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German Pages 228 [232] Year 1936
FORSCHUNGEN UND
CHARAKTERISTIKEN VON
ALOIS BRANDL
ZUM 80. G E B U R T S T A G HERAUSGEGEBEN VON DEM ENGLISCHEN SEMINAR DER UNIVERSITÄT BERLIN UND DER BERLINER GESELLSCHAFT FÜR DAS STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
BERLIN UND LEIPZIG 1936
W A L T E R DE G R U Y T E R & C O . VORMALS G.J.GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG. VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER VEIT & COMP.
Archiv-Nr. 431736 Druck von Walter de Oruyter 4 Co, Berlin W 35 Prlnted In Qermany
Zum Geleit. Alois Brandl hat im Laufe seines reichen Gelehrtenlebens eine große Anzahl von Aufsätzen geschrieben, die in seinem mit so viel Liebe betreuten »Archiv«, in den Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in mancherlei wissenschaftlichen und volkstümlichen Zeitschriften erschienen sind. Einige von diesen Beiträgen sind vergriffen, andere schwer zugänglich, alle sind wertvoll über die Zeit des Entstehens hinaus. Das Englische Seminar der Universität Berlin, aus dem 40 Jahre hindurch bis in die letzten Tage von ihm angeregte wertvolle Forschungsarbeit hervorgegangen ist, und die Herrigsche Gesellschaft, mit der sein Name aufs engste verknüpft ist, bieten in dem vorliegenden Bande der wissenschaftlichen Welt eine Auswahl seiner kleineren Schriften dar, die den Reichtum seiner wissenschaftlichen Arbeit bekunden und der Forschung von neuem Anregung zu geben geeignet sind. Wir überreichen diese Festschrift, die er selbst geschrieben hat, dem verehrten Forscher zu seinem achtzigsten Geburtstag am 21. Juni 1935 mit herzlichen Glückwünschen und mit der Hoffnung, daß die unermüdliche Schaffenskraft, mit der er die Wissenschaft von seiner ersten Veröffentlichung im Jahre 1878 an bis heute so nachhaltig gefördert hat, noch viele Früchte bringen möge. W. Horn
F. W. Schirmer
H. Gade
Inhaltsverzeichnis» Seite
Z u r Entstehung der germanischen Heldensage, gesehen vom ags. Standpunkt. Archiv für das Studium der neueren Sprachen 162 (1932) S. 191 ff 1 Siegmund, Siegfried und Brünhilde in Ortsnamen des nordwestlichen England. Archiv 133 (1915) S. 408 f 13 Z u r Gotensage bei den Angelsachsen. Archiv 120 (1908) S. 1 fi 15 Medea und Brünhilde. Die Literatur, Monatsschrift für Literaturfreunde 31 (1929) S. 1 ff 24 Z u m ags. Gedichte »Traumgesicht vom K r e u z e Christi«. Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. 1905, S. 716 ff 28 Anfange der Autobiographie in England. Sitzungsberichte der Preuß. Akad. d. Wiss. 1908, S. 724 ff 36 D i e Urstammtafeln der Westsachsen und das Beowulf-Epos. Archiv 137 (1918) S.6ff 45 Beowulf und die Merowinger. Sitzungsberichte d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1929, S. 207 ff 66 Der Saalkampf in Finns Burg. Britannica. Max Förster zum sechzigsten Geburtstage. Leipzig, Tauchnitz 1929, S. 23 ff 72 Hercules und Beowulf. Sitzungsberichte d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1928, S. 161 ff. 74 Z u r Vorgeschichte der Weird Sisters im »Macbeth«. Texte und Forschungen zur englischen Kulturgeschichte, Festgabe für Felix Liebermann zum 20. Juli 1921. Halle, Niemeyer 1921, S. 252 ff 82 O n the »Dictes and Sayings of the Philosophers«. An English Miscellany. Presented to F. J. Furnivall in honour of his 75. birthday. Oxford, Clarendon Press, 1901, S. 16 ff 98 Spielmannsverhältnisse in frühmittelenglischer Zeit. Sitzungsberichte d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1910, S. 8736 103 Anfänge der englisch-schottischen Balladen. Geleitwort zu »Balladen aus alter Zeit«, aus dem Altenglischen und Altschottischen übertragen von Hedwig Lüdeke. Berlin, G. Grote 1922 123 Eine neue A r t , Shakespeare zu spielen. Deutsche Rundschau 123 (1905) S. 122 ff. 138 Z u r Szenenfuhrung bei Shakespeare. Sitzungsberichte d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1906, S. 630 ff 147 Shakespeare and Germany. The British Academy: Third Annual Lecture: Shakespeare and Germany, by Professor Alois Brandl. London, Humphrey Milford 191 3 161 Das Söhnchen des Leontes. Blätter des Deutschen Theaters, hsg. vom Deutschen Theater. IV. Jahrgang, S. 807 ff. Der ganzen Reihe Nr. 5°. Berlin, Erich Reiß, o. J 173 V o n der Unwahrheit und der Wahrheit Shakespeares. Blätter des Deutschen Theaters, II. Jahrgang, S. 337 ff. Der ganzen Reihe Nr. 22 175 Shakespeare-Möglichkeiten. Broschüre zur Eröffnung des Großen Schauspielhauses. Berlin 1921 177 Shakespeares Quellen z u R o m e o und Julia. Vorrede zu: Rudolf Fischer, Quellen zu Romeo und Julia. Bonn, Marcus & Weber 1922 183 Die Aufnahme von Goethes Jugendwerken in England. Goethe-Jahrbuch. Hsg. von Ludwig Geiger. Dritter Band 1882, Frankfurt a. Main, Rütten & Loening, S. 27 ff 186 Namenregister 220 Sachregister 227
Zur Entstehung der germ. Heldensage, gesehen vom ags. Standpunkt. Hermann Schneiders 'Germanische Heldensage', obwohl zurzeit nur der erste Band vorliegt (Berlin, de Gruyter, 1928, X I I , 442 S.), ist ein so groß angelegtes und sorgsam durchgeführtes Werk über die Hauptsagen, daß es nicht bloß über den gegenwärtigen Stand der Forschung gründlich unterrichtet, sondern auch zu weiterer Forschung Schritt für Schritt anregt. So sind auch mir, der ich von ags. Studien kommend herantrat, einige ergänzende Fragen aufgestiegen, die ich im folgenden darlege, um dem Verf. dankbar mein lebhaftes Interesse an seiner Leistung zu bekunden. Vielleicht wird sich dabei ergeben, daß man überhaupt beim Studium unserer alten Heldendichtung neben den skandinavischen und festländisch-deutschen Denkmälern auch die ags. etwas mehr als bisher heranziehen muß; die Datierung der letzteren ist jetzt doch so weit gesichert, daß man mit ihnen zuverlässiger als bisher arbeiten kann. Was ist Heldensage? Umsichtig begrenzt Schneider den Begriff: 1. der Stoff muß der germ. Wanderzeit entwachsen sein, also im Kern die Stimmung, Gemütsbewegung und Kulturart der Völkerwanderung in sich tragen; und 2. die Geschichte muß ihre künstlerische Formung in altgerm. Poesie erhalten haben, d. h. es muß in der Zeit des Sängertums ein episches Lied wenigstens über einen Teil der Geschichte existiert haben (S. 1 und 10); also z. B. 'der erste, der ein Dietrichlied schuf, schuf die Dietrichsage'. Wo alte Texte fehlen, müssen Zeugnisse aushelfen; heroischer Inhalt und sangbarer Stil ergeben sich dabei als Kriterien und müssen im Notfall nachhelfen. Nicht bloß das prächtige Gedicht auf Byrhtnof>s Tod 991 wird dadurch ferngehalten, sondern anscheinend auch das Großepos vom Beowulf, da über keinen dieser beiden Helden ein episches Lied zu erweisen oder zu erschließen ist. — Weggefallen sind bei dieser Definition alle mythischen Dinge, die bei den Sagenforschern vor hundert Jahren und noch in Wilhelm Scherers Deutscher Literaturgeschichte eine mystische Rolle spielten; genug andere Mittel werden daneben anerkannt, mit denen man eine starke Begebenheit ins Erstaunliche heben konnte. Naturvorgänge, die auf Heroentaten zurückgeführt wurden, z. B. das Wettschwimmen des Beowulf mit Breca im offenen Wintereis der Nordsee, mögen als Einzelmotive hereingespielt haben; im Scefing des Beowulf v. 4 den Nachklang eines Kornmythus zu sehen (S. 25), hat Schneider wohl selbst B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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inzwischen aufgegeben (vgl. Jespersen-Festschrift 1928). Befreiend wirkt der lapidare Satz: 'Der allegorische Naturmythus, der sich mit zahlreichen Einzelzügen im Heldengedicht bergen soll, ist ein Wahn der klassischen Philologie' (S. 23). — Weggefallen ist ferner das dichtende Volk oder die dichtende Sängerschar; individuelles Schaffen, wenn auch von Sängern, die an einen Stammeszusammenhang und eine Stiltradition gebunden waren, herrscht überall; daher gehört die Heldensage 'zur Literaturgeschichte, nicht zur Volkskunde' (S. 9). — Verzichtet ist endlich auf die Annahme von Gesamtmärchen als Quellen; nur einzelne Märchenmotive konnten als Bausteine mit verwendet werden; wohl aber konnte umgekehrt ein Märchen aus einer Heldensage entspringen (S. 27). Zu den Erfahrungssätzen, die Schneider hiefür überzeuglich vorbringt, kann man noch eine prinzipielle Unterscheidung fügen: Das Märchen geht immer gut aus, die Heldensage aber mit Vorliebe tragisch; Wahl und Ausmalung der Charaktere sind dadurch für die beiden Gattungen in verschiedener Weise vorgeschrieben. Zugleich erklärt sich Schneider gegen die Annahme, als wäre aus wirklichen Begebenheiten zunächst ein historisches Erzählungslied erwachsen; eher denkt er an Preislieder, die sich unmittelbar an tatsächliche Heroik angeschlossen hätten, und wirksam beruft er sich dabei auf das Zeugnis des Tacitus; auch das des Beowulfepos dürfte in diese lyrische Art einschlagen, wonach ein sangeskundiger Mann den Sieg über Grendel sofort an Ort und Stelle in Verse gebracht habe (v. 872). Indem nun Schneider zu den einzelnen Sagengebilden übergeht, zum Kreise des Ermanrich, und der Nibelungen, und des Dietrich von Bern, hält er sich dennoch methodisch an die alte Forschungstradition und setzt mit den historischen, nicht mit den poetischen Elementen ein. Ermanrich als König der Ostgoten hatte in Verzweiflung über den Untergang seines Volkes durch die nachrückenden Hunnen sich selber (375) umgebracht: darüber soll nach Schneiders Annahme ein Gote im 5. Jh. ein erstes Lied von ihm gedichtet und 'den historischen Zusammenhang festgehalten haben' (S. 378). Ähnlich sei im Laufe desselben 5. Jhs. das früheste Nibelungenlied entstanden, 'fußend' auf der Vernichtung der rheinischen Burgunder durch Attila (S. 384), und daran reihte sich mit einiger Geschichtsentstellung erst die Liebesgeschichte von Siegfried und seiner ersten Frau. Auch der Schöpfer des ersten Dietrichliedes 'wußte es nicht anders, als daß der große Gotenkönig zu den Hunnen flüchten mußte' (S- 397); das war 'umgebildete Geschichte', aber immerhin war der Anfang nach Schneider geschichtlich. Dabei ist sich Schneider vollkommen klar darüber, daß nicht bloß die Begebenheiten, sondern
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auch die Charaktere von vornherein geschichtswidrig dargestellt wurden. Der Ermanrich der Sage ist das Gegenteil von einem hingebungsvollen, gebrochenen Volkskönig; grausam bringt er seine nächsten Angehörigen um. Die Burgunder der Sage sind von allem Anfang an nicht bedauernswerte Opfer eines Fremderoberers, wie in Wirklichkeit, sondern raublustig, und von der historischen Attila-Frau Hilde führt keine Brücke zur sagenhaften Rächerin Brünhilde. Die drei Jahrzehnte glücklicher Herrschaft, die dem tapferen Dietrich tatsächlich gegönnt waren, erscheinen in der Sage immer und überall als ebensoviele Unglücksjahre, die er im Elend und in Kämpfen verbracht habe, und während er, real gesprochen, ein so mißtrauischer Mann war, daß er seinen edlen Minister Boethius einkerkern und hinrichten ließ, glänzt er in der Epik allenthalben als der treueste aller Gefolgsherren. Gleiches gilt, wie uns kürzlich Ludwig Wolff gezeigt hat, auch von den anderen Sternen der Heldensage : vergessen ist ihr geschichtliches Wollen und Handeln, die seelischen Motive, die Leidenschaften, Gemütskonflikte und Selbstverwirrungen stehen im Vordergrunde und sind durchaus erfunden. Es macht den Eindruck, als wären die dichtenden Sänger mit Absicht möglichst weit von den Geschichtsberichten abgewichen, um von ihren berühmten Helden recht viel Neues und Überraschendes zu verkünden. Darf man unter solchen Umständen die Realmotive noch als die ursprünglichen betrachten? Muß man nicht eher die poesiegeborenen Vorgänge in ihrer Brust als die zugrunde liegenden Fabelzüge voranschieben ? So finden wir beim Beowulf, der wegen seiner späten Entstehung und frühen Aufzeichnung die Dinge noch genauer durchschauen läßt, die Wunderkämpfe mit Riesen und Drachen als Hauptgegenstände der Aufmerksamkeit, und nur schwächlich, wie infolge eines Nachgedankens, sind sie mit dem sicher bezeugten Raubeinfall der Gauten am Niederrhein, 512/20, verbunden. Soll da nicht einmal der Versuch gemacht werden, den Menschenfresser und den Flammenspeier als das früher Gegebene aufzufassen und die historischgeographische Umgebung als ein später darübergelegtes Gewand? Schneider hat schon so weit Revolution gemacht gegen Uhland, die Grimm und die ganze Müllenhoffschule, daß es ihm auf einen folgerichtigen Rest des Forschungsweges nicht ankommen kann. Des weiteren schiene es mir empfehlenswert, nicht von vornherein die isländische Überlieferung für die älteste zu halten und zugrunde zu legen, sondern mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die ags. Texte und Zeugnisse sowohl älter als ursprünglicher sein können. Auf den ersten Blick scheint es allerdings undenkbar, daß die fast überall mit christlichen Motiven durchsetzten ags. Denkmäler 1»
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der Heldensage frühere Sagenrunen sein sollen als die streng heidnischen der Edda. Jene atmen bereits eine milde Auffassung, die den Unvorsichtigen an die Ritterzeit des 12./13. Jhs. gemahnt, während diese noch voll heidnischer Starrheit und oft Grausamkeit sind. Aber wenige Reflexionen dürften genügen, um diesen Erstlingseindruck zu zerstören, denn die Angelsachsen lernten die Schreibkunst bereits um 600; die ersten römischen Missionare, die 597 den Weg nach Kent beschritten, haben dort nach dem Zeugnis Bedas bereits vor 604 die dort heimischen Gesetze mit der Feder fixiert. Volle vier Jahrhunderte später kam erst das Alphabet durch die Missionare nach Island. Aus diesem Grunde konnten dort, in der einstigen Römerprovinz, weitaus ältere Aufzeichnungen der Sagen entstehen, während hier, im Lande der stabilisierten Altgermanenkultur, erst später Texte auf das Pergament geworfen wurden. Dazu kam die Duldsamkeit der Mission, besonders der irischen, auf britannischem Boden, während dieselben Missionare, z. B. Benedikt, auf dem Festlande ungleich gewaltsamer vorgingen und den Laien die gewohnten Liturgien fast ausnahmslos entrissen; dort wurde umgemodelt, hier ausgerottet. Die christlichen Züge aber, die den Eintritt in die Heldendichtung der Angelsachsen gefunden hatten, scheinen geradezu als Erbauungsmittel auf die Mönche gewirkt zu haben, die das Monopol des Abschreibens ausübten, so daß gerade derartige Verse in weiterem Umfange konserviert wurden. Dagegen rauchten im 10. Jh. noch die skandinavischen Wodantempel vom Blute der getöteten Opferstiere, mit dem man die Wände tünchte; wer von dieser Sittenwildheit sich abwandte, tat es gründlicher als im Lande der verfeinerten Angelsachsen, in das man mit Vorliebe die Fürstensöhne zur Erziehung schickte. Das frühe Christentum hat die Sitten, aber nicht die Dichtungen der Angelsachsen über den Haufen geworfen; was sich vom heimischen Liedwesen verfeinern ließ, blieb in mäßiger Umformung massenweise bewahrt. Positive Beweise für die Entstehung der wichtigsten Sagendichtungen speziell bei den Angeln und in der Zeit vor Alfred, 871—900, sind teils sprachlicher Natur, wobei ich heute nicht mehr die Lautund Flexionsformen vorschieben möchte, wie vor einem Vierteljahrhundert in meiner ags. Literaturgeschichte, sondern die Wortwahl, besonders die Verwendung der Wurzel wesan (Heidemann, Scherer); teils beruhen sie auf dem Vorkommen der sagenhaften Personennamen zuhauf im Mitgliederbuch der Gebetsbruderschaft von Lindisfarne, dem sog. 'Liber Vitae', und zwar beim ersten Schreiber (etwa 800), der lauter nordhumbrische und mercische Könige aufgezeichnet vorfand, was für die Herkunft der Namen charakteristisch ist; teils auf den Anspielungen der Texte auf ags. Hofdinge (Offa, Merowinger).
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Aus dieser Gegend und Zeit haben wir auch ein sehr beachtenswertes Zeugnis für das Vorhandensein der Kulturverhältnisse, die für die Existenz einer solchen Sängerepik naturnotwendige Vorbedingungen sind, nämlich: gastlicher Fürstenhof, vornehme Zuhörer in gehobener Stimmung, Sänger in beträchtlicher Anzahl, so daß für den Wetteifer der Meister und für die Ausbildung von Schülern Gelegenheit vorhanden ist, und überdies — was mir sehr wichtig scheint — Fühlung der Sänger mit einem Kreise von Gebildeten, von denen sie poetische Neuheiten empfangen konnten. All das finden wir vereinigt beim nordhumbrischen Bischof Hunwald in York, dem der strenge Amtsbruder Alcuin vom Karolingerhofe aus deshalb im Jahre 797 Vorstellungen machte (MGH, Ep. Carol. II). Man überlege sorgsam Alcuins Ausdrücke: conviviorum apparatus — accumulare mensam, ut vix portari possit — istriones vel luxuriosos quoslibet — vestimentorum pompa et assidua aebrietatis luxuria — decet lectorem audiri, non citharistam; sermones patrum, non carmina gentilium — non vult rex celestis cum paganis et perditis nominetenus regibus communionem habere. Dazwischen steht die an den berühmten Rächer Ingeld im Beowulf und WidsiJ) gemahnende Frage: Quid Hinieldus cum Christo ? Diese prosaische Gesellschaftsschilderung deckt sich Schritt für Schritt mit dem, was der Beowulfdichter uns in Versen vom Treiben in der königlichen Methalle Heorot erzählt oder ahnen läßt; wo es derart hoch und sangesfroh herging, auch die witan des Königs nahe standen, da gedieh das Rhapsodentum. Anders lagen die Dinge im Süden Britanniens bei den Sachsen. Abermals haben wir darüber ein ziemlich ausgedehntes Zeugnis, das uns den Hof der Westsachsen in Alfreds Knabenzeit vor Augen führt, etwa um 866, bevor noch der Dänensturm losbrach. Asser gibt es uns in seinen 'Gesta Alfredi' 894 (ed. Stevenson 1904, cap. 22 f.): der hochbegabte Königssohn Alfred wird da genannt solens auditor von Saxonica poemata, die in Büchern standen, ohne daß er sie selber zu lesen vermochte; seine Mutter quendam Saxonicum poematicae artis librum in manu habebat; sie versprach das Buch dem zu schenken, der es discere citius possit; freudig zieht sich der junge Alfred mit dem Buche in der Hand zu dessen Studium zurück, magistrum adiit et legit. Gern hätte er, wie der gelehrte Walliser magisterhaft fortfährt, liberalem artem in sich aufgenommen, aber illo tempore in toto regno occidentalium Saxonum lectores boni non erant, ... und er selber legere non poterat. Da ist also kein Sänger vorhanden, noch weniger ein Sängertum, nur eine Aufzeichnung von älteren Sangeswerken, und selbst diese vermögen nur wenige zu entziffern. In früherer Zeit, als die Sachsen das Land kolonisierten, müssen sie noch die Heldensage gut gekannt haben, wie viele ihrer Ortsnamen dartun (Binz, P B B . X X ) ;
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ihr Prinz Aldhelm, f 709, vermochte noch mit der Harfe im Arm die zu früh aus der Kirche weglaufende Gemeinde auf einer Brücke aufzuhalten — Sagendichtung ist dabei keineswegs angedeutet. Dann aber vermögen wir in den südlichen Gauen der Insel nur noch Prosa und Kirchenverse zu erweisen. Lateinkenntnis und lebendige Heimatpoesie scheinen hier zusammen ausgestorben. Als Alfred wieder Literatur aufzubringen suchte, mußte er sich geeignete Lehrer von auswärts holen. Das Land hatte offenbar schon Jahrzehnte vorher durch die vielen Däneneinfälle, die fast ausschließlich dem Süden galten, schwer gelitten. Dann aber folgte 867 die ungeheure Katastrophe der Angeln. Ihre drei Königreiche wurden von den Skandinaven nicht bloß erobert, sondern zugleich umkolonisiert. Will man die tiefgehende Veränderung völlig erfassen, so muß man mit Hilfe der ags. Annalen — selten ergänzt durch Asser — die einzelnen Vorgänge verfolgen und ihre kulturellen Wirkungen ausdenken. Anno 867 rückte das Wikingerheer aus Ostanglien über die Mündung des Humber nach York, wo sich zwei Könige in nationaler Selbstzerfleischung befehdeten. Beide wurden erschlagen; Untergang des Adels; Blutbad. 868: Schlacht bei Nottingham; Unterwerfung der Mercier. 869: Das Räuberheer lagerte bei York ein ganzes Jahr. 870: Neuausgerüstet schlagt es zurück auf Ostanglien, bringt dort den König Eadmund um und überzieht dessen ganzes Keich. 871: Die Eroberer teilen sich, eine Hälfte steht jetzt unter Healfdene und einem zweiten Könige, die andere Hälfte unter lauter Herzögen. 872: Mercien erkauft sich Frieden, und im Folgejahre beziehen die Heiden ihre Winterquartiere in dem nördlich daranstoßenden Prinzipat Lindsay. 874: Sie vertreiben den mercischen König Burgred, so daß er nur über das Meer noch entfliehen kann; er stirbt bald in Rom. 875: König Healfdene zieht über die Grenze Nordhumberlands hinaus an den schottischen Grenzfluß Tyne, überwindet auch die Picten im Norden und das britische Königreich Strathclyde im Nordwesten. 876: Healfdene teilt (gedxlde) das nordanglische Land, so daß jetzt die Wikinger darauf pflügen und ernten (ergende waeron ond hiera tilgende). 877: Jetzt verteilen sie auch Mercien, wenigstens zum Teil (gedaeldon sum).
Zusammenfassend berichtet über diese acht Unglücksjähre der Lateinchronist Florence of Worcester (Petrie, Mon. Hist. Brit., S. 640) in einem selten beachteten Originalparagraphen. Er beklagt den Untergang der Anglici reges, der durch das Aufhören der ags. Königsgenealogien, mit Ausnahme der westsächsischen, gerade um diese Zeit bestätigt wird, sowie durch die genealogischen Zusammenstellungen von Searle, 'Anglo-Saxon Bishops, Kings and Nobles', 1899; die ostanglische Reihe endete nach Searle mit Eadmund I. 870, die mercische mit Burgred 874, die nordhumbrische mit Ecgbeorht II. 876/78. Es folgte in den nächsten acht Jahren depopulatio servitusque eorundem paganorum. Die Eindringlinge durchzogen ganz Anglien
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mit Verwüstung, monasteria cum monachis ei sanctimonialibus, ecclesias cum clericis incendere, civitates, urbes, oppida cremare, agros devastare, strages hominum multas agere minime cessabant. So stark und so zahlreich war die Einwanderung, daß acht Könige und zwanzig Herzöge samt variis armorum generibus mitkamen. Von der Gründlichkeit der damaligen skandinavischen Besiedlung berichten auch die heutigen Ortsnamen (Ekwall, English Place Name Society I, 55 ff.). Wo blieb da noch Raum und Stimmung für epische Lieder? In Ecken und Winkeln mögen sich einzelne Sänger verborgen haben — die schöpferische Sangesperiode ist jetzt, da die neuen Herren und Besitzer Angliens skand. sprachen, durch Jahrhunderte undenkbar. Was wir von anglischen Dichtungen solcher Art besitzen, muß älter sein als 867; nachweisen können wir von literarischer Betätigung hier nur noch dürftige Bibelübersetzungsglossen und wenige geschäftliche Urkunden. Über die Sachsen brach das Unglück dank ihrem König Alfred langsamer und nicht so vollständig herein. Immerhin berichtet auch er in seiner bekannten Vorrede zur Gregorius-Übersetzung, wie hit call forhergod weere and forbcerned, die früher so reichen Kirchen ausgeplündert wurden und die Geistlichen ohne Lateinkenntnis verdarben. Selbst die Prosaberichte der Ags. Annalen hörten nach 925 für ein halbes Jahrhundert völlig auf. Traditionslos, wie der Süden betreffs Heldendichtung seit Jahrzehnten dastand, ist er jetzt fast ebenso arm an Sängern und gesungenen Heldenliedern zu denken wie der Norden seit 867. Wenn ein historisches Gedicht auf die Schlacht bei Brunanburh 937 im alten Eposstil anhebt, so widerspricht es alsbald der Vermutung, dies beruhe auf lebendiger Sangesüberlieferung, denn es beruft sich gegen Ende ausdrücklich auf Buchquellen (bec) betreffs Ureinwanderung von Angeln und Sachsen. Ergebnis: Während noch die Heldensage bei den Skandinaviern um 800 sich entwickelte — wenn diese Jahreszahl nicht etwa zu früh gegriffen ist — , neigte sie sich bei den Angelsachsen bereits zum Untergang. Was uns die Angelsachsen über Ermanrich, Burgunder und Dietrich von Bern erzählen, hat der Literarhistoriker als ältere Schicht gegenüber der skandinavischen voranzustellen. Was ergibt sich daraus für die genannten drei Sagenkreise und deren Anfänge im einzelnen? I. Betreffs Ermanrich erschließt Schneider (S. 378 f.) als erstes Lied ein gotisches aus dem 5. Jahrhundert, dessen eigentliche Fabel das Schicksal einer Frau, der Sonhild, ausmachte: Ermanrich ließ sie hinrichten, und ihre Brüder übten die Rache. Als zweitältestes Lied betrachtet er ein deutsches, das noch vor dem Ende des 8. Jahrhunderts entstand und um 700 nach England drang; es handelte von Er-
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manrichs Grausamkeit gegen eigene männliche Verwandte; sein Sohn Friedrich war das erste Opfer, und seine Neffen, die Besitzer eines Schatzes, folgten; dem König an die Seite gestellt ist ein böser Ratgeber, der ihn aufstachelt. Nachträglich erst sei das erste Lied in Anlehnung an das zweite umgebildet worden, so daß jetzt Sonhild zu Ermanrichs Frau vorrückte. In kombinierter Form läßt dann Schneider diese Lieder nach Norden wandern. Fassen wir nun diesen kombinierten Inhalt ohne künstliche Unterabteilung kritisch ins Auge, so fällt vor allem auf: die völlig ungermanische Behandlung eines Weibes und besonders eines königlichen; sie widersprach der germ. Sitte und Rechtsauffassung; wohl aber paßt sie zu griechisch-lateinischer Sagentradition, die ein solches Verbrechen gegen die Familie als Ausbund von Grausamkeit hinstellte, während der germ. König der Völkerwanderungszeit die höchste Tragik im Verhältnis zu seiner Gefolgschaft findet. Ferner stimmt die Kombination der handelnden Personen — Ermanrich gegen Frau und männliche Nachkommen auf Anstiftung eines bösen Ratgebers — in bemerkenswerter Weise zu der Situation des Hercules furens, den der böse Lycus durch Taten zu wahnsinniger Grausamkeit gegen Weib und Kinder treibt. In jeder Rhetorenschule wurde in den römischen Provinzen auch noch in der Völkerwanderungszeit vom Hercules erzählt; jeder römische Soldat kannte den Hercules, bei dem er zu schwören pflegte; fernab bleibt von den genannten germ. Anfängen der Sage jedes historische Moment, ausgenommen Namen und geographische Umgebung. Liegt es unter solchen Umständen nicht nahe, den historischen Zusammenhang, den das Urlied nach Schneider 'festhielt', für ein accedens zu halten und den Kern der germanischen Ursage aus einem Pfropfreis der klassischen Heldenepik erwachsen zu lassen? II. Bei Dietrich von Bern geht Schneider abermals von der historischen Überlieferung aus, genauer gesagt, von der Klasse des Hildebrand-Liedes, die er als die historische der märchenhaften gegenüberstellt. Für ihre früheste Stufe erklärt er die Vorlage, die dem Nibelungenlied, der Klage, der Thidreksaga und Wolfram vorschwebte, also vor 1200 fallen muß (S. 221). Dagegen versetzt er die märchenhaften Dietrichfabeln in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts (S. 255). Dahinter aber kommt er bei einer Besprechung von Albhart und Virginal auf einmal auf 'eine uralte Dietrichdichtung' zu reden, nämlich auf die Stelle im englischen'Waldere', wo Dietrich dem Widia das Schwert Miming und mit dem Schwerte viele Kleinode aus Gold schenken wollte; er schließt daraus auf ein englisches Heldenepos des 8. Jahrhunderts, das mit dem deutschen des ausgehenden 13. Jahrunderts auf ein und dasselbe Lied zurückweist (S. 277). Wie wäre es,
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wenn man auch hier nach der zeitlichen Reihenfolge vom ags. Text ausgehen wollte? Die genannte Waldere-Stelle wird von Schneider 'nach der üblichen Übersetzung' benützt, wobei das Wort fifela in nicht ganz zutreffender Weise als 'Unholde' wiedergegeben ist. Genauer gesagt müßte man dafür 'Riesen' sagen, und der Sinn der Waldere-Verse ist, daß Dietrich den Nachstellungen Nidharts sich entziehen konnte, weil Widia ihm half: 'mühsam entrann Dietrich aus der Gewalt der Riesen' (durh fifela geweald ford ónette). Mit diesem Zeugnis von irgendeiner Dietrich-Überlieferung ist nun zusammenzuhalten vor allem ein ags. Zeugnis von einem Dietrich-Lied, das vom Sänger Deor angeboten wird (Deor, v. 18—20); es betrifft eine 30jährige Leidenszeit Dietrichs in der Fremde, in Meeringa bürg. Ferner kommen in Betracht flüchtige Anspielungen auf Widias Zusammengehen mit Hama im WidsiJ> (v. 124—126, 130) und auf die Erbeutung eines berühmten Schatzes durch Hama im Beowulf (v. 1198). Diese Geschichte muß auf ags. Boden, speziell bei den Angeln, wohlbekannt gewesen sein, wie sich aus den Personennamen Widia und Hama im obgenannten 'Liber Vitae' ergibt (1. Schreiber etwa 800, am bequemsten nachzusehen in Sweets 'Oldest English Texts'). Endlich ist nicht zu übersehen das Wade-Fragment, das uns Hama und Hildebrand zwischen Elfen und Nickern vorführt, in gefährlicher Vereinsamung. Es ist zwar erst in einer Hs. des 11. Jh.s erhalten, doch zeigt der Text Spuren einer viel älteren, nicht mehr ganz verstandenen Vorlage. Er ist am besten zugänglich in Zupitza-Schippers 'Alt- und mittelengl. Übungsbuch' (1915, S. 85). Hält man alle diese Zeugnisse zusammen, so kommt man auf eine ags. Dietrich-Sage des 7.—8. Jh.s, die entschieden zu den märchenhaften Fassungen gehört und dennoch an Alter allen anderen überlegen ist. Uber die Entstehung dieses mit frühangl. Texten eng verknüpften Dietrich mag man sich allerlei denken, was ich hier nur vorsichtig zur Diskussion stellen will. Zwischen den Angelsachsen und Italien bestanden sehr alte direkte Verbindungen über das Meer durch die Iren; Hauptbeweis dafür ist die irische Form für das Wort Italia, die wir im 'Widsip' (v. 70) finden, und zwar in der angl. Dialektform Eatule für das zu erwartende gemein-ags. Eotulc. Auf diesem Wege kann die sonst ags. fehlende Kenntnis vom Langobardenkönig Alboin, ags. ganz richtig geschrieben JElfwine, dem Gatten der sagenberühmten Rosamunde und Eroberer Italiens 567, in dieselbe Stelle des Widsip gelangt sein. — Dazu kommt eine merkwürdige inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Situation dieses Dietrich mit der des Odysseus, der ja ebenfalls Jahrzehnte in der Fremde mühsam verbrachte, durch List der Verfolgung eines Riesen entrann, mit Seeungetümen (Sirenen)
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und Verwandlungswesen (bei der Kirke) es zu tun hatte und immer auf das enge Zusammengehen mit seinen Gefährten angewiesen war. Die Rücksichtnahme des altgriechischen Trojakämpfers auf seine Mannen kann an die Gefolgschaftsliebe der germanischen Sagendichter in der Völkerwanderungszeit bedeutend appelliert haben. Abermals ist dabei die Mitwirkung der spätrömischen Rhetorenschulen nicht zu unterschätzen. Es ist doch auffällig, daß jene Fassungen altgermanischer Heldensagen, bei denen das wundersame Moment über das historische herrscht, gerade bei Goten und Franken entstanden sind, die auf altem Römerboden siedelten, während die Nordseesagen sich wesentlich historisch hielten. III. An die Spitze der Nibelungensage stellt Schneider ein fränkisches Lied aus der Zeit knapp vor 500, das er zu einem großen Teil im alten Atli-Lied der Edda wiederfindet, aber mit bedenklichen Zutaten: 'Sind Herzausschneiden, Schlangenturm, Atreusmahl deutsche Dichtung des 5. Jh.s?' (S. 202). Sie muten Schneider an als 'antike Reminiszenzen', mit denen er aber im heidnischen Island bei den dürftigen Schulzuständen jener Insel nichts anfangen kann. Erfolglos habe man sich bemüht, diese Motive als heimisch zu deuten. Sie streifen natürlich eng an die antike Medeasage; speziell der vielangefochtene Schlangenturm ist in der Tragödie, die der Römer Seneca über sie verfaßt hat, ausführlich beschrieben, Akt IV, wo die Amme der Heldin über deren Zauberei berichtet: die Stätte ist beschrieben als Medeas penetrale funestum, v. 676; hier wälzt saeva serpens corpus immensum, vom Himmel und von der Erde ruft sie das Schlangengezücht herbei, die Hydra des Herkules und anderes mythologisches Gewürm sollen herankriechen, damit die Magierin von allen das Gift einsammeln kann, serpentium saniem exprimit (v. 731). Am Schlüsse dieser Tragödie ruft Medea auch das Drachengespann herbei, mit dem sie nach ihren schrecklichen Rachetaten durch die Lüfte entflieht (v. 1023); ich habe diese Seneca-Stelle bereits einmal mit dem etwas jüngeren Eddagedicht von der Höllenfahrt der Brünhilde in Verbindung gebracht (Literatur, Oktoberheft 1928). Daß ein fränkischer Dichter solche Vorstellungen aus einem lateinischen Schulklassiker entlehnt, erscheint als sehr gut möglich, wenn man bei R. Stachnick 'Die Bildung des Weltklerus im Frankenreich' (Paderborn 1926) nachliest, wie solche Anstalten dort auch im 5. und 6. Jh. trotz der Kriegsläufte weiter bestanden und blühten. Die Frage ist nur, wie das fränkische Lied in so früher Zeit nach dem heidnischen Island gelangen konnte. Da gibt es vielleicht zu denken, daß zwar nicht eine ausgebildete Brünhilden-Sage, wohl aber mancherlei Ansätze zu einer solchen auf ags. Boden nachweisbar sind. Der Drachenkampf des Siegmund im
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Beowulf (v. 875 ff.), der ausdrücklich als Lied bezeugt ist, bedeutet für Schneider nur eine 'wikinghafte Umstilisierung' von Siegfrieds Drachenkampf (S. 386). Aber das Vorkommen von Personennamen wie Siegmund, Siegfried und Giselher in englischen Denkmälern aus dem 8-/9. Jh. (vgl. Sweets Register zu Oldest Engl. Texts) ist bereits zu beachten, und noch merkwürdiger ist das von Ortsnamen mit Siegfried und Brünhilde im Urkundenbuch der Abtei Cockersand, auf die ich Arch. 132, S. 408 f. aufmerksam machte. Cockersand liegt im nordwestlichen Lancashire, auf nordmercischem Koloniegebiet, das seit dem 6. Jh. von Angeln besiedelt wurde. Die Namen bedeuten: 1. Brünhilde + Weg (Burnildesgate, bei Tarleton, Südufer desRibble), 2. Brünhilde + Berg, Schutzort (Brunildeberge, bei Clapham, Westriding Yorks.), 3. Siegfried + Wiese (Sivirdeleie, bei Windle, südwestlich Lanc.); sie liegen nicht eng beisammen, aber ihre Schreibung ist vorskandinavisch; erst Siverthesarge bei Leyland, östlich von Tarleton, ist eine skand. Siedlung aus der Zeit nach 867 (Ekwall, Place Names of Lanc., S. 251). — Am wichtigsten aber ist das Zeugnis der einen Handschrift der 'Vita Wilfridi' von Eddius Stephanus (Cott. Vesp. D VI, gen. C), 11. Jh. Da heißt es auf S. 14 der neuesten Ausgabe (Colgrave 1927): eine böse (malevola) Königin der Franken namens Brunechild habe den hl. Wilfrid, den ersten Erzbischof von York (634—709) verfolgt, und nur durch seine Furchtlosigkeit sei er wunderbar gerettet worden. Eddius vergleicht sie daher mit der pessima regina Jezabel, quae prophetas Dei occidit. Die Schrift des Eddius entstand im Nordhumberland noch vor 720. Der Ruf dieser Königin, f 613, war schon damals geteilter Natur. Im 'Chronicon St. Neoti', das der Normannenzeit angehört, an dieser Stelle aber wesentlich den 'Annales Uticenses' zum Jahre 556 folgt, wird von ihr noch harmlos berichtet: Hoc tempore (nach 534) Sigebertus, rexFrancorurn, occisus est fraude Hilperici, germani sui, cum quo bellum inierat, regnumque eius Childebertus, filius, eius, adhuc puerulus, cum Brunihilde matre regendum suscepit (Asser, ed. Stevenson, S. 120). Daß ihr Papst Gregor 601 einen schönen Brief schrieb, um ihre Hilfe für die ags. Mission zu erlangen, hat ihr sogar einen Platz in Mignes Patrologia verschafft (Bd. 77, S. 796). Aber in der Lebensbeschreibung des hl. Columban erscheint sie als dessen Verfolgerin und wird bereits mit der biblischen Jezabel, der Prophetenverfolgerin im Buch der Könige, verglichen: Gerüchte, woraus auch Eddius schöpfte (Colgrave, S. 154). Sie gehörte also zu den Merowingerinnen, die man in dem bis 655 heidnisch gebliebenen Mercien nicht sonderlich schätzte, und scheint die Phantasie auch der christlichen Kreise im nordwestlichen England noch lange hinaus rege beschäftigt zu haben. Allerdings ist die Glaubwürdigkeit der Hs. C in diesem Punkte aus sachlichen
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Gründen bestritten; die zweite Eddiushs. (Bodl., Fell Collection), etwas jünger, um 1200 geschrieben, wird von den Herausgebern Mommsen, Plummer und Colgrave aus triftigen Gründen vorgezogen; sie bietet Baldhftd. Aber ältere Benutzer, unter ihnen ein Beda-Kopist, hielten doch die Lesart Brunechild fest (Colgrave, S. 154). Uns kommt es hier nicht so sehr auf die sachliche Wahrheit an, als auf die sagenhafte Beurteilung dieser Brünhilde, die bereits zur ältesten Formung der Nibelungensage beigetragen haben kann; unwahre Gerüchte sind für die Phantasie der Dichter oft sehr anlockend. Ob diese Gerüchte gerade aus einem frühen Nibelungenlied stammen mochten, bleibt natürlich in der Schwebe; aber wenn man die Momente sammelt, die zur Ausbildung oder Verbreitung der Nibelungensage mitwirken konnten, so ist das Zeugnis des Eddius-Schreibers immerhin berücksichtigenswert. Das gemeinsame Ergebnis dessen, was über die großen Sagenzyklen von Ermanrich, Dietrich und den Nibelungen oben vorgebratht wurde, kann man dahin zusammenfassen, daß je älter und ursprünglicher deren Sagenform gewonnen wird, sie um so mehr aussieht wie eine Fortführung antiker Heldenepik, nur mit germ. Umbenennung der Personen, Völker und Länder sowie mit germ. Umbildung von Sitten und Idealen. Auf dem Wege, den sie nach Island nahm, konnte ihr die englische Insel als natürliche Etappe dienen; ist doch auch die westsächs. Königsgenealogie (Scefing-Sceaf) aus Glastonbury, 10. Jh., nach dem Norden gewandert.
Siegmund,
Siegfried und Brünhilde in Ortsnamen des nordwestlichen Englands.
Durch Studien über me. Ortsnamen wurde ich auf das Urkundenbuch der Abtei Cockersand im nordwestlichen Lancashire aufmerksam. Es wurde von einem Bruder dieses Klosters, Robert de Lachford, in den Jahren 1267 bis 1268 zusammengestellt und von William Farrer für die Chetham Society herausgegeben (Chartulary of Cockersand Abbey of the Premonstratensian Order, 7 Bände, 1898—1909. 1. Hier begegnet (S. 627 f.) die Landschenkung eines Edriche de Sivirdeleie (Randglosse: Sivirdeleie) an das genannte Kloster. Die Urkunde stammt aus den Jahren 1199 bis c. 1220. Das Land lag bei Windle (me. Windhull) im südwestlichen Lancashire; nach der Beschreibung der Grenzen enthielt es Eichen, sikam, rivulum, magnarn ripam. — Weitere Schreibungen dieses Ortsnamens finden wir in Lancaster Assizes, 25. Oktober 1202: Syfrethelegh (S. 609 Anm.); in einer Schenkung von Edriches Enkel Robert, gemacht c. 1268 bis c. 1272: Siuerthelege (Randglosse: Siverdelege) und Siuerdeslege (S. 629); in einer zweiten Schenkung dieses Robert von 1271 oder 1272: Suvertheleis, Suverthelehe (S. 629 f.); in einer Aufzählung von Orten, an denen der Abt von Cockersand gewisse Patronsrechte 1292 ausübte, als Siverdeleye (Hs. Niverdeleye, S. 1113); in einer Liste von zahlungspflichtigen Gütern, die das Kloster in West Derby, einer Pfarrei im südwestlichen Lancashire., 1251 besaß, als Siverthelee (S. 1221). Die gelegentliche Schreibung u für i neben Labialis hat nichts Bedenkliches; vgl. im selben Cockersand Chart. Wunemerleye für Win(d)merleye S. 1389. Über ags. leah, me. lei(h) und im Norden lee, in der Bedeutung 'niedriges, dem Wald abgerungenes Gelände, Wiese, Feld' vgl. Middendorff, Ags. Flurnamen, S. 86. 2. In demselben Urkundenbuch steht eine Schenkung von Ricardus Banastre an das Kloster aus den Jahren 1240—68, betreffend unam acram . . . in Tarlton (heute Tarleton im mittelwestlichen Lancashire) . . . cujus utia extremitas tendit versus Askelon, et altera versus Burnildesgate (S. 464). — Für ags. y ist in diesem Denkmal « die vorherrschende Schreibung; vgl. Mulnebec Mulnefeld, Mulnesti S. 1377 u. ö. Über -gate, das vom ags. plur. gatu = Tür, ne. gate, oder von altn. gata — Weg, Gasse, kommen kann, vgl. Wyld, Lancashire Place Names, S. 331 f.
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Siegmund, Siegfried und Brünhilde in Ortsnamen des nordwestlichen Englands.
3. Ebenfalls im Cockersand Chart, ist eine Schenkung von Thomas de Clapham an das Kloster verzeichnet, aus der Zeit 1220—1250, betreffend quoddam mesuagium in villa de Clapham (im Norden des WestRiding Yorkshire, Wapentake Ewecross) cum una roda terrae et quatuor •percatis sub Brunildeberge (S. 969). Über berg(h) von ags. beorh = Hügel, auch Grabhügel (z. B. Baldheresberge), vgl. Wyld, S. 289. 4. Alle diese Ortsnamen sind heute verschwunden. Aber Simondstone aus Sigemundes tun und Simonswood aus Sigemundes wudu sind noch vorhanden, beide in Lancashire, jenes seit 1259 nachweisbar, im Nordosten der Grafschaft, dieses seit 1206—7 nachweisbar, unweit Liverpool (Wyld, S. 233). Ob auch Simonstone im North-Riding Yorkshire, eine englische Meile nördlich von Hawes, hierher gehört, vermag ich aus Mangel an älteren Formen nicht zu entscheiden. Die von Binz, P P B X X 191, erwähnten Ortsnamen mit Simond- liegen alle im Süden. Fernzuhalten ist Burnaston im südlichen Derbyshire, obwohl es bestechend klingt, daß der Name 1353 als Brunaldestone, 1423 als Brynnaldston vorkommt (H. J. Ellis and F. B. Bickley, Index to the Charters and Rolls in the British Museum I, 1900, S. 132). Domesday Book 275b bietet Burnulfestune; Testa de Nevill 9b Brunolviston\ Urkunden aus der Zeit Heinrichs III. und später (im Index) zeigen Brunufyston. Der erste Bestandteil war also ursprünglich Byrn(e)wulf, mit späterer Ablenkung nach Bym(e)wald.
Zur Gotensage bei den Angelsachsen» Binz in der wertvollen Abhandlung 'Zeugnisse zur germanischen Sage in England' (P. B. Beitr. X X 141 ff.) hat den Angelsachsen nur eine sehr beschränkte Kenntnis der Gotensage zugeschrieben. Von Ermanrich sei ihnen bald nach der Eroberung die ganze Sage fremd geworden (S. 209). Der Erzählungskreis des Dietrich von Bern habe sie überhaupt nicht erreicht oder habe ihnen wenigstens kein lebhafteres Interesse abgewonnen (S. 2 1 3 f.). Die Gestalten des Witich und Heime seien bei ihnen noch nicht, wie in der deutschen und nordischen Sage, in die Umgebung Dietrichs einbezogen gewesen (S. 211). Berichte von Walther und Hildegunde seien zwar schon am Ende des 7. Jahrhunderts in England verbreitet gewesen, doch scheine keinerlei ags. Originaldichtung darüber erhalten. Die vorhandenen Walderefragmente habe wohl nur ein schreibkundiger Angelsachse aus einer ahd. Vorlage übernommen (Kögels Hypothese, S. 2 1 7 ff.). Danach bliebe allerdings für die sonst ungemein sagenkundigen Angelsachsen wenig Wissen von der Gotensage übrig. Diese Ansichten sind mir stets bedenklich gewesen. Die Gotensage ist ja nicht bloß die großartigste Ausgeburt altgermanischer Heldendichtung, sondern auch ihr Kern und Mittelpunkt, mit dem man schon früh die übrigen Sagen möglichst in Verbindung zu setzen suchte, um ihnen mehr Bedeutsamkeit zu geben. Ohne sie wäre alles Sagenwissen der Angelsachsen ein zusammenhangsschwacher Haufe von Einzelheiten, eine Eiche mit reichem Zweigwerk und hohlem Stamm. Ohne die Arbeit von Binz herabsetzen zu wollen, möchte ich daher an eine Nachprüfung der einschlägigen Partien gehen. Zunächst die Gründe von Binz betreffs Ermanrich. Die Angelsachsen sollen ihn früh vergessen haben, weil er in ihrer Namengebung nahezu fehlt. Ein vorchristlicher König heißt Irminric, dann niemand mehr. Wir stehen also vor dem Argument der Namenkritik. Aus dem Vorkommen sagenmäßiger Personennamen können wir ohne Zweifel viel Sagengeschichte lernen, besonders wenn sie massenweise und in charakteristischer Gruppierung erscheinen; aber dürfen wir auch negativ aus ihrem Fehlen ohne weiteres auf den Mangel einschlägigen Wissens schließen? Hengest war ein Hauptheld der Finnsage, deren Beliebtheit bei den Angelsachsen sowohl aus zwei poetischen Denkmälern als aus zahlreichen Ortsnamen in früh besiedelten Grafschaften erhellt, wie Binz selbst
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gezeigt hat (S. 179 ff.). Hengest hieß zugleich der erste germanische Eroberer in Britannien, den die ags. Erinnerung kennt. Doch vergebens sucht man einen zweiten Angelsachsen seines Namens. Nach Karl dem Großen, dem Helden einer noch bedeutenderen Geschichte und Sage, hat es Jahrhunderte gedauert, bis sein Name außerhalb seiner Familie Verwendung fand. In unserer eigenen Zeit und Umgebung sehen wir seit 1870 zahlreiche Wilhelme und manchen Hellmut, während Blücher wohl nur wenige Gebharde hervorrief. Dürfte deshalb ein späterer Geschichtsschreiber etwa schließen, die Gestalt Blüchers habe die Phantasie unseres Volkes nicht beschäftigt ? Die Bewunderung von Heldengestalten ist nur einer von den Faktoren, die bei der Namengebung in Betracht kommen; viele andere sind daneben wirksam. Vielleicht war der Ermanrich der Sage den Angelsachsen ein zu grausamer König; man nannte auch nicht nach Judas oder Ganelon, gerade weil man sie kannte. Überdies besitzen wir nur einen kleinen Bruchteil von ags. Personennamen; aus der Nordhälfte des Landes fast nur die der Mitglieder von Lindisfarnes und Durhams Gebetsbruderschaft (Liber vitae); aus der Südhälfte vorwiegend die Zeugen der Urkunden, die uns der Zufall aufbewahrte; wie viele Ermanriche mag es da noch gegeben haben, bis in der Zeit König Alfreds überhaupt die Sagennamen zurücktraten, und die glückverheißenden Zusammensetzungen mit Ead-, /Epel-, ¿Elf- und dgl. in die Mode kamen! Weit natürlichere und verläßlichere Zeugen für die Verbreitung einer Sage dünken mich die literarischen Denkmäler, wo solche vorhanden sind; und zwar möchte ich das Vorkommen Ermanrichs in diesen nicht bloß zählen, sondern auch wägen. Mit Gewalt ist in den Beowulf (1197 ff.) eine Anspielung auf Heime und die searontdas Ermenrices hereingezerrt, um ein dem Beowulf gegebenes Halsband als das allerberühmteste zu bezeichnen; die 'Feindschaftstücken' des Ermanrich werden nicht einmal klargestellt, so gut weiß der Dichter seine Umgebung damit vertraut. Deor, der klagende Sänger, zählt unglückliche Personen der Heldensage in steigender Reihenfolge auf: zuerst einzelne — Weland und Baduhild; dann Völker: Gauten und Dietrichs Goten; den Höhepunkt aber liefert die Gewaltherrschaft Ermanrichs über sein ganzes Königreich. Die deutlichsten Zeugnisse endlich finden wir in "Widsith". Dieser weitgereiste Sänger kennt keinen berühmteren Hof als den des Ermanrich; ihn und den Hunnenkönig Attila stellt er in der geschlossenen Liste germanischer Könige, von denen er weiß, an die Spitze; mid Hunum and mid Hred-Gotum, also mit den Völkern der Ermanrichsage, beginnt er die Liste der ihm bekannten Völker; als Hausgenossen Ermanrichs nennt er eine Blütenlese von verschieden-
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artigen Helden, von gotischen, fränkischen, langobardischen, burgundischen, so daß klar wird: dieser König stand ihm richtig im Mittelpunkt aller Heldensage. Außer den angezogenen Dichtungen sprechen noch einige prosaische Anspielungen teils in Latein, teils in der Volkssprache für ags. Kenntnis der Sage von Ermanrich oder doch von den Goten überhaupt. So das Vorkommen der Personennamen Etla und Blcedla im 'Liber Vitaewie anders als durch die Gotensage wären wohl Angebachsen des 9. Jahrhunderts zu hunnischen Namen gekommen ? Ferner die Erwähnung der Hunnen neben Rugiern, Dänen und anderen nordwestlichen Germanenvölkern in Bedas Geschichte der ags. Kirche (V, 9); der gelehrte Mönch von Jarrow mag auf diesem Gebiete, wo ihn die Buchquellen so ziemlich im Stich ließen, wohl einmal der Geographie der Heldensage gefolgt sein; stehen doch auch im Widsith (57) die Hunnen und Goten knapp neben den Schweden, Gauten und Süddänen, als den Nachbarn der Goten in deren ursprünglichen Sitzen. Endlich ist eine Beifügung Alfreds in der Orosiusübersetzung zu beachten, wo er die Römerprovinz Dacien erwähnt: pä pe tu wkron Gotan (Sweet, S. 16). Gewiß entspricht diese Notiz nicht bloß der Sage, sondern auch der Geschichte; aber daß aus den mannigfachen Sitzen, die die Goten nach der Geschichte vorher und später innehatten, gerade der hervorgehoben und mit einer gewissen Ausschließlichkeit hingestellt wird, in dem sie als Nachbarn der Hunnen und Untertanen Ermanrichs in der Heldensage erscheinen, gibt bei dem sagenkundigen König Alfred immerhin zu denken. Was dann die Sage des gotischen Dietrich bei den Angelsachsen betrifft, zieht Binz für seine skeptische Ansicht wieder zunächst die Personennamen heran. Er betont, peodric sei ags. spärlich zu finden, vor dem 'Doomsdaybook' nur bei einem altnordhumbrischen König und einmal im 'Liber Vitae'. Das ist richtig; aber die Folgerung aus der verhältnismäßig gar nicht argen Seltenheit dieses Namens auf Unkenntnis der Sage bleibt ebenso bestreitbar wie bei Ermanrich. Auch mag bei jenem nordhumbrischen König Theodric hervorgehoben werden, daß sein Bruder Theodhere hieß, ganz wie der Bruder des Dietrich von Bern, daß also zwei Namen in gleicher Verwandtschaft erscheinen wie in der Gotensage, und daher das Nachleben der Sage hier wahrscheinlicher ist als das des bloßen Namens. Ferner sagt Binz, daß von poetischen Originaldenkmälern der Angelsachsen eigentlich nur Deor auf Dietrich von Bern hindeute; der Theodric des Widsith sei nicht der ostgotische König, sondern der fränkische Wolfdietrich. Das ist wieder richtig; aber vielleicht hatte sich der Widsithdichter bei den Goten zu sehr auf den älteren B r a n d l . Forschungen und Charakteristiken.
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König Ermanrich und dessen Kreis festgelegt, um zugleich das jüngere Gotengeschlecht des Dietrich zu berücksichtigen. Einen vollständigen Katalog seiner Sagenkenntnis zu geben war ohnehin schwerlich seine Absicht, denn er hat auch Beowulf, Hoc, Hnaef, Hengest und andere den Angelsachsen geläufige Heldenkönige übergegangen. Die Dietrichanspielung im Waldere endlich soll nach Binz für unsere Frage keine Geltung haben, weil der ags. Waldere nur eine Übersetzung aus dem Ahd. sei. Das beruht auf einer von Kögels kühnsten Hypothesen und zwingt mich, auf die Originalitätsfrage des ags. Waldere näher einzugehen. Das Kögeische Beweismittel — angebliches Vorkommen von spezifisch ahd. Wörtern im ags. Text — hat Binz selbst scharfsinnig entkräftet (S. 217 f.). Dennoch pflichtet er ihm bei, 'wegen der zweifellosen Übereinstimmung des Waldere mit dem lateinischen Waltharius in der ganzen Behandlung des Stoffes und wegen der fast völligen Gleichheit im Inhalt mit der ahd. Sagengestalt, wie sie Eckehart überliefert'. Tatsächlich finde ich aber in den knapp 60 Versen, die wir vom ags. Waldere besitzen, schon recht beträchtliche Inhalts- und Charakterabweichungen vom Epos Eckeharts. Waldere hat den letzten Waffengang nicht mit zwei Gegnern auszufechten wie Waltharius (Gunther und Hagen), sondern nur mit einem (mit Gunther). Ferner ist der gegnerische König beträchtlich drohender und gefährlicher als bei Eckehart. Hildegund, die sich im Waltharius fürchtet, spielt hier die Beherzte und ermutigt ihren Geliebten zum Entscheidungskampf. Wahrscheinlich war im ags. Epos auch der Ausgang für Waldere ein rein glücklicher; denn sein und Hildegunds Gottvertrauen ist so außerordentlich betont, daß es kaum enttäuscht werden kann; er hat gegenüber dem einzigen Gegner mehr Chance, und zugleich führt er das Wunderschwert Miming in der Hand. Für 60 Verse sind dies wohl Abweichungen genug. Noch stärker aber fällt ins Gewicht, daß sie meist zur Walthergeschichte in der altn. Thidreksaga stimmen: auch da hat der Held schließlich nur mehr einen Gegner (Hagen); Hildegund mahnt ihn zu tapferer Abwehr; sein Sieg ist ein völliger, nicht einmal durch eine Wunde getrübt. Überdies klingt der Ruhm des Miming, wie das Schwert des ags. Waldere heißt, durch die ganze Thidreksaga, während Eckehart den Namen von Walthers Schwert nicht mehr weiß. Endlich gewinnt Hildegunds Anrede an Waldere als /Etlan ordwiga aus dem Epos Eckeharts keine Erklärung, da dies die ganze hunnische Vorgeschichte überspringt, wohl aber aus der Thidreksaga, wo Walther einmal direkt als Attilas Bannerträger erscheint (Kap. 307). Schwerlich sind alle diese Dinge bloß dem lateinischen Bearbeiter der ahd. Sage auf die Rechnung zu setzen.
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Da überdies der Name Waldere bei den Angelsachsen für Personen sowie für Orte (Walderes weg, Walderes well: Binz, S. 219) beliebt war, glaube ich eher, daß die ags. Dichtung im allgemeinen eine ältere Form der Sage darstellt, als sie bei Eckehart erscheint und Eckehart vorlag. Wird dies zugegeben, gilt der ags. Waldere für so weit original als es bei Bearbeitungen von Heldensagen üblich und zu erwarten ist, so haben wir nicht bloß eine ausführliche ags. Notiz über Taten Dietrichs von Bern, nämlich gegen die Riesen, sondern wir sehen Dietrich auch in Verbindung mit Witich, also mit der Familie Welands: ihm soll er ja, als seinem getreuen Helfer, den Miming zugedacht haben (Waldere B, 4). Letzteres erinnert wenigstens insofern an die Thidreksaga, als in dieser Witich ebenfalls ein tapferer Kämpe des Dietrich ist und den Miming, den er ihm einmal leiht, von ihm zurückerhält. Es gibt aber noch zwei literarische Zeugnisse zur Dietrichsage in Altengland, die Binz nicht berücksichtigen konnte, weil sie erst nach der Veröffentlichung seiner Studie ans Licht kamen. Das eine steht in einer geistlichen Prosaschrift, in der man es am wenigsten suchen möchte: im 'Martyrologium' (Mitte 9. Jahrh.). Beim Bericht, wie Papst Johannes vom Gotenkönig Theodoricus erschlagen wurde (18. Mai, in Herzfelds Ausg. S. 84), heißt es da: fxzt was Theodoricus se cyning, jone wé nemnad péodric. F. Liebermann, der auf die Stelle aufmerksam machte (Archiv CV 87), schließt daraus mit Recht, daß der Verfasser des Martyrologiums und seine Umgebung die gotische Dietrichsage kannten. Das schlichte Sätzchen spricht deutlicher für ihre Verbreitung, als Dutzende von Personennamen tun könnten, da sich ja Namen oft Jahrhunderte lang forterben, ohne von den Trägern noch verstanden zu werden. Jetzt wird man auch mehr als bisher geneigt sein, in Alfreds Vorwort zur Boethiusübersetzung, da wo er Dietrich als Amalinga bezeichnet, mit Müllenhoff einen Nachhall der Gotensage anzunehmen. Ein zweites Zeugnis tauchte 1896 auf, als M. James eine Peterborough-Hs. des früh-13. Jahrhunderts untersuchte: es ist das WadeFragment (gedruckt Academy 1896, I 137, danach in Kluges Ags. Lesebuch 3 1902, S. 130). Es zeigt ungefähr dasselbe zwischen Stabund Endreim schwankende Versmaß wie Laghamon und verrät durch die Fehlschreibung patez statt wate{re)z eine Vorlage aus der Zeit, als man noch die W-Rune schrieb. Wade, in englischen Personen- und Ortsnamen vielfach nachlebend, als Romanzenheld neben Havelok direkt bezeugt, am besten aus der altn. Thidreksaga bekannt als der Sohn eines Meerweibes und der Vater Welands, erscheint da zwischen Elfen, Nattern und Nickern, und nur ein Mensch ist außer
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ihm noch in dieser seltsamen Umgebung: Hildebrand. Wie kommt der Gote Hildebrand zu Wade? Ich weiß aus alter Germanensage dafür keine Parallele; wohl aber tritt Hildebrand sehr klug und sorglich an Witich, den Sohn Welands und Enkel Wades, in der Thidreksaga heran, sobald es sich um den Eintritt dieses wichtigen Kämpen in den Kreis des Dietrich von Bern handelt. Vermutlich liegt daher, wie so oft in alten Sagen, eine Verwechslung von Großvater und Enkel vor. Auf solche Weise wird das Fragment wenigstens verständlich. Wenn Chaucer in der Erzählung des Kaufmanns von Wades Boot spricht, ist deutlich eine ähnliche Verwechslung eingetreten: gemeint kann nur das Boot mit Glasfenstern sein, das der geschickte Schmied Weland in der Thidreksaga fertigt; im Englischen ist es mit verräterischem Ungeschick dem Riesen Wade zugemutet. Eine weitere literarische Nachwirkung der Gotensage liegt vermutlich vor in dem bisher wenig beachteten 1 Kapitel von Walter Maps 'Nugae curialium', das betitelt ist 'De Gadone milite strenuissimo' (ed. Th. Wright, Camden Soc. 1840, S. 85 ff.). Map schrieb sein Werk am englischen Hof in den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts und begann das Kapitel über Gado mit Worten, die mit für dessen weite Bekanntheit zeugen: Gadonem miramini merito quasi stabilem inter procellas rufem. Vermutlich schöpfte er aus älterer schriftlicher Überlieferung, wobei er den Stoff mit zeitgemäßen Rittersitten und der ihm persönlich eigenen Satire auf Rom verbrämte. Der Name seines Helden ist nämlich eine normannisch-lateinische Umformung von Wade (Gwaie, latinisiert zu Gwado, verlesen als Grado 2, dann Gado), an dessen Sagengestalt außerdem noch erinnert: sein herkulisches Wesen und seine Abstammung von einem rex Wandalorum (nach der Thidreksaga war Wade der Sohn des Ostseekönigs Wilkinus). Auch daß er alle Weisheit kennt, alle Sprachen redet, über Fische, Vögel und Raubtiere Gewalt hat und die Meeresküsten bis nach Indien abstreift, also bis an die Grenze der Menschheit und Fabelwesen, stimmt zu dem, was die Thidreksaga über seine Herkunft von einem Meerweib und das Wadefragment über seinen Umgang mit Elfen, Nattern, Nickern weiß. Dagegen erinnert seine Lage und sein Tun in einer Reihe charakteristischer Punkte wieder an die Kapitel der Thidreksaga von Wittich, dem Enkel Wades. Gado hat zuerst einem jugendlichen Heldenkönig gedient, der ihn dann freiwillig und auf das freundlichste ziehen ließ. An diesen König erhebt der Herrscher Roms, angereizt von schlechten Höflingen, auf einmal eine Tributforderung und sammelt auch sofort ein großes ' Doch vgl. F. Liebermann, Mon. Germ. Hist., Scriptores X X V I I , 68 f. 1 Hs. zu Anfang zweimal Grado, was am ehesten aus einem Gwado mit w-Rune in der Vorlage zu erklären ist.
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Heer zu einem Einfall. Gegen den Willen des starken Gado wäre das jedoch ein schwieriges Unternehmen; so wird es mit Falschheit hinter seinem Rücken eingefädelt. Er tritt aber rechtzeitig vor den Romherrscher und erklärt sich mit unbeugsamem Rechtsgefühl gegen den Krieg. Dann geht er zum bedrohten König und mahnt dessen Heer zu den Waffen. Endlich rettet er an einem Tore nächst den Römern einen tapferen Jüngling, auf den sich deren ganzes Heer stürzte, lediglich mit seinem furchtbaren Schwert. All das hat seine Parallelen in den Kapiteln der Thidreksaga, die von Witichs Stellung zwischen dem Romherrscher Ermanrich und Dietrich von Bern handeln. Witich ist dem jugendlichen Gefolgsherrn Dietrich lange ein treuer Mann gewesen. Sobald der Romkönig Ermanrich sich von Sibich zu Tributforderung und Kriegsrüstung (261) gegen Dietrich aufhetzen läßt, hält ihm Witich das Schändliche seines Tuns vor; dann reitet er zu Dietrich, um ihn zu warnen (263). Endlich rettet er, zu Ermanrich zurückgekehrt, den ebenso rechtstreuen Heime, auf den sich die Schar von Ermanrichs Mannen stürzen wollte, indem er sich mit seinem Wunderschwert Miming mitten in das Tor stellt (266). Nur die Nebenumstände sind bei Map frei verändert und besonders die Namen phantastisch entstellt: sein Imperator Romanus heißt Cunnanus, was er selbst als cunnus et anus deutet; der angegriffene König ist bei ihm der Mercier Offa, der nach der Geschichte einmal mit Karl dem Großen in Spannung geriet, und der gerettete Kämpe wird als Suanus bezeichnet, was sich wie die Lateinisierung eines ags. swän — 'Bursche' ausnimmt. E s ist daher zu vermuten, daß abermals eine Übertragung von Zügen Witrichs auf seinen Großvater Wade stattgefunden hat, und zwar durch Angelsachsen, denn Dänen oder Normannen hätten schwerlich die Geschichte gerade an den Angelnkönig Offa geknüpft, der ihnen ja völlig fernlag. Bei dieser Gelegenheit möchte ich im Vorbeigehen auf einen Punkt hinweisen, der mir für die Quellen der Thidreksaga bezeichnend scheint. In der Thidreksaga wird Ermanrich durch den falschen Sibich zu zwei Tributforderungen veranlaßt: zu der an Dietrich, die zu wichtigen Begebenheiten führt, und überdies zu einer an einen ungenannten König der Angeln; zum letzteren schickt er seinen Sohn Reginbald, der aber auf dem Meer ertrinkt, so daß das ganze englische Abenteuer eine kurze, folgenlose Episode bleibt (Kap. 52 f.). Es wäre leicht möglich, daß hinter diesem Angelnkönig der Thidreksaga der Offa des Map steckt. England ist auch sonst dem Kompilator der Thidreksaga bekannt (Kap. 51). — Ferner gibt es zu denken, daß in der fabulosen 'Vita Offae V ein König Riganus und sein Sohn Hildebrandus dem blinden und stummen Angelnprinzen Offa nach
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der Krone streben (Matthaeus Parisiensis ed. W. Watts, 1684, Anhang 961 ff.); die Unruhstifter sind hier also ebenso Vater und Sohn wie in der Thidreksaga, und der Name des Sohnes klingt sehr gotisch. Vielleicht besteht daher ein innerer Zusammenhang zwischen den drei Geschichten in der Weise, daß verworrene Trümmer der ags. Gotensage zu ihrem Bau mit verwendet werden. Fassen wir das besprochene Material zusammen, das sichere und das halb sichere, so fällt zunächst die große zeitliche Ausdehnung auf, in der uns ags. Kenntnis der Gotensage begegnet: vom altnordhumbrischen Bruderpaar Theodric und Theodhere im 6. Jahrhundert bis zum Anfang der mittelenglischen Periode herab. Auch sind die Belege von bemerkenswerter Buntheit: poetische und prosaische, lateinische und englische, ausführliche Geschichten und knappste Andeutungen, bald mit festländischen Fassungen übereinstimmende, bald so aparte, daß man sie, wie die im "Deor", nicht mehr recht versteht. Offenbar haben die verschiedensten Kreise, spielmännische, gelehrte und gewöhnliche, sich für die Gotensage interessiert. Meist sind überdies die Anspielungen so eingeführt, daß man sieht, die Hörer oder Leser waren mit den Geschichten bereits vertraut; ein paarmal ist es ausdrücklich gesagt: im Martyrologium und bei Walter Map. Eine wenig gekannte Sage wäre anders behandelt worden. Wann aber soll eine so breitfußende Überlieferung, die den Stempel heidnischer Wildheit stark an der Stirn trägt, nach England gekommen sein? Sobald einmal das Christentum Fuß gefaßt hatte, war dafür kein Boden mehr. Einer Masseneinwanderung gotischer Sage nach 597, wo die Mission einsetzte, wäre die Geistlichkeit ebenso entgegengetreten, wie sie es gegenüber den heidnischen Mythen der Dänen im 10. Jahrhundert nachweislich und mit Erfolg tat. Von vornherein ist daher nach den ags. Kulturverhältnissen zu erwarten, daß die Gotensagen bereits mit den germanischen Eroberern herüberkamen. Dazu stimmt die Behandlung aller einschlägigen Namen: sie sind tadellos nach den urags. Lautgesetzen entwickelt, selbst wenn sie wie * Attila > Etla, *Blceä,ilo > Blcedla keineswegs aus geläufigen ags. Wörtern zusammengesetzt waren. Bei den altnordhumbrischen Königssöhnen Theodric und Theodhere ist schon durch ihre frühe Zeit (geb. vor 560) eine andere Einbürgerung ausgeschlossen. Alles deutet darauf hin, daß die Gotensagen bereits im 6. Jahrhundert nach England gelangten, und nichts Stichhaltiges läßt vermuten, daß sie nachher vom Festland her noch eine wesentliche Vermehrung erfuhren. Unter solchen Umständen wird der ags. Bestand, selbst wenn man mit der Möglichkeit rechnet, daß die Angelsachsen mancherlei
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selber hinzu ersannen, zu einem Stützpunkt, von dem aus wir auch die festländische Beschaffenheit der Gotensage um die Mitte des 6. Jahrhunderts erschließen können. Die Gestalt Theoderichs muß schon wenige Jahre nach seinem Tode (526), offenbar unter dem frischen Eindruck seiner machtvollen Persönlichkeit, ins Übermenschliche gesteigert worden sein. Damals haben wir uns bereits die Keime zu seinen Riesen- und Elfenabenteuern zu denken — laut 'Waldere' und Wadefragment —, mit denen wir ihn im 15. Jahrhundert im 'Heldenbuch' phantastisch ausgestaltet finden. Auch seine Verbindung mit der Welandsage, speziell mit Wade-Witich, scheint uralt.
