Festkulturen im Vergleich: Inszenierungen des Religiösen und Politischen 9783412213169, 9783412205966


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Festkulturen im Vergleich: Inszenierungen des Religiösen und Politischen
 9783412213169, 9783412205966

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Fe s t ku lt u r en i m V erg l ei c h

Michael Maurer (Hg.)

Festkulturen im Vergleich Inszenierungen des Religiösen und Politischen

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Dieser Band ist im Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ an der Friedrich-Schiller-Universität entstanden und wurde unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: Vorderseite: Otto von Bismarck auf dem Jenaer Marktplatz 1892. Gemälde von Hans W. Schmidt, 1908 Reproduktion: Fotozentrum der FSU Jena, Peter Scheere. Rückseite: Studentischer Festumzug auf dem Jenaer Marktplatz (18. Jhdt.). Stammbuchblatt, Stadtarchiv Jena. © 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20596-6

Inhalt Einleitung Festkulturen im Vergleich Inszenierungen des Religiösen und Politischen Michael Maurer 9 Die Herrschererhebung als Fest Krönungsfeste im Vergleich Harriet Rudolph 13 Akademische Sollenitäten Universitäre Festkulturen im Vergleich Marian Füssel 43 Konfessionskulturen: Feste feiern katholisch – Feste feiern protestantisch Michael Maurer 61 „Gott hat Großes für uns getan, des sind wir fröhlich“ Friedensfeste der Frühen Neuzeit im Territorium der Weimarer Ernestiner Norman Beberhold 85 Das erzählte Fest als literarische Problembewältigungsstrategie: Wieland, Heinse und Novalis im Vergleich Matthias Löwe 107

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„Und jedermann erwartet sich ein Fest“ Eine vergleichende Phänomenologie höfischer und bürgerlicher Geburtstagsfeiern Susan Baumert 119 Rußland, Deutschland und die Wartburg: Politische Optionen und Repräsentationsstrategien in der Weimarer Festkultur, 1804–1836 Franziska Schedewie/Raphael Utz 139 „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Friedensfeste nach 1800 in Schwedisch-Pommern Lars Deile 159 Festkultur und Politisierung zwischen den Freiheitskriegen und der Revolution von 1848/49 Hans-Werner Hahn 177 Zwischen Symbolzwang und „Schutzwehr des freien Protestantismus“ Das Confessio-Augustana-Jubiläum von 1830 in der theologisch-kirchenpolitischen Auseinandersetzung Stefan Gerber 195 Fürsorgeideen des 19. Jahrhunderts in Feiern und Festen: Johannes Daniel Falk und Johann Hinrich Wichern im Vergleich Christian Hain 217 Millennium – Volk – Grenze 1000-Jahrfeiern im Rheinland und in Sachsen im Vergleich Ulrich Rosseaux 243



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Staatliche Verfassungsfeiern und ihre Resonanz in der Evangelischen Kirche der Weimarer Republik Klaus Fitschen 259 Vergleiche in der europäischen Zeitgeschichte Annäherungen über politische Feste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Christoph Kühberger 275 Die Feste der iberischen Diktatoren: Spanien und Portugal in den 1940er Jahren Hedwig Herold-Schmidt 291 Die Veralltäglichung des Festes Bemerkungen zur Festkultur der Gegenwart Winfried Gebhardt 321 Personenregister 334 Sachregister 347

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Festkulturen im Vergleich Inszenierungen des Religiösen und Politischen

von Michael Maurer Während es zu gewissen Zeiten so scheinen konnte, als sei ‚Fest‘ gewissermaßen das Komplement zu ‚Alltag‘, und wenn ‚Alltag‘ der Gegenstand ‚harter‘ Sozialgeschichte war, gehöre ‚Fest‘ zum schönen Überfluss des Seins, werde mithin zum Objekt einer ‚weichen‘ Kulturgeschichte, haben sich nun die Fronten nach drei Jahrzehnten intensiver Festforschung grundlegend verschoben. Mehr und mehr ist deutlich geworden, dass sich Gesellschaft nicht nur im Festlichen repräsentiert und gewissermaßen symbolisch aufgipfelt, sondern recht eigentlich konstituiert. Indem man die Gemeinschaftskomponente des Festes betont, erweist sich Feiern als ein Mechanismus der Inklusion und Exklusion, der Identitätsstiftung und Vergegenwärtigung von Geschichte, der Teilhabe am Ganzen oder an bestimmten Vergesellschaftungen und Vergemeinschaftungen auf allen Ebenen, vom Staat bis zur Familie. Festforschung beschäftigt sich dann nicht mehr nur mit Epiphänomenen des Dekors, des Zeremoniells und des schönen Scheins, sondern richtet sich zentral auf das In-Erscheinung-Treten von Gesellschaft als Kultur. Die anthropologische Grundgegebenheit der Zeitlichkeit des Menschen, seiner Definition und Selbstdefinition in Gliederung und Akzentuierung der Zeit, der natürlichen Gegebenheiten, als kulturelle Aktivität, kurz: ‚Zeitkultur‘, zeigt sich dabei offen und variabel: Zur Zeitkultur gehört auch die Verweigerung der Teilnahme an Festen, die Individualisierung durch Rückzug aus der Gesellschaft. Feste haben grundsätzlich etwas Sozialisierendes, ja immer aufs Neue Resozialisierendes: aktive Teilnahme oder widerstrebende Nichtverweigerung schaffen, erhalten oder modifizieren Gruppenbeziehungen, aber auch Optionen im Bereich des ‚kulturellen Gedächtnisses‘. Ostern als Fest der Natur oder Gedächtnis der Auferstehung Jesu Christi – das sind zwei Wege, die durch synkretistisches Brauchtum kaum wirklich zusammengehalten werden. Die Mühelosigkeit und Beliebigkeit des Zugriffes auf flottierende Elemente einer globalen Kultur (Valentinstag, Halloween) erleichtern den Traditionsbruch des Analphabetismus der eigenen Kultur. Der Plural ‚Festkulturen‘ macht deutlich, dass zumindest die Gegenwart von einer Pluralität der Kulturen bestimmt ist, die vielfältige Angebote der Identifikation und

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Teilhabe macht, denen nicht mehr gleiche Verbindlichkeit zukommt wie früheren kulturellen Konkretionen und Standardisierungen. Trotzdem zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass auch früheren Jahrhunderten nur in ideologischer Absicht Einheitlichkeit vindiziert werden kann. Die hier versammelten Beiträge richten sich auf die neuzeitlichen Jahrhunderte, und in diesem letzten Halbjahrtausend ist es offenkundig, dass Feste feiern nicht nur gesellschaftlich-kultureller Integration diente, sondern gleichzeitig gesellschaftlich-kultureller Differenzierung. Seit der Reformation (Glaubensspaltung) prägten sich divergierende Kulturstile aus, die sich nicht zuletzt als konkurrierende Stile des Feierns realisierten (einschließlich der Festverweigerung). Protestanten und Katholiken feierten nicht nur nicht gemeinsam, sie feierten auch in unterschiedlicher Weise – selbst dort, wo sie dieselben christlichen Glaubensinhalte im Blick hatten. Konfessionalisierung, früher oft im Zusammenhang der Sozialdisziplinierung betrachtet, erscheint unter diesem Aspekt als konkurrierende Enkulturation, als Ausformung paralleler Konfessionskulturen, als deren wesentliches Merkmal die Differenz des Feierstiles in Erscheinung tritt. Ohne Zweifel entwickelte sich konfessionelles Feiern in einem spezifischen politisch-sozialen Kontext; ohne Zweifel förderten und hemmten staatliche Eingriffe in kirchliches Leben eine autonome Entfaltung konfessioneller Kulturen. Und die Sozialisierung im Rahmen einer katholischen oder protestantischen Tradition des Feierns entband oder fesselte kulturelle Kräfte in Literatur, Musik und Kunst. Die Untersuchung des Festlichen bietet eine Diagnostik für die Einbindung der Individuen in Institutionen und in konkurrierende Sinnbezüge. Der Vergleich früherer und späterer Krönungsfeste führt in die Welt des Höfischen, Staatlichen, schlechthin Repräsentativen, zeigt aber auch diese beharrliche, im Wesentlichen traditionsbewahrende Entfaltung in ihrem zeitlichen Wandel – einem Wandel, der epochenspezifische Feierstile und Ansprüche an die Repräsentation des Politischen deutlich werden läßt. So auch das Individuum im akademischen Kontext: Universitäten entfalteten sich nicht nur im Rahmen einer allgemeinen Geistes- und fachspezifischen Wissenschaftsgeschichte, sondern auch in den zeremoniellen Formen des Semesterablaufes und der rites de passage des akademischen Lebens. Als Personenverbände traten sie gerade in ihren zeremoniellen Formen in Erscheinung, vom Fackelzug für beliebte Professoren bis zum akademischen Gottesdienst, von den Ritualen der Deposition bis zum Rigorosum und Doktorschmaus. Und Zugehörigkeit zum Rechtskreis der Universität bedeutete zugleich Ausschluss aus der Bürgergemeinde als Freiheit von bürgerlichen Lasten: akademische Freiheit. Die Frage nach der Entfaltung des Individuellen im Kontext der Institutionen gebiert die Frage nach den Residuen des Privaten und ihrer Prägung durch ständische Vorgaben. Wie feierten Adlige, wie Bürger ihre Geburtstage?



einleitung

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Fragen des Kulturtransfers spielen in die Festgeschichte, wo sich zeigen lässt, dass traditionales, höfisches Feiern über seine Selbstzweckhaftigkeit als In-ErscheinungTreten hierarchischer Ordnung hinaus auch Abbild und Symbol kultureller Beziehungen war – etwa am Weimarer Hof zu der Zeit, als die Herrin des Festes eine russische Großfürstin war. Das auf die Herkunft bezogene Fest als kulturelle Enklave – und doch in vielfältigen Modifikationen, die sich aus den Beziehungen der handelnden Personen ergeben, aus Rücksicht und Voraussicht. Im Festlichen gestaltet sich ein komplexes Beziehungsgefüge, das sich in keiner Verfassung abbildet. In der Ausformung von Festen manifestiert sich nicht nur ein traditioneller Herrschaftsanspruch; im Zeitalter des Umbruches von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft wird in festlicher Vergemeinschaftung auch neue Legitimität herzustellen gesucht. Solche Mechanismen der Inklusion und Exklusion durchziehen alle Festkulturen. In der Inszenierung des Religiösen und Politischen zeigen sich vielfältige Übergänge, Modifikationen und Transpositionen. Festliches in der Armenfürsorge kann den Zusammenhalt einer Ersatzfamilie für Entwurzelte intendieren oder die Missionierung Außenstehender. Die Feier oder Ablehnung des Bezuges auf das lutherische Zentraljubiläum der Confessio Augustana kann 1830 übergreifende Religiosität präsentieren oder neue Konfessionalisierungstendenzen. Die Politisierung im bürgerlichen, öffentlichen Fest des 19. Jahrhunderts kann nationalisierend wirken oder partikulare Tendenzen aufbrechen lassen. Friedensfeste können politisch sein oder der religiös-konfessionellen Identitätsbildung dienen. Der Vergleich der 1000-Jahrfeiern in verschiedenen Regionen zeigt nationale, partikularstaatliche, dynastische und städtische Tendenzen in komplexer Verflechtung. Wie sich das Gedenken an den Gründungsakt der demokratischen Weimarer Verfassung in verschiedenen Strömungen und Gruppierungen der protestantischen Kirche verwirklichte und sich religiöses und politisches Denken amalgamierten, zeigt sich bei der vergleichenden Untersuchung der Verfassungsfeiern. Vergleichende Studien zum staatlichen Feiern im Nationalsozialismus und im italienischen Faschismus geben nicht nur die religiösen Formen des Feierns als Bausteine und Elemente einer säkularisierenden Festkultur zu erkennen, sondern lassen auch exemplarisch gegenseitige Beeinflussungen, Modifikationen und Differenzen deutlich werden. Im Kulturellen muß der Vergleich eben grundsätzlich in Rechnung stellen, dass möglicherweise Verwischungseffekte auftreten durch Nichtisolierbarkeit distinkt scheinender Phänomene. Vergleiche mit den faschistischen Diktaturen in Spanien und Portugal öffnen die Perspektive der Differenz noch weiter: Gleichzeitiges Feiern mit gleichgerichteter Intention entbindet wohl gleiche oder zumindest vergleichbare Formen, lässt jedoch mannigfaltige Bezüge auf divergierende historische Fundierungen zu. Fest stiftet nicht nur Gemeinschaft; Feiern bedeutet auch ‚Arbeit am kulturellen Gedächtnis‘, eröffnet Perspektiven auf eine nationale Geschichte in patriotischer Absicht.

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Michael Maurer

So geläufig der Satz ist, die Gegenwart werde nur im Lichte der Geschichte verstehbar, so radikal ist doch die Differenz zwischen gegenwärtigem Feiern und historischen Festen. Freilich: Die Geschichte der Festkulturen zeigt die jeweilige Vergemeinschaftung im Fest als aktualisierten Versuch im Horizont der jeweiligen Vergangenheit, die zu ihrer Zeit eine Gegenwart vor unüberschaubarem Zukunftshorizont war. In diesem Sinne wird jedes Festevent inszeniert, als sei es das letzte; und trotzdem kann jedes Festevent erneut zum Anknüpfungspunkt künftiger Feste werden. Akzeptiert man die Prämisse, das Festliche sei eigentlich zeitlos und überzeitlich, erweist sich das jeweils aktualisierte Fest als Mikrokosmos unserer Welt, als monadischer Spiegel der Tendenzen unserer Zeit. Gerade in seiner Veralltäglichung zeigt uns das Fest, was die Stunde geschlagen hat. Die vorliegenden Beiträge dokumentieren (auszugsweise) eine Tagung, die unter dem Titel Fest im Vergleich am 11. und 12. Dezember 2009 in Jena stattgefunden hat und im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 482 Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Historiker und Soziologen, Theologen und Literaturwissenschaftler unternahmen den Versuch, die zuvor problematisierte Methode des Vergleiches in einer kulturgeschichtlich ausgerichteten Heuristik für die Festforschung fruchtbar zu machen. Aus den zeitlich übergreifenden Explorationen erhoffen wir uns Aufschlüsse für die zeitlich und räumlich enger dimensionierten Forschungen über Zeitkultur im Ereignisraum Weimar-Jena um 1800 – sachlich durch neue Gesichtspunkte, methodisch im transdisziplinären Zugriff.

Die Herrschererhebung als Fest Krönungsfeste im Vergleich

von Harriet Rudolph Das Fest kann als ein spezieller Modus der sozialen Inklusion verstanden werden, der sich durch einen spezifischen Anlass, sein demonstratives Herausgehobensein aus dem Alltag sowie seinen kollektiven und zugleich ostentativ-repräsentativen Charakter auszeichnet.1 Im Fest konstituierten sich Handlungszusammenhänge wie der Fürstenhof, die Stadt, die Gemeinde oder das Kirchspiel als soziale und politische Gefüge. Feste sind kommunikative Ereignisse, für deren durch symbolische Akte klar definierte Dauer die üblichen Alltagsverrichtungen ruhen. Durch das Zusammenwirken der Festteilnehmer werden Zugehörigkeiten definiert, Rangordnungen hergestellt und Wertvorstellungen vermittelt.2 Feste können aber auch der Entlastung von Zwängen, der Bewältigung von Bedrohungen oder der Regeneration nach besonderen Herausforderungen dienen. Ihre Nichtalltäglichkeit wird durch ein besonderes Decorum betont, das auf das Verhalten und die mentale Disposition der Akteure zurückwirken soll. Denn jedes Fest setzt eine bestimmte innere Haltung der Teilnehmer voraus, wie es zugleich eine besondere innere Haltung zu schaffen versucht. Im Unter-

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Vgl. zum Folgenden Harriet Rudolph: Das Reich als Ereignis. Formen und Funktionen der Herrschaftsinszenierung bei Kaisereinzügen (1558–1618) (Norm und Struktur 38), Köln 2010, Kap. III; allgemein Uwe Schultz (Hrsg.): Das Fest: eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988; Paul Hugger/Walter Burkert/Ernst Lichtenhahn (Hrsg.): Stadt und Fest. Zur Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur. Festschrift der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich zum 2000-Jahr-Jubiläum der Stadt Zürich, Unterägeri 1987; Michael Maurer: Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand, in: Historische Zeitschrift 253 (1991), S. 101–130; Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln u.a. 2004; Jacques Heers: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1986; Detlef Altenburg/Jörg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff (Hrsg.): Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, Sigmaringen 1991; Walter Haug/Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest (Poetik und Hermeneutik 14), München 1989. So auch Maurer, Feste (vgl. Anm. 1), S. 118.

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schied zu Feiern sind Feste im Allgemeinen positiv besetzt – nicht zuletzt aufgrund der mit ihnen verbundenen Akte der Nahrungsaufnahme und des Gabentausches.3 Dies gilt auch für die Krönung als Fest. Im Zuge von Krönungsakten im Heiligen Römischen Reich fanden aber nicht nur Festivitäten statt: Vielmehr kulminierte die Festkultur des Alten Reiches in der Krönung des Römischen Königs oder Kaisers.4 Dennoch hat die Krönung als Fest bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden. Zum einen zeigen sich hier die Spätfolgen jener negativen Wahrnehmung, die dem Alten Reich insgesamt besonders seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entgegengebracht wurden. Zum anderen wurde die Reichsgeschichte lange von einem traditionell verfassungsgeschichtlichen Ansatz dominiert, nach welchem Wahl und Krönung in ihrem rechtspositivistisch fixierbaren Ergebnis aufgingen.5 In dieser Perspektive erschien die Krönung in der Frühen Neuzeit als verzichtbar, weil die Kaiser bereits nach erfolgter Wahl uneingeschränkt regierungsfähig

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Eine klare Abgrenzung zwischen Fest und Feier ist für die Frühe Neuzeit schwierig, kann aber heuristisch durchaus sinnvoll sein, um etwa den unterschiedlichen Ausdrucksgehalt und die unterschiedlichen Funktionen einzelner Akte erfassen zu können. Dazu Maurer, Feste (vgl. Anm. 1), S. 103f. Nach Duchhardt ist die Römische Königskrönung das zentrale symbolische Fest des Reiches. Heinz Duchhardt: Krönungen außerhalb Aachens. Die Habsburger bis 1806, in: Mario Kramp: Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos, Katalog der Ausstellung, 2 Bde., Mainz 2000, S. 637–640, hier S. 637. S. auch Hans-Wolfgang Bergerhausen: Die Stadt Köln und die Thronerhebung Maximilians II, in: Geschichte in Köln 29 (1991), S. 37–48, hier S. 47. Allgemein dazu Walter Goldinger: Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten Mittelalter, in: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 5 (1957), S. 91– 111; Hans Joachim Berbig: Der Krönungsritus im alten Reich (1648–1806), in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 38 (1975), S.  639–700; Wilfried Dotzauer: Die Ausformung der frühneuzeitlichen deutschen Thronerhebung. Stellenwert, Handlung und Zeremoniell unter dem Einfluß von Säkularisation und Reformation, in: Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986), S. 25–80; Winfried Dotzauer: Die Entstehung der frühneuzeitlichen deutschen Thronerhebung. Säkularisation und Reformation, in: Heinz Duchhardt, Herrscherweihe, S.  1–19; Bernd Herbert Wanger: Kaiserwahl und Krönung im Frankfurt des 17. Jahrhunderts: Darstellung anhand der zeitgenössischen Bild- und Schriftquellen und unter besonderer Berücksichtigung der Erhebung des Jahres 1612 (Studien zur Frankfurter Geschichte 34), Frankfurt a.M. 1994; Rainer Koch/Patricia Stahl (Hrsg.): Ausstellungskatalog Wahl und Krönung in Frankfurt am Main: Kaiser Karl VII., 1742 – 1745, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1986; Die Kaisermacher: Frankfurt am Main und die Goldene Bulle, 1356–1806, Katalog hrsg. v. Evelyn Brockhoff u.a., Essayband hrsg. v. ders./Michael Matheus, Frankfurt a.M. 2006; Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. IV.1.



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gewesen seien.6 Erst recht musste dies für die in ihrem Zuge veranstalteten Festivitäten gelten, welche lange Zeit nur in kulturhistorischen Arbeiten einer ausführlicheren Würdigung für Wert erachtet wurden.7 Erst im Zuge einer Konjunktur der Festforschung seit den 1990er Jahren richtete sich der Blick auch auf den Krönungsakt als Fest.8 Studien wie jene von Ralph-Rainer Wuthenow konzentrieren sich jedoch auf die Krönung von 1764, nicht weil diese in besonderem Maße stellvertretend für alle 16 Krönungsakte der Frühen Neuzeit stehen könnte, sondern weil es dieser Krönungsakt war, über welchen Goethe in seinem autobiographischen Werk Dichtung von Wahrheit berichtete.9 Noch Paul-Joachim Heinig ist in einem jüngst veröffentlichten Beitrag der Ansicht, dass man Goethes Darstellung höchstens im Hinblick auf das historische Verständnis noch etwas hinzufügen könne.10 Dieses Urteil ist nun doch zu relativieren. Die Festkultur bei Wahlund Krönungstagen nahm in der Frühen Neuzeit in Abhängigkeit von den jeweiligen 6

S. Helga Reuter-Pettenberg: Bedeutungswandel der Römischen Königskrönung in der Neuzeit, Köln 1963, S. 140f.; Wolfgang Sellert: Zur rechtshistorischen Bedeutung der Krönung und des Streites um das Krönungsrecht zwischen Mainz und Köln, in: Duchhardt, Herrscherweihe, S. 21–32, hier S. 30; Christian Hattenhauer: Wahl und Krönung Franz II. AD 1792: Das Heilige Reich krönt seinen letzten Kaiser; das Tagebuch des Reichsquartiermeisters Hieronymus Gottfried von Müller und Anlagen (Rechtshistorische Reihe 130), Frankfurt a.M. 1995, S. 139–145. Zu diesem Problem bereite ich gerade einen Aufsatz vor. 7 Siegfried Siebert: Volksbelustigungen bei deutschen Kaiserkrönungen, in: AFGK 30 (1913), S. 1–116; vgl. auch Wanger, Kaiserwahl (vgl. Anm. 5), S. 122–154. 8 Allerdings besteht für den Zeitraum vor 1440 das Problem, dass die Quellenlage ausgesprochen dünn ist, was Langzeitanalysen erschwert. Hier kam es auch noch zu sogenannten Festkrönungen, bei welchen der Krönungsakt an hohen Kirchenfeiertagen wiederholt wurde, um die Herrschererhebung erneut zu bestätigen und zu veröffentlichen. Dazu Hans Walter Klewitz: Die Festkrönungen der deutschen Könige, Darmstadt 1966; Carlrichard Brühl: Festkrönungen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1989, S. 409. 9 Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, in: Müller, KlausDetlev: Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, 40 Bde., I. Abteilung, Bd. 14, Berlin 1970, I.5; dazu Ralph-Rainer Wuthenow: Die Kaiserkrönung von 1763 zu Frankfurt a.M.. Goethes Jugenderinnerung und der Abschied vom Alten Reich, in: Schultz, Das Fest (vgl. Anm. 1), S. 232–243; Vgl. auch Heinz G. Held: Ritualästhetik. Goethes Ekphrase der Frankfurter Kaiserkrönung von 1764, in: Marion Steinicke/Stefan Weinfurter (Hrsg): Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, S. 447–473; Siegfried Siebert: Goethes Quellen und seine Darstellung der Krönung Joseph II. (Chronik des Wiener Goethe-Vereins 28), 1914, S. 11–14; neuerdings auch Jochen Fühner: Feste. Bühnen der Gesellschaft, in: Ausstellungskatalog Frankfurt am Main (2006) (vgl. Anm. 5), Katalog, S. 222–237. 10 Paul-Joachim Heinig: Krönung und Fest, in: Heidenreich/Kroll, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 10), S. 99–123, hier S. 100.

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Rahmenbedingungen sehr unterschiedliche Formen an, weshalb das Ereignis von 1764 keineswegs stellvertretend für alle anderen stehen kann. Von einer Erstarrung der Formen, welche den vergleichenden Blick auf andere Krönungsakte erübrigen würde, kann keine Rede sein. Zudem ist Goethes Bericht von den historischen Entwicklungen der Folgezeit geprägt, da der Text schließlich deutlich nach dem Ende des Alten Reiches entstand. Was bislang völlig fehlt, sind systematische Vergleiche solcher Akte sowie eine erst daraus zu gewinnende Typologie des Krönungsfestes, welche dieses mit anderen Festtypen vergleichbar machte. Ich möchte primär am Beispiel der Krönungsakte von 1562 und 1790 die Krönung als Festereignis im eingangs genannten Sinne untersuchen, wobei punktuell auch andere Krönungsakte vergleichend herangezogen werden. Die Wahl und Krönung Maximilians II. von 1562 ist die früheste Herrschererhebung, bei der beide Teilakte in ein und derselben Stadt stattfanden, wie dies mit einer Ausnahme für alle folgenden Herrschererhebungen bis zum Ende des Alten Reiches gilt. Jene Leopolds II. kann wiederum als letzte Herrschererhebung des Alten Reiches gelten, welche noch nicht durch den drohenden Krieg gegen das revolutionäre Frankreich überschattet wurde, weshalb die letzte Investitur, jene Kaiser Franz II. von 1792, sich auch aufgrund ihrer besonderen politischen Rahmenbedingungen nicht dazu eignet, ausgerechnet an diesem Beispiel langfristige Entwicklungen von Krönungsfesten im Reich herauszuarbeiten. Dabei geht es mir vor allem um die Frage nach den spezifischen gesellschaftlichen Leistungen einer sich wandelnden Festkultur im Kontext von Herrschererhebungen und um den besonderen Charakter gerade dieses Festtypus, der in seinen multifunktionalen Qualitäten genauer bestimmt werden soll. Ich werde in einem ersten Teil dieses Beitrages zunächst einige typologische Überlegungen zum Krönungsfest anstellen. Danach gehe ich auf das Problem eines historischen Vergleichs der beiden von mir ausgewählten Krönungsakte ein, bevor ich dann in einem dritten und letzten Teil ausgewählte Elemente der Festkultur beider Akte vergleichend gegenüberstelle. Dabei lasse ich die Krönungsmesse und das Krönungsbankett im engeren Sinne mit seiner ihm eigenen zeremoniellen Logik sowie auch die Huldigung durch die Bürgerschaft der Reichsstadt Frankfurt a.M. außen vor, nicht weil sich hier tatsächlich nichts weiter als Erstarrung und Entleerung am Ende der Frühen Neuzeit konstatieren ließe, sondern weil es sich um sehr komplexe Herrschaftsrituale handelt, die in diesem Rahmen nicht befriedigend verglichen werden können, zumal sie für einen Vergleich mit den in diesem Band ansonsten verhandelten Festtypen auch wenig hergeben.



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1. Typologie des Krönungsfestes Die Krönung bildete den zweiten Akt des mit Wahl und Krönung dualen Verfahrens der Herrscherinvestitur im frühneuzeitlichen Reich. Die Investitur in ihrer Gesamtheit verkörperte ein Schwellenritual, mit dem der fragile Zustand eines Interregnums nach dem Tod eines Kaisers beendet oder im Falle einer Wahl vivente imperatore verhindert werden sollte.11 Während im Wahlakt vorwiegend die Kurfürsten ihre verfassungsrechtlich fixierten Vorrechte vor anderen Fürsten des Reiches zelebrierten, konstituierte sich im Krönungsakt das Reich in seiner Gesamtheit, wurden die sozialen und politischen Bindungen der Reichsglieder untereinander sowie jene zwischen Reichsoberhaupt und Untertanen aktualisiert.12 Kennzeichnete die Wahl symbolisch und faktisch ein Vorgang der Schließung (Stadttore, Kirchentüren, Räume innerhalb der Wahlkirche), so bedeutete die Krönung einen Prozess der Öffnung. Denn der Krönungsakt zielte in starkem Maße auf eine Veröffentlichung der Herrschererhebung, was schon die zeitgenössischen Akteure betonten. Genau aus diesem Grund ließ Kaiser Ferdinand 1562 die Zeremonie der Krönung aus dem räumlich abgeschlossenen Chor der Krönungskirche St. Bartholomäus in die Vierung vor den Lettner verlegen.13 Wahl und Krönung fanden bis in die Neuzeit an zwei verschiedenen Orten statt, wodurch diese Akte rituell und zeremoniell klar getrennt wurden. Dabei bildete die Königswahl in Frankfurt am Main lange Zeit keinen Anlass für nennenswerte ereignisspezifische Festivitäten.14 Denn mit der Wahl galt der Vorgang der Herrschererhebung nicht als abgeschlossen. Die Herrschererhebung als Fest fand deshalb im Rahmen der Krönung in Aachen statt.15 Erst durch die räumliche Zusammenlegung 11 Zu diesem Begriff Arnold van Gennep: Übergangsriten (Les rites de passage), Frankfurt a.M. 1999 (Paris 1909); allgemein zum Ritual Catherine Bell: Ritual. Perspectives and Dimensions, Oxford 1997; Andrea Belliger/David Krieger (Hrsg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998. 12 Vgl. im Folgenden Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. IV. 13 Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA), Mainzer Erzkanzlerarchiv (MEA), Wahl- und Krönungsakten (WaKr) 5, fol. 81–81’, S. 210. 14 Frankfurt a.M. wird in den Goldenen Bulle mehrfach als Wahlstadt genannt: Goldene Bulle, Art. I.15–17, in: Lorenz Weinrich (Hrsg.): Quellen zur Verfassungsgeschichte des RömischDeutschen Reiches im Spätmittelalter (1250–1500), Darmstadt 1983, S.  314–393, hier S.  329–331. Vgl. auch Hans-Otto Schembs: Frankfurt als Wahl- und Krönungsstadt der deutschen Könige und Kaiser, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Deutsche Hauptstädte – Von Frankfurt nach Berlin, Frankfurt a.M. 1998, S. 29–51. 15 Vgl. dazu den Ausstellungskatalog: Mario Kramp (Hrsg.): Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos, 2 Bände, Mainz 2000.

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von Wahl und Krönung ab 1562 wurde die nun Wahl- und Krönungsstadt Frankfurt a.M. auch der Austragungsort des Krönungsfestes. Aufgrund seiner zentralen Lage und seiner Funktion als Zentrum des europäischen Handels zog Frankfurt a.M. in der Folge bei Herrschererhebungen eine deutlich höhere Zahl von Besuchern an, als dies etwa für das mittelalterliche Aachen beobachtet werden kann. Krönungsfeste bestanden aus obligatorischen und fakultativen Elementen. Unverzichtbare Bestandteile waren die feierlichen Aufzüge16 (der Einzug des Herrschers in die Stadt sowie die Aufzüge am Krönungstag zur Krönungskirche St. Bartholomäus, von dieser zum Römer und von diesem in die kaiserliche Herberge), die Krönungsmesse in St. Bartholomäus sowie das Krönungsbankett im Römer mit der Preisgabe bestimmter Güter an das Volk. Solche Schenkakte, zu denen auch der Münzwurf nach der Krönungsmesse zu rechnen ist, stellten ein zentrales Merkmal von Festkulturen allgemein sowie speziell der Krönungsfestkultur dar.17 Als fakultative Elemente 16 Dazu Rainer Roy/Friedrich Kobler: Festaufzug, Festeinzug, in: Otto Schmitt: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 8, Stuttgart 1987, Sp. 1417–1519; Harriet Rudolph: Art. „Entrée [festliche, triumphale]“, in: Werner Paravicini (Hrsg.), Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer (Bearb.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastischtopographisches Handbuch, Bd. 2: Bilder und Begriffe (Residenzenforschung 15.2), Ostfildern 2005, S. 318–323; Klaus Tenfelde: Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S.  45–84; Gerrit Jasper Schenk: Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 21), Köln 2002; auch Heinz Duchhardt: Krönungszüge. Ein Versuch zur „negativen Kommunikation“, in: Heinz Duchhardt/Gert Melville (Hrsg.): Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln 1997, S. 291–304. 17 Allgemein Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1994; Lewis Hyde: The Gift. Imagination and the Erotic Life of Property, New York 1983; David Cheal: The Gift Economy, New York 1998; mit weiterführender Literatur Harriet Rudolph: Fürstliche Gaben? Schenkakte als Elemente der politischen Kultur im Alten Reich, in: Mark Häberlein/Markwart Herzog/Christof Jeggle (Hrsg.): Materielle Grundlagen der Diplomatie. Schenken, Sammeln und Verhandeln im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, IX. Irseer Arbeitskreis für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Schwabenakademie Irsee, 27.–29. März 2009, im Druck. Zum Münzwurf bei der Krönung Eduard Eichmann: Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters. Mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik, 2 Bde., Würzburg 1942, Bd. 2, S. 277–279; Heinz Duchhardt: Münzwurf und Krönungsmünze, in: Hagen Keller/Nikolaus Staubach (Hrsg.): Iconologia Sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift für Karl Hauck zum 75. Geburtstag (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, Schriftenreihe des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 23), Berlin 1994, S. 625–631.



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der Festkultur können Bankette, Dankgottesdienste, Tänze, Turniere, Jagden, Feuerwerke, Illuminationen, Manöver, Komödien, Glücksspiel oder der Vortrag sowie die Publikation poetischer Casualcarmina betrachtet werden. Während die obligatorischen Elemente des Krönungsaktes mit ihren stark formalisierten Handlungsmustern einen feierlichen Charakter im Sinne von Ordnung, Ruhe, Hierarchie und Gemessenheit besaßen, blieb bei den fakultativen, eher festlichen Elementen auch Raum für Unordnung, Lärm, Spontaneität oder gerade die Relativierung von sozialen Hierarchien, welche im Zeremoniell und in den rituellen Formen der obligatorischen Akte sinnhaft zum Ausdruck gebracht werden sollten. Das Krönungsfest in seiner Gesamtheit kann als Verfassungsfest des Heiligen Römischen Reiches charakterisiert werden.18 Vier Dimensionen sind hier zu unterscheiden. Erstens waren beide Akte – Königswahl und Königskrönung – verfassungsrechtlich vorgeschrieben, die Krönung war also keineswegs, auch am Ende der Frühen Neuzeit nicht, verzichtbar.19 Zweitens bildete das Erhebungsverfahren mit seinen rituellen und zeremoniellen Bestandteilen die Verfassung des Reiches ab, um sie auf diese Weise in actu herzustellen und zugleich zu stabilisieren. Drittens sollte die Akzeptanz der verfassungsrechtlichen Bestimmungen und der aktuellen Herrschererhebung durch die Kopplung mit einem Fest, an dem nicht nur alle Stände, sondern auch unterständische Schichten mitwirkten, gesteigert werden. Viertens floss das aktuell durchgeführte Erhebungsverfahren über das Gewohnheitsrecht wiederum als so genanntes Herkommen in die dynamische Reichsverfassung ein. Dabei wurde aber nicht nur die Verfassung des Reiches, sondern auch die Verfassung der gastgebenden Reichsstadt in ihren Dichotomien von Rat und Bürgerschaft, Bürgern und Unterbürgerlichen, Einheimischen und Fremden in diesem Rahmen öffentlich aufgeführt. Die Reichsstadt fungierte nicht nur als Bühne des Krönungs18 Vgl. auch Barbara Stollberg-Rilinger: Verfassung und Fest. Überlegungen zur festlichen Inszenierung vormoderner und moderner Verfassungen, in: Hans-Jürgen Becker (Hrsg.): Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur, Berlin 2003, S. 7–49, S. 12f. und 22f. 19 Die Wahl und die zeremoniellen Formen des Krönungsbankettes samt den Leistungen des Herrschers an Dritte wurden durch die Goldene Bulle, Art. XXVII.6 schriftlich fixiert. Weinrich, Quellen zur deutschen Verfassungsgeschichte (vgl. Anm. 14), S. 386f. Für die Krönung, auf welche die Goldene Bulle nur im Zusammenhang mit der Frage des Krönungsortes und des Koronators eingeht, existierten mit den Krönungsordines ebenfalls schriftliche Vorgaben, wohingegen der Akt der Preisgabe durch das Herkommen vorgegeben wurde, das ebenfalls zu den Bestandteilen der nur partiell schriftlich verfassten Reichsverfassung zu zählen ist. Reinhard Elze (Hrsg.): Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin (Ordines coronationis imperialis) (MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum 9), Hannover 1960; Hans-Jürgen Becker: Ordines der Kaiserkrönung, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hrsg.): HRG, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 1289–1291.

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festes, sie inszenierte sich vor der anwesenden Reichsöffentlichkeit in ihrer Qualität als Schwurverband, als Wahl- und nun auch Krönungsstadt sowie als Zentrum des Reiches. In abgeschwächter Form gilt dies auch für an der Krönung teilnehmende hochrangige Reichsstände, welche in der Krönungsstadt mit ihrem Hofstaat und möglichst zahlreichen Vertretern ihrer Landstände erschienen. Es wurde also nicht nur auf der Makroebene die Verfassung des Reiches, sondern es wurden auch auf der Mikroebene die verfassungsrechtlichen Strukturen der Reichsglieder performativ zur Geltung gebracht. Die Festkultur der Krönung besaß deshalb einen teils höfischen, teils städtischen, teils genossenschaftlich-zünftischen Charakter, worin sich ihr aufgrund der besonderen Verfassungsstrukturen des Heiligen Römischen Reiches von vornherein multipolarer Charakter zeigt. Als Festveranstalter fungierten nicht allein der Monarch und sein Hof, sondern auch Kur- und Reichsfürsten, die gastgebende Reichsstadt und weitere Akteure wie etwa die Gesandten, welche im Auftrag auswärtiger Mächte dem Erhebungsakt beiwohnten.20 Das Krönungsfest wurde von den Zeitgenossen zudem als „Volksfest“ verstanden.21 Dieses Volksfest war nur teilweise obrigkeitlich initiiert, denn die Bevölkerung der Reichsstadt, speziell die Zünfte der Fischer, Bender oder Metzger und die aus Anlass der Krönung angereisten Fremden feierten durchaus auf eigene Initiative und nach ihren eigenen Vorstellungen.22 Im Krönungsfest vermischten sich öffentliche und private sowie herrschaftliche und untertänische Festkulturen. Das Krönungsfest beschränkte sich zudem keineswegs auf die Reichsstadt Frankfurt a.M., es besaß damit auch einen multilokalen Charakter. Indem sich die Nachricht von der Krönung des Herrschers in konzentrischen Kreisen vom aktuellen Ereignisort in die aus dieser Perspektive peripheren Regionen des Reiches bewegte, können wir nun auch dort zeitlich versetzt Festhandlungen beobachten.23 Einerseits steuerten die territorialen Obrigkeiten die Festkultur, so zum Beispiel durch die Veranlassung 20 Zahlreiche Beispiele finden sich im Ausstellungskatalog Frankfurt a.M. (1986) (vgl. Anm. 5), Bd. 2, u.a. S. 143, 162, 191; des weiteren in Erna Berger/Konrad Bund: Wahl und Krönung Leopolds II. 1790: Brieftagebuch des Feldschers der kursächsischen Schweizergarde, Frankfurt a.M. 1981. 21 Volk meint hier sowohl die Bürger der Stadt, als auch unterbürgerliche Schichten und Fremde sowie die in der Stadt anwesenden Frauen und Kinder. 22 Durchgeführt wurden etwa Fischstechen, Bendertänze oder feierliche Umzüge. Zur Festkultur der Frankfurter Zünfte s. Heinz Lenhardt: Feste und Feiern des Frankfurt Handwerks, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 5 (1950), S. 7–120. 23 So veranstaltete man etwa Kanonaden, Dankgottesdienste oder Feuerwerke. Dabei dürfte die Feierintensität auch vom territorialen Typus des Herrschaftsgebietes abhängig gewesen sein. Stärker gefeiert wurde in Reichsstädten und geistlichen Territorien aufgrund ihrer engeren Bindung an das Kaisertum.



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von Dankgottesdiensten, andererseits agierten die Untertanen auch auf eigene Initiative, indem sie etwa Huldigungsgedichte oder Huldigungspredigten verfassten.24 Dies lässt sich ebenso in vom Krönungsort weit entfernten Regionen des Reiches beobachten.25 Auch durch die Art und das Ausmaß der Krönungsfestkultur außerhalb der Krönungsstadt ließe sich, wenn man dies einmal systematisch vergleichend untersuchte, „Reichsferne“ oder „Reichsnähe“ (Peter Moraw) bestimmter Regionen oder sozialer Schichten innerhalb des Reiches definieren.26 Festivitäten fanden darüber hinaus auf der Rückreise des Kaisers durch Territorien und Reichsstädte des Reiches in seine Erbländer statt. In den Reichsstädten war der feierliche Einzug des Kaisers mit der Huldigung von Rat und Bürgerschaft ver-

24 Vgl. etwa für die Wahl und Krönung von 1612 Michael Bernhertz: Glückwünschung/Als der Durchleuchtigst/Großmächtigst/Fürst unnd Herr/Herr Matthias der Ander/König in Ungern und Böhaimb/Ertzhertzog in Oesterreich/diß 1612. Jahr/den 24. Tag Junij/von denen Chur- und Fürsten/deß heyligen Römischen Reichs/zu Franckfurth am Mayn/die Kayserliche Kron empfangen […], Nürnberg: Abraham Wagenmann 1612; Melchior Gerlach: Hymnus & symbolum D. Augustuni & Ambrosii Te Deum laudamus etc. divinae electioni & coronationi Divi Imperatoris Rom. Matthiae Germ. Hung. Bohem. Regis […], Zittau: Venator 1612 ; Friedrich Glaser: Arbor Imperialis, Das ist/Der Regenten Baum. Von der Hoheit/ Würde/Stand unnd Ampt deß Römischen Keysers/und jeder hoher und niedriger Obrigkeit/ am 9. Sonntag nach Trinitatis in der StadtKirchen zu Gera/auß empfangenen gnädigen Befehl/in einer sonderbaren Predigt/auß dem Propheten Daniel/Cap. 4 erkläret und außgeleget […], Gera: Martin Spieß 1612. Dazu ausführlich Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. V. 25 Vgl. etwa für Hamburg Joachim Whaley: Religious Toleration and Social Change, Cambridge 1985, S. 206; Dorothea Schröder: Zeitgeschichte auf der Opernbühne. Barockes Musiktheater in Hamburg im Dienst von Politik und Diplomatie, Göttingen 1998, S. 218.f., 138–144; August Pfeiffer: Nomen Fatale Josephi Augusti, Der Glückliche Nahme Joseph: an dem DanckFeste/Welches wegen der zu Augspurg An. 1690. den 14./24. und 16./26. Jan. glücklich vollzogenen Wahl und Krönung Des … Herrn Josephi Des Ersten/Erwehlten Römischen Königs … In den fünff Haupt-Kirchen der … Stadt Lübeck den 20. Febr. gehalten worden, Lübeck 1690. 26 Vgl. dazu Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung: das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen-Geschichte Deutschlands 3), Berlin 1985, S. 175–177; allgemein auch Bernd Schneidmüller: Reichsnähe – Königsferne: Goslar, Braunschweig u. d. Reich im späten Mittelalter, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 64 (1992), S. 1–52; Helmut G. Walther: Basel: Reichsbewußtsein und Reichsferne am Oberrhein in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Ferdinand Seibt (Hrsg.): Europa 1500: Integrationsprozesse im Widerstreit. Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, Stuttgart 1987, S. 227–246.

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bunden.27 Hier erschien der Kaiser in gewisser Weise als Festbringer und das Krönungsfest als ein Fest in Bewegung. Im Zuge von Herrscherkrönungen fand außerdem eine Vielzahl weiterer Festivitäten statt, die sich allen drei von Michail Bojcov identifizierten „Festkreisen“ der frühneuzeitlichen Gesellschaft zuordnen lassen: Feste im Lebenslauf, solche im Jahreszyklus und ereignisgebundene Feste wie solche aus Anlass von Herrschertreffen, Jubiläen oder militärischen Siegen.28 So wurden etwa die Namenstage von Fürsten oder auch fürstliche Geburten gefeiert. Um diese nichtanlassspezifischen Festivitäten kann es an dieser Stelle nicht gehen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Herrschererhebung einen Kulminationspunkt der Festkultur im frühneuzeitlichen Reich verkörperte, bei dem sich unterschiedliche Festanlässe, Festformen und Akteursgruppen überschnitten.

2. Rahmenbedingungen des Vergleichs Die beiden hier untersuchten Krönungsakte unterschieden sich zunächst fundamental dadurch, dass es sich 1562 um eine Herrschererhebung vivente imperatore, 1790 aber um eine solche vacante imperio handelte.29 1562 war deshalb nicht nur der gewählte König, sondern auch der amtierende Kaiser anwesend. Außerdem fielen durch den hier fehlenden Herrschaftsantritt rechtlich und ideell an die Herrschererhebung gekoppelte Akte wie Huldigungen und Reichsbelehnungen, die in dieser Zeit noch feierlich „unter dem Himmel“ vollzogen wurden, als zuvor reguläre Bestandteile dieses Verfassungsfestes weg.30 Während die Huldigung der Frankfurter Bürger bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches ein fester Bestandteil des Erhebungsaktes 27 Dazu Ulrike Staudinger: Bilder vom idealen Reich: Die Huldigungen, in: Karl Möseneder (Hrsg.): Feste in Regensburg. Von der Reformation bis in die Gegenwart, Regensburg 1986, S. 47–56; Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. IV.2 mit weiterführender Literatur. 28 Michail A. Bojcov: Feste und Feiern: Festliche Anlässe und Festformen, in: Paravicini/Hirsch­ biegel/Wettlaufer, Höfe und Residenzen (vgl. Anm. 16), S. 483–495, 484. 29 Zur Herrschererhebung vivente imperatore Helmut Neuhaus: Die Römische Königswahl vivente imperatore in der Neuzeit. Zum Problem der Kontinuität in einer frühneuzeitlichen Wahlmonarchie, in: Johannes Kunisch (Hrsg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 19), Berlin 1997, S. 1–53. 30 Dazu Barbara Stollberg-Rilinger: Das Reich als Lehenssystem, in: Heinz Schilling/Hans Ottomeyer (Hrsg.): Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806, Dresden 2006, Essayband, S. 55–68; Jean-François Noёl: Zur Geschichte der Reichsbelehnungen im 18. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 21 (1968), S. 106–122.



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blieb, fiel die öffentliche Reichsbelehnung nach 1566 weg.31 Dieser Sachverhalt ist beim Vergleich beider Akte mitzudenken, schließlich hatte der neue Kaiser Ferdinand im Anschluss an den (neuentworfenen) Erhebungsakt von 1558 die Kurfürsten von Sachsen und von Brandenburg in der hergebrachten, solennen Form „unter dem Himmel“ mit ihrer Herrschaft belehnt. Dazu wäre es sicher auch 1562 gekommen, nur trat Maximilian II. die Herrschaft eben erst knapp zwei Jahre später an. Beide Wahlkandidaten, Leopold II. und Maximilian II., zeichneten sich durch eine hohe Befähigung für das Kaiseramt und – nicht nur, aber auch dadurch – durch eine vergleichsweise hohe Akzeptanz unter den Reichsständen und Reichsuntertanen aus, was keineswegs für alle 16 Kaiser der Frühen Neuzeit gleichermaßen galt und sich im vorliegenden Fall feststimulierend ausgewirkt haben dürfte.32 1562 erschienen letztmalig alle Kurfürsten in Person und zahlreiche weitere Reichsfürsten beiderlei Konfession mit ihrem repräsentativen Gefolge.33 1790 waren hingegen nur die geistlichen Kurfürsten, einige katholische Reichsfürsten sowie König Karl III. von NeapelSizilien und Spanien sowie Maria Amalia von Sachsen als Eltern der Gemahlin Leopolds, Maria Ludovika, in die Wahl- und Krönungsstadt gekommen.34 Im Hinblick auf die fürstlichen Teilnehmer kann man deshalb für 1790 von einer Konfessionali31 Die letzte feierliche Reichsbelehnung war jene Kurfürst Augusts von Sachsen auf dem Augsburger Reichstag von 1566. Vgl. dazu Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. IV.3; Jutta Bäumel: Das Zeremoniell der Belehnung Herzog Augusts von Sachsen mit der sächsischen Kurwürde 1566 in Augsburg, in: Dresdner Kunstblätter 3 (1986), S. 71–77. 32 Zu den politischen Rahmenbedingungen dieser Herrschererhebungen wie zur Person dieser Kaiser vgl. Albrecht Pius Luttenberger: Kurfürsten, Kaiser und Reich: politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz 149: Abt. Universalgeschichte; Beiträge zur Sozialund Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 12), Mainz 1994, S. 93–145; Harriet Rudolph: Kontinuität und Dynamik – Ritual und Zeremoniell bei Krönungsakten im Alten Reich: Maximilian II., Rudolf II. und Matthias im Vergleich, in: Stefan Weinfurter und Marion Steinicke (Hrsg.) Krönungs- und Investiturrituale, Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln 2005, S. 377–400; Adam Wandruszka: Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser, Bd. 2, Wien, München 1965. Die Querelen unter den Kurfürsten bei den Wahlverhandlungen von 1790 spielten für die Festkultur der Krönung keine nennenswerte Rolle. 33 So hatte Kaiser Ferdinand I. zum Beispiel die Herzöge Albrecht V. von Bayern, Wilhelm von Jülich-Cleve-Berg und Christoph von Württemberg sowie den Landgrafen Philipp von Hessen nach Frankfurt a.M. bestellt, die jeweils in weiblicher Begleitung und mit entsprechend großem Hofstaat anreisten. Dazu ausführlich Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. II.3.. 34 Das Königspaar erschien allerdings inkognito. Wahl und Krönung Joseph des Zweyten zum römischen Könige: Zwischenreich nach dem Tode Joseph des Zweyten bis zur Wahl und Krönung Leopold des Zweyten, o.O. 1810, S. 78.

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sierung der Festkultur sprechen, wobei zu fragen ist, wie sich diese Tatsache auf die Festkultur des Krönungsaktes insgesamt auswirkte. Zwar blieb 1562 und 1790 der locus coronationis derselbe, allerdings veränderte sich dieser in den 230 Jahren, welche beide Akte trennen, doch erheblich.35 Zählte Frankfurt in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts mit ca. 12.000 Einwohnern zu den mittelgroßen Reichsstädten, stieg es im 17. Jahrhundert in den Kreis der größeren Reichsstädte auf.36 1790 ist von 25.000 Einwohnern auszugehen.37 Darüber hinaus existierte nun über Gastwirtschaften und ähnliche Etablissements hinaus eine Art städtische ‚Unterhaltungsindustrie‘ mit festen Theaterbauten, Konzerträumen und Tanzsälen sowie nahe gelegenen Orten wie Bornheim, dessen Vergnügungsstätten bei Wahl- und Krönungstagen nach den Berichten von Zeitgenossen regelmäßig ihren Höhepunkt der Frequentierung und des Umsatzes erlebten.38 Außerdem wurden auch zahlreiche mobile Unterhaltungsstätten während des Wahl- und Krönungstages errichtet. Hatte die Stadt 1562 anlässlich der Wahl und Krönung zwischen 10.000 und 12.000 Fremde aufnehmen müssen, geht man 1790 von ca. 60.000 bis 80.000 Besuchern aus.39 Während sich die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum verdoppelt hatte, stieg die Zahl der Krönungsfestbesucher auf das fünf- bis sechsfache. Am Ende des Alten Reiches kam es zu einem regelrechten „Krönungstourismus“, dessen Einzugsbereich sich nicht wie 1562 auf die unmittelbare Umgebung Frankfurts beschränkte. Allerdings hielt sich die Mehrzahl der Besucher nur während der kaiserlichen Anwesenheit in der Stadt auf, welche 1562 sechs, 1790 aber nur noch zwei Wochen 35 Die Krönung von 1562 beendete die Aachener Krönungstradition, wenngleich die Entscheidung für Frankfurt zunächst keineswegs auf eine Änderung des „Herkommens“ ausgerichtet gewesen war. Duchhardt, Krönungen, S. 638; anders Kramp, Krönungen (vgl. Anm. 4), S. 11. 36 Zur Entwicklung der Stadt vgl. Anton Schindling: Wachstum und Wandel vom konfessionellen Zeitalter bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. Frankfurt a.M. 1555–1685, in: Kommission, Frankfurt a.M.. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission XVII), Sigmaringen 1991, S.  205–260, hier S.  209, 212; sowie Heinz Duchhardt: Frankfurt a.M. im 18. Jahrhundert, in: ebd., S. 261–302. 37 Hattenhauer, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 6), S. 94. 38 Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 26f., 30f. 39 Manche Quellen geben ca. 80.000, das Wahl- und Krönungsdiarium 100.000 Besucher an. Johann P. Schulin: Vollständiges Diarium der Römisch-Königlichen Wahl und Kaiserlichen Krönung Ihro nunmehr allerglorwürdigst regierenden Kaiserlichen Majestät Leopold des Zweiten […], Frankfurt 1791 (Vollständiges Diarium), S. 248; Rudolf Hommel: Briefe über die Kaiserwahl, während derselben aus Frankfurt geschrieben, Leipzig 1791, S. 182. Vgl. auch Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 23, 66, 87 (vor der Krönung 68.000, während der Krönung 82.000 Besucher).



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betrug.40 Hatten Kaiser Ferdinand I. und König Maximilian 1562 noch Wert auf ihre Anwesenheit während des Wahlaktes gelegt – hier war das Wahlzeremoniell extra verändert worden, um der Anwesenheit des Kaisers bei der Proklamation der Wahl Rechnung zu tragen – und waren deshalb bereits einen Monat vor der Wahl in Frankfurt a.M. eingezogen, so erschien Leopold II. 1790 erst vier Tage nach seiner Wahl in der Stadt. Während sich damit 1562 das Reich bereits deutlich vor dem Wahlakt als „Reichsfeiergemeinschaft“ (Hans Joachim Berbig) konstituierte, war dies 1790 erst einige Tage nach der Wahl und aufgrund der geringen Anwesenheit von Reichsfürsten auf der Ebene der politischen Elite auch nur in begrenztem Maße der Fall. Allerdings hatten 1790 vor allem die geistlichen Kurfürsten die Zeit vor der Wahl mit der Veranstaltung eigener Festivitäten verbracht. Außerdem veranstaltete die Reichsstadt am 23.09.1790 ein Feuerwerk zu Ehren des Reichserzkanzlers, was 1562 nicht vorstellbar gewesen wäre.41 Nach der Ankunft des zukünftigen Kaisers intensivierte sich die Festkultur erheblich, zumal jetzt weitere Fürsten mit ihrem Gefolge sowie auch die Menge der Krönungstouristen eintrafen. Insgesamt war das Ausmaß der Präsenzöffentlichkeit während der Krönung von 1790 somit deutlich größer als bei jener von 1562. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Medienöffentlichkeit der Kaiserkrönung. In Frankfurt a.M. begann sich eine nennenswerte Medienproduktion erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu entwickeln.42 Zwar wurden auch schon im Zusammenhang mit dem Erhebungsakt von 1562 zahlreiche Printmedien43 produziert, dennoch 40 Kaiser Ferdinand I. und König Maximilian hielten sich vom 23.–24. Oktober bis zum 6.-.8. Dezember 1562 in Frankfurt a.M. auf, denn Maximilian nahm an den Wahlverhandlungen teil. Leopold II. weilte hingegen nur knapp zwei Wochen in Frankfurt, denn er zog erst nach der Wahl am 4. Oktober 1790 in die Stadt ein und verließ diese bereits am 16. Oktober wieder, wohingegen die Kurfürsten bzw. oder kurfürstlichen Abgesandten schon seit dem 16. September (Kursachsen) bzw. 22. September in Frankfurt weilten. 41 Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 30. Auch in der Folge fanden zahlreiche Feuerwerke statt, wobei der Frankfurter Artillerieleutnant Steller mit dem kaiserlicher Kunstfeuerwerker Girandolini um das beste Feuerwerk wetteiferte. Vollständiges Diarium (vgl. Anm. 39), II, S. 300; Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II. (zweite Paginierung), S. 76; Frankfurter Staats-Ristretto 19 (1790), 179. Stück, S. 709. 42 Vgl. dazu Alexander Dietz: Frankfurter Handelsgeschichte, Frankfurt a.M. 1921, Bd. 3, S. 1–178; Hans Widmann: Geschichte des Buchhandels vom Altertum bis zur Gegenwart, völlige Neubearbeitung der Auflage von 1952, Teil 1: Bis zur Erfindung des Buchdrucks sowie Geschichte des deutschen Buchhandels, Wiesbaden 1975, S. 85. 43 Vgl. u.a. Warhafftige Beschreibung, welcher gestalt die Königkliche wirde Maximilian und Frewlin Maria, geborene Königin auß Hispanien, dereo Gemahel, zu Böhemischen König und Königin in Prag den 20. Septembris dieses 1562. jars gekrönt worden. Item: Wie hochrsgedachter Maximilian etc. zu Franckfurt am Mayn, den 24. Nouemb. deß gemelten 1562.

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geriet erst die Wahl und Krönung von 1612 zu einem Medienereignis ersten Ranges, weil sich die Reichsstadt Frankfurt a.M. nun von einem Zentrum des Medienhandels auch zu einem Zentrum der Medienproduktion entwickelt hatte.44 Dennoch reicht selbst das Medienereignis von 1612 im Hinblick auf die Zahl der Drucke, ihre formale und inhaltliche Diversifikation sowie den Grad ihrer Verbreitung nicht annähernd an jenes von 1790 heran.45 Hier hatte sich ein funktionsfähiges Mediensystem herausgebildet, das 1562 nur in Ansätzen und im Hinblick auf die nun dominanten periodischen Medien überhaupt noch nicht erkennbar gewesen war. Dabei übernahmen die periodischen Medien als überregionale Multiplikatoren des Krönungsfestes andere Funktionen als die Wahl- und Krönungsdiarien, die sich inzwischen zu einer stark standardisierten ereignisspezifischen Mediengattung entwickelt hatten, welche Sensationen, Anekdoten oder die Schilderung von Gefühlsgehalten zunehmend ausblendete.46 Durch die Ausdifferenzierung des Mediensystems ist die Überlieferung für den zweiten Krönungsakt deutlich dichter. Dies gilt gerade für die fakultativen Festelemente. Und dies gilt auch für die Anzahl der verfügbaren Egodokumente wie Tagebücher oder Briefe, welche mitunter einen weniger gefilterten Blick auf die Ereignisse erlauben, als dies bei offiziellen Quellen der Fall ist. Für 1790 ließen sich deshalb auch unterschiedliche Wahrnehmungen des Krönungsfestes durch die Bevölkerung untersuchen, so schwierig ein solches Unterfangen methodisch auch wäre.47 Für 1562 sind Egodokumente hingegen so spärlich, dass ein solches Projekt wohl von vornherein

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Jars, von den sechß Churfürsten zum Römischen König erwehlet, und folgends den letzten dieses Monats allda in der Pfarrkirchen zu S. Bartholome gekrönet worden […], Frankfurt a.M. 1563; Michael Beuther: Ordentliche Verzeychniß, welcher gestalt, die Erwehlung unnd Krönung, des … Fürsten und Herrn, Herrn Maximilians, Römischen und Böheym Königs etc. zu Franckfurt am Mayn […], Frankfurt a.M. 1563. Zur Wahl und Krönung von 1612 als Medienereignis vgl. Rudolph, Reich als Ereignis (vgl. Anm. 1), Kap. V. Vgl. dazu Barbara Dölemeyer: Zeremoniell und Politik: Die beiden letzten Kaiserkrönungen 1790 und 1792 im Spiegel der Diarien, in: Gerald Kohl (Hrsg.): Festschrift für Wilhelm Brauneder zum 65. Geburtstag: Rechtsgeschichte mit internationaler Perspektive, Wien 2008, S. 89–102. Vgl. neben den bereits genannten u.a. auch Kurzgefasster Bericht von den bei der Wahl und Krönung der deutschen Kaiser zu Frankfurt gewöhnlichen Feierlichkeiten, Frankfurt a.M. 1791; auch Johann Christoph Röhling: Reise eines Marsbewohners auf die Erde. Zur Zeit der Wahl und Krönung Leopold des Zweiten zum teutschen Kaiser, Frankfurt 1791. Siehe dazu u.a. Karl Heinrich von Lang: Die Memoiren des Ritters von Lang 1774–1835, Stuttgart [1957]; Klemens Wenzel Nepomuk Lothar Fürst von Metternich-Winneburg: Aus Metternich’s nachrsgelassenen Papieren, Tl. 1, Bd. 1, Wien 1880.



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zum Scheitern verurteilt wäre. Allerdings – und auch das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Ereignissen – erweist sich gerade diese Quellengattung für die Krönung von 1790 als ausgesprochen problematisch, denn derartige Quellen sind zu einem großen Teil erst nach dem Untergang des Alten Reiches verfasst worden, weshalb sie mit ihrem entweder reichsverklärenden oder reichskritischen Tenor in erster Linie einen Quellenwert für die Bewertung des Ereignisses nach dem Ende des Alten Reiches bieten.48 Das Ereignis von 1790 fällt zudem in die Phase der Französischen Revolution. Wenige Monate vor der Herrschererhebung hatte in Paris das Föderationsfest vom 14. Juli 1790 als feierliche Begehung des einjährigen Jahrestages des Bastillesturms stattgefunden. Inszeniert als Fest der französischen Nation sollte es die Einheit aller Franzosen in der Verbindung von Volk, Nation und Königtum stiften, die revolutionären Umwälzungen der jüngeren Vergangenheit positiv konnotieren und damit gegen konterrevolutionäre Bestrebungen sichern. Dieses und andere Festivitäten in der Folgezeit werden in der Forschung zumeist als Beginn eines neuen Festtypus, des Nationalfestes, interpretiert, welcher dann im Zuge der Verbreitung revolutionärer Ideen in andere Regionen des Kontinents exportiert worden sei.49 Für die Herrschererhebung von 1790 stellen sich dabei vor allem zwei Fragen: Welche Rolle spielte hier der Gedanke an eine – wie auch immer – gedachte deutsche Nation? Lässt sich ein Bezug der beobachtbaren Festivitäten zu der auf die Nation ausgerichteten Festkultur in Frankreich feststellen, welche sich allerdings in dieser Phase erst in ihrem Anfangsstadium befand? Vergleicht man zwei Ereignisse, die derart weit auseinander liegen, so muss man den grundlegenden Wandel von höfischen Festkulturen in diesem Zeitraum berücksichtigen. Dieser spiegelte sich zum Beispiel in der Konjunktur bestimmter fakultati48 Ein schönes Beispiel, wie eine stark kritische Perspektive auf das Alte Reich die Bewertung einer Quelle verzerren kann, findet sich in der Einleitung zu der bereits zitierten Quellenedition von Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm 20), in welcher die Autoren die These formulieren, dass der von ihnen editierte Augenzeugenbericht „objektiv“ die negative Wahrnehmung des Ritters von Lang bestätigen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 7. 49 Dieter Düding: Das deutsche Nationalfest von 1814: Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek 1988, S. 67–88, hier S. 67. Paul Münch leitet hingegen die Entstehung des Nationalfestes aus einer absolutistischen Staatsauffassung im Verbund mit auf Sozialdisziplinierung ausgerichteten Festutopien der Spätaufklärung her. Paul Münch: Fêtes pour le peuple, rien par le peuple. «Öffentliche» Feste im Programm der Aufklärung; in: Düding/Friedemann/ Münch, Öffentliche Festkultur, S. 25–45, hier S. 39.

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ver Festelemente, die stärker aktuellen Moden unterworfen waren, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Das höfische Fest wurde zudem ab dem Ende des 17. Jahrhunderts immer öfter gedruckt, es wurde dadurch nicht nur veröffentlicht, sondern auch von der Ephemerität in die Permanenz überführt und dabei erneut mehrfachen Deutungsprozessen unterzogen.50 Seit dem 17. Jahrhundert wurden Festbeschreibungen oft vor dem Fest angefertigt und sie zeichneten sich durch eine zunehmende formale wie inhaltliche Standardisierung aus, welche die öffentliche Wahrnehmung solcher Ereignisse in wesentlichem Maße zu prägen vermochte. Weder der erste Fall, noch der zweite, noch der dritte lassen sich 1562 bereits beobachten. Die höfische Festkultur wurde ab der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts in starkem Maße auf die Person des Fürsten ausgerichtet, sie wurde zum Hauptmedium einer absolutistischen Selbstdarstellung. Eine alleinige Ausrichtung am Monarchen lässt sich allerdings für die Ausgestaltung der Herrschererhebungen im Reich nie in dem Maße – auch nicht in der Hochphase des Absolutismus, wie auch immer man zu diesem Forschungskonzept stehen mag – nachweisen, denn ihr standen die föderalen Strukturen dieser Wahlmonarchie klar entgegen. Der multipolare Charakter der Krönungsfestkultur – auch das ein Kennzeichen des Krönungsfestes – ist deshalb keine Folge der konfessionellen Spaltung, auch wenn diese ihn verstärkt haben dürfte, sondern ein Abbild der verfassungsrechtlichen Strukturen des Reiches, welche auf diese Weise zugleich fixiert werden sollten. Während sich im 16. Jahrhundert höchstens einige Calvinisten bürgerlicher Abstammung über den maßlosen Prunk von Reichsfürsten auf Reichstagen mokierten, geriet das höfische Fest als Instrument der Verschwendung von gesellschaftlichen Ressourcen im 18. Jahrhundert immer stärker in die Kritik.51 Scheinbar betraf dies auch die Kaiserkrönung von 1790, denn an negativen Statements vermeintlich aufgeklärter Geister herrscht auf den ersten Blick kein Mangel.52 Allerdings war die Kaiserkrönung kein höfisches Fest wie jedes andere, sondern ein Ereignis von reichsweiter 50 Dazu Volker Bauer: Höfische Gesellschaft und höfische Öffentlichkeit im Alten Reich. Überlegungen zur Mediengeschichte des Fürstenhofs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 5 (2003), S. 29–68; Thomas Rahn: Festbeschreibung: Funktion und Topik einer Textsorte am Beispiel der Beschreibung höfischer Hochzeiten (1568–1794), Tübingen 2006. 51 Maurer, Feste und Feiern (vgl. Anm. 1), S. 122f. 52 So schreibt die auf französischem Boden erscheinende Straßburger Zeitung laut Schubart: „Alle Nachrichten aus Deutschland sprechen beinahe von nichts als grossen kostspieligen Zurüstungen zur Kaiserwahl in Frankfurt am Mayn, von der Pracht, mit welcher Leopold daselbst erscheinen wird, von der unzählbaren Mange Menschen, welche diese Zeremonie nach Frankfurt zieht, und dergleichen. Die Menschheit gewinnt wenig bei solchen goldfressenden Zeremonien, und man spricht schon von doppelten Auflagen, welche Fürsten ihren Unter-



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Ausstrahlung und überregionaler verfassungsrechtlicher Relevanz, so dass sich schon die Frage stellt, ob die Zeitgenossen die hier beobachtbare Prachtentfaltung und den hohen Aufwand, der sich gar nicht auf fürstliche Akteure beschränkte, tatsächlich mit derselben Elle maßen wie etwa eine Fürstenhochzeit in der Residenzstadt eines Reichsfürsten.

3. Festkulturen im Vergleich Wenn man in einem ersten Schritt zunächst auf das Tableau der fakultativen Festelemente bei beiden Krönungsakten blickt, lassen sich zwischen 1562 und 1790 deutliche Veränderungen sowohl hinsichtlich der Anzahl, der Art und auch der Häufigkeit der hier beobachtbaren Aktivitäten feststellen. Fakultative Elemente 1562 und 1790 (Auswahl)5354 1562 Dankgottesdienste Bankette Tanz Ringrennen Jagden Feuerwerk Standeserhebungen Zunftfeste

1790 Dankgottesdienste Bankett (Masken-)Bälle Manöver Theater (Schauspiel, Konzert, Oper) Feuerwerke Standeserhebungen Zunftfeste Illuminationen Lotterien Ausstellung der Reichsinsignien54 Zeremonien des Malteserordens

tanen abfordern, um die Kosten dieser Feierlichkeit zu bezahlen.“ Christian Friedrich Daniel Schubart, Chronik 1790, 2. Halbjahr, Stuttgart 1790, S. 81 (8. Oktober 1790), S. 681. 53 Vgl. dazu auch für 1790: Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 75–77. Zu den Erhebungen in den Reichsfürstenstand, auf die hier nicht eingegangen werden kann, ebd., S. 115f. sowie ausführlich Vollständiges Diarium (vgl. Anm. 39), S. 336f. 54 Allerdings geschah die 1790 vollzogene Ausstellung der Reichsinsignien und Reichsreliquien nicht in den Formen der 1520 noch beobachtbaren Heiltumsweisung, auf die nach der Reformation verzichtet wurde, sondern in säkularem Gewand. Vgl. dazu Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 98.

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So fielen etwa die 1562 noch abgehaltenen Jagden und Ringrennen bei der Krönung Leopolds II. von 1790 weg. Hatte der neue Römische König Maximilian II. 1562 noch persönlich am Ringrennen teilgenommen und trotz seiner vorhandenen Fähigkeiten den Wettkampf nicht gewonnen, nahm Kaiser Matthias 1612 zwar auch teil, gewann jedoch, obwohl er bei derartigen Wettkämpfen in der Regel weniger als sein Vater glänzen konnte.55 Hier zeigt sich die Entwicklung des Turniers von einem sportlichen Wettkampf zwischen als gleichwertig betrachteten Turnierteilnehmern zu einem bloßen Abbild im Zuge der Herrschererhebung veränderter Ranghierarchien. Das letzte Turnier im Zuge einer Krönung fand 1658 statt. Hier handelte es sich zudem um einen Maskenaufzug, an dem Kaiser Leopold I. erst gar nicht mehr teilnahm und bei dem die sportlichen Elemente klar hinter die theatrale Inszenierung zurücktraten. An die Stelle solcher öffentlich abgehaltenen Kampfspiele traten 1790 militärische Manöver, welche die 8.000 Mann starken Truppen des Landgrafen Wilhelm IX. von Hessen-Kassel auf hessischem Gebiet bei Bergen durchführten.56 Das große Engagement des Landgrafen bei der Kaisererhebung resultierte aus seinem am Ende erfolglosen Versuch, die 1778 heimgefallene bayrische Kurwürde für das eigene Haus zu sichern.57 Wilhelm veranstaltete mehrere große Manöver, zu denen jeweils Tausende von Besuchern aus der Wahl- und Krönungsstadt und den umliegenden Gebieten erschienen. Den Höhepunkt bildete das Manöver vom 11. Oktober 1790, dem der Kaiser und mehrere Fürsten und Fürstinnen beiwohnten und das die Schlacht von Bergen 1759 aus dem Siebenjährigen Krieg nachstellte. In diesem Ereignis, das sowohl durch eine ausführliche Beschreibung als auch in Form eines Gefechtsplanes memoriert wurde, überschnitt sich die militärische Erinnerungskultur mit der Festkultur der Herrscherkrönung. Dies war bereits 1764 der Fall gewesen: Hier hatte der neue König Joseph II., der seine Wahl nicht zuletzt dem Frieden von Hubertusburg 55 Wahl- und Crönungshandlung, Das ist: Kurtze und warhafftige Beschreibung aller fürnembsten Sachen, so bey Erwehlung unnd Crönung deß Allerdurchleuchtigsten, Großmächtigsten und Unuberwindtlichsten Fürsten und Herrn, Herrn Matthiae Erwehlten Römischen Kaysern […] sich begeben und zugetragen […], Frankfurt a.M. 1612, o.S. 56 Offiziell war das hessische Heer als Schutztruppe für den Erhebungsakt deklariert, denn die Sicherheit der Besucher von 1790 hätte die Stadt aus ihren eigenen Mitteln nicht mehr garantieren können, wodurch auch der im Vorfeld der Wahl geleistete Sicherheitseid im Grunde zu einer bloßen, der Tradition huldigenden Zeremonie wurde. Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 117f.; B.W. Wiederhold: Beschreibung des Lagers bei Bergen, welches von des Herrn Landgrafen zu Hessen Wilhelms IX. hochfürstlichen Durchlaucht […] vom 23. September bis zum 17. Oktober 1790 gehalten worden, Kassel 1791. 57 Vollständiges Diarium (vgl. Anm 39), S. 345f.



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von 1763 verdankte, das Schlachtfeld im Anschluss an seine Krönung besucht.58 Mit seinem Erscheinen vor Ort stellte sich Leopold II. in die Tradition seines Bruders, der ihm im Kaiseramt vorausgegangen war. An seine Anwesenheit während des Manövers erinnert ein noch heute an Ort und Stelle befindliches Denkmal. Schon hier fällt der starke Grad auf, in dem die Festkultur von 1790 im Vergleich zu jener von 1562 durch die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten veröffentlicht wurde.59 Den Manövern wohnten nicht nur auch, sondern in ganz überwiegendem Maße Angehörige unterer Bevölkerungsschichten bei. Auch Konzert-, Opern- oder Theateraufführungen wie die dem neuen Kaiser huldigenden Schauspiele des Schauspielers, Autors und späteren Theaterdirektors August Wilhelm Iffland besuchten Vertreter aller Stände gemeinsam.60 Dabei achtete der Frankfurter Rat 1790 mit Blick auf die Ereignisse in Frankreich besonders darauf, dass keine Stücke gespielt wurden, „welche auf den Freyheitsgeist und in specie auf die französische Revolution irgendeinen Bezug hätten“.61 Getanzt wurde nicht nur auf fürstlichen Banketten, vielmehr tanzten mehr oder minder alle sozialen Schichten, wobei die häufig veranstalteten Maskenbälle die Möglichkeit ständeübergreifender Kontakte förderten. Hochgradig öffentlich vollzogene Rituale stellten 1790 nicht zuletzt die Zeremonien des Malteserordens mit dem feierlichen Zug der Ordensmitglieder vom Deutschen Haus zu St. Bartholomäus, wo der Großmeister des Malteserordens, der 58 Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 64), II., S. 185; Siebert, Volksbelustigungen (vgl. Anm. 7), S. 46. Vgl. auch Johann Stephan Pütter, Selbstbiographie. Zur dankbaren Jubelfeier seiner 50jährigen Professorenstelle zu Göttingen, Bd. 1, Göttingen 1798, S. 822. Dabei wurde die Schlacht von Bergen den Anwesenden 1790 als Niederlage der Franzosen verkauft, die eigentlich als Sieger vom Platz gegangen waren. So zumindest im Brieftagebuch des Feldschers der kursächsischen Schweizergarde. Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 44. Im Folgenden s. Ausstellungskatalog Frankfurt a.M. (2006) (vgl. Anm. 5), S. 236. 59 Die Kurfürsten von Mainz und Trier hielten große Bankette auf ihren Prachtschiffen auf dem Main, wobei die Bevölkerung der feiernden Fürstengesellschaft vom Ufer oder von Booten, welche die Schiffe umkreisten, zusah. Nach dem Ende der Festivitäten besichtigte ein Teil der Zuschauer die Lokalitäten gegen einen kleinen Obolus für die auf den Schiffen verbliebene Wache. Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 36, 99f.; Vollständiges Diarium (vgl. Anm. 39), S. 340. 60 Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 91; Hattenhauer, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 6), S. 96. 1790 waren drei verschiedene Schauspielgruppen in Frankfurt a.M. anwesend, wobei die größten Erfolge die Schauspielgruppe Ifflands verzeichnete, die das extra für diesen Anlass von Iffland verfasste Stück „Friedrich von Österreich“ aufführte. Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 77. 61 Siebert, Volksbelustigungen (vgl. Anm. 7), S.  103; auch Hattenhauer, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 6), S. 97.

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Kurfürst von Köln, im Rahmen einer feierlichen Messe den Ritterschlag eines Ordensmitgliedes vollzog. Dieser Zeremonie wohnte auch der Kurfürst von Mainz bei, um nicht zuletzt durch einen feierlichen „Brüderkuß“ am Schluss der Messe die „Konfraternität“ beider Erzbischöfe und Kurfürsten zu „verherrlichen“, wie es im Wahldiarium heißt.62 Danach ließ der Kölner Kurfürst in seiner Herberge sechzig von der Reichsstadt Frankfurt ausgewählte Arme aller drei Konfessionen einkleiden, speisen und zum Abschluss mit einem Krönungsdukaten beschenken.63 Nichts desto trotz handelte es sich bei diesen Handlungssequenzen um eine konfessionelle Demonstration, bei welcher der Kurfürst und die anderen Mitglieder dieses Ordens die eigene Katholizität demonstrativ in Szene setzten. Während die Juden 1562 mit ihrem Krönungsfest für sich blieben, wurde jenes von 1790 auch von zahlreichen Nichtjuden besucht – sicher nicht zuletzt deshalb, weil hier Freibier und Freiwein für alle Anwesenden ausgeschenkt wurden.64 Außerdem wurden die armen Juden gespeist, wodurch auch hier die Festivitäten einen soziale Schranken übergreifenden Charakter bekamen. Die Judenschaft hatte zudem ihre Synagoge und einzelne Häuser während der Krönungsfestivitäten illuminiert und geschmückt.65 Während der ganzen Nacht wurde Musik gespielt. In der Konsequenz bedeutete dies, dass auch die Juden in deutlich stärkerem Maße in das Krönungsfest in seiner Gesamtheit einbezogen waren, als dies 1562 der Fall gewesen war, zumal sie 1790 mit einer Eingabe an Leopold II. hatten durchsetzen können, am Krönungsfest die Judengasse verlassen und den Ereignissen am Krönungstag wenigstens von anderen Häusern aus zusehen zu dürfen. Eine ganz wesentliche Rolle spielten 1790 Illuminationen als ein neues Element der höfischen Festkultur, das auch schon die Festivitäten bei der Wahl und Krönung Karls VII. 1742 stark geprägt hatte.66 Illuminationen wurden durch die Kurfürsten 62 Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 120. 63 Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 99 (hier ist nur von 24 Armen die Rede). Zwar hatte 1562 etwa auch der Orden zum Goldenen Vlies ein Festmahl veranstaltet, diesen Akt hatte jedoch eine sehr begrenzte Öffentlichkeit ausgezeichnet. 64 Das Fest fand vor allem am 11. Oktober 1790 statt, aber auch schon nach der Wahl hatten die Juden ein Dankfest gefeiert. Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 98; Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 72. Zur Rolle der Juden vgl. auch Hattenhauer, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 6), S. 114f. 65 Ausstellungskatalog Frankfurt am Main (vgl. Anm. 5), Katalog S.  462. Im folgenden ebd., S. 460–75. 66 Vgl. dazu für 1764 Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), I., S. 181; für 1790, ebd., II., S. 114f.; Vollständiges Diarium (vgl. Anm. 39), S. 332–335; kritisch Johann Georg Meusel: Beschreibung der Illuminationen, welche am 9. Oktober 1790 zu Frankfurt am Krönungstage Leopold des 2ten von den geistlichen Kurfürsten und den Repräsentanten



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und Wahlgesandten, durch die Abgesandten fremder Monarchen und vereinzelt auch durch wohlhabende Frankfurter Kaufleute und Verleger errichtet. Sie bestanden aus frei stehenden oder vor Häuserfassaden gehängten, beleuchteten Scheinarchitekturen mit allegorischen Darstellungen von Herrschertugenden, dynastischen Zyklen und poetischen Ergüssen, welche dem neuen Herrscher in ähnlicher Form wie bereits zuvor eingeführten Ehrenpforten huldigten.67 Die kursächsischen Illuminationen besangen den neuen Kaiser etwa als: „Hermanns Enckel, werth der Crone, Die Dir Deutschlands Fürsten weihn, O Du wirst auf deutschem Throne Deutscher Freyheit Schuzgott seyn.“68 Der besondere Reiz der Illuminationen bestand in ihrer suggestiven Wirkung, dem Strahlen der Herrschaft im wortwörtlichen Sinn, wobei zeitgenössische Beobachter vor allem die Tatsache betonten, dass ihr gleißendes Licht die sonst geltende Trennung zwischen Tag und Nacht aufhob, womit sie die Nichtalltäglichkeit gerade dieses Festelementes herausstellten.69 Im Betrachten solcher Lichtobjekte fanden sich alle Krönungsfestbesucher auf den Straßen der Stadt vereint, wobei die sonst demonstrativ zur Schau gestellten Standesunterschiede weitgehend nivelliert wurden: „Vom frühesten Abend an bis fast gegen Tagesanbruch waren alle Straßen und Plätze der Stadt mit dem für lauter Freuden taumelnden und ganz wonnetrunckenden Volcke angefüllet, um die schönen und prächtigen Erleuchtungen bey denen Hotels derer höchsten geistlichen Herrn Churfürsten sowie auch der übrigen fürtrefflichen hohen Herrn Wahlbothschafter pp. zu betrachten. Auch ihro Majestät der Käyser geruheten solche mit der Käyserin Majestät und des Königs und der Königin von Neapel Majestäten samt den Erzherzoginnen, Erzherzogen königlichen Hoheiten in allerhöchsten Augenschein zu nehmen.“70

Außerdem traten die politische Elite des Reiches und besonders der Kaiser 1790 in der Öffentlichkeit ausgesprochen volksnah auf, nicht nur, aber vielleicht auch mit Blick auf die Ereignisse in Frankreich.71

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der weltlichen veranstaltet worden sind, in: Museum für Künstler und Kunstliebhaber 13, Mannheim 1791. Hans Martin von Erffa: Art. „Ehrenpforte“, in: Ernst Gall/L.H. Heydenreich/Otto Schmitt: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1958, S. 1443–1504. Weiter heißt es dort: „Sein Füllhorn lehrt der Ueberfluß, Um Deinen Scepter zu beglücken. Dir jauchzt der Nation Entzücken, Dich seegnet Deutschland [s] Genius.“ Zitiert nach Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 87. Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 95. Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 84. So heißt es bei Schubart: „Auch verlernen unsere deutschen Fürsten allmählich jene hohe Miene, jenes Hochherabschauen auf andere Menschen, als wenn sie nicht Titan aus gleichem

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Das aus der Perspektive der Bevölkerung wichtigste Element der Krönungsfestkultur stellte jedoch die Preisgabe während des Krönungsbankettes dar. Nach dem Vollzug der Erzämter wurde der Bevölkerung zunächst der dafür verwendete Hafer, der mit verschiedenen Tieren gespickte Ochse sowie der aus einem Weinbrunnen fließende rote und weiße Wein überlassen.72 Außerdem verteilte man regelmäßig frisches Brot. Zeitlich voraus ging der Münzwurf, bei dem Gold- und Silbermünzen im Wert von etwa 1.000 Gulden unter die Umstehenden ausgeworfen wurden.73 Das Volk fand sich in Erwartung dieses seit 1376 tradierten, aber sicher schon älteren Aktes mit Beuteln, Körben oder Krügen auf dem Römerplatz ein, wobei regelmäßig schon vor dem Krönungszug ein Wettstreit um die besten Plätze entbrannte.74 In der Neuzeit wurde die Menge der Güter sogar noch ausgeweitet, indem man auch die für die Erzämter errichteten Holzbauten sowie die Brücke und das darüber gelegte Tuch, über welches der Kaiser schritt, dem Volk überließ.75

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Taige geknetet hätte.“ Schubart, Chronik 1790 (vgl. Anm. 52), S. 681. Mehrere Augenzeugen weisen auf das bescheidene und wohlwollende Auftreten Leopolds II. hin. „Der Kayser und das gantze Hauß wie auch der König und Königin von Neapel machen keinen Stath, sondern sind sehr gemein und gehen einen jeden Menschen aus den Wege.“ Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 68; vgl. auch Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 71f. Vgl. dazu Friedrich August Finger: Der Weinbrunnen auf dem Römerberg, in: Mitteilungen an die Mitglieder des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Frankfurt a.M. 6 (1880–81), S. 169–174. 1742 ließ Karl VII. sogar 8.000 Gulden auswerfen. Vollständiges Diarium von den Merckwürdigsten Begebenheiten, die sich vor, bey und nach der höchstbeglückten Crönung des … Herrn Carl des VII. erwehlten Römischen Kaysers … im Heil. Röm. Reich, sonderlich zu Franckfurt a.M., zugetragen […], Frankfurt a.M. 1743, S. 67; Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 83. 1562 wurden letztmalig auch die Überreste des Krönungsmahls und von vornherein nicht zum Verkehr bestimmte Schauessen aus dem Fenster geworfen. Herzogs Johann Albrechts I. zu Meklenburg eigenhändiges Tagebuch von der römischen Königswahl und Krönung K. Maximilians des II. zu Frankfurt am Mayn, im Jahre 1562, in: D. Bernhard und Dr. Koppe (Hrsg.): Rostocker Monatsschrift I., II. 1791, S.  321–348, 377–401, hier S.  398. Berger/ Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 87, 92–94. Inwieweit diesem Tuch, über das der Kaiser als Gesalbter des Herrn geschritten war, in der Wahrnehmung des Volkes 1790 immer noch Heilkräfte zukamen oder ob die Stoffteile, welche Einzelne ergattern konnten, eher die Funktion eines reinen Krönungssouvenirs besaßen, das man auch weiterverkaufte, lässt sich kaum entscheiden. Zur religiösen Deutung Hattenhauer, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 6), S. 190. So sollte die Berührung des Tuches etwa gegen „Rotlauf “ (Erysipel) helfen. Johann Heinrich Gottlieb Hamann: Bemerkungen auf einer Reise von Gotha nach Mainz bei Gelegenheit der Kaiserkrönung Leopolds II., Frankfurt 1791, S. 106.



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Die Preisgabe war eingebunden in ein ganzes System von Gnadenerweisen, welche der neue Kaiser im Zuge seiner Investitur als Versprechen einer guten Herrschaft sowie als traditionelle Entgeltung des ersten Dienstes seinen Untertanen zukommen ließ. So hatten die Frankfurter Zünfte der Metzger mit ihrem Ochsen, der Weinschröter und der Bender mit dem Wein, der Zimmerer mit sämtlichen Holzbauten für den Vollzug des Krönungsmahles konkrete Leistungen erbracht, für die sie eine Gegenleistung des Herrschers erwarten konnten. Die Metzger zogen einige Tage vor der Krönung mit dem geschmückten Ochsen im Triumphzug und von Musik begleitet durch die Gassen der Stadt, um so ihre Teilhabe am Krönungsakt öffentlichkeitswirksam aufzuführen.76 Sie, aber auch alle anderen auf dem Römerplatz anwesenden Personen wurden über die Preisgabe von Nahrungsmitteln zudem symbolisch in die Mahlsgemeinschaft der Vertreter aller Reichsstände im Bankettsaal im Römer einbezogen.77 Die Spende von Brot und Wein erinnerte an das Abendmahl, wobei diese religiöse Dimension nur eine unter multiplen Bedeutungsgehalten dieses Aktes verkörperte.78 Denn nicht nur durch lauthals vorgebrachten Jubel, sondern auch durch den Wettstreit um die kaiserlichen Gaben demonstrierte das Volk, dass es den Erhebungsakt und damit auch den neuen Herrscher akzeptierte. Man kann deshalb in der Preisgabe auch eine Form der ehemals üblichen Akklamation des Herrschers durch das Volk sehen. Im Rahmen der Preisgabe kam es regelmäßig zur Eskalation von Gewalt, die keineswegs allein aus der Knappheit der dargebotenen Güter resultierte. Dabei wurde die gesamte im öffentlichen Raum befindliche Krönungsausstattung bis zu den im Boden verlegten Bleirohren, durch welche der Wein in den Brunnen geleitet worden war, zumeist vollkommen demoliert. Dieser gewaltsam ausgetragene Kampf um die Güter war ein tradierter Bestandteil der Krönung, mit dem bei jedem neuen Akt selbstverständlich gerechnet wurde.79 Dass dieser zu ernsthaften Verletzungen unter 76 Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 94. Vgl. dazu auch den kolorierten Kupferstich mit dem Umzug der Metzger zur Krönung Karls VII. 1742, in: Ausstellungskatalog Frankfurt am Main (2006) (vgl. Anm. 5), Katalog S. 227. 77 Die Gemeinschaft von Herrscher und Volk im Mahl wurde durch die zeitliche Koinzidenz und symbolisch auch durch den Verzehr derselben Speisen und Getränke hergestellt. So wurde dem König angeblich der erste Schluck des Weines und das erste Stück des Ochsenbratens gereicht; schon Beuther bezweifelt allerdings, dass der Herrscher diese auch wirklich zu sich nahm. Beuther, Ordentliche Verzeychniß, o.S. 78 Vgl. Patricia Stahl: „Ein warhafftig Schauspiel und fürtrefflich Mahl“: Die kaiserlichen Krönungsbankette im Frankfurter Römer, in: Ausstellungskatalog Frankfurt am Main (2006), Essayband, S. 282–293, hier S. 284. 79 So schrieb etwa Goethes Mutter an Fritz von Stein nach Weimar, „den Tumult müssen Sie doch mit ansehen.“ Weniger den feierlichen Krönungszug sollte der Briefempfänger also se-

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den Beteiligten führte, darüber berichten nicht nur zeitgenössische Textquellen, dies wurde auch in visuellen Darstellungen in Szene gesetzt. So zeigt eine zeitgenössische Chronik einen Bäckergesellen, der sich beim Kampf um den Münzwurfbeutel, den die Bäckerzunft erbeutet hatte, eine blutende Wunde zuzog. Andere Quellen berichten von abgeschnittenen Fingern, gebrochenen Knochen oder gar Todesfällen.80 Über den Tumult von 1792 schreibt ein Augenzeuge: „Einige indessen, deren Verstand durch den Wein, den sie glücklicherweise hatten trinken können, aufgeklärt worden war, fingen an, ihre Nachbarn auf eine sehr verständliche Art durch­ zubläuen. Dies war das Signal zu einer allgemeinen Schlägerei […]. Jetzt waren auch keine Stadtsoldaten mehr im stande Einhalt zu tun, und es ging alles drunter und drüber, der Adler wurde in Trümmer geschlagen. Das laute Heulen der Geprügelten und das unaufhörliche Rufen: Vivat Franz II.! gab eine gar abscheulich schöne Vokalmusik.“81

Da der Streit um die Güter bisweilen so bedrohliche Formen annahm, dass Kaiser, Fürsten und Rat der Stadt um ihre eigene Sicherheit fürchteten, versuchte man 1658 erstmals auf die Preisgabe zu verzichten.82 Die rabiate Reaktion der Bevölkerung, welche das Militär einfach überwältigte, zeigt, dass es sich aus der Perspektive des Volkes bei der Preisgabe um eine gewohnheitsrechtlich verankerte Form seiner Partizipation am Erhebungsakt handelte, die nicht einfach per obrigkeitlicher Anordnung abgeschafft werden konnte.83 Dieses Recht auf Teilhabe wurde auch durch die Bevölkerung ganz offen artikuliert.84 Auch spätere Versuche, auf die Preisgabe zu verzichten, scheiterten an der Geltungshoheit des Herkommens wie auch daran, dass die neuen Kaiser es für politisch unklug hielten, ihr Regiment womöglich mit einer blutigen Niederschlagung des Volkswillens zu beginnen. Als wenigstens teilweise erfolgreich

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hen, sondern den „Tumult“ um die preisgegebenen Güter. Wolfgang Pfeiffer-Belli (Hrsg.): Johann Caspar Goethe/Cornelia Goethe/Catharina Elisabeth Goethe: Briefe aus dem Elternhaus, Zürich 1960, S. 615. Im Brieftagebuch heißt es über die Preisgabe am Krönungstag: „Dabey geschieht allezeit Mordt und Todtschlag.“ Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 69. Vgl. auch Hamann, Bemerkungen (vgl. Anm. 75), S. 116. Zit. nach Hattenhauer, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 6), S. 193. Im Folgenden Georg Ludwig Kriegk: Die deutsche Kaiserkrönung, in: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte NF1 (1872), S. 77–101, 133–160, hier S. 141. Die Edikte, mit denen der Frankfurter Rat 1790 die Eskalation der Gewalt zu vermeiden suchte, sind ediert bei Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 40f., 70f. Vgl. dazu das Edikt vom 6. Oktober 1790 (Berger/Bund, Wahl und Krönung [vgl. Anm. 20], S. 70f.), das den Anspruch bestimmter sozialer Gruppen auf Teilhabe vor der übrigen Bevölkerung thematisiert, wenngleich der Rat diesen als „ganz irrig“ zurückweist.



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erwies sich hingegen die 1790 durch den Frankfurter Rat unternommene Initiative, durch Aushandlung im Vorfeld die nicht völlig vermeidbare Gewalt auf ein Mindestmaß zu beschränken.85 So legte man in Abstimmung mit den Zünften fest, dass die Bender den Doppeladler des Weinbrunnens und die Metzger den Ochsenkopf als Trophäe bekommen sollten.86 Dennoch wurde der Kampf um diese beiden Objekte – nun als symbolisches Theater der Gewalt – weiterhin ausgetragen. 1792 scheiterte diese Strategie dagegen. Die Eskalation der Gewalt wurde deshalb meist bewusst zugelassen, denn sie war räumlich und zeitlich eng begrenzt und erfüllte zudem als Inversionsritual in symbolischer Hinsicht eine wesentliche Funktion.87 Die Diskrepanz zwischen dem stark formalisierten Krönungsmahl im Inneren des Römers als „Struktur“ und dem chaotischen Kampf um die Gaben auf dem Römerplatz als „Antistruktur“, hätte nicht größer ausfallen können.88 Während die Ordnung des Krönungsmahles die Macht der Herrschenden signifizierte, bezeichnete die Unordnung im Zuge der Preisgabe die Ohnmacht der Beherrschten. Das scheinbar unsinnige und planlose Handeln des Volkes demonstrierte in den Augen der auch räumlich oben im Römer befindlichen politischen Elite die Notwendigkeit der Ausübung von Herrschaft über die unten auf dem Römerplatz befindlichen Untertanen. Affektgeleitetes Handeln und emotionaler Überschwang des Volkes, das nach zeitgenössischen Berichten während des Tumultes brüllte, heulte und tobte und sich somit als unzivilisierter Pöbel89 erwies, belegen gerade die Dringlichkeit seiner Disziplinierung durch die Obrigkeit. Nicht zuletzt deshalb wurde der Gewaltexzess des Volkes öffentlich inszeniert, wohingegen die kulinarischen, alkoholischen oder sonstigen Exzesse der Eliten sich auf weniger öffentliche Räume beschränkten.90 Da die Gewalt des Volkes das Gewaltmonopol des Herrschers in demonstrativer Weise verletzte, kann der Tumult zugleich als eine Form der rituellen Rebellion begriffen werden, wobei seine kathartische Wirkung die neuen Herrschaftsverhältnisse stabilisieren sollte. 85 Ebd. 86 Vgl. dazu auch Koch/Stahl, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 5), Bd. 2, S. 188–190. 87 Vgl. zu diesem Konzept Max Gluckman: Rituale der Rebellion in Südost-Afrika, in: Fritz Kramer/Christian Sigrist: Gesellschaften ohne Staat, Bd. 1: Gleichheit und Gegenseitigkeit, Frankfurt a.M. 1978, S. 250–280, hier S. 267. 88 Dazu allgemein Victor Turner: Das Ritual: Struktur und Anti-Struktur (Theorie und Gesellschaft 10), Frankfurt a.M. 2000 (engl. Harmondsworth 1969). 89 Vgl. die Bewertung im Ratsedikt vom 6. Oktober 1790, in: Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 70f. 90 Zum Exzess als einem genuinen Merkmal des Festes Maurer, Feste und Feiern (vgl. Anm. 1), S. 102 und 196: „In diesem Sinne ist das Fest dialektische Vermittlung von Gesetz und Überschreitung, Ordnung und Chaos, Verbot und Trieb.“

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Beim Vergleich der zeitgenössischen Berichte über die Preisgabe von 1562 und 1790 zeigen sich jedoch wesentliche Unterschiede. 1562 und auch 1612 schien die Mehrheit der Autoren eher belustigt, man berichtete mit Vorliebe immer neue Anekdoten über die Vorfälle beim Kampf um die begehrten Güter. Dagegen spiegeln die Berichte von 1790 tatsächlich mitunter Furcht und Schrecken angesichts der unübersehbaren Eskalation von Gewalt. Mit Blick auf die Entwicklungen im revolutionären Frankreich sprachen die Autoren etwa vom „Volkssturm“, eine Formulierung, die sich in älteren Berichten nicht finden lässt.91. Gegen solche das Geschehen stark dramatisierende Schilderungen reagierte der Frankfurter Rat mit einer zwangsweise abzudruckenden Gegendarstellung in allen drei Frankfurter Zeitungen, nach der sich angeblich bei „sämmtlichen fürgewesenen Wahl- und Krönungs-Solemnitäten nicht der geringste Unfall zugetragen“ habe, um so jeden Zweifel zu zerstreuen, die städtische Obrigkeit sei womöglich nicht in der Lage, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten.92 Im Text der offiziellen Wahldiarien wurde der Gewaltexzess des Volkes dagegen entweder völlig übergangen oder aber heruntergespielt: So vermeint einer der zeitgenössischen Autoren sogar einen Zivilisierungsprozess bei der Bevölkerung ausmachen zu können, wenn er schreibt, das Gewaltverbot des Rates sei dieses Mal „pünklich beobachtet“ worden, „woraus billig zu schließen, wie sehr die Kultur unter dem gemeinen Volke zugenommen haben müsse, das sich doch gemeiniglich bey solchen Gelegentheiten nicht zu mäßigen weiß.“93 Der aus der Perspektive der Unterschichten integrale Bestandteil der Herrschererhebung erschien jenen Juristen, die nun – anders als 1562 – als Verfasser dieser Textgattung fungierten, entweder als irrelevant oder aber als Störfall, der zur Vermeidung von Nachahmung dem Publico am besten zu verschweigen war.94 Im Bild wird die Gewalt zwar auch 1790 noch dargestellt, dennoch erscheint das Chaos der Preisgabe im Rahmen einer geordneten Gesamtinszenierung als gebannt. Die Darstellung des Tumultes, die ab 1612 sogar ein eigenständiges Thema der Bildberichterstattung der Krönung gewesen war95, beschränkte sich nun auf einen 91 Schubart berichtet über das Vorgehen der Bäckerzunft beim Münzwurf: „Nicht ein Mann bewegte sich hier, sondern die ganze rothe Kopfmasse wältze sich untrennbar wie ein macedonischer Phalanx und unwiderstehlich durch den Platz …“. Schubart, Chronik 1790 (vgl. Anm. 52), S. 726. 92 Frankfurter Staats-Ristretto 19 (1790), 172. Stück, S. 775; Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 93, Anm. 192. 93 Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 108. Im „Vollständigen Diarium“ (vgl. Anm. 39) wird noch nicht einmal auf die Ausübung der Erzämter näher eingegangen. 94 Vgl. etwa auch Julius Wilhelm Hamberger: Merkwürdigkeiten der römischen Königswahl und Kaiserkrönung, 2. erw. Auflage mit Anhang, Gotha 1791, S. 164f. 95 Warhafftige Contrafactur deß Ochsen, so auff Matthiae […] Crönung, den viertze-

henden Hewmonats des Tausent sechshundert und zwölfften Jahrs, zu Franckfurt am



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kleinen Bildausschnitt rechts im Vordergrund. Dabei war die Preisgabe gerade für die frühe Nachrichtenpublizistik ein spannenderes Thema als die stark ritualisierten Aufzüge, die Krönungsmesse oder das Krönungsbankett gewesen, denn es ist sicher kein Zufall, dass die beiden erhaltenen illustrierten Einblattdrucke zur Krönung von 1562 ausgerechnet die Ausübung der Erzämter und die Preisgabe thematisieren, wobei hier bildlich nicht der Akt der Zerstörung, sondern lediglich der auf die Fernwirkung des Blattes berechnete Krönungsochse am Spieß dargestellt wird.96

Zusammenfassung Wenn das Krönungsfest als Verfassungsfest des Heiligen Römischen Reiches qualifiziert werden kann, so stellt sich nach dem Vergleich der Festkulturen von 1562 und 1790 abschließend die Frage nach den besonderen Merkmalen gerade dieses Festtypus’ sowie den konkreten Veränderungen der Krönungsfestkultur, die sich im Verlauf des Untersuchungszeitraumes feststellen lassen.97 Als wichtigstes Merkmal ist zunächst der eingangs umrissene Verfassungsbezug des Krönungsfestes hervorzuheben: Die Notwendigkeit einer Krönung des römischen Königs oder Kaisers resultierte aus der Verfassung des Reiches. Die Krönung bildete wesentliche Bestandteile dieser Reichsverfassung in ihren rituellen und zeremoniellen Akten ab. Im Rahmen der Krönung kam es nicht nur zur Erhebung des Herrschers, sondern dieser übte erst hier – und zwar nicht nur beim Ritterschlag – demonstrativ sein verfassungsmäßiges Recht der Standeserhebung aus. Die als Fest ausgestaltete Herrschererhebung, bei der sich das Reich als Reichsfeiergemeinschaft konstituierte, sollte die Akzeptanz der Reichsverfassung bei Reichsständen und Reichsuntertanen steigern und die Einheit des Reiches über alle territorialen Grenzen hinweg bekräftigen. Nicht zuletzt floss die Ausgestaltung eines Krönungsaktes als durch die jeweilige Meyn, vor dem Römer gebraten worden, Frankfurt 1612.

96 Warhafftige Contrafactur deß Ochssen/so auf Maximilians/Röm. Kön. Mt. Crönung … gebrahten worden, Frankfurt a.M. [1563], Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, HB 93/1255. 97 Nach Barbara Stollberg-Rilinger zeichnen sich frühneuzeitliche Verfassungsfeste durch folgende sechs Merkmale aus: Solennität, Formalität, Sakralität, körperliche Präsenz, Öffentlichkeit und Außeralltäglichkeit. Stollberg-Rilinger, Verfassung und Fest (vgl. Anm. 18), S.  22–24. Körperliche Präsenz und Außeralltäglichkeit stellen allerdings eher allgemeine Kennzeichen von Festen dar. Sie eignen sich deshalb kaum dazu, die Spezifik eines Verfassungsfestes im Vergleich zu anderen Festtypen zu klären, zumal der Krönungsakt im engeren Sinne zwar die körperliche Präsenz des Kaisers voraussetzte, aber keineswegs die Festkultur der Krönung insgesamt, die sich eben nicht auf den Krönungsort beschränkte.

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Praxis gebildetes Krönungsherkommen wiederum in die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches ein. Aus diesem engen Verfassungsbezug resultiert die Solennität des Krönungsfestes. Der Begriff verweist zum einen auf den festlichen Charakter des Rahmens: die „prächtig“ ausstaffierten Teilnehmer und ihr zahlreiches Gefolge, die aufwendigen Dekorationen sowie die feierliche Atmosphäre, die durch die innere Haltung der Anwesenden und ihr der Situation angemessenes Verhalten entstand. Er verweist zum anderen auf die geordnete Form, in der ein solches Ereignis ablief, auf die genaue Einhaltung eines zuvor festgelegten Verfahrens, die das angestrebte Ergebnis sicherstellen sollte.98 Allerdings zeigt sich gerade beim Krönungsfest ein Spannungsverhältnis zwischen Formalität und nicht formalisierten Handlungen, zwischen Ordnung und Chaos. Dieses Spannungsverhältnis resultierte aus dem Charakter der Krönung als „rite de passage“, wobei die rituelle Rebellion der Untertanen zugleich die Notwendigkeit von Herrschaft wie auch die Fragilität der sozialen Ordnung im Zuge eines Herrscherwechsels signifizierte. 1790 wurde aus der zuvor realen Gewalt zumindest partiell ein Theater der Gewalt, da die Gewinner des Kampfes um die preisgegebenen Güter vorher feststanden, so dass hier durchaus von einer Entleerung der symbolischen Formen gesprochen werden könnte. Ein weiteres Kennzeichen frühneuzeitlicher Verfassungsfeste stellt Transzendenz als ideelle und zugleich symbolisch vermittelte Verbindung zwischen der irdischen und der himmlischen Ordnung dar.99 Das gilt ganz besonders für die Herrscherkrönung. Hier ist zwischen mehreren Dimensionen von Transzendenz zu differenzieren, zumal sich im Vergleich dieser beiden Akte auch wesentliche Verschiebungen feststellen lassen. In den zeremoniellen und rituellen Formen von Wahl und Krönung sollten sowohl 1562 wie auch noch 1790 ganz allgemein die Gottgewolltheit der bestehenden Herrschaftsordnung sowie auch speziell die Gottgewolltheit gerade dieser Herrschererhebung und nicht zuletzt die „Heilszusage Gottes“100 für das bevorstehende Regiment des neuen Kaisers zum Ausdruck gebracht werden. Im Verlauf der Frühen Neuzeit trat allerdings die Idee einer Sakralität des Kaisertums zunehmend zurück, wenn auch die Krönung in ihrer Gesamtheit immer noch die kaiserliche Herrschaft 98 Vgl. dazu Harriet Rudolph: „Mit gewohnlichen Solennitäten“. Politische Rituale und Zeremoniell im Alten Reich, in: Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal: Lesebuch Altes Reich, München 2006, S. 67–73, hier S. 67. 99 Anders Sellert, Bedeutung (vgl. Anm. 6), S. 30; Hans Joachim Berbig: Zur rechtlichen Relevanz von Ritus und Zeremoniell im römisch-deutschen Imperium, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 92 (1981), S. 204–249, hier S. 222. 100 Ludwig Schmugge: Feste feiern wie sie fallen – Das Fest als Lebensrhythmus im Mittelalter, in: Hugger, Stadt und Fest (vgl. Anm. 1), S. 61–87, hier S. 62



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auf der Basis eines Gottesgnadentums propagierte. Am Ende der Frühen Neuzeit wurde nicht mehr das Kaisertum, als vielmehr das Reich in seiner Gesamtheit als eine heilige Institution apostrophiert, die es zu feiern galt.101 Konstitutiv für das Krönungsfest als frühneuzeitliches Verfassungsfest wirkte darüber hinaus seine auf Partizipation ausgerichtete Gestaltung, welche über territoriale und ständische Grenzen hinweg Einheit stiften sollte. Dabei ging es um Partizipation als gezielte Einbindung politisch partizipationsberechtigter, aber auch politisch nicht partizipationsberechtigter Bevölkerungsschichten. Es ging um die öffentliche Aufführung von Partizipationsfähigkeit, aber auch um die Aufführung von Partizipationsansprüchen, wie dies etwa im Rahmen der Preisgabe zum Ausdruck kam. Genau daraus resultiert der multipolare, multilokale und auch multifunktionale Charakter dieses Festes. Beim Vergleich der Erhebungsakte von 1562 und 1790 zeigte sich, dass die Fürstengesellschaft 1790 in deutlich geringerem Maße am Fest partizipierte. Dafür stieg das Ausmaß der Partizipation jener Bevölkerungsschichten an, die nicht zur sozialen und politischen Elite des Reiches zählten. Man könnte hier von einer Popularisierung der Krönungsfestkultur sprechen, wobei diese auf der Akteursebene mit einer zunehmenden Fragmentierung des Krönungsfestes verbunden war. So trat etwa die Reichsstadt Frankfurt a.M. als Festveranstalter hinter einzelne Bürger oder soziale Gruppen der Stadtgesellschaft zurück. Mit dieser Entwicklung eng verbunden ist das letzte Merkmal der Krönung als Verfassungsfest, das ich hier anführen möchte: ein Höchstmaß von Öffentlichkeit. Im Zuge solcher Akte formierte sich eine Reichsöffentlichkeit als Präsenzöffentlichkeit und zwar in einem Ausmaß, wie dies für kein anderes frühneuzeitliches Verfassungsfest zu beobachten ist. Ihnen kommt deshalb eine hohe Bedeutung für die Ausbildung einer Öffentlichkeit zu, die im Grunde das gesamte Reich erfasste, weil dieses Fest eben auch wie kein anderes von der gesamten Gesellschaft getragen wurde. Darüber hinaus formierte sich durch die Anwesenheit zahlreicher Gesandter eine internationale Öffentlichkeit, worin sich die zentrale Bedeutung der Herrscherinvestitur im Reich innerhalb eines internationalen Staatensystems zeigt. Hinzu trat eine Medienöffentlichkeit, welche bei der Herrschererhebung von 1562 noch einen vergleichsweise bescheidenen Umfang besessen hatte, während jene von 1790 durch die reichsweite Etablierung eines Mediensystems auch zum reichsweiten Medienereignis geriet. Dabei steuerte die Medialisierung des Krönungsfestes seiner zunehmenden 101 Dies kommt auch in der auf den transzendenten Charakter dieses Erhebungsrituals zielenden Formulierung Goethes zum Ausdruck, „alles schien nur eine Masse zu sein, die nur von einem Willen bewegt, prächtig harmonisch und soeben unter dem Geläute der Glocken aus dem Tempel tretend, als ein Heiliges uns entgegenstrahlte.“ Goethe, Dichtung und Wahrheit, S. 241.

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Fragmentarisierung entgegen, denn es waren die nun weitgehend standardisierten Krönungsdiarien, welche durch die Multiplikation einer bestimmten Lesart die Illusion nährten, bei der Vielzahl der individuell erlebten Krönungsfeste handele es sich um ein und dasselbe Krönungsfest. Die besondere Bedeutung der Krönung von 1790 als Verfassungsfest dokumentiert sich darin, dass dieser Akt am Ende der Frühen Neuzeit das einzige Verfassungsfest des Heiligen Römischen Reiches geworden war, während am Beginn dieser Epoche mit feierlichen Reichstagseröffnungen, mit dem Kaiseradventus, mit Huldigungen oder Reichsbelehnungen noch andere Reichsverfassungsfeste existiert hatten. Mit dieser Entwicklung verband sich die nun vermehrt auftretende Interpretation der Herrschererhebung als „Nationalfest der Deutschen“, wie dieses Ereignis in zeitgenössischen Berichten explizit bezeichnet wurde.102 Gefeiert wurden nicht mehr nur Kaiser und Reichsverfassung, sondern auch „deutsche Nation“ und „deutsches Vaterland“. 103 Dabei vermag die gängige These, der nationale Gedanke innerhalb der Festkultur sei aus Frankreich importiert worden, letztlich nicht zu überzeugen. Vielmehr scheint das Krönungsfest ein eigenständiger, wenngleich abgebrochener Entwicklungsstrang deutscher Nations- und Verfassungsfeste zu sein. Seine Ausgestaltung als ein Schichten und Herrschaftsgrenzen überwindendes Fest zielte darauf, den Herrschaftswechsel positiv zu konnotieren, während die bei beiden Akten entfaltete Pracht den überwältigenden Glanz von Kaisertum und Reich als nun auch national aufgeladenen, althergebrachten Institutionen widerspiegeln sollte. Diese hatten sich 1790 in der Wahrnehmung der Zeitgenossen noch keineswegs überlebt, weshalb sie sich auch einer „aufgeklärten“ Aufwandskritik weitgehend entzogen. 102 So betont ein Wahldiarium, dass „bei diesem Nationalfeste der Deutschen eine unglaubliche Menge von Menschen an einen Ort von allen Enden und Theilen des Reiches sowohl als des Auslandes zusammengeflossen war …“. Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 57, ebd., S. 77, wird die Krönung als ‚Staatsereignis‘ bezeichnet. Schubart schreibt:„ Heil uns, dass wir mit Zuverläßigkeit sagen können, dies Fest der Nazion werde für Niemand unter uns drückend, sondern für Tausende seegnend seyn. […] Also hat es keine Gefahr mit uns Deutschen, und mit Leopolds Regierung scheint eine neue Epoke unserer Glückseeligkeit zu beginnen.“ Schubart, Chronik 1790, S. 682. Zitiert nach Berger/Bund, Wahl und Krönung (vgl. Anm. 20), S. 36; vgl. hier auch S. 67, Anm. 145. 103 Dabei wird allerdings auch das Ziel verkündet, das Europa als „Welttheil mit seinen Völkern von verschiedenen Sprachen, Gesetzen und Gewohnheiten undter der Leitung ihrer besonderen Regenten nur eine politische Gesellschaft, eine Familie und Brudergemeinschaft ausmachen sollte“, wobei der neue Kaiser mit „seinen patriotisch-deutschen und friedliebenden Gesinnungen besonders in diesen stürmischen Zeiten das deutsche Reich ganz beglücken“ werde. Wahl und Krönung Josephs des Zweyten (vgl. Anm. 34), II., S. 128f.

