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German Pages 176 Year 1990
Beihefte der Konjunkturpolitik Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung Begründet von Albert Wissler
Heft 37
Fragen zur Reform der DDR-Wirtschaft
Duncker & Humblot · Berlin
Fragen zur Reform der DDR-Wirtschaft
Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung Begründet von Albert Wissler
Heft 37
Fragen zur Reform der DDR-Wirtschaft Tagungsband zur Sondertagung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V. in Bonn am 12. Februar 1990
Duncker & Humblot * Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Fragen zur Reform der DDR-Wirtschaft: Tagungsband zur Sondertagung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V. in Bonn am 12. Februar 1990 / [Schriftl.: Herbert Wilkens]. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Beihefte der Konjunkturpolitik; H. 37) ISBN 3-428-06908-0 NE: Wilkens, Herbert [Red.]; Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute; Konjunkturpolitik / Beihefte
Schriftleiter: Herbert Wilkens
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0452-4780 ISBN 3-428-06908-0
Vorwort In diesem Beiheft wird über den wissenschaftlichen Teil der Sondertagung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute berichtet, die am 12. Februar 1990 in Bonn stattfand und das Thema Fragen zur Reform der DDR-Wirtschaft zum Gegenstand hatte. Für die wissenschaftliche Vorbereitung ist Gregor Winkelmeyer (Essen) zu danken. Referate hielten Doris Cornelsen (Berlin), Erich Klinkmüller (Berlin), Horst Lambrecht (Berlin), Dieter Lösch (Hamburg), Reinhard Pohl (Berlin), Uta Möbius und Dieter Schumacher (Berlin), Horst Siebert (Kiel) sowie Christian Watrin (Köln). Die Schriftleitung übernahm Herbert Wilkens (Berlin). Die Beiträge gingen in den ersten Tagen des März 1990 in den Satz, d. h. der Informationsstand ist Ende Februar. München im März 1990 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Karl-Heinrich Oppenländer
Inhalt Christian Watrin Ordnungspolitische Defizite der DDR-Wirtschaft und Möglichkeiten zu deren Überwindung durch marktwirtschaftliche Reformen
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Doris Cornelsen Reformdiskussionen und Reformansätze in der DDR
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Horst Siebert Die Wahlmöglichkeiten einer deutsch-deutschen Geld- und Währungspolitik
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Reinhard Pohl Schritte zur Konvertibilität der Mark der DDR
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Dieter Lösch Die Transformation der Verwaltungswirtschaft in Westdeutschland — ein Modell für die Reform der DDR-Wirtschaft?
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Erich Klinkmüller Strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der M a r k . . .
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Horst Lambrecht Beziehungen zur DDR: Wirtschaftliche Kooperation, Direktinvestitionen, Unterstützung der DDR-Wirtschaft
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Dieter Schumacher und Uta Möbius Zugang der DDR zum Gemeinsamen Markt
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Generaldiskussion
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Ordnungspolitische Defizite der DDR-Wirtschaft und Möglichkeiten zu deren Überwindung durch marktwirtschaftliche Reformen Von Christian Watrin, Köln
I. Die ordnungspolitische Konzeption des Sozialismus und ihr Scheitern Die ordnungspolitische Konzeption des Sozialismus ist grandios, aber ordnungspolitisch wenig durchdacht. Auf der Basis des von Marx formulierten „ökonomischen Entwicklungsgesetzes der modernen Gesellschaft" wird über den kommenden Verlauf der Geschichte eine vermeintlich unumstößliche wissenschaftliche Prognose aufgestellt. Sie vermittelt allen Anhängern der Lehre die Gewißheit, auf der Seite des gesellschaftlichen Fortschritts zu kämpfen. Zwar können die einzelnen Entwicklungsstufen der Menschheit, die kapitalistische, die sozialistische und die höchste, die kommunistische, weder „hinwegdekretiert noch übersprungen" werden. Die daraus folgende Lähmung politischen Handelns aber wird mit der Versicherung zu entkräften versucht, daß es sehr wohl möglich sei, „die Geburtswehen (der neuen Gesellschaft, C.W.) ab(zu)kürzen und (zu) mildern" 1 . Liegt der Weg in die als licht und klar bezeichnete Zukunft fest, dann bedarf es einer Avantgarde, dieses Mal nicht wie bei Saint-Simon der „Industrialisten", sondern der kommunistischen Partei — die aufgrund höherer Einsicht in den Geschichtsverlauf legitimiert ist, die politische Macht an sich zu reißen, um durch Einsatz vielfältiger Formen der Gewalt den Weg in die Neue Gesellschaft zu weisen. Friedfertige Übergänge vom sog. Kapitalismus zum Sozialismus, wie sie sich beispielsweise Schumpeter 2 für das „Stadium der Reife" vorgestellt hat, hat es nicht gegeben. Die praktisch-politischen Konsequenzen der Marxschen Vision sind die Verankerung der Führungsrolle der kommunistischen Partei in den Verfassungen der sozialistischen Länder, die Einführung der Planwirtschaft in der 1 Karl Marx (1957), Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, 1. Band (Ausgabe Dietz-Verlag Berlin), S. 8. 2 Joseph A. Schumpeter ( 1950), Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2. erw. Auflage, München, S. 360.
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Weise, daß „die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt" 3 und das „sozialistische Eigentum", das die privatwirtschaftliche Tätigkeit mit einem Bann belegt, von dem allenfalls noch Ausnahmen am Rande der Gesellschaft zugelassen sind. Die DDR-Gesellschaft und -Wirtschaft ist eines der vielen historischen Beispiele, diese Ideen in die Tat umzusetzen — in der Gestalt eines totalitären Staates, in dem die Individualrechte von den Ansprüchen des Kollektivs zugedeckt werden. Konsequenzen des sozialistischen Totalitarismus waren bis in die jüngste Vergangenheit hinein erstens die Politisierung sämtlicher Lebensbereiche und zweitens die schrankenlose Machtausübung der allein regierenden Partei. Über ihr hörige Gruppierungen und zahllose offene und geheime Kontrollorgane beherrschte die Partei nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft, die Kultur, das Bildungswesen, die Wissenschaft und die Rechtsprechung. Sie drückte allen Lebensgebieten ihren Stempel auf und lenkte, soweit das praktisch möglich war, sämtliche Bereiche nach dem Willen der Parteispitze. Durch eine Verkettung einmaliger historischer Umstände ist dieses Macht-, Kontroll- und Lenkungssystem in der DDR durch einen friedlichen Aufstand, der vom Volke, nicht von den Führungsschichten oder den Intellektuellen ausging, aufgebrochen worden. Aus ökonomischer Sicht sind die Ereignisse nur unvollständig zu erklären. Folgende Überlegungen seien gewagt: In der ökonomischen Theorie weichen Monopolisten nicht innerer Einsicht in die Schädlichkeit ihres Tuns, sondern nur dem Wettbewerbsdruck. Dieser entfaltete sich in der Tat auf vielen Gebieten: über den Äther, durch Besuchsreisen, durch offizielle und private Kontakte über die Grenzen hinweg, durch vielfältige Austauschprogramme, durch die Öffnung des Tors zum Westen in den osteuropäischen Ländern und, was in das Monopolparadigma nur schlecht hineinpaßt, durch den Verzicht der östlichen Supermacht auf militärische Interventionen gegen das aufbegehrende Volk. Eine zweite Komponente, die Rolle der Ideologie, erfährt erst in jüngster Zeit erneut Beachtung durch die Ökonomen. Die philosophische und die naturwissenschaftliche Kritik des historischen und dialektischen Materialismus und das Einräumen wissenschaftlicher Freiräume in den Naturwissenschaften erodierte auch die Verwendbarkeit der marxistischen Lehre als Sozialphilosophie und als Grundlage der Politik. Dadurch konnte die solange unter Verdikt gestellte freiheitliche Demokratie ebenso wie die Marktwirtschaft wieder eine ordnungspolitische Alternative werden. Der sogenannte kapitalistische Klassenstaat wie auch der Kapitalismus verloren ihren ideologischen Schrecken. 3 Karl Marx (1971), Frühe Schriften, Band 2, hrsg. von Hans-Joachim Lieber / Peter Furt, Darmstadt, S. 36.
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Als dritte Komponente sind die Mängel der zentralistischen Organisation von Staat und Wirtschaft zu nennen. Die an die Spitze gelangenden Informationen enthalten starke strategische Elemente, da sie im Wege des Befehls bzw. der Plandirektive den Informierenden als ausführendes Objekt unmittelbar betreffen. Ferner erwies sich die Koordination der zahllosen Entscheidungen zwischen den einzelnen Betrieben von einer Zentrale aus als nicht machbar. Die Zentralisierung erzeugte zahllose Ineffizienzen im Alltagsablauf der Produktion; die arbeitsteilige Produktion wurde gehemmt und oft genug unterbrochen, weil „das Material fehlte". Die zentrale Planung selbst aber gelangte nicht über das Stadium „einer vorwiegend naturalwirtschaftlichen Direktplanung" 4 hinaus; sie mußte sich mit groben Produktionsvorgaben begnügen, die auf der Ebene der Betriebe zur Herstellung von Gütern und Halbfertigfabrikaten führte, die in Menge, Qualität und Lieferzeitpunkt nicht zusammenpaßten. Die Orientierung der Betriebe am Plansoll und die Bindung des Lohn- und Prämiensystems an die Planübererfüllung — ein Widerspruch in sich in einem auf Planbilanzen aufbauenden System — ließ sowohl die Erneuerung des Kapitalstocks als auch die Beachtung von Umweltproblemen in den Hintergrund treten. Es wurde produziert, ohne Rücksicht auf die notwendige Erneuerung der betrieblichen Substanz und die volkswirtschaftlichen Schäden, die eine allein auf Planerfüllung ausgerichtete Produktion an den Umweltgütern stiftete. Das Volkseigentum, jene große Illusion, nach der allen alles gehört und nach der alle verantwortlichen Gebrauch von den gemeinsamen Gütern und Ressourcen machen, konnte durch bürokratische Kontrolle nicht gegen Fehlverwendung oder Übernutzung geschützt werden. Vor allem die Parteikader, die faktisch über das Gemeineigentum verfügten, nutzten überdies ihre Kontrollrechte zu ihren Gunsten, ganz so, wie es die ökonomische Theorie der Eigentumsrechte erwarten läßt. Schließlich aber bewirkten die Symbiose von Staat und Partei und der Versuch, auch die Gesellschaft — also jenen Bereich, der im liberalen Modell der freie, nicht von staatlichen Instanzen kontrollierte Sektor ist — unter Kontrolle zu bringen, eine durchgängige Politisierung des täglichen Lebens. In der Praxis bedeutete dies, daß vieles, was anderswo über Märkte geräuschlos erledigt wird, auf die politische Ebene gehoben und öffentlich diskutiert wurde. Die daraus folgenden Interventionen ordneten sich in der Regel nicht in das schwerfällige Plansystem ein und reduzierten so seine Funktionsfähigkeit um ein weiteres. Die ökonomischen Ergebnisse der zahllosen Ineffizienzen sind bekannt und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Mochte es in der älteren, an statischen Modellen orientierten Diskussion über Wirtschaftsplanung noch 4
Christa Luft, Redemanuskript der Ansprache vor der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf, vom 16. Januar 1990, S. 2.
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so scheinen, daß die Mängel der Naturalplanung mit Hilfe von Schattenpreisen, die im Lange-Lemer-Modell noch in völliger Analogie zu Marktpreisen gestaltet sein sollten, die Ineffizienzen der zentralen bürokratischen Planung überwinden konnten, so zeigte sich in der Praxis, daß auch diese Variante des sozialistischen Modells entweder keine politische Chance hatte oder dort, wo sie z. B. in Form der Arbeiterselbstverwaltung jugoslawischen Typs ausprobiert wurde, eher noch schlechtere Ergebnisse zeitigte als die Zentralplanung des administrativen Typs. Es bleibt somit nur festzustellen, daß die sozialistischen Versuche, ein der Marktwirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln ebenbürtiges oder sogar effizienzmäßig überlegenes Modell an die Seite zu stellen, nach einer vierzigjährigen Experimentierphase in der DDR und zahlreichen Dezentralisierungsbemühungen als gescheitert angesehen werden müssen. Es verschlägt immer noch den Atem, daß die DDR-Wirtschaftsministerin, Frau Luft, am 16. Januar 1990 vor der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf forderte, daß „mit der früheren zentralistischen Kommandowirtschaft radikal zu brechen ist" und daß „statt dessen zu einer funktionsfähigen Marktwirtschaft überzugehen" sei. Dabei geht es — so Frau Luft — um „eine Marktwirtschaft, die ökonomisch effizient ist und sich international als wettbewerbsfähig erweist, die demokratisch gestaltet wird, (die) sozialen und ökologischen Erfordernissen gleichermaßen Rechnung trägt und (die) zu ständiger Erneuerung fähig ist" 5 . Soviel zum ordnungspolitischen Versagen des DDR-Sozialismus.
II. Wege zur Marktwirtschaft Der zweite Teil des mir gestellten Themas, die Frage, ob die ordnungspolitischen Defizite der DDR-Wirtschaft durch marktwirtschaftliche Reformen überwunden werden können, läßt sich im Anschluß an Frau Luft mit einem einfachen Ja beantworten. Es gibt wohl mit Ausnahme einiger Gruppierungen in Sowjetrußland und jener, die die Rede von der demokratischen Gestaltung der Marktwirtschaft im Sinne eines syndikalistisch-sozialistischen Modells der Wirtschaftsdemokratie deuten, derzeit nur wenige Politiker oder Ökonomen, die ihre Hoffnungen und Empfehlungen nicht auf die Marktwirtschaft setzen. Inwieweit es sich hier um einen echten Paradigmenwechsel handelt, sei offengelassen. Das zu bewältigende Problem, die Überführung einer sozialistischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft mit starker Ausgestaltung der sozialen Sicherung, ist gigantisch. Es liegen bisher keine Vergleichsfälle vor. Die zu lösende Aufgabe unterscheidet sich grundlegend von der Privatisie5
Christa Luft, a.a.O., S. 2.
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rungsdiskussion, in der es um das private Angebot öffentlicher oder meritorischer Güter wie Schulbildung, Elektrizitätserzeugung, Telekommunikationsleistungen, städtische Personentransporte, Wasserlieferung und Kanalreinigung u. a. geht. Auch das vielzitierte Beispiel der Währungs- und Wirtschaftsreform in den Westzonen im Jahre 1948 beschreibt das Problem nur unzulänglich. Damals war der Übergang zur Demokratie, auch wenn die Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Reform noch nicht bestand, unbestritten und er wurde von allen politischen Kräften angestrebt. Ferner waren die privaten Eigentumsrechte in der Phase der Wirtschaftslenkung (1936 bis 1948) im Kern erhalten geblieben und die Regeln einer Marktwirtschaft nicht nur in Erinnerung, sondern auch durch eine intensive öffentliche Diskussion vielen bewußt. Gegenwärtig gelobt zwar die zur PDS umgewandelte Partei in der DDR den Übergang zu Demokratie, Mehrparteiensystem und Marktwirtschaft. Aber sie kämpft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darum, in der neuen Ordnung wieder eine bedeutsame politische Kraft zu werden, ja sie vielleicht demnächst wieder nach ihren Vorstellungen zu bestimmen. Hinzukommt, daß die wirtschaftliche Situation in der DDR nur unzureichend bekannt ist und daß — nicht unähnlich dem Fall eines Großkonkurses — mit jedem weiteren Schritt in Richtung auf eine deutsch-deutsche wirtschaftliche Integration neue Tatsachen bekannt werden, die die DDR-Wirtschaft ständig in einem düsterer werdenden Licht erscheinen lassen. Unabhängig von den anstehenden Sanierungsfragen aber lassen sich ordnungspolitisch für die Übergangsphase zur Marktwirtschaft vier Probleme ausmachen, die kurz als Freiheits-, Akzeptanz-, Staat/Gesellschafts- und als Eigentumsproblem bezeichnet werden sollen.
a) Das Freiheitsproblem
„Freiheit", nicht „Reisefreiheit" lautete die Antwort der ersten Übersiedler auf die Frage nach den Gründen ihrer Flucht beim Verlassen Ungarns im Sommer 1989. Ausfluß der friedlichen Revolution seit Oktober 1989 ist die Wiedergewinnung der Meinungsfreiheit in öffentlichen Massenprotesten. Andere wesentliche Bestandteile der Freiheit, wie die Freiheit der Presse, der Wissenschaft, der Vereinigung werden von den DDR-Bürgern verlangt und ohne staatliche Einwilligung in Anspruch genommen. Gleichwohl fehlen zahlreiche materielle Voraussetzungen zur Wahrnehmung dieser Freiheitsrechte. Das liegt einmal am Fortbestehen der zwar zerfallenden, aber immer noch existenten Zentralverwaltungswirtschaft, die die nach wie vor an den Kontrollhebeln Sitzenden zu ihren Gunsten nutzen, und zum anderen an der noch fehlenden rechtlichen Absicherung der genannten Freiheiten. Die völlige Verstaatlichung der Wirtschaft, des Rechtswesens, der Presse,
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der Kultur, des Schul- und Ausbildungswesens und der Wissenschaft unter dem alten System wirft zahlreiche Ordnungsprobleme auf. Wirtschaftlich relevant wird das Freiheitsproblem bei der Garantie der unternehmerischen Freiheit, bei der Freiheit, Eigentumsrechte an Produktionsmitteln zu besitzen, zu erwerben und zu tauschen, aber auch bei der Freiheit der Zu- und Abwanderung von Menschen und bei der Freizügigkeit des Kapitals und der privaten Aneignung von Gewinnen. Ob das Verlangen nach Freiheit und die ordnungspolitische Problematik der Freiheitssicherung in der DDR richtig verstanden werden, ist im Augenblick schwer zu sagen. Die Unsicherheit über das eigene wirtschaftliche Schicksal unter den Regeln einer freien Marktwirtschaft läßt mitunter die ständigen Reglementierungen unter dem sozialistischen Regime als Ausfluß einer Ordnung erscheinen, die zwar nur geringen Wohlstand, dafür aber ein außerordentlich hohes Maß an Sicherheit verbürgte. Demgegenüber scheint das Maß an Selbstverantwortung unter den Regeln der Freiheit manchem bedrückend.
b) Das Akzeptanzproblem
Der Übergang zur Marktwirtschaft bedeutet in der Sprache der constitutional economics ausgedrückt, daß der Gesellschaftsvertrag neu zu schreiben und zu vereinbaren ist. Gesellschaftsverträge sind aus dieser Perspektive analog den Zwei-Personen-Verträgen zu sehen, d. h. sie sollen ebenfalls auf freiwilliger Zustimmung der Beteiligten beruhen. Gerade dieser Gesichtspunkt ist, wenn man nicht in die alten Fehler des Totalitarismus oder des ihm verwandten patemalistischen Obrigkeitsstaates zurückfallen will, gegenwärtig von besonderem Interesse. Auch wenn man davon ausgeht, daß das Interesse an individueller Wohlstandsverbesserung allen Beteiligten gemein ist und daß die Ablehnung der zentraladministrativen Methoden der Wirtschaftslenkung weitgehend geteilt wird, folgt daraus nicht, daß Markt und Wettbewerb als Systeme der gesellschaftlichen Arbeitsteilung von den Betroffenen mehrheitlich akzeptiert werden. Dies kann einmal die Frucht eines jahrzehntelangen sozialistischen Erziehungsprozesses sein, zum anderen aber auch echten Besorgnissen über die eigene Stellung in der neuen wirtschaftlichen Ordnung entspringen. Produkte kollektiver Erziehung erweisen sich, wenn sie nicht in Tiefenschichten des Bewußtseins abgesunken sind, in der Regel als wenig haltbar. A n den Sorgen um die eigene Position aber entbrennen politische Diskussionen und die Strategien des rentensuchenden Verhaltens (rent-seeking). Der Erfolg von Wirtschaftsreformen hängt entscheidend davon ab, daß das Streben nach Privilegierungen kein großes Gewicht erlangt. Mancur
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Olson 6 führt den Erfolg der deutschen Wirtschaftspolitik nach 1948 vor allem darauf zurück, daß die alten Verteilungskoalitionen zerstört waren und neue sich noch nicht wieder organisiert hatten. Im Falle der DDR könnte dies anders sein. Die Bereitschaft der organisierten Interessenverbände, nach den im März anstehenden Wahlen ihre Dienstleistungen im anderen Teil Deutschlands anzubieten, ist groß. Andererseits können die erforderlichen Umstellungen nur dann zu Erfolgen auf breiter Front führen, wenn die Anpassungsbereitschaft nicht durch Besitzstandsansprüche nachhaltig geschwächt wird. Das verlangt ein hohes Maß an Bereitschaft, die Regeln des Marktes zu akzeptieren. Die Akzeptanz könnte nachhaltig gestärkt werden, wenn auch hierzulande die zahlreichen gesetzlich oder vertraglich fixierten Inflexibilitäten und die daraus fließenden Marktrenten durch Reformen angegangen würden. Dadurch würde auch die Absorptionskapazität des westdeutschen Arbeitsmarktes nachhaltig gesteigert werden und gleichzeitig würde der Abbau von künstlichen Marktrenten bei freien Berufen, im Handel und im Gewerbe die Beschäftigung in diesen Sektoren ausdehnen. Die Realeinkommen würden steigen und der dynamische Expansionsprozeß, der für den Abbau der Wohlstandsunterschiede des Ostens gegenüber dem Westen erforderlich ist, gewänne an Beschleunigung.
c) Die Abgrenzung von Staat und Gesellschaft als Ordnungsproblem
Freie Parlamentswahlen, aus denen die demokratischen Kräfte siegreich hervorgehen, sind die Hoffnung aller, die in Deutschland die Demokratie hoch schätzen. Neben den Volkskammerwahlen in der DDR sind die Kommunalwahlen von gleich großer Bedeutung und, wenn die DDR zu einem föderalen Staat hinfinden will, die Wahlen auf Landesebene. Dennoch ist damit das Problem der Sicherung der politischen und wirtschaftlichen Freiheit noch längst nicht gelöst. Das zweite Ordnungselement einer freiheitlichen Demokratie im Gegensatz zur Volksdemokratie ist die Beschränkung der Macht der Kollektive, d. h. der politischen Macht. In der Rechtssprache wird dieses Problem als die Trennung von Staat und Gesellschaft bezeichnet, in der Politologie wird von der Ablehnung der Identitätstheorie der Demokratie gesprochen. In beiden Fällen ist die Beschränkung des staatlichen Zwangsmonopols auf einen eng zu definierenden hoheitlichen Bereich gemeint. Im Licht der ökonomischen Vertragstheorie geht es erstens um die Sicherung der Eigentumsrechte durch den 6 Mancur Olson (1985), Aufstieg und Niedergang von Nationen: ökonomisches Wachstum, Stagflation und soziale Starrheit, in: Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Band 42, Tübingen.
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Rechtsschutzstaat und zweitens um das Betreiben eines eng definierten Leistungsstaates dort, wo die spontanen Kräfte des Marktes die gewünschten Güter und Dienstleistungen nicht oder nur ungenügend hervorbringen. Alle übrigen Materien sind — im Gegensatz zum sozialistischen System — den Bürgern zur freien Entscheidung zu überlassen. In heutigen Interventionsstaaten wird diese Grundregel des freiheitlichen Zusammenlebens in einem Staat häufig durch Maßnahmegesetze verletzt. Solange diese der richterlichen Überprüfung auf ihre Kompatibilität mit der Verfassung unterliegen, sind hier Bremsen gegen die Überausdehnung der staatlichen Macht eingebaut. Sollte die DDR als selbständiger Staat über eine längere Periode bestehen wollen — was unter dem Druck der Ereignisse zusehends unwahrscheinlicher wird — so wird sich diese ordnungspolitische Problematik nicht umgehen lassen. Sie kann durch ein Parlament, dessen Mehrheitsfraktion gleichzeitig die Regierung stellt und stützt, nicht bewältigt werden. Es bedürfte einer gesetzgebenden Versammlung, die im Rahmen einer freiheitlichen Ordnung einen neuen Gesellschaftsvertrag — nicht einen Herrschaftsvertrag des überkommenen Musters — zu formulieren hätte. Das britische Modell, der Verzicht auf eine geschriebene Verfassung — er mag einer alten Demokratie wohl anstehen, auch wenn er das Problem der Parlamentssouveränität nicht löst — käme angesichts von mehr als einem halben Jahrhundert politischer Unterdrückung im östlichen Teil Deutschlands nicht in Frage. Solange aber eine verläßliche Verfassung nicht zur Verfügung steht, werden die Grenzen der Regierungsmacht einer demokratischen Regierung in der DDR kein gering zu veranschlagendes Problem sein 7 . Auch demokrtisch gewählte Politiker unterliegen der Verführung durch Macht, wie die public-choice Schule zu Recht betont.
d) Die zentrale Bedeutung der Eigentumsfrage
Die Frage der Eigentumsordnung steht im Zentrum der anzustrebenden Umgestaltung der DDR-Wirtschaft. Sie wird gerne als ideologisches Problem abgetan. Tatsächlich ist jedoch das „sozialistische Eigentum" an den Produktionsmitteln das Instrument, durch das die SED ihre Herrschaft im wirtschaftlichen Bereich sicherte. Sofern Ressourcen nicht herrenlos sind, sind diejenigen, die im Besitz der mit ihnen verbundenen Handlungsrechte sind, die Herren über den Einsatz. Dies gilt auch für künftige Inhaber der staatlichen Macht. Auch wenn diese — anders als ihre sozialistischen Vorgänger — willens sind, sich rechtsstaatlichen Kontrollen zu unterwerfen, ist die Gefahr von Amtsmißbrauch angesichts der hohen Kontrollkosten, die den 7 In diesem Zusammenhang zeigen sich ein weiteres Mal die Vorteile einer Beitrittslösung. Vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen Unterbrechung freiheitlicher Traditionen dürfte es sehr schwer fallen, die ordnungspolitischen Aufgaben der Freiheitssicherung in ein funktionsfähiges Gesetzeswerk zu fassen.
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Bürgern bei der Überwachung ihrer Regierung entstehen, nicht auszuschließen. Für die Entwicklung der positiven Wohlstandsfolgen einer marktwirtschaftlichen Ordnung aber ist es notwendig, daß große Teile der Verfügungsrechte über Produktionsmittel in privater Hand sind. Die Vorstellung, daß der überwiegende Teil in Gemeineigentum verbleiben solle, ist mit einer Privatrechtsordnung wie der Marktwirtschaft nicht kompatibel. Nur wenn die Produktionsmittel größtenteils privatisiert und die im Staatseigentum befindlichen Unternehmen wirtschaftlich selbständig sind und sich erwerbswirtschaftlich verhalten, dann entstehen für die vielfältigen Formen des Kapitals Märkte. Sie spiegeln die Präferenzen der Nachfrager und die erwartete Ertragsfähigkeit der Objekte wider. Die eingesetzten Ressourcen gewinnen die Eigenschaften von Kapitalgütern, die anders als unter dem Regime des Kollektiveigentums nicht mehr übernutzt, sondern von ihren Eigentümern gepflegt werden. Zur Überführung des Kollektiv- in Einzeleigentum sind in jüngerer Zeit zahlreiche Vorschläge gemacht worden. Sie reichen vom Verkauf von Eigentumswohnungen bis hin zur Privatisierung der Volkseigenen Betriebe, z. B. durch Aktienemission oder Gratisaktien an die Belegschaften, an die ortsansässige Bevölkerung oder an alle Bürger der DDR. Derartige Maßnahmen, so sehr sie für das Entstehen von Wettbewerbspreisen wünschbar sind, lassen sich nicht kurzfristig durchführen. Wahrscheinlich ist es daher für eine längere Frist unvermeidbar, die großen Kombinate, die ihrerseits häufig sektorale Monopole sind, vorerst im Staatseigentum zu belassen. Um eine Annäherung an eine private Eigentumsordnung zu erreichen, ist es jedoch zwingend erforderlich, daß die Kombinate wirtschaftlich selbständig werden, daß sie nicht länger der Pflicht zur Ablieferung von Gewinnen an den Staat unterliegen und daß sie auch nicht länger aus dem Staatshaushalt subventioniert werden. Daraus erwächst die ordnungspolitische Aufgabe, ein der Marktwirtschaft angepaßtes Steuersystem zu schaffen, das den Kombinaten die Eigendisposition über ihre Gewinne beläßt, und die Notwendigkeit, Vorkehrungen einzubauen, daß sie sich nicht unter dem ungewohnten Druck der ausländischen und inländischen Konkurrenz auf ein rentensuchendes Verhalten verlegen. Befriedigende ordnungspolitische Sicherungen dürften, wie westdeutsche Erfahrungen zeigen, nicht leicht zu finden sein.
