Jüdisches München : Vom Mittelalter bis zur Gegenwart 3406549799


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Jüdisches München : Vom Mittelalter bis zur Gegenwart
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Jüdisches München Vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Herausgegeben ' von Richard Bauer und Michael Brenner C.H.Beck

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S ökS? «Die Verbrannten Münchens. Freitag, den 12. Marcheschwan, im sechsund­ vierzigsten Jahre des sechsten Jahrtausends (12. Oktober 1285)». Auszug aus dem Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs (vor 1300).

welche die jüdische Gemeinschaft in München am Ende des ^ .J a h r­ hunderts als nicht unbedeutend erscheinen lassen. Unter den Opfern sind Männer, Frauen und Kinder zu finden. Die Männer tragen mehr­ heitlich den Gelehrtentitel eines «Rav»,5wobei nicht entschieden wer­ den kann, ob dies der Gelehrsamkeit der Ermordeten geschuldet war oder allem als Ehrenbezeugung zu gelten hatte. Über diese Auflistung

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hinaus erfahren wir im hebräischen Schrifttum nichts über jüdische Gelehrte überlokaler Bedeutung in München. Doch war die jüdische Gemeinschaft bereits so bedeutend, daß sie auch Juden aus Frankreich anzog. Unter den Opfern wird ein «Josef haZarfati», «Josef der Fran­ zose», genannt.6 Daß die Gemeinschaft eine eigene Synagoge besaß, erfahren wir aus anderen Quellen, die den Verlauf der eigentlichen Verfolgung be­ schreiben. Die Mitglieder der Judengemeinde waren zunächst mit dem Vorwurf konfrontiert worden, einer der ihren habe einen christlichen Knaben ermordet, um sein Blut für rituelle Zwecke zu verwenden. Diese der jüdischen Religion - die den Genuß von Blut verbietet völlig entgegengesetzte Beschuldigung hatte bereits in anderen Orten des Reiches zu verheerenden Verfolgungen geführt. Obwohl 1236 un­ ter Kaiser Friedrich II. auch von offizieller christlicher Seite als wider­ sinnig zurückgewiesen,7 sollte dieser Vorwurf in den Jahren von 1287 bis 1289 in Oberwesel, und nicht nur dort, zu erneuten Verfolgungen von Juden und in Bacharach zur Einrichtung eines christlichen Kultes um den Knaben Werner führen.8 Jüdische wie auch christliche Über­ lieferung beschreibt die weiteren Ereignisse der Münchner Verfolgung nach bekanntem Muster: Die Juden der Stadt starben als jüdische Glaubenszeugen in den Flammen der von den Christen angezündeten Synagoge.9 Es ist von anderer Seite bestritten worden, daß die Ereignisse der Verfolgung von 1285 in der aus dem 14. Jahrhundert bekannten Juden­ gasse und ihrer Synagoge zu lokalisieren seien.10 Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die nichtjüdische Überlieferung lediglich von einem Zimmer in einem Gebäude spricht, wo die Juden verbrannten.11 Auch wurde die Tatsache, daß die später als Judengasse bekannte Straße ent­ lang der ersten Münchner Stadtbefestigung verlief, dahingehend ge­ deutet, daß an einer solchen für die Stadtverteidigung bedeutenden Stelle nicht mit einer jüdischen Niederlassung zu rechnen sei.12Die to­ pographischen Verhältnisse der Stadt Worms zeigen aber, daß es Juden im 12. und 13. Jahrhundert durchaus möglich war, gerade an der Stadt­ mauer ihren Siedlungsschwerpunkt zu unterhalten,13 was im Wormser Fall nachweislich dazu führte, daß die Juden bei der Belagerung der Stadt zu ihrer Verteidigung herangezogen wurden.14 Da in München die Grundstücke an der Mauer dem wittelsbachischen Stadtherrn un­ terstanden und darum von seiten der Stadt nicht beansprucht und be­ baut werden konnten,15 ist es ferner nicht auszuschließen, daß sich die Juden mit deren Unterstützung auf dem einzigen freien Areal nieder­ ließen. Es ist also nicht unmöglich, daß bereits im 13. Jahrhundert Juden in der später als Judengasse bekannten Straße ansässig waren.

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Belegen läßt sich eine jüdische Siedlungskontinuität im Norden der Münchner Innenstadt freilich nicht. Hier schweigen die Quellen.

München im «Medinat Bayern» Von Anfang an müssen die Juden Münchens als Teil eines größeren jü­ dischen Kommunikationsnetzes betrachtet werden. Nicht anders ist zu erklären, daß nach der Verfolgung von 1285 in der Liturgie der Re­ gensburger Gemeinde der Münchner Opfer gedacht wird.16 Kann dies als ein Hinweis auf die besonderen Beziehungen der Münchner Juden zur alten jüdischen Gemeinde Regensburgs gewertet werden? Unbe­ stritten ist die bedeutende Rolle der Regensburger jüdischen Gemein­ de für die Juden des ganzen bayerischen Landes. Deren Friedhof, der einzige in den bayerischen Landen, wird - wie der Prager Friedhof für ganz Böhmen - Juden aus ganz Bayern aufgenommen haben. Die aus anderen Gegenden des Reiches bekannte zentralörtliche Funktion von verfaßten Gemeinden und ihren Friedhöfen liefert ein Modell, wel­ ches das Verhältnis zwischen Regensburg und den kleineren jüdischen Niederlassungen verständlich werden läßt.17 Diese auch von jüdischen Ansiedlungen in anderen bayerischen Orten bekannte oder zumindest vermutete Ausrichtung auf die Gemeinde Regensburg ist für die Münchner Juden des 13. Jahrhunderts nicht belegt. Für das 14. Jahr­ hundert jedoch sind differenziertere Spuren einer Vernetzung jüdi­ scher Niederlassungen im bayerischen Raum faßbar, in die auch die Münchner Gemeinde eingebunden war. Für den Westen des Herr­ schaftsbereichs der Wittelsbacher ist dieses Netzwerk innerhalb des Nürnberger Memorbuchs in einer Liste von Blutorten der Pestverfol­ gung der Jahre 1348-1349 überliefert.18 Unter der Titulierung «Medi­ nat Bayern» («Land/Bezirk Bayern») folgt eine Aufzählung von drei­ zehn Orten, die von der Gemeinde Augsburg angeführt werden, in der an zwölfter Stelle auch die jüdische Niederlassung München ge­ nannt wird. Medinat Bayern19

y r o n n s Bistum

i. Gemeinde Augsburg

p-notzriN nbnp Augsburg

2. Landsberg

pnoemb Augsburg

3. Burgau

Kiirra Augsburg

Jüdischer Herrschaft Friedhof Seit dem 13.Jh.

Reichsstadt Hzgt. Bayern (-München) 1304 Habsburg

Anfänge im Mittelalter (1229-1442)

Medinat Bayern19 4. Pfaffenhofen an der Ilm 5. Aichach 6. Weilheim 7. Wasserburg

Ti” 3 n n a Bistum

Jüdischer Herrschaft Friedhof

p r a s s Augsburg

Hzgt. Bayern (-München)

IO” S7 Augsburg

Hzgt. Bayern (-München)

Q,” n17,i Augsburg

Hzgt. Bayern (-München)

p -im o n Freising/ Salzburg

Hzgt. Bayern (-München)

8. Wertingen

ixnoun Augsburg

Bayern, zu Lehen an die Herren v. Hohenreichen

9. Leipheim

□’’ns’1? Augsburg

Herren v. Güssenberg

10. Dillingen

Augsburg

Hochstift Augs­ burg

11. Ingolstadt

BOBfSblU’K Eichstatt

Hzgt. Bayern (-München)

12. München

P31Ö Freising

Hzgt. Bayern (-München)

13. Neustadt an der Donau

oDiznra Regensburg

Hzgt. Bayern (-München)

Die Einbeziehung der jüdischen Gemeinde der schwäbischen Kathedral­ stadt Augsburg sowie weiterer jüdischer Ansiedlungen im östlichen Schwaben in einen Bezirk «Bayern» verblüfft zunächst. Die Qualität der vorliegenden Liste - auch in bezug auf weitere geographische Räu­ me20 innerjüdischer Vernetzung - läßt indes an der Benennung festhalten. Eine kartographische Umsetzung dieses Abschnitts der Verfolgungs­ liste - verbunden mit einer graphischen Darstellung der herrschaft­ lichen Verhältnisse im ostschwäbischen/westbayerischen Raum in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts - kann einige Hinweise zur Genese der Organisation des jüdischen Siedlungsnetzes erbringen, wie sie sich vor der Mitte des 14. Jahrhunderts ausdifferenziert haben dürfte. Die Liste der Verfolgungsorte nennt Augsburg als ersten jüdischen Siedlungsort und weist diesem durch die hebräische Bezeichnung «Kehilah» («Gemeinde») - in Parallele zu anderen Vororten von jüdi­ schen Bezirken des Reiches - den Vorsitz innerhalb des Bezirkes («Medinah») zu. Zunächst wäre als Einzugsbereich der Gemeinde der

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Die Judenschaft der Medinat Bayern (Herzogtum Oberbayern) am Vorabend des 4l »ÜM>J Z0U„fc, ^ nt ^vr-»o V?^ p*v«^o piTi, m»«9 »♦* & ,j) '?*"

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«Wir, die unten Unterzeichnenden Gemeinde Straßburg zum Falle des ..* Brief der Münchner Juden an die entflohenen Gemeindemitglieds Isaak haZarfati (1381).

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Als Eliteangehörige der jüdischen Gesellschaft und darüber hinaus als Grenzgänger zwischen der jüdischen Gemeinde, der christlichen Stadtgemeinde und den nichtjüdischen Herrschaftsträgern können ebenso die jüdischen Ärzte des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts bezeichnet werden, von denen im Falle Münchens vier namentlich be­ kannt sind.48 Der Geldverleih gehörte auch in der zweiten Münchner Gemeinde zu den zentralen wirtschaftlichen Betätigungsfeldern ortsansässiger Ju­ den und damit auch in den Bereich von Begegnung und wirtschaft­ licher Zusammenarbeit zwischen Juden und Christen.49 In diesem Spannungsfeld ist für München ein besonderer Fall aus dem Jahre 1381 bekannt. Er ist in dem erwähnten Brief an die jüdische Gemeinde in Straßburg festgehalten. Als einziges erhaltenes hebräisches Dokument der Münchner Gemeinde lehrt er einiges über die Begegnungen zwi­ schen Juden und Christen, aber auch über die innerjüdische Kommu­ nikation sowie die Zusammenarbeit zwischen christlichen und jüdi­ schen Führungseliten; er soll darum ausführlich vorgestellt werden.50 Isaak haZarfati, ein vielleicht aus Frankreich stammender Jude, war im Jahre 1380 oder auch 1381 aus München geflohen und hatte einige Pfänder mitgenommen, ohne seine Geschäftskunden zu informieren. Da sich unter den Pfändern auch einige des Herzogs Stephan III., von des­ sen Gemahlin Thadäa Visconti, von dessen Bruder Johann sowie des Hofarztes und Gemeindemitglieds Jakob von Landshut befanden, droh­ te der Betrug zu einer gefährlichen Auseinandersetzung zwischen der jüdischen Gemeinde und den verschiedenen Gruppen der Stadt zu eska­ lieren. Der Brief der Notabein der jüdischen Gemeinde an die Straßbur­ ger Juden, zu denen sich Isaak - nach einer Zwischenstation in Pappen­ heim - inzwischen geflüchtet hatte, schildert den Vorgang aus der Münchner Perspektive: Es wird das ungebührliche Benehmen Isaaks im innerjüdischen Kontext betont. Die Übereinkunft hinsichtlich gemein­ samer Spenden und Abgaben für den Neubau der Synagoge und den Kauf des Hekdesch-Hauses sei von Isaak bereits nach einem Jahr boy­ kottiert worden. Nun hätte er durch seine Flucht die herzogliche Fami­ lie und andere Kreditnehmer gegen die Juden der Stadt, besonders aber gegen seine jüdischen Geschäftspartner aufgebracht, die den berechtig­ ten Forderungen ihrer Kunden nicht nachkommen könnten. Man hoffte auf die Hilfe der Straßburger Juden bei der Ergreifung Isaaks. Der Brief wurde von sieben Personen, wohl den Mitgliedern des Münchner Judenrates, unterzeichnet.51 Offenkundig handelten die Münchner Juden im Auftrag und unter wachsendem Druck des Her­ zogs Stephan III., der ebenfalls einen Brief nach Straßburg, diesmal an den Rat der Stadt, gesandt hatte. Um die Dringlichkeit seines Anlie-

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gens zu unterstreichen, ließ Herzog Stephan den Straßburgern zusam­ men mit seinem Brief eine Auflistung aller entwendeten Pfänder zu­ kommen.52 Zusätzlich wurden ein Brief des Rates der Stadt München sowie ein weiterer der jüdischen Gemeinde München nach Straßburg gesandt.53 Der Straßburger Rat setzte nach dem Willen des oberbaye­ rischen Herzogs den Juden Isaak fest; doch sollte sich der Fall noch länger hinziehen.54 Anhand dieses Beispiels läßt sich verdeutlichen, daß die christliche und die jüdische Obrigkeit nicht nur eng zusammenarbeiteten, son­ dern auch in ein gemeinsames Beziehungsnetz integriert waren. Die Münchner Judengemeinde war dabei einerseits mit der jüdischen Ge­ meinde in Straßburg verbunden und kommunizierte andererseits mit dem Herzog und dem Rat der Stadt München. Was mag aber Isaak haZarfati veranlaßt haben, die Stadt unter Mit­ nahme der Pfänder seiner Kunden zu verlassen? Die erhaltenen Quel­ len geben hierzu keine Auskunft. Vielleicht fürchtete Isaak, von seiten der christlichen Obrigkeit um sein Vermögen gebracht zu werden, wie dies im selben Jahr den Augsburger Juden durch eine vom Rat verordnete «Schatzung» geschehen war.55 Daß eine solche Befürchtung nicht völlig von der Hand zu weisen war, zeigte sich in den Jahren 1385 und 1390, als auch Münchner Juden von königlich verfügten Judenschuldentilgungen betroffen waren.56 Ungeachtet dieser Zugriffsmöglichkeit des Königs standen die Ju­ den der Stadt München unter dem Schutz des wittelsbachischen Lan­ des- und Stadtherrn. Zur Wiederansiedlung von Juden nach den Zer­ störungen der Pestverfolgung waren durch Herzog Ludwig V. zwei kollektive Privilegien erlassen worden: Das erste aus dem Jahre 1352 garantierte jedem Juden, der sich in München niederließ, zwei Jahre Steuerfreiheit.57 Das zweite aus dem Jahre 1357 befreite die Juden zu­ nächst von allen Zöllen,58 wurde dann aber 1375 durch ein neues Privi­ leg ersetzt,59 das eine Gleichbehandlung von Juden und Christen bei Zollzahlungen einführte. Von denselben Herrschaftsträgern sind wei­ tere Einzelprivilegien aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts erhalten. Neben der eindeutigen Zuordnung der Juden zur wittelsbachischen Herrscherfamilie unterstanden diese auch der Stadt in dem Maße, wie der Rat weiterhin Verordnungen einsetzen konnte,60 die auch von Ju­ den zu befolgen waren und die das Zusammenleben im wirtschaft­ lichen Austausch mit den Christen regelten. Doch auch die finanzielle Instrumentalisierung der Münchner Ju­ den durch die herzogliche Familie wie auch der christlichen Bürger der Stadt konnte die Existenz der jüdischen Gemeinde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht sichern helfen. An vielen Orten des

