Geschichtskerne in den Evangelien: Nach Modernen Forschungen. Marcus und Matthäus [Reprint 2020 ed.] 9783112335826, 9783112335819


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German Pages 155 [162] Year 1905

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Geschichtskerne in den Evangelien: Nach Modernen Forschungen. Marcus und Matthäus [Reprint 2020 ed.]
 9783112335826, 9783112335819

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GESCHICHTSKERNE IN DEN EVANGELIEN NACH M O D E R N E N FORSCHUNGEN VON

ADOLF MÜLLER DR. THEOL.

MARCUS UND MATTHÄUS

V E R L A G VON A L F R E D

TÖPELMANN

(VORMALS J. RICKER) - GIESZEN - 1905

ADOLF MÜLLER

GESCHICHTSKERNE IN DEN EVANGELIEN

GESCHICHTSKERNE IN DEN EVANGELIEN NACH MODERNEN FORSCHUNGEN VON

ADOLF MÜLLER DB. THEOL.

MARCUS UND MATTHÄUS

V E R L A G VON A L F R E D

TÖPELMANN

(VORMALS J . RICKER) - GIESZEN - 1 9 0 5

Druck von C. Gr. Röder, Leipzig.

Meinem verehrten Freunde

Herrn Geheim rat A. Schlutow in Gesinnungsgemeinschaft gewidmet

Vorwort Die moderne Evangelienforschung hat ein Ergebnis gezeitigt, das für die christliche Theologie von höchster Bedeutung ist. Das Evangelium nach Johannes wird, weil man seinen Inhalt für geschichtlich minderwertig im Verhältnis zu den anderen Evangelien, besonders zu dem Marcusevangelium, ansieht, in den Hintergrund gedrückt. Die Berechtigung eines derartigen Verfahrens muß nachgeprüft werden, wenn die Kerne des Lebensinhalts Jesu für uns nicht zerschlagen werden sollen. Die Nachprüfung scheinen mir nun die Anhänger der Marcushypothese selbst so weit gefördert zu haben, daß eine Auseinandersetzung mit ihnen möglich ist. WREDE und J. WEISS haben überzeugend nachgewiesen, daß eine planvolle Entwickelung von geschichtlichen Tatsachenreihen im Sinne der modernen Forschung im Marcusevangelium nicht aufzeigbar ist. E s ergibt sich daraus das dringende Bedürfnis der Fragebeantwortung, ob der Lebensinhalt Jesu, wie er aus den Evangelien gehoben werden muß, überhaupt den Maßstab verträgt, den der Begriff „Geschichtlichkeit" in modernem Sinne bildet. Wer im Morgenlande sich aufgehalten hat, wird einen Eindruck gewiß heimgebracht haben, der unseren Anschauungen durchaus widerstreitet. Zeit ist für den Orientalen weder Geld noch überhaupt messenswert; der Tag besteht ihm aus Abend, Morgen, Mittag, was zwischen den weiten Zeiträumen liegt, wird kaum im einzelnen bestimmt. Man wartet zwei bis drei Stunden auf einen bestellten Wagen und erhält, wenn er endlich vorfährt, von dem Führer den Bescheid, er sei pünktlich gekommen. Nach Minuten und Kilometern

VIII messen die Morgenländer heute noch weder Zeit noch Raum. Ihre Maße sind auch in anderer Richtung weiter und größer. Man braucht nur den üblichen Gruß zu hören: „ich nehme den Staub von deinen Füßen und lege ihn mir aufs Haupt», um den Unterschied zwischen ihm und unserem: „Guten Tag" zu spüren. Beide Grüße sind ihrem Inhalte nach gleichwertig. — Man sollte mit der Verschiedenheit in der Lebensart und Lebensanschauung mehr rechnen, wenn man an die Erforschung unserer Evangelien geht; ihr Grundstoff stammt aus dem Oriente. Dazu kommt noch ein Gesichtspunkt w e s e n t l i c h e r Art. Darstellungen der ,Reden und Taten" Jesu in den Rahmen der Gesichtskreise seiner nächsten Jünger liegen unseren Evangelien zugrunde. Die ersten Zeugenberichte können frühestens 20—30 Jahre nach dem Tode Jesu entstanden sein 1 ); ihre Zuverlässigkeit als Protokolle im einzelnen ist durch die Anschauungsart verschiedener Referenten in anderen Zeitverhältnissen beeinflußt. Beachtet man den bezeichneten Ertrag moderner Evangelienforschung, so ist es schwer verständlich, aus welchem Grunde man immer noch das vierte Evangelium w e s e n t l i c h anders beurteilt. J. W E I S S schreibt mit vollem Rechte: V o r allem gilt es anzuerkennen, daß auch Marcus schon in erster Linie nicht eine Biographie, nicht eine Historie geben will, sondern eine Lehr- und Erbauungsschrift in erzählender Form, einen Bericht über Heilstatsachen, auf denen die Existenz der christlichen Gemeinde beruht. In dieser Beziehung besteht kein prinzipieller, höchstens ein Gradunterschied zwischen Marcus und Johannes 2 ). Das ist ein Ertrag ernster und treuer Forscherarbeit, den man nicht übersehen sollte. Man darf dankbar sein, daß die modern geschichtliche Prüfung des Inhalts der Evangelien ziemlich zu gleichen Ergebnissen gelangt ist, wie sie etwa vor 50 Jahren von anderen Gesichtspunkten aus gewonnen waren 8 ); ') A. H A R N A C K , Die Mission usw., Leipzig 1902, S. 25 f. ) J. W E I S S , Das älteste Evangelium, S. 99. 3 ) W R E D E , Messinsgeheimnis in den Ew., S. 283. 2

IX es muß nur nicht von dem neuen Standpunkte aus eine Verflüchtigung des Wesentlichen und Kernhaften im Lebensinhalte Jesu versucht werden. Die Feststellung und Schätzung der eigentlichen „Geschichtskerne" im allgemeinen und besonders in Beziehung auf religiöse Wahrheit und Wirklichkeit ist nicht zu vergessen 1 ). Was P F L E I D E R E R von den Schriften des Lucas sagt, ist zu beachten: Sein Werk enthält zwar nicht eine Geschichte im heutigen Sinne des Wortes, sondern „Wahrheit und Dichtung" im Sinne und Geschmacke seiner Zeit und in der Weise der damaligen Geschichtsschreibung überhaupt. Und gerade darauf, auf dieser Mischung von Wahrheit und Dichtung, dieser Anpassung der Geschichte an die Bedürfnisse des frommen Gemüts, dieser Erhebung der Wirklichkeit zur idealen Welt des Glaubens, darauf beruht der unvergleichliche Wert, den die Lucasschriften für die Christenheit aller Zeit gehabt haben und noch haben; denn vergessen wir nicht, was schon Aristoteles gesagt hat, daß die Dichtung wahrer ist als die Geschichte 2). Es ist auf religiösen Gebieten und überhaupt dort, wo es sich um dauernde Lebensinhalte handelt, eine gewisse Entschränkung von Zeit und Raum notwendig, die auf rein menschlich geschichtlichem Boden rechtmäßig versagt bleibt. Die Gemütsinhalte s ) der Zeugen und späteren Jünger Jesu bleiben unsere religiösen Lebensquellen, die „Geschichtskerne", die nicht zerschlagen werden dürfen; die Zeithüllen sind wandelbare Farben und Formen. Die christliche Gemeinde in der Gegenwart würde arm, wenn der Inhalt des vierten Evangeliums ihr fehlte. Selbst die Form, in der Licht und Leben aus Gott, seine allmächtige heilig-ernste und züchtigende Liebe in seinem Sohne Jesus Christus in ihm vermittelt wird, entspricht dauernden Gemütsbedürfnissen. Versteht und würdigt man die zeit- und heilsgeschichtlichen Hüllen und Schleier, J

) AD. MÜLLER, Das Wirkliche in der Welt, Gotha 1899.

9

) 0 . PFLEIDERER, D a s Urchristentum usw. I 3 , S. 548 f.

3

) Vergl. die Abhandlung des Verfassers in der Zeitschrift für systematische Philosophie 1904 über „die Eigenart des religiösen Lebens und seiner Gewißheit".

X die in den Lucasschriften und in dem Johannesevangelium um die Persönlichkeit Jesu gelegt sind, so bleibt ihr kernhafter Geschichtsinhalt. Die „Geschichtskerne" in allen vier Evangelien sind also Berichte der Erfahrungen von Zeugen und Jüngern Jesu aus dem geistigen Lebensstrome des Gottmenschen. Jede persönliche Lebensäußerung birgt jedoch geschichtlich unmeßbare Bestandteile in sich, die oft selbst ihrem Urheber G e h e i m n i s s e bleiben. Solange die Geschichte ihre Quellen und Wurzeln in menschlichen Persönlichkeiten sucht und finden muß, hat sie mit der zeiträumlich unbeschränkten, gleichsam allgegenwärtigen Eigenart dauernder Geistesinhalte zu rechnen. Die Frage nach der Wertgröße des eigentlichen Geschichtsinhalts braucht noch nicht im Sinne des Aristoteles beantwortet zu werden, es ist aber festzuhalten, daß g e i s t i g e W i r k l i c h k e i t mehr ist als m e n s c h l i c h h i s t o r i s c h meßbarer Lebensinhalt. Das ist der Gesichtspunkt, von dem aus die Veröffentlichung des nachfolgenden Vergleichs des ersten und zweiten Evangeliums sich rechtfertigen dürfte; ihr Ziel bleibt der Nachweis des w e s e n t l i c h gleichen religiös-theologischen Wertes der vier Evangelien. Unser christlicher Lebensinhalt und der unserer Zeitgenossen wäre jedoch, wie mir scheint, wurzellos und schwindsüchtig, wenn die „ Geschichtskerne" der drei anderen nicht auch im Johannesevangelium sich finden1). Die Verwandtschaft der beiden ersten Evangelien, vie sie in der folgenden Auseinandersetzung ins Licht tritt und begründet wird, ist in stufenmäßiger Zeitfolge ähnlich aufzeigbar zwischen dem dritten und vierten Evangelium. Die beiden Evangelienpaare stehen jedoch wieder untereinander in unlösbarer Verbindung, weil die „ Geschichtskerne* im vorher bezeichneten Sinne die gemeinsamen Krystallisationspunkte für die Berichte bilden. Mehr Beziehungen, als man oft meint, finden sich zwischen dem Lukas- und Johannesevangelium, wenn es sich um den Inhalt, ja sogar um die Anordnung der Erzählungen und Reden in beiden Evangelien handelt; ihre ') A.

HARNACK,

Wesen des Christentums, S.

81

u. a. a. 0.

XI Verfasser sind näher geistesverwandt als etwa der erste und vierte Evangelist. So stellt sich heraus, was eigentlich selbstverständlich ist, daß auch in der Evangelienforschung mit dem G e h e i m n i s p e r s ö n l i c h e r L e b e n s e i g e n a r t gerechnet werden muß, das in Jesus, aber auch in seinen Zeugen und Jüngern lag. Zeugnisse von Reden und Taten Jesu, wie sie die Apostel Petrus und Matthäus im günstigsten Falle als „Geschichtskerne" in den beiden ersten Evangelien weitergaben, sind immer noch nicht der Lebensinhalt Jesu selbst. Wir werden berechtigt bleiben, mit dem vierten Evangelisten auch andere christliche Gemütsinhalte in persönlich bestimmter Form als wurzelecht und kernhaft anzuerkennen. S t e t t i n , im Januar 1905.

Adolf Müller.

In den letzten Jahrzehnten hat sich bei der Mehrheit der Ew.-Forscher das wissenschaftliche Resultat, wie man schreibt, nicht nur die Annahme, Geltung verschafft, unser Mc.-Ev. und eine aus Lc. und Mt. gefundene Redenquelle seien die Urschriften der E w . Mit verblüffender Sicherheit stellte "WERNLE1) die Forschungserträge in der bezeichneten Richtung zusammen und erweckte den Eindruck, daß die »synoptische Frage" gelöst sei. Bald darauf erschien jedoch ein Buch "WREDES®), in dem doch noch nicht alles bei Mc. geordnet erscheint. "WREDE hat freilich, noch große, vielleicht zu große Hochachtung vor der Mc.-Hypothese; man liest, wenn ich nicht irre, zwischen den Zeilen, daß die fast imbedingte Geltung des Quellenwertes der Mc.-Berichte im Kreise seiner Gesinnungsgenossen etwas seine Urteile über das Ev. beeinflußt. Es ist aus dem Grunde nicht ganz leicht, die Bedeutung der Grundgedanken WREDES an allen Stellen seiner Schrift zu erfassen. Die "Wirkung seiner Forschungserträge wäre durchschlagender gewesen, wenn er sie bestimmt etwa auf den Satz gebracht hätte: Mc. hat ursprünglich vielleicht schon von einer Anschauung über das Messiasgeheimnis sehr beeinflußte Quellenschriften verarbeitet, so daß die ganze Darstellung des Lebens Jesu davon beherrscht ist. Die Gründlichkeit in den Einzelforschungen, die WREDE zum Beweise für seine Annahme rechtmäßig aufwendet, verhüllt dem *) *)

WERNLE: WREDE:

Die synoptische Frage. 1899. Das Messiasgeheimnis in den E w . 1901.

A d o l f M ü l l e r , Geschichtskerne.

1

2 nicht sehr sorgsam folgenden Leser zuweilen die Bedeutung einer derartigen Beleuchtung des Tatsächlichen in den E w . W R E D E S Buch hat mit die Veranlassung zu der Herausgabe der Erträge erneuter Durchforschung des Historischen im Mc.-Ev. von JOH. WEISS1) gegeben. Die Art, in der W E I S S einzelne von W R E D E angefochtene Berichte verteidigt, wird in ihrer Berechtigung gewiß an manchen Stellen anerkannt werden müssen, wenn auch der springende Punkt in der Entwickelung W R E D E S damit oft nicht berührt ist. Der Darstellung von der Heilung des Dämonischen in der Synagoge zu Kapernaum z. B. liegt gewiß ein Vorgang zugrunde; es darf jedoch nicht vergessen werden, daß die Bedeutung des Berichts für das Mc.-Ev. nach der grundsätzlichen Beurteilung W R E D E S eingeschätzt werden muß, wenn man seiner Annahme gerecht werden will. Daß im Mc.-Ev. neben den 1 4 von J . W E I S S als Petruserinnerungen in ihrem Kerne festgehaltenen Stücken noch manche anderen gut beglaubigten Erzählungen mit ursprünglichen Geschichtsbestandteilen und Worten Jesu sich finden, gibt gewiß auch W R E D E ZU; es wird sich nur darum handeln, daß man in jedem Augenblicke darüber bestimmt sich klar bleibt: die Berichte im Mc.-Ev. sind keine wörtlichen Protokolle von Lebensäußerungen Jesu, selbst nicht die sogenannten Petruserinnerungen sind unbeeinflußt von der Messiasgeheimnisanschauung geblieben. Das ist aber ein Resultat, das den festen Bestand der Mc.-Hypothese etwas ins Schwanken bringt. Es wäre gut gewesen, wenn W E R N L E , bevor er sein religionsgeschichtliches Volksbuch 2 ) zur allgemeinen Benutzung vorlegte, noch mehr, als es geschehen, derartigen Einwänden gegen die Annahme von zwei Quellen für das „Leben Jesu" Rechnung getragen hätte. Will man im Gebiete der Evv.Forschung gegen tausendjährige Tradition und gegen nicht J

) J. WEISS: Das älteste E v . 1903. ) WERKLE: D i e Quellen des Lebens Jesu. 1904.

2

3 zu unterschätzende abweichende Anschauungen dem evangelischen Volke etwas Neues geben, so dürfte doch nicht allein die Mehrzahl der Gesinnungsgenossen als Instanz für die endgültige Abgrenzung des weiten Forschungsgebietes genügen. Es gibt noch immer erfahrene Spezialforscher in der „synoptischen Frage", die mit der Priorität des Mc.-Ev. und der Konstruktion der Redenquelle nicht einverstanden und doch nicht ganz rückständig sind 1 ). Der Prioritätsstreit ist freilich von einiger Bedeutung; wichtiger bleibt der Inhalt, welcher in den E w . aus dem Leben Jesu vorliegt. Wäre mit der Quellenscheidung in der Art W E R N L E S die Arbeit für die christliche Gemeinde, auch für die gebildete, getan, so könnte man mit ungemischter Freude einen Versuch in der Richtung begrüßen, allen Christen die wissenschaftliche Wahrheit in Beziehung auf den historischen Gehalt der E w . zu sagen; es steht jedoch ganz anders damit. Der geschichtliche Inhalt der E w . ist mit der Darstellung des Mc. und der Umgrenzung der Redenquelle noch nicht gehoben; er liegt tiefer und höher. Manche schwierige Frage muß noch beantwortet werden. Zu den Fragen gehört die grundsätzliche nach den Bestandteilen der Geschichte überhaupt. Wenn drei Menschen ein Ereignis, dessen Zeugen sie vor einigen Tagen waren, heute berichten, so werden ihre Berichte schwerlich übereinstimmen. Selbst die einfachsten Tatsachen erhalten eine andere Gestalt, je nach dem Standpunkte, von dem aus sie beurteilt werden, je nach der Eigenart des Darstellers. Dazu kommt, daß kein Mensch, selbst wenn er mit aller Vorsicht und Umsicht verführe, über seine eigenen Erlebnisse aus der eben verflossenen Stunde objektiv geschichtlich zureichende Auskunft zu geben vermag. Läge es bei der Ew.-Forschung so, daß man die Worte und Erzählungen als solche, gleichsam wie den Inhalt einer Minerahen- oder Schmetterlingssammlung ') A. HILGENFELD: Die EW. 1854; Einleitung insN.T. 1875. Verschiedene Abhandlungen in der Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie.

1*

4 ordnen könnte, um ihren Bestand an Wahrheit und Wirklichkeit festzustellen, so wäre mit HUCKS Synopse und WERNLES Behandlung der „synoptischen Frage" eine feste Grundlage geschaffen, von der aus mit philologischem Spürsinne und nach neuer Methode alles noch Fehlende beschafft werden könnte, um die Wirklichkeit des , Lebens Jesu" und damit vielleicht nach dem Wunsche HAECKELS den „Geist Jesu" zu schaffen. Es gehört mehr zur Feststellung tatsächlicher Wirklichkeit. Einen Gesichtspunkt hat WREDE dankenswert für die Anschauung und Beurteilung des zweiten Ev. angegeben. Es ist das nicht, wie J. WEISS meint, nur eine Stelle neben anderen als Standpunkt für die Einschätzung des Inhalts im Mc.-Ev., sondern fast die gesamte Entwickelung in dem zweiten Ev. muß, wenn WREDES Voraussetzung zutrifft, anders beleuchtet werden, als es in den letzten Jahrzehnten geschah. Um den Kern der Ausführungen WREDES möglichst klar herauszuschälen, will ich das, was er im Mittelpunkte seiner Darstellung bringt, in den Vordergrund stellen. In Mc. 9 9 heißt es nach der Verklärungsszene: Da sie vom Berge hinabstiegen, gebot ihnen Jesus, daß sie niemand sagen sollten, was sie gesehen hätten, bis des Menschen Sohn auferstände von den Toten. Die Stelle gibt nach WREDE den Schlüssel für das Verständnis des gesamten Mc.-Ev. Es liegt in der Anweisung: „bis zur Auferstehung* eine Zeitangabe für alle Erkenntnis in Beziehung auf den eigentlichen Lebensinhalt Jesu. Für WREDE ist das Mc.-Ev. auch der erste Versuch der Quellenbearbeitung für ein „Leben Jesu" vor Mt. und Lc.; es ist darum eine Nachprüfung seiner Annahme durchaus wichtig, weil sie den Gesamtinhalt der E w . modifiziert. Muß es zugegeben werden, daß unverkennbare Spuren der Beeinflussung unserer kanonischen E w . von der dogmatischen Voraussetzung darin zu finden sind: Niemand — auch nicht die Jünger — erkannte Jesus während seiner irdischen Lebenszeit seinem Wesen entsprechend, erst nach der Auferstehung wurde die bis dahin latente

5 Erkenntnis der Jünger mit geistigem Wirklichkeitsgehalte belebt und erleuchtet, so erhält jeder Bericht von Taten und Reden Jesu einen andern Inhalt. W R E D E versucht nachzuweisen, daß die Gottessohnschaft (Messianität) Jesu, seine Wunderwerke, seine Lehre und besonders seine Gleichnisse bis zur Auferstehung nach Mc. Geheimnisse für die Jünger und das Volk haben bleiben sollen. Es wird also in den Erzählungen die vorherrschende Anschauung des Berichterstatters, beziehungsweise die durchgängige Beeinflussung seiner Quellen beachtet werden müssen. Daß das Auferstehungserlebnis nicht nur für die nächsten Jünger, sondern auch für Paulus*) als die eigentliche Geburt ihres christlichen Glaubens und Lebens anzusehen ist, wird kaum bezweifelt werden; der Inhalt und auch die Form des Joh.-Ev. ist ein direkter Beweis dafür. Wir werden die Einzelheiten daraufhin prüfen müssen, ob die Behauptung WREDES sich bestätigt: die Anschauung des Mc. von dem Messiasgeheimnis beherrscht seine Darstellung des Lebensinhalts Jesu. Man hat sich zu früh, so meint W R E D E , damit beruhigt, daß die Berichte im Mc.-Ev. weniger Wunderbares, Widerspruchsvolles in sich und mit den anderen E w . enthalten, und sei so zu schnell zu dem Urteil gekommen, daß es als erstes auch die wirkliche Geschichte Jesu erzähle. Die Hauptfrage, was in den Berichten Eigentum der Schreiber und dessen, von dem sie handeln, ist, muß von neuem gestellt und vorsichtig beantwortet werden. Der Begriff des Tatsächlichen wird aufs peinlichste zu beachten sein. In den E w . ist nun Jesus der Mittelpunkt, von dem alle Aussagen handeln. Wäre es möglich, mit einiger Bestimmtheit das eigentlich Kernhafte, die Äußerungen des Bewußtseinsinhalts Jesu, aus den Schalen und Hüllen der Zutaten seiner Jünger und Zeugen herauszuklauben, so könnte man eine Geschichtsgrundlage schaffen; es scheint jedoch das auch nach dem Mc.-Ev. gegenwärtig *)

KAFTAN:

Zeitschrift für Theologie und Kirche. 1904.

6

Mc.-Ev.

nach

Wernle

mehr als sonst schwierig zu sein. Es muß der Versuch gemacht werden, wenigstens das Mögliche zu erreichen, nämlich mit einiger Bestimmtheit das festzustellen, was die Berichte in den E w . als solche enthalten. Man hat das oft versäumt und Geschichte h i n e i n g e t r a g e n , die man aus den E w . gewonnen zu haben meinte. Von besonderer Bedeutung ist, was aus den evangelischen Berichten in Beziehung auf die Messianität Jesu sich ermitteln läßt. F ü r die Evangelisten ist Jesus von seiner Geburt oder Taufe der Messias; sie reflektieren nicht darüber, wann etwa in seinem Selbstbewußtsein die Gewißheit seiner Messianität entstanden ist; es lassen sich jedoch Äußerungen in den E w . aufzeigen, aus denen hervorzugehen scheint, wann nach der Meinung der Evangelisten Jesus als Messias bekannt wurde. Ist das Mc.-Ev., wie "WREDE meint, die eigentliche Quelle für die Auffassung des Ganges und der Entwickelung des Lebens Jesu, so ist es besonders zu erforschen. Man darf nur nicht vergessen, daß eine A u f f a s s u n g des Lebens Jesu darin vorliegt, wie auch in den anderen E w . 1 W E R N L E meint ) in Ubereinstimmung mit den meisten Kritikern, nur im Mc.-Ev. sei eine klare und verständliche . ' Gliederung des Stoffes zu finden: 11—13 Vorgeschichte; 114f. Jesu erstes Auftreten; 116—39 Der erste Tag; 140—3 6 Die ersten sich steigernden Konflikte; 3 7—4 34 Sammlung und Scheidung; 4 35—6 6 "Wunder, Glaube und Unglaube; 6 7—30Mission; 6 31—8 26 Der allmähliche Rückzug; 827—929 Die Enthüllung des Geheimnisses; 9 30—50 Abschluß des "Wirkens in Galiläa; Jüngerreden; 101—45 Peräa; Ehescheidung, Kinder, Reichtum und Lohn; 1046—12 12 Einzug und Bruch; 1213—44 Letzte Konflikte; 13 Zukunft; 14—15 Leidensgeschichte; 161—8 Auferstehung. Drei Entwickelungsstufen und zusammenhängende Tatsachenreihen lassen sich nach "WERNLE im Mc.-Ev. aufzeigen: *) Synoptische Frage.

7 1. Jesus beginnt mit der Volkspredigt und wendet sich dann zur besonderen Unterweisung der Jünger. Im Abschnitt: „Sammlung und Scheidung" zeigt sich zuerst der Unterschied zwischen dem Volke und den Jüngern. Von Cäsarea Philippi an folgen nur "Worte an die Jünger. Bei der Ehescheidungsfrage suchen die Pharisäer scheinbar Belehrung; die Jünger erhalten die Auskunft. In Jerusalem hält Jesus wieder eine Volksrede, von c. 13 ist er im Kreise der Jünger. 2. Die Erinnerung an den Zeitpunkt des Durchbruchs der Jüngererkenntnis bei Mc. Jesus ist freilich von Anfang im Mc.-Ev. die Hauptperson; die Dämonischen erfahren jedoch zuerst das Göttliche in ihm. Jesus verlangt vor Cäsarea weder das Bekenntnis zu seiner Messianität, noch wird es im Jüngerkreise laut. Das Petrusbekenntnis erfolgt, und mit ihm beginnt die Leidensverkündigung. Jesus fordert nun das Eintreten der Jünger für ihn. 3. Petrus und die Zebedaiden werden von Mc. als die Führer der Jünger angesehen. Das zeigt sich in den Erzählungen: Berufung Simons, seines Bruders und der Zebedaiden; Jesus heilt die Schwiegermutter Simons; Simon und seine Freunde suchen Jesus auf; bei der Berufung der Zwölf erhält Simon den Namen Petrus; die Zebedaiden werden Donnersöhne genannt; das Petrusbekenntnis; bei der Verklärung ist Petrus und sind die Zebedaiden Augenzeugen; Petrus sagt zu Jesus: "Wir haben alles verlassen usw.; die Zebedaiden beanspruchen Lohn; Petrus, die Zebedaiden und Andreas empfangen allein die Zukunftsweissagung. In der Leidensgeschichte tritt Petrus hervor; in Gethsemane ist er und sind die Zebedaiden die vertrauten Jünger; Simon trifft jedoch der Vorwurf: schläfst du? Petrus folgt Jesus und verleugnet ihn; dem Petrus wird die Erscheinung des Auferstandenen versprochen. Petrus wird in seiner Schwäche und in seiner Treue von Mc. dargestellt. Selbst wenn Papias es nicht bezeugte, müßte man für die Berichte des Mc.-Ev. den Petrus als Gewährsmann annehmen. Die Überlieferung berichtet denn auch,

8 daß Mc. von Petrus, dann aber auch von Paulus beeinflußt sei. Mc. hat nach W E R N L E nichts Judaistisches; die Verkündigung des Ev. an alle Völker (1310) und alle Welt (149) wird von ihm als Wille Jesu vorausgesetzt. Der Tempel soll zur christlichen Gemeinde werden; der Weinberg Gottes wird nach der Ermordung des Sohnes anderen gegeben. Selbst die Familie Jesu hält Mc. für ungläubig (3 21); die Landsleute erhalten ein scharfes Urteil (6 4) und den davidischen Stammbaum Jesu (12 35—37) schätzt Mc. nicht hoch ein. Der Ev. hat nicht zur Jakobuspartei gehört. Dem Paulinismus steht jedoch Mc. nach W E R N L E auch fern. Die Christologie entspreche der paulinischen durchaus nicht. Dort der entwürdigte Grottessohn vom Himmel her, der für kurze Zeit erniedrigt wird, hier der Mensch Jesus von Nazareth, der zur Büß taufe zum Jordan geht, wo er durch die Gottesstimme zum Gottessohn erklärt wird, und der Geist auf ihn herabsteigt. Jesus ist bei Mc. nach W E R N L E trotz seiner messianischen Würde ein Mensch, der nichts von himmlischer Präexistenz weiß und Gott gegenüber sich auf die Seite der Menschen stellt. Bei Paulus ist der Tod Jesu das eine Werk als Versöhnung der Sünden wegen; bei Mc. faßt Jesus den Tod erst seit Cäsarea Philippi ins Auge und nicht als Sühnetod für Sünden, die er schon vorher vergab. Sein Tod erfolgt nach Gottes Ratschluß, er f ü g t sich i h m s c h w e r , f a s t w i d e r w i l l i g . Selbst den Ausspruch vom Lösegelde für viele meint W E R N L E bei Mc. ohne paulinische Beeinflussung verstehen zu müssen. Die paulinische Heilslehre: „Gnade, Glaube, Rechtfertigung" fehlt bei Mc., die Unmöglichkeit der Erfüllung des Gesetzes und Errettung allein aus Gnade ist für Mc. ein fremder Gedanke. „Wenn Mc. zeitweilig ein Begleiter des Paulus gewesen ist, so hat er demselben bei der Abfassung seines Ev. gar keinen Einfluß zugestanden." „Mc. ist die wertvollste Quelle für die Theologie des Petrus." Nach Gal. 2. ist Petrus der Apostel der Beschneidung, der Jesus als den Messias anerkennt und Freude an

9 den Erfolgen des Paulus hat. Die Freiheit des Petrus in Beziehung auf das Q-esetz war jedoch kein Bruch damit, weshalb ihn die Vorwürfe des Jakobus ängstlich machten. Zu einem Gegensatze gegen das Gesetz ist Petrus nicht gekommen. Petrus war nicht Theologe, wie Paulus, und dachte christliche Freiheit und Gebundenheit an die Autorität des Gesetzes streitlos zusammen. Mc. ist in ähnlichem Sinne als Laie in seinem Ev. bemüht, Jesus als Bevollmächtigten Gottes, nicht als Theologen, darzustellen. Die Schriftgelehrten sind Jesu erbitterte Gegner von Anfang; dazukommen die Pharisäer beim Sabbatkonflikt, bei der Frage über das Händewaschen, bei der Zeichenforderung, der Ehescheidungsfrage und dem Recht der Steuer. Die Rabbinen beschuldigen ihn, daß er mit Beelzebub die Dämonen austreibe, und erhalten den Vorwurf von der Lästerung des Geistes. Jesus hilft auch seinen Jüngern aus Gewissenskonflikten in Beziehung auf „die Dogmen" der Rabbinen (9 11 f.; 12 35 f.). Die Rabbinen, nicht die Pharisäer, sind die Mörder Jesu. Den Gegensatz zwischen Laien und Kirchenmännern sieht W E R N L E im gesamten Mc.-Ev. Alle Gebote Gottes bleiben, soweit sie verständlich sind, für Jesus und seine Jünger nach Mc. bestehen, nur das Künstliche, Unverständliche, Raffinierte weisen sie ab. So hat Petrus nach W E R N L E gedacht. Das Ev. gehört in alle Welt; engen Partikularismus kennt er nicht. Petrus handelt nach Impulsen ohne Theorien; Mc. hat jedoch auch seine Eigenart nach W E R N L E ; sie widerspricht aber nicht der des Petrus. Die starke Betonung der Eschatologie, die Freude an Wundern, die Herleitung der Kraft Jesu aus dem Geiste, das Zurücktreten des Sünden- und Sühnebegriffs, die laienhafte Haltung sprechen nach W E R N L E für den Petrinismus des Mc., der sich an Heidenchristen wendet, um ihnen die Herrlichkeit des Gottessohnes zu zeigen (15 39). W E R N L E zeigt die Anschaulichkeit der Berichte des Mc., die in der Klarheit der Situationen und der Menge von Einzelheiten hervortritt, die er darstellt. Der erste Tag in Kapernaum ist besonders bedeutsam mit seinen dramatisch

10 geschilderten Begebenheiten. Dazu die semitische Sprachform, die Einfachheit der Satzverbindung usw. So erzählt Mc. im ganzen Ev., „wie er es von Augenzeugen gehört hat, mit ungeheurer Begeisterung, Aufwand aller Phantasie, sich in Jesu Seele, wie in die Herzen der Zuhörer versetzend, stürmisch, temperamentvoll, ohne Ermüdung". Die Fülle der "Wunder im Mc.-Ev. erklärt sich daraus, daß sie geglaubt wurden; die Frage danach, was geschehen ist, bleibt eine andere. Auf reiner Erfindung beruhen nach W E R N L E nur sehr wenige Wunderberichte. „Es gibt auch Abnormes und Irrationales in der "Wirklichkeit." Mc. hat jedoch nicht alle seine Berichte von Petrus, wenn auch bestimmt die Verklärungsgeschichte. Über den Verfasser ist aus dem Ev. nach W E R N L E nichts Bestimmtes zu entnehmen; es bleibt die Notiz bei Eusebius (h. ecc. III, 39) über Papias wichtig, der vom Presbyter Johannes erfahren hat, daß Mc. als Begleiter und Dolmetscher des Petrus die Taten und "Worte Jesu ohne rechte Reihenfolge niedergeschrieben habe. Beruht das Urteil des Presbyters Johannes in Beziehung auf die unrichtige Reihenfolge der Berichte des Mc. auf einem Vergleiche mit dem Joh.-Ev., wie nach W E R N L E anzunehmen sei, so können über seine Richtigkeit verschiedene Meinungen gelten; der Inhalt der Notiz, Mc. habe ein petrinisches Ev. geschrieben, ist damit nicht berührt. Das Mc.-Ev. ist nach W E R N L E die Quelle für Mt. in Beziehung auf das Geschichtliche in ihm; mit der zweiten Ev.-Quelle, der sog. Spruchsammlung, hatMc. 25—30 Stellen und Stücke gemeinsam. W E R N L E meint, daß weder sprachlich noch sachlich eine Abhängigkeit des Mc. von der schriftlichen Redenquelle nachweisbar sei. Wahrscheinlich haben Mc. und die Spruchsammlung ihren gemeinsamen Stoff aus mündlicher Überlieferung. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß Mc. die Spruchsammlung gekannt hat, weil sein Ev. nur dürftige Bestandteile von Herrenworten enthält; sie seien allgemein bekannt gewesen, und jeder alte Christ habe sie, bei seinem Eintritt in die Q-emeinde,

11 wörtlich in sich aufgenommen. Mc. wählt aus dem geläufigen Herrnwortschatze nur die für seinen Hauptzweck passenden, um seine Leser erzählend zu belehren. Die Predigt des Petrus ist auch für die Herrnworte seine Hauptquelle. Für die eschatalogische Rede (c. 13) sei nach W E R N L E eine alte Apokalypse für den Bericht des Mc. als Quelle anzunehmen, weil der Inhalt von c. 13 auf den Antichrist, (BOUSSET) den jüdischen Krieg und die Zerstörung des Tempels durch die Römer sich beziehen könne. Die Stelle: wer es liest, der merke darauf (1314), warnt nach W E R N L E vor der kommenden Gefahr, während aus der Auslassung von euöeujc (v. 24) hervorgeht, daß Mc. nach 70 schrieb. Die Apokalypse ist wohl als Flugblatt vor Mc. geschrieben und von ihm benutzt. Andere schriftliche Quellen weist W E R N L E für Mc. ab, weil auch die Dubletten, aus welchen für die anderen E w . verschiedene Quellen erschlossen werden, bei Mc. aus dem Zusammenhange als notwendig begründet sind. Das Sondergut des Mc. sind die Stellen 3 20: Jesus gilt den Seinigen als wahnsinnig; 426—29 Gleichnis vom Samenkorn; 7 32—37 Heilung eines Taubstummen; 8 22—26 der Blinde vonBethsaida; 11 11 erster Besuch Jesu im Tempel; 11 25 Mahnung zur Versöhnlichkeit; 12 32—34 zweite Hälfte der Frage nach dem höchsten Gebot; 13 33 — 37 Schluß der Parusierede; 14 51 f. der fliehende Jüngling. Die Auslassung der Stellen bei Lc. und Mt. hält W E R N L E für völlig begründet und auch das Fehlen des Schlusses bei Mc., die Annahme eines kürzeren oder längeren TJr-Mc.-Ev. für nicht notwendig. Es steht jedoch für W E R N L E fest, daß die gegenwärtige Textform unseres Mc.-Ev. nicht die ursprüngliche ist und manche Rätsel geschaffen hat, wenn die Parallelen bei Mt. und Lc. mit Mc. nicht übereinstimmen. Die Annahme, daß ein aramäischer Text des Mc.-Ev. den drei uns vorliegenden E w . , die Übersetzungen seien, zugrunde liege, erscheint W E R N L E unbegründet, weil Mt. und Mc. sprachlich sich so nahe stehen, daß von Mt. aus eine gemeinsame aramäische Vorlage undenkbar ist.

12 Der Schluß W E R N L E S in Beziehung auf das Mc.-Ev. lautet etwa: Das Mc.-Ev. beruht nicht auf schriftlichen Quellen, sondern ist von Johannes Mc., der aus der Urgemeinde stammt, hauptsächlich nach Berichten des Petrus geschrieben; nur im c. 13 ist eine schriftliche Apokalypse benutzt. Das Mc.-Ev. zeugt von der Freude und Frische des ersten Erzählers, und liegt in seiner Gesamtheit Mt. und Lc. als Quellenschrift zugrunde. Mc. verfolgt nach W E R N L E die Tendenz aller urchristlichen Schriften, J e s u s als Messias u n d S o h n G o t t e s t r o t z seines L e i d e n s d a r z u s t e l l e n . Das Mc.-Ev. schildert den Lebensgang Jesu von der Taufe bis zur Auferstehung und zeigt auch, daß sein Tod kein Widerspruch gegen seine Würde, sondern der von Jesus erkannte Ratschluß Gottes war. Die Heiden sollten nach der Absicht des Mc. zu dem Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuze kommen: Dieser Mensch — der jetzt stirbt — ist Gottes Sohn gewesen. Geschrieben ist das Werk in den siebenziger Jahren, vielleicht auch vorher, weil die Zerstörung Jerusalems nicht bestimmt darin erwähnt wird. Die Schrift hat keinen Schluß. Die prinzipiellen Einwände gegen die von W E R N L E angenommene planvolle Entwicklung der Ereignisse in der Darstellung des Mc., die vorausgesetzte Anschaulichkeit und Frische der Berichte usw. werden in der Erwägung über "WREDES Bedenken, die Grenzen des petrinischen Einflusses auf Mc., in J O H . W E I S S ' Quellenscheidung nun zu behandeln sein, später wird es sich als nötig erweisen, einige ungehobene "Widersprüche gegen die behauptete Ursprünglichkeit des Mc.-Ev. im Verhältnis zum Mt.-Ev. in Gehörweite zu bringen. Mc.-EV. Versucht man das wirkliche Leben Jesu nach dem wrede darzustellen, so darf nicht vergessen werden, daß es erst 30 Jahre etwa nach den erzählten Ereignissen auf Grund von Zeugenberiehten geschrieben sein kann. Die Erzählungen des Mc. sind keine Protokolle. Im Mc.-Ev. finden sich nach W R E D E unhistorische Berichte, die als

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solche unverkennbar sind, wie die Darstellung der Taufe Jesu, die Auferweckung der Tochter des Jairus, der Speisungen, des Wandeins Jesu auf dem Meere, der Verklärung, der Unterhaltung des Engels mit den Frauen am Grabe. Die E r e i g n i s s e sind in E i n z e l h e i t e n von Mc. oder seinen Z e u g e n u m g e b i l d e t . So muß denn auch im Mc.-Ev. das eigentlich Geschichtliche erst aus den Berichten herausgesucht werden. Es soll jedoch nach der herrschenden Anschauung, wie sie W E R N L E vertritt, bestimmte Stellen in den Berichten des Mc. geben, die Anknüpfungspunkte für eine entwickelnde Darstellung des Lebens Jesu bieten. Solche festen Punkte sind der Bericht von der Taufe Jesu und vor allem das Petrusbekenntnis (8 27). Bei Cäsarea Philippi wird den Jüngern und besonders dem Petrus eine neue Erkenntnis zugeschrieben, die sie bisher eigentlich nicht haben durften und auch nicht hatten. Die Dämonen erkennen jedoch Jesus schon vorher als den Messias, erhalten aber das ausdrückliche Gebot, ihre Kenntnis nicht zu verbreiten. Jesus will, so meint W E R N L E U. a., die Schätzung seiner Person nach Mc. allmählich werden lassen. — Vom Petrusbekenntnis beginnt auch die Leidensverkündigung Jesu (8 31). Die Jünger hatten freilich schon ein gewisses Verständnis dafür, wie man sagt, konnten jedoch das Geheimnis der Notwendigkeit des Leidens noch nicht fassen. Dem Volke bleibt die Messianität Jesu auch nach dem Petrusbekenntnis ein Geheimnis und soll es bleiben (8 30; 9 9). Es zeigt sich jedoch schon vor Cäsarea eine gewisse Schätzung des Volkes (6 14) für die Person Jesu. So befremdet es nicht, daß der Kreis der Eingeweihten sich erweitert. In Jericho begrüßt ein Blinder Jesus als den Messias (10 47); bei dem Einzüge in Jerusalem nimmt Jesus selbst die Huldigungen des Volkes an (111), vor dem Hohenpriester bekennt er sich als Messias (1461), die Inschrift am Kreuze (1526) beglaubigt ihn. Diese Darstellung des messianischen Lebensganges fand man im Mc.-Ev. nach einem Vergleiche mit der nach Mt.

