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German Pages 281 [282] Year 2019
Figuren des Transformativen
Transformationen der Antike
Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer
Wissenschaftlicher Beirat Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A. Schmidt, Jürgen Paul Schwindt
Band 63
Figuren des Transformativen Rezeption, Transfer, Austausch in den spanisch-deutschen kulturellen Beziehungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart Herausgegeben von Johannes Helmrath, María Ocón Fernández und Stefan Schlelein Unter Mitarbeit von Roberto Sanchiño Martínez
Gedruckt mit Mitteln, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ zur Verfügung gestellt hat.
ISBN 978-3-11-064882-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-065199-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064892-8 ISSN 1864-5208 Library of Congress Control Number: 2019949675 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
www.degruyter.com
Danksagung Mit der Freude über das Erscheinen des Bandes geht vielfältiger Dank einher. Wir danken zuerst den Autoren und Autorinnen für ihre Mitarbeit und auch für ihre Geduld, als sich das Erscheinen des Bandes länger verzögerte. Ebenso sei dem Verlag für seine kulante Betreuung gedankt. Wir danken auch den Institutionen, die uns bei der Recherchearbeit sowie bei der Beschaffung des Bildmaterials halfen, insbesondere der Bibliothek der Madrider Architektenkammer (Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid, COAM) und der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz für Ihre Hilfe und Unterstützung. Schließlich gilt unser Dank Isabel Romero und Martina Fernández Polcuch für die Übersetzung der Einführung ins Spanische. Berlin im Juli 2019, Johannes Helmrath, María Ocón Fernández, Stefan Schlelein
https://doi.org/10.1515/9783110651997-202
Inhaltsverzeichnis Danksagung
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María Ocón Fernández, Johannes Helmrath und Stefan Schlelein Einführung 1 María Ocón Fernández, Johannes Helmrath y Stefan Schlelein Introducción 13 Salvador Rus Rufino y Francisco Arenas–Dolz La configuración semántica de πολιτικὸν ζῷον y su transformación en los comentarios medievales y modernos a la Política de Aristóteles 25 Roland Béhar Die Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis (1534): Iberische Epigraphik aus kaiserlicher Perspektive 57 Ronny Kaiser Kulturtransfer und Transformation durch Übersetzung: Juan González de Mendozas Historia de las cosas más notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China in ihrer ersten deutschen und lateinischen Übersetzung 75 Susanne Müller-Bechtel Antikenrezeption im akademischen Aktstudium: Zu transformativen Prozessen im transnationalen Umfeld von Anton Raphael Mengs und Francisco Preciado de la Vega in Rom 99 María Ocón Fernández Requeno und Winckelmann: Aneignung, Transformation und Aktualisierung antiken Wissens im maltechnischen Diskurs des 18. Jahrhunderts 131 Walther L. Bernecker Keine Antike? Überlegungen zur faschistisch-franquistischen Monumentalarchitektur in Spanien 161
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Inhaltsverzeichnis
Mónica Vázquez Astorga Transformation as Legitimation of a “New State”: The role of Visual Media in Mass Celebrations during and after the Spanish Civil War (1936–1940) 195 Carl Antonius Lemke Duque ,Älteste Geschichte des Westens‘: Tartessos und die Altertumsdebatte im Spanien der Zwischenkriegszeit (1922–1936) 217 Burkhard Meyer–Sickendiek Der stolze Kastilianer: Die Romanze des 18. Jahrhunderts als Transformationsmedium altspanischer soberbia 239 Namensregister
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Orts- und Länderregister Autorenverzeichnis
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María Ocón Fernández, Johannes Helmrath und Stefan Schlelein
Einführung Der vorliegende Band versammelt neun wesentliche Beiträge der internationalen Tagung „Figuren des Transformativen. Rezeption, Transfer, Austausch“, die 2012 vom Sonderforschungsbereich (SFB) 644 „Transformationen der Antike“ durch Teilprojekte der Humboldt Universität und der Freien Universität organisiert wurde1 und vom 15. bis 17. November im Cervantes Institut Berlin stattfand. Ziel der Konferenz war es, das SFB-Konzept der Antikentransformation mit dem übergeordneten Prinzip der „Figuren des Transformativen“ vor dem Hintergrund der deutsch-spanischen Kulturbeziehungen interdisziplinär und zeitübergreifend anhand konkreter Fallbeispiele zu beleuchten. Zum erklärten Ziel der Veranstaltung gehörte auch, das Konzept der Antikentransformation über die Grenzen Deutschlands bekannt zu machen, ein Ziel, das auch dieser Band weiterverfolgt. Als eine der jüngsten Veröffentlichungen aus der Buchreihe „Transformationen der Antike“ knüpft dieser Band unmittelbar an Diskussionen und Ergebnisse des Sonderforschungsbereichs an.2 Von der Grundkonfiguration der Transformationen – dem (antiken oder für antik gehaltenen) Referenzbereich, dem rezipierenden Aufnahmebereich und dem initiierenden Agenten – fokussieren die Beiträge besonders auf die Transformationsagenten und stellen sie in einem spezifischen historischkulturellen Kontext dar. Es geht hier um die methodische Verbindung von Transformation mit ihrem Prinzip der wechselseitigen Hervorbringung (Allelopoiese) und gängigen Theoremen des uni- oder bilateralen, meist synchron und räumlich sich vollziehenden Kulturtransfers. Beispiel sind die Phänomene des Kulturaustausches bzw. Kulturtransfers zwischen Spanien und Deutschland in synchroner und insbesondere in diachroner Hinsicht. Der historische Bogen spannt sich vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Eine grundsätzlich nötige theoretische Aufarbeitung der Relation von Transformation und Kulturtransfer ist allerdings nicht Ziel des Bandes. Dieses Verhältnis wird aber in einigen Beiträgen aufgegriffen und exemplarisch behandelt. 1 Es handelt sich um die Teilprojekte A 04: Transformationen antiker Historiographie und Historik in Mittelalter und Renaissance (Johannes Helmrath, Stefan Schlelein) sowie B 08: Der differente Gott. Konstruktionen des Dionysos in der Moderne (Roberto Sanchiño Martínez) in Verbindung mit Maria Ocón Fernández als kooptiertem Mitglied. 2 In seiner Laufzeit von 12 Jahren (2005–2016) hat der Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ in rund dreißig multidisziplinären Projekten von der Spätantike bis in die Gegenwart eine Vielzahl von Veranstaltungen (Workshops, Konferenzen, Jahrestagungen, etc.) abgehalten sowie zahlreiche Bände, vor allem in seiner Buchreihe: „Transformationen der Antike“, veröffentlicht. In jahrelanger gemeinsamer Arbeit der Teilprojekte wurde das Konzept der Transformation sowie ein praktikables analytisches Organon von vierzehn Transformationstypen und drei Transformationsmodi erarbeitet. https://doi.org/10.1515/9783110651997-001
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María Ocón Fernández, Johannes Helmrath und Stefan Schlelein
Zum Konzept der Transformation: Eine der Grundannahmen besteht darin, „dass es einen unmittelbaren Zugang zur ,Antike selbst‘ nicht gibt noch je gegeben hat. Stets hatte und hat man es mit vermittelten Überlieferungen und Übersetzungen, Transfers und Transformationen der antiken Gesellschaften zu tun“.3 Unter Überwindung der lange geltenden sektoralen Erforschung der Antike bzw. der einzelwissenschaftlichen Isolierung ist das Konzept der Transformation a priori geisteswissenschaftlich interdisziplinär angelegt. Das Transformationskonzept bietet einen integrativen Ansatz,4 der bei den in Frage kommenden Disziplinen und Wissensfeldern (aus den Geistes- und Kulturwissenschaften sowie der Wissenschaftsgeschichte) angewendet werden kann. Es zielt auf ein generalisierbares Modell zur Erforschung historischen Wandels ab.5 Transformationen können demnach als komplexe Wandlungsprozesse verstanden werden, die, von einem Transformationsagenten bewirkt, sich zwischen einem Referenz- und einem Aufnahmebereich vollziehen.6 Deshalb wird beim Leitkonzept der Antikentransformation von der Differenz zwischen einem antiken Referenzbereich einerseits und einem nachantiken, beispielsweise mittelalterlichen, neuzeitlichen oder auch in der Gegenwart liegenden Aufnahmebereich andererseits ausgegangen.7 In der hier beschriebenen bilateralen Relation kann die Referenz zur Antike nicht als eine einseitige, lineare Rezeption eines invariablen Objekts verstanden werden. Vielmehr muss diese Relation als eine „produktive Wechselseitigkeit“ (Böhme, 2011), als Reziprozität bzw. als Wechselwirkung zwischen antiker Referenz- und nachantiker Aufnahmekultur aufgefasst werden. Antike und Antikenkenntnis (Referenz- und Aufnahme- bzw. Rezipientenkultur) bringen sich gegenseitig hervor.8 Hartmut Böhme formulierte es 2007 so: „dass das Objekt ,Antike‘ nicht feststeht oder feststellbar ist, sondern in den Medien der Rezeption stets neu hervorgebracht, ja auch ,erfunden‘ und dabei fortlaufend verändert und differenziert wird“.9 Deshalb operiert Transformationsforschung prozessorientiert, nicht faktographisch, und – im Gegensatz zum Konzept des Kulturtransfers – eher diachron in komplexen langwelligen Transformationsketten als synchron.10 Diese Wechselwirkung zwischen beiden Bereichen (Referenz- und Aufnahmebereich) kann als wesentliches Merkmal transformatorischer Prozesse bezeichnet 3 Böhme (2007), VI. 4 Vgl. Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 41. 5 Vgl. Böhme (2011), 8; vgl. weiter Böhme/Rapp/Rösler (2007), VII. 6 Vgl. Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 39. Oder in der knappen Definition Georg Töpfers: „Transformationen ereignen sich zwischen einem Referenz- und einem Aufnahmebereich, und sie werden von einem Agenten der Transformation bewirkt“, Töpfer (2011), 165–166. 7 Vgl. Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017), 3. 8 Vgl. Böhme (2011), 13. Vgl. weiter Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017), 2. 9 Böhme (2007), VII. 10 Böhme (2011), 10–11.
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werden, die zu „Neuem“ im doppelten Sinne führen: voneinander abhängigen Neufigurationen sowohl innerhalb der Referenz- wie innerhalb der Aufnahmekultur.11 Dieses Verhältnis einer Wechselwirkung wird mit dem Begriff der Allelopoiese bezeichnet.12 Dies unterscheidet das Konzept der allelopoietischen Transformation von den Modellen der Rezeption wie des Kulturtransfers; denn der transformative Prozess der Modellierung des Referenz- und des Aufnahmebereichs geht sowohl im Grad der Reziprozität wie im Grad der Veränderung über die beiden Modelle sowohl der Rezeption wie des Kulturtransfers hinaus.13 Doch enthält auch der Kulturtransfer, etwa im Austausch deutscher und spanischer Wissenschaftler der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts oder in der Aneignung spanischer Literaturgattungen in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts zugleich transformative Elemente. Zudem rückt bei der allelopoietischen Transformation die Potentialität, d. h. die dynamis der Transformationsagenten oder Figuren des Transformativen – bei der Auswahl des Aspekts aus dem Referenzbereich (dem Objekt „Antike“), beim Akt der Aneignung sowie beim Wandlungs- bzw. Transformationsprozess – in den Vordergrund. Die Transformationen selbst lassen sich formal in unterschiedlicher Weise und strukturell auf unterschiedlichen Niveaus beschreiben und analysieren, so dass sich aus einer kulturhistorischen und kulturtopologischen Perspektive vielfältige „Figuren des Transformativen“ identifizieren lassen. Bei den Figuren des Transformativen oder Agenten der Transformation wird nicht zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren unterschieden. Deshalb können als solche sowohl Personen und Dinge, Praktiken und Techniken, (text- und bildbezogene) Medien und Artefakte, Ideen und Konzepte, Formen des Wissens und der Erinnerung als auch überindividuelle Strukturen wie Institutionen, Schulen oder andere soziale Gebilde definiert werden. Sie generieren, definieren und regulieren als Handlungsund Interaktionsagenten im Wesentlichen die diskursiven Formationen, institutionellen Beziehungen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge sowie die pragmatischen Verkehrswege und semantischen Felder, in denen ein kultureller Transfer stattfindet. Transformationsprozesse können von einem oder mehreren Agenten initiiert werden. Die von den Agenten oder Figuren des Transformativen entfaltete dynamis kann intentional angestoßen sein, muss es aber nicht zwingend. Für die analytische Praktikabilität ist das vom SFB entwickelte Organon aus drei Transformationsmodi (Konservierung, Inklusion, Identifikation) und vierzehn
11 Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 39. 12 Zum Begriff der Allelopoiese vgl. auch Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017) 1–14 (Einleitung) und die im gesamten Band agonal verhandelten Fallbeispiele. 13 Vgl. hierzu Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 41. Zum integrativen Ansatz der Transformationstheorie gegenüber den theoretischen Modellen der Rezeptionsund Transfertheorie sowie der Diskursanalyse, vgl. auch Baker/Helmrath/Kallendorf (2019).
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María Ocón Fernández, Johannes Helmrath und Stefan Schlelein
Transformationstypen (Appropriation, Assimilation, Disjunktion, Einkapselung, Hybridisierung, Montage, Negation, Rekonstruktion, Übersetzung etc.) sehr wichtig, die eine subtilere Diagnose konkreter Transformationsprozesse ermöglichen.14 In den hier versammelten Beiträgen werden verschiedene (historische, politische, kulturelle, wissenschaftsgeschichtliche etc.) Aspekte von Wandlungsprozessen untersucht, bei denen sich vielfältige Figuren des Transformativen identifizieren lassen. Die Relation von Antikentransformation und Kulturtransfer zwischen Spanien und Deutschland, dieser dreigliedrige Raum, ist aber allen den im Folgenden vorzustellenden Aufsatztexten gemeinsam. Eingeleitet wird der Band mit dem Beitrag von Salvador Rus Rufino und Francisco Arenas-Dolz zu Aristoteles‘ Πολιτικά (Politica, Politik) und seinen Kommentatoren vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Der Fokus liegt auf dem aristotelischen Leitbegriff vom Menschen als πολιτικὸν ζῷον (politikón zóon). Rus Rufino und Arenas-Dolz zeichnen in ihrem Beitrag ein semantisches Geflecht aus Übersetzungen und Interpretationen dieses Begriffs in Veröffentlichungen von Autoren aus fünf Jahrhunderten nach. Sowohl spanische und deutsche als auch französische, italienische und holländische Autoren werden dabei berücksichtigt und an ihren Kommentaren das Transformationspotential dieses Begriffs herausgearbeitet. Die semantische Transformation von πολιτικὸν ζῷον – vom Mittelalter über die Renaissance bis zur Aufklärung – wird anhand der Kommentare zu diesem zentralen Werk der Antike diskutiert. Beide Autoren stellen dabei fest, wie in der Renaissance bzw. im Humanismus eine Interpretation von πολιτικὸν ζῷον als „politischem Wesen“ gegenüber derjenigen als „zivilem“ bzw. „sozialem Wesen“ im Mittelalter favorisiert wird. Diese Unterscheidung wird nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) semantisch konsolidiert: In den reformierten Ländern setzt sich die Interpretation als „politisches Wesen“ durch, während in den katholischen Ländern diejenige als „ziviles“ bzw. „soziales Wesen“ überwiegt. Die Autoren lenken zudem die Aufmerksamkeit auf eine Disziplin in Aristoteles‘ Werk, der bislang in der Forschung wenig Beachtung geschenkt wurde: die Geschichte. Die Autoren zeigen, dass dieses Wissensfeld nicht nur in mehreren Werken des Philosophen präsent ist, sie stellen darüber hinaus fest, dass Geschichte zum Verständnis von Aristoteles‘ philosophischem System wesentlich sei. Demnach wird die Polis als Endstadium eines historischen Prozesses bei der Entwicklung des Menschen als „soziales Wesen“ betrachtet. Ausgehend von zwei textbasierten Disziplinen wie die Epigraphik und die Übersetzung greifen Roland Béhar und Ronny Kaiser in ihren Beiträgen auf zwei Formen von Transformationsagenten (Personen und Texte) zurück, um daran langwellige, mehrschichtige Transformationsprozesse im Kontext des deutsch-spanischen Kultur- und Wissenstransfers im Zeitalter des europäischen Renaissance-Humanismus zu beleuchten. Beide Beiträge knüpfen an einige Bände aus der Buchreihe „Transformationen der
14 Grundlegend Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011).
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Antike“ an.15 Beide stellen dar, wie das Transformationsmedium der Inschrift und der Übersetzung, d. h. wie antike Wissensbestände über den transformativen Akt der Aneignung zur Legitimierung der Gegenwart, zur Konstruktion der eigenen Kultur, funktionalisiert werden können. Béhar zeigt an den Inscriptiones sacrosante vetustatis (1534), d. h. an der von Peter Apian (Bienewitz) und Bartholomäus Amantig herausgegebenen Sammlung von Inschriften und von gedruckten Abbildungen antiker Skulpturen und Reliefs, wie diese antiken Überreste zur Legitimierung von Politik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts funktionalisiert wurden. Somit steht die programmatische Bedeutung dieser Sammlung, die jenseits des engeren epigraphischen Interesses als quasi-ideologisches Konstrukt gedeutet wird, im Zentrum von Béhars Betrachtung: Das Lesen der Überreste der Antike garantiert die Lesbarkeit der Gegenwart. Nach Béhar geht es nicht an erster Stelle um den Stellenwert der Inscriptiones in der Kunst- und der Epigraphik-Forschung des 16. Jahrhunderts. Vielmehr wird das von Raymund Fugger finanzierte und ihm gewidmete Werk als Produkt der kaiserlichen Programmatik Karls V. interpretiert. Die Epigraphik wird in den Dienst des habsburgischen Hauses gestellt, indem die Vergangenheit als Ort der retrospektiven Legitimierung der Gegenwart gedeutet wird. Den Inschriften kommt nach Béhar die Rolle zu, die mythoprogrammatischen Sichtweisen des habsburgischen Kaisertums in Stein festzuhalten. Die von beiden Herausgebern (Apian, Amantig) bzw. Akteuren der Transformation entfaltete dynamis äußert sich nicht nur in der Auswahl der Referenzobjekte, das heißt im Zusammentragen eines Gesamt-Corpus von Inschriften aus dem Heiligen Römischen Reich. Vielmehr ist diese dynamis an deren Verteilung und Anordnung ablesbar. Die geographische Verteilung der Inschriften innerhalb der Sammlung, an der sowohl der Verzicht auf die Zentralität Roms als auch der besondere Stellenwert der Texte aus der Hispania (Spanien) festgestellt werden kann, bestimmte die Wahrnehmung der damaligen Welt. Solche Inschriften entfalteten über die Jahrhunderte hinweg eine eigene Dynamik und entwickelten sich zum ideologischen und geschichtsträchtigen Objekt, wie der Autor in seinem Beitrag belegt. Die Faszination des antiken Objekts, so Béhar, obsiegt in diesem Fall über die kritische Methode des Humanismus; denn bei dieser Inschrift handelte es sich um eine Fälschung, die schon damals als solche identifiziert wurde. Im Beitrag von Ronny Kaiser steht die Übersetzung von Juan González de Mendozas Schrift Historia de las cosas más notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China (1585) ins Deutsche durch Johann Kellner (1589) und ins Lateinische durch Marcus Henning (1591) im Mittelpunkt. Somit rückt das Medium Übersetzung ins Zentrum, das nach Mindt und Böhme (2007) als „optimales Fallbeispiel“ oder als der
15 Vgl. u. a. Böhme/Rapp/Rösler (2007); Helmrath/Schirrmeister/Schlelein (2009); Helmrath/ Schirrmeister/Schlelein (2013).
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María Ocón Fernández, Johannes Helmrath und Stefan Schlelein
„elementarste Mechanismus von Transformationen“ bezeichnet werden kann.16 Übersetzungen in der Frühen Neuzeit stellen nach Kaiser ganz spezifische Techniken und Praktiken kultureller Transfer- und Aneignungsprozesse dar und spielen eine bedeutende Rolle im Gelehrtendiskurs. Diese zielen darauf ab, Wissensbestände eines bestimmten Referenzbereiches in einen neuen Wissenshorizont zu überführen und sie so einem neuen Aufnahmebereich zu vermitteln. Damit sind wesentliche Merkmale von Übersetzungen als Transformationsmedium benannt. An den Intentionen sowohl von González de Mendoza bei der Auswahl und Aneignung des Darstellungsobjekts China als auch von den beiden Übersetzern seines Werkes ins Deutsche und Lateinische zeigt sich aber die Funktionalisierung dieser Schrift, ihre Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Aufnahmebereichs. Die Aneignung von González de Mendozas Historia durch die deutschen Autoren (Kellner und Henning) erfolgte nicht über einen direkten Zugriff auf das in spanischer Sprache verfasste Werk, sondern intermediär über die von Francesco Avanzo vorgelegte italienische Übersetzung (1586). Bestimmte Wissensbestände werden über mehrere Stufen hinweg neuen Aufnahmebereichen vermittelt. In der frühneuzeitlichen Gelehrtenwelt sind vor allem Paratexte (Widmungen, Vorreden an den Leser, Gedichte etc.) von Bedeutung, denen unter anderem folgende wichtige Funktion zukommt: Übersetzungen den spezifischen Bedingungen des Aufnahmebereichs entsprechend anzupassen und sie funktional neu zu konfigurieren. Mit Hilfe dieser paratextuellen Strategien wird nach Kaiser die jeweilige Übersetzung kontextualisiert, d. h. deren Inhalte werden den spezifischen Anforderungen des Aufnahmebereichs und den Intentionen des Übersetzers entsprechend angepasst. Die christlich-missionarischen Programmatik, die sowohl González de Mendozas Werk als auch die italienische Übersetzung Avanzos prägt, wird aber von Kellner und Henning ignoriert. Die ursprüngliche Programmatik wird in der deutschen Übersetzung durch einen antikatholisch protestantischen und in der lateinischen durch einem wissenschaftsgeschichtlichen Diskurs ersetzt. Nach Kaiser spielt diese Ebene des discours bei beiden Übersetzern (Kellner, Henning) eine ganz wesentliche Rolle, da dadurch die Lektüre der Historia legitimiert wird. Es sind aber diese Paratexte (Widmungsbrief, Vorreden, etc.), die ein jeweils neues Gewand repräsentieren, mit dem das Eingekapselte aus den originär spanischen Wissensbeständen neu eingekleidet wird. Deshalb schreibt Kaiser den Paratexten ein besonders allelopoietisches Potential zu. Im Unterschied zu den drei ersten der Geschichte des politischen Denkens, der Epigraphik und der Übersetzung gewidmeten hauptsächlich textbasierten Beiträgen rücken bei den Aufsatztexten von Susanne Müller-Bechtel und María Ocón Fernández Malerei bzw. Zeichnung und somit das Medium Bild in den Mittelpunkt der
16 Vgl. Böhme (2007), IX; Mindt (2007). Der Übersetzung war innerhalb des SFBs ein eigenes großes Teilprojekt gewidmet. Mehrere Bände der Buchreihe „Transformationen der Antike“ (1, 7, 9, 10, 32, 41) beschäftigen sich mit Geschichte, Theorie und Praxis des Übersetzens.
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Betrachtung. Der Beitrag von Müller-Bechtel fokussiert auf die bislang wenig beachtete künstlerische Aufgabe der akademischen Aktstudie im 18. Jahrhundert und auf ihr transformatives Potenzial. Der Bezug auf die Malerei steht im Beitrag von Ocón Fernández mit der Wiederherstellung einer antiken Maltechnik, der Enkaustikmalerei, und somit mit einem explorativen Ansatz, in Requenos y Vives‘ Schrift Saggi sul ristabilimento dell‘antica arte in Verbindung. Dieser Ansatz wird Johann Joachim Winckelmanns berühmter Geschichte der Kunst des Alterthums gegenübergestellt, anhand derer der spanische Jesuit seine generelle Kritik an den deutschen Gelehrten formuliert. Gegenstand von Müller-Bechtels Untersuchung bilden Zeichnungen nach dem lebenden (männlichen) Modell, die an der in Rom 1754 gegründeten Accademia del Nudo u. a. von spanischen und deutschen Künstlern bzw. Professoren an dieser Einrichtung (Preciado de la Vega, Anton Raphael Mengs etc.) angefertigt wurden. Im Mittelpunkt ihres Beitrags steht nicht das fertige Resultat, d. h. die Zeichnung an sich, sondern vielmehr die Praxis, im Aktstudium Modelle in Posen nach vorbildlichen Antiken zu performieren. Am Gruppenbild der Londoner Akademiker von Johann Zoffany wird das Posenstellen durch den Leiter des Aktstudiums beleuchtet. Die Autorin spricht in diesem Zusammenhang von einer „transformierten Natürlichkeit“. Dieser Transformationsschritt kommt nach Müller-Bechtel in den Fällen vor, in denen sich der Professor beim Stellen des Modells an einem Vorbild, z. B. einer antiken Statue, orientiert. Das Modell ersetzt während der Modellsitzung die vorbildliche antike Skulptur. Darüber hinaus handelt es sich bei diesem Transformationsschritt um die Übersetzung in ein anderes Material, denn die antike Marmorfigur wird von einem Menschen in natura nachgestellt. Ganz im Sinne der Transformationsforschung verfährt Müller-Bechtel bei ihrer Untersuchung der Aktstudien aus dem Bestand der römischen Akademie nicht faktographisch, sondern prozessorientiert. Deswegen stellt sie in Frage, dass der Künstler des 18. Jahrhunderts nur die antiken Skulpturen in seinem Werk zitiere, d. h. dass nur diese für ihn als Referenzobjekt fungieren. Vielmehr spricht sie von einem Prozess, der mit diversen Schnittstellen, Übersetzungen und Überschneidungen verbunden sei und bei dem die antike Skulptur neben den Arbeiten von „modernen Meistern“, wie z. B. Raffael, und anderen Medien (Gipsabguss, graphische Reproduktion) gleichwertig behandelt wird. Die Komplexität der Bezüge erschwert die oftmals versuchte konkrete Identifizierung der einen direkt vorbildlichen Referenz. In diesem Zusammenhang spricht die Autorin von einer „potenzierten Referenz“ und betrachtet es aus dieser Perspektive sogar als kurzsichtig, nach dem einen Vorbild zu suchen. Jede zusätzliche Transformationsstufe verstärkt nach Müller-Bechtel im referentiellen Aufrufen des Vorbildes die Wirkmacht des darin vertretenen visuellen Topos und schwächt zugleich die Wirkmacht der direkt vorbildlichen Referenz. Diese These exemplifiziert Müller-Bechtel in ihrem Beitrag anhand von drei Fallbeispielen. Der Beitrag von Ocón Fernández lenkt die Aufmerksamkeit auf ein bislang in der Transformationsforschung wenig beachtetes Wissensfeld, auf die Kunsttechnologie,
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und insbesondere auf die antike Technik der Enkaustikmalerei. Die Autorin nimmt dabei zwei Figuren des Transformativen oder Agenten der Transformation, nämlich Johann Joachim Winckelmann und Vicente Requeno y Vives in den Blick, die jeweils als Vertreter einer antiquarischen, gelehrten Wissenschaft einerseits und als Protagonisten einer Experimentalwissenschaft im 18. Jahrhundert andererseits beleuchtet werden. Dies wird von Ocón Fernández an Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) und an Requenos Saggi sul ristabilimento dell’antica arte de’ greci e de’ romani pittori (1784) exemplifiziert. Die Autorin macht zunächst auf die beiden Worte aufmerksam, die diese Werke jeweils einführen und an denen diese beiden Positionen festzumachen sind: Geschichte bei Winckelmann und Saggi bei Requeno. Der Begriff Saggi kann sowohl als Probe als auch als Versuch im Sinne von praktischem Experiment gedeutet werden. Ocón Fernández geht auch auf die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Werken ein: auf die Reflexion über den Ursprung der Kunst, die jedoch unterschiedlich mit der Bildhauerei bzw. mit der Malerei in Verbindung gesetzt wird; auf die Prinzipien von Ursprung, Wachstum und Verfall, die Winckelmann wie Requeno in ihren geschichtlichen Darstellungen verfolgen und schließlich auf die Gliederung beider Schriften in zwei Teile. Trotz dieser Gemeinsamkeiten geht Requeno über eine reine geschichtliche Darstellung der Kunst bzw. der Malerei hinaus, indem er im zweiten Teil seiner Saggi die Wiederherstellung (ristabilimento) der antiken Technik der Enkaustik- oder Wachsmalerei, d. h. die Rekonstruktion einer praktischen Methode der Malerei behandelt. Die Wiedergewinnung dieser antiken Maltechnik geschieht aber auf der Grundlage einer Textstelle aus Plinius‘ Naturkunde und somit auf der Basis einer Disziplin, mit der wiederum der explorative Ansatz in Requenos Schrift in Verbindung gebracht wird: der klassischen Philologie. In der Pliniusstelle werden die drei Arten der Wachsmalerei beschrieben, die von der Autorin als konkurrierende Malverfahren gedeutet werden. Bei der Auslegung dieser Textpassage in Plinius‘ Schrift findet die Aneignung antiker Wissensbestände statt, die auf einer explorativen Ebene transformiert und im Hinblick auf die Bedürfnisse der damaligen Zeit aktualisiert werden. In diesem Transformationsvorgang, von der Antike bis in das 18. Jahrhundert, findet sowohl die Verbindung beider Diskurse, des geistesgeschichtlichen mit dem material- und maltechnischen, als auch Requenos Winckelmann-Kritik statt. Mit dem 20. Jahrhundert beschäftigen sich insgesamt drei Beiträge, die aus der Perspektive der Kulturgeschichte sowie der Architekturgeschichte das Transformationskonzept diskutieren. Die Beiträge von Walter Bernecker und Mónica Vázquez Astorga fokussieren auf die faschistische Architektur des Franco-Regimes, eines ihrer Einschätzung nach weniger erforschten Themenfeldes im Vergleich zur Architektur der beiden anderen faschistischen Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts, Italien und Deutschland. Die zur Legitimation des aus dem spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) hervorgegangenen „Neuen Staates“ dienende und somit als politisch zu bezeichnende Architektur wird von Bernecker einerseits anhand der Staats- und Repräsentationsbauten untersucht und dabei der Frage nach dem
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Monumentalismus nachgegangen. Im Unterschied zu dieser „in Stein gehauene Machtinszenierung“ (Bernecker) der Staatsarchitektur lenkt Vázquez Astorga den Blick auf ihre performative Inszenierung im öffentlichen Raum. Im Zentrum ihrer Ausführungen steht somit die Besetzung des öffentlichen Raums durch die Inszenierung von Massenveranstaltungen. Für deren Ausstattung wurden auch architektonische Elemente (Triumphbögen, Pylone, Monolithe oder Postamente zur Anbringung von Emblemen und Insignien) eingesetzt, die aber aus billigen, vergänglichen Materialien (Sperrholz, Gips, Pappe, Holz, etc.) hergestellt wurden. Die Autorin spricht daher von ephemerer Architektur, die aber so wie die Staats- und Repräsentationsarchitektur eine hohe symbolische Bedeutung besitzt. Bernecker und Vázquez Astorga diskutieren in diesem Zusammenhang die Vorbilder bzw. die architektonischen Konzepte, auf die sowohl bei den Repräsentationsbauten des Staates als auch bei der ephemeren Architektur rekurriert wurde. Anhand der römisch-klassischen Antike, die in Anlehnung an deutsche und italienische Vorbilder zumindest in der falangistischen Anfangsphase des Franco-Regimes zum Bedeutungsträger avancierte, wird Antikentransformation im Zusammenhang mit der Bildung des so genannten „Neuen Staates“ in Spanien erläutert. Die römische Antike erweist sich auch im spanischen Fall als „Modell für eine besonders qualifizierte Vergangenheit“ (Jensen, 2017), deren direkter Bezug zur eigenen Gegenwart zunächst als ununterbrochen wahrgenommen werden muss, „um dann um so aktiver an sie anzuknüpfen“.17 Nach einer kurzen an die römische Antike angelehnte Anfangsphase, d. h. zwischen 1939 und 1940/42, knüpft die franquistische Architektur an die eigene Geschichte an, mit anderen Worten: an die imperiale Vergangenheit Spaniens, die mit der Regierungszeit der katholischen Könige und insbesondere Kaiser Karls V. und König Philipps II. in Verbindung gebracht wird. Bernecker wie Vázquez Astorga veranschaulichen ihre Position anhand von Fallbeispielen. Bernecker geht zuletzt auf die vom Franquismus neugeschaffenen Gedächtnisorte ein und analysiert dabei das Kriegsdenkmal und Mausoleum „Tal der Gefallenen“ (Valle de los Caídos), das wegen der von der spanischen Regierung kürzlich beschlossenen Exhumierung der Leiche Francos momentan eine hohe Bedeutung in der politischen Debatte Spaniens einnimmt. Im Zusammenhang mit dem Stellenwert der Antike im franquistischen Staat geht Bernecker auch auf den Beitrag von Fächern wie der Archäologie oder der Alten Geschichte ein. Er konstatiert die geringe Bedeutung, die archäologischen Arbeiten in Franco-Spanien zugesprochen wurden. Auf der institutionellen Ebene, im musealen und universitären Bereich, spielten beide Fächer eine untergeordnete Rolle. Bernecker stellt zusammenfassend fest: „Die Lehre und Propagierung der ,Alten Geschichte‘
17 Jensen, Ulf/Becker, Marcus (2017), 48.
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war der spanischen Einheitspartei, den staatlichen Ämtern oder dem Heer ziemlich gleichgültig“. Gerade Archäologie sowie Alte Geschichte bildeten den Kern der Altertumsdebatte, die in den Zwischenkriegsjahren und bis zum Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges 1936 in der Madrider Revista de Occidente ausgetragen wurde. Die von José Ortega y Gasset gegründete Zeitschrift bot ein diskursives Feld wissenschaftlicher Innovation für Fragen europäisch-spanischer Prähistorie, wie Carl Antonius Lemke Duque in seinem Beitrag ausführt. Der Autor geht nämlich der Frage nach den europäischen Austauschwegen, insbesondere im spanisch-deutschen Wissenstransfer, nach und eruiert die Verortungsmodi kulturtheoretischer Interpretation, die sich im Rahmen der Altertumsdebatte im Kreis der Revista de Occidente herausbildeten. Die Altertumsdebatte im Spanien der Zwischenkriegsjahre wurde durch diesen Kreis stimuliert und maßgeblich bestimmt. Zum Kern prähistorischer Debatte gehörten z. B. der in Madrid lehrende Prähistoriker und Anthropologe Hugo Obermaier. In seiner Lehre sowie mit seinen Beiträgen für die Revista de Occidente positionierte er sich für die damals in den frühgeschichtlichen Fachdebatten vielfach diskutierte Kulturkreislehre, der sich auch der katalanische Ethnologe Pedro Bosch Gimpera anschloss. Einen hohen Bekanntheitsgrad dank der Popularität der archäologischen Funde von Tartessos erreichte die Publikation des deutschen Althistorikers und Archäologen Adolf Schulten mit dem gleichnamigen Titel: Tartessos. Ihren Untertitel „Beitrag zur ältesten Geschichte des Westens” wählte Lemke Duque zum Haupttitel seines Beitrags. 1922 veröffentlicht, erschien Schultens Publikation ein Jahr später auf Spanisch in der Übersetzung von Bosch Gimpera. Die Wirkmächtigkeit von Schultens Schrift liegt an seinem Vergleich der spanischen Frühkultur „TarschischTartessos“ mit dem antiken Troja. Damit schaffte er nach Lemke Duque ein hesperisches Gegenstück zu den uralten Kulturstätten des Orients (Babylon und Ninive, Memphis und Theben, Knossos und Phaistos). Darüber hinaus präsentierte Schulten dieses südwestliche Handelszentrum als natürliche Hauptstadt Andalusiens. In einem in der Revista de Occidente 1923 veröffentlichten Aufsatz erschien diese atlantisch-afrikanische Handelsmacht als früheste relevante Kultur der Iberischen Halbinsel. Tartessos fungierte als Gegenpol zu den zersplitterten Volksstämmen der Iberer und diente somit als Referenz zur kulturhistorischen Bedeutung Hispaniens für die europäisch-mediterrane Zivilisationsgeschichte. Tartessos wird von Schulten als hesperischer Abschluss des frühantiken Mittelmeerraums dargestellt. Diese von Schulten vertretene Ansicht sowie die Assoziation der Tartessosfrage mit dem Atlantismythos stellt Lemke Duque im Kontext weiterer Beiträge aus dem Kreis der Revista de Occidente dar, zu deren Autoren auch der Ethnologe Leo Frobenius gehörte. Nicht nur dieses Forschungsgebiet, sondern auch das enorme Forschungsfeld der griechischen Kolonisierung der Iberischen Halbinsel ist nach Lemke Duque speziell im deutschspanischen Fachdiskurs zur Frühantike im Kreis der Revista de Occidente intensiv verhandelt worden. Dies gilt ebenfalls für den Debattenschwerpunkt zur römischen Geschichte, der Mitte der 1920er Jahre ebenfalls in diesem Kreis entstand.
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Der abschließende Beitrag des Bandes von Burkhard Meyer-Sickendiek nimmt die Dreiecksrelation von Antikentransformation und Transfer Spanien-Deutschland fokussiert auf eine gattungstheoretische Frage in den Blick: die kulturell hoch aufgeladene Tonlage der literarischen Romanze. Für dieses volkstümliche Erzähllied genuin spanischer Herkunft sei demnach der von Ehrgefühl und Stolz geprägte Tonfall charakteristisch. Friedrich Schlegel sprach in dem Zusammenhang vom „höchsten Ehrgefühl“ und dem „edelsten Stolz“ der altspanischen Romanze. Diese Mischung aus Stolz, Ehrgefühl und Ruhmbegierde sei nach Schlegel gar nicht so leicht in andere Sprachen zu übertragen. Dennoch findet diese literarische Gattung seit dem 16. Jahrhundert Eingang in die europäische Kunstdichtung.18 MeyerSickendieks Beitrag fokussiert dabei auf die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts, insbesondere auf die Epoche der Romantik. Er wählt für seine Untersuchung eine besondere Ausprägung der literarischen Romanze: die Heldenromanze, exemplifiziert an der Figur des spanischen Nationalhelden Rodrigo Díaz, genannt El Cid Campeador. An den Werken einiger deutschen Autoren als Formen eines „rewritings“,19 insbesondere aber an Johann Gottfried Herders Der Cid. Geschichte des Don Ruy Diaz, Grafen von Bivar (1803–1804) sowie an Heinrich Heines 1851 erschienenen Gedichtzyklus Romanzero geht Meyer-Sickendiek auf gattungstypische Merkmale der heldenepisch geprägten Romanze, allem voran auf den Stolz („stolzer Kastilianer“) ein. Im Zusammenhang mit Herders Romanzenzyklus verfolgt er die Frage nach den Transformationen der altspanischen, von „edelstem Nationalgefühl“, von Ritterlichkeit und Freiheitsstreben getragenen Stolz der Romanze im deutschsprachigen Kontext des 19. Jahrhundert. In seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung des (antiken) Begriffs der superbia stellt er dessen Ambivalenz heraus: Stolz im guten und im üblen Sinne. Meyer-Sickendiek zufolge prallt in den Romanzen der kämpferische Übermut des adligen Helden mit der christlichen Forderung der humilitas aufs schärfste zusammen: Demut als Gegenstück zur superbia (Stolz). Im Kontext der Transformationen des altspanischen Heldenstoffes und somit auch des (antiken) Begriffs der superbia in der deutschen Dichtung des 19. Jahrhunderts ist folgende These Meyer-Sickendieks zentral: Das Verständnis Herders von Stolz, Größe, Ruhm und Kühnheit des spanischen Helden geht nicht nur auf seine Kenntnisse originärer Romanzen des Altspanischen zurück. Es resultiere auch aus der Aktualisierung dieses Stoffes im 18. Jahrhundert. Denn Herders
18 Vgl. in diesem Zusammenhang den Beitrag von Cornelia Wilde zu der Prosaromanze Bentivolio and Urania (1672) des englischen Theologen Nathaniel Ingelos, die als eine Form der frühneuzeitlichen romance im England des 17. Jahrhunderts entstand. (vgl. Wilde [2008], 171–198). MeyerSickendiek erwähnt das Theaterstück Le Cid (1636) des französischen Dramatikers Pierre Corneille, mit dem der spanische Nationalheld des Hochmittelalters El Cid Eingang in die europäische Literatur fand. 19 Zu Begriff und Anwendung des „Rewritings“ im Rahmen des Transformationskonzepts siehe Pfeiffer/Fantappié/Roth (2017).
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Überarbeitung des altspanischen Stoffs und somit sein Verständnis vom Stolz (superbia) basiert nicht auf dem originären spanischen Volkslied. Als Vorlage für sein Werk diente ihm vielmehr eine aus dem 18. Jahrhundert stammende französische Prosafassung des 1605 entstandenen Romancero des Spaniers Juan de Escobar. Zuletzt befasst sich Meyer-Sickendiek mit Heines Romanzero und stellt dabei fest, dass erst bei Heines Adaptation der Romanzenstrophen das exotische Motiv des „kastilianischen Stolzes“ eine der Dichtung Herders vergleichbare Rolle spielt. Im Mittelpunkt seiner Auseinandersetzung mit Heines Werk stellt er das dritte Buch, Hebräische Melodien, das dem spanisch-jüdischen Dichter Jehuda ben Halevy aus Tudela gewidmet ist. Für Heine ist Halevy, vergleichbar mit El Cid, ein Befreier seines Volkes. Doch verfolgt Heine mit diesem dritten Buch auch ein didaktisches Interesse, das hochtransformatorisch ist: Die jüdische Tradition in die deutschsprachige Literatur einzuführen. Dies sei an vielfachen Zitaten aus dem jüdischen Ritus und der literarischen Tradition des Judentums in Heines Hebräische[n] Melodien festzustellen.
Literaturverzeichnis Baker, Patrick/Helmrath, Johannes/Kallendorf, Craig (Hg.), Beyond Reception. Renaissance Humanism and the Transformation of Classical Antiquity, Berlin/Boston 2019 [Transformationen der Antike, Bd. 62]. Böhme, Hartmut/Rapp, Christof/Rösler, Wolfgang (Hg.), Übersetzung und Transformation, Berlin 2007 [Transformationen der Antike, Bd. 1]. Böhme, Hartmut/Bergemann, Lutz/Dönike, Martin/Schirrmeister, Albert/Töpfer, Georg/Walter, Marco/Weitbrecht, Julia (Hg.): Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels, München 2011. Helmrath, Johannes/Schirrmeister, Albert/Schlelein, Stefan (Hg.), Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung, Berlin/Boston 2009, [Transformationen der Antike, Bd. 11]. Helmrath, Johannes/Schirrmeister, Albert/Schlelein, Stefan (Hg.), Historiographie des Humanismus. Literarische Verfahren, soziale Praxis, geschichtliche Räume, Berlin 2013 [Transformationen der Antike, Bd. 12]. Helmrath, Johannes/Hausteiner, Eva Marlene/Jensen, Ulf (Hg.), Antike als Transformation. Konzepte zur Beschreibung kulturellen Wandels, Berlin 2017 [Transformationen der Antike, Bd. 49]. Jensen, Ulf/Becker, Marcus, „Disparate Topologien. Zum Wechselspiel von Geschichtsbild und Filmszenographie in The Fall of the Roman Empire (1964)“, in: Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017), 47–69. Mindt, Nina, Die optimale Transformation (der Antike). Ein Überblicksversuch über die Übersetzungsdiskussion in der Gegenwart, in: Übersetzung und Transformation, hg. v. Hartmut Böhme, Christof Rapp, Wolfgang Rösler, Berlin 2007, 47–60 [Transformationen der Antike, Bd. 1]. Pfeiffer, Helmut/Fantappié, Irene/Roth, Tobias (Hg.), Renaissance Rewritings, Berlin/Boston 2017, [Transformationen der Antike, Bd. 50].
María Ocón Fernández, Johannes Helmrath y Stefan Schlelein
Introducción Este volumen reúne nueve ponencias representativas del simposio internacional «Figuras de la transformación. Recepción, transferencia e intercambio», organizado por el Grupo de investigación 644 «Transformaciones de la Antigüedad» (Sonderforschungsbereich 644 «Transformationen der Antike»),1 que tuvo lugar del 15 al 17 de noviembre de 2012 en el Instituto Cervantes de Berlín. Dentro del marco de las relaciones culturales hispano-alemanas, el congreso se centró en la reflexión sobre el concepto de la «transformación de la Antigüedad» desde un enfoque interdisciplinar y tomando como referencia las «figuras de la transformación». Las ponencias presentadas abarcaron diversas épocas históricas y partieron del estudio de ejemplos concretos. Con este evento se pretendió asimismo dar a conocer este concepto, clave para el SFB, más allá de las fronteras de Alemania y del ámbito cultural de la lengua alemana, una finalidad que también se persigue con este volumen. Dado que ésta será una de las últimas publicaciones de la colección «Transformationen der Antike», en la presente edición se establecerán vínculos con los debates y los resultados alcanzados por el SFB.2 Partiendo de la configuración básica de las transformaciones –es decir, de un ámbito (antiguo o considerado como antiguo) que constituye la referencia, de otro de recepción y de los «agentes» que las generan–, todos los trabajos aquí reunidos se centran en estos «agentes de la transformación» situándolos en un contexto histórico-cultural concreto. A partir de estos presupuestos, se ahondará en el nexo que vincula metódicamente la transformación con el principio de producción recíproca (Allelopoiese) y los modelos teóricos tradicionales que conciben la transferencia cultural como un
1 El simposio fue organizado con la participación de los siguientes subproyectos: A 04: Transformaciones de la historiografía antigua y conocimiento histórico en la Edad Media y el Renacimiento (Johannes Helmrath, Stefan Schlelein) así como B 08: El Dios diferente. Construcciones de Dionisio en la Edad Moderna (Roberto Sanchiño Martínez) junto a María Ocón Fernández como miembro cooptado. Estos subproyectos pertenecían a la Humboldt Universität (Universidad Humboldt) y a la Freie Universität (Universidad Libre), ambas de Berlín. En adelante se utilizará el acrónimo SFB para aludir al Grupo de investigación «Transformaciones de la Antigüedad». 2 En sus doce años de existencia (2005–2016), en el SFB 644 se llevaron a cabo una treintena de proyectos de carácter multidisciplinar que cronológicamente abarcan desde la antigüedad posclásica hasta nuestros días. En este marco se realizaron una gran cantidad de actividades de muy diversa índole (talleres, conferencias, congresos anuales, etc.) y se publicaron numerosos volúmenes, sobre todo en su colección «Transformationen der Antike». El concepto de transformación así como su instrumento de análisis, que incluye catorce tipos de transformación y tres diferentes modalidades, se elaboró a lo largo de varios años de trabajo conjunto entre todos sus subproyectos. https://doi.org/10.1515/9783110651997-002
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proceso que opera de manera unidireccional o bilateral, generalmente de forma sincrónica en el espacio y en el tiempo. Un ejemplo claro a este respecto son los fenómenos de intercambio o transferencia cultural entre España y Alemania desde un punto de vista sincrónico, pero sobre todo diacrónico, en un arco histórico que se extiende desde la Edad Media hasta el presente. Este volumen no plantea una revisión, por otra parte necesaria, de la teoría que sustenta la relación entre transformación y transferencia cultural. Sin embargo, algunos textos abordarán esta relación a partir del estudio de ejemplos concretos. Respecto al concepto de transformación: uno de sus fundamentos consiste en la convicción de «que no existe ni ha existido nunca una aproximación directa a la ‹Antigüedad en sí›. Siempre ha habido y sigue habiendo una mediación en las transmisiones y traducciones, en la transferencia y las transformaciones de las sociedades antiguas».3 Una vez superada la investigación sectorial, es decir, el aislamiento de las disciplinas académicas, vigente durante mucho tiempo en los estudios sobre la Antigüedad, el concepto de transformación, y en el ámbito de las humanidades, se establece desde un principio con carácter interdisciplinar. Dicho concepto ofrece un enfoque integrador4 aplicable a disciplinas y ámbitos del conocimiento provenientes de las áreas humanísticas, los estudios culturales y la historia de las ciencias, que constituyen objeto de su estudio. Este concepto persigue establecer un modelo de carácter general para la investigación de los cambios históricos.5 Así, las transformaciones pueden considerarse como procesos complejos que, generados por los denominados «agentes», se dan entre un ámbito de referencia y otro de recepción.6 Por eso, el concepto rector de la «transformación de la Antigüedad» implica la diferenciación entre un ámbito de referencia y otro de recepción posterior, que puede situarse en la Edad Media, en la Edad Moderna o incluso en nuestros días.7 En esta relación bilateral, descrita anteriormente, la referencia a la Antigüedad no puede concebirse solo como una recepción lineal y unilateral de un objeto fijo. Muy por el contrario, ésta debe interpretarse en términos de «reciprocidad productiva» (Böhme, 2011), o sea, como un intercambio o una interacción entre estas dos culturas. La Antigüedad y su conocimiento (cultura de referencia y de recepción o receptora) se generan recíprocamente.8 En 2007 Hartmut Böhme sostenía que «la ‹Antigüedad› no es un objeto fijo, ni puede serlo. Muy al contrario: La Antigüedad es engedrada una y
3 Böhme (2007), VI. 4 Véase: Bergemann/Dönike/Schirrmester/Töpferalter/Weitbrecht (2011), 41. 5 Véase: Böhme (2011), 8; además véase: Böhme/Rapp/Rösler (2007), VII. 6 Véase: Bergmann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 39. O en la escueta definición de Georg Töpfer: «Las transformaciones se dan entre un ámbito de referencia y otro de recepción, siendo causadas por un agente de transformación», Töpfer (2011), 165–166. 7 Véase: Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017), 3. 8 Véase Böhme (2011), 13. Véase también: Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017), 2.
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otra vez produciendose así algo nuevo o incluso ‹inventado›, pudiendo ser alterado y diferenciado continuamente a través de los medios de su recepción».9 De acuerdo con ello, la investigación sobre la transformación se sustenta en los procesos y no necesariamente en los hechos. En contraste con el concepto de transferencia cultural, ésta opera más bien de forma diacrónica que sincrónica, en complejas «cadenas de transformación» de larga duración.10 Esta interacción entre ambos ámbitos (el de referencia y el de recepción) constituye el rasgo esencial de los procesos transformadores que producen algo «nuevo» en un doble sentido: configuraciones nuevas en mutua dependencia, tanto en el seno de la cultura de referencia como de la receptora.11 A esta forma de interacción se la denomina «Allelopoiese».12 Aquí radica la diferencia entre el concepto de transformación «allelopoiética» y los modelos de recepción o de transferencia cultural, ya que el proceso transformador que configura el ámbito de referencia y el de recepción supera, tanto en el grado de reciprocidad como en el grado del cambio generado, los modelos tradicionales anteriormente mencionados.13 No obstante, la transferencia cultural entraña elementos transformadores, como los que se dan en el intercambio de científicos alemanes y españoles en los años treinta del siglo XX o en la apropiación de los géneros literarios españoles en la literatura alemana del siglo XIX. Además, en el caso de la transformación «allelopoiética» se desplaza a un primer plano la potencialidad o dynamis de estos agentes o figuras de la transformación, tanto en la elección de determinados aspectos del ámbito de referencia (del objeto «Antigüedad») como en el acto de apropiación o en el proceso transformador o de cambio. En la descripción y el análisis de las transformaciones se procede, en términos formales, de diversas maneras, y en términos estructurales, desde distintos niveles, de modo que desde una perspectiva histórica y topológica de la cultura es posible identificar múltiples «figuras de la transformación». Las figuras o agentes de la transformación no implican una distinción entre actores humanos y no humanos. Por tanto, pueden definirse como tales personas y cosas, determinadas prácticas o técnicas, medios (relativos al texto y a la imagen) y artefactos, ideas y conceptos, formas del conocimiento y del recuerdo, al igual que ciertas estructuras supraindividuales como instituciones, escuelas, u otros sistemas sociales. Como agentes de un entramado de interacciones, éstos generan, definen y regulan en gran medida
9 Böhme (2007), VII. 10 Böhme (2011), 10–11. 11 Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 39. 12 Sobre el concepto de Allelopoiese véase también: Helmrath/Hausteiner/Jensen (2017), 1–14 (Einleitung) como también este volumen en su totalidad. 13 Véase: Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011), 41. Sobre el enfoque integrativo de la teoría de la transformación frente a los modelos de la teoría de la recepción y transferencia, así como del análisis del discurso, véase también: Baker/Helmrath/Kallendorf (2019).
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las formaciones discursivas, las relaciones institucionales, las interrelaciones sociales y políticas, así como las vías de comunicación pragmáticas y los campos semánticos, en los que se produce cualquier transferencia cultural. Como ya se ha expuesto, los procesos transformadores pueden estar iniciados por uno o más agentes o figuras de la transformación. Del mismo modo, la dynamis que éstos despliegan puede responder, aunque no necesariamente, a un impulso intencional. Para una evaluación general de dichos agentes, resulta de suma relevancia el instrumento de trabajo y análisis desarrollado por el SFB, conformado por tres modalidades (conservación, inclusión e identificación) y catorce tipos de transformación (apropiación, asimilación, disyunción, encapsulación, hibridación, montaje, negación, reconstrucción, traducción, etc.). Este instrumento permite realizar un diagnóstico de procesos concretos de transformación con un mayor grado de precisión y sutileza.14 En las contribuciones aquí reunidas se estudian diferentes aspectos de los procesos de cambio (de orden histórico, político, cultural o propios de la historia de las ciencias, etc.), en los que es posible identificar numerosas figuras de la transformación. Sin embargo, lo que une a todos los artículos, que a continuación pasaremos a presentar brevemente, es la relación definida por la transformación de la Antigüedad y transferencia cultural entre España y Alemania. Encabeza el volumen la contribución de Salvador Rus Rufino y Francisco Arenas-Dolz sobre la obra de Aristóteles Πολιτικά (Política) y sus comentaristas, del siglo XIII al XVIII, en torno a un concepto aristotélico clave: el ser humano como πολιτικὸν ζῷον (politikón zóon). En su trabajo, Rus Rufino y Arenas-Dolz trazan un entramado semántico forjado por las traducciones e interpretaciones de este concepto en textos de autores españoles y alemanes, pero también franceses, italianos y holandeses a lo largo de cinco siglos. El análisis de tales comentarios sobre esta obra clave de la Antigüedad pone de manifiesto el potencial transformador de este concepto, al tiempo que se analiza la transformación semántica de πολιτικὸν ζῷον desde la Edad Media hasta la Ilustración, pasando por el Renacimiento. Rus Rufino y Arenas-Dolz demuestran que durante el Renacimiento y el Humanismo se da primacía a la interpretación de πολιτικὸν ζῷον como «ser político» frente a otras como «ser civil» o «social», propias de la Edad Media. Esta diferenciación se consolidará semánticamente después de la Guerra de los Treinta Años (1618–1648): En los países que se acogen a la Reforma se impone la interpretación de «ser político», mientras que en los católicos predomina la de «ser civil» o «social». Además, los autores dirigen la atención hacia una disciplina en la obra aristotélica que hasta ahora había suscitado escaso interés en la investigación: la historia. Los autores no solo muestran que esta área del conocimiento está presente en varias de las obras de Aristóteles, sino que a su vez constatan que la historia resulta esencial para comprender su sistema
14 Véase especialmente: Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Töpfer/Walter/Weitbrecht (2011).
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filosófico. Según esta interpretación, la polis se contempla como la última etapa de un proceso histórico en el desarrollo del ser humano como «ser social». En el marco de dos disciplinas basadas en textos, la epigrafía y la traducción, Roland Béhar y Ronny Kaiser recurren en sus respectivos trabajos a dos formas de agentes de la transformación (personas, textos) para examinar procesos de transformación multifacéticos y de larga duración. Éstos se desarrollan en el contexto de la transferencia cultural y de conocimientos entre España y Alemania en la época del Humanismo renacentista europeo. Ambos artículos establecen conexiones con algunos volúmenes de la colección «Transformationen der Antike».15 Pero, ante todo, en ellos se da cuenta de dos medios de la transformación (la epigrafía y la traducción) y de cómo el conocimiento de la Antigüedad, a través del acto transformador de la apropiación, puede ser funcionalizado para legitimar el presente, para construir la propia cultura. Béhar toma las Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis (1534) –la colección de inscripciones y de reproducciones impresas de esculturas y relieves de la Antigüedad editada por Peter Apian (Bienewitz) y Bartholomäus Amantig– para mostrar la función de legitimación política que se atribuyó a estos vestigios de la Antigüedad en la primera mitad del siglo XVI. De este modo, el análisis de Béhar se centra en el carácter programático de esta colección. Más allá del estricto interés propio de esta disciplina, es interpretada como un constructo casi ideológico: la lectura de los vestigios de la Antigüedad sirve como garante para la legibilidad del presente. Según Béhar, no se trata, en un primer término, de valorar las Inscriptiones en la investigación del arte y la epigrafía del siglo XVI. La obra financiada por Raymund Fugger y dedicada a éste es interpretada, ante todo, como producto del programa imperial de Carlos V. Al interpretar el pasado como lugar de legitimación retrospectiva del presente, la epigrafía se pone al servicio de la Casa de Habsburgo. Según Béhar, las inscripciones desempeñan la función de grabar en piedra las perspectivas mitoprogramáticas del Imperio de los Habsburgo. La dynamis desplegada por los editores (Apian, Amantig), ambos agentes de la transformación, se manifiesta no solo en la elección de los objetos de referencia, es decir, en la conformación de un corpus completo de inscripciones del Sacro Imperio Romano Germánico. En mayor medida, esta dynamis puede comprobarse en su organización. La distribución geográfica de las inscripciones en la colección pone de manifiesto la renuncia a la centralidad de Roma como también el significado que adquieren los textos provenientes de Hispania, evidenciando así la percepción del mundo de entonces. A lo largo de los siglos, inscripciones de esta índole desplegaron una dinámica propia y se desarrollaron hasta constituir un objeto ideológico e histórico, tal como demuestra el autor en su artículo. La fascinación que ejerce el objeto de la Antigüedad, afirma Béhar, prevalece en este caso sobre el método
15 Véase: Böhme/Rapp/Rösler (2007); Helmrath/Schirrmeister/Schlelein (2009); Helmrath/Schirrmeister/Schlelein (2013) y otros.
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crítico propio del Humanismo, ya que en el caso concreto de esta obra se trata de una falsificación, que ya en aquella época fue identificada como tal. La contribución de Ronny Kaiser gira en torno a la traducción del escrito de Juan González de Mendoza titulado Historia de las cosas más notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China (1585) realizada al alemán por Johann Kellner (1589) y al latín por Marcus Henning (1591). El estudio de Kaiser gira en torno a la traducción como medio, que en opinión de Nina Mindt y Böhme (2007) puede considerarse «ejemplo óptimo» o «mecanismo primordial de los procesos de transformación».16 Las traducciones realizadas en los inicios de la Edad Moderna representan, en opinión de Kaiser, técnicas y prácticas muy específicas de procesos de transferencia y apropiación culturales y desempeñan un papel importante en el discurso erudito, ya que su objetivo es trasladar el saber de un determinado ámbito de referencia a un nuevo horizonte de conocimiento y así transmitirlo a un nuevo ámbito de recepción. Tales son las características fundamentales de las traducciones en su función como medio de la transformación. Las intenciones de González de Mendoza en la selección y apropiación del objeto de su descripción, China, al igual que las de sus ambos traductores (al alemán y al latín) ponen de manifiesto los siguiente: Esta obra es funcionalizada, es decir, adaptada a las necesidades específicas de cada uno de sus ámbitos de recepción. La apropiación de la Historia de González de Mendoza por parte de los autores alemanes (Kellner y Henning) no se efectuó accediendo directamente a la obra redactada en español, sino por intermedio de la traducción realizada por Francesco Avanzo al italiano (1586). En otras palabras, determinados conocimientos llegan a nuevos ámbitos de recepción a través de varias etapas. En el mundo erudito en los inicios de la Edad Moderna adquieren especial relevancia los paratextos (dedicatorias, prólogos, poemas, etc.). A éstos se les asigna, entre otras, la función de adaptar las traducciones a las condiciones específicas del ámbito de recepción y reconfigurarlas a partir de la nueva función que asumen. Según Kaiser, con ayuda de estas estrategias paratextuales se contextualiza cada una de las traducciones, es decir, sus contenidos se adaptan a las exigencias específicas del ámbito de recepción y a las intenciones del traductor. El programa cristiano-misionario que da impronta a la obra de González de Mendoza como también a la traducción al italiano de Avanzo es, sin embargo, ignorada por Kellner y Henning. En otras palabras: El carácter programático originario es reemplazado en la traducción al alemán por un discurso protestante anticatólico y al latín por uno propio de la historia de las ciencias. Kaiser sostiene que este nivel del discours es crucial en ambos traductores (Kellner, Henning), ya que a través de éste se legitima la lectura de la Historia. Son, en definitiva, estos paratextos (dedicatoria en forma de carta, prólogos, etc.), los que en
16 Véase: Böhme (2007), IX; también: Mindt (2007). En el marco del SFB, la traducción conformó el tema de uno de los subproyectos, de ahí que varios volúmenes de la colección «Transformationen der Antike» (1, 7, 9, 10, 32, 41) se centren en la historia, la teoría y la práctica de la traducción.
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cada caso otorgan un ropaje nuevo que reviste lo encapsulado, extraído de los conocimientos producidos originariamente en lengua española. Por este motivo, Kaiser atribuye a los paratextos un potencial especialmente «allelopoiético». A diferencia de las tres primeras contribuciones, relacionadas con la historia del pensamiento político, la epigrafía y la traducción y basadas predominantemente en textos, los artículos de Susanne Müller-Bechtel y María Ocón Fernández se centran en el dibujo y la pintura respectivamente, es decir, en la imagen como medio. Müller-Bechtel enfoca su trabajo en el estudio académico del desnudo en el siglo XVIII –una tarea artística que hasta ahora había suscitado poco interés en la investigación– y en su potencial transformativo. En la aportación de Ocón Fernández la reflexión sobre la pintura va ligada a la recuperación de una técnica pictórica antigua, la técnica del encausto, conectando así con el enfoque experimental de la obra de Requeno y Vives Saggi sul ristabilimento dell’ antica arte. Partiendo de este enfoque, se compara esta obra con la célebre Historia del arte de la Antigüedad de Johann Joachim Winckelmann, lo que a su vez permite al jesuita español formular una crítica general al estudio del erudito alemán. El objeto de análisis de Müller-Bechtel lo constituyen dibujos de la figura humana hechos a partir de un modelo al natural (masculino) y realizados por artistas así como por profesores españoles y alemanes (Preciado de la Vega, Anton Raphael Mengs etc.) de la Accademia del Nudo, fundada en 1754 en Roma. El interés de estos trabajos no radica en el resultado final, es decir, en el dibujo en sí, sino en la práctica performativa que consiste en el estudio de desnudos que posan imitando conocidos modelos de la Antigüedad, a los que se atribuía un carácter ejemplar. El retrato de grupo de académicos londinenses de Johann Zoffany, director de la clase del desnudo, es utilizado para ilustrar el acto del posado. La autora utiliza al respecto la expresión «naturalidad transformada». La transformación, según Müller-Bechtel, tiene lugar en los casos en que el profesor, en el acto de colocar al modelo humano en una pose determinada, toma como referencia una estatua de la Antigüedad. El modelo humano reemplaza, durante la sesión del posado, la escultura antigua. Además, la transformación implica también la traducción a otro material, ya que la estatua marmórea antigua es imitada por una persona in natura. En completa sintonía con las investigaciones en torno a la transformación, Müller-Bechtel, en su análisis de estos estudios académicos provenientes de las colecciones de la Academia romana, procede tomando como punto de referencia los procesos y no los hechos. Es por ello que pone en tela de juicio que el artista del siglo XVIII esté citando en su obra únicamente las esculturas antiguas, es decir, que solo éstas hagan las veces de objeto de referencia. Ella habla, en cambio, de un proceso, en el que a su entender interactúan traducciones junto a la intersección y superposición de varios factores, donde la escultura antigua se sitúa al mismo nivel que los trabajos de «maestros modernos», como Rafael, y que otros medios (vaciado en yeso, reproducción gráfica). La complejidad de las referencias en este proceso hace que sea difícil identificar de forma concreta un referente único y ejemplar, algo que, por otro lado, se intenta con
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frecuencia. En este contexto, la autora habla de una «referencia potenciada» y desde esta perspectiva incluso considera miope la búsqueda de un único modelo ejemplar. Según Müller-Bechtel, en cada estadio de la transformación, al evocar de manera referencial el modelo, se refuerza el efecto del topos visual allí representado a la vez que se debilita el de la referencia en ese momento citada. En su artículo, MüllerBechtel se sirve de tres ejemplos para ilustrar esta tesis. El artículo de Ocón Fernández dirige la atención hacia un área del conocimiento que hasta el momento había sido poco tratada en el campo de las transformaciones: la tecnología del arte y, en particular, la antigua técnica de la pintura al encausto. La autora se centra en dos figuras o agentes de la transformación –Johann Joachim Winckelmann y Vicente Requeno y Vives– que son estudiados, el primero, en calidad de representante de una ciencia erudita y anticuaria, y el segundo, en tanto que protagonista de la ciencia experimental del siglo XVIII. La Historia del Arte de la Antigüedad (1764) de Winckelmann y Saggi sul ristabilimento dell’antica arte de’ greci e de’ romani pittori (1784) de Requeno son utilizadas por Ocón Fernández a modo de ejemplo, y lo hace partiendo de las dos palabras que, en cada caso, introducen cada uno de estos escritos permitiendo así situar las dos posiciones en cuestión: Historia [Geschichte] en Winckelmann y Saggi en Requeno. Esta última (Saggi) puede ser interpretada como prueba, pero también como ensayo en el sentido de experimento práctico. Ocón Fernández también ahonda en lo que ambas obras tienen en común: la reflexión acerca del origen del arte, que no obstante es asociada de manera distinta a la escultura y la pintura respectivamente; los principios de origen, desarrollo y decadencia, a los que tanto Winckelmann como Requeno recurren en sus explicaciones de índole histórica, y, finalmente, la organización de ambos escritos en dos partes. Pese a estas coincidencias, Requeno va más allá de una pura explicación histórica del arte o de la pintura. En la segunda parte de su Saggi se ocupa del restablecimiento de la antigua técnica de la pintura encáustica o de la cera, es decir, de la reconstrucción de un método práctico de la pintura. La recuperación de esta técnica pictórica de la Antigüedad se realiza sobre la base de un pasaje de la Historia natural de Plinio partiendo así de una disciplina que por su parte puede vincularse con el enfoque experimental del escrito de Requeno: la filología clásica. En ese pasaje de Plinio se describen tres tipos de pintura encáustica que la autora interpreta como procedimientos pictóricos que rivalizan entre sí. En el proceso de interpretación de este pasaje del texto de Plinio tiene lugar la apropiación de conocimientos de la Antigüedad, su transformación en un plano experimental y actualización en función de las necesidades de la época en cuestión. En este proceso de transformación, que se extiende de la Antigüedad hasta entrado el siglo XVIII, tiene lugar tanto la vinculación de ambos discursos –el histórico con aquel propio de la tecnología de los materiales y la pintura– como también la crítica de Requeno a Winckelmann. Tres contribuciones de este volumen abordan el siglo XX, cuestionando el concepto de transformación desde la perspectiva de la historia de la cultura y de la
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arquitectura. Los artículos de Walter Bernecker y Mónica Vázquez Astorga se centran en la arquitectura fascista del régimen franquista, un área que consideran poco explorada en comparación con la arquitectura de las otras dos dictaduras europeas del siglo XX, la italiana y alemana. Objeto de estudio de Bernecker es la arquitectura al servicio de la legitimación del «Nuevo Estado» surgido de la Guerra Civil Española (1936–1939) y que por tanto puede calificarse como política. Recurriendo a los edificios estatales y con función representativa, el texto resalta su carácter monumental. A diferencia de esta «puesta en escena del poder esculpido en piedra» (Bernecker) de la arquitectura estatal, Vázquez Astorga dirige su atención a la performatividad de su puesta en escena en el espacio público. Su argumento gira en torno a la ocupación del espacio público a través de la organización de actos de masas. En su realización también se utilizaron elementos arquitectónicos (arcos de triunfo, pilones, monolitos o pedestales para colocar emblemas e insignias) hechos, sin embargo, de materiales baratos y perecederos (contrachapado, yeso, cartón, madera, etc.). Por esa razón, la autora habla de arquitectura efímera, que no obstante, y al igual que la arquitectura estatal y representativa, posee un elevado significado simbólico. Bernecker y Vázquez Astorga analizan en este contexto los referentes y conceptos arquitectónicos a los que se recurrió, tanto en el caso de los edificios estatales como de la arquitectura efímera. Los autores tratan la transformación de la Antigüedad, tomando como ejemplo la formación de lo que se conoce como «Nuevo Estado», a partir de la Antigüedad clásica romana. En la fase inicial falangista del régimen de Franco la Antigüedad clásica se encontraba respaldada por los referentes alemanes e italianos llegando a asumir un fuerte contenido simbólico. También en el caso español se pone en evidencia que la Antigüedad romana es considera como «modelo para un pasado especialmente cualificado» (Jensen, 2017) y su relación directa con el presente deberá percibirse primero como algo ininterrumpido «para luego establecer lazos con éste de forma aún más activa».17 Después de una breve etapa inicial (entre 1939 y 1940/42), en la que se toma como punto de referencia a la Antigüedad romana, la arquitectura franquista establece un vínculo con su propia historia: el pasado imperial español vinculado con el reinado de los Reyes Católicos y, en particular, con el del emperador Carlos V y del rey Felipe II. Tanto Bernecker como Vázquez Astorga recurren a ejemplos para ilustrar estas tesis. Por último, Bernecker se refiere a los lugares de la memoria creados por el franquismo y analiza en este contexto el monumento de guerra y mausoleo del «Valle de los Caídos», que en la actualidad ha cobrado suma relevancia en el debate político de España a partir de la reciente decisión del gobierno español de exhumar los restos de Franco. En lo que atañe a la valoración de la Antigüedad en el estado franquista, Bernecker se refiere también a la contribución de disciplinas como la Arqueología o la Historia antigua constatando la escasa importancia atribuida a los trabajos
17 Jensen/Becker (2017), 48.
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arqueológicos en la España de Franco. A nivel institucional, en museos y universidades, el papel de ambas disciplinas fue secundario. A modo de resumen el autor afirma lo siguiente: «La Falange española, la administración estatal y el ejército fueron indiferentes a la enseñanza y la difusión de la ‹Historia antigua›». Precisamente la Arqueología y la Historia antigua constituyeron el núcleo del debate en torno a la Antigüedad desarrollado en la madrileña Revista de Occidente en los años de entreguerras y hasta los comienzos de la Guerra Civil Española en 1936. Fundada por José Ortega y Gasset, esta publicación ofreció un ámbito de discusión innovador para cuestiones relacionadas con la prehistoria europeo-española, tal como expone Carl Antonius Lemke Duque en su contribución a este volumen. El autor muestra las vías de intercambio de ideas en Europa, centrándose en la transferencia de conocimientos entre España y Alemania. En el marco del debate en torno a la Antigüedad, desarrollado en la Revista de Occidente, Lemke Duque también indaga los modos en que la teoría cultural se fue posicionando a este respecto. En la España de entreguerras, este debate fue en gran parte estimulado y definido por el círculo de la Revista de Occidente dejando en él su impronta. Uno de sus principales referentes fue Hugo Obermaier, antropólogo y prehistoriador alemán, además de docente universitario en Madrid. En sus clases, así como con sus trabajos para la Revista de Occidente, defendió la teoría del Kulturkreis, que en aquel entonces fue fuertemente discutida en los círculos de especialistas, a los que también pertenecía el etnólogo catalán Pedro Bosch Gimpera. La publicación del alemán Adolf Schulten, arqueólogo y especialista en Historia antigua, titulada Tartessos alcanzó considerable notoriedad, gracias a la popularidad de los hallazgos arqueológicos en el yacimiento del mismo nombre. El subtítulo de esta publicación, «Contribución a la historia más antigua de Occidente» fue tomado por Lemke Duque como título de su contribución. Publicada en 1922, la obra de Schulten apareció un año más tarde en castellano, traducida por Bosch Gimpera. El gran impacto del trabajo de Schulten radica en su comparación de la temprana cultura española «Tarsis-Tartessos» con la antigua Troya. Según Lemke Duque, se logra así instaurar un equivalente hespérico a los primigenios sitios culturales de Oriente (Babilonia y Nínive, Menfis y Tebas, Cnosos y Festos). Además, Schulten presentaba este centro comercial del suroeste como capital natural de Andalucía. En un artículo publicado en 1923 en la Revista de Occidente, esta potencia comercial atlántico-africana aparecía como la más temprana y significativa de las culturas de la península ibérica. De este modo, Tartessos se contraponía a la fragmentada imagen de las tribus de los íberos sirviendo también de referencia en lo que concierne al significado histórico y cultural de Hispania para la historia de la civilización europea del Mediterráneo. Schulten presenta a Tartessos como límite hespérico del espacio mediterráneo en la Antigüedad temprana. Lemke Duque expone la visión de Schulten así como la cuestión de Tartessos asociada al mito de la Atlántida en el contexto de otras contribuciones del círculo de la Revista de Occidente, al que pertenecían también autores como el etnólogo Leo Frobenius. Según Lemke Duque, no sólo esta área de investigación, sino también el enorme campo de investigación de la colonización griega de la
Introducción
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península ibérica fue tratado con profundidad, especialmente en el discurso de especialistas alemanes y españoles en torno a la Antigüedad temprana en el círculo de la Revista de Occidente, algo que se podría trasladar también al debate en torno a la historia romana, surgido a mediados de los años 1920 en este mismo círculo. La contribución de Burkhard Meyer-Sickendiek, que cierra este volumen, aborda la relación triangular de la transformación de la Antigüedad y la transferencia entre España y Alemania desde la teoría de los géneros literarios: la elevada carga cultural del tono en el romance literario. Este canto narrativo popular, de origen genuinamente español, se caracteriza por un tono marcado por el sentimiento del honor y del orgullo. Friedrich Schlegel habló a este respecto del «más elevado sentimiento del honor» y del «más noble orgullo» del antiguo romance español, una mezcla de orgullo, honor y deseo de gloria que, a su entender, no sería tan fácil de trasladar a otras lenguas. No obstante, este género literario ingresa en la literatura europea en el siglo XVI.18 La contribución de Meyer-Sickendiek se centra en la literatura alemana del siglo XIX, en particular en la época del Romanticismo. Para su análisis elige una forma particular del romance literario: el cantar de gesta, ejemplificado en Rodrigo Díaz, el héroe nacional español, conocido como El Cid Campeador. Meyer-Sickendiek analiza características propias de este género literario influenciado por el cantar de gesta, en particular la soberbia («soberbio castellano»), en obras de algunos autores alemanes como forma del «rewriting».19 El autor centra su atención en publicaciones como Der Cid. Geschichte des Don Ruy Diaz, Grafen von Bivar (1803–1804) (El Cid. Historia de Don Ruy Díaz, conde de Bivar) de Johann Gottfried Herder así como en el Romancero de Heinrich Heine, un ciclo de poemas publicado en 1851. Con respecto a la obra de Herder, MeyerSickendiek rastrea las transformaciones que experimenta el orgullo del romance español viejo, con su impronta del «más noble sentimiento nacional», de caballerosidad y ansias de libertad, en el ámbito germanoparlante del siglo XIX. En su investigación histórica sobre la (antigua) noción de superbia el autor destaca su ambivalencia: orgullo en el sentido positivo y negativo. Según Meyer-Sickendiek, en los romances colisionan fuertemente la arrogancia guerrera del héroe noble con la exigencia cristiana de la humilitas, en tanto concepto contrapuesto al de superbia. En el contexto de las transformaciones de la temática épica española antigua y así de la noción (antigua) de superbia en la literatura alemana del siglo XIX, la siguiente tesis de Meyer-Sickendiek es central: lo que Herder entiende por soberbia, grandeza, fama y audacia del héroe español no se deriva sólo de sus conocimientos de romances en español antiguo, sino
18 Véase al respecto el trabajo de Cornelia Wilde sobre el romance en prosa Bentivolio and Urania (1672) del teólogo inglés Nathaniel Ingelos, que surgió como forma del romance de la temprana Edad Moderna en la Inglaterra del siglo XVII. (véase: Wilde [2008], 171–198). Meyer-Sickendiek menciona la obra teatral Le Cid (1636) del dramaturgo francés Pierre Corneille, a través de la cual El Cid, el héroe nacional español de la Alta Edad Media, ingresó a la literatura europea. 19 Acerca del concepto y la aplicación del «rewriting» en el marco de las investigaciones de la transformación véase: Pfeiffer/Fantappié/Roth (2017).
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que es también el resultado de la actualización que esta temática experimentó el siglo XVIII. En su adaptación de la temática española antigua y, por tanto, en su concepción de superbia Herder no se basa sólo en el canto popular español originario, sino que toma como referente para su obra una versión francesa en prosa, realizada en el siglo XVIII, del Romancero del español Juan de Escobar de 1605. Por último, Meyer-Sickendiek analiza el Romancero de Heine y constata que con la adaptación de Heine del poema el motivo exótico de la «soberbia castellana» desempeña un papel comparable al que tiene en el poema de Herder. En su análisis de esta obra de Heine se centra en su tercer libro, Hebräische Melodien (Melodías hebreas), dedicado al poeta judeo-español Jehuda ben Halevy de Tudela. Para Heine, Halevy es comparable al Cid, en tanto que éste es también un libertador de su pueblo. Pero con este tercer libro, Heine persigue también un interés didáctico extremadamente transformativo: la introducción de la tradición judía en la literatura de lengua alemana. Pruebas de esta transformación son las numerosas citas del rito judío y de la tradición literaria del judaísmo en las Hebräische Melodien (Melodías hebreas) de Heine. Traducción de Isabel Romero y Martina Fernández Polcuch en colaboración con María Ocón Fernández.
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Salvador Rus Rufino y Francisco Arenas–Dolz
La configuración semántica de πολιτικὸν ζῷον y su transformación en los comentarios medievales y modernos a la Política de Aristóteles Abstract: The human being acting in the public sphere is in general what Aristotle called πολιτικὸν ζῷον. In this paper we shall lay out a rather general framework for understanding this fundamental property of the human being, drawing in various ways on his historical development. This scenario has important implications for political theory, for it suggests that human being is predisposed to sociability: human being is by nature a social animal that lives with others and can only achieve justice and the common good through dialogue and deliberation, since as Aristotle himself points out human being is the only ζῷον λόγον ἔχων. This implies that we can derive human beings’ political nature from their rhetorical nature.
1 Justificación En este trabajo los autores quieren poner de relieve cómo un texto esencial en la historia del pensamiento político fue comentado durante siglos por autores de diferentes escuelas de pensamiento, creencias religiosas y contextos culturales buscando desentrañar el verdadero sentido de la famosa afirmación de Aristóteles (380 a.C–322 a.C), el hombre por naturaleza está destinado a vivir en comunidad y convivir con otros. De todo esto es evidente que la ciudad es una de las cosas naturales, y que el hombre, por naturaleza, es una especie de animal social [. . .]. La razón por la que el hombre es un ser social, más que las abejas o que cualquier otra especie de animal gregario, es evidente: la naturaleza no hace nada en vano. El hombre es, por otra parte, el único que tiene un lenguaje inteligible [. . .]. Ahora bien, el lenguaje inteligible sirve además para manifestar el propio interés, así como lo dañino, o lo justo y lo injusto, siendo esto exclusivo del hombre que, así, se diferencia de los demás animales al tener, por ello, el sentido del bien y del mal, el de lo justo y de lo injusto y todo lo demás que le es propio.1
1 Aristóteles, Pol. 1253a 1–18. Nota: Trabajo realizado con la colaboración de Eduardo Fernández García. https://doi.org/10.1515/9783110651997-003
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Para Aristóteles la pólis (πόλις)2 se constituyó en un proceso histórico porque la naturaleza dotó al hombre de unas características que lo convertían en un ser apto para iniciar y culminar el proceso de sociabilidad con éxito. Esta evolución es una transformación vital que le lleva –y esta es la tesis de los autores– a considerarse social en la familia y termina siendo político en su pertenencia plena y activa en la pólis. Por tanto, el hombre por su capacidad dialógica, su necesidad vital y su fuerza intelectual, es un ser que está destinado a cumplimentar el camino entre el simple vivir y el con-vivir, que es una manera de ser-con-otros, o, dicho de otra forma, de completar su ser con los de otros que están junto a uno buscando la realización social e individual en la pólis, que constituyó el horizonte político que enmarcó la vida social e individual del hombre griego. Aristóteles es el pensador griego que nos acerca más a esta realidad política y, además, es el que la contempló y analizó en el momento en que se estaba produciendo un cambio de paradigma político y social: la pólis comenzaba a perder su vitalidad y, por supuesto, no constituía el horizonte fundamental político del hombre griego, que comenzaba a abrirse a otras realidades. No obstante, nos ha dejado estas palabras en la Política que han servido durante generaciones para definir esta realidad: “La comunidad perfecta de varias aldeas es ya la ciudad, porque tiene por así decirlo, la total autarquía, pues surgió para vivir, pero es para vivir bien. Por ello, toda ciudad es por naturaleza, si es que lo son las primeras [familia y aldea]: en efecto, ella es el fin de aquellas y su naturaleza es ser fin.”3 La pólis es el horizonte vital y político que propone Aristóteles para el hombre, para todo hombre en todo tiempo, porque en ella, una vez superadas las limitaciones de las primeras organizaciones sociales –familia y aldea–, el ser humano encuentra satisfechas todas las exigencias que le impone su modo de ser peculiar y que se destaca de otros animales.
2 Dimensión histórica del pensamiento político de Aristóteles Aristóteles4 ha sido estudiado como científico, filósofo, político, naturalista, matemático, físico, astrónomo, etc., pero no es frecuente incluirlo entre los historiadores,5
2 La traducción de la palabra griega pólis por ciudad no expresa con exactitud todo su contenido semántico y todo su ámbito referencial, pero por razones expositivas será mejor usar este término y no otro. 3 Aristóteles, Pol. 1252b 27–32. 4 Las consideraciones que vienen a continuación constituyen un resumen del trabajo publicado por Rus Rufino (2007), 175–204 5 Véase, por ejemplo, Zoepffel (1975); Weil (1960); Mckeon (1940), 66–101; Doergens (1872); Fechner (1856).
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sobre todo cuando existen figuras tan señeras en la Grecia clásica como Heródoto y Tucídides. Sin embargo, Aristóteles acudió con frecuencia a ejemplos del pasado ya autores anteriores a él para justificar y fundamentar sus ideas y sus propuestas. Además, en el Liceo se realizaron compilaciones históricas, cronológicas y literarias. La historia no fue un saber extraño en el universo intelectual de Aristóteles. El interés por la historia es evidente en muchas de sus obras y es fundamental en la construcción de su sistema filosófico, pero todavía lo es más para comprender el pensamiento teórico y su pensamiento político. La historia está presente en la composición y en la argumentación de dos de sus obras, la Política y la Constitución de Atenas. En ambas se encuentran con frecuencia referencias a la historia como elemento fundamental para justificar sus ideas y planteamientos. La historia se escribe desde el presente intentando explicar la estructura y el desarrollo de un pasado peculiar. La historia atiende sobre todo al ámbito de las relaciones internas entre grupos humanos en una sociedad determinada. Pero también se ocupa de las relaciones y las conexiones entre las comunidades políticas. La peculiaridad es que la historia tiene como centro los proyectos, las acciones, la vida de los hombres que son sus protagonistas y en el ámbito político, los que deciden qué tipo de sociedad, forma de estado y de gobierno desean establecer. El relato histórico de Aristóteles no es igual ni tiene la misma intención que el de los grandes historiadores anteriores a él, Heródoto y Tucídides. Aristóteles reseñará, citará ejemplos más o menos extensos, breves referencias a experiencias del pasado, o a lo sumo opiniones sobre alguna actuación de algún personaje o pueblo. La historia es el medio para narrar o ejemplificar un terminus, la evolución de las sociedades humanas. Es la clave para entender las razones profundas que originan los hechos, porque trasciende las fronteras de lo local y lo circunstancial dentro de una cronología conocida. En la Política realizó una reflexión sobre los principios de la política sin estar sujeto a un lugar y a una época histórica. En esta obra trató dos aspectos opuestos. Por un lado, la ciencia política, cuyo fin es la construcción de la mejor pólis que se diseña tomando como punto de referencia los datos extraídos de la colección de constituciones políticas coleccionadas por Aristóteles. Es decir, lo ideal, lo mejor, se basa una experiencia real e histórica, actitud que corresponde al método positivo y científico de observación que Aristóteles desarrolló en el Liceo. Por otro lado, el estudio científico de la realidad tal como aparece ante la mirada del observador, por eso la historia ocupó un lugar preeminente como forma de explicar el presente, y sirve para explicar cómo son las constituciones y las formas de estado con sus patologías, errores, aciertos y medios para conservarse. En la Política la investigación, el rastreo y el uso de documentos y testimonios históricos, cede el paso a otra dimensión, el desarrollo filosófico de unas ideas y de los principios que tienen su base en la experiencia y el conocimiento histórico. De este modo, en la Política la historia se convierte en el argumento para entender las
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ideas y los principios sobre los que se constituye una pólis y se establecen las diferentes formas de estado y de gobierno. Aristóteles hace una propuesta arriesgada. Primero, enseña que la historia funciona como elemento fundamental en la constitución de la pólis, la forma de convivencia más perfecta partiendo del núcleo básico y fundamental la familia, pasando por una agrupación de varias familias que llama aldea y que concluye como producto de un desarrollo histórico que modula la naturaleza social del hombre en la pólis. Segundo, justifica que las sucesivas formas de organización política tienen que ver con la evolución histórica de los pueblos en su continua búsqueda de nuevos y más perfectos regímenes políticos. Tercero, demuestra que esa evolución es imparable, necesaria y es, además, un proceso de perfeccionamiento y madurez de las mismas formas políticas.
