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German Pages 203 Year 1991
Umweltschutz
Beihefte der Konjunkturpolitik
Zeitschrift für an gewandte Wirtschaftsforschung Begründet von Albert Wissler
Heft 38
Umweltschutz Herausforderungen und Chancen für die Wirtschaft Tagungsband zur Sondertagung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V. in Bonn am 11. Mai 1990
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Umweltschutz: Herausforderungen und Chancen für die Wirtschaft; Tagungsband zur Sondertagung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 11. Mai 1990/ [Schriftleiter: Herbert Wilkens]. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Beihefte der Konjunkturpolitik; H. 38) ISBN 3-428-07041-0 NE: Wilkens, Herbert [Red.]; Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute; Konjunkturpolitik / Beihefte
Schriftleiter: Herbert Wilkens
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0452-4780 ISBN 3-428-07041-0
Vorwort In diesem Beiheft wird über den wissenschaftlichen Teil der 53. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftHeher Forschungsinstitute berichtet, die am 10. und 11. Mai 1990 in Bonn stattfand und das Thema Umweltschutz -
Herausforderungen und Chancen für die Wirtschaft
zum Gegenstand hatte. Für die wissenschaftliche Vorbereitung ist Paul Klemmer (Essen), Horst Siebert (Kiel) und Rolf-Ulrich Sprenger (München) zu danken. Referate hielten Paul Klemmer, Klaus Löbbe (Essen), Klaus Matthies (Hamburg), Ernst Mohr (Kiel), Horst Siebert, Rolf-Ulrich Sprenger, Ulrich Weißenburger (Berlin) sowie Horst Zimmermann (Marburg). Die Schriftleitung und die Zusammenfassung der Diskussionen übernahm Herbert Wilkens (Berlin). Die 54. Mitgliederversammlung soll am 2. und 3. Mai 1991 in Bonn stattfinden und das Thema Deutsch-deutsche Wirtschaftsvereinigung im europäischen Rahmen Ergebnisse, Aussichten und wirtschaftspolitische Erfordernisse
zum Gegenstand haben. München im Juli 1990 Karl-Heinrich Oppenländer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
Inhalt
Horst Siebert Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft Zentralisierung oder Dezentralisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rolf-Ulrich Sprenger EG-Binnenmarkt und Umweltschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zusammenfassung der Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ernst Mohr Klimaveränderung - Ansätze einer internationalen Politikkoordination
83
Zusammenfassung der Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Horst Zimmermann Überlegungen zur Finanzierung der Altlastensanierung . . . . . . . . . . . . . . .
101
Zusammenfassung der Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110
Klaus Löbbe Alternativen zur Lösung des Altlastenproblems?
117
Zusammenfassung der Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Paul Klemmer Gesamtwirtschaftliche Effekte ökonomischer Instrumente des Umweltschutzes ............................................... , . . . . . . .
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Zusammenfassung der Diskussion. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . ..
153
Ulrich Weißenburger Die ökologischen Probleme in Osteuropa und Möglichkeiten zu einer Ost-West Kooperation im Umweltbereich . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .
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Zusammenfassung der Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Klaus Matthies Umweltaspekte der Energienutzung in der Bundesrepublik Deutschland
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Zusammenfassung der Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teilnehmerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft Zentralisierung oder Dezentralisierung?
Von Horst Siebert, Kiel· 1. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen - gute und weniger gute - für eine einheitliche und zentral gelenkte Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft. Da ist zunächst die Feststellung, daß Umweltsysteme sich über nationale Grenzen hinaus erstrecken und die Umweltverschmutzung nicht an den Schlagbäumen haltmacht. Da gibt es auch das - freilich normative - Argument, daß Europa als politische Einheit überall ein und dieselbe Umweltqualität haben sollte. Und da wird schließlich angeführt, daß ein Binnenmarkt einen einheitlichen institutionellen Rahmen voraussetze, daß nationale Umweltpolitiken den europäischen Binnenmarkt nicht segmentieren dürften und daß unter den Bedingungen der angestrebten EGSteuerharmonisierung kein Raum bleibe für eine dezentrale Umweltpolitik. Ja, die Wirtschaft fordert sogar gleiche Umweltkosten überall, damit ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt werde. Daher - so will es auf den ersten Blick scheinen - muß hier die Antwort auf die Harmonisierungsfrage zugunsten einer einheitlichen und zentralisierten europäischen Umweltpolitik ausfallen. Ich habe jedoch den Eindruck - und das möchte ich hier begründen -, daß wir eine viel differenziertere Antwort auf diese Frage nach einer europäischen Umweltpolitik von Jütland bis Sizilien, von Irland bis Kreta geben müssen und daß sich durchaus Möglichkeiten für eine dezentrale Umweltpolitik in Europa bieten. In der Tat glaube ich, daß manche Formen der Zentralisierung von Umweltpolitik in Europa höchst ineffizient sein würden. 2. Lassen Sie mich kurz einige Grundgedanken der Umweltökonomie in Erinnerung rufen: Die Umwelt ist ein Gut, und zwar ein knappes Gut, welches für zwei miteinander konkurrierende Zwecke verwendet wird. Umwelt ist zunächst ein Konsumgut, wie z. B. unsere Atemluft. In dieser Eigenschaft ist Umwelt ein öffentliches Gut, welches von allen im gleichen Umfang konsumiert werden kann. • Für kritische Hinweise danke ich Johannes Heister.
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Umwelt ist aber auch ein Aufnahmemedium für Abfälle aller Art und eine Senke für Emissionen. In dieser Eigenschaft kann Umwelt ein privates Gut sein: Wir können Eigentumsrechte definieren und so die Emissionen begrenzen. Es ist die Aufgabe der Umweltpolitik, im politischen Prozeß das Ziel für die Umweltqualität festzulegen. Anschließend fällt es den Instrumenten der Umweltpolitik zu, die Verschmutzer zur Zielkonformität hinzuführen, wie es z. B. durch eigentumsähnliche Umweltrechte (property rights) geschehen kann. 3. Werfen wir kurz einen Blick auf den europäischen Integrationsprozeß: Die Vollendung des europäischen Marktes wird nicht mehr auf der Grundlage einer verordneten Harmonisierung aller nationalen Regelungen angestrebt, sondern auf dem Wege eines Wettbewerbsprozesses zwischen den nationalen Regulierungssystemen der Mitgliedsländer. Die Erfahrungen der Vergangenheit mit vorausgreifenden Harmonisierungsversuchen ließen keinen anderen Weg praktikabel erscheinen. Zudem ist ein Wettbewerbsprozeß, der das Integrationsergebnis offen läßt, viel kreativer, als jede bürokratische Planung sein kann. Und Kreativität ist gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Strukturwandels besonders gefragt. 4. Für die Gütermärkte war das Cassis-de-Dijon-Urteil des Europäischen Gerichtshofes richtungweisend: Jedes Produkt, welches in einem Mitgliedsland rechtmäßig auf den Markt gebracht wird, ist auch in jedem anderen EGLand zugelassen. Bis 1978 konnte der 17-prozentige Cassis-de-Dijon in Deutschland nicht vermarktet werden, weil das deutsche Branntweinmonopolgesetz von 1922 einen Alkoholgehalt für Fruchtlikör von mindestens 32 % verlangt - wohl zum Schutz der deutschen Konsumenten. 5. Das mit diesem Uiteil in der Europäischen Gemeinschaft etablierte Ursprungslandprinzip ist ein sehr mächtiges Integrationsinstrument. Es ist sein besonderer Vorzug, daß Haushalte und Firmen auf die Unterschiede zwischen nationalen Regulierungen reagieren können. Der Binnenmarkt wird auf diese Weise Arbitragemöglichkeiten eröffnen, z. B. durch günstigere Einkaufsmöglichkeiten für Konsumenten oder durch die Standortwahl von Firmen. Diese Arbitragegeschäfte werden dann ihrerseits die nationalen Regulierungen unter Druck geraten lassen. Folglich müssen sie angepaßt und in einem offenen politischen Prozeß harmonisiert werden. Die Arbitragemöglichkeiten der Haushalte und Firmen sind ein starker Antrieb für den institutionellen Wettbewerb.
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I. Dezentrale Umweltpolitik 6. Was kann Dezentralisierung der Umweltpolitik bedeuten? Kann das Ursprungslandprinzip Anwendung finden? Können wir uns auf einen Wettbewerbsprozeß zwischen den Umweltregelungen der einzelnen Länder verlassen? Wir sollten uns zunächst darüber klar werden, daß Dezentralisierung der Umweltpolitik zweierlei bedeuten kann (Siebert 1985): Erstens, eine Differenzierung der angestrebten Umweltqualität nach Ländern, d. h. die Umweltverschmutzung darf von Land zu Land verschieden sein. Zweitens, eine Differenzierung der Instrumente der Umweltpolitik, in der sich die jeweilige Knappheit des Faktors Umwelt widerspiegelt, und zwar selbst dann, wenn identische Qualitätsziele vorgegeben sind. Es ist also zwischen Umweltzielen und Umweltinstrumenten deutlich zu unterscheiden. Ebenso wichtig ist aber auch die Unterscheidung zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Sicht, die sich sowohl auf Umweltziele als auch auf Umweltinstrumente bezieht. Kurzfristig wird die Umweltknappheit einer Region durch ihre Industriestruktur, durch den Stand der Vermeidungstechnik usw. bestimmt. Als Konsequenz daraus können sich die Instrumente der Umweltpolitik von Region zu Region unterscheiden, und zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen Umweltknappheit. Langfristig aber können sich Firmen andere Standorte suchen, die Umwelttechnik mag sich ändern; und regionale Umweltinstrumente werden sich einander angleichen.
7. Die Frage, welche Rolle eine dezentrale Umweltpolitik in Europa spielen kann, ist nur auf der Grundlage einer Kasuistik der Umweltprobleme zu beantworten (Siebert 1987, S. 19, 20). Ich möchte mich zuerst mit solchen Emissionen beschäftigen, die im Produktionsprozeß entstehen, aus stationären Quellen kontinuierlich entweichen und in Drittländern keine Umweltwirkungen zeigen. Umwelt wird in diesem Fall einerseits als nationales Aufnahmemedium für Schadstoffe und andererseits als nationales öffentliches Konsumgut verwendet. Anschließend möchte ich den Fall von grenzüberschreitenden Emissionen mit internationalen Umweltwirkungen behandeln und dann zu einigen weiteren Problemen meiner Umweltkasuistik einschließlich der globalen Umweltprobleme Stellung nehmen.
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Horst Siebert
11. Emissionen aus stationären Quellen ohne Auslandswirkung 8. Immer wenn die Umwelt als ein rein nationales Gut behandelt werden kann - wie z. B. ein heimisches Flußsystem oder Lärmbelastung - kann auch das Ursprungslandprinzip angewendet werden. Umwelt kann von Land zu Land unterschiedlich knapp sein. Die Aufnahmefähigkeit für Schadstoffe kann unterschiedlich groß sein. Ein Land mag dicht besiedelt sein und es mag schwierig sein, Produktions- und Wohnstätten, Erholung und Verkehr räumlich zu trennen. Auch können die Umweltpräferenzen verschiedener Länder verschieden sein. Aber selbst bei identischen Umweltpräferenzen bewerten verschiedene Länder ihre Umweltqualität verschieden, wenn sich ihre Umweltrestriktionen oder andere Nebenbedingungen unterscheiden. In diesem Fall ist der Trade-off zwischen Umweltqualität als öffentlichem Konsumgut und als Aufnahmemedium für Emissionen aus dem Produktionsprozeß eine rein nationale Angelegenheit. Folglich können Umweltqualität und Umweltinstrumente von Land zu Land verschieden sein. 9. Die Ausstattung mit Umweltgütern ist ein immobiler Faktor für ein Land, wie auch Boden oder immobile Arbeitskräfte. Es ist normal, daß die Preise für immobile Ausstattungsfaktoren von Land zu Land differieren. Dies ist sogar in der Regel so - für Boden, für Wohnungen und für immobile Arbeit. Die Betrachtung der Umwelt als immobilen Faktor läßt keinen Raum für das Argument, daß die Industrie überall in Europa die gleichen Produktionsbedingungen vorfinden sollte. Im Gegenteil, die Unterschiede in der Ausstattung von Ländern erklären gerade ihre komparativen Vorteile. Dabei ist die unterschiedliche Umweltausstattung eines Landes nur ein Bestimmungsfaktor für die komparativen Standortvorteile seiner Industrie, so wie Sonnenschein, immobile Arbeit und Boden auch. Die Instrumente der Umweltschutzpolitik, z. B. Emissionssteuern oder Emissionslizenzen, stellen für die Unternehmen eines Landes einen Kostenfaktor dar. Sie können im Prinzip als Produktionssteuer auf emissionsintensive Herstellungsverfahren interpretiert werden. Umweltschutzmaßnahmen reduzieren in diesem Sinne den komparativen und absoluten Preisvorteil eines Landes gegenüber anderen Ländern. Selbstverständlich stellt der Verlust von komparativen Vorteilen Opportunitätskosten für ein Land dar, das Umweltpolitik betreibt. Aber es kann den politischen Präferenzen eines jeden europäischen Landes anheimgestellt werden, in welchem Maße es bereit ist, eine Reduzierung seiner absoluten und relativen Preisvorteile durch Umweltschutzmaßnahmen hinzunehmen. Das Ursprungslandprinzip ist in diesem Sinne also anwendbar. (Siebert 1987, Kap. 10)
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10. Wenn wir Umweltregeln für verschiedene Länder differenzieren wollen, so müssen wir zwischen der Steuer- oder Gebührenbasis und dem Steuer- bzw. Gebührensatz unterscheiden (Mohr 1990). Dabei zielt das ökonomische Argument unterschiedlicher Umweltknappheit auf den Steuer- bzw. Gebührensatz. Das Argument der Harmonisierung im europäischen Binnenmarkt zielt dagegen sinnvollerweise auf die Steuer- bzw. Gebührenbasis. D. h., um Marktsegmentierungen zuvorzukommen, müßte es reichen, EG-weit dieselbe Steuerbasis und dieselbe Meßmethode für Emissionen vorzuschreiben.