Akademische Solennitäten Universitäre Festkulturen im Vergleich

von Marian Füssel Legt man zur Bestimmung des Begriffs Fest allein die Differenz zum Alltag zu Grunde, so war die Universität des späten Mittelalters eine sehr festreiche.1 Ein Kalender der Ingolstädter Artistenfakultät von 1492 beispielsweise verzeichnet allein 41 kirchliche Feiertage, zu denen die Feierlichkeiten der Universität noch hinzukamen. Eingedenk der Ferien und der vorlesungsfreien Sonn- und Donnerstage kam man damit auf nur noch 180 Vorlesungstage im Jahr.2 An einer protestantischen Aufklärungsfabrik wie der 1737 inaugurierten Universität Göttingen hingegen wurde vielfach auch am Sonntag gelesen und auch der Festkalender hatte sich merklich reduziert.3 An dieser Stelle soll es jedoch nicht um konfessionell geprägte Arbeitsethiken gehen, sondern um akademische Festkulturen der Frühen Neuzeit im Vergleich.4 Sowohl Konfession 1

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Vgl. Lars Deile: Feste – eine Definition, in: Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 1–17, hier S. 6. Als Forschungsüberblick vgl. auch Michael Maurer: Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand in: Historische Zeitschrift 253 (1991), S. 101–130. Vgl. Laetitia Boehm: Der ‚actus publicus‘ im akademischen Leben. Historische Streiflichter zum Selbstverständnis und zur gesellschaftlichen Kommunikation der Universitäten [zuerst 1972], in: Gert Melville/Rainer A. Müller/Winfried Müller (Hrsg.): Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm anlässlich ihres 65. Geburtstags, Berlin 1996, S. 675–693, hier S. 682. So heißt es bei Johann Stephan Pütter 1788: „Zur ununterbrochenen Fortsetzung eines anhaltenden Fleisses ist es der Universität sehr zu statten gekommen, daß seit einigen Jahren ausser den höheren Festen von Ostern, Pfingsten und Weihnachten, Charfreytag und Himmelfahrt alle übrige Feiertage in hiesigen Landen abgestellt oder auf den nächstfolgenden Sonntag verlegt sind. Von den sechs Tagen jeder Woche ist ohnedem keiner von Lehrstunden frey. Selbst die wenigen Tage, da wegen des halbjährigen Prorectoratswechsels und wegen der jährlichen Gedächtnisfeier der Einweihung der Universität öffentliche Feierlichkeiten vorgehen, bleiben doch in der übrigen Tageszeit den gewöhnlichen Lehrstunden gewidmet.“ Johann Stephan Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen. Theil 2: Von 1765 – 1788, Göttingen 1788, S. 378f. Eine europäisch vergleichende Perspektive einzunehmen, ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich, daher müssen sich Vergleiche auf die Universitäten des Alten Reiches beschränken.

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als auch langfristige historische Entwicklungen bilden allerdings zentrale Parameter eines solchen Vergleichs. Bereits vor mehreren Jahrzehnten hat Laetitia Boehm in einem wegweisenden Aufsatz darauf hingewiesen, dass „Festakte“ bzw. „die Öffentlichkeit und Feierlichkeit bestimmter Handlungen“ von Beginn an ein „Herzstück im Lebensrhythmus der akademischen Institution“ gewesen sind.5 Von ihrer institutionellen Kultur her sind die europäischen Universitäten hybride Gebilde: Sie vereinen klerikale und monastische mit bürgerlich-genossenschaftlichen Elementen ebenso wie mit fürstenstaatlichen Strukturen. In kaum einem Bereich lässt sich diese historisch zu einer eigenen akademischen Kultur zusammengewachsene Hybridität sinnfälliger beobachten als im Bereich der Festkultur. Feste spielten im Leben einer vormodernen Institution eine zentrale Rolle, ja wurden zu einem „Stück versinnbildlichter Rechtsgeschichte“.6 Dabei ging es unter den Bedingungen vormoderner symbolischer Kommunikation unter Anwesenden im Fest nicht nur um ein Abbilden sozialer Ordnung, sondern um deren performatives Herstellen.7 Im actus publicus sollemniter celebrandus repräsentierte sich die Universität nicht nur als Kult-, Berufs- und Tischgemeinschaft, sondern konstituierte gleichzeitig stets aufs Neue ihre Verfassungs-, Lehr- und Gemeinschaftsordnung.8 „Solemniter“ bedeutete dabei „alljährlich, feyerlich, herrlich, desgleichen gebräuchlich, rechtmäßig, ordentlich, mit grossem Gepränge, oder mit vielen und besondern Ceremonien“.9 Um eine minimale Vergleichbarkeit dieser solennen actus überhaupt erst zu gewährleisten, werden bestimmte akademische Festtypen ausgewählt, die an

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Ansätze zu einer europäischen Vergleichsperspektive finden sich bei Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2 Von der Reformation bis zur Französischen Revolution (1500–1800), München 1996; Barbara Krug-Richter/Ruth Mohrmann (Hrsg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa, Köln u.a. 2009. Boehm, actus publicus (vgl. Anm. 2), S. 675. Ebd., S. 676. Vgl. Marian Füssel/Thomas Weller: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft, Münster 2005, S. 9–22, hier S. 12; zur vormodernen symbolischen Kommunikation allg. vgl. den Überblick von Barbara Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Forschungsperspektiven – Thesen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489–527; zur frühneuzeitlichen Anwesenheitskommunikation vgl. Rudolf Schlögl: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155–224. Vgl. grundlegend Marian Füssel: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006. Vgl. Art. „Solenn“: in: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon (…) Bd. 38 Sk-Spie, Halle/Leipzig 1743, Sp. 520. Ursprünglich setzte sich der Begriff „sollemnis“



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fast allen Universitäten des Alten Reiches üblich waren.10 So werden zunächst die Promotionsfeiern und Rektoratswechsel (1.) behandelt, dann die Inaugurationsfeierlichkeiten und die Universitätsjubiläen (2.) sowie schließlich besondere, durch die Konfession oder bestimmte politische Ereignisse wie Fürstenbesuche etc. geprägte Festlichkeiten (3.).

1. Der rituelle Kern akademischer Festkultur: Promotion und Rektoratswechsel Einer der bis heute zentralen akademischen Festakte ist die feierliche Promotion. An ihr zeigt sich bereits in aller Deutlichkeit, dass akademische Festkultur meist in engem Zusammenhang mit Einsetzungsritualen und zeremoniellen Ordnungen stand.11 Die Promotion zum Doktor oder Magister folgte in der Frühen Neuzeit einem komplexen Ablauf, der sich im Wesentlichen aus zwei Hälften zusammensetzte: einer Prüfungssequenz unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der öffentlichen Investitur mit den Zeichen der Doktorwürde und der Verleihung des Grades.12 An dieser Stelle interessiert vor allem letzteres, da die Handlungssequenz alle Charakterzüge eines aus „solus“ und „annus“ zusammen, wodurch der regelhafte Charakter des alljährlich wiederkehrenden Festes zum Ausdruck kommt, vgl. Boehm, actus publicus (vgl. Anm. 2), S. 683. 10 Als zeitgenössischen Überblick vgl. das Kapitel bei „Vom Ceremoniel bey Academischen solennen Actibus“ in: Johann Christian Lünig: Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien […], 3 Thle. in 2. Bdn., Leipzig 1719–20, hier Bd. 2, S. 1341–1390. Die 24 Beispiele, die Lünig anführt, gliedern sich wie folgt: I. Einweihungen oder Wiedereröffnungen (10x), II. Promotionen in Straßburg (4x), III. Jubiläen (5x), IV. Rektoratswechsel, V. Rektorenbegräbnis, Feier der Union EnglandSchottland in Leipzig 1707, fürstl. Namenstag und Patronatsfest der sächsischen Nation in Wien, Prozession in Paris. 11 Als Überblicke vgl. Marian Füssel: Die inszenierte Universität. Ritual und Zeremoniell als Gegenstand der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9 (2006), S. 19–33; Marian Füssel: Akademische Rituale. Deposition, Promotion und Rektorwahl an der vormodernen Universität, in: Barbara Stollberg-Rilinger u.a. (Hrsg.): Spektakel der Macht – Rituale im alten Europa 800 bis 1800. Katalog zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, 21. September 2008 bis 4. Januar 2009, Darmstadt 2008, S. 39–43. 12 Vgl. Marian Füssel: Ritus Promotionis. Zeremoniell und Ritual akademischer Graduierungen in der frühen Neuzeit, in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Examen, Titel, Promotionen: Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert, Basel 2007, S. 411–450; in europäisch vergleichender Perspektive auch Reinhildis van Ditzhuyzen: Selbstdarstellung der Universität. Feiern und Zeremoniell am Beispiel der Doktorpromo-

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Festes trägt. Seinen Anfang nahm der actus mit einer öffentlichen Bekanntmachung der bevorstehenden Promotion und Einladung der Gäste durch den Pedell oder in manchen Universitätsstädten durch Reiter in einem sogenannten Doktorritt.13 Am Tag der Promotion traten die Professoren und Kandidaten im Universitätsgebäude zusammen und schritten in gemeinsamer Prozession in die jeweilige Universitätskirche. Dort wurden alle einer zeremoniellen Rangordnung entsprechend platziert, es folgte eine Messe, Musik und verschiedene Ansprachen. Das eigentliche Investiturritual fand am Katheder statt, wo dem Kandidaten die Zeichen der Doktorwürde verliehen wurden: ein Hut, ein Mantel, ein Ring, ein geschlossenes und ein offenes Buch, sowie regional abweichend einzelne andere Zeichen wie etwa ein Degen. Es folgten ein Promotionseid, ein Kuss und das Besteigen des Katheders durch den Kandidaten, der durch eine kurze Rede seine neu erworbene Kompetenz öffentlich unter Beweis stellte.14 Das ganze wurde von musikalischen Darbietungen, zum Teil auch Spielszenen begleitet.15 Im Investiturritual der Promotion werden die kirchlichen Einflüsse besonders deutlich. Zwar konnten kaum eindeutige Rezeptionsvorgänge nachgewiesen werden, doch sind die strukturellen Homologien zur Priester- und Bischofsweihe offenkundig. Im Eid zeigten sich dann auch am auffälligsten die konfessionellen Differenzen des Promotionsrituals sowie im seltenen Fall der Promotion von Juden auch die Aus- und Abgrenzungsfunktionen des Rituals.16 Nach beendigtem Ritual verließ die Prozession in gleicher Ordnung wieder die Kirche und man begab sich in ein Gasthaus oder eine Privatwohnung, wo nun der kostspieligste Teil der ganzen Veranstaltung erfolgte, der sogenannte Magister- bzw. Doktorschmaus.17 Er stellte

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tion, in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Universität im öffentlichen Raum, Basel 2008, S. 45–75. Vgl. Stollberg-Rilinger, Spektakel der Macht (vgl. Anm. 11), S. 143. Vgl. Füssel, Ritus Promotionis (vgl. Anm. 12), S. 421ff. Vgl. Heinrich Metzner: Doktorpromotion und Doktorschmaus an der Mainzer Kurfürstlichen Universität, in: Mainzer Almanach (1959), S. 48–57, S. 54f.; Balthasar Fischer: Die Promotionsfeier an der theologischen Fakultät Trier 1473–1798, 1950–1973, in: Georg Droege u. a. (Hrsg.): Verführung zur Geschichte. Festschrift zum 500. Jahrestag der Eröffnung der Universität Trier 1473–1973, Trier 1973, S. 198–219. Monika Richarz: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678–1848, Tübingen 1974; Manfred Komorowski: Bio-bibliographisches Verzeichnis jüdischer Doktoren im 17. und 18. Jahrhundert (Bibliographien zur deutsch-jüdischen Geschichte), München u.a. 1991. Füssel, Ritus Promotionis (vgl. Anm. 12), S. 423f; Georg Erler: Leipziger Magisterschmäuse im 16., 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1905; Michael Trauth: „…merendas dari non omnino frugales“. Vom Brauch und vom Mißbrauch des Doktorschmauses an der alten Universität Trier, in: Aufklärung 5 (1991), S. 59–77.



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eine Form demonstrativen Konsums dar, die manchen Kandidaten an den Rand des Ruins brachte, für die Korporation jedoch in mehrfacher Hinsicht funktionalen Charakter besaß. Im akademischen Berechtigungssystem profitierten zahlreiche Mitglieder der Universität vom Pedell bis zum Dekan in nicht unerheblichem Maße sowohl von den Gebühren wie vom gemeinsamen Mahl.18 Die Tischgemeinschaft des gemeinsamen Mahles wiederum diente mit seinem demonstrativen Konsum sowohl zur distinktiven Aufwertung des erworbenen Titels wie zur performativen Gemeinschaftsbildung der akademischen Korporation. Und schließlich schufen die Kosten eine Zugangsschwelle zum Erwerb des Grades, der dessen soziale Wertigkeit erhöhte. Das gemeinsame Mahl verweist auch auf Parallelen zu anderen berufsständischen Einsetzungsritualen wie etwa im städtischen Handwerk.19 Sowohl der Charakter eines Übergangsrituals wie eines Festes wurde zum Teil noch dadurch verstärkt, dass manche Kandidaten direkt mit ihrer Promotion auch ihre Hochzeit feierten.20 So konnte unter Umständen nicht nur die kostenintensive Doppelung einer Ökonomie der Verausgabung umgangen werden, sondern auch der soziale Statuswechsel vom zwangszölibatären Studentendasein zum graduierten Ehemann gleich mehrfach unterstrichen werden. Frauen blieben von der aktiven Teilnahme an der akademischen Festkultur hingegen weitgehend ausgeschlossen bzw. wurden auf eine Zuschauerrolle reduziert. Besonders sinnfällig wurde dies etwa im Rahmen der Promotion von Dorothea Schlözer zur ersten Doktorin der Philosophie in Göttingen im Jahr 1787. Als im Rahmen der Feierlichkeiten des fünfzigjährigen Gründungsjubiläums der Göttinger Universität in einem actus publicus in der Paulinerkirche die Doktorgrade verliehen wurden, konnte sie nur durch ein kleines zerbrochenes Fenster aus der benachbarten Bibliothek zuschauen.21 Die Teilnahme einer unverheirateten Frau an einer solchen Solennität schien undenkbar. Die Promotion spielte nicht nur für den Einzelnen eine bedeutende Rolle, sondern für die gesamte akademische Gemeinschaft. Die Graduierung stellte die Handlungsfähigkeit der Universität demonstrativ unter Beweis, brachte ökonomischen Profit und ermöglichte die öffentliche Repräsentation der akademischen Werte- und Rangordnung. 18 Vgl. Ulrich Rasche: Geld, Ritual und Doktorurkunde. Zur Rationalisierung des Promotionsverfahrens im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel der philosophischen Fakultät der Universität Jena, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9 (2006), S. 83–99. 19 Vgl. etwa zum „Meisteressen“ Rudolf Wissell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit. Zweite, erweiterte und bearbeitete Ausgabe hrsg. von Ernst Schraepler, Bd. 2, Berlin 1974, S. 21–33. 20 Vgl. Füssel, Ritus promotionis (vgl. Anm. 12), S. 429. 21 Bärbel Kern/Horst Kern: Madame Doctorin Schlözer. Ein Frauenleben in den Widersprüchen der Aufklärung, München 1990, S. 123ff.

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Zu den das akademische Jahr strukturierenden Ereignissen gehörte an erster Stelle die halbjährlich erfolgende Wahl und Einsetzung des Rektors.22 Im katholischen Ingolstadt etwa wurde der Rektoratswechsel am Georgstag (23./24. April) und am Lukastag (18. Oktober) vollzogen.23 Nachdem der scheidende Rektor am Vortag per Mandat alle akademischen Bürger zum Erscheinen aufgefordert hatte, begann der Wahltag um 7 Uhr morgens mit einer Heiliggeistmesse in der Liebfrauenkirche. Von dort zogen die Professoren, angeführt von den Pedellen mit den Szeptern, in feierlicher Prozession zur Aula des Kollegiengebäudes. Der Rektor hielt nun eine Rede und legte seine Amtsinsignien nieder. Nachdem sich der Senat zur Wahl in die nahe gelegene stuba academica zurückgezogen und gewählt hatte, verkündete der scheidende Rektor in der Aula das Ergebnis und die Investitur des neuen Rektors mit den insignia rectoralia konnte erfolgen. Das Ganze endete mit einem Dankgottesdienst und einer Prozession, die den neuen Rektor zu seiner Wohnung geleitete. Im Fall der Ingolstädter Überlieferung dieses Vorganges sind wir in der glücklichen Lage, dass die illuminierte Universitätsmatrikel des 16. Jahrhunderts zwei Miniaturen enthält, die den Rektoratswechsel im Jahr 1589 darstellen. Dieser besaß insofern besonders repräsentative Qualität, als der neue Rektor der junge Prinz Philipp von Bayern war, der dieses Amt in der Tradition des Adelsrektorats studierender Adeliger übernahm. Die eigentlichen Amtsgeschäfte führte dann ein Professor als Vizerektor. Während sich die Wahlverfahren zum Teil je nach Gründungstyp und konfessionell bedingter Verfassungsstruktur erheblich unterscheiden konnten, war das Einsetzungsritual des Rektors an den Universitäten des Alten Reiches sehr ähnlich strukturiert. Fester Bestandteil an den meisten Hochschulen war etwa ein geselliger Umtrunk bzw. ein gemeinsames Mahl in Form eines Rektoratsessens.24 Diese unterlagen jedoch wie alle akademischen Formen demonstrativen Konsums einem stetigen Rationalisierungsprozess, der seinen Höhepunkt in der rigiden antiritualistischen Sparpolitik der Spätaufklärung fand.25 Die Rektoratsessen wie die Feierlichkeiten des Rektoratswechsels insgesamt waren jedoch nicht nur innerkorporative Verwaltungs- und Selbstvergewisserungsakte, sondern auch Grad22 Vgl. Marian Füssel: Zeremoniell und Verfahren. Zur Wahl und Einsetzung des Rektors an der frühneuzeitlichen Universität, in: Daniela Siebe (Hrsg.): „Orte der Gelahrtheit“. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches (Contubernium 66), Stuttgart 2008, S. 119–142. 23 Vgl. Laetitia Boehm: Die Universität in festlichem Gewand, in: Laetitia Boehm/Johannes Spörl (Hrsg.): Ludwig-Maximilians-Universität. Ingolstadt, Landshut, München 1472–1972, Berlin 1972, S. 13–84, S. 16ff. 24 Vgl. z.B. Samuel Schüpbach-Guggenbühl: Der Rektor bittet zu Tisch. Universität und Bürgerschaft an den Rektoratsessen der Amerbach, in: Basler Zeitschrift 96 (1996), S. 57–91. 25 Vgl. Marian Füssel: Rituale in der Krise? Zum Wandel akademischer Ritualkultur im Zeitalter der Aufklärung, in: Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde 55 (2009), S. 137–153.



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messer zur Bestimmung der Beziehung zur städtischen Umwelt der Universität. Die Form der Einladungen von städtischen Gästen und deren zeremonielle Behandlung boten regelmäßigen Anlass, das Verhältnis beider Korporationen neu zu bestimmen, wie wir vor allem aus den unzähligen überlieferten Konflikten wissen.26 Im Zuge der Rektoratswechsel verschaffte sich ab dem 18. Jahrhundert immer regelmäßiger auch eine Gruppe innerhalb der Universität Gehör, die meist auf eine passive Zuschauerrolle reduziert blieb: die Studenten. Mit Fackelzügen und Ständchen brachten sie dem scheidenden bzw. kommenden Rektor gegenüber Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck.27 Ausführlich beschreibt etwa der Jenaer Student Johann Christian Müller die studentischen Reaktionen auf den Jenaer Rektoratsantritt Gottlieb Stolles am 11. Februar 1740.28 Eine besondere Feierlichkeit ergab sich schließlich, wenn ein Rektor

26 Marian Füssel: Umstrittene Grenzen. Zur symbolischen Konstitution sozialer Ordnung in einer frühneuzeitlichen Universitätsstadt am Beispiel Helmstedt, in: Christian Hochmuth/ Susanne Rau (Hrsg.): Machträume der frühneuzeitlichen Stadt (Konflikte und Kultur 13), Konstanz 2006, S. 171–191. 27 Füssel, Zeremoniell und Verfahren (vgl. Anm. 22), S. 140f. Wie solche studentische Initiativen zum Teil auch die Überlieferung bestimmter Vorgänge beeinflussten, zeigt ein Jenaer Beispiel. Friedrich II. von Preußen durchreiste die Stadt im Dezember 1762 incognito, ein Vorgang, der kaum schriftlich überliefert ist. Die Studenten brachten ihm jedoch offenbar ein nächtliches „Vivat“ mit Fackeln dar und fertigten dazu später Stammbuchbilder an, vgl. Joachim Bauer u.a. (Hrsg.): Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert, Rudolstadt und Jena 2002, S. 162f. 28 „Weil meine Stube gerade über seiner Haußthüre, so hatte ich gute Gelegenheit zu bemercken, wie die Studenten von 7 bis 12 Uhr in der Nacht bei Hunderten seiner Thüre vorübergingen. Einer von ihnen schrie: Vivat der Herr ProRector Stolle hoch! Darauf schrien die anderen zur Bekräftigung aus vollen Halse: Hoch! Weil er eine Pech schwartze Allonge-Perruque trug, so schrie einer: vivat seine große schwartze Perruque hoch! Ein anderer aber, dem sie nicht gefiel, schrie: Pereat seine große schwartze Peruque tief ! und dessen Anhang bekräftigte es mit tief ! Alles was ihnen nun an demselben wohlgefiel, daz schrien sie vivat, was ihnen aber missfiel bekam ein pereat, darunter auch seine große lange Schue erwehnt wurden; denn der gute Man hatte sehr große und lange Plat Füße. An diesem Tage haben die Studenten viel Freiheit. Wenn ein solcher Auflauf ist, müssen allenthalben auf den Stuben die Lichter ausgethan werden, geschieht es nicht, so werfen sie die Fenster ein, voraus wenn sie vorhergeschrieen haben: ausgethan, oder Licht weg, Licht weg. Weil sei dem vorigen Herrn ProRector Teichmeiern gewogen, so wurde ihm, als der an meiner Seite etwas weiter herauf wohnte, beständig vivat gerufen, auch wurden ihm viele Nacht Musicken bei Fakkeln gebracht.“ Johann Christian Müller: Meines Lebens Vorfälle & Neben-Umstände. Teil 1: Kindheit und Studienjahre (1720–1746). Hrsg. von Katrin Löffler und Nadine Sobirai, Leipzig 2007, S. 74f., zu einem noch exzessiveren Rektoratswechsel vgl. auch ebd. S. 155ff.

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im Amt verstarb.29 In diesem Fall beging die Universität sein Leichenbegängnis mit geradezu fürstlichem Repräsentationsaufwand.

2. Das Fest der Gründung: Inauguration und Jubiläum Eine besondere Nähe zur höfischen Festkultur zeigte sich vor allem bei der Errichtung einer Hochschule, die mit einer ausgedehnten mehrtägigen Festlichkeit, der sogenannten Inaugurationsfeier, begann. Diese folgte während der Frühen Neuzeit in der Zeit der landesherrlichen Universitätsgründungen immer mehr einem standardisierten Muster.30 Beginnend mit einem in der klassischen Adventus-Tradition stehenden feierlichen Einzug des Landesherrn in die künftige Universitätsstadt wurde die neue Universität in verschiedenen Investiturritualen, Gottesdiensten, Prozessionen und Festbanketten handlungsfähig gemacht.31 Im Reich wurden in dieser Form u.a. Helmstedt (1577), Würzburg (1582), Altdorf (1623), Bamberg (1648), Duisburg (1655), Kiel (1665), Halle (1694), Göttingen (1737) und Erlangen (1743) eingeweiht.32 Im Zentrum einer jeden Inaugurationsfeier stand die feierliche Investitur des 29 Karl Bader: „Vom tödlichen Ableben und solenner Beerdigung Rectoris Magnifici“, in: Julius Reinhard Dieterich/Karl Bader (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Universitäten Mainz und Giessen, Darmstadt 1907, S. 375–389; Werner K. Blessing: Repräsentation als akademischer Akt. Zu den Feiern der Friedrich-Alexander-Universität, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 54 (1994), S. 299–320, S. 304; Thomas Weller: Theatrum Praecedentiae. Zeremonieller Rang und gesellschaftliche Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt: Leipzig 1500 – 1800, Darmstadt 2006, S.  253–263; Marian Füssel: Organisationsformen, Rituale und Rangstreitigkeiten, in: Ulrike Gleixner/Jens Bruning (Hrsg.): Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576–1810, Wiesbaden 2010, S. 88–97. 30 Vgl. die offiziellen Beschreibungen zu Jena 1558, Giessen 1650, Heidelberg 1652, Marburg 1653, Prag 1654, Duisburg 1665, Lund 1668 und Halle 1694 bei Lünig, Theatrum (vgl. Anm. 10), S. 1341–1361. 31 Vgl. Winfried Dotzauer: Die Ankunft des Herrschers. Der fürstliche Einzug in die Stadt (bis zum Ende des Alten Reiches), in: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973), S. 245–288; Klaus Tenfelde: Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 45–84; Peter Johanek u. Angelika Lampen (Hrsg.): Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt (Städteforschung: Reihe A, Darstellungen, Bd. 75), Köln/ Weimar/Wien 2009. 32 Richard Kirwan: Empowerment and Representation at the University in Early Modern Germany. Helmstedt and Würzburg 1576–1634, Wiesbaden 2009; Anton Ernstberger: Die feierliche Eröffnung der Universität Altdorf (29. Juni 1623), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 11/12 (1953), S. 109–122; Werner Taegert: Eröffnung, Jubiläen und Geschichtsbild der Bamberger Hochschule. Aspekte akademischer Selbstdarstellung, in: Franz



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ersten Rektors mit den insignia rectoralia. Zu dieser zog man in solenner Prozession in eine der Hauptkirchen der Stadt, wo nach einem genau geregelten Zeremoniell alle Teilnehmer angemessen „loziert“ wurden, bevor die Investitur erfolgen konnte. In Bamberg etwa wählte man hierzu den Dom, in Kiel die Nikolaikirche, in Halle die Domkirche der ehemaligen Residenz, in Göttingen die Paulinerkirche, in Erlangen die Neustädter Kirche. Beginn und Abschluss der Inaugurationsfeiern stehen ganz in fürstlicher Festtradition, obwohl der Landesherr freilich nicht in allen Fällen selbst zugegen war.33 Dem häufig durch eine Ehrenpforte vollzogenen Einzug folgten öffentliche Belustigungen wie etwa Weinbrunnen.34 Zur Bewirtung der Teilnehmer an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Universität Halle 1694 wurde vor der „Waage“, dem zukünftigen Universitätsgebäude, aus mehreren Brunnen zweierlei Wein aus der Küche des Fürsten ausgeschenkt, was ein Augenzeuge, der Feldscher Johann Dietz in seinen Lebenserinnerungen mit den Worten kommentierte: „Es wurden vier Ehrenpforten, nach den vier Salzbrunnen, auf dem Markt erbauet; als felsenhoch darauf die Sonne, oder ein fliegend Pferd, oder Neptun und dergleichen. Darunter floß kontinuierlich, durch die Kunst, Wasser herab und stunden die preußischen Riesen auf jeden Seiten. Inwendig waren Chöre mit allerhand Instrumenten, Sängern und Pauken und Trompeten. Und war überaus prächtig anzusehen, als der liebe, höchstselige König bei hellem Mittag einzog, da ein heller Stern erschien zu höchster Gloire des Königes. Es waren auch vier WeinMachilek (Hrsg.): Haus der Weisheit. Von der Academia Ottoniana zur Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Bamberg 1998, S. 87–97; Günter von Roden: Die Universität Duisburg (Duisburger Forschungen 12), Duisburg 1968, S. 37–49; Jan Könighaus: Die Inauguration der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 1665. Symbolgehalt und rechtliche Bedeutung des Universitätszeremoniells, Frankfurt a. M. [u. a.] 2002; Marian Füssel: Universität und Öffentlichkeit. Die Inaugurationsfeierlichkeiten der Universität Halle 1694, in: Werner Freitag/Katrin Minner (Hrsg.): Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle, Halle 2004, S. 59–78; Hermann Wellenreuther: Vom Handwerkerstädtchen zur Universitätsstadt. Die Inaugurationsfeier der Georg-August- Universität von 1737 und die Vision Göttingens als „Leine-Athen“, in: Göttinger Jahrbuch 49 (2001), S. 21–37. 33 In Duisburg (1655) beispielsweise wurde Friedrich Wilhelm von Brandenburg durch seinen Statthalter Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen vertreten; in Göttingen wurde der englische König und Kurfürst von Hannover Georg II. durch Gesandte vertreten, er kam erst 1748 persönlich nach Göttingen (vgl. unten). 34 Vgl. Hans Martin von Erffa: Ehrenpforte, in: Ernst Gall/L.H. Heydenreich (Hrsg.): Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1958, Sp. 1443–1504; zur Festarchitektur vgl. auch Werner Oechslin: Fest und Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes, in: Fritz Reckow (Hrsg.): Die Inszenierung des Absolutismus, Erlangen 1992, S. 9–49.

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brunnen am Markt erbauet, herrlich! Daraus auf vier Stunden Wein lief und jeder trank, wer da konnte.“35

Die Verköstigung bildete ein zentrales Element der Feierlichkeiten, und so wurden am Ende des Tages meist große Festbankette gegeben: in Kiel 1665 mit dem Herzog im Festsaal des Kieler Schlosses36, in Halle 1694 mit dem Kurfürsten im Schloss, in Göttingen 1737 mit den Gesandten in der Halle des Rathauses37, in Erlangen 1743 mit dem Markgrafen. Fackelzüge, Feuerwerk, Theatervorführungen und andere Festelemente konnten je nach Belieben des Fürsten die Festlichkeiten ergänzen. Bemerkenswert sind vor allem die zum Teil konfessionsübergreifenden Elemente akademischer Festkultur. Bei der Eröffnung der katholischen Universität Bamberg 1648 waren beispielsweise auch abgeordnete Gäste von der protestantischen Universität Altdorf zugegen, die dem Festvortrag eines der Jesuitenpatres angeblich mit Beifall zuhörten.38 Letzteres verweist auch auf den Brauch, Professoren aus anderen Universitäten zu den eigenen Feierlichkeiten einzuladen und damit eine überregionale akademische Kommunikationsgemeinschaft herzustellen.39 Manchmal verfassten diese Gäste auch Berichte über die Feierlichkeiten, die neben vereinzelten Selbstzeugnissen von Stadtbürgern, Studenten oder Reisenden wertvolle Quellen bieten, um die tatsächliche Praxis hinter den offiziellen Festbeschreibungen und ihrer ste35 Vgl. Meister Johann Dietz des Großen Kurfürsten Feldscher, Mein Lebenslauf, hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1966, S.  182f. In der visuellen Repräsentation der Ehrenpforten gab es noch weitere, von den realen völlig abgelöste Darstellungen von Ehrenpforten, die sich vornehmlich an den Hof richteten. Der Verleger und Drucker Andreas Luppius etwa produzierte Ehrenpfortendarstelllungen zur Einweihung der Universität Halle, die er dann zwölf Jahre später bei der Hochzeit Kronprinz Friedrich Wilhelms gewissermaßen recycelte, vgl. Guido Hinterkeuser: Ehrenpforten, Gläserspind und Bernsteinzimmer. Neue und wieder gelesene Quellen zur Baugeschichte von Schloss Charlottenburg, in: Jahrbuch der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten 3 (1999/2000), S. 65–102, hier S. 75ff. 36 Könighaus, Inauguration (vgl. Anm. 32), S. 65–67. 37 Ulrich Hunger: Die Georg-August-Universität als landesherrliche Gründung. Ein Bericht über ihre Genese, in: Elmar Mittler (Hg): „Eine Welt allein ist nicht genug“ Großbritannien, Hannover und Göttingen 1714–1837, Göttingen 2005, S. 99–114, hier 111 u. S. 114. 38 Taegert, Eröffnung (vgl. Anm. 32), S. 87. 39 Der Bamberger Fall relativiert sich jedoch vor der Tatsache, das in der Regel nur die Vertreter von Universitäten der gleichen Konfession eingeladen wurden und die Feiern häufig zum Medium konfessioneller Abgrenzung genutzt wurden, vgl. z.B. Werner Fläschendräger: Die Zweihundert-Jahr-Feier der Universität Jena im Jahre 1758, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 9 (1959/60), S. 37–48, hier S. 38 u. S. 40f.



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reotypen Beschreibungsformeln greifbar zu machen.40 So berichten etwa Professoren der benachbarten Universität Helmstedt über den Unmut der Göttinger Studenten angesichts ihrer als unangemessen wahrgenommenen Behandlung im Rahmen der Inaugurations-Feierlichkeiten.41 Das universitäre Feste buchstäblich ihre eigene Zeitkultur entwickeln konnten, macht ein Reisebericht zweier Ingolstädter Professoren über das Jubiläumsfest der Universität Heidelberg 1786 deutlich, in dem vermerkt wird, dass man angesichts der Länge der Feierlichkeiten einfach alle öffentlichen Uhren der Stadt um eine Stunde zurückgestellt habe.42 Neben Friktionen während der jeweiligen Feierlichkeiten kam es oftmals schon im Vorfeld zu komplizierten Verhandlungen über das angemessene Zeremoniell, die zu ladenden Gäste, die Kosten oder das ästhetische Programm.43 Solche komplexen Aushandlungsprozesse begleiteten häufig auch die Jubiläen einer Universität, die im Ablauf der Inaugurationsfeier ähnelten, sollten sie doch das Gedächtnis an die Gründung lebendig halten.44 Seit dem 18. Jahrhundert eignete den 40 Vgl. zur Gattung der Festbeschreibungen Thomas Rahn: Festbeschreibung: Funktion und Topik einer Textsorte am Beispiel der Beschreibung höfischer Hochzeiten (1568 – 1794), Tübingen 2006. Zu Selbstzeugnissen als Quellen der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte vgl. Marian Füssel: Selbstzeugnisse, in: Ulrich Rasche (Hrsg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte, Wiesbaden 2010 (im Druck). 41 „…indessen hatte es die Nacht an Schreyen und Rufen nicht gefehlet. Es soll dies fürnemlich um den Zwist, so bey der Collation, welche den Studiosis an kalten Braten und Wein auf dem Rathause um 6 Uhr gegeben worden, entstanden seyn, woraus den unterschiedene Pereat, welche die Nacht gerufen, erfolget. Danebst haben sie gerufen Licht weg, und weil die Bürger nicht verstanden, was solches bedeute und das Licht nicht weggenommen, sind in vier Häusern die Fenster eingeworfen, auch hat verlauten Wollen, als wenn einige Fenster-Einwerfung an dem Collegio geschehen.“ Emil Franz Rössler: Die Gründung der Universität Göttingen. Entwürfe, Berichte und Briefe der Zeitgenossen, Göttingen 1855, S. 392–406 hier S. 401f. 42 Winfried Müller: Das Heidelberger Universitätsjubiläum des Jahres 1786. Der Reisebericht der Ingolstädter Professoren Coelestin Steiglehner und Heinrich Palmatius Leveling für Kurfürst Karl Theodor, in: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386–1986. Bd. 1 Mittelalter und frühe Neuzeit 1386–1803, Heidelberg 1985, S. 521–554, hier S. 538; zu den Heidelberger Jubiläen vgl. auch Sabine Bock: Die künstlerische Gestaltung der Heidelberger Universitätsjubiläen (Veröffentlichungen zur Heidelberger Altstadt 28), Heidelberg 1993. 43 Vgl. z. B. Rudolf Wackernagel: Die dritte Säcularfeier der Universität Basel 1760, in: Basler Jahrbuch 7 (1887), S. 1–40; Bernhard Kugler: Die Jubiläen der Universität Tübingen nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Tübingen 1877. 44 Winfried Müller: Erinnern an die Gründung. Universitätsjubiläen, Universitätsgeschichte und die Entstehung der Jubiläumskultur in der frühen Neuzeit, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 79–102; Werner Conze: Die Selbstdarstellung von Universitäten in Zentenarfeiern: Heidelberg im Vergleich, in: Die Geschichte der Universität Hei-

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Feierlichkeiten und ihrer publizistischen Darstellung zunehmend eine Tendenz zur Selbsthistorisierung, indem man nicht nur auf die Gründung referierte, sondern auch auf alle vorigen Jubiläen zurückblickte.45 Die Jubiläumsfeierlichkeiten waren meist ganz auf die Person des Landesherrn ausgerichtet, was die Hochschulen in der jeweiligen Situation immer wieder vor Probleme stellen konnte.46 Als beispielsweise 1677 Herzog Wilhelm Ludwig von Württemberg kurz vor dem 200jährigen Jubiläum der Universität Tübingen verstarb, hatte die Universität die Festlichkeiten massiv umzudisponieren und den zeremoniellen Aufwand zu verringern.47 Auch in Jena hatte man 1758 bei der Vorbereitung der Zweihundertjahrfeier mit einigen Problemen zu kämpfen.48 Der besonderen Jenaer Universitätsverfassung geschuldet hatte man mit allen vier Erhalterstaaten vorher Absprachen zu treffen, noch dazu fiel die Feier in die angespannte Zeit des Siebenjährigen Krieges. Die Folge war, dass keiner der Fürsten dem Jubiläum persönlich beiwohnte und lange um die Kosten des Festes gefeilscht wurde. In einer besonders prekären Jubiläumssituation befand sich 1794 die Universität Halle. Als Folge des an der Fridericiana nicht gut aufgenommen Wöllnerschen Religionsedikts von 1788 kam es im Mai 1794 zu einer gewaltsamen Vertreibung der preußischen Konsistorialräte durch die Studenten, eine Aktion, die von der Regierung per königlichem Reskript vom 3. Juli mit einem Verbot der akademischen „Jubelfeier“

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delberg (Vorträge im Wintersemester 1985/86), Heidelberg 1986, S. 90–109; Carsten Lind: Mit Pauken und Trompeten – Die Giessener Universitätsjubiläen im 18. und 20. Jahrhundert, in: Horst Carl/Friedrich Lenger (Hrsg.): Universalität in der Provinz – die vormoderne Landesuniversität zwischen korporativer Autonomie, staatlicher Abhängigkeit und gelehrten Lebenswelten, Darmstadt 2009, S.  309–319. Zeitgenössische Beschreibungen der Jubiläen von Wittenberg 1702, Frankfurt/Oder 1706, Giessen 1707 und Leipzig 1709 finden sich bei Lünig, Theatrum (vgl. Anm. 10), S. 1370–1385. Einen bibliographischen Überblick über das umfangreiche Schrifttum geben Wilhelm Erman/Ewald Horn: Bibliographie der deutschen Universitäten, Bd.2, Leipzig/Berlin 1904. Vgl. z.B. Karl Heinrich Schundenius: Erinnerungen an die festlichen Tage der dritten Stiftungsfeyer der Akademie zu Wittenberg, Wittenberg 1803, S. 55–61. Ausnahmen bilden einige der städtischen Gründungen, wie Köln, Basel oder Straßburg. Dennoch ist auch bei Hochschulen, die keine genuin landesherrlichen Gründungen waren wie etwa Leipzig, im Zuge der Territorialstaatsbildung des 17. und 18. Jahrhunderts eine Fokussierung auf den Landesherrn eingetreten. Kugler, Jubiläen (vgl. Anm. 43), S. 30ff. Fläschendräger, Zweihundert-Jahr-Feier (vgl. Anm. 39), S. 37ff. Zu den Jenaer Jubiläen vgl. auch Joachim Bauer: Runde Jubiläen und Kulturelles Gedächtnis. Jenas universitäre Säkularfeiern in der Frühen Neuzeit, in: Birgitt Hellmann (Hrsg.): Jubiläen in Jena (Reihe Dokumentation der Städtischen Museen Jena 16), Weimar 2005, S. 11–38, zu 1758, hier S. 21–28.



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zum hundertjährigen Bestehen sanktioniert wurde.49 Die Studierenden ergriffen nun abermals die Initiative und lieferten ein eindrückliches Beispiel akademischen Eigensinns. Rund 250 Studenten versammelten sich am 12. Juli eigenmächtig und luden zu einer Feier. Christian Gottlieb August Runde berichtet in seiner Hallenser Chronik: „Die Jünglinge hatten außer den accademischen Senat, denen Professoren, Doctoren, Magister[n] und Beamten bei der Universität nur die angesehensten Famielien der Stadt von den Militär, der Magistrat, der Geistlichkeit und den gebildeten Ständen zu dieser Feierlichkeit eingeladen. Sie wurde mit einer von Herrn Profess. Maas[s] verfertigten und von den MusikDirector Türk in Musik gesetzten Cantate eröffnet, worauf der Studiosus Treuge eine den Tag angemessene, sehr schöne Rede hielt.“50

Doch die Feierlichkeit fand noch eine gesellige Fortsetzung: „Nach dieser Feierlichkeit war in den Leveauxschen Garten auf den Neumarkt für die aus mehreren Hunderten bestehende Gesellschaft in einem geräumigen Laubengange ein Mahl be­ reitet, was sich weniger durch Pracht als einen geschmackvollen Anstand auszeichnete. Abends war der Garten sehr schön erleuchtet, und ein froher Tanz in den Laubengange beschloß diesen merkwürdigen Tag.“51

Der klassische Festablauf einer universitären Jubiläumsfeier mit Festmusik, Festreden und gemeinschaftsstiftendem Mahl wurde so im Geiste der Spätaufklärung improvisiert. Zum Gedenken an diese besondere Festlichkeit wurde sogar auf private Initiative ein Denkmal errichtet: „Der Besitzer des Gartens, Herr Leveaux, hat zum Andenken dieses Tages ein einfaches Denk­mal gestiftet. An den äußersten Ende des Gartens nach Morgen befindet sich eine Grotte, wo über den grauen Eingang derselben ein schwarzer Stein den Wanderer sagt: ‚In diesem Garten feierte ein Theil der hier Studierenden das erste hundertjährige Fest der Friedrichs-Universität‘.“52

49 Eine Tatsache, die etwa in Hoffbauers Universitätsgeschichte unterschlagen wird, die nur den Mangel an „Fonds“ für das Ausbleiben der Feierlichkeiten verantwortlich macht, vgl. Johann Christoph Hoffbauer: Geschichte der Universität zu Halle bis zum Jahre 1805, Halle 1805, S. 460–464. 50 Bernhard Weißenborn (Bearb.): Rundes Chronik der Stadt Halle 1750–1835, Halle 1933, S. 207f. 51 Ebd., S. 207f.; Hoffbauer, Geschichte (vgl. Anm. 49), S. 463. 52 Weißenborn, Rundes Chronik (vgl. Anm. 50), S. 208.

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Hier war es somit der Eigensinn der Studierenden, der bei jeder größeren universitären Festveranstaltung zum Gegenstand disziplinartechnischer Reflektionen wurde, der eine Feier überhaupt erst ermöglichte.

3. Feste zwischen Religion und Politik Zu den akademischen Solennitäten zählte ferner eine ganze Reihe von religiösen und politischen Festtagen, die häufig ereignisbezogenen Charakter trugen, und sich daher schwer unter einen eindeutigen Nenner bringen lassen.53 So zelebrierte man neben allgemeinen kirchlichen Feiertagen beispielsweise auch die verschiedenen Festtage der Fakultätspatrone, wie etwa das Fest der heiligen Katharina als Patronin der Artistenfakultät.54 Seit der Reformation kamen dann immer mehr konfessionell bestimmte Unterschiede in den einzelnen Festanlässen zum Tragen.55 Unter den konfessionell geprägten Festen tritt auf protestantischer Seite vor allem die Feier des Reformationsjubiläums hervor, die an allen lutherischen Universitäten mit mehr oder minder großem Aufwand begangen wurde.56 Im Festkalender einer katholischen Universität nahm die Fronleichnamsprozession einen hervorragenden Stellenwert ein. Fronleichnam markiert insofern einen signifikanten Unterschied zur religiösen Festkultur der protestantischen Universitäten, indem die Prozession eines der wenigen integrativen kommunalen Ereignisse bildete, bei dem fast alle wichtigen sozialen Gruppen der Stadt repräsentiert waren: u.a. der Rat, der Klerus und die Orden, die Universität und das Handwerk.57 Eine solche regelmäßig wiederkehrende ständisch-korporative Gesamtschau gab es in den kleineren protestantischen Universitätsstädten kaum.58 Hier waren es meist Situationen, in denen eine der Parteien Gast der anderen war. Dass die Ansprüche und Erwartungen von Gastgeber und Gast oftmals deutlich auseinander gehen konnten, zeigen auch die Besuche der jeweiligen Landesherren. Exemplarisch kann dies am Besuch Georgs II. von Hannover in Göttingen am 1. Au53 54 55 56

Vgl. etwa die Auswahl bei Lünig, Theatrum (vgl. Anm. 10), S. 1387–1391. Vgl. Boehm, actus publicus (vgl. Anm. 2), S. 679. Vgl. Blessing, Repräsentation (vgl. Anm. 29), S. 321ff. Vgl. Harm Cordes: Hilaria evangelica academica. Das Reformationsjubiläum von 1717 an den deutschen lutherischen Universitäten, Göttingen 2006. 57 Vgl. exemplarisch Marian Füssel: Hierarchie in Bewegung. Die Freiburger Fronleichnamsprozession als Medium sozialer Distinktion in der frühen Neuzeit, in: Horst Carl/Patrick Schmidt (Hrsg.): Stadtgemeinde und Ständegesellschaft. Integration und Distinktion in der frühneuzeitlichen Stadt, Berlin u.a. 2007, S. 31–55. 58 Eine Ausnahme bildeten allenfalls Huldigungszeremonien, vgl. Weller, Theatrum, S. 174–230.



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gust 1748 gezeigt werden.59 Wie man der Universität aus Hannover mitteilte, wollte der König sowohl bei der „Übertragung einer ProRectorwürde“ als auch der „Creierung einiger Doctoram“ anwesend sein. Damit wurde gewissermaßen das Ritualprogramm einer Inaugurationsfeier abgerufen, für die der Besuch eine Art nachholende Funktion haben konnte, war der König doch bei der Einweihung der Universität 1737 nicht zugegen gewesen. Mit jedem Herrscherwechsel konnte sich tendenziell – je nach Universität, Territorium und politischer Interessenlage des Landesherrn – diese „Konstellation der Gründungsfeier“ wiederholen.60 Die Professoren machten sich nun eilig daran, ein möglichst ausgeklügeltes Festprogramm zu entwerfen, doch die königliche Regierung stellte rasch klar, ihro Majestät „liebten dergleichen ceremonien nicht“.61 Alles solle in größtmöglicher Kürze abgehalten werden, Promotionen und Rektoratsübergabe sollten insgesamt nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Dieser rigorose Kürzungswille, der nur noch die „essentia“ übrig lassen sollte, fand nicht nur keinen Beifall bei den Professoren, sondern führte die Universität auch an die Grenzen der Durchführbarkeit. Denn es wurden zahlreiche konstitutive Teile des Zeremoniells einfach weggelassen, wie etwa die Erklärung der Symbole, das Verlesen der Universitätsgesetze, verschiedene Festreden etc. Ingesamt glich der Ablauf der Feierlichkeiten im Kern recht genau dem der Inaugurationsfeier. Nach einem Festzug durch die Ehrenpforten, dem Abschluss der Promotionen und des Rektoratswechsels erfolgte ein Festmahl im Rathaus. Am Nachmittag erfolgten in Anwesenheit des Königs Reiterspiele im Reithaus der Universität und am Abend die Aufführung einer Serenade im Lager des Königs in Weende, einem kleinen Vorort Göttingens. Als Georg II. jedoch von den aufwendigen Illuminationen zu seinen Ehren in Göttingen an jenem Abend erfuhr, brach die königliche Gesellschaft zu einem abermaligen Besuch „ohne Gepränge“ in die Stadt auf. Mag der hier zu Tage tretende Antizeremonialismus Georgs II. zum Teil unterschiedlichen Auffassungen von der Bedeutung des Besuchs geschuldet sein, so fügt er sich, betrachtet man die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gleichwohl auch in die längerfristige Geschichte einer obrigkeitlich gesteuerten Beschränkung universitärer Festlichkeiten. Das Promotionswesen, die Rektoratswechsel und auch die Jubiläumsfeiern wurden immer weiter auf ihre verwaltungs- und verfahrenstechnischen Rudimente reduziert, jedwede Form zeremonieller Ostentation 59 Vgl. dazu die unveröffentlichte Göttinger Magisterarbeit von Steffen Hölscher: „Hierbey wird alle mögliche kürtze recommendiert“. Der Besuch Georgs II. an der Universität und in der Stadt Göttingen am 1. August 1748, Göttingen 2008. 60 Vgl. am Erlangener Beispiel Blessing, Repräsentation (vgl. Anm. 29), S. 309ff. 61 Hölscher, Besuch Georgs II. (vgl. Anm. 59), S. 70.

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empfand man zunehmend als unzeitgemäß.62 Die Wegrationalisierung akademischer Festkultur in der Spätaufklärung blieb jedoch Episode. Im 19. Jahrhundert kehrten die Feste unter veränderten institutionellen Vorzeichen mit aller Macht zurück.

Fazit 1.) Nimmt man die Kategorie ‚Fest‘ einmal als einen Oberbegriff an, der den jeweiligen akademischen actus publicus unter sich subsumiert, so setzte sich dieser wiederum aus einer ganzen Kette unterschiedlicher Praktiken symbolischer Kommunikation zusammen, die jeweils mit verschiedenen analytischen Kategorien gefasst werden müssen. Im Zentrum akademischer Festkultur standen meist Einsetzungsrituale wie Promotionen oder Rektoratswechsel, diese wurden begleitet von zeremoniellen Interaktionsformen wie etwa Prozessionen und Sitzordnungen und schließlich gerahmt von Festgottesdiensten und Festmählern.63 Während die Rituale performativ einen rechtlich verbindlichen Statuswechsel vollzogen, konstituierte das Zeremoniell die soziale Rangordnung innerhalb der Universität wie im Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Umwelt. Die ästhetische Rahmung des ganzen Ereignisses als Fest ermöglichte es zudem, den Zeitumständen angepasste kollektive Bedeutungszuschreibungen vorzunehmen und sich als Festgemeinschaft sowohl zu konstituieren wie zu distinguieren.

62 Der Einstellungswandel reflektierte sich auch im Bereich der Ästhetik des Festes und seiner visuellen Repräsentation. Während bis lange ins 18. Jahrhundert beispielsweise der Typus der ameisengroßen, aber auf Vollständigkeit bedachten bildlichen Darstellung von Prozessionen und Umzügen dominierte, entschloss sich der Wittenberger Schundenius beim Universitätsjubiläum 1803, sie einfach weg zu lassen. Zu der entsprechenden Tafel seines Werkes führt er aus: „Der Jubelzug durch die Kollegiengasse – sollte es werden. Allein da ich diese Platte so weit vollendet hatte als man sie hier sieht, und nun die Figürchen des Zugs hineinzuzeichnen begann, die kleinen winzigen Männerchen à la liliput en miniature, so macht der an sich so imposante Zug einen so kleinlichen, meinem Gefühle so lästigen Eindruck, dass ich nicht im Stande war, die Zeichnung zu vollenden. – Mit diesem meinem Gefühle stimmte das Urtheil anderer kompetenter Richter überein, und – ich strich die Figürchen aus, die ausserdem ganz unwesentlich sind, denn die Trachten sieht man auf den andern Tafeln, die Ordnung des Zugs in der Beschreibung.“ Schundenius, Erinnerungen (vgl. Anm. 45), S. 93. 63 Zur begrifflichen Differenzierung am Beispiel der höfischen Festkultur vgl. Marian Füssel: Fest – Symbol – Zeremoniell. Grundbegriffe zur Analyse höfischer Kultur in der Frühen Neuzeit, in: Kirsten Dickhaut/Jörn Steigerwald/Birgit Wagner (Hrsg.): Soziale und ästhetische Praxis der höfischen (Fest-)Kultur im 16. und 17. Jahrhundert, Wiesbaden 2009, S. 31–53.



universitäre festkulturen im vergleich

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2.) Akademische Feste bildeten jedoch nicht nur in den verschiedenen symbolischen Praktiken, aus denen sie sich zusammensetzten, recht heterogene Gebilde, sondern auch in ihren standeskulturellen Einflüssen. Eine vergleichende Perspektive auf die akademische Festkultur hat daher stets den hybriden Charakter der Institution Universität zu berücksichtigen. So weisen die Hochschulen als zunächst genossenschaftlich organisierte „Zünfte der Wissenden“ in ihrer Entwicklung deutliche Parallelen zu anderen sozialen Feldern, wie dem des Klerus, des städtischen Magistrats oder der Fürstengesellschaft auf. War die akademische Festkultur von Beginn an eingebettet in kirchliche Orte und Praktiken von der Messe bis zur Prozession, so beinhalteten vor allem die zahlreichen Einsetzungsrituale deutliche Einflüsse aus der monastischen wie der klerikalen Kultur. Entkoppelte die Universität sich dann im Verlauf der frühen Neuzeit immer weiter von ihren klerikalen Traditionen, so suchte sie umgekehrt verstärkten Anschluss an die kulturellen Umgangsformen des frühneuzeitlichen Hofes.64 Am deutlichsten sichtbar ist dies in der direkten Interaktion mit den Landesherren, welche universitäre Feste gleichzeitig immer auch zu höfischen Festen machte. 3.) Die akademische Festkultur blieb damit stets eingebunden in allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen der Frühen Neuzeit. An ihr lässt sich ebenso eine Konfessionalisierung wie eine fortschreitende Entkirchlichung ablesen, die Unterordnung unter die kulturelle Hegemonie des Fürstenstaates ebenso wie eine Verbürgerlichung im 18. Jahrhundert, die Rationalisierung einer Ökonomie der Verausgabung genauso wie die Funktionsweise ständischer Inklusions- und Exklusionsmechanismen, die Bedeutung einer Kommunikation unter Anwesenden oder der Zusammenhang von Recht und Ritual. 4.) Dennoch ging die symbolische Konstitution der institutionellen Identität der Universitäten nicht allein in diesen Bezügen auf. Die Konfessionalisierung beispielsweise verhinderte trotz aller Abgrenzungsbemühungen nicht, dass es eine überterritoriale akademische Festkultur gab, die insgesamt wohl mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufwies. Zu den Motoren dieser Vereinheitlichungstendenz gehörten u.a. die interuniversitäre Konkurrenzsituation des Alten Reiches, die Medialisierung des Zeremoniells und eine Tendenz zur kommunikativen Vernetzung mit den anderen Hochschulen. So richtete sich der Blick bei der Planung einer bevorstehenden Festivität stets auf die vorhergegangenen Feste benachbarter Universitäten, deren Festbeschreibungen ja in wachsendem Maße gedruckt vorlagen oder durch Beobachtungen eigener Delegationen festgehalten worden waren.65 64 Vgl. Boehm, actus publicus (vgl. Anm. 2), S. 678. 65 Z.B. im Fall der mitteldeutschen Universitätslandschaft die Orientierung Jenas an Wittenberg und Leipzig, vgl. Fläschendräger, Zweihundert-Jahr-Feier (vgl. Anm. 39), S. 37.

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5.) Der vergleichende Blick auf die akademische Festkultur der Frühen Neuzeit zeigt somit schließlich die kulturellen Austauschprozesse und Hegemonieverhältnisse von symbolischen Praktiken ebenso auf wie deren standeskulturelle Eigenheiten und Identitätskonstruktionen.

Konfessionskulturen Feste feiern katholisch – Feste feiern protestantisch

von Michael Maurer

1. Einleitung: Vorwissen und Vorurteil Meine Überlegungen gehen von der Vorstellung aus, daß die Ausdifferenzierung konkurrierender Konfessionskulturen1 in der katholischen und protestantischen Welt zu einem Teil mittels der Feste vollzogen wurde, sowohl in unterschiedlicher Weiterentwicklung des älteren kirchlichen Erbes als auch in einem divergierenden Verständnis des Phänomens des Festes. Wer Protestant war und wer Katholik, definierte sich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil dadurch, welche Feste einer beging und in welcher Weise er diese feierte. Oder sollte es sich dabei nur um ein Vorurteil handeln, wenn man sich vorstellt, Protestanten hielten predigtzentrierte Wortgottesdienste in asketisch ungeschmückten Kirchen höchstens unter monotonem Psalmengesang ab, während Katholiken in prächtig mit Gold, Alabaster und Marmor verzierten, in mit Gemälden und Statuen angefüllten Domen feierliche Hochämter mit Chor und Orchester mit Kompositionen von Mozart und Haydn zelebrierten? Festkritische Stimmen sind auf katholischer Seite kaum zu finden, auf protestantischer Seite dagegen schon. Ich erwähne nur Wilhelm Jannasch, der im Fest-Artikel des maßgeblichen Nachschlagewerkes Die Religion in Geschichte und Gegenwart seine Bedenken 1958 so formuliert hat: „In den ev[angelischen] Kirchen […] ist die entscheidende Frage die, wieweit F[este] und Feiern sich in der rechten Weise in den Dienst der Evangeliumsverkündung und des Dankes für Gottes Gaben einordnen lassen. Der ev[angelischen] Gemeinde der Gegenwart, die sich mit bestimmten F[este]n vorfindet oder Anregungen zu neuen F[este]n empfängt, ist immer wieder die kritische Frage erlaubt, ja geboten, ob Festefeiern im allgemeinen und das einzelne Fest im besonderen dem ev[angelischen] Leben dient oder nicht.“ 1

Vgl. Michael Maurer: Kulturgeschichte. Eine Einführung, Köln, Weimar und Wien 2008, S. 205–226.

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Jannasch warnt vor der „Gefahr einer bloßen Begehung“ und fürchtet sogar einen drohenden „Einbruch des Heidentums“. Es sei, meint er, nichts gegen einen „besonderen feiertäglichen Schmuck des Kirchenhauses einzuwenden […], wenn nur dieser Schmuck wirklich in einer sinnvollen Beziehung zum Festtagsinhalt“ stehe. Der Liturg müsse darauf achten, „daß nicht in den Gebeten, wie es noch vielfach der Fall ist, ein falscher Begehungscharakter durchbricht bzw. die Verkündigung des Evangeliums in eine flache mystische Innerlichkeit verfälscht“ werde.2 Unabhängig von der Frage, ob diese Position als repräsentativ für ein protestantisches Festverständnis genommen werden kann (und auch unabhängig von dem hier anklingenden Zeitgeist der Nachkriegszeit), läßt sich in dieser Stellungnahme eine bestimmte protestantische Position greifen, welche die Differenz zum katholischen Verständnis besonders plakativ markiert. Ein protestantisches Verständnis des Gottesdienstes ist nicht am Rituellen ausgerichtet, sondern an der Predigt. Dementsprechend erscheint alles ‚Sinnliche‘ nur vertretbar in psychologischer und pädagogischer Funktion – zur Vermittlung des Wortes – , während es auf katholischer Seite einen gewissen Eigenwert zu haben scheint als die Form, in der sich das Heilige zeigt und der Gläubige dessen teilhaftig wird. Es ist deshalb eine wesentlich katholische Philosophie des Festes, mit der Josef Pieper das Fest als ‚Zustimmung zur Welt‘ zu fassen versucht hat.3

2. Eine Definition als Bezugspunkt „Das kirchliche Fest par excellence: Der Gottesdienst“.4 So formuliert es der protestantische Liturgiker Christian Albrecht im Handbuch Praktische Theologie. Und der katholische Kirchenhistoriker Arno Schilson gibt folgende Definition: „Christliche F[est]e und F[eier]t[age] sind grundlegende symbol[ische] Handlungsgestalten des Glaubens. In liturgischer Feier gemeinsam vollzogen, verleihen sie dem Glauben der Kirche leibhaftigen Ausdruck u[nd] stärken ihn zugleich. Sie gründen in der welt- u[nd] zeitüberwin-

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Art. Feste und Feiern, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (RGG), 3. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1958, Spalte 906–924; hier: Sp. 921 f. Vgl. Josef Pieper: Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes, München 1963. Christian Albrecht: Fest und Feier. Ritus/Alltag/Gottesdienst/Kasualien, in: Wilhelm Gräb/ Birgit Weyel (Hrsg.): Handbuch Praktische Theologie, Gütersloh 2007, S. 275–286; Zitat: S. 282 f.



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denden Heilstat Jesu Christi, deren Gedächtnis sie begehen und deren vielfältige Aspekte u[nd] Wirkungen sie durch ihre rhythmisch wiederkehrende Feier wirksam vergegenwärtigen.“5

Das Wesentliche eines Festes geschieht räumlich in der Kirche, liturgisch in der Heiligen Messe. Um das Zentrum eines Gedächtnismahles herum wird eine „symbolische Handlungsgestalt“ zelebriert. Zu dieser Gestalt des Festes zählen Schriftlesungen und die Verlesung anderer Texte sowie Hymnen und andere Gesänge. Möglich sind Erweiterungen anderer Art (Benediktionen und Prozessionen), sowie „vielfältige Überlieferungen“ und sich anlagernde „volkstümliche Bräuche“.6 „Gedächtnis“ steht im Vordergrund: Gemeinsam vergegenwärtigt sich die Gemeinde der Gläubigen im Vollzug einer „symbolischen Handlungsgestalt“ unter Anleitung eines Priesters zentrale Aussagen ihres Glaubens. Dies geschieht im Jahreslauf durch die Festordnung des Kirchenjahres, wobei das Zentrum der Liturgie unveränderlich ist, jedoch durch Austausch von Bestandteilen (Texten, Liedern, Gewändern, Farben usw.) eine Anpassung an das jahreszyklisch Spezifische des jeweiligen Gedächtnisfestes möglich wird.

3. Zum Wandel des Gottesdienstes Die Analyse des religiösen Festes kann nun zwei Richtungen nehmen: Sie kann den inneren Wandel der „symbolischen Handlungsgestalt“ verfolgen oder die äußere Entwicklung im Lauf des Kirchenjahres. Ich gehe zunächst der inneren Frage nach und greife im folgenden Abschnitt die äußere auf. Unabhängig von weniger wichtigen regionalen und zeitlichen Differenzierungen erscheint es zunächst so, daß katholischer Gottesdienst in der Neuzeit im Wesentlichen durch Konstanz gekennzeichnet war, bevor das Zweite Vaticanum eine tiefgreifende Veränderung vollzog.7 Im Gegensatz dazu ereignete sich das Vordringen der Reformation wesentlich als Neugestaltung der Gemeindefeier, aus katholischer

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Art. Feste und Feiertage, in: Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), 3. Aufl. hrsg. von Walter Kasper; 11 Bde., Freiburg, Basel und Wien 1993–2001, Bd. 3, Spalte 1250–1258; hier: Sp. 1253. Ebd., Sp. 1256. Grundlegend: Bernhard Lang: Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, München 1998. Ferner: Hans Jorissen: Art. Meßopfer in: LThK (vgl. Anm. 5), Bd. 7, Sp. 178–184.

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Perspektive entstand daraus ein „Kampf um die Messe“.8 Für die römische Kirche war es essentiell, die Heilige Messe in lateinischer Sprache möglichst integral zu behalten, und die beharrenden Kräfte, nicht zuletzt auch das ‚Volk‘, verteidigten die „symbolische Handlungsgestalt“ in dieser Form. Die Kirchen der Reformation entwickelten eine breite Palette von veränderten Formen des Gottesdienstes, wobei am einen Ende der Skala die reformiert-calvinistischen Extreme in Zürich, Genf und Straßburg, in Holland und Schottland stehen, die nicht eigentlich aus der Heiligen Messe hervorgegangen sind, sondern aus dem spätmittelalterlichen oberdeutschen Predigtgottesdienst.9 Kennzeichnend dafür ist das Wort als Zentrum, die Predigt, wodurch auch die Kanzel in den Mittelpunkt der Versammlungsräume rückt,10 während alle zeremoniellen und sakramentalen Bestandteile minimiert oder ausgefiltert werden – mit Ausnahme des Abendmahls, das aber wesentlich als gemeinsames Gedächtnismahl verstanden wird. Auf Musik wird weitgehend verzichtet; Orgeln werden abgeschafft, allein der Sprechgesang der Psalmen darf dem Wort dienen. Bilder und Statuen werden aus den Kirchen entfernt.11 Zweideutiger ist die Stellung des Luthertums, weil Martin Luther zwar eine ‚Deutsche Messe‘ an die Stelle der lateinischen setzte und einen Gottesdienst mit den beiden Höhepunkten Predigt und Abendmahl vorsah, andererseits aber weder die rigorosen Veränderungen der Bilderstürmer billigte noch die Musik abschaffen wollte. Ja, deutscher Kirchengesang und Choral entwickelten sich sogar zu wesentlichen Kennzeichen lutherischer Gottesdienstpraxis.12 Während unter Theologen eine Kontroverse darüber besteht, inwiefern man den lutherischen Gottesdienst von

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Vgl. Erwin Iserloh: Der Kampf um die Messe in den ersten Jahren der Auseinandersetzung mit Luther, Münster 1958. 9 Vgl. Art. Gottesdienst VIII: Evangelischer Gottesdienst von der Reformation bis zur Gegenwart, in: Gerhard Müller u.a. (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 14, Berlin und New York 1985, S. 54–85 (Peter Cornehl). 10 Vgl. Traugott Koch: Der lutherische Kirchenbau in der Zeit des Barocks und seine theologischen Voraussetzungen, in: Kirche und Dienst 27 (1981), S. 111–129. Franz-Heinrich Beyer: Geheiligte Räume. Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes, Darmstadt 2008. 11 Krass und deutlich die Entwicklung in Schottland: vgl. Margo Todd: The Culture of Protestantism in Early Modern Scotland, New Haven und London 2002. 12 Vgl. Traugott Koch: Die Bedeutung der Musik für die evangelische Frömmigkeit, in: Musik und Kirche 49 (1979), S. 170–205. Heinz von Loesch: Glaubensspaltung – Spaltung der Musik? Oder: Was ist evangelisch an der evangelischen Kirchenmusik?, in: Helga de la MotteHaber (Hrsg.): Musik und Religion, Laaber 2. Aufl. 2003, S. 75–100.



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seiner pädagogischen Seite her verstehen könne,13 steht fest, dass die Predigt schon zum Zwecke der Durchsetzung der Reformation essentiell war und nie von anderen Elementen wirklich überlagert wurde, mochten auch Lob und Dank eine wichtige Bedeutung gewinnen wie auch die Beteiligung der Gemeinde am muttersprachlichen Gottesdienst hinzukommen.14 Andere Spielarten der Reformation wie die anglikanische bewahrten weit eher den Messcharakter des Gottesdienstes, wenn auch die Muttersprache nun eine andere Art des Mitvollzugs durch die Gemeinde ermöglichte. Das Element der Predigt war in England weniger wichtig, zumal man aus Misstrauen gegen die Prediger lange Zeit nur wenige einzelne Geistliche zu freien Predigten lizensierte und den gewöhnlichen Geistlichen das Vorlesen aus einer Predigtpostille vorschrieb. Das katholische Ansehen des anglikanischen Gottesdienstes wurde gesteigert durch die gewohnten Kirchengewänder, durch das Festhalten an den herkömmlichen Morn- und Evensongs (zumindest in Kathedral- und Kollegiatskirchen), durch eine besondere Kultivierung des Chorgesanges und feierliche Kirchenmusik.15 Dieser Extrempol protestantischen Gottesdienstes, der im frühen 17. Jahrhundert durch die arminianische Initiative des Erzbischofs William Laud mit seiner Devise, die Gläubigen ‚the beauty of holiness‘ erfahren zu lassen, noch gesteigert wurde, rief auf der Gegenseite puritanische Bestrebungen hervor, den als ‚Messe‘ verunglimpften staatskirchlichen Gottesdienst abzuschaffen bzw. nach calvinistischem Muster zu reformieren.16 Abgesehen von der revolutionären Episode im mittleren 17. Jahrhundert entfaltete sich diese Tendenz zur Schlichtheit dann außerhalb der Staatskirche, in den Freikirchen, die bald einen wesentlichen Teil des religiösen Lebens in Großbritannien und Nordamerika ausmachen sollten.17 Während also in England zwei verschiedene protestantische Kulturstile ausgefaltet wurden, läßt sich in den übrigen protestantischen Kirchenwesen Europas zumeist eine innere Spannung feststellen, die zu gewissen Zeiten auch polemisch ausgekämpft 13 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 14, S.  58. Paul Graff: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, Bd. 1: Bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 2. Aufl. 1937, S. 2 f. 14 Leonhard Fendt: Der lutherische Gottesdienst des 16. Jahrhunderts, München 1923. 15 Art. Gottesdienst VII. Anglikanische Kirche, in: TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 14, S. 51–54 (Paul Frederick Bradshaw). 16 Patrick Collinson: The Religion of Protestants. The Church in English Society 1559–1625, Oxford 1982. Susan Doran/Christopher Durston: Princes, Pastors and People. The Church and Religion in England 1529–1689, London und New York 1991. 17 William Gibson/Robert G. Ingram (Hrsg.): Religious Identities in Britain, 1660–1832. Aldershot u. a. 2005. W. R. Watts: The Dissenters: From the Reformation to the French Revolution, Oxford 1978.

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wurde. Beispielsweise artikulierte sich innerhalb des Luthertums der Orthodoxie im 17. Jahrhundert eine Bewegung gegen die polyphone Kirchenmusik und das Überhandnehmen des künstlerischen Gepränges,18 während die barocken Zeittendenzen durchaus auch dazu führen konnten, dass beispielsweise die Calvinisten in Heidelberg wiederum die Orgel in der Kirche einführten.19 In Dresden erbrachte die Konkurrenz der lutherischen Stadt zum katholischen Hof bekanntlich mit der Frauenkirche ein barockes Kleinod des protestantischen Kirchenbaus.20 Im Leipzig des 18. Jahrhunderts blühte in den lutherischen Kirchen eine ‚barocke‘ Musikkultur von weltgeschichtlichem Format.21 Im mitteldeutschen Raum gibt es nicht wenige protestantische Kirchen, die in ihrer künstlerischen Ausgestaltung hinter süddeutschen katholischen Kirchen kaum zurückstehen – sogar als Dorfkirchen wie in der Nähe Jenas in Dorndorf.22 Die Aufklärung brachte eine „Krise des Festes“23 auch insofern, als seit dem Pietismus bereits Formen der Subjektivierung, Privatisierung und Individualisierung der Frömmigkeit vorherrschend wurden, die den Gottesdienstbesuch zurückgehen ließen und den Ort der Religiosität stärker in die Familie verlegten.24 Weil solche bürgerliche Religiosität zunächst nur Protestanten möglich war, prägte sich die aufklärerische Leitkultur unter protestantischer Führung aus.25 Die Schlichtheit des Stiles, die zu einem Leitwert bürgerlichen Lebens in Abgrenzung gegen den Adel wurde, führte eher die calvinistisch-reformierte Linie des Anti-Ritualismus fort, also eines niedriger profilierten Festes. (Was sich teilweise im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wieder ändern sollte.26)

18 Vgl. Graff, Geschichte der Auflösung (vgl. Anm. 13), Bd. 1, S. 276–284. 19 Graff, Geschichte der Auflösung (vgl. Anm. 13), Bd. 1, S. 264. 20 Peter Müller: Die Frauenkirche in Dresden. Baugeschichte, Vergleiche, Restaurierungen, Zerstörung, Wiederaufbau, Weimar, Köln und Wien 1994. 21 Johann Sebastian Bach als Thomaskantor! 22 Helga Sciurie: Kirchen um Jena. Eine Einführung in ihre Geschichte und symbolische Bedeutung, Jena 2000, S. 100–107. 23 Vgl. Michael Maurer: Festkultur unter den Bedingungen der Aufklärung, in: Synthèse historique (im Druck). Beate Heidrich: Fest und Aufklärung. Der Diskurs über Volksvergnügungen in bayerischen Zeitschriften (1765–1815), München 1984. 24 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 14, S. 61–64. Alfred Ehrensperger: Die Theorie des Gottesdienstes in der späten deutschen Aufklärung (1770–1815), Zürich 1971. 25 Michael Maurer: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815), Göttingen 1996. 26 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 14, S. 64–82. – Siehe unten: 12. Abschnitt ‚Säkularisierung und Resakralisierung des Festes‘.



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4. Festdichte und Festkritik Bekanntlich hat sich das Festgeschehen im Laufe der mittelalterlichen Geschichte immer weiter verdichtet, indem man einem christologischen und einem marianischen Festzyklus eine zunehmende Zahl von Heiligenfesten hinzufügte.27 Anfangs nur auf Märtyrer des Glaubens bezogen, erfassten sie bald auch Bischöfe und andere Personen, deren Leben man für vorbildlich erklärte.28 Die zunehmende Festfülle im Kalender provozierte auch schon vor der Reformation Kritik, bei der sich zwei Argumentationsebenen unterscheiden lassen: eine theologische, die sich daran stieß, dass durch die überhandnehmende Heiligenverehrung die wesentliche Botschaft des Glaubens in ihrer symbolischen Umsetzung in einen jährlichen Festzyklus um Ostern und Weihnachten verunklart wurde, und eine wirtschaftliche, welche die Überfülle der Feiertage vom volkswirtschaftlichen Schaden her sah und von der Beeinträchtigung des Arbeitsverhaltens. Zu dieser modern scheinenden Argumentationsweise war schon Pierre d’Ailly vorgedrungen, der als Kardinal auf dem Konzil von Konstanz sowie in einer verbreiteten Schrift entsprechend Stellung genommen hatte.29 Zu solcher Kritik und Distanzierung bedurfte es also keiner Reformation und Kirchenspaltung. Trotzdem entstand durch Luthers Auftreten insofern eine neue Situation, als die theologische Argumentation nun zentral – heilsnotwendig – wurde und angesichts der Verwirklichung der Reformation auch die wirtschaftliche Seite im obrigkeitlichen Interesse lag. Eine Sekundärfolge ist dann die Rückbesinnung der katholischen Reform auf das Festliche, welches sowohl der eigenen Identitätsbildung als auch der Abgrenzung gegen Andersgläubige diente. Für alle Protestanten zentral ist Luthers Aussage im Sermon Von den guten Werken (1520): „Wollte Gott, daß in der Christenheit kein Feiertag wäre als der Sonntag […] Denn feiern ist jetzt nicht nötig noch geboten als allein, um das Wort Gottes zu ler27 Vgl. Albert Christian Sellner: Immerwährender Heiligenkalender. Mit Patronaten, Attributen und Namensregister, Frankfurt/M. 1993 (Wie wird man heilig? Ein Nachwort, S. 437–458). 28 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 11, Berlin und New York 1983, S. 116. 29 Art. Feste, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München und Zürich 1989, Spalten 399–407. Vgl. auch Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 11. Aufl. 1975, S. 215 f. – Ein Sozialhistoriker hat die wirtschaftlichen Verluste der Katholiken aufgrund der vielen Feiertage des Spätmittelalters zu berechnen versucht und herausgefunden, daß Protestanten schon aufgrund ihrer reduzierten Feiertage 11% mehr Einkommen verbuchen konnten: Ulf Dirlmeier: Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978 (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse 1978,1), S. 134.

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nen und zu beten.“30 Aus der Ablehnung der Werkgerechtigkeit folgerte Luther eine Zurückweisung der Heiligenverehrung, damit zusammenhängend mussten die Gedenktage der Heiligen in den Hintergrund treten. Die Konzentration auf die zentrale Aussage des christlichen Glaubens bedeutete eine Neuakzentuierung des Sonntags und des Osterfestes im Lauf des Kirchenjahres. Dazu wurden viele Feiertage abgeschafft.31 Faktisch hat Luther trotz dieser Position einen beträchtlichen Teil der von der katholischen Kirche überkommenen Festtage bestehen lassen. Im reformierten (calvinistischen) Bereich wurden die Reduktionsbestrebungen weit konsequenter durchgeführt, hauptsächlich infolge des Wirkens von Ulrich Zwingli, Heinrich Bullinger und Martin Bucer.32 Reformatorische Festkritik ist insofern etwas anderes als vorreformatorische, als die theologische Argumentation zum Verhältnis von Glauben und Werken entscheidend wird sowie die ‚Freiheit eines Christenmenschen‘, die sich auch im Verzicht auf die Heiligen als Mittler, Fürsprecher und Nothelfer zu erkennen gibt sowie in der Reduktion der Sakramente und in der Abschaffung der Wallfahrten. Humanistische Reformatoren wie Melanchthon setzten weiterhin auf die psychologische und pädagogische Bedeutung der Heiligen als Vorbilder, aber eben nur noch als Menschen mit dem Vorzug eines vorbildlich gelebten Lebens.33 Das Einhalten oder Ablehnen der Heiligenfeste ebenso wie die Festlichkeit oder Schlichtheit des Gottesdienstes hätte prinzipiell zu den weniger wichtigen Dingen (theologisch gesprochen: zu den ‚Adiaphora‘) gerechnet werden können, wenn es nicht zum Symbol der Abgrenzung zwischen den Konfessionen gemacht worden wäre. Indem konfessionelles Glaubensverständnis zeichenhaft hervortrat, nahmen es die Zeitgenossen als Äußerliches wahr. Feste gehören zur kulturellen Sphäre der Repräsentation, zum In-Erscheinung-Treten eines Religiösen und der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft. Wenn aber der Teilnehmer einer Fronleichnamsprozession oder einer eucharistischen Wallfahrt für seinen Glauben auf die Straße geht, grenzt er sich damit auch demonstrativ ab von denjenigen, welche einen solchen Glau30 Luther Deutsch. Die Werke Luthers in Auswahl. Hrsg. von Kurt Aland, 10 Bde. und Registerband, Neuauflage Göttingen 1991; Bd. 2, S. 147 f. – Vgl. dazu auch Jürgen Kaiser: Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung. Die Deutungen des Sabbats in der Reformation, Göttingen 1996, sowie Michael Maurer: Der Sonntag in der Frühen Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 88 (2006), S. 75–100. 31 Vgl. Erika Kohler: Martin Luther und der Festbrauch, Köln und Graz 1959. 32 Art. Sonntag, in: TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 31, Berlin und New York 2000, S. 449–472 (Thomas Bergholz). 33 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 11, S. 125.



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ben für irrig halten, und macht sich in einer konfessionell aufgeladenen Atmosphäre gar zur Zielscheibe von Spott oder Angriffen.34 Feste sind in diesem Sinne nicht nur „grundlegende symbol[ische] Handlungsgestalten des Glaubens“, welche „dem Glauben der Kirche leibhaftigen Ausdruck“ verleihen; sie werden zugleich zu Symbolen einer Konfession, einer spezielleren Zugehörigkeit zu einer nicht mehr universalen katholischen Kirche. Es ist hinzuzufügen, dass die Reduktion der Feiertage in Europa in drei Hauptwellen erfolgte: zunächst im Zusammenhang der Reformation,35 dann des Aufgeklärten Absolutismus und der Französischen Revolution. Während die erste Welle konfessionalisierenden Charakter hatte,36 war die zweite, für die namentlich Joseph II. von Österreich steht, rational und überkonfessionell.37 Die dritte schließlich war antireligiös.38 34 Beispiele findet man vor allem in lebensweltlich orientierten Darstellungen aus gemischtkonfessionellen Städten: Peter Lang: Die Ulmer Katholiken im Zeitalter der Glaubenskämpfe: Lebensbedingungen einer konfessionellen Minderheit, Frankfurt a. M. u.a. 1977. Paul Warmbrunn: Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648, Wiesbaden 1983. Peter Zschunke: Konfession und Alltag in Oppenheim. Beiträge zur Geschichte von Bevölkerung und Gesellschaft einer gemischt-konfessionellen Kleinstadt in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1984. Bernd Roeck: Als wollt die Welt schier brechen. Eine Stadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, München 1991. Etienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648–1806, Sigmaringen 1991. 35 Vgl. Robert Lansemann: Die Heiligentage besonders die Marien-, Apostel- und Engelstage in der Reformationszeit, betrachtet im Zusammenhang der reformatorischen Anschauungen von den Zeremonien, von den Festen, von den Heiligen und von den Engeln, Göttingen 1938. 36 Zum Konfessionalisierungsparadigma zusammenfassend und orientierend: Michael Maurer: Frühe Neuzeit (16.–18. Jahrhundert), in: Michael Maurer (Hrsg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 1: Epochen, Stuttgart 2003, S. 200–310; hier: S. 215–228. Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann (Hrsg.): Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2003. 37 Vgl. Johann Mößner: Sonn- und Feiertage in Oesterreich, Preußen und Bayern im Zeitalter der Aufklärung (Eine wirtschaftshistorische Studie), Berlin 1915. Die aufgeklärt-merkantilistische Argumentation für die Abschaffung der Feiertage referiert Paul Münch: Die Kosten der Frömmigkeit. Katholizismus und Protestantismus im Visier von Kameralismus und Aufklärung, in: Hansgeorg Molitor/Heribert Smolinsky (Hrsg.): Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, Münster 1994, S. 107–119. 38 Hans Maier: Die christliche Zeitrechnung, Freiburg, Basel und Wien 2. Aufl. 1991. Michael Meinzer: Der französische Revolutionskalender (1792–1805). Planung, Durchführung und

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Christoph Dipper sieht in der „Verminderung der Fest- und Feiertage und in der rigorosen Einschränkung von Prozessionen und Wallfahrten“ einen „Frontalangriff auf die ‚Volksfrömmigkeit‘ beider Konfessionen“.39

5. Festteilnahme als Identifikation und Inklusion Der Vorwurf der Zeremonienreligiosität, des Ritualismus, der Veräußerlichung religiösen Lebens gehört zum Grundstock protestantischer Polemik gegen Katholiken. Mit Understatement drückte dies Johann Gottfried Herder in aufgeklärten Zeiten in seinem Studienplan für Theologen so aus: Das Ritual ist „in unserer protestantischen Kirche […] kein Hauptstudium, wie bei den Katholiken“.40 Und Thomas Nipperdey formulierte den allgemeinen Konsens im Rückblick schlicht so: „Die protestantischen Kirchen waren nie Kirchen des Kultes gewesen.“41 In dieser Abgrenzung zeigt sich die Identitätsrelevanz von Festen, die eben immer mehr sind als bloß sinnlicher Vollzug. Feste enthalten ein Bekenntnis zu einer bestimmten Sinnkomponente wie auch der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft. In diesem soziologischen Sinne waltet hier ein Mechanismus der Inklusion und Exklusion: Wer mitfeiert oder nicht mitfeiert, vollzieht eine Wahl, die in konfessionell gemischten Verhältnissen seine Meinung zu erkennen gibt und seine Stellung bestimmt.42 Dies gilt in gesteigertem Maße dort, wo die Gedächtniskomponente sich nicht auf die Heilstat Christi bezieht, sondern auf die Erneuerung des Glaubens. Protestantisches Feiern konnte sich auf die Reformation, auf die Tat Martin Luthers, auf die Einführung einer neuen Kirchenordnung beziehen und sich als eigenständige Jubi-

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Scheitern einer politischen Zeitrechnung, München 1992. Mona Ozouf: La fête révolutionnaire 1789–1799, Paris 1976. Christoph Dipper: Volksreligiosität und Obrigkeit im 18. Jahrhundert, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.): Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, Göttingen 1986 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 11), S. 73–96; Zitat: S. 82. Johann Gottfried Herder: Entwurf der Anwendung dreier Akademischer Jahre für einen jungen Theologen (1781/1782), in: Johann Gottfried Herder: Werke in zehn Bänden, Bd. 9/2: Journal meiner Reise im Jahr 1769. Pädagogische Schriften. Hrsg. von Rainer Wisbert, Frankfurt a. M. 1997, S. 418–447; hier: S. 443. Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870–1918, München 1988, S. 77. Zum Gemeinschaftsaspekt des Festes allgemein: Lars Deile: Feste – eine Definition, in: Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar und Wien 2004, S. 1–18. Michael Maurer: Prolegomena zu einer Theorie des Festes, in: Maurer, Das Fest, S. 19–54, hier: S. 44–47.



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läumskultur entfalten.43 Hier handelt es sich offenkundig um abgrenzende Feste, um Identitätsstiftung einer kleineren, konfessionellen Gemeinschaft. Auf katholischer Seite richtete sich solch abgrenzendes Feiern lange wesentlich auf Heilige, eventuell neue Heilige, mit denen man sich identifizierte und die in einer bestimmten Landschaft, von einem bestimmten Orden oder einer bestimmten religiösen Bewegung favorisiert wurden. Aber alle Heiligenkulte trennten die katholische Welt von der protestantischen; alle Heiligenkulte, so sehr sie auch partikulare Identifikation darstellen mochten, fanden sich wieder unter dem Dach der einen katholischen Kirche. Seit dem Hochmittelalter, forciert dann seit dem Trienter Konzil, sollten alle Heiligenkulte durch den Papst in Rom approbiert werden.44 Damit wurde der heilssuchende Pluralismus gewissermaßen gebändigt; die Notwendigkeit einer zentralen Akkreditierung brachte die Orientierung an gesamtkirchlichen Normen mit sich. Ob man nun in Padua den heiligen Antonius verehrte oder in Sigmaringen den heiligen Fidelis: Stets hielt man sich in der Bandbreite katholischer Frömmigkeit; stets grenzte man sich ab gegen die protestantische Welt.45

43 Vgl. Johannes Burkhardt: Reformations- und Lutherfeiern. Die Verbürgerlichung der reformatorischen Jubiläumskultur, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 212–236. Stefan Laube: Fest, Religion und Erinnerung. Konfessionelles Gedächtnis in Bayern von 1804 bis 1917, München 1999. Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hrsg.): Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, Berlin 2000. Stefan Laube/Karl-Heinz Fix (Hrsg.): Lutherinszenierung und Reformationserinnerung, Leipzig 2002. Wolfgang Flügel: Konfession und Jubiläum. Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenkkultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005. Paul Münch (Hrsg.): Jubiläum, Jubiläum… Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen 2005. Martin Steffens: Luthergedenkstätten im 19. Jahrhundert. Memoria – Repräsentation – Denkmalpflege, Regensburg 2008. 44 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 11, S. 121 und 127. 45 Das Beispiel Fidelis ist ausgeführt bei Matthias Ilg: Der Kult des Kapuzinermärtyrers Fidelis von Sigmaringen als Ausdruck katholischer Kriegserfahrungen im Dreißigjährigen Krieg, in: Matthias Asche/Anton Schindling (Hrsg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001, S. 291–439.

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6. Konfessionsübergreifende Feste? Es gab in der deutschen Geschichte eine Übergangsphase,46 in der es scheinen konnte, als sei ein konfessions- und milieuübergreifendes Feiern in zugleich aufgeklärtem und nationalem Geiste möglich: Wenn etwa bei Lutherfeiern 1817 oder bei ConfessioAugustana-Feiern 1830 die Repräsentanten der katholischen, reformierten und jüdischen Religionsgemeinschaften zusammen mit ihren lutherischen Glaubensgenossen an der Spitze des feierlichen Zuges marschierten.47 Im Zuge der Rekonfessionalisierung des 19. Jahrhunderts, das auch schon als ‚Zweites Konfessionelles Zeitalter‘ bezeichnet worden ist,48 erwies sich solch tolerante gegenseitige Anerkennung der Konfessionen zunehmend als unwirklich, obsolet, utopisch. Das neue Nationale musste sich auf eine andere Basis gründen, die nicht mehr religiös bestimmt war.49 Die traumatische Erfahrung der Kriege wirkte sich bewusstseinsgeschichtlich aus. Der ‚Totensonntag‘ als Neuschöpfung eines protestantischen Feiertags (1816 durch König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und nicht zufällig in kalendarischer Nähe zu Allerheiligen!) lässt sich formal noch in Anknüpfung an die ältere Tradition der Verkündung landesweiter Bußtage verstehen, brachte aber inhaltlich eine neue Qualität als kollektive Verarbeitung des Totengedenkens der Befreiungskriege. In diesem Sinne kam diesem Feiertag auch identitätsstiftende Qualität zu für eine (protestanti46 Vgl. Michael Maurer: Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999. Michael Maurer: Zwischen Kirche und Kultur. Die konfessionelle Identität des Bürgertums um 1800, in: Peter Blickle/Rudolf Schlögl (Hrsg.): Die Säkularisation im Prozeß der Säkularisierung Europas, Epfendorf 2005, S. 409–420. 47 In einer zeitgenössischen Festbeschreibung zum Leipziger Reformationsjubiläum von 1830 liest man: „Der feierliche Zug durch die Stadt wurde eröffnet durch den Rabbiner mit der Thora, dem die Patres der katholischen und der Archimandrit der griechischen Kirche folgten; danach schritten die Geistlichen der lutherischen Kirche und die Pastoren der reformierten Kirche, und aus dem Auge so mancher Guten floß eine himmlische Freude, als die würdigen Diener des Vaters im Himmel so vereint, als von gleichen Gesinnungen beseelt, dahin walleten.“ (Zit. nach Burkhardt, Reformations- und Lutherfeiern, [vgl. Anm. 43], S. 222.) 48 Vgl. Olaf Blaschke, Das 19. Jahrhundert: Ein zweites Konfessionelles Zeitalter, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S.  38–75. Olaf Blaschke (Hrsg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002. Carsten Kretschmann/Henning Pahl: Ein „zweites konfessionelles Zeitalter“? Vom Nutzen und Nachteil einer neuen Epochensignatur, in: Historische Zeitschrift 276 (2003), S. 369–392. 49 Vgl. zu diesem Komplex auch Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hrsg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt und New York 2001. Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hrsg.): Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt und New York 2004.



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sche) Nation, die es zunächst nur als Kulturnation gab, die zur Staatsnation erst noch werden wollte.50

7. Von der Konfession zur Nation Es ist charakteristisch für die Entstehung der europäischen Konfessionskulturen, dass man die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an Festen nicht nur innerreligiös betrachten darf; das Verhältnis konfessionellen Verhaltens zur sozialen und politischen Umgebung muss stets mitbedacht werden. Indem in den protestantischen Staaten der Festkalender bereinigt wurde, ergab sich ein Vakuum, das politisch gefüllt werden konnte. In England trat schon seit der Zeit Elisabeths die jungfräuliche Königin an die Stelle der Jungfrau Maria. Ihr Geburtstag wurde als nationales Fest am Vortag von Mariae Geburt gefeiert; der neue Feiertag des 7. Septembers ersetzte den alten Feiertag des 8. Septembers. Aber nicht nur dies: Nach dem Sieg über die Armada entstanden spontan Jahresfeiern, in deren Zentrum ‚Gloriana‘ stand, die Garantin des göttlichen Segens, der so sichtbar auf der auserwählten Nation unter ihrer Führung ruhte. Weitere national-patriotische Feiertage kamen im Laufe der Jahrzehnte hinzu.51 Ihr Nachfolger Jakob VI. und I. feierte seine Rettung vor einem Attentäter in Schottland zunächst jährlich im Privaten, bevor der frühzeitig entdeckte ‚Gunpowder Plot‘, der sich zugleich gegen Krone und Parlament richtete, zu einer öffentlichen Sache von nationaler Bedeutung erklärt wurde, was durch die Jahrhunderte zu jährlichen Festtagen und Freudenfeuern im November Anlass bot.52 Wo einst religiöses Fest gewesen war, wurde in protestantischen Staaten Feiern eine Sache der Nation. Hier deutet sich bereits der Übergang an, der im Jahrhundert des Nationalismus aus konfessionellen Festen nationale machen sollte. Der Zusammenfall weltlicher und geistlicher Kompetenz in den protestantischen Staaten, von Luther theologisch begründet über das Institut des Landesherrn als eines ‚Notbischofs‘, machte es begreiflich, dass Fürsten für ihr jeweiliges Territorium Buß- und Bettage anordnen konnten oder Landestrauer beim Hinscheiden eines Landesherrn verhängten oder die Geburt 50 Vgl. Alexandra Kaiser: ‚Allerheldentotenfest’. Politische Sinnstiftung und rituelle Formung des Gefallenengedenkens, in: Gottfried Korff (Hrsg.): Alliierte im Himmel. Populare Religiosität und Kriegserfahrung, Tübingen 2006, S. 83–124. 51 Roy Strong: November’s Sacred Seventeenth Day, in: Roy Strong: The Cult of Elizabeth. Elizabethan Portraiture and Pageantry, London 1977, S. 117–128. 52 David Cressy: Bonfires and Bells. National Memory and the Protestant Calendar in Elizabethan and Stuart England, London 1989.

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eines Thronfolgers landesweit feiern ließen.53 In den größeren politischen Einheiten, wie sie in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden, entfaltete sich daraus eine neue identitätsstiftende oder trennende Funktion. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Protestanten daran infolge ihrer Staatsnähe eher beteiligt waren als Katholiken, die doch immer auch nach Rom blickten. Die bekannte Affinität beispielsweise deutscher Protestanten zum Nationalismus läßt schon vermuten, was sich auch im Detail belegen lässt: Dass beispielsweise der protestantische Pastor Friedrich von Bodelschwingh den ‚Sedantag‘ anregte, das nationale Gedenken an den entscheidenden Sieg im Krieg von 1870 gegen Frankreich.54 Patriotisches Feiern konnte sich auf den Kaiser beziehen,55 überzeugte aber noch mehr als Feier des Volkes. Mochte das Konzept der ‚Nation‘ auch überkonfessionell gefasst sein, bedeutete es doch faktisch Trennung, wo man aus lutherisch-landeskirchlicher Tradition umstandslos den Landesherrn (der ja auch eine religiöse Funktion hatte!) feiern konnte, während man auf katholischer Seite damit in einen Loyalitätskonflikt geriet: War nicht eine Feier für den Kaiser, der sich primär als König von Preußen sah, oder das Gedenken preußisch-deutscher Siege gegen katholische Mächte wie Österreich und Frankreich, eine Veranstaltung, die sich letztlich gegen die katholische Kirche und den Papst richtete?56 Dass aus dem Sedanstag kein wirklicher Nationalfeiertag wurde, liegt nicht nur an seiner nachlassenden Überzeugungskraft für eine jüngere Generation (schon vor 1900!), sondern auch an seinem Exklusionscharakter: Er wurde nicht gefeiert von Bauern, von Arbeitern, von Süddeutschen, von Katholiken. Auf eine solche Exklusion war keine deutsche Nation zu bauen. Diese ‚Nation‘ bestand im wesentlichen aus Preußen und Protestanten.

53 Vgl. dazu die im Entstehen befindliche Dissertation von Norman Beberhold ( Jena). 54 Hartmut Lehmann: Friedrich von Bodelschwingh und das Sedanfest. Ein Beitrag zum nationalen Denken der politisch aktiven Richtung im deutschen Pietismus des 19. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 202 (1966), S.  542–573. Nils Freytag: Sedantage in München. Gemeindefeiern, Komiteefeste und Vereinsgedenken, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 61 (1998), S.  383–406. Claudia Lepp: Protestanten feiern ihre Nation – Die kulturprotestantischen Ursprünge des Sedantages, in: Historisches Jahrbuch 118 (1998), S. 201–222. 55 Tobias von Elsner: Kaisertage. Die Hamburger und das Wilhelminische Deutschland im Spiegel öffentlicher Festkultur, Frankfurt u.a. 1991. Fritz Schellack: Sedan- und Kaisergeburtstagsfeste, in: Düding u.a., Öffentliche Festkultur (vgl. Anm. 43), S. 278–297. 56 Werner K. Blessing: Der monarchische Kult, politische Loyalität und die Arbeiterbewegung im deutschen Kaiserreich, in: Gerhard A. Ritter (Hg.): Arbeiterkultur, Königstein 1979, S. 185–208. Freytag, Sedantage in München (vgl. Anm. 54).



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8. Die Feste und das Volk Mit Kirchenfesten waren oft auch volkstümliche Belustigungen verbunden. Schon im frühen Mittelalter gehörte zur Weihe von Kirchen und zu dem sich jährlich daran anknüpfenden Kirchweihfest als Jubiläum auch die ‚Kirmes‘ als Erholung, Tanz und Ausgelassenheit, Schlemmerei und Festesfreude.57 In kirchlicher Sicht musste hier eine Spannung entstehen: Einerseits war es wünschenswert, dass die hervorgehobenen Feste sich den teilnehmenden Gläubigen auch in sinnlicher Weise einprägten; andererseits bestand die Gefahr des Über-die-Stränge-Schlagens, des Exzesses – und damit der Verlust der religiösen Sinnperspektive. Eine zu große Verweltlichung und Konzentration auf sinnliche Vergnügungen musste bekämpft werden, brauchte jedoch (im Rahmen katholischer Frömmigkeit) keine grundsätzlichen Bedenken gegen Feste zu erwecken. Dies änderte sich mit den Austeritätsvorstellungen des Calvinismus, vor allem in der Generation nach Calvin. Wohl war es weltklug, volkstümliches Brauchtum als solches zu achten und beizubehalten, wie es im Luthertum geschah;58 andererseits bot sich ein Zurückschneiden der Feste auch als sinnliche Demonstration der neuen Glaubensüberzeugung an. Dies führte in der Reformationszeit zunächst in Genf und andernorts zu Konflikten. In England kollidierten ältere und neuere Auffassungen erst in dem Moment, als sich auf der einen Seite die Puritaner für eine stärkere Reformation des Alltagslebens einsetzten, während die anglikanische Staatskirche in ihrem Bestreben nach Volkstümlichkeit die traditionellen Volksbelustigungen akzeptierte, ja förderte.59 Die Gestaltung des Sonntags wurde zum Testfall für Religiosität überhaupt. Hier zeigte sich auch der maximale Einfluss kirchlicher Vorstellungen auf die staatliche Gesetzgebung, die Geltung kirchlicher Normen in der Gesellschaft, die Bedeutung des Staates als Garant einer religiös verstandenen salus publica.60

57 Vgl. TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 11, S. 123. Jacques Heers: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1986. 58 Kohler, Martin Luther und der Festbrauch (vgl. Anm. 31). 59 Max Levy: Der Sabbath in England. Wesen und Entwicklung des englischen Sonntags, Leipzig 1933. 60 Vgl. Maurer, Der Sonntag in der Frühen Neuzeit (vgl. Anm. 30).

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9. Arbeitsbewußtsein als Gefahr für das Fest Fest und Feier definieren sich auch durch eine spezifische Qualität des Heraustretens aus dem Alltag, durch eine Erhöhung des Lebens.61 Beide müssen insofern vor der Folie des Gewöhnlichen, Habituellen, Alltäglichen gesehen werden. Die Verachtung oder Hochschätzung der Arbeit bestimmt die Erhöhung oder Vernachlässigung des Festlichen.62 Das Arbeitsbewusstsein hatte durch die Reformation einen klaren Aufschwung genommen. Martin Luther pries Wert und Würde der Arbeit, die jeder in seinem Stand und Beruf zum Wohl des Ganzen einzubringen habe.63 Dies wurde nicht erst von Max Weber und Ernst Troeltsch erkannt;64 es gehörte vielmehr zum Selbstbewusstsein des protestantischen Menschen der Neuzeit, dass er diese Komponente des Lebens besonders kultiviert habe, ob nun eher als religiöse Pflicht, als Mitwirken an Gottes Schöpfungswerk oder als Askese. Leben bedeutete Arbeiten – wie auch immer die Heilswirksamkeit und Heilsnotwendigkeit menschlichen Tuns einzuschätzen war. Diese protestantische Grundeinstellung betraf auch den Umgang mit Nichtarbeitenden, die Frage der Wohlfahrtspflege, der Armenfürsorge;65 sie wirkte jedoch auch zurück auf die Einschätzung des Feierns. Wenn sich diese Denkrichtung grundsätzlich als protestantisch auffassen lässt (ohne die Möglichkeit zu vernachlässigen, dass auch Katholiken so denken können!), bleibt komplementär die Frage übrig, ob man katholischerseits dem Feiern einen Eigenwert zusprach, Faulheit legitimierte.66 Ja, der Gesichtspunkt der ‚Ehre Gottes‘ scheint hier so gewendet worden zu sein, dass eine besonders festliche Gestaltung von Gottesdiensten und Prozessionen, von Wallfahrten und Begräbnissen, von Pas61 Vgl. Winfried Gebhardt: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt a. M. u.a. 1987. 62 Vgl. Maurer, Festkultur unter den Bedingungen der Aufklärung (vgl. Anm. 23). 63 Vgl. Art. Arbeit VI. Reformation und Orthodoxie, in: TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 3, S. 635–639 (Karl-Heinz Zur Mühlen). 64 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Vollständige Ausgabe. Hrsg. von Dirk Kaesler, München 2004. Ernst Troeltsch: Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. Vortrag auf dem Stuttgarter Historikertage 1906, in: Historische Zeitschrift 97 (1906), S. 1–66. (Auch separat: Berlin und München 1906, 3. Aufl. München 1924.) 65 Vgl. Art. Armenfürsorge IV.: Reformationszeit (Robert Stupperich) und V.: Neuzeit (Göran Gellerstam), in: TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 4, S. 29–40. 66 Vgl. Paul Münch (Hrsg.): Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur Entstehung der „bürgerlichen Tugenden“, München 1984.



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sionsspielen und Heiligen Jahren67 gewissermaßen als Beitrag zur Verherrlichung des Höchsten betrachtet wurde. Es ist, verkürzt gesagt, ein ‚barocker Kulturstil‘, der es ermöglichte, dem Festlichen eine Eigenqualität zuzusprechen, die von der Wertorientierung auf Arbeit unabhängig war. Nun läßt sich die Argumentation zur ‚Ehre Gottes‘ verschieden auslegen. Gerade in der Theologie Calvins spielt dieses Motiv eine besonders hervorgehobene Rolle.68 Allerdings findet sich hier eine strikte Verknüpfung mit dem Leistungsgedanken, der alles, was mit Vergnügen, Prunkentfaltung und Repräsentation zusammenhängt, systematisch ausschließt. Die von Calvin anvisierte ‚Ehre Gottes‘ musste sich nicht zwangsläufig auf Produktion von Gütern und Ansammlung von Reichtümern beziehen; sie konnte auch andere Betätigungen umfassen wie organisatorische Bemühungen, Teilnahme an Ratsversammlungen, Dienste im kirchlichen Rahmen, karitative Tätigkeit, sogar ein Leben für Wissenschaft und Kunst. Aber der Grundtendenz nach muss diese Auffassung als ‚festfeindlich‘ eingeordnet werden. Diesseits der Schwelle, die Ernst Troeltsch mit dem Umschlag vom ‚Altprotestantismus‘ zum ‚Neuprotestantismus‘ ansetzte,69 artikulierte sich protestantische Theologie in stärkerem Maße weltzugewandt, in Kultivierung der Schöpfung.70 Solches Denken, das sich seit dem 17. Jahrhundert in Deutschland (und Europa) mehr und mehr entfaltete, erlaubte dem arbeitenden Christenmenschen ein gutes Gewissen in der religiös legitimierten Zuwendung zur Welt, zur Arbeit, zum Beruf, zur Produktion.71 Aufklärung – das bedeutete zugleich Orientierung an einer überzeitlich gedachten Natur und Hinwendung zum Menschen, vor allem Akzentuierung seiner Vernunft und seiner kulturschaffenden Arbeit. Insbesondere das verschärfte Arbeitsbewusst67 Vgl. Horst Fuhrmann: „Jubel“. Eine historische Betrachtung über den Anlaß zu feiern, in: Horst Fuhrmann: Einladung ins Mittelalter, München 1989, S. 239–252. 68 Vgl. Ernst Walter Zeeden: Das Zeitalter der Gegenreformation, Freiburg i. Br. 1967 (zit. nach der 2. Aufl. München 1979, hier vor allem S. 61–66). 69 Zuerst in Ernst Troeltsch: Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon. Untersuchung zur Geschichte der altprotestantischen Theologie, Göttingen 1891. 70 Zum schöpfungstheologischen Aspekt des Festes vgl. Volker Leppin: Theologische Ansätze einer Theorie des Festes, in: Maurer, Das Fest (vgl. Anm. 42), S. 81–93; hier: S. 83–86. 71 Werner Conze: Arbeit, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972–1997; Bd. 1, S. 154–215. Martin Honecker: Arbeit VII. 18.–20. Jahrhundert, in: TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 3, S. 639–657. Klara Vontobel: Das Arbeitsethos des deutschen Protestantismus von der nachreformatorischen Zeit bis zur Aufklärung, Bern 1946. Alexandra Schlingensiepen-Pogge: Das Sozialethos der lutherischen Aufklärungstheologie am Vorabend der Industriellen Revolution, Göttingen, Berlin und Frankfurt a. M. 1967.

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sein, das ich dem bürgerlichen Weltentwurf zuordne,72 konnte dazu dienen, die Einstellung zu Fest und Feier zu verändern.73 Entscheidend wurde ein Wandel des Arbeitsbewusstseins im 18. Jahrhundert. Es rückte in neuer Weise ins Zentrum: Alle Bürger, ob nun dem Stand der Handwerker und Kaufleute zugehörig oder den Gebildeten, den Funktionseliten, definierten ihren Lebenssinn nicht (wie der Adel) durch Repräsentation, sondern durch Leistung. Ihr Selbstbewusstsein bezogen sie aus der Überzeugung, dass die menschliche Gesellschaft und der Staat nicht funktionieren würden, wenn nicht beständig die meisten arbeiteten, Nahrungsmittel produzierten und distribuierten, Sachgüter und Werkzeuge herstellten, Bildung weitergaben. Christian Garve beispielsweise fasste seine Arbeit „gleichsam als eine Art der bessern Gottesverehrung“ auf.74 Durch dieses Arbeitsbewusstsein grenzten sich die Bürger gegen unterbürgerliche Schichten ab, denen solches Bewusstsein damals noch fremd war, und gegen den Adel, der sich ja gerade durch sein Nicht-Arbeiten von der Gesamtgesellschaft abhob. Wenn sich nun aber die Arbeit – wofür hauptsächlich religiöse Gründe maßgeblich waren – zum zentralen Bestandteil bürgerlichen Wertbewusstseins entwickelte, wie konnte man da noch feiern? In der Öffentlichkeit fand so etwas wie eine ideologisch aufgeladene, propagandistische Auseinandersetzung um die Berechtigung des Festes statt.75 Gutes Leben definierte sich wesentlich durch unablässiges Arbeiten. Feste feiern konnte unter der Hegemonie des bürgerlichen Arbeitsbewusstseins eigentlich nur einen wirklichen Sinn haben: die Arbeitsfähigkeit und Leistungskraft zu sichern oder zu stärken.76

72 Vgl. Maurer, Biographie des Bürgers (vgl. Anm. 25), S. 378–435. 73 Vgl. Maurer, Kirche, Staat und Gesellschaft (vgl. Anm. 46); Maurer, Kirche und Kultur (vgl. Anm. 46). 74 Siegismund Gottfried Dittmar: Erinnerungen aus meinem Umgange mit Garve, nebst einigen Bemerkungen über dessen Leben und Character, Berlin 1801, S. 211. 75 Paul Münch: Fêtes pour le peuple, rien par la peuple. „Öffentliche“ Feste im Programm der Aufklärung, in: Düding u.a., Öffentliche Festkultur (vgl. Anm. 43), S. 25–45. Heidrich, Fest und Aufklärung (vgl. Anm. 23). 76 Der kompensatorische Aspekt des Feierns wird über Gebühr hervorgehoben von Odo Marquard: Moratorium des Alltags – Eine kleine Philosophie des Festes, in: Walter Haug/Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest, München 1989, S. 684–692.



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10. Protestantische Innerlichkeit und Privatreligion als Bedrohung des Festlichen Ein weiteres Motiv: der Zug zur Innerlichkeit. Dieser verbindet Pietismus und Aufklärung und gibt dem protestantischen Grundcharakter einen Zug zum Nicht-Repräsentativen, Unfeierlichen, Zurückgenommenen, Schlichten. Wahre Religiosität ist nach dieser Auffassung nur: innerliche Religiosität. In diesem Sinne konnten sich Pietisten und entsprechende Tendenzen im katholischen Bereich ( Jansenisten) durchaus einander annähern. Es gibt Zeugnisse für gegenseitige Anerkennung des Bemühens um wahre, echte, innerliche Religiosität. Insofern sah man bereits seit dem späten 17. Jahrhundert eine Tendenz am Werk, die nicht auf die konfessionelle Abgrenzung abzielte. Im Gegenteil: Indem nun innerkonfessionelle Fronten in den Vordergrund rückten (im Protestantismus Pietisten gegen Orthodoxe, im Katholizismus Jansenisten gegen Jesuiten), erschienen die konfessionellen Außengrenzen bisweilen weniger wichtig. Es wurde möglich, echte Religiosität jenseits der Konfessionsgrenze als analoges Streben anzuerkennen. Gleichzeitig erschien Religiosität weniger als früher als eine Sache des Bekenntnisses, der Dogmatik, der Zugehörigkeit zu einer Konfession; und statt dessen: Privatsache. Man erwartete vom Staat und von den Landeskirchen die Anerkennung einer größeren Freiheit des Individuums im Umgang mit den Überlieferungsbeständen, aber auch im Gebrauch der gottesdienstlichen und sakramentalen Angebote. Indem die Religion stärker als früher zu einer Frage der subjektiven Aneignung wurde, konnte konfessionelle Identität nicht mehr einfach Bekenntnis zu einer dogmatisch und juristisch fixierten Form bedeuten. Hochschätzung der Individualität bedeutete auch: Reduktion des Gemeinschaftsaspektes. Das jeweilige Verhältnis einer Persönlichkeit zur Religion wurde Bestandteil der Charakteristik eines Individuums, war nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu einer Konfession schon bestimmt.77 Feste mussten auch deshalb zurücktreten.

11. Katholische Feste als Gegenkultur Klaus Fitschen hat in seinem grundlegenden Beitrag Die Transformation der christlichen Festkultur die These formuliert: „Die ‚nationalen‘ Festtage des 19. Jahrhunderts waren keine: Sie dienten der Selbstverständigung des bürgerlichen, protestantischen 77 Einschlägige Quellenbelege aus Biographien findet man zitiert bei Maurer, Zwischen Kirche und Kultur (vgl. Anm. 43).

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Milieus und grenzten somit Katholiken und Arbeiter aus.“78 Aus dieser Sicht versteht man, dass die katholische Kirche im 19. Jahrhundert auf den sich durchsetzenden Nationalismus reagieren musste. Insbesondere im Zusammenhang des Aufstiegs eines neuen ‚Ultramontanismus‘79 kehrte das katholische Milieu seine festaffine Kulturprägung heraus und akzentuierte katholische Wallfahrten, katholische Heiligenverehrung und katholische Jubiläen in nie zuvor gekannter Weise. Das erste Großereignis dieser Art war die umstrittene Wallfahrt zum ‚Heiligen Rock‘ nach Trier 1844.80 Danach riss die Kette großer Feste des Katholizismus, die Barbara Stambolis analysiert hat, nicht mehr ab.81 Durch die Romantik waren ‚Volksbelustigungen‘ aufgewertet und als Zeugnisse originärer Volksfrömmigkeit interpretiert worden. Der Aufschwung der Wallfahrten im 19. Jahrhundert verdankte sich nicht nur einer gewandelten Einstellung, sondern auch dem Verkehrsmittel Eisenbahn. Wallfahrten bedeuteten nicht nur erneuerte Religiosität, sondern auch Demonstration des wiedergewonnenen Raumes der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit. Zur Zeit des Pontifikats Pius’ IX. entwickelten sich Wallfahrten mehr und mehr zu Glaubensdemonstrationen, in denen die ultramontane Komponente, die gewünschte marianische Richtung, die Ablehnung der Nationalisierung und die Eigenständigkeit einer katholischen Arbeiterbewegung zum Ausdruck kamen. Dies verschärfte sich noch nach der Reichsgründung 1870/71 und mündete in den ‚Kulturkampf ‘. Die katholische Kirche setzte den bürgerlichen Heroen ihre Heiligen als eigene Identifikationsfiguren entgegen und bot anstelle der nationalen Orientierung Hilfestellung für regionale Identität und ein Heimatgefühl, das vermittelt wurde durch Identifikation mit den jeweiligen Heiligen. Die katholische Kirche nutzte nicht nur das Potential der Stabilisierung des Milieus durch gemeinsame Feste, sondern auch das einer Massenagitation im Fest. Darüber hinaus läßt sich beispielsweise in Irland feststellen, dass sich eine demokratische Nationalbewegung wesentlich über Massenversammlungen entfesseln ließ, die katho78 Klaus Fitschen: Die Transformation der christlichen Festkultur. Von der Aufklärung zur Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Biblische Theologie, Bd. 18 (2003): Das Fest: Jenseits des Alltags, Neukirchen-Vluyn 2004, S. 307–337; Zitat: S. 336. 79 Vgl. Nipperdey, Religion im Umbruch (vgl. Anm. 41), S. 9–13. 80 Vgl. Wolfgang Schieder: Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: Archiv für Sozialgeschichte 14 (1974), S. 169–195. 81 Barbara Stambolis: Religiöse Festkultur. Tradition und Neuformierung katholischer Frömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Das Liborifest in Paderborn und das Kilianifest in Würzburg im Vergleich, Paderborn 2000. Barbara Stambolis: Religiöse Festkultur. Zu Umbruch, Neuformierung und Geschichte katholischer Frömmigkeit in der Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 240–273. Barbara Stambolis: Im Zeichen des Glaubens. Tradition und Wandel kirchlicher Feste, Kevelaer u. a. 2007.