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Reiches, wo sich nach der Pestverfolgung ebenfalls jüdisches Leben erneut etablieren konnte, führte die gezielte Politik61 der Landes­ herren und Städte dazu, daß die jüdische Bevölkerung verdrängt und schließlich ausgewiesen wurde.62 Die erste territoriale Judenvertrei­ bung erfolgte bereits 1390 unter Kurfürst Ruprecht II. von der Pfalz (1390-1398). Noch im selben Jahr wurden die Juden aus Straßburg vertrieben, wobei schon in den vorausgehenden Jahrzehnten ein gro­ ßer Teil der jüdischen Gemeinde die Kathedralstadt verlassen hatte.63 Dieses Phänomen des Wegzugs einer großen Anzahl von Juden noch vor ihrer eigentlichen Ausweisung läßt sich vor allem im 15. Jahrhun­ dert an zahlreichen Orten und Territorien beobachten. Dabei ließen sich viele von den abgewanderten Familien in jüdischen Gemeinden Ostmitteleuropas, vor allem aber in den Städten Norditaliens nieder. Die Gründe für diese schleichende Abwanderung scheinen aus der Kommerzialisierung und Territorialisierung von Judenschutzrechten hervorgegangen zu sein.64 So mußte eine Politik wie etwa die der «Ju­ denschuldentilgungen» zu schwersten finanziellen Schäden jüdischer Geschäftsleute und damit auch zur geographischen Verlagerung ihrer Geschäftsaktivitäten führen. Die veränderten Formen des Judenschut­ zes, der seit der Wiederansiedlung weitgehend auf die territorialen und städtischen Herrschaftsträger übergegangen war, boten nur noch Ein­ zelpersonen und einzelnen Familien Schutz- und Aufenthaltsrechte, die in der Regel zeitlich begrenzt waren. Das Auslaufen eines solchen Rechtsvertrages mußte letztendlich zur Ausweisung führen, auch wenn sie formal nicht ausgesprochen wurde. Vertreibungen und erneute Konflikte rückten im ersten Viertel des 15.Jahrhunderts bedrohlich nahe an die bayerischen Lande heran. Nachdem die Juden im Jahre 1418 aus dem fernen Trier und 1424 aus dem noch ferneren Köln vertrieben worden waren, wird vor allem die unter der Bezeichnung «Wiener Geserah» bekannte, vor dem Hinter­ grund der Hussitenkriege 1421 erfolgte Vertreibung und teilweise Er­ mordung der jüdischen Bevölkerung im Herzogtum Österreich 1421 und seiner Residenzstadt Wien unter den Juden Münchens und Bay­ erns einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Neue Ritual­ mordvorwürfe im Süden des Reiches führten weiterhin 1424 zur Aus­ weisung der Juden aus Freiburg im Breisgau und 1429, von Ravens­ burg ausgehend, zu einer Pogromwelle, die den ganzen Bodenseeraum erfaßte. In den Jahren 1443 bzw. 1448 verließen die Überlebenden end­ gültig die betreffenden Orte.65 Dieser Vertreibung waren bereits Aus­ weisungen aus anderen, teils hochbedeutenden jüdischen Zentren vorausgegangen, wie beispielsweise Speyer (1405-1435)66 und Mainz (1438)67, aber auch aus dem der Gemeinde München nahegelegenen

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Augsburg (1438/39).68 Im Jahr 1435 konnte Herzog Ernst die Straubinger Juden noch vor den judenfeindlichen Attacken seines Sohnes Albrecht bewahren.69 Dennoch sollte die Vertreibungswelle auch die bayerischen Lande erfassen. Die 1438, nach dem Tod seines Vaters an­ getretene Herrschaft Albrechts III. trug dabei wesentlich zur Auswei­ sung der Juden aus München bei.70 Im Juli 1439 sind die Münchner Ju­ den noch als Steuerzahler nachgewiesen.71 Doch bereits im September 1442 überließ Herzog Albrecht III. das an ihn gefallene Synagogenge­ bäude seinem Leibarzt Meister Johannes Hartlieb, der es wenig später in eine Marienkapelle umwandelte.72 Das Münchner Beispiel machte Schule: Mit der Vertreibung der Juden aus Niederbayern (BayernLandshut) mußten 1450 unter Herzog Ludwig dem Reichen die Juden auch diesen Teil der wittelsbachischen Territorien verlassen.73

Aufenthaltsverbot und eingeschränkte Zulassung (1442-1799) von Manfred Peter Heimers

Die Zeiten der Verbannung Mit der Vertreibung des Jahres 1442 kam jüdisches Leben in München nicht völlig zum Erlöschen. Noch zwischen 1462 und 1500 ist eine Jü­ din «Ann naterin» oder «Anna die Taft» in der Maxburgstraße nach­ weisbar,1 aber der Aufenthalt in der Stadt und im Herzogtum Bayern wurde den Juden immer schwerer gemacht. Im Zusammenhang mit den Bemühungen Herzog Albrechts V., die absolute Katholizität Bay­ erns abzusichern, und im Einklang mit der auch wirtschaftlich be­ gründeten antijüdischen Politik anderer deutscher Territorien regelte seine Landesordnung vom 13. Mai 1553, daß «hinfüran kain Jud noch Jüdin in vnser Fürsththumb weder mit heüßlicher wonung noch gewerbe oder handthierungen mer kommen noch von jemand darinn gedult oder auffgenommen» werden dürfe. Die Durchreise durch Bay­ ern wurde den Juden nur mit Geleitschutz, auf dem kürzesten Weg und ohne verzögernden Aufenthalt gestattet.2 Geschäfte bayerischer Untertanen mit Juden im Ausland wurden für ungültig erklärt. In der Folge zogen sich die Juden aus Bayern in Territorien zurück, deren Landesherren ihnen aus wirtschaftlichem und finanziellem Interesse weiterhin Schutz gewährten oder in denen der Judenschutz als Beleg für die Reichsunmittelbarkeit gepflegt wurde. So konnten sich in ländlichen Gebieten am Rande Bayerns, etwa in der Markgrafschaft Burgau, der Grafschaft Oettingen, der Markgrafschaft Ansbach, dem Fürstbistum Bamberg oder in kurpfälzischen und pfalz-neuburgischen Besitzungen, weiterhin zahlreiche jüdische Siedlungen halten oder neu entwickeln.3 Trotz seiner judenfeindlichen Politik wurde Herzog AlbrechtV. ungewollt zum Bewahrer von jüdischer Literatur in München, als er 1558 und 1571 die Privatbibliotheken des Juristen und Diplomaten Johann Albrecht Widmannstetter und des Kaufmanns Johann Jakob Fugger mit ihren für die damalige Zeit ungewöhnlich zahlreichen he­ bräischen Werken erwarb. Die Münchner Hof- und spätere Staatsbi-

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«Disputation des hl. Stephanus» vom ehemaligen Hochaltar der Klosterkirche Weihenstephan von Jan Polack (1482/83-1489). Der Bildausschnitt zeigt Juden in charakteristischer Kleidung des späten 15. Jahrhunderts. Neben dem hier nicht abgebildeten meist gelben, trichterförmigen Judenhut diente vor allem der auf die Kleidung aufgenähte gelbe Ring als Kennzeichen eines Juden.

Aufenthaltsverbot und eingeschränkte Zulassung (1442-1799)

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Jüdischer Hochzeitsring, Deutschland (?), um 1500, Residenz München, Schatz­ kammer. Dieser im Inventar der Münchner herzoglichen Kunstkammer von 1598 erst­ mals erwähnte Ring stellt ein frühes Zeugnis für die Ein­ beziehung jüdischer Kultus­ objekte in humanistische Uni­ versalsammlungen dar.

bliothek erhielt damit eine der größten und bedeutendsten HebraicaSammlungen, die sie vor allem im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Zentrum jüdischer Forschung werden ließ.4 Auch die herzogliche Kunstkammer wurde durch jüdische oder vermeintlich jüdische Kult­ objekte bereichert, die bereits 1598 die Aufmerksamkeit Herzog Au­ gusts des Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg erregten, darunter das früheste in einer fürstlichen Kunstkammer nachgewiesene Exem­ plar eines jüdischen Traurings.5 Alle diese Erwerbungen sind jedoch kaum einem größeren persön­ lichen Interesse Albrechts für jüdisches Geistes- und Kulturleben zu verdanken, sondern eher dem enzyklopädischen Sammeleifer eines Renaissance-Fürsten. In seiner Landes- und Polizeiordnung vom 28. September 1616 er­ neuerte Herzog Maximilian I. das Aufenthalts-, Handels- und Gewer­ beverbot Albrechts V. Er sah sich aber selbst gezwungen, von diesen Regelungen abzuweichen, da er auf jüdische Finanzhilfe zurückgrei­ fen mußte. Deshalb erteilte er Juden das Privileg, sich in München und an seinem Hof aufhalten und hier die notwendigen Geschäfte tätigen zu dürfen; er machte sie damit zu seinen Hoffaktoren oder Hofjuden. Allerdings nahm der Herzog Hofjuden nicht aus der städtischen Rechtsprechung heraus. Sie erhielten nicht den eximierten Charakter des übrigen Hofpersonals, sondern wurden dem Stadtoberrichteramt

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unterstellt, wie alle Personen, die sich in München aufhielten, ohne hier eine Wohnung oder Wohnberechtigung zu haben.6 Schon in früheren Jahrhunderten hatte es privilegierte Beziehungen einzelner Juden zu europäischen Höfen gegeben. Im 17. Jahrhundert nahmen diese Beziehungen vor allem in Deutschland eine institutiona­ lisierte und dauerhaftere Form an, als der moderne Fürstenstaat nach dem Dreißigjährigen Krieg versuchte, die häufig vorhandene Diskre­ panz zwischen macht- und wirtschaftspolitischen Ansprüchen und geringen eigenen Ressourcen mit Hilfe einer risikobereiten und fi­ nanzkräftigen jüdischen Wirtschaftselite mit weitreichenden Fami­ lien- und Handelsbeziehungen zu überbrücken. Die zu Hofjuden er­ nannten jüdischen Geschäftsleute waren - in vielen Fällen gleichzeitig - als Bankiers, Juweliere, Hof- und Heereslieferanten oder auch als Diplomaten tätig. Als markante Beispiele für den Erfolg des individu­ ellen Leistungsprinzips wirkten gerade die bedeutenderen Hofjuden an der Durchsetzung modernerer Wirtschaftsprinzipien mit und öff­ neten auch ihr innerjüdisches Umfeld für neuere Einflüsse. Juden waren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wenn auch nicht kontinu­ ierlich, an fast allen deutschen Höfen zu finden. In Süddeutschland blieben sie vorerst noch die Ausnahme. Während in der zweiten Hälf­ te des 17. Jahrhunderts bereits die meisten norddeutschen Höfe auf das Instrument der Hofjuden zurückgriffen, waren es südlich des Mains zunächst vor allem der Kaiserhof und einige fränkische Territo­ rialherren.7 Auch über den Bereich des Hofes hinaus fanden, trotz der Be­ schränkungen der landesherrlichen Polizeiordnungen, Juden weiter­ hin auf ihren Geschäftsreisen immer wieder den Weg nach München. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde das Großzollamt angewiesen, für jeden ankommenden Juden einen Leibzoll von drei Gulden und für jeden Aufenthaltstag vierzig Kreuzer zu erheben. Für die Waren jüdischer Kaufleute war eine erhöhte Mautgebühr zu ent­ richten. Als die Vertreibung der Juden aus Wien im Jahr 1670 zu einer Zunahme der jüdischen Bevölkerung in Franken und der Oberpfalz führte und auch den Handelsverkehr der Juden über Bayern anwachsen ließ, stellte die kurfürstliche Hofkammer die Praxis der erhöhten Maut in Frage. Sie erhielt aber am 17. Juni 1676 die Anweisung, daß weiterhin die doppelte oder sogar eine noch höhere Mautsumme ab­ zufordern sei und daß sich der Kurfürst gegebenenfalls die Gebühren­ festsetzung selbst Vorbehalte.8