Medea und Brünhilde. Vergessen wir zunächst, was wir von Brünhilde aus dem Nibelungen-Epos und aus den Wagner-Opern wissen. Beschränken wir unsern Blick auf die früheste Darstellung, die uns von ihr erhalten ist, auf das 'Alte Sigurd-Lied' der Edda, das mit den anderen einschlägigen Edda-Gedichten von Felix Genzner schön übersetzt und von Andreas Heusler mit ausgezeichneter Kritik erläutert ist (Jena, bei Diederich, 1 9 1 2 ) . Als königstolze Reckenjungfrau und ausgestattet mit einem Kampfesnamen — hild bedeutet 'Schlacht' — will sie nur dem stärksten Helden angehören, hat sich daher mit einer wabernden Lohewand umgeben, und da Sigurd (für Siegfried) von allen allein diese durchreiten kann, wird sie glücklich dessen Frau. Aber die Liebe bringt ihr verhängnisvolle Wirrung: Sigurd ist schon vermählt, mit der Schwester des Königs Gunther vom Rhein genannt Gudrun; er hat in der Gestalt seines Schwurbruders Gunther die ahnungslose Brünhilde überwunden und sich mit ihr vermählen lassen; treu dem Schwurbruder legt er in den ersten drei Nächten zwischen sich und Brünhilde ein Schwert. Die Getäuschte erfährt das Geheimnis erst lange hinterdrein durch ein ruhmrediges Wort von Gudrun, die von Sigurd den Trauring Brünhildens erhalten hatte: Weib gegen Weib! Aus gekränktem Stolz, weil sie Gudrun den besseren Recken nicht gönnt, veranlaßt sie jetzt die Ermordung Sigurds durch Gunther und dessen Gefolgsmann Hagen, lacht gellend über die Blutkunde und sagt zugleich weinend um ihn den Untergang des Gunther-Geschlechtes voraus. Ihr letztes Wort gilt der Erinnerung an das trennende Schwert im Ehebett, dessen Sinn ihr offenbar erst nachträglich aufging. W a s hat jetzt die Überkönigliche noch unter den Menschen zu tun? — so mögen wir am Schluß uns fragen und ihre tragische Größe bewundern. Urgermanisch-originell klingt dies Lied von der Frau der beiden Schwurbrüder; eine Sondergepflogenheit unserer Vorfahren liegt ihm zugrunde; nach der Zeit der Reckendichtung hätte es kein E r zähler mehr mit Wahrheitskraft zu erfinden vermocht. Dennoch erinnert der weibliche Kern der Geschichte, das Wollen und Tun Brünhildens, bei näherem Zusehen in wesentlichen Zügen an eine wohlbekannte Gestalt der alten Griechensagen. Medea war Königstochter von Kolchis, eines für die griechischen Epiker und ihre Leser ebenso fernen Fremdlandes, wie es Brünhildens
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nordische Wehrburg für die Leute in Gunthers Gegenden am Rheine war. Medea entsagt ihrer Familie nur, um dem besten der heranziehenden Abenteurer die Hand zu reichen: Jason und Siegfried sind ja beide Drachentöter. Medea glänzt als Zauberin, und wie anders sollte sich Brünhilde mit der furchtbaren Waberlohe umgeben haben ? Treu und zugleich untreu ist ihr Jason, denn sobald er vom Argonautenzuge nach Hause gekehrt ist, tritt das angestammte Griechentum bei ihm wieder in seine Rechte, und es ist jetzt begreiflich, daß er die Kulturgenossin Kreusa der mitgebrachten Barbarin vorzieht, während Siegfried seine Brünhüde in ebenso begreiflicher Weise durch seine Intaktheit gegenüber dem Schwurbruder aufgibt. Aus dieser Zwiespältigkeit im Tun der Helden aber fließt wieder eine seltsame Doppelempfindung bei den Heldinnen: Medea würde ihrem Jason gern das Leben gönnen, natürlich an ihrer Seite, und will sich eigentlich nur an seinem Geschlechte rächen: was mit dem Weinen Brünhildens über Siegfrieds Tod und ihrem schrecklichen Lachen über das Verderben seiner Mörder in Parallele steht. Beide Rächerinnen verfallen am Schlüsse der Vereinsamung; Medea entfährt auf ihrem Drachenwagen; von Brünhilde wird uns angedeutet, daß ein Weiterleben in Rechts- und Sippeverband für sie nicht mehr denkbar ist. Der Vergleich der beiden Fabeln zeigt uns vor allem, wie seelenkundig und folgerichtig ihre Dichter vorgingen. Halb ist immer die Schuld des Liebhabers, halb die Befriedigung der Rächerin. Hoch und geradlinig bleibt immer der Charakter der Heldin; trotz ihres fürchterlichen Tuns können wir sie verstehen. In zweiter Linie erhebt sich dann die Frage: Ist der germanische Dichter bei so viel Kunst auch unabhängig von der weitaus älteren Griechensage, oder hat ihm die Antike den Stoff schon in den Hauptzügen zugebracht ? Verwandtschaft braucht an sich noch nicht Abhängigkeit der jüngeren Sage von der älteren zu beweisen. Es gibt ein Selbstschaffen des Stoffes, das zwei Phantasien ganz frei von einander auf ähnliche Wege und Vorgänge führen kann. Handelt es sich z. B. um einen Drachenkampf, so kann ein Sieg, der bekannten Natur des Drachen entsprechend, fast nur durch Rachenstoß oder Bauchaufschlitzung des Ungetüms erfolgen; letztere verlangt entweder ungemeine Jugendgewandtheit des Helden oder einen beherzten Helfer, der den Drachen von der Seite anpackt; in letzterem Fall muß wieder die besondere Verläßlichkeit des Helfers begründet, womöglich durch den Gegensatz zu flüchtigen Feiglingen beleuchtet und am Ende nach Verdienst belohnt werden — hiermit ist eine halbe Geschichte bereits fertig. Ähnlich ist es, wenn das Grundmotiv eine Rächerin betrifft, durch die Natur der Dinge gegeben, daß ihre Leidenschaftlichkeit am ehesten
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aus ehelicher Kränkung auflodert; das gelingt am besten durch ein Doppelspiel des Gatten, das aber doch so begründet sein muß, daß er die Achtung der Frau nicht durchaus einbüßt, denn um einen niedrigen Kerl begeht man kein Verbrechen; je stolzer zugleich die Frau, desto entsetzlicher ihr Wüten — so können eine Medea und eine Brünhilde von selber zu derartiger Ähnlichkeit erwachsen, daß die Verschiedenheit fast nur noch durch die einbezogenen Rechts- und Geschichtsdinge getragen wird. Gemeinsamkeit der Urschöpfung ist bei der Beschränktheit der künstlerischen wie der natürlichen Seelenbewegungen in weitem Umfange stets mit in Rechnung zu ziehen. Ja, man kann sagen, sie kommt in erster Linie für den Sagenforscher in Betracht, wenn nicht besondere Umstände uns geradezu drängen, Borgung von außen anzunehmen. Und solche Umstände sind hier in zweifacher Weise allerdings vorhanden. Einerseits haben wir nämlich die Entstehung der Brünhildensage in der örtlichen Nähe und baldigen Folgezeit des Burgunderuntergangs zu suchen, der im Jahre 437 durch die Hunnen eintrat, den König Gunther der Wirklichkeit samt den Seinen hinraffte und für die weitere Sagenbildung von der Rache Brünhildens — später Kriemhildens — den historischen Hintergrund abgab. Das führt uns zu den Franken bald nach 500, und bei diesen war damals lateinische Bildung durch die christlichen Missionare bereits in lebhaftem Aufblühen begriffen; Schulen der Rhetorik wurden begründet, und zu den Autoren, die man da las, gehörte mit in erster Linie der römische Tragiker Seneca, und in seinem Drama 'Medea' kommt mit beachtenswerter Vollständigkeit alles vor, was ich hier im Vorausgehenden und im Folgenden aus der antiken Berichterstattung über den Argonautenzug nach Kolchis usw. zu sagen habe. Geringer, als man bisher glaubte, erweist sich durch die heutige Forschung der Bruch zwischen Altertumsende und Mittelalteranfang. Nicht bloß Verwaltung und Wirtschaft gingen weiter, sondern auch die Dichtung, ja sogar die griechisch-römische Mythologie fand gerade bei den christlichen Franken eifrige Pflege. Es wäre merkwürdig, wenn ein so hervorragender Dichter wie der erste Erzähler der Brünhildengeschichte im damaligen Frankenlande auf keine Lateinschule gekommen und ohne Kenntnis der in der Kaiserzeit gelesensten Autoren geblieben wäre. Durch die Schultradition lebte Medea fort; wer aber ein solches Erbe antritt, der wird dadurch nicht bloß in seinem Geiste bereichert, sondern — das sehen wir dutzendfach — zugleich in seinem Schaffen unwillkürlich beeinflußt. Andererseits stehen neben dem 'Alten Sigurdlied' in der Edda noch zahlreiche verwandte Brünhilden- und Sigurd-Lieder, die für
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die Urverhältnisse unserer Sage wenigstens einigermaßen mit in Anschlag kommen; denn wer kann mit Bestimmtheit sagen, ob jenes 'Alte Sigurd-Lied' nicht schon Vorgänger hatte und wie viele andere dichterische Zwischenglieder verloren sein mögen? In jenen Nebenund Nachgedichten aber kommen mancherlei Züge vor, die recht auffällig an die Zaubrerin aus Kolchis erinnern. Nach 'Gripirs Weissagung* sollte Sigurd an Brünhilde eine gute Heilkünstlerin gewonnen haben, was die germanischen Epiker später vergaßen; berühmt und berüchtigt dagegen war überall im Altertum die ärztliche Magie Medeas, besonders ihre wundersamen Verjüngungsmittel. Im 'Alten Atli-Liede' femer tötet die Rächerin, die hier an Brünhildens Stelle — unter allerlei sonstiger Verschiebung — getreten ist, ihrem Gatten zwei Söhne, die sie selber ihm geboren hatte, und setzt das Haus in Brand: solches ist auch bei Seneca der Gipfel von Medeas Raserei, und sicherlich nimmt es sich höchst ungewöhnlich aus. 'Brünhildens Heifahrt' heißt ein weiteres Eddalied, wonach die Witwe Sigurds am Ende ihrer Untaten auf einem Wagen in die Unterwelt zieht: gewiß eine auffallende Parallele zu dem Abschiedsflug Medeas bei Seneca auf ihrem Drachengespann in Hecates Totenreich. So viele Übereinstimmungen in seltsamen Einzeldingen geben jedenfalls zu denken. Wer nun zugibt, daß der Keim zur Nibelungensage aus dem antiken Argonauten-Epos anflog, der verzichtet ja in einem wesentlichen Punkt auf einen vermeintlichen Nationalbesitz an Originalerfindung. Stolzer könnten wir auf diesen Geistesschatz unserer Vorfahren blicken, wenn er ganz aus ihrer eigenen Phantasie entsprungen wäre. Auch ist Gefahr vorhanden, daß noch andere Prunkstücke unserer Heldensage auf ähnliche Weise uns wegschwimmen; namentlich mußte ich bereits wesentliche Teile des 'Beowulf' auf die Herkules-Biographie in Vergils Aeneide zurückführen. Die gotische Randmauer am Anfang unserer Heldengalerie, hochbewundert von den Gebrüdern Grimm und eifersüchtig geliebt von unserer Romantikern, droht überhaupt zu zerbröckeln und einer breiten Straße zu weichen. Aber dafür schiebt sich das Alter jener ehrwürdigen Sagen um ein Jahrtausend höher in die Urzeit hinauf, und es stellt sich ein Zusammenhang mit den frühen Hellenen heraus, der unseren Vorfahren gewiß nicht zur Unehre gereicht. Eine imposante Kontinuität der Poesie erstreckt sich von der dämmerig fernen Völkerwanderungszeit der Hellenen über die der Germanen herunter bis Bayreuth und Wahnfried, und speziell hinter dem Reckenweibe Siegfrieds erhebt sich, mit ihr zusammenfließend, das dämonische Leidenschaftsweib des Argonautenführers. Da ist Verlust, da ist Gewinn — man muß es nur richtig erfassen und verwerten, immer aber die Wahrheit am höchsten halten.
Zum ags. Gedichte 'Traumgesicht vom Kreuze Christi'* Die mystische Pracht dieses Gedichtes scheint den vielen Gelehrten, die sich mit ihm bereits beschäftigen, eine A r t Scheu eingeflößt zu haben, es realistisch anzufassen. Kemble, der es zuerst übersetzte, ging über allerlei unverstandene Stellen hinweg, indem er seine Bewunderung für poeticäl beauty und fancy aussprach (Archaeologia X X X , 32). Dietrich, der den Dichter ad dictionem aenigmaticam •propensus nennt, ließ sich durch allgemeine Ähnlichkeiten mit Cynewulfs 'Elene' veranlassen, es demselben Cynewulf zuzuschreiben und mit dem Epilog zur 'Elene' in engste Beziehung zu bringen; hiermit geriet es in den Strudel des Cynewulf-Romans, so daß es noch von Sweet als a portion of the epilogue to the Elene angesprochen wird (O. E . Texts 125). Angesichts der Reden, die das Holzkreuz hält, des Goldes und der Edelsteine, worin es gekleidet, sowie des Blutes, mit dem es immer noch benetzt ist, lag es allerdings nahe, nicht immer klaren Sinn und streng durchgeführte Absicht zu erwarten. Auch der an sich günstige Umstand, daß wir es in doppelter Überlieferung besitzen, hat die Forschung bisher eher verwirrt als gefördert. Das ganze Gedicht, 156 Verse, steht in der Vercelli-Hs., in der wesentlich spätwests. Sprache, die wir bei Kopisten ihrer Zeit, zu Ende des zehnten Jahrhunderts, gewöhnt sind. Vier gesonderte Versgruppen aus der Mitte heraus aber stehen außerdem in rein nordhumb. Dialekt auf dem Steinkreuz zu Ruthwell im südwestlichen Schottland; sie sind nicht vollständig erhalten, mehrfach aus der metrischen Ordnung geraten und an einer Stelle sogar inhaltlich etwas anders gefaßt (tö ßäm cepelinge Verc. 58, oeppilce til änum Ruthw.); immerhin ist an ihrer Zugehörigkeit zum Urtexte nicht zu zweifeln. A m Schlüsse der Steininschrift las Stephens Kadmon ma faucepo (Old North. Runic Monuments 1877), und seitdem bestand die Vermutung, der von Beda beschriebene Hymniker Caedmon sei der Verfasser gewesen. So hatte man durch Jahrzehnte die Wahl, welchem der beiden frühags. Hauptautoren man das krause Erzeugnis zuschreiben sollte: Caedmon aus der zweiten Hälfte des 7., oder Cynewulf aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Erst Vietor hat durch genaue Untersuchung des Ruthwellsteins an Ort und Stelle der Casdmontheorie den Boden entzogen; auf seinem Abklatsch blieb vom vermeintlichen Kadmon nichts mehr übrig als ein d (Die nordhumb. Runensteine 1895 S. 12). Andererseits ist man in neuerer Zeit geneigt, den Stein bis ins neunte
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oder zehnte Jahrhundert herabzuschieben. Kunstarchäologen schließen dies aus dem Zierat, und A. S. Cook hat gezeigt, daß die altertümlichen Sprachformen, die früher bei der Altersbestimmung stark betont wurden, noch in den nordhumb. Texten des spätzehnten Jahrhunderts wenigstens vereinzelte Parallelen haben (Publ. of the M. L. Assoc. X V I I , 367 ff.). In der Tat hat dieser Dialekt eine Reihe sonst längst aufgegebener Laute und Flexionen überraschend lange festgehalten. Man kann nur einwenden, ob eine solche Masse archaischen Gutes auf so engem Raum — nur 16 Verse des Gedichtes sind auf dem Ruthwellkreuz ganz oder teilweise vorhanden — sich zusammengedrängt hätte, wenn nicht ein ungewöhnlich alter Stock von Schreibung zugrunde gelegen hätte. Unter solchen Umständen empfiehlt es sich, zunächst den Inhalt und Zweck des Gedichtes scharf ins Auge zu fassen, dann die Zeit und Gegend der Entstehung mit Hilfe der sprachlichen Kriterien möglichst eng abzustecken, und schließlich in den kirchlichen Verhältnissen dieses Gebietes nach einem Anlaß auszuschauen, der den Dichter in Begeisterung oder, wie es hier richtiger heißen muß, in poetische Predigtstimmung versetzt haben mag. Im ersten Teil (Vers 1—26) erzählt er in eigener Person, wie er um Mitternacht das Kreuz erblickte. Es war einerseits mit Licht umgeben, mit Gold und Edelsteinen geziert, von Engeln, Heiligen und dem ganzen Menschengeschlecht geschaut. Andererseits trug es noch die Kampfspur des Erlösers: an der linken Seite war es blutig, beswyled mid swätes gange. Bald sah es der Dichter in Schmuck, bald in Blut gekleidet. Er hat also nicht etwa ein symbolisches Siegeskreuz im Auge, wie es Konstantin sah, oder eine bloße Kreuzpartikel, sondern das echte, ganze Jesukreuz, wie es, losgelöst vom Erlöser, im Himmel und auf Erden verherrlicht wird. Im zweiten Teil (Überleitung S. 26 f., dann bis 121) erzählt das Kreuz in eigener Person sein Schicksal. Als Baum ward es im Walde geschlagen, auf den Berg geschleppt und da im Boden befestigt. Als wäre es ein Lebewesen, begann es zu zittern, sobald es der Erlöser umfing; es hätte am liebsten, wie ein Kriegsheld, seine Feinde erschlagen ; doch mußte es fest und ruhig stehen. Erst nach Jesu Tode durfte es sich, erfüllt von Kummer, zu den Männern neigen, die den Leichnam abnahmen. Dann wurde es samt den Kreuzen der Schächer in der Erde vergraben, später jedoch von Freunden gefunden, die es in Gold und Silber faßten. 'Jetzt', sagt es, 'ist die Zeit gekommen, daß mich verehren weit und breit die Menschen auf Erden.' Weil der Sohn Gottes an mir litt, bin ich mit Kraft ausgestattet (prymfast 84) und vermag jeglichen zu heilen, der vor mir Ehrfurcht hat. Mich hat Gott ausgezeichnet vor allen Bäumen wie Maria vor allen Weibern.
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Sag dieses Gesicht den Menschen! Nicht braucht sich beim Jüngsten Gerichte zu fürchten, wer dieses Zeichen in der Brust trägt: durch das Kreuz soll jede Seele das Himmelreich erstreben! — Offenbar bezweckte der Dichter eine Aufforderung, das echte Jesuskreuz vertrauensvoll zu verehren, allgemein und öffentlich, wie es bisher noch nicht so recht geschehen war. Der letzte Teil ist wieder Rede des Dichters selbst. Er freut sich, daß er jetzt seine Zuflucht zum Kreuze nehmen (ßone sigebeam secan) und ihm — durch seine Verse — 'mehr als alle Menschen' huldigen kann. Er ergibt sich dem Kreuze wie ein Untertan dem Herrn. Einst hatte er mächtige Freunde — sie sind ihm ins Jenseits vorangegangen; jetzt hofft er, daß ihn das Jesukreuz, das er im Traume geschaut hat, zu ihnen in den Himmel bringe. Er gibt sich demnach als Geistlicher, der aus vornehmer Familie stammte und jetzt für die von ihm empfohlene Andacht das erste Beispiel mit allem Nachdruck bieten will. Eine einheitliche und praktische Absicht des Gedichtes ist unverkennbar. Der Verfasser schreibt es nicht aus einer subjektiven Stimmung heraus; daß er vereinsamt und lebensmüde ist, wird nur als ein Begleitumstand erwähnt, über den ihn eben seine Vision hinaushebt. Er tut es auch nicht im Hinblick auf eine frühere Dichtung: kein Wort dieser Art ist zu finden; sondern er gehorcht einem Geheiß des Jesukreuzes, dessen Dasein und Heilsvermögen zu künden, dessen Verehrung zu verbreiten. Die Tendenz ist deutlich eine liturgische. Um die Entstehungszeit zu bestimmen, haben wir als zuverlässigstes Kriterium das Fehlen des bestimmten Artikels vor schwachem Adjektiv mit Substantiv (vgl. A. Lichtenheld, Ztschr. f. d. Alt., X V I , 325 ff.; E. Gropp, Compos. d. Exodus 1883; G. Mürkens, Bonner Beitr., II, 105 ff. und besonders A. Barnouw, Krit. Unters, nach d. Gebr. d. best. Art. 1902). Daß es absolut zuverlässig sei, auch bei geringen Prozentunterschieden, ist damit nicht behauptet. Einer Probe können wir es unterziehen, indem wir es auf die wenigen größeren ags. Denkmäler aus der Zeit vor Alfred anwenden, über deren Alter wir anderweitig unterrichtet sind. Es sind dies Guthlac A, verfaßt von einem Manne, der noch mit persönlichen Bekannten des Heiligen (gest. 714) sprach, also um die Mitte des 8. Jahrhunderts; und die sicheren Werke Cynewulfs, der, weil er sich nicht mehr Cyniwulf schrieb, nach Mitte des 8. Jahrhunderts anzusetzen ist (Sievers, Angl. X I I I , 1 ff.), aber immer noch geraume Zeit vor der Mitte des 9. Jahrhunderts, wo die altanglische Kultur den Dänen erlag. Ich stelle mit Barnouw die schwachen Adjektive mit Substantiv ohne Artikel vergleichsweise denen mit Artikel gegenüber, zähle aber nicht die einzelnen Fälle, sondern die Phrasen:
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Guthlac A : ohne Artikel 6 mit Artikel 42 Cynewulfs Juliana 3 27 Christ (II) 3 28 ,, Elene 9 66 Das sind ungefähr Verhältnisse, wie wir sie erwarten durften. Natürlich wäre es überklug, Elene deshalb für das älteste Werk Cynewulfs zu halten, weil es im Verhältnis ein paar Artikel weniger hat als Juliana und Christ. Auch war die ags. Metrik dehnbar genug, um späteren Schreibern die Einfügung des Artikels zu erlauben; nachzuweisen ist solches Azarius 42, 59 gegenüber Daniel 326, 342; solcher Veränderung durch spätere Schreiber ist also Rechnung zu tragen. Aber mit einem scharfen Ruck, der für den Altersunterschied wohl bezeichnend ist, hebt sich unser Gedicht ab: Kreuz 5 10 A m altertümlichsten liegen die Dinge bei [Exodus 14 10] und Beowulf 65 13 Da Beowulf wegen seiner christlichen Elemente nicht vor die Mitte des 7. Jahrhunderts zurück zu datieren ist, darf man für das Kreuzgedicht ungefähr den Anfang des 8. vermuten. Was seine Heimat betrifft, spricht nichts gegen Nordhumberland, wohin die Einmeißelung in den Ruthwellstein in rein nordhumb. Dialekt naturgemäß deutet. Da wurzelt auch Caedmon und seine Schule religiöser Dichter, von der Beda 731 berichtet: alii post illutn in gente Anglorum religiosa poemata facere temtabant (Hist. eccl. IV 24). Jetzt ist zu untersuchen, was damals in der abendländischen Kirche und speziell in Nordhumberland auf dem Gebiete der Kreuzverehrung sich ereignete. In Jerusalem, wo das Jesukreuz unter Konstantin ausgegraben wurde, kam bei der Einweihung der Grabeskirche, 14. September 335, die adoratio crucis durch Kuß und Kniebeuge auf. Da es, wie die Legende meldete, gleich nach der Ausgrabung sich durch eine Krankenheilung von den Kreuzen der Schacher unterschieden hatte und durch Jahrhunderte in der Erde intakt geblieben war, galt es für wundertätig. Aus der Erwägung, daß es einen Teil von Christi Blut aufgesogen hatte, folgerte man ferner, daß es, wie an der menschlichen, so auch an der göttlichen Natur Christi teil habe, und betrachtete es als eine Art heiliger Person. Man faßte es in Gold und Edelsteine und erinnerte noch besonders an das Blut des Erlösers, indem man in der Mitte eine Höhlung mit wohlriechendem Balsam anbrachte: desuper ex auro cum gemmis, intus cavam habens confectionem ex balsatno satis bene olente wird es im Ordo romanus beschrieben. In Worten hat bereits Bischof Paulinus von Nola (gest. 431) gelehrt, das Jerusalemer Kreuz sei in materia insensata, vim vivam habens
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(Epist. 31 ad Sever.). In allgemeiner Weise rühmte ihm Johannes Chrysostomus (gest. 407) nach, daß es die Kraft des Teufels breche, den Eingang ins Paradies wieder öffne und am Jüngsten Tage glorreich erscheinen werde (Opp. ed. Montfaucon 1818 ff., besonders III 826). Von Jerusalem kam die liturgische Verehrung des Jesukreuzes samt einer großen Partikel desselben zu Anfang des 5. Jahrhunderts nach Konstantinopel. Drei Tage dauerte hier jedes Jahr die öffentliche Verehrung, und der Kaiser selbst pflegte sie mit dem K u ß auf das Kreuz zu eröffnen. Auch waren hier wieder Tropfen wohlriechenden Balsams vorgesehen, die das Holz ausschwitzte; und wenn nur ein kleiner Tropfen auf einen Kranken fiel, so wurde dieser sofort gesund: so berichtete der schiffbrüchige Arculfus dem Schotten Adamnan, Abt zu Iona (gest. 704), der es in seine Schrift De locis sanctis III 3 aufnahm und bald darauf von Beda De locis sanctis Kap. 20 ausgeschrieben wurde (Itinera Hierosol. ed. T. Tobler und A. Molinier I 194 f., 232 f.). In der abendländischen Kirche erscheint die adoratio crucis als ein Teil des Gottesdienstes seit dem Ende des 6. Jahrhunderts, bezeugt durch das Sacramentarium Gelasianum, das Sacramentarium und den Antiphonarius des Gregor und den Ordo romanus. Sie wurde hier mit Hilfe symbolischer Kreuze begangen, am Karsamstag, in dessen Zeremonien sie noch heute ihren Platz hat. Es lohnt sich, etwas näher auf den Ritus Gregors des Großen einzugehen, schon wegen des mächtigen Ansehens, das der Urheber des ags. Missionswerkes in ganz England genoß. Nach einigen einleitenden Gebeten und Lektionen setzen zwei höhere Priester corpus Christi, quod pridie remansit, auf den Altar, auf dem ein Kreuz steht. Dann tritt der Papst zum Altar, adorans crucem Domini) ebenso tun die Bischöfe und alle Anwesenden. Es folgen Hymnen und Psalmen, namentlich das dem Venantius Fortunatus (gest. 600) zugeschriebene Fange, lingua, gloriosi proelium certaminis, worin das Kreuz als Baum und zugleich als Person angeredet wird: Crux fidelis, inter omnes arbor una nobilis (Nulla talem silva profert fronde, flore, germine), Dulce lignum, dulce clavo, dulce pondus sustinens. Fleete ramos, arbor alta, tensa laxa viscera, Et vigor lentescat ille quem dedit nativitas, Ut superni membra regis mite tendas stipite.1 Alleluja. Gloria. Schlußgebete. 1
Der Text nach Ven. Fort. ed. Leo 1881, S. 28.
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Diese Vorstellungen, die im Laufe des 7. Jahrhunderts Gemeingut der gebildeten Geistlichen wurden, liegen auch unserem ags. Gedichte zugrunde und sind der beste Kommentar dazu. Es empfing seine Mystik nicht etwa aus keltischen, sondern aus griechischorientalischen Quellen. In der Verbindung der Gegensätze Schmuck und Blut am Kreuz, Holz und Person im Kreuz, bot also das Gedicht für die Kirchenleute jener Zeit durchaus nichts Auffälliges oder Neues. Höchstens indem es die Gegensätze kraß nebeneinanderstellt und in ihrer Wiederholung schwelgt, sowie wenn es den 'Siegesbaum' selber seine Geschichte erzählen läßt, neigt es zu der Form des Kunsträtsels, das ja im 7. bis 8. Jahrhundert in England blühte. Tatwine von Canterbury (gest. 734) und Bonifatius haben direkt de cruce Christi je ein lateinisches Enigma verfaßt — so sehr eignete sich der Gegenstand zu geistreichem Bilderspiel. Etwas Neues aber trat im Jahre 701 ein; da hören wir zum ersten Male auch in der lateinischen Kirche, daß statt der bisherigen symbolischen Kreuze auch ein Teil des echten Jesukreuzes zur öffentlichen Verehrung ausgesetzt wurde. Es geschah in Rom durch den Papst selber und unter großem Aufsehen. Sergius I., ein geborener Syrer, hatte eine Vision, die ihn an einen ganz abgelegenen Winkel der Peterskirche zu einer altersgeschwärzten silbernen Kapsel wies. Er zieht an den Ort, betet, nimmt von der Kapsel das Siegel ab und findet darin unter einem Schutzkissen und vier Blechstücken, geschmückt mit Edelsteinen, eine ungewöhnlich große Kreuzpartikel (ineffabilem portionem verae crucis). Seitdem wurde diese Reliquie jedes Jahr am Tage der Kreuzerhöhung in der Kirche San Giovanni im Lateran vom ganzen christlichen Volke geküßt und verehrt, 'pro salute humani generis': so erzählt der Liber pontificalis zum genannten Jahr (ed. L. Duchesne 1886,1 374; Mommsen 1898, I 213). Die Kunde davon erregte in Nordengland solches Interesse, daß Beda den Bericht des Liber pont. fast wörtlich, nur mit unbedeutenden Auslassungen, in seine Weltchronik 'De sex aetatibus saeculi' zum Jahre 701 übernahm: Papa Sergius in sacrario B. Petri apostoli capsam argenteam quae in ángulo obscurissimo diutissime jacuerat, et in ea crucem diversis ac preciosis lapidibus adornatam, Domino revelante, reperit. De qua tractis IV petalis quibus gemmae inclusae erant mirae magnitudinis portionem ligni salutiferi Dominicae crucis interius repositam inspexit; quae ex tempore illo annis ómnibus in Basílica Salvatoris quae appellata Constantiniana die exaltationis ejus ab omni occulatur et adoratur populo. Um Bedas Interessenahme zu begreifen, muß man sich vergegenwärtigen, welche Bedeutung der zeitgemäße Fund des Sergius hatte: er stellte die lateinische Kirche, was den Besitz einer damals ungemein geschätzten Gnadenquelle betrifft, B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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der griechischen gleich; er gab der bisher wesentlich symbolischen Kreuzverehrung einen konkreteren Charakter; und vor allem, er begründete das Fest der Kreuzerhöhung. Überdies war gerade im Jahre 701 der Abt Ceolfrid von Wearmouth in Rom anwesend gewesen (Regesta pontif. ed. J. Lipsius 1885, S. 245) und hatte gewiß das Seine getan, um das Ereignis sofort nach der Heimkehr in Nordhumberland zu verbreiten. Und da fortan die Verehrung des Kreuzes keine weitere Hebung mehr bekam und auch die Feder keines englischen Chronisten mehr in Bewegung zu setzen vermochte, bis herab zu dem flüchtig erwähnten Geschenk einer Kreuzpartikel an König Alfred (in den Sachsenannalen zum Jahre 885), so möchte ich das Ereignis von 701 als mögliche Veranlassung des ags. Kreuzgedichtes wegen der engen Übereinstimmung der Entstehungszeit sogar als wahrscheinliche Veranlassung dazu ansehen: der Dichter wollte das neue Fest erklären und empfehlen helfen. Ausdrücklich zu warnen ist dabei vor einem Versuche, das im ags. Text beschriebene Kreuz auf die 701 gefundene Reliquie direkt zu beziehen. Jenes ragte in die Luft (V. 5), diese war in einem unscheinbaren Kästchen in einem Winkel verborgen gewesen, also mäßiger Größe. Einen weiteren Bericht über die Kreuzpartikel des Sergius besitzen wir nicht. Maphaeus Vegius, der unter Papst Eugen IV. (1431—1449) vier Bände 'De rebus antiquis memorabilibus Basilicae S. Petri Romae schrieb, fügt zwar (Ausg. der Bollandisten, Antwerpen 1718, Lib. I cap. 4 Nr. 36) der Erzählung des Lib. pont., der er sonst recht genau folgt, ein neues Moment bei: Sergius habe in der Kapsel auch eine Schrift zur Beglaubigung der Echtheit gefangen (veri ligni S. Crucis — sicut additae ibi literae significabant). Aber wozu dann vorher die Vision des Finders ? Die Zutat entsprang ohne Zweifel einer rationalistischen Denkanwandlung des Vegius. Die Gepflogenheit, die Reliquie auszustellen, ist bei ihm schon in der Vergangenheit erwähnt (ostendebatur), war also aufgegeben. Als ihren Aufbewahrungsort betrachtete er den Vatikan (unde plane gloriosior videtur nunc Vaticanus pretioso hu jus crucis). Als Stephan Borgia, Sekretär der Propaganda fidei, 1779 in Rom mit viel gelehrter Mühe seinen Quartband De crUce vaticana ex dono Justini Augusti herausgab, war der Schatz nicht mehr aufzutreiben; die Kreuzpartikel, die Borgia in der Verlegenheit dafür ansehen wollte, ist winzig und hat eine ganz abweichende Originalfassung. Erfreulich ist endlich am ags. Gedicht der reiche Einschlag des germanischen Gefolgschaftswesens, durch den der sehr fremdartige Stoff für die alten Nordhumbrer hier nationalisiert wurde. Nicht bloß das Erlösungswerk Christi wird als ein Kampf dargestellt, bei dem der »junge Held« in Todesmüdigkeit versinkt; sondern auch alles.
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Zum ags. Gedichte 'Traumgesicht vom Kreuze Christi'.
was mit dem Kreuze geschieht, daß es im Wald gefällt, auf den Berg geschleppt, mit Nägeln wie mit Pfeilen (strcelum) durchbohrt, mit Blut beschmiert und in die Erde versenkt wird, erscheint als das Tun von Feinden. Gott ist der milde Scharführer, das Kreuz sein treuer Gefolgsmann, der ihm die Gegner erschlagen möchte; der Dichter will das Kreuz zum Patron haben {min mundbyrd is geriht tö päre röde 130), und jeder Christ soll ein tapferer Kämpfer sein (113 f.), der dafür mit dem Heldenjubel (dream) im himmlischen Stammsitz belohnt werden wird. Das sind Vorstellungen, mit denen dann die jüngere christliche Epik noch lange, wenn auch schablonenhafter, weiter wirtschaftete. Aber sehr archaistisch nimmt es sich aus, wenn für den ruhmvoll gefallenen Helden Christus das Leichenlied (sorhleod) angestimmt wird. Die Seinen singen es bekümmert, bevor sie sich von dem Leichnam trennen (67 ff.). Nur im Beowulf wird die Sitte noch erwähnt; Cynewulf und seine Zeitgenossen haben sie bereits vergessen. Auch von diesem Standpunkte aus gewinnt man den Eindruck, als wäre mit einer Datierung des Gedichtes zu Anfang des 8. Jahrhunderts den Tatsachen keine Gewalt angetan.
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Anfänge der Autobiographie in England. Die von unserer Akademie angeregte Geschichte der Autobiographie von Misch zeigt bereits, obwohl erst der Band 'Altertum' erschienen ist, wie merkwürdig auf diesem Gebiet Philosophie und Poesie zusammenhängen. Wir sehen nicht bloß, wie eine literarische Gattung sich entwickelte, sondern wie der Mensch ein neues Schauen lernte, wie er das Auge auf das eigene Ich einstellte und dabei ein zweites Ich gewann, wie das beobachtende und beobachtete Ich sich sittlich und künstlerisch auseinandersetzten. Die seelische Einheitlichkeit des Altertums wurde dabei zerrissen, und das Christentum, zumal St. Augustin, zog daraus den Hauptgewinn. Gern greift man da dem zweiten Band vor und denkt sich die Weiterentwicklung der Gattung aus. Dem Anglisten fällt eine Menge berühmter Autobiographien des 17. bis 19. Jahrhunderts ein: Fox und Gibbon, John Stuart Mill und Newman, Wilde und George Moore. Er erinnert sich, wie zur Revolutions- und Napoleonszeit alle namhaften englischen Dichter, die nicht ganz jung starben, ihr Leben beschrieben. Burns und W. Scott, Coleridge und Wordsworth, Byron. Noch heutzutage werden in England häufiger als bei uns Autobiographien veröffentlicht. Wann ist dieser starke Sinn für Selbststudium und Selbstdarstellung, der gewiß mit dem Eigenwesen insularer Persönlichkeiten zusammenhängt, dort aufgetaucht, wodurch ist er gefördert worden, wie hat er allmählich nach Überwindung der mannigfachen Eroberungen, die über britisches Land und Denken hinweggegangen, nationale Eigenart gewonnen ? Germanische Spielmannsdichtung war bereits reich an autobiographischen Elementen. Liegt es doch allenthalben in der menschlichen Natur, daß man sich in bedeutsamen Lebenslagen und Stimmungen, oder auch um besondere Aufmerksamkeit zu wecken, selbst erschließt, in Versen lieber als in gewöhnlicher Rede. So mächtig sich die antiken Literaturen bis herab zur Zeit Augustins nach dieser Seite hin entwickelt hatten, Einfluß scheinen sie hierin auf unsere Vorfahren in heidnischer Zeit nicht gewonnen zu haben; denn altes autobiographisches Gut begegnet uns zunächst in Formen spezifisch germanischer Art. Der Spielmann in eigener Person geht voran. Deor nennt sich ein Sänger der Heodeningen; lange hatte er einen holden Herrn; jetzt hat ihn ein anderer Sänger verdrängt und ihm den Landbesitz
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abgenommen; er erzählt im Ton der Klage (Grein-Wülker, Bibl. d. ags. Poesie, I 280). — Widsith heißt ein glücklicher Sänger, der sich weiter Reisen rühmt und großer Geschenke von Königen der Sage; er erzählt im Ton der Heldenbewunderung; die Herrscher sind ihm die Seligsten auf Erden (das. I, 1 ff.). Beide Sänger, der klagende und der preisende, geben lange Aufzählungen der Sagendinge, von denen sie wissen; sie bieten offenbar ihre Repertoire aus, der eine, um Gutsbesitz von einem ständigen Herrn, der andere, um Geschenke von einem freigebigen Hofe zu gewinnen. Das Autobiographische ist ihnen nicht Zweck, sondern Mittel; es ist altheimisch, aber primitiv; es gibt sich ohne realistische Einzelzüge, ohne besondere Gefühlswärme, ohne höhere Gedanken; es erregt Interesse, aber spiegelt keine Persönlichkeit. Der E p o s h e l d hat bei jedem Volke die Gepflogenheit, sein Erleben in direkter Rede zu schildern. Aber im Liedepos der Germanen tut er es in anderer Weise als in den Buchepen Homers und Vergils. Im Finnfragment, das ganz den Eindruck der Liedtechnik macht, ruft ein Saalhüter den anstürmenden Feinden zu: 'Sigeferth ist mein Name, ich bin Fürst der Siegen, als Vertriebener weithin bekannt; viele der Wehtaten erfuhr ich, der harten K ä m p f e ; du weißt jetzt Bescheid, falls du mich auch angreifen willst' (das. I, 15 f.). Kein Wort mehr, als die Situation erfordert. Wer einen solchen Flüchtling angreift, hat verzweifelten Widerstand zu erwarten, viel mehr als von einem besitzfrohen Mann. Auch was sich im Hildebrandsliede Vater und Sohn erzählen, erhöht Wort für Wort die Tragik der Situation. Im Beowulf dagegen dehnen sich die Selbstberichte des Helden weit über alle Gegenwartsbeziehungen hin aus. Was haben die Umständlichkeiten von Beowulfs Schwedenkämpfen mit dem Drachenabenteuer zu tun, zu dessen Anfang er sie uns auseinandersetzt ! Welch schleppende Wiederholung ist es, daß Beowulf nach der Heimkehr seinem Gefolgsherrn noch in eigener Person den ganzen Grendelskampf vorträgt, den wir längst vom Dichter selbst gehört haben! Ähnlich zweckvergessend erschließen sich die Helden in den christlich-ags. Epen, an deren buchmäßigem Charakter seit langem nicht mehr gezweifelt wird. Hier liegt nicht mehr die angestammte, sondern eine weitergebildete Art von Autobiographie vor, ungeschickt, weil eben erst angelernt. Im Spielmannslied sagt der Held von sich so viel, daß wir die Wucht seines Wesens besser erfassen; im Buchepos trägt er Geschichten vor, die uns sonst momentan gar nicht interessieren würden, wenn nicht er dahinter stände. Dort ist die Autobiographie organisch, obwohl ärmer an realistischen Zügen; hier dient sie nur als rhetorisches Kunstmittel, um die Fabel zu schwellen.
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In der E l e g i e kommt die Persönlichkeit naturgemäß am meisten heraus. Das Hauptbeispiel ist der 'Wanderer* (das. I, 28 u. ff.). Er denkt wehmütig zurück an die Tage des Glücks, wo er einen freigebigen Herrn hatte, Hand und Haupt ihm auf das Knie legte, ihn umarmte und küßte. Dann kam das Unglück, die Gefolgsschar ward hingerafft, mancher verbarg sich in einer Erdhöhle, das Herrenhaus verödete. Selbst hier, wo so viel Gefühl sich ergießt, verharrt die Schilderung in typischer Allgemeinheit. Der Ausgang ist dann ein Gebet der Gottergebenheit. Wo das Christentum in diese Elegien hineinspielt, bewirkt es nicht eine Vertiefung der Autobiographie, sondern beugt sie nur um in Frömmigkeit. Nicht durch Gewissenserforschung und Beichte ist die literarische Kunst der Selbstdarstellung entwickelt worden, sonst hätte sich dieser Prozeß in der englischen Dichtung des 7. und 8. Jahrhunderts gewaltig zeigen müssen. Auch auf die Gefühlsweichheit eines Volkes kommt es nicht wesentlich an; für die Innigkeit, mit der die Angelsachsen das Christentum erfaßten, gibt es keine Parallele; im Beowulf fallen Tränen, und manche Elegien zerfließen fast in Weichheit; dennoch wird nirgends ein individueller Charakter greifbar. Erst als eine gewisse Gedankenschulung aus den klassischen Ländern eindrang, bei lateinkundigen Angelsachsen, erfolgte ein Fortschritt. Unter den l a t e i n k u n d i g e n Angelsachsen hat Beda in autobiographischer wie in jeder Hinsicht die führende Rolle. Am Schluß der Historia ecclesiastica sagt er in einem Epilog, wo er geboren und erzogen wurde, welches seine Lehrer und Vorgesetzten waren, in welchem Kloster er lebte, aus welchen Quellen er sein Werk schöpfte, und was für Schriften er damals (731) bereits verfaßt hatte. Es ist Bildungs- und Schaffensgeschichte; knapp, wie er sie selbst von so manchem Missionar geboten hatte; ein Ausdruck der Dankbarkeit gegen Gott und irdische Helfer, wofür es keine Spielmannstradition gab; ein Zeichen der innigen Wertschätzung, die er für Gelehrtheit und das in ihr gefundene Glück empfand. Und so schlicht er die Zeilen hinschrieb, zum ersten Male wird bei diesem Kenner lateinischer Poesie und Philosophie ein persönlicher Klang hörbar, indem er bekennt: inier observantiam disciplinae regularis et cotidianam cantandi in ecclesia curam Semper aut discere aut docere aut scribere dulce habui. Er war immer als Mönch und zugleich als Autor fleißig, als Lehrer und als Schüler. Er vereinigt Mannigfaches in sich; er stellt eine aparte Verbindung von Eigenschaften dar. Bei dem großen Ansehen, das ihm alle folgenden lateinkundigen Autoren Englands bis gegen Ende des Mittelalters zollten, war sein Beispiel eine fruchtbare Anregung. In Bedas Art gaben mehrere Schriftsteller des folgenden Jahr-
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hunderts Skizzen ihres Bildungsganges und Schaffens. K ö n i g Alfred in der Vorrede zur Übersetzung der Cura pastoralis nennt dankbar seine Lehrer und erzählt, wie er zu solchem Werke k a m . ^Elfric berichtet in Vorreden v o n seinem verehrten Lehrer ¿Ethelwold, v o n seinem Kloster, seinen Gönnern, der Entstehung seiner Homiliae catholicae und von den mannigfachen Übersetzungen, die er von B ü chern des A l t e n Testamentes machte. Ähnliches tat Asser im Leben Alfreds, E a d m e r im Leben Anselms. Ordericus Vitalis, Verfasser einer Historia ecclesiastica in dreizehn Büchern, verwandte 1128 einen Teil des fünften Buches und dann noch einen Teil des Schlußkapitels, u m über seine Herkunft und früheren Familienverhältnisse zu handeln: über seinen traurigen Abschied v o m Elternhaus mit elf J a h r e n ; über seinen ersten Eindruck in der Fremde, im normannischen Kloster St. E v r o u l t ; über seine Lernjahre und ein Klosterleben von 42 Jahren. E r ist ein befriedeter Mönch, aber noch immer wird ihm weh ums Herz, wenn er sich an das Scheiden aus der Heimat erinnert. Johann v o n Salisbury schildert in einem eigenen K a p i t e l seines Metalogicus, welchen Bildungsgang er von 1139 bis 1148 durchlief, zählt seine Lehrer und Patrone auf, charakterisiert den Unterricht, den er damals erfuhr und nachmals gab, und verfolgt dabei erziehliche A b sichten. Dies war die erste Phase der latinisierenden Autobiographie auf englischem Boden. Die Hauptsache für diese Männer ist der Gewinn höheren Wissens und Könnens; das beseligt sie und soll anderen anempfohlen werden. Ohne Mühsal ging es nicht ab, doch um so köstlicher empfinden sie das Gelingen. Sie haben weder Leidenschaften noch Philosophie, nur Dankbarkeit und allenfalls einige pädagogische Fingerzeige. Sie geben sich ruhig und unmittelbar, ohne Übertreib u n g und ohne Ausschmückung, aber sie haben noch nicht viel zu geben; selbst Alfred, der doch viel erlebt hatte, beschränkt sich auf den Bedaschen Rahmen. Daneben wird bereits in der Zeit zwischen B e d a und Alfred eine zweite, bewegtere Phase bemerkbar. Cynewulf eröffnet die Autobiographie der Bekehrung. A m deutlichsten spricht er sich im Nachwort zur Elene aus. Danach war er in der Jugend synnum äsdled (V. 1243), hatte K u m m e r und Qual, obwohl er in der Methalle Gold empfing, führte offenbar ein weltliches Leben und scheint dies mit etwas Ubertreibung auszuführen, wie es bei den Autobiographen dieser A r t oft nachzuweisen ist. D a n n aber, als er älter wurde, sandte ihm Gott E r leuchtung, erweiterte ihm den Sinn, erschloß ihm die Liedkunst (leoducrceft 1250 offenbar statt leodcr&ft), machte ihn mit der Geschichte von Helenas Kreuzfindung bekannt und beglückt. A u c h hier fehlt es an Einzelzügen, die uns den Übergang aus einem Seelenzustand
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in den anderen erklären und nahebringen könnten. Aber der Dichter wiederholt seine Angaben so lange und in so eindringlichen Kraftworten, daß er den Eindruck der Erregung hervorruft. Fragt man nach einem Vorbild für dieses erste Beispiel der Bekehrungsautobiographie auf englischem Boden, so braucht man nicht gleich auf Augustinus zu raten, obwohl dessen Confessiones schon im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien nachgeahmt wurden (Misch I, 442 f.). Es genügt, an den David der Bibel zu erinnern, der ja unter den Vorbildern des Augustinus selbst nicht vergessen werden darf. Ein Psalm wie der 32. enthält alles Erforderliche, um Cynewulfs Sinneswendung genetisch zu erklären. Germanisch ist nichts daran; Recken sind niemals zerknirscht. Noch eine Schilderung eigener Bekehrung bietet uns ein ags. Dichter, dessen Name uns leider unbekannt ist; man kann sein Werk als Gebet des Vertriebenen bezeichnen. Solange es ihm gut ging, hat er firenddda fela verübt (Grein-Wülker II 218); jetzt ist er aber vom Stammsitz vertrieben, haust im Walde und ist auf Fremde angewiesen. Dies betrachtet er als Buße und wendet sich zum Himmel um Reinigung und Hilfe. Hat bei Cynewulf das Alter die Bekehrung veranlaßt, so tut es hier das Unglück, was noch näher zu David stimmt. Ausgemalt wird die Verbindung von Trauer und Zuversicht, von Verlassenheit und Gottesnähe. Diese christlich-ags. Dichter besitzen bereits viel Sinn für Seelenvorgänge, zum Schaden ihrer Realbilder, und ihre Psychologie kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck, als wenn sie die Seele in solcher Bewegung und Umkehr schildern. Aber die vielversprechende Kultur der Angelsachsen erlag seit 867 dem Schwert der Dänen und hat sich von diesem Schlag nie mehr ganz erholt. Alfred war ein starker, weiser Mann und gab ein großes Beispiel, das nachwirkte, aber er vermochte nicht dauernde Schulorganisationen zu schaffen. Das taten zwar seit Mitte des 10. Jahrhunderts die reformierten Benediktiner, doch gingen ihre Bestrebungen zu sehr auf strenges Leben, eifriges Predigen und reale oder theologische Wissenschaft, als daß sie eine so subjektive Gattung wie die Autobiographie gefördert hätten. Erst durch die n o r m a n n i sche Theologie gewann sie neues Wachstum. Lanfranc, der erste normannische Erzbischof von Canterbury, begann die Versuche, den theokratischen Gedanken selbst unter einem so starken Herrscher, wie es Wilhelm der Eroberer war, durchzusetzen. Das führte zu Konflikten, die die Seele der Besten aufs tiefste erschütterten. Hieraus erwuchs die Autobiographie des kirchlichen Kämpfers. Er selbst schrieb ein derartiges Werk, wie Eadmer in der Historia novorum glaubwürdig bezeugt: ipsemet de rebus ecclesiasticis, quae suo tempore gesta sunt, veracissimo et compendioso ca-
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lamo rescripsü (ed. Rule, R . B . S. ( 1884, S. 13). E s dürfte mehrfach von den Chronisten benutzt worden sein (vgl. Liebermann, Hist. Ztschr., N. F. V , 336), ist aber verloren. Aber was Giraldus Cambrensis um 1200 De rebus a se gestis schrieb, ist erhalten und muß als die erste selbständige Autobiographie, die wir auf englischem Boden finden, näher untersucht werden. Giraldus war ein Waliser: das macht sich auf jeder Seite seines Buches fühlbar. E r hat einen beweglichen Verstand und ein erregbares Temperament, haftet aber gern am Kleinen und verirrt sich dabei in eine Eitelkeit, die den Leser oft lächeln macht. E r beginnt mit seiner fürstlichen Abstammung, ingenuis natalibus. E r ließ schon in seinen Kinderspielen — er baute gern Klöster aus Sand — den künftigen Beruf durchschimmern: der Vater sah es cum aimiratione. Als Knabe ward er in einer Nacht durch Kriegslärm geweckt; 'Tragt mich zur Kirche' rief er, und alle Anwesenden bewunderten den ahnungsvollen Ausruf. In den Studien kam er anfangs langsam vorwärts, dann aber wunderbar rasch, besonders in Paris, summos praeceptores demum aequiparando. Wollten die Professoren einen Musterschüler als Beispiel aufstellen, so sagten sie: Macht es wie Giraldus! Zwei K a pitel widmet er diesen subjektiven Dingen, und dann wendet er sich sofort zu den kirchlichen Kämpfen, die sein Leben füllten. Er stritt für und um die Kirche St. Davids, an der ein Onkel von ihm Bischof w a r ; um jeden Preis wollte er dessen Nachfolger werden. Er ficht für den Zehnten dieser Kirche, rettet sie vor einem bösen Nachbarbischof, predigt einen Kreuzzug mit Erfolg, während ein anderer Prediger abfiel; immer muß Giraldus als Helfer an die Spitze treten — aber als ihn das Kapitel zum Bischof wählte, lehnte ihn der König a b : er wollte keinen zweiten Thomas Becket haben. Giraldus ging zu Hofe, bezauberte den König und wurde dessen Kaplan, gefiel den Prinzen und begleitete sie auf Reisen; aber als St. Davids nach Jahren wieder frei wurde und das Kapitel ihn wieder vorschlug, erhob der Erzbischof von Canterbury Protest. Dreimal reiste Giraldus nach R o m , um seine Sache durchzusetzen, und vieler Erfolge durfte er sich rühmen, aber sein Hauptziel konnte er nicht erreichen. Mißmutig zog er sich zurück und schrieb seine Autobiographie. E r redet manchmal im Ton der Apostelgeschichte, handelt von sich selbst immer in der dritten Person, fügt eine Reihe Visionen an, die er gehabt haben will, hat aber keinen Gedankengehalt zu bieten, noch weniger künstlerische Form. Wissen, Erleben und Sprachfertigkeit genügen noch nicht, um eine interessante Autobiographie zu machen. Dazu gehört eine hochstrebende Denk- und Empfindungsweise, von der der Kleriker Giraldus weit entfernt war. Immerhin ist sein Unternehmen beachtenswert; es dauerte fast 400 Jahre, bis ein Engländer, und zwar
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ein gelehrter Landwirt, Thomas Tusser, wieder eine selbständige Autobiographie wagte. Die Kirchenkämpfe der normannischen Geistlichen wirkten auf die höheren Kreise; die mystische Theologie aber, die mit ihnen über den Kanal kam, wirkte allmählich auch auf das englische Volk. Diese Mystik beschäftigte sich besonders mit zwei Gegenständen: mit der höchst lebhaften, ja visionären Ausmalung von Himmel und Hölle und mit der geistlichen Minne. Nach diesen beiden Seiten entstanden jetzt englische Gedichte autobiographischer Art. 'Ich bin älter, als ich war', hebt der Dichter des Poema morale an und schildert, wie töricht, müßig und leichtfertig er bisher war; jetzt aber ist er alt, und vielleicht ist es zu spät, Gottes Gnade noch zu gewinnen. Daran reihen sich die Bilder von Himmel und Hölle, die uns hier weniger kümmern als die Einleitung mit ihrem Erlebniston. Im Gegensatz zu Cynewulf und dem ags. Vertriebenen beruhen hier die beklagten Irrungen nicht mehr auf einstigem Hochleben, sondern nur auf der Jugendtorheit des Dichters; und er setzt sie nicht so sehr auseinander, um dadurch Gottes Hilfe zu verdienen, sondern um andere zu warnen; es ist also nicht mehr die Zerknirschungsweise des David, sondern die des Augustinus. Die Confessiones wurden zu jener Zeit in Frankreich und in Deutschland studiert und nachgebildet; ich erinnere nur an die Historia calamitatum mearum von Abelard, an den Libellus de tentationibus des Othlo von St. Emmeram. Es wäre merkwürdig, wenn nichts davon nach England gelangt wäre. Die geistliche Minne kommt autobiographisch am deutlichsten zum Ausdruck im Guten Gebet an unsre Frau (God ureisun of ure lefdi), das ein Mönch um 1200 an die Mutter Gottes richtete. Alles auf Erden habe er für sie aufgegeben, ihr diene er bei Tag und Nacht, vor ihr beuge er die Knie; 'mein Leben ist Dein, meine Liebe ist Dein, mein Herzblut ist Dein, und, wenn ich so sagen darf, meine liebe Frau, Du bist mein'. In solchem Ton hatte in England zuerst Anselm, der zweite normannische Erzbischof von ®Canterbury, geschrieben, in den Meditationes Nr. 8: 'diligo te'; und auch in einer dem hl. Bernhard von Clairvaux zugeschriebenen Marienpredigt heißt es: coram tuae celsiiudinis gloria genu flectimus (vgl. W. Vollhardt, Einfluß der lateinisch geistlichen Literatur auf einige kleinere Schöpfungen der englischen Übergangsperiode, Leipzig 1888, S. 24). Nicht bloß geänderte Empfindung, sondern Umschwung der ganzen Lebensweise bringt hier der Dichter zum Ausdruck; er schreibt nicht mehr aus irgendeiner Verstandesabsicht, sondern aufgehend in einer schwärmerischen Empfindung, wie sie die antike Welt nicht kannte; es ist nicht bloß L y r i k des E r l e b n i s s e s , s o n d e r n L y r i k a l s L e b e n .
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Religiöse Mystik hat fortan noch oft und tief die englische Autobiographie befruchtet. Ein Hauptbeispiel dafür ist Richard Rolle, der Einsiedler von Hampole, gest. 1349, der in seiner lateinischen Schrift 'De incendio amoris' erzählt, wie sein Herz von der himmlischen Liebe als von einem fühlbaren Feuer, sensibili igne, ergriffen wurde: Erarn equidem attonitus, quemadmodum eruperat ardor ille in animo. Die reichsten Passionsblüten solchen Gottsuchens folgten dann im 17. Jahrhundert in den Tagebüchern der Quäker Fox, Penn, Edmundson. Was daneben in frühmittelenglischer Zeit an autobiographischen Elementen weltlicher Art hervortritt, ist unbedeutend. Da sind die lakonischen Andeutungen des Chronisten Laghamon gegen 1205, über seinen Lebensort und seine Quellen; die Andeutungen des Chronisten Robert von Gloucester, wie er gerade während der Schlacht bei Evesham 1265 eine große Finsternis eintreten sah und dadurch sehr erschreckt wurde; Reiseberichte, wie sie Walter Map, Giraldus Cambrensis, Gervas von Tilbury, Matthäus von Paris verfaßten; Memoiren, z. B. die von Jocelin of Brakelond über seinen Abt Samson und sein Kloster Burg St. Edmunds um 1200. All diese Angaben entbehren der Innerlichkeit. Erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als überhaupt originalere Dichternaturen in England wieder auftraten, zeigt sich ein Fortschritt in der Autobiographie: in der Dichtung 'Die Perle'. Der Dichter hat sein zweijähriges Mädchen verloren. Das hat ihn der Freude beraubt, mit Sehnsucht erfüllt, im Innern gespalten. Im Traum sieht er sie wieder, im Himmelsgarten, verklärt, selig, jenseits eines Wassers auf blumiger Au. Bist du meine Perle, ruft er sie an, die ich verloren und beklagt habe ? Du klagst mit Unrecht, entgegnet sie ihm, und weist auf die himmlischen Freuden, die sie umgeben, und eine glänzende Prozession der Auserwählten zieht an ihm vorbei, zur Anbetung des Lammes. In seinem Herzen wogt es: Staunen, Freude, Liebe, Kummer, Ungeduld, Demut, Überzeugtheit, Verwunderung. Er will sich ins Wasser stürzen, um zu seiner Perle zu gelangen, aber das ist nicht der Wille Gottes. Der Dichter muß sich ergeben, wie von einem Herrn und Freunde sich führen lassen, in Christus seinen Segen finden. Er wird nicht bloß getröstet, sondern sein Wesen ändert sich aus Weltschmerz in Gottvertrauen. Äußere Anregung kam ihm vom Rosenroman, jener typisch-allegorischen Autobiographie des Liebenden, die Wilhelm von Lorris etwa 1237 in Frankreich nach Ovidischem Vorbild schrieb. Der Garten der Rosen hat sich beim Engländer in den des Paradieses gewandelt; selbst die blinkenden Kieselsteinchen im Wasser wiederholen sich. Aber der Kern ist Erlebnis, in mystische Wärme und Bildlichkeit getaucht. Die Sinnesänderung befestigt sich, indem sie der Dichter in Verse
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bringt. Aus einem schwachen Christen wird er durch weiblichen, kindlichen Einfluß ein voller Christ. Er beginnt eine vita nuova. So schön und ergreifend die 'Perle' ist, so tiefgehenden Geistesaufschwung sie darstellt, betrifft sie doch nur ein einziges Erlebnis. Eine ganze Lebensentwicklung, und zwar eine dichterische, hat erst Chaucer geboten, im ' H a u s der F a m a ' 1384. Was dieses nicht ganz leicht erfaßbare Bekenntnis in Versen bedeutet, wird erst klar, wenn man es in der Reihenfolge der englischen Autobiographien betrachtet. Zum erstenmal auf englischem Boden hat hier ein Engländer seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsfrage geschildert. In der Vergangenheit hat er der Liebe gedient, nach der Mode der Zeit, doch nur wenig Lohn davon gehabt; Leidenschaft und Ringen nach sinnlichen Gütern schafft Weh; genug davon (1. Buch). Er erhebt sich darüber zu den Sternen, zur Beobachtung des Menschenlaufs von oben — man mag an Boethius und astronomische Studien denken, auch an die Himmelfahrt des Arcitas, die Schicksalsbetrachtungen im Troilus, die Divina commedia des von Chaucer so hochgeschätzten Dante (2. Buch). Seine Zukunft hängt ab von der Göttin Fama, die er nach Ovids Vorgang in einem Haus hoch in den Lüften schildert, beschäftigt mit Austeilung guten und bösen Rufes für die verschiedenen Dichter. Aber nicht auf den Ruhm hat er, als echter Dichter, es abgesehen. Nebenan ist der Garten der Fama, wo alle Gerüchte und Erzählungen der Welt zusammenfließen, wahre und falsche: da, inmitten bunter Lebensreflexe, ist der Dichter heimisch und wünscht sich dauernden Aufenthalt (3. Buch.). Die Summe innerer Erfahrung hat uns Chaucer hier vorgelegt mit einer Freiheit, die wohl nur durch die visionäre Einkleidung möglich war; das Ganze ist nämlich nach Art des Rosenromans als Traum hingestellt. Sein Hauptzweck war offenbar der, sich über Dinge, die ihm zunächst gingen, auszusprechen; nur nebenbei deutet er an, daß er eine Entlastung von seinen Amtsgeschäften im Londoner Hafen wünsche, um mehr Zeit zum Lesen und Dichten zu bekommen. Realistische Ausführung wäre in einem so allegorischen Werke schwer gewesen; Chaucer, der sonst gelegentlich über sein Aussehen, seine Geldverhältnisse, seine Arbeiten sehr tatsächliche Mitteilungen machte, hat sich dies hier versagt; nicht auf Einzelheiten kam es hier an, sondern auf den Zusammenhang des Seins und Wollens. Uberfließendes Gefühl ist vermieden; dafür meldet sich jener feinsinnige Humor des Zuschauers, der über das eigene Leiden und Ringen zu lächeln vermag. Es dauerte zwei Jahrhunderte, bis die englische Autobiographie, die hier zum ersten Male national auftritt, in der Shakespearezeit über diese Stufe hinauskam.
Die Urstammtafel der Westsachsen und das Beowulf-Epos. Ohne Seitenblick auf das Epos soll zunächst der Text der ws. Stammtafel, soweit er für den Beowulf in Betracht kommt, d. h. um und jenseits Woden, studiert werden, für sich allein genommen. Ein Denkmal von so ernsthaft dynastischem Charakter, das man an bedeutsamer Stelle in die Reichsannalen einfügte, muß Vernunft genug in sich selber getragen haben, um in der Hauptsache von innen heraus erklärbar zu sein. I. D i e Ü b e r l i e f e r u n g des g e n e a l o g i s c h e n
Textes
erforderte, da sie von verwirrender Fülle ist, eine besonders umsichtige Sammel- und Sichtungsarbeit. E . Hackenberg in einer Dissertation über die ags. Stammtafeln überhaupt hat sie soeben geleistet (Berlin 1918), und die Ergebnisse dienen mir hier zur Grundlage. Bevor festgestellt ist, welche Fassung die ursprüngliche, welches ihr Wortlaut und wie die Abhängigkeit der späteren Redaktionen von ihr beschaffen ist, fehlt für die scharfsinnigsten Auslegungen der sichere Boden. Die älteste Gesamtaufzeichnung, die uns begegnet, steht im ags. A n n a l e zum J a h r e 855. Damals vermählte sich der ws. König iEthelwulf (836—858) mit einer fränkischen Prinzessin; diese Begebenheit wollte der Annalist ins Licht setzen. E r gab also eine Ahnenliste des Königs, und zwar in ganz ungewöhnlicher Großartigkeit zurückgeführt bis auf Noa und durch diesen auf Adam. E r schrieb erst nach ¿Ethelwulf, denn er fügte dessen Todesjahr ein, und fuhr unmittelbar nachher fort, auch dessen Nachfolger bis herab zu Alfred (871—900) mit ihren Regierungsjahren zu verzeichnen; aber er kennt noch nicht Alfreds Ende — dadurch ist die Zeit seiner Tätigkeit umgrenzt. Die Liste beginnt mit jEthelwulfs historischen Vorfahren bis hinauf zu Cerdic, dem ersten ws. König, der nach einer anderen Stelle der Annalen 5 1 9 'Herrschaft begann'. E s folgen historisch nicht mehr bezeugbare Ahnen bis hinauf zu Woden — da brechen andere Fassungen der ws. Stammtafel und auch viele Texte von außerws. ab. Diese Stufe der Genealogien ist unbedingt noch in heidnische Zeit zu verlegen, ja in stockheid-
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nische, bevor noch im Laufe des 7. Jahrhunderts ein Herrschergeschlecht nach dem andern von Woden sich zu Christus wandte. Bestätigend sagt uns Beda 731, daß von Wodens Stamm 'multarum •provinciarum regium genus originem duxit' (Hist. eccl. I 15). Auf diesen Cerdic-Woden-Teil ist hier nur insofern einzugehen, als er uns die für die ws. Genealogisten geltende Technik der Namenwahl anzeigt. Mit dieser Technik werden wir später den Aufbau der Teile jenseits Woden zu vergleichen haben. Die Namen werden von den Annalen-Hss. durch Jahrhunderte mit bemerkenswerter Übereinstimmung festgehalten; die älteste Annalen-Hs., das bekannte Parker-Ms. (Anf. 10. Jahrh.), liest: Cerdic Elesing, Elesa Esling, Esla Giwising, Giwis Wiging, Wig Freawining, Freawine FriJjogaring, Frijmgar Bronding, Brond Bseldseging, Baeldxg Wodening.
Das sind, was die Form betrifft, lauter Stabreimpaare. Betreffs Ableitung sind es entweder einteilige Namen von Stammesvätern, deren Völker auch sonst bei den Angelsachsen noch ziemlich klar zu erweisen sind: 'Gewissi' war nach Beda III 7 eine alte Bezeichnung für die Westsachsen; von 'Brondingum' erfahren wir durch uralte Memorial verse im Widsith (v. 25), und ebendaselbst ist auch von 'Wicingum' die Rede (v. 47, 59) — ein frühgerm. Lehnwort, das wohl erst der Schreiber des Widsith für älteres 'Wigingum' eingeführt hat. Oder es sind diminutive und zweiteilige Bildungen — abgesehen von Woden, dem unzweifelhaften Gotte — , wie sie alle Germanen für menschliche Persönlichkeiten gebrauchten. Man wäre versucht zu glauben, Cerdics Vater habe in der Tat *albi + *sigi > Elesa, sein Großvater *ansilö > Esla geheißen, so unmythisch waren diese Namen geworden, so häufig haben die Angelsachsen noch in christlich-historischer Zeit Alben- und Ansennamen verwendet, wenn nicht dieselben beiden Bildungen, geschrieben Alusa und Oesa (Sweet, O. E. T. 170), auch in der nordhumbrischen Stammtafel von Bernicia, und zwar als Vor- und Nachfahren ganz anderer Ahnen, wiederkehrten. Frithu-gar, historisch als Abtname mehrmals belegt, erinnert inhaltlich an den Oberpriester Coifi bei Beda (II 13). Das ähnlich priesterliche Freawine (hist.) wurde aus Merciens älterer Stammtafel beigeordnet. Bei Bael-daeg (unhist.), dem Sohne Wodens, bewegt uns die Form des Wortes vielleicht, an den Scheiterhaufen (ags. bèi) zu denken, durch den die Seele des gefallenen Helden nach Walhall gelangte; die Urbedeutung von bèi war einfach 'Feuer', wozu daeg 'Glanz' gut paßte; abermals spielt eine höhere, frühmystische Vorstellung herein. Die ganze Reihe verrät eine sagenfrei wählende Hand; sie erhebt den Träger der Krone unter schwacher Verwendung kriegerischer Dinge mit altertümlichen Machtbegriffen und rhetorischem Alliterations-
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schmuck; sie verwundert uns namentlich durch die Willkür, mit der sie die Namensväter verschiedener Stämme zu einer ws. Einheitslinie filiiert. W a s ein Oberpriester an einem heidnischen Hofe bedeutete, ersehen wir aus dem sehr lesenswerten Berichte Bedas über den 'primus pontificum' des Nordhumbrers Eadw'ine zu Y o r k u m 625, wobei Coifi wie altes coni + fridu in Kurzform aussieht; einem solchen ws. Manne wäre die vorchristliche Urfassung unserer Stammtafel nach Maßgabe der Verhältnisse am ehesten zuzuschreiben. Jenseits Woden steht in den führenden Hss. (vgl. Hackenberg) zunächst Frealaf,
und zwar ist dies eine Glied als eine Stufe für sich zu betrachten, weil es eine andere Fassung der ws. Stammtafel (Hs. Corp. Chr. Coli. Cambr. 183 und Tib. B V ) und mehrere außerws. (Hs. Vespasian B 6 , geschr. 8 1 1 — 1 4 , bei Sweet, O. E . T. 170 t. u. a.) nach oben beschließt. Wer diese Folgerung entkräften will, muß einen triftigeren Grund aufdecken, warum so verschieden geartete Genealogien gerade mit Frealaf übereinstimmend nach oben abbrechen. Frea-la, 'Gott - f Sohn', ist ein zweiteiliger, also rein menschlicher Name und von sehr allgemeinem Inhalt. Dennoch hatte er viel zu bedeuten: als Sohn eines Frealaf ist Woden kein Gott mehr. Solche Entgottung ist ausdrücklich bezeugt bei ¿Ethelward, dem Chronisten der Angelsachsen zu Ende des 10. Jahrhunderts; er wollte in Woden nur einen 'rex barbarorum' sehen und eiferte gegen die Auffassung der heidnischen Dänen in seiner Zeit, als wäre er ein Götze gewesen, 'infanda dignitate'. Auch in Skandinavien bekam Odin mit der Zeit einen ungöttlichen Vater, der aber Borr hieß (E. H. Meyer, Germ. Myth. S. 230). Keine wirkliche ags. Persönlichkeit hat jemals, soweit wir sehen, Frealaf geheißen; ein Missionar hat offenbar den Namen beigestellt, anknüpfend an den Freawine unter den vorhistorischen Nachkommen des Woden. Alle Kinder Gottes kann man eigentlich so nennen; wie ein solches Durchschnittsgeschöpf zu der Ehre kommen soll, die ags. Königsgeschlechter erzeugt zu haben, wurde anscheinend im Eifer der Verchristlichung kaum gefragt. Aber der Norden wie der Süden Englands erkannte denselben Vater — später auch dieselben nächstweiteren Vorfahren — Wodens an; der internationale Charakter der Romkirche überwand alle Stammesunterschiede, wie sie der heidnische K u l t bei den Nachkommen Wodens meistens erhalten hatte. Die nächste Fortsetzung nach rückwärts reichte bis Geat; mit diesem Namen endet die Genealogie von K e n t bei Nennius und die von Lindsey in der Hs. Vespasian B 6 (O. E . T. 171), sowie eine ws.
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Fassung (Annale 547). Die Namen (mit Weglassung der -tMg-Formen) heißen in den Annalen-Hss. B , C und D : Frealaf — Finn — God(w)ulf — Geat.
Etwas anders schreibt die Parker-Hs. der Annalen: Frithuwald — Frealaf — Frithuwulf — Fin — Godwulf — Geat.
Wieder etwas anders die anglisch gefärbte Hs. Vespasian: Frealaf — Friothulf — Finn — God(u)ulf — Geot.
Der britische Nennius (ed. Mommsen S. 171) endlich liest: Frealaf — Fredulf — Finn — Folcwald 1 — Geta *.
Die Stabreimpaare der unhistorischen Könige diesseits Woden gehen also weiter; dabei hat sich die Umgebung von Frealaf wechselnd gestaltet, je nachdem man Frealaf und Fin(n) zu einem P a a r zusammenzog oder beiden oder einem einen Stabnamen zugesellte. Auch die Namenbildung mit fridu (vgl. Wodens ws. Urenkel Frithogar) wurde fortgesetzt und starke kriegerische Begriffe vermieden. E n d lich wiederholt sich die Verwendung von Stammväternamen: Fin(n) Godwulfing vertritt das Volk der Finnen (vgl. z. B . Widsith 20, 76) und deckt sich nicht etwa mit dem bloßen König Finn Folcwalding der Finnsage, zu dem nur der nichtags. Nennius abirrte; und Geat das Volk der Gauten (auch Widsith 58). Stabend zu Geat ist ersonnen priesterliches Godwulf. Der Fortsetzer der Stammtafel, der noch vor 8 1 1 — 8 1 4 (Alter der Hs. Vesp.) tätig war, verstand also die alte Technik der ws. Genealogisten und behielt sie bei. Wenn er jedoch Geat an die Spitze stellte, wo früher Woden gestanden hatte, dachte er schwerlich bloß an einen Volksvater dieses Namens. Das Wort erscheint ags. sonst nie selbständig, sondern nur als zweiter Bestandteil von Personennamen (wie ¿Elfgeat, Angengeat in der Königstafel von Bernicia, Leofgeat u. dgl.) und in einer Glosse für 'Harpye': earngeat (Wright-Wülker, Voc.). Seine Bedeutung ist offenbar 'Art, Geschlecht, Natur'. E s steht ablautend zu ags. geotan '(er)gießen' und geotende 'Arterie'. Bei anderen Germanenvölkern, namentlich bei den Skandinaven, hat sich Gaut — vielleicht auf einem ganz anderen Wege — sogar zu einem Synonym für Woden entwickelt (E. H. Meyer, Myth. S. 234). Indem unser Fortsetzer gerade diesen Namen an die Spitze seiner Genealogie schob, gewann er, ohne Rückfall ins Heidentum, eher mit einem Anflug von Naturkunde, eine inhaltlich genügende, dem ursprünglichen Woden-Anfang entsprechende Spitze. D a ß ein Frealaf als Anfangsglied nicht ausreichte, kann geradezu diese weitere Fortsetzung veranlaßt haben. Völlig anders werden Form und Inhalt der Namen, sobald wir 1 1
Hss.: Folcpald, Folef)ald, Folepald, Foleuuald; interpres: Folcuald. Verschiedene Hss.: Geata.