Aber selbst hier ist die Schaffung von Wettbewerb möglich: Es wäre dafür hinreichend, erstens die zu messenden physikalischen Größen genau festzulegen, z. B. kg S02' und zweitens einen Sicherheits zuschlag zum Meßergebnis in Abhängigkeit von der Ungenauigkeit des verwendeten Verfahrens zu fordern. Bei der Anwendung unpräziser Meßmethoden wäre dann tendenziell mehr für die Emissionen zu bezahlen als bei genauerer Messung. Es kommt zu einem Trade-off zwischen den Mehrkosten für präzisere Meßtechnik und den Mehrkosten für die Emissionen. Dies würde den Wettbewerb um bessere Meßverfahren beflügeln. 11. Standortarbitrage - ein wichtiger Bestandteil des Binnenmarktkonzepts - schließt die Möglichkeit ein, daß emissionsintensiv produzierende Firmen in Länder mit niedrigen Emissionssteuern oder mit geringeren Umweltauflagen abwandern und dort die Umweltsituation verschlechtern. Auch ohne Standortverlagerungen werden emissionsintensive Produktionen in den Ländern mit einer weniger stringenten Umweltpolitik expandieren, so daß dort die Emissionen zunehmen. Der Standortwettbewerb wird aber - entgegen dem Schlagwort vom ökologischen Dumping - aus einer Reihe von Gründen langfristig nicht zu einer allgemeinen Verschlechterung der Umweltqualität führen. Jedes Land, welches sich aufgrund der Zuwanderung von Industrieunternehmen in seiner Umweltqualität beeinträchtigt sieht, kann sein Umweltschutzinstrumentarium nach eigenem Ermessen zum Schutz seiner Umwelt einsetzen. Da der Grenzschaden in Abhängigkeit vom Verschmutzungsniveau progressiv ansteigt, wird das Land sehr schnell hinreichende Anreize haben, entsprechende Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen. Darüber hinaus können Länder, die Industrieunternehmen attrahieren, von den alten und verschmutzten Regionen Europas lernen und deren Fehler von Anfang an vermeiden. Ein Land mag sich z. B. dafür entscheiden, das Aufnahmevermögen seiner Umwelt nicht voll auszuschöpfen, um die Ansiedlung und Expansion von Firmen auch noch in der Zukunft zu ermöglichen. Es mißt dann der momentan nicht genutzten Aufnahmekapazität einen Optionswert bei. Schließlich wären alle Länder gut beraten, das Risiko einer allgemeinen Verschlechterung ihrer Umwelt einschließlich möglicher irre-
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versibler Schäden im Sinne des Vorsorgeprinzips explizit zu berücksichtigen. Die Standortarbitrage verschmutzungsintensiver Firmen wird dazu führen, daß eine Harmonisierung der Instrumente der Umweltpolitik langfristig durch den politischen Prozeß stattfinden wird. Die Emissionssteuern werden in den Gebieten steigen, die emissionsintensive Firmen anziehen, oder Genehmigungen werden schwerer zu bekommen sein. Auf diese Weise werden sich die Anreize, Emissionen zu vermeiden, im Laufe der Zeit in ganz Europa in der Tendenz angleichen. Dies gilt selbst dann, wenn es starke Präferenzunterschiede zwischen den europäischen Nationen geben sollte. 12. Auf der Grundlage einer dezentralen Umweltpolitik und in Verbindung mit den unvermeidlichen Arbitrageprozessen wird sich ein relativ einheitlicher Umweltstandard in Europa herausbilden. Aber selbst wenn man sich auf einen - womöglich kleinsten - gemeinsamen Nenner für die Umweltqualität in Europa einigte, so folgt daraus nicht, daß die dann einzusetzenden Umweltschutzinstrumente einheitlich sein müssen. Auch müßte in diesem Fall jedes Land die Freiheit haben, für sich selber eine über dem europäischen Minimum liegende Umweltqualität anzustreben. Dies ist möglich, da die Instrumente des Umweltschutzes in dem hier behandelten Fall der stationären Emissionen ohne Auslandswirkungen nicht - wie wir gesehen haben - identisch sein müssen. 13. Eine besonders wichtige Frage der Harmonisierung ist es, welche Instrumente in der Umweltpolitik zur Anwendung kommen sollten. Emissionspreise können in jedem Land unterschiedlich sein. Anders sieht das bei der Aufstellung verbindlicher Emissionsnormen aus. Dieses Instrument wird ja bei uns in der Luftreinhaltung angewandt. Dabei wird ein in einer bestimmten Region tolerierbares Verschmutzungsniveau festgelegt und der Stand der Vermeidungstechnik definiert. Eine Emissionsgenehmigung wird unter zwei Auflagen erteilt: Die Verschmutzungsnorm darf nicht überschritten werden, und der jeweilige Stand der Technik muß zur Anwendung kommen. Ein solches Genehmigungsverfahren kann nicht den nationalen Behörden der europäischen Länder überlassen werden, da Unterschiede im Verfahren einer Marktsegmentierung gleichkommen würden. Um dies zu vermeiden, müßte über den Stand der Technik zentral in Brüssel entschieden werden. Aber das wäre wohl noch weit ineffizienter, als es schon heute unter nationaler Kontrolle der Fall ist. Die weitere Zentralisierung der Entscheidung über betriebstechnische Fragen kann wohl kaum die Lösung der europäischen Umweltprobleme bringen. Wo immer es dagegen möglich ist, die Gesamtmenge der tolerierbaren Emissionen festzulegen, sollten handelbare Umweltzertifikate einge-
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führt werden, damit ein Markt für Emissionsrechte entstehen kann. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Vermeidung von räumlichen Belastungsschwerpunkten, sogenannten "hot-spots". Die Einführung eines Zwangspfands auf Flaschen, Kühlschränke, Autos etc. ist ein anderes Beispiel für einen Preismechanismus. Das Pfand müßte die Kosten reflektieren, die der Allgemeinheit entstehen, wenn der Pfandgegenstand nicht ordnungsgemäß zurückgeführt wird. Denn dann ist eine individuelle Entscheidung über eine Rückgabe, die selbstverständlich auch Dritten überlassen werden kann, oder sonstige Entsorgung, etwa als Hausmüll, optimal. Wird der Pfandgegenstand nicht zurückgeführt, sind die Kosten dafür durch das Pfandgeld bereits abgegolten. Preisanreize wie z. B. Emissionssteuern oder -gebühren müssen an die Verschmutzung, d. h. an die Menge der Emissionen gebunden werden. Die Steuer darf nicht auf der Grundlage von Absatz, Gewinn oder Erlös einer Firma erhoben werden, ja sie darf nicht einmal den Einsatz von gefährlichen Stoffen im Produktionsprozeß belasten. Besteuerungsgrundlage muß ausschließlich die Umweltverschmutzung sein, die von der betreffenden Firma ausgeht, denn sonst gibt es keinen hinreichenden Anreiz zu ihrer Vermeidung. Die Steuer sollte z. B. nicht den Primärenergieeinsatz oder die Gewinne der Energiewirtschaft belasten, sondern nur ihren Schwefeldioxidausstoß. Die Belastung der Emissionen hat prinzipiell zwei erwünschte Effekte, die beide zur Verminderung der Verschmutzung beitragen: Erstens werden Anstrengungen zur Vermeidung des Schadstoffausstoßes durch den Einsatz von Vermeidungstechnik oder die Ausnutzung von Substitutionsmöglichkeiten unternommen, zweitens verteuern sich die betreffenden Produkte für den Endabnehmer, der seine Nachfrage entsprechend einschränken wird. Der Anreiz zur Vermeidung ist der wichtigere Effekt. Emissionssteuern sind Anreizzsteuern. Es ist das implizite Ziel von richtig angesetzten Emissionssteuern, die Steuerquelle versiegen zu lassen. Von daher sind sie kein ideales Finanzierungsinstrument für den Staatshaushalt. Es spricht aber nichts dagegen, trotz der Einnahmeunsicherheit einen Teil der Staats aus gaben über Emissionssteuern zu finanzieren, zumal die Besteuerung der Kapitaleinkünfte wegen der internationalen Mobilität des Kapitals sich als schwierig erweist und die Besteuerung der Arbeit die Leistungsmotivation hemmt und die Wahl zwischen Arbeit und Freizeit beeinflußt. Von daher ist die Verbreiterung der Steuerbasis um Emissionssteuern sinnvoll.
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III. Grenzüberschreitende Emissionen und internationale Diffusionsnormen
14. Emissionen aus stationären Quellen verursachen nicht selten grenzüberschreitende Umweltprobleme, etwa die Rheinverschmutzung oder die Luftbelastung mit Schwefeldioxid. In diesen Fällen haben wir es mit einseitigen oder wechselseitigen Umweltinteraktionen zwischen Ländern zu tun. Nicht nur die Umwelt im eigenen Land ist durch die Emissionen der heimischen Industrie betroffen, sondern auch die jenseits der Grenze - und umgekehrt. Dies muß von den Instrumenten der Umweltpolitik berücksichtigt werden. Es ist offensichtlich, daß solche Spill-overs einen dezentralen Ansatz in der Umweltpolitik unmöglich machen. Dies wird besonders deutlich - und ist von erheblicher Relevanz für den europäischen Binnenmarkt - am Beispiel des Standortwechsels von Firmen als Reaktion auf strengere Umweltregeln in ihrem Heimatland. Durch Ansiedlung jenseits der Landesgrenze können sie den schärferen Auflagen ausweichen; gleichwohl verschmutzen sie ihr Herkunftsland weiter auf dem Umweg über grenzüberschreitende Umweltsystemei. Im Fall der grenzüberschreitenden Umweltverschmutzung handelt es sich um negative Externalitäten. Der Schadensverursacher verlagert die Vermeidungskosten auf das Land, in dem seine Emissionen als Immissionen niedergehen, und verschafft sich so einen künstlichen Produktionskostenvorteil. Grenzüberschreitende Umweltverschmutzung führt zu internationalen Verzerrungen. Daraus folgt, daß der institutionelle Wettbewerb und das Ursprungslandprinzip hier nicht anwendbar sind. Die europäische Umweltpolitik muß einen Anreizmechanismus etablieren, der internationale Spill-overs berücksichtigt. 15. Auch bei der grenzüberschreitenden Umweltverschmutzung würde man gewiß die Anwendung des Verursacherprinzips in der EG begrüßen. Es fordert ja nicht nur, daß der ursprüngliche Emittent die Verschmutzungskosten trägt. Es verlangt in gleicher Weise, daß jedes Land, dessen Schadstoffe ein anderes Land verschmutzen, dafür bezahlt. Das Verursacherprinzip setzt aber voraus, daß es von einer hoheitlichen Macht durchgesetzt werden kann, was bei internationalen Angelegenheiten im allgemeinen nicht möglich ist. Dadurch wird seine Anwendbarkeit zumindest fraglich. Es muß durch ein anderes Prinzip ersetzt werden, wonach derjenige zahlt, der andernfalls die Verschmutzung hinzunehmen hätte (victim-pays-principle). 1 Die Problematik der grenzüberschreitenden Umweltverschmutzung läßt sich z. Z. anhand der deutsch-französischen Kontroverse um die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage im baden-württembergischen Kehl verfolgen. Im Planungsverfahren wurde die französische Großstadt Straßburg, die bekanntlich von Kehl nur durch die Rheinbrücke getrennt ist, glattweg .vergessen". (FAZ, 9.4.90)
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16. Wir alle wissen, wie schwierig es war, in den Verhandlungen über die Rheinverschmutzung der 7Der und 8Der Jahre zu einer Vereinbarung zu kommen. Aus der spieltheoretischen Literatur ist bekannt, daß der Oberlieger (an einem fluß oder in Windrichtung) ein Interesse daran hat, sich als Freifahrer zu verhalten. Es kann die Situation des Gefangenendilemmas auftreten, bei dem eine kooperative Lösung nicht gefunden wird. Strategische Übertreibung der Vermeidungskosten bzw. des Umweltschadens kann regelmäßig beobachtet werden. Deshalb sind Anreize erforderlich, die richtigen Informationen preiszugeben. 17. Wenn keine bindenden Vereinbarungen existieren, in denen sich die Spieler zu kooperativem Verhalten verpflichten, dann ist es für jeden Spieler besser, nicht zu kooperieren und seine Interessen unabhängig von den Mitspielern zu verfolgen: Jedes Land nimmt die Emissionen der anderen Länder als gegeben hin und minimiert seine eigenen Nettokosten. Nehmen wir an, Ci seien die Vermeidungskosten zur Reduzierung der Emissionen Ei im Land i und A sei eine Diffusionsmatrix. Dann läßt sich das Problem folgendermaßen beschreiben: Min klC i (Ei) + D i (Q;)) s.t. Q = A • E
(1 )
Als Optimalitätsbedingung für ein nicht kooperierendes Land folgt: (2)
Jedes Land bringt also seine Grenzkosten der Vermeidung mit seinen marginalen Umweltschäden zum Ausgleich, ohne dabei die Wirkung der eigenen Reduzierungsbemühungen auf das Verschmutzungsniveau in den anderen Ländern zu berücksichtigen (Nash-Gleichgewicht). 18. Im Fall der kooperativen Lösung des Minimierungsproblems in Gleichung (1) müssen die Kosten aller Länder minimiert werden. Die Lösung führt zu folgender Optimalitätsbedingung:
(3)
Ci = I -Di 'aji j
Eine solche Lösung ist nicht ohne Seitenzahlungen möglich: Optimalitätsbedingung (3) kann dazu führen, daß ein bestimmtes Land bei der kooperativen Lösung einen Verlust im Vergleich zu seiner Ausgangssituation hinnehmen muß. Das gilt z. B. für das Oberliegerland2 . Für rational handelnde Länder, die ihren eigenen Nettonutzen zu maximieren trachten, ist eine solche Lösung nicht akzeptabel. Folglich müssen Verlierer durch Seitenzahlungen der Gewinner kompensiert werden. Für die Lösung des 2 Z. B. Großbritannien im Verhältnis zu den nordeuropäischen Staaten bei vorwiegend westlichen Winden.