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Ein unsicherer Wiederbeginn Namentlich nachweisbar ist in München ein Jude erstmals wieder 1698, als Lazarus Günzburger unerlaubt Hausierhandel betrieb.9 Der vermögende Kaufmann aus Pfersee war Hoflieferant des Markgrafen von Baden und handelte unter anderem mit Schmuck und Münzen; er war offenbar aufgrund von Geschäftsbeziehungen zu Kurfürst Maxi­ milian II. Emanuel nach München gekommen. Kurfürst Max Emanuel blieb den Juden gegenüber jedoch äußerst reserviert. Zwar ließ er seine Armee 1693 vom kaiserlichen Hoffaktor Samuel Oppenheimer aus Wien und 1701 von Oppenheimers in Frankfurt am Main niedergelas­ senem Sohn Emanuel mit Pferden beliefern, doch waren das zunächst noch Ausnahmen.10 Möglichkeiten für eine Neuetablierung jüdischen Lebens in Mün­ chen bot nach über zwei Jahrhunderten erstmals wieder die kaiserliche Besetzung Kurbayerns während des Spanischen Erbfolgekriegs von 1704 bis 1715. Die als Verwaltungsbehörde fungierende kaiserliche Admini­ stration wollte auch in Bayern jüdische Handelskontakte für den Kai­ ser nutzen. So wurde der kaiserliche Hoffaktor Heinrich David aus Buttenwiesen, eine der führenden jüdischen Persönlichkeiten in der Markgrafschaft Burgau, mit der Heeresversorgung betraut. Die Beset­ zung Bayerns erlaubte es zudem, das Kurfürstentum wieder intensiver für jüdische Handelsverbindungen zwischen dem Reich und den kaiser­ lichen Erbländern zu öffnen. Generell räumte ein Mandat vom 11. April 1712 den Juden bei Entrichtung von Zöllen an der Landesgrenze und der Ausstellung eines Passes durch die Administration erstmals wieder reguläre Zugangs- und Handelsmöglichkeiten in Bayern ein. In den letzten Monaten der kaiserlichen Besatzungsherrschaft griff auch die kurbayerische Landschaftsverordnung, die Vertretung der Landstände, auf jüdische Finanzmittel zurück. Zur Beschleunigung des Abzugs der Besatzungstruppen hatte sie die Begleichung der noch ausstehenden kaiserlichen Forderungen und aller Landesausgaben übernommen und sich diese von jüdischen Geldgebern vorfinanzieren lassen. Als Gegenleistung wurde den Kreditgebern der freie Aufent­ halt im Kurfürstentum bis zur Zurückzahlung der Schulden zugestan­ den.11 Kurfürst Max Emanuel war mit dieser Entwicklung der Juden­ politik in seinem Kurfürstentum keinesfalls einverstanden und ließ da­ her noch vor seiner Rückkehr zum 24. März 1715 wieder alle Juden aus dem Land weisen.12 Trotz aller religiöser Bedenken konnte aber auch Max Emanuel auf Dauer nicht mehr auf jüdisches Finanz- und Wirtschaftspotential ver­

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zichten. Bereits am 2. September 1718 erteilte er dem Pferdehändler Joseph Mändle aus Kriegshaber bei Augsburg als erstem Juden den Hofschutz und damit eine Aufenthaltsberechtigung in München. Jo­ seph Mändle war in München offenbar als Agent seines Vaters Abra­ ham Mändle tätig, der zu den führenden jüdischen Handelsunterneh­ mern der Markgrafschaft Burgau gehörte und das kurbayerische Heer mit Pferden beliefern sollte. Abraham Mändle gehörte zeitweise auch dem Vorstand der Landjudenschaft, des Selbstverwaltungskörpers der Burgauer Juden, an. Die Geschäftsverbindungen der Familie Mändle mit Kurbayern intensivierten sich in der folgenden Zeit so sehr, daß sich Abraham und sein Sohn Joseph 1724 bereits «mehr zu München» als im heimatlichen Kriegshaber aufhielten.13 Der durch seine prunkvolle Hofhaltung in gewaltige Dimensionen gestiegene Finanzbedarf zwang den Kurfürsten bald, auch auf die finanzielle Unterstützung jüdischer Geldgeber zurückzugreifen, da Bayern bei anderen Bankhäusern kaum noch als kreditwürdig ange­ sehen wurde. Erstmals stellte ihm 1720 der burgauische Hoffaktor Gerson Daniel Oppenheimer aus Pfersee Geldmittel zum Teil in bar und zum Teil durch die Einlösung von Zahlungsverpflichtungen zur Verfügung. Vor allem zur Finanzierung der Hochzeitsfeierlichkeiten von Kur­ prinz Karl Albrecht und der Kaisertochter Maria Amalia, aber auch für sonstige Luxusbedürfnisse des Hofes und zur Behebung finanziel­ ler Engpässe kurfürstlicher Behörden gewährte der Agent des Deut­ schen Ritterordens und pfalz-sulzbachische Oberfaktor Noe Samuel Isaak aus Mergentheim zwischen 1722 und 1725 gewaltige Finanzvor­ schüsse. Die Rückzahlung dieser Schulden wurde in erster Linie eini­ gen Salzämtern und der Landschaft übertragen. Ebenfalls anläßlich der Vermählung des Kurprinzen wurde 1722 auch der Wiener Oberhoffaktor und Bankier Simon Wolf Wertheimer, der Sohn des bedeutenden Finanzmannes Samson Wertheimer, zum Gläubiger des kurfürstlichen Hauses. Im Unterschied zu Isaak, der die Kredite lediglich als Mittel betrachtete, um in Bayern vor allem im Salz- und Weinhandel Fuß zu fassen, verkörperte Wertheimer wohl eher den modernen Bankier, dessen Geschäftsinteresse hauptsächlich in den aus den Finanztransaktionen zu erwartenden Gewinnen lag.14 Mit der Schuldentilgung wurde die Landschaft beauftragt. Kurfürst Max Emanuel ernannte Wertheimer im Gegenzug am 9. August 1723 zum geheimen Hofjuwelier. Wertheimer verlegte nun den Schwer­ punkt seiner Geschäftstätigkeit nach München. Ein weiterer wichtiger jüdischer Geldgeber war Nathan Moyses aus Schwabach, der für sein zwischen 1722 und 1726 zur Verfügung ge­

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stelltes Kapital ebenso Salzlieferungen erhielt wie Elias Modi aus Monheim im kurpfälzischen Herzogtum Berg für einen Kredit, den er dem Kurfürsten 1723 gewährt hatte. Joseph Mändle, Noe Samuel Isaak, Simon Wolf Wertheimer und Nathan Moyses wurden damit zu den ersten kurbayerischen Hofju­ den des 18. Jahrhunderts. Sie erhielten mit dem Zugang zum Hof auch die Aufenthaltsberechtigung in München und durften im Kurfürsten­ tum ihren Geschäften nachgehen. An der generellen Unterstellung der Juden unter den Stadtoberrichter änderte der erteilte Hofschutz aller­ dings nichts. Der kurfürstlich bayerische Hof zeigte sich damit als ty­ pischer Vertreter süddeutscher Hofkultur, in der die Etablierung der Hofjuden gegenüber den Territorien nördlich des Mains erst mit Ver­ spätung um 1720 und in enger Orientierung am Wiener Kaiserhof ein­ setzte.15 Wie in vielen anderen Städten des Reichs bildeten auch in Mün­ chen die Hofjuden den Kern einer neuen jüdischen Ansiedlung. Das Alltagsleben der nun in München ansässig werdenden Juden läßt sich aufgrund der Quellenlage allerdings nur unzureichend be­ schreiben. Die überlieferten Zeugnisse erlauben zumeist lediglich einen Einblick in den Bereich des Wirtschaftslebens, und das auch nur aus nichtjüdischer Perspektive. Innerjüdische Quellen sind für München aus der Zeit des 18. Jahrhunderts so gut wie nicht vorhan­ den, so daß die hier dargestellte Entwicklung nur die Rekonstruk­ tion einer Teilsicht bieten kann, wie sie in den vorhandenen Materia­ lien dokumentiert ist. Obwohl die Hofjuden keine Berechtigung besaßen, nach Belieben weitere Juden ins Land zu bringen, kamen mit ihnen auch ihre Ge­ schäftsmitarbeiter, Bedienten und selbst ihre Verwandten nach Mün­ chen. Sie hielten sich zum Teil länger in der Stadt auf und gingen hier eigenen Geschäften nach. Bereits 1723 beschwerten sich die Münch­ ner Handelsleute und Krämer darüber, daß Juden «ohne einzigen Scheuch, gleich als sye würkhlich allhier eingezünfft und verburgerte Handlsleith weren», mit Schmuck, Gold- und Silberwaren und teuren Stoffen Hausierhandel und in den Wirtshäusern öffentlichen Handel trieben.16Natürlich wurde auch sofort der stereotype Wuchervorwurf erhoben. 1725 kam es zu ersten judenfeindlichen Ausschreitungen, als sich Schüler des Jesuitengymnasiums mit Juden bei deren Quartier­ geber, dem Weiserwirt im Tal, eine große Schlägerei lieferten. Die in wachsendem Maß unkontrollierbar werdenden Darlehensge­ schäfte Kurfürst Max Emanuels fanden mit seinem Tod am 26. Febru­ ar 1726 ein Ende. Bayern war zu diesem Zeitpunkt bei jüdischen Gläubigern mit 5218 460 Gulden verschuldet, das waren etwa zwan­

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zig Prozent der damaligen bayerischen Gesamtschuldenlast von 26,8 Millionen Gulden. Von einer ordnungsgemäßen Tilgungspolitik kann vor allem im Fall der beiden Hauptgläubiger Isaak und Wertheimer keine Rede sein. Bereits zu Lebzeiten Max Emanuels, noch während weitere Kredite in Anspruch genommen wurden, hielt man die verein­ barten Zahlungsraten nicht ein. Die Tilgung geriet schließlich völlig ins Stocken. Kurfürst Karl Albrecht versuchte 1727, die Schulden­ rückzahlung durch die Einsetzung einer Schuldenwerkskommission besser zu organisieren, zeigte sich aber keinesfalls gewillt, allen Forde­ rungen zu entsprechen. Zwischen den Berechnungen Isaaks und Wert­ heimers sowie den von der Schuldenwerkskommission anerkannten Ansprüchen klafften Differenzen in Millionenhöhe. Die finanzielle Si­ tuation Kurbayerns ließ jedoch nicht einmal eine kontinuierliche Til­ gung der anerkannten Ansprüche zu. Die Auseinandersetzungen über die Darlehensrückzahlungen setzten sich daher noch weit über den Tod von Isaak und Wertheimer hinaus mit deren Erben bis ans Ende des 18. Jahrhunderts fort, ohne je zu einer endgültigen Lösung zu ge­ langen. Simon Wolf Wertheimer, den Kurfürst Karl Albrecht 1726 durch die Ernennung zum Oberhoffaktor aus der Gruppe der kur­ bayerischen Hofjuden heraushob, sah sich 1733 schließlich gezwun­ gen, seine Münchner Geschäfte aufzugeben und sich ganz auf die Er­ füllung seiner Ansprüche zu konzentrieren.17 In noch stärkerem Maß als unter Kurfürst Max Emanuel wurde un­ ter seinem Sohn und Nachfolger Karl Albrecht die Versorgung der kurbayerischen Armee vor allem mit Pferden weitgehend den bewähr­ ten Händen des Abraham Mändle anvertraut. Allein von 1742 bis 1747 lieferte Mändle insgesamt 7857 Pferde im Wert von über siebenhun­ derttausend Gulden. Bis zu seinem Tod im Jahr 1767 blieb Abraham Mändle zusammen mit seinem Sohn der wichtigste und zeitweise auch der einzige Lieferant für Proviant, Ausrüstung und Pferde des bayeri­ schen Heeres.18 Die Geschäfte mit dem Hof und die Auseinandersetzungen über die Schuldentilgungspolitik hatten auch unter Kurfürst Karl Albrecht eine, wenn auch zahlenmäßig bescheidene, fortgesetzte jüdische Prä­ senz in München zur Folge. 1728 sind bereits acht Haushaltungen mit insgesamt 17 Personen nachweisbar.19 Das Auftreten der Juden in der Stadt erhielt einen zunehmend selbstverständlichen Charakter. Dies führte zu einem größeren Eklat, als Simon Wolf Wertheimer wohl 1726 in seiner Unterkunft beim Weinwirt Franz Xaver Hildteprandt im Tal zusammen mit anderen Juden das Laubhüttenfest vergleichs­ weise aufwendig feierte und Hildteprandt sogar noch selbst an dem Festmahl teilnahm. Weil er das Fest gestattet und sogar mitorganisiert

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hatte, wurde der Weinwirt, dem Wertheimer versichert hatte, daß er die Erlaubnis zu der Feier besäße, daraufhin 1729 mit einer empfind­ lichen Geldstrafe belegt. Allerdings war Wertheimer sofort bereit, sei­ nem Quartiergeber die Strafsumme zu ersetzen. Der nun häufiger gewordene jüdische Geschäftsverkehr in Bayern machte eine verbindlichere Regelung der immer noch relativ willkür­ lich gehandhabten Maut- und Leibzollpraxis notwendig. Kurfürst Karl Albrecht legte daher am 22. April 1733 fest, daß jeder Jude beim ersten Eintritt in das Land zwei Gulden, an jeder Maut- und Zahlstelle aber 15 Kreuzer und für jeden Tag des Aufenthalts zusätzlich 15 Kreu­ zer zu zahlen habe. Für Frauen sollte der halbe Satz gelten.20 Die Hof­ juden blieben von dieser Regelung weitgehend ausgenommen. Auf Bitten Wertheimers und Mändles hob Karl Albrechts Sohn und Nach­ folger Maximilian III. Joseph am 27. November 1750 schließlich für die Hofjuden das Aufenthalts- und Gewerbeverbot in Bayern auf so­ wie auch das Verbot, im Ausland mit bayerischen Untertanen Verträge abzuschließen, um ihnen so die Schuldeneintreibung auf dem Rechts­ weg zu ermöglichen. Er scheute allerdings davor zurück, diese Rege­ lung zu publizieren. Im Mai 1750 befanden sich insgesamt zwanzig Juden in neun Haus­ haltungen in der Stadt. Zum Quartier hatte man ihnen zunächst drei Gasthäuser im Tal zugewiesen, von denen das Weingasthaus «Zum schwarzen Bären» oder «Zum Lunglmayr» und der Weinwirt Nockher, das frühere Weingasthaus Hildteprandt, zu den vornehmsten Weingasthäusern Münchens zählten. Das ist nicht weiter verwunder­ lich, gehörten Hofjuden doch naturgemäß zur jüdischen Wirtschafts­ elite und damit eher zur wohlhabenderen Bevölkerungsschicht. Wäh­ rend aber beim Lunglmayr zu dieser Zeit kein Jude wohnte, konzen­ trierten sich die wichtigeren Hofjuden Isaak, Wertheimer und Mändle alle auf den Weinwirt Weiser. Daß die Münchner Wirtschaftsbezie­ hungen zu Juden über den engeren süddeutschen Raum hinausgingen, zeigt die Anwesenheit des Hamburger Petschierstechers Meyr Hirschl und des offenbar sephardischen Juden Kasbad Lourenco aus Amster­ dam beim Weinwirt Nockher. N ur vier der aufgelisteten neun Haus­ halte unterhielten Bedienstete, darunter Simon Wolf Wertheimer allei­ ne sieben. Abgesehen von dem Sohn Wertheimers sind in keinem Haushalt weitere Familienangehörige genannt. Bis auf die Haushälte­ rin und die Köchin Wertheimers sind noch keine Frauen verzeichnet. Kaum einer der jüdischen Hoffaktoren oder Geschäftsleute hielt sich also bereits dauerhaft in München auf. Den Kern der jüdischen Nie­ derlassung bildete die Unterkunft Wertheimers, denn bei ihm wurden alle hier weilenden Juden verpflegt, während sie in ihren Wirtshaus­