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uns der letzten Anstückelung in germanischer Sprache zuwenden, dem Teil Geat-Noa, den ich fortan einfach als Noa-Tafel bezeichne. Was die älteste Überlieferung betrifft, zweigt sich die Parker-Hs. von den übrigen Annalen-Hss. durch eine auffällige Lücke ab. Daß sie hiebei nicht das Ursprüngliche bietet, ergibt sich namentlich durch das übereinstimmende Zeugnis der verschiedensten späteren Redaktionen. Ich gebe den ganzen Text synoptisch nach Thorpe, Saxon Chron. I 126. Parker-Hs. (Anf. 10. Jh.) Geat Tsetwaing, Taetwa Beawing, Beaw Sceldwaing, Sceldwea Heremoding, Heremod Itermoning, Itermon Hrawraing,
se waes geboren in |>aere earce Noe.
B und C (ca. 1000)
(Mitte 11. Jh.)
D (Ende I I . Jh.)
Geata (Geatt C) Tsetwaing, Tsetwa Beawing, Beaw Sceldweaing (Scealdwaing), Scyldwa (Scealdwa)
Scealdhwa Heremoding,
Heremoding, Heremod Itermoning, Itermon HaJ)raing, HaJjra Hwalaing, Hwala Bedwiging, Bedwig Sceafing, id est filius Noe, se waes geboren on J)sere earce Noes.
Heremod Itermoning, Itermon Hadrahing, HaJjra, Hwala Beowung, Beowi Sceafing, id est filius Noe, se waes geboren on Jpaere earce Nones.
Geat Tsetwaing, Taetwa Beawing, Beaw Scealdwaing,
Es folgen die Patriarchen von Noa bis Adam nach der Genesis. Verschwunden sind hier die regelmäßigen Stabreimpaare, die Stammesväter, die Friedensbenennungen. Auf den ersten Blick versetzen uns Zusammensetzungen wie Heremod zu got. harjis 'Heer', Bedwig zu ags. b(e)adu 'Kampf u . a . in stark kriegerische Sphäre. Die ws. Sprachform ist hier, wo es sich doch um eine Ehrentafel für die ws. Dynastie handelte, durchbrochen, denn e nach sc, wie in Sceldw(e)a, statt ie, i, y, ist im allgemeinen höchstens vereinzelt in der ws. Diaspora zu finden (vgl. zuletzt Kügler, Aws. ie, 1916, S. 61) und herrscht auswärts. Endlich fehlt dieser Teil in allen außerws. Stammtafeln, die doch bis Geat mehrfach willig mitgegangen waren. Das sind starke Unterschiede nach innen und außen, die nach Erklärung rufen. Indes empfiehlt es sich, bevor wir auf Einzelheiten eingehen, die späteren Umformungen des Textes, soweit sie noch aus ags. Zeit stammen, durchzusehen. A s s e r in seiner 'Vita Alfredi' 893 (ed. Stevenson 1904) übertrug ihn ins Lateinische. Er fügte u. a. zu Geat(a) eine Bemerkung hinzu, wonach diesen 'iamdudum pagani' — d. h. die skandinavischen Eindringlinge von Assers Zeit — 'pro deo venerabantur', B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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sowie eine zweite, worin er Geat(a) mit einem Geta der römischen Komödie, der in einem von ihm zitierten Sedulius-Vers vorkommt, verwechselt, und fährt dann fort: Qui Geata fuit Caetuua «; qui fuit Beauu; qui fuit Sceldwea; qui fuit Heremod; qui fuit Itermod qui fuit Hathra; qui fuit Huala; qui fuit Beduuig; qui fuit Seth; qui fuit Noe.
Von den Fehlern des Asser, der als Waliser den ags. Eigennamen leicht ratlos gegenüberstehen konnte, und von seinen Erklärungen ist nicht eine Spur in der Annalenfassung zu finden; sie hat nicht ihn, vielmehr hat er, der häufige Annalenbenutzer, sie zur Voraussetzung, und zwar in einer Kopie, die, wie aus der Wiedergabe der Frealaf-Umgebung sich ergibt, der Parker-Hs. nahestand. Dadurch verengt sich zugleich der Zeitraum, innerhalb dessen die Annalenfassung entstanden sein muß, auf die Regierungsjahre Alfreds vor 893. Aus Asser, als dem Lateiner, schöpften wieder die lateinischen Chronisten der spätags. Sprachzeit: Florenz von Worcester, der bei dem unbiblischen Seth als Sohn des Noa blieb, Simeon von Durham und Ordericus Vitalis, die für Seth den biblischen Sem einsetzten. Als R e d a k t i o n a u s G l a s t o n b u r y ist die Vorlage zweier Hss. anzusprechen, die mitten im historischen Teil bei König Ine dieselbe Anspielung auf dessen Gründung der Abtei Glastonbury aufweisen. In beiden ist die Königsreihe bis zu Edgar (958—975) herabgeführt, woraus sich die Entstehungszeit dieses Textes ungefähr ergibt. Die eine Hs. ist Tiberius B V von c. 990 (ed. Rel. ant. 1843, I I 172); die andere der bekannte Textus Roffensis von ca. 1124, fol. 101 (ed. Hearne 1720, S. 60—62). Der T e x t steht (in der Frealaf-Stelle) dem der Annalen-Hss. B und C näher als dem der Parker-Hs. Tib. B V . Eat Beawing, Beaw Scealdwaging, Scealwa Heremoding, Heremod Itermanning, Itermon HaJ>raing, Hajara Bedwiging, Bedwig Sceafmg; se Scef wses Noes sunu, and he w a s innan J)sere earce geboren.
Text. Roff. Eata TeJ>wafing, Te|>wa Beawing, Beaw Scealdwaging, Scealwa Heremoding, Heremod Hermanning, Herman Ha^raing, HaJ)ra Hwalaing, Hwala Bedwining, Beadwig Sceafing; se Scef waes Noes sunu, and he wses innan {jaere earce geboren.
Sicher ist die Lesung Eat(a) in diesen beiden Hss. ein Fehler. D a die Annalenfassung dafür die richtige, weil stabende Form Geat bietet, auch als die Vorlage Assers (893) weit älter ist, und weil der 1 So nicht bloß in der einzigen Hs., die sich bis in neuere Zeit erhielt, sondern auch bei Nachschreibern des Asser im 12. Jahrhundert; vgl. Hackenberg.
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Hinweis auf die Gründung von Glastonbury sich durch seine Abwesenheit in den vielen anderen Hss. der ws. Stammtafeln als unursprünglich erweist, haben wir die Annalenfassung für die ursprünglichere zu halten. Was speziell den Scef betrifft, der uns hier zum erstenmal begegnet, ist die Art, wie er, als etwas Selbstverständliches, abrupt aufgetischt wird, in den ags. Genealogien ohne Parallele. Jene Genealogisten haben viel lieber durch Wiederholungen den Leser ermüdet als durch die Auslassung eines Wortes den Sinn gefährdet. Ihr Stil wäre es gewesen, zu schreiben: 'Sceafing, Sce(a)f Noeing', oder wenn man die Ableitung auf -ing von einem Fremdnamen wie Noa vermeiden wollte: 'Sceafing, Sce(a)f Noes sunu'. Eine ungenealogische Hand hat hier eingegriffen und eine Konjektur in den Text gesetzt. ¿ E t h e l w a r d s lateinische Chronik der Angelsachsen reiht sich nach der Zeitfolge knapp an die Glastonbury-Redaktion, denn sie ist bis 973 herabgeführt, übernimmt aber den Text unserer Stammtafel doch aus der Tradition der Parker-Hs., wie die Namen vor und nach Frealaf zeigen. Als Prinz des ws. Königshauses, der für eine Verwandte schreibt, treibt er einen besonderen Kult der gemeinsamen Ahnen; er zählt sie, und indem er vom ersten historischen König Cerdic rückwärts geht, fährt er nach Geat, der ihm der 15. ist, also fort: sextus decimus Tetuua, septimus decimus Beo, octavus decimus Scyld, nonus decimus Scef. Ipse Scef cum uno dromone advectus est in insula oceani quae dicitur Scani, armis circundatus, eratque valde recens puer et ab incolis illius terrae ignotus; attamen ab eis suscipitur, et ut familiarem diligenti animo eum custodierunt et post in regem eligunt. De cuius prosapia ordinem trahit Athulf rex.
Der Schlußsatz soll offenbar betonen, daß die Stammtafel mit Scef an der Spitze abgeschlossen ist. ¿Ethelward mußte erwarten, daß andere Genealogisten seine Darstellung, da sie ja der Tradition widersprach, bezweifeln würden; er gab also seiner Lehre, ähnlich wie der von Woden als bloßem 'rex barbarorum', einigen Nachdruck. Inhaltlich ist sein Bericht zunächst deshalb merkwürdig, weil hier der Urkönig der Westsachsen in Skandinavien landet. Zur Not könnte man annehmen, daß /Ethelward in Woden noch einen Germanen des Festlandes gesehen habe. Aber auch die Form der Namen die er dem Sohn und Enkel des Scef gibt — die erhaltene Hs. (ed. Savile 1596) ist aus dem 11. bis 12. Jahrhundert und durchaus nicht sonderlich nachlässig — , verrät eine Entgleisung. Abschreiber und Überarbeiter der Noa-Tafel hatten bisher in 'Beaw' treulich das a, in 'Sceldw(e)a' das w bewahrt, und auch spätere Kopisten, sofern sie nicht nachweislich von iEthelward abhängen, sind bis in die me. 4*
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Zeit beim w geblieben; er aber bietet 'Beo' und 'Scyld'. Tatsächlich ist dies eine Angleichung an die Schreibung, die das Beowulf-Epos (v. 4, 18 ff.) von den zwei ersten Dänenkönigen überliefert. Gehen wir auf dieser Spur weiter, so stellt sich heraus, daß ¿Ethelwards Erzählung von Scef sich Schritt für Schritt an einzelne Ausdrücke dieser Beowulf-Stelle anlehnt. Das Epos erwähnt 'adelinges fcer' (33), ähnlich spricht der Chronist von 'uno dromone'. Dort landet er 'Scede-landum in' (19), hier auf einer Ozeaninsel Scani. Die Waffenbeschreibung des Epos (39 f.) spiegelt sich in ¿Ethelwards 'armis circundatus'. Dem 'feasceaft' (7) und 'tttnborwesende' (46) entspricht sein 'valde recens puer'; dem 'funden' (7) sein 'ignotus'; dem 'fröfre gebdd' (7) sein 'suscipitur'; dem 'weox' und 'weordtnyndum pah' (8) ungefähr seine Angaben über Erziehung; dem 'god cyning' (11) sein Schlußsatz über die Königswahl. Nicht immer ist dabei die passendere Auffassung auf Seiten iEthelwards zu finden; namentlich auf Erziehung und Königswahl war ein Sendling der Götter nicht so angewiesen, wie es der spätws. Prinz seinen Zeitverhältnissen gemäß hervorhebt. D a ß das Beowulf-Epos um 991 bei gebildeten Angelsachsen wohl bekannt war, erhellt aus der zum Teil wörtlichen Nachahmung in dem damals gedichteten 'Byrhtnoth'. ^Ethelward war nicht ein Mönch und nicht bloß auf Lateinbücher eingestellt, sondern ein höfischer Mann, der z. B. die Geschichte von den treuen Gefolgsleuten des Königs Cynewulf aus den ags. Annalen (755) umständlich entlehnte; er übernahm die Hengest-Sage aus Nennius und einen Vers aus Lucan. Prinzipiell ist gegen seine Benutzung des Beowulf nichts einzuwenden. Ist aber diese eingeräumt, so wird man auch seine traditionswidrige Voranstellung des Scef, unter Streichung aller Vorahnen, am ehesten durch Übernahme der Eposdarstellung von 'Scyld Scefing' (4) als einem Urdynasten ohne bekannten Vater erklären. A s s e r z u r ü c k ü b e r s e t z t i n s A g s . : so kann man eine Redaktion unserer ws. Stammtafel nennen, die im Textus Roffensis fol. 103 v° steht (ed. Hearne S. 59—60). Die Ahnenliste steigt hier von A d a m herunter bis zu Edward dem Bekenner 1041—66. Die Noa-Tafel, die u . a . Assers Vermerk zu Geat(a) wiederholt, lautet da: l>a wses Noe; {ja wses Sem; J>a Waes Scyf, se wxs in J>am arken geboran; da wa»s Bedwig; da waes Hwala; da waes HaJjra; da wxs Iterman; da wxs Heremod; da wass Scealdwa; dawaesBeaw; da was Tejiwa; da wses Geata, dene da hsej>ena wurjDedon for god. Deutlich ist hiebei auch die Glastonbury-Redaktion mitbenutzt, und zwar in einer Form, die dem T e x t des Textus Roff. fol. 101 nahestand, denn der Fehler Tepwa ist nur in letzterer noch zu finden,
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und es ist nicht anzunehmen, daß zwei Schreiber unabhängig voneinander auf eine so sinnlose Verderbnis verfielen. Zwischen Noa und Bedwig stehen hier sogar zwei Namen. Sem stammt aus der Tradition des Asser, dessen Seth von irgendeinem bibelfesten Schreiber korrigiert werden konnte. Scyf ist einfach als spätags. Form für Sce(a)f zu fassen (Kügler S. 60 ff.) und stammt aus der Glastonbury-Redaktion. W i r haben es mit einer Kontamination zu tun, durch die sich eine wachsende Verständnislosigkeit und Willkür der Kopisten kundgibt. W i l h e l m v o n M a l m e s b u r y in der ' H i s t o r i a r e g u m ' , ca. 1 1 2 5 , ist bereits auf dem Wege zum Romanschreiber, als welcher ein Jahrzehnt später Galfrid von Monmouth mit seinen Geschichten von Lear, Arthur, Merlin u. a. die Welt erstaunen sollte. E r durchbricht die Noa-Tafel mit einem noch ausführlicheren Sceaf-Bericht als /Ethelward (ed. Stubbs I 1 2 1 ) : Getius (filius) Tetii; Tetius Beowii; Beowius Sceldii; Sceldius Sceaf. Iste, ut ferunt, in quandam insulam Germaniae, Scandzam, de qua Jordanes, historiographus Gothorum, loquitur, appulsus navi sine remige, puerulus, posito ad caput frumenti manipulo, dormiens, ideoque Sceai nuncupatus, ab hominibus regionis illius pro miraculo exceptus et sedulo nutritus: adulta aetate regnavit in oppido quod tunc Slaswic, nunc vero Haithebi (Hss.: Eithesi, Hurtheby) appellatur. Est autem regio illa Anglia Vetus dicta, unde Angli venerunt in Britanniam, inter Saxones et Gothos constituta. Sceaf fuit filius Heremodii; Heremodius Stermonii; Stermonius Hadrae; Hadra Gwalae; Gwala Bedwigii; Bedwegius Strephii (and. Hs.: Screphii); hic, ut dicitur, fuit filius Noae in arca natus. Man sollte Wilhelm v. M. nicht neben ¿Ethelward als Gewährsmann anführen. Seine Noa-Tafel ist lediglich aus der des ¿Ethelward geschöpft und mit krausen Motiven aus Büchern und eigener Phantasie verbrämt. Nach diesem Vorgänger schreibt er 'Beowius' mit 0 und 'Sceldius' ohne w. Von ihm hat er die 'Insel' Scandinavien, wobei er Jordanes nur zur Ausmalung mit heranzog, und das rittermäßige, nicht reckenmäßige Ideal der 'sorgsamen' Erziehung übernommen. Aus seinem 'valde recens puer' hat er einen 'puerulus' gemacht. Aus einer anderen Stelle des ¿Ethelward zerrte er die Bemerkung über die anglische Stadt Schleswig herbei, ohne zu bedenken, daß er es mit einer sächsischen Stammtafel zu tun hatte. E r war eben schon ein halber Normanne, schrieb 'Guala' statt 'Wala', war gar nicht gut auf die ersten ags. Siedler zu sprechen und wünschte vielmehr ihrem großen Gegner Arthur eine würdige, wahrheitsgemäße Darstellung ( 1 1 1 ) , hatte also von vornherein keinerlei inneres Verhältnis zu altheimischer Volksüberlieferung. E r nennt .¿Ethelward im 'Prologus' und verbeugt sich vor ihm als einem 'illustri et magnifico
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viro', blickt aber aus einem moderneren Stilgefühl auf dessen Werk herunter, 'cujus mihi esset intentio animo, si non essent verba fastidio'. Die Verbesserungsmittel, die unser Mönchschronist in den ¿Ethelward von außen hineintrug, waren zum Teil legendäre. Die Wundergeschichte hat er in all seinen Schriften mit ungewöhnlichem Eifer gepflegt. Wenn er hier das Schiff des Sceaf als 'ruderlos' und seine Landung als 'Mirakel' beschreibt, so folgt er einer Denkweise, für die sich in den ags. Annalen zum Jahre 891 ein klares Beispiel findet: damals hatten sich drei Kleriker aus Irland 'Gott zuliebe' auf einem ruderlosen Boote dem Meer überlassen, und als sie der Wind nach Comwall trieb, nahm sie König Alfred wie gottgesandte Helfer auf. Etymologie war für Wilhelm ein zweites Steckenpferd. Personennamen, die er in Glastonbury auf den Ehrengräbern las, brachte er sofort mit Ortsnamen zusammen (I 26), wobei wir natürlich nach Lautgesetzen nicht fragen dürfen. So hat er hier den Sceaf auf ags. scéaf 'Schaube, Garbe' bezogen und diese Erklärung noch mit Genugtuung unterstrichen: 'ideoque Sceaf nuncupatus'. Niemals finden wir einen ags. Mann nach einem Ding des Ackerbaues genannt — begreiflich, da ja solche Arbeit den Unfreien überlassen war. Wenn dann Wilhelm seinem Sceaf-Knaben die Schaube noch wie ein Attribut beilegt, so hat er eher antik als germanisch gedacht, ganz als hätte er, der mehrfach den Ovid im Wortlaut zitiert, dessen Triptolemus vor Augen gehabt, der als jugendlicher Günstling der Ceres auf ihrem Wagen durch die Luft nach Thrakien fährt und sich dort einem Barbarenkönig mit den Worten vorstellt: 'Dona fero Cereris, latos quae sparsa per agros Frugíferas messes alimentaque mitia reddant.' (Met. V 655 f.)
Hier ein weiterer Ausblick: Zu Anfang des 12. Jahrhunderts ändert sich überhaupt der Wahrheitsbegriff der Erzähler; sie halten sich nicht mehr an das Sitten- oder Sagengerechte oder an die Vision, sondern werden anekdotenhaft; die Gebundenheit altepischen Denkens macht Platz für phantasiefreie Novellistik'). 1 Bei dieser Gelegenheit möchte ich warnen, das Mirakel von der auf einem Schilde schwimmenden und Landbesitz anzeigenden Garbe, das in der Chronik von Abingdon zu 941—6 steht (ed. J . Stevenson I 89), ernsthaft zu nehmen oder gar altags. Volkskunde daraus abzuleiten. Diese Chronik reicht bis 1189 herab, ist also jünger als Wilhelm v. M., dessen Werk in einem mit Malmesbury so rege verkehrenden Kloster wie Abingdon unzweifelhaft bekannt und tatsächlich für die hiesige Chronik das deutliche Muster war. Für eine derartige Besitzanzeige ist nach dem Zeugnis F . Liebermanns in der ganzen ags. Rechtsliteratur nicht eine Spur zu finden; selbst Besitzanzeige durch das Los fehlt. Da das Histörchen darauf hinausläuft, daß eine Wiese am Fluß als Eigentum des Klosters Abingdon gesichert wird unter dem angeblichen Jubelruf der Zuschauer ' J u s Abbendoniae' und zur Abschreckung selbst für 'rex vel dux vel princeps', liegt die Tendenz handgreiflich zutage. Nachdem der Chronist den 'manipulum frumenti' wörtlich aus Wilhelm übernommen und zum Fingerzeig
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Wenige Jahrzehnte nach Wilhelm hörte durch den Verfall der ags. Schreiberschulen der geistige Zusammenhang mit dem alten Germanentum auf der Briteninsel nahezu auf. Es verlohnt sich für meine Zwecke nicht, den weiteren Kopien der Noa-Tafel nachzuspüren. Das bisherige Ergebnis ist: nur die Annalenfassung ist Quelle erster Hand und verdient Glauben — abgesehen von der Lücke in der Parker-Hs., die sich als vereinzelt und daher unursprünglich erweist. II. D e u t u n g d e r N a m e n . Nur für Sinn und Herkunft der Namen in der Noa-Tafel soll hier nähere Auskunft versucht werden, weil diese Namen mehr in der Luft hängen, als die der Cerdic-Geat-Reihe. Der Genealogist fand sich auf so ferner, langer und quellenloser Strecke sichtlich vor eine schwere Aufgabe gestellt. Als Kemble 1836 seine bekannte Schrift über die Stammtafel der Westsachsen herausgab, durfte man noch bei Hapra an ags. hädor 'heiter', bei Hwala an ags. hwccl 'Walfisch' denken. Heute wissen wir durch Förstemann und Searle, wie die Angelsachsen Namen schöpften, durch sie und Rudolf Müllers Studie über die Namen im Liber Vitae auch einigermaßen, wie sie Vollformen in historischer Zeit kürzten. Mit diesen beiden Kompassen versehen, wage ich mich auf das gefährliche Gebiet der Namenerklärung. T a e t w a ist eine deutliche Zusammensetzung. Der erste Bestandteil steht natürlich zu ags. tcetan 'erfreuen', altn. teitr 'gefällig', ahd. zeiz. Der i-Umlaut zwingt uns, als zweiten Bestandteil ags. wine anzusetzen; vgl. Bedwig aus deutlichem badu + wig. In historischer Zeit heißt es zwar immer Tatwine ohne Umlaut (Searle 441); das kann aber eine jüngere Formation unter dem Einfluß des Simplex tat oder umlautverwehrender Zusammensetzungen gewesen sein. Der Wandel des Vokals in wine zu a macht keine Schwierigkeit; vgl. Cuthwine > Cutha (Searle 150; Plummer, Ann. II 5 Anm. 6). Dagegen ist die Bewahrung des w nach Konsonant sehr merkwürdig. Im ausgedehnten hist.-ags. Namenmaterial habe ich vergeblich nach einer Parallele gesucht. Ich sehe keinen Ausweg, als eine abnormale Technik Gottes zum besten seines Klosters ausgestaltet hatte, lag es ihm nahe, nach Wilhelms Vorbild auch aus dem Namen von Sceafs Sohn einen Schild zu ersinnen und diesen mitspielen zu lassen. Die ganze Chronik wimmelt von seltsamen Mitteln, durch die sich die Mönche von Abingdon ihre Güter erworben hatten und für die Zukunft sichern wollten; was daneben an geschichtlichen Dingen vorkommt, ist nur Verbrämung. Das Histörchen ist ein Musterbeispiel einer *pia fraus". Selbst volkskundliche Schlüsse sollte man nicht bloß aus Einzelstellen ziehen, ohne zugleich den Gesamtcharakter der Quelle zu beachten.
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des Namenkürzens festzustellen. — Tatwine, 'schön' + 'Freund', war als hist.Name seit dem 8. Jh. landläufig; die gewöhnlichen Kürzungen dafür waren Taeta und — häufiger — Tata. S c e l d - w a , -wea kann glatt dem in Doomsday bezeugten Scelweard, Sceluuard entsprechen (Searle 410). Im ersten Teil ist die Schreibung mit ea (z. B. Ann.-Hs. C, D) ähnlich zu beurteilen wie in Ceardic für Cerdic, nämlich als Reflex jüngerer, monophthongischer Aussprache des ea bei den Westsachsen auf die Schreibung. Ob der zweite Bestandteil ein -weald oder -weard voraussetzt, bleibt natürlich ungewiß. Der Name würde unserem 'Schildwart' entsprechen, war aber in guter ags. Zeit unhistorisch; erst im 11. Jh. treten Zusammensetzungen mit 'sceld' auf. B e a w , das ich absichtlich erst nach dem durchsichtigeren Sceldwa behandle, stünde, wenn es ursprünglich einteilig wäre, in der NoaTafel vereinzelt d a ; ja, da es in Ermangelung eines Beawvolkes keinen Stammesvater bezeichnen kann, in der ganzen Stammtafel. K a n n eine zweiteilige Form auf -wa zugrunde gelegen haben? In Kurzformen von ags. Namen hat sich zwar, soweit ich sehe, -wa nach Vokal regelmäßig erhalten: Eowa, Heuua, Mawa (bei Searle). Aber als Flexionssilbe hat man germ. oder doch vor-ags. -wa mit vorausgehendem Vokal kontrahiert; vgl. *pewa, peo und dazu Ongentheow (Luick, Hist. Gr. § 101); auch clawu, clea und päwa, pea. Darf solch altertümlicher Vorgang hier angenommen werden, so ist mit einer Vorstufe Bäwa oder Beawa zu rechnen. Als Vollform für Bawa kann man badu + wulf in Aussicht nehmen; was den Wegfall des d vor w bei der Kürzung betrifft, vgl. Theodwulf > T(h)eulf (Searle 444). Eine mögliche Vollform für Beawa wäre beag 'Bauge' + wine, bezeugt im Liber Vitae (Searle 83), oder beag + wulf (auf ags. Münzen, das.). E s ist aber auch möglich, daß Beaw, ähnlich dem Sceldwa, anglische Schreibung für ws. Beow ist. Dann ergäbe sich als Vollform bto 'Biene' + wulf, wie der bekannte Biuulf im Liber Vitae hieß, also ein Mann, der Bienenmut hat oder der zu Opferund Gefolgschaftsschmaus den Met versorgt. Aber auch ein beorn 'Mann' + wulf scheint mir nicht völlig ausgeschlossen; zwar kann ich nur für den Wegfall des r oder des n Parallelen beibringen (Beornwald > Beorwald, A b t von Glastonbury c. 705, Searle 103 f.; Beonna im Liber Vitae, Rudolf Müller 25); doch ist bereits gezeigt worden, daß wir hier nicht bloß auf die Kürzungsmöglichkeiten historischer Zeit beschränkt sind. Inhaltlich würden alle diese Begriffsverbindungen zur Nachbarschaft entweder eines Sceldwa oder eines Taetwa passen. Den ursprünglichen Sinn eines Beaw muß ich daher unsicher lassen; sicher ist nur, daß wir es mit einer vieldeutigen Wortverbindung zu tun haben, und solche Auslegbarkeit eines Namens kommt
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bei der Bildung und Verknüpfung von Sagen erfahrungsgemäß mindestens ebenso in Betracht wie die richtige Urbedeutung; ein Musterbeispiel dafür ist die ungefähr gleichzeitige Entstehung der Brutussage, in der ein Trojanername, der Volksname Briten und das altkeit. Begriffswort brut 'Lärm, Gerücht, Chronik" zusammenflössen. — Abwegig scheint mir dagegen die Herleitung von ags. beow 'Gerste', alts. bewod, der nicht bloß die altangl. t(«)-Form Biuulf im Liber Vitae widerspricht, sondern auch das Fehlen anderer ags. Personennamen aus Pflanzenbezeichnungen. H e r e - m o d ist durchsichtig und muß noch in historischer Zeit nach rühmlichem Kampfesmut geklungen haben, so viele Angelsachsen wurden noch im 8. bis 10. Jahrhundert so genannt. I t e r - m o n enthält an erster Stelle ein Wort, das im ganzen Westgermanischen niemals vorkommt, im Altnordischen aber häufig ist, 'gloriosus' bedeutet und gerade auch mit madr sich verbindet (Vigfusson). Der Name ist daher als Lehnwort aus dem Skandinavischen anzusehen und kann als solches nicht vor der AlfredZeit ins Ags. gekommen sein. Hiemit gewinnen wir eine obere Grenze für die Zusammenstellung der Noa-Tafel: sie kann unmöglich früher erfolgt sein als die Abfassung des ganzen Annale 855, und man darf sogar fragen, ob sie nicht etwa geradezu für die Alfredische Annalenredaktion gemacht wurde, um die neuen Untertanen aus politischer Klugheit mit zu berücksichtigen. Jetzt wird klar, warum die Anknüpfung der Ahnen an Noa, obwohl nach dem Geschmacke der Zeit für jedes Herrscherhaus ruhmvoll, nicht ebenso wie die Hinaufführung zu Geat auch von anderen ags. Höfen übernommen wurde: nach dem Dänensturm von 867 bis 874 war keins mehr vorhanden! Nur die wests. Dynastie blühte weiter, und das wurde durch eine einzigartige Stammtafel markiert. H a p r a ist offenbar hapu 'Kampf' rced 'Rat', in ungekürzter Form mehrfach historisch bezeugt. H w a l a wird verständlich, wenn man, wie bei Beaw, am Ende des ersten Bestandteils einen ausgefallenen Konsonanten ergänzt 1 : hweet 'tapfer' + läc 'Spiel' gibt eine für die Umgebung durchaus geeignete Begriffsverbindung und ist noch in historischer Zeit, um 742, als der Name eines mercischen Bischofs bezeugt (Searle 309). Als Parallelen für den Verlust eines so starken Geräuschlautes wie t vgl. Beorhtwald > Burwold, Brihthelm> Brihelm (Searle96,i22, 90). B e d w i g häuft badu ' K a m p f + wig ' K a m p f . Der Name ist bei historischen Personen nicht zu finden, hat aber inhaltlich eine Parallele an dem mehrfach belegten Heapu-wig (Searle 288). 1
Vgl. Oerie neben Oisc, beides aus 6s + ric, Beda II 5.
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Das Namenstudium ergibt für den Verfasser der Noa-Tafel des weiteren eine bemerkenswerte Beschränkung auf naheliegende, real-verständliche Begriffswörter, ohne die religiösen, abstrakten und fremdländischen Anspielungen früherer Genealogisten mit Frea-, Fridu-, Finn. Dabei schreitet er von einem friedlichen, verteidigten Kulturzustand (Taetwine, Sceldwa) zu einem immer kriegerischeren vor, als hätte ihm die Zeit der Sintflut als die wildeste vorgeschwebt, was zwar nicht zur Bibel, wohl aber zu den germ. Riesensagen paßt. III. R ü c k b l i c k . S c e a f i n g , angl. g e s c h r . Scefing. Die bisher gewonnenen c h r o n o l o g i s c h e n E r g e b n i s s e lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 6. Jahrhundert: Stammtafeln bis zurück zu Woden; lokal verschieden; zusammenzubringen mit dem Übergang vom Häuptlingswesen zu geordneten Reichen (Annalenausdruck dafür: to rice fön). 731: Als häufig von Beda bezeugt. Frühchristlich: Frealaf als Vater Wodens hinzuerfunden; einheitlich durchgeführt. Vor 811—4: Weitere gemeinsame Fortführung rückwärts bis Geat (altangl. Geot). 867—74: Ausfall aller außerws. Dynastien und ihrer Stammbäume durch skand. Eroberung und weitgehende Umkolonisierung. Alfredisch, zwischen 871 und 893: Zuriickführung bis auf Noa; nur wests.; anders geformt und mit Aufnahme fremder Bestandteile eingefügt in die rein ws. gewordenen Annalen (zum Jahr 855). Kein Sce(a)f, nur mit Bedwig Sceafing als Sohn Noas. 893: Assers lateinische Redaktion. Scefing ersetzt durch Seth (bei Kopisten Sem). Anf. 10. Jahrh.: Parker-Hs. der Annalen angefertigt; Scefing samt Umgebung ausgelassen. Unter Edgar, | 975 : Entstehung der Redaktion von Glastonbury (ags.); aus Scefing ein Sce(a)f erschlossen. jEthelward, nach 973: Anlehnung an das Beowulf-Epos; Sce(a)f, aus Scefing, als Urkönig und Vater des Scyld ausgemalt an der Spitze (lat.). Unter Eduard d. B. (1041—66): Kontamination der Asser- und der Glastonbury-Redaktion im Text. Roff. mit Sem und mit Sce(a)f, geschr. in spätws. oder kent. Art als Scyf (ags.). Wilhelm von Malmesbury, c. 1125: Kontamination der ¿EthelwardRedaktion mit der Annalenfassung, wobei aus Scefing ein Screphius oder Strephius wurde (lat.). S c e a f i n g zu erklären bleibt noch übrig. Seit dem Zusammensteller der Noa-Tafel im Annale 855 hat kaum ein Bearbeiter mehr
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das Wort verstanden. Jener Zusammensteller selbst fühlte, daß es seinen ws. Lesern seltsam klingen dürfte, denn er fügte eine Art Definition hinzu: 'id est filius Noe', und er begründete diese auf den ersten Blick noch nicht einleuchtende Gleichung durch den Relativsatz: 'se waes geboren in f>aere earce'. Zu der Arche muß also das Wort in engerer Beziehung stehen — da ist die Lösung zu suchen. Männliche ags. Ableitungen auf -ing können, abgesehen von Sachbegriffen, dreierlei Arten von Personen bedeuten (Kluge, Nom. Stammbild., 2 1899, § 22—27): a) Kollektivisch die Angehörigen eines Volkes, einer Gemeinde, einer Familie. Wir lesen viel von Scyldingas = Dänen, von Scylfingas = Schweden u. dgl., aber nie von Sceafingas. Auch wäre ein Volks- oder Sippenname nicht gut mit der Arche zu verknüpfen. Dieser Weg ist also nicht gangbar und auch nie eingeschlagen worden. b) Patronymisch den Sohn — unter Umständen auch den ferneren Nachkommen — eines mit dem Grundwort bezeichneten Mannes. An solchen Sohnesbezeichnungen sind die ags. Stammtafeln reich; speziell unsere ws. bringt sie reihenweise; es war daher natürlich, daß die Kopisten auch Sceafing — wenn sie nicht, wie dies in der Parker-Hs. geschah, die ganze Stelle wegließen — in solchem Sinne zu deuten versuchten, wobei sie allerdings bald auf einen Seth (oder Sem), bald auf einen Sce(a)f rieten. Selbst der Zusammensteller der Annalenfassung erklärte Sceafing zunächst in patronymischer Art, als Sohn des Noa, um dann erst auf die Arche hinzuweisen. Das Fehlen eines Sceaf in der Annalenfassung ist unter solchen Umständen am allerwenigsten als zufällige Auslassung zu erklären. Gab es aber ursprünglich keinen Vater Sce(a)f, so entfällt auch die Auffassung des Sceafing als einer Sohnesbezeichnung. c) Qualitativ einen Menschen, der mit dem Begriff des Grundwortes irgendwie zusammenhängt; manchmal in würdigem Sinne, z. B. cyning, cepeling; meist in diminutivem oder sogar in verächtlichem Sinne, z. B. flyming (vom sb. fleam 'Flucht'), Höring, niäing, earming oder ierming (vom adj. earm), lytling. Wie bei allen männlichen Ableitungen auf -ing muß das Grundwort ein Substantiv oder Adjektiv sein. In historischer Zeit überwog für solche diminutive Bildungen bei den Angelsachsen schon weitaus das Suffix -ling. Dennoch hat Wilhelm von Malmesbury noch richtig gefühlt, daß Sceafing hiehergehört; nur verband er es unpassend mit dem Simplex sceaf 'Schaube', das mit der Arche in keinerlei unmittelbarem Bezug steht und auch nicht gut zu ags. Namengebung überhaupt stimmt. Gibt es für Sceafing ein anderes ags. Grundwort? Als Verb ist von vornherein ausgeschlossen sc(e)afan 'schaben, schnitzen, glätten'. Das dazugehörige sceafa 'Hobel' oder vielleicht
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eher 'Schabemesser' (C. Brasch, Werkzeuge im Ae., 1910, S. 48,127) hat mit dem B a u einer Arche kaum entfernt etwas zu tun, führt auch zu sehr ins Unheroische und Unhöfische. Vergeblich sucht man nach einem geeigneten ags. Grundwort. Dagegen genügt allen Anforderungen ein lateinisches. In England wie auf dem Festland war scapha ein wohlbekannter Ausdruck für eine bauchige A r t von Schiff oder Kahn. In den Corpus-ChristiGlossen begegnet scaphum: scip (Sweet, O. E . T. 95). Dann in jElfrics Glossar scapha vel trieris: litel scip vel sceigd (altn. skeiß 'Kriegsschiff' nach Vigfusson); dann im Brüsseler Vokabular des 11. Jahrhunderts scapha: drendscip (Wright-Wülker, Voc. 165 40, 287 2s). In Ingulphs Chronik von Croyland, die freilich eine ziemlich späte Kompilation ist, wird vom altmercischen König /Ethelbald 7 1 6 — 7 5 5 berichtet, er habe zum B a u des dortigen Klosters Erde auf Kähnen in die Sümpfe schaffen lassen: scafis deferri (ed. Gray Birch, 1877, S. 7). Noch mehr Belege bei Jaeger, Arch. 159. Aus den angeführten erhellt bereits, daß das Wort für die Angelsachsen ein einfaches, unter Umständen ein primitives Schiff bedeutete, das daher mit einer Arche leicht zusammenzu denken war. Wenn Sceafing davon abgeleitet wurde, so stand es ungefähr für 'Kahnmensch', und dieser Begriff genügt, um der Definition in der Annalenfassung Sinn zu verleihen. Vgl. wicing. Daß ein Fremdwort, noch dazu ein aus dem Griechischen (ctk6ef J)at 03t of noçt hatz mad J>e cler (273). C l e a n n e s s (E. E. T. S. I.): In dongoun be don to dreçe J>er his wyrdes (1224). C h a u c e r : . . . the sorowful werdes of me olde man (Boet. I met. 1»). . . . hath put under foot the proude werdes (das. met. 41). O Fortune, executrice of Wierdes (werdis and. Hs., Troil. I l l , 618). The Wirdes that we clepen destanye hath shapen hir (Leg. 2580). L a n g l a n d : . . . hus werdes were ordeined by wil of oure lorde (Piers Plowman C I V , 241). G o w e r : I t were a wonder wierde to sen a king become an hierde (Conf. Am. I l l , 1819). Thei (Atropos, Lachesis, Cloto) at mi nativité my weerdes setten as thei wolde (IV, 2765).
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C o u r t of L o v e (Skeat's Chaucer V I I ) : T h e susters waried a n d misseid, I mene, t h e three of fatall distine, t h a t be our werdes (1173). J a k o b I : F o r t u n e hir werdes uncouthly devidith (Kingis Quair, Str. 9). Fortuna zum Dichter; Du bist zu schwach withoutin werdis wele (Str. 169). C u r s o r M u n d i : S t r a n g weird (Hs. Cotton, wired Hs. Fairfax) was giveu t o {>am o were (3453)Von der Erbsünde: H a r d it es, J)e wird (CF, word Göttingen, dede Trinity) o sin, J)at yarked was til Adam-kin (8981). H a d nevir woman so blisful wird: bild (CT, werd FG 9968). Jesus über Judas: H e mai sai Wirdes (C, wirde F, werd G, b u r t h T 15279). S i r G a w a i n (E. E . T. S. 4) : How Jjat destiné shuldej>at d a y [ d y ç t ] his wyrde (1752). Gawain verlangt nach der Kapelle t o dele on nwçerez d a y j>e dorne of m y wyrdes (1968). Worjie hit wile o{>er wo, as J>e wyrde lykez hit hafe (2134). Dalyla dalt h y m (Samson) hys wyrde (2418). B a r b e r : God m a y r y c h t weill our werdis dele (Bruce I I , 329, X I , 50, X V I I I , 46). Der König auf der Flucht t h o c h t tili t h e end hys werdis dryw (III, 390). Werd, t h a t t o end a y driffis t h e warldes thingis, t h a m e (die Verteidiger) assalyt (IV, 148). M o r t e A r t h u r (E. E . T. S. 8): I t es owre weredes t o wreke t h e wrethe of oure eiders (385). (Modred) weries t h e stowndys, t h a t ever his werdes wäre wroghte siehe wandrethe t o wyrke (3889). D e s t r u c t i o n of T r o y (E. E. T. S. 39) : Calchas fragt den Gott, which wirdis shuld h a p p y n (4499). Jason bittet Medea um Hilfe : I wot me unworthy {)is wirdis t o fall (629). I wipe of our wranges and wirdis us done (4188). Troja hätte gesiegt, b u t wirdis, J>at is wickid, waitis her avauntage (7051). P r o s e L i f e of A l e x a n d e r (E. E . T. S. 143) : Goddez of {>e este partiez of J>e werlde sali teile t h e alle t h i werdez (S. 15). W a r s of A l e x a n d e r (E. E . T. S. X I . V I I ) : Anectanabus verstand wirdis t o setten (41). W e be all a t Jjare will, t h u s is wirdis Schapen (178). S u m can J)e brefe, be-life, Jie birth of J>ine childire, be it hee, be [it] scho, haly J>are werdes (257). Anectanabus überlegte no^t bot {je werdes of m y gracious goddis (270). Er zieht hervor sieben helle Sterne, um zu sagen takens of J>e t y m e s and talis of our werdis (283). Zu Alexander: Se m y h a t t e r werdis, J»e evyll sterne of Ercules etc. (702). Man, Jjat sett is be wird, so many province t o pas (443). W h a r e er J)i werdes J)ou wan of J)i goddez ? (949). Alexander verlangt J)e prophecy of all m y piain werdys, how me is destayned to dye (1099). Vont Spiel des Krieges oder Ringens: so hase werdez shapyn (2260). H a s J>u ossed t o Alexander J>is ayndain (für a i d a n t 'günstig' ?) wirdes ? (2307). Levely on p a m loke and lesten i;our wirdis (4949). H e n r i s o n : Sic is m y wickit weird (Cresseid 385). My destany a n d eik m y weird I wait (Fables of Esop 412). Destyny and werd (Orpheus 565). H e n r y t h e M i n s t r e l : As werd will wyrk, t h i fortoun mon thou t a k (Wallace I X , 244)-
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R a u f C o i l z e a r (E. E. T. S. X X X I X ) , das warnende Weib abwehrend: The weird is mine awin (379). C a t h o l i c o n a n g l i c u m , 1483 (E. E. T. S. 75): Wyrdis (Wyrde A) parce (vgl. Herrtage's Anm.).
Inhaltlich mögen diese Belege zeigen, wie bekannt die Parzen oder Destinies bei den englischen Dichtern und Lesern, wenigstens bei den gebildeteren, zu Anfang des 15. Jahrhs. waren und wie sich ihr Bild mit den heimischen Begriffen wird und werd verband. Aber auch im Volksmunde ist ein Abbild von ihnen bereits zu erweisen; das ergibt sich aus einer der frühesten Märchenanspielungen, die wir in der englischen Literatur besitzen. R e g i n a l d P e c o c k , der ehrliche Geistliche aus Wales, der in Oxford und London wirkte und die Angriffe gegen die Geistlichkeit durch seinen 'Repressor' (1455) abzuwehren suchte, redet von närrischen opiniones einfältiger Leute, wie daß ein Mann im Monde sei oder daß 'III sistris (whiche ben spiritis) comen to the cradilis of infantis for te sette to the babe what shal befalle to him' (ed. Babington, 1860, S. 155). Nach der Zahl und Beschreibung dieser Schwestern können nur Wesen in der Art der Parzen gemeint sein. Wie diese mit der Nativitätsstellung, also einem Hauptteil der Astrologie, verknüpft wurden, ist aus der obzitierten Stelle bei Gower (Conf. Am. 1399, IV, 2765) zu entnehmen. Vom Planeten 'in horoscopo, be it in nativite or in eleccioun', handelte um dieselbe Zeit auch Chaucer im 'Astrolab' (1391, II, § 4). Pseudogelehrsamkeit kam der antiken Mythe zu Hilfe, um die altheimische Schicksalsgöttin zur Wahrsagerin auszubilden. Soweit hatte sich im dunklen Kollektivdenken der Jahrhunderte die germanische Wyrd in England verändert, als ein kühner Chronist sie mit dem Namen des Schottenkönigs Macbeth verband. Dieser Herrscher hatte 1040—57 regiert und mehr ein Problem als eine deutliche Erinnerung hinterlassen, so daß die Phantasie sich leicht als Ergänzerin einstellen konnte. Wir kommen hiemit aus dem Bereich der Volkskunde in den der individuellen Erzählung. A n d r e a s v o n W y n t o w n , Canonicusam erzbischöflichen Domkapitel von St. Andrews, wo 1411 die älteste schottische Universität gegründet wurde, verfaßte ca. 1420—24 'The orygynale Chronykil of Scotland', um zum erstenmal in der Sprache seines Volkes diesem eine Urgeschichte des Königreiches zu geben. Vorher war im schottischen Idiom schon das Leben des Befreierkönigs Bruce geschrieben worden, vom Archidiakon Barber in Aberdeen; gleich diesem verwendete Wyntown Reimverse und Überlieferungsgeschichten, um sein Werk, das er für einen adeligen Gönner schrieb, möglichst lesbar und interessant zu machen:
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(Prol. 15, ed. Laing).
Von Macbeth fand er in seinen lateinischen Quellen zwei kurze und zwiespältige Berichte: ein gerechter Gesetzgeber sei er gewesen, ein Rompilger, ein Förderer der Kirche, aber zugleich der Mörder seines Vorgängers und Onkels Duncan, weshalb ihn dann Duncans Sohn Malcolm, der nächstfolgende König, mit Waffen umbrachte. Diese Mönchschronisten hatten gelesen, daß Macbeths Vorgänger nicht sein Vater, sein Nachfolger nicht ein Sohn von ihm war, und da sie das Schwanken zwischen männlicher und weiblicher Thronfolge, das bis zu Macbeth herab in Schottland herrschte und durch das die Frau des Macbeth den Thronanspruch ihm zugebracht hatte, nicht mehr verstanden, war er ihnen als Usurpator erschienen (Burton, Hist. of Scotl. I, 348). Sie fanden überdies, daß Duncan durch Mord gestorben war, und machten daher ihren einstigen Gönner schlankweg zum Mörder; Malcolm habe dann mit Waffen die Rache an ihm geübt. Unwissenheit und Verdacht hatten auf einen guten König Schatten geworfen, zu deren Erklärung jetzt Wyntown 'sum storys' aufnahm, bis eine Art Macbeth-Sage herauskam. Nach Wyntowns Darstellung war Macbeths eigentlicher Vater ein schöner, aber teuflischer Zauberkünstler gewesen, was deutlich die Doppelnatur des Sohnes erklären sollte. Er verführte Macbeths Mutter auf Elfenweise im Walde. Als Macbeth selbst noch jung war und beim gütigen Duncan im Hause lebte, träumte er nachts, er sitze auf der Jagd mit zwei Rüden an der Seite des Königs und sehe drei Frauen gehen; 'and thai wemen than thowch the thre werd systrys mast lyk to be'. Die erste sagte im Vorbeigehen: 'Lo, yhondyr the Thayne off Crwmbawchty'. Die zweite nannte ihn Graf von Morave. Die dritte aber sagte: 'I se the Kyng'. Als er dann in der Tat jene beiden Grafschaften erhielt, hoffte er auch König zu werden: The fantasy thus of his dreme Movyd hym mast to sla hys eme.
Er mordete also Duncan und nahm dessen Witwe zur Frau. Beim Bau einer Zwingburg zu Dunsinane sah er lässige Ochsen und befahl tyrannisch, daß deren Beisteller, der Graf Macduff, den eigenen Kopf ins Joch stecken und ziehen sollte, was Macduff zur Flucht antrieb; er entkam an den englischen Hof, wo bereits die Söhne Duncans Aufnahme gefunden hatten. Der jüngste von ihnen, Malcolm, legt eine Tugendprobe ab und zieht dann mit Macduff auf Rache aus. Da sie hören, daß Macbeth auf Magie vertraue (in fantown fretys had gret fay) und sich sicher wähne, bis der Wald von Brynnane zum Berg
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von Dunsinane komme, simulieren sie mit abgerissenen Zweigen den wandernden Wald. Fliehend ruft Macbeth einem Ritter zu, der ihm feindlich zu nahe kommt: 'That man is nowcht borne off wyff off powere to rewe me my lyffe'; aber der Ritter war der Mutter aus dem Leibe geschnitten worden, und Macbeth fällt. Mitten zwischen diesen wundersamen Anfang und Schluß seiner siebzehnjährigen Regierung ist — etwas unvermittelt — die Angabe von seiner Gesetzgebung, Romfahrt und Kirchenbegünstigung eingeschoben. Zwingburgbau mit Tyrannenbefehl, wandernder Wald und ungeborener Held sind längst als weitverbreitete Motive aus dem Volksmund erkannt (vgl. Tellsage, sowie Kröger, Sage von Macbeth, 1904, S. 68 ff.). Für den Dämonenvater ist als nächstes Vorbild die Alexandersage zu nennen, die gerade zu Anfang des 15. Jahrhs. zwei Fassungen im nördlichen Dialekt erfuhr, das 'Prosaleben des Alexander' und den Stabreimroman 'Wars of Alexander'; nur ist die Schwängerung der Olympia durch den Magier Nectanabus, die am Hofe von Alexanders Vater gedacht war, bei Wyntown in einen Wald und überhaupt ins Elfische übertragen, was schottischen Volksüberlieferungen entsprach. Aber auch für die drei Weissagungen, die dem Macbeth gemacht werden, lassen sich in diesen Alexanderromanen bemerkenswerte Parallelen aufdecken: 1. Die Bestimmung zum König wird dem Macedonier bereits als zwölfjährigem Jungen in Gegenwart seines Vaters durch das Bucephalusorakel geoffenbart; 2. bis ein gewisser Berg sich wegtragen läßt, sollte Alexanders Ruhm dauern, das verkündet ihm der Gott Serapis im Schlaf; und 3. über seinen Tod enthüllt ihm derselbe Serapis, obwohl von ihm befragt, mit Absicht nichts, um ihn bei Lebensfreude, bei Mut zu erhalten (Prosaleben, E. E. T. S. 143, S. 9, 14 f.; vgl. Wars, E. E. T. S. X L V I I v. 799, 10930.). Von jeder dieser Weissagungen behielt Wyntown etwas bei und wandte es auf Macbeth an; von der ersten den Inhalt: Thronfolge; von der zweiten die Bedingung: Landschaftsbewegung; von der dritten den Zweck: Tapferkeitsbewahrung. Zugleich hat er alle frei verändert und speziell zur Vorbringung der ersten die werd sisters aufgeboten. Ungewöhnlich ist es dabei, daß diese Seherinnen bei Wyntown 1. an einem Jagdplatz und 2. in Gegenwart von Rüden erscheinen und 3. eine politische Frage behandeln; niemals war solches bisher von den Schicksalsschwestern erzählt worden. Aber alle diese Züge finden sich bei der Begegnung des schottischen Sehers Thomas von Erceldoun mit der Elfenkönigin, wie sie 1399 in der nordenglischen Romanze Thomas of Erceldoune' (ed. Brandl, str. 10) geschildert wurde. Aus dieser nordenglischen Romanze oder auch aus einer damit zusammenhängenden Ballade über Thomas Rymer (vgl. Child, Nr. 37) kann er nach Zeit- und Ortsverhältnissen leicht
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geschöpft haben. Jedenfalls brauchen seine Veränderungen nicht als Erfindungen von ihm allein betrachtet zu werden; durch das Studium seiner Quellen werden sie uns sehr begreiflich. Obwohl im wesentlichen nur Zusammensetzer, war Wyntown für Shakespeare doch ein wichtiger Vorarbeiter. E r gab den Schicksalsschwestern zum ersten Male realistische Umgebung, nationale Farbe und eine aktive Rolle inmitten einer größeren Begebenheit. E r hat sie anschaulich, schottisch und episch gemacht. Allerdings, von der Naturnotwendigkeit oder gar von der Göttlichkeit, die hinter der frühags. W y r d stand, ist in seiner Darstellung nichts mehr zu spüren. Sie verkörpern in seinem Bilde mehr den verführerischen Weltzufall als eine gesetzmäßige Weltordnung. Sie haben nicht mehr ein naturphilosophisches, sondern eher ein höfisch-novellistisches Dämonentum. Dieser Charakter ist ihnen noch bei Shakespeare so weit geblieben, daß sie dieser in seiner Tragödie zwar zur Konfliktserregung und Mutauf peitschung bei seinem Helden, sowie zur Malerei von Stimmung und Hintergrund gebrauchen konnte, aber nicht als innerlich große Hauptpersonen oder als echt mythische Weisheitskünder. Der nächste Schriftsteller, der sie weiter modelte, war der Edinburger Hofhistoriograph H e c t o r B o e t h i u s , der 1 5 2 7 in lateinischer Prosa eine 'Historia Scotiae' herausgab. Seine halboffizielle Aufgabe, seine Stellung zur Renaissance und seine Nachgiebigkeit gegenüber einem weitverbreiteten Wahn seiner Zeit veranlaßten ihn zu wichtigen Zutaten. Zunächst verlieh er den Schicksalsschwestern, die bei Wyntown noch als bloße Traumgestalten auftraten und fast unbeschrieben blieben, nicht bloß volle Wirklichkeit, sondern führte sie autoritativ ein, als ob es sich um eine Staatsaktion handelte. E r gab ihnen ein ungewöhnliches Gewand (insolita vestitus facie: Ed. 1 5 7 5 , S. 242). E r ließ sie auf dem Wege nach Torres, der Residenz des Königs, zwischen Wald und Feld auftauchen. Hauptsächlich aber setzte er Macbeth einen Zeugen an die Seite, Banquo, der jetzt zum ersten Male mitspielt und ebenfalls eine Weissagung erhält, die auf den gegenwärtigen Hof abzielte: ' E x te nascentur longa nepotum Serie rerum Scoticarum potituri'. Der Zweck dieser Worte wird erst deutlich, wenn man bedenkt, wie sehr die schottische Unabhängigkeit vor wenigen Jahren durch die Schlacht bei Flodden Field 1 5 1 3 in Frage gestellt war: da mußten sich die Schicksalsschwestern in Person für die Dauer des Edinburger Hofes verbürgen. Boethius stellte hiemit die Nachkömmlinge der Wyrd in den Dienst der Dynastie und schuf auch für Shakespeare die Gelegenheit, seinem 'großen König', Jakob I., zu huldigen.
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Ferner wußte Boethius als Latinist, daß die Parzen über alle drei Zeiten, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Bescheid zu geben hatten, und er brachte dies heraus, indem er ihre Grußworte an Macbeth entsprechend abstufte. E r ließ die erste rufen: 'Salve, Maccabaee, Thane Glammis', denn diese Würde hatte Macbeth bereits gewonnen gehabt; die zweite: 'Caldariae Thane' — dies habe sich rasch als wahr erwiesen, indem der bisherige Graf von Cawdor wegen Majestätsbeleidigung (!) hingerichtet und sein Land an Macbeth gegeben wurde. Um so glaubwürdiger klingt dann der Gruß der dritten: 'Salve, Maccabaee, olim Scotorum rex'. Durch solche Annäherung an die Parzen wurden die drei Gestalten zugleich charakteristischer und wirkungsvoller. Der Anbruch des Renaissancejahrhunderts hat überall die sagenbildende Kunst der Chronisten, die sich überhaupt eine Phantasie erlaubten, gefördert. Nachdem aber Boethius das Parzentum seiner Prophetinnen hinreichend ausgenützt hatte, begann er, indem er zu Macbeths gewecktem Ehrgeiz und Gewalttun überleitete, ihr Wesen nach dem Erfolge umzubeurteilen. E r läßt uns die Wahl, ob wir sie wirklich für die 'Parcas' halten wollen, 'aut nymphas aliquas fatidicas diabolico astu praeditas'. Wir dürfen sie also für untergeordnete Waldund Flurdämonen halten, nicht mit Weisheit, sondern mit Schlauheit begabt, ja mit einem Stich ins Teuflische. Sobald dann Macbeth geradezu an Thronraub denkt, wird es unumwunden als ein Irrtum von ihm bezeichnet, daß er sie für Göttinnen hielt: 'Addidere animos viro quae per deas illas (ut opinabatur) acceperat'. Noch später, in Hinblick auf seine 'crudelitatem', erklärt Boethius: 'Agitabant eum furiae, quod fit in tyrannis et per scelus respublicas occupantibus', was an die Tyrannenschilderung in Senecas 'Thyest' (78. 250) erinnert, die ein halbes Jahrhundert später zu Buchanans königfeindlichem Buche 'De jure regni apud Scotos' (1579) den grausen Epilog lieferte. Endlich wird es bei der Weissagung vom wandernden Walde offenkundig, was Boethius bei dieser Herunterziehung der Prophetinnen vorschwebte: 'muliercula futurorum praescia' habe ihn mit dieser trügerischen Voraussage geäfft; neben die Parzen, Teufelsnymphen und Furien tritt also eine Hexe. Vor allen miteinander warnt Boethius im Schlußsatz an Macbeths Leiche: 'Falsae daemonum delusiones in extremam eum perniciem induxere'. Ein Menschenalter vorher war der berüchtigte 'Malleus maleficarum' erschienen (1489); er vergiftete trotz Humanismus das ganze Denken der Zeit über mythische Dinge; durch Boethius kam auch das Nachleben der W y r d unter die ausgeprägte Herrschaft dieses Irrwahns. War Boethius ein kecker Bearbeiter, der z. B. den Wyntownischen Zauberervater des Macbeth ohne weiteres wegließ, so haben wir es
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bei J o h a n n B e l l e n d e n 1 ) nur mit einem etwas freien Übersetzer des Boethius aus dem Lateinischen in schottische Prosa (1536) zu tun. Wie die werd sisters des Wyntown im Boethiustext sich in Parcas gewandelt hatten, werden diese jetzt im Bellendentext wieder zu weird sisters; es ist nicht nötig, deshalb zu vermuten, Bellenden habe zugleich Wyntown mit benutzt; die beiden Ausdrücke galten ja längst für synonym. Unter den kleinen Veränderungen des Bellenden ist hier hervorzuheben, daß er sowohl diese Seherinnen vornehmerer Herkunft als auch die 'muliercula' als wiches bezeichnet. Er hat die Hexenvorstellung mit einer gewissen Derbheit durchgeführt und insofern den Tiefstand der Wyrdauffassung erreicht. R a p h a e l H o l i n s h e d , Shakespeares unmittelbarer Vorgänger, bezeichnet schon wieder einen Aufstieg. Er schrieb Bellenden aus für seine Chronik von Großbritannien (1578), die er in Londoner Englisch und in Fühlung mit adeligen Kreisen und nach höfischen Gesichtspunkten zusammenstellte; da war mit düsterem Volkswahn nicht viel Staat zu machen, wohl aber mit Belesenheit in antiker und neuenglischer Literatur. So vermied es denn Holinshed durchaus, die drei Schwestern als Hexen zu nennen. Beim ersten Auftreten beschreibt er sie als 'three women in stränge and wild apparell' (Collier-Hazlitt, Shak. Library I, 2158), was für des Boethius 'insolita vestitus facie' steht, und fügt aus eigenem bei: 'resembling creatures of eider world'. Dazu konnte ihm, da sie bei seinem Vorgänger 'nymphs' hießen, eine Stelle in Ovids Gigantenkampf verhelfen: 'sunt rustica numina, nymphae faunique' (Met. I, 192); die Entstehung der Dämonen war hiemit in eine Vorzeit der antiken Götter verlegt. — Des weiteren hat Holinshed die genaueren Andeutungen des Boethius über ihr Wesen veredelt. Er übergeht den Ausspruch, Macbeth habe sie fälschlich für Göttinnen gehalten. Er behält Bellendens 'weird sisters' als Ersatz für 'Parcae' bei, und zwar in der schottischen Schreibung mit ei, fügt auch eine Erklärung bei, als wäre das Wort seit Chaucer und Gower für Londoner unverständlich geworden: 'that is (as ye would say) the goddesses of destinie'. Die Seherinnen erhalten hiemit wieder Unsterblichkeitsrang. Die Begriffsvariante des Boethius 'prophetische Nymphen' hat er dann mit dem Zusatz 'or feines' bereichert (das. 159) und hiemit die Schicksalsschwestern in die Feenwelt der Spenserzeit eingereiht. Zuerst wurde ihnen Würde, wie in altgermanischer Zeit, dann sogar ein gewisser Schönheitsreiz hiemit zugebilligt, allerdings nicht mit germanischen, sondern mit lateinischen und keltischen Mitteln, wie es dem Eüsabethanischen GePhotographien der einschlägigen Blätter seines Werkes verdanke ich der gütigen Vermittlung der Hamburger Stadtbibliothek.
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schmack entsprach. — Im Gegensatz hiezu hat Holinshed gegen Schluß die 'muliercula' flüchtig und verächtlich als 'a certeine witch' abgetan. Daß Macbeth zu dieser gewöhnlichen Hexe herabstieg, erscheint bereits als innerer Zusammenbruch seines Charakters. Solcher Niedergang eines ursprünglich arglosen und edlen Mannes, wenn durch Wahrheitsweissagung von mehr oder minder göttlichen Wesen veranlaßt, wirkt als Anklage gegen die Weltleitung, und hiemit war bereits bei Holinshed der innerliche Seelenkonflikt gegeben, mit dem der Dramatiker an den Stoff herantrat. Zu Shakespeares Zeit gab es eine große Hexenfrage, auch bei den Juristen und im Parlament, wobei sich zwei Antworten vordrängten. Reginald Scott, Hopfenzüchter und Abgeordneter mit Oxforder Erziehung, erklärte 1584 in 'Discovery of Witchcraft' die Sache für Unsinn. Jakob V I . von Schottland, wo der IFwtfgedanke fest wurzelte und bei Gelehrten wie Bellenden (Livius-Übersetzung, 1 5 8 3 , Sc. T . S. 47, 51), bei Kirchendichtern (z. B . Gude and godlie Ballatis 1867, das. 39) und bei Hofdichtern wie Montgomerie 1597 immer wieder durchbricht, nahm in der 'Daemonologia' 1599 alles ernsthaft für Teufelswerk und suchte als König von Großbritannien auch die englische Gerichtspraxis in diese Bahn zu lenken. Doch war für die Schicksalsschwestern noch eine Auffassung vorhanden; und zwar brachte sie Dr. Gwynne im 'Oxford triumph' zum Ausdruck, mit dem er 1605 den neuen König durch 'three youths or Sibyl's begrüßen ließ; er berief sich auf 'tradition' und führte 'the prophetic sisters' zu einer Begrüßung des Herrschers 'from the woodland glades' vor, deutlich im Rahmen der Boethius-Geschichte: 'Hail thou, who rulest England' usw. (Macbeth, ed. Porter and Clarke, S. 110). Da haben wir es offenbar nur mit einem bedeutsamen Märchen zu tun, und diesem Vorgang folgte Shakespeare. Als einigermaßen göttliche Wesen, wenn auch untergeordneter Art, stellt Shakespeare die drei Schwestern hin, indem er sie die Unordnung der Welt durchschauen und künden läßt (Fair is foul, and foul is fair I, 1), indem er sie als Eilboten über Meer und Land bezeichnet (posters of the sea and land I, 3), indem er ihnen als Herrin die Orcusgöttin Hecate, Ovids 'adjutrix cantusque artisque magorum' (Met. V I , 195) und Senecas Losunggeberin der Medea (842) in Person beigibt (III, 5) und indem er diese ganze Gruppe beim Abgang befähigt, seinen Monarchen zu rühmen (IV, 1). Aber zugleich sind sie mit dem gemeinboshaften Tun der Hexen und sogar mit deren Kessel ausgestattet, mit der 'muliercula' zusammengeworfen und stark der alttestamentlichen Hexe von Endor angeglichen, die für seinen König Jakob ein Hauptbeweis für die Existenz solcher Teufelsweiber war. So entstand eine neue, gemischte Gattung von Unholdinnen, reicher
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versinnlicht mit gelehrt-antiken und mit vulgär-heimatlichen Mitteln, als es Parzen oder Hexen allein je gewesen waren. Sogar ein drittes Element wird eingeflochten, indem Hecate die Drei auffordert, singend um den Kessel zu gehen, 'like elves and fairies in a ring' (IV, i ) ; die Feen des Holinshed hat Shakespeare, wie lange vorher im 'Sommernachtstraum', mit den Elfen verquickt und die Reigen dieses Märchenvölkchens seinen Parzen-Hexen angedichtet. Alles was die Phantasie entfesseln und mit Gedankensymbolik befruchten konnte, war dem großen Dramatiker hier, wie regelmäßig, willkommen — nur für die geistreiche Rationalistik moderner Erklärer, wonach die weird sesters lediglich eine Personifikation von Macbeths eigenem inneren Träumen und Wollen wären, ergibt sich durch die Quellenforschung keine Spur von Beweis; bei Wyntown, bei Boethius, bei Bellenden, bei Holinshed, immer ist Macbeth zu Anfang ein argloser Mensch, immer überraschen und versuchen ihn die Prophetinnen mit gefährlicher Außenkunde. In ununterbrochener Kette, von Jahrhundert zu Jahrhundert, läßt sich also das Fortleben der Wyrd herabverfolgen bis zu Shakespeares altschottischer Tragödie, aber mit so vielen Veränderungen, daß wenig genug von ihrer Urform blieb, besonders wenn etwa Shakespeare noch ihren Namen in wayward sisters umgeformt hat, wie die erste Folie seiner Stücke durchaus ihn schreibt. Unter den aufgepfropften Reisern ist am stärksten ein lateinisches: die Parzen. In zweiter Linie kommt ein eytmologisches — der Einfluß von wierd; und unter kulturhistorischer Beihilfe ein wesentlich biblisches: Hexentum. Fernerab stehen bunte Kleinzutaten: Furien, Feen, Elfen. Aus skandinavischer Quelle scheint kein Tropfen zu stammen; nur auf den ersten Blick haben die drei Schicksalsnornen der Edda etwas Verwandtes, was aber auch aus gemeinsamer Anpassung an die Parzenidee herrühren kann; wie das auf skandinavischem Boden sich zutragen konnte, dafür bieten die hellbelichteten ags. Vorgänge lehrreiche Parallelen. Aus dem Ganzen ersieht man, wie so häufig, wenn man die Gestalten Shakespeares auf die Wurzel prüft, daß ihm viele schauende und denkende Menschengeister den Stoff vorbereitet hatten und daß er dies Erbe mit einer Kunst sich aneignete, die den ganzen Ruhm für lange Zeit ihm allein zuschob.
B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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On the 'Dictes and Sayings of the Philosophers'. This is in several ways an interesting book. It called the attention of English readers, when the full tide of Renaissance learning had not yet come in, to a number of ancient authors and thinkers, such as Homer, Solon, Hippocrates, Pythagoras, Diogenes, Socrates, Plato, Aristoteles, Galenus, Aristophanes; though their names are mixed up with fabulous names—Sedechias, Hermes, Tac &c., and though of their wisdom but little is conveyed, and that little half buried in commonplace. It was first translated out of Latin into French, by the Knight Guillaume de Tignonville, Provost of Paris, in 1410; and afterwards twice from this French version into English: in 1450 by Stephen Scrope, Squire, 'for the contemplation and solace' of John Fastolf, Knight—the brave Fastolf, well known from Shakespeare's unjust representation, in 1 Henry VI, iii. 2. 104—110; and in 1474—7 by Antoine Wydeville, Earl Rivers, Lord Scales, who had seen a French copy on his pilgrimage to St. Iago de Compostella in 1473. It seems, too, to have been the first English book printed in England, by Caxton, in 1477. It proved a success, for Caxton had to reprint it twice. In modern times little attention has been paid to it; Scrope's translation, preserved in MS. Harley 2266 is not yet edited; of Wyde^illeCaxton's translation a facsimile reprint was brought out in a small number of copies in 1877, London, Elliot Stock, 62 Paternoster Row, with a short introduction by Blades. Not a little affinity, I think, may be found between the editorial work of old Caxton and that of our Furnivall; I avail myself therefore of this opportunity to make a start towards investigating the history of this frequently mentioned but rarely read book. Of the French original a fine copy, not later than the middle of the fifteenth century, is in the British Museum (Royal MSS. 19 B. IV). It begins (fol. 3, col. a) with the picture of a monk with a shaven 1 It is also contained in MS. Bodley 943, from which I quote a few lines, as they serve to supplement the incomplete beginning of the Harleian text (f. 2 b) : 'And he saithe it is bettir to be stille than to speke to oon that is ignoraunt, and to be aloone than to be in company and felawschip of eville peple. And he saithe when a king is eville condicioned and tacchid that is no bettir to him that is not knowen with him thanne to him that is a grete maister in his hous. And he saithe that it is bettir to a woman to be baraigne than to bere evil condicioned childre.' — A. S. N.
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crown, dressed in a blue gown with a white cowl and red sleeves, sitting on a bench before a lectern with an opened book, apparently lecturing. The text begins with the following words, which the picture was evidently meant to illustrate: Sedechias fut philosophe le premier par qui de la volente de dieu loy fut receue et sapience entendue. The first chapter is entirely devoted to the wise saws of this Sedechias, the second to those of Hermes &c., just as in the English versions. Scrope's text is incomplete at the beginning; one leaf at least is lost, and of the first leaf that is preserved the top part is mutilated on both margins. It is a well-written MS. of the second half of the fifteenth century. Wydeville-Caxton's text is complete. It has very distinct red marks to notify the beginnings of each chapter and each paragraph. The first sentence runs thus: Sedechias was the first philosophir by whoom through the wil and pleaser of our lorde god Sapience was understate and lawes resceyved—exactly corresponding to the French original. Did Wydeville, in making his translation, use the work of his English predecessor? He himself denies it; in his preface (f. 2, 1. i f ) he says: . . . concluded in myself to translate it into thenglyssh tonge, wiche in my jugement was not before. A comparison of the three texts is likely to prove that he said the truth. As a specimen I have printed the first chapter (Sedechias) of Scrope's text as far as it is preserved, with the corresponding parts of the French original and the second English translation. Copies of the two MSS. I owe to the kindness of Frl. K. Reinke and Dr. J . Guggenheim, both of whom are glad to take a share in celebrating Dr. Furnivall's seventy-fifth birthday. The Caxton facsimile I have used is in the library of the English Seminary in Berlin. Tignonville. (MS. Royal 19 B. IV.)
Scrope. (Harley 2 2 6 6 . )
Wydeville-Caxton.
f. 4V-, 1. 4. And saide, it is better a man to holde his peas than to speke myche to eny ignorant matin, and to be alone than to be acompayned with evill people. 1. 2. And . . . yd, yt ]. 6. And saide, whan a is bettyr to hym that is . . . kyng or a prince is evill [h]ym than is a gretter tacched and vicioux, bettir is thaim that have noo mastir in his ho[use].
f. 4, col. a, I. 18. E t f. i, 1. i. . . . [t]hat is dist, quil se vault mielx ignorant, An[d] . . . [feltaire que parler a un ig- low]ship of eville peple. norant, et estre seul que acompaignie de mauvoise gens. 1. 21. E t dist, quant un roy est mal entechie que mielx est a cellui qui na point de cougnoissance a
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lui que a cellui qui est grant maistre en son hostel. 1. 25. E t dist, que miebc •ault a une femme estre brehaigne que porter enfant mal entechie. 1. 28. E t dist, que la compagnie dun povre saige vault mielx que dun riche ignorant qui la cuide avoir par autre habilite. col. b, 1. i. E t dist, qui fait faulte a son creatour, par plus forte raison la fait il aux autres. 1. 4. E t dist, ne croy point en celui qui se dit savoir vente et fait le contraire. 1. 6. Et dist, que les ignorant ne se veullent abstenir de la voulente corporelle et nayment leur vie fors seulement pour leur plaisance, quelque deffence que on leur face: tout ainsi comme les enfans sefiforcent de mengier doulces choses, espect'alment quant elles leur sont deff endues; mais il est autrement des saiges, car ilz nayment leur vies seulement que en bien faissant et laissent les oyseuses deleetacions de ce monde. 1. 18. E t dist, comment pourrait on aparargier les œuvres de ceulx qui tendent as bonnes œuvres de perfección perpetuelle aux de ceulx qui ne veulent que les deliz transitoires.