14 und hielt sie für die eigentlich geschichtliche. Mt. habe den bestimmten Plan des Mc. nicht mehr durchschaut, weil er öffentlich messianische Anerkennungen Jesu schon vor Cäsarea Philippi (9 27; 1522) berichtet, trotzdem er sie als besondere Offenbarungen ansieht. Mt. läßt auch die Verbote Jesu, ihn als Messias bekanntzumachen, zum Teil aus oder erzählt, daß sie an große Yolksmassen gerichtet worden seien (8 4; 1216), was sinnlos erscheint. So kam man zu der Überzeugung, daß Mc. den ersten und zugleich geschichtlichen Bericht vom Leben Jesu gebe. Es muß nach den Aussagen des Mc. selbst seine Auffassung der geschichtlichen Entwickelung des messianischen Lebens Jesu nachgeprüft werden. Das ist schwierig, weil eine bestimmte geschichtlich verständliche Gesamtanschauung des Mc. von der messianischen Entwickelung im Leben Jesu, die von W E R N L E und den meisten Kritikern angenommen, bezw. ergänzt wird, widerspruchslos nicht aufgezeigt werden kann. Unter der Voraussetzung einer planvollen Entwickelung des messianischen Lebens Jesu nach Mc. ist es schwer zu verstehen, daß Jesus beständig die Geheimhaltung seiner Wunder und messianischen Würde gebietet und selbst seinen Jüngern sich verhüllt. Um eine planvolle Entwickelung aufzuzeigen, e r g ä n z t m a n , Jesus habe von innen heraus seine Jünger die rechte Stellung zu ihm gewinnen lassen wollen. Mc. erzählt davon nichts, selbstverständlich ist es auch nicht. Selbst nach dem Petrusbekenntnis muß die Messianität für das Volk Geheimnis bleiben, ohne daß Mc. den Grund dafür angibt. Selbst der Grund für die Leidensweissagung wird nicht angegeben, und das Verständnis der Jünger für manche Taten Jesu ist kurz hintereinander auffallend wechselnd und ohne Übergang, wie z. B. von 8 15 zu 8 27, ohne daß Mc. eine Erklärung dafür gibt. Das Bekenntnis des Blinden bei Jericho ist überraschend (10 46) und von Mc. nicht begründet. Eine absichtliche Berichterstattung des Mc. über die messianische Entwickelung scheint nicht vorzuliegen. Hierzu kommt, daß Mc. Wundertaten erzählt, die Jesus schon sehr früh öffentlich verrichtet (21) und

15 dann bald darauf solche, die nicht bekannt werden sollen (5 43 ; 7 36; 8 26). Die Verbote werden meistens nicht beachtet (145; 7 36; 519). In der Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus (5 35) werden "Vertraute Zeugen der Tat; die Vertrauten durften jedoch nach dem angeblichen Plane des Mc. auch vor dem Petrusbekenntnis die Macht des Messias noch nicht erfahren. Die Stellen 210 und 2 28 sind besonders störend für die Auffassung, daß Jesus sich erst nach dem Petrusbekenntnis als Messias bezeichnet habe. In beiden Stellen schreibt Mc. Jesus messianische Macht zur Sündenvergebung und freie Gewalt über das Sabbatgebot zu. Man meint (HOLTZMANN, B A L D E N S P E R G E R ) , der Abschnitt 2 1 — 3 6 sei sachlich eingeordnet und habe keine chronologische Bedeutung im Mc.-Ev. W R E D E betont, daß dann zweifellos die „pragmatische Entwickelung" bei Mc. nicht haltbar sei, weil schon hier der Titel „ Menschensohn " von Jesus gebraucht wird, der doch erst nach 8 27 messianische Bedeutung haben darf. Will man die beiden „erratischen Blöcke", wie man die Stellen nennt, durch die Erklärung fortschaffen, daß „Menschensohn" im Munde Jesu „Mensch" und nichts weiter bedeute, wie R E N A N wohl zuerst meinte, so vergißt man, daß Mc. den Ausdruck gebraucht und zwar in gleicher Bedeutung, d. h. messianisch, wie nach dem Petrusbekenntnis. Nimmt man an, daß der Titel „Menschensohn" ein absichtlich rätselhafter messianischer sei, so läßt sich das mit der Auffassung des Mc. schwer vereinigen, der ihn unbedingt nach 8 27 als Messiasbezeichnung verwendet. Ähnlich verhält es sich mit der Stelle 3 27, die auch vor 8 27 steht und eine messianische Selbstaussage Jesu in sich birgt. In der Stelle 219. 20 findet sich sogar schon eine Leidensweissagung in den Worten: es werden Tage kommen, in denen der Bräutigam von ihnen genommen sein wird usw. Man darf schließen: Mc. erzählt eine „Geschichte Jesu", die kein klares Bild darstellt; ein anderes zum Vergleich fehlt, weshalb nach den vorliegenden Aussagen geprüft

16 werden muß, ob daraus eine Anschauung des Lebens Jesu zu gewinnen ist. In den Berichten des Mc. tritt unverkennbar hervor, daß Jesus seine messianische Würde bis weit über das Bekenntnis bei Cäsarea hinaus verhüllt und ihre Entschleierung verboten hat. Von besonderer Bedeutung für das Verständnis der wiederholten Verbote ist die Anschauung des Mc. in Beziehung auf die Dämonischen und ihr Wissen. Die Dämonen kennen Jesus als Messias und verkündigen ihn als solchen (Mc. 1 23—25; 134; 311. 12; 56. 7; 9 20). Es sind also nicht eigentlich die kranken Menschen nach der Anschauung des Mc., welche mit Jesu verhandeln, sondern die unreinen Geister in den Kranken müssen in ihrem „Geheimwissen" dem Geiste Jesu (Trveöjia) des Sohnes Gottes gehorchen (1 27). Das ist ein unmittelbarer Beweis dafür, daß Jesu Messianität für Menschen nach Mc. ein Geheimnis bleiben sollte. Die Dämonischen haben ihre Erkenntnis gleichsam aus der vierten Dimension. Eine psychologische Vermittelung der wunderbaren Erkenntnis (J. WEISS) der Dämonischen, wie sie von manchen Kritikern versucht wird, ist abzuweisen. Die Macht der Predigt oder Hoheit Jesu, die besondere religiöse Erregung, die hochgespannte Messiaserwartung in den Dämonischen genügen nicht, um die wunderbare Erkenntnis in den Geisteskranken, die regelmäßig bei Mc. ihnen zugeschrieben wird, zu erklären. nimmt an, daß Mc. oder seine Vorgänger aus ihrer supranaturalen Gesamtanschauung von dem Verhältnisse Jesu zu den unreinen Geistern heraus die Dämonengeschichten gebildet haben. Jesus war sonst als Messias unbekannt; die Dämonen erkannten als Geisteswesen ihren Herrn und Bezwinger. Jesus verbietet den Dämonen, das Messiasgeheimnis zu enthüllen (125; 134; 312); er will auch die Gerüchte von seinen Wundern nicht verbreiten lassen (1 43—45; 5 43; 7 36; 8 28); selbst nach dem Petrusbekenntnis folgen Verbote (8 30; 9 9), und man merkt die Absicht, seine Verborgenheit als Messias zu wahren (7 24; 9 30). Es fehlen jedoch WREDE

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auch bei Mc. oft die Schweigegebote, wo man sie erwarten könnte (2 1; 3 3). In der Erzählung von dem dämonischen Gerasener sagt Jesus sogar 5 19j: geh' hin in dein Haus zu den Deinen und melde ihnen, was dir der Herr getan hat. Die Verbote, das Geheimnis betreffend, werden sehr verschieden erklärt. WEISSE1) meint: Hin und wieder versucht Jesus, die „allzugroße" Verbreitung des Rufes von seinen Wunderheilungen zu hindern. Er will sich nicht verbergen, aber auch nicht ausschreien lassen, weil er nicht immer auf das Gelingen des Wunders rechnet, und nicht jüdische Messiashoffnungen nähren möchte. EWALD sagt: Jesus hielt die Messiasanerkenntnis zurück, begehrte keine Verehrung für sich, wünschte, daß von seiner Hilfe nicht viel gesprochen werde.2) STRAUSS, Leben Jesu (1835): Der Grund der Verbote ist einheitlich; die Ansicht, er sei der Messias, sollte sich nicht »allzusehr" verbreiten. An Erregung der politischen Messiasidee scheinen die Synoptiker nicht zu denken; sie stellen die Zurückhaltung als Demutäußerung hin (Mt. 1219), meinen auch, er habe die jüdische Hierarchie fürchten müssen. Manche Stellen (besonders 8 30) erklären sich auch aus dem späteren Messiasbewußtsein. Jesus erschrak eigentlich davor, wenn das ausgesprochen wurde, was er nur vermutete. Das Mysteriöse habe Mc. gefallen, meint STRAUSS (II, S. 74). Jesus hielt nach 8 30 das Volk nicht für reif, den Sinn, in dem er Messias sein wollte, zu fassen, wenn die Stelle nicht nach Jes. 42 1 verdichtet ist (Leben Jesu für das deutsche Volk, S. 228). Jesus mußte wehren (aus Bescheidenheit), daß die Dämonen ihn nicht „zu sehr" als Messias ausriefen. KLOSTERMANN sagt 8 ) zu 1 25. 34; 312: Jesus will kein Zeugnis aus dem Munde unreiner Geister (S. 27, 29, 68); zu 5 43: er will keine Verehrung, die über die damalige Stufe der Erkenntnis hinausging (S. 120), und nicht zur Wirksamkeit unter *) "WEISSE: Evangelische Geschichte I, S. 341, 365, 350. 2 ) EWALD: Geschichte Christus' und seiner Zeit, S. 20. 3 ) KLOSTERMANN: Das Mc.-Ev. A d o l f M ü l l e r , Geschichtskerne.

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Heiden gezwungen werden (zu 7 34). Zu 7 36: Jesus meinte die Heilung anders als die Angehörigen des Taubstummen und fürchtete, sie würden dem Menschen Jesus die Tat anrechnen und nicht religiös-sittlich für sich einschätzen. Die Erkenntnis der Jünger galt Jesu nicht als voll und daher nicht als mitteilungsreif (S. 176). Zu 9 30: Jesus mied das Volk absichtlich, da es ihm auf die Vorbereitung der Jünger ankam (S. 196). B. W E I S S : Die Anerkennung aus unreinem Munde wird abgewehrt (Leben Jesu I S. 466). Die Erregung des Volkes ist für die Wirksamkeit Jesu verhängnisvoll (II S. 73); die Verbote sollen die Volksbegeisterung herabstimmen. Sie haben teils einen besonderen Zweck (144; 5 43); teils gehören sie einer späteren Zeit an, wo Jesus sich vom Volke zurückzog und nicht wollte, daß seine Wohltaten für einzelne neue Ansprüche an seine Heiltätigkeit ermutigten (7 36; 8 26) (I S. 477, II S. 238). Zu 143: Mc. verstand das Verbot nicht richtig, nach ihm will Jesus Aufsehen vermeiden (Mc.-Ev. S. 73). Er verbot dem Aussätzigen, sich als genesen anzusehen vor Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften (I S. 542). Zu 5 43: Das Mädchen soll für die Menge nur geschlafen haben; Jesus meidet den Ruf des Totenerweckers (I S. 588). Bei der Auferweckung zu Nain: Jesus trat eine große Reise an und war so vor ferneren Ansprüchen sicher (I S. 562). Zu 7 24: Im Heidenlande will Jesus unerkannt bleiben, keine Volkswirksamkeit, nur Jüngerbelehrung ist beabsichtigt (II S. 251, Mc.-Ev. S. 256). Jesus meidet aus erzieherischen Gründen das Messiasbekenntnis (I S. 489). In 8 30 gebietet Jesus zu schweigen, nicht weil das Volk nicht hören sollte, wovon immer damals geredet wurde, sondern weil sinnliche Hoffnungen oder erhöhte Opposition oder unnützer Streit durch die Messiasverkündigung erregt werden konnte. WEIZSÄCKER (Untersuchungen über die evangelische Geschichte) : Das Geheimhalten kommt in verschiedenem Sinne vor. In 144 fordert Jesus Schweigen, weil er die jüdischen Reinheitsgebote übertreten hat, in 543 will er Aufsehen, in 7 36; 8 26 Nachstellung, Gefahr vermeiden. Die Verbote

19 fanden jedoch, auch eine a l l g e m e i n e E r k l ä r u n g . Das Verbot ist aus einer Stimmung Jesu erklärbar: Scheu (366) vor Untergang oder Empörung (S. 425) bestimmt ihn dazu. Zu 8 30: Jesus will falsche Messiaserwartung meiden und den Jüngergeist nicht trüben (S. 473). Die oft scharfen und v o n Mc. n i c h t b e g r ü n d e t e n Schweigegebote müssen alle einen Sinn haben: Das Messiasgeheimnis soll gehütet werden; alle einzelnen Erklärungen der Gebote weist W R E D E ab. Es sei nicht für alle Verbote ausreichend, wenn man meint, Jesus habe eine „außersittliche" Anerkennung von Dämonen nicht gewollt, Ansprüche an seine Wundertätigkeit abgewehrt, sei durch Zeit, Ort und Verhältnisse dazu veranlaßt worden. Die Erklärung, daß Jesus durch Wundertaten sein eigentliches Wirken nicht beeinträchtigen oder nicht „allzusehr" seine Messianität bekanntgeben wollte, befriedigt auch nicht. Die Ansicht, daß Jesus seines Messiasberufs noch nicht ganz sicher gewesen sei, weist W R E D E zurück und meint, seine Verbote bestätigten die Gewißheit seiner Messianität, wenn sie erfolgt seien. Man meint auch, Jesus habe mit Rücksicht auf seinen Beruf erzieherisch die Jünger behandelt, weil er nicht sinnliche oder politische Messiashoffnungen nähren wollte. W R E D E sagt, es wäre dann wohl richtiger gewesen, wenn Jesus wenigstens die Jünger aufgeklärt hätte. Die Ovation bei dem Einzüge in Jerusalem läßt sich dann auch schwer einordnen (vergl. die Ausführungen am Schluß!). Der Zusatz zu dem Verbote 9 9 „bis zur Auferstehung" ist gleichbedeutend mit dem Verzichte auf irdische Messianität. Alle Wunder mit Verboten der Verkündigung sind unverständlich. W R E D E bezweifelt überhaupt, daß Mc. ein erzieherisches Verhalten Jesu angenommen habe, weil die Parabel als Lehrform nach Mc. gewählt wird als n i c h t das Verständnis fördernd. Die Scheidung zwischen politischer und geistiger Messianität findet W R E D E auch nicht bei Mc., weil die Davidsohnfrage (12 35), der Einzug, die Zinsgroschenfrage und die Leidensverkündigung gewöhnlich nicht nach Mc., 2*

20 sondern aus einem vermeintlichen G-egensatze zu einer falschen Messiashoflhung erklärt werden. Jesus zieht nach Mc. lediglich auf dem Tier der "Weissagung nach Sach. 9 in Jerusalem ein; die Verhandlung über den Zinsgroschen hat den Zweck, festzustellen, ob Jesus gegen die Römer sich äußern werde. Jesus bejaht die Frage, ob er König der Juden sei; alles Vorgänge und Äußerungen, aus denen eine antipolitische Tendenz nach Mc. durchaus nicht für die Messianität Jesu hervorgeht (15 2; 15 9. 12. 18. 26). Der Gegensatz zwischen einer Messiasherrlichkeit ohne Leiden und einer anderen mit Leiden und durch Leiden ist ein anderer als der einer geistigen und national-politischen. "WREDE will nicht über das Bewußtsein Jesu und sein Verhältnis zur Volkserwartung in Beziehung auf den Messias entscheiden, sondern nur über die Auffassung des Mc. Die Darstellung der Messianität Jesu von Mc. ist nicht so, daß sie sinnliche Erwartungen der Jünger ausschließt. Petrus erhält eine Lohnverheißung (10 29); die Antwort an die Zebedaiden setzt Ehrenplätze im Reiche Gottes voraus (10 85). "WREDE schließt: die Ausführungen der Exegeten über die Auffassung der Gebote Jesu, von den Äußerungen seiner Messianität zu schweigen, deuten nichts, weil sie von persönlichen Annahmen ausgehen, die nach dem Mc.-Ev. nicht zu begründen sind und doch allein aus ihm stammen müßten, weil es keine andere Quelle dafür gibt. Die Berichte von den verschiedenen Verboten hält "WREDE für ungeschichtlich. Die Dämonen haben Jesus nicht als Messias begrüßt, können also auch keine Verbote empfangen haben. Die verschiedenen Heilungen erregen besondere Bedenken, wenn sie auf den historischen Gehalt hin angesehen werden. Das "Wunder der Heilung des Aussätzigen (140) widerspricht, nach "WREDE, jedem Zweckgesetze, ganz abgesehen von seiner Denkbarkeit, somit auch das Verbot Jesu. Die vorausgesetzte Öffentlichkeit vor der Erweckung; der Jairustochter, ihr späteres Erscheinen unter dem Volke und das Verbot, die Tat bekanntzugeben, ist so wenig

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zu vereinigen, daß die Zwecklosigkeit jeder Auffassung des Verbots einleuchtet. Ebenso verhält es sich, bei der Heilung des Blinden, weil die Öffentlichkeit unter den Voraussetzungen des Evangelisten, der den Geheilten von Jesu in sein Haus gewiesen werden läßt, das doch wohl im Flecken lag, nicht auszuschließen war. Besonders bedenklich in Beziehung auf die Geschichtlichkeit der Berichte von den Verboten bei Mc. vor dem Petrusbekenntnis ist sein scheinbares Wissen von der Absicht und den Entschließungen Jesu selbst. Wie Mc. zu dem Schauen ins Bewußtsein Jesu gekommen sein kann, aus dem er herausgelesen haben soll, daß Jesus sich wohl vor Cäsarea als Messias wußte, seine Würde aber geflissentlich durch Verbote verhüllte, ist unerklärlich. Es setzt eine derartige Kenntnis des bewußten aktiven Schweigens Jesu, das den messianischen Anspruch einschließt, eine Vermittelung voraus, für welche die natürlichen Ubergänge fehlen. Nimmt man an, die Jünger waren Zeugen der Verbote, so ist es nicht zu verstehen, daß erst bei Cäsarea das überraschende Bekenntnis erfolgt, weil sie aus den Verboten längst die Messianität Jesu hätten schließen müssen. Die Jünger sind nach der gewöhnlichen Voraussetzung nicht die Zeugen der Verbote. Woher weiß nun Mc. davon? Es mußte nach der Darstellung des Mc. Jesus nach dem Petrusbekenntnis einen Unterricht über die früheren Wundertaten erteilt, oder die Geheilten mußten Berichte ihrer Erlebnisse an einer Zentralstelle für das Mc.-Ev. abgegeben haben, was doch schwer denkbar ist. Sämtliche Verbote vor dem Petrusbekenntnis erweisen sich für W R E D E als ungeschichtlich; die Stelle 9 9 fällt jedoch auch unter den gleichen Verdacht, weil sie mit dem Verklärungsberichte zusammensteht, der die Voraussetzung der Auferstehung enthält. Die Erklärung der Verbote muß und kann nur in der Auffassung des Mc. gesucht werden. Beziehungen zu den Verboten haben noch einige andre Notizen in der Darstellung des Mc. Bei der Verklärung, bei der Auferweckung der Tochter des Jairus, bei der Hei-

22 lung der Schwiegermutter des Petrus werden einige Vertraute, wie es scheint, als Zeugen der geheimnisvollen Vorgänge, nach der Meinung des Mc., von Jesu zugelassen; Jesus gibt an vielen Stellen nach Mc. besondere Lehren f ü r seine Vertrauten (13 3, eschatologische Rede) und seinen nächsten Jüngerkreis (7 14) im Hause (9 28; 9 33; 1010), an einsamem Orte (1 35) und zieht sich auf „den Berg" zurück. Das hat vielleicht alles in dem Geheimnisvollen in Jesus bei Mc. seinen Grund. Bestimmter tritt die messianische Selbstverhüllung Jesu nach Mc. in seiner Auffassung der Gleichnisrede hervor. I m Gleichnis vom Säemann (410—13 u. 4 33. 34) wird ausdrücklich erklärt: die Hörer vernehmen die Worte, verstehen aber nichts. Der Ausdruck Gleichnis ist bei Mc. so viel wie Rätsel. Den Jüngern wird die Lösung des Rätsels gegeben, indem sie das Geheimnis des Reiches Gottes enthüllt bekommen; dem Volke wird sie vorenthalten. Es ist bei Mc. nicht nur einzelnes, sondern die gesamte „Lehre" Jesu Geheimnis. Das Hauptstück des Geheimnisses ist das Mysterium: Jesus der Messias. Weil und wenn Jesus in Gleichnissen spricht, hat er Geheimnisvolles mitzuteilen; das ist die Ansicht des Mc. Die allegorisch Gleichnisse erklärenden Kirchenväter suchen einzelne Geheimnisse aus ihnen zu enthüllen. W R E D E meint, das Verfahren Jesu nach der Anschauung des Mc. von dem Zweck der Gleichnisrede, wäre ebenso grausam, wie sinnlos. Jesus soll unverständliche Reden zu dem Zwecke gehalten haben, um seine Hörer zu verstocken; das ist eine Voraussetzung, die nicht aus dem Inhalte der Parabeln entnommen werden kann und dem geschichtlichen Leben Jesu widerspricht. Jesus gibt nun bei Mc. nie einen Grund für die messianische Selbstverhüllung an; sie wird als eine theologische Vorstellung des Mc. einzuschätzen sein. Der Schlüssel für die Theorie des Mc. wird in 9 9 gefunden, wo es heißt: Als sie vom Berge herabstiegen, befahl er ihnen, niemand zu erzählen, was sie gesehen, außer wenn der Sohn des Menschen von den Toten erstanden wäre. Mc. meint

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offenbar, daß Jesu Messianität, abgesehen von seinen Vertrauten (!), während seines ganzen Erdenlebens Geheimnis war; erst mit der Auferstehung soll die Entschleierung seiner Herrlichkeit für alle erfolgen. Die messianische Selbstverhüllungsvorstellung leitet Mc., wenn sie auch bei dem Einzüge in Jerusalem, vor dem Blinden bei Jericho und bei dem Bekenntnis vor dem Hohenpriester versagt. „Was sich in der Geschichte stößt, kann in Gedanken nebeneinander stehen." W R E D E bezieht auch die Stelle 4 21. 22 auf die nach der Auferstehung eingetretene allgemeine Erleuchtung in Beziehung auf die Messianität Jesu. Die Auferstehung ist die Grenze zweier Perioden. Das, was bis zur Auferstehung in Jesu verhüllt sein soll, ist etwas vollständig Übernatürliches nach der Anschauung des Mc. Schon der Taufvorgang ist wie die Verklärungsszene nach Mc. objektiv geschehen und nicht als Vision aufzufassen; bei der Verklärung tritt Petrus handelnd ein; Jesus empfängt bei der Taufe den Geist und wird metaphysisch Gottes Sohn. In der Wüste kämpft der Sohn Gottes mit dem Teufel; die Dämonen haben das Geheimwissen von seiner Messianität. Wunder tut der Gottessohn in der Kraft des Geistes; in der Verklärung zeugt Gott für Jesus. Der Name Gottessohn ist also bei Mc. durchaus nicht nur im theokratischen Sinne gebraucht. Bestätigt wird die Auffassung durch das Verhör vor dem Hohenpriester und das Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuze. Nach jüdischem Rechte ist der Tatbestand einer Gotteslästerung (Gidduf) nicht schon die Behauptung der Messianität. Mc. bezeichnet mit dem Ausdrucke Gottessohnschaft ein übernatürliches Verhältnis, das weit mehr bedeutet als die Messianität. Mc. kennt kein geschichtliches Werden des Messias, sondern für ihn ist Jesus von Anfang metaphysisch Gottessohn. Das Petrusbekenntnis bestätigt die Auffassung des Mc. in dieser Richtung. Justin sagt (Dial. c. Tryph. 100), Petrus habe Jesus nach göttlicher Offenbarung erkannt. Er bezieht sich dabei wohl

24 auf Mt. 1617. Die Erkenntnis des Petrus ist also übernatürlichen Ursprungs. Eine Enthüllung göttlicher Geheimnisse kann nur von Gott g e s c h e n k t w e r d e n . So faßt auch Mc. das Petrusbekenntnis auf. Es ist kein erzieherischer Ertrag Jesu, sondern eine Gabe Gottes, ebenso wie Jesu Lehre und ihr Inhalt (122) als Gottes Kraft übermittelt wird. Jesus lehrt, wie einer, der göttliche dämonische Gewalt hat (VOLKMAR). Die Lehre wirkt Unerhörtes, ist vollkommen neu in ihrer Macht. Es ist in ihr göttliche Geistesmitteilung spürbar, die eigentlich nicht inhaltlich bei Mc. besonders die Erkenntnis mehrt, sondern gleichsam durch ihre Substanz magisch wirkt. So ergibt sich als Inhalt des Geheimnisvollen bei Mc.: die Gottessohnschaft Jesu, sein Wunderwirken, seine Lehre, der Sinn der Parabeln, dazu kommt dann die Notwendigkeit des Leidens und Auferstehens. Jesus verbirgt sich in Galiläa, um den Jüngern das Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung zu enthüllen (9 30); er kennt nach Mc. von Anfang an die Notwendigkeit seines Todes. Das geht schon aus der Äußerung über die Trauer bei dem Scheiden des Bräutigams hervor (2 19. 20). Mc. kennt auch schon die sühnende Bedeutung des Todes (14 24) als Lösegeld (10 45). Jesus geht nach Jerusalem, weil er dort leiden und sterben will; nicht die geschichtlichen Verhältnisse sind es, die nach der Auffassung der Urgemeinde, aus der heraus auch Mc. schrieb, den Tod Jesu notwendig machen; er war es heilsgeschichtlich. Die Gemeinde zur Zeit des Mc. hat zweifellos so gedacht wie er. W R E D E zeigt, wie die Berichte des Ev. von der Kritik umgedeutet werden. Man sagt: die drei Stellen 8 31; 9 31; 10 33 seien aus literarisch-rhetorischen Rücksichten vervielfacht; das Ursprüngliche sei hinter dem Bekenntnis des Petrus und in 10 32 zu finden. Die Zeitbestimmung „nach drei Tagen" wird abgezogen, oder es wird von einer nur a n d e u t e n d e n "Weissagung der Auferstehung gesprochen. Die Weissagung der Auferstehung wird gestrichen und auf

25 die Parusie bezogen. H O L S T E N streicht die Weissagung vom Tode und der Auferstehung und meint, nur mit der Notwendigkeit des Leidens könne Jesus gerechnet haben. Besonders wird dann die Notwendigkeit des Leidens und Todes Jesu im Sinne moderner Anschauungen umgedeutet, die gewiß manches Richtige enthalten, im Texte des Mc. aber schwerlich begründet sind. Eine Frage ist von Bedeutung: weshalb zieht Jesus nach Jerusalem? um zu sterben oder um dort zu wirken? Es ist schwer denkbar, daß Jesus die N o t w e n d i g k e i t seines Todes voraussah, weil seine J ü n g e r offenbar nach seinem Tode ratlos sind und alles f ü r verloren halten; von der Auferstehung scheinen sie damals noch nichts zu wissen. E s ist freilich auch kaum anzunehmen, ' daß Jesus in der • Entscheidungszeit keine Todesgedanken gehabt habe, wenn auch von einer wirklichen Gewißheit nicht gesprochen werden kann. Man wird mit allen Möglichkeiten rechnen können, darf aber nicht vergessen, was Mc. darüber sagt. Seine Aussagen enthalten nach W R E D E ein kurzes Summarium der Leidensgeschichte „allerdings im F u t u r u m " . Die Urgemeinde hielt daran fest, daß Jesus alles vorausgewußt habe. E r h a t leiden und sterben w o l l e n ; seine Auferstehung mußte er weissagen. Das war nach der Anschauung der ersten Christen vom Leben Jesu notwendig. Mc. berichtet aus dem Gemeindebewußtsein seiner Zeit heraus. Die Vorhersagungen Jesu entsprechen so pünktlich den Ereignissen, daß ein solches Vorherwissen nicht aus historischen Momenten entstanden sein kann, sondern als vermeintliche Äußerung einer höheren Natur angesehen werden muß. Es ist übernatürlich und darum auch sein Inhalt geheimnisvoll. So sind auch die Einzelheiten in der Verkündigung Jesu vom Leiden und Sterben bei Mc. von Bedeutung, darunter besonders die Tatsachen, in denen Irrationales für die Gemeinde vorhergesagt wird (der Verrat eines Jüngers, die Verleugnung des Petrus, die Flucht der Jünger). Darin tritt die Natur des Wissens Jesu am deutlichsten hervor. Die Leidensverkündigungen sind

26 historisch wertlos, weil sie die Leidensgeschichte voraussetzen . . . , sie gehören zu den urchristlich apologetischen Versuchen; ihre historischen Kerne findet W R E D E nicht. Die Kritiker meinen, dem Tauf berichte, der Versuchungs- und Verklärungsgeschichte lägen Visionen zugrunde, die Erkenntnis des Messias durch Dämonen sei aus der Anrede einiger Geisteskranker, die Geschichte von der Speisung, dem "Wandeln auf dem See, dem Sturme und der Heilung des Aussätzigen seien aus der Umformung einfacher glaubwürdiger Vorgänge entstanden. Die Leidens- und Auferstehungsweissagungen Jesu werden von B A L D E N S P E R G E R (Selbstbewußtsein Jesu S. 143) auf Tatsächliches zurückgeführt, trotzdem von ihm Erdichtungen der Jünger (S. 144) zugegeben werden. W R E D E meint, es sei das Interesse der Gemeinde an den Vorhersagungen ein genügendes Motiv zu ihrer Erdichtung. Ferner soll gegen die Hypothese, daß die Gemeinde ihre Gedanken auf Jesus übertragen habe, sprechen, daß die Jünger nur „mit Mühe" die Weissagungen vom Leiden und Tode Jesu verstanden. Das ist nach W R E D E nicht richtig, weil die Jünger überhaupt die Vorhersagungen nicht begriffen. Es kann nicht geschehen sein, daß Jesus so bestimmte Voraussetzungen machte, weil sonst die Verzweifelung der Jünger nach dem Tode Jesu nicht zu begreifen wäre. Daß ein lebendiger Mensch etwas so Unerhörtes, eine Auferstehung vor der Auferstehung, sicher erwartet haben sollte, ist ebenso wunderbar nach W R E D E , wie die Fristbestimmung von drei Tagen. ROHRBACH nimmt, an, Jesus habe von der Auferstehung früher gesprochen, die Jünger hätten aber erst nachher die früher gehörten Worte begriffen. W E L L H A U S E N , J. W E I S S , W E I N E L halten eine oder die andere Stelle, in der Leidens- und Auferstehungsweissagungen berichtet werden, für historisch; W R E D E bestreitet ihre Annahme aus seiner Gesamtanschauung der Berichte des Mc. heraus; er meint, daß gerade in den Todes- und Auferstehungsweissagungen (8 31; 9 31; 10 33) das angenommene Ursprüngliche und Unauffind-

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bare sich, nicht aufzeigen lasse. Die Berichte stammen sämtlich aus der Gemeindeanschauung zur Zeit des Mc. Die Jünger verstehen nun nach Mc. nicht langsam, wie W E I Z S Ä C K E R meint, sondern überhaupt nicht die Weissagungen vom Leiden und Auferstehen Jesu. Jesus gibt sich auch keine Mühe, sie zu belehren, weil sie im Unverstände bis zur Auferstehung Jesu festgehalten werden sollen (9 9. 32). Bedeutsam für die Auffassung ist der Aufbruch nach Jerusalem (10 32). Jesus geht mutig und willig dem Leiden und Sterben entgegen; die Jünger beben und fürchten sich. Ähnlich ist auch die Situation nach dem Petrasbekenntnis (8 32). Jesus verkündigt das Geheimnis des leidenden Messias; die Jünger bleiben gleichmäßig verständnislos. W R E D E schließt: eine derartige schematische Schilderung der Jünger nach der Theorie des Mc. und seiner Zeitgenossen entspricht nicht der wirklichen Geschichte. Nach Mc. sind die Jünger unfähig, Jesus in seinen Worten und Taten zu verstehen ( 4 1 3 ; 4 40. 41; 6 5 0 — 5 2 ; 7 18; 8 1 6 — 2 1 ; 9 5 — 6 ; 9 1 9 ; 1 0 24; 1 4 37—41). Solche Jünger, meint W R E D E mit Recht, sind nicht wirkliche Gestalten aus der Geschichte. Mc. macht aus seinen Vorstellungen Geschichte. Besonders tritt das in den beiden Stellen 6 50—52 und 8 16—21 nach W R E D E zutage. Mc. will jedoch die Jünger nicht etwa absichtlich herabsetzen, sondern ihr Verhalten ist seiner Meinung nach ganz der Geheimniszeit angemessen. Ihr Unverstand ist der dunkle Hintergrund für die erhabene strahlende Größe Jesu. Es war das die Anschauung der Urgemeinde; eine ähnliche kommt auch im Barnabasbriefe (5 9) darin zum Ausdrucke, daß die Jünger über alle Sünde hinaus sündig genannt werden. Celsus meint bei Origenes, daß Jesus sich schlechte berüchtigte Zöllner und Fischer zu Jüngern erwählt habe. Es ist nach Mc. auch bei den Jüngern kein Wachsen in der Erkenntnis zu spüren. Sie erhalten immer den Vorwurf von Jesu: Versteht ihr noch nicht? Die Stufenfolge:

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Allgemeines Nichtver stehen, "Verständnis der Messianität, zuletzt nur noch Nichtverstehen des Leidens und der Auferstehung ist bei Mc. nicht aufzuzeigen (9 5.6; 9 19). Dem Unverstände geht nun nach Mc. die Offenbarung parallel, welche die Jünger empfangen. Sie ist jedoch keine Klärung des Verständnisses, sondern eine wunderbare Mehrung des inneren Geistesinhalts. Jesus erschließt den Jüngern den Sinn der Parabeln, weissagt ihnen sein Leiden und Auferstehen und belehrt sie im Verborgenen (9 30; 8 31; 10 32; 13 3). Bei der Auferweckung der Tochter des Jairus, bei der Verklärung sind Vertraute zugegen. Die Jünger bekommen Gewalt über unreine Geister (6 7). Die Offenbarung empfangen die Jünger und ein größerer Anhang; der Inhalt ist jedoch verschleiert bis zur Auferstehung Jesu und wird nachher (4 21) gedeutet, wenn das Offenbarungswort festgehalten wurde (9 10). Das Volk empfängt die Offenbarung nicht. W R E D E schließt: Jesus hält seine Messianität, solange er auf der Erde lebt, geheim. Den Jüngern offenbart er sich; sie nehmen den Inhalt der Offenbarung als latenten, geheimnisvollen Geistesbesitz auf und verwerten ihn nach der Auferstehung Jesu. Das Volk bleibt verständnislos. Der Gedanke beherrscht nach W R E D E die ganze Geschichtserzählung nach Mc. Für die Frage nach der Bedeutung des Messiasgeheimnisses in den E w . ist das Petrusbekenntnis wichtig. B. W E I S S erklärt das Bekenntnis mit Hilfe von Joh. 6 14.15 und meint, Jesus habe sich geweigert (Joh. 6 66), im Sinne des Volkes die messianische Fahne zu entfalten und deshalb das Volk verloren, die Treue der Jünger gewonnen. W R E D E hält die Stelle im Joh.-Ev. für nicht geeignet, darauf die Anschauung von einem Wendepunkte im Leben Jesu zu gründen, weil die Speisungsgeschichte zu nahe und die Darstellung ganz im Sinne des Ev. (18 36) verläuft. W E I S S selbst sagt (Leben Jesu I I 207): man ahnt nicht hinter den kühlen Worten die Katastrophe; W R E D E meint,

29 sie sei nicht zu ahnen, weil sie überhaupt nicht eintrat. Im übrigen steht B. W E I S S auf dem Standpunkte der Kritik, die das Mc.-Ev. in Beziehung auf seinen historischen Inhalt überschätzt, und hat auch gleiche "Widersprüche gegen sich. J . "WEISS erklärt das Bekenntnis nicht nach Joh. 6 66, meint aber, Mc. 8 27 berichte den ersten Ausdruck der längst gehegten Überzeugung von der Messianität Jesu im Jüngerkreise und auch im Volke. Danach erhebt sich die Frage, wenn Jesus, wie J . W E I S S meint, das Messiasgeheimnis als etwas Zartes und Innerliches nicht preisgab, weshalb er das Bekenntnis hervorruft. Die psychologischen Yermittelungen hält W R E D E hier nicht für erkenntnisergiebig. Mc. gibt dem Bekenntnis nicht großes Gewicht, weil er nicht weiß und nicht wissen konnte, wann Jesus als Messias bekannt wurde und weil nach dem Bekenntnis für seine Anschauung alles so blieb, wie es früher war. Man darf die Stelle nicht nach Mt. erklären, weil Mc. in der Tat des Petrus nichts Besonderes sieht und auch die Seligpreisung des Bekenners fortläßt. K E I M meint, Jesus habe den Bekenner gescholten, weil sein Bekenntnis nicht zeitgemäß gewesen sei, und gibt damit den richtigen Weg für das Verständnis der Situation an. Die Szene steht bei Mc. in gleicher Linie mit der Dämonenerkenntnis und dem Verklärungsberichte. Dämonen, die vertrauten Jünger, die Stimme vom Himmel sprechen das höchste Geheimnis aus, was Jesus ist und eigentlich noch nicht sein darf. Man betont mit Unrecht nach W R E D E die Stellung des Bekenntnisses vor der Leidensweissagung und dem Verklärungsberichte als bedeutsame, weil von nun an ein anderes Verhältnis der Jünger zu Jesus beginne. Das ist nach Mc. nicht spürbar, weil für die Jünger das Geheimnis immer gleichbleibt; sie verstehen es nie. Die Annahme der Steigerung des Gegensatzes zwischen Jesus und seinen Feinden ist auch unhaltbar; der Gegensatz ist von 3 6 bis 12 13 gleich scharf. Mc. hält die Pharisäer von vornherein für die Todfeinde Jesu.

30 Für Mc. ist nach W R E D E die sachliche Verwandtschaft der Erzählungen wichtig als Beweggrund für die Reihenfolge seiner Darstellung, in der er an manchen Stellen Gleiches häuft. Die von vielen Kritikern ("WERNLE) gefundene Entwickelung in der Wirksamkeit Jesu: Große Volksbelehrung, allmählicher Rückzug (614—8 26), Unterweisung der Jünger im engsten Kreise (8 27—10 45) ist nur eine scheinbare. In c. 2 1—3 6 werden die Äußerungen der Pharisäerfeindschaft berichtet, in c. 4 Gleichnisse, in c. 11—12 Streitgespräche, Speisungsgeschichten, Wundererzählungen in Gruppen. Die Verklärung und das Petrusbekenntnis sind inhaltlich verwandt. Durch das Messiasbekenntnis wird der Hinweis auf das Leiden Jesu bedingt. Das Leiden begründet die Messianität, die erst nach der Auferstehung bekannt werden soll. Der Menschensohn muß leiden, sterben und dann auferstehen. Das steht noch bevor; es darf deshalb vom Messias noch nicht gesprochen werden. Gegen die Gesamtanschauung, daß die Berichte des Mc.-Ev. von der entwickelten Voraussetzung des bis zur Auferstehung zu verhüllenden Messiasgeheimnisses Jesu beherrscht seien, erheben sich Widersprüche auf Grund einiger Stellen. Jesus verrichtet öffentlich Wunder und gebietet Schweigen; er äußert sich ganz offen über seine Messianität und bereitet den Einzug in Jerusalem vor. Leidensverkündigungen, die von den Jüngern nicht verstanden werden sollen, verstehen sie dennoch, und Jesus hält ihr Verstehen für selbstverständlich. Hinweise auf den Messiastod sind nach der Grund anschauung des Mc. eigentlich nur für die Jünger und werden den Jüngern des Johannes, ja sogar den Pharisäern und jüdischen Oberen gegeben (219; 12 6). Gleichnisse, die eigentlich doch Rätsel bleiben sollen, gebraucht Jesus zu seiner Rechtfertigung, die doch verständlich sein soll (Beelzebulrede 3 23). Das Gleichnis von den Weingärtnern verstehen seine Feinde. Die angedeuteten und andere Widersprüche sind so auffallend, daß sie nicht nur aus den Mängeln der Dar-

31 Stellung des Mc. erklärt werden können, meint "WREDE, und einen besonderen Grund haben müssen. Selbst die Annahme der Benutzung schon vorliegender geformter Bestandteile der Darstellung reicht nicht aus. Wollte Mc. ein Leben Jesu mit besonders hervortretender Bezeugung der Messianität schildern, so war das Geheimnis schwer zu wahren. Es wird auch im Mc.-Ev. dem Verbote Jesu, ihn bekanntzumachen, immer entgegengehandelt (145; 7 36; 7 24). Gerade daraus, meint WREDE, daß Jesus sie verbergen will und sie doch bekannt wird, tritt seine Herrlichkeit nach der Anschauung des Mc. besonders hervor. Es liegt etwas Triumphierendes darin. Bei Mc. sind beide Momente: die Messiasbekenntnisse und die Verbote, Zeugnisse für die unwiderstehliche Macht des Gottessohnes; sie werden wechselseitig hervorgerufen zur Verherrlichung Jesu. Das ist eine besondere Eigentümlichkeit des Erzählers Mc., der auch sonst in seiner Eigenart beachtet werden muß. Mc. hat keine wirkliche Anschauung mehr von dem geschichtlichen Leben Jesu. Die Geschichtsskizze im Mc.Ev. ist etwa folgende: Jesus tritt als Lehrer zuerst in Galiläa auf; mit ihm ziehen einige Jünger, die er besonders unterweist. Unter den Jüngern, denen sich oft eine größere Menge anschließt, gewinnt Jesus einige besonders vertraute. Jesus redet gern in Parabeln und tut "Wunder. Seine Wunder und Heilungen Kranker und Dämonischer erregen Aufsehen; er wird überlaufen. Zöllner und Sünder sind oft in seiner Gemeinschaft. Das Gesetz wird von Jesus frei gehandhabt und ausgelegt, weshalb ihn die Pharisäer und die jüdische Obrigkeit verfolgen. Sie bringen ihn zu Fall, nachdem er Judäa und Jerusalem betreten hatte. Die römische Obrigkeit wirkt bei seinem Leiden und Tode mit (S. 130). Der Geschichtsstoff wird urchristlich dogmatisch von Mc. verarbeitet. Jesus ist für ihn ein übermenschliches Wesen, das mit göttlicher Macht handelt und die Zukunft vorausweiß. Göttliche Ratschlüsse sind immer die Trieb-

32 kräfte für sein Handeln, nie rein menschliche Entschließungen. So sind denn auch die einzelnen Berichte nicht miteinander inhaltlich oder geschichtlich bei Mc. verknüpft; Mc. kann sich zuweilen selbst in seine Erzählungen nicht hineindenken (1 24—27; 311 und 12); er vergißt seine eigenen Voraussetzungen. In 7 33 ist Jesus allein mit dem Taubstummen; in 7 36 gebot er i h n e n zu schweigen. Das Geheimnis wird nach Mc. gewahrt durch das Alleinsein mit den Jüngern oder mit den Vertrauten, durch heimliche Reisen, Rückzug vom Volke in die Einsamkeit, Aufsuchen eines Berges, eines Hauses. Daneben finden sich auch als Gründe seines Aufsuchens der Einsamkeit angeführt, daß Jesus belästigt oder verfolgt wurde. Ein „Berg", ein Ort, ein Haus ist für Mc. immer da, um die Geheimhaltung einer Tat Jesu zu ermöglichen. In 10 10 läßt Mc. Jesus die Jünger „besonders" über ein Thema belehren, das sie kurz vorher ihn mit den Pharisäern hatten behandeln hören. Die besondere Unterweisung war also überflüssig. Besonders charakteristisch für den unmittelbar aufeinander folgenden Wechsel von Vorstellungen bei Mc. ist die Stelle 132—45. Nach v. 32—34 wird Jesus als bekannter Wundertäter überlaufen; v. 35—39 sein Rückzug in die Einsamkeit; v. 44 das Verbot an den Aussätzigen; v. 45a das Kundmachen; v. 45b das Meiden der Stadt, Einsamkeit und doch Zulauf. Das Rufen der Menge nach dem Petrusbekenntnis (8 34) soll auch wohl nichts weiter bedeuten, als daß nun die Öffentlichkeit wiederhergestellt werden konnte, die nach Mc. vorher ausgeschlossen war. Der Inhalt der Verkündigung paßt eigentlich nach der Anschauung des Mc. nicht für die Menge, weil darin schon der Leidensgedanke enthalten ist. In 714 gibt das Gespräch mit den Pharisäern über das Händewaschen ein Bild mit wechselnden Situationen. Die Menge wird gerufen und hört eine Parabel; Jesus zieht sich ins Haus zurück und deutet den Jüngern das Gleichnis. Die Parabel bezieht sich auf das Gespräch mit den Pharisäern, das die Menge nicht gehört hatte; die Deutung ist wieder nur für

33 die Jünger. In der Geschichte vom Gerasener (5 19.20) erhält der Geheilte den Auftrag: Gehe hin zu den Deinen und melde, was der H e r r dir getan. Er ging hin und begann in der Dekapolis zu verkündigen, was J e s u s ihm getan hatte, und alle verwunderten sich. W R E D E hält die Erzählung für eine Parallele zu den Verboten im Sinne des Mc. zum Zwecke der Verherrlichung Jesu. In der Stelle 7 24—25 sieht W R E D E eine Neigung des Mc. zum Märchenstil. — W R E D E findet die von W E R N L E gerühmte Anschaulichkeit im Mc.-Ev. nicht, weil Mc. weder psychologisch noch historisch gedacht und Jesum als ein gespensterhaftes Wesen geschildert hat; die Gedankenblässe des Joh.Ev. wird von W R E D E jedoch im Mc.-Ev. nicht gefunden. Wenn man fragt, ob die Anschauung des Mc. vom Messiasgeheimnis seine Erfindung sei, muß die Antwort lauten, daß er einen solchen Gedanken nicht hätte einführen können. Mc. verwendet vorliegende Stoffe nach seiner Art. Das Geheimnisvolle in der Darstellung des Mc. ist schon von S C H L E I E R M A C H E R , S T R A U S S und K E I M bemerkt worden. W R E D E meint, es liege an der Überschätzung des Mc., daß man die Einzelheiten früher nicht schärfer geprüft habe. Für W R E D E steht es jedoch fest, daß Mc. zuerst die Hauptmasse des Ev.-Stoffes geformt hat, wenn er auch schon feste Quellenstücke anderswoher entnahm. Bei Mt. und Lc. liegen der Darstellung noch andere Bestandteile zugrunde. Ohne besondere Vergleichung der Einzelheiten tritt nach der Darstellung des Mc.-Ev. von W E R N L E und W R E D E hervor, daß der Grundgedanke W R E D E S , MC. habe von dogmatisch bestimmtem Standpunkte aus Berichte von Taten und Reden Jesu in seinem Ev. verarbeitet, die übliche Beurteilung des Historischen in den E w . modifizieren muß. Die ersten Jünger Jesu hatten offenbar bis zu ihrem Auferstehungserlebnis den Lebensinhalt der Persönlichkeit Jesu nicht in rechter Weise zu schätzen vermocht. Die bestimmte Erfahrung von der Auferstehung, A d o l f M ü l l e r , Geschichtskerne.