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quartieren nur das Frühstück zu sich nahmen.21 Gleich vielen bedeu­ tenden Hofjuden in anderen Residenzstädten war Wertheimer damit informelles Haupt und Wohltäter der im Entstehen begriffenen jüdi­ schen Gemeinde Münchens. Daß die Juden in München begonnen hatten, sich auf längere Aufenthalte einzurichten, zeigt das Judenver­ zeichnis von 1750: Es führt als erstes Anzeichen einer rudimentären jüdischen Infrastruktur Lew Weichei als «Schechter bey der alhiesig Judenschafft» auf.22 Es konnte allerdings keine Rede davon sein, daß eine permanente Niederlassung von Juden in München oder ein allzu großes Wachstum des jüdischen Bevölkerungsteils bereits akzeptiert wurden. Tatsächlich beschwerte sich der Geistliche Rat im Jahr 1750 beim Hofrat darüber, daß sich in München «ville Juden dermahlen gleichsamb wie ansässig aufhalten», so daß dieser am 21. Juli 1750 anordnete, daß nur noch Ju­ den mit Paß und mit nicht mehr Domestiken als notwendig zu dulden seien.23 Dennoch scheint die Zahl der Münchner Juden in den folgen­ den Jahren auch durch ungenehmigten Zuzug weiter angewachsen zu sein, denn die kurfürstlichen Behörden wiesen den Stadtoberrichter wiederholt an, Juden ohne Aufenthaltsberechtigung nicht mehr zu dulden. 1763 ist erstmals wieder eine private Andachtsstätte, eine Bet­ stube, nachweisbar, ein langer schmaler Raum mit einer kleinen, höl­ zernen Lade und Betstühlen für über fünfzig Männer in der Wohnung Simon Wolf Wertheimers im Haus des Branntweiners Franz Langer, dem ehemaligen Weinwirtshaus Weiser im Tal 13. Gottesdienste wur­ den nur mit größter Zurückhaltung durchgeführt, um keinen öffent­ lichen Anstoß zu erregen. So mietete man sich eigens kleine Buben, die mit hölzernen Trompeten den Schofar, das Widderhorn, übertönen sollten, als es erstmals wieder zur Neujahrsfeier geblasen wurde.24 Daß nach wie vor ein zu selbstbewußtes Auftreten der Juden in München nicht angebracht war, zeigt ein Befehl des Geheimen Rats an den Stadt­ oberrichter vom 6. September 1764, der ausdrücklich feststellte, daß «wür die ohnehin schon allzu sehr ybersezte Anzahl der Judenschafft nicht zu vermehren, sondernn lieber zu vermündern gedenckhen».25

Fast eine Gemeinde Die bayerischen Kurfürsten von Max Emanuel bis Max III. Joseph hatten die Dienste der Hof juden manchmal sicherlich nur unter größ­ ten religiösen Skrupeln in Anspruch genommen, weil sich ihnen unter christlichen Geschäftsleuten kein ähnlich attraktiver Partner anbot. Die Präsenz der jüdischen Geschäftsleute in ihrer Haupt- und Resi­

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denzstadt mußten sie damit zwangsläufig hinnehmen, ohne sie verfe­ stigen zu wollen. Mit der Regierungsübernahme durch Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz am 30. Dezember 1777 änderte sich dieses Bild deutlich. In der Pfalz wurden Juden bereits seit 1660 geduldet, und der Kurfürst unterhielt zu ihnen ein vergleichsweise tolerantes Verhält­ nis.26 Von allen Höfen Süddeutschlands hatte der Mannheimer Hof wohl die größte Zahl an Hofjuden. Viele von ihnen kamen mit dem neuen Kurfürsten zunächst auch nach München. 1779 sind unter zwanzig Juden in 15 Haushaltungen allein fünf Juden aus Mannheim, zwei aus Leimen, darunter der Hoffaktor Aaron Elias Seligmann, und zwei aus Sulzbach aufgelistet. Auch vier weitere Juden, drei aus Ha­ nau und einer aus Neckarsulm, dürften dem Umfeld des Mannheimer Hofes zuzurechnen sein. Quartiere dieser Juden waren erneut zwei nahe beieinander liegende vornehme Gasthäuser im mittleren Tal, das dem Weinwirt Andre Schlicker gehörende Gasthaus «Zum weißen Rössel» und das Weingasthaus «Zur goldenen Sonne» des Georg Wil­ helm Bogner, das frühere Hildteprandtsche und Nockhersche Gast­ haus.27 Die bisherigen Hofjuden aus dem schwäbisch-fränkischen Raum wurden durch die kurpfälzischen Hofjuden keinesfalls verdrängt. Ihre Patente wurden mit dem Regentenwechsel erneuert, und 1781 sind mit Abraham Simon Wolf und Lazarus Samuel Wertheimer, den Söh­ nen des 1765 verstorbenen Simon Wolf Wertheimer, Reichla May, der Tochter des Noe Samuel Isaak, und Joseph Moyses Mändle die wich­ tigsten alten Hofjudenfamilien wieder in München nachweisbar. Nur noch einer der 14 aufgelisteten Hofjuden stammte aus Sulzbach und damit aus dem kurpfälzischen Raum. Mit je vier Hoffaktoren aus Pap­ penheim und Kriegshaber, einem aus Harburg und den beiden Söhnen Wertheimers aus Wien kam die übergroße Mehrheit wieder aus den traditionellen Herkunftsgebieten der Münchner Hofjuden.28 Nach wie vor herrschte unter den Juden eine geschäftsbedingt große Fluk­ tuation, beanstandete der Stadtoberrichter «beständig ankommend und wiederum abgehende Juden» in München.29 Allerdings deutet die Tatsache, daß 1781 bereits sieben Ehefrauen anwesend waren und sich Abraham Wolf Wertheimer schon seit vierzig Jahren, Moyses Mayr seit dreißig Jahren und Lazarus Alexander seit fünfzehn Jahren in München aufhielten, auf eine Stabilisierung der jüdischen Präsenz in der Stadt hin. Ihre Zahl war mit 55 Personen jedoch noch bescheiden. Fast alljährlich wurden nun neue Hofjuden- oder Toleranzpatente ausgestellt. Zumeist beinhaltete die Ernennung zum Hoffaktor neben dem Aufenthalts- und Betätigungsrecht auch die Befreiung von Schutz- und Leibgeld und häufig sogar die Erlaubnis, zur Verteidi­

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gung ein Gewehr mit sich zu führen. Auch Frauen, die ja in jüdischen Familien weitaus stärker zur geschäftlichen Mitarbeit herangezogen wurden als im christlichen Bereich, konnten problemlos die Ge­ schäftsbeziehungen ihrer verstorbenen Ehemänner fortsetzen, wie etwa die Witwen von Joseph Moyses Mändle und Jakob May. Sogar ihnen wurde der Gewehrbesitz gestattet. Die Berechtigung zur Ge­ schäftsausübung wurde in der Regel nicht auf die Person beschränkt, sondern auch den beauftragten Mitarbeitern erteilt. Mit der zuneh­ menden Zahl der Hofjuden nahm aber die Intensität ihrer Beziehung zum Kurfürsten deutlich ab; wie in vielen anderen deutschen Territo­ rien seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch, machte sie einer formalisierteren Verbindung zu den landesherrlichen Behörden Platz. Die Geschäfte der Hofjuden waren vielfältig. Am häufigsten ist in den Patenten vom Münzhandel die Rede, also der Belieferung der kur­ fürstlichen Münze mit Edelmetallen. Es folgen der Handel mit Schmuck, Juwelen und kostbaren Stoffen und die Versorgung der Ar­ mee mit Pferden und Verpflegung. 1786 wurde Isak Heyum aber auch der Altkleiderhandel gestattet. Die Handelsbeziehungen der Münch­ ner Hofjuden reichten dabei kaum mehr über den süddeutschen Raum hinaus.30 Gewöhnlich nennen die Patente die Reichsstädte Augsburg, Nürnberg, Regensburg und Ulm. Lediglich der aus Mannheim stam­ mende Münzlieferant Moses Jakob Gallinger wurde auch mit Ge­ schäften in Frankfurt, Heilbronn, Speyer und Worms betraut. Wie auch an anderen süddeutschen Höfen zu beobachten, hatte offenbar die lange Friedensperiode nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges die Notwendigkeit großer Heereslieferungen oder Finanztransaktio­ nen reduziert und damit einen Rückgriff auf überregionale Verbin­ dungen der Hofjuden nicht mehr notwendig erscheinen lassen. Die Folge war eine Konzentration der Geschäfte der Hofjuden auf das regionale Umfeld. Die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in München deutlich spürbare Verbindung zum Kaiserhof riß ab. Obwohl Kurfürst Karl Theodor, wie viele andere Reichsfürsten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Rahmen einer stärkeren Durchsetzung der Staatsautorität auch, die Rechte der Juden in seiner Residenzstadt Mannheim deutlich eingeschränkt hatte, hatte sein Re­ gierungsantritt in Kurbayern angesichts der rigiden Politik seiner Vor­ gänger eine tolerantere Haltung gegenüber den Juden im Bereich der Gesetzgebung zur Folge: Bereits zur Jakobidult von 1781 wurden die Einreisebestimmungen für jüdische Händler gelockert. In großer Zahl nutzten mittellose Juden, die gerade in Franken und Schwaben durch eine restriktive Ansiedlungs- und Judenpolitik und einen allgemeinen Bedeutungsverlust des jüdischen Handels seit der Jahrhundertmitte

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Titelseite des Offenen Patentes und Freipaß-Briefs von Kurfürst Karl Theodor für Josef Samuel Wertheimer vom 12. Juli 1779 (Tusche auf Pergament, in Samtumschlag gebunden, 35,5 X 25 cm). Josef Samuel war ein Enkel von Simon Wolf Wertheimer und gehörte damit einer der bedeutendsten Münchner Hofjudenfamilien an.

immer zahlreicher geworden waren, diese Chance zum Hausierhandel in der Stadt. Da sie, auch von den Hofjuden, beschuldigt wurden, schlechte Produkte zu vertreiben, wurde bereits im Dezember 1781 die Einreise für Juden wieder auf die Hoffaktoren und die dazu eigens Berechtigten beschränkt. Um zu verhindern, daß Juden in Bayern ge­ boren wurden, hatten schwangere Jüdinnen zur Entbindung bis dahin von München zumeist nach Kriegshaber ausweichen müssen. Am 17. August 1784 ordnete die Obere Landesregierung jedoch aus «Nächstenliebe und Menschlichkeit» an, daß man künftig die Nieder­ kunft von Jüdinnen in der Stadt nicht mehr unterbinden dürfe.31 Zwei Jahre später, am 2. September 1786, wurde schließlich auf Vorschlag von Stadtoberrichter Johann Nepomuk von Effner die Abhaltung des Laubhüttenfestes, «iedoch in möglichister Stille und Beyseitigung alles Lärmens und Excess», zugelassen.32 Gleichzeitig entstand der Plan, eine dauerhafte Ansiedlung von Juden im unmittelbaren Vorfeld Mün­ chens zu ermöglichen, indem man ihnen zur finanziellen Entlastung der Hofkammer das Fabrikgebäude der 1782 eingegangenen Woll­

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zeugmanufaktur Schmalz & Fehr in der Au zum Kauf und zur Nie­ derlassung anbieten wollte. Handelsstand und Magistrat in München waren jedoch nicht bereit, jüdische Konkurrenz in einem der Stadt nicht unterstellten Jurisdiktionsgebiet hinzunehmen. Vor ihren Prote­ sten, denen sich auch die Landschaft anschloß, schreckte die Hofkam­ mer offenbar doch zurück und nahm von dem Plan wieder Abstand. Nach der Beschwerde des Stifts- und Stadtpfarrers Xaver Nepomuk von Scherer über jüdische Begräbnisrituale bei der Beisetzung in Mün­ chen verstorbener Juden ordnete der Kurfürst am 20. Oktober 1792 schließlich an, daß es «bey ihren Gebräuchen in Begrabung ihrer ver­ storbenen Sekt-Verwandten» verbleiben solle, daß lediglich ein Arzt oder Chirurg zuvor den Todesfall ordnungsgemäß festzustellen habe.31 Insgesamt wurde es unter Kurfürst Karl Theodor für Juden verhält­ nismäßig einfach, ein Hofjudenpatent oder auch nur eine Aufenthalts­ berechtigung für München zu erhalten. Das zeigt am deutlichsten das Beispiel des Simon von Geldern, des Großonkels von Heinrich Heine: Am 24. Mai 1783 wurde ihm der Aufenthalt für ein Jahr mit der Be­ freiung vom Leibzoll aufgrund der Tatsache gestattet, daß er «ein Liebhaber der schönen Wißenschaften und sogenannten Belles-Lettres, auch in den orientalischen Sprachen absonders bewandert sey».34 Mit der größeren Rechtssicherheit und der gelockerten Handha­ bung des Aufenthaltsrechts verdoppelte sich die Zahl der in München lebenden Juden allein in der Zeit von 1782 bis 1786 vor allem durch den Zuzug von Familienangehörigen beinahe auf 119 Personen in 26 Haushaltungen. 1786 lebten bereits 15 jüdische Ehefrauen und 47 Kinder in der Stadt. Allerdings nahm auch die Zahl der sich ohne Be­ rechtigung in München aufhaltenden und hier einem ungenehmigten Gewerbe nachgehenden jüdischen Kleinhändler und Hausierer zu. Mit der wachsenden Kopfzahl entwickelte sich ein stabileres Gemein­ deleben, so daß sich die Juden 1788 mit Moses Salomon aus Horch­ heim einen Vorsänger bzw. Vorbeter nach München holten, allerdings ohne Genehmigung. Das Anwachsen des jüdischen Bevölkerungsanteils und die bestän­ digere Präsenz der Juden in München hatten beinahe zwangsläufig Klagen der von ihrer Konkurrenz besonders betroffenen bürgerlichen Gewerbezweige zur Folge, vor allem bei den Händlern und Krämern, den Gold- und Silberarbeitern, den Kleinuhrmachern, den Hutma­ chern und den Kürschnern. Unablässig wurden seit 1784 Beschwer­ den sowohl gegen einzelne Konzessionserteilungen als auch gegen die Zunahme der Juden insgesamt erhoben. Die Eingaben enthielten die üblichen Pauschalvorwürfe der Gewerbebeeinträchtigung durch die «gleichsam angebohrne Practiquen» von Wucher, Betrug und Pfu­