III. Ausmaß und Geschwindigkeit des Übergangs Während die DDR-Übergangs-Regierung bis vor kurzem noch für einen geordneten, sich über mehrere Jahre erstreckenden Übergang von der Zen1 Konjunkturpolitik, Bcihcll M
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tralverwaltungs- zur Marktwirtschaft plädierte, ist sie mittlerweile von der Sorge getrieben, daß es zu einem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft in naher Zukunft kommen könnte. Die dabei vorgebrachten Argumente sind die weiter anhaltende Abwanderung, die wachsende Ungeduld der DDRBevölkerung, die sich sowohl in Resignation als auch Aufbegehren gegen die verbliebenen staatlichen Autoritäten Luft verschafft und die Furcht vor chaotischen Zuständen durch eine um sich greifende Rechtslosigkeit. Ob sich zu diesen Problemen noch eine internationale Zahlungsunfähigkeit der DDR und eine Überschuldung der großen Unternehmen gesellt, ist vorerst offen. Die Einschätzung des wahren Gewichtes der von der DDR-Regierung vorgetragenen Argumente von außen ist schwierig. Weder die anhaltende Abwanderung noch die Proteste der Bürger sind jedoch ökonomisch verwunderlich. Im Rahmen des zerfallenden Planungssystems trifft die Abwanderung die Zurückbleibenden zwar schwer, da weder durch verbesserte Lohnangebote noch durch Substitution z.B. durch Auslandsbezug, noch durch technische Umrüstungen oder durch inländische Wanderungen von Arbeitskräften zwischen Beschäftigungsorten oder Branchen reagiert wird. Gleichzeitig hat die amtierende Regierung aber auch wenig getan, um durch gesetzgeberische Maßnahmen oder durch das Aufheben zahlreicher ineffizienter Reglementierungen die Produktionsmöglichkeiten zu verbessern. Das Aufbegehren, genauer: der Widerspruch gegen die staatlichen Autoritäten ist nur die andere Seite der Hirschmanschen Konzeption von Abwanderung und Widerspruch. Allgemein gilt, daß die Inhaber eines Machtmonopols sich beiden Reaktionen gegenübersehen, wenn die Bürger Freiheitsspielräume erobern. Daraus folgt, daß mit der Demokratisierung der politischen Bedingungen und bei Wegfall der Sorge vor einem Rückfall in die alte Zwangsordnung in das Kalkül der Abwanderer, das jetzt noch stark durch politische Erwägungen bestimmt sein mag, zunehmend ökonomische Erwägungen einfließen werden, zumal eine echte Demokratisierung in der DDR den Anspruch auf Übersiedlungshilfen obsolet macht und es nahelegt, Übersiedler wie westdeutsche Bürger im Blick auf ihre Hilfsansprüche gegenüber der Allgemeinheit zu stellen. Binnenwanderungen, die vorwiegend wirtschaftlich bedingt sind, werden jedoch nach aller Erfahrung nicht das Ausmaß annehmen, welches in neuerer Zeit befürchtet wird. Schließlich spiegelt die von der DDR-Regierung beschworene Furcht vor chaotischen Zuständen die Aufkündigung des bestehenden Herrrschaftsvertrages wider. Das schließt in der Tradition des kontrakttheoretischen Denkens nicht ein, daß die Bürger es ablehnten, an die Stelle des jetzigen Herrschafts- und Unterwerfungsvertrages einen echten Gesellschaftsvertrag zu setzen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Daß allerdings der Unterschied zwischen beiden Arten von Verträgen denjenigen nicht einsehbar ist, die
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unter dem Regime der totalitären Herrschaft ihre politische Karriere absolviert haben, liegt nahe. Die Diskussionen über die Lebensfähigkeit der DDR und die jüngsten politischen Entwicklungen in Richtung der deutschen Einheit aber lassen es geboten erscheinen, von der Illusion eines geordneten, allmählichen und durch die Politik gelenkten Übergangs Abschied zu nehmen. Der politische Einigungsvorgang kann sich sehr wohl als ein spontaner und chaotischer Prozeß vollziehen, in dem politische Steuerungs- und Lenkungsmanöver überrollt werden. Es kann durchaus der Fall eintreten, daß die Politiker und Gesetzgeber nur noch konstatierende Funktionen wahrnehmen können. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorschlag zu sehen, zwischen beiden deutschen Staaten eine Wirtschafts- und Währungsunion zu bilden. Dabei wird empfohlen, nicht den europäischen Weg zu gehen und zuerst die Wirtschaftsunion zu schaffen, sondern es wird umgekehrt gefordert, gleichzeitig die Währungs- und die Wirtschaftsunion zu errichten. Ziel dieses ungewöhnlichen Vorgehens bei der wirtschaftlichen Integration zweier Länder soll sein: die Wendung der Erwartungen der DDR-Bürger ins Positive, die Bremsung der Abwanderung aus der DDR und die Beschwichtigung von Besorgnissen, die sich mit der Massenzuwanderung in die Bundesrepublik verbinden. Gegen eine solche Politik sind mehrere Einwände vorzubringen. Die Begriffswahl und die damit erzeugte Analogie zum europäischen Integrationsprozeß sind eher irreführend als aufhellend. Tatsächlich wird im vorliegenden Fall unter „Währungsunion" nicht ein Abkommen zwischen zwei souveränen Staaten verstanden, sondern das Außerkraftsetzen der Mark der DDR als Währung und deren Ersetzung durch die D-Mark. Anderenfalls wäre vorrangig über die Verfassung einer gemeinsamen Notenbank, die geldpolitische Willensbildung, die Unabhängigkeit von politischen Weisungen und andere Punkte, die beispielsweise der Delors-Bericht im Hinblick auf eine europäische Notenbank erörtert, zu verhandeln. Ganz werden sich Fragen dieser Art auch bei Einführung der D-Mark als Währung nicht vermeiden lassen, denn immerhin würden durch eine DDR-Landeszentralbank (oder deren sogar fünf) die Gewichte im Zentralbankrat deutlich verschoben. Neben der politischen Frage, welches Gewicht einem Bundesland in der Geldpolitik zukommen soll — in der Bundesrepublik sind diese Gewichte gemessen an der Bevölkerungszahl höchst ungleich verteilt — sind jedoch die volkswirtschaftlichen Fragen von Bedeutung. Eine Währungsunion kann nicht die realwirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR, das Produktivitäts- und Wohlstandsgefälle zum Westen hin, beseitigen. Ihre Einführung ohne einen gleichzeitigen Systemwandel würde den Aufholprozeß der DDR in vielfacher Hinsicht gefährden. Zu fragen ist zunächst, welches Umstellungsverhältnis der Fixierung der Wechselkurse zu2·
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gründe gelegt werden soll. Politisch liegt es nahe, den Kurs von 1:1 zu favorisieren. Ob er realistisch und tragfähig ist, kann angesichts des Fehlens zentraler Daten gegenwärtig nicht beurteilt werden. Je nach dem, welches Übereinkommen mit der DDR erzielt wird, wird der Sanierungsbeitrag der Bundesrepublik größer oder kleiner ausfallen. Es geht also auch um einen Verteilungskonflikt. Kommt eine Umstellungsrelation zustande, die die Mark der DDR stark aufwertet — nach der Meinung vieler Beobachter wäre dies bei einem Kurs von 1:1 der Fall —, dann wäre zunächst mit einer Konsumexpansion in der DDR zu rechnen. Sie könnte sich vor allem in der Bundesrepublik inflatorisch entladen. Die negative Folge einer zu günstigen Umstellungsrelation a^er wäre, daß dann das Kostenniveau der DDR wahrscheinlich zu hoch würde, um für Kapitalimporte aus dem Westen attraktiv zu sein. Fehlt in einer solchen Situation das Wechselkursventil, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, so muß die Anpassung bei Preisen und Löhnen stattfinden. Sind diese nach unten rigide, so bleiben als Alternativen nur staatliche Transfers aus der Bundesrepubkik oder die Abwanderung aus der DDR übrig. Erstere sind erfahrungsgemäß nicht geeignet, die wirtschaftliche Lage eines Landes nachhaltig zu verbessern, sie verzerren überdies die Preise und begünstigen rentensuchendes Verhalten. Letzteres ruft möglicherweise Übersiedlungen hervor, die gemessen an den Produktionsmöglichkeiten der DDR unter Umständen zu hoch sind. Kann einer solchen Entwicklung durch den schnellen Übergang zu einer Währungs- und Wirtschaftsunion entgegengesteuert werden? Dies dürfte angesichts der Schwierigkeiten, die in der Aufbauphase einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu erwarten sind, nicht ohne Probleme sein. In ihr gibt es, wie die westdeutschen Erfahrungen nach 1948 zeigen, zunächst starke Veränderungen der relativen Preise und des Preisniveaus. Unter solchen Bedingungen begegnet die Setzung eines Umstellungskurses unüberwindbaren Schwierigkeiten. Würde er beispielsweise zu ungünstig für die Einkommensbezieher der DDR gewählt, dann sähen sich diese erheblichen Kürzungen ihrer in D-Mark ausgedrückten Einkommen gegenüber. Sie würden dann noch geneigter sein, in die Bundesrepublik zu übersiedeln. W i e wird alles dies auf die Erwartungen der Menschen in der DDR und ihre Bereitschaft, den Wiederaufbau ihrer Wirtschaft tatkräftig voranzutreiben, wirken? Gleichgültig, ob die Umstellungsrelation zu günstig oder zu ungünstig gewählt wird, in beiden Fällen wird entweder durch die zu erwartende rezessive Entwicklung oder durch die ruckartige Ausdehnung der Einkommensdifferenzen die Neigung zur Abwanderung verstärkt werden. Im ersten Fall wird die erhoffte Zuwanderung von Kapital in die DDR ausbleiben oder nicht so umfangreich ausfallen, wie erhofft. Im zweiten Fall steigt mit der Abwanderung der Anreiz zu Kapitalexporten in
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die DDR, da Arbeitskräfte dort billig sein werden — vorausgesetzt, ihre bisherige Produktivität sinkt nicht. Eine solche Entwicklung setzt voraus, daß die Systemänderung in der DDR schnell vorankommt. Ohne freie Preise, ohne Ausweitung der Eigentumsrechte am Produktivkapital, ohne den Markteintritt vieler neuer Unternehmer kann der wirtschaftliche Aufschwungprozeß nicht in Gang kommen. Eine Währungsunion läßt sich, wenn die erforderlichen Gesetze geschaffen sind, quasi über Nacht realisieren. Verhält es sich ähnlich bei den gleichzeitig zu verwirklichenden ordnungspolitischen Reformen? Freiheitliche Reformen unterscheiden sich grundlegend von den erforderlichen Schritten beim Aufbau einer Zentralverwaltungswirtschaft oder von der normalen Politik in befestigten Ordnungsstrukturen. Zunächst sind grundlegende Maßnahmen wie die Auflösung von Kontrollbehörden, die Abschaffung von Reglementierungen, besonders des Außenhandelsmonopols, und die verfassungsmäßige Garantie von persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit erforderlich. Der dynamische Expansionsprozeß selbst bedarf keiner weiteren Steuerung. Es ist jedoch erforderlich, kontraproduktive Handlungen wie eine Erhöhung der Löhne über den Produktivitätsfortschritt hinaus, das Entfachen von Verteilungskonflikten oder die Beschädigung der ordnungspolitischen Grundlagen der Marktwirtschaft zu vermeiden. Je schneller sich freie Preise einpendeln, je freier sich der Güter- und Kapitalverkehr mit der Bundesrepublik abspielt und je weniger an der jetzt schon tatsächlich für den nicht-kommerziellen Wirtschaftsverkehr bestehenden und hoffentlich recht bald auch für den gesamten Wirtschaftsverkehr geltenden Konvertibilität gerüttelt wird, um so eher kann die DDR ihre komparativen Kostenvorteile in einem gleichzeitig sich entfaltenden Aufschwung zur Geltung bringen. Um so mehr werden sich dort auch — vorausgesetzt, die Umwelt- und die Infrastrukturprobleme werden mit tatkräftiger westdeutscher Hilfe angegangen — wieder Wohlstands- und Einkommenschancen entwickeln. Dies kann auch Anreize zur Rückwanderung schaffen. Eine solche Entwicklung ist aber wirtschaftspolitisch leichter zu begleiten, wenn im Prozeß der Herausbildung neuer Gleichgewichte der Wechselkursmechanismus vorerst bestehen bleibt und der Lohnmechanismus, der sonst neben Abwanderungen und Transfers die Hauptlast zu tragen hat, weniger stark tangiert wird. Der Dynamik der zu erwartenden Datenänderungen in der Übergangsphase können veränderliche Kurse leichter Rechnung tragen. Gewiß ist auch eine Politik denkbar, in der die DDR durch Beitritt oder gesetzliche Übernahme der wichtigsten Teile des westdeutschen Privat-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechtes (bei angemessenen Übergangsregeln) ihr bestehendes Wirtschaftssystem abschafft und gleichzeitig die Einfüh-
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Christian Watrin
rung der D-Mark als Währung verlangt. Das Tariflohnsystem müßte dann so ausgestaltet werden, daß abgestufte Löhne in Ost und West solange beibehalten werden, wie ausgeprägte regionale Ungleichgewichte bestehen. Auch die Leistungen des Sozialstaats könnten erst allmählich und nach Einigung auf das westdeutsche System, das sich grundlegend von demjenigen in der DDR unterscheidet, angepaßt werden. Ohne Zweifel würden durch einen Beitritt nach Art. 23 GG die rechtspolitischen Probleme mit einem Schlag gelöst. Sicherlich würde dies nicht nur den politischen Hoffnungen auf einen schnellen Vollzug der staatlichen Einigung großen Auftrieb geben. Ebenso bedeutsam wäre gleicheitig die Vereinheitlichung der Investitionsbedingungen im gesamten Integrationsraum. Dies könnte für die DDR angesichts des erforderlichen Kapitalbedarfs für die Modernisierung ihrer Wirtschaft von größtem Nutzen sein. Ordnungspolitisch dürfte der Vorteil einer Beitrittslösung schließlich darin bestehen, daß nicht nur ein jahrelanges Tauziehen um eine gesamtdeutsche Verfassung einschließlich ihrer Inkraftsetzung vermieden würde, sondern daß gleichzeitig auch die in Westdeutschland bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung unbeschädigt bliebe. Wirtschaftlich hätte dies zudem den Vorteil, daß der anderenfalls zu befürchtende Attentismus der westdeutschen und internationalen Investoren nicht aufkommen dürfte. Gleichwohl dürfte der schnelle Übergang zu einer einheitlichen Währung und zur völligen Herstellung von freiem Handel, freiem Kapitalverkehr und uneingeschränkter Wanderungs- und Niederlassungsfreiheit Probleme aufwerfen, die vor allem in den damit verbundenen finanziellen Lasten und ihrer Verteilung liegen.
Reformdiskussionen und Reformansätze in der DDR Von Doris Cornelsen, Berlin Nach der „Wende" hat sich in der DDR der Erkenntnisprozeß über die neue Gestaltung der Wirtschaft in Stufen vollzogen. Es begann mit Überlegungen, wie man die bürokratisierte Planwirtschaft überwinden, aber gleichzeitig sinnvoll Elemente von Plan und Markt kombinieren könne. Sehr schnell setzt sich dann der Gedanke durch, daß nur in einer Marktwirtschaft eine hohe Leistungsfähigkeit erreicht werden kann, daß dazu aber ein langsamer Übergang erforderlich ist. Die letzte Stufe in diesem Prozeß ist die Forderung nach sofortiger Einführung der Marktwirtschaft ohne Übergangsphase, um radikal mit allen früheren Strukturen zu brechen. Dieser Erkenntnisprozeß ist generell in der DDR festzustellen, allerdings ist die letzte Stufe mit zunehmender Nähe zu den Problemen der Praxis am wenigsten ausgeprägt. Insofern sind Reformdiskussionen, Reformkonzepte und Reformansätze in der DDR drei verschiedene Ebenen: Die Diskussionen sind lebhaft und immer progressiver. Die Reformkonzepte sind vorsichtig und suchen abgesicherte Wege. Handfeste Reformansätze gibt es nur wenige; noch nicht viel ist passiert, um die Wirtschaft der DDR auf einen marktwirtschaftlichen Kurs zu bringen. 1. Die Reformdiskussionen in der Wissenschaft In der Wissenschaft hatte eine Reformdiskussion schon vor der „Wende" begonnen, nämlich mit den Positionspapieren, die zur Vorbereitung des eigentlich für Mai 1990 geplanten XII. Parteitags der SED in Auftrag gegeben worden sind. Zwar sind diese Papiere nicht veröffentlicht worden, sie haben aber größere interne Diskussionen entfacht, u. a. über die Rolle der Kombinate, die Bilanzierung, das Leistungsprinzip. Dieses letzte Thema ist dann schon mit bemerkenswerter Offenheit in der Zeitschrift Einheit, Heft 8/1989, behandelt worden Es wurde der Widerspruch in der Einkommensverteilung dargestellt: In der Theorie gilt das Leistungsprinzip, tatsächlich aber herrscht Gleichmacherei. Mängel in der Versorgung, Knappheit und fehlende Sortimentsvielfalt wurden als demotivierend bezeichnet. Einen weiteren publizistischen Niederschlag hatte die interne Diskussion allerdings nicht gefunden. Die Wirtschaftswissenschaft der DDR blieb strikt
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unter der Kontrolle des zentralen Parteiapparats. Der erste Aufsatz zu Fragen der Wirtschaftsreform wurde Anfang November 1989 veröffentlicht (Wolfgang Heinrichs, A d W , und Wolfram Krause, heute Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform bei Christa Luft: Wirtschaftsreform-Element der Erneuerung des Sozialismus. In: Neues Deutschland vom 3.11.1989). Der Aufsatz war damals sensationell, aus heutiger Sicht ist er sehr vorsichtig. Vorgeschlagen wurde ein funktionierender Marktmechanismus, eine andere Preisgestaltung und eine differenzierte Nutzung aller Eigentumsformen. Die Ökonomen der DDR sind seitdem, befreit von der Zensur, mit immer weitergehenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten, in Zeitungen und Zeitschriften in der DDR wie auch im Westen. Von der Akademie der Wissenschaften war es besonders Uwe Schmidt (Der Morgen vom 17.11.1989), der mit Hinweis auf die offenen Grenzen eine schnelle und radikale Veränderung in Richtung Marktwirtschaft forderte. Von der Hochschule für Ökonomie sind beispielhaft Helmut Richter (ND vom 17.11.1989 und 23.11.1989, sowie Die Welt vom 23.11.1989), Eugen Faude (Die Welt vom 24.11.1989), Hans Knop und Gert Wilde (Junge Welt vom 29.11.1989) zu nennen. Von der Universität Dresden hat Alfred Jugel zehn Punkte für eine Wirtschaftsreform entwickelt (in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.11.1989), eine sehr engagierte marktwirtschaftlich orientierte Stellungnahme stammt von Manfred von Ardenne (in: ND vom 30.11.1989). Ein Beispiel für ein vorsichtigeres Herangehen ist Heinrich Seickert, A d W (ND vom 6.1.1990). Konsens besteht im Kreis der Ökonomen in der grundsätzlichen Bejahung der Marktwirtschaft: Gleichbehandlung aller Eigentumsformen, Abbau von Planung und Bilanzierung, Selbständigkeit der Betriebe, Preisreform, Gewerbefreiheit. Unterschiede gibt es bei der Beurteilung der Rolle von Planung im Rahmen der Marktwirtschaft, der Frage der Dominanz staatlichen Eigentums und der notwendigen Übergangsperiode (Gradualismus versus rascher Wandel). In einigen Positionen aus dem gesellschaftspolitischen Bereich geht es um die Bewährung einer sozialistischen Identität. Beispiel dafür ist Rainer Land (Humboldt-Universität). Er verweist darauf, daß die Bundesrepublik starke Gewerkschaften und Verbände, Öko-Organisation und andere organisierte Gruppen hat, die DDR aber nur schwache organisierte gesellschaftliche Kräfte. Als Gegengewicht zum Vordringen der „kapitalistischen" Wirtschaft schlägt er Wirtschafts- und Sozialräte als sozialistische Variante der Aufsichtsräte vor. Damit könne auch der Furcht vor einem „Ausverkauf" von Volksvermögen entgegengewirkt werden. Ähnlich ist die Position des Prorektors der Humboldt-Universität, Dieter Klein, (vgl. seine Rede vor dem außerordentlichen Parteitag der SED, in: ND vom 18.12.1989) in seinen „Bemerkungen zum dritten Weg".
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Bemerkenswert ist, daß in allen Stellungnahmen einhellig die große Bedeutung der Kooperation mit westlichen Unternehmen — bis hin zu Joint Ventures — hervorgehoben — wird. Für viele Wissenschaftler ist die Zusammenarbeit mit westlichen Betrieben geradezu das Fundament für einen Erfolg von Wirtschaftsreformen in der DDR. Eine ähnliche Einschätzung findet sich bei den politischen Parteien und bei der Regierung. 2. Die Wirtschaftsprogramme der Parteien Die SED hat auf der 10. Tagung ihres Zentralkomitees am 8.11.1989 eine deutliche Kritik an den Fehlentwicklungen der Wirtschaft geübt und als ersten Schritt ein Stabilisierungsprogramm, als zweiten Schritt eine radikale Wirtschaftsreform als notwendig erachtet (ND vom 9.11.1989). Bei diesen Anfängen eines „neuen Denkens" war das Ziel noch eine „marktorientierte sozialistische Planwirtschaft" mit Volkseigentum und zentraler staatlicher Planung, Bilanzen, Staatsplänen und Staatsaufträgen. Seitdem zerbricht der Zusammenhalt dieser Partei. Es haben sich verschiedene „Plattformen" gebildet (die kommunistische, die sozialdemokratische, die des „Dritten Wegs", die des demokratischen Sozialismus), mit verschiedenen Ausprägungen. Im einheitlichen „Standpunkt zu Grundfragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik" (ND vom 20./21.1.1990) ist das Ziel die Marktwirtschaft, mit sozialer und ökologischer Ausgestaltung (Recht auf Arbeit, Erhaltung des sozialen Netzes, gleiche Entwickungschancen, umweltschonende Produktionsweise). Von den „Blockparteien" hat die CDU als erste ein Wirtschaftsprogramm mit klarer marktwirtschaftlicher Linie vorgelegt. Kernpunkte sind: Auflösung der Kombinate, Wettbewerb anstelle von Monopolen, Beschränkung der staatlichen Eingriffe in den Markt, Schaffung von Rechtssicherheit für private Unternehmen unterschiedlicher Formen und für internationales Kapital, kurzfristige Angleichung der Preise an den Weltmarkt, eine „kontrollierte Teilkonvertibilität" der Mark der DDR. Bei alledem ist das „soziale Netz" umfassend auszubauen (Neue Zeit vom 18.1.1990). Die ersten Äußerungen der CDU zu einer agrarpolitischen Konzeption betonen, daß die Eigentumsfrage im Rahmen der Genossenschaften neu definiert werden müsse (Neue Zeit vom 17.1.1990). Die LDP hat ebenfalls Marktwirtschaft, Gewerbefreiheit, Preisreform und Konvertierbarkeit in ihr Wirtschaftsprogramm aufgenommen (Der Morgen vom 18.1.1990). Die Bauernpartei hat schon früh (Bauern-Echo vom 4.11.1989) zur Agrarpolitik Stellung genommen und die Eigenständigkeit und Neuorientierung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zum Programm gemacht. Die SPD fordert in ihrem Wirtschaftsprogramm die Einführung einer sozialen, ökologisch orientierten demokratischen Marktwirtschaft. Der kon-
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sequent marktwirtschaftliche Weg ist auch das Ziel der mit der CDU in der „Allianz für Deutschland" zusammengehenden Parteien Demokratischer Aufbruch und Deutsche Soziale Union. Die vielen anderen neuen Parteien und Gruppierungen sind grundsätzlich — wenn auch mit Abstufungen — auf Marktwirtschaft orientiert. Überall werden werden die sozialen und ökologischen Ziele hervorgehoben. Die „Vereinigte Linke" verfolgt noch die „sozialistische" Linie, mit Volkseigentum statt Staatseigentum, die Grüne Partei betont ebenfalls das gemeinschaftliche Eigentum und die Bedeutung der staatlichen Rahmenplanung für soziale und ökologische Ziele. Die „linken" Gruppierungen sind offenbar die einzigen, die den eigenständigen Weg der DDR in ihr Programm geschrieben haben. Die anderen plädieren für Wirtschafts- und Währungseinheit der beiden deutschen Staaten.
3. Reformkonzepte der Regierung In den Stellungnahmen der Regierung ist der beschriebene Erkenntnisprozeß deutlich. In der Erklärung von Ministerpräsident Hans Modrow vor der 12. Tagung der Volkskammer am 17.11.1989 (ND vom 18./19.11.1989) wurde die Abschaffung der Planung noch nicht vorgesehen, vielmehr ging es darum, „den Markt zum organischen Bestandteil der Planung" zu machen. Im Dezember 1989 vertrat Hans Modrow vor den Generaldirektoren und anderen Praktikern bereits eine marktwirtschaftliche Linie. Die Regierung hat dann Sachverständige zur Wirtschaftsreform — etwa 200 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Praxis und Politik — berufen, die in elf Arbeitsgruppen Vorstellungen zu unterschiedlichen Punkten erarbeiten sollten (ND vom 10.1.1990). Richtschnur für die Arbeit war der Übergang zu einer Marktwirtschaft, die sozial und ökologisch orientiert ist (die Begriffe sozialistische Marktwirtschaft und marktorientierte Planwirtschaft sind Vergangenheit). Aufgabe der Sachverständigen war es außerdem, praktische Schritte für den Übergang zu entwickeln. Themen der Arbeitsgruppen waren Planung, Selbständigkeit der Betriebe, Eigentumsformen, Preis, Löhne, Außenhandel, Konvertibilität, Staatshaushalt, Banken, auch der notwendige rechtliche Rahmen. Die Sachverständigen haben ihre Ergebnisse der Arbeitsgruppe Wirtschaft des „Runden Tischs" zugleitet, eine Kurzfassung wurde veröffentlicht (ND vom 13./14.1.1990). Die Ergebnisse sind — auch in der sehr knappen Kurzform — uneinheitlich und zeigen, daß Personen unterschiedlicher Meinung beteiligt waren. Teils dominierten die engagierten Befürworter der Marktwirtschaft, teils die Vertreter einer vorsichtigen Linie. Die Vorsicht überwiegt bei den Vorschlägen zu praktischen Schritten über den Übergang. Marktwirtschaft soll in einer längeren von staatlichen Einflüssen geprägten Phase vorbereitet werden. Genehmigungsverfahren, Planung, Kennziffern, Normative — alles aus dem Instrumenten-
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kästen der Planwirtschaft — werden für einige Zeit als notwendig angesehen. Die Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform beim Ministerrat der DDR hat aus diesen und anderen Vorschlägen ein Papier erarbeitet, das als Beilage 1/90 der wiedererstandenen Zeitschrift „Die Wirtschaft" veröffentlicht worden ist. Das Papier wird als Entwurf eines Konzeptes für die Wirtschaftsreform bezeichnet, es besteht aus vier Teilen: —
Zielstellung der Wirtschaftsreform;
—
Grundrichtungen der Wirtschaftsreform;
—
Etappen der Wirtschaftsreform;
—
Unmittelbare Maßnahmen der Wirtschaftsreform im Jahre 1990.
Das Ziel ist eine sozial und ökologisch orientierte Marktwirtschaft, für die der Staat die rechtlichen Rahmenbedingungen setzt. In der Übergangsperiode sind wirksame Schritte zur Stabilisierung der Volkswirtschaft notwendig. Die unmittelbaren Risiken der Umgestaltung sieht die Arbeitsgruppe in der Gefahr einer inflationären Entwicklung und eines Absinkens des erreichten sozialen Standards. Staatliche Maßnahmen gegen diese beiden Risiken ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Einzelteile des Reformkonzepts hindurch. Der Abschnitt über die Grundrichtungen der Wirtschaftsreform behandelt Fragen der Eigentumsformen, des selbständigen Entscheidungsfeldes der Unternehmen, der Rahmenbedingungen durch den Staat und — ausführlich — der Stabilisierung. Der Abschnitt Eigentum enthält einen Passus über die Gewerbefreiheit und die Gründung von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung; außerdem wird hier der Vorschlag aufgenommen, die 1972 schlagartig in Volkseigentum verwandelten privaten oder halbstaatlichen Betriebe wieder in Privatbetriebe zu überführen. Mit den Passagen über die Betriebe und die Rahmenbedingungen durch den Staat werden die schon seit längerem festgelegten Grundsätze — Eigenständigkeit der Betriebe, Preisreform, schrittweiser Übergang zur Konvertibilität, Steuerreform, Bankenreform, — im Zusammenhang dargestellt. Zum kritischen Punkt „Soziale Sicherheit" wird eine neue Sozialgesetzgebung angekündigt, die auch Regelungen zur sozialen Absicherung bei Strukturwandel und Arbeitslosigkeit umfaßt. Die Subventionierung soll von der Objekt- zur Subjektförderung verlagert werden; Maßnahmen zur längerfristigen Bindung der Ersparnisse (Versicherungssparen, Bausparen, Erwerb von Sachwerten auch auf dem Gebiet des Grundstücks- und Wohnungswesens) werden vorgestellt. Für die Stabilisierung der Versorgung und der Produktionstätigkeit setzt die Arbeitsgruppe offenbar auf das Auslandskapital.