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wie sie auch Paulus machte, deren Eigenart immer ein Geheimnis bleiben wird, stellte die Jünger und Apostel auf einen ganz anderen Standpunkt. Sie deuteten nun ihren Unverstand und den des Volkes auf ihre "Weise und gaben in ihren Berichten von dem bezeichneten Gesichtspunkte ihre Darstellung: Jesus war der übernatürliche Gottessohn; wir und das gesamte Volk haben ihn während seiner irdischen Lebenszeit nicht in dem Maße erkannt und gewürdigt, wie wir es hätten tun müssen. Bei seiner Gefangennahme gaben wir seine und unsere Sache verloren und flohen. Das ist nur so zu erklären, daß Gott selbst unsere Augen blendete. Die im Gemütsleben der Jünger nach dem Auferstehungserlebnisse eingeprägte verklärte Persönlichkeit Jesu wird nun von ihnen leuchtend in die Vergangenheit projiziert und die Ereignisse und Lebensäußerungen, die früher von ihnen wahrgenommen, aber nicht begriffen waren, werden unter den neuen Gesichtspunkt gestellt. Jesus war der erwartete Messias, der nach den Verheißungen der Väter absichtlich auf der Erde seine Herrlichkeit verhüllte, die nach der Auferstehung in vollem Lichte erscheinen sollte. Wie sehr die Berichte von den Taten und Reden Jesu durch eine derartige Voraussetzung beeinflußt werden mußten, hat W R E D E gewiß den Grundzügen nach richtig dargestellt; mir scheint er nur zu sehr den zweiten Ev. dafür verantwortlich zu machen, was schon in dem Grundstoff der E w . sich vorfand. Die verhältnismäßig quantitative Schätzung des Tatsächlichen im Mc.-Ev., wie sie in der Darstellung W E R N L E S erscheint, ist in vielen Punkten nicht haltbar; zu weit geht W R E D E jedoch in der Streichung. Den Einfluß der p e r s ö n l i c h e n A u f f a s s u n g des Lebensinhalts Jesu auf die Berichte, wie er schon bei Petrus und den nächsten Jüngern Jesu sich geltend gemacht haben muß, hat W R E D E dankenswert ins Licht gestellt; manche Urteile über mangelnde „historische Kerne" werden nicht volle Zustimmung finden. Die vorsichtige

35 Prüfung der Einzelheiten in Beziehung auf ihre Bestandteile, wie sie J. WEISS für das Mc.-Ev. durchgeführt hat, gibt die Beleuchtung der wahrscheinlichen Quellen des Evangelisten. J. W E I S S meint freilich, es sei ein wissenschaftlicher Forschungsertrag, keine Annahme mehr, daß Mc. das älteste Evangelium geschrieben habe; es enthalte jedoch nicht den ältesten und ursprünglichen Niederschlag der Überlieferung, weil die Herrnworte (1. Kor. 11) schon eine feste Form hatten und manches Umgestaltete und Legendenhafte sich im Mc.-Ev. findet. Es sei ein Markstein auf dem Wege der Uberlieferung von Jesus bis zum Joh.-Ev. Mc. ist der erste, welcher das apostolische Evangelium in Form eines „Lebens Jesu" darstellt. Man kann den Inhalt des Mc.-Ev. jedoch nicht als tatsächlich getreue Wiedergabe des Eindrucks aus der Lebenszeit Jesu einschätzen, weil Mc. auf seine Zeitgenossen nach dem Tode des Petrus einwirken wollte. W R E D E hat an einem Punkte die religiös bestimmte Richtung des Mc. beleuchtet. Mc. ist Lehrschriftsteller und nicht Biograph. Der eine Gedanke von W R E D E muß begrenzt werden. Man darf jedoch nicht zu siegesfreudig das Mc.-Ev. als die eine Quelle für die Geschichte Jesu preisen; es sind noch viele Schwierigkeiten zu heben. Es gibt viele Stellen bei Mt., die nicht als bearbeiteter Inhalt des Mc.-Ev. angesehen werden können. Daß Mt. in der Geschichte vom Gichtbrüchigen den Zug von den aufs Dach kletternden Trägern zufällig weggelassen, oder die Form der Worte an die Kanaanäerin selbst gebildet habe, ist fraglich. Es gibt Stellen in der Leidensgeschichte nach Lc., die nicht von Mc. stammen können, weil das Bessere, Altertümlichere, Geschichtliche sich darin findet. Mt. und Lc. stimmen auch gegen Mc. überein. Die Schwierigkeiten sind nicht zu durchhauen (WERNLE), sondern, wie von WEIZSÄCKER etwa, zu lösen. Das gegenwärtig uns vorliegende Mc.-Ev. ist zweifellos nicht identisch mit dem ursprünglichen, das Mt. und Lc. lasen; es muß überarbeitet sein. Der ursprüngliche ist dem gegenwärtigen Mc.-Text 3*

Mc.-Ev.

JiWeiM

36 freilich sehr ähnlich gewesen; an größeren Stücken werden wohl nur zwei Heilungsberichte hinzugetan sein (Taubstummer und Blinder). Nicht unwichtig ist die Erwägung der Frage, zu welcher Literaturgattung etwa das Mc.-Ev. zu rechnen ist. J. "WEISS kommt zu dem Schluß, daß Justin mit seiner Bemerkung (Apol. 1 66), die Apostel berichten in ihren E w . Erinnerungen (imonvnnoveunoiTa), nicht ganz unrecht, aber auch nicht ganz recht habe. Die E w . enthalten freilich „Erinnerungen" der Apostel; die Literaturgattung jedoch, die offiziell den Namen trägt (Xenophon), unterscheidet sich wesentlich von den E w . , weil darin die Zuverlässigkeit der „Erinnerungen" durch Quellenangaben nicht bestätigt wird. Mc. und Mt. treten sogar ganz als Verfasser der E w . zurück; nur Lc. und Joh. sprechen von ihrer Person (Lc. 1. Joh. 114; 1815; 19 35). Es ist zu beobachten, daß mit dem Hervortreten der einzelnen Verfasser und ihrer Quellenangabe in der Ew.-Literatur die Zuverlässigkeit ihrer Berichte abnimmt. Mc. wird von Papias darum getadelt, daß er sich nicht näher bezeichnet. Begründet hat Papias die Tatsache damit, daß Mc. auf die Mitteilungen des Petrus angewiesen war und an die praktischen Bedürfnisse seines Gewährsmannes und seiner Zeit gebunden sei. Die „Reihenfolge" der Tatsachen und Herrnworte, wie sie Petrus selbst nach der Meinung des Papias hätte einhalten können, fehlt zum Leidwesen des Papias bei Mc., er ist nur indirekter Zeuge. Das Mc.-Ev. ist auch nicht eigentlich eine Biographie (Leo „griechisch-römische Biographie", Leipzig 1901), weil ihm das eigentlich Künstlerische der Charakterschilderung (Plutarch) und auch das Pragmatische im Sinne der Vita des Sueton etwa fehlt. Mc. will keine eigentliche Werbeschrift für Heiden schreiben, die noch nichts von Jesus wissen; er setzt vieles als bekannt voraus. Mc. erzählt nicht einmal von der Geburt und Abstammung Jesu; daß er die übernatürliche Geburt voraussetze, nennt W E I S S eine dreiste Annahme. Die Jugendgeschichte Jesu erzählt Mc. nicht, weil

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der Sohn Gottes alles durch den Geist empfangen hat und keiner menschlichen Entwicklung unterworfen war. Lc. und Mt. erzählen ganz anders. Bei Mc. fehlt jede Beschreibung Jesu, jede Charakteristik, weil er alles religiössupranatural auffaßt. Der Charakter Jesu ist „Gottessohnschaft". Das Bild Jesu muß bei Mc. aus Worten und Taten entnommen werden, wenn auch die Bergrede, der Jubelruf, viele Gleichnisse, der verlorene Sohn, barmherzige Samariter, Maria und Martha, Worte am Kreuze fehlen. Wahrheit und Sittlichkeit, Demut und Gottvertrauen sind Züge, die dem Helden des Mc. eignen. Mc. stellt die Persönlichkeit Jesu in ihrem Wirken auf andere dar, die sich dem überlegenen Geiste beugen. Es liegt vieles im Stoff des Ev.; vieles hat Mc. ausgemalt. Die Zusätze, welche Mt. und Lc. ausgelassen haben, gehören wohl dem Bearbeiter an. Die Zeitangaben bei Mc. sind dürftig, weil ihm durchaus gleichgültig; dennoch ist eine gewisse zeitliche Reihenfolge im Ev. zu finden: Taufe, Lehre, Leiden, Tod. Die fünf Konflikte mit den Pharisäern sind sachlich geordnet, um die Feindschaft der Gegner zu schildern. Die Ermordung des Täufers steht chronologisch am falschen Platze. Eine i n n e r e E n t w i c k e l u n g f e h l t im Mc.-Ev. Gesteigert wird weder der Haß der Gegner, noch das Verständnis der Jünger; das P e t r u s b e k e n n t n i s b e z e i c h n e t a u c h k e i n e E p o c h e . Der Tod J e s u i s t s c h o n zu A n f a n g sicher. Der Fortschritt liegt im Stoffe. Jesus hat zunächst Erfolge, allmählich ziehen sich seine Anhänger zurück, die Gegner treten in den Vordergrund und führen ihn zum Tode. Es ist keine dramatische Anlage im Ev. Mc. ist kein Biograph, aber auch nicht einmal ein selbständiger Schriftsteller. E r zeichnet Geschehenes auf; Mt. und Lc. nehmen seinen Stoff fast ganz in ihre E w . auf. Er will den Anfang des Ev. von Christo schildern und niederschreiben, was die Apostel und Missionare predigten. Die Veranlassung zum Schreiben ist für Mc. das Bedürfnis der ersten Gemeinden und ihrer Leiter, die Haupttatsachen des Ev.

38 schriftlich zu haben zur Propaganda unter Heiden und Juden. Die urchristliche Auffassung des Begriffsinhalts von »Evangelium" ist bedeutsam. In Mt. 11 5 u. Lc. 7 22 ist die Auffassung von Jes. 611 abhängig. Das Objekt der Verkündigung ist das Reich Gottes, nicht die Person Jesu. Schon bei Paulus ist neben der Lehre auch die Geschichte der Person Jesu in ihrer Entwicklung berichtet. Paulus hatte gewiß auch schon Stoff zur Verfügung, aus dem er Tatsächliches für das Leben Jesu schöpfte; seine Ausführungen sind nur die Grundlinien für die religiös-theologische Ausmalung der Bedeutung des Lebens, Leidens, Sterbens, Auferstehens Jesu. Paulus hätte niemals ein evangelienartiges Lebensbild Jesu schaffen können; es mußte von einem Schüler des Petrus und Paulus (Johannes Marcus) geschehen. Was Paulus als Ev. bezeichnet, mußte also durch Erinnerungen und Erlebnisse von der Persönlichkeit Jesu illustriert werden. Die religiösen Ideen sind aber nicht etwa Erzeugerinnen ihres Stoffes. So nraß aus der F o r m d e r E w . i h r I n h a l t h e r a u s g e s c h ä l t und aufgezeigt werden, daß er sich den persönlichen Ideen nicht ganz gefügt hat, weil er zu fest und spröde bleibt. Das Mc.-Ev. enthält Botschaft von Jesus Christus dem Sohne Gottes. Jesus Christus ist für Mc. schon Eigenname in beiden Bezeichnungen. Wenn Jesus Sohn Gottes genannt wird, so fragt es sich, ob das metaphysisch, griechisch, alttestamentlich oder im paulinischen Sinne gemeint ist. Es ist das bei Mc. schwer zu entscheiden. In dem alten Ev. wird Jesus unbefangen als Sohn Josephs bezeichnet sein. Jesus ist für Mc. Sohn Gottes, auch abgesehen von seiner Geburt. Die Bezeichnung wird also zeitlich als gleichbedeutend mit der des Paulus und 1. Petrusbriefes zu verstehen sein. Dem Mc. liegt daran, daß durch sein Ev. der Glaube an Jesus geweckt und gestärkt werde. D e r G e s i c h t s p u n k t , daß J e s u s sich n a c h der A u f e r s t e h u n g als das z e i g t e , was er e i g e n t l i c h i m m e r

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s c h o n w a r , i s t der des Mc. An dem Wesen des irdischen Jesus wird die himmlische Herrlichkeit aufgedeckt. Das ist der neue christliche Messiasbegriff; seinen Höhepunkt bezeichnet das Joh.-Ev. Bei der Taufe beglaubigt die Stimme Gottes nach Mc., bei dem Tode der heidnische Hauptmann, in der Mitte das Jüngerbekenntnis die himmlische Herrlichkeit, die metaphysische Gottessohnschaft Jesu. In der ältesten Überlieferung mögen die Zeugnisse anders gemeint gewesen sein. Bei JUSTIN (Dial. c. Tryph. c. 8) ist es ein Bestandteil der Messiaserwartung, d a ß d e r M e s s i a s sich s e l b s t n i c h t k e n n t , w e n n er k o m m t , bis er von E l i a s g e s a l b t wird. Jesus erhält die erwartete Offenbarung von Gott bei der Taufe für sich. Der andere Gedanke, daß Jesus mit Kraft erfüllt (Act 10 38) wurde, tritt bei Mc. zurück. Bei den Wundertaten Jesu wird die Geistesausrüstung nicht erwähnt, weil es sich von selbst versteht, daß dem Sohne Gottes alles möglich ist. Die W i d e r s p r ü c h e , die sich d a r i n f i n d e n , d a ß J e s u s b e t e t , b e v o r er die D ä m o n e n a u s t r e i b t , u n d n u r d e r G l a u b e W u n d e r t u t , sind ä l t e r e B e s t a n d t e i l e des Mc.-Ev. Es findet sich an einzelnen Stellen sogar die Voraussetzung der Notwendigkeit medizinischer Mittel zur Heilung (134; 310; 7 33). Das Petrusbekenntnis: Du bist der, den Gott zum Messias bestimmt hat, ist wohl historisch. Mc. will jedoch durchaus nicht das erste Aufleuchten der Messiaserkenntnis berichten; es liegt der Schwerpunkt bei ihm auf dem Leidensgeheimnis in der Stelle. Der Messiasglaube ist schon vorher in den Jüngern und ist die Voraussetzung dafür, daß Jesus sie in das Leidensgeheimnis einweiht (116). Die Jünger sehen in Erleuchtung von Gott durch die Hüllen in die Tiefen des Wesens Jesu. Bei den Dämonen ist diese höhere und tiefere Erkenntnis in ähnlicher Weise; vielleicht denkt Mc. die Dämonen als Heidengötter. Mc. hat jedoch mehr gewollt als Jesu Gottessohnschaft verkündigen. Jesus wird von den Jüngern nach Mc. erkannt, vom Volke verworfen. Mc. erklärt das ähnlich, wie Paulus

40 (Rom. 118—12), durch, die Verstockungstheorie. Das Volk stößt sich selbst aus der Hausgemeinschaft mit G-ott, weil er es gewollt hat (Mc. 410). Dem selben Gedanken entstammt das Gebot Jesu, seine Messianität zu verschweigen (125; 3443f.; 312; 5 43 ; 7 36; 8 26. 30). Es soll dem Volke nicht offenbar werden, daß der Messias unter ihm lebt. Sind die Nachrichten über die Verbote Jesu nicht historisch. (WREDE)? W E I S S meint, die Szene in der Synagoge zu Kapernaum sei eine glaubwürdige Überlieferung. Die Strafrede Jesu nach dem Petrusbekenntnis ist bedeutungsvoll für das Messiasbewußtsein Jesu. Das Volk verstand Jesus nicht und wird darum vom Geheimnisse des Kreuzes ausgeschlossen. Mc. läßt auf die Leidens Verkündigung die Verklärung folgen, um die Stufenfolge: aus Leid Herrlichkeit, für Jesus anzudeuten. Es liegt darin nicht n u r das Messiasgeheimnis (WREDE) , wenn es auch nicht ausgeschlossen ist. Das Schweigegebot hat hier die Bedeutung: nicht nur das Messiasgeheimnis, sondern die gesamte Offenbarung für die Vertrauten soll bis zur Erfüllung der Weissagung, bis zur Auferstehung verhüllt bleiben. Die Vertrauten erhalten eine besondere Hülfe zum Glauben. W R E D E sieht in 9 9 den Schlüssel zum Verständnis der Mc.-Idee; die Worte von der Auferstehung ständen hier relativ unmotiviert und könnten bei jedem Schweigegebot stehen. Man habe zu Lebzeiten Jesu seine Messianität nicht gekannt ( W R E D E S. 2 1 4 — 2 9 ) . Die Behauptung ist nach W E I S S anfechtbar. Jesus verhüllt nach Mc. nur dem Volke seine Messianität, die Jünger kennen Jesum als Messias ( W E I S S S . 57). Die Berufung, die Wahl, die Aussendung der Zwölf hat zur Voraussetzung, daß die Jünger an Jesum glauben. Das Petrusbekenntnis ist nur eine Probe des G-laubens. Die Auferstehung ist für Mc. nicht der Anfang des Glaubens der Gemeinde. Jesus ist für Mc. selbstverständlich zu seinen Lebzeiten Messias. Dem Volke soll er als solcher bis später (4 21) verhüllt bleiben. Jesus wollte sich verbergen. Der Verhüllungsgedanke erklärt sich aus der Ver-

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stockungstheorie des Mc.; er hat die Verhüllungsabsicht verallgemeinert. Job. formuliert den Gedanken: Obwohl er so große Zeichen getan hatte, glaubten sie doch nicht an ihn (Joh. 12 87—40; c. 13—17).

Das Leben Jesu ist für Israel ein großer Mißerfolg, der die Juden ins Verderben stoßen soll. Es ist das die Ansicht des Paulus, die Mc. noch verstärkt hat. Einige Züge scheinen dazu nicht bei Mc. zu passen. Es bricht oft Begeisterung und Liebe des Volkes für Jesus hervor. Die verstockten Volksleiter bleiben jedoch immer die Vertreter der Kälte und des Hasses, die Begeisterung wird als Strohfeuer der Wundersucht erklärt. Die Seinen nehmen ihn bis auf einen kleinen Kreis nicht an (Joh. 111). Die Gläubigen, Wissenden, Erwählten sind zwölf bei Mc., der Bearbeiter hat die Zahl vergrößert. Die Erwählung ist der Vorzug, den sie haben; ihr Glaubensstand wird nicht nachgewiesen. An vielen Stellen bei Mc. wird jedoch der Unverstand der Jünger betont. WEISS meint 413; 817; 6 52 seien Zusätze. In den anderen zeigt sich die ursprüngliche Uberlieferung, in der die Jünger nicht geschont werden, weil sie nicht immer auf der Höhe der Situation standen (4 40; 650 ; 718). Besonders verständnislos waren die Jünger und sogar Petrus nach Mc. den Leidensweissagungen gegenüber (9 32; 10 32). Daß Petrus von Mc. so bloßgestellt wird, scheint bedenklich. WEISS meint, gerade diese Stellen stammten aus eigenen Erinnerungen des Petrus. Seine Leidensscheu war der Mutterboden seiner Schwächen und Sünden. Selbstvorwürfe wegen seiner Untreue riefen sein offenes Bekenntnis hervor. Nun hat aber zur Zeit des Mc. das Martyrium des Petrus die Untreue mit Blut abgewaschen; sie erniedrigt ihn nicht mehr und darf ehrlich berichtet werden. Ahnlich ist der Bericht über die Zebedaiden (10 35—40) zu verstehen; sie sind wegen ihres Hochmuts in Leidenserfahrungen und Martyrien geläutert, aber bewährt. Mc. will jedoch die Jünger auch nicht verherrlichen; sie sind nach seinen Berichten oft unverständig,

42 schwach und feige (Gethsemane). Der Paulusschüler sieht sie als Apostel der Beschneidung an. Die Notwendigkeit des Todes Jesu und das geringe Verständnis der Jünger dafür sind Gegensätze bei Mc. I n der Leidensgeschichte zeigt sich die ganze innere Beteiligung des Mc. Das ganze Ev. ist daraufhin angelegt und geordnet. Die Lästerung, die fünf Konflikte, der Mordbeschluß (3 6) sind schon zu Anfang Hindeutungen auf das tragische Ende. Nach Mc. weiß man von vornherein, daß Jesus sterben muß. Jesus m u ß t e leiden, weil er der Messias war (Paulus). Die Stellen in den Berichten von den Speisungen enthalten schon Hindeutungen auf den Tod und das Herrnmahl. In 10 45 findet sich die Lösung des Rätsels vom Leiden. Das "Wort vom XuTpov ist wohl nicht Jesu Ausspruch. Der Abendmahlsbericht (Mc. 1422) steht gleich mit 1. Kor. 11. Der Tod Jesu ist als Opfertod (paulinisch) und judenchristlich (1421. 49) (Kcrrä tctc rpcwpäc) von Mc. gedeutet, was aus dem Schriftbeweis hervorgeht, den Mc. sonst nicht liebt. In der Leidensgeschichte kommt die Absicht des Mc. zum Ausdruck. Mc. ist lehrhaft und erbaulich. Die Salbung Jesu, die Tat des Verräters aus schnöder Gewinnsucht, die Verleugnung, die Flucht aller Jünger, die schweren Prüfungen, der große Sieg sind mit inniger Beteiligung geschildert. Pilatus ist Werkzeug in Gottes Hand; durch den Opfertod Jesu wird der Vorhang des Tempels zerrissen, der Zugang zum Vater eröffnet. Mc. predigt das Ev. vom Kreuze; der Tod Jesu und die Kreuzesnachfolge stehen bei Mc. und Paulus eng zusammen. In gleicher Linie, als unmittelbarer Ertrag des Leidens und Todes, bleibt jedoch auch bei Mc. die Auferstehung. Auf Cäsarea folgt die Verklärung. Die große Parusierede vor der Leidensgeschichte hat wohl den besonderen Zweck, vor der Erwartung der nahen Wiederkunft des Menschensohnes zu warnen. Es werden Zeichen, wie 2. Thess. 2, angegeben, die vor dem Ende eintreten müssen. Die Rede ist kein P a m p h l e t d e r l e t z t e n S t u n d e , sondern vorwiegend be-

43 ruhigend. Man weiß nicht Tag noch Stunde (13 33. 37) und muß immer wachsam sein. Auf die Frage, wann der Tempel zerstört werde, gibt die Parusierede die Antwort. Tempeluntergang und Wiederkunft werden also gleichgesetzt. Daraus geht hervor, daß der Tempel noch steht, die "Wiederkunft die Aufhebung des jüdischen Volkstums und Tempeldienstes nach Mc. bedingt, das Abbrechen des Tempels bei Jesu Prozeß eschatologisch zu verstehen ist und eine ausführliche "Weissagung Jesu über den Tempeluntergang nicht vorliegt. Die Stelle Mc. 13 2 ist keine Weissagung ex eventu nach dem Jahre 70. Die Rede ist hiernach für Mc. eine im wesentlichen noch unerfüllte Weissagung, was auch durch das beruhigende Wort (13 5. 6) angedeutet wird. Es kommen Kriegsgerüchte usw. vor der Parusie, achtet nicht darauf, sondern zunächst auf euch selbst und eure Erlebnisse. Viel ist schon geschehen, mehr kommt noch; das Ende ist lange noch nicht ganz nahe (Mt. 10 17—22). Das Ende wird durch die Missionspflicht noch aufgehalten; dennoch kommt es zur Zeit der Generation Jesu (13 30 zu 9 1). Es ist immer noch so viel Zeit vor der Parusie, daß die Predigt des Ev. an alle Völker kommen kann. Das Signal der Wiederkunft ist, wenn ihr sehet den Greuel der Verwüstung stehen, wo er nicht stehen darf. Das ßöe\ufna rrjc eprmdüceiuc (Dan. 12 1) ist auf den Antichrist zu beziehen. Was Caligula wollte, geht einmal in Erfüllung; eine greuelvolle Entweihung des Tempels wird erfolgen. Die Weissagung ist nicht erfüllt zur Zeit des Mc. Das Ev. muß vor der Zerstörung Jerusalems und vor dem Tode des Petrus geschrieben sein. Die Aufgabe der Jünger bei ihrer Aussendung (3 14. c. 6) wird von Mc. so aufgefaßt, daß sie besonders für Israel bestimmt sind. Die Stelle (6 7) ist dort eingefügt, wo von verschiedenen Mißerfolgen Jesu kurz vorher die Rede war. Der Sinn der Stelle wird sein: Jesus konnte und wollte das verstockte Volk nicht bekehren; die Aufgabe wird den Jüngern als Jesu Erbe überlassen. Sie sind nach Mc. Apostel der Beschneidung. Mc. selbst ist durch-

44 aus heidenfreundlich. Jesus wird als Vorläufer der Heidenmission geschildert. Im Lande der Gerasener (51), im Gebiete der Dekapolis (5 20 vielleicht Zusatz des Bearbeiters) wird die Heidenmission angedeutet. Dem Geheilten wird g e b o t e n (5 16. 19), zu verkündigen, was Jesus an ihm getan, im Gegensatze zur Totenerweckung (5 43). Ganz sicher weiß sich der Ev. in c. 7 auf heidnischem Boden. Es folgen hier aufeinander: das Streitgespräch über rein und unrein, die Reise ins Heidenland, der Glaube der Syrophönizierin, die Heilung in der Dekapolis, Speisung der 4000. In der Reihenfolge der Erzählungen ist eine sachliche Gruppierung zu spüren, zeitlich und örtlich ist alles verwirrt. Der Zweck des Streitgesprächs ist die Uberleitung zur Verkündigung Jesu für die Heiden (7 37; 8 2). Hier steht auch das Wort: sie priesen den G o t t I s r a e l s ; das können nur Heiden getan haben. Mc. ist heidenfreundlich und gruppiert darum auch nicht, wie Mt. (2819). Das Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz ist dafür auch bedeutsam. Der ganze schwarze Schatten fällt von hier aus auf die verstockten Juden. Sie haben eine falsche Messiashoffnung (12 34; 417; 3 20—30), nicht nur die Wächter des Weinbergs werden verworfen (12 9), sondern alle Welt wird vernichtet, nur die Erwählten werden gerettet (13 20—27). • Der Unterschied der jüdischen Engherzigkeit, im Gegensatze zu der Weite und Größe der Lehre Jesu, wird von Mc. in verschiedenen Streitgesprächen mit den Leitern des Volkes illustriert. Judentum und Christentum treten darin schroff sich entgegen. In den fünf Konflikten mit den Pharisäern und in den Streitreden mit den Schriftgelehrten und Sadduzäern entwickelt Mc. die Grundzüge des Inhalts der neuen Religion und weist zugleich auf die Notwendigkeit des Todes Jesu im Hinblick auf die Engherzigkeit, Kleinlichkeit und Verstocktheit des Volkes und seiner Leiter hin. Mc. setzt dabei voraus, daß die Lehre Jesu mit der zu seiner Zeit in der Gemeinde geltenden übereinstimme, und hält es nicht für nötig, ihren Inhalt, wie Mt. in der Berg-

45 rede, darzustellen. Die Streitszenen geben den Beweis durch Anschauung, wie die neue Lehre von der alten jüdischen sich abhebt, ohne daß eine prinzipielle Auseinandersetzung mit dem Judaismus erfolgt. Die Beschneidungsfrage ist nicht berührt, weil sie für seine Leser kein Interesse mehr hat. Christliche Lebensfragen ethisch-religiöser Art scheinen Mc. wichtiger zu sein. Die Reden für die Jünger sind nun noch bedeutsamer, weil sie bei Mc. einen besonderen Lehrinhalt in sich bergen. Die urchristliche Ethik als Lehre vom Leiden, von der Entsagung und Verehrung des Kleinen und Niedrigen (417; 10 39; 13 9—13), zugleich mit der Notwendigkeit des Bekenntnisses auch in Lebensgefahr kommt darin zum Ausdruck und weist auf die Zeit der neronischen Verfolgungen hin. "Wer ins Reich Gottes eingehen will, muß Demut, Entsagung, Achtung vor dem „Kleinen" beweisen (9 33—10 31). Die Pflicht und Größe des Dienens, nach dem Vorbilde dessen, der sein Leben für viele hingegeben hat, schildert der Abschnitt 10 35—45 für die ecclesia militans der Missionszeit. Die Bergpredigt ist reicher; Mc. gibt nur das, was unmittelbar mit dem Messias und seinem Reiche zusammenhängt, und will das letzte tun, um die Seinen zu retten. Bei Mt. i s t die E s c h a t o l o g i e schon in den H i n t e r g r u n d g e t r e t e n , Mc. p r e d i g t n o c h W e l t v e r a c h t u n g m i t R ü c k s i c h t auf das n a h e E n d e . Mc. ist nicht schroffer Paulinist, aber Pauli Schüler und nicht blaß neutral (Kol. 410; Phil. 24; 2. Tim. 411. Act. 13 5. 13; 1537. 39). Es macht sich jedoch auch petrinischer Einfluß geltend, besonders was den Stoff anbetrifft. Mc. berührt sich auch verschiedentlich mit dem ersten Petrusbriefe. Mc. ist in ihm genannt (513), einige Züge des Jesusbildes sind gleich gezeichnet (2 23.21; 318; 41.18; 5 3). Mc. und der Petrusbrief nennen Jesum den Stein, den die Bauleute verworfen haben (2 7; 4 9 zu Mc. 1211). "Wichtiger ist die Ähnlichkeit der Christologie des Mc. mit der des Joh.-Ev. Das "Wort: ,Niemand ist gut", „Das Nichtwissen des Sohnes", daß Jesus in Nazareth keine Wunder

46 tun kann und in Kapernaum keine tun will, das Zittern und Zagen in Gethsemane und der Todesschrei ist natürlich. bei Johannes nicht zu finden, liegt aber auch in dem von Mc. übernommenen Stoffe und nicht eigentlich in den Gedanken des Verfassers über den Sohn Gottes aus seiner Gesamtanschauung. Für Mc. ist Jesus vollkommener Sohn Gottes. Er sieht jedem schon bei der Jüngerwahl ins Herz und weiß alles vorher. Das Schema in der Anordnung der Erzählungen ist bei Mc. und Johannes gleich, mit Ausnahme der Kämpfe in Jerusalem. Das Mc. - Ev. ist eine Lehr- und Erbauungsschrift, kein Geschichtswerk. (S. 98—99). E s b e s t e h t z w i s c h e n Mc. u n d J o h a n nes n u r ein G r a d u n t e r s c h i e d . Alles, was Jesus nach Mc. sagt, gilt der Gemeinde zu aller Zeit (13 37). Die "Wiederkunftsrede ist die Antwort nicht nur auf die Frage der-Jünger, sondern auch zugleich auf die der Gemeinde in ihren Leiden und Martyrien. Das Ev. muß den Heiden gepredigt werden; die Verstockung der Juden ist aber zugleich ein warnendes Beispiel für die Missionsgemeinde zur Selbstprüfung. Das Geheimnis des Kreuzes ist z u r Z e i t des Mc. noch ein Ärgernis für Heiden und Juden. Dem Glauben ist alles möglich. V O L K M A R hat nach W E I S S Z U viel Symbolik bei Mc. gefunden; sie liegt aber im Ev. Das Zerreißen des Tempelvorhanges, die Heilung der Tauben und Blinden sind Geschichten bei Mc., die einen liebensinn haben. Der Unverstand der Jünger ist Blindheit. Für V O L K M A R ist das blutflüssige "Weib das stets unreine, das tote Mägdlein das Israel der Synagoge. Richtig ist darin eine gewisse sinnbildliche Beziehung der Macht Jesu über die Geister in den Geschichten; sie sind vorbildlich und typisch nach "WEISS Z U verstehen. Bei Mc. fehlt der Befehl Jesu zur Heidenmission, die Einsetzung der Taufe und des Abendmahls; dafür finden sich einzelne Erzählungen, die offenbar darauf hinweisen. Der Grundgedanke V O L K M A R S , daß die Schrift des Mc. zu praktischen Lehrzwecken dient, ist richtig; die Lehren werden mit Bildern aus dem Leben

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Jesu illustriert. Das Lehrhafte ist bei Mc. jedoch mehr verhüllt als bei Johannes. Mc. deutet in feinen Zusammenstellungen (c. 1 u. 2) usw. an, welche Grundgedanken ihn leiten, und tritt mit seiner Person ganz zurück. Die Reden Jesu bei Mc. sind umgeformt (114 f. 217; 414; 7 27), aber doch wohl den echten Logien ähnlich. So ist Johannes mehr Darsteller, Mc. mehr Vermittler der Uberlieferung. Mc. ist kein Lehrdichter; die Mythenannahme von S T R A U S S ist in gewisser Weise auch für Mc. berechtigt; schwer ist es jedoch, ihren Geltungsbereich zu umgrenzen. Die Stoffe der Erzählungen stammen zum größten Teile aus guter Überlieferung und werden von ihm umgedichtet. Der Taufbericht erscheint bei Mc. schon in gewisser Abschwächung. Die Leidensgeschichte und darin die Verurteilung Jesu ist von B R A N D T • als religiöse, typologische, juristische Konstruktion des Mc. bezeichnet worden; derartigen Zersetzungsversuchen widerstrebt manches Feste im Mc.-Ev. Die Hinweise auf die Erfüllung der Leidensweissagung bringt Mc. ohne jeden Ausdruck der Freude des ersten Entdeckers; er benutzt eine bereits gefestigte Berichtsform. Mc. erzählt seinen Lesern Tatsachen, wenn er vom Zerreißen des Tempelvorhanges und vom leeren Grabe berichtet. Die wunderbaren Geschichten, die Mc. mitteilt, glaubt er und hat sie vertrauensvoll aus der Uberlieferung übernommen. Das Zerreißen des Tempelvorhanges soll das Aufhören der Trennung zwischen Gott und den Menschen, das leere Grab die Auferstehung Jesu seinen Hörern beweisen. Die eigenen Bemerkungen, die Mc. hinzufügt, sind sehr dürftig und einförmig (125; 134; 144; 312; 543; 7 36; 8 26; 8 30; 9 9), besonders die Zusätze bei den Heilungen und Exorzismen. Die Kunst des Mc. als Erzähler ist gering; der überlieferte Stoff gibt ihm die Form. Einige Abwechselung sucht Mc. in die Berichte zu bringen, indem er drei Akte bei einzelnen Stücken, oft nicht glücklich, bildet: drei Leidens Verkündigungen, drei Gebetsakte in Gethsemane, drei Verleugnungen.

48 Die gerühmte s c h r i f t s t e l l e r i s c h e A n s c h a u l i c h k e i t des Mc. in s e i n e n e i g e n e n Z u s ä t z e n i s t f r a g l i c h (Beläge S. 115—19). Das Vermögen des Mc., Geschichte zu erfinden, ist äußerst schwach; seine Berichte sind "Überlieferungen, nicht Erdichtungen. Es fragt sich nun, woher Mc. den überlieferten Stoff seiner Berichte entnommen und wie er ihn behandelt hat. Papias erzählt, daß die Berichte des Petrus im Mc.-Ev. nachklingen. B. WEISS meint, Mc. habe auch die Redenquelle benutzt und ihr neben Herrnworten Erzählungsstücke entnommen. Da die Redenquelle etwa um 66 wohl in Rom bekannt gewesen ist, scheint das nicht unmöglich zu sein. J. WEISS meint, man könne annehmen, daß Mc. von einer mündlichen oder schriftlichen Logienquelle, entweder von der des Mt. und Lc. oder einer anderen, abhängig gewesen sei; er kann auch unkontrollierbare Gemeindeüberlieferungen benutzt haben. Die einzelnen Berichte müssen von diesen Gesichtspunkten aus untersucht •werden. Es fragt sich, ob der Taufbericht bei Mc., der ein Hauptstück des Ev. bildet, zur alten Überlieferung gehört. Die Alttübinger Theologen halten das Mc.-Ev. für das letzte der synoptischen und den Taufbericht für einen späteren Zusatz. J. WEISS meint, der Taufbericht sei seinem Hauptinhalt nach bei Mc. historisch; seine Form sei spiritualistisch geändert; sie stamme aus der Redenquelle. Die Himmelsstimme wird nach dem Analogon der Salbung Davids (1. Sam. 16), die Beglaubigung und Erfahrung der Gottessohnschaft für Jesus nach der Logienüberlieferung zu erklären sein. Die Versuchungsgeschichte steht auch bei Mc. nicht in der ursprünglichen Form; sie ist ein Auszug aus einer anderen Quelle. Es ist vielleicht, meint J . WEISS, kein Zufall, daß Mc. bei der Zeichenforderung und der Zinsgroschenfrage das Versucherische hervorhebt (8 11; 12 15) und Petrus Satan (8 33) nennt. Bedeutsam ist in der Versuclungsgeschichte der Parallelismus der einzelnen Sätze (S. 135).

49 Im Bereiche der Petrusüberlieferungen ist für Mc. nicht die zeitliche, sondern die heilsgeschichtliche Reihenfolge wichtig. „Als Johannes dahingegeben war", werden die vier Jünger: Simon, Jakobus, Andreas, Johannes berufen, und die eigentliche Quelle für die wichtigsten Berichte des Mc. beginnt zu fließen. Die Erzählung von der Berufung der Zwölf (3 1 3 — 1 9 ) stammt aus einer zweiten Quelle; die Berufung der beiden Jüngerpaare ist natürlicher und vielleicht das erste Stück der Petrusüberlieferung. Die Berufung setzt den vollen Messiasglauben der vier Jünger voraus; das Petrusbekenntnis verliert seine außerordentliche Bedeutung. Manches ist gewiß schon vor der „Berufung" vorausgegangen; für Petrus ist sie der Höhepunkt seiner Erlebnisse in jener Zeit. Die Stellen 121—39 beziehen sich auf die Erlebnisse der vier Jünger in der Umgebung des Hauses Petri in Kapernaum an einem Sabbat und in der folgenden Nacht. Persönliche, lokale und zeitliche Erinnerungen schließen die Tatsachen zusammen. ("WREDE bestreitet, daß sie historisch seien.) "WEISS scheidet in ähnlicher "Weise die Quellen im Mc.-Ev. (siehe Tabelle!). Daß Petrus der einzige Gewährsmann für Mc. sei (Papias), paßt nicht für unser Mc.-Ev. Papias meint es so nicht, oder hat dem Petrus vieles zugeschrieben, was yon ihm nicht stammen kann. Eusebius hat die Äußerung des Papias unbedenklich auf das 2. Ev. bezogen. Die Petruserinnerungen müssen vor unserm Mc.Ev. schon einen festen "Wortlaut gehabt haben. Clemens Alex, erzählt davon, und Irenaus sucht den Text der Petrusüberlieferung im Mc.-Ev. E s i s t a n z u n e h m e n , d a ß Mc. A u f z e i c h n u n g e n von den R e d e n des P e t r u s z u s a m m e n h a n g l o s g e m a c h t h a t , die er s p ä t e r zu seinem Ev. f o r m t e . Folgende 14 Stücke gehören nach "WEISS zur Petrusüberlieferung: 1. Jesu Auftreten in Galiläa und die Berufung der vier Fischer. 2. Der Sabbat in Kapernaum. 3. Der Gichtbrüchige. 4. Volksandrang und Lästerung A d o l f M ü l l e r , Geschieh takerne.