1.5. . . . [bet]tyr to a woman to be barayne than . . . childryn. 1. 6. And he seith that Jie comp [any of a] wyse man is bettyr than of a ryche igno[rant]wh.. [we-] nyth to have y t by othir abylite. 1. 8. And he seith, belevyth n[ot] in hym pai seith he knowth the trouth and dothe J>e contrary. 1. 9. And he seith, who so doJ)e a fawte to his maker, by reason he do£e yt to othir. 1. xi. And he seith that ignorant men that be yevyn to vysis wille not absteyne them from bodely wille, for they love not per lyf but all oonly for their plesaunce, what defence J>ot men do to them; they faryn evyn as childryn, in |>at enforsyth them to ete swete thynggis and namely suche thynggis as is defendid hem; but it is alle oper wyse in wyse men, for they love not in their lyvis alle oonly to do welle but for to leve pe idill dilectacyons to lustis of this world. 1. 18. And he seith, how may a man that wyll not do but transetory delytis 1 , compare to the dedis of tho that tendyth and besyeth hem perpetuelly to good dedis of perfeccyon.
Wydeville-Caxton. knowlege of him than to thoos that be grettest maisters in his house. I. 9. And saide, bettir is a womann to be bareynn than to bere an evill disposid or a wikked chjlde. I. 1 1 . And saide, the commpanie of a povre wieseman is bettir than of a riche ignorant that weneth to be wyse by subtilitee. 1. 13. And saide, he that ofiendeth god his creator, by gretter reason he faileth to other. 1. 14. And saide, bileve not in him that seith he leveth and knoweth trowth and doth the contrary. 1. 16. And saide, the ignorante men wol not abstyne them from their sensualitees, but love their lif for thair pleasaunce, what defence so ever be made unto theym; right as childrenn enforce themself to ete swete thinges, and the rather they be charged the contrarie; but it is other wiese with wiesemenn, for they love their lives but onely to do goode deddis, and to leve Idlenesse and the delectacions of this worlde. 1. 23. And saide, howe may be compared the werkes of theim that entende the perfection of the goode thinges perpetuel1, to thaim that wol but their delices transytory.
1 This comma in the original. With my punctuation I have been as sparing as possible. — B.
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1. 23. Et dist, cil nest point repute pour saige qui laboure en ce qui peut nuyTe, pour laissier ce qui peut aidier.
1. 21. And he seith, he is not accountid ne takya for wyse man that laboryth in that the whish may noye, for to leve that J>e which may help. 1. 26. Et dist, les Saiges 1. 23. And he seith, wyse portent les choses aspres men weryth and occupyeth et ameres tout ainsi comme thynggii sharp and byttyr se elles estoient docules lyche as thowgh they were comme miel, car ilz en swete as hony, for they cougnoissent la fin estre know wele that the end doulce. shall be swete. 4 v®, col. a, 1. 1. Et dist, 1. 26. And he seith, that que bonne chose et prouf- is good thyng and profyfi table est de bien faire a table to do wele to tho that ceulx qui le deservent, et desfrvyth yt, and that is que cest grant mal de bien right evill to do wele to iaire a ceulx qui ne le tho that desirvyth y t not; deservent; et qui le fait for who so dofje y t be pert son labour, et la chose sure his labour and the a eulx donnee est perdue, thyng yevyn to them is tout ainsi comme la pluie lost, liehe as {>e rayne is qui chiet sur la gravelle. lost that fallyth uppon gravel], 1. 30. And he seith 1. 8. Et dist, bien eureux est cellui qui use that he is riyzt wele forses jours et ses nuiz en tunyd and happy that usyth faisant choses couvenab- his daies and his nyghtis les, et qui ne prent en ce in doing covenable thyngmonde fors ce done il ne gis, and that in this world peut excuser, et qui sapli- takyth but that he shuld que a bonnes oeuvres et take, and that enployeth and occupeyth hym but laisse les mauvoises. to good dedis and levyth the eville. 1. 14. Et dist, hom ne doit point jugier un homme a ses parolles mais a ses œuvres; car parolles sont communément vaines, mais par les œuvres se cougnoissent les dommaiges ou les prouffiz. 1. 19. Et dist, quant laumosne est donnee aux
1. 34. And he seith, a man shuld (v°) . . . [worjdis but by his dedis, for . . . knowyn boJ>e harme and good.
1. 26. And saide that the wiese men bere their greves and sorowes as they were swete unto them, knowing, their trouble paciewtly taken, the ende therof shalbe to their merite. 1. 28. And saide that it is proufitable and goode to do wele to them thet have deserved it, and that it is evill doon to do wele to thaim that have not deserved it; for all is lost that is yeven unto them, right as the reyne falletb upon the gravel.
fol. 5, 1. 3. And said, he is happy that usith his dayes in doyng covenable thinges, and takith in this worlde but that 1 , that is necessarie unto him and may not forbere, applying himself to do good dedis and to leve the badde.
1. 7. And said, a man ought not to be demed by his wordes», but by his workis; for comenly wordes ben vayne, but by the dedes is knowen the harme or the proufiit of every thing. V« 1. 2. And he . . . J>e I. 10. And said, whan powre nedy, y t profytyth that almes is distribute
1 This comma in the original. * This comma in the original.
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povrez indigens, elle prouffite tout aussi comme la medicine qui est couvenablement donnee aux malades ; et laumosne qui est donnee aux non indigens est tout ausi comme la medicine qui est donnee sans cause.
liche a . . . y e v y n to syke men ; and almys that is y e v y f n ] . . . medecyne that is yevyn wt'tAout cawse.
to pover indigent peple, it proffiteth as a good medicine covenably yeven to them that be seke; but the almes yeven to the not indigent is a medicine yeven without cause.
1. 27. E t dist, cellui est bien eureux qui se esloingne de toutes ordures et qui en destourne son oye et sa vue.
1. 6. And he . . . is right happy that wythdrawyth ferre from all harlotr[ies and] vilonyes, and {¡at turnyth his ere and his sight per iro. 1. 8. And he se[ith] that }>e most covenable coste and dyspence that a man may make in his l y f is Jwit which is sette in goddis sarvyce 1 , and in good dedis', and in necessary 1 , the which oweth duly to be done as in mete, drynk, and slepe, and in helyng sykenes comyng on a man; and the worst cost and dyspence is that ]>e which is occupied and spent in evylle dedis.
1. 13. And sayd, he is happy that withdraweth his ere and his eye from alle v y l e thinges.
1. 30. E t dist, que la plus couvenable despence que homme puisse faire en son v y v a n t est celle qui est mise ou service de dieu et en bonnes œuvres; et la moynne qui est despendue 1 en choses nécessaires des quelles il ne se peut excuser, si comme en mengier en boire en dormir et eu curant les maladies survenans; et la pire est celle qui est despendue en mauvoises œuvres. Berlin, November, 1899.
< This comma in the original. > This word has been corrected.
Wydeville-Caxton.
1. 15. And sayd, the most covenable dispence that eny man may make n hys l y f 1 , is hit that is sette in the service of god and in good workis; and the second is that is speeded in necessarie thinges that may not be forborne, as mete drinke clothing, and for remedies ayenst sikenesse; and the worste of all is that is dispended in syn and evil werkis.
Spielmannsverhältnisse in frühmittelenglischer Zeit. Bei allem Studium mittelalterlicher Dichtung empfiehlt es sich, von dem ihrer Träger auszugehen. Es macht einen großen Unterschied, ob eine Gattung von buchgelehrten Geistlichen gepflegt wurde oder von höfischen Rittern, von fahrenden Spielleuten oder von Leuten aus dem bloßen Volk. Die Verserzählung zum Beispiel, die von Geistlichen kommt, ist selten singbar, die vom Volk immer; die vom Spielmann ist immer gut geeignet zum Sagen, die vom Ritter manchmal. Damit hängen aber die wesentlichsten Unterschiede des Versmaßes und der Rhetorik zusammen, auch die der Stoffwahl und der dichterischen Absicht. Durch die Literaturträger wirkt die Buntheit der mittelalterlichen Stände, die sich ja sehr streng voneinander sonderten, auf den ganzen Poesiestil. Unter den Trägern der älteren englischen Literatur ist, trotz vieler Vorarbeiten, keiner so dunkel wie der Spielmann, und unter den Spielleuten wieder ist der angelsächsische schon wegen seiner engen Verwandtschaft mit dem germanischen uns immer noch von vornherein klarer als der des 12. und 13. Jahrhunderts. Daß der vornehmere Spielmann dieser Zeit aus Frankreich kam, ist zwar nie zu verkennen gewesen. Das zeigt schon der flüchtigste Blick auf die vorhandenen Zeugnisse und überhaupt auf die englischen Gesellschaftsverhältnisse nach der Schlacht bei Hastings. Aber wie sich der Spielmann französischer Herkunft zum heimatlich englischen verhielt, ist noch eine unbeantwortete Frage. Unser Ten Brink hat sie wenigstens ernstlich ins Auge gefaßt. Er kam zu der Ansicht, daß der Sänger germanischer Tradition, der angelsächsische scop, rein englisch geblieben sei und als eine Klasse für sich durch die ganze Normannenzeit neben den aus Frankreich kommenden minstrels fortgelebt habe; er sei zwar durch die Ungunst der politischen und gesel schaftlichen Verhältnisse nach der Eroberung gesunken, auch stark von den Minstreis beeinflußt worden; dennoch habe er ununterbrochen eine gewisse Herrschaft über das Ohr der Menge ausgeübt. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts sei er sogar nochmals aufgeblüht: Ten Brink denkt hierbei wesentlich an die Schlachtenballaden des Lawrence Minot, den er als Spielmann englischer Tradition bezeichnet, nur 'auf dem Wege, Minstrel zu werden, d. h. an dem Hofe irgendeines Großen eine feste Stellung und dauerndes Unterkommen zu finden' Erst nachher sei durch die Sonne Chaucers diese heimatliche Spiel1 Geschichte der englischen Literatur »I 187, 403, II 194 f.
Spielmannsverhältnisse in irflhmittelenglischer Zeit.
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mannsklasse für immer in den Schatten gestellt worden. An solch strenger Sonderung zweier Spielmannsklassen hat bereits E. K. Chambers etwas gezweifelt und die Vermutung ausgesprochen, viele von den englisch gebliebenen Spielleuten hätten sich anfangs durch Zweisprachigkeit den normannischen confrères sehr angeglichen, so daß sie deren technische Ausdrücke roman, fabliau und chanson übernahmen Mit dieser vorsichtigen Theorie ist aber noch nicht einmal das Verhältnis der verschiedenen Spielleute untereinander bestimmt. Die weiteren Fragen, wie sie auf das literarische Treiben der clerks, der knights und der common people wirkten und wie sich dabei die Literatur selbst entwickelte, bleiben unberührt im Hintergrund. Was mich zu der vorliegenden Untersuchung hauptsächlich antrieb, war das Problem des Epos. Die frühmittelengüsche Periode bietet das merkwürdige Schauspiel, daß die Gebildeten eines Volkes, dessen Sprache sich erhielt, die angestammte Heldendichtung gänzlich zugunsten einer importierten aufgaben. Das ist, als ob man aus unserer mittelhochdeutschen Literatur die Nibelungen, Gudrun und alle andern Dichtungen über germanische Sage herausnähme. Noch mehr: die mittelenglischen Epen sind in der erdrückenden Mehrzahl bloße Bearbeitungen französischer Vorlagen; selbst die meisten einheimischen Sagenbildungen des 12. und 13. Jahrhunderts, die von Havelok, Guy von Warwick, Richard Löwenherz, Fitz-Warin, sind zunächst französisch gestaltet und erst nachträglich ins Englische umgegossen worden; der Gipfel dieser ganzen Bewegung, Chaucer, ist eigentlich ein Franzose, der englische Worte gebraucht. Es ist eine merkwürdige Umwälzung, und da die Epik in frühmittelenglischer Zeit noch hauptsächlich vom Harfner getragen und gelenkt wurde, ist die Lösung des Problems am ehesten von einem Studium der Harfner zu erhoffen. Das Material ist, soweit es aus Prosazeugnissen in englischer, lateinischer und französischer Sprache besteht, von Chambers sehr fleißig und nahezu vollständig gesammelt worden. Den ältern Minstrelnamen ist W. Großmann 1 nachgegangen ; die Ausbeute war freilich günstiger für die Geschichte der Namengebung als der Minstreis. Die poetischen Zeugnisse sind nicht außer acht zu lassen; obwohl unverläßlich betreffs der geschilderten Tatsachen an sich, gewähren sie doch eine Menge Fingerzeige für die Sitten und Stimmungen bei den Dichtern ; ohne sie bekämen wir nicht ein Bild, sondern nur eine Silhouette. 1
The Mediaeval Stages, Oxford 1903, I 76. > Frfihmittelenglische Zeugnisse über Minstreis, Berliner Diss. 1906.
SpielmannsverhäJtnisse in irühmittelenglischer Zeit.
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Die Namen für den Spielmannsstand. Für den Spielmannsstand besaß das Angelsächsische zwei Namen : scop für den Sänger und gleoman für den Sänger und Gaukler. Der zweite Name blieb durch die ganze mittelenglische Zeit in häufigem Gebrauch; die Künste, mit denen seine Träger die schaulustige Menge anlockten, überstanden offenbar alle Stürme der Normanneneroberung; eine Beschränkung des Namens auf Spielleute von englischer Herkunft oder Sprache ist in keiner Hinsicht festzustellen. Der erstere, streng auf den Sänger bezügliche Name jedoch hielt sich nur bis Laghamon; dieser gebraucht ihn in seiner gegen 1205 abgefaßten Chronik noch mehrfach und mit sichtlicher Schätzung, wenn auch vielleicht schon etwas in archaisierender Manier. Die ältere Handschrift, um 1240 geschrieben, hat die Stellen gut bewahrt; die jüngere jedoch, aus der Zeit um 1270, hat das Wort überall durch ein allgemeineres ersetzt oder ganz beseitigt. Die Stellen sind alle unabhängig von der Quelle (Wace) und lauten wie folgt: I I 367
Ältere Hs.
of him (Arthur) scullen gleomen godliche singen, of his breosten scullen aeten adele scopes. n
53°
Jüngere Hs.
of him solle gleomen coupliche singe, of his brost sollen eate staleworpe kempes.
Scopes per sungen of Ardure pan kingen.
murie her songe of Arthur pawt kinge.
n 542 Ne al soh, ne al les pat leod-scopes singed.
Nis noht al sop, ne al les pat many men seggep.
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pat gleomen sculden wurchen burd pat gleomen solde wirche bord of pas kiwges (Arthur) breosten, of pis kinges breoste and per to sitten scopes swide feie and eten heore wullen, and eaten hire, aer heo penne fusden. hi panne wende. I i i 229
scipen guraien liden, leod-scopes sunge«.... flod ferede pa scipen, scopes per sungen.
sailes hii dro3e an .. en mid pan wedere . . . (w)eoren glade hire (s)unge.
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Solch systematische Verwerfung eines altheimischen und edlen Wortes, das in früheren Jahrhunderten häufig war, fortan aber nicht mehr zu belegen ist, macht sicherlich den Eindruck, als wäre mit dem Stande selbst eine gründliche Veränderung vor sich gegangen. In der Tat sehen wir, daß sich kurz nach 1200 auch in metrischer Hinsicht Wesentliches ändert: die Mischung von losem Stabreim und schwankem Endreim, wie sie Laghamon selbst und dem ungefähr gleichzeitigen 'Bestiarium' anhaftet, im 12. Jahrhundert den 'Sprüchen Alfreds', in spätangelsächsischer Zeit überhaupt allen Fragmenten von cantilenae, die erhalten sind, verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Eine bodenständige Versart, die durch zwei Jahrhunderte geblüht hatte, hört mit dem Namen des professionellen Sängers auf. Das bestärkt die Vermutung, daß damals der traditionelle Sängerstand einen Bruch durchmachte. Eine Reihe neuer Wörter für den Sänger und ihm nahestehende Spielleute traten um dieselbe Zeit im Englischen hervor. Für den Sänger kamen auf die Ausdrücke: karfour, sautreour, rymour, seltener sitiger — sangere hieß es im Angelsächsischen, und zwar speziell für kirchliche Sänger; für Sager: disour, gestour und, wie eine Übersetzung davon, segger, eine Neubildung von ags. secgan; endlich für beides und überdies für Musiker, auch Gaukler: minstrel, lateinisch meist mit mimus, histrio oder joculator wiedergegeben, ganz wie vorher scop. Für die bloßen Gaukler sagte jetzt der Engländer jap er, jangier, juglour, tregetour. Auf eine spezielle Art satirischer Kleriker war ursprünglich goliardeis beschränkt. Die Vermehrung der Ausdrücke zeigt auf den ersten Blick, wie mannigfach sich die Vortragsverhältnisse entwickelten, für Lyrik und für Epik, und wie stark dies unter normannischem Einfluß geschah. Näher einzugehen ist auf die Geschichte des Wortes minstrel. Ursprünglich von ministerialis abgeleitet, bezeichnet es im Fransösischen noch häufig den Dienstmann, entsprechend unserm deutschen 'Ministeriale'. Im Englischen aber ist es in diesem Sinne nicht ein einziges Mal mehr zu erweisen. Zwar hat es der Fortsetzer von Mätzners Wörterbuch an einer Stelle der Ancren Riwle (etwa 1200) so aufgefaßt, wo Flatterer und Backbiter als two menestraus hingestellt werden, die dem Teufel dienen, und H. Bradley im Oxford Dictionary folgte dem Beispiel. Aber Schmeichelei gegen den Herrn und rücksichtslose Satire gegen dessen Feinde werden gerade als das charakteristische Tun der frühen Minstreis mehrfach bezeugt. Bischof Longchamp, Kanzler des Richard Löwenherz, ließ sich durch cantores et joculatores auf den Straßen loben, als wäre non talis in orbe (Roger von Hoveden, Chronicon, R. B. S. III 143), und Heinrichl. ließ dem gefangenen Minstrel Luke de Barre die Augen ausreißen,
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weil ihn dieser in Liedern zu arg heruntergesetzt hatte (Ordericus Vitalis, Hist. eccles. II 19). In typischer Weise warnt ein Statut der Kirche von Sarum 1 3 1 9 die Kirchenleute vor den menestralli mit ihrem laude, immo verius fraude, und vor ihren detractationibus (Chambers I 40). Der Verfasser der Ancren Riwle hat also ganz den Zeitverhältnissen gemäß gehandelt, wenn er den Lobhudler und den Verleumder mit dem Begriff Minstrel zusammenbrachte. An den Hunderten von anderen Stellen, wo minstrel vorkommt, hat überhaupt nie ein Ausleger die Bedeutung 'Spielmann' b e z w e i f e l t A u s diesen Verhältnissen darf man schließen, daß die Spielmannsart der Minstreis sich nicht erst in englischer Sphäre herausbildete, sondern schon vollentwickelt aus französischer Sphäre eingeführt wurde. Der Minstrel wuchs also nicht aus dem scop heraus; er kam den Engländern fertig von außen zu. Nicht auf einmal haben sie ihn aufgenommen. Erst nennen sie ihn mit der reinen Fremdform menestrau: so in der Ancren Riwle und noch tief im 1 3 . Jahrhundert bei Robert von Gloucester. Dann erst wird das Wort unter lateinischem Einfluß nationalisiert zu minstral. Die Metrik der volkstümlichen chanson de geste, die wir uns im 1 2 . Jahrhundert in seinem Munde als häufig denken müssen, dieser typische Vers mit seinen zehn Silben und der festen Zäsur, mit den Assonanzen und Tiraden, fliegt in England nicht an; die heimischen Eposverse behaupten im 12. Jahrhundert das Feld und beginnen erst an dessen Ende zu weichen, um dem höfischeren Kurzreimpaar, dem kirchlichen Septenarpaar Platz zu machen. Der scop war beim englischen Volk nicht so leicht zu verdrängen. Danach kann man sich ausmalen, was die Nationalisierung des Minstreis an Stelle des scop um 1200 bedeutete. Der scop, obwohl auch oft ein Fahrender, erscheint bei den Angelsachsen und noch bei Laghamon stets innerhalb des Stammesverbands; Widsith gibt sich mit Stolz als ein Myrginger; Deor ist ratlos, wenn er seinen Heimsitz verliert; die scopes des Laghamon sind Patrioten. Der Minstrel dagegen hat, wie schon das Wort sagt, höchstens einen Patron, nicht einen Stamm. Aus den Zeugnissen über ihn ergibt sich, daß er seine Herkunft aus phantastischer Fremde sogar mit Vorliebe betonte. E r trat dem Engländer ursprünglich mit anderer Sprache entgegen, mit anderer Verstechnik, mit anderem Eposstil, und dennoch vermochte er seine Art bei dem selbstbewußten Inselvolk viel gründlicher durchzusetzen als bei uns. Warum? 1
Zu Mätzners Wörterbuch S. 428: myneslres, Piers Plowman C V I 60, ist ein ganz anderes Wort und von Bradley mit Recht als 'Diener' gefaßt worden.
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Die Namen einzelner Minstreis. Was uns an Personennamen für Minstreis aus dem 12. und 13. Jahrhundert vorliegt, ist nicht viel. Es klingt, sofern nicht gemein christliche Bibelnamen vorkommen, durchaus französisch; doch will dies schon vom Anfang des 12. Jahrhunderts ab für französische Abstammung und Sprache nichts Sicheres mehr besagen. Denn bald nach der Eroberung begannen schon die Mischehen; der Chronist Wilhelm von Malmesbury z. B., der höchstens dreißig Jahre nach der Schlacht bei Hastings geboren wurde, war der Sohn eines normannischen Vaters und einer englischen Mutter; das Beispiel Heinrichs I., der 1100 eine sächsische Prinzessin heiratete, war hierin von großer Tragweite; viele Bischöfe und Äbte mit französischen Namen waren bereits im 12. Jahrhundert so weit zur Zweisprachigkeit übergegangen, daß sie vor dem Volke, das doch bei Englisch geblieben war, predigen konnten. Im 13. Jahrhundert kommt als neue Quelle der Unsicherheit dazu, daß man Urkunden und Rechnungsbücher normannisch führte: diese Schreiber haben manchen englischen Namen einfach in ihr Idiom übersetzt, was um so leichter ging, als sich feste Familiennamen damals erst herausbildeten. — Zu Anfang des 14. Jahrhunderts begegnet uns endlich ausreichendes Material; davon müssen wir ausgehen. Zu Pfingsten 1306 feierte der Londoner Hof den Ritterschlag des Thronfolgers, des späteren Eduard II. Hunderte von Minstreis fanden sich hierzu ein und wurden königlich belohnt. In der Rechnung dafür, die wir besitzen (bei Chambers II 234 ff.), überwiegen weitaus die französischen Namen, doch erscheinen auch unzweifelhaft englische, wie Perle in the eghe, Hanecocke de Blithe, Bolthede\ sogar für ein Spielweiblein: Mätill' Makejoye. Je mehr diese Namen nach selbstgewählten aussehen, desto mehr besagen sie dafür, daß ihre Träger sich vorwiegend noms de guerre als Engländer gaben. Das Minstrelvölkchen erscheint danach schon recht gemischt. Nun bedenke man, daß Spielleute, die bloß Englisch vortrugen, bei einem Hofe mit normannischer Geschäfts- und Gesellschaftssprache, wie es damals der Londoner Hof war, wenig am Platze gewesen wären; und daß anderseits die vielen Minstreis mit französischen Namen nach dem Fest wieder auf die Straße hinauszogen, wo sie sich durchaus nicht auf den Besuch der Normannenschlösser beschränkten, so daß man sie bald als Landplage gesetzlich beschränken mußte; dann erhält man eine Vorstellung, wieweit selbst die hoffähigen Minstreis unter Eduard I. schon das Englische dazugelernt hatten. Andere Beispiele begegnen uns in der Zeit Eduards II. Ein Harfner (citherator) dieses Königs, der schließlich in der Abtei Edmundsbury eingepfründet wurde, hieß John le Fougheler, was selbst
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der Hofsekretär nicht recht zu französieren unternahm; und bei der Gemahlin des Königs, der in Frankreich geborenen und erzogenen Königin Isabella, diente ein Lautensänger Hereward de Forges, dessen Name sogar an einen sagenberühmten Gegner des Eroberers erinnert Normannen pflegten nicht englische Namen anzunehmen, außer etwa solche von Königen, wie Eduard; die beiden Sänger waren offenbar Engländer; sie müssen aber, als ständige Hofbedienstete, zugleich das Normannische beherrscht haben. Solche Zweisprachigkeit der Spielleute läßt sich wenigstens andeutungsweise noch weiter zurück verfolgen. Ins Jahr 1272 versetzt uns ein Bericht des Chronisten Walther von Hemingburg 2 über den Prinzen Eduard, der später, als König Eduard I., das offizielle Normannisch durchaus festhielt. Er wurde in jenem Jahr, als er in seinem Kriegszelt bei Akka lag, von einem Assassinen meuchlings verwundet, dem dafür sein cithareda mit einem Stuhl das Gehirn ausschlug. Dieser Harfner wird bezeichnet als unus eorutn, die als ministri ejus zur nächsten Umgebung des Prinzen gehörten. Als dann der Großsultan zur Entschuldigung eine Deputation sandte, die sich nach orientalischer Art vor dem Prinzen platt auf den Boden warf, sagte dieser zu seinen Leuten in Anglico, so daß es die Sarazenen nicht verstehen konnten: Vos quidem adoratis me, sed minime diligitis. Also im Verkehr des Prinzen mit dem vertrauten Personal, zu dem der Leibspielmann gehörte, war das Englische allen geläufig, während nach außen das Normannische herrschte. — Aus der Chronik des Roger von Hoveden, der sein Werk bis 1201 herabführte, kommt ein anderer Bericht, der Beachtung verdient: die schon genannten cantores et joculatores, die Wilhelm von Longchamp (gest. 1197) aus Frankreich kommen ließ, sangen sein Lob in filateis, also vor englischen Zuhörern, und zwar mit Erfolg; sie müssen sich daher auch auf Vorträge in englischer Sprache verstanden haben. Selbst wenn der Chronist als Gegner Longchamps betreffs dieses einzelnen Falles übertrieben hätte, müßte es damals schon ähnliche Gepflogenheiten irgendwie gegeben haben, denn sonst wäre seine Aussage sinnlos. Zur Bestätigung läßt sich aber anführen, daß um dieselbe Zeit selbst der mächtige Abt Samson vonEdmundsbury (1182—1211), der in Paris studiert hatte, mit Richard Löwenherz vertraut stand und natürlich als Normanne sich gab, soweit den Dialekt der Gegend sich angeeignet hatte, daß er darin predigen konnte; um so leichter ist dem gewandten und auf Erwerb angewiesenen Völkchen der Minstreis solche Spracherlernung zuzutrauen 3. 1 Großmann, S. 27. * Ed. Gale, Historiae Anglicanae Scriptores II 591; Hamilton 1848 I 334. 3 Kunstdichter, die in zwei Sprachen schrieben, waren der Verfasser der Eleven Pains of Hell (Old Engl. Miscellany, ed. R. Monis, 1872, S. 147) und Gower.
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Neigen wir uns aber der Ansicht zu, die ursprünglich französischen Minstreis seien um 1200 wenigstens in beträchtlicher Anzahl schon zweisprachig geworden, so ist ohne weiteres klar, wie sie damals den altheimischen scop mit seiner englischen Sprache und Technik verdrängen konnten: diese Minstreis waren in beiden Sätteln gerecht ; sie verfügten über einen weit größeren Vorrat von Geschichten und über eine moderne Technik; sie holten sich den Lohn im Schloß und im Dorf. Zwei gesonderte Klassen von Spielleuten anzunehmen, eine französische und eine englische, die durch Jahrhunderte nebeneinander hergingen, ohne daß eines der vielen Spielmannszeugnisse, die wir besitzen, die leiseste Andeutung auf einen solchen Gegensatz böte, hat viel Mißliches. Schon die durchgehende Verwendung des Wortes Minstrel als eines Generalausdrucks für alle musizierenden und singenden Wandervögel deutet auf die Einheitlichkeit ihres Standes in den wesentlichen Dingen, mag auch im einzelnen der eine mehr und der andere weniger Englischkenntnis besessen haben. Ausdrücklich ist von dieser Erörterung der Spielmannsverhältnisse die Volkspoesie auszuschließen. Spielmannslied ist noch nicht Volkslied, es werde denn zurechtgesungen; und Volkslied ist auf Spielmannsverbreitung nicht angewiesen. In der Volksballade lebt auch eine andere Metrik und Rhetorik fort als in der Spielmannsoder Straßenballade. Die Herewardballaden des 12. Jahrhunderts mögen im 14. Jahrhundert Robin-Hood-Balladen geworden sein, ohne daß sich ein Spielmann direkt einmischte; ihre Erhaltung beweist daher nichts für das Fortleben des scop; haben sie doch auch im 17. Jahrhundert, wo das Licht der Geschichte hell ist, ohne scop weiterzublühen vermocht.
Der Minstrel als Gegenstand der Dichtung. Eine möglichst chronologisch geordnete Beschreibung der Spielmannsgestalten, die seit der Eroberung in lateinischen oder englischen Darstellungen englischer Herkunft ausgemalt wurden, sei vorangeschickt. Wo die Quelle vorliegt, ist sie natürlich zu berücksichtigen. Der Spielmann erscheint hier in mannigfacher Beziehung zu anderen Ständen, die sich literarisch betätigen. Sein persönliches Verhältnis zu ihnen dürfte auch für den Einfluß charakteristisch sein, der von seiner Kunst ausging. Die ältesten Spielmannsbilder, die uns von einem englischen Autor nach der Eroberung begegnen, stehen bei W i l h e l m , dem Klosterbibliothekar v o n M a l m e s b u r y , in den Gesta regum (etwa 1 1 2 5 ) . Mancherlei Berichte über König Alfred, auch fabelhafte, waren schon
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vor ihm entstanden 1 ; ihm jedoch war es vorbehalten, die Geschichte in die Welt zu setzen, wonach Alfred als Spielmann verkleidet, sub specie mimi, ut joculatoriae Professor artis, ins Dänenlager ging, um zu kundschaften (lib. II, cap. 4). Das Geschehnis ist ganz und gar nicht in der Art der Alfredzeit gedacht; schon die Sprache hätte den Angelsachsen sofort verraten. Dagegen liebten es die Minstreis in der Zeit des Chronisten, zwischen verschiedensprachigen Völkern hin und her zu gehen und sich als eine aparte Klasse von Fahrenden aufzuspielen ; viele Zeugnisse bestätigen, daß sie während ihrer Blüteperiode an jedem Hofe eingelassen, als Kurzweilbringer bewillkommt und vor den Herrscher geführt wurden. Wilhelms Erzählung hat kein Gewicht für die Vorgänge des 9. Jahrhunderts, aber eine typische Bedeutung für die des 12. Jahrhunderts. Derselbe Wilhelm von Malmesbury meldet Ähnliches von Olaf, dem Vikingerkönig, der 938 von Athelstan bei Brunnanburg besiegt wurde (lib. II, cap. 6). Assumpta manu cithara, professus mimum, sei Olaf ins englische Lager gekommen, um alles auszuspähen, und nur dadurch, daß er auf dem Heimweg den empfangenen Sold vergrub, habe er sich verraten. Abermals ist der Sprachunterschied, obwohl er Nordleute und Angelsachsen noch im 11. Jahrhundert sonderte, übersehen. Abermals handelt es sich um einen englischen Sagenkönig, über den Wilhelm auch sonst manche Fabelei weiß. Der Sängerlohn muß wohl sehr ansehnlich gedacht sein, so daß ihn Olaf nicht ungesehen beseitigen konnte; dabei mag man sich erinnern, wie der Chronist seiner eigenen Königin (gest. 1118), Mathilde, Gemahlin Heinrichs I., nachgesagt, sie habe neue Lieder und Spielleute über die Maßen geliebt und viel Geld an fremde Sänger gegeben. Die Geschichte war schwerlich alt, als der abenteuerfrohe Chronist sie aufschrieb, und kein anderer Autor, außer seine Nachschreiber, hat sie erwähnt; sie zeugt auch nur für die Zustände zu Anfang des 12. Jahrhunderts. G a l f r i d , der Erzdiakon v o n M o n m o u t h , hat sich für seine fabulose Historia Britonum (1135) das Spielmannsmotiv nicht entgehen lassen. Er gebraucht es, um zu erklären, warum der junge Arthur die Belagerung des Sachsenhäuptlings Colgrim in York aufgeben mußte: Baldulf, der Bruder Colgrims, kam mit Hilfstruppen und wußte sich als Harfner durch das Belagerungsheer Arthurs zu schlängeln, bis er an die Stadtmauer gelangte, wo ihn die Belagerten an einem Strick emporzogen. Die Verkleidung wird hier genauer beschrieben: Baldulf rasiert sich Haar und Bart cultumque joculatoris cum cythara cepit ... modulis quos in lyra componebat sese cytha1
L. W. Miles, King Alfred in Literature, Baltimore 1902.
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ristarn exhibebat (lib. I X , cap. i ) . Es ist eine kühne List; sie endet mit der herzlichen Umarmung der beiden Brüder in der geretteten Stadt; dennoch macht der geschorene Harfner, intra castra deambulans, einen etwas verfänglichen Eindruck. Indem Wace, der normannische Geistliche, die Sagen Galfrids in französische Verse brachte, gegen 1155, zog er das Tun Baldulfs schon deutlich ins Komische. Bei ihm läßt sich Baldulf außer dem Bart nur die eine Hälfte des Kopfes abscheren. Der Spielmann ist halb zum Narren herabgedrückt. Laghamon, der Geistliche von Areley Regis am Severn, hat in seiner mittelenglischen Versbearbeitung des Wace gegen 1205 die Gestalt des spielmännisch verkleideten Baldulf ganz ins Burleske gewandt: mancher Kriegsknecht Arthurs im Lager schlug ihn mit Gerten, mancher behandelte ihn als Narren, mancher grüßte ihn mit Spott (Bd. II, S. 428 f.). Von den andern Nacherzählern des Galf rid in Versen hat R o b e r t , der Mönch v o n G l o u c e s t e r , die Verkleidung Baldulfs ganz ausgelassen, R o b e r t M a n n i n g aber, Chorherr zu Brunne, sie noch derber gemacht (1338): da kann Baldulf überhaupt nicht mehr ordentlich harfnen (coupe a party of harpyng), spielt eigentlich den Gaukler (jogelour) und gibt sich als folted knave voll Ränke und Verschlagenheit (Bd. I, S. 344). Robert Manning hat auch sonst für die Spielleute wenig Liebe übrig. Außer der Chronik schrieb er bekanntlich noch eine große geistliche Satire, worin er den gewöhnlichen Harfnern einen weisen nach Art des David gegenüberstellt, den auch der gute Bischof Grosseteste sehr geschätzt habe. Aus dem Kreise der durchaus von Klerikern geschriebenen und beherrschten Chroniken gelangen wir in den der höchsten Romanzen, indem wir K i n g H o r n ins Auge fassen, gedichtet noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Abermals handelt es sich um Verkleidung eines Helden als Spielmann, hier jedoch in einer für den Harfner ehrenvollen Weise. Zweimal hat Junker Horn in ein Schloß einzudringen, um die geliebte Rimenhild vor dem Schicksal zu bewahren, notgezwungen die Frau eines anderen zu werden; zuerst tut er es als Wallfahrer — da wehrt ihm der Pförtner trotz flehentlicher und langer Bitten den Eintritt, und erst die Faust Horns macht den Weg frei; das zweitemal aber klopft er als Harfner an, und obwohl diesmal jeder Einlaß strengstens untersagt war, obwohl Horn als Harfner mit dem Schwert am Gürtel erscheint und von einer Schar Gefährten begleitet ist, läßt ihm der Schloßherr selbst das Tor öffnen (Halls Ausg., Hs. L 1475 ff.). Der Adel, zu dessen Unterhaltung und Erziehung die Romanze deutlich bestimmt war, hielt darauf, daß die jungen Ritter selbst harfnen und singen lernten, wie hier nicht um-
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sonst betont ist (Hs. L, 246); er war immer der freigebigste Gönner der Spielleute; für ihn mußte ein Harfner anders behandelt werden als für die Chronikenleser in den Klöstern. — Die französische Fassung der Hornsage unterscheidet sich an dieser Stelle nicht wesentlich von der englischen; sie macht nur die Verschiedenheit in der Behandlung des vermeintlichen Pilgers und Harfners nicht so klar. Die jüngere englische Fassung, H o r n C h i l d e , begnügt sich mit der Verkleidung des Helden als Pilger allein. Noch höfischer ist der Ton, auf den zu Anfang des 14. Jahrhunderts der Versroman S i r T r i s t r e m gestimmt ist, und zugleich finden wir hier den Spielmann in noch engerer Verbindung mit dem Adel. Tristrem hat als Junker so gut harfnen und singen gelernt, daß er alsbald mit einem professionellen Harfner um den Preis ringt; der Fahrende selbst gesteht: 'pe maistri 3%ve y ¡>e' (Str. 51, nicht in der Quelle; vgl. Bedier, Thomas I 49). Als vermeintlicher Harfner bezaubert er dann die schöne Ysonde durch seine Vorträge und Lehrgeschicklichkeit; die Angleichung an den wirklichen Spielmann ist hier in der englischen Fassung so weit getrieben, daß er auch Lohn bekommt, Gold und Silber (vgl. B6dier I 99). Ein anderer Adliger, ein Graf, der als irischer Spielmann mit einer besonders reichen Harfe vor dem König Marke auftritt, gewinnt diesem die Königin Ysonde ab; aber Tristrem mit seinem viel bescheideneren Instrument, einer bloßen Rotte, holt sie wieder zurück. Das stand zwar in der Hauptsache schon in der französischen Vorlage, ist aber vom englischen Bearbeiter sehr warm ausgemalt. In der Versnovelle S i r O r f e o , ungefähr aus derselben Zeit, wird ein König als Spielmann gefeiert, und zwar als weltlicher Spielmann, nicht etwa in der Art des David, entsprechend dem höfischen Charakter der Dichtung. Nach dem Verlust der geliebten Heuridis hat der alte Thrazierkönig keine Freude mehr als die Harfe; er nimmt sie mit in die Wildnis hinaus, spielt darauf bei gutem Wetter, daß alle Bestien entzückt sich einstellen, und verbirgt sie sonst in einem hohlen Baum. Als Harfner wird er selbst vom Höllenpförtner glatt eingelassen und gewinnt sich von Pluto die Gattin zurück. Nicht zufrieden mit dieser durch den antiken Stoff gegebenen Minstrelrolle läßt ihn der englische Dichter noch als verkleideten Minstrel in die Residenzstadt zurückkehren, um zuerst die Treue des Reichsverwalters auf die Probe zu stellen, bevor er wieder die Herrschaft ergreift. A m Schluß werden noch die bretonischen Sänger gerühmt, die das Lied vom König als Minstrel erfunden haben wollen. Den Versroman R i c h a r d C o e r de L i o n hat — wohl ebenfalls zu Anfang des 14. Jahrhunderts — ein Geistlicher nach französischer Vorlage in englischer Sprache behandelt, for lewede men (ed. Weber B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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II 4). Sofort ändert sich die Behandlung des Minstreis. Vom treuen Blondel, der mit seiner Harfe den gefangenen König entdeckt, hören wir nichts, dagegen mancherlei von einem verräterischen Minstrel, der den als Koch verkleideten König erkennt und aus Rache, weil er von ihm nicht gleich mete, win and ale bekommt, ihn seinem Feinde, dem deutschen König, angibt (II 29 f.). Die alliterierende Romanze über F u l k F i t z - W a r i n , den unruhigen Adelsführer unter König Johann, der 1256 starb, ist durch einen prosaischen Auszug Lelands bekannt 1 ; die französische Vorlage, der sie sehr genau folgt, darf man nicht zu spät ins 14. Jahrhundert herabdrücken. Hier will Fulk Kunde haben über seinen gefangenen Freund John de Rampaigne. Sie wird ihm verschafft durch Sir Audulf de Bray, indem sich dieser als Spielmann verkleidet, mit reichem Gewand, mit geschwärzter Haut, als käme er aus Äthiopien, mit Tamburin, Harfe und Fiedel. Es ist selbstverständlich, daß ein solcher Spielmann vor den König Johann geführt wird und sich produziert. Nachdem dann der König schlafen gegangen ist, hält noch ein hoher Ritter vom Hof den vermeintlichen Minstrel auf seinem Zimmer fest und läßt auch den gefangenen John de Rampaigne rufen, der am nächsten Tag sterben soll. Durch ein Lied gibt sich Audulf dem Kameraden zu erkennen. Durch ein Schlafpulver schafft er den Ritter des Königs aus dem Weg, und glücklich bringt er den Befreiten zu Fulk zurück. Der Dichter befindet sich in voller Sympathie mit den Adeligen und auch mit ihren Gewalttaten; er ist kein Geistlicher gewesen. Schließlich hat auch der fromme Eiferer L a n g l a n d in die zweite Fassung seiner puritanisch empfundenen Satire Piers Plowman 1377 den Minstrel eingeführt und unter dem Namen Haukin zum Vertreter der vita activa gemacht (B X I I I 273 ff.). Sein Bild ist ein gemischtes. Zwar haßt Haukin den Müßigang — er dient vielen Herren und bekommt wenig Spenden, weil er niedrige Künste verschmäht; doch merkt man ihm schon am Nacken und Gewand den Stolz an, und allerlei andere Laster treten hinzu. Religion mag er haben, aber sanz reule and resonable obedience. Ein rechtschaffener Lehrer mag er sein, doch lügt er in der Seele und setzt die Gelehrten sowohl wie Laien herunter. Er hält sich für den Heiligsten und winkt doch jedem Mädchen, das ihm begegnet, to synne-ward. Armen Leuten gibt er, sagt aber, was er gibt. Arm ist er an Habe, doch as a lion on to loke and lordeliche of speche, baldest of beggeres, a bostour that nou3t hath, in towne and in tavernes tales to teile and segge thinge that he nevere seigh and for soth sweren it. ' Ed. Th. Wright, Warton Club, I, 1858.
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Überblicken wir diese poetischen Zeugnisse für individuell ausgemalte Spielleute bei englischen Autoren, so springt zunächst in die Augen, daß wir es mit einem Lieblingsmotiv zu tun haben, das in der Luft liegt und durch eine gewisse Periode bei jeder Gelegenheit herangezogen wird. Diese Periode reicht von etwa 1125 bis 1377 — vorher und nachher fehlt es. Die beiden Ziffern bezeichnen — natürlich nur ungefähr — den Anfang und das Ende der Blütezeit, die der Minstrel in England hatte. Am Königshofe sehen wir schon zwischen 1344 und 1347, daß die Minstreis, die sich Eduard III. hält, sich in eine Musikbande verwandelt haben, mit Trompeten, Pfeifen und Klarinetten, mit Trommel, Taboret und Geige, und diese Ausstattung behalten die königlichen Minstreis auch in der Folgezeit (Chambers I 49 ff.). Um 1380 beginnen sich die Minstreis in der Provinz in Zünfte zu organisieren; aus Fahrenden wurden sie also seßhafte Leute, hauptsächlich wohl Musikbanden, und wer noch vom Straßen- oder Wirtshausvortrag lebte, sank zum Bänkelsänger herab. Was sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts vollzieht, ist nicht eine erneute Blüte des Minstreis, sondern das Auftauchen eines ganz neuen Standes in der Literatur und sein Sieg in der Kunstpoesie: der weltlich Gebildeten, der Männer in der Art von Chaucer und Gower, die sich poets nennen — das Wort scheint im Cursor Mundi um 1300 aufzukommen — und die Gunst des ersten englischfreundlichen Königs, Richards II., genießen. Ein zweites Ergebnis betrifft das Verhältnis der Kirche zum Spielmann. Nach Wilhelm von Malmesbury fanden wir die geistlichen Dichter alle geneigt, ihn in ihren Darstellungen zu belächeln, gelegentlich auch ihn noch schlechter zu behandeln. Ebenso hielten es die geistlichen Wortführer in der Wirklichkeit: seitdem Johann von Salisbury um 1165 im Policraticus den ganzen Stand der Fahrenden, mit wenig Ausnahmen — quod in singulis prosit vel deceat, animus sapienter advertit — , als öffentliches Ärgernis ausführlich gebrandmarkt hat, spricht kein Geistlicher mehr rückhaltslos für sie, mancher rücksichtslos gegen sie. Thomas Becket war als Kanzler des Königs sehr gastlich gegen die Minstreis gewesen; als er Erzbischof wurde, wies er sie aus dem Palast. Mit sichtlichem Widerwillen läßt sich das reiche Stift Edmundsbury 1327 herbei, einen ausgedienten Minstrel des Königs auf dessen ausdrücklichen Wunsch in Pension zu nehmen; es geschieht nur unter der Bedingung, daß der Fall nicht alsPräzedens gelte (Großmann, S. 22). So durchgehend ist diese Parteinahme, daß man die Regel aufstellen kann: ein Dichter, der sich unfreundlich gegen Minstreis äußert, ist ohne weiteres als Geistlicher anzusehen, z. B. der Verfasser der Romanze King of Tars, der seine Heldin lobt, weil no minstral wip harp ne croupe no mist chaunge hir pouzt (Engl. Stud. X I 45). 8*
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Eine dritte Beobachtung geht auf das Verhältnis der Minstreis zum Adel. Die ritterlichen Kreise sind ihm nicht bloß freundlich gesinnt, sondern man sieht auch, wie das Rerpertoire des Junkers sich leicht mit dem des Spielmannes deckt, so daß er damit als Minstrel auftreten kann. Dabei ist doch unverkennbar dem professionellen Sänger, dem Minstrel, die Führerschaft zugedacht. An einem adligen Helden wird vorerst betont, daß er in der Jugend gut singen und harfnen gelernt habe, wenn er später als Minstrel gehen soll. Tristrem, der den Minstrel übertrifft, ist bewundersnwert. Schon Gaimar, der anglonormannische Chronist des 12. Jahrhunderts, war stolz, wenn er eine Geschichte wußte, die dem Troubadour seiner Königin, David, noch unbekannt war Der Spielmann in seiner guten Zeit war offenbar der Hauptlehrer des singenden und dichtenden Ritters. Eule und Nachtigall. Der Minstrel wird in diesem Streitgedicht nicht genannt, aber unter der Nachtigall gemeint. Ein reiner Märchenstreit zwischen zwei redenden Vögeln kann nicht beabsichtigt sein; das wurde unzweifelhaft, als F . Liebermann die wirkliche Existenz des Schiedsrichters, des Maister Nichole zu Portesham in Dorsetshire, nachwies, der angerufen wird, um den Streit zu entscheiden 2 . Maister Nichole war ein Kaplan und Gerichtsbeamter, der in der genannten Gegend um 1209—1220 wirkte. Stünden nicht auch sonst reale Verhältnisse in dem Gedicht zur Frage, so hätte die ernsthafte Hereinziehung dieser Persönlichkeit als einer lebenden und urteilsberechtigten keine Vernunft. Das Bild, das hier von der Nachtigall entworfen wird, ist natürlich in erster Linie auf diesen Vogel zu beziehen, auf seine Sangeskunst und Wandergewohnheit. Doch gehen viele Züge über die Art des wirklichen Tieres hinaus und weisen auf den Minstrel, der ja gleichfalls ein sangeskundiger Wandervogel war; namentlich: daß die Nachtigall nicht nach Irland, Schottland und Norwegen gehe, weil dort die Leute wild und für edleren Gesang unempfänglich seien (V. 905 ff.), daß sie nach Recht und Gesetz sich an die Höchsten im Lande halte (V. 969 f.), daß sie eine Lady zu leichtsinniger Liebe verführt, daß sie daher den Zorn des eifersüchtigen Lord erfahren und erst durch den König wieder Schutz gewonnen habe (V. 1 0 4 9 0 . ) , daß sie für vornehme und nicht für niedrige Frauen von Liebe singe (V. 1 3 3 8 ff.), daß sie vielmehr vor flüchtiger, sinnlicher Liebe warne (V. 1449 ff.) und für den Mißbrauch ihrer Liebeslieder nicht verantwortlich zu machen sei (V. 1363 ff.). Faßt man diese auf einen bloßen 1 1
Lestorie des Engles, R B S 1889, V. 6488 ff. Gadows Ausgabe, Berlin 1909, S. 12 f.
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Vogel gewiß nicht passenden Andeutungen zusammen, so ergibt sich eine lebendige Schilderung, wie damals die Minnesänger zahlreich aus der Fremde nach England zogen, in die Adelsgesellschaft Eingang erhielten, mit ihrer neuartigen Auffassung von Liebe Eindruck machten, gelegentlich wohl auch zu einem Romanerlebnis anreizten und dadurch bei den ernsten Sachsen so viel Ärgernis weckten, daß an ihre gewaltsame Vertreibung gedacht wurde. Die Schilderung wird durch die Geschichte bestätigt, die Einwanderung geldgieriger Leute aus Poitou und der Bretagne steigerte sich im Jahre 1232 auf zweitausend, die sich mit Beamtenstellen, Erbinnen und Schlössern beschenken ließen, und zum Teil daraus entsprang eine nationale Bewegung, die zum Aufstand des Simon von Montfort führte 2, vielleicht auch unserem Dichter den Gebrauch der Volkssprache nahelegte. Was von der Eule gesagt wird, beruht ebenfalls in erster Linie auf Anschauung in der Natur, z. B. daß sie seßhaft ist, kunstlos schreit und Raubtierderbheit hat. Dazu kommt etwas Volksaberglaube, z. B. daß sie durch ihr Kreischen Unglück und Tod verkünde (V. 1151 ff.). Zum Teil geht aber die Schilderung sichtlich auch auf menschliche Verhältnisse: sie singt die Nachtzeiten (V. 323 ff.); sie hilft beim Gottesdienst (V. 481 ff.); sie verurteilt die Liebeslockungen der Nachtigall im Moralton (V. 492 ff., 895 ff.); sie wirft der Gegnerin vor, daß sie nichts anderes kann als singen (V. 559 ff.); sie mahnt den sündigen Menschen an Reue und Buße und tröstet den guten (V. 86gff.); sie fährt nach Nord und Süd, Ost und West, in jedes Land, um die Menschen vor Sünde zu warnen (V. 921 ff.); sie weiß von Hungersnot und Krieg sowie von langem Leben, also von Geschichte und Medizin; weiß, ob es einen guten Herbst geben und wer in der Schlacht siegen wird (V. 1191 ff.), wobei man an die Donnerbücher, an Galfrids Propheciae Merlini u. dgl. denken mag; sie versteht sich auf Bücher, speziell auf das Evangelium, und sogar auf die astronomische Zeichenkunst (V. 1213). Faßt man diese Andeutungen zusammen, so ergibt sich die Eule als Vertreterin der von der englischen Geistlichkeit damals gepflegten Literatur. Daß es sich bei ihr wesentüch um ckirchesong handelt, wird auch direkt hervorgehoben; die Nachtigall hatte nämlich bemerkt, sie habe gar nichts einzuwenden gegen Kirchengesang, wenn zu rechter Zeit und nicht zu laut noch zu lang (V. 983 f.), sie singe gelegentlich auch selber Kirchenlieder (V. 1036), wobei Weihnachtslieder vorschweben können oder die mehrfach bezeugte Mitwirkung von Spielleuten bei kirchlichen Festen; dies weist die Eule wie einen frivolen Eingriff in ihr eigenstes 1 O. R. Richardson, The National Movement in the Reign of Henry III, New York 1897, S. 36 ff.
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Gebiet zurück und fragt spöttisch, ob die Gegnerin vielleicht sogar Messe lese (V. 1181). Was da und dort von der gefährlichen Kraft der Eule gegen die Nachtigall hervorgehoben wird, ist am besten zu verstehen, wenn man an die geistlichen Gerichtshöfe denkt; aus wenig späterer Zeit ist das Zorngedicht eines verurteilten Liebessünders gegen diese Gerichtshöfe erhalten Der uralte Streit zwischen der Kirche und den mimis war in England durch das Auftauchen der Minstreis neu entfacht worden, wie der zelotische Ausfall des Johann von Salisbury im Policraticus beweist; da war es gewiß zeitgemäß, die beiderseitigen Argumente abzuwägen, wie es hier unter geschickt gewählten Masken geschieht. Der Dichter steht nicht auf Seiten der Eule, obwohl er ihren Standpunkt bis zu einem gewissen Grade begründet. Er spricht sich sogar gegen die Bischöfe aus und bezeichnet es als eine Schande, daß diese einen so verdienten Mann wie Maister Nichole bisher vernachlässigt haben (V. 1761). Er war trotz einiger frommer Worte offenbar kein Kleriker; doch gehörte er auch nicht dem Minstrelstand an, gegen den er die Eule mit allem Nachdruck und unter Berufung auf König Alfred sagen läßt: 'Entartet ist der Mann, der außer Singen gar nichts kann' (V. 573 f.). Er hat das Gedicht für Zuhörer gemacht, die über die Beförderung eines Richters wie Maister Nichole etwas zu sagen hatten und einige Anspielungen auf Vorgänge im Königshaus (V. 101 ff.) und in der Adelsgesellschaft (V. 1049 ff.) ohne weiteres verstanden, während sie uns heute dunkel klingen, also für einen höfischen Kreis. Da er sich überdies mit den Ausdrücken und Gepflogenheiten des Gerichtswesens sehr vertraut zeigt (Gadow S. 219) und die Übertragung des ganzen Streites vom geistlichen Gericht vor das des Königs empfiehlt (V. 1731 ff.), so haben wir ihn wohl als einen Mann der adeligen Sphäre anzusprechen. Der Minstrel als Dichter. Zwischen Vortrag und Abfassung eines Gedichts pflegen die Zeugnisse nicht zu sondern. Oft muß der Sänger auch der Dichter gewesen sein; der Minstrel wäre wegen seiner Satiren nicht so gefürchtet, wegen seiner Lehre nicht so geschätzt, wegen seiner Liebeslieder bei der Geistlichkeit nicht so schlecht angeschrieben gewesen, wenn er sie nicht häufig selber geformt, also die volle Verantwortung dafür getragen hätte. Wie David, der Minstrel der Königin Adeliza (gest. 1151), mit ihrer Hilfe sein Buch über Wilhelm II. schreiben ließ, fist escrivere, hat Gaimar (V. 64890.) interessant beschrieben; 1 Altenglische Dichtungen des Ms. Harley 2253, herausgegeben von R. Böddeker, Berlin 1878, S. 109.
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so mag es manchmal zugegangen sein. Später werden viele Minstreis selbst geschrieben haben; seit Anfang des 13. Jahrhunderts haben wir uns ungefähr in jeder englischen Stadt, Burg und Klosteranlage eine Knabenschule zu denken; ein freier Mann, der nicht lesen und schreiben konnte, galt pro bruto et cephalo et stulto I. Im Jahre 1307 versichert der Hofmarschall Adam D a v y , er habe seine Glückwunschvisionen zur Thronbesteigung Eduards II. nicht in Hoffnung auf meede geschrieben — andere schrieben also um Lohn, und Lohn gab man den Spielleuten. Doch trugen die Spielleute auch vieles vor, was sie nicht selber verfaßt hatten. Robert Manning erklärt zu Anfang seiner Chronik ausdrücklich, er schreibe nicht für Harfner und Sager (V. 75 f.), und deutet an, daß manche Dichtung, namentlich der Tristremroman, von den Vortragern elend verstümmelt wurde (V. 95 ff.). Will man unter solchen Umständen aus den erhaltenen frühmittelenglischen Poesiedenkmälern jene aussuchen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit Minstreldichtern zuzumuten sind, so empfiehlt es sich, vom ständigen Repertoire der Minstreis auszugehen; denn das Repertoire, das sie vortrugen, bestimmte naturgemäß ihr Dichten. Innerhalb der so markierten Gattungen wird dann zu achten sein, auf welchem Wissensgebiet sich der Dichter besonders zu Hause zeigt und wie er die verschiedenen Stände in seinen Versen behandelt. Auf Stilkriterien sei zunächst verzichtet. Die beste zeitgenössische Aufzählung des englischen Minstrelrepertoires gibt der Subdekan von Salisbury Thomas de Cabham (Bischof 1317—27) in seinem P o e n i t e n t i a l e E r unterscheidet: 1. Schimpf- und Schmeichelverse (opprobria, ut placeant aliis). Das Lied auf die Schlacht bei Lewes 1264 3 hat man wohl mit Recht seit langem einem Minstrel des Simon von Montfort zugeschrieben. Einem königlichen Minstrel hätten die patriotischen Lieder gegen die Franzosen bei Courtray 1302 und über den 1303 hingerichteten Schotten Simon Fräser 4 gut angestanden; in dieser Tradition wurzeln die späteren Bänkelsängerballaden politischer Art, als deren erste man die auf den Schottenkönig bei Flodden Field 1513 und die auf den Sturz Cromwells 1540 zu bezeichnen pflegt. Möglicherweise gehört auch das empörte Lied gegen die geistlichen Gerichtshöfe mit seinem Ausfall gegen uch fol clerk hierher 5, sowie die übermütigen Verse auf die Leute von Kildare mit ihren seltsamen HeiBateson, Medieval England 1903, S. 93, 235. Chambers, II 262 f. 3 Böddeker, S. 98 ff. 4 Böddeker, S. 116 ff., 126 ff. 5 Böddeker, S. 109 ff. 1
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ligen, Klöstern, Kaufleuten und H a n d w e r k e r n D a g e g e n ist zu bezweifeln, ob Lawrence Minot, dessen patriotische Balladen auf Taten Eduards III., 1338—52, natürlich in diese Stiltradition einschlagen, ein Minstrel oder Spielmann war, wie man oft behauptet findet, auch bei Ten Brink (I 403); denn die Familie Minot war im 14. Jahrhundert in den Grafschaften York und Norfolk mehrfach begütert 2 ; es wäre seltsam, wenn ein Sproß von ihr unter die Fahrenden gegangen wäre oder wenn ein Fahrender gerade denselben Namen angenommen hätte. Seine genaue Kenntnis vom Kriegswesen würde zu einem Ritter gut passen. Sicher ist freilich nur, daß er kein Geistlicher war, denn er redet von pir Clerkes als von einem ihm fremden Stand 3. 2. Ausgelassene Lieder (cantilenae, ut moveant homines ad lasciviam). Hierher dürften einige spaßhafte Scraps of Lovesongs, sichtlich von einem Fahrenden, gehören 4, namentlich aber Spottnovellen über das Mönchsleben, wie V o x and Wolf oder Land of Cockaygne, das erotische Tableau Dame Siriz und dessen Dramatisierung Interludium de Clerico et Puella mit dem frech verliebten clericus, genannt clerk fayllard. Mit solchen Scherzen pflegte der Minstrel der Geistlichkeit ihre Satiren heimzuzahlen. Er hatte wenigstens die Lacher auf seiner Seite. 3. Ernste Sprüche (solatia hominibus). Ein lyrisches Beispiel dieser Art ist das Abschiedslied des fahrenden Spielmanns 6 , in dem ein Sänger bei jung und alt, groß und klein für erwiesene Gastlichkeit edlen Dank ausspricht. Von lehrhaften Gedichten dürfte man am ehesten hierher rechnen die Sprichwörter Hendings, des Sohnes von Marcolf: sie gehen unter einem spielmännischen Namen, sie empfehlen das Wandern als Mittel zum Lernen, und sie enthalten das für den Spielmann seit jeher charakteristische Lob der Freigebigkeit, während die Sprüche Alfreds für buchmäßiges Wissen sind und den alten Volkskönig als clerck feiern. 4. Gesta principum et vitae sanctorum. King Horn beginnt wie ein Spielmannslied: Alle heo ben blyße Pat to my song ylyPe; a song ychulle ou singe usw. Aber das beweist nur für das Stilmuster, das dem Dichter vorschwebte. Auch Laghamon, der den Brut als Buch zum Lesen schrieb (S. 22), fingiert, daß er seid mid loft songe (14). Selbst der Verfasser des Bibelepos Genesis 1
Reliquiae antiquae II 174 ff. ' E d . J. Hall, Oxford 1887, S. X f . 3 HaU, S. 21. < Rel. ant II 19. 5 Ebenso Chambers II 181, mit Text 324 ff. * R. Ritson, 3 Anc. Ballads and Songs S. 65. Anglia VII 289 ff.
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and Exodus bezeichnet sein aus dem Latein übernommenes Buch gleich zu Anfang als song (V. 13). Man merkt den Einfluß des Spielmannes. Anderseits werden im King Horn die Rittersitten so eingehend und eindringlich geschildert, z. B. mit wiederholter Hervorhebung, daß der Held aus dem Ring der Geliebten, also aus der Liebe, die Kraft zu seinen Heldentaten schöpfte (Hs. L., V. 609, 884, 1505), daß man den Dichter gern in den Adelskreisen suchen möchte. Dazu stimmt, daß am Ende der weltliche Hofmeister, der den Junker Horn so vortrefflich erzog, keinen geringem Lohn als ein Königreich empfängt, for his gode teching (1530). Gleiches dürfte von Sir Tristrem gelten, wenn man über eine so eng an die Vorlage sich anschließende Bearbeitung überhaupt urteilen darf. Dagegen mag Havelock von einem Minstrel herrühren, obwohl sich diese Romanze nicht als ein Werk zum Singen, sondern nur zum Vorlesen gibt. Sicherlich hat sie kein Geistlicher geschrieben — dazu wird zu kräftig geflucht und zum Teufel gewünscht. Rittertum wird nur flüchtig erwähnt. Von höfischer Sitte und ihren Feinheiten hat der Dichter keine Ahnung; er ist gröblich und redet mit Vorliebe vom Essen und Trinken. Positive Züge, die auf einen Minstrel als Autor weisen, sind: das Lob der Freigebigkeit (V. 97), der Spott über das Daheimsitzen (V. 803) und die behagliche Aufzählung der Freuden, die er selbst bei einem großen Fest zu bieten hat, nämlich Harfnen und Pfeifen, Romanzen lesen, gestes singe, on pe tabour dinge (V. 2325 ff.). Sir Orfeo nimmt sich wie das Loblied eines feinen Minstreis auf seinen eigenen Stand aus. Von Legenden ist mir noch keine aus irühmittelenglischer Zeit aufgefallen, die bestimmte Züge der Abfassung durch einen Fahrenden verriete. Am wenigstens dürfte man das Bibeldrama Harrowing of Hell hierherstellen ; einerseits, weil das Stück eine Menge detaillierte Bibelkenntnis verrät, wie sie nur ein Geistlicher haben konnte; anderseits, weil die öffentliche Aufführung solcher Bibelstücke ausschließlich in den Händen der Geistlichkeit und der Zünfte lag die Gattung also nicht zum ständigen Repertoire der Spielleute gehörte. Vermutlich ist noch manche frühmittelenglische Dichtung von einem Spielmann verfaßt; doch vermag ich es mit sachlichen Gründen nicht wahrscheinlich zu machen. Die Untersuchung aus sachlichen Kriterien aber muß der aus stilistischen Kriterien vorangehen und den festen Boden bereiten. Es ist wohl denkbar, daß sich aus einer größeren Anzahl sachlich bestimmter Minstreldenkmäler einige Stileigentümlichkeiten herausschälen lassen, die zur weiteren Ausmusterung der vorhandenen Literatur genügen. Inzwischen dürfte sich einigermaßen gezeigt haben, welche Bedeutung der Minstrel als Sänger 1
Gegen Chambers I 83, II 73 f.
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und als Dichter auf die Umformung der englischen Poesie und speziell des Epos besonders im 13. Jahrhundert haben mochte, aus dem uns so wenige Denkmäler aufgezeichnet vorliegen. Er war ja nur einer der Faktoren, die zu dieser Umformung zusammenhalfen, neben dem Geistlichen und dem Ritter; aber da er seine Dichtungen zugleich sang oder sagte, konnte er die lebendigste Wirkung üben und die andern dichterischen Stände, besonders zu Anfang der Bewegung, unmittelbar mit sich reißen.
Anfänge der englisch-schottischen Balladen. Geleitwort zu »Balladen aus alter Zeit«, aus dem Altenglischen und Altschottischen übertragen von H e d w i g L ü d e k e , Berlin 1922. Älteste Zeugnisse für schottische und englische Volksballaden. Einfache Leute als ihre Sänger, die Tanzweise als Formanregung, der Inhalt romanhaft (— S. 124). Unterschied gegenüber der Heldensage. Das »Zurechtsingen«. Aufzeichnung in schwankendem Text aus mündlicher Überlieferung als das Hauptzeichen echter Volksballaden (— S. 125). Deren Stil: Personen, Begebenheiten, Umgebung, Auffassung, Bau, Rhetorik, Verskunst. Diese Stilisierung als Echtheitszeichen zweiten Grades (— S. 126). Alter und innere Entstehungsweise der ganzen Gattung. Ihr Eindruck heutzutage. Ihr Weltbild: überirdische Welt, Geschichtserinnerung, Sittenbild, Rechtswesen, Kirchentum, Behandlung der Stände (— S. 1 3 1 ) . Ihre normalen Sänger und Dichter. Quellen (— S. 134). Von ihnen sind zu sondern: die Straßenballaden (— S. 1 3 5 ) und die Kunstballaden; Bischof Percys Folio-Handschrift (— S. 136). Aufnahme der verschiedenen Balladenarten in Deutschland.