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Problems der grenzüberschreitenden Umweltverschmutzung kann also nicht mehr das Verursacherprinzip, sondern muß das "Victim-Pays-Principle" Anwendung finden. Internationale Umweltprobleme haben im übrigen eine ganz ähnliche Struktur wie strategische Probleme der Handels- und Geldpolitik (Optimalzoll, strategische Handelspolitik, Freifahrerverhalten eines großen Landes durch Inflationsexport bei festen Wechselkursen). Bindende institutionelle Regeln (self-enforcing contracts) sind nötig, um zu einer kooperativen Lösung der beschriebenen Spielsituation zu gelangen. Es ist jedoch noch eine offene Frage, wie institutionelle Arrangements stabilisiert und die Anreize, sie zu widerrufen, minimiert werden können 3• 19. Wird eine breitere Struktur der Beziehungen zwischen den Spielern zugelassen, so ist eine Lösung eher möglich: Einer Koalition von Spielern kann es möglicherweise gelingen, einen Nettonutzen auszuhandeln (Olson, 1988). Der Unterschied zwischen der kooperativen und der nicht-kooperativen Lösung kann betrachtet werden wie der Unterschied zwischen einer vollständigen Koalition, die alle Mitspieler umfaßt, und einer "Ein-Mann-Koalition", die nur einen Spieler umfaßt. Dazwischen mag es Koalitionen von Ländern geben, denen die Emissionsreduzierung zugute kommt, und die bereit sein mögen, die Verlierer zu kompensieren. Olson (1988, S. 15) erwartet, daß eine Koalition in der Lage ist, ihren Nettonutzen zu steigern. Eine Lösung dürfte auch wahrscheinlicher werden, wenn wir im Rahmen einer umfassenderen Spielstruktur nicht ein einmaliges, sondern ein sich wiederholendes Spiel (repeated game) untersuchen, in dem die einzelnen Spieler ein Interesse am Aufbau einer Reputation haben 4 ). Schließlich mag es sein, daß die einzelnen Länder nicht nur im Bereich der Umweltverschmutzung voneinander abhängig sind, sondern auch auf anderen Gebieten, z. B. in Handelsfragen und ihren politischen Beziehungen. Dann ist das Umweltspiel Teil eines weitaus breiteren Spielansatzes, der eine größere Menge an Strategien zuläßt. Nach Mäler (1989, S. 30) haben die USA z. B. zugestanden, eine Entsalzungsanlage am Colorado zu bauen, um ihr Verhältnis zu Mexiko zu verbessern. Aus ähnlichen Gründen wird Kanada durch eine Vereinbarung über die Nutzung des Columbia Rivers begünstigt. In einem so gefaßten weiteren Kontext können also institutionelle Lösungen für grenzüberschreitende Umweltprobleme in Vereinbarungen über Handels- und Geldpolitik integriert werden.
3
4
Zur Stabilität von Investitionsverträgen vergleiche Thomas/Wormll (1990). Vergleiche das Konzept der .Relational Contracts" bei MacNeil (1985).
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20. Als einen Ansatz zur Lösung internationaler Umweltprobleme möchte ich vorschlagen, die tolerierbare Menge der grenzüberschreitenden Schadstofffracht international verbindlich festzuschreiben. Es müßten Normen, sogenannte internationale Diffusionsnormen, für Spill-overs etabliert werden, die spezifizieren, welche Belastung Umweltsysteme (Flüsse, Luft) höchstens haben dürfen, wenn sie eine internationale Grenze passieren. Diffusionsnormen haben bereits in das deutsche Wasserrecht Eingang gefunden. Sie werden z. B. zur Kontrolle der Wasserqualität bei der Mündung der Emscher in den Rhein angewendet. Es gibt also praktische Erfahrungen mit Diffusionsnormen, die leicht auf die europäische Ebene übertragen werden können. Probleme der Messung von Umweltschadstoffen an der Grenze können gelöst werden. Die Überwachung der Luftqualität an der Landesgrenze in Abständen von 50 oder 100 km ist durchaus möglich. Sobald eine internationale Vereinbarung über Diffusionsnormen zustandegekommen ist, kann es den einzelnen Regierungen überlassen werden, welche Instrumente sie für den Umweltschutz und zur Erfüllung dieser Normen einsetzen wollen. Internationale Diffusionsnormen erlauben es, die Umweltpolitik in Europa zu dezentralisieren. Sie sind ein Instrument zu diesem Zweck - und darin besteht ihr großer Vorteil. Sie sind nicht an supranationale Kompetenzen, etwa der EG-Kommission, gebunden und können ohne Schwierigkeiten auf die skandinavischen und osteuropäischen Länder ausgedehnt werden. 21. Die Vermeidung einer Verhandlungssituation, die vom GefangenenDilemma und von unkooperativem Verhalten gekennzeichnet ist, erfordert institutionelle Arrangements, in denen sich die beteiligten Parteien zur Verhandlungslösung bekennen und sich darauf verpflichten. Im Fall von grenzüberschreitenden Umweltproblemen mag die Lösung folgendermaßen aussehen: Eine Behörde, auf die sich beide Länder geeinigt haben, die aber dennoch unabhängig ist, vergleicht die Umweltqualität, die die Parteien in den betroffenen Gebieten anstreben. Sie stellt die Kosten fest, die der Oberlieger zu tragen hätte, um eine Umweltqualität sicherzustellen, die internationalen Diffusionsnormen entsprechen würde. Sie stellt auch den Umweltschaden im Unterlieger-Land fest, wenn dessen Umweltziele aufgrund der grenzüberschreitenden Verschrnutzung nicht erreicht werden. Auf der Grundlage eines Vergleichs dieser Größen setzt die Behörde eine Kompensation fest, die vom Unterlieger-Land zu bezahlen ist. Die Parteien akzeptieren diesen Vorschlag. Ein anderer Ansatz bestünde darin, die tatsächlichen Emissionsmengen zu ermitteln, z. B. für Schwefeldioxid. Die Berechtigung, diese Mengen zu emittieren, würde dann in Form von regional handelbaren Emissionsli2'
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zenzen verbrieft, und die beteiligten Länder einigten sich darauf, keine zusätzlichen Lizenzen mehr auszugeben. Dann wäre es für die Regierung des Unterlieger-Landes möglich, solche Emissionslizenzen im Oberlieger-Land aufzukaufen und stillzulegen. 22. Welche Alternativen zu internationalen Diffusionsnormen haben wir? Wenn die europäischen Regierungen sich nicht darauf einigen können, gibt es nur die Möglichkeit, die Verschrnutzung in Europa generell zu reduzieren, um das Problem der Schadstoffdiffusion in den Griff zu bekommen. Das wäre aber eine recht grobe Lösung, die eine stärkere Zentralisierung der europäischen Umweltpolitik unausweichlich machen würde. Nehmen Sie z. B. an, man müßte überall in Europa Steuern auf Schwefeldioxid-Emissionen erheben, um die allgemeine Belastung und so die grenzüberschreitenden Emissionen zu reduzieren. Damit könnten die Vermeidungskosten natürlich nicht minimiert werden, da die Vermeidung nicht am kostengünstigsten Ort geschähe. Ein solcher Lösungsansatz wäre sicherlich nicht einmal eine zweitbeste Lösung. Es ist sogar vorstellbar, daß er schlechter wäre als ein ganz unkoordiniertes Vorgehen. Im übrigen steigen durch die Ineffizienz der Umweltpolitik deren Kosten, die Chancen der Umweltpolitik werden dadurch reduziert. IV. Weitere Problemfälle 23. Ich sprach eingangs von einer Kasuistik der Umweltprobleme. Bisher habe ich nur solche Emissionen behandelt, die im Produktionsprozeß entstehen. Gehen wir darüber hinaus, werden unsere Ergebnisse noch vielfältiger. Auch für die Müll- und Sondermüll entsorgung läßt sich grundsätzlich das Gesetz des komparativen Vorteils anwenden. Ein Land kann einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Ländern in der Beseitigung von Abfällen haben, z. B. aufgrund einer geringeren Bevölkerungsdichte oder bestimmter geologischer Bedingungen. Insofern sollten komparative Vorteile und besondere Präferenzen einzelner Länder innerhalb der EG und entgegen dem Schlagwort vom Mülltourismus eine Rolle spielen können. Abfallbeseitigungspolitik kann also grundsätzlich dezentral betrieben werden. 24. Altlasten resultieren aus den Fehlern der Vergangenheit. Im Sinne des Verursacherprinzips sollte jedes Land für seine Altlasten selber Sorge tragen, z. B. durch die Einrichtung eines entsprechenden Finanzierungsfonds. 25. Emissionen aus nicht-stationären Quellen (Verkehr) stellen ein besonderes Problem dar. Solange mobile Emissionsquellen und ihre Emissionen die Landesgrenzen nicht überqueren und der Schadstoffausstoß zu tragba-
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ren Kosten gemessen werden kann, können Emissionssteuern zum Einsatz kommen. Die Meßtechnologie hierzu steht durchaus bereit. Idealerweise wären unterschiedliche Steuer- bzw. Gebührensätze auf der Grundlage einer für Europa einheitlichen Emissionsmeßtechnik zuzulassen. Auch ist an Benutzungsgebühren zur Abgeltung von Umweltschäden und Infrastrukturkosten vor allem für den LKW- und Luftverkehr zu denken. Im grenzüberschreitenden Verkehr müßten jedoch relativ einheitliche Emissionssteuern angewandt werden, etwa im grenzüberschreitenden Güterfernverkehr. Insoweit Emissionssteuern als nicht praktikabel betrachtet werden, muß man mit Produktnormen arbeiten. Hier müssen nationale Produktnormen harmonisiert werden, was mit Blick auf die europäische Deregulierung im Verkehrswesen und die daraus resultierenden Verkehrsströme von wachsender Bedeutung ist. 26. Schadstoffe können in Konsumgütern enthalten sein. Dann hängt das Dezentralisierungspotential von der Einschätzung der Gefährlichkeit dieser Schadstoffe ab. In einigen Fällen mag die Information über den Schadstoffgehalt eines Produktes eine hinreichende Warnung für den Verbraucher sein. Dann kann die Schadstoffbelastung im wesentlichen als privates Gut behandelt werden. Das Cassis-de-Dion-Urteil ist folglich anwendbar. Wir überlassen es dem deutschen Verbraucher, Bier zu trinken, das nicht nach dem Reinheitsgebot von 1517 gebraut wurde. Natürlich hängt die Frage der Erforderlichkeit von Produktnormen für Konsumgüter vom jeweiligen Konzept der Konsumentensouveränität ab. Wenn wir davon ausgehen können, daß sich die Verbraucher über Produktqualität und Schadstoffgehalt gut informieren, brauchen wir keine Produktnormen. Allerdings müssen die nötigen Produktinformationen hinlänglich zugänglich sein. Konsumentensouveränität kann durch eine umfangreiche Auszeichnungspflicht bei Konsumgütern unterstützt werden. Die Bedeutung von Produktnormen kann in dem Maße verringert werden, wie Haftungsregeln eingeführt werden. Ein entsprechend ausgestaltetes Produkthaftungsrecht gibt dem Verbraucher die Möglichkeit, eventuelle Schadenersatzforderungen einzuklagen. Die Kosten eines Gerichtsverfahrens werden von den Produzenten antizipiert. Ein Versicherungsmarkt kann entstehen. Hierdurch werden Anreize geschaffen, Schäden zu vermeiden. Die Produktqualität verbessert sich. Allerdings sind die Kosten einer umfangreichen Produkthaftung vergleichsweise hoch (Siebert 1989). Außerdem dürfte die Harmonisierung des Produkthaftungsrechts im Binnenmarkt erforderlich werden, um Marktsegmentierungen zu verhindern. Das könnte sich jedoch als extrem schwierig erweisen.
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Horst Siebert
Toxische und gesundheits gefährdende Stoffe sind ein anderes Problem. Hier sind Produktnormen unumgänglich, um den Verbraucher zu schützen, wenn man sich nicht auch hier auf den Standpunkt stellen will, daß es Aufgabe des Konsumenten sei, über solche Stoffe Bescheid zu wissen. Produktnormen bedeuten immer auch Marktsegmentierung und müssen folglich europaweit vereinheitlicht werden. 27. Umweltunfälle (Seveso, Bhopal, Sandoz) stellen einen weiteren Fall unserer Kasuistik dar. Hier sind Haftungsfragen berührt (Siebert 1987a, 1989). Wann immer Umweltunfälle nur eine nationale Dimension haben, können sie auch der nationalen Umweltpolitik überlassen werden. Allerdings haben solche Unfälle häufig internationale Auswirkungen, die vorher nicht immer absehbar sind, - und dann wird die Harmonisierung von Haftungs- und Entschädigungsregeln relevant.