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lische Feldgottesdienste und Predigten integrierten und von Daniel O’Connell auch letztlich nur mit Hilfe des katholischen Klerus initiiert werden konnten.82

12. Säkularisierung und Resakralisierung des Festes Die neuzeitliche Geschichte des Festes muss letztlich nach verschiedenen Strängen unterschieden werden. Schon oft wurde bemerkt, dass nationale Feiern sich Elemente des Religiösen aneigneten.83 Insofern kann man politische Feste vom Wartburgfest bis zu den Inszenierungen des Faschismus auf religiöse Formen hin untersuchen. Weniger Beachtung fand bisher, dass man nicht einfach von einer doppelten Bewegung der Säkularisierung des religiösen Festes und einer Sakralisierung des politischen Festes ausgehen kann, sondern darüber hinaus auch noch die eigengesetzliche Entwicklung des religiösen Festes mitbedenken muss, die nicht einfach durch Verweltlichung schon bezeichnet ist. Vielmehr scheint es so, als könne man zumindest im protestantischen Bereich eine Wellenbewegung erkennen: Auf den Rückgang des Festlichen überhaupt als Kennzeichen eines bürgerlichen Kulturstiles, der aus der protestantischen Schlichtheitstendenz hervorwuchs, folgt eine Tendenz zur Wiedergewinnung des Festlichen im kirchlichen Fest. In protestantischer Sicht weckt das immer den Verdacht des Katholisierens; trotzdem entfaltete sich diese Tendenz immer wieder, zumal innerhalb des Luthertums. – Dazu abschließend noch einige Stichworte. Bereits mit Schleiermacher setzt eine Tendenz zur Erneuerung des christlichen Glaubens ein, die in der älteren Literatur gerne als ‚Überwindung der Aufklärung‘

82 Maurice R. O’Connell (Hrsg.): Daniel O’Connell. Political Pioneer, Dublin 1991. Michael Maurer: Kleine Geschichte Irlands, Stuttgart 2. Aufl. 2003, S. 207–210. 83 Hans Jochen Gamm: Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion. Ein Beitrag zur politischen Bildung, Hamburg 1962. Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971. George L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt a. M., Berlin und Wien 1976. Gottfried Korff: Bemerkungen zum politischen Heiligenkult im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gunther Stephenson (Hrsg.): Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der Religionswissenschaften, Darmstadt 1976, S.  216–230. Sabine Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945, Vierow 1996.

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bezeichnet wird,84 die aber auch eine ‚liturgische Bewegung‘ beinhaltet, ein Bestreben zur Wiedergewinnung des Festes und des Feierns.85 Eine zweite Phase ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu erkennen, in der ‚älteren liturgischen Bewegung‘, die sich seit 1896 um die Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst entfaltete und mit Namen wie Julius Smend und Friedrich Spitta verbunden ist.86 Eine dritte Phase wird als Berneuchener Kreis bezeichnet; er bemühte sich seit 1923 um eine ‚Sakralisierung des natürlichen Lebens‘ und eine Rekultivierung des Gottesdienstes.87 Eine vierte Phase zeigt sich in der ‚politischen Theologie‘ seit den 1960er Jahren; sie erstrebte eine ‚Festivalisierung‘ der abgestumpften ‚bürgerlichen Kirche‘ und setzte dafür gezielt auf eine Revitalisierung des Festlichen.88 Darin gibt sich auch ein Element der Globalisierung zu erkennen: Spiritualistische Ansätze aus amerikanischen Freikirchen wie auch aus den ‚Jungen Kirchen‘ importieren Festliches aus anderen Kulturen in einen europäischen Zusammenhang, der durch seine polarisierende Geschichte der Konfessionskulturen völlig anders geprägt ist. Schließlich sei noch erwähnt, dass durch die ökonomisch motivierte Abschaffung von Feiertagen (Buß- und Bettag 1997 in allen Bundesländern außer Sachsen!) ein politischer Druck auf die Kirchen ausgeübt wird, der zu einer Reaktion von Teilen der Evangelischen Kirche in Deutschland geführt hat. Hans-Helmar Auel hat in seiner Landeskirche, der Kirche von Kurhessen-Waldeck, eine Umfrage durchgeführt und einen Arbeitskreis gegründet, der sich Gedanken machte über eine Wiedereinführung der ‚verschütteten Feiertage‘; er hat kürzlich und auch ein Buch über Unentdeckte Feiertage publiziert.89 Hier wird keineswegs ökumenisch argumentiert; es handelt sich um ein rein innerlutherisches Bestreben zur Wiedergewinnung des verschütteten Festlichen, zur Hebung eines spezifischen Schatzes religiöser Erinnerungskultur. Am Ende wäre noch zu fragen, ob es die angedeutete Wellenbewegung einer Konjunktur des Festlichen nicht auch innerhalb der katholischen Kirche gibt. Zumindest 84 Vgl. Paul Graff: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, Bd. 2: Die Zeit der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 1939. 85 Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch, Halle 1806. 86 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 14, S. 65. 87 TRE (vgl. Anm. 9), Bd. 14, S. 72. 88 Gerhard M. Martin: Fest und Alltag. Bausteine zu einer Theorie des Festes, Stuttgart u.a. 1973. Harvey Cox: Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe, Gütersloh 1977. 89 Hans-Helmar Auel (Hrsg.): Unentdeckte Feiertage. Das Kirchenjahr als Fest des Glaubens, Göttingen 2000.



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für die Gegner der Reformen des Zweiten Vaticanums war klar, dass die Messe in der Muttersprache, die Neuregelung der Feiertage usw. das Nachholen einer protestantischen Entwicklung war.90 Wenn nun in neueren Jahren wieder sichtbarer aktiv für eine Verstärkung des rituellen Elementes im Gottesdienst und eine Wiedereinführung der lateinischen Messe gekämpft wird,91 kann man das zwar als Wiederentdeckung einer katholischen Grundtendenz verstehen, andererseits aber auch als ein Insistieren auf den konfessionstrennenden Zeremonien. Die Feste, die „in liturgischer Feier gemeinsam vollzogen werden“, verleihen zwar „dem Glauben der Kirche leibhaftigen Ausdruck“; indem sie ihn aber zugleich auch „stärken“ wollen, besteht die Möglichkeit, dass sie ihn in konfessioneller Weise stärken – was ökumenischen Bestrebungen durchaus zuwiderlaufen kann! Zu allerletzt sei noch erwähnt, dass das konfessionelle Feiern von Katholiken und Protestanten seit der Reformation letztlich die Trennung der Christengemeinde von der Bürgergemeinde herbeigeführt hat – eine der wesentlichen Tendenzen der Neuzeit in Europa. Wenn nun aber staatliches Feiern konfessionsübergreifend geschützt werden soll, kann man sich nach dem Konzept des ‚Multikulturalismus‘ auch die Frage stellen, ob nicht alle Konfessionen ‚ihren‘ Feiertag haben sollen. In diesem Sinne konsequent hat die Partei Die Grünen einen staatlich gesicherten Feiertag für die Muslime in Deutschland gefordert.92

90 F. Henrich (Hrsg.): Liturgie im Streit der Meinungen, Würzburg 1968. 91 Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, München 2007. 92 Vgl. Wolfram Kinzig: ‚Auszeit‘. Anmerkungen zu Ursprung und Sinn von Sonn- und Feiertagen aus kirchenhistorischer Sicht, in: Theologische Zeitschrift 62 (2006), S. 357–375.

„Gott hat Grosses für uns getan, des sind wir fröhlich“ Friedensfeste der Frühen Neuzeit im Territorium der Weimarer Ernestiner

von Norman Beberhold

1. Einleitung Welche Bedeutung hat ein Frieden? Wie wird das Überwinden der existentiellen Krise, der militärischen Auseinandersetzung, der ständigen Unsicherheit für Leib und Leben, die einen Krieg aufgrund seiner Natur ausmachen, gewürdigt? Welchen Wert maßen historische Gesellschaftsformationen, die sie gestaltenden Institutionen und Personen überhaupt dem gegensätzlichen Zustand, dem Frieden, zu? Welcher kulturelle Mechanismus dient der Verarbeitung, der Erinnerung und Inszenierung der kriegerischen Vergangenheit? Dieses Spektrum an Fragen wird aufgeworfen, wenn man sich der Aufarbeitung bestimmter festlicher Ereignisse der Frühen Neuzeit zuwendet: den Friedensfesten. Nachdem die historische Forschung mit ihrer Öffnung zu kulturwissenschaftlichen Fragestellungen ihren Fokus erweitert hat, sind Feste ein fester Bestandteil der kulturhistorischen Forschung. Der Gegenstand der historischen Festphänomene gibt Aufschluss über die mentale, soziale und politische Verfasstheit vergangener Epochen. In den letzten Jahren wurde das Thema Friedensfest vermehrt untersucht. Gerade das Forschungsfeld Feste hat sich, um Bernd Roeck zu zitieren, als „Sujet einer Kulturgeschichte par excellence“1 erwiesen. Sie sind Forschungsobjekt mit Konjunktur und stehen nunmehr im Fokus. Auch an dieser Stelle sind kulturhistorische Grundmuster von Relevanz. Der kalendarische Zufall des Jubiläums, welcher auch in der Postmoderne noch eine entscheidende, wenn nicht gar grassierende Mnemotechnik darstellt, führte dazu, dass die publizistische Beschäftigung mit dem Phänomen Ende des letz1

Bernd Roeck: Die Feier des Friedens, in: Heinz Duchhardt ( Hrsg.): Der Westfälische Frieden. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998, S. 634.

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ten Jahrtausends zunahm. Zum Anlass des 350. Jubiläums des Westfälischen Friedens gegen Ende des letzten Jahrtausends2 kam eine Auseinandersetzung der Historiker auch mit dem Ereignis des Augsburger Religionsfriedens hinzu.3 Jahreszahlen, Anniversarien und zyklische Periodisierungen sind für die akademische Beschäftigung mit eben jenem breiten Feld der Festkultur eine Triebfeder und Indikator für deren Relevanz zugleich. Die Friedensfeste, die bisher im Fokus der Forschung standen, sind jene, die im Heiligen Römischen Reich mit Ende des Dreißigjährigen Krieges begangen wurden. Eine protestantische Festform, welche einen explizit lutherischen, konfessionellen Charakter hatte. Obwohl, wie Claire Gantet aufzeigt, vereinzelt auch entsprechende Festphänomene in katholischen Gebieten des Alten Reiches zu finden waren,4 sind die Friedensfeste wesentlich Teil der lutherischen Fest- und Memorialkultur. Zudem werden sie, wie exemplarisch das mit besonderer reichsweiter Bedeutung versehene Friedensfest der Stadt Augsburg, als ein Spezifikum der konfessionellen Identitätsbildung definiert.5 Im gesamten evangelischen Teil des Alten Reiches wurden Friedensfeste spätestens Mitte des 17. Jahrhunderts als „Manifestation lutherischer

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Durchhardt, Der Westfälische Frieden (vgl. Anm. 1); Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hrsg.): Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, Berlin 2000. C. A. Hoffmann/Markus Johanns/Annette Kranz (Hrsg.) [u.a.]: Als Frieden endlich möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg, Regensburg 2005. „Tatsächlich wurden Friedensfeste beinahe ausschließlich von Lutheranern gefeiert. Die Verwerfung seitens des Papsttums schrieb trotzdem die katholische Zurückhaltung nicht vor. […] Angesichts der durch die Satzung des Friedens gehemmten Katholiken waren die Lutheraner nur um so mehr geneigt, den Frieden zu feiern. Die allgemeinen Friedensklauseln, das Normaljahr, das die Anwendung des Ius reformandi erschwerte, und vor allem die Parität im Reich und in vier freien Reichsstädten […] waren das Ergebnis alter Forderungen der Lutheraner, die im Frieden erfüllt waren. […] So wurden Friedensfeste zu einer Demonstration des Luthertums.“ Claire Gantet: Das Augsburger Friedensfest im Rahmen der deutschen Friedensfeiern, in: Burkhardt/Haberer, Das Friedensfest (vgl. Anm. 2), S. 218. „Neben den Reformationsjubiläen des 17. und 18. Jahrhunderts symbolisierte das Friedensfest die konfessionelle Abgrenzung und trug maßgeblich zur Identitätsbildung der evangelischen Gemeinschaft bei, und das blieb nicht ohne Spitzen für den konfessionellen Gegner, der das Fest seinerseits bekämpfte.“ Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer: Einleitung, in: Burkhardt/Haberer, Das Friedensfest (vgl. Anm. 2), S. 9.



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Konfessionskultur“6 wahrgenommen, sie gelten geradezu als „Demonstration des Luthertums“.7 Gerade das lokale Beispiel der Augsburger Friedensfestkultur weist darauf hin, dass unter der Bezeichnung Friedensfest verschiedene zeit- und erinnerungskulturelle Vergemeinschaftungsformen zu verstehen sind. Ein Punkt, der bei der historischen Aufarbeitung der Friedensfeste bisher wenig im Mittelpunkt stand, ist die Diversifizierung des Phänomens – unter Friedensfest werden vor allem die Festereignisse Ende des Dreißigjährigen Krieges8 verstanden, aber auch die Feiern anlässlich des Hubertusburger Friedens9 oder die Jahrestage der Erinnerung an die Freiheitskriege10. Die folgenden Ausführungen sollen dazu dienen, das bisherige Verständnis kritisch zu hinterfragen, und eine Differenzierung mittels der Beschreibung verschiedener Festtypen vorzuschlagen, und das Verhältnis der Festformen durch die Analyse der historischen Exempel aus dem Fürstenstaat Sachsen-Weimar während der Epoche der Frühen Neuzeit näher zu bestimmen.

2. Friedensfeste – ein Definitionsversuch ‚Friedensfeste‘ sind dem Namen nach Feste, die das Ende einer militärischen Auseinandersetzung zwischen diversen Krieg führenden Parteien markieren. Am einfachsten lässt sich dieser ‚Frieden‘ im Gegensatz zum Krieg definieren, folglich in Form von gewährleisteter Ordnung und Ruhe, relativer Sicherheit für Leib und Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft.11 In der Frühen Neuzeit markierte Friede dennoch nicht das Fehlen durch Kombattanten ausgeführter Gewalt oder gar eine Entmilitarisierung. Sondern der ‚Frieden‘ stand synonym für den zwischen Kriegsparteien ver6 7

Ebd., S. 11. Gantet, Das Augsburger Friedensfest, in: Burkhardt/Haberer, Das Friedensfest (vgl. Anm. 2), S. 218. 8 Andreas Klinger: Die Friedensfeste von 1650 in den ernestinischen Herzogtümern Gotha und Weimar, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 51 (1997), S. 97–114. 9 Siegrid Westphal: Das Hubertusburger Friedensfest von 1763 in der Reichsstadt Nordhausen, in: Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen 27 (2002), S. 153–161. 10 Johanna Sänger: Konjunktur und Krise des 18. Oktobers. Ein Jenaer Gedenktag zwischen Befreiungskriegen und Vormärz, in: Ulrich Rosseaux/Wolfgang Flügel/Veit Damm (Hrsg.): Zeitrhythmen und performative Akte in der städtischen Erinnerungs- und Repräsentationskultur zwischen Früher Neuzeit und Gegenwart, Dresden 2005, S. 118f. 11 Vgl. Wilhelm Janssen: Friede, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart ²1979, S. 543–591.

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traglich geregelten Zustand, welcher an die Erfüllung spezifischer Bedingungen, wie Kontributionen und die gegenseitige Anerkennung dieses Zustandes, geprägt war.12 Unter der Bezeichnung ‚Friede‘ wurden die erfolgreichen Verträge zwischen ehemaligen Kriegsgegnern, die als Ergebnis von Waffenstillständen, Friedensverhandlungen und entsprechenden Kongressen stehen, verstanden.13 Die Friedensfeste sind somit festkulturelle historische Ereignisse, die den Übergang zwischen dem unter kriegsrechtlichen Bedingungen stattfindenden Alltag und dem normalen, gleichsam ‚friedlichen‘ Erleben für die jeweils feiernde Gemeinschaft sinnstiftend hervorheben.14 12 Es ließe sich ausführen, dass im konfessionellen Zeitalter die Kriege geführt wurden, um den wahren Frieden, den pax iusta et vera wiederherzustellen, damit war die allumfassende Rechtsordnung gemeint, wie sie durch die konfessionelle Spaltung vermeintlich verloren ging. Dieses paradoxe Denkmodell ließ sich nur lösen, indem in der Frühen Neuzeit ein Friedensbegriff verwandt wurde, der zunehmend als ‚Staatsfriede‘ zu erfassen wäre. Dieser geht von territorialer Integrität und Rechtsordnung aus, ist somit eine rechtsgeschichtliche Seite der staatsbildenden Prozesse seit dem 15. Jahrhundert. Die reichsrechtlichen Abschlüsse dieser Zeit tragen diesem Zustand schon Rechnung, da diese nicht mehr auf das mittelalterliche Verständnis der pax spiritualis zielten. Dementsprechend wurde die religiösen Friedensschlüsse auch als Garanten des weltlichen Land- und Reichsfriedens verstanden. Ebd., S. 556ff. Der Westfälische Frieden hatte die hingegen die Wiederherstellung der pax publica zwischen Kaiser und Reichsständen zum Ziel, was als „Landfrieden“ übersetzt werden sollte. Reinhard Steiger: Der Westfälische Friede – Grundgesetz für Europa?, in: Duchhardt, Der Westfälische Friede (vgl. Anm. 1), S. 51f. 13 Die Analyse der Bedeutung der eigentlichen juristischen Quellen geht in dieselbe Richtung: Steiger differenziert dies an der Wahrnehmung des Westfälischen Friedens durch die Forschung, worunter in die Deutung die „Gesamtsicht dessen, was wir heute als ‚Friedensprozeß‘ bezeichnen. d.h. den Kongreß, die Friedensverhandlungen die beiden Verträge von 1648 in sehr allgemeiner Sicht, […]“ falle. Er unterscheidet in der Folge drei Ebenen der epochalen Bedeutung des Friedensschlusses. Erste Ebene sei die unmittelbare Herstellung des Friedenszustandes im Reich, der Friede im engeren Sinne: „Die erste Ebene ist die Beendigung des Krieges in Deutschland und damit die Herstellung eines konkreten Friedens zwischen den Kriegführenden innerhalb des Reiches und nach außen auf der Grundlagen der rechtlichen Regelung bestimmter innerer und äußerer Sachprobleme sowie die dadurch erreichte konkrete rechtliche Ordnung des Verhältnisses bestimmter europäischer Mächte untereinander.“ Steiger (vgl. Anm. 12), S. 35. 14 Dabei ist natürlich fraglich, inwieweit z. B. nach einer langen, über eine Generation dauernden, latenten, wenn auch nicht immer akuten Kriegsbedrohung überhaupt eine Wahrnehmungsdifferenz ausgemacht werden konnte, die das Prädikat ‚normal‘, also friedlich, rechtfertigt. Wie Bernd Roeck beschreibt, wurden in den Feierlichkeiten zum Westfälischen Frieden kriegerische Rituale inszeniert, welche teils exzessiv ausuferten. Dies deutet er nicht als eine Martialisierung der Festkultur, sondern als antithetische Bewältigung der zurückliegenden Kriegserfahrungen: „Die Welt wurde auf den Kopf gestellt: Für den glücklichen Moment



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Bernd Roeck spricht angesichts der ‚Feiern des Friedens‘ auch von ‚rites de passage‘, die durch die Bändigung der vorangegangenen martialischen Ereignisse in ihrer Ritualisierung im Fest einen Schritt zur Bewältigung der kriegerischen Vergangenheit darstellten: eine bisher wenig betrachtete funktionale Zuschreibung der entsprechenden Festelemente.15 Diese Verbindung von Konfessionskultur und öffentlichem Festgeschehen mittels der Friedensfeste bildet ein Charakteristikum der Friedensfeste. Die Anordnungskompetenz über die Feste im kirchlichen Rahmen lag bei den Trägern herrschaftlicher Gewalt. In den protestantischen Territorialstaaten ging mit der Etablierung des landesherrlichen Kirchenregiments die Akkumulierung religiöser Anordnungskompetenz als Teil der fürstlichen Herrschaft einher. Friedensfeste sind somit Teil der öffentlichen Festkultur, wie sie durch Fürstenhaus, Kirche und Administration angeordnet wurden. Festliche Geschehnisse, die eine spontane Friedensfreude ausdrückten, wie das Zusammenlaufen auf dem Markt, oder bürgerliche Büchsenschüsse, sind nicht den Friedensfesten zuzurechnen. Im Gegensatz zu den obrigkeitlichen Abkündigungen eines Friedens, die der Notifikation dienten, wurden derartige spontane Freudenäußerungen teilweise sogar verboten, da sie den Anstand und die öffentliche Ordnung gefährden würden.16 Diese Disziplinierung findet auch im Friedensfest selbst ihren Raum. Als Teil der lutherischen Lob- und Dankfeste, da aus der Jubiläumskultur des frühen 17. Jahrhunderts stammend, zielten sie in ihrem liturgischen Ablauf darauf ab, Lob und Dank mit Buße und religiöser Devotion öffentlich zu zelebrieren. Dennoch belegen diese Verbote die Relevanz der Friedensfeste, denn der offizielle Friedensschluss wird durch das kirchliche Fest rituell untermauert, es dient als rite de passage, des Festes […] war der Krieg symbolisch gezähmt, nicht Tod und Verderben, sondern Divertissement bedeuteten das Donnern der Kanonen und das Krachen der Gewehre. Man beherrschte, was vorher Verhängnis gewesen war und als blindwütige Furie, als Naturereignis gegen alle menschlichen Möglichkeiten gestanden hatte. Rituell wurde die Bewältigung des Unheils praktiziert, analog seiner tatsächlichen Bändigung in den Friedenstraktaten.“ Dennoch ist gerade diese psychologische Komponente der Friedensfeste bisher kaum in den Blick genommen worden. Roeck, Die Feier des Friedens (vgl. Anm. 1), S. 644. 15 Ebd. S. 638f. 16 Im Bericht der Universität an die herzoglichen Behörden 1797, anlässlich des Bekanntwerdens des Vorfriedens, wird ein solches spontanes Festgeschehen beschrieben: „Als am 25sten vorigen Monats die Nachricht von denen verabredeten Friedens Präliminarien und geschloßenen Waffen Stillstand sich auch hier verbreitete, so versamelten sich eine Gesellschaft hiesiger Bürger und anderer Personen mit Trompeten und Pauken noch spät des Nachts zur vorläufigen Feyer auf dem Markt, und sollen, wie allgemein verlautet, schon damalen vorgehabt haben, auch auf den Markt zu schießen und Stücke abzubrennen, welches aber unterblieben“, in: ThHStA – A 8568 – Fol. 1.

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es streicht die Bedeutung des Friedenszustandes hervor, es gibt Gelegenheit für eine feierliche Inszenierung der politischen Tragweite des Friedensabschlusses. Gerade an dieser Stelle ist es sehr aufschlussreich, dass insgesamt im 17. und 18. Jahrhundert nur sehr wenig Friedensfeste begangen wurden, und damit ‚nur‘ das Ende besonders verheerender und lang andauernder Kriege markiert wurde, ehe es in der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts eine Zunahme von ‚neuen‘ Friedensfesten zu verzeichnen gab.17

3. Unmittelbare Friedensfeste Die Friedensfeste, die im Anschluss an die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen den Frieden feierlich markierten, kennzeichnet die relative zeitliche Nähe zum Friedensschluss selbst. Wurde exemplarisch der Schluss des Westfälischen Friedens am Ort des Geschehens durch das Vorlesen, Siegeln und Unterzeichnen legitimiert und zudem durch Paukenschläge, Salutschüsse und Glockenläuten rituell verkündet,18 so erfolgte im Weimarer Herzogtum die rituelle Begehung des Friedensschlusses durch ein Friedensfest erst mit erheblicher Verzögerung. Wie Andreas Klinger herausgestellt hat, wurde erst 1650, zwei Jahre nach dem eigentlichen Friedensschluß, das Friedensfest für den Westfälischen Frieden begangen. Bevor das Fest angeordnet werden konnte, mussten erst die fremden, in diesem Falle die schwedischen Truppen, aus dem ernestinischen Gebiet abziehen, Kontributionen und Entschädigungen gezahlt, die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zuvor in die Tat umgesetzt werden. Wie Claire Gantet analysiert, spiegelte der Zeitpunkt „den Rhythmus der Demobilisierung wider“19 und war somit ein Indikator für die politische und kulturelle Geographie des deutschen Reiches. Noch bis in das Jahr 1650 herrschte in Weimar kein „wirklicher Frieden“, sondern durch die weitere Besatzung der Schweden eher ein Fortbestehen des vorherigen Zustandes.20 In der Residenzstadt Weimar beging man das Friedensfest am 19. August, parallel dazu fanden reichsweit in 15 weiteren Städten die zentralen Friedensfeste statt. In Absprache mit den benachbarten Ernestinern wurde ein mehrtägiges Festgeschehen veranstaltet, welches sich an den vorangegangenen Jubiläumsformen der Reformationsfeier 1617 und der Feier der Confessio Augustana 1630 17 Vgl. Lars Deile: Das neue Friedensfest, in: Lars Deile/Johanna Sänger: Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800, Köln 2005, S. 47–73. 18 Ernst Höfer: Das Ende des Dreißigjährigen Krieges. Strategie und Kriegsbild, Köln/Weimar/ Wien 2007, S. 235. 19 Gantet, Das Augsburger Friedensfest (vgl. Anm. 4), S. 213. 20 Klinger, Die Friedensfeste von 1650 (vgl. Anm. 8), S. 97.



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orientierte.21 Im Kern wurde dieses kirchliche Lob- und Dankfest wie ein Hochfest begangen. Zum Fest gehörte die Abkündigung des eigentlichen feierlichen Ereignisses am Sonntag vorher. Dies diente sowohl der Einstimmung, der emotionalen Wegbereitung als auch der Vergegenwärtigung des Anlasses, besonders hervorgehoben wurde „darbey die Nothwendigkeit der Dankbarkeit, […] die mit ernster Vermahnung durch wahre Buße sich zu diesem Fest Christlich zu bereiten“22 verbunden wurde. Die emotionale Dramaturgie, die mit dem eigentlichen Festakt am 19. August23 des Jahres 1650 ihren Höhepunkt erreichte, untermauerte man mit einer kurzen feierlichen Vesper am Vortag, zu der allein mit drei Pulsen à 15 Minuten eingeläutet wurde. Der Festtag selbst zerfiel in zwei Lob- und Dankgottesdienste. Nach mehrmaligem Glockenläuten, zwischen vier und sieben Uhr, sollte öffentlich gesungen werden, ehe Punkt sieben die Prozession in die Kirche selbst erfolgte. Dem Absingen von „deus spes nostra“ und „Allein Gott sei unser Ehr“ folgte die Dankkollekte. Statt der Epistel lasen die Pfarrer den Psalm 95, worauf das evangelische Trutzlied „Eine feste Burg ist unser Gott“ gesungen werden sollte. Auch die Evangelienlesung wurde durch die vorgeschriebene anlassgebundene Predigt ersetzt. Diese stand im Zentrum der Liturgie; es folgten weitere Kirchenlieder, Beichte und Absolution, das Vater unser, Kommunion und Te deum laudamus. Ihren Abschluss fand der erste Part der Feierlichkeiten in der geordneten Prozession aus der Kirche hinaus.24 Ein nachmittäglicher Gottesdienst mit Gebet, Predigt, Beichte und Dankliedern schloss sich an. 21 „Die Friedensfeste von 1650 waren keine völlig singulären oder grundsätzlich neuartigen Ereignisse, sondern sie standen in einer langen Tradition von Lob- und Dankfesten sowie der evangelischen Jubelfeste, die mit den Reformationsjubiläum 1617 und der Säkularfeier der Augsburger Konfession 1630 in größerem Umfang eingesetzt hatten. Beide waren auch im Herzogtum Weimar begangen worden.“ Ebd., S. 111. 22 Entwurf des Direktoriums für das Friedensfest 1650 in Weimar, in: ThHStA – B 3525 – Fol. 2. 23 In den Entwürfen des Oberkonsistoriums Eisenach sind noch andere Datierungen zu finden, die darauf abzielten, das Friedensfest in Weimar bereits am 15. August, einem Donnerstag, zu begehen; dieses wurde dann in Abstimmung mit den Oberkonsistorien anderer ernestinischer Herzogtümer auf den 19. August verlegt, um durch höchstmögliche Synchronität der Festabläufe eine größere Außenwirkung zu erzielen. Vgl. ThHStA – B 3525. 24 Der liturgische Ablauf nach dem handschriftlichen Entwurf: 1) Gesang: „Wäre Gott nicht mit uns diese Zeit“ 2) „Deus spes nostra“ 3) Ein Kyrie mit dem Gloria darauf 4) „Allein Gott in der Höhe sey Ehr“ 5) Danckkollecte gesungen 6) für den Altar der 95 Psalm abgelesen, 7) Gesang: „Eine feste Burg ist unser Gott“ 8) der Text der Predigt, 9) Gesang: aus dem 1. Buch der Könige c. 8 ps. 53 bis 59 exclusive 10) eine deutsche motete, 11) Gesang: „Nun danket alle Gott der Glaube“ 12) auf der Cantzel Vater Unser 13) Gesang: „In dich hab ich gehoffet Herr“ 14) Predigt, aus gesetztem Text, Reg. c. 8. v. 53 usq. Ad 59. gehalten, 15) nach der Predigt die Beichte und Absolution verlesen, 16) und das hierauf gerichtete Gebet 17) das Vater unser, und dem 136. Psalm 18) Musik: „Danket dem Herrn denn er ist freundlich“ 19)

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Neben dem hohen Kirchenfest wurde in Weimar noch ein fakultatives städtisches Friedensfest begangen, welches aus einer Prozession der Zünfte und unter Beteiligung der fürstlichen Familie durch die geschmückte Residenzstadt besonders begangen wurde. Hierzu galt es für die Prozessionsteilnehmer, das heißt die fürstlichen Räte und Kanzlisten, Offiziere und Hofbediente, den Stadtrat und die männlichen Personen der Bürgerschaft, die Praeceptoren der Schulen, die geschmückten Schulkinder, in den Schlosshof zu kommen, von wo aus diese Prozession mit den Mitgliedern des Fürstenhauses an der Spitze in die eigens ausstaffierte Kirche St. Peter und Paul einzog. Inhaltlich lud man, wie Andreas Klinger hervorhebt, die Festelemente durch die Inszenierung einer spezifischen ernestinischen Eigengeschichte auf.25 Während andernorts die freudige Festerfahrung gegenüber den Kriegsleiden als psychodynamisches Verarbeitungsmuster im Fokus stand, wurde in Weimar die besondere Rolle der Ernestiner als Schutzherren der Reformation, gerade in Person Johann Friedrichs, memoriert, und damit auch die spezielle Verantwortung der Weimarer Dynastie für die reichspolitische Sache des Protestantismus historisch legitimiert und im Fest dargestellt. Neben den Predigten untermauerten diese dynastischpolitischen Ansprüche entsprechende Münzen und Festdrucke – auch die Ausgabe der Munuskeln, Geschenke an die Schulkinder, unterstützte die Erinnerung an das Ereignis Friedensfest dauerhaft. Diese funktionale Bestimmung der Friedensfeste, die Legitimation, Sicherung und Perspektivierung der fürstlichen Herrschaft, ist ebenfalls anlässlich des im 18. Jahrhundert zelebrierten unmittelbaren Friedensfestes evident. Das Ende des Siebenjährigen Krieges wurde im Herzogtum Sachsen-Weimar, unter vormundschaftlicher Kommunion gehalten 20)Gesang: „Te deum laudamus“ 21) Kollekte „Danket dem Herrn, denn Er ist freundlich“ gesprochen, 22) und mit dem Segen beschloßen 23) Prozession hinaus mit Gesang: „Erhalt uns Herr bey deinen vor“. 25 Der Westfälische Frieden wurde als ein Schlusspunkt des ernestinischen Kampfes zur Erhaltung der lutherischen Konfession gedeutet. Vor allem die Standhaftigkeit der Ernestiner der Reformationszeit wurde verdeutlicht und damit ein Kontinuum der historischen Ereignisse hin zum Ende des Dreißigjährigen Krieges suggeriert. Von der Gründung des Schmalkaldischen Bundes, über die schmerzliche Niederlage im Schmalkaldischen Krieg, die bekanntlich im Verlust der Kurwürde mündete, über die Phase des konfessionellen Zeitalters, wurde an all jene Ereignisse erinnert, die die dynastische Geschichte und die Konfessionsgeschichte des Reiches miteinander verbanden. Die Elemente des Westfälischen Friedensfestes in Weimar zielten somit weniger auf eine Verarbeitung der vorangegangenen Kriegsjahrzehnte im Sinne einer Feier des Friedens als Inbegriff der öffentlichen Ordnung oder einer gewissen Garantie für die Einzelnen in existentiellen Fragen der Lebenserhaltung, Versorgung, militärischen Bedrohung und leiblicher Sicherheit – wie sie in anderen Orten des Reiches im Mittelpunkt stand.



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Herrschaft Anna Amalias, mit einem großen Friedensfest begangen. Zentrale Punkte der Feierlichkeiten stellten die Kleinstädte, Residenzstädte und die Universitätsstadt Jena dar. Wie bei unmittelbaren Friedensfesten üblich, erging am Sonntage vorher eine Abkündigung, die der didaktisch-emotionalen Einstimmung auf das zukünftige eigentliche Kerngeschehen diente, die Untertanen waren aufgefordert, „an gemeldeten Sontag zu Anhörung des Wortes, Gottes fleisig sich einzufinden, und dieses hohe Fest, mit Beten und Danken, in der öffentlichen Gemeine so wohl, als in den Häusern andächtig zuzubringen“.26 Auch der Tag vor den sonntäglichen Gottesdiensten wurde in das Fest einbezogen, eine Beichtvesper mit Epistel und Evangeliumslesung gestaltete den kirchlichen Akt. Der Ablauf des eigentlichen Friedensfestes am Sonntag, den 1. Mai 1763, zerfiel wiederum in einen morgendlichen27 und einen nachmittäglichen28 Gottesdienst. Im gedruckten Dankgebet kam zudem zum Ausdruck, dass das spezifische dynastische Schicksal des Weimarer Herzoghauses, der Tod des jungen Herzogs Ernst August Constantin kurz nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, die Durchzüge und Einquartierungen unter denen das Herzogtum besonders zu leiden hatte, einen Deutungszusammenhang ergaben, welcher den Krieg als Gottes26 Abkündigungsformular für das Friedensfest im Weimarer Landesteil, in: ThHStA – B 3672 – Fol. 2. 27 Der liturgische Ablauf laut Direktorium: 1) Gesungen Kyrie Gott Vater in Ewigkeit etc. 2) Inton. Lobe den Herrn meine SeeleHallelujh cum Resp. et Collect. 3) Ewiger Gott und Vater etc. 4) Ges. Allein Gott in der Höh sey Ehr etc. 5) Inton. Ich freue mich in dem Herrn Hallelujah cum Resp. et. Collect 6). Herr Gott himmlischer Vater etc. 7) Gelesen der 85ste Psalm 8) Ges. Sey Lob und Ehr dem höchsten Gut etc. 9) Gelesen der 33ste Psalm 10) Musiciert 11) Ges. Wir glauben all an einen Gott etc. und Liebster Jesu wir sind hier etc. 12) Gepredigt über Psalm 33,20,22. Unsere Seele harret auf den Herrn, Er ist unsere Hülfe und Schild. Denn unser Herz freuet sich sein, und wir trauen auf seinen heiligen Namen. Deine Güte Herr sey über uns, wie wir auf dich hoffen. 13) Vor dem Vater Unser gesungen Nun danket alle Gott etc. 14) Nach der Predigt die 15) Beichte und das gedruckte Dankgebet 16) Nebst dem Vater Unser kniend gebetet. 17) Ges. Herr Gott dich loben wir etc. 18) Ges. Ach bleib mit deiner Gnade etc. 28 Gesungen: 1) Nun lob mein Seel den Herrn etc. 2) Inton. Gott gieb Fried in deinem Lande cum Resp. et. Collect. Herr Gott himlischer Vater etc. 3) Gelesen der 103te Psalm 4) Ges. O daß ich tausend Zungen hätte etc. und Herr Jesu Christ dich zu uns wend etc. 5) Gepredigt über Philip IV., 8.9. Weiter, lieben Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was teutsch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach. Welches ihr auch gelernet, und empfangen, und gehöret, und gesehen habt an mir, das thut: so wird der Herr des Friedens mit euch seyn. 6) Nach der Predigt das gedruckte DankGebet, und Vater Unser kniend gebeten. 7) Ges. Lobe den Herrn den mächtigen König der Ehren etc. 8) Inton. Nun danket alle Gott 9) Ges. Gott der Friede gegeben etc.

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strafe interpretierte.29 Dieses Interpretationsmuster bewog die junge Landesregentin im Laufe des verheerenden Krieges, das bis dato nachsichtig gehandhabte Sonn- und Feiertagspatent30 dahingehend zu verschärfen, dass das Tanzen und Spielen erneut verboten wurde, „die zu dem Dienste Gottes bestimmte Sonn- und Fest-Tage“ in Buße und Demut zu verbringen und die den „Göttlichen Zorn immer noch weiter reitzende Üppigkeiten“ zu unterlaßen seien, zumal in den „gegenwärtigen bedencklichen Zeiten“31 des Siebenjährigen Krieges. Die Feier des Hubertusburger Friedens markierte nun auch festkulturell das Ende der Krisenzeit im Kleinstaat Sachsen-Weimar-Eisenach. Wie Janine Heiland treffend analysiert hat, bot das Friedensfest einen Anlass für die Repräsentation der Herrschaft im öffentlichen Raum, durch die Teilnahme der Fürstenfamilie an Gottesdienst und Prozession. Die integrative Wirkung der feiernden Gemeinschaft anlässlich eines gemeinsamen Festes, in diesem Fall die in den Kirchen versammelten Untertanen, und die synchrone Begehung im gesamten Herzogtum bilden einen kommunikativen, politischen und sozialen Zusammenhang – dieser konsolidiert die bestehende soziale Ordnung. Mit der gemeinsamen Begehung des Friedensfestes „sollte unter den Einwohnern der Eindruck eines geeinten Landes hervorgerufen und die Untertanen stärker an die Landesherrschaft gebunden werden“.32 Ähnlich wie im Falle des Westfälischen Friedensfestes beging man auch in Weimar das festliche Ereignis durch fakultative Elemente, etwa die Prozession, die die soziale Ordnung sinnfällig in Szene setzte, mit der Landesregentin an der Spitze. Zu diesen öffentlichen Akten kamen die exklusiveren höfischen Feierlichkeiten, begangen durch eine mittägliche Festtafel. 29 Im Dankgebet heißt es: „Bey dem allgemeine Jammer, da ganze Länder zur Einöde, und ihre Einwohner zu seufzenden Kreaturen wurden; traf uns die besondere Trübsaal, als du deinen Gesalbten, den besten Fürsten, den uns deine Güte geschenket hatte, im Zorne, um unsrer Sünde, willen durch einen frühzeitigen, doch seligen Tod uns entzogest, und Ihn aus der unruhigen Welt, in stillen Frieden der Ewigkeit brachtest. […] O du Gott der Liebe! Es ist mit unsern Prüfungen, bis ans Vermögen in diesem Kriege, aber niemals übers Vermögen gekommen; Ja wenn wir uns mit andern vergleichen, müssen wir bekennen, unsere Sünden waren eben so gros, als wie ihre; doch milderte deine Erbarmung, die Gerichte deines Eifers, und du regiertest uns mit viel Verschonen“, in: ThHStA – B 3672 – Fol. 3. 30 Das vorangegangene Sonntagspatent von 1756 sei durch die Einwohner sträflich mißbraucht worden, es hatte in gemäßigtem Rahmen Musik und Tauffeiern am Sonntag nach dem Gottesdienste erlaubt. ThHStA – B 5200 – Fol. 1f. 31 Sonntagspatent Anna Amalias, 3. Oktober 1759, in: ThHStA – B 5200 – Fol. 16. 32 Janine Heiland: „Harmonie durch Ungleichheit“ – Die Feiern zum Frieden von Hubertusburg 1763 in der Residenzstadt Weimar und der Universitätsstadt Jena als Spiegel der Ständegesellschaft. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien im Fach Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2008, S. 37.



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In der ehemaligen Residenzstadt Eisenach prägten die fakultativen Festelemente ebenfalls den Gesamtablauf des Friedensfestes 1763. Begleitend zum Einläuten, zur feierlichen Prozession und zur Absingung des Te Deum wurde vor Ort erlaubt, die in Eisenach befindlichen Kanonen zu gebrauchen,33 eine akustische Staffage des Festes, wie sie aufgrund der militärischen Bedrohungslage bei der Geburt des Thronfolgers Carl August, am 3. September 1757, noch unterlassen wurde.34 Diese akustischen Elemente des Eisenacher Festablaufes wurden noch verstärkt durch den Einsatz von Pauken und Trompeten von den städtischen Türmen, welche das morgendliche Absingen von Friedens- und Dankliedern auf dem Marktplatz der Stadt umrahmten. Dies war der Auftakt für ein spezifisches Eisenacher Festbegehen, das vor allem die soziale Ordnung der Stadt mittels entsprechender Prozessionen repräsentierte. Diesbezüglich standen in der Vorbereitung auch der minutiöse Ablauf und die Aufstellung dieses Zuges im Vordergrund. Es versammelten sich die Angehörigen der Geistlichkeit, die Lehrer und die Kinder des Gymnasiums, um die Bürgerschaft, das heißt den Stadtrat, die Innungen und die aus Richtung Nikolaikirche Kommenden auf Höhe der Judengasse zu treffen. Von da aus zog man gemeinsam unter der Leitung des Stadtrates zum Rathaus, an welcher Stelle die Bürger-Kompanie das Gewehr präsentierte. Die gemeinsame Prozession endete im Einzug in die städtische St. Georgs-Kirche.35 Ein mehrtägiges Festgeschehen schloss sich an. Nachdem der kirchliche Teil des Friedensfestes am Sonntag, den 1. Mai, seinen Höhepunkt erfahren hatte, fanden bis zum 10. Mai eigene städtische Feierlichkeiten statt. Täglich prozessierten Innungen mit eigens gefertigten Friedensfahnen,36 am Folgemontag gab der Stadtrat ein exklusives Festmahl mit anschließendem Ball. Die Freude über den Frieden konnte die Eisenacher Bevölkerung zudem bei ausgelassenen, weltlichen Feiern zum Ausdruck bringen. Das Periodikum der Eisenacher Wöchentlichen Nachrichten gibt über diese Festelemente, die sich an das kirchliche Geschehen fakultativ anschlossen, genügend Auskunft. So wurde auf den öffentlichen Plätzen der Stadt „theils in den Schießgraben […] und Vorstädten, paar Weise, mit Musik aufgeführet, 33 Reskript Anna Amalias an den Eisenacher Landeshauptmann Göckel vom 27. April 1763, in: ThHStA – Eisenacher Konsistorialsachen 61 – Fol. 14. 34 Vgl.: Bericht über die Geburt Carl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach, in: ThHStA – A 24 – Fol. 38f. 35 Vgl.: Entwurf des Ablaufs des städtischen Friedensfestes, in: ThHStA – Eisenacher Konsistorialsachen 61 – Fol. 25–28. 36 Exemplarisch: Am Montag (2. Mai 1763) zogen die Müller mit Musik durch die Straßen, ihre Fahne trug auf einer Seite das Friedenssymbol der Taube mit dem Ölzweig und das Wappen des Müllerhandwerks auf der anderen Seite. Vgl.: Eisenacher wöchentliche Nachrichten 18 (7. Mai 1763).

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woselbst diesen und folgenden Tage getanzet und sich lustig gemacht, wobey ihnen auch von einigen Personen Wein Bier ausgetheilet worden“, auch „Abends an verschiedenen Tafeln soupiret und nachdem der Ball bis Morgens früh um 3 Uhr gedauret, dieser Tag in anständiger Lust und Fröhlichkeit beschlossen.“37 Hier bricht sich die psychodynamische Fröhlichkeit und Ausgelassenheit und die Freude über den Friedenszustand die Bahn, die aus dem rein administrativen Quellenbestand der obrigkeitlichen Friedensfeste nicht hervorgeht und hervorgehen kann. Folgt man der durch Bollnow vorgebrachten Unterscheidung zwischen Fest und Feier,38 so gehören die öffentlich stark reglementierten und liturgisch ritualisierten Abläufe des Lob- und Dankfestes in den Bereich des Feierlichen, Ernsten und Repräsentativen. Dennoch zeigt gerade das Exempel Friedensfest 1763 in Eisenach, dass das Festliche – die kanalisierte Lebensfreude, die Vergemeinschaftung durch Umtrunk, Tanz und Musik zum Gesamtereignis Friedensfest zugehörten: außerhalb des kirchlichen Rahmens, in welchem emotionale Aspekte eher durch die Wortwahl der Predigten, Ankündigungen und Gebeten gleichsam vorgegeben waren. Dass die unmittelbaren Friedenfeste sich eben durch diese fakultativen, festlich-sinnlichen Komponenten der zeitlichen Ausdehnung und die Kompensation der existentiellen Kriegserfahrungen in den verschiedenen Festelementen, durch den Einsatz der vormals militärisch verwendeten Pauken, Trompeten oder Donnerschlägen im Geschehen von anderen Friedensfestformen unterscheiden, scheint einzuleuchten. Dennoch sind im Einzelfall die Abläufe und der Umfang dieser festlichen, fakulativen Elemente aufgrund der Überlieferungssituation nur bedingt festzumachen. Dass diese festliche Ausweitung anlässlich des Hubertusburger Friedens 1763 zumindest im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zu konstatieren ist, legen die gedruckten Festberichte nahe.39

37 Eisenacher wöchentliche Nachrichten, 18 (7. Mai 1763). 38 Vgl. Otto Friedrich Bollnow: Neue Geborgenheit. Das Problem einer Überwindung des Existentialismus, Stuttgart u. a. 1955. 39 „Schließlich kan man unberühret nicht lassen, daß auch in denen übrigen Städten, Aemtern und Gerichten dieses Fürstenthums, dieses frohe Fest mit allerhand Feyerlichkeiten und Lustbarkeiten begangen worden, da nicht allein die Böller abgefeuert und von denen zusammen gezogenen Compagnien des Landes-Regiments Freudensalven geschossen, sondern auch an den mehresten Orten von denen Herren Beamten und Stadträthen ansehnliche Tractamenten und Bällen gegeben worden.“ Eisenacher wöchentliche Nachrichten, 19 (14. Mai 1763). Auch die Universitätsstadt Jena feierte mehrtägig, hierzu: Heiland, Harmonie durch Ungleichheit (vgl. Anm. 32).



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4. Die Friedensfeste als Jahrestage Ein Typ der Friedensfeste, der zwischen den unmittelbaren Friedensverkündigungsfesten und den Jubiläen steht, ist das Friedensfest, welches in Form eines Jahrestages begangen wurde. Der zeitkulturelle Erinnerungsmechanismus Jahrestag ist von spezifischem memorialem und identitätsstiftendem Wert. Jahrestage sind Träger und Teil des kollektiven Gedächtnisses, sie fungieren als kleinste Einheit des perpetuum mobile Kalender und binden spezifische symbolische Handlungen, die Rituale, an im Jahreslauf fest verankerten Daten, kurz sie geben Bedeutung.40 Jahrestage dienen in höheren Maße der Semiotisierung, Aktivierung und Übertragung von Identitätswissen. Dass ein Friede überhaupt kontinuierlich an einem bestimmten Tag im Jahr gefeiert wird, hebt die Stellung des historischen Ereignisses heraus. Das zu erinnernde Ereignis wird jedes Jahr aufs neue wiederholt, gedeutet und inszeniert. Das impliziert, dass die Jahrestage Friedensfeste und die damit verknüpften historischen Daten latent präsenter waren als die aller 100 Jahre besonders begangenen Säkularfeiern. Zudem spricht es für die tatsächliche oder auch zugeschriebene Bedeutung des einzelnen Friedens, dass er im Apparat des kulturellen Gedächtnisses, im Kalender, ständig präsent gehalten wurde. Die Widmung eines bestimmten Datums im Jahr widerfuhr nur wenigen Anlässen – und dort, wo verschiedene Jahrestage als Friedensfeste begangen wurden, konnten sich nur bestimmte Festanlässe jährlich etablieren und wurden kraft landesherrlicher Anordnungskompetenz später institutionalisiert und damit in den öffentlich-kirchlichen Festkalender integriert. Im Gegensatz zu allgemeinen festhistorischen Tendenzen der unter merkantilen Gesichtspunkten sowie im aufklärerischen Bestreben durchgeführten Festbeschneidungen und Reduktionen der christlichen Festkultur um 1800,41 wurden mit der Anordnung von jährlichen Festtagen im lokalen Kalender sogar neue Jahrestage geschaffen. Diese Feiertage sind nicht mehr Rudimente eines mit Hunderten Heiligentagen versehenen mittelalterlichen Festkalenders. Sie sind vielmehr Vertreter eines neuen, politisch-historischen Typus, der erst in der Frühen Neuzeit und geradezu in der Moderne zum Mittel und Träger regionaler, nationaler und territorialer Erinnerungskultur wurde. Die Daten perpetuieren nicht mehr die Geschehnisse des Neuen Testamentes, sondern sie erinnern an einen Teil der konfessionellen, der reformatorischen 40 Vgl. Thomas Schmidt: Kalender und Gedächtnis. Erinnern im Rhythmus der Zeit, Göttingen 2000. 41 Vgl. Klaus Fitschen: Die Transformation der christlichen Festkultur. Von der Aufklärung zur Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 18 (2003) S. 307–337.

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und damit landeskirchlichen Eigengeschichte. In protestantischen Territorien sind darunter beispielsweise die Jahrestage anlässlich der Einführung der Reformation auf städtischer Ebene zu verstehen,42 oder der zuerst im albertinischen Sachsen begangene und auf den 31. Oktober verbindlich gelegte Reformationstag. Auch Martini, mit seiner spezifischen personalen Ausrichtung im protestantischen Raum auf Martin Luther – in seiner Reminiszenz an dessen Geburtsdatum – bot einen solchen jahrestäglichen Erinnerungsanlass um 1800.43 Der bereits durch Johanna Sänger analysierte neue national-patriotische Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht, welcher ab 1814 begangen wurde, ist ein weiteres Exempel eines vor allem politisch-historisch aufgeladenen Tages des zyklischen Erinnerns. Dieser auch unter dem Namen ‚Nationalfest‘ begangene Tag wurde zudem auch mit dem Terminus ‚Friedensfest‘ bezeichnet. Dennoch hob er sich von den traditionellen kirchlichen Friedensfesten ab. Sänger macht zwar deutlich, dass Festelemente wie das Einläuten und der Gottesdienst integrale Bestandteile des Begehens waren, zugleich aber neue Rituale auf den Fundus der politischen Festkultur der Französischen Revolutionszeit zurückgriffen. Dazu gehörte die Inszenierung des Festgeschehens im außerkirchlichen Raum, unter freiem Himmel, ebenso wie das Setzen von Freiheitsbäumen oder die auf eine überregionale Visualisierung der Nationalidee zielenden Höhenfeuer.44 Das bereits erwähnte Friedensfest von 1650 stiftete im Weimarer Untersuchungsraum eine Tradition, die in einem regionalen Jahrestag mündete. Wie in anderen ernestinischen Fürstentümern wurde die Erinnerung an den westfälischen Frieden in den Weimarer Festkalender integriert. Der 19. August war der wiederkehrende Termin, der seit 1650 als das jährliche Friedensfest begangen wurde. Dieser Jahrestag war von der Feier des originären Festes abgeleitet, das Datum selbst war administrativen Umständen geschuldet.45 Kaum belegt, aber dennoch zu bestätigen, ist, dass der 42 Im Zusammenhang vom Übergang vom Jahrestag zum Jubiläum kommt zum Beispiel Wolfgang Flügel bei der Untersuchung des Reformationsjubiläums 1739 in Kursachsen zu dem Schluss, dass die lokalen Initiatoren und Festorganisatoren sich in der Gestaltung der Säkularfeiern an den jährlichen Feiern zum Reformationstag orientierten. Vgl. Wolfgang Flügel: Die Einführung der Reformation als lokales Ereignis. Die städtischen Reformationsjubiläen in Kursachsen im 18. Jahrhundert, in: Rosseaux/Flügel/Damm, Zeitrhythmen und performative Akte (vgl. Anm. 10), S. 40. 43 Besonders begangen mit spezifischer Erinnerung an die Person Luthers wurde der Martinstag beispielsweise im Weimarer Waisenhausinstitut, Vgl. Sigrid Nagy: Es wuchs ein Baum im Paradies. Wie Luther im 19. Jahrhundert zum Weihnachtsbaum kam, Weimar 2003. 44 Sänger, Konjunktur und Krise des 18. Oktobers (vgl. Anm. 10), S. 117ff. 45 Wie Andreas Klinger anführt, kam es zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den ernestineschen Fürsten Mitte des 17. Jahrhunderts. Friedrich Wilhelm benannte den 19. August als



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19. August als spezifischer Jahrestag des Weimarer Territoriums gefeiert wurde. Drei Jahre nach der Feier des typenbildenden Friedenfestes erging ein Reskript Herzog Wilhelms, worin die Wiederholung am Tage Sebaldi, den 19. August, angeordnet und die Stiftung des jährlichen Friedensfestes damit institutionalisiert wird. Über den liturgischen Ablauf der kirchlichen Feier ist nur wenig zu erfahren. Anbefohlen wurde, dass Dank- und Bußpredigten verlesen werden, und auch die Schulkinder Dank- und Friedenslieder singen sollten.46 Von diesem Befund ist darauf zu schließen, dass mit der Institutionalisierung des Jahrestages zwar einerseits eine Orientierung am Festablauf des Friedensfestes 1650 einherging, aber der konkrete kirchliche Ablauf eher eine gekürzte und rudimentäre Form erhielt. Die annuale Begehung des Jahrestages wurde erst Mitte des 18. Jahrhunderts erneut im Zusammenhang mit einem Friedensfest – dem anstehenden 200. Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens – zum Gegenstand administrativer Korrespondenz. In den Akten zur Vorbereitung heißt es im Reskript des obervormundschaftlichen Regenten Franz Josias, dass „das alljährliche Friedensfest aber gewöhnlichermaßen auf den ersten nach dem 19ten Aug. gefälligen Sonntag [zu] celebriren [sei]“.47 Die Parallelität der Festkulturen in den Territorien der ehemaligen Fürstentümer Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach ist an der Geschichte des Jahrestages Friedensfest ebenfalls festzumachen. Wie die Korrespondenz Mitte des 18. Jahrhunderts aufzeigt, beging man im Eisenachischen Landesteil den Friedensfest-Jahrestag nur bis 1676,48 weshalb keine Dopplung – und Konkurrenz – der Festanlässe Friedensfest zwischen Jahrestag und 200. Jubiläum zu befürchten war. Im Eisenacher, erst 1741 an Weimar gefallenen, Landesteil war die Begehung des jährlichen Friedensfestes schon frühestmöglichen Termin für eine abgestimmte Feier zwischen den ernestinischen Herzogtümern nach dem erfolgten Truppenabzug. Vgl. Klinger, Die Friedensfeste von 1650 (vgl. Anm. 8), S. 98f. Claire Gantet sieht darin vor allem die Vernetzung der Organisatoren und Gestalter wirken, welche sich aus Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft rekrutierten, und das deshalb eine überregionale Häufung der Feste am 19. August 1750 zu verzeichnen wäre. Gantet, Das Augsburger Friedensfest (vgl. Anm. 4), S. 213. 46 Reskript Wilhelm von Weimars, 12. August 1653, in: ThHStA – Eisenacher Archiv Konsistorialsachen 9 – Fol. 114. 47 ThHStA – B 3657 a – Fol. 12. 48 „[…] auch hierbey in denen angeordneten Predigten auch des Westphälischen Friedens halber, weshalber noch an verschiedenen Orten den 19ten August als am Tage Sabaldi jährlich das so genannte Friedens-Fest celebriret zu werden pfleget, in dem hiesigen Fürstenthum aber bereits seit anno 1676 nicht mehr begangen worden, eine schickliche Erklärung geschehen solle;“ Begleitschreiben des Eisenacher Oberkonsistoriums an das Weimarer Oberkonsistorium anlässlich der Verschickung der gedruckten Instruktionen, Eisenach den 1. August 1755, in: ThHStA – B 3657a – Fol. 22.

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seit Ende des 17. Jahrhunderts obsolet geworden. Als Grund hierfür benannte das Gutachten wiederum die kriegerischen Zeitumstände für die Aussetzung des Jahrestages.49 Obwohl eine Reetablierung des Jahrestags 1683 initiiert wurde,50 muss dieser Versuch in diesem Teil des späteren vereinten Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach als gescheitert begriffen werden. Während in der Stadt Jena und im Weimarer Landesteil der Jahrestag Friedensfest noch bis ins 19. Jahrhundert nachweisbar ist, wurde der Vorschlag einer erneuten Wiedereinführung desselben Mitte des 18. Jahrhunderts in der Eisenacher Landesportion – aus merkantilen Motiven – abgelehnt.51 Dass es Mitte des 18. Jahrhunderts nicht zu einer problematischen Konkurrenzsituation, einer akzidentiellen Okkurenz,52 zweier Jahrestage kam – einerseits zwischen dem 19. August für das jährliche Friedensfest und andererseits zeitlich naheliegende Jubiläumsfriedensfest am 25. September 1755 – ließe sich zeitkulturell erklären. Jahrestage und andere Erinnerungsfiguren können zueinander in Konkurrenz treten, wenn sie divergierende Identitätskonzepte beinhalten und somit für differente, oder im äußersten Falle: gegeneinandergerichtete Weltbilder stehen.53 Anlässlich der kalendarischen Doppelung der Friedensfeste 1755 schien dies unproblematisch. Einerseits wurde in Erwägung gezogen, die beiden Feiertage an einem einzigen Datum zu begehen – was formal auf einen nahezu gleichen Modus und Inhalt schließen läßt – geschuldet einer noch zu beschreibenden Traditionslinie. Andererseits scheint die Zusammenlegung eher durch die Reduktion des jährlichen Festtagsquantums motiviert zu sein. Feiertagsreduktionen, Ver- und Zusammenlegungen sind in Sachsen49 Gutachten des Generalsuperintendenten Rehdiger: „Ob Wir nungleich unterthänigst nicht bergen können, wie zwar dieses auf den 19. d. August einfallende FriedensFest besage beygehenden Vol. bis ad annum 1676 jährlich gefeyert, in nur gedachtem Jahr aber desßen Begehung wegen der damaligen Kriegszeiten und bis zu wieder erlangten Frieden vermöge Fol. 116 d. Vol. ins Land ergangen Verordnung einstellen befohlen worden“ in: ThHStA – Eisenacher Archiv Konsistorialsachen 57 – unpaginiert. 50 Darauf verweist ein Reskriptentwurf an das Eisenacher Oberkonsistorium vom 16. August 1683, welches eine Feier mit Einläuten, Dank und Bußpredigt, Lob- und Friedensliedern, Te deum und Friedenskollekte anbefahl. Vgl.: ThHStA – Eisenacher Konsistorialsachen 9 – Fol. 115. 51 Reskript Augusts von Gotha an das Eisenacher Oberkonsistorium – in: ThHStA – Eisenacher Archiv Konsistorialsachen 57 – unpaginiert. 52 Thomas Schmidt kategorisiert das Verhältnis zwischen zwei kalendarisch nahe beeinander liegenden mit Bedeutung aufgeladenen Daten in drei Typen, je nach Geltungsbereich und Ausrichtung der Gedächtnisfigur Jahrestag: initiiert, akzidentiell und koexistenziell. Vgl.: Schmidt, Kalender und Gedächtnis (vgl. Anm. 40). Erinnern im Rhythmus der Zeit, Göttingen 2000, S. 38f. 53 Ebd., S. 35.



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Weimar vermehrt seit Mitte des 18. Jahrhunderts zu konstatieren. Im Rahmen eben jener Reduktionsbemühungen der Weimarer Administration wurde das jährliche Friedensfest erneut aktenkundig. Während der 1770er Jahre verstärkte das Weimarer Oberkonsistorium die Bemühungen, der exzessiven Bräuche um die weihnachtliche Christmette endlich Herr zu werden. Im Laufe dieser Diskussionen erging unter anderem ein Reskript, welches beinhaltete, dass „[…] das FriedensFest, wenn solches auf einen Tag in der Woche einfällt, auf den nächsten Sonntag verlegt […]“ werden solle54 – was wiederum in den diesen Jahrestag noch begehenden Ortschaften des Fürstentumes bereits lebensweltliche Praxis war.55 Da der Jahrestag Friedensfest spätestens im 18. Jahrhundert erst am Sonntag nach dem eigentlichen Datum begangen wurde, konnte das Argument der Minderung der wöchentlichen Arbeitszeit und damit der ökonomischen Staatsinteressen im Vorfeld nicht mehr greifen.56

5. Die Jubiläumsformen der Friedensfeste Die Friedensfeste, die im 18. Jahrhundert als Jubelfeste im Thüringer Kleinstaat begangen wurden, lassen sich auf zwei Daten einschränken. Zum einen jährte sich das 200. Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens am 25. September 1755, zum anderen wurde das erste Säkularium des Friedensfestes für den Westfälischen Frieden im Jahr 1750 im kirchlichen Rahmen ausgestaltet. Jubiläen sind im allgemeinen von besonders identitätsstiftendem Wert, da sie weit zurück liegende Ereignisse memorieren, sie interpretieren und perspektivisch wirken. Im Falle der beiden Jubelfeste Mitte des 18. Jahrhunderts ist für den Ereignisraum Weimar-Jena nur wenig über 54 Mandatsreskript Carl Augusts an das Weimarer Oberkonsistorium, welches die Abschaffung noch bestehender Festmetten betreffend, in welchen auch die Verlegung des Friedensfestes auf den Sonntag anbefohlen wurde, in: ThHStA – B 3676 – Fol. 14. 55 So heißt es in einem Berichtschreiben des Weimarer Oberkonsistoriums an den Obervormund Franz Josia von Sachsen, anläßlich der Diskussion um die Begehung des Friedensfestes 1755: „[…] anneben aber unterthänigst referieren sollen, wie das auf den 19. August jährlich zu feyernde Friedensfest, so in den hiesigen Weimarischen Fürstenthum jedesmahl des Sonntags darauf celebriret, um verschiedene im Lande vorhandene Stiftungen, nicht wohl verrückt werden kann „, in: ThHStA – B 3657 – Fol. 1. 56 Eine aggressive Okkurenz ist aufgrund der inhaltlichen Deckung ausgeschlossen. Denkbarer wäre das Argument der unnötigen Wiederholung bei zu geringem Zeitabstand, dies würde eine mangelnde Differenzqualität der beiden Friedensfeste einschließen. Da beide Feste nacheinander begangen wurden, und der Vorschlag einer Zusammenlegung kaum Rückschlüsse auf die Motivlagen der Vorschlagenden zulässt, bleibt die genauere Bestimmung zeitkulturellen Zusammenhänge eher spekulativ. Vgl.: ThHStA – B 3657a.

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Form und Ablauf überliefert. Für das 1750 begangene 100-jährige Jubiläum ist zu konstatieren, dass die Anfrage nach einer eintägigen Feier am Sonntag nach dem 19. August explizit auf das historische Vorbild 1650 verweist, welches durch die lokalgeschichtliche Überlieferung in Müllers Annalen tradiert wurde.57 Im Mittelpunkt des Säkulariums stand ein Dankgebet, welches vor allem die reichs- und konfessionsgeschichtliche Bedeutung des Friedensschlusses betonte. Dennoch: Eine besondere Begehung in der Form eines mehrtägigen voll ausgestalteten Lob- und Dankfestes wie einhundert Jahre vorher mit Prozessionen, Dankgebet, Psalmlesung, und Festpredigt ist für das Jahr 1750 nicht nachzuweisen. Diese Fehlstelle erklärt sich dadurch, dass andere evangelische Fürstenstaaten eben nicht das Säkularium als Jubelfest begingen.58 Insofern ist die Begehung dieses Jubiläums in Sachsen-Weimar-Eisenach überhaupt eine territoriale Besonderheit der kirchlichen Festkultur – wenn auch nur „wie sonst alle Jahre gewöhnlich gewesen“.59 Im Gegensatz dazu fand das zweihundertjährige Jubiläum für den Augsburger Religionsfrieden im mehrtägigen Umfange am 26. September 1755 statt.60 Diverse gedruckte Instruktionen und Umläufe regelten den einheitlichen Ablauf der Festlichkeiten im Weimarer Oberkonsistorialgebiet. Die Abkündigung zum Friedensfest erfolgte am Sonntag vor dem datumsgebundenen Jubiläum. Allein diese Ankündigung rafft mehrere hundert Jahre Reformationsgeschichte darstellend zusammen und ist somit Teil der didaktischen Einstimmungsphase des 57 „Es sind nun Hundert Jahr verfloßen, daß in Erinnerung des dem Evangelischen Wesen zu besondern Trost auch zur Auffnahme und Besten der Stände des heil. Römischen Reichs teutscher nation geschloßenen Westphälischen Friedens, allenthalben wie wohl zu unterschiedenen Zeiten ein solennes Danck-Fest, angestellet und gefeyert worden. Nachdem nun solches Friedens und DanckFest auch in dem Fürstenthum Weimar am 19. Augusti 1650 wie aus des Müllers Sächs. Annalibus weitläuffig zu ersehen, einen gantzen Tag mit vielen Solennitaeten gefeyert worden; Alß haben bey Ew. Hochfürstl. Durchl. Unterthänigst anzufragen, Wir uns verbunden zu seyn erachtet.“ Anfrage des Weimarer Oberkonsistriums an den obervormundschaftlichen Regenten Franz Josia, Weimar den 10. Juni 1750, in: ThHStA B 3655 – Fol. 1–2. 58 „Nachdem nun Unseres gnädigsten Herren Hochfürstl. Durchl. auf dißfalß an dieselbe erstatteten unterthänigsten Berichte Uns zu erkennen gegeben, daß, weil, hierunter weder zu Regensburg inter Evangelicos, noch es auch das Ansehen habe, daß man dergleichen Jubilaum in andern benachbarten Evangelischen Landen celebriren werde, dieselbe bewandten Umständen noch solches in denen hiesigen anordnen zu laßen Bedencken fänden“, Schreiben des Gothaer Oberkonsistoriums an das Weimarer Oberkonsistorium, Friedenstein den 7. August 1750, in: ThHStA – B 3655 – Fol. 8. 59 Begleitbrief zur Sendung des gedruckten Dankgebets an das Coburger Oberkonsistorium, Weimar den 15. August 1750, in: ThHStA – B 3655a – Fol. 1. 60 Die Mehrtägigkeit bezieht sich nicht auf das eigentlich Kernfest der sonntäglichen Gottesdienste, sondern ergibt sich aus der eröffnenden Abkündigung die Woche vorher, die vorabendliche Beichtvesper und den eigentlichen Festtag.



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Festes. Der obligatorische Verweis auf sittsames Verhalten, das jedes Übermaß und Exzess ausschließen sollte, fehlte auch an dieser Stelle nicht. Das Friedensfest selbst wurde schon am Vortag mit einstündigem Glockengeläut und einer „ordentlichen Vorbereitungs-Vesper“ eingeleitet. Der 25. September als eigentlicher Festtag bestand aus Vor- und Nachmittagsgottesdiensten, die eingeläutet wurden und in denen sich Psalmenlesungen, Kirchengesang und Predigt abwechselten. Eine zentrale Stellung hatte in beiden Gottesdiensten das gedruckte Dankgebet, welches seinen Platz anschließend an Beichte und Absolution im letzten Teil fand. In diesem Falle des Friedensfestes ist weder in Weimar noch in Eisenach bekannt, inwieweit Prozessionen oder andere weltliche Festelemente zum Kirchenfest hinzutraten. Da es sich um ein Jubiläumsfest handelte, welches sich explizit am Ablauf des ersten Säkulariums 1655 orientierte,61 ist davon auszugehen, dass zumindest in den Residenzstädten ein Kircheinzug Festbestandteil war. Die Quellen sprechen dennoch gegen eine aufwändigere Ausgestaltung der Jubiläumsformen, die Oberkonsistorien orientierten sich zwar an den historischen Vorbildern, es wurden anlassbezogene Predigten und Gebete verfasst – dennoch: bis auf die kirchliche Begehung weist nichts auf eine erhöhte erinnerungskulturelle Relevanz der Jubiläumsformen, wie im Vergleichsfalle bei den dreitägigen Reformationsjubiläen, hin. Anlässlich des Westfälischen Friedensfestjubiläums wurde überhaupt eine besondere Begehung in Frage gestellt. Fünf Jahre später schienen die Friedensfestanlässe Westfälischer Frieden und Augsburger Religionsfrieden gar kombinierbar. Das spricht gegen eine besondere Würdigung der Friedensfeste mittels des Erinnerungsmechanismus ‚Jubiläum‘.

6. Zusammenfassung Die Beschreibung und Analyse der Friedensfeste des 17. und 18. Jahrhunderts im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zeigt deutlich, dass das Phänomen Friedensfest als solches in verschiedene festkulturelle Typen zerfällt. Mustergebend war das Friedensfest anlässlich des Endes des Dreißigjährigen Krieges. Als Teil der öffentlichen Festkultur stiftete dieses Fest einen Jahrestag, den 19. August, der zumindest in den Landesteilen Weimar und Jena bis in das 19. Jahrhundert hinein begangen wurde. Anlässlich der jubilaren Friedensfestformen beriefen sich die Verantwort­ lichen ebenfalls auf die liturgischen Abläufe, wie sie 1650 normiert worden waren. Die vor- und nachmittäglichen Lob- und Dankgottesdienste standen sowohl Pate 61 Obervormundschaftliches Reskript Friedrich von Sachsens, vom 19. Juni 1755, in: ThHStA – Eisenacher Konsistorialsachen 61 – unpaginiert.

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für die Begehungsformen des Jahrestages als auch für die Jubiläumsformen Friedensfest. Dieser rituelle Ablauf bildete das Kernfriedensfest, welches durch das Verfassen entsprechender Abkündigungen, Gebete und Predigten aktualisiert und reproduziert wurde. Zu diesen normierten, obligatorischen Elementen traten, vor allem im Falle eines unmittelbaren Friedensfestes, fakultative Elemente hinzu. Es ist anzunehmen, dass die Prozessionen, Umzüge, Bälle, Festessen und öffentliches Singen den wesentlichen Teil der Differenzqualität zum alltäglichen Geschehen ausmachte. Diese zusätzlichen, je nach Bedeutung und Organisation des Festes sowohl zeitlich als auch sinnlich additiven Formen der Vergemeinschaftung trugen zur Attraktivität bei und gestalteten im Wesentlichen die Rezeption und Perzeption des Festgeschehens Friedensfest. Die Friedensfeste im Thüringer Kulturraum der ernestinischen Herzogtümer waren in diesen aufwändigeren und repräsentativen Formen Ereignisse der städtischen Zentren der Herrschaftsgebiete. Die Residenzorte taten sich besonders hervor durch fakultative Elemente, bestehend aus Prozessionen, Reden und Armenspeisung. Ähnliches gilt für die durch die Ernestiner getragene gemeinsame Universitätsstadt Jena. Diese Feierlichkeiten wurden durch Konvolute der anlassgebundenen Druckerzeugnisse und Schriftgut tradiert und damit medial dem festlich ephemeren Charakter entgegen verstetigt. Die nachträgliche Wahrnehmung der Friedensfeste war damit auf die besonders ausgestalteten Festformen der gesellschaftlichen städtischen Zentren fokussiert. Das kirchliche Friedensfest in der Form eines Lob- und Dankfestes wurde in diesen Erinnerungsmedien kaum überliefert, es verschwand geradezu hinter den weltlichen Festelementen, die zur Kirchenfeier hinzutraten. Dieses konfessionelle Kernfest hingegen, bestehend aus einem einheitlichen liturgischen Ablauf, der vorsonntäglichen Abkündigung, Dankgebet und Festpredigt, ermöglichte einen territorialen Festzusammenhang. In den Kirchen der jeweiligen Oberkonsistorialgebiete kamen die Untertanen in den Gemeinden, und damit die gesamte Bevölkerung der ernestinischen Herzogtümer, zu einem synchronen Festgeschehen zusammen. In Hinsicht auf die territoriale Fest- und Erinnerungskultur war diese Einhaltung der landesweiten Konformität ein integrales Element der Gemeinschaftsbildung. Auf überterritorialer Ebene zielten die Verantwortlichen ebenfalls auf diese Konformität. Anlässlich der beschriebenen Friedensfeste setzten sich die Oberkonsistorien mit den äquivalenten Institutionen benachbarter und befreundeter lutherischer Staaten in Verbindung. Die Konformität spielte besonders bei den Jubiläums-Friedensfesten Mitte des 18. Jahrhunderts eine Rolle, da sich inzwischen differierende Friedensfesttraditionen in den ernestinischen Ober-



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konsistorialgebieten etabliert hatten, was besonders die Frage des Datums der Friedens-Jubelfeste betraf.62 Die Friedensfeste in ihren verschiedenen Formen waren integraler Bestandteil der öffentlichen lutherischen Festkultur Sachsen-Weimar-Eisenachs. Von besonderer Bedeutung waren die Ereignisse der unmittelbaren Friedensfeste, welche sich sowohl qualitativ als auch quantitativ als extraordinäre Festereignisse im 17. und 18. Jahrhundert von anderen Festformen abhoben. Dennoch prägte das erste Friedensfest im Raum eine Traditionslinie, die ein Kontinuum der Friedensfeste über zwei Jahrhunderte konstituierte. Dieses Kontinuum läßt sich durch die Kernform, das eigentliche kirchliche Lob- und Dankfest, greifen. Dieses bildete als obligatorischer Festablauf die Grundlage für die unmittelbaren Festformen, die Jahrestage, wie auch die Jubiläumsformen. Das Verhältnis dieser kulturhistorisch aufzugliedernden verschiedenen Phänomene zueinander ist ambivalent. Dort, wo ein Jubiläum, wie 1750, nicht in einer größeren Form begangen wurde griffen die Organisatoren auf die obligatorischen Elemente zurück, um überhaupt ein Friedensfest zu begehen – wenn auch nur als Jahrestag. Dass im 18. Jahrhundert die Friedensfeste sowohl in ihrer jahrestäglichen Gestalt als auch in Form der Jubelfeste an Relevanz verloren, mag darauf hindeuten, dass die Erinnerung an den Westfälischen Frieden in Kombination mit der Reminiszenz an den Augsburger Religionsfrieden an identitätsstiftender Kraft verloren hatte. Diesen Bedeutungsverlust kompensierten die Friedensfeste erst wieder Anfangs des 19. Jahrhunderts – in ihrer national-patriotisch aufgeladenen Form nach der napoleonischen Ära.

62 „Gleichwie Wir um euren ohnzielsetzlichen Vorschlag nach gnädigst geneiget sind, solches wie vor hundert Jahren geschehen, am 25. Septbr. fut. Besonders zu feyern, das alljährliche Friedensfest aber gewöhnlichermaßen auf den ersten nach dem 19. August gefälligten Sonntag celebriren zu laßen: Also begehre von Wir auch in […] hiermit gnädigst, ihr wollet auch deren nach gnädigst achten und mit denen übrigen Fürstl. Consistorii die erforderliche Communication gehörig besorgen.“ Reskript des Obervormundschaftlichen Herrschers Franz Josias von Sachsen an das Weimarer Oberkonsistorium anlässlich der Frage nach der Begehung des 200. Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens 1755, in: ThHStA – B 3657 – Fol. 11.

Das erzählte Fest als literarische Problembewältigungsstrategie Wieland, Heinse und Novalis im Vergleich von Matthias Löwe In Joseph und seine Brüder hat Thomas Mann das Schreiben historischer Romane mit einer Festveranstaltung verglichen: Im rauschhaften „Fest der Erzählung“1 werde die Vergangenheit erzählend wiederholt und dabei der Unterschied zwischen Es war und Es ist verwischt. Neben diesem metaphorischen Gebrauch zur Umschreibung des eigenen dichterischen Tuns spielt festliche Ekstase für viele Autoren literarischer Texte aber vor allem in ihrem wörtlichen Sinn eine zentrale Rolle, nämlich als Erzählelement in fiktiven Textwelten. Solchen literarisch gestalteten Festszenarien und ihrer spezifischen ästhetischen Funktion im späten 18. Jahrhundert widmen sich die folgenden Überlegungen.

1. Ein Epochenproblem um 1800 Gerade Romane um 1800 entdecken das Fest als besonders geeignetes Narrativ, mit dem sich ein drängendes Epochenproblem reflektieren lässt, nämlich der Konflikt zwischen Vernunftautonomie und Sinnlichkeit: In Westeuropa kann man bekanntermaßen ab den 1750er Jahren bei zahlreichen Aufklärern eine Empirisierung der Erkenntnistheorie und Naturtheorie beobachten. Zudem entsteht eine neue Disziplin mit dem Namen Anthropologie, die sich von der Philosophie zu emanzipieren versucht und die für sich beansprucht, den ganzen Menschen als psycho-physisches Doppelwesen zu untersuchen. Sie setzt die Vernunft in Abhängigkeit vom Körper und führt menschliches Denken und Handeln auf das Commercium corporis et mentis zurück. Die Anthropologie der Spätaufklärung stützt also die empiristische These, dass die Sinne das Fundament menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis bilden. Zudem nährt die anthropologische Thematisierung körperlicher und äußerer Ein1

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder (1933–1943), in: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Frankfurt am Main ²1974, Bd. 4, S. 54.

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flüsse auf Gefühle und Verstand den Zweifel an der rationalistischen Vorstellung von objektiver Erkenntnis.2 Empirismus und Anthropologie beschwören damit ein brisantes politisches Problem herauf, denn durch sie wird implizit die aufklärerische Idee der Willensfreiheit (spontaneitas) und der moralischen Souveränität in Frage gestellt. Die Anthropologie gibt der Theorie des Absolutismus Argumente an die Hand, durch die sich gesellschaftliche Ungleichheit und die Notwendigkeit eines starken, absolutistischen Staats begründen lassen: Wenn es dem Menschen schwer fällt, vernünftig und selbstständig zu handeln, weil seine Leidenschaften, seine Selbstbezogenheit, Bequemlichkeit und Denkfaulheit ihm ständig einen Strich durch die Rechnung machen, dann bedarf es eben eines machtvollen Staats, der ihn vor sich selbst und anderen beschützt. Dass der gegenseitige Einfluss von Leib und Seele in der Spätaufklärung zum omnipräsenten Problem wird, erkennt man vor allem daran, dass anthropologische Topoi in allen Arten von Texten auftauchen, vor allem in literarischen Fiktionen.3 Dabei wenden literarische Texte verschiedene Strategien an, um die Gefahr eines moralphilosophischen Relativismus und die absolutismusstabilisierenden Implikationen anthropologischen Wissens entweder zu problematisieren oder zu kaschieren. Die Differenzen zwischen diesen verschiedenen Strategien kann man gerade dann besonders scharf hervorkehren, wenn man vergleichend analysiert, wie in literarischen Texten des späten 18. Jahrhunderts Feste und Feiern inszeniert werden. Der Grund dafür liegt in einer dem kulturellen Phänomen Fest innewohnenden „Dialektik“.

2. Die Dialektik des Festes und das Problembewältigungspotential literarischer Festszenarien Nach der idealtypischen Definition von Lars Deile vergegenwärtigt sich im Fest „eine Gemeinschaft lebensbejahend Bedeutung in besonderen äußeren Formen.“4 Von diesen drei Definitionsbestandteilen – Gemeinschaft, Bedeutungshaftigkeit des Anlasses 2

3 4

Vgl. Jutta Heinz: Wissen vom Menschen und Erzählen vom Einzelfall. Untersuchungen zum anthropologischen Roman der Spätaufklärung, Berlin und New York 1996, S. 19–122. – Wolfgang Riedel: Erster Psychologismus. Umbau des Seelenbegriffs in der deutschen Spätaufklärung, in: Jörn Garber/Heinz Thoma (Hrsg.): Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung. Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen 2004, S. 1–17. Vgl. Jutta Heinz: Wissen vom Menschen (vgl. Anm. 2), S. 2. Lars Deile: Feste – Eine Definition. Ende der Feste – Konjunktur der Feste?, in: Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar und Wien 2004, S. 1–17, hier S. 7.



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und Besonderheit der äußeren Form – macht gerade der dritte das Fest zum aussagekräftigen Analysegegenstand, wenn man literarisch-darstellende Problembewältigungsstrategien untersucht. Die Besonderheit der äußeren Form von Festen besteht bekanntermaßen in ihrer Differenz zum Alltag und zum rationalen Handeln in beruflichen Rollen. Odo Marquard bringt es in seiner Kleinen Philosophie des Festes auf die griffige Formel vom Fest als „Moratorium des Alltags“5: Vom Fest lässt sich nur als Gegenbegriff zum Alltag sprechen. Ein Fest, das kein Ende findet und an die Stelle des Alltags tritt, verliert die distinkte Besonderheit seiner äußeren Form und wird zum „totalen Fest“.6 Im Unterschied zum eher rationalen Handeln in beruflichen Rollen stimuliert das Fest die Sinneswahrnehmung in besonderem Maße, nämlich mit ekstatischem oder zumindest das Normalmaß überscheitendem Konsum von Musik, Tanz, Alkohol, Essen, Drogen oder auch mit Kontemplation. Um von einem Fest sprechen zu können, muss es jedoch in einem Rahmen ablaufen, der dem Exzess Spielregeln gibt und die weitestgehend schadlose Rückkehr in den Alltag gewährleistet, nachdem man seinen Rausch ausgeschlafen und den Gänsebraten verdaut hat. Verglichen mit dem Alltag wertet das Fest also die menschliche Sinnlichkeit und Körperlichkeit auf, aber nur innerhalb einer rituellen, liturgischen, höfischen, institutionellen oder privaten Inszenierung, die die Ekstase temporär und qualitativ begrenzt und verhindert, dass das Fest zur „ewige[n] Orgie“7 pervertiert. Es liegt auf der Hand, dass sich die kulturelle Praxis des Festes daher besonders als Topos eignet, mit dem man im Medium Literatur über das skizzierte Epochenproblem des späten 18. Jahrhunderts reflektieren konnte.8 5 6 7

8

Odo Marquard: Kleine Philosophie des Festes, in: Uwe Schultz (Hrsg.): Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988, S. 413–420, hier S. 414. Ebd., S. 415. Joachim Küchenhoff: Das Fest und die Grenzen des Ich. Begrenzung und Entgrenzung im »vom Gesetz gebotenen Exzeß«, in: Walter Haug/Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest, München 1989, S. 99–119, hier. S. 110. In methodischer Hinsicht handelt es sich beim Fragemodus dieses Beitrags um problemgeschichtlich orientierte Literaturhistoriographie: Literatur wird als Problemlösungsaktivität in den Blick genommen und es wird nach dem Problemszenario gefragt, auf das ein literarischer Text reagiert, sowie nach der Art und Weise dieser Reaktion. Anhand dessen kann man die Kontinuität und Diskontinuität von Problemen im Lauf der Literaturgeschichte erschließen und Epochenbegriffe ausgehend von der Frage konstruieren, ob bestimmte Textkorpora in ähnlicher Weise auf gleiche Probleme reagieren: vgl. die Forschungsdiskussion zur Problemgeschichte zwischen Dirk Werle, Carlos Spoerhase, Marcel Lepper und mir, in: Scientia Poetica 13 (2009), S. 255–338.

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3. Festdarstellungen innerhalb disparater literarischer Normensysteme um 1800 Ich möchte dies an drei repräsentativen Romanen demonstrieren und beginne mit Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon (1766/67): Schon zu Beginn des Romans führt Wieland seinen Protagonisten Agathon mitten hinein in ein antikes Bacchus-Fest. Agathon, der auf halber Höhe eines Berges eingeschlafen war, erwacht plötzlich von einem „seltsame[n] Heulen und Jauchzen“9. Neugierig erklimmt er den Berggipfel und, oben angekommen, entdeckt er einen „schwärmende[n] Haufen von jungen Thracischen Weibern“, die „von der Orphischen Wuth begeistert“, mit „stürmisch fliegende[m] Haar“, „rollenden Augen“, „beschäumten Lippen“, „aufgeschwollnen Muskeln“ und mit „wilden Gebehrden“ ihre „mit zahmen Schlangen umwundnen“ Kultstäbe schüttelten, „ihre Klapperbecher zusammen schlugen, oder abgebrochne Dithyramben mit lallender Zunge stammelten“.10 Die jungen Frauen haben offenbar jede Willensfreiheit und Vernunftautonomie eingebüßt und sind nicht mehr Herr im eignen Haus, sondern werden im Zustand festlicher Ekstase nur noch von ihrem Körper gesteuert. Als sie den gutaussehenden Agathon entdecken, erliegen die schwärmenden Bacchantinnen schließlich ihrer festlich berauschten Einbildungskraft. Sie halten Agathon für Bacchus höchstpersönlich und beginnen verzückt um ihn her zu tanzen. Agathon, dessen Tugend durch die Teilnahme an dem Bacchanal erstmals im Roman auf die Probe gestellt wird, macht dabei eine eher zweifelhafte Figur: Das sehr stark ästhetisierte „Schauspiel“11 der feiernden und tanzenden Frauen übersteigt alles, „was er jemals gesehen, gehört, gedichtet oder geträumt hatte“.12 Die sinnliche Suggestionskraft des Bacchus-Festes führt also auch bei ihm zum Verlust der Vernunftautonomie und er bleibt, „von Entsetzen und Erstaunung gefesselt, wie eine Bildsäule stehen“,13 „da weder seine Stärke, noch seine Tugend ihn zu retten hinlänglich war“.14 Wielands Bacchus-Fest scheint nichts anderes zu sein, als eine Darstellung der durch die Sinnlichkeit gefährdeten Vernunftautonomie. Damit würde der Agathon lediglich zeitgenössisches anthropologisches Wissen bestätigen und die empiristische 9

10 11 12 13 14

Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon, in: Wielands Werke. Historisch-kritische Ausgabe (Oßmannstedter Ausgabe). Hrsg. von Klaus Manger/Jan Philipp Reemtsma, Bd. 8.1, Berlin und New York 2008, S. 1–455, hier S. 13. Ebd. Ebd. Ebd., S. 14. Ebd. Ebd., S. 15.



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These vom Primat der Sinneswahrnehmung in einen Erzählzusammenhang übersetzen. Tatsächlich benutzt Wieland das literarisierte Festszenario jedoch, um kritisch Position gegenüber jenem Epochenproblem zu beziehen, das mit Empirismus und Anthropologie virulent wird. Nach der Definition von Lars Deile ist der lebensbejahende Charakter konstitutiv für den Begriff des Festes. Obwohl es sich bei Wielands Bacchanal um ein Festszenario handelt, kommt von dessen lebensbejahendem Charakter beim Leser jedoch nur wenig an. Wir erfahren zwar, dass das Spektakel einer ästhetischen Inszenierung gleicht, deren Sinnlichkeit Agathon die Besinnung raubt, können seine Faszination aber nicht teilen, denn der Erzähler des Romans hält sich bei der Darstellung der lebensbejahenden Sinnlichkeit des Bacchus-Fest auffallend zurück. „Ohne Zweifel“, schreibt er stattdessen, „könnte eine ausschweifende Einbildungskraft […] von einer solchen Scene ein ziemlich verführerisches Gemählde machen“,15 er selbst betont aber lediglich den vernunft- und tugendzersetzenden Charakter dieser „unsinnigen Gebräuche“16 eines abergläubischen, „heidnische[n] Alterthum[s]“.17 Dirk von Petersdorff hat daher treffend angemerkt, dass in Wielands Bacchanal „die Suggestionskraft der gefährdenden Schönheit in den beschreibenden Passagen zwar durch[klingt]“, „in den begrifflichdiskursiven Textteilen aber negiert“ wird.18 Der Erzähler des Agathon bemüht sich, das Festgeschehen moralphilosophisch zu filtern: Er verteufelt die lebensbejahende Sinnlichkeit des festlichen Exzesses und weist auf den Freiheits- und Identitätsverlust hin, der dabei droht. Er behauptet sogar, ein tugendhafter Mann wie Agathon sei dafür unempfindlich und könne nur „Ekel“19 bei solchem Spektakel empfinden. Tatsächlich ist Agathon aber gerade im Begriff, seine Willensautonomie einzubüßen, und demonstriert durch seine Teilnahme an dem Bacchanal in Wahrheit die Abhängigkeit der Vernunft vom Körper. Wieland reagiert also auf die schwierigen Herausforderungen des Empirismus und der Anthropologie mit einer ästhetisch kalkulierten Divergenz zwischen der Wahrnehmung aus der Figuren- und aus der Erzählerperspektive. Die Problembewältigungsstrategie, die mit dem Bacchus-Fest verfolgt wird, kann man als selbstreflexive Aufklärung im Medium Literatur beschreiben: Wieland teilt zwar die erkenntnistheoretische Einsicht des Empirismus, dass die Sinne das Fundament aller Wahrnehmung und Erkenntnis bilden, und er stellt die Idee der Vernunftautonomie in Frage. Zugleich warnt er jedoch unentwegt vor den praktischen 15 16 17 18

Ebd., S. 13. Ebd. Ebd. Dirk von Petersdorff: Mysterienrede. Zum Selbstverständnis romantischer Intellektueller, Tübingen 1996, S. 88. 19 Wieland: Geschichte des Agathon (vgl. Anm. 9), S. 13.

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Konsequenzen dieser theoretischen Einsicht, da sich aus ihr moralphilosophischer Relativismus, also Utilitarismus oder Nihilismus ableiten lassen. Möglich wird diese komplexe Form literarischer Problemreflexion durch den schillernden Doppelcharakter des Festes, das die menschliche Sinnlichkeit zwar aufwertet, zugleich aber auch eines inszenierten und disziplinierenden Rahmens bedarf, der völlige Entgrenzung unterbindet und die Rückkehr in den Alltag gewährleistet. Gut zwanzig Jahre nach dem Agathon erscheint ein weiteres, um 1800 besonders berüchtigtes literarisches Bacchus-Fest, nämlich in Wilhelm Heinses Skandalroman Ardinghello und die glückseligen Inseln (1787). Der Roman handelt in der italienischen Spätrenaissance und erzählt die Begebenheiten des Ausnahmeindividuums Ardinghello, der durch Italien reist, diverse erotische Abenteuer erlebt, sich mehrfach in Eifersuchtskonflikte verstrickt und zum Mörder wird. Am Schluss gründet er eine elitäre utopische Seeräuberrepublik, in der mehrere hedonistische, selbstbestimmtautonome Renaissance-Individuen konfliktfrei zusammenleben, wodurch dem Leser suggeriert wird, dass die Integration eines radikalen Individualismus in feste soziale Strukturen unter bestimmten Umständen möglich sei. Autonomie meint bei Heinse offenkundig etwas anderes als bei Wieland, nämlich einen Zustand, in dem man unbeeindruckt von allen moralischen Konventionen seine Begierden befriedigt. Nicht derjenige handelt frei, der verhindert, dass seine Leidenschaften ihn beherrschen, sondern derjenige, dem es gelingt, seine Leidenschaften auszuleben. Eingeschränkt wird der freie Wille nicht durch den Körper, sondern allenfalls durch die politischen und sozialen Umstände. Der freie Wille als anthropologisches Problem stellt sich für Ardinghello überhaupt nicht. Im Unterschied zur Aufklärung und ‚Goethezeit‘, für die auch der Körper den freien Willen einschränkt, beweist der Mensch bei Heinse seine Freiheit nur, wenn er seine Begierden gegen alle äußeren Widerstände durchsetzt. Diesem Autonomieideal wohnt freilich eine Aporie inne, die Heinse unter den Tisch fallen lässt: Das Autonomiekonzept des Romans folgt dem Trittbrettfahrer-Topos, denn der ardinghelloeske Mensch braucht den rechtlich kodifizierten Normalzustand, um sich ihm durch Rechtsbruch zu widersetzen. Er fährt mit, aber ohne zu bezahlen und profitiert davon, dass alle anderen die Fahrt finanzieren. Freier Wille konstituiert sich nur in bestehenden rechtlichen Schranken, nämlich indem er sie durchbricht. Heinses Roman versucht, diese Aporie zu verschleiern, um seine Leser mit einer Reihe ästhetischer Plausibilisierungsstrategien stattdessen davon zu überzeugen, dass auch ein solches asoziales Autonomiekonzept unter bestimmten Umständen sozialverträglich sei. Neben dem utopischen Schluss muss vor allem ein bacchantisches Künstlerfest in der Mitte des Romans ästhetische Überzeugungsarbeit für dieses Darstellungsziel leisten:



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In seinen Briefen aus Rom schildert Ardinghello eine abendliche Versammlung von römischen Malern und Malermodellen, die mit Gesellschaftstanz, Essen und Trinken beginnt und sich nach Mitternacht zum Bacchanal auswächst: „Man entkleidete die Jungfrauen“, schreibt er, „die, Glut in allen Adern, sich nicht mehr sträubten, zuerst bis auf die Hemder, und schlitzte diese an beiden Seiten an bis die Hüften; und die Haare wurden losgeflochten. […] Sie schwebten in Kreisen, drückten einzeln ihre Empfindungen aus, und jede enthüllte in den süßesten Bewegungen ihre Reize“.20

Schließlich entkleiden sich auch die anwesenden Maler und führen mit den Frauen Theaterstücke auf, wobei sich sogar eine der Bacchantinnen „mit errötendem und lächelndem Stolze […] ganz nackend zeigte, in den verschämtesten und mutwilligsten Stellungen“21. Mit dieser Festszenerie führt der Roman offenkundig die Möglichkeit einer Gemeinschaft von autonomen Künstlerindividuen vor, die ihre Leidenschaften orgiastisch ausleben, ohne dass dies der Geselligkeit schadet. Wie beiläufig erwähnt wird, schließen die Bacchanten jedoch vorab „den feierlichen Vertrag, nichts Schändliches zu beginnen und die Leidenschaften bis ans lange Ziel gleich olympischen Siegern im Zügel zu halten, wie’s braven Künstlern gezieme“22. Brav und schändlich sind unleugbar moralische Kategorien: Auch das Künstlerbacchanal bedarf normierender Sicherheitsvorabsprachen, gehorcht also ebenfalls der Dialektik des Festes im Sinne einer „regelhafte[n] Regellosigkeit“23. Schon die teilnehmenden Frauen verleihen dem bacchantischen Geschehen einen artifiziellen Charakter, denn sie sind Malermodelle und gehören mithin dem Milieu der Kunstproduktion zu. Hemmungslosen Hedonismus als die wahre menschliche Natur vermittelt das Fest also nur innerhalb eines künstlerisch organisierten Rahmens, der den bacchantischen Handlungen zugleich moralische Grenzen setzt. Will man Heinses literarischem Festszenario eine Funktion zuweisen, dann lohnt vor allem der Vergleich mit Wieland. Wielands Agathon stellt das Fest als dialektisches Phänomen zwischen „Grenze und Entgrenzung“24 dar. Der Roman konstruiert einen Widerspruch zwischen Figuren- und Erzählerperspektive und problematisiert mithilfe dieser Darstellungsstrategie den Konflikt zwischen Vernunftautonomie und Sinnlichkeit. Verglichen mit diesem hohen Grad an Problembewusstsein, wirkt die Gestaltung 20 Wilhelm Heinse: Ardinghello und die glückseligen Inseln. Kritische Studienausgabe. Hrsg. von Max L. Baeumer, Stuttgart 1998, S. 196. 21 Ebd., S. 197. 22 Ebd., S. 196. 23 Joachim Küchenhoff: Das Fest und die Grenzen des Ich (vgl. Anm. 7), S. 102. 24 Ebd., S. 102.

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von Heinses Bacchus-Fest geradezu naiv. Hier ist es der Protagonist Ardinghello selbst, der das Erlebte brieflich mitteilt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei fast ausschließlich auf der ekstatischen Entgrenzung, denn das Fest ist für Heinse vor allem ein willkommener Topos, um die konfliktfreie Geselligkeit zwischen autonomen Individuen plausibel darzustellen. Dass es auch gewisser moralischer Spielregeln bedarf, damit das festliche Spektakel nicht im Vergewaltigungsexzess oder im blutigen Kampf der Männer um die schönste Frau endet, darauf geht der Roman nur am Rande ein. Primär wird im Ardinghello dagegen versucht, über die einseitige Beleuchtung des dialektischen Phänomens Fest die Aporien von Heinses Autonomieideal zu kaschieren. Auch für die frühromantische Position zum Epochenproblem des freien Willens spielt das Fest als Topos eine wichtige Rolle. Die romantische Theorie des Festes stammt aus der Feder Friedrich von Hardenbergs, genannt Novalis: Im so genannten ‚Philisterfragment‘ (Nr. 77) seiner 1798 veröffentlichten Sammlung Blüthenstaub nimmt er die Opposition von Fest und Alltag kritisch unter die Lupe: Er behauptet, dass das Leben des Philisters zwischen einem bornierten, egoistischen Alltagsleben und einem komatösen „Sonntagsrausch“25 oszilliere. Unter der Woche wird die Suche nach dem Unbedingten ausgeklammert und nicht ins Alltagsleben integriert. Die dadurch angestaute Entgrenzungssehnsucht verursacht Schmerzen, die am Sonntag notdürftig von der Religion, wie von einem Opiat, betäubt werden müssen. Das philisterhafte Alltagsleben ist bestimmt von bloßer Bedürfnisbefriedigung, „[g]robe[m] Eigennutz“26 und der beschränkten Hingebung an die reine Dinglichkeit der Dinge. Im Alltag herrscht ein Mangel an Reizen, die die Sehnsucht nach dem Unbedingten stillen. Die Erregbarkeit wird daher werktags über ein gesundes Maß hinaus gesteigert und der Organismus geschwächt. Nur durch eine sprunghafte Erhöhung religiöser Reize kann man die Erregbarkeit alle sieben Tage entladen. Novalis hat dafür den originellen Begriff des „poetische[n] Septanfieber[s]“27 geprägt. Im Fest wird der Philister zum Schwärmer, zum „revoluzionairen Philister“,28 verwechselt also nur eine Form des Wahns mit einer anderen. Unter der Woche zwingt er sich zum vernunft­ autonomen Handeln, feiertags öffnet er dagegen alle Schleusen und lässt den angestauten Leidenschaften freien Lauf. Die Frühromantiker versuchen diesem Fluktuieren zwischen Philisterleben und Sonntagsrausch mit einer stärkeren Integration von Fest- und Alltag zu begegnen. 25 Novalis: Vermischte Bemerkungen und Blüthenstaub, in: Novalis: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. 3., nach den Handschriften ergänzte, erweiterte und verbesserte Auflage, hrsg. von Richard Samuel. Bd. 2, Stuttgart 1981, S. 397–470, hier S. 447. 26 Ebd., S. 449. 27 Ebd., S. 447. 28 Ebd., S. 449.



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Zweifelsohne diente die Frühromantik damit prima vista als Stichwortgeber für die von den Avantgarden des 20. Jahrhunderts postulierte Verschmelzung von Kunst und Leben oder für die „Ästhetisierung der Lebenswelt“29 und die Veralltäglichung des Festes in der Gegenwartsgesellschaft.30 Allzu leicht reduziert man Romantik damit allerdings auf ein bloßes „Ungenügen an der Normalität“.31 Dieses Romantik-Klischee, das sich hartnäckig noch bis zu Rüdiger Safranskis populärer Romantik-Monographie32 gehalten hat, übergeht nämlich die Tatsache, dass etwa Friedrich von Hardenberg, der den Unterschied zwischen seiner Rolle als romantischem Schriftsteller Novalis und seinem empirischen berufstätigen Ich deutlich markiert hat,33 nicht nur ein Ungenügen am philisterhaften Alltag, sondern auch am schwärmerischen Festrausch zum Ausdruck bringt. Novalis’ Plädoyer für eine Verfestlichung des Alltags und eine Veralltäglichung des Festes bedeutet daher keineswegs, dass das ganze Leben zur ewigen Orgie, zur unaufhörlichen Abfolge immer neuer Events pervertieren soll. Vielmehr gilt es, sich werk- und feiertags gleichermaßen daran zu erinnern, dass man weder im erzwungenen vernunftautonomen Alltagshandeln, noch im ekstatischen Festrausch als souveräner ganzer Mensch agiert, sondern niemals. Man spielt also nicht unter der Woche eine berufliche Rolle und unterdrückt seine Leidenschaften, um dann im Fest zu sich selbst zu kommen und den Körper wieder in seine Rechte zu setzen, sondern aus frühromantischer Perspektive macht man erst im unendlichen Wechsel von Gefühl und Vernunft ein Ganzes aus: Das empirische Ich kann seine eigene Autonomie nur als unendliche Annäherung, nur im Gefühl ewigen Verfehlens erfahren.34 29 Rüdiger Bubner: Ästhetisierung der Lebenswelt, in: Haug/Warning, Fest (vgl. Anm. 7), S. 651–662, zur Romantik als Stichwortgeber für die moderne Ästhetisierung der Lebenswelt vgl. hier S. 656f. 30 Vgl. Winfried Gebhardt: Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen, in: Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler, Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen 2000, S. 17–31. 31 Vgl. Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. Am Beispiel Tiecks, Hoffmanns, Eichendorffs, Frankfurt am Main 1979. 32 „Die Romantiker eint das Unbehagen an der Normalität, am gewöhnlichen Leben“ (Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 193). 33 Vgl. Ludwig Stockinger: „Der mit Zungen redende Novalis“. Die Stimme Friedrich von Hardenbergs im Athenaeum, in: Mitteilungen der Internationalen Novalis-Gesellschaft 2 (1999), S. 31–47. – Dirk von Petersdorff: Die Berufe der Dichter. Literatur und Alltag bei Hölderlin und Novalis, in: Hölderlin-Jahrbuch 34 (2004–2005), S. 277–301. 34 „Das höchste uns mögliche Bewußtsein ist das Bewußtsein von der autonomen Praxis gefühlter Verweigerung der Autonomie“ (Manfred Frank: Das Problem der Zeit in der deutschen Romantik. Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantischen Phi-

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Dementsprechend unterscheidet sich die literarische Darstellung von Festen in Novalis’ Texten auch nicht unerheblich von Wieland und Heinse. Die konkreteste Festdarstellung in Novalis’ Œuvre findet sich in seinem Roman Heinrich von Ofterdingen (1800 entstanden). Der Ofterdingen ist wahrscheinlich der einzige Roman des 18. Jahrhunderts, in dem der Protagonist ständig von seiner Mutter begleitet wird.35 Ihre Reise führt von Eisenach nach Augsburg, wo beide Heinrichs Großvater mütterlicherseits besuchen. Als sie im 6. Kapitel abends das Haus des Großvaters erreichen, geraten sie mitten hinein in ein rokokohaftes Familienfest, das dort gerade stattfindet und auf dem nicht nur getanzt, gegessen und getrunken wird, sondern auch Sänger ihre Lieder vortragen. Heinrich verliebt sich während eines Tanzes in die junge Mathilde, und da seine Perspektive die Darstellung prägt, erinnert das Augsburger Festszenario mitnichten an eine besinnungslose Ekstase: Hier gibt es keine enthemmten Frauen mit rollenden Augen und Schaum vor dem Mund wie bei Wieland oder splitternackte Malermodelle wie bei Heinse, sondern hier überlagern der „Übermuth der Freude“ und der „Ernst der ersten Liebe“ einander.36 In Heinrichs Perspektive hat dieses Fest also nichts mit dem komatösen Sonntagsrausch des Philisters gemein, sondern scheint die Anwesenden eher in eine angeregte „Wallung“ zu versetzen, bei der die Vernunft nicht gänzlich zerschmilzt: „Die Musik verscheuchte die Zurückhaltung und reizte alle Neigungen zu einem muntern Spiel. Blumenkörbe dufteten in voller Pracht auf dem Tische, und der Wein schlich zwischen den Schüsseln und Blumen umher, schüttelte seine goldnen Flügel und stellte bunte Tapeten zwischen die Welt und die Gäste. Heinrich begriff erst jetzt, was ein Fest sey. […] Er verstand nun den Wein und die Speisen. Sie schmeckten ihm überaus köstlich. Ein himmlisches Öl würzte sie ihm, und aus dem Becher funkelte die Herrlichkeit des irdischen Lebens.“37

In Augsburg findet zweifelsohne kein Bacchanal statt, sondern der Genuss von Wein und Speisen erinnert eher an eine Abendmahlsfeier, bei der man sich nicht berauscht, sondern seiner eschatologischen Sehnsucht Ausdruck gibt. Während Wieland und Heinse mit der literarischen Darstellung festlicher Ekstase das Problem der Willensfreiheit reflektieren bzw. kaschieren, verbirgt sich hinter dem Familienfest im Ofterdinlosophie und in Tiecks Dichtung. 2. Aufl., Paderborn, München, Wien und Zürich 1990, S. 221). 35 Vgl. Herbert Uerlings: Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis. Werk und Forschung, Stuttgart 1991, S. 403. 36 Novalis: Heinrich von Ofterdingen, in: Novalis, Schriften (vgl. Anm. 25), Bd. 1, Stuttgart 1977, S. 181–334, hier S. 276. 37 Ebd., S. 272.



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gen ein Symbol für die frühromantische Idee von Freiheit als unendlicher Vermittlung zwischen Vernunft und Sinnlichkeit: Diese regulative Idee wird im frühromantischen Fest nicht zur Wirklichkeit, sondern das Fest weckt und erhält symbolisch die Sehnsucht nach ihr. Heinrich betäubt in Augsburg nicht seine Entgrenzungssehnsucht, sondern verliebt sich das erste Mal, wird also zum Romantiker, der sich ein Leben lang nach absoluter Vereinigung sehnt, der aber auch ahnt, dass sich Gegensätze nur im Unendlichen berühren. Dementsprechend ist das romantische Fest keine identitätsgefährdende Entladung angestauter Leidenschaften wie bei Wieland und keine putative Selbstermächtigung des Individuums im ungehemmten Genuss wie bei Heinse, sondern hier wird eine eucharistische Handlung imitiert. In einer Art Gedächtnismahl stimuliert man seine Sehnsucht und erinnert sich symbolisch daran, dass Sinnlichkeit und Vernunft, Fest und Alltag zwar zusammen gehören, aber erst im Unendlichen zueinander finden. Im Unterschied zu einem zünftigen Bacchanal ist ein solches Fest also nicht unbedingt das Richtige nach einer anstrengenden Arbeitswoche, denn romantisch zu feiern hieße – mit Novalis gesprochen – am „Tisch der Sehnsucht“ Platz zu nehmen, „[d]er nie leer wird“.38

4. Fazit Der Vergleich verschiedener Formen literarisierter Festlichkeit hat gezeigt, dass erzählte Feste einen besonders geeigneten Untersuchungsgegenstand abgeben, wenn man danach fragt, wie literarische Texte sich zu jenem Epochenproblem verhalten: nämlich der empiristischen Aufwertung der Sinnlichkeit und der dadurch gefährdeten Idee der Willensfreiheit. Wegen der Besonderheit seiner äußeren Form, wegen seinem schillernden Doppelcharakter, seiner regelhaften Regellosigkeit, hält das Fest Darstellungsmöglichkeiten für ein breites Spektrum von Problembewältigungsstrategien parat, je nachdem, ob man den Fokus auf die ekstatische Entgrenzung oder auf die Unverzichtbarkeit moralischer Grenzen legt. Insofern bietet das Fest als literarischer Topos auch einen griffigen Ansatzpunkt für die epochale Gliederung der verschiedenen literarischen Normensysteme um 1800 und führt darüber hinaus ihren problemgeschichtlichen Zusammenhang vor Augen.

38 Novalis: Hymne, in: Novalis, Schriften (vgl. Anm. 25), Bd. 1, S.166–168, hier S.  168 (v. 48f.).

„Und Jedermann erwartet sich ein Fest“1 Eine vergleichende Phänomenologie höfischer und bürgerlicher Geburtstagsfeiern

von Susan Baumert

1. Einleitung Der Geburtstag zählt heute zu jenen als Selbstverständlichkeiten empfundenen Ereignissen, welche Jahr für Jahr rituell begangen werden.2 Dieser Selbstverständlichkeit zum Trotz verleihen sie indes dem biologischen Rhythmus des Lebens einen wesentlichen Teil seines kulturellen Gepräges und helfen dem Individuum ein Stück weit, sich der Sinnhaftigkeit und Bedeutung der menschlichen Existenz zu versichern. Dieses persönliche Ereignis gibt die Möglichkeit, den eigenen Lebenslauf bewusst zu gliedern, immer wieder von Neuem Bilanz zu ziehen und den eigenen Weg zu überprüfen. Als weltlicher Festtag stellt der Geburtstag das Individuum selbst, die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit seiner irdischen Existenz in den Mittelpunkt. Er thematisiert und interpretiert die Entwicklung und die Veränderung des individuellen Lebens und gehört folglich zu den personengebundenen Festen der chronologisch fließenden Lebenszeit.

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Dieses Zitat stammt von dem Leiter des Weimarer Hoftheaters, welches er seinem fiktiven Theaterdirektor im Vorspiel auf dem Theater zum Faust in den Mund legte, in: Johann Wolfgang von Goethe/Karl Julius Schröer: Faust, Band 1. o.O. 1886, S. 11. Vgl. Christoph Wulf: Die Kultur des Rituals: Inszenierungen, Praktiken, Symbole, München 2004. Axel Michaels, Axel (Hrsg.): Die neue Kraft der Rituale. Heidelberg 2007. Gunter Gebauer: Mimetische Weltzugänge: soziales Handeln – Rituale und Spiele – ästhetische Produktionen, Stuttgart 2003.

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2. Historische Genese Das Feiern des Geburtstages3, das sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu einem privaten und bürgerlichen Familienritual entwickelt hat4, ist im wesentlichen aus der römischen Kultur übernommen: „[Der Geburtstag] schreibt sich wesentlich von den Römern her, welche an einem bestimmten Tag im Monat oder auch Jahr sich besonders ihrem Genius zuwandten und das Prinzip der Zeugung verherrlichten: ein Sache für Männer, Familienväter, Philosophen und Herrscher.“5 Den Genien am Tag der Geburt nicht zu huldigen, galt als unverantwortlich. Die festlich-performative Ehrung ihrer schützenden Geister verstanden die Römer demnach als unbedingte Pflicht.6 Geburtstage waren in der Antike keine Feste des Individuums selbst, sondern des individuellen Schutzgeistes, von dem aus wiederum auf die eigentliche Person hingewiesen wurde. Besonders im antiken Rom kam es zu einer Überhöhung der Geburtstage wichtiger, politisch relevanter Persönlichkeiten, welche zu ihren Ehren die Bevölkerung an Spielen und Paraden teilhaben ließen. An den Geburtstagen der römischen Kaiser wurden regelmäßig Paraden und Zirkusspiele veranstaltet; an diesem Tag durften keine Gerichtsverhandlungen abgehalten werden. Mit der reichhaltigen Inszenierung und Performanz7 dieser Feste demonstrierten die Kaiser vor allem die Macht ihrer Person und ihres Amtes.8 Demnach verwundert es nicht, dass „Geburtstage der Herrscher und Eliten […] beinahe wie Staatsfeiertage ausgerichtet [wurden].“9

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Hermann Bausinger: Happy Birthday! Zur Geschichte des Geburtstagsfestes. Tübingen 1994. Fritz Boehm: Geburtstag und Namenstag im deutschen Volksbrauch, Berlin und Leipzig 1938. Walter Dürig: Geburtstag und Namenstag. Eine liturgiegeschichtliche Studie, München 1958. Marie-Luise Hopf-Droste: Der Geburtstag. Ein Beitrag zur Entstehung eines modernen Festes, in: Zeitschrift für Volkskunde 75 (1979), S. 229–237. Thomas Macho: Das zeremonielle Tier. Rituale-Feste-Zeiten zwischen den Zeiten, St. Stefan 2004. Alfred Stuiber: Art. Geburtstag, in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, Bd. 9, Stuttgart 1976, Sp. 217–243. Vgl. Gunilla-Friederike Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, Göttingen 1994, S. 88. Michael Maurer: Herder und das Fest. Privat, kirchlich, politisch, in: Martin Keßler/Volker Leppin (Hrsg.): Johann Gottfried Herder. Aspekte seines Lebenswerkes, Berlin und New York 2005, S. 371. Macho, Das zeremonielle Tier (vgl. Anm. 3), S. 141. Vgl. Uwe Wirth: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main 2002. Bausinger, Happy Birthday (vgl. Anm. 3), S. 8. Macho, Das zeremonielle Tier (vgl. Anm. 3), S. 142.