2.1 Evolución histórica de la sociedad: de la familia a la ciudad En el libro I, capítulo 2 de la Política Aristóteles expuso su forma de entender la evolución de las sociedades humanas desde la más pequeña, simple, natural y fundamental, la familia, a la más compleja, la pólis. Este proceso tiene un eslabón intermedio, la aldea, que aparece definida como la suma de varias familias. Es un proceso natural, pero se desarrolla en un tiempo histórico6 y culmina en la pólis como modelo de comunidad completa y perfecta para el ser humano, que viene al mundo en una familia y se desarrolla en sus primeros años en la aldea.7 Este proceso temporal se pone en marcha porque el hombre no es un ser autárquico, ni siquiera dentro de la misma familia ve satisfecha todas sus necesidades vitales y exigencias sociales. Si, además, quiere superar el nivel de subsistencia, de satisfacción de las carencias vitales básicas y conseguir realizar el ideal de bien vivir (τὸ εὖ ζῆν) llegando a tener una vida excelente,8 debe comenzar el proceso histórico que culmine en la constitución de la pólis. Esta estructura política le ofrece todas las posibilidades, complementa y supera a las otras formas de asociación precedentes. La familia proporciona los medios para cubrir las necesidades diarias básicas y comenzar a socializarse. La aldea satisface otro tipo de exigencias vitales y aumenta el círculo de relación social. La pólis es la culminación del proceso.9 La aldea no puede ser como la pólis porque su fin no es realizar el ideal de bien vivir, sino que es un remedio a las limitaciones que la familia tiene para satisfacer las necesidades de sus miembros. La aldea es la confluencia armónica de intereses humanos y familiares que tienen que concluir en la pólis, porque la aldea debe 6 7 8 9
McClelland (1996), 62; Simpson (1997), 10; Coleman (2000), 124 y 143. Barker (1995), XI, 8, 319 y 349; Everson (1996), XX. Aristóteles, Pol. 1252b 30. Everson (1996), XXIII–XXIV; Booth (1981), 203–226.
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tener las posibilidades y las condiciones necesarias para llegar a transformarse en ella, es una fase de la evolución histórica y social, que culmina en una estructura política, compleja y estable que es la pólis.10 La pregunta que cabría hacerse es la siguiente: ¿Es la pólis una simple agregación de aldeas?, ¿cómo es posible que estructuras simples puedan generar otras más complejas?11 Muchos autores se han esforzado por explicar el carácter natural de la pólis, algo que no es fácil, aunque para Aristóteles sea un axioma. Las primeras formas de asociación –la familia y la aldea– surgieron para satisfacer necesidades vitales físicas primarias.12 Pero cuando se trata de conseguir la felicidad, el ideal de bien vivir la autarquía económica y la independencia política,13 se necesita otra estructura social más complicada que garantice la efectiva satisfacción de estas exigencias humanas y la vigencia de normas y leyes que ordenen la convivencia política. ¿Es esta la naturalidad de la pólis? La respuesta es afirmativa, porque la pólis es el final del proceso histórico de desarrollo del hombre como ser social más allá de su familia y conocidos inmediatos14 en el que esas formas de organización social tienen en común que son naturales, pues cada una satisface un tipo de exigencia del hombre dentro de un estado de la evolución del mismo. No obstante, cada modo de asociación es un medio respecto a un fin más amplio y general. Al ser un medio-fin, o un fin medial, permite una evolución que abre las puertas a un desarrollo posterior y posibilita la constitución de nuevas formas de organización y asociaciones más complejas, que permiten satisfacer más exigencias humanas, que ofrecen más posibilidades a sus miembros. Podríamos decir que lo que diferencia a la aldea de la pólis es el establecimiento y desarrollo de unas instituciones políticas y de un sistema jurídico en los que participan y se someten los ciudadanos. Por lo tanto, el paso de la aldea a la pólis hay que entenderlo como un proceso temporal de maduración de las relaciones sociales que tienen su reflejo en unas normas que crean el orden legal, el ordenamiento jurídico. Las leyes tratan de reglar los problemas acuciantes que sufre la aldea y que ella misma no puede llegar a solucionar.
2.2 Concreción de la pólis en formas de gobierno Históricamente la pólis se ha concretado en diferentes formas de estado y de gobierno. Para Aristóteles la comunidad perfecta para el ser humano como animal político se materializa de manera diversa, porque estos modos de organización tienen
10 Jones (2004), 84 y 269; Haworth (2004), 42 y 64. 11 Aristóteles, Pol. 1303a 25–28. 12 Aristóteles, Ética Eudemia (EE) 1242b 22–23; Ética a Nicómaco (EN) 1160a 8 y ss. 13 Aristóteles, Pol. 1280b 15 y ss., 1280b 31 y ss., 1291a 22 y ss., 1326b 2 y ss.; EN 1297b 14–16; Ober (1998), 295–296. 14 Aristóteles, Física 194a 29.
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que ver con la libertad, la capacidad y las posibilidades temporales ante las que se encuentran los seres humanos en cada momento. Aristóteles estableció en la Política una distinción clásica de los regímenes políticos en dos series verticales de correspondencia paralela: Formas correctas
Formas corruptas
Monarquía (realeza)
Tiranía
Aristocracia
Oligarquía
Politeía
Democracia, demagogia
La diferencia de los tres rectos frente a los tres desviados es clara. El criterio para distinguir las formas políticas y de gobierno rectas de las desviadas es que las primeras buscan y se guían por el interés común, las segundas por el particular de quien o quienes gobiernan.15 Ahora bien, si todos estos regímenes son los históricos, todos estarán lejos de la constitución política ideal, aunque en algunos aspectos se asemejen a ella.16 Aristóteles manifestó su peculiar modo de pensar, que trata de plasmar una realidad polifacética y compleja. Guiarse sólo por el interés común, y que ese interés sea la virtud, parece fuera del alcance de los mortales, pues no se da en las constituciones históricas, que no son buenas. En consecuencia, la realidad política misma es una desviación del régimen mejor. De ahí que los regímenes rectos no suelan serlo absolutamente, porque llevan dentro de sí el germen de la corrupción. Lo interesante de Aristóteles, como ya intentó poner de relieve Platón,17 es su visión histórica del cambio político. La contingencia de los regímenes políticos está expresada con nitidez mediante una teoría general de las revoluciones y del cambio constitucional (μεταβολές πολιτεία).18 Así pues, los regímenes cambian de acuerdo con criterios diferentes de un fin invariable. Aunque ello no obligue a la renuncia definitiva del ideal político de los ciudadanos, hay que calibrar con cuidado dicho cambio por su relevancia práctica. Esta idea muestra que la elaboración teórica de la evolución y el cambio constitucional para Aristóteles tienen una justificación en la historia, en la evolución de la sociedad, de las relaciones sociales de los hombres y, también, en las teorías de los grandes legisladores y de los filósofos. Las seis formas de gobierno citadas se pueden estudiar porque han existido históricamente, porque alguna vez en alguna ciudad, en algún lugar, se establecieron y por
15 Aristóteles, Pol. 1279a 25–29. 16 Aristóteles, Pol. 1293b 27: “En realidad todas son formas erróneas del régimen más recto, y en consecuencia se enumeran con las desviaciones”. 17 Platón, República (Rep.) 544 c–e y 555 b–d. 18 Aristóteles, Pol. 1286b 7–22.
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eso pueden ser analizadas y puestas como ejemplos. Existen testimonios y documentación sobre ellas y se conocen a los personajes y también las circunstancias que rodearon su existencia. Pero lo más interesante no es desvelar cómo se establecieron y se desarrollaron, sino cómo constituyen la muestra evidente de que los hombres siempre se han organizado durante siglos siguiendo unas pautas de comportamiento determinados. Y, finalmente, responden a una regularidad que atraviesa la línea del tiempo, y nos lleva a admitir que existen seis formas –con la variación que se quiera dentro de ellas– que aparecen de manera regular en la historia política y social de la humanidad, porque Aristóteles no se limita a citar ejemplos griegos, abre el campo y hace referencia a otros territorios y otras experiencias que pueden ser muy útiles y aleccionadoras. Una vez más la experiencia histórica es esencial para ilustrar y fundamentar las ideas que va exponer en la Política, porque hablar de las formas de gobierno en abstracto, sin referencia a una realidad pasada o presente, a su éxito, o fracaso, a la aceptación o rechazo, no sería adecuado y no nos proporcionaría un visión clara de lo que es la política, porque ésta hay que analizarla en una secuencia histórica, en el desarrollo temporal que sirve de ejemplo para mostrar cómo y por qué los hombres en un momento determinado han optado por una u otra forma política. La Política y la Constitución de Atenas muestran un desarrollo lineal de las formas políticas, excluyendo la teoría de la circularidad (ανακύκλωσις).19 En este sentido la Política analiza las formas de estado siguiendo un esquema muy definido que tiene su fundamento en la historia. Los regímenes políticos se establecen, se desarrollan y degeneran. Por esta razón Aristóteles dedica dos libros completos para exponer las causas de la inestabilidad, las patologías, las revoluciones y los medios para conservar los regímenes políticos, donde combina de forma adecuada el estudio sistemático e histórico, usando ejemplos que sirven para la reflexión teórica. El estudio nos muestra que los regímenes políticos sufren una evolución vital en unas circunstancias históricas que son las que aceleran o retrasan su crisis y extinción. La pregunta que podríamos hacernos sería: ¿Esas causas son históricas o inherentes a la propia constitución política? Aristóteles afirma que personas, territorios y costumbres distintas establecen regímenes políticos diferentes. Por tanto, está en contra de admitir la existencia de una constitución que sea buena en todo tiempo, lugar y para todos los hombres, es decir, una forma que no se corrompa, que jamás haya que cambiar. La historia muestra lo contrario. Los sistemas políticos son adecuados a una tipología humana, social y temporal en un momento determinado y en un lugar concreto. Hablar de la constitución más excelente, perfecta, no tiene sentido. Las formas políticas deben
19 Esta será la idea dominante más tarde en el pensamiento político griego, por ejemplo, en Polibio. Esta teoría mantenía que todas las constituciones están envueltas en un proceso de sucesión que se repite una y otra vez con pasmosa regularidad. La evolución política de las formas de gobierno está sometida e inmersa en un proceso circular, del que no puede salir, ni tampoco romper, y en el que unas constituciones suceden a otras.
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observar las peculiaridades, los particularismos y las circunstancias sociales y culturales donde se asientan y se desarrollan. Por eso cada pólis exige en cada momento una forma de estado y de gobierno que no es transportable sin más, sin correcciones, a otro lugar y en otro tiempo. Esa evolución comienza como se ha visto, con el paso de la familia a la aldea, y de ahí a la pólis, que es el final del proceso y es la forma de organización política y jurídica que exige el modo de ser del hombre. El cambio constitucional se justifica y se apoya en dos pilares, la complicación histórica de la convivencia social y la adaptación del gobierno a la evolución ciudadana. Por esta razón la historia es fundamental para el estudio sistemático de la política, incluso en el caso de Aristóteles es la fuente primaria de la teoría. Sin historia no se entiende la reflexión sobre la política o, mejor dicho, sería imposible. Algunos ejemplos de los distintos regímenes políticos pueden servir para aclarar esta idea. La primera forma de gobierno que se asienta en la pólis es un reflejo de la organización política de la familia y la aldea, que son las experiencias precedentes en el tiempo. Ambas se organizaban de forma despótica. Aristóteles establece esta distinción ya en el individuo humano. La relación del alma con el cuerpo es despótica.20 La esclavitud y, en general, la casa familiar se entiende mejor con este modelo, el esclavo es una prolongación del cuerpo de su dueño.21 Por eso el amo y toda la sociedad necesitan de los esclavos porque son sus herramientas, sus instrumentos animados que actúan como si fueran cosas inanimadas. El esclavo es una posesión, que no tiene derechos, solo obligaciones, deberes ineludibles hacia quien lo posee. Pero su concurso es imprescindible para conseguir establecer, desarrollar y alcanzar su fin en la sociedad familiar. La revisión de las constituciones políticas de tres ciudades –Esparta, Creta, Cartago– permitió Aristóteles mostrar que la ciencia política y, en concreto, el estudio de las formas de estado y de gobierno no puede prescindir de cómo los hombres organizaron la vida social. El conocimiento de las constituciones muestra cuáles fueron las soluciones a los problemas políticos que se planteaban. Concluye que no se puede hacer política especulando en el vacío y, si se quiere explicar la evolución política de las sociedades, es necesario y fundamental acudir al conocimiento que nos proporciona la historia política, de lo contrario se corre el riesgo, como pone de manifiesto en la crítica a Platón y a otros autores que optaron por la utopía, de elaborar una ciencia política de gabinete, sin aplicación práctica alguna, sin capacidad para resolver los múltiples problemas que se plantean en una sociedad. La utopía es inalcanzable y las reformas que exigen los regímenes políticos no podrían llevarse a cabo partiendo y tendiendo siempre a realizar un ideal que está fuera de la realidad social en la que vive el hombre. Las reformas, los cambios políticos, hay que plantearlos desde y para
20 Aristóteles, Pol. 1254b 2–6. 21 Aristóteles, Pol. 1255b 11–12.
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las formas políticas existentes. Se debe renunciar a la utopía, porque es algo teórico e irrealizable, y la política debe tender y centrarse en lo real y en lo histórico, para solucionar los problemas que la sociedad se plantea en cada momento. Los tres ejemplos de Esparta, Creta y Cartago muestran cómo pueden evolucionar otros tantos regímenes políticos adaptándose a las circunstancias históricas y perdurar en el tiempo.
2.3 El mejor modelo político histórico El análisis de las constituciones políticas muestra una conclusión evidente. Sólo existen dos formas políticas posibles, la oligarquía y la democracia, porque las constituciones rectas de ambas pertenecen a una edad pretérita ya que, con el tiempo, degeneran hacia estas dos formas de gobierno. Por consiguiente, el régimen mixto de Aristóteles es, esencialmente, un proyecto cuya base es la situación existente. Aristóteles no construyó su teoría en el vacío o desde la utopía, pretendió una mejora progresiva a partir de lo que había. Las luchas políticas internas de las ciudades griegas se centran, una y otra vez, en la cuestión de si la comunidad debe organizarse como una oligarquía o como una democracia, es decir, si deben ser muchos22 o pocos –sólo los ricos–23 los que participen en el gobierno. Se debe señalar que, en el fondo, la oligarquía y la democracia eran gobernadas por una clase privilegiada de ciudadanos, pues la democracia nunca se extendió a la totalidad de los hombres que vivían en el Estado, sólo aquellos que tenían plenitud de derechos. La única distinción, accidental hoy, esencial para un griego de entonces, era el número mayor o menor de los que ejercían la soberanía. En las oligarquías, como su nombre indica, los ciudadanos que gobernaban y tenían todo el poder eran pocos. Pero la intervención práctica en la vida política es parecida. En la democracia, donde el número era mayor, concretamente en la primera democracia ática, en ningún momento se aprecia el predominio de la masa popular. Las formas de ejercicio del poder son esencialmente las mismas en ambas, la supremacía de la ley, la libertad individual y la participación de los ciudadanos dentro del marco de la constitución. Por tanto, la diferencia se da en la forma de reparto de la cuota de poder según unas circunstancias históricas. Un análisis minucioso de la realidad histórica lleva a Aristóteles a afirmar que el régimen que llamamos mixto (πολιτεία) –combinación equilibrada de dos o más formas políticas– es el que aparece una y otra vez. Por eso dice que hay tres formas de constituir una πολιτεία. Primera, haciendo una combinación entre la legislación de la oligarquía y la democracia. Segunda, tomando el camino intermedio entre ambas. Y tercera, adaptando unas leyes de cada una. El resultado puede ser que se distingan los elementos, o uno de ellos o ninguno. La república más perfecta es la que puede ser
22 Aristóteles, Pol. 1328b 32. 23 Aristóteles, Pol. 1291b 10–12.
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una u otra forma, es decir, ninguna de las dos y las dos a la vez. Si prevaleciera una forma u otra, no sería una república, sino una forma de oligarquía o de democracia. Pues bien, a partir de estas semejanzas y aprovechando las diferencias, cabe notar que la oligarquía y la democracia están muy próximas a lo que a primera vista parece. Por lo tanto, son combinables para dar lugar a la πολιτεία como forma de gobierno.24 Esto es lo que el genial observador que era Aristóteles advirtió. Desde aquí era pensable por un filósofo el juego de las tendencias en la pólis en términos tales que permitieran de nuevo fundar la política en la virtud (ἀρετή), aportación de la aristocracia, y en la capacidad correctora de la democracia, aunadas con la rigurosa formulación de la razón práctica. Sin necesidad de reposiciones nostálgicas cabía apreciar los valores de la política griega de otros siglos y, a la vez, detectar los motivos por los que se habían degradado. La cuidadosa descripción del proceso de las constituciones simples, de sus condiciones de establecimiento, de mantenimiento y de cambio, ha llevado a muchos a interpretar la Política de Aristóteles como la formulación de un modelo mecánico. Los regímenes simples son inestables, incapaces de asegurar su permanencia porque no contienen los factores de control necesarios. El modelo mecánico no supone una autocorrección del poder o un proceso de control del mismo. La existencia histórica de diversas formas de organización política de las que Aristóteles se hace cargo e intenta extraer los principios generales de la ciencia política, se debe a las distintas formas como los hombres han organizado su manera de vivir y convivir en el tiempo. Para Aristóteles la ciudad supone una cierta unidad, pero no uniformidad. La mirada de Aristóteles escruta una y otra vez la realidad y vuelve la mirada hacia la historia. Ambas nos muestran que las ciudades son diversas porque diversas son también las ocupaciones de los hombres, su posición social y económica. Por otra parte, no todos participan siempre del gobierno del mismo modo y al mismo tiempo. Unas veces gobiernan uno sólo, otra una minoría y otras la mayoría. Estas situaciones históricas son la causa de la pluralidad y de la diversidad de tipos constitucionales. Las diferencias entre los hombres y los regímenes se basan en un hecho incuestionable, la posición en la que cada ciudadano se encuentra según sus riquezas, sus cargos, sus capacidades, etc. Con estas ideas Aristóteles critica las teorías políticas que buscan la instauración de un régimen político perfecto y sin posibilidades de mejora, cuando la realidad histórica nos está mostrando una y otra vez que existe un cambio constitucional que depende mucho de las circunstancias en la que viven los hombres y los medios que tengan para organizar la convivencia.
24 Aristóteles, Pol. 1293b 18, 34 y 1265b 27.
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3 Tradiciones de interpretación El pasaje de la Política 1253a 7–18 es clave para entender la antropología y el pensamiento político aristotélico. Durante siglos ha sido traducido y comentado por autores de diferentes escuelas de pensamiento, creencias religiosas y contextos culturales buscando desentrañar el verdadero sentido de la famosa afirmación de Aristóteles en la que el hombre, por naturaleza y no por ninguna otra concesión, está destinado a vivir en comunidad.25 El propósito de este apartado es ofrecer una investigación sistemática en torno a la interpretación de este pasaje, núcleo de la antropología política del autor griego, estudiando las principales traducciones y comentarios del texto tanto en los autores de la Edad Media como de la Edad Moderna. La expresión griega πολιτικὸν ζῷον fue vertida al latín indistintamente como animal civile, animal sociale y animal politicum, entre otras. La versión por animal civile, que en principio aparece junto con animal politicum como doblete sinonímico, fue la preferida por la mayoría de traductores y comentaristas medievales y renacentistas vinculados a la tradición tomista, mientras que, en líneas generales, los autores vinculados a la tradición católica no tomista prefirieron traducir πολιτικὸν ζῷον por animal sociale. Entre los siglos XIV y XVI se impone progresivamente su traducción de πολιτικὸν ζῷον por animal politicum, ligada a la corriente reformista que se había desarrollado en Europa desde finales del siglo XIV, y en especial con el Renacimiento, y que cuestionaba los tradicionales principios de la religión católica, así como la autoridad de la Iglesia de Roma. En esta época se elabora la imagen moderna del homo politicus, que desplaza el ideal virtuoso y republicano del estoicismo romano hacia un pragmatismo alimentado por los siguientes hechos. La política se inclina hacia el interés del Estado, en detrimento de la fuerza moral y espiritual, fomentando un nuevo tipo de moral, cívica, colectiva y social, sacralizada en la persona real. En consecuencia, este empleo marca una laicización progresiva de las instituciones y la creciente independencia de lo político frente a lo religioso. Resulta muy difícil precisar el límite donde se encuentran y separan los intérpretes. Las páginas siguientes podrían servir para explicar los presupuestos teóricos de esta multiplicidad de traducciones. El origen de difusión del término política/político, como sustantivo y como adjetivo, se atribuye a la traducción francesa de la Política de Nicole Oresme (1320–1382) en el siglo XIV.26 El término politicus era ya frecuente en el latín medieval y tributario de la traducción de la Política de Guillermo de Moerbeke (ca. 1264). Si el siglo XV
25 Un hecho que contrasta con la explicación que nos ofrece Platón en el mito que relata en el diálogo Protágoras 322 c y ss. en el que la intervención de los dioses concediéndole a los hombres habilidades técnicas junto con el sentido moral (αἰδώς) y la justicia (δίκη) permiten a los hombres unirse para evitar ser exterminados por los animales. 26 Delisle (1870–1879); Knops (1953).
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supuso una importante inflexión en la filosofía política, el Renacimiento contribuyó al desarrollo del concepto de “político” y supuso el nacimiento de los sentidos principales que hoy conocemos: – La política, como sustantivo, es “la ciencia y modo de gobernar la ciudad y república”,27 o, según “el gobierno de la república, que trata y ordena las cosas que tocan a la policía, conservación y buena conducta de los hombres”.28 – El adjetivo político, no como ciencia, sino como arte, que se refiere a la conducta del “sujeto versado y experimentado en las cosas del gobierno y negocios de la república o reino”,29 o bien “el urbano y cortesano”.30 Entre otros, los factores que contribuyeron a la inflexión de este término en el Renacimiento se deben a la propagación de la Reforma y de las guerras de religión que siguieron, a la recepción de la obra de Maquiavelo y a la doctrina de la “razón de Estado” que se implanta como Realpolitik del momento. A partir del siglo XVI se estabiliza la caracterización del πολιτικὸν ζῷον como homo politicus, resultado de la superposición de las distintas interpretaciones de esta expresión de la Política de Aristóteles.
3.1 El hombre animal civil y político Las versiones latinas medievales prefieren traducir la expresión πολιτικὸν ζῷον por animal civile, tal como evidencian no sólo la primera versión latina, de Guillermo de Moerbeke (1215–1286),31 sino también Alberto Magno (ca. 1200–1280)32 y Tomás de Aquino (1225–1274)33 y la traducción francesa de Nicolás Oresme (ca. 1323–1382).34 Por su parte, para Jean Buridan (ca. 1300–1358), como también para Tomás de Aquino en algunos de sus comentarios, el πολιτικὸν ζῷον incluye al animal domesticum et civile, entendiendo que la familia y la ciudad forman una unidad.35 Es evidente que en estas primeras versiones civile aparece en doblete sinonímico con 27 Covarrubias Orozco (1611), 291v. 28 RAE (1737), 312. 29 RAE (1737), 312. 30 Covarrubias Orozco (1611), 291v. 31 Moerbeke (1872), 8: “quod autem civile animal homo omni ape et omni gregali animali magis, palam”. 32 Alberto Magno (1651), 9: ”homo est animal naturaliter civile”. 33 Tomás de Aquino (1492), 36–37: “Deinde cum dicit quod autem civile animal etc., probat ex propria operatione hominis quod sit animal civile, magis etiam quam apis, et quam quodcumque gregale animal, tali ratione [. . .]. Igitur homo est naturaliter animal domesticum et civile”. 34 Oresme (1970), 49: “Item, que homme soit civil ou que hommes soient par nature faiz pour converser ensemble plus que ne sunt quelsconques mouches qui font miel”. 35 Buridan (1640), 16–19: “non homo est animal domesticum a natura [. . .] quia domesticum et civile sunt differentiae oppositae [. . .] Homo est animal civile per doctrina [. . .] homo est animal civile
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politicum para explicitar el sentido de este último término, calco del griego πολιτικὸν.36 En el Renacimiento, Johannes Versor (m. 1485), que sigue a Buridan, adopta también el doblete sinonímico civile et politicum.37 Otros autores, como Aegidius Romanus (1243–1316), interpretan la expresión πολιτικὸν ζῷον en toda su extensión, como animal sociale, civile et politicum.38 Con todo, la versión por animal civile sigue siendo la preferida por los traductores y comentaristas renacentistas vinculados a la tradición tomista y así se encuentra en Ludovicus Valentia (1453–1496),39 Juan Ginés de Sepúlveda (1490–1573),40 Michael Schütz (1514–1581) y Johannes Sturm (1507–1587)41 Denis Lambin (1519–1572) y Pietro Vettori (1499–1585),42 Johannes Kessel (ca. 1546–1600),43 y también, a partir del siglo XVII, en Peter Gilken (1558–1616),44 Hubert van Giffen (1534–1604),45 Johann von Felden (¿–1668),46 Christoph Heidmann (¿–1627),47 Hermann Conring (1606–1681)48 y Johann Gottlob Schneider (1750–1822).49
voluntate [. . .] si homo esset animal civile a natura, sequeretur quod homo non posset se separare a civili communicatione [. . .] Civile esse est a natura”. 36 Rubinstein (1987), 41–56. 37 Versor (1492), 3a–4b: “Ex autem civile animal homo omnium ope et omni gregali animali magis pala; homo sit naturaliter animal civile et politicum”. 38 Aegidius Romanus (1607), 12: “Si autem est homo, quia homo (ut ibi probatum) est naturaliter animal sociale, civile, et politicum, sequitur quod regatur secundum prudentiam, et vivat vita politica”. 39 Ludovicus Valentia (1464), 2: “homo sit naturaliter civile animal”. 40 Juan Ginés de Sepúlveda (1548), 9: “Homo autem animal est omni ape, omnique animante gregali civilius”. 41 Schütz/Sturm (1550), 17a–18a: “Civile igitur animal magis homo est, quam apes, aut quodcunque gregarium est animal”. 42 Lambin/Vettori (1582), 6–7, 10: “Quare autem homo civile animal sit, omni ape et omni gregali animante magis, apertum est (trad. Vettori); Hominem autem esse animal civile magis, quam quamvis apem, et quodvis animal congregabile, perspicuum est (trad. Lambin)”. 43 Kessel (1587), 22s.: “hominem esse animal civile a natura”. 44 Gilken (1605), 11–12: “Hominem autem esse animal civile magis, quam quamvis apem, et quodvis animal congregabile, perspicuum est”. 45 Giffen (1608), 29–33: “Cur autem civile sit animal homo magis, quam omnis apis et omne animal congregabile, perspicuum”. 46 Felden (1654), 21–23: “Demonstrat Aristoteles a posteriori, hominem natura animal civile esse”. 47 Heidmann (1672), 20–21: “Ad hanc igitur tam naturalem societatem homo inprimis propendet, eoque hic ab Aristotele omni gregali animali dicitur civilius, etsi multa sunt quae sui generis societate et consuetudine gaudent, ut apes, cornices et alia”. 48 Conring (1656), 6–7: “Quare autem homo civile animal sit, omni ape et omni gregali animante magis, apertum est”. 49 Schneider, (1809), 343: “Hominem autem esse animal civile magis, quam spem et quodvis animal congregabile, perspicuum est”.
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En esta época el doblete sinonímico politicus-civilis servirá para ir acentuando progresivamente la oposición entre el derecho civil y el eclesiástico. Como hemos visto en la definición de Sebastián de Covarrubias en su Tesoro de la lengua castellana o española (1611),50 civil es “todo lo que pertenece al derecho de la ciudad”, mientras que el Diccionario de lengua castellana (1729) trae dos acepciones para este término: a) civil es “lo que toca y pertenece al derecho de ciudad y de sus moradores y ciudadanos”; b) civil “en su recto significado vale sociable, urbano, cortés, político y de prendas propias de ciudadano; pero en este sentido no tiene uso, y solamente se dice del que es desestimable, mezquino, ruin y de baja condición y procederes”.51 En algunos comentaristas españoles vinculados a la tradición tomista es posible identificar el doblete sinonímico político-civil, por ejemplo, Alfonso de Cartagena (1384–1456) en El Oracional.52 Rodrigo Sánchez de Arévalo (1405–1470) en Suma de la política53 y Pedro Marín en sus Sermones.54 Sin desaparecer por completo la dimensión civil, propia del cristianismo tomista, como hemos apuntado, se produce también progresivamente un desplazamiento en las versiones, que destacan cada vez más su sentido “social”, “sociable” o “sociabilidad”. Si bien estos términos no se recogen en el Tesoro de la lengua castellana o española (1611), el Diccionario de la lengua castellana (1739) define “sociedad” como “compañía de racionales”, “sociable” como “lo que fácilmente se junta a otro e inclina a tener compañía” y “sociabilidad” como “el tratamiento y correspondencia de unas personas con otras”. Da la impresión que la “sociabilidad” es definida a partir de la “racionalidad” –o, mejor, “lingüisticidad” o “comunicabilidad”– del ser humano.55
3.2 La dimensión social En el Renacimiento cuando comenzó a considerarse la expresión πολιτικὸν ζῷον como animal sociale en el ámbito de la tradición católica no tomista y en el movimiento reformado. Así lo recoge Leonardo Bruni (ca. 1370–1444) en su traducción latina, cuya versión española, publicada en 1509, vierte por “animal sociable”.56 En el ámbito
50 Covarrubias Orozco (1611), 248. 51 RAE (1737), II, 364. 52 Cartagena (1983), § 21. 53 Sánchez de Arévalo (1959), § 1 y § 19, 280. 54 Marín, (1990), § 10, 143. 55 RAE (1737), VI, 133. 56 Bruni (1526), 3v: “Ex quo patet sociale animale esse hominem magis quam omnis apes, magis quam omne gregarium animal; Bruni (1509), s.f.: [. . .] de lo qual pareçe el hombre ser animal sociable mas que todas las avejas y todo otro ganado”.
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hispánico tenemos a Pedro de Castrovol (siglo XV), que traduce como civile et associabile,57 y a Fernando de Roa (1448?–1507), que en su traducción sigue a Bruni, mientras que en el comentario sigue la tradición tomista.58 Acentúan también esta dimensión “social” en el ámbito francés, el humanista Jacques Lefèvre d’Éstaples (1450–1537);59 en el ámbito alemán, destacan los reformados Virgilius Wellendorfer, que distingue entre “civil” y “social”,60 Philipp Melanchthon (1497–1560)61 y Joachim Camerarius (1500–1574);62 en el ámbito italiano, Crisostomo Javelli (ca. 1470–1538), que opta por la versión animal politicum et sociale,63 Raffaelle Maffei (1451–1522),64 Donato Acciaiuoli (1429–1478),65 Genesio Malfanti (siglo XVI), que emplea el doblete animal civile et sociale,66 al igual que el dálmata Nikola Vitov Gučetić (1549–1610), que usa el doblete sinonímico animale civile et sociabile en su comentario escrito en italiano.67 En el siglo XVII Petrus Ramus (151572) prefiere traducir por civilius et urbani animal.68
57 Castrovol (1496), s.f.: “homo naturaliter est animal civile et associabile”. 58 Roa (1502), VIIs.: “Ex quo patet sociale animale esse hominem, magis quam omnis apis, et quam omne gregarium; homo natura est animal civile [. . .] homo natura est animal domesticum et civile; homo natura est animal civile. Hic ostendit hominem magis esse animal sociale”. 59 Lefèvre d’Éstaples (1512), ad 1.2.10: “Ostendit hominem animal esse sociale magis quam apes, et quodcumque aliud animal, quod gregatim turmatimque socialiter vivit”. 60 Wellendorfer (1513), 8b: “Homo naturaliter animal civile salutatur et morale. Merito pluribus ceteribus animal vocitatus sociale. Ex qua partem sociale animal esse hominem magis quam omnes apes, magis quam omnes animal gregarium [. . .] Sequitur ex premissis q naturaliter homines in sermone cn tal facit domum et civitatem q homo animal est naturaliter domesticum et civile”. 61 Melanchthon (1531), 4s.: “homo natura ad societatem ducatur”. 62 Camerarius (1581), 29: “Argumentatio nasci homines ad societatem civilem, et maxime ex omnibus animalibus congregari solere, de uso sermonis qui proprius est hominum”. 63 Javelli (1536), 5b–6a: “hominem esse naturaliter animal civile; [. . .] ergo est naturaliter animal politicum et sociale magis quam apes et omne animal gregarium”. 64 Maffei (1542), 6: “Ex quo patet, sociale animal esse hominem magis quam omnis apes, magis quam omne gregarium animal”. 65 Acciaiuoli (1566), 16ab: “Quarta sententia est, quod homo est animal sociale magisquam aliquod aliud animal. Illud animal, cui natura plura tribuit accomodata ad societatem, est magis sociale”. 66 Malfanti (1587), 43b: “homo secundum naturam est animal civile [. . .] propterea homo est animal sociale magis, quam aliquod aliud animal. iam igitur satis constat, quid sit ipsa civitas, et quomodo sit naturalis, ad quam homo ita naturaliter inclinatur, ut maxime sit animal civile, ac sociale”. 67 Gučetić (1591), 20–21: “non sarà dubbio, che l’huomo non sia un animal civile di che l’animo nostro s’appaga per ragione [. . .]. Communio autem horum parit domum et civitatem: è chiarissimo donque che l’huomo sia un’animale civile, et sociabile”. 68 Ramus (1601), 13–14: “Homo autem omnium apum examine, omniumque animantium quantumvis congregabilium agmine, civilius et urbani animal est”. Ramus señala la complementariedad entre civitas y urbs. Ya en el siglo VI, Isidoro de Sevilla escribe en sus Etimologías (1983), 203, se señala: “E actualis es dicha la [parte de la Filosofía] que por sus obras demuestra las cosas propuestas. De la qual son tres partes: moralis, que fabla de las costumbres, dispenssativa, que es
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Entre los autores renacentistas españoles que participan de una interpretación del πολιτικὸν ζῷον como “animal social” o “sociable”, o ya abiertamente como “animal político”, encontramos a fray Antonio de Guevara (1480–1545), quien en su Reloj de príncipes señala: “Los antiguos philósophos, difiniendo qué cosa era hombre, dezían que el hombre era un animal que de su propia naturaleza era comunicable, sociable y risible, de do se sigue que el hombre encogido y solitario no puede en su condición sino ser enojoso.” Y más adelante: Como el hombre naturalmente sea político, que es ser amigo de compañía, la compañía engendra embidia; la embidia pare discordia; la discordia cría la guerra; la guerra levanta la tyranía; la tyranía dissipa a la república; y, perdida la república, tienen todos en peligro la vida. Por esso es muy necessario que en todo ayuntamiento muchos se rijan por uno, que al fin no ay república bien regida si no la que por un solo bueno es governada.69
Otro importante humanista, Juan de Arce de Otálora (¿1510–1515?–1561) en sus Coloquios de Palatino y Pinciano escribe: “El hombre, dice el Filósofo que es animal sociable y alegre y conversable”. Y más adelante añade: “El hombre, según Aristótil, es animal sociable, y el mal acondicionado no se puede llamar tal.”70 El célebre Juan Huarte de San Juan (1529–1588) en Examen de ingenios para las ciencias afirma: El hombre es animal racional, sociable y político; y porque su naturaleza se habilitase más con el arte, inventaron los filósofos antiguos la dialéctica, para enseñarle como había de raciocinar, con qué preceptos y reglas, cómo había de definir las naturalezas de las cosas, distinguir, dividir, inferir, raciocinar, juzgar y elegir, sin las cuales obras es imposible ningún artífice poderse pasar. Y para poder ser sociable y político, tenía necesidad de hablar y dar a entender a los demás hombres las cosas que concebía en su ánimo; y porque no las explicase sin orden ni concierto, inventaron otra arte que llaman retórica, la cual con sus preceptos y reglas le hermosea su habla con pulidos vocablos, con elegantes maneras de decir, con afectos y colores graciosos.71
3.3 Las interpretaciones posteriores a las guerras de religión Antes de las guerras de religión que asolaron Europa, entre ellas la Guerra de los Treinta Años (1618–1648) que provocó un cambio de hegemonía europea, se había hecho un uso neutro del adjetivo “político”, que se refería a todo aquello “relativo
‘compartidor’ o ‘ordenador’, civilis, que fabla de las cosas de la çibdat. Moralis es dicha aquella por la qual es cobdiçiada o demandada honesta costumbre de bivir. Dispenssativa es dicha quando el ordenamiento de las cosas de casa es fecho sabiamente. Civilis es dicha por la qual es catado e departido el pro de toda la çibdat”. 69 Guevara (1994), §§ 4 y 147. 70 Arce de Otálora (1995), 62 y 587. 71 Huarte de San Juan (1989), 433–434.
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al gobierno”. Así, desde el siglo XII el término civilis aparecía como doblete sinonímico de politicus, para explicitar el sentido de este último. La transformación del πολιτικὸν ζῷον de Aristóteles en un animal civile procede de la traducción de Moerbeke y servirá para ir acentuando progresivamente la oposición entre el derecho civil y el eclesiástico, siendo el germen de una concepción secularizada de la política. El uso creciente de animal civile en conjunción con animal politicum por muchos humanistas contribuirá a una identificación de la politia y la respublica. Ambas circunstancias propiciarán que a principios del siglo XV lo político se oponga, por una parte, a lo teológico, siendo sinónimo de “cívico” y, por otra parte, a lo monárquico, siendo sinónimo de “republicano”. Así, progresivamente la política fue concibiéndose tal como hemos citado “la ciencia y modo de gobernar la ciudad y república”, según el Tesoro de la lengua castellana o española de Sebastián de Covarrubias Orozco, y englobando las demás artes cívicas, tal como recoge el Diccionario de la lengua castellana, que la entiende como “el gobierno de la república, que trata y ordena las cosas que tocan a la policía, conservación y buena conducta de los hombres”. Tras las guerras de religión se impuso, en los países reformados, la interpretación de la expresión πολιτικὸν ζῷον como animal politicum, mientras que entre los católicos prevaleció la versión del texto en su sentido de animal civile o animal sociale. La nueva concepción de la política se distancia progresivamente de la ética. El final de la Edad Media consagró dos grandes principios que establecían el principio del derecho: uno descendente, teocrático y agustiniano –el poder procede de Dios–, otro ascendente y cívico, por el ascenso de los sujetos hacia el príncipe a partir de la definición aristotélica del hombre.72 Así, en el ámbito protestante alemán, Johann Kahl (1550–1614), profesor de derecho en Heidelberg en su traducción de la Política de Aristóteles, publicada en 1595, vierte πολιτικὸν ζῷον como animal politicum.73 También Gottlieb Goll (1528–1600), profesor de Lógica y Ética en la Universidad de Estrasburgo, en su Epitome doctrinae politicae lo interpreta en este mismo sentido.74 Y lo mismo hace Wolfgang Heider (1558–1626), profesor de Ética y Política en la Universidad de Jena.75 Entre los autores católicos alemanes, Michael Piccart (1574–1620), profesor de Lógica, Poética y Metafísica desde 1599 en la Universidad de Altdorf, interpreta el πολιτικὸν ζῷον como animal politicum.76 Sus fuentes son a la vez la tradición del
72 Fioravanti (1999), 4–24. 73 Kahl (1595), 11: “Hominem esse animal natura politicum”. 74 Goll (1622), 20–21: “Quod est alterum argumentum, quo Aristoteles probat, quod homo natura sit animal politicum?” 75 Heider (1628), 29–30: 2. “Homo natura est animal Politicum [. . .]”. 76 Piccart (1615), 44–49: “Διότι δὲ πολιτικὸν ὁ ἄνθροπο. Sequitur altera probatio comparata, ait enim hominem non solum esse animal Politicum, sed et magis Politicum, quam omnis apis, aut ullum aliud animal gregale, quod ut capiatur, sciendum est”.
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aristotelismo italiano y el conocimiento de la nueva escolástica española. Entre los protestantes holandeses, Franco Petri Burgersdijk (1590–1635), que interpreta el πολιτικὸν ζῷον como animal politicum, apunta como sinónimo de politicum la expresión maxime sociabile.77 En las interpretaciones protestantes del homo politicus tiende a desaparecer la dimensión mística o supranatural de un poder ahora secular, en manos de la sociedad civil.78 En estas interpretaciones se da la emergencia de la idea de sociedad civil como resultado del cuestionamiento de los modelos de ordenación social y de autoridad existentes y que se desarrollará durante los siglos XVII y XVIII. Así se encuentra en la obra de Balthasar Keller (1614–1671), teólogo evangelista que desempeñó varios puestos docentes en la Universidad de Helmstedt que compatibilizó con su dedicación pastoral como predicador y pastor,79 y en Gebhart Theodor Meier (1633–1693), autor de importantes obras de derecho canónico e historia eclesiástica.80 Todo esto nos ofrece un esbozo, que sin duda es necesario completar, de la configuración semántica del πολιτικὸν ζῷον.
4 El hombre es un ser que vive y con-vive En este trabajo hemos espigado algunas opiniones entre los muchos comentarios que existen a la Política de Aristóteles.81 No obstante, para completar este trabajo habría que proceder a un estudio más minucioso de las traducciones y comentarios, así como libros inspirados en la obra de Aristóteles. Las consideraciones que haremos en este epígrafe las dividiremos en dos partes. Primero, se expondrán diez
77 Burgersdijk (1644), 6: “Omnis quidem humana societas a natura est”; 33: “Politia sive politica societas, originem traxit a natura. Homo enim sua natura est animal politicum, quod tam ex sermone, quum ex illius usu manifestum est”. 78 Ehrenberg (1999). 79 Keller (1664), 4–5: “Politicum, quod ad societatem civilem colendam aptum natum est. Hoc sensu Aristotel. 7 Eud. cap. 10. hominem appellat ζῷον πολιτικὸν animal civile, illumque natura talem esse pronunciat I. Pol. c. 2. unde sponte sua fluit, hominem, etiam ex Aristotelis sententia, animal esse. Uti enim nemo, qui atomum cerebri adhuc habet, negare potest, illum hominem esse, qui est homo musicus: ita necesse est, animal esse illum, qui est animal civile. A conjunctis enim ad divisa valet consequentia, nisi inter partes compositi praedicati aliova sit repugnantia, aut pars compositi praedicati subjecto ratione alterius partis comperat, sicut Aristot. lib. 1 Interp. c. 11. rectissime docet”. 80 Meier (1668), 16–18: XXIV. “Homo est animal Politicum. Animal duobus modis politicum [. . .] Homo autem animal natura politicum est, quia XXVI. Si homo non esset animal natura politicum, frustra ei datus esset sermo”. 81 Rus Rufino (2008), donde el autor ofrece un panorama completo de la recepción de la Política de Aristóteles.
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temas relevantes que los comentaristas y críticos del texto han vislumbrado en él. Segundo, se insistirá en la necesidad de organizarse políticamente por parte de hombres como una dimensión de su capacidad para establecer relaciones con otros seres de forma organizada y estable.
4.1 Temas relevantes que plantea el texto de Aristóteles Consideramos que, entre los muchos aspectos que han llamado la atención a los comentaristas, los más interesantes podrían ser los siguientes. La traducción por una especie de animal político, no expresa suficientemente el profundo sentido de la frase. Se puede admitir siempre que se busque una justificación en el hecho de que la terminología de Aristóteles es muy clara: el hombre es una especie política, un ser gregario que se agrega en una comunidad ordenada bajo un dispositivo de mando y obediencia. En esa comunidad política el nexo de unión es un mecanismo de trato ordenado por medio del regimiento, de modo que en esa trama básica sólo hay gobernante y gobernados, que a su vez integran unidades más pequeñas que se cierran en la casa familiar, por debajo de la cual ya no hay nada más. Debe tenerse presente que la categoría teórica de sociedad es moderna y no se corresponde con las comunidades antiguas. Tampoco cabe describir al cuerpo político como sociedad, en realidad es una comunidad en la que y de la que todos participan. En rigor, la sociedad como espacio neutro de agregación de individuos indiferenciados es un resultado tardío de la civilización occidental, que tiene su origen cuando se asentó en las ciudades el burgués, una nueva clase de hombre que crea su identidad únicamente con referencia a sí mismo y a su patrimonio. El término πολιτικὸν aplicado al hombre significa que el ser humano tiene las virtudes y las condiciones físicas y psíquicas necesarias para con-vivir con otros, pero tenerlas de forma pasiva no es suficiente para constituir una ciudad. Es preciso poner el juego las capacidades, las facultades, mediante el esfuerzo para desarrollarlas, y la educación, que implica, de un lado, la acción de agentes exteriores, de otro, el empeño personal para aprender y dejarse guiar por alguien que sabe más, o conoce el camino.82 Para ser y vivir como animal es necesario sólo tener sensaciones de placer y dolor. Para ser animal social, político, cívico o retórico se exigen otras características: lenguaje inteligible para comunicarse, inteligencia para elaborar proyectos, entender y distinguir lo bueno de lo malo, lo justo de lo injusto. Estas cualidades permiten establecer la forma de convivencia y desarrollarla.83 Lo cual significa que el hombre es capaz de llevar a cabo tareas en común, con esfuerzos y medios coordinados, algo que el animal no puede. Aristóteles además introduce una novedad:
82 Como el mismo Aristóteles lo expuso en su obra EN 1169b 16 y ss. 83 Araos San Martín (1999); Bordoni (1994); Cauquelin (1990); Belardi (1975); Larkin (1971).
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el hombre adquiere el sentido moral sólo viviendo en sociedad, no es un regalo que le concede el nacimiento, sino una consecuencia de su condición de hombre que se va haciendo sociable y político en el transcurso de la vida. Estas ideas están expresadas en la Política así como en la Ética a Nicómaco, y tienen su precedente en la, República de Platón,84 donde se sostiene que el origen de la familia y, por tanto, de la ciudad está estrechamente relacionado con la evolución histórica de las comunidades primigenias: la casa familiar y la aldea. El término final del proceso es la pertenencia a una pólis, que es una construcción humana, porque el hombre es el único que tiene las cualidades necesarias y exclusivas para constituirla, los animales carecen de estos atributos, por tanto, no pueden organizarse de esta manera. La expresión ἄπολις διὰ φύσιν puede admitir la traducción por sin ciudad por naturaleza, es decir, alguien que se encuentra existencialmente apartado de cualquier tipo de comunidad política y, por ende, sin anclaje propio entre sus congéneres. Esto no significa que no habiten o se recojan al amparo de una casa, de una aldea o de una ciudad. Aristóteles pone el acento en la total carencia de pertenencia como sujeto que participa y considera suya propia la comunidad en la que se asienta. En rigor, como recoge el autor en palabras de Homero, se trata de aquellos que no tienen residencia, ni ley y ni casa familiar propias. Eso o son menos o son más que el hombre libre que como tal participa de la comunidad política y determina su identidad por esa pertenencia a la pólis. Para Aristóteles el que ama la guerra, quien provoca conflictos armados para resolver las diferencias, es una persona vil.85 La comparación interesa más que la referencia al juego en sí, por la función es, además, un propósito que se agota en su acción. La esencia de cada pieza, o sea, lo que le hace ser esa pieza y ejercer esa función en el juego, carece pues de τέλος o causa final que, sin embargo, sí lo tiene el juego como tal, pero no cada pieza aislada y fuera de contexto. El hombre que no tiene pólis (απόλιδο), está pues, para Aristóteles, en la misma posición que la pieza de un juego de damas y por eso le asigna el atributo de violencia funcional como rasgo inherente, ya que no tiene más que eso. Así como el esclavo pertenece al que lo rige, la pieza, en ese mismo sentido, pertenece al juego y no tiene identidad propia, pues fuera del juego no es nada más que un objeto incierto, como el individuo sin residencia, sin ley propia recibida y sin casa familiar. Como se ve estamos ante una construcción lógica que sólo se explica teniendo en cuenta los presupuestos de la filosofía primera de Aristóteles. Este es un buen ejemplo de conexión contextual que se va encontrar, en forma repetida, en el texto de la Política. ¿Es el término πολιτικὸν propio del hombre y sólo se predica metafóricamente del resto de los animales? O más bien, ¿la definición aristotélica se refiere a una
84 Platón, Rep., 484d y Aristóteles, Pol. 1280b 5, EN 1167b 2. 85 Aristóteles, EN 1177b 9 y ss. y las palabras de indignación que Zeus dirige a Ares en la obra de Homero, Ilíada 890 y ss. reprochándole su conducta.
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característica zoológica elemental común a los miembros de las especies gregarias que cooperan en una tarea común? El texto aristotélico no dice que los hombres sean los únicos animales sociales, sino que son animales sociales en mayor grado que otros animales.86 Frente a ciertas lecturas que consideran que el hombre es el único que posee lógos (λόγος), queremos subrayar lo tosco de estas interpretaciones. Los que sostienen que el hombre es el único animal social, incurren al menos en dos ideas equivocadas sobre el sentido de la afirmación aristotélica. Unos, encontrando en Aristóteles un magnífico aliado contra el individualismo liberal al que se oponen, mantienen la superioridad de la vida política sobre otros modos de vida.87 Pero esta interpretación de la política como un bien en sí mismo se topa con las observaciones de Aristóteles al final de la Ética a Nicómaco y la Política, donde se afirma la superioridad del βίος θεωρητικός frente al βίος πολιτικός. Otros, convirtiendo a Aristóteles en un determinista biológico, se apoyan en la afirmación de que “en todos existe por naturaleza el impulso hacia tal comunidad”88 y no dudan en mantener que Aristóteles viene a decir que tenemos un impulso natural –biológicamente heredado– que nos lleva a vivir juntos.89 Sin embargo, para Aristóteles el fin de la política no es la vida en común (συζῆν), sino realizar el idea de vivir bien (το`εὖ ζῆν).90 No se trata pues de impulsos determinados biológicamente, sino de inclinaciones potenciales modificables de acuerdo con la experiencia, que se adquiere gracias a que en el fundamento del vivir bien, y no del simple vivir, existe una tendencia biológica y, por tanto, natural propia y exclusiva del hombre. En definitiva, que el hombre sea un animal social no es resultado ni de la superioridad de la vida política sobre otros modos de vida, ni fruto de un impulso biológico necesario. Para Aristóteles, la política no es ni un fin en sí misma ni algo inevitable, sino que es el modo más razonable de organizar la pluralidad de inclinaciones y necesidades que conforman nuestra herencia biológica, una actividad fruto de nuestro deseo de vivir bien (το`εὖ ζῆν). Los seres humanos son los únicos que tienen capacidad para sentir lo que es mejor para ellos y ordenar sus vidas de acuerdo con esto. Sólo desde estos supuestos es posible comprender el alcance de este texto aristotélico. Se ha optado por seguir la traducción común, pero el sentido de la frase apunta hacia que la naturaleza no hace nada que no se pueda comprender y explicar. En este sentido, la inteligibilidad para Aristóteles se configura como un proceso al que se accede por conocimiento de las causas –material, formal, eficiente y final– tal
86 Ramírez (2003), 220–223; Ramírez (2003), 3–4; Salkever (1991), 24–30. 87 Arendt (1958); Pocock (2003), 550; Nussbaum (1986), 345–353, todos ellos incurren en esta lectura equivocada del texto aristotélico. 88 Aristóteles, Pol. 1253a 29–30. 89 Para una severa crítica a esta posición, véase Gotthelf (1976), 226–254; Nussbaum (1978), 59–106; Balme (1980), 1–12. 90 Aristóteles, Pol. 1280b 39–1281a 4.
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como se las explica en sus lecciones de filosofía primera.91 En este sentido, podemos poner a modo de ejemplo, cómo las cuatro causas tienen relación con los problemas que plantea la teoría política: – La causa material, aquello de lo que está hecho algo, por ejemplo, “el bronce es la causa de la estatua”,92 y así también la reunión en tanto pura agregación lo mismo que las casas serían la causa material de la pólis.93 – La causa formal aquello que lo lleva ser algo, por ejemplo, “de la octava musical la relación de dos a uno y, en suma, el número”,94 y así también el gobierno constitucional sería una de las causas formales de la pólis.95 – La causa eficiente sería aquello que impulsa o genera algo, por ejemplo, “el que aconsejó es causa de la acción y el padre es causa del hijo”,96 así también la ley (νόμος) sería una causa eficiente del gobierno de una pólis.97 – La causa final es el propósito o fin con arreglo al cual la cosa es lo que es, o llega a ser lo que es, por ejemplo, “del pasear es causa la salud ¿Por qué en efecto se pasea? Decimos para estar sanos”,98 y así también la pólis en tanto que una comunidad donde participan los hombres, sería la causa final de la convivencia ciudadana,99 y el ideal de bien vivir (το`εὖ ζῆν),100 pero asimismo la causa final del buen vivir en la comunidad política no sería la mera convivencia de individuos diferentes y jerárquicamente relacionados, sino la práctica de las buenas acciones.101 El sentido del término lógos en este pasaje es radicalmente opuesto a muchas interpretaciones actuales que convierten a Aristóteles en una especie de valedor de la teoría de los actos de habla. Para estos exégetas, Aristóteles vendría a sostener que el lógos tiene como propósito facilitar el intercambio de información entre las personas, reduciendo así su significado al de mera φωνή (sonido, voz).102 El lógos nos posibilita, en cambio, el descubrimiento, a través de la deliberación, de los medios y los fines con los que organizar nuestras vidas. Esta capacidad del lógos una potencialidad que puede desarrollarse o no, pues los seres humanos son capaces de vivir bien o de vivir mal.
91 Aristóteles, Metaf. 994b 4–15. 92 Aristóteles, Metaf.1013a 24–26. 93 Aristóteles, Pol. 1253a 18–29. 94 Aristóteles, Metaf. 1013a 29. 95 Aristóteles, Pol. 1278b 8–10. 96 Aristóteles, Metaf. 1013a 31–32. 97 Aristóteles, Pol. 1280b 5–12. 98 Aristóteles, Metaf. 1013a 34–35. 99 Aristóteles, Pol. 1261a 24–25; 1280a 34–1280b 5. 100 Aristóteles, Pol. 1280b 39–40. 101 Aristóteles, Pol. 1281a 2–4. 102 López Eire (1995), 46; López Eire (2005).
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La traducción de φωνή como sonido, aunque también se podría entender como voz, se justifica porque Aristóteles se refiere a los animales. Es preferible dar el sentido de algo no articulado y comprensible, y esto se corresponde con los sonidos que emiten los animales.103 El mismo Sócrates consideraba que el lenguaje era un requisito necesario para establecer la vida política, constituir la sociedad donde los hombres vivieran.104 La marcada distinción entre casa (οἰκία)105 y ciudad (πόλις), sostenida sobre todo por aquellos intérpretes de la superioridad de la vida política sobre otros modos de vida, no es tal en Aristóteles, pues ambas contribuyen al fomento del vivir bien (το`εὖ ζῆν).106 Para Aristóteles, el fin del hogar no es simplemente la procreación, pues “en la casa se encuentran, ante todo, los principios y las fuentes de la amistad, de la organización política y de la justicia”.107 Esto subraya la importancia de la familia, recinto donde, a través de la educación (παιδεία), se adquiere el sentido de identidad personal necesario para poder deliberar.108 Uno de los principales objetivos de la educación es preparar a los jóvenes para que puedan deliberar sobre lo que es justo e injusto, de modo que se conviertan en ciudadanos diligentes (σπουδαίος) y autónomos, es decir, capaces de gobernarse a sí mismos y de gobernar la pólis.109 Tarea de los ciudadanos es pues juzgar qué diferencias potenciar y cuáles rechazar por ser perjudiciales. Poniendo en práctica la deliberación, los ciudadanos tratan de buscar el común acuerdo entre ellos, que da expresión a su pensar y a su sentir, comunicándoselo unos a otros, para poder desarrollar su vida en común. De este modo, las diferencias potencian el diálogo, el progreso social y la crítica en el marco de la pólis.110
103 Aristóteles, EN 1170b 11–14 y otros autores como Isócrates Sobre el cambio de fortunas 253–257 y Nicocles 50. 104 Jenofonte Recuerdos de Sócrates 4.3.12. 105 El sentido del término οἰκία hace referencia al conjunto de elementos que forman la heredad familiar y también tiene el sentido de morada familiar, más que de casa como elemento material de refugio para los seres humanos. 106 Salkever (1986), 232–253. 107 En este contexto, Aristóteles subraya también la analogía entre οἰκία y pólis como formas de convivencia que diferencian a los hombres de los otros animales: “En efecto, el hombre no es solamente un animal social, sino también familiar, y, al revés que los otros animales, no se aparean ocasionalmente hombre y mujer; en un sentido particular, pues, el hombre no es un animal solitario, sino hecho para la asociación con aquellos que son naturalmente sus parientes. Habrá, pues, una cierta comunidad y una cierta justicia, aun cuando no exista la ciudad”, Aristóteles, EE 1242a 22–1242b 1. 108 Nussbaum (1980), 395–435; Saxonhouse (1982), 202–219; Nagle (2006). 109 Uno de los precedentes de la moderna idea de autonomía kantiana está implícita en el ideal de la παιδεία aristotélica Miller (2002), 375–402; Sherman (1997), 325–330. 110 Salkever (1991), 166–167.
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4.2 La capacidad del hombre para establecer instituciones políticas Una mirada hacia la historia política muestra una realidad innegable: el hombre por naturaleza es un animal social que vive, convive, con otros en una pólis con el fin de conseguir realizar el ideal de bien vivir, tener una vida excelente. La constitución de una comunidad implica una ordenación de las magistraturas que la gobiernan y establece una coordinación y una distinción de los ámbitos en los que se ejerce el poder. Si la constitución política busca el bien común es correcta, al contrario, si busca el bien y el provecho de los gobernantes es desviada, corrupta, despótica y perversa. Esto lo afirmó Aristóteles, pero lo han mantenido todos los tratadistas políticos de cualquier época y corriente doctrinal. La historia demuestra un dato incuestionable, ha habido y habrá una evolución y un cambio de formas políticas continuo, por eso hay que considerar el devenir para poder establecer una teoría política con un fundamento sólido en la realidad histórica. Si la historia enseña esto, la antropología nos muestra que las formas de Estado y de gobierno, las mismas constituciones políticas, son la resultante real de lo más íntimo del ciudadano y su propia vida. La interacción ciudadanο/constitución política (πολίτες/πολιτεία) supone un acto vital porque ésta es la realidad, el halo de vida, de una pólis.111 Por eso la relación entre ciudadano/constitución política es auténtica, espontánea, válida y configura un status incuestionable de la biografía del ciudadano. Aristóteles apela a la historia, a la evolución política y a unas prácticas políticas que no estaban vigentes en su época, pero que todavía vivían en la memoria de sus lectores y oyentes como fuente de información acerca de lo que debía y lo que no debía hacerse en una sociedad para organizar la convivencia ciudadana. La cuestión que se plantea es, ¿por qué los hombres nos organizamos políticamente y no vivimos en la barbarie siendo cada uno un enemigo irreconciliable para el otro? En definitiva, Aristóteles y todos los pensadores han tratado de buscar el fundamento de lo político, de la ciencia política, en unos modelos que, en el pasado, habían mostrado su éxito y su fracaso en una época. Dichos modelos podían y debían servir de pauta para articular las relaciones entre los ciudadanos y para establecer cuál podía ser el régimen político más viable y mejor en cada circunstancia y en cada tiempo. Aristóteles fue consciente de un hecho que el pensamiento político ha admitido y asimilado, cada régimen político histórico es único e irrepetible. Se pueden establecer categorías y principios generales, pero todo régimen político es cualitativamente diferente a cualquier otro, por eso no se puede admitir la existencia de un proceso regular de cambio, o mutación, sino un ritmo de sustitución y constitución, porque el primero es fatalista, el segundo plantea la necesidad de aprovechar las experiencias positivas y
111 Aristóteles, Pol. 1295a 40.
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el aprendizaje que proporciona cada régimen. El uno se encierra en un círculo del que no puede escapar, el otro evoluciona en espiral dirigiéndose hacia un fin. De este modo, se puede hablar de una evolución política –como la biológica– que muestra la existencia de la historia constitucional que se caracteriza por la diversidad de formas políticas y por la convivencia en el tiempo, en diversos lugares, de esta diversidad. De ahí que el movimiento histórico se pueda decir que es una clase determinada de movimiento que se apoya en una sucesión en la que unos elementos proceden de otros, como unas constituciones proceden de otras y van hacia otras. Aristóteles detectó en la política la existencia de un movimiento procesual donde lo fundamental es la transmisión de experiencias, y de ahí deducir elementos que nos permitan llegar a desarrollar una teoría política. Cada constitución política muestra una forma peculiar de organizar la convivencia entre los hombres y de ordenar la realidad política. Pero la manera concreta de organización es una opción humana que tiene como fundamento la libertad de los hombres para elegir entre diversas formas de estado y de gobierno según las posibilidades reales que ofrece cada coyuntura histórica. Aristóteles no trató en ninguno de sus textos, ni en el caso de la Constitución de Atenas, de construir un relato histórico pormenorizado de las distintas formas políticas que se han dado en las diversas sociedades. Aristóteles utilizó los datos fácticos como los elementos necesarios para comprender la política en su dimensión histórica y teórica y poder llegar a la conclusión siguiente, la política se realiza en la historia, en ella tiene su continuidad, le otorga sentido, la llena de contenido. Así Aristóteles va a explicar tanto la razón de ser de la política como la razón por qué ha evolucionado de una u otra forma la política, en la que los individuos son los protagonistas y actores principales. Este hecho atrajo la atención de los pensadores posteriores, y mostró que el hombre en el uso de su libertad y condicionado por la necesidad, podía y debía organizar su espacio político de una manera determinada, en coordinación y cooperación con otros seres humanos que eran, igual que él mismo, ciudadanos. De esta forma se asigna una función fundamental a la historia y a la reflexión teórica sobre la realidad política, que se podría cifrar en la necesidad de desentrañar qué es lo constante, lo que permanece en el tiempo, y qué es lo contingente y qué desaparece con unas personas y unas formas políticas cuando éstas se extinguen. Por eso Aristóteles tiene que dar un paso fundamental que ha marcado la reflexión sobre la política en el mundo occidental: mirar hacia la historia para definir los elementos permanentes sometidos a un proceso de evolución y renovación que se puede detectar en la historia política. Para Aristóteles el conocimiento y la experiencia del pasado son necesarios para evitar en el futuro los errores que se cometieron. Al comienzo mismo de la Política deja sentado que el hombre es por naturaleza un πολιτικὸν ζῷον, y de ahí que la pólis sea una entidad natural que produce la simbiosis vital entre lo político y el ciudadano, Aristóteles ofrece dos explicaciones aparentemente distintas. La primera es una descripción empírica de la génesis de la ciudad, mientras que la segunda es una explicación teórica del hombre como πολιτικὸν ζῷον, basada en la posesión del lógos.
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Por una parte, Aristóteles sugiere que el mejor camino para investigar las cosas es ver cómo se han desarrollado desde el comienzo. Así, subraya que existe una jerarquía en los fines respectivos de la familia, la aldea y la pólis, que responden a las necesidades crecientes del ser ciudadano, desde las necesidades diarias y primarias a la realización de la vida buena, que es imposible fuera de una comunidad política. Por otra parte, Aristóteles estudia la peculiaridad de la naturaleza política del hombre. La respuesta es coherente con su planteamiento: “La razón por la que el hombre es un ser social, más que las abejas o que cualquier otra especie de animal gregario, es evidente: la naturaleza no hace nada en vano. El hombre es, por otra parte, el único que tiene un lenguaje inteligible.”112 Mientras que los otros animales tienen φωνή, que les permite comunicar dolor y placer, restringiendo su experiencia al ámbito de los sentidos, el hombre es capaz de experimentar niveles más profundos de valor en la realidad por medio del lógos: “Ahora bien, el lenguaje inteligible sirve además para manifestar el propio interés así como lo dañino, o lo justo y lo injusto, siendo esto exclusivo del hombre que, así, se diferencia de los demás animales al tener, por ello, el sentido del bien y del mal, el de lo justo y de lo injusto y todo lo demás que le es propio.”113 Por tanto, de acuerdo con la primera explicación, el término πολιτικὸν se refiere en sentido propio a una característica del hombre que vive en una comunidad política y que está dotado de lógos, mientras que por analogía caracteriza también al resto de animales gregarios. De acuerdo con la segunda interpretación, el uso del término πολιτικὸν aplicado al resto de animales gregarios no es metafórico, sino que su significado cubre diversos grados de sociabilidad. De ahí que Aristóteles afirme que el hombre es más social que las abejas o que cualquier otra especie de animal gregario, estableciendo una continuidad. En un sentido, la definición de Aristóteles es biológica, pero la phýsis (φύσις) del hombre no es totalmente biológica, sino racional e intelectual. Sería un grave error entender que la expresión πολιτικὸν ζῷον define la esencia del hombre,114 pues la naturaleza política del ser humano se deriva de su naturaleza racional. Aristóteles reconoce en varios lugares que, en su estado natural, el ser humano es físicamente más débil que otros animales.115 De todos los animales, el ser humano es más dependiente que otros de su especie; esto contribuye a su desarrollo mental, cuyo ejemplo más evidente es el lógos. Para razonar, para deliberar, el ser humano necesita el lógos, de modo que la naturaleza política del ser humano se fundamenta en el lógos, que le permite aprehender lo bueno y lo malo, lo
112 Aristóteles, Pol. 1253a 7–10. 113 Aristóteles, Pol. 1253a 14–18. 114 Depew (1995), 162 critica, en este sentido, a Heidegger, Arendt y otros que localizan la esencia del ser humano en la naturaleza política del hombre. Para una crítica de otras interpretaciones alemanas similares, inspiradas por Hegel, véase Kullmann (1998), 342–343. 115 Aristóteles, De las partes de los animales 687a 23–26.
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justo y lo injusto. Existe pues una conexión intrínseca entre la naturaleza política del hombre y el hecho de que esté dotado de lógos. La apelación a la historia y al lógos, a las prácticas de un pasado que ya no existe, pero que se recuerda y se ha aprendido, como es el caso de las formas políticas que cita en sus libros como fuente de información acerca de lo que debía y no debía hacerse en la política, desempeñó un papel importante en los debates sobre el mejor régimen político, sobre la mejor forma de gobernar. Se trató de buscar en el pasado los argumentos fuertes para intentar la reforma del presente. Muchos aspectos de la historia política podían y debían servir como modelo para justificar y desarrollar las relaciones entre los hombres y con la comunidad social. Por tanto, el debate sobre el pasado era urgente y necesario en el tiempo histórico en el que vivió Aristóteles, tanto como el debate sobre el presente, y tan importante como la formulación de una teoría política completa que tenía que hundir sus raíces en la experiencia histórica. Historia y política en Aristóteles están íntimamente unidas, no tanto para conocer de forma erudita un pasado que no existe, sino para comprender en toda su profundidad una dimensión fundamental y natural del modo de ser del hombre, su sociabilidad, es decir, el fin del hombre no sólo tiene sentido en el vivir, sino que se realiza y perfecciona totalmente en el convivir. Vivir y convivir son dos términos de un proceso histórico, biológico y político necesario que se ha dado, se da y se seguirá dando en el tiempo y mientras que los hombres no encuentren una forma de Estado, de gobierno, para organizar una sociedad que sea perfecta, ideal e inmutable. Algo que la historia muestra que es imposible y que todavía estamos lejos de conseguir.
5 A modo de conclusiones En este artículo se han subrayado las diferencias existentes entre la concepción de Aristóteles y los autores medievales y modernos que comentaron su obra. La primera diferencia que salta a la vista es que Aristóteles trata de justificar el origen de la comunidad política, y explicar cuál entre todas las ensayadas por los hombres es la mejor. No olvidemos que fue testigo del triunfo de la monarquía macedónica y de la consolidación del imperio alejandrino, dos formas políticas que no servían de modelo porque eran extra-helénicas. Él apostó por el desarrollo temporal del modo de ser del hombre: primero en la familia es social, se hace sociable en la aldea y termina siendo político en la pólis. El hilo que une estos tres momentos es la capacidad dialógica del ser humano para tener asuntos en común que convierte el espacio material de una pólis en el lugar natural y perfecto, en el más adecuado, no sólo para vivir, sino para realizar un ideal superior, el vivir bien. Este bien vivir alude a un tema central en la vida humana: la consecución de la felicidad. Si el ser humano se juega la felicidad en la organización correcta y adecuada del espacio político y sus instituciones, la estructura que cree tiene que ser capaz de regular y ordenar
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todas las vidas hacia el fin de la política encauzando la existencia, las inquietudes y los proyectos de los ciudadanos, delimitando el camino que deben seguir la coordinación sus esfuerzos en un proceso de cooperación que perfecciona y mejorar al propio ser humano. Si la armonía social se rompe, la vida comunitaria se ve amenazada de disolución y a punto de extinguirse. Para Aristóteles la pólis como modelo e ideal político había periclitado y cedido su hegemonía al poder concentrado en una persona, pero en la Política no hay resignación, sino ilusión por reverdecer el modelo mejorado y depurado de los errores que le condujo a su colapso, porque para el autor lo importante es que la política se hace con seres humanos, que se relacionan porque tienen aptitudes para ello y buscan vías para propiciar la participación activa en los asuntos comunes en una síntesis vital en la que ciudadano y política se encuentran indisolublemente unidos y confundidos. Los comentaristas que hemos citado abarcan desde el siglo XIII al siglo XVIII, cinco centurias en las que el mundo sufrió todo tipo de convulsiones y cambios. El horizonte político fue transformándose. El hombre dejó de interaccionar con él. Se ha quebrado la simbiosis entre lo ciudadano y lo político que se solidificó en dos entidades que siguieron caminos diferentes y paralelos entre los que no hubo contactos ni encuentros. Para los europeos bajomedievales y los del Renacimiento, del Humanismo y de la Ilustración lo político encalla en lo administrativo y en lo individual; lo ciudadano pierde toda proyección al operar sobre la vida y sobre las cosas porque el ciudadano no es para la ciudad, sino para sí mismo, es individuo. Los autores que hemos visto pretenden con sus versiones del πολιτικὸν ζῷον superar el individualismo y ampliar los límites del pensamiento y de la realidad política apoyándose en un pensador genial. Por un lado, tratan de ampliar el campo de lo político proclamando una ciudadanía menos restringida y miope; por otro lado, tratan de encontrar y fundamentar las relaciones humanas en aquello que de más humano encierra el modo de ser del hombre. El fundamento de ambos anhelos resultó ser la realidad primordial de toda proyección tanto social, política como religiosa: el hombre mismo. ¿Cómo es este hombre? ¿Qué es el hombre mismo? A esta pregunta nuestros autores no dan respuesta, porque, y ahí radica la diferencia esencial y más profunda con Aristóteles, no consideran al hombre en cuanto sólo tal, que es la esencia del Humanismo, de lo que de humano posee, sino que buscan dimensiones parciales de la realidad humana y por eso ora es social, ora político, ora cívico, o todo a la vez sin distinción y sin orden. Aristóteles marca los límites del hombre. Es un ser circunscrito a unas condiciones espaciales y temporales en las que despliega su existencia siendo él mismo y usando su lógos común. Sus comentaristas lo lanzan al infinito, a la ausencia de límites, lo convierten en un ser fragmentario y soberbio. Soberbia deriva de superbia, es decir, pasar al otro lado de la vida, excederse, salirse de un campo propio donde se está seguro y se actúa con libertad. Los comentaristas se mueven entre un teocentrismo que aplasta al hombre y un antropocentrismo que desvía a solo lo individual y concreto la existencia humana. La respuesta no está en una u otra postura, porque ambas lo que
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provocan son las oscilaciones en las versiones del πολιτικὸν ζῷον, sino en admitir la limitación humana que surge de nuestro propio modo de ser sujeto a una evolución donde se realizan nuestros proyectos individuales y colectivos. Aristóteles quería rescatar la tríada armónica, equilibrada e inescindible que formaban πόλις, πολίτες y πολιτεία, que determinaban la vida del hombre en su dimensión humana, social y política. Los comentaristas viven, o creen vivir, la época en la que el lógos y el hombre mismo condicionan todo el mundo humano. Los comentaristas de la Política de Aristóteles no podían llegar a una traducción exacta del término, porque se encontraban inmersos en otro paradigma político, social, histórico y jurídico que condicionaba su planteamiento. Para todos ellos las relaciones humanas eran binarias, es decir, estaban constituidas por el par cives y la civitas, siendo el primero fundamental para crear a la segunda, invirtiendo de esta manera el orden griego, y el sentido de la frase de Aristóteles. Por otro lado, las versiones no se pueden ordenar ni cronológica, geográfica, filosófica o culturalmente, porque cada autor percibe, dentro de la realidad y de la herencia del derecho romano, la frase de una manera determinada que influye en su traducción y planteamiento. Finalmente, el lógos ha dejado de ser dialógico, y se ha convertido en individual y sirve para determinar, explicar y fundamentar los imperativos que brotan del ser humano como lo político, lo ciudadano, lo religioso y la libertad. En estos dos mundos no puede haber comunicación porque los nexos de unión, el lógos y el hombre, tienen consideración y forman dos categorías diferentes. Por esta razón no se logra entender ambas palabras y se vierten al latín, la lingua franca del momento, según la posición y la intensidad que se manifiesta en cada época sobre lo político, social o civil. Es un caso más, y no es el único, de incomprensión y deformación de una frase genial de un pensador profundo y original que trató de restaurar en toda su pureza efervescente la conquista inmortal, básica y radical de que el ser humano construye su vida con-viviendo.
Abreviaturas Ed. EE EN Metaf. Pol. RAE Rep. s.f. trad. Vols.
edición Ética Eudemia Ética a Nicómaco Metafísica Política Real Academia Española República sin folio traducción volúmenes
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Die Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis (1534) Iberische Epigraphik aus kaiserlicher Perspektive Abstract: The article considers the role and significance of Bienewitz’ and Amantig’s Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis (Ingolstadt, 1534) for the humanism of the early years of the reign of Charles V (1500–1556), when the European perspective was extended to the whole world. This collection is the first non-local collection of inscriptions of the Roman antiquity, but can also be analysed as an example of the use of ancient remains to legitimize politics in the first half of the 16th century – as an interested transformation of antiquity. The Inscriptiones are characterized by the fact that Spain is the first country in Europe to be represented, and that the first inscriptions are obvious counterfeits. The article tries for two of them to sketch their posterior fortune, as a sign of the success of the Inscriptiones.
1 Einleitung Der Aufschwung der Archäologie in den Kreisen um Maximilian I. (1459–1519) bildet ein wohlbekanntes Thema der deutschen Renaissanceforschung.1 Nicht so bekannt ist die Rolle und Bedeutung der Archäologie für die humanistische Bewegung während der Anfangsjahre der Regierung seines Enkels, Karl V. (1500–1556), als die Perspektive auf Europa und darüber hinaus auf die ganze Welt erweitert wurde. Von besonderer Bedeutung sind in dieser Hinsicht die Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis, die 1534 in Ingolstadt von Peter Bienewitz und Bartholomäus Amantig publiziert wurden. Diese Sammlung von Inschriften und Abbildungen antiker Skulpturen ist bereits in ihrer Rolle für die Epigraphik und Kunstgeschichte analysiert worden, weniger jedoch als Beispiel der Nutzung antiker Überreste zur Legitimierung von Politik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Es handelte sich hierbei um ein kaiserliches Programm, das auch in anderen Bereichen zu beobachten ist, beispielsweise in der
1 Vgl. insbesondere die Arbeiten von Wood (2005 und 2008) und Ott (2002). Allgemein zum Aufleben der Epigraphik in der Renaissance, Cooley (2000), mit Bibliographie, und nun Vuilleumier Laurens/Laurens (2010). https://doi.org/10.1515/9783110651997-004
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Dichtung oder in den schönen Künsten. Ein Vergleich der unterschiedlichen Aspekte dieses kaiserlichen Programms wäre anzustreben. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie die antiquarische Wissenschaft in ihren Anfängen im 16. Jahrhundert verstärkt dazu diente, die kaiserliche Gegenwart durch die Vergangenheit zu legitimieren, ähnlich wie dies bereits Peter Danhauser und Konrad Celtis in ihrem unvollständigen Archetypus Triumphantis Romæ planten.2 Den Inschriften aus der Hispania, die die Inscriptiones eröffnen, kommt dabei eine besondere Rolle zu: Ihre Untersuchung wirft ein neues Licht auf die Geschichte der deutsch-spanischen Beziehungen zur Zeit des Humanismus3 und ermöglicht zudem ein besseres Verständnis der Anfänge der spanischen Epigraphik.
2 Die Inscriptiones und die kaiserliche Epigraphik Peter Bienewitz (1491/1501–1552) und Bartholomäus Amantig († vor 1556), die sich lateinisch Apianus und Amantius nennen ließen, vollbrachten mit ihren Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis non illæ quidem romanæ, sed totius fere orbis summo studio ac maximis impendiis terra marique conquisita feliciter incipiunt (Ingolstadt, 1534) unter mehreren Gesichtspunkten eine Wende in der Geschichte der römischen Epigraphik. Zum ersten Mal wurde versucht, das gesamte Corpus der Inschriften aus dem Heiligen Römischen Reich (und darüber hinaus) in geographisch nach Ländern oder antiken Provinzen geordneter Form zusammenzutragen. Die Bedeutung dieses Corpus für die Geschichte der Epigraphik ist daher seit langem wohlbekannt, auch wenn das Werk wegen seiner allzu freien Auffassung der epigraphischen Akribie oft kritisiert wurde.4 Der Band, den schon Martin Ott im Rahmen der deutschen Epigraphik der Renaissance untersucht hat,5 besteht aber nicht nur aus Inschriften; er sammelt auch Drucke antiker Statuen und Reliefs.6
2 Zur Beziehung von Geschichte und Ideologie, vgl. noch Joachimsen (1910), besonders Kap. 5. Vgl. auch Brendle/Mertens/Schindling/Ziegler (2001) und Helmrath/Muhlack/Walther (2002). 3 Zu diesen Beziehungen, vgl. Hispania-Austria (1992). 4 Vgl. z. B. Campana (2005), 15. 5 Vgl. Ott (2009), 158–159 und Ott (2002), 174 f. 6 Die in Augsburg aufbewahrte Kunstsammlung des Raymund Fugger – wahrscheinlich die reichste seiner Zeit nördlich der Alpen – ist uns außerdem durch die Beschreibung von Beatus Rhenanus in seiner Epistola ad D. Philippum Puchaimerum de locis Plinii per St. Aquæum attactis gut bekannt. Der Brief wurde als Anhang zu Beatus Rhenanus, Res Germanicarum libri tres, 186–194, sowie in weiteren Ausgaben dieses Werkes publiziert (Übersetzung in Meyer [1874], 591–594). Der Brief sollte auch öfters in Bezug auf Plinius herausgegeben werden, so von Goldast, Philologicarum epistolarum centuria una, oder auch in Plinius, Historiæ mundi libri XXXVII, 27–29. Erasmus bezieht sich auf den Brief in seinem Schreiben an Anton Fugger (4. April 1531): Opus epistolarum, 248–249, epist. 2476. Zu Raymund Fuggers Sammlung, vgl. Bursian (1874) und Lieb (1952–1958).
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Bereits auf der Titelseite, die das Prestige des Mäzens beschwört und die Aufmerksamkeit des Lesers weckt, geben sich Bienewitz’ und Amantigs Inscriptiones als hochgelehrtes, humanistisch intentioniertes und zugleich prunkvolles Unternehmen zu erkennen.7 Das von Raymund Fugger (1487–1535) finanzierte,8 ihm gewidmete Werk ist als Produkt einer kaiserlichen Programmatik zu interpretieren, die vom süddeutschen Raum ausgeht, den Blick auf Spanien aber stets beinhaltet. Als ideologisches Konstrukt legen die Inscriptiones der epigraphischen Antike ein gegenwärtiges Raster auf: Die Transformation der Antike hat zum Ziel, die eigene Gegenwart durch die Wiederaufnahme der antiken Vergangenheit zu legitimieren. Dieses Vorhaben knüpft an das Vorbild des Konrad Peutinger (1465–1547) an, dessen Romanæ vetustatis fragmenta (1505, Neuausgabe 1520) die erste gedruckte Inschriftensylloge überhaupt darstellen. Dieses Werk beruhte einerseits auf der Arbeit des Kreises um Celtis und Dürer – der später auch Alciatus’ Emblemata hervorbringen sollte –, greift aber auf eine Reihe von handschriftlichen italienischen Syllogen zurück, besonders auf jene des Fra Giovanni Giocondo (ca. 1422–1515) aus Verona. Die wichtige Neuheit von Peutingers Sylloge, die man unter anderem bei Bienewitz und Amantig wiederfindet, besteht darin, dass die Inschrift als archäologisches Objekt hervortritt und zwar durch den Gebrauch der Majuskeln der Capitalis Monumentalis und nicht der bisher gängigen humanistischen Minuskeln. Die antike Dimension wurde dem Leser im Druck unmittelbar anschaulich gemacht, so wie sie bei der Autopsie der Monumente spürbar war. Das visuelle Zeichen wurde zum Mittel einer Evidenz des Objektes, wie es ebenfalls die archäologische Malerei eines Mantegna und seiner Schule (zu der auch der junge Dürer gehört) zu imitieren versucht hatte.9 Die Inscriptiones teilen mit den Romanæ vetustatis fragmenta eine Eigenschaft, die von Martin Ott hervorgehoben wurde: Sie sind „von der Zielrichtung her eben nicht einfach ein archäologisches oder epigraphisches Inventar. In Anlehnung an vermeintliche Vorbilder aus der Antike konzipiert, muss die Sylloge als historischtopographisches Genre zur Erfassung städtischer Räume verstanden werden.“10 Peutinger geht es folglich darum, die römische Vergangenheit Augsburgs hervorzuheben und sie aus Sicht des Kaisers Maximilian zu verdeutlichen. Die Monumente der Antike bezeugen die ewige Bindung der Stadt an das Reich und sollen sie auch
7 Zum Holzstich des Titelblattes, vgl. Jahn (1868), Panofsky (1921/1922) und Pierini (2012). 8 Raymund Fugger, Neffe von Jakob Fugger und älterer Bruder von Anton Fugger, war vor allem für seine Verdienste als kaiserlicher Gesandter am 1. März 1530 von Karl V. in den Adelsstand erhoben worden; vgl. Häberlein (2006). 9 Vgl. Brown (1973), Leoncini (1993) und, allgemeiner, Petrucci (1986) und Gimeno Blay (2005). 10 Vgl. Ott (2010), 277.
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in der Gegenwart stärken. Insofern bestätigen die Inschriften besser als alle anderen rhetorischen Aussagen das Altertum des Ortes, an dem der Stein gefunden wurde: Die Evidenz des geschriebenen Wortes ist rhetorisch stärker als der Diskurs und macht aus dem Stein ein Objekt, das von historischen und politischen Diskursen stets zu Hilfe genommen werden kann. Im Werke Peutingers dient die Epigraphik also einer Art Lob der Stadt (laus urbis), das Bienewitz und Amantig in ein Reichslob (laus Imperii) zu erweitern versuchen. Diese Verschiebung ist lediglich die Konsequenz des Wechsels der auf den deutschen Raum konzentrierten Politik Maximilians zu jener Karls V. In den Inscriptiones geht es ebenfalls darum, die Präsenz der Antike in der Gegenwart zu erkennen, jedoch um nun die universalen Ansprüche des Kaisertums zu legitimieren: Die Geschichte soll die Geographie in ihrer vielschichtigen Vergangenheit lesbar machen, die historische Tiefe in den Vordergrund tragen. Daher kommt der Verteilung der Inschriften in den Inscriptiones eine wichtige Rolle zu. Bienewitz und Amantig versuchen, die Funde nach einer gewissen Ordnung darzustellen: Nicht nach Genus, Alter oder Herkunft der Sammlung, sondern schlichtweg geographisch, wofür Emil Hübner sie auch im Vorwort zu seinem Corpus der spanischen Inschriften der Antike lobt.11 Schon aus dem Titel lässt sich der universale Anspruch der Sammlung herauslesen: Es handelt sich um die Inschriften der heiligen Antike (Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis), nicht nur die römischen (non illæ quidem romanæ), sondern aus der gesamten Welt (sed totius orbis). Nachdem Bienewitz in seinem Vorwort an den Leser (Lectori S.P.D.) seine Absicht ausdrückt, Ordnung in die Epigraphik zu bringen,12 erklärt er erstmals, wie er die Erdteile bewertet. Europa sei der edelste Teil (dignissima pars) der Welt und komme als erstes an die Reihe. In Europa sei Hispania den weiteren Ländern voranzustellen und dies, so Bienewitz, aus mehreren Gründen: Einige sind geographischer Art, andere politischer, die er aus Platzgründen nicht alle darstellt. Der wichtigste Grund scheint ihm aber, dass Hispania der Kopf des ganzen Kaiserreiches ist (quod totius Imperii caput illic habemus), weil Karl V. König von Spanien war, bevor er zum
11 Vgl. Hübner, Inscriptiones Hispaniae latinae, VI: „partes contribuissent dispositas ordine geographico, ut notum est, consilio prudentissimo et a posterioribus inscriptionum collectoribus male neglecto“. 12 Apianus, Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis, fol. c iiiv°: „Putaui itaque mearum esse partium, candide lector, statim omnem molestiam tibi tollere, et optimum ac longe facillimum quærendarum antiquitatum modum præscribere, suspicatus hunc librum fore gratiorem ac iucundiorem, si in investigando nullum laborem adhiberes et in limine quasi quo solio et qua facie unumquodque monumentum sacrosanctæ vetustatis appareret positum. Neque mehercule id citra magnum negotium expedivimus, ut tu ipse coniicere potes, nam Antiquitates, quas hoc libro certo ordine impressimus, apud alios ita præpostere ac peruerse positas invenimus, ut quæ in Cycladibus vel in Tracia erant inuentæ cum Romanis aut Hispanis iungerentur.“
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Abb. 1: Petrus Apianus/Bartholomäus Amantius, Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis, Ingolstadt, 1534, Titelblatt.
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Kaiser erwählt wurde.13 Daraufhin folgen die Namen weiterer Provinzen, wobei Italien nicht unmittelbar nach Hispania steht, sondern erst nach der Gallia Cisalpina. Die Stadt Rom erscheint nicht mehr gesondert und hat ihren Vorrang verloren, jedoch zugunsten des gesamten Heiligen Römischen Reiches. Das Modell ist nicht das der römischen Republik, sondern jenes des späten Imperium Romanum, dessen Hauptstadt die Residenzstadt des Kaisers war – sei diese Konstantinopel, Mailand oder Trier. Dieses Modell war aus verständlichen Gründen für die Transformation der Antike zugunsten des kaiserlichen Programmes Karls V. das passendere.