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scherei, unterstellten Schleichhandel und Abgabenhinterziehung.35 Konkrete Anschuldigungen wurden selten erhoben. Das häufig vor­ gebrachte Argument, daß das einheimische Gewerbe sich auch ohne Juden kaum am Leben hätte halten können, macht deutlich, daß es, zu einer Zeit, die ohnehin von Besitzstandskämpfen zwischen Zunft­ handwerk und nichtzünftischen Gewerbetreibenden geprägt war, in erster Linie um die Ausschaltung von weiteren Wettbewerbern ging. Selbst die Hofjuden schlossen sich aus Angst, daß echtes oder ver­ meintliches Fehlverhalten anderer Juden ihnen selbst zur Last gelegt werden könnte, und sicherlich auch aus Konkurrenzneid und Abgren­ zung gegenüber dem zunehmenden Betteljudentum, den Beschwer­ den über «Excessen und Ausschweifungen der sich einschleichend fremden meist unvermöglichen Juden» an.36 Die Eingaben gipfelten in der Regel in der Forderung, unberechtigt in München lebende Juden auszuweisen und die Hofjuden in ihrer Anzahl und in ihren Geschäf­ ten einzuschränken. Der Ärger über die jüdische Konkurrenz führte immer wieder auch zu beleidigenden Ausfällen seitens Münchner Bürger. 1790 ging der Schokolademacher Felix Hardter als Reaktion auf Schulden- und Wechselstreitigkeiten mit Abraham Wolf Wertheimer und dessen Buchhalter Jakob Ullman sogar so weit, an seinem Geschäft eine Tafel mit der Inschrift anzubringen: «Hier wird sich der Eintritt der Juden verbethen.»37 Aber ebenso wie die kurfürstlichen Behörden Aus­ schreitungen gegenüber den Juden 1787 «criminaliter» behandelt se­ hen wollten,38 ordnete der Stadtrat 1790 an, daß Hardter die Tafel wie­ der entfernen mußte. Der Stadtmagistrat leitete die Beschwerden der Gewerbetreibenden regelmäßig mit unterstützenden Stellungnahmen an die Obere Lan­ desregierung weiter. Stadtoberrichter Michael Adam von Bergmann hatte bereits 1782 eine Konferenz der Regierungsbehörden und des Stadtmagistrats angeregt, die am 14. Dezember 1782 den Erlaß einer Judenordnung zur grundsätzlichen Regelung der Niederlassung von Juden in München und zur Beseitigung von Mißbräuchen beschloß. Sowohl Stadtoberrichter Carl Anton von Barth als auch sein Nachfol­ ger Johann Nepomuk von Effner legten dazu konkrete Vorschläge vor. 1790 leitete der beständig um eine erneute Konferenz zur Diskus­ sion der Judenproblematik bemühte Stadtmagistrat Vorschläge des Stadtoberrichters zu einer provisorischen Beilegung der Beschwerden des Handelsstandes an die kurfürstlichen Behörden weiter. Effner fürchtete, eine allzu kompromißlose Haltung könnte die Bemühungen der Hofjuden fördern, aus dem Jurisdiktionsbereich des Stadtober­ richters in den des Hofoberrichters zu wechseln und damit der städti-

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sehen Einflußnahme völlig zu entgleiten. In seinem 1788 ausgearbeite­ ten Programm beschränkte er sich daher im wesentlichen darauf, die Ausweisung aller nicht ausdrücklich mit einer Aufenthaltsberechti­ gung für München versehenen Juden, die Einschränkung einer freien Wohnungsnahme und die Begrenzung der Zahl an Hofjuden anzure­ gen. Seine Vorschläge waren allerdings auch von dem aufgeklärten Ge­ danken geprägt, «daß die politische Herabwürdigung der Judenschaft auch die sittliche nach sich ziehe, daß man diese ehevor mildern solle, wenn man ihre Sitten bessern will, ihnen bestimmte und zur Nahrung hinlängliche Geschäfte [...] anweisen solle, wenn sie nicht zu uner­ laubten und dem Publico dann der Bürgerschaft schädlichen Speculationen Zuflucht nehmen sollen».39 Mit der Anregung, die beiden am längsten in München ansässigen Hofjuden zur Überwachung von Recht und Ordnung zu «Vorstehern der Gemeinde» zu ernennen, machte Effner seine Bereitschaft deutlich, eine jüdische Gemeinschaft mit festen Strukturen in München zu etablieren. Zur Ausformulierung einer Münchner Judenordnung sollte es je­ doch während der Regierungszeit von Kurfürst Karl Theodor nicht kommen. Der Landesherr und seine Behörden konnten allein schon aus ökonomischen Gründen kein Interesse an einer Reduzierung oder gar völligen Ausweisung der Juden haben. So sah sich die Landschaft während der Koalitionskriege gegen Frankreich noch 1798 gezwun­ gen, auf jüdische Finanzhilfe zurückzugreifen. Der Heereslieferant Isak Seligmann Straßburger aus Weißenburg stellte ihr für zwei Jahre einen Vorschuß von zweihunderttausend Gulden zur Verfügung. Die Obere Landesregierung behandelte die Beschwerden aus der Münch­ ner Bürgerschaft daher nur schleppend und vergab weiterhin unbeein­ druckt Aufenthaltsberechtigungen und Hoffaktorspatente. Kurfürst Karl Theodor ging in Fortführung seiner bisherigen ju­ denfreundlichen Politik am 31. Dezember 1795 sogar noch einen Schritt weiter und gestattete schließlich Juden, «die mit erwiesenen hinlänglichen Vermögen versehen sind und diesfalls sowohl als wegen ihres guten Leinmuths mit obrigkeitlichen Attestaten bey Churfürstl. Obern Landesregierung sich genugsam ligitimieren werden», generell die Einreise nach Bayern, wenn sie hier Handel treiben wollten.40 Das von Herzog Albrecht V. verfügte Aufenthalts- und Handelsverbot für Juden war damit für vermögende Juden endgültig aufgehoben. Die Zahl der Juden stieg daher trotz aller städtischen Bemühungen um ihre Beschränkung und Reduzierung schließlich bis 1798 auf 191 Köpfe in 38 Haushaltungen an. Die Zahl der Familienangehörigen wuchs auf 104, darunter alleine 26 Ehefrauen, und die des Gesindes und der Mitarbeiter auf 45. Man darf allerdings nicht von einem kon­

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tinuierlichen Wachstum ausgehen. N ur ganz wenige Familien und Haushaltungen, wie die Wertheimer und Mändle oder die des Löw Abraham aus Pappenheim, von Moses Löw und Josef Löw Emanuel aus Kriegshaber, von Falk Amschel Markbreiter aus Harburg, von Reichla May aus Mergentheim und von Hirsch Lippmann Pappenhei­ mer aus Wallhausen in Franken, sind über einen längeren Zeitraum hin permanent in München nachweisbar. Viele jüdische Geschäftsleute hatten die Stadt nur zu ihrem zeitweiligen Wohnsitz gemacht und gin­ gen auch an anderen Orten ihren Geschäften nach. Nur neun Namen wurden 1798 erstmals genannt, deren Träger waren also offenbar erst jüngst zugewandert oder hielten sich nur vorübergehend in München auf. Bereits zwölf der jüdischen Haushalte, also fast ein Drittel davon, besaß zu diesem Zeitpunkt keine Aufenthaltsberechtigung. Als Herkunftsort stellte das schwäbische Kriegshaber mit fünf Fa­ milien die größte Zahl jüdischer Haushaltungen. Insgesamt waren die schwäbischen Juden mit acht Haushaltungen aber in München nur vergleichsweise schwach vertreten. Den größten Anteil stellte mit fünfzehn Haushaltungen der fränkische Raum mit dem Schwerpunkt im Nürnberger Umland. Zu ihnen sind auch noch vier aus dem kur­ bayerischen Schnaittach stammende Haushaltungen zu rechnen. Aus dem ehemals kurpfälzischen Einzugsbereich kamen nur fünf der Haushalte. Die Herkunftsorte der restlichen fünf lagen, mit der Aus­ nahme von Bonn, mit Hechingen, Hohenems, Wien und Karlowitz in Böhmen alle im Süden des Reichs. Mit 31 Wohnungen, davon allein neun in dem inzwischen als Judenbranntweiner bekannten Gasthaus im Tal 13, bildete das Tal mit den angrenzenden Straßen nach wie vor den Siedlungsschwerpunkt der Münchner Juden. In anderen Stadttei­ len lagen auch noch 1798 nur insgesamt sechs betreffende Wohnun­ gen, allerdings auf das gesamte Stadtgebiet verteilt. Hausbesitz blieb den Juden als Nichtbürgern natürlich immer noch verwehrt. Die Zahl derer, die sich als Hofjuden, Agenten oder Bevollmächtig­ te kurfürstlicher Behörden in der Stadt aufhielten, war auf 24 gestie­ gen.41 Anders als in vielen anderen Residenzstädten des Reiches waren also in München jüdische Gemeinde und Hofjudenschaft noch weit­ gehend deckungsgleich. Die meisten der Münchner Juden lebten vom Handel mit Juwelen, Schmuck und Galanteriewaren mit jeweils 13 Nennungen. Es folgten der Geldwechsel mit acht und andere Geldge­ schäfte mit sieben Nennungen. Sechs Münchner Juden handelten mit Uhren. Darüber hinaus wurden Hof und Stadt mit Edelmetallen, Klei­ dern und Pferden versorgt, es wurde Kleinhandel betrieben und die Verpflegung für die bayerischen Truppen organisiert. Einen hand­ werklichen Beruf übte nur der Schächter aus, aber auch er handelte im

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Nebengeschäft noch mit Uhren und Pfändern. Die jüdischen Händler hatten nach wie vor keine Geschäftsräume in der Stadt, sondern ledig­ lich Niederlassungen in Gasthäusern, oder sie betrieben Hausierhandel. Obwohl die Münchner jüdische Gemeinde von Hofjuden domi­ niert wurde, kann sich ihr Vermögensstand kaum mit dem anderer, be­ deutenderer Gemeinden in den Reichs- oder Residenzstädten messen. Ganz große Reichtümer fehlten hier noch. Zehn Haushalte gaben ein Vermögen von zweihundert bis eintausend Gulden an. Zwischen ein­ tausend und zehntausend Gulden besaßen neun. Sechs Haushalte ver­ fügten über mehr als zehntausend Gulden. Bezeichnenderweise ge­ hörte aus den alten Münchner Hoffaktorenfamilien lediglich Löw Isak Wertheimer, der Sohn Simon Wolf Wertheimers, mit einem Vermögen von zwölf bis fünfzehntausend Gulden zu ihnen. Alle anderen hatten sich erst nach 1777 in München niedergelassen. Mit dreißigtausend Gulden stand dabei mit weitem Abstand Isak Feiß Neuburger aus Kriegshaber an der Spitze, wenn man von den größtenteils als verloren eingeschätzten Ausständen des Hirsch Lippmann Pappenheimer und des Isak Marx einmal absieht. Das reichte auch nicht an die Vermögen der großen Münchner Handelshäuser dieser Zeit heran. Allerdings galten auf der anderen Seite aber sieben jüdische Haushalte mit insge­ samt 28 Personen, darunter auch die Familie Joseph Mändles des Jün­ geren, als verschuldet, arm oder unterstützungsbedürftig. Das war mit 14,6 Prozent ein weitaus höherer Armenanteil, als ihn die nichtjüdi­ sche Bevölkerung Münchens mit etwa vier Prozent aufwies. Dienst­ boten besaßen 23 der jüdischen Haushaltungen, die meisten davon le­ diglich einen oder zwei, wobei im Unterschied zur Vergangenheit die Zahl des weiblichen Gesindes mit dreißig die der männlichen Dienst­ boten mit acht weit übertraf. Anders als etwa die Juden in der benachbarten Markgrafschaft Bur­ gau, die auf vielfältige Weise politisch, wirtschaftlich und gesellig mit ihren christlichen Nachbarn verflochten waren, blieben die Juden in München bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine Randgruppe. Hat­ ten sie sich bisher weitgehend widerspruchslos in die vorgegebene Ordnung gefügt und allenfalls im Einzelfall rechtliche Zugeständnisse erbeten, so wurde 1797 erstmals der Versuch gemacht, die Rechtsver­ hältnisse auch von jüdischer Seite her aktiv mitzugestalten. Aus den Reihen der Hofjuden selbst kam der Vorschlag einer besseren Organi­ sation der jüdischen Gemeinde: Der aus dem fränkischen Uehlfeld stammende Abraham Uhlfelder beantragte, zum Oberhoffaktor er­ nannt zu werden. Sein Vorhaben war dabei, der offizielle Ansprech­ partner in jüdischen Angelegenheiten zu werden, und er kündigte an, den Mißbrauch von Patenten abzustellen und für eine bessere Rege­

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lung anfallender Probleme zu sorgen - Aufgaben, die bisher die Älte­ sten der Gemeinde oder besondere Abgeordnete von Fall zu Fall wahrgenommen hatten. Stadtoberrichter Leonhard Carl Sedlmayer hielt diesen Vorschlag für durchaus nützlich, aber die kurfürstlichen Behörden zeigten auch in diesem Fall kein großes Interesse an einer grundsätzlichen Regelung des Rechtsstatus der in München lebenden Juden. Das sollte sich erst mit dem Tod des Kurfürsten Karl Theodor am 16. Februar 1799 ändern.