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Obgleich sich die christlichen Kirchenväter im Mittelalter vom Begehen des Geburtstagsfestes distanzierten, sind gleichwohl einzelne Geburtstagsfeiern nachgewiesen. Sie wurden jedoch nur innerhalb der höchsten Gesellschaftsschichten – d.h. vom Adel und vom hohen Stadtbürgertum, deren Geburtsdaten festgehalten wurden – zelebriert.10 Einzig der Adel nutzte den Geburtstag seit dem Mittelalter in individualisierender Absicht, da dieser einen willkommenen Anlass zur Selbstdarstellung der Hauptperson bot und von den Gästen zur Loyalitätsbekundung genutzt werden konnte.11 Mit dem Übergang ins 18. Jahrhundert fanden bedeutende Bewegungen innerhalb der gesellschaftlichen Struktur statt: Die junge aufstrebende Schicht des Bürgertums setzte sich über die alten Standesgrenzen hinweg und entzog sich dem Diktat des Geburtsrechts. Für sie waren nicht mehr alte Familienrechte und ihre Herkunft entscheidend, sondern einzig ihre persönlichen Leistungen, ihre Arbeit, ihr Fleiß und vor allem ihre Bildung: „Ein wesentliches Element dieser neuen Kultur, die einerseits die Vergesellschaftung der neuen bürgerlichen Formation vorantrieb, andererseits aber erst die Grundlagen für die volle Entfaltung von schöpferischer Individualität legte, war die umfassende Vorstellung von der Bildung des Menschen.“12

Wenn man über das deutsche Bürgertum spricht, ist es demzufolge unumgänglich, vor allem die beiden grundlegenden Qualifikationskriterien dieser gesellschaftlichen Formation hervorzuheben: „Besitz“ und „Bildung“:13 „Dementsprechend setzte sich das Begehen von Geburtstagen, von Humanisten, Gelehrten wieder in Schwung gebracht, im 17. Jahrhundert zögernd in geistigen und gesellschaftlichen 10 Boehm, Geburtstag und Namenstag (vgl. Anm. 3), S. 18. 11 Vgl. Christian Rohr: Festkultur des Mittelalters, Graz 2002. Petronella Bange: Frauen und Feste im Mittelalter: Kindbettfeiern, in: Detlef Altenburg/Jörg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff (Hrsg.): Feste und Feiern im Mittelalter, Sigmaringen 1991, S. 125–132. Gerd Althoff: Die Macht der Rituale: Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003. 12 Hans-Werner Hahn: Bürgertum in Thüringen im 19. Jahrhundert, in: Hans-Werner Hahn/ Werner Greiling/Klaus Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt 2001, S. 13. Vgl. auch Michael Maurer: Bildung, in: Hans-Werner Hahn/Dieter Hein (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption, Köln, Weimar und Wien 2005, S. 227–237. Michael Maurer: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815), Göttingen 1996 (Bildung: S. 439–517). 13 Budde, Weg ins Bürgerleben (vgl. Anm. 4), S. 15.

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Eliten durch, bevor es im 18. Jahrhundert zum bürgerlichen Standard wurde und als Bestandteil der Bürgerkultur schließlich in die allgemeine Kultur einging.“14

Eine entscheidende Bedingung dafür war das Ausscheiden der Kirchen aus der Direktion der Lebensführung, das sich in Humanismus, Renaissance und Reformation ankündigte, im säkularen Staat durchsetzte und in der Philosophie als vernünftiger Autorität seinen Ausdruck fand. Damit entstanden weltliche Autoritäten für die Wirklichkeit, für die Einrichtung der Verhältnisse, für die Bestimmung der Moral, für das Verständnis der Natur des Menschen. Mit diesen neuen Autoritäten einer weltlichen Kultur, die sich an alle wandte, war das Fundament für die bürgerliche Kultur gelegt: „Insofern konnte das Bürgertum zu seiner historischen Rolle nicht schon bloß deshalb aufsteigen, weil die gesellschaftliche Entwicklung die soziale Gliederung überholte; es bedurfte vielmehr jener Sonderlage, in der die überlieferte Macht der Religion als Anweisung für die – wie immer verschiedenen – Lebensformen und Legitimationen der verschiedenen Stände ihre Kraft verlor und deshalb erst die Chance eröffnete und die Nötigung ergab, eine von der Religion unabhängige Deutung der Wirklichkeit mit dem Anspruch universaler Gültigkeit ins Werk zu setzen.“15

Der neue Bürgerstand wurde zum charakteristischen Rekrutierungsreservoir für die neuen Tätigkeiten, die sich auf die Bereiche Staat, Vereine, Bildung, Kommunikation und Publikationswesen bezogen.16 So setzte sich die bürgerliche Kultur trotz fortbestehender Klassenunterschiede als allgemeine Kultur durch und prägte entsprechend auch Adel und Arbeiter, die nachziehen wollten und nachziehen mussten, weil die bürgerliche Kultur zum öffentlichen Medium geworden war. Und hier stellt sich vor allem die Frage, nicht: wie war die Kultur dieser Bürger?, sondern die andere: welche Bedeutung hat das für die übrige Gesellschaft und deren Entwicklung gehabt? Unter diesem Gesichtspunkt aber interessiert an der bürgerlichen Kultur nicht das spezifisch Bürgerliche, nicht alles was irgendwie „bürgerlich“ genannt werden kann, sondern gerade das, was durch sie, mit ihr, allgemein wurde, und entsprechend: wie das möglich war: Wie konnte demnach das Feiern des Geburtstages durch die bürgerliche Kultur und mit ihr allgemein werden? Um hier eine klärende Antwort zu finden, scheint mir die Untersuchung der Interdependenzen zwischen den gesellschaftlichen Formationen des Adels und Bürgertums um 1800 desto mehr essentiell. 14 Maurer, Herder und das Fest (vgl. Anm. 5), S. 371. 15 Friedrich H. Tenbruck: Fragmente zur Bürgerlichen Kultur, in: Clemens Albrecht (Hrsg.): Die bürgerliche Kultur und ihre Avantgarden, Würzburg 2004, S. 17. 16 Ebd., S. 16.



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3. Ziel/Vorhaben Die spezifischen rituellen Eigenheiten der Begehung des Geburtstagsfestes innerhalb adeliger und bürgerlicher Kreise um 1800 sollen im Folgenden in vergleichender Perspektive betrachtet werden. Dabei sollen Gemeinsamkeiten und Differenzen, vor allem aber deren sozial-historische Hintergründe untersucht werden. Diesem Unterfangen liegt ein phänomenologisch-deskriptiver Ansatz zugrunde, der das Geburtstagsfest als geschichtlich und gesellschaftlich geprägtes und in seiner Form und Erscheinung wandelbares Ereignis betrachtet. Als Ausgangspunkt soll zunächst eine ausdrücklich allgemein gehaltene Phänomenologie des adeligen und bürgerlichen Geburtstages um 1800 aufgestellt werden, um in einem weiteren Schritt hier nur die prägnantesten Unterschiede einer genaueren sozial-historischen Analyse zu unterziehen.

4. Umsetzung Als wesentliche Eckpfeiler dieser allgemeinen Phänomenologie sollen hier die fünf Elemente Akteure, Raum, Requisiten, emotionale Aspekte und Aktivitäten veranschlagt werden. Beginnen soll der folgende Abriss mit den Akteuren der Geburtstagsfeiern – naheliegenderweise mit der zentralen Figur – dem Geburtstagskind. Die bürgerlich-private Feier des Geburtstages, bei der der Einzelne in seiner Einmaligkeit im Mittelpunkt steht, verhalf dem Bestreben, die eigene selbstbewusste, nach Manifestation der eigenen Individualität trachtende, bürgerliche Persönlichkeit in Szene zu setzen. Außerdem hatte der Bürger die Möglichkeit als private Person – fernab von öffentlichen Geschäften, Arbeit und Verantwortung – allein zu sein, um im engsten Kreis der Familie und Freunde ein autarkes Fest begehen zu können: „Wie alles sich jetzt im Vaterhaus regte, um Ihnen bester Vater zu diesem Tage Glück zu wünschen. Ich sah […] die Kinder geputzt mit Blumen und Glückwünschen vor Ihr Bett treten […]. [Dann kamen] Freunde, […], Freundinnen; ich sah den Saal mit Blumen geschmückt und manche freundliche Gabe auf gestellt. Sie schritten umher, sagten manches freundliche Wort und manche Thräne der Freude glänzte in den Augen der Theilnehmenden. […]“17

17 August Goethe in einem Brief an seinen Vater vom 28. August 1830, in: Gerlinde Sanford (Hrsg.): Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August, Bd. 1, Weimar 2005, S. 951.

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Die „Geburt der modernen Familie“ war ein bürgerliches Ereignis, dessen Vorwehen im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzten: „Die bürgerliche Familie ist in der formativen Phase des deutschen Bürgertums noch nicht die spätere „Kleinfamilie“, sondern ein Lebenszusammenhang von Kernfamilie (eventuell weiteren Angehörigen) und Dienstboten.“18 Neben alltäglichen Ritualen schufen Daten von einschneidenden Familienereignissen, das Wissen über traditionelle Familienereignisse einen familieninternen, für Außenstehende nicht leicht erschließbaren und sorgsam gehegten Hort der vertrauten Gemeinsamkeit und familiengebundenen Identität und Sinnstiftung.19 In diesem gemütlichen Schoß der bürgerlichen Familie konnte sich der Eigenbereich des Kindes entfalten und wuchs die Wertschätzung der Sprösslinge innerhalb der familiären Struktur.20 Diese Entwicklung mündete um 1800 im Aufkommen des Kindergeburtstags: Uneingeschränkt kinderfreundlich gestalteten sich die Kindergeburtstage für die Sprösslinge des Bürgertums – nun wurde das Geburtstagskind gebührend gefeiert, getragen von Geburtstagsliedern21 und Kinderkränzchen. So schreibt der junge August von Goethe am 15. Mai 1799 an seinen Vater: „[…] gestern war ich bei dem kleinen Stein, der seinen Geburtstag feierte. Es waren 7 Jungen und 5 Mädchen da. Zuerst machten wir Soldaten. Nachher bekamen wir Kaffe, ich trank Milch und aß ein großes Stück Kuchen. Zuletzt spielten wir mit den Mädchen Blindekuh. Dem kleinen Stein gab ich meine Festung.“22

Ältere Kinder konnten an ihrem Geburtstag erstmalig ihre gastgeberischen Fähigkeiten bekunden. In der Regel wurde ihnen relativ freie Hand bei der Auswahl der eingeladenen Gesellschaft gelassen, die dann von den Eltern nachträglich begrüßt oder beanstandet wurde.23 An ihren Geburtstagen waren die Kinder die absoluten Hauptfiguren, um die sich alles drehte, und denen an ihrem Ehrentag vieles erlaubt und nachgesehen wurde, was 18 Maurer, Biographie des Bürgers (vgl. Anm. 12), S. 519. 19 Vgl. Thomas Schmidt: Kalender und Gedächtnis: Erinnern im Rhythmus der Zeit, Göttingen 2000. 20 Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte. Frankfurt am Main 1974. Ingeborg Weber-Kellermann: Die Familie. Geschichte, Geschichten und Bilder, Frankfurt am Main 1976. Heidi Rosenbaum: Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1982 (7. Aufl. 1996). 21 Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann: Das Buch der Kinderlieder, Mainz (u.a.) 1997, S.14. 22 Sanford, Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August (vgl. Anm. 17), Bd. 1, S. 35. 23 Budde, Weg ins Bürgerleben, S. 89.



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ansonsten untersagt und bestraft wurde, wobei jedoch häufig in Tischreden und Geburtstagsbriefen Eltern, ältere Geschwister und andere Verwandte die Gelegenheit ergriffen, um den Geburtstag als Einschnitt im Lebenszyklus herauszustreichen und Appelle an Vernunft, Fleiß und Artigkeit anzuschließen. In der Kombination und Abwechslung von Individualitäts- und Gemeinschaftsinszenierungen innerhalb der privaten Festkultur rief man gleichzeitig das Gefühl der Bedeutung des Familienverbandes und der Rolle des Einzelnen, die er dort einnahm, hervor – ein Wechselspiel, das sich in dieser Balance am ehesten in Bürgerfamilien ausprägen konnte.24 Zunehmende Wahlmöglichkeiten auf individuell-privater Ebene und das neue Selbstbewusstsein des aufgeklärten Bürgers konnten sich, so Jürgen Mohn, jedoch auch in Form der Verweigerung eigener Geburtstagsfeste verdeutlichen.25 Die Ablehnung eines zu zelebrierenden Geburtstages stand in adligen Kreisen um 1800 jedoch nicht zur Diskussion. Besonders der Landesvater, sowie dessen herzogliche Familienmitglieder, waren in ihrer politischen Position stets öffentliche und prominente Personen, Institutionen der Macht. Bei der Begehung ihrer Geburtstage handelte es sich nicht um Familienfeiern im privaten Rahmen, die Freiräume bei der Ausgestaltung oder bei der Teilnahme offen hielten. Da die hohe Gesellschaft stets unter dem Zwang der Selbstpräsentation und Wahrung der Etikette stand, wurden Geburtstage hier vor allem als Instrument zur Förderung politischer Ziele und Interessen genutzt.26 Die Inszenierung der eigenen Macht und Exklusivität wurde oftmals mittels aufwendig ausgestatteter Feste und der Teilnahme berühmter Dichter und Denker gesteigert, und trug so zur Kultisierung und Charismatisierung der Herrscherpersönlichkeit bei.27 Die Erfüllung eines derartigen Vorhabens – eines makellos verlaufenden und in der Konsequenz repräsentativ hochwertigen höfischen Geburtstagsfestes – bedurfte einer perfekten Organisation: Die oberste Anordnungskompetenz innerhalb dieser Organisation oblag im höfischen Milieu dem regierenden Familienoberhaupt, natürlich 24 Ebd. 25 Vgl. Jürgen Mohn: „Aber überall liegt das Religiöse auf der Lauer…“: Fest und Religion als Sinnorientierung, in: Erwägen Wissen Ethik 19 (2008), S. 239–242. 26 Vgl. Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Frankfurt am Main 9. Aufl. 1999. 27 Vgl. Winfried Gebhardt: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung. Frankfurt am Main, usw. 1987 (Das institutionalisierte Charisma: S. 27ff.). Winfried Gebhardt: Charisma und Ordnung. Formen des institutionalisierten Charisma – Überlegungen in Anschluß an Max Weber, in: Winfried Gebhardt/Arnold Zingerle/Michael N. Ebertz (Hrsg.): Charisma. Theorie – Religion – Politik. Berlin, New York 1993.

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nur im Rahmen des jeweiligen tradierten Hofzeremoniells, über die Gestaltung des Geburtstagsfestes eines jeden Familienmitgliedes zu verfügen. Da bei derart repräsentativen Ereignissen jedoch nichts dem Zufall überlassen werden konnte, standen normalerweise zahlreiche Ritualspezialisten wie Staatsdiener, sowie Berater, Maîtres de Plaisier und oft sogar Hofkapellmeister bei der Organisation und Ausführung zur Seite: „[Die Ritualexperten] kennen sich in den Bestimmungen der Ritualbücher […] aus, wissen, ob und unter welchen Bedingungen und in welcher Form auf unvorhergesehene Probleme mit einem Gegenritual, einer Verschiebung oder einer Wiederholung des Rituals zu reagieren ist.“28 Die vergleichsweise banalen Aufgaben der Festausrichtung im engeren Sinne wurden in aller Regel an Bedienstete, wie Köche, Hofdiener/-damen, Schauspieler und Musiker delegiert. Auch im bürgerlich-privaten Milieu lag die oberste Anordnungskompetenz bezüglich der Geburtstagsfestivitäten beim Familienoberhaupt – in aller Regel also beim Pater familias. Die ausführende Kompetenz indes lag zumeist bei der bürgerlichen Ehefrau. Sie organisierte das Geburtstagsfest im eigentlichen Sinne und beaufsichtigte seinen planmäßigen Ablauf quasi im Hintergrund. Diese konkrete Rollen- und Aufgabenverteilung rührte aus dem allgemeinen Gefüge des bürgerlichen Familienmodells: „Der Vater vertrat die Öffentlichkeit und die Arbeitswelt – das Private und das Innere des Hauses wurde zum ausschließlichen Bereich der Mutter und Hausfrau.“29 Höchsten Stellenwert bei höfischen Geburtstagen wurde der Einladung und dem Erscheinen der herzoglichen Familie beigemessen. Ferner galt besonderes Augenmerk der Partizipation möglichst vieler Staatsdiener sowie Mitglieder anderer adeliger Dynastien oder zumindest deren Vertreter.30 Auch die schiere Quantität der erschienenen Gäste galt in gewisser Weise als ein Maßstab für die Prestigeträchtigkeit der Feier. So heißt es beispielsweise bei Franz David Gesky über den Weimarer Hof: „3. September [1814], Sonnabend: An dem Geburtstag [des Herzogs] wurden alle Offiziere und Räte mit zur Tafel gelassen. Die Tafel bestand in 120 Personen […]“.31 28 Burckhard Dücker: Rituale. Formen – Funktionen – Geschichte, Stuttgart und Weimar 2007, S. 48–49. 29 Weber-Kellermann, Kinderlieder (vgl. Anm. 21), S.12. 30 Barbara Stollberg-Rilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangsstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Johannes Kunisch (u.a.): Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 19, Berlin 1997, S. 91–133. 31 Franz David Gesky, in: Hubert Erzmann/Rainer Wagner (Hrsg.): Weimar von unten betrachtet. Bruchstücke einer Chronik zwischen 1806 und 18355 aufgezeichnet von Franz David Gesky, Jena 1997, S. 49



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Die Rolle der Gäste beschränkt sich dabei allerdings vorwiegend auf eine passive, wenngleich nicht teilnahmslose. Und auch die wenigen Aspekte einer aktiven Teilnahme an höfischen Feiern, wie Tanz, Huldigungen oder Festessen32, gehorchten in den meisten Fällen einer strengen Choreographie bzw. feststehenden Programmabläufen.33 Diese ließen dem Einzelnen nur wenig Freiraum und erfüllten ihren Zweck darin, durch konkrete Rollenzuschreibung, über den sozialen Rang des Einzelnen oder der Gruppe im Gesamtgefüge Auskunft zu geben. Dies wiederum diente letztlich vor allem der Stabilisierung und Bestätigung hierarchischer Strukturen. Hingegen bestand die Gästeliste der auf Privatheit bedachten bürgerlichen Sphäre zunächst aus den Angehörigen der Kernfamilie, sowie Freunden, Paten und mitunter der Nachbarschaft. Geburtstage waren ausgezeichnete Anlässe, die Familienzusammengehörigkeit und bürgerliche Identität zu festigen: hier wurde die Gelegenheit genutzt, um den Familienverband zu versammeln. Der Rückzug in die selbstgewählte und ersehnte Privatheit34 war demnach nicht mit einer Reduzierung der Festqualitäten sowie einer Lösung persönlicher oder freundschaftlicher Bindungen verbunden, im Gegenteil, Freundschaften wurden weiterhin bewusst gepflegt.35 Dies zeigte sich auch anhand der persönlichen Einladungen des Geburtstagskindes für die zur Familie gehörenden Freunde. Die Räumlichkeiten für die in zeitlichen Sequenzen ablaufenden höfischen Geburtstagsfeiern waren zunächst die Kirche, in der anlässlich der Herrschergeburtstage öffentliche Eröffnungsmessen abgehalten wurden, ferner das Residenzschloss, wo das höfische Geburtstagskind Glückwünsche der Familie und des Hofstaates und auswärtigen Gesandten entgegennahm und das Festbankett abgehalten wurde, sowie mancherorts die in den öffentlichen Festablauf integrierten Stadt- oder Schauspielhäuser. Dort konnte sich die herzogliche Familie (beispielsweise auf Redoutenbällen) unter das gehobene Bürgertum mischen und Nähe zum Volk demonstrieren: Verschiedene Altersstufen und Positionen wurden miteinander in Kontakt gebracht und schienen, 32 Vgl. Richard Alewyn: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste, München 1985. 33 Stollberg-Rilinger, Zeremoniell (vgl. Anm. 30), S. 94. 34 Vgl. Beate Rössler: Der Wert des Privaten. Frankfurt am Main 2001. Martina Ritter: Die Dynamik von Privatheit und Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften, Wiesbaden 2008. Heinz Wolfgang Arndt: The Cult of Privacy, in: Australian Quarterly XXI, 3 (Sept.), S. 69– 71. Elizabeth Beardsley: Privacy: Autonomy as Selective Disclosure, in: James Roland Pennock/John William Chapman (Hrsg.): Privacy, New York 1971, S. 56–70. Arthur Brittan: The Privatised World, London 1978. Dixie Browning: The Privacy of Feelings, in: Southern Journal of Philosophy 3, S. 45–56. 35 Anne-Charlott Trepp: Sanfte Männlichkeit und selbstständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840, Göttingen 1996, S. 176ff.

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zumindest für die Dauer der Festivitäten, eine Gemeinschaft zu bilden, wenngleich die Unterscheidung hierarchischer Ebenen auch hierbei streng gewahrt blieb. Da hingegen Geburtstage des Bürgertums um 1800 ausdrücklich privaten Charakters waren und zudem das Erleben solcher familiärer Feste dem Bedürfnis nach Intimität und Abschottung nach außen entsprachen, bedurfte es bei ihrer Ausrichtung keiner öffentlichen Räumlichkeiten, sondern lediglich des gutbehüteten Heims. Hier konnten einzelne Räume, wie das bürgerliche Wohnzimmer sowie das Esszimmer – oder in begüterten Familien – gar das Gesellschaftszimmer, den äußerlichen Rahmen für eine außeralltägliche Festatmosphäre geben.36 Ihre volle Leistungsfähigkeit entfalteten sowohl private als auch öffentliche Räume für den Aufbau von „gesellschaftlichen Strukturen in Vergesellschaftung unter Anwesenden“37 erst, wenn es gelang, diese Räume multisensuell zu markieren, so dass die Sinnzusammenhänge auf verschiedenen sensorischen Ebenen gleichzeitig wahrgenommen werden konnten. Dadurch jedoch war ein solcher Raum für die Anwesenden im Grunde genommen nur durch die Verfügbarkeit semiotischer und sozialgebundener Kenntnisse interpretierbar.38 Die Bedeutungs- und Funktionszusammenhänge innerhalb eines höfischen Geburtstagszeremoniells drückten im ästhetisch geformten Fest-Raum auf Rangordnung und gesellschaftlichen Status der Partizipanten aus. So weist Gotthard Frühsorge auf die „Positionierung der Personen im System des Vortritts und des Ehrenplatzes“, d.h. die statusgebundene personale Ausdehnung im Raum, hin und weiterführend auf „die Systeme der Präsentationen von Speisen, bis zu den Abständen der [Gedecke] auf der Tafel […]“.39 36 Vgl. Herlinde Koelbl: Das deutsche Wohnzimmer, München 2000; Gertrud Benker: Bürgerliches Wohnen: städtische Wohnkultur in Mitteleuropa von der Gotik bis zum Jugendstil, München 1984; Lutz Scherf: Die Stube im Haus: einige Beispiele aus Ostthüringen, in: Thüringer Freilichtmuseum Hohenfelden (Hrsg.): Holzstuben und Thüringer Leitern, Hohenfelden 2004, S. 67–84. 37 Vgl. Rudolf Schlögl: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155–224. 38 Vgl. Gerd Althoff (Hrsg.): Zeichen – Rituale – Werte: Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 2004. Rudolf Schlögl: Die Wirklichkeit der Symbole: Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften, Konstanz 2004. Mary Douglas: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur, Frankfurt am Main 4. Aufl. 2004. 39 Gotthardt Frühsorge: Der Hof, der Raum, die Bewegung, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 82 (1988), S. 424–429, hier: S. 428.



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Nur durch ein kollektives Wissen über derartig codierte Raum- und Rollenaufteilungen konnte die höfische Festgemeinschaft einem regelkonformen Festablauf nachkommen. Indem sie dieses Wissen in symbolischen Performanzen40 inszenierte und in einem ‚Theatrum ceremoniale‘41 regelrecht aufführte, konnte es zu einer Reproduktion der sozialen Ordnung und zur Selbstdarstellung der höfischen Hierarchien kommen.42 Somit lässt sich sagen, dass ein wesentlicher Bestandteil der hinter diesen öffentlich begangenen höfischen Geburtstagsfeiern sich verbergenden Intentionen das Vorweisen einer auf Dauer angelegten Herrschaft war, wodurch letztlich insbesondere die Stabilisierung sowohl der gesellschaftlichen Ordnung, als auch der politischen Machtstrukturen bezweckt werden sollte.43 So berichtete Johanna Schopenhauer vom Weimarer Maskenzug anlässlich des Geburtstages der Herzogin Louise im Jahre 1809: „Endlich war die Herzogin da, Göthe ließ bey sich vorbey defiliren […], im Saal waren Leute gestellt, die lange Stangen horizontal hielten, so dass ein breiter Weg […] gemacht war[…]. Da marschierten wir denn ganz gravitätisch durch, in der vorgeschriebenen Ordnung […], Göthe […] war überall und sorgte, dass wir ordentlich und in gehöriger Distanz gingen; so machten wir zweymal die tour um den Saal und begrüßten die Herzogin die vorne auf der Estrade stand. […]“44

Hier wird die Betonung sowohl des bereits angesprochenen Vortritts und Ehrenplatzes als auch der Positionierung im Raum als Ordnungsfaktoren offenkundig45, aber

40 Vgl. Christoph Wulf: Grundlagen des Performativen: eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim u.a. 2001. 41 Frühsorge, Der Hof (vgl. Anm. 39), S. 427. 42 Vgl. Jörg Jochen Berns/Thomas Rahn (Hrsg.): Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 1995. Marian Füssel: Fest – Symbol – Zeremoniell. Grundbegriffe zur Analyse höfischer Kultur in der Frühen Neuzeit, in: Kirsten Dickhaut/ Jörn Steigerwalt/Birgit Wagner (Hg.): Soziale und ästhetische Praxis der höfischen (Fest-) Kultur im 16. und 17. Jahrhundert, Wiesbaden 2009, S. 31–53. 43 Vgl. Volker Bauer: Höfische Gesellschaft und höfische Öffentlichkeit im Alten Reich. Überlegungen zur Mediengeschichte des Fürstenhofs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 5 (2003). 44 Johanna Schopenhauer an Gerhard von Kügelgen, in: Hubert Heinrich Houben (Hrsg.): Damals in Weimar! Erinnerungen und Briefe von Johanna Schopenhauer, Berlin 2. Aufl. 1929, S. 149. 45 Frühsorge, Der Hof (vgl. Anm. 39), S. 428.

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auch die Funktion ordnender Instanzen, hier in der Person Goethes.46 Eine Aufhebung der sozialen Strukturen und von der Herrschaft gebotene Exzesse47 wurde nur für die Dauer des Masken-Balls geduldet und selbst dabei ist die soziale Spannbreite der zum Ball Zugelassenen begrenzt gewesen: „Der Livree und Dienstmädchen ist Zutritt in Maske untersagt. Keine Bediente noch Mägde können fernerhin weder in den Saal noch auf das Orchester gelassen werden.“48 Dieses Regelwerk sicherte das Zustandekommen einer kontrolliert-selektiven Öffentlichkeit, welche nicht nur Adeligen, sondern nun mehr auch dem gehobenen Bürgertum – der Elite Weimars – Zutritt gewährte. Dieser Kompromiss zwischen alter Ordnung und neuen Ideen hatte zum Ziel, das alt hergebrachte traditionelle Gefüge zu stützen, gleichzeitig aber zu versuchen, es durch die Einbeziehung progressiver Ansätze verbessernd zu überwinden.49 In der sozialen Gemeinschaft der bürgerlichen Familie gab es solche streng zu befolgenden, von höherer Instanz vorgeschriebenen Regeln jedoch nicht. Allenfalls konnte anhand der Sitzordnung eine familiäre bzw. generationsgebundene Hierarchie – mit dem Vater am Kopf des Tisches – ersichtlich werden.50 Diese an Aspekten der Rangfolge angelehnte Ordnung konnte jedoch, sofern sie überhaupt bestand, auch zugunsten des Geburtstagskindes aufgehoben werden. Im Übrigen kann davon ausgegangen werden, dass vornehmlich tatsächliche, oder seitens des Gastgebers angenommene Sympathien zwischen den geladenen Gästen den Ausschlag für etwaige gezielte Anordnungen derselben gegeben haben. Die Festdekoration sollte das Leben in der Gemeinschaft verschönen und das Zusammengehörigkeitsgefühl im kleinen, wie auch im großen Kreise stärken. Die visuelle Verschönerung anspruchsvoller Geburtstagsfeste des Hofes war oftmals kostenintensiv, wurde aber aus Repräsentationsgründen zumeist toleriert und sollte in eine 46 Vgl. Stefanie Stockhorst: Fürstenpreis und Kunstprogramm: sozial- und gattungsgeschichtliche Studien zu Goethes Gelegenheitsdichtungen für den Weimarer Hof, Tübingen 2002, S. 169, 181, 211. 47 Vgl. Joachim Küchenhoff: Das Fest und die Grenzen des Ich. Begrenzung und Entgrenzung im „vom Gesetz gebotenen Exzeß“, in: Walter Haug/Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest. München 1989, S. 99–119. Siehe auch: Winfried Gebhardt: Art. Ventilsitten, in: Günter Endruweit/Gisela Trommsdorff (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1989, S. 768. 48 Bruno Th. Satori-Neumann: Goethe und die Einrichtung der Weimarischen Redouten, in: Festgabe der Gesellschaft für deutsche Literatur. Zum siebzigsten Geburtstag ihres Vorsitzenden Max Hermann. Langensalza 1935, S. 47–60; hier: S. 51. 49 Vgl. Silke Marburg/Josef Matzerath (Hrsg.): Der Schritt in die Moderne. Sächsischer Adel zwischen 1763 und 1918, Köln, Weimar und Wien 2001. 50 Budde, Weg ins Bürgerleben (vgl. Anm. 4), S. 82–83.



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Art Gesamtkunstwerk münden.51 Dazu gehörten die bereits erwähnte ausgeklügelte Tischordnung ebenso wie kostbare Gedecke, Geschirre und phantastische Tischdekorationen. Im privaten Kreis fiel diese Art der Inszenierung der Einzelperson wesentlich sparsamer aus, da im Gegensatz zur öffentlichen Festkultur das Publikum viel kleiner und intimer war, als dass sich eine repräsentative Inszenierung gelohnt hätte, ferner natürlich auch ein vergleichsweise geringerer Etat zur Verfügung stand. Dementsprechend dezent fiel auch die Festtagskleidung in bürgerlichen Kreisen aus.52 Der kulinarische Aspekt des Geburtstagsfestes, sowohl im adeligen, als auch im bürgerlichen Milieu war im wesentlichen von einer Gemeinsamkeit geprägt: auf den Tisch kam, im Rahmen des jeweils Verfügbaren, nur das Feinste.53 Wenngleich über die Speisen im Konkreten nur gemutmaßt werden kann, so steht doch fest, dass ein Kuchen oder eine Torte am Geburtstag nicht fehlen durfte. So war die Überbringung des Geburtstagskuchens ein tradiertes, symbolhaftes Ritual: Diesen schmückten zumeist Kerzen in Zahl der erreichten Lebensjahre des Jubilars. Umringt von diesen befand sich in der Mitte das „Lebenslicht“, welches „in einer gewissen sympathetischen Beziehung zu dem Geburtstagskinde“ 54 steht und im Gegensatz zu den restlichen Kerzen, unter keinen Umständen ausgeblasen werden durfte, da dieser Akt als ungünstiges Vorzeichen für den weiteren Lebensverlauf gedeutet wurde:55 „Bald hierauf kamen die Mütter und Großmütter mit den Enkeln und kleinsten Kindern und brachten eine bekränzte Kartoffel-Torte. Welche, so heiß sie war, dem Prinzen Bernhard fürtrefflich schmeckte. Und so war unerwartet ein sehr artiges, mannigfaltiges, wohlgemeintes, ja rührendes Fest entstanden […].“56

51 Hans-Georg Gadamer: Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest, Stuttgart 1989. 52 Moden-Neuigkeiten. […]. 2. Aus Hamburg. Hamburg, den 6. Febr. 1796, S. 164–165. 3. Aus Frankfurt, den 15. Febr. 1796. [Blumen aus weißen, gelben und roten Rüben als Modezubehör der bürgerlichen Damen […], S. 166–167, in Friedrich Justin Bertuch (Hrsg.): Journal des Luxus und der Moden, Jg. 11 (1796). 53 Vgl. Gunther Hirschfelder: Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Frankfurt am Main 2001. 54 Vgl. Paul Sartori: Sitte und Brauch, in: Handbücher zur Volkskunde. Bd. V. Erster Teil: Die Hauptstufen des Menschendaseins, Leipzig 1910, S. 46. 55 Boehm, Geburtstag und Namenstag (vgl. Anm. 3), S. 34. 56 Johann Wolfgang von Goethe anlässlich seines Geburtstages am 28. August 1813, in: Hans Gräf (Hrsg.): Goethes Ehe in Briefen, Frankfurt am Main 1922, S. 474ff.

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Um auf das Wohl des Geburtstagskindes anstoßen zu können, war ein besonderer Tropfen unabdingbar: Champagner trat dabei als ideales Getränk in Erscheinung und galt schon damals auch in bürgerlichen Kreisen als Inbegriff von Noblesse und Wohlstand.57 Jedoch waren nur das gehobene Bürgertum und Adelshäuser imstande, den Gästen das zu bieten, was der fürstlichen Trinkkultur zur Selbstverständlichkeit gereichte: „Ich kann versichern, dass ich lange kein so vergnügtes und zugleich anständiges Fest gesehen habe, denn es wurde tapfer gezecht in dem der Champagner nicht vom Tische kam.“58 Blumensträuße und Kränze, oft begleitet von auf Tellern drapierten Goldpapierbögen59 und meist von kleinen Mädchen überbracht, waren schon um 1800 sowohl im höfischen als auch bürgerlichen Milieu ein beliebtes Geschenk für das Geburtstagskind. „In manchen Gegenden […]“, so Fritz Boehm, „war es früher Sitte, dass sich die jungen Leute Bilder schenkten, die in der Mitte einen gereimten Spruch trugen, umgeben von einem […] bunten Blumenkranz […]“.60 Folgt man der Argumentation Ingeborg Weber-Kellermanns, so ist es vor allem die Zeit um 1800, in der das bürgerliche Familienleben der Schenkkultur einen neuen Boden bereitete: „Im Schoß der Bürgerfamilie wuchs der Eigenbereich des Kindes, entfaltete sich ein innig ausgestalteter Lebensbereich um die Mutter als Zentrum bürgerlicher Häuslichkeit. Spielzimmer und Spielmöglichkeit, aber auch Spielverständnis seitens der Eltern verwandelten die Jahresfeiern zu Familienfesten mit dem vornehmlichen Sinn, den Kindern Spielzeug zu schenken“.61

Kindergeschenke sollten schon zu dieser Zeit die Entwicklung des Kindes und ihre Freude an nützlichen Beschäftigungen fördern. Der Wiener Pädagoge Joseph Richter plädierte 1782 dafür, das „Genie der Kinder zu benuetzen“62 und ihr Interesse und 57 Vgl. Gunther Hirschfelder: Alkoholkonsum am Beginn des Industriezeitalters (1700 bis 1850). Zwei Bände: Die Region Manchester; Die Region Aachen, Köln 2004. 58 August von Goethe über den 70. Geburtstag seines Vaters, in: Sanford, Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August (vgl. Anm. 17), Bd. 1, S. 379. 59 Zitat Johann Wolfgang von Goethe, in: Gräf, Goethes Ehe (vgl. Anm. 56), S. 474ff. 60 Fritz Boehm: Geburtstag und Namenstag (vgl. Anm. 3), S. 36. 61 Ingeborg Weber-Kellermann: Das Weihnachtsfest. München, Luzern 1978, S. 95. Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit, München 3. Aufl. 1980. 62 Hägrad [ Joseph Richter]: Ein ächter Beitrag zur Schilderung Wiens, über die Vorurtheile des Nikolausgespenstes durch dessen Gepolter die Einbildungskraft der Minderjährigen so thorecht als unbillig mißhandelt wird. Nebst einem üblichen Plan, von Kindern, ohne sie zu schlagen, alle Folgsamkeit zu erhalten. Wien und Prag o.J. [1782], S. 25.



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die Lust am Entdecken einzusetzen, um Lehrinhalte zum Vergnügen der Kinder anzuwenden.63 Im adeligen Milieu waren unterdessen, neben kostbaren materiellen Gaben vor allem ideelle Geschenke und persönliche Huldigungen die Regel. Das Spektrum reichte dabei von Lob- und Dankesliedern über die Rezitation bzw. Zusendung von Gelegenheitsdichtungen bis hin zur feierlichen Übergabe von Festschriften. Geschenke hatten die Chance – ohne Rücksicht auf die hierarchische Position des Gebers und Empfängers – mit Glücks-Transferierung verbunden zu sein. Und so fanden derlei emotional besetzte Geschenke besonders im privaten Festraum ihren Platz: Das Entweichen in die Sphäre der familiären Privatheit galt schon bürgerlichen Lebensreformern des 18. Jahrhunderts als einer der Garanten sittlichen Lebens und Feierns. „Enge Kreise“, so schrieb Johann Heinrich Pestalozzi 1780, „sind und bleiben ewig das Band der Sitten und der reinen häuslichen Glückseligkeit.“64 […] „bei dem Genuß ihres Glückes [haben Familien] keine andren Zuschauer, als sich selbst nöthig.“65 Die sich daraus ergebende Intensivierung privater Beziehungen – Vertrautheit und ein sensibler, zwischenmenschlicher Umgang, aber vor allem die authentische sowie zwanglose Artikulation von Emotionen – spielten um 1800 in bürgerlichen Familien eine zentrale Rolle.66 Jedoch ist es aufgrund gelegentlich zu erkennender selbststilisierender Tendenzen des vorhandenen Quellenmaterials schwierig, den tatsächlichen

63 Vgl. Maurer, Biographie des Bürgers (vgl. Anm. 12), (Die Entdeckung der Kindheit, S. 445–447). Budde, Weg ins Bürgerleben (vgl. Anm. 4), S. 88. Dorothea Kühme: Bürger und Spiel. Gesellschaftsspiele im deutschen Bürgertum zwischen 1750 und 1850, Frankfurt am Main 1997. Johannes Bilstein: Anthropologie und Pädagogik des Spiels, Weinheim und Basel 2005; Gunter Gebauer: Spiel – Ritual – Geste: mimetisches Handeln in der sozialen Welt, Reinbek bei Hamburg 1998; Christoph Wulf: Anthropologisches Denken in der Pädagogik 1750–1850, Weinheim 1996. 64 Johann Heinrich Pestalozzi: Abhandlung (1780), in: Pestalozzis Sämtliche Werke, hrsg. v. L.W. Seyffarth, Liegnitz 1899, S. 304. Zitiert nach Aleida Assmann: Festen und Fasten. Zur Kulturgeschichte und Krise des bürgerlichen Festes, in: Haug/Warning, Fest (vgl. Anm. 47), S. 240. 65 Hierbei handelt es sich um die Erklärung zu einem Kupferstich aus der Hand Daniel Chodowieckis aus dem Jahr 1797, in: Carl Lang: Almanach und Taschenbuch für häusliche und gesellschaftliche Freuden, Heilbronn 1799. Hier zitiert nach dem Exemplar des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, S. 5. 66 Vgl. Claudia Benthien/Anne Fleig/Ingrid Kasten (Hrsg.): Emotionalität: Zur Geschichte der Gefühle. Köln, Weimar und Wien 2000. Maurer, Biographie des Bürgers (vgl. Anm. 12), S. 267–278 (Emotionale Werte).

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Grad der Authentizität derartiger Bekundungen herauszulesen:67 Die prinzipielle Subjektivität des Fühlenden heißt nicht, dass Gefühle selbst subjektiv seien. Wie Hartmut Böhme konstatiert, gibt es „[…] nur ein begrenztes Set von Gefühlstypen, doch in unterschiedlichen Varianten werden sie erlebt, versprachlicht, ausgedrückt, dargestellt. So sind Gefühle einerseits radikal individuell, einzig und unaustauschbar und andererseits sind sie kulturell geprägt, allgemein verbindlich sozialisiert, sprachlich, symbolisch, medial sowie interaktiv und kommunikativ stilisiert und programmiert […].“68

Ausschweifende emotionale Erregungszustände waren während der öffentlichhöfischen Geburtstagsfeiern nicht gern gesehen. Die historischen Akteure mussten von Kindheit an lernen, ihre Emotionen zu kontrollieren, vor allem aber, diese einer rationalen Kalkulation zu unterziehen, um der höfischen Gefühlsrhetorik am herausragendsten zu entsprechen. Christoph Kühberger spricht von einer „künstlichen Gemütlichkeit, […], die das gesellige Element anzog, [die] allerdings nur die naive Dekoration der Macht gegenüber den eigentlich auf politischen Festen verfolgten Zielen [war]“.69 Ebenso wie zu Beginn des neuen Kalenderjahres ist auch am Geburtstag das Beglückwünschen der verbreitetste Brauch. Glückwünsche in Form von Gebrauchsversen wurden sowohl im privaten Familienkreis des gehobenen Bürgertums als auch zu öffentlich zelebrierten Geburtstagen der herzoglichen Familie rezitiert.70 Dabei war die repräsentative Bedichtung des Herrschaftshauses für Anerkennungszwecke wichtig, bekundete sie dem fürstlichen Gegenüber doch Lobpreis und Untertanentreue. Die Huldigungsgeste, poetisch vermittelt zwischen Autor und Adressat, wurde durch die Darbietung in der höfischen Öffentlichkeit gesellschaftlich in Kraft gesetzt und konnte der Prestigesteigerung der überbringenden Person zuträglich sein.71

67 Anne Fuchs/Sabine Strümper-Krobb (Hrsg.): Sentimente, Gefühle, Empfindungen. Zur Geschichte und Literatur des Affektiven von 1770 bis heute, Würzburg 2003. 68 Hartmut Böhme: Art. Gefühle, in: Christoph Wulf (Hrsg.): Vom Menschen. Historischanthropologisches Wörterbuch, Weinheim und Basel 1997, S. 525–548, hier: S. 534. 69 Christoph Kühberger: Metaphern der Macht. Ein kultureller Vergleich der politischen Feste im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 2006, S. 32. 70 Vgl. Bianca Weinhold: Gelegenheitsdichtung in Jena und Weimar um 1800 [Magisterarbeit am Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der FSU Jena, 2005], S. 85–91. 71 Vgl. Jan Andres: „Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet“. Huldigungsrituale und Gelegenheitslyrik im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2005.



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Die poetischen Glückwünsche, die innerhalb der bürgerlich-privaten Atmosphäre dargeboten wurden, waren hingegen weitgehend frei von gesellschaftlichen Präsentationszwängen. Hier war die Gelegenheitslyrik eher ein Ritual der authentischen Freundschaftsbekundung, sowie eine Manifestation bildungsbürgerlicher Ansprüche an die eigene Intellektualität, gewiss aber auch ein Stück weit Vehikel der Darstellung individueller Distinguiertheit.72 In die Kategorie der Huldigungen im Rahmen höfischer Geburtstagsfeiern fallen auch Gestaltungselemente wie Paraden, Festzüge, Ordensverleihungen, Stiftungen, anerkennende Reden, aber auch Opern und Ballette, Schauspiele, Feuerwerk und Illuminationen, Konzerte sowie die seinerzeit viel gerühmten Maskenbälle, welche die soziale Ordnung zeitweilig aufheben konnten und überdies den jüngeren Generationen diskrete Möglichkeiten zur zwischengeschlechtlichen Kontaktaufnahme boten.73

5. Resümee Wenngleich in adeligen Kreisen der Geburtstag schon im Mittelalter gefeiert wurde und dort dem individuellen Schicksal schon in früheren Zeiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde,74 wird aus den vorangegangenen Überlegungen deutlich, dass man sich bei Hofe Geburtstagsfeste vor allem als Bühne macht- und staatspolitischer Demonstrationen zunutze machte. Ihr Sinn erschöpfte sich nicht im Vergnügen der Hofgesellschaft. Der höfische Geburtstag war ein hochkomplexes Gebilde und stets ein Politikum, womit eine individuelle Ausformung und Intimisierung eines solchen Festes nicht einher gehen konnte. Gleichzeitig vollzog sich um 1800 im Bürgertum, ausgehend von Prozessen der funktionalen Differenzierung, Säkularisation und dem daraus folgenden Wertewandel, ein auffälliger Schub der Individualisierung, Subjektivierung und Intimisierung. Dieser Wandel bildete die Grundlage für die in dieser Zeit beginnende Konzeptualisierung des Privaten und ebnete damit letztlich auch der Festkultur des bürgerlichen Geburtstages den Weg. Die heutige Vorstellung von Privatheit entstand mit dem Aufkommen des Bürgertums und der bürgerlichen Familie in der Neuzeit. Seitens weltlicher und religiöser Mächte geltend gemachte Ansprüche, stets Einblick in das Leben, aber auch in 72 Vgl. Josef Kopperschmidt/Helmut Schanze (Hrsg.): Fest und Festrhetorik: zur Theorie, Geschichte und Praxis der Epideiktik, München 1999. 73 Vgl. Alewyn, Das große Welttheater (vgl. Anm. 32). 74 Vgl. Rohr, Festkultur des Mittelalters (vgl. Anm. 11). Bange, Frauen und Feste im Mittelalter (vgl. Anm. 11), S. 125–132. Althoff, Macht der Rituale (vgl. Anm. 11).

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die Gedankenwelt des Untertanen zu haben, wurden vom zunehmend emanzipierten Bürgertum immer mehr zurückgewiesen. Dies bestärkte oftmals Neigungen des Einzelnen, sich auf sich selbst zurückzuziehen, und das Verlangen der Familie, sich der häuslichen Idylle zu widmen. Beziehungen zu den Nächsten und zu sich selbst fanden hier einen symbolischen Raum. Das private Leben sollte ein Ort der Gemütlichkeit und der Emotionen sein, nicht einer der in der öffentlichen Sphäre notwendigen Rationalität. Mit dieser Entdeckung einer neuen Möglichkeit des Rückzugs von der Gesellschaft und einer neuen Deutung der Einsamkeit nicht als Askese, sondern als Vergnügen75 wurde auch das private Festgeschehen revolutioniert. Dies manifestiert sich vordergründig vor allem im Aufkommen neuer Festtypen, die unmittelbar mit dem individuellen Lebenslauf, der bürgerlichen Biographie76 zusammenhängen. Insbesondere die heute als selbstverständlich erscheinende private Feier des Geburtstages ist ein Novum dieser Epoche. Die entscheidende Triebfeder für die Etablierung dieses privaten Festtypus’ war das sich in der bürgerlichen Schicht ausbreitende Bewusstsein der Individualität und zunehmende Wahlmöglichkeiten der eigenen Lebensführung: Die Jahrzehnte um 1800 waren eine Zeit individueller Selbstvergewisserung und Selbstverwirklichung. Es schien, als könne nun der Einzelne jenseits bisheriger ständischer Bindungen seinen Platz selbst bestimmen. „Der Übergang wurde als Befreiung erlebt“, eine „Hochsemantik des ‚Subjekts‘“ entstand.77 Folglich kann die Geschichte der Geburtstagsfeier als Wandlungsprozess verstanden werden. Ursprünglich nur von der Aristokratie gefeiert und dort vor allem als Instrument zur öffentlichen Präsentation von Macht und zur Bestätigung der eigenen Herrschaft herangezogen, wurde der Geburtstag mit dem Aufstieg und der Selbstbewusstwerdung des Bürgertums mehr und mehr zu einer emotional und pädagogisch geprägten familiären Feier im geschützten Raum des bürgerlichen Heims, sehr wohl jedoch immer noch beeinflusst von aristokratischen Lebensmodellen. Dieser Wandlungsprozess verlief allerdings nicht lediglich einseitig. Der von tiefgreifenden politischen Umbrüchen, ausgehend vor allem von der Französischen Revolution, 75 Fotis Jannidis: Das Individuum und sein Jahrhundert. Eine Komponenten- und Funk-

tionsanalyse des Begriffs „Bildung“ am Beispiel von Goethes Dichtung und Wahrheit, Tübingen 1996, S. 49.

76 Vgl. Maurer, Biographie des Bürgers (vgl. Anm. 12). 77 Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus, in: Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt am Main 1989, S. 149–258, hier S. 208 u. S. 211.



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verursachte gesellschaftliche Wandel78 bewirkte nicht zuletzt auch Veränderungen in der Ausformung der Festbegehung seitens des Adels. Der sukzessive Wegfall des Dogmas des landesfürstlichen Gottesgnadentums und der daraus resultierende Legitimationsdruck des adeligen Lebensstils zwang die aristokratische Schicht zu massivem Umdenken hinsichtlich der eigenen Außenwirkung, welche in der Folgezeit mehr und mehr von der gezielten Demonstration einer gewissen Bürgernähe während der Festivitäten geprägt war. Hier zeigte sich die Fähigkeit vieler Adeliger, sich auf die Erfordernisse von Funktionssystemen einzustellen, die die Überschreitung überkommener Adelsvorstellungen verlangten. Parallel dazu verblasste dennoch die rechtliche Sonderqualität des Adels. Das zumindest im Bereich der Festkultur gleichzeitige Stattfinden einer zwar überwiegend, aber nicht vollständig selbstreferenziellen Aufwertung des Bürgertums und einer zunächst nur schleichenden, aber doch nicht zu leugnenden Verbürgerlichung des Adels79 kann als einer der wesentlichen Verwässerungsprozesse jener Zeit angesehen werden: „Die ständische Welt war im späten 18. Jahrhundert keineswegs mehr geschlossen. Hoher und niederer, alter und neuer, reichsfreier und landsässiger Adel, Patriziat der großen oder der Landesstädte und bürgerlichen Noblesse des Juristenstandes oder auch schon eines allmählich sich zeigenden Geldadels bildeten innerhalb der Aristokratie als Herrenstand oder auch nur als Gesellschaftsschicht sich vielfach überschneidende Begriffs- und Kontrastpaare.“80

Durch politischen und wirtschaftlichen Erfolg, Selbstorganisation und Memorialpolitik etablierten sich Adelsfamilien zunächst in der bürgerlichen Gesellschaft als 78 Ewald Frie: „An die Stelle eines universal führenden Standes mussten tendenziell funktional ausgerichtete Eliten aus Politik, Wirtschaft, Religion und Kunst treten. Das war ein langer Prozess, der sich jedoch um 1800 unter dem Eindruck von politischen Revolutionen und Reformen, von Krieg, von ökonomischen Krisen und sozialen Auf- und Abstiegen dramatisch beschleunigte. Die Geltungskraft ständischer Strukturen verminderte sich fühlbar, sichtbar“, in: Ewald Frie: Adel um 1800. Oben bleiben?, in: zeitenblicke. Online–journal für die Geschichtswissenschaften. 4 (2005), Nr. 3. 79 Vgl. Marburg/Matzerath, Vom Stand zur Erinnerungsgruppe (vgl. Anm. 49), S. 5–17. Art. ‚Verbürgerlichung‘ in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels. Titel, Throne, Traditionen. München 2005, S. 229–232. Frie, Adel um 1800 (vgl. Anm. 78). 80 Hans Hubert Hofmann: Adelige Herrschaft und souveräner Staat. Studien über Staat und Gesellschaft in Franken und Bayern im 18. und 19. Jahrhundert, München 1962, S. 146. Vgl. auch Dominic Lieven: Abschied von Macht und Würden, Der europäische Adel 1815–1914, Frankfurt am Main 1995.

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Elite.81 Dennoch verloren die Adeligen, trotz einer Reihe von Adelsreformkonzepten, ihr Monopol und waren vor bürgerlicher Konkurrenz nicht mehr gefeit. Der Kampf um Autorität war für den Adel des 19. Jahrhunderts keine neue Erfahrung. Wandel war schon vor 1800 die Regel. In der frühneuzeitlichen Adelsgesellschaft gab es Aufstiege wie Abstiege. Adelsfamilien mussten daher schon vor 1800 miteinander um die Gunst des Herrschers, um Macht, Einfluss, Privilegien, Reichtum kämpfen und sie mussten versuchen, das Gewonnene vor den Konkurrenten und vor der Zeit zu schützen. Die Bereiche, Medien und Strategien ihrer Kämpfe wechselten. Meines Erachtens stellt das Begehen der herrschaftlichen Geburtstagsfeierlichkeiten ein wohl bedachtes Machtinstrument dar, welches in seinen symbolisch verschlüsselten Ritualsequenzen gesellschaftliche Stellungen klar hervorzuheben wusste, aber auch Platz für die performative Nähe zur übrigen Gemeinschaft ließ. Dennoch zeigt sich in der festbezogenen Betrachtung des aufstrebenden Bürgertums um 1800, dass die zuvor öffentlich zelebrierten Geburtstage des Adels, die hauptsächlich der Inszenierung seiner Macht und seines Fortbestehens galten, nun in den privaten Raum der bürgerlichen Familie vorrücken konnten. Hier wurde der Festtypus des privat begangenen Geburtstages als sozialer Rahmen genutzt, um die Inszenierung der bürgerlichen Familie und deren Wertehimmel zu verdeutlichen respektive hervorzuheben.82

81 Vgl. Marcus Funck/Stephan Malinowski: Geschichte von oben. Autobiographien als Quelle einer Sozial- und Kulturgeschichte des deutschen Adels in Kaiserreich und Weimarer Republik, in: Historische Anthropologie 7 (1999), S. 236–270. 82 Vgl. Hahn/Hein, Bürgerliche Werte um 1800 (vgl. Anm. 12).

Russland, Deutschland und die Wartburg Politische Optionen und Repräsentationsstrategien in der Weimarer Festkultur, 1804–1836

von Franziska Schedewie und Raphael Utz

1. Einleitung In einem Brief vom 6. Oktober 1807 beschreibt die Weimarer Erbprinzessin Maria Pavlovna (1786–1859) ihrer Mutter, der Zarin-Mutter Maria Fedorovna (1759–1828), was sie in der Nacht zuvor geträumt hatte: Chère et bonne Maman! Cette nuit j´ai rêvi que je me trouvais à Pétersbourg où je dansois à un bal avec mes sœurs et l´Imp: mais nous étions toutes en grandes robes de Cour, mais sans diamans (…).1

Vor dem Hintergrund der Gefahr durch die Koalitionskriege fällt es nicht schwer, dieses Traumerlebnis zu interpretieren: Zwar bestand noch die Legitimität der überkommenen Herrscherdynastien, versinnbildlicht durch die ‚großen Hofroben‘; doch es fehlte der Glanz: der opulente, seit jeher selbstverständlich getragene Reichtum der Orden, Diademe und Edelsteine. Maria Pavlovna befand sich zu diesem Zeitpunkt erst seit einer Woche zurück im nun napoleonischen Weimar, ein Jahr nach ihrer abenteuerlichen Flucht am Vorabend der Schlacht von Jena und Auerstedt. In ihrem Traum bedrohte die Revolution sogar schon das Zarenreich, die heile Welt ihrer Kindheit und frühen Jugend, in der ihre Schwestern versammelt waren2 und das 1

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ThHStAW (Thüringisches Haupt- und Staatsarchiv Weimar), HA A XXV Korrespondenzen R 155: Russland, Maria Fedorovna von Maria Pavlovna 1807–1808, Bl. 234 (Weimar, 6.10.1807). Alle Schreibweisen aus diesen Quellen sind im Folgenden, sofern original und nicht übersetzt, unverändert beibehalten. Die Datierungen entsprechen dem Gregorianischen Kalender, während Maria Pavlovna in ihren Briefen an die Mutter konsequent beide Varianten verwendet und nach altem und nach neuem Stil datiert. Großfürstinnen Aleksandra Pavlovna (1783–1801), Elena Pavlovna (1784–1803), Ekaterina Pavlovna (1788–1819), Anna Pavlovna (1795–1865). Mit der „Kaiserin“ ist vermutlich

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höfische Leben auch nach der Ermordung Pauls I. (1754–1801) prunkvoll fortgeführt wurde.3 Nicht nur im Traum waren Feste und Bälle als inszenierte Ereignisse aufgeladen mit symbolischen Deutungen und Bedeutungen: Feste dienten der fürstlichen Selbstdarstellung; auf Festen taten Fürsten politische Absichten kund. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist erstens zu zeigen, dass Maria Pavlovna als Erbprinzessin die Bedeutung und das Potential von Festen kannte und für sich verarbeitete und dass sie, zweitens, als Großherzogin durch Feste eine aktive Politik mit nationaler Relevanz für Weimar gestaltete. Dabei war es für Maria Pavlovna keineswegs selbstverständlich, als Weimarer Fürstin zu denken und zu handeln: War sie doch zu keinem Zeitpunkt Regentin; und war sie von Hause aus Russin, welche zeitlebens ihrem Herkunftsland und ihrer Familie dort aufs Engste verbunden blieb.4 So wird dieser Beitrag als erstes für die etappenbildenden Jahre 1804-06 (Maria Pavlovnas Ankunft in Weimar), 1810 (Weimar im Rheinbund) und 1817 (Weimar im Deutschen Bund) den inneren Aneignungsprozess der Weimarer Festkultur durch die Prinzessin aufzeigen, unter der Prämisse der im beiderseitigen Interesse geschlossenen dynastischen Verbindung:5 das heißt für

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Elizaveta Alekseevna, geb. Louise Maria Augusta von Baden (1779–1826) gemeint, Maria Pavlovnas Schwägerin und Frau Alexanders I. (1777–1825). Sie erscheint in Maria Pavlovnas innerfamiliären Briefen üblicherweise als „l´Imp.“ [ l´Impératrice]. Maria Pavlovna könnte aber auch von ihrer Großmutter Katharina II. (1729–1796) geträumt haben. Vgl. zur russischen Hofkultur z. B. Natal´ja A. Ogarkova: Ceremonii, prazdničestva, muzyka russkogo dvora XVIII – načalo XIX veka, St. Petersburg 2004; N. S. Tret´jakov (Hrsg.): Pavlovsk. Imperatorskij dvorec. Stranicy istorii, St. Petersburg 2004. Vgl. als einen der letzten Belege hierfür Maria Pavlovnas Grundsatz, notiert 1863 durch die Hofdame ihrer Nichte Ol´ga Nikolaevna, in: Robert Uhland (Hrsg.): Das Tagebuch der Baronin Eveline von Massenbach. Hofdame der Königin Olga von Württemberg, Stuttgart u. a. 1987, S. 173: „(…) man muß immer, selbst von Ferne, für Rußland arbeiten.“ Tatsächlich ging die Initiative zu dieser Verbindung entgegen der lange vertretenen Forschungsmeinung nicht 1799 von Weimar, sondern schon ein Jahr früher, 1798, von Russland aus. Motivierend wirkte damals, noch vor dem Ende des Alten Reiches, vermutlich eine durch einen Erbvertrag beider Linien der Wettiner in Aussicht gestellte Vereinigung des albertinischen Kursachsen und des ernestinischen Herzogtums Sachsen Weimar, mit der Übernahme der Kurwürde durch die Weimarer Linie. Vgl. Franziska Schedewie: Altesse Imperialissime! Die privaten politischen Briefe Carl Augusts an Maria Pavlovna, 1805–1815, in: Lothar Ehrlich/Georg Schmidt (Hrsg.) Ereignis Weimar-Jena. Gesellschaft und Kultur um 1800 im internationalen Kontext, Köln, Weimar und Wien 2008, S. 247–262, S. 249–252; zum sächsischen Erbfolgeverhältnis vgl. Fritz Tröbs: Die weimarische Erbfolgepolitik in der Zeit Karl Augusts, Jena 1931. Die Interessen Weimars an einer Verbindung mit der Großmacht Russland lagen in der finanziellen Unterstützung und politischen Protektion, besonders wäh-



Repräsentationsstrategien in der weimarer festkultur

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Weimar einer über diesen Zeitraum aktuellen russischen Option, um den Bestand des kleinen, mindermächtigen Staates zu garantieren. Für die Betrachtung dieses Aneignungsprozesses, der Auseinandersetzung mit Weimarer Festkultur allgemein und, im zweiten Teil des Aufsatzes, der Ausrichtung des ersten Festes Maria Pavlovnas als Großherzogin nach dem Tod ihres Schwiegervaters Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828) werden die folgenden Annahmen paradigmatisch vorausgesetzt: Nicht nur wird, erstens, davon ausgegangen, dass Maria Pavlovna mit ihrem Umzug nach Weimar transnational auftreten und sich anpassen musste; dazu war sie als Tochter einer der Herrscherfamilien Europas erzogen, denn eine Heirat ins Ausland war für sie zu erwarten gewesen.6 Der vorliegende Beitrag soll auch, zweitens, zeigen, dass Maria Pavlovna es verstand, doppelt national zu denken und sich doppelt national loyal zu verhalten: sowohl im Sinne Weimars als auch gegenüber Russland. Diese Balance bildete zeitlebens die größte Herausforderung an sie in ihrer exponierten Stellung als russische Weimarer Zarenschwester und Landesmutter. Man könnte von einem praktisch notwendigen, kräftezehrenden Spagat sprechen. Doch handelte es sich nicht minder um einen konzeptionellen Kunstgriff Maria Pavlovnas, mit dem sie die Krisen und Veränderungen durchstehen konnte, die das Weimar-russische Verhältnis in den turbulenten Jahren der Neuordnung Deutschlands und der europäischen Politik vor und nach dem Wiener Kongress erfuhr.7 Die Belege für ein solches doppeltes nationales Denken sind in den Korrespondenzen Maria Pavlovnas zahlreich: Sie verwendet den Begriff national

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rend der Unsicherheit der Napoleonischen Kriege. Vgl. hierzu und zu weiteren Motiven auf der russischen Seite Joachim von Puttkamer: Kulturkontakte und Großmachtinteressen. Weimar im Blickfeld der russischen Heiratspolitik, in: Joachim Berger/Joachim von Puttkamer (Hrsg.): Von Petersburg nach Weimar. Kulturelle Transfers von 1800 bis 1860, Frankfurt am Main u. a., S. 17–33. Vgl. Franziska Schedewie: “A chaque pas, je fais des comparaisons avec chez nous…”: Die ersten Eindrücke der russischen Prinzessin Maria Pawlowna in Weimar (1804–1806), in: ebd., S. 81–125. Vgl. zur Neuordnung Deutschlands um 1815 speziell auch Russland und Weimar betreffend z. B. Ulrike Eich: Rußland und Europa. Studien zur russischen Deutschlandpolitik in der Zeit des Wiener Kongresses, Köln und Wien 1986; Michael Hundt: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß, Mainz 1996; Sergej N. Iskjul´: Vnešnjaja politika Rossii i germanskie gosudarstva (1801–1812), Moskau 2007; Franziska Schedewie: The Tsar´s Sister as State Diplomat: Maria Pavlovna between Weimar and St. Petersburg, 1805– 1815. Unveröffentl. Vortrag, ICCEES VII World Congress, Berlin 2005; zum Strukturwandel in der europäischen Politik vgl. Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000.

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sowohl für das von ihr in Weimar gegründete Fraueninstitut8 als auch für ihr Herz,9 das, wie sie schreibt, „auf Russisch schlägt“.10 Selbst den Schnee, der ihr aus Russlands langen Wintern bestens vertraut ist, bezeichnet sie als ‚nationalen Teppich‘: „tapis national“.11

2. Maria Pavlovna als Erbprinzessin 2.1. Die Anfangsjahre: 1804–1806 Wie sah es nun mit den Festen aus? Die Briefe an Maria Fedorovna und Zar Alexander I. geben deutlich wieder, dass Maria Pavlovna Feiern und Feiertage in ihren ersten beiden zumindest politisch unbeschwerten Jahren in Weimar primär mit Russland verband. Dazu gehörte der obligatorische Besuch ihrer orthodoxen Kirche;12 dazu gehörte, keinen Namenstag und Geburtstag ihrer Verwandten zu versäumen,13 sich 8

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ThHStAW, HA A XXV Korrespondenzen R 161: Russland, Maria Fedorovna von Maria Pavlovna 1816–1817, Bl. 65 (Weimar, 4.4.1817). Mit dem Weimarer Fürstenhaus identifiziert sie sich, wenn sie ihrer Mutter gegenüber von „ma maison d´içi“ spricht, ebd., Bl. 314 (6.5.1814), oder auch von „notre maison“, ebd., Bl. 315 (7.5.1814). Ebd., R 162: Russland, Maria Fedorovna von Maria Pavlovna, 1817, Bl. 153 (Ems, 13.7.1817): „mon cœur national etoit tout dilaté“. „Mon vieux cœur bat à la russe pour tout qui interesse la prosperité de mon païs”, ebd., Bl. 265 (Weimar, 23.11.1817). Vgl. auch ebd., Bl. 260 (Weimar, 17.11.1817): ”(…) je sens battre mon cœur patriote”. „(…) enfin mon âme russe s´epouvoit à la vue de ce bon tapis national“, ebd., Bl. 266 (Weimar, 27.11.1817). Maria Pavlovna betont selbst, dass sie jeden kirchlichen Feiertag beging, vgl. ebd., R 153: Russ­land, Maria Fedorovna von Maria Pavlovna, 1804–1806, Bl. 197’ (Weimar, 23.1.1805). Zu den Kapellen Maria Pavlovnas, die ihren orthodoxen Glauben in Weimar behalten durfte, vgl. Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen (Hrsg.): Ihre Kaiserliche Hoheit. Maria Pawlowna – Zarentochter am Weimarer Hof (AK Weimar 2004]), Tl. 1: Katalog, Tl. 2: Aufsätze (CD-ROM), München 2004, Tl. 1, S. 73–83 und Bernd Mende: Marias Kapellen. 200 Jahre russisch-orthodoxe Kirchen in Weimar, in: ebd., Tl. 2, S. 373–380. Die Prinzessin verband die Einweihung ihrer ersten Kapelle, für die ihr Schwiegervater die Gesellschaftsräume im ehemaligen Stiedenvorwerk des Weimarer Schlosses zur Verfügung gestellt hatte, mit dem Namenstag ihres Bruders Nikolaus, des späteren Zaren Nikolaus I. (1796–1855), vgl. ThHStAW, HA Korrespondenzen R 153: Russland, Maria Fedorovna von Maria Pavlovna, 1804–1806, Bl. 164–164’ (Weimar, 17.12.1804). Vgl. z. B. ebd. oder ebd., Bl. 199 (Weimar, 25.1.1805): Auch am Geburtstag der Kaiserin Elizaveta Alekseevna besuchte sie die Messe in ihrer Kapelle.



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nach Jahreszeit und Kalenderdatum nach den Festen in St. Petersburg zu erkundigen14 und in Erinnerungen zu schwelgen.15 Maria Pavlovna bewahrte Kleider auf, die ihr die Mutter aus Russland schickte, um sie auf Bällen zu tragen.16 Von den Festveranstaltungen in Weimar berichtet die Prinzessin, wenn es ihr darum ging, der Mutter zu demonstrieren, wie gut sie sich in ihrem neuen Umfeld einlebte. Wiederholt notiert sie zum Beispiel, dass die Bälle zwar selten, dafür aber um so lebendiger seien.17 Auch erzählt sie gern von Festen, wenn diese Lokalkolorit aufwiesen und aus ihrer Perspektive exotisch wirkten. Eigentümlich und bemerkenswert, wenngleich nicht besonders ansprechend fand sie zum Beispiel die Trachten der Einwohner des thüringischen Ruhla auf einem Fest, das ihr Ehemann Carl Friedrich (1783–1853) und sie während eines Aufenthalts in der herzoglichen Sommerresidenz Wilhelmsthal gaben. Man müsse sehr schön sein, um so einen Aufputz zu tragen, und die Tänze seien sehr komisch, so schreibt sie, nicht ohne aber genau zu registrieren, dass es gegenwärtig Mode sei, sich in den traditionellen Kostümen eines jeweiligen Landstrichs zu kleiden.18 Durchweg fasziniert ist Maria Pavlovna in Weimar von der alt-ehrwürdigen Zeremonie der Investitur der Prinzen von Schwarzburg, deren Lehensherr Carl August war.19 Schließlich gehörte es zu den Pflichten der Prinzessin, ihre Familie in Russland über die politische Stimmung in Deutschland zu unterrichten, und so informierte sie Alexander I. auch über seine Geburtstagsfeier an Weihnachten 1804 in Weimar. Dass das Fest des russischen Monarchen in dessen Abwesenheit mit einem Festzug und mehreren Bällen stolz und mit geradezu übertriebenem Aufwand begangen wurde, bemerkte sie zwar, 14 Vgl. ebd., Bl. 153’ (Weimar, 6.12.1804), ebd., Bl. 184 (Weimar, 6.1.1805): „(…) C´est aujourd´huy Noël chez nous, et le jour de Rois içi, j´ai bien pensée à la toilette qu´il faudra que Vous fastiez Chère Maman peut être donnez Vous un Bal aujourd´huy ou demain (…)“, oder ebd., Bl. 236’ (Weimar, 1.3.1805): „(…) [Vous êtes maintenant] dans le plaisir du Carneval Chere Maman, je suis curieuse de savoir s´il est brilliant cette année, je suis presque sûre. (…)“. 15 Ebd., Bl. 184 (Weimar, 6.1.1804): „(…) Vous voyez Chere Maman que je vis dans les souvenirs. (…)“. 16 Vgl. ebd., Bl. 160 (Weimar, 15.12.1804) und Bl. 180’ (Weimar, 4.1.1805). 17 Vgl. z. B. ebd., Bl. 202’ (29.1.1805): „(…) Je suis fort etonnée Chere Maman de savoir que Peterbourg soit si pauvre de plaisirs cette année; d´où vient cela! Les Bals d´içi sont très peu nombreux, mais por tant ils sont animés. Quant à moi, j´avoue que je danse de grand cœur. (…)“. 18 Ebd., Bl. 325’ (Wilhelmsthal, 10.6.1805). Der Eindruck dieses ländlichen Festes scheint bei Maria Pavlovna besonderes Heimweh ausgelöst zu haben: Jedenfalls schreibt sie ihrer Mutter gleich im Anschluss an diesen Bericht, sie wolle Geschichten aus den Salons von St. Petersburg hören, ebd. 19 Vgl. ebd., Bl. 214’ (Weimar, 14.2.1805), 217’ (Weimar, 16.2.1805).

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doch war ihr auch die Bedeutung der gerade errungenen dynastischen Verbindung für Weimar klar. Sie selbst, die sie dort stellvertretend im Mittelpunkt stand, fühlte sich an diesem Tag so fremd und einsam, dass sie fürchtete, ihren Repräsentationspflichten nicht angemessen nachkommen zu können. Ihrem Bruder schreibt sie: (…) Je me suis sauvée des visites qu´à chaque instant j´ai recus ce matin, pour Vous entretenir un moment, (…). Je me trouve dans ce moment (…) [dans une] situation assez pénible, ma disposition d´âme me portant à me tenir seule avec moi-même: et je ne puis suivre mon penchant, car le Duc et tout le monde sont d´un empressement sans égal pour célébrer Votre fête. Hier déjà j´ai assisté à une cours de traineau et à un bal, et aujourd´huy on dansera encore en Votre honneur et gloire. (…)20

Sicherlich seien ihr diese Bekundungen lieb und teuer, doch falle es ihr schwer, inmitten solcher Fröhlichkeit aufzutreten, während sie selbst von Traurigkeit überkommen sei.21 Als erstes Fazit für die Jahre 1804 bis 1806 kann man also festhalten, dass Maria Pavlovnas Briefe nach dem Wechsel von Russland nach Weimar durch einen transnationalen Annäherungsprozess charakterisiert sind. Erinnerungen und der Vergleich mit Festen in Russland dienten ebenso wie die Beschreibung und Erwähnung von Festen in Weimar dem Kennenlernen, der Rechenschaftslegung gegenüber der Mutter und dem Finden und Definieren der eigenen Rolle im engeren Rahmen der Familie und der sie direkt umgebenden Gesellschaft. Besonders deutlich wird dies auch dann, wenn die Prinzessin feststellen muss, dass man in Weimar anscheinend weniger Wert auf Äußerlichkeiten legte und es nicht für nötig hielt, an Geburtstagen wie sogar dem der Herzogin Louise (1757–1830) sich festlich zu dekorieren, wenn man dies am darauf folgenden Sonntag schon wieder tun musste. (Maria Pavlovna beschloss, hier an den Petersburger Gepflogenheiten festzuhalten und ihre Diamanten sowohl am Geburtstag als auch am Sonntag darauf anzulegen!)22 Für die Reflexion von weiter gefasstem Symbolgehalt und von politischer und gesellschaftlicher Aussagekraft von Festen blieb hier, wo es zunächst noch essentiell um ganz persönliche Fragen der gerade 18jährigen Prinzessin ging, wenig Raum. Immerhin war da aber die interessierte Feststellung der lokalpatriotischen Vorliebe der Ruhlaer Bauern für ihre neu aufgelegten alten Trachten. Möglicherweise blieb dieses Interesse bei Maria Pavlovna 20 Ebd., R 106: Russland, Alexander I. von Maria Pavlovna 1804, Bl. 1 (Weimar, 24.12.1804). 21 Ebd. 22 Vgl. ebd., R 153: Russland, Maria Fedorovna von Maria Pavlovna 1804–1806, Bl. 203’ (30.1.1805).



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lebendig. Ein paar Tage vor diesem Fest hatte sie übrigens erstmals mit eigenen Augen die Wartburg gesehen: „(…) ce vieux château de montagne où Luther a été détenu“.23

2.2. Krisenjahre: 1810 und 1817 Im Jahr 1810, nun mit Weimar als Staat im Rheinbund, und 1817, mit der Einberufung des Landtags auf Grundlage der Verfassung und Weimars Vorreiterrolle im Deutschen Bund, sah die Situation schon ganz anders aus. Das Weimar-russische Verhältnis stand auf dem Prüfstein.24 Es war wichtig, hier in den Briefen nach St. Petersburg Zeichen zu setzen und den fernen Verwandten und Entscheidungsträgern in Russland die Treue Weimars zum Ausdruck zu bringen, wenn man dies wie Maria Pavlovna im doppelten nationalen Interesse wünschte. Hilfe bekam sie von Goethe (1749–1832) als Dichter, Weimarer Staatsmann und besonderer Freund und Förderer der Prinzessin,25 sowie vom Herzog Carl August. Glücklich war auch der Umstand, dass der Geburtstag ihres Ehemannes Carl Friedrich und ihr eigener mit nur dreizehn Tagen Abstand im Februar aufeinander folgten: Göthe avait arrangé une espéçe de quadrille en coutûmes Allemands des vieux tems, la plus belle chose possible, il a fait à cette occasion de très beaux Vers, enfin c´étoit délicât (…),26

so schreibt Maria Pavlovna am 2. Februar 1810, dem Geburtstag ihres Mannes, um zwei Wochen später an ihrem eigenen Fest erneut von einer Quadrille zu berichten: Le Duc s´étoit masqué en izvoščik [Fuhrmann, Anm. F. Sch.] Russe, il y avait un quadrille de différentes nations russes que Göthe avait arrangé et qui étoit la plus jolie chose du monde; ils 23 Ebd., Bl. 321 (Eisenach, 3.6.1805). Vgl. auch Maria Pavlovnas Tagebucheintrag in: Katja Dmitrieva/Viola Klein (Hrsg.): Maria Pavlovna. Die frühen Tagebücher der Erbherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, Köln, Weimar und Wien 2000, S. 49. 24 Vgl. als Überblick z. B. Volker Ebersbach: Carl August. Goethes Herzog und Freund, Köln, Weimar und Wien 1998, S. 194–218; Hans Tümmler: Die Zeit Carl Augusts von Weimar 1775–1828, in: Hans Patze/Walter Schlesinger (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte der Neuzeit, 1. Teil, Teilbd. 2, Köln 1984, S. 615–863, S. 646–655. 25 Vgl. die publizierten Korrespondenzen Goethes mit Maria Pavlovna: Zum 24. Juni 1898. Goethe und Maria Paulowna. Urkunden, hg. im Auftrage des Erbgroßherzogs Wilhelm Ernst von Sachsen, Weimar 1898. Vgl. auch Raphael Utz (Hrsg.): Besuch bei Goethe: Aus den Tagebüchern der Großherzogin Maria Pavlovna von Sachsen-Weimar-Eisenach, Großfürstin von Russland [in Vorbereitung]. 26 ThHStAW, HA A XXV Korrespondenzen R 157: Russland, Maria Feodorowna von Maria Pawlowna 1810–11, Bl. 10’ (Weimar, 2.2.1810).

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m´ont donné des vers, j´ai crû mourir de Peau tendûe, et j´ai été bien touchée de tout ce qu´on a dit et fait à cette occasion pour me marquer de l´intéret.27

Auch russische Gäste, nämlich der Fürst Repnin und seine Frau, waren zu dem Zeitpunkt in Weimar28 und stellten einen veritablen Lichtblick für Maria Pavlovna in dieser ansonsten angespannten, durch die französische Rheinbundbesatzung geprägten Phase dar.29 Sieben Jahre später schien ein sichtbares Zeichen an Russland in Form einer ähnlichen Fest-Inszenierung und deren brieflicher Vermittelung30 nicht mehr wegen der faktischen Zugehörigkeit zu einem gegnerischen Bündnis notwendig, sondern weil die inneren politischen Verhältnisse Sachsen-Weimars in einem grundlegenden Wandel

27 Ebd., Bl. 23’ (Weimar, 17.2.1810). 28 Vgl. ebd., Bl. 23 (Weimar, 16.2.1810); Nikolaj G. Repnin (1778–1845), Generalleutnant und russischer Gesandter in Westfalen und Spanien (1810), wurde 1813/14 Generalgouverneur in Sachsen und war damit eine der außenpolitischen Schlüsselfiguren unter Alexander I. – Weimar, 1810 dem Rheinbund zugehörig, profitierte bei dieser Gelegenheit von seiner zentralen Lage als Poststation zwischen Russland und Westeuropa: Denn so fiel es kaum auf, wenn ein russischer Diplomat auf der Durchreise einen Aufenthalt bei der Schwester des Zaren nahm. 29 Maria Pavlovna verschweigt in ihren Briefen nicht, wie ungern sie sich mit den französischen Offizieren als Teilnehmern an Bällen abfinden wollte, auch wenn sie zugibt, dass diese Männer ganz korrekt auftraten und man sich sogar mit ihnen unterhalten konnte: „(…) içi chez nous, le Bal fût charmant; les offiçiers françois y prisent part; nous avons du bonheur jusqu´içi car ils sont parfaitement à leur plaçe ces Mrs. et j´aime trop la vérité pour ne pas leur rendre hautement la justiçe qui leur est dûe: moi-même pour faire les honneurs j´ai dansé avec un Colonel chef de régiment, et avec un Colonel du génie; […] je me suis levée bien tard parce que la journée d´hier m´avait fâtiguée, et surtout parce que j´avais souffert de la Peau tendûe que m´occasionnent nos hôtes; mais celle-là a vite disparû parce que véritablement ils étoient déçents et que l´on pouvait canser avec eux“, ebd., Bl. 13’f. (Weimar, 10.2.1810). 30 Die Entfaltung einer politischen Wirksamkeit dieser auf Russland bezogenen Feste hing tatsächlich primär von der Kommunikation durch Maria Pavlovna ab: Ihre Briefe bildeten die Hauptinformationsquelle der Zarenfamilie über die Vorgänge am Weimarer Hof. Was aus ihren ausgewählten, persönlich geprägten und meist nur in wenigen Sätzen erfolgenden brieflichen Berichten und Eindrücken nicht hervorging, wurde in Petersburg nicht oder nur zufällig und über Umwege bekannt. Für die Vorbereitung dieses ersten, auf Russland bezogenen Teils des Beitrags wurden daher bewusst nicht die Fourierbücher (siehe unten, Anm. 44) oder andere Weimarer Quellen zu Festen herangezogen, denn durch deren zusätzliche Auswertung hätte sich ein verzerrtes, nicht mehr authentisches Bild der Wahrnehmung zunächst durch Maria Pavlovna selbst ergeben, sowie in der Folge auch ein verzerrtes Bild der Rezeption in Russland.



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begriffen waren und das Großherzogtum hier überdies eine Pionierrolle innehatte:31 Die Geburtstagsfeier Carl Friedrichs war in diesem Jahr, 1817, zusätzlich durch die Eröffnung des ersten Landtags hervorgehoben. Laut ihrer brieflichen Beschreibung an die Mutter saß Maria Pavlovna beim Souper an diesem Abend an einem Tisch mit den Abgeordneten, von denen die Bauern sie „wegen ihrer Neugier, alles zu sehen, und ihrer charmanten Aufrichtigkeit und Freude am meisten interessierten“.32 Sie selbst hatte den Prinzen anschließend im Kreis der Familie mit einigen Bildern überrascht, die aus der Erinnerung an Wien entstanden waren.33 Auch wenn aus dieser Briefstelle nicht hervorgeht, welche Motive die Bilder genau zeigten, ist doch klar die Erinnerung an den Wiener Kongress drei Jahre zuvor gemeint: Damals war nicht nur die deutsche Bundesakte als Voraussetzung für die Weimarer landständische Verfassung verabschiedet, sondern auch Weimar mit Rückhalt Russlands zum Großherzogtum aufgewertet worden. Explizit benannte Maria Pavlovna in diesem Brief allerdings ihre Wahl des Vorführortes der Bilder, nämlich ihre eigenen Räume: „(…) l´on s´est reuni chez moi“.34 Durften die Weimarer hier einen mikrotopographischen Hinweis auf Maria Pavlovnas Rang und Rolle für ihren Staat während ihrer Anwesenheit auf dem Kongress herauslesen, signalisierte die Mitteilung der Mutter in St. Petersburg zugleich, dass sich die Tochter ihrer Bedeutung bewusst war und es nicht versäumte, diese symbolisch umzusetzen. Die großherzogliche Familie erwiderte die Aufmerksamkeiten an Maria Pavlovnas Geburtstag 1817 mit einer Darbietung, die erneut Russland ganz in den Mittelpunkt rückte und als öffentliche Hommage an den Zarenhof zu sehen war:35 Schon morgens verkleideten sich die beiden Töchter Marie (1808–1877) und Auguste (1811–1890) als russische Bauernmädchen, die ihrer Mutter einen Geschenkkorb brachten. Der Ballsaal am Abend war besonders aufwändig erleuchtet und geschmückt: Als Überraschung für Maria Pavlovna waren Transparente mit Ansichten von Petersburg zu sehen, sowie von den Zarenresidenzen Gatčina, Pavlovsk und Peterhof; die Namen, so hebt Maria Pavlovna extra hervor, waren auf Russisch geschrieben. Es folgte eine Quadrille aus Mitgliedern der Weimarer Gesellschaft, die die verschiedenen russi31 Zu Weimars Vorreiterrolle im Deutschen Bund vgl. z. B. Gerhard Müller: Landständische Repräsentation und früher Konstitutionalismus in Sachsen-Weimar-Eisenach. Die Landschaftsdeputation 1809–1817, in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte e. V. 4 (1994) 2, S. 20–35; Tümmler, Die Zeit Carl Augusts (vgl. Anm. 24), S. 658–664. 32 ThHStAW, HA A XXV Korrespondenzen R 162: Russland, Maria Feodorovna von Maria Pavlovna 1816–17, Bl. 18f. (Weimar, 3.2.1817). 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Vgl. ebd., Bl. 27–28 (Weimar, 17.2.1817).

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schen Stände darstellten und einen Tanz aufführten, und es wurden russische Lieder gesungen. Der anschließende Ball dauerte bis drei Uhr morgens.36 Der Versuch, ihr eine Freude zu machen, sei bestens gelungen, so stellt Maria Pavlovna am Ende fest.37 Hier sieht man also, als zweites Fazit, dass Maria Pavlovna nach ihrer anfänglichen Annäherungsphase in ihren Briefen in prekärer politischer Situation auf ihre doppelte nationale Identität setzte, um ihre Familie in Petersburg ihrer Loyalität zu versichern. Die Erwähnung der Anwesenheit von Bauern und anderen nicht-adeligen Abgeordneten auf den Geburtstagsfesten war wichtig; aber emotional anrührend war für Maria Pavlovna die Inszenierung und wenigstens noch punktuelle Amalgamierung Russlands und Weimars im Rahmen der Weimarer Festkultur. Dem später im Jahr 1817 folgenden Fest auf der Wartburg38 ist anzulasten, dass auch solche Inszenierungen wie am Geburtstag nicht mehr zu einer stärkeren Bindung Weimars an Russland beitragen konnten.39 Doch auf diese Entwicklungen hatte Maria Pavlovna keinen Einfluss mehr.

3. Maria Pavlovna als Großherzogin Mit dem Tod Carl Augusts im Sommer 1828 und der Thronbesteigung Carl Friedrichs erweiterte sich auch der Aktionsradius Maria Pavlovnas, nun regierende Großherzogin, erheblich. Nach Ablauf des Trauerjahres war der Geburtstag Carl Friedrichs am 3. Februar 1830 das erste große Fest am Weimarer Hof, in dessen Mittelpunkt

36 Ebd. – Vor dem Ball hatte es ein bis fünf Uhr dauerndes „grand diner“ gegeben, und davor um zehn Uhr eine Messe, zu der auch mehrere Abgeordnete der Stände, des Adels und der Bauern, erschienen waren. Wieder freute sich die Prinzessin über die Komplimente und die „einfache Sprache“ der letzteren, ebd., Bl. 27’. 37 Ebd., Bl. 28. – Nähere und ausführlichere Details zu Abläufen, Inhalten, Aussehen, Darstellern, Allegorien etc. werden auch in diesem Brief nicht berichtet, so daß bei den Empfängern am russischen Hof der Eindruck nur aus den hier wiedergegebenen, eher kurzen und durch Maria Pavlovnas Sicht geprägten Passagen entstand. 38 Vgl. zum Wartburgfest 1817 den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band. 39 Dies trifft sicherlich auch auf den 1818 anläßlich des Besuchs der Zarin-Mutter in Weimar veranstalteten Maskenzug mit Protagonisten der Weimarer Klassik zu, in Auftrag gegeben von Maria Pavlovna und ausgestaltet von Johann Wolfgang von Goethe, vgl. z. B. Friedrich Sengle: Das Genie und sein Fürst. Die Geschichte der Lebensgemeinschaft Goethes mit dem Herzog Carl August, Stuttgart und Weimar 1993, S. 417–420. Zu der in mehrfacher Hinsicht politisch begründeten Entfremdung Russlands von Weimar schon seit 1805 vgl. Schedewie, Altesse Imperialissime (vgl. Anm. 5), S. 249–253.



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naturgemäß die Person des neuen Großherzogs stand.40 Diese Gelegenheit, Zeichen in die Hofgesellschaft und darüber hinaus zu setzen, konnte sich das neue Herrscherpaar nicht entgehen lassen, auch wenn der Plan größerer Festlichkeiten keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stieß. Insbesondere die ältere Generation von Hofleuten beklagte den Gegensatz von festlichem Auftrieb um Carl Friedrich und Maria Pavlovna und dem sich stetig verschlechternden Gesundheitszustand der GroßherzoginMutter Louise, die schließlich nur elf Tage nach der Geburtstagsfeier für ihren Sohn am 14. Februar 1830 starb.41 Treibende Kraft in der Inszenierung der Geburtstagsfeier für Carl Friedrich war Maria Pavlovna.42 Sie beauftragte Friedrich Wilhelm Riemer, den Sekretär Goethes, einen Festaufzug zum Thema Das Sängerfest auf der Wartburg mit Liedern und Gedichten zu verfassen, und von etwa 90 Mitgliedern der Hofgesellschaft in historischen Kostümen darstellen zu lassen.43 Eingebettet war dieser programmatische Kern des Festes im engeren Sinne als Höhepunkt eines Maskenballes im Weimarer Schloss für 400 Personen und im weiteren Sinne umgeben von verschiedenen Hoftafeln, Gratulationscouren, einem Theaterbesuch und einem festlichen Mittagessen am folgenden Tag aus Anlass des Geburtstages der Prinzessin Marie, die seit 1828 mit dem Prinzen Karl von Preußen (1801–1883) verheiratet war.44 Bevor diese Feierlichkeiten etwas näher in den Blick genommen werden sollen, scheint es angezeigt, das Wartburgmotiv in biographischer und politischer Hinsicht etwas zu kontextualisieren. Die Begeisterung Maria Pavlovnas für die Wartburg, die sie seit 1805 häufig besucht hatte, entspricht nicht nur beinahe idealtypisch der Mittelalternostalgie des 19. Jahrhunderts, sondern war auch ein Thema, mit dem sie in ihrer Kindheit in Russland bereits Bekanntschaft geschlossen haben wird. Ihr Vater hatte sich zeitlebens für das mittelalterliche Rittertum begeistert und war schließ40 Nach wie vor ist eine biographische Studie über Carl Friedrich ein Desiderat. Vgl. die vorsichtige Annäherung bei Ulrike Müller-Harang: Carl Friedrich Großherzog von Sachsen-WeimarEisenach: Ein Freund des Schönen, in: AK Weimar 2004 (vgl. Anm. 12), T. II, S. 57 – 72. 41 Siehe etwa Hermann von Egloffstein (Hrsg.): Alt-Weimar’s Abschied: Briefe und Aufzeichnungen aus dem Nachlasse der Gräfinnen Egloffstein, München 1923. Tatsächlich mussten die für Maria Pavlovna geplanten Geburtstagsfeierlichkeiten wegen des Todes der Großherzogin-Mutter abgesagt werden. Siehe ThHStAW, HMA, Nr. 4596, Fourierbuch zur Hofhaltung des Großherzogs Carl Friedrich, Bl. 54. 42 ThHStAW, HMA, Akten, Nr. 2646, Bl. 7. 43 Hartmut Reck: Maria Pavlovna als Initiatorin der politischen Memorialkultur, in: AK Weimar 2004 (vgl. Anm. 12), T. II, S. 147 – 172, hier S. 163. 44 Siehe die Zusammenfassung der Ereignisse in den Fourierbüchern des Weimarer Hofes: ThHStAW, HMA, Nr. 4596, Fourierbuch zur Hofhaltung des Großherzogs Carl Friedrich, Bl. 37 – 39.

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lich auch Großmeister des Malteser Ritterordens geworden. Dessen Insignien sind auf einigen offiziellen Portraits des Kaisers zu sehen und waren insofern Teil seiner symbolisch-politischen Herrschaftskommunikation.45 Der politische Aspekt zeigt sich bei Maria Pavlovna in vielschichtiger Art und Weise. Ganz im Sinne ihrer Denkschrift an Carl Friedrich anlässlich des Thronwechsels steht das keineswegs neue Motiv der Wartburg für Kontinuität zur Regierung Carl Augusts und darüber hinaus.46 Dass sie sich als russische Großfürstin und Initiatorin dieses Festes jedoch so eindeutig in die landesgeschichtliche Tradition des Weimarer Fürstenhauses stellte, hatte noch andere Gründe und muss vor der latenten Existenzkrise des Kleinstaates Sachsen-Weimar-Eisenach gelesen werden.47 Hatte die dynastische Verbindung zum Zarenhaus während der Napoleonischen Kriege durchaus den Fortbestand des Staates gesichert, lief diese ‚russische Option‘ nach dem Wiener Kongress aus. Es ist aufschlussreich, dass Maria Pavlovna ihre beiden Töchter nach Preußen verheiratete, um das verbliebene Potential dynastischer Ehen nunmehr innerhalb Deutschlands zu nutzen.48 Ähnlich nachvollziehen lässt sich ihr Perspektivwechsel weg von Russland und hin zu Deutschland in ihrer Unterstützung der Weimarer Verfassung von 1816 und ganz besonders in ihrer Memorialpolitik. Joachim Berger hat Maria Pavlovnas Leistungen in diesem Bereich einmal die Schaffung einer „dynastiezentrierten Erinnerungskultur“ genannt.49 Dies lässt sich in zweierlei Hinsicht noch zuspitzen. Zum einen erklärte Maria Pavlovna im Dezember 1831 gegenüber Goethe:  „(…) le vétitable et meilleur intérêt de la maison et de la famille ne doit pas se perdre de vûe, il est identique avec celui du paїs.“50 Insofern muss jede Anstrengung Maria Pavlovnas, die historischen und gegenwärtigen Leistungen der Dynastie zu kommunizieren, als Teil einer Politik der staatlichen Existenzsicherung verstanden werden. Dies bedeutet dann zum zweiten, dass diese Kommunika45 Richard S. Wortman: Scenarios of Power: Myth and Ceremony in Russian Monarchy, 2 Bde., Princeton 1995, 2000, Bd. 1, S. 185 – 186. 46 ThHStAW, HA XXV, Korrespondenzen S 64, Maria Pavlovna an Carl Friedrich (30. Juni/12. Juli 1828), Bl. 24’ – 25’. 47 Dmitrieva/Klein (vgl. Anm. 23) Maria Pavlovna, S. 21. 48 Siehe hierzu David E. Barclay: ‚Großherzogliche Mutter und kaiserliche Tochter im Spannungsfeld der deutschen Politik: Maria Pawlowna, Augusta und der Weimarer Einfluß auf Preußen (1811 – 1890), in: Berger/Puttkamer, Von Petersburg nach Weimar (vgl. Anm. 5), S. 127 –139. 49 Joachim Berger: Beschleunigung und Stillstand: Antworten auf die Legitimationskrise der Höfe im „Silbernen Zeitalter“, in: AK Weimar 2004 (vgl. Anm. 12), T. II, S. 397 – 417, hier S. 408. 50 ThHStAW, HA, A XXV, Akten, Nr. Nr. 485 (Tagebuch Maria Pavlovna 1831 – 1832), 17./29. Dezember 1831, Bl. 19’.



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tion das Ziel haben musste, Staat und Fürstenhaus nationale Relevanz zu erkämpfen, also die von Hans-Werner Hahn beschriebene Wahrnehmung der thüringischen Kleinstaaterei als Modernisierungshemmnis gleichsam zu neutralisieren.51 Stattdessen sollte das Bild einer Herrscherfamilie geschaffen werden, die schon immer, noch immer und für immer Ermöglicher, Bewahrer und Fortschreiber der höchsten Leistungen der Kulturnation Deutschland sei.52

3.1. Das Geburtstagsfest für Carl Friedrich 1830 Vor diesem Hintergrund gewinnen die Geburtstagsfeierlichkeiten für Carl Friedrich im Februar 1830 eine besondere Bedeutung: dies ist die erste Gelegenheit, ein solches Programm im Rahmen eines höfischen Festes zu kommunizieren. Es bildet den öffentlichen Auftakt zu allen späteren erinnerungspolitischen Aktivitäten Maria Pavlovnas. Der besonderen Bedeutung eines solchen Festes zu Beginn einer neuen Regierung war sich Maria Pavlovna bewusst. In ihrer Denkschrift für Carl Friedrich anlässlich der Regierungsübernahme hatte sie im Sommer 1828 den warnenden Hinweis niedergelegt, dass „dans ces premiers momens tout est commenté plus que d’ordinaire : On cherche à s’éclairer sur le caractère du nouveau souverain, l’on veut primer de la crainte ou de l’espoir.“53 Im Mittelpunkt der Betrachtung dieses Festes müssen die vier Texte stehen, die im Rahmen der Feierlichkeiten vorgetragen wurden, und von denen der eigentliche Festaufzug Der Sänger-Wettstreit auf der Wartburg das Herzstück bildet. Die thematische Ausrichtung auf die Wartburg war allerdings nicht von vorneherein klar: ein erster Vorschlag Riemers sah vor, „Kostüme aus der Zeit und vom Hof Louis des XIV. und XV.“ zu verwenden, und zwar im Rahmen eines Festes, in dem Repräsentanten der unterschiedlichsten Völker unterschiedlichster Epochen – Chinesen, Armenier, Römer, Frauen in altdeutschen Trachten und auch Druiden – nach Weimar kommen, „um unserm Fürsten zu huldigen, der gerade das Eigenthümliche und Charakteristische einer jeden Nation zu schätzen und mit Neigung und Wohlgefallen zu betrach-

51 Hans-Werner Hahn: Fortschrittshindernis oder Motor des Wandels? Die thüringische Kleinstaatenwelt im 19. Jahrhundert, in: Thüringer Landtag/Historische Kommission Thüringen (Hrsg.): Vom Königreich der Thüringer zum Freistaat Thüringen, Erfurt 2000, S. 69 – 92. 52 Ein populärwissenschaftlicher Beleg für die nachhaltige Durchschlagskraft dieser Repräsentationsstrategie ist etwa Klaus Günzel: Das Weimarer Fürstenhaus: Eine Dynastie schreibt Kulturgeschichte, München und Zürich 2004. 53 ThHStAW, HA XXV Korrespondenzen S 64: Maria Pavlovna an Carl Friedrich (30. Juni/12. Juli 1828), Bl. 24.

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ten weiß.“54 Dieser Plan wurde nicht verwirklicht, aber die Begründung Riemers ist dennoch interessant: Nicht nur der Ruhm Weimars hat sich nach allen Gegenden der Welt verbreitet, seine Gastlichkeit ist es auch, die schon das ausgezeichnete Fremde freundlich aufnimmt und dessen Kunstsinn bereits öfter das Aesthetische auswärtiger Eigenthümlichkeiten in theatralischen sowohl als in mimischen Darstellungen zur theilnehmenden Anschauung gebracht hat.55

Um etwas Bedeutendes sollte es also durchaus gehen. Erst im Dezember 1829 kam es zu einer Entscheidung, als Oberbaudirektor Coudray dem Oberhofmarschall Spiegel mitteilte, Goethe habe Thema und Exposé eines Wartburgfestes „vollen Beyfalls gewürdigt“.56 Erst danach erging die endgültige Zustimmung Maria Pavlovnas, die Einladungen wurden verschickt und die beruhigende Mitteilung gemacht, Coudray und Riemer seien dienstags und freitags von zehn bis zwölf Uhr in der Bibliothek anzutreffen, um Hilfestellung und Rat in Kostümfragen zu geben.57 Die dichterische Qualität der vier Texte ist – milde gesagt – ungleichmäßig, wie besonders das Eröffnungsgedicht Der Fischer und die Nymphe der Ilm illustriert: Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll, Still harrend saß ich dran, Blickt auf die Angel sorgenvoll, Kalt bis ans Herz hinan; Wie ward mir, als ein sanftes Ziehn Die Angel mir entwand, Und, – die bezaubernd oft erschien, – Die Nymphe vor mir stand. Sie sang zu mir im süßen Ton: „Laß ab von Deinem Thun, Ein Fest winkt zum geliebten Thron, Drum soll die Arbeit ruhn; Komm mit zum Saal voll Herrlichkeit Im hochbeglückten Haus; Dort strahlt der Herzen Innigkeit In helle Freuden aus.“ 54 55 56 57

ThHStAW, HMA, Akten Nr. 2646, Bl. 17 – 17’. Ebd., Bl. 17. Ebd., Bl. 9. Ebd., Bl. 7.



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„Sieh! Wie Vergangnes wiederkehrt Aus hehrer Ahnen Zeit, Und einen guten Fürsten ehrt, Den Landeswohl erfreut. Die Wartburg senkt sich in mein Thal, Soll stolz die Ilm nicht sein? Ja! – nimmer fehlt sie in der Zahl Der huldigenden Reih’n.“ „An meinem Ufer klingt das Lied, Das alle Welt entzückt; So weiß ich, daß man gern uns sieht, Wenn auch nicht reich geschmückt! Du aber zagst? – zieht nur die Fluth Still an des Fischers Sinn? Zieht Fürstenhuld, treibt treue Gluth Für I h n Dich nicht dorthin?“ Sie sprach zu mir, sie sang zu mir, Hell stieg der Mond herauf; Die Wellen rauschten für und für, Warm schlug das Herz mir auf; Und mich ergreift, wie Wogendrang Des Festes Pracht und Lust, „Heil unserm Fürsten!“ dringt der Sang Sich aus der vollen Brust.58

Nach diesem Appell an die Untertanenloyalität wurden im Verlauf der nächsten drei Darbietungen drei zentrale inhaltliche Botschaften vermittelt: die Bedeutung der Dynastie für die Künste, die Bedeutung Weimars für Deutschland und dass Maria Pavlovna die Hüterin dieser Errungenschaften sei. Der Sänger-Wettstreit auf der Wartburg umfasst drei Teile, die jeweils drei Sprechrollen zugeordnet sind. Es treten auf Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Reinmar von Zweter, Heinrich von Rispach und Heinrich von Ofter-

58 ThHStAW, HA, C, Drucke, Nr. 372, Der Fischer und die Nymphe der Ilm, am Festabend des 2. Februar 1830, Verfasser unbekannt.

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dingen, während ein Sprecher deren dichterische Leistungen verhandelt. Zunächst aber erklärt ein Herold Sinn und Zweck des Unterfangens: Erhabner HERR, zum schönsten aller Feste Führ’ ich heran die fremdgeschmückte Schaar; Doch sind es nicht DIR ungekannte Gäste, DU nimmst in Huld die treusten Diener wahr. Des Fürsten Blick mit heitrer Schau zu laben Erscheinen sie, durch aller Künste Gaben: Auf dass der Saal mit würd’gem Schmuck sich kröne, In Bildgestalt der Wartburgsänger Töne.59

Die Verbindung zwischen Dynastie und Künsten wird bereits in der zweiten Strophe explizit ausgesprochen, als der Sprecher die Wartburg zum einen zu „Wiege“ und „Thron“ der Vorfahren Carl Friedrichs erklärt, und zum anderen die Burg als „des Genius geweihter Stätte“ beschreibt.60 Ihren Höhepunkt erlebt die Darstellung allerdings mit dem Auftritt von Klingsor als oberstem Richter des Sängerkrieges. Angekündigt wird er vom Sprecher anspielungsreich als „Meister in den freyen Künsten“ und „Meisterdichter“ – und Goethe selbst betritt die Szene, begleitet von seinen als Berggeistern verkleideten Enkeln.61 Allein durch die Präsenz des 80jährigen, aber auch durch den von ihm gesprochenen Text verschwimmen die Zeitebenen und es entsteht die Illusion von Synchronität: eines der Schlüsselmerkmale der Weimarer Erinnerungskultur. Goethe im mittelalterlichen Kostüm suggeriert eine Einheit von Minne und Dichtung der klassischen Periode, die noch dadurch verstärkt wird, dass zur gleichen Zeit der Thronerbe, Prinz Carl Alexander in der Rolle des Landgrafen Ludwig zu sehen ist. Ihm sagt Goethe/ Klingsor eine glänzende Zukunft voraus, bevor er innehält: Doch wie? was seh’ ich? bin ich traumgeblendet? Was ich soerst als künftig offenbart, Es zeigt der Augenblick es schön vollendet, Mich überrascht die kräft’ge Gegenwart: Ich sehe Blüth’ und Frucht von allen Zeiten Wie einen Frühling sich ringsum verbreiten; 59 ThHStAW, HA, C, Drucke, Nr. 375, Der Sänger-Wettstreit auf der Wartburg, Maskenzug zur Feyer des Zweyten Februars in Weimar, 1830, Bl. 3. 60 Ebd., Bl. 3’. 61 Ebd., Bl. 2’.



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In That und Wissen, Dichtung, Kunst und Leben Mich neues Licht und neuen Tag umgeben.62

Der dritte Text ist ein langes Festgedicht, das zunächst vorgibt, Carl Friedrich als Person zu verherrlichen.63 Dies ist kein leichtes Unterfangen, da sich das tradierte Bild des Fürsten als siegreicher Feldherr nicht anbietet. Insofern nimmt der Dichter zwar durchaus Bezug auf die Freiheitskriege und thematisiert sie als nationales Ereignis, beschreibt Carl Friedrich jedoch in erster Linie als Friedensfürst – wobei seine Verdienste um den Frieden undeutlich bleiben.64 Die zentrale Botschaft ist jedoch eine andere, denn es geht dem Verfasser um eine Charakterisierung des Landes selbst, die dem friedlichen Wesen des Fürsten entspricht und dennoch Ruhm in Aussicht stellt: Im Land, beglückt durch D e i n e s Scepters Segen, Wo Palm‘ und Oelzweig an dem Throne sprießt, Da schlägt das Herz dem Vaterland entgegen, Dem unerschöpft der Quell der Dichtung fließt. Im H e r z e n Deutschlands ist D e i n Land gelegen, Und wie vom Herzen sich das Blut ergießt, So strömt der D i c h t u n g Q u e l l aus D e i n e n Auen, Und strömet fort durch alle Deutschen Gauen.65

Dieses Bild wird schließlich auf den griffigen Nenner von Sachsen-Weimar-Eisenach als dem „schönen Land der Lieder“ gebracht und in der Schlussstrophe als ein Gut präsentiert, das die Nation bei Gefahr auch verteidigen werde: So herrsche denn im schönen Land der Lieder Noch lange, – lange, zu der D e i n e n Glück! Jedwede That schreibt die Geschichte nieder, Und ruft sie spät den Enkeln noch zurück. Doch kehrte je die Zeit der Stürme wieder, Und nahte sich ein feindliches Geschick,

62 Ebd., Bl. 7. 63 ThHStAW, HA, C, Drucke, Nr. 373, Carl Brunnquell: Fest-Lied zum 2ten Februar 1830, Sr. Königlichen Hoheit dem Durchlauchtigsten Großherzoge CARL FRIEDRICH von Sachsen-Weimar-Eisenach in tiefster Ehrfurcht überreicht, Vom Troubadour, Weimar, 1830. 64 Ebd., Bl. 2 – 2’. 65 Ebd., Bl. 2’.

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Dann, – wie die Eisenmauer D e i n e s Ahnen, Umgiebt D i c h schnell die Brust der Unterthanen!66

Zum Schluss treten 24 junge Damen auf, die „24 Stunden des Tages darstellend“,67 während ein letztes antikisierendes Gedicht die Herrschaft Carl Friedrichs und Maria Pavlovnas in den natürlichen Lauf der Zeit und den Wechsel von Tag und Nacht einordnet. Der Großherzog wird pflichtgemäß mit Helios assoziiert, aber die bemerkenswertesten Zeilen gelten der Großfürstin: Die Landesmutter, Sie, die hohe, anmuthreiche, Dem Himmel zugewandt und jenem Sternenreiche, Was auch im Lauf der Stunden uns verläßt, S i e hält mit heil‘gem Ernst das Edelste uns fest!68

In diesen programmatischen Texten des Hof-Masken-Balles am 2. Februar 1830 kristallisiert sich bereits die Erinnerungspolitik Maria Pavlovnas im Silbernen Zeitalter. Die Restaurierung der Wartburg geht schließlich auf ihre Anregung zurück und die Dichterzimmer im Residenzschloss machen die Verbindung von Weimarer Klassik und Dynastie erneut augenfällig.69 Zusammen gesehen mit ihrer konsequenten Unterstützung für die wissenschaftlichen Einrichtungen des Staates und ihrer Sozial- und Wirtschaftsförderungspolitik ergibt sich das Gesamtbild einer konservativen Modernisierungsstrategie, die sie im Gespräch mit Goethe einmal als die Notwendigkeit einer gemäßigten und festen Führung beschrieben hat.70 Insofern kann man dieses Fest von 1830 als eine im Kern politische Veranstaltung deuten. 66 Ebd. 67 ThHStAW, HMA, Nr. 4596, Fourierbuch zur Hofhaltung des Großherzogs Carl Friedrich, Bl. 37. 68 ThHStAW, HA, C Drucke, Nr. 374, Die Horen des zweiten Februars, Weimar, 1830, Bl. 3’, Verfasser unbekannt. 69 Zur Geschichte der Wartburgrestaurierung ausführlich: Angelika Pöthe: Carl Alexander: Mäzen in Weimars ‚Silberner Zeit‘, Köln, Weimar und Wien 1998, S. 297–344 mit weiterer Literatur; zu den Dichterzimmern: Martin Steffens: „Sie feiern das Land und seine Fürsten, zumeist aber die Dichter.“ Maria Pawlowna und die Einrichtung von Dichtergedenkräumen in Weimar und auf der Wartburg, in: AK Weimar 2004 (vgl. Anm. 12), S. 215 – 235. 70 ThHStAW, HA, A XXV, Akten, Nr. 484 (Tagebuch Maria Pavlovna 1829 – 1831), 16./28. Oktober 1830, Bl. 89. Zur Sozialpolitik Maria Pavlovnas am Beispiel des Patriotischen Instituts der Frauenvereine, siehe Dirk Alexander Reder: Frauenbewegung und Nation: Patriotische Frauenvereine in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert (1813–1830), Köln 1998, S. 248 – 326.



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Maria Pavlovna verschenkte auch keine Zeit, diese Botschaft über Hofgesellschaft und Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Eine Woche später wird die Maskerade noch einmal wiederholt, vor 200 Personen. Anlass war der Besuch des Herzogs und der Herzogin von Meiningen, die in Weimar Station machten – und zwar auf einer Reise nach Berlin.71 Ein Jahr später wird die politische Dimension noch deutlicher. Inzwischen war es in Frankreich zur Juli-Revolution gekommen und in Polen ein Aufstand ausgebrochen. In ihrem Tagebuch hielt Maria Pavlovna folgendes Gespräch mit Goethe fest: Visite à Göthe le Jeudi 1/13 Janvier 1831  ; […]urgençe selon moi de reçevoir et trouver les personnes de mérite pour leurs qualités et par rapport à la classe où elles se trouvent et point par égard pour leurs titres ; il faut trouver les conditions diverses et renonçer aux préventions, et préjugés contraires : – j’aurois bien désiré célébrer le jour le naissançe prochain du Gr Duc par une réunion au château qui admit sous le nom de bal masqué une plus grande partie de ses sujets autour de lui, et qui cependant n’auroit pas offert la richesse ni la variété des costûmes du bal masqué de l’hyver dernier : Göthe aprouvoit ce plan, mais les tems sont trop orageux et les nouveaux troubles en Hannovre sont trop voisins pour disposer aux fêtes.72

Stattdessen gab man eine Mittagstafel für 103 Personen und veranstalte am 3. Februar einen kleinen Hofball, einen thé dansant für 140 Personen.73 Ihre Loyalität zu Weimar bedeutete, dass sie öffentlich ihre enge Verbindung nur mehr sparsam darzustellen wünschte. Auch dies zeigt sich in der Festkultur. 1836 veranstaltete Carl Friedrich zum 50. Geburtstag seiner Frau zwar wieder einen ‚russischen Maskenzug‘, mit Kostümierungen verschiedener Völkerschaften des Zarenreiches. Der begleitende Text jedoch interpretiert diese Verbindung nicht mehr politisch, sondern präsentiert sie lediglich als Verweis auf Herkunft und Jugend der Großherzogin. Noch deutlicher wird die Einordnung der russischen Verbindung in ein Weimarer Narrativ durch den Austragungsort des Festes: Es war die Wartburg.74 71 ThHStAW, HMA, Nr. 4596, Fourierbuch zur Hofhaltung des Großherzogs Carl Friedrich, Bl. 44. 72 ThHStAW, HA, A XXV, Akten, Nr. 484 (Tagebuch Maria Pavlovna 1829 – 1831), 1./13. Januar 1831, Bl. 100’ – 101. 73 ThHStAW, HMA, Nr. 4597, Fourierbuch zur Hofhaltung des Großherzogs Carl Friedrich, Bl. 34 – 39. 74 Reck, Maria Pavlovna als Initiatorin (vgl. Anm. 43), S. 163. Siehe auch Renate Müller-Krumbach: Carl August Bernhard von Arnswald: Leutnant in Weimar zur Goethezeit, in: Günter Schuchhardt (Hrsg.): Romantik ist überall, wenn wir sie in uns tragen: Aus Leben und Werk des Wartburgkommandanten Bernhard von Arnswald, Regensburg 2002, S.  27 – 61, hier S. 54.