3 Epigraphische Fälschungen und kaiserliche Propaganda Nun weist das Corpus der Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis jedoch zahlreiche Fälschungen auf.14 Nach González Germain sind die Inschriften CIL II 30*, 149*, 164*, 223*, 278*, 356*, 363*, 382*, 383* und 410* unecht.15 Die Anzahl dieser gefälschten Inschriften ist nicht weiter erstaunlich, da beide Autoren relativ unkritisch verfuhren. Ein erheblicher Teil der Inscriptiones geht nicht auf Peutinger zurück, sondern auf eine noch ältere Sylloge, in der Forschung als Antiquus bekannt, die aus Material aus verschiedenen älteren Sammlungen zusammengestellt
13 Ebd.: „Collegimus itaque qua diligentia et iuxta sedulitate licuit, nec ulli labori pepercimus, quo in iustum et rectum ordinem redigerentur. Atque non præter delectum id fecimus aut sine certo consilio, ut præponeremus Europam reliqui mundi partibus veluti dignissimam et merito anteferendam. Cuius prima pars selecta est Hispania, quod ut faceremus, adhortata sunt plurima ut Geographiæ ratio, quæ hic maxime consideranda nobis esse videbatur, et alia, quæ hic brevitatis causa omittimus, tum hoc potissimum, quod totius Imperii caput illhic habemus, videlicet inuictissimum, fœlicissimum, piissimum Carolum Quintum Romanum Imperatorem, cuius admiranda pietas, fœlicitas ac clementia vti est prima et maxima: ita et venerandas Antiquitates ab Hispania, quæ hunc optimum αὐτοκράτορα habet, auspicandas iure censuimus, et hoc nostrum consilium laudatum iri nihil dubito, improbare certe nemo bonus potest [. . .].“ 14 Die Werke Emil Hübners (1834–1901) sind für die Geschichte der modernen Epigraphik in Spanien grundlegend, insbesondere Hübner 1869 – zweiter Band von Theodor Mommsens Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL II) – und Hübner 1888. Beim Aufbau dieses Corpus war die Entlarvung der falschen Inschriften –die im CIL mit einem Sternchen gekennzeichnet sind– ein wichtiger Schritt, so auch bei der Neuausgabe des Corpus (CIL II2) unter der Leitung von Armin U. Stylow an der Universität Alcalá de Henares. In dieser Arbeitsphase ist auch der Geschichte der Epigraphik auf der Iberischen Halbinsel mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden (vgl. Pioneros de la arqueología 2004). Besonders wichtig sind dabei Gimeno Pascual (1997 und 1998), González Germain (2011a und 2011b) sowie González Germain/Carbonell Manils (2013) und Carbonell Manils/Gimeno Pascual/González Germain (2012). Für den Fall Kataloniens vgl. Mayer (1998). Zum Begriff der Fälschung, vgl. Grafton (1990). 15 Vgl. González Germain (2011a), 57.
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ist – darunter auch aus jener des Ciriaco d’Ancona (ca. 1391–1455).16 Anders gesagt: Bienewitz und Amantig autopsierten selbst kaum einen antiken Stein und stützten sich fast ausschließlich auf bereits existierende Syllogen – insbesondere auf jene aus Peutingers Bibliothek. Schon früh zweifelten verschiedene Epigraphiker an der wissenschaftlichen Verlässlichkeit der Sammlung.17 Jean Matal, genannt Metellus (ca. 1517–1597),18 schreibt um 1546/1547, eine andere Sylloge kommentierend, dass die „Ingolstädter“ unendlich viele falsche Inschriften von Ciriaco d’Ancona und vielen anderen übernommen hätten.19 Antonio Agustín (1517–1586), ab 1545 Mitglied des römischen Tribunal Rotæ,20 und dessen Sekretär Matal war, teilt diese Meinung in seinen posthum publizierten Diálogos de medallas, inscripciones y otras antigüedades (Tarragona, 1587): In dem Buch über Inschriften aus aller Welt, das Peter Apianus und Bartholomeus Amantius publizierten, gibt es unendlich viele solche Inschriften, von unterschiedlichen Autoren. In einem Vorwort wird erwähnt, dass einige von Pomponius Letus Romanus publiziert wurden,
16 Wichtigstes Zeugnis dieser Sammlung ist der so genannte Codex Philonardianus (ca. 1516), von Hübner 1869 und Oldenberg 1877 beschrieben, noch heute in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt (Ms. Lat. Fol. 61). Zur Datierung dieser ersten Sammlung kann lediglich gesagt werden, dass diese vor 1492 zusammengestellt wurde, da Ermolao Barbaro sie in jenem Jahr für seine Castigationes Plinianæ et in Pomponium Melam brauchte, um die Bücher III und IV des Plinius zu korrigieren. 17 Angelo Coloccis (1474–1549) Exemplar ist samt zahlreicher kritischer Bemerkungen erhalten geblieben (Vgl. Buonocore 2008). Mariangelo Accursio (1489–1546) besaß ein Exemplar der Inscriptiones und versah es mit Marginalien. Dieses heute verschollene, bis zum Zweiten Weltkrieg in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand aufbewahrte Exemplar sollte Mommsens Meinung zufolge einer Neuausgabe des Werkes dienen. Accursio hatte sich seit seiner Mitarbeit an der Ausgabe der Epigrammata Antiquæ Urbis (Rom 1521) und durch seine Diatribæ (Rom 1524) einen Namen gemacht und Spanien während einer Reise an der Seite des Markgrafen Johann Albrecht von Brandenburg (1499–1555) gut kennen gelernt. Ebenfalls pflegte Accursio gute Beziehungen zu Anton Fugger, dem er schon 1538 (also drei Jahre nach dem Tod von Raymund Fugger) eine handschriftliche Sylloge aus Ungarn schenkte. Zu Accursio in Verbindung mit Spanien, vgl. Deswarte-Rosa (2012). Ein weiteres kommentiertes Exemplar, in Spanien, ist von González Germain (2016b) beschrieben worden. 18 Zu Metellus, vgl. Heuser (2003). Metellus war, genauso wie Agustín, in der zweiten Hälfte der 1530er Jahre Schüler des Alciatus in Bologna. Außer der Jurisprudenz lernte er bei Alciatus auch die Epigraphik, um die er sich später verdient machen würde. Zu Alciato, vgl. Laurens (2005). 19 Übersetzt nach einer Handschrift der Vatikanischen Bibliothek, ms. Vat. Lat. 6039 (beschrieben als Metellus 2 bei Hübner (1869), X–XI): „Inscriptiones Hispaniæ quas exscripsisse se M. Antonius Prudens Romanus MDXLVII asserit; sed eas eum ex manuscripto codice transscripsisse suspicor, quem Cyriacus Anconitanus collegit, adiectis falsis perquam multis, ut mihi videtur; ex quo Cyriaco et aliis deinde sumpserunt Ingolstadienses infinitas prope quas ediderunt falsissimas.“ Zitat auch in Stenhouse (2005), 79. 20 Zu Agustín, ohne Zweifel die zentrale Figur der spanischen Epigraphik des 16. Jahrhunderts, vgl. zusammenfassend Alcina Rovira (2008), 31–50. Außerdem, Carbonell Manils (1992) und Crawford (1993).
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jedoch viele mehr durch Ciriaco d’Ancona, Antiquarius genannt. Und in einem weiteren Vorwort wird gesagt, dass Papst Nikolaus V. Ciriaco aussandte, er möge in der ganzen Welt Inschriften suchen. An den ersten Ort werden jene aus Spanien gestellt.
Unmittelbar darauf nennt Agustín einige Beispiele: Eine, die Ciriaco in Gades [d. h. Cádiz] fand und die zu den schlimmsten gehört, fängt folgendermaßen an: D.M.S.SI.LVBET LEGITO. Heliodorus insanus etc. Und nach einer aus Tarragona wird die Fabel eines Valentin Moravus erwähnt, bezüglich jener anderen fabelhaften Inschrift aus Portugal, die von der Sibylle handelt: VOLVENTUR. SAXA. litteris, et ordine rectis &c. Und nach einigen wirklichen Inschriften, die aber fehlerhaft abgeschrieben wurden, heißt es: In Aragoniæ vrbe clarissima, QVO. VADAM. nescio &c. und weiter: In Barchinoua, D.M.S.BELLO. Sertorano &c. Dort wird erneut Barcelona Barchinova genannt, wodurch er wohl seine Falschheit und sein Unwissen beweist.21
Geht man jetzt auf die zwei ersten von Antonio Agustín erwähnten, Bienewitz’ Inscriptiones eröffnenden Inschriften ein, so zeigt sich, dass diese ziemlich symptomatische Fälle darstellen. Sie sind Fälschungen, wie es schon so manchem Mitte des 16. Jahrhunderts klar war. Doch es ist anzunehmen, dass Bienewitz und Amantig noch an ihre Echtheit glaubten und sie wohl auch bewusst an besonderer Stelle im Werk unterbrachten. Die erste erwähnte Inschrift wird vorgestellt, als hätte sie Ciriaco d’Ancona bei Gades, das heißt bei der jetzigen Stadt Cádiz, „am Ende der Welt“ gefunden („Ad extremum orbis apud Gades per Kiriacum Anconitanum repertum“): D. M. S: SI LVBET LEGITO. HELIODORUS INSANUS CARTAGINENSIS AD EXTREMUM ORBIS SARCOPHAGO TESTAMENTO ME HIC IUSSI CONDIER VT VIDEREM SI QUISPIAM ME VNQVAM INSANIOR AD ME VISENDUM AD HÆC VSQ. LOCA PENETRAVERIT.22
21 Frei übersetzt nach Agustín, Diálogo, 449–450: „En el libro que publicaron Pedro Appiano y Bartolome Amantio de inscriciones de todo el mundo, hai infinitas destas falsas de diuersos autores; y en un proemio se haze mencion que Pomponio Leto Romano publico algunas, y muchas mas Cyriaco Anconitano por sobrenombre Antiquario. Y en otro proemio se dize, que el Papa Nicolao quinto embio a Cyriaco a buscar inscriciones por todo el mundo, y las primeras pone las de España: y una que el alaba que hallo Cyriaco en Gades, que es Caliz, es de las peores, comiença, D.M.S.SI. LVBET LEGITO. Heliodorus insanus etc. Y passada una de Tarragona hai otra fabula de un Valentin Morauo que da cuenta de otra inscricion de Portugal fabulosa de la Sibylla, VOLVENTUR. SAXA. litteris, et ordine rectis &c. Y passadas algunas verdaderas pero falsamente escritas, dize, In Aragoniæ vrbe clarissima, QVO. VADAM. nescio &c. y luego, In Barchinoua, D.M.S.BELLO. Sertorano &c. Allí llama otra vez Barchinoua a Barcelona, con que muestra también su falsedad y poco saber.“ 22 Apianus, Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis, I.
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Seit Kürzerem ist definitiv erwiesen, dass es sich bei dieser Inschrift um einen humanistischen Scherz handelt, den Niccolò Contarini seinem Freund Ciriaco d’Ancona spielte, um sich über seinen Sammlerwahn lustig zu machen.23 Diese Inschrift, CIL II, 149*, wurde jedoch bald ernst genommen und erfreute sich schnell und andauernd einer großen Beliebtheit.24 Mehrere Gründe mögen dabei zusammengewirkt haben. Die Darstellung der Stadt Cádiz als Ort am „Ende der Welt“ ist wichtig: Cádiz war nach dem Pseudo-Berosus und Annius von Viterbo25 der Ort, an dem Hercules seinen Tempel und zwei Säulen aufgestellt hatte; der Ort, an dem sich Karl V. mit seinem Motto Plus ultra messen lassen würde.26 Obwohl die historisch wenig fundierten Behauptungen der den katholischen Königen gewidmeten Commentaria super opera auctorum diversorum de antiquitatibus loquentium (Rom, 1498) des Annius schnell kritisiert wurden, beriefen sich in Spanien sehr viele Historiker auf sie: Antonio de Nebrija und Lucio Marineo Sículo um 1500, aber auch später die offiziellen Chronisten der spanischen Geschichte, Florián de Ocampo (Crónica general de España, Saragossa, 1543) und teilweise Ambrosio de Morales, der Ocampos Crónica fortsetzte. Durch den Erfolg der Inscriptiones getragen, sollte die Inschrift CIL II, 149* die Geister noch lange faszinieren. In seiner Conveniencia de las dos monarquías católicas, la de la Iglesia Romana y la del Imperio Español, y defensa de la Precedencia de los Reyes Católicos de España a todos los Reyes del Mundo (Madrid, 1612) erwähnt Juan de la Puente die Inschrift neben anderen, die Spanien ebenfalls als finis terræ bezeichnen.27 Auch der portugiesische Polygraph Manuel de Faria y Sousa (1590–1649) erwähnt die Inschrift noch in seiner Europa portuguesa (posthum 1678), ebenfalls um die Entfernung von Cádiz vom Zentrum der Welt zu unterstreichen, und dies, obwohl die Reise nach Cádiz, geschweige denn darüber hinaus, seit der Erweiterung der europäischen Welt nach Westen hin längst nicht mehr als „verrückt“ (insanus) galt.28 Parallel zu dieser iberischen Tradition lassen sich auch Elemente einer außeriberischen feststellen. Ein wichtiger Übergangspunkt ist in diesem Bezug der Antwerpener Kartograph Abraham Ortelius, der die Inschrift in der 1584er Neuauflage seines Theatrum orbis terrarum erwähnt: Die Inschrift wird dort im Kommentar zur Karte Nr. 31 c, welche Cádiz darstellt, zitiert. Ortelius’ Theatrum, welches auf die spanische kartographische Nachfrage antwortet, wurde danach in mehrere Sprachen übersetzt: Niederländisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch. Vielleicht haben auch Juan de la Puente und Manuel de Faria die Inschrift bei Ortelius und nicht in Bienewitz’ Inscriptiones gelesen. Eine interessante Erwähnung der Inschrift des Heliodorus wäre noch jene
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Vgl. Espluga (2011). Campana (2005), 11, hatte diese Möglichkeit bereits angedeutet. Vgl. González Germain (2011a), 156–158. Grafton (1991), insb. 76–103. Aus der spanischen Perspektive, Caro Baroja (1992). Vgl. Rosenthal (1971), 204–228. Vgl. Puente, Conveniencia, 123. Faria y Sousa, Europa portuguesa, t. I, 102.
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durch Robert Burton in seiner Anatomy of Melancholy (Oxford, 1621), wo er in der Kommentierung eines Verses des Horaz („Insanit veteres statuas [. . .]“; Sat. 2,3,64) verschiedene antike Beispiele von Statuen erwähnt, die von Verrückten errichtet worden sind.29 Auch hier bleibt offen, wo der Autor die Inschrift gelesen hat. Als Christian Weise sie jedoch ein halbes Jahrhundert später (1678) zitiert, hatte er die Inschrift von Gades in Bienewitz gefunden („Ex Apiano istud habeo“).30 Die Positionierung an erster Stelle, die Bienewitz und Amantius der Inschrift CIL II, 149* gaben, stellte sie also in den Dienst der kaiserlichen Propaganda, insofern sie eben auf die durch Karl V. überwundenen Grenzen der alten Welt anspielt, die bis dahin von Cádiz als „extremum orbis“ symbolisiert wurde. Die Verbindung der alten mit der neuen Welt ist geographisch und historisch: Die kaiserliche Figur erscheint am Anfang der Sylloge, sozusagen als deren Angelpunkt. Dieses erste Beispiel zeigt, wie eine Inschrift, die anfangs als humanistischer Scherz angelegt war, nach und nach zum ideologischen, geschichtsträchtigen Objekt werden kann, wobei die Faszination für die Antike über die kritische Methode der Humanisten siegte. Dies war umso leichter, weil sich die falschen Inschriften in Bienewitz’ Buch mit ‚wahrhaftigen‘ mischten und die Glaubwürdigkeit der wahren so auf die falschen ‚abfärbte‘. Die zweite Inschrift – von Agustín nicht kritisiert – ist eine authentische Inschrift (CIL II 4106), nicht aber die dritte, welche als Prachtstück epigraphischer Fälschung der Renaissance gelten kann. Sie wurde zum ersten Mal in den Inscriptiones mit einem Brief von Valentinus Moravus an Hieronymus Münzer ediert: Valentinus Moravus, an Meister Hieronymus Münzer, aus Nürnberg. Im Jahr 1505 nach der Geburt des Herrn, am 9. August, im 13. Jahr der Regierung des berühmten Königs Manuel von Portugal, wurden am äußeren Ende Spaniens – dort wo die Sonne untergeht, am Ende des Vorgebirges des Mondes, der gemeinhin als Sintras Fels bezeichnet wird – zufällig unter der Erde drei rechteckige Steinsäulen gefunden, welche in einem Quadrat mit antiken römischen Zeichen beschriftet waren. Ihre geraden Basen waren regelmäßig verteilt und wurden etwas nach oben gerichtet. Nachdem wir die sich unter den bewundernswerten, soeben erwähnten Säulen befindenden Steine mit Werkzeug und Geschicklichkeit herausgerissen hatten, haben wir schließlich folgende Zeichen auf einer von ihnen, die wir ganz gedreht hatten, deutlich entziffern können. Es war uns hingegen nicht möglich, diejenigen, mit denen die anderen Säulen beschriftet waren, klar genug zu erkennen, da sie durch die Abnutzung der Zeit, durch die Gischt und den Wind, die aus dem Meer kamen, fast zerstört worden waren: SIBILL. VATICINIUM OCCIDIIS [i.e. OCCEANI DIIS] DECRETUM VOLVENTUR SAXA LITERIS ET ORDINE RECTIS CUM VIDEAS OCCIDENS ORIENTIS OPES.
29 Vgl. Burton, The Anatomy of Melancholy, Vol. I, 104. 30 Weise, De Poesi hodiernorum politicorum, 44.
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GANGES INDUS TAGUS ERIT MIRABILE VISU MERCES COMMUTABIT SUAS UTERQ. SIBI. SOLI AETERNO AC LUNAE DECRETUM31
Obwohl diese Inschrift zum ersten Mal in Bienewitz’ Inscriptiones publiziert wurde, war sie in Deutschland bereits seit 1505 bekannt, weil Valentin Fernandez ebenfalls eine Abschrift derselben an Konrad Peutinger gesandt hatte.32 Nach Bienewitz wird sie in Portugal aber auch außerhalb des Landes von einigen Autoren zitiert, so von Michel de Nostredame.33 Auch in Abraham Ortelius’ Theatrum oder Schawplatz des erdbodems erscheint diese Inschrift bei der zehnten Karte – der der neuen Welt. In der deutschen Übersetzung heißt es, nach der Erwähnung der prophetischen Verse der Medea Senecas (Venient annis sæcula seris . . .): Geleich auch dise vers von ainer Sibilla oder Weißsagerin, welche (wie Jacobus Nauarchus schreibt)34 Anno. 1505. in Portugall an das Meer bey Rochan de Sinna in ainem viereckten Pfeiller gehavven gefunden send, vnd sahen an, Volventur saxa, &c, in teutsch so vil zu sagen. Stain mit beschidlichen buchstaben werden gelesen, Wan das Occident, den reichthumb von Orient sehn soll, Ganges, Indus, Tagus, (wellichs wunderlich sol wesen,) Am dem anderen seine kauffmanschafft raichen soll.35
Darauf folgen bei Ortelius weitere Beispiele, die auf eine präkolumbianische Verbindung zwischen Amerika und Europa deuten – so die Behauptung des Marineo Sículo, man hätte in Amerika ein römisches Geldstück gefunden.36 Ortelius selbst 31 Apianus, Inscriptiones sacrosanctæ vetustatis, II: „Valentinus Moravus D. Hieronymo Monetario Nurenbergensi. Anno a nativitate Domini 1505 nona vero die Augusti, regnante Emanuele Rege excellentiss. Portugalliæ, Regni autem sui anno XIII, in ultimis suæ Ulterioris Hispaniæ finibus, versus Solis occasum, in calce Lunæ promontorii, quod Rocham de Sinna [i. e. Sintra] vulgus appellat, secus Maris Occeani littus tres sub terra ex insperato compertæ fuere ex saxo columnæ quadrata forma priscis temporibus characteribus Romanis una tantum quadra incisis, quarum basis recta ordine immitato [i. e. inmutato] paululum in caput erigebatur, caput vero proprium in basim ex industria, ut apparebat, defixum conspeximus, evulsisque ferro et arte decoctis lapidibus, quibus praefatæ mirandæ columnæ subtus alligabantur, tandem in earum una iam directe conversa has figuras liquido annotavimus, nam aliarum literas in lucidum explicare non satis nobis fuit integrum, quia temporum vetustate ac maris imbribus et afflatu erant pene consumptæ.“ 32 Künast / Zäh (2005), 192. Zu der Geschichte dieser Inschrift vgl. González Germain (2011a), 179–182 und Cardim Ribeiro (2016). 33 So von Nostredame, Paraphrase de C. Galen, fol. A3v°. Hierzu vgl. Luca (2004). 34 Jacobus Navarchus, Jesuit, gestorben 1576, tauschte Briefe mit Ortelius aus. 35 Vgl. Ortelius, Theatrum oder Schawplatz, fol. 2r. 36 Vgl. ebd.: „Marinæus Siculus schreibt auch, das in disen Newen Landen ein guldener pfenning mit dem angsicht Augusti gefunden ist; vnd sagt zum zaichen der wahrhait, das er duch Herrn Johan Rufus Bischoff von Consentia zum Babst geschickt worden ist; wadurch solte sich ansehen lassen, als das sy in zeitten von Augusto solten bekannt gewest sein; Aber ich sollte besser glauben,
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weist sie jedoch als unglaubwürdig zurück. Die Verse der Sibylle deuteten auf jeden Fall auf eine Vorahnung der alten Welt und darauf, dass diese die „neue“ Welt entdecken würde. Als solche gehören Senecas Verse in das breitere Feld jener Texte, die das Bild Amerikas mit chiliastischen Erwartungen belastete.37 Interessant ist, wie Gerard González Germain anmerkt, dass sich die Anfangsformulierung der Inschrift mit der Beschreibung verbinden lassen kann, die Augustin von Hippo in seiner Civitas Dei von den vaticinia Sibyllæ liefert.38 Unter diesen vaticinia fängt sogar eines mit dem Wort volvetur an: Die Worte der Sibylle bilden den Stoff der Inschriften der Antike. Wie bereits erwähnt, stellt schon Antonio Agustín die Echtheit der Inschrift Mitte des 16. Jahrhundert in Frage. Sicher ist, wie Arnaldo Momigliano feststellte,39 dass Gaspar Barreiros sie in seiner Censura in quendam auctorem qui sub falsa inscriptione Berosi Chaldaei circunfertur Gaspare Varrerio auctore (Rom, 1565) als eine Fälschung entlarvte, die er dem portugiesischen Humanisten Henrique Caiado (1470[?]–1509) zuschreibt. Bezeichnend ist hierbei, dass die Inschrift im gleichen Atemzug mit den Mythen des Annius von Viterbo verurteilt wird: Eine ähnliche Haltung gegenüber der Vergangenheit als Ort der retrospektiven Legitimierung der Gegenwart verband beide, sowohl in ihrer Konzipierung als auch in der Geschichte ihrer ersten Rezeption. Momigliano zufolge ist die Zuschreibung der Inschrift an Caiado aber nicht valide, da Caiado damals noch in Rom weilte und wahrscheinlich nie mehr nach Portugal zurückkehrte. Jüngst ist die Möglichkeit in Betracht gezogen worden, dass es sich um den am portugiesischen Hof residierenden Humanisten Cataldo Sículo handeln könnte. Die Hypothese, die Inschrift wäre von Sículo „erfunden“ worden,40 wurde von De Luca formuliert mit der Schlussfolgerung, sie mit dem portugiesischen Diskurs zu verbinden, den Sylvie Deswarte-Rosa beschrieben hat, als Portugal am Anfang des 16. Jahrhunderts die Rolle als Krone Europas reklamierte.41 Noch Alexander von Humboldt sollte diese Inschrift in seinen Kritischen Untersuchungen über die historische Entwicklung der geographischen Kenntnisse von der Neuen Welt42 erwähnen und dabei auf die Weissagung aus Senecas Medea Bezug nehmen. Für ihn ist nun Ortelius die Quelle, aber er entlarvt die Inschrift eindeutig
Nain; sondern das muglich solcher pfenning von ainige Spannier, so innerhalben vnserer zeit her in dasselb Land gekhomen seind, do selbst verloren gewest, vnd also widerumb gefunden seye.“ 37 Vgl. Romm (1994), welcher sich aber irrt, indem er, wie Barreiros (vgl. zur Diskussion folgende Fußnote), die Inschrift Caiado zuschreibt. 38 Vgl. González Germain (2011a), 182. 39 Vgl. Momigliano (1966). 40 Vgl. Luca (2004), § 2. 41 Vgl. Deswarte (1993) und Marcocci (2010) und (2012), 88 f. 42 Humboldt verfasste dieses Werk auf Französisch (Humboldt [1833]) und es wurde 1852 ins Deutsche übertragen.
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als „antiquarischen Betrug“. Dieses epigraphische Beispiel wurde demnach vom manuelinischen Portugal bis zu Humboldt zum Symbol der prophetischen Erwartungen, die die Renaissance durchströmten. Den Inschriften, die aus der Antike stammten – oder jene nachahmten –, kam dabei eine besondere, weil die Gegenwart legitimierende Rolle zu: Bei Bienewitz und bei Ortelius hielten sie die programmatischen Sichten des habsburgischen Kaisertums in Stein fest. Was bedeuteten also diese zwei Inschriften in Bienewitz’ und Amantigs Augen? Beide, wenn auch schon vor Karl V. bekannt, erhielten unter seiner Regierung einen neuen, ‚prophetischen‘ Sinn: Die Epigraphik erwies sich als Mittel, die erwünschte Gegenwart aus der Vergangenheit heraus zu begründen, ähnlich wie Prophezeiungen post eventum von Historikern zur Legitimierung der Gegenwart zur Hilfe genommen wurden.43 Die Epigraphik erweist sich so durch die besondere zeitliche Verbindung, die sie herstellt, der Prophezeiung nah: Das Lesen der Überreste der Antike garantiert eben die Lesbarkeit der Gegenwart.44
4 Fazit Die Epigraphik liefert quasi das Rohmaterial für retrospektive Prophezeiungen jeglicher Art. Wenn die neue in der alten Welt verborgen liegt oder anders gesagt, wenn die alte die neue sozusagen präfiguriert,45 dann stellen die Reste der Antike, insbesondere die Inschriften, zeitüberbrückende Elemente dar, die es wieder sichtbar zu machen gilt. Durch die Betonung der spätkaiserlichen Inschriften, den Verzicht auf die Zentralität Roms und die Prophezeiung der Entdeckung neuer Kontinente entwarfen Bienewitz und Amantig ein Bild der Antike, welches das neue kaiserliche Projekt des 16. Jahrhunderts zugleich autorisierte und legitimierte. Sie führten somit eine regelrechte Transformation der Antike durch. Das Interesse für einen epigraphischen, 1534 in Ingolstadt publizierten Band reicht jedoch weit über den Bereich der antiken Epigraphik hinaus. Der Band ist auch für Historiker von Interesse, für Kunst- und sogar Literaturhistoriker, da die geographische Verteilung der vielsagenden Inschriften die Wahrnehmung der damaligen Welt bestimmt. Insofern wäre die Geschichte der Rezeption von Bienewitz’ Inscriptiones mit jener der berühmten Hypnoteromachia Poliphilii (Venedig, 1499) vergleichbar, da beide Bände einen neuen Standard in der Beziehung vom Text zu Bild im Buch
43 Zur Prophezeiung post eventum in der spanischen Geschichtsschreibung, vgl. Jardin (2010), 189–203. 44 Insofern gehört dies in das breitere Phänomen der „Lesbarkeit der Welt“, wie Blumenberg (1979) sie dargestellt hat. Aus dieser Lesbarkeit lässt sich eine zweite ableiten, jene der Antike; vgl. z. B. Boschung/Kleinschmidt (2010). 45 Zu dem Sinn dieser Präfiguration, vgl. Auerbach (1938).
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aufstellen. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich also anhand der Epigraphik und der antiken Skulptur beobachten, von denselben Humanisten getragen und sich teilweise in denselben Büchern offenbarend. Dichtung, Malerei und Epigraphik waren im 16. Jahrhundert auf engste Weise verbunden. Zur genauen Erfassung jener historischen Erscheinungen wäre ein einheitlicher Blick nötig. Man darf sagen, dass die Epigraphik, von Humanisten, aber auch von großen Mäzenen getragen, nicht nur die Geschichtsschreibung nährte, sondern auch die bildenden und die literarischen Künste: Unterschiedliche Medien verbanden sich, um den antiken Gegenstand von Land zu Land reisen zu lassen, südlich und nördlich der Alpen, aber auch bis nach Spanien. Diese ständige Transformation der Antike war ihrerseits durch die gemeinsame kaiserliche Kultur möglich, die unter Karl V. weite Teile Europas verband und durch ein Werk wie die Inscriptiones unterstützt wurde.46
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46 Parallele Phänomene sind in der Dichtung zu beobachten, besonders in der neulateinischen: Béhar (2012).
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Nostredame, Michel de, Paraphrase de C. Galen, sus l’exortation de Menodote, aux estudes des bonnes Artz, mesmement Medicine: Traduict de Latin en Francoys, Lyon 1557. Ortelius, Abrahamus, Theatrum oder Schawplatz des erdbodems, warin die Landttafell der gantzen weldt, mit sambt aine der selben kurtze erklarung zu sehen ist, Antwerpen 1572. Peutinger, Konrad, Romanæ vetustatis fragmenta in Augusta Vindelicorum et eius diocesi, Augsburg 1505, Neuausgabe 1520. Plinius, Historiæ mundi libri XXXVII, Genf 1615. Puente, Juan de la, Conveniencia de las dos monarquías católicas, la de la Iglesia Romana y la del Imperio Español, y defensa de la Precedencia de los Reyes Católicos de España a todos los Reyes del Mundo, Madrid 1612. Weise, Christian, De Poesi hodiernorum politicorum sive de Argutis Inscriptionibus Libri II, Weissenfels 1678.
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Ronny Kaiser
Kulturtransfer und Transformation durch Übersetzung Juan González de Mendozas Historia de las cosas más notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China in ihrer ersten deutschen und lateinischen Übersetzung Abstract: In 1585 Juan González de Mendoza published his ethnographic work Historia de las cosas más notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China, written in Spanish. It apostrophises China as a great nation that doesn’t need to shy away from comparison either with the important ancient nations or with the present nations of Europe. Mendoza’s writing, which is to be read against the background of the early modern missionary efforts of the non-European regions, had a tremendous success: Shortly after its publication, it was not only translated into important European languages, it was also widely published. This paper examines the transformation of Mendoza’s writing in the German-speaking countries focusing on two translations: The first German translation, presented by Johann Kellner (1589), and the first Latin translation, published by Markus Henning (1591). The focus is on the questions of the translators’ intentions as well as the specific appropriation strategies through which the reading of Mendoza’s Historia is legitimised and incorporated into the respective field of reception.
1 Vorbemerkungen Nicht nur ist die ›Geschichte der höchst bemerkenswerten Dinge und Sitten im chinesischen Königreich‹ ein besonders für das Abendland kulturhistorisch bedeutsames Werk, das gleichzeitig den im Zeitalter der Entdeckungen beginnenden Missionierungsauftrag dokumentiert, sondern sie überliefert auch ein beeindruckend korrektes Bild des ming-zeitlichen China.1
1 Grießler (1992a), 8. Ähnlich auch Grießler (1992b), 21: »Die ›Geschichte der höchst bemerkenswerten Dinge und Sitten im chinesischen Reich‹ ist eine ziemlich korrekte Darstellung und Beschreibung von China zur Zeit der Ming-Dynastie.« Vgl. dazu auch Walravens‘ Rezension zu Grießler, der ebenfalls hervorhebt, dass das in der Historia Mendozas vermittelte China-Bild »vergleichsweise genau und zuverlässig« sei (vgl. Walravens [1993], 387). An dieser Stelle sei auch auf die von Diego Sola jüngst vorgelegte Studie zu den von Mendonza verfassten Beschreibung Chinas hingewiesen, die ich im Rahmen meiner Arbeiten zu diesem Artikel leider nicht mehr konsultieren konnte: Vgl. Sola (2018). https://doi.org/10.1515/9783110651997-005
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Gewiss, Juan González de Mendozas (1545–1618) Historia de la China (1585) ist,2 wie Margareta Grießler in der Vorrede zu der von ihr 1992 vorgelegten Übersetzung zu Mendozas China-Beschreibung formuliert, unter kulturhistorischen Gesichtspunkten ein sehr wichtiges Werk, gibt es doch Aufschlüsse über die Fremdwahrnehmung Chinas in der Frühen Neuzeit sowie über die kulturelle Selbstwahrnehmung von bestimmten Gruppen und Akteuren, die an den mit der Frühen Neuzeit einsetzenden Missionierungsbestrebungen des außereuropäischen Raums interessiert waren oder auch mitwirkten. Allerdings ist es wohl mehr als fraglich, diesem Werk einen ungeteilten, historischen Wahrheitsanspruch in der Beschreibung Chinas zu unterstellen, wie dies Margareta Grießler tut – nicht nur, weil der Autor dieses Werkes, Juan González de Mendoza, der chinesischen Sprache nicht mächtig war und sich überhaupt niemals in China aufgehalten hat, sondern vor allem, weil er sein Werk mithilfe von Texten konzipiert hat, die bereits bis zu 200 Jahre im Umlauf waren.3 Die Hoffnung auf einen tatsächlichen historischen Erkenntnisgewinn, den Margareta Grießler für diesen Text auch heutzutage noch zu veranschlagen versucht, müsste sich daher eigentlich irgendwo zwischen der methodologischen Einsicht in die fast notwendige Unmöglichkeit eines solches Unterfangens und der – möglicherweise – naiven Hoffnung auf substantielle Überreste von Wissensbeständen, die solche langwelligen und mehrschichtigen Transformationsketten schadlos überstanden haben, geradezu pulverisieren. Dieser Anspruch ist unter methodologischen Gesichtspunkten wohl noch weniger aufrechtzuerhalten in Anbetracht dessen, dass Margareta Grießler mit ihrem Buch nicht etwa eine deutsche Übersetzung des spanischen Werkes selbst vorlegt, sondern eine lateinischen Übersetzung von 1655 ins Deutsche überträgt – hier also die Übersetzung einer Übersetzung vorliegt.4 Mit dem Anspruch auf einen historisch-faktischen
2 Vgl. Mendoza, Historia de la China. 3 Das konzediert Margareta Grießler sogar selbst. Umso überraschender ist es, dass sie dann trotzdem zu ihrem Urteil kommt. Zu den Quellen, die Mendoza für die Kompilation seines Werkes herangezogen hat vgl. Grießler (1992b), 19: »Juan Gonzalez de Mendoza ist der erste Europäer, der sich bemüht, alle im ausgehenden 16. Jahrhundert verfügbaren verläßlichen Informationen über China in einem Werk zusammenzustellen. Er, der selbst nicht in China war, bedient sich dabei der Berichte von Gaspar da Cruz, der seinerseits viel von Galeote Pereira übernommen hat, von Martin de Rada und Miguel de Loarca und auch von Pedro de Alfaro. Von diesen wertvollen Augenzeugenberichten verwendet Gonzalez de Mendoza sehr viel, zitiert aber die entsprechenden Passagen in seinem Werk nicht. Wissenswertes bezieht er auch aus den Gesprächen und Aufzeichnungen seines Ordensbruders Jeronimo Marin und aus den Schriften und Manuskripten Martin de Radas, die er möglicherweise in Spanien und Mexico eingesehen hat. Es ist anzunehmen, daß González de Mendoza die Erzählungen des Portugiesen Fernão Mendes Pinto kannte und auch mit dem Werk Marco Polos vertraut war, das drei Jahrhunderte zuvor für eine große Sensation im Abendland gesorgt hatte.« Zu den spätmittelalterlichen Reisebeschreibungen des ostasiatischen Raums sei verwiesen auf Münkler (2000). 4 Vgl. Grießler (1992b), 7. Ihr Buch ist eine Übersetzung von Brulius, Rerum Morumque in Regno Chinensi Historia. Auch Walravens [1993], 387 f. moniert, dass durch diesen Zugriff einige Textpassagen des Originals (er zeigt das an Lib. III, Kap. 13) verloren gingen.
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Wahrheitsgehalt reiht sie sich – bewusst oder unbewusst – in eine frühneuzeitliche Tradition von Autoren ethnographischer und historiographischer Texte ein, die für sich implizit oder explizit einen Wahrheitsanspruch erheben. Selbiges gilt auch für frühneuzeitliche Übersetzungen solcher Texte, deren Übersetzer das Wahrheitspostulat der übersetzten Texte auf die jeweils eigene Übersetzung übertragen, wohl auch um die Lektüre dieser Übersetzung zeitgenössisch zu legitimieren. Übersetzungen in der Frühen Neuzeit stellen ganz spezifische Techniken und Praktiken kultureller Transfer- und Aneignungsprozesse dar und zielen darauf ab, fest umrissene Wissensbestände eines bestimmten Referenzbereichs in einen neuen Wissenshorizont zu überführen und sie so einem neuen Aufnahmebereich zu vermitteln. Ein wichtiger Faktor, der solche frühneuzeitlichen Aneignungsprozesse steuert und die weiteren Rezeptionsvorgänge ganz entscheidend prägt, ist vor allem das jeweils spezifische, in erster Linie inhaltliche Interesse an diesen Wissensbeständen. Das Erkenntnisinteresse wird besonders in Paratexten, wie Widmungsschreiben oder Vorreden an den Leser, kenntlich gemacht, die eine Übersetzung begleiten, indem sie ihr voran- oder nachgestellt sind. In ihnen werden Strategien zur Aktualisierung und zeitgenössischen Funktionalisierung der übersetzten Wissensbestände entwickelt. In diesem Zusammenhang zeichnen sich frühneuzeitliche Übersetzungen ethnographischer oder historiographischer Werke vor allem darin aus, dass sie den Wahrheitsanspruch der übersetzten Werke übernehmen. Wichtig für das Verständnis dessen, was solche Übersetzungen ausmacht, ist insbesondere die Beobachtung, dass es sich bei ihnen nicht ausschließlich um direkte Übersetzungen eines bestimmten Referenztextes handelt; einigen liegen bereits bestehende Zwischen- oder Vorstufen zu Grunde, so dass sie nicht den Referenztext in seiner originalsprachlichen Gestalt übersetzen. Die Gründe dafür können vielfältig sein: Es kann zum einen daran liegen, dass ein Übersetzer der Sprache, in der ein Werk ursprünglich verfasst ist, nicht mächtig ist, zum anderen aber auch daran, dass ein Werk lediglich in einer bereits bestehenden Übersetzung zugänglich ist. Solche Formen mehrschichtiger Übersetzungen, die nach dem modernen Verständnis schwerlich als ›Übersetzungen‹ gelten können, prägen den Gelehrtendiskurs der Frühen Neuzeit mit.5 Besonders deutlich lässt sich das an Mendozas Historia de la China zeigen, die mit ihren zahlreichen Editionen und insbesondere Übersetzungen große Erfolge in
5 Das Verständnis von dem, was eine Übersetzung ist, ist demnach in der Frühen Neuzeit sehr viel offener gehalten als in der Moderne. Aus diesem sehr offenen Verständnis ergibt sich auch ein offeneres Verständnis von dem, was eine Übersetzung leisten kann. Insofern ist es auch wenig verwunderlich, dass frühneuzeitliche Übersetzungen ethnographischer und historiographischer Texte den Wahrheitsanspruch eines übersetzten Werkes übernehmen.
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Europa verbuchen konnte.6 Denn eine entscheidende Gemeinsamkeit vieler Übersetzungen dieses Werkes besteht gerade darin, dass sie nicht den spanischen Text übersetzen, sondern eine bereits bestehende Übersetzung zur Vorlage haben. Dabei ist es und bleibt wohl auch unklar, ob die davon betroffenen Übersetzer die spanische Sprache schlicht nicht beherrschten oder die Wahl der Vorlage von ihrer Zugänglichkeit abhing. Das lässt sich auch für den deutschsprachigen Bereich konstatieren: Weder Johann Kellner (1522–1589), der 1589 eine deutsche Übersetzung der Historia vorlegte,7 noch Markus Henning (1561 – nach 1622), der 1591 eine lateinischen Übersetzung veröffentlichte,8 griffen direkt auf Mendozas spanisches Werk zurück, erhoben aber dennoch den Anspruch, dessen Werk übersetzt zu haben: Kellner übersetzte die von Francesco Avanzo angefertigte italienische Übersetzung, die unmittelbar nach der spanischen Version 1586 erschien.9 Markus Henning dagegen bediente sich sowohl der deutschen, von Kellner angefertigten Übersetzung als auch – zumindest punktuell – Avanzos italienischer, auf die Kellner selbst zurückgegriffen hatte. Im Folgenden sollen die beiden Übersetzungen von Kellner und Henning, die gerade im Spannungsfeld eines spanisch-deutschen Kulturtransfers der Frühen Neuzeit einzuordnen sind, als Beispiele frühneuzeitlicher, mehrstufiger Transformationen fokussiert werden. Dabei soll es allerdings weniger um übersetzungspraktische Beobachtungen gehen als vielmehr darum, Funktionsspektren sowie unterschiedliche
6 Vgl. Grießler (1992a), 7: Mendozas Historia war ein »Bestseller, der sämtliche Berichte über China, die zuvor erschienen waren, weit in den Schatten stellte. Das Werk wurde von der überwiegenden Mehrheit der europäischen Intelligenz des beginnenden 17. Jahrhunderts gelesen und ist Ausgangspunkt und Grundlage für sämtliche in der nachfolgenden China-Euphorie der Aufklärung entstandenen Abhandlungen.« Vgl. auch Grießler (1992b), 19: »Kurz nach ihrem Erscheinen kann die erste große, zusammenhängende wie auch genaue Beschreibung des chinesischen Reichs im Abendland einen enormen Erfolg verbuchen: Um die Wende zum 17. Jahrhundert liegt dieses Werk in rund dreißig Editionen in den wichtigsten Sprachen Europas vor.« Eine knappe Übersicht bietet Grießler (1992b), 19 f.: Sie listet dort italienische, französische, englische, lateinische, deutsche und niederländische Übersetzungen von Mendozas Werk auf, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. 7 Vgl. Kellner, Eine neuwe, kurze, doch wahrhafftige Beschreibung. Die biographischen Informationen über Kellner sind mehr als dürftig: Bekannt ist, dass er wohl 1576 Schultheiß zu Frankfurt wurde, sich 1580 offenbar am englischen Hof aufhielt und 1589 seine deutsche Übersetzung der Historia Mendozas anfertigte. Vgl. Deutsches Biographisches Archiv I, 638, 69–70. Etwas ausführlicher und mit Verweis auf den zweiten Band der Lersnerschen Chronik (1706/1734) vgl. Troje (1967), 183. 8 Vgl. Henning, Nova et succincta, vera tamen Historia de China. Über Marcus Henning, der vor allem mit lateinischen Werken bekannt wurde, ist nur wenig Biographisches bekannt. Erwähnung findet er in: Deutsches Biographisches Archiv I, 513, 193. Eine knappe biographische Skizze bietet Dietl (2000), 70–76 mit einer chronologisch angelegten Werkübersicht zu Henning 76–81. 9 Vgl. Avanzo, Dell’ Historia della China. Biographisch scheint über Francesco Avanzo kaum etwas bekannt zu sein.
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Aneignungsstrategien punktuell auszuloten, um dadurch Aussagen über die transformationstheoretischen Konsequenzen frühneuzeitlicher Übersetzungen im Spannungsfeld eines spanisch-deutschen Kulturtransfers zu treffen.
2 Mendozas Historia de la China (1585) und Francesco Avanzos italienische Übersetzung (1586) In Anbetracht der thematischen Ausrichtung dieses Artikels erscheint es unerlässlich, auch einige kurze Bemerkungen zum Aufbau sowie zur inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Historia de la China Mendozas und der von Francesco Avanzo angefertigten italienischen Übersetzung vorauszuschicken. Dadurch wird es möglich, das Transformationsspektrum der deutschen und lateinischen Übersetzungen zu konturieren, denn einerseits bleibt Mendozas Werk stets das Referenzobjekt, andererseits stellt Avanzos Übersetzung die entscheidende Zwischenstufe für beide Übersetzungen dar. Juan Gonzalez de Mendoza (1545–1618),10 der schon früh in den Augustinerorden eintrat, bemühte sich 1574 bei der spanischen Krone um die Erlaubnis für eine Gesandtschaft nach China, die er auch bekam. Die im Jahr 1581 angetretene Reise endete jedoch bereits in Mexiko, wo die Augustiner aufgrund politischer Querelen zwischen den Vizekönigen von Neuspanien und der Philippinen ihre Pläne aufgeben mussten. Mendoza begann sogleich damit, Martín de Radas (1533–1578) schriftliche Aufzeichnungen über China zu studieren, und traf oftmals zu Gesprächen mit seinem Ordensbruder Jerónimo Marín zusammen, der die Mission nach China ebenfalls begleiten sollte. Vermutlich um 1583 ordnete Papst Gregor XIII. – wohl in Reaktion auf das zunehmende China-Interesse und die Ausdehnung des christlichen Missionierungsauftrags in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – die Kompilation einer umfassenden Darstellung Chinas an, womit Mendoza betraut wurde.11 Ihm selbst war es jedoch nicht mehr vergönnt, nach China zu reisen. Er starb 1618 als
10 Die Forschungsliteratur zur Vita Mendozas ist sehr dürftig. Biographische Informationen können vor allem aus seiner Historia de la China sowie aus der Hierarchia Catholica (1923) 52, 66, 226 und der Hierarchia Catholica (1935), 148, 222, 285 gewonnen werden. Eine erste biographische Skizze fertigte Johannes Felix Ossinger an, der darüber hinaus auch eine knappe Werkübersicht bietet (vgl. Ossinger [1768]). Die folgende biographische Skizze fußt auf Grießler (1992b), 18 f. 11 Vgl. dazu auch Mackerras (1999), 19, der auch auf einige Quellen, auf die Mendoza im Zuge seiner Abfassung zurückgriff, verweist. Umfangreicher und bei Weitem genauer, was die Quellen Mendozas angeht, Lach (1965), 742–751, der sogar die Vermutung äußert, dass Mendoza in seinem Werk Bernadino de Escalante und João de Barros plagiiert (750).
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Bischof von Popayan (Kolumbien), nachdem er zuvor 1586 apostolischer Pönitentiar, 1593 Bischof von Lipari in Sizilien und 1607 Bischof von Chiappa in Neuspanien gewesen war. Mendozas Historia setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Im ersten Teil, der drei Bücher umfasst, wird eine descriptio Chinas gegeben. Im ersten Buch wiederum werden die geographische Lage und Ausdehnung des Reiches, sein Klima, seine Bodenschätze, seine administrative Einteilung in 15 Provinzen sowie einige ethnographische Informationen, wie etwa Kleidung und Aussehen der Chinesen, beschrieben. Zudem werden auch die chinesische Mauer und das chinesische Porzellan erwähnt. Im zweiten Buch steht vor allem die Religion der Chinesen im Zentrum: »Der Autor scheint durchdrungen von dem Wunsch, das Evangelium in China zu verkünden und das Volk zum christlichen Glauben zu bekehren.«12 Darüber hinaus schildert er die chinesischen Zeremonien und Kulthandlungen etwa bei Trauer- und Hochzeitsfeiern. Das dritte Buch thematisiert administrative und politische Strukturen des chinesischen Reiches und bietet ein Sammelsurium an Informationen über einige chinesische Errungenschaften, wie Schrift, Druckkunst, Schwarzpulver und Fischfang. Der zweite Teil des von Mendoza vorgelegten Werkes, das ebenfalls drei Bücher umfasst, enthält die Berichte über die China-Missionen von Martin de Rada (1575) sowie von den Franziskanern Pedro de Alfaro (1579) und Martin Ignatius (1582).13 Dem Werk vorangestellt sind einige Paratexte, die hier nur in aller Kürze Erwähnung finden sollen: Das Werk beginnt mit einem lateinischen, im Namen Papst Sixtus’ V. (1521–1590) ausgestellten Schreiben,14 in dem Mendoza für die herausragende Leistung, die Historia verfasst zu haben, gedankt und ein Druckprivileg erlassen wird. Interessanterweise wird hierin bereits die italienische Übersetzung, wenn auch ohne namentliche Nennung Avanzos, erwähnt. Es folgt ein auf Spanisch verfasstes, knapp fünfseitiges Widmungsschreiben Mendozas an den königlichen Rat Señor Fernando de Vega y Fonseca (1529–1591), einen politisch sehr einflussreichen Mann in der spanischen Inquisition.15 Im Anschluss daran folgt eine ebenfalls von Mendoza auf Spanisch verfasste Vorrede an
12 Grießler (1992b), 21. 13 Eine knappe Charakterisierung der Historia Mendozas bietet Mackerras (1999), 19–21, der erwähnt, dass das Werk bereits kurz nach seiner Veröffentlichung auch negatives Echo erfuhr (ebd., 21): »Mendoza’s book was strongly attacked by the Constable of Castile, Juan Fernández de Velasco, soon after it was published. The basic ground was that Mendoza’s account extolled China’s greatness too much. What is most important is that Mendoza appears to have carried the public with him, and European images of China followed his version rather closely. In other words, they remained dominantly positive and more detailed than at any earlier time.« 14 Vgl. Gualteruzzi, »Sixtus Papa V. Dilecto filio Ioanni Gonçalez de Mendoça« (1585). 15 Vgl. Mendoza, »Al Illustrissimo Señor Fernando De Vega y Fonseca«. Zu Fernando/Hernando de Vega y Fonseca gibt es nur wenige biographische Informationen. Er war unter anderem Präsident des Rates der Finanzen zwischen 1579 und 1584 und Präsident des Rates von India zwischen 1584 und 1591. Vgl. Poole (1990), 5, 12, 34.
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den Leser, in der er von seinem Auftrag berichtet, die Historia abzufassen.16 Anschließend findet sich eine zweite von ihm ebenfalls auf Spanisch verfasste Vorrede an den Leser, in der er die Besonderheit seines Werkes hervorhebt und sich zugleich von antiken und zeitgenössischen Autoren historiographischer Werke wie Plutarch, Livius, Tacitus oder Paolo Emilio abgrenzt.17 Darüber hinaus postuliert er den Wahrheitsgehalt seiner Historia, die auf authentischen Zeugnissen und Zeugen beruhe, und entschuldigt sich für das an einigen Stellen nicht ganz korrekte Druckbild.18 Den Abschluss der Paratexte bildet ein spanisches Sonett,19 »worin dem Wunsch Ausdruck gegeben wird, der katholischen Kirche in China die Wege zu ebnen.«20 Dem systematischen Zugriff des Lesers dient die sich daran anschließende, elf Druckseiten umfassende Kapitelübersicht.21 Im Zusammenwirken der Paratexte mit den zwei Teilen der Historia wird eine christlich-missionarische Programmatik entwickelt: Das durch das Werk vermittelte Wissen ist dabei dem Zweck geschuldet, Kenntnisse über China und seine Einwohner zu liefern, welche die christlichen Missionierungsbestrebungen begünstigen sollen. Mendozas Historia wird erstmals von Francesco Avanzo 1586 ins Italienische übersetzt. Diese Übersetzung umfasst beide Teile des von Mendoza vorgelegten Werkes und stellt für die Aneignung der ursprünglich spanischen Wissensbestände über China im deutschen Sprachraum eine wichtige Scharnierstelle dar, da sie als Vorlage für die beiden hier im Fokus stehenden Übersetzungen von Kellner und Henning fungiert. Bis auf Mendozas Sonett übernimmt Avanzo die von Mendoza verfassten Paratexte und übersetzt sie ins Italienische. Darüber hinaus erweitert er das paratextuelle Ensemble um eigene Texte: Er beginnt mit einem eigenen, ungefähr vierseitigen Widmungsschreiben an Papst Sixtus V., in dem er auf den Nutzen der von Mendoza vorgelegten Historia sowie den seiner eigenen italienischen Übersetzung für künftige Missionierungen im fernöstlichen China hinweist.22 In seiner daran anschließenden Vorrede an den Leser macht er einige Angaben zur Entstehung der Historia Mendozas und seiner eigenen Übersetzung, bestätigt den Wahrheitsgehalt der Historia und legt – in Anlehnung an Mendoza – sein Erkenntnisinteresse auf China.23 Seine Übersetzung diene, so Avanzo, insbesondere dem Anliegen, den Rezipientenkreis des spanischen Werkes zu erweitern.24 Daran anschließend wird das in lateinischer Sprache abgefasste Druckpri-
16 Vgl. Mendoza, »Al Lector (I)«. 17 Vgl. ders., »Al Lector (II)«. 18 Vgl. ebd., bes. ( 7r-v. 19 Vgl. ders., »Soneto«. 20 Grießler (1992b), 19. 21 Vgl. Mendoza, »Memorial delos capitulos«. 22 Vgl. Avanzo, »Al beatissimo Padre«, bes. a 2v. 23 Vgl. ders., »Al Lettore«. 24 Vgl. ebd., a 4v.
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vileg Papst Sixtus´ V. unübersetzt angeführt,25 gefolgt von dem ins Italienische übersetzten Widmungsbrief Mendozas an Fernando de Vega y Fonseca.26 Den Abschluss des paratextuellen Ensembles bilden die beiden, ebenfalls ins Italienische übersetzten Vorreden Mendozas an den Leser – allerdings in veränderter Anordnung27– , das umfangreiche Inhaltsverzeichnis des Gesamtwerkes, ebenfalls ins Italienische übersetzt,28 sowie ein alphabetisch geordneter, zweispaltiger und umfangreicher Index, den Avanzo zusätzlich erstellt hat, und der einen systematischen Zugriff auf Mendozas Historia und insofern auch auf Avanzos Übersetzung ermöglicht.29 Es zeigt sich, dass sich Avanzo deutlich an der paratextuellen Konzeption der spanischen Vorlage orientiert und diese um eigene Texte erweitert. Insgesamt bestätigt er die christlich-missionarische Programmatik der spanischen Historia Mendozas und platziert seine Übersetzung im selben Funktionszusammenhang. Dezidiertes Ziel seiner Übersetzung ist es, einen weiteren Rezipientenkreis zu erreichen, als es die spanische Version vermochte, um so die für eine erfolgreiche Missionierung erforderlichen Informationen über China breiter zu streuen.
3 Johann Kellners deutsche (1589) und Marcus Hennings lateinische Übersetzung (1591) Eine grundlegende Gemeinsamkeit der von Kellner und Henning vorgelegten Übersetzungen besteht in der paratextuellen Konzeption beider Drucke: Nach einem Titelblatt, auf dem die jeweiligen Übersetzungsstufen abgebildet sind, folgen jeweils ein eigener Widmungsbrief, Mendozas zweiter Briefe an den Leser in jeweiliger Übersetzung, die Kapitelübersicht Mendozas, ebenfalls in jeweils übersetzter Form, sowie die Übersetzung der Historia, die allerdings in beiden Fällen unvollständig ist. Von den Übersetzungen erfasst ist allein der erste Teil der Historia, der die drei Bücher umfasst, die Mendoza selbst geschrieben hat. Die Ergänzungsberichte von Martin de Rada sowie von Pedro de Alfaro und Martin Ignatius, die eigentlich zum ursprünglichen Werk Mendozas dazugehören und die auch von der italienischen Übersetzung mit berücksichtigt wurden, sparen sowohl Kellner als auch Henning aus. Ebenso die von Avanzo in seiner italienischen Übersetzung hinzugefügten Paratexte (Al beatissimo Padre et Signor nostro, Papa Sisto Quinto und Al Lettore Francesco Avanzo traduttor di quest’ Opera), der Widmungsbrief Mendozas an Fernando
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Vgl. Gualteruzzi, »Sixtus Papa V. Dilecto filio, Ioanni Gonzalez de Mendoza (1586)«. Vgl. Mendoza, »All´ Illustrissimo Signor Ferdinando di Vega et Fonesca«. Vgl. ders., »Al Lettore I« und Mendoza, »Al Lettore II«. Vgl. ders., »Tavola de i sommarii et capitoli«. Vgl. Avanzo, »Tavola delle cose notabili«.
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de Vega y Fonseca, der ebenfalls von Avanzo übersetzt wurde, Mendozas erster Brief an den Leser sowie das von Avanzo ebenfalls vernachlässigte Sonett bleiben sowohl bei Kellner als auch bei Henning unberücksichtigt.30 Zudem sind beide Übersetzungen mit einem kaiserlichen Druckprivileg versehen.31 Wie bereits erwähnt, wird in der spanischen und italienischen Fassung eine christlich-missionarische Programmatik entwickelt. Durch die veränderte paratextuelle Konzeption in der deutschen wie auch lateinischen Übersetzung werden Mendozas Werk sowie Avanzos italienische Übersetzung im Grunde neu eingekleidet, wobei ihre christlich-missionarische Programmatik im deutschen Sprachgebiet nun ausgeblendet wird. Diese Form der Ignoranz äußert sich bereits in der Gestaltung der Titelblätter: Dort werden nämlich weder Mendoza als Autor der Historia noch seine Ordenszugehörigkeit zu den Augustinern erwähnt – ganz im Unterschied zu Mendozas Historia und Avanzos Übersetzung, die durch die Gestaltung des Titelblatts eine direkte Nähe zur katholischen Kirche offenlegen und eine christlich-missionarische Funktionalisierung der durch sie vermittelten Wissensbestände erahnen lassen.32 Kellners und Hennings Titelblätter zeigen damit bereits von vornherein an, dass im Fokus der Übersetzungen in erster Linie die von Mendozas Historia erfassten Wissensbestände über China als Beschreibungsobjekt stehen sollen, nicht jedoch ihr funktionaler Kontext, in den sie ursprünglich eingebettet war. Darüber hinaus legen sowohl die deutsche als auch die lateinische Übersetzung in ihren Werktiteln den Fokus auf die Neuheit, Faktizität und Ungewöhnlichkeit des Dargestellten. So werden dem Leser dort bereits detailliertere Informationen über den Inhalt der übersetzten Historia sowie über den Gegenstandsbereich ›China‹ gegeben, als es bei der spanischen und italienischen Vorstufe der Fall ist, indem die beiden Werktitel – die lateinische Fassung orientiert sich offensichtlich an der deutschen Übersetzung – auf die Besonderheiten Chinas und seine herausragende Stellung im Vergleich zu anderen Reichen verweisen: Diese betreffen vor
30 Daraus ergibt sich folgendes paratextuelles Bild für Kellner: Kellner, »Widmungsbrief«; Mendoza, »Johann von Mendoza an den günstigen Leser«; ders., »Register und Inhalt der Capitel«. Die Seitenangaben der von Kellner vorgelegten Paratexte sind im Druck von einer auf den ersten Blick irritierenden Klammern-Fragezeichen-Kombination gekennzeichnet:)?( und (?). Diese Kombinationen werden dann im üblichen Verfahren mit kleingeschriebenen römischen Ziffern weitergezählt. Für Henning ergibt sich folgendes Bild: Henning, »Widmungsbrief«; Mendoza, »Ioannis Consalui Mendozae Praefatio ad Lectorem«; ders., »Elenchus Capipitum«. 31 Vgl. dazu die Titelblätter: Kellner, Eine neuwe, kurze, doch wahrhafftige Beschreibung,)?([i] (unpag.); sowie Henning, Nova et succincta, vera tamen Historia, A [1]r (unpag.). 32 Vgl. dazu die Titelblätter: Mendoza, Historia de la China, ( [1]r (unpag.); Avanzo, Dell’ Historia della China 1586, a[1]r (unpag.); Kellner, Eine neuwe, kurze, doch wahrhafftige Beschreibung,)?([i]r (unpag.); sowie Henning, Nova et succincta, vera tamen Historia de China, A[1]r (unpag.). Erst in seinem Widmungsschreiben nennt Henning Mendoza namentlich als Verfasser des ursprünglich spanischen Werkes, bezeichnet ihn als Augustiner und betont zugleich dessen illustre Herkunft (vgl. ebd., A3v/6).
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allem die ungeheure Größe, Vielfalt und den Reichtum des Landes und setzen China in einen Vergleich zu den Medern, Persern, Assyrern, Juden, Griechen und Römern.33 Bereits diese Beobachtungen machen deutlich, dass Mendozas Historia im Zuge ihrer Aneignung im deutschsprachigen Raum viel stärker inhaltlich fokussiert und dadurch zugleich ihre ursprüngliche christlich-missionarische Programmatik ausgeblendet wird. Jeweils spezifische Strategien, welche die Lektüre der Übersetzung funktionalisieren und legitimieren sollen, entwickeln beide Übersetzer erst im Zuge ihrer Widmungsbriefe.
3.1 Johann Kellner Johann Kellner widmet seine 1589 in Frankfurt am Main erschienene Übersetzung dem protestantischen Landgrafen von Hessen-Darmstadt und Grafen zu Katzenelnbogen, Georg I., genannt der Fromme (1547–1596).34 Gleich zu Beginn seines sieben Seiten umfassenden Widmungsbriefes konzentriert er sich auf die von den spanischen und portugiesischen Seefahrern unternommenen Entdeckungsreisen in bisher völlig unbekannte Gefilde.35 Im Rahmen solcher Entdeckungsreisen, so Kellner,
33 Mendoza, Historia de la China, ( [1]r (unpag.): Historia de las cosas mas notables, ritos y costumbres del gran Reyno dela China, sabidas assi por los libros delos mesmos China, como por relacion de Religiosos y otras personas que an estado en el dicho Reyno; vgl. Avanzo, Dell’ Historia della China, a [1]r (unpag.): Dell’ Historia della China [. . .] dove si descrive il sito, et lo stato, di quel gran Regno, & si tratta della religione, de i costumi, & della dispositione de i suoi popoli, & d´altri luochi più conosciuti de mondo nuouo; vgl. dagegen Kellner, Eine neuwe, kurze, doch wahrhafftige Beschreibung,)?([i]r (unpag.): [. . .] Seiner fünffzehen gewaltigen Prouincien: unsäglicher grosser und vieler Stätt / Fruchtbarkeit / yberschwenglichen grossen Reichthumbs an Perlen / Edelgesteinen / Goldt / Silber und anderen Metallen / grosser unerhörter Kriegsmacht / zu Wasser unnd Landt/ auch fürtrefflichem / wolangestelltem / vernünfftigem Regiment unnd Poltcey / und deß Volcks [. . .] weder bey Meden / Persen / Assyriern / Juden / Griechen / Römern / noch einigen anderen Völckern in der weiten Welt jemals befunden; vgl. Henning, Nova et succincta, vera tamen Historia, A[1]r (unpag.): [. . .] quindecim florentissimis eius Prouincijs, plurimis admiranda magnitudine insignibus vrbibus; summa fertilitate; incredibili vnionum, gemmarum, auri, argenti, caeterorumque varii generis metallorum opulentia & copia; populorum ijs in regionibus inaudito in bellis terrestri naualique adparatu; praeclara item, prudentique optime constitutae Reipublicae moderatione & in vniuersum, de gentium illarum ea morum dexteritate, ea ingeniorum acrimonia, cuiusmodi vix in vllis (clarissimarum etiam nationum; Medorum, Persarum, Assyriorum, Iudorum, Graecorum, Romanorum, aut quorumcunque denique aliorum) Historiarum monumentis, toto terrarum orbe reperiatur. 34 Zu Georg I. (1547–1596), dem Frommen, vgl. Walther (1878); Knöpp (1964); Noack (1966). 35 Vgl. Kellner, »Widmungsbrief«,)?( iir-v [recto fälschlich paginiert als)?(]: »Nach dem auß sonderlicher Schenkung und Verordnung Gottes deß allmächtigen die Portugaleser und Hispanier bey ungefährlich hundert Jahren anhero, durch gewagte gefährliche, auch von den Alten vor unmüglich geachtete Schiffahrten viel von Anbegin der Welt in Europa unnd sonst unbekannte Land außgekundtschafft, erforschet, sich auch derselbigen größtes theils zu Herren gemacht haben, wie sie dann noch täglichs den Fuß je länger je weiter fortzusetzen nicht unterlassen.«
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seien auch viele Bücher und Historien über die entdeckten Länder angefertigt und veröffentlicht worden, wie auch das von Mendoza verfasste Werk, das allein in spanischer und italienischer Sprache vorliege.36 Kellner verortet Mendozas Werk über China insofern im Kontext der frühneuzeitlichen Reiseliteratur,37 die er grundsätzlich dafür lobt, dass sie dem Leser mitunter ganz wundersame, ja geradezu unglaubliche Informationen über neu entdeckte Länder und Völker liefere38– er sieht allerdings auch die Kehrseite dieser Medaille: [. . .] so werden doch alle diese Historien von wegen der großen unmenschlichen Grausamkeit, Tyranney, und unaußsprechlichem Blut und Geltgeiz, deren sich die Hispanier gegen diese arme, blosse, nackende, unschuldige Leut gebraucht, gleichsam bitter unnd unlieblich gemacht, und der Lust, den Leser auß Verwunderung deren sonst frembden Dingen schöpfft, ganz und gar genommen. Dann wen wolt nit bewegen, und gleichsam erschrecken, wann er lieset, daß in der einigen Insul, die sie jetzunder S. Dominico nennen, als die Hispanier erstlich darin angekommen, sich das arme Landvölcklein alles guten dienstlichen Willens gegen sie erzeigt, ob fünffzehen mal hundert tausent Personen gewesen, die Hispanier aber mit solcher Grausamkeit sie unterdruckt, zu ihren mehr dann Viehischen Diensten in Bergwerken Perlen zu fischen, und allem andern dermassen gezwungen, genötigt, daß sie mehrertheils darüber erlegen, gestorben, von inen den Hispaniern erwürgt, daß in kurzen Jahren uber fünffhundert nicht uberig blieben seindt.39
Sehr unvermittelt kommt Kellner auf die Gräueltaten der Spanier gegenüber den Ureinwohnern der neu entdeckten und sogleich unterworfenen Länder in der Neuen Welt zu sprechen. Seine Kritik konzentriert sich auf die spanische Praxis der Versklavung eroberter Völker. So erwähnt er an späterer Stelle der Vorrede auch den hohen Verschleiß an Sklavenkräften, der sich darin zeige, dass die spanischen Eroberer die jeweilige Bevölkerung einer neu entdeckten und unterworfenen Insel durch ihre grausame Versklavung fast komplett auslöschten und diese Verluste ausgeglichen würden mit »andern Gefangenen, die sie in anderen Insuln, unnd sonderlich in Africa, greiffen.«40 Seine Kritik reiht sich ein in eine bereits bestehende zeitgenössische Kritik, die nicht so sehr gegenüber der Versklavung an sich als vielmehr gegenüber der Versklavungspraxis der spanischen Eroberer geübt wird und im Rahmen einer antispanischen Polemik einen wichtigen Bestandteil der Leyenda negra bildet.41 Die
36 Vgl. ebd.,)?( iiv. 37 Exemplarisch für die sehr umfangreiche Literatur zum frühneuzeitlichen Phänomen der Reiseliteratur sei verwiesen auf: Borowka-Clausberg (1999), darin bes. Kap. IV: Der frühneuzeitliche Reisebericht: Dokument der Entdeckung und Literarisierung der Welt; vgl. auch Kürbis (2004), darin bes. Kap. 4: Die Struktur der frühneuzeitlichen Reiseberichte, und Kap. 5: Wissensproduktion oder Wissensvermittlung?. 38 Vgl. Kellner, »Widmungsbrief«,)?( iiv [recto fälschlich paginiert als)?(]. 39 Ebd.,)?( iiv [recto fälschlich paginiert als)?(] – )?( iiir. 40 Ebd.,)?( iiir. 41 Zur Leyenda negra sei exemplarisch verwiesen auf Vollet (2006), 147: »Die Leyenda negra bestand in dem erschreckenden Ruf von Unmenschlichkeit, Brutalität und Zurückgebliebenheit auf
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Kritik an der spanischen Versklavungspraxis ist auch das Resultat der Rezeption und Transformation solcher Reiseberichte, die über derartige Zustände und Ereignisse in der Neuen Welt Zeugnis ablegen. Ein prominentes Beispiel dafür ist etwa Girolamo Benzoni (1519–1570), dessen Historia del Mondo Nuovo (1565) ebenfalls die spanischen Grausamkeiten gegenüber den Ureinwohnern der Neuen Welt schildert.42 Benzoni selbst bedient sich unter anderem auch der Brevísima relación de la destrucción de las Indias (1552) aus der Feder des Bartolomé de Las Casas (1484–1566),43 in der dieser die Gräueltaten der spanischen Eroberer schonungslos demaskiert, jedoch eigentlich verbunden mit dem Ziel, dem spanischen König Philipp II. (1527–1598) die insbesondere für die Indios unzumutbaren Verhältnisse in der Neuen Welt bewusst zu machen.44 Sowohl Benzoni als auch de Las Casas beabsichtigen mit ihren Werken also weniger, eine europaweite Kritik an der spanischen Versklavungspraxis zu provozieren oder gar weitere Argumente für die Leyenda negra zu liefern. Erst mit den Editionen dieser Reiseberichte und ihren Übersetzungen gehen solche Vereinnahmungen einher. Auch wenn nicht ganz klar wird, auf welchen Text und auf welches Ereignis sich Kellner in seiner Kritik konkret bezieht, so ist doch zumindest anzunehmen, dass er Benzoni kannte, da dessen Historia del Mondo Nuovo in deutscher Übersetzung bereits 1579 und 1582 in Frankfurt erschienen war.45 Über eine mögliche Kenntnis der Brevísima relación von de Las Casas seitens Kellners lässt sich
nahezu allen zivilisatorischen und kulturellen Gebieten, der sich über Spanien durch Jahrhunderte im Rest Europas verbreitete, und zwar in politischen und interessierten Werken ebenso wie in sich objektiv gebenden wissenschaftlichen Werken der Geschichte, Literaturgeschichte, Enzyklopädistik etc. Diese ›Legende‹ wurde als publizistische Waffe immer wieder von den Gegnern Spaniens in verschiedenen Kriegen benutzt, und gegen sie wehren sich noch durch das 20. Jahrhundert hindurch spanische Publizisten mit beharrlicher Vehemenz [. . .]. Grundlagen dieser schwarzen Legende sind die Erfahrungen mit Spanien als Eroberer und Besatzer von Teilen Italiens, der Niederlande, als Land der Inquisition und als das Land, das die Gräueltaten der Conquista zu verantworten hat.« 42 Die Forschungsliteratur zu Benzoni und seiner Historia del Mondo Nuovo ist außerordentlich dünn. Zwar gibt es zahlreiche Editionen und Übersetzungen, allerdings kaum historische oder wissenschaftliche Einordnung. Daher sei verwiesen auf Anders (1969), Keen (1992) und König (1993), 179 f., der das Werk vor allem im Rahmen der frühneuzeitlichen Neugier nach dem Fremden im deutschsprachigen Gebiet erwähnt. 43 Die Forschungsliteratur zu de Las Casas und seiner Stellung zur Sklavenfrage ist sehr umfangreich. Vor allem Michael Sievernich hat zahlreiche Beiträge dazu publiziert. Für einen ersten Überblick zu de Las Casas als Verteidiger der Ureinwohner der Neuen Welt sei verwiesen auf Hanke (1951); Sievernich (1992); Bordat (2006); Delgado (2010). 44 Vgl. Sievernich (1995), v. a. 38. 45 Zur Rezeption – speziell im niederländischen und deutschsprachigen Gebiet – der Historia del Mondo Nuovo des Girolamo Benzoni gibt es bisher kaum Forschungsliteratur. Für eine Detailstudie zu den in Frankfurt erschienen Prachtausgaben aus dem Verlegerhaus der de Bry sei verwiesen auf Greve (2008). Bei den Übersetzungen im deutschsprachigen Gebiet handelt es sich um: Benzoni/ Höniger, Der Newenn Weldt vnd Jndianischen Königreichs newe vnnd warhaffte History und dies.: Erste Theil der Newenn Weldt vnd Indianischen Nidergängischen Königreichs.
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dagegen nur mutmaßen, da ihre erste deutsche Übersetzung erst 1597 erschien. Allerdings kann man ihr wohl einen gewissen, vorher dagewesenen Bekanntheitsgrad im deutschsprachigen Raum attestieren, da sie bereits ab 1578 in flämischer und ab 1579 in französischer Übersetzung auf dem europäischen Buchmarkt sowie in mehrfachen spanischen Auflagen verfügbar war.46 Wichtiger allerdings als der konkrete Referenztext ist die Beobachtung, dass sich Kellner mit seiner anti-spanischen Kritik in ein europaweites Phänomen seiner Zeit einreiht. Was bei Kellner nicht explizit ausformuliert ist, sicher aber mitschwingt, ist zudem die konfessionelle Prägung dieser anti-spanischen Kritik, die sich vor allem in den Druckerzeugnissen, die in den Niederlanden und den protestantischen Regionen des deutschsprachigen Gebietes erschienen, manifestiert.47 Kellners Kritik an der Sklaverei ist insofern ein Stück weit auch unter protestantischen und dezidiert anti-katholischen Gesichtspunkten einzuordnen. Dieser Eindruck bestätigt sich auch dadurch, dass der Widmungsadressat selbst, Georg I., protestantischer Konfession ist. So lässt sich Kellners Kritik wohl auch als konfessionelle Stellungnahme gegenüber der spanisch-katholischen Versklavungspraxis lesen. Kellners Kritik berührt allerdings auch die Frage nach der Darstellungsart, wenn er darüber reflektiert, dass Reiseliteratur die Freude am Lesen verwehrt, sobald sie solche Grausamkeiten überhaupt schildert. In diesem Rahmen schreibt er Mendozas Bericht über China eine herausragende Rolle zu, da er sich hierin von vielen anderen Reiseberichten deutlich unterscheide: Also wirdt in dieser gegenwertigen Historien ein solch vernünfftig, wolbedächtig, klug unnd weiß Regiment beschrieben und an Tag gegeben, deßgleichen in keinen Historien bei keinen Völckern, sie seien Meden, Persen, Inden, Griechen, Römer oder andere, wie die Namen mögen, jemals befunden, gelesen, gehört oder erkanndt worden.48
Kellner übt zwar Kritik an der Ausbeutung und Versklavung eroberter Völker; allerdings geht es ihm auch um die Frage der literarischen Darstellung solcher Grausamkeiten. Mendozas Historia stellt in diesem Zusammenhang deshalb eine 46 Enzensberger weist neben Servilla auch auf Paris, London, Amsterdam und Venedig als Druckort hin (vgl. Enzensberger [2006], 127), während Sievernich auf die umfangreiche Übersetzungsgeschichte der Brevísima Relación von de Las Casas verweist (vgl. Sievernich [1995], 28): Die erste Übersetzung (ins Flämische) wurde 1578 angefertigt, bereits 1579 erfolgte die nächste ins Französische. Und weiter: »Die Tatsache, dass [. . .] 29 [Übersetzungen] in Niederländisch, 13 in Französisch, jeweils 6 in Englisch und Deutsch, dazu weitere drei in Italienisch und Latein erschienen, lässt schon etwas von der geographischen Verteilung und Intensität der politischen Konflikte, der ökonomischen Rivalitäten oder der konfessionellen Streitigkeit erahnen« (ebd. 39). 47 Vgl. Arndt (1998), 237. In der protestantischen Fremdwahrnehmung kannte »die spanische Außenpolitik im 16. Jahrhundert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts [. . .] zwei Hauptziele: Vorherrschaft Spaniens in der Welt und damit des Katholizismus. Die beiden Begriffe lassen sich nicht voneinander trennen [. . .]. Das letzte Ziel der spanischen Politik war also ein katholisches Universalreich spanischer Nation« (vgl. Schweitzer [1967], 14). 48 Kellner, »Widmungsbrief«,)?( iiiir.
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Besonderheit dar, weil sie solche gar nicht erst thematisiert – weder gegenüber den Chinesen noch von diesen verübt. Die Sonderstellung, die er Mendozas Werk zuschreibt, begründet sich demnach darin, dass es frei ist von solch unliebsamen Inhalten. Auf diese Weise legitimiert Kellner zugleich die Lektüre seiner eigenen Übersetzung. Darüber hinaus entwirft er aber auch ein Bild von China, das in strenger, wenngleich impliziter Opposition zu Spanien steht (vgl. v. a. die Formulierung »ein solch vernünfftig, wolbedächtig, klug unnd weiß Regiment«). Mit seiner Übersetzung legt Kellner allerdings nur eine Auswahl von Mendozas Historia vor, nämlich die von Mendoza selbst verfassten ersten drei Bücher. Diese Auswahl begründet Kellner damit, dass in diesem Abschnitt des Werkes »der Kern unnd das fürnembst unnd best [. . .] begrieffen ist. Zum andern / dieweil das Buch etwas groß und weitläufftig / und dem Leser verdrießlich hett seyn mögen.«49 Die Begründung für die von ihm vorgenommene Auswahl bewegt sich somit zwischen inhaltlich motivierten und zielgruppenbezogen Überlegungen und passt das übersetzte Werk auf diese Weise den erwarteten Leserinteressen und -gewohnheiten an. In Korrelation mit dem Titelblatt weist Kellner auch im Widmungsbrief noch einmal nachdrücklich auf den Wahrheitsgehalt der Historia Mendozas hin50 und überträgt diesen unausgesprochen auf seine Übersetzung. Kellner imitiert mit seiner Übersetzung also gewissermaßen Mendozas Historia und zielt nicht allein auf die Vermittlung des Werkes, sondern auch auf die Präsentation seiner als wahrheitsgemäß herausgestellten Inhalte.
3.2 Marcus Henning Der protestantische Augsburger Marcus Henning51 orientiert sich zwar in der Gestaltung des Titelblatts und der konzeptionellen Struktur seiner Übersetzung an Kellners, übersetzt allerdings nicht dessen Widmungsbrief, sondern substituiert diesen durch einen eigenen.52 Der ungefähr zwölf Druckseiten umfassende Widmungsbrief ist in einem stellenweise sehr manierierten Latein verfasst und richtet sich an Anton Fugger (1563–1616),53 den Freiherrn von Kirchberg und Weißenhorn und 49 Ebd.,)?( iiiir-v. 50 Vgl. ebd.,)?( iiiiv. 51 Vgl. Dietl (2000), v. a. S. 71 und 81. 52 Vgl. Henning, »Widmungsbrief«. 53 Anton Fugger ist ein Enkel jenes bekannten Anton Fugger des Älteren (1493–1560). Zur Wahl des Widmungsempfängers Anton Fugger vgl. Dietl (2000), 77: »Die Widmung an Anton Fugger, den Kammerherrn Erzherzog Ferdinands von Tirol läßt handelspolitische Interessen der Augsburger Unternehmerdynastie vermuten. Erst eine Übersetzung ins Latein dürfte damals einem kulturpolitisch so bedeutenden Werk Geltung verschafft haben.« Zu Anton Fugger vgl. auch Hadry (2007). Auffällig umfangreich begründet Henning auf knapp 3,5 Druckseiten die Wahl seines Widmungsträgers und bedient sich hierbei einiger üblicher Topoi, indem er besonders den hohen
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herzoglich-bayerischen Oberstallmeister und Kammerherrn Erzherzog Ferdinands von Tirol (1529–1595).54 In diesem wird ein anderer Zugang zu Mendozas Werk und insofern auch eine weitere Funktionalisierung entwickelt: Henning fokussiert in seiner Vorrede grundsätzlich die Frage nach der Geschichte des Wissens über China und der bisherigen Darstellung dieses Wissens. So stellt er gleich zu Beginn seines Widmungsbriefes fest, dass man bereits in der Antike von China wusste, wenn auch nur spärlich: Quae Chinarum nomine hodie gentes nuncupantur, illustris et generose Baro, eas a Cl. Ptolemaeo et erudita antiquitate Sinas [. . .] adpellatas esse opinio est. Neque tamen vel apud hunc vel apud alios vetustiores celebres scriptores fusior aliqua aut plenior ullam in partem populorum regionumve earum descriptio exstat; nisi qua situs, limites et paucae aliquot incolentium eas terras nationum ab eo, quem dixi, nobili autore nominetenus duntaxat memoratur.55
In Anbetracht dieser geringen Kenntnisse sei es auch nicht verwunderlich, dass die Menschen des Altertums von einer Sinarum nationis ignoratio befallen gewesen seien, die fast bis in die eigene Gegenwart angehalten habe.56 Den Startschuss zur Entdeckung und sichereren Kenntnis der bisher unbekannten Welt schreibt Henning den von den Spaniern und Portugiesen in Angriff genommenen Seereisen zu, die allerdings nur wenige dazu veranlasst hätten, entweder entsprechende Seekarten oder ausgiebige Beschreibungen über die Entdeckungen anzufertigen.57 Im Rahmen seiner ungefähr vier Seiten umfassenden Wissensgeschichte über China nennt Henning vor allem den Venezianer Marco Polo (1254–1324), der in seiner Reisebeschreibung die chinesische Provinz Mangu ausgiebig erwähnt habe, sowie Jerónimo Osório (1506–1580),58 der im elften Buch seines zwölf Bücher umfassenden Werkes De rebus gestis Emanuelis Lusitaniae Regis (1571) unter Rückgriff auf Berichte
Bildungsgrad seines Adressaten, sein Interesse an den artes sowie seine Eigenschaft als Mäzen hervorhebt, vor allem aber darauf hinweist, dass die nun von ihm vorgelegte lateinische Übersetzung als vierte Übersetzung auch ein viertes patrocinium benötige – als Gegenleistung stellt er dauerhafte fama und gloria in Aussicht (Vgl. Henning, »Widmungsbrief«, A 6r – A 7v). 54 Zu Ferdinand II. vgl. Wurzbach (1860); Krones (1877); Hirn (1888); Bůžek (2009). 55 Henning, »Widmungsbrief«, A 2r/3 – A 2v/4: »Es gibt die Ansicht, dass diejenigen Völker, welche heute mit der Namen Chinesen bezeichnet werden, durchlauchter und wohlgeborener Fürst, von Claudius Ptolemaeus und von der gebildeten Antike als Sinae [. . .] bezeichnet worden sind. Dennoch gibt es weder bei diesem noch bei anderen älteren und bekannten Schriftstellern eine allzu ausgiebige oder – wie auch immer geartete – umfangreiche Beschreibung der Völker oder ihrer Regionen; außer wo die Lage, die Grenzen und einige wenige der Stämme, die diese Gebiete bewohnen, von diesem berühmten Autor, den ich genannt habe, gerade einmal namentlich erwähnt werden.« 56 Vgl. ebd., A 2v/4. 57 Vgl. ebd., A2v/4–A 3r/5. 58 Eine knappe biographische Skizze zu Jerónimo Osório bietet Mayer (1845). Sein Werk De Rebus Emmanuelis gestis wurde in der Forschung bisher nur oberflächlich besprochen. Vgl. dazu bspw. Matos (1948)
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anderer Portugiesen, die China bereist hätten, de Sinis eorumque variis moribus atque ritibus geschrieben habe und das ausführlicher und genauer als alle anderen zuvor.59 Darüber hinaus erwähnt Henning auch Briefe, die aus Japan und Indien nach Europa geschickt und später veröffentlicht wurden, aus denen man ebenfalls einige Informationen über China gewinnen könne.60 Henning ordnet Mendozas Historia also gewissermaßen ›wissenschaftsgeschichtlich‹ ein. Vor dem Hintergrund der von ihm aufgezeigten Wissenslücken über China und der ihn in diesem Zusammenhang offenbar nicht endgültig zufriedenstellenden Berichte schreibt er der Historia eine herausragende Bedeutung zu. Dabei hebt er v. a. ihren drei Bücher umfassenden ersten Teil, den er – wohl in Anlehnung an Kellner – ebenfalls nur übersetzt, geradezu überschwänglich hervor: [. . .] cuius scripti, in treis [sic!] divisi parties [sic!], primis tribus libris, amplissimi Chinarum imperii situs, provinciae, mores, religio, ritus, opes, reipublicae moderatio et regius dominatus aliaque id genus ad historicam expositionem pertinentia nominatim et distincte enarrantur, quod nemo eorum, quorum prius memini, aliorumue antehac praestitisse visus est.61
Henning, der der Historia – und damit auch seiner eigenen Übersetzung – zudem auch einen Wahrheitsgehalt attestiert, da sie mit den von ihm erwähnten Berichten über China größtenteils übereinstimme,62 begründet ihre einzigartige Stellung mit ihrer Qualität und hohen Informationsdichte, die kein anderer zuvor jemals geleistet habe. Darüber hinaus weist er auf ihren großen Nutzen (utilitas) und Genuss (oblectatio) für den Leser hin – was er insofern auch für seine Übersetzung einfordert.63 Mit Blick auf die von ihm selbst angefertigte und nun vorlegte Übersetzung erwähnt er, dass er eine deutsche Übersetzung – namentlich nennt er Johann Kellner nicht – ins Lateinische übersetzt und sich an die fides und die verba der deutschen Vorlage gehalten habe.64 Dabei verschweigt er nicht, dass er sich mitunter auch der italienischen Übersetzung bedienen musste, und zwar an den Stellen, wo von namentlich nicht näher erwähnten Italienisch-Kundigen Fehler in der deutschen Übersetzung bemerkt worden seien, die Henning allerdings als Druck- und nicht als
59 Vgl. Henning, »Widmungsbrief«, A3r/5. 60 Vgl. ebd., A3r/5–A3v/6. 61 Ebd., A3v/6: »[. . .] in den ersten drei Büchern dieses Werkes, welches in drei Teile geteilt ist, werden die Lage des außerordentlich gewaltigen Reiches der Chinesen, seine Provinzen, Sitten, sein Gottesglaube, die Gebräuche, Reichtümer, die Verwaltung des Staates, die königliche Herrschaft und anderes Derartiges, was sich auf eine historische Darstellung bezieht, namentlich und deutlich erzählt. Niemand von denen, die ich zuvor erwähnt habe, und von anderen scheint solch etwas zuvor geleistet zu haben.« 62 Vgl. ebd., A 4r/7–A 4v/8. 63 Vgl. ebd., A 5v/10. 64 Vgl. ebd., A5v/10.