V. Kontinentale und globale Umweltsysteme 28. Die Umweltverschmutzung internationaler öffentlicher Güter wie der Nordsee oder des Mittelmeers kann nicht auf einzelne Verursacher im Sinne einer einseitigen oder wechselseitigen Diffusion von Schadstoffen zurückgeführt werden. Gleiches gilt für die Ozonschicht und den Treibhauseffekt. Das macht die Lösung solcher Umweltprobleme kompliziert. Ein kooperativer Lösungsansatz für ein internationales öffentliches Gut erfordert: Eine Vereinbarung über die anzustrebende Qualität des öffentlichen Gutes. Eine Übereinkunft über erlaubte nationale Einleitungs- bzw. Emissionsmengen. Um die optimale Qualität eines internationalen Umweltsystems zu bestimmen, müssen die Präferenzen der beteiligten Länder wahrheitsgemäß offengelegt und ihre Zahlungsbereitschaft aggregiert werden. Das heißt, das internationale Umweltsystem wird als öffentliches Gut interpretiert, welches von allen Ländern im gleichen Umfang konsumiert wird. Kein Land sollte sich als Freifahrer verhalten. Ist die angestrebte Qualität einmal festgelegt, müssen sich die Beteiligten noch auf nationale Einleitungsmengen einigen. Diese entsprechen in ihrer Funktion den internationalen Diffusionsnormen. Wenn die marginalen Zahlungsbereitschaften der Länder nicht bekannt sind, wäre es vielleicht praktikabel, die Einleitungsgenehmigungen auf der Grundlage eines geeigneten Allokationsmechanismusses, etwa einer Versteigerung, zu vergeben. Für globale Umweltsysteme ist die insgesamt
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zulässige Einleitungsmenge, z. B. an Kohlendioxidgas bekannt, sobald die angestrebte Umweltqualität festliegt. Dann müßte es eigentlich möglich sein, Emissionsrechte auf einer gerechten Zuteilungsbasis, etwa pro Kopf, zu verteilen. So würde beispielsweise China, das heute nur mit 7 % an den , weltweiten Kohlendioxid-Emissionen beteiligt ist (OECD 45 %, Planwirtschaften 35 %), einen großen Batzen erhalten, von dem es Anteile an Europa verkaufen oder gegen Gebühr ausleihen könnte. Es würde ein weltweiter Markt für diese Emissionsrechte entstehen. Die Stabilität einer solchen Lösung müßte jedoch vermutlich durch ergänzende Vereinbarungen sichergestellt werden. VI. Fazit 29. Die besprochenen Fälle meiner Umweltkasuistik lassen erkennen, daß Umweltschutz sich nicht auf ein einziges Instrument stützen kann, sondern ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Anwendung bringen muß. Die Hauptstoßrichtung der Diskussion über Instrumente der Umweltpolitik zielt darauf, daß Umwelt ein knappes Gut ist und daß die Instrumente diese Knappheit adäquat zum Ausdruck bringen müssen, um dadurch Anreize für ihre sparsame Nutzung zu setzen. Wenn erst einmal geeignete Anreizsysteme existieren, dann kann die Umweltnutzung auch durch dezentrale Entscheidungen gesteuert werden. Genauer: Wenn U~weltknapp heit den dezentralen Entscheidungseinheiten einer Volkswirtschaft korrekt signalisiert wird, dann werden auch Wirtschaftswachstum und Umweltverschmutzung entkoppelt werden. Wir haben es hier mit einem analogen Phänomen zur Entkopplung von Wachstum und Energieeinsatz zu tun, deren parallele Entwicklung noch in den 60er Jahren als eisernes Gesetz galt und als Basis für die Kapazitätsplanung der Elektrizitätswirtschaft diente. Abgesehen von der Bereitstellung adäquater Anreize muß Umweltpolitik in einem integrierten Markt die Segmentierung der Märkte vermeiden, die aus Grenzkontrollen und - noch wichtiger - aus regulierungsbedingten Marktzutrittsschranken erwachsen. Viele Instrumente der Umweltpolitik legen Bedingungen für den Marktzutritt fest, wie z. B. die Genehmigung von Einrichtungen und Produkten oder zur Bodennutzung. Es muß endlich begriffen werden, daß Preisinstrumente wie z. B. Emissionssteuern, Abwassergebühren, handel bare Verschmutzungsrechte und strenge Haftungsregeln die Bedeutung des ordnungsrechtlichen Regulierungsverfahrens reduzieren und den Marktzutritt erleichtern. Aus Sicht des europäischen Binnenmarktes haben Preisinstrumente den enormen Vorteil, Marktsegmentierung und Marktschranken abzubauen. Ordnungsrechtliche Lösungen wie z. B. individuelle Genehmigungen tendieren demgegenüber dazu, neue
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Horst Siebert
Barrieren aufzubauen, und zwar selbst dann, wenn sie europaweit vereinheitlicht sind. Preise für Umweltgüter errichten nicht solche Schranken; und es ist ganz normal, daß auch die Preise für die Nutzung der Umwelt in den europäischen Ländern verschieden sind, da Umwelt, sofern sie ein Aufnahmemedium für Schadstoffe und Abfälle ist, als immobiler Ausstattungsfaktor eines Landes angesehen werden muß. Schließlich sind wir doch mit dem Gedanken vertraut, daß Preise für immobile Faktoren von Region zu Region verschieden sind. Das gilt im Falle der Umwelt im übrigen selbst dann, wenn ihr Qualitätsniveau in allen europäischen Ländern gleich hoch sein soll. Ein weiterer wichtiger Vorteil des Preisinstruments ist darin zu sehen, daß sich die Menschen daran gewöhnen, in Umweltknappheiten zu denken. Wenn sich diese Knappheiten ändern, können Preise schnell angepaßt werden. Das sorgt für Flexibilität. Und Flexibilität kann sich als Vorteil für die Anpassung an Umweltrisiken erweisen. 30. Umweltpolitik in einem integrierten Markt muß darauf gerichtet sein, neue Marktsegmentierungen in Europa zu vermeiden. Sie kann jedoch auch dazu benutzt werden, Europa gegen den Weltmarkt abzuschotten. Diese Gefahr wird besonders relevant, wo Genehmigungen und Produktnormen als Instrumente der Umweltpolitik zum Zuge kommen, da sie nicht-europäische Wettbewerber diskriminieren. Preisinstrumente im Umweltschutz sind sicherlich für die internationale Arbeitsteilung weniger gefährlich.
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Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft
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EG-Binnenmarkt und Umweltschutz Von Rolf-Ulrich Sprenger, München 1. Einleitung
Die bis Ende 1992 vorgesehene Vollendung des EG-Binnenmarktes ist zu einem beherrschenden Thema der wirtschafts- und euro pa politischen Diskussion geworden. Dabei konzentriert sich das bisherige Interesse auf die "wirtschaftliche Dimension", d. h. auf die erwarteten Wachstums- und Beschäftigungsimpulse sowie die Anpassungserfordernisse und Risiken für die deutsche Wirtschaft!. Auch die "soziale Dimension" des Binnenmarktes hat nicht zuletzt durch das Engagement der Gewerkschaften inzwischen Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden 2. Dagegen ist die Debatte über die "ökologische Dimension", d. h. über mögliche ökologische Folgelasten und umweltpolitische Handlungserfordernisse im Zusammenhang mit dem Binnenmarktprogramm, bislang über Fachkonferenzen und Expertenzirkel kaum hinausgedrungen 3. Dabei verknüpfen sich aus umweltpolitischer Sicht mit der Vollendung des Binnenmarktes höchst unterschiedliche Einstellungen, Erwartungen und Befürchtungen. So versprechen sich manche Politiker und Experten 1 V gl. u. a. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, The Economics of 1992, in: European Economy, No. 35/1988 sowie A. Hellman/W. OchellM. Wegnel, Bundesrepublik und Binnenmarkt '92 - Perspektiven für Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, Berlin/München 1990. 2 V gl. u. a. Kommission der EG, Die soziale Dimension des Binnenmarktes, SEC (88) 1148 endg., Brüssel 1988; Bundesministerium für Wirtschft (Hrsg.), Soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, Beilage zum Monatsbericht 12'88 sowie K. Vogler-Ludwig, Soziale Aspekte des Europäischen Binnenmarkts - Eine Stellungnahme aus ökonomischer Sicht, in: Ho-Schnelldienst, 25/1989, S. 8 ff. 3 Vgl. hierzu beispielsweise die Fachkonferenz des Ho-Instituts und des NRWMinisteriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft "EG-Binnenmarkt: eine Herausforderung für den Umweltschutz" am 27.2.1989 in Düsseldorf, das Sachverständigengespräch der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen zum Thema "Europäischer Binnenmarkt und Umweltpolitik" am 13.4.1989 in Düsseldorf, die Jahresversammlung des Deutschen Naturschutzrings "EG-Binnenmarkt: Herausforderung für den Umweltschutz" am 10.11.1989 in Bonn sowie den von der EG-Kommission in Auftrag gegebenen Task Force-Bericht" 1992: The Environmental Dimension", Brüssei 1989.
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Rolf-Ulrich Sprenger
durch die Vollendung des Binnenmarktes die Entwicklung der EG zu einer Wirtschafts- und Umweltgemeinschaft mit harmonisierten Umweltschutznormen "auf hohem Schutzniveau" und verbesserten Exportchancen für nationale Umweltschutztechnologien und -dienstleistungen4 • Dagegen wird von anderen Seite "die Befürchtung geäußert, daß eine fortschrittliche Umweltpolitik als bisher in den Sog wirtschaftlicher Interessen geraten könnte, der Spielraum für nationale Umweltschutzmaßnahmen unter dem Druck derr anderen Mitgliedstaaten und der Wirtschaft weiter eingeengt wird, Harmonisierungen künftig um jeden Preis, d. h. auf einem allzu niedrigen Niveau stattfinden"5 und ein ökologischer Ausverkauf zugunsten wirtschaftlichen Wachstums eintreten wird 6 • Dementsprechend sind auch in der Bevölkerung unterschiedliche Einschätzungen der Auswirkungen des Binnenmarktes für den Umweltschutz zu beobachten (vgl. Tab. 1). Vor dem Hintergrund der angeführten kontroversen Positionen soll der vorliegende Beitrag dazu beitragen, die "ökologische Dimension" der Vollendung des EG-Binnenmarktes zu verdeutlichen.
2. Ausgewählte Elemente des Binnenmarktprogramms mit potentiellen Umwelteffekten Das Weißbuch der EG-Kommission von 1985 unterscheidet drei Arten von Schranken, die der Vollendung des Binnenmarktes entgegenstehen und bis Ende 1992 abzubauen sind:
materielle Schranken, wie die durch Grenzkontrollen verursachten Behinderungen, Verzögerungen und Kosten; 4 Vgl. u. a. R. Vieregge, Der europäische Binnenmarkt - Von der Wirtschaftsgemeinschaft zur Umweltgemeinschaft, in: Umweltmagazin, Umweltmarkt von A - Z 1988/89, Würzburg 1988, S. 6 ff. sowie K. Töpfer, Ein Binnenmarkt ist ohne starke Umweltdimension nicht vorstellbar, in: VDI-Nachrichten, Nr. 14 v. 7.4.1989, S. 50. S W. GröbI, Notwendigkeit der Umweltschutzharmonisierung auf europäischer Ebene, Rede an läßlich des Seminars der International Chamber of Commerce .Umweltschutz zwischen Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung" am 13. April 1989 in Düsseldorf. 6 Vgl. U. v. Blottnitz, Ökologischer Ausverkauf steht zu befürchten, in: Das Parlament, Nr. 3 vom 13.1.89.
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EG-Binnenmarkt und Umweltschutz
Tabelle 1 EG-Binnenmarkt und Umweltschutz - Erwartungen der BevölkerungErwartungen a )
Angaben in
Im EG-Binnenmarkt wird der Umweltschutz nach 1992 - besser funktionieren - schlechter funktionieren
60,5 31,5
Nachrichtlich: Keine Meinung
8,0
%b)
Die Frage lautete: Bis 1992 sollen die Umweltschutzgesetze in Europa vereinheitlicht werden. Erwarten Sie, daß der Umweltschutz dann besser oder schlechter funktioniert? b) Repräsentiv-Umfrage bei 1000 Bundesbürgern im Jahre 1989. Ouelle: Sample-Institut ö zitiert nach: o.v., Die Sache mit Europa, in: Chancen, Heft 5/89, S. 3 a)
technische Hemmnisse, wie sie durch national unterschiedliche Normen, Vorschriften, Zulassungsverfahren, abgeschottete Märkte im öffentlichen Beschaffungswesen und Markteintrittsbeschränkungen in bestimmten Sektoren entstehen, und steuerliche Schranken, die vor allem durch Unterschiede bei der Mehrwertsteuer und anderen Verhrauchsteuern geschaffen werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und zunächst unter Verzicht auf eine Gewichtung lassen sich im wesentlichen folgende Elemente und Wirkungen des Binnenmarktprogramms identifizieren, die eine ökologische Dimension aufweisen und unter Umständen umweltpolitische Reaktionen bzw. Vorsorgemaßnahmen erfordern: Beseitigung verschiedener Warenkontrollen Harmonisierung bzw. gegenseitige Anerkennung von technischen Normen im Warenverkehr Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte Liberalisierung der Energiemärkte Steuerharmonisierung integrationsinduzierte Wachstums- und Struktureffekte ("dynamische Effekte").
Teil 2: Beseitigung techno Hindernisse I. Freier Warenverkehr 1. Neues Konzept für die techno Harmonisierung und die Normungspolitik 2. Sektorale Vorschläge für die Angleichung der Rechtsvorschriften 2.1 Kraftfahrzeuge 2.2 Traktoren u. landwirtschaftliche Maschinen 2.3 Lebensmittelrecht 2.4 Pharmaz. Erzeugnisse u. technologisch hochwertige Arzneimittel 2.5 Chemische Erzeugnisse 2.6 Bauwesen u. Bauprodukte 2.7 Sonstiges
Teil 1: Beseitigung materieller Schranken I. Warenkontrollen 1. Verschiedene Kontrollen 2. Veterinär- u. phytosanitäre Kontrollen 11. Personenkontrollen
Maßnahmen
Status
4
5
3 15
-
3
7
8 8 2 10
4
-
5 46 3
Vorschläge zur Vollendung des Binnenmarktes, die die Kommission dem Rat vorgelegt hat, vom Rat aber noch nicht angenommen wurden
6
5 34 4
Initiativen und Vorschläge, die von Kommission und Rat bis Dezember 89 ganz oder teilweise verabschiedet worden sind
Tabelle 2 Stand der Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes
3 20
-
-
12 8 2 10
10
-
10
10 81 8
Insgesamt
-
1 1
-
Liste der Vorschläge der Kommission, die dem Rat im Zusammenhang mit der Vollendung des Binnenmarktes vor dem 31.12.92 vorzulegen sind
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128
143
8
2 2
279
13 12
5
5 8 9
8 8
I
3
5
-
-
6
-
11
7 9
13
5
-
-
1
5 6
3 I
Quellen: [FO-Institut; Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Insgesamt
Teil 3: Die Beseitigung der Steuerschranken 1. Mehrwertsteuer 2. Verbrauchsteuern
2 2
3
V. Kapitalbewegungen
VI. Schaffung angemessener Bedingungen für industrielle Zusammenarbeit 1. Gesellschaftsrecht 2. Geistiges u. gewerbliches Eigentum 3. Steuerwesen (Beseitigung steuerlicher Hemmnisse für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen)
I 7 2
5 4 3
-
2 6
6
5 3
7
IJI. Freizügigkeit für abhängig Erwerbstätige u. Selbständige
1
IV. Gemeinsamer Markt für Dienstleistungen I. Finanzdienstlleistungen 1.1 Banken 1.2 Versicherungen 1.3 Bereich der Übertragbaren Wertpapiere 2. Verkehr 3. Neue Technologien u. Dienstleistungen
3
H. Öffentliches Auftragswesen
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Rolf-Ulrich Sprenger
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß die im sog. Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes angeführten Maßnahmen bislang nur zum Teil von Kommission und Ministerrat verabschiedet worden sind, zum anderen sich noch im politischen Entscheidungsprozeß befinden (vgl. Tab. 2). Darüber hinaus steht vielfach noch die Umsetzung der EG-Richtlinien in nationales Recht und die tatsächliche Anwendung in den Mitgliedstaaten 7• Insbesondere bei der Beseitigung der Grenzkontrollen und der Steuerharmonisierung zeigen sich Schwierigkeiten in bezug auf die angestrebten EGweiten Regelungen und den vorgesehenen Zeitplan8 . Insofern handelt es sich bei der Untersuchung der sog. statischen Effekte und ihrer ökologischen Dimension praktisch um die Untersuchung eines noch nicht abschließend geregelten Politikbereichs ("moving target"), wobei die jeweils aktuellsten Kommissionsvorschläge (z. B. zur Steuerharmonisierung) als Grundlage für die Analyse und Bewertungen herangezogen wurden. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß eine Abschätzung bestimmter ökologischer Folgen und umweltpolitischer Handlungserfordernisse aufgrund der statischen und dynamischen Wirkungen des Binnenmarktprogramms vielfach erst einmal eine bessere Informationsbasis im Bereich der ökonomischen Grunddaten voraussetzt. Daher kann es zum gegenwärtigen Zeitpunkt allenfalls um eine vorläufige, zumeist qualitative Identifizierung und Bewertung derjenigen umweltrelevaten Maßnahmen gehen, die im sog. Weißbuch zum EG-Binnenmarkt angeführt und teilweise beschlossen sind, von der Kommission inzwischen (in modifizierter Form) vorgeschlagen wurden und/oder sich noch im politischen Entscheidungsprozeß befinden.