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4. Schlussbemerkungen Abschließend lässt sich festhalten, dass die Feste am Weimarer Hof für Maria Pavlovna nicht nur verpflichtender Bestandteil einer fürstlichen Existenz waren, sondern gerade aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die Hofkultur Möglichkeiten boten, ihre Politik zu kommunizieren. Dabei lässt sich freilich von ihrer Ankunft in Weimar bis zur Regierungsübernahme ihres Mannes eine doppelte Entwicklung der Großfürstin beobachten: zum einen wird sie von einer Beobachterin der Festkultur als Teil der sozialen und kulturellen Besonderheit Weimars zu einer Gestalterin dieser Festkultur. Zum anderen erfahren ihre politischen Grundüberzeugungen tiefgreifende Veränderungen. Beide Dimensionen dieses Anpassungs-, Übergangs- und Aneignungsprozesses werden von Maria Pavlovna transnational erlebt, gestaltet und doppelt national in Handeln umgesetzt. Die Gewichtungen ihres doppelten Nationalbewusstseins verschieben sich allerdings insbesondere durch das Auslaufen der russischen Option nach 1815, und auch die Juli-Revolution 1830 verdichtet Maria Pavlovnas politisches Handeln auf Deutschland. Der festliche Rekurs auf die Geschichte der Wartburg, die Aufhebung der Zeitebenen durch einen Maskenzug und der öffentliche Auftakt einer expliziten Memorialpolitik beschreiben diesen Wandel Maria Pavlovnas und markieren eine wichtige Weichenstellung der Politik des Großherzogtums, die sie – nicht nur in festlichem Rahmen – ganz wesentlich mitbestimmte.

„Was ist des Deutschen Vaterland?“ Friedensfeste nach 1800 in Schwedisch-Pommern

von Lars Deile „Am Abend des 18. Oktober 1814 färbte sich nach Einbruch der Dunkelheit der sternklare Himmel über weiten Teilen Deutschlands rot. Unzählige Feuersäulen loderten von Bergen und Anhöhen oder, wo natürliche Erhebungen fehlten, von exponierten Bauwerken. Sie tauchten bis weit in die laue Herbstnacht hinein ganze Landstriche in ein Feuermeer.“1 Dieter Düdings klassische Darstellung des Friedensfestes von 1814 beginnt mit dieser eindrücklichen Schilderung der symbolischen Verbundenheit durch formellen Gleichklang. In dieser wie in der Deutung der Zeitgenossen, erscheint das Fest zum Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig als konstituierender Moment eines erwachenden Nationalgefühls um 1800, als „Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert.2 Bekanntlich gibt es in Norddeutschland keine Berge. Deshalb will ich die Frage stellen, inwieweit in Norddeutschland „exponierte Bauwerke“ genutzt wurden oder, etwas präziser, danach fragen, wie dieses Fest, dessen zeitgenössische Dokumentation Berichte aus mehr als 250 Orten versammelt, in Schwedisch-Pommern begangen wurde. Die Region erscheint mir dabei aus zweierlei Gründen interessant. Zum einen wäre zu verfolgen, wie das Fest in der Peripherie gefeiert wurde – Karl Hoffmann, 1

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Dieter Düding: Das deutsche Nationalfest von 1814. Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek 1988, S. 67–88, hier S. 67. Karl Hoffmann: Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel oder Beschreibung wie das aus zwanzigjähriger französischer Sklaverei durch Fürsten-Eintracht und Volkskraft gerettete Teutsche Volk die Tage der entscheidenden Völker- und Rettungsschlacht bei Leipzig am 18. und 19. Oktober 1814 zum erstenmale gefeiert hat, Offenbach 1815. Das Fest aller Deutschen, in: Nemesis 3 (1814), S. 13–138. Michael Maurer: Feste zwischen Memoria und Exzess. Kulturwissenschaftliche und psychoanalytische Ansätze einer Theorie des Festes, in: Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar und Wien 2004, S. 115–134, hier S. 116 ff.

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der Initiator, wirkte von Rödelheim aus; wie weit wirkte das Netzwerk der Organisatoren? Sodann die Frage: Was heißt „‚teutsches Nationalfest‘, ‚Nationalfest der Teutschen‘, ‚Fest aller Teutschen‘, Geburtsfest teutscher Nation‘, ‚Teutschlands Fest‘“3 in einer Provinz, deren nationale Zugehörigkeit nicht so einfach zu bestimmen ist, in einer Gegend, die ab 1815 zu Preußen gehörte, seit 1648 aber integraler Teil des schwedischen Königreichs gewesen und zugleich Reichslehen gewesen war. Was also bedeutet überhaupt die Zuschreibung ‚deutsch‘ um 1800, insbesondere an den Grenzen.

1. Das Friedensfest 1814 als ‚Teutsches Nationalfest‘ Es kann keinen Zweifel geben: das Festgeschehen im Oktober 1814 stellte alles bis dahin Geschehene in Bezug auf terminlichen und formellen Gleichklang in den Schatten. Für einige Regionen ist das bereits überzeugend nachgewiesen worden.4 In Orten wie Jena vollzog sich, auch 1814, hier aber noch mehr 1816, ein Wandel der Friedensfesttradition. Zu den alten, nach Ende des Dreißigjährigen Krieges gestifteten Gestaltungselementen – Prozession, Gottesdienst, Turmmusik, Dankgebet – traten Formen der revolutionären Festkultur – Baumpflanzungen, Höhenfeuer, Verbrüderungsszenen, Turnervorführungen, paramilitärische Paraden.5 Neue Trägerschichten etablierten sich und bemächtigten sich ganz unspektakulär, in der Folge aber durchaus umkämpft, des Festgeschehens.6 Waren die traditionellen Frie3 4

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Düding, Nationalfest, S. 67 f. Düding, Nationalfest. Lars Deile: Das neue Friedensfest, in: Johanna Sänger/Lars Deile (Hrsg.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800, Köln, Weimar und Wien 2005, S. 49–73. Stefan-Ludwig Hoffmann: Mythos und Geschichte. Leipziger Gedenkfeiern der Völkerschlacht im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Etienne Francois/Hannes Siegrist/ Jakob Vogel (Hrsg.): Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich. 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 111–132. Vgl. besonders den Beitrag von Norman Beberhold in diesem Band. Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hrsg.): Das Augsburger Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen europäischen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, Berlin 2000. Andreas Klinger: Die Friedensfeste von 1650 in den ernestinischen Herzogtümern Gotha und Weimar, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 51 (1997), S. 97–114. Dagegen: Mona Ozouf: La fête revolutionaire 1789–1799, Paris 1976. Johanna Sänger: Plätze, Kirchen, Berge. Zur Beziehung von städtischen Räume und festlichem Ritual um 1800, in: Sänger/ Deile (Hrsg.), Spannungsreich, S. 17–30. So wurde in Jena die emanzipierte bürgerliche Festkultur ab 1821 wieder herrschaftlich sanktioniert – ThHStA Weimar, A 8752, 14r – und in den privaten Bereich abgedrängt (Nachweislich feierte man dann noch bei Ziegesars in Drackendorf; Hinweis von Hans-Werner Hahn). Katja Deinhardt: Die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse auf die Universität



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densfeste stets angeordnet und in ihrem Ablauf sanktioniert und vorgeschrieben, der Herrschaftsrepräsentation unterworfen gewesen, so wurde bei den Friedensfesten um 1800 spontan oder bürgerlich organisiert gefeiert. In Jena reicht das Spektrum von ausgelassenen, fast tumultartigen Ereignissen im Jahr 1797 bis zum großen bürgerlich und studentisch organisierten Friedensfest von 1816 mit der Pflanzung der Friedenseiche auf dem Brandplatz, dem späteren Eichplatz.7 Diese neuen Trägerschichten griffen dabei eine bestehende Festtradition auf und deuteten sie neu, besetzten sie differenzierter und emanzipierter. Aus der religiösen Dank- und dynastischen Huldigungsfeier wurden Stiftungsfeste bürgerlichen und studentischen Selbstbewusstseins, mitunter Stiftungsfeste nationaler Identität, in den Folgejahren auch Feste des Protests bürgerlicher Emanzipiertheit.8 Festzuhalten bleibt: das Friedensfest ändert sich um 1800 ganz grundsätzlich, in den Aspekten seiner Gestaltung, seiner Gemeinschaft und seiner Bedeutung.9 In der Nachfolge auf Düdings grundlegende Untersuchung zum Friedensfest von 1814 sind berechtigte Zweifel an der Identität von Festrezeption und Festrealität geäußert worden. Ute Planert, die den „Mythos vom Befreiungskrieg“ dekonstruiert hat, fasst ihre Bedenken folgendermaßen zusammen: „Der dokumentarische Eifer des Rödelheimer Justizrats Karl Hoffmann hat der Feier des 18. Oktober 1814 in der historischen Forschung eine Bedeutung des Archetyps des ‚deutschen Nationalfestes‘ eingebracht, die sie bei näherem Hinsehen zumindest aus zeitgenössischer Perspektive nicht verdient. […] Bei den Gedenkfeiern handelte es sich […] mitnichten um eine spontane Äußerung des Volksempfindens, sondern um eine von langer Hand mit erheblichem publizistischen Aufwand vorbereitete und koordinierte Aktion einer schmalen Schicht von Bildungsbürgern

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Jena, Jena 2001 (ungedr. Magisterarbeit). Dies.: Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln, Weimar und Wien 2007, S. 320–334. Johanna Sänger: Partizipationsgewinn durch Institutionalisierung? Frauen und Frauenverein in öffentlichen Festen, in: Sänger/Deile (Hrsg.), Spannungsreich, S. 142–157. Deile, Friedensfest, S. 62–67. Herausgehoben in der Rezeption sind das Wartburgfest 1817 und das Hambacher Fest 1832. Peter Brandt: Das studentische Wartburgfest vom 18./19. Oktober 1817, in Düding/Friedemann/Münch (Hrsg.): Festkultur, S.  89–112. Cornelia Foerster: Das Hambacher Fest 1832. Volksfest und Nationalfest einer oppositionellen Massenbewegung, ebd., S. 113–131. Hans-Werner Hahn: Die „Sängerrepublik“ unter der Wartburg. Das Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Eisenach im August 1847 als Beitrag zur kulturellen Nationsbildung, in: Dieter Hein/Andreas Schulz (Hrsg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, S. 195–215. Vgl. Lars Deile: Feste – eine Definition, in: Maurer (Hrsg.), Fest, S. 1–17.

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und städtischen Honoratioren, die zum Teil von mediatisiserten Adeligen unterstützt wurden.“10 Das Friedensfest von 1814 also nur ein Medienereignis? Soweit gehen die Zweifel nicht. Bisher wird nicht bestritten, dass das Fest mit ähnlichem Ablauf an mehreren hundert Orten stattgefunden hat. Das allein ist schon etwas Außergewöhnliches, tritt doch das Friedensfest aus seinem traditionell dynastischen und damit regionalem Rahmen heraus. Auch die Innovationskraft des neuen Friedensfestes muss unterstrichen werden. Nur, die Stilisierung als nationales Einheitsfest wird berechtigterweise von der eigentlichen Festrealität abgesetzt.11 Das muss man zugestehen, wenn man die umfangreiche Sammlung der Festberichte bei Karl Hoffmann studiert. Da gibt es traditionelle Friedensfeste mit Prozession und Gottesdienst und es gibt weit verbreitet die Feste neuen Typs. Auch Ansätze einheitlicher Gestaltung werden erkennbar. Das Empfinden tatsächlicher übergreifender nationaler Einheit ist eben auch zum großen Teil eine Realität, die erst der Festbericht entstehen lässt. Noch schwerer wird es, von einem Nationalfest zu sprechen, wenn man den Blick auf die räumliche Verteilung des Festgeschehens legt.12 Nicht nur, dass das Fest mitnichten ein „Fest aller Teutschen“ gewesen ist, auch eine klare räumliche Konzentration um Rödelheim herum entlang von Rhein und Main ergibt sich. Auch wenn das Netzwerk Karl Hoffmanns bisher nicht rekonstruiert ist, kann man anhand der Karte bestehende Kommunikationswege entlang von Handelswegen ausmachen. Auch ist eine Konzentration auf das so genannte ‚Dritte Deutschland‘ zu erkennen. Das hatte schon Dieter Düding ausgemacht. Anders als er, deutet Ute Planert diese Konzentration aber nicht als Befreiungsakt einer Region, die besonders unter Napoleon zu leiden gehabt hatte, sondern als kompen10 Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag – Wahrnehmung – Deutung, 1792 – 1841, Paderborn 2007, S. 615. Planert knüpft ihre Argumentation wesentlich an: Ute Schneider: Die Feiern der Leipziger Schlacht am 18. Okober 1814 – eine intellektuelle Konstruktion?, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 133 (1997), S. 219–238. Ute Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806 – 1918), Essen 1995. Vgl. Der Mythos des Befreiungskrieges: Die ‚martialische Nation‘ im Zeitalter der Revolutions- und Befreiungskriege 1792–1815, in: Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hrsg.): Förderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 63–82. 11 Eine solche Stilisierung war nicht neu, wie die Deutung des Krönungsfestes 1790 als „Nationalfest der Deutschen“ zeigt. Vgl. den Beitrag von Harriet Rudolph in diesem Band. 12 Dank an Kai Wichert für seine bewährte Unterstützung bei der grafischen Umsetzung der Auswertung.



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Abb. 1 – Räumliche Verteilung des Friedensfestes 1814. Unter Benutzung einer Karte des IEG Mainz.

satorisches Verhalten einer Region, die besonders stark mit Napoleon kollaboriert hatte.13 Das Fest zum Jahrestag der Völkerschlacht von 1814 war also dezidiert ein Friedensfest neuen Typs, als wirkliches Nationalfest aber mehr Anspruch als Wirklichkeit.

13 Düding, Nationalfest, S. 68. Planert, Mythos, S. 616. Dass gerade diese Region wieder bei der Revolution 1848/49 besonders hervortrat, ist ein auffälliger Zusammenhang (auf den mich Hans-Werner Hahn hingewiesen hat). Vgl. Heinrich Best: Die Männer von Bildung und Besitz. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990, S. 247–269.

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2. Spannungsfelder pommerscher Identitätsbildung Sucht man nach Festorten in Schwedisch-Pommern, dann findet sich nur Stralsund – mit dem obligatorischen Feuer, einem Ball und durch die Straßen ziehender Musik. In der Mecklenburger Nachbarschaft wurde nur in Schwerin gefeiert – mit einem Feuer, und in Friedland, wo die Turner einen Strohnapoleon in Flammen aufgingen ließen.14 In anderen Orten aber, in der Universitätsstadt Greifswald etwa, fand das Fest keine Resonanz.15 Dieser Befund spiegelt die Sondersituation Schwedisch-Pommerns wieder.16 Die Region lässt sich aus nationalstaatlichem Blickwinkel kaum erfassen. Im Frieden von Osnabrück 1648 wurde Pommern der schwedischen Krone für alle Ewigkeit als Reichslehen zugesprochen. Pommern blieb Teil des Reiches, der schwedische König hatte Sitz und Stimme im Reichstag, wurde aber zugleich Teil des schwedischen Königreiches. Die schwedische Krone übte ihre Herrschaft durch einen Generalgouverneur aus, der seinen Sitz in Stralsund hatte. Daneben behaupteten die Landstände bis 1806 ihre prägende politische Bedeutung. Diese konstitutionelle Mischung entwickelte sich in den 250 Jahren schwedischer Präsenz in Pommern auch kulturell.17 14 Hoffmann, Ehrentempel, S.  545–549 (Schwerin), 550–554 (Friedland), 967 (Stralsund). Wirklich interessant in seiner Gestaltung und in seinen Trägerschichten ist nur Friedland. Hier wurden insbesondere Lützower Freiwillige geehrt. In Friedland wie in Schwerin fällt der chauvinistische Ton auf. Dazu mehr noch unten. 15 Für Greifswald keinerlei Hinweis in den Akten des Stadtarchivs, des Universitätsarchivs und des Pommerschen Landesarchivs, auch nicht in den Polizeiakten. 16 Zur Geschichte Pommerns in dieser Zeit vgl. Werner Buchholz: Das schwedische Pommern, in: Jan M. Piskorski (Hrsg.): Pommern im Wandel der Zeiten, Szczecin 1999, S. 173–195. Kyra T. Inachin: Die Geschichte Pommerns, Rostock 2008, S. 108–119. Andreas Önnerfors: Svenska Pommern. Kulturmöten och identifikation 1720–1815, Lund 2003. Jens E. Olesen: Schwedisch-Pommern in der schwedischen Politik nach 1806, in: Michael North/Robert Riemer (Hrsg.): Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum, Köln, Weimar und Wien 2008, S. 274–292. Ulf Pauli: Det svenska Tyskland. Sveriges tyska besittningar 1648–1815. Stockholm 1990, Fritz Petrick: Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Schwedens Deutsche Staaten, in: Karl Ewald Tietz/Sven Wichert (Hrsg.): 130 Meilen nordwärts. Die Reise des Rüganers Arndt durch Schweden im Jahr 1804, Hefte der Ernst-MoritzArndt-Gesellschaft, Bd. 10, Groß Schoritz 2006, S. 37–45. Karl Scharping: Stimmung und Verhalten der Bevölkerung Schwedisch-Pommerns im Wandel der Zeit von 1806–1820, Stettin 1932. Martin Wehrmann: Geschichte von Pommern, Gotha 1919, S. 264–284. 17 Buchholz nennt als Beispiel etwa den Generalgouverneur Karl Gustav Wrangel, der in Pommern als Reichsfürst auftrat und gleichzeitig auf seinem schwedischen Schloss Skokloster ein absolutistisches Hofleben pflegte. Buchholz, Pommern, S. 185. Zu erwähnen wären auch die zahlreichen schwedischen Studenten und Professoren an der Universität Greifswald. Dirk Al-



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Nach dem Nordischen Krieg (1700–1721) musste Schweden die Gebiete südlich der Peene für zwei Millionen Reichstaler an Preußen abtreten. Turbulent wurden die Verhältnisse in der Region noch einmal in den Jahren nach 1800. Schwedisch-Pommern wurde zum Ort der Auseinandersetzungen der europäischen Großmächte. England und Russland versuchten von hier aus gegen das französische Hannover zu agieren, Frankreich und Preußen blickten mit expansiven Absichten auf die Ostseeküste.18 Für Schweden selbst wurde Pommern zum Problemfall und es wurde mit Plänen der Veräußerung gespielt.19 Ab 1805 überschlugen sich dann die Ereignisse: Schwedens Eintritt in den Krieg gegen Frankreich, die volle Inkorporierung Pommerns ins schwedische Reich 1806, die Turbulenzen des preußischen Rückzugs nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt, 1807 die Besetzung Greifswalds durch französische Truppen, deren Rückdrängung von Stralsund aus und die dann beginnende Offensive schwedischer, englischer und preußischer Freiwilliger (Schill, Gneisenau, Blücher) von Schwedisch-Pommern aus,20 die nach der Niederlage zu einer rücksichtslosen französischen Besatzungspolitik bis 1808 führte. 1810 schloss Schweden einen Frieden mit Frankreich, was zum Abzug der französischen Truppen führte, die aber 1812 zurückkehrten und bis 1813 blieben. Nach dem Krieg zwischen Schweden und Dänemark wurde Schwedisch-Pommern 1814 für zwei Jahre dänisch und schließlich 1815 preußisch. Zwischen 1807 und 1815 wechselte also die Landesherrschaft bzw. Besatzungsmacht insgesamt 10 mal. Wie das die Bevölkerung erlebte, lässt sich an einem Brief Friedrich Arndts an seinen Bruder Ernst Moritz kurz nach dem Frieden von Paris Anfang 1810 erkennen: „Wir sind nun also wieder auf unserm väterlichen Boden beisammen, und haben unsere lieben alten Schweden wieder, wie die Leute sie noch immer schelten. Es gibt jedoch nichts Helles wovon man mit Freude reden könnte; Schweden oder Deutschland, Franzosen oder Preußen – so blaßgrau die Farbe der Zeit, daß alles ineinanderfließt, und leider auch in dem Herzen der Menschen.“21

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vermann: Die Königlich Schwedische Universität Greifswald zur Zeit Ernst Moritz Arndts, in: Tietz/Wichert (Hrsg.): Meilen, S. 53–67, hier S. 60. Ivar Seth: Die Universität Greifswald und ihre Stellung in der schwedischen Kulturpolitik 1637–1817, Berlin 1956, S. 179–219. Roderich Schmidt/Karl-Heinz Spieß (Hrsg.): Die Matrikel der Universität Greifswald und die Dekanatsbücher der Theologischen, der Juristischen und der Philosophischen Fakultät 1700–1821, bearb. v. Reinhard Pohl, Stuttgart 2004. Buchholz, Pommern, S. 192. Inachin, Pommern, S. 108. Olesen, Schwedisch-Pommern, S. 277. Robert Riemer: Der Anfang der Befreiung? Ferdinand von Schill in Mecklenburg und Pommern, in: North/Riemer (Hrsg.), Ende, S. 306–327. Zit. n.: Inachin, Pommern, S. 114.

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‚Blaßgrau‘ und ‚alles durcheinander‘ – das beschreibt die Situation SchwedischPommens zwischen 1805 und 1815 sehr treffend. Einerseits litt die Region unter den militärischen Aushebungen, Aufmärschen, Durchzügen, Kämpfen und Besatzungen. Und andererseits war es in dem schnellen Wechsel zwischen Schweden, Frankreich, Preußen und Dänemark immer schwerer, die Frage staatlicher Identität zu klären. Diese Frage der Zugehörigkeit, die in anderen Gegenden zeitgleich euphorisch thematisiert wurde, war für Pommern seit 1805 immer weniger zu beantworten. Diese Aspekte zeigen sich auch in der Festkultur der Zeit. Während es etwa in Jena zwischen 1797 und 1817 eine ganze Serie von Friedensfesten gab, bei denen gerade auch eine Tendenz zur jahrestäglichen Wiederholung zu erkennen ist,22 so fehlt diese Praxis in Schwedisch-Pommern fast gänzlich.23 Es gab ein einziges Friedensfest 1810, ein Friedensfest alten Stils. Aus schwedischer Sicht war mit dem Frieden von Paris Anfang 1810 die Vorkriegsordnung wieder hergestellt. Zu diesem Zweck wurde, ganz im frühneuzeitlichen Stil, ein Dank- und Huldigungsfest angeordnet. Auf ein königliches Patent folgte eine gedruckte Anordnung des Generalgouverneurs von Essen, in dem der Ablauf bis hin zu den Predigttexten und dem vorgeschriebenen Dankgebet detailliert vorgegeben war.24 In Folge kam es zu den Vorbereitungen vor Ort. In Greifswald wurde der Gottesdienst von einer Prozession der Bürgerschaft vom Rathaus zum Dom unter Glockengeläut flankiert. Musik vom Rathausturm, Illumination der Innenstadt, Festmahl und Ball rundeten das Geschehen in traditioneller Weise ab. Nach Abstimmung mit der Universität entschloss sich diese zu einer eigenen Gedenkrede im Auditorium, natürlich einen Tag vor den angeordneten städtischen Feiern zur Unterstreichung der eigenen Bedeutsamkeit.25 Mehr nicht, alles ganz unspektakulär, geplant und geordnet. 22 Deile, Friedensfest, S. 63 f. Selbst als das Völkerschlachtgedenken bereits politisch verdächtig geworden war, feierte man im Hause Ziegesar im kleinen Rahmen bis in die 1820er Jahre hinein weiter, wie Marko Kreutzmann belegen konnte: Marko Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770 bis 1830, Köln, Weimar und Wien 2008, S. 419. 23 Die Tendenz zu jahrestaglicher Wiederholung pflegte auch die Gegenseite. Gerhard Müller: Vision einer Zeitenwende. Die erste Jubiläumsfeier der Schlacht bei Jena am 7. Oktober 1808, in: Birgit Hellmann: Jubiläen in Jena, Weimar und Jena 2005, S. 39–66. In Greifswald betraf das vor allem die wiederholten Feiern zu Napoleons Geburtstag. Stadtarchiv Greifswald: Rep. 5, Titel 13, 28 l Das Napoleonsfest. Universitätsarchiv Greifswald: Acta wegen der Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers und Königs Napoleon. 24 Pommersches Landesarchiv Greifswald: Rep. 10 Nr. 4498 Landessachen Acta betreffend den zwischen Schweden und Frankreich geschlossenen Frieden, fol. 5–7, 15, 16. Ebenso Stadtarchiv Greifswald: Rep. 5 Titel 13, 28 m, fol. 3,4. 25 Universitätsarchiv Greifswald: Hbg 55 Gedenkfeiern und Lobreden, fol. 71–74.



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Dass man 1810 nicht mehr Initiative bei der Gestaltung des öffentlichen Festes an den Tag legte, dass alles so zurückhaltend zuging, lag sicher an der wirtschaftlichen Lage,26 insbesondere aber auch daran, dass das angeordnete Friedensfest auf wenig innere Anteilnahme stieß und man sich wohl auch peinlich an die einzigen offiziellen Feste der Vorjahre erinnerte. So mancher hatte bei den von französischer Besatzung eingeforderten Festen zum Geburtstag Napoleons mehr Initiative gezeigt, als nötig gewesen wäre.27 Die städtischen Behörden hatten sich noch reserviert gezeigt, als sie am 13.08.1807 vom Besatzungskommandanten vorgeladen worden waren, sich dann aber auf die Minimalforderungen, Stadtreinigung und Illumination einlassen müssen.28 Auf Seiten der Universität aber gab es einige, die sich besonders hervortaten. Schon 1807 wurde im Senat ausdrücklich eine Illumination der akademischen Gebäude beschlossen.29 1808 sogar mit Schriftzug, „Napoleoni Hercali Musagetae“. Rüß bat im gleichen Jahr auch darum, seine Festrede nicht im üblichen Latein, sondern als Entgegenkommen an die Offiziere in Französisch halten zu dürfen. Und der Rektor bat die französischen Truppen um eine Ehrenwache vor dem Auditorium.30 1809 endlich hatte sich das Geschehen schon so verselbstständigt, dass sogar gefeiert wurde, obwohl gar keine Franzosen zu dem Zeitpunkt in der Stadt waren und Kosegarten drängte sich auf, die Rede, diesmal in Deutsch, halten zu dürfen, ein Engagement, für das seine Schriften 1817 auf dem Wartburgfest im Feuer landeten.31 Dieser Eifer bei den Napoleonsfesten der Jahre 1807–1809 ist meines Erachtens insbesondere dafür verantwortlich, dass die öffentliche Festkultur auf mehrere Jahre hin diskreditiert war. Wie sollten auch glaubhaft städtische und universitäre Honoratioren ein schwedisches Dank- und Huldigungsfest ausgestalten, wenn sie in den Jahren davor dem Kaiser der Franzosen gehuldigt hatten. 26 Ebd., fol. 71–73. Ähnlich: Stadtarchiv Greifswald: Rep. 5 Titel 13, 28 m, fol. 5–12. 27 Dirk Alvermann: „Eine schöne Stunde hat dem Vaterlande geschlagen …“ 1806 in der Wahrnehmung der Greifswalder Professoren, in: North/Riemer (Hrsg.): Ende, S. 206–220, hier S. 210 f. Victor Schultze: Die Universität Greifswald während der französischen Okkupation 1807–1810, in: Pommersche Jahrbücher 8 (1907), S. 65–83, hier S.73. 28 Stadtarchiv Greifswald: Rep. 5, Titel 13, 28 l Das Napoleonsfest, unpag. 29 Universitätsarchiv Greifswald: Hbg. 78 Acta wegen der Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers und Königs Napoleon, fol. 2. 30 Ebd., fol. 4. 31 Ebd., fol. 9. Ludwig Gotthard Kosegarten: Rede gesprochen am Napoleons-Tage des Jahres 1809 im grössern akademischen Hörsaal zu Greifswald, Greifswald 1809. Ferdinand Maßmann: Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg bei Eisenach am 18ten und 19ten des Siegesmonds 1817, Jena 1819, S. 24–28.

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Da es außerdem keine städtische oder studentische Gegenkultur gab, blieb 1810 alles beim Alten und 1814 beim ‚Teutschen Nationalfest‘ alles ruhig. Die emanzipatorische Festkultur, die man an anderen Orten findet, hat es in Schwedisch-Pommern nicht gegeben.

3. Pommern als Identitätsoption Zu fragen wäre aber, warum es diese Gegenkultur, diese spontane Besetzung des öffentlichen Raumes nicht gegeben hat. Ich meine, es liegt an der Spezifik der Identitätsbildung in Schwedisch-Pommern. Als was fühlte man sich in Greifswald zwischen 1805 und 1815? Wechselnde Landesherrschaften und Besatzungen, Durchzug fremder Truppen, schließlich der Verkauf an Preußen auf dem Wiener Kongress. Zunächst und vor allem war und wurde man in Schwedisch-Pommern in solch turbulenten Zeiten insbesondere schwedischpommersch.32 Der Handel florierte gen Norden. Politisch bestimmten die Landstände selbstbewusst über das nahezu autonome schwedische Gebiet, deswegen empfand man die Einführung des schwedischen Rechts 1806 auch als Staatsstreich.33 Ansonsten stellte sich schlicht die Frage der Identität nicht. Es wurde deutsch gesprochen. Die Grenzen waren offen. Die Frage nationaler Identität ist erst eine später in die Zeit projizierte. Das geschah schon von Zeitgenossen, die zunächst auf Napoleon gesetzt hatten und nach 1815 ihre preußische Zugehörigkeit unter Beweis stellen wollten.34 Und es geschah noch einmal Ende des 19. Jahrhunderts, als man in der Hochzeit des Nationalismus alles sauber abgrenzen wollte.35 Was es gab, waren regionale Besonderheiten, die politische Mischform eines schwedischen Reichsterritoriums etwa. Die Lage am Meer natürlich und damit einhergehend, besondere Tätigkeiten, Landschaften und klimatische Verhältnisse. Dieses Potential wurde nach den Verunsicherungen der Jahre seit 1805 weiterentwickelt. Wer alle halbe Jahre zu einer anderen Herrschaft gehört, verliert die Bindungen an diese und besinnt sich auf sich selbst. Auch deshalb weinte man den Schweden am Ende keine Träne nach. Schließlich hatten die ihr Prestige 1806 mit der Entmach32 Stig Strömholm: Tysk – tyskare – svensk, in: Tietz/Wichert (Hrsg.), Meilen, S. 12–21. Scharping, Stimmung, S. 21. 33 Lars Dalgren: Pommern und Schweden 1792 bis 1806. Der Staatsstreich von 1806 und dessen Vorgeschichte, in: Pommersche Jahrbücher 17 (1916), S. 1–191. 34 Tagebuch über den französischen Krieg, unter Leitung von Prof. Rühs verf. v. Barkow und Quistorp, in Pommersche Geschichtsdenkmäler 6, Greifswald 1889, S. 14–91. 35 Schultze, Universität. Ähnlich auch Wehrmann, Pommern.



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tung der Landstände verspielt und waren letztlich auch froh, dass sie sich dieses exterritorialen Gebietes 1805 auf so ökonomisch angenehme Weise entledigen konnten. In dieser Weise äußerte sich beispielsweise Friedrich Arndt 1813 in einem Brief an seinen Bruder Ernst Moritz: „Die Alten, bei denen ist die Hoffnung theuer, von den Preußen hoffen sie gar nichts, wo soll’s also herkommen. Unsere Schweden haben wir auch sattsam kennengelernt. Ihr Feldherr ist ein Franzos und ein Gascogner obendrein.“36 Schweden war also keine Option mehr, und Preußen sollte es ebenso nicht sein. Wenn man dort gehofft hatte, in Pommern mit offenen Armen empfangen zu werden, dann hatte man sich getäuscht.37 Einerseits keimte die Ablehnung Preußens aus alten Wurzeln. Seit Pommern 1720 geteilt worden war, hatte es immer wieder kleinere Auseinandersetzungen entlang der Peene gegeben. Preußen war das gegenüber liegende Ufer, im Sinne von Identitätsbildungsprozessen, die Gegenseite, von der man sich gerade abgrenzen musste. Diese Haltung verstärkte sich noch einmal bei der Übergabe Pommerns an Preußen 1815. Da wurden Briefe des Bedauerns nach Stockholm geschrieben, da „die Abtretung Pommerns an Preußen beklaglicherweise ins Werk gesetzt wird, und wir eifrigen Untertanen auf diese Weise von einer Regierung getrennt werden, der wir mit untertäniger Treue angehörten“.38 Der Adel fürchtete um die herausgehobene Position, die er im schwedischen Königreich gehabt hatte, ebenso die Kaufleute.39 Die Schiffer nahmen die schwedische Staatsbürgerschaft an, um sich preußischer Kontrolle zu entziehen.40 Die Beamten klagten über den preußischen Geschäftsgang. Der Bericht eines Polizeiinspektors

36 Zit. n.: Inachin, Pommern, S. 114. 37 Grundlegend: Kyra T. Inachin: Nationalstaat und regionale Selbstbehauptung : die preußische Provinz Pommern 1815–1945, Bremen 2005. Auch: Werner Buchholz: Die Formierung einer preußischen Provinz. Verwaltung und Gesellschaft Pommerns im 19. Jahrhundert, 1996, S. 31–45. Insgesamt: Thomas Stamm-Kuhlmann (Hrsg.): Pommern im 19. Jahrhundert. Staatliche und gesellschaftliche Entwicklung in vergleichender Perspektive, Köln, Weimar und Wien 2007. 38 Brief an den schwedischen Außenminister. Kungl. Bibliothek Stockholm, Handskrifter: Ep. E 10:17 Nr. Es v. Zit. n.: Regina Hartmann: Schwedisch-Pommern im Spannungsfeld zwischen schwedischer und deutscher Identität, in: Göran Bolin u. a. (Hrsg.): The Challenge of the Baltic Sea Region. Culture, Ecosystems, Democracy, Södertörn 2005, S. 119–135, hier S. 134. 39 Scharping: Stimmung, S. 22 f. 40 Vgl. Hartmann, Spannungsfeld, S. 134. Vgl. Jörg Driesner: Vom Küstenschmuggel zur staatlichen Piraterie, in: North/Riemer (Hrsg.), Ende, S. 293–305.

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Abb. 2 – Caspar David Friedrich: Hünengrab am Meer, 1806/07. Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen

sprach 1815 direkt von einer „üble[n …] öffentliche[n| Stimmung in SchwedischPommern“.41 Gerade der Verlust schwedischer und die Verweigerung preußischer Identität führte zur Ausprägung dezidiert regionaler Identität, die in der Folgezeit durchaus wirksam wurde. Ein Beispiel mag das verdeutlichen. 1806/07 entstand Caspar David Friedrichs Sepia-Zeichnung Hünengrab am Meer. Es zeigt konstituierende Elemente, die Pommerscher Identität zugeschrieben wurden: Das Meer, als Ort regionaler Besonderheit, Quelle für Wirtschaft und Handel aber auch gewaltige fast transzendentale Kraft mit zerstörerischem und segnendem Potential. Eine klimatische Rauheit, die in mentale Dispositionen metaphorisiert werden konnte.42 Standhaftigkeit trotz alledem. Symbolhaft stehen dafür die zwar umstürmten und gebrochenen, aber wieder ausschlagenden Eichen. Und eine Geschichte, die 41 Berlin, Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77 CCXL Nr. 9. Des Polizeiinspektors unterthänigster Bericht wegen der öffentlichen Stimmung in Schwedisch-Pommern vom 16.7.1815. Zit. n. Hartmann, Spannungsfeld, S. 134. 42 Dementsprechend ist auch Arndts Klimatheorie zu verstehen. Ernst Moritz Arndt: Ideen über die höchste historische Ansicht der Sprache, Rostock und Leipzig 1805.



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weiter zurückreicht als schriftliche Zeugnisse, damit auch eine die Phantasie beflügelnde Legendenhaftigkeit.43 Friedrich rekurriert auf bestehende Diskurse und prägte diese mit seinen Bildern mit aus. Solche Vorlagen konnten angenommen und weitergetragen werden, aber nur dann, wenn sie eine gewisse Akzeptanz fanden. Das ist augenscheinlich geschehen. 1810 kaufte der Weimarer Hof Friedrichs Zeichnung an und hier ist sie wohl auch in den Folgejahren Friedrich Preller zu Gesicht gekommen. Der unternahm in den 1840er Jahren selbst zahlreiche Reisen an die Ostseeküste und setzte die Vorlage Friedrichs mehrfach in eigenen Gestaltungen um.44 Wenn also in der Zeit um 1800 in Pommern Identitätsbildungsprozesse am Werk waren, dann setzte sich eher die Konstituierung pommerscher Eigenart durch, als die Prussifizierung.45 Auch deshalb gab es nach 1800 keine an ein ganzes Deutschland Anschluss suchende öffentliche Festkultur in Schwedisch-Pommern.

4. ‚Das ganze Teutschland‘ als Identitätsoption Und dennoch ist das Vorwort in Karl Hoffmanns Festberichtsammlung von einem Pommer geschrieben. Ernst Moritz Arndt war dafür besonders prädestiniert, weil er mit seiner 1814 erschienenen Schrift ‚Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht‘ die publizistische Vorlage und ein damit verbundenes Deutungsmuster für das Fest von 1814 geliefert hatte.46 Auch haben spätere Generationen Arndt zum Vorzeigedeutschen, zum Vordenker der deutschen Nation und des Preußentums gemacht.47 Aber Arndt hatte zunächst auf alles, nur nicht auf die deutsche Option gesetzt, er war begeisterter Schwede. Als Adjunkt an der Universität Greifswald hatte er 1804 die Huldigungsrede zum Geburtstag des schwedischen Königs gehalten, er war 1803/04 zu einer längeren Reise in Schweden unterwegs gewesen und hatte ab 1806

43 Für den Bereich der Regionalliteratur überzeugend herausgearbeitet bei: Hartmann, Spannungsfeld. 44 Lutz Tittel: Friedrich Preller d.Ä. – Hünengrab auf Rügen 1843, Regensburg 1997. 45 Wie sich diese dann langfristig doch vollzog, hat Kira Inachin umfassend beschreiben. Inachin, Nationalstaat. 46 Ernst Moritz Arndt: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht, Frankfurt 1814. 47 Vgl. etwa Johannes Paul: Ernst Moritz Arndt. „Das ganze Teutschland soll es sein!“, Göttingen, Zürich und Frankfurt 1971. Insbesondere ist das Loblied des Preußentums zu erwähnen, dass mit Arndt nichts mehr zu tun hat (S. 63 f.).

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im Auftrag des Königs begonnen, das schwedische Recht ins Deutsche zu übertragen.48 Arndt hatte also keinen Grund, sich anders als schwedisch zu empfinden. Besonders auch dann nicht, als ihm Schweden 1806 zur Zuflucht wurde. Da er durch antifranzösische Schriften hervorgetreten war – Napoleon war im ‚Geist der Zeit‘ als „erhabenes Ungeheuer“ 49 erschienen – musste er beim Anrücken der Franzosen um sein Leben fürchten. Noch ehe Greifswald im Januar 1807 besetzt wurde, entzog sich Arndt durch Flucht nach Schweden der drohenden Verfolgung. „Ich hatte nicht Lust, mich allenfalls einfangen und wie einen tollen Hund von den Welschen totschießen zu lassen,“ schrieb er Jahre später in seinen Erinnerungen.50 Gerade hier wurzelt Arndts tiefer Hass gegen Frankreich. Die französischen Aktivitäten in Pommern hatten Arndts zunächst erfolgreiche Karriere entscheidend gestört, hatten aus ihm einen Entwurzelten gemacht. Trost konnte da allgemeine Akzeptanz der persönlichen Emotionen verschaffen. Hass wurde diskursfähiger, wenn er generalisiert wurde. Arndt machte aus seinem persönlichen Hass einen „Volkshass“ und erhöhte damit die Akzeptanz des eigenen Denkens.51 Solche Vorlagen wurden dann unter napoleonischer Herrschaft in Deutschland zum Brennpunkt aller Diskurse gegen Frankreich. Als im Januar 1810 die französischen Besatzungstruppen Greifswald räumten, kehrte auch Arndt zurück, musste aber zur Kenntnis nehmen, dass seine Position mit Feindseligkeit bedacht wurde. „Meine letzten anderthalb Jahre in Greifswald waren mit vielen Dornen durchsäet, besonders durch die Flauheit und den welschelnden Sinn derjenigen, welche ich wegen alter freundlicher Erinnerungen und verwandtschaftlicher Verhältnisse hätte ehren sollen. Kosegarten, und mein Schwiegervater Quistorp […] waren so von der napoleonischen und französischen Bezauberung und von der Vergötterung der sogenannten liberalen Ideen der Franzosen befangen, daß dies die alte herzige Gemeinschaft unter uns störte.“52 48 Arndt: Sprache. Ernst Moritz Arndt: Reise durch Schweden im Jahr 1804. Berlin, 1806. Ernst Moritz Arndt: Erinnerungen aus dem äußeren Leben, Leipzig 1840, S. 96. Vgl. Gerhard Simson: Ernst Moritz Arndt. Deutscher oder Schwede?, in: Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung 5 (1950), S. 272. Hans Joachim Hermann: Arndt an der Universität Greifswald. „Sie haben ihre Zeit herrlich genutzt …“, in: Peter Kiehm (Hrsg.): Stätten des Wirkens von Ernst Moritz Arndt (1769–1860), Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 1, Groß Schoritz 1992, S. 49–64, hier S. 59f. 49 Ernst Moritz Arndt: Geist der Zeit. Berlin 1806. Zit. n.: Hermann, Arndt, S. 60. 50 Ernst Moritz Arndt: Erinnerungen, S. 98. 51 Ernst Moritz Arndt: Über Volkshass und über den Gebrauch einer fremden Sprache, Leipzig 1813. 52 Arndt: Erinnerungen, S. 111.



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Im Frühjahr 1812 verließ Arndt Greifswald und wurde ein Heimatloser, dessen Wunsch auf Rückkehr sich nicht erfüllen sollte.53 Fortan trug er dieses „Verletzungs­ trauma“ mit sich.54 Als Schweden dann 1815 die Heimat an Preußen verkaufte, endete Arndts Identitätsrest im Vakuum. Die Frage, die er 1810 – im Jahr seiner Rückkehr nach Greifswald, das er nicht mehr als heimatlich vorfand – in seinem bekannten Gedicht stellte, ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘, müsste präziser ‚Was ist des Arndt Vaterland‘ heißen. Was ist des Deutschen Vaterland? Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? Ist’s wo am Rhein die Rebe blüht? Ist’s wo am Belt die Möwe zieht? O nein, nein, nein! |: Sein Vaterland muss größer sein! :| […]

Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt: Das soll es sein! Das soll es sein! |: Das wackrer Deutscher, nenne dein! :| […]

Was ist des Deutschen Vaterland? Ist’s Pommerland? Westfalenland? Ist’s, wo der Sand der Dünen weht? Ist’s, wo die Donau brausend geht? O nein, nein, nein! |: Sein Vaterland muss größer sein! :| […]

Das ist des Deutschen Vaterland, wo Zorn vertilgt den welschen Tand, wo jeder Franzmann heißet Feind, wo jeder Deutsche heißet Freund. |: Das soll es sein! das soll es sein! Das ganze Deutschland soll es sein! :| […]

Gemessen an der Schwere der Entwurzelung ist Arndts Antwort geradezu eine im damaligen Zusammenhang kosmopolitische. Arndt setzte auf größere Bezugsrahmen, er weitete den Horizont und öffnete neue Perspektiven auf ein stärkeres Miteinander. Diese integrativen Appelle durchziehen das Gedicht. Aber Arndt ist auch einer der Begründer des chauvinistischen Aspekts des Nationalismus.55 Denn eine Nation konstituiert sich nicht nur durch kulturelle Zusam53 So in einem Brief an Karl Nernst (29.3.1812). Ernst Moritz Arndt: Erinnerungen 1769–1815, hrsg. V. Rolf Weber, Berlin 1985, S. 369. 54 Dieter Langewische: Reich, Nation, Förderation. Deutschland und Europa, München 2008, S. 64. 55 Stefan Jacob: Arndt und Stein. Über das Verhältnis zwischen geistigen Führern der Deutschen Erhebung von 1807 bis 1813/15, Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft Sonderband 1, Bonn 1993, S.  87–119. Korrigierend: Thomas Stamm-Kuhlmann: Arndts Beitrag zur Definition der ‚Nation’, in: Walter Erhart/Arne Koch (Hrsg.): Ernst Moritz Arndt

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menhänge („So weit die deutsche Zunge klingt“), sondern eben auch durch Abgrenzung nach außen („wo jeder Franzmann heißet Feind“). Gerade die Entwurzelten und Verletzten besetzten die in den Wirren der Jahre nach 1800 entstandenen Leerstellen der Identität neu.56 Sie waren es, die die Idee eines „ganzen Teutschland“ konstituierten, es aber in der Verallgemeinerung ihrer individuellen Disposition auch von Anfang an chauvinistisch dachten. Interessanterweise waren es oft gerade deren zeitweilige Opponenten, die unter veränderten Bedingungen die nationalen Ideen aufgriffen und steigerten. Gerade diejenigen, die sich eng an Napoleon gehalten hatten, versuchten in der Folgezeit ihre Integrität dadurch wieder herzustellen, dass sie sich umso nationaler gaben. In dieser Weise hat Ute Planert im Anschluss an Ute Schneider das Friedensfest von 1814 und seine Stilisierung zum Nationalfest gerade im Festbericht verstanden, als ein Ereignis, mit dem das ‚Dritte Deutschland‘ wieder anschlussfähig zu werden versuchte.57 In Greifswald trat mit einer ähnlichen Kompensationsstrategie der Historiker Christian Friedrich Rühs auf. Hatte er 1808 die Huldigungsrede zu Napoleons Geburtstag auf eigenen Wunsch und unnötigerweise von den üblichen Gepflogenheiten abweichend in französischer Sprache gehalten, trat er nach dessen Ende umso vehementer als Verfechter der Prussifizierung Pommerns hervor.58 „Die Pommern gehören von nun an zu Deutschland in Gemeinschaft mit den Preußen oder als Preußen, und werden Teilnehmer des Ruhms, den ihre Brüder durch eine redliche Gesinnung, ungeschminkte Treue, stille Besonnenheit und unerschrockene Tapferkeit sich unter den Völkern der preußischen Monarchie erworben haben. Es wird keiner schwierigen und verwickelten Verhandlungen bedürfen, um die bisherige Verfassung mit der neuen Lage in Übereinstimmung zu bringen, denn die Verhältnisse des Theils, der bis jetzt von dem großen Körper (1769–1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven, Tübingen 2007, S. 17–29. 56 Isaiah Berlin: Der Nationalismus, Frankfurt 1990, S. 58–65. 57 Planert, Mythos, S. 615 f. Ute Planert: Auf dem Weg zum Befreiungskrieg. Das Jubiläum als Mythenstifter. Die Re-Interpretation der napoleonischen Zeit in den Rheinbundstaaten, in: Winfried Müller (Hrsg.): Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004, S. 195–218. 58 Universitätsarchiv Greifswald: Acta wegen der Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers und Königs Napoleon (Hbg 78), fol. 4. Andererseits: Friedrich Rühs: Die Vereinigung Pommerns mit der preußischen Monarchie. Schreiben an einen Kaufmann im ehemaligen schwedischen Pommern, Berlin 1815. Rühs, dem sich Arndt zunächst verbunden gefühlt hatte, war es auch, der nach Arndts Flucht und Amtsenthebung die Stelle als Extraordinarius für Geschichte bekam. Universitätsarchiv Greifswald: Philosophische Fakultät – Historiker vol. 1 (Phil. Fak. I – 21), fol. 105.



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getrennt gewesen ist, sind im Grunde dieselben, und nichts wird daher leichter und natürlicher seyn, als das Wiederanschließen.“

Rühs steigt hier in den Abgrenzungsdiskurs ein und begründet die neue preußische Identität, indem er sie zu historisieren versucht und die schwedische Vergangenheit als Verfehlung erscheinen lässt. Das ist leicht als bewusstes Konstrukt zu entlarven, ist pure Rhetorik. Die Prussifizierung Pommerns war tatsächlich ein langer Prozess, bei dem seit den 1840er Jahren auch verstärkt auf öffentliche Feste gesetzt wurde.59 Damit wäre das Feld vermessen. Die Jahre nach 1805 waren für die Zeitgenossen in Schwedisch-Pommern eine Zeit tiefer Entwurzelung. Mit dem Verkauf an Preußen entfiel die schwedisch-pommerscher Identität abrupt. Zur Besetzung dieser Leerstelle konnte auf eine regional-pommersche Option gesetzt werden. Die preußische konnte sich nur sehr langsam durchsetzen und stieß zunächst vor allem auf Ablehnung. Daneben setzten die vollends Entwurzelten, wie Ernst Moritz Arndt, auf eine nationalchauvinistische Option, die dann auch von denen aufgegriffen werden konnte, die nach dem Sturz Napoleons ihre nationale Gesinnung besonders unter Beweis stellen wollten, um ihre Vergangenheit als Kollaborateure vergessen zu machen. All diese Identitätsbildungsprozesse spiegeln sich in den öffentlichen Festen der Zeit wieder, sie sind aber gerade auch in den Festen zu erkennen, die gar nicht stattfanden.

59 Inachin, Nationalstaat, S. 193–198.

Fest und Politisierung zwischen den Freiheitskriegen und der Revolution von 1848/49 von Hans Werner Hahn Die Zusammenhänge von Festkultur und Politisierung sind, wie zahlreiche Arbeiten über das erste „teutsche Nationalfest“ von 1814, das Wartburgfest, das Hambacher Fest oder die Sänger- und Turnerfeste der 1840er Jahre zeigen, für die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts inzwischen sehr breit untersucht. Unbestritten ist auch, dass neben der Publizistik, den Verfassungen und den mit ihr verbundenen Wahlen gerade die Feste einen wichtigen Beitrag zur Politisierung der deutschen Gesellschaft geleistet haben, die mit der Revolution von 1848/49 einen ersten Höhepunkt erreichte.1 Auch der Vergleich zwischen einzelnen Festen wie der zwischen Wartburgfest und Hambacher Fest2 oder der innerregionale Vergleich – wie die Arbeit über die politischen Feste in der preußischen Rheinprovinz3 – spielt in der neueren Forschung zu den politischen Festen eine wichtige Rolle. Dennoch erscheinen gerade wegen des ausgeprägten politischen Regionalismus, der die deutsche Geschichte des Vormärz prägte, weitere vergleichende Untersuchungen zum Zusammenhang von Fest und Politisierung sinnvoll. Im Folgenden soll daher vor allem 1

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Zur neueren Forschung zur politischen Bedeutung der öffentlichen Festkultur vgl. Elisabeth Fehrenbach: Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (= EDG 22), München 2 2007; ferner vor allem die Beiträge in Manfred Hettling/Paul Nolte (Hrsg.): Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993 sowie Dieter Düding/Peter Friedmann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. Reinbek 1988. Vgl. etwa Eike Wolgast: Feste als Ausdruck nationaler und demokratischer Opposition – Wartburgfest 1817 und Hambacher Fest 1832, in: Horst Bernhardi/Ernst Wilhelm Wreden (Hrsg.): Jahresgabe der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung 1980/81/82, o. O. 1982, S. 41–71. Vgl. etwa Ute Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806–1918), Essen 1995; Bernhard Wien: Politische Feste und Feiern in Baden 1814–1850. Tradition und Transformation. Zur Interdependenz liberaler und revolutionärer Festkultur, Frankfurt am Main u. a. 2001.

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am Beispiel einiger Thüringer Feste erstens danach gefragt werden, wie solche Feste über ihren Verlauf, ihre Inhalte und nicht zuletzt auch über ihre symbolischen Inszenierungen in breiten Kreisen der Gesellschaft Interesse an den großen politischen Fragen weckten, zur Demokratisierung politischer Rituale beitrugen und mit all dem die Forderungen nach politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wachsen ließen. Zweitens soll gezeigt werden, wie auch in einer von Repression geprägten Ordnung des Deutschen Bundes politische Botschaften vermittelt werden konnten, die das bestehende Herrschaftssystem in Frage stellten. Drittens soll aber auch nach den gesellschaftlichen Grenzen dieser vom liberalen und demokratischen Bürgertum getragenen Politisierung gefragt werden. Trotz der repressiven Politik des Deutschen Bundes, die spätestens seit den Karlsbader Beschlüssen den politischen Handlungsspielraum der frühliberalen und nationalen Kräfte drastisch einengte, gewann das Fest als Medium zur Verbreitung politischer und gesellschaftlicher Reformideen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine immer größere Bedeutung. Die aufklärerische Festtheorie, das Vorbild der französischen Revolutionsfeste, das 1814 gefeierte erste „Nationalfest der Teutschen“ und das Wartburgfest von 1817 hatten auch in Deutschland eine neue öffentliche Festkultur entstehen lassen.4 Vor allem nach 1830 stieg die Zahl von Festen und die Zahl der Festteilnehmer kontinuierlich an. Durch die an Bedeutung gewinnende Presse und durch umfangreiche Festbeschreibungen wuchs zugleich die öffentliche Wahrnehmung der Feste und der auf ihnen offen oder verdeckt vertretenen politischen und gesellschaftlichen Leitvorstellungen. Letztere bezogen sich vor allem auf drei Bereiche. In den vom Bürgertum dominierten Festen der ersten Jahrhunderthälfte ging es erstens um die politische Ordnung Deutschlands, zweitens um die verfassungspolitischen Wünsche des Bürgertums und drittens um das Zukunftsmodell einer bürgerlichen Gesellschaft. Das 1814 zum ersten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht an vielen Orten Deutschlands gefeierte „teutsche Nationalfest“ bildete die „Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert“.5 Bei diesen Festen, die auf Anregungen von Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt zurückgingen, kamen am 18. und 19. Oktober 1814 mehrere zehntausend Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammen, um das Ende der napoleonischen Herrschaft zu feiern. Zugleich wurde in zahlreichen Reden und durch Leuchtfeuer auf den Bergen der noch vage Wunsch 4

5

Vgl. Düding u.a. (vgl. Anm. 1), Öffentliche Festkultur; Hettling/Nolte (vgl. Anm. 1), Bürgerliche Feste; zur Theorie des Festes vgl. Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar und Wien 2004. Vgl. Dieter Düding: Das deutsche Nationalfest von 1814. Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert, in: Düding u.a. (vgl. Anm. 1), S. 67–88.



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nach einem engeren politischen Zusammenhalt der verschiedenen deutschen Staaten ausgesprochen. Arndt schrieb später, dass es für ihn einer der schönsten Abende seines Lebens gewesen sei, „als ich mit mehreren Tausenden fröhlicher Menschen den 18. Oktober auf dem Gipfel des Taunus, dem Feldberge, stand und den Himmel ringsum in der Nähe und Ferne von mehr als fünfhundert Feuern geröthet sah; denn was in dem Spessart, dem Odenwald, dem Westerwald, dem Donnersberg auf den höchsten Gipfeln brannte, dessen Feuer leuchtete zu uns herüber“.6 Die mit den Festfeuern symbolisierte nationale Verbrüderung bezog sich meist ausdrücklich auf den gemeinsamen Kampf von Fürsten und Volk, durch den Deutschland – so der Tenor der Ansprachen und Aufrufe – das napoleonische Joch abgeschüttelt habe. Während die meisten Festredner darauf vertrauten, dass die Fürsten auf dem Wiener Kongress „die für das Wohl der Nation notwendigen Entscheidungen“ treffen würden,7 trat vereinzelt doch auch deutliche Kritik an jenen Fürsten hervor, die eng mit Napoleon kooperiert hatten.8 Obwohl aber von einzelnen Rednern die „Partheisucht“ der Deutschen gegeißelt wurde, „die neben sich den Bruder, in dem Kleinen sich gefallend das Große vergisst, in dem kleineren Namen Hesse, Wetzlarer, Nassauer u. fast den Gedanken an ein gemeinsames teutsches Vaterland verliert“,9 existierte beim Nationalfest von 1814 noch kein klares nationales Einigungsprogramm. Die Bekenntnisse zu Deutschlands Einheit und Freiheit schlossen zudem die Loyalität zu den einzelstaatlichen Dynastien und damit zur vielfach bekräftigten föderativen Ordnung der deutschen Staatenwelt keineswegs aus.10 Dennoch sollte das Streben nach einer engeren politischen Einheit der deutschen Staatwelt bei den nach 1815 folgenden Festen des Bürgertums immer stärker hervortreten. 6

Zitiert nach: Karen Hagemann: „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn u. a. 2002, S. 481. 7 Vgl. Düding, Nationalfest (vgl. Anm. 5), S. 78. 8 Vgl. etwa die Rede des Rödelheimer Justizrates Karl Hoffmann, der deutsche Fürsten beschuldigte, als „Vaterlandsverräter […] in Gemeinschaft mit dem verruchten Erbfeinde teutschen Volks“ verabscheuungswürdige Taten begangen zu haben. Karl Hoffmann (Hrsg.): Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel oder Beschreibung wie das aus zwanzigjähriger französischer Sklaverei durch Fürsten-Eintracht und Volkskraft gerettete Teutsche Volk die Tage der entscheidenden Völker- und Rettungsschlacht bei Leipzig am 18. und 19. Oktober 1814 zum erstenmale gefeiert hat, Offenbach 1815, S. 471. 9 So der Asslarer Pfarrer Raßmann auf dem Fest in Wetzlar, in: ebd., S. 998. 10 Zu den föderativen Ordnungsvorstellungen im deutschen Frühnationalismus vgl. Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000; Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hrsg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000.

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Die Motive für dieses Einheitsstreben waren vielschichtig und wurden je nach politischer Interessenlage unterschiedlich stark akzentuiert. In den Freiheitskriegen gegen Napoleon standen zunächst die sicherheits- und machtpolitischen Aspekte des Einheitswunsches im Zentrum. Zugleich spielten aber, wie vor allem die Kritik an der kulturellen Überfremdung durch die napoleonische Herrschaft und das laut werdende Bekenntnis zu deutscher Sprache und deutschen Sitten zeigten, auch die kulturnationalen Motive eine entscheidende Rolle, die im Zuge der Romantik ein noch stärkeres Gewicht erhalten sollten.11 In den bürgerlichen Festen des 19. Jahrhunderts kam aber seit 1814 auch dem freiheitlichen Motiv des Einheitsstrebens eine immer größere Bedeutung zu. Zwar wurde die „deutsche Freiheit“ in der Umbruchssituation der Freiheitskriege auch noch von jenen beschworen, die alten ständischen Freiheitsvorstellungen nachhingen.12 Aber in zahlreichen Reden des Nationalfestes von 1814 wurde zum Ausdruck gebracht, dass man für Deutschland eine neue, auch vom Volk ausgehende „vaterländische und heilbringende Verfassung“ anstreben müsse, die nicht mehr nur „von Knochen alter staatskörperlicher Reliquien zusammengesetzt seyn könne“.13 All diese Einheitsmotive kamen auf dem Wartburgfest des Jahres 1817 noch klarer zum Ausdruck als beim Nationalfest von 1814 oder den Friedensfesten der Jahre 1815/16. Hier machten die Studenten ihren Mitgestaltungsanspruch in den nationalen und verfassungspolitischen Fragen in einer Weise geltend, dass dieses Fest trotz der bald einsetzenden Repressionspolitik für die Politisierung der deutschen Gesellschaft nachhaltige Akzente setzte.14 Von allen politischen Festen zwischen 1814 und 1848 fand das Wartburgfest neben dem Hambacher Fest des Jahres 1832 daher sowohl bei den Zeitgenossen als auch in der historischen Forschung die größte Aufmerksamkeit. 11 Vgl. etwa am Beispiel der Germania Lothar Gall: Die Germania als Symbol nationaler Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1993. 12 Vgl. hierzu Hans-Werner Hahn: Die alte Freiheit und der Beginn der Moderne. Überlegungen zur Bedeutung der „deutschen Freiheit“ in den politischen Formierungsprozessen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Georg Schmidt/Martin van Gelderen/Christoph Snigula (Hrsg.): Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850), Frankfurt am Main u. a. 2006, S. 515–535. 13 Hoffmann (vgl. Anm. 8), Des Teutschen Volkes, S. 989. 14 Dies betont Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007, S. 332ff. Zum Wartburgfest vgl. ferner Günter Steiger: Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland, Leipzig, Jena und Berlin 21991; Peter Brandt: Das studentische Wartburgfest vom 18./19. Oktober 1817, in: Düding u.a. (vgl. Anm. 1), S. 89–112; Joachim Bauer: Studentische Festerwartungen. Das Wartburgfest 1817, in: Enno Bünz/Rainer Gries/Frank Möller (Hrsg.): Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren, Stuttgart 1997, S. 126–168.



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Beide Feste sind in der Forschung oft miteinander verglichen worden:15 Die gemeinsamen Elemente bestanden einerseits darin, dass auf beiden Veranstaltungen die Einheits- und Freiheitsforderungen des liberalen Bürgertums nachhaltig vertreten, damit wirkungsvolle Impulse für die Politisierung gesetzt, zugleich aber auch repressive Gegenreaktionen der alten Gewalten hervorgerufen wurden. Andererseits wurde und wird aber immer wieder auf wesentliche Unterschiede zwischen beiden Festen hingewiesen. Hier werden vor allem fünf Faktoren hervorgehoben: Erstens nahmen am Hambacher Fest16 mit seinen deutlich mehr als 20 000 Besuchern viel mehr Menschen teil als am Wartburgfest mit seinen etwa 500 Studenten, sodass ganz andere Möglichkeiten eines politischen Gemeinschaftserlebnisses gegeben waren. Zweitens war die soziale Zusammensetzung der Hambacher Festteilnehmer deutlich breiter; neben Studenten, Bildungsbürgern, Kaufleuten und Handwerkern gehörten auch Bauern, Gesellen, Tagelöhner sowie zahlreiche Frauen zu den Festbesuchern. Drittens waren die Reden des Hambacher Festes und sein publizistisches Umfeld durch ein stärkeres demokratisches Pathos geprägt. Die Forderungen nach Volkssouveränität, Repräsentativverfassung und staatsbürgerlicher Gleichheit unterstrichen eine größere Nähe zu den westeuropäischen Freiheits- und Verfassungsvorstellungen. Der Heidelberger Student Karl Heinrich Brüggemann knüpfte zwar als einziger Redner an das Wartburgfest an, indem er es als „Vorspiel unseres Manifestes“ bezeichnete,17 aber auch seine politischen Ordnungsvorstellungen waren letztlich stärker von den neuen westeuropäischen Entwicklungen bestimmt als von der Rückbesinnung auf das Wartburgfest. Viertens ist aber vor allem immer wieder darauf verwiesen worden, dass das Hambacher Fest durch die klaren Bekenntnisse zu einem Europa freier Nationen und durch seine Solidarität mit dem Freiheitskampf der Polen von einer Nationsvorstellung geprägt gewesen sei, die sich deutlich von der des Wartburgfestes mit seinen deutschtümelnden, antifranzösischen und antijüdischen Tendenzen und seiner Mittelalterverklärung18 unterschieden hätte. Und fünftens wird oft darauf verwiesen, dass erst die schwarz-rot-goldene Hambach15 Vgl. hierzu vor allem Wolgast, Feste (vgl. Anm. 2) sowie Eike Wolgast: Wartburgfest 1817 und Hambacher Fest 1832 – Programmatik und Rhetorik, in: Wartburg-Jahrbuch 10 (2002), S. 98–118. 16 Zum Hambacher Fest liegt eine Fülle von Darstellungen vor, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden können. Zum Festverlauf und den politischen Zielen vgl. zuletzt Joachim Kermann/Gerhard Nestler/Dieter Schiffmann (Hrsg.): Freiheit, Einheit und Europa. Das Hambacher Fest von 1832 – Ursachen, Ziele, Wirkungen, Ludwigshafen 2006. 17 Johann Georg August Wirth: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach, Neustadt 1832, faksimilierter Nachdruck Neustadt 1981, S. 80. 18 Vgl. etwa die stark abwertende Beurteilung bei Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49, München 1987, S. 334ff.

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fahne den Farben der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung die breite öffentliche Resonanz verschafft hätte.19 Gegen eine pauschale, auch mit geschichtspolitischen Akzentsetzungen der alten Bundesrepublik verbundene Aufwertung von Hambach20 und der entsprechenden Abwertung des Wartburgfestes sind zu Recht Bedenken vorgetragen worden. Zum ersten dominierten beim Wartburgfest zwar die Studenten, doch es gab seit den Freiheitskriegen in allen Universitätsstädten nicht zuletzt über das Turnwesen enge Verbindungen zwischen Burschenschaft und Bürgern und auch die Eisenacher Bürgerschaft verfolgte das Festgeschehen keineswegs völlig passiv.21 Hinzu kam, dass in Eisenach wie in Hambach die Einheits- und Freiheitsforderungen untrennbar miteinander verbunden waren. Die Einheit war die Voraussetzung für die Durchsetzung der freiheitspolitischen Ziele. Zwischen dem „national-demokratischen Aufbruch“ von 1817 und dem Fest von 1832 gab es ferner schon dadurch enge Verbindungen, dass auch das Hambacher Fest von bildungsbürgerlichen Kräften vorbereitet wurde, die wie Wirth durchaus die Kontinuität zum Wartburgfest hervorhoben. Zwar erhielten die Farben der frühen studentischen Bewegung durch die 1832 nun erstmals klar hervorgehobene deutsche Trikolore einen gewaltigen Bedeutungszuwachs, aber Georg August Wirth, einer der beiden wichtigsten Initiatoren des Hambacher Festes, stellte die von ihm stark propagierte schwarz-rot-goldene Fahne im Vorfeld des Festes ganz bewusst in die Tradition von Wartburgfest und Burschenschaft. Die Farben der Burschenschaft, so argumentierte er in einem Artikel „Zur Wiedergeburt des Vaterlandes“, seien im vorausgegangenen Jahrzehnt das einzige gewesen, was den Gedanken an Einheit und Freiheit nach Karlsbad noch wachgehalten habe.22 Wirths Hambacher Rede und seine Warnungen vor einem möglichen französischen Expansionsstreben23 zeigten im Übrigen, dass die national- und sicherheitspolitischen Aspekte auch 1832 eine wichtige Rolle spielten. Gewiss waren die Beschwörung altdeutscher Traditionen und die antifranzösischen Attacken in Hambach deutlich geringer als auf dem Wartburgfest. Das Hambacher Schloss besaß nicht jenen 19 So wird das Hambacher Fest auch als „eigentlicher Geburtstag des deutschen Dreifarb“ bezeichnet. Peter Reichel: Schwarz-Rot-Gold. Kleine Geschichte der deutschen Nationalsymbole nach 1945, München 2005, S. 18. 20 Vgl. hierzu Erich Schunk: Die Hambach-Tradition in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Werner Hahn (Hrsg.): Johann Philipp Becker. Radikaldemokrat – Revolutionsgeneral – Pionier der Arbeiterbewegung, Stuttgart 1999, S. 175–185. 21 Vgl. Ries, Wort und Tat (vgl. Anm. 14), S. 332ff. 22 Aufruf an die Hochschulen, in: Deutsche Tribüne Nr. 58 vom 4. März 1832. 23 Vgl. Elisabeth Hüls: Johann Georg August Wirth (1798–1848). Ein politisches Leben im Vormärz, Düsseldorf 2004, S. 274ff.



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nationalen Symbolwert, wie die Wartburg, die als Luther-Stätte zu einem zentralen Element der protestantisch geprägten Sakralisierung der deutschen Nation wurde.24 Zum einen muss man aber in diesem Zusammenhang sehen, dass das Hambacher Fest nach dem europäischen Aufbruch des Jahres 1830 in einem ganz anderen politischen Klima stattfand als das Wartburgfest, das noch ganz unter den Bedrückungen der napoleonischen Herrschaft und des antinapoleonischen Kampfes gestanden hatte. Zum anderen war aber auch das Hambacher Fest keineswegs frei von Elementen einer romantischen, bis zur Germanenzeit zurückgreifenden Nationsvorstellung und Elementen nationalen Sendungsbewusstseins. So wurde etwa im Einladungsschreiben zum Deutschen Mai daran erinnert, dass nach germanischer Sitte schon die Franken – „unsre ruhmbekränzten Väter“ – im Mai „ihre National-Versammlungen“ abgehalten hätten.25 Darüber hinaus stellten die Hambacher Redner ihr Streben nach deutscher Einheit zwar in einen europäischen Zusammenhang, wiesen aber zum Teil dem künftigen Deutschland als Mittelpunkt und Führungsmacht Europas und als „Wächter des Lichts, der Freiheit und der völkerrechtlichen Ordnung“ zugleich eine besondere Rolle zu.26 Dennoch standen die machtpolitischen Aspekte des deutschen Einheitsstrebens auf dem Hambacher Fest eher im Hintergrund, weil die Hoffnungen auf ein gemeinsames Europa freiheitsliebender Völker27 seit 1830 mächtigen Auftrieb erhalten hatten und auch bei Wirth das „conföderierte republikanische Europa“28 ein wichtiges Ziel blieb. Erst auf den Festen der 1840er Jahre traten die machtpolitischen Aspekte des deutschen Einheitsstrebens angesichts der Erfahrungen mit der Rheinkrise immer stärker hervor. Dies zeigte sich auch auf den großen Festen, welche die Thüringer Krieger- und Sängervereine im Jahrzehnt vor der Revolution von 1848 feierten. Auf dem ersten Fest des Thüringer Sängerbundes, das 1843 in Molsdorf stattfand, wurden „deutscher Muth und deutsche Tapferkeit“ gepriesen und zahlreiche Lieder aus den Freiheitskriegen gesungen, die wie Arndts Lied „Des Deutschen Vaterland“ Elemente eines übersteigerten Nationalismus beinhalteten.29 Auf dem 1847 in Jena stattfinden24 Vgl. hierzu Etienne François: Die Wartburg, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2001, S. 154–170. 25 Hambacher Fest 1832. Freiheit und Einheit. Deutschland und Europa. Katalog zur Dauerausstellung des Landes Rheinland-Pfalz zur Geschichte des Hambacher Festes, Neustadt 1990, S. 135. 26 Wirth, Nationalfest (vgl. Anm. 17), S. 41. 27 Vgl. Thomas Brendel: Zukunft Europa? Das Europabild und die Idee der internationalen Solidarität bei den deutschen Liberalen und Demokraten im Vormärz (1815–1848), Bochum 2005. 28 Wirth, Nationalfest (vgl. Anm. 17), S. 48. 29 Das Lied „Deutschland stehe fest“ schloss mit der Strophe: „Bleibe stark, o Vaterland, eigner Satzung freies Land, halte Dich zusammen, dass wenn droht der Feinde Schwert, jeder, wie

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den Fest der Kriegsfreiwilligen beklagte der Wartburgfestteilnehmer und nunmehrige Professor der Salana Karl Hermann Scheidler die schwache machtpolitische Stellung Deutschlands und forderte angesichts gewachsener französischer Bedrohungen die Stärkung der deutschen Wehrkraft.30 Auf dem im gleichen Jahr in Eisenach stattfindenden fünften Fest des Thüringer Sängerbundes beschworen Redner die „glorreichen Tage, als das erstarkte Deutschland voll edlen Zorns die Fremdherrschaft“ Napoleons abgeschüttelt habe,31 und forderten, dass es nie mehr „ein zerrissenes, dem Auslande gegenüber unmächtiges Deutschland“ geben dürfe.32 Dennoch standen solche Aussagen zu Deutschlands Einheit und Stärke erstens stets in einem engen Zusammenhang mit den verfassungspolitischen und kulturellen Zielen des Bürgertums. Die Beschwörung alter Feindbilder, vor allem das der Erbfeindschaft mit Frankreich, und die Erinnerung an den siegreichen Kampf gegen Napoleon dienten sowohl bei den Sänger- als auch bei den Kriegerfesten vorrangig dazu, den Forderungen nach den nicht eingelösten Freiheitsversprechen Nachdruck zu verleihen. Zweitens kam der geistig-kulturellen Begründung des Einheitsstrebens vor allem auf den Festen der Sänger eine weit größere Bedeutung zu als der machtpolitischen. So hob Ludwig Bechstein in seiner Wartburgfeierrede 1847 hervor: „Wir gründen nicht mit Schwertern, nicht mit Speeren – wir gründen mit dem Geist uns Burg und Reich, gesegnet sei die Burg, auf die wir warten! Gesegnet sei, die an ihr baut, die Hand! Gesegnet sei Thüringen, Gottes Garten! Gesegnet sei Deutschland, heil‘ges Vaterland.“33

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um eignen Heerd, brennt in Zornesflammen.“ Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes am 16. August 1843 in dem Herzoglichen Schloss-Garten zu Molsdorf, Erfurt 1843, S. 14. Vgl. Carl Hermann Scheidler: Zur Feier des 18. October. Aus dem historisch-politischen Zettelkasten eines alten Freiwilligen, Jena 1847, S. 43ff.; ferner auch Marko Kreutzmann: Thüringische Kriegervereine im Vormärz und ihre Bedeutung für die innere Nationsbildung, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 57 (2003), S. 127–166. Erinnerung an das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes zu Eisenach, Arnstadt 1847, S. 6. Ebd., S. 56. Zum Fest vgl. auch Hans-Werner Hahn: Die „Sängerrepublik“ unter der Wartburg: Das Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Eisenach im August 1847 als Beitrag zur kulturellen Nationsbildung, in: Dieter Hein/Andreas Schulz (Hrsg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, S. 191–211. Erinnerung an das fünfte Liederfest (vgl. Anm. 31), S. 66.



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In diesen Versen kam der enge Zusammenhang zwischen regionaler Identitätsbildung und deutschem Einheitsstreben nachhaltig zum Ausdruck, der die nationalpolitische Mobilisierung im Vormärz wesentlich gefördert hat. Fortbestehendes oder neubegründetes Regionalbewusstsein stand meist in keinem Gegensatz zu den Forderungen nach einer engeren politischen Verklammerung der deutschen Staaten, sondern bildete in vielen Regionen geradezu die Grundlage für das nationale Engagement. Das Hambacher Fest im deutschen Südwesten, das im gleichen Jahr veranstaltete Gießener Fest der Freunde hessischer Eintracht34 oder die seit 1843 regelmäßig stattfindenden Thüringer Sängerfeste waren auch ein Ausdruck von politischem Regionalismus, der sich unabhängig von einzelstaatlichen Grenzen entwickelte und durch die Rückbesinnung auf die spezifischen Traditionen der jeweiligen Region zugleich der gesamtdeutschen Sache zusätzliche Impulse verleihen sollte. Die Berufung auf Stammesnamen wie die der Hessen oder der Thüringer und das Bemühen um neuen regionalen Zusammenhalt sollte die jeweilige Region – wie der Thüringer Ludwig Storch 1843 schrieb – erst in die Lage versetzen, „die Idee des Gesammtvaterlandes würdig zu fassen“ und sich wieder „unsres deutschen Vaterlandes und unsres deutschen Sinnes“ bewusst zu werden.35 Diese engen Zusammenhänge zwischen regionaler und nationaler Identität zeigten sich auch auf der Fahne des Thüringer Sängerbundes. Während auf der einen Seite der weiß-rot gestreifte Thüringer Löwe auf blauem Schild zu sehen war, stand auf der anderen Seite: „Thüringer Sängerbund. Deutsches Lied verkünde deutschen Sinn.“ Damit bestätigt der Blick in das Thüringer Festgeschehen des Vormärz die These Dieter Langewiesches, dass „das in der Lebenswelt der Menschen tief eingeschliffene föderative Bewusstsein nicht nur mit der aus der Vergangenheit geschöpften Reichsidee, sondern in der Regel auch mit der in die Zukunft blickenden Vision einer deutschen Nation“ harmoniert habe.36 Auch bei der Propagierung der freiheits- und verfassungspolitischen Leitvorstellungen nutzte das liberale Bürgertum während der Feste die regionalen Besonderheiten, um seine politischen Botschaften in der Gesellschaft fester zu verankern. So wurde auf politischen Festen in den Großherzogtümern Baden oder Hessen immer wieder auf die Vorreiterrolle verwiesen, die diese Länder durch die frühen Verfassungen im Kampf um ein freiheitliches Deutschland übernommen hatten. Schon auf dem Wart34 Vgl. [Friedrich Jakob Schmitthenner]: Fest der Freunde hessischer Eintracht, begangen zu Gießen am 19. Februar 1832, Gießen 1832. 35 Ludwig Storch: Der Thüringer Sängerbund und sein erstes Liederfest, den 16. August 1843. Blätter der Erinnerung, Gotha 1843, S. 12. 36 Dieter Langewiesche: Reich, Nation und Staat in der jüngeren deutschen Geschichte, in: Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 190–216, hier S. 195.

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burgfest von 1817 hatte der Jenaer Philosoph Jakob Friedrich Fries den Studenten zugerufen: „Deutsche Jünglinge! Ihr stehet auf dem freyesten Boden der Deutschen! […] Kehret wieder zu den Eurigen und sagt: Ihr waret im Lande deutscher Volksfreyheit, deutscher Gedankenfreyheit! Hier wirken entfesselnd Volks- und Fürstenwille! Hier ist die Rede frey über jede öffentliche Angelegenheit! […] Hier lasten keine stehenden Truppen! Ein kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deutschen Fürsten haben dasselbe Wort gegeben.“37 Wie sehr die bürgerlichen Initiatoren der politischen Feste nach 1830 gerade diese verfassungspolitischen Ziele ins Zentrum der Festreden und der Festsymbolik stellten, zeigte vor allem das Hambacher Fest des Jahres 1832, das aber in dieser Hinsicht keineswegs alleine stand. Auf dem Wilhelmsbader Fest, das wenige Wochen nach Hambach in der Nähe der zu Kurhessen gehörenden Stadt Hanau stattfand, verkaufte ein Frankfurter Händler ein Bild, das den Titel „Sieg des Bürgertums“ trug. Auf ihm war eine vierspännige Kutsche zu sehen, mit der die fünf wichtigsten Monarchen Europas aus der finsteren Burg der Feudalherrschaft herausgezogen wurden. Die Insassen der Kutsche ließen Militär und Kirchenvertreter hinter sich und wurden zu einem Tempel des Heils und der Freiheit gefahren. Auf den Zügeln der Kutschpferde waren die zentralen verfassungspolitischen Forderungen des Bürgertums zu lesen: Volksvertretung, Pressefreiheit, Bürgerbewaffnung und Schwurgerichte. Damit die Kutsche nicht mehr zurückkonnte, warf ein Freiheitsengel dicke Steine in den Weg, auf denen die Namen liberaler Volksmänner wie Karl von Rotteck, Karl Theodor Welcker und Sylvester Jordan zu lesen waren.38 Die im Sommer 1832 beginnende neue Repressionswelle des Deutschen Bundes setzte allen Festen, die wie das Hambacher oder das Wilhelmsbader Fest die politischen Reformziele offen propagierten, ein vorläufiges Ende. Liberale und demokratische Kräfte mussten in den folgenden Jahren wesentlich vorsichtiger agieren, wenn sie auf Festen ihre politischen Botschaften verbreiten wollten. Dies galt vor allem für die dreißiger Jahre. Nach 1840 eröffneten sich jedoch aufgrund veränderter politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen wieder neue Möglichkeiten. Große politische Feste mit oppositioneller Grundrichtung blieben zwar bis zur Märzrevolution von 1848 verboten. Dennoch spielten die politischen Forderungen der Oppositionsbewegung auf vielen Vereinsfesten der 1840er Jahre – insbesondere bei den Turnern und Sängern39 – eine immer wichtigere Rolle, während die wachsende Zahl der Fest37 Zitiert nach Steiger, Urburschenschaft (vgl. Anm. 14), S. 69. 38 Helmut Seier (Hrsg.): Akten und Briefe aus den Anfängen der kurhessischen Verfassungszeit 1830–1837, Marburg 1992, S. 192. 39 Vgl. Dieter Düding: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808–1847). Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung, München 1984.



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teilnehmer zugleich die Verbreitungschancen dieser Leitideen erhöhte. Begünstigt durch den preußischen Thronwechsel des Jahres 1840 und die Rehabilitierung des „Turnvaters“ Jahn kam es in vielen Teilen Deutschlands zu einem kräftigen Anwachsen der Turnvereine und großer regionaler Turnerfeste. Das Heilbronner Turnerfest des Jahres 1847 führte Vereine aus 32 Städten zusammen und brachte den wachsenden Wunsch nach politischer Einheit, freiheitlicher Verfassung und bürgerlicher Gleichheit deutlich zum Ausdruck.40 Auch die Sängerfeste wurden von namhaften Vertretern der Opposition zunehmend dazu genutzt, um die politischen Ziele zu popularisieren, wobei die später auseinandertretenden Richtungen von Liberalen und Demokraten in den Festausschüssen in der Regel noch gemeinsam agierten.41 Auf den Festen der Sängervereine wurden die politischen Forderungen meist in einem eher gemäßigten Ton artikuliert. Dies galt besonders für die Thüringer Sängerbewegung, die um ein gutes Verhältnis zu reformwilligen und weit weniger repressiv agierenden Landesherren bemüht blieb und die erreichten Freiräume nicht durch zu forsches Vorgehen gefährden wollte. Allerdings hielt selbst die Anwesenheit von Monarchen die Vertreter der Thüringer Sängervereine nicht davon ab, auf die in Deutschland noch unerfüllten Freiheitswünsche hinzuweisen. Auf dem 1845 stattfindenden Sängerfest in Gotha nutzte man etwa die Anwesenheit der englischen, belgischen und Coburger Herrscherfamilie, um am Beispiel Englands das Glück eines freien Landes zu preisen. In dem nach der Melodie „God save the Queen“ gesungenen Lied hieß es unter anderem: „Was überböt an Mut Dein Reich umrollt von Flut? Was wär ihm gleich? Es gilt des Geistes Macht, die Künste blühn in Pracht, der Freiheit Engel wacht in Deinem Reich.“42 40 Vgl. Dieter Langewiesche: „für Volk und Vaterland kräftig zu würken…“. Zur politischen und gesellschaftlichen Rolle der Turner zwischen 1811 und 1871, in: Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 103–132, hier 118ff. 41 Vgl. etwa Michael Wettengel: Die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Raum. Politische Vereine und Revolutionsalltag im Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau und in der Freien Stadt Frankfurt, Wiesbaden 1989, S. 39. 42 Fest-Ordnung für das dritte Liederfest des Thüringer Sängerbundes am 1. September 1845 in Gotha, Gotha 1845, S. 15.

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Ein Jahr später lobten die Thüringer Sänger auf ihrem Fest zu Arnstadt den Fürsten Günther von Schwarzburg-Rudolstadt, weil er als erster deutscher Fürst auf einem solchen Fest die freie Rede ermöglichte. Gymnasialdirektor Pabst hob in seiner Ansprache hervor: „Unser Günther Friedrich Carl ist der erste deutsche Fürst, der am Thüringer Liederfeste die Rede frei gibt. Unangefochten von verkrüppelnder Censur darf heute frei das Wort, wie es der Brust entquillt, frei über unsere Lippen strömen, und Thüringens Männer werden dieses Vertrauen nicht täuschen, nicht missbrauchen.“43 Im folgenden Jahr nutzte dann der populäre Führer der liberalen Opposition im Weimarer Landtag, Oskar von Wydenbrugk, das Eisenacher Fest des Sängerbundes als Forum, um vor mehreren Tausend Festteilnehmern die politischen Ziele des liberalen Bürgertums vorzustellen. In einer im Programmheft nicht vorgesehenen Rede erteilte Wydenbrugk jedem altständischen Denken eine entschiedene Abfuhr und drückte unterhalb der Wartburg seine Gewissheit aus, dass „jene Minnelieder nie mehr tönen werden, wie sie einst in den Räumen jener Burg verhallten“ und dass die Ritter sich nicht mehr befehden und jenen wunderlichen Feudalstaat wieder aufbauen würden, „wovon nur die Trümmer in eine Zeit mit veränderter Anschauungsweise herüberragen“.44 Diese von lebhaftem Beifall bekleidete Rede und die auf den Wert der Freiheit verweisenden Liedtexte machten deutlich, wie sehr das Fest der Sänger auch als Bekenntnis zu den immer dringender erscheinenden politischen Veränderungen zu verstehen war. Die gemäßigt liberalen Initiatoren des Festes waren allerdings bestrebt, alle radikalen politischen Forderungen zu vermeiden und das „Gespenst der Demagogie“ zu bannen, damit die Sache der „wahren Freiheit“ nicht noch einmal Schaden nehme, wie dies nach dem Wartburgfest der Studenten im Jahre 1817 mit seinen „damals noch unklaren und weniger geläuterten Gedanken“ der Fall gewesen sei.45 Zum einen entsprachen solche Äußerungen dem in Thüringen noch dominierenden gemäßigt liberalen Reformansatz. Zum anderen mahnten auch die Erfahrungen mit den Karlsbader Beschlüssen und die noch immer von Repression geprägte politische Situation im Deutschen Bund die Festinitiatoren zur Vorsicht. Selbst radikalere Kräfte wie der Erfurter Publizist Goswin Krackrügge agierten vor der Revolution von 1848 noch außerordentlich zurückhaltend, um die Liberalität der Thüringer Monarchen nicht aufs Spiel zu setzen. Erst nach dem Ausbruch der Revolution von 1848 entwickelten die entschiedenen Demokraten innerhalb des Thüringer Sängerbundes ein neues Festprogramm. Unter dem neuen „Geist der Freiheit“ wollte man die Sängerfeste in Volkstage umwandeln, 43 Theobald Buddeus: Das vierte Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Arnstadt am 12. August 1846. Erinnerungen, Arnstadt 1846, S. 12. 44 Erinnerung an das fünfte Liederfest (vgl. Anm. 31), S. 56. 45 Ebd., S. 36.



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um „die Herzen des Volks für die große Sache“ zu erwärmen und zu begeistern. Hierzu boten sich Sängerfeste in besonderer Weise an. In der „Thüringer Volks-Halle“, die früher „Thüringer Zeitung“ hieß und vom Organisator der Thüringer Volkstage, dem Erfurter Demokraten Hermann Alexander Berlepsch, herausgegeben wurde, hieß es hierzu: „Dass es aber die Rede nicht allein vermag, dass vielmehr der Gesang es ist, der nächst der Religion am meisten im Stande ist, große und edle Gefühle in des Menschen Brust zu erwecken und zu entflammen, das steht unumstößlich fest.“ Dabei ging es dem Verfasser nicht um den Gesang auf den Bühnenbrettern, für den die Fürsten ohne Rücksicht auf die Not der Bevölkerung ungeheure Summen verschwendeten, sondern um den „gewaltigen Männergesang, der das Herz mit heiliger Begeisterung für die erhabensten Ideen der Menschheit erfüllt“.46 Die Thüringer Demokraten stellten ihre im Sommer 1848 organisierten Volkstage47 in die Kontinuität der vormärzlichen Sängerfeste, weil diese über viele Jahre zur „Volksveredelung und Erweckung vaterländischen Sinnes“ beigetragen hatten. Um möglichst viele Sängervereine für die eigene Richtung zu mobilisieren, hieß es in dem Artikel: „Eure Volkstage müssen Sängerfeste werden, so wie die Sängerfeste Volkstage waren.“ Um aber mit den Festen wirklich alle Schichten des Volkes zu erreichen, sollten künftig im Festgeschehen „alle Scheidewände und Absonderungen“ zwischen den einzelnen Teilen der Gesellschaft fallen und „Einigkeit und Brüderlichkeit des deutschen Volkes“ auch im Fest klar zum Ausdruck gebracht werden.48 Neben den national- und freiheitspolitischen Aspekten des Festes spielten die gesellschaftspolitischen Leitvorstellungen schon in den vormärzlichen Festen eine wichtige Rolle. Während das Fest des Ancien Régime die bestehende ständische Ordnung, die unumschränkte Stellung des Herrschers und die Unterordnung der Untertanen unterstrich, war das bürgerliche Fest des 19. Jahrhunderts zunächst einmal ein Ausdruck der Zukunftshoffnungen. Im Festgeschehen sollte eine gesellschaftliche Ordnung vorweg genommen werden, die es erst noch zu schaffen galt: eine Gesellschaft rechtsgleicher Staatsbürger, in der niemand mehr aufgrund von Herkunft oder Religion ausgeschlossen blieb.49 46 Thüringer Volks-Halle, sonst Thüringer Zeitung Nr. 115 vom 13. August 1848. 47 Vgl. Falk Burkhardt: Die „Thüringer Volkstage“ von Juni bis September 1848. Foren politisierter Öffentlichkeit oder politische Inszenierungen einer republikanischen Minorität?, in: Hans-Werner Hahn/Werner Greiling (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt und Jena 1998, S. 407–444. 48 Thüringer Volks-Halle, sonst Thüringer Zeitung Nr. 115 vom 13. August 1848. 49 Vgl. Dieter Langewiesche: Die schwäbische Sängerbewegung in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts – ein Beitrag zur kulturellen Nationsbildung, in: Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 132–170, hier 136ff.

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Die Festinitiatoren kamen zwar durchweg aus dem Kreis bürgerlicher Honoratioren, und diese bürgerliche Oberschicht dominierte auch im Festverlauf. Dennoch propagierte man in sozialer Hinsicht ein offenes Kommunikations- und Aktionsmodell. So sollte die „Republik der Sänger“ allen Teilen der Gesellschaft offen stehen. Im Festprogramm des Eisenacher Festes von 1847 hieß es „Singend – da sind wir gleich. Haben ein deutsches Reich, Brüder mit Brüdern zusammen“.50 Das Fest sollte ein Band um Hoch und Niedrig, um Alt und Jung schlingen, und die Arnstädter Liedertafel präsentierte ein Lied, in dem es hieß: „Oh reicht euch brüderlich die Hand, blickt nicht auf Grenzen, Rang und Stand“.51 Stolz wies man darauf hin, dass in den Vereinen der Sänger der lange zurückgesetzte Handwerkerstand die meisten Mitglieder stelle und die Gegensätze zwischen höherem Bürgertum und bürgerlichem Mittelstand hier längst verschwunden seien. Darüber hinaus sollten die Feste der Sänger auch zur Veredelung der unteren Schichten beitragen, ihr Bildungsstreben fördern und so ihren Aufstieg in eine Bürgergesellschaft mittlerer Existenzen fördern. Die bürgerlichen Feste richteten sich also auch an die unteren Schichten, die man nicht nur durch Zukunftsverheißungen, sondern auch durch Akte bürgerlicher Hilfsbereitschaft einzubinden versuchte. Die Speisung von städtischen Armen war schon beim deutschen Nationalfest von 1814 Teil des Festprogramms gewesen. Und beim Eisenacher Sängerfest von 1847, das man nach den vorausgegangenen Hungermonaten auch bewusst als Erntedankfest feierte, ging ein Teil des Erlöses der Eintrittskarten an die Armen der Stadt. Die Tatsache, dass man Eintrittskarten verkaufte, zeigt aber zugleich, dass das Fest eben nicht völlig offen war. Obwohl man die Preise eher niedrig gehalten hatte, konnten die meisten Teilnehmer des Eisenacher Sängerfestes das Festgeschehen nur von den umliegenden Bergen verfolgen, weil sie außerhalb des Festplatzes bleiben mussten.52 Dies rief unter den Thüringer Demokraten Kritik an zu kostspieligen und aufwendigen Inszenierungen hervor. Bei den Festen, so wurde 1848 gefordert, sollten künftig „alle großartigen Vorbereitungen, aller kostspielige Aufwand in Wegfall kommen“. Erst wenn die Feste „einfach und schmucklos, ohne allen unnützen äußeren Prunk“ abgehalten würden, könnten sie zu wirklicher Einheit des Volkes beitragen.53 Während die Demokraten, vor allem die entschiedenen Republikaner, damit die vollständige soziale Öffnung der Feste propagierten und gerade die emotionalen Wirkungen von Festen zur Politisierung und Mobilisierung der unteren Schichten nutzen wollten, standen die gemäßigten Liberalen auch 1848 einem solchen Festkonzept 50 51 52 53

Erinnerung an das fünfte Liederfest (vgl. Anm. 31), S. 22. Ebd., S. 14. Vgl. Hahn, „Sängerrepublik“ (vgl. Anm. 32), S. 199ff. Thüringer Volks-Halle, sonst Thüringer Zeitung Nr. 115 vom 13. August 1848.



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skeptisch gegenüber. Die Liberalen propagierten zwar die grundsätzliche Offenheit der bürgerlichen Gesellschaft, beanspruchten aber die politische und kulturellen Hegemonie gegenüber jenen Schichten, die den dazu notwendigen Aufstieg noch nicht vollzogen hatten.54 Wie das Fest im Ancien Régime trat somit auch im bürgerlichen Fest ein Herrschaftsanspruch der Initiatoren hervor. Die Liberalen begründeten ihre Haltung nicht zuletzt mit Erfahrungen, die man im Umfeld der politischen Feste der frühen dreißiger Jahre gemacht hatte. So war es im Gefolge des Hambacher Festes in der Pfalz zu heftigen sozialen Protesten gekommen, die deutlich gezeigt hatten, dass man in der Bevölkerung die Hambacher Freiheitsversprechen vielfach ganz anders aufgriff, als es selbst die auf dem linken Flügel der deutschen Opposition stehenden Festredner gemeint hatten. Das, was vom Hambacher Fest bei den unteren Schichten der Region aufgenommen wurde, hatte mit den großen Zielen deutscher Einheit und Freiheit vielfach wenig zu tun. In den aufkommenden sozialen Protesten zeigte sich, dass die Landbevölkerung, aber auch städtische Unterschichten der Region die Hambacher Freiheitsversprechen oft sehr konkret auslegten und auf die eigene Lebenswelt ummünzten. Der in Steuerverweigerungen, Brotkrawallen, Holzdiebstahl und Ausschreitungen gegen Staatsbeamte und Militärs zum Ausdruck kommende Eigensinn der kleinen Leute führte daher rasch auch zu Konflikten mit den liberal-demokratischen Eliten, die die aufkommenden Exzesse durch Bürgerwachen im Keime zu ersticken versuchten und so selbst zur Ordnungsmacht wurden.55 Mit diesem eruptiven und scheinbar blinden Aktionismus wollten die bürgerlichen Eliten nichts zu tun haben. Der Eigensinn der kleinen Leute galt den Liberalen als Zeichen der Unreife und der mangelnden Bildung und er bremste daher in den Revolutionsjahren 1848/49 ihre Bereitschaft, die Politisierung der Gesellschaft über emotional aufgeladene Feste und daraus erwachsende spontane Aktionen von Teilnehmern voranzutreiben. Die Erfahrungen mit den Sozialprotesten verstärkten vielmehr das Bemühen der bürgerlichen Eliten, die Kontrolle über den Festverlauf in der eigenen Hand zu halten und mit der von ihnen bestimmten Form des Festes zunächst einmal auf die sittlich-mora54 Zu den Unterschieden in der politischen und gesellschaftlichen Programmatik der Liberalen und der Demokraten vgl. Dieter Langewiesche: Republik, konstitutionelle Monarchie und „Soziale Frage“. Grundprobleme der deutschen Revolution von 1848/49, in: Dieter Langewiesche (Hrsg.): Die deutsche Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983, S. 341–362. 55 Vgl. Jürgen Hannig: Vom Eigensinn der Freiheitsbäume. Frühliberale Bewegung und Volkskultur zur Zeit des Hambacher Festes 1832, in: Richard van Dülmen (Hrsg.): Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn, Frankfurt am Main 1990, S.  171–213; Karl H. Wegert: Ideologie und Aktion. Liberale Bewegung und Volkstradition in der Pfalz 1830–1834, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.): Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, Göttingen 1983, S. 167–193.

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lische Besserung der unteren Schichten hinzuwirken. Diese Hinweise auf die Grenzen der Integrationsfähigkeit des bürgerlichen Festes sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vormärzlichen Festen doch ein vergleichsweise „hohes Maß an sozialer Gemeinsamkeit und ständeübergreifender Kommunikation“ erreicht und damit das Fest zu einem wichtigen Faktor gesellschaftlicher Mobilisierung wurde.56 Das bürgerliche Fest des frühen 19. Jahrhunderts wurde im Übrigen aber nicht nur dazu genutzt, um die unteren Schichten an die neu entstehende Gesellschaft heranzuführen, vielmehr spiegelten sich in ihm zugleich die Debatten über das künftige Verhältnis der Geschlechter wider. Einerseits blieben die Frauen im Festgeschehen zweifellos in einer untergeordneten Rolle und in manchen Reden wurde die „beglückende Häuslichkeit“ als die eigentliche Domäne der Frau beschworen.57 Andererseits wirkten Frauen etwa als Festjungfrauen und über ihre anderen Vereinstätigkeiten wie das Besticken der Fahnen an den Festen mit. Die Festteilnahme entwickelte sich daher durchaus zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Haus und Öffentlichkeit. Feste gaben Frauen die Chance, sich auch außerhalb der Familie zu betätigen und im öffentlichen Raum in Erscheinung zu treten. Zum Hambacher Fest wurden ausdrücklich auch die Frauen eingeladen. In der Einladung hieß es: „Deutsche Frauen und Jungfrauen, deren politische Nichtachtung in der europäischen Ordnung ein Fehler und ein Flecken ist, schmücket und belebet die Versammlung durch eure Gegenwart!“58 In der Folge nahmen Frauen dann auch in hoher Zahl am Fest teil. Die Ehefrau des Mitorganisators Johann Georg August Wirth unterstützte dessen politisches Engagement und Wirths Mitstreiter Philipp Jakob Siebenpfeiffer pries in seiner Festrede die Frau als „freie Genossin des freien Bürgers“, die zwar noch keine vollen politischen Rechte erhalten, aber Anteil an den politischen Entscheidungen des Mannes nehmen und rechtlich besser gestellt werden sollte.59 In den vierziger Jahren traten die Frauen innerhalb des Festgeschehens noch stärker in Erscheinung, wobei dem karitativen Engagement angesichts der sich zuspitzenden Pauperismuskrise eine besondere Bedeutung zufiel. Auf dem Eisenacher Sängerfest von 1847 wurde das soziale Engagement

56 Paul Nolte: Die badischen Verfassungsfeste im Vormärz. Liberalismus, Verfassungskultur und soziale Ordnung in den Gemeinden, in: Hettling/Nolte, Bürgerliche Feste (vgl. Anm. 1), S. 63–94, hier S. 84. 57 So 1847 auf dem Eisenacher Sängerfest in einer Würdigung der Frauen. Erinnerung an das fünfte Liederfest (vgl. Anm. 31), S. 59. 58 Hambacher Fest 1832 (vgl. Anm. 25), S. 135. 59 Vgl. Helmut Mathy: „Die freie Genossin des freien Bürgers“. Das Hambacher Fest und die politische Rolle der Frau im 19. Jahrhundert, in: Alois Gerlich (Hrsg.): Hambach 1832. Anstöße und Folgen, Wiesbaden 1984, S. 238–252.



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der Frauen bewusst in die Kontinuität der Heiligen Elisabeth gestellt.60 Einerseits konnten solche Festaktivitäten zwar durchaus als Ansporn zu eigenen gesellschaftlichen Initiativen der bürgerlichen Frauen wirken. Andererseits aber verwies die mit der Eigenart des weiblichen Geschlechts begründete Festschreibung auf helfende und pflegende Tätigkeit doch wieder auf traditionale Handlungsräume der Frau.61 Dennoch zeigt auch der Blick in die Geschlechtergeschichte, welch wichtige Rolle die Feste in den politischen und gesellschaftlichen Umbruchsprozessen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielten. Mit den bürgerlichen Festen entstand ein Forum, auf dem die neuen gesellschaftlichen und politischen Leitvorstellungen wirkungsvoll propagiert werden konnten. Es gab zwar weiterhin zahlreiche herrschaftliche Feste, etwa die Huldigungsfeiern für den neuen preußischen König Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1840, mit denen der Politisierung der Gesellschaft entgegengewirkt werden sollte, und auch die Repressionspolitik bremste die vom Bürgertum angestoßenen Prozesse. Insgesamt aber konnten die bürgerlichen Festinitiatoren zwischen 1814 und 1848 doch beträchtliche Erfolge verbuchen. Die Feste trugen maßgeblich zur inneren Nationsbildung bei, sie forcierten regionale und nationale Integrationsprozesse, stärkten das verfassungspolitische Denken und trugen zur Ausbildung einer zunehmend überregional agierenden politischen Elite des Bürgertums bei. Auf der anderen Seite waren der Politisierung über Feste bis 1848 aber auch Grenzen gesetzt. Dies lag nicht nur an der Repressionspolitik des Deutschen Bundes und seiner Vormächte, die einer dezidiert politischen Festkultur, wie sie auf dem Wartburgfest, in Hambach oder im kurhessischen Wilhelmsbad zum Ausdruck kam, immer wieder den Boden entzog. Grenzen gab es auch, weil sich zwischen den gesamtgesellschaftlichen Versprechen der Festinitiatoren und den Erwartungen breiter Schichten doch immer wieder eine Kluft auftat, die – wie die sozialen Proteste der Unterschichten zeigten – keineswegs leicht zu überbrücken war. Hinzu kam, dass sich schon in den Festen vor 1848 innerhalb des politischen Bürgertums Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß der politischen Veränderungen und den dazu einzuschlagenden Weg bemerkbar machten. Bereits im Umfeld des Wartburgfestes zeichneten sich erste Konturen des Trennungsprozesses zwischen gemäßigt liberalen Kräften und entschiedenen Demokraten ab. Dem Hambacher Fest blieben die meisten gemäßigten Liberalen um Rotteck, Welcker oder Gagern fern. Ebenso traten bei den Thüringer Sängerfesten spätestens 1848 unterschiedliche 60 Erinnerung an das fünfte Liederfest (vgl. Anm. 31), S. 58. 61 Zur ambivalenten Wirkung des Frauenengagements vgl. Johanna Sänger: Partizipationsgewinn durch Institutionalisierung? Frauen und Frauenverein in öffentlichen Festen, in: Johanna Sänger/Lars Deile (Hrsg.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800, Köln, Weimar und Wien 2005, 142–157.

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Konzepte hervor. Die gemäßigten Liberalen hielten die vermeintliche Aufpeitschung der Massen auf den Thüringer Volkstagen für ein gefährliches Spiel und sahen hierin im Unterschied zu den Demokraten keine Fortsetzung der vormärzlichen Sängerfeste.

Zwischen Symbolzwang und „Schutzwehr des freien Protestantismus“ Das Confessio-Augustana-Jubiläum von 1830 in der theologisch-kirchenpolitischen Auseinandersetzung

von Stefan Gerber Neben dem 300. Jubiläum des Thesenanschlags 18171 und dem 400. Geburtsjubiläum Martin Luthers 18832 stellten die Feiern zum 300. Jubiläum der Verlesung 1

2

Vgl. u. a. Lutz Winkler: Martin Luther als Bürger und Patriot. Das Reformationsjubiläum von 1817 und der politische Protestantismus des Wartburgfestes, Lübeck 1969; Wichmann von Meding: Kirchenverbesserung – Die deutschen Reformationspredigten des Jahres 1817, Bielefeld 1987. Mit regionalem Schwerpunkt: Hans Wolter: Das Reformations-Jubiläum von 1817 in der Freien Stadt Frankfurt, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S. 161–176; Wichmann von Meding: Jubel ohne Glauben? Das Reformationsjubiläum 1817 in Württemberg, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S.  119–160; Wolfgang Erich Müller (Hrsg.): Kirchenverbesserung in Oldenburg. Dokumente zum Reformationsjubiläum 1817, Göttingen 1988; Wichmann von Meding: Österreichs erstes Reformationsjubiläum. Jakob Glatz und die Gemeinden Augsburgischer Konfession 1817/18. Ein Modell des Verhältnisses von Kirchenleitung und Verkündigung, Frankfurt am Main u. a. 1998; Stefan Laube: Fest, Religion und Erinnerung. Konfessionelles Gedächtnis im Königreich Bayern, München 1999; Wolfgang Flügel: Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenkkultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005; Stefan Gerber: Konfession und Nation im „Ereignis Weimar-Jena“. Die Feiern zum 300. Reformationsjubiläum 1817, in: Lars Deile/Johanna Sänger (Hrsg.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800. Köln/Weimar/Wien 2005, S. 74–110. Vgl. u. a. Hans Düfel: Das Lutherjubiläum 1883, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 95 (1984), S. 1–94; Hartmut Lehmann: Das Lutherjubiläum 1883, in: Jürgen Becker (Hrsg.), Luthers bleibende Bedeutung, Husum 1983, S.  93–116; Hans Düfel: Martin Luther als deutscher Nationalheld im 19. Jahrhundert, in: Luther. Zeitschrift der Luthergesellschaft 55 (1984), S.  53–65; Hans Düfel: „Er ist wir selber: der ewige Deutsche“. Zur langanhaltenden Wirkung der Lutherdeutung von Heinrich von Treitschke, in: Gerd Krumeich/Hartmut Lehmann (Hrsg.): „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S.  91–102; Peter Cornehl/Wolfgang Grünberg (Hrsg.): Protestantismus – eine deutsche Religion? Die Lutherfeiern 1883 und 1983, in: Harald Schmid/

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und Übergabe des Augsburgischen Bekenntnisses am 25. Juni 1530, das 1830 in nahezu allen Staaten des Deutschen Bundes begangen wurde, eines der zentralen und in seinen Verknüpfungen mit der zeitgenössischen Politik und Theologie charakteristischsten reformatorischen Jubiläen des 19. Jahrhunderts dar. Es war zugleich – und dieser Diagnose soll im folgenden im Blick auf die theologische Diskussion um die Feiern und ihren Niederschlag in der Feiergestaltung nachgegangen werden – durch den Festinhalt und durch das Verhältnis zwischen theologischer Reflexion, populärpastoraler Transformation theologischer Anliegen und politisch-sozialen Konflikten das prekärste der Reformationsjubiläen im 19. Jahrhundert. Am unmittelbarsten scheinen auf den ersten Blick die politisch-sozialen Konfliktlagen greifbar, denn 1830 war in Europa ein Revolutionsjahr, auch wenn der revolutionäre Höhepunkt erst nach dem Abschluss der deutschen Confessio-AugustanaFeiern Ende Juli mit der Pariser Revolution gegen Karl X. und die Regierung Polignac erreicht wurde. Dass eine öffentliche reformationsbezogene Jubiläumsfeier vor dem Hintergrund eines manifesten Reformstaus mit seinem Anliegen einer Stabilisierung kollektiver Identitäten scheitern konnte, zeigen die von Wolfgang Flügel untersuchten Vorgänge um das Confessio-Augustana-Jubiläum in Leipzig:3 Hier führte das polizeiliche Verbot für die Studenten der Universität, beim akademischen Festzug am Jubiläumsfeiertag Uniformen zu tragen, zunächst zum Boykott des dadurch nahezu ad absurdum geführten Zuges durch die Studentenschaft und schließlich zu massiven Angriffen auf das Haus des Leipziger Polizeipräsidenten, in deren Folge ein Handlungsgehilfe von der Polizei getötet wurde.4 Tradierte studentische Protestformen, die mit einem Exzess auf eine Verletzung des seit dem Ende des 18. Jahrhunderts stets als bedroht wahrgenommenen Raumes reagierten, der als „akademische Freiheit“ umschrieben wurde und vom Rektor im Gegensatz zum Polizeipräsidenten bezeichnenderweise durch die universitäre Erlaubnis zum Uniformtragen der Studenten respektiert worden war,5 politisierte sich und gewann dadurch eine neue, vor dem Hintergrund der angespannten politischen Situation für breitere Bevölkerungsschichten akzeptable Qualität. Identitätssicherung und -stabilisierung durch die Feier des reformatorischen Jubiläums schlugen um die unübersehbare Demonstration von Dissens und Nicht-Identität.

3

4 5

Justyna Krzymianowska (Hrsg.): Politische Erinnerung. Geschichte und kollektive Identität, Würzburg 2007, S. 67–101. Vgl. Wolfgang Flügel: Reformationsgedenken im Zeichen des Vormärz – Die Konflikte um das Confessio-Augustana-Jubiläum in Leipzig 1830, in: Stefan Laube/Karl-Heinz Fix (Hrsg.): Lutherinszenierung und Reformationserinnerung, Leipzig 2002, S. 127–143. Vgl. ebd. S. 131–136. Vgl. ebd., S. 132.



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Entscheidend für unseren Zusammenhang ist an den Leipziger Unruhen aber weniger das Wetterleuchten der Revolution von 1830 in Sachsen als eine andere Komponente in dem Ursachengeflecht, das zum Scheitern der städtisch-universitären Confessio-Augustana-Feier führte. Denn die politische Spannung, die sich im Verlauf des Herbstes und Sommers 1830 mancherorts in revolutionärer Aktion entladen sollte, war nicht die primäre und nicht die entscheidende Ursache für das vergleichsweise Prekäre der Confessio-Augustana-Feiern von 1830. Diese Spannung fand auch – das werden vergleichende Blicke auf den Ereignisraum und sein Umfeld sowie Preußen und Bayern im folgenden zeigen – kaum Niederschlag in der Gestaltung der Feiern selbst oder in etwaigen Störungen und Konflikten um die Jubiläumsfeiern. Wo es zu weiterreichenden, zum Teil auch mit physischer Gewalt verbundenen Konflikten kam – und das war in Sachsen-Weimar-Eisenach nicht der Fall – hatten sie konfessionelle Ursachen und spielten sich in Regionen gemischtkonfessioneller Bevölkerung ab. In diesem Punkt deckt sich der Befund für den Ereignisraum, trotz seiner räumlichen Nähe zum revolutionären Spannungszentrum Sachsen, völlig mit der dezidierten Charakterisierung der Confessio-Augustana-Feiern, die Stefan Laube in seiner umfassenden Studie zur konfessionellen Erinnerungskultur in Bayern zwischen 1804 und 1917 vorgenommen hat. Hier, so Laube, hätten 1830 „politischer Quietismus und lutherische Authentizität“ dominiert.6 Natürlich gab es eine theologische und pastorale Beschäftigung mit den Revolutionsereignissen von 1830. Aber sie setzte erst im Herbst und Winter 1830 ein, als das Confessio-Augustana-Jubiläum im unmittelbaren Erlebnishorizont zurückgetreten bzw. gerade durch das Revolutionserleben verdrängt worden war. Der Gothaer Generalsuperintendent Karl Gottlieb Bretschneider z. B.,7 der sich noch in seiner Predigt zum Confessio-Augustana-Jubiläum über die „Pflicht“ die „erkannte göttliche Wahrheit durch öffentliches Bekenntniß derselben zu ehren“8 einmal mehr binnenkonfessionell als vermittelnder Rationalist positioniert, aber keine politische Stellung bezogen hatte, predigte erstmals am 12. September 1830 – wenige Tage zuvor war in Braunschweig das herzogliche Schloss in Flammen aufgegangen und die Septembererhebung im benachbarten Sachsen war in vollem Gange – unter der Frage „welche Gefühle die neue6 7

8

Laube, Fest, Religion und Erinnerung (vgl. Anm. 1), S. 69. Vgl. auch S. 160. Zu Bretschneider vgl. v. a. Axel Lange: Von der fortschreitenden Freiheit eines Christenmenschen. Glaube und moderne Welt bei Karl Gottlieb Bretschneider, Frankfurt am Main 1994; Manfred Baumotte: Liberaler Spätrationalismus. Karl Gottlieb Bretschneider (1776–1848), in: Friedrich Wilhelm Graf (Hrsg.): Profile des neuzeitlichen Protestantismus. Bd. 1: Aufklärung, Idealismus, Vormärz, Gütersloh 1990, S. 202–232. Vgl. Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den deutschen Bundesstaaten, Erlangen 1831, S. 63.