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Es gibt drei Etappen für die Reform: 1990 ist die Stabilisierungsphase mit dem Beginn der Neugestaltung; 1991 wird die Stabilisierung weitergeführt und der staatliche Einfluß auf die Wirtschaft weiter zurückgenommen; 1992 ist ein weitgehender Übergang auf marktwirtschaftliche Verhältnisse vorgesehen: Wegfall des Volkswirtschaftsplans und der Bilanzierung, Weiterführung der Freigabe der Preise, Abschluß der Wirtschaftsgesetzgebung; von 1993 an soll dann die „soziale und ökologische orientierte Marktwirtschaft" durchgängig wirksam sein. Die unmittelbaren Maßnahmen der Wirtschaftsreform für 1990 entsprechen den schon in den anderen Abschnitten festgelegten Schritten. Es sollen die Grundlagen für die Entwickung verschiedener Eigentumsformen, für Gewerbefreiheit und ein Pachtsystem gelegt werden, Planung und Bilanzierung werden eingeschränkt, die Selbständigkeit der volkseigenen Betriebe wird in acht Experimentierkombinaten ausprobiert, die Einkommensteuer und die Unternehmensbesteuerung wird vereinheitlicht, das Außenhandelsmonopol des Staates wird aufgehoben. Die kritischen Punkte Inflationsgefahr und soziale Probleme sind auch hier erkennbar. Die geltenden Preise sollen zu Höchstpreisen, der verfügbare Lohnfonds der Betriebe an die Erfüllung des geplanten Nettogewinns gebunden werden. Ein Regierungsprogramm zur Lösung der sozialen Fragen wird angekündigt.
4. Reformansätze Ein kleiner Teil der Maßnahmen ist in die Tat umgesetzt worden: —
Artikel 12 der Verfassung, der das Privateigentum an den Produktionsmitteln ausgeschlossen hat, ist aufgehoben worden;
—
die Subventionierung für Kinderbekleidung und -schuhe wurde abgeschafft, bei gleichzeitiger Erhöhung des Kindergelds. Damit ist aber erst über rund 2 Mrd. M des gesamten Subventionspakets von 50 Mrd. M (ohne Wohnungswesen) entschieden worden;
—
die private Gewerbetätigkeit wurde neu geregelt, die Beschränkungen auf bestimmte Tätigkeitsfelder und eine Höchstzahl von Beschäftigten aufgehoben. Eine weitergehende Regelung für die Gewerbefreiheit ist vorbereitet, auch die entsprechende Steuerreform und die Reprivatisierung der vor 1972 privaten oder halbstaatlichen Betriebe;
—
das Gesetz über Joint Ventures wurde verabschiedet;
—
im sozialen Bereich wurde eine Verordnung über das Vorruhestandsgeld erlassen, außerdem eine Regelung über „soziale Sicherstellung für Arbeitsuchende". Sie sollen ab sofort 70 v. H. ihres früheren Nettolohns,
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höchstens aber 1000 M je Monat erhalten, davon 500 M aus dem Staatshaushalt und das übrige von den Betrieben. Weitere Veränderungen haben sich unabhängig von offiziellen Anordnungen vollzogen. Der Produktionsmittelhandel befindet sich auf dem Wege der Entflechtung, die Bilanzierung ist stärker aufgeweicht als vorgesehen. Die Auflösung einiger Kombinate ist im Gange, das gleiche gilt für einige Außenhandelsbetriebe. Die Entwicklung in der DDR vollzieht sich schnell; der aktuelle Stand ist immer weiter als die publizierten Konzepte. Das gilt auch für den Vorschlag der Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform. Es gibt bereits eine Beschlußvorlage für eine Preisreform, die nicht mehr Höchstpreise, sondern eine rasche Preisfreigabe vorsieht. Die Gefahr einer unkontrollierten Lohnentwicklung ist jedoch unübersehbar. In der gesamten Wirtschaft sind Forderungen nach Lohnerhöhungen laut geworden, insbesondere nach einer besseren Bezahlung der qualifizierten Arbeit. Vielfach werden die Betriebsleitungen mit kurzfristigen Arbeitsniederlegungen unter Druck gesetzt. Im Kalibetrieb „ Werra" konnte auf diese Weise eine allgemeine Lohnerhöhung von monatlich 400 Mark durchgedrückt werden. Für 2,8 Mill. Beschäftigte ist nach altem Muster vom Staat eineCohnerhöhung beschlossen worden, der Umfang wird auf 4 Mrd. M beziffert. Die weiteren noch auf dem Tisch liegenden Lohnforderungen werden auf eine Summe von 40 Mrd. M geschätzt. Demgegenüber werden die Aussichten für die Produktion von Tag zu Tag kritischer. Noch arbeiten die Betriebe, noch ist die Versorgung leidlich gesichert. Aber die Abwanderungswelle ist nicht abgeebbt. Täglich wiederholt sich ein demoralisierender Effekt in den Betrieben, wenn die neu entstandenen Lücken in der Belegschaft registriert werden. Die Maßnahmen zur Stabilisierung der Produktion, im Wirtschaftskonzept das Schwergewicht für 1990, können so nicht greifen. Kapitalzufluß und Unterstützung aus der Bundesrepublik, auf die man zur Stabilisierung zum Teil gesetzt hatte, sind kaum angelaufen. Die zögerliche Durchführung der eigentlichen Reform ist nicht geeignet, hoffnungsvolle Signale zu setzen. Vielleicht sind alle Reformkonzepte dadurch obsolet geworden, daß jetzt eine Währungseinheit zwischen Bundesrepublik und DDR politisch aktuell ist. Auch diese Maßnahme ist keine Wunderwaffe, um die Defizite der DDRWirtschaft auf einmal zu beseitigen. Sie ist vielmehr — wie alle anderen Modelle für die Weiterentwicklung — mit vielen Risiken verbunden. Die davon ausgehende psychologische Wirkung könnte allerdings einen Neubeginn für die DDR einleiten: Die Reformen müssen durchgeführt werden, eine neue Motivation zur Umstrukturierung und zur Erschließung von Produktivitätsreserven ist denkbar. Ein Erfolg setzt allerdings in jedem Fall eine massive Unterstützung durch die Bundesrepublik voraus.
Die Wahlmöglichkeiten einer deutsch-deutschen Geld- und Währungspolitik Von Horst Siebert*, Kiel
1. Die wirtschaftliche Integration der beiden deutschen Staaten ist die Frage der nächsten Wochen, Monate und Jahre. Dabei geht es sowohl um die realwirtschaftliche als auch um die monetäre Integration. Die Notwendigkeit wirtschaftlicher Änderungen im realwirtschaftlichen Bereich der DDR ist mittlerweile unbestritten. Diese Reformen beziehen sich auf die Preisgabe des zentralen Planungssystems und die Einführung von Märkten als Koordinierungsmechanismus, die Ausrichtung der Preise an den Knappheiten und am Weltmarkt, die Zurücknahme der Subventionen, die Eigenverantwortlichkeit der Betriebe, den Abbau der monopolistischen Position der Kombinate und ihre Entflechtung und letztlich die Zulassung privaten Eigentums. Soweit zum realwirtschaftlichen Bereich. Welche Änderungen sind im monetären Bereich erforderlich? 2. Wäre Geld nur ein Schleier, der vor den realwirtschaftlichen Prozessen einer Volkswirtschaft hängt, der sich aber wegziehen läßt, ohne daß — wie die Geldschleierthese behauptet — die realwirtschaftlichen Prozesse beeinflußt werden, dann würde sich die Frage nach monetären Reformen in der DDR nicht stellen. Aber wir wissen, daß Geld die realen Prozesse beeinflußt, da —
sich die Geldmenge auf das Preisniveau und damit auf die Inflationserwartungen der Wirtschaftssubjekte auswirkt und da Erwartungen Realgrößen verändern, beispielsweise zu einem Horten von Gütern führen (Flucht in die Sachwerte),
—
die Geldmenge über das Preisniveau den Wechselkurs und Wechselkurserwartungen bestimmt und eine Geldmengenexpansion zu einer Abwertung führt, die auf die realen Handelsströme ausstrahlt,
—
wertinstabiles Geld die Repudiation des Geldes und damit einen ineffizienten Kompensations- und Tauschhandel zur Folge hat und die zivili-
* Dieser Beitrag, in dem die Optionen einer deutsch-deutschen Geld- und Währungspolitik beschrieben werden, hat bei seinem Erscheinen möglicherweise nur noch historisch-dokumentarischen Charakter für die Situation im Februar 1990. Zu aktuelleren Fragestellungen vgl. Siebert 1990e und 1990f. Für kritische Hinweise danke ich Michael Koop, Joachim Scheide und Klaus-Dieter Schmidt.
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satorische Innovation des Geldes als technischen Fortschritt zur Senkung der Transaktionskosten zunichte macht, —
wertinstabiles Geld nicht nur den Tausch in der Gegenwart, sondern auch die Arbeitsteilung mit der Zukunft negativ beeinflußt und
—
Preissteigerungen die Sachwerteigentümer begünstigen und die Bezieher fester Nominaleinkommen benachteiligen.
I. Geldüberhang und die Frage nach einer Währungsreform 3. Die Frage nach einer monetären Reform stellt sich, wenn das geldwirtschaftliche Gleichgewicht so nachhaltig gestört ist, daß ein neues monetäres Gleichgewicht nicht ohne erhebliche Verwerfungen im realen Sektor oder —wie im Fall der Hyperinflation — überhaupt nicht erreicht werden kann. Die Störung des monetären Gleichgewichts zeigt sich im Geldüberhang. In einer solchen Situation halten die Wirtschaftssubjekte mehr Geld, als sie zu halten wünschen. Tatsächliche und gewünschte Geldhaltung klaffen auseinander. Die Wirtschaftssubjekte wollen enthorten, also Kasse abbauen. So ist etwa bei einer zurückgestauten Inflation die gehaltene Geldmenge nicht freiwillig, sondern erzwungen, da dem Geld kein hinreichendes Güterangebot gegenübersteht. Ob die Wirtschaftssubjekte eine bestimmte Geldmenge halten wollen, hängt entscheidend davon ab, wie sich eine Situation durch Reformen verändert und welche Erwartungen die Wirtschaftssubjekte haben. Bei einer zurückgestauten Inflation wird der Geldüberhang erst durch eine Freigabe der Preise, also die Aufhebung der Rationierung, relevant. Wieviel Geld die Wirtschaftssubjekte halten wollen, wird davon beeinflußt, wie sie ihr Geld in der Zukunft verwenden können: für den Erwerb von Gütern, etwa Immobilien, aber auch für zinstragende Wertpapiere. Der Geldüberhang ist also nicht ohne ein spezifisches Erwartungsmuster der Wirtschaftssubjekte zu definieren. Dies macht eine Schätzung des Geldüberhangs so schwierig 1 . 1
Im Sinn der Geldmarktgleichung liegt ein Geldüberhang dann vor, wenn die gewünschte reale Geldnachfrage L (im Hinblick auf die Änderung der Situation, etwa Freigabe der Preise) geringer ist als das reale Geldangebot M/P, wenn also
(1)
L (Y, i, p e , α) < M/P
Die Geldnachfrage hägt dabei von Größen wie Volkseinkommen (Y), Zins (i), Erwartungen über die Veränderung des Preisniveaus (p e ) und anderen Faktoren ab (α). Nach der Cambridge-Gleichung liegt ein Geldüberhang dann vor, wenn (2) PY < VM wenn also bei gegebenem Volkseinkommen, gegebenem Preisniveau (ζ. B. durch Preiskontrollen bestimmt) und gegebener nominaler Geldmenge die (im Hinblick etwa auf eine Preisreform) gewünschte Umlaufgeschwindigkeit zu groß ist. Durch Umformung der Gleichung 2 zu
Wahlmöglichkeiten einer deutsch-deutschen Geld- und Währungspolitik
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4. In einer offenen Volkswirtschaft werden die gewünschte Geldmenge und damit der Geldüberhang auch durch die Tatsache beeinflußt, daß die Wirtschaftssubjekte mit dem heimischen Geld fremdes Geld erwerben können. Damit bestimmen Erwartungen über den zukünftigen Wechselkurs die gewünschte Geldhaltung. Die Nachfrage nach heimischem Geld resultiert also aus der Wahl eines Portfolios, in dem heimisches und fremdes Geld gemischt sind. Erwarten die Wirtschaftssubjekte etwa, daß die heimische Währung in der Zukunft abgewertet wird, so steigen sie aus der heimischen Währung aus. Erwarten sie dagegen, daß die heimische Währung in Zukunft beispielsweise für touristische Dienstleistungen stärker nachgefragt und deshalb aufgewertet wird, so lohnt es sich, die eigene Währung zu halten. Die Entwicklung des Wechselkurses ist also ein wichtiger Indikator für den Geldüberhang. 5. Ob in der DDR ein nennenswerter Geldüberhang besteht, läßt sich an Hand der Daten nicht eindeutig feststellen. —
Die Höhe der Geldmenge im Sinn der Größe M i ist nicht bekannt. Es wird nur der sog. „Geldumlauf" veröffentlicht; das sind die Bargeldbestände der privaten Haushalte. Der sog. Geldumlauf wird von der DDRStaatsbank mit etwa 16 Mrd. Mark angegeben, das sind rund 1000 D M pro Kopf der Wohnbevölkerung. Bezogen auf das verfügbare Einkommen je Einwohner (Netto-Geldeinnahmen in der DDR-Statistik) ist das ein Verhältnis von 1 : 10. In der Bundesrepublik sind die entsprechenden Bargeldbestände pro Kopf mit 2300 DM zwar absolut größer, aber bezogen auf das verfügbare Einkommen ist das Verhältnis recht ähnlich.
—
Die gesamten Geldanlagen der privaten Haushalte, die neben dem Bargeldumlauf auch den Spareinlagenbestand (einschließlich Giro-, Lohn- und Gehaltskonten) umfassen, machten 1988 in der DDR etwa 167 Mrd. Mark aus, so viel wie das verfügbare Einkommen eines Jahres 2. In der Bundesrepublik erreicht die Geldmenge M3 bei den privaten Haushalten 70 v. H. eines Jahreseinkommens. Die gesamten Geldanlagen liegen in der DDR also relativ höher. Der Vergleich dieser monetären Indikatoren erlaubt noch keinen eindeutigen Rückschluß auf den Geldüberhang. So kann die höhere Liquiditätshaltung in der DDR auf die Zahlungsgewohnheiten zurückzuführen sein. Eine andere mögliche Ursache ist, daß es in der DDR keine Alternative zur Anlage auf Sparkonten gibt, während die Bundesbürger ein Portfolio mit zinsbringenden Wertpapieren halten können.
(3)
Y / V < M/P
erkennt man, daß die Gleichungen 1 und 3 äquivalente Formulierungen der Geldnachfrage enthalten. 2 Zum 31.12.1989 werden die Spareinlagen mit 174,5 Mrd. angegeben. 3 Konjunkturpolitik, Beiheft 37
Horst Siebert
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—
Die gesamten Geldanlagen haben in der Zeit von 1980 bis 1988 mit einer Rate von 5,1 v. H. zugenommen (Tabelle l) 3 . Dies stützt die Vermutung, daß die DDR bisher keine exzessive Geldpolitik betrieben hat. Tabelle 1 Geldanlagen und Sparquote in der DDR 1970-1988 Geldumlauf (a)
Spareinlagenbe•tand(a)
Gesamte Geldanlage (a)
H i l l . Mark 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988
7407 7684 8778 9181 9581 10139 10488 11313 11909 12372 12250 12315 12534 13034 13352 13651 14330 15014 15623
52149 55721 59970 65123 70218 75315 80210 86083 92046 96958 99730 102960 107573 113193 118655 124577 132315 141851 151590
59556 63405 68748 74304 79799 85454 90698 97396 103955 109330 111980 115275 120107 126227 132007 138228 146645 156865 167213
Prozentuale Veränderung der gesamten Geldanlage
Nettogeldeinnahmen
vH
Mrd. Mark
.
6,5 8,4 8.1 7,4 7,1 6,1 7,4 6,7 5,2 2,4 2,9 4,2 5,1 4,6 4,7 6,1 7,0 6,6
79,7 82,1 87,2 92,7 97,4 101,1 104,8 110,6 114,6 118,0 120,9 124,7 128,2 131,1 136,2 141,6 149,5 156,5 162,6
(a) Am Ende des jeweiligen Jahre·. - (b) Absoluter Zuwachs vH der Nettogeldeinnahmen.
Verhältnis Sparvon gesam- quote (b) ten Geldanlagen zu Nettogeldeinnahmen vH 75,0 77,2 78,8 80,2 81,9 84,5 86,5 88,1 90,7 92,7 92,6 92,4 93,7 96,3 96,9 97,6 98,1 100,2 102,8
4,7 6,1 6,0 5,6 5,6 5,0 6,1 5,7 4,6 2,2 2,6 3,8 4,7 4,2 4,4 5,6 6,5 6,4
der Geldanlagen i n
Quelle: Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1989. Berlin 1989.
—
Die Einzelhandelsumsätze sind in den achtziger Jahren mit einer durchschnittlichen Rate von gut 3 v. H. gestiegen, die Nettogeldeinnahmen der Bevölkerung aber mit einer Rate von knapp 4 v. H. Dazu paßt, daß die Spareinlagen in dieser Zeit mit einer Rate von reichlich 5 v. H. zugenommen haben. Dies deutet auf ein „unfreiwilliges" Sparen hin. Dennoch ist die private Sparquote mit 6 v. H. des individuellen Geldeinkommens nicht sonderlich hoch.
—
Die interne Staatsverschuldung wird mit 150 Mrd. Mark angegeben. Diese Verschuldung bezieht sich nicht auf das kumulierte Defizit der 3
p. a.
Für den Zeitraum 1970-80 betrug die Zuwachsrate durchschnittlich 6,25 v. H.
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laufenden Rechnung, sondern schließt auch das Defizit der Kapitalrechnung ein. Damit steht der Verschuldung beispielsweise der Kapitalwert von neugebauten Wohnungen gegenüber, die weitgehend aus dem Staatshaushalt finanziert sind. Die Höhe der Verschuldung muß also relativiert werden; der auf die laufende Rechnung entfallende Anteil des Defizits ist ein Hinweis auf einen Geldüberhang, zumal der Staat sein Budgetdefizit bei der Notenbank finanziert hat. 6. Das Fazit aus den vorliegenden Daten ist, daß ein Geldüberhang nicht ausgeschlossen werden kann, daß es aber Indizien dafür gibt, daß dieser Geldüberhang nicht spektakulär hoch ist. Bei privaten Geldanlagen von 167 Mrd. Mark (1988) und bei Nettogeldeinnahmen der privaten Haushalte in gleicher Höhe kann man vermuten, daß ein Teil der Geldbestände bei einer Freigabe der Preise aufgelöst würde. Die Größenordnung dieses Geldüberhangs wird von Ökonomen der DDR auf etwa 10 bis 20 v. H. des Geldbestands geschätzt. Die Situation der DDR ist nicht mit der Lage in der Bundesrepublik im Jahr 1948 zu vergleichen. Im Deutschen Reich war der Banknotenumlauf von 12 Mrd. Mark 1939 auf 56 Mrd. am 7.3.1945 gestiegen 4 , die Einlagen der Kreditinstitute nahmen von 51 Mrd. Mark 1939 auf 160 Mrd. Mark 1944 zu. Im Jahr 1944 belief sich der Bestand an Wertpapieren des Reichs bei den Banken auf 150 Mrd. Mark; der Bestand an Schatzwechseln und unverzinslichen Schatzanweisungen des Reichs im Portfolio der Reichsbank wuchs rasch an und betrug 1945 70 Mrd. Mark. Die Neuverschuldung des Staates stieg von 3 Mrd. Mark (1938/39) auf 78 Mrd. Mark (1943/44) an. Die verbriefte Schuldenlast des Reiches belief sich schließlich auf 380 Mrd. Mark. Für 1943/44 betrug das Verhältnis zwischen dem Schuldenstand von 270 Mrd. RM und dem Sozialprodukt von 100 Mrd. RM etwa 3 : 1 . Für die DDR liegt dieses Verhältnis bei 0,5 : 1. Der Geldüberhang ist auch mit den Ländern Osteuropas nicht zu vergleichen. Polen hatte von August 1988 zu August 1989 eine Inflationsrate von 182,7 v.H. 5 ; in der Presse werden 550 v. H. für 1989 genannt. Der Geldüberhang muß also entsprechend groß gewesen sein, wenn man davon ausgeht, daß der Geldüberhang in Polen bald abgebaut ist. Im Fall Ungarns belief sich die Inflationsrate 1989 nach Presseberichten auf 19 v. H. 7. In einer offenen Volkswirtschaft kann bei Konvertibilität die Veränderung des Wechselkurses ein Indikator für den Geldüberhang sein. Schaubild 1 zeigt die Entwicklung des DM/Mark-Kurses. Eine starke Abwertung der Mark erfolgte im Zusammenhang mit den Reisemöglichkeiten (9. - 17. No4 5
Zu den Angaben vgl. Buchheim, 1988, S. 198 f.
International Monetary Fund, International Financial Statistics, Heft Januar 1990. 3·
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vember 1989); in der Zeit vom 17. - 22. November 1989 wurde die Mark aufgewertet (neue Regierung Modrow). Man kann diese Phase auch als eine Zeit interpretieren, in der der Wunsch zu enthorten und damit der Geldüberhang kleiner geworden ist. Schaubild 1 Wechselkurse der Mark im Frei verkehr (DM/100 Mark)
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19.5. 28.9. 24.30. Oktober
6.
13.
20.27.
4.
11.
18.
27.2.
Dezember
β.
15.
Januar
22.
29.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung; WEFA GmbH Ffm, German Financial Data? eigene Berechnungen.
II. Eine Strategie für die DDR 8. In einer Situation, in der die politischen Bedingungen der Integration noch nicht deutlich sind, stehen zwei Optionen zur Verfügung: ein monetärer Übergangsprozeß, ohne daß die DDR ihre Autonomie über die Geldpolitik aufgibt, und eine Währungsunion. Behält die DDR — in der Übergangszeit — die Autonomie über die Geldpolitik, so ist es ihre Aufgabe, den Geldüberhang abzubauen. Die Höhe des Geldüberhangs wird entscheidend von den Erwartungen der Wirtschaftssubjekte und damit vom Vertrauen in den Erfolg der Reform beein-
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flußt. Sind die Reformbemühungen glaubhaft, so reduziert sich die Höhe des Geldüberhangs. Über glaubhafte Reformen, etwa bei der Dezentralisierung der Entscheidungen, bei der Entflechtung der Kombinate und bei der Zulassung privater Firmen, privaten Eigentums und fremden Kapitals kann man die Erwartungen verbessern und den Geldüberhang abbauen. Realwirtschaftliche Reformen entschärfen das notwendige Ausmaß einer monetären Reform. Diese Maßnahmen wirken gleichzeitig in dem Sinn stabilisierend, daß eine Abwanderung weniger attraktiv wird. Üblicherweise versucht man bei Währungsreformen, die Erwartungen durch einen Währungsschnitt oder durch die Einführung einer neuen Währung zu ändern, wobei allerdings gleichzeitig die Ursachen der Inflation, etwa die Monetisierung des staatlichen Budgetdefizits bei der Notenbank, zu beseitigen sind. Im Fall der DDR ist aber eine andere Situation gegeben. Es müssen nicht nur Inflationserwartungen stabilisiert, sondern auch Erwartungen über die Einkommensentwicklung positiv gestellt werden. Beiden Zielen kann man mit einem Maßnahmepaket, den Reformen im realwirtschaftlichen Bereich, näherkommen. 9. Die primäre Maßnahme, einen möglichen Geldüberhang abzubauen, ist die Korrektur des Preissystems, da mit dem Zurückführen von Subventionen und der Freigabe der Preise das Preisniveau insgesamt steigt. So würde ein Anstieg des Preisniveaus um 10 - 20 v. H. bei gleichbleibender Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes einen entsprechend großen Geldüberhang abschmelzen. 10. Kaufkraft läßt sich auch durch die Privatisierung von staatlichem Wohnungseigentum und Firmenvermögen abschöpfen. Zwar sind die Kapitalwerte der Wohnungen und der Firmenanteile infolge des regulierten Wohnungsmarktes und eines fehlenden Marktes zur Firmenbewertung nicht genau bekannt. Auch ist der Anreiz, bei regulierten Mieten Wohnungseigentum zu erwerben, möglicherweise gering. Die Bewertung der Firmen wird sich mit der Entflechtung und der Zulassung des Wettbewerbs ändern, so daß die Vorteile aus Anteilsscheinen unterschiedlich verteilt sein werden. Aber auch ein Währungsschnitt schafft Ungerechtigkeiten. Zudem hat eine Privatisierung den Vorteil, die Reform insgesamt voranzubringen. Die Privatisierung der Firmen gestattet es, das alte Management der staatlichen Betriebe zu erneuern. Wohnungseigentum würde im übrigen auch der Abwanderung entgegenwirken. Preisreform und Privatisierung tragen dazu bei, den Geldüberhang abzubauen. Ein Währungsschnitt oder ein temporäres und teilweises Einfrieren der Spareinlagen (Schmieding 1990) erscheinen nicht erforderlich.
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Horst Siebert Institutionelle Regelungen des Geldwesens
11. Die Erwartungen und der Geldüberhang werden auch von der zukünftigen Organisation des Geldwesens in der DDR und der in diesem institutionellen Arrangement wahrscheinlichen Geldmengenpolitik der DDR in der Integrationsphase beeinflußt. Die Bedingungen dafür, daß Geld „neutral" ist, also wie ein Schleier wirkt und keine Verzerrungen zur Folge hat, sind: —
Der Staat und Staatsbetriebe dürfen sich auch in einer Phase des Übergangs nicht bei der Staatsbank finanzieren. Staatliche Ausgaben müssen grundsätzlich durch Steuern abgedeckt werden. Sie können auch durch Kredite vom Kapitalmarkt alimentiert werden. Allerdings sind bei der Finanzierung durch Anleihen enge Grenzen zu ziehen, da Zinszahlungen in der Zukunft den politischen Handlungsspielraum einschränken und damit die Versuchung wächst, daß der Staat sich letztlich doch bei der Staatsbank finanziert. Die Erfahrung latein-amerikanischer Länder zeigt, daß Stabilisierung nur dann Erfolg hat, wenn das Budgetdefizit abgebaut wird.
—
Die Staatsbank muß nicht nur in dem Sinn unabhängig sein, daß sie nicht zur Finanzierung des Staatsdefizits gezwungen werden kann. Sie darf aber auch nicht dazu gezwungen werden können, durch eine expansive Geldmengensteuerung die Staatsschulden zu entwerten. Eine solche inflationstreibende Geldmengenpolitik käme einer Inflationssteuer gleich.
—
Als zusätzliche Bedingung für die Neutralität des Geldes ist erforderlich, daß die Staatsbank in ihrer Geldmengenpolitik auf die Preisniveaustabilität verpflichtet wird.
12. Geldmengensteuerung ist die eine Aufgabe des monetären Sektors; die andere Funktion ist, knappe Finanzmittel, insbesondere Ersparnisse, in die beste Verwendung zu lenken und damit die Finanzierung für Investitionen bereitzustellen. Erforderlich ist also ein Kapitalmarkt, der den Haushalten die Bedingungen signalisiert, unter denen sie durch Konsumverzicht Vermögen bilden und aus dem Zinseinkommen in der Zukunft mehr Konsummöglichkeiten gewinnen können oder auch im Lebenszyklus ein langlebiges Konsumgut wie eine Wohnung finanzieren können. Der Kapitalmarkt informiert Unternehmen über die Kosten der Finanzierung einer Investition, und spezifische Formen des Kapitalmarktes, wie die Börse, ermöglichen eine Bewertung von Firmen und von Firmenanteilen. In der DDR gibt es einen solchen Kapitalmarkt bisher nicht. Die staatlichen Sparkassen sammeln die Spargelder und liefern sie an die Staatsbank ab; diese Mittel werden dann nach den Kriterien des Plans verteilt. Die bisher bei der Staatsbank vereinten Funktionen der Geldmengensteuerung und der Kapitalallokation sollten institutionell in einem zweistufigen Bankensystem
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getrennt werden. Der Notenbank obliegt die Geldmengensteuerung einschließlich der Steuerung der Geldmengenschaffung durch die Finanzinstitutionen; die anderen Finanzinstitutionen haben die Aufgabe der Intermediation zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer, zwischen Sparer und Investor. Existiert ein Finanzsektor mit einer Palette von Anlagemöglichkeiten, so hat der einzelne Haushalt nicht mehr allein die Wahl zwischen Konsum und Geldhaltung (einschließlich Ersparnis). Vielmehr kann der einzelne Haushalt auch Finanzprodukte erwerben. Der Aufbau eines Finanzsektors könnte deshalb über die Erwartungen ebenfalls den Geldüberhang reduzieren. Läßt man alle Finanzinnovationen der letzten zwanzig Jahre in den westlichen Ländern und den Fortschritt in der Finanztheorie Revue passieren, so sollte es eigentlich leicht sein, neue Finanzinstrumente zu finden, mit denen ein nicht so bedeutender Geldüberhang abgeschöpft werden kann.