3. Beseitigung der Grenzkontrollen und Umweltschutz
An den inneren Grenzen der Europäischen Gemeinschaft werden gegenwärtig noch immer umfangreiche Warenkontrollen vorgenommen 9 . Sie werden von den Mitgliedstaaten vor allem mit fiskalischen, handelspolitischen, gesundheitspolitischen und statistischen Begründungen gerechtfertigt. Grenzkontrollen dienen u. a. der Steuererhebung oder -erstattung infolge von Unterschieden bei der Mehrwertsteuer und sonstigen Verbrauchsteuern, 7 Vgl. o. v., Umsetzung der Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes, in: EG-Spezial, Nr. 3/1990, S. 8. e Vgl. o. v., Kommission kommt mit Binnenmarkt voran, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 9 vom 11.1.90. 9 Vgl. hierzu P. Cecchini u. a., Europa'92 - Der Vorteil des Binnenmarkts, BadenBaden 1988, S. 27 ff.
EG-Binnenmarkt und Umweltschutz
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Preisanpassungen im grenzüberschreitenden Agrarhandel (Währungsausgleichsbeträge ), Kontrollen auf Pflanzen- und Tierkrankheiten infolge abweichender nationaler Gesetzgebungen, Verkehrskontrollen (Fahrgenehmigungen, Fahrzeugüberprüfung auf Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen usw.), der Überwachung genehmigungspflichtiger Aus- und Einfuhren, der Überwachung von bilateralen Lieferquoten und sonstigen mengenmäßigen Beschränkungen im Handel mit Nichtmitgliedstaaten der Gemeinschaft (z. B. bei Automobilen und Textilwaren) und der Erfassung statistischer Daten. Die Beibehaltung derartiger Grenzkontrollen wäre mit erheblichen Nachteilen verbunden. Denn jeder grenzüberschreitende Warenverkehr belastet die Wirtschaft mit Grenzformalitäten, Abfertigungs- und Umladekosten. Gemeinschaftsweit entstehen nach Angaben des Cecchini-Berichts den Unternehmen durch internen Verwaltungs aufwand und Wartezeiten an den Grenzen Ausgaben von rund 8 Mrd. ECU. Dies entspricht 2 % des betreffenden Warenwertes. Vermutlich dürfte die Wirtschaft wegen der Hemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr überdies auf einen zusätzlichen Jahresumsatz von 4,5 und bis zu 15 Mrd. ECU verzichten. Die Staatskassen müssen außerdem zwischen 500 Mill. und 1 Mrd. ECU für Personal aufbringen, das an den Grenzen und im Verwaltungsapparat den Handel einschränkt. Das Binnenmarkt-Programm zielt daher darauf ab, die zeit- und kostenintensiven Grenzkontrollen abzubauen, um bis 1992 ein "Europa ohne Grenzen" zu verwirklichen. Zu diesem Zweck wurden seit Januar 1988 die zollund verwaltungstechnischen Kontrollen vereinfacht und soweit wie möglich von den Grenzen innerhalb der Gemeinschaft an andere Stellen verlegt. In einem nächsten Schritt ist die Harmonisierung der Gesetzgebung im Bereich der Fiskal-, Gesundheits-, Agrar- und Verkehrspolitik bzw. die Anerkennung des Ursprungslandprinzips geplant, so daß die inneren Grenzen und die dort erfolgenden Kontrollen bis 1992 vollständig aufgehoben werden können. 3.1 Potentielle Umwelteffekte der Beseitigung der Warenkontrollen an den Grenzen
Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft stellen unter den augenblicklichen Gegebenheiten nicht nur ein aufwendiges und überflüssiges Hemmnis im Waren- und Personenverkehr dar. Sie sollen auch wichtige Funktionen für den nationalen Umwelt- und Verbraucherschutz 3 Konjunkturpolitik, Beiheft 38
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erfüllen. An den zwischenstaatlichen Grenzen findet gegenwärtig eine Reihe umweltschutzbezogener Ein- und Ausfuhrkontrollen auf verschiedenen Gebieten statt; z. B. für Lebensmittel, Pflanzen, Tiere und Tiererzeugnisse, die aus lebensmittel-, pflanzenschutz-, tierseuchen- oder verbraucherschutzrechtlichen Gründen in der Bundesrepublik bislang nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, Abfälle (gemäß § 13 ff. Abfallgesetz und Abfalleinfuhr-Verordnung), radioaktive Stoffe (z. B. nach § 3 Atomgesetz), gefährdete wildlebende Tier- und Pflanzenarten (gemäß Bundesartenschutzverordnung und Bundesnaturschutzgesetz), bestimmte Produkte, für die Umweltschutzauflagen gelten (z. B. DDT und DDT-Zubereitungen, leichtes Heizöl und Dieselkraftstoff). Auch die derzeitige europäische Ordnung der Abfalltransporte - gleich ob es sich um herkömmliche oder nukleare Abfälle handelt - stellt hauptsächlich auf die Grenzkontrollen beim Import bzw. Export ab 1o . Die im Weißbuch vorgesehene Abschaffung der Warenkontrollen an den Grenzen hätte ohne Zweifel zur Folge, daß die bisherigen Grenzkontrollen als Instrument des Umwelt- und Verbraucherschutzes in Zukunft ausfallen; d. h. die Einfuhr oder Ausfuhr bestimmter Lebensmittel bzw. Handelswaren, geschützter Tiere und Pflanzen sowie Abfälle kann nicht mehr im Zuge von Grenzkontrollen überprüft und gegebenenfalls verhindert werden. Die Möglichkeit der Feststellung von Verstößen gegen nationale Bestimmungen oder EG-Richtlinien an den Grenzen entfällt künftig. Im Hinblick auf die möglichen Umweltwirkungen des geplanten Abbaus von Grenzkontrollen ist allerdings zu fragen, wie notwendig und wirksam Grenzkontrollen als (komplementäres) Instrument der Umweltpolitik bzw. Verbraucherschutzpolitik bislang waren bzw. sein können. Im Verkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen gibt es zwischen den EG-Staaten noch immer Unterschiede hinsichtlich der Anforderungen für die Gesundheit von Tieren und Pflanzen I I. Die sich hieraus ergebenden Grenzkontrollen sind schwerlich abzuschaffen, solange die nationalen Gesundheitsnormen erheblich voneinander abweichen. Erst wenn die Gesundheitsanforderungen in allen Mitgliedstaaten auf ein gemeinsames "hohes Schutzniveau" angehoben sind und eine gemeinsame Politik zur Bekämpfung von Pflanzen- und Tierkrankheiten erfolgt, besteht für Beschränkungen im Handelsverkehr keine Notwendigkeit mehr. 10 V gL Richtlinien 84/631 /EWG vom 6.12.84 über die Überwachung und Kontrolle des grenzüberschreitenden Transports gefährlicher Abfälle in der EG. 11 VgL hierzu und zum folgenden EG-Kommission, Die Gemeinschaft 1992: Ein Markt mit neuen Dimensionen, Brüssel/Luxemburg 1989, S. 38.
35
EG-Binnenmarkt und Umweltschutz
In anderen Bereichen sind allerdings Zweifel an der Notwendigkeit der (bisherigen) Grenzkontrollen angebracht: Der beträchtliche Umfang des legalen "Abfall tourismus" (vgl. auch Tab. 3) zwischen den EG-Mitgliedstaaten und mit Drittländern stellt die Ernsthaftigkeit des mitunter aus umweltpolitischen Gründen geforderten nationalen Entsorgungskonzepts 12 und damit auch die Notwendigkeit von Grenzkontrollen mehr als in Frage. Soweit bestimmte Abfälle, insbesondere giftige und gefährliche Abfälle, die lediglich beseitigt werden sollen und für die kein Entgelt gezahlt wird, künftig möglicherweise als Handelsware im Sinne der Art. 30 H. EWGV angesehen werden und damit der uneingeschränkten Freiheit des Warenverkehrs unterliegen, entfällt zwangsläufig die Notwendigkeit für Grenzkontrollen. Soweit es zu einem grenzüberschreitenden Konzept zwischen Frankreich bzw. Großbritannien und der Bundesrepublik für die Wiederaufarbeitung und Endlagerung radioaktiver Abfälle kommt, verlieren Grenzkontrollen auch in diesem Bereich zwangsläufig ihre bisherigen Funktionen 13. Tabelle 3
Verbringung von Abfällen aus der Bundesrepublik in andere Staatena)
Bestimmungsland
t
1985
1984
1983 %
t
%
t
%
Niederlande Schweiz Frankreich Belgien Österreich DDR
0,2 1756,9 0,4 3512,8 1,3 12289,8 907924,3b) 95,9 0,0 137,3 2,3 21474,2
1,5 15716,6 0,4 4688,8 9716,6 0,9 961084,5b) 91,8 18,0 0,0 5,4 56039,9
26908,7 2,7 2318,6 0,2 13900,3 1,4 890 135,7b ) 87,9 79624,8 7,9
Insgesamt
947095,3
100,0
1047264,4 100,0
1012888,0 100,0
Gemäß § 2 Abs. 2 AbfG. Betrifft Umschlag von Dünnsäure mit dem Ziel der Einbringung in die Nordsee. Quelle: Umweltbundesamt (Hrsg.), Daten zur Umwelt 1988/89, Berlin 1989, S. 459. a)
b)
12 Vgl. hierzu u. a. K. Töpfer, Abfallwirtschaft und Binnenmarkt, in: Umwelt Nr. 9/ 1988, S. 359. 13 Vgl. o. v., Bonn entscheidet bald über Entsorgungsverträge, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 27 vom 2.2.90.
3·
36
Rolf-Ulrich Sprenger
Hinsichtlich der Wirksamkeit von umwelt- und verbraucherschutzorientierten Grenzkontrollen sind erhebliche Bedenken angebracht, wenn man an die Schwächen des bisherigen Kontrollsystems für radioaktive Stoffe im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Firma Transnuklear 14 , an die Fälle illegaler Giftmülltransporte innerhalb der EG und in Drittländer 15 , an den regen illegalen Handel mit geschützten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten 16, denkt. Offensichtlich waren oder sind Grenzkontrollen in diesen Fällen nicht ausreichend oder nicht geeignet, die Umweltschutzbelange sicherzustellen. Nachdem die Anhänge des Washingtoner Artenschutzabkommens inzwischen mehr als 8.000 Tier- und 40.000 Pflanzenarten umfassen, "stehen Zoll und Verwaltung vor fast unlösbaren Problemen"17. Offensichtlich können Grenzkontrollen mit einer begrenzten personellen, fachlichen und prüftechnischen Ausstattung Fehler, Schwachstellen oder Versäumnisse von umweltpolitischen Konzepten, die an anderer Stelle auftreten, schwerlich im letzten Augenblick mit unzureichenden Ressourcen anhand von Frachtpapieren korrigieren. Insofern stellt sich die berechtigte Frage, ob die bisherigen umweltschutzorientierten Kontrollen unbedingt an der Grenze erfolgen müssen oder ob andere wirksame Vorkehrungen an die Stelle von Grenzkontrollen treten können.
14 Vgl. Erklärung der Bundesregierung zum Thema "Die Behandlung schwachund mittelradioaktiver Abfallstoffe des Kernkraftwerkes im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Firma Transnuklear", in: Umwelt, Nr. 2/1988, S. 75 ff. 15 Vgl. o.v., Giftmülltourismus - Sogar Heizöl und Straßenbeläge durch illegale Entsorgung vergiftet, in: Handelsblatt, Nr. 150 vom 8.8.88, S. 9 sowie U. Post, Neue internationale Arbeitsteilung? - Müllexporte in Dritte-Welt-Länder, in: der Überblick, 23. Jg. (1987), Heft 1, S. 37 f. 16 Vgl. u. a. K. L. Ulrich, Ausverkauf der Tierwelt, in: Das Parlament, Nr. 19 vom 12.5.1984, S. 12; M. Niekisch, das Washingtoner Naturschutzübereinkommen Schutz vor Raubbau an der Natur?, in: Praxis der Naturwissenschaftlichen Biologie, Heft 6/1988 (37. Jg.), S. 2 ff.; Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.), Washingtoner Artenschutzübereinkommen, Jahresstatistik, div. Jg.; o.v., Artenschutz - Zu Tausenden werden exotische Pflanzen geschmuggelt und verramscht, in: DER SPIEGEL Nr. 48/1989, S. 249 f. 17 M. Niekisch, Das Washingtoner Artenschutzabkommen - Schutz vor Raubbau an der Natur?, a.a.O., S. 8.
