß die Bedeutung »ornifere«, die sich häufig bei den Vertretern der Wortfamilie von rota findet (FEW 10,493; Bedeutungen wie »rigole, petit foss6, ravine« usw. sind sekundäre Entwicklungen), auch mit dem Worttypus creux (FEW 2,1363) ausgedrückt wird. Es wäre aber abwegig, daraus schließen zu wollen, creux/creuser würde letztlich auf eine Verbalableitung von rota zurückgehen. Es handelt sich hier lediglich um eine mehr oder weniger zufällige Synonymie, die sich dadurch erklärt, daß man denselben Sachverhalt von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet bzw. bezeichnet hat. Mit einer Ableitung von rota benannt sieht man in der orniere die RADspur, die Wagenspur, mit creux dagegen die Höhlung, die Vertiefung im Boden. Daß der Worttypus creuse s.f. zur Bezeichnung von Schalen (Nüsse, Eier usw.) und vereinzelt auch ihres Inhalts herangezogen wird, ist bei der Bedeutung von creux nichts Außergewöhnliches und bedarf keiner besonderen Rechtfertigung. Wenn man jedoch wie Gunkel creux/creuser von lat. rota herleiten will, muß man sich eine spezielle Erklärung für diese Verwendung von creuse einfallen lassen: »Semantischer Ausgangspunkt war vielleicht, daß mit einem rotierend schleudernden Gegenstand kernhaltige Früchte aufgeschlagen wurden, wobei der Inhalt heraustrat und die leere zerstörte Schale zurückblieb« (S. 157), auch wenn diese nicht unbedingt überzeugt. Wir vermögen daher auch nicht Gunkels Optimismus zu teilen, wenn er zur semantischen Begründung der von ihm angenommenen Beziehung zwischen creux/creuser und rota schreibt, »daß Verbindungslinien verschiedenster Art von der Wortgruppe um fr. creuser/creux zu Gliedern der Wortfamilie von lat. rota führen« (S. 158). Was die Lautentwicklung von *corroteare > creuser angeht, verweist Gunkel einmal auf Parallelfälle für den Ausfall des Präfix-

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vokals und begnügt sich ansonsten mit der Feststellung: »Ob die Verbindung ρ + ti lautgerecht entwickelt ist, kann nicht mit letzter Sicherheit behauptet werden, da Beispiele fehlen« (S. 158). Wenn man jedoch die Entwicklung von *acütiare > aiguiser und von *appödiare > afr. apoiier, apuiier, nfr. appuyer, *inödiare > afr. enoiier, enuiier, nft. ennuyer berücksichtigt, hätte man eigentlich als Resultat von *corroteare im Französischen *croisery *cruiser erwarten sollen. Schließlich hätte Gunkel auch erklären müssen, weshalb für ihn das Adjektiv creux aus dem Verb creuser entstanden ist, während man bisher zu Recht davon ausgegangen ist, daß das Adjektiv den Kern der Wortfamilie darstellt. Auch in diesem Falle zeigt sich wieder, daß es schwierig ist, eine keineswegs problemlose gallische Etymologie durch einen überzeugenden vulgärlateinischen Ansatz zu ersetzen. Es ist im übrigen abwegig, die Existenz sprachlicher Substrate in Frage stellen zu wollen, für die es eindeutige Zeugnisse gibt (vgl. Rohlfs Methodologie 501). Es kann sich bestenfalls darum handeln, ihre Proportionen genauer zu erfassen. Viele Probleme, die sich im Zusammenhang mit gallischen Etymologien stellen, müssen zwangsläufig ungelöst bleiben, weil das Gallische auf Grund einer unzureichenden Überlieferung nur ungenügend bekannt ist. Es fehlt vor allem an zusammenhängenden Texten für das Gallische. Die zahlreich belegten Personen- und Stammesnamen, die Flur- und Gewässernamen sowie die in ihnen enthaltenen appellativischen Elemente lassen sich in ihrer Bedeutung nicht alle eindeutig bestimmen. Am sichersten hinsichtlich ihrer Verwendung sind noch jene gallischen Wörter, die vom Latein überliefert worden sind. Das schließlich, was mit Hilfe der inselkeltischen Sprachen erschlossen worden ist, kann in der angenommenen Form nur mit gewissen Vorbehalten für das Gallische in Anspruch genommen werden. Auch eine grundsätzliche Frage im Zusammenhang mit der geographischen Verbreitung der altkeltischen Wörter in der Galloromania harrt noch einer eindeutigen Beantwortung. W. von Wartburg hat schon 1953 (L'Articulation linguistique de la Romania) darauf aufmerksam gemacht, daß die Zahl der in der Galloromania regional begrenzt vorkommenden Keltismen in der südlichen Hälfte (Okzit., Frankoprov.) bedeutend höher ist als in der nördlichen Hälfte (Franz.). Wartburg interpretiert diese Verteilung auf seine Weise: »A premiere vue on pourrait penser que ... le Nord a retenu moins de mots gaulois que le Midi. Ce n'est pas moi qui tirerai une pareille conclusion. La proportion d6croissante vers le Nord tient ένΐdemment aux invasions germaniques, qui sont post6rieures ä l'dpoque oü les Gaulois passant au latin, ont incorporä ä celui-ci un certain nombre de leurs mots ä eux. Parmi les mots gallolatins auxquels les Francs ont substitu6 leurs termes ä eux il devait y avoir aussi un certain nombre de mots d'origine gauloise« (p. 33). Es sei dahingestellt, ob dies wirklich die einzig mögliche Erklärung für den vergleichsweise niedrigen Prozentsatz an Keltismen im Norden ist, obwohl man im allgemeinen davon ausgeht, daß die keltische Besiedlung hier stärker als im Süden gewesen ist. Der höhere Prozentsatz gallischer Wörter in der Südhälfte der Galloromania ist im übrigen nicht gleichmäßig innerhalb dieses Raumes verteilt, sondern konzentriert sich in der nordokzitanischen Zone (Auvergne, Limousin) sowie in den frankoprovenzalischen und provenzalischen Alpen, also in klassischen sprachlichen Rückzugsgebieten. Gerade im Süden muß aber auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die für das Gallische in Anspruch genommenen Elemente vorkeltischen Ursprungs (Ligurisch usw.) sind. Diese Unterscheidung gehört mit zu den schwierigsten Problemen, die sich im Zusammenhang mit den keltischen Elementen stellen.

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3.

Die germanischen Elemente

Der Gesamtkomplex der Wortfamilien germanischen Ursprungs ist noch bedeutend umfangreicher als derjenige der keltischen Elemente. In diesem germanischen Wortgut, das in den Sprachen und Mundarten der Galloromania vorkommt, spiegeln sich die vielfältigen Beziehungen wider, die die Galloromania seit dem Ende des römischen Imperiums zu den germanischen Völkern unterhalten hat. Sie setzen ein mit der Niederlassung germanischer Stämme im spätrömischen Gallien, die im Zuge der Völkerwanderung hierher verschlagen worden sind. Diese germanische Landnahme gipfelt in der Schaffung eines fränkischen Merowingerreiches im Norden, das sich bald über das ganze ehemalige Gallien ausdehnte. In der Folge entwickeln sich die Beziehungen Frankreichs zu seinen germanischen Nachbarn im Osten (Niederlande, Deutschland, Schweiz) kontinuierlich, wobei sich deren Einfluß mit unterschiedlicher Intensität in den einzelnen Epochen und auch in verschiedenen Bereichen (Handel, Schiffahrt, Militärwesen, Bergbau usw.) bemerkbar macht. England, das im Mittelalter noch ganz unter dem Kultur- und Spracheinfluß Frankreichs steht, spielt als Lehnwortlieferant des Französischen zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Erst der institutionelle und technisch-industrielle Fortschritt, der sich in England seit dem 17. Jh. vollzieht, führt dazu, daß die angelsächsische Welt eine zunehmende Anziehungskraft auf Frankreich ausübt, die bis heute ungebrochen ist, auch wenn in neuerer Zeit die USA in vielen Domänen den Platz des englischen Mutterlandes eingenommen haben. Einen Eindruck vom Umfang des germanischen Einflusses auf die galloromanischen Idiome verschafft das FEW, das nicht weniger als vier Bände den germanischen Elementen gewidmet hat (Bde 15-18, wobei Bd. 18 speziell den Anglizismen vorbehalten ist). Für die Etymologie ist die Masse der germanischen Elemente von recht unterschiedlichem Interesse. Die jüngeren Lehnwörter, die das Französische seit dem Beginn der Neuzeit aus dem Englischen oder den kontinentalen germanischen Sprachen bezogen hat, geben in der Regel zu keinen etymologischen Problemen Anlaß. Die germanischen Wörter, die in älterer oder neuerer Zeit über die Sprachgrenze in die benachbarten galloromanischen Mundarten eingedrungen sind, interessieren die französische Etymologie im Prinzip nicht oder nur dann, wenn die betreffenden Wörter wie etwa cible (< schweizd. schibe) oder nouille (< südd. nudle) bis ins Französische vorgedrungen sind. Im übrigen stellen die von den Grenzdialekten getätigten Übernahmen aus dem germanischen Adstrat die galloromanische Etymologie vor keine allzu großen Probleme, da ihr Ursprung gezielt gesucht werden kann. Germanische Elemente beider Kategorien - jüngere Entlehnungen des Französischen aus den germanischen Sprachen, dialektale Übernahmen aus dem germanischen Adstrat - sind reichlich vertreten in den Bänden 15-18 des FEW. Anders liegen die Verhältnisse beim germanischen Einfluß in den älteren Sprachphasen. Und hier ist an erster Stelle der Einfluß zu nennen, den die altgermanischen Sprachen auf das Spätlatein ausgeübt haben und für den man den Begriff des Superstrats geprägt hat. Obwohl dieser Terminus wie schon Substrat in Bezug auf das Latein gebraucht wird, bekommen Superstrat und Substrat ihre Bedeutung erst für die romanischen Sprachen und hier speziell im lexikalischen Bereich. Im Rahmen der französischen Sprachgeschichte wird das germanische Superstrat von den Franken repräsentiert, die 486 der Herrschaft des römischen dux Syagrius ein Ende setzten und an ihrer Stelle das Merowingerreich begründeten. Aus der Sprache der merowingischen Franken, dem Westfränkischen, sind in der Zeit ihres Zusammenlebens mit der romanischen Bevölkerung zahlreiche Wörter in das Spätlatein Nord-

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galliens übergegangen, bevor das Westfränkische durch die Romanisierung seiner Sprecher untergegangen ist. Hinzu kommt das Wortgut, das von den Niederfranken über die Sprachgrenzzone im Nordosten seit dem Übergang zum Mittelalter vermittelt worden ist 1 . Eine onomasiologisch geordnete Übersicht über die galloromanischen Wörter, die man auf das Altniederfränkische zurückgeführt hat, findet sich in Gamillschegs Romania Germanica I ( 2 1970) S.253-351 sowie in einer auf das Französische reduzierten Form in Wartburgs Evolution et structure de la langue frangaise p.56-60. Für die germanische Superstratetymologie ist zunächst von Bedeutung , daß das Altniederfränkische nicht in größeren, zusammenhängenden Texten überliefert ist 2 , so daß sich die meisten der für das Französische angenommenen altniederfränkischen Ursprungswörter nicht belegen lassen. Die fehlende schriftliche Überlieferung zwingt zur Erschließung von etymologischen Ansätzen, die aus vergleichbaren Entwicklungsstufen anderer germanischer Sprachen rekonstruiert werden. Damit wird das Altniederfränkische zugleich zu einem Ursprung skomplex in der französischen Etymologie, bei dem wir es mit ähnlichen Problemen und Unwägbarkeiten zu tun haben wie beim Vulgärlatein oder Keltischen. Da ein erschlossenes altniederfränkisches Etymon nicht in jedem Falle die Gewähr gibt, daß das betreffende Wort auch tatsächlich im Altniederfränkischen existiert hat, ist der Gesamtkomplex der Wörter altniederfränkischen Ursprungs von vorneherein mit einem nicht unerheblichen Unsicherheitsfaktor belastet. Der Rückgriff auf das Germanische zur Erklärung französischer Wörter ist im Grunde so alt wie die Geschichte der französischen Etymologie 3 . Schon im 17. Jh. finden sich bei P.Caseneuve und G.Menage zahlreiche germanische Etymologien, die ihrerseits auf niederländische und deutsche Etymologen der ersten Hälfte des 17. Jh. oder gar auf etymologisch interessierte Humanisten des 16. Jh. zurückgehen. Es ist also keineswegs so, daß der germanische Einfluß auf die romanischen Sprachen erst von Fr.Diez entdeckt wurde; vielmehr konnte dieser gerade im etymologischen Bereich auf den Arbeiten der sogenannten vorwissenschaftlichen Phase aufbauen. Ihm kommt aber das Verdienst zu, auf Grund seiner Vertrautheit mit der Germanistik viele germanische Ansätze genauer gefaßt und ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen germanischen Einzelsprachen näher bestimmt zu haben. Bei aller Bedeutung, die Diez den germanischen Elementen in den romanischen Sprachen beigemessen hat, warnt er aber auch bereits vor einer Überschätzung des germanischen Einflusses: »Die Verschiedenheit dieser [i.e. germanischen] Völker musste auch einen verschiedenen Einfluss auf die romana rustica äussern; doch darf er nicht zu hoch angeschlagen, am wenigsten als die Ursache der einzelnen romanischen Sprachen betrachtet werden, wie dies

2

Im FEW und in anderen Quellen wird kein Unterschied zwischen dem Westfränkischen der Merowinger und der Sprache der Niederfranken gemacht, die selbständige, wenn auch nahe miteinander verwandte Dialekte gewesen sind (vgl. W.Jungandreas, Vom Merowingischen zum Französischen. Die Sprache der Franken Chlodwigs in Leuvense Bijdragen. Tijdschrift voor Moderne Philologie 45 [1955], 1-19; 1. Teil des Artikels Bd. 44 [1954], 115-133), da eine Differenzierung allein auf Grund des romanischen Wortmaterials unmöglich ist. Daher wird auch hier in der Folge auf diese Unterscheidung verzichtet und der allgemein übliche Terminus Altniederfränkisch (anfrk.) verwendet. Speziell für das Westfränkische ist eine größere Anzahl von Einzelwörtern in latinisierter Form in der Lex Salica und den Malbergischen Glossen belegt. Eingehend orientiert über diesen Aspekt H.Meier: Zur Geschichte der Erforschung des germanischen Superstratwortschatzes im Romanischen in Sprachliche Interferenz. Festschrift für Werner Betz zum 65. Geburtstag, Tübingen 1977, S.292-334.

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vielfach selbst von romanischen Gelehrten geschehen ist« (Grammatik der romanischen Sprachen, 5 1882 S.50). In der Folge hat der Einfluß des Germanischen auf die romanischen Sprachen vor allem die deutschsprachigen Romanisten immer wieder zur intensiven Beschäftigung mit diesem Thema herausgefordert; hier seien nur erwähnt A.Scheler, Essai linguistique sur les elements germaniques du dictionnaire frangais (1844), E.Mackel, Die germanischen Elemente in der französischen und provenzalischen Sprache (1887), J.Brüch, Der Einfluß der germanischen Sprachen auf das Vulgärlatein (1913). Die Beschäftigung mit dem germanischen Einfluß auf die romanischen Sprachen erlebte in gewisser Weise ihren Höhepunkt in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts. In diese Zeit fällt vor allem die Veröffentlichung von E.Gamillschegs Romania Germanica (3 Bde 1934/36), in der eine Synthese des germanischen Einflusses auf die romanischen Sprachen versucht wird. Etwa gleichzeitig entwickelt sich die enge Zusammenarbeit zwischen W. von Wartburg und dem Leipziger Germanisten Th.Frings, die die germanisch-romanischen Sprachbeziehungen zum Gegenstand hat und die sich etwa in einer ab 1936 in der Zeitschrift für romanische Philologie veröffentlichten Artikelreihe unter dem Titel Französisch und Fränkisch niedergeschlagen hat. Diese Zusammenarbeit führt auch dazu, daß Wartburg der Darstellung der galloromanischen Wortfamilien germanischen Ursprungs eine besondere Abteilung innerhalb des FEW einräumt (Bde 15-18), auch wenn die »Germanen«-Bände erst nach dem Kriege erscheinen. Die intensive Beschäftigung mit den Germanen aus romanistischer Sicht in den dreißiger Jahren, mit der zugleich eine Aufwertung des germanischen Einflusses auf die Geschicke der romanischen Sprachen einhergeht und die gelegentlich Züge einer Germaneneuphorie annimmt, gipfelt in gewisser Weise in der Veröffentlichung von Wartburgs Artikel Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume (in ZrPh 56 [1936], 1-48; in Buchform 1950; die erweiterte französische Ausgabe La fragmentation de la Romania ist von 1967); Wartburg versucht hier u.a. nachzuweisen, daß die Franken bzw. die Burgunder entscheidenden Anteil an der Herausbildung des französischen bzw. frankoprovenzalischen Sprachgebietes gehabt haben. Die zusammenfassende Behandlung der Germanismen in der Romania Germanica und im FEW gestattet jetzt auch, genauere Vorstellungen vom zahlenmäßigen Umfang des germanischen Einflusses auf das Französische und seine Mundarten zu erhalten. Während Gamillscheg in der ersten Auflage der Romania Germanica (Bd.I [1934] S.394) von 520 fränkischen Ausdrücken im galloromanischen Wortschatz spricht (in der 2. Auflage [1970] S.405 sogar von mehr als 600 fränkischen Ausdrücken), werden im FEW Bände 15-17 nur 497 galloromanische Wortfamilien altniederfränkischen Ursprungs behandelt (zum Vergleich erwähnt das REW 3 1936 nur 249 fränkische Etyma und der Petit Robert έά. 1978 339 französische Wörter gleichen Ursprungs). Übrigens hatte schon Fr.Diez (Grammatik der romanischen Sprachen 51882 S.54) von etwa 450 germanischen Wörtern gesprochen, die der Galloromania eigen sind. Nach der Aufwertung der Rolle der Germanen, die in den dreißiger Jahren, aber auch noch später die Studien zum Ursprung der romanischen Sprachen beherrscht hat, folgte eine Phase der kritischen Auseinandersetzung mit dem den Germanen zugeschriebenen Einfluß auf die romanischen Sprachen. Bereits 1936 hatte A.Brun in seinem Aufsatz Linguistique et peuplement. Essai sur la limite entre les pariers d'oil et les pariers d'oc (RLiR 12,165-251) schwerwiegende Bedenken hinsichtlich Wartburgs These geäußert, nach der die Franken die Ausgliederung des französischen Sprachgebietes verursacht hätten. Bruns Artikel, dessen Argumente später wieder aufgenommen wurden, fand jedoch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Vor allem seit Anfang der siebziger Jahre hat man eine ganze Anzahl von germanischen Etymologien einer kritischen Überprüfung unterworfen. H.Meier hat in seinen