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Übersetzungsfehler ausweist.65 Durch solche Bemerkungen profiliert sich Henning als umsichtiger Übersetzer und unterstreicht zugleich den inhaltlichen Wahrheitsanspruch seiner eigenen Arbeit. Er rückt seine Übersetzung auf diese Weise zugleich in Konkurrenz zur deutschen Übersetzung, die er aufgrund seiner akribischen Verbesserungen zumindest seinem Anspruch nach übertrifft. Vor diesem Hintergrund übernimmt seine Übersetzung, wie auch schon Kellners, gewissermaßen die Funktion, nicht nur Mendozas Werk zu vermitteln, sondern auch
65 Vgl. ebd. Es bleibt allerdings unklar, worauf genau er sich bezieht. Die chinesischen Schriftzeichen können es im Grunde nicht sein, da die Bezeichnung derjenigen, welche die errata festgestellt haben, also die Italici sermonis gnari, die italienische, nicht jedoch die chinesische Sprache miteinschließt. Dennoch sei hier zumindest die Randnotiz erlaubt, dass die drei einzigen chinesischen Schriftzeichen, die in Mendozas Werk überhaupt abgebildet sind (vgl. Teil I, Buch 3, Kap. 13: Mendoza, Histora de la China, G 4v/104–G 5r/105), in der deutschen Ausgabe völlig fehlen (vgl. Kellner, Eine neuwe, kurze, doch wahrhafftige Beschreibung, O iijr/125–O iijv/126; im Übrigen auch in der Ausgabe von Grießler [1992], 97), von Henning jedoch wieder aufgenommen werden (vgl. Henning, Nova et succincta, vera tamen Historia de China, N 4v/200 und N 5v/202), allerdings in fehlerhafter Reihenfolge der Schriftzeichen, wie aus Mendoza und Avanzo deutlich wird (vgl. dazu auch Avanzo: Dell’ Historia della China, F 7r/93–F 7v/94): Henning verwechselt die beiden ersten Schriftzeichen, von denen das erste ›Himmel‹ (= tian; Mendoza und sein italienischer Übersetzer nennen dieses Zeichen »guant«) und das zweite ›Herrscher‹ (= huang; Mendoza und sein italienischer Übersetzer nennen dieses Zeichen »bontay« bzw. »bontai«) bedeuten. Das dritte Schriftzeichen, das so viel wie ›Stadt‹ bedeutet (= fu; Mendoza und sein italienischer Übersetzer nennen das Schriftzeichen auch »fu« sowie »Leombi«), entspricht bei Henning dem, was auch Mendoza und Avanzo schreiben. Dass Mendozas Historia das erste abendländische Werk sei, das chinesische Schriftzeichen enthalte, behauptet nicht nur Grießler (vgl. Grießler [1992b], 20). Vgl. dagegen Lehner (2004), 13 f. (mit zahlreichen bibliographischen Hinweisen und einem expliziten Verweis auf Nachod [1923], 239 f.): »In Europa wurden chinesische Zeichen erstmals 1570 in einer in Coimbra erschienenen Sammlung von Jesuitenbriefen gedruckt. Diese von Oskar Nachod belegte Tatsache wurde von der Forschung danach nur selten berücksichtig. Lange Zeit wurde in der Literatur der Standpunkt vertreten, dass die ersten in Europa publizierten chinesischen Zeichen in der von Juan Gonzalez de Mendoza verfassten und erstmals 1585 in Rom publizierten Historia de las cosas más notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China enthalten gewesen wären. Wie Nachod nach einer Diskussion der widersprüchlichen Angaben darüber nachweisen konnte, wurden einige der 1570 veröffentlichten Schriftzeichen bereits in dem 1573 in Neapel und 1574 in Köln veröffentlichten Band Rerum a Societate Jesu in Oriente gestarum volumen wieder abgedruckt: Auch die in der Kölner Ausgabe abgedruckten Zeichen wurden bisweilen als die früheste Veröffentlichung chinesischer Zeichen in Europa bezeichnet. In der 1584 in Antwerpen publizierten Ausgabe von Abraham Ortelius’ Theatrum orbis terrarum erschienen die drei Schriftzeichen fu [. . .] (Präfektur, Stadt), tian [. . .] (Himmel) und huang [. . .] (Herrscher, Kaiser). Als Quelle wird ein von Bernardino de Escalante 1577 in Sevilla publiziertes Werk über den Verkehr zwischen Portugal und dem Osten Asiens genannt. Die von Ortelius benutzte Quelle dürfte auch Juan Gonzalez de Mendoza vorgelegen haben, der in seiner Historia im Abschnitt über die chinesische Schrift ebenfalls diese drei Schriftzeichen wiedergab. Wie Mendoza schrieb, konnten seine Angaben über die chinesische Schrift anhand der in der Bibliothek des Escorial und in der vatikanischen Bibliothek vorhandenen chinesischen Bücher überprüft werden.« Vgl. dazu auch die Erörterungen von Walravens [1993], 388, der als Quelle für die chinesischen Schriftzeichen in Mendozas Historia auf Escalante verweist.
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selbst über China zu berichten. Im Gegensatz zu Kellner lassen sich bei Henning allerdings keine zeitgenössischen Implikationen oder konfessionelle Lesarten feststellen. Vielmehr entzieht er das Werk möglichen konfessionellen Inanspruchnahmen, indem er es – und in diesem Sinne auch seine eigene Übersetzung – ›wissenschaftsgeschichtlich‹ einbettet und die Frage nach dem generellen europäischen Wissensstand über China aufwirft, um dabei zu dem Schluss zu kommen, dass gerade Mendozas Historia einen Höhepunkt darstellt, was Umfang und Genauigkeit betrifft.
4 Ergebnisse Mendozas Historia, die erstmalig 1585 veröffentlicht wurde und bis weit ins 17. Jahrhundert zahlreiche Neuauflagen erfuhr, konnte besonders durch ihre zahlreichen direkten sowie mehrstufigen Übersetzungen einen großen europäischen Erfolg verbuchen. Allein schon die Beobachtung, dass es in der frühneuzeitlichen Gelehrtenwelt solch unterschiedliche Formen von Übersetzungen gab, macht deutlich, dass die grundlegende Funktion von Übersetzungen in der Frühen Neuzeit zunächst darin besteht – und ihnen daher implizit auch immer die Möglichkeit zugeschrieben wird – , bestimmte Wissensbestände auch über mehrere Stufen hinweg ohne Informationsverlust neuen Aufnahmebereichen zu vermitteln. In diesem Akt werden diese Wissensbestände einer Aneignung unterzogen, die sich allerdings nicht allein in der jeweils neuen sprachlichen Kodifizierung niederschlägt, sondern auch in einer veränderten paratextuellen Kontextualisierung des übersetzten Werkes. Im Rahmen der hier fokussierten ersten deutschen und lateinischen Übersetzung der von Mendoza verfassten Historia, die beide im deutschsprachigen Raum entstanden, kommt der von Avanzo angefertigten italienischen Übersetzung eine besondere Rolle zu: Sie bildet die entscheidende Scharnierstelle für die Vermittlung und Aneignung originär spanischer Wissensbestände im deutschsprachigen Raum und fungiert somit als spezifischer Transformationsfilter. Die Aneignung wird also nicht in einem direkten Zugriff auf Mendozas Werk vollzogen, sondern über den Rückgriff auf eine bereits bestehende italienische Übersetzung. Insofern liegen in den Übersetzungen von Kellner und Henning Produkte mehrschichtiger Transformationsprozesse vor, die zugleich im festen Bezugsrahmen eines spanischdeutschen Kulturtransfers einzuordnen sind. So wird das Werk Mendozas, welches das Darstellungsobjekt ›China‹ bereits selbst transformiert, durch die Übersetzungen mehrschichtigen Transfer- und Aneignungsprozessen unterzogen und in neue Funktionszusammenhänge eingepasst, die eigenen spezifischen Impulsen folgen. Zugleich wird dabei aber auch China als originäres Darstellungsobjekt weiterhin mit transformiert.
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Abgesehen von der Zielsprache, die für die erfolgreiche Aneignung erforderlich ist und bereits Rückschlüsse auf den anvisierten Rezipientenkreis zulässt, sind es in der frühneuzeitlichen Gelehrtenwelt vor allem die Paratexte, die die übersetzten Wissensbestände einkapseln oder sogar deren eigentliche Entstehungskontexte und Ziele ignorieren und denen im Zuge kultureller Aneignungsprozesse die wichtige Funktion zukommt, Übersetzungen den spezifischen Bedingungen des Aufnahmebereichs entsprechend anzupassen und sie funktional zu konfigurieren. Lässt sich mit Blick auf Mendozas Historia aus dem Zusammenwirken der Paratexte in der spanischen wie auch in der italienischen Version noch eine christlich-missionarische Programmatik ausfindig machen, welche die Wissensbestände des von Mendoza vorgelegten Werkes dafür einspannt, zur erfolgreichen Missionierung ganz spezifische Kenntnisse über China zu vermitteln, so blenden die deutsche und lateinische Übersetzung diese Programmatik vollständig aus und bemühen sich um die Entwicklung eines jeweils eigenen Profils, das sich auch in der Auswahl des übersetzten Textes manifestiert. Dazu etablieren sie eigene paratextuelle Strategien, welche die Lektüre der übersetzten Historia funktionalisieren und legitimieren. Sowohl Kellner als auch Henning verorten Mendozas Bericht im Rahmen frühneuzeitlicher Reisberichte und schreiben ihm vor diesem Hintergrund eine herausragende Stellung zu mit der Begründung, dass dieser China bisher am detailliertesten und umfangreichsten beschrieben habe. Dass in der Frühen Neuzeit Übersetzungen solcher Texte, die den Textsorten der descriptio und historia zuzuschreiben sind, ebenfalls als solche Textsorten verstanden werden, zeigt sich auch im Fall der deutschen und lateinischen Übersetzung der Historia Mendozas: Insbesondere in den Paratexten der Übersetzungen werden Argumentationsstrategien entwickelt, um den originären Referenztext, weniger jedoch die jeweils eigene Übersetzung, autoritativ aufzuladen und in seinem Wahrheitsgehalt zu bestätigen und zu legitimieren. Die dem Referenztext zugeschriebenen Wahrheits- und Autoritätsansprüche werden dabei auf das eigene Übersetzungswerk übertragen. Kellner äußert in seinem Widmungsbrief darüber hinaus sehr kritische Töne, mit denen er sich in den zeitgenössischen Diskurs antispanischer und antikatholischer Polemik einordnet: Seine Kritik richtet sich dabei dezidiert gegen die spanische Praxis der Versklavung eroberter Völker wie auch gegen die schriftstellerische Darstellung solcher Grausamkeiten in Reiseberichten. Auf diese Weise bestätigt er ex negativo die exzeptionelle Stellung der Historia Mendozas sowie seiner eigenen Übersetzung. Henning dagegen, der sich in der Übersetzung grundsätzlich, aber nicht ausschließlich an Kellners Übersetzung orientiert, unterlässt solcherlei zeitgenössische Stellungnahmen und konzentriert sich in seiner Vorrede auf die ›wissenschaftsgeschichtliche‹ Einordnung der Historia Mendozas, indem er die Frage nach der Geschichte des Wissens über China ins Zentrum seiner Überlegungen stellt.
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Im Rahmen dieser kulturellen Aneignungsstrategien wird ein doppelter Referenzbereich erzeugt: Über die Schaltstelle der italienischen Übersetzung Avanzos wird Mendozas Werk durch die beiden Übersetzungen aus seiner christlichmissionarischen Funktionalisierung herausgelöst und im Kontext frühneuzeitlicher Reiseberichte eingebettet. Insofern bedienen Kellners und Hennings Übersetzungen ihrem Selbstverständnis nach gewissermaßen selbst die Textsorten der descriptio und historia und schreiben sich in den Diskurs zeitgenössischer Reiseliteratur ein. Auf der anderen Seite und damit unmittelbar zusammenhängend wird auch China als Darstellungsobjekt und zweite Bezugsebene in den jeweiligen Transformationsund Transferprozess mit einbezogen, allerdings stärker unter dem Gesichtspunkt der descriptio: Wie auch schon bei Mendoza und Avanzo avanciert es bei Kellner und Henning zum Kernobjekt des Interesses, ohne allerdings eine christlichmissionarische Anbindung zu erfahren. In Wechselwirkung damit wird auch der eigene Aufnahmebereich der Übersetzungen in ein jeweils reziprokes Verhältnis zu beiden Referenzebenen gerückt: Er erhält die Konturen eines jeweils interessierten und neugierigen, bei Kellner darüber hinaus auch sklavereikritischen Leserkreises. Möglicherweise spielen bei Letzterem auch konfessionelle Gründe eine Rolle, welche die Aneignungsstrategien ganz entscheidend mitprägen. Immerhin widmete Kellner seine Übersetzung seinem protestantischen Landesherrn, Georg I. Vor diesem Hintergrund ließen sich seine kritischen Töne auch als konfessionelle, antispanisch-katholische Lesart deuten. Zugleich macht Kellners Beispiel deutlich, dass frühneuzeitliche Prozesse von Kulturtransfer zwischen Spanien und Deutschland freilich auch über konfessionelle Grenzen hinweg verlaufen können, die es dann notwendig machen, neue Argumentations- und Legitimationsstrategien für die Lektüre der Historia zu entwickeln. Gerade darin zeigt sich das allelopoietische Potential von Paratexten, die ein jeweils neues und funktionales Gewand repräsentieren, mit dem sie das durch sie Eingekapselte neu einkleiden, um es in einen neuen Verstehenskontext zu rücken. Im Feld der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur wird im Akt der Übersetzung und Aneignung von Wissensbeständen, die wie Mendozas Historia in der ursprünglichen Textstufe den Textsorten der descriptio oder historia zuschreibbar sind, der Wahrheitsgehalt der übersetzten Wissensbestände aus dem originären Text abgeleitet und mitunter zusätzlich fundiert, um ihn auf die Übersetzung zu übertragen. Im Rahmen solcher kultureller Transferprozesse, die sich auch als mehrschichtige Transformationen gerieren können, sind frühneuzeitliche Übersetzungen daher immer auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Textsorten, denen die originären Texte entstammen, zu lesen, da sie das übersetzte Werke als solches, aber eben auch die darin enthaltenen Wissensbestände selbst vermitteln. Insofern scheinen sie die Textsorten, die sie übersetzen, auch selbst zu imitieren.
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Henning, Markus, Nova et succincta, vera tamen Historia de amplissimo potentissimoque nostro quidem orbi hactenus incognito sed perpaucis abhinc annis explorato Regno China. . .Ex Hispanica primum in Italicam, inde in Germanicam, ex hac demum in Latinam linguam conversa, Frankfurt am Main: Sigismund Feyrabend 1591. Ders., »Illustri et generoso Domino Antonio Fuggero, Baroni Kirchbergio & Vveissenhornio, & c. sereniß[imo] Archiduci Austriae, & c. Ferdinando, a consilijs, literarum & literatorum Maecenati obseruando S.D.«, in: ebd., A 2r/3–A 7v/14. (= Henning, Widmungsbrief 1591) Mendoza, Juan Gonzalez de, »Ioannis Consalui Mendozae Praefatio ad Lectorem«, in: ebd., A 8r/15–B 2r/19. Ders., »Elenchus Capititum, Historiae Regni Chinarum«, in: ebd., B 2v/20–B 4v/24. Kellner, Johann, Eine neuwe, kurze, doch wahrhafftige Beschreibung deß gar Großmächtigen weitbegriffenen, bißhero unbekandten Königreichs China. . .bey ganß neuwlichen Jahren erkündigt, hernach in hispanischer Sprach beschrieben, auß derselbigen in die Italianische vund nunmehr in Hochteutsch gebracht, Frankfurt am Main: Sigismund Feyrabend 1589. Ders., »Dem Durchleuchtigen hochgebornen Fürsten und Herrn / Herrn Georgen Landgraven zu Hessen, Graven zu Catzenelenbogen, Dietz, Ziegenhain und Nida & c. Meinem gnädigen Fürsten und Herrn«, in: ebd., )?( iir–(?)r. (= Kellner, Widmungsbrief 1589) Mendoza, Juan Gonzalez de, »Johann von Mendoza an den günstigen Leser«, in: ebd. (?)v–(?) iijr. Ders., »Register unnd Inhalt der Capitel dieser Historien von dem Königreich China«, in: ebd. (?) iijv–(?) iiijv. Mendoza, Juan Gonzalez de, Historia de las cosas mas notables, ritos y costumbres del gran Reyno dela China fabidas assi por los libros delos mesmos Chinas, como por relacion de Reliosos y otras personas que an estado en el dicho Reyno. Hechay ordenada por el muy R. P. Maestro Fr. Ioan Gonzalez de Mendoca dela Orden de S. Agustin, y penitenciario Appostolico a quien la Magestad Catholica embio con su real certa y otras cosas para el Rey de aquel Reyno el anno 1580 [. . .] Con un Itinerario del nueuo Mundo, Rom: Bartolomeo Grassi 1585. Gualteruzzi, Giovanni Tommasio, »Sixtus Papa V. Dilecto filio Ioanni Gonçalez de Mendoça presbytero, ordinem Sancto Augustini Haeremitarum expresse professo: & Magistro in Theologia«, in: ebd., ( 2r–v. Mendoza, Juan Gonzalez de, »Al Illustrissimo Señor Fernando De Vega y Fonseca mi Señor, Del consejo de su Magestad, y supresidente en el Real delas Indias«, in: ebd., ( 3r–( 5r. Ders., »Al Lector«, in: ebd., ( 5v. (=Mendoza, Al Lector I) Ders., »Al Lector«, in: ebd. ( 6r–( 7v. (=Mendoza, Al Lector II) Ders., »Soneto de . . . en la Reduçion del Reyno dela China ala Iglesia Catholica«, in: ebd. ( 8r–v. Ders., »Memorial delos capitulos que en estos seis libros se contienen«, in: ebd., (( [1]r–(( 7r.
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Susanne Müller-Bechtel
Antikenrezeption im akademischen Aktstudium Zu transformativen Prozessen im transnationalen Umfeld von Anton Raphael Mengs und Francisco Preciado de la Vega in Rom Abstract: The article focuses on the transformative potential of the artistic task academic nude. The protagonists are Spanish and German professors and students at the Accademia del Nudo in Rome between about 1750 and 1800. Based on selected case studies, the article separates the numerous transformative processes in the reception of antiquity during drawing academic nudes step by step. The observed complexity is compounded by the fact that, as a further level of reception, not only the antique sculptures as such were a reference for the artists, but also the new masters who confirm the status of the chosen model to be a reference. Their complexity makes the often-tried identification of only a single reference difficult. The figures of the transformative can be recognized in the personnel of the setting (the draftsmen and the nude models) and in the media (the drawn academic nudes and the ancient sculptures as their models).
1 Einführung: Thema und Fragestellung Der vorliegende Beitrag fokussiert das transformative Potenzial der bislang wenig erforschten künstlerischen Aufgabe akademische Aktstudie, die in Gemeinschaft, häufig im offiziellen Rahmen an einer Akademie, praktiziert wurde.1 Dabei stellt bereits die frühneuzeitliche (Kunst-)Akademie ein wichtiges Motiv der Transformation der Antike dar.2 Die künstlerische Aufgabe der Darstellung des lebenden Menschen 1 Zu Beginn meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem transformativen Potenzial der akademischen Aktstudie waren folgende Titel grundlegend zur akademischen Aktstudie: Rubin (1977), Bowron (1993), Froitzheim (1994), Knofler/Weiermair (2000), stets exemplarisch zu ausgewählten Beständen. Ergebnis meiner Forschungen über die künstlerische Aufgabe akademische Aktstudie ist eine breiter angelegte, problemorientierte Untersuchung mit Schwerpunkten in Rom, Paris und an den deutschsprachigen Akademien, Manuskript der Habil.-Schrift: MüllerBechtel (2015), Publikation: Müller-Bechtel (2018). Der vorliegende Beitrag und die Forschungen im Rahmen der Habil.-Schrift haben sich gegenseitig befruchtet, wurden aber eigenständig weiterentwickelt, so dass hier auf entsprechende Kapitel verwiesen, aber auf ein kleinteiliges buchstabengetreues Zitieren verzichtet wird. 2 Marsilio Ficino griff bei seiner Idee eines philosophischen Zirkels namens Achademia auf die geläufige Bezeichnung für Platons Philosophenschule zurück. Dessen ἀκαδεμέια war nach dem gleichnamigen Bezirk in Athen benannt worden, vgl. Pevsner (1986), 23–28. Im 16. Jahrhundert https://doi.org/10.1515/9783110651997-006
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Susanne Müller-Bechtel
in der nach dem nackten Modell gezeichneten Aktstudie hatte sich in der Frühen Neuzeit zur höchsten Qualifikation ausgebildet, die sich ein Künstler erwerben konnte.3 Zeichnung generell galt seit dem 16. Jahrhundert als intellektuellste der Künste.4 Sie kann als bequem handhabbares und einfach verfügbares Medium aufgefasst werden, das Beobachtungen und Kenntnisse übertragen, Wissen generieren und stabilisieren kann.5 Spätestens seit dem 15. Jahrhundert wurde das Medium Zeichnung für rezeptive und transformative Prozesse genutzt. Zahllose berühmte und weniger bekannte Künstler, explizit genannt seien Pisanello, Maarten van Heemskerck und Peter Paul Rubens, wählten antike Werke als Gegenstand von Studienzeichnungen.6 Der vielerorts geübten Praxis, im Aktstudium Modelle in Posen von vorbildlichen Antiken zu stellen, wurde allerdings von der kunsthistorischen Forschung zur künstlerischen Rezeption und Aneignung der Antike bislang kaum Bedeutung beigemessen. Diese Praxis steht im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags.
2 Die Protagonisten des transnationalen Aktstudiums in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und ihr historisches Umfeld Protagonisten des Beitrags sind die spanischen und deutschen Professoren und Schüler an der römischen Accademia del Nudo auf dem Kapitol in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.7 Der Accademia del Nudo, einem über die Grenzen Roms überaus renommierten Ort, kann man mit gutem Recht als Begegnungsstätte der Künstler das Beiwort transnational zugestehen. Deutsche und Spanier arbeiteten und studierten in denselben Strukturen wie ihre italienischen, französischen,
übernahmen auch die Künstler die Bezeichnung, um zu zeigen, dass sie mit der Kunst eine Wissenschaft betreiben und kein Handwerk. Die als »Akademie« bezeichnete gelehrte Gesellschaft diente zum einen der zunftunabhängigen Organisation der Künstler und zum anderen der intellektuellen Ausbildung des Künstlernachwuchses im Zeichnen, während die praktische Ausbildung in den Werkstätten verblieb. Zur Entwicklung der Kunstakademien im 16. Jahrhundert in Italien vgl. Pevsner (1986), 39–75. 3 Bereits die Kunsttheorie des 15. und 16. Jahrhunderts formuliert die hohen Anforderungen an die überzeugende Darstellung von Bewegung, vgl. Michels (1988), 1. 4 Vgl. z. B. die Definitionen von disegno bei den Künstlern und Kunsttheoretikern Giorgio Vasari und Federico Zuccari, vgl. Kemp (1974). 5 Vgl. Wittmann (2012), 140. 6 Aus der umfassenden Literatur zum Thema seien hervorgehoben: Winner (1967), Campbell/Carlson (1993), van der Meulen (1994/1995), Bartsch/Seiler (2012). 7 Zu deutschen Künstlern in Rom im (späteren) 18. Jahrhundert vgl. Noack (1907), Chiarini/Hinderer (2006), zu spanischen Künstlern in Rom Cánovas del Castillo (1989), Pirzio Biroli Stefanelli (2003), Urrea Fernández (2006), De la Cruz Alcañiz/García Sánchez (2009).
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englischen, portugiesischen oder russischen Zeitgenossen, weshalb eine konsequente Beschränkung auf Aktstudien aus deutscher oder spanischer Hand für meinen Zweck nicht immer notwendig erscheint. Im Kontext der Frage nach den Beziehungen zwischen Spaniern und Deutschen ist der Umstand bedeutsam, dass Rom für beide Parteien einen exterritorialen Ort darstellte. Rom bot in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der päpstlichen Accademia del Nudo, der Accademia di Francia und mindestens zehn verschiedenen Privatakademien unübertroffene Chancen dazu, das lebende Modell zu studieren.8 Das lebende Modell meint dabei immer das männliche Modell, weil im Kirchenstaat während des 18. Jahrhunderts das Studium nach dem weiblichen Modell untersagt war.9 Für spanische Künstler waren diese Bedingungen trotz aller Einschränkung exzeptionell, denn in ihrer Heimat hatte die Kirche im Jahr 1747 generell das gemeinschaftliche Zeichnen nach dem nackten Modell verboten.10 Dieses Verbot störte in Spanien das Ausüben von Kunst im wissenschaftlichen Sinn des Erforschens der sachlichkünstlerischen Möglichkeiten in der Darstellung des Menschen massiv.11 Zudem wurden die institutionellen Fundamente für eine systematische Künstlerausbildung in Spanien erst mit den Akademiegründungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelegt.12 Doch auch die deutschen Künstler profitierten im Vergleich zu einer Ausbildung zuhause von einem Aufenthalt in Rom.13 Die Biografien zahlloser Künstler unterschiedlichster Herkunft belegen die Bedeutung eines Studienaufenthaltes in Rom für deren Karriere.14
8 Zur zeitgenössischen Praxis des Zeichnens in Rom im 18. Jahrhundert Percy (2000). Zur Praxis des Aktstudiums in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. Müller-Bechtel (2018), Kap. 4. Zu Rom als Ort transnationaler Künstlerausbildung Müller-Bechtel (in Vorbereitung, a), zu den Privatakademien in Rom im späteren Settecento Bowron (1993), zur römischen Akademie Preciados de la Vega vgl. de la Cruz Alcañiz/García Sánchez (2009), zur Privatakademie des Schweizers Alexander Trippel, einer beliebten Anlaufstelle der deutschsprachigen Künstler im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, Müller-Bechtel (2013a). 9 Barroero (1998), 367. 10 Bédat (1973), 61, Roettgen (2003), 262. 11 Zum Verständnis des Aktstudiums als wissenschaftliche Praxis Müller-Bechtel (2015), MüllerBechtel (2018), Kap. 4.7 und 4.9, sowie Müller-Bechtel (in Vorbereitung, b). 12 Die königliche Akademie in Madrid wurde 1752 gegründet, die königliche Akademie in Neapel 1755, in Abhängigkeit von Madrid entstanden zudem Akademien in Valencia (1753), Barcelona (1775), Saragossa (1778), Valladolid (1779) und Cádiz (1789), vgl. Pevsner (1986), 144 f. Zu Malerakademien im Spanien des 17. Jahrhunderts vgl. Brown (1989). 13 Im deutschsprachigen Raum gab es im 18. Jahrhundert in Augsburg, Berlin, Dresden, Nürnberg und Wien öffentliche Akademien mit institutionalisiertem Aktstudium, die aus privaten Künstlerkreisen hervorgegangen waren. An anderen Orten wurden vergleichbare private Zirkel erst im Laufe des 18. Jahrhunderts öffentlich anerkannt. Während der Aufklärung gründeten viele deutsche Landesherren neue Anstalten. Vgl. Pevsner (1986), 119–127, 143–145, Mai (2010), 40–77. 14 Exemplarisch sei hier auf die von Hollweg (2008), 234–243, skizzierten Lebenswege der spanischen Künstler verwiesen, die in Rom Privatschüler von Anton Raphael Mengs waren.
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Die von der Accademia di San Luca verwaltete Accademia del Nudo, intern auch Scuola del Nudo genannt, gründete Papst Benedikt XIV. im Jahr 1754.15 Der Standort der päpstlichen Zeichenschule, das Kapitol, war programmatisch gewählt, denn die beiden dort angesiedelten Museen, das Museum für die antiken Statuen und die Pinacoteca Capitolina, boten den jungen Künstlern die als geeignet anerkannten Vorbilder.16 In besagter Scuola del Nudo hatten die Mitglieder der Akademie und der internationale Künstlernachwuchs die Gelegenheit, kostenlos in Gemeinschaft das männliche Modell zu studieren.17 Die päpstliche Zeichenschule war anders als zeitgenössische Akademien allein dem Studium des Menschen am lebenden Modell gewidmet.18 Aus der Riege der in der Accademia di San Luca organisierten Künstler wählte man geeignete Akademiker als Professoren. Ein monatliches Alternieren der Professoren sollte den Schülern eine breite Kenntnis verschiedener künstlerischer Positionen sichern und die Ausrichtung an einem einzigen Meister und dessen Manier verhindern. Das Register der Preisträger bei den regelmäßig ausgetragenen Wettbewerben überliefert neben den Namen der erfolgreichen Künstler auch diejenigen der Professoren, die für die Pose des jeweiligen Wettbewerbes und somit für das monatliche Aktstudium verantwortlich zeichneten.19 Die Spanier unter den berufenen Professoren hören auf die Namen Francisco Preciado de la Vega aus Sevilla (1712–1789) und Francisco Vergara Bartual (1713–1761) aus L’Alcúdia (Valencia), die Deutschen auf Anton Raphael Mengs (1728–1779), geboren in Aussig bei Dresden, und Anton von Maron aus Wien (1731–1808).20 Der Bildhauer Francisco Vergara Bartual zählt zu der Gruppe der erstberufenen Professoren der Accademia del Nudo. Sein Wirken als Professor an der Scuola del Nudo wie in der Organisation der Accademia di San Luca konnte sich durch seinen frühen Tod im Jahr 1761 nur wenig entfalten.21 Gut sind wir über seinen Landsmann Francisco Preciado de la Vega informiert. Dieser hatte bereits beim Concorso Clementino des Jahres 1738 15 Zur Gründungsgeschichte Barroero (1998), Müller-Bechtel (2018), Kap. 4.2. 16 MacDonald (1989), 77, verweist zudem darauf, dass für die Künstler der Zugang zu den kapitolinischen Museen wesentlich einfacher gegeben war als zu den privaten Sammlungen der Stadt Rom bzw. zu den vatikanischen Sammlungen. 17 Die Modellsitzungen fanden von Oktober bis Januar und von März bis August täglich (außer sonntags) statt und dauerten jeweils zwei Stunden. Zu den praktischen Aspekten Pietrangeli (1959), 125, MacDonald (1989), 78. 18 An den Akademien in Berlin, Paris etc. praktizierte man ein umfangreiches Lehrprogramm: Zeichnen nach zwei- und dreidimensionalen Vorlagen, Zeichnen nach der Natur, Studium von Hilfswissenschaften wie Anatomie, Geometrie, Perspektive, vgl. u. a. Rubin (1977), 19–26, Pevsner (1986), 100 f., Roland Michel (1987), 50–69, Mai (2010), 35–37, Müller-Bechtel (2018), Kap. 3.2. 19 Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Registro di antichi premiati d 1754 a 1848 (Scuola Nudo). 20 Zu allen vier Künstlern liegen Monografien vor: Alonso Sánchez (1961), Ferri Chulio (1997), Ferri Chulio (2005), Rodríguez G. de Ceballos (2009), Roettgen (1999), Roettgen (2003), Schmittmann (2013). 21 Vgl. Cánovas del Castillo (1989), 172–174.
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erfolgreich auf sich aufmerksam machen können.22 Seit 1757 gehörte er zur Riege der Professoren. Allerdings konnte seine Rolle bei der Gründung der Accademia del Nudo noch nicht geklärt werden; er selbst beansprucht im Vorwort seines Traktats Arcadia pictoria, zu den Gründungsvätern der päpstlichen Zeichenschule zu zählen.23 Preciado jedenfalls engagierte sich nachweislich sehr stark beim akademischen Unterricht.24 Mengs muss man in der Konstellation der Beziehungen zwischen Deutschen und Spaniern eine nicht unumstrittene Sonderposition zugestehen. Seit 1751 Oberhofmaler am sächsisch-polnischen Hof wirkte er ab 1761 ebenfalls als Hofmaler am spanischen Hof in Madrid.25 Weil sich die Professoren an der Akademie bei der Betreuung des Aktstudiums monatlich abwechselten, hatten die Akademieschüler in der Regel jeweils einen Akademiker als feste Bezugsperson außerhalb der Akademie. Mengs bot als sächsischer und spanischer Hofmaler sowohl Deutschen wie Spaniern eine willkommene, aber auch nicht unangefochtene Anlaufstelle.26 Er hatte mit dem spanischen König Karl III. (1716–1788, reg. 1759–1788) vereinbart, junge spanische Künstler in Rom nach den dortigen Maßstäben in einer Art Privatakademie auszubilden.27 Sein Engagement für eine offizielle spanische Akademie in Rom muss Preciado als Düpierung empfunden haben.28 Nach Mengs’ Tod diskutierte man, ob Anton von Maron die Mentorschaft für die spanischen Künstler übernehmen sollte, entschied sich jedoch für Preciado; letztendlich gingen diese privaten Schüler eigene Wege.29 Preciado wäre durchaus der geeignete Mann gewesen, verantwortete er doch schon seit 1758 die Betreuung der spanischen Pensionäre der Real Academia de las Tres Nobles Artes de San Fernando 22 Francisco Preciado de la Vega, Das Martyrium der sieben Makkabäer, Rötel, weiß gehöht, 510 (545) × 735 (780) mm, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: A.345, Cipriani/Valeriani (1989), 199, 204, Kat. Nr. A.345. 23 Roettgen (2003), 337, Anm. 222, Schmittmann (2013), 205. 24 Im Register der Preisträger sind die Zeiten nachgewiesen, in denen die Akademiker den Unterricht im Aktsaal verantworteten: Francisco Vergara Bartual leitete das Aktstudium nachweislich im Januar 1755, im Juli 1756, im Juli 1757, im März 1758, im September 1759 und noch einmal im September 1760, Anton Raphael Mengs übernahm die Aufgabe im März 1755, im Dezember 1757, im Dezember 1760 und im März 1771 (Die große Lücke erklärt sich durch seine Tätigkeit am Hof in Madrid in den Jahren 1761 bis 1769 und die Rückreise über die Etappen Genua, Parma und Florenz in den Jahren 1770 und 1771, vgl. Roettgen [2003].), Francisco Preciado de la Vega dagegen im November 1757, im April 1760, dann im März und September 1768, im März 1769 sowie jeweils im März der Jahre 1773, 1774, 1776, 1779, 1780, 1782 und 1783. – Das Verzeichnis vermerkt die Preisträger der Wettbewerbe und die Verantwortlichen der Pose. Die Quellenlage verschlechtert sich deutlich durch den pragmatischen Wechsel von einem monatlichen Rhythmus der Wettbewerbe zu einem halbjährlichen, mit dem im Register der wohl weiterhin bestehende monatliche Wechsel der Professoren keine Berücksichtigung findet. Vgl. Müller-Bechtel (2018), Kap. 4.2. 25 Vgl. Roettgen (2003), 98–101 und 217–227. 26 Vgl. ebd., 411–415, die Liste der Schüler von Mengs. 27 Vgl. Hollweg (2008), 221–223. 28 Ebd. 29 Ebd., 232–244.
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in Madrid, die zu Studienaufenthalten nach Rom kamen.30 Maron zählte dagegen zur deutschsprachigen Schülerschaft von Mengs und konnte im Wettbewerb der Scuola del Nudo des Jahres 1755 die Jury von seinem Können überzeugen; ab 1781 gehörte er dann der Professorenschaft der Accademia del Nudo an.31 Von seiner besonderen Begabung für das Porträtfach profitierte auch die Accademia di San Luca, für deren Porträtgalerie Maron eine Reihe von Bildnissen fertigte.32 Maron wiederum ließ sich vermutlich bei seinen Plänen zur Errichtung eines »österreichischen Kunstpensionats in Rom« von Preciado beraten.33 Zu den im genannten Register aufgeführten Preisträgern der Scuola del Nudo34 zählen unter anderem Juan Adán,35 Antonio Carnicero,36 Isidro Carnicero,37 Gabriel 30 Zu Preciado und den pensionados vgl. Alonso Sánchez (1961), De la Cruz Alcañiz/García Sánchez (2009). Alonso Sánchez (1961), 31, listet für den Zeitraum zwischen 1747 und 1789 folgende Namen: Francisco Preciado de la Vega (Maler, Direktor), außerdem als Maler Domingo Alvarez [sic], José Camarón, José del Castillo, Agustín Navarro, Antonio González Velázquez, als Bildhauer Isidro Carnicero, Jaime Folch, José Guerra, Francisco Gutiérrez, Antonio Primo und Francisco Vergara sowie als Architekten Guillermo Casanova, Miguel Fernández, Ignacio Haan, José de Hermosilla, Domingo Lois de Monteagudo und Juan de Villanueva. Als pensionades extraordinarios werden dort zudem die Maler Francisco Agustín, Alejandro de la Cruz, Gabriel Durán, Carlos Espinosa, José Galón, Salvador Maella, Antonio Martínez, Manuel Nápoli, Francisco Javier Ramos und Ventura Salesa angeführt sowie die Bildhauer Juan Adán, Manuel Eraso und Juan Pérez de Castro. 31 Die Preiszeichnung hat sich im Archiv der Akademie in Rom nicht erhalten. Aus dem Register der Preisträger der Scuola del Nudo geht hervor, dass Anton von Maron das Aktstudium jeweils im März der Jahre 1781, 1784, 1788 und 1790 leitete. 32 Vgl. Schmittmann (2013), 70–77. Zu Marons Bildnis von Preciado (1767?) s. ebd., 204–206 (Kat. Nr. 47). 33 Vgl. ebd., 45–48. 34 Die Schreibweise der Namen ist im Register jeweils der italienischen Sprache angepasst, eine Rückübersetzung ist nicht immer einfach. 35 Juan Adán, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells, nach vorne gebeugt, interpretiert als Christus an der Geißelsäule, Preiszeichnung Wettbewerb März 1768, 1. Klasse, 2. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht 550 × 405 mm, bez.: Guane Adamo Spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.178, Cánovas del Castillo (1989), 163, 192 (Abb. 1). 36 Antonio Carnicero, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells nach rechts in der Haltung des Neptun Montalto von Bernini, Preiszeichnung Wettbewerb September 1763, 2. Klasse, 1. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 520 × 400 mm, bez.: Primo Premio della Secunda Classe Antonio Carnizzero spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.133, Cánovas del Castillo (1989), 177, 197 (Abb. 17 [fälschlich als Blatt von Manuel Eraso, vgl. Anm. 39, publiziert]), Müller-Bechtel (2018), 427, Kat. 96. Ders., Aktstudie eines stehenden männlichen Modells nach links in der Pose eines Geißelknechtes, Preiszeichnung Wettbewerb September 1764, 1. Klasse, 1.Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 500 × 400 mm, bez.: Primo Classe Primo Antonio Carnizero Spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.143, Cánovas del Castillo (1989), 177, 196 (Abb. 13). 37 Isidro Carnicero, Aktstudie eines lagernden männlichen Modells mit überkreuzten Beinen, die Rechte erhoben, Preiszeichnung Wettbewerb März 1765, 1. Klasse, 1. Preis, Rötel, weiß gehöht, bez.: 1.a Classe Primo Premio Isidoro Carnizèro spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.149, Cánovas del Castillo (1989), 165 f., 192 (Abb. 3).
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Durán,38 Manuel Eraso,39 Mariano Salvador (Maella) und Antonio Primo40 aus Spanien sowie Giuseppe Alores aus Portugal. Aus dem süditalienischen Raum kommen außerdem Antonio Guastaferro, Vincenzo Cannizzaro aus Reggio Calabria, Giovanni Battista Turrisi aus Palermo und Leopoldo Stile aus Neapel. Unter den deutschsprachigen Schülern reüssierten Josef Degle(r), Christoph Fesel, Johann Hoffnass, Dominik Kindermann, Martin Knoller,41 August Nahl, Joseph Schöpf, und der bereits erwähnte Anton von Maron.
38 Gabriel Durán, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells, in Schrägansicht nach rechts, die Beine überschlagen, in Denkerpose, Preiszeichnung Wettbewerb September 1762, 2. Klasse, 2. Preis, schwarze Kreide, 500 × 390 mm, bez.: Segondo Premio de la seconda Clase Gavriel Duran Spagnuolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.123, Cánovas del Castillo (1989), 178, 196 (Abb. 14). Ders., Aktstudie eines lagernden männlichen Modells mit überkreuzten Beinen, die Rechte erhoben, Preiszeichnung Wettbewerb März 1765, 2. Klasse, 2. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 370 × 450 mm, bez.: 2.a Classe secondo Premio Gabriele Durán spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.152, Cánovas del Castillo (1989), 178, 196 (Abb. 15). Ders., Aktstudie eines stehenden männlichen Modells en face, in der Pose eines Ecce homo, Preiszeichnung Wettbewerb März 1767, 1. Klasse, 1. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 565 × 435 mm, bez.: Gabriel Durán Spagñolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.166, Cánovas del Castillo (1989), 178, 196 (Abb. 16). 39 Manuel Eraso, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells nach rechts in der Haltung des Neptun Montalto von Bernini, Preiszeichnung Wettbewerb September 1763, 1. Klasse, 1. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 560 × 385 mm, bez.: Primo Premio della Prima Classe Emanuele Eraso spagnuolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.131, Cánovas del Castillo (1989), 180, 196 (Abb. 12 [fälschlich als Blatt von Antonio Carnicero, s. Anm. 36, publiziert]), Müller-Bechtel (2018), 435, Kat. 135. 40 Antonio Primo, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells, die Hände am Rücken gebunden, interpretiert als Christus an der Geißelsäule, Preiszeichnung Wettbewerb März/April 1764, 2. Klasse, 2. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 525 × 385 mm, bez.: 2.a Classe secondo Premio Antonio Primo Spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.140, Cánovas del Castillo (1989), 169 f., 194 (Abb. 6). Ders., Aktstudie eines lagernden männlichen Modells mit überkreuzten Beinen, die Rechte erhoben, Preiszeichnung Wettbewerb März 1765, 3. Klasse, 2. Preis, schwarze Kreide, weiß gehöht, 380 × 525 mm, bez.: 3.a Classe Secondo Premio Antonio Primo Spagnolo, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.154, Cánovas del Castillo (1989), 170, 194 (Abb. 7), Müller-Bechtel (2018), 451, Kat. 224. 41 Martin Knoller, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells als Ecce homo, Preiszeichnung Wettbewerb März 1763, 2. Klasse, 2. Preis, schwarze Kreide, 570 × 435 mm, bez.: Secondo Premio nella seconda Classe Martino Knoller Tirolese, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.129, Baumgartl (2004), 24 (Abb.), 307 (Kat. Nr. Z-x 1), Müller-Bechtel (2018), 441, Kat. 170.
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3 Zur transformativen Praxis des akademischen Aktstudiums Von der Praxis des Aktstudiums zeugen aus erster Hand ihre Resultate, die Aktstudien, und zwar sowohl von Schüler- wie von Lehrerhand (Abb. 1, 4, 6, 9–11). Akademische Aktstudien des 18. Jahrhunderts zeigen üblicherweise das männliche Modell als ganze Figur in einem ausformulierten Zusammenspiel von Kontur und Schraffur.42 Sie vergegenwärtigen sicher am augenscheinlichsten, in welch hohem Maß die akademisch gelehrten Künstler die Wissenschaft der Darstellung des menschlichen Körpers beherrschten. Für die Präsentation der akademischen Aktstudie und ihres transformativen Potenzials schöpfe ich unter anderem aus dem reichen Bestand an Preiszeichnungen der Scuola del Nudo der Accademia di San Luca aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.43 Dieser durchaus bemerkenswerte Bestand erlaubt die gezielte Betrachtung der Studien, die den Maßstäben genügten. Die Sammel- und Archivierungspraktiken bedingen zugleich, dass der Quellenbestand vergleichsweise klein ist, denn man verwahrte nur die Preiszeichnungen, also nur einen Bruchteil der Studien, die im Rahmen des Aktstudiums an der Accademia del Nudo überhaupt entstanden sind. Trotz dieser Einschränkungen muss man sich um die Sichtung, Analyse und Interpretation der erhaltenen Zeichnungen bemühen, um die künstlerischen Prozesse beim Aktstudium kennenlernen zu können. Es ist schwer einzuschätzen, welches Schicksal die Zeichnungen ereilte, die nicht ausgezeichnet und archiviert wurden. Anzunehmen ist, dass die Palette der Möglichkeiten vom Bewahren für nachfolgende Generationen bis zur Zerstörung reicht.44 Doch auch den Zeichnungen der Professoren war nicht 42 Zur Wiedergabe der ganzen Figur in einer vollständig ausgeführten Zeichnung vgl. MüllerBechtel (2013a). Die Wahl des männlichen Modells hat wohl neben theologischen (Adam als Ebenbild Gottes) und moralischen auch medizinhistorische Gründe (der Mann als universeller Mensch). Zur Geschichte der Medizin und ihrem Verhältnis zu den Geschlechtern vgl. Laqueur (1992). 43 Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni. Der bislang vorwiegend unpublizierte Bestand an Preiszeichnungen der Scuola del Nudo umfasst für den Zeitraum zwischen 1754 und 1800 etwa 500 Akt- und Draperiestudien. Einige Zeichnungen der spanischen Preisträger sind publiziert, vgl. Cánovas del Castillo (1989), Müller-Bechtel (2018). 44 Einen besonders interessanten Fall möchte ich hier im Exkurs diskutieren, vgl. Müller-Bechtel (2018), 197–200, sowie Müller-Bechtel (in Vorbereitung, a): Die Universidad de Sevilla besitzt eine anonyme Aktstudie eines stehenden männlichen Modells, Rötel, 515 × 340 mm, Colección Dibujos Académicos, Inv. Nr.: 101220, Müller-Bechtel (2018), 419, Kat. 54, die ebenso wie die Aktstudie von Domingo Álvarez, Rötel, weiß gehöht, 564 × 425mm, bez.: Domingo Albarez (Álvarez) 1759, Madrid, Biblioteca Complutense, Colección Dibujos antiguos, Inv. Nr.: 1877, Müller-Bechtel (2018), 413, Kat. 2, auffällige Ähnlichkeit mit der Serie von Aktstudien des Dezemberwettbewerbs von 1759 der Accademia del Nudo mit den Preisträgern Nathaniel Dance, Johann Hoffnass und Pietro Paolo Panci aufweist (Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B. 95–97, Müller-Bechtel [2018], Kat. 120, 156, 210; zu Nathaniel Dance vgl. MacDonald [1989]): Das Modell hat seinen rechten Fuß auf ein niedriges Podest vor sich gestellt und hält sich mit seinem rechten Arm am Zweig eines Baumes fest, der Kopf ist geneigt und an den angewinkelten linken Arm gelegt,
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Abb. 1: Francisco Vergara Bartual, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells nach links, 1749. © Universidad de Sevilla, Patrimonio Histórico-Artístico, Inv. Nr.: 101216.
der den rechten Arm auf Höhe des Ellenbogens fasst. Der Rumpf ist links gebeugt, während das Einhalten des rechten Armes eine Streckung rechts provoziert. Ich möchte hier auf die enge Verwandtschaft der anonymen Aktstudie in Sevilla mit den Preiszeichnungen des Wettbewerbs vom Dezember 1759 und der in dasselbe Jahr datierten Aktstudie von Domingo Álvarez in Madrid hinweisen und einen direkten gemeinsamen Entstehungskontext vorschlagen. Die Pose, die Pompeo Batoni für diesen Wettbewerb stellte, gehört nicht zu den prominenten und weit verbreiteten Posen, deren Herkunft wegen ihrer Häufigkeit schwer einzugrenzen ist. Aufgrund der Übereinstimmungen in der Pose würde ich dafür plädieren, die beiden genannten Blätter in Madrid und Sevilla ebenfalls der Sitzung des Wettbewerbs im Dezember 1759 in Rom an der Accademia del Nudo zuzuordnen. Die Aktstudien in den beiden spanischen Sammlungen gelangten wohl über ihre Zeichner in deren Heimat.
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immer ein glückliches Schicksal vergönnt.45 Die Wege in heutige Sammlungen sind vielfältig: Einige Aktstudien von Vergara sind nach Madrid, andere nach Sevilla (Abb. 1)46 und nach Valencia gelangt.47 Manch ein Blatt von Mengs kam aus dem Besitz seines Schülers Philipp Jakob Becker in die Kunsthalle Karlsruhe, andere nach Darmstadt oder Würzburg.48 Einige der Aktstudien von Maron haben sich in der Biblioteca Comunale in Fermo erhalten.49 Aktstudien von Preciado sind, soweit ich Einblick gewinnen konnte, in der Forschung nicht bekannt. Die Forschung zum akademischen Aktstudium steht noch an ihrem Anfang, es gilt noch viele Bestände zu sichten und zu heben. Vor der Untersuchung des transformativen Potenzials von Aktstudien seien noch kurz ihre Entstehungsbedingungen betrachtet. Einen gewissen Einblick in die Praxis des akademischen Aktstudiums erlauben visuelle Schilderungen des Aktsaals. Als einziges bekanntes Bilddokument, das die Praxis an der römischen Akademie zeigt, hat sich eine Medaille erhalten, die den Preisträgern der Scuola del Nudo verliehen wurde.50 Die mit dem Schriftzug SCHOLA PICTORUM CAPITOLINA versehene Rückseite zeigt eine vereinfachende Darstellung eines Aktsaals mit Modell und Zeichnern.
45 So wurde beispielsweise die im März 1755 zu datierende Aktstudie eines liegenden männlichen Modells in der Pose eines toten Christus von Anton Raphael Mengs in der Accademia Ligustica in Genua, ehemals Inv. Nr.: 479, im 2. Weltkrieg zerstört, Roettgen (1999), 438 (Kat. Nr. Z 54). Der hier angeführte Datierungsvorschlag reagiert auf die Neudatierung der bei derselben Sitzung entstandenen Aktstudie von Pompeo Batoni, heute in Würzburg, vgl. Müller-Bechtel (2013c), Müller-Bechtel (2018), 421, Kat. 67. 46 Francisco Vergara Bartual, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells nach links, 1749, Rötel, 565 × 425 mm, bez.: En Roma Dn. Franco Bergra año de 1749, Sevilla, Universität, Patrimonio Histórico-Artístico, Colección Dibujos Académicos, Inv. Nr.: 101216 (http://www.patrimonioartistico.us.es/ lista.jsp?page = con&buscando = true&grupo = 13&campo = grupo, zuletzt konsultiert: 19. Juni 2019). 47 Francisco Vergara Bartual, Aktstudie eines auf dem Rücken liegenden männlichen Modells, vom Kopf her gesehen, Rom 1749, Madrid, Biblioteca Nacional; ders., Aktstudie eines seitlich auf dem Bauch lagernden männlichen Modells nach rechts, Rom 1749, 371 × 545 mm, Valencia, Museo de Bellas Artes; ders., Aktstudie eines stehenden männlichen Modells in der Pose des Sandalenbinders (Cincinnatus), Rom 1749, 530 × 395 mm, ebd., Ferri Chulio (2005), 302 f. 48 Vgl. Roettgen (1999), Kat. Nr. Z 27–30 (Darmstadt), Z 57a–h (Karlsruhe), Z 130 (Würzburg). 49 Zum zeichnerischen Werk Marons vgl. Schmittmann (2013), 48–54. Zu den wenigen authentischen Zeichnungen zählen überwiegend Aktstudien, ebd., 51 f. Im Katalog der selbständigen Zeichnungen (ebd., 368–385, Kat. Nr. 115–124) sind zehn Aktstudien in Fermo, Florenz, Innsbruck und Mailand verzeichnet. 50 MacDonald (1989), 78 f. (Abb. 2): Vorder- und Rückseite eines Exemplars, Trustees of the British Museum. Das Exemplar zeigt das Profilbild von Papst Clemens XIII., in dessen ersten Amtsjahr seines Pontifikats laut Inschrift (»CLEM XIII / PONT MAX AN I«) der (unbekannte) Preisträger ausgezeichnet wurde. Roettgen (2003), 128 (Abb. II–22), bildet das Verso mit der programmatischen Darstellung des Aktsaals aus der Sammlung des Vatikans ab. Zur Praxis im Aktsaal vgl. MüllerBechtel (2018), Kap. 4.7.
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Abb. 2: Martin Ferdinand Quadal, Der Aktsaal der Kaiserlichen Akademie in Wien, 1787. © Akademie der Bildenden Künste Wien, Inv. Nr.: 100.
Noch besser jedoch lässt sich die konzentrierte Studienatmosphäre Vergleichsstücken entnehmen wie beispielsweise dem die Realität idealisierenden komponierten Gruppenporträt der Wiener Akademiker, ausgeführt von Martin Ferdinand Quadal51 (Abb. 2). Trotz aller Einschränkungen hinsichtlich der Authentizität der Schilderung lassen sich wesentliche Aspekte der praktischen Bedingungen für das Aktstudium gut ablesen: Die Zeichner haben sich rund um das Modell gruppiert, das auf einem Podest so positioniert ist, dass jeder Zeichner eine gute Sicht auf das Modell haben kann. Jeder Zeichner hat seinen eigenen Blickwinkel auf das Modell (vgl. Abb. 9–11). Die örtliche Situation ist im Grunde einem anatomischen Theater vergleichbar. Der Leiter des Aktstudiums verantwortete das Stellen des Modells in eine für das Studium geeignete Pose.52 Die Teilnehmer des Aktstudiums durften üblicherweise den Saal
51 Martin Ferdinand Quadal: Der Aktsaal der Kaiserlichen Akademie in Wien, 1787, Öl auf Leinwand, 144 × 207 cm, bez.: M. F. Quadal pinx. 1787, Wien, Akademie der Bildenden Künste, Inv. Nr.: 100. 52 Dokumentiert ist diese Praxis beispielsweise in Giampietro Zanotti (1674–1765), Aktsaal, Accademia Clementina in Bologna, 1739, Feder über schwarzer Kreide, 103 × 146 mm, Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Inv. Nr.: 96.GB.314, http://www.getty.edu/art/gettyguide/artObjectDetails?ar
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Abb. 3: Johann Zoffany, Die Akademiker der Royal Academy, 1771–1772. © The Royal Collection, Her Majesty Queen Elizabeth II.
erst betreten, nachdem das Modell in die Pose der Sitzung gestellt worden war.53 Johann Zoffanys Gruppenbild der Londoner Akademiker (Abb. 3) weicht in diesem Punkt von der Praxis und von der Tradition ab: Hier wird das sitzende Modell vor den Augen der versammelten Akademiker in Pose gebracht – der rechte Arm wird eben mit einer Schlaufe fixiert; ein zweites Modell bereitet sich im Vordergrund des Gemäldes auf seinen Einsatz vor. Fokussiert man transformative Prozesse im Aktstudium, kann das Zeichnen als zentraler Schritt in der Kette der Transformationen erkannt werden. Resultat des Zeichenprozesses ist ein (in der Regel idealisiertes) Abbild des Modells in der jeweils gestellten Pose, in der Ansicht abhängig von dem Blickwinkel, den der Zeichner auf das Modell eingenommen hat. Der Zeichner verwandelt quasi
tobj=108707 (zuletzt konsultiert: 22. Juli 2016). Ich danke Peter Kerber für den freundlichen Hinweis. 53 Smith (2001), 28, überliefert diese Praxis für den englischen Raum im 19. Jahrhundert. An der Pariser Akademie durften im 18. Jahrhundert die Zeichner nacheinander, gestaffelt nach Qualifikation, den Saal betreten und einen adäquaten Platz einnehmen, was auf dieselbe Praxis deutet, vgl. Rubin (1977), 21 f., Roland Michel (1987), 58.
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beim Zeichnen seinen Seheindruck in eine Figuration auf dem Papier. Doch auch die Handlung des Posenstellens durch den Leiter des Aktstudiums verdient besonderes Augenmerk. Weil man in der Frühen Neuzeit dem statischen Charakter des Bildes zum Trotz den Eindruck von Handlung, Bewegung und Lebendigkeit erwartete, waren Symmetrien und Parallelen in der Figur verpönt. Die akademischen Posen bedienen entsprechend den Bedarf nach simulierter Lebendigkeit; es handelt sich sozusagen um eine transformierte Natürlichkeit.54 Ein zusätzlicher Transformationsschritt kommt schließlich in den Fällen hinzu, in denen sich der Professor beim Stellen des Modells an einem Vorbild, wie beispielsweise einer antiken Statue, orientierte. Im Folgenden nehme ich anhand zweier Fallbeispiele die transformativen Prozesse bei der Antikenrezeption im akademischen Aktstudium Schritt für Schritt unter die Lupe.55
4 Transformative Prozesse im akademischen Aktstudium – Fallbeispiel 1 Mein erstes Fallbeispiel konstruiere ich mit Johann Zoffanys Londoner Akademiebild56 (Abb. 3), mit einer Aktstudie von Anton Raphael Mengs57 (Abb. 4) sowie mit der antiken Statue eines Sitzenden Apoll aus dem Museo Nazionale Romano58 (Abb. 5), außerdem mit einer Preiszeichnung von Francesco Chiozzi59 (Abb. 6) und der Ninfa della Spina aus den Uffizien in Florenz60 (Abb. 7). Johann Zoffany inszeniert in seinem
54 Soweit in aller Kürze ein Ergebnis meiner Forschungen zur Pose im Aktstudium in MüllerBechtel (2015), Müller-Bechtel (2018), Kap. 6.3–6.4. 55 Die hier vorgelegten Überlegungen fanden in abgewandelter Form Eingang in Müller-Bechtel (2013b), Müller-Bechtel (2015) und in Müller-Bechtel (2018), Kap. 4.5. 56 Johann Zoffany, Die Akademiker der Royal Academy, 1771–1772, Öl auf Leinwand, 100,1 × 147,5 cm, The Royal Collection, Her Majesty Queen Elizabeth II, Postle (2011), 26 f. (Abb. 17), 218–221 (Kat. Nr. 44). 57 Anton Raphael Mengs, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells als Bacchus mit Kranz und mit Weinschale in der erhobenen Rechten, um 1772–1773, schwarze Kreide, weiß gehöht, auf graubraun getöntem Papier, 548 × 402 mm. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Inv. Nr.: VIII 1981–4, Roettgen (1999), Kat. Nr. Z 57 f, Müller-Bechtel (2018), 445, Kat. 191. 58 Apoll Kitharoidos Altemps, Sitzstatue, Rom, Museo Nazionale Romano, Inv. Nr.: 8590, Kunze (1998), 11 (Abb. 4), Müller-Bechtel (2018), Auswahlkatalog Akademische Vorbilder, V 2.1. 59 Francesco Chiozzi, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells in der Pose der Ninfa della Spina, Preiszeichnung Wettbewerb Januar 1759, 1. Preis, Rötel und Weißhöhung, 450 × 290 mm, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.072, Müller-Bechtel (2018), 428, Kat. 103. 60 Nymphe, so genannte Ninfa della Spina, Marmor, römische Kopie eines hellenistischen Bronzeoriginals, Höhe: 1,01 m, Florenz, Uffizien, Inv. Nr.: 190, Gruppe der Aufforderung zum Tanz
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Abb. 4: Anton Raphael Mengs, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells als Bacchus mit Kranz und Weinschale, um 1772–1773. © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. Nr.: VIII 1981–4.
Gemälde die Praxis, Aktmodelle in die Posen von antiken Vorbildern zu stellen, auf zweierlei Art: Einerseits führt er den im Bild thematisierten finalen Schritt beim Stellen des Modells anhand der Pose des Sitzenden Apoll vor Augen, andererseits lässt er das Modell im Vordergrund beim Umziehen die Pose der sitzenden Ninfa della Spina mit dem überschlagenen Bein einnehmen. Die Übereinstimmungen sind, so meine These,
zusammen mit der Figur eines Satyren, Inv. Nr.: 220, Bober/Rubinstein (2010), 107 f. (Kat. Nr. 61), Berlin, Census ID 156184, Müller-Bechtel (2018), Auswahlkatalog Akademische Vorbilder, V 2.7.
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Abb. 5: Apoll Kitharoidos Altemps, Sitzstatue. Museo Nazionale delle Terme, Rom, Inv. Nr.: 8590.
nicht zufällig, sondern bewusst gewählt, sogar programmatisch: Zoffany belegt mit diesen transformierten Antikenzitaten seine Gelehrsamkeit und bekräftigt die Orientierung an der Antike als akademisches Prinzip. Die von mir exemplarisch zum Vergleich herangezogenen Aktstudien nach Modellen in solchen Posen, gezeichnet von Chiozzi und Mengs, dokumentieren die Handhabung dieser Praxis im Umfeld der Accademia del Nudo.
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Abb. 6: Francesco Chiozzi: Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells in der Pose der Ninfa della Spina, Wettbewerb Januar 1759, 1. Preis. © Accademia Nazionale di San Luca, Rom, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B 072.
Ich möchte den Transformationsprozess am Beispiel der Aktstudie von Mengs im Detail betrachten, unterteile ihn dazu etwas holzschnittartig in einzelne Schritte und klassifiziere die jeweilige Vorgehensweise.61 Der erste Schritt kann in der Entscheidung
61 Der hier ausgeführte Versuch der Klassifizierung der Transformationsprozesse folgt den Begriffsdefinitionen von Lutz Bergmann, Martin Dönike, Albert Schirrmeister, Georg Toepfer, Marco
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Abb. 7: Nymphe, so genannte Ninfa della Spina, Gipsabguss des Originals (Florenz, Uffizien, Inv. Nr.: 190). © Roy Hessing, Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, München.
von Mengs erkannt werden, aus dem größeren Referenzbestand möglicher antiker Statuen den Sitzenden Apoll herauszulösen und zu seinem Vorbild zu wählen. Mengs ignorierte in diesem Fall andere mögliche Vorbilder für eine sitzende
Walter und Julia Weitbrecht in Böhme (2011), 39–56. Vgl. meine Ausführungen zu dem Aspekt in Müller-Bechtel (2013b), Müller-Bechtel (2015), Müller-Bechtel (2018), Kap. 4.5.
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Figur.62 Die Vermutung liegt nahe, dass die Auswahl auf einer älteren Kenntnis der Figur vonseiten Mengs’ beruht. Ob er den Apoll selbst mithilfe von Zeichnungen studiert oder die Pose nach ihrer Transferierung ins Aktstudium kennen gelernt hatte, kann nicht geklärt werden, weil entsprechende Zeichnungen als sichere Belege fehlen. In letzterem Fall wäre aber davon auszugehen, dass Mengs von der Ableitung der Pose aus der Antike wusste. Als zweiter Schritt erfolgte das Stellen des Modells in der ausgewählten Pose des Sitzenden Apoll. Mengs komponierte die Figur spiegelbildlich zu seinem Vorbild. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Modellsitzung im eigenen Atelier oder in der eigenen Privatakademie und somit nicht an einer öffentlichen Institution. Das Modell ersetzt während der Modellsitzung die vorbildliche antike Skulptur, die also temporär begrenzt substituiert wird. Bemerkenswert ist zugleich die Übersetzung in ein anderes Material, denn die antike Marmorfigur wird von einem Menschen in natura nachgestellt. Versteht man das Modell als Pars pro Toto für die menschliche Natur, wählte Mengs aus dem Referenzbestand an Bewegungsmöglichkeiten, welche die Natur für den Menschen vorsieht, diese eine bestimmte Haltung aus und ignorierte die anderen. Im dritten Schritt fixierte Mengs sein Studium des Modells in der Pose der antiken Skulptur in einer Zeichnung. Die Halterung (Stab oder Schlaufe) allerdings, die das Modell sicherlich zur Fixierung der erhobenen rechten Hand brauchte, wie es in Zoffanys Akademiebild thematisiert ist, notierte er in seiner Zeichnung nicht. Stattdessen gab er der Figur in seiner Aktstudie als Attribut ein antikisches Trinkgefäß in die Hand. Damit verwandelte Mengs sein Vorbild Apoll in einen Bacchus, ausgezeichnet durch einen Kranz aus Weinlaub. Uns fehlt das Bilddokument für den vierten Schritt im untersuchten Transformationsprozess, denn, soweit ich sehe, überliefert keine Aktstudie von der Hand Johann Zoffanys ein Modell in der Haltung des antiken Sitzenden Apoll. Es bleibt also im Dunkeln, wie genau Johann Zoffany in die Kenntnis der Pose der antiken Skulptur gelangte. Man weiß freilich von dem Lehrer-Schüler-Verhältnis, das zwischen Mengs und Zoffany bestand.63 Im fünften Schritt wählte Johann Zoffany aus dem in der Ausbildung einstudierten Posenschatz oder aus dem reichen Bestand an antiken Referenzskulpturen den Sitzenden Apoll für die Pose aus, die in seinem Gruppenporträt der Londoner Akademiker von Georg Michael Moser, dirigiert von Francesco Zuccarelli,64 fixiert wird. Einen sechsten Schritt können wir leicht
62 In weiteren Zeichnungen verarbeitete Mengs unter anderem das Vorbild der Dirke aus der Gruppe des Farnesischen Stiers (vgl. Roettgen [2003], Kat. Nr. NN Z 91/92) oder des Ares Ludovisi (Roettgen [1999], Kat. Nr. Z 57d). 63 Nach Roettgen (2003), 415, war Zoffany in den Jahren 1750 bis 1757 Schüler bei Mengs in Rom. Zudem bestand Kontakt zwischen Zoffany und Mengs in Florenz in den Jahren 1773 und 1774. Allerdings entstand Mengs’ Aktstudie vermutlich zeitlich nach Zoffanys Gemälde und kann daher nicht sein direktes Vorbild sein. 64 Zur Identifizierung der dargestellten Akademiker s. Postle (2011), 218 f.
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imaginieren: Die von Zoffany porträtierte Runde studiert das dargestellte Modell in der Pose Apolls, es entstehen wieder zahlreiche Zeichnungen, die – ein siebter Schritt? – zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht kopiert werden oder als imaginierte Vorlage für die nächste Sitzung des Aktstudiums dienen könnten. In den sechs bis sieben geschilderten Schritten der Transformationskette bleibt das Bewegungsmotiv der Pose im Wesentlichen unverändert, die Transformation spielt sich in den wiederholten Wechseln der Medien und Materialien (Marmor, menschliches Modell, Zeichnung, Kopie?, Gemälde, etc.) und der Blickwinkel ab. Auch der Kreis der beteiligten Personen verändert sich.
5 Transformative Prozesse im akademischen Aktstudium – Fallbeispiel 2 Mein zweites Fallbeispiel nimmt den Wettbewerb der Scuola del Nudo vom März 1776 in den Blick, dessen Pose der Spanier Francisco Preciado de la Vega verantwortete. Die Aktstudien der Preisträger Benedetto Landi (1. Preis), Giovanni Porretta (2. Preis), Luigi Favilli (3. Preis), Giovanni Battista Turrisi (4. Preis), Pietro Pusini (5. Preis) und Giovanni Battista Sivizzeri (6. Preis) (Abb. 9–11) überliefern die Haltung des Modells: Das Modell steht in Schrittstellung mit dem rechten Fuß nach vorne, auf der Gegenseite ist der Arm auf Schulterhöhe erhoben – scheinbar eine einfache natürliche Bewegung.65 Preciado orientierte sich dafür an der Haltung eines der Rossebändiger (Dioskuren) vom römischen Monte Cavallo (Abb. 8) und modifizierte sie.66 Wie im ersten Fallbeispiel stellt sich die Frage, wie Preciado in die Kenntnis der vorbildlichen Pose gelangt war. Bei der Umsetzung der Pose ignorierte Preciado das Pferd; den Arm, der das Pferd führen sollte, fixierte er durch ein stützendes Podest. Im gegenseitigen Vergleich zeigen die Preiszeichnungen, dass, obwohl die
65 Preiszeichnungen, Wettbewerb März 1776, Aktstudien eines stehenden männlichen Modells in der Pose eines Rossebändigers, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B.263–268: Benedetto Landi, 1. Preis, schwarzer Stift und Weißhöhung, 565 × 430 mm, B.263. Giovanni Porretta, 2. Preis, schwarzer Stift und Weißhöhung, 520 × 390 mm, B.264. Luigi Favilli, 3. Preis, schwarzer Stift und Weißhöhung, 500 × 370 mm, B.265. Giovanni Battista Turrisi, 4. Preis, schwarzer Stift und Weißhöhung, 545 × 410 mm, B.266. Pietro Pusini, 5. Preis, schwarzer Stift und Weißhöhung, 545 × 410 mm, B.267. Giovanni Battista Sivizzeri, 6. Preis, schwarzer Stift und Weißhöhung, 540 × 400 mm, B.268. Vgl. Müller-Bechtel (2015), Müller-Bechtel (2018), Kap. 4.5, Kat. 136, 175, 221, 227, 272, 276. 66 Rossebändiger (Dioskuren), Marmor, Höhe der Figuren: 5,60 m, Rom, Piazza del Quirinale, Haskell/Penny (1994), 136–141 (Kat. Nr. 3), Bober/Rubinstein (2010), 171–175 (Kat. Nr. 125), MüllerBechtel (2018), Auswahlkatalog Akademische Vorbilder, V 1.11. Die spiegelgleichen Figuren der Gruppe auf der Piazza del Quirinale sind unter verschiedenen Bezeichnungen bereits seit dem Mittelalter bekannt.
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Abb. 8: Claude Randon nach Paolo Alessandro Maffei, Rossebändiger von der Piazza del Quirinale. Taf. XIII, in: De Rossi, Domenico, Raccolta di statue antiche e moderne, Rom 1704. Bibliotheca Hertziana — Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom.
Zeichner die Pose jeweils ihrem Blickwinkel entsprechend stimmig adaptierten, jeder Zeichner der auf seinem Blatt entstehenden Figuration eine eigene Interpretation geben konnte: Giovanni Battista Turrisi ließ das Podest weg, Luigi Favilli verstand den die rechte Hand stützenden Stab als Dolch und setzte der Figur eine Krone auf. Im Gegensatz zu dieser martialischen Interpretation erinnert die Figur in der Aktstudie von Giovanni Porretta an einen der Jünger, die an der Seite Christi mit Wanderstab nach Emmaus zogen. Die Zeichner hatten freie Wahl, welchen
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Abb. 9: Giovanni Battista Turrisi, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells in der Pose eines Rossebändigers, Wettbewerb März 1776, 4. Preis. © Accademia Nazionale di San Luca, Roma, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B 266.
Kontext sie ihren Figuren geben wollten, ob sie das Modell den Bedingungen im Aktsaal entsprechend darstellten oder ein eigenes Thema imaginierten. Da wir kaum etwas Biografisches zu den zahlreichen erfolgreichen Schülern der Accademia del Nudo wissen, bricht für uns die Transformationskette hier ab, es muss an dieser Stelle ein Desiderat der Forschung bleiben, welchen weiteren Umgang die Kandidaten mit ihrer Kenntnis pflegten. Die Idee, die Rossebändiger vom Monte Cavallo im Aktstudium nachzustellen und deren Pose zu zeichnen oder zeichnen zu lassen, kann Francisco Preciado de la Vega nicht für sich allein beanspruchen. Die Verarbeitung der Pose der Rossebändiger findet sich in einer Reihe von Aktstudien, beispielsweise in einer anonymen Studie aus
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Abb. 10: Luigi Favilli, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells in der Pose eines Rossebändigers, Wettbewerb März 1776, 3. Preis. © Accademia Nazionale di San Luca, Roma, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B 265.
einem Konvolut in der Salzburger Universitätsbibliothek, die vermutlich in Rom in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstand, in einer Studie des französischen Stechers Nicolas de Poilly (1627–1696), in einer Kopie von Heinrich Friedrich Füger, die dieser nach einer Studie von Mengs gefertigt haben soll, oder in einer Studie von Leopold Kupelwieser, die er wahrscheinlich in Rom im Kreise der protestantischen Nazarener, die sich ebenfalls auf dem Kapitol zum Aktstudium trafen, zeichnete.67 Die
67 Vgl. Müller-Bechtel (2018), 166–168: Anonymes Mitglied einer unbekannten italienischen Malerakademie des 17. Jahrhunderts (römisch?), Aktstudie eines männlichen Modells im Schreiten, den rechten Arm erhoben, Rötel auf Hadernpapier, 320 × 226 mm, Salzburg, Universitätsbibliothek, Sign. H353/1, Gottdang/Prochno (2012), 172–179 (Kat. Nr. 36A), Kunze (2014), 119 f., Abb. 164, Müller-Bechtel (2018), 415, Kat. 16. Nicolas de Poilly, Aktstudie eines männlichen Modells,
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Abb. 11: Giovanni Porretta, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells in der Pose eines Rossebändigers, Wettbewerb März 1776, 2. Preis. © Accademia Nazionale di San Luca, Roma, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: B 264.
nach rechts laufend, schwarze und weiße Kreide auf braunem Papier, 513 × 395 mm, Paris, École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Inv. Nr.: PM 2487, Müller-Bechtel (2018), 450, Kat. 219. Heinrich Friedrich Füger, Aktstudie eines männlichen Modells, in Abwandlung der Pose der Rossebändiger, Rom 1776, schwarze Kreide, Graphitstift, gewischt, auf gelblichem Papier, 520 × 358 mm, bez.: Nach Mengs Rome 1776 (r) / Disegnata a Roma 1776 (v), Wien, Akademie der bildenden Künste, Inv. Nr.: 3.304, Roettgen (1999), 469 (Kat. Nr. Z 128 c, als »Hubert Maurer zugeschrieben« publiziert), Knofler/Weiermair (2000), 64 f. (Kat. Nr. 20), Müller-Bechtel (2018), 436, Kat. 139. Leopold Kupelwieser, Aktstudie eines stehenden männlichen Modells in der Pose eines Rossebändigers, Rom 1824, Feder in Braun, Spuren von Weißhöhung, 296 × 217 mm, Wien, Akademie der bildenden Künste, Kupferstichkabinett, Inv. Nr.: 12559, Knofler/Weiermair (2000), 76 f. (Kat. Nr. 26, mit Datierung ins Jahr 1819), Reiter (2006), 110 f. (Kat. Nr. 249, mit Datierung ins Jahr 1824), Müller-Bechtel (2018), 441, Kat. 172.
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Auseinandersetzung mit den Rossebändigern im Aktstudium lässt sich also über einen Zeitraum von mindestens 150 Jahren nachweisen. Die Rezeption der Rossebändiger in der bildenden Kunst allgemein muss in Anbetracht der hier nur exemplarisch skizzierten geläufigen Praxis, die antike Skulpturen im Aktstudium nachzustellen und zu studieren, komplexer und vielschichtiger gedacht werden, als es die Kunstgeschichte bislang zu tun pflegt. Die vorbildliche antike Skulptur wird nicht einfach von einem Künstler in seinem Werk zitiert. Der Prozess ist vielmehr mit diversen »Schnittstellen«, »Übersetzungen« und »Überschreibungen« verbunden. Vielfältige Metaphern versprechen, diese Praxis erklären zu können: Sind es »Ebenen« oder »Schichten« von Referenzen, ein »Geflecht«, ein »Netz«? Wie ist das Verhältnis von »Prämediation« und »Remediation«?68 Die Verdichtung und Komplexität steigt, potenziert sich sogar in meinen Augen, wenn man eine weitere Rezeptionsebene bedenkt: Nicht nur die antiken Skulpturen selbst stellten für die Künstler des 18. Jahrhundert eine Referenz dar, sondern auch die »neuen Meister« – insbesondere dann, wenn sie die Rossebändiger für ihre eigenen Inventionen verwendeten und damit den Status des Vorbildes als relevante Referenz bestätigten. Sowohl die antiken Skulpturen wie die vorbildlichen Inventionen Raffaels wurden zudem vielfach kopiert und/oder reproduziert.69 Das Zurückgreifen auf solch potenzierte Referenz versprach dem akademischen Künstler, unabhängig von seiner Nationalität, die Qualität des eigenen Werkes zu sichern. Es ist nur konsequent, wenn die akademischen Künstler die von ihren Vorgängern mehrfach anerkannte vorbildliche Figurenbildung der Rossebändiger und der anderen antiken Skulpturen im Aktstudium an der Natur nachstellten und nachvollzogen. Bei der Dichte der Referenzen ist zu fragen, welchen Zugewinn sich die Akademiker von der Einbindung einer Referenz in die Praxis des Aktstudiums versprachen. Wahrscheinlich muss man aber den Ausgangspunkt der Überlegungen neu setzen, denn das Aktstudium ist die höchste Qualifikation des Künstlers und zugleich seine tägliche wissenschaftliche Praxis. Wenn eine Referenz von Bedeutung ist, dann wird ihr selbstverständlich auch im Aktstudium Beachtung geschenkt – es gibt keinen erfindlichen Grund, dies nicht zu tun. Dabei handelt es sich jedoch, wie mir scheint, nicht nur um ein Überprüfen des künstlerischen Vorbilds an der Natur. Vielmehr kommt die Übersetzung der antiken Skulptur in die Pose des Modells beim Aktstudium nicht nur einer Aneignung, sondern zudem einem »Abstraktionsprozess« gleich, wenn das Kunstvorbild auf die Natur zurückgeführt und das, was das Auge dabei sieht, in eine Zeichnung umgesetzt wird. Dieser schwer zu erklärende, bislang nicht genauer untersuchte Prozess scheint vonnöten zu sein, um das Bewegungsmotiv für eine neue künstlerische Verwendung freizugeben.
68 Vgl. die Begriffe bei Assmann (2012). 69 Rosenberg (1995), Höper (2001), 369–415, Abschnitt »Druckgraphik nach Raffael«, »F STANZEN«.
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Die aus dem Bewegungsmotiv der Rossebändiger abgeleitete Figurenbildung, eine mustergültige Lösung für eine dynamische Figur, findet sich in unterschiedlichen Kontexten wieder. Bereits im Jahr 1706 hatte der aus Düsseldorf stammende Clemens Anton Lünenschloß, späterer Hofmaler in Würzburg, die Figur als römischen Offizier in seinen Entwurf für den Concorso Clementino an der Accademia di San Luca integriert.70 Immer wieder erscheint die Pose in den Bildentwürfen der Concorsi: Nicolò Ricciolini verwendete sie für Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt (1703), Antonio Bicchierai für einen Krieger (1704), Domenico Frezza für eine Szene aus dem Buch der Makkabäer (1732) oder beispielsweise Michelangelo Maria Ricciolini und Mariano Rossi für Randfiguren (1754).71 Ich denke, man kann die Pose ebenfalls in einem Schergen in einer Geißelung Christi von Sebastiano Conca erkennen, der unter anderem Mengs ausgebildet haben soll; eine verwandte Figuration findet sich entsprechend unter den Kopien des Mengs-Schülers Heinrich Friedrich Füger. Nur wenig abgewandelt, nämlich etwas in ihrer Dynamik beruhigt, erscheint die Figur auch in Mengs’ Antikenimitat Jupiter küsst Ganymed.72 70 Clemens Anton Lünenschloß, Das Eingreifen der Sabinerinnen in die Schlacht zwischen Römern und Sabinern, Würzburg, Julius-Maximilians-Universität, Martin-von-Wagner-Museum, Inv. Nr.: 9620, Morét (2005). Morét erwähnt die Vorbildlichkeit der Rossebändiger für die genannte Figur nicht ausdrücklich. Vgl. Müller-Bechtel (2018), Kap. 6.6. 71 Nicolò Ricciolini, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen, Concorso Clementino, 1703, 1. Klasse, 1. Preis, Rötel, weiß gehöht, 440 × 640, bez.: Concorso dell’anno 1703. Pittura Prima Classe primo premio. Nicolò Ricciolini Romano 25 A poi Accademico di San Luca (r) / N 27 A (v), Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: A.141, Cipriani/Valeriani (1989), 25, 30 (Abb.), Kat. Nr. A.141. Antonio Bicchierai (Bicchierari), Romulus ermordet Amulius, König von Alba, Concorso Clementino, 1704, 1. Klasse, 2. Preis, Rötel, weiß gehöht, 420 × 600, bez.: 1704. Prima Classe della Pittura. Secondo Primo Premio. Antonio Bicchierari Romano B.62, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: A.159, Cipriani/Valeriani (1989), 41, 47 (Abb.), Kat. Nr. A.159. Domenico Frezza, Der Priester Mattatias widersetzt sich dem heidnischen Opfer und tötet den seleukidischen Boten, Concorso Clementino, 1732, 1. Klasse, 3. Preis, schwarzer Stift, Rötel, 450 (535) × 750 (760), bez.: anno 1732 = Prima Classe della Pittura = Terzo premio Domenico Frezza Romano. C = 60 479, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: A.336, Cipriani/Valeriani (1989), 191, 196 (Abb.), Kat. Nr. 336. Michelangelo Maria Ricciolini, Die Opfer von Elias und Baal, Concorso Clementino, 1754, 1. Klasse, 1. Preis, Rötel, 460 (615) × 760 (895) mm, bez.: N. VIII P.ma Classe p.mo Premio Michelangelo Maria Ricciolini Romano 1754 C. 47 495, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: A.372, Cipriani/Valeriani (1989), 219, 223 (Abb.), Kat. Nr. A.372. Mariano Rossi, Die Opfer von Elias und Baal, Concorso Clementino, 1754, 1. Klasse, 2. Preis, Rötel, weiß gehöht, 575 (600) × 860 (890) mm, bez.: 1754. Prima Classe Secondo Premio. Mariano Rossi di Sciacca in Sicilia, Rom, Accademia Nazionale di San Luca, Archivio Storico, Collezione dei Disegni, Inv. Nr.: A.373, Cipriani/Valeriani (1989), 219, 224 (Abb.), Kat. Nr.: A.373. Vgl. Müller-Bechtel (2018), Kap. 6.5. 72 Sebastiano Conca, Geißelung Christi, Öl auf Leinwand, Montecassino, Kloster, Cappella della Pietà, überliefert in Kupferstichen und Fotografien, Sebastiano Conca (1981), 88 f. (Kat. Nr. 1b). Zu Conca als vermutlichem Lehrer von Mengs vgl. Roettgen (2003), 83 f. Zu Heinrich Friedrich Füger vgl. oben Anm. 67. Anton Raphael Mengs, Jupiter küsst Ganymed, Antikenimitat, Gips, mit
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Die Komplexität der Bezüge erschwert die oftmals versuchte konkrete Identifizierung der einen direkt vorbildlichen Referenz. In der Konsequenz meiner Überlegungen zur potenzierten Referenz erscheint die Suche nach dem einen Vorbild sogar kurzsichtig, denn jede zusätzliche Transformationsstufe verstärkt im referentiellen Aufrufen des Vorbildes die Wirkmacht des darin vertretenen visuellen Topos – und schwächt zugleich die Wirkmacht der direkt vorbildlichen Referenz. Entsprechend gilt es, wenn wir die transformativen Prozesse bei der künstlerischen Rezeption von antiken Skulpturen betrachten, nicht nur von einer direkten Übernahme auszugehen, sondern eben auch solchen Spuren nachzugehen wie der Rezeption durch andere Künstler, der Vermittlung im Aktstudium oder über andere Medien wie den Gipsabguss oder die grafische Reproduktion.
6 Transformative Prozesse im akademischen Aktstudium – Fallbeispiel 3 Ein drittes Fallbeispiel sei nur kurz skizziert: Eine durchaus illustre Reihe von Aktstudien aus den Akademien von Paris, Rom und Bergamo, entstanden im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts (Abb. 6),73 belegt, dass die antike Skulptur der Ninfa della Spina im Aktstudium vielfach aufgegriffen worden war, wie es auch das Gruppenporträt der Londoner Akademiker von Johann Zoffany nahe legt (Abb. 3). Auch wenn beispielsweise von der Hand des französischen Akademikers und Hofmalers François Boucher, soweit ich sehe, keine entsprechende Aktstudie in der Forschung bekannt ist, ist für die Gestaltung einer Figur wie der Diana im Bade der transformierende Schritt der Rezeption der antiken Skulptur im Aktstudium durchaus denkbar.74 Die fehlende Kenntnis eines solchen Blattes darf nicht zu dem Schluss führen, dass dieses nie entstanden sein kann.
Leinwand verstärkt, mit künstlichen Brüchen, 178,7 × 137 cm, Rom, Galleria Nazionale d’Arte, Inv. Nr.: 1331, Roettgen (1999), 164–167 (Kat. Nr. 108). 73 Claude Gillot, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells mit überkreuzten Beinen, Rötel, zweifarbig, 520 × 392 mm, bez.: Gilot, Paris, École Normale Supérieure des Beaux-Arts, Inv. Nr.: 2922, Müller-Bechtel (2018), 437, Kat. 144. Francesco Chiozzi, vgl. oben Anm. 59. Pietro Luchini, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells en face in der Pose der antiken Ninfa della Spina, 1817, Preiszeichnung (1. Preis), Kreide, bez.: A; Bergamo, Accademia Carrara, Graphische Sammlung, Inv. Nr.: 251, Müller-Bechtel (2018), 443, Kat. 182. 74 François Boucher: Diana im Bade, 1742, Öl auf Leinwand, 56 × 73 cm, bez.: 1742 f. Boucher, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr.: 2712. Vgl. Müller-Bechtel (2018), Kap. 6.5.