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3.2 Umweltpolitische Konsequenzen aus dem Abbau von Grenzkontrollen
Angesichts der berechtigten Skepsis in bezug auf die Notwendigkeit, Eignung und Wirksamkeit mancher bisheriger Grenzkontrollen als Instrument der Umweltpolitik ist der Abbau umwelt- und verbraucherschutzbezogener Grenzkontrollen aus der Sicht des Umwelt- und Verbraucherschutzes nicht durchgängig negativ zu werten. Dies um so weniger, als die Möglichkeit besteht, unter Umständen wirksamere Schutzvorkehrungen an die Stelle von Grenzkontrollen treten zu lassen. Wo und wie die notwendigen und erwünschten Kontrollen künftig durchgeführt werden sollten, ist vor allem eine Frage der Wirksamkeit und ökonomischen Effizienz. Dabei zeigt die umweltpolitische Praxis bereits einige Lösungswege auf. Was den Transport gefährlicher Stoffe zwischen den Bundesländern innerhalb der Bundesrepublik anbetrifft, so werden diesbezügliche Vorschriften auch nicht an den Bundesländergrenzen, sondern im Rahmen der Abfallnachweis-Verordnung mit Hilfe von Notifizierungsverfahren und Begleitscheinsystemen auf ihre Einhaltung überprüft. Im Hinblick auf den Wegfall der Grenzkontrollen für die Überwachung und Kontrolle des grenzüberschreitenden Transports gefährlicher und nuklearer Abfälle sind geeignete neue Vorkehrungen zu treffen. Die Kommission plant u. a. einen Vorschlag für eine Regelung der Transporte nuklearer Abfälle. Anläßlich der Umsetzung der Allgemeinen Konvention von Basel über die Exportkontrolle gefährlicher Abfälle plant die Kommission ein Änderung der Richtlinie 84/6311EWGI8. Im Rahmen der Gemeinschaftsstrategie für die Abfallwirtschft beabsichtigt die Kommission, einen Vorschlag für eine Regelung des Abfallverkehrs auszuarbeiten, die die Richtlinien über die Kontrollen der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen ersetzt l9 . Dabei müssen nach Ansicht der Kommission, "Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, daß die Abfälle soweit wie möglich in den am nächsten gelegenen Anlagen nach den geeigneten Technologien entsorgt werden, die ein hohes Niveau des Umweltschutzes und der Gesundheit gewährleisten"2o. Diesem Zweck soll ein Überwachungs- und Kontrollsystem für Abfälle, die Erstellung und Überwachung regionaler Entsorgungspläne 21 und die Harmonisierung von Emissionsgrenzwerten von Entsorgungseinrichtungen 22 dienen. 18 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über gefährliche Abfälle, KOM (88) 391 endg. 19 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Gemeinschaftsstrategie für die Abfalklwirtschaft, SEK (89) 934 endg. 20 Ebenda. 21 Ebenda. 22 Vgl. 89/369/WEG.
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Im Bereich des Handels mit gefährdeten Pflanzen- und Tierarten kommt es einmal darauf an, das bisherige System der Negativlisten durch Positivlisten zu ersetzen, die solche Pflanzen- und Tierarten umfassen, die bereits in großer Zahl gezüchtet bzw. vermehrt werden und bei denen Naturentnahmen deswegen ausgeschlossen sind oder/und bei denen Naturentnahmen vertretbar sind und nachweislich nicht zu einer Gefährdung der wildlebenden Bestände führen 23 • Damit würde mehr Übersichtlichkeit und Transparenz und ein besserer Vollzug des Artenschutzrechts ermöglicht. Daneben ist eine wirksamere, gleich strenge Kontrolle an allen EG-Außengrenzen geboten oder aber eine Beschränkung des Imports auf wenige Einfuhrhäfen, Flughäfen und Straßenübergänge, an denen entsprechend geschultes Personal bereitsteht. Daneben ist die Einhaltung der Washingtoner Konvention am Zielort in der EG bzw. bei Händlern, Verarbeitungsbetrieben und dergleichen in angemessener Weise zu überwachen. Solange das langfristige Ziel gemeinschaftlicher Schutznormen im Gesundheitsbereich in bezug auf Lebensmittel, Pflanzen und Tiere nicht erreicht ist, müssen auf kürzere Sicht Methoden zur Überwachung von Pflanzen und Tieren gefunden werden, die keine Kontrollen an den Grenzen erfordern. Hier zielt der neue Ansatz der Kommission auf Verfahren ab, die im wesentlichen auf der gegenseitigen Anerkennung der von den jeweils anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Kontrollen und Untersuchungen vor der Ausstellung der Gesundheitsbescheinigungen am Versandort beruhen sowie auf weiteren gelegentlichen Stichproben bei den Gesundheitsbescheinigungen an den Bestimmungsorten innerhalb der Gemeinschaft. Dies setzt wirksame Veterinär- und Hygienekontrollen nach gemeinsamen Regeln voraus. In diese Richtung zielt der Vorschlag für eine EGRichtlinie über die amtliche Lebensmittelüberwachung (861747/EWG endg.), der Grundsätze und Anforderungen für die Angleichung der Lebensmittelüberwachung in den EG-Mitgliedstaaten beinhaltet. Nach diesem Vorschlag sollen u. a. die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die zum Versand in andere EG-Mitgliedstaaten bestimmten Erzeugnisse mit gleicher Sorgfalt wie die zur Vermarktung im eigenen Land bestimmten Erzeugnisse zu überwachen. Für die Gewährleistung einer Gleichwertigkeit der Kontrollen wird es im übrigen auf die Organisation und Ausstattung der für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörden und Untersuchungseinrichtungen (hinsichtlich Qualifikation des Personals und der Ausstattung mit Untersuchungsgeräten) in allen Mitgliedstaaten ankommen, die über Stichprobenpläne, Kontrollzahlen und Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung des Überwachungspersonals durch die EG gesteuert werden können. 23 Vgl. hierzu G. Pohl-ApeJ/G. MittacheriH. Brücher/W. Premuth, Anforderungen der deutschen Naturschutzverbände an ein neues Artenschutzrecht, Bonn 1989, S. 4 ff.
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Insgesamt ist zu fordern, daß die Überwachungsmaßnahmen in allen EGMitgliedstaaten wirksam durchgeführt werden und daß die Kommission für die Behebung auftretender Mängel sorgt. Allerdings deutet der Wunsch Italiens nach einem Brüsseler Sonderfonds für Ausstattung und Ausbildung im Bereich der nationalen Veterinär- und Hygienekontrollen 24 darauf hin, daß bis zur materiellen Gewährleistung einer Gleichwertigkeit der nationalen Kontrollen noch ein weiter Weg ist. Die Öffnung der Grenzen und die bislang nicht erreichte Einigung über einheitliche Steuers ätze bei umweltrelevanten Verbrauchsteuern (z. B. den Mineralölsteuern) wirft die Frage der Kontrolle grenzüberschreitender Lieferungen für die Zwecke der Steuererhebung auFS. Um zu erreichen, daß umweltrelevante Verbrauchsgüter (wie z. B. bleihaltiges Benzin, Diesel und leichtes Heizöl) bei Abgabe an den Verbraucher in der Bundesrepublik gemäß den hier geltenden Steuers ätzen belastet werden, bedarf es umfassender Kontrollrnaßnahmen, die an die Stelle der bisherigen Grenzkontrollen treten müssen. Die betreffenden Güter müssen in besonderen Lagern unter Überwachung durch die Finanzbehörden verbleiben, bis feststeht, in welchem Land sie endgültig an Verbraucher geliefert werden. Durch zusätzliche Vorkehrungen (wie z. B. Banderolen oder Steuermarken) muß gesichert werden, daß bei Abgaben an den Verbraucher die korrekte Steuerbelastung hergestellt wird. Eine derartige Kontrolle grenzüberschreitender Lieferungen mit Hilfe eines bürokratisch reglementierten Steuerlagerverbundes kann ohne Zweifel für den europäischen Binnenmarkt keine endgültige Regelung sein, sie ermöglicht aber den Abbau der Grenzkontrollen, ohne die politisch noch nicht absehbare Harmonisierung der Verbrauchsteuern abwarten zu müssen. 4. Beseitigung technischer Handelshemmnisse und Umweltschutz Die Mitgliedstaaten haben häufig eigene, rechtsverbindliche Vorschriften über die Beschaffeneheit bestimmter Produkte oder auch technische Normen (Spezifikationen, mit denen z. B. Qualität, Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit eines Produktes festgelegt werden). Derartige Normen und Vorschriften werden vor allem zur Erleichterung der nationalen und internationalen Arbeitsteilung, aber auch aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen oder zum Schutz der Umwelt und der Verbraucher festgelegt. 24 Vgl. o.v., Brüssel soll Verbraucherschutz voranbringen, in: Frankfurter Rundschau, Nr. 84 vom 11.4.1989. 25 Im Anschluß an das Jahresgutachten 1989/90 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drs. 11/5786, Tz. 452.
BSI
Vereinigtes Königreich 1
2
1
1
1
1
2
Statusb)
-~
1 200·)
100
48
" \6
70
65
596
Beschäftigte
- - -
125000 (9360)
55000 (5 500)
30000 (6 411)
138344 (13 366)
78200 (6 589)
15000 (2 355)
120000 (25 700)
Anzahl der Normblätter C)
------
660
110
270
1 100
850
250
1400
---
10
2
3
17
0
6
34
Erstellte CEN -Sekretariat Normen/Jahrd ) (I. 82 Techn. Komitees) (Zahlen 1987)
a)
Die Zahlen wurden Dokumenten der ISO und des CEN entnommen; sie beziehen sich überwiegend auf das Jahr 1986. b) Status: 1. Privatrechtliche Organisation, aber vom Staat in ihrer öffentlichen Funktion anerkannt. 2. Private Organisation. c) Die Zahl in Klammern entspricht der ungefähren Zahl der Normen. d) Größenordnung . •) Etwa die Hälfte des Personals entfällt auf Tätigkeiten von Prüf- und Zertifizierungsstellen. Quelle: F. Nicolas unter Mitarbeit von J . Repussard, Gemeinsame Normen für die Unternehmen, Luxemburg 1988
-
NNI
Niederlande
'------
UNI
AFNOR
Frankreich
Italien
AENOR
DS
Dänemark
Spanien
DlN
Normenorganisation
Bundesrepubik Deutschland
Land
Tabelle 4: Vergleich ausgewählter europäischer Normenorganisationen a )
(1)
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41
EG-Binnenmarkt und Umweltschutz
In den EG-Mitgliedstaaten werden gegenwärtig von den nationalen Normenorganisationen jährlich rund 5.000 neue Normen erstellt (vgl. Tab. 4). Diese Normen und Vorschriften werden dort zu Handelsbarrieren, wo sie für dasselbe Produkt von Land zu Land unterschiedlich sind und die Mitgliedstaaten nationale Zulassungen, Prüfungen und Bescheinigungen nicht gegenseitig anerkennen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß nationale Schutzanforderungen zur Protektion der heimischen Wirtschaft mißbraucht werden. Diese Befürchtungen werden auch in bezug auf bestimmte nationale Umweltschutznormen geäußert (vgl. Tab. 5). Zur Vollendung des Binnenmarktes wird daher angestrebt, die handelshemmende Wirkung von Normen zu beseitigen. Bisher hat sich die Gemeinschaft auf die Einebnung derartiger Handelshemmnisse durch eine vollständige Harmonisierung der nationalen Normen und Vorschriften konzentriert. Regulierungen wurden dabei nicht zwangsläufig abgebaut, sie wurden lediglich auf ein gemeinsames EG-Niveau gebracht. Insgesamt wurden in der EG zur Harmonisierung technischer Vorschriften seit den sechziger Jahren rund 300 Richtlinien erlassen. Im Vergleich zum Bestand allein an DIN-Normen wird deutlich, daß die bisherige Strategie der Rechtsangleichung zu langsam ist, um bis 1992 einen Warenverkehr gewährleisten zu können, der nicht durch unterschiedliche nationale Normen behindert wird. Tabelle 5 Nationale Umweltschutznormen und Protektionismus - Beurteilung aus der Sicht der französischen Industrie Angaben in Nationale Umweltschutznormen dienen im allgemeinen als Vorwand für den Schutz der heimischen Wirtschaft -ja, - nein
38,8 61,2
Staaten, die vermutlich am stärksten auf derartige protek tionistische Maßnahmen zurückgreifen - BR Deutschland -USA - Schweiz - Frankreich - Skandinavien - sonstige - keine Meinung
24,0 4,6 3,0 2,0 1,8 4,0 64,3
Basis: Umfrage bei 600 französischen Unternehmen im Januar 1989 Quellen: Gaz de France; Französisches Umweltministerium; Ho-Institut.