Prinzipien der etymologischen Forschung (S.192) eine Liste von französischen Wörtern zusammengestellt, für die man mittlerweile auch eine andere Erklärung vorgeschlagen hat. Selbst wenn in diesen umstrittenen, ursprünglich für das Germanische in Anspruch genommenen Fällen noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, wird man die neuen, nichtgermanischen Erklärungsversuche künftig nicht einfach ignorieren können. Auch Wartburgs Erklärung der französisch-okzitanischen Sprachgrenze durch das fränkische Superstrat stößt jetzt auf offenen Widerspruch. So lehnt etwa B.Müller in seinem Aufsatz La bi-partition linguistique de la France (RLiR 35 [1971], 17-30) Wartburgs These unter Hinweis auf die archäologischen Erkenntnisse ab: »Entre la Seine et la Loire 1'implantation franque fut extremement clairsem6e. Une influence immediate du superstrat sur le galloroman qui aurait marqud la frontifcre en ces lieux, nous semble invraisemblable« (p.19). In der Substanz werden hier die von A.Brun geäußerten Zweifel wieder aufgenommen, der - wie schon erwähnt - bereits 1936 vor einer Überschätzung des Germaneneinflusses auf die sprachliche Entwicklung in der Galloromania gewarnt hatte, wie den folgenden Stellen zu entnehmen ist: »Quelle qu'ait &ιέ la puissance des Francs, ils n'Etaient pas assez nombreux pour occuper tout le territoire qui, de la Belgique, s'Etend jusqu'ä la limite actuelle du proven^al.... pour qu'ils [i.e. les Francs] aient une influence sur le phonetisme de la langue parlie par les peuples conquis, il est ηέcessaire aussi qu'ils soient nombreux« (RLiR 12,176); »... il convient de ne point confondre Etablissements francs et conquete franque« (p.179); »Au milieu du V e sifccle, la limite meridionale de leur extension est marquie par la chaussEe romaine qui joignait Bavay ä Maestricht. Voilä le domaine qu'ils ont effectivement peupld, effectivement colonisö. ... Ce qui suit relive de l'imp&ialisme, et non de la colonisation« (p.179/80); »... le centre de peuplement des Francs Sailens est en Belgique, non en France. Iis ont eu des rois conqu6rants, mais la masse d£jä fixEe est res tie en place. ... II y a eu des Etablissements francs disperses, plus denses au nord de la Somme, beaucoup plus clairsemEs au-delä« (p.184). Im Anschluß an das Erscheinen des ersten Bandes von Gamillschegs Romania Germanica in zweiter Auflage (1970) hat M.Pfister in mehreren Aufsätzen (Die sprachlichen Berührungen zwischen Franken und Galloromanen in ZrPh 88 [1972], 175-193; La repartition geographique des elements franciques en galloroman in RLiR 37 [1973], 126-149; Le superstrat germanique dans les langues romanes in Atti del XIV congresso internazionale di linguistica e filologia romanza 1974 p.49-97) den gegenwärtigen Erkenntnisstand zum germanischen Einfluß auf die romanischen Sprachen in ihrer Entstehungsphase zusammengefaßt. Aus dieser kritischen Synthese sollen hier einige Punkte, soweit sie das fränkische Superstrat und seine Rolle in der französischen Sprachgeschichte bzw. Etymologie betreffen, kurz erwähnt werden. Die Gleichsetzung von französischem Sprachgebiet und fränkischem Siedlungsgebiet, wie sie von Wartburg vorgenommen worden ist, wird auch von Pfister zu Recht abgelehnt: »... la colonisation franque au sud de la Seine a un caractöre sporadique et ... eile doit etre plutöt consid£r6e comme une position d'avant-poste. Une telle position ne saurait gu£re etre ä l'origine d'un clivage linguistique aussi dEcisif que celui qui s'Etablit entre le franijais et l'occitan. Cette fronti&re linguistique affectant la rdgion de la Loire ne s'est pas seulement formte ä l'Epoque des colons francs« (Superstrat 51; vgl. auch Repartition 144) und noch deutlicher: »Les Francs sont aussi peu responsables de la formation de la frontifcre linguistique le long de la Loire que les Burgondes de la constitution du domaine francoproven^al« (Superstrat 95). So hat sich die von A.Brun bereits 1936 vertretene Meinung nach mehr als 30 Jahren doch noch in der romanischen Sprachwissenschaft durchgesetzt und hat damit die ihr gebührende Anerkennung gefunden.

60 Da fränkische Etymologien auf Grund der fehlenden Überlieferung dieser Sprache und der sich daraus ergebenden Zweifel hinsichtlich der effektiven Existenz der konstruierten Ansätze in etlichen Fällen umstritten sind, hat Pfister (Berührungen 185) Kriterien zusammengestellt, die die Entscheidung über die Zulässigkeit eines fränkischen Ansatzes erleichtern sollen: 1. die geographische Verbreitung innerhalb und gegebenenfalls außerhalb der Galloromania, 2. die Berücksichtigung der Wortsemantik, 3. die Existenz von französischen Parallelfällen, die die gleiche Entwicklung aufweisen wie das dem Altniederfränkischen zugeschriebene Wort, 4. die Existenz von Parallelfällen im Germanischen, die den postulierten altniederfränkischen Ansatz stützen können. Auch die Chronologie der romanischen Belege sollte nicht übersehen werden, da deren relativ spätes Auftauchen eine Entlehnung aus dem Altniederfränkischen unwahrscheinlich macht. Ansonsten sollte auch hier als oberster Grundsatz gelten, daß erst nach Ausschöpfung aller Erklärungsmöglichkeiten, die das (Vulgär)Latein bietet, eine Übernahme aus dem fränkischen Superstrat ins Auge gefaßt werden kann, sofern sich dafür tatsächlich Anhaltspunkte finden. Auf den bloßen Verdacht hin oder gar aus einer nicht eingestandenen Vorliebe für die Superstratetymologie heraus sollte heute, wo wir uns einer realistischen Sicht des germanischen Einflusses auf die Herausbildung der romanischen Sprachen nähern, kein fränkisches Etymon mehr konstruiert werden. Die oben erwähnten Grundsätze, die keineswegs neu sind und deren Beachtung an sich selbstverständlich sein sollte, haben nicht verhindert, daß fr. aubain »6tranger ρπνέ du droit de tester et d'höriter« (bis 18. Jh.), donjon, foret auf anfrk. *alibanni »einem andern Bann, Gerichtskreis zugehörig«, *dungjo mit unsicherer Bedeutung (»Wintergemach«?), *forhist »hoher Nadelwald« zurückgeführt worden sind, obwohl eine Erklärung aus dem Vulgärlateinischen - *alibanus, *dominionem, *forestis (< foris + -estis) - überzeugender ist, wie Pfister Berührungen 185ss. deutlich macht. Die Existenz von Kontrollkriterien ist also noch nicht allein Gewähr für sichere Etymologien. Erst aus dem umsichtigen Umgang mit ihnen und dem vorurteilslosen Gegeneinanderabwägen aller, auch der nichtgermanischen Erklärungsmöglichkeiten ergibt sich, welche Lösung den höheren Grad an Wahrscheinlichkeit für sich hat. Auch für die germanischen Etymologien des Französischen - vielleicht gerade für sie - gilt, daß man sich mit dem vorzeitigen Festlegen auf eine bestimmte Erklärung nur zu leicht den Blick für andere, möglicherweise angemessenere Erklärungen verbaut. Noch ein weiterer Punkt aus Pfisters kritischer Synthese soll hier erwähnt werden, da er besondere Bedeutung für die Beurteilung des fränkischen Einflusses auf das Französische und sein Sprachgebiet hat. Pfister Repartition 128ss. unterscheidet auf Grund ihrer geographischen Verbreitung drei verschiedene Kategorien altfränkischer Wörter in der Galloromania: 1. Wörter, die nur im Nordosten in der Sprachgrenzzone (Pikardie, Wallonie, Lothringen) vorkommen (heüpon »gratte-cul«, horbi »essuyer en frottant«, ran »toit ä porcs« usw.), 2. Wörter, die in großen Teilen des französischen Sprachgebietes vorkommen und deren Südgrenze von der Linie Loire-Mündung - Plateau de Langres gebildet wird (houx, osier, hetre usw.), 3. Wörter, die auch im Okzitanischen und z.T. im Italienischen, Katalanischen und Spanischen vorkommen und wohl von den merowingischen und karolingischen Kanzleien verbreitet worden sind; es handelt sich vielfach um Termini der Verwaltung, der Justiz und des Militärwesens (baron, marechal, treve, afr. faide »Fehde« usw.). Gerade die Wörter der zweiten Kategorie, deren Verbreitung nach dem ALF bis zu einer Linie Loire-Mündung - Plateau de Langres reicht, haben im Zusammenhang mit dem Germaneneinfluß in Nordgallien eine wichtige Rolle gespielt. J.Jud, der in zwei Artikeln zu fr. aune »Erle« (< lat. alnus) dessen germanische Herkunft beweisen wollte (ASNS 121

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[1908],76-96 und 124 [1910],83-108; vgl. dazu unten S. 76ss.), hat als erster die geographische Verbreitung von aune und der obenerwähnten Wörter mit der angenommenen Besiedlung Nordfrankreichs durch die Franken in Verbindung gebracht (vor allem ASNS 124,100). Wartburg hat diesen Gedanken in seiner Ausgliederung der romanischen Sprachräume wieder aufgegriffen (in ZrPh 56 [1936],32 und in der Buchausgabe 1950 S.85, wo als weitere Beispiele noch frelon, houe genannt werden) und das Verbreitungsgebiet dieser Wörter mit dem Siedlungsgebiet der Franken in Nordfrankreich gleichgesetzt, womit er zugleich ein weiteres Argument dafür, daß die Franken für die Herausbildung des französischen Sprachgebietes verantwortlich seien, zu haben glaubte. Diese Annahme sollte sich jedoch als ein schwerwiegender Irrtum erweisen. Wenn man einmal davon absieht, daß archäologische Funde für eine starke fränkische Besiedlung südlich von Paris fehlen, kann man sich nur wundern, wie übersehen werden konnte, daß es sich bei den fraglichen Termini um schriftsprachliche Wörter handelt, für deren Verbreitung in den Mundarten des französischen Sprachgebietes der von der Hauptstadt ausgehende Sprachgebrauch gesorgt hat. So stellt Pfister zu Recht fest: »Si on veut caractöriser l'extension g^ographique de cette deuxteme cat^gorie de mots franciques reprösentös par osiere et houx je dirais que cette extension dopend de Γ irradiation du mot en question ä partir du centre linguistique qu'est Paris. Ce qui compte, c'est 1'importance et la frequence du superstrat lexical francique dans la langue £crite propagde de Paris et l'histoire de ce mot comme partie du lexique frangais« (Repartition 144s.). Aus dem verbreiteten Vorkommen von Wörtern fränkischen Ursprungs im französischen Sprachgebiet, sofern sie auch dem schriftsprachlichen Wortschatz angehören, lassen sich also keinerlei Schlüsse hinsichtlich des Siedlungsgebietes der Franken ziehen. Schon gar nicht kann man auf Grund dieser umfassenden Verbreitung in Nordfrankreich annehmen, wie es J.Jud im Falle von aune getan hat, das fragliche Wort müsse fränkischen Ursprungs sein. Wie M.Pfisters kritische Synthese zum germanischen Superstrat zeigt, haben ungenügend abgesicherte Hypothesen gerade im Zusammenhang mit der Erklärung der inneren Gliederung der Galloromania zu Fehleinschätzungen beim Germaneneinfluß auf diesen Teilbereich der Romania geführt. Auch der etymologische Bereich ist davon betroffen. Es wurde schon auf die umfangreiche, von Meier Prinzipien 192 zusammengestellte Liste französischer Wörter germanischen Ursprungs hingewiesen, für die eine andere Erklärung vorgeschlagen worden ist. Selbst wenn die neu vorgeschlagenen Ansätze nicht alle vor der Kritik bestehen sollten, in der Forschung werden sie deshalb doch berücksichtigt werden müssen. Daß darunter durchaus emstzunehmende Erklärungen sind, soll hier an zwei Fällen gezeigt werden, wobei nur auf die wichtigsten Punkte der divergierenden Interpretationen eingegangen werden soll, ansonsten aber auf die jeweils von H.Meier beschriebene Etymologiegeschichte verwiesen wird. Fr. eclater wird im FEW 17,143 auf ein anfrk. *slaitan »spalten« zurückgeführt. Diese Erklärung wirft aber in lautlicher Hinsicht Probleme auf, weil die Entwicklung von ai > α auf frühe Entlehnung, die Erhaltung des t dagegen auf späte hindeutet. Diesem Widerspruch glaubt das FEW beizukommen mit dem Hinweis auf das lange Nebeneinanderleben der germanischen und romanischen Form, und im BW 1968 heißt es ähnlich »La conservation du -t- est due au fait que dans la longue Periode de bilinguisme de l'£poque m^rovingienne la forme germ, et la forme romanisie du mot ont v6cu cote ä cöte«, was eine nicht zu beweisende Behauptung darstellt, die von einer heute nicht mehr zu akzeptierenden Überschätzung der Germanenpräsenz in Nordfrankreich ausgeht. H.Meier (RJ 10 [1959],271-273) schlägt dagegen eine denkbar einfache und auch einleuchtende Erklärung vor, in der er von lat. assula »Splitter, Span« (var. astula, astella) ausgeht. Neben dem von astella abgeleiteten * astellare

62 »spalten, zersplittern, platzen«, das u.a. in afr. asteler »briser, mettre en £clats« (FEW 1,163 s. astella) fortlebt, hat ein gleichbedeutendes *ast(u)lare > *asclare existiert, das in kat. aprov. asclar erhalten ist. Von *asclare ist mit Hilfe des iterativen Verbalsuffixes -attare das Intensivum *asclattare gebildet worden, in dem die Anlautsilbe as- durch häufigeres ex- ersetzt worden ist. Dieses vlat. *exclattare bzw. *esclattare liegt dem fr. eclater, aber auch dem synonymen ital. schiattare zugrunde. Die vulgärlateinische Grundform *esclattare, so stellt H.Meier zusammenfassend fest, »ist eine Schwester von *astellare, so daß die semantische Ähnlichkeit der beiden sich nun durch ihre etymologische Verwandtschaft natürlich erklärt« (S.273). Früh schon hat man für fr. reveche »apre au goüt; violent« einen Zusammenhang mit lat. reversus »umgewendet« hergestellt (Diez), wenn auch über ital. rovescio »verkehrt« (rovesciare »umkehren«), das jedoch auf *reversius (*reversiare) zurückgeht, wie man mittlerweile weiß. Da eine Entlehnung aus dem Italienischen aus chronologischen und semantischen Gründen nicht in Frage kommt, hat Gamillscheg für reveche auf Grund von anord. hrjüfr »uneben, schorfig« ein altniederfränkisches Etymon *hreubisk konstruiert, das auch vom FEW 16,238s. übernommen worden ist. Wenn man einmal von der Tatsache absieht, daß dieser altniederfränkische Ansatz auf einer sehr unsicheren Grundlage steht, muß auch Wartburg widersprochen werden, der Zweifel an dieser Etymologie auf Grund des Fehlens der zu erwartenden maskulinen Form *revois (-iscu) mit dem Hinweis zu begegnen sucht, auch in anderen Fällen habe die ursprünglich feminine Form (louche < lusca) die maskuline (afr. lois < luscu) verdrängt bzw. ersetzt; im Gegensatz zu lois ist aber ein afr. *revois überhaupt nicht belegt. In neuerer Zeit hat H.Meier in Entfaltung 185-191 auf eine Erklärung aufmerksam gemacht, die J.Piel im Zusammenhang mit port, (dial.) rebesgado »vertrackt« usw. geäußert hat. Danach soll fr. reveche wie port, rebesgado auf *reversicus zurückgehen oder das Verbaladjektiv von revecher < *reversicare sein. Nun ist revecher, das im FEW s.hreubisk nicht erwähnt wird, nur ganz vereinzelt und relativ spät belegt (hap. 1. Hälfte 16. Jh., Gdf), so daß das Abhängigkeitsverhältnis eher umgekehrt zu sein scheint (reveche revecher). Aber auch reveche selbst ist vor dem 16. Jh. nur spärlich nachzuweisen (2 Belege aus dem 13. Jh., einer aus dem 15. Jh.), obwohl sein erbwörtlicher Charakter sicher ist. Selbst wenn reveche nicht ein französisches Verbaladjektiv von revecher ist, sondern auf eine entsprechende Form des Vulgärlateins zurückgeht, an seinem Zusammenhang mit lat. *reversicus/*reversicare dürfte kaum zu zweifeln sein. Neben den zahlreichen Wörtern, die sicheren altniederfränkischen Ursprungs sind (epieu, gagner, gant, garder, afr. gaut »Wald«, gazon, afr.mfr. guer(re)don »rdcompense«, gonfanon, mesange, orgueil usw.) gibt es auch eine ganze Anzahl solcher, deren germanische Herkunft unsicher oder umstritten ist und von denen - wie schon erwähnt - H.Meier in Prinzipien 192 mehr als 70 zusammengestellt hat. Aber auch in anderen Fällen, die in der Regel als sicher gelten, ist die altniederfränkische Herkunft keineswegs unumstritten. Als Beispiel möge nur fr. osier »Weide« bzw. älteres osiere dienen. Im FEW 15,1,24s. wird osiere, mit dem ein im 8. Jh. belegtes mlat. auseria in Verbindung steht, auf ein *alisaria als Ableitung von anfrk. *alisa »Erle« zurückgeführt, wobei Wartburg die auffallige Bedeutungsentwicklung, auch wenn sie ihm nicht unproblematisch erscheint, erklären zu können glaubt. Im Prinzip könnte ein *alisaria durchaus hinter dem mlat. * auseria stehen, Meyer-Lübke (ZrPh 33 [1909],432s.) bemerkt aber zu Recht »aber wenn dem so wäre, so müßte dieses au durch die altfranzösische Zeit hindurch bleiben. Statt dessen finden wir im Rosenroman osier, das nur auf aus-, nicht auf alis- zurückgehen kann, wie denn auch die mundartliche Entwicklung auf au,