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sten Zeitbegebenheiten in dem wahren Christen erregen müssen“ über die Julirevolution.9 Noch vor zwei Monaten, so Bretschneider – also gerade zum Zeitpunkt des Confessio-Augustana-Jubiläums – „waren die Länder um uns her in tiefer Ruhe; zwar gab es hier und da Aufregung der Partheien gegen einander, aber niemand konnte einen so plötzlich losbrechenden Sturm ahnen.“10 Einräumend, dass die Revolution in Frankreich nicht ohne Verletzung der göttlichen Gebote auf Seiten der Regierenden und der Regierten hätte entstehen können; bestreitend, dass in Deutschland ein Grund zur „Nachahmung“ der Revolution vorhanden sei, nutzte Bretschneider seine Predigt vor allem zu einer Attacke auf die Jesuiten, wie sie für die in seiner Publizistik und Predigttätigkeit allerorten hervortretende rationalistische Katholizismuskritik, aber auch für den konfessionalistischen Zeitgeist überaus bezeichnend war. Die Ereignisse in Frankreich, so der sachsen-gothaische Generalsuperintendent, seien neben der Sorge um den Bestand der Ordnung doch auch ein Grund zur Beruhigung, ja zur Freude über ein „Zeichen vorgeschrittener evangelischer Aufklärung und herrschender gewordener Sittlichkeit“, müsse als eine der wesentlichen Revolutionsursachen doch der „Widerwille gegen einen Priesterorden“ angesehen werden, die „Gesellschaft Jesu, die aber von Jesu nur den Namen, nicht aber den Geist hat, der zwar angeblich das Reich Jesu mehren, aber wirklich nur sich die Herrschaft über die Fürsten und die weltlichen Reiche erstreben will, der nicht auf Aufklärung und Sittlichkeit, sondern auf Aberglauben und Unwissenheit seine Macht zu gründen sucht, der es sich zum eignen Geschäft macht, den Haß und die Verfolgung gegen die evangelischen Christen aufzuschüren“.11 Selbst in der unmittelbaren Revolutionsdeutung war 1830 das konfessionelle Element dominant greifbar. Die Verbindung von Konfession und Politik in kämpferischer, inter- und binnenkonfessioneller Zuspitzung war eines der beherrschenden Themen der Zeit; Bretschneider sollte ihr wenige Jahre nach der Revolution, 1835, ein ganzes Buch widmen, in dem er sich vehement gegen den Vorwurf der Konservativen wehrte, der von ihm prominent vertretene theologische Rationalismus begünstige die Revolution, woraus geschlossen werden müsse, dass die „Begünstigung der Altkirchgläubigkeit und des Pietismus durchaus kein Mittel seyn kann, den Revolutionsgeist der Zeit zu ersticken und das monarchische Prinzip zu befestigen.“12 9

Vgl. Karl Gottlieb Bretschneider: Welche Gefühle die neuesten Zeitbegebenheiten bei dem wahren Christen erregen müssen? Eine Predigt am vierzehnten Sonntage nach Trinitatis in der Margarethenkirche zu Gotha gehalten und auf Verlangen dem Drucke übergeben, Gotha 1830. 10 Ebd., S. 5. 11 Ebd., S. 12f. 12 Karl Gottlieb Bretschneider: Die Theologie und die Revolution. Oder: Die theologischen Richtungen unserer Zeit in ihrem Einflusse auf den politischen und sittlichen Zustand der Völker, Leipzig 1835, S. 85.



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Unübersehbar – das unterstreicht dieser Seitenblick auf die Revolutionsdeutung Bretschneiders – hatten die Leipziger Konflikte im Vorfeld der 1830er Revolution in Sachsen eine konfessionelle Spitze.13 Die konfessionelle Spannung, die in Sachsen seit dem Ende des 17. bzw. dem Beginn des 18. Jahrhunderts aus dem Nebeneinander der privaten Konversion des Kur- bzw. Königshauses zum Katholizismus und der lutherischen Landeskonfession resultierte, hatte sich in den 1820er Jahren verschärft. Das verstärkte Hervortreten der katholischen Hierarchie im Streben nach dem paritätischen Staat wurde von vielen als Bedrohung empfunden. Ganz im Sinne der Protestantismustheorie des Leipziger Theologen Heinrich Gottlieb Tzschirner, der im Protestantismus auch politisch-sozial das Prinzip des Fortschritts, im Katholizismus Beharrung und reaktionären Rückschritt verkörpert sah, verband das gebildete protestantische Bürgertum die konservative Politik des 1827 an die Regierung gelangten Königs Anton mit dessen katholischer Konfession. Die Unruhen bei den Leipziger Feiern zum Jubiläum der Übergabe der Augsburgischen Konfession waren damit auch als Unwillen oder Weigerung zu verstehen, in der reformatorischen Jubelfeier die Identifizierung mit einem Staat zu suchen, dessen höchster Repräsentant der eigenen, aus der Reformation hervorgegangenen Konfession nicht nur nicht angehörte, sondern sie in ihrem ungeschmälerten Bestand auch zu bedrohen schien. Prekär wurden die Feiern zum 300. Jubiläum des Augsburgischen Bekenntnisses vor allem durch den neuen Konfessionalismus der zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, der hier in allen seinen wesentlichen Komponenten erkennbar wurde:14 Zum ersten der Politisierung der Konfessionen, d. h. ihrer Zuordnung zu bestimmten Großrichtungen des sich langsam formierenden und entfaltenden Parteiwesens. Politische Stellungnahmen und Anliegen, auch wo sie Bezüge zwischen Revo13 Dazu Flügel, Reformationsgedenken (vgl. Anm. 3), S. 129–131. 14 Vgl. dazu Olaf Blaschke: Das 19. Jahrhundert: Ein zweites konfessionelles Zeitalter?, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 38–75. Einen Überblick über die Diskussion um Blaschkes These gibt: Olaf Blaschke: (Hrsg.), Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970. Ein zweites konfessionelles Zeitalter. Göttingen 2002. Vgl. u. a. auch Martin Schulze-Wessel: Das 19. Jahrhundert als Zweites Konfessionelles Zeitalter? Thesen zur Religionsgeschichte der böhmischen Länder in europäischer Hinsicht, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 50 (2001), S.  514–530; Carsten Kretschmann/Henning Pahl: Ein „Zweites Konfessionelles Zeitalter“? Vom Nutzen und Nachteil einer neuen Epochensignatur, in: Historische Zeitschrift 276 (2003), S. 369–92; Anthony J. Steinhoff: Ein zweites konfessionelles Zeitalter? Nachdenken über die Religion im langen 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft, 30 (2004), S. 549–570. Zur Situation an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert: Michael Maurer: Konfessionelle Identität um 1800, in: Gonthier-Louis Fink, Andreas Klinger (Hrsg.): Identitäten – Erfahrungen und Fiktionen um 1800, Frankfurt am Main u. a. 2004, S. 235–258.

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lution und Reformation herstellten, verbanden Politik und Konfession entweder in der inter- oder aber der binnenkonfessionellen Abgrenzung untrennbar miteinander. Der preußische Hochkonservative Ernst Ludwig von Gerlach z. B. verknüpfte die Verurteilung der Revolution nahtlos mit der Zurückweisung aufgeklärt-rationalistischfrühliberaler Luther- und Reformationsdeutung, wenn er in der Evangelischen Kirchenzeitung 1830 zur Revolution in Sachsen schrieb: „Es ist dieselbe Gesinnung, die in Paris die Vernunft in Person einer Hure vergöttert, und in Leipzig und Dresden den plündernden Pöbel als politischen Reformator begrüßt.“15 Die „Evangelische Kirchenzeitung“ entwickelte sich unter Ernst Wilhelm Hengstenberg zum Leitorgan des mit der Verschmelzung neupietistischer und orthodoxer Strömungen in den 1820er und 1830er Jahren immer mehr hervortretenden konfessionellen Neuluthertums.16 Zweitens in der Suche nach neuen bzw. im Zeithorizont aktualisierten Argumenten der Abgrenzung zwischen den Konfessionen, in unserem Fall also vor allem protestantischer Abgrenzung gegen den Katholizismus und – eng damit verbunden und zugleich zentral für die Rezeption des Augsburgischen Bekenntnisses im 19. Jahrhundert und die Feiergestaltung – drittens die verschärften binnenkonfessionellen Auseinandersetzungen im Protestantismus, hier vor allem des mehr und mehr in die Defensive geratenden theologischen Rationalismus und der neulutherischen Orthodoxie. Auch dieser Gegensatz war, wie schon die zitierte Äußerung Gerlachs andeutet, ähnlich wie der Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus, mit politischen Implikationen und Präferenzen in liberal-nationaler bzw. konservativer Richtung verbunden, die im Revolutionsjahr eine scharfe Akzentuierung erfahren sollten. Dieser politisch aufgeladene binnenkonfessionelle protestantische Konfessionalismus fand in der Jubiläumsfeier der Augsburgischen Konfession einen programmatischen Bezugspunkt. Er knüpfte hier – ein neuerlicher Beleg dafür, dass das 18. Jahrhundert nicht nur die irenische Epoche, sondern auch die Zeit einer im „Binnenbereich des irenischen Modells“ der aufklärerischen Philosophie und Theologie

15 So zit. in: Laube, Fest, Religion und Erinnerung (vgl. Anm. 1), S. 70. 16 Zur EKZ vgl. Gottfried Mehnert: Evangelische Presse. Geschichte und Erscheinungsbild von der Reformation bis zur Gegenwart, Bielefeld 1983. Zu Hengstenberg vgl. Joachim Mehlhausen: Art. Hengstenberg, Ernst Wilhelm (1802–1869), in: Gerhard Müller/Horst Balz/ Gerhard Krause (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 15, Berlin/New York 1993, S. 39–42 (Studienausgabe). Dazu auch die von Schoeps in Erlangen betreuten Dissertationen: Hans Wulfmeyer: Ernst Wilhelm Hengstenberg als Konfessionalist, Diss. Phil., Erlangen 1970; Wolfgang Kramer: Ernst Wilhelm Hengstenberg, die Evangelische Kirchenzeitung und der theologische Rationalismus, Diss. Phil., Erlangen 1972.



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ungebrochenen Bereitschaft zu konfessioneller Distinktion war17 – an eine Diskussion an, die im 18. Jahrhundert, zunächst von „symbolomachischen“ Tendenzen des Pietismus getragen, vor allem von der rationalistischen Theologie aufgegriffen und radikalisiert worden war: Eine Ablehnung jeder Verbindlichkeit der symbolischen Bücher als dem Geist des Protestantismus zuwiderlaufend und ihre Reduktion auf historische Dokumente – gewissermaßen eine frühe theologische Spielart des extremen Kontextualismus. Die neuerliche Eskalation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen regte sich mit dem Zurücktreten des theologischen Rationalismus und dem wachsenden Einfluss „positiv“-neuorthodoxer theologischer Konzepte Widerstand gegen die Symbolomachie, der von der liberalen Theologie als Erbin der Symbolskepsis des Rationalismus unter der polemischen Formel der „Symbololatrie“ bekämpft wurde. Schleiermacher, der sich 1817 durch den Streit mit dem Dresdner Oberhofprediger Christoph Friedrich von Ammon um die konfessionstrennende Bedeutung der symbolischen Bücher im Kontext der Kirchenunion zu einer grundsätzlichen Stellungnahme veranlasst sah, versuchte in einer Abhandlung über den „eigenthümlichen Werth und das bindende Ansehen symbolischer Bücher“ einen Mittelweg zu weisen:18 Indem er behauptete, die symbolischen Bücher behielten ihren reformatorisch begründeten Wert für die Abgrenzung zum Katholizismus, könnten aber nicht als Instrument dafür herhalten, Unterschiede im binnenprotestantischen Bekenntnisstand zum Hindernis der Kirchenunion zu erklären, plädierte Schleiermacher für eine „Dialektik von Freiheit und Bindung“, die sich gleichermaßen „gegen die Verdampfung des Protestantismus in einen Glauben außerhalb und jenseits der Bekenntnisschriften und gegen orthodoxe Sterilität“ wandte.19 Auch anlässlich des Confessio-Augustana-Jubiläums sollte Schleiermacher 17 So Manuel Frey: Toleranz und Selektion. Konfessionelle Signaturen zwischen 1770 und 1830, in: Blaschke, Konfessionen im Konflikt (vgl. Anm. 14), S. 113–153, hier S. 117. Ähnlich argumentieren auch Kretschmann/Pahl, Ein „Zweites Konfessionelles Zeitalter“? (vgl. Anm. 14), S. 385. 18 Friedrich Schleiermacher: Über den eigentümlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher (1818), in: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Hermann Fischer u. a. Abt. 1, Bd. 10: Schriften und Entwürfe. Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften, hrsg. von Hans-Friedrich Traulsen unter Mitwirkung von Martin Ohst, S. 117–144. 19 Ammon hatte, obwohl theologisch selbst als Rationalist sozialisiert, die antirationalistischen und antiunionistischen Thesen des Kieler Geistlichen Claus Harms verteidigt, um gegen die Idee der Kirchenunion zu polemisieren. Vgl. dazu Martin Ohst: Schleiermacher und die Bekenntnisschriften, Tübingen 1989, S. 109f., S. 153–158; Kurt Nowak: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2002, S. 365–367, Zitat S. 367.

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betonen, es sei notwendig, den Geist der Bekenntnisschrift im Protestantismus lebendig werden zu lassen, nicht seinen Buchstaben zum Werkzeug eines protestantischen Binnenkonfessionalismus zu machen.20 Die preußische Union von 1817 war ihm „Teilaspekt“ eines „innerprotestantischen Pluralismus“21, der das in seiner Perspektive besondere Potenzial des protestantischen Christentums, die „evangelische Freiheit“, freisetzen sollte. Schleiermacher versuchte so 1817 wie 1830 „zwischen Symbolzwang und Bekenntnisverachtung hindurch einen Weg jenseits von Restauration und Traditionslosigkeit“ zu finden.22 Den Konflikt konnte er damit freilich nicht beilegen, denn dieser wurde – dies die zweite Ursache für die sich während der 1820er und 1830er Jahre verschärfenden Auseinandersetzungen um die Bekenntnisschriften – zunehmend durch das Bestreben des staatlichen Kirchenregiments besonders in Preußen aber auch in anderen Staaten des Deutschen Bundes aufgeladen, durch einen „Symbolzwang“, die Verpflichtung der Geistlichen auf die Bekenntnisschriften, allen voran die Augsburgische Konfession, eine Stabilisierung protestantischer Staatskirchlichkeit, eine Sicherung des kirchlich institutionalisierten Protestantismus als Teil des politischen Herrschaftszusammenhanges zu erreichen. Besonders die preußische Union, die auf Betreiben König Friedrich Wilhelms III. 1817 ins Werk gesetzt wurde,23 trug, trotz der Impulse, die auch von „unten“, aus den Gemeinden zur Union drängten, trotz der Schleiermacherschen Hoffnungen auf einen damit verbundenen Fortschritt „inner­ evangelischer Ökumene“24, einen solchen ausgesprochen etatistischen Charakter und leistete damit der konfessionellen Verhärtung im preußischen Protestantismus – der nach dem Willen des Königs nicht mehr „protestantisch“ genannt werden sollte – Vorschub.25 Das religiös-theologische Wollen war in den Unionsbestrebungen von 20 Vgl. Martin Honecker: Das Recht in der Kirche des Evangeliums, Tübingen 2008, S. 113. 21 Martin Ohst: Die Preußische Union und ihre politische Bedeutung, in: Andreas Arndt/ Ulrich Barth/Wilhelm Gräb (Hrsg.), Christentum, Staat, Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006, Berlin/New York 2008, S. 165–180, hier S. 179. 22 Honecker, Recht in der Kirche (vgl. Anm. 20), S. 114. 23 Vgl. Bärbel Holtz, Friedrich Wilhelm III. (1770–1840). Monarch für eine einheitliche Landeskirche, in: Rudolf Mau (Hrsg.), Protestantismus in Preußen. Bd. 2: Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2009, S. 23–43. 24 Honecker, Recht in der Kirche (vgl. Anm. 20), S. 114. 25 Vgl. das Abwägen einer solchen Kritik mit anderen Aspekten bei: Ohst, Die Preußische Union (vgl. Anm. 21). Dezidiert in die Richtung der Kritik an der kirchlichen Unionspolitik in Preußen argumentiert z. B. Gerhard Ruhbach: Die Religionspolitik Friedrich Wilhelms III. von Preussen, in: Bernd Möller/Gerhard Ruhbach (Hrsg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, Tübingen 1973, S. 307–330.



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Anfang an ohne Wenn und Aber politisiert: Union erschien in Preußen zunächst und vor allem als Staatsräson, nicht als theologisches Anliegen. Der Agendenstreit, den der König ab 1821 durch den Versuch der Einführung einer neuen, zunächst für Hof und Armee, dann für die ganze Monarchie verbindlichen Gottesdienstordnung vom Zaun brach, konterkarierte die Absicht einer kirchlichen Konsolidierung weiter und führte – von weitreichender Ablehnung der neuen Agende durch die preußische Geistlichkeit begleitet – zu Diskussionen um das Recht des Landesherrn zur Modifikation der Liturgie und 1830 zur manifesten Abtrennung der seit 1817 opponierenden Altlutheraner in Schlesien. Diese Sezession war durch die sukzessiven Zugeständnisse des Königs im Agendenstreit, die ab 1827 zu Parallelformularen und zwischen 1829 und 1834 schließlich zu besonderen, regionale Traditionen berücksichtigenden und größere Variationsmöglichkeiten der liturgischen Gestaltung bietenden Provinzialausgaben der Agende führten, nicht verhindert worden.26 Trotz der äußerlichen Beruhigung der kirchlichen Streitigkeiten der 1820er Jahre, als deren versöhnlichen Abschluss die preußische Regierung das Jubiläum der Augsburgischen Konfession 1830 sehen wollte, schwelte der binnenkonfessionelle Streit – zumal in der wissenschaftlichen Theologie und in der Geistlichkeit – weiter. Es war der unmittelbare Konnex zwischen Staatsinteresse und Bekenntnis, der die Sensibilität des preußischen Staates gegenüber jeglicher Form von Renitenz und Resistenz in der Bekenntnis- und Agendenfrage erzeugte. Diese Verbindung führte im Vorgehen gegen die schlesischen Altlutheraner – auch und gerade im Jahr der obrigkeitlich verordneten Bekenntnisfreude 1830 – zu Methoden, „wie sie im Vernichtungskampf gegen die Hugenotten in Frankreich erprobt worden waren“,27 und gab in den 1830er Jahren, sowohl was die monarchisch-bekenntnisbezogene neue Ordinationsformel, als auch was die Bestätigung von Pfarrer- und Predigerwahlen anging, zu vielfältigen und langwierigen Auseinandersetzungen Anlass. Was war der Inhalt, der Gegenstand der Feiern, die in Deutschland für den 25. Juni 1830 oder den darauffolgenden Sonntag, den 27. Juni angesetzt wurden? Die 26 Ereignisablauf und Hintergründe des Streits sind knapp zusammengefasst in: Alfred Niebergall: Agende, in: Gerhard Krause/Gerhard Müller (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1, Berlin/New York 1977, S. 755–784, Bd. 2, Berlin/New York 1978, S. 1–91, hier S. 55–60; Gerhard Ruhbach (Hrsg.), Kirchenunionen im 19. Jahrhundert, 3. Aufl., Gütersloh 1983. Eine neuere Regionalstudie: Jürgen Kampmann: Die Einführung der Berliner Agende in Westfalen. Die Neuordnung des evangelischen Gottesdienstes 1813–1835, Bielefeld 1991. Sehr materialreich und noch immer vielzitiert ist die Untersuchung von Erich Foerster: Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenbildung im deutschen Protestantismus, 2 Bde., Tübingen 1905–1907. 27 Ohst, Die Preußische Union (vgl. Anm. 21), S. 175.

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preußischen Kirchenbehörden zumindest schienen sich sicher zu sein. Die Kanzelabkündigung, die am Sonntag vor dem Jubiläum, dem 20. Juni 1830 in allen Kirchen der Monarchie verlesen werden sollte, formulierte in vertrauten Ausdrücken die Reformationserinnerung im deutschen Protestantismus des 19. Jahrhunderts und setzte im Hinblick auf die geschilderten Konfliktlagen ein bewusstes Zeichen der bindendverbindenden, aber auch kirchlich disziplinierenden Bedeutung der Confessio Augustana für die Gegenwart: „Dies herrliche Bekenntniß wurde nächst der heiligen Schrift die Grundlage, auf welcher sich der neue Bau der Evangelischen Kirche erhob, und ist seit dreihundert Jahren das öffentliche Zeugniß von dem Glauben derselben geblieben; wie auch wir uns freudig zu demselben bekennen, es als theures Kleinod ehren und unter göttlichem Beistande ferner treu und standhaft an demselben halten wollen.“28

In Bayern, wo die lutherisch geprägte evangelische Landeskirche seit dem Religionsedikt von 1818 Teil des Staatsorganismus war, setzte man auf Konfliktvermeidung und unterließ jeden Versuch, das Augsburgische Bekenntnis als besonderen Einigungspunkt der Protestanten herauszustellen: Für die bayerische Pfalz, wo seit 1818 eine Unionskirche bestand, wurden keine Feiern zum Confessio-Augustana-Jubiläum angeordnet.29 Das war nicht verwunderlich, hatte die Generalsynode von Kaiserslautern doch 1818 in ihrer Unionsurkunde erklärt, Grundlage der pfälzischen Union sei nur das Evangelium, alle bisherigen Bekenntnisschriften aber besäßen keine Geltung mehr. Erst auf Druck des Münchener Oberkonsistoriums war die Synode 1821 bereit gewesen, diese Feststellung durch eine moderatere Formel zu ersetzen, die von „Achtung“ gegenüber den symbolischen Büchern sprach.30 Die Lutheraner im rechtsrheinischen Bayern dagegen, wo in den 1830er Jahren staatlicherseits die Symbolverpflichtung der Geistlichen hervorgehoben wurde, betonten, ähnlich wie die preußi28 Preußische Kanzelabkündigung für den 20. Juni 1830. So zit. in: Joachim Mehlhausen: Zur Wirkungsgeschichte der Confessio Augustana im 19. Jahrhundert. Eine historisch-theologische Skizze, in: Joachim Mehlhausen: Vestigia Verbi. Aufsätze zur Geschichte der evangelischen Theologie, Berlin/New York 1999, S. 95–122, hier S. 98. Aus Einen knappen, ereignisorientierten Überblick zu Preußen bietet auch: Joachim Mehlhausen: Augustana-Jubiläum und Julirevolution, in: Johann F. Gerhard Goeters/Rudolf Mau (Hrsg.), Geschichte der evangelischen Kirche der Union. Bd. 1: Die Anfänge der Union unter landesherrlichem Kirchenregiment (1817–1850), Leipzig 1992, S. 210–220. 29 Vgl. Laube, Fest, Religion und Erinnerung (vgl. Anm. 1), S. 84. 30 So zit. in: Martin Stiewe: Unionen, kirchliche IV: Interprotestantische Unionen und Unionen zwischen protestantischen und anglikanischen Kirchen, in: Gerhard Müller (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 34, Berlin/New York 2002, S. 323–327, hier S. 325.



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sche Anordnung, den Bekenntnisaspekt stark, was auch mit dem herausgehobenen Platz zusammenhing, den die Augsburgische Konfession in der süddeutschen Erinnerungskultur des Protestantismus anders als in Nord-, Mittel- und Ostdeutschland vor der dort dominierenden Überlieferung des Thesenanschlags von 1517 behaupten konnte.31 In Bayern lehnte sich die Feiergestaltung 1830 übrigens, trotz aller Abgrenzungsbemühungen, an katholische Formen an. In Kempten, um nur ein Beispiel herauszugreifen, wurde ein in schwarzen Samt gebundenes Druckexemplar der Augsburgischen Konfession vor der versammelten Schuljugend feierlich enthüllt, dann auf ein hellblaues Kissen gebettet und in einer Prozession von sechs Mädchen zuerst zum Rathaus und dann zum Gottesdienst in die Kirche getragen.32 Der Ton der sachsen-weimarischen Anordnungen zum Jubiläum unterschied sich deutlich von bekenntnisorientierten Bestimmungen des Feieranlasses, wie sie in Preußen zu vernehmen waren. Schon die Entscheidung Weimars, die Feier nicht am 25. Juni stattfinden zu lassen, sondern auf den darauffolgenden Sonntag zu verlegen, die im Großherzogtum auf Kritik stieß,33 konnte als Signal dafür verstanden werden, dass die staats- und kirchenpolitische Bedeutung des Jubiläums in Sachsen-Weimar vergleichsweise geringer veranschlagt wurde, als z. B. in Preußen. Beschwerden über die „Nachfeier“ des Jubiläums am 27. Juni wurden auch angesichts der Festlegungen im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt laut, wo es, so Friedrich Gottlieb Beckers „Allgemeiner Anzeiger der Deutschen“ aus Gotha, einen „schmerzlichen Eindruck“ auf die Bewohner des Kleinstaates machen müsse, aus den benachbarten Staaten das Glockengeläut zu hören, selbst aber arbeiten zu müssen.34 Konfliktlinien, die unmittelbar mit dem Anliegen staatlicher Integration zusammenhingen, waren – anders als in Preußen, Bayern oder dem Sonderfall Sachsen – im nahezu homogen lutherischen Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nicht gegeben. In der weimarischen Anordnung hieß es in höchst charakteristischer Licht-Dunkel-Metaphorik zur Sinngebung der Feier: „Die fromme Theilnahme an dieser Feier wird uns allen erwünschten Anlaß geben, mit dankbarem Herzen zu Gott, dem Vater des Lichtes emporzublicken, der auch uns von der Obrigkeit der Finsterniß errettete und in das Reich seines Sohnes versetzte; uns durch die Betrachtung des Vorbildes unserer frommen Väter in eifrigem Streben nach richtiger christlicher Erkenntniß und in furchtlosem Bekennen der reinen evangelischen Wahrheit zu stärken, und allen Fleiß 31 32 33 34

Vgl. Laube, Fest, Religion und Erinnerung (vgl. Anm. 1), S. 70. Ebd., S. 101. Vgl. Ammon, Denkmal (vgl. Anm. 8), S. 74. So zit. ebd., S. 180.

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zu thun, daß wir uns unserer Seits in ungefärbtem Glauben und christlicher Beständigkeit als würdige Glieder der Kirche darstellen, von welcher Christus das Haupt ist.“35

Das war die Sprache des theologischen Rationalismus und in der Tat profilierte sich der Ereignisraum mit der unter Generalsuperintendent Johann Friedrich Röhr noch immer rationalistisch dominierten weimarischen Landeskirche 1830 als ein weithin wahrgenommenes Zentrum spätrationalistischer Parteinahme in dem binnenkonfessionellen Streit, der sich um den Inhalt der Confessio-Augustana-Feiern entfaltete. Die von Röhr herausgegebene „Kritische Prediger-Bibliothek“ machte den Standpunkt der thüringischen Spätrationalisten zum Bekenntnis-Jubiläum ohne Umschweife deutlich. 1530 sei kein entscheidendes Datum der Reformation wie 1517. Wenn eine bekenntnisbezogene und zugleich an die Frühgeschichte des Protestantismus gemahnende Feier erwünscht sei, hätte diese 1829 zum Andenken an die Protestation von Speyer durchgeführt werden sollen. Damit wurde auch hier ein immer wieder erscheinendes Argument der Kritik am Jubiläum von 1830 angeführt. Zudem – und damit stieß die Kritik zum theologischen Kern des Streites vor – besitze das Augsburgische Bekenntnis nur „professonarisch apologetischen, nicht aber einen dogmatisch-symbolischen Charakter“. Dass jetzt überhaupt der Gedanke aufgekommen sei, die Übergabe der Konfession als ein Reformationsjubiläum zu feiern, sei ein weiteres Indiz für die immer stärker hervortretenden katholisierenden Tendenzen im Protestantismus, welche die Confessio Augustana zum „Kopfe eines papiernen Papstes“ machen wollten.36 Röhrs Rezensionsorgan verwies hier auf den sachsen-altenburgischen Theologen Georg Jonathan Schuderoff, der zu den produktivsten rationalistisch geprägten theologischen, besonders homiletischen Publizisten des thüringischen Raumes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte.37 Schuderoff hatte schon in den 1817 veröffentlichten „Grundzügen zur evangelisch-protestantischen Kirchenverfassung und zum evangelischen Kirchenrechte“ eine „symbolomachische“ Position bezogen, auf die er und geistesverwandte Theologen in der Diskussion um die Feiern von 1830 immer wieder zurückkommen sollten: „Selbst die symbolischen oder Bekenntnißbücher“ seien nicht „unabänderliche Lehrvorschrift“, sondern ein „Codex, in welchem die Ansichten derer, welche gerade zu dieser Zeit die Repräsentanten der Gemeinden bildeten, niedergelegt seien, eingedenk, daß sie als unabänderliche und stehende Vor35 So zit. ebd., S. 75. 36 So zit. in: Mehlhausen, Wirkungsgeschichte (vgl. Anm. 28), S. 106f. 37 Vgl. Werner Greiling: Zwischen Kirche, Gesellschaft und Staat. Jonathan Schuderoff (1766–1843) als Prediger in politischer Absicht, in: Katrin Beger u. a. (Hrsg.), „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefaßtes Neue“. Festschrift für Volker Wahl zum 65. Geburtstag, Rudolstadt 2008, S. 349–370.



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schrift geltend machen zu wollen, den freien Geist bannen und das Lebensprinzip des Protestantismus ertöten hieß.“38 Auch Röhr39 selbst war in seiner Predigt zum 27. Juni 1830 als ranghöchster Geistlicher der weimarischen Kirche in dieser Hinsicht erstaunlich eindeutig und bezeichnete zugleich über eine unmissverständliche Anspielung auf die Jesuiten auch den binnenkonfessionellen Feind: Die Feier der Confessio Augustana sei, so Röhr, „doppelt dringend in einer Zeit, wo nicht nur der ewige Erbfeind unserer Kirche die furchtbarsten Bekämpfer derselben als seine treuen Waffenträger wieder in das Daseyn gerufen hat, sondern wo auch in ihrer eigenen Mitte so viele ihnen Gleichgesinnte sich erheben, welche den freien Geist des Evangeliums durch die Herrschaft des todten Buchstabens zu dämpfen suchen“ und „dem hochherzigen Wiederhersteller dieses Evangeliums, das von ihm selbst so tief verabscheute Ansehen eines untrüglichen evangelischen Glaubensrichters für uns beilegen“.40 Röhr hatte seine Anmerkungen zum Jubiläum im Verlag von Johann Karl Gottfried Wagner in Neustadt an der Orla veröffentlicht, wo auch seine bereits zitierte „Kritische Prediger-Bibliothek“ erschien. Wagners Verlag war für ihn, ebenso wie für Jonathan Schuderoff und andere rationalistische Theologen, z. B. den sächsischen Katecheten Gustav Friedrich Dinter oder den Jenaer Homiletik-Professor Heinrich August Schott, der Hausverlag und – wie Werner Greiling gezeigt hat – eine seit dem territorialen Wechsel von Sachsen 1815 in der spätrationalistischen Hochburg Sachsen-Weimar-Eisenach ansässige bedeutsame Institution der Distribution rationalistischer Theologie und aufgeklärt-rationalistischer Pädagogik im mitteldeutschen Raum und in ganz Deutschland.41 Der Jenaer Professor Heinrich August Schott war, obgleich er einen moderateren Rationalismus vertrat und für gemäßigte supranaturalistische Positionen anschlussfähig blieb,42 mit Johann Friedrich Röhr freundschaftlich verbunden; Röhr widmete 38 Jonathan Schuderoff, Grundzüge zur evangelisch-protestantischen Kirchenverfassung und zum evangelischen Kirchenrechte, Leipzig 1817, S, 65f. 39 Zu seiner Theologie vgl. Wolfgang Erich Müller: Radikale Reduktion der Dogmatik – Die „Briefe über den Rationalismus“ von J. F. Röhr, in: Ders./Hartmut H. R. Schulz: Theologie und Aufklärung. Festschrift für Gottfried Hornig zum 65. Geburtstag, Würzburg 1992, S. 242–263. 40 So zit. in: Ammon, Denkmal (vgl. Anm. 8), S. 78. 41 Vgl. Werner Greiling: „Dem sittlichen und religiösen Unterricht gewidmet“. Der Verlag J.K.G. Wagner in Neustadt an der Orla. Mit einem Anhang: Systematische Verlagsbibliographie J.K.G. Wagner 1799 – 1831, in: Werner Greiling/Siegfried Seifert (Hrsg.): „Der entfesselte Markt“. Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800, Leipzig 2004, S. 129–175. 42 Zu Schott vgl. G[ustav] Frank: Art. Schott, Heinrich August, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Auf Veranlassung Seiner Majestät des Königs von Bayern hrsg. durch die historische

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ihm 1834 die zweite Auflage seiner „Grund- und Glaubenssätze“.43 Schott hatte die Predigt, die er als Universitätsprediger zum 300. Jubiläum des Augsburgischen Bekenntnisses in der Jenaer Kollegienkirche gehalten und in der er daran erinnert hatte, die „Urheber“ der Confessio Augustana seien „weit entfernt“ gewesen, „jedes in ihrem Bekenntnisse geschriebene Wort für unverbesserlich zu halten“, ebenfalls bei Wagner in Neustadt erscheinen lassen.44 Den Reigen rationalistischer Skepsis gegenüber einer fortgesetzten Verbindlichkeit des Augsburgischen Bekenntnisses schloss bei Wagner in Neustadt 1830 ein unter dem Pseudonym „Aleithozetetes“ veröffentlichtes „Glaubensbekenntniß“ ab,45 das die Absicht verfolgte, die Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses für die Gegenwart neu zu formulieren, und dabei, wie ein Rezensent meinte, „die Ansichten der Rationalisten von der äußersten Linken […] nach der Ordnung der Augsb. Conf.“ darstellte.46 Dadurch, so der Leipziger Theologe Christian Friedrich Illgen, seien „die Augsburgische Confession und ihr Inhalt trefflich dem Spotte der Unkundigen Preis gegeben worden“.47

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Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, Bd. 32, Leipzig 1891, S. 798–799. Zu Schotts Homiletik vgl. Christian-Erdmann Schott: Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärungspredigt. Dargestellt am Beispiel Franz Volkmar Reinhards, Göttingen 1978, S. 291–293. Vgl. Johann Friedrich Röhr: Grund- und Glaubens-Sätze der evangelisch-protestantischen Kirche. Nebst einem Anhange über die kirchliche Wahlverwandtschaft der römisch-katholischen und evangelischen Stabilitäts-Theologen, 2., völlig umgearbeitete und mit Vorbemerkung und Erläuterungen versehene Ausgabe, Neustadt an der Orla 1834. Vgl. zur Beziehung zu Schott auch die Widmung Röhrs an Christian Friedrich Böhme in: Ders., Grund- und Glaubens-Sätze der evangelisch-protestantischen Kirche. Nebst einem Anhange, 3. verbesserte und vermehrte Aufl., Neustadt an der Orla 1843. So zit. in: Ammon, Denkmal (vgl. Anm. 8), S. 81. Vgl. Heinrich August Schott, Predigt am 3. Sonntage n. Trinitatis 1830 zur dreihundertjährigen Jubelfeier der Augsburgischen Confession in der Collegienkirche zu Jena gehalten, Neustadt an der Orla 1830. Vgl. Aleithozetetes: Glaubensbekenntnis denkgläubiger Christen, welches im Jahre 1830 als am 300-jährigen Jubelfeste wegen Übergabe der Augsburgischen Confession der Mitwelt vorgelegt werden sollte, zur Vergleichung, Prüfung und Beherzigung. Eine Lesefrucht ohne Noten und Citate, Neustadt an der Orla 1830. Karl Zimmermann: Die theologische Literatur des vierten Jahrzehnts im neunzehnten Jahrhunderte. Erster Theil: Kritische Übersicht der theologischen Literatur der Jahre 1830 und 1831, Darmstadt 1838, S. 58. Christian Friedrich Illgen: Die religiösen Wahrheitsfreunde oder Philalethes in Kiel. Mit besonderer Berücksichtigung der von ihnen und ihren Gegners herausgegebenen Schriften, in: Zeitschrift für die historische Theologie 9 (1839), H. 2, S. 67–162, hier S. 117.



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Ebenfalls bereits bei Wagner in Neustadt publiziert hatte der rudolstädtische Theologe Johann Friedrich Theodor Wohlfarth,48 der 1830 in Altenburg eine umfängliche Schrift zum Jubiläum der Augsburgischen Konfession veröffentlichte. Wohlfarth, dessen Familie zwischen 1743 und 1878 ununterbrochen die Pfarrstelle in Kirchhasel bei Rudolstadt innehatte, war ein über Jahrzehnte äußerst reger theologischer, pädagogischer und politischer Publizist, dem das „Neue Journal für Prediger“ 1829 bescheinigte, er bekenne sich „offen […] zum Rationalismus, wie in der Theologie und Moral, so im Kirchenrechte und in den sämmtlichen Zweigen der Pastoral-Theologie und der Praxis.“49 Bekannt wurde Wohlfarth vor allem durch die gemeinsam mit dem Sangerhausener Superintendenten Gottlob Eusebius Fischer herausgegebene Prediger-Bibel, eine homiletisch orientierte Auslegung des gesamten Bibeltextes in vielen Bänden, die nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in den Niederlanden und in Skandinavien um die Mitte des 19. Jahrhunderts weite Verbreitung fand.50 Wohlfarth betätigte sich in seiner Pfarre volksaufklärerisch-volkspädagogisch51 und war auch 1848/49 publizistisch stark engagiert. Euphorisch predigte er nach der Ernennung des Reichsverwesers Erzherzog Johann von Österreich über das Wort aus dem Johannesevangelium „Es war ein Mann von Gott gesandt, der hieß: Johannes“, wollte zur Popularisierung der Grundrechte beitragen und beteiligte sich an der Diskussion um die Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Paulskirchenverfassung.52 48 Zu Wohlfarth vgl. Joh[ann] Bapt[ist] Heindl (Hrsg.): Galerie berühmter Pädagogen, verdienter Schulmänner, Jugend- und Volksschriftsteller und Componisten. Aus der Gegenwart in Biographien und biographischen Skizzen 2 Bde., München 1859, hier Bd. 1, S. 619f. 49 Rezension zu: Johann Friedrich Theodor Wohlfarth: Die Wahrheit wird Euch frei machen. Ein Bruderwort an evangelische Geistliche zur Feier des dritten Jubelfestes der Protestation der evangelischen Stände auf der Reichsversammlung zu Speier am 15. April 1529, Altenburg 1829, in: Neues Journal für Prediger 55 (1829), S. 241–246, hier S. 242. 50 Vgl. Die heilige Schrift alten und neuen Testaments nach dem Standpuncte der heutigen Wissenschaft und den Bedürfnissen unserer Zeit vollständig erklärt und ausgelegt. Ein Haus- und Handbuch für Geistliche und gebildete Bibelleser. Altes Testament von [ Johann Friedrich Theodor] Wohlfarth. Neues Testament von [Gottlob Eusebius] Fischer, 8 Bde., Neustadt an der Orla 1836–1847. 51 Vgl. Felicitas Marwinski: Vom Leseverein zur Schulbibliothek. Dörfliches Bildungsstreben in Kirchhasel unter dem Pfarrer Johann Friedrich Theodor Wohlfarth, in: Blätter der Gesellschaft für Buchkultur und Geschichte 2 (1998), S. 9–45. 52 Vgl. J[ohann] Fr[iedrich] Th[eodor] Wohlfarth: Es war ein Mann von Gott gesandt, der hieß: Johannes! Joh. 1,6. Worte bei der am VII. Sonntage nach Trinitatis 1848 wegen Ernennung Sr. Kaiserl. Hoheit, des Erzherzogs Johann von Oestreich zum Verweser des deutschen Reichs angeordneten Feier; Neustadt an der Orla 1848; J[ohann] Fr[iedrich] Th[eodor] Wohlfarth: Neuestes Freiheitsbüchlein. Oder die jetzigen Rechte, Freiheiten und Pflichten des deutschen

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In seinem Buch zum Säkularfest der Augsburgischen Konfession pflichtete Wohlfarth 1830 der auch bei Röhr und Schuderoff formulierten Auffassung bei, dass die Confessio Augustana für die Gegenwart, ähnlich wie alle anderen Bekenntnisschriften, keine dogmatische Bindekraft beanspruchen könne und warf den binnenkonfessionellen Gegnern, den Anhängern eines „buchstäbelnden Luthertums“ vor, die Protestanten mit ihrer Bekenntnisfrömmigkeit in die Arme des Katholizismus zu treiben, denn „wenn man […] zwischen einem lebenden […] und einem papiernen Papste die Wahl hat, so wird man sich gewiß unbedenklich zu ersterem wenden.“53 Die Schöpfer der symbolischen Schriften, so Wohlfarth, hätten mit ihren Werken alles andere bezweckt, als die Schaffung neuer, die „Denk- und Lehrfreiheit fesselnder Glaubensnormen“. Aber selbst wenn sie dieses Ziel verfolgt hätten, würde das Ergebnis für den Protestanten des Jahres 1830 „als ihren eigenen Grundsätzen widersprechend […] völlig unverbindlich sein.“54 Damit griff Wohlfarth eines der zentralen Argumente liberaler Theologen unterschiedlicher Couleur gegen die Gestaltung des Jubiläums von 1830 als Feier eines historisch gesetzten, unverändert fortdauernden Bekenntniskontinuums auf. Der Jenaer Philosoph und Burschenschaftsmitbegründer Karl Hermann Scheidler suchte in detaillierter historischer Argumentation nachzuweisen, dass die Augsburgische Konfession nicht als dogmatische, sondern als „apologetische und besonders irenische“ Schrift konzipiert sei und dass ihre Übergabe „keine eigentlich in Betracht kommenden Folgen“ gehabt habe.55 Für den in Kopenhagen wirkenden schleswig-holsteinischen Theologen Johann Christian Gottberg Johannsen war das Augsburgische Bekenntnis nicht symbolisch-dogmatische Festlegung, sondern geradezu die „Schutzwehr des freien Protestantismus“, weil ihr Inhalt selbst gegen die Zumutung ins Feld geführt werden könne, „etwas anderes als stehend auf die Nachkommen zu vererben, als was dem göttlichen Worte und christlicher Wahrheit gemäß ist. Also kann auch der A. C. Verwandte sie nicht als unbedingte Erblehre zu betrachten, sondern hat jeden in ihr niedergelegten Lehrsatz nach dem Maße seiner christlichen Volkes. Sowohl für den Bürger und Landmann als zum Gebrauch in Volksschulen, Weimar 1848; J[ohann] Fr[iedrich] Th[eodor] Wohlfarth: Die Trennung der Kirche vom Staate und der Schule von der Kirche, Weimar 1848; J[ohann] Fr[iedrich] Th[eodor] Wohlfarth: Die Gefahren der Kirche gegenüber den Paragraphen 14 bis 20 der Grundrechte des deutschen Volkes, Weimar 1849. 53 J[ohann] Fr[iedrich] Th[eodor] Wohlfarth: Zur Feier des dritten Secularfestes der feierlichen Übergabe der Augsburgischen Confession auf dem Reichstage zu Augsburg den 25. Junius 1530, Altenburg 1830, S. 109, 117. 54 Ebd., S. 102f. 55 Karl Hermann Scheidler: Ueber die Augsburgische Confession. Ein Beitrag zur genaueren Kenntniß ihrer ursprünglichen Bestimmung und Bedeutung, sowie zur richtigen Würdigung ihrer bevorstehenden dritten Jubelfeier, Jena 1830, S. 73f.



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Wahrheit zu beurteilen.“56 Ähnlich argumentierte auch der bereits zitierte Gothaer Generalsuperintendent Karl Gottlieb Bretschneider, wenn er in einem 1841 in Reaktion auf die Auseinandersetzungen um Symbolzwänge in verschiedenen deutschen Staaten veröffentlichten Buch die „Unzulässigkeit des Symbolzwangs“ „aus den symbolischen Büchern selbst und deren Beschaffenheit“ nachweisen wollte und erklärte, eben durch den erzwungenen Eid des Geistlichen auf die symbolischen Bücher werde dieser zur Missachtung des Eides genötigt, da die beschworene Bekenntnisschrift selbst den unfreiwilligen Eid in Religionsdingen für nichtig erkläre.57 Neben solchen Argumenten im rationalistisch-liberalen Hauptstrom aber, stellte sich Johann Friedrich Theodor Wohlfahrt auch die weit schwierigere „pastoraltheologische“ Frage, welchen Inhalt und damit auch welche Gestalt die Feier des 300. Jubiläums des Augsburgischen Bekenntnisses in einer Kirche haben könne, die nach seiner Überzeugung keiner bindenden Bekenntnisschriften bedürfe, sondern jede theologische oder kirchliche Konsequenz aus dem Wort Gottes nur auf dem Wege freier Forschung zu gewinnen und nur vor dem „Richterstuhle der Vernunft“58 zu prüfen habe. Damit war für die Feiern von 1830 tatsächlich die Gretchenfrage gestellt, denn die negativen Angebote oder die abstrakten Verweise der Rationalisten auf ein „freies Forschen über die religiösen Wahrheiten“59 waren nicht sonderlich geeignet, die für die Gestaltung jeder kirchlichen Feier entscheidende Schwelle zwischen theologischer Reflexion und pastoraler Operationalisierung ohne entscheidenden Substanzverlust zu überwinden. Dieses Problem beschäftigte Wohlfarth erkennbar, wenn er den Konfessionslutheranern zurief, die Herausstellung der Augsburgischen Konfession als dogmatisches Dokument nütze gerade gegen die katholische Kirche nichts, denn diese wisse „der Sinnlichkeit besser zu schmeicheln als ihr mit […] Eurem armseligen, nüchternen Cultus.“60 Auch die neukonfessionelle Gegenpolemik nahm diesen Punkt immer wieder auf. Neben der, z. B. von dem kurhessischen Theologen August Friedrich Christian Vilmar, herausgestellten unveränderlichen Verbindlichkeit der Confessio Augustana,61 56 J[ohann] C[hristian] G[ottberg] Johannsen: Die Augsburgische Konfession als Schutzwehr des freien Protestantismus. Den Gebildeten in der Gemeine gewidmet, Leipzig 1847, S. 66. 57 Karl Gottlieb Bretschneider: Die Unzulässigkeit des Symbolzwangs in der evangelischen Kirche. Aus den symbolischen Büchern selbst und deren Beschaffenheit nachgewiesen für alle Freunde der Wahrheit, Leipzig 1841, S. 119. 58 Wohlfarth, Zur Feier des dritten Secularfestes (vgl. Anm. 53), S. 88. Wohlfarth zitiert hier: Johann Gottfried Pahl: Das öffentliche Recht der evangelisch-lutherischen Kirche kritisch dargestellt, Tübingen 1827, S. 178. 59 Wohlfarth, Zur Feier des dritten Secularfestes (vgl. Anm. 53), S. 86. 60 Ebd., S. 117. 61 Zu Vilmars Position vgl. Mehlhausen, Wirkungsgeschichte (vgl. Anm. 28), S. 106.

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stellte sie implizit die Frage, wie, so der lutherische Bekenntnistheologe Ernst Wilhelm Christian Sartorius in Hengstenbergs Kirchenzeitung, solche „unbestimmten Träumereien […] von Principien des Protestantismus“ eigentlich gefeiert werden könnten.62 Insgesamt waren 1830 solche konservativ-konfessionellen Stimmen in den sächsischen Herzogtümern und im weimarischen Großherzogtum anders als in Preußen sehr selten, was die Dominanz des Spätrationalismus in der Geistlichkeit und der Verkündigung abermals unterstreicht. Einige Bekanntheit erlangte der in Eichenberg bei Kahla amtierende Pfarrer Gotthold Heinrich Löber. Der orthodoxe Lutheraner Löber, der, so ein Biograph, in seiner Gemeinde und in ganz Sachsen-Altenburg „als ein treuer Wächter auf Zions Mauern die Posaune des göttlichen Wortes helle geblasen“ hatte,63 bevor er 1839 mit der von dem umstrittenen sächsischen Pfarrer Martin Stephan geführten neupietistisch-neulutherischen Stephanisten-Bewegung nach Amerika auswanderte, trat in seinem 1830 erschienenen „Denkmal der Augsburgischen Confession“ für deren bindende dogmatische Kraft ein und beklagte die Vorherrschaft der rationalistischen Theologie heftig.64 Dennoch blieben die Neukonfessionellen und Erweckten im thüringischen Raum während der 1830er und 1840er Jahre noch in der Defensive; nicht zuletzt das Confessio-Augustana-Jubiläum zeigte das. Im Rückblick beklagte Löber, dass er „nicht noch eifriger und besser als es geschehen ist, gegen alles Unwesen (als Rationalismus, Unionismus etc.) gezeugt und gestritten“ habe. „Aber wir waren selbst zu schwach im Glauben, und waren in manchem fruchtlosen Kampf matt geworden, daß wir nicht muthig, vereint und standhaft genug den Feind angriffen, sondern uns mit halber Duldung, die man uns noch angedeihen ließ, begnügten und uns auf einen kleinen Kreis christlicher Freunde zurückzogen, die mit uns die Noth der Kirche beseufzten und auf Hülfe und Errettung von oben sehnlichst harrten.“65 62 So zit. ebd., S. 105. 63 J[ohann] F[riedrich] Köstering: Auswanderung sächsischer Lutheraner im Jahre 1838, ihre Niederlassung in Perry-Co., Mo. Und damit zusammenhängende interessante Nachrichten nebst einem Bericht von dem in den Gemeinden zu Altenburg und Frohna vorgefallenen sog. Chiliastenstreit in den Jahren 1856 und 1857. Auf Begehren der Gemeinden in Altenburg und Frohna der Wahrheit zur Ehre nach den Quellen erzählt und der ev.-luth. Synode von Missouri, Ohio u. a. St. Als ein geringer Beitrag zu ihrer Geschichte übergeben, 2. Aufl. St. Louis, Mo. 1867, S. 142. 64 Vgl. Gotthold Heinrich Löber: Denkmal der Augsburgischen Confession. Bei der dritten Jubelfeier ihrer unvergesslichen Uebergabe seinem lieben Vaterlande gewidmet, Jena/Leipzig 1830. 65 Köstering, Auswanderung (vgl. Anm. 63), S. 142.



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Insgesamt galt, was der wichtigste Chronist der Feiern im Deutschen Bund, der in Erlangen zunehmend an den Rand der universitären Theologie gedrängte Spätrationalist Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon über das Jubiläum von 1830 in den sächsischen Herzogtümern fast triumphierend anmerkte: „Einzelne Stimmen von Männern der Parthei, welche starres Luthertum mit dem reinen Evangelium identificirt und in dem jetzigen Standpunkte der Theologie das Werk des Antichrists erkennen, verhallten, ohne besonderen Eindruck zu machen in dem allgemeinen Jubel über den Sieg des Lichts und über die […] Fortentwicklung des protestantischen Princips in dem Lande, das die Wiege der Reformation war und dessen Fürsten noch heut, vom Geiste ihrer Ahnherrn beseelt, die Freiheit des Glaubens und der wissenschaftlichen Forschung aufrecht halten.“66

Wohlfarths Vorschläge zur positiven Sinngebung der Feiern von 1830 bezogen sich neben Hinweisen zur historischen Bedeutung des Dokuments und zur Möglichkeit, Unkirchliche zum Kirchenbesuch und zur Einsicht in die qualitativen Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen zu bewegen, die an den zeitgenössischen Unkirchlichkeitsdiskurs anknüpften,67 vor allem auf die Chance binnen- und interkonfessioneller Kontroversität. Diese schien ihm die 1830 vor allem angezeigte Fortentwicklung des „protestantischen Prinzips“ zu sein. „Kein Nachdenkender“, so behauptete er, werde das Jubiläum begehen, „ohne das lichtscheue Treiben der Schwärmer und Separatisten in dem festlichen Lichte zu beschauen.“68 Vor allem aber gelte es mit dem Jubiläum ein Fanal gegen die katholische Kirche zu setzen. Da man der Angegriffene sei, müsse man zurückschlagen und jede Verantwortung dafür ablehnen, „wenn in solchem nothgebotenen Kampfe der Gegner verletzt wird“.69 Die Jubiläumspredigten müssten genutzt werden, um Protestantismus und katholische Kirche zu vergleichen; „die Schmach der unchristlichen Glaubenstyrannei, des vernunftwidrigen Zwingherrnthums jener mit der Wahrheit und Würde der evangelischen Glaubensfreiheit, das lichtscheue Streben des Vernunft und Gewissen beknechtenden Wahnglaubens mit dem offenen Beginnen der Wahrheit und der freien Ueberzeugung […], die Herrlichkeit der protestantischen Kirche“ mit der „finsteren Herrschaft des Papstthums“.70 Tatsächlich blieb der fundamentalen liberalprotestantischen Kritik des 1830er Feier66 Ammon, Denkmal (vgl. Anm. 8), S. 47. 67 Vgl. Martin Burkhardt: Die Diskussion über die Unkirchlichkeit, ihre Ursachen und möglichen Abhilfen im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Dargestellt an ausgewählten Quellen, Frankfurt am Main u. a. 1999. 68 Wohlfahrt, Zur Feyer des dritten Secularfestes (vgl. Anm. 53), S. 173. 69 Ebd., S. 175. 70 Ebd., S. 175f.

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anlasses und -gegenstandes zur positiven Sinngebung des Jubiläums letztlich nur der Rekurs auf einen trotz aller Hilfskonstruktionen im Lichte ihres eigenen Anspruches und Selbstverständnisses paradoxen Konfessionalismus. Hatte sich schon bei Schleiermacher angedeutet, dass das Hauptargument gegen eine vollständige Historisierung der Bekenntnisschriften vor allem in ihrer Abgrenzungsfunktion nach „außen“, gegen den Katholizismus liege71 – ein Gedankengang, den z. B. Karl Hermann Scheidler aufnahm72 – wurden andere deutlicher und polemischer. Der Jenaer Theologe Johann Traugott Leberecht Danz schickte seinen 1829 zur Vorbereitung auf das Jubiläum veröffentlichten Vorlesungen über die Augsburgische Konfession die Bemerkung voran, es sei zu begrüßen, dass sich anlässlich solcher Feiern die konfessionellen Konflikte verschärften. „Denn wenn sie auch nicht dazu beitrugen, den Gegentheil zu bekehren und dem Proselytenmachen einen günstigern Erfolg zu bereiten […], so haben sie doch für uns die wohlthätige Wirkung gehabt, daß wir unsere Stellung gegen die allein seligmachende, aber auch allein verfolgende Kirche, mit immer klärerem Bewußtseyn aufgefaßt, und bestimmter erkannt haben, was wir von der kathol. Kirche uns gegenüber erwarten können und erwarten müßen.“73

In der Realität orientierte sich Festgestaltung 1830 weder im Ereignisraum noch in einer anderen Region des Deutschen Bundes an solchen agonalen Projektionen eines Konfessionalismus, wie ihn rationalistische und auch – wenngleich deutlich schwächer ausgeprägt – neukonfessionelle Theologen im Vorfeld des Jubiläums für notwendig und heilsam hielten, um ihrer Aufgabe als Sachwalter von Fortschritt und Aufklärung, als Kinder des Lichts, oder eben als Bewahrer kirchlicher Lehre und Tradition, gerecht zu werden. Das limitierende Element, dessen war sich auch Wohlfahrt bewusst, lag für solchen Konfessionalismus im Interesse des Staates, das Reformationsgedenken integrierend zu akzentuieren. An konfessioneller Polemik hatte man weder in konfessionell geschlossenen Territorien wie den thüringischen Staaten, noch in den mit den Konflikten um protestantische Kirchenunionen ringenden Gebieten wie Preußen oder in den Staaten ein Interesse, in denen, wie in Bayern, die Parität und der Ausgleich zwischen den christlichen Konfessionsaggregaten eine Lebensfrage gesamtstaatlicher Konsolidierung waren. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, das der konfessionellen Polemik zweifelsohne tatsächlich innewohnende Moment so71 Honecker, Recht in der Kirche (vgl. Anm. 20), S. 113. 72 Vgl. Scheidler, Augsburgische Confession (Anm. 55), S. 81. 73 J[ohann] T[raugott] L[eberecht] Danz: Die Augsburgische Confession nach ihrer Geschichte, ihrem Inhalte und ihrer Bedeutung. Grundriß zu Vorlesungen nebst Angabe der dazu gehörigen Literatur, Jena 1829, S. V.



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zialer und staatlicher Desintegration zu fördern, betonte Johann Friedrich Theodor Wohlfarth abschließend, auch der Gehorsam gegen die Fürsten, das Vertrauen des Volkes zu seinen wissenschaftlich gebildeten Theologen und die möglichst innige Verbindung von Staat und Kirche seien Erbschaften der Augsburgischen Konfession, die es beim Jubiläum zu feiern gelte.74 Ganz vermeiden ließen sich 1830 gewaltförmige konfessionelle Zusammenstöße allerdings besonders in Süddeutschland nicht. Im Pfarrbezirk Weiden z. B. verhinderten Katholiken jede außerhalb der Kirchengebäude sichtbare Feier des Jubiläums und es kam wohl auch zu Fenstereinwürfen.75 Aufs Ganze gesehen ist es jedoch gewiss keine übermäßige, der Herrschaftsperspektive der Quellen geschuldete Harmonisierung, wenn die Berichte über die Festverläufe von 1830 den insgesamt ungestörten, in gemischtkonfessionellen Gebieten vom tagtäglich praktizierten modus vivendi geprägten Ablauf der Jubiläumsfeierlichkeiten herausstellen. Auch die äußere Gestaltung, das machen die zahlreichen Feierbeschreibungen deutlich, folgte 1830 besonders im protestantischen Mitteldeutschland den kanonisierten Formen, die schon 1817 und im 18. Jahrhundert das Geschehen bestimmt hatten: Glockengeläut; die Sakralisierung des öffentlichen Raumes durch Choralsingen und besonders durch Festzüge, die entscheidende Landmarken der städtischen Topographie wie Rathaus, Schule und Universität als Inszenierung sozialer Übereinkünfte mit dem Kirchengebäude verbanden; Gottesdienst in einer festlich, und mit von Kritikern als „unprotestantisch“ angeprangertem Aufwand geschmückten Kirche, schulische Redeakte.76 Es zeigte sich 1830 – und dies ist wohl kein überraschender Befund – , dass die theologischen Kontroversen um den Inhalt, den Gegenstand der Feiern die Ebene kirchlicher Praxis in voller Breite nur um den Preis eines Scheiterns der Feiern hätten erreichen können, das die Regierungen nicht zulassen konnten. Auch wenn in einem Kerngebiet spätrationalistischer Theologie wie dem Ereignisraum auf der „unteren“ Ebene gewiss deutliche Spuren dieses theologischen Programms sichtbar wurden – vor allem in den Predigten – war die Dynamik, der Eigensinn auch dieser staatskirchlich reglementierten Feier doch auf das Konkretum der Bekenntnisschrift bezogen, nicht auf ihre abstrakten Sinndeutungen und Aktualisierungen. Schleiermachers Sinngebungsversuch, „nicht der Urkunde“ gelte die Feier, „dass sie verfasst worden und dass sie gerade so geworden, sondern ihrer Übergabe; nicht das Werk wird gefeiert, sondern die That“ half hier nicht weiter, zumal man mit Fug und Recht argumentieren konnte, dass anderen reformatorischen „Thaten“, z. B. der Protestation 74 Vgl. Wohlfarth, Zur Feyer des dritten Secularfestes (vgl. Anm. 53), S. 188f. 75 Vgl. Laube, Fest, Religion und Erinnerung (vgl. Anm. 1), S. 105–107. 76 Für den thüringischen Raum vgl. v. a. Ammon, Denkmal (vgl. Anm. 8), S. 43–82, 166–182.

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von Speyer größere politisch-kirchengeschichtliche Bedeutung zukam. Ungeachtet aller Deutungs- und Rettungsversuche der Spätrationalisten und Liberalen war die konkrete Jubiläumsfeier damit entweder für eine dem dogmatischen Verständnis der Neukonfessionellen vom Feieranlass angenäherte Auffassung weiterhin offen oder blieb ganz auf den konfessionellen Gegner, den als intrigant, ausgreifend und unversöhnlich imaginierten Katholizismus bezogen. Letztlich trat hier die grundsätzliche Problematik einer protestantischen kirchlichen Feierkultur zu Tage, die sich ihrer Inhalte und Gegenstände immer neu durch reflexiv-intellektuelle Anstrengungen zu versichern und zu bemächtigen sucht. Für das Reformationsgedenken des deutschen Protestantismus im „langen“ 19. Jahrhundert galt dies ganz besonders. Und es gilt für die Reformationsfeier des Protestantismus, so möchte ich behaupten, bis in unsere Gegenwart, in der wohlmeinende Arbeitshilfen und Gottesdienstbücher praktischer Theologen Jahr um Jahr den oftmals verkrampft wirkenden Versuch unternehmen, die Feier eines nicht aus Offenbarung und Heilsgeschichte, sondern aus dem politisch-gesellschaftlich-religiösen Prozess der Reformation resultierenden evangelischen Propriums mit der als unabdingbar empfundenen ökumenischen Offenheit zu verbinden. Und auch die Frage, was Bekenntnis für die Ekklesiologie und vor allem eine an ihr orientierte pastorale Praxis bedeutet, wie sie zum Konfliktpunkt beim ConfessioAugustana-Jubiläum von 1830 wurde, ist keineswegs erledigt. Wenn der neulutherische Dogmenhistoriker Karl Friedrich August Kahnis in der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannte, das Studium der Bekenntnisschriften habe ihn davon überzeugt, „wie sehr es Noth thut, einem diffluirenden Subjektivismus und seinen luftigen Phantasmagorien gegenüber die Kirche auf der historischen Basis ihres Bekenntnisses zu gründen“,77 war ein Thema angeschlagen, das auch die protestantische Theologie des 20. Jahrhunderts – gerade angesichts sozialer und politischer Krisenerfahrungen in den Weltkriegen und Diktaturen – noch vielfach variieren sollte.78 In einer Zeit, in der „die ‚Freunde‘ gern ihre Hände als Christi Hände und sich selbst als die einzige Bibel betrachten, die die Welt noch liest“ und in der sich der Inhalt kirchlicher Lehre „allenfalls“ noch „über seine Funktion für die Konstitution selbstbestimmter Subjektivität“ zu erschließen scheint79, muss diese Beschäftigung unvermindert andauern. 77 So zit. in: Mehlhausen, Wirkungsgeschichte (vgl. Anm. 28), S. 122. 78 Vgl. z. B. Hans-Jörg Reese: Bekenntnis und Bekennen. Vom 19. Jahrhundert zum Kirchenkampf der nationalsozialistischen Zeit, Göttingen 1974, besonders S. 122–139. 79 Walter Schöpsdau, Darf der Glaube wirklich nicht eine Stunde alt werden? Melanchthon und das Augsburger Bekenntnis, in: Reiner Marquard (Hrsg.): Reformationstag – Evangelisch und ökumenisch. Eine Arbeitshilfe für Gemeinde und Schule, Göttingen 1997, S.  44–61, hier S. 44.

Fürsorgeideen des 19. Jahrhunderts in Feiern und Festen Johannes Daniel Falk und Johann Hinrich Wichern im Vergleich

von Christian Hain

1. Einleitung „Außer den regelmäßig wiederkehrenden Festen an den jährlichen Gedächtnistagen feiern wir noch manches andere Hausfest, […] z. B. das Stiftungsfest des Hauses, zuzeiten auch ein besonderes Erntefest, ein Kartoffelfest, ein Liederfest, und was sonst Anlaß gibt zu besonderer Freude und Festlichkeit, woran es ja in einem Hause, wo man sich lieb hat, nicht fehlen kann.“1

Mit diesen Worten charakterisierte 1856 Johann Hinrich Wichern (1808–1881) das Leben als ein immerwährendes Fest an einem Ort, der dafür gemeinhin nicht eben bekannt ist – das Rettungshaus.2 Wichern, der im April 1832 sein Theologiestudium beendet und zunächst eine Lehrerstelle an der Sonntagsschule Johann Wilhelm Rautenbergs (1791–1865) angenommen hatte, gründete 1833 in Horn bei Hamburg das erste so genannte Rettungshaus.3 Dort lebten 11- bis 16-jährige Kinder in familienähnlichen Kleingruppen zusammen. In dem durch Schule, Arbeit und Erholung geprägten Tagesablauf erlernten Jungen in Werkstätten ein Handwerk, während Mädchen zumeist in hauswirtschaftlichen Arbeiten unterwiesen wurden. Die mehrheitlich zur unteren sozi1

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Johann Hinrich Wichern: Das Festbüchlein des Rauhen Hauses zu Horn, in: Johann Hinrich Wichern: Sämtliche Werke. 10 Bde., hrsg. v. Peter Meinhold, Berlin, Hamburg und Hannover 1958–1988; Bd. 4, Teil 2, Schriften zur Sozialpädagogik (Rauhes Haus und Johannesstift), Berlin 1959, S. 17–210, hier S. 89. Die grundlegende biographische Studie über Johann Hinrich Wichern stammt noch immer von Martin Gerhardt: Johann Hinrich Wichern. Ein Lebensbild, 3 Bde., Hamburg 1927–1931. Vgl. Volker Herrmann: Johann Hinrich Wichern, in: Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie, Bd. 35, Berlin 2003, S. 733–739.

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alen Schicht gehörenden Heranwachsenden wurden von ihren Herkunftsfamilien dauerhaft getrennt, um dem schlechten familiären Einfluss zu entgehen, den Wichern als Haupthindernis einer positiven Kindesentwicklung identifiziert hatte.4 Zu den Vorbildern Wicherns gehörte Johannes Daniel Falk (1768–1826), der in Weimar 1813 ein ähnliches Hilfsprojekt ins Leben gerufen hatte.5 Der in Danzig geborene Falk hatte zunächst in Halle das Theologiestudium begonnen, sich aber schnell philosophischen und philologischen Themen zugewandt. Seit 1797 lebte er in Weimar, wo Falk – insbesondere von Christoph Martin Wieland (1733–1813) geschätzt und gefördert – schnell am geselligen und literarischen Leben der Residenzstadt an der Ilm partizipierte.6 Nachdem das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts stark unter den Folgen der napoleonischen Kriege gelitten hatte, gründete Falk zusammen mit anderen Einwohnern Weimars im Frühjahr 1813 die so genannte Gesellschaft der Freunde in der Not, die mit Spendengeldern die größte Kriegsnot lindern wollte. Im Laufe der Zeit konzentrierte sich Falk zunehmend auf Heranwachsende, die im gleichnamigen Institut unterstützt wurden. Ebenso wie Wichern ließ auch Falk die meisten Jungen ein Handwerk erlernen und Mädchen in Handarbeiten unterrichten. Er förderte aber auch begabte junge Männer, die Lehrer, Theologen, Juristen oder Schriftsteller werden wollten. Die Heranwachsenden wohnten nicht im Falkschen Institut oder nur solange, bis sie in eine Handwerkerfamilie kamen oder wieder in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren konnten. Aus diesem Befund schlussfolgerten Wissenschaftler wie Trude Reis: „Falk hat ohne Zweifel das Verdienst, den Gedanken der Rettungshausbewegung in die Welt gebracht zu haben […].“7 4 5

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Vgl. Wolf Rainer Wendt: Geschichte der sozialen Arbeit, Stuttgart 1995, S. 83f. Die umfassendste Falk-Biographie bis zur Ankunft in Weimar bietet Johannes Demandt: Johannes Daniel Falk. Sein Weg von Danzig über Halle nach Weimar (1768–1799), Göttingen 1999. Für Falks Wirken in Weimar fehlt bislang eine Gesamtdarstellung. Neuere Arbeiten greifen einzelne Aspekte heraus: Ingrid Dietsch: Markt, Esplanade und Luthergasse. Wo Falk wohnte, in: Falk-Jahrbuch 1 (2004/05), S. 107–110; Hannelore Henze: Leben und Tod in der Familie Falk, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/08), S.  87–90; Gerhard Heufert: Johannes Daniel Falk. Satiriker, Diplomat und Sozialpädagoge, Weimar 2008; Nicole Kabisius: „…einem so vorzüglichen Manne ein würdiges Denkmal…“ Falk und Goethe, in: Falk-Jahrbuch 1 (2004/05), S. 17–27. Wichtige Hinweise finden sich ebenfalls in biographischen Darstellungen über das Leben und Wirken seiner Frau: Ingrid Dietsch: Da fühlst du einmal meine Last. Vom Alltag der Caroline Falk in Weimar 1797–1841, Weimar 2003; Katrin Horn: Caroline Falk, in: Stefanie Freyer/Katrin Horn/Nicole Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten Weimar-Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon, Heidelberg 2009, S. 125–128. Vgl. Demandt, Falk (vgl. Anm. 5), S. 312f. Trude Reis: Johannes Falk als Erzieher verwahrloster Jugend, Berlin-Spandau 1931, S. 103.



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Wichern selbst, aber vor allem nachfolgende Theologen, Pädagogen und Historiker haben immer wieder unisono auf die geistige Verwandtschaft der beiden Männer verwiesen. Ulrich Schwab erklärte die Falksche Rettungshausgründung mit ähnlichen historischen Entwicklungen in Weimar und Hamburg. „Das anthropologische Verständnis von Jugend als Reifezeit, die sich neu formierende Erweckungsbewegung in der bürgerlichen Gesellschaft sowie die brisante soziale Lage des frühen 19. Jahrhunderts führen gemeinsam dazu, dass sich in den Jahren um 1820 unterschiedliche Formen einer Arbeit mit jungen Menschen entwickeln.“8 Deswegen habe auch Falk ein Weimarer Rettungshaus ins Leben gerufen, das vorbildhaft wurde. Die im Hamburger Rettungshaus üblich gewordene Begrüßungsformel „Mein Kind, dir ist alles vergeben! Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist! Hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel […]“9 orientiere sich beispielsweise an Falk und dessen ablehnender Haltung gegen jegliche Form des Zwanges.10 Auch Bettina Lindmeier unterstrich – wie die Mehrzahl der Wichernforscher – die Gemeinsamkeiten zwischen Falk und Wichern. Dagegen markierte sie mit Falks starker und zentraler Position im Weimarer Hilfswerk einen wichtigen Unterschied zum Rauhen Haus, weswegen es nach Falks Tod im Jahr 1826 zum raschen Einschlafen der Wohltätigkeitsarbeit in Weimar kam.11 Darüber hinaus zeige sich die Verwandtschaft aber nicht nur im Gedanken des Rettungshauses, sondern auch in der gemeinsamen Überzeugung von einer inneren Mission.12 „Wenn man Wichern also die Vaterrolle zuspricht, so gebührt Falk zumindest die eines Großvaters der Inneren Mission.“13 Stillschweigend übernahmen ganze Forschergenerationen diesen Standpunkt, ohne an Vergleichen zu belegen, worin konkret die Gemeinsamkeiten (oder Unterschiede) Falks und Wicherns bestanden haben – in dem Gedanken einer innerkirchlichen Erneuerungsbewegung wie der Inneren Mission, in der Praxis ihrer Erziehungsarbeit oder in einer kollektiven Idee, wie die Hilfe am Nächsten auszusehen habe und zu organisieren sei? 8

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Ulrich Schwab: „Ein Glaube ohne Liebe ist ein liebloser Glaube“ – Johannes Daniel Falk und die Anfänge evangelischer Jugendsozialarbeit in Deutschland, in: Falk-Jahrbuch 1 (20004/05), S. 3–10, hier S. 5. Johann Hinrich Wichern: Die öffentliche Begründung des Rauhen Hauses, in: Wichern, Sämtliche Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 4, Teil 1, S. 96–114, hier S. 108. Vgl. Johann Hinrich Wichern: Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder, in: Wichern, Sämtliche Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 4, Teil 1, S. 47–95, hier S. 80; Christian Niemeyer: Klassiker der Sozialpädagogik. Einführung in die Theoriegeschichte einer Wissenschaft, Weinheim und München 1998, S. 69f. Vgl. Bettina Lindmeier: Die Pädagogik des Rauhen Hauses. Zu den Anfängen der Erziehung schwieriger Kinder bei Johann Hinrich Wichern, Bad Heilbrunn 1998, S. 62–65. Vgl. Reis, Falk (vgl. Anm. 7), S. 44; Niemeyer, Sozialpädagogik (vgl. Anm. 10), S. 72. Heufert, Falk (vgl. Anm. 5), S. 214.

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Diese Unkenntnis resultiert aus implizit angedeuteten Vergleichen, die den Anfang der Inneren Mission oder der Rettungshausbewegung bei Johannes Falk sahen, ohne die retrospektive Übertragung beider Konzepte auf das frühe 19. Jahrhundert zu hinterfragen. Zudem erschwerte die synonyme Verwendung der Begriffe Diakonie und Innere Mission einen differenzierten vergleichenden Blick auf Falk und Wichern.14 Mit Hilfe des Vergleichs wird der Frage nachgegangen, inwieweit Falk als Vorgänger Johann Hinrich Wicherns bereits ab 1813 im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eise­ nach karitativ tätig wurde oder umgekehrt, ob Wicherns fürsorgliches Engagement auf den Ideen Johannes Falks aufbaute. In Anlehnung an Hans Scherpner wird Fürsorge im Folgenden als „[…] Hilfeleistung der Gesellschaft an einzelne ihrer Glieder, die in der Gefahr stehen, sich aus dem Gemeinschafts- und Gesellschaftsgefüge, aus ihrer Ordnung und ihrem Leben herauszulösen und ihr zu entgleiten“,15 definiert.

2. Der Vergleich als Methode und Vorgehensweise Der Vergleich basiert auf der Annahme, dass bestimmte Praktiken – wie die eingangs skizzierte Festkultur – existierten, die Falk und Wichern im Sinne ihrer Fürsorgeidee funktionalisierten. Der Terminus der Funktionalisierung soll unterstreichen, dass Feste als Formen symbolischen Handelns Sehnsüchte, Wünsche und Überzeugungen transportieren.16 Feste zeichnen sich durch ihren Gemeinschaftscharakter, die Bedeutungshaftigkeit ihrer Anlässe und ihre äußere Form aus. Deshalb werden auch Feiern als besondere, auf die Bedeutungsebene fokussierte Formen des Festes in die Untersuchung einbezogen.17 Alternativ zu Feiern und Festen könnten auch andere tertia comparationis wie Unterrichtsformen, Menschenbilder oder Anstaltsstrukturen die Grundlage eines Vergleichs darstellen. Im Diltheyschen Sinne sollen mittels des Vergleichs individualisierende Aussagen über Falks und Wicherns Fürsorgeideen getroffen werden.18 Darüber hinaus muss eine generalisierende Perspektive eingenommen 14 Vgl. Gerhard K. Schäfer/Volker Herrmann: Geschichtliche Entwicklungen der Diakonie, in: Günter Ruddat/Gerhard K. Schäfer (Hrsg.): Diakonisches Kompendium, Göttingen 2005, S. 36–67, hier S. 56–60. 15 Hans Scherpner: Geschichte der Jugendfürsorge, Göttingen 1979, S. 10. 16 Vgl. Manfred Hettling/Paul Nolte: Bürgerliche Feste als symbolische Politik im 19. Jahrhundert, in: Manfred Hettling/Paul Nolte (Hrsg.): Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 7–36, hier S. 17f. 17 Vgl. Lars Deile: Feste – eine Definition, in: Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar und Wien 2004, S. 1–17, hier S. 9–17. 18 Vgl. Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. Bd. 7, Stuttgart und Göttingen 1992, S. 160.



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werden, die Verbindendes aufzeigt und verdeutlicht, dass Falk und Wichern stellvertretend zwei Phänomene repräsentieren, die sich zumindest in einem Punkt gleichen. Im Zentrum der fürsorglichen Arbeit Falks und Wicherns standen die Erziehung und Ausbildung von Kindern und Heranwachsenden. Dies bildet den gemeinsamen Referenzpunkt des Vergleichs. Darauf aufbauend können Falks und Wicherns Fürsorgevorstellungen zunächst als individuelle Ereignisse wahrgenommen werden, während es der generalisierende Ansatz zudem ermöglicht, nach einem übergeordneten Konzept zu suchen, das sowohl Falks als auch Wicherns Ideen von Fürsorge beinhaltet. Ob dies die Innere Mission, die Rettungshausbewegung oder etwas gänzlich anderes ist, muss vorerst offen bleiben. Damit kann der folgende Vergleich im Gegensatz zu anderen komparatistischen Studien Unterschiede und Gemeinsamkeiten gleichermaßen funktionalisieren. Zum einen können individuelle Charakteristika aufgezeigt, zum anderen mögliche gemeinsame Vorstellungen von Fürsorge bei Falk und Wichern erfasst werden.19 Bislang fehlen für das Falksche Institut Arbeiten, die Feste und Feiern explizit untersuchen. Dagegen war die Festkultur des Rauhen Hauses immer wieder Gegenstand der Wichernforschung, die den rituellen Wert von Festen in der Pädagogik Wicherns unterstrichen hat. Die Mehrzahl der Studien konzentrierte sich auf die Adventszeit und das Weihnachtsfest, ohne die vielen Feste zu weiteren Anlässen zu berücksichtigen.20 Bevor Wichern 1833 seine Arbeit in Hamburg überhaupt aufgenommen hatte, verstarb Johannes Falk 1826. Der asynchrone Vergleich birgt zwei Schwierigkeiten: Einerseits gilt es, die Ergebnisse zeit- und raumbedingt zu kontextualisieren. Andererseits können Transferprozesse nicht ausgeschlossen werden. Das heißt, Wichern konnte aktiv auf Ideen Falks zurückgreifen.21 Wichern, der Weimar in seiner frühen Wirkungsphase nie besucht hatte, lernte in Hamburg Nikolaus Heinrich Julius (1783–1862) und Martin Hieronymus Hudtwalcker (1787–1865) – zwei Förderer des Falkschen Instituts – kennen. Außerdem unterstützte er mit Albrecht Heinrich 19 Vgl. Hartmut Kaelble: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main und New York 1999, S. 22. 20 Vgl. Hans-Jürgen Benedict: Wicherns Familienerziehung – ein Mittel gegen die Zerstörung des Lebensweltlichen? Eine Erinnerung mit aktuellen Ausblicken, in: Volker Herrmann/Jürgen Gohde/Heinz Schmidt (Hrsg.): Johann Hinrich Wichern – Erbe und Auftrag. Stand und Perspektiven der Forschung, Heidelberg 2007, S. 254–266, hier S. 259; Ute Gause/Silke Köser: Rituale als Bildungsmedien – Johann Hinrich Wichern und die Fest- und Feierkultur des Rauhen Hauses, in: Herrmann u.a., Wichern, S. 244–253; Bettina Lindmeier: Die Pädagogik des Rauhen Hauses, in: Herrmann u.a., Wichern, S. 222–243, hier S. 231f.; Lindmeier, Zu den Anfängen der Erziehung (vgl. Anm. 11), S. 239–242. 21 Vgl. Kaelble, Der historische Vergleich (vgl. Anm. 19), S. 19–21.

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Pfeiffer einen ehemaligen Zögling Falks bei dessen Medizinstudium.22 Im Frühjahr 1833 veröffentlichte Wichern erste Aufsätze über das Falksche Institut, wobei er seine Informationen aus Falks publizierten Schriften und den gedruckten Jahresberichten des Instituts entnommen hatte.23 Falks Arbeit und die davon berichtenden Schriften bildeten für Wichern vermutlich eine willkommene Quellenbasis, um sein eigenes Engagement nicht auf einer Theorie, sondern einer geschichtlichen Entwicklungslinie zu gründen.24 Erst 1870 besuchte Wichern in Weimar Rosalie Falk (1803–1879), eine Tochter Johannes Falks.25 Zu diesem Zeitpunkt existierte das Institut als eine Nebenanstalt des großherzoglichen Waiseninstituts und unterschied sich sowohl quantitativ als auch qualitativ von der ursprünglichen Intention Falks. Das Institut konzentrierte seine Arbeit im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend auf eine kleine Anzahl verhaltensauffälliger Jungen, die in familienähnlichen Strukturen zusammenlebten und verschiedene Tätigkeiten erlernten.26 Der methodische Zugriff erfolgt auf drei Ebenen. Zunächst gilt es, in Selbstzeugnissen und anhand normativer Texte Falks und Wicherns nach dem jeweiligen Festverständnis zu fragen. Inwieweit differenzierten Falk und Wichern dabei zwischen einem exzesshaften und die Regeln des Alltags aufhebenden Fest und einer dem Alltag sinn- und wertstiftenden Feierstunde?27 Welche Bedeutung maßen beide Männer Festen und Feiern innerhalb ihrer Fürsorgeidee bei? Ein Augenmerk richtet sich auch 22 Vgl. Martin Gerhardt: Johann Hinrich Wichern. Ein Lebensbild, Bd. 1, Jugend und Aufstieg 1808–1845, Hamburg 1927, S. 44, 94 und 113; Thomas K. Kuhn: Diakonie beim frühen Johann Hinrich Wichern, in: Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus 23 (1997), S. 11–26, hier S. 14; Helmut Talazko: Johann Hinrich Wichern, in: Jochen-Christoph Kaiser (Hrsg.): Soziale Arbeit in historischer Perspektive. Zum geschichtlichen Ort der Diakonie in Deutschland, Stuttgart u.a. 1998, S. 191–207, hier S. 196. 23 Vgl. Wichern: Rettungsanstalten (vgl. Anm. 10), S. 54–86. 24 Vgl. Volker Herrmann: „Innere Mission“ und „Diakonie“ bei Johann Hinrich Wichern. Eine Entwicklungsskizze seines Denkens, in: Herrmann u.a. (vgl. Anm. 20), S.  130–166, hier S. 136. 25 Vgl. Martin Gerhardt: Johann Hinrich Wichern. Ein Lebensbild, Bd. 3, Ausbau und Ende 1857–1881, Hamburg 1931, S. 516. 26 Vgl. Johann Friedrich Heinrich Schwabe: Jahresbericht über den Zustand und die Leistungen des Großherzoglich Sächsischen Waiseninstituts und der damit verbundenen Erziehungsanstalt für sittlich verwahrloste und verlassene Kinder zu Weimar, Weimar 1829, S. 11f.; Instruction für den Hausvater im Falk’schen Institut zu Weimar, Weimar 21.05.1884, in: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStA Weimar), Staatsministerium, Departement des Kultus Nr. 187. 27 Vgl. Winfried Gebhardt: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt am Main u.a. 1987, S. 52f.; Michael Maurer: Feste in



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auf die Beurteilung solcher Feste, die außerhalb des institutionellen Rahmens stattgefunden haben. Am konkreten Beispiel der Einweihungsfeiern und Reformationsfeste soll sich zeigen, welche vielfältigen Ziele Falk und Wichern als Initiatoren dieser Feiern und Feste verfolgt haben. In einem letzten Schritt wird explizit der Selbstinszenierungscharakter Falks und Wicherns während der Stiftungstagsfeiern untersucht. Die Auswahl der zu vergleichenden Feierlichkeiten resultiert aus jenen Festen und Feiern, die sowohl in Weimar als auch in Hamburg begangen wurden und die sich gleichzeitig in den Quellen niederschlagen. Zusammenfassend wird aus der vergleichenden Betrachtung der Festkultur geschlussfolgert, inwieweit Falks und Wicherns Engagement auf ähnlichen beziehungsweise verschiedenen Vorstellungen sozialer Fürsorge beruhte. Der Falk-Nachlass im Goethe- und Schiller-Archiv bildet dabei die wichtigste Quellengrundlage für die Untersuchung der Weimarer Feste,28 während sich die Analyse der Festkultur im Rauhen Haus auf die von Peter Meinhold herausgegebene Werkausgabe Wicherns stützt.29

3. Falks und Wicherns Festverständnis Beim ersten Blick auf die von Falk und Wichern überlieferten Quellen, in denen sie Feste und Feiern thematisieren, tritt ein quantitativer Unterschied hervor: Johann Hinrich Wichern hatte zwölf Jahre nach Gründung des ersten Rettungshauses 1845 das so genannte „Festbüchlein des Rauhen Hauses zu Horn“ 30 veröffentlicht. Für das Falksche Institut fehlt ein solches Grundsatzprogramm, in dem sich der Vorsteher der Anstalt zu Festen in der Weimarer Fürsorgepraxis äußert. Das ist jedoch noch kein Hinweis dafür, dass festliche und feierliche Ereignisse im Weimarer Institut nicht von Bedeutung waren. Denn Falk und die Gesellschaft der Freunde in der Not leisteten ab 1813 Hilfe, ohne ihr karitatives Engagement je auf festgeschriebenen Statuten gegründet zu haben.31 Johannes Falk bestimmte maßgeblich die Richtlinien der Wohltätigkeitsarbeit, mit der er die materielle Unabhängigkeit der Heranwachsenden fördern und sie zur Übernahme bürgerlicher Normen und Werte bewegen wollte. Welche Rolle dabei

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Geschichte und Gegenwart. Aspekte, Beispiele, Perspektiven, in: Erwägen, Wissen, Ethik 19 (2008) 2, S. 211–222, hier S. 212. Vgl. Goethe- und Schiller-Archiv Weimar (GSA), Bestand 15; Silke Henke: Der Falk-Nachlass im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/08), S. 77–83. Wichern, Sämtliche Werke (vgl. Anm. 1). Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 17–210. Vgl. Einnahme- und Ausgabebücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. II.

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Feiern und Feste spielen sollten, wird zunächst beispielhaft an Falks Einstellung zum Vogelschießen32 und zum Tanz verdeutlicht. In seinen Zeitgenossen sah Johannes Falk jene Vergnügungssucht verkörpert, die zunächst von Paris aus die größeren, später die kleineren Residenzstädte Deutschlands erreicht hatte. „[…] Ball, Schießhäuser kamen überall an die Tagesordnung […]“,33 so Falk. Auf Festen – wie dem Vogelschießen – und in den sich daran anschließenden Nachtstunden verloren normative Vorgaben für den sexuellen Umgang der Geschlechter ihre Gültigkeit. Besonders junge Frauen pflegten bei diesen Gelegenheiten „mit schlechten Dirnen“34 Umgang und kamen auf Festen schnell mit Soldaten in Kontakt, was am Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem Anstieg unehelich geborener Säuglinge in Sachsen-Weimar-Eisenach geführt hatte.35 Falk war von der um 1800 weit verbreiteten Vorstellung überzeugt, dass sexuelle Bedürfnisse im geschützten Rahmen einer Ehe zur Zeugung von Nachkommen und zur Vertiefung der Beziehung beider Ehepartner zu befriedigen seien, jedoch nie zum Selbstzweck oder gar außerhalb der Ehe.36 Ausgelassenes Feiern gefährdete potentiell immer diesen Anspruch: „Ach! wenn die Menschen in Stadt u[nd] Dorf doch zu der Erkenntniß gelangen wollten, daß sie mit Anlegung […] jedes neuen Tanzsaales weiter nichts, als ein neues Hurenhaus für ihre Söhne und Töchter anlegten!“37 Vermutlich bestätigten diese Weimarer Festpraktiken Falk in seiner ablehnenden Haltung gegen Feste: „Was sodann bey’m Nachhausegehen mit jungen Burschen, im Park, im Wäldchen des Schießhauses, auf den Wiesen bey Goethens Gartenhause herauskömmt, kann man hier auf ’s Neue sehn.“38 32 Vgl. Ulrike Alberti/Johanna Sänger: Vom Vogelschießen zum Vereinsfest. Städtisches und bürgerliches Selbstbewußtsein im Wandel der Festorganisation, in: Johanna Sänger/Lars Deile (Hrsg.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800, Köln, Weimar und Wien 2005, S. 113–141, hier S. 117–120. 33 Manuskript Johannes Falks über die Bell-Lancaster-Unterrichtsmethode, o.O. und o.D., in: GSA 15/N 55, 19, 301r–305v, hier 303v. 34 Bericht Johannes Falks, o. O. 1820, in: GSA 15/N 55, 16, 269v–271v, hier 271r. 35 Vgl. Bericht Johann Georg Rettners, Weimar 21.09.1821, in: GSA 15/N 55, 16, 272r–273r, hier 272v; Denise König: Zum Problem der Illegitimität in Weimar, in: Klaus Ries (Hrsg.): Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800, Weimar und Jena 2007, S. 59–78, hier S. 74–78. 36 Vgl. Ulrike Gleixner: Zwischen göttlicher und weltlicher Ordnung. Die Ehe im lutherischen Pietismus, in: Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus 28 (2002), S. 147–184, hier S. 175–178. 37 Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 10.06.1822, in: GSA 15/I 2 A2, 39. Stück, 76r–77v, hier 77r. 38 Briefentwurf Johannes Falks, o.O. 10.06.1822, in: GSA 15/N 55, 11, 128r–129r, hier 128v.



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Insbesondere Tänze versinnbildlichten für Falk exzesshafte Feste, die seinen Vorstellungen von einer moralisch gesitteten Gesellschaft und heranwachsenden Jugend widersprachen.39 Aus tiefer Überzeugung warnte Falk davor, dass junge Menschen öffentliche Tänze besuchen, um nicht bereits in der Jugend den Lastern des bürgerlichen Lebens zu verfallen. In einem Brief an seine Ehefrau Caroline Falk (1780–1841) vom 7. Februar 1822 begründete Falk seine ablehnende Haltung mit einer ihm angeborenen natürlichen Abneigung gegen solche Feste. „Ich habe einmal meine Abscheu gegen das Tanzen und der Mensch soll solche tiefen Gefühle beachten. Sie warnen ihn aus der Tiefe der Natur heraus, wie das Schaf, durch den Insti[n]ct vor Giftkräutern gewarnt wird.“40 Rechnungen und Briefe belegen indes, dass auf Stiftungsfesten durchaus Tänze stattfanden und von Institutszöglingen aufgeführt wurden.41 Am 29. Januar 1818 bat Falk beim Weimarer Bürgermeister Bernhard Friedrich Rudolph Kuhn (1774–1840) um Erlaubnis, am nächsten Tag im Saal des Rathauses eine „Tanzergötzlichkeit“42 zu veranstalten. Das Fest sollte auf Falks Wunsch bereits am frühen Abend enden. In diesem Fall funktionalisierte Falk den Tanz als disziplinierende Erziehungsmethode, die – wie es in adligen Kreisen schon lange üblich war – zur Selbstbeherrschung befähigen sollte.43 Dazu wählte Falk als Veranstaltungsort nicht das Bierhaus, die Kneipe oder die Kirmes, sondern das Rathaus, und bestimmte einen Schlusspunkt, sodass Tänze durch das mit Bedacht ausgesuchte Ambiente und die begrenzte Veranstaltungsdauer quasi präventiv ihren exzesshaften Charakter verloren. Falk verdeutlichte den Heranwachsenden mit den Tänzen vorbildhaft seine Ansichten eines angemessen begangenen Festes. Falks Festvorstellung war von seinen Eindrücken geprägt, die die Weimarer Festkultur auf ihn gemacht hatte. Ungezügelte sinnliche Vergnügungen, die nicht selten in sexuellen Ausschweifungen gipfelten, hatten alle Angehörigen des Falkschen Instituts zu meiden. Allenfalls in einem engen zeitlichen und räumlichen Rahmen durften 39 Vgl. Johannes Falk: Geheimes Tagebuch 1818–1826. Hrsg. v. Ernst Schering, Stuttgart 1964, S. 90–92. 40 Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 07.02.1822, in: GSA 15/I 2 A2, 74. Stück, 148r–149r, hier 148v. 41 Vgl. Rechnung Israel Lev(i)ys, Weimar 06.02.1823, in: GSA 15/N 55, 19, 105r. 42 Brief Johannes Falks an Bernhard Friedrich Rudolph Kuhn, Weimar 29.01.1818, in: GSA 15/N 9 unfol. 43 Vgl. Gabriele Busch-Salmen/Walter Salmen: „Tanzen gehöret zum festlichen Tag“ ( J. W. Goethe). Tänze – Bälle – Redouten – Schlittenfahrten, in: Gabriele Busch-Salmen/Walter Salmen/Christoph Michel (Hrsg.): Der Weimarer Musenhof. Dichtung, Musik und Tanz, Gartenkunst, Geselligkeit, Malerei, Stuttgart und Weimar 1998, S. 113–142; Michael Maurer: Kulturgeschichte. Eine Einführung, Köln, Weimar und Wien 2008, S. 241 und 247.

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junge Frauen und Männer auch Feste feiern. Dagegen war die Teilnahme an Feiern wie dem Gottesdienst durchaus von Falk beabsichtigt, trafen hier doch Wohltäter und Perzipienten unmittelbar aufeinander. Gottesdienste boten den Heranwachsenden eine Möglichkeit zu zeigen, wie weit sie in ihrer Entwicklung vorangeschritten waren, wovon letztlich der Ruf und die weitere finanzielle Unterstützung des ganzen Instituts abhingen. Andere Feste und Feiern spiegelten sich nur selten im Tagesrhythmus des Falkschen Instituts wider. In diesem Punkt unterschied sich Johann Hinrich Wichern von Falk. „Ritualisierte Feste hatten als Bildungsmedien für die pädagogische Arbeit Wicherns eine zentrale Bedeutung […].“44 Im Vorwort seines Festbüchleins betonte Wichern die wichtige Position, die Feste in seiner Idee sozialer Fürsorge einnahmen.45 Er beschrieb im Stil einer Chronik die Fest- und Feiertage des Rauhen Hauses und erinnerte so an bestimmte historische Ereignisse des Hilfswerks. Pädagogen lasen dann den Text am jeweiligen Festtag vor, um die Geschichte „in das Gedächtnis des ganzen Hauses“46 zu überführen. Der Titel Festbüchlein trifft den von Wichern intendierten Kern des Werks nur teilweise; es handelt sich eher um ein Feierbüchlein. Die darin enthaltenen Texte schildern einerseits den Ablauf der einst stattgefundenen Feste. Andererseits beschreiben sie detailliert, welchem Ablauf Feiern im Rauhen Haus folgen sollten und geben Auskunft über die zu singenden Lieder oder die vorzutragenden Predigten. Feste und Feiern konstituierten die Festkultur des Rauhen Hauses auf zwei sich unterscheidenden Ebenen. Denn Wichern funktionalisierte Feste als erinnerungswürdige Ereignisse, die von nachfolgenden Generationen in Feierstunden vergegenwärtigt werden sollten, um ihnen die Einzigartigkeit des Rettungswerkes vor Augen zu führen. Die mehrmals wöchentlich stattfindenden Hausgottesdienste boten dafür den feierlichen Rahmen, um in Liedern, Texten und Gebeten an wichtige historische Ereignisse des Rauhen Hauses zu erinnern und eine Memoria zu stiften, die ausdrücklich die innere Gemeinschaft der Hausbewohner stärken sollte. Die Anstaltsfamilie war der Ort, an dem gefeiert werden sollte. Erst im Familienverband konnten arbeitsfreie und durch Feiern ausgefüllte Zeiten ihren therapeutischen Zweck der geistigen und körperlichen Regeneration erfüllen. Fehlte diese Möglichkeit, so prognostizierte Wichern: „[…] da verwahrlost und verwildert das Leben auf allen seinen Stufen in Volk und Haus, in Staat und Kirche, unter den Erwachse44 Gause/Köser, Rituale als Bildungsmedien (vgl. Anm. 20), S. 244. 45 Zur Bedeutung von Festen und Feiern in Wicherns pädagogischem Konzept vgl. Lindmeier, Zu den Anfängen der Erziehung (vgl. Anm. 11), S. 239–242; Erich Wittenborn: Johann Hinrich Wichern als Sozialpädagoge. Dargestellt an seiner Rettungshauserziehung, Wuppertal 1982, S. 164–167. 46 Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 18.



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nen und in der Jugend.“47 Mit dem Eintritt in ein Rettungshaus war es den Kindern verboten, über ihre Herkunftsfamilien zu sprechen.48 Das Rauhe Haus kompensierte den verordneten Verlust der eigenen Vergangenheit, indem die in der Anstaltsfamilie veranstalteten Feiern dem Einzelnen und der Gruppe eine neue, das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkende Identität stifteten. Wichern veranstaltete vermutlich auch deshalb so viele Feste und Feiern, weil er ein anderes Familienprinzip praktizierte als Falk. Bereits im 18. Jahrhundert war im so genannten Waisenhausstreit eine Diskussion darüber entbrannt, ob elternlose Kinder am besten in Anstalten oder Pflegefamilien unterzubringen seien.49 Nur auf den ersten Blick scheinen Falk und Wichern als Befürworter des Familienprinzips eine ähnliche Position eingenommen zu haben. In Weimar wohnten die meisten Zöglinge zumindest an Festtagen und während der Ferien bei ihren Eltern oder anderen Verwandten; wochentags in den jeweiligen Handwerkerfamilien.50 Feste und Feiern wurden immer außerhalb des Falkschen Instituts in den Familien begangen. In Wicherns „Labor der Sozialpolitik“51 hingegen sollten gemeinsame Feste und Feiern einen familiären Zusammenhalt stiften. Schließlich wurden die Kinder dauerhaft von ihren Eltern getrennt und lebten im Rauhen Haus in Kleingruppen, den „Familien aus der Retorte“52. In Wicherns Fürsorgeidee waren Feste und Feiern allgegenwärtig und verloren in der Praxis ihren außeralltäglichen Charakter, „[…] wo das Leben so häufig auf die ungesuchteste Weise zum Feste sich erhebt, wie im Rauhen Hause […].“53 Geburtstage wurden öffentlich bekannt gegeben, einzelne Familienfeiern veranstaltet, kirchliche 47 Johann Hinrich Wichern: Rettungsanstalten als Erziehungshäuser in Deutschland, in: Wichern, Sämtliche Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 7, Die Schriften zur Pädagogik, Hamburg 1975, S. 374–534, hier S. 481. 48 Vgl. Lindmeier, Die Pädagogik des Rauhen Hauses (vgl. Anm. 20), S. 226f.; Gause/Köser, Rituale als Bildungsmedien (vgl. Anm. 20), S. 249. 49 Vgl. Josef N. Neumann: Der Waisenhausstreit, in: Udo Sträter/Josef N. Neumann (Hrsg.): Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 155–167. 50 Vgl. Brief Ferdinand von Könitz’ an Johannes Falk, Weimar 20.04.1821, in: GSA 15/N 55, 15, 122r–122v, hier 122v. 51 Hans-Martin Gutmann: Das harmonisierte Gemeinwesen. Über die Ambivalenz eines protestantischen Ideals, in: Richard Faber/Gesine Palme (Hrsg.): Der Protestantismus. Ideologie, Konfession oder Kultur? Würzburg 2003, S.  41–75, hier S.  62. Zum Familienprinzip Wicherns vgl. Benedict, Familienerziehung (vgl. Anm. 20), S. 254–260. 52 Ernst Köhler: Arme und Irre. Die liberale Fürsorgepolitik des Bürgertums, Berlin 1977, S. 119. 53 Wilhelm Baur: Das Rauhe Haus zu Horn bei Hamburg, in: Karl Adolf Schmid (Hrsg.): Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten, Bd. 6, Gotha 1867, S. 603–640, hier S. 635.

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und weltliche Feste fanden ihren Niederschlag im Leben der gesamten Hausgemeinschaft, sodass feierliche Ereignisse nicht in dem sich wiederholenden Takt des Alltags auffielen – sie selbst wurden zur Routine.

4. Richt- und Einweihungsfeste Der Einzug in ein neu gebautes oder renoviertes Haus war ein willkommener Anlass, ein Fest zu feiern. Das Falksche Institut beging 1824 das Richtfest des so genannten Lutherhofes, während das Festbüchlein Wicherns sogar acht Gedächtnistage verzeichnet, die an die Einweihung einzelner Bauten auf dem Gelände des Rauhen Hauses erinnern. 1821 erwarb Johannes Falk einen alten Gebäudekomplex an der Weimarer Stadtmauer, den junge Männer des Instituts und erfahrene Handwerker restauriert hatten, sodass am 2. November 1824 das Richtfest gefeiert werden konnte.54 Über die Erwartungen und die zu treffenden Vorbereitungen notierte Falk: „Die Leute begehrten heute einen Schmaus, Braten, Bier, Caffee, Bänder […], womit sie den Baum auf dem Gipfel des neuen Hauses anputzen könnten, wie es den[n] Gebrauch ist, wenn die Kranzrede gehalten wird.“55 Obwohl Falk nur wenig finanziellen Spielraum besaß, feierten an diesem Novembernachmittag verschiedene Gewerke und Angehörige des Instituts gemeinsam mit den neuen Nachbarn, zu denen Falk eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen wollte. Schließlich eilte dem Institut der Ruf voraus, dass mit den Jugendlichen auch Lärm, Diebereien oder Zerstörungswut Einzug hielten. Der Ablauf des Festes orientierte sich formal an den Traditionen der Zimmerleute, die ursprünglich mit dem Richtkranz, den oft volkstümlich derben Richtsprüchen und dem gemeinsamen Essen ihren Stolz und Dank über die erfolgreiche Errichtung eines Dachstuhls zum Ausdruck brachten.56 Falk veränderte die traditionelle Intention des Richtfestes, indem er bei dieser Gelegenheit das Falksche Institut öffentlichkeitswirksam präsentierte: Nachdem die Zöglinge vom Giebel des Hauses die Feier mit einem Gloriagesang eröffnet hatten, verlas ein Zimmermannsgeselle die von Falk geschriebene Rede. Im Anschluss daran wurde das Haus auf den Namen Lutherhof getauft. Falk knüpfte vermutlich zum einen an die im Volksmund übliche Bezeichnung für diesen Gebäudekomplex an, in dem Martin Luther (1483–1546) einst verweilt 54 Vgl. Hausbuch, in: GSA NZ 19/07, 1, S. 7–9; Franz David Gesky: Weimar von unten betrachtet. Bruchstücke einer Chronik zwischen 1806 und 1835, hrsg. v. Hubert Erzmann und Rainer Wagner, Jena 1997, S. 118. 55 Hausbuch, in: GSA NZ 19/07, 1, S. 7. 56 Vgl. Peter Kunze: Richtfeste gestern und heute, Leipzig 1989, S. 174–187.



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haben soll.57 Zum anderen unterstrich Falk mit der feierlichen Namensgebung den christlichen Aspekt seines wohltätigen Engagements, das auf dem Ursprung des protestantischen Glaubens basierte. Den Abschluss des feierlichen Teils bildete ein mehrfacher Segen, in dem noch einmal zum Ausdruck kam, auf welchen irdischen Pfeilern die Arbeit des Instituts stand. An erster Stelle erbaten die Feiernden den Segen für das Fürstenhaus Sachsen-WeimarEisenachs, „[…] das gewiß diese Freistätte für arme Kinder auch in Zukunft mit mächtigen Händen beschützen wird.“58 Zwar zählten einzelne Angehörige der fürstlichen Familie zu den wichtigsten Wohltätern, dennoch blieb das Falksche Institut immer vom Wohlwollen der Potentaten abhängig, zumal sich insbesondere im Landtag eine Opposition gegen Falks Wirken gebildet hatte.59 Der zweite Segen galt Falk, seiner Familie und allen Bewohnern, die im Haus künftig zusammenlebten. Falk war zweifelsohne der wichtigste Motor des Fürsorgeprojektes, aber als Einzelunternehmen hätte das Institut nie zu einem weitreichenden Hilfswerk anwachsen können. Dahinter stand eine große Zahl von Spendern, die aus fast allen gesellschaftlichen Schichten des Großherzogtums auf unterschiedliche Weise halfen.60 Mit der Bitte um Segen für diese Gruppe der Wohltäter formulierten die Feiernden zum einen den Dank für die bisherige Hilfe und gleichzeitig die Bitte, dass die Unterstützung nicht abbrechen möge. Von 1852 bis 1854 wurde auf dem Gelände des Rauhen Hauses das fünfte Wohnhaus errichtet. Vorausgegangen war dem Neubau eine Spende des Fürsten Otto Viktor von Schönburg-Waldenburg (1785–1859).61 Nachdem ein Großteil der Arbeit von den Kindern und der Hausgemeinschaft mit Unterstützung einzelner Handwerker verrichtet worden war, feierten alle am 12. Juli 1854 den festlichen Einzug in das eingeschossige Haus, das im Andenken an den Stifter den Namen Schönburg erhielt.62 Das Fest wurde unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit begangen, sodass der Betsaal schnell zu klein wurde. Nach dem Dankpsalm richtete Wichern seine Ansprache an die Kinder, die am Bau selbst mitgewirkt hatten, und vergegenwärtigte den Gästen den engagierten Einsatz der Heranwachsenden. Während der Einweihung 57 Vgl. Landsturmblatt Nr. 39, Weimar 24.09.1817; Detlef Ignasiak: Luther in Thüringen, Bucha bei Jena 2007, S. 121. 58 Hausbuch, in: GSA NZ 19/07, 1, S. 11. 59 Vgl. Landtagsakten vom Jahr 1818 und 1819, Protokolle Bd. 1, in: ThHStA Weimar, Bestand Landtag Sachsen-Weimar-Eisenach 71, 379v–380v. 60 Vgl. Einnahme- und Ausgabebücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X. 61 Vgl. J. Winter: Otto Viktor Fürst von Schönburg-Waldenburg, in: Allgemeine deutsche Biographie. Hrsg. durch die Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Bd. 55, Leipzig 1910, S. 884–886. 62 Vgl. Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 154.

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wurde eine Hausbibel an die einziehenden Jungen und Lehrer übergeben sowie der Segen für das Haus und seine Bewohner erteilt.63 Im zweiten Teil des Festes – dem so genannten Liederfest – versammelten sich die Feiernden auf einem freien und von Bäumen begrenzten Platz im Garten. Auffällig unterschied sich dieser Teil des Festes durch seine patriotischen Symbole und Lieder von den christlich geprägten Handlungen der Einweihungsfeier: „[…] auf dem ,grünen Platze‘ bildeten die Sänger, die sich unter den fliegenden Fahnen gesammelt hatten, einen weiten Kreis, in welchem nach den muntern Reiseliedern die schönen Vaterlandslieder angestimmt wurden.“64 Jedem Haus hatte Wichern eine Fahne zugeordnet, die es stellvertretend repräsentierte. Fahnen prägten als Symbole kollektiven Inhalts öffentliche Feste des 19. Jahrhunderts,65 aber auch die des Rauhen Hauses. Wichern stilisierte die Festgemeinschaft zu einem vereinten Deutschland in Miniaturform. Denn die Besonderheit – so Wichern – lag darin begründet, dass sich im Rauhen Haus Menschen aus allen Teilen Deutschlands zusammenfanden. Wie die Fahnen der unterschiedlichen Häuser verschiedene Familien repräsentierten und dennoch als Gemeinschaft das ganze Rauhe Haus bildeten, so sollten sich auch die verschiedenen deutschen Länder vereint zusammenfinden: „[…] in Treue und Liebe eines jeden zu seinem Fürsten und seinem Stamme reichen sich alle die Hand und freuen sich der Eintracht und Liebe ohne Neid, die stark macht und die wir dem ganzen Vaterlande wünschen.“66 Das Fest, das als Einweihungsfeier angekündigt war, gipfelte letztlich in dem emphatisch geäußerten Wunsch, die nationale Einheit Deutschlands voranzutreiben. Zum Abschluss sangen die Feiernden das von Ernst Moritz Arndt 1813 gedichtete Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“.67 Sie unterstrichen ihren Wunsch nach einem national geeinten Deutschland mit einem Lied, das – spätestens seit es Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) 1846 auf dem Kölner Sängerfest zur Aufführung gebracht hatte – als heimliche Hymne der deutschen Nationalstaatsbewegung galt.68 Obwohl die Revolutionsjahre 1848/49 ohne politische Einheit zu Ende gegangen waren, hatte sich der Gedanke nationaler Einigkeit auch in Wicherns Konzept protestantischer Fürsorge niedergeschlagen und im Gegensatz zur politischen Wirklichkeit im Fest einen Ort der symbolischen Realisierung gefunden. 63 64 65 66 67

Vgl. Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 154–158. Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 161. Vgl. Hettling/Nolte, Feste (vgl. Anm. 16), S. 25. Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 161f. Ernst Moritz Arndt: Gedichte. Faksimiledruck der Ausgabe Leipzig 1850, Hildesheim, München und Zürich 1983, S. 29–31. 68 Vgl. Dietmar Klenke: Der singende „deutsche Mann“. Gesangvereine und deutsches Nationalbewußtsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998, S. 66f.



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5. Reformationsfeste Mit der 300. Wiederkehr des Reformationsjubiläums erlebte die Erinnerung an den Thesenanschlag Luthers deutschlandweit eine Renaissance.69 Während für die Zeit um 1800 eine weitgehende Nivellierung konfessioneller Schranken eingesetzt hatte, gewannen im Verlaufe des 19. Jahrhunderts konfessionelle Überzeugungen zunehmend wieder an Bedeutung.70 In der vergleichenden Perspektive der Weimarer und Hamburger Reformationsfeste spiegelt sich diese Tendenz wider, was auf einen grundsätzlich voneinander abweichenden Umgang Falks und Wicherns mit konfessioneller Vielfalt in ihrer Fürsorge hindeutet. Johannes Falk distanzierte sich von den unter der Aufsicht des Großherzogs Carl August (1757–1828) und des Oberkonsistoriums stehenden Reformationsfeierlichkeiten in Sachsen-Weimar-Eisenach, die er als „pomphaft“71 charakterisiert hatte.72 Stattdessen gehörte er zu jenen Weimarer Bürgern, die eigene Veranstaltungen initiierten. Anlässlich des Reformationsjubiläums umrahmten Heranwachsende aus dem Falkschen Institut eindrucksvoll eine illuminierte Büste am Eingang der Luthergasse mit Musikstücken und Rezitationen.73 Falks Hauptaugenmerk galt den zusätzlichen Einnahmen, auf die das Falksche Institut hoffen konnte. Vor den offiziellen dreitägigen Feierlichkeiten veranstaltete das Institut am 21. Oktober 1817 im Saal des Stadthauses eine musikalische Feierstunde, die an Luthers Leben erinnern sollte und zu welcher neben den Wohltätern des Instituts auch Angehörige des Fürstenhauses eingeladen waren.74 Zu den Mitwirkenden 69 Vgl. grundlegend für das 300. Jubiläum der Reformation in Sachsen-Weimar-Eisenach und zum Forschungsstand des Reformationsfestes Stefan Gerber: Konfession und Nation im „Ereignis Weimar-Jena“. Die Feiern zum 300. Reformationsjubiläum 1817, in: Johanna Sänger/ Lars Deile (Hrsg.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800, Köln, Weimar und Wien 2005, S.74–110, hier S. 74–77. 70 Vgl. Michael Maurer: Konfessionelle Identität um 1800, in: Gonthier-Louis Fink/Andreas Klinger (Hrsg.): Identitäten. Erfahrungen und Fiktionen um 1800, Frankfurt am Main 2004, S. 235–257, hier S. 255f. 71 Briefentwurf Johannes Falks, Weimar 16.02.1820, in: GSA 15/N 55, 12, 465r–465v, hier 465r. 72 Zum Ablauf der Weimarer Reformationsfeierlichkeiten vgl. Gerber: Reformationsjubiläum (vgl. Anm. 69), S. 98–108. 73 Vgl. Gerber, Reformationsjubiläum (vgl. Anm. 69), S. 106f. 74 Vgl. Brief Johannes Falks an Maria Pavlovna von Sachsen-Weimar-Eisenach, Weimar 18.10.1817, in: ThHStA Weimar, Großherzogliches Hausarchiv A XXV, Korrespondenzen F 471, 5r–5v; Brief Carl Friedrichs von Sachsen-Weimar-Eisenach an Johannes Falk, o.O. 18.10.1817, in: GSA 15/N 55, 8, 191r. Einzelne Mitglieder der fürstlichen Familie übersandten zu diesen

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zählte ausschließlich ein kleiner Kreis von Schülern, die sich zukünftig dem Beruf des Schullehrers, Kantors oder Pfarrers widmen wollten. Mehrmals kündigte Falk das Konzert werbewirksam im Weimarischen Wochenblatt an.75 Dagegen dementierte Falk, er wolle ein großes Konzert geben und den hohen Erwartungen des Weimarer Publikums gerecht werden.76 Für den Preis von 12 Groschen erhielten Interessenten nicht nur eine Eintrittskarte, sondern zugleich kostenlos eine mit vier Kupferstichen illustrierte Darstellung von Luthers Leben.77 Auf Wunsch des Publikums wiederholten die Aufführenden am dritten Festtag, dem 2. November 1817, das Konzert noch einmal und erbaten diesmal einen finanziellen Beitrag zum Programmblatt.78 Im Saal des Stadthauses versammelten sich auch Mitglieder der herzoglichen Regierung und des Stadtrates, Vertreter der Kirche und Künstler. Für das Jahr 1822 sind beispielsweise Charlotte von Stein (1742–1827), Charlotte von Schiller (1766–1826), der Staatsminister Ernst Christian August von Gersdorff (1781–1852) und der Oberkonsistorialrat Christoph Wilhelm Günther (1755–1826) als Zuhörende ausgewiesen.79 Vermutlich fiel angesichts des Weimarer Festmarathons nur den wenigsten Gästen auf, wie sie mit ihren Eintrittsgeldern anlässlich einer Reformationsfeier auch ein karitatives Hilfswerk finanziell unterstützten. Nach dem Reformationsjubiläum 1817 veranstaltete Falk auch in den folgenden Jahren feierliche Konzerte, die an Luther erinnern sollten. Dabei traten die reformatorischen Inhalte im Gegensatz zum musikalischen Kunstgenuss zunehmend in den Hintergrund. Einerseits wählte Falk auch solche Aufführungstage, die nicht mit Lebensdaten Luthers oder wichtigen Ereignissen der Reformation wie dem Thesenanschlag oder der Übergabe der Confessio Augustana in Beziehung standen.80 Andererseits erklangen Kompositionen von Georg Friedrich Händel (1685–1759), Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Carl Heinrich Graun (1701–1759) und Giovanni

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Gelegenheiten Spendengelder, ohne jedoch an den Feiern selbst teilgenommen zu haben. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 01.04.1822, in: GSA 15/I 2 A2, 60. Stück. Vgl. Weimarisches Wochenblatt Nr. 82, 14.10.1817; Weimarisches Wochenblatt Nr. 83, 17.10.1817. Vgl. Landsturmblatt Nr. 46, 14.11.1817. Falks diesbezügliche Ausführungen beziehen sich zwar auf das Konzert vom 2. November 1817, stehen aber stellvertretend für alle anderen Aufführungen. Vgl. Weimarisches Wochenblatt Nr. 81, 10.10.1817; Johannes Daniel Falk (Gesellschaft der Freunde in der Noth): Doctor Martin Luther in sechs Volksliedern, Weimar 1817. Vgl. Weimarisches Wochenblatt Nr. 86, 28.10.1817. Vgl. Kartenverzeichnis zum Ehrengedächtnis von Luther und Melanchthon, Weimar 31.10.1822, in: GSA 15/N 55, 23, 131r–131v. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 01.04.1822, in: GSA 15/I 2 A2, 60. Stück; Weimarisches Wochenblatt Nr. 25, 26.03.1822.