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50 des G-eistes. 5. Die wahren Verwandten. 6. Seepredigt, Überfahrt, Stillung des Sturmes, G-erasa, Jairi Töchterlein. 7. Verwerfung in Nazareth. 8. 1. Speisung, Überfahrt, Seewandeln Jesu, Landung in Q-ennezareth, Zeichenforderung. 9. Nordreise, Petrusbekenntnis, Verklärung, Heilung der Kranken, 2. Leidensverkündigung. 10. Rangstreit (Lohnfrage des Petrus?), Ehrgeiz der Zebedaiden. 11. Einzug in Jerusalem, Zinsgroschenfrage. 12. Tempelreinigung, Vollmachtsfrage. 13. Gespräch über den Davidsohn, "Wort über den Tempel? 14. (Verrat des Judas?) Gethsemane, Verleugnung, Verhör vor Pilatus, Kreuzigung. Mehrere von den 14 Stücken sind zaghaft für Petrus vorgeschlagen. Jesus kommt mit Petrus erst nach dem Auftreten des Täufers in Beziehung. Das "Wort vom „Menschenfischer" ist für Petrus so bedeutsam, wie die Damaskusszene für Paulus. An Petrus schließen sich in Galiläa zwei oder drei Jünger an. In Kapernaum wird das Haus des Petrus Mittelpunkt der Wirksamkeit Jesu. Die "Wanderung durch Galiläa (140—45) hat Petrus nicht mitgemacht; es fehlt also auch sein Zeugnis über die Vorgänge. Die spätere "Wirksamkeit Jesu in Kapernaum erfüllt den Petrus mit Stolz; seinem Meister ist jedoch der Volksandrang nicht lieb. Die Feindschaft der „ Schriftgelehrten" beginnt sich zu regen; sie bestreiten die Vollmacht Jesu, und seine Verwandten und Landsleute erkennen ihn nicht an. Die Taten Jesu geschehen fast passiv durch ihn. Die Fahrt über das Meer, die Heilungen zeigen seine ruhige, selbstbewußte Sicherheit. Die Petruserinnerungen aus Galiläa umfassen nur zwei Tage: den Sabbat in Kapernaum und den Tag des Ausfluges an das Ostufer des Sees. An einem dritten Tage erfolgt die Heilung des Paralytischen und vielleicht das "Wort von den wahren Verwandten. Der Inhalt der PetrusÜberlieferung in den Speisungsgeschichten ist nicht mehr festzustellen. Jesus wendet sich zu seinen Jüngern. In Cäsarea Philippi das Bekenntnis des Petrus und die für ihn uner-

51 freuliche Antwort des Herrn, die YerMärungsszene auf dem Berge, das Gespräch über Elias. Die Leidensverkündigung dämpft die Begeisterung der J ü n g e r ; traumhaft war, was sie vom Messias und seiner Herrlichkeit wußten. Mit dem Einzug in Jerusalem beginnt der eigentliche Kampf mit den Gegnern: Zinsgroschenfrage, Tempelreinigung, Vollmachtsfrage. I n der Leidensgeschichte stammt der Bericht über Gethsemane, die Verhaftung, Verleugnung von Petrus, ob die Vorhersagung der Verleugnung, ist fraglich. F ü r die Darstellung des Prozesses ist Petrus sekundär. Die Petruserinnerungen, welche der Darstellung des Mc. zugrunde liegen, geben durchaus keine ausführliche Beschreibung des Lebens und Wirkens Jesu. Petrus hat gewiß mehr zu erzählen gehabt, als Mc. von ihm berichtet; was uns vorliegt, sind besondere Erlebnisse des Petrus in Gemeinschaft mit Jesus. Petrus spielt darin die Hauptrolle, neben ihm sind zwei oder drei J ü n g e r als besondere Vertraute erwähnt. Man darf nicht erwarten, die allmählich durchdringende erzieherische Tätigkeit Jesu im Verhältnis zu seinen Jüngern in den von Petrus stammenden Stücken bei Mc. beobachten zu können. Es sind außerordentliche Ereignisse überwältigender A r t , die Offenbarungen für Petrus und die J ü n g e r bringen. Außergewöhnliche Machtbeweise, messianische Befugnisse treten in den von Petrus geschilderten Konflikten mit den Gegnern, in dem Verkehr mit den Jüngern, dem Volke, den Dämonen und Kranken in Jesus ans Licht. Sie sollen das rechte Verständnis für Jesus ermöglichen und mehren. I n den "Wundertaten wirkt Gott durch Jesus (Act. 212). Weil Gott in ihm war, konnte er die Dämonen beherrschen, Wind und Wetter auf dem Meere, den Tod bezwingen. Der Wille Gottes treibt und regiert ihn; er ist es, der das Todesleiden ihm auferlegt hat, der aber auch ihn auferwecken wird. Der so bevollmächtigte Prophet war f ü r Petrus mehr; er h a t ihn in seiner Herrlichkeit neben Mose und Elias auf dem Verklärungsberge geschaut; das Leben 4*

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Jesu enthält deutliche oder verhüllte Beweise seiner Messianität, seiner Grottessohnschaft. Jesus hat bildlich seine Macht über den Teufel bezeugt; er hat Sünden vergeben, das Volk gespeist und ist als König in Jerusalem eingezogen. Die messianischen Hoffnungen des Volkes hat er jedoch nicht befriedigt. Er verbietet nicht, dem Kaiser die Steuer zu zahlen, und hat es dem Pilatus überlassen, den Königstitel, den er ihm imputierte, zu verantworten. Die Anerkennung als Messias von seiten der Dämonischen und sogar der Jünger lehnt er ab und heißt sie darüber schweigen; dennoch ist der Vorläufer der Grottesherrschaft, Elias, schon gekommen, und seine Jünger sollen sie noch erleben. Verkündigt hat Jesus auch, daß sein Leidensweg und sein Tod vor seiner Herrlichkeit notwendig sei. Das L e i d e n s g e h e i m n i s ist d e r Q-rund, d e r i h n v e r a n l a ß t e , seine M e s s i a n i t ä t zu v e r h ü l l e n . Er war der verheißene Messias, sollte und konnte aber als solcher vor seinem Tode nicht hervortreten. Die Bewährung durch den Tod bringt ihn in der Auferstehung zur Messiasherrschaft. Das ist die Uberlieferung der urchristlichen Gemeinde und die des Petrus; für Mc. war Jesus der Messias von der Geburt oder Taufe an; er verhüllte absichtlich seine Würde seinem Volke und offenbarte sie seinen Jüngern. Nach der Petrusüberlieferung weiß Jesus sich als Messias und ist den Jüngern als solcher bekannt; es liegt jedoch noch ein Schleier über der vollen Erkenntnis. Der Leidensweg und die Todeserfahrung stehen noch bevor; seine Auferstehung wird alle Geheimnisse enthüllen. Für Jesus selbst war das Messiasbewußtsein eine Gewißheit, die verständige Erklärungen ausschloß. Die herrschenden Messiashoffnungen genügen ihm nicht für seine Messiasidee, die Zeitverhältnisse und Zustände in seinem Volke sind nicht geeignet, um sie zu verwirklichen. Er lehnt darum alle Bekenntnisse, beziehungsweise Anerkennungen seiner Messianität ab, weil sie anders gemeint sind und sein müssen, als seine innere Gewißheit, die im Willen Gottes wurzelte. Er leugnet jedoch auch nicht bestimmt, weil sein Messiasbewußtsein an Ver-

53 heißungen sich anlehnte, in denen die Propheten Zukunftsbilder skizziert hatten, die Gott allein im einzelnen vollenden. konnte. Das Bekenntnis vor Pilatus: „Du sagst es"' ist dafür bedeutsam. Die Petruserinnerungen geben also kein Lebensbild oder gar eine Charakteristik, sondern ermöglichen nur Blicke in das Innenleben der religiösen Persönlichkeit Jesu, die ihre Zeit weit überragte und doch von den tiefsten Strömen des Geistes und der Kraft seines Volkes erfüllt war, die in die Messiashoffnung einmündeten. Sie überdauerte in ihm alle Zeit, forderte aber sein Leben. Seine Messianität war ein Geheimnis Jesu, das seine Erhabenheit, aber auch sein Schicksal unter seinen Zeitgenossen bedingte. Den als Petrusüberlieferungen bezeichneten Stücken können nun selbstverständlich im Mc.-Ev. noch manche andere hinzugefügt werden; die Kritik wird jedoch auch einige als solche ablehnen. Ein Grund dafür, das Petrusbekenntnis den Petruserinnerungen abzusprechen, liegt nicht vor. Die Wunderberichte sind auch vertrauensvoll von Petrus gegeben; sie unterscheiden sich jedoch auch wesentlich von anonymen Darstellungen, wie die Heilung des Aussätzigen, des Mannes mit der verdorrten Hand, des Blinden von Jericho, der Verfluchung des Feigenbaums. Fließend wird die Grenze zwischen gesicherter und urchristlicher Überlieferung und Zusätzen anderer Art stets bleiben. Außer den aus Petruserinnerungen stammenden Stücken im Mc.-Ev. sind nun noch andere gut bezeugte, wenn auch nicht gerade petrinische Berichte zu finden. Eine besondere Gruppe von Berichten sind im Mc.-Ev. die Schul- und Streitgespräche. Dazu sind etwa zu rechnen: 1. Der Sabbatkonflikt (2 22—28) 2. Der Streit über das Händewaschen (7 1—23). 3. Das Gespräch über die Ehescheidung (10 1—12). 4. Das Sadduzäergespräch über die Auferstehung (12 18—27). Die Benennung der Gegner als Partei: Pharisäer, Sadduzäer, Schriftgelehrte, (7 1 zu 3 22) ist schon ein Zeichen von Interesse an theologischer Erörterung; das rein Sachliche

54 der einzelnen Fälle tritt mehr zurück, wie es etwa in dem Gespräch, vom Zinsgroschen (1213) und höchsten Gebote (12 28) noch vorherrscht. Die Gespräche sind nach einem Schema gebildet und behandeln in prinzipieller Art die Stellung Jesu zum Gesetz. Zu den vier Gesprächen ist dann noch je ein Anhang gefügt: 1. Die Worte über Mensch und Sabbat (2 27f.). 2. Die Parabel über rein und unrein (714—23). 3. Das Logion über die Ehescheidung (1010—12). 4. Das Wort über die Auferstehung der Toten (12 26 f.). In den Anhängen werden die rabbinischen Streitfragen auf das allgemein menschliche Gebiet geleitet. Der „Mensch" kann von außen nicht verunreinigt werden, Tote werden auferstehen, die Scheidung ist überhaupt verboten (hier schon im Gespräch selbst das "Wort: ein Mensch soll nicht scheiden usw.). Die Art der Beweisführung ist Jesus wohl kaum eigen gewesen; Mc. wird die Form gebildet haben. Es finden sich jedoch in den Gesprächen "Worte (1012) und Grundgedanken (7 14—23), die von Jesus stammen können. In den Gesprächen legen die Gegner Jesus in Vorwurfsform Fragen vor, die rabbinistisch künstlich zugespitzt sind, wie auch die Zinsgroschenfrage. In drei Fällen antwortet Jesus mit Widerlegungen aus Schriftworten, im vierten (Sadduzäergespräch) gibt Mc. den Schriftbeweis. Ahnlich wird die Verhandlung in der Streitfrage über den Davidsohn (12 36) geführt. Im Zinsgroschengespräch fehlt der Schriftbeweis. Es ist gewiß nicht unmöglich, daß Jesus sich zeitweise auch der Form der „Schriftgelehrten" bediente, um seine Gegner zu widerlegen; Mc. erzählt mit Freude, wie er ihnen auf eigenstem Gebiete auch überlegen ist. Die Art der Beweisführung, in der gegen das Gesetz Mose die Schöpfungsordnung, gegen die Menschensatzungen das Gebot Gottes von Jesus geltend gemacht wird, ist geschichtlich wahrscheinlich und überzeugender als die rationale Art der Anhänge (2 27; 7 4 ff.). Die Kerne der Gespräche sind durchaus ursprünglich und geschichtlich wertvoll: zu den Petruserinnerungen können

55 sie nicht gerechnet werden, weil das Persönliche, Konkrete und Messianische fehlt und das abstrakt Schulmäßige vorherrscht. Die nächste Gruppe sind die Logienstoffe. Den Übergang bilden: das Gespräch mit dem Reichen (1017—26); das Gespräch mit dem Schriftgelehrten über das höchste Gebot (12 28—34). Es handelt sich in beiden Stücken nicht um eine Streitrede, sondern um die Heilsund Lebensfrage, was man tun soll. I m Zusammenhange bei Lc. (10 25) tritt das noch mehr hervor. Jesus ist mit den Fragestellern in Beziehung auf die Form und Quelle der Offenbarung im Alten Testament durchaus einverstanden; die praktische Ausführung soll aber ernster betrieben werden. Zu den Stücken mit Logiencharakter gehören auch die Berichte über das Zöllnergastmahl und die Fastenfrage, wenn man die Zusätze des Mc. fortläßt (213—15; 2 21 usw.). Die Gegner Jesu sind „Schriftgelehrte von den Pharisäern", denen er in der Fastenfrage seine persönliche Anschauung ohne Schriftbeweis entgegenstellt. Die "Worte Jesu sind in den Stücken die Kernpunkte. Die vier Schulgespräche werden aus einer theologisch gerichteten Überlieferung stammen; die anderen gehören zu den Worten Jesu mit oder ohne Erzählungsrahmen. Derartige Berichte gibt es auch in der Petrusüberlieferung; sie haben jedoch ihre besonderen Züge. Die folgenden Stücke haben bei Mt. und Lc. Parallelen im Zusammenhange der Logien, der Berichte, die von der Mehrheit der Kritiker aus der Redenquelle abgeleitet werden. Einzelne Sprüche gehören dazu: Das Gleichnis von der Lampe 4 21 = Mt. 5 14; Lc. 11 33; der Spruch vom Offenbarwerden des Verborgenen 4 22 = Mt. 10 26; Lc. 122. Das Wort vom Messen mit gleichem Maße 4 24 = Mt. 7 2; Lc. 6 38. Der Spruch: wer da hat, dem wird gegeben 4 25 = Mt. 25 29; Lc. 19 26. Das Gleichnis vom Senfkorn 4 50 f. = Lc. 13 20. Alle Sprüche sind in den L o g i e n z u s a m m e n h ä n g e n b e s s e r v e r s t ä n d l i c h a l s b e i Mc. Die Spruchgruppe über das Leiden der Jünger (Mc. 8 34—38) hat viele Parallelen

56 in den Logien: 8 34 Kreuzesnachfolge zu Mt. 10 39; Lc. 14 27. 8 35 Lebenerrettung zu Mt. 1039; Lc. 1733. 838 Verleugnung des Menschensohnes zu Mt. 10 33; Lc. 12 9. Ähnlich die Spruchreihe vom Ärgernis: 9 37 Wer mich aufnimmt zu Mt. 1040; Lc. 10 16. 940 Wer mich tränket usw. zu Mt. 10 42. 9 42 Wer da ärgert usw. zu Lc. 17 2. 9 43 Ärgernis der Hand zu Mt. 530. 9 45 Ärgernis des Fußes, 9 47 Ärgernis des Auges zu Mt. 5 29. 9 50 Gleichnis vom Salz zu Mt. 513; Lc. 14 34. 1011 Wort von der Ehescheidung zu Mt. 532; Lc. 1618. Bei der letzten Parallele ist die eigentümliche Einordnung bei Mc. vielleicht zu verstehen aus der Reihenfolge der Sprüche in der Redenquelle, also ein literarischer Zusammenhang zu vermuten. 8 15 vom Sauerteig zu Lc. 12 1. 10 31 Erste und Letzte zu Mt. 20 16. 1042—44 Herrschen und Dienen zu Lc. 22 24—27. 1126 Macht des Glaubens zu Mt. 17 20; Lc. 17 6. 11 24 Erhörung der Bitten (zu Mt. 7 7; Lc. 11 9). (11 25f. Vergebung der Sünden zu Mt. 612 [6 5; 5 23]; 1813; Lc. 114.) Sämtliche angeführten Sprüche können auch in der Petrusüberlieferung von Mc. gefunden sein; sie haben jedoch keine eigenartigen Bestandteile an sich, die zu der Vermutung berechtigten. Mc. wird die Herrnworte aus der Überlieferung seiner Zeit aufgenommen und in seinem Ev. verwertet haben; er behandelt den ursprünglichen Stoff der Herrnworte als Prediger und Lehrer zu seinen Zwecken. Es ist aus dem Grunde immer zu fragen, welches die eigentliche Form der Worte ist, die Mc. berichtet. Mc. hat auch keine vollständige Sammlung der Worte und Lehren Jesu geben wollen; er setzt vielmehr den Lehrinhalt als bekannt voraus; es scheint ihm eine derartige Sammlung nicht mehr nötig gewesen zu sein, weil sie wohl zu seiner Zeit schon vorlag. Der Schluß (B. WEISS) ist notwendig, hauptsächlich im Hinblick auf manche Eigentümlichkeit der Herrnworte bei Mc., die anders nicht zu verstehen sind, und besonders mit Rücksicht auf den Umfang der Parusierede und ihre Gestaltung, die Spruchreihe

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von den Jüngerverfolgungen (13 9—13) zu Mt. 10 17—22 usw. (S. 374.) Der festen Sammlung von Herrnworten entstammen auch Worte und Gleichnisse in Mc.-Geschichten, die keine Parallelen bei Mt. und Lc. haben: Das Gleichnispaar vom Alten und Neuen 2 21 f. Das Gleichnispaar vom Reich und Haus 3 24 f. zu Lc. 1117 f. Das Gleichnis vom Samenkorn 4 26—29. Die Parabel vom "Weinberg 12 1—12. Die Petrusüberlieferung kann für die Herrnworte auch die Quelle sein. Einzelne Sprüche stammen wohl auch aus der Redenquelle: Der Sabbatspruch 2 27 f. Das ursprüngliche Wort über die Parabeln 411. Das Wort über die wahre Reinheit 7 14—23. Das Wort vom Verlieren des Lebens und der Unmöglichkeit eines Lösegeldes 8 36 f. Vom Ausfahren der Dämonen durch Gebet 929. Vom Salzen durch Feuer 949a, vielleicht auch das Wort über den Tempel 14 58. Auch bei diesen Sprüchen kann die Petruserinnerung oder die mündliche Gemeindeüberlieferung Quelle gewesen sein. Die Redenquelle hat jedoch nicht nur Sprüche und Spruchgruppen, sondern auch Erzählungsstücke enthalten, was schon aus der Form der Täuferbotschaft, der Beelzebulrede, der Zeichenforderung hervorgeht, die ohne erzählende Zusätze unverständlich wären. So stammen wahrscheinlich aus der Redenquelle noch einige andere Berichte. Das Gespräch über das höchste Gebot (12 28—34) ist von Lc. nicht nach Mc., sondern aus dem Zusammenhange und Texte der Redenquelle aufgenommen (Lc. 10 25—28). In unserem Markustexte steht das Bekenntnis zum Monotheismus (12 29—32), kann aber, wie der Vergleich mit den Opfern (v. 33b) und der Schluß, vom Bearbeiter stammen, weil die Zusätze bei Mt. fehlen. Verwandt damit ist das Gespräch mit dem Reichen (1017—27), das Zöllnergastmahl (2 15 f.), die Fastenfrage (218 f.), Segnung der Kinder (10 13—16) und vielleicht die Salbung in Betha-

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nien (143—9). Mc. kann die Stücke auch aus Petruserzählungen geschöpft haben; sie sind aber wohl aus der Spruchsammlung. Der Bericht vom letzten Mahle (14 12—25) stammt darum wohl aus der Redenquelle, weil Lc. einen von Mc. unabhängigen Text hat (kürzere Form 22 14—19a) und eine Reihe von Sprüchen aus der Redenquelle anfügt. Lc. wird also auch den Abendmahlsbericht aus der Redenquelle haben; Mc. hat ihn in paulinischem Sinne umgeformt. Mc. braucht den Bericht nicht nur von Petrus zu haben, weil in der Gemeinde bereits (1. Kor. 11) eine feste Form dafür vorlag. Es ist anzunehmen , daß eine Sammlung von Herrnworten diese wichtigen enthielt. Ebenso wahrscheinlich ist, daß die Redenquelle die Antwort Jesu auf die Frage des Hohenpriesters (1461—64) überlieferte und Lc. die bessere Form (22 67—71) hat. Die dritte Leidensverkündigung (1031 f.) ist an die „Zwölf" gerichtet, von denen die Petrusüberlieferung nie handelt. Bei dem Abendmahl ist auch von den „Zwölf" die Rede. Der Apostelkatalog 316—19 stammt vielleicht auch aus den Logienstücken. Der überwiegend in Erzählungsform bei Mc. stehende Bericht von der Kanaanäerin (7 24—30) stammt darum wohl aus der Logiensammlung, weil Mt. das Gleichnis von den Hunden (15 26 f.) nicht aus Mc., sondern aus einer anderen Quelle gemeinschaftlich mit Mc. geschöpft haben dürfte. Mc. hat das Gleichnis dann paulinisiert. Die ganze Geschichte ist in der Form dem „Hauptmann von Kapernaum" so ähnlich, daß die gemeinschaftliche Abstammung beider Stücke aus der Redenquelle (Mt. 8. Lc. 7.) wohl anzunehmen ist. Die Berichte über die Heilung des Aussätzigen und Paralytischen sind bei Mt. in ursprünglicher Form (B. WEISS). Die Heilung des Aussätzigen steht in der Redenquelle zwischen der Bergpredigt und dem Hauptmann von Kapernaum und kann bei Mc. nicht aus der Petrusüberlieferung stammen; in der Erzählung von der Heilung des Paralytischen hat Mc. die Redenquelle und Petruserinnerungen vermischt. Ahnlich steht es mit der Gruppe: Stillung

59 des Sturmes, Gerasener, Jairi Töchterlein, weil Mt. nur wenig von Mc. beeinflußt ist. Der Ursprung der Berichte: Blindenheilung und Heilung der verdorrten Hand ist zweifelhaft. Der Bericht von der zweiten Speisung hat Mc.wohl bereits mit dem Wunder der Brotvermehrung vorgelegen, ob aber in der Logiensammlung, ist schwer zu sagen. Aus der Redenquelle stammen dann: die Vorgeschichte, der Bericht über den Täufer und seine Predigt, die Taufe Jesu und die Yersuchungsgeschichte; ihr Charakter ist den Reden Jesu in der Logiensammlung gleich. Die vorgetragene Quellenhypothese ist am sichersten für die Parusie- und Aussendungsrede und die Stücke mit Parallelen in den Logienzusammenhängen: die Kanaanäerin, die Ärgernisrede und manches andere ist jedoch auch am besten aus schriftlicher Überlieferung der Worte Jesu zu erklären. Aus sekundärer Nebenüberlieferung stammt: ]. Die Geschichte vom Tode des Täufers. 2. Die Verfluchung des Feigenbaumes. 3. Die Prodigia beim Tode Jesu und legendarische Einzelheiten der Leidensgeschichte (Verteilung der Kleider usw.). 4. Das leere Grab. 5. Die Heilung der verdorrten Hand, Seitenstück zu der Heilung am Sabbat. (Lc. 1415; 1310—17.) 6. Blindenheilung bei Jericho. 7. Heilung des Taubstummen und Blinden. Die Stücke können alt sein; sie sind meistens anderen Erzählungen analog gebildet, um Steigerungen zu erzielen. Die Herodesgeschichte sieht legendenhaft aus und ist nach dem Vorbilde Ahab-Jezabel-Elias geformt. Für die legendarischen Züge der Leidensgeschichte sind alttestamentliche Vorbilder nachweisbar. Auch die zweite Speisung mit dem Wunder der Brotvermehrung gehört hierher. Mc. hat die legendarischen Stücke ruhig aufgenommen und das Wunderbare in ihnen sogar vermehrt, weil das seiner Gesamtanschauung entsprach. Es ist nur auffallend, daß der Jerusalemer Johannes Marcus von der Finsternis, dem Zerreißen des Tempelvorhanges, vom leeren Grabe erzählt. Wenn er der Sohn der

60 Maria in Jerusalem und der „fliehende Jüngling" in Gethsemane war, so müßte er alles Berichtete erlebt haben. Es fragt sich, ob die Annahme richtig ist, daß er das Mc.-Ev. geschrieben hat. Mc. nach J. WEISS. P = Petruserinnerung; Q = Redenquelle; D = Schulgespräch; A = Evangelist; S = Sondergut; L = Legende;; Z = Z i t a t . (Z 1,2Mal. 3, 1; Z 1, 3 = Jes. 40, 3; Z 1,11 = Ps. 2, 9; Jes. 42,1.)

I, 1—11 Joh. u. Taufbericht Q u. A. 12—13 Versuchung Q u. A. 14—20 Berufung der Jünger P. 21—34 Erlebnisse in Kapernaum P. (21—28 S). 35—39 Flucht Jesu, Reisepredigt P. (33—38 S). 40—45 Heilung eines Aussätzigen Q u. A. II, 1—12 Heilung des Paralytischen P u. Q. 13—14 Berufung des Levi A nach I, 14—20. 15—17 Sünder ? Q. 18—22 Fastenfrage ? Q. 23—28 Sabbatfrage D. HE, 1—6 Heilung der verdorrten Hand L. 7—12 u. 19b—30 Volksandrang, Geisteslästerung P. 13—19 Apostelkatalog Q ? 20—26 Q. 31—35 Jesu Familie Q, ? P ? IV, 1—34 Parabelrede P u. Q. (26-29 S). 35—41 Überfahrt, Stillung des Sturmes P ? u. A. V, 1—20 Gerasener P ? 21—43 Heilung der Jairi und blutfl. Weib P ?

VI, 1—6a Verwerfung in Nazaretli P. 6b—13 Aussendung der Jünger Q. 14—16 Urteil des Herodes über Jesus A (Dublette). 17—29 Tod des Täufers L. 31—44 Speisung ? P u. A. 45—52 Überfahrt P ? A. 53—56 Heilungen in der Landschaft Gennezaret A ?P. (Z 7, 6—7 = Jos. S9, 13; Z 7, 10 - E x . 20, 12; 21, 17; Dtn. 5, 16.)

V n , 1—13 Händewaschen D. 14—23 Erklärung dazu A. 24—30 Kanaanitin Q. ausMt. bearbeitet A. 31 —37 Heilung des Blinden und Taubstummen L (S). V n i , 1—10 2. Speisung A aus Q ? 11—13 Zeichenforderung P. 14—21 Sauerteiggespräch Q u. A. 22—26 Heilung des Blinden (S) A. 27—33 Petrusbekenntnis P . 34—38 Leidensverkündigung A. IX, 1 Antwort auf das Petrusbekenntnis P. 2—8 Verklärung P u. A. 9—13 Gespräch beim Abstieg ? P.

61 14—27 Heilung des epileptischen Knaben P u. A. 28 Dämonenaustreiben A aus Q. 30—32 2. Leidensverkündigung ? P. 3 3 - 3 7 Rangstreit ? P, Schluß A aus Q. 38—41 Exorzist A u. Q (S). (Z 9, 48 = Jes. 66, 24.)

42—50 Das Kind und die Jünger Q. (Z 10, 6 = Geu. 1, 27; Z 10, 1 . 8 = : Gen. 2, 24.)

X, 1—12 Ehescheidung D. 13—16 Jesus und die Kinder Q. (Z 10, 19 = Ex. 20, 12. 16; 21, 10; Lev. 19, 13; Dtn. 24, 14.)

17—27 Gefahr des Reichtums Q ? 28—31 u. 35—41. 45 Lohnfrage des P. u. Zebedaiden P u. Q. 32—34 3. Leidensverkündigung Q od. A. 42—44 Demutrede Q. 46—52 Blindenheilung L. (Z 11, 9 = PS. 118, 25, 26.)

XI, 1—11 Einzug in Jerusalem) Kern aus P (v. 11 S). 12—14; 19—21 Verfluchung des Feigenbaums A.

I

(Z 11, 17 = Jes. 56, 7; Jea. 7, 11.)

Tempelreinigung u. Vollmachtsfrage) P

22—26 (Erklärende Sprüche zur Verfluchung Q. (Z 12, 10. 11 = Ps. 118, 22. 23.)

XII, 1—12 Weinbergsgleichnis 13—17 Zinsgroschengespräch P,

(Z 12, 19 = Dtn, 25, 5; Z 12, 26 — Ex. 3, 6.)

18—27 Leviratsehe D. (Z 12, 29 = Dtn. 6, 4; Z 12, 30 = Dtn, 6, 5.)

28—34 Höchstes Gebot A aus Q. (Z 12, 31 = Lev. 19, 18; Z 12, 36 = Ps. 110, 1.)

35—37 Davidsohn P od. D. 38—40 Vorwürfe gegen Schriftgelehrte Q. 41—44 Scherflein der Witwe Q ? A (S). X I I I , 1—4 Tempelwort ? P. 5—37 Parusierede P, Q, A. XIV, 1—2 Todesanschlag P. 3—9 Salbung ? Q 10—H Verrat ? P . 12—17HahlbereitunglQ u ^ 18—25 Letztes Mahl ) (Z 14, 27 = Sach. 13, 7.)

26—31 Vorhersagung der Verleugnung A. 32—42 Gethsemane P u. A. 43—50 Verhaftung Jesu P u. A. 51—52Die Fluchtder J ü n g e r Q u. A. 53—65 Prozeß vor dem Synedrium Q u. A. 54.66—72 Verleugnung P e t r i P. XV, 1—5 Verhandlung vor Pilatus P. 6—15 Jesus und Barrabas A. 16—20 Verspottung J e s u A. (Z 15, 34 = Ps. 22, 2.)

21—41 Sterben J e s u P , Dubletten, L (Verteilung der Kleider und Prodigia beim Tode. 42—47 Bestattungsbericht A. XVI, 1 - 8 Leeres Grab L.

62 Ertrag

Die Beurteilung der Eigenart des Mc.-Ev. ist so verschieden, daß daraus bestimmte Erträge sich nicht ergeben. Während die meisten Kritiker Natürlichkeit und geschichtliche "Wahrscheinlichkeit in den Erzählungen finden, meint W R E D E , das Auftreten Jesu und anderer Personen mache nach Mc. den Eindruck des Schemenhaften und Gespenstischen, die psychologischen und sonstigen Motivierungen fehlen. Interessant ist der Wechsel der Beurteilung des Mc.-Ev. in kurzer Zeit bei WERNLE. Während der gründliche Kenner der E w . 1 8 9 9 v o m Mc.-Ev. sagt: Unter allen E w . ist Mc. das einzige, das mit v o l l s t ä n d i g e r Anschaulichkeit erzählt, das i m m e r k l a r e Situationen schildert, liest man 19042): Mc. vermag vortrefflich einzelne Szenen anschaulich zu schildern, wenigstens auf den ersten Blick. Aber ein klares Bild vom Zusammenhange der Ereignisse fehlt ihm durchaus, die Anschaulichkeit des einzelnen zerrinnt häufig bei genauerer Prüfung in Nebel. Mir scheint die Forschung überhaupt auf falscher Fährte zu sein, wenn sie aus den kanonischen E w . eine zeitlich und örtlich irgendwie geordnete folgerichtige Darstellung des Lebens Jesu finden will. Mc. ist Sammler von Berichten, die er nach seinen leitenden Ideen verknüpft, ohne auf geschichtliche Treue Anspruch zu haben. Das gilt jedoch nicht nur für Mc., sondern auch für die anderen drei E w . Liest man eine abschließende Beurteilung der Eigenart eines Ev., so regen sich immer Widersprüche gegen einzelnes, weil sie sämtlich keine ganz einheitlichen Werke sind, die eine G-esamtbeurteilung vertragen. Ein Irrtum hat sich jedoch wohl schon zu lange bei der Beurteilung des Mc.-Ev. behauptet, daß in ihm die Persönlichkeit Jesu weniger übernatürlich als etwa im Mt.-Ev. geschildert werde. Die Berichte von dem Taufvorgange, der Versuchung, den Dämonenheilungen, den Allmachts») Synoptische Frage S. 204. s ) Die Quellen des Lebens Jesu S. 58.

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wundern sprechen doch, ohne Kommentar gegen eine derartige Voraussetzung. Die Meinung, Mc. habe die Mutter und Geschwister Jesu als unwissend in Beziehung auf seinen höheren Beruf (3 20.31) dargestellt, weil sie ihn für wahnsinnig halten konnten, dürfte schwerlich allgemeine Zustimmung finden. Man könnte, wie H I L G E N F E L D gegen V O L K M A R richtig bemerkt, dann auch aus dem Staunen der Eltern des Jesusknaben im Tempel (Lc. 2 48) schließen, daß Lc. von der übernatürlichen Geburt Jesu nichts gewußt habe, die er doch kurz vorher berichtet. Selbst die Berichte von scheinbar physiologisch und psychologisch vermittelten Heilungen (7 32; 8 23) und "Wundern bei Mc. dürften, wenn sie ursprüngliche Bestandteile enthalten, so zu deuten sein, daß durch die ausführliche Schilderung und breite Ausmalung die Heilsmacht Jesu besonders in Gesichts- und Gehörweite gebracht werden soll. Die menschlich teilnehmenden Gesinnungsäußerungen Jesu (142; 3 5; 812; 919; 1014.21) finden sich zum Teil bei Mt. auch und bezeugen nur, daß die E w . ohne Bedenken die Gottheit und Menschheit in Jesu zu vereinigen vermochten. Die Forschungserträge W R E D E S werden in der bezeichneten Richtung gewiß die Mc.-Verehrung eindämmen. Zugegeben muß werden, daß eine gewisse flotte Darstellungsart, abgesehen von dem aramäischen Griechisch, dem zweiten Ev. eignet, man darf nur nicht zu scharf nachspüren, wie W E R N L E zuletzt richtig bemerkt, ob man sich auch umgrenzte Bilder aus seinen Berichten zeichnen kann. Es fehlen dann oft die notwendigen Grundlinien und anschaulichen Verhältnisse, ähnlich wie in der modernen Malerei. Versucht man im einzelnen nachzuweisen, daß in einer Stelle des kanonischen Mc. oder Mt. das Ursprüngliche sich findet, so darf nicht vergessen werden, daß die Sache doch anders sich verhalten könnte. Man nimmt gegenwärtig fast allgemein an, daß die drei ersten k a n o n i s c h e n E w . in bestimmtem Abhängigkeitsverhältnisse zueinander stehen. Die Ausführungen von W R E D E und W E I S S haben mich in der Überzeugung bestärkt, daß das

64 kanonische Mc.-Ev. nicht die Quelle für Mt. und Lc. sein kann. Unsere vier E w . werden w e s e n t l i c h gleiche Geltung als religiös-theologische Erbauungsschriften beanspruchen dürfen. Für Mc. wird nach der bekannten Stelle bei Eusebius (hist. eccl. I I I 39) von Papias als Gewährsmann Petrus bezeichnet. J . "WEISS hat nachgewiesen, was etwa in dem Mc.-Ev. zu den Petruserinnerungen gehören dürfte. Neue Vermutungen im einzelnen möchte ich nicht hinzufügen. Was von der Überlieferung in Beziehung auf die Petruszeugenschaft für Mc. zu halten ist, ersieht man aus der Stufenfolge: Papias und Irenaeus lassen Mc. nach Petri Tode schreiben, Clemens Alex, während seines Lebens ohne seine Hülfe, Eusebius gleichsam unter Approbation des Petrus, Hieronymus nach seinem Diktat. J e weiter von Petrus entfernt, desto bestimmter wird die Uberlieferung mit ihrer Behauptung. Das Mc.-Ev. ist jedoch vorwiegend petrinisch, wenn auch einzelne Stellen paulinische Wendungen enthalten. Die Notiz von dem fliehenden Jüngling 14 51 erlaubt die Vermutung, daß in ihm der Verfasser des Ev. und zwar Johannes Marcus, der Sohn der Maria in Jerusalem, genannt sei. Ob Johannes Marcus jedoch der Verfasser des k a n o n i s c h e n Mc.-Ev. sein kann, ist sehr fraglich. Die Darstellung der Leidensgeschichte (c. 11—16) ist so eigentümlich, daß sie kaum von einem Jerusalemer stammen kann; dazu kommen einzelne Irrtümer in geographischen Angaben und Inkorrektheiten in Beziehung auf jüdisches Rechtswesen. Wahrscheinlich ist es, daß das zweite kanonische Ev. von einem Römer und für Heidenchristen geschrieben ist. Dafür sprechen die Latinismen Mc. 2 4. 9. 11.12 usw. im griechischen Texte, Erklärungen jüdischer Festgebräuche (1542) und der Eherechtsfall (Entlassung des Mannes). Der Verfasser verrät jedoch die Kenntnis der hebräischen (aramäischen) Sprache in einzelnen Zitaten (541; 711; 7 34; 317; 1534; 1436) und Wortverbindungen (6 7.39; 1419; 16 2). Das weist auf eine Annahme, die den Schlüssel für die Erklärung der Ahn-

65 lichkeit und Verschiedenheit der Berichte in den kanonischen E w . darbietet. Mt. und Mc. sind nicht untereinander, sondern von aramäischen Urschriften abhängig, deren Stoffe sie von ihren Gesichtspunkten zu ihren Zwecken bearbeiteten. "WELLHAUSEN1), der beste lebende Kenner der aramäischen Spracheigenart, spricht sich bestimmt dafür aus, daß unseren E w . aramäische Originale zugrunde liegen. Auch einzelne wahrscheinliche Übersetzungsfehler aus dem Aramäischen ins Griechische kommen dazu in Betracht2). Wenn in der Überlieferung die Abhängigkeit des Mc. von Petrus berichtet wird, so dürfte kaum mehr an mündliche Erzählungen des Petrus für den Verfasser des 2. Ev. zu denken sein, sondern der römische Judenchrist hat aramäische Ew., die vielleicht dem Grundstoffe nach von Johannes Mc. nach Petruserinnerungen verfaßt waren, vorgefunden und ins Griechische übersetzt, um sie den griechisch-römischen Heidenchristen zugänglich zu machen. So würde noch immer der Name des Mc. als Gewährsmann für das Ev. dienen dürfen. Für die Annahme sprechen auch die Dubletten 4 36 und 6 45 ; 6 35 und 81 und besonders die Rede in Mc. 13, für welche die Anhänger der Mc.-Hypothese ein apokalyptisches Flugblatt als Quelle annehmen. Erweitert man das Flugblatt zu einem Adventisten-Ev. etwa, so wäre schon eine aramäische Quelle für manche Stellen im Mc.-Ev. vorstellbar. Die Gebiete nun, in denen die aramäischen E w . quellen auf Grund von apostolischen Berichten entstanden sind, weist die Überlieferung an, nach der in frühester Zeit hebräische (aramäische) E w . nach dem Tode Jesu in Palästina sich fanden, die dann auch ins Griechische übertragen wurden, z. B. das Hebräer-Ev., das Ebioniten-Ev., das Petrus-Ev. usw. Sind nun derartige aramäische E w . Quellen im Morgenlande flüssig gewesen, so ist es denkl !

) Skizzen und Vorarbeiten VI, 148 ff. ) MEYER, Muttersprache Jesu.

A d o l f M ü l l e r , Geschichtakerne.

5

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bar, daß ein Petrusschüler, der später von Paulus beeinflußt wurde, daß Johannes Mc. einzelne davon verfaßt hatte. Die aramäischen Stoße sind dann den Heidenchristen zugeführt, und dort hat ein römischer Christ sie zu dem kanonischen Ev. nach Mc. bearbeitet. Das Schema der Darstellung des Lebensganges Jesu in den aramäischen E w . wird nicht sehr verschieden gewesen sein und ungefähr der Anordnung des kanonischen Mc.-Ev. entsprochen haben. So scheint es denn auch erklärlich, daß die Reihenfolge der Erzählungen im kanonischen Mc.-Ev. bei Mt. hauptsächlich nur durch die größeren Reden unterbrochen wird. Hat der kanonische Mc. nach aramäisch schriftlich aufgezeichneten Petruserinnerungen von seinen griechisch-römischen Gesichtspunkten unter dem Einfluß des Paulus das kanonische Ev. verfaßt, so ist damit noch nicht gesagt, daß die ältesten Christen es in der uns vorliegenden Form kannten. Es mag manche Änderungen im Laufe der Jahrhunderte erfahren haben, die ihm den Schein großer Ursprünglichkeit oder auch den der Abhängigkeit vom kanonischen Mt.-Ev. verschafft haben. Nach 16 8 fohlt fraglos der rechte Schluß, den man wahrscheinlich dem Ev. genommen hat, weil sein Inhalt nicht mehr den Anforderungen der urchristlichen G-emeinde entsprach. Ist die vermeintliche Ursprünglichkeit des Mc.-Ev. nach den bisherigen Ausführungen nicht zu begründen, so wird jetzt in möglichst eingehender Behandlung das Mt.-Ev. zu erforschen sein, ob das Urteil berechtigt ist, daß im Mt.-Ev. der Lebensinhalt Jesu reicher und dauerhafter vermittelt wird, als in dem gegenwärtig fast allgemein bevorzugten Mc.-Ev. Die gründliche Behandlung des Mt.-Ev. im Sinne der Mc.-Verehrer von WERNLE stelle ich an die Spitze, um dann nach Durchmusterung des Textes einige Yergleichungen vorzunehmen und Schlüsse zu ermöglichen.

Das Evangelium nach Matthäus. Die Gliederung des Stoffes im Mt.-Ev. erfolgt nach. in folgender Darstellung: Vorgeschichte (1 u. 2); Taufe und Versuchung (31—4. 11); Erstes Auftreten (4 22—25), als Einleitung zu: Jesus als Lehrer (5—7); Jesus als "Wundertäter (8—9); Neue Einleitung (9 35—38) zu: Jesus und die Apostel (10); Jesus und Johannes (11); Jesus und die Pharisäer (12); Jesus und das Gottesreich (131—52); Geschichten aller Art (13 53—20) mit langsamer Annäherung an Jerusalem, darunter: Jesus und die Jünger (18); Die Tage in Jerusalem (21—25) mit Streitgesprächen; davon: die "Weherufe (23), Parusiereden (24—25); Leidens- und Auferstehungsgeschichte (26—28). Eine Disposition besteht in der Gliederung nicht, weil c. 5 u. 10 gleich eingeleitet sind, in 8 u. 9 Jesus als "Wundertäter gefeiert werden soll und nachher in 14—19 noch "Wunder erzählt werden, während in 8 u. 9 sich manche Lehrstücke finden. Die Gliederung "WERNLES scheint also wohl nicht dem Ev. zugrunde zu liegen. — In c. 14—20 fehlt nach W E R N L E eine Entwickelung (ob bei Mc.?), weil das Petrusbekenntnis keinen Höhepunkt bildet; der Verfasser scheint an einen bestimmten Zusammenhang des Stoffes gebunden gewesen zu sein. Klar, auch dem Mt., meint "WERNLE, ist die Scheidung von Reden und Geschichten. Die einzelnen Redenstücke sind mit besonderen Formeln von Mt. eingeleitet. Mt. hat auch in c. 9 14—17. 19—22 Redenstoffe und Herrnworte; zusammenhängende 5*

"WERNLE

68 Redenstücke sind nur die erwähnten. Mt. leitet zu den Erzählungen mit der Formel von den Reden über: Kai ¿Y6V6T0 OT€ eTeXecev 6 'Iricoöc TOUC XÖYOUC. Die Reden stammen aus der Spruchsammlung; die Geschichten aus Mc. Mc. hat nur ein doppelt angeführtes Herrnwort; Lc. hat schon neun. Das erklärt sich aus der Benutzung von zwei Quellen: Spruchsammlung und Mc., in denen die "Worte sich vorfanden. Ähnlich müssen auch die zwölf bei Mt. doppelt erwähnten Herrnworte und noch andere Dubletten erklärt werden. Mt. hat ferner neben schroff judaistischen Aussprüchen (517—20; 10 5; 1023; 23 3) antijüdische (2143; 22 6; 2818). Das weist nach "WERNLE auf p a r t i k u l a r i s t i s c h e Q u e l l e n u n d den U n i v e r s a l i s m u s des Mt. Ahnlich steht es mit der Parusiehoffnung für die Nähe und Ferne (10 23 u. 24 29; 2519. 18). Daraus ergibt sich, daß das Mt.-Ev. eine zusammengesetzte Schrift ist, in der verschiedene Zeitanschauungen sich widerspiegeln. Eigentümlich ist bei Mt. die Behandlung der Zitate aus dem alten Testament. Die Zitate des Mt., die er mit Mc. gemeinsam hat, stammen mit Ausnahme einer Stelle (26 31, Sach. 13 7) aus den LXX. Einige Stellen sind nach dem hebräischen Text korrigiert (1918; 27 46; Ps. 22 2). Die mit Lc. gemeinsamen Zitate sind alle nach L X X gebildet. Von den Mt. selbst zukommenden Zitaten sind nur 1314 f. und 2116 wörtlich nach L X X zitiert; mit Änderungen 123 und zum Teil c. 5 (Auslegung des Q-esetzes). In den übrigen neun Stellen (25f. 15. 18; 415f.; 817; 1218—21; 13 35 ; 215; 27 9) folgt Mt. dem Urtext und weist darin schriftmäßig nach, daß Jesus der Messias für die Juden ist. Die Verschiedenheit der Zitate bei Mt. ist nach "WERNLE ein Beweis für den zusammengesetzten Charakter des Ev. Die Überlieferung widerspricht dem Ertrage der bisherigen Untersuchung und nimmt an, daß das Mt.-Ev. ein ursprünglich hebräisch geschriebenes einheitliches "Werk sei. Die Überlieferung stützt sich auf die Notiz des Papias (bei Euseb. hist. eccl. HI, 3916): MaT9atoc oüv 4ßpotiöi

69 inaXtKTiu TOI Xoyia cuvefpaipaxo, r)p|ir|veuce b'auTÖc wc ^v öuvaiöc £tcacT0c. Der Sinn des Ausspruchs und sein geschichtlicher Wert sind -wohl zu beachten. Seit SCHLEIERMACHER (Über die Zeugnisse des Papias von unseren beiden ersten E w . 1832) bezieht man die Papiasnotiz auf das Mt.-Ev. oder auf eine Spruchsammlung (XÖTia). In dem Sinne steht Xofia in LXX, N. T. r patr. apost. (Act. 7 38; Rom. 3 2; 1. Petr. 411; Hebr. 512,) und würde eine Sammlung von Herrnworten bezeichnen, die Mt. hebräisch aufschrieb. Hiernach konnte nur die Frage sein, ob die zitierten Xdfia etwa mit der für Lc. gefundenen Spruchquelle identisch sind. Es geht aber aus dem Zusammenhange, in dem die Papiasnotiz steht, hervorT daß er nur hat berichten wollen, Mt. habe h e b r ä i s c h und nicht wie Mc. griechisch geschrieben. Den Hauptton auf Xofia zu legen, ist nicht erlaubt, weil Papias selbst von dem Mt.-Ev., das uns vorliegt, den Ursprung zu erforschen versuchte. Papias hat von seinem Gewährsmann auf die Frage, wie kann unser griechisches Ev. nach Mt. von einem Hebräer geschrieben sein, die Antwort erhalten: es ist eine Übersetzung. Nun fragt es sich, ob die Papiasnotiz den Tatsachen entspricht, ob wirklich das Mt.-Ev. eine Übersetzung eines hebräischen Originals sein kann. Es steht zunächst fest, daß hebräisch hier gleichbedeutend mit aramäisch ist (Dalmann). "WERNLE führt das Urteil Z A H N S über die sprachlicheEigenart von Mc. und Mt. an. Mt. ist durchweg besser griechisch geschrieben als Mc. Daraus folgt, daß ein Ev., das meistens nach L X X zitiert, Aramäismen meidet,, wcavvd (21 9) als „Heil"ruf auffaßt, aus IcKapiubG 'IcKapuuTtic (10 4) bildet usw., griechisch ist. Die Nachricht von einem aramäischen Urmatthäus ist unbestätigt (DALMANN). Die Papiasnachricht ist keine "Wissensmehrung über Mt. So ergibt die Untersuchung über Disposition, Dubletten, theologischen Gehalt, die Zitate den Ertrag: Mt.-Ev. ist eine zusammengesetzte Schrift. Es fragt sich nun, ob unser Mt.-Ev. eine Bearbeitung

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eines judaistischen Ev. im universalistischen Sinne oder aus verschiedenen Quellen zusammengesetzt ist. W E R N L E verwirft die Bearbeitungshypothese (gegen HILGENFELD, K E I M , HOLSTEN, Z A H N ) , weil die Unsicherheit und Willkür in der Scheidung dessen, was dem Ev. und dem Bearbeiter zugewiesen wird ( Z A H N ) , ZU groß ist. Die Annahme beruht auf keiner Tradition — das Hebräerevangelium genügt nicht zur Grundlage und geht von der Voraussetzung aus, daß Mt. vor Mc. geschrieben ist. Die Einheit der Sprache und Tendenz des Mt., Jesus als den Messias nach der Schrift, von Israel verworfen, von den Heiden angenommen, zu erweisen, spricht gegen die Bearbeitungshypothese. Ferner mündet nach W E R N L E schließlich die Bearbeitungs- in die Quellenhypothese. Die Geburt Jesu aus heiligem Geiste und der Empfang des Geistes bei der Taufe z. B. weisen schon auf verschiedene Entwickelungsstufen hin. Die Quellenhypothese: Mc. und die Reden bei Lc., vermeidet die Fehler der Bearbeitungsannahme sämtlich nach W E R N L E . Alle Geschichten bei Mc. sind in Mt. zu finden, mit Ausnahme von acht Stücken: Jesus in der Synagoge zu Kapernaum (121—28); Flucht Jesu (1 35—38); Gleichnis vom Samenkorn (4 26—29); Heilung eines Taubstummen (7 32—37); der Blinde von Bethsaida (8 22—26); der fremde Wundertäter (9 38—40); Erster Besuch im Tempel ( I U I ) ; Der Groschen der Witwe (12 41—44). Die Gründe für die Auslassung der acht Geschichten sind nach W E R N L E leichter zu finden als etwa umgekehrt für die des Fehlens von 30 Stücken des Mt. bei Mc. (S. 127). In einer Vergleichungstabelle für die Anordnung der einzelnen Geschichten zeigt sich, daß Mc. darin Mt. zugrunde liegt. Mt. hat alles Sondergut an passenden Stellen des Mc. eingefügt und auch in vier Fällen umgeordnet. Die bei Mc. zerstreuten Wunderberichte hat Mt. in c. 8 und 9 zusammen. Die Sabbatsprüche aus Mc. 2. 3 hat er mit dem Kapitel (12) gegen die Pharisäer vereinigt. Apostelwahl und Aussendung, zwei Be-