Als die Schotten ihr Heldenzeitalter hatten und nach dem Vorbild ihres Freiheitskönigs Robert Bruce sich gegen die englische Umklammerung aufs kräftigste wehrten, im Verlauf des 14. Jahrhunderts, da wird uns zuerst berichtet, daß einfache Leute unter ihnen, — nicht bloß professionelle Sänger — die Taten einzelner kühner Abenteurer in Liedern festhielten. Darf man aus späterer Sitte schließen, so bot die Versammlung der Männer beim Becher die Hauptgelegenheit zum Vortrag; aber auch die Mädchen, wenn sie beim Spinnrocken saßen oder auf der Wiese die Wäsche auslegten, oft die Schloßherrin in der Mitte, bildeten einen sangesfrohen Kreis. Der Epiker des Bruce, genannt B a r b e r , der gegen 1375 schrieb, hat aus solchen Quellen geschöpft; als edle Volksdichtung waren sie offenbar geschätzt, und nach den Inhaltsandeutungen müssen sie den kurzen Verserzählungen geglichen haben, die man seit Mitte des 18. Jahrhunderts emphatisch als »Balladen« bezeichnet. Wie sie ungefähr beschaffen waren, ersehen wir aus Nachahmungen, die bereits in derselben Periode und in verwandter Dialektsphäre entstanden, z. B. aus der Romanze über Thomas von Erceldoune und die Elfenkönigin (1399), einer Parallele zur altdeutschen Tannhäusersage. England hatte seine Heldenzeit um vier Jahrhunderte früher in den Kämpfen Alfreds und seiner Nachfolger gegen die eindringenden Dänen, und ähnlich gehen in der Südhälfte der britischen Insel die Zeugnisse für solche Abenteuerlieder voran; aber diese Urberichte liegen so weit von allen erhaltenen Texten ab, daß man erst nach sorgsamer Überlegung wagt, sie auf Volksballaden zu beziehen. Der fabelkundige Chronistenmönch Wilhelm von Malmesbury, der
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gegen 1125 unweit der walisischen Grenze seine lateinischen »Merkwürdigkeiten«, betitelt Gesta, niederschrieb, weiß von Gesängen, die bei Zusammenkünften gewöhnlicher Leute erschollen (cantilenae detritae, in triviis cantitatae), und von Kriegskönigen des 10. Jahrhunderts, von Athelstan und Edgar, handelten: wie sie seltsame Liebesdinge erlebten, wie ein falscher Seneschall einen Bruder des Königs ins Verderben brachte und dann sich selbst verriet u. dgl.; ferner wie eine Tochter Knuts des Dänen, Gunhild, glänzend heiratete, dann die Ehe brach und im Kloster endete. Alle diese Herrscher sind uns auch sonst als Gegenstand von Sage oder anderem Versbericht bezeugt; sie haben die Phantasie eines schwertgewaltigen Geschlechts gehoben; Epik braucht großes Leben ringsum, wenn sie einen neuen Zweig treiben soll. Lesen wir die Zeugnisse aus dem Norden wie aus dem Süden genauer, so tritt das Neue der Gattung betreffs Form und Inhalt ans Licht. Der Form nach meint Barber ohne Zweifel Tanzlieder. Er spricht von weiblicher Jugend (young women), die am Alltag (ilke day) mit Gesang (syng it) ein Spiel (will play) unter sich (emang thame, V. 521—2) begehen. Was anders kann das gewesen sein als ein Reigen, wie er damals unter französischer Anregung durch das ganze Abendland lief, mit erzählender Solostimme und dazwischen einfallendem Chor? — Inhaltlich nennt der Historiker aus Malmesbury lauter frei erfundene Geschichten, ohne Anknüpfung an Wirklichkeit oder an ältere Heimatsepen. Sein Zeugnis gilt für den Anfang des 12. Jahrhunderts, als man bereits von Alexander dem Großen als dem Sohn eines Zauberers fabelte, über die Wunder seines Inderkrieges staunte, die Mirakelfahrten des Apollonius von Tyrus liebte und das Material zu den Mären über König Arthur vorbereitete, immer auf die Überraschung der Leser bedacht. Sangen die Mädchen Schottlands mehr als zwei Jahrhunderte später von historischen Personen und Erlebnissen, so macht dies den Eindruck einer jüngeren oder sonst besonderen Entwicklung. Wir haben also an Kleinepen zu denken, die bei öffentlichen Belustigungen, sei es im Wirtshaus beim Trinken oder im Freien beim Tanzen, von deren Teilnehmern gesungen wurden und von romanhaften Stoffen handelten — in späteren Zeitabschnitten hätte man sie romantisch genannt. Die Verwandtschaft mit den Balladen betreffs Liedträger, Liedvortrag und Liedinhalt liegt auf der Hand. Weiter zurück gab es epische Lieder, doch fehlte der mitsingende Chor. In der Halle der frühen Angelsachsen waren Heldenlieder zu hören, aber, soweit wir sehen, pflegten nur berufsmäßige Sänger sie vorzutragen. Der erzählende Vers der Reckenzeit war nicht Volksdichtung, sondern vom Gefolgschaftsherrn einem belohnten Manne
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anvertraut, der ihm die Altmannschaft und die Jungmannschaft bei Kampfeslust erhalten mußte. E s gab damals kein »Volk«, sondern nur freie Männer, die ausschließlich für Adelsbeschäftigungen ein Ohr hatten, und gering bewertete Hörige, die erst durch das Christent u m einen theoretischen Anspruch auf Seelengleichheit gewannen. D e r Rhapsode der Völkerwanderung hatte diese Epik geschaffen und behielt das Monopol, sie zu Gehör zu bringen; er hätte nicht mehr gut zu leben gehabt, sobald sich bloße Liebhaber in sein bestes Können teilten. Andrerseits war der Sänger des Ingeld, des Finn und anderer Berühmtheiten der Zeit vor Alfred an die Sage gebunden; er durfte in den Hauptzügen nicht von dem abweichen, was seine Zuhörer von solchen Helden bereits wußten, wenn er auch in Nebendingen durch Neudarstellung immer frisches Interesse weckte. Und sein T e x t stand fest — zu fein und streng waren die Gesetze der Stabreimverse, in denen er sich bewegte, als daß er beim Wiederholen ohne weiteres variieren konnte; die Verse der Erzählungsballaden aber sind immer, wo wir sie treffen, lose gebaut, in entsprechender Weise schwankend im Wortlaut, der Willkür des Nachsängers preisgegeben. Man kann dies Schwanken des Textes, das Wilhelm von Malmesbury ausdrücklich bezeugt (cantilenis per successiones temporum detritis), nicht stark genug hervorheben. Nicht alles, was das Volk singt, ist Volkspoesie; mancher Gassenhauer und Opernfetzen wußte sich in moderner Zeit in die Dörfer einzuschmuggeln; erst was » z u r e c h t g e s u n g e n « wurde, kann als Volkslied im strengen Sinne gelten. Gemeinverbreitung wurde manchem Adelslied des Mittelalters zuteil; es ist daher keineswegs sicher, daß die Gesänge »fauler Leute« von Robin Hood, worüber der Satiriker L a n g l a n d um 1377 den Londonern Vorhaltungen machte, bereits als Volkslieder von diesem fortan .allbekannten Wildschützen gelten müssen. Auch wenn im 15. Jahrhundert da und dort der vereinzelte T e x t einer Robin Hood-Dichtung in einer Handschrift auftaucht, ist nur durch Stilvergleichung, also auf mittelbarem Wege, die Frage einigermaßen zu entscheiden. Erst die Aufzeichnung eines Liedtextes in wechselnden Fassungen aus mündlicher Überlieferung, wie sie um die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzt, beseitigt die Zweifel. Ein Edinburger Bauernkenner, namens H e r d , ging hierin voran; nach seinem Beispiel durchstrich W a l t e r S c o t t mit seinem Freunde J a m i e s o n die Gaue von Niederschottland und veröffentlichte, was er da fand, in »The Minstrelsy of the Scottish Border« (1802); andere Sammler wie Buchan, Chambers, Kinloch, Motherwell, Sharp brachten neben und ein paar Jahrzehnte nach ihm den Herbst im wesentlichen in die Scheune, worauf der Amerikaner C h i l d fast das ganze Material
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in fünf großen Bänden abdruckte (1880ff.) mit der Überschrift: »The English and Scottish Populär Ballads.« Wo Child mehrere Fassungen einer Geschichte mitteilt, da stehen wir auf festem Boden. Manchmal hat er deren ein Dutzend zu bieten und dazu noch einige abgerissene Fragmente. Meist sind die wichtigeren Reime noch durchgehend erhalten; es fehlt aber auch nicht an tiefergehenden Verschiebungen und Zudichtungen. Die Mannigfaltigkeit des Wortlautes ist die Folge und der Beweis des Zurechtsingens: so unterscheidet die Zerklüftung den echten Gletscher vom bloßen Sommerschnee. Überblicken wir nun in den stattlichen Bänden Childs die Wechselformballaden, so überrascht uns eine sehr einheitliche Stilisierung. Die Hauptpersonen stehen immer über der Stufe der nützlichen und verdienenden: sie dürfen Könige sein oder Bettler, Adlige oder Erwerbslose, Elfen oder Wilderer — aber nicht als Beamte oder Seelsorger, Handwerker oder Bauern, Lehrer oder Jäger nützen; durch den sanghaften Vortrag ist die Sphäre des Verstandes ausgeschlossen. Ein Hirschdieb kann Held sein, aber nicht der Forstaufseher; eine leichtsinnige Müßiggängerin ist der Tragik fähig, aber nicht eine fleißige Arbeiterin; in der Welt der Volksballade wird nur beachtet, wer die Phantasie erregt. Ähnlich sind die Begebenheiten gewählt. Stehlen und Lügen, Buhlen und Morden haben Kurs, aber kein Pflügen oder Wirtschaften oder Handeltreiben; moralische Neigungen kann man der Volksballade durchaus nicht nachsagen. List und Kühnheit zu zeigen gilt als Selbstzweck, wie bei den Romanzen im 12. und 13. Jahrhundert, also in der eigentlichen Ritterzeit. Das Wohl der Gefolgschaft, in den Epen der Reckenzeit die Hauptsache, dient höchstens als Nebenmotiv. Ein höheres Erleben, wie bei Chaucer und seinen Kunstgenossen im 14. Jahrhundert, die stets einen Kulturgedanken in die Liebe, in den Kampf, überhaupt in das Spiel der Empfindungen zu mengen wissen, wird nicht versucht. Gemeinverständlichkeit ist unverbrüchliches Gesetz. Die Umwelt ist nicht derart nebelhaft wie beim Märchen, wo es einfach heißt: »Es war einmal ein König.« Personen und Länder führen Namen; historische Färbung ist sogar beliebt; nur historische Treue darf man niemals erwarten. Sorgsam prüft der Schütze die Sehne, den Pfeil; ausdrücklich hören wir von den Abzeichen des Bettlers, der Klapper und Tasche; charakteristisch ist oft das Beiwerk erfaßt, aber rasch wird es abgetan. Die Umwelt darf nicht ablenken vom Tun der Hauptpersonen, sondern hat es nur zu versinnlichen. Die Buchepen der Ritterzeit hatten Raum, um ein Schwert, eine Harfe, ein schönes Gesicht, ein Gewand, sogar ein Hündchen (im »Tristrem«) auszumalen; die Volksballade dagegen hält sich kurz,
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wie um memorierbar zu bleiben, und vermag die Außendinge nur anzudeuten. Ihr Kern ist sentimental im guten Sinne. Um so mehr ist sie auf Empfindungsausdruck bedacht, oft bis zu jener Übertreibung, ja Verzerrung des Umrisses, die man heute als Expression bezeichnet. Wie Sir P a t r i c k Spence untergeht, erfahren wir nicht; daß die federgeschmückten Hüte seiner Kameraden auf der stürmischen See schwimmen, ist der einzige Zug, der uns für den Vorgang genügen muß; aber daß die Frauen daheim auf die Wiederkehr der Gatten warten und warten, daß sie sich das Haar mit goldenem Kamme strählen, um die Heimkehrer schön zu empfangen, in vergeblicher Sehnsucht, das erfahren wir durch eindringliche Wiederholungsstrophen, obwohl es für die eigentliche Handlung völlig entbehrlich ist. Manchmal tritt sogar der Dichter in eigener Person hervor, mit Wunsch oder mit Klage, ähnlich wie der Autor der Tristremromanze einmal angesichts eines Zweikampfes ausrief: »Gott helfe dem Ritter, er focht für England!« Die Volksballade ist ihrem Wesen nach gefühlvoll, gleich der Ritterromanze, und noch viel mehr, weil sie ja für denkschwächere Zuhörer und für musikalischere Darbietungsweise bestimmt ist. Sie verrät Liebe für die Heimat, treibt aber nicht Propaganda. Jegliche lehrhafte, politische oder gesellschaftliche Absicht liegt ihr ferne. Im Aufbau gehorcht sie der alten Spielmannsart, sofort auf die packende Situation loszugehen und erst nachträglich die vorausgehenden Begebenheiten anzudeuten. Ein Hauptbeispiel dafür ist »Eduard«; nicht der Auszug, sondern die Rückkehr des Vatermörders zur Mutter macht den Anfang; daß ihn die Mutter selbst dazu angestiftet hat, erfahren wir erst am Ende; warum sie es tat, wird uns überhaupt nicht gesagt; aber wie es im Gemüt des Täters aussieht, wird in dialogischer Form und schließlich durch seinen Fluch über die Mutter ausgeführt. In anderen Fällen ist die Aufdeckungstechnik maßvoller; aber niemals erzählt eine sichere Volksballade in der Manier einer Legende oder Chronik, indem sie mit der Geburt der Hauptperson beginnt und dann hübsch nach der Zeitfolge vorgeht. Der Hörer muß lyrisch erregt werden. Danach richtet sich die Gruppierung. Die Rhetorik ist vor allem darauf gerichtet, die Aufmerksamkeit zu wecken. Daher die beliebte Frage am Eingang, die überraschende Voranstellung eines Eigennamens, das Losbrechen mit einem Ausruf; nur wenn der Inhalt des Ganzen nicht heldenmäßig, sondern schwankhaft ist, wie gewöhnlich bei den Robin Hood-Balladen, fängt die Geschichte gerne mit Behaglichkeit an. Des weiteren ist auf Anschaulichkeit wenig geachtet, denn alle dazu dienenden Mittel, die Allegorie und Personifikation, der Vergleich und die Metapher, das schmückende
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A d j e k t i v und die ausmalende Apposition, tragen einen gelehrten, ans Lateinische gemahnenden Anstrich. Aber Nachdruck wird mit Eifer gepflegt. Wiederholung von Sinn, von Wort und von Vers ist häufig. Die Beiwörter, wenn entbehrlich, betonen sehr oft Selbstverständliches, z. B . »grüner« Wald, »bitteres« Leid, »wilder« Z o r n ; es ist Gefühlsrhetorik; was irgendwie schulmäßig wirken kann, wie gelehrte Wörter, latinisierende Partizipien und abstrakte Substantiva, wird abgelehnt; jedes Sätzchen muß sangbar und gemütswarm sein. Besonderes Augenmerk verdient endlich die Verskunst. Bei der Verbindung von Wörtern zu Versfüßen fällt es auf, d a ß die Senkung fast nach Belieben fehlt oder zweisilbig, nicht selten sogar mehrsilbig ist. Solch lose Rhythmik war im 12. Jahrhundert noch landläufig und wich erst im 14. bei höfischen Dichtern einem regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkung; sie blieb immer volkstümlich. Die Verbindung von Füßen zu Versen wird so bewerkstelligt, daß in der Regel zwei Füße mit fallendem Akzent zu einer Vershälfte gekoppelt sind; in der zweiten Vershälfte kann der zweite F u ß auch durch eine Pause ersetzt werden. Dadurch kommt von selber ein gewisser Singsang in die Texte, den man im Deutschen wohl als »alten Dorf schulmeisterton« bezeichnet findet; »dipodisch« kann dafür als ein griechischer Ausdruck stehen. Der Vershälfte kommt dadurch eine gewisse Geschlossenheit zu, als dürfte der Stoff dem Hörer nur in kleinen Stückchen geboten werden. Noch mehr wird auf die Geschlossenheit des Ganzverses geachtet; jeder darf nur eine einzige Sache vorbringen; nachdem z. B. der Anfangsvers von Sir Patrick Spence uns gesagt h a t : »Der König sitzt im DumferlineSchloß«, darf nicht mit einem neuen Moment, sondern nur mit Ausmalung des bereits vorgebrachten fortgefahren werden: »Und trinkt den blutroten Wein«, obwohl dies Weintrinken mit allem folgenden nicht das Geringste zu tun hat. Höfisch war es in den Romanzen des Mittelalters, den Vers durch Wechsel des Inhaltes und Satzes zu brechen; volkstümlich aber klingt es, wenn Inhalt und Satz andauern, bis der Vers zu Ende ist, weil sich dabei von selber eine gewisse Melodie ergibt. Endlich werden in echten Volksballaden immer nur je zwei Verse durch den Reim verbunden, ohne Unterschied, ob der Dichter lange Verse mit sieben Hebungen und Pause gewählt hat oder kurze Verse mit nur vier Hebungen. Das Reimpaar ist in der Volksballade die einzige Strophenform. Doch kann, wo eine besonders lyrische Ballade entstehen soll, ein Abgesang (Refrain, bürden) für den Chor hinzutreten. Solcher Vortrag, ursprünglich in Tanzliedern entwickelt, in battades, galt z. B . für »Eduard«. Der Solosänger begann:
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Anfänge der englisch-schottischen Balladen. Dein Schwert, was träuft es so von Blut?
Dann erscholl der Chor: Eduard, Eduard, dein Schwert, was träuft es so von Blut?
Solist: Und gehst so trüb einher?
Chor:
o. Manche Ballade, bei der ein solcher Abgesang in der Aufzeichnung des bloßen Textes nicht angedeutet ist, kann ihn gehabt haben. Aber sicherlich hatten ihn nicht alle; namentlich bei rein erzählenden, z. B. bei vielen Robin-Hood-Streichen, mußte er schleppend und nichtssagend wirken. Oft mag der Sänger entschieden haben, ob eine Ballade nach alter Tanzweise oder bloß erzählend vorzutragen war. So gleichförmig in den wesentlichen Dingen die Technik der Volksballade sich hielt, in solchen Nebensachen konnte sie doch bemerkenswert schwanken. Nahezu dreihundert unzweifelhafte, weil zurechtgesungene Volksballaden zeigen diese Beschaffenheit. Ein nicht geringer Teil von ihnen entstand noch vor der Reformation; »Eduard« gipfelt in einer Bußfahrt über See, »Graf Brenton« kennt einen Rosenkranz als Schutz in Gefahr, der »Falsche Foodrage« einen Schwur bei »Unsrer lieben Frau«, der »Sprechende Falke« das Singen der Messe; als katholische Sitte das Land beherrschte, war der Stil der Volksballade schon ausgebildet, und er veränderte sich nicht sonderlich in den Erzeugnissen, die sich auf Vorfälle des 17., ja des frühen 18. Jahrhunderts beziehen. Dann erst verliert sich völlig die Vornehmheit, die selbst den Spaßballaden in älteren Perioden anhaftete, so daß die Sammler in der Gegenwart auf lauter bänkelsängerische Neulieder stoßen. Als Entstehungsgegend wird durch Ortsanspielungen, z. B. auf Dumferline in »Sir Patrick Spence«, und durch Dialektreime sehr häufig Schottland erwiesen; aber auch die politische Grenze hat nur einen Unterschied der Sitte bewirkt, insofern im Norden der Adel sich enger mit den dienenden Schichten berührte als im Süden, was den nördlichen Balladen eine mehr feudale Stoffwahl einbrachte, den südlichen eine mehr bäuerliche; niemals ließe sich auf Grund der Darstellungsweise allein die Heimatsgegend einer Volksballade feststellen. Gestützt auf diese Festigkeit der Form kann man nun manche Verserzählung, die nur in einer einzigen Fassung, unbekannt welcher Herkunft, aufgezeichnet ist, ebenfalls zu den echten Volksballaden zählen. So besitzen wir die Geschichte von den »Drei W i l d schützen« in einer Handschrift des 15., die Urfassung von der B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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» C h y v i o t - J a g d « in einer des 16. Jahrhunderts, ohne Angabe über die Herkunft des Wortlautes; weil aber die beiden stilisiert sind wie solche, die mit schwankendem Text aus dem Volksmunde stammen, sind sie diesen an die Seite zu stellen. Childs Sammlung ist dadurch gerade um eine Anzahl der ältesten Texte vermehrt worden. Aber der Stil ist zugleich ein Altersanzeichen für den Ursprung der ganzen Gattung. Er kann nicht aus der Zeit der Reckendichtung und der Stabreime stammen; sind doch die Helden durchgehends ritterlich gedacht und die Verse durch ziemlich reine Endreime durchaus gebunden; solche Form drang erst im 12. Jahrhundert durch. Andrerseits war ein Jahrhundert später bereits ein regelmäßigerer Rhythmus und ein reicherer Strophenbau zur Herrschaft gelangt. Ergebnis: Die Volksballade kam nicht lange vor der Periode des Wilhelm von Malmesbury auf, der uns die ersten Proben bezeugt. Zwar nennt er seine Balladen »zersungen vor Alter«; aber aus John Meiers lehrreicher Studie »Kunstlieder im Volksmund« (1906) wissen wir, daß wenige Jahrzehnte Umlaufszeit zu solcher Zersetzung genügen. Die Tochter Knuts, die er so besingen hörte, war erst 1036 mit Kaiser Heinrich III. vermählt worden; sie lebte bis 1038, ihr Gatte bis 1056; geraume Zeit mußte doch verstreichen, bis man derart unhistorische Dinge von ihr erzählen konnte, wie sie die von Wilhelm beschriebene Ballade über sie vortrug. Man darf überdies sagen: die Gattung setzt das Eindringen französischer Lyrik und Tanzsitte, also normannische Einflußnahme voraus; sie entstand um 1100. Dadurch wurde ihr innerstes Wesen bedingt: ein Rest der altheimischen Heldendichtung ist in ihr zusammengeflossen mit Anfängen der romanisch-höfischen Weise, die sich alsbald in Romanzen verkörperte. Wie die Volkstrachten im Grunde nur alte Adelstrachten in fossiliertem Zustande festhalten, so bewahrt die englisch-schottische Volksballade den Adelsgesang der Frühnormannenepoche. Und dasselbe gilt von den Volksballaden der Skandinavier, die oft mit denen der Briteninsel eine überraschende Ähnlichkeit aufweisen; von denen unseres eigenen Volkes, die besonders interessant in Mündels Sammlung elsässischer Lieder fortleben; einigermaßen auch von denen der romanischen Völker. Wo und wann immer in den Abendlanden das Reigenlied der Minstrelzeit auf die Tradition germanischer Heldendichtung gepfropft wurde, da entsprang eine Art von Volksballade. Verwandte Ursachen führten zu einer verwandten Poesiemode, die sich in mündlicher Uberlieferung, unbeachtet von den Kunstschriftstellern, durch Jahrhunderte verborgen erhielt, bis sie, als der Geschmack für Naturpoesie durch Addison und Rousseau aufkam, zur Überraschung der Buchgelehrten an den Tag geschürft wurde.
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Jetzt wird klar, warum diese anspruchslose Gattung solchen Zauber auf uns ausübt. In ihr pulsiert noch etwas vom wuchtigen Tatendrang und hohen Lebensmut, den die Heldensage den Männern der Völkerwanderung eingehaucht hatte — wahrhaftig, wir haben ihn nie nötiger gebraucht als in unserer heutigen Unglückslage! Aus ihnen quillt zugleich ein Bronn von schimmernder Ehre und zarter Schönheit, wie er aus den Arthurfabeln in die Phantasie und Sitte der Kreuzzugskämpen überströmte; wer Romantik liebt, hier findet er sie am besten. In diesen Balladen leben wir die Gemütserregungen nach, die dann durch Jahrhunderte für natürliche Menschen edlerer Art den größten Reiz hatten; das keckste Fühlen und magischste Glauben der Renaissanceleute ist da verewigt. Weil sie nicht nach dem Sinne eines Einzelnen, sondern der Allgemeinheit gemacht sind, haben sie etwas Elementares an sich; weil sie nicht gelesene, sondern gesungene Poesie mit allen Eigenschaften lebendiger Kunst sind, ergreifen sie uns unmittelbar. Betrachten wir das Weltbild, das sie uns ausmalen, des näheren, so fällt vor allem auf, daß über den Wirklichkeitsdingen eine zweite und mächtigere Sphäre sich ausdehnt, ein Reich des Wunders und Zaubers. Ein Hügel tut ein Tor auf, mit Elfen sehen wir das Erdinnere bevölkert, die Königin der »grünen Leute« hat einen schönen Menschensproß wie Tom Lin an sich gerissen, und es braucht besonderes Wissen, verbunden mit fast übermenschlicher Herzhaftigkeit, um die Beute wieder frei zu machen. An die Alben und Wichtelmännchen der germanischen Mythe mögen wir dabei denken, sowie an den Hörselberg und den Tannhäuser neuerer deutscher Sage; durch die Versform blieb geschützt und geachtet, was man in Prosa wie einen törichten Aberglauben verlacht hätte, und durch die Musik wurde das Unmögliche ins Glaubhafte gerückt. Derb und dumm erscheinen dagegen die Riesen, obwohl sie noch immer eine dämonische Kraft besitzen; sie stammen aus den Ritterbüchern der Elisabethzeit und sind nur da, um erlegt zu werden und einem tapferen David zu Ruhm zu verhelfen. Aus dem Dunkel taucht der Ungefüge auf, mit dem es Colvin zu tun hat; er ist nicht denkbar ohne ein bedrängtes Edelweib; er kämpft mit Macht und fällt durch List; er flößt nicht ein runisches Grauen ein, wie etwa der menschenfresserische Grendel im Beowulfepos, sondern ein kindliches, das an Spenserische Märchen gemahnt. Spuk des Todes tritt den vereinsamten Liebhaber oder die verlassene Geliebte an; das Gespenst ist eine Ausgeburt gemeinmenschlicher Erinnerungen und Träume; die Volksballade läßt sich ein so wirksames Motiv nicht entgehen. Aber gegen alle dräuende Schattengewalt und -gefahr hat das Christentum eine weitere Zone zu Schutz und Rettung aufgebaut; ein Tropfen geweihten 9*
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Wassers oder ein Anruf an die Muttergottes bringt sie den Hilfesuchenden nahe; Teufelsbereich und Himmel stehen gegen einander. In buntester Weise ist die Luft in der Volksballade gestaltenreich und einflußbewegt; oft lebt der Sänger mehr in Phantasievorstellungen als in Realmöglichkeiten. Die Volksballade grenzt ganz nahe an das Märchen, das reinste Poesiekind, weil ebenso absichtslos und fast ebenso erdfrei; gleich den Märchen hat sie für urheimische Mythen ein treues Gedächtnis. Ihre Geschichtserinnerung ist lebhaft, aber sehr ungenau; die Stimmung früherer Zeitläufte wird bewahrt, nicht die Tatsachen. Dem normannischen Eroberer leistete ein adliger Sachse, namens Hereward, in den Sümpfen von Ely lange Widerstand; Herewards Feindschaft und Wilderertum gegenüber den Königsbehörden lebt fort in R o b i n H o o d , aber seine Leistungen sind vergessen; selbst sein Name war bei den Balladensängern, deren Text wir allerdings erst im 15. Jahrhundert einigermaßen beobachten können, dahin. Percy, der Graf der englischen Nordmark, stritt gegen die Schotten 1388 in der Schlacht bei Otterbourn; sein vaterländisches und ritterliches Feuer schwebt der Ballade von der C h y v i o t - J a g d noch vor; aber daß er eine Hirschjagd beim schottischen Nachbar veranstaltet, aus barem Übermut, ist Erfindung, und daß er in dem sich entspinnenden Treffen fällt, ist aus dem wirklichen Schicksal Percys in der Schlacht bei Shrewsbury 1403 entlehnt. Dies sind die ältesten Geschichtsspuren in erhaltenen Volksballaden, und sie gehören zu den deutlichsten; von einem Patrick Spence ist in der Wirklichkeit gar nichts Sicheres mehr zu finden. Die Historienepik ist tief getrennt von der Volksballade, die, gleich der alten Heldendichtung, jedes Motiv möglichst ins Wundersame hinüberspielt. In den Sittenbildern fällt auf die häufige Zwangsheirat auf Befehl des Vaters, sowie die krasse Grausamkeit des Geliebten gegen ein rührend anhängliches Mädchen: S c h ö n A n n a , H e r r W a l t e r . Daß die spätmittelalterlichen Mädchen im täglichen Leben rechtlos waren, kann man im allgemeinen nicht behaupten. Wenn nicht gerade ein Königsmündel zu verheiraten war, so forderte wenigstens das Herkommen, daß die Braut gefragt wurde; als später die Puritaner davon absahen, wurde es abfällig bemerkt. Bei Chaucer muß jedesmal die Dame umständlich gewonnen werden. Es sei nicht übersehen, daß der Vater als Tyrann ein bequemes Mittel war, um Herzensprüfungen hervorzurufen. Vollends war Mißhandlung der Liebhaberin ein Motiv, das erst vor unseren Augen aus rein literarischer Quelle aufkommt, aus Petrarcas »Griseldis«, die zuerst von Chaucer behuf§ Verherrlichung der Frauen nacherzählt und dann oftmals nachgeahmt wurde. Wie die Volksballade die Kampfes-
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wut übertreibt, z. B. in »Chyviot Jagd«, wo der tapfere Widdrington nach dem Verlust der Beine noch auf den Stumpfen weiter ficht, so auch die Hingebung eines Mädchens, das des Kindes nicht achtet, um dem Geliebten zu dienen. Nicht hausbackene Wahrheit kommt darin zum Ausdruck, sondern eine Eigenart des Stils, die unseren Expressionisten ohne weiteres verständlich sein dürfte. Mit dem Rechtswesen wird sehr frei umgesprungen. So schnell wie der Richter von Carlisle in den »Drei W i l d s c h ü t z e n « zum Henken verurteilt und der König hinterdrein Gnade übt, ging es in englischer Wirklichkeit nie zu. Die Normannenbarone, die das Gesetz auf ihrer Klingenschneide zu finden behaupteten, bekamen schon im 13. Jahrhundert die Justizhöfe des Königs empfindlich zu spüren. Der Standesunterschied zwischen einem Adligen und einem Gemeinfreien ist am ehesten beim Schmiede »Braun-Adam« beachtet, der dem Ritter für das Attentat auf die Schmiedin nur vier Finger abnimmt. Dagegen fehlt es an jeglicher Etikette im Königssaal und Vasallenschloß. Kirche und Kloster werden angezogen, spielen aber nicht mit. Die Volksballade ist gläubig, aber nicht fromm; der Bischof von Hereford wird von Robin Hood gar respektlos genarrt. Wenn in der »Stolzen« vor Sünde gewarnt wird, so stimmt solcher Predigtton weder zu den unmittelbar vorausgehenden Rätselfragen, noch zum Balladenstil überhaupt; es kommt dabei ganz auf die Frage an, welche der in einzelnen Fassungen erhaltenen Strophen ursprünglich sind und welche nur von stilarmen Nachsängern beigefügt wurden. Der Gegensatz von lustigem Leben und grausem Grabe, um den sich diese Geschichte dreht, wirkt ohne Moral viel passender. Die Stände dürfen sich nicht vordrängen; es ist schon etwas Ungewöhnliches, daß in »Braun-Adam« ein Handwerker, allerdings ein dem Adel so nahestehender wie dieser Schmied, zur Hauptperson erhoben wird; aber selbst da versteigt sich der Text nicht etwa zu einem Lob der Schmiede, noch wird das Töpferabenteuer Robin Hoods zu einem Preis der Töpfer; die echte Volksballade gibt sich niemals als spezielles Arbeits- oder Jäger- oder Matrosen- oder Soldatenlied; sie wendet sich immer an die Gesamtheit. Was Wissen betrifft, ist das Fach des Pfeileschießens ausgezeichnet, wie sich besonders in den »Drei Wildschützen« zeigt, da wo zwei Ruten sachgerecht als Ziel für den Meisterschuß ausgesteckt werden. Was aber Sympathie betrifft, ist sie am meisten dem Harfner zugewandt. Der Harfner bringt in der »Grausamen Schwester« die Gebeine der Getöteten zum Singen; als Sänger soll der »Sprechende Falke« vor der Kirche sitzen und der Liebsten die Botschaft bringen; statt Tom Lin wird in einer verwandten Ballade Thomas der Reimer mit der Feenkönigin zusammengebracht.
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Das führt uns zur Frage, wer die Volksballaden am meisten vortrug, wer sie am ehesten dichtete? Daß nicht bloß das Volk sie sang, sondern auch der professionelle Fahrende, wird durch die alten Angaben über Sheale als Rezitator der »Chyviot-Jagd« auf seinen jährlichen Reisen von einem Schloß und Jahrmarkt zum andern bewiesen. Es ist gewiß kein Zufall, daß gerade diese mit historischen Elementen besonders stark vermischte Ballade im Munde eines Berufsvortragers erscheint, während eine so romantische wie »Eduard« einen Chor voraussetzt, um regelmäßig den Abgesang beizusteuern. Wenn aber der wandernde Minstrel der beste Träger der Gattung war, wenn sein Wissenskreis nirgends überboten und sein Amt am freundlichsten dargestellt wird, wenn er das umfänglichste Repertoire beherrschte und daher in den Stil am gründlichsten eingeübt war, dann ist es natürlich, ihn auch für den häufigsten Dichter zu halten. Sicher scheidet der Schloßpfaffe, der im allgemeinen die buchmäßigen Romanzen und Versromane behufs Erziehung der Junker zu schreiben pflegte, aus, weil die Satire auf Priester und die Liebessünden von Rittern zu herzhaft behandelt werden — ausnahmsweise mag die »Stolze« mit ihrem Stich ins Erbauliche von einem Geistlichen herrühren. Auch adligen Verfassern ist es nicht zuzutrauen, daß sie den Sieg eines Schmiedes wie Braun-Adam über einen Ritter oder des Robin Hood über den Squire verherrlicht hätten. Weltliche Gelehrte bürgerlicher Herkunft treten als Dichter erst seit Chaucer hervor; es bleibt also, da man ein längeres, wohl aufgebautes Erzählungsgedicht nicht wie eine lose Schnaderhüpfelreihe einer Mehrzahl von Autoren zumuten kann, nur übrig, im Harfner den normalen Erfinder der Volksballaden zu sehen, der natürlich für eine vornehme Hörerschaft andere Stoffe und Auffassungen wählte als für einen Pächter- oder Jahrmarktskreis. Als Quellen konnte irgend ein Bericht über eine geeignete Begebenheit dienen. Die Ballade vom »Horn« ( = Horand) stammt aus einer Fassung der in mehrfacher Form erhaltenen Romanze von Horn und Rimenhild; in der » C h y v i o t - J a g d « ist eine Art Chronik durchzuspüren; die »Zwei B r ü d e r « sind eine Neubearbeitung der viel älteren Eduardballade u. dgl. Ob ein Buch oder mündliche Überlieferung zugrunde lag, machte keinen besonderen Unterschied. Auch ob eine Vorstellung landläufig ist, wie die von der bösen Stiefmutter in »Rosenrot u n d L i l i e n w e i ß « , oder von seltenem Gebrauch, wie die vom Tellschuß in den »Drei W i l d d i e b e n « , ist gleichgültig. Wenn die Fabel nur wundersam empfunden, die Einkleidung neuartig und die traditionelle Form getroffen ist, so hat der Dichter seine Schuldigkeit getan. Zu sondern von den echten Volksballaden sind in mehrfacher
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Hinsicht zwei verwandte Gattungen, die sowohl in Bischof Percys »Reliques of ancient English Poetry« und in Herders »Stimmen der Völker« als in der vorliegenden Sammlung damit zusammengeflossen sind, weil sie ebenfalls das Schauen und Fühlen früherer Jahrhunderte anziehend zu beleuchten vermögen. Die Bänkelsänger- oder S t r a ß e n b a l l a d e ist sangbar, jedoch in einem niedrigeren Ton gehalten, so daß sie nicht für die Gesamtheit zurechtgesungen wurde. Fahrende pflegten sie zu leiern und, sobald das Drucken aufkam, auf Flugblättern zu verkaufen, was um so leichter geschehen konnte, weil ihr Text feststand; kaum daß die erhaltenen Kopien in kleinen Wörtchen auseinander gehen. Statt wundersam ist ihr Gegenstand eher wunderlich; statt herzhafter, naiver Anteilnahme, auf die es die Volksballade abgesehen hat, will sie Belehrung oder Sensation erwecken, unbekümmert um die Wahl der Mittel; sie gruppiert kunstarm nach der Zeitfolge, schwankt in der Ausdrucksweise zwischen banalen und gelehrten Wendungen, gefällt sich in regelmäßiger Rhythmik und ehrgeizigen Strophen und wiegt sich zugleich in schweren, oft plumpen Dipodien. Shakespeare hat sie verachtet, bei Child darf man sie nicht suchen, dagegen füllen sie die breiten Bände der » Bailad Society« und gefielen Wordsworth. Hierher gehört z. B. »Die B e t t l e r s t o c h t e r v o n B e d n a l l Green«. Daß die Mutter dieser Straßendirne den Vorkämpfer des Parlaments gegen das normannische Königtum, den Grafen Simon von Montfort, gerettet habe, ist der erste Schlager; daß eine Almosenbitterin einen Ritter heiratet, ist der zweite; daß aber ihr Vater sich dabei als Besitzer sehr vieler Taler entpuppt, ist der dritte und für Dichter wie Zuschauer offenbar der gewichtigste. Einem Kokettieren mit Geschichtswissen folgt gewagte Anerkennung für den Mißbrauch der Armenfürsorge. Die K u n s t b a l l a d e ist eine Nachahmung der Volksballade mit gebildeten Mitteln. Sangbarkeit ist nicht gepflegt, Leierton manchmal durch die Wahl von Kurzversen geradezu verwehrt; statt mündlicher Überlieferung haben wir ausschließlich die schriftliche, ohne Spur von Aufzeichnung nach lebendigem Vortrag, von Zurechtsingen, von Textzerriittung. Eine verfeinerte Rhetorik verwendet Wiederholungen höchstens zum Zwecke besonderen Nachdrucks und bewegt sich gewandt auch in schwierigen Strophen. Inhaltlich suchen die Dichter das Wundersame vorwiegend im Heldenhaften; edle Personen bewähren sich in tragischer oder an das Tragische streifender Prüfung. Die hebende Wirkung des urheimatlichen Liedes auf spätere, minder natürliche Geschlechter ist Schritt für Schritt zu beobachten. Zu den ältesten und schönsten Erzeugnissen dieser Klasse zählt
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das Dialoggedicht vom »Nußbraunen Mädchen« und ihrem Geliebten, der sich als Geächteter gibt und schließlich, nach Erhärtung ihrer Treue, als Graf enthüllt: denkt Gutes von den Frauen! Eine Reihe höfischer Geschichten wurde in der Elisabethzeit so dargestellt und in einer Handschrift des frühen siebzehnten Jahrhunderts vereinigt, aus der gegen 1765 Percy schöpfte. »Gawan« stammt aus dieser sogenannten P e r c y - F o l i o - H a n d s c h r i f t , die Nachbildung der Fabel von Gawan und der häßlichen Elfin, die sich in eine Schöne verwandelt, sobald ihr gemein-weibliches Begehr nach Herrschaft erkannt und anerkannt ist — allen Lesern Chaucers zur Erinnerung an die »Geschichte der Frau von Bath«; ferner »Herr Heinrich«, der als Entführer den verfolgenden Schwiegervater besänftigt, indem er sich als ebenbürtig kundgibt; »Herr Caulin«, der die Geliebte vom üblichen Riesen der Ritterromane befreit und dann nochmals im Turnier gewinnt; »Jung-Morris«, der heimlich erwachsene Sohn einer Gräfin, der als ihr vermeintlicher Liebhaber vom Grafen getötet wird; »Herr Aldingar«, der verleumderische Seneschall, der einen Bettler ins Bett der Königin legt, die Eifersucht des Königs dadurch entflammt, durch ein Kind aber im Turnier überwunden wird; »König Estmer«, der mit Hilfe seines harfespielenden Bruders die Gehebte von einem gräulichen Heiden aus Spanien befreit; und »König A r t h u r s Tod«, inhaltlich eng verwandt mit Malorys Prosaroman über denselben Gegenstand (gedruckt 1485). Die ganze Geschichtenreihe versetzt uns in die Umgebung der Spenserischen »Feenkönigin« (1589 ff.) und der ungefähr gleichzeitigen »Sieben Könige der Christenheit«. An den Puck in Shakespeares »Sommernachtstraum« oder vielmehr an das Volksbuch von »Robin Gutfreund«, das dem Drama zugrunde liegt, gemahnt die Selbstschilderung dieses Hauptwichtelmannes. In echt Elisabethanischer Mischung von Eleganz und Derbheit bewegt sich der »Genarrte Ritter«. Es war eine Blütenperiode der Kunstballade, deren Früchte in jenem Codex eingeheimst wurden und dann die epochemachende Veröffentlichung Percys zieren halfen; alle diese Dichtungen entstanden durch Schriftsteller, verbreiteten sich buchmäßig und eroberten sich niemals den Volksmund, sind auf einen andern Ton gestimmt und wollen für sich, als Epigonen, gewürdigt sein. Der Reichtum und die Mannigfaltigkeit der englischen und schottischen Balladen und besonders der Volksballaden trug viel dazu bei, daß die romantische Bewegung in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts gerade von der britischen Insel ausging. Diese Dichtungen wirkten auf Deutschland in zweifacher Weise; teils indem sie den Spürsinn für unsere heimatlichen Volksballaden weckten, teils indem sie unsere Kunstdichter zu Nachbildungen einluden. »Es
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war ein König in Thüle« ist eine von den echten alten Perlen, die so ans Licht kamen; dagegen folgte Bürger in der »Lenore« durchaus dem Stil der Straßenballaden, und sowohl Goethe und Schiller, als Platen, Uhland und Fontane gehören zu den Nachbildnern der Volksballaden. Das hat jedoch ihren Erfolg nicht gemindert, sondern vermehrt. Denn nichts ist auf dichterischem Gebiete schwieriger, als unmittelbare Erfassung und Weiterführung des Mittelalters. Halbe Gleichheit stört die ganze Anpassung; dagegen ladet halbe Modernisierung zu willigem Mitgehen ein. Walter Scott wurde zuerst von Bürgers »Lenore« ergriffen, und erst nach Jahren wandte er sich an die eigenen Farmer um ihre Liedfragmente; Goethes »Götz« und selbst die Femeromane eines Leonhard Wächter regten ihn früher zu Sittenbildern der Feudalzeit an als die Kenntnis der heimischen Chroniken. Ähnlich ist für unseren Geschmack erst nach vielen Umbildungen der englisch-schottischen Balladen der Moment gekommen, wo deren ungeschminkte Herübernahme geüngen kann. Möge es den vorliegenden Übersetzungen, die nicht bloß liebevoll, sondern auch stilgerecht abgefaßt sind, gelingen, sie kräftig und in den weitesten Kreisen zu fördern!
Eine neue Art, Shakespeare zu spielen. Je mehr Mittel modernster Bühnenkunst aufgeboten werden, um bei der Darstellung Shakespeares die Illusion zu erhöhen — Mittel, an die er nicht gedacht, für die er nie geschrieben haben kann —, desto tiefer und voller ist die Wirkung. Wenn die Meininger zeigten, wie die Volksszenen im »Julius Cäsar« aufzubauen und zu beleben sind, wenn jetzt im Neuen Theater Berlins der Wald im »Sommernachtstraum« mit Wucht und Duft zur Geltung gebracht wird, so nimmt es sich nicht als unorganische, aufdringliche Zutat aus, sondern wie ein Fortschritt im Erfassen des poetischen Kerns. Es ist, als hätte Shakespeares Phantasie dem Realismus späterer Jahrhunderte vorgegriffen und mit einer Kraft der Verlebendigung gearbeitet, die unsern Bühnentechnikern die größten Aufgaben stellt. Darum denkt kein vernünftiger Theater mann daran, seine Aufführungen auf die dürftige Holzschnittmanier des 16. Jahrhunderts zurückzuschrauben, wenn auch gelegentlich ein rückständiger »Kenner« die Vorteile des durch keine Dekorationen beengten Dichterwortes anpreist; sondern es gilt der Grundsatz: für Shakespeare ist die zauberhafteste Versinnlichung gerade gut genug. Da mag wohl auch an einige Vorzüge des alten Shakespeareschen Theaters erinnert werden, die im 17. Jahrhundert, als die heutige Opernbühne aufkam, vergessen wurden und sich um so eher der Beachtung empfehlen, als Shakespeare seine Stücke sorgsam dafür eingerichtet hat. Sein Bretterboden sprang bis in die Mitte des Parterres vor; als im Jahre 1599 das Fortuna-Theater gebaut werden sollte, möglichst nach dem Muster von Shakespeares Globus-Theater, erhielt der Kontrakt die ausdrückliche Bestimmung: the stage... in breadth to extend to the middle of the yard of the said house. Wie günstig war es für einen Schauspieler, der einen Monolog zu sprechen hatte, wie etwa »Sein oder nicht sein« oder den Fluch des Lear, wenn er in das Zentrum des Hauses vortreten konnte, um jeden Laut, jede Geste plastisch und aus der Nähe zur Wirkung zu bringen! Auch für synoptische Darstellung war in einer Weise gesorgt, die wir gar nicht kennen. Auf der rückwärtigen Hälfte der Bühne stand nämlich nicht bloß ein Balkon, wie in veralteten Shakespeare-Büchern zu lesen ist, sondern da erhob sich auf Säulen ein oberes Stockwerk, das im Schwanentheater von 1596 eine Front von sechs Fenstern hatte und bald als die Zinnen einer Stadtmauer ausgestattet wurde, bald als die Privatgemächer eines Palastes oder
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als eine Gallerie für Geistererscheinungen u. dgl. Das erlaubte z. B., in »Romeo und Julia« die Nachtszene, wo die Heldin das Gift nimmt, mit einer Vollkommenheit zu spielen, wie sie heute kein Regisseur erreicht. Es ist Abend — die Zeit wird in diesem Drama von südlicher Leidenschaft mit charakteristischer Sorgfalt markiert. Oben betritt Julia, von der Beichte scheinbar getröstet zurückkehrend, ihr Zimmer ; Verzweiflungsmonolog; Gifttrinken; Einschlafen. Unten bereitet Mutter Capulet mit der Amme und »zwanzig Köchen« geschäftig das Hochzeitsmahl. Um drei Uhr gesellt sich Vater Capulet dazu, scherzt und drängt zur Eile — ahnungslos, daß oben sein Kind im Scheintod liegt. Es wird Morgen; die Mutter sendet die Amme hinauf, um Julia zu wecken; der Jammer der Dienerin zieht die Eltern in das Schlafzimmer. Oben herrscht Entsetzen — unten, auf der Straße vor dem Palaste, zieht der Bräutigam auf, mit Musikanten; in Freuden will er die Braut zur Kirche geleiten. Welcher Widerstreit der Stimmung auf beiden Schauplätzen! Wie ergreifend dann Vater Capulets Aufklärung: »O Sohn, die Nacht vor deiner Hochzeit buhlte der Tod mit deiner Braut.« Die Trauernden und den Unglückspalast birgt der zusammenschlagende Vorhang; davor bleiben die Musikanten allein auf der Straße stehen, stecken ihre Instrumente ein, bringen uns durch Clownsscherze wieder ins Gleichgewicht. All das läßt sich der heutige Regisseur entgehen, obwohl es für seinen Direktor Ruhm und Gold bedeuten würde. Im Deutschen Theater sah ich alles gestrichen, was zwischen Julias Gifttrinken am Abend und den Weckversuchen der Amme am Morgen liegt. Der Gegensatz zwischen den fröhlichen Hochzeitsvorbereitungen unten und der Brautleiche oben entfällt. Daß die Nacht verstreicht, wird nur durch das Niedergehen des Vorhanges für eine Minute markiert. Doch Direktor Brahm machte mich darauf aufmerksam, daß eine Kerze neben Julias Bett, die vor dem Niedergehen des Vorhanges lang war, nach dessen Emporgehen nur mehr als Stümpfchen dastand. Vive la bagateilet Das Schönste aber kam jetzt, am Morgen: der Bräutigam mit all seinen Musikanten trat in das Schlafzimmer der Braut, die noch im Bette lag. Wo in allen Weltteilen und Jahrhunderten war das Sitte ? Besonders wohl angebracht nahmen sich nachher die Scherze der Musikanten im Totenzimmer aus. Shakespeares Regisseur vor dreihundert Jahren verstand sich auf sein Handwerk besser. Wer in diesen Punkten das gute Alte wieder zu Ehren bringen will, muß freilich erst mit dem Zimmermann reden, muß probieren, wie sich ein Bühnenvorsprung und ein oberes Stockwerk auf der Bühne ausnehmen, muß Geschmack in seinen Apparat und auch Geld in seinen Beutel tun. Aber ein andrer Punkt, in dem das Shakespearesche Theater dem unsern künstlerisch überlegen war,
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ist ohne Auslagen und Umstände durchzuführen. Es ist die Vermeidung der Pause. Als vor einigen Jahren unter Erich Schmidts Ägide die Vorlesungen des »Urfaust« begannen, war man verwundert, wie mit so einfachen Mitteln, bloß durch das jugendfrische Wort des Dichters im Munde berufener Sprecher, eine so erschütternde Wirkung zu erzielen war. Die Gesichter der Schauspieler erglühten vor innerem Feuer, die Zuhörer wurden windelweich, zwei Stunden verflogen wie eine. Denn es gab keine Unterbrechung. Nur mit der inneren Illusion wurde gearbeitet, aber sie wurde nie gestört. Ebenso gab es auf Shakespeares Bühne weder Akt- noch Szenenpause. Wir ersehen dies aus den ältesten Originalausgaben; noch in der Folio von 1623 sind »Romeo«, »Antonius und Kleopatra« und viele andre Stücke ohne Akt- und Szenenabteilung schlichtweg gedruckt; die Absätze in unsem modernen Shakespeare-Drucken rühren von späteren Herausgebern her. Wir erschließen es ferner aus der Zeit, die ein Stück zu dauern pflegte: »zwei kurze Stunden« nahm die Aufführung von »Heinrich VIII.« in Anspruch (Prolog, S. 13); da war kein Absetzen möglich. Hauptsächlich aber spüren wir es an der Vorsicht, mit der Shakespeare, so oft ein Wechsel der Dekoration nötig wurde, dafür sorgte, daß inzwischen einige Minuten, unter Umständen auch eine oder zwei Szenen, vor dem Vorhang spielten. Darin lag nämlich die eigentliche Schlauheit: der Vorhang hing nicht vor der ganzen Bühne, sondern in der Mitte der Bühne. In der einen Abbildung, die wir vom Innern eines Elisabethanischen Theaters besitzen, in der des Schwanentheaters 1596, kann der Vorhang, dessen Existenz durch viele Anspielungen gesichert ist, nur vor dem Doppelstockwerk gehangen haben, das, wie gesagt, auf der hinteren Bühnenhälfte stand, ja, sie nahezu ausfüllte. Davor war Platz genug für große Volksszenen. Die offene Straße war da gedacht, oder ein Schlachtfeld, oder Wald und Heide, irgendein unbestimmtes Lokal, niemals aber eine Dekoration, außer etwa ein tragbarer Stuhl. Tote, die hier fallen, müssen unter Angabe eines Grundes oder Modus im Texte des Stückes hinausgetragen werden. Hinter dem Vorhang aber wurde gespielt, was sich an bestimmter Stätte zwischen vier Wänden abwickelte. Tote konnten da liegen bleiben, z. B. Paris in »Romeo«; Dekorationen gab es da genug, z . B . Bett, Eß- und Kneiptisch, Sitzungsmöbel, Thron, Traualtar, Hexenkessel. In einem Lustspiel von W. Percy um 1600 sind als »properties« vorgeschrieben: ein Ziegelofen, eine Faunshütte, eine hohle Eiche, ein Brunnen mit Eimer, eine Rasenbank; und nur dann dürfen Zettel dafür angebracht werden, wenn sich zu viele Leute auf die Bühne gedrängt haben (Shakespeare-Jahrbuch, Bd. 48, S. 233). Es war
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eine richtige Illusionsbühne, und sie war um so wertvoller, als sie, dank der illusionslosen Vorderbühne, keine Verwandlungspausen erheischte. Wenn aber in unsern Theatern ein Shakespeare-Stück, namentlich ein Königsdrama mit häufigem Bildwechsel, dargestellt wird, so hört ungefähr nach jeder Viertelstunde das Spiel auf, das Licht wird abgedreht, Maschinenarbeit geht vor sich, und inzwischen irrlichtem die Geister der Zuschauer. Nach dem zweiten oder dritten Akte geht sogar die Gesellschaft zum Biere, redet und lacht und kehrt ganz zerstreut zurück. Eine volle Wirkung ist da nicht mehr zu erwarten. E s ist ein großer Beweis für Shakespeares Genie, daß Dramen wie »Romeo« und »Othello«, die uns genau die Zeit vorrechnen und streng darauf komponiert sind, uns niemals aus der leidenschaftlichen Erregtheit zum Bewußtsein kommen zu lassen, trotz solcher Zerbrechung in der Mitte nicht abfallen. Nicht jede Pause ist unkünstlerisch. Das griechische Trauerspiel hat sie sogar zu einem Grundpfeiler seiner Kunst gemacht, indem es den Chor darauf verlegte, durch den wir inmitten der heroischen Begebenheiten aufatmen, rasten und in Schicksalsbetrachtung erstarken. Die Oper im 17. Jahrhundert hat sie mit Musik ausgefüllt; sie besaß daher das Recht, den Vorhang von der Mitte der Bühne an deren Vorderwand zu verschieben, wie es der Theatererbauer Inigo Jones in London seit der Rückkehr der Stuartkönige aus Paris tat, um beträchtliche Zeiträume für den Wechsel der Versatzstücke vorzusehen. Nach der Gepflogenheit dieser Opernbühne, die bis zum heutigen Tage bei uns das Monopol hat, sind viele neuere Dramen eingerichtet, so daß ein Akt eine gewisse Rundung und Abgeschlossenheit in sich birgt. Schillers »Teil« ist ein Hauptbeispiel dieser Gattung; auch die meisten Schauspiele unsrer Romantiker und gemäßigten Realisten gehören ihr an; es war nur folgerichtig, daß sie bis vor einigen Jahrzehnten mit Zwischenaktsmusik aufgeführt wurden, und da sie hierfür gedacht und gedichtet sind, sollte man sie ihnen eigentlich nicht rauben. Shakespeare hat ein ganz andres Verhältnis zur Pause. E r verwendet sie nur in wenigen episch gearteten Dramen, um große Zeitabstände zu markieren. In »Heinrich V.« tritt zwischen je zwei Akten ein Prologredner auf, um uns zu sagen: jetzt segelt der König nach Frankreich — er steht vor Agincourt — er segelt nach England zurück. Im »Wintermärchen« erscheint die Zeit und kündet uns, daß die gleich nach der Geburt ausgesetzte Prinzessin von Sizilien zur Jungfrau herangewachsen ist. In »Romeo und Julia« ist der Prologspruch vor dem zweiten Akte vielleicht echt, fehlt aber vor jedem folgenden Akte; ja, die weitere Handlung ist so konzentrisch aufgebaut, mit der fieberhaften Leidenschaftlichkeit des Südens und mit häufigen Zeitangaben, daß wir
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nicht einen Augenblick aus der Schwüle herauskommen dürfen; denn ein nüchternes Besinnen könnte leicht für die Wahrscheinlichkeit des Ganzen gefährlich werden. Noch fester werden wir im »Othello« in atemloser Spannung gehalten; sind doch die Verdachtsgründe der Eifersucht so schwach! Damit wir dennoch von Zeit zu Zeit eine Erholung und neue Empfänglichkeit für tragische Dinge gewinnen, hat Shakespeare mit großer Kunst bald lyrische, bald komische Einlagen angebracht: die Scherze mit der Amme und den Musikanten, die Lieder von Nachtigall und Lerche und von der Weide. Eine Pause ist hier überflüssig und schädlich; sie bricht der Illusion das Rückgrat; sie ist äußerst unkünstlerisch. In den Tragödien mit loserer Komposition, zu denen »Hamlet« und »Lear«, besonders aber die Königsdramen gehören, sind bei modernen Aufführungen die Szenenpausen wegen ihrer Häufigkeit am gefährlichsten. Sie zerlegen die ohnehin lockeren Stücke oft in eine Reihe Tableaux. Trotz einschneidender Kürzungen wird das Spiel auf vier Stunden ausgedehnt, und trotz der vierstündigen Bemühung bleibt der Fluß der Handlung leicht unklar. Ein »Hamlet« in »zwei kurzen Stunden«, Schlag auf Schlag vorgeführt — wie anders würde er wirken! Probieren geht über Studieren. Das Großherzogliche Hoftheater in Weimar wird beim diesjährigen Shakespeare-Tag') am 29. April einen Versuch mit der pausenlosen Darstellung eines ShakespeareStückes wagen. Alle Bühnenfreunde sind hierzu willkommen geheißen; den Mitgliedern der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft werden die gewohnten gastlichen Veranstaltungen des Großherzoglichen Theaters am Abend ihres Jahresfestes bereits in angenehmer Erinnerung sein. Das Experiment soll mit »Richard II.« gemacht werden. Die Wahl hat mein lieber Freund J o s e f K a i n z getroffen, der mit Lust auf den Plan einging und sich erbot, eigens von Wien nach Weimar zu kommen, um die Titelrolle zu spielen. Denn nichts sei bei der gegenwärtigen Bühnenpraxis für den Darsteller so lästig und nervengefährlich wie die häufigen Pausen: sie brächten ihn oft noch mehr aus der Stimmung als den Zuschauer. Die späten Ostern machten dies J a h r eine Verschiebung des Shakespeare-Tages notwendig, und darüber haben wir Kainz verloren; aber W i e k e aus Dresden ist tapfer für ihn eingetreten, und die Künstlerschar Weimars hat ihr Können dem neuartigen Unternehmen mit Eifer zugewendet. Von vornherein wurde der Grundsatz aufgestellt: keine nennenswerten Auslagen für Architekten, Tischler und Maler. Weimar besitzt nicht eine Drehbühne, wie sie München durch Lautenschläger und v. Possart gewonnen hat; aber noch vollständiger als durch diesen ') 1905-
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kostspieligen Apparat sollen die Pausen beseitigt werden durch einfache Anbringung eines Mittelvorhanges zwischen der zweiten und dritten Kulisse und eine Spielordnung, von der einige Proben in genauerer Einzelbetrachtung folgen müssen. Diese Spielanordnung ist Shakespeares eigenes Werk und braucht nur aus den Andeutungen im Texte herausgeschält zu werden. So gut wie alles, was in unsern Ausgaben von Bühnenanweisungen und Ortsangaben über den Szenen steht, ist dabei schlankweg zu vergessen ; denn es rührt erst von den Herausgebern des 18. Jahrhunderts, besonders von Cappell, her. Aber da Shakespeare seine Dramen mit Rücksicht auf die Theaterkasse nicht in den Druck gab, also den Schauspielern nicht öffentliche Vorschriften machen konnte, zwang er sie desto sorgsamer durch den Wortlaut seiner Verse, das auf der Bühne zu sein, was er wünschte. Es war sein Schutz gegen Willkür und Torheit der Darsteller. Achtet man beim Lesen auf diese Winke, so staunt man, wie er, der hochfliegende Dichter und Denker, zugleich unausgesetzt das praktische Szenarium vor Augen hatte und hiermit die ganze Handhabung des Vorhanges. Gehen wir auf den Anfang von »Richard II.« ein. Der König mit seinem Gefolge zieht nicht auf, sondern sitzt, sobald der Vorhang weggezogen wird, bereits auf dem Thron und wendet sich an einen der Großen mit der Frage: »Johann von Gaunt, hast du hierher gebracht . . . deinen kühnen Sohn ?« Er versucht, Bolingbroke zur Nachgiebigkeit gegen Mowbray zu bewegen; da es mißlingt, ladet er beide nach Coventry zum Turnier und schließt: »Lord Marschall, laßt das Heroldsamt der Waffen die Führung dieser innern Unruh' schaffen.« Er geht nicht ab, sondern der Vorhang fällt zu; nur ein Ausschnitt der Audienz ist uns gezeigt worden. — Ganz anders kehrt dann Gaunt wieder; er eilt nach Coventry und spricht, schon im Abreisen, rasch mit einer Herzogin über eine Untat des Königs; »leb wohl«, ist sein Schlußwort, »nach Coventry muß ich«, — so geht er vor unsern Augen ab. Die Szene mit ihrem ganz unbestimmten Hintergrund ist vor dem Vorhang gedacht, als ein flüchtiges Intermezzo. Sie hat den inneren Zweck, uns den hinterhältigen Charakter des Königs zu schildern, und den äußeren, für die Verwandlung der Dekoration hinter dem Vorhang Zeit zu schaffen; denn die nächste Szene spielt vor der Stadt Coventry in glänzender Turnierversammlung. Sobald der Vorhang verschwindet, geben uns ein paar Sätze des Lord Marschall Gelegenheit, dies Bild zu genießen. Dann zieht der König mit Gefolge ein — wir wissen, welche großen Summen die Theaterdirektoren der Shakespeare-Zeit auf reiche Kostüme verwendeten. Turnier zwischen Bolingbroke und Mowbray, mit Lanzen und wohl gar zu Pferde; unterbrochen durch den König; Verbannung beider; Vorhang zu, ohne daß der
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König abzieht. Doppelt vereinsamt und traurig bleibt auf der Vorderbühne der verbannte Bolingbroke mit seinem Vater zurück, zu elegischem Abschied. So weit der erste Akt nach heutiger Abteilung. Spielt man ihn mit Shakespearescher Vorhangbehandlung, so wirkt er nicht bloß konzentrischer, sondern es treten auch die Hauptszenen mehr ins Licht, die bloßen Sympathieszenen natürlicher in den Schatten; der Zuschauer kann rasten, ohne daß ihn Pausen zur Zerstreutheit veranlassen. Zweiter Akt. An den schweren Abschied Bolingbrokes vom Vater reiht sich unmittelbar ein leichtfertiges Gespräch des Königs mit seinen Günstlingen. Mitten im Reden kommt er mit ihnen aus der Kulisse; »gehen w i r . . . wir eilen«, sagt er beim Abgehen. Dann Vorhang weg: Gaunt in seinem Palast auf dem Krankenstuhl; seine Mahnrede an den König; sein Tod; der König legt Hand auf seinen Besitz und geht ab. Die zurückbleibenden Freunde Gaunts planen Aufstand und gehen hinaus. Oberes Stockwerk: Gemächer der Königin, die sich mit den Günstlingen bespricht; unserm heutigen Mangel an einer Oberbühne ist hier leicht abzuhelfen, indem man die vorangehende AufStandplanung vor den Vorhang verlegt. Dann Lagerszenen, ohne konkrete Lokalandeutungen, also vor dem Vorhang; die Königlichen auf der einen Seite, die Leute Bolingbrokes auf der andern — bei Shakespeare eine ungemein häufige Teilung, namentlich im Schlußakt von „Richard III.« unvermeidlich, wo sogar die offenen Zelte der schlafenden Gegner Richard und Richmond, das eine rechts, das andre links, gleichzeitig zu sehen sind. Offene Hauptszene: der König im Schloß Flint, das in voller Mächtigkeit zu sehen ist; anfangs steht er oben, später steigt er hinab in die Gewalt der Aufrührer; indem er abgeführt wird, geht der Vorhang zu. Sympathieszene: Königin und Gärtner im Freien vor dem Vorhang. Inzwischen wird dahinter die Westminster-Halle vorbereitet, in der der ganze vierte Akt spielt, die Abdankung Richards. Beachtenswert ist dabei, wie alle Szenen, in denen die Handlung durch Hauptpersonen fortschreitet, bei aufgezogenem Vorhang und vor Dekoration gedacht sind. Was dazwischen liegt, würde in der griechischen Tragödie teils durch Botenbericht, teils durch Chorgesang ersetzt werden. Abtönung muß sein, und sie ist bei Shakespeare durch Rast für das Auge allein besser erreicht als in unsern Theatern durch Unbeschäftigkeit von Auge und Ohr zugleich. Der Schlußakt zeigt einige besondere Feinheiten. Shakespeare brauchte drei Szenen mit Dekoration: Bolingbroke, als neuer König auf dem Thron, muß von Aumerles Verschwörung erfahren; Richard im Kerker wird umgebracht; Bolingbroke, wieder auf dem Thron, verfällt in Schwermut und Sühnegedanken. Jeder dieser Haupt-
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szenen mußte er einige Aktion vor dem Vorhang vorangehen lassen. Die Gefängnisausstattung war offenbar einfach; zu ihrer Anbringung genügten einige Minuten, in denen sich der Mörder vor dem Vorhang uns vorstellt; zu ihrer Entfernung ist vollends nur ein Reuemonolog des Mörders vor dem Vorhang angehängt. Der ersten Thronszene mit Bolingbroke aber ist eine ziemlich gewichtige Zwischenszene vor dem Vorhang vorangeschickt, worin der Herzog York in seinem Privatpalast zunächst die Londoner Vorgänge teilnahmsvoll seiner Frau erzählt, dann die Verratspläne seines Sohnes Aumerle erfährt und sofort nach seinen Stiefeln, seinem Pferde ruft, um als loyaler Warner zum Könige zu eilen. Nötig ist hiebei eine Dekoration nicht; auch kann sie zur Stimmung der Szene nichts beitragen, wie das in Thron- und Gefängnisszenen der Fall ist; dennoch wäre zu erwägen, ob für solche Zwischenszenen mit bekannter Lokalität nicht ein Illusionsvorhang sich empfähle, der hier als Schloßzimmer bemalt sein müßte. In mancher Hinsicht sind wir ohne Zweifel verwöhnter als die verwöhntesten Engländer vor dreihundert Jahren, und da die Aufführungen Shakespeares ja nicht kahler, sondern mit allen verfügbaren Mitteln, mit modernen und alten, wirksam gemacht werden sollen, wäre solchen Wünschen möglichst entgegenzukommen. Aber derlei Einzelheiten sind spätere Sorgen. Was in Weimar am 29. April zunächst in Frage steht, ist die Pause. Sollte sich ihre Abschaffung bei Shakespeare im wesentlichen als empfehlenswert herausstellen, so gibt es gescheite Praktiker genug, die für das Weitere Rat finden werden. In England hat man seit sechs Jahren Versuche gemacht, bei Stücken der Elisabethzeit irgendwie die Pause auszuschalten. Ein reicher Privatmann bei London ließ in seinem Garten das Schwanentheater von 1596 nachbauen, genau bis auf das Strohdach; aber das Vorhanggesetz entging ihm, und so fanden die Zuschauer bei den Aufführungen keinen Vorteil gegenüber der herkömmlichen Bühne heraus. Der unternehmende Theaterdirektor Beerbohm-Tree ersann eine Art synoptischer Bühne; da steht z . B . links zwischen Säulen ein Königsthron; kaum ist hier eine Szene gespielt, so dreht sich die Gesellschaft in die Mitte der Bühne, wo sofort eine Schlacht stattfindet, und dann auf die rechte Seite unter ein Dach, um ein Privatgespräch darzustellen. So sah ich im August 1903 Marlowes »Eduard II.« in Oxford aufführen. Die Pausen waren beseitigt, zu großem Nutzen für die Einheitlichkeit und ohne sonderlichen Schaden für die Verständlichkeit des Ganzen. Aber es war nicht die Technik Shakespeares, sondern die der mittelalterlichen Weihnachts- und Passionsspiele; den Hauptszenen fehlte die kräftige Dekoration und Illusion, den Nebenszenen jegliche Abstufung, und wie der Dichter das Kommen B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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oder Gehen der Personen vorgeschrieben hatte, blieb oft in flagranter Weise unbeachtet. Neuestens haben amerikanische Universitäten das Problem aufgegriffen; sie scheinen dem richtigen Sachverhalt um so viel näher gekommen zu sein, als sie, was das Studium der älteren englischen Dicht- und Sprachwerke betrifft, dem konservativen England voranstreben. Unsere deutschen Theater haben den Ruhm, Shakespeare am meisten zu spielen und ihn volkstümlich gemacht zu haben, wie es bei keinem Volke ein ausländischer Dichter jemals war; es ist ein Zeichen nicht für schwaches Nationalgefühl, sondern für starke Kunstfreude; so dürfte hinreichend Boden bei uns vorhanden sein, die Kunstmäßigkeit Shakespeares nach einer neuen Seite hin zur Anschauung und Geltung zu bringen.
Zur Szenenführung bei Shakespeare. Das Buch von Rudolf Hirzel 'Der Dialog' hat einen sehr anregenden Titel. Bevor ich noch die lange Aufzählung antiker Zwiegespräche und neuerer Nachahmungen durchsah, die es enthält, in großer Quantität und doch mit bemerkenswerter Vernachlässigung der Renaissancezeit, hatte mich der Titel über die Art nachdenklich gemacht, mit der ein Dialog angesponnen, gewendet und abgerundet werden kann. Bei dieser Qualitätsstudie faßte ich von vornherein weniger die lehrhaften und satirischen Dialoge ins Auge, mit denen sich Hirzel im wesentlichen beschäftigt, als vielmehr die dramatischen, weil sich in diesen am meisten Kunst ausprägt; und unter den dramatischen glaubte ich wieder die in den Tragödien Shakespeares in den Vordergrund stellen zu müssen, denn Shakespeare hat die Kunst des Dialogs am feinsten und wirksamsten entwickelt, in den Tragödien noch stilgerechter als in den Komödien. Sein Theater bot ihm dafür große Vorteile und Anregungen: die Menge der Personen auf der Bühne, die Mischung von Helden und Spaßmachern, namentlich aber die unmittelbare Vorführung aller wichtigeren Begebenheiten, wie sie der Zuschauer der Elisabethzeit forderte, während sich die Teilnehmer an altgriechischen Bühnenfestspielen vielfach mit dem Botenbericht begnügen mußten. All das befähigte und zwang ihn zu kühnen Weiterbildungen der Dialogtechnik. Unsere eigenen deutschen Dramatiker sind in dieser Hinsicht sämtlich bei ihm in die Schule gegangen, je bedeutender sie sind, desto fleißiger. Vorbedingung jeder Forschung ist, daß man das Material in Gruppen teilt. Diese Grenzlinien sind so unreal wie die Meridiane und Parallelkreise; sie werden auch von der Natur niemals anerkannt, die vielmehr Stein- und Pflanzenreich, Pflanzen- und Tierreich mit allerlei Brücken verbunden hat; dennoch ist eine solche Einteilung unerläßlich, und eine gute Einteilung ist bereits der halbe Erfolg. Beim Dialog glaubte ich von den verschiedenen Zwecken ausgehen zu sollen, denen er im Drama zu dienen hat. Von einer Reihe Dialoge ist ohne weiteres klar, daß sie lediglich dazu angebracht sind, Stimmung zu machen; das gilt z. B. in 'Richard III.' von den Geistern, die den beiden Königen in der Nacht vor der Entscheidungsschlacht erscheinen; in 'Julius Cäsar' vom Geiste, der sich dem Brutus zeigt vor der Schlacht bei Philippi; vom Weidenliede der Desdemona vor ihrer Ermordung; von vielen Trauerfeiern für gefallene Helden am Schlüsse der Dramen. Diese Szenen fördern nicht die Handlung und informieren uns nicht über bisher unbekannte Verhältnisse; man 10»
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könnte sie ohne Schaden für das Verständnis entbehren, würde dann aber das Stück merkwürdig kahl finden; es sind ihrem ganzen Ziele nach S t i m m u n g s s z e n e n . Goethe hat bereits ihren poetischen Wert erkannt und sie mehrfach nachgebildet, so in der Zigeunerszene des 'Götz', in Gretchens Gebet zur Dolorosa und ihrer Ballade vom König in Thüle. — Eine zweite Gruppe kann man als E n t s c h l i e ß u n g s s z e n e n bezeichnen. Ihr Zweck ist Entwicklung der Fabel, aber nicht durch promptes Handeln oder Berichte von Handlungen, sondern durch eine Skala des Abwägens und Wollens von Seiten einer oder mehrerer bedeutsamer Personen. Ein längeres Spiel der Selbstbestimmung ist für sie charakteristisch. Die Taten dürfen nicht als selbstverständlich, als bloße Folge von Verhältnissen oder Impulsen erscheinen. Die Abdankung Richards II. mag mit noch soviel Lyrik angefüllt sein, ihr eigentlicher Gegenstand ist doch das Schwanken, Zaudern, Nachgeben, Widerstreben des Helden. Ebenso gehört die Werbung Richards III. um Anna hieher, trotz der exponierenden Andeutungen, die eingestreut sind; die Leichenrede des Antonius; die Verstoßung Cordelias, kurz die meisten der großen Szenen, die den Namen Shakespeares berühmt gemacht haben. — Eine dritte Klasse bilden dann alle jene Szenen, die zur Vorführung oder auch zur bloßen Erzählung von Begebenheiten oder Verhältnissen da sind, ohne Richtung auf einen umständlichen Entschluß; sie mögen unter der Bezeichnung I n f o r m i e r u n g s s z e n e n zusammengefaßt werden. Solche sind z. B. der Straßenauflauf zu Anfang von 'Romeo und Julia' — er entzündet sich, ohne daß jemand eine ernstliche Überlegung anstellt, alle Personen handeln wie aus Instinkt; auch der Botengang der Amme zu Romeo; die Überbringung der Strickleiter; die Meldung, daß der Brief des Mönches an Romeo wegen der Pest nicht bestellt werden konnte; ja noch der Selbstmord der Liebenden am Ende des Dramas in der Gruft, denn sobald sie erwachen und ihre Lage erkennen, gibt es kein Überlegen oder Zaudern, nur eine Empfindung und einen raschen Schritt aus dem Leben. — Man könnte versucht sein, diese drei Gruppen lieber als die lyrische, die dramatische und die epische zu bezeichnen. Aber zu den Stimmungsszenen gehören nicht bloß solche von lyrischem Ton, sondern auch humoristische, z. B. die mit den Musikanten bei Julias Scheintod, die mit den Totengräbern vor dem Schlußakt des 'Hamlet'. Die Entschließungsszenen sind die eigentlich dramatischen, wie bereits Otto Ludwig andeutet, wenn er sagt: 'Die Hauptsache im Drama ist doch nicht die Handlung, sondern das dramatische Gespräch'; aber es ist mißlich, nur einige Szenen eines Trauerspiels als dramatisch zu buchen und alle anderen, mögen sie noch so passend, wirksam und unentbehrlich sein, gewissermaßen als fremde wegzuschieben.