Konverbilität
13. Die Strategie der Dezentralisierung der ökonomischen Entscheidungen und der Koordinierung über Märkte kann nur gelingen, wenn sich die Güterpreise für international handelbare Güter an den Weltmarktpreisen orientieren. Sind die Preise nicht an den Weltmarktpreisen ausgerichtet, so werden die Opportunitätskosten der Produktion in der DDR falsch ausgewiesen. Man darf im übrigen erwarten, daß die Exportquote der DDR bei einer vollen Integration in die Weltwirtschaft wesentlich höher sein wird als die Quote der Bundesrepublik (34 v. H.), da kleinere Länder in aller Regel stärker am internationalen Austausch teilnehmen 6 . Die Anbindung der Preise für handelbare Güter am Weltmarkt setzt voraus, daß die Mark konvertibel ist. Die DDR hat derzeit durch produkt-, firmen- und branchenspezifische Kennziffern de facto mehrere tausend verschiedene Wechselkurse für ihre Wirtschaft. Das muß zwangsläufig mit sektoralen Verzerrungen und Fehllenkungen der Produktionsfaktoren verbunden sein. Die DDR braucht also die Konvertibilität für die inländischen 6 Eine Exportquote der DDR zwischen 19 und 23 v. H. ergibt sich bei folgender Berechnung: Die Bundesrepublik hat bei einem Bruttosozialprodukt von 2.254 Mrd. D M (1988) ein Bruttosozialprodukt von 36.523 D M pro Einwohner. Bei einem Einkommensgefälle von 40-50 v. H. liegt das Einkommen je Einwohner in der DDR bei 14.609 D M - 18.262 DM. Damit liegt das Bruttosozialprodukt der DDR zwischen 243,6 Mrd. D M - 304,5 Mrd. DM. Bei einer Ausfuhr von 90,2 Mrd. in Valuta Mark, die bei einem Kurs zwischen Valuta Mark und D M von 1,6 etwa 56 Mrd. D M entsprechen, ergeben sich die oben genannten Werte für die Exportquote. Die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland (Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen 1987, S. 598) nennen eine Exportquote von etwa 25 v. H. Vergleichbare Länder wie Holland haben eine Exportquote von über 50 v. H.
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Unternehmen, damit die Unternehmen sich nach einer Preisreform am Weltmarkt ausrichten. Die DDR braucht aber auch Konvertibilität, um Kapital von außen attrahieren zu können. Hier ist Konvertibilität eine Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit von Gewinntransfers. Ohne die Möglichkeit von Gewinntransfers kann man Kapital nicht anlocken. 14. Neben der Konvertibilität für die Unternehmen und dem Kapitalverkehr bleibt die Frage nach der Konvertibilität für die Bürger der DDR. Hier überlagern sich normative und praktische Aspekte. Die Konvertibilität für die Bürger ist das ökonomische Analogon der Reisefreiheit. Durch Devisenbewirtschaftung kann die Reisefreiheit spürbar eingeschränkt werden. Das praktische Argument lautet, daß bei Reisefreiheit die Konvertibilität nicht effektiv verhindert werden kann: Bürger der DDR können ihre Währung bei ihrem Besuch in der Bundesrepublik tauschen, oder sie können D M erhalten, wenn Westdeutsche als Touristen in der DDR reisen. Auch über die Ostanrainer der DDR ist Währungsarbitrage möglich. Eine Beschränkung der „Inländer'-Konvertibilität, etwa durch gespaltene Kurse, läßt sich auf Dauer nicht durchhalten. Insoweit unterscheidet sich die Ausgangssituation der DDR wegen der Reisefreiheit von der Lage 1948 in der Bundesrepublik. Es gibt noch ein anderes Argument dafür, daß die DDR offiziell die Konvertibilität schnell einführen sollte. Da bei Reisefreiheit ein „illegales" Umtauschen nicht zu verhindern ist, wird es stets einen Mark/DM-Kurs geben. Aber dieser Kurs wird auf einem Markt gefunden, der durch gesetzliche Vorschriften segmentiert und „dünn" ist. Damit aber ist nicht auszuschließen, daß der auf einem solchen Markt festgestellte Wechselkurs stark zuungunsten der DDR verzerrt ist.
Wechselkurspolitik und Währungsverbund
15. Konvertibilität bezieht sich auf die rechtliche Zulässigkeit des Währungstauschs ; damit ist noch nicht die Frage nach dem richtigen Wechselkurs und nach der Wechselkurspolitik beantwortet. Anders als 1948 in der Bundesrepublik oder etwa derzeit in Polen hat der Wechselkurs für die DDR ein Janusgesicht. Einmal beeinflußt der Wechselkurs die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen der DDR. Zum Beispiel würde eine Unterbewertung der Mark die Exporte der DDR stimulieren und die Importe drosseln. Im Prinzip wäre dies auch eine Möglichkeit, einen Geldüberhang abzubauen, da die Unterbewertung mit inflationären Tendenzen einhergeht und bei gegebenen Nominallöhnen die Reallöhne senkt. Allerdings würde die Abwertung, wenn sie erwartet wird, den Anreiz für privates Kapital verringern, ins Land zu kommen. Dieser Aspekt ist für die DDR jedoch nicht so gravierend,
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da bei dem starken existierenden Produktivitätsgefälle noch genügend Anreiz für Kapital von außen bleibt. Das spezifische Problem der DDR besteht jedoch darin, daß der Wechselkurs sichtbar die Lohn- und Einkommensdifferenz zwischen der DDR und der Bundesrepublik verändert und damit die Mobilitätsentscheidung beeinflußt. W i r d etwa ein Kurs von 1 : 5 fixiert, so sinkt das durchschnittliche Monatseinkommen eines Arbeitnehmers in der DDR von 1.200 Mark in der Umrechnung auf 240 D M ab. Der Vergleich zu dem durchschnittlichen Monatseinkommen in der Bundesrepublik von gut 3.000 D M wird schmerzlicher. Das Ausreisepotential steigt 7 . Diese Besonderheit gab es 1948 nicht; sie gilt auch nicht für Polen und Ungarn oder bei anderen Währungsreformen, etwa in Lateinamerika. Vieles, was in den ökonomischen Lehrbüchern und in historischen Aufzeichnungen über monetäre Reformen steht, ist deshalb auf die DDR nicht anwendbar. Das Janusgesicht des Wechselkurses hat eine wichtige Konsequenz: Die Wechselkurspolitik kann nicht gleichzeitig für die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wie für das Bremsen der Abwanderung eingesetzt werden. Die Abwanderung klingt nur ab, wenn das Produktivitätsgefälle und damit die Einkommensdifferenz abgebaut werden. 16. Die DDR hat für eine Phase des Übergangs zwei verschiedene Optionen für die Wechselkurspolitik. Sie kann eine fixe Relation zur D M wählen und diesen Kurs verteidigen, oder sie kann floaten. Ein fixer Kurs hätte den Vorteil, daß Exporteure und Importeure und damit die Produzenten in der DDR, aber auch potentielle Investoren von außerhalb eine feste Entscheidungsgrundlage ohne Risiko hätten. De facto würden die DDR und die Bundesrepublik durch einen fixen Kurs zu einer Währungsunion. 17. Es ist aber zu bezweifeln, ob dies eine realistische Strategie für den Übergang sein kann. Langfristig reflektiert der Wechselkurs die ökonomischen Transaktionen, für die die Mark gebraucht wird, nämlich Güterhandel, Dienstleistungen (insbesondere Tourismus) und Kapitalverkehr. Vom Güterhandel her muß der Wechselkurs langfristig die Kaufkraftparität widerspiegeln; aber ohne eine Preisreform und ohne eine Reorganisation der Betriebe sind die Knappheitspreise heute nicht bekannt. Der Wechselkurs reflektiert auch das Produktivitätsgefälle, das sich im Verlauf der Zeit verringert. Im Dienstleistungsbereich ist schwer abzuschätzen, wie sich das Reiseverhalten und damit die Nachfrage nach Mark verändern. Ferner wissen wir nicht, wie stark der Kapitalzufluß in die DDR als Reflex auf die Differentiale in den realen Renditen sein wird und wie schnell sich das 7 Eine wichtige Vorfrage für diese Argumentation ist, welchen Kurs die Menschen in der DDR ihren Überlegungen zu Grunde legen. Gehen sie von einem Kurs 1 :7 aus, so sollte sich die Lage schnell stabilisieren lassen.
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Produktivitätsgefälle verringert. Schließlich stellt sich die Frage, ob ein fixierter Wechselkurs glaubwürdig ist und ob die Spekulation, also die Erwartungen, nicht eine Korrektur des Wechselkurses erzwingen wird, etwa wenn die Bürger der DDR bei einem Kurs von 1 : 2 einen Kurs von 1 : 3 erwarten und in die DM gehen. Aus all diesen Gründen spricht einiges dafür, daß sich die DDR über ein Floaten an einen langfristigen Kurs herantastet. 18. Auch für die Währung gilt: Die Märkte stellen bessere Information bereit als sie die Wirtschaftspolitik haben kann. Vieles spricht bei einer Übergangsstrategie für einen flexiblen Wechselkurs. Zu dieser Situation unvollkommener Information kann sich die DDR-Staatsbank durchaus des Instruments der Devisenmarktinterventionen bedienen, etwa wenn sie den aktuellen Kurs im Sinn eines „leaning against the wind" glätten und den längerfristigen Kurs herausfinden will. Sie muß dann Devisen, die sich das Land selbst verdient hat, für die Interventionen einsetzen. Im übrigen kann die DDR einen freien Kurs der Wechselstuben ohnehin nicht verhindern, selbst wenn sie sich für eine Fixkurspolitik entscheiden würde. A n dieser Stelle wird noch einmal die Frage des Geldüberhangs von Interesse. Existiert nämlich ein Geldüberhang, so kann es bei einem Floaten zu einem Überschießen des Wechselkurses kommen — die Mark würde zu stark abgewertet. Die Strategie des Floatens setzt also voraus, daß der Geldüberhang nicht spektakulär ist oder schnell über Preisreform und Privatisierung abgebaut werden kann. 19. Auf mittlere Frist kann es Aufwertungstendenzen für die Mark durchaus geben: zuströmendes Kapital wertet die Mark auf; auch der Tourismus erschließt Devisenquellen. W i r d die Produktivitätslücke zwischen der DDR und der Bundesrepublik geschlossen, so steigt die Nachfrage nach Mark. Bei glaubhaften Reformen im realwirtschaftlichen Bereich täte die DDR gut daran, einen Terminmarkt für die Mark einzuführen. Der Terminmarkt würde die Bewertung der Mark in der Zukunft signalisieren und zukünftige Chancen in den heutigen Kurs einbringen. Zukünftige Entwicklungschancen stabilisieren den Kurs heute. 20. Wählt die DDR auf mittlere Frist einen fixen Kurs zur DM, so entsteht de facto eine Währungsunion mit zwei fest aneinander gekoppeltenWährungen. Voraussetzung für das Funktionieren einer solchen Währungsunion ist, daß die DDR-Notenbank ihre Geldmenge gerade so steuert, daß der Wechselkurs konstant bleibt. Die DDR-Notenbank würde wie Österreich eine rein wechselkursorientierte Geldpolitik betreiben und das Preisniveauziel der Frankfurter Bundesbank überlassen. Durch eine solche Politik würde die DDR monetär auch in den EWS-Raum integriert, ohne daß sie explizit Mitglied wird. Ein Fixkurssystem läßt sich relativ leicht in eine echte Währungsunion mit nur einer Währung überführen. Die Frage ist nur, ob die DDR eine solche Geldpolitik durchhalten könnte. Sicherlich kann man sich in
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einem Fixkurssystem ähnlich wie im EWS auch Absprachen über Devisenmarktinterventionen vorstellen. Aber der entscheidende Schritt zu einem Fixkurssystem muß von der Geldmengenpolitik der DDR ausgehen. 21. Die zeitliche Sequenz der monetären Reformen könnte wie folgt aussehen: In einer ersten Phase werden die Güterpreise im wesentlichen freigegeben; eine kleine Reform des Steuersystems wird in Angriff genommen, damit der Staatshaushalt ausgeglichen ist. Gleichzeitig laufen Privatisierungsprogramme bei Wohnungen und bei einigen Firmen an. Private Firmen sind zugelassen. Für inländische Produzenten und für Kapital von außen ist die Mark voll konvertibel. Weitere Reformen, wie die Entflechtung der Kombinate, die Einführung der Marktwirtschaft und die Neuordnung des Geldwesens und des Steuersystems, werden glaubhaft angekündigt. Man kann abtasten, ob eine Beschränkung der Inländerkonvertibilität für einige Zeit aufrechtzuerhalten ist. Zum Ende der ersten Phase wird die Inländerkonvertibilität voll eingeführt. In einer zweiten Phase werden die Privatisierungsprogramme für die Firmen fortgesetzt; die Kombinate werden entflochten, das Steuersystem wird reformiert, die Neuorganisation des Geldwesens wird eingeleitet. Die Mark floatet gegenüber der DM; mit Devisenmarktinterventionen versucht die Staatsbank, den aktuellen Wechselkurs im Sinn eines „leaning against the wind" zu glätten und den längerfristigen Kurs herauszufinden. In einer dritten Phase gehen die real wirtschaftlichen Reformen weiter; die Mark wird fest an die D M gekoppelt und kann somit unproblematisch durch die D M ersetzt werden, wenn es politisch gewünscht wird.
III. Währungsunion 22. Als Alternative zu der beschriebenen Strategie für die DDR wird die Währungsunion diskutiert. Es ist naiv vorzuschlagen, die Bundesbank möge von sich aus eine wechselkursorientierte Politik zur DDR praktizieren und einen festen Kurs von Frankfurt aus halten. Damit werden implizit die Geldmenge und das Preisniveau nicht nur in der Bundesrepublik, sondern wegen der Stellung der D M im EWS auch in Europa definiert. Man sollte aber nicht monetäre Maßnahmen vorschlagen, die Europa die Inflation bescheren. Außerdem sähe sich die Staatsbank der DDR der moralischen Versuchung ausgesetzt, daß sie die Mark-Geldmenge nicht unter Kontrolle hält. 23. Ein anderes Szenario würde sich ergeben, wenn die DDR von sich aus auf die eigene Währung verzichtet und damit die Geldpolitik nach Frankfurt abgibt. Die Bundesbank müßte dann die gesamten Geldanlagen der DDR zu
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einem festen Kurs umtauschen, möglicherweise zeitlich gestreckt. Eine solche Währungsunion wirft jedoch erhebliche Probleme auf. —
In einer Währungsunion kann die DDR den Wechselkurs nicht mehr als Puffer für die Korrektur ihrer Wettbewerbsfähigkeit einsetzen. Die Anpassung erfolgt vielmehr über die Mobilität der Arbeit und des Kapitals und — soweit Faktoren immobil sind — über eine Anpassung der Preise für die immobilen Faktoren und der relativen Preise zwischen handelbaren und nicht handelbaren Gütern. In einer Währungsunion gibt die DDR also eine wichtige Instrumentenvariable für ihren Aufholprozeß auf: Die Unternehmen der DDR stehen vor gewaltigen Anpassungsproblemen, wenn sie in die Weltwirtschaft integriert werden sollen. Nur ein kleiner Teil von ihnen ist derzeit am Markt der westlichen Industrienationen orientiert. Die Exportquote der DDR, die auf etwa 25 v. H. zu veranschlagen ist, würde bei einer vollen Integration in die Weltwirtschaft auf eine Zahl vergleichbarer Länder — etwa der Niederlande mit über 50 v. H. anwachsen. Dabei ist ein immenser struktureller Wandel zu bewältigen. Das Produktivitätsgefälle zur Bundesrepublik würde bei glaubhaften Reformen schnell abgebaut werden. Alle diese realwirtschaftlichen Prozesse können über eine Anpassung des Wechselkurses nicht mehr gesteuert werden, sondern müssen in einem einmal gewählten Umtauschkurs antizipativ berücksichtigt werden. Die DDR verliert den Puffer nicht nur zur DM, sondern auch zu allen anderen Währungen, etwa dem US-Dollar oder den Währungen des RGW-Raums. Besonders deutlich wird die Problematik einer Währungsunion, wenn die einmalige Umstellung aus durchaus verständlichen Gründen für die Bürger der DDR günstig gestaltet wird, sagen wir 1:1. Dann müssen die Unternehmen der DDR in der Bundesrepublik und weiten Teilen Europas schlagartig auf der Basis 1 :1 konkurieren, denn in einer Währungsunion gibt es nur einen Preis für handelbare Güter. Überdies werden sich die Löhne in der Währungsunion durch die Mobilität der Menschen schnell anpassen, so daß auch von dieser Seite her die Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessert wird. Wie soll die Trabbi-Produktion auf DM-Basis wettbewerbsfähig werden? Wie soll der Trabbi zu DM-Preisen abgesetzt werden, wenn gleichzeitig DM-Löhne zu zahlen sind.
—
In einer Währungsunion werden zudem die Anreize zur Übersiedlung nicht abgeschwächt. Die euphorische Stimmung über das neue stabile Geld wird schnell realistischen Beobachtungen über die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Unternehmen weichen. Es kann Arbeitslosigkeit entstehen — der Anreiz zum Wandern kann durchaus zunehmen. Eine entscheidende Voraussetzung für eine Währungsunion ist die freie Beweglichkeit des Kapitals, denn es ist ja gerade die Begründung für eine Währungsunion, daß Anpassungsprozesse — wie die Nivellierung
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des Entwicklungsstandes — nicht mehr über den Wechselkurs, sondern über die Mobilität der Faktoren betrieben werden. Dann aber muß Kapital beweglich sein und überall die gleichen Bedingungen haben. Dies heißt, daß die Investitionsbedingungen in der DDR radikal verändert werden müssen, bevor man an eine Währungsunion denken kann: Eine 49-Prozentregel, hohe Steuersätze und die Überlagerung wirtschaftlicher Entscheidungen in den Unternehmen mit politischen Abstimmungsprozessen passen nicht in eine Währungsunion. Eine Währungsunion verlagert die Anpassung auf die relativen Preise zwischen handelbaren und nicht-handelbaren Gütern. Beispielsweise kann eine Region nach der Installierung der Währungsunion Wettbewerbsfähigkeit dadurch gewinnen, daß der Preis und damit der Produktionsanreiz für nicht-handelbare Güter sinkt. Unklar ist, wie bedeutend dieser Mechanismus für die DDR ist und ob nicht-handelbare Güter bei Mobilität der Menschen, etwa im grenznahen Bereich und in Berlin, überhaupt sinnvoll definiert werden können. Insoweit Arbeit immobil ist, muß der Lohn die Anpassungslast in einer Währungsunion tragen. Ein Sinken des Lohns bringt Wettbewerbsfähigkeit. Man darf bezweifeln, ob dies für die DDR eine realistische Perspektive ist. —
Da der Wechselkurs als Aufholmoderator ausfällt und deshalb strukturelle Krisen, auch Arbeitslosigkeit, nicht auszuschließen sind, wird ein politisch gesteuerter Transfermechanismus zwangsläufig größere Bedeutung gewinnen.
24. Schließlich stellt sich die Frage, ob der Umtausch der gesamten Geldanlagen der DDR durch die Bundesbank inflationäre Wirkungen hätte. Man hätte dann die Ost-Mark härter und die DM weicher gemacht. Hier hängt vieles von den Modalitäten ab. Um mögliche Größenordnungen zu verdeutlichen, können folgende Rechnungen gemacht werden: Bei einem Kurs von 5:1 und einem Geldvermögen in der DDR von 190 Mrd. Mark (einschließlich Versicherungen, ohne Barbestände der Unternehmen) würde die monetäre Basis in dem vergrößerten Währungsgebiet um etwa 38 Mrd. D M steigen. Unterstellt man einen Faktor von 1,5, der bisher zwischen monetärer Basis und der Geldmenge (Mi) bestand, so würde die Geldmenge Mi um 57 Mrd. zunehmen, d. h. um 14 v. H. Bei einem Umrechnungskurs von 1:2 würde die monetäre Basis um 95 Mrd. DM, die Geldmenge um 142,5 Mrd. DM, d. h. um 34 v. H. steigen. Dabei ist unterstellt worden, daß die gesamte umgetauschte Geldmenge in Bargeld und Sichteinlagen geht, also M i zuzurechnen ist. Aber selbst wenn man die größere Geldmenge M3 (1213 Mrd. DM) zugrunde legt, ergibt sich eine Erhöhung der Geldmenge um 16 v. H. W i r wissen nicht, wie die Bürger der DDR die umgetauschten Geldbestände verwenden werden, ob sie beispielsweise auch die Sparbestände schnell in Konsum umsetzen 8 . Dieser größeren Geldmenge steht zwar in einem gemeinsamen Währungs-
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räum ein Zuwachs des Güterbergs um das Sozialprodukt der DDR von 280 Mrd. Mark gegenüber; dies ist bei einer Umrechnung auf der Basis 1:1 ein Zuwachs des westdeutschen Güterbergs (von 2250 Mrd. DM) um 12 v. H. Man muß davon ausgehen, daß eine solche Umtauschaktion je nach Modalität nicht ohne Konsequenzen für die Preisniveaustabilität in der Bundesrepublik und in Europa möglich ist, obwohl Rechnungen dieser Art nicht unproblematisch sind 9 . Die Beseitigung des Geldüberhangs wird im Fall einer Währungsunion eher schwieriger. Denn im Gegensatz zu der Strategie eines Hineinwachsens in den Währungsverbund hat man bei einem Währungsverbund nicht mehr die Möglichkeit, Fehlentscheidungen einer monetären Reform durch eine Anpassung des Wechselkurses aufzufangen. Die Preisniveaustabilität ist nicht nur ein Problem für den Übergang. Die Bundesbank würde auch die Aufgabe übernehmen, das Vertrauen in den Geldwert für das gesamte Währungsgebiet sicherzustellen, und zwar in einer Situation, in der man die Reformen im einzelnen noch gar nicht überschauen kann. Das Vertrauen in die D M wird dann vom politischen Prozeß in der DDR abhängig — auf dieser Basis läßt sich keine Geldordnung aufbauen. Eine Währungsunion setzt zwingend reale Reformen voraus. 25. Bei einer deutsch-deutschen Währungsunion ist zu berücksichtigen, daß die D M der monetäre Anker im EWS ist, an dem die anderen Währungen hängen. Eine deutsche monetäre Integration muß dieser Tatsache Rechnung tragen, denn die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion muß in das Europa der Zwölf eingebettet sein.
IV. Ein Vorschlag 26. Man kann sich Kombinationen zwischen den beiden dargestellten Optionen einer Währungsunion und einer Übergangsstrategie für die DDR vorstellen. So kann die DDR die Geldmengenpolitik für die Mark-Ost verbindlich nach Frankfurt abgeben; die Bundesbank könnte die Mark-Ost für einen Übergangszeitraum parallel neben der D M existieren lassen; dabei würde die Mark floaten. Der Devisenmarkt würde die richtige Bewertung der Mark finden. Im Verlauf der Zeit würden Aufwertungstendenzen für die Mark wirksam. Die glaubhafte Ankündigung eines solchen Schrittes würde die Erwartungen entscheidend stabilisieren. 8
Die Verhaltensweisen der Bürger der DDR in bezug auf die Verwendung des Geldes können sich durchaus in den Fällen eines Übergangszenarios mit weiter bestehender Mark, die konvertibel ist, und einer Währungsunion unterscheiden. 9 Zur Abschätzung der zulässigen Geldmengenexpansion i m Sinn einer potentialorientierten Geldpolitik vgl. Siebert (1990d).
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Ein solches Vorgehen hätte einige Vorteile. Man könnte die monetären Probleme der DDR für einige Zeit vom Europäischen Währungssystem abkoppeln und die Mark-Ost langsam an das EWS heranführen. Auch hätte man den Vorteil, daß eine Fehleinschätzung des Geldüberhangs in der DDR — letztlich ja eine von Erwartungen bestimmte Verhaltensgröße— durch eine Wechselkurskorrektur der Märkte aufgefangen werden kann. Insbesondere weiß man nicht, wie stark bei einer Umtauschaktion die Konsumausgaben steigen. Vor allem aber würde ein solches Vorgehen einen Wechselkurs mit sich bringen, der die DDR-Unternehmen wettbewerbsfähig läßt und ihnen zunächst einmal einen Puffer gibt. Aber auch diese Variante eines Wechselkursverbundes kann man nur verfolgen, nachdem realwirtschaftliche Reformen in der DDR erfolgt sind.
V. Zusammenfassung 27. Die Analyse hat verdeutlicht, daß eine monetäre Reform nicht allein den Abbau eines Geldüberhangs bedeutet, sondern immer mit realwirtschaftlichen Reformen einhergehen muß. Dazu zählen: die Freigabe der Güterpreise und die Einführung von Märkten als Koordinierungsmechanismus, die Entflechtung der Kombinate, die Privatisierung von Wohnungen und Firmen und generell die Zulassung privaten Eigentums. Diese Änderungen im realen Sektor machen eine monetäre Reform im engen Sinn weniger dringend. Ein zentrales Element einer monetären Reform ist ein neues institutionelles Arrangement für das Geldwesen, mit einer Geldmengensteuerung im Sinn der Preisniveaustabilität und einem zweistufigen Bankensystem, mit einem Kapitalmarkt für die effiziente Allokation der Finanzmittel auf die investiven Verwendungen und auf die Kreditbegehren der Konsumenten und mit einem Markt für die Bewertung der Firmen. Diese Grundfragen sind unabhängig davon zu lösen, ob eine monetäre Übergangsstrategie für die DDR oder eine Währungsunion verfolgt werden. Eine monetäre Übergangsstrategie gibt der ökonomischen Umstrukturierung mehr Zeit; eine solche Strategie kann darin bestehen, daß die Bundesbank die Geldmengensteuerung für die Ost-Mark übernimmt und die OstMark floatet. Eine Währungsunion setzt reale Reformen voraus. 28. Die monetäre Reform im Sinn einer neuen Regelung des Geldwesens ist eine notwendige Bedingung für eine erfolgreiche wirtschaftliche Umgestaltung der DDR, aber eine solche Reform ist nicht hinreichend. „ A m Geld hängt nicht alles" um Margarete in Goethes „Faust" zu variieren. Die entscheidenden Reformen müssen im realen Bereich der Wirtschaft und in der Wirtschaftsverfassung erfolgen. Monetäre Reformen sind der stumme Die-
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ner der realwirtschaftlichen Umgestaltung. G e l d sollte a u c h b e i d e m Übergang v o n einer Planwirtschaft zu e i n e m m a r k t w i r t s c h a f t l i c h e n System e i n Schleier sein, der d i e realen Übergangsprozesse n i c h t verzerrt. W i r t s c h a f t s p o l i t i k e r s o l l t e n sich n i c h t w i e e i n B ü h n e n b i l d n e r b e i einer Oper auf d e n Schleier k o n z e n t r i e r e n d e r sich n a c h der O u v e r t ü r e hebt, u n d den Schleier m i t der realen H a n d l u n g verwechseln. Ein schöner Schleier m a c h t n o c h k e i n e gute O p e r — die Reformen müssen die reale W i r t s c h a f t i n der D D R umgestalten.
Oder
etwas w e n i g e r
prosaisch
formuliert:
G e l d ist
ein
S c h m i e r m i t t e l für die ö k o n o m i s c h e n T r a n s a k t i o n e n zwischen Personen, z w i s c h e n Orten, i n der Zeit. D i e m o n e t ä r e Reform ist e i n Ölwechsel, aber e i n Ö l w e c h s e l b r i n g t n o c h k e i n e neue Wirtschaftsmaschine.