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suche des Tempels, Gespräche vom Feigenbaum hat er zusammengezogen. Die Folgen der Umstellung zeigen sich im Mt.-Text, weil der Zusammenhang bei Mc. zerrissen ist. Daß Mc. die Anordnung des Mt. etwa geändert habe, ist undenkbar nach W E R N L E . Die Umstellungen einzelner Stücke (13) beweisen bei Mt. auch, daß die Anordnung des Mc. ihm zugrunde liegt. Der Text der Herrnworte stimmt bei Mt. in neun Fällen wörtlich überein (Mt. 96 = Mc. 210; Mt. 9l2 = Mc. 217; Mt. 10 21 f. = Mc. 13 12f.; Mt. 16 23 = Mc. 8 33; Mt. 19 6 = Mc. 10 8 b f . ; Mt. 19 30 = Mc. 10 31; Mt. 20 28 = Mc. 10 45; Mt. 22 32 b = Mc. 12 27; Mt. 26 24 = Mc. 1421). Die sprachlichen Verändungen der Herrnworte bei Mt. beziehen sich nicht in dem Maße auf die Wörter, wie bei Lc., sondern mehr auf den Stil. Sachliche Änderungen sind bei Mt. verschiedene im Verhältnis zu Mc. in den Herrnworten zu finden. Die Textformen (Mt. 24 20 und 29), in denen eine judenchristliche Stimmung zu spüren ist, führt "WERNLE auf eine Apokalypse zurück, die Mc. 13 zugrunde liegt, und meint, Mt. habe sie noch gekannt. Die Schärfung des Gegensatzes zwischen Heiden und Juden (Mt. 15 26) spricht für die Ursprünglichkeit der Stelle bei Mt., vielleicht auch Mt. 2661; 17 11; es sind jedoch auch Widersprüche möglich. Es gilt hier das Gesetz, daß das Altertümlichere und Schlichtere in Mt. auch das Ursprünglichere Mc. gegenüber ist. Mt. zieht auch Worte aus Mc. zusammen und verkürzt sie (Mt. 24 9 zu Mc. 13 9—13). Wirkliche Zusätze finden sich in folgenden Berichten: Berufung Levis (9 13a); Sabbatsprüche (12 5—7; 12 11 f.); Händewaschen (15l3f.); Kanaanitin (15 24); Zeichen am Himmel (16 2f.); Petrusbekenntnis (16 17f.); Epileptischer (17 20); Rangstreit (18 3); Ehescheidung (19 11 f.); Lohnfrage (19 28); Nach der Tempelreinigung (21 16); Weinberggleichnis (2143); Frage nach dem höchsten Gebot (22 40); Parusierede (2410 f.). Sie finden sich also in fast allen Stücken des Mc., sind aber verschie-

72 dener A r t Die Stücke mit Parallelen bei Lc. sind wohl alt (12 11 f.; 16 2f.; 17 20; 19 28). So auch wohl 1524 = 105 und 1911. Der wichtigste Einsatz ist 16 17—19 bei dem Petrusbekenntnis. Der Text ist nach Tatian und Tertullian nicht ganz sicher, weil bei beiden etwas fehlt. W E R N L E vermutet die Vermischung zweier Quellen aus ältester und neuerer Zeit (Streit der Urapostel mit Paulus und Ursprung der römischen Legenden). Nach Mc. 3 nennt Jesus den Simon bei der Apostelwahl Petrus; Mt. kennt ihn von Anfang als Petrus. Der petrinische Ursprung des Mc.-Ev. wird nach W E R N L E durch das Fehlen von Mt. 16 17 f. bezeugt; es ist eine Zutat des Ev., eines Vorgängers oder Nachfolgers. Die Zusätze 12 5 f. und das Zitat aus Hosea (913; 12 7) sind wohl aus der Uberlieferung und Herrnworte; sie passen jedoch bei Mt. nicht in den Zusammenhang. Ebenso zerreißt Mt. 1 5 1 2 — 1 4 die Verbindung zwischen Gleichnis und Deutung und ist in der Form von Mt. Der Zusatz bei dem Rangstreit ( 1 8 3) ist nach W E R N L E aus Mc. 1 0 1 5 gebildet und nicht klarer im Zusammenhange als bei Mc. Mt. 2116 ist Zitat; Mt. 2143 Zusatz mit antijüdischem Inhalte. Mt. 22 40 ist wohl altchristliche Formel, kein Herrnwort. Zur Parusierede hat Mt. aus seinen Erfahrungen hinzugesetzt: 2410—12. Die Stelle 12 11 ist Zusatz, weil das Herrnwort Mc. 3 4 dadurch zerstört wird. 16 2—3 fehlt in manchen Handschriften und paßt nicht zwischen 161 u. 4; es ist jünger als Mt. 17 20 ist ein geschickt gemachter Zusatz, weil er in 2121 wieder im Mc.-Zusammenhange erscheint. Eingeschaltet ist auch von Mt. 19 28. Das Wort von den Verschnittenen in 1911 ist wohl auch von Mt. eingesetzt. So hat Mt. nach W E R N L E geflügelte Herrnworte mit dem Mc.-Text verbunden und Ergänzungen aus seinen Erwägungen heraus hinzugefügt. Kleine erklärende Zusätze des Mt. zu den Herrnworten des Mc. finden sich im ganzen Ev. (TÖ bwpov Mt. 84; 9 15;

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statt „fasten" „trauern" usw.). Der Unterschied der apokalyptischen Quelle für Mc. 13 und ihrer Bearbeitung zeigt sich in Mt. 1314 und Mt. 2415. Das Partizip (wohl auf den Antichrist bezüglich) ist bei Mt. auf das Neutrum bezogen und die Andeutung, wo es nicht darf, umgesetzt in die bestimmte Bezeichnung: am heiligen Orte. Direkt umgebildet, entstellt und verschlechtert hat Mt. die Herrnworte nach W E R N L E in 1 2 4 ; 1 0 9 . 1 5 . 1 9 (Schriftgelehrsamkeit)-, 16 4; 16 6.11. Die Christologie des Mt. soll nach W E R N L E mehr von der Apokalyptik abhängig sein als bei Mc. (S. 142 und 43) und darum auch die gesteigerte Schätzung des Erdenlebens Jesu bewirken (19 17 zu Mc. 10 18). Jesus ist nach Mt. ein Schriftgelehrter. Auch die ethische Färbung der Herrnworte bei Mt. findet W E R N L E bedeutsam (19 21 Vollkommenheit und Pflicht). Mt. 19 9; 5 32 Verbot der Ehescheidung mit dem Zusatz. Bei dem Weinbergsgleichnis ist die abweichend überlieferte Sendung und Zahl der Knechte zu berücksichtigen. W E R N L E verwirft die Deutung W E I Z S Ä C K E R S ( 1 8 6 9 ) zugunsten von Lc. und geht auf Mc. zurück, der vier Sendungen zählt. Lc. habe die letzte Sendung fortgelassen und Mt. auch die dritte. Bei der Umbildung des Herrnworts ( 2 6 26—29) ist der Zusatz von der Sündenvergebung bedeutsamer als die kleineren in den Wörtern, weil darin die Sünde- und Sühnetheologie nach W E R N L E in ihren Keimen sich ansetzt, die den Gedanken Jesu nicht gerecht wird. Paulus, Mc., Lc. haben den Zusatz nicht. Das Wort vom Zweck der Gleichnisse Mt. 13 13 ist anders als bei Mc., der Jesus in Parabeln reden läßt, d a m i t (iva) nach Jes. 6 das Volk verstockt werde; Mt. meint, er müsse so reden, weil (bm TOÜTO OTI) es verstockt war. W E R N L E meint, beide Gründe seien geschichtlich unhaltbar, weil Jesus in Gleichnissen geredet habe als Dichter und Menschenkenner. Die Gleichnisse im Sinne des Mt. dem unempfänglichen Volke zu erzählen, wäre töricht gewesen, weil die Jünger sie ja nicht verstanden. Mc. und Mt. fassen die Gleichnisse falsch als Allegorien, die gedeutet werden

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müssen, und scheiden zwischen Volk und Jüngern in Beziehung auf ihr Verständnis. Mt. hielt sich in seinen Änderungen der Herrnworte mehr als Lc. an die "Wörter und glättet nur den Stil. Er ist unfrei in seinen Verbesserungen (Mt. 19 17) und scheut sich, alte Texte nach seiner Einsicht zu kürzen (Parusierede „bald" „nicht am Sabbat"). Die Schriftgelehrsamkeit des Mt. wirkt bei seiner Textbehandlung mit; der ursprünglichere Text findet sich selten bei ihm. Die sprachlichen und sachlichen Veränderungen im Texte der Erzählungen sind zahlreicher als in den Herrnworten bei Mt. Aramäismen und ungewöhnliche griechische "Wörter läßt Mt. fort oder ändert sie. Stilistische Veränderungen verschiedener Art sind zahlreich (S. 157—161). S a c h l i c h e Vers c h i e d e n h e i t f i n d e t sich in f o l g e n d e n G e s c h i c h t e n : Der Täufer, Die Taufe Jesu, Bückkehr nach Galiläa, Berufung der ersten Jünger, Reisepredigt in Galiläa, Heilung eines Aussätzigen, Genesung der Schwiegermutter des Petrus, Der Seesturm, Die besessenen Gadarener, Heilung des Paralytischen, Berufung des Matthäus, Die Fastenfrage, Die Tochter des Jairus und das blutflüssige "Weib, Aussendung und Namen der Apostel, Erster Sabbatspruch, Zweiter Sabbatspruch, Zulauf und viele Heilungen, Beelzebulworte, Gleichnisrede, Verwerfung in Nazareth, Urteil des Herodes über Jesus, Episode vom Tode des Täufers, Speisung der 5000, Das "Wandeln auf dem See, Vom Händewaschen, Die Kanaanitin, Die Nordreise, Die Speisung der 4000, Zeichen am Himmel, Vom Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer, Offenbarung des Messiasgeheimnisses, Der Leidensweg der Jünger, Die Verklärung, Gespräch beim Abstieg, Der epileptische Knabe, Die Tempelsteuer, Der Rangstreit, Reise nach Judäa, Ehescheidungsfrage, Von der Gefahr des Reichtums, Jesus und die Zebedaiden, Heilung des Bünden in Jericho, Einzug in Jerusalem, Die Tempelreinigung, Verfluchung des Feigenbaumes, Gleichnis vom "Weinberg Gottes, Die Pharisäerfrage, Sadduzäerfrage,

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Frage nach dem großen Gebot, Die christologisclie Meisterfrage, Parusierede, Leidensgeschichte, Der Todesanschlag, Die Salbung in Bethanien, Der Verrat des Judas, Das letzte Mahl, Vorhersagung der Verleugnung, Gethsemane, Gefangennahme, Prozeß vor dem Synedrium, Verleugnung des Petrus, Übergabe des Verurteilten an Pilatus, Das Ende des Judas, Verhandlung vor Pilatus, Hinrichtung, Jesu Begräbnis, Die Auferstehung. Aus den Änderungen in den Geschichten geht nach W E R N L E hervor, daß Mt. das Mc.-Ev. gekannt und als Quelle für seine Geschichtserzählung benutzt hat. Er hat es mit Anordnung und Text in sein Ev. fast vollständig eingefügt. Mt. hat jedoch den Text des Mc. mit anderen Quellen vermischt und aus ihnen Sprüche eingefügt; hierin unterscheidet er sich am meisten von Lc. im Verhältnis zu Mc. Sprachlich hat Mt. besonders stilistische Glättungen und Kürzungen in besserem Griechisch; die Herrnworte sind verhältnismäßig mehr von ihm unberührt gelassen. Der Text des Mc. ist, wenn auch mit Scheu vor der heiligen Geschichte, von Mt. nach seinen Erwägungen und aus seinen Zeitverhältnissen heraus erklärt und ergänzt. Die Lc. und Mt. gemeinsamen Stücke, welche sich nicht bei Mc. finden, lassen sich aus einer Quelle ableiten, die beide unabhängig voneinander benutzt haben. In welchem Ev. der ursprüngliche Text der gemeinsamen Quelle sich findet, ist schwer zu bestimmen. Mt. hat die Stücke aus der Spruchsammlung in den Zusammenhang der Anordnung des Mc.Textes eingegliedert; es fehlen bei ihm deshalb die Einleitungen, welche Lc. sich bildete. Mt. hat wohl in 3 7 •und 112 Zusätze gemacht; eine eigentliche Einleitung zu einer Rede hat er nur zu c. 5 und Mc. 3 7 f. 13 geschaffen und so aus der Gerechtigkeitsrede die „Berg"predigt gemacht. Sprachlich ändert Mt. in den Reden viel weniger als Lc.; seine Zusätze sind leicht erkennbar. Ob Mt. den Parallelismus in 619; 7 13 f.; 7 24—27; 11 21 f., 23 f.; 1032 f. von These und Antithese selbst gebildet, oder aus der

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Quelle entnommen hat, ist fraglich, weil auch bei Lc. Ähnliches nach W E R N L E sich findet (Lc. 6 20—26, 33F.; 1134). Anzunehmen ist, daß Mt. den ursprünglichen Text hat. Wo bei Mt. Stücke aus der Spruchsammlung mit "Worten des Mc. verschmolzen sind, läßt sich eine Quellenscheidung und Bestimmung des Anteils der Spruchsammlung kaum durchführen, -weil der Ev. selbst Zusätze gemacht hat. Bei der Parusierede, in der Pharisäerrede und beim Gleichnis vom Senfkorn ist eine Trennung der verschiedenen Stücke noch möglich, sonst ist sie schwer. "Wesentlich unverändert hat Mt. aus der Quelle übernommen: Die Rede des Täufers (3); Das Versuchungsgespräch (4); Die Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum (8); Die Sprüche der Gerechtigkeitsrede vom Sorgen, Schätzesammeln und Bittgebet; Das Gleichnis vom Sauerteige, Schatz im Acker, von der Perle; Die Bekenntnisrede (in 10); Die Parusierede und der Spruch vom Rückfall (12 43) mit kleinen Zusätzen. Die Rede gegen die Wundersucht, mit Ausnahme von v. 40, und die Johannesrede ohne 1114 sind wohl auch aus der Quelle unverändert übernommen. 1112 f. ist nach W E R N L E von Mt. mißverstanden. Am meisten verändert sind die Gleichnisse in c. 22 und 25. In den Redegruppen 5—7. 10. 18. 23 ist nur mit Vermutungen und Möglichkeiten in Beziehung auf die Quellenscheidung zu rechnen. W E R N L E nimmt an, daß auch die Spruchsammlung in verschiedenen Bearbeitungen den einzelnen E w . vorgelegen habe. Der Schluß lautet: Mt. hat die Spruchsammlung nicht in ursprünglicher Form mehr vorgefunden, sie aber mit geringen sprachlichen und sachlichen Änderungen aufgenommen. Er hat fast durchweg besseren Text als Lc. Die Scheidung der Quellen ist bei ihm durch die Verbindung von Mc.-Worten und Redestücken sehr erschwert. Der Judaismus der Quelle ist von Mt. meistens bewahrt. Die Anordnung der Redestücke ist bei Mt. nach W E R N L E dem Mc.-Text entsprechend. Wie die Reden in der Spruchsammlung standen, läßt sich besser aus Lc. er-

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sehen, weil er die S p r u c h s a m m l u n g n i c h t m i t dem Mc.-Text vermischt hat. Außer den Parallelen in Lc. rechnet W E R N L E noch zu der Spruchsammlung: 13 44—46 Gleichnis vom Schatz im Acker und von der Perle; 6 1—18 (außer 9—15) vom Almosen, Gebet und Fasten; vielleicht auch 11 28—30. Es können noch andere Herrnworte in der Spruchsammlung gestanden haben. Als Sondergut des Mt. schätzt " W E R N L E ein: Vorgeschichte (1—2); Sabbatsprüche (12 5 f. 11 f.); Gleichnis vom Unkraut im Acker (13 24—30. 36—43); Fischnetzgleichnis (13 47—50); Schluß der Gleichnisrede (13 51 f.); Petrus auf dem Meere (14 28—31); Die Pflanzen, die Gott nicht gepflanzt hat (15 13 f.); "Worte an Petrus (16 17—19); Von der Tempelsteuer (17 24—27); Die Engel der Kleinen (1810); Gleichnis vom Schalksknecht (18 23—35); Von den Verschnittenen (1910—12); Vom Lohn der Zwölf (19 28); Gleichnis von den Tagelöhnern im "Weinberg (201—16); Blinde, Lahme und Kinder im Tempel (2114—16); Gleichnis von den zwei ungleichen Söhnen (21 28—32); Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (25 1—13); Vom Weltgericht (25 31—46); Worte Jesu bei der Verhaftung (26 52 f.); Tod des Judas (273—10); Die Frau des Pilatus (2719); Pilatus und das Volk (27 24 f.); Wunder bei Jesu Tod (27 51—53); Die Grabeswache (27 62—66; 2811—15); Der Engel, der den Stein wegwälzt (28 2 f.); Erscheinung Jesu vor den Frauen (28 9 f.); Der Auferstandene vor den Jüngern (28 16—20). Die Schlüsse: Mt. habe sein Sondergut selbst erfunden oder aus einer Quelle alles geschöpft, werden von W E R N L E als falsch bezeichnet; er versucht das einzelne unterzubringen. Am meisten hat Mt. selbst in der Leidensgeschichte hinzugefügt. Sagen und Stellen aus dem alten Testament halfen ihm zur Bildung des Stoffes. Die Vorgeschichte und die Erzählung von dem Wandeln des Petrus auf dem Meere (14 28—31), von den Blinden, Lahmen und Kindern im Tempel (2114—16) und 13 51 gehören mehr oder weniger

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dem Evangelisten an. Die übrigen Sprüche aus dem Sondergut sind aus dem Stoff der Überlieferung von Mt. bearbeitet und umgebildet. Mt. hat außer Mc. und der Spruchsammlung noch andere schriftliche oder mündliche Quellen, aus denen er Sprüche und Gleichnisse nimmt und in seinem Geiste ändert. Als Haupttendenz des Mt. dürfte feststehen, daß er als Schriftgelehrter Jesus für die Judenchristen als Messias erweist. Im übrigen ist er antijüdisch gerichtet und kirchlich gesinnt. Von der Kirche spricht Jesus bei ihm an zwei Stellen, Bußdisziplin und Taufe (c. 18.28) sind für ihn Stiftungen Jesu. Ob Mt. älter als Lc. ist, will "WERNLE nicht entscheiden. Er hat zu Ende des 1. Jahrh. sein Ev. verfaßt. Gegen die Ausführungen WERNLES sind zunächst einige Wahrnehmungen nebensächlicher Art auffallend, die doch beachtet werden müssen. Später wird die spezielle Behandlung des Mt.-Ev. von einem anderen Gesichtspunkte einen Vergleich des gesamten Inhalts möglich machen. Daß Mc. von Petrus in seiner Darstellung beeinflußt ist, steht wohl fest; die Bemerkung des Papias in der bekannten Stelle über die nicht richtige Reihenfolge der Berichte im Mc.-Ev. weckt jedoch schon den Zweifel, ob nicht etwa der Maßstab für die Folgerichtigkeit der Ereignisse dem Orientalen Papias das Mt.-Ev. gewesen ist. Die Frage ist besonders der Erwägung wert, da in der betreffenden Stelle gleich nach dem Mc.-Ev. das Mt.-Ev. erwähnt wird. In der kirchlichen Überlieferung wird das Mt.-Ev. immer für das erste gehalten; Clemens Alex, meint sogar, daß Mt. und Lc. vor Mc. geschrieben haben, der jedoch schon während der Predigt des Petrus in Rom von vielen gebeten sei, ein Ev. zu schreiben, was Petrus weder gefördert noch gehindert habe (Eus. hist. eccl. 14 5—7). Augustin bezeichnet jedoch den Mc. schon als abhängig von Mt., ohne seine nähere Beziehung zu Petrus zu erwähnen 1 ). ') Aug. De cons. evangelistarum 1, 4: Marcus enim subsecutus (Mat.) tamquam pedissequus et breviator ejus videtur. Cum solo

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Die kirchliche SCHLEIERMACHER,

Tradition stützt die von "WEISSE,

HERDER, W I L K E , HOLTZMANN, der und W E R N L E angenommene

Mehrzahl moderner Exegeten Priorität des Mc. als Ew.-Quelle nicht. Dazu kommen jedoch noch manche andere aus der Textvergleichung und dem Inhalte sich ergebende Bedenken, die für evangelische Theologen immer wichtiger bleiben müssen als Uberlieferungserträge. Das bezieht sich auch auf die Gründe für die Mc.-Hypothese in den letzten fünfzig Jahren. Die Verbindung der Zitate z. B. aus Mt. 3 3 und 1110 in Mc. 1 2 (Jes. 40 3 und Mal. 3 1) mit gleicher Abweichung vom Urtext und den Septuaginta und Vereinigung mit Exod. 23 20 ist bis jetzt, ohne die Annahme ähnlicher Grundschriften für Mc. und Mt., noch nicht erklärt, wenn man nicht Mc. direkt vom kanonischen Mt. abhängig sein lassen will. Die Stelle Mc. 2 10. 11 und Mt. 9 6 kann auch nur mit dem Xetei und coi Xeyw aus einer gleichen Grundschrift für beide E w . verstanden werden; die paarweise Aufzählung der Apostel, die Mt. (10 2 und 3) gewiß ursprünglich bringt, hat Mc. (3 14—19) durch die Voranstellung des neu benannten Simon und der Zebedaiden geändert. Die Behandlung der Gleichnisse Mt. 13 zu Mc. 41—34 in den Ubergängen von der Jüngerbelehrung zu der für das Volk ist gleich unvermittelt. In Mc. 6 3 wird Jesus von den Nazarethanern nicht mehr als 6 TOÖ TEKTOVOC uiöc (Mt. 13 55), sondern als 6 TEKTUJV, Ö uiöc Tfjc Mapiac bezeichnet. Ein Schluß aus der Stelle auf die Kenntnis des Mc. von der vaterlosen Geburt Jesu scheint mir keine dreiste Annahme (J. WEISS) ZU sein. Die alleinige Bezeichnung der Mutter als ursprünglich orientalische Form ist doch wohl undenkbar, selbst wenn man Josephs längst erfolgten Tod (B. WEISS) voraussetzt. Mc. 6 8 und 9 wird als Milderung der Strenge bei Mt. 10 9 angesehen (B. WEISS, HOLTZMANN), daß den Aposteln Reisestab und Sandalen quippe Joanne nihil dixit, solus ipse perpauea; cum Matthaeo vero plurima, et multa paene totidem atque ipsis verbis.

80 erlaubt werden. Mt. hat also wohl das Ursprünglichere berichtet. In dem Berichte von dem Gespräche mit der Kanaanäerin in Mc. 7 24—30 zu Mt. 15 21—28 tritt die prinzipielle Stellung des Mc. bestimmt ins Licht. Den Grundsatz in Mt. 15 24: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel gesandt, läßt Mc. fort und mildert den Ausspruch, daß man Brot den Kindern (Juden) und nicht den Hunden (Heiden) geben dürfe, durch den Zusatz: acpec T r p d i T o v xopTctcGfjvcu t a TCKVCI. Der Zusatz paßt nicht in den Zusammenhang, weil die Frau nur von der Versagung, nicht von der Aufschiebung der Sättigung spricht. Mt. 15 32: ÖTI Fjöri r m e p a i T p e i c u p o c u e v o u c i v juoi steht bei Mc. 8 2 in gleicher, wohl aus dem Aramäischen stammender Form, wie Mc. 9 2 zu Mt. 171 d v a c p e p e i CUJTOUC. Die Worte des Petrus Mt. 17 4 (Freude über die Erscheinung des Mose und Elias in Gemeinschaft mit Jesu) finden sich in Mc. 9 5; Mc. bemerkt, daß der Inhalt von Mt. 17 4 mit 12 nicht vereinbar ist, weil Elias (Täufer Johannes) schon vorüber war, weshalb er Mc. 9 6 hinzufügt: Petrus wußte nicht, was er redete: ? K q p o ß o i T ^ P ¿Y^VOVTO. M C . hat den Bericht aus der Grundschrift in Mt. 17 6 schon vorher aufgenommen (Bestürzung nach der Himmelsstimme). In dem Gespräch über Ehescheidung läßt Mc. 1011 das "Wesentliche, die Beschränkung auf den Ehebruch, aus (Mt. 5 32 zu Mt. 19 19). In Mc. 10 2 wird die Entlassung des Mannes im jüdischen Eherecht vorausgesetzt. Die Milderung des "Wortes über die Reichen Mt. 19 24 in Mc. 10 24 und 25 ist nicht ursprünglich. Die Vergeltung im Jenseits aus Mt. 19 29 wird in Mc. 10 30 schon ins Diesseits verlegt. Mc. •erzählt von zwei Besuchen Jesu im Tempel bei seinem ersten Auftreten und setzt Mc. 1112—14 bei der Verfluchung des Feigenbaumes die Bemerkung: ou f ä p fiv Kcttpöc KTA. ein, die den Verfluchungsgrund aufhebt. In Mc. 1115—17 wird die Bedeutung der Tempelreinigung sehr abgeschwächt, weil sie nicht mehr das erste Auftreten Jesu in Jerusalem einleitet. In dem Bericht über die Streitreden verwischt Mc. in 1127 f. und 1213 f. die Unterschiede der Gegner

81 Jesu. Der Frage der Schriftgelehrten 12 28—34 fehlt die verfängliche Absicht. Jesus erkennt ihre Aufrichtigkeit an, schließt aber 12 34, wie Mt. 22 46. Das falsche Zeugnis Mc. 1458 (Mt. 26 61) wird zu einer christlichen Aussage; das Falsche fehlt. Mc. 1428 zu 16 7 weisen auf eine Erscheinung des Auferstandenen hin, wie sie Mt. 28 16 f., nicht aber Mc. erzählt. Alles Hinweise darauf, daß den beiden ersten E w . gemeinsame, und doch in Einzelheiten verschiedene Grundschriften vorgelegen haben müssen. Papias scheint in Beziehung auf die Form und den Inhalt des Mc.-Ev. recht behalten zu können, wenn er das Mt.-Ev. zum Maßstabe für das Urteil der Unvollständigkeit und mangelhaften Reihenfolge der Berichte des Mc. zugrunde legt. Die Mängel des Mc.-Ev. hindern jedoch nicht, seinen Inhalt als die Äußerung einer Anschauung vom Christentum zu bezeichnen, die einen Fortschritt über die noch beschränkte, wenn auch schon freundliche Beurteilung des Heidenrechts auf den Lebensinhalt Jesu im ursprünglichen Mt.-Ev. darstellt. Es ist dieser gewollte Fortschritt jedoch zugleich der Grund einer gewissen Vergeistigung des Menschlichen und Nationalen in Jesus, wie sie bei Mc. nicht übersehen werden darf. Hier scheint mir W E R N L E besonders nicht scharf genug gesehen zu haben. Im Mc.-Ev. ist die römisch-griechische Lebens- und Weltanschauung seiner Zeit schon spürbar, die viel Gutes schaffte, manches Volkstümliche jedoch verflüchtigte. Daß im Mc.-Ev. Jesus in natürlich-menschlicher Entwickelung mehr als bei Mt. dargestellt werde, ist eine Behauptung W E R N L E S und vieler Kritiker, welche zureichend nicht begründet werden kann. Mc. schätzt den davidischen Stammbaum Jesu freilich nicht hoch ein, ja sogar seine vaterlose Erzeugung wird nur von den ungläubigen Nazarethanern erwähnt; das geschieht aber alles, um seine Lehre und seine "Wunder als geheimnisvolle Geistwirkungen (4 11. 33. 34) vom metaphysischen Gottessohne ausgehen zu lassen. Die Bemerkungen W R E D E S in der bezeichneten Richtung sind hier von BeAdolf Müller, Geschichtekerne.

6

82 deutung; HILGENFELD hat jedoch Ähnliches schon seit 50 Jahren geäußert 1 ). Im Mc.-Ev. liegen fraglos gerade die Keime zu der Christologie, die WERNLE darin nicht findet; Mc. lehrt die substantielle Vereinigung des Geistes G-ottes mit Jesus (2 8; 3 29. 80; 812; 1539). Es wird jetzt notwendig, daß der Hauptinhalt des Mt.-Ev. zur Darstellung komme, damit man prüfen kann, ob die Erträge der modernen Kritik die Kerne des Ursprünglichen in dem ersten Ev. zerschlagen haben, und wie es sonst noch beurteilt zu werden verdient. Inhalt

s Mt Ev

Der Stammbaum Josephs in der Vorgeschichte des

' Mt.-Ev. ist ein Gebilde, das zum Gegenstande vieler scharfsinniger Vermutungen gemacht worden ist. Der Zweck des Stammbaums, der zum Ev. ursprünglich gehörte, dürfte in den Gepflogenheiten jüdischer Geschichtsschreiber (1. Mos. 51; 6 9) begründet sein. Wie die Geschlechtsregister im alten Testament, soll er die Familie Jesu in Verwandtschaftsreihen einordnen, die seiner würdig sind. Die Ahnen sind nicht weit genug in der Vergangenheit der jüdischen Geschichte, nach der Meinung des Verfassers, zu suchen; so beginnt denn auch ihre Aufzählung mit Abraham. Die einzelnen Namen irgendwie für geschichtliche Familienväter bis auf Joseph verfolgen zu wollen, dürfte vergeblich sein; wichtiger sind einige Beobachtungen, die der einfache Bibelleser schon machen kann. In den Versen 3, 5, 6 werden die Frauen: Thamar, Rahab, Ruth, Bathseba mitten unter den Stammvätern und Königen aufgezählt, im v. 16 heißt es: 'laicdjß bä ¿^EWRICEV TÖV 'liucricp TÖV ävbpa Mapiac, i i fjc eyevvriGri Iricoöc 6 Xe-fö|aevoc Xpicro'c. Bei David wird seine Königswürde besonders hervorgehoben (v. 6). Zum *) Vergl. die zahlreichen Schriften A. H I L G E N F E L D S über die E w . in den letzten 50 Jahren, besonders seine Einleitung ins neue Testament, 1875, und die vorzüglichen Abhandlungen in seiner wissenschaftlichen Zeitschrift.

83 Schloß erhält der Leser, der es noch nicht bemerkt haben sollte, die ausdrückliche Hinweisung auf die 3 mal 14 Ahnenreihen, die der Verfasser in dem Stammbaum mühsam geschaffen h a t ; ein Ausdruck seiner wohlgefälligen Befriedigung. Man vermutet hier schon mit Recht, daß ein systematisch nicht veranlagter Referent der Geschichte Jesu schwerlich die künstliche Konstruktion des Stammbaumes fertig gebracht hat. Geht man näher auf das Werk ein, so merkt man, daß der Erfolg die Mühe nicht belohnt; denn die 3 mal 14 Reihen sind unvollständig. I n der zweiten Reihe fehlen vier Königsnamen und mindestens einer muß doppelt gezählt werden. Fällt hierzu genügend die Absichtlichkeit der Erwähnung von vier Frauen bis auf Maria auf, so ist der Schluß des Stammbaums besonders zu beachten, weil an Stelle des Vaters, wie bei den anderen Zweigen, die unbestimmte Angabe: e£ fjc evewiißri KTX. sich findet. Eine Andeutung der vaterlosen Geburt Jesu ist hierin noch nicht zu finden; die Stelle erhält jedoch ihre Beleuchtung durch die folgenden Erzählungen. Vorläufig darf darauf aufmerksam gemacht werden, daß zwei Arbeiter am Werke zu sein scheinen, von denen der eine den rohen Überlieferungsstoff gibt, der andere ihn nach bestimmten Gesichtspunkten ordnet. Ins Geschlecht des Königs David gehört der Sohn der Maria hinein; ihr Mann Joseph, den die Überlieferung nennt, muß zum Vermitteler der Ahnenreihe, wenigstens dem Namen nach, dienen. I n dem folgenden Abschnitte findet sich nun die Darstellung der Geburt des erwarteten Königskindes und der Ereignisse, die sie verherrlichen. Unmittelbar an die Erwähnung der Erzeugung Jesu aus Maria schließt sich der Bericht von den wunderbaren Erlebnissen Josephs, der durch eine Engelerscheinung belehrt wird, daß nach Jes. 7 14 Maria als J u n g f r a u Jesum gebären werde. Zeit und Ort der Geburt werden nicht angegeben. Die von nun an oft wiederkehrende Beziehung des Ev. auf Schriftsteilen im alten Testament ist beachtenswert und gibt einen .Maßstab für die Erkenntnis der Art des Inhalts seiner 6*

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Erzählungen. Bekannt ist, daß Jesaia in der zitierten Stelle nicht an eine Jungfrau gedacht hat, wenn auch der Ausdruck (almah) dafür gebraucht werden kann. Das würde bei der gewöhnlichen Art des Zitierens von Schriftstellen nicht gegen eine etwaige Geschichtlichkeit des Berichts sprechen; bezeichnend ist jedoch, daß das Hauptgewicht auf die Bezeugung der vaterlosen Geburt gelegt wird in unmittelbarem Anschluß an das e£ fjc in v. 16. Joseph wird darum auch nach v. 25 als folgsames Werkzeug der alttestamentlichen Weissagung dargestellt. Die Stelle macht nicht den Eindruck des Berichts von einem ersten überraschenden Ereignisse, sondern läßt darauf schließen, daß der Referent nichts weiter will und tut, als daß er einen bereits feststehenden Glaubenssatz auf seine Weise zu bestätigen versucht. Erst im folgenden erfährt man mit Staunen im Hinblick auf die Zeit der Geburt Jesu, wie alle Welt an dem Ereignis, das in Bethlehem eintrat, sich beteiligt, und der König Herodes als Feind des neugeborenen Kindes ihm nach dem Leben trachtet. Magier aus dem Osten (4. Mos. 23 7) haben den Stern (4. Mos. 2417) des neugeborenen Judenkönigs gesehen, kommen und forschen im Königspalaste, wo sie ihn zu finden hofften, nach seinem Geburtsorte. Der in Angst geratene Herodes ruft das Synedrium zusammen und fragt nach der verheißenen Heimat des Messias. Bethlehem wird nach der Schrift (Mich. 51) genannt; die Magier erhalten die gewünschte Auskunft mit der Weisung des Herodes, sie mögen, wenn sie das Kind gefunden hätten, ihm bei der Rückkehr über Jerusalem Näheres berichten. Der arglistige Anschlag des Herodes wird durch Träume und Engel vereitelt, welche die Magier und die heilige Familie schützen. Die heidnischen Magier ziehen, nachdem ihnen der Wanderstern das Geburtshaus des Jesuskindes in Bethlehem bezeichnet hat und sie ihre Gaben huldigend dargebracht haben, auf einem anderen Wege heim; das Jesuskind wird bis zum Tode des Herodes nach Ägypten gerettet (Hos. 111)..

85 Der betrogene Herodes läßt nun alle Ms zwei Jahre alten Kinder in Bethlehem zwecklos morden (Jer. 3115). Nach, dem Tode des jüdischen Feindes Jesu (2. Mos. 419) kehrt die heilige Familie wieder nach ihrer Heimat zurück, weil aber in Judäa der Sohn und Nachfolger des Herodes herrscht, hält Joseph es für richtiger, nach Nazareth mit den Seinigen überzusiedeln, so daß auch Jes. 111 erfüllt wird. Die ideelle Konstruktion der berichteten wunderbaren Geschichten läßt sich nicht verkennen. Das etwa 8 Kilometer von Jerusalem entfernte Bethlehem war für Herodes so leicht erreichbar, daß er die Yermittelung der Magier für seine Zwecke nicht brauchte. Möge man die Traumweisungen und Engelerscheinungen neben der vaterlosen Geburt des Kindes als historisch möglich annehmen, so bleibt doch immer die wunderbare Sterneigenart ein Hindernis für die Geschichtlichkeit der Berichte. Die Erscheinung des Sterns weist jedoch den "Weg zur Deutung der Erzählungen. Es finden sich ihre Kerne in alttestamentlichen Sagen, die um den chaldäischen Propheten Bileam sich gebildet hatten, der in grauer Vorzeit die künftige Herrlichkeit Israels mit den Worten verheißt: Ein Stern aus Jakob wird aufgehen, ein Zepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter. Die jüdischen Apokalypsen hatten diese und andere Zukunftshoffnungen mit glühenden Farben ausgemalt und von Zeichen am Himmel zur Zeit der Ankunft des Messias gesprochen, so daß auch die christliche Messiashoffnung (Apoc. 12 1; Mt. 16 1) dort einsetzte. Ahnlich steht es mit dem Berichte von der Ermordung der Kinder in Bethlehem. Die jüdischen Zukunftsbilder, wie sie etwa in Apoc. 12 1 ff. sich verdichtet haben, deuten auf die Verfolgung der Mutter des Messias und ihres Kindes von feindlichen Mächten. Für den verfolgenden Drachen (Apoc. 1217) wird der heimtückische Judenkönig eingesetzt, der dem Messias nach dem Leben trachtet. Das Weib flieht in die Wüste; der Messias wird nach Ägypten

86 gerettet. Der Grundgedanke derartiger Sagen ist darin zu finden, daß alle großen und außergewöhnlichen Persönlichkeiten in der Zeit ihres "Werdens und "Wachsens des göttlichen Schutzes und göttlicher Führung bedürftig erscheinen, weil sie sonst von dem Bleigewichte des Alltäglichen und der Feindschaft der herrschenden Parteien vernichtet werden^ So spinnt sich denn um die Geburt und erste Jugendzeit aller großen Männer 1 ), besonders aber der Pfadfinder religiöser Lebenswege ein Gewebe von wunderbaren Mythen, die ihren tiefen Sinn haben, nicht aber geschichtlich gewürdigt werden dürfen. Es sind also nicht die zufällig im alten Testament vorhandenen Fäden für das Gewebe der Kindheitsgeschichte Jesu die Mittel zu ihrer Verdichtung gewesen, sondern die Erfahrungen der urchristlichen Gemeinden in Beziehung auf den Lebensinhalt Jesu haben im Rückblicke auf seine Kindheit Farben und Formen ihrer Darstellung geschaffen. Erst Jahrzehnte nach dem Tode Jesu lebten die urchristlichen Gemeinden in Verhältnissen, die geschichtlich etwa den Maßstab ertragen, der schon in den Kindheitserzählungen verwendet wird. Der Haß des Judenkönigs Herodes, die Verehrung der heidnischen "Weisen, die Anziehungskraft des Christentums auf Vornehme und Gelehrte, die weltgeschichtliche Größe Jesu, wie sie die Kindheitsgeschichten darstellen, sind neben den sonst ganz der geschichtlichen Meßbarkeit entnommenen Zügen für die Zeit der Geburt Jesu im Urchristentum nicht einzuordnen. "Wichtig ist die Beantwortung der Frage nach dem Verfasser des zusammenhängenden Abschnitts (1 17—2 23); die auffallenden Zusätze im Stammbaum verraten die Absicht des Erzählers der Geburts- und Kindheitsgeschichten. Es soll das in Bethlehem geborene und nach Nazareth gerettete Jesuskind in seiner die Völker bewegenden Bedeu*) P F L E I D E R E R S

Cyrus.

Urchristentum,

I,

555.

Mose, Sargon, Krischna,

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tiing dargestellt werden. Der Judenkönig ist sein Todfeind, die heidnischen Magier verehren es. Die Form der Zitate des schriftgelehrten Erzählers verrät ihn als sprachkundigen Mann. "Wenn auch die Schriftstellen meistens nach dem Wortlaute der Septuaginta zitiert sind, so läßt sich doch nicht verkennen, daß der Erzähler das Hebräische beherrscht (Hos. 111 zu Mt. 215 und Jes. 111 zu Mt. 2 23, vgl. 121) und zu seinen Zwecken verwendet. Das sind zwei unbestreitbare Ergebnisse aufmerksamer Beobachtung. Der scheinbar nur auf jüdische Schrifttheologie bedachte Verfasser des Abschnitts, in dem die Geburts- und Kindheitsgeschichten des Messias mit alttestamentlichen Weissagungen umrahmt und beglaubigt werden, nahm in ziemlich weitreichender Weise am Leben der anderen Völker des Erdkreises teil. Die zur Zeit der Geburt Jesu für ihn vorausgesetzte Begeisterung der Heiden ist als Gesinnungsäußerung eines judenchristlichen Schriftstellers bis über die Mitte des ersten Jahrhunderts undenkbar. Man darf also wohl schließen, daß nur ein Judenchrist, der schon in hohem Maße seine Vorurteile gegen die unreinen Heiden aufgegeben hatte und dem offiziellen jüdischen Volke, dessen Könige und den herrschenden Parteien gegenüber schon durchaus fremd sich fühlte, den Abschnitt Mt. 1 17—2 23 in vorgefundene ältere Stoffe eingelegt und auch die auffallenden Änderungen im Stammbaume absichtlich bewirkt hat. Die vaterlose Geburt Jesu in Bethlehem war zur Zeit des Verfassers urchristlicher Glaubenssatz, der von ihm schriftmäßig bestätigt wird. Die Prüfung der einzelnen Abschnitte des ganzen Ev. muß, wenn die Beobachtung in Beziehung auf den Anfang richtig ist, Spuren ähnlicher Bearbeitung von ursprünglichen Erzählungsstoffen aufzeigen; es ist nicht anzunehmen, daß sie nur in den ersten Kapiteln davon berührt sind. Die Einleitung für das Auftreten des Johannes: tv bi Täte rmepatc ¿teeivoue paßt nicht in den Zusammenhang, wenn sie an 2 23 anknüpfen soll. Zur Zeit der Geburt

88 Jesu ist die Predigt des Johannes nicht erfolgt. Es ist jedoch nicht notwendig, hier eine Abhängigkeit des Mt. von Mc. 19, wo vom Kommen Jesu an den Jordan die Rede ist, anzunehmen. Am besten fügt sich der Satz unmittelbar an 116 an, was unter der Voraussetzung der Einlage von 1 17—2 23 möglich wäre. Unterstützt wird die Vermutung durch die Form der Zeitbestimmung in 31: ¿v rjuepaic 'Hpujöou TOÜ ßac., die wohl vom Verfasser der Einlagen gewählt ist, weil er sie als Einleitung für den folgenden Abschnitt vorfand. Er streicht die nähere Zeitangabe ('Hpujbou) und schreibt ev r^epaic ¿Keivaic. Ahnlich begann das Ev. der Ebioniten: 'Efeveio ev ictTc rnuepaic 'Hpwbou (Epiph. Haer. X X X 13. 14). Schließt man 3 1 unmittelbar an 117 an, so paßt die Zeitangabe gut in die herrschende Rechnung mit großen Zeiträumen im Geschlechtsregister. Die Einführung des Täufers wird wieder nach Jes. 40 3 gedeutet, und die Stelle verrät durch den vorausgesetzten großartigen Volkszulauf nach der Jordanebene die Hand eines Bearbeiters. Daß der „Bußruf" und die „Reichspredigt * des Johannes vorwiegend an Pharisäer und Schriftgelehrte gerichtet war, scheint mir nicht durch 21, 26 u. 32, auch nicht durch die andere Fassung bei Lc., als minder ursprünglich nachgewiesen zu sein 1 ). Die blinden Führer des blinden Volkes waren gewiß die eigentlichen Gegner aller ernsten Sinnesänderung, die Johannes-Elias meinte anbahnen zu können; das Volk wird als noch nicht verlorene lenksame Masse angesehen. Jesus kommt auch zum Jordan und wünscht die Taufe von Johannes. Der Täufer offenbart eine überraschende Erkenntnis Jesu im Verhältnis zu 113 und weigert sich, den Messias zu taufen, weil er dessen nicht würdig ist. Jesus will aber aller Form genügen und bestimmt Johannes, ihn zu taufen. Nach der Taufe öffnet sich der Himmel, Jesus sieht und empfängt den in Taubengestalt auf ihn ') PFLEIDERER,

Urchristentum

I,

556.