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Am ehesten würde der Name episch auf die Informierungsszenen passen, obwohl man dann versucht sein könnte, vorwiegend an Botenerzählungen zu denken. Genug, wenn diese Erörterung es etwas deutlicher macht, was mit der Einleitung gemeint ist. Eine reinliche Sonderung der drei Klassen ist um so eher durchzuführen, je enger man den Begriff 'Szene' umgrenzt. In den landläufigen Shakespeare-Ausgaben umfaßt die 'Szene' nicht selten einen drei- und viermaligen Personenwechsel; dies hat jedoch keinerlei historischen Wert, da die Szenenabteilung gewöhnlich erst von den Herausgebern der Dramen herrührt. Besser ist es, in deutscher Weise 'Auftritte' zu unterscheiden, denn solange dieselbe Person oder dieselbe Personengruppe auf der Bühne steht, pflegt Shakespeare auch den Zweck der Szene festzuhalten. Anna klagt an der Bahre des Gatten: lyrisch; Richard III. tritt hinzu: Werbung und Entschluß; Anna zieht weiter: ironischer Nachklangsmonolog Richards. E i n Bühnenbild, ein Ziel der Szenenführung: das ist die Regel, und sie trägt nicht wenig dazu bei, Shakespeare das zu verleihen, was man 'Stil' nennt. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß z. B. auf die Liebeslyrik Romeos und Julias nach der ersten Begegnung (A. II Sz.2) nicht unmittelbar der Trennungsentschluß gesetzt wird, sondern daß eine Unterbrechung dazwischenrückt: Julia wird von der Amme ohne ersichtlichen Grund abgerufen, Romeo bleibt für einige Verse allein; also zuerst Stimmungsszene, dann — sorgsam davon gesondert — Entschließungsszene. Im übrigen darf man bekanntlich in literarhistorischen Dingen niemals dieselbe exakte Abgrenzung erwarten wie bei naturwissenschaftlichem Material oder gar wie in der Mathematik. Hiemit hat sich das Problem des Dialogs bei Shakespeare, von dem ich ausging, von selbst verschoben zu dem der Szenenführung; denn auch die Monologe zerfallen in solche, die der Stimmungsmalerei dienen, z. B. Macbeths Rede an den Dolch, unmittelbar bevor er an die Ausführung der bereits beschlossenen Tat geht; in Entschließungsmonologe, z. B. Brutus 'It must be by his death'; und in informierende, z. B. Richard III. über die vorhandene Situation zu Anfang des nach ihm genannten Stückes ('Now is the winter of our discontent'). Allerdings ist die Zahl der rein informierenden Monologe gering und ihre Beschaffenheit naturgemäß meist von jener konventionellen Art, wobei der Sprechende eigentlich nicht für sich, sondern für die Zuhörer sich erschließt. Die nähere Durchprüfung der drei Gruppen von Szenen muß sich nun erstrecken: auf den Platz, den Shakespeare jeder in seinen Tragödien einzuräumen pflegt, auf ihren inneren Bau, auf die Auslese
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der sprechenden Personen und auf die Vorstufen, aus denen sie sich bis herab zu Shakespeare entwickelten. Die S t i m m u n g s s z e n e hat ihren Platz entweder unmittelbar vor oder unmittelbar nach einem wichtigen Ereignis, d. h. entweder proklitisch als Vorbereitung oder enklitisch zu eindringlicher Nachwirkung; in keinem sicheren Falle steht sie allein. Zum Zwecke der Vorbereitung ist sie besonders in den Jugendtragödien sorgsam verwendet. In 'Romeo und Julia' z. B. haben wir die seufzenden Liebesschwärmereien des Helden für Rosalinde knapp vor der Werbung des Paris um Julia (A. I Sz. i Ende); die launigen Reden des Mercutio über Queen Mab und die Scherze der Diener vor der verhängnisvollen ersten Begegnung Romeos mit Julia (A. I Sz. 4 und Anf. 5); den Spott des Mercutio und die begeisterte Liebeslyrik Romeos vor seinem Heiratsentschluß (A. II Sz. 1 und Anf. 2); den ahnungsvollen Monolog des Mönches vor seinem Eingreifen in die Handlung (A. II Anf. Sz. 3); die Späße zwischen Romeos Kameraden, der Amme und dem Clown Peter vor der Verabredung für die Liebesnacht (A. II Mitte Sz. 4); die Sehnsuchtsmonologe Julias, bevor sie von der Amme die Botschaft davon und die Strickleiter erhält (A. II Anf. Sz. 5 und A. III Anf. Sz. 2); den berühmten Abschied Romeos mit Nachtigall und Lerche, unmittelbar bevor Julia von ihren Eltern zur Heirat mit Paris gezwungen wird (A. III Sz. 5); das schaudernde Selbstgespräch Julias, bevor sie die Phiole leert (A. IV Ende Sz. 3); die lustigen Vorbereitungen zur Hochzeit, bevor man die Braut scheintot findet (A. IV Sz. 4); die ahnungsvolle Morgenstimmung Romeos, bevor er vom Tode Julias hört und das Gift kauft (A. V Anf. Sz. 1 ) ; endlich die Trauergedanken des Paris in der Gruft, bevor er von Romeo erstochen wird (A. V Anf. Sz. 3). Es geht in dem ganzen Stück bis knapp zur Katastrophe herab nichts Nennenswertes vor, ohne daß es durch eine gleich- oder entgegengestimmte Szene angebahnt wird. Die Lyrik ist hier so stark, daß sie selbst in Szenen von tatdarstellendem Charakter überwuchert; so setzt der Dichter ohne weiteres eine väterliche Rede des Mönches und einige glühende Leidenschaftsworte der Liebenden für den ganzen Vorgang der Trauung (A. II Sz. 6); die Handlung, obwohl Hauptsache, ist völlig in Stimmung getaucht. Ähnlich liegen die Verhältnisse in 'Richard II.'. Auch in 'Richard III.' macht uns Shakespeare, trotz des höchst unlyrischen Stoffes, fast auf alle wichtigeren Begebenheiten durch eigene Auftritte gemütsempfänglich, namentüch durch die Flüche und Weissagungen der alten Margarete auf die erste Mordbestellung, durch ahnungsvolle Gespräche von Clarence und Hastings auf deren plötzlich hereinbrechendes Verderben, durch die Geisterszene auf die Entscheidungsschlacht am Ende. In späterer Zeit ist
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Shakespeare von dieser Technik mehr und mehr abgekommen. In 'König Lear' beschränkt sich die vorbereitende Stimmungsmalerei auf einige pathetische Eingangsmonologe und auf die bitteren Scherze des Narren unmittelbar vor der Abweisung des Vaters durch Goneril. Im 'Coriolan' sind nur das Gespräch von Mutter und Gattin vor der ersten Schlacht (A. I Sz. 3) und das der Bürger vor der Konsulswahl hervorzuheben; dem bedeutsamen Eintritt des Coriolan bei dem Führer der Volsker geht ein sehr kurzer reflektierender Monolog voran (A. IV Sz. 4); der großen Rückbekehrung des Sohnes durch die Mutter ein fast nüchterner Hinweis auf einen Anschlag gegen Rom und die Abweisung des Menenius. 'Antonius und Kleopatra', obwohl ein Liebesdrama, begnügt sich im allgemeinen mit merkwürdig kurzen, flüchtigen Stimmungsauftritten vorbereitender Art (Philo A. I Sz. 1 Anf.; Kleopatra A. II Sz. 5 Anf.; A. IV Sz. 15 V. 1 - 6 ; Anton. A. I V Sz. 14 Anf.), wird erst für Kleopatras Liebessehnsucht (A. I Sz. 5 Anf.) und das entmutigte Heer (A. IV Sz. 3) etwas ausführlicher und bereitet nur auf den Tod der Königin gründlich vor, durch die Clownrede über den Nilwurm und die Majestätspose der Todeskandidatin (A. V Sz. 2 Mitte). In 'Macbeth' führen sich die Hexen mit grausen Sprüchen ein, König Duncan beim Eintritt ins Mörderschloß durch die freundliche, aber flüchtige Bemerkung über die Schwalbe (A. I Sz. 6 Anf.) und Banquo vor dem Tode durch einen Reflexionsmonolog von zehn Versen (A. III Sz. 1 Anf.); nur der Königsmord ist nachdrücklich angebahnt durch die Rede Macbeths an seinen Dolch (A. II Sz. 1 Mitte). Das Nachtwandeln der Lady Macbeth, obwohl voll unheimlichster Stimmung, hat nicht lyrischen Hauptzweck, sondern muß uns über das Ende dieser Hauptperson anschaulich informieren; und die Geistererscheinungen in der Hexenküche verfolgen — in charakteristischem Unterschiede von denen in 'Richard III.' — nicht bloß Stimmungszwecke, sondern treiben den Helden zum Mordentschluß gegen Macduff. Nicht von Stück zu Stück, aber im ganzen und großen verliert Shakespeare mit zunehmender Reife die Lust, durch solche Technik die Erfassung eines Geschehnisses lebhafter zu machen. Anders entwickelt sich bei ihm die Stimmungsszene nach dem Ereignis, die mehr auf geistige Verarbeitung abzielt: er gewinnt sie mit zunehmenden Jahren sichtlich lieber. In 'Romeo und Julia' kommt sie nur vor als resümierender Chorus nach der ersten Begegnung der Liebenden (A. I Ende Sz. 5) und als Scherze des Clowns Peter mit den Musikanten, nachdem Paris die Braut scheinbar tot gefunden hat (A. IV Ende Sz. 5). In 'Richard III.' ist sie nicht viel stärker vertreten: Richard lacht nach der Werbung um Anna höhnisch über den eigenen Erfolg (A. I Ende Sz. 2); er heuchelt Trauer über
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den hingerichteten Hastings ( A . I I I Mitte Sz. 5); der Neffenmord wird von den Königswitwen beklagt (A. IV Anf. Sz. 4). In 'Richard II.' ist die Königin hauptsächlich für Sympathiezwecke hinzuerfunden ; sie hat böse Ahnungen unmittelbar nach der Verschwörung der Großen gegen ihren Gatten (A. I I Anf. Sz. 2); sie führt ein traurig reflektierendes Gespräch mit den Hoffrauen und dem Gärtner, sofort nach dem Sturze des Königs ( A . I I I Sz. 4); sie nimmt rührenden Abschied vom Gatten, nachdem dieser in den Tower geschickt worden (A. V Sz. 1). An letzterer Stelle verstärkt zugleich eine Weissagung des Abtes über bevorstehende Gottesstrafe den Eindruck (A. IV Ende Sz. 1). In 'Julius Cäsar' ist Portia die Trägerin einer solchen Sympathieszene nach der Verschwörung (A. I I Sz. 1 ) ; nach der Ermordung des Cäsar gibt Antonius seiner Trauer lyrischen Ausdruck; nach seiner Leichenrede äußert sich die Wut des Volkes in der Zerreißung eines falschen Cinna, der nur zu solchem Zwecke ins Drama Eingang gewann (A. I I I Sz. 3), und nach der Versöhnung von Brutus und Cassius bestreitet Shakespeare den Nachklang mit einem überspannten Dichter, einer Flasche Wein und dem Tode Portias (A. IV Sz. 3 Mitte); am Schlüsse stehen eigene Klageszenen um den toten Republikaner. Hier ist auch bereits die Eigenart deutlich zu beobachten, zwischen dem Ereignis und der anknüpfenden Stimmungsszene eine ganz knappe Informierung über eine Folgetat einzuschieben, um die Nachwirkung zu verstärken; so erfahren wir nach der Leichenrede des Antonius zuerst in zehn Versen, daß Octavian nach Rom gekommen, Brutus und Cassius aber geflohen sind, mit sehr kühner Verkürzung der Zeit; dann erst reiht sich die stimmungsmalende Szene — Zerreißen des Cinna — daran. Im 'Coriolan' ist nach jeder bedeutsamen Begebenheit die Stimmungsszene vorhanden: nach dem Siege erfahren wir, was Römer und was Volsker vom Helden denken (A. I Sz. 10, A. I I Sz. 1 ) ; nach seinem ersten Streit mit den Tribunen schildert uns Menenius sein Wesen (A. I I I Sz. 1 Mitte); nachdem Coriolan verbannt worden, sehen wir ihn Abschied nehmen von Familie und Freunden (A. IV Sz. 1 ) — dazwischen knappe Informierung über Freudenzeichen des Volkes; nach seiner glänzenden Aufnahme bei dem Volsker Aufidius besprechen sich dessen Diener etwas humoristisch über den römischen Eindringling (A. IV Sz. 5); nach der Rückbekehrung durch die Mutter hören wir die Freude von ganz Rom (A. V Sz. 4) — dazwischen informieren uns dritthalb Verse über den Mordplan des Aufidius gegen ihn. Am Ende wieder ein eigener Auftritt Heldenklage. Die Stimmungstechnik ist jetzt einfach die umgekehrte als in 'Romeo und Julia'. Die gewichtigsten Nachklangszenen bietet 'Macbeth': nach dem Königsmorde die grimmig-humoristische Rede des Pförtners und die entsetzten Ausrufe
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der Anwesenden bei der Entdeckung der Bluttat; nach der Meldung vom Morde Banquos die Erscheinung seines Geistes; nach dem Anschlag auf Macduff die Klage über das unglückliche Schottland (A. I V Sz. 3); am Schluß eine Epilogszene mit tröstlichem Ausblick in die Zukunft. Im allgemeinen kann man also behaupten: die mehr reflektierende Chortechnik siegt bei Shakespeare mit den Jahren über die mehr temperamentvolle Vorklangtechnik. Der innere Bau der Stimmungsszenen ist insofern einfach, als sich eine elegisch begonnene niemals ins Humoristische wandelt, eine humoristisch begonnene niemals ins Hymnische u. dgl., wenn auch neue Personen hinzutreten. Dagegen ist das Streben vorhanden, möglichst verschiedene Stimmungen innerhalb eines Dramas zum Austrag gelangen zu lassen; neben dem Pathos fehlt selten die heitere oder grimmige Komik. Auch dialogische und monologische Form lösen einander gern ab, und der Übergang von der Stimmungs- zur Tatszene erfolgt bald von gleich zu gleich, bald kontrastierend. Jeder Musikteil ist in sich geschlossen, die ganze Musik aber abwechslungsreich. — Eine zweite Eigenschaft dieser Szenen besteht darin, daß Empfindung nach Möglichkeit in Handlung umgesetzt wird. Romeo sagt der Gattin nicht bloß schöne Abschiedsworte — er schickt sich auch an zu bleiben, trotz Todesgefahr, wenn sie es wünscht. Das Römervolk stößt nach der Leichenrede des Antonius nicht bloß erregte Worte aus — es zerreißt den Cinna. Die Soldaten des Antonius nach der Schlacht bei Actium finden die Lage nicht bloß kritisch — sie glauben zu hören, wie Gott Herkules in eigener Person das Lager seines bisherigen Lieblings verläßt (A. I V Sz. 3). — Endlich sind diese Szenen vornehmlich mit Geistern, Vertrauten und Clowns, sowie mit Musik, also mit Stimmungszubehör, ausgestattet. Zu Trägern ernsthaften Stimmungsausdrucks hat Shakespeare naturgemäß in der Regel höhere Personen gewählt. Wenn in 'Richard II.' nach der Gefangennahme des Königs ausnahmsweise ein bloßer Gärtner der Königin auseinandersetzt, wie regiert werden sollte (A. I I I Sz. 4), so ist dieser schlichte Charakter aus dem Volke wenigstens nicht ohne Würde den kopflosen Hofleuten gegenübergestellt. Haben niedrige Personen die Stimmung zum Ausdruck zu bringen, so tun sie es ganz regelmäßig mit so viel Ungeschick und Derbheit, daß die Wirkung ins Lächerliche oder ins Groteske ausschlägt; dies ist dann durch den Gegensatz zur tragischen Situation besonders ergreifend, wird daher für die vorgerückteren Akte aufgespart. Für die Herkunft der genannten Stimmungsmittel kommen mehrere Quellen in Betracht. Aus der griechischen Tragödie stammen die Geistererscheinungen vor dem Geschehnis und die Chorrede am
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Aktschluß; durch Seneca kamen diese beiden Formen zuerst ins englische Hof- und Gelehrtentheater (Gorboduc, Tancred und Gismunda), dann durch Marlowe (Faust, Jude von Malta) und K y d (Spanische Tragödie) ins gehobene Volkstheater. Um zu zeigen, wie der junge Shakespeare sie erbte, teils von diesen englischen Vorgängern, teils direkt aus Seneca, den er ja mehrfach im lateinischen Originaltext zitiert, sei an die Königs- und Prinzengeister in 'Richard III.' erinnert, die als Zuschauer vor seinem Untergang erscheinen und insofern an die Unterweltsgestalten des Tantalus und Thyest bei Seneca gemahnen; sowie an den 'Chorus', der am Schluß des ersten Akts von Romeo und Julia noch in unverblümtester Weise dasteht. Dagegen haben wir für die individuell lyrischen Monologe und Dialoge nicht bloß in der antiken Tragödie, sondern auch in den älteren englischen Volksspielen zahlreiche Belege. Wenn dabei direkt halbe oder ganze Lieder eingefügt werden, auf Liebe in den Anfangsreden des Romeo, auf das Trinken in 'Antonius und Kleopatra' nach dem Gelage bei Sextus Pompejus (A. II Sz. 7), so ist dies vollends eine der antiken Tragödie fremde Praxis, die erst bei den Humanistendramatikern entsprang; von da kam sie in die englische Volkstragödie, z. B. in den 'Horestes' von 1567: Buhlerlied von Aegisthus und Klytemnästra; und in 'Appius und Virginia': die lustigen Gesangseinlagen in der Familienszene. Auch die komischen Gesindeszenen hatten die Engländer den lateinischen Humanistentragödien des sechzehnten Jahrhunderts zu danken; Grimald im 'Archipropheta' (1548) brach hierin für England die Bahn, indem er die Mägde des Herodes einführte und den weisen Narren Gelasinus mit ihnen scherzen ließ; so sehen wir denn auch in 'Appius und Virginia' den Diener des Virginius mit der Magd in Streit und den Hausnarren als Zwischenperson; von da bis zum Dienstpersonal der Capulets in 'Romeo und Julia' ist es nur noch ein Schritt. Elemente aller Art hat also Shakespeare für seine Stimmungsszenen bereits vorgefunden. Das Streben, Empfindung in Handlung umzusetzen, war ebenfalls schon vor ihm im Volkstheater rege, z. B. wenn Marlowe seinem verzweifelnden Faustus knapp vor dem Ende zwei Teufel auf den Leib schickt, um ihm die Arme, die er schon zum Gebet erhoben hat, wieder herabzuziehen, und ihm durch Mephisto einen Dolch anbieten läßt zum Selbstmord: es sind alte Moralitätenkünste. Ihm blieb nur die Aufgabe, diese vereinzelten Elemente zu einem System auszubilden, zu einer von Schritt zu Schritt geübten Kunst des Retardierens, Auskostens und Durchdenkens, und gerade durch solche psychologische Fülle hebt er sich von den anderen englischen Tragikern seiner Zeit glänzend ab; sie gibt seinen Stücken hauptsächlich die poetische Atmosphäre.
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Sind die Stimmungsszenen, obwohl nur Beiwerk, bereits so sorgsam entwickelt, wieviel mehr Kunst ist bei den E n t s c h l i e ß u n g s s z e n e n zu erwarten, in denen ja das dramatische Interesse seinen Brennpunkt findet. Ihre Verteilung sei zuerst an 'Romeo und Julia' kurz überschaut, denn dies Stück ist mit besonderer Gemessenheit aufgebaut, als hätte der junge Shakespeare sich hier über die Grundfragen der Komposition praktisch ins klare und reine bringen wollen. Zwischen einigen informierenden und lyrischen Partien ist zuerst die leidlich maßvolle Werbung des Paris um Julia eingebettet (A. I Sz. 2 Anf.). Bald darauf reden die Eltern Capulet in diesem Sinne ihrer Tochter zu, die sich nicht gerade unfolgsam zeigt (A. I Sz. 3). Abermals eine Stimmungsszene (Queen Mab) und die episch gearbeitete Einleitung des Maskenfestes — dann ein Doppelentschluß: Romeo und Julia verlieben sich, Vater Capulet zwingt den hitzigen Tybalt zum Frieden (A. I Sz. 5 Mitte und Ende). E s reihen sich, wohl vorbereitet durch Stimmungsmalerei, der Heiratsentschluß des Liebespaares daran (A. II Sz. 2 Ende) und der Entschluß des Mönches, den Liebenden zu helfen (A. II Sz. 3, zweite Hälfte). Getrennt durch Kameradenscherze, Botengang der Amme und die Zeremonie der Trauung folgt wieder ein Doppelentschluß: der herausfordernde Tybalt wird von Romeo abgelehnt, aber nach Mercutios Ermordung angenommen und erstochen (A. I I I Sz. 1 Anf. u. Mitte). Die Verbannung Romeos wird vom Fürsten ohne Schwanken, 'immediately', ausgesprochen, sie wirkt episch; Julia und Romeo zeigen tiefste Stimmung der Niedergeschlagenheit. Jetzt zwei entgegengesetzte Entschlüsse: auf Zureden des Mönches und der Amme rafft sich Romeo auf zur Hochzeitsnacht ( A . I I I Sz. 3 Ende); aber sofort kommen auch die Eltern Capulet überein, die Vermählung ihrer Tochter mit Paris für den nächsten Morgen zu erzwingen (A. I I I Sz. 4). Lyrischer Abschied Romeos, und darauf die größte Entschließungsreihe: Julia gegen Vater, Mutter und Amme (A. I I I Sz. 5 Mitte und Ende). Der Rest ergibt sich von selbst, ohne viel weitere Seelenkämpfe. Julia braucht nicht lange zu bitten, um vom Mönche das Gift zu erhalten (A. I V Sz. 1 zweite Hälfte). Sie trinkt es in Erwartung gräßlicher Dinge, aber ohne Schwanken. Die Bluttaten in der Gruft sind fast wie selbstverständlich vorgeführt. Am Schlüsse hält der Fürst Gericht, mit genauem Zeugenverhör, aber ohne Gemütskonflikt; das Urteil stellt sich wie mechanisch heraus. Die Katastrophe ist nicht mehr der Ort für umständlichen Gebrauch der Selbstbestimmung: dazu sind die mittleren Akte da, und auch in diesen werden uns nicht mehr als zwei Problementscheidungen unmittelbar nacheinander zugemutet, außer bei dem ganz ungewöhnlich mächtigen Versuch von Julias
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Vater, Mutter und Amme, sie zur Ehe mit Paris zu bewegen: da sind ausnahmsweise drei Entschließungen nacheinander vorgesehen. Diese Anordnung der Entschließungsszenen ist für Shakespeares Tragödien geradezu als typisch zu bezeichnen. In 'Julius Cäsar', um ein zweites Beispiel zu erwähnen, hätte Shakespeare die schönste Gelegenheit gehabt, gleich zu Anfang eine Doppelentschließung anzubringen: nämlich für Cäsar, ob er die Krone annehmen solle, und für Brutus, ob er sein Ohr dem neidischen Cassius zuwenden solle; er verwies aber die erste hinter die Szene und führte nur die zweite vor (A. I Sz. 2). Auch wie Casca durch Cassius in die Verschwörung hineingezogen wird, ist noch als Einzelentscheidung behandelt (A. I Sz. 3 Mitte). Doppelentschließungen aber haben wir dann im Monolog des Brutus 'It must be by his death' und in der unmittelbar sich anschließenden Verschwörung (A. II Sz. 1). Bald, doch nicht unmittelbar darauf, bestimmt Calpurnia ihren Cäsar gegen, der hinzutretende Antonius aber für den Senatsbesuch (A. II Sz. 2). Nach einiger Stimmungsmalerei folgt die Senatsszene, wieder mit zwei Willensakten: Cäsar schlägt die Warnung des Artemidorus in den Wind und lehnt das Gesuch der Verschwörer ab, was ihn umbringt (A. I I I Sz. 1 Anf.). Verwirrung. Dann abermals zwei Entschlüsse, diesmal des Brutus: Antonius zu empfangen und ihm die Leichenrede zu gestatten (A. I I I Sz. 1 Mitte). Nach einer lyrischen und einer erzählenden Zwischenpartie folgt die große Doppelentschließung des Volkes angesichts der Leiche Cäsars: zuerst für Brutus, dann für Antonius (A. I I I Sz. 2 Anf. und Mitte). Hiemit sind die maßgebenden Willensakte vorbei: 'mischief, thou art afoot!'. Wir hören später noch, wie Brutus dem Cassius ins Gewissen redet (A. IV Sz. 3 Anf.), und wieder etwas später, wie er ihn zur Schlacht bei Philippi bestimmt (A. I V Sz. 3 Ende). Alles andere sind nur noch Taten und Gefühle. Wenn im 'Coriolan' die große Wahl des Helden zwischen den Volskern, als den Freunden seines Hasses, und seiner Mutter erst in den letzten Akt fällt, so ist dies eine Ausnahme, die sich aus der Eigenart der Fabel erklärt. In der Katastrophe selbst handeln sonst die Personen immer nur nach Impulsen, unter dem Drucke des Vorausgegangenen, nicht mehr nach Wahl. Auf den inneren Bau der Entschließungsszenen hat Shakespeare nach zwei Seiten hin sichtlichen Fleiß verwendet: hinsichtlich der Wendung des Problems und hinsichtlich der Kombination von Problemen. Die Wendung des Problems ist bei den antiken Tragikern mit besonderer Vorliebe der Dialektik anheimgegeben: beide Teile stehen sich mit ungefähr gleich scharfem Verstand, gleich berechtigten Prinzipien gegenüber, Argumente fliegen hinüber und herüber, und eine
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eigene Form des Dialogs wurde für dies Duell der Geister ausgebildet, die Stichomythie. Solches Gleichgewicht der Köpfe ist bei Shakespeare selten dargestellt; er hat auch fast nur in Jugenddramen die Form der Stichomythie gebraucht, am meisten noch in 'Richard III.' Weitaus mehr bringt er die Leidenschaft zum Ausdruck. Er tut dies am liebsten, indem er dem von Haus aus schwächeren Teil durch eine dämonische Gemütsanlage zum Siege verhilft: Richard III. gegen den König und ganzen Hof, Cassius gegen Brutus, Antonius gegen das Volk, Jago gegen Othello, Kleopatra gegen Antonius, die Tribunen gegen Coriolan, Lady Macbeth gegen ihren Mann; oder indem er den weitaus stärkeren Teil so übermächtig auf den schwächeren einstürmen läßt, daß dieser zu extremen, für alle Teile verhängnisvollen Dingen getrieben wird: die Eltern Capulet gegen Julia, Bolingbroke gegen Richard II., der Fegefeuergeist gegen Hamlet, Octavian gegen Kleopatra. Treten sich zwei gleich starke Naturen gegenüber, so verbinden sie sich zu gesteigerter Leidenschaft: Romeo und Julia, Richard III. und Buckingham, Goneril und Regan. Ausnahme, wie in aller Tragik, und unfruchtbar ist es, wenn der philosophische Teil über den leidenschaftlichen herrscht: der Mönch zeitweilig gegen Romeo, Brutus später gegen Cassius, Hamlet gegen seine Mutter, Volumnia vorübergehend gegen Coriolan. Der Sieg der dämonischen Person über die äußerlich stärkere bedeutet schon eine sehr heftige Wendung; sie wird überdies noch gern in Staffeln zerlegt, so daß z. B. die dämonische Person anfangs das Gegenteil des Angestrebten sagen muß, dann vorsichtig sondiert, die halbe Wahrheit andeutet und schließlich den überhitzten Gegenmann sogar noch zurückhalten muß: Antonius in der Leichenrede, Jago, Kleopatra. Vollends an das Brutale streift oft die Zertrümmerung des von vornherein Schwächeren durch den Starken; als Gegengewicht ist dann dem Schwächeren gern ein Helfer an die Seite gegeben: der Julia die Amme in der Szene mit den Eltern, dem Richard II. Aumerle bei der Gefangennahme, dem Clarence der mitleidige Mörder gegen den unerbittlichen, der Anna in der Werbeszene mit Richard III. wenigstens die Leiche ihres ersten Gatten. Um diese Kräfteverhältnisse spannend zu verschieben oder zu komplizieren, hat Shakespeare mit großer Freiheit Nebenpersonen herangezogen. Auch ließ er mehrfach den Schwachen durch überfließende schöne Beredsamkeit sich selbst heben (Richard II.) oder durch ausnehmend langes stummes Spiel (Cordelia). Alle Mittel seiner personenreichen und realistischen Bühne spielte er aus, um sowohl die Steigerung als die Kontrastwendung der Entschließungsszenen so gewaltig wie möglich zu machen — ganz verschieden von der Art der Stimmungsszenen, in denen er den zu Anfang angeschlagenen Ton konservativ festhielt bis zum Ende.
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Für die Kombination zweier Entschließungsszenen unmittelbar nacheinander galt ebenfalls die Vorschrift: entweder Steigerung, z. B. erst Mutter Capulet gegen Julia, dann auch der jähzornige Vater, endlich noch die eigene Vertraute und Helferin, die in alles eingeweihte Amme; oder Kontrastwendung, z. B. wenn Romeo sich gegen Tybalt erst passiv verhält, dann nach Mercutios Fall offensiv. Interessanter noch ist die Art der Kombination, bei der zwei Entschließungen ineinandergearbeitet sind. Während sich z. B. Romeo in Julia verliebt, wird der anwesende Tybalt durch Vater Capulet mühsam von einem Angriff auf ihn abgehalten. Während Richard II. (A. IV) vor dem Throne Bolingbrokes zwischen schmählicher Abdankung und dem Tode zu wählen hat, entwickelt sich unter den anwesenden Großen die erste Empörung gegen den neuen König. Während Coriolan der Mutter nachgibt, wird der neben ihm stehende Aufidius sein Todfeind (A.VSz. 3). Es ist Kreuzfeuer der Leidenschaft. Als Träger der Entschließungen hat Shakespeare in Tragödien immer nur pathetische und bedeutsame Personen verwendet, außerdem professionelle Mörder (in Richard III.). Untergeordnete Personen, die zum Ausdruck von Stimmungen, selbst von ernsten, genügten, wie gewöhnliche Offiziere, Gärtner, Bürger, waren hierzu nicht gewichtig genug. Die Entschließungsszene ist insofern vornehmer als die Stimmungsszene. Für das Aufkommen und Wachstum der Entschließungsszene auf englischem Boden vor Shakespeare war vor allem das Moralspiel maßgebend. Bei den pathetischen Teilen der Mysterien, sowohl der biblischen als der legendären, ist sie noch nicht recht ausgebildet. Schon der Stoff war da zu dogmatisch. Aber in den Darstellungen des Menschen, der mit Tugenden und Lastern kämpft, entwickelte sich seit der Wiclifzeit die Sitte, die Kunst und das Interesse, seine Willensakte umständlich vorzuführen. Für diesen Einfluß der Moralspiele auf die regelmäßige Tragödie in England ist es bezeichnend, daß die älteste Hof- und Gelehrtentragödie, 'Gorboduc', noch den König zwischen einen klugen und einen schwachen Ratgeber stellt, zwischen Eubulus und Arostus, gewissermaßen zwischen den guten und bösen Engel; sowie daß in den Volkstragödien regelmäßig noch der spezifische Verführer der Moralitäten, der Vice, auftritt, um z. B. im 'Horestos' von 1567 den Helden gegen die persönlich erscheinende Natur zum Muttermorde anzutreiben; endlich daß in Marlowes 'Faustus' der gute und böse Engel noch direkt mitspielen und um den Helden streiten. Da begreift man, daß Shakespeare bei der Austragung der Entschlüsse soviel mehr die Leidenschaft als die Logik zu Worte kommen läßt. Da war auch die bei Shakespeare so mächtig herausgearbeitete Wendung der Entschließungsszene bereits geboten,
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sowohl die Steigerung: von einer Todsünde zu sieben; als der Wechsel: von Sünde zu Bekehrung und umgekehrt. Selbst die synoptische Kombination zweier Entschließungen ist hier zu belegen: in der alten Moralität 'Mankind' z. B. drängen die Teufel auf der einen Seite der Bühne dem verzweifelnden Menschen einen Strick auf, während auf der anderen Seite Vater Mercy sich anschickt, ihn aus der höllischen Gesellschaft herauszuholen. Ähnlich hebt Faustus bei Marlowe seine Buhlschaft mit Helena an, während im Hintergrunde der Bühne immer noch der alte Mann steht, der ihn zu Gebet und Rettung bringen möchte. Neben diesen Moralitäten, die man sich gewöhnt hat, als volkstümlich englische zu bezeichnen, obwohl sie im Grunde aus der 'Psychomachia* des Prudentius und aus anderen christlich-lateinischen Erbauungsschriften stammen, hat das antike Trauerspiel für die Entschließungsszene Shakespeares nur wenig geboten, wie aus der seltenen Verwendung der Stichomythie bei ihm und seinem nächsten Vorgänger, Marlowe, deutlich hervorgeht. Die Griechen haben auf die tragische Gestaltung der Charaktere, auf die Erhabenheit der Sprache und, wie gezeigt, auf die Stimmungsszenen bei Shakespeare gewirkt, teils durch Seneca, teils durch Senecanachahmer, durch Marlowe, Kyd und andere, die vor ihm in London Trauerspiele schrieben; aber für die Entschließungsszene ist wesentlich heimatliche Entwicklung in Anschlag zu bringen. Allerdings ist betreffs Marlowe auch in diesem Punkte zu betonen, daß er disjecta membra bietet und noch keine organische Ausgestaltung. Er hat manche schöne Entschließungsszenen gebaut, aber sie oft dorthin gestellt, wo sie nicht am Platze waren, z. B. im 'Tamerlan' bündelweise an den Anfang, und sie weithin fehlen lassen, wo sie Shakespeare mit Recht liebte, z. B. fast ganz in der Mitte des 'Faustus'. Wie sehr ihm der Schüler auch im einzelnen an Feinheit überlegen war, zeigt ein Vergleich der Abdankung Edwards II. bei Marlowe mit der offenbar ihr nachgeahmten Abdankung Richards II. bei Shakespeare: dort sucht man gerade jene Doppelentschließung — neue Rebellion neben Abdankung — vergeblich, durch die sich die Szene bei Shakespeare architektonisch auszeichnet. Von der dritten Klasse Szenen, d. h. solchen, die sich auf ein Informieren beschränken, sei es durch Erzählung, sei es durch Aktion ohne sonderliches Abwägen und Beschließen, ist bei Shakespeare verhältnismäßig wenig Besonderes zu sagen. Sie bilden die breite Gewöhnlichkeit; sie sind weniger stilisiert als die Stimmungsund Entschließungsszenen; sie schmiegen sich der Realität des Lebens am meisten an. Für ihre Verwendung ist bereits angedeutet worden, daß sie gewöhnlich das Drama beginnen, daß sie als Erreger der Entschließungen sich zwischen diese hineindrängen und
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daß sie nach deren Erschöpfung die Oberhand gewinnen, um — zusammen mit Stimmungsszenen — die Katastrophe darzustellen. Ihre Träger sind die verschiedensten Personen. Ihr Bau ist häufig, aber lange nicht so systematisch wie bei den Entschließungsszenen, auf Steigerung oder Umschwung eingerichtet. Gesteigert ist z. B . der Straßenkampf zu Anfang von 'Romeo und Julia' vorgeführt, die Fülle von Hiobsposten für die Verschwörer nach der Leichenrede des Antonius erzählt. Umschwung haben wir z. B. in der Schlacht bei Philippi, die zuerst für Cassius günstig, dann ungünstig verläuft, oder im Bericht der Amme über Tybalts Tod an Julia: er ist tot — Julia meint Romeo — nein, Tybalt — Julia ist getröstet. Soweit es sich um Botenberichte handelt, mag Shakespeare solche Mittel der Spannung manchmal aus dem Altertum durch seine gelehrten Vorgänger oder durch Seneca, den er ja gut kannte, gewonnen haben. Seneca läßt z. B. in 'Phädra' den Nuntius von der Fahrt des Hippolytus anfangs in günstiger Weise erzählen, bis es auf einmal schief geht; in Marlowes 'Tamerlan', Teil II, schildert ein Messenger das Heer des Kaisers Siegmund zuerst als übermächtig — auf einmal stürzt dieser selbst herein, geschlagen und verwundet. Aber selbst der Botenbericht kann diese Technik aus der Entschließungsszene überkommen haben. Für andere Informierungsszenen scheint es mir vollends an jeder Handhabe zu mangeln, auf Grund ihres Baues antiken Einschlag zu erweisen. Schon die Mysterien hatten hierin seit frühmittelenglischer Zeit reichlich vorgearbeitet. Solche Beobachtungen und noch viel mehr ergeben sich, wenn wir uns nicht an die einzelnen Stimmungselemente und Entschließungen halten, die ja in aller Poesie allgegenwärtig sind, sondern an die geschlossenen Szenen, die durchaus zu Zwecken der Stimmuhgs- oder Entschließungsmalerei da sind: diese verteilen sich über die Shakespearische Tragödie nach bestimmten Gesichtspunkten, sind auf gewisse Träger beschränkt und nach gewissen Tendenzen gebaut. Sie gehorchen Prinzipien der Technik, die zugleich vernünftigen Grund und klar verfolgbare Vorgeschichte haben. Mehr als jede andere literarische Gattung ist das Drama an feste technische Prinzipien gebunden, die sich aus den theatralischen Verhältnissen mit elementarer Konsequenz entfalten und niemals ungestraft vernachlässigt werden. Gelingt es, einige derselben, die Shakespeare befolgt hat, gleichviel ob bewußt oder unbewußt, ans Licht zu bringen, so ist vielleicht auch dem schaffenden Dichter ein Dienst geleistet.
Shakespeare and Germany. 1 ) With sentiments of profound reverence and gratitude I would say as the prologue to my discourse, and I feel sure that millions of my countrymen would say it with me, that the greatest boon which has ever come from England to Germany is the supreme and permeating influence of William Shakespeare. Several English writers have benefited our folk. Dickens gave us the novel of charity, Walter Scott the novel of history, Thackeray the novel of reality; Byron became an inspiration to Goethe and Heine; Carlyle still proves a valuable educator of our nation; but Shakespeare has swayed and turned the whole current of our literature. Until the middle of the eighteenth century, the old imperial race of Middle Europe knew only two sources of poetical art from abroad : the ancients, and France. Latin and Greek authors were introduced by our clergy and our schools, French authors by our nobility and better-class citizens. There were wars between French and German rulers on the right and on the left banks of the Rhine, but they could not prevent, could not even interrupt, this fraternity of minds; the culture of Germany had for centuries developed principally through intercourse and through rivalry with her western neighbour. England for many centuries had nothing to say. Neither Chaucer nor Spenser had attracted the attention of Germaii writers. Elizabethan plays, no doubt, were acted in German towns and courts by English comedians; but only their subjects made an impression, their acting and staging were admired; the word of Shakespeare was not heard, nor was his personality felt. Milton, the strongest man among English poets, stirred the German republicans of the North and the South, the Hamburgers and the Swiss; he was the first English writer who touched the German soul; but he could never become popular; he soared too high in the sphere of abstraction; he was only a prophet, a forerunner of the master. The Spectator did become popular, Robinson and Gulliver were read even in our villages; but what they had to offer was only poetry of the foot — to use a happy expression of Professor Herford—not poetry of the wing; they proved suggestive and amusing, but did not contain any revelations. The tide did not turn until, a short time before the French Revolution, Shakespeare conquered Germany with his word and his thought: then >) Vortrag gehalten vor der 'British Academy' in London am i . Juli 1 9 1 3 . B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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England, for the first time, had a voice on the Rhine and by the Danube, and became a force in the growth of German culture. The man who was chiefly instrumental in bringing about this change was Lessing. Many educated Germans felt about Shakespeare as he felt, and some of our literary men were working in the same direction in which he worked; but Lessing produced the strongest argument. He started from the opinion of Voltaire, whose critique and imitations of Shakespeare had done most towards calling the attention of German readers to the English dramatist. The great Voltaire had learned in England that Shakespeare had a large soul, and was a genius by nature; but he found him a sinner against the rules of Aristotle as deduced by the classicists. No, said Lessing; Shakespeare does not sin against the rules of Aristotle, if you but understand them properly; Shakespeare agrees with him in all essential things much better than Voltaire himself. As an example, Lessing compared the appearance of the ghost in Voltaire's Simiramis, in broad daylight, at the council-assembly, announced only by a clap of thunder, with the ghost in Hamlet, which appears at midnight, on the ramparts of Elsinore, seen first by the lonely sentries, through whose observations we are well prepared for what it has to tell Hamlet. A clearer and more convincing comparison could not be given, and Shakespeare at once took his place on the throne vacated by Voltaire. Evidently, Lessing pitted one of the two literary authorities recognized in his country at the time against the other, the ancients against the French—more perhaps than was strictly legitimate. He thus succeeded in calling in a third authority, the English; and by multiplying our authorities he gave us greater confidence to think independently. This discussion might have remained a transitory literary controversy : but circumstances raised it to the position of a starting-point for great deeds. Germany wanted dramas. Many of the princes and princelings who ruled it maintained theatres in their residences: this was perhaps the only noteworthy service done to old Germany by the 'Kleinstaaterei'. The wealthier towns followed suit, and built theatres of their own. The people, tired of sermons, and unable to take an interest in politics or sports, sometimes even forbidden to travel, flocked to the performances. A successful play could make its author famous, and his work influential in the highest degree. But in order to be successful a play had to be poetical, had to contain a body of thought, and had to be clothed in fine rhetoric; for the average German, though a poor politician, had by his good schools become an intelligent person, had a satchelful of solid knowledge on
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his back, and would not be satisfied with superficial farces and operettas ; he wanted to be amused intelligently, and this demand for a literary drama at the time of Lessing was exactly met by Shakespeare. A negative cirumstance must not be forgotten: in Germany no strong tradition of home-made dramas stood in the way of Shakespeare, as was the case in France, where the respect for Corneille, Racine, Molière, and their schools was a bar against the Elizabethan. The very poverty of the German native drama before Goethe and Schiller was Shakespeare's ally. 'So our virtues lie in the interpretation of the time.' Translators assisted Lessing in making Shakespeare known and understood, but imitators planted him in German soil. It was his good luck again that his first imitators were our classics, who moulded the entire taste of the following generations. Lessing himself led the way, and borrowed his blank verse. Young Goethe took over the free and almost lawless structure of the Histories, and, in addition, he borrowed a number of details which we find scattered throughout his works. In the first part of his Faust, for example, the appearance of the 'Erdgeist' was suggested by that of the spirit of Julius Caesar in Brutus's tent; the meeting of Faust with the brawling students by the scene where Prince Hal turns up in the midst of the Falstaff company; Margaret's low-minded widow-companion, Frau Schwertlein, by the nurse in Romeo and Juliet; the fatal duel of Valentine by that of Tybalt; the insanity of Margaret by that of Ophelia. Nor was Schiller less indebted to Shakespeare than Goethe. How much he learned from Shakespeare is best seen by comparing the two brothers in his Robbers with the sons of Gloucester in King Lear, or the conspiracy of Tell with that in Julius Caesar. Goethe and Schiller were never slavish imitators, but their drama is, in essence, a plant from the seed of Shakespeare. There is also an original drama of Germany, of an absolutely different type : it is the musical Biihnenfestspiel of Richard Wagner. From the time that Shakespeare was thus naturalized in Germany, the literary drama has become a most important factor in German life. It has attracted our best poets, so much so that the most characteristic portion of our literature must not merely be read, like modern English literature, which can be enjoyed on the banks of the Nile or on an ostrich farm in South Africa almost as well as in London ; but if you mean to do justice to the best modern German literature, you must go to the theatre and hear it. Consequently, a good theatre is a necessary part of the equipment of every German town of any dill»
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mensions; any place without it is looked down upon as philistine, is avoided by well-to-do people, and is considered a mere Nest, because it does not enable its inhabitants to enjoy the most interesting part of national literature. It is astonishing to remark what sacrifices a middle-sized German town of, say, 20,000 people will make to procure a theatre. Societies and individuals will make contributions for years together till they have collected enough to begin building. On a fair site the fair building rears its head; flower-beds are laid out in front of it; the most modern appliances are sought out for the stage; there is a foyer provided where the audience may saunter in the intervals, to wish each other good evening and doubtless to exchange brief comments on the play: a feeling of festivity, 'Festlichkeit', reigns everywhere. Instead of demanding rent, the municipality often makes a special allowance to enable the manager to engage a a good cast. Above all, the people themselves go to the theatre regularly; they often subscribe for a certain number of seats a week, and thus compel the manager to keep a variety of plays in stock, a repertory. They take good and indifferent plays as they come, and are enabled in this way to compare, to comprehend, to relish poetical life and beauty, and to despise mere sensation. A literary atmosphere pervades the society of such a town, animates its meetings, and brightens the hearts. The blessings of this repertory theatre, which is an essential feature of the modern German 'Gartenstadt', we owe principally to Shakespeare. He has given us the plays which at the outset drew the largest audiences, which trained the best actors and critics, and which were taken as models by the more gifted play-writers. No doubt his name would be the best with which to inaugurate also an English repertory theatre, and to induce English people to return to their pre-Cromwellian habits of going to the theatre regularly. Even nowadays the theatre is the stronghold of the Shakespeare cult in Germany. There are some 180 German companies, and they maintain in their repertory about twenty-five plays of Shakespeare. On looking up the statistics published every year in the ShakespeareJahrbuch with regard to the frequency of performances, one finds at the head of the list such serious plays as Hamlet, Othello, Romeo and Juliet, and The Merchant of Venice. On an average, throughout the Fatherland, three or four plays of Shakespeare are performed every evening. In Berlin, the theatrical capital, it sometimes happens that on five or six successive evenings as many different plays of his are to be seen. Whenever the supply of modern plays fails for a time, Shakespeare is called in, and is sure to save the financial situation. A poet who is so frequently heard in the theatre is much stronger
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than a poet who is merely read in books: this explains the miraculous popularity which Shakespeare enjoys in Germany. If one wishes to gauge the significance of Shakespeare for the mass of German people, one need only open Biichmann's Collection of 'Winged Words'; there one sees with astonishment how intensely the German lives in Shakespeare and speaks his words. The expressions 'something is rotten in the state of Denmark', or 'caviare to the general' come as readily to the lips of the German as of the Englishman. Thousands speak with Hamlet of 'To be or not to be', and with Prince Henry of 'a world in arms'. From Midsummer Night's Dream was borrowed the burlesque phrase 'Well roared, lion', from Measure for Measure the 'tooth of time', from Lear 'the learned Thebans', and 'every inch a king', as well as the inevitable 'last not least', which is even more often employed by Germans than by the English themselves. All the other British authors together have not yielded as many winged words as Shakespeare alone; no other foreign author, not even Homer, approaches him in such a degree of popularity; and one has to turn to the Bible to find a more influential work of foreign origin: only this book of books soars even above Shakespeare. Remarkable as such adoption of metaphorical or witty phrases may be, still more significant is the fact that a series of common words have through him become part and parcel of daily usage. Professor Kluge, in a paper read to the German Shakespeare Society in 1893, had some remarkable communications to make with regard to the augmentation of the German dictionary by Shakespeare. If Germans mean to greet each other with a typically German expression, urdeutsch, they say Heil —without dreaming that it is borrowed from the cry of the witches in Macbeth, 'Hail to thee'. The substantive Heim, equivalent to the 'home' of the English language, is due to the translators of Shakespeare; formerly it was used in German only adverbially, in words like heimkehren, 'return home'. Halle, as corresponding to English 'hall', had died out in German shortly after Luther, it is not found in literary use for centuries; but in Klopstock, a notable admirer of Shakespeare, the word reappears, and bears the same exalted signification, 'hall of a castle', as it does in Shakespeare, and not that of 'entrance hall', as in everyday English. Even the use of the word Sect for champagne arose in connexion with Shakespeare. In the eighteenth century Sect was employed by the German only for heavy wines such as were made from dried berries in Spain and in the Canary Islands; in this sense the word is employed by Shakespeare too, when he makes Falstaff such a lover of 'sack'. But when the Falstaff actor Ludwig Devrient in Berlin came weary and thirsty from the theatre to the tavern of
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Luther and Wegener in the Charlottenstrasse, and wanted champagne, he continued in the tenor of his Falstaff-part to call for 'Sect'—an expression that landlord, guests, and waiters quickly adopted and successfully transmitted to the world of Shakespearians outside. This is real popularity. In short, when the German laughs or drinks or philosophizes, when he enters a castle or returns to his home, the spirit of Shakespeare is ever at his side, thinks for him and jokes with him, like a right good friend. Politicians and statesmen have not failed to make use of this power of Shakespeare over the German people. 'Hamlet is Germany' Impatiently exclaimed Freiligrath, the friend of liberty, to his hesitating countrymen a short time before 1848. In opposition to him, Bismarck compared Hamlet to Napoleon III. Altogether Bismarck, in his student days in Gottingen and associating freely with Englishmen and Americans, had not only acquired a deep reading knowledge of Skakespeare, but had also to some extent lived many a Falstaff scene on his own account. Prince Harry, who to all appearance had wasted his youth with tippling beer-swillers, but who, by this means, obtained a deep knowledge of men and things, and later, becoming serious, surprises every one by the sudden ripeness he shows, was one of Bismarck's favourite characters all his life long. He also knew how to find support in Shakespeare when he enthusiastically called out the masses against the parties. He was sure that if he clothed his thoughts in Shakespeare's words they would best appeal to the hearts of his countrymen. In the world of art and science, too, many a scholar, as is but natural, has taken a deep interest in Shakespeare. In philosophy, Schopenhauer, the famous pessimist, may be mentioned; few objects escaped his iconoclasm; one of these few was Shakespeare. Recently the psychologist Dilthey, in his well-known book on Inward Experience and the Poet, chooses some of his best illustrations from the great English dramatist. He compares Shakespeare, the 'biographer of a thousand souls', with Goethe, who is constantly autobiographical. He ascribes Shakespeare's wonderful gift of incarnating characters to his power of observation, to his piercing eye ever directed on the world outside, to his true English empiricism, and to the influence of an age the environment of which was extremely favourable to his genius. In jurisprudence Shakespeare has been cited before the court. Ihering, the author of Kampf ums Recht, has discussed Shylock's bond from the standpoint of Roman law. Kohler has scrutinized his tragic heroes as closely as if they were criminals. The question whether his knowledge of law gives ground for believing that he himself in his youth was employed
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in a court of justice has had no less interest for the German than for the English jurist. Medical men have examined his poisons, and such of his characters as are tainted by insanity. Astronomers have proved his allegiance to the Ptolemaic system. Everywhere he attracts the far-seeing minds among the learned, and sets them riddles to solve, though he himself was but a dealer in the things of imagination, and, as far as we can see, not superior in knowledge to the average well-bred Londoner of his time. If we turn to philology we find that the study of English in German universities has to a great extent simply grown out of the endeavour t o increase by courses of lectures the pleasure which professor and student alike were taking in Shakespeare. In Bonn, in Tübingen, in Marburg, peaceful little university towns, where poetry-loving souls were wont to foregather, were heard the first scholarly lectures on English literature, and for the most part they centred round Shakespeare. The love for him has helped to promote also those Early English studies which, like nothing else, impress the student with the original identity of English and German language, poetry, folklore, custom, and law. In order to fathom the depths of Shakespeare the first German society for literary research was founded, the Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, forty-nine years ago, long before a Goethe-Gesellschaft was thought of. The list of its members is headed by His Majesty the German Emperor, who is well known as a warm admirer especially of Shakespeare's Histories. Again, our secondary schools have made the great Elizabethan the centre of English studies. German lads in the higher classes of the Gymnasium, especially in the North where the dialects bear a closer resemblance to English, find it easy, with the help of the improved modern language teaching which has of late been developed, to acquire his language sufficiently within a year, so that in the second year they can read with their teachers one or two of his plays, and enjoy them. He is always the favourite author, he brings out the best qualities of the professor, conveys to the students a keen interest in English institutions and history, and provides both with sound moral and political lessons. For the future, the well-wisher of the German people can but wish and hope that this love for Shakespeare will last and ever increase. We all feel that no one can enter into the enjoyment of his characters without becoming himself freer and greater; a nation that takes him for its leader cannot be other than a manly nation. And it is not the least of his merits that he is a friendly exponent of England in Germany. He has surrounded Westminster and Windsor, London Bridge and the Mermaid Tavern with a bright halo, and many a king
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of Old England, about whom no one on the Continent would have cared, has won through Shakespeare respect and fame. It makes a very considerable difference whether we come to know a nation onlythrough the newspapers, or through poetry, especially through such a poet. Watching a nation through the press is like observing a neighbour through his office windows, where he is busy with his daily pursuits. But if you study a nation through its poetry, you as it were watch your neighbour through his oriel window sitting at ease in the midst of culture. Shakespeare is a permanent ambassador of England in Germany; a most excellent ambassador, for he is accredited not only to the court, but to the whole German people; and his language, though always impressive, is never provocative. He stands before our eyes as a friend found and tested in days of need, an unwavering benefactor, and as a moral world power in very deed; therefore his mediation is sure to be of solid and lasting effect. This unique position which Shakespeare has attained in Germany, and which he promises to hold for a long time to come, is all the more striking as Shakespeare has paid no special attention to our people, seldom thought of them, and has by no means treated them with particular consideration. He makes fun of German clothing—of the broad hose, from the waist downwards all slops; of German customs —fair Portia's ducal suitor from Saxony is described as 'very vilely in the morning, when he is sober, and most vilely in the afternoon, when he is drunk'; of German watches—always being repaired, and never in order; of the German temper, which, of course, is called hasty. Once, indeed, in the Merry Wives of Windsor, we come upon a friendly assertion: 'Germans are honest men'; but on looking closer one discovers that it is only the landlady of an inn who says so, and then only in order to clear a distinguished German traveller of the suspicion of horse-stealing. He has heard of Wittenberg, and makes Hamlet study there, but for the spiritual achievements of Wittenberg he has never a word. He makes Vienna the scene of Measure for Measure, but it is to him a town full of gross looseness and amours. He mentions the Switzers, but only as the mercenary life-guards of Hamlet's miserable uncle. From the national point of view, there is not the slightest reason why a German should feel enthusiastic about Shakespeare. After all, the cosmopolitan vein in the German character has been strong enough to ignore such compliments. Still, independence and spontaneity of action on the German side has not been altogether wanting. The impression which a poet produces always rests upon two factors: first, the quality of his work, and secondly, the predisposition of the reader. One and the same
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poem is apprehended differently, let me say, by a scholar who is well read in the classics, and by a countryman who is only versed in popular songs. Shakespeare was regarded differently by his own countrymen in the seventeenth century and in the nineteenth century: at the time of Dryden, boisterous Falstaff was considered his happiest character, Hamlet was represented as a very dignified and courtly person with a majestic periwig, and the weird sisters in Macbeth, instead of appearing in supernatural awe, had to perform a burlesque dance. But Charles Lamb and many of his contemporaries worshipped Shakespeare as a mystical philosopher, and, according to their opinion, to represent his plays on the stage amounted almost to profanation. There is no less difference of opinion about Shakespeare at present between his English and his German admirers. Strange as it may sound, it is a fact that there exist two Shakespeares, one on this, one on the other side of the North Sea, both fully developed, both felt as strong realities in life, literature, and the theatre. Allow me, for a moment, to describe the principal qualities of the German Shakespeare. First of all he is modern, because he is read and acted in translations. The obsolete words and the quaint meanings of words which often puzzle his English reader, and sometimes even demand comment, are replaced by current phrases. His Elizabethan ruggedness is almost too much smoothed over. In our classical translation by SchlegelTieck the meaning is put forth so clearly that, when I had to reprint it in a popular edition, there was sometimes not even one passage to be explained in a whole play —so perfectly had the Tudor words been recast in lucid and up-to-date German. In consequence, a German reader and spectator feels himself in a way drawn closer to Shakespeare than a Londoner, who has no oth^r choice than to take him in the original. It is easier in Germany than in his own country to apply his sentences to the programme of a brand-new party of writers or artists; he lends himself with more freedom to questions of the day in Berlin or Munich than in London or Manchester. Another feature of the German Shakespeare results from the difference in national customs. In Germany reserve is not so strictly demanded as in England; a loud laugh is considered less objectionable, even in cultivated society, and gestures are not so readily called extravagant. Imagine, therefore, how different a Falstaff scene, a meeting between lovers, an agitated discussion, must appear in a German theatre! In this respect the German may even claim to be more faithful to the historical Shakespeare, who makes Romeo and Othello, when in excitement, roll on the floor, and Hamlet leap into
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Ophelia's grave to wrestle with her brother. German manners have remained a little more old-fashioned. Thus it comes that our Shakespeare, though he sounds more modern in words, looks more like the sixteenth century in manners. A third peculiarity of the German Shakespeare is one for which our classic writers are answerable, who so vigorously transformed him into new life. Margaret in Goethe's Faust has so much in common with the bride of Romeo, that an audience who sees them often finds it difficult to keep them quite separate. Even the actress who impersonates Margaret one evening, will next evening, while acting the part of Juliet, unconciously embody essential traits of the modest, patient German citizen girl in her representation of the self-possessed and strong-minded daughter of Lord Capulet. Such blending of Shakespearian characters with those of favourite German plays happened very often in our good old Hoftheaters. In addition, there was the influence of our older critics, with Goethe once more at the head. Hamlet e. g. was described by him as a delicate soul on whose shoulders too heavy a task had been laid; no wonder, then, that German actors often played the part in too sentimental a fashion. At the present, without doubt, a strong reaction has set in; the reformers of our stage, Max Reinhardt and others, have discovered wonderful ways of showing Shakespeare in the broad daylight of realism and of the Jugendstil. But still English actors, when touring in Germany, though their performances of Shakespeare are often excellent, find it very difficult to please German spectators; they put forth their London Shakespeare, but the Berliner sticks to his beloved German Shakespeare who is endeared to him through Goethe and through the translations of Goethe's clever disciple Schlegel. In the fourth place we have to consider the general expectations with which a nation will approach literature. If my students are brought into contact with Englishmen of their own age and conditions, they are always astonished at the English students' habit of asking: What benefit shall I derive from this or that new author ? Can he inspire me with a brighter outlook on life, or infuse into me greater strength of soul? Is he a noble educator like Wordsworth? Is he a delightful teacher like the ideal poet whom Sir Philip Sidney has painted in his famous Apology ? Young Germans look at literature in a more disinterested way. They want to be shown life, as intense life as possible, which will enable them to pass, while reading, through all the experiences of the persons described, as if they were experiences of their own. They want, in following the dreams of the poet, to explore the heights and
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the depths of human nature—not to alter human nature. To them didactic verse savours neither of poetry, nor wit, nor invention: psychological truth in poetry is their heart's desire. It is natural that Shakespeare will fare very differently at their hands. Englishmen lay more emphasis on his wisdom, Germans on his passion. To the Englishman —with the exception of Mr. Bernard Shaw, of course —Shakespeare is the national hero, with hardly any human weakness; to the German the earlier and weaker attempts of Shakespeare are not only facts, but most interesting facts, from which to regard the wonderful heights he reached later. In consequence, English critics, as a rule, discard such rude plays of his juvenile period as Titus Andronicus or Henry VI, although the strongest external evidence speaks for their genuineness; they would feel ashamed if their Shakespeare had really indulged in the •Gothic' horrors by which the cannibal revenge of Titus is provoked, and if he had really represented the brave heroine Joan of Arc as a profligate wench. To German students, in spite of their sincere respect for the 'Jungfrau von Orleans', it does not matter if young Shakespeare, during his period of storm and stress, following Holinshed and other chroniclers, should have slightly overstepped the bounds of humanity. If his beginnings were crude, the brilliancy of his later works appears to them all the more striking. I do not wish to express an opinion concerning these two Shakespeares. To many an Englishman the German Shakespeare is sure to appear nationalized to such an extent as almost to wear the garb of a foreign poet. On the other hand, the German will argue that genius, the rarest gift which nature can bestow on a nation, never belongs to that nation exclusively, but to the whole of mankind; and that there is no divine or human law which forbids foreigners to penetrate into the genius of such a man, to amalgamate themselves with him, until he becomes to them, by their sympathetic work, almost one of their own. But one thing is proved beyond doubt by the existence of these two Shakespeares; that the Shakespearian spirit is alive and active in both countries. Only the most popular writers are objects of strife; as soon as an author is left in peace, it shows that he is dying—historians and philologists may bury him in their libraries. And there is no fear that the two Shakespearian parties will do any harm to each other. Let an opportunity arise for showing gratitude and love to Shakespeare, and both nations, yea, all civilized peoples, will stand up like one man, and hail him with one voice, as the greatest creator in literature. Such an opportunity will present itself in a short time, when we shall celebrate te 300th anniversary of his death—his first three
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centuries of immortality. If, on April 23, 1916, the world's homage to the poet of Hamlet and Lear will be rendered, as is hoped, here, in the capital of his country, the scene of his literary activity, it will be an assertion of the harmonizing power of poetry over distinctions of race, it will demonstrate the empire of Shakespeare of which Carlyle perhaps spoke even in too modest terms, and it will help us to realize that, after all, humanity is larger than nationality. Au revoir till Shakespeare Day, in 1916!
Das Söhnchen des Leontes. Das »Wintermärchen« heißt so nach der Geschichte, die der kleine Prinz Mamillius erzählt. Als Episodengestalt huscht er über die Bühne. Eltern und Hofdamen scherzen mit ihm; er selber hat nicht viel zu sagen. Sobald er anhebt, sein grauses Märchen vom Mann, der am Kirchhof wohnte, vorzutragen, wird er vom Eifersuchtsausbruch des Vaters unterbrochen. Dann hören wir nur mehr von seiner Erkrankung, seinem Hinscheiden. Wenn nicht sein Tod tief in die Handlung des Dramas eingriffe, wäre die kleine Rolle nicht immer vor dem Schicksal geschützt, vom Dramaturgen als entbehrlich gestrichen zu werden. Und doch leiht sein Phantasiegeplauder dem Stück den Namen! Der Dichter hat sich auch die Mühe genommen, ihn so zu zeichnen, daß er leibt und lebt. Wir brauchen nur die wenigen Worte, die an ihn und von ihm gesprochen werden, zusammenzustellen, und sie runden sich zu einem deutlichen Bilde. Er hat noch ein Schmutznäschen, wie sein Vater, der Herr König, lachend andeutet; da brauchen wir nicht weiter nach seinem Alter zu fragen. Er ist bereits ein Prinz; höfisch beugt er sich vor dem gekrönten Vater mit »Ja, mein Herr« und »Ja, wie es behebt, mein Herr«; aber die Hofdamen behandelt er überlegen, will nicht mit ihnen spielen und sagt ihnen, wie sie das Haar tragen sollten. Er ist geweckt; bei der Morgentoilette der Frau Mutter hat er wohl beobachtet, wie man eine schwarze Augenbraue mit einer Nadel zu einem Halbkreis fein ausziehen kann; auch daß eine Dame eine blaue Nase haben kann, ohne äußere Bemalung, wie bei den Augenbrauen, ist ihm nicht entgangen; hätte er es zum regierenden Herrscher gebracht, so würde er die Dinge mit offenen Augen gesehen haben. Aber noch mehr sieht er mit dem inneren Auge: eine Welt von Geistern und Kobolden. Wir haben es von seiner Mutter, daß er sich auf solche Gesellschaft vorzüglich versteht. So wenig fürchtet er sich vor den Kirchhofsgespenstern, die er doch wie leibhaftig sich ausmalt, daß ihn das Gruseln freut. Tapfer genug mag er einstmals werden! Zurzeit aber ist er noch voll Empfindung, und die Hauptempfindung ist bei ihm die Liebe zur Mutter. Sobald er sie nicht mehr glücklich und sonnig findet, sondern von der Eifersucht des Gatten gepeinigt, ergreift ihn das Leiden. Wir sehen das Kind, das soviel von Geistern träumte, jetzt mit großen düstern Augen und blassen Wangen im Bettchen liegen; o schrecklicher Vater, doppelt unglückliche Mutter! Wir wundern uns nicht, daß es die grausame Verstoßung von Mütterchen nicht überlebt. Mit aller »Bescheidenheit der Natur«, wie Shakespeare selbst sich
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ausdrückt, wird uns also Mamillius sehr nahegebracht. Wir hören ihn niemals ein Wort sagen, das über die Art eines vielversprechenden Königskindes ginge, und gerade deshalb tut es uns wirklich leid, sobald er frühzeitig auf immer verstummt. Eine Rolle, die für den Kern des Dramas nichts Wesentliches bedeutet, derart sorgsam auszumalen, hieße die Aufmerksamkeit der Zuschauer zerstreuen. Aber sehen wir genauer zu, so finden wir mit Überraschung, wie sehr Mamillius im Mittelkreis der Fabel steht. E r ist das verkörperte Glück des Königspaares von Sizilien, bevor es durch blindwütige Eifersucht zerbrochen wird. Seine Liebe für Märchen, für schwarzschaurige Märchen, macht es einigermaßen erklärlich, daß Vater Leontes, dem er ja bis aufs Tüpfelchen ähnlich sieht, ebenfalls in schwarzschaurige Wahnvorstellungen verfällt und in der edlen Hermione um jeden Preis eine märchenhafte Lasterhaftigkeit sehen will. Seine tiefe Anhänglichkeit an die Mutter ist für diese der beste Unschuldsbeweis; eine untreue Gattin hätte auch das Kind vernachlässigt, und ein solches Kind hätte dies gefühlt; das Orakel könnte Priestertrug oder Einbildungswerk sein, aber daß Mamillius so innig an der schmählich angeklagten Hermione hängt, läßt bei dem, der Frauen kennt, keinen Zweifel übrig. Sein Tod ist das einzige tragische Geschehnis im Stück; alles andere Unglück, das vorkommt, ist nur vorübergehend oder, wie der Tod Hermiones, geradezu nur scheinbar; für ihn Ersatz zu schaffen, in Form eines Schwiegersohnes, ist daher die schwierigste Aufgabe einer freundlichen Vorsehung, die hierzu mehr als sechzehn Jahre braucht. So hilft noch die Leere, die durch den Verlust des Kindes entstanden ist, unsere Gemütsteilnahme an der Fabel zusammenhalten, bis zur Vermählung der Königstochter am Schluß. Der kleine Märchenerzähler ist tatsächlich auf der Bühne nicht zu entbehren. Wie geringfügig ist im allgemeinen das Wort, das Tun, das Kinder zu einem großen Drama beisteuern können! Ausnahmsweise ist hier ein Kind zu einem wesentlichen Momente durchgebildet. Denn mehr noch als sonst kommt es Shakespeare hier darauf an, das Walten einer überirdischen Ordnung fühlbar zu machen, der das schwächste Persönchen naturgemäß das liebste Werkzeug ist, um die Starken zu beglücken, zu prüfen, zu versöhnen. Mit besonderer Erhebung wohnt man in dieser Kriegszeit der schönen Aufführung des »Wintermärchens« im Deutschen Theater bei. Draußen die blutige, alle Herzen beklemmende Wirklichkeit des Streites; drinnen aber der verklärte Schein des Streites, dann das köstliche Vergessen alles Streites beim Schäferspiel, endlich das freundliche Wunder der Friedensstiftung. Es gibt kein heilenderes Stück für das Gemüt in dieser Zeit der Wunden.
Von der Unwahrheit und der Wahrheit Shakespeares. Was bedeuten uns die Richarde und Heinriche und Eduarde, die sich in den Königsdramen breit machen, was ihre dynastischen Wirren und Kämpfe, was überhaupt das England jener spätmittelalterlichen Zeit, das halb ein insularer Kleinstaat und halb ein französischer Vasallenstaat war! Hekuba ist uns viel mehr, ist als die Frau des großen Priamus und die Mutter des tapferen Hektor seit Jahrhunderten weltberühmt und steht als die Königin des trojanischen Heldengeschlechts im Widerstand gegen ganz Griechenland verehrungswürdig da. Nicht einmal der Sieger von Agincourt hat es zu solcher Bekanntheit schon bei den Schulknaben gebracht wie die Homerische Ahnfrau. Shakespeare hat die Geschichte dieser Könige mit entsprechender Gleichgültigkeit gegen Wahrheit und Überlieferung behandelt. Ein Beispiel. Er wußte aus den Chroniken ganz genau, daß Percy in der Schlacht bei Shrewsbury nicht durch den Prinzen Heinz erlegt wurde, der damals erst sechzehn Jahre zählte, sondern durch einen Unbekannten. Aber es paßte ihm, die beiden Jünglinge in Waffen wie im Charakter einander gegenüberzustellen, und so gestattete er sich eine Freiheit, ungefähr wie wenn ein moderner Dramatiker Gustav Adolf durch den Degen Wallensteins fallen ließe. Keiner der vielen Satiriker, die zu Shakespeares Zeit in London über das Theater schrieben, hat sich daran gestoßen. Was war ihnen bereits der historische Percy, was die Schlacht bei Shrewsbury! Kaum aber treten uns die Gestalten der Königsdramen im Bühnenlicht entgegen, wie umwittert sie das Leben, wie nehmen wir Anteil an dem Kummer und der Schlaflosigkeit des früh ergrauten Heinrich IV., wie lachen wir mit Prinz Heinz, wie erschüttert uns der vorzeitige und nutzlose Tod des prächtigen Heißsporn! Ellbogen an Ellbogen fühlen wir uns mit diesen Leuten, als hätten wir mit ihnen gearbeitet und gezecht und gefochten. Wir verstehen sie so intim, daß wir kein anderes Tun von ihnen erwarten, als ihnen der Dichter vorgeschrieben hat; es dünkt uns ebenso natürlich, daß der König sich sorgt und grämt, wie daß sein Sohn sich austollt, und daß der rebellische Feind der beiden sich waghalsig wegwirft. Mit der magischen Gewalt des Glaubens sind wir in ihr Interesse gezogen. Vollends Falstaff, diese Tonne von Fleisch im Drama und Flocke von Luft in der Geschichte, den keine Chronik in solcher Verbindung mit Prinz Heinz nennt und kein Bericht über die Schlacht von Shrews-
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bury auch nur erwähnt, er ist uns wohl der körperlichste Kamerad von allen. Wenn er seine Philosophie des Genusses auseinandersetzt, erachten wir für eine Weile mit ihm Recht und Ehre als Eitelkeiten. Äfft er breitspurig das Gericht des Königs nach, so scheint uns alles Gerede der Kommentatoren über die Sittlichkeit bei Shakespeare als ein Wortgeschlotter. Dieser Falstaff schreitet uns so leibhaftig in seinen Lederstiefeln entgegen, als hätten wir mit ihm schon Nächte durchgekneipt. So empfanden auch die Engländer im Jahrhundert nach Shakespeare; Falstaff war ihnen von all seinen Gestalten die populärste, ihn zitierten sie am häufigsten, seinen Bildumriß haben sie typisch ausgeprägt. Um solche Zauberwirkung Shakespeares zu erklären, haben deutsche Romantiker die Lehre aufgebracht, er habe jeder Gestalt die Bedeutung einer ganzen Menschenklasse eingehaucht und in jeder Persönlichkeit den Zusammenhang mit dem Weltkosmos ahnen lassen; er wurde zum Zeichen- und Wundertäter verklärt. Engländer schlugen einen nüchterneren Weg ein und bezeichneten die Königsdramen ohne weiteres als die treffendste Realschilderung ihrer alten Geschichte: ein schlechter Dank für ihre Geschichtslehrer auf dem College. In neuerer Zeit suchte man die historische Treue dieser Stücke wenigstens insofern zu retten, als man sie als Ausdruck der poütischen Stimmung in Shakespeares eigener Umgebung betrachtete. In der Tat atmen sie den Drang nach einer kräftigen Angriffspolitik auf dem Festlande, wie er damals nach Überwindung der Armada viele Londoner erfüllte; sie verraten den Wunsch, alle heimischen Parteien samt den Walisern, Schotten und Iren zusammen für die großbritannische Idee zu begeistern, die auch alsbald durch die Berufung des Schottenkönigs Jakob I. auf den Thron der Elisabeth in die Erscheinung trat. Daran ist viel Wahres; aber wenn solche Wahrheit für ein Britenherz viel bedeuten mag, uns Deutschen ist sie weniger als Hekuba. Nur die poetische Kunst Shakespeares hat die Königsdramen dem Gemüte aller Gebildeten so nahe gebracht. Die oft krasse Unwahrheit in geschichtlichen Dingen verschwindet vor der Wahrheitsschilderung der seelischen Vorgänge. Shakespeare selbst tat über diese Märchenweisheit, die jeder Art von Schönheitsschaffen zugrunde liegt, ein paar treffende Äußerungen. Wenn das Dorfmädel in »Wie es euch gefällt« fragt, was für ein Ding die Poesie sei, ob man sie essen könne, antwortet ihr der kluge Narr Touchstone: »Je mehr erfunden, desto mehr ist es Poesie.« Und im »Timon« urteilt ein Kundiger über ein gelungenes Gemälde: »Leben, lebendiger als Leben.« Zwischen den beiden Aussprüchen, die sich nicht widersprechen, sondern ergänzen, liegt alle Ästhetik.