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Battista Pergolesi (1710–1736), die – im Gegensatz zu Luther selbst oder Paul Gerhardt (1607–1676) – nicht zu den ersten Vertretern protestantischen Liedguts gehören.81 Der Erlös aus dem Verkauf der Eintrittskarten und der Liedersammlung Luthers wurde zu einer wichtigen und vor allem wiederkehrenden Einnahmequelle des Falkschen Instituts.82 Warum Falk innerhalb des Instituts den Reformationstag nicht stärker pädagogisch oder religiös funktionalisierte oder nach 1817 sogar zu einem wichtigen institutsinternen Feiertag erhob, ist nicht geklärt. Vermutlich lag der protestantischen Fürsorgeidee Falks eine gewisse konfessionelle und religiöse Toleranz zugrunde,83 die ihm, der aus einem calvinistischen Elternhaus stammte, einst selbst in seiner lutherischen Heimatstadt Danzig widerfahren ist.84 Deshalb inszenierte er den Reformationstag nicht programmatisch, sondern pragmatisch, um die leeren Kassen des Instituts aufzufüllen. Aus den Grundsätzen des Instituts geht zudem nicht hervor, dass nur protestantische Kinder eine Unterstützung genießen konnten. Stattdessen half Falk Protestanten und Katholiken gleichermaßen; sogar jüdische Kinder wurden nicht abgewiesen.85 Ebenso lehnte Falk die Konversion andersgläubiger Heranwachsender ab und beauftragte Lehrer und Geistliche anderer Konfessionen mit der religiösen Unterweisung der Nichtprotestanten.86 81 Vgl. GSA 15/N 55, 23, 131r. 82 Vgl. Einnahme- und Ausgabebücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S.  174 und 259; Weimarisches Wochenblatt Nr. 8, 27.01.1818; Weimarisches Wochenblatt Nr. 6, 19.01.1819. 83 Für das frühe 19. Jahrhundert ist konfessionelle Toleranz anlässlich der Reformationsfeiern charakteristisch. Vgl. Johannes Burkhardt: Reformations- und Lutherfeiern. Die Verbürgerlichung der reformatorischen Jubiläumskultur, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 212–236, hier S. 221f. 84 Vgl. Andreas Lindner: Johannes Falk und Luther, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/08), S. 33–41, hier S. 36. 85 Vgl. Briefausfertigung Johannes Falks an Pastor Gerling, Weimar 08.04.1820, in: GSA 15/N 55, 1, 204r–205v; vgl. auch die Abschrift des eben erwähnten Briefes, in: GSA 15/I 2 a-z, 35r–38v; Brief Johannes Falks an unbekannten Empfänger, Weimar 18.04.1824, in: GSA NZ 19/07, 1 zwischen S. 808 und S. 809; Brief der Immediatkommission über das katholische Kirchen- und Schulwesen an Johannes Falk, Eisenach 20.08.1824, in: GSA 15/N 55, 19, 325r–325v. Für das frühe 19. Jahrhundert sind in Weimar nur 27 Juden nachweisbar. Zur Situation der Juden im Großherzogtum vgl. Ulrike Schramm-Häder: Jeder erfreuet sich der Gleichheit vor dem Gesetze, nur nicht der Jude. Die Emanzipation der Juden in SachsenWeimar-Eisenach (1823–1850), München und Jena 2001. 86 Dennoch diagnostizierte auch Falk wie zum Beispiel Johann Gottlob Marezoll und Friedrich August Klein eine verstärkte Konversion Erwachsener zum Katholizismus. Vgl. Johannes Falk:

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Eine das evangelische Selbstverständnis unterstreichende Funktion kam der Feier des Reformationstages dagegen im Rauhen Haus zu, der dort einen festen Platz im Feiertagskalender innehatte. Für Wichern prägten Sittenverfall und Gottlosigkeit das 16. und 19. Jahrhundert gleichermaßen, sodass die Reformation Luthers einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur Inneren Mission darstellte.87 Die Erinnerung an den Thesenanschlag begründete letztlich nicht nur die protestantische Konfession, sondern sie legitimierte ganz konkret Wicherns Arbeit, weshalb der Reformation in besonderer Weise gedacht wurde. Wichtiger Bestandteil des Gemeinschaftslebens war eine Reformationswoche, die sich unmittelbar an die von kirchlicher Seite initiierten Feierlichkeiten an einem der Sonntage um den 31. Oktober anschloss.88 Abseits der öffentlichen Feiern versammelten sich die Zöglinge des Rettungshauses, um in einer eigenen Andacht gemeinsam das Augsburger Bekenntnis zu sprechen und Lieder der Reformation zu singen.89 Außerhalb des Rauhen Hauses war die Teilnahme an einem offiziellen Festakt nur ein Programmpunkt unter vielen, dem weitere feierliche Zusammenkünfte folgten und bei denen die Kinder wesentliche Inhalte der protestantischen Lehre studierten. Im Gegensatz dazu hatte Falk Luthers Leben noch in allen Einzelheiten und mit Bezug auf die regionalen historischen Schauplätze illustriert. Wichern beging Reformationsfeste im eigentlichen Sinne des Wortes, ohne in Luthergedenkfeiern das Verdienst des Dr. Martin Luther und die Reformation in Volksliedern. Zum Besten der eigenen Waisen des seligen Vaters armer Kinder, Leipzig 1830, S. VII-X; Gerber, Reformationsjubiläum (vgl. Anm. 69), S. 95. Zwischen den wenigen katholischen und den vielen protestantischen Konfessionsangehörigen sollte ein einvernehmliches Miteinander im Großherzogtum herrschen. Vgl. Großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt Nr. 16, 11.11.1823. Zum Unterricht in den verschiedenen Konfessionen vgl. Briefausfertigung Johannes Falks an Pastor Gerling, Weimar 08.04.1820, in: GSA 15/N 55, 1, 204r–205v; Brief des Pastor Gerling an Johannes Falk, Weimar 20.04.1820, in: GSA 15/N 55,1, 207r–207v. 87 Vgl. Herrmann: „Innere Mission“ und „Diakonie“ (vgl. Anm. 24), S. 147; Ralf Hoburg: Wicherns theologische Bezugnahme auf Schleiermacher und Luther, in: Herrmann u.a. (vgl. Anm. 20), S. 94–112, hier S. 108; Talazko, Wichern (vgl. Anm. 22), S. 202. Eine Krise oder das drohende Weltgericht nahmen viele Zeitgenossen in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Folge zunehmender Gottlosigkeit wahr. Vgl. Lucian Hölscher: Säkularisierungsängste in der neuzeitlichen Gesellschaft, in: Manfred Gailus/Hartmut Lehmann (Hrsg.): Nationalprotestantische Mentalitäten (1870–1970). Konturen, Entwicklungslinien und Umbrüche eines Weltbildes, Göttingen 2005, S. 133–147, hier S. 138. 88 Vgl. Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 136. Das Reformationsfest wurde deutschlandweit nicht einheitlich begangen. Vgl. Art. Reformationsfest, in: Erwin Fahlbusch u.a. (Hrsg.): Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie. 3. Bd., Göttingen 1992, Sp. 1492f. 89 Vgl. Wichern, Rettungsanstalten als Erziehungshäuser (vgl. Anm. 47), S. 500.



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Reformators in besonderer Weise hervorzuheben. Stattdessen verfestigte Wichern mit der Fokussierung auf die reformatorische Lehre seine Überzeugung, nur die protestantische Gemeinde vertrete die „wahrhaft katholische […] Kirche“90. Auch außerhalb der Reformationswoche spiegelten sich Luthers Ideen allgegenwärtig im Leben der Kinder wider, weil das protestantische Bekenntnis – ohne dies immer ausdrücklich zu vergegenwärtigen – alle Lebensbereiche im Rettungshaus prägte.91 Wichern war überzeugt, dass die Rettungsanstalt auf diese Weise die Gemeinschaft der evangelischen Kirche stärke: „Sie bietet damit den Zöglingen zugleich eine starke Waffe zu Schutz und Trutz gegen die künftig ihnen drohenden Versuchungen zur Verleugnung und zum Abfall von der geoffenbarten Wahrheit und vom Glauben der Väter und des deutschen evangelischen Volkes.“92 Aufgrund der engen Verbindung zwischen dem Leben in einem Rettungshaus und dem dort praktizierten Glauben konnte es keine gemischtkonfessionellen Lebensformen geben. Für Wichern unterschieden sich katholische und evangelische Vorstellungen von der Lebensweise eines Rettungshauses, weil die katholische Seite von der Rettungshausidee eines Zuchthauses oder einer Korrektionsanstalt ausging. Ein Rettungshaus im Wichernschen Sinne sollte demgegenüber geistige Rettung im protestantischen Glauben bieten, indem die Kinder im Sinne einer inländischen Mission an Gott gebunden wurden.93 Mit der Feier des Reformationstages zog Wichern eine Grenze zu anderen Konfessionen, die sich nicht nur in religiösen, sondern auch in pädagogischen Fragen von seinen Ideen protestantischer Fürsorge unterschieden.

6. „Inszenierung“ Falks und Wicherns zur Feier des Stiftungstages In beiden Rettungswerken wurde der jeweilige Stiftungstag in den Festkalender aufgenommen. Die Gründung des Falkschen Instituts verlief parallel mit der Entstehung der Gesellschaft der Freunde in der Not, also jener Gruppe von Menschen, die Falk unterstützten. Allerdings fehlt ein konkreter Stiftungstag, der sich zweifelsfrei belegen lässt. Lange gingen Forscher davon aus, dass der Hilfsaufruf an die Bewohner des Herzogtums am 11. Mai 1813 den Beginn der karitativen Arbeit eingeleitet hat. Allerdings proklamierte der Lehrer Johann Georg Rettner (vor 1818–1867) erst ein 90 91 92 93

Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 136. Vgl. Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 136. Wichern, Rettungsanstalten als Erziehungshäuser (vgl. Anm. 47), S. 500. Vgl. Herrmann, „Innere Mission“ und „Diakonie“ (vgl. Anm. 24), S. 143f.; Kuhn, Diakonie (vgl. Anm. 22), S. 20.

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Vierteljahrhundert nach dem Tode Falks den 11. Mai als verbindlichen Stiftungstag.94 Aus den überlieferten Unterlagen wird ersichtlich, dass Falk die Gründung des Instituts anders beging, denn er und die Wohltäter feierten seit 1816 den 30. Januar als Stiftungstag. Was aber verband das Falksche Institut mit diesem Datum? Johannes Falk wählte mit dem 30. Januar den Geburtstag der Großherzogin Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1830) zum Gedenktag.95 Mit der Wahl demonstrierte er die enge Verbundenheit zur Landesmutter, unter deren Obhut das Institut ab 1816 stand,96 und zur herzoglichen Familie, denen sich das ganze Institut zu Dank verpflichtet fühlte. „Sie [die Gesellschaft der Freunde in der Not, Anm. C. H.] konnte keinen bessern Tag dazu auswählen, weil die verehrte Landesmutter sich als die thätigste Freundin in der Noth erwiesen und für die guten Zwecke dieser Gesellschaft mit bewundernswürdiger Liebe und Güte gewirkt hat“97, lautete die Erklärung für die Wahl des Stiftungstages in der National-Zeitung der Deutschen am 21. Februar 1816. Am Vormittag versammelten sich die Mädchen und Jungen des Instituts an Falks Wohnung in der Esplanade und intonierten als geschmückter Festzug auf dem Weg zur Hauptkirche das patriotische Volkslied „Den Herzog segne Gott“,98 dessen 94 Vgl. Guido Schnaubert: Das Lebenswerk von Johannes Falk. Ehrenbürger der Stadt Weimar, ein geschichtlicher Beitrag zu der im Jahre 1913 stattfindenden hundertjährigen Jubelfeier des Falkschen Institutes zu Weimar, Weimar 1912, S. 26f. Katja Weniger behauptet, dass die Gründung am 11. Mai 1814 vollzogen wurde, ohne ihren Befund zu belegen. Vgl. Katja Weniger: Johannes Daniel Falk – der Gründer der „Gesellschaft der Freunde in der Noth“. Ein Lebensbild, in: Gudrun Braune u.a. (Hrsg.): Zwischen Ausgrenzung und Fürsorge. Arme Leute in Thüringen, Begleitheft zur Kabinettausstellung im Museum für Thüringer Volkskunde Erfurt 26. Oktober 2000 – 31. Dezember 2000, Jena 2000, S. 13–19, hier S. 16. Zum Stiftungsdatum 11. Mai 1813 vgl. Fritz Fink: Johannes Daniel Falk. Der Begründer der Gesellschaft der Freunde in der Not, Weimar 1934, S.  16; Paul Saupe u.a.: Johannes Falk 1768–1826. Schriftsteller, Freund in der Not, Sozialpädagoge in Weimars klassischer Zeit, Weimar 1968, S. 18; Paul Saupe: Johannes Daniel Falk. 1768 bis 1826, Schriftsteller, tätig in gefährlichen Kriegsläuften, Pädagog verwilderter Kinder, Weimar 1979, S. 20. 95 Vgl. Johannes Falk: Geheimes Tagebuch (vgl. Anm. 39), S. 51; Weimarisches Wochenblatt Nr. 08, 26.01.1816; Weimarisches Wochenblatt Nr. 08, 27.01.1818; Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Noth 3 (1819); Gesky, Weimar (vgl. Anm. 54), S. 55 und 60; Reis, Falk (vgl. Anm. 7), S. 43f. 96 Vgl. Brief Johannes Falks an Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach, Weimar 15.08.1815, in: GSA 15/N 55, 1, 366v–368r. 97 National-Zeitung der Deutschen Nr. 08, 21.01.1816. 98 Johannes Falk: Kriegsbüchlein. No. I. Darstellung der Kriegsdrangsale Weimar’s in dem Zeitraum von 1806 bis 1813 nach den Schlachten von Jena, Lützen und Leipzig, aus Actenstücken und Originalbriefen einiger deutschen Männer an ihre Freunde in England gesammelt, Weimar 1815, S. I-II.



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dritte Strophe der Herzogin gewidmet war. „O, wie viel Ursachen habt Ihr Kinder, Gott zu danken für das Leben einer Fürstin, die mit allen ihren Angehörigen, so viel für Euch, für eure Rettung, Ernährung, Ueberweisung und Erziehung gethan hat“,99 hieß es in der Festpredigt. Die Großherzogin, die zu den wichtigsten Geldgebern des Instituts zählte,100 stilisierte Falk öffentlichkeitswirksam als „sittliche[n] Schutzengel Weimars“,101 wenngleich sie es im Gegensatz zu ihrer Schwiegertochter Maria Pavlovna (1786–1859) vorzog, im Stillen zu wirken.102 Dank galt aber auch allen anderen Wohltätern, die am Stiftungstag in einer Ausstellung im Stadthaus die von den Kindern hergestellten Arbeiten begutachten und Einsicht in die Rechnungsbücher nehmen konnten. Indem Falk die Weimarer Öffentlichkeit einlud und sich dieser in seinem karitativen Wirken präsentierte, sollte die Fortdauer des jungen Hilfsprojektes gesichert werden.103 Gegenüber dem Oberkonsistorium, von welchem Falk die Erlaubnis zur Feier des Dankgottesdienstes einholen musste, verwies er darauf, dass seine eigene Person an diesem Feiertag ganz im Hintergrund stehen solle. „Wiederum bitte ich dringend, und aus wahrhaftigem Gefühl, daß alles was durch mich und dieser großen Angelegenheit geschieht, ohne alles […] persönliches Verdienst und lediglich, durch die Gnade Gottes geschieht, mit keinen Worten in den […] geistlichen Vorträgen Meiner zu erinnern, sondern bloß von der Anstalt zu sprechen, die Gottes ist und bleiben muß […].“104

Der 30. Januar sollte nach Falks Willen nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden. Der Laudator entsprach Falks Wunsch, indem er die Gründung nur am Rande erwähnte und dafür den leisen und unauffälligen Beginn hervorhob. Diese Selbstlosigkeit rührte aber nicht aus einer persönlichen Demut Falks her. Denn gerade er wollte sich selbst am Stiftungstag nicht in Szene setzen, sondern das Falksche Institut als völlig unabhängige Einrichtung inszenieren. Schon mehrere Jahre nach der Gründung des Falkschen Instituts war ein Streit darüber entbrannt, welchen Charakter das 99 Predigt Karl Friedrich Horns, Weimar 30.01.1817, in: GSA 15/N 55, 6, 23r–25v, hier 25r– 25v. 100 Vgl. Quittungsbeleg des Friedrich Menge, o.O. 1823, in: GSA 15/N 55, 4, 291r; Detlef Jena: Das Weimarer Quartett. Die Fürstinnen Anna Amalia, Louise, Maria Pawlowna, Sophie, Regensburg 2007, S. 124. 101 Zitiert nach Reis, Falk (vgl. Anm. 7), S. 80. 102 Vgl. Jena, Das Weimarer Quartett (vgl. Anm. 100), S. 133. 103 Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Noth 1 (1816). 104 Brief Johannes Falks an das Oberkonsistorium, Weimar 21.01.1817, in: GSA 15/N 55, 5, 323r.

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Institut trage. Sowohl kirchliche als auch weltliche Vertreter sprachen sich unisono dafür aus, dass das Institut als eine Privatwohltätigkeitsinitiative, die maßgeblich auf Falks persönlichem Engagement beruhe, nur solange Bestand habe, wie Falk es leitet. Eine Selbstinszenierung Falks im Rahmen der Stiftungsfeierlichkeiten hätte nur noch mehr Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker bedeutet. Das Festbüchlein Wicherns verzeichnet zwei Termine, die wahlweise als Stiftungstag gefeiert wurden. Der 12. September 1833 erinnerte an die erste feierliche Versammlung aller Förderer des Rauhen Hauses; der 1. November an den Einzug der ersten Jungen in das Rauhe Haus im selben Jahr. Ähnlich wie Falk betonte auch Wichern in der Feierstunde, wie mit dem Beistand vieler namhafter und namenloser Freunde die Gründung des Rauhen Hauses ganz unauffällig vonstatten ging. Der Einzug „[…] geschah in aller Stille; in Hamburg wußte kaum jemand, daß es geschah.“105 Auch Wichern nahm sich selbst zurück und erinnerte an alle, die am Aufbau des Rettungswerks beteiligt waren. Während alle anderen Feierlichkeiten vorwiegend innerhalb des Rettungshauses stattfanden, öffnete sich an den Stiftungstagen die Gemeinschaft des Rauhen Hauses auch Freunden.106 Bei dieser Gelegenheit präsentierten sich die Heranwachsenden ihren Wohltätern, ebenso verlasen die Hausväter einen zum Druck bestimmten Bericht über das vergangene Verwaltungsjahr.107 Obwohl Wichern darauf verzichtet hatte, dass die Kinder vor den versammelten Gästen Prüfungen abzulegen hatten und ihnen stattdessen Zeit zum Spielen gewährte, dienten die Feierlichkeiten dennoch als Legitimationsgrundlage für die zukünftige Arbeit und die fortwährend zu gebende Unterstützung der bisherigen Wohltäter. Charakteristisch für die Idee sozialer Fürsorge Falks und Wicherns ist die Funktionalisierung von erinnernden Stiftungsfeiern, die neben dem Gedenken an die Anfänge der beiden Hilfswerke auch immer zukunftsorientiert über die gegenwärtige Arbeit informieren und bereits gewonnene sowie potentielle Spender von einer zu gebenden Wohltat überzeugen sollten. Beide Männer verbaten sich einen auf sie fokussierten Personenkult, sondern betonten im Gegenteil die fortdauernde Hilfe Gottes, die alle Wohltaten erst ermöglicht habe. Die Inszenierung eines personengebundenen Gründungsmythos lag Falk und Wichern fern, um die Existenz beider Hilfswerke auch nach ihrem Ableben zu sichern.

105 Wichern, Festbüchlein (vgl. Anm. 1), S. 31. 106 Vgl. Baur, Rauhes Haus (vgl. Anm. 53), S. 632; Wittenborn, Wichern als Sozialpädagoge (vgl. Anm. 45), S. 193. 107 Vgl. Wichern, Rettungsanstalten als Erziehungshäuser (vgl. Anm. 47), S. 530.



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7. Zusammenfassung Ausgangspunkt für den Vergleich war die Frage, ob Falks und Wicherns Fürsorgeideen eine geistige Verwandtschaft zugrunde lag. Für die Weimarer Vertreter der Inneren Mission gab es Mitte des 19. Jahrhunderts an der engen Verbindung keinen Zweifel. Die Feierlichkeiten anlässlich des 100. Geburtstages Johannes Falks standen ganz im Zeichen der Rettungshausidee: Denn wenn „[…] Falk als der Begründer der über ganz Deutschland verbreiteten Rettungshäuser und Rettungsvereine angesehen werden muß […]“, mussten auch die „[…] Freunde der inneren Mission in der Stadt Weimar […]“108 seiner gedenken. Und bereits am Ende des dritten Jahresberichts von 1819 schrieb Falk selbst über seine missionarische Aufgabe: Das Institut ist „[…] eine Art von Missionsgeschäft, eine Seelenrettung, eine Heidenbekehrung; aber nicht in Asien oder Afrika, sondern in unserer eigenen Mitte […].“109 Aus dem Vergleich, wie Falk und Wichern Feste und Feiern funktionalisierten, lassen sich aber differenzierte Rückschlüsse über ihre Fürsorgekonzepte ziehen, worauf Gemeinsamkeiten und Unterschiede beruhten. Falk und Wichern strebten beide ein dauerhaftes und von ihrer Person unabhängiges Hilfswerk an, weswegen an Stiftungstagen nicht ihrer Personen, sondern des stillen und kollektiven Anfangs gedacht wurde. Wichern verfolgte dieses Ziel über Jahre, indem er Feste in Feiern zu erinnerungswürdigen Ereignissen stilisierte und damit der Inneren Mission eine Memoria stiftete. Falk funktionalisierte den Stiftungstag, um das Institut offiziell an Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach zu binden. Beide Männer hofften, ihre karitativen Leistungen über den Tod hinaus als wichtige Bestandteile sozialer Fürsorge zu legitimieren und weitere Spender dauerhaft zu binden, wozu sie an Stiftungstagen Bilanzen offenlegten und Wohltäter sich ein Bild vom Entwicklungsfortschritt der Heranwachsenden machen konnten. Das sich unterscheidende Festverständnis Falks und Wicherns deutet auf voneinander abweichende pädagogische Konzepte bezüglich des Familienprinzips, der Altersstruktur und der Zielgruppe hin. Während Wichern im Rauhen Haus das Familienprinzip institutionell verwirklichte, indem er die Kinder aus den Herkunftsfamilien entfernte und sie in familienähnlichen Strukturen im Rauhen Haus aufnahm, brachte Falk seine Zöglinge in Handwerkerfamilien unter oder schickte sie in ihre Ursprungsfamilien zurück. Deswegen spielten Feste – als wesentliche Bestandteile familiären Zusammenlebens – im Falkschen Institut nur eine untergeordnete Rolle, während sie 108 N. N.: Weimars Gedächtnißfeier zum hundertjährigen Geburtstag Johannes Falks am 28. October 1868, Weimar 1868, S. 3. 109 Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Noth 3 (1819).

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Wichern in den Mittelpunkt des Anstaltsalltags stellte, um der künstlichen Familienformation Stabilität zu verleihen. Darüber hinaus zielte Falks Fürsorgekonzept auf die gesellschaftliche Integration von Heranwachsenden, sodass er öffentliche Feste wegen der Gefahr sexueller Ausschweifungen ablehnte oder nur unter bestimmten Rahmenbedingungen befürwortete. Dagegen konnte Wichern den exzesshaften Aspekt von Festen ausblenden, weil sein Hauptaugenmerk Kindern galt. Falk hingegen maß der Phase der Jugend eine wichtigere Bedeutung für eine erfolgreiche Sozialisation in die bürgerliche Gesellschaft bei. Dazu gehörte für ihn nicht nur die Unterstützung straffälliger oder elternloser, sondern auch talentierter und begabter junger Menschen, weshalb das Falksche Institut mit seinen Reformationsfeiern auch kulturelle Impulse in der Residenzstadt Weimar setzten konnte. Gleichermaßen erkannten Falk und Wichern das didaktische Potential der Feier, die dem Einzelnen Identität stiftet und das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe stärkt.110 Die Feier gab dem Alltag der Kinder und Heranwachsenden einen Sinn und bekräftigte gleichzeitig bestehende Regeln. Allerdings konnten und wollten weder Falk noch Wichern die Feier in ihrer idealisierten Form vollständig umsetzen,111 duldeten doch beide ohne exzesshafte und regelverletzende Ausschweifungen auch das gemeinsame Mahl, Musik, Tanz und das fröhliche Spiel als festliche Elemente während einer Feier. Wicherns Fürsorgekonzept war von der nationalen Idee einer deutschen Einheit durchzogen. Dies spiegelte sich insbesondere bei Einweihungsfeiern wider, die durch patriotische Symbole gekennzeichnet waren und so für einen kurzen Moment den Wunsch eines vereinten Deutschlands im Kleinen realisierten. Dieser nationale Einheitsgedanke Wicherns verwirklichte sich zumindest auf konfessioneller Ebene mit der Konstituierung des Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche im Jahr 1848. Falks karitatives Engagement war hingegen regional auf das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach beschränkt, indem er auf die unmittelbaren Kriegserfahrungen vor Ort reagierte und in erster Linie auf die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung und ihrer Potentaten angewiesen war. Wicherns Fürsorgeideen waren durch und durch protestantisch geprägt, denen ein nach innen gerichteter missionarischer Auftrag zu Grunde lag, während Falks Vorstellung sozialer Fürsorge auch konfessionelle und religiöse Toleranz beinhaltete. Dementsprechend ging mit dem Reformationsfest im Rauhen Haus eine einwöchige Vorbereitungszeit einher, in der sich die Kinder mit den wichtigen protestantischen Bekenntnisschriften auseinandersetzten. Falk dagegen überführte das Fest in den 110 Vgl. Maurer, Feste in Geschichte und Gegenwart (vgl. Anm. 27), S. 216f. 111 Vgl. Gebhardt, Fest, Feier und Alltag (vgl. Anm. 27), S. 79–81.



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Rahmen eines öffentlichen Konzertes, wobei das Hauptaugenmerk auf dem Kunstgenuss lag und sich das Institut wichtige Einnahmen sicherte. Zur 300. Wiederkehr der Reformation erinnerte Falk in erster Linie an den Menschen Luther und an die regionalen Bezüge in dessen Leben, ohne – wie es Wichern tat – die protestantische Erbauung der Heranwachsenden in den Vordergrund zu rücken. Der komparatistische Blick auf die Festkultur ermöglicht zweifelsohne, spezifische Merkmale in den Fürsorgeideen Johannes Falks und Johann Hinrich Wicherns zu erkennen, die sich in pädagogischer, nationaler und konfessionell-missionarischer Ausrichtung durchaus unterschieden. Die Entwicklung vom Weimarer Institut zum Hamburger Rettungshaus kann nicht als geradliniger Verlauf betrachtet werden. Denn der Arbeit beider Männer lag keine einheitliche Vorstellung eines Rettungshauses oder einer inneren Mission zugrunde, was sich in der Einstellung Falks und Wicherns zum Fest sowie der Festkultur im Falkschen Institut und im Rauhen Haus widerspiegelt. Die im Vergleich gewonnenen Ergebnisse erfordern weiterführende Untersuchungen, die den Erkenntnisgewinn auch an anderen Fürsorgepraktiken – wie zum Beispiel den Unterrichtsformen oder den Aufnahmeverfahren – belegen. Fest steht hingegen, dass dieser Befund all jenen widerspricht, die der von Wichern selbst inszenierten Behauptung einer geistigen Verwandtschaft seiner Arbeit mit den Ideen Johannes Falks bislang unkritisch gefolgt sind. Gemeinsam war Falk und Wichern aber der Gedanke, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte für ihr karitatives Unternehmen zu gewinnen und zu verpflichten. Damit praktizierte Falk bereits im frühen 19. Jahrhundert jene diakonische Arbeit,112 die Wichern später auch in seinen theoretischen Schriften im Zusammenspiel von freier, bürgerlicher und kirchlicher Diakonie eingefordert hat.

112 Vgl. Herrmann, „Innere Mission“ und „Diakonie“ (vgl. Anm. 24), S. 154–164.

Millennium – Volk – Grenze Die Tausendjahrfeiern im Rheinland und in Sachsen im Vergleich

von Ulrich Rosseaux Tausendjahrfeiern gehören in der Jubiläumskultur zu den nicht besonders häufig vorkommenden Ereignissen. Dies liegt zum einen – und ganz simpel – daran, daß es nicht allzu viele Institutionen gab beziehungsweise gibt, die ein derartiges Alter für sich reklamieren konnten oder können. Zum anderen jedoch ist die Seltenheit von 1000-jährigen Jubiläen auch der konfessionskulturell protestantisch gefärbten Entstehungsgeschichte der historischen Jubiläen geschuldet. Die im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert im universitären Milieu des evangelischen Deutschlands neu entstandene Festform des historischen Jubiläums verbreitete sich zunächst in einem Umfeld, dessen retrospektive Reichweite notwendigerweise begrenzt war.1 Die großen evangelischen Jubiläumsfeiern 1617 und 1630 anlässlich des Thesenanschlags und der Übergabe der Confessio Augustana schauten auf gerade einmal 100 Jahre zurück.2 Deutlich größere Zeiträume kamen erst in den Blick, als sich im Laufe des 18. Jahrhunderts vermehrt katholische Einrichtungen den institutionellen Mechanismus des historischen Jubiläums zu eigen machten.3 Dabei konnten sie 1

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Siehe grundlegend zur Entwicklungsgeschichte des historischen Jubiläums Winfried Müller, in: Winfried Müller (Hrsg.): Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004, S.1–75 hier insb. S. 21–24; Wolfgang Flügel: Die Universität als Jubiläumsmultiplikator in der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9 (2006), S. 51–70. Vgl. Wolfgang Flügel: Konfession und Jubiläum. Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenkkultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005. Der Ansatz, historische Jubiläen als institutionelle Mechanismen zu begreifen und zu untersuchen, knüpft an die Forschungen an, die im Teilprojekt G des Dresdner SFB 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ (1996–2008) betrieben wurden. Siehe dazu W. Müller, Jubiläum (vgl. Anm. 1) sowie theoretisch grundlegend Karl-Siegbert Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen. Leitfragen und Grundkategorien einer Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen (TAIM), in: Gerhard Göhler (Hrsg.): Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie, Baden-Baden 1974, S. 47–84; Karl-Siegbert Rehberg: Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Analyse und Symboltheorien

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erfolgreich mit dem Zins des im Vergleich zur protestantischen Seite in der Regel weit höheren Alters wuchern. Bistümer und Klöster vor allem im süddeutschen Raum begingen mehrhundertjährige Gründungsjubiläen und in diesem Kontext kam es dann auch erstmals zu Tausendjahrfeiern.4 So 1724 in Freising mit einem 1000-jährigen Jubiläum des Fürstbistums, 1765 im Kloster Ottobeuren oder 1777 in der Reichsabtei Kempten, um nur einige Beispiele zu nennen.5 Im 19. und frühen 20. Jahrhundert schließlich etablierten sich Tausendjahrfeiern auch außerhalb der Sphäre der katholischen Kirche, wobei es bevorzugt Städte waren, die Millenniumsjubiläen feierten.6 Diese knappe Skizze der Entstehung und Entwicklungsgeschichte von 1000-jährigen Jubiläen macht deutlich, daß es sich bei den Tausendjahrfeiern des Rheinlands 1925 und Sachsens 1929 um ungewöhnliche Feste handelte. Ungewöhnlich einmal wegen der allgemeinen Seltenheit von Jahrtausendfeiern, ungewöhnlich aber darüber hinaus und vor allem, weil die Bezugsgrößen des millennarischen Erinnerns aus dem

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– Eine Einführung in systematischer Absicht, in: Gert Melville (Hrsg.): Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 3–49. Vgl. W. Müller, Jubiläum (vgl. Anm. 1), S. 29f. Vgl. Stefan W. Römmelt: Kaiser, Papst und Vaterland. Jubiläen und die Memorialkultur der Germania sacra. Die Tausendjahrfeiern in Fulda und Kempten, in: Historisches Jahrbuch 121 (2001), S. 115–154; Stefan W. Römmelt: Frisinga memorans. Die Freisinger Bistumsjubiläen von 1724 bis 1989. Formen und Funktionen katholischer Erinnerungskultur im Vergleich, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 46 (2001), S. 323–364; Norbert Lieb: Das Jahrtausend-Jubiläum des Reichsstiftes Ottobeuren und die Einweihung der Klosterkirche im September 1766, Memmingen 1931. Vgl. (in Auswahl) Hans-Walter Schmuhl: Die Tausendjahrfeier der Stadt Braunschweig im Jahre 1861. Zur Selbstinszenierung des städtischen Bürgertums, in: Manfred Hettling/ Paul Nolte (Hrsg.): Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S.  124–156; Wolfgang Hermsdorff: Die Tausendjahrfeier. Kassels größtes Fest seit eh und je, in: Heimatverein Dorothea Viehmann. Heimatbrief 32 (1988), S. 11–17; Karl Hessler: Die Tausendjahrfeier der Haupt- und Residenzstadt Cassel, Marburg 1913; Kulturhistorischer Festzug zur Erinnerung an die Tausendjahrfeier der Residenz Cassel 913–1913, Kassel 1913; Quedlinburgische Geschichte. Zu Tausendjahrfeier der Stadt Quedlinburg vom Magistrate der Bürgerschaft gewidmet, 2 Bde., Quedlinburg 1922; Der historische Festzug im tausendjährigen Duderstadt, Duderstadt [1929]; Otto Tschirch: Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel. Zur Tausendjahrfeier der Stadt 1928/29, Brandenburg 1928; Tausendjahrfeier der Stadt Dinkelsbühl vom 18. bis 20. August 1928, Hamburg [1928]; Der historischer Festzug der tausendjährigen Stadt Nordhausen, Nordhausen 1927; Bilder aus der Geschichte der Stadt Herborn 914–1914. Zur Tausendjahrfeier der Stadt Herborn, Herborn 1914; Tausendjahrfeier der Stadt Haiger am 14. bis 16. Juni 1914. Festschrift 914–1914, Dillenburg 1914; Beiträge zur Geschichte der Stadt Weilburg. Festschrift, der Stadt Weilburg zur Tausendjahrfeier gewidmet, Wiesbaden 1906.



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Rahmen fielen. Keine kirchliche Institution, keine Stadt, sondern Länder und Regionen griffen auf den institutionellen Mechanismus des historischen Jubiläums zurück, um ihre Eigengeschichte wirkungsvoll in Szene zu setzen. Mit dem 1000-jährigen Jubiläum der Verträge von Verdun 1843, das als Tausendjahrfeier der Gründung des Deutschen Reiches begangen wurde, oder dem norwegischen Millennium von 1872 finden sich Vorläufer zwar bereits im 19. Jahrhundert, im Gesamtkontext der historischen Jubiläumskultur jedoch stellen solche Landesmillennien eine Ausnahme dar.7 Nun wären die Seltenheit und die Außergewöhnlichkeit der beiden Tausendjahrfeiern im Rheinland 1925 und in Sachsen 1929 durchaus schon Gründe genug, sich mit diesen Festen intensiver zu befassen. Darüber hinaus aber sind beide Feiern auch als wichtige Elemente der politischen Festkultur in der Weimarer Republik von besonderem Interesse. Damit berührt die komparatistische Analyse der beiden regionalen Tausendjahrfeiern ein Themengebiet, das von der Festforschung bislang nicht sonderlich intensiv bearbeitet wurde. Eingezwängt zwischen der politischen Festkultur des 19. Jahrhunderts mit ihren Goethe,- Schiller-, Luther- oder Gutenbergfeiern, ihren Monarchiejubiläen, Sedansfesten und Kaisergeburtstagen einerseits8 und den

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Vgl. Jörg Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840), Frankfurt/M./ New York 1998, S.  499; Henrik Ibsen: Zur Tausendjahrfeier, in: Henrik Ibsen: Sämtliche Werke, Bd. 1: Gedichte, Nachtrag zu den Gedichten, durchgesehen und eingeleitet von Georg Brandes, Berlin 1903, S.  160–166. Bemerkenswerterweise fand just 2009, im Jahr der Jenaer Tagung also, aus der dieser Aufsatz hervorging, eine Tausendjahrfeier Litauens statt. Siehe hierzu http://www.culturelive.lt/en/2009/millennium/[letzter Zugriff: 05.02.2010]. Bezugspunkt des Erinnerns war in diesem Fall im übrigen die Ersterwähnung des Landes in den Quedlinburger Annalen. Vgl. (in Auswahl) Hettling/Nolte, Bürgerliche Feste (vgl. Anm. 6); Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988; Ute Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1806–1918), Essen 1995; Simone Mergen: Monarchiejubiläen im 19. Jahrhundert. Die Entdeckung des historischen Jubiläums für den monarchischen Kult in Sachsen und Bayern, Leipzig 2005; Dörte Bauer: Geschichtskultur als Instrument zur staatlichen Identitätsstiftung. Feste, Feiern und Denkmalpflege in Bayern im 19. Jahrhundert und in der DDR, Neuried 2006; Hans Werner Hahn: „Ohne Jena kein Sedan“. Die Erfahrung der Niederlage von 1806 und ihre Bedeutung für die deutsche Politik und Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 285 (2007), S. 599–642; Kurt Drüge/Imke Tappe (Hrsg.): Festkultur in Lippe. Beiträge zum öffentlichen Festwesen im 19. und 20. Jahrhundert, Münster 1994; Tobias von Elsner: Kaisertage. Die Hamburger und das Wilhelminische Deutschland im Spiegel öffentlicher Festkultur, Frankfurt/M. 1991.

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massenmedial verstärkten Politinszenierungen des Nationalsozialismus andererseits,9 liegt die Weimarer Republik gleichsam im Windschatten der historischen und kulturwissenschaftlichen Festforschung. Und mehr noch: nicht selten wird das weitgehende Fehlen einer integrativen öffentlichen politischen Festkultur zum Signum des ersten republikanisch-demokratischen Staatswesens in Deutschland erklärt. Nicht zuletzt in Abgrenzung zu den theatralisch-bramarbasierenden politischen Inszenierungen im Stile Wilhelms II. habe die Weimarer Republik bei den ohnehin nicht sehr zahlreichen Akten öffentlicher politischer Festkultur – bezeichnenderweise handelte es sich bei drei der wichtigsten um Begräbnisse: Walter Rathenau 1922, Friedrich Ebert 1925 und Gustav Stresemann 1929 – auf eine betont nüchterne Formensprache gesetzt.10 Hier sind jedoch Zweifel angebracht, ob mit dieser Sinnzuschreibung nicht eine immer noch reichlich unvollständige Forschungslage kompensiert werden soll. Denn gerade die beiden Jahrtausendfeiern des Rheinlands 1925 und Sachsens 1929 hatten – wie im folgenden gezeigt wird – einen eminent politischen Charakter und besaßen eine große, im Fall der Feiern im Rheinland sogar deutschlandweite Öffentlichkeitswirkung. Gerade letzteres ist in den Untersuchungen zur vergleichsweise gut erforschten rheinischen Jahrtausendfeier auch stets mit Recht betont worden – jedoch ohne aus diesem Befund weitergehende Schlüsse im Hinblick auf die politische Festkultur in der Weimarer Republik insgesamt zu ziehen.11 Für die Tausendjahrfeier 9

Vgl. Christoph Kühberger: Metaphern der Macht. Ein kultureller Vergleich der politischen Feste im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 2006; Werner Freitag (Hrsg.): Das Dritte Reich im Fest. Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen 1933–1945, Bielefeld 1997. 10 Vgl. Volker Ackermann: Nationale Totenfeiern in Deutschland. Von Wilhelm I. bis zu Franz Josef Strauß. Eine Studie zur politischen Semiotik, Stuttgart 1990, S. 245–248 siehe hierzu auch die Rezension von Peter Reichel: Hang zum Nekrophilen. Zur Geschichte der Staatsbegräbnisse in Deutschland, in: Die Zeit Nr. 16 (12.04.1991); Fritz Schellack: Nationalfeiertage in Deutschland von 1871 bis 1945, Frankfurt/M./Bern/New York u.a. 1990. 11 Vgl. Gertrude Cepl-Kaufmann (Hrsg.): Jahrtausendfeiern und Befreiungsfeiern im Rheinland. Zur politischen Festkultur 1925 und 1930, Essen 2009; Franziska Wein: Deutschlands Strom – Frankreichs Grenze. Geschichte und Propaganda am Rhein 1919–1930, Essen 1992, hier insb. S. 123–142; Dieter Breuer/Gertrude Cepl-Kaufmann (Hrsg.): Deutscher Rhein – fremder Rosse Tränke? Symbolische Kämpfe um das Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, Essen 2005; Tilman Koops: Die rheinische Tausendjahrfeier 1925, in: Tilman Koops (Hrsg.): Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten 1919–1930 und 1945–1949, Koblenz 1995, S. 91–102; Irmgard Wolf/Manfred Engelhard: Jahrtausendfeier der Rheinlande. Die große Heerschau der Kunst und Kultur, in: Irmgard Wolf/Manfred Engelhard (Hrsg.): Zwischen Thron und Tyrannei. Die zwanziger Jahre in Bonn und im Rheinland, Bonn 1997, S. 75–79; Rüdiger Haude: „Kaiseridee“ oder „Schicksalsgemeinschaft“. Geschichtspolitik beim Projekt „Aachener Krönungsausstellung 1915“ und der „Jahrtausendausstellung 1925“, Aachen 2000.



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Sachsens gilt strukturell nämliches, erschwerend kommt in diesem Fall noch die bislang sehr rudimentäre Forschungslage hinzu.12 Im Folgenden wird es daher um eine komparatistische Analyse der beiden landes- bzw. regionenbezogenen Tausendjahrfeiern als Elementen der politischen Festkultur im Deutschland der 1920er Jahre gehen. Dabei gilt es, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der Feste im Rheinland und in Sachsen herauszuarbeiten. Dies wird entlang jener Frageachsen geschehen, die sich in den letzten Jahren in der historischen Jubiläumsforschung entwickelt haben. Dies bedeutet, daß neben den Inszenierungsabsichten und Inszenierungsformen insbesondere nach der Inszenierungshoheit gefragt wird.13 Welche gesellschaftlichen Gruppen, welche politischen Strömungen oder Parteien konnten erfolgreich Einfluss auf die Gestaltung der Feste nehmen. Und schließlich und vor allem: welche Eigengeschichte, welches Geschichtsbild sollte durch den institutionellen Mechanismus der Tausendjahrfeiern vermittelt werden?

II. Der Blick auf die Genese der beiden Millennien im Rheinland und in Sachsen offenbart deutliche Unterschiede: Die rheinische Feier war von Beginn an als regionenbezogenes Jubiläum geplant worden und ihre Konzeption gestaltete sich im wahrsten Sinne des Wortes raumgreifend:14 Auch wenn die drei Städte Köln, die bedeutendste Metropole des Rheinlands, Düsseldorf, als Ort der rheinischen Provinzialverwaltung und Koblenz, als Sitz des Oberpräsidenten der preußischen Rheinprovinz die wichtigsten Zentren der Jahrtausendfeier darstellten, begangen wurde das Fest darüber hinaus in zahlreichen, um nicht zu sagen zahllosen Städten und Orten des Rheinlands. Selbst außerhalb der Rheinprovinz bot das Millennium den Anlass zur Durchführung patriotischer – nicht selten auch nationalistischer – Solidaritätsveranstaltungen

12 Einige knappe Ausführungen dazu bei Winfried Müller: Stadtjubiläen. Zur Entstehung städtischer Erinnerungskultur unter besonderer Berücksichtigung Sachsens, in: Renate Wißuwa/ Gabriele Viertel/Nina Krüger (Hrsg.): Sachsen. Beiträge zur Landesgeschichte, Dresden 2002, S. 1–19 hier insb. S. 15f, sowie Wolfgang Hartmann, Der historische Festzug. Seine Entstehung und Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, München 1976, S. 49f. 13 Vgl. hierzu W. Müller, Jubiläum (vgl. Anm. 1), S. 3–8. 14 Vgl. hierzu und zum folgenden Guido Müller: Geschichtspolitik im Westen und Rheinische Jahrtausendfeiern 1925. Zur Genese und zeithistorischen Bedeutung des Ereignisses und seinen Folgen, in: Cepl-Kaufmann, Jahrtausendfeiern (vgl. Anm. 11), S. 35–57; Wein, Deutschlands Strom (vgl. Anm. 11), S. 126–129.

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für die Mitte der 1920er Jahre ja immer noch unter fremder militärischer Besatzung lebenden Landsleute.15 Demgegenüber war das, was später als Jahrtausendfeier Sachsens rezipiert werden würde, anfänglich als lokales Meißner Stadtjubiläum konzipiert worden. Unter Bezugnahme auf die 929 erfolgte Gründung der Burg Meißen durch König Heinrich I. fasste der Stadtrat Ende November 1927 den Beschluss, 1929 ein 1000-jähriges Stadtjubiläum begehen zu wollen.16 Erst im Laufe der Vorbereitungen und vor allem im Jubiläumsjahr selbst wuchs diesem ursprünglich städtischen Jubiläum mehr und mehr der Charakter einer Jahrtausendfeier für das gesamte Land Sachsen zu. Ausschlaggebend hierfür waren zwei eng miteinander verflochtene Entwicklungen: Zum einen geriet die Absicht, mit Hinweis auf die Entstehung der Burg ein Stadtjubiläum zu begehen, stark in die Kritik der Fachhistoriker. Denn – so die Argumentation – 929 sei zwar mit dem Bau der Meißner Burg begonnen worden, eine städtische Siedlung unterhalb der Festungsanlage sei aber erst für das 13. Jahrhundert belegt und die Stadt Meißen mithin keineswegs 1000 Jahre alt.17 Diese Kritik führte zwar nicht zur Aufgabe der Jubiläumspläne, wohl aber zu einer inhaltlichen Akzentverschiebung. Das Millennium wurde nun nicht mehr allein auf die Stadt Meißen, sondern auch auf die Mark Meißen bezogen. Zum anderen veränderte eben dieser Wandel weg von der Kommune hin zum historischen Kern- und Stammland Sachsens die Rezeption der Jahrtausendfeier in der Öffentlichkeit entscheidend. In der Masse des Publikums und vor allem in der veröffentlichten Meinung wurde die Feier 1929 weniger als lokales Stadtjubiläum, sondern vielmehr als Tausendjahrfeier der Mark Meißen und damit letztlich ganz Sachsens wahrgenommen. Die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der beiden Tausendjahrfeiern spiegelte sich auch in den unterschiedlichen Trägerschichten und Trägerinstitutionen der Feste. Beim rheinischen Millennium kamen die ersten Anstöße zunächst aus der regionalen Geschichtswissenschaft. Zuvorderst war es der Historiker und Direktor des Düsseldorfer Stadtarchivs Paul Wentzcke, der die Idee einer Tausendjahrfeier in der 15 So beispielsweise in Lübeck und Königsberg, vgl. Gertrude Cepl-Kaufmann: Die Jahrtausendfeiern. Ein Fall für die Kulturwissenschaft, in: Cepl-Kaufmann, Jahrtausendfeiern (vgl. Anm. 11), S. 11–33 hier insb. S. 23–26. 16 Vgl. StadtA Meißen, B 622, Vorbesprechung für die Jahrtausendfeier, fol. 39–40. Zur Festlegung des Jubiläumsanlasses siehe E. Boehm: Das Gründungsjahr der Stadt Meißen. Eine Vorschau auf die Jahrtausendfeier, in: Wissenschaftliche Beilage des Dresdner Anzeiger 2 (1925), Nr. 34 (25.08.1925), S. 135. 17 Vgl. Woldemar Lippert: Die Aufrichtung der deutschen Herrschaft im Meißner Lande 929, in: Meißnisch-Sächsische Forschungen. Zur Jahrtausendfeier der Mark Meißen und des Sächsischen Staates, Dresden 1929, S. 9–25.



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Öffentlichkeit propagierte.18 Dabei hatte er anfangs weit Größeres im Sinn als lediglich ein rheinisches Millennium. Denn 1922 hatte er in einer viel beachteten Rede auf der Hauptversammlung der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Aachen für das Jahr 1925 zunächst eine „tausendjährige Jubelfeier“ des gesamten Deutschen Reiches vorgeschlagen.19 Bereits hier stellte er als historischen Bezugspunkt den 925 erfolgten Übergang Lotharingiens an das ostfränkische Reich heraus. Dieses Ereignis, das bis dahin außerhalb der mediävistischen Fachwelt so gut wie unbekannt gewesen war, wurde von Wentzcke nun zum Gründungsakt des Deutschen Reiches aufgewertet. Mit dieser Interpretation setzte er sich zwar nicht durch, schuf aber gleichwohl eine Vorlage, auf die kurze Zeit später gerne zurückgegriffen wurde.20 Denn 1924 entschied sich der Provinziallandtag der preußischen Rheinprovinz just das von Wentzcke favorisierte historische Ereignis des Jahres 925 zum Anlass einer 1925 abzuhaltenden Tausendjahrfeier der Rheinlande oder genauer: der tausendjährigen Zugehörigkeit des Rheinlands zum Deutschen Reich zu nehmen.21 Dieser geschichtspolitische Willensakt des Provinzialparlaments war nicht zuletzt taktischem 18 Vgl. G. Müller, Geschichtspolitik (vgl. Anm. 14), S. 47–49. Zur Biographie Wentzckes siehe ebd., S.  42–46 sowie ausführlich Wolfgang Klötzer: Drei Stufen deutschen Bewußtseins: Straßburg – Düsseldorf – Frankfurt a.M., in Kurt Stephenson/Alexander Scharf/Wolfgang Klötzer (Hrsg.): Darstellungen und Quellen zur deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 4: In memoriam Paul Wentzcke, Heidelberg 1963, S. 9–64; Walter Nissen: Paul Wentzcke [Nachruf ], in: Archivalische Zeitschrift 60 (1964), S. 186 sowie kritisch zu Person und Werk Stephan Laux/Sven Woelke: Paul Wentzcke, in: Michael Fahlbusch/ Ingo Haar (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München 2008, S. 740–743. Zur Diskussion, ob nicht anstelle von Wentzcke der Bonner Mediävist Wilhelm Levison als Urheber der rheinischen Tausendjahrfeier anzusehen sei, vgl. Theodor Schieffer, Wilhelm Levison, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 40 (1976), S. 225–242 hier insb. S. 232 sowie Wein, Deutschlands Strom, S. 126f Anm. 8. 19 Vgl. Paul Wentzcke: Die tausendjährige Jubelfeier des Deutschen Reiches. Erweiterte Niederschrift eines am 12. September 1922 vor der Hauptversammlung der deutschen Geschichtsund Altertumsvereine in der alten Königsstadt Aachen gehaltenen Vortrags, in: Preußische Jahrbücher 191 ( Januar-März 1923), S. 69–87. 20 Zur damaligen Diskussion siehe G. Müller, Geschichtspolitik (vgl. Anm. 14), S. 38–42 mit weiterführenden Literaturhinweisen. 21 Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Brauweiler, Akte 4897, Tausendjahrfeier I. Provinziallandtag Drucksachen, Nr. 12: Bericht und Antrag des Provinzialausschusses, betreffend die Feier der 1000jährigen Zugehörigkeit des Gebietes der Rheinprovinz zu Deutschland, 16.6.1924 hier zitiert nach G. Müller, Geschichtspolitik (vgl. Anm. 14), S. 51 Anm. 45. Siehe außerdem Wein, Deutschlands Strom, S. 126; Haude, Geschichtspolitik (vgl. Anm. 11), S. 118f.

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Kalkül im Hinblick auf die Besatzungsmächte geschuldet. Denn man ging – und wie sich zeigen sollte: zu Recht – davon aus, daß einem historischen Jubiläum als weithin etablierter kultureller Praxis von Seiten der Besatzungsbehörden kein nennenswerter Widerstand entgegengesetzt werden würde.22 Man setzte gewissermaßen auf die Selbstverständlichkeit historischer Jubiläen. Die treibenden Kräfte hinter der Initiative des rheinischen Provinziallandtags waren die beiden Oberbürgermeister von Duisburg und Köln, Karl Jarres und Konrad Adenauer.23 Oder übersetzt in die parteipolitischen Verhältnisse jener Zeit: Die rheinische Jahrtausendfeier des Jahres 1925 wurde von einer bürgerlichen Koalition aus dem Zentrum – Adenauer – und der Deutschen Volkspartei – Jarres – getragen. Dadurch und durch den Beschluss des Provinziallandtags sowie die finanzielle beziehungsweise ideelle Unterstützung des Vorhabens von Seiten der Regierungen Preußens und des Reichs wurde deutlich, daß die geplante Tausendjahrfeier des Rheinlands ein Ereignis in städtisch-staatlicher Trägerschaft war.24 Dies hatte merkliche Konsequenzen für den inhaltlichen Grundtenor der Festveranstaltungen. Denn angesichts der seit Anfang 1919 andauernden Besetzung weiter Teile des Rheinlands durch französische, belgische und britische Truppen, der französischen Rheinlandpolitik, die erkennbar auf eine Abtrennung des Gebietes abzielte, sowie der separatistischen Aufstandsversuche der frühen 1920er Jahre, ging es nun darum, ein deutliches nationales Zeichen der Zugehörigkeit des Rheinlands zu Deutschland, zum Deutschen Reich, zu setzen.25 In den zahllosen Ausstellungen, Umzügen, Festakten, Theateraufführungen, Vorträgen, Konzerten, Opern, Lieder22 Vgl. Wein, Deutschlands Strom (vgl. Anm. 11), S. 126 Anm. 7: „J‘estime qu‘il n‘est pas possible d‘interdire en principe aux Allemands de célébrer l‘anniversaire d‘un événement important de leur histoire, comme ils l‘ont fait en plus d‘une occasion avant la guerre“, schrieb beispielsweise der französische Außenminister am 20. Februar 1925 an Paul Tirard, den Hochkommissar und Präsidenten der interalliierten Rheinlandkommission. 23 Vgl. G. Müller, Geschichtspolitik (vgl. Anm. 14), S. 50–53; Karl-Heinrich Pohl: Rheinische Jahrtausendfeier und deutsche Locarnopolitik. Zu einigen innenpolitischen Voraussetzungen der Außenpolitik der Weimarer Republik, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 289–317 hier insb. S. 298. 24 Vgl. Wein, Deutschlands Strom (vgl. Anm. 11), S. 131f. 25 Zum historischen Kontext siehe Christoph Steegmanns: Die „Rheinlandbesetzung“ 1918– 1930 im wirtschaftlichen und sozialen Überblick, in: Breuer/Cepl-Kaufmann, Deutscher Rhein (vgl. Anm. 11), S.  13–56; Henning Köhler: Preußen und die Rheinlandbesetzung 1919–1930, in: Tilman Koops (Hrsg.): Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten 1919–1930 und 1945–1949, Koblenz 1995, S.  39–54; Tilman Koops: Französische Besatzungspolitik 1918–1923, in: Peter Hüttenberger/Hansgeorg Molitor (Hrsg.): Franzosen und Deutsche am Rhein 1789–1918, Essen 1989, S. 113–126.



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abenden und sonstigen Veranstaltungen des Jahres 1925 wurde man denn auch nicht müde, die Geltungsbehauptung der tausendjährigen Verbundenheit des Rheinlands und des Reichs in immer neuen und doch ähnlichen Varianten durchzudeklinieren.26 Dabei wurde das überlieferte Repertoire der politischen Rheinromantik und Rheindichtung des 19. Jahrhunderts ebenso bemüht wie Wagners Rheingold, Schillers Wilhelm Tell als Paradeschauspiel eines nationalen Abwehr- und Freiheitskampfes sowie die Erinnerung an die Befreiungskriege des frühen 19. Jahrhunderts, um nur die wichtigsten Beispiele zu erwähnen. Gegenüber diesem breiten Strom re-formulierter und re-inszenierter Bestände der geschichtskulturellen Tradition waren die Versuche einer Anknüpfung an die Gegenwart des Jahres 1925 deutlich in der Minderheit. Am stärksten werden sie fassbar bei den Kunstausstellungen wie beispielsweise bei der Schau „Modernes deutsches und Düsseldorfer Kunstschaffen“, die einen Bogen vom deutschen Impressionismus bis zur 1925 gerade aktuellen Neuen Sachlichkeit schlug.27 Und auch auf dem Gebiet der Musik wurde zumindest gelegentlich der Anschluss an die zeitgenössische Moderne gesucht.28 Insgesamt jedoch überwog ein inhaltliches und formales Repertoire, das stark in der Tradition der bürgerlichen politischen Festkultur des 19. Jahrhunderts stand und sich lediglich in einem Punkt spürbar davon unterschied: in dem Bemühen, die Wirkung der Festinszenierungen durch bislang nie da gewesene quantitative Größenordnungen auf ein neues Niveau zu heben. Das dokumentiert zum einen die schier unüberschaubar große Zahl der Veranstaltungen, die im Laufe des Jahres 1925 in den Städten und Orten des Rheinlands stattfanden. Besonders exemplarisch jedoch für

26 Vgl. hierzu und zum folgenden Carola Spies: Topographie und Typologie der Jahrtausendfeier – ein Überblick, in: Cepl-Kaufmann, Jahrtausendfeiern (vgl. Anm. 11), S. 59–79; Antje Johanning: „Ein Reich, ein Volk, ein Geist“. Zur Inszenierungspraxis der Jahrtausendfeiern, in: ebd., S. 85–110; Gertrude Cepl-Kaufmann: Literatur als Fallbeispiel und Fallbeispiele aus der Literatur: Die Jahrtausendfeiern und die Dichter, in: ebd., S. 113–159; Maria Porrmann: Theater und Drama in Zeiten der Besetzung, in: ebd., S. 175–225 siehe außerdem die Auswahlbibliographie der zeitgenössischen Publikationen aus Anlass der rheinischen Tausendjahrfeier in ebd., S. 461–470. 27 Vgl. Hans M. Schmidt: Die Jahrtausend-Ausstellungen in Aachen, Düsseldorf, Köln sowie Koblenz und Mainz. Zielsetzung, Konzeption und Resonanz, in: Cepl-Kaufmann (Hrsg.): Jahrtausendfeiern (vgl. Anm. 11), S.  229–262 hier insb. S.  238–243 und ergänzend dazu Anne Ganteführer-Trier: Eine Beteiligung war nicht erwünscht – Die Jahrtausend-Ausstellung der Rheinlande in Köln 1925 und die moderne Kunst, in: ebd., S. 263–274. 28 Vgl. Klaus Wolfgang Niemöller: Zur kulturell-politischen Bedeutung der Musik bei den Jahrtausendfeiern der rheinischen Städte 1925, in: Cepl-Kaufmann, Jahrtausendfeiern (vgl. Anm. 11), S. 161–174 hier insb. S. 172f.

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diesen Zug ins Gigantische war die Jahrtausendausstellung in Köln.29 Diese Schau der rheinischen Geschichte und Kultur vom Mittelalter bis in die Gegenwart war eine von mehreren Ausstellungen, die anlässlich des Jubiläums in verschiedenen rheinischen Kommunen gezeigt wurden. Neben Köln geschah dies u.a. in Düsseldorf, Aachen und Koblenz.30 Die Kölner Jahrtausendausstellung jedoch war unzweifelhaft die größte dieser Schauen und mehr noch: sie war mit mehr als 10.000 Exponaten eine der umfangreichsten historisch-kulturellen Ausstellungen in der Geschichte des Ausstellungswesens in Deutschland überhaupt.31 Außerdem erwies sie sich mit rund 1,4 Millionen Besuchern als Zuschauermagnet.32 Der Zug ins Gigantische, der nicht nur für die Kölner Jahrtausendausstellung, sondern für die rheinische Tausendjahrfeier insgesamt charakteristisch war, lässt sich unschwer als Krisensymptom und Krisenbewältigungsstrategie gleichermaßen deuten: Krisensymptom deshalb, weil das Millennium ohne die als traumatisch empfundenen Erfahrungen der Niederlage, des Verlustes und der in Gestalt der ausländischen militärischen Besatzung immer noch andauernden Bedrohung gar nicht denkbar gewesen wäre. Durch die Geschehnisse seit 1918 war der Vorkriegsnationalismus in seinen Grundüberzeugungen zutiefst erschüttert worden. Und die Konstruktion eines 1000-jährigen Jubiläums, das überaus aufwändig begangen wurde, war der Versuch, dieser Erschütterung geschichts- und erinnerungspolitisch entgegenzuwirken. Durch den Zug ins Gigantische – 1000 Jahre, Jahrtausendausstellung – sollte der immer noch manifesten Bedrohung Unzerstörbarkeit, ja Ewigkeit gegenübergestellt werden. Allerdings mündete dies nicht allein in die von den Initiatoren und Trägerinstitutionen des rheinischen Millenniums angestrebte Stabilisierung der tradierten Narrative des bürgerlichen deutschen Nationalismus, sondern darüber hinaus auch in dessen Transzendierung hin zu einem völkisch-nationalen Geschichtsbild. Die 1925 immer wieder beschworene Gemeinschaft des Rheinlands mit Deutschland, die ausgeprägte Volkstums- und Grenzkampfrhetorik der Reden und Publikationen, vor allem aber die Orientierung an einem nationale Grenzen überschreitenden Kulturraumbegriff wiesen über den offiziellen auf den deutschen Gesamtstaat bezogenen Nationalismus hinaus.33 In diesem Zusammenhang entfaltete sich auch die Ambivalenz des Jubiläumsanlasses: Denn die Grenzen jenes Lotharingiens das 925 als Herzogtum Lothringen in das ostfränkische Reich integriert worden war, reichten sowohl über die 29 Vgl. Schmidt, Jahrtausend-Ausstellungen (vgl. Anm. 27), S. 243–259. Siehe außerdem den zeitgenössischen Katalog: Jahrtausendausstellung der Rheinlande – Köln 1925, Köln 1925. 30 Vgl. Schmidt, Jahrtausend-Ausstellungen (vgl. Anm. 27). 31 Vgl. ebd., S. 244. 32 Vgl. ebd., S. 256. 33 Vgl. G. Müller, Geschichtspolitik (vgl. Anm. 14), S. 39–41 mit weiterführender Literatur.



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1925 aktuellen Grenzen des Deutschen Reiches als auch über dessen Gebietsstand von 1914 hinaus. Insofern ermöglichte die ursprünglich aus einer defensiven Haltung heraus konzipierte rheinische Tausendjahrfeier auch die Thematisierung expansiver territorialer Absichten. Paul Wentzcke beispielsweise, der geistige Vater des Millenniums, propagierte Zeit seines Lebens die Wiedergewinnung Elsass-Lothringens und die Annexion Luxemburgs.34

III. Während die Tausendjahrfeier des Rheinlands also insgesamt als eine von staatlichen und darunter vor allem von kommunalen Stellen getragenes, finanziertes und inszeniertes Fest mit betont nationaler Ausrichtung charakterisiert werden kann, lagen die Dinge bei der sächsischen Jahrtausendfeier ein wenig anders. Diese Unterschiede manifestierten sich nicht im organisatorischen Bereich, denn hier finden sich ganz ähnliche Strukturen wie beim rheinischen Millennium, nur alles immer mindestens eine Nummer kleiner. Die Inszenierungshoheit lag beim Meißner Stadtrat, der sich – die Analogie zum Rheinland ist offensichtlich – eine Initiative des städtischen Archivars zu eigen machte.35 Die Unterschiede lagen vielmehr in der inhaltlichen Ausrichtung des Festes. Denn in Meißen wurde ein Geschichtsbild präsentiert, daß nicht allein an die etablierten Interpretationen der Kaiserzeit anknüpfte, sondern darüber hinaus neue Akzente setzte. Besonders deutlich wird dies beim Programm des historischen Festzugs, der das zentrale Element der Jahrtausendfeier war.36 Hier finden sich zwar durchaus auch Gruppen, die gut und gerne in einem kaiserzeitlichen Umzug hätten auftreten können.37 So beispielsweise gleich die beiden ersten nach der einleitenden Musikkapelle, die Heinrich I. samt ritterlicher Begleitung bei der Eroberung des Landes und der Errichtung der ersten Meißner Burg zeigten.38 Daneben aber bot der Meißner historische Festzug des Jahres 1929 eine erkleckliche Anzahl von Darbietun34 Vgl. ebd., S. 45f. Siehe außerdem ergänzend Hermann Coblenz [Pseudonym für: Paul Wentzcke]: Frankreichs Ringen um Rhein und Ruhr: eine Schriftenreihe zur Abwehr, 12 Broschüren, Berlin 1923; Paul Wentzcke: Rheinkampf. Erster Band: Tausend Jahre deutscher Schicksalsgemeinschaft, Zweiter Band: Im Kampf um Rhein und Ruhr 1919–1924, Berlin-Grunewald 1925; Paul Wentzcke: Elsaß und Lothringen im Rheinischen Raum, Frankfurt/M. 1936. 35 Vgl. StadtA Meißen, B 622, fol. 16–17. 36 Vgl. Helmuth Gröger: Aus zehn Jahrhunderten – Bilder vom Meißner Festzug 1929; Festzugsfolge zur Jahrtausendfeier 2. und 9. Juni 1929, in: Meißner Tageblatt 125 (1929), Hauptausgabe zur Jahrtausendfeier (01.06.1929). 37 Zur Typologie historischer Festzüge siehe Hartmann, Festzug (vgl. Anm. 12), S. 144–149. 38 Vgl. Festzugsfolge zur Jahrtausendfeier, Nr. 2f.

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gen, die in dieser Form neu oder zumindest ungewöhnlich waren: Dies begann damit, daß gleich mehrere Gruppen den alltäglichen Lebensverhältnissen der Vergangenheit gewidmet waren. Gezeigt wurden in diesem Zusammenhang Handwerker des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ebenso wie die Arbeiterschaft des 19. Jahrhunderts.39 Thematisiert wurden außerdem die Lohn- und Einkommensverhältnisse in der Vergangenheit, die Sorgen und Nöte einfacher Menschen um den Nahrungserwerb und die Industrialisierung – alles Themengebiete, die in historischen Festzügen klassischen Zuschnitts in der Regel nicht präsentiert wurden.40 Dies galt in noch stärkerem Maße für geschichtspolitisch umstrittene Aspekte der Historie wie beispielsweise die Revolution von 1848, die im Meißner Festzug ebenfalls prominent und mit positiver Aussage vertreten war.41 Umgekehrt hatte man dafür auf Personen und Themengebiete ganz oder doch weitgehend verzichtet, die ansonsten zum Standardrepertoire historischer Festzüge gehörten. Beim Umzug von 1929 galt dies in besonders augenfälligem Maße für die Wettiner, die in keiner der insgesamt 80 Themengruppen als eigenständige historische Größe behandelt wurden. Lediglich in einigen wenigen Bildern des Festzugs tauchten Vertreter des ehemaligen Kur- und Königshauses gleichsam als Staffage auf.42 Diese deutliche Reduktion der Rolle und Bedeutung des jahrhundertelang amtierenden Herrscherhauses im Rahmen der sächsischen Jahrtausendfeier fällt vor dem Hintergrund der starken Stellung der sächsischen Könige in der politischen Fest- und Jubiläumskultur des 19. Jahrhunderts besonders stark ins Auge.43 Ausschlaggebend für diese Veränderungen waren die politischen Verhältnisse im Meißner Stadtrat, der von der SPD-Fraktion dominiert wurde.44 Zwar wurden in den vom Rat eingesetzten fünfköpfigen Jubiläumsausschuss auch zwei Vertreter anderer Parteien aufgenommen, die Sozialdemokraten jedoch stellten drei Ausschussmitglieder und besaßen somit eine Mehrheit.45 Bemerkenswerterweise mussten sie in der Planungsphase der Jahrtausendfeier aber gar nicht darauf zurückgreifen. Denn: Die partielle inhaltliche Neukonzeption des im Jubiläum und im Festzug präsentierten Geschichtsbildes wurde einvernehmlich beschlossen. Zum offenen Konflikt kam es erst nach Abschluss aller Vorbereitungen im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld der Feier. Mitte Mai 1929 stellte die Wirtschaftliche Fraktion, ein Sammelbecken konservativer und deutschnationaler bürgerlicher Kräfte 39 40 41 42 43 44 45

Vgl. ebd., Nr. 9, 21, 22, 32, 33, 42, 45, 77f. Vgl. ebd., Nr. 18, 23, 60, 75f. Vgl. ebd., Nr. 69. Vgl. ebd., 8, 29, 35, 51. Siehe hierzu Mergen, Monarchiejubiläen (vgl. Anm. 8). Vgl. Günter Naumann: Meißner Geschichte in Daten 929–1993, Meißen 1994, S. 174, 190. Vgl. StadtA Meißen, B 622, fol. 39–40.



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im Rat, den Antrag, Reichspräsident Hindenburg anlässlich der Tausendjahrfeier das Ehrenbürgerrecht der Stadt Meißen zu verleihen.46 Dieses Ansinnen wurde von der sozialdemokratischen Ratsmehrheit jedoch abgelehnt, was zwei Konsequenzen hatte: Zum einen weigerten sich die im Verband vaterländischer Vereine zusammengeschlossenen bürgerlich-nationalen Vereine daraufhin wie geplant am Festzug teilzunehmen. Erst der Hinweis auf den wirtschaftlichen Schaden, den ein Ausfall des Umzugs bedeuten würde, bewog die vaterländischen Vereine nach langwierigen Verhandlungen schließlich doch noch zur Teilnahme.47 Zum anderen wurde die spektakuläre Verweigerung der Ehrenbürgerschaft Hindenburgs zum Thema einer gesamtdeutsch ausgetragenen Pressekontroverse. Die Kampflinie verlief hier entlang der politischen Lagergrenzen: In den Blättern des rechten politischen Spektrums wurde das ‚rote Meißen‘ geschmäht – die Berliner Börsenzeitung beispielsweise titelte „Rote Elefanten im Meißner Porzellanladen“ –, während die Zeitungen der Linken die Entscheidung der Stadtverordneten verteidigten.48 In jedem Fall aber war der Meißner Jahrtausendfeier nunmehr gesamtdeutsche Aufmerksamkeit gewiss und dies trug entscheidend dazu bei, daß das Jubiläum seinen rein lokalen Charakter verlor. Indem das Millennium in der Rezeption nun zunehmend als sächsische Tausendjahrfeier wahrgenommen wurde, blieben dessen geschichts- und erinnerungspolitische Neuansätze jedoch nicht unwidersprochen. So erschien parallel zu den Feierlichkeiten in Meißen eine vom Sächsischen Altertumsverein verantwortete Publikation, in der das konservative Establishment der damaligen sächsischen Landesgeschichtsschreibung zur Jahrtausendfeier Stellung nahm.49 Teils geschah dies in Gestalt von Aufsätzen, die die traditionelle herrschafts- und dynastiezentrierte Forschung des 19. Jahrhunderts fortschrieben, teils in Beiträgen, die die wirtschafts- und siedlungsgeschichtlichen Themen der Schule um Rudolf Kötzschke aufgriffen. Vor allem aber wurde im einleitenden Vorwort von Woldemar Lippert, Direktor des sächsischen Hauptstaatsarchivs in Dresden, eine deutlich andere inhaltliche Aufladung der Jahrtausendfeier vorgenommen, als dies in der Festgestaltung in Meißen der Fall gewe-

46 Vgl. StadtA Meißen, B 527, Protokoll-Abschriften des Haupt- und Rechnungsausschusses (Beschluss vom 16.5.1929). 47 Vgl. StadtA Meißen, B 346, Sitzungsniederschriften der Ausschussberatungen, fol. 72–78. 48 Vgl. Rote Elefanten im Meißner Porzellanladen, in: Berliner Börsenzeitung 155 (1929). Generell zum Presseecho der Jahrtausendfeier siehe StadtA Meißen, B 470, Presseberichte: Volkszeitung, Meißner Tageblatt, auswärtige Zeitungen, Illustrierte Zeitungen; ebd., B 667, Presseberichte: auswärtige Presse. 49 Vgl. Woldemar Lippert (Hrsg.): Meißnisch-Sächsische Forschungen. Zur Jahrtausendfeier der Mark Meißen und des Sächsischen Staates, Dresden 1929.

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sen war.50 Lippert nämlich interpretierte den Jubiläumsanlass – die Errichtung der Burg Meißen durch Heinrich I. – als Auftakt zur deutschen Kolonisation im Osten. Dabei griff er auf eben jene Grenzkampf- und Volkstumsrhetorik zurück, die schon bei der rheinischen Tausendjahrfeier anzutreffen gewesen war. Mehr noch: in einem programmatischen Vorwort parallelisierte er beide Millennien: Was für den Westen Deutschlands „die Jahrtausendfeier der festen unverrückbaren Zugehörigkeit der Rheinlande zum Deutschen Reich“ gewesen sei, daß stelle „für Deutschlands Osten die Jahrtausendfeier der Begründung deutscher Herrschaft (…) in der Mark Meißen“ dar.51 Diese Deutungskonkurrenzen zwischen dem Geschichtsbild, das im Fest selbst präsentiert wurde, und jenem, das in der Parallelaktion des Sächsischen Altertumsvereins zum Ausdruck kam, spiegeln die tiefen innenpolitischen Gräben speziell in Sachsen und darüber hinaus in der Gesellschaft der Weimarer Republik insgesamt wider.52

IV. Obwohl sie durchaus Gemeinsamkeiten aufwiesen, überwiegen in der Gesamtschau der beiden Tausendjahrfeiern im Rheinland 1925 und in Sachsen 1929 die Unterschiede. Das rheinische Millennium war schon aufgrund seiner quantitativen Dimensionen ein ganz anderes Fest als die meißnisch-sächsische Jahrtausendfeier. Im Rheinland fanden unübersehbar viele Veranstaltungen an einer sehr großen Zahl von Städten und Orten statt, während das Fest in Sachsen auf die Stadt Meißen beschränkt blieb. Die rheinische Tausendjahrfeier zog ein Millionenpublikum an, ihr sächsisches Pendant brachte es auf etwas mehr als 200.000 Besucher.53 Wichtiger aber noch als die offensichtlichen Größenunterschiede waren die divergierenden inhaltlichen Botschaften beider Millennien. Getragen von einer bürgerlichen Koalition aus Zentrum und DVP im Provinziallandtag der Rheinprovinz sowie den rheinischen Kommunen, unterstützt und finanziert von den Regierungen Preußens und des Reichs, war die rheinische Tausendjahrfeier eine Manifestation nationalen und regionalen Selbstbehauptungswillens. Nach den Wirren der frühen 50 Vgl. Woldemar Lippert: Vorwort, in: ebd., [S. 6f.]. 51 Vgl. ebd., [S. 6]. 52 Vgl. Claus-Christian W. Szejnmann: Vom Traum zum Alptraum. Sachsen in der Weimarer Republik, Dresden 2000. 53 Vgl. Die Festtage in Meißen, in: Volkszeitung für Meißen Nr. 126 (1929) vom 03.06.1929; Der letzte Festtag in Meißen, in: ebd. Nr. 132 (1929) vom 10.06.1929 mit Schätzungen der Besucherzahlen.



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1920er Jahre sollte ein geschichts- und erinnerungspolitisches Zeichen der nationalen Verbundenheit des Rheinlands mit Deutschland gesetzt werden. Dass man zu diesem Zweck auf die Konstruktion eines 1000-jährigen Jubiläums setzte, dokumentierte den Grad der Erschütterung, den das deutsche Selbstbewusstsein durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen erlitten hatte. Durch die Magie der ganz großen Zahl sollte Unzerstörbarkeit dort symbolisch behauptet werden, wo realiter nach wie vor tiefe Verunsicherung vorherrschte. Als Beitrag zur politischen Festkultur in der Weimarer Republik besaß die Jahrtausendfeier des Rheinlands einen ambivalenten um nicht zu sagen: transitorischen Charakter: Einerseits bewegte sich ihr formales und inhaltliches Repertoire weitgehend in den Bahnen der Vorkriegszeit. Andererseits jedoch wiesen der unverkennbare Hang zur Gigantomanie und die Tendenz den offiziellen staatlichen Nationalismus durch einen völkischen Nationalismus zu transzendieren auf Entwicklungen voraus, die dann in der politischen Festkultur des Nationalsozialismus zu voller Blüte gelangen sollten. Bei der sächsischen Tausendjahrfeier hingegen handelt es sich um eine Veranstaltung, die anfangs als lokales Stadtjubiläum geplant worden war und die erst durch ihre Rezeption zum Millennium eines ganzen Landes aufgewertet wurde. Die Inszenierungshoheit lag beim sozialdemokratisch dominierten Meißner Stadtrat, was sich in einer spürbar anderen inhaltlichen Ausrichtung des Festes niederschlug als im Rheinland. In der sächsisch-meißnischen Feier wurden nicht allein historische Glanzzeiten überhöht, sondern in beachtlichem Ausmaß alltägliche Lebensverhältnisse sowie Sorgen und Nöte der Vergangenheit thematisiert. Gleiches galt für politische Ereignisse, die wie die 1848er Revolution im Kanon der Vorkriegsjubiläumskultur meist fehlten. Allerdings blieb diese partielle inhaltliche Neuorientierung nicht unwidersprochen, was dazu führte, daß sich zur sächsischen Jahrtausendfeier zwei konkurrierende Interpretationsstränge entwickelten. Zum einen jener der Feier in Meißen und zum anderen jener der publizistischen Parallelaktion des landeshistorischen Establishments Sachsens. Für die politische Festkultur der Weimarer Zeit scheint diese Deutungskonkurrenz in gewisser Weise sogar typischer zu sein, als die durch eine äußere Bedrohung herbeigeführte inszenierte Einigkeit des rheinischen Millenniums. Eine in verschiedene soziale und politische Milieus segmentierte Gesellschaft war offensichtlich weder willens noch in der Lage, sich jenseits der Frontstellung gegen äußere Feinde auf einen gemeinsamen erinnerungspolitischen Nenner zu einigen.

Staatliche Verfassungsfeiern und ihre Resonanz in der Evangelischen Kirche der Weimarer Republik von Klaus Fitschen Die Weimarer Republik hatte es bekanntermaßen schwer. Schon ihre Geburt war in den Augen vieler mit einem Makel behaftet, mit dem Versailler Vertrag und seinen Folgen. Von ihrer Geburt an war sie vielen ein ungeliebtes Kind, und so fehlte es der Republik an Republikanern. Dass man es ihr schwer machte, ist bekannt, vergessen sind aber häufig die Chancen und Optionen, die ebenfalls in dieser Zeit lagen. Die Verfassungsfeiern – hier ließe sich auch über den Unterschied von Fest und Feier nachdenken – waren ein Versuch, eine Art von Verfassungspatriotismus zur Darstellung zu bringen oder überhaupt erst zu wecken. Sie waren darum Sache der Befürworter und Verteidiger von Republikanismus und Parlamentarismus, parteipolitisch gesprochen der Sozialdemokraten, der Liberalen, der Zentrumsleute. Sie wurden angeordnet per Erlass und in festlichen Reichstagssitzungen, anderen Festakten und Massenaufmärschen inszeniert. Allerdings spielten dabei eben nicht alle mit. Unter denen, die nicht mitspielten oder jedenfalls nur teilweise, befand sich auch die evangelische Kirche. Wie ihre Vertreter zu den Verfassungsfeiern standen und wie sich die Haltung der Kirche mit der des Staates vergleichen lässt, ist das Thema dieses Beitrags.

1. Evangelische Kirche und Weimarer Republik Die Haltung der evangelischen Kirche zu den Verfassungsfeiern ist keine Nebensache. Dies wird schon daran ersichtlich, dass sie, wie auch die katholische Kirche und die jüdischen Gemeinden, staatlicherseits dazu gedrängt wurde, den Verfassungstag, den 11. August, auf ihre Weise mitzufeiern oder an ihn zu erinnern. In einer Zeit, in der trotz einer Kirchenaustrittswelle nach 1918 noch fast alle Deutschen Mitglied einer christlichen Kirche waren, konnte die Unterstützung der Kirchen Signalwirkung haben.

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Nun zählte gerade die evangelische Kirche nicht zu den erklärten Freunden der neuen Republik. Im Kaiserreich war der Protestantismus eine Art Leitkultur gewesen, im Krieg hatten Kirchenvertreter die Kriegspropaganda erheblich unterstützt, und mit dem Ende der deutschen Monarchien und damit der Staatskirchenhoheit fand sich die evangelische Kirche plötzlich auf der Verliererseite wieder. Ihre offiziellen Vertreter nahmen eine abwartende, wie man meinte, neutrale Haltung ein. Der Grund dafür lag auch in der vielstimmigen Diagnose, man befinde sich in einer dauernden Krise und in einem Zustand gesellschaftlicher Zerrissenheit. Parteien und Verbände vertraten die Interessen bestimmter Milieus, die Kirche fühlte sich dazu berufen, über den Parteien zu stehen, was schon damals den Verdacht erregte, sie hielte es eigentlich mit den alten, republikfeindlichen Kräften. Dass die Kirchenmitglieder zu großen Teilen Arbeiterinnen und Arbeiter und damit oft Anhänger der SPD waren, spielte für die offizielle Haltung der Kirche keine Rolle – dazu trug natürlich bei, dass die SPD sich immer noch kirchenfeindlich gebärdete, so dass auch nur wenige Pfarrer ihr angehörten. Etwas höher war die Resonanz in der Kirche für den politischen Liberalismus, hauptsächlich aber war der offizielle Protestantismus von einer national-konservativen Haltung geprägt, die von einer positiven Erinnerung an den Kaiser und von der Kränkung durch den Versailler Vertrag bestimmt war. Anders als die katholische Kirche, die die Zentrumspartei als ihren politischen Arm betrachten konnte, verfügte die evangelische Kirche über einen solchen, aus ihr selbst erwachsenen Arm nicht; am nächsten stand ihr die DNVP. Die Strukturen der evangelischen Kirche ähnelten den heutigen: Die evangelischen Landeskirchen, deren Grenzen mit denen der deutschen Länder identisch waren, hatten Kirchenleitungen, in denen die Konsistorien oder Landeskirchenämter – Verwaltungsbehörden also – die wichtigste Rolle spielten. Die bedeutendste Landeskirche war die preußische, die wiederum aus mehreren Teilkirchen in den preußischen Provinzen vom Rheinland bis Schlesien bestand. An der Spitze der preußischen Kirche stand der Evangelische Oberkirchenrat (EOK) als oberstes kirchenleitendes Organ. 1922 hatten sich die Landeskirchen zum Deutschen Evangelischen Kirchenbund (DEK) zusammengeschlossen, dessen Nachfolger 1945 die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wurde. Das Leitungsorgan des DEK war der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss (DEKA), an dessen Spitze ein Präsident stand. Dieser war in Personalunion Präsident des preußischen EOK, und somit war er der wichtigste Repräsentant der evangelischen Kirche auf Reichsebene. Von 1919 bzw. 1922 bis 1925 war dies Reinhard Moeller. Sein Nachfolger wurde Hermann Kapler, der 1933 von seinem Amt zurücktrat. Gewissermaßen die Reichssynode des Kirchenbundes waren die Kirchentage, keine Massenveranstaltungen im heutigen Sinne, sondern die Versammlung von 210 Repräsentanten aus den Synoden



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der evangelischen Landeskirchen, den Theologischen Fakultäten und evangelischen Vereinen und Verbänden.

2. Die Entstehung der Verfassungsfeiern Feste gab es in der Weimarer Republik zuhauf. Sie dienten der Selbstvergewisserung einzelner Milieus, allerdings war dies im Kaiserreich nicht anders gewesen, wie schon die Konkurrenz von Sedantag und 1. Mai zeigt. Massenaufmärsche und -kundgebungen wurden in der Weimarer Zeit von Parteien, Interessenverbänden, Jugendverbänden, Kirchen und nicht zuletzt von denen inszeniert, die die Erinnerung an den Krieg hochhalten wollten. Schon vor diesem Hintergrund hatten es die Verfassungsfeiern schwer, denn ihnen fehlte ein tragendes Milieu, das Massen mobilisieren konnte – am ehesten wäre hier das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zu nennen. Von staatlicher Seite wurde 1922 erstmals zu öffentlichen Verfassungsfeiern aufgerufen, nachdem ein Jahr zuvor solche Feiern unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten.1 Der Anlass für einen staatlich verordneten Verfassungstag war die Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau am 24. Juni 1922 durch rechtsradikale Terroristen. Hatte der Mord an Matthias Erzberger rund ein Jahr zuvor noch keine nachhaltige Solidarisierung der Republikaner bewirkt, kam es nun zu großen Demonstrationen und Kundgebungen, die von Gewerkschaften und den die Republik tragenden Parteien unterstützt und organisiert wurden. Der Reichskanzler, der Zentrumspolitiker Joseph Wirth, keinesfalls also ein Linker, sagte in einer stürmischen Rede im Reichstag den später viel zitierten Satz „Der [eigentlich: Dieser] Feind steht rechts.“ Die unmittelbare Folge des Rathenau-Mordes war das Gesetz zum Schutz der Republik, das am 21. Juli 1922 erlassen wurde. Es enthielt ein Verbot republikfeindlicher Vereinigungen und einen Katalog für die Bestrafung politischer Attentate und ihrer Vorbereitung. In den Kontext dieses Gesetzes gehört die Idee, den Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung am 11. August in großem Maßstab zu feiern. Die Ideengeber waren der Reichsinnenminister Adolf Köster, ein Sozialdemokrat, und der Reichsjustizminister Gustav Radbruch, einer der wenigen Juristen, die die Republik aus vollem Herzen bejahten. Unterstützung fand das Vorhaben bei den Parteien der 1

Sonja Stuhrmann: Edwin Redslob. Blasser Ästhet und Revolutionspflanze? Person und Amt des Reichskunstwarts zwischen Anspruch und Möglichkeit, in: Klaus-Dieter Weber (Hrsg.): Verwaltete Kultur oder künstlerische Freiheit? Momentaufnahmen aus der Weimarer Republik 1918–1933, Kassel 2002, S. 52f. 54 (S. 39–68).

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Weimarer Koalition, also SPD, Zentrum und DDP.2 Die Verfassungsfeier war also ein politisches, man könnte auch sagen volkspädagogisches Projekt, das die Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger mit der Weimarer Republik stärken sollte. Insofern war es aber auch ein Projekt, das nur in bestimmten Segmenten der Gesellschaft auf Akzeptanz hoffen konnte. Die erste Verfassungsfeier am 11. August 1922 gründete sich auf einen Erlass Reichsinnenminister Kösters, da der Reichstag kein Gesetz dazu verabschiedet hatte. Dazu kam es trotz wiederkehrender Anträge im Reichstag auch in den folgenden Jahren nicht, und damit ist ebenso etwas über die Akzeptanz des Verfassungsgedenktages gesagt wie über die dem Reich fehlenden Möglichkeiten, die Länder per Gesetz zum Mitfeiern zu verpflichten. Dementsprechend verweigerten sich viele deutsche Länder den Vorstellungen des Reichsinnenministeriums.3 Zuständig für die Choreographie dieser ersten, im Wesentlichen aus einer Öffnung des Reichstags für die Öffentlichkeit bestehenden Feier war jener Mann, der auch die Rathenau-Totenfeier im Reichstag von Amts wegen gestaltet hatte: Edwin Redslob, der für die „Formgebung des Reiches“ zuständige „Reichskunstwart“.4 Auf Wunsch bekamen Arbeiter, Beamte und Angestellte der Reichsbehörden am 11. August 1922 frei, die Behörden sollten in den Reichsfarben schwarz-rot-gold flaggen, und nun wurde auch Hoffmann von Fallerslebens Lied der Deutschen zur Nationalhymne erhoben. In Berlin fanden Feiern statt, zu denen eine Militärparade gehörte. Kurt Tucholsky – Ignaz Wrobel – schrieb: „Die Republik, die vor zwei Tagen ihr Verfassungsfest zu feiern versuchte, hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Ihr guter Wille soll anerkannt werden: Trotz der großen Schwierigkeiten hat sie sich wenigstens bemüht, den Tag festlich zu begehen, an dem ihre Verfassung rechtskräftig geworden ist.“5 Auf republikanischer Seite nahm man die Verfassungsfeiern, nicht zuletzt der Massenveranstaltungen wegen, als hoffungsvolle Signale.6

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Gotthard Jasper: Der Schutz der Republik. Studien zur staatlichen Sicherung der Demokratie in der Weimarer Republik, Tübingen 1963, S. 227–229. Klaus-Dieter Weber: Verfassungsfeiern in der Weimarer Republik, in: Gerhard Henke-Bockschatz/Ingrid Baumgärtner (Hrsg.): Geschichte und historisches Lernen. Jochen Huhn zum 65. Geburtstag, Kassel 1995, S. 188–190 (S. 181–209). Christian Welzbacher: Edwin Redslob. Biografie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009, S.  189–193. 197–200. Die weiteren Verfassungsfeiern werden von Welzbacher nur summarisch erwähnt (S. 200). Kurt Tucholsky: Verfassungstag, in: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 259 (S. 259–261). Jasper, Der Schutz der Republik (vgl. Anm. 2), S. 230.



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3. Die Resonanz in der evangelischen Kirche Der Reichstag versammelte sich am 11. August 1922 mittags zu einer Sondersitzung, abends lud der Reichspräsident zu einer Feier ins Schauspielhaus ein. Einladungen zu beiden Festlichkeiten ergingen an den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss, der anstelle des abwesenden Präsidenten Reinhard Moeller Wilhelm Kahl entsandte, einen bekannten Staatskirchenrechtler, der auch an der Weimarer Reichsverfassung mitgearbeitet hatte.7 Kompliziert wurde es, als beim Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss und bei den Leitungen einzelner Landeskirchen Vorschläge staatlicher Behörden eingingen, die staatlichen Feiern im kommenden Jahr durch kirchliche zu ergänzen. Der Präsident des Kirchenausschusses beschied solche Vorschläge abschlägig, da es sich um eine rein politische Feier handele.8 Das Reichsinnenministerium schien die Kirchenverwaltung immer noch wie eine halbstaatliche Behörde zu behandeln, und tatsächlich wurde die evangelische Kirche in Preußen noch bis 1922 von evangelischen Ministern beaufsichtigt; die alten Verwaltungseliten waren ohnehin gleichermaßen in Staat und Kirche zuhause. Dass man die Kirche, zumal in Preußen, in enger Nähe zum Staat sah, wurde 1923 um so deutlicher, als das Reichsinnenministerium dem Evangelischen Oberkirchenrat konkrete Vorschläge für eine kirchliche Beteiligung an den Feierlichkeiten machte. Es war das Jahr der Ruhrkrise oder damaliger Lesart nach des „Ruhrkampfes“: Im Januar hatten französische Truppen das Ruhrgebiet besetzt. Darauf folgten harte Auseinandersetzungen mit den Besatzern, die vom passiven Widerstand bis zu Terroranschlägen reichten. Die wirtschaftlichen Folgen für das Reich waren gravierend und führten im Sommer 1923 zu einer Hyperinflation. Andererseits war die Ruhrkrise eine Gelegenheit, politische Gegensätze zu überspielen und damit nationale Einheit zu inszenieren. Die Vorschläge des Reichsinnenministeriums an den Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin waren demnach der Versuch, die evangelische Kirche für die deutsche Sache zu mobilisieren, gehe es doch darum, „in dieser schweren Zeit […] die weitesten Kreise mit lebendigem Staatsgefühl zu erfüllen“. Die Beamten in den Reichsministerien sollten „Morgenfeiern“ zum Verfassungstag – man möchte sagen: säkulare Verfassungsandachten – abhalten. Im Anschluss daran sollten im Dom und anderen 7

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Einladungskarten zur Verfassungsfeier am 11. August 1922 mittags im Reichstag und abends im Staatlichen Schauspielhaus und Antwortschreiben des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, 9. August 1922 (EZA 1/755). Briefwechsel DEKA-Alfred Assmann, 13./25. August 1922, und Tagesordnungsantrag für die Sitzung des Kirchenbundesrates am 15. März 1923 (EZA 1/755).

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Berliner Kirchen Morgengottesdienste gefeiert werden.9 Tatsächlich gab es 1923 entgegen der ersten Absage solche gottesdienstlichen Verfassungsfeiern in der Dreifaltigkeitskirche und der Nicolaikirche in Berlin. Der Präsident des Kirchenausschusses, Reinhard Moeller, hatte sich letztlich doch das Ansinnen des Reichsinnenministeriums zu eigen gemacht und „namens der Reichsregierung“ die Leitungen der evangelischen Landeskirchen gebeten, „auch seitens der Kirchen den Tag entsprechend zu begehen.“10 Treibende Kraft neben dem Kirchenausschuss war der preußische Evangelische Oberkirchenrat, dem Moeller ja ebenfalls vorstand.11 Zum Gottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche wurden der Reichspräsident und der Reichskanzler, preußische Staatsminister und Reichsminister sowie andere hohe Beamte eingeladen – über den Ablauf der Gottesdienste ließ sich nichts in Erfahrung bringen.12 Die vor allem durch die Vergütung für die Organisten angefallenen Kosten in Höhe von 6.840.000 Reichsmark beglich das Reichsinnenministerium.13 Allerdings hatte die staatliche Organisationsregie für Verstimmung gesorgt, als sie eine zentrale Verfassungsfeier für 10.30 Uhr vor dem Berliner Schloss ansetzte. Da der Festgottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche um 9.30 begann, reagierte Präsident Moeller verärgert. Der Gottesdienst selbst war schwach besucht.14 1924 bemühte sich das Reichsinnenministerium wiederum um eine kirchliche Mitwirkung, wenn schon nicht durch eigens angesetzte Gottesdienste, dann doch durch Glockengeläut oder eine Erwähnung des Verfassungstages in den vorhergehenden Sonntagsgottesdiensten – der Verfassungstag selbst fiel auf einen Montag.15 Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss machte sich dieses Anliegen insofern zu eigen, als er es den evangelischen Landeskirchen freistellte, ihm zu folgen. Möglich sollten also Gottesdienste am Verfassungstag, Glockengeläut, Verfassungsgedenken am vorhergehenden Sonntag oder auch öffentliche Ansprachen von Geistlichen bei staatlichen Verfassungsfeiern sein. Als Grund für die kirchliche Beteiligung wurde hervorgehoben, dass die Verfassung die Beziehungen von Staat und Kirche wieder auf eine feste Grundlage gestellt habe. Vor allem aber ging es darum, „daß die Kirche 9 10 11 12 13 14 15

Reichsministerium des Innern an Oberhofprediger Scholz/Evangelischer Oberkirchenrat, 11. Juli 1923 (EZA 1/755). DEKA/Moeller an die deutschen evangelischen Kirchenregierungen, 23. Juli 1923 (EZA 7/3075). Evangelischer Oberkirchenrat an den Gemeindekirchenrat der Nicolaigemeinde, 28. Juli 1923 (EZA 7/3075). Generalsuperintendent von Berlin an den Evangelischen Oberkirchenrat, 1. August 1924 (EZA 7/3075). Reichsminister des Innern an die Reichshauptkasse, 12. September 1923 (EZA 1/755). DEKA/Moeller an das Polizeipräsidium Berlin, [?]. August 1924 (EZA 1/755). Reichsminister des Innern an den DEKA, 1. Juli 1924 (EZA 1/755).



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ihrerseits dazu beträgt, daß der Heimatgedanke vertieft und der Staatsgedanke mit christlichem Geist erfüllt würde, daß die Liebe zum Vaterlande in dieser schweren Zeit immer mehr gestärkt und der Dienst an ihm zur ernsten Pflicht gemacht wird“.16 Diese Formel – die ja wenig mit Verfassung zu tun hat – kam dann in den Rundschreiben der evangelischen Landeskirchen an ihre Gemeinden immer wieder vor. Trotz der deutschnationalen Tendenz dieser Formel erhob sich innerhalb der evangelischen Kirche scharfer Protest. Weite Kreise zog ein offener Brief des Rittergutsbesitzers Hans-Joachim von Brockhusen-Justin. Von Brockhusen war ein typischer nationalkonservativer Protestant, tief im Herzen Monarchist, Patron seiner Kirchengemeinde und Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Für ihn war die Verfassung „das Siegel auf die Verbrechen der Revolution“, was wohl die Abwandlung einer viel zitierten Redewendung des Münchner Erzbischofs Michael von Faulhaber war: Dieser hatte auf dem Münchner Katholikentag 1922 die Novemberrevolution Meineid und Hochverrat genannt und damit auch die Republik gebrandmarkt. Von Brockhusen forderte politische Neutralität ein, aber was er damit meinte, war durch seine politische Haltung nur zu deutlich und auch dadurch, dass er seinen Protest im „Reichsboten“ und in der „Kreuzzeitung“ veröffentlichte, zwei eindeutig dem konservativen, deutschnationalen Spektrum zuzuordnenden Blättern.17 Reinhard Moeller, Präsident des Kirchenausschusses, reagierte auf Brockhusens Attacke durchaus aufgeschreckt: Er verwies darauf, dass die Ausgestaltung des Verfassungstages freigestellt worden sei, und bediente sich zusätzlich eines Argumentes, das in gänzlich unökumenischen Zeiten kaum eines sein konnte. Moeller führte nämlich die Haltung der katholischen Kirche als Vorbild an: Der Fürstbischof von Breslau hatte 1923 den Geistlichen empfohlen, am Verfassungstag ein „feierliches VotivBittamt zur Erflehung des inneren und äußeren Friedens zu veranstalten“.18 Bei dieser Empfehlung blieb es auch in den Folgejahren.19 Die Haltung des Breslauer Bischofs war nicht die eines einzelnen: Der Bischof war Adolf Kardinal Bertram, der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der alle deutschen katholischen Bischöfe bis auf die bayerischen angehörten. Berlin war bis 1930 kein katholischer Bischofssitz, hier gab es nur eine „Delegatur“, also eine Zweigstelle des Bistums Breslau. Aufschlussreich waren über von Brockhusens Protest hinaus die Reaktionen der Landeskirchen, die den Kirchenbund und seinen Kirchenausschuss entgegen seinem eigenen Anspruch kaum als leitendes Organ wahrnahmen. Der kirchliche Föderalis16 DEKA an die evangelischen Kirchenregierungen, 17. Juli 1924 (EZA 1/755, auch 7/3075). 17 Von Brockhusen an den DEKA/Moeller, 26. August 1924 (EZA 1/755, Abschrift 7/3075). 18 Gottesdienstliche Feier am 11. August (Zeitungsausschnitt), DEKA/Moeller an die evangelischen Kirchenregierungen, 22. September 1924 (EZA 1/755) 19 Zeitungsauschnitte 1928 (EZA 1/755).

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mus entsprach nur dem staatlichen: 1924 gab es in Württemberg und Bayern keine staatlichen Feiern zum Verfassungstag und somit auch keine kirchlichen. Manche Landeskirchen, so die in Sachsen und Thüringen, hatten andererseits eine direkte Aufforderung ihrer Landesregierungen erhalten, sich an den Feiern zu beteiligen. Die meisten Landeskirchen gaben die Empfehlung des Kirchenausschusses als eigene Verordnung an ihre Geistlichen weiter, die nun also zusammen mit den Kirchenvorständen selbst entscheiden konnten, welchen Rang sie dem Anlass einräumen wollten. Zahlreich waren die Berichte über negative Reaktionen: Die Gottesdienste zum Verfassungstag in Hannover und Berlin waren schwach besucht, aus Sachsen, Thüringen, Hamburg, der Pfalz und Braunschweig kamen Beschwerden über derlei Feiern. Die Thüringische Landeskirche erklärte daraufhin, dass kein Gewissenszwang herrsche und man künftig keine kirchlichen Verfassungsfeiern mehr abhalten werde. In Sachsen protestierten die Militärvereine heftig.20 Einzelne Landeskirchen sandten Berichte ein, die diese Befunde illustrieren. Begeisterung wurde nicht verzeichnet, eher das Bemühen der Pfarrerschaft, dem staatlichen Wunsch zu entsprechen, hatten die Kirchenleitungen in ihren Rundschreiben die kirchliche Feier des Verfassungstages doch vor allem als Wunsch der Reichsregierung oder des Reichsinnenministers propagiert.21 Die Begeisterung dürfte auch dadurch gedämpft worden sein, dass der kirchenfeindliche Geist der Novemberrevolution in manchen deutschen Staaten, Sachsen, Thüringen und Braunschweig etwa, immer noch lebendig war. Umgekehrt war die Beteiligung von Repräsentanten des Staates an Verfassungsgottesdiensten ebenfalls gering.22 An den Festakten zum Verfassungstag in Berlin nahmen Vertreter des Kirchenausschusses in den folgenden Jahren regelmäßig teil. Man ging vormittags in den Reichstag und hörte abends Wagner, Beethoven, Händel und Bruckner, dirigiert von Kleiber und Furtwängler, sowie Festansprachen von Ministern.23 Dies blieb nicht ohne kirchendiplomatische Verwicklungen: Im Reichstag waren für die Kirchenvertreter keine Plätze reserviert, wie 1926 in einem Aktenvermerk festgehalten wurde. Als dann 1928 Plätze reserviert waren, saßen die Vertreter des Fürstbischofs von Breslau in der ersten Reihe, die der evangelischen Kirche in der zweiten.24 Das im Folgejahr 1929 abgeschlossene Konkordat des Heiligen Stuhles mit Preußen, das auch das Bistum Berlin errichtete, warf schon seine Schatten voraus; ein Vertrag zwischen Preußen und der evangelischen Kirche wurde erst 1931 abgeschlossen. 1929 wurde die Platzfrage 20 Die Antworten der Landeskirchen (EZA 1/755). 21 Schreiben zu Az. K.A. 2020 II (EZA 1/755). 22 Evangelischer Landeskirchenrat Frankfurt/Main an den Evangelischen Oberkirchenrat Berlin, 18. August 1927 (EZA 7/3075). 23 Einladungskarten und Programme zu den Feiern 1925, 1926, 1927 und 1928 (EZA 1/755). 24 Vermerke September 1926 und August 1928 (EZA 1/755).



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dann so gelöst, dass je ein Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche in der ersten Reihe der Abgeordnetenbänke sitzen durfte.25 Die zwiespältige Haltung der evangelischen Kirche zum Verfassungstag gab dem Sprachrohr der SPD, dem „Vorwärts“, immer wieder Gelegenheit, ihre zwiespältige Haltung zur Republik überhaupt anzugreifen.26 1928 wurde diese Haltung besonders deutlich sichtbar. In diesem Jahr hatte der Berliner Magistrat die Berliner Gemeinden darum gebeten, die Verfassungsfeiern durch Geläut und Beflaggung zu unterstützen. Die Kirchenleitung, zuständig war hier das Konsistorium der Mark Brandenburg, verwies ihn an die Gemeinden, die darauf kaum reagierten.27 Die mangelnde Resonanz wurde von Günther Dehn, einem zu dieser Zeit sehr bekannten und als Pazifisten umstrittenen Theologen, in der „Vossischen Zeitung“ kritisiert: Die Kirche tue nur so, als sei sie unpolitisch, in Wirklichkeit beteilige sie sich aus politischen Gründen nicht an den Feierlichkeiten, wohingegen sie bei allen Feiern mit nationaler Grundierung wie dem Volkstrauertag sehr beteiligt sei.28 Gegner einer kirchlichen Beteiligung an den Verfassungsfeiern wiederum wiesen auf die Vereinnahmung der Kirche durch den Staat hin, die es nicht mehr geben dürfe.29 Bei den Feiern zum zehnten Jahrestag der Verfassung war eine kirchliche Beteiligung noch einmal besonders gefragt, zumal der 11. August 1929 auf einen Sonntag fiel. Der Verfassungstag war in diesem Jahr auch besonders heftig umstritten, so dass die die Republik tragenden Kräfte Grund hatten, sich des Rückhalts der Kirchen zu versichern. Im Reichstag war der Antrag, den Verfassungstag zum Nationalfeiertag zu erheben, wieder einmal gescheitert, der Reichstag hatte überdies die Mittel für die staatlichen Verfassungsfeiern erheblich zusammengestrichen.30 Reichskunstwart Redslob plante nach dem Vorbild des französischen Nationalfeiertags dennoch große Festlichkeiten, zu denen Gottesdienste ganz selbstverständlich gehörten. Dabei gab es nicht einmal genug schwarz-rot-goldene Fahnen, um die Straßen zu beflaggen.31 Am 19. März 1929 fand ein Gespräch zwischen Vertretern des Reichsinnenministeriums, des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses und des Breslauer Bi25 Hosemann an Präsident Kapler, 29. Juli 1929 (EZA 1/755). 26 Georg Wawrzyn: Kirche und Republik. Betrachtungen eines Christen, in: Vorwärts, 21. August 1928 (EZA 1/755). 27 Kurt Nowak: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Göttingen, 2. Aufl. 1988, S. 177f. 28 Günther Dehn: Lehren des Verfassungstages, in: Vossische Zeitung, 16. August 1928 (EZA 1/755). 29 Druck auf die Freiheit der Kirche, in: Der Tag, 11. August 1928 (EZA 1/755). 30 Jasper, Der Schutz der Republik (vgl. Anm. 2), S. 233f. 31 Weber, Verfassungsfeiern in der Weimarer Republik (vgl. Anm. 3), S. 194f; Stuhrmann, Edwin Redslob (vgl. Anm. 1), S. 54.

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schofs statt. Die Ministerialbeamten unterließen nicht den Hinweis darauf, dass die katholische Kirche den Verfassungstag in den letzten Jahren immer mitgefeiert habe, die evangelische Kirche aber nicht. Die Vertreter des Kirchenausschusses konterten damit, dass die Gottesdienste zum Verfassungs­tag in Berlin mangels Beteiligung der Bevölkerung und der Behördenvertreter aufgegeben worden seien. Katholischerseits konnte schon angekündigt werden, dass es einen Festgottesdienst in der Berliner Hedwigskirche – der künftigen Kathedrale – geben werde, die Ministerialbeamten schlugen daraufhin eine evangelische Parallelfeier im Dom vor. Das allerdings konnten die evangelischen Vertreter nicht zusagen und verwiesen auf die bewährte Dreifaltigkeitskirche. Das Ergebnis des Gesprächs war immerhin, dass der Kirchenausschuss den evangelischen Landeskirchen empfehlen wollte, „des Verfassungstages besonders zu gedenken“, indem in größeren Orten eigene Festgottesdienste angesetzt würden und ansonsten im Sonntagsgottesdienst des Verfassungstages gedacht würde. Eine ähnliche Empfehlung wollte Kardinal Bertram aussprechen. Im Gegenzug sollte der Sonntagvormittag am 11. August möglichst von weltlichen Feiern freigehalten werden.32 Als der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss bei seiner Vollversammlung am 31. Mai und 1. Juni 1929 die Frage einer kirchlichen Beteiligung an den Verfassungsfeiern beriet, wurde von Wilhelm Kahl hervorgehoben, dass die Verfassung eine feste Grundlage des Verhältnisses von Staat und Kirche sei. Kahl sah in einer kirchlichen Beteiligung aber auch einen „pädagogischen Gedanken“: „Wir müssen mit kirchlichen Mitteln doch eine innerliche Versöhnung erstreben.“33 Das Ergebnis des Gespräches vom März wurde auf Beschluss der Vollversammlung des Kirchenausschusses von seinem Präsidenten – inzwischen war dies Hermann Kapler – an die Landeskirchen weitergegeben. Dabei wurde zusätzlich hingewiesen auf die „Vaterländische Kundgebung“ des 1927 in Königsberg abgehaltenen Kirchentages.34 Diese Kundgebung hatte die Überparteilichkeit der Kirche betont, ließ sich aber zugleich als Anerkennung der Republik verstehen, und so hatte Wilhelm Kahl auf dem Kirchentag auch gesprochen.35 Die Landeskirchen verfuhren mit der Anregung, sich an den Verfassungsfeiern zu beteiligen, wie 1924 und stellten den Gemein32 Bericht über eine Besprechung im Reichsministerium des Innern betreffend Feier des 10. Verfassungstages am Dienstag, den 19. März, vormittags 11 Uhr, sowie weitere Vermerke und Rundschreiben (EZA 1/755). 33 Auszug aus der Verhandlungsniederschrift des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, 31. 5./1. 6. 1929 (EZA 1/755). 34 DEKA/Kapler an das Reichsministerium des Innern, 17. Juni 1929 (EZA 7/3076). 35 Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik (wie Anm. 27), S. 173–177; Jonathan R. C. Wright: „Über den Parteien“. Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918–1933, Göttingen 1977, S. 88f.