89

herabkommenden heil. Geist, und es wird die Stimme gehört: Dies ist mein geliebter Sohn (Ps. 2 7). In der Darstellung liegen unlösbare Rätsel, wenn man nicht einen anderen Bericht als Grundlage findet. Abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten ist es undenkbar, daß Joh., der Mt. 113 den Messias noch sucht, schon bei der Taufe sich Jesu unterordnete (v. 14). Vergleicht man die Geburtsgeschichte mit dem Tauf berichte, so ergibt sich, wenn man auch die eigentliche Geisterfüllung von der Taufe, wie sie Mt. darstellt, nicht zu datieren braucht, doch die Deutung der Absicht des Erzählers. Die Nachricht, daß Johannes im Jordan Jesus getauft habe, ist ein ursprünglicher Bestandteil der Erzählungen. Da nun der Erzähler der geistgewirkten Geburt Jesu aus der Maria in seiner Zeit und auf seinem Standpunkte es nicht ertragen konnte, den Gottessohn von Johannes getauft werden zu lassen, so mußte er das abwehrende Verhalten des Täufers einfügen, um die Taufe gleichsam zu rechtfertigen. Ahnlich ist denn auch in einzelnen Zügen die Erfüllung Jesu mit göttlichem Geiste bei der Taufe umgebildet zu einer bloßen Bezeugung seiner Gottessohnschaft. Für die Entwickelung vom ursprünglichen zum dogmatisch beeinflußten Bericht ist auch die Darstellung im Hebräer-Ev. bedeutsam, in dem Jesus spricht: „Was habe ich gesündigt, daß ich gehen soll, mich von ihm taufen zu lassen; es sei denn, daß eben dieses mein "Wort eine Unwissenheit wäre." Gegen seinen Willen, weil er der Taufe nicht bedarf, wird Jesus von den Seinigen dazu gedrängt. So findet man in dem Abschnitte v. 13—17 hauptsächlich in der Weigerung des Täufers einen fremdartigen Zusatz. Nach der Taufe und proklamierten Gottessohnschaft muß Jesus seine heilige Geistesmacht gleichsam in einer Prüfung harter Art nach Mt. bewähren. Die Prüfung ist von Gott verordnet und bringt ihm, da er sie besteht, Anerkennung. Genuß, Ehre, Herrschaft sind für den Versucher geeignete Lockmittel, um die Gottessohnschaft Jesu auf die Probe zu stellen; sie versagen; der Gottes-

90 söhn gebietet nun den Engeln. Die Ursprüngliclikeit des Versuchungsberichts bei Mt. dürfte unanfechtbar sein. Die Frage, wie der Erzähler zu der Kenntnis der Vorgänge gekommen sei, ist dagegen schwer zu beantworten. Nach dem Versuchungsbericht folgt im Mt.-Ev. die Notiz, daß Jesus, nachdem Joh. gefangen genommen war, nach Galiläa gegangen sei und dort seinen "Wohnsitz von Nazareth nach Kapernaum verlegt habe. Die Angabe der Wohnungsänderung ist nicht begründet und widerspricht späteren Berichten; es ist wahrscheinlich, daß die Schriftsteile (Jes. 9 1.2) die schon bekannte Absicht des Bearbeiters, den "Weissagungsbeweis zu führen, geweckt habe. Die Stelle ist störend für den Zusammenhang. Die Verbindung zwischen 4 12 und 17 läßt sich dagegen lückenlos und übereinstimmend mit dem Mc.-Bericht herstellen. Jesus predigt in Galiläa, findet die beiden ersten Jüngerpaare (PetrusAndreas; Jakobus-Johannes) und wird als Lehrer und Wundertäter von den Bewohnern Syriens, Galiläas, der Dekapolis und sogar Judäas und Jerusalems nach Mt. überlaufen; eine zahlreiche Volksmenge schließt sich ihm an. Die Volksmenge wird offenbar eingeführt, als Hörerkreis für die folgende große Rede (423—25). Wie wenig richtig an der Stelle, wo noch nicht einmal von der Auswahl der Zwölfe erzählt ist, die Wirksamkeit Jesu erst begann und keine besondere Veranlassung zu so weit und tief reichender Belehrung vorlag, die Bergrede eingeordnet ist, muß wohl anerkannt werden. Während im Mc.-Ev. von der Lehrtätigkeit Jesu in der Synagoge und seiner Wirksamkeit in Kapernaum erzählt wird, gibt Mt., absichtlich begründet und in der Form mit dem Parallelbericht bei Lc. (6 20—49) vergleichbar, eine ausführliche Darstellung der Lehre Jesu und der Forderungen an seine Jünger. Mt. will offenbar eine Probe der neuen machtvollen Geistbegabung Jesu geben. Die Bergrede ist von dem Bearbeiter des Mt.-Ev., der sie eingeordnet hat, als zum Teil schon systematisch gegliedertes Ganze vorgefunden und in Einzelheiten von ihm merklich umgeformt worden, wie er es

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seiner Anschauung und seinen Zeitverhältnissen nach für richtig hielt. Die Eigenart des schriftgelehrten Darstellers tritt in der Schilderung der Situation, die für die Bergrede von ihm vorausgesetzt wird, in die Erscheinung. Das große Werk der „neuen Lehre" steht für ihn auf ähnlicher Höhe, wie die Gesetzgebung auf dem Berge Sinai. Wie dort Mose auf dem Berge mit Jehovah verkehrt, während am Fuße das Volk wartet, so muß auch Jesus auf einer Höhe seinen Standort haben, um den nächsten Jüngern das Geheimnis der neuen Lehre zu offenbaren; die Volksmassen staunen und fürchten sich in der Ferne 1 ). Für den Bearbeiter des Inhalts der Bergrede ist Jesus der neue Gesetzgeber für das neue Gottesvolk. Seine Autorität ist der Moses überlegen. Einzelheiten lassen sich in dem Lehrstoffe der Bergrede als das Einfachere von dem aus der Anschauung späterer Zeit Stammenden scheiden. Die Sieben und Zehn scheint nicht in dem Maße, wie es angenommen wird ( E W A L D , DELITZSCH, HOLTZMANN), dem Schema des Bearbeiters zugrunde gelegen zu haben. Es sind weder sieben noch zehn Seligpreisungen, sondern wahrscheinlich acht zu zählen. Zusätze sind wohl neben dem TLU TRVEU^CRN (v. 3), TR)V biKouocuvr|V (v. 6) ^vexev biKaiocuvr|c und Tf) Kapbia in den Seligpreisungen; ihre Herkunft deutet HOLTZMANN aus griechischem Sprachgefühl. Die Seligpreisung der Sanftmütigen ist nach P F L E I D E R E R identisch mit Ps. 37 und wohl Einlage des Bearbeiters. Besonders bezeichnend für die Anschauung des Redaktors der Bergrede ist der Zusatz: TOI NVEUIUATI in der ersten Seligpreisung. Es sind wohl die sozialen Verhältnisse zur Zeit des Bearbeiters in der urchristlichen Gemeinde so weit entwickelt gewesen, daß das ursprüngliche: Selig sind die Armen, wie es bei Lc. sich noch findet und wahrscheinlich in der Grundschrift stand, nicht mehr opportun war, ') BRANDT, Die evangelische Geschichte, S. 354.

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weil man schon mit der Grünst der Wohlhabenden rechnete. Ahnlich steht es wohl auch mit dem Hunger und Durst nach „der Gerechtigkeit". Der Sinn sämtlicher Seligpreisungen ist bei Mt. nicht so verändert, daß sie nicht gut aus dem Geiste und der Gesinnung Jesu heraus gesprochen sein könnten. Gerichtet sind die "Worte freilich schon an christliche Gemeinden, deren Bestand und Leben vorausgesetzt wird. So werden denn auch in den folgenden Versen die Leiter der Gemeinden in den ersten Jüngern angeredet (5 13.16). Salz und Licht sollen sie für die Gemeinden sein. Ihre Lebensäußerungen sollen vor Menschen zur Ehre Gottes dienen. Daß in der Stelle im Vergleich zu den Parallelen (Lc. 14 34 f., Mc. 421) besonders von "Werken im „kirchlichen Sinne" die Rede sei, scheint mir schon darum nicht wahrscheinlich, weil bei Mc. die "Worte am Schlüsse des Gleichnisses vom verschiedenen Acker vom gesamten Lebensinhalte, bei Lc. von dem Verzichte auf alles Gewohnte handeln und die besondere Hervorhebung „der Lehre" vermissen lassen. Licht und Salz der christlichen Gemeinschaft sollen die Jünger in ihrer G e s i n n u n g u n d T a t werden, wie das auch in der folgenden grundsätzlichen Erörterung über die Gesetzeserfüllung, die „bessere Gerechtigkeit" im Sinne Jesu näher ausgeführt wird. Besonders viele Schwierigkeiten haben die "Worte von der unbedingten Geltung des Gesetzes (17—19) und der Propheten im Munde Jesu den Auslegern bereitet. Daß sie inhaltlich so gesprochen sind, darf wohl als feststehend angenommen werden. Die Ausführungen über die „bessere Gerechtigkeit" und die Formel: Ihr habt gehört usw.; i c h aber sage euch, enthalten dann scheinbar Widersprüche. Jesus verbietet nicht nur den Mord, sondern schon das Zürnen, nicht nur den Ehebruch, sondern schon das sinnliche Begehren, nicht nur die Leichtfertigkeit bei Ehetrennungen, sondern jede Ehescheidung, nicht nur leichtsinniges Schwören, sondern das Schwören überhaupt, nicht nur das Vergeltungsrecht, sondern schon leidenschaftliches Auf-

93 begehren gegen erfahrenes Unrecht, nicht nur Lieblosigkeit gegen Volksgenossen, sondern sogar gegen Feinde. Opferhandlungen dürfen unterbrochen werden im Dienste versöhnlicher Gesinnung (v. 23); die Reinheitsgesetze haben ihre Grenze in der Herzensstellung des einzelnen. ' Die gesamte Darstellung der Gesetzeserfüllung im Sinne Jesu ist eine Deutung von "Worten des Meisters von seiten des ersten und der folgenden Referenten, weil sie schwerlich in dem bei Mt. vorliegenden Zusammenhange ursprünglich gesprochen sind. Schwer ist die Entscheidung darüber, was Jesus in Beziehung auf die Geltung des Gesetzes gesagt haben mag. Der ursprüngliche Inhalt des Ausspruchs: ajurjv Xefw u|uTv, euuc civ KT\. darf gewiß nicht verflüchtigt werden, weil er auch an anderen Stellen, besonders in Lc. 16 17 bewahrt ist; darin jedoch einen unlösbaren Widerspruch zu den Ausführungen über die Erfüllung des Gesetzes finden zu müssen, scheint nicht notwendig zu sein. Wenn auch die schroffe Form der Sätze: „Ihr habt gehört usw." gewiß von Mt. oder schon von seinem Gewährsmanne geprägt ist, so läßt sich doch annehmen, daß Jesus dem buchstäblich formulierten jüdischen Gesetze und auch den überlieferten Aussprüchen der Propheten gegenüber vollständig frei in Wort und Tat sich verhalten hat. Das Gesetz war für ihn der ursprüngliche Wille des Vaters, der, unveränderlich nach Form und Inhalt, infolge der Deutung der Gesetzeslehrer von Mose an der Ergänzung und Vollendung, der Vertiefung bedurfte, die ihm Jesus gab. Derartige Erfahrungen haben die Jünger in Gemeinschaft mit ihrem Meister gemacht; ihr ursprünglich wörtlicher Ausdruck ist von späteren Christen, von denen unsere E w . stammen, aus ihren Bedürfnissen und Zeitverhältnissen heraus geändert worden. An die Forderung der Feindesliebe, die den Höhepunkt der Inhaltsentwickelung des Willens Gottes darstellt (5 44), schließt sich die Mahnung: seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist (5. Mos. 18 13). Der Zusammen-

94 hang mit dem Folgenden ist, wie mir scheint, nicht weniger passend, als bei Lc. (6 36). "Wenn bei Lc. auf die Forderung der Barmherzigkeit die "Warnung vor lieblosem Richten folgt, so ist bei Mt. zur Vollkommenheit christliche Werkgerechtigkeit im rechten Almosengeben, Beten und Fasten gerechnet. Ob in dem drrexouciv TÖV fiicööv (6 5) an eine fromme Leistung und erwartete Vergeltung durch Q-ebete zu denken ist, dürfte fraglich sein; es kann doch wohl die ausbleibende innere Befriedigung damit gemeint sein, wenn sinnlos und heuchlerisch gebetet wird. Wie weit der Wortlaut des Vaterunser nach Mt. oder Lc. auf wirkliche Aussprüche Jesu zurückzuführen sei, und ob der Inhalt der Verse 6 22—24 bei Mt. oder Lc. im ursprünglichen Zusammenhange stehen, ist schwer zu entscheiden. Wenn bisher verhältnismäßig leicht leitende Grundgedanken f ü r die Darstellung bei Mt. in der Bergpredigt gefunden werden konnten, die das einzelne verknüpfen, so sind die folgenden Sätze über himmlischen und irdischen Erwerb (619—21), vom innern Lichte (6 22. 23) und vom Zweiherrendienst (6 24) schwer mit der Fastenfrage und untereinander zu verbinden. Die Worte sind wohl ursprünglich von Berichten umrahmt gewesen, die über Veranlassung und Begründung Auskunft gaben. Durch das Ganze klingt ja freilich die Mahnung: christliche Gerechtigkeit bewährt sich nicht in Äußerlichkeiten, hängt nicht an irdischem Besitze, geht nicht in heidnischer Sorge auf, sondern bewahrt das innere Licht in Klarheit und Wärme des Geisteslebens. Vertrauen und Barmherzigkeit bestimmen den Standpunkt des Christen f ü r seine Weltanschauung und Menschenbeurteilung. Damit leitet auch Mt. zum nächsten Kapitel (7 1—5) über, in dem ausgeführt wird, daß liebloses Richten christlicher Gerechtigkeit nicht ziemt. Schlecht paßt dazu jedoch die Warnung vor Entweihung des Heiligen durch Heiden 7 6. Die Aufforderung zum dringenden Gebet (7 7—11), das erhört wird, die goldene Regel wechselseitiger Tatpflicht im „Soll" und „Haben" des Lebens stehen untereinander und

95 mit der Einleitung der Rede gegen die falschen Propheten in keinem Zusammenhange. Die Lücken waren wahrscheinlich von mündlichen Berichten oder verlorenen Aufzeichnungen ausgefüllt. Das ursprünglich gewiß oft von Jesus gebrauchte G-leichnis vom Baume und seinen Früchten im Verhältnis zu den Menschen und ihrem Reden und Tun ist bei Mt. so gewendet, daß man neben der "Warnung der auf ihre Vorrechte bauenden Juden zugleich auch eine Hinweisung auf den Gerichtstag und die Verurteilung der Gesetzesgegner darin findet (7 2 f.). Das ist ein neuer Beweis dafür, daß die ursprünglichen Bestandteile bei Mt. bearbeitet sind. P r ü f t man den Gesamtinhalt der Bergrede, die Darstellung des Willens Gottes und der „besseren Gerechtigkeit" und erinnert sich daran, daß die Ausfährungen alle eigentlich nur vor vier Jüngern erfolgten, weil die vorausgesetzte Anwesenheit einer Volksmenge (4 23—25 u. 7 28—29) bei Beginn der Wirksamkeit Jesu undenkbar ist, so wird die Vermutung bestärkt, daß in ihr ursprünglich Redenstücke, eingefaßt von Erzählungsrahmen, von einem Redaktor teils einzeln, teils im Zusammenhange vorgefunden, verbunden sind. Der Grundstock der Reden stammt aus einer Zeit, in der noch Opfer üblich waren (5 23) und das baldige Kommen des Messias erwartet wurde (7 23); es finden sich jedoch in dem ursprünglichen Stoffe einzelne Änderungen, die schon auf entwickeltere Verhältnisse in christlichen Gemeinden hindeuten und Bearbeiter verraten. Nachdem der Wille Gottes entwickelt und die „bessere Gerechtigkeit" enthüllt war, mußte, nach der Meinung des Evangelisten, die Herrlichkeit des geistesmächtigen Messias in Wundertaten zur Erscheinung kommen. Bei dem Abstieg von dem Berge der neuen Gesetzgebung in Begleitung von Volksmassen wird ein Aussätziger geheilt (8 1—4), der Knecht eines heidnischen Hauptmanns (5—13) aus der Ferne durch das Machtwort Jesu gesund gemacht und eine Weissagung über die Berufung der Heiden und Verwerfung der Juden berichtet. Störend ist das Verbot in

96 Gegenwart der Volksmenge, von der Heilung niemandem etwas zu verkündigen. Einzelne Züge in dem Berichte von der Fernheilung des heidnischen Knechtes im Vergleiche mit der Erzählung von der kanaanäischen Frau (15 21 f.) fügen sich nicht in den Anschauungsrahmen der Grundschrift. Man dürfte hier kaum dem Gange der Darstellung folgen können, wenn man nicht annimmt, daß, wie in 4 25 und 7 28—29, die Voraussetzung des Volkszulaufs ein ideelles Postulat des Bearbeiters ist. Fehlt die Volksmasse und begleiten Jesus nur die bisher gewählten vier Jünger, so wäre das Verbot zu Anfang der "Wirksamkeit Jesu begreiflich, wenn es nicht überhaupt aus späteren Reflexionen der Urgemeinde zu erklären ist. Zweifellos unterbricht die Bergrede die Entwickelung der Berichtsinhalte, die unmittelbar in 81 mit 4 22 verbunden werden könnten. Die Erzählung von der Heilung des Aussätzigen dürfte in der Grundschrift sich gefunden haben, während die auffallend heidenfreundliche Stimmung, welche aus dem Berichte von der Fernwirkung der Heilkraft Jesu im Vergleiche mit 5 21 f. nur einem Referenten aus späterer Zeit zugetraut werden kann. Die vorausgesetzte Verbreitung des Wunderrufs Jesu, die das Verhalten des Hauptmanns bestimmt, ist für den Anfang der "Wirksamkeit Jesu, wie 4 23, verfrüht, die Verheißung in 811 f. durchaus noch nicht begründet. Das Ursprüngliche der Grundschrift scheint wieder in der Erzählung von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus durch (8 14). Jesus geht, nach dem Berichte, nicht, wie 413 f. erzählt wird, in sein eigenes Haus, sondern in das des Petrus. Die Heilung hat den Erfolg, daß die Bewohner der Stadt (nicht des ganzen Landes) ihre Kranken zu Jesus bringen, damit er sie heile (8 14—16). In die ursprünglichen Berichtstücke hat der Bearbeiter seine Zusätze mit messianischem Inhalte eingefügt, wie er es schon in der Einleitung versuchte. Sein Schluß (8 17 zu Jes. 534, nach dem Urtexte zitiert) bestätigt die Vermutung, daß es sich ihm in den Stücken um beabsichtigte

97 Messiaserweise handelt. Eine Abhängigkeit des Darstellers vom Mc.-Ev. scheint darin jedoch schwer aufzeigbar; man könnte mit gleichem Rechte die Abhängigkeit vom Lc.-Ev. nachweisen (Lc. 7 2—10 zu Mt. 8 5—13 und Lc. 13 28 f. zu 8 11—12). Das wird jedoch, meiner Meinung nach, immer nach Geschmacksurteilen geschehen. Den wunderbaren Erweisen der Messiasmacht Jesu folgt nach der Absicht des Erzählers der Ertrag: das Volk hängt ihm an; die Pharisäer und Schriftgelehrten werden seine Feinde. Die Berichtstoffe scheinen im einzelnen nicht sorgsam aus der Grundschrift wiedergegeben zu sein; Treue im Kleinen lag nicht in der Aufgabe des Erzählers; er häuft "Wunderbares, um den Eindruck zu schaffen, den er schildern will. Die Menge des Volks (818) dient dem Bearbeiter wieder als Veranlassung des Wunsches Jesu, nach dem jenseitigen Ufer zu fahren. Vorher gewinnt Jesus noch zwei Jünger (819—22) zu den vier bereits erwählten hinzu. Die Andeutung der Heimatlosigkeit Jesu bei der Berufung des einen Jüngers dürfte doch wohl nur als allgemeine Warnung aufzufassen sein. Die Berichte von der Sturmstillung (8 23—34) und die Heilung der Gadarener bringen die Anerkennung der Menschen, daß Jesu Wind und Meer gehorsam sind, und das Erkanntwerden von den Dämonen im Heidenlande. Das Entsetzen der beunruhigten Heiden infolge der Austreibung der bösen Geister aus den kranken Menschen in die Schweineherde veranlaßt die Bitte, Jesus möge ihre Gebiete meiden. Die Anschauung entspricht der Grundschrift. Wie der Teufel in 4 3, so erkennen die Dämonen Jesum. Daß in den Berichten einzelne, wenn auch charakteristische Züge, die Mc. bringt, fehlen, läßt sich wohl daraus erklären, daß der Erzähler die näheren Umstände bei den Ereignissen als Nebensachen behandelt und nur große Wirkungen darstellen will. Die Entscheidung der Frage, ob die Erwähnung der „Legion" Dämonen bei Mc., von der ein Kranker besessen war, ursprünglicher Berichtsbestandteil ist, hängt davon A d o l f M ü l l e r , Geschichtakerne.

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98 ab, ob die Vorliebe des Mc. für Dämonenmassen nicht doch die »Legion" geschaffen hat. Für das Hinabstürzen der Schweineherde in den See genügten wohl auch zwei Dämonen, weil sie schon genug Verwirrung in einer Herde Vieh oder Menschen anzurichten vermögen. Ahnlich dürfte es mit dem „anschaulichen" Zuge bei der Heilung des Gichtbrüchigen bei Mc. stehen, der auf seinem Bette durch das Dach von seinen Trägern vor Jesus gebracht wird. Die größere Anschaulichkeit der Schilderung bei Mc. im Verhältnis zu Mt. 91—8 ist nicht zu leugnen; man darf aber auch annehmen, daß der Erzähler die Erkenntnis des Vertrauens in dem Kranken bei Jesus auch auf anderem Wege für möglich hielt. Die ibia iroXic (413 zu 91) ist wieder ein Zusatz des Bearbeiters. Die Heilung des Gichtbrüchigen in Kapernaum bringt die Anerkennung des Volkes und die ersten Zeichen der Feindschaft der Schriftgelehrten zum Ausdruck. Das Volk preist „Gott", daß er solche Macht „den Menschen" gegeben habe; die Schriftgelehrten verurteilen die Sündenvergebung Jesu als Gotteslästerung. Am Zollhause (9 9) erfolgt nun die Berufung des siebenten Jüngers, des Zöllners Matthäus, wie er hier heißt, und der Bericht von einem Mahle Jesu und seiner Jünger mit Zöllnern und Sündern, wahrscheinlich im Hause des Mt. Der Widerspruch der Pharisäer wird gegen eine derartige Gemeinschaft Jesu mit Sündern laut; er schärft ihnen das Wort ein: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer (913). Daß gerade den Pharisäern bei ähnlicher Gelegenheit ein solches Wort (Zitat) von Jesus zugerufen sein mag, die infolge ihrer Opfertheorie oft hartherzig gegen Menschen waren, ist wohl möglich, wenn auch vorher nicht von Opfern die Rede ist. Die Erwähnung des Opfers bringt die Fastenfrage bei Mt. in Fluß, so daß auch den Johannisjüngern, als dritter nörgelnder Partei, ihr Urteil widerlegt wird durch die Erklärung Jesu, die Herzensfreude der Jünger ließe ihnen gegenwärtig keine Zeit zum Fasten; später werde die

99 Fastenzeit kommen, wenn der Bräutigam von ihnen genommen sei (915). Starke Lappen passen nicht auf alte Kleider, alte Schläuche nicht für neuen Wein. Daß die hier schon auftretende Leidensverheißung oft nicht genug gewürdigt wird, ist schon erwähnt. Die Auferweckung der Tochter eines Vornehmen, die Heilung der blutflüssigen Frau, zweier Blinden und eines stummen Dämonischen (9 18—35) verbreiten den Ruhm Jesu im ganzen Lande, erregen jedoch auch die Feindschaft der Pharisäer bis zu der Behauptung dämonischer Hülfe für Jesus. Die einzelnen Berichte haben dem Bearbeiter geschlossen vorgelegen; er hat nicht viel an ihnen geändert. Der Jüngerkreis wird durch die Berufung des Mt. ergänzt, die Heiden, Schriftgelehrten, Pharisäer und Johannisjünger widerstreben, das Volk in Kapernaum und in der nächsten Umgebung hält zu Jesus. Einzelheiten in den Erzählungen sind mit wenig Sorgfalt behandelt, so daß der Eindruck größerer Ursprünglichkeit in den Parallelen entstehen kann. Der Versuch einer physiologischen oder psychologischen Motivierung ist weder in dem Berichte von der Auferweckung des Mädchens, noch bei der Erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau gemacht. Bei Mc. sind die Einzelheiten aufmerksamer behandelt. Der ganze Abschnitt macht jedoch den Eindruck, daß er zu 31 — 4, 4 12.17. 22, 8 14—16 als ursprünglicher Bestandteil eines Berichtkomplexes gehört. In 9 35 beginnt in bekannter allgemeiner Form, mit gleicher Formel wie in 423 und Erwähnung der notwendigen Volksmenge, die Uberleitung zu einer eigentümlichen Rede, deren Inhalt und Einordnung der Erklärung manche Sorge macht. Der Anblick der Menge, die führerlos umherirrt, veranlaßt Jesus, die geringe Zahl seiner Jünger zu überschauen. „Die Ernte ist groß, der Arbeiter sind wenige" ist sein Urteil. Die zwölf nächsten Jünger, deren Berufung freilich bisher nicht vollständig angegeben war, 7*

100 werden mit Petrus an der Spitze aufgezählt, und für sie wird eine Einführungsrede gehalten. Eine wirkliche Aussendung erfolgt jedoch nicht; die Jünger sind in 111 noch in der Umgebung Jesu. Einzelne Hinweise beziehen sich auf Zustände, die unmöglich gleich nach dem Abschluß des ersten Jüngerkreises herrschend waren. Bezeichnend ist die Grenzbestimmung der apostolischen "Wirksamkeit: das Heidenland und Samarien sollen gemieden werden; die verlorenen Schafe aus dem Hause Israel sind zu sammeln (zu 15 21); die Verkündigung soll den Inhalt der „Reichspredigt" des Johannes haben; zu Krankenheilungen, Reinigung von Aussätzigen, Totenerweckungen, Dämonenaustreibungen werden die Jünger befähigt und beauftragt; die Belastung mit Reisegeld und Reisegepäck ist unnötig; das umsonst Empfangene soll umsonst gegeben werden. Das Hr| KTricricöe in v. 9 scheint eine Änderung des Bearbeiters für mibfcv aipuuciv der Grundschrift zu sein, weil vom „Erwerbe" von Geld, Röcken, Schuhen und Stöcken aus der Missionspredigt darin gewiß nicht die Rede war (PFLEIDERER). Wird die Predigt der Apostel in einem Hause oder in einer Stadt nicht angenommen, so sollen sie fortziehen; die Strafe für die Abweisung wird der für Sodom und Gomorrha ähnlich werden. Die Verfolgungen der Jünger Jesu werden dann so geschildert, daß man merkt, die erste Zeit der apostolischen Predigt hat dem Darsteller die Farben zu seinem Bilde gegeben. "Wie Schafe unter "Wölfe werden die Jünger entsendet; klug, wie die Schlangen, ohne Falsch, wie die Tauben, sollen sie sein; vor Statthalter und Könige werden sie gestellt, von allen gehaßt und angefeindet; sie dürfen standhaft bleiben, weil sie nicht durch alle Städte Israels kommen werden, bevor des „Menschen Sohn" kommt (v. 23). Die Erlebnisse der Jünger entsprechen denen ihres Meisters (24—33); er wird die Bekenner belohnen. Auch innerer Zwiste gedenkt (v. 39—42) die Missionspredigt: Gegensätze unter den nächsten Verwandten entstehen, weil man Jesum mehr lieb haben müsse, als Vater und Mutter.

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Es ist kaum denkbar, daß eine derartige apostolische Berufsanweisung gleich nach der Erwählung der zwölf Jünger gegeben sein kann. Die Andeutung der Verfolgungen, welche die Apostel zu bestehen haben werden, setzt den Tod Jesu (22. 23. 38) voraus. In den Berichten des Mt. ist bisher erst die Verwerfung Jesu von Seiten der Schriftgelehrten, Pharisäer und Johannisjünger erzählt. Die Rede stammt jedoch wohl aus der unmittelbar nächsten Zeit nach dem Tode Jesu, weil die Bemerkung von dem Kommen des Herrn vor Beendigung der Missionstätigkeit in Israel die Zerstörung Jerusalems noch nicht voraussetzt. Ursprüngliche Bestandteile einer Berufsanweisung Jesu für die Jünger liegen gewiß der Rede zugrunde; sie gehört aber wohl an eine andere Stelle (? nach c. 23, HILGENFELD), während hier die Bergrede gut ihren Platz hätte. Der Apostelkatalog, den der Bearbeiter in seiner Grundschrift vorfand, mag ihn veranlaßt haben, hier die Aussendungsrede einzufügen. Er will nach der Schilderung der Volksgunst, die Jesus sich gewonnen hatte, die Anfeindungen der Parteien und Zweifel seiner Anhänger darstellen. Von der apostolischen Berufsanweisung wird in 111 mit bekannter Formel (9 35) zu dem Berichte von einer Gesandtschaft des Täufers übergeleitet, die Jesu Messianität feststellen soll und ihn zu Reden veranlaßt, in denen er auf seine "Werke hinweist und die launische Art (9 4 zu 9 11) seines Volkes tadelt. Der Zweifel des Johannes, der doch bei der Taufe schon ganz anders geschildert wurde, seine Beurteilung in der Rede Jesu (7—19) bezeugen den ursprünglichen Zusammenhang der Berichte. Sie sind jedoch hier zusammengestellt, um das in c. 10 begonnene Bild der ungünstigen Aufnahme Jesu zu vervollständigen. Eigentümlich ist die Äußerung über den geschichtlichen "Wendepunkt, der mit dem Auftreten des Johannes in der Rede Jesu bezeichnet wird. Bis auf Johannes galt die prophe-

102 tische Weissagung: er ist Elias. Nach Johannes halten die Pharisäer und Schriftgelehrten (s. H I L G E N F E L D a. a. 0 . ) das Himmelreich unter Druck gewaltsam zurück, so daß es den Menschen nicht erschlossen wird (23 14). Das gegenwärtige Geschlecht ist den launischen Kindern vergleichbar, denen man nichts recht machen kann; weder Johannes noch Jesus gefällt ihnen; nur wenige Kinder der "Weisheit (1119 wohl nicht £p~fwv) sind empfänglich. Das ist ein trübes Bild des Ertrages der "Wirksamkeit Jesu, und seine Klage um die Städte Chorazin, Bethsaida, Kapernaum (20—24), in denen er so viel Taten verrichtet hat und nicht angenommen wurde, ist berechtigt. Es ist freilich im Mt.-Ev. von einer Verwerfung Jesu in den genannten Städten, besonders in Kapernaum, nicht die Rede gewesen. Beleuchtet wird das trübe Bild mit einem tröstlichen Lichtstrahle, der auf die Kinder der "Weisheit fällt und die Mühseligen und Beladenen zu Jesus weist (Sirach 51 23). Die Erfahrungen aus späterer Zeit sind in c. 11 offenbar vermischt mit ursprünglichen Berichten. Daraus erklärt sich, daß einzelne Teile, besonders v. 20 u. 25, sehr lose im Zusammenhange stehen. Der Bearbeiter hat die Redenstücke hier eingefügt, um die Verwerfung Jesu zu schildern. Die ersten Berichte in c. 12 stehen auch noch unter dem Gesichtspunkte der Anfeindung und Verwerfung Jesu; sie lassen jedoch wieder, wie in c. 9, die Feindschaft der Pharisäer besonders hervortreten. Der Vorwurf der Sabbatentheiligung durch das Ährenraufen der Jünger wird von Jesus mit dem Hinweise auf David (1. Sam. 211) und das schon 9 13 gebrauchte Zitat (Hos. 6 6) zurückgewiesen. Der Menschensohn ist Herr des Sabbats. Die Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand am Sabbat (v. 9 f.) treibt die Feindschaft der Pharisäer zu dem Vernichtungsbeschluß (v. 14). Jesus entweicht den Feinden und heilt viele aus dem Volke, das ihm folgt, verbietet aber, die Heilungen bekannt zu geben. Das Jesaiazitat (421—4), das zum Teil aus dem Urtexte stammt, verrät die Bearbeitung.

103 Die Verhandlung über das dämonische Bündnis (12 22—45) und die Zeichenforderung der Pharisäer erinnert an bereits vorher (9 32—34) erwähntes und deutet auf folgendes (16 1—4). Der ganze Abschnitt macht den Eindruck einer absichtlichen Komposition zum Zwecke der Schilderung der Wirksamkeit Jesu nach dem Gesichtspunkte: Annahme und Verwerfung. Einzelne Aussprüche Jesu aus der Grundschrift sind offenbar in die Darstellung der Feindschaft der Pharisäer eingearbeitet; das Ganze (12 22—45) dient dem bezeichneten ideellen Zwecke des Bearbeiters. Das geht auch aus dem Zusammenhange des Folgenden mit 12 16 hervor. Die einleitenden "Worte in 12 46 beziehen sich auf das Gespräch Jesu mit dem Volke nach seinen Heilungen (12 16). Seine Mutter und Brüder suchen Jesus und wünschen ihn zu sprechen; Jesus bezeichnet seine Jünger, die den Willen des Vaters tun, als seine Brüder. Die Geistesverwandtschaft wird von ihm über die Blutsverwandtschaft gestellt, und somit sind, nach der Absicht des Bearbeiters, die Grenzen für die Kreise seiner Freunde und Feinde gezogen. Den Inhalt des nun folgenden Parabelkapitels (13) hat der Bearbeiter nach Zeit und Ortsbestimmungen eingeordnet. Jesus ist aus „seinem Hause" in Kapernaum ans Meer gegangen, findet dort, wie bei der Bergrede, die Menschenmenge, der die Gleichnisse des Andranges wegen von einem Kahne aus vorgetragen werden. Der Vortrag wird jedoch, nach der Darstellung des Bearbeiters, unterbrochen durch besondere Erklärungen für die Jünger (10—23), deren Möglichkeit vor dem am Ufer versammelten Volke schwer verständlich ist. Die Parabeltheorie selbst, welche in v. 10—17 auf Jes. 6 9. 10 gestützt wird, und die geistige Taubheit des Volkes für die Lehre Jesu annimmt, läßt sich nur auf Grund dogmatischer Erwägungen verstehen und deutet auf ihren Erfinder, den Bearbeiter. Die Jünger erhalten den Aufschluß, daß nur das V e r s t ä n d n i s der Lehre Jesu sie fruchtbar mache. Dann werden Gleichnisse vom Un-

104 kraut unter dem Weizen (27—30), vom Senfkorn (31—33), Sauerteige (33) ohne Deutung erzählt. Die Bemerkung, daß Jesus nur in Parabeln (34) zu dem Volke gesprochen habe, bezieht sich nur auf die Grundschrift; sie veranlaßt den Bearbeiter zum Zitat der "Weissagung (Ps. 78 2). Der Parabelvortrag für das Volk wird 34—35 geschlossen; Jesus geht in „sein Haus" und gibt den Jüngern Erklärungen zu dem Gleichnis vom Unkraut (36—43) und trägt ihnen die Parabeln vom Schatz im Acker, von der kostbaren Perle und den verschiedenen Fischen vor (44—50). Die Annahme der Trennung der Hörer für die sieben Gleichnisse stammt gewiß vom Bearbeiter, der das Haus Jesu in Kapernaum allein kennt und zeitgeschichtliche Polemik eingemischt hat. Seine Zusätze werden in v. 1.10—23. 35. 36—47 und am Schluß 49—52 zu finden sein. Die Geheimnisse für das Volk nach seiner Theorie haben den Bearbeiter (35) bestimmt, den Ortswechsel eintreten zu lassen, um die Jünger abzusondern. Die Einfachheit der Grundgedanken in den Gleichnissen widerstreitet der Theorie des Erzählers und macht keine geheime Belehrung nötig. Der Spruch von der Lehrart der neuen Schriftgelehrten (52) ist auch zeitgeschichtlich zu deuten. Der Bericht in 53—58 stammt sicher aus der Grundschrift, weil Jesus als Einwohner von Nazareth und Zimmermannssohn unbefangen darin bezeichnet wird und selbst in seiner Heimat sich ungeehrt weiß (v. 57). Jesus tut dort keine "Wunder (Mc. 6 5) infolge des Unglaubens seiner Landsleute. Die in c. 14 sonst unbegründet nachgeholte Erzählung von der Gefangennahme und Enthauptung des Johannes ( 1 4 1 — 1 2 ) dürfte, wie P F L E I D E R E R vermutet, aus der ursprünglichen Reihenfolge der Begebenheiten in der Grundschrift zu erklären sein. Mt. hat in c. 10 eine apostolische Missionsrede, an welche sich jedoch weder eine Missionsreise, noch eine Rückkehr der Jünger anschließt. In der Grundschrift wird, wie in Mc. 6 30f., die Rückkehr der

105 ausgesendeten Jünger erwähnt gewesen sein, die Jesus Bericht erstatten. Der Bearbeiter kann jetzt nicht noch einen Missionsbericht geben; setzt aber dafür die Nachricht der Johannisjünger ein, die er durch die Bemerkung des Herodes Antipas einleitet. Die Botschaft bewog Jesus zu einer Fahrt über den See nach dem Ostufer; viel Volk folgte ihm dorthin zu Fuß. Jesus heilt dort wieder viele Kranke und speist am Abend 5000 Menschen ohne die "Weiber und Kinder auf wunderbare "Weise. Die Jünger kehren nach dem westlichen Ufer zurück und erleben auf dem Meer ein Unwetter. Jesus hatte sich auf einen Berg zurückgezogen, um zu beten, kommt dann aber auf dem "Wasser in die Nähe des Schiffes. Petrus geht ihm (14 28—32) entgegen, wandelt anfangs auch auf dem "Wasser, versinkt jedoch, als er sich fürchtet; Jesus hebt ihn empor. Der Sturm läßt nach, als Jesus mit Petrus ins Boot steigt, und die Jünger bekennen, ähnlich wie die Dämonen (43. 6. 8 28): "Wahrlich, du bist Gottes Sohn! Jesus kommt dann in die Ebene Gennezareth und dort werden viele Kranke, die nur sein Gewand berühren, geheilt. Der Bearbeiter hat in c. 14 den eigentlichen Höhepunkt der göttlichen Macht Jesu zur Darstellung gebracht, im Gegensatze zu der kurz vorher geschilderten Verwerfung in seiner Heimat. Es ist das Kapitel eine zu dem beabsichtigten Zwecke erfolgte Sammlung von Berichtstücken und Redenbestandteilen aus verschiedenen Stellen der Grundschriften. In c. 15 wird noch ein Streit mit den Pharisäern über die Reinheitsgebote berichtet, trotzdem eigentlich mit der Partei schon abgerechnet war (1214). Der Vorwurf aus Jerusalem stammender Pharisäer und Schriftgelehrten gegen die Jünger Jesu, daß sie mit ungewaschenen Händen essen, veranlaßt Jesus zu der Entwickelung des Unterschiedes zwischen wahrer und falscher Gesetzlichkeit. Durch Satzungen haben Gesetzesverehrer sich oft verleiten lassen, äußerliche Gottesdienstgebote über Kindespflichten zu stellen, was schon nach der Überlieferung

106 (2. Mos. 20 12) nicht recht sei. Die Pharisäer sind Heuchler, die Gott mit den Lippen dienen (15 1—9 zu Jes. 29 13) und das Herz verschließen. Dem Volke wird die eigentliche Quelle der Unreinheit in einer Parabel (v. 10) angedeutet; die Jünger erhalten auf ihren Bericht, daß die Pharisäer durch Jesu Reden erbittert seien, die Antwort: jene Leute sind Fremdkörper im Reiche Gottes (312), die hinausgeschafft werden müssen, blinde Führer von Blinden. Die Frage des Petrus nach der Deutung des Gleichnisses (v. 5) und der Tadel Jesu wegen der Unfähigkeit der Jünger sind Zusätze, weil sie der Parabeltheorie und sonstiger Gewohnheit des Bearbeiters entsprechen. Durch den Bruch mit den Pharisäern wird Jesus zu einer Reise in heidnische Gebiete veranlaßt. Dort richtet eine Frau an ihn die Bitte, ihre geisteskranke Tochter zu heilen. Der Verlauf des Gesprächs ist charakteristisch für den Inhalt der Grundschrift im Verhältnis zu den Einlagen. Ein Vergleich mit der Erzählung von der Heilung des Knechts des Hauptmanns von Kapernaum gibt den Ertrag, daß unzweifelhaft zwei ganz verschiedene Gesinnungsäußerungen vorliegen, die doch wieder so abhängig voneinander sind, daß der eine Bericht den andern veranlaßt zu haben scheint. Ursprünglich ist die Behandlung der Heidin geschildert. Die Frau bittet wiederholt um Hülfe für ihre Tochter, ohne daß Jesus zunächst darauf eingeht, weil er seinen Wirkungskreis auf die verlorenen Schafe aus Israel begrenzen will (10 6). Als die inständig Jesum anflehende Frau selbst die Abweisung, man dürfe den Kindern das Brot nicht nehmen und es Hunden geben (7 6), zu ihren Gunsten bescheiden vertrauend wendet, indem sie nur um Brosamen, wie die Hunde von den Tischen der Herren, bittet, wird ihr von Jesus geholfen. In der anderen Erzählung wird dem Hauptmanne gleich zu Anfang des Gesprächs die Anerkennung seines Glaubens im höchsten Maße zuteil, so daß er über die Kinder des Hauses gestellt und den Heiden überhaupt der

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Vorrang gegeben wird. Beide Heiinngen erfolgen auf gleich wunderbare "Weise aus der Ferne; die Art ihrer Darstellung bezeugt, daß die Erzähler ganz verschiedene Anschauungen in Beziehung auf die Wirksamkeit Jesu und ihre Grenzen hatten. Die in 15 29—39 folgende Erzählung von einer zweiten Speisung von 4000 Menschen in der Nähe eines Berges am See ist im Vergleich mit der in c. 14 natürlicher begründet. Jesus hat Mitleid mit dem Volke, weil es drei Tage ohne Nahrung in seiner Nähe verweilt hat, um die Heilung der Kranken, Lahmen, Stummen, Blinden von ihm zu erflehen, die auch erfolgte und die Menge zum Lobe des G o t t e s I s r a e l s (zu 9 5.38) veranlaßt. Die Jünger können für das Volk genügende Speise in der wüsten Gegend nicht verschaffen; der Herr nimmt ihre sieben Brote und wenigen Fische, spricht die Danksagung und sättigt die Menge; es bleiben noch sieben Körbe mit Brocken übrig. Vergleicht man die beiden Speisungsdarstellungen, so tritt im Bericht in c. 14 das Bestreben des Erzählers hervor, die Machterweise Jesu ohne besondere Begründung durch Bedürfnisse zu schildern. Jesus gebietet über die Naturkräfte und Geistesmächte, nach der Anschauung des Referenten in c. 14, ohne daß die geordneten Mittel zur Stillung des Mangels überhaupt in Frage kommen. Zwei Speisungen sind wohl nicht erfolgt; von den beiden Berichten kann wohl nur der in c. 15 als der ursprünglichere, der Zeit Jesu nächste, gelten. Ahnlich steht es wohl auch mit der Erzählung von der Zeichenforderung der Pharisäer und Sadduzäer (16 1—4), die ja auch schon in c. 12 3 sich fand. Die Feinde treten hier schon mit der Absicht an Jesus heran, ihn, wie sie es sich 1214 vorgenommen hatten, zu vernichten. Während in c. 1214 noch eine friedliche Diskussion mit den Todfeinden geschildert wird, fragen hier die Versucher nach der Vollmacht für seine Wirksamkeit, um ihn nach dem Ausbleiben des Zeichens vom Himmel her, zu verderben. Jesus weist auf die Zeichen der Zeit, die jedem

108 aufmerksamen Beobachter bekannt sein müssen, und deutet mit der Beziehung auf Jonas seine Auferstehung an; den Jüngern ruft er die Warnung vor dem Sauerteige der Pharisäer (16 6) zu, die sie nach der Darstellung des Bearbeiters töricht mißverstehen. Daß die Hand des späteren Redaktors im letzten Teile tätig gewesen ist, wird durch die Beziehung auf beide Speisungen bezeugt, die ja nur von ihm zusammengestellt sein können. Mit den folgenden Berichten (1613—17. 27) soll nun offenbar der nächste Jüngerkreis in seiner besonderen Gemeinschaft mit ihrem Herrn und in seinen Erlebnissen dargestellt werden. Jesus fragt nach dem Urteil des Volkes und schließlich der Jünger über ihn. „ Johannes, Elias, Jeremía, ein Prophet, sagen die Leute, seist du", antworteten die Jünger. Auf die Frage: für wen haltet ihr mich? bekennt Petrus: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Petrus wird für seine, von Gott ihm gewährte, aber unzeitige Messiaserkenntnis selig gesprochen, der Fels der Kirche genannt und mit der Urteilsmacht im Reiche Gottes betraut; die Jünger sollen aber über die Messianität Jesu schweigen. Er verkündigt ihnen die Notwendigkeit seines Leidens in Jerusalem und seine Auferstehung. Petrus kann sich in die Vorstellung eines leidenden Messias nicht finden, warnt, und wird von Jesus hart getadelt (16 23). Die Mahnungen zum Ausharren für die Jünger erinnern an 10 38 f. und führen schließlich zu der Verheißung, die Ankunft des Messias in seiner Herrschaft werde noch von einigen Jüngern erlebt werden. Das Petrusbekenntnis und die darauf folgenden Reden leiten das nach sechs Tagen eintretende große Ereignis auf dem Berge der Verklärung ein, das Petrus, Jakobus und Johannes erleben. Jesus wird vor ihren Augen zur Lichtgestalt; Mose und Elias sind in seiner Nähe. Petrus will drei Hütten bauen, um den Zustand zum Verweilen zu zwingen. Lichtwolken erscheinen; eine Stimme ertönt: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, höret auf ihn! (vgl. 317).