a)
%a)
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Zwar forciert die Kommission mit Blick auf 1992 in einzelnen Bereichen (z. B. bei Kraftfahrzeugen) eine Harmonisierung auf Basis gemeinschaftlicher Vorschriften, doch wird inzwischen in vielen Bereichen auf die gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher nationaler Normen, Vorschriften und Zulassungen abgestellt. In diesen Fällen dürfen die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und vertriebenen Waren auch in den anderen EG-Mitgliedstaaten verkauft werden. Nach Artikel lOOb des EWGVertrages kann das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ("Ursprungslandprinzip") auch im Warenverkehr Gültigkeit erhalten, wenn bis zum 31.12.1992 keine Harmonisierung erreicht wurde. Das Ursprungslandprinzip wird künftig auch bei der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse im Warenverkehr - allerdings in begrenztem Maße - angewendet. Entsprechend der "neuen Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung" aus dem Jahr 1985 26 wird die Gemeinschaft für umfassende Produktbereiche (z. B. Bauprodukte, Maschinen, Lebensmittel oder pharmazeutische Erzeugnisse) nur noch die "grundlegenden Sicherheitsanforderungen oder sonstigen Anforderungen im Interesse des Gemeinwohls"27 in EG-Richtlinien festlegen. Die Einzelheiten sind von den europäischen Normenorganisationen (CEN/ CENELEC) auszuarbeiten, um die in den Richtlinien der Gemeinschaft festgelegten Grundanforderungen zu konkretisieren. Die nationalen Behörden sind verpflichtet, bei Erzeugnissen, die nach diesen Europäischen Normen hergestellt wurden, eine Übereinstimmung mit den in der Richtlinie aufgestellten Grundanforderungen anzunehmen. Die Hersteller haben zwar auch die Wahl, nicht nach den Europäischen Normen zu produzieren, tragen dann aber die Beweislast für die Übereinstimmung ihrer Erzeugnise mit den grundlegenden Anforderungen. Die neue Konzeption setzt voraus, daß die entsprechenden Europäischen Normen vorhanden sind oder geschaffen werden 28 • Derzeit wird an ungefähr 3.500 europäischen Normungsvorhaben gearbeitet. Da für den europäischen Binnenmarkt schätzungsweise 10.000 harmonisierte Normen erforderlich sein werden, ist mit einem Abschluß bis Ende 1992 kaum zu rechnen. Für eine Übergangszeit sieht die neue Konzeption der Normung daher auch die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen vor. Um eine Zunahme der nationalen Unterschiede zu verhindern, sind die EG-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten über nationale Normungsvorhaben und Entwürfe für technische Vorschriften zu informieren. So können gegeVgl. die Entschließung des Rates vom 7.5.1985 i (85/C 136/0 1). Ebenda, Anhang 3.2. 28 Vgl. zum folgenden o.v., Normen in der EG-Anerkennung vor Angleichung, in: iwd, Nr. 5 vom 1.2.1990, S. 6. 26 27
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benenfalls Vorhaben, die der Entwicklung gemeinschaftlicher Bestimmungen entgegenstehen, blockiert oder abgeändert werden. 4.1 Potentielle Umwelteffekte der Beseitigung technischer Handelshemmnisse und Handlungsspielräume
Die Beurteilung der potentiellen Umwelteffekte des Abbaus technischer Handelshemmnisse wirft eine Reihe von Fragen auf: (1) In welchen Bereichen ist mit einer vollständigen Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Regelungen und Normen zu rechnen? Für welche Produktbereiche werden die als grundlegend definierten Mindestanforderungen in bezug auf das Gemeinwohl (u. a. Schutz der Gesundheit, der Verbraucher und der Umwelt) Anwendung finden? In welchen (restlichen) Produktbereichen wird in Zukunft das "Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen" angewendet? (2) Auf welchem Schutzniveau wird die vollständige Harmonisierung bzw. die Festlegung der Grundanforderungen erfolgen? Welche Konsequenzen hat die gemeinschaftsweite Harmonisierung für bestehende oder geplante nationale Regelungen, die über das gemeinschaftsweite Harmonisierungsniveau bzw. die grundlegenden Mindestanforderungen hinausgehen? (3) Inwieweit kann sichergestellt werden, daß die (grundlegenden) Umweltschutzanforderungen bei Produkten, die nach harmonisierten Normen bzw. (vorläufig) nach nationalen Normen hergestellt werden, auch tatsächlich eingehalten werden? Die in der EG zur Harmonisierung unterschiedlicher nationaler Produktregelungen und technischer Normen bislang erlassenen Richtlinien betreffen teilweise auch Umweltschutzanforderungen. Der Schwerpunkt der bisherigen Harmonisierungsaktivitäten im Bereich produktbezogener Umweltschutzregelungen lag bei der Angleichung von Geräuschpegeln (z. B. bei Kraftfahrzeugen, flugzeugen, Baumaschinen und -geräten und Haushaltsgeräten) ; der Angleichung von Luftschadstoffbegrenzungen (z. B. von Kfz-Abgasgrenzwerten und Schadstoffgrenzwerten für bestimmte Brennstoffe); der Angleichung von Vorschriften für das Inverkehrbringen und die Verwendung chemischer Stoffe (z. B. Asbest, Detergentien); der Angleichung lebensmittel rechtlicher Vorschriften 29 • 29 Vgl. hierzu u. a. Kommission der EG, Gemeinschaftsrecht im Bereich des Umweltschutzes 1967-1987, Bd. 1-4, Brüssel 1988.
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Im Weißbuch sind von den geplanten 279 Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes nur noch wenige sektorale Vorschläge für die vollständige Angleichung umweltbezogener nationaler Produktvorschriften vorgesehen: u. a. für Kfz-Abgasgrenzwerte, in bezug auf Lebensmittel, chemische Erzeugnisse, Bau- und Haushaltsgeräte. Daneben sind mit Blick auf den Abbau von Warenkontrollen eine Reihe veterinär- und hygiene rechtlicher Maßnahmen des Verbraucherschutzes geplant. Entsprechend der neuen Konzeption für die technische Harmonisierung soll "der Anwendungsbereich der Richtlinien mit Normenverweis nach großen Produktkategorien und nach den abzudeckenden Gefahrentypen festgelegt werden"3o. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann jedoch noch nicht beurteilt werden, für welche großen Produktkategorien außerhalb derjenigen Erzeugnisgruppen, bei denen eine vollständige Angleichung der nationalen Umweltschutzvorschriften erfolgt oder geplant ist, der "Gefahrentyp Umweltverschmutzung" zu einer Festlegung grundlegender Umweltschutzanforderungen führen wird. Für die Produktbereiche ohne Normenharmonisierung bzw. ohne Festlegung ökologischer Grundanforderungen ist zu befürchten, daß der mit dem Ursprungslandprinzip angestrebte "Wettbewerb der Regeln" zwischen den Mitgliedstaaten langfristig jene Länder begünstigt, die "günstigere" Regeln (d. h. im Hinblick auf den Umweltschutz weniger anspruchsvolle Regeln) anbieten. Damit dürfte der Tendenz nach in diesen Produktbereichen eher ein Wettbewerb mit weniger Umweltschutz ("Umweltdumping") ausgelöst werden. Der neue zwischenstaatliche Wettbewerb der Regelsysteme und der Verzicht auf eine umfassende Harmonisierung von Produktnormen (z. B. in ökologisch weniger gefahrvollen Bereichen) kann aus der Sicht des Umweltschutzes aber durchaus auch positive Effekte haben. So gibt es bereits gegenwärtig für eine Reihe umweltfreundlicher Erzeugnisse keine Normen, was möglicherweise zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber genormten, aber weniger umweltfreundlichen Erzeugnissen geführt hat 31 . Durch bestimmte Normenfestlegungen werden nämlich umweltfreundlichere Produkte aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschlossen, obwohl sie den üblichen Anforderungen der Praxis wohl ebenso entsprechen wie die genormten Produkte (z. B. Wärmedämmplatten ohne Zusatz von FCKW)32. Die gemeinschaftlichen Entscheidungen hinsichtlich der vollständigen Angleichung nationaler produktbezogener Umwelt- und VerbraucherVgL Entschließung des Rates vom 7.5.1985 (85/C136/01) Anhang 3.2. VgL K. Lehmann u. a., Normung und Umweltschutz, Berlin-Köln 1987, S. 210 f. 32 VgL o.v., DIN für Wärmedämmplatten erweist sich als Hemmschuh für den Umweltschutz, in: Handelsblatt, Nr. 235 vom 6.12.89. 30
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schutzregelungen bzw. hinsichtlich der Festlegung grundlegender Umweltschutzanforderungen im Rahmen von EG-Richtlinien stellen natürlich implizit bereits Vorentscheidungen hinsichtlich des EG-weit angestrebten "Schutzniveaus" dar. Die Frage nach dem "Schutzniveau" stellt sich darüber hinaus explizit bei der konkreten Ausgestaltung von umweltrelevanten Produktrichtlinien der EG. Dabei hat die Kommission gemäß Art. 100a EWGV bei ihren Vorschlägen zwar von einem "hohen Scifinitionhutzniveau' auszugehen, gleichwohl kann nicht apriori bestimmt werden, welche Grundanforderungen, Grenzwerte oder Zulassungsvorschriften dieser Definition im Einzelfall gerecht werden. Zum anderen ist keineswegs sichergestellt, daß das Europäische Parlament und der Ministerrat dem Kommissionsvorschlag immer folgen. Manche hoffen, daß "künftig nicht mehr der langsamste Staat das Tempo der Umweltentwicklung (bestimmt): Mit dem Übergang zur Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit im EG-Ministerrat können im Warenbereich jetzt schnellere Fortschritte im Interesse der Umwelt erwartet werden"33. Daneben wird die Stellung des Europäischen Parlaments im Rechtsetzungsverfahren durch Art. 100a gestärkt; d. h. lehnt beispielsweise das Europäische Parlament einen gemeinsamen Standpunkt von Kommission und Rat als "unzureichend" mit absoluter Mehrheit ab, so vermag der Ministerrat den Rechtsakt nur noch einstimmig zu verabschieden 34 . Dies dürfte im Rat in der Praxis angesichts der Existenz von "Vorreiterländern" auf verschiedenen Gebieten des Umweltschutzes kaum durchsetzbar sein. "Im Binnenmarkt wird produktbezogene Umweltpolitik nicht einfacher, sondern eher schwieriger werden"35. Welche Widerstände und nationale Partikularinteressen es zu überwinden gilt, um zu gemeinschaftlichen Umweltregelungen auf einem hohen Schutzniveau zu gelangen, veranschaulichen die Verhandlungen in Brüssel um die Verschärfung der Pkw- und Lkw-Abgasgrenzwerte 36 , ein Verbot der Produktion von Pentachlorphenol (PCP) und des Verkaufs von mit PCP behandelten Erzeugnissen37 , die Festlegung von Strahlengrenzwerten für Lebensmittel 33 W. Wallmann, Aspekte europäischer Zusammenarbeit, in: Umwelt, Nr. 6 vom 14.11.1986, S. 42. 34 Vgl. hierzu auch C. Hey/J. Jahns-Böhm, Ökologie und freier Binnenmarkt, Freiburg/Frankfurt 1989, S. 40 ff. 35 K. Töpfer, Ein Binnenmarkt ist ohne starke Umweltdimension nicht vorstellbar, a.a.O. 36 Vgl. hierzu auch C. Hey/J. Jahns-Böhm, a:a.O., S. 94 ff. 37 Vgl. B. Weber, Produktionsstop für PCP verlangt, in: Das Parlament, Nr. 47/48 vom 17.124.11.89, S. 11.
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oder das Verbot der Zulassung bestimmter SchädlingsbekämpfungsmitteP8. "Bei allem darf nicht übersehen werden, daß gemeinschaftlicher Umweltschutz nicht mehr sein kann als das, was im Kreis der 12 Mitgliedstaaten konsens- bzw. mehrheitsfähig ist. Wir müssen akzeptieren, daß sich die Ausgangsbedingungen in den Mitgliedstaaten in bezug auf den Stand der ökonomischen Entwicklung, ihre geographische Lage, die tatsächlichen ökologischen Verhältnisse, das Umweltbewußtsein der Bevölkerung und demgemäß auch in bezug auf den politischen Stellenwert des Umweltschutzes erheblich unterscheiden"39. Daher ist zu befürchten, daß Einigungen häufig eher auf einem aus ökologischer Sicht zu niedrigen Schutzniveau zustande kommen, im Extremfall Umweltschutzanforderungen "auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner" festgelegt werden 40. Kompromisse, die im Rahmen von Mehrheitsentscheidungen geschlossen werden müssen, können jedoch mitunter für den Umweltschutz noch besser sein als der Verzicht auf EG-weite Regelungen. Dies gilt insbesondere für Produktregelungen, die zu einer Verringerung grenzüberschreitender oder globaler Umweltbelastungen führen. Darüber hinaus darf die Harmonisierung von umwelt- und verbraucherschutzrelevanten Rechtsvorschriften nicht nur am Maßstab der für Teilbereiche getroffenen Regelungen gemessen werden, sondern erfordert eine Gesamtbeurteilung, die alle Regelungsbereiche einschließt. Die EG-Harmonisierung hat auch in der Bundesrepublik in vielen Bereichen positive Impulse und Verbesserungen für den Verbraucherschutz gebracht; z. B. durch die vereinheitlichten Anforderungen im Bereich des Trinkwassers, bei der Kennzeichnungspflicht für Lebensmittelzutaten und im Bereich des Fleischhygienerechts. Dort, wo der "Gefahrentyp Umweltschutz" eine Angleichung einzelstaatlicher Umweltschutzmaßnahmen aus Gründen des freien Warenverkehrs erfordert, besteht die Gefahr, daß im Rahmen der Harmonisierung das bereits bestehende oder angestrebte hohe nationale Schutz niveau nicht verbessert bzw. erreicht werden kann. "Wenn in einzelnen Mitgliedstaaten . . . in Anbetracht ihrer geographischen Lage, ihrer hohen Industrialisierung, ihres engen Verkehrsnetzes verbunden mit einer hohen Bevölkerungsdichte im Interesse eines wirksamen Umweltschutzes strengere Maßnahmen erfor38 Vgl. o.y., Greening Europe - The freedom to be cleaner than the rest, in: The Economist vom 14.10.89, S. 22, sowie o.y., Geplante Richtlinie der EG unterläuft strenges deutsches Pflanzenschutzrecht, in: Handelsblatt, Nr. 212 vom 2.11.89. 39 W. Gröbl, Notwendigkeit der Umweltschutzharmonisierung auf europäischer Ebene, a.a.O. 40 Vgl. W. Hirn, EG-Umweltpolitik - Der allerkleinste Nenner, in: Wirtschaftswoche Nr. 11 vom 10.3.89.
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derlich sind als in anderen Mitgliedstaaten, sollte dem im gemeinschaftlichem Regelwerk Rechnung getragen werden"41. Dementsprechend erlaubt bzw. zwingt die gemeinschaftliche Umweltpolitik die Mitgliedstaaten in einzelnen Fällen, Gebiete mit besonderen Umweltqualitätsanforderungen, strengeren Emissionshöchstwerten oder Nutzungseinschränkungen auszuweisen, z. B. in der Badegewässerrichtlinie 42 , der Richtlinie bezüglich Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung 43 , der Richtlinie für Industrieanlagen 44 und der geplanten Richtlinie für kommunale Abwasserbehandlung 45 . Die instrumentelle Umsetzung von regional bzw. national strengeren Umweltqualitätsnormen kann unter Umständen auch national strengere Auflagen oder Verbote für bestimmte umweltbelastende Produkte erforderlich machen. Damit stellt sich die Frage nach den nationalen Optionen für produktbezogene Regelungen, die über das gemeinschaftsweite Harmonisierungsviveau hinausgehen.