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7 Schlussfolgerungen aus den Fallbeispielen In den antiken Skulpturen fanden die frühneuzeitlichen Künstler Lösungsmöglichkeiten für verschiedene Bewegungsmotive überzeugend vorgeprägt. Das Spektrum reicht von ruhig bis stark bewegt, etwa bei sitzenden Figuren vom Ares Ludovisi bis zur Dirke aus der Gruppe des Farnesischen Stiers. Aktstudien, die diese Bewegungen verhandeln, stammen beispielsweise von den römischen Akademikern Domenico Corvi, Anton Raphael Mengs und Pompeo Batoni oder von Charles-Joseph Natoire, Direktor der Accademia di Francia im Zeitraum 1751 bis 1777.75 Die entstandenen Studien bezeugen, welchen Spielraum die Künstler sich bei der Aneignung der antiken Vorbilder im Aktstudium nahmen. Offenbar experimentierten sie mit dem angebotenen Formenschatz und erprobten immer wieder neue Varianten der Vorbilder. Diese Variationsfreude betrifft nicht nur die formale Seite, sondern auch die inhaltliche: Die Pose, die Raffael für den Flussgott in Marcantonio Raimondis berühmten Kupferstich Das Urteil des Paris76 wählte, interpretierte Pompeo Batoni in seiner Berliner Aktstudie ebenfalls als Flussgott, während Mengs die Figur in einen lagernden Bacchus verwandelte und ein anonymer Zeichner auf einer Aktstudie in der Sammlung der Wiener Akademie die Figur als einen Bettler auffasste.77 Eine andere Figur
75 Pompeo Batoni, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells nach rechts, 1775, schwarze Kreide auf blaugrau präpariertem Papier, 543 × 384 mm, Mailand, Accademia di Belle Arti di Brera, Gabinetto dei Disegni, Bowron/Rishel (2000), Kat. Nr.: 318. Domenico Corvi, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells, den rechten Arm erhoben, Kreide, weiß gehöht auf grauem Papier, 560 × 418 mm, bez.: Domenico Corvi fece, Mailand, Accademia di Brera, Curzi/Lo Bianco (1998), 198 (Kat. Nr. D5), Müller-Bechtel (2018), 430, Kat. 111. Anton Raphael Mengs, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells mit hochgezogenem linken Bein, um 1772–1773, schwarze Kreide, weiß gehöht, auf grau getöntem Papier, 539 × 412 mm, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Inv. Nr.: VIII 1981–5, Roettgen (1999), 439–441 (Kat. Nr. Z 57d, mit Abb.), Roettgen (2003), Abb. V-32, MüllerBechtel (2018), 445, Kat. 192. Anton Raphael Mengs, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells mit erhobenem Arm, schwarze Kreide, weiß gehöht, auf grünbrauner Grundierung, 520 × 393 mm, 2002 München Kunsthandel, Roettgen (2003), 622 (Kat. Nr. NN Z 91/92), 307 (Abb. V-31), MüllerBechtel (2018), 445, Kat. 193. Charles-Joseph Natoire, Aktstudie eines sitzenden männlichen Modells nach links, mit verschränkten Hände das linke Bein haltend, Rötel, Lavierung, Weißhöhungen, 540 × 406 mm, bez.: Natoire / natoire f, Paris, École Normale Supérieure des Beaux-Arts, Inv. Nr.: 3078, Brugerolles (2003), 221–223 (Kat. Nr. 51), Müller-Bechtel (2018), 446, Kat. 199. 76 Marcantonio Raimondi nach Raffael (Raffaello Santi), Das Urteil des Paris, Kupferstich, 293 × 442 mm, Höper (2001), 201 f. (Kat. Nr. A 85.1). 77 Pompeo Batoni, Aktstudie eines lagernden männlichen Modells mit aufgestütztem linken Arm und erhobenem rechten Arm, schwarze Kreide, weiß gehöht auf graugrünem Papier, 386 × 539 mm, bez.: Pompeo de Batoni 1768, Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, KdZ 16448, Clark (1985), 378 (D18), Müller-Bechtel (2018), 420, Kat. 60. Anton Raphael Mengs, Aktstudie eines lagernden männlichen Modells mit aufgestütztem linken Arm, nach oben blickend, graue Kreide, weiß gehöht, auf graugrün grundiertem Papier, 397 × 529 mm, Würzburg, Martin-vonWagner-Museum der Universität, Inv. Nr.: 1273, Roettgen (1999), 469 (Kat. Nr. Z 130), Müller-
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eines Flussgottes, nämlich die Liegefigur des Nils in den Vatikanischen Museen, stand Pate für die Pose des Wettbewerbs vom März 1765 an der Accademia del Nudo, in dem der Spanier Antonio Primo erfolgreich abgeschnitten hatte.78 Zwei allgemeinere Aspekte der Antikenrezeption im Aktstudium dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, sollen im vorliegenden Kontext jedoch nicht weiter untersucht werden. Zum einen müssen wir davon ausgehen, dass die akademischen Künstler das Aktstudium dafür nutzten, die antiken Skulpturen auf ihre Besonderheit hin zu untersuchen, wie es ihren Erschaffern gelungen war, den Eindruck von natürlicher Bewegung in die still gestellte Skulptur zu zaubern. Ernst Gombrich hat darauf hingewiesen, dass die antiken Künstler die fehlende Bewegung »durch die Schaffung von Bildern maximaler Instabilität« kompensierten.79 Die akademischen Künstler orientierten sich an diesen Stellungen, von denen sie aus eigener Erfahrung wussten, dass die Modelle sie nicht halten können; entsprechend unterstützten sie die Modelle mit Podesten, Stäben und Schlaufen zur Stabilisierung der Posen. Zum anderen wurde das übermächtige Ideal der Antike im Aktstudium mit der Natur konfrontiert, die dabei entstandenen Studien zeugen vom Wechselspiel zwischen Assimilation und Ignoranz. Den Sieg scheint bis weit ins 18. Jahrhundert tendenziell die Antike davongetragen zu haben. Die Liste der für das Aktstudium vorbildlichen antiken Skulpturen wäre durchaus beachtlich, wäre sie schon systematisch angefertigt worden.80 Meine hier zusammengetragenen Beobachtungen stellen nur den berühmten Tropfen auf dem heißen Stein dar, sie können das Phänomen der Antikenrezeption im Aktstudium nur umreißen, aber bei Weitem nicht vollständig erfassen. Konzentriert auf wenige Beispiele konnte ein Entwurf entwickelt werden, wie die Transformation der Antike im Aktstudium innerhalb der deutsch-spanischen Beziehungen im Settecento und darüber hinaus im transnationalen Umfeld der päpstlichen Zeichenschule auf dem
Bechtel (2018), 446, Kat. 196. Kopien nach der Aktstudie von Mengs, auf denen die Figur als Bacchus bezeichnet ist, haben sich in Mailand, Accademia di Brera, Gabinetto dei Disegni, erhalten, vgl. z. B. von Vincenzo Zuccoli, Müller-Bechtel (2018), 460, Kat. 283. Ich danke Francesca Valli, Mailand, für die freundliche Auskunft. Anonym (Österreich, 18. Jahrhundert), Aktstudie eines lagernden männlichen Modells nach links als Bettler, den rechten Arm erhoben, schwarze Kreide, Rötel, weiß gehöht auf blauem Papier, 403 × 464 mm, Wien, Akademie der bildenden Künste, Kupferstichkabinett, Inv. Nr.: 10.920, Knofler/Weiermair (2000), 58 f. (Kat. Nr. 17), Müller-Bechtel (2018), 414, Kat. 6. 78 Vgl. oben, Anm. 40. Vgl. Nil, Marmor, Höhe: 1,65 m, Breite: 3,10 m, Rom, Vatikan, Vatikanische Museen (braccio nuovo), Haskell/Penny (1994), 272 f. (Kat. Nr. 65). 79 Gombrich (1984), 82. 80 Im Rahmen meiner Habil.-Schrift, Müller-Bechtel (2015), diskutiere ich die Rezeption folgender Skulpturen: Apoll vom Belvedere (Rom, Vatikan), Ares Ludovisi (Rom), Cincinnatus (Paris), Dirke aus der Gruppe des Farnesischen Stiers (Neapel), Faun mit Kitz (Madrid), Nil (Rom, Vatikan), Nymphe (Uffizien) und der Sterbende Gallier (Rom). Der Publikation meiner Habil.-Schrift habe ich einen Auswahlkatalog Akademischer Vorbilder beigegeben: Müller-Bechtel (2018), Auswahlkatalog Akademische Vorbilder.
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Kapitol gedacht werden kann. Die Aktstudien der spanischen und deutschen Professoren und Schüler an der Accademia del Nudo in Rom lenken den Blick nur auf Vorgänge der Mikroebene, deren Ergebnisse auf der Makroebene der europäischen Akademien bis weit ins 19. Jahrhundert in Anspruch genommen werden müssen. Die Erforschung der Auswirkungen der analysierten Praxis steht noch aus. Wir können jedenfalls in den Schülern der Accademia del Nudo wichtige Vermittler dieser Praxis in deren jeweilige Heimat identifizieren. Anton Raphael Mengs und Francisco Preciado de la Vega befinden sich bei ihrer im Aktstudium praktizierten Antikenrezeption und -transformation mit all ihren deutschen, spanischen und sonstigen akademischen Schülern und Professorenkollegen in bester Gesellschaft. Die gesuchten Figuren des Transformativen wird man je nach Blickwinkel sowohl in den Zeichnern und ihren Modellen als auch in den gezeichneten Aktfiguren und deren Vorbildern, den antiken Skulpturen, erkennen dürfen.
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María Ocón Fernández
Requeno und Winckelmann: Aneignung, Transformation und Aktualisierung antiken Wissens im maltechnischen Diskurs des 18. Jahrhunderts Abstract: This contribution focuses on the figures of J. J. Winckelmann and V. Requeno y Vives, who are both considered agents of transformation. In particular, the article looks at two of their main publications: Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) and Saggi sul ristabilimento dell’antica arte de’ greci e de’ romani pittori (1784). In these books, the authors refer to Greek and Roman Antiquity. Yet, in contrast to Winckelmann’s Geschichte, Requeno’s Saggi proposes an exploratory approach to Antiquity; not only does he use the word Saggi (experiment, probe) in his publication’s title, but also ristabilimento. Requeno’s attempt to restore the encaustic, or wax painting, was based on his interpretation of Pliny the Elder’s three methods of performing this ancient technique. The article examines the appropriation, transformation and actualization of the knowledge of Antiquity by which Requeno criticizes Winckelmann’s work.
1 Wickelmanns Geschichtsauffassung und Requenos explorativer Ansatz Zwanzig Jahre liegen zwischen den Veröffentlichungen dieser beiden Figuren des Transformativen oder Agenten der Transformation, die den Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden: Johann Joachim Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (Dresden 1764)1 (Abb. 1) und Vincenzo Requeno y Vives‘ Saggi sul ristabilimento dell’antica arte de‘ greci e de‘ romani pittori (Venedig 1784).2 Beiden Publikationen ist der zentrale Bezug zur Antike gemein, der bei Winckelmann mit „der Kunst des Alterthums“ und bei Requeno mit „dell’antica arte de’ greci e de’ romani pittori“ ausdrücklich im Titel benannt wird. Die jeweiligen Intentionen der Autoren sind jedoch grundverschieden. Dies wird nicht nur an der
1 Winckelmann (1764). Eine zweite, stark vermehrte Auflage von Winckelmanns Geschichte erschien 1776 postum in Wien. Zur Editionsgeschichte dieses Werkes vgl. u. a. Décultot (2017), 238. 2 Requeno (1784). Diese erste Ausgabe wird in den folgenden Ausführungen hauptsächlich herangezogen. Der vorliegende Beitrag stellt eine kritische Revision und Ergänzung der 2014 von der Verfasserin veröffentlichten Publikation dar (vgl. Ocón Fernández [2014], 358–359). https://doi.org/10.1515/9783110651997-007
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María Ocón Fernández
Abb. 1: Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums, Tl. 1, Dresden 1764, Titelblatt. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke, Signatur: Nw 1821a R.
Verwendung des Wortes Kunst deutlich, sondern auch an den beiden Ausdrücken, welche die Titel der jeweiligen Schriften einleiten: Geschichte bei Winckelmann und Saggi bei Requeno. Das Wort Saggi, das Requenos Schrift einführt und das sowohl in der Bedeutung von Abhandlung als auch von (praktisch-technischem) Versuch im Sinne von Experiment ausgelegt werden kann,3 stellt darüber hinaus ein Indiz dafür dar, dass Requeno im Gegensatz zu Winckelmann keine Geschichte der Kunst der
3 Zum Experiment und Experimentbegriff vgl. u. a. Schmidt (2006). In Schmidts Arbeit wird das Experiment nicht unter der im vorliegenden Beitrag behandelten Problematik, d. h. im Zusammenhang mit der Antikentransformation, thematisiert.
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Antike im eigentlichen Sinne beabsichtigte. Sowohl die erste in Venedig erschienene Ausgabe von Requenos Schrift (1784) (Abb. 2) als auch die drei Jahre später erweiterte und in Parma publizierte zweite Auflage (1787) enthalten einen sogenannten „Saggio storico“, d. h. eine historische Abhandlung. Betrachtet man den Untertitel dieser historischen Darstellung „De’ principj, progressi, e decadenza della pittura tra’ Greci“ genauer, könnte man zuerst meinen, Requeno übernähme in diesem ersten Teil seines
Abb. 2: Vincenzo Requeno, Saggj sul ristabilimento dell’antica arte de‘ greci e de‘ romani pittori, Venedig 1784, Titelblatt. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Nx 11168.
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María Ocón Fernández
Werkes lediglich das von Winckelmann vertretene Schema eines organischen Lebenszyklus nach den Prinzipien von Ursprung, Wachstum, Veränderung und Verfall.4 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, stellt Requeno mit dem zweiten Teil seines Werkes Winckelmanns Geschichte einen explorativen Ansatz gegenüber.5 Für den Zusammenhang unserer Ausführungen ist es an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass Requeno sich gegen die von Winckelmann in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums aufgestellte Auffassung vom Ursprung der Kunst in der Bildhauerei statt in der Malerei wendet. Winckelmanns Primat, eine Geschichte der bildenden Kunst und insbesondere der Bildhauerei zu schreiben, äußert sich zum einen in der Überschrift des zweiten Kapitels „Anfang der Kunst mit der Bildhauerey“ und zum anderen in seiner Wahl, den Kollektivsingular beziehungsweise den Singular Kunst in den Mittelpunkt seines Werkes zu stellen und diese somit dezidiert zum Subjekt oder Gegenstad einer – sprich seiner – Geschichte der Kunst zu erheben.6 Requeno dagegen bezieht sich im Titel seiner Schrift explizit auf die Malerei der Antike, mit der er die griechisch-römische Antike verbindet: „dell’antica arte de’ greci e romani pittori“. Zugleich stellt Winckelmanns bekannte Äußerung die „Kunst hat mit der einfältigsten Gestaltung, und vermutlich mit einer Art von Bildhauerey angefangen; denn auch ein Kind kann einer weichen Masse eine gewisse Form geben, aber es kann nichts auf einer Fläche zeichnen [. . .]“,7 mit der er die Anfänge der Kunst mit der Bildhauerei verbindet, einen wichtigen Punkt im maltechnischen Diskurs des 18. Jahrhunderts dar. Seine Bevorzugung der Bildhauerei wurde mit der Befürwortung der Freskomalerei als der allgemeingültigen Maltechnik der Antike verbunden. Dieser Aspekt ist bislang in der WinckelmannForschung zwar festgehalten, aber nicht in seiner materialtechnischen, d. h. in seiner wissenschaftsgeschichtlichen Dimension beleuchtet worden. Requenos ausdrücklicher Bezug auf die Malerei steht dagegen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der antiken Technik der Enkaustikmalerei: „[. . .] ristabilire
4 Vgl. hierzu: Décultot/Fulda (2017), 42. Nach Winckelmann soll die Geschichte der Kunst „den Ursprung, das Wachstum, die Veränderung und den Fall derselben, [. . .], so viel möglich ist, beweisen“ (vgl. Winckelmann [1764], X). 5 Die Bezeichnung „explorativ“ geht auf Friedrich Steinle zurück. Vgl. Steinle (2005), S. 19. 6 Vgl. hierzu Décultot [ca. 2004], 160–161. Zur Wortwahl Winckelmanns „Geschichte“ statt „Historie“ vgl. Décultot 2017, 225–226. Nach Décultot „scheint W. bei seiner Entscheidung, die Kunst zum Hauptgegenstand eines einzelnen Geschichtswerks zu machen, in Voltaire zumindest einen Wegbereiter gefunden zu haben“ (vgl. ebd., 227). 7 Winckelmann (1764), 4. Das Zitat aus Winckelmanns Schrift lautet vollständig wie folgt: „Die Kunst hat mit der einfälligsten Gestaltung, und vermutlich mit einer Art von Bildhauerey angefangen; denn auch ein Kind kann einer weichen Masse eine gewisse Form geben, aber es kann nichts auf einer Fläche zeichnen; weil zu jenem der bloße Begriff einer Sache hinlänglich ist, zum Zeichnen aber viele andere Kenntnisse erfordert werden; aber die Malerey ist nachher die Zierinn der Bildhauerey geworden.“
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l’antica arte della greca pittura [. . .]“.8 Vor diesem Hintergrund erklärt sich der jeweilige Bezug auf antike Quellenschriften: der Winckelmanns auf das Werk des Pausanias9 und der Requenos auf die Naturkunde (Historia naturalis) von Gaius Plinius Secundus dem Älteren und hier insbesondere auf eine Textstelle, in der die drei Arten oder Methoden der Enkaustikmalerei erläutert werden.10 Nicht zuletzt gingen Requenos Bestrebungen auch dahin, seine eigenen Experimente bezüglich der Wiederherstellung der Enkaustikmalerei zu historisieren: „Storia delle mie esperienze“.11 Auch wenn nach neuesten Forschungserkenntnissen von einem historisierenden Ansatz in Winckelmanns Auffassung der griechischen Kunst (transitorische Geltung statt singulärer Höhepunkt und andauernde Vorbildlichkeit) zu sprechen wäre,12 müsste dieser von demjenigen Requenos unterschieden werden. Nicht ein abstraktes Objekt wie die Kunst soll in Requenos Schrift Gegenstand der Geschichte werden, sondern eines aus dem Bereich der Empirie: Seine eigenen Versuche und Experimente zur Wiederherstellung einer antiken Technik sollten in eine narrative, in eine geschichtliche Struktur eingebettet werden. Requenos Hauptschrift befasst sich also im Wesentlichen mit dem Ristabilimento bzw. der Wiederherstellung der antiken Maltechnik der Enkaustik. Die Wiedergewinnung dieses maltechnischen Verfahrens steht mit dem explorativen Ansatz in Requenos Werk in Verbindung, auf dem der Fokus dieses Beitrags liegt. An diesem Ansatz werden im Folgenden verschiedene Aspekte des maltechnischen Diskurses im 18. Jahrhundert aufgezeigt. Requenos Werk ist nicht als isolierte Erscheinung zu betrachten, sondern steht im Kontext mehrerer Autoren und ihrer Schriften, die im 18. Jahrhundert mit dem Anspruch entstanden sind, die antike Kunst im Sinne einer antiken Technik – Fresko-, Enkaustik- bzw. Wachs-, Temperamalerei – wiederherzustellen. In der zeitgenössischen Auseinandersetzung wurde eine Technik, nämlich die Enkaustik- oder Wachsmalerei, und somit die mal- und materialtechnische Komponente dieser Debatte hervorgehoben. Wie in diesem Beitrag zu sehen sein wird, werden antike Autoren wie Plinius von Requeno nicht nur als Autorität zur Rechtfertigung seiner eigenen Versuche herangezogen, sondern die Versuche selbst werden zugleich auf die Grundlage dieser antiken Textzeugnisse gestellt. Mit diesem Ansatz wird zugleich einer Forderung nachgegangen, die Hans Schmid 1926 mit dem „Weg des Experiments“ neben der philologischen Forschung zum Ausdruck brachte: Man wäre jedenfalls in Erkenntnis und wirtschaftlicher Verwertung der antiken Maltechniken viel weiter gekommen, wenn man an Stelle der philologischen Forschung oder wenigstens neben ihr
8 Requeno (1784), 18. 9 Meyer (1854). 10 Gaius Plinius Secundus d. Ä. (1978). Außer Plinius d. Ä. haben sich weitere antike Autoren wie z. B. Vitruv in ihren Schriften auf die Enkaustikmalerei bezogen. Diese Äußerungen werden aber nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags. 11 Vgl. Requeno (1784), 173. 12 Vgl. Décultot/Fulda (2017), 43.
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andere Wege beschritten hätte, und zwar den Weg des Experiments im Grossen und des Vergleiches erzielten Resultate mit der noch erhaltenen Ueberresten antiker Malerei in Bezug auf Qualität.13
In der polemischen Auseinandersetzung, die Requeno mit anderen zeitgenössischen Autoren zu diesem Gegenstand führte, fand nicht nur Aneignung, sondern auch Transformation im Sinne von Aktualisierung antiken Wissens statt. Der Rückgriff auf die Antike wurde in dieser Debatte auch als Mittel betrachtet, um auf den schlechten Zustand der Kunst der eigenen Zeit hinzuweisen. Insbesondere der Bezug auf die antike Technik der Wachsmalerei wurde als Schlüssel zur Verbesserung einer modernen, neuzeitlichen Technik wie der Ölmalerei gedeutet. Die „Streitfrage über das Altern der Ölmalerei” (Böttiger 1794, 508) bildet somit einen wichtigen Grund für den Rekurs auf eine antike Maltechnik, ihre Wiederherstellung und Aktualisierung für die Bedürfnisse der eigenen Zeit. Daher werden die drei Malarten der Enkaustiktechnik nach der Textstelle von Plinius nicht nach ihrer zeitlichen Abfolge befragt und dabei zwischen „früheren“ und „neueren“ Techniken differenziert, sondern als konkurrierende Malverfahren bzw. Erklärungsmodelle betrachtet. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die Antike allelopoietisch betrachtet. Mit anderen Worten: „Die Antike, [. . .], wird in den nachantiken Kommunikationen über sie erst zu dem, was sie als Antike sein kann. In den Transformationsakten wird also die Potentialität der Antike kreiert und es wird nicht vordringlich entdeckt oder freigelegt, was die Antike,in Wirklichkeit’ gewesen sein mag.“14 So ergeben sich am Ende dieses Beitrags zwei entgegengesetzte Positionen zu dem hier diskutierten Gegenstand: Die des Protagonisten einer Experimentalwissenschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert gegenüber der des Antiquars und Gelehrten, wobei beide jeweils mit den Personen Requeno und Winckelmann korrespondieren. Requenos Winckelmann-Kritik bildet deshalb den letzten Teil dieses Beitrags.
2 Die zwei Figuren des Transformativen: J. J. Winckelmann und V. Requeno Bevor jedoch auf den maltechnischen Diskurs des 18. Jahrhunderts und die Schriften Winckelmanns und Requenos eingegangen wird, sollen beide Autoren und insbesondere der spanische Jesuit Vincenzo Requeno kurz vorgestellt werden.
13 Schmid (1926), 11. Hervorhebung des Autors. Zu dieser Schrift vgl.: Dannenberg (1928), S. 700–704. 14 Böhme (2011), 15. Hervorhebungen des Autors.
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Während zur Person Winckelmanns (1717–1768) und seiner Geschichte der Kunst des Altertums eine schier unüberschaubare Fülle an Publikationen vorliegt,15 ist Vicente Ignacio Luis Gonzaga Requeno y Vives Carnicer Garulo (1743–1811) bislang wenig bis kaum erforscht. Leben und Werk von Requeno sind lediglich von Miguel Batllori und insbesondere von Antonio Astorgano Abajo behandelt worden.16 Geboren am 4. Juli 1743 in Calatorao (Saragossa), also einige Jahre nach Winckelmann, wurde er bereits 1757 im Alter von 13 Jahren in Aragon in den Jesuiten-Orden aufgenommen und studierte u. a. in Saragossa Rhetorik und Philosophie. Wegen der Vertreibung der Jesuiten aufgrund des Gesetzes vom 3. April 1767 verließ er Spanien und ließ sich in Italien nieder. In Modena erhielt er die Priesterweihe. Abgesehen von einem kurzen Spanien-Aufenthalt verbrachte er bis zu seinem Tod am 16. Februar 1811 fast sein gesamtes Leben in Italien, wo er sich in verschiedenen Orten (Modena, Korsika, Ferrara, Bologna, Neapel, Rom, Tivoli) aufhielt. Während eines dreijährigen Aufenthaltes in Spanien (1798–1801) wurde er 1799 Ehrenmitglied der in Saragossa gegründeten Real Academia de Nobles y Bellas Artes de San Luis und im selben Jahr auch Mitglied der Madrider Real Academia de Bellas Artes de San Fernando.17 In der Literatur wurde Requeno unterschiedlich charakterisiert: Als Archäologe, Musikwissenschaftler, Münzwissenschaftler, Kunsthistoriker und sogar Erfinder (inventor). Autoren wie Batllori stellen ihn als „descubridor de la pintura al encausto“, d. h. als „Entdecker der enkaustischen Malerei“ dar.18 Ähnlich urteilte Astorgano Abajo in seiner Darstellung des spanischen Jesuiten: „[. . .] tuvo la afortunada y honrosa suerte de descubrir el encausto o la pintura antigua de los romanos y griegos.“19 Die Charakterisierung Requenos als Entdecker der antiken Maltechnik der Enkaustik begann schon im 18. Jahrhundert sich zu etablieren. Ein Jahr nach dem 15 Die Verfasserin hat die 2007 erschienene kommentierte Ausgabe zu der ersten und zweiten postum veröffentlichten Auflage von Winckelmanns Geschichte konsultiert, die aber keine weiteren Hinweise auf die hier behandelte Problematik enthält (vgl. Borbein [2007], 346). Der dort angegebene Kommentar zu einer Maltechnik bezieht sich auf das unter Ganosis bekannte maltechnische Verfahren, das von Winckelmann in der hier behandelten Textstelle aus dem vierten Kapitel seiner Schrift nicht berücksichtigt wird. Veröffentlichungen späteren Datums enthalten keine weiteren Hinweise zu dem hier behandelten Untersuchungsgegenstand (vgl. Disselkamp/Testa [2017]; Elisabeth Décultot/Martin Dönike/Wolfgang Holler/Claudia Keller/Thorsten Valk/Bettina Werche [2017]). 16 Vgl. Batllori (1966), 47–48; Astorgano Abajo (2007), 481–483. 17 Vgl. Astorgano Abajo (2001). Nach Carofano wurde Requeno auch „aggregati d’onore” der Accademia Clementina di Bologna (vgl. Carofano [2013], 181). Auf dem Titelblatt der zweiten Auflage seines Werkes von 1787 nennt er sich selbst „Accademico clementino“. 18 Vgl. Batllori (1966), 47. Zu der Charakterisierung Batlloris vgl. weiter Astorgano Abajo (2007), Anm. 1821, 481. Winckelmann wird hauptsächlich als Begründer der Kunstgeschichte (Wegele, 1885) und der Archöäologie charakterisiert (vgl. hierzu Décultot/Fulda [2017], 41). 19 Astorgano Abajo (2007), 481 und Anm. 1822.
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Erscheinen der zweiten Auflage seiner Saggi 178720 brachte die damals bekannte und einflussreiche Allgemeine Literatur-Zeitung eine ausführliche Rezension dazu. Darin wurde er als der „Wiederauffinder“ der antiken Maltechnik gepriesen: „Indessen gehört dem vortrefflichen und unermüdeten Spanier die Ehre, der Wiederauffinder der Manier zu seyn, in welcher die griechischen und römischen Maler ihre vortrefflichen Kunstwerke verfertigten.“21 Diese positive Einschätzung seiner Leistung setzte sich mit den Äußerungen Carl August Böttigers Ende des 18. Jahrhunderts fort: „Die wahre Epoche der wiedererfundenen Enkaustik fängt mit den Versuchen und Schriften des Spaniers Requenno[sic!] in Italien an, von welchem sie dann bald als eine Modeliebhaberei sich in mehreren Ländern Europas verbreitet [. . .]“.22 Mitte des 19. Jahrhunderts rühmte Franz Xaver Fernbach ihn in seiner weit verbreiteten Schrift Die enkaustische Malerei (1845): Am meisten hat es der spanische Exjesuit Don Vincenzo Requeno in dieser Kunst gebracht. Er entdeckte die zu Anfang dieses Artikels angezeigten drei verschiedenen Manieren der alten Wachsmalerei, die er 1784 in einer besonderen Schrift [. . .] beschrieb, daher man ihm mit Grund die Ehre der Wiedererfindung dieser Kunst zuschreiben kann.23
Auch in allgemeineren Werken wie im Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte wurde Requeno als Erfinder dargestellt und auf die Verbreitung seiner Schrift eingegangen: Requenos Erfindung fand schnelle Verbreitung. Sie wurde an Akademien, bestehenden oder eigens gegründeten Zeichenschulen gelehrt (Bologna, Ferrara, Schule des Marchese Bianchi in Mantua) und durch Schüler weiter verbreitet, so daß in fast jeder größeren italienischen Stadt am Ende des 18. Jh. enk. Gemälde entstanden [. . .]. Eine Wirkung auf außeritalienische Künstler und Erfinder ist dagegen kaum festzustellen.24
Letztere Aussage lässt sich jedoch schnell widerlegen, wenn beispielsweise das Verzeichnis der Bücher und Kupferstichwerke der Berliner Akademie der Künste von 1854 berücksichtigt wird. Dort wurde das Werk Requenos, und zwar in seiner ersten
20 Requeno (1787). 21 Anonym 222 (1788),Sp. 713–719. 22 Böttiger (1794), Tl. 3, 583; Hervorhebungen des Autors. Vgl. weiter: Sillig, Bd. 2 (1838), 129. Unter dem Titel „Geschichte der Enkaustik der Alten und der neueren Versuche, sie wieder herzustellen“ gibt Sillig die drei Teile Böttigers zur Enkaustikmalerei wieder, die ursprünglich im „Journal des Luxus und der Moden“ 1794 veröffentlicht wurden (vgl. Sillig [1838], 85–130). 23 Fernbach (1845), 21. 24 Beyer (1967), Sp.724–725. Büll erwähnt „[z]ahlreiche Schüler und Freunde der Enkaustik Requenos in Italien“. Vgl. Büll (1963), 409. Nach Carofano wurde Requeno Direktor der so genannten Accademia de‘ Dillettanti d’Encausto in Mantua. Der Autor erwähnt einige Künstler, die an den von der Akademie organisierten Seminaren teilnahmen. Requenos Werk Saggi wurde als Grundlage einiger der dort ausgeführten praktische Versuche verwendet (vgl. Carofano [2013], 186).
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Auflage, aufgeführt.25 Auch in Spanien wurde sein Werk rezipiert, wie am Beispiel von Pedro García de la Huertas Comentarios de la pintura encáustica del pincel (1795) festgestellt werden kann. García de la Huerta (1748–1799), ein spanischer Jesuit und Zeitgenosse Requenos in Rom,26 nahm explizit Bezug auf Requeno und hat das Wort Saggi im Titel seines Werkes im Sinne von Versuche (pruebas) übersetzt: „Despues de haber compilado el Abate Don Vicente Requeno en la primera parte de su obra intitulada: Pruebas sobre el restablecimiento del antigua arte de los Griegos y Romanos Pintores [. . .]“.27 In Veröffentlichungen späteren Datums, wie zum Beispiel in der Arbeit von Paola D’Alconzo Picturae excisae (2002), wurde ausdrücklich auf die Verbreitung von Requenos Schrift hingewiesen sowie auf die praktische Anwendung der dort dargelegten Ergebnisse zur Wiederherstellung der Enkaustikmalerei eingegangen.28 In diesen Äußerungen zur Rezeption seiner Hauptschrift, die bereits Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte und bis in unsere unmittelbare Gegenwart fortdauert, wird Requeno als „Wiederauffinder“ oder „Entdecker“ (inventor) einer antiken Maltechnik gewürdigt. Die Wiederherstellung dieses Malverfahrens wurde mit dem Wort „Versuch“ verbunden, das unmittelbar auf praktische Versuche und somit auf die experimentelle Eigenschaft von Requenos Schrift hindeutet. Mit diesem explorativen Aspekt hängt eine Stelle aus Plinius‘ Naturkunde (Naturalis historia) und damit auch eine Disziplin des klassischen Altertums unmittelbar zusammen: die klassische Philologie. Denn fast alle Autoren, die sich mit der Wiederherstellung der antiken Maltechnik der Enkaustikmalerei befassten, nahmen auf diese eine Stelle bei Plinius Bezug.29 Darauf deuten zum Beispiel Fernbachs „drei verschiedene Manieren“, d. h. die drei Arten der Enkaustikmalerei, die von Plinius in dieser Textstelle beschrieben werden. Bei der Auslegung von Plinius‘ Textpassage fand die Aneignung antiker
25 Vgl. Caspar (1854), 35. Die erste Auflage von Requenos‘ Werk (1784) ist bereits 1793 in den Beständen der Bibliothek der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando (Madrid) verzeichnet (vgl. Bédat [1967/1968], 75). In Frankreich ist die Veröffentlichung Requenos in seiner zweiten Auflage von 1787 in den Privatbibliotheken von Antoine Chrysôstome Quatremère de Quincy und von Désiré Raoul-Rochette verzeichnet (vgl. Bibliothéque de M. Quatremère de Quincy [1850], 104; Catalogue des livres [1855], 45). Beide Bibliotheken enthielten auch Winckelmanns Geschichte in der französischen und italienischen Übersetzung (vgl. Bibliothèque de M. Quatremère de Quincy [1850], 42; Catalogue de livres [1855], 222). Zur Verbreitung von Winckelmanns Geschichte in Frankreich vgl. Décultot (2017), 235–236. 26 Der Jesuit Pedro García de la Huerta war Bruder von Vicente Antonio García de la Huerta (1734–1787), der auch als Zensor bzw. Kritiker eines der Werke von Diego Antonio Rejón de Silva (1754–1796), eines der ersten Übersetzer von Winckelmanns Geschichte ins Spanische, bekannt wurde. Vgl. hierzu Martínez Pérez (2014), XVII. 27 García de la Huerta (1795), 18. In seinen Ausführungen zur semantischen Dimension von ‚Experiment‘ stellt Schmidt fest, dass in der deutschen Sprache dieser Begriff auch mit ‚Versuch‘ übersetzt werden kann. Vgl. Schmidt (2006), S. 69. Vgl. hierzu auch: Rössler (2017). 28 D’Alconzo (2002), 69 und Anm. 16. 29 Schmid distanziert sich in seiner Publikation von 1926 von der Bedeutung, die der Plinius-Stelle von anderen Autoren wie z. B. von Berger zugesprochen wird (vgl. Schmid [1926], 69–70).
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Wissensbestände statt, die auf einer experimentellen, explorativen Ebene transformiert und im Hinblick auf den Zustand der Malerei, d. h. auf die Bedürfnisse der damaligen Zeit, aktualisiert wurden. In diesem Transformationsvorgang, von der Antike bis in das 18. Jahrhundert, fand auch die Verbindung beider Diskurse, d. h. des geistesgeschichtlichen (historischen, philologischen, kunstgeschichtlichen) mit dem malund materialtechnischen bzw. dem wissenschaftsgeschichtlichen statt.
3 Aneignung, Transformation, Aktualisierung antiken Wissens Im Mittelpunkt der Aneignung antiker Wissensbestände steht folgende vieldiskutierte Textstelle aus der Naturkunde (Naturalis historia) von Gaius Plinius Secundus dem Älteren (23–79 n. Chr.), wo von den drei Arten der Enkaustikmalerei berichtet wird: „Encausto pingendi duo fuere antiquitus genera, cera et in ebore cestro, id est vericulo, donec classes pingi coepere. hoc tertium accessit resolutis igni ceris penicillo utendi, quae pictura navibus nec sole nec sale ventisve corrumpitur.“ In der deutschen Übersetzung von Roderich König lautet dieser Textpassus wie folgt: Von der enkaustischen Malerei gab es früher zwei Arten, eine mit Wachs und eine auf Elfenbein mit dem Brenngriffel, das heißt mit dem Grabstichel, bis man anfing, die Schiffe zu bemalen. Da gesellte sich als eine dritte Art dazu, daß man das über dem Feuer geschmolzene Wachs mit dem Pinsel aufträgt, ein Anstrich, der an den Schiffen weder durch die Sonne noch durch das Seewasser und durch Winde verdorben wird.30
In der Forschungsliteratur des 20. Jahrhunderts zur Enkaustikmalerei wird diese Stelle verschiedentlich übersetzt und demnach unterschiedlich ausgelegt. Wichtige Autoren wie der Maler Ernst Berger sprechen beispielsweise von ihrer „orakelhafte[n] Kürze“.31 In Bergers Wiedergabe der Plinius-Textpassage sind einige Unterschiede zu der bereits erwähnten Übersetzung festzustellen: Enkaustisch zu malen hat es in alter Zeit [nur] zwei Arten gegeben, mit Wachs (?) und auf Elfenbein mit dem Cestrum,d. h.einem spießähnlichen Werkzeug, bis man anfing, die Kriegsschiffe zu bemalen. Dadurch kam als dritte Art hinzu, die Wachsfarben durch Feuer flüssig zu machen und den Pinsel zu gebrauchen: eine Malerei, die an Schiffen weder durch die Sonne noch durch das Salzwasser oder die Winde beschädigt wird.32
30 Gaius Plinius Secundus d. Ä. (1978), Bd. 35, 41, 149, 106–107. 31 Berger (1917), 115. 32 Die Stelle in lateinischer Sprache lautet in Bergers Arbeit wie folgt: “Encausto pingendi duo fuere antiquitas genera, cera (?) et in ebore cestro, id est viriculo, donec classes pingi copere. Hoc tertium genus accessit resolutis igni ceris penicillo utendi, quae pictura navibus nec sole nec sale ventisque corrumpitur”. Vgl. Berger (1917), 115. Hervorhebungen des Autors.
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Berger verwies in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Interpretationen, die diese Textstelle im Laufe der Jahrhunderte von Philologen, Archäologen und Künstlern erfahren hat. Sowohl das Material, d. h. der Malgrund (Holz, Elfenbein), als auch die Werkzeuge oder Malinstrumente: Cestrum, Cauterium (heisser Stift bzw. Brenngriffel oder Brenneisen) und Pinsel bildeten den Gegenstand der Auslegung.33 Dabei stellte sich die Frage, ob Wachs auch mit einem Pinsel aufgetragen werden konnte. Mit anderen Worten: ob nach Donner von Richter von einer Cestrum-Enkaustik, bei der die Pinseltechnik verworfen wurde, oder, nach Berger, von einer Pinsel-Enkaustik als besondere Art dieser Technik gesprochen werden konnte.34 Veröffentlichungen aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert, wie beispielweise die Comentarios de la pintura encáustica del pincel des Spaniers García de la Huerta, belegen, dass damals von einer Pinsel-Enkaustik-Malerei die Rede war.35 Auch Berger spricht sich in seinen beiden Abhandlungen (1904, 1917) für diese besondere Technik der Enkaustik aus. Berger zeigt in seiner Arbeit, wie gelehrte Philologen wie etwa der Dresdner Carl Meyhoff, die sich ausschließlich auf die Plinius-Stelle beriefen, das Problem der antiken Enkaustik zu lösen versuchten. Dabei korrigiert Meyhoff nach Bergers Darstellung eine frühere Übertragung aus dem Lateinischen, wonach das Werkzeug Cauterium durch cera (Wachs) ersetzt wurde. So schlägt Berger in Übereinstimmung mit Meyhoff vor, das fehlerhafte cera, „dessen Entstehung aus einer Verstümmelung des ursprünglichen cauterio zu erklären“ wäre, durch cauterio oder Cauterium zu ersetzen. Die entsprechende Plinius-Stelle würde dann lauten: „Encausto pingendi duo fuere antiquitus genera, cauterio et in ebore cestro, id est vericulo, donec classes pingi coepere. hoc tertium genus accessit resolutis igni penicillo utendi u. s. w.“ Durch diese Korrektur werden nach Berger die drei verschiedenen Arten der Enkaustikmalerei mit den drei dazugehörigen Werkzeugen eindeutig charakterisiert.36 Bei der Enkaustikmalerei unterscheidet er aber zwischen zwei „älteren“ und einer „neuen“ Malart, die er mit der Pinseltechnik verbindet.37 Gerade dieses chronologische Kriterium bei der Charakterisierung der drei Malverfahren der Enkaustikmalerei wird von Requeno, wie später zu sehen sein wird, in Frage gestellt. Berger macht zugleich auf die sogenannten Praktiker, d. h. auf jenen Kreis von Künstlern und Kunstliebhabern aufmerksam, „die vielleicht weniger Gewicht auf die 33 Zu diesen drei Malinstrumenten und insbesondere zu Cestrum und Cauterium vgl. weiter Berger (1904), 193; Schmid (1926), 81–82. 34 Berger (1917), 117–118. Diese Frage behandelt Berger auch unter Berücksichtigung der Schrift von Otto Donner von Richter (1885). Vgl. hierzu auch Donner von Richter (1888). 35 García de la Huerta (1795). 36 Vgl. Berger (1904), 191–192. Hervorhebungen des Autors. Vgl. weiter Berger (1917), 118. Diese Korrektur erklärt, warum Berger in seiner Wiedergabe der Plinius-Stelle (Deutsch, Latein) hinter Wachs bzw. cera ein Fragezeichen setzt. Der Ersatz von cera durch cauterio wird in der Forschungsliteratur späteren Datums weiter thematisiert (vgl. Aletti [1951], 48). 37 Vgl. Berger (1904), 193.
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genaue Exegese der Schriftquellen gelegt haben und vielmehr von praktischen Gesichtspunkten ausgegangen sind“.38 In diesem Kreis von Praktikern oder Experimentatoren erwähnt Berger neben dem französischen Antiquar und Sammler Anne-ClaudePhilippe de Thubières, Comte de Caylus und dem Maler Jean-Jacques Bachelier39 eben auch Requeno. Dabei präzisiert Berger, dass die sogenannten Praktiker hauptsächlich von der Nutzanwendung des Materials ausgingen: „[sie, M.O.] versuchten alle Möglichkeiten, aus dem Wachs ein brauchbares Malmittel zu machen [. . .]“.40 An einer anderen Stelle dieses Beitrags wird noch zu zeigen sein, dass gerade die Plinius-Stelle das Transformationspotential birgt, um diese antike Maltechnik im Sinne einer Aktualisierung der Erfordernisse der eigenen Zeit interpretieren zu können. Diese drei enkaustischen Malarten in Requenos Schrift wurden nämlich zu drei konkurrierenden Erklärungsmodellen zur Wiederherstellung dieser antiken Technik. Hier sei aber zunächst eine kurze Bemerkung zur Enkaustikmalerei allgemein vorangestellt. Was ist Wachsmalerei und wie kann diese im Unterschied zu anderen Maltechniken definiert werden? Folgt man den Ausführungen Böttigers hat die Enkaustik ihren Namen von einem griechischen Wort (Enkausis) erhalten, welches Einbrennen bedeutet.41 Nach Reinhard Büll ist unter Wachsmalerei eine Malkunst zu verstehen, die sich des Wachses als Bindemittel bedient. Die Enkaustikmalerei definiert er dann wie folgt: „Die mittels Hitzeeinwirkung geübte Art des Malens mit Wachs als Bindemittel heißt enkaustische Wachsmalerei oder Enkaustik.“42 Als besondere Vorzüge dieser Technik wurden die große Haltbarkeit, die naturalistische Wirkung, der tiefe Glanz und die satten Töne der Farben erwähnt.43 Auch im 18. Jahrhundert wurden diese positiven Eigenschaften der Wachsmalerei rezipiert und stellten zugleich den Grund für die Kritik am Zustand der zeitgenössischen Malerei und in diesem Zusammenhang auch der neuzeitlichen Technik der Ölmalerei 38 Vgl. Berger (1917), 118. 39 Zu Caylus und Bachelier vgl. u. a.: Böttiger (1794), Tl. 2, 504–528. Caylus war zusammen mit Michel Joseph Majault Autor einer Abhandlung über Enkaustikmalerei, die 1755 veröffentlicht wurde. Vgl. Caylus/Majault (1755). In der Kontroverse über die enkaustische Malerei in Frankreich stellt die Denkschrift Caylus‘ die bekannteste Publikation dar. Dieser Streit, der hauptsächlich von Caylus und Denis Diderot ausgetragen wurde, wurde aber von weiteren Publikationen begleitet wie zum Beispiel vom Eintrag Monnoyés über Enkaustik in der Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers aus dem Jahr 1755 und von der Schrift L’Histoire et le secret de la peinture en cire von 1755. Letztere Veröffentlichung, die sehr wahrscheinlich von Diderot verfasst wurde, machte die von Bachelier verwendete enkaustische Methode bekannt (vgl. hierzu Rice [1999], 68–74). 40 Vgl. Berger (1917), 119. 41 Vgl. Böttiger (1794), Tl. 1, 458. 42 Vgl. Büll (1963), 322. Hervorhebungen des Autors. Zur Literatur zu dieser Maltechnik vgl. unter anderem auch folgende Veröffentlichung: Schießl (1989), 111–113. Zur Definition dieser Technik vgl. weiter Wehlte (2000), 444. 43 Vgl. Büll (1963), 324.
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dar. Nach den Ausführungen von Danielle Rice findet in Frankreich (Abb. 3) die Kontroverse um die „Wiederentdeckung“ (redécouverte) der Enkaustikmalerei vor dem Hintergrund der Kritik an einem Stil statt, der als indiscipliné (undiszipliniert) und éxuberant (überladen) galt und mit einer modernen Technik, d. h. mit der Ölmalerei, verbunden wurde. Der Rekurs auf eine antike Technik wie die
Abb. 3: Anne-Claude-Philippe de Thubières Comte de Caylus/Michel-Joseph Majault, Mémoire sur la peinture à l’encaustique et sur la peinture à la cire, Paris 1755, Titelblatt. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Nu 5842.
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Enkaustikmalerei von Caylus und Diderot sollte zur Einführung von Eigenschaften in die französische Kunst des 18. Jahrhunderts dienen, die, als épurée (gereinigt) charakterisiert, der Kunst der klassischen Antike zugeschrieben wurden.44 Auf die französische Kontroverse über die Enkaustikmalerei bezogen urteilt Pierluigi Carofano über diese antike Technik in seiner Arbeit von 2007 wie folgt: „[. . .] nella sua sobrietà, poteva costituire, finalmente, una nuova via rispetto alla pittura ad olio che per le sue caratteristiche di facilità di tocco e di prestezza indirizzava, quasi naturalmente, verso il corrente rococò [. . .]“.45 Requeno selbst widmet der Ölmalerei einen ganzen Abschnitt im zweiten Teil seiner Schrift und verknüpft damit die Notwendigkeit zur Wiederherstellung antiker Techniken: „I defetti dell’olio adoperato nella nostra pittura provano la necessità del ristabilimento de’ metodi antichi greci“.46 Noch 1795 kamen Autoren wie García de la Huerta in seinen Commentarios auf die sogenannten „defectos del aceite“ zu sprechen. Seine Ausführungen können durchaus als Übernahme von Requenos Gedanken gelesen werden, dessen Werk er nachweislich rezipierte: „Los defectos del aceyte en la pintura prueban la necesidad de restablecer los métodos de los Griegos y romanos antiguos del mejor tiempo“.47 Dem vermeintlichen „Verfall“ der Kunst wurde von García de la Huerta eine „Blütezeit der Kunst“ („del mejor tiempo“) gegenübergestellt. Der spanische Autor ging in seinen Ausführungen ebenfalls auf die vielen und gravierenden Schäden ein, die der Malerei durch diese Technik (sc. der Ölmalerei) zugefügt wurden und die sowohl die Haltbarkeit (duración) und Schönheit (hermosura) der Gemälde betrafen: „[. . .] los muchos y graves daños que trae á esta nobilísima arte el método del aceyte, ingrediente igualmente pernecioso á la duración que á la hermosura de las pinturas.“48 Dem Zusammenhang zwischen der Kritik am Zustand der Malerei und der Hoffnung auf ihre Verbesserung verlieh auch Winckelmann in seiner bereits erwähnten Schrift mit Bezug auf die Malerei von Herculaneum unmittelbaren Ausdruck: Zuletzt ist mit ein paar Worten von dem Gebrauche bey den Alten zu reden, die Gemälde vor dem Nachtheile, welchen sie von der Luft oder der Feuchtigkeit leiden könnten, zu verwahren. Dieses geschah mit Wachse, womit sie dieselben überzogen, wie Vitruv [. . .] und Plinius [. . .] melden, und dadurch erhöhten sie zu gleicher Zeit den Glanz der Farben.49
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Vgl. Rice (1999), 72. Vgl. weiter Rice (1979). Vgl. weiter Carofano (2007), 86. Vgl. Requeno (1784), 104–118. García de la Huerta (1795), 18. Vgl. ebd., 19. Winckelmann (1764), 286–287.
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Schutz vor Witterungseinflüssen, Haltbarkeit und Glanz der Farben wurden nach Winckelmann durch das Material Wachs gewährleistet.50 Auch die Verbindung zur Antike stellte Winckelmann nicht nur über die antiken Schriftsteller (Vitruv, Plinius), sondern ebenso über ein Material her: Wachs. In diesem Zusammenhang erstaunt es aber nicht, wenn Autoren wie Berger in seinen Erörterungen zu den Versuchen zur Wiederherstellung der antiken Technik der Enkaustik nicht Winckelmann, sondern den spanischen Jesuiten Requeno als denjenigen darstellen, der dazu wesentlich neue Erkenntnisse einbrachte.51 Einen ähnlich wichtigen Anstoß stellte für Berger auch die Entdeckung der Gemälde in den antiken Städten Kampaniens (Herkulaneum, Pompeji, Stabiae) dar. Dies brachte der Autor wie folgt zum Ausdruck: [. . .] während Caylus und Bachelier nur die Quellenschriften als Grundlage ihrer Versuche hatten, eröffnete die Aufdeckung von Herkulaneum und Pompeji [. . .] ganz neue Gesichtspunkte, und die Frage drehte sich um den einen Punkt, ob die dort gefundene Gemälde enkaustische wären oder nicht.52
Die Diskussion zur Frage der Technik dieser (Wand-)Gemälde, die schon im 18. Jahrhundert einsetzte und im 19. Jahrhundert weitergeführt wurde, kann im Rahmen dieses Beitrags nicht in der angemessenen Ausführlichkeit dargestellt werden.53 Es sei dennoch auf die Tatsache hingewiesen, dass Requeno nach Bergers Darstellung bei seinem Versuch zur Wiederherstellung dieser antiken Maltechnik von der Verwendbarkeit des Materials Wachs ausging. Während Winckelmann Wachs ausschließlich als Mittel zum Schutz und zur Haltbarkeit der Farbe betrachtete,54 stand dieses Material für Requeno mit der Wiederherstellung einer Technik in Verbindung, zu der er in seinem Werk sogar einige Rezepturen lieferte. Diese fanden Anfang des 19. Jahrhunderts zum Schutz der Wandgemälde aus Herculaneum Verwendung, auch wenn der Einsatz nicht zu den erhofften Ergebnissen führte.55 Berger geht anschließend auf die drei von Plinius beschriebenen Arten der Enkaustikmalerei und auf ihre Interpretation durch Requeno ein. Somit unterstreicht er die Bedeutung der Plinius-Textstelle auch im Werk Requenos.56 50 Im Register zu seiner Schrift ist unter Wachs Folgendes zu lesen: „Wachs, damit werden die Gemälde der Alten überzogen, um sie besser zu erhalten [. . .]“, vgl. Winckelmann (1764), o. S. 51 Berger (1904) 2007, 290. 52 Vgl. ebd. 53 Zu der Technik-Kontroverse der römisch-pompejanischen Wandmalerei, die im 19. Jahrhundert unter anderem von Berger gegen Otto Donner von Richter weiter geführt wurde, vgl. unter anderen: Breitschedel (1911). 54 Winckelmann (1764), 286–287. Winckelmann verwies in dem Zusammenhang auf das entsprechende Buch und Kapitel zu den Farben (7. Buch, 9. Kap.) in Virtruvs Werk: Vitruvii (1991), 345. 55 Vgl. hierzu D’Alconzo (2002), 70. Requeno legte die von ihm entwickelten Rezepturen, die zum Schutz der Wandgemälde aus Herkulaneum Anfang des 19. Jahrhunderts zur Anwendung kamen, in der zweiten Auflage seiner Schrift von 1787 dar. 56 Vgl. Berger (1904) 2007, S. 290.
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4 Von den drei Verfahrensarten der Enkaustikmalerei zu drei konkurrierenden Erklärungsmodellen Requeno gibt im fünften Kapitel seiner Schrift Come dipinsero in generale gli antichi Greci die Plinius-Stelle zunächst in lateinischer Sprache wieder: „Encausto pingendi duo fuisse antiquitus genera constat; cera, & in ebore castro, id est veruculo [lies: vericulo, M.O.]: donec classes pingi caperunt [lies: coepere, M.O.], nam tertium hoc accessit, resolutis igni ceris, pennicillo utendi [; qua pictura, in navibus, nec sole, nec sale ventisque corrumpitur].“ Diese wurde wie folgt ins Italienische übersetzt: Anticamente furono due generi di pittura all’Encausto, cioè, con la cera ed in avorio colo stiletto, ossia schidioncino, in finchè cominciarono a dipingersi le Navi; giacchè allora venne un terzo metodo todo di dipingere col pennello struggendo la cera al fuoco; la qual pittura nelle navi non si corrompe, o guasta nè pel sole, nè pel sale, nè pe’ venti.57
Folgt man zunächst den Ausführungen von Beyer im Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, richtete sich Requenos Interesse besonders auf die erste und dritte von Plinius beschriebene enkaustische Methode.58 Mit anderen Worten: Auf die erste, die auf Holz, mit Wachs und dem Brenngriffel verwirklicht wird (stiletto, schidioncino), und auf die dritte, die ebenfalls mit Wachs, aber mit dem Pinsel (pennello) ausgeführt wurde. In seinen Ausführungen zu Requeno berücksichtigt Berger dagegen alle drei Arten der Enkaustikmalerei, die er als gleichbedeutend behandelte. Somit entspricht er darin der Vorgehensweise Requenos. Bei der Auslegung der Plinius-Stelle ging Requeno, wie bereits erwähnt, von der Verwendbarkeit des Materials aus. Er kam, so Berger, auf die Idee „mit metallenen Griffeln verschiedener Form das heissgemachte Wachs aufzutragen und mit heissen Instrumenten zu verbreiten“. Mittels Brenngriffeln (stiletti) wurden die Farben auf ein Brett aufgetragen. So wurde von Berger die erste Art dargestellt. „Die II. Art des Plinius erklärt Requeno als Einbrennen der Konturen auf Elfenbein mit einem Glühstift“, heißt es weiter. Bei der dritten Art erwähnte der Autor sogar die von Requeno anhand der Pliniusstelle entwickelte maltechnische Prozedur, ihre Bestandteile und Zusammensetzung: „Er schmolz zuerst Wachs, Kolophonium und Weihrauch zu harter Paste zusammen, rieb die hierauf pulverisierte Masse mit Farbenpulver und Wasser an, setzte etwas Eiweiss hinzu und malte mit dem
57 Requeno (1784), Anm. (a), 135–136. Sowohl in der ersten (1784) als auch in der zweiten Auflage (1787) hat Requeno die in eckigen Klammern befindliche Textpassage weggelassen (vgl. ders., [1987], Bd. 1, 211). 58 Beyer (1967),Sp. 724.
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Pinsel; zuletzt brannte er die Malerei ein.“59 Das spätere Einbrennen korrespondiert auch mit der von Requeno selbst beschriebenen Vorgehensweise, wie später noch festzustellen sein wird. Die bereits aufgestellte Behauptung, dass Requeno beim explorativen Ansatz von der Plinius-Stelle ausging, findet in der Überschrift zum zehnten Kapitel seines Werkes ihre Bestätigung: „I miei principj di ragionari intorno a gli antichi metodi delle pittura, e all’interpretazione di Plinio.“60 Hier bezieht er sich nicht nur auf jene Autoren, die sich wie der französische Maler Bachelier vor ihm mit der Wiederherstellung dieses antiken maltechnischen Verfahrens auseinandersetzten. Viel wichtiger in dem Zusammenhang ist seine Äußerung, nach der den antiken Künstlern (artefici) keine Praktiken beziehungsweise Verfahrensweisen zuzuschreiben wären, welche nicht nur durch antike Zeugnisse bewiesen, sondern auch aus diesen abzuleiten gewesen wären: „Non debbe agli antichi Artefici attribuirsi pratica alcuna, che non venga provata con antichi testimonj, o che non venga dagli antichi testimonj ragionevolmente dedotta [. . .]“.61 Daran knüpft er sogenannte Proposizioni, d. h. neun Regelungen an, die er dem dreizehnten Kapitel voranstellt. In diesem bezieht er sich auf seine eigenen Experimente, die er zugleich zu historisieren versucht, indem er sie – wie schon an der Kapitelüberschrift erkennbar – nicht als Bericht (rapporto), sondern als Geschichte (storia) auffasst: Storia delle mie esperienze. Die langen Ausführungen, die er seinen neun Regelungen widmete, stellen einen Hinweis dafür dar, dass sich die im 18. Jahrhunderts noch relativ junge empirische Wissenschaft über einen „unendlichen Progress des Erweisens“ seines Gegenstands diesen selbst zu eigen machte.62 Empirische Forschung, eher auf Beobachtung und Experiment als auf Sprache basierend, bemächtigt sich aber über die sprachliche Darlegung dieser langen Kette von Beobachtungen ihres eigenen Gegenstands. So zum Beispiel bei Requeno, der in diesen neun Proposizioni das Verfahren der Enkaustikmalerei schilderte und dieses dabei auch zu systematisieren versuchte. Beim Beschreiben der Regelungen ging Requeno erneut auf die drei Arten der Enkaustikmalerei in Plinius’ Werk ein. Jede dieser neun Proposizioni wurde an die Darlegung eines bestimmten Gegenstands geknüpft: die Brenntechnik oder abbrucciamento, die er in allen drei Arten konstatierte, die Apparaturen oder Malgeräte (stiletto oder Brenngriffel, Pinsel oder pennello) zur Ausführung der Malerei mit Wachs, das sogenannte punische Wachs und die Methode seiner Herstellung, die Farben (natürliche und künstliche) sowie auch Bitumen (gomme resinose) oder Asphalt. Diesen Gegenständen widmet Requeno seine ersten acht Regeln, die er mit den Ausführungen zu einer neunten Regel, in der er sich mit der Werkstatt eines antiken Malers im Allgemeinen befasst, zum Abschluss 59 Berger (1904/2007), 290. 60 Requeno (1784), 156–157. 61 Ebd., 157. 62 Vgl. hierzu Engelmann (2013), 100.
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bringt.63 Requenos Versuche (saggi) ordnen sich somit in das Feld des angewandt Experimentellen ein, das Autoren wie Schmidt für den Zeitraum vom ausgehenden 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert konstatieren,64 gehen aber mit seinem systematischen Ansatz darüber hinaus. Bei der Behandlung dieser neun Proposizioni stellt sich schließlich heraus, dass die zu Beginn seiner Ausführungen als gleichwertig dargestellten Arten der Enkaustikmalerei zunehmend als konkurrierende Erklärungsmodelle zur Wiederherstellung dieser antiken Technik auftreten – auch bezüglich ihrer Aktualisierung für die Erfordernisse des 18. Jahrhunderts. Dies äußert sich unter anderem in Bemerkungen zu den beiden ersten Arten, die von ihm im Vergleich zur dritten Methode, also derjenigen mit dem Pinsel, als antichissimi bezeichnet wurden. Um dies hervorzuheben, zitierte Requeno erneut die Textstelle aus Plinius‘ Schrift, wobei Unterschiede zu der bereits erwähnten Version zu konstatieren sind.65 Auch bezog er seine eigenen Erfahrungen (esperienze) zunächst auf die mit dem Pinsel ausgeführte Enkaustikmalerei und erst an zweiter Stelle auf diejenige, die mit dem Brenngriffel vorgenommen wurde: „[. . .] le esperienze de’ miei quadri, fatti colle cere colorite a pennello, e abbruciati dopo; o colle cere all’encausto dello stilletto [. . .]“.66 Somit ist es nicht das Kriterium der zeitlichen Abfolge,67 sondern ihre Behandlung als konkurrierende Erklärungsmodelle, von welcher Requenos Betrachtung der drei Malverfahren bestimmt ist. Die Voranstellung der Pinselmalerei, präziser der Pinselenkaustik-Technik, muss aber vor dem Hintergrund einer modernen Pinselmalerei (Ölmalerei) betrachtet werden, welche der antiken Technik gegenübergestellt wird. Dieses Zur-Sprache-Bringen im Sinne einer Bestandaufnahme der eigenen praktischen Versuche teilte Requeno mit anderen Protagonisten der experimentellen Forschung des 18. Jahrhunderts. Das Werk von Joseph Fratrel La cire alliée avec l’huile ou la peinture a huile-cire (1770) (Abb. 4),68 des Hofrats Johann Friedrich Reiffenstein, dessen geplante und angekündigte Schrift zur Enkaustik nicht zur Veröffentlichung kam69 oder des Malers Benjamin Calau Ausführlicher Bericht, wie das punische oder
63 Die sogenannten “Proposizioni” werden in den Kapiteln elf und zwölf in Requenos Schrift behandelt. Vgl. Requeno (1784), 158–173. 64 Schmidt (2006), S. 68. 65 „[. . .] encausto pingendi duo‘fuisse antiquitus genera constat, cera, & in in ebore cestro id est, veruculo [lies: vericulo, M.O.], donec classes pingi experunt, hoc tertium accessit, resolutis igni ceris, penicillo utendi.“ Vgl. Requeno (1784), 158. 66 Requeno (1784), 165. 67 Vgl. hierzu die Ausführungen von Schmid. Der Autor stellt dieses zeitliche Kriterium auch in Frage. Nach ihm ist die Enkaustiktechnik mit dem Pinsel von Anfang an vorhanden gewesen (vgl. Schmid (1926), S. 68 ff.). 68 Fratrel (1770). Zu Taubenheim und Fratrel vgl. u. a. Böttiger (1794), Tl. 3. 69 Vgl. Beyer (1967), Sp.729. Zur Reiffensteins geplanter Publikation vgl. Böttiger (1794), Tl. 1, 455–456 und weiter Sillig, Bd. 2 (1838), 85–86. Böttiger verweist auf das Blatt „Allgemeine Literatur
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Abb. 4: Fratrel, Joseph, La cire alliée avec l’huile ou la peinture a huile-cire. Trouvée à Manheim par M. Charles Baron de Taubenheim, Mannheim 1780, Titelblatt. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Nu 5851.
Zeitung“ aus dem Jahr 1788. Dort wird das Werk Reiffensteins mit dem Titel „Ueber die Wachsmalerei der Alten“ erwähnt (vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung 167 [1788], 111).
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eleodorische Wachs aufzulösen (1769)70 legen Zeugnis von den in Deutschland seit Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Versuchen zur Wiederherstellung der Enkaustikmalerei ab.71 Calaus‘ Ausführlicher Bericht bildete die Basis für eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung der Geschichte der Kunst, deren Schilderung auch Andreas Riem mit seiner Schrift Über die Malerei der Alten (1787) beabsichtigte.72 Wie zuvor Requeno plädierte auch Riem ausdrücklich für die Zeichenkunst, die für ihn am Anfang der Kunst stand. Somit widersprach er, ähnlich wie Requeno, Winckelmanns Auffassung vom Ursprung der Kunst in der Bildhauerei. Riem bezog sich in seinem Werk mehrmals auf Winckelmann und kommentierte eine entsprechende Textstelle aus seiner Schrift von 1764 wie folgt: „Meiner Vermuthung nach irrt Winkelmann [sic!] wenn er die Bildhauerkunst der Zeichnung an Alter vorsetzt [. . .]“ und er fügte hinzu: „Die Kunst zu zeichnen, da sie sich im Anbeginn bloss mit den äußersten Umrissen der Gegenstände beschäftigte, war im Gegentheil dem Scheine nach leichter, weil sie ohne alle Kenntnisse, und mit der äußersten Leichtigkeit geschehen konnte.“ Riem brachte diesen Gedanken wie folgt zum Abschluss: „Ueberdem ist es unmöglich ohne Zeichnung irgend ein plastisches Werk hervorzubringen, es sei so gut oder schlecht als es wolle. Zeichnung liegt dem Arbeiter in jeglichem Falle zum Grunde, sie sei in seiner Vorstellung, oder liege minder deutlich als in der Imagination, auf einer Fläche vor ihm.73 Wie bereits ausgeführt wurde, verbindet beide Autoren, Winckelmann und Requeno, die Reflexion über den Ursprung der Kunst, die jedoch unterschiedlich mit der Bildhauerei bzw. mit der Malerei in Verbindung gesetzt wurde. Ihre geschichtlichen Darstellungen folgen jeweils den Prinzipien von Ursprung, Wachstum und Verfall. Auch eine Gliederung in zwei Teile ist in den Werken beider Autoren festzustellen. Worin bestehen dann die Unterschiede? Gerade an der vorhandenen Zweiteilung beider Schriften werden Requenos Absichten im Gegensatz zu Winckelmanns noch einmal deutlich. Nach Élisabeth Décultot gilt der erste Teil in Winckelmanns Geschichte der Aufgabe, „die Kunst ‚nach dem Wesen derselben’ zu analysieren“, worauf im zweiten Teil „eine Untersuchung ‚nach den äußeren Umständen der Zeit’ folgen soll“. Die Geschichte der antiken Kunst bestimmen beide Teile in Wickelmanns Werk, wobei die Kunst „sukzessive als ahistorisches und als historisches Gebilde beschrieben“ wird.74 In Requenos Saggi dagegen schließt sich dem ersten geschichtlichen Teil ein zweiter an, in dem er sich
70 Calau (1769). Zu Calau vgl. u. a. Böttiger (1794), Tl. 3, 563–583. 71 Vgl. hierzu weiter Beyer (1967), Sp. 726–729. 72 Riem (1787). Zu Riem und Calau vgl. u. a. auch: Ocón Fernández (2014), 359–361. 73 Riem (1787), 11–13. Hervorhebungen des Autors. 74 Décultot (2007), 15. Die Autorin stellt in dem Zusammenhang weiter fest, dass Winckelmann die Polarität zwischen einer normativ-übergeschichtlichen und einer historischen Beschreibung der antiken Kunst nicht als Widerspruch empfunden zu haben scheint (Vgl. ebd., S. 18).
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mit der Wiederherstellung der Enkaustik, als praktische Methode aufgefasst, auseinandersetzt: „Sul ristabilimento del metodo pratico di dipingere degli antichi Greci e Romani, fondato sugli opportuni sperimenti.“ Requeno geht es sowohl um eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung als auch um die Wiederherstellung einer praktischen Methode (metodo pratico) der Malerei. Hierbei rekurriert er nicht nur auf seine eigenen, sondern auch auf weitere Erfahrungen, durch die sich zum Beispiel Plinius‘ drei Arten der Enkaustikmalerei genauer bestimmen lassen können.75 Mit der Zusammenführung beider Teile verband Requeno die geschichtliche mit der praktisch-experimentellen Ebene. Vor diesem Hintergrund ist seine Kritik an Winckelmann zu betrachten, welcher laut Requeno keinen Beitrag zur Wiederherstellung einer antiken Technik geleistet habe. Ebenso warf Requeno Winckelmann Defizite in seiner Geschichtsdarlegung vor.
5 Künstlichkeit der Moderne versus Simplizität der Antike: Requenos Winckelmann-Kritik Wie eingangs schon bemerkt, leitet das Wort Saggi, das zunächst als ‚Abhandlungen‘ übersetzt werden kann, den Titel von Requenos Schrift ein. Zwar beinhaltet das Werk sowohl in der ersten als auch in der zweiten Ausgabe einen Saggio storico bzw. eine historische Darstellung der antiken Malerei, doch sind die Ausführungen Requenos zur Malerei der Griechen und Römer im Vergleich zu Winckelmanns Schrift anders motiviert. Dies wird im Folgenden anhand der Einführung (Prefazione) der ersten Ausgabe seines Werkes von 1784 dargelegt, in die auch die Winckelmann-Kritik eingebettet ist. Hier teilt Requeno mit Winckelmann das Vorgehen, auf andere Autoren kritisch einzugehen, die sich vor ihnen mit der Geschichte der Kunst der Antike bzw. mit der Wiederherstellung der antiken Maltechnik der Enkaustikmalerei auseinandergesetzt hatten.76 Dennoch können deutliche Unterschiede zwischen beiden Autoren festgestellt werden, die anhand einzelner Punkte schon in Requenos Einführung abzulesen sind. Requenos Winckelmann-Kritik steht somit im Kontext der Gesamtkonzeption 75 Die Kapitel 14, 15 und 16 in diesem zweiten Teil sind den drei Arten der Enkaustikmalerei gewidmet, wobei Requeno der Pinsel-Enkaustik-Malerei den Vorrang gibt: „Cap. XIV. Altre esperienze degli encausti greci più esatte e metodiche a fine d’interpretare il 3. Metodo di Plinio dell’encausto a pennello“. 76 Vgl. hierzu Winckelmann (1764), Vorrede, IX–XXVI; Requeno (1784), Prefazione, 3–34. Es sei hier die bekannte Textstelle in Winckelmanns Vorrede wiedergegeben, in der er die Werke anderer Autoren im Allgemeinen kritisiert: „Es sind einige Schriften unter dem Namen einer Geschichte der Kunst an das Licht getreten; aber die Kunst hat einen geringen Antheil an denselben; denn ihre Verfasser haben sich mit derselben nicht genug bekannt gemachet, und konnten also nichts geben, als was sie in Büchern, oder von sagen hören, hatten“ (Ders., X).
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seines Werkes, die er in diesen einleitenden Bemerkungen darlegt. Folgender Gedanke stellt sich dabei als grundlegend dar: „Nessuno dunque fra tanti autori di cui abbiamo parlato ci dà un’istoria del principio, progressi, termine, e decadenza dell’arte pittorica de’ Greci: il che si rende necessario a fare comprendere l’eccellenza degli antichi; e ad interessare gli artisti nel ristabilimento della medesima.“77 Daraus geht hervor, dass eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung der antiken Kunst nicht primär akademische Gelehrsamkeit zum Zweck hatte. Vielmehr sollte mit dieser Geschichtsdarstellung das Interesse von Künstlern zur Wiederherstellung derselben geweckt werden. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Requeno – im Gegensatz zu Winckelmann – am Anfang seiner Ausführungen nicht die Behandlung des Themas einiger Statuen, manche von denen aus Marmor,78 sondern die sogenannten inceratura (das Einwachsen) und inverniciare (das Anstreichen) der Marmorstatuen zum Gegenstand seines Interesses macht: „I Greci ed i Romani in vece di ripulire i loro marmi con qualche sottilissima polvere li mandavano ai pittori per inverniciarli [. . .]“.79 Damit lenkte Requeno die Aufmerksamkeit auf die Malerei und auf zwei Materialien: Wachs und Farben. Zugleich polemisierte er gegen eine von den Klassizisten unterstützte These gegen die Marmor-Bemalung, nach welcher das Polieren seiner Oberfläche die farbige Behandlung überflüssig machte oder zumindest in Frage stellte. Requenos Gegenüberstellung von Gegenwart und Antike bzw. von Moderne und Antike, die seine Ausführungen von Beginn an leiten, äußert sich in der Opposition von Künstlichkeit, die er mit seiner eigenen Zeit verband, und Simplizität im Sinne von Einfachheit und Natürlichkeit, die er der Antike attestierte: „[. . .] dell’antica greca semplicità, e bellezza!“80 Er exemplifizierte diese Gegenüberstellung von Malern (Raffael und Apelles, Michelangelo und Phidias, Tizian und Zeuxis etc.) und Techniken: Öl- und Enkaustikmalerei. Gegenüber Arbeiten in Öl, das er als Material tadelt und mit rancio olio bezeichnet, verband er die in der Technik der Enkaustik ausgeführten Werke mit Schönheit und Dauerhaftigkeit (bellezza, perpetuità): „[. . .] che sieno [lies: siano, M.O.] più conducenti alla bellezza, e perpetuità delle opere i metodi delle cere all’encausto, adoperati dagli antichi in confronto de’ metodi ad’ olio, de’ nostri moderni“.81 Mittels dieser Opposition von Künstlichkeit der Moderne versus Einfachheit und Natürlichkeit der Antike entwickelte Requeno seine Kritik an der antiquarischen und akademisch-gelehrten Welt seiner Zeit sowie an einigen ihrer Vertreter. Im selben Kontext ist auch seine Kritik an jenen Autoren zu verstehen, die sich vor ihm mit der Wiederherstellung der antiken Maltechnik der Enkaustikmalerei auseinander gesetzt
77 Requeno (1784), 25. 78 Vgl. Winckelmann (1764), XII. 79 Requeno (1784), 6. 80 Vgl. ebd., 28. 81 Ebd., 14.
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hatten. So erwähnte Requeno unter anderen den Comte Caylus, den Maler Bachelier sowie den französischen Künstler Charles-Nicolas Cochin. Seine Winckelmann-Kritik ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu betrachten. In seiner Einführung geht Requeno zunächst auf das Ziel ein, das er mit seinem Werk verbindet, und an einer anderen Stelle auf die Mittel, mit deren Hilfe er dieses erreichen will. Die mittels Hitzeeinwirkung (abbrucciamento) ausgeübte Art des Malens mit Wachs bezeichnete Requeno als ein Mysterium und erklärte die Wiederherstellung der antiken Enkaustikmalerei zu seinem Ziel: „Il mio fine è di ristabilire il metodo di dipingere colle cere all’encausto, proprio degli antichi Greci, e Romani [. . .]“.82 Die Mittel, die er an verschiedenen Stellen seiner Einführung erwähnt, sind Versuche, Fakten und Experimente (prove, fatti, esperimenti). Er unterstrich damit die einfachen Mittel der Experimentalwissenschaft gegenüber der Künstlichkeit akademischer und antiquarischer Gelehrsamkeit. Um deren Widerstand gegenüber den empirischen Erkenntnissen zum Ausdruck zu bringen, behalf er sich des Ausdrucks intolleranza letteraria, der wiederholt in seiner Einführung vorkommt. Worin besteht aber Requenos Winckelmann-Kritik genau? Ein kurzer Textauszug aus Requenos Einleitung fasst die wichtigsten Punkte dieser Kritik zusammen: Winckelmann volle emendare i loro falli, e scrisse dell’arte antica: ma frattanto che esso fa da antiquario, esaminando le statue, e i bassi rilievi, e camei; si palesa accorto, ed erudito; e lo rispetto: quando vuol farla pero da filosofo intorno alle cause dell’eccellenza, e del buon gusto de’ Greci; in mezzo ad alcune giuste reflessioni; si mostra mancante assai di dialettica, e di raziocinio quando fa da storico trovo in lui falli inescusabili: egli poi mi sembra un entusiasta nel lodare alcune opere de’ greci artisti; ragionando pero intorno al giusto merito della coltura de’ greci pennelli, non eccede i ragionevoli confini nel conchiudere, e giudicare: e nel catalogo che tesse degli statuarj e de’ pittori, non fa altro, che sfiorare l’erudizione dell’ alfabetto del Giugno. Un tal Autore a dire il vero non può servire al ristabilimento [. . .] non solamente perciò che parla quasi solo della statuaria col suo autore favorito Pausania, ma perciò che niente accenna dell’istoria, nè de’ metodi dell’antica pittura.83
82 Ebd., 15. 83 Requeno (1784), 21–22: „Winckelmann wollte seine Fehler [Durand, Monier] berichtigen, als er sich über die antike Kunst äußerte. So lange er sich als Antiquar gab und die Statuen, Basreliefs und Kameen beurteilte, zeigte er sich [in seinen Ansichten] klug und belehrt. Ich respektiere ihn [hierbei]. Hingegen wenn er sich als Philosoph über die Gründe der Vortrefflichkeit und des guten Geschmacks der Griechen äußerte, weist er Mängel in der Beweisführung auf. Als Historiker hat er unverzeihliche Fehler gemacht. Er kommt mir sehr enthusiastisch vor, wenn er die griechischen Künstler lobt. Wenn er aber über die berechtigten Verdienste der griechischen Malerei räsoniert, geht er nicht über das allgemein Bekannte hinaus. In dem Katalog über die Bildhauer und Maler macht er nichts anderes als die Gelehrsamkeit des Alphabets von Giugno [Francesco Zugno, M. O.] zu streifen. Ein solcher Autor, ehrlich gesagt, kann zur Wiederherstellung [der antiken Kunst, M.O.] nichts beitragen [. . .], nicht nur weil er sich mit Hilfe seines favorisierten Autors, Pausanias, fast nur über die Skulptur äußert, sondern auch weil er nichts über die Geschichte noch über die Methoden der antiken Malerei zu sagen hat.“ Die Übersetzung aus der italienischen Originalausgabe
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Winckelmann wurde von Requeno zwar als Antiquar und Gelehrter gewürdigt, aber als Philosoph und insbesondere als Historiker kritisiert. Requenos Kritik ordnet sich somit in die jener Autoren ein, die Winckelmanns Wirken als Historiker schon sehr früh tadelten. In diesem Zusammenhang sei auf die Schrift von Christian Gottlob Heyne aus dem Jahr 1778 hingewiesen. Heyne geht hier auf den historischen Teil in Winckelmanns Schrift ein und stellt dabei fest, dass dieser „voller Fehler wider die Zeitrechnung, die Geschichtsfolge und den wahren Verlauf der Geschichte“ sei.84 Auf Heynes Kritik hat u. a. Décultot aufmerksam gemacht.85 Der Autorin zufolge werden in allen zeitgenössischen Kommentaren die historischen Fehler Winckelmanns als „notwendige Begleiterscheinungen seiner Begeisterung für die griechischen Meisterwerke dargestellt“. Das sei „[. . .] ein Motiv, das sich in der Winckelmann-Rezeption der folgenden Jahrzehnte oft wiederfindet“.86 Diese Feststellung trifft auch auf Requenos Äußerungen über Winckelmann zu, wenn der spanische Jesuit bemerkt: „[. . .] als Historiker hat er unverzeihliche Fehler gemacht. Er kommt mir sehr enthusiastisch vor, wenn er die griechischen Künstler lobt“. Zugleich sprach Requeno Winckelmann, wie bereits erwähnt, jegliche Beteiligung an der Wiederherstellung der antiken Kunst ab: „Ein solcher Autor, ehrlich gesagt, kann zur Wiederherstellung [der antiken Kunst] nichts beitragen [. . .]“.87 Requeno verweist in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass sich Winckelmann unter seinem ständigen Rekurs auf Pausanias fast nur auf die Skulptur bezogen hätte. Auch zu Pausanias äußerte sich Requeno an einer anderen Stelle seiner Einführung: „Non ho fatta parola di Pausanias, perciocchèdesso è un’ autore impertinente
wurde von der Verfasserin erstellt. Welche italienische Übersetzung von Winckelmanns Geschichte Requeno vorlag, konnte nicht ermitteln werden. Zum Zeitpunkt von Requenos Veröffentlichung, in der ersten und zweiten Auflage, lagen folgende Übersetzungen von Winckelmanns Werk vor: Amoretti, Carlo/Fumagalli, Angelo (1779); Fea, Carlo (1783–1784). Es ist sehr wahrscheinlich, dass Requeno die Übersetzung von Fea favorisierte, da sich der spanische Diplomat und Kunstmäzen José Nicolás de Azara und der Maler und Altertumsforscher Reiffenstein an dieser beteiligten. Requeno widmet sein Werk in der zweiten Auflage von 1787 ebenfalls De Azara: „A sua Eccellenza il Signor D. Niccola D’Azara Cavalieri del Reale e Distinto Ordine de Carlo III [. . .]“. Das Werk Feas stellte eine kritische Revision der ersten italienischen Übersetzung von Amoretti und Fumagalli dar (vgl. Ferrari (2017), 194). Vergleichbar mit Requeno nahm De Azara auch eine kritische Haltung gegenüber Winckelmann ein. Vgl. hierzu Maier Allende (2014), 27. 84 Heyne (1778), 16. Zu Heynes Kritik an Winckelmanns Geschichte vgl. u. a. Harloe (2013), insb. 177–187. 85 Décultot (2007), 13–30. Vgl. hierzu weiter Décultot (2017), 13 u. Anm. 3, 13–14; Décultot (2017), 236. 86 Décultot (2007), 14. 87 In einer ähnlichen Richtung argumentierten weitere Autoren wie Schmid: „Aus diesen wenigen angeführten Beispielen kann man klar ersehen, dass Gelehrte, die nicht Techniker sind, bei Versuchen, antike Stellen über Maltechnik zu erklären, sich häufig mehr auf dem Gebiete der Phantasie als der Wirklichkeit bewegen“, vgl. Schmid (1926), 64.
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affatto all’argomento dell’antica pittura.“88 Der direkte Bezug auf Pausanias und unmittelbar anschließend auf Plinius war Teil der Auseinandersetzung Requenos mit Winckelmann. Letzterer argumentierte im vierten Kapitel des ersten Teils seiner Geschichte gegen Plinius’ Befürwortung der Tafel- gegenüber der Wandmalerei, indem er dort Folgendes behauptete: Alle diese Gemälde sind, außer vier auf Marmor gezeichneten Stücken, auf der Mauer gemalet, und obgleich Plinius sagt, daß kein berühmter Maler auf der Mauer gemalet habe, so dienet eben dieses ungegründete Vorgehen desselben mit zum Beweis von der Vortrefflichkeit der besten Werke im Alterthume, da einige von denen, welche übrig geblieben sind, [. . .] große Schönheiten der Zeichnung und des Pinsels haben.89
Winckelmanns Position gegen Plinius führte zu einem im maltechnischen Diskurs des 18. Jahrhunderts ausgetragenen Wettstreit zwischen der Fresko- und Enkaustikmalerei, die in der Polemik gegen Wand- und Tafelmalerei bis in das 19. Jahrhundert hinein tradiert wurde. Requeno dagegen verteidigte Plinius’ Unterscheidung zwischen Künstlern, die mit Pinsel, und Künstlern, die enkaustisch malten. Indirekt verband er beide mit der Tafel- und somit mit der Enkaustikmalerei, indem er von der Malerei sprach, die mit Pinsel (pennello) oder mit Brenngriffel (stiletto) ausgeführt wurde. Gestützt auf der Autorität antiker Autoren (autorità de’ greci, o romani scrittori) und auf der Grundlage seiner eigenen Experimente wurde von Requeno die Wiederherstellung der enkaustischen Malerei dargelegt und vorangetrieben. Dieser explorative Ansatz Requenos stellt die eigentliche Transformation und insbesondere die Aktualisierung antiker Wissensbestände im maltechnischen Diskurs des 18. Jahrhunderts dar und unterscheidet ihn darin grundlegend von Winckelmann.
Bibliographie Primärquellen Amoretti, Carlo/Fumagalli, Angelo (Hg.), Storia delle arti del disegno presso gli antichi. Di Giovanni Winkelmann tradotta dal tedesco con note originali degli editori, 2 Bde., Mailand 1779. Anonym, „Kunstsachen“, in: Allgemeine Literatur-Zeitung 167 (1788), Sp. 111–112. Anonym, „Requeno, Vincenzo: Saggi sul ristabilimento dell’antica arte de greci e romani pittori. Parma 1787”, 2 Bde., in: Allgemeine Literatur-Zeitung 222 (1788), Sp. 713–719. Bibliothèque de M. Quatremère de Quincy, de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Secrétaire honorable de l’Académie des Beaux-Arts; Collection d’ouvrages relatifs aux beauxarts et a l’archéologie [. . .], Paris 1850.
88 Requeno (1784), 24. 89 Winckelmann (1764), 264. Vgl. hierzu auch Mallgrave (2001), 42–43 u. Anm. 81, 401.
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Walther L. Bernecker
Keine Antike? Überlegungen zur faschistischfranquistischen Monumentalarchitektur in Spanien Abstract: The essay deals with Francoist architecture and asks, if this architecture had a political function. The Francoist monuments are compared with those of the other fascist regimes in Germany and Italy. In the conception of the Francoist state architecture, the Roman antiquity played an important role, but this role was by far less important than in the national-socialist German and in the fascist Italian cases. In the three selected cases, the architecture was put in the service of the ideology of the State and regime. But in the case of Spain, it took much time until the regime opted for a neoclassical and traditionalist style, taking as model and ideal the “classic” architecture of the late 15th and the 16th centuries, the era of Isabella and Ferdinand (the so called “Catholic Kings”), of Charles I. and Philipp II. The neoclassical style should be reminiscent of the former world empire, of the great tradition of the imperial past five centuries ago.
Einleitung Kunst- und Architekturhistoriker sind sich darin einig, dass in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts Bauwerke eine eminent politische Funktion hatten. Im Falle der westeuropäischen Diktaturen sind dabei die totalitären Regime in Deutschland und Italien weit ausführlicher unter kunst- und architekturhistorischen Fragestellungen untersucht worden als die beiden langlebigen Diktaturen auf der Iberischen Halbinsel, deren „Charakter“ in der Wissenschaft ausgeprägte Debatten hervorgerufen hat, die bis heute jedoch zu keinem einvernehmlichen Ergebnis geführt haben.1 Im Falle des italienischen Faschismus nutzte das Regime die Architektur zur permanenten Selbstdarstellung und Glorifizierung des „Neuen Italien“. Benito Mussolini (1883–1945) war der erste Diktator, der in Europa die Architektur gezielt und in großem Ausmaß als Herrschaftsmittel einsetzte. Seine gebauten Herrschaftszeichen sollten von den Errungenschaften des Faschismus erzählen und diesen spektakulär in Raum und Geschichte einschreiben. Dabei bediente sich das faschistische Regime einer expressiven, stark an die römische Antike angelehnten Symbolik; Emilio Gentile sprach von einem fascismo di pietra, einem in Stein gehauenen Faschismus. Das galt für Repräsentations- und Funktionsbauten ebenso wie für Infrastrukturvorhaben.
1 Vgl. hierzu (für den spanischen Fall) Bernecker (1998) und (2016). https://doi.org/10.1515/9783110651997-008
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Walther L. Bernecker
Im Dritten Reich besaß die Architektur einen vergleichbar hohen Stellenwert wie im faschistischen Italien. Hitler bevorzugte eine monumentale, neoklassizistische Bauweise; er sprach gerne von Worten aus Stein, welche die absolute Macht des Regimes symbolisch zum Ausdruck bringen sollten. Vergleicht man die deutsche und die italienische Architektur während der jeweiligen Diktaturperioden, so wird deutlich, dass es sich in beiden Fällen um eine in Stein gehauene Machtinszenierung der Staatsarchitektur handelte. Im Faschismus ging es ebenso wie im Nationalsozialismus um eine Imponierarchitektur neoklassizistischer Ausrichtung, die ganz im Zeichen des Kults um das antike Rom stand.2 Wie sah es jedoch zur gleichen Zeit in Spanien aus? Der erste große Unterschied zu Deutschland und Italien bestand darin, dass das neue Regime von General Franco (Francisco Franco Bahamonde, 1892–1975) 1939 aus einem grausamen Bürgerkrieg hervorgegangen war, der große Teile des Landes materiell zerstört und finanziell ausgeblutet hatte. An vergleichbare staatlich-monumentale Bauprojekte wie in Deutschland oder Italien war somit vorerst nicht zu denken. Trotzdem war das neue Regime von Anfang an bemüht, den öffentlichen Raum zu besetzen und seine Botschaften architektonisch ebenso wie ikonographisch zu verbreiten. War aber im deutschen und italienischen Fall die klassische Antike der eindeutige Bezugspunkt der politischen Architektur, so orientierte sich der neue Baustil Spaniens mehr an der eigenen Geschichte, insbesondere am 16. Jahrhundert, das als ihr Höhepunkt betrachtet wurde. Auf die klassische Antike konnte dabei weitgehend verzichtet werden, sieht man von einigen formalen Anleihen ab. Im Folgenden wird die spanisch-monumentale Staatsarchitektur der FrancoÄra untersucht. Dabei wird der Frage nachgegangen, weshalb das Regime sich eher an der imperialen Vergangenheit des 16. Jahrhunderts als am antiken Rom orientierte, nachdem der Franquismus anfangs und sogar in vielerlei Hinsicht die faschistisch-nationalsozialistischen Regime in Italien bzw. Deutschland imitierte, für die doch das antike Römische Reich als Inbegriff eines zivilisatorischen Imperiums galt. Bei der Untersuchung des spanischen Falls spielt die chronologische Dimension eine entscheidende Rolle: In den ersten Jahren nach dem Bürgerkrieg, zwischen 1939 und 1942, war die faschistische Einheitspartei Falange bei der Gestaltung der Politik des „Neuen Staates“ von großer Bedeutung. Sie konnte in dieser Zeit auch erheblichen Einfluss auf die architektonischen Konzepte des Regimes ausüben. Seit jedoch absehbar war, dass die Achsenmächte den Krieg verlieren würden, drängte Franco den Einfluss der Falange merklich zurück und stützte sich immer deutlicher auf katholisch-konservative Gruppierungen, deren Architekturideal von dem der Falange deutlich differierte.3 Daher werden in den 2 Vgl. zur Analyse der deutschen und italienischen Staatsarchitektur in vergleichender Perspektive den monographischen Band Steinacher/Mattioli (2008). 3 Zu den verschiedenen „politischen Familien“ im Franquismus vgl. ausführlich Bernecker (2010) und (2016).
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folgenden Absätzen die unterschiedlichen architektonischen Konzepte in der Frühphase des Franquismus beleuchtet und die Änderungen aufgezeigt, denen die stilistischen Orientierungen in Anbetracht wechselnder politischer Konstellationen unterworfen waren.