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nicht auf al weist. Wir kommen also nicht über das au von auseriae hinaus,...«. Auf Grund dieses Sachverhalts folgert Meyer-Lübke weiter: »Der germanische Wortschatz ist uns nun in viel weiterem Umfange bekannt als der gallische, so daß, wenn dieses aus- in keinem der germanischen Dialekte zu finden ist, die Wahrscheinlichkeit, daß es überhaupt nicht germanisch war, viel größer ist, ...« und kommt zum Schluß: »Ich würde also *ausaria eher für gallisch, als für fränkisch halten«. Die unsicheren Etymologien finden sich aber nicht nur unter den Germanismen altniederfränkischen Ursprungs, sondern auch unter denen, die etwa aus dem Altnordischen oder dem Burgundischen übernommen sein sollen. So warnt P.Guiraud in Dictionnaire des etymologies obscures »L'origine normande d'un mot ne suffit pas pour le d6cr6ter scandinave; c'est une prösomption, mais tout ä fait insuffisante« (p.26), und M.Pfister in Superstrat 8Iss. macht deutlich, daß die von Wartburg zusammengestellte Liste von vermeintlichen Burgundismen, die 76 frankoprovenzalische Wortfamilien umfaßt, in jedem Falle erheblich zu reduzieren ist. Auch wenn hier der Platz fehlt, um auf weitere umstrittene germanische Etymologien einzugehen, soll doch zumindest auf einige allgemeine Schwächen hingewiesen werden, auf die man bei der Beschäftigung mit den Germanen-Bänden 15-17 des FEW stößt. So begegnen einem immer wieder Artikel, in denen ein altgermanisches Etymon allein auf Grund von wenigen Mundartbelegen und ohne die Existenz älterer Zeugnisse angesetzt wird. Etwa unter anord. blika »schillern« (FEW 15,1,161) und anord. *blinga »blinzeln« (FEW 15,1,162) werden lokal bzw. regional begrenzte Formenvarianten des verbreitet vorkommenden Verbs bicler/bigler »loucher usw.« verzeichnet, ohne daß dieser Zusammenhang erkannt worden ist (s. VR 29 [1970],78-81). Selbst für mundartliche Einzelbelege werden spezielle Etyma angesetzt, obwohl gerade in diesen Fällen größte Vorsicht beim Etymologisieren geboten ist. Der Grund für diese Vereinzelung der Belege ist in der Regel eine unvollständige Dokumentation oder ein nicht erkannter Zusammenhang mit einem verbreiteteren Formentypus. So wird FEW 15,1,108 s. ndl. bikken »picken« das ausdrücklich als Ableitung bezeichnete Borain bikiot »objet de petites dimensions, pointu ou en saillie« aufgeführt, das diesem zugrundeliegende Verb bikie (biquer) »pointer, faire saillie«, das in derselben Quelle (P.Ruelle, Le vocabulaire professionnel du houilleur borain, 1953), aber auch sonst für das Pikardische (Rouchi, Artois, Toumai) belegt ist, fehlt dagegen. Daß vor dem eigentlichen Etymologisieren immer erst die Identifizierung des lexikalischen Archetypus stehen muß, zeigt uns St-Pol blit »individu mou, indolent, faindant«, für das im FEW 15,1,161 als Etymon fläm. blijde »fröhlich« angesetzt wird, obwohl dieses blit nichts anderes als das auch im Französischen lange übliche belitre (belitre) »t. injurieux däsignant un homme de rien« ist, das nach FEW 15,1,100 auf mhd. betelaere »Bettler« zurückgehen soll. Daß die Ansetzung germanischer Etyma nicht immer mit der nötigen Umsicht erfolgt ist, läßt sich auch dem Artikel mndl. micken »aufmerksam betrachten« (FEW 16,557) entnehmen; sub 1 findet sich hier als einziger Beleg Bayeux miquer »ajuster«, das »wohl auf dem Seewege« vermittelt worden sein soll, und s. 2 ein in der Franche-Comti häufig vorkommender Typus miguer »lorgner, guetter, loucher usw.«, zu dessen Verbindung mit mndl. micken es heißt »wohl zur zeit der politischen Zusammengehörigkeit der beiden Burgund mit den Niederlanden [eingedrungen]«. Wenn man bedenkt, daß es keinerlei Anhaltspunkte für die angenommene Verbindung gibt und auch alte Belege fehlen, kann man nur schließen, daß dieser germanische Ansatz auf reiner Spekulation beruht. Der Verdacht liegt nahe, daß lediglich die formale Ähnlichkeit zwischen den galloromanischen Mundartformen und dem mndl. micken Anlaß für diese germanische Etymologie gewesen ist, die dann nachträglich mit eher

64 dürftigen Gründen gerechtfertigt worden ist. Wenn nicht alles täuscht, handelt es sich bei miquer wie bei miguer um Expressivwörter, also um romanische Wortschöpfungen, die zudem jüngeren Datums sein dürften (zu einer weitergehenden Interpretation des Typus miguer vgl. Romania historica et Romania hodierna. Festschrift für O. Deutschmann 1982 S.156S.) 1 . Wie hier an einigen Beispielen zu zeigen versucht wurde, ist eine ganze Anzahl germanischer Etymologien im galloromanischen Bereich nicht genügend abgesichert, weil sie vermeidbare Schwächen aufweisen. Danach sind Einzelbelege fast immer suspekt und deuten darauf hin, daß wir es mit einer unzureichenden Dokumentation zu tun haben. Durch die ungenügende Auswertung der Quellen bleiben aber nicht nur ergänzende Materialien, sondern auch mögliche Anregungen für etymologische Erklärungen unberücksichtigt. Gerade das Fehlen älterer und alter Belege muß zu denken geben, wenn es um die Ansetzung altgermanischer Etymologien geht. Schließlich muß immer mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß es sich bei isoliert vorkommenden Belegen um Formenvarianten eines weiter verbreiteten Bezeichnungstypus handelt. Hinzu kommt ferner, daß oft genug eine eindeutige Motivierung der angenommenen germanischen Herkunft fehlt, d.h. es werden keine überzeugenden Gründe dafür gegeben, daß die betreffenden romanischen Wörter auch tatsächlich aus den germanischen Sprachen entlehnt worden sind. In der Regel begnügt man sich mit einer recht vordergründigen Motivierung, die in der Auffindung eines form- und gegebenenfalls bedeutungsverwandten Germanismus besteht und einer ad-hoc-Erklärung, mit der die angenommene Verbindung gerechtfertigt werden soll. Im übrigen kann aus dem Vorkommen einer Bezeichnung in der Nähe der germanisch-romanischen Sprachgrenze - etwa im Pikardischen oder Wallonischen - nicht automatisch geschlossen werden, daß der Ursprung des Terminus jenseits der Sprachgrenze im Germanischen zu suchen ist. Als Fazit unserer überblickartigen Beschäftigung mit den germanischen Elementen im Französischen und seinen Dialekten darf gelten, daß zahlreiche germanische Etyma, mit denen man heute noch in der französischen Etymologie rechnet, nicht ausreichend gesichert sind. Nachdem die Germaneneuphorie der dreißiger Jahre einer realistischeren Einschätzung des Germaneneinflusses auf die Herausbildung der galloromanischen Sprachen gewichen ist, wird auch manche germanische Etymologie zu überdenken sein. Auf jeden Fall bieten die Germanismen, die man als einen, wenn nicht sogar als den Problembereich der französischen Etymologie betrachten muß, den Etymologen auch in Zukunft noch ausreichend Gelegenheit zur Betätigung.

Ähnliche Fälle, für die man ohne zwingende Gründe germanische Herkunft angenommen hat, deren Ursprung aber offensichtlich im Romanischen selbst zu suchen ist, werden uns noch im folgenden, der romanischen Wortschöpfung gewidmeten Kapitel beschäftigen.

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4.

Die romanische Wortschöpfung

In einer Übersicht über die Quellen des französischen Wortmaterials darf eine Behandlung der Bezeichnungen, die erst im Verlaufe der romanischen Sprachentwicklung entstanden sind, nicht fehlen. Hat man bis in die jüngste Vergangenheit die Präsenz des Germanischen und speziell des Altniederfränkischen im Französischen und seinen Dialekten überschätzt, so ist die Rolle der romanischen Wortschöpfung in der französischen Etymologie lange Zeit hindurch eher unterbewertet worden. Die Etymologie des 19. Jh. hatte die Bedeutung der romanischen Wortschöpfung noch nicht erkannt, sondern suchte den Ursprung des französischen Wortschatzes einseitig im Latein bzw. Vulgärlatein sowie im Keltischen und Germanischen. Erst mit dem Aufkommen der Dialektforschung an der Wende vom 19. zum 20. Jh. fand auch die romanische Wortschöpfung die ihr gebührende Aufmerksamkeit in der französischen Etymologie. Nach J.Gillteron hat sich L.Sainöan als einer der aktivsten Verfechter der romanischen Wortschöpfung im französischen bzw. galloromanischen Bereich erwiesen. Er ist den bis dahin vernachlässigten Quellen des französischen Wortschatzes nachgegangen und hat vor allem die Beziehungen zwischen den Mundarten bzw. Gruppensprachen einerseits und der Standardsprache andererseits aufgedeckt. Dabei hat Sainian auch Alternativen zu etlichen stratsprachlichen Etymologien vorgeschlagen, die jedoch meistens auf heftige Ablehnung bei den Vertretern der herkömmlichen Etymologie gestoßen sind. Seine 1925/ 30 publizierten Sources indigenes de 1' etymologie frangaise stellen eine Art Synthese seiner Forschungen auf dem Gebiet der romanischen Wortschöpfung dar. In der Folge haben sich vor allem L.Spitzer und P. Guiraud für eine stärkere Berücksichtigung dieses Erklärungsprinzips eingesetzt. Im Rahmen dieses Überblicks über die Problembereiche der französischen Etymologie soll unter der Rubrik Romanische Wortschöpfung einmal auf die onomatopoetischen Wortbildungen bzw. Expressivwörter eingegangen werden, sodann werden uns in etymologischer Sicht die Beziehungen beschäftigen, die der französische Wortschatz zu Gruppensprachen und Mundarten unterhält. Die romanische Wortschöpfung ist im Französischen einmal durch eine Anzahl onomatopoetischer oder lautmalender Wortbildungen vertreten, also durch Wörter, die Natur- oder natürliche Laute annäherungsweise wiederzugeben versuchen. Onomatopoetica, zu denen im Französischen etwa miauler, ronronner, cri-cri, glouglou, couac, crincrin, tic-tac gehören, sind in ihrer Wortstruktur transparent und geben auch in etymologischer Hinsicht zu keinen Problemen Anlaß. Onomatopoetischen Charakter haben ferner all jene Verben, die wie chopper, choquer, craquer das mit einer bestimmten Handlung verbundene Geräusch erfassen. Während in den onomatopoetischen Bildungen in begrenztem Maße noch eine Motivation des Wortkörpers vorliegt, ist dies in den Expressivwörtern (Affektwörter) nicht mehr der Fall; zu diesen gehören etwa chiper, clamser, zigouiller, aber auch das schon weiter oben zitierte dialektale miguer/miquer. Hier hat die Lautfolge, die mit einem bestimmten Begriff in Verbindung gebracht wird, eine mehr illustrative als imitative Funktion. Da die Verbindung, die ein Begriff hier mit einer bestimmten Lautfolge eingeht, letztlich das Resultat einer kollektiven Vorstellung ist und damit einer Konvention gleichkommt, hat das sprachliche Zeichen hier wieder ganz seinen arbiträren Charakter. Es verwundert daher nicht, daß zahlreiche Expressivwörter zu etymologischen Problemen Anlaß geben, von denen einige im folgenden zur Sprache kommen sollen.

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Das laut FEW 16,589 seit der ersten Hälfte des 17. Jh. belegte micmac »fam., intrigue, agissements suspects«, das nach dem TLF auch schon Anfang des 16. Jh. erscheint (micquemacque), hat alles von einem umgangssprachlichen Expressivwort an sich. Das Reduplikationskompositum mit teilweise identischen Konstituenten ist ein typisches Wortbildungsmodell der volkstümlichen Umgangssprache (vgl. flic-flac, fric-frac, ric-rac; auch d. Fickfack, Hickhack)·, mit micmac soll auf anschauliche Weise das Hin und Her von undurchsichtigen, dubiosen Machenschaften zum Ausdruck gebracht werden. Im FEW 16,589 wird in Anlehnung an A.Thomas fr. micmac »intrigue« mit einem vor allem im französischen Flandern vorkommenden mfr. meutemacre (meutemaque) m. »mutin, sdditieux« bzw. meutemacre (mutemacque) f. »Erneute« (alle 15. Jh.) in Verbindung gebracht, das seinerseits auf ein mndl. muytemaker »Aufrührer« zurückgeht. Sicher lassen sich keine Zweifel hegen am Zusammenhang von mfr. (aflandr.) meutemacre mit mndl. muytemaker. Zweifelhaft ist dagegen, ob micmac etwas mit mfr. meutemacre usw. zu tun hat. Für Wartburg ist micmac aus meutemacre in Anlehnung an andere auf i-a ablautende Reduplikationsbildungen umgebildet worden. Für uns besteht dagegen überhaupt kein Zusammenhang zwischen dem aus dem Mittelniederländischen entlehnten meutemacre und micmac, das eine rein französische Wortschöpfung ist. In dieser Überzeugung wird man durch den semantischen Aspekt bestärkt; eine Bedeutungsentwicklung von meutemacre (mutemacque) f. »Erneute« zu micmac m. »intrigue« ist schlechterdings unmöglich, weil ein Aufruhr im Grunde das genaue Gegenteil von heimlichen Machenschaften ist. Das schriftsprachliche und dialektale gribouiller sowie das ausschließlich dialektale grabouiller kommen in mehreren gemeinsamen Bedeutungen vor: so ist die Bedeutung »griffonner«, die dem fr. gribouiller eigen ist, in den Mundarten verbreitet auch für grabouiller belegt; ferner lassen sich die Bedeutungen »gargouiller; remuer; gener, tourmenter; faire mal, sans propretä« für beide Verben feststellen. Die Bedeutung »chatouiller« ist dagegen nur für grabouiller bezeugt. Dennoch lassen sich beide Verben nicht voneinander trennen. Die Vokalvarianz deutet darauf hin, daß wir es mit expressiven Elementen zu tun haben. Im gleichen Sinne ist zu interpretieren, daß mfr. gribouiller in seinem ältesten Beleg als Synonym von gargouiller verwendet wird, das seinerseits ein onomatopoetisches Element ist (FEW 4,58 s. garg-). Daß die Bedeutung »chatouiller« nur der α-Variante eigen ist, erklärt sich dadurch, daß der Stammvokal α Teil des Lauteindrucks ist, der mit der Vorstellung des Kitzeln im Galloromanischen verbunden ist, wie es auch bei chatouiller der Fall ist, das ebenfalls expressiven Ursprung aufweist (FEW 2,510 s. kat-I). Im FEW werden beide Verben voneinander getrennt: grabouiller wird von mndl. crabbelen »aufkratzen« (FEW 16,760) hergeleitet (ein Teil der Belege findet sich jedoch s. mndl. grabben »greifen, wühlen« FEW 16,50) und gribouiller von ndl. kriebelen »jucken« (FEW 16,386). Grund für die Herleitung aus dem Niederländischen dürfte die Tatsache sein, daß zumindest für grabouiller die meisten Belege aus dem Nordosten bzw. Osten des französischen Sprachgebietes stammen, obwohl dieser Typus auch in den westfranzösischen und frankoprovenzalischen Mundarten vorkommt. In der Verbreitung von gribouiller innerhalb der Galloromania spricht dagegen nichts für die Herkunft aus dem Niederländischen. Ferner will die Bedeutung »jucken« des angenommenen Etymons kriebelen überhaupt nicht zu denen von gribouiller passen. Das gleiche gilt übrigens auch für grabouiller, dessen frühe Belege (16./17. Jh.) hinsichtlich ihrer Bedeutung keine Beziehung zu mndl. crabbelen »aufkratzen« erkennen lassen. Da die Annahme der niederländischen Etyma für grabouiller und gribouiller keineswegs zwingend ist, wird man auf Grund des expressiven Charakters der beiden Verben, die sich auch in einer weitgefächerten Bedeutungs-