Shakespeare-Möglichkeiten. Als man Kardinal Wolseys Prunkpalast Hampton Court erbaute, um nach echter Art der Renaissance den Glanz und die Kunst als Mittel der Politik zu gebrauchen, da sonderte man die Ausgangsseite der Festhalle in ihrer ganzen Breite durch einen reich geschnörkelten Schirm mit zwei Durchlässen ab und überdeckte den so umfriedeten, dämmerigen Raum in Stockwerkhöhe mit einer mächtigen Oberbühne: dies war die erste Spielgelegenheit mit drei Feldern, von der wir in England vor der Zeit Shakespeares erfahren. Sie diente noch nicht zur Wiedergabe von Handlungen, die wir dramatisch nennen würden; dazu war sie unten zu dunkel und oben zu ausgedehnt; auch war die mimische Dichtung damals noch auf kindlicher Stufe. Vielmehr haben wir uns Aufzüge, Chöre und Allegorien darauf zu denken. Eine Schauspielertruppe, die Heinrich VII. seiner Tochter als Hochzeitsgeschenk nach Edinburg mitgab, führte z. B. den Reichtum auf, wie er von der Lombardei nach England kam und seine Gaben mitbrachte; wie gut paßten solch segenspendende Gestalten auf die Oberbühne, die Stände und sonstigen Vertreter des beglückten englischen Landes aber in die Hinterbühne, während vor dieser und ihrem zweifach durchbrochenen Schirm der weite Saal den Thron samt Gefolge aufnehmen und als hauptbetonte Vorderbühne wirken konnte. Das Gegeneinanderspiel vieler Gestalten war hiermit zu veranschaulichen; Deklamation und Musik mochten das übrige tun, um heimischen und ausländischen Zuschauern die Wünsche des Monarchen einzuprägen. Der Darstellungsbau in Hampton Court samt dem Ecktörchen, das von der Hinterbühne rückwärts hinausging, und samt der Wendeltreppe, die zur Oberbühne verborgen hinaufführte, ist noch heute zu sehen. Er verblüffte lange die Besucher, bis man durch das Studium der shakespearischen Theatereinrichtung endlich auf ihren Zweck und Sinn geriet. Von allen übrigen Dreifelderbühnen jedoch, wie sie das London des 16. bis 17. Jahrhunderts besaß, haben sich nur einige dürftige Nachzeichnungen erhalten, die zum Sprechen zu bringen nicht so leicht ist. Eine Universitätsbühne von 1592 ist auf dem Titelblatt einer Messalinatragödie abgebildet, die 1632 gedruckt wurde. Der gelehrte Verfasser nannte sich Alabaster und schrieb so langweilig, daß ihm ein architektonischer Originalgedanke nicht zuzumuten ist. Sein Theatertypus besteht aus einer Vorderbühne, die durch ein B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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Geländer von den Zuschauern getrennt ist und drei mimende Figuren trägt; aus einer Hinterbühne, die ein geschlossener Vorhang sowohl andeutet als verhüllt; und aus einer Oberbühne, die zwar offen, doch zur Zeit nicht von Schauspielern, sondern von begünstigten Z u schauern besetzt ist — eine uns ungewohnte Freiheit, die aber in England und Frankreich bis ins 18. Jahrhundert reichlich bezeugt wird. E s war also möglich, die Vorderbühne allein zu benützen; oder auch, wenn man den hinter ihr angebrachten Vorhang wegzog, sie durch die Hinterbühne zu erweitern; oder endlich, sei es mit, sei es ohne Benutzung der Hinterbühne, den über diesen liegenden Raum einzubeziehen. Der Mittelvorhang, hier voll ausgebildet und aufs deutlichste sichtbar, verleiht erst diesem komplizierten Bühnensystem die charakteristische Beweglichkeit; durch ihn wurde eine solche Szenenfolge möglich, daß trotz wechselnder Schauplätze die Darstellung nicht einen Augenblick unterbrochen werden mußte. Ein Privattheater tritt uns entgegen in einer Illustration zu der Schwanksammlung Kirkman's Drolls 1 6 7 2 ; ein Hängeleuchter verrät, daß wir es nicht mit einem der öffentlichen Theater zu tun haben, die ohne Dach ob dem Parterre und demgemäß zu Nachmittagsaufführungen bei natürlichem Lichte hergerichtet waren. Eine Anzahl komischer Lieblingsfiguren, die ein damaliger Thespisfreund leicht erkannte, unter ihnen Shakespeares Falstaff mit der Wirtin, bevölkert hier die Vorderbühne. Zu ihnen gesellt sich ein weiterer Possenmensch, der eben aus der Hinterbühne durch den etwas geteilten Mittelvorhang herzuschlüpft. Ein zweiter Vorhang verdeckt gerade die Oberbühne. Das Feldersystem stimmt in allem wesentlichen zu dem des Messalinabildchens; die Wiederholung erhärtet den T y p ; es war die herrschende Theaterbauweise der Elisabethzeit, die uns da greifbar wird. Ein öffentliches Theater der Periode, in der sich Shakespeare zu Meisterschaft erschwang, hat uns ein reisender Holländer, de Wit, um 1596 von innen zeichnen lassen; es ist der »Schwan«, in dessen Nähe und Art man drei Jahre später den »Globus« Shakespeares aufbaute. Das Merkwürdige und Besondere dieses Hauses für große, professionelle Truppen bestand darin, daß Hinter- und Oberbühne aus der Rückwand vorgeschoben und als ein nach drei Seiten freies Gerüst in die Mitte der Vorderbühne gepflanzt sind. Die Architektur will mitspielen. Der Dreifelderapparat beansprucht Aufmerksamkeit für sich selber und zwingt fast den Dramatiker, auf ihn gelegentlich Rücksicht zu üben. Shakespeare hat sich diesen Anspruch seines Kunstinstrumentes nicht entgehen lassen und manche Hauptszenen so abgefaßt, daß sie nur auf einer Art Dreifelderbühne zu voller Wirkung gelangen. Die
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Bühne, nach der sich Goethe und Schiller und unsere anderen Dramatiker bis zur jüngsten Zeit herab richteten, war die der italienischen Oper und begann ihren Siegeslauf um 1600; sie besteht aus einem einzigen Bühnenfeld samt Frontvorhang und vermag den Ortswechsel nur durch Fallen des Vorhangs samt Unterbrechung des Spieles auszudrücken, was in der Oper ja nicht schadet, weil da mit Musikeinlagen zu rechnen ist; sie setzt Zwischenaktmusik oder doch Zwischenaktpause voraus, die bei Shakespeare oft unorganisch, ja störend wirkt. Auch sonst ist sie auf ihn nicht immer anwendbar. Einige Beispiele mögen dies erhärten. Richard III. mit seinen Truppen marschiert auf der Vorderbühne zur Entscheidungsschlacht bei Bosworth auf; sein Zelt geht auf der einen Seite der Hinterbühne hoch; dorthin zieht er sich zurück, um den Schlachtenplan aufzustellen. Jetzt erscheint sein Gegner Richmond samt Gefolge auf der Vorderbühne, bezieht die andere Seite der Hinterbühne als Gezelt und versendet Befehle. Während der Zuschauer die beiden sieht, arbeiten sie gegeneinander, mit Heimlichkeit und Kriegsrat. Kaum aber sind sie aufs Lager gesunken, so öffnet sich die Oberbühne und die Geister der von Richard Erschlagenen fluchen ausführlich dem Tyrannen, segnen den Befreier. Dann erwacht Richard in Verzweiflung, Richmond in Zuversicht, und beide sprechen nacheinander auf der Vorderbühne zu ihren Soldaten. Abwechselnd greifen so von vorn die wirklichen, von oben die himmlischen Gewalten ins Schicksal der Hauptpersonen ein, zu konzentrischer Anfachung ihres Seelenlebens, wie es durch ein bloßes Nacheinander der Szenen nicht entfernt erreicht würde. Macbeth, vereinsamt, verhaßt, umgeben von Verrat, den er durch Späher im Hause jedes Vasallen bekämpfen muß, sucht die Hexen auf. Die Schicksalsweiber, befehligt von Hecate, schreiten um den Kessel. Die Grenze, die den Erdgeborenen von der überirdischen Sphäre scheidet, ist durch den Mittelvorhang zwischen Vorder- und Hinterbühne markiert; hinter diesem haben die Hexen, bevor er noch sich öffnete, ihr Ritual begonnen; von vorne sah man den unglücklichen König des Weges kommen, und bevor sie den Frager noch erblicken können, haben sie seine Nähe bereits gewittert. Ob dem Kessel, auf der Oberbühne, zeigen sich dann die aus dem Sude hervorgerufenen Gestalten, und zwar eine Reihe Könige in stattlichem, ehrfurchtgebietenden Aufzug, am Schlüsse kein Geringerer als der eben regierende Jakob I., der Vereiniger Schottlands und Englands, zu dessen Ehre sich der Dramatiker einen Abstecher in die Gegenwart erlaubte. Dreierlei Welt war also durch dreierlei Bühnenfeld versinnlicht. Um die Mitbetätigung des Jenseits bedeutsam darzustellen, wie sie durch Senecas Tragödienvorbild und 12*
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durch die neuplatonischen Philosophen für die Shakespearezeit sehr denkbeliebt war, diente besonders die Oberbühne als wirksames Mittel: da wurden Schatten lebensdeutlich und blieben doch erdfern. Andere Beispiele lassen uns erkennen, wie Shakespeare durch die Oberbühne ganz private Dinge ins Spiel hereinzog und sie dann mit den breiten Vorgängen der Vorder- und Hinterbühne überraschend in mächtige Zusammenwirkung versetzte. In Heinrich VIII. kommt es vor, daß Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, auf der Vorderbühne vor dem Saale des Staatsrats, der ihn stürzen will, inmitten von Bittstellern, Pagen und Laufburschen warten muß, bis der Vorhang sich öffnet und auf der Hinterbühne die stolze Versammlung seiner Feinde aufdeckt. Aber von der Oberbühne aus beobachtet der König mit einem treuen Ratgeber, wie unwürdig sein erster Bischof behandelt wird und wie demütig sich dieser benimmt. Der Zuschauer weiß also, während alsdann der Staatsrat den armen Cranmer in den Tower schicken will, daß der Monarch auf dessen Seite steht, und ist darauf vorbereitet, daß in der höchsten Not die Majestät persönlich in die Versammlung tritt, um das Unrecht zu verhindern. Shakespeare liebt nicht Überraschungen; er weiht uns in das, was hinter den Kulissen geplant und im Stillen vorbereitet wird, ganz sorgsam ein; dazu hat er auch in Othello und Hamlet manche Lauschszene vorgesehen, und die Oberbühne war zu solchem gewiß künstlerischem Zwecke wie geschaffen. Am wenigsten ist unsere Opernbühne trotz Kulissen und mancherlei Zwischen vorhängen imstande, die erschütternde Wendung in Romeo und Julia ganz auszubeuten, wo die eiligen Hochzeitsvorbereitungen durch den scheinbaren Tod der Braut unterbrochen werden. Im Palaste der Capulets, zu dem die Vorderbühne den Straßeneingang darstellt, wird unten gekocht und gebraten, Diener mit Körben und Kohlen springen herum, dazwischen machen sich Vater, Mutter und Amme geschäftig und scherzhaft fühlbar. Sobald der Morgen graut, wird die Amme in das Schlafgemach Julias hinaufgeschickt — daß die Oberbühne als solches gedacht war, erhellt aus Romeos Hin- und Weggang mit Hilfe der Strickleiter. Julia ist kalt und steif. Die Eltern folgen empor ins Schlafgemach und überzeugen sich jammernd von ihrem Tode. Inzwischen zieht vor dem Palaste, auf der Vorderbühne, der Bräutigam mit Musikanten auf; oben Weinen, unten Lustgetön. Der schneidende Gegensatz der Stimmung wird hier durch die Höhendistanz der Bühnenfelder verlängert ; die Spielleute unten gehen nicht weg, bis oben der Vorhang das Trauergemach verhüllt; dann erst stecken sie langsam ihre In-
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strumente ein und erwidern die Witzreden eines Dieners. Man kann von tragischer Grausamkeit reden, zu der hier das Theatergerüst den Dichter einlud. Zu solchen zwingenden Beispielen des Dreifelderspiels wären viele mögliche zu fügen, wo ein geschickter Regisseur der Elisabethzeit die plastische Ortabstufung wirksam ausbeuten konnte, ohne dem Autor Gewalt anzutun. Neuere Bühnenleiter haben dies seit langem gefühlt, aber zunächst im Hinblick auf die Messalina- und Kirkman-Bildchen und auf deren Ausdeutung durch ältere Literaturhistoriker nur einen Balkon ob der gewöhnlichen Bühne angenommen und manchmal verwendet. Erst als 1888 das Schwanenbild durch den Berliner Bibliothekar Gaedertz veröffentlicht wurde, wagte man mit einer geräumigen Oberbühne zu rechnen. In Romeo mußte sie Platz bieten für Julias Bett und zugleich für wenigstens fünf Personen; das stimmt völlig zu den Größenverhältnissen, die der Zeichner des Schwanentheaters ihr zuwies. Aber nach dieser Skizze war sie durch ein niedriges Dach so gedrückt und durch eine Reihe von Fensterrahmen so vergittert, daß sie die Darsteller eher zu hemmen als zu heben versprach. Auf eine so engbrüstige, dunkle Bude als ständigen Bühnenaufsatz wollte sich mit Recht kein moderner Theaterleiter einlassen. Nun erhalten wir zum erstenmal eine freie und geräumige Oberbühne mit allen Vorteilen von Shakespeares Dreifeldersystem, überdies beweglich und ausschaltbar, was man von jenem nicht behaupten kann. Das ist ein nicht geringer Fortschritt in der Ausschöpfung Shakespeares. So wie er seine Charaktere mit möglichst vielen Eigenschaften ausstattete und hierzu oft eine Reihe von Quellen nützte; wie er komplizierte Handlung liebte, wofür die Doppelfabeln in Lear und Kaufmann von Venedig Hauptzeugnisse sind; wie er seine Personen durch Taten, durch Selbstschilderung und durch die Reden Mithandelnder beleuchtete — so hat er auch den Gehalt gewichtiger Situationen gerne von drei Spielorten aus entfaltet, und solch reiche Seelenmalerei des Dramatikers bei der Aufführung zu realisieren ist mimische Pflicht. Was aber für die Kunstwirkung Shakespeares geleistet wird, das kommt auch unserem deutschen Poesiedrama zugute, das ja vom Muster des großen Stratforders ausging und durch ihn sich dauernd in Blüte hielt. Muß es einen für das Theater begabten Autor nicht locken und stacheln, wenn ihm eine Bühneneinrichtung entgegentritt, durch die er zwei Welten, zwei Lebenskreise, zwei Stimmungen gleichzeitig darstellen und gegeneinander ausspielen kann ?
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Sbakespeare-Möglicbkeiten.
Wird mit den vermehrten Mitteln der Seelenkündung nicht auch seine seelische Kunst anwachsen? Aus dem britischen Weltgenie der Renaissance mehr Gemütskonflikte herauszuholen, als es seine eigenen Landsleute tun, mag uns eine moralische Genugtuung gewähren; aber gleichzeitig für die beste Entwicklung der eigenen deutschen Talente zu sorgen ist noch ersprießlicher.
Shakespeares Quellen zu Romeo und Julia«1) Knapp vor Kriegsbeginn erschien der erste Band dieser Sammlung, die Quellen zu »König Lear«, und eine Wohltat war es, die darin enthaltenen Texte, sonst schwer zugänglich, im Seminar in den Händen der jungen Forscher zu wissen. Schon war der zweite Band, die Quellen zu »Romeo«, halb gedruckt und weitere Bände in Arbeit gegeben, da ertönten die Kanonen, und durch sieben Jahre stockte notgedrungen das ganze Unternehmen. Der »Friede« ist da, und endlich kann wieder ein Fortsetzungsband erscheinen.. Beim »Lear« war die Vielseitigkeit zu bewundern, womit der Dichter eine Reihe Fassungen seiner Fabel benützte — tatsächlich alle in seinem Bereich — und noch eine Parallelgeschichte heranzog; er legte variierte Züge zusammen, schob angedeutete Nebenpersonen ins volle Licht der Bühne, verwandelte Abweichungen in Reichtum. Einseitigkeit hat ihn dagegen beim »Romeo« geführt; nur aus Brookes Epos hat er geschöpft; alle die italienischen Fassungen blieben ihm fremd; selbst an der englischen Übersetzung, die Painter im »Palace of Pleasure« 1566 (Nr. 25) von Bandellos Novelle gegeben hatte, ging er — bis vielleicht auf etliche Kleinigkeiten — vorüber; Zufriedenheit mit der jüngsten vorhandenen Originaldarstellung hat ihn beherrscht. Das ist begreiflich, denn von »Lear« war jeder Einzelbericht dürftig gewesen, von »Romeo« dagegen stand bei Brooke alles beisammen als ein ausführlicher, wohlgeordneter Generalbericht; die Beschaffenheit der Quellen regelte ihre Benutzung. Das Interessante des Ursprungsverhältnisses liegt hier auf einer anderen Seite; eine Reihe Phantasiegeister hatte lange vor Shakespeare den Romeostoff aufgebaut und hiermit dem Dramatiker vorgearbeitet; das Schaffen vieler wurde von ihm nur vollendet; der Ruhm, der allen dafür gebührte, blieb an seinem Namen hängen. M a s u c c i o von Salerno war der erste, der einen Kranz von Begebenheiten um das Grundmotiv flocht; dieses selbst, das scheintot machende Gift, war bereits im spätgriechischen Roman vorhanden. Nach dem Vorbilde des »Decamerone« schrieb er eine Reihe hoher und niederer Geschichten, vereinte sie 1476 zu fünf Büchern und widmete diese der kalabrischen Herzogin Ippolita, die mit dem Erbprinzen von Neapel vermählt war; von allem Anfang haben wir es mit einem höfischen Absehen zu tun, obwohl diese Prosadarstellung noch viel ') Dem Bandchen »Quellen zu Romeo und Julia«, herausgegeben von R. Fischer (Shakespeares Quellen, 2. Bändchen) unter der Überschrift »Zum Geleit« beigegeben.
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Plumpes und Gröbliches enthielt. Von Masuccio borgte L u i g i d a Porto das Material für seine Novelle (1524), die er trotzdem im Friaul von einem veronesischen Bogenschützen gehört haben will. Im Gegensatz zu diesem Gelegenheitsautor, der sonst nur die Gelehrsamkeit pflegte, ist der abenteuerliche Dominikaner B a n d e l l o als ein berufsmäßiger Verfasser von Novellen zu nennen; er veröffentlichte deren 214 und sammelte sie zuerst 1554 zu Lucca in drei Bänden; seine Fassung knüpfte an Luigi an und bringt die Vorgänge, sowie die Umgebung zu vollem Austrag. B o i s t e a u in den »Histoires tragiques« 1559 bahnte ihr den Weg nach England, wie es denn überhaupt ein Hauptamt der Franzosen war, die Früchte der italienischen Renaissance den Engländern zu vermitteln; er war nur ein Übersetzer, aber ein sehr freier, dem es auf einige Zutaten nicht ankam. Auf seiner Arbeit beruht dann das Epos des Engländers Arthur Brooke 1562; da forderte schon die Versform, die jetzt zur Anwendung kam, ein Umgießen, und zwar verlangte der vulgäre Vers, zu dem sich Brooke entschloß, auch ein Verweilen auf niedriger Realistik, z. B. daß sich das Liebespaar durch Monate der heimlichen Zusammenkünfte hinter dem Rücken von Julias Mutter freute. Danach ergibt sich ein länglicher, obwohl gar nicht verästelter Stammbaum: Masuccio I Luigi da Porto I Bandello Boisteau^"^ Painter I Brooke I Shakespeare Hatte die Geschichte ein Eigenleben, vermochte sie die Phantasie der wechselnden Nacherzähler zu beherrschen? Bis zu einem gewissen Punkte ist das rückhaltslos zu bejahen. Ein Gift als Rettungsmittel für Liebende erheischte durchaus einen vornehmen Kreis, dessen Glieder fähig waren, für ein edles Empfinden sich in Tod und Grabesgrauen zu wagen; das drängte den Stoff alsbald in adelige Sphäre. Das gegebene Heiratshindernis in solcher Umgebung aber war Familienfeindschaft; Namen wie Montecchi und Cappelletti stellten sich dann aus der reichen Literatur einschlägiger Art von selber ein. Dagegen mußte der Vermittler des Giftes ein verschwiegener, einsamer, mit seltsamer Kenntnis ausgestatteter Mann sein; wo anders war ein solcher zu denken als in einer Klosterzelle? Als
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individuell gewähltes Element innerhalb dieser selbstverständlichen fällt erst der Liebesgegner Tybalt auf, der Verteter des Hasses, der Einführer von Tod und Verderben; nächst dem Grundmotiv des Giftes gibt er als hinzutretende Hilfsperson der ganzen Handlung hauptsächlich das Relief. Es war nicht so leicht, diesen Widersacher zu erfinden. Bei Luigi da Porto ist er noch ein farbloser .Verwandter' (S. 18). Erst Bandello bildete ihn aus zu einem Vetter mit Namen, mit Tapferkeit und Leidenschaft (S. 46) — jetzt wird sein Todschlag durch Romeo stark genug empfunden, um die Verbannung Romeos, den jähen Druck auf Julia zur Heirat mit einem anderen, das Gifttrinken und das Unglück beim Erwachen natürlich zu veranlassen. Das einzige durchgeprobte Erzählertalent, das die Hand mit anlegte, hat die Notwendigkeit dieser Figur erkannt; an diesem Tun Bandellos ist zu beobachten, was professionelle Technik bedeutet. Ein zweites Mal dann kam noch ein Darsteller von Beruf und gab dem Fechtgang zwischen Tybalt und Romeo die richtige Wendung. Brooke ließ die beiden einfach zusammenschlagen, lange und heftig, mit Beihelfern wie in einer Straßenschlacht und wehrte hiermit doch nicht unsere Frage: warum ließ sich der Gatte Julias mit ihrem Vetter überhaupt ins Degenspiel ein ? Aber Shakespeare, der erprobte Dramatiker, sah die Schwierigkeit und entdeckte einen Ausweg mit Hilfe eines Freundschaftsmotivs, wie es ihm von den ungefähr gleichzeitigen Sonetten her geläufig war; er stellte an die Seite Romeos den lieben Mercutio, ließ ihn durch Tybalt erschütternd umbringen und rief dann den Liebhaber durch die Rachepflicht auf den Plan. Der Stoff führt den schwachen Gestalter, der gefestigte Künstler weiß ihn zu schmieden. Nur ein Beispiel des Vergleichens wollte ich hiermit dem Leser nahelegen. Mit eigenen Augen muß in die Werkstätte des Dichtens schauen, wer sich wirklich durch Nachgestalten das Verständnis und den Genuß vertiefen will. Wenn es nur gelingt, diese Quellenausgaben rascher als bisher zu fördern! Ein dritter Band, die »Zähmung der Widerspenstigen« betreffend, war bereits vor dem Kriege dem hierzu wie berufenen Professor Alexander von Weilen übergeben; ja, nach Aussage unseres prächtigen Alex war er bereits handschriftlich vollendet — da raffte ein plötzlicher Tod in freier Natur den seltenen Beherrscher der Theaterliteratur hinweg, und im Nachlaß war nichts zu finden. Wer will sich der weiteren Bände annehmen ? Meine Zeit als Leiter der Shakespeare-Gesellschaft ist um; mögen günstige Sterne über der Vollendung des Unternehmens walten!
Die Aufnahme von Goethes Jugendwerken in England» I. W e r t h e r
(1779—1798).
Große Schwierigkeiten standen im 18. Jahrhundert der Aufnahme Goethes in England entgegen, viel größere als z. B. in Dänemark. Die deutsche Sprache wurde jenseits des Kanals höchst selten und fast nur zu kaufmännischen Zwecken gelernt. Deutsche Bücher waren als pedantisch und gelahrt verachtet. Die insulare Abgeschlossenheit und selbstbewußte Originalität des Volkes, die praktisch-bürgerliche Richtung des Nationalcharakters, welche mehrfach an das Engherzige grenzte, hemmten die Einführung jeder fremden Kultur, soweit sie nicht von dem monopolisierten Lande des guten Geschmackes, von Frankreich, ausging. Sollte daher der spezifisch deutsche junge Goethe hier dennoch eindringen, so mußte das Verhältnis der öffentlichen Meinung zu allem Deutschen tief erschüttert werden, und wirklich begann mit der Bewunderung Goethes zugleich der Einfluß des modern deutschen Geisteslebens, ja überhaupt die erste Phase des Kosmopolitismus in England. Diese Bewegung stand im innigsten Zusammenhange mit dem Aufkommen der Romantik: die kleine Sphäre der pseudoklassischen Stoffe und Motive wurde Schotten und Engländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu enge, und sie schweiften in phantastische Fernen. Home, der Tragöde, griff 1 7 5 6 nach Altschottland zurück; unter seinem Einflüsse schrieb Collins die »Ode auf den Aberglauben der Hochschotten«, suchten Gray und Macpherson die altirische Bardenwelt wiederzuerwecken. Seit 1 7 5 7 datieren auch die ersten Spuren von Interesse für die lange verschollene Literatur der deutschen Nachbarn. Rabeners Briefe, Geßners Idyllen, Klopstocks Dramen und Messias, Bodmers Noah, Wielands Sokrates, Lessings Fabeln wurden in der angegebenen Reihenfolge in London übersetzt und besprochen. Freilich gefielen alle diese Werke eigentlich nicht, weil sie deutsch waren, sondern weil sie teils mit dem pseudoklassischen, teils mit dem moralisch-sentimentalen Tone der damaligen englischen Literatur übereinstimmten. Aber sie bereiteten doch das Publikum auf originellere deutsche Dichtungen vor, und dies um so mehr, als ein politischer Faktor ihnen zu Hilfe kam: im Jahre 1760 war nämlich mit Georg III. eine deutsche Prinzessin (von Sachsen-Koburg) auf den englischen Thron gekommen, und daher wurden mehrere dieser Ubersetzungen von dem Hofe veranlaßt oder wenigstens unterstützt. Auf diesen, auch von Rousseau wohl vorbereiteten Boden fiel Goethes
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»Werther«; er verschaffte sich Geltung, obwohl er die formale Schule Popes ignorierte, die frommen Anhänger Richardsons verletzte und dem praktischen Charakter der Nation widersprach. Die erste Übersetzung des Werther — und Übersetzungen davon sind bei einer der deutschen Sprache unkundigen Nation verläßliche Marksteine seiner Aufnahme — erschien 1779 in London. Durch das Motto »Taedet caeli convexa tuen« verrät der anonyme Übersetzer seine Neigung zur bürgerlichen Dichtung; auch die Eigentümlichkeiten, welche die Vorrede den Leser erwarten läßt, die beschränkte Anzahl der Personen und Handlungen und der tragisch-sentimentale Ton der Liebesgeschichte, gereichten dem Werke von dem Standpunkte der Richardsonschen Traditionen aus offenbar zur Empfehlung. Insofern hatte also der Vater des bürgerlichen Familienromans nicht bloß an der Entstehung des Werther einen großen Anteil, sondern auch an seiner Einbürgerung in England. Doch war dieser Anteil nur indirekt: den Hauptanstoß mußte die Kraft und Vortrefflichkeit von Goethes Dichtung selbst geben. Bezeichnend dafür erzählt unser Ubersetzer, wie er sie in Frankreich zum ersten Male las: »gefesselt von den ungewöhnlich genialen und originellen Gedanken und der Energie, mit welcher sie ausgedrückt sind, übertrug er einige Briefe aus dem Französischen, und weiter gelockt von der Schönheit des Werkes, welche in dem Grade zunahm, als er fortschritt, vollendete er unvermerkt das Ganze«. Die Franzosen also waren es, welche den Engländern zuerst den Werther vermittelten und so die Rücksichtslosigkeit, mit welcher ein Jahrhundert vorher ihre Landsleute, namentlich P. Bouhours, das deutsche Geistesleben jenseits desKanals diskreditiert hatten, gewissermaßen gutmachten. Aber dieses literarische Verdienst der Franzosen wäre noch größer gewesen ohne die argen Willkürlichkeiten, welche sich ihre ersten Übersetzer (seit 1775) mit dem Texte des Werther erlaubten, da dieselben natürlich in der englischen Nachübersetzung potenziert wiederkehren und zur Folge hatten, daß der Gedankengehalt, die Präzision und Feinheit des Originals oft bis zur Unkenntlichkeit verlorengegangen sind. Trotzdem wurde diese erste Verenglischung in zahlreichen Auflagen verbreitet und allgemein gelesen. Eine zweite erschien erst 1786 (vgl. Appell 313), eine dritte 1789 von John Gifford »nach der französischen Ausgabe des Aubry«; sie ist vollständiger, zeigt sich aber besonders in der Vorrede von der ersten abhängig, wenn nicht etwa die Ähnlichkeit bloß aus der gemeinsamen Vorlage stammt. Den durchschlagenden Erfolg, welchen Werther trotz all dieser Verunstaltungen errang, illustrieren schon die vielen Einwendungen, welche er von dem Standpunkte einer oberflächlichen Moral aus erfuhr. Durch die Vorgänge in Deutschland und Frankreich gewarnt, machte
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der erste englische Übersetzer von vornherein gegen jene Pamphletisten Front, welche »Goethe als den Verteidiger des Selbstmords angreifen, welche den Verfasser vom Werke nicht unterscheiden und ihm in sehr alberner Weise die irrigen Gefühle zuschreiben, welche er seinem Hauptcharakter gegeben — eine Art Kritik, welche alle epischen und tragischen Dichter der Welt ebenso treffen würde«. In der Tat ist es auffallend, daß der Selbstmord in Addisons Cato eine Handlung heroischer Tugend, im Werther aber ein feiges Verbrechen sein sollte: ahnten etwa die Splitterrichter im letzteren den Vorboten des Sturmes und Dranges, der Auflehnung des Individuums gegen die konventionelle Sittlichkeit, welche Cato noch bereitwillig anerkennt ? Jedenfalls wurden sie sich dessen erst nach dem Ausbruche der Französischen Revolution klar bewußt; für jetzt eiferten sie in England wie anderswo nur in allgemeinen Ausdrücken gegen die »verderbliche Tendenz« des Romans und leugneten in der Hitze auch alle seine künstlerischen Schönheiten (vgl. z. B. Monthly Rev. 1785 p. 468). Selbst daß in der genannten Ubersetzung die Anspielungen auf Bibel und Gott weggeblieben waren, konnte die zarten Gewissen vieler Engländer nicht beschwichtigen. Von den heftigen Angriffen, welchen Werther öffentlich und im Privatleben begegnete, zeugen am beredtesten die ängstlichen Apologien seiner Bewunderer. Aber die Argumente pro und contra scheinen, wie es in Sachen des Gefühls gewöhnlich geht, ihrem wahren Zwecke gleich wenig genützt zu haben; die heftige Polemik erhöhte nur den Ruf des Werkes, jede zarte Seele, vor allem unter den Frauen, schwärmte für Werther, den revolutionären Kern sahen sie noch nicht, nur seiner Sentimentalität galten anfangs die Nachahmungen. An der Spitze der Nachahmungen in England steht ein Gedicht »Werter to Charlotte« 1784 von Edward Taylor; vgl. die kurze, kühle Notiz in The Monthly Rev. 1785 p. 468. Im nächsten Jahre aber folgte ein fruchtbarer Dramatiker, Frederick Reynolds (1764—1841). 17 Jahre alt hatte er eine Reise an den Rhein unternommen und dabei wahrscheinlich deutsch gelernt. Im Frühling 1785 verliebte er sich dann in Miß Eliza Proctor, die jüngste Tochter der Gräfin von Effingham, deren Schönheit, Reichtum und Anbeterschar ihn zu einem verzweifelten Versuche, eine entsprechend hohe Lebensstellung zu erringen, anspornten: er wollte ein großer Tragöde werden. Wie er dies ins Werk zu setzen suchte, hat er mit launiger Selbstironie in seiner Autobiographie (1826) beschrieben, und ich gehe auf diesen interessanten Bericht um so lieber ein, weil er trotz einiger handgreiflichen Übertreibungen die Aufnahme Werthers in der feinen Gesellschaft Londons am besten illustriert. Reynolds formte den Roman Goethes um in eine pathetische Tragödie mit Blankversen
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nach dem Vorbilde Otways, um das Herz der Geliebten zu schmelzen, und eilte, das fertige Produkt im Familienkreise Effingham vorzulesen. Charlotte ist darin schon vom ersten Akte, ja vom ersten Augenblicke an, da sie Werther sieht, an ihn verloren; sie ermahnt ihn, mit Rücksicht auf ihren Bräutigam zu entsagen; gegenseitige Trennung, Klage und Ohnmacht; Vorhang fällt: Werther aber kehrt immer wieder. So geht es durch drei Akte. Als Reynolds deklamierte, wie Werther seine Charlotte bittet, an ihn zu denken, wenn er, der ja nur in ihrem Anblick Freude und Leben finde, im Grabe liege, erwartete er von den Damen Seufzen, wo nicht gar Schluchzen; aber die stolzen Britinnen waren noch nicht erweicht, und zu seiner herben Enttäuschung erntete er nur ein Niesen. Bei der Stelle, wo Albert im Dienste des Kaisers abreist und Werther mit freiem Zutritt bei seiner Frau zurückläßt, rief Lord Effingham mit kaustischem Humor dazwischen: »dann kann er nicht mehr erwarten als einen Schilling Schadenersatz«. Die Ossianschen Fragmente aber wirkten, und bei der Bühnenanweisung »Werther wirft das Buch nieder, ergreift Charlottens Hand und weint darüber, bis sie endlich ausruft: Gehe!«, da glänzten Tränen in Elizas schönen blauen Augen. Wohlgemut las nun Reynolds weiter: »Er faßt sie in seine Arme, er drückt sie an die Brust, und —« doch jetzt riß der gesunden Nüchternheit und dem Schicklichkeitsgefühl des Engländers die Geduld: »Halt, halt, Master Fred«, fuhr Lord Effingham mit Donnerstimme dazwischen, »Eliza, Fred ist ein Narr, ein deutscher Narr, der unbewußt Anstand und Sittsamkeit verletzt; statt so dazusitzen, mit starren Augen, seufzend und nach Atem ringend, tätest du wohl besser, das Zimmer zu verlassen. Fürwahr, ich dächte, wir hätten von diesem schluchzenden, weinenden, deutschen Werther für immer genug, seit vor zwei Monaten unsere Freundin und Nachbarin Miß G. von eigner Hand getötet in ihrem Bette gefunden wurde mit diesem kläglichen Romane unter dem Kopfkissen!« — Glücklicherweise trat ein Hausfreund ein und hob die Gesellschaft über die Verlegenheit, indem er Werther für einen prächtigen Stoff zu einer Farce erklärte. Der Dichter aber benützte die Gelegenheit, um sich beschämt und still aus dem Hause zu schleichen. Am nächsten Morgen jedoch regte sich in dem Lord der Geist des literarischen Protektors, er versicherte Reynolds, daß die Tragödie ihm und seinen Damen doch sehr gefallen habe, und wollte das Manuskript nach Entfernung der indezenten Stellen an den Regisseur des Covent Garden-Theaters empfehlen. Aber alle drei Haupttheater Londons wiesen das Stück zurück, und so gelangte es erst am 25. November 1785 in Bath zur Aufführung, unter vielen Tränen, Ohnmächten, Bravos und anderen Beifallsbezeigungen. Es war das reinste sentimentale Rührstück. Im nächsten Jahre wurde es auch
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in Covent Garden gegeben und gleichzeitig gedruckt, und Reynolds fühlte sich zum dramatischen Dichter berufen. In seinen zahlreichen folgenden Dramen zeigt er zwar wenig oder nichts von der feinen Technik Goethes, seine Effekte sind durchaus stofflicher Art, doch läßt sich gerade, was die Wahl der Stoffe anbelangt, nicht leugnen, daß er half, die beengende Atmosphäre der bürgerlichen Kriminaltragödie à la Lillo energisch zu durchbrechen und von edler Leidenschaft bewegte Herzensgeschichten vorzuführen. Uber die Unbezwingbarkeit der schönen Eliza scheint er sich mit einigen Theaterschönheiten getröstet zu haben, was ihm das interessante Epitheton »adonizing Werther« eintrug I . Aber auch in Schottland fand Werther warme Bewunderer. Dort gab eben Burns seine erste Gedichtsammlung heraus (1786) und eröffnete mit seiner individuellen Leidenschaft und volkstümlichen Frische eine neue Ära der englischen Poesie. Zugleich lebte noch stark die alte Schule fort und ein entschiedener Anhänger derselben war, wenigstens bei seinem Auftreten, Alexander Thomson. Die Literaturgeschichte hat ihn vergessen, selbst Allibone weiß von seinen Lebensverhältnissen nur, daß er 1803 zu Edinburgh im Alter von 4 1 Jahren plötzlich starb. Seine dichterische Tätigkeit scheint er 1 7 8 1 mit einer Ode auf Pindar begonnen zu haben (gedr. in seinen »Sonnets«, Edinburg 1801). Daß er von Haus aus der Popeschen Richtung huldigte, verrät namentlich sein Lehrgedicht »Whist« (Edinburg 1792). Aber daneben finden wir ihn auch mit Studien deutscher und italienischer Dichter beschäftigt. Im Mai 1786 begann er einzelne Partien des Werther in Elegien und Sonette umzugießen, hatte es 1790 bereits auf ein Dutzend solcher Gedichte gebracht und trug sich sogar mit dem Plane, alle schönen Stellen des Romans in Sonette zu übertragen, glaubte aber schließlich doch, das dürfte selbst für einen Dante zu schwer sein. An und für sich wertlos, erklären diese Werthernachahmungen doch die Wendung, welche 1
Zwischen 1785 und 1792, also in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum, wurden noch sieben Umdichtungen und Fortsetzungen in London veröffentlicht, größtenteils von Damen, bei welchen ich mich mit der Anführung der Titel begnügen kann (vgl. Watt und Appell): Eleanora: from the Sorrows of Werter: St. Tale. 1785. Letters of Charlotte during her connection with Werter. 1786. Werther. Traduit de L'Anglais par Mr. D(avis) d(e) S(aint) G(eorges). Avec un extrait d'Eléonore, autre ouvrage Anglais, contenant les premières aventures de Werther. A Londres 1787. Lady Wallace, Letter to a Friend with a Poem called the Ghost of Werter. 1787. Anne Francis, Charlotte to Werter. 1787. Amelia Pickering, The Sorrows of Werter, a Poem. 1788. Mrs. Farrel, Charlotte or the Sequel to the Sorrows of Werter, and Other Poems. 1792.
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in der nächsten Zeit er und gewiß viele seiner Zeitgenossen mit ihm in ähnlicher Weise durchmachten. In der Vorrede zu der poetischen Epistel »Essay on Novels« 1 7 9 3 ist nämlich sein Eifer für die Klassizitätsschule schon stark erkaltet. E r polemisiert schüchtern gegen »die extravagante Verehrung der Schriftsteller des Altertums« und rühmt dafür die Romane von Richardson, Smollet, Burney, Smith, Mackenzie, Fielding, Rousseau und vor allem »des unerreichbaren Goethe starke, pathetische Gewalt«. Der Abschied Hektors von seiner weinenden Gemahlin ist ihm die glänzendste Kundgebung von Homers K r a f t ; aber »mit doppelter Glut des Entzückens hob sich meine Brust«, als er zum ersten Male die Szene las, wo Charlotte an der Seite Alberts im Mondenscheine ihrem geliebten Werther begegnet. Und wenn die Dichterwerke aller Zeiten und Völker, fährt er fort, zugrunde gingen, und ich nur ein einziges retten dürfte, »dann würd' ich Werthers holdes Buch ergreifen und von dem Rest wegraffen liebevoll«. In einer Anmerkung nennt er selbst diese Empfehlung des Werther »unqualified« und hofft, seine Leser werden ihn deshalb nicht für einen Anhänger der angeblich unmoralischen Tendenzen Goethes halten. Offen erklärte er dann seinen Abfall vom Pseudoklassizismus in seiner nächsten Dichtung »The Paradise of Taste« (London 1796). Auf Regeln und Kritik, selbst auf Aristoteles will er nicht mehr hören. Drydens und Popes Kunst ist ihm nicht mehr identisch mit Poesie, anderen Dichtern gilt seine höchste Bewunderung: in der »Gruft des Wehes« beim Schimmer einer erlöschenden Lampe sieht er den Dichter der »Clarissa«, den »Priester der Tugend«, an einem Sarge lehnen; zu seinen Füßen sitzen zwei denkende Schüler, welche »süße Bilder des Familienlebens entwerfen und die Gestalten von Woldemars und Alberts Frau kunstreich in das zarteste Gewand der Tugend kleiden«. Hier erreicht die »schmerzliche Leidenschaft«, die poetische Erschütterung ihren höchsten Grad. — So hat bereits ein zeitgenössischer Autor die enge Abhängigkeit Rousseaus und Goethes von Richardson erkannt und ausgesprochen. Noch ein schottischer Nachahmer des Werther ist flüchtig zu erwähnen: John Armstrong aus Leith (1771—97), Hörer der Theologie an der Universität Edinburg, schrieb 1790 »Confidential Letters from the Sorrows of Werter« unter dem Pseudonym Albert. Durch den Umstand, daß fast alle genannten Übersetzer, Bearbeiter und Fortsetzer des Werther obskure Leute sind, darf man sich nicht verleiten lassen, die Wichtigkeit der Bewegung zu unterschätzen. Sie war eben, obwohl durch die schöne Literatur getragen, mehr eine soziale als eine literarische, mehr eine Übertragung eines spezifisch deutschen Gefühls, nämlich des idealen leidenschaftlichen
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Langens nach dem Unmöglichen, als deutscher Kunst, und ergriff daher zunächst das Volk in seiner ganzen Breite. Den besten Beweis für letzteres liefert das Erscheinen des Volksbuches »Werter and Charlotte, a German Story, containing many wonderful and pathetic incidents. From Love what pleasure springs In lowly Cots, or Palaces and Kings« (London, ohne Datum, nach dem Kataloge des Brit. Mus. 1800). Das Hauptinteresse ruht darin nicht auf Werther, sondern auf Charlotte. Ihr Vorleben wird ausführlich, ihre Liebesgeschichte aber nur auf zehn Seiten erzählt. Auch hier gesteht sie von vornherein ihre Neigung für Werther zu warm und offen; ihr Schicksal wird dadurch wohl rührender, aber sie verliert an sittlicher Höhe, und Albert sinkt vollends zum albernen Glücksstörer herab. Den Schluß bildet ihre Totenklage um den Geliebten: jeden Morgen und Abend besuchte sie Werthers Grab, streute die schönsten Blumen darauf und freute sich auf das Wiedersehen im Jenseits. »So fuhr sie fort zu trauern und ihr Körper zu schwinden, bis sie endlich in die Arme des Todes sank, und bis zum Ende rief sie nach Werther, an dessen Seite sie begraben wurde auf das Verlangen seines Freundes, welcher das Geheimnis ihrer Liebe aus einigen seiner hinterlassenen Papiere erfahren hatte«. II. G o e t h e s D r a m e n
(1788—98).
Werther, mit seinem Anhauche selbsterlebter Leidenschaft, weckte, kaum erschienen, im Publikum die Neugierde nach der Persönlichkeit des Dichters. Der erste Übersetzer hatte nur in einer Anmerkung kurz erwähnt, der Roman sei von »Mr. Goethe, Doktor des bürgerlichen Rechtes und Verfasser mehrerer hochgeschätzter Dramen«. Die Dürftigkeit der Notiz erregte Mißtrauen, um so mehr, als die Fälschungen von Macpherson und Chatterton eben das Tagesgespräch bildeten; manche Engländer begannen ihre Forschungen über Goethe damit, daß sie seine Existenz leugneten und behaupteten, nur Wieland, welcher damals für den größten Dichter Deutschlands galt, könne den Werther geschrieben haben. Diese Ansicht trug The Monthly Rev. 1785 p. 468 allen Ernstes vor. In Schottland, wo man alles Ossiansche mit patriotischer Empfindlichkeit in Anspruch nahm, konnte man sogar häufig hören, Werther sei nur eine neue Fabrikation von Macpherson. Wahrscheinlich verführten dazu die aus Ossian eingelegten Partien und einige Übereinstimmungen im Stile des Übrigen. Alexander Thomson mußte seine Landsleute auf das eindringlichste versichern, daß alle Schriftsteller Deutschlands diese »wundervolle Leistung« Goethe zuschreiben (Essay on Novels 1793 p. 3). Wer aber noch an Goethe glaubte, identifizierte
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ihn vollständig mit seinem Romanhelden, hielt ihn für einen kummerbeladenen Hypochonder, dessen Augen stets von Tränen überfließen, der sein Leben lang bei dem Anblicke von Wasserfällen und Wolken in Ekstase hinschmilzt und in Wehklagen aufgeht über unglückliche Liebesgeschichten und das Elend des Menschenlebens. Bis zu einem gewissen Grade stimmte dazu auch die Silhouette, welche Baron G. Riesbeck in seinem Briefe eines reisenden Franzosen in Deutschland von Goethes äußerer Erscheinung entwarf: einen kurzen Hut auf dem Kopfe, das Haar um die Ohren hängend, der Anzug ungeniert, graziöse Nachlässigkeit im Benehmen, affektierte Sonderlichkeit in jedem Stücke, kurz, die Karikatur eines deutschen Genies (übersetzt im Edinburgh Mag. 1787 V. 258). Zwar kamen manche englische Literaten nach Weimar und wurden bei Goethe eingeführt, z. B. W. Taylor von Norwich 1782, M. G. Lewis 1792 ; aber sie scheinen sich in keiner Weise bemüht zu haben, ihren Landsleuten richtigere Vorstellungen beizubringen. So ging der gemessene Staatsminister und gereifte Dichter der Iphigenie jenseits des Kanals noch Jahrzehnte lang als jugendlicher Stürmer und Dränger, als »eine Art poetischer Heraklitus« um, wie sich Carlyle in der Vorrede zu seiner Übersetzung von »Wilhelm Meisters Lehrjahren« 1824 ausdrückt, und erst als seine Autobiographie erschien, zerrann allmählich das alte schattenhafte Zerrbild. Von diesem Interesse für die Person des Dichters waren die Leser des Werther so absorbiert, daß sie die Frage nach seinen übrigen Werken fast vergaßen. Ausdrücklich sagt The Speculator 1790 I. Nr. 5 : »Die Leiden des Werther . . . haben als eine Dichtung lange unsere Bewunderung erregt, obwohl augenscheinlich ohne viel Neugier nach den andern Produkten von Goethes kühnem und lebhaftem Griffel zu erwecken«. Die Vorurteile gegen die gesamte deutsche Literatur waren eben noch viel zu groß, als daß sie ein solcher Einzelerfolg hätte durchbrechen können. Zuerst mußten Schillers Jugenddramen mit Gewalt den Engländern sich aufdrängen und eine geistige Revolution hervorrufen ; in ihrem Gefolge erst traten Goethes dramatische Jugendwerke in den Lichtkreis der öffentlichen Aufmerksamkeit, und jetzt, als sie schon da waren, erinnerte man sich allerdings: Aha, dies und jenes Stück ist von dem berühmten Verfasser des Werther ! Sein stehendes Epitheton nämlich war und blieb »the author of Werter« oder »the famous author of Werter«. Bei den Dramen spielten wieder, wie vorher bei dem Erstlingsroman Goethes, die Franzosen die Vermittler, und zwar die Prosaübersetzungen A. C. Friedeis (1782 f. mit Bonneville, 12 Bände) und G. A. Junkers 1785 im Verein mit Liebault in 4 Bänden herausgegebenes »Théâtre Allemand ou Recueil des meilleures pièces dramaB r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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tiques, tant anciennes que modernes, qui ont paru en langue Allemande«. Diese Sammlungen fielen dem schottischen Essayisten und Verfasser des wertherartig sentimentalen Romans »The Man of Feeling«, Henry Mackenzie, in die Hände, und am i. April 1788 hielt er darüber in der Royal Society zu Edinburg einen zündenden Vortrag, von welchem W. Scott (Essay on Imitations of the Ancient Bailad) mit Recht die Einbürgerung des deutschen Sturm und Drang-Dramas datiert; denn bis dahin hatten von deutschen Theaterdichtern nur Lessing und Brandes in London einige Erfolge errungen. Zwei Jahre darauf brachte eine englische Zeitschrift, N. Drakes »Speculator«, nicht minder eingehende Essays über die Dramen der Friedeischen Sammlung, wahrscheinlich von E. Ash (1770—1829), und tat dasselbe für England, was Mackenzie vorher für Schottland geleistet hatte. Ash arbeitete unabhängig von seinem Vorgänger; einige auffallende Übereinstimmungen in ihrer Kritik erklären sich daraus, daß sich beide von Friedeis Einleitung anregen ließen. Was Friedel, Mackenzie und Ash, vorbereitet durch den feurigen Enthusiasmus des Werther, als den Hauptvorzug des deutschen Dramas hervorhoben, war der Ton wahrer, das Herz ergreifender Leidenschaft in Charakteren, Situationen und Sprache. Seine Entfernung von der künstlichen Deklamation und detailloseren Leidenschaftsbeschreibung der französischen Tragiker, seine Neigung zu der männlichen Energie der altenglischen Bühne wird sogar von Friedel und Junker, in viel stärkeren Ausdrücken aber natürlich von den Engländern hervorgehoben, welche in dieser Zeit und unter diesen Eindrücken anfingen, ihrer germanischen Herkunft sich wieder bewußt zu werden. An die Spitze der deutschen Dramatiker stellen Friedel und Mackenzie, welche die Regeln und Einheiten der alten Schule noch nicht vergessen hatten, Lessing; doch bezeichnet Mackenzie als das merkwürdigste und erschütterndste Stück Schillers »Räuber«, von welchem er auch eine Inhaltsangabe und teilweise Übersetzung bietet, und der junge Ash besinnt sich nicht, Schiller als den deutschen Äschylos und die originellste Erscheinung von allen zu feiern. Neben Schiller nehmen selbst Goethes Dramen bloß eine zweite Rolle ein, und auch von ihnen nur die größeren Jugendschriften »Götz«, »Clavigo«, »Stella«. Mackenzie rangiert Goethe einfach hinter Lessing, ohne seine Sonderstellung zu charakterisieren. Ash würdigt seine Bedeutung eingehender; er erkennt in ihm »den Gründer der Schule, welche sich durch größte Exzentrizität des Denkens und Singularität des Dichtens auszeichnete«. Er fühlt, daß sich seine Dramen von allen andern unterscheiden »durch eine Weichheit und Zartheit der ungekünsteltsten und ergreifendsten Art, welche ihm spezifisch eigen ist«, während seinem Genie doch andererseits auch
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die Befähigung nicht abgeht, »in die höheren Regionen dramatischen Effektes« sich emporzuschwingen. Die Auszeichnung, mit welcher Friedel die Frauencharaktere Goethes bedenkt, scheint Ash zu der Bemerkung angeregt zü haben: »Namentlich seine weiblichen Gestalten besitzen eine Mannigfaltigkeit der Züge, welche die Hand des Meisters verrät, und sind mit feineren Strichen gezeichnet, als gegenwärtig in den meisten anderen Dramen seines Landes«. Als schlagende Beispiele erwähnt er »die auserlesenen weiblichen Züge seiner Stella und die kunstlose jugendliche Einfachheit in der unglücklichen Heldin von Clavigo«. Bei der Einzelbesprechung von Goethes Dramen steht Götz im Vordergrund des Interesses, behauptet jedoch von vornherein eine gewisse Sonderstellung. Friedel, Mackenzie und Ash rühmen die Kraft und historische Treue des romantischen Zeitbildes; die beiden ersteren, wahrscheinlich beeinflußt von Baron Riesbecks absprechendem Urteile, finden die Unregelmäßigkeiten so groß, daß sie es eher ein dialogisiertes Leben als ein Drama nennen, und selbst Ash bezeichnet es aus demselben Grunde als »schwerlich aufführbar«. Auch später wich Götz von den Wegen seiner Brüder ab, so daß wir seine Schicksale in einem eigenen Kapitel zu verfolgen haben werden. — An Clavigo hält Mackenzie weder die Charakterzeichnung noch die Behandlung der Fabel im i . und 2. Akte für sehr löblich; aber der letzte ist »mit ungewöhnlicher Kraft gearbeitet und muß auf der Bühne die größte Wirkung hervorbringen«. Ash hingegen spricht, ohne ausdrücklich gegen seinen Vorgänger zu polemisieren, auch der ersteren Hälfte »großes Verdienst« zu, entwickelt den Inhalt des ganzen Dramas und fügt eine freie Übersetzung der letzten Szene (J. G. II 431—435) ein. — Stella mit seinem bigamischen Ausgange war das heikelste Stück. Es erinnerte jeden an den verrufenen und doch allgemein gelesenen Werther; es gefiel Mackenzie durch ebenso »enthusiastisches Gefühl und feine Empfindsamkeit« und schien ihm »ebenso tadelnswert wegen seiner unmoralischen Wirkung«. Ähnlich meint Ash, »Stella besitze am meisten die eigentümlichen Schönheiten und Fehler Goethes«; von den letzteren fand er es für geraten, nur die »Unregelmäßigkeit« zu spezifizieren; dagegen lobt er »das gewaltige Pathos« und verweist wie zur Entlastung auf die Geschichte des Grafen von Gleichen. Die Aufsätze von Mackenzie (gedruckt 1790 in den Transactions of the Royal Society, Edinburg) und Ash erlangten rasch große Verbreitung und literarischen Einfluß. »The Edinburgh Magazine« z. B. druckte schon 1790 ab, was Mackenzie über die »Räuber« und Ash über das deutsche Drama im allgemeinen gesagt hatte (XI 379, X I I 193), und als im folgenden Jahre Friedrichs II. Brief über die 13»
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deutsche Literatur zur Besprechung kam, wehrte der Herausgeber den königlichen Angriff auf Götz von Berlichingen in einer Anmerkung entschieden ab: »Götz de Berlichingen ist das Hauptwerk des berühmten Goethe. Dieser Schriftsteller wird der Shakspere Deutschlands genannt, nicht weil er in seinen Stücken die dramatischen Einheiten zu nichte setzt, sondern weil er sich gleich Shakspere durch seine genaue Bekanntschaft mit den menschlichen Leidenschaften, durch Kraft und natürlichen Ausdruck derselben auszeichnet«. — Mannigfache Studien, Nachahmungen und Übersetzungen deutscher Dramen traten infolgedessen in den neunziger Jahren ans Licht ; von Goethes Dramen 1798 eine anonyme Übertragung von Clavigo und gleichzeitig eine ebenfalls anonyme von Stella, welche wegen ihrer apologetischen Tendenz interessant ist. Schon das Motto lautet »Absolvent amantes«. Um von vornherein kein Suchen nach Unwahrscheinlichkeiten und bösen Tendenzen im Stücke aufkommen zu lassen, bemerkt die Vorrede, daß »die Fabel im ganzen auf ein kürzlich vorgefallenes Ereignis im Privatleben basiert ist«. Trotzdem kann sich der Übersetzer nicht verhehlen, daß »die Peripetie und Katastrophe zu großen Ausstellungen Anlaß geben, und daß ein englisches Publikum vielleicht wünschen möchte, Graf Ferdinand hätte seinen Vorsatz (zum Selbstmord) ausführen dürfen«. Aber ein Autor wie Goethe, hofft er, ist über Angriff und Verteidigung erhaben, und die Schönheiten von Leidenschaft und Gefühl in diesem Drama »machen die Leser blind gegen seine Fehler«. Freilich hat ihn diese angebliche Achtung vor Goethe nicht abgehalten, den Stil durchgehends zu verwässern und sich mit dem Texte auch manche größere Änderung zu erlauben. So ist die Stelle fortgelassen, wo sich Luzie mit dem Schwager Postillon ziemlich vertraulich unterhält (J. G. II. 617t.), offenbar, weil dies nach englischen Sitten nicht ladylike schien ; desgleichen die Anspielung der Postmeisterin auf Predigttext und Sterbelied (II. 622), um dem Vorwurfe der Profanation zu entgehen. »Eierkuchen« und »abgesottene Kartoffeln« (II. 620) schienen zu prosaisch und mußten einem »homely meal« Platz machen. Die Schlußworte »Wir sind beide dein« sollten durch die Anmerkung erträglicher werden, daß wenigstens die Deutschen bei ihren Fürsten an die Ehen linker Hand gewöhnt seien, daß sogar Luther dem Markgrafen von Hessen ähnliches erlaubte, und daß kürzlich erst Mirabeau in seinen »Mémoires Secrètes de la Cour de Berlin« ein gleiches Beispiel von dem verstorbenen Könige von Preußen und Fräulein von Hesse erzählte. Alle diese Vorsichtsmaßregeln beweisen nur, wie ablehnend sich von Anfang an die Privatmeinung des großen Publikums gegen Stella verhielt ; sie waren wohlgemeint, aber vollständig nutzlos, denn selbst ein der deutschen Literatur so geneigtes Blatt wie The Monthly
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Mirror (1798, V. 355) fand den Kern des Dramas verwerflich: »Fabel, Charaktere und Gefühl sind von der monströsesten und unmoralischsten Art, die man sich vorstellen kann . . . Die Deutschen haben die eigentümlichsten und unverantwortlichsten Ansichten von moralischen Verpflichtungen: alles wird der Leidenschaft und dem Gefühle geopfert«. Rezensent ist nicht blind gegen die künstlerischen Schönheiten des Stückes; die Sprache scheint ihm »manchmal wunderbar poetisch und im Besitze all der glühenden und verführerischen Reize des Werther«; allein »lebhafte Phantasie und eine warme Einbildung sind armselige Entschuldigungen für Verbrechen«. Man sollte erwarten, diese vielgepriesenen deutschen Dramen wären nun auch in London fleißig aufgeführt worden; in Wirklichkeit aber kamen Goethes Stücke nie, Lessings und Schillers selten und nur Kotzebues häufig zur Darstellung. Scheu vor ausländisch fremdartigem Wesen und revolutionären Tendenzen konnte also nicht der Grund sein, welcher das Drama des Sturmes und Dranges von dem Repertoire ausschloß, sondern nur der fehlerhafte Geschmack des Publikums. Dieser war, seitdem die Tragödien nach pseudoklassischen, gelehrten Rezepten arbeiteten, unaufhörlich gesunken, und keine materiell unabhängige Musterbühne gab es, welche ihn hätte veredeln können; jeder Theaterdirektor suchte vielmehr ausschließlich der Masse zu schmeicheln, um möglichst große Einnahmen und gute Geschäfte zu machen. An Schiller und Goethe, welche von dem Publikum verlangten, daß es sich zu ihrer Höhe reiner Kunst erhebe, konnte eine solche theaterbesuchende Plebs und ihre Diener natürlich kein Gefallen finden: ihr Mann war Kotzebue, welcher mit seiner effektvollen Sentimentalität zu ihrem Niveau herabstieg. Sein Sieg war rasch und glänzend, aber, wie sich sofort zeigen wird, verderblich für ihn und in gewisser Hinsicht für das deutsche Drama in England überhaupt. III. B a l l a d e n
(1796—1798).
Lange nach dem Bekanntwerden von Goethes größeren Jugendwerken, als sich bereits die epochemachende Reaktion gegen sie vorbereitete, schlichen sich einige von seinen Balladen in England ein, und als der erste, welcher ihre Aufnahme vermittelte, muß M. G. Lewis genannt werden. 17 Jahre alt, kam er am 27. Juli 1792 nach Weimar, wurde bei Goethe eingeführt und schrieb an seine Mutter, welch großes Interesse und Vergnügen er daran hatte; »er bewahrte immer gerechte und tiefe Achtung für die außerordentlichen Kräfte dieses berühmten Mannes«, sagt sein Biograph (Life and Correspondence I. 73). Diese persönliche Begegnung mußte ihm auch das
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tiefere Verständnis der Goetheschen Poesie, welche so sehr den Charakter des Selbsterlebten trägt, wesentlich erleichtern. Dennoch blieb seine Empfänglichkeit dafür quantitativ beschränkt: als einer der ausgesprochensten Anhänger des Romantisch-Schauerlichen, wie er uns in seinem berühmten Romane »The Monk« 1 7 9 5 entgegentritt, beschäftigte er sich nur mit jenen Balladen Goethes, welchen das dämonische Walten einer personifizierten Elementarmacht einen eigentümlichen Reiz verleiht. Obwohl eine höchst gutmütige Natur, tat er es nicht leicht ohne einen bösen Geist; und da zudem gespenstische Ritte durch Nacht und Graus damals ein beliebtes poetisches Motiv bildeten (ich brauche nur an Burns' T a m o* Shanter und an die fünf Übersetzungen der »Lenore« 1 7 9 6 zu erinnern), ist es begreiflich, daß seine Wahl zuerst auf den »Erlkönig« fiel. Seine Ubersetzung desselben erschien 1 7 9 6 im Monthly Mirror II. 3 7 1 und ist für uns um so wichtiger, als sie den ersten großen Dichter, welchen wir unter den britischen Schülern Goethes zu nennen haben, auf seine Balladen hinlenken half: Walter Scott. In Edinburg hatte zwar schon lange vorher Mackenzies Vortrag »ein allgemeines Interesse für die erdichteten Erzählungen, die Balladenpoesie und andere Zweige der deutschen Literatur« geweckt (Lockhart, Elze), und Scott, welcher auch von dieser Strömung ergriffen wurde, tat sich im Winter 1792/93 mit fünf oder sechs Freunden zu einem Verein zusammen, um Deutsch zu lernen. Aber der ungeduldige Eifer der Schüler erstickte bald unter der übergroßen Genauigkeit des Lehrers Dr. Willich, welcher ihnen mit wohlgemeinter Pedanterie alle Grammatikalien von Geßners »Tod Abels« beibringen wollte; der Verein löste sich auf, und in Scotts Studien des Deutschen scheint eine Pause eingetreten zu sein, bis ihn W . Taylors Ubersetzung von Bürgers Lenore 1 7 9 5 neu anspornte. Sie erinnerte ihn an seine alte Fähigkeit der leichten Versifikation und an seine Kenntnisse des Deutschen; eine Freundin mußte ihm die Werke Bürgers, Goethes, Schillers u. a. verschaffen, und Übertragungen von Bürgers »Lenore« und »Wildem Jäger« bildeten 1 7 9 6 seine erste Publikation. Im nächsten Jahre muß Scott die Ubersetzung des »Erlkönig« von Lewis gelesen haben, wie aus der Zuschrift seiner Ubersetzung (Oktober 1 7 9 7 ) an Miß Christian Rutherford hervorgeht. Die folgende Vergleichung der beiden Versionen mit dem Original soll nun zeigen, welchen Standpunkt Scott gegenüber Goethe und Lewis einnahm. Goethe dachte sich eine ziemlich offene Landschaft, auf welcher man in einiger Entfernung die Nachtnebel ziehen und die Weiden am Strande eines Gewässers scheinen sieht. Lewis und Scott wollten die Unheimlichkeit des Rittes erhöhen und versetzten ihn in einen Wald. Bei Goethe sind die Blätter dürr und die Nacht trocken, ob-
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wohl der Wind einen Nebelstreif über das Land zerrt. Lewis zog eine feuchte Nacht vor, »dürr« ließ er weg, Scott läßt es vollends regnen; wahrscheinlich glaubten die Engländer das Wolkenphantom des Erlkönigs physikalisch besser motivieren zu müssen. Dazu stimmt eine andere Änderung: wo Goethe die Erscheinung der tanzenden Erlkönigstöchter an die alten Weiden knüpft, sagt er von ihnen einfach, daß »sie so grau scheinen«. Lewis und Scott hoben die tanzende Bewegung der Weiden selbst hervor. Zugleich sollte bei den Engländern die Sage mehr innere Konsequenz erhalten. Goethe kennt mehrere Erlkönigstöchter, Lewis und Scott nur eine. Der Grund ist evident: Lewis hatte gleichzeitig mit dem »Erlkönig« auch die dänische Ballade »Erlkönigs Tochter« aus Herders »Stimmen der Völker« übersetzt und ließ sie auch daneben im Monthly Mirror erscheinen. Darin ist nur von einer Tochter die Rede, und da er in der Vorbemerkung dem Erlkönig ebenfalls dänischen Ursprung beimaß, sah er die Vermehrung der Töchter für eine verwerfliche Neuerung an. Scott folgte ihm hierin, obwohl er in der Vorbemerkung den Erlkönig für einen Elf erklärt, »that haunts the Black Forest in Thuringia«(!). Endlich haben Lewis und Scott das Drängen und Zugreifen des Erlkönigs stürmischer gestaltet und Goethes viersilbige Verse mit wechselnder Zahl der Senkungen in gewöhnliche daktylische Vierfüßler verwandelt, infolgedessen sie manches überflüssige Füllwort einschalten mußten. Im wesentlichen hat also die Ballade bei den Engländern eine wildere und doch eine rationalistischere, weniger naive Haltung bekommen, wie es dem Geschmacke ihrer Umgebung entsprach, und in dieser Richtung zeigt sich Scott deutlich von Lewis beeinflußt. In vielen anderen Punkten wich Lewis von dem Original ab, ohne daß sich ihm Scott anschloß, und hier zeigt sich ersterer von seiner schwächsten Seite. Die Ausdrücke sind oft aus Reimnot gezerrt und verwässert, überflüssige Adjektive und volkstümlich sein sollende Wiederholungen eingeschaltet, schlichte sachgemäße Züge, z. B. »Es ist der Vater mit seinem Kind« durch äußerliche Dekorationsmalerei verdrängt. An die Stelle des Elementaren und Naiven treten manchmal arge Gemeinplätze; der Schweif des Erlkönigs z. B. ist in einen langen weißen Bart verwandelt, und statt »Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind« sagt der Vater: »Now hush the, my darling, thy horrors appease«. In der letzten Strophe lautet die Zeile »Er hält in den Armen das ächzende Kind« bei Lewis ganz ritterdramenmäßig: »O'er hills and through forests he spurr'd his black steed«. Eine fast affektierte Feinheit, welche Lewis im Wechsel der Anrede einführte, indem er den Vater zuerst mit he, dann mit you, dann noch eindring-
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licher mit thou sprechen läßt, während das Kind immer thou, der Erlkönig aber beim Schmeicheln you, beim Drohen thou gebraucht, entschädigt für so viel Verlust an innerlichem Gehalte nicht. Lewis repräsentiert eben die roheste Phase der englischen Romantik in Versen, und der Kontrast mit der feinen Technik Goethes mußte den künstlerischer angelegten Scott um so mehr darauf aufmerksam machen und davor warnen. W o Scott selbständig und allein vom Originale abwich, geschah es der Direktheit des Ausdrucks und der Klarheit der Situation zuliebe, also aus künstlerischen Motiven. Während Goethe z. B. in der 3. Strophe nur lockende Andeutungen gibt (Manch* bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch' gülden Gewand), sagt bei Scott der Erlkönig direkt: »My mother keeps for thee füll many a fair toy A n d many a fine flower shall she pluck for my boy«, mit einer Umstellung, welche die Einführung des Subjekts mother im zweiten Verse erleichterte. Ähnlich verrät Scott in der 6. Strophe ein Streben nach möglichst unumwundenem Heraussagen dessen, was er sich vorstellt. Bei Goethe sieht nämlich der Knabe »Erlkönigs Töchter am düstern Ort«, bei Scott aber »The Erl-Kings pale daughter glide past thro' the rain«. Goethe dachte gewiß so ziemüch dasselbe, hüllte es aber absichtlich in geisterhaftes Dunkel, während dem schottischen Dichter nichts so fremd war als alles Hineingeheimnissen. — In der vorletzten Zeile endlich hat Scott die identischen Ausdrücke »mit Mühe und Not« durch die differenzierten »in doubt and in dread« ersetzt und dadurch das Gedicht um eine glückliche Steigerung der unheimlichen Grundstimmung sogar bereichert. Im nächsten Jahre, 1798, erfahren wir schon von einer zweiten Ballade Goethes, welche Scott übertrug oder vielmehr bearbeitete. Damals nämlich stellte er in einem Briefe den »Untreuen Knaben« Lewis für seine Sammlung »Tales of Wonder« zur Verfügung, worin in der Tat das Gedicht 1 8 0 1 mit mehreren reimglättenden Korrekturen von Lewis erschien. Bei diesem Gedichte ging Scott wesentlich anders zu Werke als bei dem besprochenen: er Heß, da ihn kein Vorgänger beschränkte, seiner Phantasie freien Lauf und lieferte eine Bearbeitung mit so vielen Änderungen und Zutaten, daß das Ganze, wie er selbst in der Vorbemerkung sagt, fast ein Original heißen kann. Vor allem hebte er es, einen knappen Wink Goethes zu einer mehrzelligen Beschreibung zu erweitern, so daß er z. B . das Goethesche »Vergingen ihr die Sinnen« durch eine ganze Strophe umschrieb. Andere Motive hat er romantisch großartiger oder gespenstischer gefärbt; so wenn er den »frechen Buhlen« zu einem schwertfrohen, tatendurstigen und hoffnunggeschwellten Krieger aus Frankreich
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macht und darüber sogar das wichtige Moment vergißt, daß er mit seinem Mädchen nach frivol französischer Weise »als Bräutigam herumgescherzt«, oder wenn er zudichtet, daß die Braut gerade vier Uhr morgens starb, daß mit demselben Glockenschlage das Grauen auf den Verführer fiel, und daß er am nächsten Morgen zur selben Stunde in das Grabgewölbe geriet, nur um die mathematische Pünktlichkeit des Schicksals schreckhafter zu schildern. Hatte sich Scott insoweit als Anhänger der Lewisschen Richtung gezeigt, so verrät er in anderen Dingen direkten Einfluß von Bürger: das unheimliche Schnauben und Wittern des Pferdes und namentlich der Geisterchor, mit welchem der Buhle in den angehängten Schlußversen begrüßt wird, erinnern lebhaft an »Lenore«, das Prototyp der Goetheschen Dichtung selbst. So hat der Einfluß Bürgers nicht bloß geholfen, Scott auf Goethes Balladen zu führen, sondern sich auch daneben noch wirksam erhalten. Diese beiden Übersetzungen nebst einer Übertragung von Goethes »Klagegesang der edlen Frauen des Asan Aga« ließ Scott zuerst 1799 unter dem Titel »Apology for Tales of Wonder« drucken und verteilte die 1 2 Abzüge unter seine Freunde. Einen merklichen Einfluß scheinen Goethes Balladen auf Scotts Weiterentwicklung nur insofern geübt zu haben, als sie seine Übersetzung des Götz vorbereiteten. Vielfacher, aber desto oberflächlicher wurde von ihnen der phantastisch hin und her flatternde Lewis angeregt. Außer dem bereits besprochenen »Erlkönig« übersetzte er für seine »Tales of Wonder« auch den »Fischer«, und zwar mit ähnlichen willkürlichen oder äußerlich verschönernden Abweichungen, lieferte eine karikaturartige Fortsetzung und schließlich eine Parodie dieses ganzen Balladenzyklus. I V . D i e S a t i r e i m » A n t i - J a c o b i n « (1798) u n d d i e R e a k t i o n . Das J a h r 1 7 9 7 war bedeutungsvoll für die politische Geschichte Englands. Der Krieg, welchen die konservative Regierung seit 1 7 9 3 gegen die französische Republik führte, hatte eine immer ungünstigere Wendung genommen, die Bundesgenossen waren allmählich sämtlich abgefallen, die Finanzen an dem Rande des Ruins, die Sympathie für den Frieden und die Liberalen im Wachsen. Jetzt aber entfachte die Furcht vor der angedrohten Invasion auf einmal wieder die patriotische Opferwilligkeit und Kriegslust des britischen Volkes; eine freiwillige Subskription von zwei Millionen Pfund stellte den öffentlichen Kredit her, und äußere Erfolge gegen die Alliierten der Franzosen gereichten der konservativen Partei auch nach innen zur Kräftigung. D a sie in ihren Reihen manche geistige Kapazität zählte,
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zog sie auch die schöne Literatur in das Gebiet des Kampfes herein: sie gründete im November 1 7 9 7 die Wochenschrift »The Anti- Jacobin or Weekly Examiner« (20. November 1 7 9 7 bis 9. Juli 1798) mit dem ausgesprochenen Zweck, alle bestehenden Einrichtungen gegen politische und religiöse Neuerungen, gegen Republikanismus und Atheismus, gegen falschen Idealismus und schöne Phrasen zu verteidigen. Zu den Angriffsobjekten dieses Blattes gehörten auch jene größeren Jugendwerke Goethes, welche in England Eingang gefunden hatten, sowie die Dramen des Sturmes und Dranges überhaupt; denn sie predigten ja, wenigstens gelegentlich, alle den Haß gegen das konventionelle Wesen, die Berechtigung individueller Freiheit und Gleichheit und die anderen Ideen, welche der Französischen Revolution zugrunde lagen. Bisher hatten sie von dieser Tendenz nur Vorteil gehabt; sie waren in den Organen der Liberalen besprochen und nicht bloß aus künstlerischen, sondern auch aus politischen Gründen gelobt worden, während sich die Tories passiv verhielten. Erst in dem Anti-Jacobin erwuchs ihnen ein politischer Gegner, und zwar ein um so furchtbarerer, da er nicht mit ästhetischen Argumenten, sondern mit subjektiven Verdächtigungen und beißender Ironie kämpfte. Die Parodie »The Rovers or the Double Entertainment« (die Schwärmer oder die doppelte Unterhaltung), welche zu Anfang 1 7 9 8 darin erschien, war »das infamste Pasquil, das je auf Deutschland geschrieben wurde« und, wie Niebuhr (Geschichte des Zeitalters der Revolution I I , 243) hätte hinzusetzen können, teilweise auch eine gelungene. Als Verfasser werden genannt Hookham Frere, welcher später durch sein komisches Heldengedicht »Prospectus and Specimen of an intended National Work« 1 8 1 7 auf Byrons Beppo großen Einfluß üben sollte, und Canning, ein noch gewandterer Witzkopf, aber arm an Charakter und Ernst und, wie Niebuhr II, 242 sich ausdrückt, »ein politischer Kosak«. Außerdem sollen G. Ellis, der Freund W . Scotts und berühmte Antiquar, und sogar Pitt, der Premierminister, Beiträge geliefert haben. Daß sie es von vornherein auf die Verspottung der »Räuber« (englisch Robbers) und des bigamischen Ausgangs von »Stella« abgesehen hatten, verrät schon der Titel; ferner ergibt sich aus der Vorrede, daß dies Spottdrama auch auf »Kabale und Liebe«, Kotzebues »Menschenhaß und Reue« und »Graf Benjowsky« gemünzt war. Ich gebe den Inhalt desselben nur, soweit er sich direkt auf Goethe bezieht; dabei geht allerdings mit dem witzigen Detail auch der poetische Reiz verloren, so daß man auf Grund dieses dürftigen Auszuges schwerlich die K r a f t und Wirkung des Ganzen begreift. ben.
1. Akt. Gasthauszimmer in Weimar, lächerlich genau beschrieMathilde im Reitanzug fragt die Wirtin, ob das Essen bald
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fertig sei, und knüpft daran Betrachtungen über Liebe und wandernden Appetit. Posthorn bläst, die Wirtin meldet Cäciliens Ankunft, und Mathilde ladet die Unbekannte sofort zu Tische (vgl. Eingang der Stella). Kaum haben Mathilde und Cäcilie einige Bemerkungen über die staubige Reise gewechselt, fallen sie sich enthusiastisch in die Arme; die Herzen tun sich auf; Liebesgeständnisse; beide seufzen: o diese Männer, diese Männer! Die Wirtin bringt Hammelbraten, Sauerkraut und Pflaumensauce, findet aber trotz dieses schönen Menüs keine Beachtung. Der Name Kasimir zieht Cäcilien Migräne zu, sie zieht sich zurück, Mathilde mit ihr (vgl. Stella 2. Akt). Abermals Posthorn: Kasimir tritt auf in übermäßig genau beschriebenem Reiseanzug; befiehlt Pantoffel, Wasser und Seife; fragt beiläufig, welche Damen im Hause wohnen; zieht die Stiefel aus, wäscht sich und hört inzwischen mit wechselnden Gefühlen von Ärger und Entzücken, daß seine Mathilde da ist, worauf er sie zu Tische laden läßt (vgl. Ferdinands Auftreten in Stella i . Akt). Kasimirs Vorgeschichte: Als polnischer Offizier besuchte er eine Dame in der Wetterau und sah dort ihre Nichte Mathilde »bei einem Wohltätigkeitsbesuche, wie sie eben in einem lichtblauen Reitanzuge den Kindern Butterbrot austeilte. Die Einfachheit ihrer Erscheinung, das schöne Wetter, alles vereinte sich, mich zu fesseln; mein Herz strebte nach dem ihrigen wie mit magnetischer Sympathie. Wir weinten, umarmten uns und gingen zusammen nach Hause: sie wurde die Mutter meines Pantalowsky« (vgl. Werthers erste Begegnung mit Lotte). Als Kasimir dann aus Mathildens Nähe in andere Quartiere versetzt wurde, verliebte er sich in Cäcilie, heiratete sie und bekam von ihr Kinder; nach einigen Jahren aber entzog er sich auch dieser unter dem Vorwande, daß ihn ein Geschäft nach Kamtschatka rufe. Inzwischen verließ Mathilde ihre Tante, um Kasimir aufzusuchen, und da Cäcilie durch einen anonymen Brief die Erlogenheit seiner Kamtschatkareise erfuhr, zog sie in einem Postwagen zu gleichem Zwecke aus (vgl. Stella). Der 3. A k t enthält die Enthüllungen und das schließliche Ubereinkommen zwischen Kasimir, Mathilde und Cäcilie, welches dem Schlußakte der Stella so sehr gleicht, daß wir unterlassen, ihn unsern Lesern vorzuführen. Offenbar bestand der komische Effekt des Ganzen hauptsächlich darin, daß der ohnehin outrierte Enthusiasmus für freie natürliche Liebe und der Reichtum an realistischer Detailmalerei, mit welchem Goethe den ersteren öfters zu paralysieren suchte, drastisch übertrieben und möglichst kontrastierend zusammengestellt wurden.