1 Der spanische Faschismus und die Debatte über die architektonische Ausrichtung In den Bürgerkriegsjahren wurde in den faschistischen Zeitschriften des FrancoLagers unentwegt auf die Bedeutung der Architektur für das neuentstehende Regime hingewiesen; ein großes Regime bedürfe, so hieß es, einer großen Architektur, und ein großer Staatsmann umgebe sich mit großen Architekten.4 Politik sei Architektur. Diese werde als eine politische Tätigkeit verstanden. Dementsprechend war die Generaldirektion für das Architekturwesen in das Innenministerium integriert. Antonio Tovar Llorente (1911–1985), damals überzeugter Falangist, war einer derer, die in der Architektur eine Identifikationsmöglichkeit für den Staat sahen. In den Beiträgen, die in den theoretischen Zeitschriften des spanischen Faschismus veröffentlicht wurden, bekam die Architektur zwei Aufgaben zugewiesen. Zum einen ging es um die Verurteilung der modern-progressiven Strömungen in der Architektur, da diese angeblich für Ideologien standen, die man bekämpfte. Zum anderen ging es um die Suche nach einem eigenen Architekturstil für den „Neuen Staat“. Der falangistische Architekt Víctor d’Ors Pérez-Peix (1909–1994) schrieb 1937 in der faschistischen Zeitschrift Vértice: Esta magna reconstrucción de España que prevemos tiene que realizarse en un estilo arquitectónico nuevo. A la vez español y moderno. La vida de nuestros días, nuestra técnica y la misma ‘poética’ – por decirlo así – de los materiales que empleamos nos conducen a un conjunto de normas en las que debe insuflar las tendencias y características que han sido constantes al traducir al lenguaje de formas español cualquiera de los llamados estilos históricos y que, por lo tanto, revelan la especial idiosincracia del alma nacional. Por encima, las normas eternas de belleza y armonía, que para algo creemos en valores absolutos.5
Einige Jahre später rekurrierte auch der Falangist Víctor de la Serna (1896–1958) bei der Suche nach den Formen des neuen Stils auf die spanische Seele: La forma arquitectónica de los nuevos edificios surgirá de su propio contenido, de su significación y de su finalidad. ¿De dónde captaremos los elementos de las nuevas formas arquitecturales? Surgirán, como el Movimiento mismo, del fondo abismal del alma española, donde lo
4 Vgl. Llorente (1995), 67 ff. 5 Zit. nach ebd., 70 f.
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Walther L. Bernecker
militar y lo católico se funden y se traducen en un anhelo juvenil que ama las alturas – acrópolis, castro o cerro militar – y el aire libre donde nacimos.6
Strenge, Geradlinigkeit und geometrische Formen sollten den neuen Stil auszeichnen. Auch Ordnung, Klarheit und Ausgewogenheit wurden immer wieder als Stilund Formelemente genannt, an die sich die Generaldirektion für das Architekturwesen bei der Errichtung von Denkmälern für die Gefallenen der nationalen Sache zu halten hatte. Die meisten Stilüberlegungen gingen allerdings kaum über Allgemeinplätze hinaus. Dem franquistischen Falangismus gelang es nie, einen eindeutigen Architekturstil zu entwickeln; in der Praxis gab es keine franquistische Ästhetik der Architektur. Dementsprechend überlebten auch rationalistische Elemente mit monumentalistischer Architekturtradition, so dass für die Anfangsjahre des Franquismus insgesamt eher von einer architektonischen Traditionsfortsetzung als von einem architektonischen Bruch gesprochen werden muss. Demgegenüber verteidigte der Architekt Diego de Reina de la Muela in einer ausführlichen Studie mit Nachdruck den Neoklassizismus als architektonische Sprache des spanischen Imperiums.7 Dieser war, Reina zufolge, eine Notwendigkeit, die sich aus der Lage Spaniens ergab. Explizit verwies er auf den vorbildhaften „Stil Herreras“, des Erbauers des El Escorial, welcher der Gegenwart angepasst werden müsse.8 „Faschistische“ Architekturvorstellungen auf der einen und der Neoklassizismus als traditioneller Architekturstil des spanischen Imperiums auf der anderen Seite wurden demnach auch in Spanien keineswegs kontradiktorisch gesehen. Denn der Klassizismus stellte stets eine kulturelle Matrix des (auch spanischen) Faschismus dar. Der „Kult der romanità“ hatte sich im Europa der Zwischenkriegszeit im allgemeinen Kontext der „konservativen Revolution“ und ihrer Begrifflichkeiten (Tradition, Patriotismus, Hierarchie, Elitismus und zivilisatorische Mission) entwickelt. Der Faschismus übernahm diese Terminologie und fügte die Begriffe Nationalismus und Imperialismus hinzu.9 Dies gilt insbesondere für Italien. Aber auch im spanischen Fall traten die klassizistischen Bezüge im Faschismus auf, waren insgesamt allerdings viel unbedeutender als im italienischen, da die faschistische Partei Falange Española im Machtkonzert des Franco-Regimes stets eine Neben- und nie die Hauptrolle spielte. Trotzdem sind sich Architekturhistoriker darin einig, dass die Architekturkonzeption
6 Zit. nach ebd., 71. 7 Reina de la Muela (1944). 8 Luis Moya Blanco (1904–1990) war einer der wenigen „Theoretiker” einer faschistischen Architektur. Moyas „architektonisches Traumobjekt“ – ein aus einer Pyramide bestehendes Monument – entstand 1938 und wurde Jahre später in der falangistischen Zeitschrift Vértice veröffentlicht. Das Thema der Pyramide stellt einen ersten Hinweis auf einen jetzt neu einsetzenden Historismus dar. Vgl. Laviada/Moya/Uzqueta (1940), 7–12 und 61. Die drei Autoren ordnen sich ein in „la tradición viva, transmisión entre generaciones. Nuestro neoclásico continúa en el romanticismo la tradición española del Renacimiento; es el estilo, no elegido, sino vivo en los autores” (S. 7). 9 Vgl. Mazza (1994), 57–80.
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der Jahre nach dem Spanischen Bürgerkrieg – im Wesentlichen somit in den 1940er Jahren – Monumentalismus und Historismus zu vereinen und zu verherrlichen suchte. Am einflussreichsten war die Falange noch in den Anfangsjahren des Regimes, in der ersten Hälfte der Weltkriegsjahre, und in jener Phase kam es auch zu einer Reihe klassizistischer Initiativen. In ihren Blütejahren kontrollierte die Falange das Innen- und Außenministerium, denen die Presse- und Propagandabüros des Regimes untergeordnet waren; die wichtigsten Vertrauensmänner, die dem Innen- und Außenminister Ramón Serrano Súñer (1901–2003) zuarbeiteten, waren Dionisio Ridruejo Jiménez (1912–1975) und Antonio Tovar Llorente.10 In den eher intellektuellen Kreisen der Falange lassen sich durchaus Spuren einer klassizistischen Ausrichtung erkennen. Dem Falange-Gründer José Antonio Primo de Rivera (1903–1936) ging es primär um den spanischen Nationalgeist, den es angeblich von Anfang an und somit auch in der Antike auf der Pyrenäischen Halbinsel gegeben hatte. Ausdruck dieses Nationalgeistes in der antiken Welt war der spanische Beitrag zur Regeneration des Römischen Imperiums in Personen wie Seneca (Lucius Annaeus Seneca), Trajan (Marcus Ulpius Traianus) oder Hadrian (Publius Aelius Hadrianus). Tovar Llorente unterstrich die Bedeutung der Ankunft der Römer auf der Iberischen Halbinsel; vorher war dieses Territorium desorganisiert, eine Vielzahl von Rassen und Sprachen verhinderte jeglichen Nationalgeist. Rom aber bedeutete für Spanien den ersten Versuch der Errichtung eines Reiches; durch Rom und die Romanisierung, so Tovar Llorente weiter, begann Spanien, eine Schicksalseinheit (unidad de destino) zu werden. 1938 begann das faschistische Italien mit den Gedenkfeierlichkeiten zum zweitausendjährigen Jubiläum des Augustus. Die große Ausstellung Mostra Augustea della Romanità sollte die Unsterblichkeit Roms und die historische Kontinuität zwischen Rom unter Augustus und Italien unter Mussolini unter Beweis stellen. Spanien beteiligte sich an diesen Feierlichkeiten, wenn auch in weit bescheidenerem Maßstab; alle Initiativen und organisatorischen Bemühungen übernahm die Falange. Schon in ihren ersten Publikationen wurde Augustus mit Franco gleichgestellt, wurden Imperium, Latinität und Hispanität als Zivilisation verstanden. Durch die Bezeichnung Francos als „unser Imperator“, princeps und pater patriae wurde er in Analogie zu Augustus gestellt. Bei allen Ereignissen im Rahmen der Zweitausendjahr-Feierlichkeiten zu Ehren Augustus‘ wurde zudem auf die Kontinuität der Augusteischen Werke, die sich im „Neuen Rom“ Mussolinis spiegeln, hingewiesen; zugleich kam immer wieder der grundlegende hispanische Beitrag zum Imperium zum Tragen. Augustus‘ Hauptwirken in Spanien wurde in der Befriedung der Halbinsel gesehen; Augustus wurde zum „Einiger Hispaniens“ – ebenso wie Franco
10 Vgl. zu folgendem Duplá (2003), 75–94.
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Walther L. Bernecker
wieder im 20. Jahrhundert – und Förderer des frühen spanischen Nationalbewusstseins stilisiert. In ihrer frühen, rein faschistischen Phase propagierte die Falange das Ideal des römischen Imperiums, dem Spanien viel zu verdanken hatte. Nach ihrer Zwangsverschmelzung mit anderen Rechtsgruppierungen 1937 durch Franco büßte die Partei ihre radikale Zielorientierung ein; sie sah sich gezwungen, ihr faschistisches Projekt aufzugeben und sich den national-katholischen und integristischen „Familien“ des Regimes anzupassen. Damit büßte aber auch der Rekurs auf die klassische Antike immer häufiger an Bedeutung ein und die historischen Vorbilder für das entstehende Franco-Regime wurden wieder im 15. und 16. Jahrhundert gesucht. Die falangistische „Geschichtsschreibung“ und Propaganda drehte sich immer wieder um das Konzept des Imperiums; dieses wiederum fand seine ideale Ausgestaltung im Römischen Reich, das als Modell des zivilisatorischen Imperialismus gedeutet wurde. Personalisiert wurde das Konzept in einzelnen Kaisern, etwa Augustus, vor allem aber in dem „Spanier Trajan“. Der ständige Bezug auf das Imperium und auf die Parallelität des Römischen und Spanischen Reiches war ein Charakteristikum in den falangistischen Schriften. In den Statuten der Falange etwa heißt es in Artikel 1, Spanien habe „einen entschiedenen Glauben an seine katholische und imperiale Sendung“. Man könnte von einem italianisierenden Klassizismus und einer grundsätzlich positiven Bewertung Roms sprechen. In der ersten Phase des Regimes waren die dominierenden Grundbegriffe des neuen Systems – Einheit, Ordnung und Hierarchie – deutlich dem faschistischen Wertekanon entnommen. Die starke Betonung des Ordnungsgedankens hatte einen Kult der Hierarchie zur Folge. Die Visualisierung dieser Grundvorstellungen in Bauwerken führte zu einer Architektur mit pyramidalen Formen und krönendem Abschluss, einer dominanten Achse und monumentalen Formen. Besonders einflussreich war in dieser Phase der faschistische Kunsttheoretiker Ernesto Giménez Caballero (1899–1988), der schon vor dem Bürgerkrieg beschrieb, in welcher Form das Programm einer Architektur entwickelt werden müsse, um dem neuen Verständnis von Faschismus Rechnung tragen zu können (ohne das Programm allerdings zu konkretisieren).11 Zu den Grundvorstellungen der Zeit gehörte auch die Idee des Imperiums. Das Imperiale war zwar allgegenwärtig, so auch im Motto des Regimes, Por el Imperio hacia Dios („Über das Reich zu Gott“), wurde aber nirgends klar definiert. Aus vielen Anspielungen und Andeutungen wurde jedoch deutlich, dass das Imperiale sich auf das Reich der Katholischen Könige und das koloniale Ausgreifen Spaniens nach Übersee bezog, was mit dem ideologischen Begriff der „Hispanität“ umschrieben wurde. Diese Vorstellung bedingte die künstlerischen Formen des Franquismus, die einen Bezug zu jener glorreichen Epoche herstellen sollten, in der im spanischen Imperium „die Sonne nicht unterging“.
11 Vgl. Giménez Caballero (1933) und (1935).
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Auch zeremonielle Aspekte spielten in der Ästhetik der Sieger eine entscheidende Rolle. Ritualisierte Inszenierungen waren bei Militäraufmärschen ebenso anzutreffen wie bei Arbeiterdarbietungen. Hunderte und Tausende von Menschenkörpern bildeten Siegessymbole – etwa das „Victor“-Zeichen – oder Namen. Monumentalismus, wenn möglich und finanzierbar, war der herausragende Grundzug der zeremoniellen Kunst, häufig in enger synkretistischer Symbiose mit religiösen Elementen. Als z. B. 1943 die Universitätsstadt von Madrid in Anwesenheit Francos und zahlreicher Ehrengäste eingeweiht wurde, spielte sich die Zeremonie um einen Hauptaltar ab, der die Form einer Stufenpyramide aufwies; der eigentliche Altar war hoch über dem Publikum. Die zahlreichen, den Staat bei der Feier symbolisierenden Fahnen waren demgegenüber vom Zentrum des Hauptgeschehens relativ weit entfernt.12 Auch beim Internationalen Eucharistischen Kongress von Barcelona zeigte sich 1952 der Nationalkatholizismus mit allen Registern seines Zeremoniells. Im September 1939 wurde in Burgos die „Generaldirektion für Architektur“ (Dirección General de Arquitectura) eingerichtet, die das starke Interesse des Regimes an der Architektur erkennen ließ. Im Gesetzestext wurde die Absicht dieser Einrichtung beschrieben: Der nationale Wiederaufbau, der eine Grundaufgabe des Friedens ist, bedarf der gemeinsamen und geordneten Arbeit aller Bereiche der Technik. Die Zerstörungen an den Gebäuden, in den Städten und an den künstlerischen Denkmälern, die Notwendigkeit, das materielle Leben des Landes in Übereinstimmung mit neuen Prinzipien zu ordnen, die repräsentative Bedeutung der architektonischen Werke als Ausdruck der Kraft und der Vision des Staates in einer bestimmten Epoche legen es nahe, alle verschiedenen professionellen Äußerungen der Architektur in einer Direktion mit dem Ziel, der Gesellschaft zu dienen, zusammenzufassen. Somit werden die Fachleute, wenn sie in den offiziellen Organismen intervenieren, Vertreter eines syndikal-nationalen Architekturkriteriums sein.13
Die neue Direktion wurde im Innenministerium angesiedelt. Die gesamte offizielle Architektur sollte somit einen „syndikal-nationalen Charakter“ erhalten. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang die kunsttheoretischen Texte von Pedro Muguruza Otaño (1893–1952), einem Chefarchitekten des frühen Franquismus. Er verurteilte sowohl den spanisch-simplifizierenden Stil als auch den „funktionalen Kubismus“, aus seiner Sicht somit sowohl das Reaktionäre der Kapitalisten als auch das Rationale der Revolutionäre. Demgegenüber machte er sich für einen dritten interklassistischen Weg stark, der die Realität des Klassenkampfes leugnete.14 Der Wille des Diktators und die schöpferische Kraft eines Höheren Wesens müssten in den Bauwerken zum Ausdruck kommen; diese hätten sich an Ordnungen und Normen zu halten. Staatliche Intervention betrachtete er als erforderlich, so dass eine
12 Vgl. Cirici (1977), 105 f. 13 Ebd. (1977), 120. 14 Vgl. ebd., 122.
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Behörde technische Dispositionen zu erlassen haben müsse. Außerdem habe Architektur, laut Muguruza, die Funktion gesellschaftlicher Erziehung. Wie widersprüchlich all die Ansätze der faschistischen Kunst- und Architekturtheoretiker waren, lässt sich schon daran erkennen, dass sie nach einer Synthese verschiedener Architekturansätze für den „Neuen Staat“ suchten. Für Giménez Caballero z. B. war El Escorial, die frühere Königsresidenz und zugleich Grabstätte der spanischen Könige, das perfekte Werk schlechthin (Abb. 1). Dieses Bauwerk verkörpere die Materialisierung des Staates, die Summe von Hierarchie, Ordnung und Einheit Spaniens. Es war darüber hinaus das Kunstmodell par excellence und ein Instrument, mit dessen Hilfe man den höchsten Zustand des ewigen Friedens und der Kontemplation Gottes erreichen konnte. Letztlich gelang es den spanischen Faschisten nie, eine eigene architektonische Formsprache zu finden und die verschiedenen Tendenzen zu einer Synthese zu bringen. Daher entwickelte sich in Spanien eine Art Pseudo-Historismus, der nicht so sehr von den Ästheten der neuen als vielmehr von denen der alten Ordnung her bestimmt wurde.
Abb. 1: Wasserbecken und südliche Fassade des Königlichen Klosters und Mausoleums von El Escorial, in: Camón Aznar, José, La arquitectura y la orfebrería españolas del siglo XVI, Madrid 1959 [Summa Artis. Historia general de España, Bd. 17], Abb. 476, 404.
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2 El Escorial Im Unterschied zu Italien und Deutschland, deren neue Regime Alternativen zur „alten Ordnung“ entwickelten, war der Franquismus nicht in der Lage, eine ideologische Alternative zu dem zu entwickeln, was es schon vorher gegeben hatte. Natürlich suggerierte auch Francos „Neuer Staat“, eine völlig andere Ordnung zu etablieren, als es die vorhergehenden Systeme getan hatten. Doch die einzig praktische Alternative, die der Architektur von der Regierung angeboten wurde, kreiste um die typischen Requisiten faschistischer Inszenierungen: Symbole wie Gruß, Hymnus, Uniform sowie ritualisierte Rufe. Letztlich aber waren diese nur Ausdruck innerer, ideologischer Leere. Beispielhaft sei auf das Großmarkt-Gebäude von Málaga des Architekten Luis Gutiérrez de Soto (1990–1977) verwiesen: Geplant wurde es noch nach den früheren rationalistischen Schemata der 1920er und frühen 1930er Jahre; die Fertigstellung fand aber nach dem Bürgerkrieg statt, indem das glatte Dachgesims schlichtweg mit steingehauenen Parolen wie España, Una, Grande, Libre oder Franco, Franco, Franco versehen wurde. Allmählich setzte sich der Monumentalismus durch, der das Bild der neuen Architektur beeinflussen sollte. Obwohl damit eine architektonische Ausdruckweise für den „Neuen Staat“ geschaffen werden sollte und die Architekten nach einem Stil zur Verherrlichung von Staat und Nation suchten, wurde immer wieder auf den Historismus des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen. Schon 1940 verlangte Antonio Palacios Ramilo (1874–1945) die Rückkehr zur neoklassizistischen Stilrichtung der Aufklärung,15 denn er wollte sich an der Architektur Herreras, des Schöpfers des El Escorial, orientieren. Der Gegensatz zwischen dieser historistischen Architektur und einer Stilrichtung, die vorgab, deutsche Vorbilder weiterzuentwickeln, mündete in eine fruchtlose Debatte, die sich schließlich nur noch um das äußerliche Problem der Fassade drehte. Die spanische Architektur nach 1936/1939 entspricht vielfach dem, was man als „faschistische“ Architektur bezeichnen könnte. Sie versuchte auf vielfache Weise, der „neuen Ordnung“ einen eigenen architektonischen Ausdruck zu verleihen, sich beispielsweise stilistisch am Deutschland des Nationalsozialismus und am Italien des Faschismus zu orientieren. Letztlich waren das jedoch Versuche eines ideologisch leeren Regimes, für seinen „Neuen Staat“ ein architektonisches Gerüst zu finden. Die spanischen Faschisten waren von Anfang an geblendet von den Vorbildern in Italien und Deutschland; die wenigsten erkannten den Unterschied zwischen den eigenen nationalen Voraussetzungen und jenen in Deutschland und Italien. In den ersten Jahren nach dem Bürgerkrieg orientierte sich die spanische Architektur noch immer am deutschen Modell. In den monumentalen Bauten des Dritten Reiches versuchten ihre Architekten stets, die Idee der deutschen Nation darzustellen:
15 Vgl. die Zusammenfassung bei Sambricio (1985), 158–190.
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Architektur wurde zu einem Propagandamittel der Partei, der Einzelne sollte sich im Angesicht einer Monumentalarchitektur winzig vorkommen. Außerdem war man auf jeder Kundgebung des Reiches bestrebt, den „Neuen Staat“ des Nationalsozialismus zu verherrlichen. Nach 1945 ließ die spanische Orientierung an Deutschland allerdings drastisch nach; an ihre Stelle trat als neues Ideal die italienische Architektur. Die El Escorial-Architektur verfiel der Kritik, Prinzipien des Monumentalismus wurden bekämpft. Der Historismus als gewollte Hinwendung zu einer Architektur des Faschismus wurde nunmehr als künstlerisch und gescheitert abgelehnt. Carlos Sambricio zieht das Fazit: „Das Problem der faschistischen Architektur in Spanien besteht eher in der Verwendung eines historischen Konzepts von einem theoretischen Standpunkt aus als in einer mehr oder weniger gelungenen Praxis.“16
3 Der zeitweilige Rekurs auf die Antike Im Unterschied zu Mussolini und Hitler, die für ihre jeweiligen Regime das klassische Altertum zum Vorbild nahmen, bezog sich Franco bei der historischen Fundierung seines Regimes auf das 15. Jahrhundert mit der Herrschaft der Katholischen Könige (Reyes Católicos) und das 16. Jahrhundert mit der Herrschaft Karls I. und Philipps II., die als das „Goldene Zeitalter“ der spanischen Geschichte betrachtet wurden. Diese beiden Jahrhunderte galten als Vollendung des historischen Prozesses, der im 8. Jahrhundert mit der Reconquista, der Wiedereroberung Spaniens von den „Mauren“, begonnen hatte. War mit den Katholischen Königen die religiöse und politisch-territoriale Einheit Spaniens erreicht worden, so erfuhr die imperiale Ausweitung des spanischen Reiches nach Amerika im 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die religiöse Rhetorik des diktatorischen Franco-Regimes bezog sich unaufhörlich – bei tatkräftiger Unterstützung durch die Katholische Kirche – auf den mittelalterlichen Kampf gegen die Maurenherrschaft auf spanischem Boden. Dabei fehlte auch nicht der Rückgriff auf das römische Imperium, das gewissermaßen als Beispiel für das moderne spanische Imperium der Frühen Neuzeit gedeutet wurde. Zugleich galten Numantia (Numancia) und Saguntum (Sagunt, Sagunto), die herausragenden spanischen Widerstandsmythen der Antike, als wichtige Bausteine der spanischen Nation.17 Insgesamt jedoch waren die Bezüge des Franquismus auf das klassische Altertum ausgesprochen karg und in keiner Weise mit denen des
16 Sambricio (1985), 176. 17 Im Jahr 133 v. Chr. gelang es Scipio Aemilianus in einer gewaltigen militärischen Anstrengung, den einheimischen Widerstand gegen die Römer am mittleren und oberen Ebro mit dem Zentrum Numantia niederzuwerfen. Saguntum, ein wichtiger Alliierter Roms, widerstand der Belagerung durch Hannibal acht Monate lang, bis schließlich 219 v. Chr. die Stadt, in der nahezu alle Verteidiger gefallen waren, in karthagische Hände fiel.
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Nationalsozialismus und des Faschismus vergleichbar.18 Hinzu kam, dass die franquistische Sicht auf die Römer und deren Wirken auf der Iberischen Halbinsel in gewisser Weise „vermittelt“ dem 16. Jahrhundert entlehnt war; dies geschah durch die offiziellen Chronisten Florián de Ocampo19 und Ambrosio de Morales.20 Die Römer wurden als Eindringlinge dargestellt, denen sich die „Spanier“ mit ihrem der Überlieferung nach herausragenden Mut und Widerstandswillen entgegenstellten. Das römische Zurückweichen vor den germanischen Invasoren zu Zeiten der Völkerwanderung – das Zurückweichen war auf ihre Dekadenz in nahezu allen Bereichen zurückzuführen – hatte die christliche Ausprägung des Imperiums unter den Westgoten zur Folge. Sowohl bei den Chronisten des 16. Jahrhunderts als auch in der Historiographie des Franquismus gehörten die Römer somit nicht zu den vorbehaltlos akzeptierten Vorfahren der Spanier. Das Ende Roms wurde als Zerstörung des römischen Imperiums und Vertreibung der Römer aus Spanien interpretiert, ohne zu berücksichtigen, dass es zu jahrhundertelanger Vermischung von Römern und „Spaniern“ gekommen war und zumindest zwei Jahrhunderte lang die Hispanier das römische Bürgerrecht genossen. Diese Sicht auf die Römer stand sicherlich unter dem Einfluss der Interpretation des nächsten Einfalls, dem der „Mauren“ aus Nordafrika – der Invasoren in der konservativen spanischen Historiographie schlechthin – , denen es gelungen war, die angeblichen Spaltungen und die Korruption der Westgoten zu überwinden. Es gab aber auch eine andere Interpretationsrichtung des römischen Wirkens auf der Iberischen Halbinsel. In der Tradition der Aufklärung wurden die römische Wirtschaft, der Handel und die Kultur hochgehalten. Ein herausragendes Beispiel für diese historiographische Richtung ist Pater Juan Francisco Masdeu (1744–1817), der mit seiner zwanzigbändigen Historia Crítica de la Cultura Española Ende des 18. Jahrhunderts die meistgelesene Geschichte Spaniens schrieb.21 In seiner Darstellung werden die „Spanier“ in der Römerzeit mit allen denkbaren positiven Attributen versehen. Persönlichkeiten wie Kaiser Trajan oder Seneca wurden für die Hispanität reklamiert. Diese Deutungen griff der Franquismus dankbar auf und ordnete sich somit zeitweise in die Tradition des Römischen Reiches ein. Anlehnungen an den Klassizismus waren daher in den ersten Jahren des Regimes weiter verbreitet als später; der Klassizismus artikulierte in dieser Zeit das reaktionäre Gedankengut der
18 Eine der seltenen Bezugnahmen Francos auf die klassische Antike stammt aus dem Jahr 1950; damals sagte er auf dem „Kongress Intellektueller Zusammenarbeit“: „Atenas nos legó las ideas y la medida, Roma la unidad y el Derecho; el Cristianismo, la religión y la vida. Como el alma humana, la de Europa encierra también tres potencias inmutables: ideas de Grecia, voluntad de Roma, vida cristiana“. Zit. nach Díaz-Andreu (2003), 33–73, Zitat 38. 19 Ocampo (1553). 20 Morales (1574). 21 Masdeu (1783–1805).
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Zwischenkriegsjahre und verstärkte es durch imperiale Werte.22 In Spanien war es in den Zwischenkriegsjahren nicht zu einem für viele andere europäische Länder typischen Phänomen gekommen, nämlich zu klassizistischen Äußerungen als Artikulationen reaktionärer intellektueller Bewegungen, die besonders in den totalitär regierten Staaten Deutschland und Italien zum Tragen kamen.23 So ist es etwa bezeichnend, dass einer der mit nationalistischen und imperialistischen Bewegungen identifizierten spanischen Intellektuellen, Álvaro d’Ors (1915–2004), einer anderen konservativen und zugleich klassizistischen Bewegung zuzuordnen ist, nämlich dem katalanischen Noucentisme. Auch im 19. Jahrhundert hatte es wiederholt Versuche gegeben, die Römer in eine positive Interpretation der spanischen Geschichte zu integrieren: José Amador de los Ríos (1816–1878) etwa war Mitte des 19. Jahrhunderts darum bemüht, eine nationale Identität der Spanier in seinen Werken zu konstruieren und die politischreligiöse Intransigenz des „spanischen“ Kaisers Theodosius als typisch „spanische“ Eigenschaft zu charakterisieren.24 Der Franquismus griff die Einheit von Religion und Politik auf und machte sie sich – zumindest in den ersten Jahrzehnten – zu eigen. Sich selbst als „Vollender“ der spanischen Geschichte betrachtend, legte der Franquismus großen Wert auf historische Kontinuität. Der Essentialismus, der immer schon ein „spanisches“ Volk kannte, konstruierte die mittelalterliche Brücke zur Vergangenheit unter Rückgriff auf die Widerstandsherde in Asturien, im äußersten Norden des Landes, die unter Anleitung der Kirche und unter tätiger Mithilfe der (christlichen) Westgoten den Kampf gegen die maurischen Eindringlinge begannen und später weiter organisierten. Es waren also die Spanier des Nordens des Landes, die weder die punischen Angriffe erlitten hatten noch den phönizischen oder griechischen Einflüssen ausgesetzt gewesen und nicht einmal von den Römern erobert worden waren, die das Überleben ihrer ursprünglichen Werte bewiesen und die Rückeroberung Spaniens von den ungläubigen Mauren in die Wege leiteten.25 Der „culto alla romanità“26 verband das faschistische Italien mit der Ideologie der spanischen Falange. Hintergrund dieser italo-spanischen Gemeinsamkeit war das angeblich gemeinsame Erbe der Latinität und die parallele Mission der Verteidigung der wahren Zivilisation. Spanien und Italien konnten sich beide auf die
22 Zu den verschiedenen Interpretationen der Romanisierung der Iberischen Halbinsel vgl. den Sammelband von Hidalgo / Pérez/Gervás (1998). 23 Vgl. (für den italienischen Fall) Cagnetta (1976), 139–181; (für den deutschen Fall) Losemann (1977). 24 Amador de los Ríos (1861–1865). 25 Zur Instrumentalisierung der Geschichte im Dienste der Macht, aufgezeigt am spanischen Beispiel (unter besonderer Berücksichtigung der Schulbücher), vgl. Pérez Garzón (2000). Zur Deutung der Geschichte für die Herausbildung der nationalen Identität in Spanien vgl. Boyd (1997). 26 Zum „culto alla romanità“ im (italienischen) Faschismus vgl. Visser (1992), 5–22.
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imperiale zivilisatorische Größe Roms und die privilegierte Rolle Roms in der Geschichte beziehen, die letztlich die christliche Verkündung vorbereitete. Von besonderer Bedeutung war dabei die spanische Regeneration des Römischen Imperiums, die mittels so herausragender Persönlichkeiten wie Seneca, Martial, Quintilian, Trajan und später Theodosius und Prudentius erfolgte. In dieser Hinsicht wurde die nationale Einheit Spaniens erstmalig durch Rom und konkret durch Augustus erreicht. Zivilisation wurde dabei mit Latinität und später mit Katholizismus gleichgesetzt. Zu den gemeinsamen italo-spanischen Elementen zählte die ununterbrochene Verteidigung der Zivilisation von Rom über Italien bis Spanien und des Katholizismus gegenüber den verschiedenen Barbarenangriffen (zuerst die Germanen, später die Mauren und im 20. Jahrhundert die “Roten” und Bolschewisten).27 Andererseits sollte der Stellenwert der Antike für das neue Regime nicht allzu hoch angesetzt werden, nicht einmal in den Phasen, in denen die Falange im künstlerischen und architektonischen Bereich das Sagen hatte. Margarita Díaz- z. B. weist in ihrer Studie über „Archäologie und Diktaturen“ darauf hin, dass die politischen Führer in Deutschland und Italien während der jeweiligen Diktaturen die archäologischen Arbeiten direkt beeinflussten, wohingegen sich im spanischen Fall kaum einmal eine unmittelbare Einflussnahme durch Franco feststellen lässt.28 In Spanien waren die historischen Perioden, mit denen sich die Archäologie beschäftigte, für die Herausbildung des Nationalismus insgesamt von weit geringerer Bedeutung als in Italien und Deutschland. Auch im musealen und universitären Bereich spielte die Archäologie eine untergeordnete Rolle und die Institutionalisierung des Faches verlief ausgesprochen langsam. Es existierte in Spanien weder etwas mit dem italienischen Istituto di Studi Romani oder dem Museo dell‘ Impero noch dem deutschen Ahnenerbe oder dem Amt Rosenberg Vergleichbares. Die Lehre und Propagierung der „Alten Geschichte“ war der spanischen Einheitspartei, den staatlichen Ämtern oder dem Heer ziemlich gleichgültig. Franco scheint auch nie ein Interesse daran gehabt zu haben, eine große Ausstellung zu organisieren, in der er mit „hispanischen“ Größen wie Viriatus,29 Seneca oder Trajan verglichen werden sollte, wie es Mussolini mit entsprechenden Augustus-Ausstellungen durchaus getan hat.30 Weit mehr als auf den Klassizismus griff das neue Regime, das 1939 die absolute Macht in Spanien ergriff, auf national-katholische Werte zurück, die allenthalben vertreten wurden und in elaborierter Form vorhanden waren. Durch den Sieg im
27 Vgl. Duplá (1999), 351–359. 28 Díaz-Andreu (2003), 33–73. Es handelt sich bei dieser Untersuchung primär um eine institutionengeschichtliche Abhandlung. 29 Zu Viriatus als mythischem Widerstandskämpfer gegen die römische Invasion der Lusitania vgl. Guerra/Fabião (1992), 9–23. 30 Zur Augustusverehrung im faschistischen Italien, konkret zum neuen Platz von Kaiser Augustus in Rom, vgl. Ballio (1941), 7–14.
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Bürgerkrieg sahen sich die neuen Machthaber in der Lage, den Nationalkatholizismus zu aktualisieren und seine Maximen bis in den äußersten Winkel des eroberten Landes zu verbreiten. Der Falangismus, der gegenüber dem konservativen Franquismus eine gewisse faschistische Originalität für sich beanspruchen konnte, wurde sehr schnell Teil des franquistischen Magma, verlor schon früh seine Selbstständigkeit und konnte daher auch im architektonischen Bereich nicht, wie Nationalsozialismus und Faschismus, unter Rückgriff auf die Antike stilbildend wirken.31 Gutiérrez Soto, früher Stararchitekt des Franquismus, erklärt und rechtfertigt den architektonischen Rückgriff auf den El Escorial und die Regierungszeit der Habsburger-Dynastie in Spanien mit dem Hinweis, diese Stilrichtung markiere „den Weg zu einer rein spanischen Staatsarchitektur, die genauer Ausdruck des geistlichen und politischen Gefühls der Nation“ war: Lógicamente al final de nuestra guerra a la hora de la reconstrucción este sentimiento nacionalista y tradicionalista se impuso a toda otra consideración; dos tendencias marcan este período, una se apoya en las tradiciones populares y regionales, en la reconstrucción de pueblos destruidos y otra, que inspirándose en la arquitectura de los Austrias y Villanueva, y en El Escorial como precursor de una sencillez, ha de marcar el camino de una arquitectura estatal netamente española, expresión exacta del sentimiento espiritual y político de la nación [. . .] porque a fuerza de ser sinceros, sentimos como un poder obsesionante de hacer una arquitectura ‘así’ a la española, en abierto contraste con aquélla otra que nuestros sentimientos [. . .] consideraron falsa y apátrida.32
4 Kunst und Politik im franquistischen Spanien So wie Hitler und Mussolini durch Bauwerke und Denkmäler ihre Herrschaft symbolisch zu legitimieren suchten, so bemächtigten sich auch die Sieger des Bürgerkrieges in Spanien des öffentlichen Raums, eliminierten demokratische Symbole, änderten Straßen- und Ortsnamen, richteten Feierlichkeiten und Kundgebungen aus. Im Grunde genommen lassen sich alle öffentlichen Maßnahmen des Regimes als Selbstdarstellung und Glorifizierung des „Neuen Staats“ bezeichnen: die ikonographischen Bemühungen, die architektonische Ausgestaltung der Dörfer und Städte, das sorgfältig manipulierte Geschichtsbild, die Propaganda in Texten und Filmen, die Pflege der neuen Gedächtnisorte, der Legitimationsdiskurs, der neue Festkalender der Sieger.33 Am Tag des Zusammenschlusses verschiedener Rechtsparteien zur faschistischen
31 Vgl. hierzu und zu Folgendem die zahlreichen Veröffentlichungen von Fernando Wulff Alonso, insbesondere die Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse in Wulff Alonso/Alvarez MartíAguilar (2003), 9–32. 32 Zit. nach Fernández Alba (1972), 126. Vgl. hierzu auch Cuesta Hernández (2010). 33 Vgl. den Beitrag von Mónica Vázquez Astorga in diesem Band.
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Einheitspartei Falange am 19. April 1937 führte Franco mit konkreten Beispielen aus, wie er sich Erinnerungspolitik vorstellte: An den Kampfesstätten, wo das Feuer der Waffen glänzte und das Blut der Helden floss, werden wir Stelen und Denkmäler errichten, in die wir die Namen derer einmeißeln werden, die Tag für Tag mit ihrem Tod den Tempel des Neuen Spanien errichten, damit eines Tages die Wanderer und Reisenden vor den glorreichen Steinen innehalten und der heldenhaften Erbauer dieses großen spanischen Vaterlandes gedenken.34
Bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen hatten alle öffentlichen Maßnahmen des Regimes eines gemeinsam: Es ging den Siegern immer darum, ihre Herrschaft in die Tradition einer weit zurückreichenden, glorreichen Vergangenheit einzuordnen und sich selbst in der historischen Kontinuität imperialer Großmachtpolitik zu präsentieren. Die erinnerungspolitischen Maßnahmen umfassten Zeit und Raum gleichermaßen. Was die Zeit betrifft, begann das „nationale“ Lager sogar eine neue Zeitrechnung: 1936 hieß „Erstes Triumphjahr“ (Primer Año Triunfal), 1939 „Siegesjahr“ (Año de la Victoria). Im Übrigen wurde ausführlich aus der Geschichte geschöpft, vor allem aus den Epochen, die als die Glanzzeit Spaniens gedeutet wurden: das ausgehende 15. Jahrhundert unter der Herrschaft der Katholischen Könige Ferdinand und Isabella, sodann das imperiale 16. Jahrhundert mit Karl I. und Philipp II. als dominierenden Monarchen. Die folgenden Jahrhunderte der Dekadenz, vor allem das 19. Jahrhundert als Zeitalter des negativ gedeuteten Liberalismus, wurden weitgehend ausgeblendet. Die franquistische Erinnerungspolitik diente einem einzigen Zweck, nämlich dem, das eigene Regime zu legitimieren, es als quasi selbstverständliche Konsequenz der Entwicklung in der Tradition der glorreichen spanischen Geschichte zu verankern, zugleich die Erinnerung an die Gegenseite – die Liberalen und die Demokraten, Sozialisten und Kommunisten, Freimaurer und Juden – auszulöschen. Die Ikonographie Francos im öffentlichen Raum ist ein erstes, anschauliches Beispiel dafür, wie die Propagandisten des Franquismus ihre Absichten durchsetzten.
5 Ikonographie Francos: Der Diktator im öffentlichen Raum Diktaturen sowie ganz allgemein nicht-demokratische Regime greifen vielfach auf Standbilder und Denkmäler zurück: Zum einen deshalb, weil ihnen demokratische Legitimität fehlt und sie daher nach alternativen Legitimationen charismatischer Art Ausschau halten, was die Notwendigkeit zur Folge hat, die Inhaber der Macht symbolisch – durch Bilder, Statuen, etc. – hervorzuheben; zum anderen wegen des 34 Zit. nach Bernecker/Brinkmann (2011), 152.
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Mangels an Pluralismus, was – bei Fehlen interner Kritik – den Personenkult fördert.35 Der Franquismus liefert ein besonders anschauliches Beispiel für die Bedeutung der Ikonographie des Diktators im öffentlichen Raum. Ende September 1936 hatte Franco die gesamte Macht im „nationalen“ Lager in seiner Person vereinigt; er war Staats- und Regierungschef sowie Generalissimus der Streitkräfte. Zu den ersten Öffentlichkeitsmaßnahmen zur Absicherung und Stärkung seiner Herrschaft und Autorität gehörte die massive Verbreitung seines Porträts. Am häufigsten war dieses in Form von Photographien in Periodika anzutreffen; der offizielle Photograph Ángel Jalón [Ángel Hilario García de Jalón Hueto] (1898–1976) retuschierte die meisten Bilder, bis der Diktator schließlich besonders „positiv“ aussah. Die zahlreichen Individualabbildungen verfolgten den Zweck, in der Person Franco das Regime zu „individualisieren“. Kampfbilder Francos gibt es nur ganz wenige, so dass das Bild des Generalissimus einen Eindruck vermittelte, der mit der Realität nur wenig gemein hatte: das Bild eines militärischen Befehlshabers, der kein Blut vergießt. In den meisten Fällen wurde er in Uniform abgebildet, mitunter auch als Kreuzritter, so dass ikonographisch die Ideologie und Handlungen der Aufständischen mit der glorreichen Vergangenheit Spaniens im Mittelalter in Verbindung gebracht wurden; der Bürgerkrieg galt als neue Reconquista. Neben die Bilder traten die Statuen Francos als Teil der Herrschafts-Ikonographie des Regimes.36 Bei den Reiterstatuen handelt es sich um „politische Kunst“ schlechthin. Eine stilistisch-ikonographische Betrachtung lässt deutlich werden, dass die „franquistische Kunst“ im öffentlichen Raum eine klare Abneigung gegenüber der Avantgarde in all ihren Formen hatte. Der Künstler verfügte über keine Autonomie; ein Kunstwerk musste die Werte evozieren, die mit der traditionellen, aristokratischmilitärischen Ikonographie des Ritters übereinstimmten. Der rein künstlerische Anspruch wurde immer der politischen Funktion untergeordnet. Beherrschend war die Monumentalität der Statuen. Mit der Reiter-Ikonographie wollte das Regime bestimmte semantische Inhalte vermitteln; es ging um den imperialen Traum nach dem Vorbild des Imperium Romanum oder des Reiches der Katholischen Könige. Die Assoziationen sind nicht immer eindeutig, vielmehr bewusst mehrdeutig. Zudem spielten die Begriffe „Tradition“ und „traditionalistisch“ eine entscheidende Rolle in der franquistischen Ästhetik; sie standen für jegliche Ablehnung von Abstraktion.
6 Siegesästhetik des Franquismus Ästhetische Überlegungen waren zweifellos von wesentlicher Bedeutung im frühen Franquismus. Die visuelle Verführung sollte die Vorstellungskraft des Betrachters
35 Vgl. Biddiss/Wyke (1999). 36 Vgl. Andrés Sanz (2004).
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„besetzen“, Ideologie und Werte sollten durch Gebäude und Bilder ausgedrückt werden. Auch wenn diese Absicht der Sieger aus den Bau- und Kunstwerken jener Jahre abgeleitet werden kann, fehlt es andererseits doch an einer „Theorie“ der franquistischen Kunst und Architektur, an einem einigermaßen konsistenten Baukonzept. Gab es überhaupt so etwas wie „franquistische“ Architektur oder gar Kunst? Haben Politologen bereits Probleme, eine klare „Ideologie des Franquismus“ herauszuarbeiten, so fällt es im Bereich der Architektur und Kunst mindestens genauso schwer, eine „Ästhetik des Franquismus“ zu definieren. Eines der Probleme besteht dabei in der langen Dauer des Franquismus, die zu Periodisierungen und zur Betonung wichtiger Wandlungsprozesse im Verlauf des Regimes zwingt.37 Während des Bürgerkrieges und in den ersten Jahren des Weltkrieges wurden die ästhetischen Vorstellungen im Lager der Nationalen wesentlich von den zwei Grundströmungen bestimmt, auf denen das neue System aufbaute: einer nationalkatholischen Basis und dem falangistischen Faschismus. Öffentliche Gebäude wurden in dieser Phase von Monumentalismus geprägt, eine enge Anlehnung an die Architektur des „Dritten Reiches“ war unübersehbar. In der zweiten Hälfte des Weltkrieges, als ein Ende der faschistischen Herrschaft in und über Europa absehbar war, und in den auf 1945 folgenden Jahren betonte das Regime die traditionellen, konservativen Aspekte seines Nationalkatholizismus stärker denn je. Dies spiegelte sich deutlich in der Bauweise, vor allem von Privatgebäuden, wider: Diese imitierten zuerst den angelsächsischen Stil und konzentrierten sich sehr bald auf die Betonung des „typisch Spanischen“, eines traditionell-altertümelnden und historisierenden Baustils. Francos Willen und den Vorstellungen seiner „Kunsttheoretiker“ zufolge sollte Madrid nach dem Krieg zu einer würdigen Hauptstadt ausgebaut werden, die den Charakter des neuen Staates repräsentierte. In vielerlei Hinsicht wurde dabei auf die Modellvorschläge Albert Speers für Berlin zurückgegriffen, die in Spanien nicht zuletzt durch die Architekturausstellung von 1942 bekannt geworden waren. Schon der Bau der Neuen Reichskanzlei hatte in Madrid viel Lob erfahren; diesem Vorbild wollten die Franquisten folgen. Der eklektische Charakter der franquistischen Architektur lässt sich besonders gut am Luftwaffenministerium (Ministerio del Aire) im Madrider Stadtteil Moncloa erkennen (Abb. 2). Häufig wird das Gebäude als ein charakteristisches Produkt faschistischer Architektur bezeichnet. Mit seinen vier Türmen, der Ziegelsteinfassade und dem mächtigen Eingangsportal erinnert es aber mehr an den El Escorial. Der Architekt, Luis Gutiérrez Soto, führte in seinen beiden Alternativprojekten für das Gebäude das Konzept einer Maskierung der Fassade ein. Albert Speer schreibt in seinen Memoiren,38 dass er von den beiden Projekten dasjenige bevorzugte, das später tatsächlich
37 Eine sehr gute Studie zur Ästhetik des Franquismus ist Cirici (1977). 38 Vgl. Speer (1969).
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Abb. 2: Luis Gutiérrez Soto, Das Luftfahrtministerium. Perspektive und zwei Projektfassungen, in: Hogar y Arquitectura. Revista bimestral de la Obra Sindical del Hogar 92 (1971), 123. Ibero-Amerikanisches Institut Berlin, Bibliothek, Sig.: Span za 346/92 (1971).
realisiert wurde und eindeutig historistische Anspielungen auf den Stil Herreras enthielt. Diese Erscheinungsform war ursprünglich nicht vorgesehen; das Gebäude sollte vielmehr dem Münchner „Haus der Deutschen Kunst“ ähneln, mit neodorischer Kolonnade und einfachen Säulen. Über dem Säulengang sollte das Abzeichen der
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Luftwaffe angebracht werden, das dem Hoheitsadler der Nationalsozialisten ähnelte. Nach dem Ende des Dritten Reiches – das Luftwaffenministerium wurde zwischen 1943 und 1957 erbaut – wurden die Pläne allerdings geändert; nunmehr war der Rückgriff auf katholisierende spanische Traditionen stilbildend.39 Die unter der Maske liegende Gestalt des Baukörpers befindet sich auf der Linie einer Architektur, nach der schon die spanische Bourgeoisie vor dem Bürgerkrieg gestrebt hatte. So erklärt sich schließlich die Anlehnung an den El Escorial. Im bissigen Volksmund der Madrider Bevölkerung wurde das Gebäude übrigens nicht Ministerio del Aire, sondern Monasterio del Aire (Luftwaffenkloster – El Escorial ist auch ein Kloster!) genannt. Auch der Platz vor dem Luftwaffenministerium wurde umgestaltet. Dort errichtete man einen großen, Franco gewidmeten Triumphbogen, der stark an die klassischen Bögen Roms und den Pariser Arc de Triomphe erinnert (Abb. 3). Der Triumphbogen war als Symbol des Sieges konzipiert; zugleich sollte er ein eindrucksvoller Blickfang auf einer der Hauptverkehrsachsen zur Hauptstadt sein. Dem Bauwerk liegt ein Konzept militärischer Strenge zugrunde, denn die Seitenpfosten weisen keine Verzierungen auf, was die Monumentalität und Wuchtigkeit des Bogens noch unterstreicht. In den Folgejahren wurde direkt gegenüber dem Triumphbogen ein Denkmal für die Gefallenen des Bürgerkrieges in Form einer runden Ehrenhalle errichtet, womit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Sieg im Bürgerkrieg und Verehrung der Helden hergestellt wurde. Die Planungsund Baugeschichte des Platzes vor dem Luftwaffenministerium mit dem dort vorgesehenen Triumphbogen lässt das (sich wandelnde) Selbstverständnis des Regimes erkennen. Die militärische Front war bereits in den ersten Bürgerkriegsmonaten bis an den Stadtrand von Madrid vorgeschoben worden. Wochenlang wurde damals um die sich im Bau befindende „Universitätsstadt“ (Ciudad Universitaria) gekämpft. Die Franquisten konnten die Abwehrreihen zwar nicht durchbrechen, die dortigen Gebäude wurden aber dennoch vollständig zerstört. Nach dem Krieg investierte die „Generaldirektion für zerstörte Regionen“ (Dirección General de Regiones Devastadas) einen Teil ihres Budgets in den Wiederaufbau dieser Zone. Es sollten Denkmäler zur Erinnerung an den Sieg und für die „Märtyrer“ der „nationalen“ Seite erbaut werden – genau an der Stelle, wo besonders unerbittlich und lange gekämpft worden war (Abb. 4). Die Idee, einen Triumphbogen am Rande der Ciudad Universitaria zu errichten, stammt wohl aus dem Jahr 1942. Die ersten Bauskizzen von 1943 sahen einen kolossalen Bogen vor, der gewissermaßen den Zugang zur Stadt bilden sollte, und eine Reiterstatue Francos. Das Projekt wurde aber aus finanziellen Gründen eingefroren und erst 1946 wieder aufgegriffen, als Spanien nach dem Zweiten Weltkrieg international isoliert war und den Regime-Propagandisten eine „nationale Selbstbestätigung“
39 Vgl. Cirici (1977), 129.
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Abb. 3: Modesto López Otero/Pascual Bravo, Der Triumphbogen in der Madrider Universitätsstadt, Modell, in: La Ciudad Universitaria de Madrid, [s. l.] 1943. Biblioteca del Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid, Sig.: COAM 9224.
erforderlich erschien. Allerdings dauerte es noch einmal vier Jahre, bis schließlich 1950 mit dem Bau begonnen wurde. Eingeweiht werden sollte er eigentlich am 18. Juli 1956, dem 20. Jahrestag des Bürgerkriegsbeginns. Dazu ist es allerdings nie gekommen, eine offizielle Einweihung fand ebenso nicht statt. Wahrscheinlich ist das Ausbleiben einer Einweihung darauf zurückzuführen, dass der Triumphbogen zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung aufgrund der deutlichen Anspielung an den Sieg im Bürgerkrieg anachronistisch wirkte in einem Land, das alles daran setzte, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben und die Gespenster der Vergangenheit aus seinem Alltag zu verbannen. Der Triumphbogen hingegen sollte – wie schon sein
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Abb. 4: Die Madrider Universitätsstadt, Gesamtansicht, in: La Ciudad Universitaria de Madrid, [s. l.] 1943. Biblioteca del Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid, Sig.: COAM 9224.
Name sagt – nicht an den Frieden, sondern an den Sieg erinnern. Dafür sprechen auch die Inschriften zu beiden Seiten des Bogens (Abb. 5). Die eine lautet: „Die Intelligenz, die immer siegreich ist, widmete dieses Denkmal den hier siegreichen Heeren.“ Auf der anderen Seite ist zu lesen: „Gegründet dank der Großzügigkeit des Königs, wiederhergestellt durch den Caudillo der Spanier, erblüht der Sitz der Madrider Studien im Angesicht Gottes“.40 Was die Errichtung des Triumphbogens betrifft, erinnert die Vorgehensweise der Franquisten strukturell an die des Augustus, der in dieser Hinsicht „modellbildend“ war; dies bezieht sich auf das Versenden seines Portraits, die Aufstellung von Reiterstandbildern und die Errichtung von Triumphbögen an in der städtischen Topographie markanter Stelle. Augustus ließ an den Haupteinfahrts- und Ausfallstraßen Roms Altäre errichten, die ebenfalls die Funktion hatten, seine Siege zu feiern; auch er feierte den Sieg im Bürgerkrieg als Grundlage dessen, was nun dank ihm und unter ihm folgen würde. Der materielle Bezug und die inhaltliche Referenz zu Augustus lassen sich im franquistischen Triumphbogen deutlich erkennen.41
40 Zit. nach Aguilar (1996), 133. 41 Diese Hinweise verdanke ich meiner Kollegin Sabine Panzram (Hamburg).
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Abb. 5: Inschriften am Triumphbogen in der Madrider Universitätsstadt, in: Revista Nacional de Arquitectura 179 (1956), 22. Biblioteca del Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid.
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Neben dem Luftwaffenministerium war die Universitätsstadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit eines der großen öffentlichen Bauprojekte des frühen Franquismus. Die Universitätsanlagen waren schon am Ende der Monarchie Alfons‘ XIII. unter der architektonischen Leitung von Modesto López Otero (1883–1962) (in den zwanziger Jahren) geplant worden; mit der Ausführung war in den Jahren der Zweiten Republik begonnen worden. Vorgesehen war ein strenger, „moderner“ Stil; die Rede war von „diskreter, akademischer und rationalisierender Monumentalität“. Bei der Neukonzeption der „Universitätsstadt“ ab 1943, die durch die vollständige Zerstörung des gesamten Areals im Bürgerkrieg erforderlich wurde, dominierte ein ungezügelter Monumentalismus. Neben dem Triumphbogen, der gewissermaßen den Zugang zum universitären Bereich darstellte, war das geplante Auditorium Maximum in Form eines gewaltigen römischen Tempels das Hauptgebäude. Dieses und viele andere Bauten – etwa einzelne Fakultätsgebäude – lehnten sich architektonisch eng an die NS-Architektur der Zeit an. Als die universitären Bauten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erstellt wurden, ließen die Architekten allerdings den größten Teil der Monumentalkonzeption wieder fallen. Ähnlich wie im Falle des Luftwaffenministeriums und des Triumphbogens hatte sich die politische Großwetterlage in Europa zwischenzeitlich derart radikal verändert, dass ein Festhalten an den ursprünglichen faschistischen Bauplänen politisch nicht mehr opportun erschien. Die Ideologie des faschistischen Franquismus kommt möglicherweise am deutlichsten in der 1946 entworfenen „Arbeitsuniversität“ (Universidad Laboral) im asturischen Gijón zum Ausdruck.42 Der Grundgedanke für diese Einrichtung stammt vom falangistischen Arbeitsminister José Antonio Girón de Velasco (1911–1995), der mit dem Bau der Arbeitsuniversität verschiedene Absichten verfolgte: Zum einen wollte er mit dem prächtigen Bau ein für alle Mal die Erinnerung an die radikal-revolutionäre Tradition der asturischen Arbeitergeschichte eliminieren; zum anderen sollte der Komplex den Charakter eines Symbols haben. Es ging nicht um einen Funktionalbau, sondern um ein Monument für die Arbeit, hinter dem die Vorstellung der Überwindung des Klassenkampfes steckte. Durch Bildung sollten die Arbeiter am Wirtschaftsleben beteiligt werden; damit würde zugleich die gesellschaftliche Spaltung in Kapitalisten und Proletarier überwunden. In gewisser Weise sollte die „Arbeitsuniversität“ ein Modell für das ganze Land sein, weshalb sie als ein komplexer Ort, als Stadt des Faschismus und der „Neuen Ordnung“ konzipiert wurde (Abb. 6). Unter der Bauleitung von Luis Moya Blanco wurde an der Universidad Laboral bis 1956 gebaut. Obwohl auch in diesem Fall die entscheidende Bauphase in eine politisch radikal veränderte Zeit fiel, wurde am ursprünglichen Konzept festgehalten, da die Falangisten um Girón de Velasco eine mental besonders „geschlossene“ Gruppe darstellten, die eine absolutistische Sicht auf die Geschichte und Gegenwart Spaniens hatte und sich durch ausgeprägten Immobilismus auszeichnete. Nach
42 Vgl. Cirici (1977), 137–147.
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Abb. 6: Die Arbeitsuniversität in Gijón, Modell, in: Mundo Hispánico. Número especial dedicado a Asturias. Potencia humana y económica de una región en su hora estelar 124 (1958), 35. Ibero-Amerikanisches Institut Berlin, Bibliothek, Sig.: III bi 500/Año 11 (1958).
1956 wurden die Bauten allerdings nicht fortgesetzt: Im politischen Zentrum Madrid schickten sich die Vertreter des Opus Dei an, entscheidende Machtpositionen im franquistischen System einzunehmen und allmählich eine wirtschaftliche Neuorientierung vorzunehmen. Die Arbeitsuniversität blieb unvollendet. Von den Medien, über welche die franquistische Ideologie der breiten Masse der Bevölkerung kommuniziert wurde, war die staatliche Wochenschau NO-DO (Noticiarios y Documentales) wahrscheinlich das bedeutendste. Die Einrichtung der Wochenschau war zweifellos eine kalkulierte politische Operation. 1942 per Dekret geschaffen, wurde NO-DO das Nachrichten- und Dokumentationsmonopol für die Lichtspielhäuser zugesprochen. In allen kommerziellen Kinos musste die Wochenschau vor dem Spielfilm gezeigt werden. In einer Zeit, in der die meisten Haushalte noch keine Fernseher hatten, konnte die Regierung über das NO-DO eine vollständige Nachrichtenkontrolle ausüben. Die Wochenschau war ein hervorragendes Propagandamedium und zugleich ein exzellentes Mittel zur politischen Sozialisierung. Gleich zu Beginn der Wochenschauen wurde der aus dem Bürgerkrieg hervorgegangene „Neue Staat“ regelmäßig als legitimer Nachfolger der imperialen Epoche dargestellt. Das neue Staatswappen, das immer gezeigt wurde, legte deutlich
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Rechenschaft davon ab: Wiederaufnahme des Adlers als Symbol imperialer Größe; Pfeilbündel und Joch der Katholischen Könige als Zeichen von Einheit und Disziplin; die Devise „Einig, Groß, Frei“ (Una, Grande, Libre). Das nachzuahmende Staatsparadigma war somit das Reich der Katholischen Könige, das charakterisiert wurde durch den glorreichen Abschluss der Reconquista, die Gründung eines starken und imperialen Staates, die Vorherrschaft der spanischen Waffen in Europa, die religiöse Einheit, die Entdeckung der Neuen Welt, den Beginn der Missionierung. Dem Bürgerkrieg – bezeichnenderweise als „Kreuzzug“ gedeutet – wurde dabei die gleiche Bedeutung für die politische und religiöse Einheit wie der Herrschaft der Katholischen Könige zu Beginn der Neuzeit zugesprochen. Am 20. Mai 1939 „übergab“ Franco in der Basilika der Salesianerinnen feierlich sein Schwert an Gott. Das Protokoll folgte einer mittelalterlichen Symbolik, die den intendierten Zusammenhang zwischen der kriegerischen Leistung Francos und dem „Kreuzzug“ gegen die Araber während der Reconquista herausstellte. Zugleich war es eine Art Institutionalisierung des Führertums (caudillaje) Francos. Durch solche Rituale war der Diktator bemüht, seinem Regime durch Bezug auf die Vergangenheit den Anschein von Legalität und Legitimität zu geben. Franco erzwang gewissermaßen seinen Eintritt in die Geschichte, indem er sich mit den herausragenden Symbolen des spanischen Imperiums umgab. Anachronistisch war dabei nicht nur das Ritual bis hin zur dargebotenen Waffe (einem mittelalterlichen Schwert); die Zeremonie stellte zugleich den symbolischen Versuch dar, den Bruderkampf in eine andere Zeit zu verlegen, die Wunden der Gegenwart zu tilgen. Indem die Wochenschau diese Zeremonie zeigte und so gut wie nicht kommentierte, nahm der Eindruck der Unmittelbarkeit nochmals zu. Die Geschichte sollte unmittelbar auf den Betrachter wirken.
7 Das „Tal der Gefallenen“: Mausoleum der Sieger Der bis heute bedeutendste Gedächtnisort des Franquismus ist das Valle de los Caídos, das „Tal der Gefallenen“, rund 60 Kilometer nordwestlich von Madrid und nur wenige Minuten vom El Escorial entfernt in der Sierra de Guadarrama gelegen. Das Bauwerk, dessen offizielle Bezeichnung Monumento Nacional de Santa Cruz del Valle de los Caídos lautet, stellt in seiner Monumentalität die Ursprungsideologie des franquistischen Systems dar. Obwohl als Kriegerdenkmal und Staatsmausoleum konzipiert, ist es primär ein Siegesmal und zugleich das Herrschaftssymbol des im Bürgerkrieg triumphierenden Systems. Der Platz für das Gefallenen- und Siegesdenkmal wurde vom Diktator sorgfältig ausgewählt: Das Gelände befindet sich ziemlich genau im Zentrum Spaniens, stellt somit den Mittelpunkt des Landes dar. Das Bauwerk, das von allen Seiten gesehen werden sollte, wurde als Symbol der neuen Einheit Nationalspaniens konzipiert und
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sollte Gefallenen aus allen Landesteilen eine letzte Ruhestätte bieten. Der gesamte Komplex sollte sich zudem eng an die Natur der Sierra de Guadarrama anschmiegen, Bauwerk und Natur sollten gewissermaßen ineinander aufgehen (Abb. 7).
Abb. 7: Das Kriegsdenkmal und Mausoleum «Tal der Gefallenen» bei Madrid, in: Monumento Nacional de Santa Cruz del Valle de los Caídos. Guía turística, Madrid 1960. Biblioteca del Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid, Sig.: COAM 16532.
Der Ort befindet sich außerdem in unmittelbarer Nähe historischer Stätten, insbesondere nahe von El Escorial, der als Symbol der „großen“ Geschichte Spaniens schlechthin zu Zeiten Philipps II. und als Inbegriff der engen Verbindung von Staat und Katholischer Kirche gilt. In dieser Tradition imperialer und gegenreformatorischer Größe sah sich auch Franco. El Escorial ist Palast, Kloster und Mausoleum der spanischen Könige in einem; ähnlich konzipierte Franco auch das Valle de los Caídos, das als Grabstätte für den Falange-Gründer José Antonio Primo de Rivera und für ihn selbst vorgesehen war. Die gesamte Anlage wurde in die Obhut des Benediktinerordens gegeben. Das erste Fassadenprojekt von Muguruza Otaño ähnelte der neoklassizistischfaschistischen Architektur des „Dritten Reiches“ mehr als der schließlich ausgeführte Entwurf des zweiten Architekten Diego Méndez aus dem Jahr 1950. Der Stilwechsel, der in den fünfziger Jahren vorgenommen wurde, entsprach sicherlich dem Bestreben des franquistischen Regimes, sich von seiner faschistischen Vergangenheit zu
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distanzieren, um im Nachkriegseuropa politisch überleben zu können. Trotzdem sind die neoklassizistischen Stilelemente unübersehbar. Der Bau des Denkmals wurde bis in die kleinsten Details von Franco persönlich überwacht. Von Anfang an setzte der Diktator Kunst und Architektur als Herrschaftsinstrumente ein. Die Kunstpolitik der Nachkriegszeit wurde zumeist von neu eingerichteten staatlichen Stellen reglementiert und gelenkt.43 Erster Innenminister war Ramón Serrano Suñer, dem auch die Generaldirektionen für Presse, Propaganda und Architektur unterstanden. Leiter der Dirección General de Arquitectura wurde Muguruza Otaño, dem die Oberaufsicht über jenen Baukomplex übertragen wurde, der zum propagandistischen Glanzstück Spaniens werden sollte: das Monumento Nacional a los Caídos, das „Nationale Denkmal für die Gefallenen“ – so die ursprüngliche Bezeichnung. Alle wichtigen Entscheidungen in Bezug auf dieses Denkmal durften nur nach Rücksprache mit der Madrider Regierungszentrale, der Presidencia de Gobierno, entschieden werden, so dass der direkte Einfluss Francos jederzeit sichergestellt war. Das Valle de los Caídos ist ein überdimensional großes Siegerdenkmal, das allen Gegnern Nationalspaniens dessen Größe vor Augen führen und an den Sieg über die Republik erinnern sollte. Die Grabstätte von José Antonio Primo de Rivera und das von Anfang an eingeplante Grab Francos erhöhen die Bedeutung des Bauwerks; Franco setzte sich damit selbst ein immerwährendes Denkmal. Die gewaltigen Ausmaße der Gesamtanlage und der übersteigerte Monumentalismus vieler Einzelteile dienten zur Verkörperung der unbezwingbar erscheinenden Stärke des Staates und repräsentierten zugleich den alles umfassenden Willen des Caudillo. Das weithin sichtbare, riesige Kreuz wiederum zeugt von der Macht der Kirche im franquistischen System; es verkörpert gewissermaßen den Anspruch der katholischen Kirche, ganz Spanien beherrschen zu wollen. Verstärkt wird dieser Eindruck katholischer Allmacht, wenn man bedenkt, wer in dieser Gruft seine letzte Ruhestätte finden durfte: Es waren die im Namen Gottes und des „nationalen“ Vaterlandes Gefallenen, die in den Folgejahren immer wieder evozierten Caídos por Dios y por España. Die kolossalen Statuen der vier Evangelisten, die sich um den Sockel des Kreuzes winden, geben ein ebenso bedrohliches wie mahnendes Bild ab und scheinen, zusammen mit dem Kreuz, dem unterlegenen Spanien die Botschaft verkünden zu wollen, dass jeglicher Widerstand sinnlos sei. Die gesamte Anlage besteht aus einer von 1942 bis 1956 in den Felsen gesprengten, ausgedehnten Krypta („Basilika“) mit monumentalem Eingang bei der an ihrer Südseite gelegenen Esplanade, aus umfangreichen, Studienseminar und Wirtschaftsräume einschließenden Klostergebäuden, die einen großen Hof umgeben, sowie aus einem darüber aufragenden riesigen Kreuz. Das Kreuz weist außergewöhnliche Ausmaße auf. Die Höhe beträgt über 142 Meter, die Spannweite 58 Meter.
43 Alted Vigil (1984); Llorente Hernández (1995).
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Die Konstruktionsvorgaben stellten die Ingenieure vor enorme Anforderungen. Um den starken Winden der Sierra trotzen zu können, musste vor allem auf die Stabilität des Kreuzes geachtet werden. Die Decke der Krypta hatte das Gewicht des Kreuzes – über 200.000 Tonnen – auszuhalten. Die in den Ausmaßen einer Kathedrale angelegte eindrucksvolle Krypta ist einschließlich der Vorhalle 262 Meter lang, 20 Meter (Querarm 110 Meter) breit und 35 Meter hoch. Den Hochaltar krönt ein Holzkreuz mit einer lebensgroßen Christusfigur. Zu beiden Seiten der Krypta befinden sich die Kapellen für die Gebeine der im Bürgerkrieg Gefallenen. Das geplante Monumento a la Victoria sollte zum einen ein Denkmal zu Ehren der Gefallenen für das Vaterland und deren letzte Grabstätte sein; zum anderen war eine Basilika vorgesehen, an die sich ein Kloster anschloss, das die enge Verbundenheit des franquistischen Systems zur Katholischen Kirche zum Ausdruck brachte. Der zusätzliche Gedanke, an eben jener Stelle zugleich eine Kaserne zum Schutz des Klosters zu bauen, versinnbildlicht in geradezu paradigmatischer Weise den aggressiven Nationalkatholizismus als Ideologie des frühen Franquismus. Auch im Inneren der Basilika manifestiert sich der politisch-religiöse Anspruch: Das Mosaik in der Kuppel des Hauptaltars zeigt, wie im Gefolge spanischer Heiliger die gefallenen Helden des Bürgerkrieges hinter den flatternden Fahnen von Staat und „Bewegung“ gen Himmel fahren. Unter den Madonnen der Seitenaltäre befinden sich die Schutzheiligen von Heer, Marine und Luftwaffe. Der sepulkrale Charakter des Valle de los Caídos ist auf den ersten Blick erkennbar: eine Basilika, die als Krypta in einen Berg geschlagen wurde, düstere Stimmung und gedämpftes Licht, dazu die kalten Mauern der Außenfassade. In der Krypta ruhen inzwischen die Gebeine von ca. 40.000 im Bürgerkrieg „für Gott und Vaterland Gefallenen“. Auch einige Katholiken der republikanischen Seite haben dort ihre letzte Ruhe gefunden. Konzipiert war das Valle de los Caídos als ewiger Ort des Totengedenkens; das Gedenken wurde allerdings mythisch überhöht, indem die „Helden der Bewegung“ zu Vorbildern für einen Zweck gemacht wurden: Es ging darum, die Erinnerung an die Größe Francos wach zu halten und zukünftige Generationen durch ihr erbrachtes Opfer in der richtigen Gesinnung zu bestärken. Durch Gedenkfeiern und Heldenmythisierung sollten die Spanier auf den Tod eingeschworen werden; die Sinnhaftigkeit des Todes der Gefallenen als Opfertod um des spanischen Volkes willen sollte deutlich gemacht werden. Höchste Tugend des einzelnen Helden war die Opferbereitschaft für Volk und Vaterland. Franco selbst schlug eine Brücke zwischen Toten und Lebenden, zwischen Vergangenheit und Zukunft. In Zusammenhang mit der Einweihung des Valle de los Caídos sagte er 1959 in einem Interview, der ganz in der Nähe liegende El Escorial sei die Grabstätte der spanischen Könige und das Valle de los Caídos die Ruhestätte der Helden und Märtyrer des spanischen Volkes. Am 1. April 1959, dem 20. Jahrestag des Bürgerkriegsendes, wurde das Valle de los Caídos feierlich eingeweiht. Die konservative Tageszeitung ABC schrieb aus diesem Anlass: „Nun können wir die Fortdauer des Sinnes und des Geistes des
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Kreuzzuges feststellen, die in einem Betonfelsen zu Stein geworden sind, auf dem ein Denkmal und ein Tempel errichtet wurden, um die Erinnerung an unsere Toten zu ehren und ihre Ruhe zu verewigen.“44 Franco selbst erhob in seiner Einweihungsrede für das Bauwerk eine Art Ewigkeitsanspruch: Das Ausmaß unseres Kreuzzugs, die heldenhaften Opfertaten, die zum Sieg führten, und die Bedeutung, die diese Epopöe für die Zukunft Spaniens hatte, können nicht in Form einfacher Denkmäler verewigt werden [. . .]. Die Bauwerke, die errichtet werden, müssen vielmehr die Größe antiker Monumente haben, sie müssen der Zeit und dem Vergessen trotzen, und sie sollen ein Ort der Meditation und der Ruhe sein, an dem zukünftige Generationen ihrer Bewunderung für jene Menschen Ausdruck verleihen können, die ihnen ein besseres Spanien hinterlassen haben. [. . .] Es soll ein ewiger Pilgerort werden, an dem die Großartigkeit der Natur einen würdigen Rahmen für den Boden bildet, in dem die Helden und Märtyrer des Kreuzzugs ruhen.45
Eine letzte Inszenierung erlebte das Valle im November 1975, als der Diktator dort zu Grabe getragen wurde. In Anwesenheit von 10.000 Getreuen wurde Francos Sarg nach einem feierlichen Trauergottesdienst in das für ihn hinter dem Hauptaltar vorgesehene Grab gesenkt und mit einer schweren Platte verschlossen. Bis heute marschieren alljährlich einige Altfranquisten an seinem Todestag, dem 20. November, dort auf, um ihren verstorbenen Caudillo zu ehren.46
8 Schlussbetrachtung Keine Antike? lautete die Ausgangsfrage dieses Beitrages. Wie aufgezeigt werden konnte, spielte die (römische) Antike bei der Konzeption der franquistischen Staatsbauten durchaus eine Rolle, allerdings eine deutlich weniger wichtige als im Falle des Dritten Reiches oder des faschistischen Italien. Die franquistischen Architekturvorstellungen müssen im europäischen Kontext gesehen werden, dem sie angehörten: der konservativen Ideologie der Zwischenkriegszeit (insbesondere dem integristischen Katholizismus) ebenso wie dem Nationalsozialismus und dem Faschismus. Zweifellos bedeutete der Machtantritt Francos eine Zäsur in der
44 ABC (1959), 3. 45 ABC (1959), 3. 46 Seit Jahren wird von vielen Aktivisten, gesellschaftlichen Organisationen und politischen Parteien die Exhumierung der Leiche Francos und deren Neubestattung an einem anderen Ort gefordert. Bis zum heutigen Zeitpunkt (Sommer 2019) ist dies nicht gelungen, da die Familie Franco, die Konservative Partei und der Prior des Benediktinerordens, dem die Verwaltung des Valle untersteht, sich entschieden dagegen stemmen. Die seit Juni 2018 im Amt befindliche Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez setzt alles daran, um die Exhumierung voranzutreiben, was in Spanien zu einer Art landesweitem „Kulturkampf“ mit juristischen, politischen und emotionalen Argumenten geführt hat.
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Geschichte Spaniens, auch in der Architekturgeschichte. Seit damals unterlag die Baukunst einer ganz neuen Art von Kontrolle; außerdem bedeutete die Einbeziehung der Architektur in das Propagandaministerium ihre Unterstellung in den Dienst des Staates und somit in den Dienst einer Politik, die autoritär und zeitweise totalitär ausgerichtet war. Die Architektur wurde somit in den Dienst der neuen Ideologie gestellt und sollte gleichsam als deren Symbolträger fungieren. Welcher Stil der für das neue Spanien geeignetste sein würde, blieb längere Zeit unbestimmt.47 Erst allmählich wurde deutlich, dass der Neoklassizismus sich weitgehend durchsetzen würde. Diego de Reina de la Muela z. B. formulierte seine Stilvorstellungen für Spanien sehr klassisch: „Todos estos caracteres han de estar basados en la tradición, y solo podremos encontrarlos [. . .] en una interpretación actual y española del clasicismo, el neoclasicismo.”48 Und Pedro Muguruza, der Hauptarchitekt Francos, definierte die wichtigsten Elemente der neuen, nationalistischen Baukunst folgendermaßen: En la nueva Arquitectura Nacional ha de acometerse con toda valentía el intento de hacer que en ella colaboren de la manera más directa y decidida todas las artes y artesanías, haciéndolas salir de la falsa situación en que los colocara el pedantismo del siglo XIX [. . .] para incorporarlas a la arquitectura en sus bóvedas, en sus muros y pavimentos, llevando sus formas, sus colores y sus volúmenes a todas las materias que integran la obra, y formar con todo un conjunto que sea continuación de aquel Arte Nacional iniciado con los valores universales que los Reyes Católicos, Carlos V y Felipe II arrojaron en España en una voluntad de Imperio.49
Bauliche Elemente des Neoklassizismus verbanden die verschiedenen Bauwerke in den beiden Diktaturen Deutschland und Spanien. Beiden Ländern erschien dieser Baustil am geeignetsten für Monumentalbauten. Der Neoklassizismus wies in der Tradition eines Weltreiches, des römischen, einen perfekten ideologischen Hintergrund auf. Insgesamt betrachtet, griffen sowohl Franco als auch Hitler auf alle Formen der Vergangenheit zurück, die sich für ihre Weltanschauungen eigneten. Hitlers Wille, Deutschland zur führenden Macht Europas (und der Welt) zu machen, erklärt seine primäre Orientierung an der einstigen Weltmacht der Antike, an Rom. Hitler zufolge war Rom das einzige wirkliche Weltreich, das jemals existiert hatte; und sein neues Drittes Reich sollte in der Tradition dieses Weltreichs Rom stehen.
47 Einig waren sich die faschistischen Architekten längere Zeit nur in der Ablehnung der modernen Kunst (als Symbol der Republik), die als der spanischen Mentalität nicht adäquat beurteilt, als Individualisierung des Menschen und als kultureller Ausfluss von schlechter Qualität einer Minderheit bewertet wurde. In Abgrenzung zur modernen Kunst stützte man sich primär auf die eigene Tradition und orientierte sich an den Vorbildern Herreras und Villanuevas. Hoch im Kurs standen neoklassizistische Elemente in Anlehnung an das spanische Imperium des 16. Jahrhunderts. 48 Reina de la Muela (1944), 136 f. 49 Zit. nach Schuster (1998), 75.
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Dieser unbedingte Wille, die Führungskraft Europas zu werden, ist im Spanien Francos nicht erkennbar. Zum einen hatte das Land nach dem Bürgerkrieg keine Mittel, um einen derartig überzogenen Anspruch zu erheben; zum anderen bezog sich der Anspruch auf Macht in Madrid von Anfang an nur auf die Iberische Halbinsel. Hinzu kam, dass viele Gebäude im „nationalen“ Spanien eher von der Macht der Kirche im franquistischen System zeugten. Somit verbanden sich sowohl in Deutschland als auch in Spanien Macht und Monument, wenn auch die Intention in Deutschland eine viel breitere Dimension erreichte als in Spanien. In beiden Regimes ging es aber darum, Macht anhand von Architektur darzustellen – wenn auch die Vorbilder sehr unterschiedlich waren.
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Mónica Vázquez Astorga
Transformation as Legitimation of a “New State”: The role of Visual Media in Mass Celebrations during and after the Spanish Civil War (1936–1940) Abstract: This article analyses the relationships between art and politics in Spain under the control of Franco’s army from 1938 to 1940 and focusses on artistic expression at the ceremonial events organised by the Visual Arts Department. This contribution examines some of the most important mass events during this period by exploring their representation spaces, staging, propaganda purpose and meaning. These aspects were related to mass celebrations organized by Italian Fascist and German National-Socialist regime. Those events were based on reclaiming and appropriating classical antiquity, especially ancient Imperial Rome. The aim of mass celebrations in Franco’s Spain was to associate the most glorious moments of the imperial past with what the regime called the “New State” and thus, to demonstrate its ideological legitimacy.
Introduction This contribution1 analyses the ephemeral staging and architectural elements of some of the most important mass celebrations held in Spain under the control of General Franco’s army (Francisco Franco Bahamonde, 1892–1975) between 1938 and 1940. The period studied in this paper refers to the creation of the National Press and Propaganda Service (Servicio Nacional de Prensa y Propaganda) in 1938. This Department was responsible for organising these ceremonial mass events. Patriotic and commemorative rallies were particularly significant in the final years of the Civil War and at the beginning of the post-war period. The main objective of these mass celebrations was described by ideologists such as Ernesto Giménez Caballero (1899–1988) one year before the beginning of the Spanish Civil War as “la exaltación del fervor político colectivo y la adhesión unitaria en torno al Caudillo”.2 This study will first discuss the cultural and political background in Spain during the period of 1938 to 1940, with a particular focus on the relationship between art and
1 This work was supported by the Reference Research Group Vestigium (H19_17R), funded by the Department of Innovation, Research and University of the Government of Aragon and the Aragon FEDER Operating Programme (2014–2020), led by its main researcher, Dr. Concepción Lomba Serrano. Translation by TRASLUZ S.L. (Translation and Linguistic Consultancy Services). 2 Giménez Caballero (1935), 67. https://doi.org/10.1515/9783110651997-009
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the state. Secondly, it will explore the propaganda activities of the Visual Arts Department (Departamento de Plástica) of the National Press and Propaganda Service. Finally, it will analyse some of the most representative cases of mass celebrations during this period. This paper argues that these mass celebrations in Spain were based on the political rallies organised by the Fascist and NationalSocialist governments in Italy and Germany.3 These regimes in turn appropriated and transformed classical antiquity, especially Imperial Roman ideals and ceremonies. This image of antiquity, in case of Franco’s Spain, was used to legitimise what the regime called the “New State”.
1 The relationship between Art and State This study would not be complete without considering the politics of the time and the role of art. For Francoism, like other totalitarian regimes at that time, art was considered a political activity with propaganda purposes to serve the State. In this case, the so called “New State” arose as the paradigm of the glorious imperial past of the reign of the Catholic Monarchs (Reyes Católicos) and also extolled ancient Imperial Rome as a model for a mission of the civilisation and formation of an “eternal nation.” In this regard, as Antonio Duplá argued, Francoist historiography and propaganda focused their attention at the beginning on two subjects: firstly, on reflecting and theorising on the notion of empire –linked to personal power– and on the notion of the universal State; this idea concentrated on Rome as the model of civilising imperialism, especially considering certain emperors such as Augustus, but, above all, the “Spanish Trajan”. Secondly, on the presumed regeneration and revival of the Roman Empire by a series of outstanding figures (born in the Hispanic provinces) in the first and second centuries AC, such as Seneca (Lucius Annaeus Seneca), Martial (Marcus Valerius Martialis) and Lucan (Marcus Annaeus Lucanus) in the intellectual domain and Trajan (Marcus Ulpius Traianus), Hadrian (Plubius Aelius Hadrianus) and Theodosius I. (Flavius Theodosius) in the political arena.4 Thus, the Francoist regime, which longed to become the champion of the new Latin and Christian civilisation, exalted the imperial and civilising greatness of Rome. It was a type of state art that placed architecture above other art forms, as Giménez Caballero stated in his book Arte y Estado (1935)5 and other authors such
3 It is interesting to note that these ceremonies were most influenced by the forms (clothing, postures, gestures and phrases) of Fascist Italy and the propaganda machine and preference for mass events of National-Socialist Germany. See also the contribution of Walther L. Bernecker in this volume. 4 Duplá (2002), 178 and 182. 5 Giménez Caballero (1935), 235–236.
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as Eugeni d’Ors (1881–1954) later confirmed.6 Other totalitarian regimes also gave architecture a prominent role. For German National-Socialism, architecture was an indelible way of expressing their political and patriotic values.7 They turned to the history of architecture for both stylistic references from significant moments in their own historic past and links to classical antiquity and, specifically, to the Roman world, mainly from a symbolic and iconographic point of view. This is why Adolf Hitler (1889–1945) believed that the Acropolis in Athens, some buildings by Karl Friedrich Schinkel and the New Reich Chancellery by Albert Speer formed part of the same uninterrupted tradition,8 and also why Benito Mussolini (1883–1945) considered himself the “new Augustus”, destined to revive ancient imperial glory and strengthen its continuity in the new order.9 Another defining characteristic of Spanish art at the time, and Spanish culture in general, in keeping with Italian Fascism and German National-Socialism,10 was an interest in mass celebrations and a preference for rituals, ceremonies and grandeur. This subject was addressed in magazines of the time such as Vértice, which in 1937 pulished the following: Surge esta estética de modelar efectos con grandes masas de hombres, unidos, enmarcados, sometidos a disciplinas fuertes de buen grado, ilusionados por un ideal de grandeza, apretados contra el peligro, conscientes y solemnes de la expresión plástica de su formación indestructible como cartel contra las falsas teorías demoledoras de pueblos débiles y desunidos [. . .]. Nace un arte que es coreografía, liturgia religiosa, arquitectura y poesía a un tiempo. Se crea una estética que busca la expresión de los bloques verticales, el respaldo de monumentos de dimensiones enormes que son como la huella o la planta de una divinidad no olvidada y de un idealismo constante. Se crea un arte, una estética de las muchedumbres que se cuida y se regula como síntesis de toda propaganda.11
As this text shows, with these crowd-pulling events held in large spaces, regimes sought to encourage mass participation –led and synchronised by a leader– and thus tried to put a collective will over individual desires.
6 D’Ors (ca. 1945), 244. 7 Architecture was an effective means of ensuring “words become stone” (Das Wort aus Stein). 8 Adam (1992), 27. 9 As Antonio Duplá explains, Augustus is the model of a charismatic political leader who survived a civil war, began an important phase of reforms, achieved political and social stability and moralised public life within the framework of a universal empire. Duplá (2017), 155. 10 In this context, it is interesting to note that National-Socialism arose from the development of a national cult that had lasted for over a century before this movement was founded. In essence, Nazi liturgy repeated the following forms and events: processions comparable with those that several associations (gymnastics etc.) had held during their festivals; the Aufmärsche, speaking choirs, silent marches, professions of faith or movement choirs. The setting continued to be familiar: a sacred place, the buildings surrounding it, lighting effects, flags and flames, and so on, all profusely decorated with the movement’s symbols. Mosse (2005), 261. 11 Vértice (June 1937), 33 and 36.
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These ceremonial events, which drew on the historic past using the iconographic and symbolic elements of ceremonies dating from the Roman imperial period, were in keeping with the values supported by these “new States”: unity, discipline, clarity, serenity and greatness. The events organised during the Civil War and the post-war period in Spain were similar to those taking place in Germany and Italy, two nations that were greatly admired. This is why Franco adopted the title of Caudillo, which was equivalent to Duce and Führer and also linked him to the war chiefs of the medieval period. We should therefore draw a parallel between large rallies that took place every September in Nuremberg (Reichsparteitage) to celebrate the Day of the NationalSocialist German Workers’ Party (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, NSDAP),12 when thousands of people enthusiastically applauded the Führer and, as stated in the magazine Vértice, “hacían hervir el sentimiento patriótico del espectador más escéptico”.13 In fact, the Sportpalast (an arena that could hold almost 12,000 people) in Berlin and the Reichsparteitagsgelände in Nuremberg became the two favourite locations for Nazi rallies (mainly characterised by ostentatious parades, marches, music and songs) in which according to Siegfried Krakauer masses became “ornamental”.14 The songs and the shouting of Heil! paved the way for the Führer. He arrived through a long passage opened in the crowd, which the Minister of Propaganda, Joseph Goebbels (1897–1945), called a via triumphalis (a reference to Imperial Rome),15 to take up position on his lofty and solitary platform. Therefore, these experiences that encouraged collective celebration were shaped by the architectural, staging, ornamental, light, music and ritual elements. As we will see below, this ritual and theatrical rhetoric also pervaded mass ceremonies and meetings during the Spanish Civil War and throughout the first post-war period; later they lost their indoctrinating effectiveness.
2 The activity of the Visual Arts Department of the National Press and Propaganda Service The National Press and Propaganda Service, founded in January 1938 as part of the Ministry of the Interior, was first located in the city of Burgos. Its activity and
12 Worth mentioning here is the Congress of the National-Socialist Party (Reichsparteitag) held in Nuremberg in 1934 (one year after Hitler came to power and documented on film by Leni Riefenstahl in Triumph of the Will -Triumph des Willens-, 1935). This was one of the most spectacular rallies, symbolising “the transformation of the shapeless masses into a united national force”. Clark (2000), 51. 13 Vértice (June 1937), 35. 14 Krakauer [1927] (1963). 15 In My Struggle (Mein Kampf), Adolf Hitler emphasised that antiquity was the true precursor of German art, thus establishing constant links to this period. Adam (1992), 11.