(1) Die Harmonisierungspraxis in der EG zeigt Fälle, in denen gemeinschaftsweite Produktregelungen ausdrücklich die Festlegung national strengerer Grenzwerte zulassen (z. B. beim Schwefelgehalt von Heizöl und Diesel)46. (2) National strengere Umweltschutzmaßnahmen bleiben gemäß Art. 130t der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) grundsätzlich zulässig: "Die Schutzmaßnahmen, die gemeinsam aufgrund des Artikel 130s getroffen werden, hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen, die mit diesem Vertrag vereinbar sind". (3) Auch die neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung unterstreicht, daß zwar einerseits "die einzelstaatlichen Schutzmaßnahmen vereinheitlicht werden müssen, um den freien Warenverkehr zu gewährleisten. Andererseits darf jedoch der in den Mitgliedstaaten bereits bestehende und begründete Schutz nicht verringert werden"47. 41 W. Gröbl, Notwendigkeit der Umweltschutzharmonisierung auf europäischer Ebene, a.a.O. 42
43 44
76/160/EWG. 75/440/EWG. 84/360/EWG.
45 Entwurf eines Kommissionsvorschlags für eine Richtlinie für kommunale Abwasserbehandlung vom 7.7.1989. 46 Vgl. hierzu Art. 5 der EG-Richtlinie 75/716/EWG vom 30.3.1987. 47 Entschließung des Rates vom 7.5.1985 (85/e 136/01), Anhang 3.2.
48
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(4) Art. 100a, der auf die Vollendung des Binnenmarktes ausgerichtet ist, gibt der Gemeinschaft ein Mandat zur Harmonisierung von umweltschutzbezogenen Produktregelungen bis 1992. Dabei "geht die Kommission in ihren Vorschlägen ... von einem hohen Schutzniveau aus". Da hier mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden kann und die nationalen Regelungsbefugnisse eingeschränkt sind, ist es zweifelhaft, ob ein Mitgliedstaat nach Art. 100a Abs. 4 EWG-Vertrag schärfere nationale Produktregelungen neu einführen kann. In jedem Fall sind Mitgliedstaaten an die vom Europäischen Gerichthof (EuGH) nach Art. 30,36 EWG-Vertrag entwickelten Anforderungen an die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelung gebunden, was freilich eine autonome nationale Risikobewertung nicht ausschließt. Ob national strengere Produktregelungen "kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen", muß die Kommission allerdings prüfen und notfalls vor dem EuGH entscheiden lasen. So klagt die Kommission bzw. erwägt die Kommission gegenwärtig eine Klage gegen die Bundesrepublik wegen der Einführung von Fischkontrollen in bezug auf Nematoden-Befall 48 sowie der Pfandverordnung und Rücknahmeverpflichtung für Plastikgetränkeflaschen 49. Immerhin sind national strengere Produktregelungen auch im freien Warenverkehr keinesfalls ausgeschlossen, wie sich die Kommission 1988 vom EuGH im Prozeß gegen das dänische Einwegflaschenverbot belehren lassen mußte: "Der Schutz der Umwelt kann eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot jeglicher Behinderung des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft rechtfertigen" (vgl. Urteil vom 20.9.88/Rs. 302/ 86). "Diese Rechtfertigungsmöglichkeit für strengere, vom Gemeinschaftsstandard abweichende Umweltschutzvorschriften bestand ursprünglich nur dann, wenn die Gemeinschaft auf diesem Gebiet noch keine einheitliche Umweltschutzregelung in Form einer Richtlinie erlassen hatte. Die Einheitliche Europäische Akte aber setzte nun auch neue Impulse für den Umweltschutz: Erstmals haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zum Schutz ihrer Umwelt strengere nationale Umweltschutzregelungen auch dann zu treffen, wenn die Europäische Gemeinschaft dasselbe Gebiet bereits durch eine Richtlinie geregelt hat. Wann die Voraussetzungen für einen derartigen nationalen Alleingang vorliegen und wie weit ein Mitgliedstaat dabei von 48 Vgl. o.v., EG-Kommission wurmen Fischkontrollen Brüssel erwägt Klage gegen Bonner Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 69 vom 23.3.1990. 49 Vgl. o.v., EG droht mit Klage wegen Pfand für Plastikflaschen, in: Handelsblatt, Nr. 222 vom 16.11.1989.
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Gemeinschaftsrichtlinien abweichen darf, ist allerdings eine delikate Auslegungsfrage, die im Konfliktfall der Europäischen Gerichtshof zu beantworten hat"50. Insgesamt ist festzuhalten, daß die durch die Einheitliche Europäische Akte eingefügten Bestimmungen zur nationalen Souveränität im Umweltschutz bisher in der Praxis wenig erprobt sind und daher generalisierende Vorhersagen schwer möglich sind. Immerhin sind einerseits zunehmend Fälle zu beobachten, in denen Mitgliedstaaten, nachdem sie sich vergeblich in Brüssel bemüht haben, eine für sie befriedigende, EG-weite Regelung zu erreichen, ihren Willen zur Aufrechterhaltung eines hohen Umweltschutzniveaus mit Hilfe einzelstaatlicher Maßnahmen demonstrieren 51 . Andererseits greift die Kommission im Falle national strengerer Produktregelungen für den Umwelt- oder Verbraucherschutz fast immer zum Instrument der Klage. Eine letzte Frage im Zusammenhang mit dem Abbau technischer HandeIshemmnisse berührt die Einhaltung der gemeinschaftsweiten Produktrichtlinien bzw. der grundlegenden Schutzanforderungen. Denn in Zukunft sind neben Importprodukten, für die gemeinschaftsweite Schutznormen gelten, auch Produkte aus anderen Mitgliedstaaten, die nach den jeweiligen Bestimmungen des Exportlandes hergestellt wurden, zur Vermarktung zuzulassen. Routinemäßige Kontrollen von Erzeugnissen aus Mitgliedstaaten und gezielte Kontrollen ohne konkrete Anlaß als Ausgleich für die wegfallenden Grenzkontrollen werden mit Vollendung des Binnenmarktes nicht mehr zulässig sein. Solche Kontrollen sind künftig nur noch im Rahmen der allgemeinen Produktüberwachung möglich, die inländische Erzeugnisse und Produkte aus den Mitgliedstaaten der EG gleichermaßen erfaßt. Der freie Warenverkehr im Binnenmarkt macht daher eine effektive gemeinschaftliche Produkt- und Qualitätsüberwachung nach gemeinsamen Regeln erforderlich. Dies wirft die Frage nach der Vergleichbarkeit, Qualität und Zuverlässigkeit der jeweiligen nationalen Prüf- und Zertifizierungsinstitutionen und -verfahren auf5 2 • In diesem Zusammenhang ist - wie auf dem Gebiet der Lebensmittelüberwachung - eine Harmonisierung der Prüfund Überwachungsmethoden angezeigt; die Gleichwertigkeit in bezug auf Prüfverfahren, Prüfstellen und Prüfer sowie ihre Unabhängigkeit von der Industrie muß sichergestellt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, daß der C. Binder, Umweltrecht in der EG, in: Umweltschutz 4/89, S. 35. Vgl. M. Grüner, Gesundheitsaspekte der Umweltpolitik, in: Umwelt Nr. 12/1989, S.569. 52 Im Anschluß an W. Hoffmann, Vom Nähgarn bis zum Gabelstapler - Für den Binnenmarkt müssen Tausende von Industrienormen harmonisiert werden, in: DIE ZEIT, Nr. 5 vom 29.1.1988. 50 51
4 Konjunkturpolitik, Beiheft 38
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Rolf-Ulrich Sprenger
viel gescholtene Normen-Protektionismus dadurch wiederkehrt, daß nationale Prüforganisationen in bestimmten Fällen die Einhaltung von EGNormen durch ausländische Anbieter erneut überprüfen und damit den Marktzugang erschweren oder sogar verhindern.
5. Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte und Umweltschutz Die nationalen Beschaffungsmärkte gehören trotz des regen innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs zu den am meisten abgeschotteten Bereichen wirtschaftlicher Aktivitäten in der Gemeinschaft. Trotz eines ausschreibungsfähigen Auftragsvolumens von 240 bis 340 Mrd. ECU wurden 1986 nur Aufträge im Wert von 4 bis 5 Mrd. ECU grenzüberschreitend vergeben 53 . Dieser im Vergleich zu privaten Märkten außerordentlich geringe Anteil belegt, daß die EG-Richtlinien über öffentliche Bauaufträge (1971) und Lieferaufträge (1977) häufig nicht angewandt bzw. umgangen werden. Die öffentlichen Auftraggeber in allen EG-Ländern neigen zu Ausnahmen vom normalen Vergabeverfahren und stellen diskriminierende Anforderungen an ausländische Bieter hinsichtlich technischer und finanzieller Kapazitäten. Für den bisher extrem hohen Protektionsgrad des öffentlichen Beschaffungswesens gibt es viele Gründe: Marktnähe und schnell vefügbare Kundendienste, die nationale Förderung strategischer Bereiche vor allem in der Hochtechnologie, der Schutz von Arbeitsplätzen, die Bevorzugung lokaler Anbieter aus politischen Gründen, unterschiedliche Normen und Zulassungsverfahren usw. Im Juni 1987 erteilte der Rat der Europäischen Gemeinschaften sein grundsätzliches Einverständnis, die Vorschriften der ursprünglichen Richtlinie über öffentliche Lieferaufträge zu verstärken und zu präzisieren. Es geht hierbei um grundsätzliche Änderungen, die darauf abzielen, die Vergabeverfahren transparenter zu gestalten. Im Dezember 1986 wurde ein ähnlicher Richtlinienvorschlag zur Verbesserung und Anpassung der ursprünglichen Richtlinie über die öffentlichen Bauaufträge verabschiedet54 • Seine wichtigsten Neuerungen sind: Der Anwendungsbereich der Richtlinie wurde besser definiert; die Vorschriften erfassen bestimmte besondere Vertragsformen (z. B. die Bauträgerverträge oder die Baubetreuungsverträge); die nicht erfaßten Sektoren werden ausführlicher definiert (Wasser, Energie, Transport); die Definition des öffentlichen Auftraggebers wird erweitert. 53 54
Vgl. hierzu P. Cecchini u. a., a.a.O., S. 37 ff. Novelle zur Richtlinie n1262/EWG vom 21. Dezember 1986.
EG-Binnenmarkt und Umweltschutz
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Inzwischen hat der Rat die Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 71/305/ EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge genehmigt. Darin wird der Anwendungsbereich auf Konzessionen für die Ausführung öffentlicher Bauaufträge und für Infrastrukturarbeiten, die zu mehr als 50 % unmittelbar subventioniert werden, auf private Unternehmen ausgedehnt. Die Schwelle, von der an die öffentlichen Aufträge der Richtlinie unterliegen, wurde auf 5 Mill. ECU festgesetzt. Zum ersten Male ist in der Richtlinie auch vorgesehen, daß die öffentlichen Hände sich auf Europäische Normen und auf technische Spezifikationen berufen müssen, die auf europäischer Ebene akzeptiert wurden und die von den Unternehmen, die Aufträge durchführen, zu beachten sind.
5.1 Potentielle UmweIteffekte der Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens und Handlungsspielräume
Die angestrebte Liberalisierung des öffentichen Auftragswesens kann sich für den Umweltschutz in folgender Weise auswirken: (1) Durch die Ausdehnung der Richtlinien für öffentliche Bau- und Lieferaufträge auf bestimmte Beschaffungsinstitutionen, Sektoren und Leistungsarten kann künftig ein bestimmtes Auftragsvolumen möglicherweise preisgünstiger abgewickelt werden. Durch die Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte ist ein erhöhter Konkurrenzdruck zwischen den Lieferfirmen durch ausländische Anbieter und mithin ein verschärfter Preiswettbewerb zu erwarten, der bei deren ausschreibungspflichtigen öffentlichen Beschaffungsmaßnahmen zu Einsparungen führen könnte. Für den Fall, daß die eingesparten Haushaltsmittel für eine Erhöhung der öffentlichen Nachfrage nach Umweltschutzgütern (vgl. Tab. 6) verwendet werden, können mit gegebenen Mitteln mehr Umweltschutzprojekte realisiert werden. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß aufgrund des verschärften Preiswettbewerbs in bestimmten Fällen ausländische Anbieter den Zuschlag erhalten, deren Preisgünstigkeit aus der Tatsache resultiert, daß die angebotenen Produkte unter weniger strengen Umweltschutzauflagen im Heimatland hergestellt werden können. Dies würde zu einer umweltschutzinduzierten Wettbewerbsverschiebung zwischen Anbietern aus verschiedenen EG-Mitgliedstaaten und mithin zu einem indirekten Export von Umweltbelastungen führen. (2) Je nachdem, ob sich öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Bauoder Lieferaufträgen am "niedrigsten Preis" oder am "wirtschaftlich günstigsten" Angebot orientieren, kann es zu unterschiedlichen Umwelteffekten kommen. 4'
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Länder einschl. Stadtstaaten
Deutsche Bundesbahn") (DB)
Deutsche BundespostO) (DBP)
Bund
Öffentliche Auftraggeber
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11
1
1
Anzahl
Zentralämter Sozialamt 18 Oberpostdirektionen
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rund 120 Ressorts zahlreiche Landesbehörden, -körperschaften und -anstalten mit nachgeordneten Dienststellen
2 Zentralämter 1 Sozialamt - 10 Direktionen - 20 Ausbesserungswerke (+ 6 Werkstätten) - 18 Geschäftsbereiche Bahnbus
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16 Bundesministerien, Bundeskanzleramt, mehr als 100 Bundesbehörden, -körperschaften und -anstalten mit nachgeordneten Dienststellen darunter: - Bundeswehr - Bundeszollverwaltung - Bundesgrenzschutz
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Beschaffungsstellen
423,3
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17,3
723,7
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367,1
Umweltschutzinduzierte Beschaffungsausgaben' J 1987 in Mil!. DM Investitionen b) Ud, SachausgabenC)
Tabelle 6 Öffentliche Auftraggeber und Auftragsvolumen für Umweltschutzmaßnahmen
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