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Dabei liefen allerdings einige Ungerechtigkeiten mit unter, z. B . daß Goethe, welcher einfach eine Herzensgeschichte seines Freundes Jacobi dramatisiert und die bestehende soziale Ordnung mit keinem Worte angetastet hatte, stracks die bestimmte Absicht untergeschoben wurde, alle Gesetze und alle Sittlichkeit der Willkür des einzelnen zu opfern, daß die Spötter auf Grund von einem Romane und fünf Dramen, welche sie noch dazu nur aus Übersetzungen kannten, in der Vorrede das ganze deutsche Theater als ehebrecherisch, unsinnig und staatsgefährlich brandmarkten u. dgl. Aber Frere und Canning waren nicht die Leute, sich daraus ein Gewissen zu machen; wenn sie nur die Lacher auf ihrer Seite hatten! Sie erreichten ihr Ziel: ihr Spottdrama wurde über Nacht populär und selbst von einem bisher deutschfreundlichen Blatte wie The Monthly Mirror 1799 p. 169 gelobt. 1799 erschien es bereits in 4. Auflage. Auch an Nachahmern fehlte es nicht: »The Meteors«, ein entschiedenes Toryblatt, brachte 1800 eine ähnliche Parodie, »The Benevolent Cutthroat« (Der menschenfreundliche Kopfabschneider), welche vorzugsweise gegen Schillers Erstlingsdramen gerichtet ist. So wurde es in kurzer Zeit Mode, Goethes Jugendwerke und die gesamte deutsche Literatur des Sturmes und Dranges zu verlachen. Aber bei der lachenden Reaktion sollte es nicht bleiben; das wäre nur halbe Arbeit gewesen: Kotzebue und die Konservativen sorgten mit edlem Wetteifer, daß die ernsthafte Hälfte nachfolgte. Ersterer nahm fast mit jedem Drama zu an Sentimentalität, Absurdität und schalem Jakobinismus; je mehr von seinen Stücken gespielt wurden und der Reiz der Neuheit schwand, desto nackter trat seine theatralische Effekthascherei und Scharlatanerie zutage; und mehr als Canning und Frere hat er zur Diskreditierung der deutschen Literatur in England beigetragen. Die Konservativen aber ersetzten noch im Juli 1798 den eingehenden Anti-Jacobin durch »The AntiJacobin Review«, welche dieselben Tendenzen, teilweise sogar mit denselben Mitarbeitern verfolgte, nur in größerem Stile. Sie erschien nämlich nicht mehr wöchentlich, sondern monatlich, und an die Stelle der witzigen Satiren traten deklamatorische Rezensionen. Die Tones fürchteten die neuere deutsche Literatur, weil sie auf demokratischem Boden erwachsen und voll freiheitlicher Ideen war; sie wollten sie daher mit Stumpf und Stiel ausrotten. Nichts Erwünschteres konnte ihnen dabei begegnen als Kotzebue mit seinen zahlreichen Blößen. Mit ihm eröffneten sie den Kampf. Sie benützten ihn als Mauerbrecher, um die Sympathien des Publikums für die deutschen Dichter zu erschüttern; dann folgten Angriffe auf die Gesamtheit der deutschen Schriftsteller, welche absurde Pedanten, Vergifter des öffentlichen Geistes, Feinde der religiösen Prinzipien und gesellschaftlichen
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Ordnung genannt werden (I. 7 3 1 ) ; gegen die deutschen Universitäten als die Brutstätten des Atheismus und Jakobinismus; gegen das Privatleben Goethes und Schillers; gegen die deutschen Frauen wegen ihrer romanhaften Verliebtheit ; gegen die ganze Nation wegen ihrer Verstiegenheit und häufigen Ehebrüche. Ich hebe daraus hervor, was sich die Review im April 1800 (V. 5 7 1 f.) in einem Briefe aus Obersachsen über Goethe schreiben ließ: »Der ebenso (wie Wieland) berühmte Verfasser des Werther ist eingestandenermaßen ein Lebemann und besitzt nicht ein Korn von Sittlichkeit in seiner Poesie. Das einzige System der Sittlichkeit, zu welchem er sich bekennt, ist Privatanstand, und er verwirft mit Verachtung den wohlbekannten Vers Popes »Ein braver Mann ist Gottes höchstes Werk« und alle Anschauungen, welche daraus resultieren. E r hält öffentlich eine Mätresse, welche (wie einer meiner Freunde, welcher sie oft gesehen, mich versichert) der Schönheit, Zartheit und Treue in gleicher Weise bar ist. Von ihr hat er einen reizenden kleinen Knaben, welcher, wie ich aus derselben Quelle erfahre, von jeder gefühlvollen Person, welche ihn sieht, bemitleidet wird, da er in der Gesellschaft einer solchen Mutter und bei der Sorglosigkeit eines solchen Vaters im späteren Leben ein höchst unglückliches Geschöpf werden muß, wie es sein Vater selbst bei all' seinem Ruhme und Talente wenigstens die eine Hälfte seiner Zeit schon ist«. Die Klatschsucht der Review wird nur von ihrer Unwissenheit über troffen. Als Beispiel diene eine Stelle aus der Vorrede zum 4. Bande (Ende 1799) : »Goethe, der Verfasser der Leiden des Werther, ist einer von jenen Literaten, welche durch ihre Schriften beitragen, den Geist ihrer Landsleute zu verderben. E r residiert in Weimar und zeigt durch seine Handlungsweise, wie aufrichtig er den Prinzipien ergeben ist, welche er verbreitet. An demselben Orte lebt ein Bruder von Werther (sie), ein Mann vorgerückt an Jahren, aber noch mehr an Verworfenheit, gegen die Furcht vor der Zukunft ohne Zweifel gestählt durch die bequeme Lehre von Furchte (konstant statt Fichte), welche die Verwandten der Natur von allem befreit, was möglicherweise dahin zielen könnte, ihre Anhänger von der ungezügelten Befriedigung der natürlichen Leidenschaften abzuschrecken«. Diese Kritiken fielen um so schwerer in das Gewicht, je mehr die konservative Regierung unter dem Eindrucke ihrer neuen Siege in den Kolonien und am Nil erstarkte. Zwar ließ sich da und dort eine Stimme der Abwehr hören; so warf »The Monthly Mirror« im Juni 1799 (VIII, 39) der Anti-Jacobin Review Parteilichkeit vor, und »The German Museum«, ein Organ zur ausschließlichen Pflege der deutschen Literatur, spöttelte im Januar 1801 (III, 1 3 3 ) über Abbé
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Barruel, weil er »bei der allgemeinen Alarmglocke beschäftigt war, welche Messrs. Gisborne, Robinson, der kleine schwarze Kaplan Mathias, Verfasser der Pursuits of Literature, und alle die Helden des Anti-Jacobin Magazin und des British Critic zu läuten begannen«. Aber The German Museum ging in demselben Jahre plötzlich ein, und The Monthly Mirror fand es gleichzeitig für geraten, das deutsche Drama mit dem Mantel des Schweigens zu bedecken. Eine neue Ubersetzung der Stella in B . Thomsons German Theatre Bd. V I . gab nur Anlaß zu einer kurzen, vernichtenden Kritik in Bakers »Biographia Dramatica« (fortgesetzt von St. Jones bis 1 8 1 2 ) : »Der Held dieses Stückes verläßt seine Frau, um eine andere zu heiraten, verläßt dann auch die zweite und findet nach einer Abwesenheit von mehreren Jahren bei seiner Rückkehr beide Frauen zugleich, wobei sie in der entgegenkommendsten Weise einig werden, miteinander zu leben und den müßigen Gemahl unter sich zu teilen. Danach ist es unnötig, über den Sinn und die Sittlichkeit von Stella etwas zu sagen. Der Dialog hat manche glänzende Stellen, ist aber im ganzen abgeschmackt«, ein Urteil, welches wohl vornehmlich der wässerige, kahle Stil des Übersetzers verschuldet hat. Die letzte Stütze endlich verlor das deutsche Drama in England, als die französische Republik ihre Befreiungsmaske abwarf, die freie Schweiz vergewaltigte und der Eroberungslust und Despotie Napoleons willig sich unterordnete; denn jetzt wurden viele der eifrigsten Liberalen in England und Schottland mißtrauisch gegen die alten Phrasen von allgemeiner Menschenliebe und Volksbeglückung, fürchteten in jeder demokratischen Idee eine Gefährdung der Gesellschaft und neigten sich den Anschauungen der Tories zu. Bei einer Nation, welche politische Tendenzen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens so energisch betätigt, mußte sich die Rückwirkung auch in der Literatur, in der Stellung zum deutschen Drama des Sturmes und Dranges geltend machen, und ein charakteristisches Beispiel dafür bildet das Vorgehen des presbyterianischen, daher von Haus aus liberalen »Edinburgh Magazine«. Noch 1801 wollte es »lieber mit Goethe oder Kotzebue weinen als mit Thomson durch die Natur schweifen«; aber schon im nächsten Jahre brachte es einen Aufsatz von William Preston, »Reflections on the Peculiarities of Style and Manners in the late German Writers«, worin es mit ästhetischen Gründen dasselbe leisten wollte, was The Anti-Jacobin Review mit poütischen angestrebt hatte. Preston war ein Irländer und Anhänger der pseudoklassischen Schule; in ihrem Stile hatte er 1 7 9 3 ein Bändchen satirischer und erotischer Gedichte geschrieben und, während er sie noch in Dublin herausgab, sofort auch seiner Reue über diese »närrischen Jugend-
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produkte« Ausdruck geliehen. »Die Artikel des poetischen Glaubens« hatte er von Aristoteles und seinen Anhängern genommen, und die griechische Tragödie schien ihm »das vollkommenste Muster der dramatischen Komposition«. Von diesem einseitigen Standpunkte mußte es ihm natürlich leicht werden, in den deutschen Dramen Fehler zu finden, zumal da ihm nur wenige davon und auch diese, wie er selbst gesteht, nur in Übersetzungen bekannt waren. Riesbecks Reisebriefe und die bereits vorliegenden Kritiken der Anti-Jacobiner halfen ihm offenbar, die mangelhafte Sachkenntnis zu verbergen; daher wollte er auch nicht ins Detail eingehen, sondern sich gnädig »mit allgemeinen Bemerkungen begnügen«. Der Aufsatz dieses Mannes bedeutet, was man nach den obigen Daten erwarten wird: eine leidenschaftliche Reaktion der romanischen Klassizitätsschule gegen die germanische Romantik. Gleich zu Anfang wird »die gegenwärtige Wut für die exotischen Neuheiten der deutschen Muse« als ein »Hereinbrechen gotischer Barbarei und Wildheit« bezeichnet. A n Goethe speziell, den er doch neben Wieland für den besten Dichter Deutschlands hält, tadelt er die »Affektation von übertriebenem Gefühl und die Wut, sehr natürlich zu sein, selbst bis zu einem Grade von Künstelei, welcher abstößt« (XX. 360). Ebensowenig wie die Form gefallen ihm Goethes Stoffe: »Aristoteles verlangt, daß die Sitten in der Tragödie gut sein sollen; und die deutschen Dramen wirken gerade durch Verbrechen und Greuel! Mit welchen Gefühlen würde Rousseau die Stücke von Goethe oder Schiller gelesen haben!« (XXI. 13). Preston geht so weit, Goethe in erster Linie für alle Verderbtheiten der deutschen Dramatiker verantwortlich zu machen: »Die Eigentümlichkeiten, welche Goethe mit seinem hohen Namen und poetischen Range vereinte, haben dem deutschen Geschmack großen Schaden getan. Goethe kann insbesondere der dramatische Vater von Schiller und der große Patriarch der Schreckens- und Wildheitsschule genannt werden. Man kann sagen, daß der Kannibalismus des Theaters, die Herrschaft des Schreckens und Blutes im Drama, durch seinen Goss (sie) mit der eisernen Hand begründet wurde«. Die tiefste Begründung für derlei Auslassungen bietet ein Ausspruch desselben Magazins 1803 (Bd. X X I ) : »wir laufen jetzt Gefahr zu philantropisch zu werden, während wir es früher zu wenig waren«. Allgemein empfand man es in England als eine politische Notwendigkeit, die kosmopolitischen Bestrebungen für eine Weile zurück und die insular-patriotischen wieder in den Vordergrund treten zu lassen. Naturgemäß wandte man sich daher auch in der Literatur von den fremden Einflüssen ab. Von jetzt an war es dort für Dezennien aus mit allen Versuchen, deutsche Dramen und somit auch die des jungen Goethe einzubürgern.
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V. G ö t z u n d W a l t e r S c o t t
(1798—1808).
Es ist ein merkwürdiges Phänomen, daß trotz aller antijakobinischen Reaktion gerade ein geborener Hochtory und heftiger Gegner der französischen Revolutionsideen die Hauptbrücke bildete, auf welcher sich in England der Einfluß der deutschen Literatur in das 19. Jahrhundert hinüberrettete. Walter Scott, der romantischste unter den Dichtern Europas, besaß eben eine seltene Fähigkeit, in die Schöpfungsweise eines ausländischen Dichters sich hineinzuleben, und zugleich war er konservativ-patriotisch genug, das Fremde zu nationalisieren und es, ohne in die Extravaganzen eines Reynolds oder Lewis zu verfallen, mit den reichen Traditionen seiner Heimat zu einer künstlerischen Einheit zu verschmelzen. Auch die Wahl des Werkes, welchem er sich dabei vorzugsweise anschloß, gibt zu denken: die eine große Jugendproduktion Goethes, »Werther«, hatte zuerst dem Einfluß spezifisch-deutschen Wesens in England Bahn gebrochen, und die andere, »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand«, sollte ihn jetzt wieder zu neuem Leben wecken und veredeln. Soweit die Versuche, Götz einzubürgern, nicht von Scott ausgingen, waren sie nur mit halbem Herzen unternommen und kaum mit halbem Erfolge gekrönt worden. Selbst Mackenzie und Ash hatten ihn wegen seiner Ungebundenheit nicht völlig als ebenbürtig mit den übrigen dramatischen Arbeiten Goethes behandelt; der erstere hielt sogar die nationale Eigenart des Stückes für den einzigen Grund seiner großen Berühmtheit in Deutschland, auf welchen es sonst keinen vollkommen gerechten Anspruch hätte. Danach ist es begreiflich, daß sich Scott trotz seiner hohen Achtung für die deutsche Literatur im allgemeinen nicht beeilte, die intime Bekanntschaft des Ritters mit der eisernen Hand zu machen. Eine Dame, Miß Rosa Lawrence, war die erste, welche sich mit einer Ubersetzung hervorwagte. 1799 erschien ihr »Görtz (sie) of Berlingen with the Iron Hand, translated from the German of Goethe, the Author of Werther« in Liverpool. Die Übersetzerin war mit der deutschen Literatur offenbar nur unvollkommen vertraut; denn sie setzte die Veröffentlichung des Originals »um das Jahr 1771«. Desto genauer kannte sie die moralischen und politischen Sünden, welche man Goethe in antijakobinischen Kreisen vorzurücken pflegte, und suchte sie vorsichtig zu umsteuern. Sie versichert in der Vorrede, er habe sich in diesem Werke von der Immoralität des Werther vollständig frei gehalten; auf »die traurige Krisis, in welcher Europa gegenwärtig liegt«, habe er gar nicht anspielen können, weil er das Drama schon lange vor Ausbruch der Revolution gedichtet habe; und einige Stellen, welche dennoch zu Schrecken oder ungehöriger
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Ausdeutung Anlaß geben könnten, seien gemildert oder getilgt. In künstlerischer Hinsicht betont sie die shakespeareartige Behandlung eines historischen Stoffes, die raschen Übergänge der Stimmungen, die reiche Mannigfaltigkeit der Charaktere und konstatiert geradezu eine Verschwendung von Genie. Die Ubersetzung selbst leidet an einer weibischen Abschwächung des Stils, für welche die eigenen Zutaten der Verfasserin in keiner Weise Ersatz bieten. Georg z. B. unterbricht sein Lied von dem gefangenen Vöglein, indem er dem Pferde, welches er eben sattelt, nach dem ersten Verse die geistreiche Phrase zuruft: »Stand still, I say«, und nach dem zweiten: »Come up (rubbing down the horse)«. Häufig sind die Bühnenanweisungen vermehrt, namentlich die schauerlich romantische Beschreibung der Kapelle, in welcher das Femegericht zusammenkommt. Das Ganze ist eine Dilettantenarbeit, mit deren Zahmheit die Antijakobiner hätten vollauf zufrieden sein können; dennoch rezensierten sie es im »Ladys Monthly Museum« 1799 (III. 71) unbarmherzig, fanden nur die Charakterzeichnung rühmlich, tadelten dagegen die vielen Unwahrscheinlichkeiten und den Mangel an poetischer Gerechtigkeit und schlössen diktatorisch: »The composition discloses some glimmerings of genius, but it has little interest, no morality and no use«. Diesem schwächlichen Experimente setzte Scott, ohne es zu kennen, gleichzeitig eine energische Leistung an die Seite. Der Weg freilich, auf welchem er, der geborene Epiker, zum Götz kam, ist uns nur durch wenige Marksteine angedeutet. Noch in demselben Jahre, in welchem seine Ubersetzungen Bürgerscher Balladen erschienen, hatte er sich zum Drama gewandt; sein Gedächtnis war förmlich geladen mit einer Unzahl mittelalterlicher Lebenszüge aus Liedern und Chroniken, und wie das Talent stets nach organischem Zusammenordnen strebt, dachte auch Scott an ein einheitliches feudales Lebensbild im großen Stile, wozu er in den gepriesenen deutschen Dramen die besten Vorlagen zu finden glaubte. So dürfte es sich erklären, daß er 1796 und 1797 Ifflands »Mündel«, Babos »Otto von Wittelsbach« und Meiers »Fust von Stromberg« übersetzte oder wenigstens zu übersetzen begann. Erst 1798 scheinen ihn Goethes Balladen dazu geführt zu haben, auch in dessen anderen Werken zu blättern und den vergessenen oder mißachteten Götz zu entdecken; der romantische Stoff, die vielen epischen Momente der Form konnten nicht verfehlen, ihn anzuziehen, und wie hoch er ihn sofort über die vorgenannten Ritterdramen stellte, geht schon daraus hervor, daß er ihn nicht bloß übersetzte, sondern ihn allein der Veröffentlichung wert hielt. Lewis bot das Manuskript im Januar 1799 einem Londoner Verleger an, und bereits im folgenden Februar kam das Buch auf den Markt. Aus der Einleitung, welche Scott voranschickte, ergibt sich, daß B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
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sein Interesse hauptsächlich den Schilderungen chevaleresker Sitte galt, also antiquarisch-romantischer Natur war. Über den Kunstwert des Dramas wagt er sich nur kurz und unentschieden zu äußern: er hält es für eine Nachahmung der Shakespeareschen Manier nicht in bezug auf den Stil, sondern auf die Zeichnung der Charaktere und die Führung der Motive. Die Behauptung, daß seine große Beliebtheit in Deutschland zum Teile aus nationaler Parteilichkeit entspringe, hat er fast wörtlich aus Mackenzies Essay entlehnt. Vergleicht man Scotts Übersetzung mit dem Original, so muß man sich vor allem seine Gewohnheit gegenwärtig halten, unbekannte Wörter nicht mit Hilfe eines Lexikons, sondern seiner Kenntnisse vom Angelsächsischen und Schottischen zu entziffern, um sich die seltsamen Mißverständnisse, welche ihm dabei passierten, erklären zu können. Bruder Martin z. B. sagt vom Garten seines Klosters: »das ist nun ihr Bienenkorb«; Scott identifizierte »Bienen« mit beans und schrieb: »where they have raised beans« (Bohnen). Bald darauf bemerkt derselbe Bruder: »mein Kloster ist Erfurt in Sachsen«. Scott dachte bei »Erfurt« an »führen«, bei »Sachsen« an »Sachen« und übersetzte: »the convent is involved in business« u. dgl. Abgesehen von solchen unwillkürlichen Abweichungen zeichnet sich Scott durch große Treue gegenüber dem kräftigen Stile des »Götz« aus; er und sein Freund Lord Tytler, in seiner Übersetzung von Schillers Räubern 1790, haben am meisten dazu beigetragen, den Stil des Sturmes und Dranges in England bekanntzumachen. Nur wenige derbe Ausdrücke, Liebetrauts zweideutiges Liebeslied, die Küsse zwischen Adelheid und Franz, sowie die Bibelzitate hat Scott mit Rücksicht auf sein prüderes Publikum beseitigt. Dieselbe Rücksicht auf seine Leser bewog ihn auch, fremde Begriffe, z. B. Schöffe, Urfehde, zu umschreiben, und Anspielungen, welche nur für einen Deutschen verständlich und interessant sein konnten, z. B. auf Köln, Teuerdank und Rübezahl, zu streichen. Von den Charakteren hat er das, was ihm selbst aus den heimischen Border Ballads geläufig war, mit der größten Liebe bewahrt: die rohe Kraft und eiserne Nervigkeit im Kampfe, die gesunde Erholung bei Festlichkeiten und vollen Humpen. Aber mancher feine und wohlberechnete Zug, welcher diesen reckenhaften Grundton anmutig unterbricht und uns die Personen menschlich näherbringt, ist ihm entgangen: die Äbtissin hat ihr »Herz voll Empfindung« verloren, Maria hat an Liebesinnigkeit, Weislingen an Gutmütigkeit eingebüßt, und Götz darf als eiserner Ritter nicht mehr klagen, daß ihm das Leben sauer gemacht werde. Die vorhergehende sentimentale Literaturperiode hätte sich gerade an diesen naiven, gemütsvollen Zügen geweidet; Scott aber wandte sich von ihr entschieden, vielleicht
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zu sehr ab. Die rauhe Luft aus dem schottischen Hochland und Altertum hatte ihn abgehärtet. Dafür machte sich seine alte Sucht nach dem Schrecklichen gelegentlich geltend, z. B. wenn er einen der Zigeuner b l u t i g vom Streifzuge zurückkehren läßt. Wichtig ferner ist, daß Scott von den sozialen und politischen Tendenzen des Sturmes und Dranges im »Götz« keine aufnahm; er war und fühlte durchaus aristokratisch-konservativ. Goethe hatte Liebetraut und den Bauern bei der Hochzeit einige volkstümliche Ausfälle gegen die Juristen in den Mund gelegt: Scott strich sie. Bei Goethe gibt Elisabeth wie eine deutsche Bürgersfrau dem gefangenen Weislingen selbst zu essen, bei Scott ist sie vornehmer geworden und darf es bloß anordnen. Der Dialog zwischen Adelheid und Liebetraut über das Schachspiel zu Anfang des 2. Aktes ist bis zu den Worten des Bischofs »Er will nicht kommen« ganz weggelassen wegen seiner königsfeindlichen Tendenz. Fassen wir zusammen: das Drama hat unter Scotts Händen in seinen a l l g e m e i n m e n s c h l i c h e n M o t i v e n g e l i t t e n und dafür einen m e h r r o m a n t i s c h e n C h a r a k t e r (im englischen Sinne des Wortes) a n g e n o m m e n . In letzterer Hinsicht war eben Scott bereits Meister, in ersterer hatte er von Goethe zu lernen, und wie er dies tat, zeigt uns zunächst sein erstes Originaldrama »The House of Aspen« (Frühjahr 1799). Es ist eine Prosatragödie voll rauher, leidenschaftlicher Ritter und gespenstischer Erscheinungen, geheimnisvoller Untaten und blutiger Bestrafung, Überraschung und Schauder, Gesänge und melodramatischer Effekte, welche sich literarhistorisch eng an Lewis' Castle-Spectre anreiht. Aber Scott übertraf seinen phantastischromantischen Vorgänger an Streben nach historischer Wahrheit und ansprechender Charakterschilderung, und zwar unter dem deutlich nachweisbaren Einfluß des Götz. Charakteristisch dafür ist vor allem die Gewinnung der Fabel. Lewis hatte sie fetzenweise aus deutschen und englischen Quellen modernen Datums zusammengelesen und nach eigener Erfindung zu einem Ganzen verquickt; Scott aber wußte, daß Goethe einfach Götzens Autobiographie dramatisiert hatte, und wollte daher ebenfalls eine historische Aufzeichnung zugrunde legen. Freilich geriet er dabei nur an die pseudohistorischen »Sagen der Vorzeit« von Veit Weber (Pseudonym für Leonhard Wächter). Ferner sehen wir die alten Ritter nicht bloß tändeln und kämpfen, Schrecken einjagen und äußern, wie in den vorausgehenden englischen Rittergeschichten, sondern wir beobachten auch das realistische Detail ihres Lebens, ihr Wirtschaften und Kranksein, wie es uns im Götz vor Augen geführt wird. Von den Charakteren zeigt der Baron Rüdiger von Aspen, 14*
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welchem bei Veit Weber ein tyrannischer, wollüstiger Herzog entspricht, die größte Ähnlichkeit mit dem alten Götz selbst: er heißt »old Rudiger with the iron arm«, dürstet nach Kampf und nach Kampfesehre, ist aber zu seinem größten Leidwesen durch eine Verwundung genötigt, auf seinem Schlosse in der Pflege seiner Frauen zu bleiben, während seine beiden Söhne gegen den Erbfeind des Hauses zu Felde ziehen. Seine altdeutsche Biederkeit und hausväterliche Gutmütigkeit zeichnen ihn vor allen Rittergestalten in Scotts Epen aus und sind zugleich der Haupteinwand, der gegen die poetische Gerechtigkeit des Stückes erhoben werden kann; denn ganz unverdienterweise fällt ihm das Unglück zu, den Tod seiner Frau und eines Sohnes beklagen zu müssen. Sein Weib Isabella erinnert durch häusliche Fürsorge und aufopfernde Liebe an Götzens Frau, gleicht aber im allgemeinen mehr der bigotten Adelheid im »Fust von Stromberg«. Dafür ist Gertrud, die Nichte der Baronin und Braut von Rüdigers zweitem Sohne, welche bei Veit Weber keine Entsprechung hat, durchaus ein Abbild der »sanften Maria«: sie bebt vor allem Blutvergießen zurück, bewahrt ihrem Bräutigam eine naive Treue und wohnt auch in seinem Schloß: eine ungewöhnliche Situation, auf welche Scott schwerlich verfallen wäre, wenn ihm nicht das Verhältnis Marias zu Weislingen, der freilich als Gefangener auf ihrer Burg zu leben gezwungen ist, vorgeschwebt hätte. Die Krieger schlagen sich tapfer, mit wechselndem Vordrängen und Zurückweichen; ihre Sprache wimmelt von Kraftausdrücken und Flüchen, fast wie im Götz. Die engste Ähnlichkeit aber bietet die Femeszene am Schluß, wo die Baronin wie bei Veit Weber wegen der Vergiftung ihres ersten aufgedrängten Gemahls verurteilt wird; Scott hielt offenbar die einleitenden Formeln und Fragen der Richter im Götz für authentisch und nahm sie im Interesse der historischen Wahrheit teilweise wörtlich herüber. All das half, die Tragödie wenn nicht zu einem richtigen, so doch zu einem lebensvollen und vielfach sogar ansprechenden Gemälde der Ritterzeit zu machen, und das bedeutete im Vergleiche mit den einheimischen Vorgängern Scotts nicht wenig. Die englische Romantik hatte sich bisher auf eine rohe und oberflächliche Nachbildung mittelalterlichen Treibens beschränkt und war über Burgverließe, Hellebarden, Aberglauben und ähnliche Äußerlichkeiten kaum je hinausgekommen. Scott suchte sie zu vertiefen, die Burgen und Rüstungen nicht bloß mit modernen Sentimentalisten und Schönrednern, Karikaturen und Gespenstern auszufüllen, wie Lewis und Southey, sondern mit wirklichen Menschen des Mittelalters. Im kleinen konnten ihn dies freilich schon lange vorher die Balladen lehren, im großen Stile aber wurde sein eigentliches Vorbild erst der Götz, eine Wahl, welche
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für ihn noch charakteristischer wird durch die Erwägung, daß die übrigen größeren Jugenddramen Goethes, Clavigo und Stella, deutsch und englisch in seiner Bibliothek standen, ohne auf seine Produktion einen merklichen Einfluß zu üben. Der Erfolg, welchen diese ersten größeren Werke von Scott, die Götz-Übersetzung und »The House of Aspen« damals erfuhren, war so gut wie keiner. Aus der allgemeinen Begeisterung für deutsche Poesie waren sie hervorgegangen, und mit ihr fielen sie. Während Scott in Edinburg unbefangen arbeitete, hatten in London die Antijakobiner ihre literarische Diktatur bereits aufgerichtet und befestigt. In ihrem tendenziösen Hasse gegen alles Deutsche verfolgten sie selbst eine Dichtung, welcher sie keine politische Gefährlichkeit nachsagen konnten, wie den Scottschen Götz; The Anti-Jacobin Review I I I , 2 1 0 fand in ihm 1799 kaum eine sehr schwache Ähnlichkeit mit Shakespeare und wenig von der Natürlichkeit des Werther und tadelte den Verfasser als zu ungebunden und revolutionär in bezug auf die Einheit des Ortes. Unter solchen Umständen dachten natürlich wenige an das Kaufen und niemand an eine Aufführung, und als Scott sein House of Aspen 1799 an das Drury-Lane-Theater in London einsandte, antwortete der berühmte John Kemble höflich ablehnend: es enthalte zu viel Feme und Blut, Grausamkeit und Feierlichkeit, was auf deutsch beiläufig hieße: es sei zu sehr im verrufenen Geschmack des deutschen Schauderdramas gearbeitet. Die Enttäuschung mußte den angehenden Dichter für den Augenblick entmutigen, gereichte ihm aber dennoch zum Glück; denn sie bewog ihn, dem deutschen Drama für immer, der dramatischen Gattung überhaupt aber für das nächste Dutzend Jahre zu entsagen (The House of Aspen ließ er sogar bis 1829 ungedruckt im Pulte liegen) und sich auf ein Schaffensgebiet zu werfen, welches für sein Talent und für die Zeichnung romantischer Zeitbilder das einzig passende war: auf das Epos. Seine erste Schöpfung dieser Art war »The L a y of the Last Minstrel«, begonnen 1802, veröffentlicht 1805. Trotz der metrischen und stilistischen Anlehnung an Coleridges »Christabel«, trotz des engen Anschlusses an alte Traditionen und historische Details, welche die zahlreichen Anmerkungen dokumentieren sollen, zeigen die Grundzüge der Fabel und der Charaktere unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Götz. Das Ganze dreht sich um die Belagerung eines Schlosses durch Übermacht. Ritter Deloraine, der Hauptverteidiger, hat zwar nicht die gemütsvollen Seiten des Götz, aber er hat sich ebenso Gewalttätigkeit und Selbsthilfe zuschulden kommen lassen, und ebenso muß er trotz seiner Streitlust tatenlos unter Frauenpflege liegen, während draußen die Feinde die Mauern umschließen. Die
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übrigen Verteidiger sind tapfere Freiheitskämpfer und wollen von Übergabe anfangs nichts wissen. A n ihrer Spitze steht die Schloßbesitzerin, an Unerschrockenheit und weiblicher Hoheit ein Abbild der Elisabeth. Ihr Sohn, der einzige Knabe im Epos, erinnert an den Knappen Georg; denn trotz seiner Jugend beschäftigt er sich am liebsten mit Speeren und Rossen, so daß ihm ergraute Soldaten großen Kriegsruhm prophezeien. Aber trotz aller Kühnheit muß sich die Besatzung allmählich zu einem Vertrage bequemen, welcher allerdings nicht, wie im Götz, auf Urfehde hinausläuft, sondern auf ein Turnier. K a u m ist er geschlossen, so erscheint ungeahnter Ersatz: vielleicht ein Anklang an die zeitgemäße Hilfeleistung des treuen Sickingen. — Neben diesen kriegerischen Ereignissen spielt auch eine Liebesepisode: das sanfte Schloßfräulein ist in einen Feind des Hauses verliebt und erklärt sich, gleich der Maria im Goetheschen Drama, in einer zärtlichen Szene bereit, ihm die Hand zu reichen, um dadurch die Zwietracht der Familien in Freundschaft zu verwandeln. Allein da sich hier der Liebende nicht flatterhaft, sondern ritterlich ehrenhaft bewährt, also kein Kontrast zwischen einem biederen Götz und einem wortbrüchigen Weislingen zu zeichnen war, steht diese Episode mit der Haupthandlung in keinem inneren Zusammenhange und verrät sich dadurch um so gewisser als geborgt. So hat Scott den allgemeinen menschlichen Rahmen für seine glänzenden romantischen Detailschilderungen im wesentlichen dem Götz entlehnt, und selbst die Kompositionsweise erinnert an den letzteren; denn die Handlung entwickelt sich nicht in ruhigem epischem Fluß, sondern ruckweise, in szenenartigen Situationsbildern. Ähnlich wirkte der Götz auch noch auf Scotts zweites Epos »Marmion«, veröffentlicht 1808. Die Hauptperson gleichen Namens ist eine A r t Weislingen, nur energischer und großartiger, wie denn Scott überhaupt die seltenen -Beispiele menschlicher Niedrigkeit, welche er der Aufnahme in seine Epen würdigte, mit dem idealen Schleier chevaleresker Verklärtheit zu überkleiden pflegt und dadurch Goethe gegenüber an realer Wahrheit verliert. Marmion hat seine ihm innig ergebene Geliebte treulos im Stiche gelassen und stellte dafür einer andern, Cläre, nach, welche ihn verschmäht. Die erste stirbt durch ein heimliches Gericht wie Adelheid im Götz; die letztere ist einem andern Ritter verlobt, muß ihn aber nach einem hastigen Segen in der Burgkapelle sofort in den Kampf entlassen, wie Maria ihren Sickingen. Diese Schlacht findet statt bei Flodden Field ( 1 5 1 3 ) ; Marmion streitet tapfer, sein Helm schwankt im dichtesten Gedränge auf und nieder, und einige seiner Begleiter schauen ihm von einer Erhöhung aus angsterfüllt zu, wie Selbitz mit seinen Knechten dem Götz. Schließlich wird Marmion verwundet und muß sterben, halb
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in Weislingens, halb in Götzens Art. Einerseits nämlich taucht in ihm der quälende Gedanke an seine verlassene Geliebte auf, er glaubt sie zu sehen wie Weislingen den Geist Marias; alle haben ihn verlassen, nur seine zweite Geliebte, die schwer beleidigte Cläre, ist in den letzten Augenblicken bei ihm, sie klärt ihn über die Folgen seiner Untreue auf, sie bittet er, für ihn zu beten. Andererseits ist auch der unerschütterte Kampfesmut des Götz in ihm, und schon ausatmend reckt er sich noch einmal auf und ruft »victory, victory!« Man sieht, wie sich die Nachklänge des Goetheschen Dramas in Scotts Gedächtnis verwirrten und verdunkelten. Hatten sich bereits diese beiden Epen vom House of Aspen dadurch unterschieden, daß sie nicht mehr von altbayrischen Schlössern, Rittern und Sitten handelten, sondern von altschottischen, so stellte sich Scott im dritten vollends auf nationalen Boden. The L a d y of the Lake (1810) weist weder in der Fabel, noch in den Charakteren, noch im Detail einen direkten Einfluß des Götz auf. Auch wenn man in seinen späteren Werken auf den ersten Blick da und dort Anklänge zu finden glaubt, z. B . in der Belagerungsszene im »Ivanhoe« (Lockhart), zeigen sie sich bei näherem Zusehen so umgeformt, daß man sie eher auf verwandte Szenen im L a y of the Last Minstrel und Marmion als auf den Götz zurückführen muß. Der Grund dafür ist aber nicht etwa in einer geringeren Wertschätzung Goethes zu suchen; denn immer und immer, selbst noch in seinem Todesjahr, sprach Scott von Goethe mit hoher Achtung und dem Gefühle der Verpflichtung und gab dieser Überzeugung in einem Briefe an Goethe 1 8 2 7 (bei Lockhart) auch schriftlichen Ausdruck. Scott war einfach mit den Jahren reifer und selbständiger geworden; wer den Geist, die Schaffensmethode eines Dichters erfaßt hat, braucht nicht mehr seine Schöpfungen nachzuahmen. V I . D a s e r s t e V i e r t e l d e s 19. J a h r h u n d e r t s . Die Angriffe der Antijakobiner hatten die erste Periode des Deutschstudiums in England abgeschlossen. Sie verminderten wohl die Anzahl der englischen Goetheverehrer; aber eine so naturnotwendige Kulturbewegung wie die Aufnahme der deutschen Literatur und ihres Altmeisters konnten derartige Hindernisse nicht abdämmen, sondern nur läutern. Sie drängten das Goethestudium auf einen engen, aber solideren Weg. Das 19. Jahrhundert zeigte sich ärmer an Enthusiasmus, aber auch vorsichtiger im Absprechen; es ahmte seltener nach, aber dann desto innerlicher. E i n deutliches Beispiel dafür hat uns bereits Schottland geboten: unter dem Eindrucke dieser Verhältnisse war Scott zu einer freieren, originelleren Nachbildung des
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»Götz« übergegangen. In England äußerte sich diese Wendung zunächst durch eine geänderte Übersetzungstechnik. Rev. J . Beresford, Englischlehrer der jungen Königin von Preußen, übertrug kurz vor 1800 die Balladen »König von Thüle«, »Fischer«, »Sänger«, »Veilchen« u. a. 1 mit einer Schlichtheit und Treue, welche sie im Vergleich mit Lewis' Paraphrasen zu wahren Aneignungen stempelt. Werther erfuhr innerhalb zweier Jahre drei neue Übersetzungen (von W. Render, 1801, Dr. Pratt, 1801 oder 1802, F. Gotzberg, 1802), welche im Unterschied von den früheren nach dem deutschen Original (in zweiter Fassung), und, wie sie wenigstens behaupten, mit möglichst engem Anschluß an dasselbe gearbeitet sind. Auch die Nachahmungen des Werther verraten ein tieferes Erfassen seines Gehaltes. Er wird nicht mehr bloß als ein sentimentales Produkt geschätzt, sondern als ein revolutionäres. Vor allem ist hierbei eine irische Romanschriftstellerin zu nennen, Miß Sidney Owenson, später Lady Morgan. Wie Hazlitt, Coleridge1 und Southey3 verehrte sie Werther und Rousseau auf einem Altar. »Keinen Autor«, sagt sie in ihren Memoiren, »lese ich mit mehr Vergnügen als Goethe und Rousseau; sie sprechen zu meinem Herzen, sie erweitern meine Ideen, sie befreien meinen Geist und kräftigen jene Bande der Menschenliebe, welche mich an meine Mitgeschöpfe knüpfen«. Sie stellte die beiden hoch über Richardson und trieb die Schwärmerei für Werther so weit, daß sie ihn ihrer Freundin nicht durch den Dienstboten senden wollte: »das wäre Profanation«. Aber während in den Gedichten der obenerwähnten Lakisten kein Detaileinfluß des Werther wahrzunehmen ist, zeichnete sie schon in ihrem ersten Romane (1803) in der Hauptperson einen Charakter, welchen man mit Recht einen weiblichen Werther genannt hat; dieselbe erzählt nämlich, natürlich in Briefform, wie sie am Tage, bevor sie mit dem ihr bestimmten Manne vermählt werden sollte, ihrem Geliebten eine Privataudienz gab, und beschreibt sich selbst mit größter Aufrichtigkeit als ein Weib, welches unter der Maske des Gefühls eine verbrecherische Leidenschaft nährt und nähren muß. Auch in ihren folgenden Romanen handelt es sich gewöhnlich um emanzipierte Frauenzimmer und jakobinischen Aristokratenhaß, um abenteuerliche verbotene Liebe und Unbezähmbarkeit der Natur. Aber dabei blieb sie stehen. Sie ist mehr raisonnierend als gedankenhaft; sie eifert nur mit Rousseau gegen die konventionellen Schranken, welche in der zivilisierten Welt bestehen, statt sich mit Werther gegen die angeborne Beschränktheit der Menschennatur aufzulehnen. Daher kam sie über den noch halb Rousseauschen Werther nie hin« Gesammelt herausgegeben 1821 als Specimens of German Lyrics. » W. Hazlitt, Memoirs (ad 1798). 3 Life and Correspondence, Brief vom 12. März 1799.
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aus zu den Werken, in welchen Goethe diese Grundidee des Sturmes und Dranges klarer und ausschließlicher entwickelt hat, und die ganze Seeschule teilte Lady Morgans Schicksal. Coleridge, Hazlitt und selbst die liberale Edinburgh Review (von 1816) hielten alle folgenden Dichtungen Goethes, auch den Faust, für schwächer als den Werther, Southey und Wordsworth lasen sie nicht einmal mehr. Während also Goethe immer tiefer aus der Fülle klassischer Schönheit und physikalischer Erkenntnis schöpfte und schließlich zu den Müttern hinabstieg, saßen die Vertreter des konservativen Liberalismus, wie Brandes die Lakisten treffend nennt, noch immer auf Lottens Sofa; kaum mahnt je einer ihrer Verse an das titanische Sehnen und Ringen nach dem Übermenschlichen, welches bereits die Antijakobiner in den Dramen des Sturmes und Dranges gefunden hatten (Vorrede zu The Rovers), und welches bereits im Werther, vor allem aber im Faust pulsiert. Diesem Gefühle Ausdruck zu geben, war unter den englischen Dichtern erst Byron und Shelley vorbehalten. Obwohl beide auf entgegengesetzte Extreme hinausliefen, jener auf einen trostlosen Pessimismus, dieser auf einen Traum von der Wiederkehr eines goldenen Zeitalters, begegneten sie sich doch in der idealen Geringschätzung der bestehenden Verhältnisse, in dem wilden Streben nach dem Unendlichen und Grenzenlosen, nach »things beyond mortality«, wie es im »Manfred« heißt, und der allbekannte Werther kann auf sie nicht hierin ohne Einfluß geblieben sein. Wir haben sogar direkte Zeugnisse für ihre Bekanntschaft mit Goethes Erstlingsroman. Der junge Shelley trug sich, wahrscheinlich 1811 oder 1812, mit dem Plane, ihn fortzusetzen oder vielmehr umzugestalten, wobei Albert aus seiner philiströsen Ruhe endlich auffahren und »das rechte Ding in der rechten Weise tun sollte« (Hogg, Life of Shelley p. 488). Also gerade das, was bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts an Werther ausschließlich gefallen hatte, das passiv Sentimentale, wollte er mit drastischem Spotte abschneiden; desto mehr Sinn hatte er für die himmelsstürmerische Idee des Sturmes und Dranges, durch welche der junge Goethe über Rousseau hinausging und bezeichnenderweise sagt er einmal in seinen Essays, Rousseau gehöre bereits der Literaturgeschichte; Goethe aber noch ganz der Gegenwart an. Byron ging noch weiter: er brachte seinen Pessimismus mit dem Werther in unmittelbaren Zusammenhang; als sich nämlich Goethe in »Kunst und Altertum« über die Selbstquälerei und hypochondrische Stimmung des Manfred aufhielt, entgegnete Byron bedeutsam, daß Goethe selbst »durch ein einziges Prosawerk größere Lebensverachtung erweckt habe als alle englischen Bände von Poesie, die je geschrieben wurden« (Widmung des Marino Faliero). Auch Shelleys Gemahlin hatte sich tief in
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Werthers Selbstmordargumente hineingelebt und versuchte in ihrem Romane »Frankenstein or the Modern Prometheus« (1816) nach ihrem eigenen Geständnis einen ähnlichen Geist zu zeichnen. Inzwischen waren politische Ereignisse eingetreten, welche die Haltung des englischen Publikums gegenüber der deutschen Literatur wieder stark veränderten. Der Kampf gegen Napoleon hatte Deutschland zum Bundesgenossen der Briten und, wie die Edinburgh Review sich ausdrückt, zum ersten Reiche des Kontinents gemacht; in diesem befreundeten, angesehenen Lande aber galt Goethe unbestritten für den größten lebenden Dichter. Der allgemeine Friede beförderte ferner den literarischen Verkehr der europäischen Völker; »Dichtung und Wahrheit«, Schlegels »Vorlesungen«, Staels »Allemagne«, verkündeten jenseits des Kanals Goethes Ruhm. Nicht ohne Rückwirkung blieb es auch, daß jene englischen Dichter, welche von dem Geiste des Götz und Werther zumeist getrunken hatten, die gefeiertsten des Tages wurden; nur aus Scotts Einflüsse erklärt es sich z. B . , daß zuerst die Edinburgh Review von dem üblichen geringschätzigen Urteile über den Götz abwich und 1 8 1 6 in einer Rezension über Goethes Autobiographie ( X X V I . 3 1 0 ) dies romantische Drama für sein bestes Werk erklärte: in der Burg zu Jaxthausen sei er besser daheim als in einem modernen Schlosse, und die Schmauserei an der Tafel des Bischofs von Bamberg bereite ihm ein herzlicheres Wohlgefallen als ein klassisches Symposion. A m meisten endlich zur Steigerung der Goethebewunderung hat vielleicht Byron beigetragen, welcher in künstlerischem Enthusiasmus der nationalen Vorurteile sich entschlug und ihn allein von allen lebenden Dichtern als seinen Meister anerkannte. Aber die Goethestudien, welche unter diesen günstigen Umständen wieder üppig aufblühten, verfolgten wesentlich andere Ziele als vor der antijakobinischen Reaktion. Damals, zur Zeit der Französischen Revolution, hatten besonders die Natürlichkeit und Leidenschaft seiner Jugendwerke gefallen; jetzt hingegen, in den Tagen des Friedens, fing man an, sich mehr an dem abgeklärten Gedankengehalt und der vollendeten Form seiner späteren Schöpfungen zu ergötzen. So wird es begreiflich, warum die Motive des Werther in Byrons und Shelleys Dichtungen keinerlei Detaileinwirkung hinterließen: er bereitete sie nur auf ihre Fauststudien vor. Goethes Jugenddramen erweckten in England vollends nur mehr ein literarhistorisches Interesse, und neben der traurigen Vergessenheit, in welche besonders Clavigo und Stella verfielen, nimmt es sich fast wie Spott aus, daß eines der kleinsten und harmlosesten darunter, das »Fastnachtsspiel von Pater Brey«, Byron in seiner besten Zeit als Muster zu einem satirischen Gedichte auf einen fanatischen Prediger vorschwebte (Trelawny,
Die Aufnahme von Goethes Jugendwerken in England.
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Records 2. Aufl. 1878 I. 231). Nach dem Bilde des r e i f e n M a n n e s Goethe verlangte die reifer gewordene Nation, und der Mann, welcher ihren Wünschen entgegenkam, war Thomas Carlyle. Im Todesjahre Byrons 1824 trat er mit seiner Übersetzung von »Wilhelm Meisters Lehrjahren« hervor und sprach in der Vorrede dazu die Möglichkeit und die Absicht aus, die wertherartigen Vorstellungen von Goethe, welche in England noch immer vorherrschten, zu beseitigen und seine Persönlichkeit, sein künstlerisches Wesen unverfälscht und aus dem vollen zu zeichnen. Ein entschieden kosmopolitischer Zug lenkte ihn dabei; denn »Geister wie Goethe«, sagt er in der zitierten Vorrede, »sind Gemeingut aller Nationen, und aus vielen Gründen sollte jedermann richtige Eindrücke von ihnen haben«. In diesem Sinne wirkte er durch Übersetzungen und kritische Essays; er lehrte seine Landsleute einerseits die Jugendwerke Goethes richtiger würdigen, indem er Scott als die Vollendung des Götzismus, Byron als die gewaltigste Erscheinungsform des Wertherismus hinstellte; und andererseits führte er sie zuerst zu einem eindringenden Verständnisse seiner klassischen Dichtungen »Iphigenie«, »Wilhelm Meister« und »Faust«. Von Carlyles Auftreten an haben wir in England nicht mehr von einem Kultus des jungen, sondern des ganzen Goethe zu sprechen.
Namenregister. Abelard 42 Adam 45, 49, 52, 84 Adamnan 32 Addison 130, 188 Adeliza 1 1 6 , 1 1 8 .iEdilberg 68 ^ d i l b e r t 67 Ägisthus 75 ^Elfflaed 69 f. ^Elfgeat 48 vElfric 39 ^Elfwine 9 Äneas 61, 78 fi. jEschere 77, 78, 80 yEtlielbald 60 ^Ethelred 69 iïthelward 47, 51—54, 58, 65 iBthelwold 39 .flithelwulf 45 Agamemnon 75 Akka 109 'Alabaster' 177 Alboin 9 Albwine 74 Alcuin 5 Aldfrid 77 Aldhelm 6, 77 Alexander d. Gr. 62, 92, 1 2 4 Alired 4 ff., 16, 17, 19, 30, 34. 39, 40, 50, 54, 61, 65, 86 ff., 1 1 0 f. Allibone 190 Alusa 46 Anchises 79 Angeln 4, 6, 7, 9, 1 1 , 53 Angengeat 48 Anselm 39, 42 Apollonius von Tyrus 124 Arcitas 44 Arculfus 32 Argonauten 25 ff., 62 Aristophanes 98 Aristoteles 98, 162, 1 9 1 , 207 Armstrong, John 1 9 1 Arthur 53, m , 124 Ash, E . 194, 195, 208
Asser 5, 6, 1 1 , 39, 49, 50, 52, 53, 58, 65 Athelstan i n , 124 Athulf 51 Attila 2, io, 16, 22 Audulf de Bray 1 1 4 Augustinus 36, 40, 42 Augustinus, Missionar 76 Babo 209 Baduhild 16 Bseldxg 46 Baker 206 Baldulf i n f. Bandello 184 f. Banquo 93 Barber 90, 123 f. Bardeney, Kloster 69 Barruel, Abbé 206 Beaw 49—53. 63 f. Becket, Thomas 41, 1 1 5 Beda 4, 12, 17, 28, 3 1 ff., 38, 39, 46, 47, 58, 60, 64, 67 ff. Bedwig 49, 50, 52, 53, 55, 57, 58, 61, 64 Beerbohm-Tree 145 Bellenden 95 ff. Benedikt, Missionar 4 Beowulf 1, 16, 18, 37, 83 Beresford, J . 2 1 6 Bernhard von Clairvaux 42 Berta 67, 68, 70 Binz 14 ff. Bismarck 166 Blades 98 Blaedla 17, 22 BlUcher 16 Bodmer 186 Boethius 3, 44 Boethius, Hector 93—97 Boisteau 184 f. Bonifatius 33 Bonn 167 Borgia, Stephan 34 Borr, Vater Odins 47 Bouhours 187 Brahm 139
Namenregister. Brandes 194, 217 Breca 1 Brond 46 Brooke 183 g. Bruce 90, 123 Brünhilde 3, 10 ff. Brunildeberge bei Clapham 1 1 , 14 Brutus 61 Brynnane-Wald 91 Bucban 125 Buchanan 94 Büchmann 165 Bürger 137, 198, 201 Burgred 6 Burgunder 2, 3, 7 Burnaston (Derb.) 14 Burney 191 Burnildisgate bei Tarleton 1 1 , 13 Bums 36, 190, 198 Byron 36, 161, 202, 217 ft. Cacus 75, 77, 78, 80 Caedmon 28, 31 Caedwalla 68 Canning 202, 204 Cappell 143 Carlisle 133 Carlyle 161, 172, 193, 219 Cavella-Silchester 76 Caxton 98—102
Ceolfrid von Wearmouth 34 Cerdic 45, 46, 51, 55 f. Ceres 54 Chambers 104, 108, 125 Charibert 67 Charon 79 Chatterton 192 Chaucer 20, 44, 90, 95, 103, 104, 1 1 5 , 126, 132,
134,
136,
161
Child 125, 126, 130, 135 Cockersand (Lane.) 1 1 , 1 3 f . Coifi, Oberpriester 46 t. Coleridge 3 6 , 2 1 3 , 2 i 6 f . Colgrim h i Collins 186 Columban 1 1 Colvin 1 3 1 Cook, A. S. 29 Corneille 163 Cornwall 54 Cromwell, Thomas 1 1 9 Cuthbert 77 Cynegil 77
221
Cynewulf 28, 30, 3 1 , 35, 39, 40, 42, 86 —, König 52 Dacien 17 Dädalus 74 Dänen 17, 62, 64, 66, 72 Dagobert 68 Dante 44, 79 David 40, 42 —.Minstrel 116, 1 1 8 Davy, Adam 1 1 9 Deor 9, 16, 36, 107 Devrient, Ludwig 165 Dickens 161 Dietrich von Bern 2, 3, 7 ff., 12, 15, 1 7 0 . Dilthey 166 Diogenes 98 Dorchester 77 Drake, N. 194 Dryden 169, 191 Dumferline 129 Duncan 91 Dunsinane 91 f. Durham 16 Eadbald 67 Eadmer 39 f. Eadmund 6 Eadwine 47, 68 Ealhflzd 69 Eanflaed 68 ff. Eatule (Italia) 9 Ecgbeorht II. 6 Ecgwela 6 3 ! Eckehart i 8 f . Eddius, Stephanus 1 1 Edgar 50, 58, 124 Edmundsbury 108, 1 1 5 Edmundson 43 Eduard der Bekenner 52, 58 — I. 108f. — II. 1 0 8 , 1 1 9 — III. 1 1 5 , 1 2 0 Effingham 188 f. Eithesi 53 Elesa 46 Ellis, G. 202 Ely 1 3 2 Emma 67 Ermanrich 2, 3, 7, 8, 12, i5ff., 21 Esla 46 Eugen IV. 34 Exeter 75
222
Namenregister.
Falstaff 175, 178 Fastolf 98 Fichte 205 Fielding 191 Finn 48, 58, 125 Fitz-Warin 1 1 4 Florence von Worcester 6, 50, 70 Förstemann 55 Folcwald 48 Fontane 137 Fox 36, 43 Franken 10, 26, 66, 67, 75 Fräser, Simon 1 1 9 Frealaf 47, 48, 50, 51, 58 Freawine 46 ff. Fredulf 48 Freiligrath 166 Frere, Hookham 202, 204 Friedel, A. C. 193 ff. Friedrich, Sohn Ermanrichs 8 — II. 195 Friothulf 48 Frithogar 46, 48 Frijmwald 48 Frijmwulf 48 Furnivall 98 f. Gado [ = Wade] 20 f. Gaedertz 181 Gaimar 116, 1 1 8 Galenus 98 Galfrid von Monmouth 53, 1 1 1 , 1 1 2 , 1 1 7 Ganelon 16 Gauten 3, 16, 17, 48 66, 70 Geat 47—53. 57. 58, 05 Gelasinus 154 Georg I I I . 186 Gervas von Tilbury 43 Gessner 186 Geta 50 Gibbon 36 Gifford, John 187 Giraldus Cambrensis 4 1 , 43 Gisborne 206 Giselher 1 1 Giwis 46 Glastonbury 12, 50—54, 58, 65 God(w)ulf 48 Goethe 137, 148, 1 6 1 , 163, 166, 170, 179 Goten 2, 10, 16, 17, 53, 74, 76 Gotzberg, F. 216 Gower 90, 95, 109, 1 1 5 Gray 186
Gregor d. Gr. 1 1 , 32 — von Tours 67, 70 Grendel 2, 75, 77—80, 83, 1 3 1 Grendlesmere 64 Grenzner, Felix 24 Grimald 154 Grimm 3, 27 Grosseteste 12 Gudrun 24 Gunhild, Tochter Knuts 124, 130 Gunther 18, 24 ff. Gwynne, Dr. 96 Hackenberg 45, 47 Hagen 18, 24 Haithebi 53 Hama 9 Hafcra 4 9 , 50, 52, 53, 55, 57 Hazlitt 1 1 6 f. Healfdene 6, 64 Hecate 27, 96 f. Heime 15, 16, 21 Heine 161 Heinrich I. 106, 108 - IV. 175 - V. 175 — VII. 177 Helena, Kreuziinderin 39 Hengest 15, 16, 18, 52, 72 £. Heodeninge 36 Hercules 8, 27 Herd 125 Herder 135, 199 Heremod 49, 50, 52, 53, 57, 63 f. Hereward 132 Herford, Prof. 161 Hermes 98 f. Hermione 174 Herodes 154 Heiione 76 Heuridis 1 1 3 Heusler, Andreas 24 Hilde, Attilas Frau 3 Hildebrand 8, 9, 20 Hildegunde 15, 18 Hippocrates 98 Hirzel 147 Hnaef 18, 72!. Hoc 18 Holinshed 95 ff., 1 7 1 Home 186 Homer 37, 98, 165, 191 Horaz 85 f.
Namenregister.
223
Horn, King 134 Hrothgar 67, 79, 80, 83 Hunnen 2, 16, 17, 26 Hunwald 5 Hurtheby 53 Hwala 49, 50, 52, 53, 55, 57, 62 Hygelac 66, 67, 70, 83
Kohler 166 Konstantin 29, 31 Konstantinopel 32, 74 Kotzebue 197, 202, 204, 206 Kreusa 25 Kriemhild 26 K y d 154, 159
Iffland 209 Ihering 166 Indra 74 Ine 50 Ingeld 5, 125 Ippolita 183 Irminric 15 Isabella 109 Isidor von Sevilla 85 Island 4, 10, 12 Itermon 49, 50, 52, 57, 63
Laghamon 43, 1056., 1 1 2 , 120 Lamb 169 Lanfranc 40 Langland 114, 125 Lautenschläger 142 Lawrence, Rosa 208 Leland 1 1 4 Leofgeat 48 Lessing 162, 163, 186, 194, 197 Lewis, M. G. 193, 197—201, 208, 209, 2 1 1 , 212, 216 Liebault 193 Liebermann, Felix 19, 54, 1 1 6 Lillo 190 Lindisfarne 4, 16 Lindsey 6, 47 Longchamp 106 Lot 84 Lucan 52 Ludwig, Otto 148 Lugh 74 Luick 82 Luigi da Porto 184 f. Luke de Barre 106 Luther 196 Luzifer 85 Lycus 8
Jakob I. 93, 176, 179 — V I . 96 Jamieson 125 Jason 25 Jerusalem 31 f. Jezabel 11 Jocelin of Brakelond 43 Johann 1 1 4 — von Salisbury 39, 1 1 5 , 1 1 8 Johannes Chrysostomus 32 John de Rampaigne 1 1 4 Jones, Inigo 141 Jones, St. 206 Jordanes 53, 74 Josef von Ägypten 62 Judas 16 Junker, G. A. 193 f. Juno 77 Jupiter 79 Kainz, Josef 142 Karl der Große 16, 21 Kemble 28, 55 —, Schauspieler 213 Kant 4, 47, 68 Kinloch 125 Kirke 10 Kirkman 178 Klaeber 80 Klopstock 165, 186 Kluge 165 Klytaemnestra 75 Kögel 18
Macduff 91 Mackenzie 191, 194, 195, 198, 208, 210 Macpherson 186, 189, 192 Malcolm 91 Malory 136 Mamillius 173 Manning von Brunne, Robert 1 1 2 , 1 1 9 Map, Walter 20 ff., 43 Marburg 167 Marke 1 1 3 Marlowe 145, 154, I58ff. Masuccio 183 f. Mathias, Kaplan 206 Mathilde, Königin 1 1 1 Matthäus von Paris 43 Medea 10, 96 Meier, John 130
224
Namenregister.
Mercien 46, 67, 69 f. Mercier 4, 6, 67, 69 fi. Merowinger 4, 1 1 , 75 Mill, John Stuart 36 Milton 161 Minot, Lawrence 103, 120 Mirabeau 196 Misch 36 Misenus 80 Molière 163 Montgomerie 96 Moore, George 36 Moses 61 Motherwell 125 Müllenhoff 3, 19 Mündel 130 Napoleon I. 206, 218 — I I I . 166 Nectabanus 92 Nennius 47, 48, 52, 61 Newman 36 Nibelungen 2 fi. Nichole, Maister 1 1 6 , 1 1 8 Niebuhr 202 Niöhart 9 Noa 45, 49—59 Nordhumbrien 4, 6, 1 1 , 3 1 , 34 Odin 47 Odysseus 9, 74 Oesa 46 Offa 4, 21 Olaf, König der Wikinger 1 1 1 Ordericus Vitalis 39, 50 Osthryd 69 Oswald 68 f. Oswiu 68 fi. Othlo von St. Emmeram 42 Otway 189 Ovid 43, 44, 54, 65, 85, 95 f. Owenson, Sidney (Lady Morgan) 2 i 6 f . Painter 183 f. Paulinus, Bischof 68 — von Nola 31 Peada 69 Pecock 90 Penda 68ff. Penn 43 Percy, Bischof 135 f. —, Graf 132, 175 —, W. 140
Petrarca 132 Picten 6 Pippin der Mittlere 70 Pitt 202 Platen 137 Plato 98 Pogatscher 60 Pope 187—190, 205 Possart, v. 142 Pratt, Dr. 216 Preston, William 206 f. Prudentius 159 Ptolemäus 167 Pythagoras 98 Ra bener 186 Racine 163 Reginbald 21 Reinhardt, Max 170 Render, W. 216 Reynolds, Frederick i88ff., 208 Rhea Sylvia 61 Richard I I . 1 1 5 — Löwenherz 104, 109 Richardson 187, 1 9 1 , 216 Riesbeck, G. 193, 195, 207 Riganus 21 Rimenhild 1 1 2 , 134 Robert von Gloucester 43, io6f. — de Lachford 1 3 Robin Hood 1 3 2 0 . Roger von Hoveden 106, 109 Rolle, Richard 43 Rosamunde 9 Rousseau 130, 186, 1 9 1 , 207, 2 1 6 f . Rugier 17 Rutherford, Miss 198 Sachsen 5, 7, 53 Samson, Abt von Edmundsbury 109 Sarah 84 Scani, Insel 51 ff. Sceafa, König der Langobarden 62 Scef 50—55, 58 f. Scefing 1, 12 Sceldwea, Scealdhwa, Scyldwa 49—53, 56, 58, 63 ff. Scherer, Wilhelm 1 Schiller 137, 141, 163, 179, 193, 194. 197» 198, 204, 205, 207 Schlegel 169, 170, 218 Schmidt, Erich 140 Schneider, Hermann i f f .
Namenregister. Schopenhauer 166 Schweden 17, 66 f. Scott, Reginald 96 —, Walter 36, 125, 137, 161, 194, 198, 218—221 Screphius 53, 58 Scrope, Stephen 98 s . Scyld 51, 52, 58, 62 fi. Searle 550. Sedechias 98 f. Sem 50, 52, 53, 58f. Seneca 10, 26, 27, 94, 96, 154, 159Ì. Serapis 92 Sergius I. 33 f. Seth 50, 53. 58 iSharp 125 Shaw 171 Sheale 134 Shelley 2i7f. Sibich 21 Sibylle 78, 80 Sidney, Philip 170 Siegfried 2, 11, 24, 25, 74 f. Siegmund 10 f. Sigeberth 67 Sigurd 24, 27 Simeon von Durham 50 Simon von Montfort 117, 119, 135 Simondstone, Simondswood 14 Siverthesarge bei Leyland 11 Sivirdeleie bei Windle 11, 13 Skjöldungen 62 Slaswic 53 Smollet 191 Socrates 98 Sonhild 7f. Southey 212, 216 f. Spenser 131, 136, 161 Staël 218 Strathclyde 6 Strephius 53, 58 Sven Aageson 64 Tac 98 Tacitus 2 Taetwa 49—56, 64 Tantalus 154 Tarleton (Lane.) 11, 13 Tatwine 55, 56, 58 Tatwine von Canterbury 33 Taylor, Edward 188 — von Norwich 193, 198 Ten Brink 103, 120 B r a n d l , Forschungen und Charakteristiken.
225
Thackeray 161 Theodebert 67 Theoderich 19, 23, 74 Theodhere 17, 22 Theodric, nordh. König 17, 22 Thomas de Cabham 119 — der Reimer 133 Thomson, Alexander 190ff. —, B. 206 —, J . 206 Thor 74 Thryth 71 Thyest 154 Tieck 169 Tom Lin 131, 133 Touchstone 176 Triptolemus 54 Tristrem 113, 116 Tübingen 167 Tusser 42 Tyne 6 Tytler 210 Uhland 3, 137 Vegius, Maphaeus 34 Venantius Fortunatus 32 Vergil 27, 37, 77—81 Volcanus 77 Vollhardt 42 Voltaire 162 Wace 105, 112 Wade 20, 23 Wächter s. Weber Wagner, Richard 24, 27, 163 Waldere 15, i8f. Walderes weg, W. well 19 Walther von Hemingburg 109 Weber, Veit (Leonhard Wächter) 137, 211 Weilen, Alexander von 185 Weland 16, 19, 20, 23 Widdrington 133 Widia 8 f. Widsith 37, 107 Wieke 142 Wieland 186, 192, 205, 207 Wien 168 Wig 46 Wiglaf 66, 67, 83 Wilde 36 Wilfrid 11 15
226
Namenregister.
Wilhelm der Eroberer 40 — von Longchamp 109 — von Lorris 43 — von Malmesbury 53ff., 58, 59, 63, 108, 110, i n , 1 1 5 , 123ft., 130 — de Tignonville 98 Wilkinus 20 Willich, Dr. 198 Winchester 77 Windle (Lanc.) 13 Witich 15, igfi., 23 Witt, de 178 Wittenberg 168 Wodan 4, 45, 46ff., 51, 58, 61, b^t.
Wolfdietrich 17 Wolff, Ludwig 3 Wolfram 8 Wolsey 177 Wordsworth 36, 135, 170, 217 Wulfhere 69 Wydeville, Antoine 98 Wyntown, Andreas von 90—95, 97 York 6, 47, 68, 75 Ysonde 1 1 3 Zachrisson 76 Zeus 79
Sachregister» Acheron 78 f. Äneide 76 ff. 'Albhart' 8 'Aldingar' 1 3 6 Altes Sigurd-Lied 24, 26 f. Ancren Riwle 106 f. 'Andreas' 86 'Appius und Virginia' 154 Arthur-Fabeln 1 3 1 , 1 3 6 Astrologie 90 Ausgrabungen in England 75 Bänkelsängerballaden 1 1 9 , 1 3 5 B a l l a d Society 1 3 5 Benediktiner 40 Beowulf i f f . , 5, 9, r i , 16, 27, 35, 37, 38, 85, 87 Bestiarium 106 'Bettlertochter von Bednailgreen' 135 ' B r a u n Adam' Ï33 f. Brenton, "Graf — ' 129 Brunanburh 7 Brutussagc 57 Bühnenanweisungen bei Shakespeare 143 Byrhtnoth 1 , 52 "Caulin' 1 3 6 Cerberus 79 Chronicon St. Neoti 1 1 Chyviot J a g d 130, 1 3 2 ff. Cotton ianischer Denkspruch 84 Däneneinfälle 6 f. 'Dame Siriz' 120 Daniel 86 Decamerone 183 Deor 9, 16, 17, 22 Deutsche Literatur in England 186 Doomsday-Book 56 Drachenkampf 10, 1 1 , 25 Dreifelderbühne 177 'Drei Wilddiebe' 134 'Drei Wildschützen' 129, 1 3 3 E d d a 4, 10, 26 f. Edward-Ballade 127, 134 Elysium 79 Entschließungsszenen 148 Estmer, ' K ö n i g — ' 1 3 6
Finnlied 37 Fitz-Warin 104, 1 1 4 Foodrage, 'Der falsche — ' 129 Fremde Einflüsse auf engl. Lit. 1 6 1 Gawan 1 3 6 Geflügelte Worte (aus Shakespeare) 165 Gefolgschaftswesen im Kreuzgedicht 34 f. Geistererscheinungen 1 5 1 , 154, 162 Geistliche Minne 42 f. 'Genarrte Ritter' 136 Genesis and Exodus 84, 120 f. Gesindeszenen 154 Gorboduc 154, 158 'Grausame Schwester' 1 3 3 Gudrun 104 Gulliver 161 Guthlac 30, 3 1 , 86 Guy von Warwick 104 Harrowing of Hell 1 2 1 Havelok 19, 104, 1 2 1 'Heinrich* 1 3 6 Heldenlieder 124 f. Heorot 5, 78 Herewardballaden 1 1 0 Hexen 85, 96, 179 Hildebrandslied 8, 37 'Horn-Ballade' 134 'Horn Childe' 1 1 3 Horn, ' K i n g —' 1 1 2 , 1 2 1 'Horestes' 154, 158 Hydra 1 0 Informierungsszenen 148 Interludium de Clerico et Puella 120 ' J ü n g s t e s Gericht' 87 ' J u n g Morris' 1 3 6 'Klage' 8 Kornmythus 1 Kreuzgedicht 84 Kreuzverehrung 3 1 ff. Kulturverhältnisse in ags. Zeit 5 Kunstballadcn 1 3 5 f. ' L a n d of Cockaygne' 120 Lateinwörter im Ags. 76 Leichenlied 35
228
Sachregister.
'Lenore' 137, 198 Lernäische Schlange 79 'Leute von Kildare' 1 1 9 Liber Vitae 4, 9, 16, 55, 56 f. Lieder (im Drama) 154 Literaturträger 103 Märchen 2 Malleus maleficarum 94 'Mankind' 159 Martyrologium 19, 20, 22 Miming 8, 18, 21 Mission in England 4 Moralitäten 158 ff. Münzen 76 Mysterienspiele 158 fi. Mystik 42 f. Namenforschung 75 Namenkritik 1 1 , 15 s . Narr 154 Nemeische Löwe 77 Nibelungen-Lied 8, 24, 104 Nomen 82 "Nußbraunes Mädchen* 136 'Orfeo* 1 1 3 , 1 2 1 Orkus 78 Parzen 84 ff., 94 'Patrick Spence' 127 ft., 132 'Perle' 43 Poema morale 42 Rätsel 86 Reimgedicht 87 ' Richard Coeur de Lion* 1 1 3 Ritterdrama 2 1 1 fi. 'Robin Gutfreund' 136 Robin Hood-Balladen 1 1 0 , 125, 127, 129 Robinson 161 Römische Kultur in England 76 Romantik 186 'Rosenrot und Lilienweiß' 134 Ruthwellstein 31 Salomon und Saturn 87 Schlacht bei Brunnanburg 1 1 1 — bei Evesham 43 — bei Flodden Field 93, 1 1 9 — bei Hatfield 68 — bei Lewes 1 1 9 — bei Otterbourn 132 — bei Shrewsbury 132, 175 — bei Winwaed 68 Schlangenturm 10
'Schön Anna' 132 Schreibkunst in England 4 Schwanen-Theater 138, 140, 178, 181 'scop' 124 f. Shakespeare-Auffassung in England 1690. Shakespeare-Gesellschaft 167 Sodom 62 Spätgriechischer Roman 183 Spielmann 36, 1 1 2 , 133 f. Spielmannsballaden 1 1 0 'Sprechender Falke' 129, 133 'Sprichwörter Hendings' 120 'Sprüche Alfreds' 106 Stichomythie 157 Stimmungsszenen 147 f. 'Stolze' 133 f. Straßenballaden 110, 135 'Tancred und Gismunda' 154 Tannhäuser 123 Tanzlieder 124, 128 Tartarus 79 Theater in Deutschland 162 fi. Thidrek-Sage 8, 18 fi. Thomas von Erceldoun 92, 123 Thomas Rymer 92 Thüle, "Es war ein König von —' 126 Tristrem 1 1 3 , 1 1 9 , 1 2 1 , 126 f. Verkleidungsmotiv 1 1 1 f. Vertriebener, 'Gebet des —' 40, 42 Vice 158 Virginal 8 Volkskunde, altags. 54 f. Volkspoesie 1 1 o, 125 fi. Vorhang 140 f., 179 Vox und Wolf 120 Wade-Fragment 9, 19, 23, 74 Waldere 8, 9, 15, 18, 19, 23, 74 Walhall 80 'Walter' 132 Waltharius 18 'Wanderer' 38 Weltanschauung, germanische 82 ff. Weltbild der Ballade 1 3 1 Widsith 5 , 9 , 1 6 , 1 7 , 46,48, 62 Wielandsage 74 Wyrd 82 ff. 'Zwei Brüder' 134 Zweisprachigkeit in norm. Zeit 108 ff. Zwischenaktmusik 1 4 1 , 179 Zwischenaktpause 179