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organisational structure were defined by using the German department with the same name as a model. National-Socialism was a mass movement that regarded the (perfectly coordinated and bureaucratically complex) “propaganda machine” as extremely important. Consequently, at the beginning of 1933, Hitler created the Reich Ministry for Popular Enlightenment and Propaganda (Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda), which was under the control of Goebbels.16 Soon after, on 22 September 1933, the Reich Chamber of Culture (Reichskulturkammer) was founded to work in parallel with the Reich Ministry of Popular Enlightenment and Propaganda with seven sub-chambers or departments: Fine Arts, Theatre, Literature, Press, Radio, Film, and Music with Goebbels appointed as the president.17 The National-Socialist regime was, therefore, the first to give propaganda its own ministerial department. The National Press and Propaganda Service in Spain had three means of disseminating information: oral, written and graphic. Oral dissemination is understood as public events (conferences, talks and courses) and radio broadcasts (talks, courses and radio commentaries); written dissemination includes publications such as books, records, leaflets, documents, bulletins and press collaborations and journalistic articles; and graphic dissemination is producing and using posters and prints, postcards, stamps, diagrams, slides, films and models. The work of the Service’s Visual Arts Department, which we will refer to below, fell into the latter category. The National Press and Propaganda Service had the authority to use and disseminate the coat of arms of Spain, the colours, flags and emblems of the country, of the Traditionalist Spanish Falange (Falange Española) and of the Councils of the National-Syndicalist Offensive (Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista), known as JONS, as well as the State and Movement mottos. It also managed slogans and names, representations of figures, episodes or places in the history of Spain and of the war, and photographs or representations of dignitaries. This Service was also able to authorise individuals or companies to manufacture and use items on which the above-mentioned symbols and representations appeared.18 Since 1938 Dionisio Ridruejo Jiménez (1912–1975) was the head of the National Propaganda Division (Jefe Nacional de Propaganda). This Division had several responsibilities and the Departments of Publishing, Visual Arts, Film, Theatre and Music were accountable to it. The focus was on the Visual Arts Department that was directly responsible for forming a “new art” due to serve the “emerging State”. This Department basically focused on two activities: Firstly, it was responsible for
16 Its tasks included the following: preparing itineraries and schedules for Party speakers; staging rallies and meetings (and the publicity for them); promoting political radio broadcasts and organising how they were received; and producing and disseminating propaganda films. Manvell and Fraenkel (1961), 215. See now the biography of Longerich (2010). 17 Thornton (1985), 107. 18 Heraldo de Aragón (4 May 1939), 2.
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designing and executing all the propaganda that the national office produced in the form of books, posters, leaflets, illustrations of publications, programmes and invitations. Secondly, it organised the design and mounting of propaganda exhibitions and the study, preparation and implementation of every public and private event this office held. In short, it was mainly responsible for the functional and embellishing part. Therefore, the purpose of the Visual Arts Department was related to propaganda and aesthetic. The head of this Department was the painter, sketcher and poster designer Juan Cabanas Erauskin [also Erausquin] (1907–1979), whose collaborators included Pedro Laín Entralgo (1908–2001), José Romero Escassi (1914–1995), José Caballero (1915–1991) and Pedro Pruna (1904–1977).19 Antonio Tovar Llorente (1911–1985), Juan Antonio Morales (1909–1984), Domingo Viladomat (1913–1994), Manuel Augusto García Viñolas (1911–2010), Rafael Gil (1903–1994) and the architects Luis Martínez Feduchi (1901–1975), Luis Felipe Vivanco (1907–1975) and José Borobio Ojeda (1907–1984) should also be added to this list (Fig. 1).20 The Visual Arts Department soon changed its name to Ceremony and Visual Arts Department (Departamento de Ceremonial y Plástica). This new name was more in line with its tasks, which included affairs relating to the temporary installation of structures and architectural and decorative elements, and to the preparation of patriotic political and liturgical celebrations, parades and events. The purpose of this Department was to elevate political life reinforcing its aesthetic values and doing so to legitimise it.21 The Visual Arts Department was also responsible for censoring tasks that affected graphic works and commemorative and funerary monument projects until the Censorship Section (Sección de Censura) was founded.22 Consequently, the Visual Arts Department was responsible for disseminating and assembling all the staging paraphernalia involved in ceremonial events and mass rallies that channelled the regime’s expressive and propaganda needs and, above all, achieved the unitary adhesion of the “masses around the Caudillo”. Lastly, the Visual Arts Department became a section within the National Propaganda Office (Delegación Nacional de Propaganda) in October 1941. Its remit also changed due to the creation of the Ceremony Division (Jefatura de Ceremonial) and the Section for the Organisation of Public Events and Visual Arts (Sección de Organización de Actos Públicos y Plástica) (the successor to the former Ceremony and Visual Arts Department), which was responsible for organising events and
19 Laín Entralgo (1989), 234. 20 Shown in this photograph are the Zaragoza architect José Borobio Ojeda (second from the left) and other artists who were part of the Visual Arts Department, such as the painters and sketchers José Caballero and Juan Cabanas Erauski (in the centre). 21 Marín (2010), 92. 22 The Censorship Section, which reported to the head of the National Press and Propaganda Service, was created in July 1939. Vázquez Astorga (2008), 174.
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Fig. 1: Members of the Visual Arts Department, Burgos 1938. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
authorising commemorative monuments.23 Despite these changes, many of the artists working on propaganda material continued to do so.
3 Ceremonial events and public celebrations 3.1 Expression and meaning of visual arts These events became a regular and strategically distributed feature in the calendar of Spanish political life (as occurred in other countries with totalitarian regimes). Their aim was to confirm and strengthen the system’s values and ideology. The ceremonies included those commemorating anniversaries, for example the Spanish Coup (18 July), the appointment of General Franco to Supreme Head of State (“Caudillo Day,” which took place on 1 October)24 and the official entry of Franco’s
23 Llorente (1995), 107–108. 24 The Law dated 1 October 1936 contained the official appointment of Franco as the Head of State. The Order dated 28 October 1937 established the “National Caudillo Festival” to commemorate this appointment.
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troops into Madrid. The so-called “Victory Day/Parade” took place for the first time in May 1939, thereafter in April and from 1958 on again in May. Other ceremonies, however, paid posthumous homage to “legends,” such as José Antonio Primo de Rivera (20 November), or focused on welcomes and farewells for foreign dignitaries, such as Count Gian Galeazzo Ciano in July 1939. For these public events, the Visual Arts Department was responsible for devising and organising a temporary stage that became a scenographic decorative allegory. Each of these celebrations and, especially, the institutional ones, sought to glorify the figure of the leader and his role as a champion of victory using images, slogans referring to him and his actions and a range of flag and pennant iconography. Cities participated in these events by decorating their buildings with flags, hangings, flowers, lights, patriotic inscriptions and posters with the portrait of Franco; these were characterised by their monumental nature, such as the ones used for the celebration on 1 October 1938 in Burgos (Fig. 2).25 All these elements helped to form a stage (with actors and an audience), with a markedly theatrical component, culminating in the apotheosis of the regime.26 As in every staging, there also had to be ephemeral architecture with symbolic and propagandistic value that was grandiosely and austerely expressed through triumphal arches, columns, monoliths, pedestals (for emblems and insignias), platforms and other elements (Fig. 3). This architecture harked back to the designs for mass events held in Germany and Italy (although on a far smaller scale) that were erected to commemorate the Roman imperial period from a symbolic and iconographic point of view. These structures highlight the romanità–cult manifested by the Francoist regime, reinforcing the idea of continuity between both civilisations. As we will see below, the symbolic concept of the arches (often designed for processions) sought to evoke the triumphal arches erected by Roman emperors for the triumphus ceremony, steeped in religious, political and military significance. These architectural elements had a simple structure that essentially met the need for fast and easy assembly and disassembly. In general, they were built using cheap materials (plywood, plaster, sackcloth, wood, papier mâché, fabric, and so on) and decorated with plant elements, emblems and insignias (such as the laurel crown or the yoke and arrows). The aim was to link this “New State” with the most glorious moments of Spain’s historic past (especially the period of the Catholic Monarchs) to provide evidence of its strength. The concept of architecture as staging was virtually non-existent in Spain at the time if we compare it with the projects undertaken by Germany during
25 This poster highlights Franco’s head wearing a military helmet. Alexandre Cirici points out that it has simplified shading to sculpt the monumental head. This author also says that the shadow of the moustache in this image visibly echoes Hitler’s and the strong chin resembles images of Mussolini that used to be in circulation, as symbols of authority, decision and tenacity. Cirici (1977), 88. 26 Bonet Correa (1981), 39.
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Fig. 2: Appearance of the square Alonso Martínez in Burgos for the celebration held on 1 October 1938. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
Fig. 3: Platform erected in the Plaza Mayor in Salamanca for the anniversary of the Spanish Coup, 18 July 1938. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
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the Third Reich. Since theories supporting this concept were rare, implementations were almost non-existent. In Spain, structures were built as an exception and only, as we will see below, to create spaces used as a backdrop to celebrate events for political, military and religious consolidation.
3.2 Some ceremonial events and their staging In this section, we will assess this ephemeral architecture designed for ceremonies by analysing some of the most significant examples between 1938 and 1940. This architecture and other staging material took on great importance in these events. The “Victory Day/Parade” or the rallies organised to celebrate the arrival or departure of foreign representatives or to pay homage to figures such as José Antonio Primo de Rivera are good examples of this. As we will see below, propaganda stages were formed for these events using architectural and symbolic elements whose aesthetic proposals (monumentality and austerity) were deeply rooted in antiquity. At the same time, their significance was used and transformed to establish parallels between Franco’s regime and the great civilisations of the past, such as the Romans. The aim was to convey the idea of continuity, unity and legitimacy.27 One of the most representative events was the celebration of the first “Victory Day/Parade” on 19 May 1939. The details of this day were recorded in a documentary produced by the National Film Department (Departamento Nacional de Cinematografía) entitled The Great Victory Parade in Madrid (El gran Desfile de la Victoria en Madrid).28 This six-hour patriotic and military commemoration consisted of a parade by the Air Force, the Army, the Navy and the Falange along the capital’s avenue Paseo de la Castellana (called Avenida del Generalísimo at the time) in front of General Franco. All the provinces prepared parades and festivals for this event, although it was especially important in Madrid. The members of the Visual Arts Department helped to plan the staging of this event. The architectural elements erected included columns placed in the access area to the avenue (with the insignia of a laurel crown and the names of the cities or fronts where the most significant battles of the Civil War had been fought in capital letters) (Fig. 4) and the platform where the Laureate Cross of Saint Ferdinand was conferred on Francisco Franco and from where he presided over the Victory Parade (Fig. 5).
27 Hüter (1987), 73. 28 Regarding this documentary produced by the National Film Department (DNC), see Tranche and Sánchez-Biosca (2002), 202–207.
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Fig. 4: Columns erected for the Victory Parade held in Madrid in May 1939. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
This platform comprised three parts: a higher tier for General Francisco Franco and two on a lower level for government authorities and the diplomatic corps. It was framed by an architectural structure, shaped like a triumphal arch, which contained a shield and the word “Victory”29 on it; the sides repeated the binary rhythm “Franco” 29 The “New State” that arose from the Civil War was also considered the legitimate successor of the glorious imperial past. This is shown in the symbols adopted in the coat of arms (established by the Decree dated 2 February 1938), which uses elements in the traditional coat of arms and from the time of the Catholic Monarchs (such as the Eagle of St John, a bundle of arrows and the yoke, which are emblems of unity and discipline). Consequently, the paradigm of the glorious imperial past was situated in the reign of the Catholic Monarchs, a time when “la consumación de la reconquista, la fundación de un Estado fuerte e imperial, el predominio en Europa de las armas
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Fig. 5: Presidential platform for the Victory Parade held in Madrid in May 1939. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
in capital letters three times.30 In the middle it also had the “Victor” emblem (formed by a large central “V” flanked symmetrically on either side by the half loops of the “C” and the “R” and divided by an “I” whose dot was surrounded by an “O” and topped by a “T”). On the sides it had the banners of Lepanto, Gonzalo Fernández de Córdoba (the Great Captain), Las Navas, El Cid, the Catholic Monarchs and Ferdinand III the Saint, the standard of the conquerors of America, the Valencian Senyera (the flag of Valencia) and other insignias. Together with the presence of the coat of arms, their purpose was to evoke other historical days of victory and to consolidate the idea that Franco was the successor of the great warriors of the past. The stage was rounded off with a large carpet of fresh flowers laid in front of the platform.
españolas, la unidad religiosa, el descubrimiento de un nuevo mundo, la iniciación de la inmensa obra misional de España y la incorporación de nuestra cultura al Renacimiento”. This is why the same set of heraldic symbols was adopted, as an affirmation of a historical moment that Franco wanted to emulate. Tranche and Sánchez-Biosca (2002), 185. 30 This rhythm had visual and sound properties, given the propaganda power of two-syllable names with stress on the first (which is also the case of the term Duce).
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The ceremonies organised during this period also included welcome events for foreign dignitaries. These were also a propaganda task and the Visual Arts Department was involved in them. One of the most noteworthy welcomes was for Count Gian Galeazzo Ciano (1903–1944), the Italian Minister of Foreign Affairs. He came to Spain in July 1939 to return the visit the Spanish Minister of the Interior, Ramón Serrano Súñer (1901–2003), had made shortly before.31 The count arrived in Barcelona on 10 July 1939 on board the Eugenio de Savoia and was welcomed by Serrano Súñer. Afterwards, he toured other cities, such as Tarragona, Vitoria, Zarauz, San Sebastián, Valencia and Madrid. During this trip, which lasted a week, several events were held in his honour. The places he visited were decorated with hangings and flags, and triumphal arches and shrines were erected and topped with the emblem of the yoke and bundle of arrows (taken from the Catholic Monarchs) and the Littorio symbol.32 When he arrived in the city of Madrid on Saturday, 15 July, Ciano was received enthusiastically by the population, as reported in the Heraldo de Aragón: Madrid se vistió de gala para recibir al conde Ciano. Muchas casas estaban engalanadas y las calles lucían banderas y gallardetes con los colores de los dos países. A la entrada del antiguo paseo de Recoletos se habían levantado dos monolitos: uno llevaba la inscripción “Franco, Franco, Franco” y el otro, la de “Duce, Duce, Duce”. El primero estaba rematado con el escudo de España y el otro con un lictor de gran tamaño. El palacete del aeropuerto estaba engalanado con banderas y gallardetes en gran profusión. El conde italiano subió a la terraza del palacete del aeródromo para presenciar el desfile de fuerzas [. . .].33
In Madrid he visited the “memorable and glorious places of the war”, including the university campus. Next, he continued to Toledo, where he visited the Alcázar (a fortress built on a rocky outcrop and whose liberation is considered “the most representative feat of the Civil War”) accompanied by the Minister of the Interior and General José Moscardó Ituarde (1878–1956). Count Ciano’s trip ended in Andalusia where he visited Seville and Malaga. On 17 July, Ciano travelled to Tablada, where a plane was waiting to fly him to Malaga, where he boarded a ship to return to Italy. The Port of Malaga was decorated with flags and pennants (in the colours of the flags of both countries) and with monuments erected for the occasion; these included an arch or monumental gate for the procession to pass through. Large and looking like a monolithic block, it was supported by vertical columns (Fig. 6). Its simple post-and-lintel structure, with two large central spans flanked by three shorter ones, recreated those erected for ceremonies in the Roman imperial period. Covered with plants, the structure bore the words “FRANCO DUCE FRANCO” on the 31 The National Film Department produced a documentary of Count Ciano’s visit. 32 Heraldo de Aragón (13 July 1939), 1. The Littorio symbol is one of the Italian fasces, which celebrated the 20th anniversary of their foundation in 1939. 33 Heraldo de Aragón (16 July 1939), 1.
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Fig. 6: Arch erected in the Port of Malaga for the farewell ceremony for Count Galeazzo Ciano, 17 July 1939. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
horizontal block completing the set, which were accompanied by the symbol of the Spanish Falange (yoke and arrows) and the Littorio symbol; all these glorified the Italian and Spanish brotherhood. The goal of Count Ciano’s visit was, essentially, to give him the impression of a country that was progressing and actively “rebuilding”. Judging by the words the distinguished visitor spoke before setting sail for Italy, it seems this objective was achieved: “Llevo la impresión de un pueblo en marcha”.34 However, the most grandiose example of all the events held in these years was undoubtedly the one organised to transfer the mortal remains of José Antonio Primo de Rivera (1903–1936) from the cemetery in Alicante to the Basilica of El Escorial between the 20th and 30th of November 1939.35 Juan Cabanas Erauskin
34 Heraldo de Aragón (18 July 1939), 5. 35 The founder of the Spanish Falange had been a prisoner in the Model Prison of Madrid and was then transferred to the Provincial Prison of Alicante on 5 June 1936. Accused of conspiracy and military rebellion against the government of the Second Republic, he was condemned to death and executed on 20 November 1936. Concerning the transfer of José Antonio’s remains from Alicante to El Escorial, see Ros and Bouthelier (1940), which details the itinerary. Another valuable source is the documentary produced by the National Film Department entitled: ¡Presente! En el enterramiento de José Antonio Primo de Rivera (Present! At the funeral of José Antonio Primo de Rivera) and broadcast by NO-DO.
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was appointed the Head of the Ceremony and Decoration Section (Sección de Ceremonia y Ornamentación) to plan this funeral ceremony in memory of the founder of the Falange. Although some time had passed since the death of José Antonio Primo de Rivera, his body had not been identified in the cemetery of Alicante until April 1939.36 Paul Preston pointed out that Franco made the most of the propaganda opportunities that arose after the death of José Antonio, since he was prepared to exploit “la eterna ausencia del héroe y la proclamación como su heredero”.37 On the 9th of November 1939, the Political Council (Junta Política) agreed to transfer the remains of José Antonio, borne on the shoulders of his comrades, from his temporary burial site in Alicante to his final resting place in the Church of the Monastery of El Escorial (where the kings and queens of Spain are buried, thus making the assimilation of José Antonio into such distinguished stock inevitable). The route was divided into 10 days of pilgrimage, which, in Jordi Gracia García’s opinion, were planned with huge theatrical overtones.38 The Directorate-General of Propaganda produced a guide for the route of the funeral cortege containing 33 points, some of which we have highlighted below: Núm. 1.- La ornamentación de la ciudad de Alicante debía ser rigurosa y austera. A ser posible con los únicos elementos del paño negro y bandera de Falange; Núm. 4.- La capilla ardiente estará ornamentada con paño negro y la mayor cantidad posible de cirios; Núm. 9.- Terminados los Santos Oficios, y a hombros de la Junta Política, se iniciará la marcha del cortejo hacia el mar, relevando a la Junta Política los miembros del Consejo Nacional; Núm. 13.- En el momento en que haya pasado el Cortejo por la explanada de frente al mar para seguir su ruta se colocará en el centro del puerto el gran bloque de cemento sobre el cual se afirmará posteriormente el monolito que eternice y conmemore la fecha de arranque de la comitiva que se dirige a El Escorial. Será éste el primero de los que marquen en cada punto del relevo la marcha del cortejo, fijando la hora de su paso. Y ha de ser igual al último, que se colocará en El Escorial, y, en ambos, por orden diferente, se fijarán las fechas de arranque y llegada del cortejo fúnebre; Núm. 16.- Cada diez kilómetros aproximadamente se establecerán los puestos de relevo, a cargo de cada una de las Provinciales. Al frente de estos puestos estará el Jefe Provincial, quien se hará cuidado de ordenar sus fuerzas y elementos en el lugar más conveniente del camino; Núm. 17.Se anunciará el relevo por un disparo de cañón o salva; Núm. 19.- A la vista del cortejo, avanzará el Jefe Provincial hacia él. Se detendrá éste y el camarada Jefe Provincial que llega correspondería al saludo del otro, pronunciando el ritual grito: “JOSE ANTONIO PRIMO DE RIVERA”, que sería contestado por el otro camarada Jefe Provincial con la voz de “¡PRESENTE!”; Núm. 20.- Pasado el cortejo, en cada puesto se procederá a implantar en el sitio señalado el monolito previamente dispuesto, y en el mayor silencio se grabará en él la fecha exacta en que se efectuó el relevo y las fuerzas correspondientes que lo efectuaron; Núm. 33 (último).Terminadas todas las ceremonias, se procederá a implantar el último monolito con el mismo ceremonial con que se hizo en todos los relevos del trayecto.39
36 37 38 39
Heraldo de Aragón (5 April 1939), 5. Preston (2002), 227. Gracia García and Ruiz Carnicer (2001), 133. The guide for the route and ceremony is in Ros and Bouthelier (1940), 19–27.
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Every city paid homage to José Antonio. In fact, the provincial leaders of the Traditionalist Spanish Falange (Falange Española Tradicionalista) were ordered to prepare bonfires along the route (reviving the symbolic and dramatic force of the myth of fire) and services were held for his soul in every parish. Franco made 20 November (the date of José Antonio’s death) a “Day of National Mourning”. After his remains had been exhumed, they were taken from the Pantheon of the Fallen (Panteón de los Caídos) in the province of Alicante to the Basilica of San Nicolás,40 where they were received at the entrance by the President of the Political Council, Serrano Súñer. He, with other Council members, took the coffin to the catafalque in the nave, where it was surrounded by 24 large torches. The solemn funeral rites began at six in the morning on 20 November and, after the Requiem Mass and prayer for the dead, the Political Council picked up the coffin and took it out onto the street. The church was decorated, the walls covered with black crêpe paper and a canvas with a large red cross flanked by the yoke and arrows of the Falange was hung at the altar. A monumental laurel crown was placed between the catafalque and the altar and a carpet of flowers covered the floor of the Basilica’s nave. The five permanent roses of the Women’s Section (Sección Femenina) of Alicante were placed on the coffin, which was wrapped in the red and black flag. After the funeral rites, the coffin was covered with a black cloth embroidered by the Women’s Section of Madrid.41 From there, it was taken to the Alicante docks where the Army, the Navy and the Air Force were waiting in formation. While the crews of the warships were standing on the decks with their arms held high, volleys were fired and continued while the cortege was passing along the promenade next to the sea. A squadron of planes from the Alcantarilla base appeared in the sky and threw out bunches of laurel and flowers. The National Council (Consejo Nacional) handed over the body of José Antonio to the Provincial Falange of Alicante, which had to cover the first stage. The cortege thus made its first steps on the road. This pilgrimage continued among blue shirts and red berets to the province of Valencia. The funeral cortege followed the planned route through several provinces surrounded by rosaries, bonfires, torches and arms held high in salute. It arrived in Madrid on the 29th of November 1939 at nine o’clock in the morning and was received by representatives of the government and the Political Council. The official cortege crossed the capital accompanied by the most solemn of silences and arrived
40 José Antonio’s body was exhumed from a niche in the municipal cemetery of Nuestra Señora del Remedio at three in the afternoon on 19 November, accompanied at all times by the comrades of the Provincial Falange of Alicante and the five roses, which were replaced every day at the request of the Women’s Section of the same provincial unit. The funeral procession left the cemetery at half past three to head towards the Ocaña road. It arrived later at José Antonio’s house, draped in mourning, which had a wall in front of the door holding Falange flags. It then continued along several streets and avenues to the Basilica of San Nicolás. 41 Heraldo de Aragón (21 November 1939), 2.
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at the Model Prison. From there, it went to the university campus to then return along the road to head for El Escorial. After ten days and ten nights of walking among the crowds and flames, weapons and crosses, prayers and tears, the cortege arrived at the House of the Prince in San Lorenzo de El Escorial on the 30th of November. Franco arrived at the monastery at half past three in the afternoon and an hour later he appeared at the Royal Doorway followed by the heads of his Military and Civil Households, lieutenant generals, ambassadors and generals. This was the last changeover, to comrades who had received Silver Palms (Palmas de Plata), the highest decoration given by the Falange. The Psalms began in the chapel and the cortege solemnly crossed the Royal Courtyard before placing the coffin at the foot of the open tomb opposite the altar. The hierarchies of the Movement, authorities, holders of high positions and representatives of the diplomatic corps flanked both sides. After the coffin was placed in a stone niche, Franco stood in front of it and repeated the words the “Founder” had said when the first Falangist fell: “Que Dios te conceda el descanso y a nosotros nos lo niegue hasta que se recoja la cosecha que siembre tu muerte”.42 At half past six in the evening, Franco throwed earth on the stone grave placed at the foot of the altar steps;43 the tombstone was carved by the Madrid sculptor Emilio Aladrén (1906–1944). These ceremonies held in El Escorial marked the end of this solemn procession. The transfer of José Antonio’s remains reached levels of extraordinary emotion and he became a “heroic and imperial symbol”, which is why Stanley Payne made this statement: Esta fue posiblemente la ceremonia más infinitamente elaborada en la historia contemporánea de España, muy lejos del “austero” y “escueto” estilo que el propio José Antonio había mantenido que debía ser característico de la Falange [. . .]. El culto a José Antonio llegaría a ser, de hecho, el culto más extraordinario asociado con cualquier figura política fallecida de la Europa occidental a mediados del siglo XX.44
In 1959, José Antonio’s remains were transferred from El Escorial, where they had rested since 1939, to their final destination in the Basilica of Santa Cruz in the Valley of the Fallen in Cuelgamuros, in the Sierra de Guadarrama mountains.45 In this final transfer, less impressive than the previous one, José Antonio was no longer associated with the empire and the monarchy and he merely became the first of the fallen.46
42 Heraldo de Aragón (30 November 1939), 2. 43 The November-December 1939 edition of the magazine Vértice included photographs of the transfer of José Antonio’s remains and his burial in El Escorial. 44 Payne (1977), 469. 45 The erection of this structure, whose design dates from 1941, was announced in a Decree on 1 April 1940. This monument was officially opened on 1 April 1959 on the “twentieth anniversary of the Victory.” 46 Tranche and Sánchez-Biosca (2002), 350.
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The last example of the ephemeral staging planned in the years after the Civil War that we will mention is the design of allegorical patriotic floats and carriages for a variety of parades. These are related to those designed for Holy Week processions, the old Corpus Christi festivals of the Golden Age, the masquerades and flower battles of Carnival and Baroque festivals. In fact, as Antonio Bonet Correa mentions emblematic scenes were artistically represented on the platforms using three-dimensional figures and architecture to indoctrinate or show the public the new order’s signs and dogma.47 Seven allegorical floats (Cereals, Alcohol and Beverages, Industry, Wood, Construction, Metalwork and Food) paraded before a large crowd through the streets of the city of Zaragoza on Sunday, 26 May 1940 in the Aragonese procession, organised by the syndicates of the Central National Syndicalists (Central Nacionalsindicalista) for the Spring festivals;48 their aim was to reinforce the idea of progress after the end of the Civil War (Fig. 7).
Fig. 7: Carriage that was part of the procession of Aragonese production, Zaragoza, May 1940. © Biblioteca de la Diputación Provincial, Zaragoza.
It should be noted that the Visual Arts Department also prepared mass liturgical celebrations attended by political and military dignitaries, for example the Corpus Christi procession in Toledo on 8 June 1939.49 This procession was also organised in Madrid
47 Bonet Correa (1981), 37. 48 Heraldo de Aragón (25 May 1940), 3; and Heraldo de Aragón (28 May 1940), 1 and 3. 49 Heraldo de Aragón (6 June 1939), 7.
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on the same day, after several years without taking place; the decoration of streets and buildings lent the event a very solemn air.50 These processions, such as open-air holy masses, rosaries and the Way of the Cross, were pretexts to prove the popular recovery of the Catholic faith. Ephemeral architecture became hugely important at open-air masses and those held to pay homage to the fallen; they were organised in an open space defined by arches, crosses, columns and other provisional structures outlining the liturgical and patriotic framework (Fig. 8).
Fig. 8: Moment during the open-air mass to pay homage to the fallen, Salamanca, 29 October 1937. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
50 Heraldo de Aragón (6 June 1939), 3.
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They highlighted that the Church as an institution was present and sought to imbue everyday life with “spirituality.”
Conclusion Throughout this contribution we have emphasised the ephemeral nature of the monuments and staging designed for Francoist ceremonies. Although they were often provisional, sometimes they were also a test run for definitive structures or served as a model for later permanent projects. Exemplarily are to be mentioned: the triumphal arch (or gate) erected in the Port of Malaga for the farewell event for Count Gian Galeazzo Ciano in July 1939 by the technical staff of the Visual Arts Department (whose artists included the Zaragoza architect José Borobio Ojeda) materialised years later as the main entrance to the campus of Zaragoza University (1961), the work of the architects Regino Borobio Ojeda (1895–1976) and José Borobio Ojeda (Fig. 9).51 Many of the elements mentioned above were kept in place until the end of Francoism, although they were gradually stripped of any indoctrinating effectiveness and instead became false stages and pale echoes of the strict ideological apparatus at the start of the regime. That is why the staging of the last Victory Parades (the last one was held in 1976) was deemed to be monotonous. The platform had no adornment or architectural elements to highlight its visual supremacy and the standards, emblems and anything suggesting the idea of a pedestal for authority figures had disappeared. In conclusion, the “ephemeral art” on display during the Civil War expressed the political ideology of the time. The organisation and staging of these events also sought to establish numerous links (using ornamental elements, insignias, emblems, etc.) with the imperial past of the reign of the Catholic Monarchs to legitimise the “New State.” At the same time, they aimed to hark back symbolically and iconographically to ceremonies held in the Roman imperial period, which also inspired other totalitarian regimes, such as Benito Mussolini’s in Italy and Hitler’s in Germany. These were the nations they lavished with admiration and used as a reference to plan these propaganda events.
51 In 1961 the campus complex of Zaragoza University was given a main access gate from the square Plaza de San Francisco. This project consisted of a symmetrical portico with four openings: two central ones each with a span of 7 m for vehicles to pass through and two 3-m side openings for pedestrians. It is 4 m high and covered by a 1.20-m deep beam. Vázquez Astorga (2007), 238–239.
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Fig. 9: Cross-section and elevation of the main access gate to the campus of Zaragoza University, according to the design by the architects Regino and José Borobio. © Archivo familiar Borobio, Zaragoza.
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Mónica Vázquez Astorga
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Carl Antonius Lemke Duque
,Älteste Geschichte des Westens‘ Tartessos und die Altertumsdebatte im Spanien der Zwischenkriegszeit (1922–1936) Abstract: European-spanish prehistory and Greco-roman antiquity have been key aspects of scientific innovation in Spain during the interwar years before 1936. In this regard, German historians and archaeologists played an important role providing impulses not only for the specialized debate but as well for the broader discourse on culture and society. The present study examines this Spanish debate on antiquity by focusing on impulses of cultural transfer by the Revista de Occidente. First (II.), the present study delves into the »spectacular discovery« of a Tartessian early culture located on the Iberian Peninsula. Secondly (III.), key aspects on ancient Greek colonization and the Roman occupation of Spain until the late antiquity will be discussed. Finally (IV.), the results obtained will be summarized by highlighting their transformative effects on the Spanish discourse on culture and society.
1 Einleitung In den Jahren der Zwischenkriegszeit bis zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 gehörte die Revista de Occidente ohne Zweifel zu den führenden Kulturzeitschriften der spanischsprachigen Welt. Neben einem wichtigen Anteil vor allem europäischer aber auch internationaler Autoren ihres Mitarbeiterkreises bestand das herausragendste Merkmal dieser 1923 von dem Madrider Ordinarius für Philosophie José Ortega y Gasset (1883–1955) gegründeten Zeitschrift in der großen interdisziplinären Bandbreite ihrer Debatten und Diskurse. Ab 1924 materialisierte die Revista de Occidente dieses breite Spektrum zusätzlich in verschiedenen Publikationsreihen eines hauseigenen Verlages, der schnell eine für peninsulare Verhältnisse beispiellose Auflagenstärke erreichte. Dieser Erfolg war nicht zuletzt auch der transatlantischen Distribution der Zeitschrift geschuldet. Bis Mitte der 1930er Jahre avanciert die Revista de Occidente zu einer der ersten Kulturzeitschriften Spaniens mit internationalem Charakter, die sowohl in Paris, London und Berlin als auch in New York, Buenos Aires und Santiago de Chile gelesen wurde. Die neuere Forschung hat beide Charakteristika der Revista de Occidente – ihr breites Spektrum wissenschaftlicher Interdisziplinarität einerseits und die nachhaltige Materialisierung der spezialisierten Wissenschaftsdiskurse andererseits – zuletzt systematisch im Licht der modellhaften Konzeption und Ausgestaltung der von Ortega ab 1922 im Verlagshaus Espasa-Calpe herausgegebenen Ideenbibliothek des
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20. Jahrhunderts untersucht. In den Jahren bis zum Ausbruch des Spanischen Burgerkrieges versammelte diese Reihe Biblioteca de las Ideas del Siglo XX einschlägige Referenzmonografien zur neuen Kulturphilosophie, Physik, Biologie, Mathematik, Historiografie, Kunstgeschichte, Psychologie etc. Alle Einzelnummern dieser interdisziplinären Bibliothek, die als paradigmatische Fachpublikationen vorgestellt wurden, verband demnach eine gemeinsame »Physiognomie« synthetisierender Ideen. Damit bot die Ideenbibliothek einen didaktisch komprimierten Zugang zu den Wissensimpulsen des 20. Jahrhunderts.1 Ein wichtiges diskursives Feld wissenschaftlicher Innovation in der Revista de Occidente bildeten die klassischen Fragen europäisch-spanischer Prähistorie. Die Zeitschrift konnte hierbei auf die Exzellenz des seit 1922 an der Madrider Zentraluniversität lehrenden bayerischen Frühgeschichtlers und Anthropologen Hugo Obermaier (1877–1946) aufbauen, der bereits seit 1915 sowohl in der Madrider Akademia als auch in der spanischen Politik ausgezeichnet vernetzt war. Obermaier hatte bereits während des I. Weltkriegs mit El hombre fosil (1916, 2. Aufl. 1925; engl. 1924) eine prähistorische Grundlagenstudie vorgelegt und leitete später als Direktor die Zeitschrift Investigación y Progreso, die ab 1927 ein zentrales Publikationsorgan des deutsch-spanischen Wissenschaftsaustausch war. In seinem 1926 in der Revista de Occidente publizierten Doppelbeitrag hat sich Obermaier eindeutig als Verteter der zu Beginn der 1920er Jahre in den frühgeschichtlichen Fachdebatten stark en vogue befindlichen Kulturkreislehre positioniert. Demnach boten die in der frühgeschichtlichen Forschung untersuchten historischen Quellen, d. h. Haustypen, Kleidungsstücke sowie Schmuck und andere Kunstformen, aber auch Jagdstrategien, Begräbnisrituale, Totenkulte etc., einen direkten Zugang zum völkerpsychologischen Typus eines bestimmten Kulturraums. Obermaier hat sich in diesem Zusammenhang nicht nur allgemein auf die Völkerpsychologie Wilhelm Wundts (1832–1920) berufen, sondern ausdrücklich gegen die bei dem Berliner Ethnologen Adolf Bastian (1826–1905) vertretene Unterscheidung universal-menschlicher »Elementargedanken« gegenüber kulturkreisspezifischen »Völkergedanken« gestellt. Diese ethnopsychologische Engführung hat in Spanien sowohl auf Ortega, insbesondere seine frühgeschichtlichen Essays Atlántides (1924) gewirkt, als auch den Kern prähistorischer Debatten im Kreis der Revista de Occidente bestimmt. In dieser breiten prähistorischen Debatte spielten auch englische Frühhistoriker und Ethnologen wie Robert Grant Haliburton (1831– 1901), Arthur Berridale Keith (1866–1955) und Grafton Elliot Smith (1871–1937) eine Rolle. Insgesamt blieb allerdings der Anteil deutscher prähistorischer Forschung und damit auch die Deutschland-Orientierung der nachrückenden spanischen Forscher dominant. Obermaier wurde spätestens ab 1932 durch die spanische Übersetzung seiner Urgeschichte der Menschheit (1931) im Verlag der Revista de Occidente die wichtigste,
1 Vgl. Lemke Duque (2014).
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bis weit in die 1950er Jahre fortwirkende akademische Referenz im Feld frühgeschichtlicher Forschung in Spanien.2 Einer der wichtigsten Spezialisten der Revista de Occidente in Fragen prähistorischer Siedlungsgeschichte der Iberischen Halbinsel war der katalanische Ethnologe Pedro Bosch Gimpera (1891–1974), der 1911–1914 mit einem Nationalstipendium der Junta para Ampliación de Estudios (JAE) in Berlin studiert hatte und 1916–1939 als Lehrstuhlinhaber für Alte und Mittelalterliche Geschichte in Barcelona das Institut d´Etudis Catalan leitete. In den 1920er und 1930er Jahren hat Bosch Gimpera nicht nur intensiv mit Obermaier zusammengearbeitet, sondern sich auch in unterschiedlichen Vorträgen, Aufsätzen und eigenständigen Schriften für die Kulturkreislehre ausgesprochen. Zusammen mit dem in Spanien bereits vor dem I. Weltkrieg archäologisch sehr aktiven Althistoriker Adolf Schulten (1870–1960) war Bosch Gimpera ausserdem Mitherausgeber des großen, nationalen Referenzprojekts zu Fragen peninsularer Frühgeschichte und Antike Fontes Hispaniae Antiquae (1922–1946).3 Der vorliegende Beitrag untersucht die Alterumsdebatte im Spanien der Zwischenkriegszeit. Diese Debatte ist durch den Kreis der Revista de Occidente massgeblich stimuliert und bestimmt worden. Vor dem Hintergrund der oben vorgestellten Hauptimpulse prähistorischer Forschung stellt sich dabei die Frage inwiefern (a) der institutionelle Kontext transnationaler Wissensrezeption sowie (b) der interpretatorische Fokus kulturhistorischer Verortung in Spanien fortgeschrieben wurden. Anders formuliert: Welche europäischen Austauschwege insbesondere im spanisch-deutschen Wissenstransfer und welche Verortungsmodi kulturtheoretischer Interpretation wurden im Rahmen der Altertumsdebatte im Spanien der Zwischenkriegszeit durch den Kreis der Revista de Occidente profiliert? Das Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, die (c) transformatorische Dimension des interpretatorischen Fokus dieser Altertumsdebatte zu isolieren und mit den strukturellen Variationen und Veränderungen im institutionellen Kontext in Beziehung zu setzen. Damit soll ein Beitrag zur neueren Transferforschung geleistet werden, die mit Blick auf trianguläre Verflechtungseffekte für einen logisch-konstitutiven Begriff transnationaler Resemantisierungsprozesse plädiert hat.4 Die vorliegende Studie wird zunächst in einem ersten Schritt (II.) das Echo der archäologischen Funde zu Tarschisch-Tartessos erörtern, die im Spanien der 1920er Jahre hohe Wellen schlugen. In einem zweiten Schritt (III.) führt die vorliegende Studie die zentralen Eckpunkte der spanischen Fachdebatte zur griechischen Kolonisierung und römischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel sowie zum Untergang des Römischen Imperiums aus. In einem abschließenden Resumée (IV.) werden
2 Vgl. Lemke Duque (2014), 45–54. 3 Vgl. Lemke Duque (2014), 56. 4 Vgl. Lemke Duque & Gasimov (2015).
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die in beiden Analyseschritten erarbeiteten Ergebnisse in Hinblick auf die transformatorische Dimension der Altertumsdebatte im Spanien der Zwischenkriegszeit zusammengefasst.
2 »Finis terrae«: das hesperische Tarschisch-Tartessos auf der Iberia Anders als seine früheren Ausgrabungen zwischen 1905 und 1912 zur keltiberischen Stadt Numantia (Provinz Soria in Kastilien-León, nordöstlich von Madrid), die auf vergleichsweise wenig Resonanz stieß und zu Beginn der 1920er Jahre auch öffentlich kritisiert wurde,5 konnte Schulten mit seiner Forschung zur südwestspanischen Peripherie einer in der klassischen Überlieferung sagenumwobenen tartessischen Frühkultur afrikanischen Ursprungs auf der Iberischen Halbinsel einen echten Sensationserfolg landen. Entscheidenden Anteil daran hatte der Kreis der Revista de Occidente, in dem Schultens Tartessos-Forschung nach der Übersetzung seiner Grundlagenstudie Hispania. Geografía, etnología, historia (1920) durch Bosch Gimpera und den damaligen Leiter der Menéndez Pelayo-Bibliothek in Santander Miguel Artigas Ferrando (1887–1947) breite Aufmerksamkeit fand. Dies betraf insbesondere Ortega selbst, mit dem Schulten zwischen 1923 und 1933 in fachlichen und persönlichen Austausch stand.6 In seiner 1922 als »Beitrag zur ältesten Geschichte des Westens« untertitelten Forschungsstudie hat Schulten die Frühkultur »Tarschisch-Tartessos« direkt mit dem antiken Troja verglichen und damit als »hesperisches Gegenstück zu den uralten Kulturstätten des Orients» d. h.»Babylon und Ninive«, »Memphis und Theben, Knossos und Phaistos« verortet. Zugleich präsentierte er dieses südwestliche Handelszentrum als »natürliche Hauptstadt Andalusiens«, deren afrikanischer Ursprung sich demnach »mit völliger Gewissheit aus der Wiederkehr des Volksnamens und zahlreichen iberischen Städtenamen in Nordafrika« ergab und insbesondere durch die »Übereinstimmung der physischen und geistigen Art« bestätigte. In Hinblick auf die sozialen und politischen Strukturen dieses »ersten Kulturzentrums des Westens« hob Schulten das »wohlgeordnete«, aristokratisch-monarchische Staats- und Rechtswesen der Tartessier hervor und stellte es in scharfen »Gegensatz zu den freiheitsliebenden Stämmen des Innern, die höchstens im Kriege einen Häuptling ertrugen [. . .]«.7 Parallel zur Übersetzung der deutschen Forschungsergebnisse im hauseigenen Verlag durch einen der Hauptmitarbeiter der Revista de Occidente, den Madrider
5 Vgl. Giménez Soler (1921). 6 Vgl. Mikrofilm-Archiv Fundación Ortega-Marañon (FOM). 7 Vgl. Schulten (1922), VII, 2, 62, 73–74.
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Ordinarius für Philosophie Manuel García Morente (1886–1942), publizierte die Zeitschrift gleich in ihrer Inaugural-Nummer im Sommer 1923 einen exklusiven Aufsatz Schultens. Der Titel dieses Beitrages konturierte die kulturhistorische Programmatik des Themas durch eine doppelte Dimension wesentlich stärker als der eher vorsichtig gesetzte Titel der spanischen Monographie.8 In Schultens Aufsatz für die Revista de Occidente erschien die aufgrund regionaler Metallvorkommen zu einem großen Imperium aufgestiegene, atlantisch-afrikanische Handelsmacht des tartessischen Stadtstaats als erste, frühantik relevante Kultur der Iberischen Halbinsel überhaupt. Als Gegenpol zu den zersplitterten Volksstämmen der Iberer fungierte Tartessos damit zugleich als Referenz auf die kulturhistorische Bedeutung Hispaniens für die europäisch-mediterrane Zivilisationsgeschichte. Der Fokus auf eine so bedeutende hesperische Handelmacht in der Frühantike eröffnete einen neuen Blick auf die kulturhistorische Einheit der Iberischen Halbinsel gerade und trotz ihrer problematischen ethnologischen Fragmentierung. In seinem Exklusivbeitrag betonte Schulten entsprechend die durch »Elitenherrschaft« (minoría dominante) geprägte, kulturelle »Überlegenheit« (superioridad) der orientalisch-tartessischen Kolonisierung (colonia de navegantes orientales) der Iberia.9 El Imperio de Tartessos era muy extenso. Fue la única política de gran porte que logró cuajar en la vieja Iberia [. . .] Todo esto, en conjunto, da idea de un pueblo antiquísimo, de vieja cultura, con florecientes industrias, comercio y agricultura; un pueblo que supo reunir en un gran Imperio todas las tribus de la España meridional, que poseía leyes, reyes y una literatura venerable; que sabía ofrecer al extranjero amistosa y cortés hospitalidad, pero que fue incapaz del resistir el empuje de los conquistadores. Justamente estos rasgos contradicen uno por uno la índole del carácter ibérico.10
Schultens Sensationsfunde zu einer südwestspanischen Verortung des atlantischafrikanischen Tartessos als hesperischem Abschluss des frühantiken Mittelmeerraums (finis terrae) ist insbesondere im Zusammenhang mit der von Bosch Gimpera Mitte der 1920er Jahre ausformulierten These eines reduzierten ethnologischen Dualismus der frühgeschichtlichen Siedlungsgeschichte auf der Iberischen Halbinsel zu sehen. Schulten und Bosch Gimpera kannten sich aus der Berliner Zeit vor dem I. Weltkrieg und hielten auch über die Jahre der Numantia-Ausgrabungen hinaus freundschaftlichen Kontakt.11 Nicht ohne Grund war Schultens Tartessosstudie 1922 neben dem deutschen Altphilologen Alfred Klotz (1874–1956) ausdrücklich dem Katalanen »zur Erinnerung an gemeinsame Arbeit« gewidmet.12
8 Vgl. Schulten (1923a). 9 Vgl. Schulten (1923b). 10 Schulten (1923b), 87–88. 11 Vgl. Gracia Alonso (2011), 73–81, 199–200. 12 Vgl. Schulten (1922), Widmungsseite.
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Bosch Gimpera’s Hauptthese zur iberischen Siedlungsgeschichte bezog sich auf den Problemhorizont 3000/2500 bis 500 v. Chr. und umfasste chronologisch und geografisch differenzierte Untersuchungen der Wanderbewegungen und Verteilungen der unterschiedlichen ethno-kultureller Gruppen auf der Iberischen Halbinsel. Entgegen einer vermeintlichen Einheitlichkeit der europäischen oder gar spanischen Volksfamilien sprach er sich dabei für einen dualen ethnologischen Kulturkreisansatz aus. Demnach ließ sich die iberische Frühgeschichte im Wesentlichen auf zwei Hauptbesiedelungen reduzieren: (a) einen europäischpyrenäischen und (b) einen afrikanischen Ursprung. Bosch Gimpera hat diese Hauptthese sehr prominent 1925 sowohl in den Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien als auch in einer umfassenden Studie für die Revista de Occidente vertreten und unter allgemein positivem Echo mit verschiedenen Zusatzdetails auch in der deutsch-spanischen Fachdebatte ausgeführt und vertieft.13 Im weiteren Verlauf der 1920er Jahre gehörte Bosch Gimpera ausserdem zu den wichtigsten Verteidigern der Tartessos-Thesen Schultens, die u.a. durch den Berliner Geografen Albert Hermann (1886–1945) in Frage gestellt wurden.14 Die archäologischen Sensationsfunde von Tartessos und deren frühantike Auslegung bei Schulten sowie ihre Verortung in der iberischen Siedlungsgeschichte durch den Kreis der Revista de Occidente fanden über die 1930er und 1940er Jahre hinaus bis in den Franquismus nachhaltiges Echo.15 Die gerade auch populäre Wirkung im Spanien der 1920er Jahre wiederum wurde vor allem auch durch die Assoziation der Tartessosfrage mit dem Atlantismythos befördert. Die fachliche Begründung und Erläuterung dieser Assoziation erfolgte durch den ebenfalls eng mit dem Kreis der Revista de Occidente verbundenen deutschen Ethnologen Leo Frobenius (1873–1938), der in zahlreichen archäologischen Expeditionen zwischen 1905 und 1915 die atlantische Yoruba-Kultur des »West-Afrikanischen Kulturkreises« erforscht hat. Frobenius vertrat dabei eine als »naturwissenschaftliche Kulturlehre« bezeichnete Variante der Kulturkreistheorie, wonach der zivilisatorische Diffusionsprozess menschlicher Kultur pendelartig von Westen (Europa und Westafrika) nach Osten (Kleinasien) und von hier aus mit Unterbrechung in der Bronzezeit über Spanien und Portugal zurück nach Westen und weiter in die Neue Welt erfolgte. Den auf den Atlantismythos rekurrierenden, archäologischen Nachweis dieser kulturkreistheoretischen Diffusionsthese hat Frobenius im ersten Band Auf den Trümmern des Klassischen Atlantis der Gesamtstudie Und Afrika sprach (1912) am Beispiel der Yoruba-Kultur ausgeführt.16
13 Vgl. Bosch Gimpera (1925a); Bosch Gimpera (1925b); sowie neben Vorträgen in Madrid und Barcelona die zahlreichen Beiträge in Investigación y Progreso. 14 Vgl. Hermann (1927); Bosch Gimpera (1929a). 15 Vgl. u.a. Peman y Pemartín (1935); Peman y Pemartín (1941); Pellicer (1976), etc.; zum aktuellen Stand der Tartessos-Forschungen vgl. Celestino & López-Ruiz (2016). 16 Vgl. Marchand (1997).
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Im Kreis der Revista de Occidente fand die kulturkreistheoretische Diffusionsthese bei Frobenius vor allem im Sinne eines universalhistorischen Interpretationsrahmens für die siedlungsgeschichtliche Verortung des hesperischen Tarschisch-Tartessos reges Interesse. Gleich im Anschluss an Schultens Inauguralbeitrag erschien in der Zeitschrift ein entsprechender Exklusivaufsatz von Frobenius mit ausdrücklichen Bezügen auf Tartessos,17 dem das Editionsteam der Revista de Occidente zudem – unter einleitendem Verweis auf ethnokulturelle Fragen der Zugehörigkeit zu einer »aristokratischen Rasse« – eine Auskoppelung aus dem von Frobenius zusammengestellten Sammelband afrikanischer Volkserzählungen folgen ließ.18 Ein wichtiger Grund für dieses Interesse an Frobenius im Kreis der Revista de Occidente war offensichtlich die ausgesprochen breite Rezeption der Kulturmorphologie Oswald Spenglers (1880–1936). Im Zuge der in vier Bände aufgeteilten Übertragung des Monumentalwerks Der Untergang des Abendlandes (1918/19 & 1922) durch den Schulten-Übersetzer Morente in der Ortegianischen Biblioteca de las Ideas del Siglo XX avanciert Spengler im Spanien der 1920 Jahre zu einer Art »Einstein der Kulturphilosophie und Universalgeschichte«.19 Die Nähe der »naturwissenschaftlichen Kulturlehre« bei Frobenius zur universalhistorischen Kulturmorphologie Spenglers hat vor allem der Sekretär der Revista de Occidente Fernando Vela (1886–1966) aus Anlass eines Aufenthaltes von Frobenius in Madrid 1924 besonders hervorgehoben und erläutert.20 Dabei bezog er sich gerade auch auf die ethnologischen Ausführungen in Ortegas Atlantidas, die unter der expliziten Formel »Frobenius-Spengler« die Kulturkreistheorie mit der Kulturmorphologie parallelisierte und nur knapp einen Monat vor der Publikation von Schultens Tartessosübersetzung 1924 als Buch erschien. Tatsächlich kam es zwischen Spengler und Frobenius im Zuge der Umwandlung des Afrika-Archivs Frobenius’ in ein zunächst ab 1925 in München ansässiges Institut für Kulturmorphologie einige Zeit lang auch zu einer intensiveren Zusammenarbeit beider Kulturhistoriker.21 Ebenso wie bei Spengler waren auch bei Frobenius die Kulturen organisch-biologisch gefasst und damit empirisch gegebene Entitäten. Und ganz wie bei Spengler waren sie auch bei Frobenius vollständig durchdrungen von einer identitären »Urwesenheit«, die alle historischen Materialisierungen der jeweiligen Kultur im Sinn einer entelechialen Teleologie bestimmte. Selbst wenn Frobenius diese substantielle Kulturessenz im Unterschied zu Spengler weniger als monadenartige Isolation verstand, war damit ebenfalls eine identitäre Symbiose zwischen »natürlichem Lebensraum« und ursprünglichem »Seelenraum« verknüpft. Dabei verstand Frobenius diese als »paideumatisches Raumbewußtsein«
17 Vgl. Frobenius (1923). 18 Vgl. »Samba Kulung wird Ritter« (1910), 26–45, 104 und 153 bzw. in Teilen verkürzt »Del Decamerón negro: Samba Kulung se hace caballero« (1923). 19 Vgl. Lemke Duque (2010). 20 Vgl. Vela (1924). 21 Vgl. Sylvain (1996).
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bezeichnete metaphysische Symbiose im Sinne eines hinter der kulturkreistheoretischen Diffusionsthese stehenden Determinismus. Frobenius kulturkreismorphologische Hauptschrift ist Ende der 1920er Jahre auch in Deutschland als »großer Wandel der wissenschaftlichen Denkweise«, d. h. als geniale »Befreiung vom Positivismus« in expliziter Nähe zu »Spengler, Spranger und Wertheimer« gesehen worden.22 Diese Verortung hat die späte, aber überaus einschlägige Übersetzung in Spanien Mitte der 1930er Jahre mit befördert. Ebenso wie die von Ortega in der Biblioteca de las Ideas del Siglo XX versammelten Referenzmonografien erschien Frobenius´ Studie ebenfalls bei Espasa-Calpe,23 in einer Übersetzung durch den deutsch-spanischen Judaisten, Schriftsteller und späteren Politiker der Zweiten Spanischen Republik José Maximo Kahn Nussbaum (1897–1953), der unter dem Pseudonym Medina Azara zahlreiche Beiträge in der Revista de Occidente publiziert hat.24 Das sind die Gegensätze des paideumatischen Raumbewußtseins, hier Okzident, dort Orient. Der Morgenländer lebt in einer Welthöhle. Ein Außen kennt er nicht. Sein Zelt ist kein Inneres, sondern eine gleichgültige Zwischenwand, die ihn nur vorübergehend umhüllt wie sein Kleid. Der Abendländer dagegen lebt in einem Haus. Dem entspricht ein Innengefühl und erst hieraus konnte sich ein Außengefühl entwickeln. Dieses Außen ist ein Unendlichkeitsraum. Es entsteht die Weltweite. [. . .] die gleichbedeutend mit Spenglers faustischem Geist ist [. . .]. Die beiden großen Weltvorstellungen haben seitdem in ständiger Wechselwirkung gestanden. Die okzidentale Weitenvorstellung wurde aus ihrer Heimat bis an die Grenzen des Orients getragen. In der Berührung beider entstanden die monumentalen Kulturen. So ist die Antike eine großartig primitiv-naive Form des nordischen Paideuma, die ägyptische eine oasenhaft ausgebildete, die Gotik eine zu hoher Entwicklung gelangte. [. . .] Das Paideuma ist derart immanent mit dem Menschenleben verbunden, dass ein Absterben des paideumatischen Raumgefühls auch den Untergang der Menschen selbst zur Folge hat. [. . .] Das Paideuma bildet Rassen.25
3 »Centrum gravitatis mundi«: griechische Kolonisierung und römische Herrschaft in Hispanien Auch in Hinblick auf die mediterrane Kolonisierung der Iberischen Halbinsel in der Frühantike durch die Griechen folgte der Kreis der Revista de Occidente nicht nur den weiteren archäologischen Forschungen Schultens, sondern gerade auch kulturhistorischen Auslegungen bei Bosch Gimpera, der den weiteren Zusammenhang in Bezug auf
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Vgl. Thomé (1930), 24–26, 28–30. Vgl. Frobenius (1934). Vgl. Lemke Duque (2014), 42, 133–135, 218, 711. Frobenius (1921), 85–88 (Hervorhebung im Original).
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Tartessos als frühestes hesperisches Handelszentrum auf der Iberia deutlicher zu konturieren suchte. In dieser Hinsicht einschlägig waren Schultens bereits 1924 in der Deutschen Zeitschrift für Spanien vorgestellten und zudem als Sonderdruck in Barcelona verlegten Ergebnisse zur Entdeckung von Mainake (Mαινάκη), bei der es sich um eine griechische Kolonie an der südspanischen Mittelmeerküste handelte, die laut römischen Quellen durch eine aus der griechisch-kleinasiatischen Stadt Phokaia (Φώκαια) stammenden Expedition gegründet worden war. Mainake ist schon als die westlichste aller griechischen Städte von Bedeutung, hinzu kommt, dass ihr Schicksal in Glück und Unglück eng verbunden ist mit dem Tartessos, dem grössten Namen des Westens. [. . .] Das tote Mainake ist zugleich ein Denkmal menschlicher Kultur, die bis in diese Ferne das Licht des Griechentums trug, und menschlicher Barbarei und gemeinsamen Neides, die immer wieder friedliche Kultur vernichten, um das Chaos an ihre Stelle zu setzen.26
Das enorme Forschungsfeld der griechischen Kolonisierung der Iberischen Halbinsel ist in Spanien vor allem zu Beginn der 1930er Jahre, speziell im deutschspanischen Fachdiskurs zur Frühantike intensiv verhandelt worden. Den zentralen kulturhistorischen Interpretationsimpuls hatte auch in diesem Fall Bosch Gimpera gegeben, der im Anschluss an Schultens Mainake-Forschung die These eines umfassenden griechisch-iberischen Akkulturationsprozesses in den Vordergrund stellte. Ein wichtiges Argument zur Stützung dieser These bildete die in The Greeks in Spain (1925) des US-amerikanischen Althistorikers Rhys Carpenter (1889–1980) ausgeführte Stilkomparatistik zwischen kolonial-iberischen Kunstartekfakten und klassisch-griechischen Skulpturen,27 die gerade aufgrund ihrer kulturmorphologischen Färbung später Eingang in Obermaiers Überlegungen zur iberischen Keramik gefunden hat.28 Carpenter favorisierte hier eine variierte, griechische Besiedlungsgeografie über die Stadtkolonie Hemeroskopeion (Ἡμεροσκοπεῖον) auf der Insel Ibiza, die Bosch Gimpera bis in 1940er Jahre hinein beschäftigt hat.29 In Hinblick auf die These griechisch-iberischer Akkulturation stand angesichts der Mainake-Forschung Ende der 1920er Jahre die Frage nach Tartessos zur Debatte. Bosch Gimpera hat diesen Problemzusammenhang in zwei sehr umfangreichen Beiträgen für die Revista de Occidente zunächst in Form einer breit erläuterten Kritik der These phönizischer Gründung von Gades (Cádiz) vor 700. v. Chr. eingeleitet und daraufhin die ionische Besiedlung Spaniens in den Kontext einer sukzessiven, handelsstrategischen Kolonisierung der italienischen (Messina & Neapel) sowie französischen (Nizza & Marseille) bis zur spanischen Mittelmeerküste (Empúries & Mainake, mit intensiven Verbindungen nach Tartessos) gestellt. Damit betonte er einen integrativen Moment der übergreifenden griechisch-iberischen Akkulturation
26 27 28 29
Schulten (1924), 5 und 7 bzw. Schulten (1925), 89 und 99. Vgl. Carpenter (1925), 12–36, 64–66 sowie Bosch Gimpera (1926a). Vgl. Obermaier (1930). Vgl. Bosch Gimpera (1944).
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und unterstrich deren Bedeutung fur die Entstehung des Mittelmeerraums als antiker Kultureinheit.30 Die These integrativer mittelmeerischer Akkulturation während der griechischen Antike wurde darauffolgend im deutsch-spanischen Diskurs der 1930er Jahre weiter ausdiskutiert. Insbesondere der Direktor des Berliner Völkerkundlichen Museums Carl Schuchardt (1859–1943) verortet dabei Spanien als Hauptdrehscheibe (España ha sido el foco original) für den griechisch-mittelmeerischen Handel und Kulturaustausch auch mit dem atlantischen Europa bis zu den britischen Inseln.31 Schulten wiederum hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Iberischen Halbinsel für die Idee mittelmeerischer Kultureinheit während der Frühantike am Beispiel der Namensethymologie Hispania erörtert. Mit Verweis auf römische Quellen verteidigte er dabei anders als Bosch Gimpera eine phönizische Gründung von Cádiz um 1100 v. Chr. und betonte deren intensive Handelskontakte mit Tarschisch-Tartessos. Schulten zufolge leitete sich die frühantike Namensgebung von der phönizischen Bezeichnung »Land der Schliefer« (ī-shěpanīm) ab, die auf einer Verwechslung an der Iberischen Küste gesichteter Kaninchen mit der in der Levante allgegenwärtigen Gattung der Schliefer (shapan, hebräisch: – ׁשפןschafan) beruhte.32 Auch der spanische Archäologe und Kunsthistoriker Antonio García y Bellido (1903–1972), der u.a. bei Obermaier studiert hatte und später Direktor des Archäologischen Instituts am Consejo Superior de Investigaciones Cientificas (CSIC) wurde, stellte die zentrale Rolle der griechischen Kolonien auf der Iberischen Halbinsel für den mittelmeerischen Handel insbesondere über Süditalien und Sizilien heraus. Die Verfestigung dieses Waren- und Kulturaustauch zu einer gemeinsamen antiken Mentalität (tráfico comercial y espiritual) attestierte er jedoch erst für die Phase römischer Herrschaft.33 Der Kreis der Revista de Occidente hat diese Verortung Spaniens als frühantikes Handels- und Kulturzentrum der mittelmeerischen Welt (centrum gravitatis mundi) in einem sehr facettenreichen Fokus zur griechischen Antike breit untermauert und zuletzt auch mit einem Bezug auf die politische Aktualität Spaniens konkretisiert. So sprach Bosch Gimpera unmittelbar 1926 in einem Kommentar zur französischen Fassung von Religija hellinizma (1922) des Petersburger Altphilologen Tadeusz Zielinski (1859–1944) in Hinblick auf die abendländische Philosophie als Resultat griechischer Religion pointiert von der »Kulturessenz des hellenischen Wesens« (verdadero espíritu del helenismo).34 Neben kleineren Fachstudien zu Fragen sokratischer, platonischer, aristotelischer sowie stoischer Philosophie
30 Vgl. Bosch Gimpera (1928); Bosch Gimpera (1929b); zum Forschungsstand des phönizischen bzw. griechischen Einflusses auf die Frühgeschichte Spaniens siehe einführend: Blazquez (1986) sowie Fernández Nieto (1992). 31 Vgl. Schuchhardt (1932). 32 Vgl. Schulten (1934). 33 Vgl. García y Bellido (1934); García y Bellido (1935). 34 Vgl. Bosch Gimpera (1926b).
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Mitte der 1920er sowie Anfang der 1930er Jahre35 publizierte der Verlag der Revista de Occidente ebenfalls bereits 1925–1926 den einschlägigen Doppelband Charakterköpfe der antiken Literatur (1903, 5. Aufl. 1919) des Münchener Altphilologen Eduard Schwartz (1858–1940).36 Im selben Jahr 1926 erschien ausserdem die vielgelesene Studie Die Kunst der Griechen (1919, 2 Aufl. 1922) des Heidelberger Archäologen Arnold von Salis (1881–1958), der ein wichtiger Vertreter des ebenfalls in Ortegas Biblioteca de las Ideas del Siglo XX vertretenen kunsthistorischen Formalismus (Wölfflin, Worringer etc.) war.37 Die zentrale Referenz dieses breiten Schwerpunkts auf der griechischen Antike in der Revista de Occidente bildete abschließend der renommierte Lehrer von Salis’ und ehemalige Baseler Ordinarius für Geschichte und Kunstgeschichte Jacob Burckhardt (1818–1897). Mit merklicher Verzögerung erfolgte 1936 die spanische Übersetzung der ersten drei Bände von Burckhardts Griechische Kulturgeschichte, die aus verschiedenen Vorlesungen 1872–1886 erst 1930 vierbändig ediert in der Deutschen Verlagsanstalt vorlag. Diese Darstellungen zur »Geschichte der griechischen Denkweise und Anschauung« (historia del modo de pensar y de las concepciones del pueblo griego) waren symptomatischerweise durch eine Vorbemerkung zu »Die Griechen und der Mythos« eingeleitet, die anhand der griechischen Kunst eine für das Burckhardtsche Kulturverständnis paradigmatische Einheit und Kontinuität zwischen Hellas und Europa zugrundelegte.38 Mit Hilfe eines hypostasierten »apriori mythischen Wesens« der Griechen, welches Burckhardt als Inbegriff interessenloser Betrachtung ausdrücklich im Gegensatz zur vermeintlich utilitaristischen Handelskultur der Phönizier sah, avancierte die griechische Kulturgeschichte zum usprünglichen Impulsgeber objektiver Welterkenntnis überhaupt. Damit stilisiert Burckhardt das griechische Gemeinwesen zu einer überzeitlich-moralischen Quelle, die der phönizischen Städte-Staatlichkeit nicht nur vorausging, sondern als eigentliches, durch die antik-mittelmeerische Kultureinheit tradiertes Erbe des modernen Europas fungierte.39 In diesen frühen Zeiten sind die Griechen apriori mythisch gesinnt; sie scheinen eben erst aus dem Traume ihrer Fabelwelt zu erwachen. Unserer Absicht in betreff unserer Vorzeit geht immer auf das Exakte, woran ihnen so gar nichts gelegen war, weil die Gegenstände nicht als außer ihnen liegende gewußt werden mussten, sondern geschaut wurden und insgeheim die Schöpfung des schauenden Volkes selber waren; daher die Freiheit der Auffassung, indem jeder sah, so weit
35 Vgl. Lemke Duque (2014), 474–506. 36 Vgl. Schwartz (1925–1926). 37 Vgl. von Salis (1926); sowie zur Rezeption des phänomenologischen Kunstformalismus Wölfflins, Worringers etc. in Spanien: Lemke Duque (2014), 375–383. 38 Vgl. Burckhardt (1930), Bd. 1, 2 sowie 14–51 bzw. Burckhardt (1935–1936), Bd. 1, 10 und 23–60; sowie zur Rezeption der Burckhardtschen Kritik antiker Formen direkter Demokratie im Staats- und Verfassungsdiskurs der Zweiten Spanischen Republik: Lemke Duque (2014), 555–569. 39 Vgl. Flaig (1998).
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seine Augen trugen. [. . .] Der Mythus ist eine allgemeine Voraussetzung des griechischen Daseins. Die ganze Kultur samt allem Tun und Lassen war noch die alte, ursprüngliche, nur allmählich weiter gebildet. [. . .] Das ganze griechische Menschengeschlecht hielt sich für den Erben und Rechtsnachfolger der Heroenzeit; [. . .]. Es hat also eine Nation gegeben, welche ihren Mythus als ideale Grundlage ihres ganzen Daseins mit höchster Anstrengung verteidigt und um jeden Preis mit den sachlichen Verhältnissen in Verbindung gesetzt hat.40
Parallel zur Debatte um eine griechisch-iberische Akkulturation im Horizont der griechischen Antike sowie einem darin profilierten kulturhistorischen Fokus auf Spanien als Zentrum antik-mediterraner Handelsströme und kultureller Austauschprozesse entstand im Kreis der Revista de Occidente Mitte der 1920er Jahre außerdem ein Debattenschwerpunkt zur Römischen Geschichte. In Hinblick auf Spanien waren hierbei erneut Forschungsbeiträge Schultens sowie deren kritische Einordnung durch Bosch Gimpera ausschlaggebend, die sich auf die Zeit nach dem Fall des keltiberischen Numantia am Ende der Iberischen Kriege Roms (154–133 v. Chr.) bezogen. Schulten hatte 1926 eine allgemeinverständlich gehaltene Studie über den römischen Politiker Quintus Sertorius (123–73 v. Chr.) vorgelegt, der als Propraetor ab 82 v. Chr. wahrscheinlich die römische Ostprovinz Hispania citerior verwaltete. Aufgrund der unter seinem Kommando zwischen 80 und 73 v. Chr. geführten Aufstände der Lusitaner gegen Rom war Sertorius gerade von Seiten der deutschen Historiographie Ende des 19. Jahrhunderts als »Imperator Lusitanicus« zum ersten spanischen Freiheitskämpfer stilisiert worden.41 Auch Schulten folgte im Wesentlichen dieser Sicht und verortete Sertorius als »Freiheitshelden des lusitanischen Volkes« ausdrücklich in die Nachfolge von Viriatus (180–139 v. Chr.), der nach einer siegreichen Schlacht gegen die Römer 147 v. Chr. zunächst das Baetistal und Teile von Hispania ulterior unter seine Kontrolle gebracht hatte und nach weiteren militärischen Erfolgen 140 v. Chr. von Rom kurzfristig als lusitanischer Herrscher anerkannt wurde.42 Neben diesem Grundthema eines lusitanischen Freiheitsnarrativ eröffnete Schultens Studie zugleich eine differenziertere Sicht auf den Charakter römischer Herrschaft in Hispanien. Demnach kam es offensichtlich unter Sertorius zu einer bedeutenden akkulturativen Vertiefung der Klientelbeziehungen zu den Keltiberern, die bereits zuvor für die römischhispanische Herrschaftskonsolidierung eine wichtige bundesgenossenschaftliche Rolle innehatten. Dazu gehörte nicht nur die Bezeichnung Sertorius’ als wiedergeborener Hannibal und die Aufstellung einer iberischen Leibwache (devotio iberica), sondern auch die Gründung einer römischen Schule in Osca (Huesca) zur Ausbildung iberischer Adliger sowie vor allem die iberische Beteiligung an dem 77. v. Chr.
40 Burckhardt (1930), Bd. 1, 30, 32, 36. 41 Vgl. Meister (2007), 213–215, 226–312. 42 Vgl. Schulten (1926), 53.
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eingerichteten hispanischen Gegensenat.43 Schulten identifizierte diese bis 72 v. Chr. dauerende politische Institutionalisierung römisch-iberischer Sonderherrschaft in Hispanien ausdrücklich als »Vorläufer der provinzialen Reichsgründung des 3. Jahrhunderts n. Chr.: des Postumus und Carausius«44 und vertiefte das Thema der Romanisierung spanischer Provinzen wenig später u.a. anhand militärisch-technischer Fragen.45 Gerade diese historische Akkulturation im Fall von Sertorius stand auch in der zweiteiligen Besprechung der Studie Schultens durch Bosch Gimpera im Vordergrund. Parallel zu Schultens Kapitelfolge »Feldherr«, »Staatsmann« und »Persönlichkeit« erschien Sertorius hier noch pointierter als hispanischer »Vorläufer Cärsars im politischen und militärischen Sinn« (predecessor, en lo político y en lo militar, de César) sowie dessen Schule in Huesca sogar explizit als »erste spanische Universität« (primera Universidad española). Neben weiteren Besprechungen deutscher Fachstudien zur römischen Kulturgeschichte, Kunst etc.,46 lag das Hauptinteresse im Kreis der Revista de Occidente hinsichtlich der übergreifenden kulturhistorischen Verortung dieser römisch-iberischen Sonderherrschaft in Hispanien von Viriatus bis Sertorius primär auf den Themenfeldern der Krise der Römischen Republik sowie des Untergangs des Römischen Imperiums und Übergangs in die Spätantike. So erschien in der im Verlag der Revista de Occidente ab 1925 eingerichteten Sonderbibliothek »Breve Historia« zur allgemeinverständlichen Einführung in die Geschichte des Altertums die von der sozialistischen Politikerin Margarita Nelken Mansberger de Paul (1894–1968) übersetzte Studie Geschichte der Römischen Republik (1921) des Berliner Historikers und Politikers Arthur Rosenberg (1889–1943).47 Unter Anwendung der marxistischen Klassenkampfidee auf die sozialen Spannungen in der Frühphase der Römischen Republik betonte Rosenberg, der in den 1920er Jahren zunächst als KPD- und später als SPD-Abgeordneter auch politisch aktiv war, eine Kontinuität des politisch-erblichen »Großkapitals« und sprach damit den verschiedenen sozialen Reformschüben zwischen 445 und 287 v. Chr. (Lex Canuleia und Lex Hortensia de plebiscitis) ihre ständepolitische Wirkung ab. Gleichzeitig diagnostizierte Rosenberg für die autoritäre Spätphase der Republik im Anschluss an die im Jahr 63 gescheiterte »soziale Revolution« des römischen Senators Lucius Sergius Catalina (108–62 v. Chr.) einen, dem Proletariat angeblich wohlgesinnten, »demokratischen Cäsarismus«.48 Katilinas Niederlage war ein Wendepunkt in der Geschichte der römischen Republik. Denn sie bedeutete, dass die arme Bauernschaft nicht mehr die Kraft hatte, durch eine revolutionäre Aktion die Fesseln abzustreifen, in die sie die kapitalistische Entwicklung geschlagen hatte.
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Vgl. Meister (2007), 328–349, 365–368. Vgl. Schulten (1926), 82. Vgl. Schulten (1928). Siehe u.a. Vallejo (1925). Vgl. Rosenberg (1926) bzw. Rosenberg (1921). Vgl. Rosenberg (1921), 25–30, 58–60, 109; sowie einführend von Ungern-Sternberg (2004).
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Von jetzt an verliert die kleine Bauernschaft ökonomisch ihre Selbstständigkeit und politisch ihre Macht. Der Kampf um die Herrschaft im Staat wird jetzt nur noch geführt zwischen der besitzenden Oberschicht auf der einen Seite und der Armee auf der andern Seite.49
Als Inauguralnummmer derselben Bibliothek »Breve Historia« war bereits 1925 die ebenfalls von Nelken übersetzte Studie Der Untergang der antiken Welt (1903, 2 Aufl. 1910) des Wiener Althistorikers sowie sozialdemokratischen Bildungspolitikers Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) erschienen,50 der zur Peripherie des Gründungskreises deutschsprachiger Soziologie vor 1934 gehörte.51 Neben seiner frühen Wirkung in der außeruniversitären Volksbildung in Österreich52 hatte sich Hartmann bereits in seiner Studie zur Einführung in die historische Soziologie Über historische Entwicklung (1905) als Verfechter einer historischen Kasuistik frei von »metaphysischen und scholastischen Vorurteilen« positioniert.53 Entprechend konsequent fokussierte seine Untersuchung zum Untergang der Antike auf eine rationale Analyse wirtschaftlicher, politischer und religiöser Entwicklungen. Hartmann stand damit nicht nur im Gegensatz zu der vielgelesenen, sozialdarwinistisch argumentierenden Geschichte des Untergangs der antiken Welt (1897, 4 Aufl. 1921) des Münsteraner Althistorikers Otto Seeck (1850–1921), sondern vertrat durch die Betonung wirtschaftsund sozialhistorischer Differenzen der Antike gegenüber der Moderne in Bezug auf die einschlägige Methodendiskussion der sogenannten Bücher-Meyer-Kontroverse auch eine dezidiert antizyklische Kultur- und Wirtschaftshistoriografie.54 Als zentrale Differenz gegenüber dem modernen Industrie- und Warenverkehr betonte die 1925 im Verlag der Revista de Occidente übersetzte Studie eine aus der Geschichte des römischen Erbpachtrechts (colonatus) resultierende Dominanz antiker Landwirtschaft. Durch den verstärkten Sklavenhandel in Folge imperialer Saturierung sowie der damit einhergehenden Ausbreitung von Großgrundbesitz war das Kolonat zur bestimmenden berufsständischen Arbeitsform im Römischen Reich geworden. Hartmann zurfolge war damit der zentrale Indikator für die Kontinuität kaiserlicher Spätantike mit dem germanisch-gotischen Frühmittelalter gegeben soweit im Kolonat die Grundlage für die Hörigkeit in den Frondiensten der mittelalterlichen Grundherrschaft angelegt war.55 Überblicken Sie jetzt diesen sozialen und wirtschaftlichen Aufbau des römischen Reiches, so werden Sie finden, dass er von jenem älteren Zustande des Stadtstaates und der geschlossenen Hauswirtschaft wesentlich verschieden ist. An die Stelle der geschlossenen Hauswirtschaft ist
49 Rosenberg (1921), 92. 50 Vgl. Hartmann (1925). 51 Vgl. Kaesler (1984), 43, 57–62, 363–364, 443–444. 52 Vgl. Filla (1992). 53 Vgl. Hartmann (1905), 2. 54 Vgl. Hartmann (1896); Hartmann (1922); sowie zum Streit Karl Bücher–Eduard Meyer einführend: Schneider (1990). 55 Vgl. hierzu umfassend Munzinger (1998), 31–33, 132–133.
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die Grundherrschaft getreten, welche für sich allerdings im wesentlichen eine Einheit bildet. An die Stelle des Stadtstaates, dann des Städtebundes, ist jener Aufbau getreten, wie er sich nun in den Reglements Diokletians und seiner Nachfolger darstellt, ein großer, gewaltiger Zwangsorganismus, welcher sich über alle Länder am Rande des Mittelmeeres erstreckte, welcher noch für einige Jahrhunderte vorgehalten und die Grundlage für alle diejenigen Bildungen, welche später auf dem Gebiete des römischen Reiches entstanden, geschaffen hat.56
Vor dem Hintergrund der bis ins Frümittelalter wirkenden Dominanz spätantiken Großgrundbesitzes erläuterte Hartmann u.a. am Beispiel der sozialen Rekrutierung der römischen Bürokratie eine progressive Herrschaftsumwandlung, die zu einer tiefgehenden Erosion der Integrationskraft des Römischen Reiches insbesondere seiner Fähigkeit zur Generierung staatlicher Loyalität führte. Als wesentlichen Katalysator für den Untergang der Antike identifizierte er dabei zuletzt die episkopale »Organisation« der autoritären »monarchischen Einheitskirche«, die sich auf der Grundlage römischer Gemeindeordnung gegen die urchristliche Presbyterverfassung des »älteren Christentums« im gesamten Reich durchsetzte.57 Hartmanns Hauptthese betraf also eine herrschaftspolitische Aushöhlung und gleichzeitige formale Stabilisierung des römischen Imperiums durch das Christentum als zentralen Schlussakt eines sukzessiven Übergangs von der Spätantike ins Frühmittelalter. Ich habe diese Entwicklung skizziert, um Ihnen zu zeigen, wie das römische Kaisertum nicht untergegangen ist, sondern vielmehr seine Kulturidee und der Zusammenhang des römischen Reiches immer aufrechterhalten blieb. [. . .] Allerdings ist an die Stelle der politischen Einheit des römischen Reiches jene andere ideelle Einheit des Christentums, der römischen Kirche getreten. Wie sich die katholische Hierarchie auf den Spuren der römischen Administration ausgebreitet hatte, hielt sie auch Stand, als die römische Verwaltung tatsächlich in den Staub gesunken war, und der Papst in Rom war es, welcher als die Spitze dieser Hierarchie die Einheit aufrechterhielt, in dieser Beziehung ein Erbe der Cäsaren. Schon das Wort Zivilisation, welches wir gebrauchen, bedeutet nichts als Zugehörigkeit zur römischen Civitas, bedeutet, dass man civis ist, ein römischer Bürger. In diesem Sinne bezeichnen wir noch heute das Höchste, was wir kennen, mit dem römischen Namen, nicht mit Unrecht, denn das römische Reich ist, auch sterbend, der Boden, die Grundlage geworden für die heutige Kultur.58
Vor dem Hintergrund der Hartmannschen These einer umfassenden Herrschaftstransformation spielte in der Debatte zur Römischen Spätantike zuletzt im Kreis der Revista de Occidente vor allem die Frage nach der Konstantinischen Wende eine zentrale Rolle. In Folge der in den Toleranzedikten des Galerius sowie dem von Mailand (311 und 313) festgelegten Tolerierung aller Religionen kam es unter dem Westkaiser Konstantin I. (270/288–337) zur einer besonderen Förderung des Christentums als religio licita. Auf dieser Grundlage setzte später der aus Spanien stammende Kaiser Theodosius I. (347–395) im Edikt Cunctos populos (380) das Christentum als
56 Hartmann (1910), 27. 57 Vgl. Hartmann (1910), 32, 43–52. 58 Hartmann (1910), 138–139.
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Staatsreligion ein.59 Zu diesem Themenfeld erschien 1926 als vierte Nummer der Bibliothek »Breve Historia« eine weitere Studie des Münchener Altphilologen Schwartz.60 Der Schwerpunkt seiner Untersuchungen in Kaiser Constantin und die christliche Kirche (1913) betraf die Ursachen und Motive für die Wende in der römischen Politik gegenüber den Christen, die im gesamten Reich, vor allem jedoch im Ostteil unter den Vorgängerkaisern teilweise brutale Verfolgungen erlitten hatten.61 Entgegen der klassischen kirchgeschichtlichen Verklärung einer durch göttliche Zeichengebung (caeleste signum dei) initierten Bekehrung betonte Schwartz als ausschlaggebendem Faktor der Konstantinischen Wende insbesondere die Festigkeit und Stärke der christlichen Organisation sowie die enge soziale Verflechtung mit der römischen Verwaltung und dem Militär.62 Aus dieser Sicht bestand die vermeintliche Wende in der Christenpolitik Konstantins vielmehr in einem sich durch allmähliche Annäherung konsolidierenden Zweckverhältnis, dessen Hauptziel die Eroberung des römischen Ostteils war. Die massive Förderung der christlichen Gemeinden im Westteil war dabei nicht nur »wirksamste Propaganda« im Spannungsfeld der pluralisierten Teilkaiserreiche.63 Denn die Transformation der Kirche in ein »Rechtssubjekt« des Reiches bedeutete zugleich die Erhebung des Kaisers (wie de facto auf der Reichssynode von Nicaea 325 vollzogen) zur alleinigen, religiös-weltlichen Rechtsquelle. Damit war die christliche Kirche zu einer »Staatsnotwendigkeit« geworden, der gegenüber ursprüngliche Glaubensfragen eine nurmehr sekundäre Rolle spielten.64 Es ist so ungeschichtlich wie nur möglich den Krieg, den Constantin gegen den ehemaligen Bundesgenossen seiner Usurpation führte, so darzustellen, als sei er zum Schutz der von einem fanatischen Tyrannen gepeinigten und verfolgten Kirche unternommen; im Gegenteil, die römischen Senatoren und Vornehmen, die durch den Sieg Constantins tatsächlich von den Erpressungen und Gewalttaten des Maxentius befreit wurden, hielten gerade am zähesten am Heidentum fest. Was Constantin zum Angriff auf Maxentius trieb, war nicht frommer Eifer, sondern eine klare politische Berechnung. So lange der illegitime, in seinem usurpierten Besitz ungestörte Augustus den Beweis dafür lieferte, dass Galerius unfähig war, das diocletianische System aufrechtzuerhalten, ließ ihn Constantin in Frieden; nach dem Tod des letzten Mitregenten Diocletians brauchte er den Glanz des großen Sieges und die Herrschaft über die gesamte eine Reichshälfte, um seinem Ziel, das er schon damals fest ins Auge fasste, näher zu rücken, der Universalmonarchie. [. . .] Constantin war, wie gesagt, nicht ausgezogen, um die Kirche zu befreien, aber er ging, um seinen Sieg als einen des Christengottes erscheinen zu lassen, so weit wie es die Rücksicht auf das in Rom noch sehr verwurzelte Heidentum irgend erlaubte.65
59 Vgl. McLynn (2005), 104–106. 60 Vgl. Schwartz (1926) bzw. Schwartz (1913). 61 Vgl. einführend Selinger (1994), 94–119, 129–140, 146–177, 179–181. 62 Vgl. Schwartz (1913), 22–32, 94, 170. 63 Auch hierzu erschien in der Revista de Occidente eine einführende Studie – vgl. Dieterich (1927). 64 Vgl. Schwartz (1913), 32–57, 77, 81, 91, 149; sowie erläuternd Bleicken (1992). 65 Schwartz (1913), 66–67.
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4 Schlussbetrachtung In Hinblick auf die beiden Hauptfragen der vorliegenden Studie nach dem (a) institutionellen Kontext transnationaler Wissensrezeption sowie dem (b) dabei anleitenden, interpretatorischen Fokus kulturhistorischer Verortung lässt sich zunächst von einer hohen Kontinuität sprechen, mit der die eingangs vorgestellten Impulse prähistorischer Forschung in Spanien primär durch den Kreis der Revista de Occidente fortgeschrieben wurden. Gerade die prominente diskursive Präsenz sowie nachhaltige rezeptorische Verhandlung deutscher Forschung zur Frühantike sticht hier ins Auge (Tarschisch-Tartessos). Neben der wissenschaftlichen Innovation selbst (Schulten) umfasste diese Kontinuität ausserdem auch die Frage der kulturhistorischen Verortung (Bosch Gimpera, Frobenius), die unter nachhaltiger Rückwirkung auf den Kreis der Revista de Occidente offenbar dem Fahrwasser der durch die Biblioteca de las Ideas del Siglo XX in Spanien rezipierten Kulturmorphologie Spenglers folgte (Frobenius, Ortega). Die archäologische Entdeckung einer atlantisch-afrikanischen Frühkultur auf der Iberischen Halbinsel war für die kulturhistorische Rahmendebatte in Bezug auf das Verhältnis Spaniens zu Europa von ausserordentlicher Bedeutung. Repräsentierte sie doch vor allem in Hinblick auf die Rezeption der Kulturkreislehre ebenso wie für ihre universalhistorische Variante der Kulturmorphologie einen zentralen Moment der Verwissenschaftlichung der historischen Genealogie des Abendlandes. Die transformatorische Dimension dieser »Ältesten Geschichte des Westens« ist im Rahmen der sich anschließenden Altertumsdebatte durch den Kreis der Revista de Occidente nicht nur massgeblich gesteuert, sondern gerade in Bezug auf die kulturmorphologische Universalgeschichte (Spengler) in erheblicher Form gesteigert worden. Wie in der Forschung zuletzt ausführlich erläutert, erfolgte der Transfer Spenglers im Spanien der Zwischenkriegszeit primär in Form eines die unterschiedlichen politischen Lesarten im Verlauf der 1920er Jahre einebnenden Fokus auf dem transitiven Moment kulturhistorischer Dekadenz. Im Zentrum stand hier das im Rahmen der zyklischen Geschichtsanalogie bei Spengler als »Pseudomorphose« bezeichnete sowie als Verlust ursprünglicher Religiösität insbesondere auf das 1. spätantike und 14. spätmittelalterliche Jahrhundert bezogene, kulturmorphologische Konstrukt raumfremder Überlagerung unterschiedlicher Kulturen.66 Die Altertumsdebatte im Kreis der Revista de Occidente hat insbesondere durch den Fokus (a) auf einen umfassenden Prozess griechisch-mittelmeerischer Akkulturation der Iberischen Halbinsel (Schulten, Bosch Gimpera) bis zur römisch-iberischen Sonderherrschaft (Schulten) sowie (b) auf eine aus dem spätrepublikanischen Cäsarismus (Rosenberg) heraus sich sukzessive entwickelnde, spätantike Herrschaftstransformation (Hartmann) die spanienspezifische Bedeutung dieses kulturmorphologischen Scharniers universalgeschichtlichen Wandels fachlich untermauert. Eine
66 Vgl. Lemke Duque (2013).
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besondere Spitze bildete in diesem Zusammenhang die ausdrückliche Verortung der spätantiken Konsolidierung der römisch-katholischen Kirche als Moment pseudoreligiöser Dekadenz (Schwartz). In Bezug auf trianguläre Verflechtungseffekte, die in der Forschung zuletzt zur Stützung eines logisch-konstitutiven Begriffs transnationaler Resemantisierungsprozesse stärker betont worden sind, lässt sich abschließend bemerken, dass auch in der Debatte um eine Tartessischen Frühkultur sowie der sich anschließenden Altertumsdebatte in Spanien von einer wenn auch mehr punktuellen Relevanz gesprochen werden kann. Die Flankierung der Fragen griechisch-iberischer Akkulturation durch USamerikanische Forschungsbeiträge (Carpenter) war im Vergleich zum prähistorischen Diskurs der Revista de Occidente (Haliburton, Keith, Smith) jedoch weniger umfassend.