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Wahlmöglichkeiten einer deutsch-deutschen Geld- und Währungspolitik
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Schritte zur Konvertibilität der Mark der DDR* Von Reinhard Pohl, Berlin
Ein altes chinesisches Sprichwort lautet: Ein Staat, der zuviel Gesetze hat, geht zugrunde. Dieser Auflösungsprozeß vollzieht sich in der DDR so schnell, wie es wohl keiner von uns erwartet hatte, als er sein Thema für diese Tagung nannte. Schon in dieser Woche wird die Bundesregierung mit der Regierung der DDR über eine Währungsunion verhandeln. Währungsunion heißt: In beiden Staaten wird es nur noch eine Währung geben; die Mark der DDR wird von der Deutschen Mark der Bundesrepublik Deutschland abgelöst. Mein Thema, „Schritte zur Konvertibilität der Mark der DDR", wäre dann obsolet. Denn was es nicht mehr gibt, kann auch nicht konvertierbar werden. Trotzdem braucht mein Vortrag nicht zur Gänze Makulatur zu werden, und zwar aus folgenden Gründe. Meine These sollte lauten: Schon am Anfang, und nicht erst als Krönung eines wirtschaftlichen Aufholprozesses in der DDR sollten zusammen mit der Einführung der marktwirtschaftlichen Ordnung zwei währungspolitische Bedingungen erfüllt sein: Erstens ein deutsch-deutscher Währungsverbund mit der Kopplung der DDR-Mark an die D-Mark, und zweitens die weitgehende Konvertibilität der Mark der DDR. Viele Argumente, die für einen solchen Währungsverbund sprechen, werden auch zugunsten einer Währungsunion ins Feld geführt. Wesentliche Voraussetzungen für einen Währungsverbund mit Konvertibilität sind auch wesentliche Voraussetzungen für eine Währungsunion. Und bei der W a h l eines Währungsverbundes mit Konvertibilität entstehen zum Teil dieselben Probleme wie bei der Wahl einer Währungsunion. Deshalb brauche ich das meiste von dem, was ich ursprünglich sagen wollte, nicht über Bord zu werfen. Allerdings gibt es auch einige markante Unterschiede zwischen einem Währungsverbund mit Konvertibilität und einer Währungunion. Hier bedarf meine ursprüngliche Konzeption der Ergänzung. Doch zunächst einige Definitionen. Unter voller Konvertibilität versteht man das Recht von Deviseninländern und Devisenausländern, inländische Zahlungsmittel jederzeit und in beliebiger Menge gegen Zahlungsmittel in * Bei der Überarbeitung meines Vortrages habe ich einige Aussagen geändert, da ich mein apodiktisches Votum pro Währungsverbund und contra Währungsunion nicht mehr vertreten kann. 4·
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fremder Währung, kurz Devisen genannt, zu tauschen. Diese Definition ist freilich ziemlich inhaltsleer, wenn man nicht auch die Verwendung der Devisen einbezieht. So werde ich im folgenden volle Konvertibilität gleichsetzen mit Freizügigkeit des grenzüberschreitenden Leistungsverkehrs (einschließlich des Reiseverkehrs) und Freizügigkeit des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs, wobei die Zunahme der nicht-amtlichen Devisenbestände in der Zahlungsbilanz als kurzfristiger Kapitalexport verbucht wird. Freilich gibt es auch in solchen Ländern, die dem Freihandel verpflichtet sind, gewisse Beschränkungen dieser Freizügigkeit, zum Beispiel beim Erwerb von Grund und Boden durch Ausländer. Sofern sie aber nicht als gravierend empfunden werden, werde ich von voller Konvertibilität sprechen. Und von weitgehender Konvertibilität werde ich im Falle der DDR reden, wenn es Devisenfonds für grenzüberschreitende Reisen sowie gewisse Beschränkungen des Kapitalexportes gibt (obwohl ich weiß, daß diese Definition von „weitgehend" manchem zu weitgehend ist). In den vergangenen drei Monaten entstand eine breite Palette von währungspolitischen Reformvorschlägen. Auf dieser Palette sind die vier Grundtypen der vorgeschlagenen Währungssysteme: 1. das System freier Wechselkurse; 2. ein Währungsverbund nach dem österreichischen Modell; 3. ein Währungsverbund nach dem Muster des Europäischen Währungssystems (EWS); 4. eine Währungsunion mit der D-Mark als Einheitswährung. Schaut man genauer hin, so entdeckt man eine Fülle von Varianten: So gibt es Mischungen aus Elementen der verschiedenen Währungsysteme, zum Beispiel die D-Mark als Parallelwährung oder das Nebeneinander von verschiedenen festen Wechselkursen oder das Nebeneinander von festen und flexiblen Kursen. Die Vorschläge unterscheiden sich auch hinsichtlich der Vorstellungen darüber, wie weit und wie lange die Konvertibilität der DDR-Mark eingeschränkt werden soll; und selbst wenn es die DDR-Mark nicht mehr gibt, wie bei einer Währungsunion, sind Beschränkungen des Leistungs- und des Kapitalverkehrs (zum Beispiel des Erwerbs von Grundstücken und Beteiligungen in der DDR) denkbar, wenn auch wenig wahrscheinlich. Doch bei aller Meinungsverschiedenheit hierüber sind sich sowohl die Befürworter einer behutsamen Lockerung der Devisenbewirtschaftung als auch die Befürworter der Einführung der Konvertibilität der DDR-Mark in einem großen Schritt oder gar der radikalen Ablösung der DDR-Mark durch die D-Mark über einen Punkt einig: Währungspolitische Reformen, vor allem die radikalen Reformen, dürfen nicht verwirklicht werden, bevor die marktwirtschaftliche Ordnung in der DDR etabliert ist oder bevor zumindest wesentliche Elemente dieser Ordnung dort Eingang gefunden haben.
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Ordnungspolitische Voraussetzungen währungspolitischer Reformen Im folgenden nenne ich einige wesentliche ordnungspolitische und andere Bedingungen, die vor einer währungspolitischen Reform zu erfüllen wären, und zwar auch dann, wenn die Staatsbank der DDR in eine Hauptverwaltung, sprich: Landeszentralbank, der Deutschen Bundesbank umgewandelt würde. 1. Die Wirtschaft der DDR muß den Gesetzen des Wettbewerbs unterworfen werden. Dies setzt voraus, daß inländisches und ausländisches Privateigentum an Produktionsmitteln zugelassen wird und daß die Kombinate entflochten und zu kleineren wirtschaftlich selbständigen Einheiten umstrukturiert werden. Wohlgemerkt: Dies heißt nicht zwangsläufig Verzicht auf staatliches Eigentum (auch das Volkswagenwerk war als Unternehmen in Staatseigentum sehr erfolgreich). Es heißt aber, daß die Entscheidungsbefugnisse und die Verantwortung dezentralisiert werden und daß unrentable Staatsbetriebe nicht automatisch mit staatlichen Subventionen rechnen können, während Privatunternehmen in Konkurs gehen müßten. Diese Entflechtung braucht sicher einige Zeit. Damit trotzdem der notwendige Wettbewerbsdruck erzeugt wird, ist es unumgänglich, sofort die Inlandsmärkte dem frischen W i n d des internationalen Wettbewerbs auszusetzen. Dies setzt die Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols voraus. 2. Das Wirtschaftsrecht (Handelsgesetzbuch, Recht der Kapitalgesellschaften, Konkursrecht und viele andere) muß reformiert werden. Anstatt, wie hie und da angeregt, auf veraltete Gesetze, wie das Aktiengesetz von 1937 und zum Teil noch frühere Wirtschaftsgesetze, zurückzugreifen, sollte man sich der von der EG-Kommission entwickelten modernen Gesetze bedienen. Die Übernahme dieser Gesetze kann sehr schnell, innerhalb weniger Wochen, geschehen. 3. Das Steuersystem muß vereinfacht und leistungsgerechter gestaltet werden. Steuerliche Diskriminierung bestimmter Tätigkeiten ist ebenso zu beseitigen wie die z. T. extreme Progression der Tarife. Durch die Einführung einer Umsatzsteuer in Höhe eines europäischen Durchschnitts und einer linear-progressiven Einkommenssteuer mit Grenzsteuersätzen, die denen der wichtigsten Nachbarstaaten nahekommen, könnte beispielsweise die Chance genutzt werden, ein einfaches und überschaubares Steuersystem zu schaffen. 4. Die außerordentlich differenzierten produktspezifischen Subventionen und Abgaben werden, bis auf die besonders, vor allem ökologisch, begründeten, abgeschafft. Zugleich werden die Mehrheit aller Preise für die Verbrauchsgüter und für deren Vorleistungen bis hin zu den Investitionsgütern sowie die Preise für die Exportgüter möglichst in einem Schritt
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freigegeben. Anbieter und Nachfrager müssen in einem Trial-and-errorProzeß die marktgerechten Preise herausfinden. Die mit dem Subventionsabbau freiwerdenden Mittel zum sozialen Ausgleich werden in Form von direkten Transfers an bedürftige Bevölkerungsgruppen verwendet. Die soziale Flankierung geschieht im Rahmen eines konsequenten Übergangs von der Objekt- zur Subjektförderung. Insbesondere Rentner bedürfen zusätzlicher Hilfen, da das Verbraucherpreisniveau nach der Preisfreigabe steigen wird. Dieser Einmaleffekt ist jedoch notwendig, damit sich realistische, den tatsächlichen Knappheiten entsprechende Preise bilden können. Damit aus dem zu erwartenden einmaligen Preisschub keine dauerhafte Inflationsbeschleunigung, d. h. eine Preis-Lohn-Spirale, entsteht, ist eine einkommenspolitische Flankierung des Prozesses erforderlich. 5. Möglichst rasch sollten Vereinigungen der Arbeitnehmer (autonome Gewerkschaften) und der Arbeitgeber gebildet werden. Diese müßten sich gemeinsam darum bemühen, stabilitäts- und wachstumsgerechte Löhne auszuhandeln, d. h. Löhne, die die Auslösung einer inflatorischen Preis-Lohn-Spirale verhindern und zugleich ein kräftiges Wachstum ermöglichen. Dabei sollte zwar an den Mindestlöhnen festgehalten werden, aber eine den Knappheitsverhältnissen und Qualifikationsdifferenzen gerecht werdende Lohndifferenzierung nach oben hin vereinbart werden. Je rascher mit einer solchen Lohnpolitik Produktivitätsfortschritte und Wirtschaftswachstum erreicht werden, desto schneller kann auch das gesamte Lohn-Niveau erhöht werden. 6. Wegen des mit dem Reformprozeß zu erwartenden Strukturwandels wird es zumindest vorübergehend beträchtliche Arbeitslosigkeit geben. Die finanziellen Folgen müssen zunächst vom Staat und dann, auf Dauer, von einer Versicherung getragen werden. Es muß auch Einrichtungen geben, welche zur Umschulung von Arbeitslosen beitragen und Arbeitskräfte vermitteln. 7. Das Bankensystem, bisher ausführendes Organ der Regierung, muß grundlegend erneuert werden, damit es marktwirtschaftliche Funktionen übernehmen kann. Auch hierzu könnte man auf bewährte westliche Gesetze zurückgreifen. Die Kreditinstitute müssen — im Rahmen der globalen geldpolitischen und bankaufsichtsrechtlichen Restriktionen — selbständig und im Wettbewerb miteinander Einlagen aufnehmen und Kredite gewähren dürfen. Sie müssen selbständig den Zahlungsverkehr nicht nur zwischen Inländern, sondern auch mit Ausländern abwickeln. Außerdem muß ein effizienter Markt für festverzinsliche Wertpapiere und für Beteiligungsrechte geschaffen werden. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Deshalb wäre es hilfreich, wenn die schon erkennbare Bereitschaft westdeutscher und Westberliner Kreditinstitute, mit
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Kreditinstituten der DDR zu kooperieren, Ausbildungsprogramme für Bankfachleute zu beginnen und auch sonst bei den Bankgeschäften beratend tätig zu werden, bald Früchte tragen würde. Auch die Einrichtung von DDR-Filialen durch westdeutsche und Westberliner Kreditinstitute könnte diesen Prozeß abkürzen. Pari passu müssen die in der Bundesrepublik liegenden Hindernisse für den Zahlungs-, Leistungs- und Kapitalverkehr mit der DDR abgeräumt werden. Diese Hemmnisse bestehen in Devisenbewirtschaftungsgesetzen der Alliierten sowie in der Aufrechterhaltung des „Verbotsprinzips mit Erlaubnisvorbehalt"; aber „durch den Erlaß Allgemeiner Genehmigungen (können) die bestehenden Verbote ganz oder teilweise beseitigt werden . . ( D e u t s c h e Bundesbank, Monatsbericht für Januar 1990, S. 19). 8. Die Staatsbank beschränkt sich auf die allgemeine Geld- und Währungspolitik. Sie muß von Weisungen der Regierung unabhängig sein, und sie muß sich verpflichten, die Währung zu sichern und monetär ein befriedigéndes Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Diese Aufgabe zu erfüllen, gleicht einer Gratwanderung. Einerseits können die Wirtschaftsreformen nur erfolgreich sein, wenn die Bürger der DDR und die ausländischen potentiellen Investoren Vertrauen zum Wert der DDR-Mark gewinnen; die Staatsbank muß also auch von ihrer Seite aus alles tun, um das Entstehen einer inflatorischen Preis-Lohn-Abwertungsspirale zu verhindern. Dies läuft auf eine Politik des knappen Geldes hinaus. Andererseits muß sie dem von den Reformen erhofften kräftigen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum genügend Raum geben. 9. Bevor diese Gratwanderung beginnen kann, muß erst einmal eine Hypothek abgetragen werden. Ende 1988 verfügten die privaten Haushalte in der DDR über liquide Bestände (Bargeld und täglich fällige Spareinlagen) von 168 Mrd. M. Deren Relation zu den Nettogeldeinnahmen von 163 Mrd. M im Jahre 1988 war mit 1,03 deutlich höher als die entsprechende Relation in der Bundesrepublik (0,6)1. Doch viel wichtiger ist, daß in der DDR wegen der labilen Verhältnisse die Gefahr, daß man aus dem Geld in die Sachwerte und fremde Währungen flieht, viel größer ist als in der Bundesrepublik. Die Existenz dieser liquiden Bestände rechtfertigt es aber nicht, eine Preisfreigabe und die Einführung einer neuen Währungsordnung in der DDR (Währungsverbund oder Währungsunion) mit einer „Abwertung" der Geldvermögen zu verbinden — wie sie anläßlich der westdeutschen Währungsreform im Juni 1948 wegen der gewaltigen zurückgestauten Inflation unum1
Ende 1988 betrugen in der Bundesrepublik die Bestände der privaten Haushalte an Bargeld, Sichteinlagen, Termingeldern bis mit einer Laufzeit unter drei Monaten sowie Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist schätzungsweise 800 Mrd. DM, bei einem verfügbaren Einkommen von 1300 Mrd. DM.
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gänglich gewesen war. Unmittelbar nach der damaligen Währungsreform unterschieden sich die in der neuen Geldeinheit (D-Mark) ausgedrückten Preise und Kosten nur unwesentlich von den Beträgen der in der alten Geldeinheit (Reichsmark) ausgedrückten Preise und Löhne, während bei den Geldforderungen und -Verbindlichkeiten der DM-Betrag sehr viel niedriger angesetzt wurde als der RM-Betrag. Eine solche „Abwertung" der Geldvermögen ist ein gravierender Einschnitt in die Lebensverhältnisse der Bürger. Wer in Geld gespart hat, wird dafür bestraft, während derjenige belohnt wird, der sich verschuldet und dafür konsumiert oder Sachwerte erworben hat. Deshalb ist eine andere Lösung vorzuziehen. Zur Vermeidung eines runs auf die Sparkonten müßten die liquiden Guthaben in befristete höherverzinsliche umgewandelt werden, und zugleich sollte der Staat den Bürgern die Option einräumen, mit diesen Spargeldern attraktive Aktiva zu erwerben: die Anfang der 70er Jahre enteigneten Privatbetriebe, Wohnungen, Immobilien für gewerbliche Zwecke und den Wohnungsbau, Beteiligungsrechte sowie Anleihen, die für einige Zeit gemäß Indexklauseln verzinst werden. Diese Vermögensobjekte sind, weil sie auf allgemeine Preissteigerungen mit Wertsteigerungen reagieren, eine „realwertgesicherte" Anlage. Mit dem Erlös könte der Staat seine Schulden bei der Staatsbank abtragen; diese wiederum müßte das Geld zunächst stillegen und erst dann wieder in den Verkehr bringen, wenn das Wirtschaftswachstum in Gang kommt.
Fester oder flexibler Wechselkurs? Erst wenn diese ordnungs- und vermögenspolitischen Bedingungen erfüllt oder zumindest wesentliche Schritte in dieser Richtung getan sind, sollten währungspolitische Reformen in Kraft treten. In den vergangenen drei Monaten plädierte nur eine Minderheit von Wirtschaftswissenschaftlern für die rasche Einführung einer Währungsunion mit der DDR, d. h. die Substitution der DDR-Mark durch die D-Mark. Die Mehrheit trat dafür ein, zunächst einmal die DDR-Mark als selbständige Währung beizubehalten. Umstritten war allerdings, ob ein Währungsverbund mit relativ fester Ankoppelung der DDR-Mark an die D-Mark einer Freigabe des Wechselkurses der DDR-Mark vorzuziehen sei und ob oder inwieweit die Beschränkungen der Konvertibilität der DDR-Mark aufrechterhalten werden sollten. Ich selber habe gegen einen flexiblen Kurs der DDR-Mark und für die volle oder weitgehende Konvertibilität der DDR-Mark votiert, und zwar mit Argumenten, die in vieler (nicht jeder) Hinsicht auch Argumente für eine Währungsunion sind. Häufig wird die Freigabe des Wechselkurses der DDR-Mark als die einzig marktgerechte und zugleich sicherste Lösung angesehen: Die Staatsbank behielte den Geldumlauf im Griff, und sie könnte zugleich bei voller Konver-
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tibilität Zahlungsbilanzkrisen, nämlich eine drastische Schrumpfung der amtlichen Devisenreserven, vermeiden, da über den freien Wechselkurs die zunächst starke Nachfrage nach Devisen, zum Beispiel nach D-Mark, mit dem knappen Devisenangebot in Übereinstimmung gebracht würde. Dieser Vorschlag wäre dann vertretbar, wenn der Wechselkurs einigermaßen den Kaufkraftparitäten entspräche oder den Unterschied zwischen den inländischen Kosten und den Kosten im Ausland weitgehend ausgliche. Dies gilt jedoch nur auf längere Sicht. Auf kürzere Frist wird der Wechselkurs auch durch andere Faktoren bestimmt: zum Teil durch sich selbst verstärkende Spekulationen, zum Tei durch fundamentale Faktoren wie den Unterschied zwischen den inländischen und den ausländischen Zinssätzen oder die erwartete Differenz zwischen den Raten des Wirtschaftswachstums und der Inflation im Inland und den Wachstums- und Inflationsraten im Ausland. Aus diesen Gründen kommt es — wie das Beispiel des US-Dollars zeigt — immer wieder zu einem beträchtlichen und anhaltenden Überschießen des Wechselkurses in beiden Richtungen. Für ein sehr großes Land mit kleinem Außenwirtschaftsanteil wie die USA mag dies noch zu „verkraften" sein. Doch für die DDR, ein kleines Land mit potentiell großem Außenwirtschaftsanteil, das erst auf der Suche nach den „richtigen", d. h. auch weltmarktgerechten Kosten und Preisen ist, müßte diese Lösung lähmend wirken. Wegen des engen Zusammenhangs der Auslandsmärkte mit den Inlandsmärkten würden sich die Bewegungen des Wechselkurses über die Export- und Importpreise bald auf die inländischen Kosten und Preise übertragen. Da die Schwankungen des Wechselkurses nicht die Änderungen der preislichen Wettbewerbsposition des Landes reflektieren, stellen die Änderungen des Wechselkurses und die dadurch induzierten Änderungen der Inlandspreise keine zuverlässigen Signale, sondern vielmehr eine Desorientierung für die Verbraucher und die Unternehmer dar 2 . Dies würde einem Land, das mit seinem Preissystem ohnehin erhebliche Schwierigkeiten hat, zusätzliche Probleme aufbürden. Für die DDR bietet sich deshalb ein amtlich fixierter Wechselkurs an. Er müßte freilich bei Bedarf geändert werden können. Zu denken wäre dabei an das österreichische Modell, in dem die österreichische Nationalbank allein 2
Man könnte natürlich einwenden: W i e der fallende Aktienkurs bei einem Unternehmen, dessen Gewinnaussichten schlechter werden, stellt auch der fallende Wechselkurs der Währung eines Landes mit verschlechterten Wachstumsaussichten für alle Betroffenen (Geldgeber, Führungspersonal) ein Signal zur Umkehr auf dem bisherigen Wege dar. Doch während selbst ein erhebliches Überschießen der Aktienkurse nach unten weder die Kosten noch die Absatzpreise des Unternehmens unmittelbar tangiert, geschieht dies bei dem üblichen Überschießen der Wechselkurse: Sämtliche Preise und sämtliche Kosten in einem Land mit großem Außenwirtschaftsanteil werden sehr viel stärker in Bewegung gesetzt, als die Signale dies eigentlich anzeigen sollten.
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die Aufgabe übernimmt, den Kurs der eigenen Währung mit einer wechselkursorientierten Geldpolitik zu verteidigen. Für einen „Anfänger", wie die DDR, wäre allerdings die Einbindung in das Europäische Währungssystem und die Ankoppelung der DDR-Mark an die D-Mark vorzuziehen. Die DDRMark nähme dann eine ähnliche Stellung ein wie die Währungen der am Wechselkursmechanismus des EWS teilnehmenden Länder, zu denen hinsichtlich der Produktivität und des Lebensstandards so unterschiedliche Länder gehören wie die Niederlande und Portugal. Allerdings würden die Regeln des EWS die DDR nicht der Verpflichtung zu einer wechselkursorientierten Geld-, Währungs- und Wirtschaftspolitik entheben. Die Bundesbank würde der Staatsbank der DDR zwar einen Kredit zur Stützung der DDR-Mark einräumen, dieser Kredit müßte aber innerhalb einer bestimmten Frist zurückgezahlt werden. Da die Bundesbank gesetzlich zu einer stabilitätsgerechten Geldversorgung der Bundesrepublik verpflichtet ist, müßte der Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden, und sei es über eine Anleihe, wenn im Notfall der DDR die Tilgung ihres Zahlungsbilanzkredits nicht zugemutet werden könnte. A n diesen Sachzwängen würde sich auch bei einer Währungsunion nichts grundlegend ändern. Auch dann dürfte die Bundesbank ihr Geldangebot, von den üblichen Schwankungen abgesehen, nicht stärker ausweiten, als es dem möglichen Wachstum der Produktion in beiden deutschen Staaten zusammengenommen entspricht. Auch dann würde die DDR stabilitätspolitischen Restriktionen unterworfen sein und hinge in ihrem Bewegungsspielraum von dem ab, was die Bundesrepublik ihr in Form von staatlichen und privaten Transfers und Kapitalleistungen zukommen ließe.
Probleme einer Devisenbewirtschaftung Obwohl sowohl für einen Währungsverbund als auch für eine Währungsunion ähnlich strenge stabilitätspolitische Regeln gelten, haben doch viele Wissenschaftler vorgeschlagen, zunächt einen Währungsverbund zu wählen. Diese Empfehlung beruhte — explizit oder implizit — auf der Prämisse, die DDR werde den wirtschaftlichen Aufholprozeß überwiegend „aus eigener Kraft" und mit privaten Kapitalimporten in Gang bringen müssen, da die Bereitschaft der Bundesrepublik, für Fehlentwicklungen mit staatlichen Transfers aufzukommen, begrenzt sei. Unter diesen Bedingungen wurden für einen Währungverbund gewöhnlich zwei Argumente ins Feld geführt: — Notfalls könne die Konvertibilität der DDR-Mark beschränkt werden; — bei Bedarf könne der Wechselkurs korrigiert werden. Das erste Argument bestand in der Überlegung, daß die DDR noch für eine geraume Zeit des Protektionismus bedürfe. Auf der einen Seite müsse die DDR geschützt werden vor Überfremdung, vor unbedachten Kapitalimpor-
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ten und damit vor weiterer Überschuldung. Auf der anderen Seite müßten die im Export- und im Inlandsgeschäft erwirtschafteten Mittel zur Förderung der Produktivität der DDR-Wirtschaft verwendet werden,· sie dürften also nicht für Reisen, Luxusimporte und Kapitalexporte „verschwendet" werden. Ein effizientes regionalpolitisches Instrument hierzu sei die Devisenbewirtschaftung, diese gäbe es nur bei einem Währungsverbund. Doch was geschieht, wenn sowohl die Ausländerkonvertibilität als auch die Inländerkonvertibilität stark beschränkt bleibt? Zunächst einmal bleibt zur Vermeidung von Devisenabflüssen das Recht der ausländischen Gläubiger beschnitten, ihre Kapitalanlagen in fremder Währung abzuziehen oder Tilgungs- und Zinsbeträge in fremde Währung zu transferieren. Wegen dieser Einbahnstraße von Kapitalimporten kommt es nicht mehr, selbst wenn man dies wollte, zu neuen Auslandsgeldern und Devisen. Die Einfuhr von Waren und Diensten kann nur noch mit Hilfe der aus Exporten stammenden Devisen finanziert werden. Schon von der rein quantitativen Begrenzung des Auslandsangebots her wird der Wachstumsprozeß gehemmt. Nicht minder bedenklich ist es aber, daß selbst aus diesem begrenzten Angebot keine optimale Auswahl stattfinden kann. Natürlich könnten die Währungsbehörden sagen: Selbst in dem durch die Kapitalverkehrsbeschränkungen stark begrenzten Rahmen sind es immer noch die Unternehmen und die Verbraucher, welche dank ihrer Marktkenntnis den Importbedarf am besten einschätzen können. Deshalb könnte man es ihnen selber überlassen, mit ihren Preisgeboten sich um die knappen Devisen der Exporteure zu bewerben. Doch gerade das, nämliche freie Wechselkurse, wollen die Währungsbehörden eben nicht zulassen — aus, wie oben dargelegt, ursprünglich durchaus guten Gründen. Deshalb bleibt nur die administrative Zuteilung von Devisen übrig. Behörden, die wenig Marktkenntnis haben und auch deshalb schwerfällig Anträge bearbeiten, müssen jetzt darüber entscheiden, welche Anträge Priorität haben und welche abschlägig beschieden werden müssen. Privatreisen sind natürlich nicht dringend. Dafür wird man auch solchen Exportfirmen, die nicht besonders erfolgreich sind, einen Teil ihrer erlösten Devisen belassen (auch wenn sie diese selber gar nicht benötigen). Dagegen wird man den für den reinen Inlandsmarkt produzierenden Firmen, auch wenn sie mit Importen sehr viel produktiver arbeiten könnten, die Devisenzuteilung verweigern. Damit wird inhibiert, was den Vorteil einer freien Marktwirtschaft ausmacht, aber auf den ersten Blick nicht erkennbar ist: Die außenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft hängt nicht allein von dem ab, was die unmittelbar exportierenden Firmen zur Stärkung ihrer Exportfähigkeit tun, sondern sie hängt in weit größerem Maße von dem optimalen Zusammenwirken aller Bereiche der Volkswirtschaft ab, selbst derjenigen, die dem Exportsektor sehr fern stehen.
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Der Schwanz wackelt mit dem Hund. A n diesen Spruch wird man erinnert, wenn man das Wirken der Devisenbewirtschaftungsbehörden verfolgt. Mit der willkürlichen und notwendigerweise unkoordinierten Zuteilung von Devisen für Importzwecke wird zugleich darüber entschieden, wo und was und wieviel in den zahllosen Unternehmen einer Volkswirtschaft produziert wird. Im Jahre 1931 wurde im Deutschen Reich die Devisenbewirtschaftung eingeführt. In der NS-Ära wurde sie verschärft und zunächst von einem Lohn- und Preisstopp und später, in der zweiten Hälfte der 30er Jahre, von einer rigorosen Lenkungs- und Zuteilungswirtschaft flankiert. Diese wurde erst nach der Währungreform, mit einem Federstrich Ludwig Erhards, weitgehend abgeschafft.
Konvertibilitätsbeschränkung nach der westdeutschen Währungsreform kein Vorbild für die DDR Diesen Erfahrungen mit einem von der Devisenbewirtschaftung ausgehenden und immer stärker werdenden Zugriff der Lenkungsbehörden werden allerdings des öfteren die westdeutschen Erfahrungen nach der Währungsreform von 1948 entgegengehalten: Obwohl schon 1948 in vielen Bereichen die Marktwirtschaft eingeführt worden sei und obwohl die Bundesrepublik schon von 1951 an Jahr für Jahr beträchtliche Leistungsbilanzüberschüsse erzielt habe und obwohl bis Ende 1958 die Netto-Währungsreserven der Bundesbank auf fast 20 Mrd. D M angeschwollen seien, habe man erst Ende 1958 die volle Ausländerkonvertibilität eingeführt und erst daraufhin auch die Inländerkonvertibilität vervollständigt. Mit diesen Argumenten versucht man häufig die These empirisch zu untermauern, auch eine auf Marktwirtschaftskurs einschwenkende DDR-Wirtschaft könne sich noch auf viele Jahre hinaus keine Konvertibilität leisten. Mit diesen Argumenten wird aber folgendes übersehen: Erstens konnten nach 1948 die Beschränkungen des Kapital- und des Reiseverkehrs leicht durchgesetzt werden. Denn einmal gab es für Deutsche kaum ein Visum für private Auslandsreisen. Zum anderen praktizierten die Nachbarländer ebenfalls eine rigorose Devisenzwangswirtschaft. Heute sind die Verhältnisse völlig anders. DDR-Bürger haben volle Reisefreiheit, und für die westlichen Nachbarn der DDR gibt es heute kaum noch Beschränkungen der Konvertibilität. Dieses Argument besagt natürlich noch nichts gegen die ökonomische Zweckmäßigkeit von Beschränkungen der Konvertibilität, aber es kann als Warnung davor dienen, an solchen Beschränkungen festzuhalten, die heute sehr viel weniger als früher zu verwirklichen sind: Die Beschaffung von Reisedevisen auf den grauen Märkten ist kaum noch ernstlich zu kontrollieren und zu „kriminalisieren", also mit denselben harten Sanktionen zu belegen wie seinerzeit.