109 Die Jünger sind gebannt von dem Erlebnis und niedergefallen; Jesus kommt zu ihnen und richtet sie auf; Mose und Elias sind nicht mehr bei ihm. Bei dem Abstiege fordert Jesus das Schweigen seiner Vertrauten bis zur Auferstehung. Die Zweifelfrage, wie es mit dem verheißenen Kommen des Elias vor dem Messias nun stehe, beantwortet Jesus, daß Elias schon in Johannes gekommen sei, vor der eigentlichen Ankunft des Messias in seiner Herrlichkeit jedoch auch noch erscheinen werde (16 28). So wie Johannes vernichtet sei durch den Unverstand der Menschen, so müsse auch der Menschensohn leiden. "Wie wenig die Jünger noch selbst der Höhe der Situation mit ihrem Glauben gewachsen sind, nach der Anschauung des Mt., bezeugt der Bericht von ihrer Schwäche bei der von ihnen erbetenen Heilung eines epileptischen Knaben (17 14—21), die ihnen nicht gelingt. Jesus heilt den Knaben und tadelt herb den Kleinglauben der Jünger. Die nochmalige Leidensverkündigung (22—23) ist wohl ein Zusatz; die wunderbare Erzählung von dem Stater im Maule des Fisches (24—27), der Jesus zur Entrichtung der Tempelsteuer dient, soll erklären, daß der Messias freiwillige Beugung unter äußere Macht den Jüngern anrät. Der Hauptinhalt des ganzen Abschnitts übersteigt nur in Einzelheiten den Anschauungsrahmen der bisher vorgefundenen Grundschrift. Die Verherrlichung des Petrus ist jedoch später eingetragen. Der ganze Abschnitt steht unter der Beleuchtung der Messiasherrlichkeit des Auferstandenen für seine Jünger, die auch in c. 18 in der Empfehlung kindlicher Demut für die um den Vorrang streitenden Jünger in ihrer besonderen Art durchscheint. Das "Wort vom Ärgernis paßt nicht gut in den Zusammenhang (18 9), stört ihn jedoch auch nicht viel mehr als der folgende beständige Wechsel von Vorstellungen. Bald werden die Kinder zum Gegenstande des Vergleichs mit den Gemeindegliedern gemacht wegen ihrer Gesinnung, bald als Sinnbild der Niedrigen, Armen, Verirrten unter

110 ihnen, die ihre Schutzengel im Himmel haben, hingestellt. Das liebevolle, aber ernst-strenge Verhalten der Gemeinde gegen trotzige Sünder -wird beschrieben und schließlich, im Gleichnis vom hartherzigen Knechte 21—35, die Versöhnlichkeit im Hinblick auf die erfahrene Gnade Gottes eingeschärft. Der Abschnitt zeichnet ein Bild der Zustände in der ersten christlichen Gemeinde und enthält ursprüngliche Gesinnungsäußerungen Jesu. "Während der Reise nach Jerusalem, die Jesus schon vorher (16 21) angekündigt hat, kommt es zu abschließenden Erörterungen mit den Pharisäern über das Eherecht, über Besitz und Rang im Reiche Gottes. Leichtfertige Scheidung verbietet schon das Gesetz (1. Mos. 2 24); seine Ergänzung, der Scheidebrief (5. Mos. 241), ist ein Nachlaß infolge der Schwäche des Volkes. Jesus beschränkt das Recht zur Ehescheidung auf den Ehebruchsfall (zu 5 32). Neben der Anerkennung des Rechts der Ehelosigkeit in einzelnen Fällen 19 10—12 wird die Schätzung der Ehe in der Kinderszene 13—15 von Jesus bezeugt. Die Urteile Jesu über die Gefahr des Besitzes in Beziehung auf die Zugehörigkeit zum Reiche Gottes schließen sich an die verschmähte Aufforderung an, die er dem reichen Jünglinge gibt: willst du vollkommen sein, so verkaufe deine Habe und gib den Erlös den Armen 16—22. Die Jünger fragen nun, erschreckt durch die Hindernisse, die der Reichtum schafft, wie viele (wenige) werden wohl selig werden? Jesus tröstet: Was bei Menschen unmöglich scheint, ist bei Gott möglich (23—26). Die Frage des Petrus nach dem Lohn der Jünger für ihre Entbehrungen in seiner Nachfolge beantwortet Jesus mit einem Hinweise auf seine Ankunft in Herrlichkeit, in der auch seine zwölf Jünger, die Mutter, Geschwister usw. aufgegeben haben, auf zwölf Thronen die zwölf Stämme Israels richten werden. Es wird dann mancher bisher Ungeehrte geehrt und mancher Geehrte ungeehrt sein. Das soll wohl der Sinn des Aus-

111 spruchs von den Ersten und Letzten sein, wie er auch als Kern in dem Gleichnis von den Arbeitern im "Weinberge liegt (201—16). Die gegenwärtige Form des Gleichnisses ist zeitgeschichtlich heidenfreundlich umgewandelt und mit Zusätzen versehen. Es wird darin auch das neidvolle Nörgeln über das Gnadenrecht Gottes, wie es auch in Jesus den Sündern bezeugt und von den Pharisäern gescholten wird, gegeißelt. Die Zusätze im Gleichnis stammen von dem Referenten der dritten Leidensweissagung und Verkündigung der Auferstehung (2017—19), die sich auf die zweite, schon als ursprünglich bezweifelte bezieht und überflüssig ist. Eingefügt ist sie hier mit Beziehung auf die Leidenserwähnung im folgenden Abschnitt, der sich unmittelbar an 19 30 oder 2016 anschließt und die Antwort auf die Rangfrage der Zebedaiden enthält: Nur der Yater hat die Ehrenplätze neben dem Messias zu vergeben, und sie werden den Demütigen und Selbstlosen zuteil, die das Dienen gelernt haben, wie des Menschen Sohn, der sein Leben hingibt als Lösegeld für viele. Bei dem Auszuge aus Jericho, auf dem "Wege nach Jerusalem, wird Jesus von zwei Blinden als Sohn Davids begrüßt und um Heilung gebeten, die er ihnen gewährt. Von Betphage läßt Jesus von zwei Jüngern eine Eselin mit ihrem Füllen holen, was der Bearbeiter aus Sach. 9 9 deutet und nach der Stelle so wiedergibt, daß nach dem Mißverständnis des hebräischen Parallelismus schließlich Jesus auf zwei Tieren in Jerusalem eingeritten zu sein scheint. Der Einzug wird zu einer Festprozession (211—11) am Abend der Ankunft gemacht; sie ist es nicht gewesen. Jesus geht in den Tempel, weist die Käufer, "Wechsler und Verkäufer hinaus, heilt Blinde und Lahme zum Verdruß der Hierarchen, denen er den Lobgesang der Kinder deutet (Ps. 8 3). Jesus übernachtet in Bethanien und kommt am nächsten Morgen wieder nach Jerusalem. Auf dem "Wege findet er einen Feigenbaum, den er verflucht, weil er keine

112 Früchte trägt; der Baum verdorrt. Die erstaunten Jünger hören den Ausspruch von dem zweifellosen Glauben und seiner Kraft, die Berge versetzt (2117—22), der wahrscheinlich die Veranlassung zu dem sinnbildlichen Bericht von der Verfluchung gab. Als Jesus in den Tempel kommt, beginnt der Streit mit den Machthabers Die Altesten und Hohenpriester fragen ihn nach seiner Vollmacht; Jesus stellt die Gegenfrage nach der Bedeutung der Johannistaufe, ob sie von Gott oder Menschen sei. Die Gegner wagen keine Erwiderung und müssen das Gleichnis von dem zuerst willigen, aber untätigen und dem zunächst unwilligen, aber nachher folgsamen Sohne hören (zu 531). Die Pharisäer taten nicht Buße, die Zöllner und Sünder folgten dem Johannes; sie haben den Zugang zum Himmelreich vor den Vornehmen. Im Gleichnis von den gewalttätigen Arbeitern im Weinberge (21 33—44) finden sich wieder Zeichen der Hand des Bearbeiters, den die Verwechselung der Volksgesamtheit mit den Volksführern verrät. Es wird v. 33—44 Einlage sein, nach der in 45 und 46 wieder an 32 angeknüpft wird. Die Hierarchen fühlen sich durch die Rede Jesu getroffen, wollen ihn vernichten, fürchten aber das Volk. Das ist wieder im Sinne der Grundschrift. Die Parabel von dem hochzeitlichen Mahl ist auch wohl eine Einlage. Die V e r w e r f u n g der J u d e n , als der zuerst geladenen Gäste, die sich weigern, zu kommen, die Anzündung ihrer Stadt, die Zerstörung Jerusalems, ist nicht im Sinne und zur Zeit der Grundschrift vorausgesetzt. Schwer ist die Bestimmung des Verwerfungsgrundes für den einen Geladenen ohne hochzeitliches Kleid. Man kann dabei an den Mangel der Taufe oder, wie es gegenwärtig erklärt wird, an die Rechttaten im kirchlichen Sinne denken, die dem Geladenen fehlen. Das wiese aber wohl auf zu späte Zeit hin. Zweifellos stimmt der Zusatz von den vielen Berufenen und wenig Erwählten nicht, weil ja nur ein Gast verworfen wird. Der Gedankengang des ganzen Gleichnisses berührt

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sich mit den Gesinnungsäußerungen des Bearbeiters, die bereits bekannt sind. Die Zinsgroschenfrage bringen die Pharisäer an Jesus heran und erhalten die Antwort, die ihnen den Mund schließt (22 15—22); die sadduzäischen Auferstehungsleugner fragen nach den Folgen der Leviratsehe von sieben Brüdern nach der Auferstehung; Jesus bringt sie mit seinem Hinweise auf ihre materielle Auffassung des jenseitigen Lebens zum Schweigen. Gott i s t ein Gott Abrahams usw. (2. Mos. 3 6), der Lebendigen. Die nun folgende Frage der Pharisäer nach dem größten (Mc. ersten) Gebot, beantwortet Jesus mit der Erinnerung an 5. Mos. 6 5 und 3. Mos. 1918, wo die Liebe zu Gott und zum Nächsten als höchste Forderung des Gesetzes bezeichnet wird (22 34—40). „Die vernünftige Antwort des Schriftgelehrten" (bei Mc.) fehlt bei Mt. Den Schluß der Streitfragen bildet die Erwägung über die Davidsohnschaft des Messias, die Jesus der Versammlung der Pharisäer unter Hinweis auf Ps. 1101, wo David den Messias seinen Herrn nennt, aufgibt. Die Gegner verstummen jetzt, weil sie die schwierige Aufgabe nicht lösen können 2241—46, wie der Ev. meint. Nimmt man als Einlagen des Bearbeiters 21 33—44; 22 1—14 an, so kann der Rest der Grundschrift angehören. Bei Mc. findet sich noch der Bericht vom Scherflein der "Witwe. Der Inhalt des c. 23 wird in bekannter "Weise, weil eine Rede folgt, von dem Bearbeiter dem V o l k e und den Jüngern zugänglich gemacht, während er offenbar nur den Zwölfen (8 und 10) mitgeteilt sein kann. Die Rede faßt in geschlossener Komposition die Vorwürfe gegen den Pharisäismus zusammen, trotzdem in ihm noch eine gewisse Schätzung der herrschenden Parteien durchklingt, Eitelkeit, Habsucht und Heuchelei verderben das Gute, was die Pharisäer und Schriftgelehrten dem Volke bieten. Jesus ermahnt die Jünger, Gott die Ehre zu geben und selbst in rechter Demut nur einem Gott und Vater und ihrem Meister zu dienen. A d o l f M ü l l e r , Geschichtskerne.

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In den sieben „Wehe" über die Schriftgelehrten (13.15. 16.23.25.27.29) werden sie ernst und streng beurteilt; dennoch bleibt der Satz zu Recht bestehen: alles, was sie euch sagen, das tut (3) und der andere: „Man soll dieses tun und jenes nicht lassen" in Beziehung auf die kleinlich gesetzlichen Vorschriften und den Kern des Gesetzes. Der eigentliche Quell der Verderbnis in den Gesetzeslehrern ist nicht ihre Peinlichkeit im Kleinlichen, sondern ihre Unwahrhaftigkeit und Heuchelei (32—36). Die wahrhaftigen und ernsten Lehrer Gottes haben sie bis auf die neueste Zeit vernichtet; ihr Blut kommt über sie, die Anstifter der Prophetenmörder. Zweifelhaft ist, welcher Zacharias (35) gemeint ist. H I L G E N F E L D denkt an den Vater des Täufers, andere sehen in ihm den bei Josephus (bell. jud. IV, 6 4) erwähnten. Die angedrohte Vergeltung wird noch die damals gegenwärtige Generation treffen. Der gesamte Inhalt der Strafrede gegen die Häupter des Volkes und seine blinden Leiter ist ein ursprünglicher Bestandteil der Berichte. Die vorausgesetzte Geltung des Gesetzeskernes (23 3.23) und auch der Vorschriften für gottesdienstliche Äußerlichkeiten, die den Bestand des Tempels noch voraussetzen, erlauben, die Abfassung des Abschnitts noch vor die Zerstörung Jerusalems zu legen. Die -Anklage der gesamten Bewohnerschaft Jerusalems (37) ist jedoch wieder ein Zusatz. Möglich ist jedoch, daß die Stelle 34—39 ein Zitat ist, das Lc. 1149 f. und 13 34 f. erwähnt wird. Die Verkündigung des Tempelunterganges bildet den Ausgangspunkt für die eschatologischen Reden in c. 24 und 25. Ursprüngliche Uberlieferung ist mit Zusätzen verbunden (10—12). Innere Zwiste, das Erkalten der Liebe werden erwähnt und deuten auf Irrlehrer hin; die Verschiebung des Weltendes bis nach der Verkündigung des Ev. (14) in der ganzen Welt (zu 10 23; 16 28) stammt aus Erfahrungen nach der Zerstörung Jerusalems. Der Greuel der Verwüstung (15) ist auf die Errichtung einer Kaiserstatue im Tempel zu beziehen. Die Erwähnung in

115 20, daß man bitten möge, die Flucht solle nickt an einem Sabbat geschehen, erinnert wieder an die Grundschrift, in der auch die unmittelbare Verbindung (29) der Ankunft des Messias mit dem Greuel der Verwüstung (21) sich gefunden haben muß. Der Bearbeiter hat vorher schon seine abweichende Anschauung ausgesprochen (14), in der er seine abwartende Stellung bezeugt. Die Schilderung der Ankunft des Menschensohnes (v. 30) auf den Himmelswolken (Dan. 713) mit den Engeln als Herolden, die alle Auserwählten sammeln (1. Thess. 416; 1. Kor. 15 52), gehören zu jenen „Archaismen", die Mt. nicht nur nicht zu tilgen sich getraute, sondern deren Grundstimmung den Kern des Ev. bildet. Die stete "Wachsamkeit in Erwartung der Ankunft des Menschensohnes und Weltendes, das plötzlich kommt, und dessen Zeitpunkt selbst der Sohn nicht kennt (36), wird in den Gleichnissen von den" klugen und törichten Jungfrauen (251—13) und von dem anvertrauten Besitz (25 14—30) eingeschärft. Gleichgültigkeit und Trägheit schließen den Zugang zum Messiasreiche; treue Arbeit verbürgt wachsenden Erfolg, Unfleiß verliert auch das Erworbene. In der Schilderung des Gerichts über die Heiden (?0vr| v. 32), die nach der Erweisung der Liebe (25 40 f.) den Christen gegenüber zur Rechten und Linken gestellt werden (2531—46), zeigt sich die weitherzige Stimmung des späteren Bearbeiters, der seinen sittlich begründeten Universalismus darin bezeugt. Die ganze Rede in c. 24 und 25 hat auffallende Ähnlichkeit mit c. 10. Die Gerichtsschilderung, die vorausgesetzte Zerstörung Jerusalems usw. bezeugen, daß der Bearbeiter die spröden ursprünglichen Stoffe in seinem Sinne umgewandelt hat. Nach dem üblichen Schlüsse der letzten Reden Jesu, die bis c. 25 berichtet sind, wird in c. 26 2 eine Hindeutung Jesu auf seinen Tod, die er seinen Jüngern zwei Tage vor dem Passah gibt, erwähnt. Die Hierarchen wollen Jesum ^vernichten, fürchten aber des Festes wegen (26 5) einen 8*

116 etwaigen Aufruhr des Volkes. Das Idyll von. Bethanien (6—13) zwischen den ernsten Mordanschlägen und dem Verrat des Judas ist offenbar eine wohlgemeinte Verherrlichung Jesu, die jedoch in der Verheißung (v. 13) sich als Fremdkörper in der ursprünglichen Darstellung erweist. Mit v. 14 wird der Bericht des Verrats eingeleitet, für den dann in dem letzten Passahmahl Jesu die gewünschte Gelegenheit sich bietet. Jesus bezeichnet bei dem feierlichen Abschiedsmahle seinen Verräter und verkündigt dem Petrus die Verleugnung (30—35). Dem Seelenkampf Jesu in Gethsemane (36—44), während des sorglosen Schlafes der Jünger, folgen die Gefangennahme (47—56), die Flucht aller Jünger und das Verhör vor Kaiphas und dem Synedrium. Nach dem Messiasbekenntnis Jesu wird er verurteilt und verspottet, Petrus verleugnet ihn (57—73). Die einfache Entwickelung der Ereignisse unterbrechen die Zitate, die übliche Einlagen sind 24. 56. Im folgenden Kapitel, das mit der Übersendung des gefesselten Jesus an Pilatus am Morgen des Passahtages eingeleitet wird, hält die Erzählung vom Selbstmord des Judas mit dem Zitat (Sach. 1112) den Beginn des Verhörs vor Pilatus auf. In der Verhandlung vor Pilatus ist wohl wieder v. 19 und 24 Einlage, weil die damalige Erkenntnis der Unschuld Jesu von Seiten der heidnischen Statthalterfrau schwerlich annehmbar erscheint, und die sinnbildliche Tat des Pilatus der Grundschrift nicht angemessen ist. Pilatus erlaubt, nach den bekannten Zeichen seiner Schwäche und Unentschlossenheit, die Kreuzigung Jesu (27 11—26). Die Kriegsknechte verspotten Jesus (27—31), führen ihn nach Golgatha und kreuzigen ihn zwischen zwei Verbrechern. Unter dem Spott und dem Hohn der Vorübergehenden stirbt Jesus mit dem Ausdruck der Gottverlassenheit (32—50). Durch das Zerreißen des Vorhangs im Tempel, die Spaltung der Felsen wird der Eindruck des Todes erhöht, die galiläischen Frauen in der Nähe, der Hauptmann und die Kriegsknechte erhalten von dem Tode.

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Jesu den Eindruck, daß er Gottes Sohn war. Der Bericht von dem Offnen der Gräber zur Auferstehung für die entschlafenen Heiligen (52—53) und von der von Pilatus erbetenen Bewachung des Grabes Jesu (62—66) nach seinem Begräbnis sind Zusätze, die in dogmatischen Bedenken ihre Begründung haben (PFLEIDERER). Die Auferstehung in c. 28 wird so erzählt, daß die beiden Marien ihre ersten Zeugen waren. Die Jünger erhalten von den Trauen den Auftrag, nach Galiläa zu ziehen. Jesus erscheint den Frauen dann auch selbst (28 1—10). In der ganzen Darstellung ist zu beachten, daß die Auferstehung selbst nicht berichtet wird, sondern eigentlich nur die Graböffnung vor den Augen der Trauen. Soll die Auferstehung nach der Graböffnung im Sinne des Berichts erfolgt sein, so müßten die Frauen sie wahrgenommen haben und bedurften nicht der Verkündigung des Engels. Die Grundschrift hat kein klares Bild gegeben, und der Bearbeiter hat versucht, durch Zusätze zu erläutern. So ist die in der Grundschrift nur von den Engeln den Frauen und Lesern verkündete Auferstehung durch das Schauen der Graböffnung von seiten der Frauen in einen Zeugenbericht umgewandelt worden, der doch wieder nicht ausreicht, weil er das eigentliche Ereignis (die Auferstehung) nicht enthält. Die Erscheinung Jesu auf dem Wege für die beiden Frauen und die Verweisung der Jünger nach Galiläa zum Schauen des Auferstandenen hat in der Annahme ihre Begründung, daß in der Grundschrift nur von Erscheinungen in Galiläa berichtet wird. Es verbreiteten sich später Gerüchte von Erscheinungen in Jerusalem (Maria Magdalena, elf Jünger [Joh. 20]), die der Bearbeiter dann wahrscheinlich in der Erzählung von dem Schauen der beiden Marien berücksichtigt hat (vgl. Joh. 20-21). Die Erwähnung der Bestechung der Wächter (11—15) gehört zu der Einlage von der Bewachung des Grabes. In dem Berichte von der Himmelfahrt ist wieder die Absicht des späteren Darstellers spürbar, der die auf dem

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neuen Gesetzesberge und der Höhe der Verklärung dargestellte Herrlichkeit des Gottessohnes nun am Schlüsse gleichsam an dem Nebo Moses auf den letzten Höhepunkt zu bringen versucht. Die berichtete Abschiedsrede ist das Bekenntnis der späteren Kirche und Ausdruck der Anschauung, daß das Christentum aller Welt das Heil bringe (28 19). Die vorausgesetzte geistige Gegenwart Jesu in der Gemeinde, während der Weltzeit, ist eine Vorstellung, die weit über den Anschauungsrahmen der Grundschrift geht, in der die baldige Ankunft des Messias erwartet wird.

Ursprüngliches in den Berichten des Mt. Zeichen: A = Evangelist; D = Schulgespräche; L = Legende; P = Petruserinnerungen; Q = Vermeintliche Redenquelle; S = Sondergut; Z = Zitat aus dem A. T. Bei Mc. nach J . W E I S S . I, 1—16 (S). — (Z 4, 4 = Dln. 8, 3; Z 4, 6 = Ps. 91, 11. 12; Z 4, 7 = Dtn. 6, 16; Z 4, 10 = Dtn. 6, 13.)

III, 1—IV, 11 (III, 14f. S) Täufer, Taufe, Versuchung ( i n , 7 - 1 2 ; IV, 3 - 1 0 Q) . Mc. I, 1—13 (Q u. A) IV, 12; 17—22 Jesus in Galiläa, erste Jüngerberufung 14—20 (P) VIII, 1—4 Heilung eines Aussätzigen . . . 40—45 (Q u. A) 14—16 Heilung der Schwiegermutter Petri und andere Krankenheilungen J „' 6 182—34 (P) (Z 9, 13 = Hos. 6, 6.)

V i n , 18—IX, 34 Uberfahrt, Sturmstillung, 11,1—12(Pu.Q),13-14 (A); 1 5 - 2 2 (? Q); Heilung des Gichtbrüchigen ( V M , i n , 2 0 - 2 2 ; IV, 19—22 Q), Berufung des Mt., Mahl mit 35—41(?P); V,1—20 Zöllnern, Heilung der Blutflüssigen, (? P) ;V, 21—43 (P ?); Auf erweckung eines Mädchens, BlindenX, 46—52 (L) heilung, Schmähung IX, 36—X, 4 (Apostel-Ausrüstung und Auf- | i n , 13—19 (? Q); VI, Zählung (IX, 37 f. Q) \ 6 b - l l (Q) XIII, 53—58 Verwerfung in Nazareth . . . V I , 1—6a (P) (Z 15, 4 = Ex. 20, 12; 21, 17; Dta. 5, 16; Z 15, 8. 9 = Jes. 29, 13.)

XV, 1—14 (13 f. S) Pharisäer über das Hände• waschen V n , 1 - 2 3 (D u. A) (15—20?) Erklärung der Parabel. 21—28 Kanaanitin 24—30 (Q u. A)

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neuen Gesetzesberge und der Höhe der Verklärung dargestellte Herrlichkeit des Gottessohnes nun am Schlüsse gleichsam an dem Nebo Moses auf den letzten Höhepunkt zu bringen versucht. Die berichtete Abschiedsrede ist das Bekenntnis der späteren Kirche und Ausdruck der Anschauung, daß das Christentum aller Welt das Heil bringe (28 19). Die vorausgesetzte geistige Gegenwart Jesu in der Gemeinde, während der Weltzeit, ist eine Vorstellung, die weit über den Anschauungsrahmen der Grundschrift geht, in der die baldige Ankunft des Messias erwartet wird.

Ursprüngliches in den Berichten des Mt. Zeichen: A = Evangelist; D = Schulgespräche; L = Legende; P = Petruserinnerungen; Q = Vermeintliche Redenquelle; S = Sondergut; Z = Zitat aus dem A. T. Bei Mc. nach J . W E I S S . I, 1—16 (S). — (Z 4, 4 = Dln. 8, 3; Z 4, 6 = Ps. 91, 11. 12; Z 4, 7 = Dtn. 6, 16; Z 4, 10 = Dtn. 6, 13.)

III, 1—IV, 11 (III, 14f. S) Täufer, Taufe, Versuchung ( i n , 7 - 1 2 ; IV, 3 - 1 0 Q) . Mc. I, 1—13 (Q u. A) IV, 12; 17—22 Jesus in Galiläa, erste Jüngerberufung 14—20 (P) VIII, 1—4 Heilung eines Aussätzigen . . . 40—45 (Q u. A) 14—16 Heilung der Schwiegermutter Petri und andere Krankenheilungen J „' 6 182—34 (P) (Z 9, 13 = Hos. 6, 6.)

V i n , 18—IX, 34 Uberfahrt, Sturmstillung, 11,1—12(Pu.Q),13-14 (A); 1 5 - 2 2 (? Q); Heilung des Gichtbrüchigen ( V M , i n , 2 0 - 2 2 ; IV, 19—22 Q), Berufung des Mt., Mahl mit 35—41(?P); V,1—20 Zöllnern, Heilung der Blutflüssigen, (? P) ;V, 21—43 (P ?); Auf erweckung eines Mädchens, BlindenX, 46—52 (L) heilung, Schmähung IX, 36—X, 4 (Apostel-Ausrüstung und Auf- | i n , 13—19 (? Q); VI, Zählung (IX, 37 f. Q) \ 6 b - l l (Q) XIII, 53—58 Verwerfung in Nazareth . . . V I , 1—6a (P) (Z 15, 4 = Ex. 20, 12; 21, 17; Dta. 5, 16; Z 15, 8. 9 = Jes. 29, 13.)

XV, 1—14 (13 f. S) Pharisäer über das Hände• waschen V n , 1 - 2 3 (D u. A) (15—20?) Erklärung der Parabel. 21—28 Kanaanitin 24—30 (Q u. A)

119 29—31 Nordreise 32—39 Speisung der 4000

31—37 (L) VIII, 1—10 (A aus Q)

XVI, 1—12 Zeichen der Zeit und am Himmel, i 11—13 (P) Sauerteig der Pharisäer \ 14—21 (Q u. A) 13—19 (17—19 S) Petri Bekenntnis und Seligpreisung 27—33 (P) 20—28 Verkündigung des Leidens und der Auferstehung, Nachfolge und Selbstverleugnung 34—38 (A) XVII, 1—13 (Verklärung und Gespräch beim Abstieg) IX, 1—13 (?P) 14—21 Heilung des epileptischen Knaben 14—29 (P?u. A ausQ) 24—27 (S) Entrichtung der Tempelsteuer. X V H I , 1—5 Rangstreit

IX, 33—37 (P?u. Aa.Q)

(Z 19, 4 = Geil. 1, '27; Z 19, 5 = Gec. 2, 24.)

XIX, 1—15 (10—12 S) Reise nach Judäa, Gespräch über Ehescheidung und Ehe- | losigkeit, Segnung der Kinder . . . . '

1—12 (D) JG JG J-QJ

(Z 19, 18. 19a = Ex. 20, 12—14; 21, 10; Lew 19, 13; Dtn. 24, 14; Z 19, 19 = Lev. 19, 18.)

16—30 (12. 17. 21. 28 S) Der reiche Jüngling, Gespräch über Reichtum und Vergeltung

17—31(P?u.Q)28—31

X X , 20—28 Bitte der Söhne Zebedaei . 29—34 Blindenheilung bei Jericho . .

35—45 (P ? u. Q) 46—52 (L)

(Z 21, 9 = Ps. 118, 25. 26.)

XXI, 1—11 Einzug in Jerusalem

XI, 1—11 (P)

(Z 21, 13 = Jes. 513, 7; Jer. 7, 11; Z 21, 16 = Ps. 8, 3.)

12—16 (14—16 S) Auftreten Jesu im Tempel 15—19 (P) 17—22 Verfluchung des Feigenbaums. 12—14:20—26(Au.Q) XXVI, 1—5 Vorhersagung des Todes, Sitzung des Synedriums XIV, 1—2 (P) 14—16 Anerbieten des Judas . . . . 10—11 (P) 17—30 Abschiedsmahl 12—25 (Q u. A) (Z 26, öl = Sach. 13, 7.)

31—35 Gang nach dem Olberg, Vorhersagung der Verleugnung des Petrus 36—46 Seelenkampf in Gethsemane . 47—56 (52 f. S) Gefangennahme . . . 57—75Verhör vor Kaiphas, Verurteilung, ( Verspottung, Verleugnung des Petrus \

26—31 (A) 32—42 (P u. A) 43—52 (P, Q, A) 53—72 (Q u. A) (54; 66—72 P)

120 XXVII, Übergabe des Verurteilten an Pilatus XV, 1—5 (P) 11—18; 20-31 (24f. S) Verhör vor Pilatus, Verurteilung, Verhöhnung . . 6—20 (A) (Z 27, 43 = Ps. 22, 9; Z 27, 46 = Ps. 22, 2.)

32—51; 54—56 Kreuzigung und Tod . 21—41 (P) 57—61 Begräbnis . 42—47 (A) XXVIII, 1—10 (2 f. 9 f. S) Auferstehung, Erscheinung Jesu XVI, 1—8 (L)

Ursprüngliches in den längeren Beden bei Mt. (Z 5, 21 = E x . 20, 13; Dtn. 5, 17; Z 5, 27 = Ex. 20, 14; Dtn. 5, 17; Z 5, 31 = Dtn. 24, 1; Z 5, 33 = Lev. 19, 12; Dtn. 23, 22.)

Bei Mc.

1—VII, 27 (V, 3—9; Q V, 3 - 4 8 ; VII, 1—6. 12—27. VII, 6. 15. 21 ff. S); Bergrede . . . . VI, 1—34 (9—15) VII, 7—11. (Z 5, 38 = Ex. 21, 24; Lev. 24, 20; Dtn. 19, 21; Z 5, 43 = Lev. 19, 18.)

X, 5—16 Aussendung der Jünger (Q) . . VI, 6b—11 (Q) (Z 10, 35. 36 = Mch. 7, 6.)

17—42 Vorhersagung der Geschicke der Nachfolger (Q 23—40 f.). (Z 11,10 = Mal. 3,1.)

XI, 2—30 (28 ff. S) Gesandtschaft des Täufers und Rede (Q). II, 23—28 (D); HI, (Z 12, 7 = Hos. 6, 6.) 1 - 6 (L) XII, 1—14 (5 f. S) Bruch mit den Pharisäern III, 7—12 (P) wegen des Sabbats 46—50 Besuch der Verwandten . . . in, 31—35 (P ?) i m , 2—9; 24—34; 44—48 (24—30; 44—48 S); IV, 1—9; 26—32. 33 (P u. Q) Gleichnisreden (16. 31—33 Q, 44—46) XVIII, 5—35 (10. 15 f.; 23—35 S) Rede über IX, 42—48 (Mt XVIH, Demut, Rücksicht, Vergebung (7. 6 - 9 ) (Q) 10—22 Q) XXI, 23—32. 45. 46 (28—32 S) Streitreden . XI, 27—33 (P ? u Q) (Z 22, 24 = Dtn. 25, 5; Z 22, 32 = Ex. 3, 6; XU, 13—17 (P) Z 22, 37 = Dtn. 6, 5; Z. 22, 39 = Lev. 19, 18; XII, 18-34 (D,A,Q); Z 22, 44 = Ps. 110, 1.) 35—37 (? P, D) XXII, 15—46 XXIII, 1—36 Rede über Schriftgelehrte und Pharisäer (Q) XII, 38—40 (Q).

120 XXVII, Übergabe des Verurteilten an Pilatus XV, 1—5 (P) 11—18; 20-31 (24f. S) Verhör vor Pilatus, Verurteilung, Verhöhnung . . 6—20 (A) (Z 27, 43 = Ps. 22, 9; Z 27, 46 = Ps. 22, 2.)

32—51; 54—56 Kreuzigung und Tod . 21—41 (P) 57—61 Begräbnis . 42—47 (A) XXVIII, 1—10 (2 f. 9 f. S) Auferstehung, Erscheinung Jesu XVI, 1—8 (L)

Ursprüngliches in den längeren Beden bei Mt. (Z 5, 21 = E x . 20, 13; Dtn. 5, 17; Z 5, 27 = Ex. 20, 14; Dtn. 5, 17; Z 5, 31 = Dtn. 24, 1; Z 5, 33 = Lev. 19, 12; Dtn. 23, 22.)

Bei Mc.

1—VII, 27 (V, 3—9; Q V, 3 - 4 8 ; VII, 1—6. 12—27. VII, 6. 15. 21 ff. S); Bergrede . . . . VI, 1—34 (9—15) VII, 7—11. (Z 5, 38 = Ex. 21, 24; Lev. 24, 20; Dtn. 19, 21; Z 5, 43 = Lev. 19, 18.)

X, 5—16 Aussendung der Jünger (Q) . . VI, 6b—11 (Q) (Z 10, 35. 36 = Mch. 7, 6.)

17—42 Vorhersagung der Geschicke der Nachfolger (Q 23—40 f.). (Z 11,10 = Mal. 3,1.)

XI, 2—30 (28 ff. S) Gesandtschaft des Täufers und Rede (Q). II, 23—28 (D); HI, (Z 12, 7 = Hos. 6, 6.) 1 - 6 (L) XII, 1—14 (5 f. S) Bruch mit den Pharisäern III, 7—12 (P) wegen des Sabbats 46—50 Besuch der Verwandten . . . in, 31—35 (P ?) i m , 2—9; 24—34; 44—48 (24—30; 44—48 S); IV, 1—9; 26—32. 33 (P u. Q) Gleichnisreden (16. 31—33 Q, 44—46) XVIII, 5—35 (10. 15 f.; 23—35 S) Rede über IX, 42—48 (Mt XVIH, Demut, Rücksicht, Vergebung (7. 6 - 9 ) (Q) 10—22 Q) XXI, 23—32. 45. 46 (28—32 S) Streitreden . XI, 27—33 (P ? u Q) (Z 22, 24 = Dtn. 25, 5; Z 22, 32 = Ex. 3, 6; XU, 13—17 (P) Z 22, 37 = Dtn. 6, 5; Z. 22, 39 = Lev. 19, 18; XII, 18-34 (D,A,Q); Z 22, 44 = Ps. 110, 1.) 35—37 (? P, D) XXII, 15—46 XXIII, 1—36 Rede über Schriftgelehrte und Pharisäer (Q) XII, 38—40 (Q).

121 Wahrscheinliche Zusätze und Einlagen hei Mt. (Z 1, 23; Jes. 7, 14; Z 2, 6 = Mch. 5, I; Z 2 , 1 5 = Hos. 11, 1; Z 2, 18 = Jer. 31, 15; Z 2, 23 = (Jes. 11, 1).)

Bei Mc.

I, 17—11,23 (S) Geburt und Kindheit Jesu. (Z 4, 15. 16 = Jes. 9, 12.)

IV, 13—16 Wohnungsverlegung nach Kapernaum I, 14—15 (P) 23—25 Übermäßige Yolksgunst, ausgebreitete Wirksamkeit 39 (P) VITT, 5—13 Hauptmann von Kapernaum (Q). (Z 8, 17 = Jea. 53, 4.)

17 und a. a. 0. Erfüllung von Weissagungen. (Z 12, 18—21 = Jes. 42, 1 - 4 . )

x n , 15—21; 22—45 (v. 40 S) Lästerung und Zeichenforderung der Pharisäer (Q) III, 7—12; 22—30 (P) (Z 13,14.15 = Jes. 6, 9,10; Z 13.35 =: Ps. 78,2.)

XTTT, 10—23. 35—43. 49—52 (36—43. 51 f. S) Zu den Gleichnisreden . . . . . XIV, 1—36 (12. 28—32 S) Herodes, Enthauptung des Täufers, Speisung der 5000, Seewandeln, Wirken in der Ebene Gennezaret XVII, 22—23 Zweite Leidensverkündigung XX, 1—19( 1—16 S) Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und Verkündigung des Leidens und der Auferstehung

IV, 10—12; 13—20 (P u. Q) VI, 14—29 (A u. L); 31—56 (A u. P) IX, 30—32 (P) X, 32—34 (Q u. A)

(Z 21, 42 = Ps. 118, 22. 23.)

XXI, 33—44 Weinberg Gottes XXII, 1—14 Messianisches Mahl (Q).

XII, 1—12 (? Q)

(Z 23, 39 = Ps. 118, 26.)

XXHI, 37—39 Schluß der Rede (Q). XXXV (10 ff. S) Eschatologische Rede (26 ff.; XIII, 1—32 (P, Q. A) 37—51 Q) ( 1 - 4 P ?) XXV (1—13; 31—46 S) desgleichen(14—30 Q). XXVI, 6—13 Salbung in Bethanien . . . . XIV, 3—9 (? Q) (Z 27, 9. 10 =: Sach. 11, 12. 13; Jer. 32, 6 - 1 5 ; 18, 2. 3.)

XXVH, 3— 10(S) Reue u. Selbstmord des Judas. 19 (S) Traum der Gattin des Pilatus. 52—53 (S) Auferstehung der Auserwählten. 62—66 (S) Bewachung des Grabes. XXVIII, 11—15 (S) Bestechung der Grabwache. 16—20 (S) Himmelfahrt.

122 Erträge

In den Urteilen über die Eigenart des Mt.-Ev. herrscht darin erfreuliche Übereinstimmung, daß es eine zusammengesetzte Schrift ist. Als Auffassungsformen des Lebensinhalts Jesu von e i n e m S c h r i f t s t e l l e r lassen sich verschiedene Berichte und Redenstücke nicht verstehen. Es finden sicli im Mt.-Ev. Stellen, in denen weitherzige Heidenfreundlichkeit und eine durchaus römisch-griechische Weltanschauung sich äußert, während in anderen ein merklich aui Palästina begrenzter Gesichtskreis spürbar ist. Man vergleiche die Gegensätze in den Anschauungsrahmen, wie sie in 517.23; 23 3. 33; 105f.; 15 24; 16 28; 1928; 2318f.; 27 53 im Verhältnis zu 812; 2143; c. 24. 25. 2819 sich darstellen. Beschränkte und weitherzige, gesetzliche und geistige, jüdische und heidenfreundliche Gesinnungsäußerungen finden sich darin, die unmöglich gleichzeitig von einem Autor stammen können. So erfreulich nun die Übereinstimmung der Forscher darin ist, daß im Mt.-Ev. andersartige Quellenbestandteile zusammengeleitet sind, um so mehr erstaunlich erscheinen die verschiedenen Versuche, die Mosaikarbeit im Mt.-Ev. zu erklären. Die Vorliebe für den „natürlich planvoll" entwickelten Geschichtsstoff bei Mc. hat, wie mir scheint, am meisten die Urteile beeinflußt. "Weil es scheinbar feststand, daß im Mc.-Ev. die Reihenfolge der Ereignisse in der Darstellung des Lebensinhalts Jesu am richtigsten bewahrt war (trotz Papias), so mußte für das Mt.-Ev. der Leitfaden im Mc.-Ev. gefunden werden. Das gelang vorzüglich. Man schaltete die Reden bei Mt. in den capp. 5—7; 10 — 13; 18; 23; 24—25 aus und fand dann, mit Ausnahme der Umstellung einiger Berichte von Heilungen im ersten Drittel und am Schluß des Mt.-Ev., die Reihenfolge der Berichte des Mc. bei Mt. wieder. Es ist nur nicht so unbedingt einleuchtend, wie es nach "WERNLES Darstellung (S. 127 f., synoptische Frage) eigentlich sein müßte, daß nicht auch die Reihenfolge der Berichte des Mt. bei Mc. bewahrt sein kann. Man kommt freilich zu leicht in den Ruf, ganz rück-

123 ständig in Beziehung auf wissenschaftliche Evv.-Forschung zu sein, wenn man an dem Dogma der Priorität des Mc.Ev. jetzt rüttelt. Mir liegt jedoch nicht viel daran, weil ich keine „schlauen" Hypothesen, wie W E R N L E von Z A H N urteilt, ausklügeln will, sondern ein religiöses Bedürfnis nach Klarheit in diesen Fragen befriedigen möchte, soweit es überhaupt möglich ist. Zu dem erwähnten Zwecke reicht mir die Quelle des Mc. für die Erzählungen des Mt. nicht aus. Es ist mir auch nicht möglich, eine kirchliche Evv.-Harmonie im Mt.-Ev. zu finden. Die Stellen bei Mt. (61—6; 10 9. 41 f.; 13 58; 1815; 1917; 2819), welche die Ansätze für Dogmen, Moral und Kirchen Verfassung enthalten sollen, sind doch nur von unserem Standpunkte aus so erklärbar, wenn wir unsere Kenntnis der kirchlichen Zustände zu Ende des zweiten und Anfang des dritten Jahrhunderts in den Inhalt eintragen. Man darf freilich in den Äußerungen des Ev. schon Hinweise auf urchristliche Gemeindezustände sehen, die jedoch, wenn man die Stellen nur daraufhin ansieht, was sie wirklich enthalten, wohl schon 40—50 Jahre nach dem Tode Jesu vorausgesetzt werden können. Für die Beurteilung des Mt.-Ev. sind nun die Einlagen und Zusätze wichtig, welche an paulinische Gedankengänge erinnern und bestimmte Beziehungen zu der Zeit nach 70 enthalten. Sie sind in der Besprechung des Inhalts des Mt.-Ev. ausgesondert und müssen als Fremdkörper in der ursprünglichen Darstellung empfunden werden, wenn der nachfolgende Erklärungsversuch der Eigenart des Mt.-Ev. richtig ist. Im Mt.-Ev. sind zwei verschiedene Bestandteile unterschieden, von denen der eine sich merklich als ursprünglicher Grundstock des Ganzen und der andere als Angliederung und Einlage darstellt. Wenn man den Vorwurf der "Willkür bei der Scheidung der einzelnen Quellenstücke entkräften kann, wäre einige Bestimmtheit in diesen Gebieten möglich. Geschmacksurteile in der Quellenscheidung der E w . dringen nicht durch. F ü r das geschichtlich Ur-

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sprüngliche im Mt.-Ev. kann es jedoch nur einen Maßstab geben, der genügt; er findet sich in der Unberührtheit der Berichte von späteren religiös-theologischen Zeitströmungen. Der Forschungsweg vom G-ipfel zur Wurzel, von Joh. zu Mt., sonst nicht der gewohnte, ist hier der rechte, wenn einige Klarheit in die Vorstellung von dem Entwicklungsgänge der Anschauung und Verbreitung des Geistes- und Lebensinhalts Jesu möglich werden soll. W E R N L E hat das Laienhafte im Gegensätze zu dem Theologischen für das Ursprüngliche im Mc.-Ev. zum Maßstabe gemacht; ganz dürfte die Unterscheidung im Gebiete der Evv.-Forschung nicht richtig sein, abgesehen davon, daß sie für Mc. nicht zutrifft. Die judenchristlichen Schriftsteller, denen wir ja doch das Ursprüngliche in dem Quellenbestande der E w . verdanken, sind schwerlich im modernen Sinne laienhaft uninteressiert gewesen. Das jüdische Volk war theologisch in hohem Maße; seine Lebensaufgabe war Götter- und Gottesdienst. Es wird aus den Berichten des nächsten und ferneren Jüngerkreises Jesu über ihn wirkliche Theologie nie auszuschalten sein. Jesus war selbst Theologe, um den paradoxen Ausdruck im Gegensatze zu der beliebten Uberschätzung des sogenannten Laienhaften in der Religion zu gebrauchen, Theologe im schönsten und wahren Sinne des Wortes; seine Jünger berichten von ihm nirgend nur laienhaft, sondern immer religiöstheologisch glühend interessiert, weil ihnen die heiligen Schriften ihre tägliche geistige Nahrung darboten. Man soll also nicht das Laienhafte in den Berichten von Jesus zum Maßstabe für das Ursprüngliche darin machen, sondern das Monotheistisch - Judenchristliche (Mt. 5 23; 17 24—27; 232f.) in einfachster Form (Mt. 105; 623; 1524; 1928; 23 3), in der die ersten schüchternen Versuche im Anschlüsse an zweifellos von Jesus gehörte Gesinnungsäußerungen (15 24 f.) sich regen, erfahrene religiöse Weitherzigkeit weiterzugeben. Die Stufen dieser Weitherzigkeit bezeichnen die Grenzen für die zeitliche Entwickelung und Fixierung des Inhalts der E w . In den Zusätzen und