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Der stolze Kastilianer: Die Romanze des 18. Jahrhunderts als Transformationsmedium altspanischer soberbia Abstract: The ‘Spanish romance’ is form used in a Castilian epic poem, which was written in the 14th century and is known in European poetry since the 16th century. This so-called ‘heroic romance’ is characterized by honor and pride. This mixture of pride, honor and fame is focused on the great hero of the romance: the Castilian Grande Rodrigo Díaz (1030/45–1099). He fought partly on Spanish, partly on Moorish side, got from the Moors the nickname Cid (meaning Lord) and is the hero in the earliest Spanish poetry, the Cantar de mío Cid. His heroic story returns in Johann Gottfried Herder’s The Cid (1803–1804), for which Herder invented the rhymeless, four-footed troches, which in metrics are called ‘Spanish trochee’. A wonderful example of the “transformations of antiquity” is the development of this genre: The numerous romances of the German Romantics generally lack this pride, until it returns in Heinrich Heines writings, although in a completely new, German-Jewish perspective.
Der stolze Kastilianer Die zarteste Empfindsamkeit, das innigste, tiefste Gefühl und die Schwermut, zusammengenommen mit dem höchsten Ehrgefühl, dem edelsten Stolz und einer sehr ernsten, strengen, beinahe abstrakten Liebe – dies macht den Grundcharakter der spanischen Lieder aus, deren eigentümliche, ganz musikalische, zugleich äußerst zarte, wortspielende Form wohl nicht leicht eine andere Sprache vollkommen nachbilden wird.1
Mit diesem Zitat aus Friedrich Schlegels im Februar 1804 gehaltener Vorlesung über die „spanisch-portugiesische Literatur“ möchte ich meinen Beitrag zur Dreiecksrelation von Antiketransformation, Spanien und Deutschland auf eine gattungstheoretische Frage hin fokussieren: Die kulturell hoch aufgeladene Tonlage der literarischen Romanze. Zwar ist die These Schlegels, nach welcher das für die Gattung der Romanze charakteristische „höchste Ehrgefühl“ und der „edelste Stolz“ in anderen Sprachen „wohl nicht leicht“ nachbildbar seien, fragwürdig angesichts der schon 1803/04 erschienenen und äußerst gelungenen Romanze Der Cid von Johann Gottfried Herder.2 Dass Schlegel dagegen mit seiner grundsätzlichen Charakteristik die Gattung in ihrer Breite überaus angemessen beschrieb, dies dürfte schon anhand einer groben Skizze ihrer Inhalte deutlich werden. Es handelt sich bei der Romanze um ein volkstümliches
1 Schlegel (1958), 155. 2 Schlegel (1961), 208. https://doi.org/10.1515/9783110651997-011
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Erzähllied spanischer Herkunft, welches im vierzehnten Jahrhundert entstanden ist und seit dem sechzehnten Jahrhundert Eingang in die europäische Kunstdichtung gefunden hat. Vorherrschend ist neben der Liebesromanze sowie weiteren Unterformen wie etwa der Ritterromanze, der pastoralen, komischen oder satirischen Romanze vor allem die Heldenromanze, und für eben diese ist der von Ehrgefühl und Stolz geprägte Tonfall so überaus charakteristisch. Er unterscheidet die Romanze von der dem angelsächsischen Kulturraum entstammenden Form der Ballade, in welcher, glaubt man der Ästhetik Hegels, eine Stimmung „der schauerlichen, die Brust mit Angst beengenden, die Stimme erstickenden Empfindung“ dominiert, wohingegen in der Romanze „eine gewisse Helligkeit verbreitet“ sei,3 die dem von Schlegel bemerkten Ehrgefühl und dem Stolz durchaus entspricht. Romanzen sind „stolze Lieder der glühendsten Liebe und Ruhmbegierde, abgerissne Heldengesänge von hohem Zartgefühl“, deren wichtigstes Merkmal nach Schlegel das orientalische Kolorit sei.4 Diese Mischung aus Stolz, Ehrgefühl und Ruhmbegierde erklärt sich in erster Linie aus dem historischen Gegenstand der Gattung.5 Im Mittelpunkt der spanischen Heldenromanze steht der kastilische Grande Rodrigo Díaz (1030/45–1099), der, teils auf spanischer, teils auf maurischer Seite kämpfend, von den Mauren den Beinamen Cid (Herr) bekam und dem die früheste spanische Dichtung, das zwischen 1195 und 1207 entstandene Cantar de mío Cid gewidmet ist. Dieser auch als El Cid (arab.; der Herr, Gebieter) campeador (span.; Kämpfer) bekannte Vasall dreier spanischer Könige des elften Jahrhunderts ist der in zahlreichen sogenannten romances besungene spanische Nationalheld, der als Eroberer der Stadt Valencia und als ritterlicher Besieger der Mauren gefeiert wurde.6 Deshalb gilt er in der 1605 von Juan de Escobar veröffentlichten Historia y Romancero del Cid als „El Soberbio Castellano“, also als stolzer Kastilianer. Dieser für Escobars Romancero del Cid durchaus leitmotivische Stolz hat mit der Lebensgeschichte des Cid zu tun: mit seiner Verbannung durch König Alfons VI. von Kastilien (reg. 1072–1109), seinen Kämpfen gegen die Araber, seiner Unterwerfung maurischer Provinzen sowie seiner historischen Eroberung der Stadt Valencia, wodurch sich der Cid auch die Gunst seines Königs zurückeroberte. Im Mittelpunkt der Cid-Romanzen, so schreibt Elisabeth Frenzel, steht also „der Konflikt des Helden zwischen stolzem Selbstbewusstsein und der Loyalität des Lehnsmannes gegenüber misstrauischen und eigensinnigen, oft auch unfähigen Fürsten.“7 Dies vermag ein Zitat zu
3 Hegel (1986). Auch für August Wilhelm Schlegel ist es „bemerkenswert, daß in diesen südlichen Dichtungen nirgends eine Spur von Gespenstern oder anderen Schreckbildern der Phantasie anzutreffen ist, da in den nordischen Balladen, besonders der Engländer, Schotten und Dänen alle Schauer der Geisterwelt kalt und leise und um so erschütternder ins Leben hinüberwehen.“ Vgl. : Schlegel (1962), 141. 4 Schlegel (1961), 262. 5 Meyer-Sickendiek (2005), 147–165. 6 Rodiek (1990), 1 f. 7 Frenzel (1998), 132.
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verdeutlichen, in dem der Cid der gegen den König aufsässige Adlige ist, der den Grafen Gormaz getötet hat und nun, bewaffnet und von Bewaffneten begleitet, bei Hofe erscheint, um sich der Bestrafung durch den König zu widersetzen: Ich zitiere die Kellersche Ausgabe von 1840 bzw. die zwei Jahre später von Gottlob Regis in Das Liederbuch vom Cid gelieferte Übersetzung: Cabalga Diego Lainez Al buen rey besar la mano, Consigo se los llevaba los trescientos fijosdalgo. Entre ellos iba Rodrigo, El soberbio castellano, Todos cabalgan á mula, Solo Rodrigo á caballo, Todos visten oro y seda, Rodrigo va bien armado, Todos espadas ceñidas, Rodrigo estoque dorado, Todos con sendas varicas, Rodrigo lanza en la mano, Todos guantes olorosos, Rodrigo guante mallado, Todos sombreros muy ricos, Rodrigo casco afinado Y encima del casco lleva Un bonete colorado.
Hin zum Handkuß bei dem guten König, Diego Lainez ritt, Führt die Seinen im Geleite, Die dreihundert Junker mit. Auch der stolze Kastilianer Rodrich unter ihnen was; Alle ritten sie auf Maulern, Rodrich nur zu Pferde saß. Alle gehn in Gold und Seiden, Rodrich wohl mit Stahl bewehrt; Alle Säbel an den Seiten, Rodrich, ein verguldet Schwert. All’ die Andern führten Stäblein, Rodrich in der Faust den Speer; All’ die Andern duft’ge Handschuh’, Erzbeschlagne Handschuh’ Er. Alle Hüte, reich und prächtig, Rodrich einen Helmen fein; Aber auf den Helm gesetzt hatt’ Er ein rothes Mützelein.
Wie der Stolz des Rodrigo Díaz de Vivar psychologisch motiviert ist, verdeutlicht diese Szene.10 Sie spielt an auf seine Ermordung des Vaters seiner späteren Gattin Jimena Díaz, den Don Gómez. Nachdem dieser Rodrigos Vater Diego Laínez eine Ohrfeige gab, tötete Rodrigo ihn und überbrachte seinem Vater – so die Saga aus dem 1360 entstandenen Mocedades de Rodrigo – dessen Haupt. Insofern macht also der Stolz des Helden auch vor der Ermordung seines Schwiegervaters nicht halt, weshalb Gómez Tochter Jimena zur Sühne vom König die Hand des Mörders fordert. Rodrigo unterwirft sich dem königlichen Befehl, schwört aber, seine Frau nicht sehen zu wollen und auch die Hand des Souveräns nicht wieder zu küssen, bevor er nicht in fünf Schlachten – gegen die Araber, die Könige von Frankreich und Deutschland und gegen den Papst – gesiegt habe. Die im Cantar de Rodrigo entwickelte Mischung aus Streitsucht und Stolz verdeutlicht die folgende Szene:
8 Von Keller (1840), 13. 9 Regis (1842), 17. 10 Deutschmann (1989), 40. Auch Deutschmann weist darauf hin, dass der Cid in den Romanzen häufig unter dem Titel „El soberbio castellano“ genannt wird, vgl. : ebd., 103.
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Los que vienen con el rey Entre sí van razonando. Unos lo dicen de quedo, Otros lo van pregonando: ‘Aquí viene entre esta gente Quien mató al conde Lozano.’ Como lo oyera Rodrigo, En hito los ha mirado: Con alta y soberbia voz De esta manera ha fablado: ‘Si hay alguno entre vosotros, Su pariente ó adeudado Que le pese de su muerte, Salga luego a demandallo; Yo se lo defenderé Quier á pie, quiera á caballo.’ Todos responden á una: ‘Demándetelo el diablo’.
Und Die mit dem König kamen, hielten Zwiesprach unter sich; Einige sagten leis, die Andern Riefen’s laut und öffentlich: „Seht, dort unter Diesen kommt er, Der erschlug den Grafen Lozan!“ Wie Rodrigo das vernommen, Schaut’ er steif und fest sie an, Sprach mit stolzer Stimm’ vernehmlich Also: „Wenn von Ohngefähr Euer Einer sein Verwandter, Freund hie oder Vetter wär, Den sein Tod verdröß, Der komme Gleich, und ford’re mich! Mein Schwert Soll ihm Rede stehn, er mag zu Fuße wollen oder Pferd.“ All’ antworteten Sie für einen: „Fordern mag der Teufel Dich.“
Die Gattungsgeschichte der Romanze als Modell triangulärer Kulturprozesse Zwar behandeln, wie Olaf Deutschmann betont, die bis etwa 1550 entstandenen volkssprachlichen spanischen Romanzen auch andere Themenfelder: Die sogenannten „romances fronterizos“ etwa sind Romanzen aus den Grenzgebieten zwischen Christentum und Islam und schildern die kriegerischen Ereignisse an der im Zuge der Reconquista immer tiefer in das maurische Herrschaftsgebiet vorgezogenen Grenze zu den christlichen Königtümern Spaniens im fünfzehnten Jahrhundert. Im Kontext des Kampfes gegen die Mauren bzw. des Zusammenlebens der Spanier mit den Mauren finden sich auch gefühlvolle Romanzen, zudem gibt es die sogenannten „romances moriscos“, also die „maurischen Romanzen“, in denen aus christlicher Perspektive die Sache der Mauren einfühlsam und mit verhaltener Sympathie dargestellt ist, oder die „romances carolingios“, die von der Vernichtung der Franken durch die Mauren handeln und in Frankreich auch als „Chanson de Roland“, in Spanien als „Cantar de Roncesvalles“ bekannt sind. Für die hier verfolgte Frage nach den Transformationsprozessen in der Dreiecksrelation von Antikenrezeption in Spanien und Deutschland sind jedoch in erster Linie die sogenannten „romances históricos“ einschlägig, denn diese handeln von den stolzen, unbeugsamen und freiheitsliebenden Helden der nationalen Geschichte, zu denen der König
11 Von Keller (1840), 14. 12 Regis (1842), 18.
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Roderich, der Graf Fernán González, der ebenfalls als „soberbio“ bekannte Bernardo del Carpio, ein Gegenspieler des französischen Nationalhelden Roland,13 sowie eben Rodrigo Díaz zählt, also der Cid bzw. der stolze Kastilianer. Ungeachtet der Schlegelschen These von dem nur schwer in nicht-spanische Sprachen zu übertragenden Ton sind diese historisch orientierten, also heldenepisch geprägten Romanzen sehr wohl in die europäische Literatur eingegangen: Friedrich Schlegels Versepos Roland, ein 1805 entstandenes Heldengedicht in Romanzen, ist selbst ein wichtiges Beispiel. Aber schon im späteren Mittelalter wurde der für die Heldenromanze um den Cid grundlegende Cantar de mío Cid von romanhaften Versionen des Cantar de Rodrigo und anderen fabulierenden Chronikberichten ergänzt. Einflussreich ist zudem die 1636 entstandene Tragödie Le Cid von Corneille, durch die der spanische Held Eingang in die Weltliteratur findet und noch in Victor Hugos 1830 uraufgeführtem Versdrama Hernani ou l’Honneur Castillan wirkungsmächtig bleibt. Und natürlich geht die Heldengeschichte in die bedeutendste deutsche Form ein, in die Romanze Der Cid (1803–1804) von Johann Gottfried Herder. Herder hat für diesen Romanzenzyklus die reimlosen vierhebigen Trochäen, also eine metrische Form verwendet, mit der er schon in seinen sogenannten Volksliedern die spanischen 8/9-silbigen assonierenden Romanzenverse übersetzte. Es gelang Herder damit erstmals, einen der spanischen Romanze entsprechenden Vers zu finden: die assonanz- und reimlosen trochäischen Achtsilber, die in der Metrik auch ‚spanische Trochäen’ heißen.14 Dadurch hat Herder ein zeitgemäßes Beispiel für eine Unterscheidung und inhaltliche Abgrenzung der Romanze von der Ballade gegeben, die auch andere Autoren der Zeit wie etwa August Wilhelm Schlegel einforderte. Die lyrisch erzählende Form der Romanze wird durch Herders Romanzenzyklus zu einem insbesondere in der deutschen Romantik beliebten Genre, das außer von Friedrich Schlegel von Friedrich de la Motte-Fouqués auf den französischen Nationalhelden Roland, den Neffen Karls des Großen, angewendet worden ist und zudem bei Tieck, Brentano, Uhland15 und vor allem Heinrich Heine16 Verwendung findet. Welch interessante Transformationen der altspanischen, von „edelstem Nationalgefühl“,17 von Ritterlichkeit und Freiheitsstreben getragene Stolz der Romanze in diesem deutschsprachigen Kontext, vor allem aber im Spätwerk Heines genommen hat, dies werden wir im Folgenden im Anschluss an eine kurze, an unserer Fragestellung orientierte Gattungsgeschichte zu zeigen versuchen.
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Barton (1988). Staub (1970), 8 f. Ebd., passim. Vgl. auch: Bodmer (1955). Reck (1987). Schlegel (1961), 264.
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Die Cid-Romanze im Spannungsfeld von superbia und humilitas Wenn wir fragen, wie sich die Attribution des Cid als eines „soberbio castellano“ erklären lässt, dann dürfte die Begriffsgeschichte der superbia sicher nicht ganz unwichtig sein. Denn im Unterschied zu jenem von Aristoteles geprägten Begriff der magnanimitas, der den Stolz bzw. die Großmut in der Nikomachischen Ethik als eine Tugend klassifiziert, ist der Begriff der superbia überaus ambivalent. Er beinhaltet im klassischen Latein sowohl die Bedeutung von „Stolz im guten Sinne“, d. h. von „Hochgefühl, stolzes Selbstgefühl“, als auch die Bedeutung von „Stolz im üblen Sinne“, d. h. von „Übermut, Hochmut, Hoffart“.18 Von Beginn des Mittelalters an erstreckt sich der Umfang des Begriffes superbia gar vermehrt auf dessen negative Bedeutung, deren Gegenbegriff die Kategorie der Demut bzw. der humilitas bildet. Zu dieser Begriffsentwicklung hat vor allem der große Vertreter der christlichen Demutslehre, Augustinus beigetragen: In De civitate dei wirft Augustinus die Frage auf: „Quid est autem superbia nisi perversae celsitudinis appetitus?“, also „Was aber ist Hochmut anderes als Streben nach falscher Hoheit?“19 Die Umformung der Kardinalsündenlehre durch Papst Gregor den Großen (540–605), der die superbia als Anführerin des Sündenheers an die Spitze der menschlichen Laster gestellt hat, geht entsprechend auf Augustinus zurück.20 Sie dürfte für die Begriffsgeschichte der superbia und somit auch für die Cid-Romanzen einflussreich gewesen sein, denn es finden sich in den Heldenromanzen auch Züge einer äußerst negativen Form von Stolz als Hochmut, weshalb etwa der Cid aufgrund seiner Hybris vom Papst exkommuniziert wurde. Dass diese von Deutschmann als Resultat der „Phantasie des Volkes“ interpretierten Beispiele einer ins Hybride reichenden Verhaltensform des „soberbio castellano“ aus der ambivalenten Bedeutung des Begriffes der superbia selbst hervorgehen, ist unbedingt anzunehmen. In den Romanzen prallt also der kämpferische Übermut des adligen Helden, das gesteigerte Selbstwertgefühl des fahrenden Ritters, der als Tugend in der Welt der Ritter, des Adels und des Hofes darstellte Stolz des Cid aufs schärfste mit der christlichen Forderung der humilitas bzw. Demut als dem Gegenstück zur superbia zusammen. Diese Polarisierung lässt sich nach Christoph Rodiek schon anhand der ersten Bearbeitungen des Cid-Stoffes nachvollziehen: behandelt das Poema de Mio Cid (ca. 1207) eher die positiven Momente der superbia des Cid – die Verbannung, die Eroberungszüge und die anschließende Rehabilitation durch den König – , so thematisiert das ca. 1300 entstandene Cantar de Rodrigo auch die von Grobheiten und maßloser Prahlerei
18 Georges (1962), 2931. 19 Augustinus (1935), 13. 20 Heinlein (1921).
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geprägten Auftritte des Cid vor dem Papst und dem französischen König, wodurch der Cid auch als „überheblich und gotteslästerlich“21 charakterisiert wurde. Es ist für die Frage nach dem Stolz in der Romanze wichtig zu sehen, welche Entwicklung dieser Konflikt innerhalb der Begriffsgeschichte der superbia in der Folgezeit genommen hat. Diese Entwicklung erkennen wir insbesondere anhand der überlieferten Inhalte der Heldengeschichte, denn im Zeichen der ambivalenten superbia stehen auch andere altspanische Romanzen, wie dies in der von Ramón Menéndez Pidal edierten Sammlung Flor nueva de romances viejos nachzuschlagen ist.22 So etwa ist der Konflikt des Cid mit dem Papst, die Exkommunikation und die Weigerung des Cid, während einer Papstaudienz diesem die Hand zu küssen, wichtiger Bestandteil der in den Flor nueva gesammelten Romanzen.23 Dagegen fehlt der anekdotische Konflikt mit dem Papst in der 1636 erschienenen Tragödie Le Cid von Corneille, durch die der spanische Held ja bekanntermaßen Eingang in die Weltliteratur findet. Stattdessen dominiert im weit eher heroischen Theater Corneilles, wie Hans Jürgen Fuchs betont, die „Glorifizierung des Ich“: Neben den „just et noble orgueil“, also dem legitimen Selbstwert- und Überlegenheitsgefühl des aristokratischen Ausnahmemenschen, tritt bei Corneille zudem ein Begriff, der die superbia an Bedeutung überragt: der Begriff der gloire. Dieses meint im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur die von der Gesellschaft gebilligte außerordentliche Wertschätzung, den Ruhm, sondern auch das daraus im Individuum resultierende Bewusstsein, den berechtigten Stolz.24 Entsprechend konzentriert sich Corneilles auf die klassischen 24 Stunden beschränktes Drama auf jene berühmte Vergeltungstat des Cid, welcher an Stelle seines geohrfeigten Vaters den Aggressor Don Gómez im Duell tötet, obwohl dieser wiederum Vater der Geliebten des Cid, der Tochter Chimène ist. Der Cid des Corneille vollzieht also eine Heldentat, die ihm zugleich seine Ehre und die Achtung der Geliebten bewahrt: Er tötet den Beleidiger seines Vaters. Dabei fehlt jene negative Bedeutung der superbia, vielmehr wird der Ruhm auf Grund von Cids Verzweiflung darüber, durch diese Tat die Geliebte zu verlieren, noch erhöht.25 Nicht also, so betont Christoph Rodiek, „der rücksichtslos seine Ehre wiederherstellende Adlige, sondern der königstreue, um das Wohl des Staates besorgte Aristokrat wird in Le Cid positiv gezeichnet.“26 Wenngleich diese Form der Aufwertung des Stolzes auch noch bei Johann Gottfried Herder zu beobachten ist, so steht sie allerdings nun in einem neuen Kontext: der Theorie der Genialität.
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Rodiek (1990), 67. Pidal (1959). Pidal (1959), 178–179. Merian-Genast (1937), 83–109. Krause (1967), 362–375. Rodiek (1990), 161.
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Herders Bearbeitung der altspanischen soberbio: Der Cid Den Schluss des neunten und den Anfang des zehnten Stücks von Herders 1801–04 erschienenen Aufsatzsammlung mit dem Titel Adastrea bildet die Nachdichtung des spanischen Nationalepos Der Cid. Geschichte des Don Ruy Diaz, Grafen von Bivar. Etwas irreführend ist deren Untertitel: Nach spanischen Romanzen. Denn als Grundlage zog Herder zwar die 1551 entstandenen Romanzen des Spaniers Lorenzo de Sepúlveda heran, die eigentliche Vorlage für Herders Bearbeitung ist jedoch eine aus dem achtzehnten Jahrhundert stammende französische Prosafassung des 1605 enstandenen Romancero des Spaniers Juan de Escobar. Wir haben es also bei Herders Cid nicht mit einer Übersetzung eines spanischen Originals, sondern mit einer eher freien Nachdichtung der Prosafassung eines Franzosen mit dem Namen Couchut zu tun, die im Juli 1783 in der Bibliothèque universelle des romans anonym erschienen war. Der ursprüngliche Romancero Escobars ist Herder dagegen trotz lebenslanger Suche nie zugänglich geworden.27 Nun ist schon in der französischen Prosafassung die „oft noch roh zu nennende Derbheit der spanischen Volkslieder [. . .] durch eine französische Empfindungs- und Betrachtungsweise“ ersetzt worden, was freilich auch das Motiv der soberbio betrifft. Wenn die Gestalt und der Gehalt dieser gut 200 Jahre alten Vorlagen von Herder in der vollkommenen Begegnung neu geschaffen und belebt werden, dann gilt dies also auch für den Stolz. Wie wichtig dieser für den Herderschen Romanzenzyklus vom Cid selbst ist, lässt sich schon auf einen ersten flüchtigen Blick unschwer erkennen: Nie erscholl ein Ruhm gerechter, Größer nie als Don Rodrigo’s: Denn fünf Könige der Mauren, Mauren aus der Moreria, Waren ihm Gefangene. Und nachdem er mit Vereidung In Vasallenpflicht und Zinspflicht Sie genommen, sandt’ er alle Wieder in ihr Land zurück. Als nach sieben langen Jahren (Nie wär’ er von ihr gewichen) Don Fernando jetzt die feste Stadt Coimbra, fest durch Mauren Und durch Türme, überwand
27 Voegelin (1879).
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Weihet’ er der Mutter Gottes Die prachtvollste der Moscheen; Hier in diesem heil’gen Tempel Hielt Rodrigo Ritterwacht.28
Der Tonfall, mit welchem Herder in seinem Romanzenzyklus die Heldentaten des Cid zur Sprache bringt, ist von eben jenem erhabenen Gestus getragen, den Friedrich Schlegel in seinen Vorlesungen als so schwer übertragbar einschätzte. Dies hängt auch mit einem dem Stolz verwandten Wortfeld zusammen, welches wie bei Corneille auch bei Herder die Begriffe der Größe und des Ruhmes umfasst. Auch dies geht sehr deutlich aus dem Stoff hervor, also der Geschichte des Don Rodrigo, ist dieser doch gemäß der schon in den historischen romancero del Cid häufig zu findenden Attribution – El soberbio castellano – auch bei Herder „der stolze Castellaner“.29 Nun könnte man den Stolz, von welchem Herder handelt, aus dem schlichten Tatbestand herleiten, dass es sich um eine Übersetzung eines patriotischen Volksepos’ in lyrischer Form handelt. Dem ist jedoch nicht so. Zwar enthält Herders Zyklus über das Leben des Don Rodrigo alle wichtigeren Episoden dieses Helden: Don Rodrigos jugendliche Heldentaten, der Sieg im Zweikampf über Don Gormaz, die Ehe mit Don Gormaz’ Tochter Jimena, seine ersten Erfolge als Feldherr unter Ferdinand, die Teilnahme am Bruderkrieg der Söhne Ferdinands als Vasall Don Sanchos, die Weigerung, in den Kampf um Zamora (Don Sanchos heimtückische Ermordung) einzugreifen, den von Alfons erzwungenen Eid, am Tode Sanchos nicht schuldig zu sein, die Ungnade und Verbannung unter König Alfons, die Feldzüge gegen die Mauren, die Unterwerfung Valencias, die Bestrafung der Grafen von Carrion, endlich der Tod in Valencia und Bestattung in San Pedro de Cardeña. Daneben stehen jedoch die Eingriffe und Zusätze der erwähnten französischen Prosafassung, die im weitesten Sinne von einem Empfindsamkeitsdiskurs getragen sind, den eben erst das achtzehnte Jahrhundert kennt. Der Konflikt zwischen Liebe und Ehre, die Liebe der Königstochter Uraka zu Rodrigo, die sich etwa in Monologen der Eifersucht auf Rodrigos Geliebte Jimena äußert, zudem des Königs und Cids Ansichten über Frauen und Heirat sind Zutaten dieser französischen Prosafassung. Herders Verständnis für den Stolz, die Größe, den Ruhm, den homerischen Zorn und die jugendliche Kühnheit dieses spanischen Helden dürfte also nicht allein auf die Kenntnisse originärer Romanzen des Altspanischen, sondern auch auf diese Aktualisierung des achtzehnten Jahrhunderts zurückzuführen sein. Dies ist vor allem deshalb von Interesse, weil der Stolz des Don Rodrigo in Herders Cid keineswegs unumstritten ist: „Schön bist Du; wie einst Narcissus. Weise; Salomon war weiser. Edel; Deren gibt es viele. Tapfer; Spanien erziehet
28 Herder (1990), 561. 29 Herder (1990), 553.
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Keine Memme, Don Rodrigo. Reich; das sind so viele Narren. Weitberühmt; das waren Viele Mehr als Du, und starben dennoch Eingehüllet in die Tücher Menschlicher Vergessenheit. Ritter, wenn dein eigner Spiegel Dir nur Deine Schönheit vorhält: So tritt her vor meinen Spiegel, Er erniedrigt Deinen Stolz. Geh dann hin zu Deines gleichen, Ritter; eine Königstochter Blicke nur mit Ehrfurcht an.“ Also sprach die eifersüchtge Königstochter, Donna Uraka; Und der Cid, er stand und schwieg. Denn sie liebt’ ihn tief im Herzen; Und als sie nun ausgeredet, Fuhr sie fort mit ihrer Nadel Ihm zu nähn die schönste Schärpe, Die Er – nicht begehrete.30
Diese gleichfalls ambivalente Markierung des stolzen Kastellaners hat freilich wenig mit der skizzierten Begriffsgeschichte der superbia gemein. Die Worte aus dem Mund der Königstochter Donna Uraka sind vielmehr deshalb zweideutig, weil sie aus liebendem Herzen gesprochen sind: Ein nicht den historischen Quellen entsprechendes, sondern in der französischen Fassung erdachtes Motiv. Auf das Konto der französischen Bearbeitung geht also diese von ambivalenter Eifersucht geprägte Rollenrede der Königstochter, aber auch die psychologisierende Analyse von Cids leicht narzisstischem Stolz. Entsprechend erscheint nun eine klassische Formel der altspanischen Romanze, die sich etwa auch bei Lope de Vega findet, also das „¡Afuera, afuera, Rodrigo/ el soberbio castellano!“31 als liebevolle Warnung der Donna Uraka an den von ihr geliebten Helden, die diesen zu der Weigerung führt, in den Kampf um Zamora einzugreifen: Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren, Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!32
30 Herder (1990), 564. 31 Pidal (1959), 190. 32 Herder (1990), 599.
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Herder hat in seiner Bearbeitung die teils allzu gefühligen bzw. gar melodramatischen Momente der französischen Übersetzung ausgespart und so eine wiederum engere Orientierung an dem ursprünglichen Geist der Romanze unternommen. Dies ist gewissermaßen das Resultat jener Frage, die Herder sich im zehnten Stück seiner Adastrea bezüglich der Arbeit am Cid eigens stellte, ob er eher „rohen Aberglauben, wilden Stolz, sinnliche Brunst, nichtige Torheit“ authentisch darstellen, oder aber versuchen solle, diese eher derben Elemente der altspanischen Romanze „zu besänftigen, zu mildern, für Tugend und Liebe zu erwärmen?“33 Zugleich aber steht diese auffallende Betonung des Rohen und des wilden Stolzes im Zeichen einer literaturpolitischen Opposition, in welcher der Stolz des einsamen Kämpfers für die Ideale der Genie-Ästhetik den bedeutsamen und einflussreichen Hintergrund bilden. Anders gesagt: Herders intensive Suche nach der volkstümlichen spanischen Romanze hat zwei Gründe. Zum einen das im ‚Sturm und Drang’ erwachende Interesse an Nationalliteraturen, zum anderen, und damit verbunden, ein Interesse an einer Dichtung des Volkes, an einer Volksdichtung. Eben diese seit der frühen Programmatik der Genie-Ästhetik selbstverständliche Suche ist jedoch gerade in dem Moment der Abfassung des Cid keineswegs mehr der Konsens der Epoche, vielmehr steht Herder mit dieser Programmatik inzwischen alleine da. Entsprechend richtet sich der Cid auch polemisch gegen die ästhetische Produktion Schillers, Goethes und der Romantiker. Nach Ulrich Gaier schien sich Herder gar „bis in die aggressive Spiegelung seiner gedrückten Weimarer Situation hinein [. . .] im Cid wiederzufinden: was er, seine Vorlagen ergänzend und verschärfend, den spanischen Helden an hartem Tadel, Vorwurf und in erzieherischer Absicht sagen lässt, das sagte er durch seinen Text hindurch anklagend dem Herzog Karl August.“34 Für Herder waren die Romanzen um El Cid also nicht nur eine „erhöhte Volkssage“, die er den Epen Homers an die Seite stellte, sie waren zudem gerade aufgrund ihrer inhaltlichen Orientierung dem Ästhetizismus der Epoche Goethes oder Romantik weit überlegen. Eben dies aber hat auch und gerade mit der Inhalts- und Gegenstandsbezogenheit des Stolzes zu tun. Der von Herder betonte Reichtum „an treffenden Szenen, an hohen Empfindungen und Lehren“ zeichnet sich also gerade durch diese Mischung von Inhaltlichkeit und hohem Gefühl aus. Die Romanze als epischlyrische Kurzform ist für Herder also gerade darum von so hoher Relevanz, weil er in ihr die unverstellte „Volksindividualität“ des romantischen, mittelalterlich-christlichen Kulturraumes der Kreuzzüge zu finden meinte, und gerade keine reine Form der Subjektivität.
33 Herder (2000), 802. 34 Herder (1990), 1299.
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Exotischer Stolz oder gespenstische Phantastik? Zur Überblendung von Romanze und Ballade in der Romantik Im Gegensatz zu der verwandten Gattung der Ballade ist der Cid Herders zu Zyklen zusammengestellt, die nicht nur lyrischen, sondern auch epischen Charakter haben. Diese heldenepische Form der Romanze findet sich außer bei Herder auch in Friedrich Schlegels Roland, ein Heldengedicht in Romanzen oder – demselben Thema verpflichtet – Friedrich de la Motte-Fouqués Romanzen aus dem Tale Ronceval. Zudem wählte Herder bei seiner Übertragung der spanischen Romanze wie erwähnt den reimlosen vierhebigen Trochäus, der in vierzeiligen Strophen angeordnet ist. Er verzichtete dabei auf die so genannte Assonanz, also auf den Gleichklang der Vokale, weil „nichts schwerer ist, als die Übersetzung einer simpeln Spanischen Romanze. [. . .] Wenn jede zweite Zeile auf ar endigt und damit im Spanischen prächtig und angenehm in der Luft verhallet, übersetze jemand so etwas in unsere Sprache!“35 Dagegen betont Friedrich Schlegel die Wichtigkeit der assonierenden Romanze für die „altkastilianische Poesie“,36 und auch sein Bruder August Wilhelm Schlegel verwendet in Weiterentwicklung der Herderschen Romanzenstrophe die Assonanz, welche so zum Grundschema der spanischen Romanzenform in der deutschen Romantik wird. Die Romantiker übernehmen also nicht nur den von Herder etablierten Romanzenvers, sondern etablieren mit der Assonanz, d. h. der Wiederkehr der gleichen Vokale, zudem einen spezifischen Romanzenton.37 Trotz dieser formalen Strenge ist jedoch in der Romanzendichtung der Romantiker der von Herder sehr präzise imitierte Gestus dieser altspanischen Gattung kaum mehr anzutreffen. Dies hat vor allem mit der zeitgleichen Karriere der Balladendichtung zu tun, wie diese in Deutschland in erster Linie durch das Werk von Gottfried August Bürger etabliert worden ist. Denn mit dieser Gattung verbindet sich eine Thematik, die dem taghellen Geschehen der altspanischen Romanzendichtung diametral entgegengesetzt ist: Eine unheimliche bzw. gespenstische Phantastik. Vor allem August Wilhelm Schlegel hat in seinem Aufsatz über Bürger diese inhaltliche Differenz der Romanze und der Ballade betont. „Es ist bemerkenswert, dass in diesen südlichen Dichtungen nirgends eine Spur von Gespenstern oder anderen Schreckbildern der Phantasie anzutreffen ist, da in den nordischen Balladen, besonders der Engländer, Schotten und Dänen alle Schauer der Geisterwelt kalt und leise und um so erschütternder ins Leben hinüberwehen.“ Eine zweite, eher formale Unterscheidung dieser beiden Formen nimmt Schlegel dann in seinem Aufsatz über Romanzen und andere Volkslieder vor, in welchem er den „leichten Gesang“ der
35 Herder (2000), 244 f. 36 Schlegel (1961), 155. 37 Ohlischläger (1926), 8 f.
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Romanze hervorhebt und zudem betont, dass die überlieferten Romanzen „nur ein einziges Silbenmaß“, d. h. „eine sehr mannigfaltige, aber untereinander ähnliche“ Form hätten. Was Schlegel also an der Gattung zum Merkmal bestimmt, ist deren Form und Musikalität, wodurch sich die Romanze vom normalen „Volksgesang“, wie diesen „wohl alle nicht ganz verwahrlosten Nationen“ entwickelt hätten, unterscheide. Mit Blick insbesondere auf die nordischen „Volks-Romanzen“ heißt es weiter: „Von ganz verschiedener und eigener Gestaltung aber sind die spanischen Romanzen“, da diese „ganz für sich existieren“, aber auch „nach einer ganz anderen Verwandtschaft hinweisen, nämlich mit dem Arabischen“. Diese Form der Exotik ist offenbar entscheidend: „Ich sehe in den nordischen Romanzen nirgends eine Spur des Verkehrs mit diesen südlichen Dichtungen, keinen Übergang von den einen zu den anderen, und glaube vielmehr, dass die spanischen Romanzen außer Landes gar nicht bekannt geworden, noch den mindesten Einfluss gehabt.“ Zieht man nun als Überprüfung dieser von Schlegel betonten Differenz eine der romantischen Romanzen etwa Eichendorffs heran, dann wird deutlich, wie wichtig für diese die erwähnten Balladenstoffe, also die „Schauer der Geisterwelt“ sind. Schon die Titel wie etwa Das zerbrochene Ringlein oder Waldesgespräch verdeutlichen diese Affinität zum Märchenhaft-Unheimlichen der Ballade, eine vergleichbare Thematik findet sich aber auch in jenem Gedicht Eichendorffs, welches ausgerechnet mit dem Titel Romanze überschrieben ist: „Felsen, Bäume, Blumen, Sterne, Nacht, so zaubrisch aufgegangen! Ach, wie schön, hinauszutreten In den Duft der Pomeranzen, Kennend weiter kein Verlangen, Als den Duft nur nach Verlangen. Seiden wallende Gewande, Edelstein, Rubin, Smaragden, Nicht noch löß ich euch vom Leibe, Von den Locken, weißen Armen; Denn nicht Zierrat seid ihr mir nur, Mit mir scheint ihr aufgewachsen, Eine hold verträumte Blume, Von der Tage Strahl erblassend; In der Dunkelheit der Nächte Mildes Glänzen gern entfaltend, Felsen, Bäumen, Blumen, Sternen, Wie ich liebe, süß zu sagen.“ Also sprach Viola, die mit Goldnen Sternen liebt zu wachen; Denn ein wunderbares Singen Wohnte lange in dem Tale.38
38 Eichendorff (1987), 41.
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Auch andere Romanzen Eichendorffs wie das Waldesgespräch, jene die LoreleyThematik variierende Ballade Die verlorene Braut oder die Wiedergängerromanze Der Reitersmann lesen sich als Variationen dieser gespenstischen Motivik: Es sind eben jene typisch romantischen „Schreckbildern der Phantasie“, sind „Schauer der Geisterwelt“, wie sie nach Schlegel den „nordischen Balladen“ entlehnt, der von Herder etablierten altspanischen Romanze dagegen gänzlich fremd sind. Dass dies für die Romanzendichtung der Romantik charakteristisch ist, zeigt nun auch das Werk Ludwig Tiecks, in welchem ebenfalls dieser Balladenstoff dominiert, obwohl Tiecks zwischen 1799 und 1804 entstandenen Gedichte dezidiert als „Romanzen“ begriffen wurden.39 Zieht man den eigentlichen Höhepunkt der Tieckschen Romanzendichtung heran, die als Allegorie der ‚romantischen Poesie’ fungierende „Romanze“ als Protagonist des Lustspiels Kaiser Octavianus aus dem Jahre 1804, dann wird dies deutlich. Im sogenannten „Prolog“ wird der „Aufzug der Romanze“ als „wunderbares Bild“ beschrieben; sie selbst stellt sich vor als Kind von „Glaube“ und „Liebe“, zu denen wiederum „Tapferkeit“ und „Scherz“ gesellt sind. Im Romanzenvers sprechend, ist sie von Tieck gedacht als Allegorie der romantischen Poesie, wobei wiederum die Nähe zur Balladenthematik, d. h. zum GespenstischPhantastischen betont wird. Denn die den „Prolog“ schließenden Verse lauten: Mondbeglänzte Zaubernacht, Die den Sinn gefangen hält, Wundervolle Märchenwelt, Steig’ auf in der alten Pracht!
Man kann an dieser Begriffsverwirrung ermessen, wie wichtig für ein angemessenes Verständnis dieser altspanischen Gattung Herders ein Jahr später erschienener Cid ist, denn vor diesem wichtigen Werk ist die romantische Romanzendichtung noch sehr weit entfernt von der spanischen Romanze als einer Gattung des erzählenden Gedichts, in deren Mittelpunkt das taghelle Geschehen des spanischen Unabhängigkeitskampfes steht. Bei Tieck etwa dominiert eindeutig die phantastische Balladenmotivik, wie dies neben den Romanzen Das Wasser, Die Rose und Die Lilie aus dem Jahre 1803 auch die Romanze Die Zeichen im Walde verdeutlicht. Dabei handelt es sich um Tiecks längste Romanze, deren Bekanntheit sich in erster Linie dadurch erklärt, dass die hundertvierzehn verszeiligen Strophen von einer durchgehenden u/e-Assonanz geprägt sind. Inhaltlich dagegen dominiert schon in der ersten Strophe eine eher unheimlich-balladeske Stimmung: O mein Sohn, wie gräßlich heulend Klagt herauf vom Moor die Unke! Hörst du wohl die Raben krächzen? Die Gespenster in dem Sturme?
39 Staub (1970), 59–60.
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Diese Elemente des Schrecklichen und Schaurigen dominieren das ganze Gedicht, welches die Geschichte vom Teufelsbund des alten Wulfen und dem Versuch des Sohnes erzählt, den Vater zu erlösen. Dieser Ritter begegnet den Angstvisionen seines Vaters solange mit rationalisierender Argumentation, bis sich die Ängste tatsächlich bewahrheiten, der Teufel den Vater wegen einer alten Schuld holt: Um eine geliebte Frau zu gewinnen, hatte Wulf seinen besten Freund ermordet, um der Entdeckung und Verurteilung zu entgehen, verschrieb Wulf seine Seele dem Teufel. Der ritterliche Sohn kann seinen Vater vor der Verdammnis retten, wenn er drei Zeichen aus dem dunklen Walde sammelt, dass letzte dieser Zeichen ist jedoch der Teufel selber, der schließlich die Seele des alten Wulfen mit sich nimmt. Daraufhin erwacht der Sohn am nächsten Morgen und führt zur Sühnung für die Schuld seines Vaters das Leben eines büßenden Eremiten. In dieser schaurigen Geschichte zeigt sich Tiecks Orientierung an der nordischen Ballade, auf die vom Stofflichen her auch die restlichen wichtigen „Romanzen“ Tiecks verweisen: Der getreue Eckart aus dem Jahre 1799, sowie Tiecks drei letzte „Romanzen“, die Gegenstände aus der germanischen Sagenwelt behandeln: Siegfrieds Jugend, Siegfried der Drachentödter und Weland aus dem Jahre 1803. Auffällig verlässt Tieck mit ihnen auch den Romanzenvers und die Assonanz: Wir hören große Wunder Vom klugen Weland sagen, Sein Vater, Riese Vade Bracht’ ihn in jungen Tagen Zu Mimer, dem verständgen, Dem Schmid im dunkeln Than, Dann kam Weland zu Zwergen, Wo er mehr Kunst gewann. Zum König Nidung ging er, Sein Ruhm war weit bekannt, Er wirkte schöne Schwerdter, Und manchen Schildesrand. Und Messer, wunderkünstlich, Auch Becher goldner Pracht, Er wurde für den klügsten Und besten Schmid geacht’t. Durch Welands Weisheit siegte Nidung, vom Feind gequält, Drum ward des Königs Tochter Dankbar dem Mann vermählt.
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Als nun der Feind geschlagen, Weland zum König trat, Doch zürnend hörte dieser Nicht, was der Schmid ihn bat.40
Die Sage von Wieland, dem Schmied ist bekannt. Tieck folgt ihr, wie in den beiden Siegfried gewidmeten Gedichten der Siegfriedsage, weitgehend stoffkonform, so dass ich das Zitat hier abbrechen kann. Ein wenig anders verhält es sich im Falle des Getreuen Eckart, einer Romanze, welche gleichfalls ins Dämonische und Tragische ragt und disparate Stoffelemente der Volkssage und der Heldensage zu verbinden sucht. Neben dieser Inhaltlichkeit gesellt sich formal der Hildebrandston, „der zur oft benutzten Variante der Nibelungenstrophe in der Volksballade, im Volks- und Kirchenlied wird“, wobei die Langzeile verloren ging und eine achtzeilige Strophe entsteht. Zwar haben wir es bei Tieck nur mit vierzeiligen Strophen zu tun, ein genaueres Nachlesen zeigt jedoch, dass sich zumeist zwei Strophen leicht zu einer achtzeiligen Einheit verbinden lassen. Ganz deutlich bereits beim Übergang von Strophe 1 zu Strophe 2, denn die erste Strophe endet ohne Satzzeichen, ist also schon von der Zeichensetzung her als unvollständig zu erkennen. Das romantische intensive Interesse an der spanischen Romanze geht also nun über Herders Versuch der Nachbildung deutlich hinaus, führt von der anregenden Vorlage weg zur poetischen Allegorisierung oder nimmt andere, der Balladengeschichte inzwischen eingeschriebene Einflüsse, inhaltliche Elemente der nordischen Ballade auf und wechselt schließlich sogar den Romanzenton zugunsten einer in die deutschsprachige Literatur des Mittelalters zurückweisende Strophenform. Kaum dagegen wird auf Motive spanischer Romanzen zurückgegriffen, sieht man ab von Tiecks später Novelle im Romanzenton mit dem Titel Die Glocke von Aragon, die eine Episode der spanischen Geschichte zum Gegenstand hat. Stärker zeigt sich der Einfluss Herders dagegen in der Romanze „Nach Sevilla, nach Sevilla“ aus Clemens Brentanos Lustspiel Ponce de Leon, vor allem aber in den Romanzen vom Rosenkranz. Dieser ca. 3000 Strophen umfassende Romanzenzyklus behandelt die blutschänderische Liebe in einer Familie und die daraus entstehende, sich vererbende Sünde, die schließlich durch Begnadung, die Stiftung des katholischen Rosenkranzes gelöst wird.41 In des ernsten Tales Büschen Ist die Nachtigall entschlafen, Mondenschein muß auch verblühen, Wehet schon der Frühe Atem. Jetzt auch hält auf stummen Hügeln Einsam freudig seine Wache Phosphoros, der Held der Frühe,
40 Tieck (1967), 283 f. 41 Heinrich Heine sah auch deshalb in seiner Romantischen Schule 1833 in Clemens Brentano „ . . . ein korrespondierendes Mitglied der katholischen Propaganda“, vgl. : Heine (1973), 214.
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Strahlend, ernsthaft, sinnend, harrend. Und es geht mit leisen Füßen, Daß der Vater nicht erwache, Rosablanka aus der Hütte, Um die Sonne zu erwarten. Nieder sitzt sie an der Türe Und blickt betend in den Garten, Ehe noch mit grauem Flügel An dem Dach die Schwalbe raschelt. Auf den Schattenkelchen glühen Milden Taues Diamanten; Sind es Tränen, sind es Küsse, Ist’s der Glanz prophet’scher Flammen? „Morgenstern, o sei gegrüßet Du, Maria, voll der Gnaden, Bitte für uns arme Sünder Jetzt und in dem Tode, Amen!“ spricht sie – und vom Stern der Frühe Weissagt auch die fromme Schwalbe, Und des Traumes schwülen Flügel Spannt sie über Rosablanken.42
Heinrich Heines Romanzero: Jehuda ben Halevy und der Stolz Jerusalems Erst bei Heinrich Heines Adaption der Romanzenstrophe spielt das exotische Motiv des kastilianischen Stolzes wieder eine der Dichtung Herders vergleichbar wichtige Rolle. Heines Romanzendichtung steht im Vergleich zur romantischen Rezeption zudem in einem weit stärker politischen Bezug, was vor allem drei wichtige Werke verdeutlichen: das satirische Versepos Atta Troll, welches erstmals 1843 in der von Heines Freund Heinrich Laube redigierten Zeitung für die elegante Welt erschien, das Versepos Bimini, welches um 1853 entstanden und 1869 erstmals veröffentlicht worden ist, und natürlich der 1851 erschienene Gedichtzyklus Romanzero. Vor allem aber sind alle drei Werke geprägt durch die kritische Auseinandersetzung Heines mit der romantischen Tradition: Schon im Atta Troll verweisen Motive wie etwa die Gespenster-, Feen- und Götterwelt, aber auch die ironische Brechung der epischen Haltung auf die Romantik zurück, entsprechend finden sich schon im Atta Troll poetologische Kommentare zum 42 Brentano (1994), 17–18.
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Selbstverständnis und zur Wirkung der Romantik. Wenn Heine dabei in der letzten Strophe auf „Chamisso / und Brentano und Fouqué“ verweist, und mit diesen auch „die Klänge / Aus der längst verschollnen Traumzeit“ wehmütig erinnert, dann bezieht sich dies auf eben jene Romanzenform, wie sie auch Heine verwendet, und welche durch Heine eine ganz eigene Berühmtheit erlangt hat: die reimlosen Vierzeilern aus vierfüßigen Trochäen. Dass Heine diese Form schon im Atta Troll als im Grunde „verschollen“ ansah, zeigt jedoch auch an, dass die Romanzenform schon zu dieser Zeit kurz vor dem „Ausverkauf“ steht, an Substanz eingebüßt hat. Zieht man die frühen Romanzen der 1820er Jahre heran, also Gedichte wie etwa Ständchen eines Mauren (1821), Donna Clara (1823), Almansor (1825), Auf den Wällen Salamankas (1824) oder Neben mir wohnt Don Henrique, dann gewinnt die wehmütige Kombination von Jugenderinnerung und Romanzenform aus dem Atta Troll an Deutlichkeit. Donna Clara etwa geht auf eine Verseinlage mit dem Titel Donna Clara und Don Gayferos aus Fouqués Roman Der Zauberring zurück, diese frühesten Romanzen Heines stehen also in einem fast epigonalen Bezug zur deutschen Romantik. Schon in Donna Clara aber wird zudem deutlich, dass sich Heines Verhältnis zur Romanze von den romantischen Autoren ganz eindeutig unterscheidet. Wie Fouqué in seiner Romanze aus dem Zauberring, so macht auch Heines Romanze die Beziehung einer christlichen Dame zu einem andersgläubigen zum Inhalt. Dieser Andersgläubige ist bei Heine jedoch kein „Mohrenkönig“, also ein Maure, sondern der Sohn eines Rabbi in Saragossa, also ein Jude: „Horch! Da ruft es mich, Geliebter, Doch, bevor wir scheiden, sollst du Nennen deinen lieben Namen, Den du mir so lang verborgen.“ Und der Ritter, heiter lächelnd, Küßt die Finger seiner Holden, Küßt die Lippen und die Stirne, Und er spricht die langen Worte: „Ich, Sennora, Eu’r Geliebter, Bin der Sohn des vielgelobten, Großen, schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa.“43
Dass das Motiv des Stolzes schon in diesen frühen Romanzen von zentraler Bedeutung ist, wird wohl insbesondere angesichts dieser Figur des Fremden deutlich, welchen Heine der Vorlage Fouqués entnahm, aber zugleich auf sein eigenes Schicksal übertrug. Wieviel all jener frühen Erfahrungen antisemitischer Hetze, wie sie Heine zu ungefähr dieser Zeit als Bonner Student in der sogenannten „Hep-Hep43 Heine (1975), 316–317.
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Bewegung“ erfuhr, in diese früheste Romanze einging, zeigen die leitmotivisch wiederholten antisemitischen Äußerungen der Donna Clara über die „Judenrotten“, die „gottverfluchten Juden“ oder das „schmutz’ge Judenvolk“. Wie wichtig demgegenüber nun der Stolz ist, zeigen die Reaktionen des von Donna Clara geliebten jüdischen Ritters, der jeweils mit einem gutmütigen, von „freundlich kosenden“ Gesten getragenen Vers antwortet: „Laß die Mücken und die Juden“ (Vers 33), „Laß den Heiland und die Juden“ (Vers 45), „Laß die Mohren und die Juden“ (Vers 57). Es deutet sich damit hinsichtlich der Beschäftigung Heines mit der Romanzenform eine Motivation an, die ihren Höhepunkt eindeutig im Romanzero erlangen wird. Zwar fehlt diese Überblendung von jüdischer Thematik und spanischer Heldenballade im Versepos Atta Troll, welches zwischen 1841 und 1847 entstand. Dieses fällt also in eine Phase, in welcher Heines Engagement für die Emanzipation der Juden sowie die Kritik am christlichen Antisemitismus fehlt bzw. durch sein weiter gefasstes politisches Engagement ersetzt wird. Heines kritische Auseinandersetzung mit einer nach eigener Einschätzung spezifisch jüdisch-christlichen Sinnenfeindlichkeit, wie diese im Begriff des „Nazarenertums“ formuliert wurde, lässt ihn jedoch auch in dieser Zwischenphase keineswegs blind werden für den Antisemitismus des neunzehnten Jahrhunderts. Entsprechend kehrt Heine 1848 zurück und identifiziert sein Schicksal mit dem des jüdischen Volkes, wie dies vor allem dem dritten Teil seines Romanzero, den sogenannten Hebräischen Melodien zu entnehmen ist. So etwa beginnt die äußerst identifikatorische Romanze Jehuda ben Halevy: „Lechzend klebe mir die Zunge An dem Gaumen, und es welke Meine rechte Hand, vergäß’ ich Jemals dein, Jerusalem – “ Wort und Weise, unaufhörlich Schwirren sie mir heut im Kopfe, Und mir ist als hört ich Stimmen, Psalmodirend, Männerstimmen – Manchmal kommen auch zum Vorschein Bärte, schattig lange Bärte – Traumgestalten, wer von euch Ist Jehuda ben Halevy?
Heines Spätwerk ist geprägt durch jene komplexe Krankheit, jener Mischung aus Kopf- und Augenleiden sowie einer bis zur Lähmung reichenden Rückenmarkserkrankung, die das bekannte Wort von der „Matratzengruft zu Paris“ erklärt, wie Heine sein Krankenlager nannte. Mitte Oktober 1851 erscheint als poetisches Resultat dieser Krankheit der Gedichtband Romanzero, dessen drei Bücher Historien, Lamentationen und Hebräische Melodien samt dem Nachwort ein Spätwerk hervorbringen, das durch Heines Umgang mit seiner Krankheit und der Todesnähe
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gekennzeichnet ist. Uns interessiert vor allem das dritte Buch des Romanzero mit dem Titel Hebräische Melodien. Dieses widmet sich dem Jehuda ben Halevy aus Tudela (1075–1141), einem spanisch-jüdischer Dichter der Zions-Lieder, der unverkennbar eine Identifikationsfigur für Heine darstellt. Neben diesem identifikatorischen Impuls steht jedoch ein deutlich didaktisches Interesse Heines daran, die jüdische Tradition in die deutschsprachige Literatur einzuführen. Vielfache Zitate aus dem jüdischen Ritus und der literarischen Tradition lassen sich daher in den Hebräischen Melodien finden: Der Knabe Jehuda erhält Unterricht „mit dem Gottesbuche, der Thora“,44 einer „altcaldäischen Quadratschrift“, Erwähnung findet zudem der „Schalscheleth“, eine musikalische Vortragsweise der Tora, oder der Targum Onkelos, d. h. die aramäische Übersetzung der Tora.45 Diese Erwähnung einer jüdischen Tradition dürfte im Unterschied etwa zu Herders Interesse am CidStoff weniger dem exotischen Effekt dienen, sondern den Leser neben der Fremdheit zudem mit der kulturellen Größe der jüdischen Tradition konfrontieren. Dies zeigt etwa die Darstellung der Kindheit Jehuda ben Halevys, seine Erziehung durch Tora und Halacha Talmud, vor allem aber die emphatische Einschätzung Halevys als „großer Dichter“, in dem sich unschwer jene heroischen Züge erkennen lassen, wie sie ursprünglich dem Cid als dem Prototyp der Romanzendichtung zugeschrieben wurden: Halevy ist wie dieser ein Befreier seines Volkes: Und Jehuda ben Halevy Ward nicht bloß ein Schriftgelehrter, Sondern auch der Dichtkunst Meister, Sondern auch ein großer Dichter. Ja, er ward ein großer Dichter, Stern und Fackel seiner Zeit, Seines Volkes Licht und Leuchte, Eine wunderbare, große, Feuersäule des Gesanges, Die der Schmerzenskarawane Israels vorangezogen In der Wüste des Exils.“46
Auch die Assoziation Jehuda ben Halevys mit der mittelalterlichen Minnelyrik weist in diese Richtung einer den jüdischen Nationalstolz tragenden Größe, denn nun tritt Jehudas Geliebte in den Mittelpunkt: Jerusalem. Die Klage des „ewigen Juden“ gilt also
44 Heine (1992), 131. 45 Ebd. 46 Ebd., 135.
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der Zerstörung Jerusalems47 bzw. ruft die „Sehnsucht nach Jerusalem“ hervor.48 Heine entfaltet das Bild einer Dichtung, deren Größe in der Darstellung der jüdischen Leidensgeschichte besteht. Gegenüber etwa der „lustbetonten Welt des Odysseus“ liegt die Lyrik Jehudas ben Halevy zwar „am Boden elend,/Krüppelelend“, die derart entstandenen Lieder sind jedoch „Tränenperlen“, weil sie aus “Jerusalems Zerstörung“ hervorgegangen sind. Am Ende steht der durch einen Sarazenen verursachte Tod Jehuda ben Halevys auf den Ruinen, sein Empfang im Himmel sowie die Bereitschaft Heines, sein ursprünglich hellenisches Dichtungsverständnis zu revidieren, also wie Jehuda “ein traurig armes Liebchen“ zu lieben, der „Zerstörung Jammerbild, / Und sie heißt Jerusalem.“49 Damit begibt sich Heine in eine lange Tradition großer Dichterschicksale: Genannt werden Moses Ibn Esra, Adalbert von Chamisso oder Ben Gabirol. Was Heine mit diesen Figuren verbindet, ist der Umstand, dass sie ihre Kunst mit Tod und Erniedrigung bezahlt haben: Jehuda wurde auf einer Wallfahrt getötet, Gabirol wurde in Cordoba ermordet, Esra musste als Sklave Kühe melken. Heines Romanzero endet also mit einer Deutung jüdischen Dichtertums als eines Lebens im Exil, aber auch mit der utopischen Aussicht auf eine Metamorphose der Dichterfigur im Zeichen jener heroischen „Feuersäule des Gesanges“. Anstelle des Gottes tritt also der Dichter, der sein jüdisches Volk durch die Wüste des Exils führt. Dichtung tritt so an die Stelle der Tora, die Zionslieder Jehuda ben Halevys identifizieren entsprechend der jüdischen Tradition als vollwertigen Bestandteil einer aufgeklärten deutschen Kultur, die es zu kennen gilt: Rathen möchte’ ich dir, Geliebte, Nachzuholen das Versäumte Und hebräisch zu erlernen – Laß Theater und Conzerte, Widme ein’ge Jahre solchem Studium, du kannst alsdann Im Originale lesen Iben Esra und Gabirol Und versteht sich den Halevy Das Triumvirat der Dichtkunst, Das dem Saitenspiel Davidis Einst entlockt die schönsten Laute50
47 48 49 50
Ebd., 140. Ebd. Ebd., 138. Ebd., 151.
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Namensregister Acciaiuoli, Donato 39 Adán, Juan 104 Aegidius Romanus 37 Agustín, Antonio 63, 64, 68 Agustín, Francisco 104 Aladrén Perojo, Emilio 211 Albarez, Domingo > Alvarez, Álvarez 106 Albertus Magnus (Alberto Magno) 36 Alciatus, Andreas 59, 63 Alfaro, Pedro de 76, 80, 82 Alfons XIII., König v. Spanien 183 Alfonso de Cartagena, siehe Cartagena Alores, Giuseppe 105 Alvarez, Domingo 104 Álvarez, Domingo 106, 107 Amantig (Amantius), Bartholomäus 5, 17, 57–60, 63, 64, 66, 69 Amantius, siehe Amantig Amoretti, Carlo 154 Annius von Viterbo 65, 68 Apianus, siehe Bienewitz, Peter Araos San Martín, Jaime 43 Arévalo, siehe Sánchez Arce de Otálora, Juan de 40 Aristóteles 4, 16, 25–37, 41–53, 244 Artigas Ferrando, Miguel 220 Astorgano Abajo, Antonio 137 Avanzo, Francesco 6, 18, 78, 79, 81–84, 91, 92, 94 Augustinus von Hippo 68 Augustus, Kaiser 165, 166, 173, 181, 196, 197, 232 Bachelier, Jean-Jacques 142, 145, 147, 153 Barreiros, Gaspar 68 Barros, João de 79 Bastian, Adolf 218 Batllori, Miguel 137 Batoni, Pompeo 107, 108, 125 Becker, Philipp Jacob 108 Benedikt XIV., Papst 102 Benzoni, Girolamo 86 Berger, Ernst 140 Berosus, siehe Pseudo-Berosus Beyer, Roswitha 138, 146, 148, 150 Bicchierai, Antonio 123 https://doi.org/10.1515/9783110651997-012
Bienewitz (Apianus), Peter 5, 17, 57–60, 63, 64, 66, 69 Böttiger, Carl August 136, 138, 142, 148, 150 Borobio Ojeda, José 200, 214 Borobio Ojeda, Regino 214 Bosch Gimpera, Pedro 10, 22, 219–222, 224–226, 228, 229, 233, 234 Boucher, François 124 Brentano, Clemens 255, 256 Brulius, Joachim 76 Bruni, Leonardo 38, 39 Büll, Reinhard 138, 142 Burckhardt, Jacob 227, 228 Burgersdijk, Franco Petri 42 Buridan, Jean (Johannes) 36, 37 Burton, Robert 66 Cabanas Erauski, Juan 200, 208 Caiado, Henrique 68 Calau, Benjamin 148, 150 Camarón, José 104 Camerarius, Joachim 39 Cannizzaro, Vicenzo 105 Carnicero, Antonio 104, 105 Carnicero, Isidro 104 Carofano, Pierluigi 144 Carpenter, Rhys 225, 234 Cartagena, Al(f)onso (Garcia de Santamaria), de 38 Casanova, Guillermo 104 Castillo, José del 100, 102, 104–106 Castrovol, Pedro de 39 Cataldo Sículo 68 Catilina, Lucius Sergius 229 Cauquelin, Anne 43 Celtis, Konrad 58, 59 Chiozzi, Francesco 111–114 Ciano, Gian Galeazzo 202, 207, 208, 214 Ciriaco d’Ancona 63–65 Clemens XIII., Papst 108 Cochin, Charles-Nicolas 153 Comte de Caylus, Anne Claude Philippe de Thubières 142, 143 Conca, Sebastiano 123 Conring, Hermann 37 Contarini, Niccolò 65 Covarrubias Orozco, Sebastián de 36, 38, 41
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Namensregister
Corvi, Domenico 125 Cruz, Gaspar da 76 Cruz, Alejandro de la 104 D’Alconzo, Paola 139 Dance, Nathaniel 106 Danhauser, Peter 58 De Azara, José Nicolás (Niccola) 154 De los Ríos, José Amador 172 De Luca, Lucien 68 Décultot, Élisabeth 131, 134, 135, 137, 139, 150, 154 Degle(r), Josef 105 Depew, David J. 50 Deswarte-Rosa, Sylvie 63, 68 Díaz Andreu, Margarita 171, 173 Díaz de Vivar, Rodrigo 243 Diderot, Denis 142, 144 Donner von Richter, Otto 141, 145 D’Ors, Álvaro 172 D’Ors Pérez-Peix, Víctor 163 D’Ors Rovira, Eugeni 197 Durán, Gabriel 104, 105 Dürer; Albrecht 59 Eichendorff, Joseph von 252 Emilio, Paolo (Paul Emile) 81 Eraso, Manuel 104, 105 Escalante, Bernardino de 79, 91 Espinosa, Carlos 104 Faria y Sousa, Manuel de 65 Favilli, Luigi 117, 118, 120 Fea, Carlo 154 Felden, Johann von 37 Ferdinand, Erzherzog v. Tirol 88, 89 Fernández, Miguel 104 Fernbach, Franz Xaver 138, 139 Fesel, Christoph 105 Ficino, Marsilio 99 Folch, Jaime 104 Franco Bahamonde, Francisco 162, 195 Fratrel, Joseph 148, 149 Frezza, Domenico 123 Frobenius, Leo 10, 22, 222–224, 233 Füger, Heinrich Friedrich 120, 121, 123 Fugger, Anton, der Ältere 58, 59, 63, 88 Fugger, Raymund 5, 17, 58, 59, 63 Fumagalli, Angelo 154
Galón, José 104 García de Jalón Hueto, Ángel Hilario, siehe Jalón, Ángel García de la Huerta, Pedro 139, 141, 144 Gentile, Emilio 161 Georg I. (der Fromme), Landgraf von HessenDarmstadt 84 Giffen, Hubert van 37 Gilken, Peter 37 Gillot, Claude 124 Giménez Caballero, Ernesto 166, 168, 195, 196 Ginés de Sepúlveda, Juan 37 Goebbels, Joseph 198, 199 Goll, Gottlieb 41 González Velázquez, Antonio 104 Gregor XIII., Papst 79 Giménez Caballero, Ernesto 166, 168, 195, 196 Giocondo, Fra Giovanni 59 Girón de Velasco, José Antonio 183 González Germain, Gerard 62, 63, 65, 67, 68 Guastaferro, Antonio 105 Gučetić, Nikola Vitov 39 Guerra, José 104 Guevara, Antonio de 40 Gutiérrez, Francisco 104 Gutiérrez (de) Soto, Luis 169, 174, 177 Haan, Ignacio 104 Hadrianus, Publius Aelius, röm. Kaiser 165, 196 Haliburton, Robert Grant 218 Hartmann, Ludo Moritz 230, 231, 233 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 240 Heider, Wolfgang 41 Heidmann, Christoph 37 Heine, Heinrich 11, 12, 23, 24, 254, 256–259 Heemskerck, Maarten van 100 Herodot (Heródoto) 27 Hermosilla, José de 104 Henning, Markus 75, 78 Hercules 65 Herder, Johann Gottfried 11, 12, 23, 24, 239, 244, 246 Hermann, Albert 222 Herrera, Juan de 169, 178, 190炙 Heyne, Christian Gottlob 154 Hitler, Adolf 197–199 Hoffnass, Johann 105, 106 Horaz 66
Namensregister
Huarte de San Juan, Juan 40 Hübner, Emil 60–63 Humboldt, Alexander von 68, 69 Isabella, Königin v. Kastilien 161, 175 Isidor v. Sevilla (Isidoro de Sevilla) 39 Ignatius, Martin 80, 82 Isokrates (Isócrates) 47 Jalón, Ángel 176 Javelli, Crisostomo 39 Jenofonte, siehe Xenophon 47 Kahl, Johann 41 Kahn Nussbaum, José Máximo 224 Karl V., Kaiser 9 Karl I., König v. Spanien 175 Karl III., König v. Spanien 103 Keith, Arthur Berridale 218 Keller, Balthasar 42 Kellner, Johann 5, 18, 75, 78, 82–92 Kessel, Johannes 37 Kindermann, Dominik 105 Klotz, Alfred 221 Knoller, Martin 105 Konstantin I., röm. Kaiser 231 Kupelwieser, Leopold 120, 121 Lambin, Denis 37 La Puente, Juan de 65 Laetus, siehe Pomponius Landi, Benedetto 117 Las Casas, Bartolomé de 86 Lefèvre d’Étaples, Jacques 39 Livius, Titus 81 Loarca, Miguel de 76 Lois de Monteagudo, Domingo 104 López Otero, Modesto 180, 183 Lucanus, Marcus Annaeus 196 Luchini, Pietro 124 Ludovicus Valentia 37 Lünenschloß, Clemens Anton 123 Maella, Mariano Salvador 104, 105 Maffei, Paolo Alessandro 118 Maffei, Raffaelle 39 Majault, Michel Joseph 142, 143 Malfanti, Genesio 39 Mantegna, Andrea 59
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Manuel I., König v. Portugal 66炙 Maquiavelo 36 Marín, Jerónimo 76, 79 Marín, Pedro 38 Marineo Sículo (Marinaeus Siculus), Lucio 65 Maron, Anton von 102–105 Martial(is), Marcus Valerius 196 Martínez, Antonio 104 Masdeu, Juan Francisco 171 Matal (Metellus), Jean 63 Maximilian I., Kaiser 57 McClelland, John S. 28 McKeon, Richard 26 Meier, Gebhart Theodor 42 Melanchthon, Philipp 39 Mengs, Anton Raphael 7, 99–127 Méndez, Diego 186 Mendoza, Juan González de 5, 6, 18, 76, 77, 79–85, 87–94 Meyhoff, Carl 141 Miller, Fred D. 47 Moerbeke, Guillermo (Wilhelm) de 35, 36, 41 Momigliano, Arnaldo 68 Monnoyé, [Bernard de la] 142 Moravus, Valentinus 64, 66, 67 Moser, Georg Michael 116 Morales, Ambrosio de 65, 171 Morente, Manuel García 221 Moya Blanco, Luis 164, 183 Muguruza Otaño, Pedro 167, 186, 187 Mussolini, Benito 161, 165, 170, 173, 174, 197, 202, 214 Münzer, Hieronymus 66 Nahl, August 105 Nápoli, Manuel 104 Natoire, Charles-Joseph 125 Navarchus, Jacobus 67 Navarro, Agustín 104 Nebrija, Antonio de 65 Nelken Mansberger de Paul, Margarita 229 Nikolaus V., Papst 64 Nostredame (Nostradamus), Michel de 67 Obermaier, Hugo 10, 22, 218, 219, 225 Ocampo, Florián de 65, 171 Oresme, Nicole (Nicolás) 35, 36 Ortega y Gasset, José 10, 22, 217 Ortelius, Abraham 65, 67–69, 91
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Namensregister
Osório, Jerónimo, siehe Osorio, Jeronimo Osorio, Jeronimo 89 Ott, Martin 58, 59 Palacios Ramilo, Antonio 169 Panci, Pietro Paolo 106 Pereira, Galeote 76 Pérez de Castro, Juan 104 Peutinger, Konrad 59, 62, 67 Philipp II., König v. Spanien 86 Piccart, Michael 41 Pinto, Fernão Mendes 76 Pisanello, Antonio 100 Platon (Platón) 30, 32, 35, 44 Plinius Secundus d. Ä., Gaius 135 Plutarch 81 Poilly, Nicolas de 120 Polo, Marco 89 Pomponius Laetus 63 Porretta, Giovanni 117, 118, 121 Preciado de la Vega, Francisco 99–127 Primo, Antonio 104, 105, 126 Primo de Rivera, José Antonio 165, 186, 187, 202, 204, 208 Prudentius 173 Pseudo-Berosus 65 Ptolemaeus, Claudius 89 Pusini, Pietro 117 Quadal, Martin Ferdinand 109 Quatremère de Quincy, AntoineChrysostôme 139 Quintilian(us), Marcus Fabius 173 Ricciolini, Michelangelo Maria 123 Ricciolini, Nicolò 123 Rada, Martín de 76, 79, 80, 82 Raffael (Raffaello Sanzio) 125 Raimondi, Marcantonio 125 Ramos, Francisco Javier 104 Ramus, Petrus 39 Randon, Claude 118 Reiffenstein, Johann Friedrich 148 Reina de la Muela, Diego de 164, 190 Requeno y Vives, Vincenzo (Vicente) 8, 19, 20, 131 Rice, Danielle 143 Ridruejo Jiménez, Dionisio 165, 199 Riem, Andreas 150
Roa, Fernando de 39 Rosenberg, Arthur 229 Rossi, Mariano 123 Rubens, Peter Paul 100 Rus Rufino, Salvador 4, 16 Salesa, Ventura 104 Sambricio Rivera-Echegaray, Carlos 170 Sánchez de Arévalo, Rodrigo 38 Schinkel, Karl Friedrich 197 Schlegel, August Wilhelm 240, 243, 250, 251 Schlegel, Friedrich 11, 23, 250 Schmid, Hans 135, 136, 139, 141, 148, 154 Schneider, Johann Gottlob 37 Schöpf, Joseph 105 Schuchardt, Carl 226 Schulten, Adolf 10, 22, 219–223, 225, 226, 228, 229, 233 Schütz, Michael 37 Schwartz, Eduard 227, 232, 234 Seeck, Otto 230 Seneca, Lucius Annaeus 165, 171, 173, 196 Sepúlveda, siehe Ginés de Sepúlveda Serna, Víctor de la 163 Serrano Súñer, Ramón 165, 187, 207, 210 Sertorius, Quintus 228, 229 Siculus, siehe Marineo Sillig, Julius 138, 148 Sivizzeri, Giovanni Battista 117 Sixtus V., Papst 80, 81 Smith, Grafton Elliot 218, 234 Speer, Albert 177, 197 Spengler, Oswald 223 Stile, Leopoldo 105 Sturm, Johannes 37, 249 Tacitus, Publius Cornelius 81 Theodosius I., Flavius, röm. Kaiser 196, 231 Thomas v. Aquin (Tomás de Aquino) 36 Thukydides (Tucídides) 27 Tieck, Ludwig 243, 253–254 Tovar Llorente, Antonio 163, 165, 200 Traianus, Marcus Ulpius, röm. Kaiser 165, 196 Trajan, siehe Traianus Trippel, Alexander 101 Turrisi, Giovanni Battista 105, 117–119 Vasari, Giorgio 100 Vega y Fonseca, Fernando de 80, 82, 83
Namensregister
Vela, Fernando 223 Velasco, Juan Fernández de 80 Vergara Bartual, Francisco 102, 103, 107, 108 Versor, Johannes 37 Vettori, Pietro 37 Villanueva, Juan de 104 Viriatus 173, 228, 229 Von Salis, Arnold 227 Wegele, Franz Xaver 137 Weise, Christian 66, 70 Wellendorfer, Virgilius 39
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Winckelmann, Johann Joachim 7, 8, 19, 20, 131 Wundt, Wilhelm 218 Xenophon 47 Zielinski, Tadeusz 226 Zoffany, Johann 7, 19, 110, 111, 116, 117, 124 Zuccarelli, Francesco 116 Zuccari, Federico 100 Zuccoli, Vincenzo 126
Orts- und Länderregister Alicante 208–210 Altdorf 41 Amsterdam 87 Antwerpen 65, 91 Asien (Osten) 222 Augsburg 58, 101 Babylon 10, 220 Barcelona 64, 101, 167, 207, 219, 222, 225 Berlin 1, 13, 63, 101, 102, 112, 125, 132, 133, 143, 149, 177, 178, 184, 198, 217, 219 Bologna 63, 109, 137, 138 Buenos Aires 217 Burgos 167, 198, 201, 202
Gades (Cádiz) 64, 66, 225 Genua 103, 108 Germany, siehe Deutschland Gijón 183, 184 Grecia (Griechenland) 27, 171 Heidelberg 41 Hispanien, siehe Spanien Ingolstadt 57, 58, 61, 69 Innsbruck 108 Italien (Italy) 8, 62, 100, 137, 138, 161, 162, 164, 165, 169, 172, 173, 189, 196, 198, 202, 207, 214 Jena 41
Cádiz 64–66, 101, 225, 226 Calatorao 137 Cartago (Karthago) 32, 33 Chiappa (Neuspanien) 79, 80 China 5, 6, 18, 75–94 Coimbra 91 Creta (Kreta) 32, 33 Darmstadt 108 Deutschland 1, 4, 8, 11, 67, 94, 150, 161, 162, 169, 170, 172, 173, 190, 191, 218, 224, 239, 241, 242, 250 Dresden 101, 102, 131, 132
Karlsruhe 108, 111, 125 Knossos 10, 220 Köln 91 Konstantinopel 62 Korsika (Corsica) 137 L’Alcúdia (Valencia) 101, 102, 108, 207, 210, 240, 247 Lipari (Sizilien) 80, 226 London 87, 217 Los Angeles 109
El Escorial 164, 168–170, 174, 177, 179, 185, 186, 188, 208–211 England 11 Esparta 32, 33 Estrasburgo, siehe Straßburg 41 Europa 8, 22, 35, 40, 57, 60, 65, 67, 78, 84, 90, 91, 161, 164, 171, 177, 183, 185, 205, 211, 222, 226, 227, 233
Madrid 10, 22, 65, 101, 103, 104, 106–108, 139, 167, 168, 177, 180, 181, 184–186, 202, 205–207, 210–212, 220, 222, 223 Mailand 62, 63, 108, 125, 126, 231 Mainake 225 Málaga 169, 208, 207, 214 Mangu (China) 89 Memphis 10, 220 Mexiko 79 Modena 137
Fermo 108 Ferrara 137, 138 Florenz 103, 108, 111, 115, 116 Frankfurt/M. 78, 84, 86
Neapel 91, 101, 105, 126, 137, 225 Neue-Spanien 190 New York 217 Ninive 10, 22, 220
https://doi.org/10.1515/9783110651997-013
270
Orts- und Länderregister
Numantia (Numancia) 170, 220, 221, 228 Nürnberg (Nuremberg) 66, 101, 198 Osca 228
Spanien (Spain) 1, 4, 5, 9–11, 59, 60, 62–65, 70, 76, 86, 88, 94, 101, 105, 137, 139, 161, 162, 164–166, 168, 170–175, 177, 179, 187, 189–191, 217–220, 222–228, 231, 233, 234, 239, 242, 247
Paris 87, 99, 102, 121, 124–126, 143, 217, 257 Parma 103, 133 Phaistos 10, 220 Philippinen 79 Phokaia 225 Popayan (Kolumbien) 80 Portugal 64, 66–69, 91, 105, 222
Tartessos 10, 22, 217, 219, 220–223, 226, 233 Theben 10, 220 Tivoli 137 Toledo 207, 212 Trier 62 Troja 10, 220
Rom (Rome) 7, 62, 63, 65, 68, 91, 99–108, 111, 117, 118, 120–124, 126, 127, 137, 139, 162, 165, 173, 190, 228, 231, 232
Valencia 101, 102, 108, 207, 210, 240, 247 Valladolid 101 Venedig 69, 87, 131, 133
Saguntum (Sagunt, Sagunto) 170 Santiago de Chile 217 Saragossa 65, 101, 137, 256 Sevilla 39, 91, 102, 106–108, 254
Wien 101, 102, 109, 121, 126, 131, 222 Würzburg 108, 123, 125 Zaragoza, siehe Saragossa 200, 207, 214, 215
Autorenverzeichnis Francisco Arenas-Dolz ist Lizenziat in den Fächern Philosophie und Klassische Philologie an der Universitat de València. Er absolvierte ein Ausbaustudium an verschiedenen europäischen und amerikanischen (Zentralamerika) Universitäten (Turin, Nacional Autónoma de México, Paris IV-Sorbonne, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, University College Stockholm, Bologna, Georgetown). Er erwarb den Doktortitel an der Universität von Bologna und an der Universitat de València (summa cum laude). Er ist associate professor für Ethische und Politische Philosophie an der Universitat de València. Arenas-Dolz war visiting professor am Boston College und Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung (Universität Freiburg). Seine Forschungen umfassen die Gebiete: Geschichte des ethischen und politischen Denkens der Griechen, insbesondere desjenigen von Aristoteles, sowie von dessen moderner und gegenwärtiger Rezeption, insbesondere bei Nietzsche. Roland Béhar ist seit 2014 „Maître de conférences“ an der École Normale Supérieure (ENS-PSL, Paris). Vorher unterrichte er an der Université de Lille. Béhar studierte in Paris an der ENS und an der Sorbonne und war Stipendiat an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und an der Casa de Velázquez (EHEHI) in Madrid. Seit seiner Dissertation zu „Garcilaso de la Vega und die Rhetorik des Bildes“ (2010) konzentriert sich seine Forschung vor allem auf die spanische und neapolitanische Dichtung und Dichtungstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, auf die Rolle der Transformationen im Renaissance-Humanismus und auf die Frage nach den Beziehungen der spanischsprachigen zu anderen Literaturen in der frühen Neuzeit, aber auch in der Gegenwart. Walther L. Bernecker ist Emeritus der Universität Erlangen-Nürnberg. Er studierte Geschichte, Germanistik und Hispanistik und wurde 1976 mit einer Arbeit über den Anarchismus im Spanischen Bürgerkrieg an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg promoviert. 1979 legte er das Zweite Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab. 1979–1986 war er Akademischer Rat am Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg, 1984/85 Fellow am Center for Latin American Studies an der University of Chicago, 1986 habilitierte er sich mit einer Arbeit über europäisch-mexikanische Wirtschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert; 1988–1992 hatte er den Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Universität Bern, 1992–2014 den Lehrstuhl für Auslandswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. 1999–2000 lehrte er auf dem Sonderlehrstuhl Wilhelm und Alexander von Humboldt in Mexiko-Stadt. Bernecker absolvierte zahlreiche Gastprofessuren in Europa, USA und Lateinamerika. Ronny Kaiser hat von 2003 bis 2008 Latinistik und Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Nach seinem Studium war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 644 „Transformationen der Antike“ im Projekt zur humanistischen Geschichtsschreibung (2009–2016) und forschte in diesem Zusammenhang v. a. zu humanistischen Editionen, Kommentaren und Übersetzungen zu antiken und mittelalterlichen Historikern, aber auch zu historiographischen Texten deutscher Humanisten. Nach Abschluss seines Referendariats für das Lehramt arbeitet er gegenwärtig als Lehrer für Latein und Geschichte an einem Berliner Gymnasium und beendet seine Dissertation zur Kommentierung der taciteischen Germania im deutschen Humanismus.
https://doi.org/10.1515/9783110651997-014
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Autorenverzeichnis
Carl Antonius Lemke Duque studierte Mittelalterliche, Neuere und Neueste Geschichte, Romanische Philologie, Politikwissenschaften und Soziologie in Bonn, Berlin und Madrid. 2002 wurde er Magister Artium an der Humboldt-Universität zu Berlin, 2011 Dr. phil. an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2011–2013 war er Postdoc Fellow am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz sowie 2015–2017 am Deutschen Historischen Institut in Rom. 2018–2019 wirkte er als Lehrbeauftragter für Politikwissenschaften an der Universidad de Navarra sowie dort derzeit als Research Fellow. Er ist Autor von Fachaufsätzen in Revista de Estudios Políticos, Política y Sociedad, Arbor, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, International Studies in Catholic Education, Estudios sobre Educación, Memoria y Civilización sowie u. a. 2018 Special-Issue Herausgeber von Encounters in Theory and History of Education. Burkhard Meyer-Sickendiek studierte an der Universität Bielefeld und wurde 1999 an der Universität Tübingen mit einer Dissertation zur Ästhetik der Epigonalität promoviert. Danach war er Post-Doktorand und wissenschaftlicher Koordinator an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2003 erhielt er den Bayerischen Habilitationsförderpreis für eine Arbeit über den literarischen Sarkasmus in der deutsch-jüdischen Moderne. Nach seiner Habilitation ging er 2008 als Gastprofessor an das Exzellenzcluster “Languages of Emotion” an der Freien Universität Berlin. Von 2010 bis 2015 war er Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschung Gemeinschaft und widmete sich den Wahrnehmungsexperimenten (post-)moderner Lyrik. Seit 2017 ist MeyerSickendiek Leiter einer Forschergruppe in den digitalen Geisteswissenschaften und entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Portal Lyrikline.org ein neuronales Netz zur Prosodieanalyse in Hörgedichten. Susanne Müller-Bechtel ist zur Zeit Lehrbeauftragte an der Technischen Universität Dresden, der Technischen Hochschule Köln und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. 1990–1997 studierte sie Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Kunsterziehung und Archäologie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. 2006 wurde sie an der LMU München mit einer Arbeit über die Zeichnung als Medium der Kunstforschung im 19. Jahrhundert promoviert (im Druck erschienen 2009). 2006–2014 war sie wiss. Mitarbeiterin am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft an der TU Dresden. 2015 habilitierte sie sich an der TU Dresden mit einer Arbeit über die Akademische Aktstudie 1650–1850 (im Druck erschienen 2018). 2015–2018 nahm sie Vertretungen an der Universität Bonn und der JMU Würzburg an. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Zeichnung in künstlerischer und kunstwissenschaftlicher Praxis 1500–1900; Antikenrezeption 1500–1800; Höfische Bildkultur 1700–1800; Wandmalerei in Italien 1300–1800. María Ocón Fernández ist zur Zeit Lehrbeauftragte an der Universität Heidelberg und Habilitandin an der Freien Universität Berlin. Sie studierte an der Universidad de Granada und an der Technischen Universität Berlin. 2000 wurde sie mit einer Arbeit über die Ornamentdebatte im deutschen Architekturdiskurs (1850–1930) an der TU Berlin promoviert (im Druck erschienen 2004). Sie war 2004–2005 postdoctoral fellow der Getty Foundation. 2007 wurde sie mit dem Thema ihrer Habilitation über die Polychromiedebatte im 19. Jahrhundert vom SFB „Transformationen der Antike“ kooptiert. 2012–2014 war sie wiss. Mitarbeiterin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, an der sie u. a. Mitverfasserin des Forschungsantrags „Scientific Documentation, Visual Media, and Knowledge Transfer during the 19th Century—A Case of Polychrome Architecture” war. 2009–2018 arbeitete sie am Forschungsprojekt über die Privatbibliothek des Architekten F. Gilly (1772–1800) der Universität der Künste Berlin (im Druck erschienen 2019).
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Salvador Rus Rufino ist Doktor der Philosophie und der Geschichte sowie Lehrstuhlinhaber für das Fach Ideengeschichte und die gesellschaftlichen und politischen Bewegungen (Historia del Pensamiento y de los Movimientos Sociales y Políticos) an der Universität León. Er unterrichte an verschiedenen Universitäten und war an mehreren Forschungsprojekten in europäischen (Deutschland, Italien) und nordamerikanischen Universitäten beteiligt. Sein Forschungsschwerpunkt umfasst verschiedene Aspekte: das politische Denken in der griechischen Antike, die Verbreitung des Aristotelismus im Mittelalter und in der frühen Neuzeit und das gegenwärtige politische Denken in Nordamerika. Er war Direktor der Agentur für Qualitätssicherung an der Universität von Kastilien und Leon (Agencia para la Calidad del Sistema Universitario de Castilla y León, ACSUCYL) und Mitglied der Europäischen Agentur für Qualitätssicherung (Agencia Europea de Calidad, ENQA). Mónica Vázquez Astorga ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Departement für Kunstgeschichte (Departamento de Historia del Arte) an der Universidad de Zaragoza. Ihre Forschung widmet sich der Kunst und Kultur der Gegenwart im Allgemeinen. Ihre Dissertation an der Universidad de Zaragoza (2005) hatte die Kunst und Architektur des in Zaragoza geborenen Künstlers und Architekten José Borobio Ojeda (1907–1984) zum Gegenstand. Im Laufe ihrer akademischen Laufbahn hat sie sich weiteren Künstlern und Architekten des 19. und 20. Jahrhunderts gewidmet, u. a. Vertretern der Plakat- und Zeichenkunst. In den letzten Jahren hat sich Vázquez Astorga mit weiteren Themen aus dem Umfeld ihrer Dissertation: mit der Schularchitektur in Aragón und in europäischen Städten wie Florenz sowie mit kulturhistorischen Themen wie den historischen Kaffeehäusern (cafés históricos) in europäischen Städten wie Zaragoza, Madrid, Florenz befasst und dazu mehrere Bücher und Aufsätze vorgelegt.