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Zweitens befanden sich in den ersten Jahren nach der westdeutschen Währungsreform die meisten westeuropäischen Nachbarländer ebenfalls in einer wirtschaftlich desolaten Lage. Deshalb wäre von dorther auch bei Freizügigkeit des Kapitalverkehrs kaum privates Auslandskapital nach Westdeutschland geflossen. Auch in dieser Hinsicht ist heute alles anders. Die westlichen Nachbarländer der DDR verfügen im Durchschnitt über sehr viel mehr Geldvermögen, die zu Kapitalexporten genutzt werden können, und die Bundesrepublik erzielt Jahr für Jahr Rekordwerte von Leistungsbilanzüberschüssen, von denen durchaus ein beachtlicher Teil auf dem Wege über Direktinvestitionen und Darlehen in die DDR umgelenkt werden könnte. Drittens herrschte bis zum Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 große Unsicherheit über die Regelung der gewaltigen deutschen Vorkriegsschulden. Die heutige Schuldenlast der DDR ist nicht so schwer wie die bis zur Londoner Schuldenregelung befürchtete Belastung der westdeutschen Wirtschaft. Aber selbst wenn es nicht so wäre: Um weitere beträchtliche Kapitalimporte käme eine um Modernisierung bemühte DDRWirtschaft nicht herum, und diese Kapitalimporte wären ohne Einführung zumindest der Ausländerkonvertibilität nicht zu bekommen. Viertens begann man schon bald nach der Währungsreform, die Einfuhr von Waren und Diensten zu liberalisieren; dieser Prozeß wurde nur kurz durch die Korea-Krise 1950/51 unterbrochen. Ende 1949 waren 47 v H der Wareneinfuhr aus den OECD-Ländern liberalisiert, Ende 1952 waren es 81 v H und Ende 1956 waren es 92 vH. Ende 1956 waren auch 93 v H der Wareneinfuhr aus den Dollar-Ländern frei. Mitte der 50er Jahre herrschte auch weitgehende Auslandsreisefreiheit. Mit anderen Worten: Auf vielen wichtigen Bereichen war de facto die Konvertibilität schon sehr viel früher als 1959 erreicht. Fünftens ist gar nicht ausgemacht, daß bei der damaligen Einführung der Konvertibilität nicht noch schnellere Fortschritte (bei der Liberalisierung des Kapitalverkehrs schon nach dem Londoner Schuldenabkommen) hätten gemacht werden können. Wenn man schon von 1951 an mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen leben wollte: Warum hat man die dabei anfallenden Devisenüberschüsse fast ausschließlich bei der Bundesbank „gehortet", anstatt wenigstens einen Teil davon zu rentablen privaten Kapitalexporten zu nutzen? Konvertibilität: Vehikel statt Krönung der wirtschaftlichen Erholung in der DDR Doch nach diesem Exkurs in die Vergangenheit zurück zur Gegenwart. Meine These lautet: In einem Währungsverbund mit der DDR kann die
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Konvertibilität nicht die Krönung einer erfolgreichen Wirtschaftsreform und damit der notwendigen Devisenproduktivität der DDR sein, sondern sie muß das Vehikel zu einem Aufholprozeß der DDR-Wirtschaft sein. Denn grundsätzlich gilt: a) Nur volle Ausländerkonvertibilität ermöglicht der DDR die Kapitalimporte (Direktinvestitionen, Darlehen), die zum Aufbau der Wirtschaft, und das heißt auch der Exportwirtschaft, unentbehrlich sind. Die im Zeitalter der europäischen Integration etwas altmodisch wirkende Furcht der DDR-Regierung vor „Überfremdung" bei ausländischen Mehrheitsbeteiligungen am Volkseigentum der DDR kann viele potentielle ausländische Investoren leicht abschrecken. b) Nur die weitgehende Inländerkonvertibilität sichert den Unternehmen das Recht, darüber zu entscheiden, welche Vorleistungen an Waren und Diensten für den Aufbau, die Modernisierung und die Weiterführung ihrer Betriebe am besten geeignet sind und wo man sie am billigsten beziehen kann. c) Die weitgehende Inländerkonvertibilität führt überdies auch insoweit zu einer Steigerung der Produktivität der DDR-Wirtschaft, als der Wettbewerb der inländischen Anbieter von Gütern — und zwar auch der Konsumgüter — mit den ausländischen Anbietern die Inländer dazu zwingt, mehr und effizientere Leistungen zu erbringen. d) Inländische Unternehmen und Kreditinstitute müssen die Möglichkeiten haben, Direktinvestitionen (Niederlassungen und absatzfördernde Beteiligungen im Ausland) vorzunehmen. Grundsätzlich gilt dies auch für andere rentable Auslandsanlagen. Keine Devisenbewirtschaftungsbehörde ist kompetent genug, darüber zu entscheiden, welche der von inländischen Unternehmen und Banken gestellten Anträge auf Devisenzuteilung vor anderen Anträgen Priorität haben. Wer diesen Behörden diese Kompetenz zuspricht, muß wissen, daß diese Behörde auch über den Erfolg oder Mißerfolg des jeweiligen Unternehmens oder der jeweiligen Bank mitentscheidet. Nur hat man noch niemals davon gehört, daß diese Behörden auch finanziell für den von ihnen mitverschuldeten Mißerfolg geradestehen müssen.
Was spricht für einen Währungsverbund? Erinnern wir uns: Ein Argument für einen Währungsverbund war, daß dieser Beschränkungen der Konvertibilität erlaubte. Dieses Argument ist gewogen und für zu leicht befunden worden. Schwerer wiegt das zweite Argument für einen Währungsverbund: Dieser gestatte es, den Wechselkurs der DDR-Mark notfalls zu korrigieren. Denn es sei unwahrscheinlich,
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daß man schon beim Einstieg in einen Währungsverbund den „richtigen", d. h. international wettbewerbsgerechten Wechselkurs finden werde. Da wird manchmal als Übergangslösung, für eine Periode des Suchens nach dem richtigen Kurs, ein zeitlich begrenztes Floaten des DDR-MarkKurses empfohlen. Ich halte aus den oben genannten Gründen nichts davon. Man stelle sich nur einmal vor, die USA, eine hochentwickelte Volkswirtschaft, hätten sich vor fünf Jahren für einen festen Wechselkurs entschieden. Damals hätte die Antwort 3,50 D M gelautet. Nur ein halbes Jahr später wäre die Antwort ganz anders, nämlich 2,60 DM, ausgefallen. Die zweite Methode zum Finden des richtigen Kurses setzt bei der Statistik an: Nach der Kaufkraftparitätentheorie müßte man sich für einen Kurs von Eins zu Eins entscheiden, denn nach den Schätzungen des D I W entspricht bei diesem Kurs für den privaten Verbraucher die Kaufkraft einer DDR-Mark ungefähr der Kaufkraft einer D-Mark. Doch jeder weiß auch: Nach Herausrechnung der Summe der produktbezogenen Subventionen und der — im Vergleich dazu geringeren — Summe der produktbezogenen Abgaben errechnet sich ein höheres Preisniveau in der DDR. Hinzu kommt, daß die wichtigen anderen Unterschiede (Qualitätsdifferenzen, Unterschiede bei den Lieferzeiten und beim Service) nicht berücksichtigt sind und erst bei einer Preisfreigabe zum Tragen kommen müßten. Deshalb landet man bei einem niedrigeren DDR-Mark-Kurs. Nicht besser steht es mit dem Vergleich zwischen den Lohnstückkosten. So wird manchmal argumentiert, die Lohnstückkosten seien in der DDR um ein Drittel niedriger als in der Bundesrepublik, denn im Jahre 1988 sei zwar die Arbeitsproduktivität in der DDR nur halb so groß gewesen wie in der Bundesrepublik, aber die Bruttolöhne je Beschäftigten hätten in der DDR nur ein Drittel betragen. Von hier ist nur ein Schritt zu der Feststellung, Kostenparität der DDR mit der Bundesrepublik sei bei einem Wechselkurs der DDR-Mark von 1,50 D M hergestellt. Doch gemach! Erstens gilt für den Produktivitätsvergleich das, was ich an dem schlichten Kaufkraftvergleich auszusetzen habe: Hier werden nur Mengen miteinander verglichen, aber andere Eigenschaften, wie Qualität, Verfügbarkeit und Service, können nicht hinreichend berücksichtigt werden. Ebensowenig wird bedacht, daß bei Beachtung westdeutscher Standards für eine umweltverträgliche Produktion die materielle Produktion (und damit die statistisch ausgewiesene Produktivität) niedriger gewesen wäre. Zweitens lenkt der pure Vergleich zwischen den Bruttolöhnen wegen der fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Steuersystemen auf eine falsche Fährte: In der Bundesrepublik deckt der Staat in höherem Maße als in der DDR seinen Finanzbedarf mit Abgaben der Lohnempfänger. In der Bundesrepublik werden die Bruttolöhne zu einem Drittel mit Abgaben belastet, in der DDR sind es nur 15 vH. Während die Bruttolöhne in der Bundesrepublik dreimal so hoch sind
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wie in der DDR, sind die Nettolöhne nur zweieinhalbmal so hoch. Angesichts dieser Schätzunsicherheit würde sich niemand in der Lage sehen können, beim Einstieg in einen Währungsverbund den „richtigen Wechselkurs" zu greifen. Deshalb würde es im Ausgangsstadium wahrscheinlich entweder eine Überbewertung (einen zu hohen Wechselkurs) oder eine Unterbewertung (einen zu niedrigen Kurs) der DDR-Mark geben. Zu den Problemen, die in der Phase der Umstellung der DDR-Wirtschaft auf die Marktwirtschaft und den internationalen Wettbewerb ohnehin unvermeidlich sein werden (Preissteigerungen, Arbeitslosigkeit infolge Strukturwandels), würden dann weitere Probleme hinzukommen: Bei einer Überbewertung der Mark der DDR sähe es prima facie so aus, als könnte die Modernisierung der Produktionsanlagen gefördert und die Verteuerung der Lebenshaltung auf das vom Lohnkostenanstieg gesetzte Maß begrenzt werden. Denn Auslandsreisen und die Einfuhr höherwertiger Konsum· und Investitionsgüter wären zunächst relativ billig. Doch nach einiger Zeit würde sich das Blatt wenden. Die DDR geriete in eine Zahlungsbilanzkrise. Die Nachfrage nach Devisen würde rapide zunehmen, während der Devisenzustrom eingedämmt würde, da viele Exportbetriebe und deren Vorlieferanten nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Kapitalimporte würden ausbleiben. Die Mark geriete auf dem Devisenmarkt unter Druck, und es würde eine Kapitalflucht geben. Hinzu käme, daß die Zahlungsbilanzkrise mit einer Vergrößerung der Arbeitslosigkeit einherginge. Hielte die DDR an ihrem Wechselkurs fest, wären folgende Konsequenzen unvermeidlich: Die Staatsbank würde mit einer Verknappung und Verteuerung des Geldangebots das Wachstum dämpfen. Die Devisenbewirtschaftung würde wieder eingeführt werden. Die Arbeitnehmer in den gefährdeten Betrieben müßten zur Vermeidung weiterer Arbeitslosigkeit Lohnverzicht üben, und die Lohnempfänger insgesamt müßten mehr Abgaben zahlen, um die Arbeitslosen zu unterstützen und die notleidenden Betriebe zu subventionieren. Aus einer solchen Situation böte ein Währungsverbund, anders als eine Währungsunion, einen gewissen Ausweg. Die Mark der DDR könnte abgewertet werden. Dies würde freilich zu einer Erhöhung des inländischen Preisniveaus führen. Bei einer Überbewertung der Mark der DDR hingegen würde eine Zahlungsbilanzkrise eher vermieden werden können. Viele Exportbetriebe und ihre Vorlieferanten blieben wettbewerbsfähig, die Aussichten auf private Kapitalimporte wären besser, und die Nachfrage nach Devisen wäre geringer. Dafür würde sich allerdings uno actu die Lebenshaltung stärker verteuern, und die Modernisierung der Wirtschaft käme weniger voran. Denn Auslandsreisen sowie die Einfuhr von höherwertigen Verbrauchs- und Investitionsgütern wären teurer. Der Zwang zu effizientem Wirtschaften wäre für viele Betriebe unter dem Schutz eines niedrigen Wechselkurses geringer als
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unter dem Druck billiger Einfuhren. Auch diese Probleme erfordern nach einiger Zeit Remedur. Dies könnte in einer Aufwertung der DDR-Mark bestehen. Diese Überlegungen machen freilich eines deutlich: In einem Währungsverbund würde bei jedem Wechselkurs das Realeinkommen in der DDR auf Jahre hinaus sehr viel niedriger sein als in der Bundesrepublik. Selbst wenn man damit rechnen könnte, daß die Aussichten auf eine Verbesserung des Lebensstandards bei einer Unterbewertung mit anschließender Aufwertung besser sein würden als bei einer Überbewertung mit anschließender Abwertung, müßte sich die Bundesrepublik darauf einstellen, daß der Anreiz zur Abwanderung aus der DDR für geraume Zeit sehr hoch bleiben wird. Für die Bundesrepublik hieße dies, daß sie in jedem Falle für längere Zeit beträchtliche Transfers aufbringen müßte. Sie stünde dann nur noch vor der Alternative, diese Mittel im eigenen Land zur Bewältigung der Folgen der Abwanderungen einzusetzen oder, was sehr viel sinnvoller wäre, diese Mittel zur Eindämmung der Abwanderung gleich in die DDR zu investieren.
Politische Weichenstellung zu einer Währungsunion Die Empfehlungen vieler Wissenschaftler, einen Währungsverbund einer Währungsunion vorangehen zu lassen, sind inzwischen in den Bereich der Wirtschaftsgeschichte verwiesen worden. Das Schneckentempo bei den Wirtschaftsreformen, die Ungeduld der Bürger in der DDR und die weiterhin massiven Abwanderungen aus der DDR haben dieser Tage die Bundesregierung bewogen, der DDR eine Währungsunion vorzuschlagen. Dieses Angebot wird voraussichtlich akzeptiert werden. Aus stabilitäts- und vermögenspolitischen Gründen ist es, wie oben dargelegt, notwendig, die liquiden Spareinlagen zu binden und den Sparern attraktive Anlagemöglichkeiten einzuräumen. Zugleich wird es darum gehen, den (endgültigen) Satz für den Umtausch der DDR-Mark (M) in die D-Mark (DM) festzulegen. Vor die Wahl zwischen einem Satz von 1 M / D M und allenfalls wohl 2 M / D M gestellt, werden sich die Politiker wahrscheinlich für einen Umtauschkurs von Eins zu Eins entscheiden. Dies wird nicht nur mit Rücksicht auf die Geldsparer, sondern auch mit Blick auf die Lohnund Rentenempfänger geschehen. Denn am Tage X würden die Lohnempfänger in der DDR bei einer Umstellung ihrer bisherigen Nettoeinkommen im Verhältnis Eins zu Eins allenfalls halb so viel verdienen wie die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Ein deutlich niedrigerer Umtauschkurs würde als unzumutbar betrachtet werden, selbst wenn man berücksichtigte, daß ja auch die Preise in der DDR uno actu entsprechend „abgewertet" würden 3 . 5 Konjunkturpolitik, Beiheft 37
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Niemand weiß, ob ein Satz von Eins zu Eins ein wettbewerbsgerechter Umtauschkurs wäre; dies würde sich erst bei Öffnung der Binnenmärkte gegenüber den Auslandsmärkten herausstellen können. Gewiß ist nur, daß bei einer Währungsunion, anders als bei einem Währungsverbund, die Anpassung zu hoher oder zu niedriger Kosten der DDR an die Kosten in der Bundesrepublik oder anderer westlicher Industrieländer nicht mehr über eine Änderung des Wechselkurses, sondern nur über eine Änderung der Lohnkosten vollzogen werden könnte. Sollte der Umtauschkurs zu hoch sein, so müßten die Löhne sich nach unten anpassen — was sicherlich auf stärkeren Widerstand stoßen würde als eine Korrektur nach oben im Falle eines zu niedrigen Umtauschkurses. Vor einer Illusion muß allerdings gewarnt werden: Auch bei einer Währungsunion wird die ostdeutsche Volkswirtschaft auf Jahre hinaus aus eigener Kraft nur ein erheblich niedrigeres Realeinkommen erwirtschaften können als die westdeutsche Volkswirtschaft. Massive Abwanderungen aus der ostdeutschen Wirtschaft können deshalb nur dann verhindert werden, wenn die westdeutsche Wirtschaft nicht nur, was zu erwarten ist, privates Kapital dorthin lenkt, sondern auch mit staatlichen Transfers das Realeinkommensgefälle verringert. Fairerweise müssen aber auch die Vorteile einer Währungsunion, vor allem wenn sie mit einer Wirtschafts- und Sozialunion gekoppelt wird, genannt werden: — Eine solche Union beschleunigt die Angleichung der Institutionen und der Rechtssysteme beider Staaten, so daß die marktwirtschaftlichen Reformen erhebliche Fortschritte machen können und damit der wirtschaftliche Aufholprozeß forciert wird. Insoweit kommt dem Angebot der Bundesregierung, eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR zu vereinbaren, eine wichtige Funktion zu. — Bei den Bürgern der DDR genießt die D-Mark im Gegensatz zur DDRMark ein hohes Ansehen. Für gutes Geld lohnt es sich, in der DDR zu bleiben und sich dort zu engagieren. — Anders als bei einem Währungsverbund, wo Zahlungsbilanzkrisen und Abwertungen möglich sind, gibt es bei einer Währungsunion für die Unternehmen und Kreditinstitute in der Bundesrepublik bei ihren Kapitalanlagen in der DDR kein Währungsrisiko, und für ausländische Investoren ist das Währungsrisiko bei einer DM-Anlage in der DDR geringer als bei einer Mark-Anlage. 3
Wäre die DDR immer noch eine „geschlossene" Volkswirtschaft, dann bliebe im ersten Schritt der Realwert der Geldforderungen von der Währungsumstellung unberührt, da ja bei jedem Umstellungskurs sämtliche vertraglich vereinbarten Einkommen und Preise im gleichen Verhältnis wie die Geldforderungen und -Verbindlichkeiten geändert würden.
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Fazit: Mit der jüngsten, von der Mehrheit der Bürger in der DDR wohl begrüßten Entscheidung der Bundesregierung ist der wissenschaftliche Streit zwischen den „Währungsföderalisten" und den „Unionisten" praktisch gegenstandslos geworden. Eine Fortsetzung dieses Streits wäre nur ein Nachhutgefecht. Die dringendere Aufgabe für den Wissenschaftler besteht jetzt darin, den Politikern und den Bürgern in beiden deutschen Staaten zu zeigen, wie das Beste daraus zu machen ist. So muß zwar darauf hingewiesen werden, daß eine Währung-, Sozial- und Wirtschaftsunion die Politiker und die Bevölkerung in beiden deutschen Staaten vor gravierende Probleme stellen wird, aber zugleich sollten auch die Wege gewiesen werden, auf denen die beträchtlichen Chancen einer solchen Union genutzt werden können.
Die Transformation der Verwaltungswirtschaft in Westdeutschland — ein Modell für die Reform der DDR-Wirtschaft? Von Dieter Lösch, Hamburg
Die DDR braucht Marktwirtschaft Bei den bevorstehenden Wahlen am 18.März wird es sich zeigen, wie groß der Anteil derjenigen an der DDR-Bevölkerung ist, die noch den Traum von einem besseren Sozialismus oder einem dritten Weg zwischen dem abgewirtschafteten stalinistischen Sozialismus und dem immer noch perhorreszierten sogenannten Kapitalismus träumen. Aber völlig unabhängig davon — es scheint, daß in der DDR der Zug in Richtung Marktwirtschaft schon längst abgefahren ist. Denn bei offener Grenze — einem Zustand, den wohl niemand mehr verändern möchte oder verändern kann — wird keine künftige DDR-Regierung, wie sie nach den Wahlen auch immer zusammengesetzt sein wird — ihr künftiges Wirtschaftssystem frei wählen können. Diese vielleicht auf den ersten Blick überraschende These ergibt sich zwingend aus einer ökonomischen Analyse des seit dem 9.November 1989 zwischen den beiden deutschen Teilstaaten bestehenden Status quo: —
Die wenigen Wochen seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze haben handgreiflich gemacht, daß wegen derselben Geschichte, Kultur und Sprache und — nach bundesdeutschem Verständnis —derselben Staatsbürgerschaft, trotz über 40 Jahre der Teilung und 28 Jahre weitgehender einseitiger Abschottung der DDR, die Transaktionskosten für den Handels- und Dienstleistungsverkehr, die Wanderung von Arbeitskräften und für den Kapitalverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten grundsätzlich 1 geringer sind als sonst zwischen benachbarten souveränen Staaten.
—
Durch die Öffnung der innerdeutschen Grenze entstand — wenn auch ungewollt — ein asymetrisch integrierter gesamtdeutscher Arbeitsmarkt.
—
Der Gütermarkt ist im Rahmen der Regelungen über den innerdeutschen Handel einseitig weitgehend offen.
1 D. h. im Prinzip, nicht aktuell, da es noch Transaktionsbarrieren, die hohe, ja prohibitive Transaktionskosten bedingen, in einigen der genannten Bereichen gibt.
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—
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Aber die Fortexistenz des reasozialistischen Wirtschaftssystems in der DDR bildet nach wie vor eine Barriere für die Faktor- und Gütermobilität von westlicher in östlicher Richtung.
Diese bereits vorhandene aber einseitige Teilintegration der Wirtschaften beider deutscher Staaten, welche ohne die erneute Einführung künstlicher Mobilitätsbarrieren für die Menschen nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, erzwingt über kurz oder lang die Anpassung des DDR-Wirtschaftssystems an das der Bundesrepublik. Entweder, die neue DDR-Regierung stellt sich dieser Erkenntnis und macht quasi aus der Not eine Tugend, indem sie ihr System so rasch wie irgendmöglich dem der Bundesrepublik aktiv anpaßt, so daß das westdeutsche Sach- zum ostdeutschen Humankapital wandern kann, statt umgekehrt — oder sie versucht, eigene Systemvorstellungen zu realisieren. In diesem letzten Fall wird bei weiterhin offener Grenze die DDR durch Abwanderung ihrer qualifiziertesten Arbeitskräfte im wahrsten Sinne des Wortes ausbluten und schließlich gezwungen sein, das neuerliche Experiment abzubrechen und um Aufnahme in die Bundesrepublik nachzusuchen. W i e lange ein solcher Prozeß dauern würde, läßt sich schwer prognostizieren; daß dieser Prozeß sehr schmerzlich sein und auch die Bundesrepublik vor schwierige Probleme stellen würde, dürfte jedoch kaum bestreitbar sein. Die Annahme, daß die Abwanderung aus der DDR irgendwann dadurch von selbst versiegen könnte, daß die in die Bundesrepublik zuwandernden Arbeitskräfte keine Beschäftigung und keine Wohnung mehr finden können, dürfte zwar prinzipiell richtig sein; aber schon vor Erreichen eines solchen Zustandes würde die DDR-Wirtschaft zusammenbrechen. Zudem besteht das Problem für die DDR weniger in der großen Zahl der Übersiedler in die Bundesrepublik — 57.000 kamen im Januar 1990 — sondern viel mehr darin, daß gerade die gut ausgebildeten Fachkräfte der DDR den Rücken kehren. Selbst wenn es gelingen würde, die Zahlen der Abwanderer drastisch zu verringern, der von dem Lohngefälle in Ost und West induzierte „Brain Drain" wäre für die DDR auf Dauer wohl kaum zu verkraften, wenn es ihr nicht gelingt, ihn durch Zuwanderung von Know-how und Kapital in die DDR zu kompensieren. Dieser Zustrom von Sach- und Humankapital in die DDR wird aber nur in Gang kommen, wenn die DDR ihr sozialistisches Wirtschaftssystem nicht nur reformiert sondern es abschafft. W i r d die künftige DDR-Regierung das Gebot der Stunde erkennen und versuchen, ihr System sehr schnell in eine Marktwirtschaft überzuführen, dann könnte sie möglicherweise die damit unvermeidlich verbundenen sozialen Kosten minimieren und die Grundlage legen für ein zweites deutsches Wirtschaftswunder. Der Zwang der DDR zur Transformation ihres Systems einerseits und die niedrigen Transaktionskosten zwischen West- und Ostdeutschland ande-
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rerseits — ganz zu schweigen von der Bereitschaft der Bundesrepublik, der Länder und der Gemeinden sowie weiter Kreise der westdeutschen Bevölkerung zur Hilfe für die DDR — bietet ihr die einzigartige Chance in relativ kurzer Zeit und unter relativ geringen Opfern das zu vollbringen, was bisher keinem „realsozialistischen" Land gelungen ist: die Transformation der sogenannten Soviet-type Economy, der sozialistischen Planwirtschaft, in eine funktionierende, dynamische Marktwirtschaft.
Das ungelöste Transformationsproblem Bisher ist es allerdings völlig offen, auf welche Weise die Transformation einer realsozialistischen Wirtschaftsordnung in eine Marktwirtschaft bewerkstelligt werden kann. Ja es gibt sogar Stimmen, die grundsätzliche Zweifel an der Möglichkeit eines solchen Vorhabens anmelden. Denn, ein historisches Vorbild für eine gelungene Transformation einer realsozialistischen Wirtschaft in eine Marktwirtschaft gibt es bisher nicht. Alle früheren Reformversuche im Ostblock hatten nicht die Marktwirtschaft zum Ziel, sondern entweder die „Vervollkommnung" des Realsozialismus oder ein sogenanntes „parametrisches Lenkungssystem", eine Art Mischsystem mit deutlich planwirtschaftlichen Strukturen. Auch in Ungarn und Polen war das erklärte Ziel sehr lange Zeit die bloße Reform des Sozialismus, nicht seine Abschaffung. Erst seit etwa Mitte letzten Jahres haben diese beiden Länder erklärt, daß sie die Umgestaltung ihrer Wirtschaftssysteme in eine Marktwirtschaft westeuropäischen Typs anstreben. Für die Transformation der Wirtschaft des sowjetsozialistischen Typs in eine Marktwirtschaft gibt es aber nicht nur kein Vorbild sondern auch keine Theorie. Daß im Osten eine solche nicht entwickelt wurde, kann nicht erstaunen, weil die Einführung der Marktwirtschaft, wie sie jetzt in Polen und Ungarn erklärtermaßen angestrebt und von nahezu allen politischen Gruppierungen rechts von der ehemaligen SED in der DDR gefordert wird, als „Restauration des Kapitalismus" gar nicht zur Debatte stand. Die Marktwirtschaft zu fordern oder über ihre Einführung öffentlich nachzudenken, war selbst in Ungarn bis tief in die 80er Jahre hinein risikoreich — selbst wenn man das schmückende Beiwörtchen „sozialistische" zur Tarnung gebrauchte. So hat selbst Janos Komai, der m. E. scharfsinnigste Kritiker und Analytiker der Funktionsdefizite der Soviet-type Economy, kein Konzept für die Lösung des Transformationsproblems entwickelt. Noch in einem im Dezember 1986 erschienenen Aufsatz stellt er die Frage „ . . . can a reform process in a socialist country go much beyond what has been accomplished in Hungary? Or does contemporary Hungary exhibit more or less the ultimate limits of reform?" 2 Die Antwort die er darauf gibt, läßt erkennen, daß er prinzipiell skeptisch ist hinsichtlich der Transformationsmöglichkeit, sowie
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daß er sich einen Erfolg der Transformationsbestrebungen nur als Reform, das heißt als Ergebnis eines längeren Prozesses vorzustellen vermag. 3 Wenn also selbst ein so klarblickender Analytiker wie Kornai die Frage offen läßt, ob der Realsozialismus überhaupt einen gewissen Punkt hinaus transformierbar ist, kann es nicht verwundern, daß bisher keine Einigkeit darüber besteht, wie diese Transformation bewirkt werden kann. Meinungsverschiedenheiten gibt es vor allem hinsichtlich der Frage, ob sie schrittweise über einen längeren Zeitraum hin erfolgen muß oder ob sie überhaupt nur möglich ist, wenn sie quasi schlagartig durchgeführt wird. —
Für das Piecemeal-Konzept wird ins Feld geführt, daß die Anpassung von Institutionen Zeit benötigt, daß darüber hinaus den Menschen Zeit gegeben werden müsse, sich an ein neues soziales Umfeld zu gewöhnen, daß auf diesem Wege am besten soziale Härten vermieden werden könnten — ja daß die vollständige Umkrempelung einer gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung viel zu risikoreich sei und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Chaos führe, zu einer Situation in der die Entwicklung eine Eigendynamik entfalten könnte, die dann nicht mehr kontrollierbar wäre und ebenso gut zurück zu einem System stalinistischen Terrors statt zu einer freiheitlich marktwirtschaftlichen Ordnung führen könnte.