125 Einlagen im Mt.-Ev. wird eine Gesinnung sich äußern müssen, die über den kleinen Kreis der ersten christlichen Gemeinschaften schon hinausragt und merklich von dem spröden Stoffe des Ursprünglichen sich abhebt. Tritt das nicht spürbar hervor, so ist die Bearbeitungsannahme für das Mt.-Ev. falsch. Die nähere Prüfung des einzelnen hat darüber Auskunft gegeben. Die Quellenscheidung im Mt.-Ev. beruht also auf der Wahrnehmung, die aus der Form und dem Inhalt der Stücke, welche der Bearbeiter hinzugefügt und umgestellt hat, gemacht werden kann, daß in den Zusätzen und Einlagen Zustände zur Zeit Jesu vorausgesetzt werden, die den Anfängen der christlichen Gemeinschaft nicht entsprechen, sondern schon einer späteren Entwickelungsstufe angehören. Selbstverständlich muß die Anschauung aus unbefangener Prüfung der Quellenstücke sich ergeben und darf nicht etwa so entstehen, daß eine feste Theorie über die geschichtliche Entwickelung des Urchristentums den Maßstab für die Quellenscheidung bildet, nach dem schematisch eingeordnet wird, was in die einzelnen Fächer des Systems paßt. Der Annahme, daß in der Grundschrift des Mt.-Ev. die Erzählungen und Reden als Quellenbestandteile für das „Leben Jesu" gemischt seien, steht die in neuerer Zeit als scheinbar gesicherter wissenschaftlicher Ertrag angenommene und begrenzte Redenquelle gegenüber. Man meint, die zahlreichen Dubletten in den Erzählungen und vielen Mängel in der Zeitfolge der Ereignisse wiesen auf eine besondere Redenquelle hin, die besonders von Mt. und Lc. benutzt sei. Der Verfasser der Grundschrift des Mt.Ev. zeigt sich jedoch in seinen sachlich geordneten Berichten schon zu Reden geneigt (16 13f.; 191), und manche Vorwürfe, die sich auf Mängel verschiedener Art beziehen, treffen den Bearbeiter (3 1; 4 23 ; 9 33; 141; 17 22). Der Bearbeiter der Grundschrift kann sehr wohl in jüdischer Zahlensymbolik bewandert gewesen sein und die sinnbildliche 7 ( E W A L D , HOLTZMANN) systematisch in seine Anordnungen eingefügt haben. Was die Dubletten betrifft,

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so sind die Zusätze des Bearbeiters zunächst auszuschalten und dann ist zu erwägen, ob nicht manches Wort Jesu ganz gut an verschiedene Hörer öfter hat gerichtet werden können (5 31.32 und 19 8. 9; 10 15 und 11 23 usw.). Es finden sich ja auch Dubletten in der Spruchsammlung. Der Einwand zugunsten einer besonderen Redensammlung, daß in den Reden die Messianität Jesu schon bestimmter hervortrete, während die Erzählungen eine a l l m ä h l i c h e E n t w i c k e l u n g zur Messiasidee und Feindschaft der Gegner Jesu darstellen, ist kaum zu begründen; schon sehr früh finden sich in der G-rundschrift Hoheitsbezeichnungen Jesu (8 21 f.; 9 28) und Äußerungen erbitterter Feindschaft (9 1 f.) der Volksführer gegen ihn. Es ist zu beachten, was W R E D E über die vorausgesetzte „planvolle Entwickelung" bei Mc. erwähnt; das darf auch auf das Mt.-Ev. bezogen werden. Der einzige wirklich zureichende Grund für eine Redenquelle würde darin sich finden, wenn der Inhalt der Reden bei Mt. dem urchristlichen Ideengehalte nicht entspräche. Das ist aber sicher nicht der Fall (8 34; 15 24; 1928; 1724 zu 16 28). Bestandteile, welche eine zeitlich entwickeltere urchristliche Lebensanschauung verraten, finden sich in den R e d e n u n d E r z ä h l u n g e n im Mt.-Ev. und deuten auf die Bearbeitung von einem späteren Christen. Besonders überzeugend wirkt gegen die Annahme einer „ Spruchsammlung" als Evv.-Quelle die Verlegenheit, welche sie manchen Forschern bereitet. Man kommt mit nackten Herrnworten als Quelle nicht aus, um historische Situationen, persönliche Lebensgemeinschaft in den E w . geschildert zu finden; es müssen Rahmen von Erzählungen um die Reden gelegt werden; das bedeutet aber: die Reden, aus ihren Zusammenhängen gerissen, wirken nicht mehr, was sie sollen; sie gehören in Schilderungen und Erzählungen hinein, wie es bei der Gesandtschaft des Täufers (114.5.21—23), in c. 18 und an anderen Stellen bei Mt. ersichtlich ist. Die ursprüngliche Auffassung der Taten und Reden Jesu dürfte also in der Grundschrift des Mt.-Ev. zu finden

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sein. Daß nun. die ersten Hörer und Zeugen, selbst wenn es die Apostel Petrus und Matthäus waren, den Lebensinhalt Jesu mit dem Spiegel ihrer Eigenart aufnahmen und vermischt mit persönlichen Lebensinhalten weitergaben, ist eigentlich so selbstverständlich, daß es nicht erwähnt zu werden brauchte, wenn man es nicht so oft vergäße. Manche engherzige und zu streng judenchristlich gefärbte Aussage in dem Berichte des Petrus und Matthäus braucht darum nicht schon, selbst wenn sie in seinen Reden sich findet (Mt. 5 18. 19), zu den wirklich wörtlichen G-esinnungsäußerungen Jesu zu gehören. An anderen Stellen klingt der warme G-rundton (19 8; 22 37 f.) aus den Q-emütstiefen des Meisters auch in den Berichten der Jünger durch und mildert ihre Härte. Die nationalen Gebietsgrenzen für die Ausbreitung des Christentums, welche der Verfasser der Grundschrift des Mt.-Ev. im allgemeinen noch bestehen lassen möchte, werden von dem Bearbeiter durchbrochen. Seine Erfahrungen hatten ihn bereits belehrt, daß der Fall Jerusalems und die jüdische Feindschaft den christlichen Gemeinschaften die Wege in heidnische Gebiete anwiesen, die sie auch schon erfolgreich nach Paulus betreten hatten. Die chaldäischen Sterndeuter (21), die halbheidnischen Galiläer kommen der Erscheinung, der Lehre und dem "Wirken Jesu sehnsüchtig und empfanglich entgegen; die „Juden" wenden sich zunächst neugierig ihm zu; ihre geistig blinden Führer werden jedoch bald seine erbitterten Feinde. Die Verstockung der jüdischen Jesusfeinde macht es notwendig, daß das Christentum den Heiden gebracht wird (811. 12; 12 21; 20 1—16; 21 33. 44; 221—14). Die Heidenbekehrung ist für den Bearbeiter des Mt.-Ev. eine von Gott gewollte, mit den alttestamentlichen Aussprüchen belegbare Tatsache; er bestätigt aus dem Grunde mit Schriftstellen, daß Jesus der Messias sei, trotzdem die jüdischen Feinde ihn nicht anerkannt hatten (122f.; 2 5 f . 15.17f. 23; 414f.; 817; 1217—21; 13 33; 214 f.; 27 9 f. zu 3 3). So ist das Bild Jesu für Juden und Heiden schon in anderen Formen und

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Farben entworfen als in der Grundschrift des Mt.-Ev., wenn auch das Alte von dem Bearbeiter meistens neben dem Neuen geschont wird (1413—36 zu 15 29—39; c. 10 zu 24, 25; 932—34; 161—4 zu 12 22—45). Das Neue in den Zusätzen stammt aus mündlicher Überlieferung zur Abwehr jüdischer Vorwürfe gegen die Christen (2815); der Bearbeiter unterscheidet sich bestimmt als Christ von den jüdischen Gregnern, setzt auch schon die Anfänge christlicher Gemeindebildung voraus (2445—51), feiert jedoch noch den Sabbat (2420) und erwartet die "Wiederkunft Christi gleich nach der Zerstörung Jerusalems (24 29). Die Zeit der kanonischen Bearbeitung des Mt.-Ev. dürfte also etwa zwischen den Jahren 80—90 liegen. Bearbeitungen des apostolischen Mt.-Ev. hat es nun in den urchristlichen Gemeinden gewiß verschiedene in aramäischer und griechischer Sprache gegeben; einzelne Bruchstücke liegen in dem Hebräer- und Ebionitenevangelium vor. In den außerkanonischen Schriften finden sich keine Beziehungen zu der k a n o n i s c h e n Bearbeitung des Mt.-Ev.; erst in späteren Schriften sind Zitate (Hirt des Hermas, Justin, Clementinische Homilien). Der einzige feste Punkt in der Überlieferung, von dem aus man die Geschichte des Mt.-Ev. verfolgen kann, ist wieder die Stelle bei Eusebius (hist. eccl. H I 39), in der die Äußerung des Bischofs Papias um die Mitte des zweiten Jahrhunderts berichtet wird, Mt. habe Redenstücke (\6fia), die von Jesus stammen, in hebräischer Sprache aufgeschrieben, die jeder nach seinen Fähigkeiten gedolmetscht oder gedeutet habe. Genügend gefestigt ist in der wissenschaftlichen Diskussion gegenwärtig der Ertrag, daß die von SCHLEIERMACHER her geltende Meinung, Papias habe den Mt. nur A u s s p r ü c h e Jesu in seinem aramäischen Ev. sammeln lassen wollen, nicht zutrifft. Mt. hat nach Papias zweifellos ein mehr oder weniger vollständiges aramäisches Ev. in unserem Sinne geschrieben, das vielleicht hauptsächlich Reden Jesu enthielt und später in andere Sprachen, besonders ins Griechische, übersetzt wurde.

129 Fest stellt, daß Judenchristen im zweiten Jahrhundert und darüber hinaus ein aramäisches Ev. gebrauchten, das sie auf Mt. zurückführten und als Original des kanonischen Ev. ansahen, wie Hieronymus berichtet. Gegen die Annahme eines hebräischen (aramäischen) Originals für das kanonische Mt.-Ev. streitet fast die gesamte moderne Kritik, weil es weder eine einheitliche, noch «ine direkt aus dem Aramäischen stammende, noch von einem Apostel verfaßte Schrift sei. Zugegeben und nachgewiesen ist bereits, daß die Einheitlichkeit des kanonischen Mt.-Ev. und seine Herkunft direkt aus der Feder eines Apostels nicht begründet werden kann. Über die Möglichkeit, ob das kanonische Mt.-Ev. aus einer aramäischen Quelle direkt abgeleitet sei, wage ich nicht zu urteilen, weil die Sprachspezialforscher (DALMAN, WELLHAUSEN usw.) darüber noch nicht einig sind, wahrscheinlich es auch nicht werden. Die abwechselnd und kreuzweise aus der Septuaginta und dem Urtexte in den Redenstücken und Berichten zitierten Stellen aus dem Alten Testament reichen zur Entscheidung der Frage nicht aus. Die Urteile über vorwiegend griechischen oder aramäischen Stil bei Mc. und Mt. sind auch so verschieden, daß sie vom persönlichen Q-eschmack abhängig zu sein scheinen und wenig beweisen. Sehr wichtig ist jedoch auch im Hinblick auf den Quellenbestand des kanonischen Mt.-Ev. die Entscheidung nicht, ob es in allen Stücken direkt aus dem Aramäischen übersetzt sei. Gibt man zu, daß die Grundschrift des Mt.-Ev., wie sie, in der Quellenscheidung aus den Zusätzen herausgeschält, den Hauptbestandteilen nach vorliegt, den Inhalt der Berichte des Mc. und die wichtigsten Redenstücke der drei ersten E w . enthält, so ist die Annahme nicht zu gewagt, daß die so gewonnene Quelle sehr wohl ein Ev. gewesen sein kann, das den Apostel Mt. zum Verfasser hatte. Nimmt man an, der Sprachcharakter des kanonischen Ev. sei so ursprünglich griechisch, daß es nicht eine direkte Ubersetzung aus dem Aramäischen sein könne, so liegt kein Grand vor, A d o l f M ü l l e r , Geschichtskerne.

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130 den. Verfasser des kanonischen Mt.-Ev. nicht nach einer griechischen Übersetzung des ursprünglich aramäischen apostolischen Mt.-Ev. schreiben zu lassen. Das Charakteristische des ursprünglichen Mt.-Ev. wird gewesen sein, daß es vorwiegend in Situationen eingebettete, oder Berichte umrahmende Redenstücke enthielt. Neben der bezeichneten Mt.-Quelle, oder wohl gar ihr zugrunde liegend, denke ich mir jene aramäisch geschriebene Berichtreihenfolge mit nur wenigen Redenstücken, welche aus Petruserinnerungen zum Teil stammend, von einem Schüler des Apostels (? Johannes Marcus) im Morgenlande aufgezeichnet, später in das Abendland übertragen und dort (? in Rom) ins Griechische übersetzt wurde. So könnte die Ursprünglichkeit der Grundschrift im kanonischen Mc.-Ev. sehr wohl mit der im kanonischen Mt.-Ev. rivalisieren. Sie dürfen nach Mt. und nach Mc. heißen. Zu beachten ist, daß der Ursprung der Berichte aus Petruserinnerungen (J. WEISS) nicht nur im Mc.-Ev. hervortritt, sondern fast noch bestimmter im Mt.-Ev., in dem die Person des Petrus absichtlich in den Vordergrund gestellt ist. Haben die Ubersetzer und Bearbeiter beider E w . ihren Stoff aus aramäischen oder griechischen Grundschriften, die aus Berichten von Aposteln stammen, so läßt sich die Übereinstimmung und Verschiedenheit in Einzelheiten begreifen, wenn auch nicht alle Schwierigkeiten gehoben sind. Es hat dann jeder das für ihn und seine Zwecke Passende sachlich nach seinen leitenden Ideen verwendet, ohne das eigentliche Schema der Reihenfolge in den Ereignissen aus den Quellen auffallend zu ändern. Im Vergleich mit dem kanonischen Mc.-Ev. scheint mir immer noch die Grundschrift des Mt.-Ev. in Beziehung auf den Inhalt und die Ursprünglichkeit die erste Stelle zu verdienen. Das ursprüngliche Mt.-Ev. enthält fast alle Erzählungen und Reden bei Mc. Die wenigen Auslassungen und Änderungen sind leicht erklärlich, wenn man nicht.

131 vergißt, daß die dem Verfasser des kanonischen Ev. vorliegende Grundschrift ihm in erster Linie die Verarbeitung und wohl auch schriftstellerische Komposition von Redenkomplexen aufgab. Die Redenstücke haben wahrscheinlich nicht an den Stellen und nicht in der Form in der Grrundschrift sich gefunden, an denen sie im kanonischen Ev. vorliegen; die Einordnung und Komposition ist wohl auf den Bearbeiter zurückzuführen. Ein Vergleich mit den Redenstücken im Lc.-Ev. zwingt zu dem Schlüsse, neben der Überlegung, daß Jesus unmöglich in der Form und an den Stellen die Reden gehalten haben kann, wie sie im kanonischen Mt.Ev. sich vorfinden. Will man aus der verschiedenen oder ähnlichen Sprachform einzelner Stellen bei Mt. und Mc. schließen, daß sie gegenseitige Benutzung des kanonischen Textes verraten, so darf man nicht vergessen, daß Textänderungen und Einlagen von späteren Lesern und Abschreibern und der persönliche G-eschmack bei der Beurteilung sehr in Betracht zu ziehen sind. "Was dem einen Forscher ursprünglich zu sein scheint, hält der andere, oft aus gleichen Gründen, für abgeleitet und umgekehrt. Die Hand des Bearbeiters hat im Mt.-Ev. zweifellos manche ursprünglichen Züge verwischt und durch Verkürzung und scheinbare Sachordnung entstellt. Das ist besonders ersichtlich in dem Gleichniskapitel (13) und verschiedenen Redenstücken (12 22—45). Die Auslassung der Erzählungen vom Scherflein der "Witwe und dem Exorzisten (Mc. 12 41—44 und 9 38) und einige Verkürzungen kommen gewiß auf Rechnung des Bearbeiters des ursprünglichen Mt.-Ev. und dürfen nicht als Gründe für die Ursprünglichkeit des Mc.-Ev. verwendet werden; es finden sich derartige Änderungen und Zusätze in gewiß ursprünglichen Berichten des kanonischen Mt.-Ev. auch bei Mc. (Mc. 7 27 zu Mt. 15 24. 26; Mc. 415 f. zu Mt. 13 14 f.) 9*

132 Nimmt man zur Erklärung derartiger Stellen eine vorkanonische Ew.-Quelle für Mc. an, so ist nicht einzusehen, weshalb der kanonische Mc. nicht seinen ganzen Stoff aus ihr hat schöpfen können. Die Abhängigkeit der beiden ersten E w . in ihren kanonischen Texten voneinander ist, meiner Meinung nach, noch nicht begründet; ihre Übereinstimmung in den meisten Berichtstoffen läßt sich aus aramäischen Grundschriften genügend erklären; ihr Sondergut, besonders das des Mt., ist ohne eine derartige Annahme überhaupt nicht herzuleiten. So hat man denn auch die ,, Redenquelle" postuliert und konstruiert. Ihre Konstruktion beruht auf einem Vergleiche der Redenstücke des Lc.-Ev. mit denen des Mt.-Ev. Mir scheint die nirgend in der Überlieferung erwähnte Redenquelle ein täuschendes Nebelbild zu sein, schon weil die nach Erzählungen lüsternen Orientalen schwerlich abstrakte Reden, nach Art dogmatischer Predigten, behalten und aufzeichnen konnten. Unser erstes kanonisches Ev. enthält schon viel mehr Reden ohne Erzählungsrahmen, als sie je von Jesus gehalten sein können. Die Annahme der Redenquelle scheint mir auch durchaus nicht notwendig zu sein. Mündliche und schriftliche aramäische oder griechische Berichte aus Anschauungen von Lebensäußerungen Jesu liegen dem Mc.-Ev. und Mt.-Ev. zugrunde. Während das kanonische Mc.-Ev. bald für die abendländische Kirche seine Form bekommen haben mag, kamen im Morgenlande zu dem aramäischen Grundstoffe der Erzählungen neue Bestandteile (besonders Redenstücke) hinzu, die für griechische Judenchristen übersetzt und in ihren Kreisen im zweiten Jahrhundert verbreitet wurden (Hebräer.-Ev. usw.). Das so erweiterte Ev. führte den Namen des Mt.-Ev. und liegt dem kanonischen Ev. zugrunde, in dem die Urbestandteile nicht mit Unrecht auf apostolische Berichte von Erzählungen und Reden zurückgeführt werden können. Der kanonische Bearbeiter hat dann seine Einlagen und Änderungen eingetragen, die gegenwärtig das ganze Ev. in den

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Ruf einer „kirchlichen Evangelienharmonie" 1 ) gebracht haben. Vergleicht man nun die als ursprünglich von JOH. WEISS in Anspruch genommenen Uberlieferungsstücke im Mc.-Ev. mit den Parallelen bei Mt., so stellt sich heraus,' daß die aus Petruserinnerungen berichteten Erzählungen und Reden fast sämtlich in der Grundschrift des Mt.-Ev. sich finden. Von den Zusätzen und Einlagen ist Mc. 1 14—15 nicht mitzurechnen, weil in Mt. 4 1 3 — 1 6 ganz andere Voraussetzungen zugrunde liegen (Haus Jesu in Kapernaum). Von Mc. 3 7—12 finden sich bei Mt. nur drei Zeilen, die freilich darum zu den Einlagen gerechnet werden müssen, weil die übermäßige Volksgunst, die gleich zu Anfang des "Wirkens Jesu sich geäußert haben soll, den Unterschied zwischen Mc. und dem ursprünglichen Mt.-Ev. darstellt. Interessant ist die Lösung der exegetischen Aufgabe, welche J. WEISS versucht, um Mc. 3 22—30 in die Petruserinnerungen einordnen zu können (S. 166 f.). Fest steht wohl, daß in Mc. 3 22—30 urspüngliche Redenstücke aufbewahrt sind; die Erklärung des Zusammenhanges und die verwickelte Begründung der einzelnen Sätze und Worte von J. WEISS dürfte das Erstaunen des Referenten der Stelle, wenn er sie erführe, wecken. So viel Reflexionen sind wohl den Evangelisten nicht zuzumuten. Anders steht es mit Mc. 4 1 0 — 1 2 ; 13—20 zu Mt. 13 10—23 u. f. Die Verschiedenheit der Q-leichnisberichte ist so auffallend bei Mc. und Mt., daß in den fraglichen Kapiteln ein späterer Bearbeiter Eintragungen gemacht haben muß, die aus dem kanonischen Mt.-Ev. stammen, schwerlich umgekehrt. J. WEISS meint auch den zweiten Speisungsbericht (5000) als ursprünglich (6 31—44) bezeichnen zu können; seine Ausführungen werden kaum überzeugen. Außer den beiden zwecklos wiederholten Berichten von der Verkündigung des Leidens und Auferstehens bleiben dann noch PFLEIDERER, Urchristentum 1902, S. 600 f.

134 als Parallelen in den Zusätzen: das Gleichnis vom Weinberge Gottes (Mc. 121—12), die "Weissagung vom Tempeluntergang (13 1—4) und der Bericht von der Salbung in Bethanien (143—9) übrig. Die Gründe für die Ausschaltung aus dem ursprünglichen Berichtstoffe sind in der Darstellung des Inhalts des Mt.-Ev. angegeben. Daß ähnliche Gleichnisse und Redenstücke in Erzählungsrahmen noch viele flüssig waren, bezeugt das Sondergut des Lc. Die Form der bezeichneten Stellen und ihr Inhalt in den kanonischen E w . fügt sich so -wenig in die Gedankengänge des Ursprünglichen, daß sie ausgeschieden werden müssen. Was hat nun dazu veranlaßt, die ursprünglichen Berichtstücke bei Mc. denen im Mt.-Ev. vorzuziehen? Nachgewiesen ist bereits, daß bei Mc. weder weniger wunderreiche noch unbegründete und unzusammenhängende Erzählungen sich finden als bei Mt., wenn man die Quellen scheidet. Die neuen Durchforschungen des Tatsächlichen bei Mc. haben ergeben, daß in den Berichten weder zeitlich noch örtlich eine geschichtlich begründete Reihenfolge in den Ereignissen im Leben Jesu zu finden ist. Die vorausgesetzte „ planvolle Entwickelung" in der Anlage ist eine Täuschung; das kanonische Mc.-Ev. enthält sachlich zum Teil geordnete Berichte, die durch Zeitangaben und scheinbar örtliche Situationen verknüpft sind, ohne mit Sicherheit im einzelnen den Schluß zu gestatten, dieses oder jenes Ereignis ist an dem bezeichneten Orte in der angegebenen Zeit erfolgt. Nicht anders verhält es sich jedoch auch mit dem Mt.-Ev. Macht man die „planvolle Entwickelung" zum Maßstabe für die Schätzung des Tatsächlichen in den E w . , so dürfte nicht viel Ertrag sich ergeben. Einzelnes ist gewiß, wie es Mt. und Mc. erzählen, hauptsächlich in Galiläa geschehen; in der letzten Lebenszeit wird die ' entscheidende Wirksamkeit Jesu in Judäa erfolgt sein; ob nicht doch mehr in Judäa, als nach den Berichten des Mc. und Mt. anzunehmen erlaubt ist, ge-

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schah, ist sehr fraglich. Für beide E w . ist der Leitfaden, den sie durch den gesamten Erzählungsstoff verfolgen, die, Absicht, Jesus in seiner göttlichen Größe durch seine Lehre und "Wunder zu beglaubigen. Sie selbst und ihr Volk hatten weder seine Lehre, noch seine Messiasherrlichkeit während seiner irdischen Lebenszeit erkannt, weil ihrer Meinung nach Gott selbst ihnen die Augen geblendet hatte. Jesus verbot ja, wie sie sich zu erinnern wähnten, öfter die Verkündigung seiner Großtaten aus dem bezeichneten Grunde. Das geheimnisvolle Auferstehungserlebnis der Jünger verbreitete ihnen Licht über die vergangene Zeit und in seinem strahlenden Glänze grub sich das Lebensbild des Messias Jesus in ihr Gemüt so, wie sie es ihren Hörern und Schülern übermittelten. Das sind die Quellen für die Darstellung des Lebensinhalts Jesu, wie er auch im Joh.-Ev. vorliegt und feste Geschichtskerne enthält. Die apostolischen Berichte sind sämtlich frühestens. 20—30 Jahre nach dem Tode Jesu (etwa nach dem sogenannten Apostelkonzil i. J. 50) in ihrer ursprünglich aramäischen Form erst verfaßt, weil das erwartete Kommen Jesu in seiner Herrlichkeit sich verzögerte und die ersten christlichen Gemeinden das dringende Bedürfnis nach urkundlicher Darstellung der Reden: und Taten Jesu in einfachster Form empfanden. „Reden und Taten" Jesu, wie die ursprüngliche Bezeichnung des Ev.-Inhalts lautet, nichts weiter, enthalten auch die kanonischen Lichtbilder der Ereignisse. Beginnt man der scheinbaren geschichtlichen Ordnung und der vermeintlichen Anschaulichkeit nachzuspüren, so zerbröckelt und zerfällt der Unterbau und stellt sich als ideelle Komposition dar. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß alles Tatsächliche, vor allem in den Reden Jesu, mythisch-allegorisch aufgelöst werden könnte; dagegen sträubt sich unsere Kenntnis des Märchenstils. So bestimmt, wie bei Mc. und Mt. (Heilung in der Synagoge zu Kapernaum (Mc.), die Gadarener oder Gergesener [Mt.]) einzelne Ereignisse berichtet werden, erzählt kein Tatsachendichter. Sind auch Vergrößerungen

136 der Machterweise Jesu bei der Heilung der Dämonischen und in den Weissagungen des Leidens und der Auferstehung Jesu, besonders die Schilderung der Einzelheiten vor dem Eintritt der Ereignisse, Erträge der reflektierten Messiasherrlichkeit in die Vergangenheit, so werden die historischen Kerne darin dennoch sich nicht zerschlagen lassen1). Sie bildeten den Anknüpfungspunkt für die Erinnerung der ersten Zeugen, die im Lichte ihrer persönlichen Erfahrungen nach der Auferstehung Jesu die Hüllen mit glühender Phantasie schafften. Das gilt wieder für die Grundschriften sämtlicher vier E w . , wenn auch das Joh.-Ev. mit etwas anderem Maßstabe gemessen werden muß. Die E w . und ihre Zeugen haben alle nicht Geschichtsstudien mit Mikroskopen getrieben. Was kann uns nun veranlassen, die Darstellung nach Mc. der nach Mt. vorzuziehen? Einzelne Sätze bei Mc. und einige Berichte sind, so sagen manche Kritiker, bei Mc. besser und natürlicher begründet; es läßt sich ferner aus den Worten und Sätzen, in denen Anklänge an das Aramäische im Ausdruck und Stil zu hören sind, die größere Ursprünglichkeit des Mc., so meint man, erweisen. Die gründliche Vergleichung WERNLES hat in der bezeichneten Richtung alles dahin Gehörige zur Anschauung gebracht. J . WEISS stellt die Erträge der Sprach- und Inhaltsvergleichung im Mc.-Ev. in ein anderes Licht, in dem ruhige Klarheit das Funkensprühen der Begeisterung für Mc. mildert. Der Schluß kann nur lauten, die neueste Durchforschung des Mc.-Ev. hat ergeben, daß sein Tatsacheninhalt im Verhältnis zu dem des ursprünglichen Mt.-Ev. nicht reicher ist. Sind nun aber die Erzählungen aus dem Leben Jesu, mögen die historischen Kerne darin demantfest oder schieferähnlich sein, für uns das Kräftigste, Wirkliche und Dauernde in den Ew.? Mir scheint die gegenwärtig ungefähr fünfzig Jahre währende Arbeit der Kritik an den E w . wenig ') Vergi. A. MÜLLER, Scheinchristentum usw., Perthes, Gotha, 1901.

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Früchte damit gezeitigt zu haben, daß sie an Stelle der Redenstücke im Mt.-Ev. das Nebelgebilde einer Spruchsammlung konstruiert hat, die man im Lc.-Ev. meint am meisten ursprünglich aufzeigen zu können. Daß Lc. in seinen Redenstücken, auch in seinem „Sondergut", ein bestimmtes Zeugnis für die Axt der Reden Jesu gibt, deren es gewiß noch mehr außer unseren E w . gab, ist höchst schätzenswert; es ließe sich jedoch auch aus der Darstellung der Gespräche und Gleichnisse Jesu im Mt.-Ev. vermuten, daß Sprüche ohne Erzählungsrahmen selten von Jesus gebildet und verwendet worden sind. Der Bearbeiter des ursprünglichen Mt.-Ev. hat uns viel damit geraubt, daß er in seinen größeren Redekomplexen systematisch zu ordnen versuchte, was als freie Lebensäußerung Jesu von seinen ersten Hörern an Gleichnisreden und anschaulichen Darstellungen des Willens Gottes, der „besseren Gerechtigkeit", der Herrschaft und des Reiches Gottes usw. erfahren wurde. Wir besitzen jedoch in den capp. 5—7, 10—13, 18, 21—28 und an anderen Stellen ein so unschätzbares religiöses Gut an unzerstörbaren Kernen des Lebensinhalts Jesu, daß das gesamte Mc.-Ev. verloren gehen könnte, ohne uns arm zu machen. Die Gesinnung Jesu äußert sich in ihrer erbarmenden Liebe und ihrem heiligen Ernste freilich auch in seinen Taten, die er verrichtete, um Arme, Kranke, Notleidende, Sünder reich, gesund und froh zu machen; was uns jedoch zur Selbsterkenntnis, zur rechten Stellung Gott und den Menschen gegenüber in Demut, Kraft und Dankbarkeit befähigt, das führen uns die Lebensströme aus dem Herzen Jesu zu, die in seinen Gesprächen mit seinen Jüngern, dem Volke, seinen Freunden und Feinden erfahrbar sind. Die Quelle derartiger dauernder Lebenserfahrungen, wie sie die Uberlieferung uns im Mt.-Ev. erhalten hat, dürfte doch wieder ihre dankbare Schätzung verdienen. Das Mt.-Ev. ist reicher als das des Mc., wenn man auch manche Bestandteile von den ursprünglichen ausscheiden muß. Die Einlagen und Zusätze sind jedoch auch schätzenswert, weil in ihnen

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die Hände der Bearbeiter in ihrem Tun beobachtet werden können, die von ihrem Standpunkte das ursprüngliche Lebensbild Jesu in ihre Zeitverhältnisse hineinzuzeichnen versuchen. Fragt man zum Schluß, wie wohl zu der Grundanschauung der E w . , nach der sie die Messiasherrlichkeit Jesu auf ihre "Weise darzustellen versuchten, sich der Bewußtseinsinhalt Jesu verhalten haben möge, so ist damit ein schwieriges Problem der christlichen Theologie berührt. Eine ausführliche Behandlung der Frage gehört hier nicht her; einiges muß mit Rücksicht auf "WREDES Ausführungen erwogen werden. Es ist als sicher anzunehmen, daß Jesus in seinem Selbstbewußtsein an die jüdischen Vorstellungen von der Gottesherrschaft und der Messianität anknüpfte, indem er seine besondere "Wirksamkeit begann und vollendete; es steht jedoch nicht fest, daß die in den kanonischen, apokryphen und pseudepigraphischen Schriften uns vorliegenden prophetisch-apokalyptischen offiziellen Messiasvorstellungen die einzigen waren, die im Volke lebten; man darf wohl vermuten, daß auch die Anknüpfungspunkte für eine Messiasidee Jesu in bestimmten Volksschichten sich gefunden haben, die nicht offiziell maßgebend in ihren Gesinnungsäußerungen, dennoch aber aus der Gesinnung Jesu heraus siegreich wurden. Man fragt, warum Jesus seine neue Deutung der Messiasidee nicht wenigstens seinen Jüngern mitgeteilt habe, und meint auch, es sei von keinem neuen Inhalte in der Beziehung zu sprechen, weil Jesus selbst die Huldigungen bei dem Einzüge in Jerusalem (Mc. 119; Mt. 219) als nationaler Held entgegengenommen habe und wohl wußte, daß seine Jünger keine andere Hoffnung hegten als jene politische. Das ist doch nicht ganz richtig, weil das Petrusbekenntnis von Jesus korrigiert und das Streben nach den Ehrenplätzen von Jakobus und Johannes schließlich mit dem Hinweise auf die Hoheit wirklichen Liebesdienstes und nicht des Herrschens und Richtens beantwortet wird. Daß Jesus überhaupt nicht sich für den

139 Messias gehalten haben sollte, ist wohl kaum annehmbar. Was die vermeintliche Huldigung bei dem Einzüge betrifft, so hat DALMAN nach WELLHAUSEN mit Recht bemerkt (Worte Jesu S. 182), daß weder von dem Volke noch von Jesus jene Ehrung als eine messianische aufgefaßt sei; erst später aus der Messiasidee der E w . ist sie als solche dargestellt worden. Man legt wohl zu viel Gewicht auf den Inhalt der Streitreden Jesu mit den Pharisäern in Beziehung auf die Davidsolmschaft (Mc. 12 35 zu Mt. 22 41 [Ps. 110]). Mit Anerkennung der charakteristischen Wendung und Umformung des Q-edankens in beiden Berichten, läßt sich doch kaum mehr daraus entnehmen, als daß Jesus die theokratisch-politische Messiasidee der Pharisäer verwarf und eine andere Herrschermacht als die davidische als messianisch voraussetzte. Jesus zeigt in seinem Reden und Tun gleich nach dem Einzüge in Jerusalem, daß theokratisch-hierarchische Gelüste schwerlich seine heilig-ernste, barmherzige Gemütsstimmung beherrschten. Daß dennoch messianische Gedanken in den jerusalemischen Tagen sein Gemüt erfüllten, ist wohl möglich; es waren aber wohl eben messianische Gedanken im Sinne Jesu, der Sinnesänderung forderte, irdische Herrschergelüste verwarf und auf dem Wege barmherzig-heiligen Liebesdienstes sein Leben hingab, um die Seinigen zu retten. Wie der Yater in den Himmeln seine vollkommene Herrschaft im einzelnen ausgestalten werde, das scheint mir nicht als bestimmter Bewußtseinsinhalt vor dem geistigen Auge Jesu klar gelegen zu haben. E r überließ die Vollendung zuversichtlich, furchtlos und treu der allmächtigen Liebe des Vaters und blieb in fester Gewißheit bis zum Tode, daß in ihm der rechte Weg zur Herrschaft Gottes über die Menschheit eröffnet sei. Wird gemeint, nur in dem eschatologisch-enthusiastischen Heroismus Jesu könne seine Freudigkeit und seine siegreiche Geduld begründet gewesen sein, die sich in seinem Tode am Kreuze bewährte, so vergißt man, daß gerade die persönlich erhebende Zuversicht, mit seinem Tode allein den Seinen Leben und Freude schaffen zu können,

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die aus den Verheißungen der Besten seines Volkes und aus eigenen Erfahrungen ihm geworden war, genügend festen Boden für seine siegreich still-ernste, nicht schwärmerischglühende Begeisterung bildete. Die Auffassung der E w . von dem Verhältnisse Jesu zu der Gottesherrschaft und seine messianische Bedeutung in ihr, die auch wohl zum Teil aus der Gesinnung Jesu selbst stammen dürfte, wird mit seiner Bezeichnung als „Menschensohn" zum Ausdruck gebracht. Man hat das aramäische "Wort „barnascha" so gedeutet, daß es zur Zeit Jesu als einfache Bezeichnung für „Mensch" gegolten habe und dann ohne besondere Beziehung auf die messianische Selbstbezeichnung Jesu angewandt werden konnte. Es steht wohl fest, daß eine derartige Erklärung für das Mc.u. Mt.-Ev. nach den vorangehenden Ausführungen nicht zutrifft. Kann nun angenommen werden, daß Jesus den Namen wirklich als Bezeichnung für sich in seinen Reden gebraucht hat, oder ist die Voraussetzung richtig, daß auch die Prägung dieser Bezeichnung aus dem Bestreben der Urgemeinde stammt, den Lebensinhalt Jesu widerspruchslos messianisch zu deuten? Abzuweisen ist die Erklärung, „Menschensohn" oder „Mensch" sei der Ausdruck der Uberzeugung, daß in Jesus der Idealmensch im vollen Sinne sich darstelle. Erwägenswert scheint es mir zu sein, ob Jesus die Bezeichnung für sich verwendet habe. Dafür spricht die Danielstelle 7 13: Auf den "Wolken des Himmels kam einer, wie ein Menschensohn. Er ist das Sinnbild der idealen Theokratie, die den in vier Tierleibern (Löwe, Bär, vierköpfiger Leopard, zehnfach gehörntes Untier) symbolisierten Weltreichen ein Ende bereitet. Es wird darauf hingewiesen, daß wohl in den jüdischen Apokalypsen (Henoch, 4. Esra) für dieses Symbol der Theokratie auch der persönliche Messias als der „Menschensohnähnliche" eingesetzt werde, aber immer nur mit Beziehung auf seine im Himmel präexistierende Wesensart, nie als irdische. Man meint, Jesus könne das auf Himmelswolken kommende Wunderwesen nicht mit sich selbst in Vergleich gesetzt haben.

141 Dagegen ist zu bemerken, daß in dem Messiasbilde des Danielbuches sich, doch Züge finden, die der G-esinnung Jesu durchaus sympathisch sein mußten. Es ist charakteristisch für das Selbstbewußtsein Jesu, daß er neben fester Entschlossenheit und unbeugsamer Willensstärke die vollkommen freie, aber unbedingte Beugung unter den Willen des Vaters in jedem Augenblicke seines Lebens bewährt. Es paßt nun zu einer derartigen Gesinnung das Bild des „Menschensohnähnlichen" bei Daniel vorzüglich. Die Gottesherrschaft kommt, wie ein Stein, den keine Hand vom Felsen riß, um die Weltreiche zu vernichten (Dan. 2 34. 35). Der „Menschensohnähnliche" kommt vom Himmel, damit ihm Gott die Weltherrschaft zum Geschenk gebe (Dan. 7 27). Gottes Gabe ist die Gottesherrschaft, keine messianische Usurpation, wie sie von den Hierarchen erwartet wurde. Noch bezeichnender für die Stellung Jesu zu dem „Messiasgeheimniswie sie die E w . zeichnen, ist die danielische Beschreibung. Der Messiastitel kommt nur dem erhöhten Herrscher im Gottesreiche zu. Der von Gott zum Messias ausersehene Mensch hat auf seine Herrschaft zu warten, bis sie ihm gewährt wird; er ist zunächst nur ein Menschenkind, das geduldig bleiben muß, bis vielleicht durch viel Leid und herbe Erfahrungen ihm gegeben wird, wozu ihn Gott bestimmt hat. (DALMAN , Worte Jesu S. 218). Eine bestimmte Entscheidung hier treffen zu wollen, etwa in dem Sinne, daß dem Gemüte Jesu die danielische Messiasskizze sich eingezeichnet habe, dürfte schwer sein; die Berichte der E w . sind jedoch an manchen Stellen leichter zu erklären, wenn man annimmt, daß die heilige Scheu vor Enthüllung des geheimnisvoll in der allmächtigen Liebe des Vaters liegenden Zieles der Gottesherrschaft Jesus gelegentlich veranlaßte, seine Jünger zu warnen, ihm das schon zuzusprechen, was er wohl in sich wußte, aber auch erst erwerben mußte, um es zu besitzen. Man braucht noch nicht an die bestimmten Leidensweissagungen und an den furchtbaren Tod Jesu zu denken

142 und kann doch vermuten, daß seinem Innenleben ein dem danielischen Messiasbilde ähnliches vorschwebte. Mir scheint es nicht unmöglich zu sein, daß Jesus sich selbst als „Menschensohn" bezeichnet habe, um Gegenwärtiges und Zukünftiges geheimnisvoll für sein Volk, seine Jünger und vielleicht auch sich selbst darin sinnbildlich zu einigen. Es ist jedoch auch möglich, daß die Bezeichnung „Menschensohn", die Paulus nicht für Jesus gebrauchte, aus Reflexionen der ersten Jüngergemeinde hervorgegangen ist, die ihre überraschenden Erlebnisse in Gemeinschaft mit ihrem Meister aus prophetischen Zeugnissen sich nach dem Leiden, Sterben, Auferstehen Jesu zu deuten versuchte. Besonders ist es dann die Erwartung seines Kommens in seiner Herrlichkeit, die man an die Bilder Daniels anschloß und danach gestaltete. Man hat versucht, auf Grund sprachlicher und exegetischer Yergleichungen die Geschichte des urchristlichen Glaubens an dem Gebrauche des Namens „Menschensohn" für Jesus zu verfolgen. Zunächst habe man nur „verstohlen" ( W E L L HAUSEN) Jesus die Verheißung in den Mund gelegt: der „Menschensohn" wird in den Wolken des Himmels erscheinen (Mc. 13 26; 14 62), später sei bei den Hinweisungen Jesu auf sein zukünftiges Geschick (Mc. 8 31; 9 12) für das Pronomen »Ich" „der Menschensohn" eingesetzt und dann überhaupt als Messiasprädikat üblich geworden. Als später die Urgemeinde auch schon aus dem irdischen Leben Jesu die Herrlichkeit des Messias herausleuchten ließ, wurde als willkommene Äußerung des messianischen Selbstbewußtseins des irdischen Jesus der apokalyptische Name Menschensohn ihm in den Mund gelegt. — Man vermutet, daß aus dem aramäischen barnascha = Mensch oder Menschensohn, besonders im griechischen Sprachgebiete, allmählich die eschatologische Beziehung auf Daniel verwischt und der Titel allgemein zur messianischen Selbstbezeichnung Jesu in den späteren E w . wurde, so daß noch an vielen Stellen (Mt. 1119 zu Lc. 7 34; Mt. 8 20 zu Lc. 9 58;

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Mt. 12 32 zu Lc. 1210) für „Ich" Menschensohn steht. Das darf dem Hauptinhalte nach zugegeben werden, beweist aber nicht, daß alle Aussprüche, in denen der Titel Menschensohn als Selbstbezeichnung Jesu gebraucht wird, eingesetzt sind. Mir scheint, nach den Ausführungen über die Danielstellen, die Möglichkeit durchaus begründet zu sein, daß Jesus für sein „Messiasgeheimnis " selbst den Ausdruck „Menschensohn" gebraucht habe. Er enthält nichts, was etwa unerlaubte Selbstbewußtheit in ihm begründete, wie man anzunehmen scheint, und erklärt in gewisser "Weise seine Scheu, den o f f i z i e l l e n Messiastitel in i r d i s c h e n L e b e n s g e b i e t e n bestimmt in Anspruch zu nehmen. Der Messias war dann für ihn der im zukünftigen Aon zum Richter aller Menschen erhobene Gottessohn, der im gegenwärtigen Aon seine Geistesgemeinschaft mit dem Vater in geduldiger Treue als „Menschensohn" bewährt und sein Geschick willig und innig der vollkommenen Gottesherrschaft überläßt, ohne Zeit und Stunde ihres Eintritts für die Welt selbst zu kennen. Es dürfte von dem Gesichtspunkte aus sich auch die innere Entwickelung Jesu in Beziehung auf die Erwartung seines Leidens, Todes und Auferstehens erklären lassen. Seine Erfahrungen im Dienste des Vaters, in Gemeinschaft und im Kampfe mit seinen Feinden und Freunden schafften ihm die Gewißheit, daß das Opfer seines Lebens die einzige Möglichkeit sei, sein Volk zu retten; er brachte in gottwilliger Treue das Opfer in voller Zuversicht seiner Notwendigkeit und Kraft. "Wenn man annimmt, daß die Urgemeinde nach dem Tode Jesu sich an Jes. 53 und die „Lehre von der sühnenden Kraft des unschuldigen Leidens der Gerechten zugunsten der Schuldtilgung ihrer Angehörigen" erinnert habe, so liegt kein Grund vor, daß Jesus selbst eine derartige Gewißheit und über den Tod siegreiche Begeisterung nicht auch erfüllte. Mir scheint die geduldige, erhabene, begeisterte Freudigkeit des Leidens und Sterbens Jesu so einfacher begründet zu sein, als durch den angenommenen eschatologischen Enthusiasmus, der doch

144 einen zu großen Bestandteil für Jesus unwürdiger Lohnsucht in sich geborgen hätte. Die Form der Berichte von den Hinweisen Jesu auf sein Leiden, Sterben und Auferstehen stammt jedoch wohl aus Reflexionen der Urgemeinde nach den Ereignissen. Die Jünger Jesu deuteten ihre Feigheit und Verzweifelung aus mangelndem Verständnis dunkler Weissagungen. Mag Jesus immerhin gelegentlich auf seinen dornenvollen Leidensweg, auch wohl auf seine dauernde Geborgenheit im Geiste und in der Liebe des Vaters hingewiesen haben — die Auferstehungsfrage hat er ja oft im Streite mit den Sadduzäern berührt —, so bestimmt, wie die E w . berichten, haben derartige Aussprüche nicht gelautet. Die Jünger hatten einfach keine Ahnung, wie sich das Geschick Jesu gestalten werde, bevor alles geschah, sonst wäre die kopflose Verzweifelung und Feigheit bei der Gefangennahme und der Gang der Frauen zum Grabe zur Einbalsamierung der Leiche unerklärbar. Man darf sogar vermuten, ohne die Würde und Hoheit Jesu irgendwie zu vermindern, daß Jesus selbst die einzelnen Stationen seines Leidensweges und sein späteres Geschick nicht hätte so beschreiben können, wie es die Evangelisten tun. Sein gottinniges und gottwilliges Gemütsleben ruhte in der Gottesherrschaft; der Vater allein bestimmte und kannte seine Wege und Ziele.

Der anhängende Verlagsbericht sei besonderer Beachtung empfohlen.

C. G. Röder, Leipzig. 20403. 05.