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Skala äußert, ihrer Erklärung durch Wortschöpfung im Romanischen selbst den Vorzug geben. Auf jeden Fall lassen sich gribouiller und grabouiller angesichts der vorliegenden semantischen Übereinstimmungen nicht voneinander trennen. Auch bei zahlreichen anderen Wörtern, die man gewöhnlich als Entlehnungen aus germanischen Sprachen interpretiert, kann man sich fragen, ob es sich nicht vielmehr um romanische Wortschöpfungen expressiven Ursprungs handelt. Hier soll nur auf fr. gringalet »homme de petite taille, de corps maigre et chötif« und degringoler »tomber de haut en bas en roulant; descendre pr6cipitamment« aufmerksam gemacht werden, die etwa gleichzeitig im 16. Jh. auftreten. Gringalet wird im FEW 16,52 auf schweizd. gränggeli »unansehnlicher Mensch« zurückgeführt, das von schweizerischen Söldnern nach Frankreich gebracht worden sein soll, wofür es jedoch keine Beweise gibt; degringoler soll dagegen letztlich zu mndl. crinc »Rundung, Biegung« gehören und speziell auf mndl. crinkelen »kräuseln« (FEW 16,388) zurückgehen. In beiden Fällen erscheint die Annahme einer Entlehnung aus dem Germanischen als keineswegs zwingend, so daß es sich lohnt, einen anderen Weg zu ihrer Erklärung zu beschreiten. Was gringalet angeht, ist naheliegend, in ihm ein expressives Element gringmit der Bedeutung »klein, schmächtig, schwächlich« zu erkennen, das in gringalet zur Verstärkung des vom Stamm erzeugten Eindrucks zusätzlich mit einem Diminutivsuffix versehen worden ist. Das Element gring- tritt aber auch in Verbindung mit anderen Suffixen auf, und auch hier erscheint die Vorstellung des Kleinen, Schwächlichen, so etwa in fr. gringuenaudes »r6sidus«, Gondc. gregaal f.pl. »menus morceaux (de briques, pierres, etc.)«, kan. gringueux »faible, chötif«, Montb61. grindeile »fille malingre«, wobei die letzten drei Formen im FEW 16,52 sicher zu Unrecht als Rückbildungen von gringalet aufgefaßt werden. Vielmehr ist der Ausgangspunkt für alle erwähnten Wortbildungen der gleiche, nämlich der expressive Stamm gring- in der oben genannten Bedeutung. Da es sich bei gring- um ein expressives Wortelement handelt, das in der Umgangssprache zu spontanen Wortschöpfungen Anlaß gegeben hat, ist davon auszugehen, daß das im FEW-Artikel gränggeli vorliegende Material keineswegs seiner effektiven Verbreitung in den Mundarten entspricht; darauf deutet auch die weite Streuung der Belege hin. Daß sich noch andere Vorstellungen mit dem Stamm gring- verbinden, zeigen argonn. gringole »grelotter« (FEW 16,52), Clairv. gringoler »agiter qch. de sonore, de bruyant« (FEW 16,389), in denen gring- [gre] eine Variante des onomatopoetischen, zur Wiedergabe des Glockenklanges verwendeten drin [dre] (FEW 3,159 s. drin) ist. Ähnlich zu beurteilen ist degringoler. Dabei ist zu beachten, daß noch vor desgringueler (1596), das - keineswegs sicher - für die Pikardie in Anspruch genommen wird und zu der mittelniederländischen Etymologie geführt hat, ein gringoller (champ. 1583) belegt ist, das nicht als Rückbildung von degringoler (BW 1968), sondern als ursprüngliche Form zu verstehen ist. Die Vermutung liegt nahe, daß auch hier der expressive Stamm gring- vorliegt, wobei die begriffliche Verbindung ausgehend von der Grundidee »klein« über »rundlich« zu »herunterrollen, -purzeln« geführt hat (vgl. auch im Deutschen Purzel »kleiner Kerl« neben purzeln), sofern es nicht überhaupt die mit dem Herunterpurzeln verbundenen Geräusche sind, die die Verwendung des Elementes gring- bei dieser expressiven Wortschöpfung ausgelöst haben. Auf jeden Fall ist de- (des-) eine nachträgliche Erweiterung zur Markierung des Ausgangspunktes der Bewegung. Wie die hier näher behandelten Beispiele (micmac, gribouiller, grabouiller, gringalet, degringoler) zeigen, lassen sich französische Wörter, für deren Erklärung man bisher eine Entlehnung aus den germanischen Sprachen in Anspruch genommen hat, durchaus überzeugend auch als romanische Wortschöpfungen expressiver Natur interpretieren. Die Liste sol-

68 eher Fälle ist keineswegs erschöpft, sondern ließe sich ohne weiteres fortsetzen. Es sei hier nur auf das vor allem in der Franche-Comtd und der Westschweiz vorkommende glinglin [gleglS] »le petit doigt, auriculaire« hingewiesen (FEW 16,329), das man mit d. klein (klin) in Verbindung gebracht hat, obwohl es naheliegender ist, in dem umgangssprachlichen Reduplikationskompositum glinglin eine expressive Wortschöpfung zu erblicken, in der glin als Variante des weiter oben behandelten grin(g) »klein« vorliegt. Es ist auch nicht einzusehen, daß für fr. chopper »heurter du pied contre qch.« onomatopoetischer Ursprung angenommen wird (FEW 13,2,346 s. tsopp-), während fr. choquer »heurter« aus dem Germanischen entlehnt sein soll (FEW 17,50 s. mndl. schocken »schaukeln«), auch wenn sich die frühen Belege in der Pikardie konzentrieren. Obwohl das Prinzip der romanischen expressiven Wortschöpfung in der französischen Etymologie keineswegs unbekannt ist und in den Quellenwerken durchaus Berücksichtigung gefunden hat (vgl. etwa in FEW 13,2,345ss. die verschiedenen mit ts- bzw. tS- anlautenden Stämme oder in P.Guirauds Dictionnaire des etymologies obscures die Artikel fli(n)k-/ fla(n)k-,flip-/flap-/flop-,patt-/pott-,pijf-/paff-/pouffusw.), stellt sich gerade im Zusammenhang mit etlichen galloromanischen Wortfamilien vermeintlich germanischer Herkunft die Frage, ob ihr Ursprung nicht vielmehr im Romanischen selbst zu suchen ist. In welchem Umfang dies letztlich der Fall ist, wird erst die zukünftige Einzelforschung zeigen. Auf jeden Fall sollte im Bereich der affektvollen Namengebung in der Umgangssprache und den Mundarten vermehrt mit der Möglichkeit von expressiven Wortschöpfungen gerechnet werden. Die nicht ganz unberechtigte Äußerung Sain6ans »On a octroy6 d'une part au germanique le monopole des creations spontanöes, et d'autre part (...), on lui a attribuö nombre de termes indigenes« (Sources 2,298) sollte jedenfalls zu denken geben. Auch wenn es noch an eindeutig formulierten Kriterien für die Identifizierung expressiver Wortbildungen fehlt, darf doch als sicher gelten, daß sie in der Sprech- bzw. Umgangssprache zu Hause sind und bestimmten, noch näher zu definierenden Begriffsbereichen angehören. Unter chronologischen Gesichtspunkten ist zu sagen, daß die expressiven Wortschöpfungen natürlich im Prinzip in allen Epochen der französischen Sprachgeschichte auftreten können, daß aber von der mittelfranzösischen Periode an vermehrt Texte mit umgangssprachlichen Elementen belegt sind, die eher Aufschluß über Entstehung und ursprüngliche Verwendung der expressiven Wortschöpfungen verschaffen (vgl. etwa H.Lewicka, La langue et le style du theätre comique frangais des XVe etXVIe siecles, 2 vol. 1960,1968). Nachdem wir uns bereits mit der expressiven Wortschöpfung und ihrer Bedeutung für den französischen Wortschatz und damit für die französische Etymologie eingehender beschäftigt haben, soll hier im Zusammenhang kurz auf die Quellen eingegangen werden, die dem Französischen für die Ergänzung und Erneuerung seines Wortschatzes zur Verfügung stehen. Die innersprachliche Wortbildung unter Verwendung von bereits vorhandenem Wortmaterial sowie die Entlehnung, soweit sie ihre Quellen eindeutig zu erkennen gibt, können wir dabei beiseite lassen, da sie die Etymologie nicht berühren. Hier interessieren uns die Quellen, die einer Standardsprache zusätzlich zur Verfügung stehen, um ihren Wortschatz zu erweitern. Hierzu müssen wir uns vergegenwärtigen, daß eine Sprachgemeinschaft gerade in lexikalischer Hinsicht nichts Homogenes ist. Neben der Standard- oder Schriftsprache, die generationsbedingt selbst nicht einheitlich ist, existieren begrenzt gültige Sprachformen - die Sprechweise bestimmter Berufsgruppen oder sozialer Schichten - , die ihre Eigenart vor allem im lexikalischen Bereich manifestieren. Hinzu kommen die Dialekte, die - auch wenn ihr Gebrauch heute erheblich eingeschränkt ist, sofern sie nicht ganz verschwunden sind -

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lange eine Eigenexistenz geführt haben, bevor sie in einer zweiten Phase unter den Einfluß der Nationalsprache geraten sind. Dabei ist zu bedenken, daß das Französische in seinem Geltungsbereich als Standardsprache nicht nur französische Dialekte, sondern auch frankoprovenzalische und okzitanische überlagert hat. Aus diesem vielfältigen sprachlichen Umfeld sind dem Französischen im Verlaufe seiner Geschichte immer wieder Termini zugeflossen, weil die Standardsprache Bezeichnungen für die über ihren engeren Rahmen hinaus bekannt gewordenen regionalen bzw. berufsspezifischen Gegebenheiten brauchte oder weil sie selbst nicht über die nötigen ausdrucksstarken Bezeichnungen verfügte. Ob es nun Wörter aus der Sprechweise der sozialen Unterschicht bzw. bestimmter Berufsgruppen oder aber aus den Mundarten waren, immer handelte es sich um Elemente des gesprochenen Substandards, die man nur in Ausnahmefällen über das 19. Jh. hinaus zurückverfolgen kann, weil man bis zum 18. Jh. der Sprechweise der gesellschaftlichen Unterschichten kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat. Auf die besonderen Verhältnisse bei der Überlieferung von Wörtern, die vorzugsweise der gesprochenen Sprache angehören, ist schon mehrfach hingeweisen worden, so etwa durch A.Meillet »Les termes des metiers et les mots provenant de la langue populaire sont souvent sans histoire« (in BW 1932 p. XVIs.) oder durch P.Guiraud »Comment dater les mots populaires, argotiques, dialectaux qui reinvent d'une tradition essentiellement orale; dont beaucoup η'ont jamais έίέ consignee dans aucun texte ni aucun dictionnaire et ont ιηεηέ une longue et obscure existence avant d'attirer l'attention de quelque icrivain ou amateur du patois local?« (Etymologie 11 Is.). Aus der vielfach ungenügenden Überlieferung der Wörter der gesprochenen Sprache entstehen natürlich auch für ihre Etymologisierung zusätzliche Probleme. So fällt auf, daß der Petit Robert zahlreiche Wörter aus dem Argot und dem frangais populaire bzw. familier zitiert, deren Herkunft ungeklärt ist (»origine inconnue«), etwa bastringue, cabotin, falzar, galipette, gösse, grole »soulier«, guibole, guincher, larbin, loufiat, mastroquet, moche, möme, ringard, rogomme, trouille. Die französische und galloromanische Etymologie ist in der glücklichen Lage, über das FEW zu verfügen, das nicht nur über die Schriftsprache, sondern auch über alle Formen der gesprochenen Sprache umfassend informiert. Aber auch das FEW kann nur registrieren, was zuvor schriftlich fixiert worden ist. Bekanntlich ist aber der gesprochenen Sprache bis zum 18. Jh. wenig Beachtung geschenkt worden; entsprechend spärlich sind denn auch die älteren Zeugnisse für sie. Und diese Überlieferungslücke kann auch das FEW nicht schließen. Immerhin läßt sich auf Grund der Materialfülle, die das FEW für die ganze Galloromania bietet, manches Fehlende rekonstruieren und Verbindungen zwischen den Materialien verschiedener Sprachebenen herstellen. Die Tatsache, daß die ländliche und städtische Volkssprache einen nicht unerheblichen Beitrag zur Bereicherung des standardsprachlichen Wortschatzes geleistet hat und noch leistet, ist sicher keine neue Erkenntnis. Bereits am Ende des vorigen Jahrhunderts hat A.Darmesteter in seinem Traite de la formation de la langue frangaise, der dem Dictionnaire general de la langue frangaise von A.Hatzfeld vorangeht, eine erste ernstzunehmende Systematik zu den Quellen des französischen Wortschatzes erstellt und dabei auch die galloromanischen Dialekte berücksichtigt. Obwohl die Dialektologie am Ende des 19. Jh. noch in den Anfängen steckte und die französische Etymologie noch keineswegs alle Dialektalismen im französischen Wortschatz erkannt hatte, konnte Darmesteter schon 372 okzitanische Wörter, 221 Wörter aus französischen Dialekten und 21 aus frankoprovenzalischen Dialekten im Französischen feststellen. In der Folge hat sich L.Sain6an in den Sources indigenes de l'etymologie frangaise (1925/30), aber auch in anderen Werken eingehend mit der Rolle befaßt, die die Dialekte und der städtische Substandard bei der Konstituierung und Aktualisie-

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rung des französischen Wortschatzes spielen. In neuerer Zeit hat K.Baldinger in einem grundlegenden Artikel mit dem Titel Contribution ä une histoire des provincialismes dans la langue frangaise (in RLiR 21 [1957] ,62-86) noch einmal auf die Bedeutung des Beitrages der galloromanischen Dialekte für den französischen Wortschatz hingewiesen und bei der Gelegenheit »une histoire syst6matique des mouvements lexicaux ä l'int6rieur du pays« (p.85) gefordert. In der Folge hat Baldinger selbst einen ersten Beitrag zu der umfasssenden Geschichte der lexikalischen Bewegungen innerhalb des Geltungsbereichs der französischen Schriftsprache geliefert (Les mots lyonnais et francoprovengaux en frangais in Melanges de linguistique et de philologie romanes ojferts ά Pierre Gardette, 1966, p.59-80). Aber auch K.Gebhardt hat in zwei Arbeiten Baldingers Anregung aufgegriffen und auf der Grundlage des FEW die Präsenz des Okzitanischen und des Frankoprovenzalischen im französischen Wortschatz im Zusammenhang darzustellen versucht (Das okzitanische Lehngut im Französischen, 1974; Les francoprovengalismes de la langue frangaise in RLiR 38 [1974],182-197). Auch P.Guiraud hat in seinen Patois et dialectes frangais (l r e 6d. 1968) einige Seiten dem Vorkommen dialektaler Elemente im französischen Wortschatz gewidmet (chap. IV Les mots dialectaux p.95ss.). Er macht darauf aufmerksam, daß bis zur Mitte des 19. Jh. viele Dialektalismen zur Bezeichnung regionaler Gegebenheiten (Handwerk, Landwirtschaft, Wohn- und Eßkultur usw.) in den standardsprachlichen Wortschatz Eingang gefunden haben, während nach diesem Zeitpunkt mundartliche Termini in der Hauptsache vom Argot und dem frangais populaire übernommen worden sind (p. 101/2). Guiraud betont bei dieser Gelegenheit die engen Beziehungen, die der städtische Substandard zu den Dialekten unterhält; dies wird belegt mit einem begrenzten Korpus von 174 Wörtern des Argot und des frangais populaire/ familier, die dialektalen Ursprungs sind (p. 103/5). Am Ende des Bandes findet sich noch von der dritten Auflage (1978) an eine alphabetische Liste der französischen Wörter dialektaler Herkunft, die Guiraud zuvor als Inventaire des mots frangais d'origine dialectale in den Cahiers de lexicologie 12 (1968),103-123 publiziert hat. Dieses Verzeichnis umfaßt 1.113 Wörter und gibt für jedes Lemma das Datum des Erstbelegs im Französischen sowie die Ursprungsregion (in der ursprünglichen Quelle auch mit dem mutmaßlichen Etymon). Aus den wenigen zitierten Angaben ergibt sich bereits, daß die Dialekte und die verschiedenen städtischen Varietäten der Umgangssprache als Quellen der Standardsprache seit langem bekannt sind, daß aber auch Argot und frangais populaire ihrerseits auf die Mundarten zurückgreifen. Dennoch zeigt sich, daß sich gerade hier ein lohnendes Betätigungsfeld für den Etymologen auftut, da in zahlreichen Einzelfällen die eben angedeuteten Beziehungen noch nicht erkannt worden sind oder eines überzeugenden Beweises harren. In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung P.Guirauds aufschlußreich, die sich auf die dem Argot und dem frangais populaire eigenen Wörter bezieht: »La provenance de ces mots est malheureusement fort mal connue et l'ötude de l'argot constitue certainement une des parties les plus difficiles et les plus en retard de Γ Etymologie. Mutant occupö quelque peu de ces questions, j'ai le sentiment que la majeure partie des mots d'argot - sans doute 80 ä 90% - sont d'origine dialectale« (Patois et dialectes fr. p.105). Hier sollen uns vielmehr Fälle beschäftigen, die der Schriftsprache oder der allgemeinen Umgangssprache angehören und deren Ursprung wohl letztlich in den Mundarten zu suchen sein wird. Dabei werden nicht Wörter zur Sprache kommen, deren Filiation bekannt ist wie etwa das ursprünglich pikardische rescape, das im Anschluß an die Grubenkatastrophe von Coumüres (Pas-de-Calais) im Jahre 1906 vom Französischen übernommen wurde. Hier soll statt dessen auf Wörter hingewiesen werden, die auch heute noch etymologische Problemfälle darstellen oder es zumindest bis vor kurzem gewesen sind.