Wege in die bürgerliche Gesellschaft (1799-1848) von Anton Löffelmeier

Staatliche Toleranz und bürgerliche Ressentiments Der Tod des Kurfürsten Karl Theodor am 16. Februar 1799 löste bei der Münchner Bevölkerung weniger Bedauern und Trauer als viel­ mehr Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus. So war die am selben Tag vollzogene Besitzergreifung des neuen Kurfürsten Max IV. Joseph aus der wittelsbachischen Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld in München mit beinahe enthusiastischen Hoffnungen auf eine Zei­ tenwende verbunden. Diese Stimmung hielt noch viele Wochen bei den öffentlichen Auftritten des Kurfürsten an. Als Max IV. Joseph am 26. März mit seiner Gattin zum ersten Mal eine Aufführung des Hofund Nationaltheaters im Residenztheater besuchte, wurde er «mit einem unbeschreiblichen Jubel der auf einander gedrängten Zuschau­ er» empfangen. Gegeben wurde aus der Feder des neuen Leiters von Hofschauspiel und Hofoper, Joseph Marius Franz von Babo, das pat­ riotisch vaterländische Stück «Der Frühling - Ein Vorspiel», das ohne Zweifel das Frühlingserwachen des Landes und aller Stände unter dem neuen Herrscher ankündigen sollte.1 Die Stadt München zeigte zu dieser Zeit die typischen Strukturen einer Residenzstadt. Neben der Hofgesellschaft standen in etwa glei­ cher Anzahl die Bediensteten der kurfürstlichen Regierungsstellen, so daß im Jahre 1801 6873 «Kurfl. Besoldete sowohl vom Adel als Civilist», das entspricht ca. 19 Prozent der insgesamt 35 750 Seelen, gezählt wurden.2 In der Stadt war es seit dem Umzug des pfalzbayerischen Hofes von Mannheim nach München im Jahr 1778 eng geworden. Es gab so gut wie keine Freiflächen mehr, die Häuser waren aufgestockt worden und besaßen bis zu fünf Stockwerke, die Mietpreise galten als außerordentlich hoch, während das sonstige Münchner Preisniveau eher niedrig war. Skeptisch verfolgten die Bürger die Versuche der Landesherrschaft, die Entfestigung der Stadt voranzutreiben, die Ba­ stionen niederzureißen und somit einer Ansiedlung außerhalb der Stadtmauern Attraktivität zu verleihen.3 Mit Skepsis und teils unver­ hohlener Ablehnung begegneten Bürgerschaft und Magistrat auch der zunehmenden Anwesenheit von Juden, die zwar zahlenmäßig einer

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absoluten Minderheit angehörten (im Jahr 1801 waren es 254 Seelen, das entspricht 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung), in der öffent­ lichen Wahrnehmung jedoch ein weit darüber hinausgehendes Interes­ se beanspruchten. Mußten sie allein schon durch ihren Habitus und durch ihre religiösen Riten und Gebräuche einen äußerlich auffallen­ den Kontrast zur rein katholischen Mehrheitsgesellschaft bilden, so standen sie durch ihre auf landesherrlicher Privilegienerteilung beru­ henden Aufenthaltsrechte und Handlungsgerechtsame außerhalb der ständisch-bürgerlich strukturierten Stadtgesellschaft. Die Möglichkeit einer Neuregelung des Aufenthaltsrechts von Ju­ den in München hatte der Regierungswechsel des Jahres 1799 durch­ aus geboten, nachdem Max IV. Joseph am 5. April 1799 die unter sei­ nem Vorgänger ausgestellten Hoffaktorspatente für erloschen erklärt hatte. Allerdings war die Position des Kurfürsten eine schwankende. Sie changierte zwischen dem Festhalten am althergebrachten landes­ herrlichen, weitgehend fiskalisch orientierten Judenregal und einer auf Emanzipation ausgerichteten Judenpolitik, wie er sie gegenüber seiner Behörde formulierte: «daß diese unglückliche Menschenklasse, ohne ungerecht und grausam zu sein, aus dem churfürstlichen Erbstaat nicht mehr verbannt werden kann, ihnen mehrere Nahrungsquellen ohne Nachtheil der churfürstlich-christlichen Unterthanen eröffnet und überhaupt eine solche Einrichtung gegeben werden möchte, durch welche sie allmählich zu würdigen Staatsbürgern erzogen wür­ den und die Würdigkeit dazu erlangen könnten.»4 Nach der Ungültig­ keitserklärung vom 5. April 1799 kam es aber weder zu einer Neuaus­ stellung der Patente noch zu einer gesamtbayerischen Regelung über die «Judentoleranzen». Ein Entwurf der Generallandesdirektion vom 5. November 1799 über eine Münchner Judenordnung wurde bald zu­ rückgestellt, da spätestens im Januar 1801 die Behörde vom Regenten mit der Ausarbeitung einer generellen Regelung der Verhältnisse der bayerischen Juden beauftragt worden war.5 Dieser Schwebezustand bewirkte jedoch, daß kurfürstliche und städtische Stellen Anträge auf Schutzaufnahme nicht mehr beschieden oder die Gesuchsteller bis zum Erlaß von generellen Bestimmungen vertrösteten. Der aus Harburg im Ries stammende Heinrich Harburger stellte im April 1802 bei der Landesdirektion den Antrag auf Schutzerteilung in München, hatte aber Ende 1804 noch keinen Be­ scheid in den Händen. Wolf Samson Wertheimer aus Heidingsfeld bei Würzburg, der sich seit 1796 in der Stadt aufhielt und mit Nürnberger Manufakturwaren handelte, beantragte im Jahr 1803 den Schutz, wur­ de aber «bis zur allgemeinen Bestimmung über die Judenschaft vertrö­ stet».6 Erhalten blieb unter Max IV. Joseph jedoch weiterhin die Insti­

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tution der Hoffaktoren und Hofagenten, die in klassischer Aufgaben­ zuweisung mit Krediten die Aufrechterhaltung der äußerst bedrohten bayerischen Staatsliquidität ermöglichten, die Versorgung der Armee mit Uniformen und der Kavallerie mit Futter organisierten, aber auch die Hofgesellschaft mit Luxusartikeln und Galanteriewaren versorg­ ten. Bankiers und Großhändler wie Hirsch Lippmann Pappenheimer, Moses Jakob Gallinger, Moses Levi, Joseph Mändle, Falk Samson Markbreiter, die Gebrüder Isak, Israel und Jakob Marx, Aaron Elias Seligmann, Isak Seligmann Straßburger, Abraham Uhlfelder oder Abraham Wolf und Löw Isak Wertheimer blieben auch für Max IV. Joseph unentbehrlich. Aaron Elias Seligmann, ohne dessen Anleihen weder die im Feld stehenden Truppen noch die im auswärtigen Dienst tätigen Staatsbeamten ihre Besoldungen ausbezahlt bekommen hätten, erhielt noch 1799 in München das Bürgerrecht für sich, seine Söhne und Schwiegersöhne zugesprochen.7 Ein Großteil der unter Karl Theodor aufgenommenen Schutzjuden hatte hingegen für die Aufenthaltsrechte keinen Beleg mehr in den Händen, nachdem der Stadtoberrichter Sedlmayer alle zurückgefor­ derten Originalpatente und Schutzbriefe, verpackt in einer großen silbernen Kapsel, am 26. Juni 1799 an die Generallandesdirektion ge­ sandt hatte.8 Beschleunigt wurden die festgefahrenen Verhandlungen durch die persönliche Initiative des Kurfürsten, welcher am 7. N o­ vember 1804 die Landesdirektion anwies, «alsobalt» - und zwar in­ nerhalb von 14 Tagen - eine Beschreibung aller hier vorhandenen Juden vornehmen zu lassen, «überhaubt aber diesem Gegenstand mehrere Aufmerksamkeit zu widmen als wir aus den bisherigen Ver­ handlungen entnehmen.» Diesem Auftrag verdanken wir einen umfas­ senden Status aller in München wohnenden Juden. Grundlage für die Beschreibung bildete die persönliche Befragung fast aller Haushalts­ vorstände durch die Polizeidirektion zum Jahresende 1804. Demnach gab es zu diesem Zeitpunkt 97 jüdische Haushaltungen in München, 61 wurden von verheirateten Männern geführt, 24 von unverheirate­ ten oder geschiedenen Personen und je fünf von Witwern und Wit­ wen; bei zwei Haushaltsvorständen fehlte die Angabe zum Familien­ stand. In den Familien wurden 143 Kinder gezählt, die sich noch im Elternhaushalt aufhielten (davon 85 Kinder nicht älter als zwölf Jah­ re), sowie 101 unverheiratete jüdische Bedienstete und dreißig Gäste. Dazu kamen noch fünf verheiratete Dienstbotenehepaare mit zehn Kindern, so daß insgesamt 440 Personen gezählt wurden. Die Haus­ haltungen umfaßten demnach wesentlich mehr Familienmitglieder als noch zwanzig Jahre zuvor. Bei 54 der 61 verheirateten Männern lebten nun auch deren Ehefrauen ständig im Haushalt, und der Anteil von

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Kindern bis zu zwölf Jahren betrug ein Fünftel der jüdischen Bevölke­ rung. Vierzig Haushaltsvorstände waren erst ab 1798 zugezogen. Die Größe der Haushalte hatte sich ebenfalls stark verändert. Bestand 1782 ein jüdischer Haushalt durchschnittlich aus 2,18 Personen, waren es 1804 bereits 4,5 Personen. Die Stadt bildete jetzt für den überwiegenden Teil der hier ansässi­ gen Juden den geschäftlichen und familiären Mittelpunkt. Aufenthalt und Wohnung wurden nicht mehr ausschließlich in den Gasthäusern im Tal und in deren Umgebung gesucht, die Wohlhabenderen hatten ihre Wohnungen inmitten der Stadt, oftmals im Umfeld der Resi­ denz. Der bei der Zählung festgestellte Umfang der jüdischen Ge­ meinde überraschte selbst die Behörden, hatte man doch bis dahin lediglich «über die 300 Köpfe» geschätzt. So mag es nicht verwundern, daß kurz darauf, am 17. Juni 1805, ein «Regulativ über die hiesige [= Münchner] Judenschaft» publiziert wurde.9 Dieses Regelwerk, das im Tenor auf dem von Christoph Freiherr von Aretin am 25. März 1802 für die Generallandesdirektion entworfenen Judenreglement fußte, sollte den künftigen Weg der bayerischen Judenpolitik vorge­ ben - ein Weg, der den Juden gleichermaßen in einem Nebeneinander von Fürsorge und Abwehr die staatsbürgerliche Gleichheit noch Jahr­ zehnte verwehrte und der, im Gegensatz zum napoleonischen Frank­ reich oder - mit Einschränkungen - zu Preußen und Österreich, auf eine Emanzipation unter dem Vorbehalt der Besserung setzte. Die Juden müßten durch Gesetze zur Bürgerrechtsfähigkeit erzogen wer­ den, und erst wenn sie sich einer Stufe als würdig erwiesen hätten, sollten sie in den Genuß weiterer bürgerlicher Rechte gelangen. Das bedeutete freilich, daß die Emanzipation in die Hände von Bürokraten gelegt worden war. Fortan gerieten niederlassungswillige Juden in die Mühlen eines vielfältigen bürokratischen Verfahrens von Antragstel­ lung, Gutachtenerteilung und abgestufter behördlicher Entscheidung. Den ständigen Aufenthalt garantierte nur die Aufnahme in die neu zu erstellende Matrikel, wobei die zugeteilte Nummer lediglich auf ein Kind übertragen werden konnte, was die Ansässigmachung der übri­ gen Nachkommen wesentlich erschwerte. Die Beschränkung auf «Jene, die Numern haben», sollte de facto zu einer Verminderung der Anzahl von Juden in der Stadt führen und ging später in den berüch­ tigten Matrikelparagraphen (§ 12) des Ediktes von 1813 ein. Als Ge­ genstände des Handels waren nach dem Regulativ weiterhin nur sol­ che zugelassen, die zum Wohlstand des Landes beitrugen, den Luxus förderten oder den staatlichen Bedürfnissen dienten. Der Zutritt in die zünftisch organisierten Gewerbe blieb den Juden verwehrt. Die für eine Verehelichung nachzuweisende hohe Finanzausstattung - minde­

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stens tausend Reichstaler - sollte eine kapitalkräftige jüdische Ein­ wohnerschaft in der Haupt- und Residenzstadt sichern. Andererseits bedeutete das Regulativ einen wichtigen Schritt zu mehr Rechtssicher­ heit, indem es die Ansiedlung im gesamten Stadtgebiet erlaubte, grundsätzlich die Religionsausübung in der Form der Privatandacht gestattete und die Verbindlichkeit der bürgerlichen Gesetze bei Wech­ sel- und Darlehensgeschäften vorschrieb. Als Folge der nach Verkündigung des Regulativs durchgeführten Prüfung der Aufenthaltsrechte erhielten siebzig jüdische Familien von der Landesdirektion das Bleiberecht in München zugesprochen, wäh­ rend 37 Familien aufgefordert wurden, die Stadt zu verlassen. Darun­ ter befanden sich einige für das rituelle Leben der jüdischen Gemeinde unerläßliche Funktionsträger, wie der Rabbiner Ezechiel (Hessel) Samuel und der Schächter Abraham Oettinger. Der Bannstrahl der Landesdirektion traf vor allem jene, die während der letzten fünf Jahre der Regierungszeit von Max IV. Joseph nach München gezogen waren und ihre Aufenthaltsberechtigung nicht auf ein besonderes landes­ herrliches Privileg oder eine Bewilligung der obersten Landesbehör­ den stützen konnten. Allerdings genügte oft auch ein langjähriger Aufenthalt in der Stadt nicht, wie das Beispiel Isak Heyums zeigt. Der aus Obergimpern in der Kurpfalz stammende Heyum hielt sich seit 23 Jahren in München auf, war ursprünglich bei der Schloßadministra­ tion in Schleißheim angestellt und verdiente seinen Lebensunterhalt nun mit dem Handel mit alten Kleidern, Schnallen und Uhren. Mit immerhin schon 68 Jahren sollte er mit Ehefrau Rebeka und den drei Kindern Löw (30 Jahre alt), Rachel (26) und Nani (12) die Stadt verlas­ sen.10 In der Praxis zeigte der bürokratische Rigorismus jedoch ein freundlicheres Gesicht. Bis zum Jahr 1808 war die Anzahl der in Mün­ chen anwesenden Familien zwar auf siebzig gesunken, doch hatten inzwischen weitere jüdische Haushaltsvorstände eine Matrikelnum­ mer erhalten, so auch der Kleinhändler Isak Heyum mit seiner Fami­ lie. Schächter Abraham Oettinger und Rabbiner Ezechiel (Hessel) Samuel konnten ebenfalls in der Stadt verbleiben. Außerhalb der Zielrichtung staatlicher Judengesetzgebung stand jene kleine Schicht von jüdischen Bankiers und Großhändlern, die durch ihre vielfältigen wirtschaftlichen Unternehmungen und staatlichen Fi­ nanzanleihen ihre «Nützlichkeit» für den modernen bayerischen Staat unter Beweis stellten. Diese im Sinne der Staatsräson «aufgeklärten» Ju­ den, unter denen manche bereits ihre jüdischen Wurzeln verlassen und sich auf den Weg der Assimilation gemacht hatten, bewegten sich ganz selbstverständlich innerhalb der gesellschaftlichen Zirkel des Hofes und der höheren Staatsbeamten. Der Hofbankier Aron Elias Selig­