—
Nicht minder plausibel sind die Argumente, die gegen das PiecemealKonzept sprechen. Die Marktwirtschaft sei ein interdependentes, selbstregulierendes System, das nur funktionieren könne, wenn alle für das Funktionieren des Regelmechanismus unbedingt notwendigen Systemelemente vorhanden und arbeitsfähig seien. Ebensowenig, wie man schrittweise in der Art vom Links- auf den Rechtsverkehr übergehen könne, daß zunächst nur Taxen und Busse auf den Rechtsverkehr umgestellt würden, die übrigen Verkehrsteilnehmer aber bei Linksverkehr zu bleiben hätten, könne man einzelne Elemente der Marktwirtschaft in ein planwirtschaftliches System einbauen, ohne daß es zum „Crash" komme. Auch wenn dieser Vergleich hinkt, er verdeutlicht ein ernstzunehmendes Argument gegen die Möglichkeit der Transformation in kleinen Schritten: Eine Freigabe der Preise z. B. in einem Umfeld ohne Wettbewerb und von nur „weichen Budgetrestriktionen" ausgesetzten Unternehmen würde wohl kaum die Versorgungslage der Bevölkerung verbessern sondern eher inflatorisch wirken. Ebenso bringt es wenig, bei „weichen Budgetrestriktionen" die Betriebe auf Profitabilität verpflichten zu wollen usw. Kurz: Es gibt gewisse rechtliche und organisatorische
2 Janos Kornai, The Hungarian Reform Process: Visions, Hopes, and Reality, in: Journal of Economic Literature, Vol. X X I V (December 1986), S. 1687 — 1737, S. 1734. 3 Vgl. ebd.
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Minimalvoraussetzungen für Marktwirtschaft, ohne die diese nicht funktioniert. —
Gegen die Piecemeal-Konzeption wird sodann angeführt, daß selbst im Falle erfolgreicher Teilreformen deren Positiveffekte in aller Regel mit sehr viel größeren Wirkungsverzögerungen auftreten als deren Negativeffekte; letztere werden für einzelne soziale Schichten bzw. Gruppen oder gar für die Gesamtbevölkerung in der Regel in sehr kurzer Zeit spürbar, während die positiven Auswirkungen von Reformmaßnahmen — wenn sie überhaupt auftreten — erst nach einer längeren Zeit fühlbar werden. Daraus resultiert die Gefahr, daß im Zuge einer PiecemealTransformation nach dem ersten Schritt der Einführung von Marktwirtschaftselementen sich der Widerstand gegen weitere Schritte organisiert und diese verhindert. Es könnte dann, wie bei früheren Reformversuchen in Osteuropa, zu einem Abbruch des Reformprozesses kommen. Deshalb gelte es den „point of no return" möglichst entschlossen zu überschreiten, das heißt durch die Einführung der Marktwirtschaft auf einen Schritt, den Prozeß unumkehrbar zu machen. Nur wenn dies der Fall sei, könnten die im Zuge der unvermeidlichen Anpassungsprozesse akut werdenden Akzeptanzprobleme des neuen Systems gelöst, das heißt könnte die Sache gegen die sich regenden Widerstände erfolgreich solange durchgehalten werden, bis die Positiveffekte der Transformation für ein Großteil der Bevölkerung nachhaltig spürbar werden.
Da sowohl die Argumente pro als auch kontra das Piecemeal-Konzept durchaus plausibel erscheinen, liegt es nahe, die Frage nach der besseren Praktikabilität der schlagartigen oder der schrittweisen Umgestaltung, eingehender zu untersuchen. Dazu bietet sich der bisher einzige wirtschaftshistorische Fall, in dem es gelang, ein der Soviet-type Economy zumindest ähnliches System erfolgreich in eine Marktwirtschaft zu transformieren, als ein Bezugssystem an, das möglicherweise gewisse Aufschlüsse darüber erwarten läßt, wie man das Transformationsproblem lösen kann.
Die Erhardsche Reform als Referenzsystem Die Rückkehr zur Marktwirtschaft in den drei westlichen Besatzungszonen, aus denen 1949 die Bundesrepublik Deutschland entstand, begann mit der Gründung der Bank deutscher Länder am l.März 1948, die zunächst als Zentralbank der Bizone fungierte, und der sich im Juni auch die Landeszentralbanken der französischen Zone anschlossen.4 4 Vgl. H. Möller, die westdeutsche Währungsreform von 1948, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 — 1975, Frankfurt/Main 1976, S. 433 ff.
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Mit der Bank deutscher Länder und den Landeszentralbanken verfügte somit die Trizone zum Zeitpunkt der Währungsreform im Juni 1948 bereits über ein weitestgehend unabhängiges und funktionsfähiges Zentralbanksystem. Damit waren die Voraussetzungen für eine stabilitätsorientierende Geldpolitik gegeben. Der zweite Reformschritt war die Währungsreform vom 21.Juni 1948. Diese Maßnahme wurde von den Alliierten vorbereitet und durchgeführt. Ihr Ziel war die Beseitigung des Geldüberhanges, der auf rund 300 Mrd. Reichsmark geschätzt wurde, sowie die Wiederingangsetzung des Kreditverkehrs durch Sanierung der noch existierenden Banken und Kreditinstitute, deren Zahl in die Tausende ging. Bemerkenswert in unserem Zusammenhang ist, daß diese Maßnahme — obwohl im Geheimen vorbereitet und schlagartig durchgeführt — bei näherem Hinsehen keine rein auf den Zeitpunkt drittes Juniwochenende 1948 bezogene Maßnahme war; so wurden Anfang Oktober 1948 die zunächst auf einem Festkonto gutgeschriebenen 50 % der im Verhältnis 1:10 abgewerteten Sicht-, Termin- und Spareinlagen zu 70% einfach annulliert und damit die Geldmenge aufgrund der bis dahin gewonnenen Erfahrungen noch einmal kräftig reduziert. Bemerkenswert ist ferner, daß im Zuge der Währungsumstellung Verteilungsaspekte keine besondere Beachtung fanden; lediglich die Ansprüche an die Sozialversicherung wurden im Verhältnis 1:1 umgestellt und Spareinlagen bis zu einem Betrag von 5000 Reichsmark voll im Verhältnis 1:10 eingewechselt. Der dritte Reformschritt erfolgte zeitgleich mit der Währungsreform: die weitgehende Freigabe der Preise und die Aufhebung des größten Teils der Bewirtschaftungsvorschriften. Bestehen blieb die Preisbindung und zum Teil auch die Rationierung für Grundnahrungsmittel, Erdöl und Benzin, Düngemittel und Erzeugnisse der eisenschaffenden Industrie; auch die Mieten und Pachten blieben gebunden. Die Aufhebung des Lohnstopps erfolgte erst im November 1948; für die danach wieder möglich gewordenen Tarifverhandlungen steckte dann das Tarifvertragsgesetz vom 9.April 1949 den rechtlichen Rahmen ab. Als vierter Transformationsschritt zur Marktwirtschaft erfolgte die Liberalisierung der Außenwirtschaft. Diese wurde nicht schlagartig sondern in mehreren Stufen vollzogen. Die ersten Liberalisierungsschritte erfolgten bereits vor der Währungsreform und lange vor Erreichung der westdeutschen Souveränität unter starkem amerikanischem Druck. Schon 1948 mußte das „Vereinigte Wirtschaftsgebiet" gegenüber 13 Staaten Meistbegünstigung gewähren; im August 1949 wurde die Bundesrepublik gezwungen, diese Meistbegünstigung auf Einfuhren aus allen Ländern auszudehnen, unabhängig davon, ob die so begünstigten Länder ihrerseits deutsche Ausfuhren meistbegünstigt behandelten
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oder nicht; bis Ende 1949 wurden mengenmäßige Beschränkungen für mindestens 50 % der gesamten privaten westdeutschen Importe aufgehoben. 5 1950/51 wurde ein neuer westdeutscher Zolltarif ausgearbeitet, der „bei anhaltender amerikanischer Intervention zugunsten niedriger Zölle ... zu einem Bruch mit der schutzzöllnerischen Tradition" 6 führte. A m 1.10.1951 trat die Bundesrepublik dem GATT bei. —
Im Zuge dieses vierten Schritts in Richtung Marktwirtschaft war Erhard gezwungen, das Reformtempo zu drosseln und die bereits erfolgten Liberalisierungsmaßnahmen teilweise temporär wieder zurückzunehmen. Die rasche Liberalisierung der Außenwirtschaft hatte schon 1949 und 1950 ein Defizit der bundesrepublikanischen Handelsbilanz bewirkt. Doch der Zahlungsbilanzausgleich konnte für diese beiden Jahre durch die Devisenzuflüsse aus dem Marshallplan erreicht werden. Zur Krise kam es jedoch, als infolge des Koreakrieges Ende 1950 die Weltmarktpreise für Rohstoffe stark anstiegen. Dadurch wurde die Devisenbilanz der Bundesrepublik negativ. Auch die Inanspruchnahme ihrer Quote im Rahmen der europäischen Zahlungsunion in Höhe von 320 Mio. Dollar und ein Sonderkredit in Höhe von 180 Mio. Dollar reichten zum Zahlungsbilanzausgleich nicht aus. Dies führte 1951 zu einer drastischen Rücknahme der bis dahin erreichten Liberalisierung; die Einfuhrkontingente wurden teilweise wieder eingeführt, ebenso eine Bardepot-Pflicht von 50% des DM-Gegenwertes der für Importe beantragten Devisen; schließlich wurde die Ausgabe von Importlizenzen zeitweise völlig ausgesetzt. Die Liberalisierung konnte erst wieder fortgesetzt werden, als im zweiten Halbjahr 1951 die Exporte der Bundesrepublik stark anstiegen.
—
Mit der Liberalisierung der Außenwirtschaft ging — von dem erwähnten Rückschlag abgesehen — die Lockerung der Devisenbewirtschaftung einher. Von 1952 an war die D M zur Bezahlung des Handels- und Dienstleistungsverkehrs praktisch zu einem einheitlichen Festkurs konvertibel. Die Einführung der Kapitalkonvertibilität erfolgte jedoch erst sehr viel später.
Mit diesen fünf Reformschritten wurde binnen etwa vier Jahren die westdeutsche Wirtschaft in eine funktionierende dynamische Marktwirtschaft überführt. Es folgten noch ergänzende und flankierende Maßnahmen, wie das Betriebsverfassungsgesetz, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie Leistungsverbesserungen und Reformen im Bereich der Sozialpolitik. Auch erfolgte die Deregulierung einzelner Bereiche sehr viel später bzw. steht heute noch aus (z. B. Wohnungsmarkt und Verkehrswirt5
W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 19451980, Frankfurt/M. 1983, S. 151 ff. 6 Ebd., S. 153.
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schaft). Doch, die eigentliche Aufgabe, die Einführung der Marktwirtschaft, war tatsächlich schon lange vor der Mitte der 50er Jahre gelöst.
Die Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts im Zuge des Transformationsprozesses So einfach und reibungslos wie es sich in diesem kurzen Überblick darstellt, vollzog sich jedoch die Transformation keineswegs. Ganz im Gegenteil! Erhard, dessen unbestreitbares historisches Verdienst es ist, die Transformationspolitik gegen heftigste Widerstände durchgesetzt und durchgehalten zu haben, hatte schwere politische Kämpfe durchzustehen und war erbitterten Anfeindungen ausgesetzt. Trotz seines großen persönlichen Mutes und seines fast schon messianischen Glaubens in die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft wäre er jedoch vermutlich gescheitert, wenn es in jeder Phase des Umgestaltungsprozesses der plebiszitären Legitimation seiner Politik bedurft hätte und wenn es ihm nicht gelungen wäre, im Zuge des Transformationsprozesses auftretende Störungen des makroökonomischen Gleichgewichts in relativ kurzer Zeit zu meistern — wobei ihm eine ganze Reihe günstiger Umstände zustatten kamen. 7 —
Im Zuge des westdeutschen Transformationsprozesses kam es nur relativ kurzfristig zu einer nachhaltigen Störung der Preisniveaustabilität Die Preisfreigabe nach der Währungsreform bewirkte infolge des realistischen Währungsschnittes und der gehorteten Waren, die sofort nach der Ausgabe des neuen Geldes auf den Markt drängten, daß die neuen DM-Preise sich nicht sehr weit von den 1936 gestoppten Reichsmarkpreisen entfernten. Der große Nachholbedarf führte zwar binnen kurzem zu einer Steigerung des Preisindexes für die Lebenshaltung um rund 16%. Doch das steigende Preisniveau war für die Unternehmen gleichzeitig ein Signal, ihre Produktion so rasch wie möglich auszuweiten. Unterstützt von einer restriktiven Geldpolitik gelang es bis 1950, die Inflation in den Griff zu bekommen. Nach einer kurzen Phase, in der der Index der Einzelhandelspreise sogar leicht fiel, und dem Korea-Boom, der 1951 einen Preisauftrieb von 7,5 % gegenüber dem Vorjahr bewirkte, konnte bei Inflationsraten von unter 3 % Anfang der 50er Jahre praktisch Preisniveaustabilität erreicht werden — während sich gleichzeitig das Güterangebot laufend verbesserte und die Löhne stärker als die Preise zu steigen begannen.
—
Noch stärker als von der Inflation war die Transformationspolitik durch die Gefahr einer ausufernden Arbeitslosigkeit gefährdet. Erhard gab
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Vgl. hierzu und zum folgenden Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf / Wien 1957.
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sich keinerlei Illusionen darüber hin, daß es nach der Währungsreform und der Aufhebung der Preiskontrolle zu einem Strukturwandel der Wirtschaft, verbunden mit zahlreichen Arbeitsplatzverlusten kommen würde. Doch er vertraute darauf, daß im Zuge dieses Strukturwandels die freigesetzten Arbeitskräfte wieder eine Beschäftigung finden, und daß die wachsende Wirtschaft und ein funktionierender Arbeitsmarkt schließlich auch für Vollbeschäftigung sorgen würden. Offen war allerdings, ob diese Anpassungsprozesse sich rasch genug vollziehen würden, um die Reformpolitik durchhalten zu können. Als sich von Mitte 1948 bis Dezember 1949 die Zahl der Arbeitslosen von 760.000 auf 1,56 Millionen erhöhte, also ca. verdoppelte, schien die Situation mehr als bedrohlich. Doch die Zahl der Beschäftigten war in diesem Zeitraum nur um ganze 150.000 absolut zurückgegangen; die Erhöhung der Arbeitslosenzahl war überwiegend eine Folge der Zunahme der Erwerbspersonen, vor allem infolge des Zustroms von Flüchtlingen. Von 1950 an stieg die Zahl der Beschäftigten dann mehr oder weniger kontinuierlich an. Bis zur Erreichung der Vollbeschäftigung im Jahre 1958 wurden 6,5 Mio. Arbeitsplätze neu geschaffen bei gleichzeitiger „Wegrationalisierung 11 von etwa 50% aller 1948 vorhandenen Arbeitsplätze im Zuge des wachstumsbedingten Strukturwandels. Wie schon angedeutet, war die Erhardsche Reformpolitik vor allem auch von der außenwirtschaftlichen Flanke her stark gefährdet. Die zunehmenden Importe wirkten sich zwar infolge des damit verbundenen antiinflatorischen Effektes durchaus positiv auf das Ziel der Preisniveaustabilität aus — aber es kam 1951 zu der geschilderten schweren Zahlungsbilanzkrise. Diese wurde jedoch wirtschaftspolitisch, durch starke außenwirtschaftspolitische Restriktionen und eine restriktive Geldpolitik gemeistert. Hierzu trugen unter kurzfristigem Aspekt der Marshallplan und der sogenannte Korea-Boom entscheidend bei. Doch längerfristig war der Erfolg, die anhaltend positive Handelsbilanz, die es der jungen Bundesrepublik auch ermöglichte, die im Londoner Schuldenabkommen von 1951 übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen, nur dadurch möglich, daß sich die westdeutsche Wirtschaft von Anfang an als international wettbewerbsfähig erwies. Dies war nach der jahrelangen Abschnürung vom Ausland infolge der Autarkieideologie des Naziregimes und infolge des Krieges keineswegs von vornherein sicher gewesen.
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Soviel zur Währungs- und Wirtschaftsreform in Westdeutschland. War dies nun ein Transformationsverlauf nach dem Modell eines Big Bang oder nach dem Konzept des piecemeal social engineering 8? 8
Das Konzept des piecemeal social engineering wurde bekanntlich von Karl Popper entwickelt, und zwar als Gegenkonzept zur marxistischen „utopischen Tech-
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Phasen der Systemtransformation Die Transformation war ein Prozeß, das heißt sie war keine auf einen Zeitpunkt bezogene Aktion. Sie erfolgte jedoch in einer relativ kurzen Zeit. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß dieser Prozeß aus drei gedanklich deutlich unterscheidbaren Phasen bestand: (I)
In der ersten Phase wurde mit dem Aufbau eines zweistufigen Bankensystems die Voraussetzung für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik geschaffen und durch die Währungsreform die Geldmenge mit dem Ziel reduziert, sie dem Warenangebot anzupassen, um wesentliche Veränderungen des Preisniveaus nach der Preisfreigabe, die möglicherweise das Vertrauen in die neue Währung unterhöhlt hätten, von vornherein unwahrscheinlich zu machen. Weitere größere legislative bzw. organisatorische Maßnahmen zum Aufbau einer martkwirtschaftsgeeigneten Mikro- und Makrostruktur brauchte Erhard damals zunächst nicht vorzunehmen; das Legalsystem war noch vorhanden, die wettbewerbsgeeignete Mikrostruktur noch intakt (ja durch die alliierten Entflechtungsmaßnahmen sogar verbessert worden) und im Zuge der Entstehung der Bundesrepublik verbesserte sich auch die Möglichkeit zu eigenverantwortlicher Wirtschaftspolitik und zur Verbesserung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums.
(II) Auf diese Phase des gesetzlichen und instituionellen Aufbaus erfolgte die Phase der Liberalisierung. Dazu gehörten die Preisfreigabe, die Liberalisierung der Außenwirtschaft und die Einführung der Konvertibilität der DM. Besonders die beiden letzten Schritte erfolgten, wie geschildert, schrittweise, wobei es auch kurzzeitig zu Rückschlägen kam. Wären diese von längerer Dauer gewesen, hätte das gesamte Reformunternehmen in Gefahr geraten können. Es war Erhards Mut und Entschlossenheit zu verdanken, daß er trotz dieser Rückschläge die Liberalisierungspolitik gegen alle Widerstände und ungeachtet der zweifellos vorhandenen Risiken sehr schnell weiter vorantrieb. (III) Zum Teil zeitgleich mit dieser zweiten Phase setzte die dritte Phase ein, die Anpassungsphase. Im Verlauf eines längeren Prozesses paßten sich die Preis-, Beschäftigungs- und Produktionsstruktur den durch die offene Marktwirtschaft gesetzten Rahmenbedingungen an. Man kann davon ausgehen, daß diese Anpassungsprozesse spätestens mit der Erreichung der Vollbeschäftigung und der vollen Konvertibilität der D M ihren Abschluß gefunden haben. 9 nik der Ganzheitsplanung", Popper plädiert für die Offenheit der Gesellschaftsgestaltung, weil die „Verwirklichung eines idealen Staates aufgrund eines Entwurfes der Gesellschaftsordnung als ganzer" nicht möglich sei.
Die Transformation der Verwaltungswirtschaft in Westdeutschland Schema des zeitlichen Ablaufs der Systemtransformation in der DDR
Zeitablauf sofort beginnend ( bzw. fortgesetzt) :
Phasen II Liberalisierung
I gesetzlicher u. o r g a n i s a torischer Umbau
III kompensatorische Wirtschaftspolitik
F o r t f ü h r u n g der Preisreform d. Abbau v . Subventionen
S i c h t u n g des westdeutschen Wirtschaftsverfassungsu. Wirtschaftsrechts
Krisenmanagement
Verwendung d e r b i s h e r i g e n Subventionen für d i e Erhöhung der Renten
PiecemealMaßnahmen •
Lohnanpassung V V Wahlen zur Volkskammer 1 8 . März s o f o r t nach s c h n e l l e r R e g i e r u n g s b i l d u n g : Rahmenabkommen VerabschieAbbau des G e l d dung des überhangs d u r c h WirtschaftsV e r k a u f von Unrechts ( e i n ternehmensbes c h l . des teiligungen Sozialversiusw. cherungsrechts) Uberführung d e r Kombinate r Betriebe, VEGs, LPGs, i n privatrechtl. Form
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Notenbankreform Schaffung eines Geschäftsbankensystems sowie d e r Voraussetzungen f u r e i n e n Kapitalmarkt V Ï.T.91 Transformation:
V ___ Preisfreigabe
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Liberalisierung der Außenwirtschaft
B i g Bang
Konvertibilität Anpassungszeit: mehrere Jahre *
V
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V Geldpolitik Fiskalpolitik
Ordnungspolitik
Beschäftigungspolitik Sozialpolitik
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In dieser Betrachtungsweise wird deutlich, daß es den Big Bang der Systemtransformation in Reinkultur nicht geben kann. Ein Wirtschaftssystem läßt sich nicht schlagartig, quasi über Nacht, umgestalten. Die Phase I braucht Zeit. Institutionen müssen gesetzgeberisch vorbereitet und praktisch installiert werden. Die Maßnahmen der Phase II, die Liberalisierung, dagegen kann — obgleich dies im Zuge der Erhardschen Reform nicht ganz so geschah — tatsächlich zeitpunktbezogen durchgeführt werden. Die Phase II ist deshalb eigentlich keine Phase sondern ein einziger Akt. Dieser A k t ist der entscheidende Schritt der Systemtransformation. Soweit man nur diesen A k t im Auge hat, sollte die Systemtransformation tatsächlich nach dem Modell des Big Bang erfolgen. Das war cum grano salis auch im Jahre 1948 der Fall. „Der Übergang zum neuen Wirtschaftssystem vollzog sich, was die ersten entscheidenden Schritte anging, buchstäblich über Nacht." 10 Mit dem Bing Bang der Phase II war allerdings der point of no return zur Marktwirtschaft noch keineswegs überschritten. Erhards Reform hätte in der Phase III durchaus noch scheitern können, wenn es nicht gelungen wäre, die Ungleichgewichtstendenzen auf dem Gütermarkt, dem Arbeitsmarkt und im Bereich der Außenwirtschaft wirtschaftspolitisch relativ kurzfristig in den Griff zu bekommen. Selbstverständlich darf dieses Phasenschema nicht zu starr interpretiert werden. Die einzelnen Phasen gehen ineinander über. Um z.B. Phase I möglichst kurz zu halten, gilt es, nur die unbedingt notwendigen legalen und institutionellen Grundlagen für die Liberalisierung zu schaffen; auch müssen in Phase II nicht alle Bereiche sofort liberalisiert werden — obgleich dies zweckmäßig sein dürfte, weil spätere Teilliberalisierungen erfahrungsgemäß nur sehr schwierig durchsetzbar sind. In der Phase III wird es demgemäß noch ordnungspolitische Reformen (Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen) geben (müssen).
Die Erfolgsbedingungen der Systemtransformation Vor dem Hintergrund der Erhardschen Transformationspolitik erhellen sich die Bedingungen für den Erfolg der Transformation eines wie auch immer gearteten Wirtschaftssystems in eine Marktwirtschaft: (1) Notwendig ist eine klare Vorstellung über das angestrebte Ziel, das heißt über die Funktionsvoraussetzungen des marktwirtschaftlichen 9
Die Anpassungsprozesse gingen nahtlos über in Konjunkturschwankungen, die andere Ursachen hatten als die Neugestaltung der Rahmenbedingungen durch die Systemtransformation. 10
Christian Watrin, „Das Unternehmertalent in der DDR ist nicht verschüttet", in: FAZ Nr. 278, vom 30. November 1989, S. 19.
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Systems. Diese wurden schon von Eucken in Form seiner sieben konstitutiven und vier regulierenden Prinzipien umrissen. Noch mehr auf den Punkt gebracht, benötigt Marktwirtschaft Wettbewerbsstrukturen, das heißt autonome, harten Budgetrestriktionen unterworfene, konkurrierende Unternehmen, Gewerbefreiheit, stabiles Geld, freie Preisbildung und freien Waren-Dienstleistungs- und Kapitalverkehr mit dem Ausland bei konvertibler Währung; in einem großen Land mit guten binnenwirtschaftlichen Wettbewerbsstrukturen kann die Marktwirtschaft kurz- bis mittelfristig notfalls auch ohne die außenwirtschaftliche Öffnung auskommen. (2) Außer klaren konzeptionellen Vorstellungen ist der entschiedene politische Wille zur Durchsetzung der Transformation eine wesentliche Erfolgsbedingung für deren Gelingen. Dieser muß um so größer sein, je weniger sich die zur Transformation entschlossene Regierung auf die Akzeptanz ihres Konzepts in großen Teilen der Bevölkerung stützen kann. (3) Die schlagartige Einführung der Marktwirtschaft durch den geschilderten Liberalisierungsakt muß durch die Schaffung der unverzichtbaren marktwirtschaftlichen Institutionen — also die Phase der gesetzlichen und institutionellen (Re)konstruktion — gründlich vorbereitet werden. Konkret heißt dies, daß die Liberalisierung erst erfolgen kann, wenn die legalen und institutionellen Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit einer Marktwirtschaft im wesentlichen vorhanden sind. Diese Phase, die man auch als Vorbereitungsphase des Übergangs zur Marktwirtschaft bezeichnen kann, kann theoretisch eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Sie muß um so schneller erfolgen, je tiefer das zu reformierende System bereits in der Krise steckt. (4) Die Liberalisierung von Preisen und Löhnen sowie der Außenwirtschaft, einschließlich der Einführung der Konvertibilität, sollte möglichst in einem Schritt (zeitpunktbezogen) erfolgen. Ausnahmebereiche, Teilprotektion und gewisse Konvertibilitätsbeschränkungen können als Ausnahmen von der Regel zunächst noch beibehalten werden, wenn die Liberalisierung insgesamt weit genug geht, daß der wettbewerbliche Allokationsprozeß dominiert. (5) In der Anpassungsphase muß die Wirtschaftspolitik allzu eklatante Verfehlungen der Ziele des magischen Vierecks wirksam unterbinden. Sie muß sich dazu systemkonformer Maßnahmen bedienen — auch wenn immer wieder diesem Prinzip widersprechende Interventionen von Seiten der Interessengruppen gefordert werden. Sie muß entschlossen sein, eine solche Politik auch gegen größte Widerstände, z. B. in Form von Demonstrationen und Streiks, durchzuhalten.
6 Konjunkturpolitik, Beiheft 37
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Die Chancen für eine erfolgreiche Systemtransformation in der DDR Wie steht es mit diesen fünf Erfolgsbedingungen für eine erfolgreiche Systemtransformation in der DDR? (1) Nach den Wahlen am 18. März wird es sich zeigen, ob sich in der DDR eine Regierung bilden wird, die sich klar zur Notwendigkeit der Einführung eines marktwirtschaftlichen Systems bekennen und die entschiedene Entschlossenheit aufbringen wird, den Transformationsprozeß einzuleiten. Zwar ist in der DDR kein Ludwig Erhard in Sicht. Weder im politischen Raum noch in der Wirtschaftswissenschaft sind herausragende marktwirtschaftlich orienterte Persönlichkeiten zu sehen. Doch die neue DDR-Regierung könnte sich westdeutschen Sachverstandes in reichlichem Maß und zum Nulltarif bedienen. Eine solche DDR-Regierung hätte zudem den unschätzbaren Vorteil, das westdeutsche Modell weitestgehend übernehmen zu können. Die unvermeidlichen Kämpfe aber müßte sie schon selbst durchzustehen bereit sein. (2) Eine unbekannte Größe ist die Akzeptanz der Marktwirtschaft, der „Restauration des Kapitalismus", in der Bevölkerung der DDR. Selbst wenn diejenigen Parteien, die sich dazu bekennen, eine klare Mehrheit bekommen werden, kann man nicht davon ausgehen, daß das Verständnis für die Funktionsbedingungen der Marktwirtschaft in der DDR sehr weit verbreitet ist. Zu lange waren die Bürger Ostdeutschlands einer rigorosen anti-marktwirtschaftlichen Propaganda ausgesetzt, zu verbreitet ist die Angst vor den notwendigen Liberalisierungsschritten und die Furcht vor den unvermeidlichen Opfern der Übergangsphase. Doch die Akzeptanz der marktwirtschaftlichen Lösung könnte durch Aufklärung verbessert werden. Dazu wäre es notwendig, den DDR-Bürgern klar zu machen, daß die soziale Marktwirtschaft wenig gemein hat, mit dem Zerrbild, welches die DDR-Propaganda über 40 Jahre vom westdeutschen „Kapitalismus" an die Wand gemalt hat, und daß die angeblich „sozialistischen" Werte und Ziele der Gesellschaftspolitik — von denen unmittelbar nach der Wende noch so viel die Rede war — sich gar nicht so weit von denen unserer sozialen Marktwirtschaft unterscheiden. 11 (3) Die Phase des institutionellen Umbaus hat in der DDR schon begonnen. Doch die Veränderung der Legalstrukturen geht längst nicht schnell und weit genug und noch fehlen ganz entscheidende institutionelle Voraussetzungen für den Übergang zur Marktwirtschaft. 11 Man bedenke, daß „Staatseigentum an den Produktionsmitteln" und „Planung" eigentlich keine Ziele des Sozialismus sind, sondern ursprünglich als Mittel zur Erreichung dahinter stehender Ziele konzipiert waren.