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An erster Stelle soll hier noch einmal ein Fall erwähnt werden, dessen Etymologie erst in jüngerer Zeit aufgeklärt worden ist. Es handelt sich um fr. bigoudi, das hinsichtlich seiner Herkunft ein Rätsel darstellte, obwohl es erst um die Mitte des 19. Jh. (1852) zum ersten Mal belegt ist. Wenn man einmal von untauglichen Erklärungsversuchen absieht, die das Wort etwa mit bigotere »petit bourrelet destin6 ä rouler la moustache pour la faire friser« (< span. bigotera »id.«, zu bigote »Schnurrbart«) in Zusammenhang gebracht haben, hat erst eine Wortanalyse von bigoudi dazu geführt, daß in ihm ein Okzitanismus erkannt wurde, und zwar ein Kompositum von okzit. bigou(n) »cheville, tige« + di »doigt« (vgl. Verf., Zur Herkunft von fr. bigoudi in VR 44 [1985],259-267). Da di »doigt« besonders häufig in den nordokzitanischen Mundarten (Auvergne usw.) anzutreffen ist, liegt die Vermutung nahe, daß diese okzitanische Wortschöpfung zur Bezeichnung des Lockenwicklers hier entstanden ist, bevor sie vom Französischen übernommen wurde. Die Wortbildung von okzit. bigoudi als Zusammensetzung in der Bedeutung von »tige, cheville en forme de doigt« erklärt sich aus der ursprünglichen Form des Lockenwicklers, die in den frühen Definitionen zum Ausdruck kommt (vgl. etwa »espfece de doigt de gant rembourrd, autour duquel on roule les cheveux pour des papillotes« in J.Humbert, Nouveau glossaire genevois, 1852). Fr. bigoudi erweist sich also letztlich als ein Dialektalismus, dessen okzitanische Herkunft lange Zeit unerkannt geblieben ist. Der Versuch von O.Lurati (VR 47 [1988], 100-102), fr. bigoudi als Entlehnung aus norditalienischen Dialekten zu interpretieren, kann nicht überzeugen, weil die besondere Form des französischen Wortes dabei keine ausreichende Erklärung findet (vgl. dazu VR 49 [1990]). Auch bei anderen Wörtern der französischen Schriftsprache, deren Etymologie nach wie vor nicht aufgeklärt ist, liegt dialektale Herkunft nahe, auch wenn überzeugende Beweise dafür noch fehlen. Relativ sicher dürfte der mundartliche Ursprung von giboulee sein, das 1548 zum ersten Mal belegt ist, obwohl bisher nicht klar ist, aus welchem Dialekt das Französische das Wort übernommen hat. Sainäan (Sources 1,260 s.,4,260) möchte es mit norm, gibouler »bouleverser« in Zusammenhang bringen. Norm, gibouler ist aber nur für das Arrondissement Pont-Audemer (Eure) belegt, und zwar auch in den Bedeutungen »bousculer, gächer, gaspiller«, und existiert hier ebenfalls in der Formenvariante chibouler (Robin). Auch wissen wir nichts über das Alter dieses Verbs, so daß Sain^ans Feststellung »probablement d'origine normande« (Sources 4,260) keineswegs das letzte Wort in dieser Frage ist. Im FEW ist giboulee unter die Materialien unbekannten Ursprungs eingereiht worden (FEW 21,6s.); im übrigen schlägt man hier vor, giboulee mit dem Verb giber in Verbindung zu bringen, das in den Mundarten verbreitet in der Bedeutung »ruer, sauter, etc.« vorkommt und vereinzelt auch schon im Mittelfranzösischen (»lutter; secouer«) belegt ist (vgl. FEW 4,131 s. gib-). Die Verwendung eines Verbs, das eine heftige Bewegung ausdrückt, zur Bezeichnung eines plötzlichen, heftigen Regenschauers wird gerechtfertigt mit dem Hinweis auf analoge Benennungen wie centr. secouee »averse«, Clairv. crölee (=croulee) »id.«, verdch. battrasse »id.«. Auch wenn die Verbindung von giboulee mit dem Verb giber durchaus etwas für sich hat, bleibt die Frage nach der unmittelbaren Herkunft der Bezeichnung, d.h. nach ihrer Ursprungsregion, nach wie vor offen. Noch um einiges unsicherer ist die Etymologie von ft. echouer. Eine Herleitung aus vlat. *excautare (zu cautes »spitzer Felsen, Riff«), die Fr.Diez vorgeschlagen hat, ist mit Recht verworfen worden, da echouer 1559 zum ersten Mal im Französischen belegt ist. Auf Grund des späten Auftretens von echouer in der Schriftsprache liegt die Übernahme aus dem Dialekt einer Küstenregion nahe, nur hat sich aus Mangel an Belegen eine solche Annahme bisher noch nicht bestätigt. Meyer-Lübkes Vermutung (REW 2963), echouer stehe mit echoir

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in Verbindung, hat auf den ersten Blick etwas Verlockendes an sich. Aber weder für den Konjugationswechsel noch für den Bedeutungswandel gibt es im Französischen Anhaltspunkte. Wohl könnte man beide Erscheinungen in den Küstendialekt verlegen, aus dem fr. ichouer stammt, nur ist mit einer solchen Annahme nicht viel gewonnen, da die Belege für eine entsprechende dialektale Entwicklung fehlen (zu den übrigen Erklärungsversuchen vgl. FEW 23,109 und TLF). Auch wenn als sicher gelten kann, daß fr. echouer dialektalen Ursprungs ist, wissen wir nach wie vor nicht, welchem Küstendialekt das Französische dieses Wort verdankt. Auch das etwa gleichzeitig zum ersten Mal (1552) belegte fr. se blottir gibt in etymologischer Hinsicht Rätsel auf. Eine Entlehnung aus ndd. blotten »erdrücken«, wie man sie in allen etymologischen Handbüchern und im FEW 15,1,169 findet, steht auf schwachen Füßen, weil das niederdeutsche Etymon lediglich aus d. blotzen »quetschen« erschlossen ist (TLF) und es auch sonst keine erkennbaren Gründe für die Annahme einer solchen Entlehnung gibt. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß man im Französischen selbst bzw. in seinem sprachlichen Umfeld nach geeigneten Anknüpfungspunkten für blottir gesucht hat. Schon Diez hat in blottir ein *ballottir (von ballot »Ballen«) sehen wollen. Überzeugender sind jedoch andere Erklärungsversuche, die ebenfalls von einem Verlust des unbetonten Anlautsilbenvokals ausgehen und blottir aus *p(e)lotir (zu pelote »boule, masse arrondie d'une substance quelconque«) mit assimilatorischer Sonorisierung des ρ vor l bzw. aus boulotter (zu boule) erklären, wobei der letztere Weg von Meier Onomatopöien 174s. beschritten wird. Aber auch die Beziehungen von blottir zu pelote sind nicht zu übersehen; sie äußern sich in semantischen Übereinstimmungen zwischen blottir (blotter) und peloter (pelotir). So findet PtAud. se blottir (se blotter) »s'agglom£rer, tourner en grumeaux (des liquides)« (FEW 15,1,169) seine Entsprechung in nfr. se peloter »s'assembler de soi-meme en pelotes (neige etc.)« (FEW 8,482 s. pila), Blois blotter »amasser la neige ä ses chaussures« in centr. pelotir »s'attacher aux souliers, aux outils (de la terre grasse)«, Malestr. blotir »contusionner, froisser« in mfr. nfr. plotter »tourmenter, battre, maltraiter«, nfr. peloter; ferner ist Meuse se plottie (= -ir) selbst in der Bedeutung »se blottir« belegt (FEW 8,482). A.Scheler (Dictionnaire d' etymologie frangais 31888) und nach ihm Sainöan Sources 1,11 suchen den Ursprung von se blottir in der Fachterminologie der Falknerei; und zwar soll das Verb von blot, Variante von bloc, abgeleitet sein, das hier seit dem 14. Jh. in der Bedeutung »perche sur laquelle repose l'oiseau de proie« vorkommt (vgl. FEW 15,1,163 s. blok). Ein zusätzliches Argument für diese Herleitung möchte Sainean Sources 1,205 in der folgenden Angabe bei Furetiöre 1701 (nicht 1690!) sehen: »ce mot [se blottir] se dit principalement des perdrix, lorsque, pour se cacher, elles s'abaissent et se ramassent le plus qu'elles peuvent«. Nur handelt es sich hierbei nicht um den einzigen Wortgebrauch, sondern um einen zusätzlichen, speziellen neben der allgemeinen Verwendung in der Bedeutung »s'accroupir«. Gegen eine Entstehung in der Terminologie der Falknerei spricht ferner, daß se blottir in den Fachtraktaten überhaupt nicht in der angenommenen speziellen Verwendung (von Vögeln) vorkommt, sondern in den ersten Belegen des 16. Jh. gleich die allgemeine Bedeutung »s'accroupir« hat. Nach dem bisher Gesagten scheint uns die Herleitung von blottir aus pelote (über ein mfr. *p(e)lotir) am meisten Wahrscheinlichkeit für sich zu haben. Nach wie vor bleibt aber die Frage offen, in welcher Gegend Frankreichs diese Entwicklung vor sich gegangen ist, bevor sie von der Schriftsprache übernommen worden ist. Hier erweist sich einmal mehr die lückenhafte Kenntnis, die wir von den galloromanischen Dialekten des 16.-18. Jh. haben, als Hemmnis. Die Reihe der schriftsprachlichen Bezeichnungen, deren Etymologie nicht oder nicht be-

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friedigend geklärt ist und die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den galloromanischen Dialekten stammen, ließe sich beliebig fortsetzen. Auch wenn hier dafür der Platz fehlt, so soll doch zumindest auf Fälle wie baudruche, bisque, blouse, burgau, canezou, caniveau, se gausser hingewiesen werden, deren Herkunftsproblem nur mit Hilfe der Mundarten gelöst werden kann. Daß die Dialekte - auch in numerischer Hinsicht - eine nicht zu unterschätzende Quelle für den schriftsprachlichen Wortschatz des Französischen darstellen, geht aus den schon weiter oben zitierten Studien (Guiraud usw.) hervor. Sie werden aber auch eine nicht unerhebliche Rolle bei der Aufklärung der noch verbleibenden etymologischen Problemfälle der Standardsprache spielen. Als zusätzliches Wortwahlreservoir stehen der frankophonen Sprachgemeinschaft ferner die verschiedenen Formen der Umgangssprache zur Verfügung, die immer dann bemüht werden, wenn es um die ausdrucksvolle, emotionale Wiedergabe eines Sachverhalts oder Objekts geht. In etymologischer Hinsicht stellen uns die umgangssprachlichen Elemente im ganzen vor größere Probleme als diejenigen des standardsprachlichen Wortschatzes. Die Erstellung einer möglichst erschöpfenden Wortgeschichte als Voraussetzung für die etymologische Erörterung ist nur schwer zu realisieren, weil die Überlieferung vieler Termini des Substandards erst relativ spät einsetzt und selbst dann noch vielfach lückenhaft ist. Zahlreiche volkssprachliche Bezeichnungen sind zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 18. Jh. oder erst im 19. Jh. belegt (etwa arsouille 1792, guincher 1821, roublard 1835, cabot 1837, dingot Ende 19. Jh., ribouldingue Ende 19. Jh., trouille Ende 19. Jh.), was keineswegs in jedem Falle ihrem wirklichen Alter entsprechen muß. Es überrascht daher nicht, wenn nicht wenige der aus Argot oder fransais populaire/familier bekannten Termini wie die hier und schon weiter oben zitierten etymologisch noch nicht eindeutig erklärt worden sind. Diese etymologischen Probleme ergeben sich neben der mangelhaften Überlieferung auch aus den besonderen, der Umgangssprache eigenen Wortbildungsmodellen, die noch nicht alle erkannt worden sind; zu den bekannten gehören etwa die tautologischen Komposita (billevesee, baliverne), die Reduplikationskomposita mit Vokalalternanz (micmac, fric-frac), die Verbalbildung auf -ouiller (tripatouiller, zigouiller) und in neuerer Zeit die Silbenumkehrung vor allem in zweisilbigen Wörtern, das sogenannte vertan (= l'envers·, chebran - brauche, ripou pourri). Weiter oben wurde bereits erwähnt, daß die verschiedenen Formen der städtischen Umgangssprache ihrerseits immer wieder Wortgut aus den ländlichen Mundarten übernommen haben. In dem von P.Guiraud erstellten Inventaire des mots frangais d'origine dialectale, von dem schon weiter oben die Rede war, sind unzählige ursprüngliche Dialektalismen enthalten, die im Argot bzw. im franfais populaire oder familier fortleben; nur einige wenige sollen hier erwähnt werden: bagnole, bagou, baratin, bistouille, cafouiller, chambarder, chambouler, ebourijfe, gouailler, guibole, guimbarde, pognon. Ein aktueller Fall dieser Art ist das umgangssprachliche magouille, das um 1970 auftaucht und neben synonymes manigance, tripotage, combine, cuisine, micmac usw. zur Bezeichnung dubioser Machenschaften tritt (Verf., Zu fr. magouille und anderen umgangssprachlichen Bezeichnungen des Französischen für zweifelhafte Praktiken in Festschrift für Joh.Hubschmid zum 65. Geburtstag, 1982, S.759774). Fr. magouille dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach die übertragene Verwendung eines in den Mundarten des Centre verbreitet vorkommenden margouille »boue, bourbier« (FEW 6,1,320 s. gall, marga) darstellen. Auch die formale Entwicklung von margouille > magouille hat nichts Außergewöhnliches an sich, da bereits Vaugelas den Schwund des silbenauslautenden r in vorkonsonantischer Position bezeugt (abre, mabre, mecredri statt arbre, marbre, mercredi, Remarques sur la langue frangoise, öd. Chassang, Π 147).

74 Die Häufigkeit, mit der man bei relativ jungem Wortgut des Französischen sowie bei Termini des Argot und des fran^ais populaire bzw. familier auf etymologisch ungeklärte oder zumindest unsichere Fällen stößt, macht deutlich, daß der romanischen Wortschöpfung sowie den Beziehungen der Standardsprache zu seinem sprachlichen Umfeld in der französischen Etymologie vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Gerade dieser Bereich stellt ein lohnendes Arbeitsgebiet für den etymologisch interessierten Französisten dar.

Arbeitsanregungen: 1. Bestimmen Sie die Bedeutung der S. 69 erwähnten volkssprachlichen Bezeichnungen (bastringue, cabotin, falzar usw.), und stellen Sie fest, was sich zu ihrer Erklärung in den etymologischen Wörterbüchern findet. 2. Orientieren Sie sich über die Dialektalismen im französischen Wortschatz an Hand der S. 69s. genannten Quellen. 3. Ermitteln Sie, was die etymologischen Wörterbücher zur Erklärung der S. 73 erwähnten französischen Wörter wahrscheinlich dialektalen Ursprungs (baudruche, bisque, blouse usw.) sagen. 4. Bestimmen Sie die Bedeutung der S. 73 genannten volkssprachlichen Wörter (arsouille, guincher usw. bzw. bagnole, bagou usw.), und orientieren Sie sich über ihre etymologische Erklärung an Hand der einschlägigen Quellen.

Einzelfälle

Im folgenden soll die Geschichte einiger ausgewählter französischer Etymologien in großen Zügen dargestellt werden. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich dabei um Etymologien, die lange umstritten waren. Mit diesen Fällen soll gezeigt werden, daß die Geschichte der etymologischen Erkenntnis nicht immer gradlinig verläuft, sondern auch von Fehlentwicklungen und Irrungen geprägt ist, daß in der etymologischen Forschung nicht nur sichere Erkenntnisse eine Rolle spielen, sondern auch ungenügend abgesicherte Hypothesen, die sich teilweise als überaus hartnäckig erwiesen haben. Von H.Meier stammt der Satz: »Die Geschichte der Etymologie ist nicht nur eine Geschichte von Fortschritten, sondern auch eine ihrer Rückschritte« (Zur Geschichte der Erforschung des germanischen Superstratwortschatzes im Romanischen S.312). So gesehen erweisen sich die folgenden etymologischen Kurzmonographien auch und gerade wegen der in ihnen erwähnten Fehlinterpretationen als überaus instruktiv und haben in gewisser Weise einen didaktischen Charakter. Sie warnen vor dem leichtfertigen Umgang mit bestimmten Erklärungsprinzipien und der vorschnellen Festlegung auf eine etymologische Erklärung. Sie mahnen zur Objektivität und zur Beachtung der seit Turgot immer wieder formulierten Grundsätze, die vom Etymologen erwarten, daß er sich gegenüber allen Erklärungsmöglichkeiten offen zeigt bzw. sich mit ihrer Berechtigung auseinandersetzt und daß er der Versuchung widersteht, nur die eigene oder sich zu eigen gemachte Erklärung gelten zu lassen. Die Fälle, die wir zur Illustrierung der etymologischen Irrungen herangezogen haben, stellen naturgemäß eine subjektive Auswahl dar. Wir haben uns für Wörter entschieden, bei denen sich erst in jüngerer Zeit eine überzeugende Erklärung durchgesetzt hat, wobei man z.T. auf Erklärungen zurückgekommen ist, die man bereits im 19. Jh. gegeben hat. Verzichtet wurde dagegen auf die Darstellung der Etymologiegeschichte von trouver, die nach wie vor das Musterbeispiel einer etymologischen Kontroverse ist, da sie bereits oben S. 25s. zusammengefaßt sowie von anderen beschrieben worden ist (vgl. etwa Pfister Einführung 55ss., Kukenheim 119, Iordan 74). Die Fehlleistungen, von denen hier die Rede sein wird, hätten vermieden werden können, wenn man ein paar einfache Grundregeln der etymologischen Forschung beherzigt hätte: »Eine einfache Erklärung [ist] der komplizierten vorzuziehen« (Spitzer Werkstatt 153); »II est naturel de ne pas chercher d'abord loin de soi ce qu'on peut trouver sous sa main« (Turgot Etymologie 6d. Piron p.7); schließlich muß im Zusammenhang mit etymologischen Problemen, die sich in einer romanischen Sprache wie dem Französischen stellen, der Grundsatz gelten, daß erst alle Erklärungsmöglichkeiten, die das (Vulgär)Latein und das Romanische bieten, ausgeschöpft werden sollten, bevor man sein Heil in der Annahme von Entlehnungen oder gar von sub- oder superstratsprachlichen Relikten sucht.