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mann nahm an den Tisch- und Spielpartien des Königs Max I. teil. Eine besondere Rolle kam in dieser kleinen Gruppe Heymann (Heinrich) Salomon Pappenheimer zu, der in der wirtschaftlichen und geistigen Sphäre der Stadt eine herausragende Stelle einnahm. Pappenheimer, 1769 als Sohn eines Rabbiners in Lublinitz (Schlesien) geboren, hatte sich seit dem Ende der 1780er Jahre in Altona, Hamburg, Berlin und Paris mit den Ideen der jüdischen und der norddeutsch-protestan­ tischen Aufklärung befaßt, war ein glühender Anhänger der Franzö­ sischen Revolution und setzte sich auch publizistisch für die Emanzi­ pation und Assimilation ein. Nachdem er 1802 Associe und Schwieger­ sohn Aaron Elias Seligmanns geworden war, siedelte er 1803 nach München über, betätigte sich hier als Heereslieferant und Bankier und führte mit seiner Ehefrau Fany, wie zuvor schon in Paris, ein geselliges Haus, in dem bald die führenden Köpfe der «norddeutschen Gelehr­ ten» Münchens verkehrten. Der Philosoph Friedrich Wilhelm von Schelling zog im Winter 1807/08 in Pappenheimers Wohnung und pries die Gefälligkeit des «wohlunterrichteten Mannes».11 Sicherlich hatten die in den Jahren 1802 und 1803 gegründeten, von staatstragen­ den Männern und Motiven geleiteten großen bürgerlichen Vereine Museum und Harmonie jene aufgeklärte und vermögende Schicht von Juden im Blick, wenn sie in ihren Satzungen festlegten: «Zu Mitglie­ dern können gebildete Männer aus allen Ständen aufgenommen wer­ den» (Museum).12 Zu den im ersten Jahr dem Museum beigetretenen 165 Mitgliedern gehörten denn auch Aaron Elias Seligmann und dessen Sohn sowie die Bankiers Straßburger und Wertheimer.13 Welche Möglichkeiten des gesellschaftlichen Austausches hatten aber die Ehefrauen und die unverheirateten Töchter der jüdischen Oberschicht? Aus den wenigen erhaltenen privaten Mitteilungen die­ ser Zeit geht zumindest hervor, daß im ersten Viertel des 19. Jahrhun­ derts neben den beinahe täglichen «fisiten» und «gegenbesuchen» in­ nerhalb des eigenen (jüdischen) Familien- und Freundeskreises die großen öffentlichen Unterhaltungen der gehobenen Gesellschaft ger­ ne besucht wurden. Man verabredete sich zu Theatervorstellungen, Konzerten und Museumsbesuchen und nahm ebenso an den großen Redouten und Bällen der gehobenen bürgerlichen Gesellschaft teil.14 Die Theaterleidenschaft belegt eine Aussage des Münchner Hofthea­ terintendanten Joseph Marius Franz von Babo, der 1801 äußerte, die Abonnenten im Hoftheater müßten bei aufgehobenem Abonnement - wenn also der Anspruch auf die Plätze nicht bis zu einem bestimm­ ten Termin geltend gemacht worden war - gewärtig sein, «daß die ersten - teuren - Logenreihen neben der höchsten Herrschaft von Fleischhackern, Bierwirthen und Juden besetzt werden».15

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Eintritt ins Bürgertum Das Jahr 1813 brachte mit der Verkündigung des Edikts über «die Ver­ hältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern» für diejenigen eine herbe Enttäuschung, die auf die Erlangung weitrei­ chender Bürgerrechte gehofft hatten. Schon die dem Edikt vorausge­ gangenen mehrjährigen Erhebungen und Beratungen in den Verwal­ tungsinstanzen und schließlich im Geheimen Rat waren getragen von der Skepsis am Erfolg der Judenemanzipation und an den Besserungs­ maßnahmen des Staates. Ein Grundmotiv der staatlichen Judenpolitik blieb weiterhin die Beschränkung und die Kontrolle der jüdischen Niederlassung durch Polizei- und Regierungsstellen, so daß in Mün­ chen die im Jahr 1805 festgesetzte Zahl von siebzig Familien als abso­ lute Obergrenze für die neu zu erstellende Matrikel zu gelten hatte. Das Verfahren zur Festlegung der «auf eine Matrikel-Nummer ansaessigen Israeliten» war schon Ende 1815 formell weitgehend abgeschlos­ sen. Von den etwa einhundert Haushaltsvorständen und Familien wa­ ren 61 von der Polizeidirektion eines dauernden Aufenthalts für wür­ dig befunden worden. Der Rest mußte aufgrund seiner unklaren, minder wertvollen oder nicht belegbaren Aufenthaltsrechte die Aus­ weisung oder die Rückführung an den Herkunftsort befürchten. Dort blieb aber für die meisten kein Platz in der Matrikel übrig, da sie durch den Wegzug von ihrem Heimatort das Recht auf den Erwerb «gänz­ lich verloren» hatten. So fielen sie zwischen beide Matrikeln und wa­ ren wechselseitig von der Ausweisung bzw. Rückführung bedroht und damit heimatlos. Da dieses Problem administrativ nicht zu lösen war, beschritt Max I. den im Edikt vorgesehenen «Königsweg» und gestattete am 9. Dezember 1815 achtzehn auswärtigen Juden den tem­ porären - jährlich neu zu beantragenden - Aufenthalt in München. Im Januar 1818 mußte das Innenministerium konstatieren, daß die Ver­ hältnisse mehrerer Juden in München sich in einem «schwankenden Zustand»befänden. Für Unklarheit bei den Behörden und falsche Hoffnungen bei den Juden sorgten die im Edikt nicht ausformulierten rechtlichen Folgen von Matrikelaufnahme, Niederlassung und erlangter Gewerbekonzes­ sion. Am 12. Dezember 1816 betonte das Generalkommissariat, daß die wirklich immatrikulierten und förmlich konzessionierten Familien in die Klasse der Bürger aufgenommen würden. Daraufhin baten am 10. Januar 1817 die in München immatrikulierten Juden um die Verlei­ hung «des ganzen Umfanges der staatsbürgerlichen Rechte», weil mit ihrer Bürgeraufnahme der Grund für die im Edikt enthaltenen Ein-

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Schränkungen wegfalle. Die Regierungsstelle wies das Ansinnen je­ doch in deutlicher Form zurück: Es handele sich hierbei um einen «groben Irrthum», denn der gleiche Anteil am Kommunalvermögen und an den Kommunallasten sowie das Recht, bürgerliche Gewerbe zu ergreifen, ziehe nicht automatisch auch staatsbürgerliche Rechte nach sich.16 Kleine Schritte zur «bürgerlichen Verbesserung» der Juden hatte man schon im Jahr 1804 eingeleitet, als man ihnen den Eintritt in alle höheren und niederen Lehranstalten der christlichen Konfessionen gestattete sowie kurz zuvor die Militärdienstpflicht der bayerischen Untertanen auch auf sie ausdehnte. Eine Fehlauslegung der Schulver­ ordnung seitens der Polizeidirektion führte in München jedoch zu einem jahrelangen Konflikt zwischen der jüdischen Gemeinde und den staatlichen Aufsichtsbehörden. Die Polizeidirektion interpretierte die Möglichkeit, eigene jüdische Schulen zu errichten, als einen Zwang und erhielt dabei Unterstützung von den zwei jüdischen Privatlehrern Moses Farnbacher und Nathan Zirndorfer, die ihre private Lehranstalt erhalten und ausbauen wollten.17 Diese Auseinandersetzung bietet einen interessanten Einblick in die Schulverhältnisse der jüdischen Kinder; sie zeigt aber auch, mit wel­ chem Selbstbewußtsein die jüdische Gemeinde inzwischen auf die Er­ füllung staatlicher Normen dringen konnte. Der Gemeindevorsteher Abraham Uhlfelder hatte die Mehrheit der Gemeinde hinter sich, als er es ablehnte, die jüdische Privatschule von Farnbacher und Zirndor­ fer finanziell zu unterstützen oder ganz zu fundieren. Der Gemeinde­ vorstand - so Uhlfelder am 26. Oktober 1809 - könne den Mitgliedern nicht vorschreiben, ihre Kinder zum Religionsunterricht in eine be­ stimmte Schule zu schicken. Andererseits genieße München das Glück, eine beträchtliche Anzahl staatlich finanzierter Schulen und Lehrinstitute zu besitzen, die bereits von jüdischen Kindern besucht werden. Hier setzte nun allerdings die Kritik der Lokalschulinspek­ tion ein, denn eine ganze Reihe vermögender jüdischer Eltern schickte ihre Kinder nicht in die öffentlichen Volks- und Elementarschulen, sondern ließ sie durch Privatlehrer, die nicht öffentlich geprüft waren, unterrichten. Als Lokalschulkommissär Weichselbaumer im März 1810 feststellte, daß von den 39 schulfähigen jüdischen Kindern (24 Kna­ ben, 15 Mädchen) nur zehn die deutschen Stadtschulen besuchten, und den Eltern vorwarf, «ihre Jugend soll also wie bisher ohne Unter­ richt in Wissenschaft, Kunst und Handwerk aufwachsen», legte Uhl­ felder unmißverständlich seinen Standpunkt dar: Erst wenn es den Ju­ den ermöglicht werde, «zu öffentlichen Aemtern zu gelangen und in die Reihe der Staats Diener zu treten», sei die Motivation vorhanden,

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«die deutschen Studien eifrig zu betreiben, uns allen Zweigen der Wis­ senschaften zu wiedmen, Universitaeten zu besuchen und sehr gern unser Vermögen auf höhere Bildung zu verwenden». Übrigens lasse es keine der jüdischen Familien an dem notwendigen Unterricht fehlen, «die Vermöglichereren gehen hierin mit Vergnügen über das Bedürfniß hinaus». Am Ende setzte sich die staatliche Aufsicht durch: Am 31. Dezember 1810 erfolgte die allerhöchste Weisung, alle schulfähi­ gen und schulpflichtigen Judenkinder vom 6. bis 12. Lebensjahr in die christlichen Volksschulen einzuweisen. N ur jene Kinder, deren Eltern einen «in den Elementar Lehrgegenständen geprüften und approbier­ ten Hauslehrer» angestellt hätten, könnten vom Besuch öffentlicher Schulen dispensiert werden. Diese Kinder mußten sich jedoch am Ende jedes Schuljahres vor einem Schulrat einer gesonderten Prüfung unterziehen. Für den mosaischen Religionsunterricht sei vom Vorste­ her der Judenschaft Sorge zu tragen. Der Zwang zur Errichtung einer eigenen jüdischen Elementarschu­ le war damit gefallen. Offensichtlich führte die Anordnung aber dazu, daß mehr Eltern ihre Kinder in die öffentlichen Volksschulen schick­ ten - 1816 waren es bereits 28 Kinder. Die Anzahl der Hauslehrer ver­ ringerte sich nicht, doch scheint die geforderte staatliche Approbation eine Qualitätsverbesserung herbeigeführt zu haben. So engagierten die Gebrüder Marx im Mai 1813 für ihre zehn Kinder den jungen, aus Altenkunstadt am Obermain stammenden Benedikt Mainer als Hausleh­ rer. Dieser hatte sich als Lehrer in Pappenheim bereits einen Namen gemacht und sollte auch bald in der Münchner Gemeinde hohes Anse­ hen genießen. Mainer, hochgebildet, fortschrittlich orientiert, sehr patriotisch und monarchisch gesinnt und auch unter den Nichtjuden hochgeachtet, eröffnete im November 1826 ein «Lehr- und Erzie­ hungsinstitut für israelitische Knaben», das die Kinder in drei Stufen bis zum Übertritt ins Gymnasium vorbereitete. Über den Besuch von Lateinschulen und Gymnasien durch jüdi­ sche Kinder liegen erst aus der Mitte des Jahrhunderts verläßliche Zahlenangaben vor. Julius Jolson, ein Enkel des Gemeindevorstehers Abraham Uhlfelder, trat im Jahr 1811 in das Wilhelmsgymnasium ein und dürfte damit zu den ersten jüdischen Schülern gehört haben, die im 19. Jahrhundert eine höhere Lehranstalt besuchten. 1821 war Lud­ wig Spiro, der Sohn des Bankiers Simon Spiro, am dortigen Lyzeum eingeschrieben. Im Schuljahr 1827/28 besuchte Sigmund Marx, der Sohn des Kommerzienrats Eduard Marx, die Oberklasse des Wil­ helmsgymnasiums. Im Wintersemester 1828/29 zählte er mit Her­ mann Bienenfeld zu den ersten aus München stammenden Studenten an der hiesigen Universität, wobei die Zulassung jüdischer Studenten