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Hier zeigt sich ein ganz wichtiger Unterschied in der Ausgangslage der DDR einerseits und Westdeutschlands Ende der 40er Jahre. In den Westzonen existierte nach dem Kriege noch eine völlig intakte mikroökonomische, wettbewerbsgeeignete Struktur, bestehend aus Zehntausenden von autonomen Unternehmen aller Größen, geleitet von Eigentümern und Managern mit in der Regel fundierten betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, geprägt von unternehmerischem Denken, bereit Risiko zu übernehmen und begierig Gewinn zu machen. In der DDR gibt es heute rd. 220 Kombinate; diese sind weitgehend Monopolisten für ihre Bereiche; sie stehen in Staatseigentum und sind deshalb seit Jahrzehnten an weiche Budgetrestriktionen gewöhnt; die Manager sind in Fragen der Unternehmensfinanzierung, des Marketing, des betrieblichen Rechnungswesen, des Export- und Importgeschäfts usw. weitestgehend unkundig und unerfahren. Darüber hinaus fehlt es an einem zweistufigen Bankensystem; die DDRStaatsbank ist nicht autonom und nicht in der Lage die Geldmenge flexibel zu steuern, und das Geschäftsbankensystem wird kaum alle Funktionen wahrnehmen können, die ein Bankensystem in der Marktwirtschaft erfüllen muß. Wenn, wie vorgesehen, die D M in der DDR an die Stelle der DDR-Mark treten wird und es bundesdeutschen Banken erlaubt wird, in der DDR tätig zu werden, löst sich dieses Problem von selbst. Allerdings wird auch der Geldumtausch vorzubereiten sein, was ebenfalls Zeit benötigt. Zwar wird in der DDR ein Währungsausschnitt nicht erforderlich sein. Doch noch gibt es dort keine richtige Arbeitslosenversicherung, sind die Renten viel zu niedrig und fehlen andere Elemente eines modernen sozialen Sicherungssystems. Deshalb muß die DDR in der Vorbereitungsphase zur Einführung der Marktwirtschaft von der Preissubventionierung auf die Subjektförderung übergehen, Renten und Löhne entsprechend anpassen und das soziale Netz ausbauen. Das Problem dabei ist, daß die DDR für die Vorbereitungsphase des Big Bang sehr wenig Zeit hat. Eine entschlossene DDR-Regierung könnte jedoch aus der Not eine Tugend machen und das gesamte bundesdeutsche Wirtschaftsrecht so weit wie irgend möglich 1 2 einfach übernehmen, wodurch gleichzeitig die notwendige Harmonisierung des Wirtschaftsrechts im Hinblick auf die gesamtdeutsche Wirtschaftsunion erreicht würde. Die Umwandlung der Kombinate in autonome, harten Budgetrestriktionen unterworfene Unternehmen, die unerläßlich sein würde, wird si12
Das heißt in zum Teil vereinfachter und/oder verbesserter Form! Es würde z. B. wenig Sinn machen, wenn die DDR unser kompliziertes Einkommenssteuerrecht in allen Einzelheiten kopieren wollte.
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cherlich Zeit brauchen — um so mehr, als zuvor ihre Bewertung durchzuführen und gleichzeitig ihre Entflechtung einzuleiten wäre. Die Freigabe der Preise und Löhne könnte schon in der Phase I durch Abbau von Preissubventionen und zügige Korrekturen der verzerrten Preisstruktur schrittweise vorbereitet werden. Das gleiche gilt für die Liberalisierung des „Außenwirtschafts'Verkehrs mit der Bundesrepublik. (4) Insgesamt erscheint es mithin nicht unmöglich, daß die DDR die Vorbereitungsphase des Big Bang in relativ kurzer Zeit durchlaufen könnte. Danach wäre mit dem einmaligen A k t der völligen Preisfreigabe, der Liberalisierung der Außenwirtschaft und der Herstellung der Konvertibilität an einem bestimmten nicht allzufernen Stichtag — etwa dem 1. Januar 1991 — die Marktwirtschaft in der DDR funktionsfähig. (5) Damit aber wäre der Transformationsprozeß noch lange nicht bewältigt. Zwar käme es nach dem Tag X der schlagartigen Einführung der Marktwirtschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort zu einem sehr starken Zufluß an westdeutschem und ausländischem Kapital in die DDR. Damit verbunden wäre der Transfer von technischem und Management-Know-how und ohne Zweifel würde auch der Strom der Westwanderung von Humankapital zumindest vermindert und durch entsprechende Wanderbewegungen in östlicher Richtung kompensiert. Andererseits könnten sich jedoch sofort starke Preisauftriebstendenzen bemerkbar machen, und käme es sehr bald zur Freisetzung von Arbeitskräften in großem Maßstab und damit unvermeidlich zu Arbeitslosigkeit. Dies alles würde die DDR-Wirtschaft vor sehr große Probleme stellen. Daß sie diese allein lösen könnte, ist durchaus fraglich. Da sie jedoch auf die Bundesrepublik rechnen kann, die der DDR in dieser Phase helfen könnte, die Strukturanpassung im infrastrukturellen Bereich materiell zu unterstützen sowie sozial zu flankieren, erscheint es durchaus nicht unmöglich, das Schiff der DDR-Wirtschaft nach einigen Jahren des Übergangs in ruhigere Gewässer bringen zu können. Um die Frage meines Themas also zu beantworten: Keine historische oder wirtschaftshistorische Situation gleicht einer anderen! Doch die Lehren aus Ludwig Erhards geschichtlicher Tat in der richtigen Weise gezogen und der gegenwärtigen Situation entsprechend angewandt, könnte durchaus ein zweites deutsches Wirtschaftswunder bewirken. 13 13
Ausführlicher haben wir unser Konzept zur Systemtransformation in der DDR in dem Mitte Februar erschienenen HWWA-Report Nr. 82 dargestellt; vgl. Dieter Lösch/Peter Plötz, Soziale Marktwirtschaft — Jetzt, Ein Konzept für die Systemtransformation in der DDR, HWWA-Report Nr. 82, Hamburg, Februar 1990.
Strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der Mark Von Erich Klinkmüller, Berlin Meinen Studenten schlage ich immer vor, Sachthemen als deutschen Fragesatz zu formulieren, mit einem Fragezeichen am Ende. Das klingt vordergründig trivial; aber es zwingt den Referenten, sich darüber klar zu werden, was er wirklich wissen will. Meine Frage lautet: Welche Stärken und Schwächen gibt es in der Wirtschaftsstruktur des Währungsgebietes der Mark (der Deutschen DR), wenn es während der Jahre 1990—1992 in die Europäische Gemeinschaft, darunter insbesondere in das Währungsgebiet der Deutschen Mark, integriert wird? Zunächst einige terminologische Erläuterungen: Währungsgebiet der Mark. Diese Bezeichnung für den uns interessierenden Wirtschaftsraum ist klarer als die möglichen Alternativen Sowjetische Besatzungszone Deutschlands, Deutsche DR [mit oder ohne den Zusatz] und Berlin (Ost), Mitteldeutschland oder auch East Germany. Sie vermeidet politische, völkerrechtliche und emotionale Querelen. Sie stützt sich auf die sprachliche Weisheit des Viermächteabkommens vom 3. September 1971. Sie impliziert darüber hinaus, daß es innerhalb des allgemeinen deutschdeutschen Problems noch ein spezielles Berlin(West/Ost)-Problem gibt, und es verweist auf die überragende Bedeutung, welche die Währungsfrage im vorliegenden Zusammenhang hat. Struktur bezeichnet das Gefüge eines als gesondert aufgefaßten Ganzen. Das Wort geht zurück auf das lateinische Wort structura — ordentliche Zusammenführung, Ordnung, Schichtung, Gefüge, Bauwerk, Bau. Es ist abgeleitet von dem Verb struere (structum) — schichten, übereinanderlegen, zusammenfügen, aufbauen, errichten. Die Schwierigkeit liegt darin, daß das Ganze, auf welches sich das Wort Struktur im vorliegenden Falle bezieht, nur in der Vergangenheit scheinbar stabil existiert hat. Seit Oktober 1989 bricht es in Raten zusammen. Sein Fortbestehen in der Zukunft ist zweifelhaft. W i r können uns nicht stillschweigend der unter Ökonomen vertrauten Formel bedienen: Angenommen, das Währungsgebiet der Mark bleibt erhalten. W i r können es nicht tun, weil gerade diese Selbsterhaltung unwahrscheinlich ist. Anders ausgedrückt: Polen bleibt Polen, unabhängig
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davon, ob es als Königreich, als Volksrepublik, als Militärdiktatur oder als parlamentarische Demokratie regiert wird; ebenso existiert es unabhängig davon, ob seine Wirtschaftsverfassung eher verwaltungswirtschaftliche oder eher marktwirtschaftliche Züge trägt. Das Gleiche gilt für Ungarn und ähnliches gilt für die Tschechoslowakei und Rumänien. Das Währungsgebiet der Mark besitzt eine solche Identität nicht. Mit der Auflösung der durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges außengesteuerten Diktatur und mit der Abschaffung der staatlichen property rights an seinen Bewohnern, i. e. mit der Gewährung des Rechtes zur Auswanderung, rutscht das Währungsgebiet der Mark unvermeidlich in Richtung auf die Europäische Gemeinschaft im allgemeinen und das Währungsgebiet der Deutschen Mark im besonderen. Das geschieht unabhängig davon, ob und von wem das in Moskau, Washington, Brüssel, Bonn und Berlin gewollt oder nicht gewollt wird. Dabei gehe ich davon aus, daß dieser Erdrutsch von den gegenwärtig in Moskau dominierenden politischen Eliten bewußt herbeigeführt wurde. Gebremst werden könnte er allenfalls durch die militärische Wiederherstellung des status quo ante minus: i. e. die neuerliche Schließung der Grenzen des Währungsgebietes der Mark für die Auswanderung seiner Bewohner und durch die Rückkehr zur Diktatur. Eine solche Bremsung würde die Entwicklung vermutlich um zwei bis fünf Jahre verzögern. Ihre Begleiterscheinungen wären jedoch für alle Beteiligten, darunter glücklicherweise auch die Russen und die Amerikaner, so unerfreulich, daß ich mich nicht allzuweit in diese, gerade für einen Berliner sehr unbehagliche Spekulation, verlieren möchte. Das Risiko eines schweren politischen, darunter auch militärischen Konfliktes in Deutschland liegt nach meinem Gefühl unter zehn Prozent. Aber es ist höher, als es je nach dem Zweiten Weltkrieg war. Wenn nun das Währungsgebiet der Mark nicht das Ganze sein kann, auf welches sich die Wörter strukturelle Schwächen und Stärken beziehen, was steht dann an dessen Stelle? Ich habe in der als Frage formulierten Themenstellung die Europäische Gemeinschaft im allgemeinen und das Währungsgebiet der Deutschen Mark im besonderen als Bezugsrahmen gewählt. Ich glaube, damit nur auszusprechen, was in der gegenwärtigen Diskussion als selbstverständlich stillschweigend 1 vorausgesetzt wird. Eine zweite Frage, der vorab wenigstens einige Worte gewidmet werden müssen: Wie, woher und wie zuverlässig wissen wir etwas über strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der Mark? Die naheliegendste Antwort klingt so trivial, daß ich sie kaum auszusprechen wage. Man kann hingehen und sich das Land ansehen, seine Luft 1 Diese Annahme war zu meiner Überraschung für die Vorträge und die Diskussion am 12.2.1990 offensichtlich falsch. Es wurde stillschweigend eher so argumentiert, als ob das Währungsgebiet der Mark ein Staat wie Polen oder Kolumbien wäre, dessen Fortbestehen in die absehbare Zukunft keinem Zweifel unterliegt.
Strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der Mark
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riechen, seine Atmosphäre spüren. Man kann sehen, wie und wo seine Bewohner arbeiten, wohnen und einkaufen; man kann hören, was sie dazu zu sagen haben; man kann erfahren, welches ihre wirtschaftlichen Wünsche, Hoffnungen und Sorgen sind. Gewiß, solcher Art von persönlicher Erfahrung sind enge zeitliche und räumliche Grenzen gesetzt. Man gewinnt tendenziell nur anekdotische Kenntnisse. Daneben läuft man Gefahr, in eine sehr komplizierte und vielschichtige Erfahrung die eigenen Vorurteile hineinzufabeln. Die Spannbreite begründeter Urteile, welche sich auf anekdotische Kenntnisse stützen läßt, ist sehr groß. Anfang Juli 1989 besuchte mich ein über drei Jahrzehnte vertrauter amerikanischer Fachkollege. Als u. a. auch für East Germany zuständiger Ostexperte hatte er gerade die Deutsche DR für einige Wochen zu dem beruflichen Zwecke bereist, seine Landeskenntnisse durch persönliche Anschauung aufzubessern. Sein Fazit: Die DDR ist der einzige kommunistische Erfolgsfall; ein stabiler Staat und eine relativ prosperierende Gesellschaft. Die Deutschen machen eben aus allem etwas. Bei ihnen gedeiht selbst die sozialistische Planwirtschaft. Meine Entgegnung: Richard, die UdSSR ist dabei, sich aus dem mit den USA geteilten Kondominium über Europa und Deutschland zurückzuziehen; sie sucht die EG und Deutschland als Verbündeten; die Deutsche DR ist ein Kartenhaus, welches in den nächsten zwei bis drei Jahren fast spurlos in sich zusammenfallen wird, erfüllte ihn mit Erstaunen; vielleicht sogar mit ein wenig Besorgnis. Er kannte seinen Erich doch aus der Vergangenheit als einen meist ganz vernünftigen Mann? Die tiefere Einsicht liegt anscheinend auf meiner Seite. Zutreffend bleibt gleichwohl, daß die Deutsche DR tatsächlich der kommunistische Erfolgsfall war. Etwas Besseres als in der Deutschen DR ist aus der sozialistischen Verwaltungswirtschaft in keinem anderen Land gemacht worden. Und was wir heute im Währungsgebiet der Mark vor uns haben, ist betriebswirtschaftlich gesehen kein Konkurs, sondern ein Sanierungsfall. Wäre es anders, müßte man sich gegen die Übernahme dieser Firma noch intensiver sträuben als ohnehin geschieht 2. Wichtiger ist die methodische Einsicht: Aus der Beschränktheit der individuellen Erfahrung resultierende Irrtümer und Meinungsverschiedenheiten sind kein Grund, nun überhaupt nicht mehr hinzusehen und hinzuhören. Das um so mehr, wenn man die Landessprache nicht nur rein technisch gesehen 2
Die öffentliche Rhetorik der Vergangenheit und die gegenwärtige nationale Begeisterung machen ausdrückliche Erklärungen gegen die Vereinigung beider deutscher Währungsgebiete selbstverständlich unmöglich. Aber es ist nützlich, sich dessen zu erinnern, daß die reichlich vierzig Jahre währende Teilung unseres Landes die Entfaltung eines staunenswerten Wohlstandes im Währungsgebiet der Deutschen Mark nicht erkennbar behindert hat. Die wirtschaftlichen Interessen derjenigen, welche ihre Einkünfte in D M beziehen, sprechen keineswegs uneingeschränkt für die Veränderung des status quo.
Erich Klinkmüller
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Warenstruktur der Bezüge des Währungsgebietes der DM aus dem Währungsgebiet der Mark in den Jahren 1988 und 1987 in Mio. DM
Nummer der statistischen Çyswiatttc
WartflfHKrichmjflg
22
MINERALÖLERZEUGNISSE
darunter 221710 221310 221750 223100
88 + 87
/ 1988
1987
1658
752
906
leichtes Heizöl (Dieselkraftstoff) Motorbenzin schweres und mittleres Heizöl Flüssiggas
1176 328 150 55
435 159 55 34
562 170 95 21
27
EISEN und STAHL
1084
577
507
darunter 271330 271620 271370 273560 271551 271556 271522 271527 271520
Rohblöcke aus Oxygenstahl Verzinktes Blech und Band Rohblöcke aus Elektrostahl Geschweißte Stahlrohre Grobblech Feinblech kaltgewalzt Breitflanschträger und Formstahl Stabstahl Walzdraht
453 109 64 56 56 51 47 40 39
242 56 36 30 30 26 24 21 19
211 54 27 25 26 25 23 19 20
63
TEXTILIEN
962
466
495
darunter 639 639867 639819 63922 6386 635 637 632 638800
Wirk- und Strickwaren Damenstrumpfhosen aus Synthetik Herrenstrümpfe Jacken und Pullover Teppiche Spinnstoffe ohne Meterware Meterware ohne Heimtextilien Garn beschichtete Gewebe
452 68 58 52 146 93 91 66 37
220 38 29 24 70 48 43 31 18
231 30 29 28 76 46 48 35 19
64
BEKLEIDUNG
959
463
496
darunter 6411 64113 64111 6483 6412 64121 6417
Herrenoberbekleidung Herrenhosen Herrenanzüge Bettwäsche Damenoberbèkleidung Kostüme und Damenjacken Lederbekleidung
227 144 57 124 123 39 51
110 71 31 63 59 20 24
117 74 26 61 64 19 27
Strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der Mark
89
: Nummer ftr Systematik
"Warenbezeichnung
8 8 * $7 ;
ïmmM
28
NE-METALLE und HALBZEUG
920
512
409
darunter 28433 287 28111 28434 284170 28431 281311
Kupferdraht NE-Metallschrott Hüttenaluminium Kupferblech Leitmaterial aus Aluminium Kupferstäbe Elektrolytkupferkathoden
322 149 122 75 58 44 41
187 80 65 36 32 24 22
136 89 58 35 26 20 20
36
ELEKTROTECHNISCHE ERZEUGNISSE
706
348
359
darunter 363 36351 362 362576 366 364 36114
Gerflte für Gewerbe und Haushalte Elektroherde Geräte zur Elektrlztâtsverteilung Kabel Teile für Rundfunk- und Fernsehgeräte Elektrische Leuchten und Lampen Drehstrom motore
224 29 131 106 86 85 65
109 15 68 56 37 43 32
115 14 63 50 49 42 33
54
HOLZWAREN
670
333
337
darunter 542 542223 542227 542221 542244 546
Möbel Couches. Polsterelemente Liegen Polstersessel Schrankwände Kork-, Flecht- und Korbwaren
513 153 55 48 43 54
254 77 27 24 20 27
254 76 28 24 23 27
32
MASCHINENBAUERZEUGNISSE
569
291
278
darunter 321 321158 326185
Metallbearbeitende Maschinen Waagerecht-Bohr- und Fräsmaschinen Bogendruckmaschinen
208 32 75
94 17 40
113 15 35
68
ERNÂHRUNGSGEWERBE
491
241
250
darunter 682 682130 687 681 685311
Zuckerverarbeitung Verbrauchszucker Alkohol und alkoholfreie Getränke Mahl-, Teig- und Backwaren frisches Schweinefleisch
234 57 86 55 43
116 29 48 25 21
118 28 38 30 23
90
Nommer d*r HMÉM91)
Erich Klinkmüller
ft**t*m
ttferenboarictaurig
88 + 87
1988
1987
425
248
178
91 76 28
57 44 15
34 31 13
42
ORGANISCHE GRUNDSTOFFE u. CHEMIKALIEN
darunter 423111 422113 423114
Methanol Propylen Aethanol
01
PFLANZLICHE ERZEUGNISSE
410
211
199
darunter 011132 011141 01111
Braugerste Hafer Weizen
173 90 75
85 52 35
88 38 40
44
KUNSTSTOFFE einschl. KAUTSCHUK
399
221
177
darunter 44143 441452 445
Polyäthylen (Hoch· und Niederdruck) Polyvinylchlorid Synthetischer Kautschuk
101 93 32
59 58 19
42 35 13
02
LEBENDE TIERE
339
170
169
darunter 021281 02135 02141
Schlachtbullen ab 2 Jahre Schlachtschweine Nutz- und Schlachtschafe
159 69 36
84 32 18
75 37 18
284
145
139
87 67
44 34
43 34
25
STEINE und ERDEN
darunter 253151 251611
Portlandzement Bausand und Baukies
38
METALLFERTIGWAREN
269
136
134
darunter 384 388 3885
Blechwaren und -Konstruktionen Metallwaren und Metallkurzwaren Aluminiumfolien
136 75 55
67 40 30
68 35 26
30 + 29
ZIEHEREI-. KALTWALZ- u. GUSSERZEUGNISSE
236
127
111
darunter 301 30152 302 291
Zleherel und Kaltwalzerzeugnisse Elsen- und Stahldraht Erzeugnisse der Stahlverformung Eisen-, Stahl- und Temperguß
108 33 74 55
60 17 39 27
80 16 35 28
Strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der Mark
Nummer der statistischen Systematik
:
' Warenbezeichnung : .. •
*W8
91
mr
52
GLAS und GLASWAREN
230
115
115
darunter 522 522112 521 521110 527 524
Hohlglas braune Getränkeflaschen Flachglas Fensterglas Glasfaser Veredeltes Glas
103 25 43 33 38 27
49 11 22 17 20 14
54 15 21 16 18 13
211
KOHLE und TEER
222
101
121
darunter 211430
Braunkohlenbriketts
187
81
106
55
PAPIER und PAPPE, Holzschliff
202
112
90
darunter 553 553513
Papier unveredelt Deckenpapier Testliner
155 71
86 39
69 32
53
SCHNITTHOLZ
179
91
89
darunter 531610 532500
Schnittholz aus Nadelholz Rauhspund
103 39
49 21
54 18
41
ANORGANISCHE CHEMISCHE GRUNDSTOFFE
174
91
83
darunter 415931
Natriumcarbonat
32
17
15
58
KUNSTSTOFFERZEUGNISSE
169
88
80
39
MUSIKINSTRUMENTE
161
77
83
431
DÜNGEMITTEL
159
13
65
31
STAHLBAUERZEUGNISSE
158
68
90
darunter 311 31135
Stahl- und Leichtmetallkonstruktionen Hallen mit Einbauten
105 41
61 25
44 16
j
92
Erich Klinkmüller
Nummer der statistischen Systematik
Warenbezeichnung
51
FEINKERAMISCHE ERZEUGNISSE
darunter 511 517
Haushaltsporzellan Fliesen und Kacheln
56
PAPIER UND PAPPEWAREN
darunter 561100
1988
1987
154
77
77
96 36
47 19
49 17
138
72
65
Tapeten
45
23
22
33
STRASSENFAHRZEUGE
98
58
40
darunter 333 331
Zubehörteile für Kraftwagen und Motore Kraftwagen
39 22
25 15
13 7
62
LEDERWAREN und SCHUHE
96
44
52
darunter 6217 625
Sattlereiwaren Schuhe
46 30
23 12
23 18
37
FEINMECHANIK und OPTIK, UHREN
92
40
32
darunter 377 375 271
Uhren (ohne elektronische Uhren) Feinmechanische Erzeugnisse Optische Erzeugnisse
38 19 14
17 9 7
22 10 7
45
CHEMIEFASERN
80
46
34
darunter 455
Synthetische Fasern und Fäden
65
38
27
59
GUMMIWAREN
79
40
39
darunter 591
Bereifungen und -Zubehör
31
15
16
68 + 87
Strukturelle Schwächen und Stärken des Währungsgebietes der Mark
93
Nummer der •tatletiechen Systematik
Warenbezeichnung
46
FARBSTOFFE
68
35
33
571
DRUCKEREIERZEUGNISSE
68
29
39
darunter 5713
Bûcher
46
22
24
50
BÜROMASCHINEN
49
25
24
darunter 5011 505
Schreibmaschinen Geräte zur autom. Datenverarbeitung
38 7
19 4
19 3
69
TABAKWAREN
31
16
15
47
PHARMAERZEUGNISSE
23
12
11
88 + 87
l-llli·!!
W7
versteht, sondern darüber hinaus auch begreift, was das Gesehene und Gehörte für die Einwohner des Landes bedeutet. Ein zweiter Weg zur Erkenntnis führt über die systematische Erfragung von Informationen und die Verarbeitung der Ergebnisse mit Hilfe erprobter ökonometrischer Methoden. Dieses Verfahren ist von den Mitgliedsinstituten unserer Arbeitsgemeinschaft zu hoher Vollkommenheit entwickelt worden. Für die verwaltungswirtschaftlich organisierten Staaten steht es —• vielleicht abgesehen von der Abteilung DDR und östliche Industrieländer des D I W — bei uns niemand zur Verfügung. Auch mir nicht. Eine Abart dieses Vorgehens ist die Emigrantenbefragung. Sie stößt auf die gleichen Schwierigkeiten wie die Sammlung und Verwertung anekdotischer Informationen. Sie hat darüber hinaus den Nachteil, über Zeugen unklarer Motivation und schlecht informierte Dritte vermittelt zu sein, deren Vorurteile bestenfalls nur ungefähr bekannt sind. Einen dritten Informationszugang bieten amtliche statistische Veröffentlichungen. Spätestens seit Oskar Morgensterns Kritik der statistischen Vernunft 3 läge es für Benutzer und Hersteller solcher Statistiken sehr nahe, ihren Inhalt mit höchst differenzierter Vorsicht zu betrachten. Tatsächlich üblich ist jedoch nicht die Detailkritik der Zahlen, sondern die Klassifikation der statistischen Informationen nach institutioneller Glaubwürdigkeit. A n der Spitze der beinahe vorbewußt akzeptierten Glaubwürdigkeitshierarchie 3
Oskar Morgenstern, On Accuracy of Economic Observations. Princeton University Press. 1950. (2nd edition, completely revised 1963).
94
Erich Klinkmüller
steht im Währungsgebiet der D M das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Was von dieser Behörde veröffentlicht wird, besitzt das Prestige der höchstmöglichen Näherung zur Wahrheit. Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik der Deutschen Demokratischen Republik genießt kein derart letztinstanzliches Ansehen. Ihr war und ist vielmehr die Abteilung DDR und östliche Industrieländer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung übergeordnet; nicht nur im Währungsgebiet der DM, sondern auch im Währungsgebiet der Mark. Es war fast rührend, wenn sich Minister der Deutschen DR zum Nachweis des Wahrheitsgehalts ihrer statistischen Erfolgsberichte auf das D I W beriefen. Den Kollegen der Ostabteilung des D I W muß diese Rolle überaus wohlgetan haben. Es zählt unter die Wunder des Deutschen November 1989, daß die statistikpsychologische Stellung des D I W anscheinend von ihm unberührt geblieben ist. Die Rand Corporation und das Directory of Intelligence, welche für die statistische Information der Amerikaner über die UdSSR eine ähnliche Funktion erfüllen wie das D I W bei uns, gerieten angesichts der wirtschaftlichen Hiobsbotschaften aus dem Reich der Perestroika in erheblich größere Schwierigkeiten. Im Kongreß wurde die begründete Vermutung laut, daß die Leistungsfähigkeit der UdSSR von beiden Institutionen statistisch grob übertrieben worden ist. Ein, bezogen auf das Währungsgebiet der Mark, lehrreiches Beispiel für das Gemeinte, bietet das vom US-Directory of Intelligence herausgegebene Handbook of Economic Statistics 1986. Dieses Handbuch enthält auf den Seiten 24 und 25 eine Gegenüberstellung wichtiger volkswirtschaftlicher Kennziffern 4 der Developed Countries und der Communist Countries. Unter diese Kennziffern gehört auch das Pro-Kopf-Einkommen. Es wird für East Germany mit US-Dollar 10.440 ausgewiesen. Die Vergleichszahl für West Germany lautet US-Dollar 10.220. Beide Ziffern für 1985. Danach wäre die Deutsche DR bereits Mitte der achtziger Jahre eines der reicheren Bundesländer gewesen. Unter dem Strich finden sich die korrekten statistischen Erklärungen: Nämlich „Data were converted at US purchasing power equivalents" für das Währungsgebiet der Mark und „Data were converted from national currencies at average 1985 Par Rate/Market Rate Factors" für das Währungsgebiet der DM. Aber wer liest das schon? Und wer versteht die ökonomische Bedeutung dieser Mitteilung? Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei hinzugefügt: Das Handbook of Economic Statistics ist keineswegs eine vertrauliche Publikation. Sie ist vielmehr „prepared for the use of US government officials and the format, coverage, and content are designed to meet their specific requirements". Man muß mithin davon ausgehen, daß die in ihm genannten Zahlen die beste Information enthalten, welche die amerikanische Administration ihren Bediensteten bieten kann. 4
Vgl. Handbook of Economic Statistics, 1986, auf S. 95-97.
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CPAS 86-10002 September 1986
Research for this report was completed ι jliet