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Fr. aune »Erle« Es mag auf den ersten Blick überraschen, daß fr. aune hier unter den etymologischen Problemfällen aufgeführt wird, obwohl seine Herleitung aus lat. alnus »id.« in lautlicher und begrifflicher Hinsicht keine Schwierigkeiten zu bereiten scheint. So führt Menage 1694 aune kommentarlos auf lat. alnus zurück und die Etymologen des 19. Jh. (Littre, Scheler usw.) verfahren ebenso. Unerwartet wird aune zu Beginn unseres Jahrhunderts in den Strudel etymologischer Diskussionen hineingerissen durch einen Artikel von JJud (Sprachgeographische Untersuchungen III. Aune »Erle« in ASNS 121 [1908],76-96), in dem dieser die lateinische Etymologie von aune in Frage stellt. Unter dem Eindruck der ALF-Karte 74 »aune«, die nördlich einer die südlichen Vogesen mit der Loire-Mündung verbindenden Linie Bezeichnungen vom Typus aune, südlich davon aber solche vom Typus verne/vergne (< gall. *vern-) aufweist, stellt sich für Jud die Frage: »Warum hat das tiefer romanisierte Südfrankreich mit größerer Zähigkeit an der keltischen Bezeichnung der Erle, verne, festgehalten, während die sonst das altgallische Sprachgut besser bewahrenden nördlichen Mundarten den nach allgemeiner Annahme lateinischen Namen alnus > aune übernommen haben?« (S.77). Auf Grund der Tatsache, daß verne auch im Altfranzösischen vereinzelt belegt ist (vgl. FEW 14,300 s. verno-) und gall. *vern- in nordfranzösischen Orts- und Flurnamen verbreitet vorkommt, ergibt sich für Jud: »das gallische Wort lebte einst vom Mittelländischen Meer bis an den Rhein in ganz Gallien, im Norden hat sich eine aw«e-Schicht über die Grundschicht gelegt« (S.84). Da Jud praktisch keine Belege für aune aus der Südhälfte Frankreichs vorlagen, sieht er darin einen Hinweis, daß das Wort aus dem Norden, aus dem Germanischen eingedrungen sein muß. Als Anknüpfungspunkt kommt für ihn das anfrk. *alira »Erle« in Frage, das unter dem Einfluß anderer galloromanischer Baumnamen auf -inus (fraxinus, *cassinus usw.) zu *alinus (> aune) geworden sein soll. So kommt Jud zum Schluß: »Lautlich steht unserer Auffassung kaum ein Bedenken im Wege; vom sprachgeographischen Gesichtspunkte aus verdient sie deswegen den Vorzug, weil nur bei Annahme fränkischer Herkunft die im ganzen auf Nordfrankreich beschränkte Verbreitung und andererseits die Existenz der relativ zahlreichen Ver-Namen im aune-Gebiet verständlich erscheinen« (S.89). Es ist also in erster Linie die geographische Verbreitung von aune gewesen, die Jud veranlaßt hat, seinen Ursprung im Germanischen zu suchen. Eine solche Erklärung birgt aber zugleich auch die Gefahr einer Überbewertung der sprachgeographischen Gegebenheiten in sich, da ein Auftauchen von älteren awne-Belegen vor allem als Toponyme aus dem Süden Frankreichs Juds Hypothese zwangsläufig ins Wanken bringen muß. Aber auch Juds Prämisse enthält Schwachstellen, die nicht übersehen werden dürfen. Einmal ist mittlerweile erwiesen, daß nicht in den französischen Mundarten, sondern in den okzitanischen und frankoprovenzalischen Mundarten des Massif Central und der Alpen sich mehr keltische Elemente bewahrt haben (vgl. Wartburg, L'Articulation linguistique de la Romania in VII Congreso internacional de lingüistica Romänica [Barcelona 7-10 abril de 1953], Barcelona 1955, t.n Actas y memorias pp.23-38, spez.p.32ss.). Zum andern sind Juds Zweifel daran, daß trotz der stärkeren Romanisierung des Südens der Norden eine spezielle lateinische Bezeichnung verwendet, während die okzitanischen Mundarten eine gallische Bezeichnung für den gleichen Begriff bewahrt haben,unbegründet. Pfister Einführung 71 hat bereits auf einen Parallelfall aufmerksam gemacht; so weist fr. moyeu »Radnabe« (< lat. modiolu) neben okzit. bouton (< gall. *butt-) in etwa die gleiche geographische Verbreitung auf wie aune/verne. Auf gleiche Weise stehen sich ein okzit. frpr. bana »corne des animaux« (< gall. *bannom »Horn« FEW

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1,238) und come im französischen Sprachgebiet gegenüber (FEW 2,1191 s. cornu) sowie ferner im Süden Entwicklungen bzw. Ableitungen des wohl kelt. *baccus (neben solchen von *navica) und im Norden in der Hauptsache auge < lat. alveus (vgl. Few 24, 381). Schließlich kann hier auch noch okzit. frpr. bren »Kleie« (< gall. *brenno- »Kleie« FEW 1,513) erwähnt werden, dem im französischen Sprachgebiet bran entspricht, wobei sich dieses der Konkurrenz der französischen Neuerung son (< lat. secundu FEW 17,65) erwehren muß. Als erster hat W.Meyer-Lübke (ZrPh 33 [1909],431-438) sich mit Juds germanischer Etymologie für fr. aune auseinandergesetzt und sie abgelehnt; er kommt zum Schluß, »daß in diesem Falle das Näherliegende [lat. alnus] das Richtige ist und daß die dagegen vorgebrachten Bedenken nicht durchweg stichhaltig, die dafür [für frk. *alira] sprechenden Gründe nicht zwingend genug sind« (S.431). In seiner Erwiderung auf Meyer-Lübkes Artikel bekräftigt Jud (ASNS 124 [1910],83-108) noch einmal seine Meinung und betont vor allem, welche Rolle für ihn dabei die Sprachgeographie gespielt hat: »... während ich ... auf Grund rein sprachgeographischer Überlegung zu meinem Ergebnis gelangt war« (S.96) und »Zusammenfassend muß ich also sagen, daß die fränkische Herkunft von frz. aune aus sprachgeographischen Erwägungen viel wahrscheinlicher als der lat. Ursprung ist...« (S.107s.). In seinen beiden Artikeln zur Etymologie von fr. aune bringt Jud das Verbreitungsgebiet von aune wie das von houx und osier aber auch in Verbindung mit der vermeintlichen Siedlungszone der Franken in Gallien (ASNS 121,90 Anm.2 und 124,100), was später von Wartburg als Argument für seine Hypothese von der Herausbildung des französischen Sprachgebiets unter Einfluß des fränkischen Superstrats verwendet wurde (Ausgliederung 85). An Juds Artikel scheiden sich fortan die etymologischen Geister. Während Wartburg in Band 1 des FEW fr. aune unter Juds altniederfränkischem Ansatz *alira behandelt und später Juds Artikel überschwenglich als klassisch bezeichnet (ZrPh 56 [1936],32; Ausgliederung 85), bleibt Meyer-Lübke bei seiner Ablehnung (»frz. aune aus frk. alira... ist nicht nötig und formell nicht unbedenklich« REW 376 s. alnus) und auch Gamillscheg kann sich nicht entschließen, alnus als Etymon für aune aufzugeben (»*alira für frz. aune ... die unglücklichste Etymologie, die Jud jemals gegeben hat« ZrPh 43 [1923],523; EWFS). Deutliche Kritik an Juds Ansatz übt auch J.Feller (Sur l'etymologie de aune in BTD 7 [1933],50s.): »Phon&iquement, aune repräsente le latin alno- d'une faijon si parfaite que jamais personne n'a doutä de son origine latine avant M.Jud. Pour infirmer cette Etymologie, il faudrait lui en opposer une autre incontestable. L'*alina germanique n'a pas ce caractöre« (p.51). Im übrigen weist Feller auf eine Anzahl vor allem älterer Belege für die Existenz von alnus im Süden Frankreichs hin, so daß von einem Überlieferungsvakuum für alnus südlich einer Linie Südende der Vogesen Loire-Mündung nicht die Rede sein kann. In der Folge sorgte Wartburg bzw. seine Autorität dafür, daß die altniederfränkische Etymologie in die gängigen etymologischen Handwörterbücher Eingang fand. Während Bloch in BW 1932 Juds Ansatz noch mit Skepsis begegnet (»toutefois l'adaptation de *alira en *alinus d'aprüs fraxinus »frene« ... est difficile ä admettre«), ändert Wartburg die Formulierung in BW 1950 zugunsten der fränkischen Etymologie (»aune ne peut gu&re venir du lat. alnus ... Aune reprösente le francique *alisa ou * alira, ...«). Auch in der von J.Dubois und H.Mitterand vorgenommenen Überarbeitung von Dauzats etymologischem Wörterbuch (1971) ist das lateinische Etymon alnus der ursprünglichen Fassung (1938) kommentarlos in das germanische *alira geändert worden, als sei der fränkische Ansatz über jeden Zweifel erhaben. In seinem Beitrag »Erle und aune« zur Wartburg-Festschrift Etymologica von 1958 gibt Th.Frings zu bedenken, daß das Gebiet, aus dem die altniederfränkischen Lehnwörter des Französischen stammen, nur die Form *alisa gekannt

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haben kann und nicht *alira. Dennoch will Frings nicht auf die germanische Etymologie für fr. aune verzichten, zu deren Stützung er alle möglichen Kreuzungen und andere Spekulationen bereithält: »Juds fränkisch-lateinischer Ansatz *alinus aus *alira nach cassinus, fraxinus, carpinus sollte man gelten lassen. Er trat neben alnus, und beide verschmolzen in *al(i)nus aune. *alinus ist im Munde Doppelsprachiger entstanden, alnus, *alisa, *alira, *alinus waren nebeneinander möglich. Wie *alisa, *alira so konnte auch alnus zu *alinus werden. Franken, die Latein sprachen, konnten wie *alisa, *alira auch alnus zu *alinus umbilden und mit -inus die Gemeinschaft der Waldbäume umfassen. *alisa, *alira verschwand gleich *verna, *al(i)nus blieb. Aus den Möglichkeiten der Mischung blieb die eine Form, in der sich am Ende Lateinisches und Fränkisches-Germanisches fanden. Ohne *alira kein aune\ ...« (S.257s.). Jeder weitere Kommentar erübrigt sich hier; dieses Zitat zeigt zur Genüge, daß die altniederfränkische Etymologie für fr. aune endgültig in eine Sackgasse geraten ist. In den Germanen-Bänden des FEW wird fr. aune danach unter dem von Frings korrigierten altniederfränkischen Ansatz *alisa aufgeführt (FEW 15,r,14ss.); im übrigen haben Frings' Konstruktionen auch im Kommentar des Artikels Spuren hinterlassen, obwohl auch schon Bedenken an der germanischen Etymologie laut werden (vgl. Anm. 8 und 10). Nach Wartburgs Tod ist noch einmal massive Kritik an der vermeintlichen germanischen Herkunft von fr. aune geübt worden. Einmal ist dies durch L.Remacle geschehen (Remarques sur /' etymologie du fr. aune in RLiR 36 [1972],305-310), der im Grunde nur von der Kritik (Gamillscheg, Feller) bereits gemachte Einwände wieder in Erinnerung ruft, im übrigen aber sein Erstaunen über die von Frings vermuteten germanisch-romanischen Wortkreuzungen äußert (»Le chassecroisö imaging par Frings est pour le moins dtonnant. Comment savoir s'il r6pond ä la r£alite?« p.309). Etwa gleichzeitig hat M.Pfister noch einmal die Argumente zusammengefaßt, die gegen die altniederfränkische Etymologie sprechen (Repartition 142s.), wobei die wichtigsten schon weiter oben erwähnt worden sind. Dabei hat Pfister auch auf zusätzliche Belege für die (wenn auch nur sporadische) Präsenz von alnus im frankoprovenzalischen und okzitanischen Sprachgebiet hingewiesen; bekanntlich war das scheinbare Fehlen von alnus im Süden Frankreichs für Jud der entscheidende Grund gewesen, die Herkunft von fr. aune im Germanischen zu suchen. Nachdem sich die Erklärung von fr. aune durch ein anfrk. *alisa/ alira endgültig erledigt hat und das schon bei Mdnage erwähnte lat. alnus wieder uneingeschränkt in seine Rechte als Etymon eingesetzt worden ist, könnte man im Grunde zur Tagesordnung übergehen, wenn nicht die etymologischen Handwörterbücher wären, die dem absolut überflüssigen germanischen Ansatz möglicherweise noch ein langes Leben bescheren werden. So ist nur zu hoffen, daß im BW und DauzatDM die Spuren dieser etymologischen Verirrung möglichst bald wieder gelöscht werden. Die Beschäftigung mit der Etymologie von fr. aune hat uns gezeigt, daß es sehr wohl lateinische Wörter gibt, die wie alnus > aune vor allem im Nordteil der Galloromania vorkommen: Damit kann das geographisch beschränkte Vorkommen einer Bezeichnung in Nordfrankreich auch nicht als alleiniges oder entscheidendes Argument für die Annahme einer germanischen Herkunft gebraucht werden. Die Verbreitung von aune nördlich einer Linie südliche Vogesen - Loire-Mündung steht denn auch nicht im Zusammenhang mit einem angenommenen fränkischen Siedlungsgebiet in Nordfrankreich, sondern erklärt sich wie in anderen vergleichbaren Fällen (houx, osier) durch den schriftsprachlichen Status der Bezeichnung, die sich von Paris aus frühzeitig im französischen Sprachgebiet ausgebreitet hat. Die gerade erst entstandene Sprachgeographie hatte Jud in seinem Artikel zu fr. aune verleitet, die geographische Verbreitung der Bezeichnung in ihrer Bedeutung zu überschät-

79 zen. Die sprachgeographischen Gegebenheiten können etwas über das Alter einer Bezeichnung und die Art ihrer Verbreitung aussagen, aber sie dürfen nicht die etymologische Forschung von vorneherein in eine bestimmte Richtung lenken. Der Sprachgeographie kommt im eigentlichen Etymologisierungsprozeß nur eine komplementäre Rolle zu. Wenn ein geeignetes (lateinisches) Etymon vorliegt, das hinsichtlich seiner Laut- und Bedeutungsentwicklung keine Probleme bereitet, besteht keine Veranlassung, allein auf Grund einer einseitigen Interpretation der sprachgeographischen Gegebenheiten eine germanische Herkunft anzunehmen, wie es Jud im Falle von fr. aune »Erle« getan hat.

Fr. son »Kleie« Da die verschiedenen Etymologien, die man bisher zur Erklärung der Herkunft des Wortes vorgeschlagen hat, ausführlich in einem Artikel von H.Lüdtke und G.Colön (Die Etymologie von fr. son »Kleie« in VR 23 [1964],69-84) behandelt worden sind, beschränken wir uns hier auf die Darstellung der wichtigsten Etappen in der Etymologiegeschichte von fr. son »Kleie«. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß die Etymologiegeschichte von son »Kleie« gewisse Parallelen zu derjenigen von aune »Erle« aufweist. Hier wie da hat man nach etlichen Umwegen und Irrungen zu einer ursprünglich vorgeschlagenen lateinischen Etymologie zurückgefunden, hier wie da haben ungenügend abgesicherte Erklärungsversuche mit Hilfe des Germanischen lange die Szene beherrscht. In der etymologischen Literatur bis zum 19. Jh. verdient aus heutiger Sicht nur noch Littr6s Vorschlag Beachtung, fr. son auf lat. secundum zurückzuführen. Litträ stellt diesen Zusammenhang her auf Grund von formalen Übereinstimmungen, die er zwischen son »Kleie« und einigen altfranzösischen Varianten der Präposition selon festgestellt hat. Auf der einen Seite steht für das überaus spärlich und relativ spät belegte fr. son »Kleie« als Erstattestation ein mlat. seonnum (in panem de seonno für 1243), aus dem sich ein afr. seon erschließen läßt, und dann bereits (ab 1393) die moderne Graphie, auf der anderen Seite kommen für die Präposition selon im Altfranzösischen des 12. und 13. Jh. Formen wie seon und son (som) vor, die direkt auf lat. secundum zurückgehen (vgl. FEW 11,385 s. secundus). In einer ganz anderen Richtung sucht J.Jud den Ursprung von ft. son »Kleie« (Sprachgeographische Untersuchungen VI. Frz. son »Kleie« in ASNS 126 [1911],109-145). Er möchte das Wort mit anorm. saon (soon) »r6cusation de personnages proposös comme juge«, einem Terminus der altnormannischen Rechtssprache, in Verbindung bringen, für den er den Ursprung im Altnordischen sucht, und zwar in anord. sök (< *saku) »Anklage, Streit«, das über ein *sakone zu saon geworden sein soll (vgl. dt. Sache in seiner ursprünglichen juristischen Bedeutung). Die Bezeichnung für die als eine Art Ausscheidung verstandene Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit soll nach Jud auf die Kleie als das beim Mahlen gewonnene Nebenprodukt übertragen worden sein. Diese von Jud angenommene Herkunftsfiliation für fr. son »Kleie« wirft mehrere Fragen auf. Bedenklich ist die angenommene Bedeutungsentwicklung zwischen dem angeblichen altnordischen Etymon und dem altnormannischen Rechtsterminus. Noch unwahrscheinlicher erscheint, daß ein lokal und sozial nur begrenzt gebräuchlicher juristischer Ausdruck in der Gemeinsprache zur Bezeichnung der Kleie geworden ist, wobei diese zudem noch früher belegt ist als jener. Auch in formaler Hinsicht erheben sich beträchtliche Bedenken gegen die von Jud erwogene altnordische Herkunft von anorm. saon; in einer Entlehnung aus dem Altnordischen im 10. Jh. hätte das intervokali-

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sehe -k- von *sakone in keinem Falle schwinden können. Juds altnordische Etymologie ist also weit davon entfernt, unproblematisch zu sein. Um die Schwierigkeiten, auf die diese Etymologie stößt, zu umgehen, hat Wartburg im Verein mit V.Günther eine andere Erklärung vorgeschlagen, die ihren Ausgangspunkt aber wiederum im Germanischen hat, jetzt aber ein ags. *seon »* Ausschuß« zugrunde legt (Das angelsächsische Element im französischen Wortschatz in Britannica. Festschriftßr HM.Flasdieck, Heidelberg 1960, S. 113-128; FEW 17,65-67). Dieser etymologische Ansatz kann aber nicht mehr überzeugen als Juds altnordisches Etymon, da er gleich auf mehreren Hypothesen beruht. Danach soll *sSon »*Ausschuß« das substantivierte Partizip Perfekt von ags. sion/sgön »seihen« sein. Weder das Partizip noch seine Substantivierung ist jedoch belegt; es ist lediglich erschlossen aus belegten Partizipien von Verbalkomposita der gleichen Familie. Schließlich ist auch die Bedeutungsentwicklung »Geseihtes« > »Ausschuß« eine bloße Annahme. Auch die eigentliche Wortgeschichte sieht Wartburg anders als Jud, der die Bedeutung »Kleie« aus der rechtssprachlichen Verwendung ableiten wollte. Entsprechend der für das Etymon angenommenen Bedeutung sieht Wartburg in den frühesten Belegen die Grundbedeutung »Ausschuß«, aus der dann sowohl die Bedeutung »Kleie« als auch die Verwendung als Rechtsausdruck als Spezialisierungen hervorgegangen sind. Während Jud und Wartburg - wenn auch auf unterschiedliche Weise - eine Beziehung zwischen s(e)on »Kleie« und afr. seon »Ausschuß« bzw. saon/soon »(jur.) Ablehnung« sehen, trennen Lüdtke/Colön in ihrem eingangs erwähnten Artikel zu Recht fr. son »Kleie« von den übrigen Bezeichnungen. Auch wenn sie der Etymologie von seon »Ausschuß« und saon/ soon »(jur.) Ablehnung« nicht nachgehen, machen sie doch deutlich, daß diese nichts mit son »Kleie« zu tun haben, da ihre Graphien zu einer Zeit, als seon »Kleie« bereits zu son geworden war, noch auf zweisilbige Aussprache hindeuteten. Was nun die Etymologie von fr. son »Kleie« angeht, so greifen die beiden Autoren die schon von Litträ vorgeschlagene Herkunft von lat. secundum wieder auf und bringen die französische Bezeichnung in Verbindung mit gleichbedeutendem akat. segon (sagon), kat. segd, segon, aprov. segon. Zur Rechtfertigung dieser Etymologie entkräften Lüdtke/Colön vor allem die von Jud geäußerten Bedenken, ein auf lat. secundum zurückgehendes fr. s(e)on hätte sein auslautendes -t bewahren müssen; ferner zeigen sie, daß fr. son »Kleie« (< secundu) nicht - wie Littrö noch meinte - eine »seconde mouture« darstellt, sondern daß die Verwendung des Bezeichnungstypus secundus aus den verschiedenen Siebvorgängen resultiert, denen das Mahlprodukt unterworfen wird. Die überzeugende Begründung, die Lüdtke/Colön für den etymologischen Zusammenhang zwischen lat. secundum und fr. son »Kleie« geliefert haben, ist auch von Wartburg in einem Nachtrag (1966) zum FEW-Artikel ags. *seon »Ausschuß« (FEW 17,633) akzeptiert worden. Nachdem sich also endlich die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß son »Kleie« sehr wohl auf secundum zurückgehen kann, bleibt noch das leidige Problem, daß die etymologischen Handwörterbücher (BW, DauzatDM) nach wie vor Wartburgs überholte germanische Etymologie als einzige erwähnen. Fr. donjon »Hauptturm« Hier haben wir es mit einem weiteren Fall zu tun, in dessen Etymologiegeschichte eine germanische Erklärung unnötigerweise eine Rolle gespielt hat. Im Grunde ist bereits Manage die richtige Etymologie bekannt; in seinen Origines de la langue franqoise (1650) heißt es nämlich: »II [donjon] vient de dominionus, e'est ainsi que le