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mit hohen Hürden versehen war. Auch die Burschenschaften nahmen nur dann jüdische Studenten auf, wenn diese den Willen zu einer weit­ gehenden Assimilation (die häufig die Taufe einschloß) zeigten. Jüdi­ schen Hochschulabsolventen boten sich überdies nur sehr einge­ schränkte Möglichkeiten der Berufsausübung, meist nur in den freien Berufen, denn die Übernahme in den bayerischen Staatsdienst blieb ihnen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - versagt. Darunter fielen auch jegliche Lehrtätigkeit oder die Ausübung eines Richteramtes; lediglich eine Anstellung im Schreiberdienst war möglich. Dabei war der Ausschluß vom Staatsdienst nicht gesetzlich festgelegt, sondern blieb wie in den übrigen Staaten des Deutschen Bundes als «staats­ rechtliches Gewohnheitsrecht» in Übung. Demzufolge arbeiteten die wenigen jüdischen Akademiker als Ärzte oder Rechtskonzipienten, wobei die Zulassung zur Advokatur erst nach einer mehrjährigen Tä­ tigkeit erfolgte. Es kann daher nicht verwundern, daß bis 1861 an der Ludwig-Maximilians-Universität nur 17 aus München stammende jü­ dische Studenten gezählt wurden. Die Einführung der Militärdienstpflicht im Jahr 1804 sollte einen weiteren Beweis erbringen, daß sich Juden der Gewährung aller staats­ bürgerlichen Rechte als würdig erwiesen. Dabei spielten das Militär und die Landwehr in Bayern nie eine staatseinigende oder reforman­ stoßende Rolle, wie dies etwa in Preußen der Fall war. Die eher gerin­ ge Gesamtstärke, lange Dienstzeiten und die Möglichkeiten, sich durch Stellung eines Ersatzmannes freizukaufen, ließen das stehende Heer nicht zu einem Instrument der Integration für Minderheiten werden. Im 19. Jahrhundert wurden sechs Juden in das aktive Offi­ zierkorps der Armee aufgenommen, fünf davon entstammten der Münchner Gemeinde. Erfaßt von der nationalen Begeisterung, der «Liebe zum Vaterland und Neigung zum Militärstande» trat 1813 als erster Isidor Marx (1789-1862), ein Vetter der als Großhändler in München tätigen Gebrüder Marx, als Gemeiner in das 4. NationalFeld-Bataillon ein. Im Jahr 1823 erhielt er die Beförderung zum Lieu­ tenant und wurde damit der erste Offizier jüdischen Glaubens in der bayerischen Armee. Doch nur wenige sollten seinem Beispiel folgen. Im Jahr 1843 dienten in der bayerischen Armee lediglich drei Juden im Offiziersrang. Anders verhielt es sich allerdings auf der Ebene der Mi­ litärdienstpflichtigen. Bei diesen war die Armeeführung um Toleranz bemüht, so etwa durch die 1827 eingeführte Sonderregelung des Fah­ neneides für Juden und seit 1856 insbesondere durch die weitgehende Rücksichtnahme auf die hohen jüdischen Feiertage.

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Die jüdische Gemeinde zwischen Orthodoxie und Reform Gemeindeangelegenheiten wurden nach jüdischer Tradition von den Ältesten oder von besonderen Abgeordneten besorgt. Zunächst in Zu­ sammenarbeit mit dem hochbetagten Abraham Wolf Wertheimer, dann in dessen Nachfolge, war Abraham Uhlfelder in eine führende Rolle in der jüdischen Gemeinde Münchens hineingewachsen. Unterstützung fand er dabei in einem Kreis angesehener Männer, die mit ihm die In­ teressen der Gemeinde gegenüber den Behörden vertraten. Dabei han­ delte es sich weitgehend um die alteingesessene Elite der Hoffaktoren, die als fortschrittliche oder gemäßigte Modernisieret eingeschätzt wer­ den konnten und die über gute Kontakte zum Hof verfügten. Neben Abraham Uhlfelder waren dies die Hoffaktoren Hirsch Lippmann Pappenheimer, Isak Marx, Löw Isak Wertheimer und Falk Markbreither. Abraham Uhlfelder und Löw Isak Wertheimer unterzeichneten die Bestätigung über die im Jahr 1802 erfolgte Anstellung des Rabbi­ ners Hessekiel Hessel aus Sülzbürg.18Rabbiner Hessel gehörte 1806 zu den Mitbegründern der Chewra Talmud Tora, die sich zum Ziel gesetzt hatte, ihren anfänglich 13 männlichen Mitgliedern in der hergebrachten Organisationsform der Korporation die Erfüllung zentraler religiöser Gebote (Mizwot) zu ermöglichen, und zwar neben dem Gebot des Tora-Studiums (Talmud Tora) auch das der Wohltätigkeit (Zedaka) und der selbstlosen Güte (Gemilut Chesed). Die Bildung von Chewrot entsprach somit dem jüdischen Herkommen und entsprang möglicher­ weise dem Bedürfnis, dem traditionellen religiösen Leben der Münch­ ner Gemeinde eine breitere Basis und zugleich eine Organisationsform zu verschaffen. Eine Gemeinde, die in den Jahren zuvor durch Zuzug stark gewachsen war und deren Uniformität in den Meinungen aufzu­ brechen begann. Die Beziehungen zwischen den teilweise im Gefolge der durchmarschierenden Truppen in München angekommenen jüdi­ schen Händlern und den alteingesessenen Familien waren nicht frei von Konflikten. Dies zeigen mehrere Eingaben der genannten Ge­ meindevertreter aus den Jahren 1801, 1802 und auch noch 1812, in de­ nen betont wird, daß sie mit den ohne Schutzbrief zugezogenen Juden «ganz und gar keine Gemeinschaft» hätten und mit den Handlungen dieser Fremden nicht in Zusammenhang gebracht werden wollten.19 Wirksamen Einfluß auf die Führung der Gemeinde konnte die Gruppe der Neuankömmlinge aber nicht ausüben. Im Gefolge des Regulativs von 1805 wurde Abraham Uhlfelder zum Vorsteher der Gemeinde ge­ wählt, weiterhin unterstützt von mehreren Deputierten.

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Das im Jahr 1813 erlassene Edikt bedeutete für die innere und äuße­ re Organisation der Gemeinde eine tiefgreifende Zäsur. Die Autono­ mierechte der jüdischen Gemeinde wurden weitgehend beseitigt, und das Amt des Rabbiners wurde einer staatlichen Aufsicht und Bestäti­ gung unterworfen. Dessen bisherige Funktionen als Richter in Zivil-, Ehe- und Erbrechtsangelegenheiten übernahmen ordentliche Gerich­ te. Überdies setzte das Edikt einen Organisationsrahmen (Rabbiner und Substituten), der dem Rabbiner eine neue Leitungsfunktion in weltlichen Dingen zugestand, die er in der jüdischen Tradition nicht innehatte. Bei der am 25. Januar 1815 erfolgten Neuwahl der Gemein­ deverwaltung wurde zwar Rabbiner Hessel zum provisorischen Vor­ stand gewählt, die beiden Substituten Moritz Ascher und Israel Hirsch Pappenheimer aber scheinen sein Mitspracherecht weitgehend auf die religiösen Angelegenheiten reduziert zu haben. Von grundle­ gender Bedeutung ist jedoch in diesem Zusammenhang, daß mit der Formierung der Kultusgemeinde im Jahr 1815 die Münchner jüdische Gemeinde erstmals in ihrer Geschichte über eine öffentlich-rechtlich geregelte und staatlich garantierte Organisationsform verfügte. Eine Folge davon war, daß Rabbiner Hessel, dem noch im Jahr 1805 samt seiner Familie die Ausweisung gedroht hatte, im Mai 1815 vom Gene­ ralkommissariat des Isarkreises die Bestätigung als Rabbiner und die Eintragung in die Matrikel erhielt. Die Behörde verwies ausdrücklich auf seine Qualifikation und gute Aufführung.20 Der neue Status der Gemeinde ließ auch den Bau einer Synagoge, den das Edikt ab einer Zahl von fünfzig Familien erlaubte, in greifbare Nähe rücken, zumal die Polizeidirektion im Februar 1817 anordnete, daß Gottesdienste künftig nur noch in einer «Schule» ausgeübt wer­ den dürften. Die bisher in der Stadt verteilten privaten «Nebenschu­ len», die wegen der Beengtheit des Betraumes im Tal von einigen Privatleuten - etwa den Großhändlern Raphael Kaula, Löw Isak Wertheimer und Moses Zaduk - eingerichtet worden waren, müßten schließen. Allerdings führte die Frage nach dem Standort der Synago­ ge innerhalb der jüdischen Gemeinde zu einer starken Polarisierung, die den Fortgang der Planungen ins Stocken brachte. Während die Gruppe um den pragmatisch gesinnten ersten Administrator Israel Hirsch Pappenheimer den von der Polizeidirektion vorgeschlagenen Platz «nahe dem Theater am Isartor» befürwortete, traten die Ge­ meindemitglieder um den zweiten Administrator Eduard (bis 1813: Isidor) Marx - er hatte 1816 die Nachfolge von Moritz Ascher ange­ treten - energisch für einen zentralen Standort innerhalb des städti­ schen Burgfriedens ein. In Anbetracht dessen, daß die Juden den glei­ chen Anteil an den Gemeindelasten trugen, sollte die Stadt zu günsti-



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Außenansicht der Synagoge an der Westenriederstraße. Lavierte Bleistiftzeichnung von Carl August Lebschee, undatiert.

gen Konditionen ein städtisches Grundstück zur Verfügung stellen. Dieses Anliegen scheiterte jedoch am negativen Votum des Kolle­ giums der Gemeindebevollmächtigten. Erfolgreich war schließlich der Kreis um Pappenheimer, der mehrere Grundstücke an der Theatergas­ se, der späteren Westenriederstraße, erwarb und am i.Juni 1824 von der Regierung des Isarkreises die Genehmigung für den dort projek­ tierten Synagogenbau erhielt. Damit waren auch innerhalb der Kul­ tusgemeinde die Würfel gefallen, und bereits am 26. Juli 1824 konnte in Anwesenheit von Repräsentanten des Stadtmagistrats und des Kol­ legiums der Gemeindebevollmächtigten die feierliche Grundstein­ legung erfolgen. Wegen der unbesetzten Rabbinerstelle - Hessekiel Hessel war am 28. Mai verstorben - leitete Israel Hirsch Pappenheimer die Zeremo­ nie. Auch wenn sich Pappenheimer und Marx in der Frage des Syn­ agogenstandortes unnachgiebig gegenüberstanden, so gehörten sie doch beide zu denjenigen Gemeindemitgliedern, die energisch Neue­ rungen anstrebten, für eine Modernisierung der Gemeinde und des re­ ligiösen Kultus eintraten und die Integration der jüdischen Gemeinde in die Stadtgesellschaft befürworteten. In dieses Programm fügte es

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Perspektivische Innenansicht der Synagoge an der Westenriederstraße. Aquarell, gefertigt von Jean Baptiste Metivier, undatiert (um 1824/25).

sich, daß mit Hofbaurat Jean Baptiste Metivier für die Errichtung der Synagoge ein Architekt gewonnen werden konnte, der in München durch zahlreiche Bauten für die Angehörigen des Hofes und des Adels bereits hohes Ansehen genoß. Klassizistisch im Stil, äußerlich zurück­ haltend und auf den ersten Blick nicht als Kultusgebäude erkennbar, im Innern klar gegliedert und an einen antiken Tempel erinnernd, ent­ sprach das Gebäude den staatlichen Vorstellungen von Integration:

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der erwarteten Angleichung der jüdischen Bevölkerung an die Le­ bensformen der nichtjüdischen Umwelt. Als Anerkennung dieses Konzeptes ist zu werten, daß bei der feierlichen Einweihung der Syn­ agoge am 21. April 1826, dem Vortag des Pessachfestes, das Königs­ paar, zahlreiche führende Hof- und Staatsbeamte und mehrere Mit­ glieder des diplomatischen Korps anwesend waren. Entsprechend den von der jüdischen Reformbewegung seit Beginn des Jahrhunderts geforderten Zielen sollte der äußeren Neugestaltung die Neuordnung des religiösen Kultus folgen. Unter maßgeblicher Mitarbeit von Pappenheimer und Marx wurde am 23. Mai 1825 eine Synagogenordnung erlassen, welche die Abschaffung der bestehenden «unordentlichen» Gewohnheiten und die Annäherung an die Gepflo­ genheiten des christlichen Gottesdienstes sowie der als allgemein ver­ bindlich angesehenen bürgerlichen Normen insgesamt zum Inhalt hatte. Gefordert wurden «ehrfurchtvollste Stille» und die Verrichtung der Gebete «in Andacht und Wohlanständigkeit». Während der Got­ tesdienste habe jeder «in Ordnung und Anstand» an seinem ange­ stammten Platz zu bleiben. An Samstagen und anderen hohen Feier­ tagen wurde ein Gebet für den König und das Königliche Haus ein­ geführt.21 Als weiterer Reformansatz zum Zwecke der «inneren Verbesserung des Gottesdienstes» erfolgte 1827 die Drucklegung eines Gebetbuches mit deutscher Übersetzung, das nach dem Vorwort des Initiators und Finanziers Israel Hirsch Pappenheimer «in dieser Art in Deutschland noch nicht vorhanden war».22 Allerdings meldeten sich innerhalb der Gemeinde nun Gruppierungen zu Wort, denen diese Reformen zu weit gingen. Dies verärgerte Pappenheimer, und ent­ täuscht sah er sich noch im selben Jahr zu einem Rücktrittsgesuch ver­ anlaßt, das er aber wohl auf Bitten zahlreicher Gemeindemitglieder wieder zurückzog. Erst 1829 legte er aus Altersgründen sein Amt als erster Administrator nieder. Der Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisierern kam damit aber nicht zur Ruhe. Er wurde von Eduard Marx sogar weiter am Leben erhalten, indem er einen Organisationsentwurf über die Neuregelung der Administration vorlegte. Dieser sah vor, den Rabbi­ ner aus der Kultusadministration zu entfernen und diese einem Admi­ nistrator und zwei Assessoren zu übertragen. Die Proteste zahlreicher Gemeindemitglieder halfen nichts, am 11. April 1834 wurden die neu­ en Statuten, die weitgehend den Marxschen Vorstellungen folgten, von der Regierung des Isarkreises beschlossen. Damit war die schon seit Jahren bestehende Praxis, den Rabbiner - entgegen der Bestimmungen des Edikts - weitgehend von der Administration auszuschließen, end­ gültig sanktioniert. Spätere Versuche des Rabbiners Hirsch Aub, die

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