81 donjon est appel6 dans un Titre du Roy Henry I au Cartulaire de Limoges«. Seine aus intensivem Textstudium erwachsene Erkenntnis präzisiert M6nage noch in seinem etymologischen Wörterbuch (1694), indem er donjon speziell aus dominione herleitet. Manages Erklärung wird von der Etymologie des 19. Jh. (Diez, Scheler, Littrt:, Dictionnaire general) übernommen und ausdrücklich gutgeheißen, weil der donjon der dominierende Turm, der Hauptturm einer Burg ist oder la tour maitresse, wie der donjon im Französischen auch genannt wird, was in jedem Falle eine Ableitung von dominus rechtfertigt. Mit Erstaunen registriert man daher, daß A.Pogatscher in seiner Rezension von E.Mackel, Die germanischen Elemente in der französischen undprovenzalischen Sprache (ZrPh 12 [1888],557) anregt, fr. donjon aus der altniederfränkischen Entsprechung von anord. dyngja »Frauengemach (in der Erde)« herzuleiten. Die Rechtfertigung fällt denkbar dürftig aus; in beiden Fällen handle es sich um einen bergenden, geschützten Raum. Ferner verweist er auf die germanische Herkunft von beffroi, was sicher kein Argument ist. Und als Konsequenz dieses Fabulierens wäre mlat. dominio »dann eine fälschlich latinisierte Form«! Was bei Pogatscher noch den Charakter einer Anregung hat, wird im REW zur Gewißheit: Meyer-Lübke führt fr. donjon unter einem wohlbemerkt nichtbelegten frk. *dungjo »Gemach unter der Erde zur Aufbewahrung von Feldfrüchten« auf (REW 2796). Lat. *dominione wird dagegen als »morphologisch bedenklich« bezeichnet, was jedoch nicht der Fall ist. Wie mehrfach zu bedenken gegeben worden ist (J.Brüch ZrPh 48 [1926], 115; M.Pfister ZrPh 88 [1972], 186), wird gerade in der Galloromania -ione zur Bildung von maskulinen Konkreta verwendet, wie auch etwa *pinnione »Giebel« FEW 8,538 und *summione »Gipfel« FEW 12,427 zeigen (vgl. Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen 2,500 § 459). Auch in lautlicher Hinsicht spricht alles für autochthone Entwicklung bzw. für Herkunft von *dominione: das Nebeneinander von donjon und doignon im Altfranzösischen, von d(r)omnhon und domejon im Altprovenzalischen. Nach Meyer-Lübke im REW hat auch Gamillscheg in seinem EWFS 1928 und 1969 das anfrk. *dungjo als Etymon für fr. donjon übernommen und damit dieser germanischen Erklärung zusätzliche Resonanz verschafft. Daß ein vlat. *dominione für Gamillscheg nicht nur morphologisch, sondern auch »begrifflich unmöglich« sein soll, ist nur schwer zu begreifen, da die Tatsache, daß der donjon der beherrschende Hauptturm einer Burg ist, eine Ableitung von dominus nahelegt. Eher ist es der Zusammenhang mit den germanischen Entsprechungen von anfrk. *dungjo, der begrifflich unmöglich erscheinen muß, weil diese in jedem Falle einen (halb) unterirdischen Raum bezeichnen. Da keine überzeugenden Gründe für den germanischen Ansatz sprechen, hat A.Thomas schon in seiner Besprechung der ersten Auflage des REW (Ro 41 [1912],455) das anfrk. *dungjo zu Recht als »itymologie sans valeur« bezeichnet. Obwohl es mit * dominione eine lateinische Etymologie gibt, die durchaus allen Ansprüchen genügt, hat die germanische Erklärung eine erstaunliche Zählebigkeit bewiesen. Da sie sich zudem in Handbüchern bzw. Handwörterbüchern (Gamillscheg, Romania Germanica I [21970] S.296; REW; EWFS) findet, die so schnell nicht ersetzt werden, ist zu befürchten, daß diese überflüssige Etymologie die Gemüter noch lange beschäftigen wird.

Frpr. brogl/okzii.

brouja

»grübeln«

Hier soll ein Fall zur Sprache kommen, der nichts mit der französischen Etymologie im engeren Sinne zu tun hat, dafür aber die galloromanischen Dialekte betrifft. Wenn er dennoch hier erwähnt werden soll, so geschieht dies deshalb, weil er in gewisser Weise symptomatisch ist für einen gelegentlich eher leichtfertigen Umgang mit stratsprachlichen Etymologi-

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en. Es geht um ein frpr. brogi bzw. okzit. broujä in der Bedeutung »songer, m&Iiter, r6fl6chir (profond6ment)«, das in einer zusammenhängenden Wortzone in Teilen der genannten Sprachgebiete vorkommt, und zwar umfaßt diese das Forez, Teile des Lyonnais, des Vivarais und des Velay sowie das ganze Dauphin^ (Verf., Betrachtungen zu frankoprovenzalischen Lexikalien vermeintlich burgundischen Ursprungs in VR 33 [1974],173-185, spez. S. 174-181; vgl. hier auch zum folgenden). Zur Erklärung dieser begrenzt vorkommenden dialektalen Bezeichnung hat man sowohl das Gallische als auch das Germanische bemüht, obwohl wir sicher nur wissen, daß die Bezeichnung schon im 16. Jh. existiert hat. Während Juds Annahme eines gallolat. *broticare für ein aus den modernen keltischen Sprachen erschlossenes *braticare »urteilen« (Ro 47,508) schon auf Grund der unterstellten Bedeutungsentwicklung als wenig wahrscheinlich gelten muß, hat die von E.Kleinhans im FEW 1,560 (FEW 15,1,305) vorgeschlagene Herleitung aus einem bürg. *(sik) brugdian »außer sich, in Verzückung geraten« mehr Anklang gefunden. Sie hat - nebenbei bemerkt - Wartburg zu einer kulturgeschichtlichen Bemerkung in Evolution et structure de la langue frangaise inspiriert: »il est trös interessant de voir qu'un des rares mots germaniques se rapportant ä la vie intellectuelle que l'on trouve dans les parlers romans, est d'origine burgonde: ä Lyon on dit brogi »r^fl6chir« < brugdian« (p.56). Wenn wir aber einmal von dem möglicherweise zufälligen Umstand absehen, daß sich das Verbreitungsgebiet von brogi/broujä auf dem Boden des alten Burgunderreiches befindet, steht die burgundische Etymologie auf recht schwachen Füßen. Die Bedeutungsentwicklung von einem bürg. *(sik) brugdian »außer sich, in Verzückung geraten« zu einer frankoprovenzalisch-okzitanischen Dialektbezeichnung in der Bedeutung »grübeln« ist mindestens genauso unwahrscheinlich wie diejenige, welche Jud für seine gallische Etymologie angenommen hatte. Ist es im übrigen nicht verwegen, für ftpr. brogi/okziL broujä »songer, m&iiter«, das zum ersten Mal im 16. Jh. belegt ist, einen burgundischen Ursprung anzunehmen und damit zu postulieren, daß die Bezeichnung ein ganzes Jahrtausend älter ist? Da das bürg. *(sik) brugdian, von dem man nicht einmal weiß, ob es wirklich existiert hat, den Eindruck eines ad hoc konstruierten Etymons macht, erscheint es ratsamer, schon auf Grund des relativ späten Auftauchens der Bezeichnung nach einer Erklärung im Romanischen selbst Ausschau zu halten. Hierzu bietet sich ein in weiten Teilen des frankoprovenzalischen und okzitanischen Sprachgebietes vorkommender Worttypus bourjä in der Grundbedeutung »wühlen, herumstöbern« an; dieser stellt formal und semantisch eine ältere Entwicklungsphase dar, aus der brogi/broujä »nachsinnen, überlegen« hervorgegangen ist. Während es in formaler Hinsicht die r-Metathese ist, die brogi/broujä von der ursprünglichen Form bourjä getrennt hat, so ist es in semantischer Hinsicht die Verschiebung der konkreten Bedeutung »wühlen, herumstöbern« ins Geistige, in den Sinnbereich des Denkens gewesen. D. grübeln hat übrigens die gleiche Bedeutungsentwicklung durchgemacht, wie wir sie für bourjä »fouiller, remuer« > brogi/broujä »songer, miditer, riflöchir (profonddment)« annehmen. So hat nhd. grübeln neben der heute allgemein gültigen Bedeutung »über etwas nachdenken« bis ins 19. Jh. auch noch die ursprüngliche, konkrete Bedeutung »bohrend graben, bohren« gehabt. Schon das ahd. grubilön, das als Iterativum zu graben entstanden ist, kennt neben der konkreten Bedeutung die übertragene »(durch)forschen«. Für eine Verbindung von brogi/broujä »mdditer, etc.« mit bourjä »fouiller, remuer« spricht noch der Umstand, daß in den Mundarten der delphinatischen Alpen ein und dieselbe Form, und zwar burjä, zur Wiedergabe der beiden Bedeutungen »wühlen, herumstöbern« und »nachsinnen, überlegen« verwendet wird.

83 Zusammenfassend ergibt sich, daß sich die Bedeutung »nachsinnen, überlegen« im größten Teil ihres Verbreitungsgebietes auch formal von ihrem Basiswort bourjä »wühlen, herumstöbern« abgesetzt hat, indem zu diesem Zweck eine sekundäre Realisierungsvariante, nämlich die mit der r-Metathese, lexikalisiert wurde. Eine Ausnahme machen lediglich die Alpenmundarten des Dauphinö, die die ursprüngliche Lautform des Wortes auch für die übertragene Bedeutung bewahrt haben. Das okzit. bourjä »fouiller, remuer« wie oberital. bordigar und kat. burxar/burjar in gleicher oder ähnlicher Bedeutung gehen letztlich auf ein vlat. *burdicare »herumstöbern« ( R E W 1402) zurück, das möglicherweise mit burdo, -one »(Pilger)Stab« in Zusammenhang steht. Es zeigt sich also, daß sich brogl/broujä »songer, möditer« durchaus aus dem Romanischen heraus erklären läßt. Diese Erklärung hat den Vorteil, die Bezeichnung aus ihrer Isolierung herauszuholen und in eine größere romanische Wortfamilie zu integrieren. Die Ansetzung einer burgundischen Etymologie, die im übrigen gleich mit mehreren Unsicherheitsfaktoren belastet ist, erweist sich demnach als unnötig.

Ausblick

Im Verlaufe unserer Darstellung, die zugleich eine Einführung und ein Überblick sein wollte, konnten wir feststellen, daß das Französische keineswegs - wie man auf Grund seiner Herkunft aus dem Lateinischen vermuten könnte - eine Sprache ist, in der die Fragen der etymologischen Herkunft zu keinen Problemen Anlaß geben. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß die Probleme in der französischen Etymologie entgegen allen Erwartungen erstaunlich zahlreich sind. Sie finden sich eigentlich in allen für das Französische in Frage kommenden Ursprungsbereichen und erklären sich zu einem guten Teil aus der fehlenden Überlieferung. Das gilt in erster Linie für das Vulgärlatein, das vom Volke gesprochene Latein, aus dem der Grundstock des französischen Wortschatzes hervorgegangen ist. Das trifft in noch höherem Maße zu für das gallische Substrat und das germanische Superstrat. In jedem Falle handelt es sich um mangelhaft überlieferte Sprachen bzw. Sprachformen, was unsere Kenntnis von ihnen erheblich einschränkt. Dieses Überlieferungsvakuum führt zwangsläufig zu etymologischen Konjekturen, sofern sich das altfranzösische Wortgut nicht aus dem belegten Latein herleiten läßt. Damit kommt zugleich auch ein nicht zu unterschätzender Unsicherheitsfaktor mit ins Spiel, da mit rekonstruierten, aus romanischen oder anderen verwandten Sprachen erschlossenen Ansätzen gearbeitet wird, von denen man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob sie tatsächlich existiert haben. Ferner kommt hinzu, daß auch persönliche Überzeugungen bei der Richtung, in der man etymologische Erklärungen sucht, durchaus eine Rolle spielen können. Nicht jeder der hypothetischen Ansätze, ob er nun im Vulgärlateinischen, im Gallischen oder Altgermanischen angesiedelt worden ist, muß als endgültig angesehen werden; so mancher ist es wert, neu überdacht zu werden. Wie unsere Einzelfälle gezeigt haben, muß auch mit Fehldeutungen gerechnet werden, die teilweise von erstaunlicher Zählebigkeit sind. Daran sieht man schon, daß die Entwicklungsgeschichte der Etymologie keineswegs gradlinig verläuft, keineswegs nur von erkennbaren Fortschritten, d.h. von allseitig anerkannten Erklärungen, gekennzeichnet ist. Zur Geschichte der Etymologie gehören auch die tastenden Versuche, die sich im nachhinein als Mißgriffe erweisen; denn selbst die Irrungen haben letztlich noch etwas Positives an sich, indem sie zu neuerlicher Beschäftigung mit den fraglichen Problemen herausfordern. Die Überschätzung des germanischen Spracheinflusses gerade auf die Sprachen der Galloromania hat auch ihre Auswirkungen auf die französische und galloromanische Etymologie gehabt. Was hier endgültig nicht von Bestand ist, wird uns aber erst die Einzelforschung zeigen. Hatten sich für die ersten drei Problembzw. Aufgabenbereiche auf Grund der zeitlichen Distanz und der fehlenden Quellen für den Übergang vom Vulgärlatein zu den romanischen Volkssprachen und für den stratsprachlichen Einfluß, der dabei möglicherweise eine Rolle gespielt hat, gewisse Gemeinsamkeiten ergeben, stellen sich für den vierten Aufgabenbereich, den wir die romanische Wortschöpfung genannt haben, Probleme anderer Art. Hier geht es einmal tatsächlich um Wortschöpfung im engeren Sinne; dabei kann es sich um onomatopoetische oder expressive Wortbildungen handeln, die teilweise bis in die spätlateinische Volkssprache hinaufreichen, oder um Wortbildungsmodelle, die sich in der romanischen Volkssprache entwickelt haben (etwa tautologische

85

oder reduplikative Komposita). Andererseits muß die französische Etymologie auch die Beziehungen berücksichtigen, die die französische Standardsprache zu den verschiedenen Formen des städtischen Substandards sowie zu den Dialekten in ihrem Geltungsbereich unterhält. Gerade die letzteren erweisen sich als nicht zu unterschätzende Quelle für den schriftsprachlichen Wortschatz, wenn es etwa um die Wiedergabe regionaler Sachverhalte geht. Etymologisch ergiebiger sind sicher die Beziehungen, die Argot und fran5ais populaire mit den Mundarten verbinden und die nur erst teilweise aufgedeckt worden sind. Gerade weil die Galloromania mit dem FEW über einen Thesaurus verfugt, der in einem noch nie dagewesenen Maße auch den dialektalen Wortschatz erfaßt, besteht die Möglichkeit, die mundartlichen Wurzeln des umgangssprachlichen Wortschatzes aufzudecken. Vieles liegt hier noch im dunkeln und lädt zu intensiverer Beschäftigung ein. Auf jeden Fall sollten bei der Erörterung etymologischer Problemfälle aus der Standardsprache und vor allem auch aus der Umgangssprache vermehrt die Dialekte herangezogen werden. Es kann also keine Rede davon sein, daß es der französischen Etymologie an Problemen fehlt. Wer sich der französischen Etymologie verschreibt, braucht sich in absehbarer Zeit sicher nicht über mangelnde Aufgaben zu beklagen. Schließlich noch ein Wort zum methodischen Vorgehen, das sich der heutige Etymologe zu eigen machen sollte. Sicher ist richtig, daß jedes Wort seine eigene Geschichte hat und daher auch jedes hinsichtlich seiner Herkunft umstrittene Wort den Etymologen vor spezifische Probleme stellt. Unabhängig von diesen wortspezifischen Aspekten lassen sich dennoch einige Konstanten nennen, die es in jedem Falle zu beherzigen gilt. Wichtigste Voraussetzung für ein erfolgversprechendes Etymologisieren ist - auch wenn es sich im Grunde von selbst versteht - eine möglichst umfangreiche Dokumentation zu dem zu etymologisierenden Wort. Dabei ist das Hauptaugenmerk auf die frühen Belege, ihre Graphien und Bedeutungen zu richten, da gerade diese wertvolle Hinweise auf die mögliche Herkunft enthalten können. Es hat sich ferner als nützlich erwiesen, zu jedem Problemfall eine Etymologiegeschichte anzulegen, d.h. ein Verzeichnis aller bereits vorgeschlagenen Erklärungen. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß sich in der älteren etymologischen Literatur Erklärungen finden, die es durchaus wert sind, noch einmal überdacht zu werden. Der Etymologe muß sich zur Richtschnur machen, daß weder das vorschnelle Ausscheiden von Erklärungen noch die übereilte Festlegung auf einen bestimmten Ansatz seiner Arbeit zuträglich ist. Nur überzeugende Fakten können den Ausschlag geben zugunsten einer bestimmten Etymologie, die zudem - wenn immer möglich - durch eindeutige Parallelfälle gestützt werden sollte. Mit erschlossenen Etyma, die allein auf Grund von vagen Vermutungen oder intimen Überzeugungen konstruiert worden sind, sollte man sich künftig in der französischen Etymologie nicht mehr zufrieden geben. Was wir brauchen, sind nicht unbedingt neue, sondern vor allem überzeugende, gut fundierte Erklärungen.

Allgemeine Abkürzungen

afr. anord. aprov. d. e. fr. frpr. ibid. id. ital. lat. logud. mfr. mhd. ndd. ndl. ON okzit. port. rum. sard. s. schweizd. spätlat. span. südd. vlat.

altfranzösisch altnordisch altprovenzalisch deutsch englisch französisch frankoprovenzalisch ibidem (ebenda) idem (der-, dasselbe) italienisch lateinisch logudoresisch mittelfranzösisch mittelhochdeutsch niederdeutsch niederländisch Ortsname okzitanisch portugiesisch rumänisch sardisch siehe; sub (unter) Schweizerdeutsch spätlateinisch spanisch süddeutsch vulgärlateinisch

(für die Lokalisierung der galloromanischen Mundartbelege werden in der Regel die Abkürzungen des FEW verwendet; s. FEW-Beiheft)

Abkürzungen der Zeitschriften und häufig zitierter (etymologischer) Wörterbücher usw. ALF ASNS BTD BW DauzatDM EWFS FEW LGRP REW RF

Gilli6ron, J.: Atlas linguistique de la France Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Bulletin de la Commission Royale de toponymie et de dialectologie, Bruxelles Bloch, O./Wartburg, W.v.: Dictionnaire 6tymologique de la langue fran?aise Dauzat, A./Dubois, J./Mitterand, H.: Nouveau dictionnaire etymologique et historique Gamillscheg, E.: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache Wartburg, W. v.: Französisches etymologisches Wörterbuch Literaturblatt für germanische und romanische Philologie Meyer-Lübke, W.: Romanisches etymologisches Wörterbuch Romanische Forschungen

87 RJ Ro TraLiLi TLF VR ZrPh ZfSL

Romanistisches Jahrbuch Romania Travaux de linguistique et de litterature publies par le Centre de philologie et de littEratures romanes de l'universite de Strasbourg Tresor de la langue franfaise. Dictionnaire de la langue du XIX® et du XX s sifecle (1789-1960) Vox Romanica Zeitschrift für romanische Philologie Zeitschrift für französische Sprache und Literatur

Bibliographie 1. Etymologische Wörterbücher des Französischen und einige Sprachwörterbücher mit etymologischer Komponente Bloch, Oscar/Wartburg, Walther von: Dictionnaire Etymologique de la langue frangaise 2 vol. , Paris '1932,1 vol. 2 1950, 3 1960, 4 1964, 5 1968 Bovelles, Charles de: Sur les langues vulgaires et la variete de la langue fran;aise - Liber de differentia vulgarium linguarum et Gallici sermonis varietate (1533), texte latin, traduction et notes par C. Dumont-DemaiziEre (= BibliothEque fran9aise et romane p.p. le Centre de philologie et de littdratures romanes de l'universitE de Strasbourg SEr. D, 5), Paris 1973 Brächet, Auguste: Dictionnaire Etymologique de la langue fran;aise, Paris 1868 Cledat, Leon: Dictionnaire Etymologique de la langue franfaise, Paris 1912 Dauzat, Albert: Dictionnaire Etymologique de la langue fran^aise, Paris 1938 Dauzat, A./Dubois, Jean/Mitterand, Henri: Nouveau dictionnaire Etymologique et historique, Paris 21964, 4 1982 Diez, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen, Bonn 'l853, 5 1887 (mit einem Anhang von A. Scheler) Gamillscheg, Ernst: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, Heidelberg 1 1928, 2 1969 Guichard, Etienne: L'Harmonie etymologique des langues hebraique, chalda'ique, syriaque, grecque, latine, fransoise, italienne, espagnole, allemande, flamande, angloise, etc., Paris 1606 Guiraud, Pierre: Dictionnaire des Etymologies obscures, Paris 1982 Hatzfeld, Adolphe/Darmesteter, Arsüne: Dictionnaire general de la langue franfaise du commencement du XVII6 siEcle jusqu'ä nos jours prEcEdE d'un TraitE de la formation de la langue 2 vol., Paris 1890-1900 Hauschild, Ernst J.: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache nach Friedrich Diez sowie Frisch, Roquefort, Noel und Carpentier, mit durchgängiger Verweisung auf Diez's Grammatik der romanischen Sprachen, Leipzig 1843 Le Bon d'Autreville, Jean: Etymologicon franfois, Paris 1571 LittrE, Emile: Dictionnaire de la langue franfaise, 4 vol., Paris 1863-1872 Menage, Gilles: Origines de la langue fran^oise, Paris 1650 MEnage, Gilles: Dictionnaire Etymologique ou Origines de la langue frangoise, Paris 1694 MEnage, Gilles: Dictionnaire Etymologique de la langue frangoise Nouv. Ed., Paris 1750 Meyer-Lübke, Wilhelm: Romanisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 'l911/20, 3 1935 Picoche, Jacqueline: Nouveau dictionnaire etymologique du franfais, Paris, Hachette-Tchou, 1971 ( = id., Dictionnaire etymologique du frangais, Paris, Le Robert, 1979) Roquefort, Jean-Baptiste-Bonaventure de: Dictionnaire etymologique de la langue frangoise prEcEdE d'une dissertation sur 1'Etymologie par J.-J. Champollion-Figeac 2 vol., Paris 1829 Scheler, Jean-Auguste-Udalric: Dictionnaire d'Etymologie frangaise, d'aprös les resultats de la science moderne, Bruxelles 1 1862, z 1873, 3 1888 Tresor de la langue fran9aise. Dictionnaire de la langue du 19e et du 20e siEcle elaborE par l'Institut national de la langue frangaise ä Nancy, bisher 13 vol., Paris 1971 Wartburg, Walther von: Französisches etymologisches Wörterbuch, bisher 24 Bde, Bonn/Basel 1922 ss.

88 1 .a. Chronologische Übersicht der wichtigsten etymologischen Wörterbücher des Französischen 1533 1571 1606 1650 1694 1750 1829 1853 1862 1868 1887 1888 1912 1911/20 1922ss. 1928 1932 1935 1938 1950 1964 1968 1969 1971

Charles de Bovelles, Tabulae breves Gallicanarum vocum Jean Le Bon, Etymologicon frangois Etienne Guichard, L'Harmonie itymologique des langues Gilles Menage, Origines de la langue frangoise G. Menage, Dictionnaire etymologique ou Origines de la langue frangoise G. M6nage, Dictionnaire 6tymologique de la langue frangoise J.-B.-B. de Roquefort, Dictionnaire 6tymologique de la langue frangoise Fr. Diez, Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen J.-A.-U. Scheler, Dictionnaire d'etymologie frangaise A. Brächet, Dictionnaire etymologique de la langue frangaise Fr. Diez, Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen 5. Auflage J.-A.-U. Scheler, Dictionnaire d'etymologie frangaise 3e ed. L. Cledat, Dictionnaire etymologique de la langue frangaise W. Meyer-Lübke, Romanisches etymologische Wörterbuch (REW) W. v. Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch (FEW) Ε. Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache (EWFS) O. Bloch/W. v. Wartburg, Dictionnaire etymologique de la langue frangaise (BW) W. Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch 3. Auflage (REW) A. Dauzat, Dictionnaire 6tymologique de la langue frangaise Bloch/Wartburg, Dictionnaire etymologique de la langue frangaise 2e ed. (BW) A. Dauzat/J. Dubois/H. Mitterand: Nouveau dictionnaire etymologique et historique (DauzatDM) Bloch/Wartburg, Dictionnaire 6tymologique de la langue frangaise 5 e 6d. (BW) E. Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache 2e ed. (EWFS) J. Picoche, Nouveau dictionnaire 6tymologique de la langue frangaise

2. Studien zur Etymologie bzw. mit Berücksichtigung derselben Baehr, Rudolf: Leitideen und Methoden in der etymologischen Forschung der romanischen Sprachwissenschaft in Die Neueren Sprachen 18 (1969), 53-66 Baldinger, Kurt: L'etymologie hier et aujourd'hui in Cahiers de l'Association internationale des etudes frangaises 11 (1959), 233-264 Brucker, Charles: L'Etymologie, coll. »Que sais-je?« n° 1122, Paris 1988 Dottin, Georges: La langue gauloise, Paris 1920 Figge, Udo L.: Die romanische Anlautsonorisation, Bonn 1966 Gamillscheg, Ernst: Zur Methodik der etymologischen Forschung in ZFSL 50 (1927), 216-298 Gamillscheg, Ernst: Romania Germanica 3 Bände Berlin/Leipzig 1934,1935,1936 (Bd. 1 21970) Gauger, Hans-Martin/Oesterreicher, Wulf/Windisch, Rudolf: Einführung in die romanische Sprachwissenschaft, Darmstadt 1981 Gerighausen, Josef: Die historische Deutung der Nationalsprache im französischen Schrifttum des 16. Jahrhunderts, Bonn 1963 Gillieron, Jules: La faillite de l'etymologie phonitique, La Neuveville 1919 Gillieron, Jules: Les etymologies des 6tymologistes et Celles du peuple, Paris 1922 Greive, Artur. Etymologische Untersuchungen zum französischen h aspire, Heidelberg 1970 Guiraud, Pierre: L'Etymologie, coll. »Que sais-je?« n° 1122, Paris 1964 Guiraud, Pierre: Structures etymologiques du lexique frangais, Paris 1967 Guiraud, Pierre: Patois et dialectes frangais, coll. »Que sais-je?« n° 1285, Paris 1968 (3e ed. 1978 avec Liste alphabetique des mots frangais d'origine dialectale) Hillen, Wolfgang: Saineans und Gillierons Methode und die romanische Etymologie (= Romanistische Versuche und Vorarbeiten Bd.45), Bonn 1973 Iordan, Iorgu: Un catechisme etymologique in RLiR 1 (1925), 162-170

89 Iordan, Iorgu: Einführung in die Geschichte und Methoden der romanischen Sprachwissenschaft (ins Deutsche übertragen, ergänzt und teilweise neu bearbeitet von Werner Bahner), Berlin 1962 Klare, Johannes: Etymologische Bemühungen innerhalb des volkssprachlichen Humanismus des 16. Jahrhunderts in Frankreich in Festschrift für K. Baldinger zum 60. Geburtstag, Tübingen 1979, S. 69-77 Klaus, Gabriele: Das etymologische Wörterbuch des Französischen im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1985 Kuen, Heinrich: Die Sprachgeographie als Helferin der Etymologie in Etymologica. Festschrift für W. v. Wartburg zum 70. Geburtstag, Tübingen 1958, S. 4 5 5 ^ 7 5 Kukenheim, Louis: Esquisse historique de la linguistique fran9aise et de ses rapports avec la linguistique gen6rale, Leyde 1966 Meier, Harri: Zur Geschichte der romanischen Etymologie in ASNS 201 (1964/65), 81-109 Meier, Harri: Primäre und sekundäre Onomatopöien und andere Untersuchungen zur romanischen Etymologie, Heidelberg 1975 Meier, Harri (Hrsg.): Neue Beiträge zur romanischen Etymologie, Heidelberg 1975 Meier, Harri: Zur Geschichte der Erforschung des germanischen Superstratwortschatzes im Romanischen in Sprachliche Interferenz. Festschrift für Werner Betz zum 65. Geburtstag, Tübingen 1977, S. 292334 Meier, Harri: Die Entfaltung von lateinisch vertere/versare im Romanischen. Beiträge zur Geschichte einer etymologischen Großfamilie ( = Analecta Romanica 47), Frankfurt/M. 1981 Meier, Harri: Aufsätze und Entwürfe zur romanischen Etymologie, Heidelberg 1984 Meier, Harri: Prinzipien der etymologischen Forschung, Heidelberg 1985 Orr, John: L'etymologie populaire in RUR 18 (1954), 129-142 Pfister, Max: Die sprachlichen Berührungen zwischen Franken und Galloromanen in ZrPh 88 (1972), 175-193 Pfister, Max: La repartition geographique des elements franciques en gallo-roman in RLiR 37 (1973), 126-149 Pfister, Max: Le superstrat germanique dans les langues romanes in Atti del XIV Congresso internazionale di linguistica e filologia romanza, Napoli 15-20 aprile 1974, pp. 49-97 Pfister, Max: Einführung in die romanische Etymologie, Darmstadt 1980 Popelär, Inge: Die Etymologien M6nages im Lichte der modernen Wortforschung in Beiträge zur romanischen Philologie 6 (1967), 347-357 Rohlfs, Gerhard: Zur Methodologie der romanischen Substratforschung in Syntactica et Stylistica. Festschrift für E. Gamillscheg, Tübingen 1957, S. 495-509 Roques, Mario: Methodes etymologiques in Philologie fran9aise publiee et annotee par Kr. Nyrop, Copenhague 2 1915 Sainean, Lazare: Les sources indigfenes de l'etymologie frangaise 3 vol. Paris 1925,1925,1930 Sainean, Lazare: Autour des sources indigenes. Etudes d'etymologie fran^aise et romane (= Biblioteca dell'»Archivum Romanicum« Serie II: Linguistica vol. 20), Firenze 1935 [= Sources 4] Sanders, Willy: Grundzüge und Wandlungen der Etymologie in R. Schmitt (Hrsg.), Etymologie, Darmstadt 1977, S. 7-49 Schmitt, Christian: Charles de Bovelles, Sur les langues vulgaires et la variete de la langue fran9aise (1533) - une source importante pour l'histoire du vocabulaire fran^ais in TraLiLi 14,1 (1976), 129— 156 Schmitt, Rüdiger (Hrsg.): Etymologie (= Wege der Forschung 373), Darmstadt 1977 Schuchardt, Hugo: Romanische Etymologien I in Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien 138 (1898), 1-81 Schuchardt, Hugo: Romanische Etymologien II in ibid. 141 (1899), 1-222 Spitzer, Leo: Aus der Werkstatt des Etymologen in Jahrbuch für Philologie 1 (1925), 129-159 Spitzer, Leo: Ein neues »Französisches Etymologisches Wörterbuch« in ZrPh 46 (1926), 563-617 Spitzer, Leo: Zur Methodik der etymologischen Forschung in ZrPh 48 (1928), 77-113 Thomas, Antoine: Essais de philologie frangaise, Paris 1897 Thomas, Antoine: La science etymologique et la langue fran9aise in Revue des deux mondes 72/12 (1902), p. 564—585 Thomas, Antoine: M61anges d'6tymologie fran9aise, Paris 'l902, 1927

90 Thomas, Antoine: Nouveaux essais de philologie fran^aise, Paris 1904 Turgot: Etymologie, Edition avec notes par Maurice Piron, Brugge 1961 Wartburg, Walther von: Grundfragen der etymologischen Forschung in Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 7 (1931), 222-235 Wartburg, Walther von: Einführung in Problematik und Methodik der Sprachwissenschaft, Tübingen 3 1970 Zumthor, Paul: Fr. etymologie - essai d'histoire sdmantique in Etymologica. Festschrift für W. v. Wartburg zum 70. Geburtstag, Tübingen 1958, S. 873-893

91 AUTORENREGISTER

Baldinger, Κ. 40,70 Bloch, Ο. 33s. Bovelles, Ch. de 9s. Brächet, A. 23s., 27 52 Breal, M. 25 Brosses, Ch. de 18 Brucker, Ch. 1 Brüch, J. 58 Brun, A. 58s. Caseneuve, P. de 13, 57 C16dat, L. 27,39 Colön, G. 79s. Court de G6belin, A. 19 Darmesteter, A. 69 Dauzat, A. 34,77 Diez, F. 21ss., 25,43,49, 57s., 71s. Dubois, J. 34,77 Estienne, R. 8s. Feller, J. 78 Frings, Th. 29,58,77s. Gamillscheg, E. 30s„ 57ss„ 62, 77, 81 Gebhardt, K. 70 Gerighausen, J. 9,10 Gilli6ron, J. 28,28,40, 65 Gröber, G. 14,24,49 Guichard, E. 12 Guiraud, P. 1, 35s„ 40s„ 43, 63,64,69,70 Gunkel, P. 54 Hubschmid, J. 53 Hubschmied, J. U. 53 Jud, J. 53, 60, 76s., 79, 82 Le Bon, J. 10s.

Littr6,E. 23,43,80,81 Lüdtke, H. 79s. Mackel, E. 58 Meier, Η. 1, 36ss., 50,53,57,61s. Meillet, A. 28,39,69 M6nage, G. 13ss., 27,76, 80 Meyer-Lübke, W. 28,62s„ 72,77, 81 Mitterand, H. 34,77 Müller, B. 59 Nicot, J. 9 Orr, J. 6s. Paris, G. 22,24,35 Pfister, Μ. 1,59ss„ 63,78, 81 Picoche, J. 38s. Pogatscher, A. 81 Popelär, I. 14 Remacle, L. 78 Rohlfs, G. 28,50,55 Roquefort, J. 20,39 Roques, M. 26 Sainean, L. 31s., 65, 70, 71, 72 Scheler, A. 22s„ 24, 27, 58,72 Schuchardt, H. 25ss„ 29,40 Spitzer, L. 31,64,75 Thomas, A. 25s„ 52,66, 81 Thurneysen, R. 53 Turgot, 18s., 75 Ullmann, St. 6 Wartburg, W. von 6, 28ss., 33s., 36,39,40,52s„ 55, 58s., 61,63,66, 77, 78,80 Weinrich, K. 53

92 WORTREGISTER

aubain 60 aune 60,76ss. avancer 45 baliverne 35, 73 b61itre 63 bicler/bigler 63 bigoudi 71 billevesee 35, 73 blottir (se -) 72 braise 37, 50 brasser 50 brogl (frpr.)/broujä (okzit.) 8Iss. calembour 35 calembredaine 35 choucroute 6 cible 56 courtepointe 6 cracher 37 creuser 54s. creux 54s. danger 23 degringoler 67 donjon 60, 80s. echouer 41,71 eclater 61s.

faribole 35 foret 60 frelon 61 fruste 5 giboulee 71 glaner 50,53s. gratter 37 gribouiller (grabouiller) 66 gringalet 67 hetre 60 houe 61 houx 60,61,77,78 magouille 73 micmac 73 Muette (chateau de la -) 6 nouille 56 osier 60, 61, 62, 77,78 rescape 71 reveche 62 röche 50 rötir 37 son "Kleie" 23, 79s. sornette 36 souffreteux 5 trouver 25s.