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den frei, wie sie den Tag begehen wollten. Der Wunsch des Reichsinnenministers spielte zur Begründung wiederum eine wichtige Rolle.36 Am Verfassungstag des Jahres 1929 fand ein evangelischer Festgottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche statt und also tatsächlich nicht im Dom. Der letzte Grund dafür war eine Feier des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold im Lustgarten vor dem Dom, die gegen die Verabredung im März zur Gottesdienstzeit stattfand.37 Auch andernorts kam es zu solchen zeitlichen Kollisionen.38 Den Gottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche hielt der Berliner Generalsuperintendent Emil Karow. In seiner Predigt sagte er über die Verfassung, sie sei das, was „unserem Volk in den zehn Jahren das gesichert habe, daß es wieder eine Rechtsgemeinschaft, ein Staat geworden sei“.39 Anwesend waren Reichspräsident Hindenburg, Reichswehrminister Groener und der preußische Kultusminister Becker.40 Mit Hindenburg – der im übrigen häufig den Sonntagsgottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche besuchte – war eine zentrale Identifikationsfigur für den deutschnationalen Protestantismus gewonnen, unter seiner Präsidentschaft wuchs allgemein die Beteiligung an den Verfassungsfeiern.41 Ein Bericht über den Gottesdienst, verfasst allerdings von dem Religiösen Sozialisten Paul Piechowski, kritisierte, dass man Gesangbuchlieder sang, die immer noch unter der Überschrift „am Geburtstag des Landesherrn“ standen. Man hätte doch, so Piechowski, lieber „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ singen sollen oder „Wir werben im Sterben um ferne Gestirne“ – Text: Kurt Eisner. Vor allem fehlte es an einem liturgischen Konzept für einen Verfassungsgottesdienst. Die Predigt empfand Piechowski nicht als klares Bekenntnis zur Republik. Darum, so seine Beobachtung, hätten sich nach der Predigt mit lautem Getöse die Emporen der Kirche geleert.42 Die Reaktionen in der Presse auf die kirchliche Beteiligung wurden wie auch schon im Vorjahr sorgfältig vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss ausgewertet.43 Wohlwollend waren Wertungen wie die der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“: „Die Kirche gibt dem Staat, was des Staates ist“, ablehnend eine wie die der „Deutschen Zeitung“: „dass in den besten deutsch-christlichen Herzen das Vertrauen 36 Rundschreiben und Amtsblätter der Landeskirchen (EZA 1/755). 37 Dom-Kirchen-Kollegium an den Evangelischen Oberkirchenrat, 15. Juli 1929, und Preußischer Evangelischer Oberkirchenrat an DEKA, 20. Juli 1929 (EZA 1/755). 38 DEKA an die obersten Kirchenbehörden der Landeskirchen, 25. Juli 1929 (EZA 1/755). 39 Zeitungsausschnitt (EZA 7/3076, Bl. 99). 40 Zeitungsausschnitt (EZA 7/3076, Bl. 100). 41 Weber, Verfassungsfeiern in der Weimarer Republik (vgl. Anm. 3), S. 207. 42 Paul Piechowski: Die kirchliche Verfassungsfeier in Berlin, in: Zeitschrift für Religion und Sozialismus Heft 5 (1) 1929, S. 34–39 (S. 31–39). 43 Zu 1928: EZA 7/3035, Bl. 155–180. Zu 1929: EZA 1/757.

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zu den Verwaltern des Erbes Luthers durch derartige Maßnahmen tief erschüttert“ werden könne.44 Die Kirche, so eine andere Stimme, sollte sich nicht die Sache einer Partei zu eigen machen, wo die Verfassung doch schweres Unrecht, das des Versailler Vertrages nämlich, sanktioniere.45 Der Autor dieses Artikels war Detlev von ArnimKröchlendorff, wie von Brockhusen-Justin ein Exponent des deutschnationalen Protestantismus – später im übrigen ein Mann der Bekennenden Kirche –, und er war nicht der einzige, der öffentlich oder brieflich protestierte.46 Ausgewertet wurden 1929 ebenfalls Berichte aus den Landeskirchen zu den Gottesdiensten, die etwa so ausfielen wie 1924. Ein besonderer Gesichtspunkt war die Frage nach zeitgleichen weltlichen Feiern – diese Konkurrenz war auch außerhalb Berlins recht häufig. In der Regel fanden keine besonderen Gottesdienste statt, Behördenvertreter nahmen da, wo es solche gab, eher selten daran teil.47 Das „Berliner Tageblatt“ veröffentlichte den Leserbrief eines Kirchenvorstandsmitglieds der Charlottenburger Trinitatisgemeinde, in dem dieser die schwache kirchliche Beteiligung am Verfassungstag als Gefahr für den Frieden zwischen Staat und Kirche ansah, während der Staat mit der katholischen Kirche in einem viel besseren Verhältnis stand.48 Dabei war an der Trinitatiskirche ein Pfarrer tätig, der sich im Gottesdienst engagiert für die Verfassung und die Republik einsetzte: Dies war August Bleier, einer der wenigen Pfarrer, die der SPD angehörten.49 Tatsächlich musste die evangelische Kirche in Preußen nun sehen, dass sie mit dem Staat in ein ähnliches Rechtsverhältnis trat wie die katholische. Das Bemühen der Kirchenvertreter, den Staat bei der Feier des Verfassungstages zu unterstützen, konnte in diesem Sinne verstanden werden.50 Angesichts der innerkirchlichen Zerwürfnisse in dieser Sache fiel das kirchliche Engagement für die Verfassungsfeiern 1930, 1931 und 1932 gering aus. 1930 machte sich zugleich ein gewisser Druck von Seiten des Staates bemerkbar, der schon 1929 spürbar gewesen war: Dieser Druck wurde auf die kirchlichen Jugendverbände ausgeübt, denen man bei Nichtteilnahme an den Verfassungsfeiern mit der Streichung staat44 Zeitungsausschnitt (EZA 7/3076, Bl. 59). 45 Zeitungsausschnitt (EZA 7/3076, Bl. 102. 111). 46 EZA 7/3076, Bl. 119–205. Zu Arnim-Kröchlendorff vgl. Christoph Weiling: Die „Christlich-deutsche Bewegung“. Eine Studie zum konservativen Protestantismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1998, S. 64. 82f. 47 Vermerk 29. August 1929 (EZA 1/755). 48 Zeitungsausschnitt (EZA 7/3076). 49 Piechowski, Die kirchliche Verfassungsfeier in Berlin (vgl. Anm. 42), S. 34. Zu Bleier: Siegfried Heimann/Franz Walter: Religiöse Sozialisten und Freidenker in der Weimarer Republik, Bonn 1993, S. 232–234. 50 Piechowski, Die kirchliche Verfassungsfeier in Berlin (vgl. Anm. 42), S. 32.



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licher Zuschüsse drohte.51 Unmut erregte 1931, dass der preußische Kultusminister Adolf Grimme die Einladung zu den Verfassungsfeiern adressierte „an die katholischen und die evangelischen Kirchenbehörden und an die jüdischen Landesverbände“52 – evangelischerseits fühlte man sich wieder einmal zurückgesetzt, und das kurz nach dem endlich gelungenen Abschluss des Vertrages zwischen dem preußischen Staat und den auf seinem Gebiet liegenden evangelischen Landeskirchen.

4. Verfassungsfeiern im Vergleich: Staat und Kirche Die Verfassungsfeiern fanden nur geteilte Akzeptanz – dies gilt für Politik und Gesellschaft der Weimarer Zeit ebenso wie für die Kirchen. Selbst Versuche, die Feiern unter deutschnationaler Konnotation, etwa angesichts der Ruhrkrise 1923, akzeptabler zu machen, fruchteten nicht. Die Feiern wurden nicht gänzlich ignoriert, etablierten sich sogar, aber sie erzeugten das nicht, was man von ihnen erwartete: Sie waren, so der preußische Ministerpräsident Otto Braun, eine „frostige, befohlene Angelegenheit“.53 Für die Choreographie der staatlichen Feiern war über die Jahre Edwin Redslob zuständig geblieben, der einen Dreiklang von Feier im Reichstag, Massenaufmarsch und Sportwettkämpfen entwickelte, damit aber nichts Neues erfand, sondern auf die Formen des Kaiserreiches zurückgriff.54 Ein Vergleich der Verfassungsfeiern in Staat und evangelischer Kirche scheint auf den ersten Blick nur asymmetrisch möglich: Die Kirche war durch die Weimarer Reichsverfassung vom Staat geschieden, wenn auch nicht radikal von ihm getrennt. Insofern wurde sie eben doch wie eine staatsnahe Institution behandelt. Die Landeskirchen reagierten nicht anders als die deutschen Länder, nämlich sehr unterschiedlich,55 und der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss versuchte einen Balanceakt zwischen den politischen Anforderungen und den massiven deutschnationalen Einsprüchen prominenter Protestanten. Hier zeigte sich eine deutliche Asymmetrie zur Politik: Dort waren die republikfreundlichen Kräfte zwar auch nicht mächtig genug, den Verfassungstag als staatlichen Feiertag zu etablieren, sie waren 51 Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt Hannover an den preußischen Innenminister, 18. Oktober 1930 (EZA 7/3077). 52 Der Vorsitzende der Kirchenregierung Kassel an den Evangelischen Oberkirchenrat Berlin, 28. Juli 1931 (EZA 7/3077). 53 Jasper, Der Schutz der Republik (vgl. Anm. 2), S. 237. 54 Stuhrmann, Edwin Redslob (vgl. Anm. 1), S. 41f. 52f. 55 Jasper, Der Schutz der Republik (vgl. Anm. 2), S. 235.

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dort aber bedeutend stärker als in der Kirche, wo liberale und linke Kräfte kaum zu Wort kamen. Abschließend soll darum, um wenigstens eine sektorielle Symmetrie zu erreichen, auf die Positionierung des schmalen liberalen, teils auch politisch-liberalen Sektors im deutschen Protestantismus eingegangen werden. Das wichtigste Organ des liberalen Protestantismus war die Zeitschrift „Die Christliche Welt“, die von dem Marburger Theologen Martin Rade herausgegeben wurde. In unregelmäßigen Abständen klang das Thema der Verfassungsfeiern in der Zeitschrift an. So zitierte Rade 1926 einen Leserbrief, in dem sich jemand darüber beklagte, es habe in seinem Urlaubsort keine Verfassungsfeier gegeben: „Kein Mund, keine Hand, keine Fahnenstange rührte sich. […] Wie die Christen in den Katakomben gedachten wir ganz heimlich, aber um so zuversichtlicher an die Grundlegung unsres Staats. Wann werden die Kirchen, die evangelischen Kirchen begreifen, was für ethische Momente aus der Weimarer Verfassungsurkunde herauszuholen sind?“ Dazu lautete Rades Kommentar: „Und der heutige Staat kann ja gar nicht zu Ruhe und innerm Bestande kommen, wenn die Kirchen sich mit seiner Verfassung nicht befreunden, wenn sie ihr wohl gar entgegenarbeiten, statt sie in der Volksseele tiefer zu gründen.“56 1928 berichtete das Blatt kommentarlos über das Ersuchen des Berliner Magistrats, am Verfassungstag die kirchlichen Gebäude mit Fahnen in den Reichsfarben zu schmücken, und ebenso über das ernüchternde Ergebnis.57 Als der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss 1929 beschloss, den Landeskirchen eine kirchliche Feier des Verfassungstages zu empfehlen, wurde dies von Martin Rade selbstredend zustimmend kommmentiert: „Am 11. August aber gedenken wir dankbar der Verfassung, die unser Volk in einer harten, wilden Zeit sich zu geben von Gott befähigt worden ist. Kein Wunderwerk für die Ewigkeit, aber ein Wunderwerk, wenn wir erwägen, wie es damals in und um uns stand.“58 Rade argumentierte von einer Position her, die nicht von freundlicher oder unfreundlicher Neutralität, sondern von entschiedener Zustimmung zur Verfassung und zur Republik geprägt war. Dabei verwahrte er sich gegen den Vorwurf, dies entspreche nur seinem Parteiinteresse, war er doch zugleich liberaler Politiker. Vielmehr versuchte er Plausibilität dadurch zu erreichen, dass er die typische lutherische Staatsethik, die im Staat etwas Gutes sah, in die neue Zeit hinein übersetzte: „Denn mein Staat kann den Tribut von Innerlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Berufsfreudigkeit, den allein die Kirche aus dem Schatz ihrer Frömmigkeit ihm zu geben vermag, nicht entbehren.“59 56 57 58 59

Kleine Mitteilungen, in: Die Christliche Welt H. 17 (40) 1926, Sp. 879. Wöchentliche Chronik, in: Die Christliche Welt H. 17 (42) 1928, Sp. 829. Martin Rade: Zum Verfassungstage, in: Die Christliche Welt H. 15 (43) 1929, Sp. 744. Ebd., Sp. 744.



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Noch entschiedenere Unterstützer des Verfassungstages lassen sich in der evangelischen Kirche nur auf ihrem schmalen linken Rand ausmachen, bei den Religiösen Sozialisten. Einen Einblick in einen ungewöhnlichen Gottesdienst im Jahre 1929 in der Provinz liefert ein Artikel aus dem „Berliner Tageblatt“: Der Berichterstatter hatte einen Verfassungsgottesdienst in dem Dorf Zeuthen erlebt und dabei einen Prediger, der die Verfassung im christlichen Sinne positiv deutete, auch als Aufruf zur Völkerversöhnung. „Wenn so am Sonntag vormittag von allen Kirchenkanzeln gesprochen wurde“, so der Autor des Artikels, „dann ist die Republik wieder ein Stück vorwärts gekommen“.60 Dies aber war eben nicht der Fall, wie der Religiöse Sozialist Paul Piechowski, selbst Pfarrer in der Arbeitergemeinde Neukölln, vermerkte: „Ach, die Kanzeln krachten förmlich unter der Wucht, mit der in Vergangenheit und Gegenwart der Gewaltgeist von Potsdam gepredigt wurde.“61 Die verordneten Feiern erreichten ihr Ziel nicht, ihre Popularisierung misslang, vielleicht auch deshalb, weil sie zu wenig volkstümlich waren. Ebenso misslang der Versuch, die Kirchen sozusagen als zivilgesellschaftliche Akteure heranzuziehen. Der Verfassungstag war nicht in den Herzen und Köpfen zu verankern – ebensowenig wie der 23. Mai heutzutage, könnte man einwerfen.

60 Zeitungsausschnitt (EZA 7/3076). 61 Piechowski, Die kirchliche Verfassungsfeier in Berlin (vgl. Anm. 42), S. 32. Zu Piechowski vgl. Heimann/Walter, Religiöse Sozialisten und Freidenker (vgl. Anm. 49), S. 168f u.ö. (Namensregister).

Vergleiche in der europäischen Zeitgeschichte Annäherungen über politische Feste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

von Christoph Kühberger

1. Annäherungen Versteht man geschichtswissenschaftliche Erkenntnistheorie als theoretische Grundlage für einen intersubjektiv nachvollziehbaren Forschungsprozess, so wird man nicht umhin kommen, auch auf einer Metaebene über den Vergleich als Methode der Geschichtswissenschaft zu reflektieren. Im vorliegenden Fall wird dies anhand eines kulturellen Vergleiches der politischen Feste im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland demonstriert, um einige der sich dabei ergebenden Vergleichsfälle und -typen vorzustellen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist jedoch, ob es sich bei einem solchen Partialvergleich zwischen dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus überhaupt um einen zulässigen Vergleich handelt oder ob der Versuch nicht zwangsläufig am kulturwissenschaftlich gewendeten Galton-Problem scheitern müsse, da es sich schließlich um Vergleichseinheiten handelt, die sich ab einem bestimmten Zeitpunkt in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wechselseitig beeinflussten.1 Man wird daher aufgrund der eindeutigen Forschungslage transkulturelle Flows zwischen Italien und Deutschland nicht verschweigen,2 sondern sie zum Thema einer vernetzungsgeschichtlichen Reflexion machen. Die Nation wird auf diese Weise nicht stillschweigend als 1 2

Vgl. Ludolf Herbst: Komplexität und Chaos. Grundzüge einer Theorie der Geschichte, München 2004, S. 94f. Vgl. u.a. Literatur zu Kulturtransfer zwischen Italien und Deutschland – Wolfgang Schieder: Das italienische Experiment. Der Faschismus als Vorbild in der Krise der Weimarer Republik, in: HZ 262 (1996), S. 73–125. – Sven Reichhard/Armin Nolzen (Hrsg.): Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich, Göttingen 2005. – Sabine Behrenbeck/Alexander Nützenadel (Hrsg.): Inszenierung des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000.

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eine geschlossene Einheit betrachtet, sondern als Ort, an dem auch Überschneidungen stattfinden. Alles andere wäre nach Jürgen Osterhammel unter neuzeitlichen Bedingungen von interkultureller Beeinflussung und Begegnung, Überlagerung und Vermischung eine Chimäre.3 Mit Marc Bloch könnte man deshalb im hier besprochenen Fall wohl von einem Vergleich zwischen zeitgenössischen, benachbarten und in enger Austauschbeziehung miteinander stehenden Gesellschaften verwandter Herkunft sprechen.4 Die Geschichtswissenschaft diskutiert dies heute unter „histoire croisée“ oder „transkultureller Geschichtsschreibung“, Zweige, die sich aus der kulturwissenschaftlichen und historischen Komparatistik bzw. der Transferforschung entwickelten und zu einer der produktivsten Forschungsperspektiven des letzen Jahrzehntes avancierten.5 Im Folgenden wird (2.) nach einer Diskussion des „Festes“ als „tertium comparationis“, (3.) auf numerische Vergleiche sowie (4.) auf gleichförmige und transkulturelle Entwicklungen rund um politische Feste eingegangen.

2. Das Fest als „tertium comparationis“ Das „tertium comparationis“ ist im hier diskutierten Fall das Fest. Es handelt sich daher hier nicht um einen „scholastischen Vergleich“ (M. Maurer), sondern – wenn man in der Sprache der Kulturgeschichte bleiben will – um einen anthropologischen. Nicht ein sozialwissenschaftlich gesetztes Konstrukt stellt den Vergleichspunkt zwischen den beiden Regimes dar, das sich bereits a priori einer kontextbezogenen Kritik per Setzung entzieht. Vielmehr handelt es sich um einen Vergleichspunkt, der sich erst im historischen Prozess bzw. in der historischen Situation konstituiert, ohne dass ihm im Voraus ein geschlossenes und einheitliches Konzept zu Grunde liegt. Feste stellen in jeder Kultur einen Teil der menschlichen Praxis dar, wodurch man durchaus von einer „universalen Variantenanalyse“ sprechen könnte. Es handelt sich dabei um einen Vergleich von menschlichen Praktiken oder kultureller Institutionen, die in 3

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Jürgen Osterhammel: Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft, in: Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka (Hrsg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse national vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt/Main – New York 1996, S. 271–313, S. 274. Marc Bloch: Pour une historie comparée des sociétés européennes, in: Revue de synthèse historique 1928. – Deutsche Fassung: Marc Bloch: Für eine vergleichende Geschichtsbetrachtung der europäischen Gesellschaften, in: Matthias Middell/Steffen Sammler (Hrsg.): Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten. 1929–1992, Leipzig 1994. S. 121–167. Vgl. Gunilla Budde/Sebastian Conrad/Oliver Janz (Hrsg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006.



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vielen, wenn vielleicht nicht sogar in allen Teilen der Welt auffindbar sind, und daher auch nicht als kulturspezifisch zu klassifizieren sind. Ein Nahverhältnis zur empirischanalytischen Ethnologie ist daher auch kaum zu leugnen, wenngleich in diesem hier vorgestellten Fall keine Typologisierung angestrebt wird.6 Auffällig ist jedoch, dass ein universal-ethnologisches Konzept, wie „Fest“, eine andere Qualität besitzt als die vom Sozialhistoriker Jürgen Kocka geforderten „klaren, scharf definierten Begriffe mittlerer Abstraktionshöhe: Begriffe, die abstrakt genug sind, um die Verschiedenheit des Verglichenen zu überspannen, aber nicht abstrakter als zu diesem Zweck nötig.“7 Strukturkonzepte, die Jürgen Kocka oder Hartmut Kaelble für triftige Vergleiche vorsehen, wären u.a. Faschismus, Bürokratie, Industrialisierung.8 Das Konzept „Fest“, verstanden in seiner ethnologisch-anthropologischen Dimensionierung, präjudiziert wenig und gibt vor allem keine strukturellen Entwicklungen implizit vor, wie dies etwa sozioökonomische Universaltheoreme (u.a. Modernisierung, soziale Mobilisierung) machen.9 Im Sinn der Neuen Kulturgeschichte, die im Bereich der Festforschung eine intensive Rezeption der Anthropologie und Ethnologie/Volkskunde betreibt, wird dabei kein theorieförmiges Explikationsschema als „tertium comparationis“ vorausgesetzt, welches als ein aus der Gegenwart generiertes Verständnis von Wirklichkeit kritisiert wird, sondern es wird versucht den Eigensinn und die Differenzqualität der Vergangenheit(en) für das historische Verstehen heranzuziehen.10 Auch wenn gerade politische Feste durch ihre detaillierte Planung und ideologische Überfrachtung bestimmte kulturübergreifende Konstanten einschränken, zeigt sich immer wieder, dass anthropologische Elemente wie Geselligkeit, Ritualität, Teilnahme, symbolische Aufhebung der Ordnung o.ä. auch dort zum Grundmuster gehören.11 Wonach daher gefragt wird, ist die Umsetzung bzw. Ausprägung eines in 6 7

Osterhammel, Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft (vgl. Anm. 3), S. 285f. Jürgen Kocka: Probleme einer europäischen Geschichte in komparativer Absicht, in: Jürgen Kocka, Geschichte und Aufklärung, Göttingen 1989, S. 21–28, S. 26f. 8 Vgl. Hartmut Kaelble: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main – New York 1999, S. 49f. 9 Vgl. Stephan Fuchs/Matthias Wingens: Sinnverstehen als Lebensform. Über die Möglichkeit hermeneutischer Objektivität, in: Geschichte und Gesellschaft 4/1986, S. 477–501, S. 477. 10 Vgl. Friedrich Jäger: Geschichtstheorie, in: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Geschichte, Hamburg 1998, S. 724–756, S. 725. 11 Vgl. u.a. Vittorio Lanternari: La grande festa. Vita rituale e sistemi di produzione nelle società tradizionali, Bari 1956. – Wolfgang Kaschuba: Einführung in die europäische Ethnologie, München 20063, S. 179ff. – Christoph Kühberger: Muttertag unterm Hakenkreuz – volkstümliches oder politisches Fest?, in: Oberösterreichische Heimatblätter 1/2002, S.  29–48. – Christoph Kühberger: Braune Weihnacht. Die nationalsozialistische Vereinnahmung des Weihnachtsfestes, in: Lucia Luidold/Ulrike Kammerhofer-Aggermann (Hrsg.): Bräuche im

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allen Kulturen beobachtbaren Phänomens unter bestimmten historischen Voraussetzungen. Der Vergleich zwischen Italien und Deutschland soll dabei dazu beitragen, Ähnlichkeiten und Unterschiede im Kontext der Vergangenheit festzustellen und zu erklären, um über eine nicht zu ignorierende Multiperspektivität in den italienischen und deutschen Quellen und in der internationalen Forschungsliteratur (bzw. in den italienischen und deutschen Forschungstraditionen) zu kulturellen Bedingtheiten zu gelangen, die es ermöglichen, politische Feste differenzierter wahrzunehmen. Der Vorteil der komparativen Methode in der Geschichtswissenschaft besteht nach Christoph Conrad/Sebastian Conrad nämlich gerade darin, dass sie einen verfremdeten Blick ermöglicht, der die Beobachtung des Beforschten durch die Linse eines Vergleichsfalls impliziert, wodurch sich u.a. die Bewertung bekannter Phänomene ändern kann. Ein expliziter und systematischer Vergleich kann daher durch die Dynamik und die unvorhersehbare Entwicklung des Forschungsprozesses dazu führen, „dass sich durch neue Fragestellungen, Ansätze oder Quellen gewissermaßen der Gegenstand selbst verändert.“12 Im hier vorgeführten Fall meint dies nicht nur ein Sprengen eines nationalstaatlichen Narratives, sondern auch eine Schärfung desselben zwischen dem Sichtbarmachen von regionalen bzw. nationalen Besonderheiten und transnationalen Verstrickungen. Wie im Folgenden gezeigt wird, ist es dabei nicht nur vom „tertium comparationis“ – hier eben dem politischen Fest – abhängig, ob ein Vergleich als Methode einen Erkenntnisfortschritt bringt, sondern auch von den Fragestellungen, die man im Rahmen des Vergleiches einbringt.

3. Zählen Vergleiche in der historischen Forschung sind dort am einfachsten zu realisieren, wo zwei Zeitpunkte und ein „tertium comparationis“ miteinander verglichen werden. Verfügt man darüber hinaus über wenig angreifbare Container, wie etwa den Nationalstaat, dann gelingt es sogar a prima vista eine gewisse Triftigkeit aufzubauen. Die Ergebnisse erscheinen präzise und klar umrissen. Vergleicht man etwa die quantitative Entwicklung der politischen Feste in einem politischen System, ergeben sich eindeutige Einsichten über Umfang und Dynamik. Wenn man sich also fragt, ob der italienische Faschismus zwischen 1922 und 1943 Salzburger Land, Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen. CD-Rom 1: „Im Winter und zur Weihnachtszeit“. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 13), Salzburg 2002. o. S. 12 Christoph Conrad/Sebastian Conrad: Wie vergleicht man Historiographien? in: Conrad Christoph/Sebastian Conrad (Hrsg.): Nationen schreiben, Göttingen 2002, S. 11–45, S. 14.



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seinen offiziellen Feiertagskalender mit politischen Festen auffettete, zeigt sich, dass imDa faschistischen Regime Italiens die Anzahl der weltlichen Feiertage und damit der der frühe Faschismus auch antiklerikal eingestellt war, sollte man auch die in denselben potentiellen Tage für die Veranstaltung von politischen Festen seit der MachtüberGesetzen verankerten und geregelten religiösen Feiertage nicht außer Acht lassen. Im nahme (1922) von drei weltlichen Feiertagen bis zur letzen gesetzlichen Reform des Vergleich zwischen den weltlichen und den geführten römisch-katholischen Feiertagen kann Feiertagskalenders (1941) auf 12 anstieg.13 Da der frühe Faschismus auch antiklerikal man erkennen, dass die propagierte Kirchenfeindlichkeit der Faschisten sich nicht im eingestellt war, sollte man auch die in denselben Gesetzen verankerten und geregelten gesetzlichen Feiertagskalender zeigte. Bereits bei der ersten Reform unter faschistischer religiösen Feiertage nicht außer Acht lassen. Im Vergleich zwischen den weltlichen (1923) ist zu erkennen, dass sowohl mehr kirchliche als auch weltliche Feiertage undHerrschaft den geführten römisch-katholischen Feiertagen kann man erkennen, dass die eingeführt wurden. Erst durch das Dekretieren zweier weiterer Feiertage 1925 (Jahrestag der propagierte Kirchenfeindlichkeit der Faschisten sich nicht im gesetzlichen FeiertagsEntdeckung Amerikas) des Marsches Rom) überholten die weltlichen kalender zeigte. Bereitsund bei1926 der(Jahrestag ersten Reform unterauffaschistischer Herrschaft (1923) die kirchlichen – ein Zustand, der bis an das desweltliche Regimes soFeiertage bleiben sollte, ist Feiertage zu erkennen, dass sowohl mehr kirchliche alsEnde auch eingeführt wenngleich Unterzeichnung der Lateranverträge zwischen dem Hl. Stuhl und dem wurden. Erstdiedurch das Dekretieren zweier weiterer Feiertage 1925 ( Jahrestag der italienischenAmerikas) Königreich 1929 einem( Jahrestag leichten Anstieg der kirchlichen führte. Entdeckung undzu1926 des Marsches aufFeiertage Rom) überholten die Insgesamt kam es in den Regierungsjahren des Faschismus zu einer Steigerung der Feiertage weltlichen Feiertage die kirchlichen – ein Zustand, der bis an das Ende des Regimes so um 262,5%. bleiben sollte, wenngleich die Unterzeichnung der Lateranverträge zwischen dem Hl. Stuhl und dem italienischen Königreich 1929 zu einem leichten Anstieg der kirchli14 Faschismus zu chen Feiertage führte. kam es Feiertage in den Regierungsjahren Abb.1: Entwicklung der Insgesamt gesetzlich geregelten in Italien (1922-1941)des einer Steigerung der Feiertage um 262,5%. Offizielle Feiertage unter dem Faschismus Abb. 1: Entwicklung der gesetzlich geregelten Feiertage in Italien (1922–1941)14 1922-1941

Anzahl der Feiertage

25 20 15 10 5

Jahre

40 19

38 19

36 19

34 19

32 19

30 19

28 19

26 19

24 19

19

22

0 weltliche kirchliche alle

13 Christoph Kühberger: Metaphern der Macht. Ein kultureller Vergleich der politischen Feste im faschistischen Italien und                                                               im nationalsozialistischen Deutschland, Münster 2006, S. 563. S. S. 60. 60. 14 14 Ebd., Ebd.,  

5

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Vergleicht man nun die Entwicklungen in Italien mit dem nationalsozialistischen Deutschland, kann man den Vergleich systemisch anlegen, indem man die Tatsache, dass es sich nicht um gleichzeitige Entwicklungen handelt, sondern um verzögert parallelisierte, in Rechnung stellt.15 So ist es möglich, die jeweiligen Jahre der Herrschaft der Regime gegenüber zu stellen. Abb. 2: Quantitative Aufstellung der Feiertage im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland nach Herrschaftsjahren16 Herrschaftsjahr

Faschismus

NS

alle

polit.*

alle

polit.*

2.

15

6

13

3

4.

17

7

13

3

6.

17

7

13

3

8.

19

8

14

4

10.

19

8

14

4

12.

19

8

14

4

14.

19

8





16.

20

10





18.

21

11





20.

21

11





* Rein politisch genützte Feiertage durch Partei und Staat.

Hierbei zeigt sich ein starker kultureller Unterschied, der auch die Brauchbarkeit von Vergleichen als schärfendes Instrument zur Beurteilung von historischen Entwicklungen herausstreicht. Der italienische Faschismus nahm sämtliche hohen Parteifeiertage in den offiziellen staatlichen Kalender auf (z.B. Fest der Machtergreifung), während der Nationalsozialismus darauf bis 1939 verzichtete. Der „Gedenktag an die Gefallenen der Bewegung“ und der einmalig geführte „50. Geburtstag des Führers“ wurden in Deutschland 1939 in den offiziellen Feiertagskalender aufgenommen. Bis da hin wurden die vorhandenen offiziellen Feiertage vereinnahmt (Heldengedenken, 1.Mai, Erntedank) und ein vom gesetzlichen Kalender unabhängiger Parteikalender entwickelt, der für die Gliederungen der NSDAP galt. Mit diesem Parteikalender und einer ganzen Menge an nationalsozialistisch gewendeten Feiertagen und Festen versuchte 15 Ich würde hier aufgrund der engen Verstrickung und der ab spätestens 1933 verstärkt gleichzeitig verlaufenden Phänomene von einem synchronen Vergleich sprechen wollen, da es einen engen zeitlichen Zusammenhang gibt. 16 Kühberger, Metaphern der Macht (vgl. Anm. 13), S. 190.



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das NS-Regime in den Alltag der Menschen einzudringen. Es handelt sich dabei um eine Entwicklung, die man auf diese Weise in Italien nicht beobachten konnte.17 Ein derartiger Vergleich, der sich mit zwei isolierten nationalstaatlich organisierten Bereichen beschäftigt, zeigt ein numerisch eindeutiges Bild. Was es allerdings nicht zeigen kann, sind jene Bereiche, die Marc Bloch in seinen Überlegungen zu Vergleichen von benachbarten Kulturen ausmacht.

4. Gleiches und Unterschiedliches Derartige Überlegungen führen eindeutig in jene Bereiche der beiden Regime, die auf gleichen bzw. ähnlichen kulturellen Substraten aufbauen. Dort lassen sich nämlich historische Fälle aufspüren, die sich einer zu schnellen und zu eindeutigen nationalstaatlichen Interpretation entziehen bzw. die darin vertretene Logik oft im Sinn eines Erkenntnisfortschritts konterkarieren. Der „1. Mai“ kann hierfür als Beispiel herangezogen werden. Seitdem der „Erste Mai“ auf dem Pariser Gründungskongress der Zweiten Sozialistischen Internationale 1889 zum allgemeinen, die Völker verbindenden Kampftag ausgerufen worden war, nutzte man den Tag in Italien und Deutschland, um gegen die kapitalistische Ordnung vorzugehen und mittels der Arbeitermassen den nötigen Druck für soziale Reformen aufzubauen. In beiden Ländern entwickelten sich proletarische Erste-MaiKulturen, die zwar das gleiche Ziel verfolgten, aber die Taktik und die politischen Aktionsformen orientierten sich an kulturellen Besonderheiten.18 Dennoch standen 1922 die italienischen Faschisten und 1933 die deutschen Nationalsozialisten vor dem 17 Kühberger, Metaphern der Macht (vgl. Anm. 13), S. 189ff. – Christoph Kühberger; NS-Festkultur. Der Versuch der Etablierung eines „politischen Brauchtums“, in: Lucia Luidold/Ulrike Kammerhofer-Aggermann (Hrsg.): Bräuche im Salzburger Land, Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen. CD-Rom 2: „Vom Frühling bis zum Herbst“, Salzburg 2003. o. S. Der italienische Faschismus versuchte nicht in die traditionellen Familienfeste einzudringen und schränkte auch im Verlauf der Herrschaft das auswuchernde Feierwesen ein. Vgl. dazu Emilio Gentile: Il culto del littorio, Bari 19953, S. 102f. 18 Zur Geschichte des 1.Mai in Italien und Deutschland vgl. Jens Flemming: Der 1. Mai und die deutsche Arbeiterbewegung, in: Uwe Schultz (Hrsg.): Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988, S. 341–351 und 453–454. Fritz Schellack: Nationalfeiertage in Deutschland von 1871 bis 1945, Frankfurt/Main 1990. Marco Fincardi: Il 1° Maggio, in: Mario Isnenghi (Hrsg.): I luoghi della memoria. Personaggi e Date dell’Italia Unita, Rom 1997, S. 127–137. – Christoph Kühberger: Der nationalsozialistische 1. Mai. Umdeutungen und Interpretationen, in: Luidold/Kammerhofer-Aggermann, Bräuche im Salzburger Land (vgl. Anm. 17), o. S.

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Dilemma, wie man mit dem eindeutig „linken Festtag“ umgehen sollte. Beide Regime sahen im Selbstverständnis ihrer eigenen politischen Bewegung die Forderungen der Arbeiterschaft gelöst bzw. durch den Herrschaftswechsel kurz vor einer glücklichen Lösung. Lamentierende Arbeiter oder gar linke Oppositionelle konnte man daher nicht gebrauchen, schon gar nicht, wenn man gerade im Begriff war, die nationale Wiedergeburt zu feiern und ein neues politisches und soziales System zu etablieren, das die Dichotomie des modernen industriellen Kapitalismus zwischen Privatheit und Öffentlichkeit sowie zwischen Individuum und Gemeinschaft überwinden sollte.19 Der „Erste Mai“, gelesen als sensible politische Zone zwischen Links und Rechts, stellt sich für den historischen Vergleich als produktiv heraus, da die beiden Regime unterschiedliche Wege einschlugen, um den traditionellen Feiertag der Linken abzulösen. Das faschistische Italien entschied sich – anders als das nationalsozialistische Deutschland – dazu, den 1. Mai als Festtag abzulehnen und zu ignorieren, und schlug damit einen Weg ein, den später auch Alfred Rosenberg in Deutschland vertrat,20 sich damit aber nicht gegen die Ideen Goebbels’ durchsetzte. Der 1. Mai wurde im NSStaat bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme im April 1933 zum nationalen Feiertag erklärt.21 Damit stehen der historischen Analyse zwei durchlebte politische Lösungswege zur Verfügung, die im Kern dieselbe Ausgangsposition hatten, nämlich die Frage nach dem Umgang mit einem „heißen linken Erinnerungsort“. Während der Nationalsozialismus den Tag neu besetzte, versuchte der Faschismus den 1. Mai beiseite zu schieben und anstatt seiner einen eigenen Feiertag mit ähnlichen Inhalten als Ersatz anzubieten. Die faschistische Lösung sah vor, den 1. Mai als Symbol des Klassenkampfes in keiner Weise zu würdigen. Bei der ersten Feiertagsreform (1923) löste der 21. April, der Natale di Roma (Geburtstag Roms), den 1. Mai ab, der seit der Machtübernahme – obwohl es sich ohnedies um keinen gesetzlichen Feiertag handelte – verboten war. Mit der Integration des „Festes der Arbeit“ in den Natale di Roma aktivierte man auf staatlicher Ebene ein elitäres Fest, das seit Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederbelebt wurde und sich auf der Apenninenhalbinsel aufgrund der zersplitterten Staatenkonstellation nur in kirchlichen und aristokratischen Kreisen langsam durchgesetzt hatte.22 Dadurch konnte zwar eine Verwechslung mit dem sozialistischen Fest vermieden werden und auch eine direkte Anbindung an linke Traditionen, aber – und vor dem fürchtete sich im ‚Dritten Reich‘ vor allem die nationalsozialistische Propa19 Alexander J. De Grand: L’Italia fascista e la Germania nazista, Bologna 1999, S. 113f. 20 Karl-Heinz Schmeer: Die Regie des öffentlichen Lebens im Dritten Reich, München 1956, S. 70. 21 RGBl. 1933, I, 10.4.1933. 22 Vgl. Arturo Lancelotti: Feste tradizionali. Vol. II, Mailand 1951, S. 124f.



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gandaleitung – der „Erste Mai“ konnte so zum Versammlungsort sozialdemokratischer und kommunistischer Gegner des Regimes verkommen, da ja bereits am 21. April gefeiert wurde.23 Genau aus diesem Grund versuchte man im NS-Deutschland, den 1.Mai in das nationalsozialistische Feiersystem zu integrieren, um so dem Widerstand die möglichen Agitationsräume zu verkleinern.24 Das allzu starke Fokussieren auf die beiden Daten (1.Mai bzw. 21. April) führt dazu, dass man eine gänzlich unterschiedliche Festkultur ausmachen kann und so dazu neigen könnte, das Unterschiedliche im Vergleich zwischen Faschismus und Nationalsozialismus überzubetonen (u.a. Überschreiben des 1. Mai in Deutschland vs. Ignorieren in Italien; 1. Mai als gesetzlich geregelter Feiertag in Deutschland vs. ein 21. April als ziviler Feiertag in Italien etc.). Zielt man jedoch auf eine andere Ebene des Vergleiches politischer Feste ab, etwa auf prinzipielle Taktiken der Inszenierung von Politik im öffentlichen Raum, zeigen sich die Ähnlichkeiten der politischen Feierlichkeiten über die Nationalgrenze hinweg. Vielmehr ist es sogar möglich, aus einer solchen Perspektive heraus die gegenseitige Beeinflussung besser zu fassen, auch wenn es aufgrund der in diesem Bereich selten gestellten Forschungsfragen erst wenige wissenschaftliche Antworten oder bekannte Quellenbestände gibt. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Kopieren von Verhaltensweisen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien (wie z.B. römischer Gruß oder Stechschritt), sondern auch um die adaptive Integration bestimmter Elemente aus der jeweils anderen Kultur. Besonders augenfällig lässt sich dies am Ende der dreißiger Jahre des 20. Jh. aufgrund der politischen Annäherung der Regime beobachten. Der Faschismus veränderte nämlich dabei seinen Stil zugunsten des nationalsozialistischen. Ausschlaggebend dafür war die Inszenierung, die Mussolini bei seiner Deutschlandreise 1937 von Hitler geboten bekam. Die faschistische Partei Italiens wollte nicht hinter dem politischen Partner zurückbleiben. Die Größe und Stärke, die Mussolini erlebt hatte, sollte Hitler bei seinem Gegenbesuch in Italien in gleichem Maße vorfinden. Erstmalig wurde u. a. auf die massive dekorative Ausgestaltung des Festraumes Wert gelegt. Was Mussolini und seine Begleiter sich offensichtlich vom nationalsozialistischen Deutschland abschauten, und nicht nur während des Gegenbesuches Hitlers in Italien im Mai 1938 anwandten, sondern auch danach zum Einsatz brachten, war, den Rahmen des Festes stärker zu betonen und die sichtbare militärische Disziplin zu erhöhen.25 23 Christoph Kühberger: L’opposizione antifascista per il 1o Maggio. Il regime spooresse la festa del lavoro, in: Patria indipendente 5/2001, S. 46–47, S. 46. 24 Kühberger, Metaphern der Macht (vgl. Anm. 13), S. 208. 25 Ebd., S. 496.

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Ab April 1938 liefen die Vorbereitungsarbeiten für den Besuch Hitlers in Rom auf Hochtouren. Es wurden neue Straßenbeleuchtungen angebracht, die Elektroversorgung verbessert, Fahnenmasten aufgestellt, neue Verkehrslösungen umgesetzt, Absperrungen und Umleitungen geplant, für ärmere Parteigenossen wurde Geld zum Kauf von Uniformen beschafft usw.26 Es wurden auch Angebote aus Deutschland eingeholt, vor allem für die Beleuchtung und das Feuerwerk.27 Für die endgültige Ausgestaltung Roms wurden vom Außenministerium im März Vorschläge an die Dekorationskommission übermittelt, die hervorhoben, dass das Gesamtbild einen „italienischen Charakter“ haben sollte: „Ich glaube, dass das Zusammentreffen italienischen Charakter haben muss. Es wäre ein Fehler zu versuchen, alles das, was in Deutschland perfekt, exakt und nordisch ist, zu kopieren, auch mit der Absicht es, zu übertreffen.“28 Man sollte zudem vermeiden, dass man den Eindruck gewinnt, man hätte alles nur für diesen speziellen Besuch arrangiert. Im Gegensatz zu nationalsozialistischen Dekorationsvorstellungen, die auf rigide Einheitlichkeit bauten, wurde gefordert, dass jedes Fenster eine andere Fahne als das Nachbarfenster tragen sollte. Weiters sollte man nicht die langen deutschen Fahnenbänder nachahmen, die vom Hausdach bis zum Boden reichten. Hingegen sollte Hitler im Duft von tausenden Blumen eingehüllt werden und es sollten Zitrusfrüchte für die Dekoration herangezogen werden. Doch diese Vorschläge des Außenministeriums trafen zu spät ein, da die bereits zuvor geplanten Vorbereitungen schon zu weit fortgeschritten waren.29 Daher war das „Kleid“, in dem sich Rom zum Besuch Hitlers zeigte, weit entfernt von dem italienischen bzw. faschistischen Charakter, den man von anderen parteilichen oder staatlichen Veranstaltungen kannte. Alleine die speziell angeschafften monströsen Projektoren zur Beleuchtung der Monumente und für Lichtspiele über Rom waren der pure Abklatsch von dem in Berlin erlebten Lichterdom Albert Speers.30 Die Fahnen-Spaliere in der Via Nazionale, in dem Viale Africa und in dem Viale Principessa di Piemonte erinnerten stark an die nationalsozialistische Dekoration „Unter

26 Archivio Capitolino, Governatore di Roma, Deliberazione del Governatore, anno 1938 (XVI), 19. April (1858ff ), 12. Mai (2377ff ). – Gabinetto del Sindaco, 1938, I.9/1. – Visita del Führer. 27 Archivio Capitolino, Gabinetto del Sindaco, 1938, I.9/1. 28 Ebd. – „Peso che il ricevimento debba avere carattere italiano. Tutto quello che in Germania è di perfetto, di esatto, di nordico sarebbe errore cercar di copiare anche con scopo di superare.“ 29 Ebd. 30 Vgl. zur Lichtdekoration und technische Daten: Ettore Salani: Le illuminazioni straordinarie a Roma e a bordo delle navi da guerra in occasione della visita del Führer, o.O. 1938.



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den Linden“, und die Feuerschalen, die eine archaische Mystik verbreiteten, waren wohl nationalsozialistischen Ursprungs.31 Diese Metamorphose der faschistischen Ästhetik und Ausgestaltung blieb auch in Italien nicht unbemerkt. Aus anonymen Schreiben an Mussolinis Büro lassen sich die Hauptkritikpunkte ableiten. Die Veränderung, und damit war die Verstärkung der bisherigen faschistisch-ästhetischen Formen gemeint, wurde als Imitation und Überformung angeprangert. Es wurde vor der Gefahr gewarnt, den deutschen Weg einzuschlagen, was die Führung und Politik betraf. Auch die neue Ästhetik wurde kritisiert. Laut Betrachtung eines anonymen Verfassers bedürfe Rom keines Schmuckes, um die Stadt in irgendeiner Form aufzuwerten.32 Durch den gewaltigen Aufwand, der für den Besuch aufgebracht wurde, konnte jedoch das faschistische Ziel erreicht werden. Dem Bündnispartner wurde ein starkes und gut organisiertes Land gezeigt.33 Durch die Erfahrung der italienischen Gäste auf deutschem Boden veränderte sich die faschistische Ästhetik im Sinn transkultureller Ströme. Es kam zu einem Dimensionssprung in exaltiertere Ausdrucksformen und in eine weitaus überschwänglichere Ausgestaltung.34 Man übernahm die nationalsozialistische Ästhetik, vor allem den verstärkten Einsatz von Fahnen und technischen Lichtspektakeln. Zwar spielte Dekoration im faschistischen Festkosmos immer auch eine Rolle, doch war sie meist weit zurückhaltender und einfacher als der symmetrische, nationalsozialistische Pomp. Man könnte daher festhalten, dass faschistische Dekoration ursprünglich nicht formgebend oder -verstärkend war, sondern sich auf das Symbol beschränkte, ohne ein größeres Konzept zu verfolgen.35 Während die Nationalsozialisten bei ihrer 31 Vgl. S.P.Q.R. (Hrsg.): Bozzetti di addobbi dell’Urbe per la visita del Führer, Rom 1938. 32 Vgl. ACS, SPD, co. 183.258/I. 33 Der „Völkische Beobachter“ berichtete über die italienische Inszenierung folgendermaßen: „Der begeisterte Jubel, mit dem das italienische Volk den Führer auf seinem Weg vom Brenner bis Rom begrüßt hat, die Begeisterung der Römer, die Ausschmückung der Ewigen Stadt, die Lichteffekte, die die antiken Bauwerke umspielten und der Wetteifer zwischen Natur und Technik, der ein Schauspiel von unvergleichlicher Schönheit hervorgezaubert hat, das alles seien Erlebnisse von unvergleichlicher Schönheit gewesen. Alles spielte sich in einer Atmosphäre ab, in der die geistige Verbundenheit der beiden Revolutionen fühlbar wurde.“ Völkischer Beobachter, Münchner Ausgabe, 5.5.1938, S. 5. 34 Kühberger, Metaphern der Macht (vgl. Anm. 13), S. 141f. – Vgl. zur Ausgestaltung Roms anlässlich des Hitler-Besuches: S.P.Q.R., Bozzetti di addobbi dell’Urbe. Salani, Le illuminazioni straordinarie a Roma, passim. 35 Als Beispiel möchte ich hier die Provinzerhebung von Littoria (Dezember 1934) anführen, bei der zwar ein Platz im Stadtzentrum Littorias genutzt wurde, jedoch die Fassaden der Häuser undekoriert blieben oder willkürlich mit nationalen Fahnen bestückt waren. Vgl. La Conquista della Terra, a. V, n. 12, Dic. 1934, S. 13f. Im Gegensatz dazu der „Duce“-Besuch aus

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räumlichen Inszenierung gekonnt auf klare Linienführung setzten, eine rhythmische Verschränkung zwischen Raum und „Masse“ suchten und den leeren Raum als Inszenierungselement nutzten, blieben diese Elemente im faschistischen Italien anfänglich wenig beachtet. Einzig der „Masse“, mit ihrer psychischen Beschaffenheit, bedienten sich beide Regime.36 Aber nicht nur zwischen den Bündnispartnern wurden Versatzstücke öffentlicher Inszenierung hin und her geschoben, sondern auch historische Einflüsse bzw. jene von außen mischten sich in die Festkulturen des Faschismus und Nationalsozialismus.37 So zum Beispiel aus dem Bereich der sozialistischen und kommunistischen Traditionen. In der Zeit, als die faschistische Macht in Italien durch das Verbot der Opposition gesichert wurde, stieg das Interesse, die faschistische Revolution groß zu feiern. Der 28. Oktober, Anniversario della Marcia su Roma, wurde im Oktober 1926 in den offiziellen Feiertagskalender aufgenommen.38 Nun versuchte man das „Revolutionsfest“ neu zu positionieren und man schreckte nicht davor zurück, beim erklärten „Feind“, dem Bolschewismus, in die Lehre zu gehen.39 „Lenins Machtergreifung 1917 und die Sprengung der Konstituanten 1918 machten auf alle Politiker Italiens und insbesondere auf Mussolini tiefen Eindruck.“40 Die sowjetische Entwicklung blieb auch unter dem Faschismus unter Beobachtung.41 Vor allem Anfang der dreißiger Jahre erwuchs ein gesteigertes Interesse Italiens an der Sowjetunion.42 In die Zeit der Neuorientierung der faschistischen Festtage fällt auch die Anfrage von Mussolini an das Ufficio Ceremoniale im italienischen Außenministerium von 1927 über den Flaggengebrauch der Marine an sowjetischen Nationalfeiertagen.43

36

37 38 39 40 41

42 43

1941 in Littoria, bei dem eine regelmäßige, rhythmische Dekoration erkennbar ist. Vgl. Christoph Kühberger: Faschistische Selbstdarstellung. Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus, Berlin 2001, S. 53. Christoph Kühberger: Emotionaler Rausch. Zum Spektrum der Gefühlsmobilisation auf faschistischen und nationalsozialistischen Festen, in: Malte Rolf/Árpád v. Klimó (Hrsg.): Rausch und Diktatur, Frankfurt/Main 2006, S. 177–192, S. 184. Kühberger, Metaphern der Macht (vgl. Anm. 13), S. 473ff. RDL, 21.10.1926, n. 1779. Kühberger, Selbstdarstellung (vgl. Anm. 35), S. 23. Georg Scheuer: Genosse Mussolini. Wurzeln und Wege des Ur-Fascismus, Wien 1985, S. 56f. So stellte Margherita Sarafatti fest, dass die sowjetische Kunst als „Dienerin am Altar der Propaganda“ tätig sei. Vgl. Olga Postnikowa: Unsere Herzen gehören der Partei. Künstler unter der Doktrin des Sozialistischen Realismus, in: Jan Tabor (Hrsg.): Kunst und Diktatur. Bd. 2., Baden 1995, S. 760–784, S. 778. Pier Luigi Bassignana: Fascisti nel paese del soviet, Turin 2000, S. 11. ACS, PCM, 1927, 15.19/224. – „Russia“ – Elenco delle feste nazionali sovietiche.“



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Der italienische Regierungschef holte in den dreißiger Jahren aber auch öfters direkt über den sowjetischen Botschafter Informationen über bilaterale und internationale Probleme ein. Der Diplomat Sergei Slipchenko erinnerte sich auch daran, dass Mussolini Stalin bat, ihm die Inszenierungsunterlagen der Veranstaltungen anlässlich des 1. Mai und des Jahrestages der Oktoberrevolution am Roten Platz zukommen zu lassen, die Mussolini dann auch, wie das Slipchenko angeblich selbst auf einer faschistischen Feier miterlebte, kopierte.44 Inwiefern die diplomatische Annäherung nun tatsächlich Einfluss auf die faschistischen Feste nahm, lässt sich aus den für diese Arbeit konsultierten Quellen nicht eindeutig feststellen. Man muss allerdings betonen, dass der Faschismus in den zwanziger Jahren seinen rituellen Stil weitgehend verfestigt hatte und bereits ab Mitte der zwanziger Jahre die Mobilisierung anlässlich der politischen Feste forcierte. Das Interesse Mussolinis an den sowjetischen Entwicklungen scheint vielmehr in dem ähnlichen Interesse für Masseninszenierungen zu suchen zu sein als in der Ratlosigkeit bezüglich der Umsetzung von rituellen politischen Veranstaltungen.45 Auch für den Nationalsozialismus gibt es Hinweise, dass er keine Scheu besaß, wirkungsvolle „linke“ Stilmittel zu übernehmen. Eigentlich lehnte Hitler sozialdemokratische Agitation mit Streiks und Demonstrationen als politisches Druckmittel ab,46 und dennoch hatte der bedrohlich inszenierte „Drachenwurm“47 der Arbeiterschaft, dem er in Wien in seinen jungen Jahren begegnet war, auf den späteren Diktator eine schaudernde Faszination und Bekommenheit ausgeübt. Aus dem „Pöbel“ Wiens war damals für Hitler offensichtlich ein bedrohliches Heer geworden. Von einem derartigen politischen Aktionismus und der Organisationskraft zeigte sich Hitler lange beeindruckt.48 Vor diesem Hintergrund verwundert die Anregung in partei44 Gentile, culto, S. 167. – Renzo De Felice: Mussolini. L’alleato. Vol. 1. Tomo III, Turin 1990, S. 1280f. 45 So wurde auch von Gaetano Cicca und Pietro Maria Bardi Mitte der dreißiger Jahre die Idee zur Schaffung eines „Massentheaters“ mit 15–20.000 Plätzen, die sich an den sowjetischen Massendarbietungen orientierte nach Italien gebracht. – Vg. Bassignana, Fascisti nel paese del soviet (vgl. Anm. 42), S. 85. 46 Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 2001, S. 262. 47 „Mit welch anderen Gefühlen starrte ich nun in die endlosen Viererreihen einer eines

Tages stattfindenden Massendemonstration Wiener Arbeiter. Fast zwei Stunden stand ich so da und beobachtete mit angehaltenem Atem den ungeheuren Drachenwurm, der sich langsam vorbeiwälzte.“ Hitler, Mein Kampf. Zitiert nach Alfred Pfoser: Massenästhetik, Massenromantik und Massenspiel, in: Geschichte der Arbeiterbewegung. ITH-Tagungsbericht 16 (Arbeiterkultur in Österreich. 1918–1945), Wien 1981, S. 119–126, S. 122. 48 Ian Kershaw: Hitler. 1889–1936, Stuttgart 2. Aufl. 1998, S. 69.

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christoph kühberger

internen Schulungen der NSDAP zum Kopieren des sozialistisch-marxistischen Stils nicht sonderlich: „Überhaupt hat sich politische Propaganda immer an die Masse zu wenden. Sie muß daher weniger an den Verstand, sondern vielmehr an das Gefühl der Massen appellieren. Soll die Propaganda erfolgreich sein, so muß sie systematisch betrieben werden. Das ist das ganze Geheimnis des Erfolges der marxistischen Parteien und des Mißerfolges der bürgerlichen und sogenannten nationalen Parteien.“49

Die Beispiele zeigen, dass man bei Vergleichen nicht nur die gegenseitige Einflussnahme zu klären hat, sondern man auch – nimmt man das transkulturelle und globalgeschichtliche Paradigma ernst – nach anderen Möglichkeiten von importierten Praktiken fragen sollte, um nicht vorschnell „einheimische Traditionen“ zu erkennen, wo es sich eigentlich um Akkulturationsresultate handelt.50 Damit wird deutlich, dass dort, wo Komparatistik ernst genommen wird und nicht nur implizit betrieben wird, wie dies tendenziell bei vielen nationalen Zugängen der Geschichtsschreibung mit dem Ziel der kulturellen Abgrenzung geschieht, produktive und neue Erkenntnisse – eben auch über transnationale Verstrickungen – offen gelegt werden können.51 Im Bereich der Festforschung fehlen für das 20. Jahrhundert und ihre Diktaturen derzeit jedoch derartige transkulturell vergleichende Studien, die sich explizit mit den Ausgangspositionen, Transferbewegungen, Transferwegen, Übersetzungs- und Adaptierungsleistungen, Erwerbsstrukturen, Aneignungsprozessen und dem Einbau in neue Kontexte beschäftigen.52 Dies überrascht nicht sonderlich, da die ersten Ergebnisse einer kulturhistorisch geprägten Festforschung erst vor einigen Jahren erschienen sind und damit von den damaligen meist jungen Historikern nur die grundlegenden kulturellen Strukturierungen und Übersetzungsleistungen erbracht wurden, der Transfer jedoch meist nur eine marginale Rolle mit großem Potential einnahm.53 49 Archiv der Republik, Gr. 09, Kt. 11 – NS Parteistelle 1930–1945. – Schulungsmaterial für Schulungssprengelleiter (Wien/20.9.1932). 50 Jürgen Osterhammel: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaates. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001, S. 10. 51 Vgl. Johannes Paulmann: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: HZ 267/1998. S. 649–685, S. 657f. 52 Vgl. zu den Schritten des Transfers u.a. Paulmann, Internationaler Vergleich (vgl. Anm. 51), S. 680f. 53 Vgl. u.a. Malte Rolf: Das sowjetische Massenfest, Hamburg 2006. – Kühberger, Christoph: Metaphern der Macht (vgl. Anm. 13).



Politische feste in der ersten Hälfte des 20. jahrhunderts

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Neue Kulturgeschichte erscheint in der hier dargelegten Perspektive einmal mehr nicht als theorieablehnender Zugang zur Vergangenheit mit einer „Scheu vor genauer theoretischer Standortbestimmung“ (Welskopp)54, sondern vermag mit Hilfe des Vergleichs und einer Reflexion des gewählten „tertium comparationis“ durchaus nachvollziehbare Sachlagen zu rekonstruieren, die mehr sind, als die oft beklagten „bunten Blumen“ (Wehler).

54 Paulmann, Internationaler Vergleich (vgl. Anm. 51), S. 664.

Die Feste der iberischen Diktatoren Spanien und Portugal in den 1940er Jahren

von Hedwig Herold-Schmidt

1. Einleitung Die Feste und Feiern der Diktaturen des 20. Jahrhunderts, die Inszenierungen des faschistischen Italiens, des nationalsozialistischen Deutschlands und der stalinistischen Sowjetunion mit ihren Theatralisierungen, ihrer Symbolik und ihren Ritualen haben traditionell das Interesse der Forschung gefunden.1 Fest und Diktatur scheinen zusammenzugehören, ganz gleich, ob man diese „Ästhetisierung der Politik“ vor allem unter dem manipulativen Ansatz der Massenpsychologie im Dienste der Propaganda sah oder sich mehr dem Ansatz der „politischen Religion“ verpflichtet fühlte.2 Neuere kulturwissenschaftliche Zugänge gehen von einer Omnipräsenz von Inszenierungsge1

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Beispielsweise Malte Rolf: Die Feste der Macht und die Macht der Feste. Fest und Diktatur – zur Einleitung, in: Journal of Modern European History 4 (2006), S. 39–59. Aus der Vielzahl der Publikationen: Simonetta Falasca-Zamponi: Fascist Spectacle. The Aesthetics of Power in Mussolini’s Italy, Berkeley 1997. Mabel Berezin: Making the Fascist Self. The Political Culture of Interwar Italy, Ithaca/London 1997. Christoph Kühberger: Metaphern der Macht. Ein kultureller Vergleich der politischen Feste des faschistischen Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands, Münster 2006. Markus Urban: Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage. 1933–1941, Göttingen 2007. Malte Rolf: Das sowjetische Massenfest, Hamburg 2006. Eine Differenzierung zwischen Festen und Feiern in Sinne von Winfried Gebhardt: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt a. M. 1987, S. 36–50, wird nicht vorgenommen, beide Begriffe daher – wie in den romanischen Sprachen auch – synonym verwendet. Vgl. dazu auch Michael Maurer: Feste in Geschichte und Gegenwart. Aspekte, Beispiele, Perspektiven, in: Erwägen – Wissen – Ethik 19 (2008), S. 211–262, hier: S. 211f. Rolf, Feste der Macht, S. 50f. Thymian Bussemer: Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2005. Emilio Gentile: Political Religion – a Concept and Its Critics. A Critical Survey, in: Totalitarian Movements and Political Religions 6 (2005), S. 19–32. Emilio Gentile: Der Liktorenkult, in: Christof Dipper/Rainer Hudemann/Jens Petersen (Hrsg.): Faschismus und Faschismen im Vergleich, Vierow und Köln 1998, S. 247–261. Michael Ley/Julius Schoeps (Hrsg.): Der Nationalsozialismus als politische Religion, Bodenheim 1997.

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sellschaften aus. Sie sehen in den Festen der Diktatoren nicht nur deren Ordnungsvorstellungen repräsentiert, sondern betrachten sie vielmehr als zentrale Elemente des Sinnstiftungsprozesses, die diesen Ordnungsvorstellungen erst Relevanz im Alltag der Menschen verschaffen. „Im Feiern der Feste wird Diktatur als abstrakte politische Kategorie zur gelebten Realität.“3 So verstanden sind Feste v. a. auch Kommunikationsmedien, die es erlauben, den Zusammenhang von Repräsentation und Realisierung von Herrschaft zu hinterfragen. Auch der Festkultur der autoritären Regime des 20. Jahrhunderts hat man sich mittlerweile zugewandt. Dabei rückten allerdings die beiden dauerhaftesten Diktaturen Spanien und Portugal – mit ihren Diktatoren Francisco Franco und António de Oliveira Salazar – erst spät in den Focus der Aufmerksamkeit. Zu Spanien liegen mittlerweile einige Arbeiten vor,4 während im Falle Portugals meist nur in Studien über die Propaganda des ,Neuen Staates‘ allgemein auf die Festkultur der Diktatur Bezug genommen wird.5 Systematisch verglichen hat man beide bisher nicht. Daher möchte 3 4

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Rolf, Feste der Macht (vgl. Anm. 1), S. 46. Giliana di Febo: Ritos de guerra y de victoria en la España franquista, Bilbao 2002. Marie-Aline Barrachina: Propagande et culture dans l’Espagne franquiste, 1936–1945, Grenoble 1998. Irène da Silva: La législation franquiste et les fêtes, in: Bulletin de l’Histoire Contemporaine de l’Espagne 30–31 (1999–2000), S.  135–148. Zira Box: El calendario festivo franquista: tensiones y equilibrios en la configuración inicial de la identidad nacional del regimen, in: Javier Moreno Luzón (Hrsg.): Construir España. Nacionalismo español y procesos de nacionalización, Madrid 2007, S. 263–288. Ángela Cenarro: Los días de la “Nueva España“: entre la „revolución nacional“ y el peso de la tradición, in: Ayer 51 (2003), S. 115–135. Ángela Cenarro: La Reina de la Hispanidad. Fascismo y nacionalcatolicismo en Zaragoza, 1939–1945, in: Revista de Historia Jéronimo Zurita 72 (1997), S. 91–101. Gil-Manuel Hernàndez i Martì: La festa reinventada. Calendari, política i ideologia en la València franquista, Valencia 2002. Montserrat Duch Plana: Els dies del franquisme, in: Pere Anguera u.a. (Hrsg.), Símbols i Mites a l’Espanya Contemporània, Reus 2001, S. 227–249. Neuerdings von außerordentlichem Interesse: Zira Box Varela: La fundación de un régimen. La construcción simbólica del franquismo. Unveröffentlichte Dissertation, UCM Madrid, 2008. Vgl. auch Walther L. Bernecker/Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936–2006, Nettersheim 2006, S. 217f. Jorge Ramos de la Ò: Os anos de Ferro: O dispositivo cultural durante a Política do Espírito 1933–1949. Ideologia, instituções, agentes e práticas, Lissabon 1999. Goffredo Adinolfi: Al Confini del Fascismo. Propaganda e consenso nel Portogallo salazarista (1932–1944), Milano 2007. Heloísa Paulo: Estado Novo e propaganda em Portugal e no Brasil, Coimbra 1994. Zur politischen Festkultur allgemein liegen vor allem Arbeiten zum Zusammenhang von Nation und Fest vor, die auch auf den Estado Novo eingehen: Fernando Catroga: Le commemorazioni nelle feste nazionali portoghesi. Dalla Rivoluzione Liberale allo Stato Nuovo di Salazar (1820–1974), in: Memoria e Ricerca 18 (2005), S.  153–168. Fernando Catroga: Ritualizações da história, in: Luís Reis Torgal/José Amado Mendes/Fernando Catroga: História da



Spanien und portugal in den 1940er jahren

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sich dieser Beitrag beispielhaft mit einigen Aspekten der Festkultur in der Frühphase dieser Regime beschäftigen. Es geht dabei vor allem um die Frage, inwieweit sich die Legitimationsbemühungen der Diktaturen durch ihren Rückgriff auf die Geschichte in der Festkultur widerspiegelten und welche Formen dies in der Anlage und der Dramaturgie der Feste und Feiern annahm. Wie anderswo auch stand ein spezifisches Bild von der eigenen Nation und deren Leistungen in Geschichte und Gegenwart im Zentrum der in Festen aktualisierten und pädagogisierten Nationsvorstellungen und Legitimationsanstrengungen. Auf der iberischen Halbinsel sind hier zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: Zum einen verstanden sich beide Diktaturen als nationalkatholische Regime, weswegen der Verkoppelung der Legitimationsdiskurse Nation und Religion und ihrer Umsetzung im Fest nachgespürt werden muss.6 Dies steht wiederum mit einem zweiten Punkt in engem Zusammenhang. Die „große Zeit“ der Religion, die Frühe Neuzeit, auf die man sich bezog, war auch das „goldene Zeitalter“ der jeweiligen „National“-Geschichte, und hierbei spielte die maritime Expansion und der Besitz umfangreicher überseeischer Imperien eine zentrale Rolle. Die Herleitung aus, die Verortung in und die Selbstvergewisserung aus der Geschichte – insbesondere als koloniale Großmächte – barg zugleich Zielsetzung und Versprechen für die Zukunft in sich. Inwieweit und in welcher Form wirkten sich diese spezifischen Konstellationen auf die Festgestaltung aus? Neben ikonographischen und choreographischen Aspekten ist nach den Apparaten und Akteuren der Festproduktion, nach den medialen Multiplikatoren und der Position solcher Festveranstaltungen im propagandistischen Gesamtkonzept der Diktaturen zu fragen. Hinsichtlich der Rezeptionsseite lassen allerdings die häufig

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História em Portugal. Séculos XIX-XX, Lissabon 1998, S. 221–361. Luís Miguel Oliveira Andrade: História e Memória. A Restauração de 1640. Do Liberalismo às comemorações centenárias de 1940, Coimbra 2001, S. 89–107. José Carlos Almeida: Celebrar Portugal. A nação, as comemorações públicas e as políticas de identidade, Lissabon 2005. Hinsichtlich der Diktatur Salazars hat bislang lediglich das Großereignis der Jahrhundertfeiern 1940 größere Aufmerksamkeit gefunden, siehe dazu unten. Paul C. Manuel: Religion and Politics in Iberia: Clericalism, Anticlericalism and Democratisation in Portugal and Spain, in: Ted Gerard Jelen/Clyde Wilcox (Hrsg.): Religion and Politics: The One, the Few and the Many, New York 2002, S. 71–96. António Costa Pinto/Maria Inácia Rezola: Political Catholicism, Crisis of Democracy and Salazar’s New State in Portugal, in: Totalitarian Movements and Political Religions 8 (2007), S. 353–368. Eugenia Relaño Pastor: Spanish Catholic Church in Franco Regime. A Marriage of Convenience, in: Kirchliche Zeitgeschichte 20 (2007), S. 275–287. Julián Casanova: La Iglesia de Franco, Barcelona 2005. Josep María Margenat: El nacionalcatolicismo: de la Guera Civil Española a 1963, in: Javier Tusell/Emilio Gentile/Giuliana di Febo (Hrsg.): Fascismo y franquismo cara a cara. Una perspectiva histórica, Madrid 2004, S. 133–148.

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tendenziösen Quellen und die Forschungslage nur erste Vermutungen über Akzeptanz und Ablehnung und noch weniger Aussagen über Aneignungs- und Sinnstiftungsprozesse zu. Der Neue Staat Salazars war das Resultat eines Putsches im Jahre 1926 und einer schrittweisen Transformation des politischen Systems. Die Diktatur Francos hingegen ging aus einem dreijährigen blutigen Bürgerkrieg von 1936–1939 hervor, der das Land tief gespalten und wirtschaftlich ausgeblutet zurückließ. Wenngleich das Etikett „faschistisch“ für die iberischen Diktaturen eher abgelehnt wird,7 so waren doch die Regime und ihre Propagandaapparate in den dreißiger und vierziger Jahren stark vom italienischen und deutschen Beispiel beeinflusst.8 Beide Diktaturen suchten sich durch die Gestaltung des Festkalenders von den vorangegangenen politischen Systemen zu distanzieren. Einige Feiertage mit klaren Bezügen zu den früheren Regimen wurden abgeschafft, andere beibehalten und neu interpretiert und wieder andere völlig neu erfunden.9 Im Umgang mit kirchlichen Feiertagen bezog man sich eher auf Italien als auf Nazi-Deutschland. Zuvor abgeschaffte kirchliche Feiertage wurden in Spanien nach dem Sieg im Bürgerkrieg sofort wieder eingeführt, wohingegen sich Portugal in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend verhielt.10 7

Tusell u.a. (Hrsg.), Fascismo (vgl. Anm. 6). Stanley Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001, bes. S.  311–326, 381–387. Stanley G. Payne: Fascism in Spain 1923–1977, Madison 1999. Stanley G. Payne: Salazarism: “Fascism” or “Bureaucratic Authoritarianism”? in: Estudos de História de Portugal. Homenagem a A. H. Oliveira Marques, Bd. 2: Sécs. XVI-XX, Lissabon 1983, S. 523–553. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 17–22, 233–235. Fernando Rosas: O salazarismo e o homen novo, in: Análise Social 35 (2001), S. 1031–1054, bes. S. 1031–1035. António Costa Pinto: Salazar’s Dictatorship and European Fascism, New York 1995, S. 204–207. 8 João Medina: Salazar, Hitler e Franco. Estudos sobre Salazar e a ditadura, Lissabon 2000. Costa Pinto, Salazar’s Dictatorship (vgl. Anm. 7), S.  204–207. Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4). 9 Bernecker/Brinkmann, Kampf der Erinnerungen (vgl. Anm. 4), S. 217–222. Da Silva, Législation franquiste (vgl. Anm. 4), S.  135–148; Art. „Comemorações/Festas Oficiais”, in: Fernando Rosas (Hrsg.): Diccionário de História do Estado Novo, 2 Bde., Bd. 1, Venda Nova 1996, S. 162–167. Oliveira Andrade, História e Memória (vgl. Anm. 5), S. 82–107. Luís Oliveira Andrade: D. Nuno Álvares Pereira na(s)memória(s) da nação (Vortrag: http:// www.icea.pt/Conferencias/Conferencia1/Conf01_05.pdf download vom 7. März 2010), S.  7–9. Catroga, Commemorazioni (vgl. Anm. 5), S.  153–168. Cenarro, Días (vgl. Anm. 4), S. 115–134. Hernàndez i Martì, Festa reinventada (vgl. Anm. 4). Bernecker/Brinkmann, Kampf der Erinnerungen (vgl. Anm. 4), S. 217–222. 10 Manuel Loff: O nosso século é fascista! O mundo visto por Salazar e Franco (1936–1945), Porto 2008, S. 210f. Oliveira Andrade, D. Nuno Álvares (vgl. Anm. 9), S. 6–9. Cenarro, Días (vgl. Anm. 4), S. 115–135. Da Silva, Léglislation franquiste (vgl. Anm. 4), S. 135–149.



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Neben den neuen Feiertagen, die mit der Konstituierung der autoritären Regime zusammenhingen, ist vor allem die Anknüpfung an die bürgerlich-nationale Kultur der Gedenktage und Jahrhundertfeiern des 19. Jahrhunderts hervorzuheben.11 Diese hatte vor allem seit den 1880er Jahren beide iberische Staaten wie eine Art Fieber ergriffen. Prägenden Einfluss entfalteten in Spanien die 400-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas 1892 sowie in Portugal der 300. Todestag des Nationaldichters Luís de Camões 1880.12 Obwohl darin ein allgemein europäisches Phänomen zum Ausdruck kam, wurden hier jedoch zudem besondere Umstände wirkmächtig, die die spezifische Ausprägung beeinflussten: in Spanien erschütterten der katalanische Nationalismus und der Verlust der letzten Ko­lonien 1898 im Krieg gegen die USA das nationale Selbstbewusstsein. Auch das ethnisch-sprachlich einheitlichere Portugal litt am Bewusstsein des Abstiegs, seiner „Dekadenz“ und seiner marginalen internationalen Bedeutung. Beide Länder wurden zudem von schweren sozialen Spannungen belastet, die der Integration bedurften.13 Die iberischen Länder entwickelten nun diese Praxis der Gedenktage und Jahrhundertfeiern weiter, passten sie an veränderte Rahmenbedingungen an und bedienten sich dafür in eklektischer Weise bei den europäischen Diktaturen der Zwischenkriegszeit. So entstanden hybride Festkulturen; die Mythen der Nation gingen eine enge Verbindung mit Religion und Kirche ein, was sich in der oft untrennbaren Verquickung politischer und religiöser Festelemente ausdrückte. In ihrer Extremform ist dies in der franquistischen Festkultur zu beobachten, die die Sieger des Bürgerkriegs verherrlichte und die Verlierer demütigte. Die Kirche hatte den Krieg als Kreuzzug gegen die „Roten“ legitimiert; Franco war für sie der von der göttlichen Vorsehung bestimmte Führer. 14 Viele Feiern galten den Märtyrern des „Kreuzzugs“ und vermengten politisches Totengedenken mit religiösem Abschied. 11 Zur nationalen Festkultur seit dem 19. Jahrhundert: Pere Anguera (Hrsg.): Los días de España (= Sondernummer der Zeitschrift “Ayer”, Nr. 51), Madrid 2003. Moreno Luzón (Hrsg.), Construir España (vgl. Anm. 4); Javier Moreno Luzón: Mitos de la España inmortal. Conmemoraciones y nacionalismo español en el siglo XX, in: Claves de Razón Práctica 174 (2007), S. 26–35. Hirotaka Tateishi: Estado-Nación y fiesta nacional, in: Joan Armangué i Herrero (Hrsg.): Oralità e Memoria, Cagliari 2005, S. 59–71. Oliveira Andrade, Memória e História (vgl. Anm. 5), S. 50–82. Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5). 12 Moreno Luzón, Mitos (vgl. Anm 11), S.  27, 29f. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 221–248. 13 Moreno Luzón, Mitos (vgl. Anm. 11), S. 30. Moreno Luzón, Construir España (vgl. Anm. 4). Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 76–79, 97–100. 14 Casanova, Iglesia (vgl. Anm. 6), S. 47–97. Mary Vincent: The Spanish Civil War as a War of Religion, in: Martin Baumeister/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.): “If you tolerate this …”. The Spanish Civil War in the Age of Total War, Frankfurt a. M./New York 2008, S. 74–89, bes. S. 81–84.

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Die Kriegsjahre lassen in ihrer Betonung von Gefallenenehrungen und sorgfältig inszenierten Auftritten Francos den starken Einfluss der Faschisten erkennen, deren Gewicht aber bald zugunsten anderer Stützen des Regimes zurückgedrängt wurde.15 In diesem Sinne fixierte der Festkalender von 194016 die neuen Feiern, spiegelte aber gleichzeitig die Rückkehr zum religiösen Traditionalismus in einer Art Resakralisierungsoperation, die schon in den Kriegsjahren systematisch vorbereitet worden war. Religiöse Zeremonien trugen immer auch den Charakter politischer Willensbekundung und Standortbestimmung: der echte Spanier war entweder religiös – oder er war kein Spanier. Unter den politisierten Heiligenkulten stand Jakobus (Santiago), der Apostel Spaniens und Maurentöter der Reconquista, an erster Stelle. Ihm rechnete man auch die Rettung des Landes vor den „Kommunisten“ zu; zwischen dem Sieg über die Araber und dem Bürgerkrieg wurden so enge Parallelen gezogen.17 Eine ähnliche Reputation und ähnliche Funktionen wurden der Jungfrau von Pilar zugeschrieben.18 Und nicht zuletzt genoss die Mystikerin Teresa von Ávila hohes Ansehen: sie wurde durch bewusste Geschichtsklitterung zur Heiligen der altchristlich adeligkastilischen „Rasse“ par excellence stilisiert, obwohl ihr Charakter als neuchristliche Konvertitin schlüssig nachgewiesen worden war.19 Der Estado Novo in Portugal ging in der Neuausrichtung seiner Festpolitik langsamer und vorsichtiger vor. Republikanische Feiertage wurden größtenteils beibehalten, kirchliche nicht wieder eingeführt, denn Rücksichtnahme auf die rechtsrepublikanische Klientel der Diktatur schien geboten.20 Obwohl die Religion für Salazar neben Vaterland und Familie einen der zentralen Bezugspunkte bildete, wurde die laizistische Ausrichtung des Staates und die Trennung von Staat und Kirche nicht aufgehoben; im Erziehungswesen und bei der Missionstätigkeit in den Kolonien kam es jedoch zu einer engen Kooperation.21 Zwar wurde auch Salazar als Retter des Vater15 16 17 18

Duch Plana, Els dies del franquisme (vgl. Anm. 4), S. 229–231. Da Silva, Législation franquiste (vgl. Anm. 4), S. 135–148. Di Febo, Ritos de guerra (vgl. Anm. 4), S. 49–66. Vgl. dazu unten. Der Legende nach war die Virgen del Pilar ( Jungfrau von der Säule) im Jahre 40 n. Chr. in Zaragoza noch vor ihrer Himmelfahrt dem Apostel Jakobus in leiblicher Gestalt („en carne mortal“) erschienen und hatte als Zeugnis dafür eine Säule aus Jaspis-Stein hinterlassen. Angesichts dieser „ersten“ Marienerscheinung der Geschichte betrachtete sich Spanien als von Maria besonders bevorzugtes Land. 19 Guiliana di Febo: La Santa de la Raza. Teresa de Ávila. Un culto barroco en la España franquista (1937–1962), Barcelona 1988. 20 Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 74. 21 António Costa Pinto: The New State of Salazar: An Overview, in: Richard Herr (Hrsg.): The New Portugal: Democracy and Europe, Berkeley 1992, S. 84f. Oliveira Andrade, D. Nuno Álvares Pereira (vgl. Anm. 9), S. 7–9. Oliveira Andrade, História e Memoria (vgl. Anm. 5),



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lands gepriesen, doch ging die Sakralisierung seiner Person nicht so weit wie im Nachbarland. Und es waren auch weniger politisierte Heilige als vielmehr Luís de Camões als Dichter der Entdeckungen und die Hel­den der überseeischen Expansion, die als Feieranlässe dienten und dies oft in Form von Jubiläen und Jahrhundertfeiern.22 Zwei Beispiele sollen nun verdeutlichen, wie sich Nations- und Imperiumsdiskurs in der Festkultur konkretisierten. Diese Beispiele mögen sich vielleicht auf den ersten Blick mehr unterscheiden als ähneln. Doch – so meine These – die in Spanien und Portugal jeweils unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Ziele bei der Vermittlung einer „Botschaft“ – spiegelten sich in der Wahl von Form und Feieranlässen wider und führen zu einer jeweils spezifischen Kombination und Gewichtung bestimmter Elemente im einzelnen Festereignis. Insofern handelt es sich eher um einen funktionalen als um einen phänomenologischen Ver­gleich. Für Spanien wurde mit dem sog. „Tag der Rasse“ (Día de la Raza) – auch als „Tag der Hispanität“ (Día de la Hispanidad) bezeichnet23 – ein jährlich begangenes Fest gewählt. Seit 1918 als Nationalfeiertag einführt, sollte er die Verbundenheit mit den einstigen Kolonien unterstreichen, deren letzte 1898 unabhängig geworden waren. Im Franquismus avancierte er zu einem Hauptfeiertag.24 Der Begriff der „Rasse“ ist in diesem Diskurs nicht in erster Linie ethnisch-biologisch, sondern vielmehr vor allem S. 89–107. David Corkill: The Double Centenary Commemorations of 1940 in the Context of Anglo-Portuguese Relations, in: Teresa Pinto Coelho (Hrsg.): Os descubrimentos portugueses no mundo de lingua inglesa (1880–1972)/The Portuguese Discoveries in the EnglishSpeaking World (1880–1972), Lissabon 2005, S. 143–166, hier: S. 150f. Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 126. 22 Oliveira Andrade, História e Memória (vgl. Anm. 5), S. 89–107. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 221–361. Arlindo Manuel Caldeira: O poder e a memória nacional. Heróis e vilãos na mitologia salazarista, in: Penélope 15 (1995), S. 121–139, hier: S. 129. 23 Marie-Aline Barrachina: 12 de Octubre: Fiesta de la Raza, Dia de la Hispanidad, Día del Pilar, Fiesta Nacional, in: Bulletin de l’Histoire Contemporaine de l’Espagne 30–31 (1999–2000), S. 119–134, hier: S. 121. Box Varela, Fundación (vgl. Anm. 4), S. 219, 245–247, 249. Erst 1958 erfolgte der offizielle Namenswechsel zur Bezeichung „Día de la Hispanidad“, vorher wurden beide Begriffe synonym gebraucht. 24 Zur Frühgeschichte dieses Feiertags und dem Konzept der Hispanität in Spanien und Amerika, siehe die herausragende Studie von David Marcilhacy: Raza Hispana. Hispanoamericanismo e imaginario nacional en la España de la Restauración (im Druck – Madrid 2010). Vgl. weiterhin: Eduardo González Calleja/Fredes Limón Nevado: La hispanidad como instrumento de combate. Raza e Imperio en la prensa franquista durante la Guerra civil española, Madrid 1988. Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 119–134. Francisco Moret Messerli: Conmemoraciones y fechas de la España Nacionalsindicalista, Madrid 1942. Carlos Serrano: El nacimiento de Carmen. Símbolos, mitos, nación, Madrid 1999, S. 319–325.

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kulturell-geistig zu verstehen.25 Er betonte die potentiell gleichberechtigte Kulturgemeinschaft auf der Basis gemeinsamer Sprache, Religion und Geschichte, auch wenn sich insbesondere in den frühen Jahren des Franquismus gelegentlich Stimmen Gehör verschafften, die materielle expansionistische Ziele formulierten. Gefeiert wurde symbolträchtig am 12. Oktober, dem Tag der Entdeckung Amerikas, der zugleich ein hoher religiöser Feiertag war: begangen wurde das Patronatsfest der Jungfrau von Pilar, die der Legende nach in existentiellen Notlagen der spanischen Nation zur Seite gestanden hatte und sich daher für die national-imperiale Vereinnahmung anbot. Der Franquismus konnte mit dem 12. Oktober unterschiedlichste Versatzstücke des nationalen und katholischen Mythos aktualisieren und zu einem neuen kohärenten Ganzen zusammenfügen. Dies bot die Möglichkeit, die nationale mit der religiösen und der kulturellen Identität gleichzusetzen.26 Anders stellte sich die Situation in Portugal dar, das noch über ein ausgedehntes Kolonialreich, v.a. in Afrika, verfügte. Die überseeischen Besitzungen wurden als unabdingbarer Bestandteil der Nation betrachtet, deren weitere Existenz in der aktuellen politischen Großwetterlage gleichwohl gefährdet schien.27 In dieser Situation versuchte man die Legitimation aus der Vergangenheit nicht auf einen jährlich zu begehenden Tag zu konzentrieren, sondern im Gesamtensemble der Propagandastrategien dauerhaft präsent zu halten. Als Höhepunkt gelten dürfen dennoch zwei 1940 zusammenfallende symbolträchtige Jahrhundertfeiern, die in einem sechsmonatigen Festprogramm zelebriert wurden.28 1940 jährte sich – angeblich29 – zum 800. Mal (1140) die Staatsgründung und zum 300. Mal (1640) die Wiedererlangung der Un-

25 Zum Rassebegriff detailliert und kritisch: Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24). Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4), S. 23–103. 26 Barrachina, 12 de Octubre (vgl. Anm. 23), S. 119–134. Di Febo, Ritos de guerra (vgl. Anm. 4). 27 Valentim Aleixandre: Der Estado Novo und das Kolonialreich, in: Fernando Rosas (Hrsg.): Vom Ständestaat zur Demokratie. Portugal im zwanzigsten Jahrhundert, München 1997, S. 75–87, bes. S. 78–82. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 95. Italien und Deutschland interessierten sich für die afrikanischen Besitzungen, England erwog für Fall eines Friedenschlusses Konzessionen gegenüber Deutschland im portugiesischen Afrika. 28 Zur Vorgeschichte des Projekts seit 1929, vgl. Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 118. Oliveira Andrade, História e memória (vgl. Anm. 5), S. 192–246. Loff, Século (vgl. Anm. 10), S. 206–209. 29 Zu den Kontroversen, vgl. Oliveira Andrade, D. Nuno Álvares Pereira (vgl. Anm. 9), S. 4. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 267.



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abhängigkeit von Spanien – nach 60 Jahren Personalunion.30 Mit 1540 wurde zudem an den Höhepunkt der maritimen Expansion erinnert.31

2. Das Duplo Centenário in Portugal 1940 In Portugal stand daher die Imperiumsidee im Mittelpunkt einer alle Künste und Medien umfassenden Kultur- und Propagandastrategie.32 Die Propagandaabteilung unter António Ferro, dem sog. portugiesischen Goebbels,33 orientierte sich hierbei zwar an den faschistischen Regimen. Doch gelang es ihr, eine Art offizielle, spezifische Ästhetik des Estado Novo zu schaffen, indem sie traditionelle Themen mit teils modernistischen Formen verband.34 In Ferros Kulturpolitik, der sog. „Politik des Geistes“ („Política do Espírito“)35 hatte das Geistig-Immaterielle absoluten Vorrang. Sie bestach durch viele theatralische Facetten, die vor allem auch in der Inszenierung von Festen, Jubiläen und sorgsam konzipierten Ausstellungen zum Ausdruck kamen.36 Damit suchte man das Bild eines Staates, einer Nation zu vermitteln, die einig, unteilbar, multikontinental und multirassisch war – und dies als Endpunkt einer historischen Aufgabe, die ihren Ausgang 800 Jahre zuvor mit der Gründung des Staates genommen habe.37 Die 30 Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 115. Eigentlich war dieses sogar das zentrale Jahr, da sich darauf die Rechtfertigung des Kolonialreichs gründete. 31 Die sogenannte doppelte Jahrhundertfeier, das „Duplo Centenário“, wird als eines der wichtigsten propagandistischen Großereignisse des Neuen Staates betrachtet und hat daher einige Aufmerksamkeit der Forschung gefunden: Ellen W. Sapega: Consensus and Debate in Salazar’s Portugal. Visual and Literary Negotiations of the National Text, 1933–1948, University Park, PA 2008, S. 9–46. David Corkill/José Carlos Pina Almeida: Commemoration and Propaganda in Salazar’s Portugal: The Mundo Português Exposition of 1940, in: Journal of Contemporary History 44 (2009), S. 381–399. Corkill, Double Centenary (vgl. Anm. 21). Yves Léonard: Le Portugal et ses “sentinelles de pierre”. L’Exposition du Monde Portugais en 1940, in: Vingtième Siècle 62 (1999), S. 27–37. Oliveira Andrade, História e Memória (vgl. Anm. 5). Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 111–116. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 264–280. 32 Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 100–110. 33 Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 145. Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 24. 34 Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 11–13. Costa Pinto, New State (vgl. Anm. 21), S. 89f. Corkill/Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S. 385–388, 391. 35 Ramos de la Ò, Os anos de Ferro (vgl. Anm. 5). 36 Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S.  9–46. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S.  135–146, 150–160. 37 Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 259–261. Nuno G. Monteiro/António Costa Pinto: Cultural Myths and Portuguese National Identity, in: António Costa Pinto (Hrsg.): Mo-

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Geschichte wurde so zur Rechtfertigung einer besonderen Mission des Estado Novo herangezogen. In diesem Sinne konstatierte der Propagandachef: „1140 erklärt 1640, ebenso wie 1640 den Weg bereitet für 1940. Das sind drei heilige Jahre unserer Geschichte, das Jahr des Wachstums, das Jahr der Wiedergeburt und das apotheoseähnliche Jahr des Wiederaufstiegs. Was wir feiern ist daher nicht nur das Portugal von gestern sondern das von heute, es ist nicht nur das Portugal Alfons I. und Johanns IV., sondern das Portugal von Carmona und Salazar.“ 38

Damit nehmen Salazar und der Neue Staat ihren Platz in einem unge­brochenen historischen Kontinuum ein. Träger dieses v.a. geistig-moralischen Wiederaufstiegs sei das in seiner Wesenheit unveränderliche Volk – einfach, bescheiden und ländlich, aber gleichwohl von der Geschichte zur imperialen Größe bestimmt. Dazu produzierte die Propaganda – nicht zuletzt durch Festinszenierungen – Bilder von sozialer Harmonie und Stabilität in einem agrarischen Land, das faktisch bitterarm war.39 Und Salazar ging noch weiter: er sah in seiner auf Gott, Vaterland und Familie basierenden Ideologie ein probates Mittel zur Rettung der Welt in Aufruhr.40 Denn Portugal feierte von Juni bis Dezember 1940 – während halb Europa im Krieg lag.41 Dieser Feiermarathon setzte sich aus einer Vielzahl politischer, religiöser, kultureller, wissenschaftlicher und sportlicher Veranstaltungen sowie aus Vergnügungselementen für das breite Volk zusammen. Festakte an Schauplätzen von Schlachten und Heldengräbern, Enthüllungen von Denkmälern sowie Lobpreis von Kultur, Sprache und ländlichem Leben – häufig gingen dabei religiöse und politischideologische Komponenten eine enge Symbiose ein.42

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dern Portugal, Palo Alto 1997, S. 214f. Zum providentialistischen Geschichtsbild des Estado Novo, vgl. Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S. 121–139. Eigene Übersetzung, zit. nach Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 24. Corkill/Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S.  386, 395. Medina, Salazar, Hitler e Franco (vgl. Anm. 8), S. 27, 51f., 56f. Zum Ruralismus, Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 136–138. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 259. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S.  170, 214. Corkill, Double Centenary (vgl. Anm. 21), S. 143f. Comemorações Centenárias. Programa Oficial, Lissabon 1940 [ohne Paginierung]. In den Jahren 1939 und 1940 erschien weiterhin die “Revista de Centenários”. Die Sekundärliteratur konzentriert sich auf die Ausstellung und behandelt das weitere Festprogramm meist nur am Rande – mit Ausnahme der sich auf 1640 beziehenden Aspekte, denen sich eine eigene Monographie widmet, vgl. dazu: Oliveira Andrade, História e memória (vgl. Anm. 5). Siehe auch Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 264–280.



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Das dezidiert pädagogisch43 konzipierte Festprogramm ist wie ein Geschichtsbuch zu lesen. Die Monate zwischen Juni und Dezember 1940 wurden in drei Phasen unterteilt, die der Geschichte folgten: das Mittelalter, die atlantische Expansion, die Zeit bis zur Republik 1910.44 Vier Ereignisse sind dabei besonders hervorzuheben: Als Ouvertüre ein an die Staatsgründung erinnernder Festakt im nordportugiesischen Guimarães, als zweites eine monumentale Ausstellung in Lissabon45 als Herzstück der Jahrhundertfeiern, flankiert von einem wissenschaftlichen Kongress – beide thematisierten vor allem die kolonialen Aspekte der nationalen Identität – und schließlich ein historischer Umzug, welcher den teleologischen Charakter von 800 Jahren Nationalgeschichte visualisierte.46 Die Feierlichkeiten – sie begannen und endeten mit einem Te Deum – waren über das ganze Land verteilt – mit dem deutlichen Zentrum Lissabon. Den Lauf der Geschichte nachvollziehend bewegte sich der offizielle Tross quer durch das Land. Die nationale „Wallfahrt“ begann – wie die Reconquista – im Norden; dann arbeitete man sich über das Zentrum nach Süden vor, zu den Schauplätzen der maritimen Expansion bis zur Gegenwart – in Lissabon. Zu den vorwiegend pädagogisch konzipierten Veranstaltungselementen gesellten sich häufig vom Alltag entlastende Festbestandteile; so war der Ausstellung ein umfangreicher Attraktionspark angegliedert.47

2.1. Guimarães – die „Geburt“ Portugals wird konstruiert und inszeniert Als erster Höhepunkt darf ein Festakt in Guimarães gelten, der die Staatsgründung zelebrierte.48 Die einzelnen Festelemente vollzogen die Geburt der Nation symbo43 Zum Geschichtsbild und der vorrangig pädagogisch orientierten Propagandakonzeption Salazars, vgl. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 131–135. Fernando Rosas: O salazarismo e o homen novo: ensaio sobre o Estado Novo e a questão do totalitarismo, in: Análise Social 35 (2001), S. 1031–1054. António Costa Pinto: Twentieth Century Portugal. An Introduction, in: António Costa Pinto (Hrsg.): Modern Portugal. An Introduction, Palo Alto 1997, S. 35f. Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 9–11. Medina, Salzazar, Hitler e Franco (vgl. Anm. 8), S. 51–90. 44 Comemorações Centenárias. Programa Oficial, Lissabon 1940 [ohne Paginierung]. 45 Vgl. unten. 46 Zum “Cortejo Imperial do Mundo Português”, vgl. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 271f. Corkill, Double Centenary (vgl. Anm. 21), S. 1501f. 47 Comemorações Centenárias, [ohne Paginierung]. Allgemein dazu: Corkill, Double Centenary (vgl. Anm. 21), S. 150. Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S. 129. 48 Die folgenden Ausführungen nach: Album comemorativo das Festas Centenárias de Guimarães, do Cortejo do Mundo Português, e da Secção Colonial da Exposição do Mundo Por-

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lisch nach. Guimarães, die erste Hauptstadt im Norden, steht für den Ursprung des Staates, des Gemeinwesens. Die Festaktivitäten konzentrierten sich auf die mittelalterliche Burg, die dafür restauriert worden war – wie auch historische Baudenkmäler im gesamten Land für das propagandistische Großereignis instand gesetzt worden waren. Bereits am Abend zuvor wurden entlang der Burgmauern und auf den Türmen Feuer entzündet. Bei Tagesanbruch stießen die Wachen den dreifachen Ruf aus: Portugal – Portugal – Portugal; dieser „Weckruf “ wurde vom nationalen Radiosender direkt in das gesamte Kolonialreich übertragen. Bei Sonnenaufgang bevölkerte sich die Burg mit mittelalterlichen Gestalten. Zur gleichen Zeit machte sich vom Festplatz aus ein Blumenumzug auf den Weg zur Burg. Auch die Ehrengäste legten Blumen an den „heiligen Mauern“, […]„wie auf dem Altar des Vaterlands“ nieder.49 Dann folgte eine Feldmesse, bei der – in den Worten der offiziellen Festpublikation – „das Volk vor Gott und dem Vaterland niederkniete“ und vom Altar aus das Abbild Gottes, „das Vaterlandsgefühl“, gesegnet worden sei, worauf sich die Menge wie eine „ozeanische Welle“ erhoben habe. Dieser Altar war angeblich im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien 1640 erbeutet worden.50 Auf die Burg zurückgekehrt – und unter den Klängen von Militärmusik – nahm Salazar auf einer Zinne stehend die Ovationen des Publikums entgegen, bevor sich Stille ausgebreitet habe – eine „pulsierende Stille, die mystische Stille einer Kathedrale“.51 Derart emotional eingestimmt hörte die Menge eine relativ kurze Rede des Diktators, der „einer anderen Stimme antworte, die man vor 800 Jahren hier vernommen habe“, und die Anwesenden dadurch „zu einem eucharistischen Moment des Vaterlands erhebe“.52 Durch die Radioübertragung werde der Regierungschef in einer rituellen Geste alle portugiesischen Seelen auf der ganzen Welt zusammenführen. Die Kürze der Rede wurde damit begründet, dass durch lange Ausführungen das spirituelle Gemeinschaftserleben nicht gestört werden solle. Daraufhin segnete der Patriarch von Lissabon das gesamte Imperium. Nach der Rede hisste Salazar die Flagge des ersten Königs Alfonso Henriques unter Artilleriesalven, eine Zeremonie, die gleichzeitig auf allen bedeutenden mittelalterlichen Burgen des Landes vollzogen wurde. Artilleriesalven wurden ebenfalls in allen Garnisonen abgefeuert, danach folgte die Nationalhymne. Anschließend läuteten die Glocken in ganz Portugal und den Kolonien – wiederum synchronisiert durch das Radio. In

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tuguês, Lissabon 1940 und Revista de Centenários, Nr. 18, Juni 1940. Alle folgenden Übersetzungen stammen von der Verfasserin. Album comemorativo, S. 7–9; Zitat, S. 9. Revista de Centenários, Nr. 18, Juni 1940, S. 53. Revista de Centenários, Nr. 18, Juni 1940, S. 53. Zitate: Album comemorativo, S. 10. Album Comemorativo, S. 10. Revista de Centenários, Nr. 18, Juni 1940, S. 53.



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diesem Moment höchster patriotischer Ergriffenheit sei „die Zeit außer Kraft gesetzt gewesen.“53 Von einer Tribüne aus nahmen Salazar und Staatschef General Carmona anschließend das Defilee der offiziellen Würdenträger und des „Volkes“ ab. Protokollarisch stand Carmona über Salazar in seiner Funktion als Staatschef. Die Führerrolle konzentrierte sich also nicht ausschließlich auf den Diktator; ähnlich wie Mussolini musste er bei gewissen Anlässen Konkurrenz dulden. Der Rest des Tages wurde feiernd verbracht – der Teil des Festgeschehens, der relativ unstrukturiert blieb und am ehesten das temporäre Ausbrechen aus dem Alltag ermöglichte. Den krönenden Abschluss bildeten ein Fackelzug und ein grandioses Feuerwerk vor der Kulisse der illuminierten Burg.54 Festzuhalten ist, dass sowohl der „Weckruf “ Portugals als auch der übrige Festakt per Rundfunk direkt in alle Teile des Weltreichs übertragen und auf das Radiosignal hin in seinen wichtigsten Komponenten in Europa, Asien und Afrika nachvollzogen wurde. Auf diese Weise sollte emotional Einheit geschaffen, Gemeinschaft gestiftet werden. Zudem offenbaren die offiziellen Festpublikationen die Reaktionen und Emotionen, die man beim Publikum, beim ganzen Volk mit den einzelnen Fest­ elementen hervorrufen wollte. Die christlich-liturgisch anmutende Wortwahl, die Bemühungen um eine Sakralisierung der Nation sind überdeutlich.

2.2. Die „Ausstellung der portugiesischen Welt“ Zwei Wochen später wurde die große „Ausstellung der portugiesischen Welt“ eröffnet, zu der alle weiteren Veranstaltungen des Feierhalbjahrs parallel liefen bzw. teilweise in die Ausstellung mit einbezogen wurden. Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war es üblich geworden, dass die europäischen Kolonialmächte ihre Leistungen im Rahmen nationaler und internationaler Ausstellungen präsentierten.55 53 Revista de Centenários, Nr. 18, Juni 1940, S. 53, die Rede auf S. 23–26. Album Comemorativo, S. 10–12. Vgl. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 267. Vgl. Oliveira Salazar: 800 anos de independência (4. Juni 1940), in: Discursos e notas políticas, Bd. 3: 1938–1943, 2. A., Coimbra 1959, S. 255–259, bes. S. 255. 54 Album Comemorativo, S. 11f. 55 Paul Greenhalgh: Ephemeral Vistas. The „Expositions Universelles“, Great Exhibitions and World’s Fairs, 1851–1939, Manchester 1988. Ilídio M. Pereira Louro: Portgual e as Exposições Universais, in: História 27 (1996), S. 4–21. Margarida Acciaiuoli: Exposições do Estado Novo 1934–1940, Lissabon 1998, S. 11–105. Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 104–108.

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Auch Portugal hatte sich hier eingereiht – etwa mit einer Kolonialausstellung 1934 in Porto.56 Vor allem das gigantische Ausstellungsprojekt57 von 1940 sollte die Legitimation als koloniale Groß­macht liefern und die Leistungen des Neuen Staats öffentlichkeitswirksam herausstellen. 3 Mio. Besucher von etwa 7 Mio. Portugiesen erlebten auf über 500000 m2 eine „symbolische Stadt der Geschichte“58 – in zwei Jahren aus dem Boden gestampft und an Mussolinis unvollendet gebliebenes Mammutprojekt EUR erinnernd.59 Der Ort konnte symbolträchtiger nicht gewählt werden: das Viertel Belem am Ufer des Tejo, wo die Entdecker in See gestochen waren und wo das ebenso geschichtsträchtige Hieronymitenkloster mit den Gräbern von Luís de Camões und Vasco da Gama lag. Dort schuf man für diesen Anlass das Denkmal der Entdeckungen in Form einer Caravelle.60 Die drei Schlüsseljahre zierten das Eingangstor: 1140 – 1640 – 1940. Das komplexe Ensemble von Pavillons, die näher vorzustellen hier aus Platzgründen nicht möglich ist, war als Synthese der portugiesischen Kultur und ihrer universellen Projektion gedacht. Teils diachron, teils synchron gegliederte historische, ethnographische und „aktuelle“ Sektionen präsentierten die Zeit der Entdeckungen und des maritimen Imperiums als eine der großen Leistungen der Menschheit, verknüpften in messianischer Weise Nation und Imperium, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

56 Acciaiuoli, Exposições (vgl. Anm. 55), S. 16–19. Monteiro/Costa Pinto, Cultural Myths (vgl. Anm. 37), S. 210–212. Léonard, Portugal (vgl. Anm. 31), S. 33. 57 Von allen Festveranstaltungen des Neuen Staates ist diese die am besten untersuchte: Acciaiuoli, Exposições (vgl. Anm. 55). Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 9–46. Corkill/Pina Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S. 381–399. Corkill, Double Centenary (vgl. Anm. 21), S. 143–166. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 274–278. Léonard, Portugal (vgl. Anm. 31), S. 27–37. Dazu kann man auf eine Reihe zeitgenössischer Publikationen, Festprogramme, Ausstellungsführer und nachträglicher Veröffentlichungen der Propagandaabteilung zurückgreifen, z.B. von António Ferro: Panorama dos Centenários, Lissabon 1949. 58 Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 274. 59 Acciaiuoli, Exposições (vgl. Anm. 55), S. 107–221. Corkill/Pina Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S. 392. Léonard, Portugal (vgl. Anm. 31), S. 33. Zu Mussolini vgl. Anna Notaro: Exhibiting the New Mussolinian City: Memories of Empire in the World Exhibition of Rome (EUR), in: Geojournal 51 (2000), S. 15–22. 60 Im Dezember 1940 von einem Sturm zerstört – wie übrigens ein Großteil der Ausstellungspavillons – wurde es 1960 zum 500. Todestag Heinrichs des Seefahrers in dauerhaftem Material nachgebildet, vgl. Acciaiuoli, Exposições (vgl. Anm. 55), S. 193. Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 39.



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Die Gigantomanie der Ausstellungskonzeption spiegelte sich in der Rhetorik der Festreden wider, wenn der Generalsekretär des Projekts, Augusto de Castro, bei der Eröffnung verkündete: „Ici se trouve l’une des portes de l’univers. Si la nationalité prend forme a Guimarães, si le monde commence pour nous à Sagres, l’empire commence ici, sur le Tage. D’ici, comme en nul autre lieu du Portugal, notre génie peut dire qu’il s’étend sur quatre continents.“61

Wie sollte dies alles auf die Besucher wirken? Wie ein Bilderbuch, so der Ausstellungsleiter. Auch die Literaturwissenschaftlerin Sapega schlug vor, die Ausstellung wie den Plot eines Textes zu behandeln und darauf zu achten, in welcher Reihenfolge erzählt bzw. besichtigt wird, welche symbolischen oder figurativen Codes benutzt werden.62 Auf diese Weise betrachtet, wird man auf den Mythos des Lusotropikalismus verwiesen. Dieser grenzt den Kolonialismus der Portugiesen scharf ab von dem an­derer Kolonialmächte: Portugals Kolonialismus sei ein christlich-zivilisierender, kein rassistischer gewesen; durch Rassenmischung seien neue friedlichere und demokratischere Zivilisationen hervorgebracht worden. In diesem Sinne feiert die Ausstellung die „zivilisierende Rasse“ und ihre universelle Mission.63 In der Ausstellung sollten Symbole der nationalen Identität, wie die fünf Schilde auf der Nationalfahne oder die Weltkugel bzw. das Astrolabium, die für die Herrschaft auf vier Kontinenten standen, vor allem Emotionen wecken. Nicht mit wissenschaftlichen Erklärungen sondern durch Symbole, Bilder, Worte und Slogans wollte man quasi-religiöse Empfindungen für die Vergangenheit evozieren. Auffallend ist weiterhin, dass die figurative Sprache und die symbolischen Codes sich oft einer modernistischen Ästhetik bedienten, die jedoch fest in einem historischen Narrativ der Tradition verwurzelt war. Daraus ergab sich zum Teil eine bizarre Mischung von Stilen und Formen.64 61 Rede vom 23. Juni 1940, zit. nach: Léonard, Portugal (vgl. Anm. 31), S. 33. 62 Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 28f. Ihre Meinung allerdings, dass „from a careful reading of this sources [offizielle Publikationen, Ausstellungsführer, etc.], it is possible to reconstruct the visitor’s general impressions of the exposition“, ist zu hinterfragen. Zitat, S. 29. 63 Vgl. Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S.  148–160, S.  226–240. Armelle Enders: Le Lusotropicalisme, Théorie d’Exportation. Gilberto Freyre en son pays, in: Lusotopie 3 (1997), S. 201–210, bes. S. 204. Yves Léonard: Salazarisme et lusotropicalisme, Histoire d’une appropriation, in: Lusotopie 3 (1997), S. 211–226. João Filipe Marques: „Les racistes, c’est les autres‘. Les origines du mythe du „non-racisme“ de Portugais, in: Lusotopie 14 (2007), S. 71–98. José Manuel Sobral: O Norte, o sul, a raça, a nação – representações da identidade nacional portuguesa (séculos XIX-XX), in: Análise Social 39 (2004), S. 255–284. Auch in Portugal gab es eine eugenische Bewegung, die Rassenmischung ablehnte. 64 Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 32.

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Dem „Volk“ kam bei alledem nur eine passive Rolle zu. Die Ausstellung sollte in erster Linie der Selbstinterpretation des Regimes dienen. Mithilfe konservativer und rückwärtsgerichteter historischer und sozialer Codes und unter Anknüpfung an die Jubiläums- und Gedenktagekultur des 19. Jahrhunderts wurde die Vergangenheit zu einer Projektionsfläche für den Wunsch nach Einheit und Kontinuität. Insofern dominierte die erzieherisch-pädagogische Ausrichtung auf die eigene – wenig gebildete – Bevölkerung. Für Salazar war es eines der Hauptziele des „duplo centenário“, dem portugiesischen Volk Stolz und Selbstvertrauen zu geben.65 Der parallel abgehaltene, international besetzte Kongress strebte hingegen eine wissenschaftliche Fundierung und Apologetik des nationalen Geschichtsbilds sowie des Estado Novo an. Dabei dominierten zwei Themenkomplexe die Debatten: Zum einen die Genese von Staat und Nation, zum anderen die ethnische Herkunft und Qualität der Portugiesen vor dem Hintergrund der Rassedebatten der Zeit.66 Das Feierhalbjahr schloss mit einem Aufmarsch von 187000 Arbeitern, organisiert nach den korporativen Gliederungsprinzipen des Neuen Staates.67 Es war in seiner Gesamtheit daraufhin ausgerichtet zu unterstreichen, dass Portugal tatsächlich der Welt drittgrößte Kolonialmacht war. Die marginale Position in Europa sollte durch Betonung der afrikanischen Besitzungen wettgemacht und den Portugiesen – auch den Kritikern des Kolonialregimes – das Bewusstsein ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung eingepflanzt werden: Portugal war kein kleines Land! Als Unterschiede zur Feierpraxis des klassischen Faschismus verweist die Forschung auf die vorrangige Orientierung auf die traditionelle Agrargesellschaft sowie auf das Fehlen expansionistischer Ziele.68 Auch fällt beim „Duplo Centenário“ der nur sparsame Rückgriff auf militärische Aufmärsche auf, die bei anderen Anlässen durchaus üblich waren.69 Hingegen findet man eine besondere Vorliebe für historische Umzüge, die Geschichte und Gegenwart – symbolisiert durch die korporativen Gliederungen der Gesellschaft in Reih und Glied sowie Uniform – verklammerten.

65 Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 168. Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 40f. Vgl. Oliveira Salazar: Discursos e notas políticas, Bd. 3: 1938–1943, 2. A., Coimbra 1959, S. 42f.: “dar ao povo portugues um tónico de alegria e confiança em si proprio, através da evocação de oito séculos da sua História.” 66 Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 278–280. 67 Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 175. 68 Corkill, Double Centenary (vgl. Anm 21), S. 146f. 69 Bei anderen Gelegenheiten waren dies durchaus zentrale Elemente, wie bei den Zehnjahresfeiern 1936, vgl. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 118.



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Die Feste sollten mehr die Gemeinschaft betonen als Unterschiede herausstellen; in diesem Sinne waren sie eher Feiern der Nation als Feiern des Regimes.70

3. Der 12. Oktober in Spanien: „Día de la Raza“ – „Día de la Hispanidad“ In Spanien konzentrierte der 12. Oktober die franquistische Ideologie und symbolisierte die fundamentalen Prämissen des Regimes: den Willen, das verlorene Imperium zu erneuern, die Unteilbarkeit und Einheit des Landes sowie den national-katholischen Charakter des neuen Staates. Die Erinnerung an die Entdeckung Amerikas und damit an das spanische Kolonialreich wurde auf untrennbare Weise mit dem Patronatsfest der Jungfrau von Pilar verknüpft, die sich ihrerseits durch bereits vorhandene national-patriotische Kon­notationen dafür besonders anbot: als Helferin des Apostels Jakobus bei der Reconquista, als Retterin im Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon, und nun als Beistand gegen die „Roten“ im Bürgerkrieg:71 „La Virgen del Pilar es la Virgen de la Victoria, de la Victoria de España, lo mismo frente a Rusia que frente a Napoleón.”72 Die Jungfrau stand damit seit längerem für Hilfe gegen antipatriotische und antikatholische Bedrohungen; zum nationalen Referenzpunkt und zur militärischen Führerin avancierte sie jedoch erst im 20. Jahrhundert.73 Der 12. Oktober 1492 wiederum stand für die Einheit des Staates unter den Katholischen Königen, auch für die religiöse Einheit durch die Ausweisung der Juden und das Ende der muslimischen Reiche, und: für die Entdeckung einer neuen Welt. Dadurch, dass die kasernierte Polizei, die Guardia Civil, die Jungfrau zu ihrer Patronin erkoren hatte, war die religiöse Devotion einmal mehr mit militärischen Konnotationen verkoppelt. Damit verfügten die Franquisten über eine ganze Palette symbolischer Referenzen, an die sie anknüpfen konnten. 70 Vgl. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 169. 71 Duch Plana, Els dies del franquisme (vgl. Anm. 4), S. 241. Cenarro, Reina de la Hispanidad (vgl. Anm. 4), S. 91–102. Di Febo, Ritos de guerra (vgl. Anm. 4), S. 40f. Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 121. 72 Propagandachef und Innenminister Serrano Suñer: ABC (Madrid) vom 13.10. 1939, S. 10 : „Die Jungfrau von Pilar ist die Jungfrau des Sieges, des Sieges Spaniens sowohl über Russland als auch über Napoleon.“ 73 Zur Hundertjahrfeier des Unabhängigkeitskrieges 1908 bekam die Jungfrau den Titel einer Generalkapitänin der Armee verliehen, Di Febo, Ritos de guerra (vgl. Anm. 4), S. 43f. Javier Moreno Luzón: Fighting for the National Memory. The Commemoration of the Spanish „War of Independence“ in 1908–1912, in: History & Memory 19 (2007), S. 68–94.

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Im „Tag der Rasse“ konzentrierte sich das Geschichtsbild Francos, das große Ähnlichkeiten mit dem Salazars aufwies. Es ist wie in Portugal eine Geschichte der Blüte des Reiches in der Frühen Neuzeit, das von Kastilien, seiner Machtposition in Europa und Übersee, geprägt war. Es ist ebenfalls ein stark nationalistisches, von Helden bevölkertes und den kastilischen Krieger verklärendes Geschichtsbild. Und es ist ein Geschichtsbild, das das neue Regime durch ein Wiederaufstiegsversprechen nach langen Zeiten der „Dekadenz“ legitimiert. Hierbei stellt sich Franco – wie Salazar – in eine Reihe mit den Helden der Nation, er ist der von Gott gesandte Retter. Für Franco ist Spanien einig, katholisch und imperial. Und es ist ein ewig in seiner Wesenheit unveränderliches Spanien mit einer universalen zivilisatorischen Mission, dessen Geschichte auf den Franquismus zulaufen musste. 74 Wollte aber Franco tatsächlich ein reales neues Imperium? Die Forschung hält dies mehrheitlich für unwahrscheinlich, ein Teil der Faschisten propagierte allerdings in der fiebrigen Atmosphäre der Vorkriegsjahre durchaus einen materiellen Imperialismus – und nicht nur kulturelle und/oder politische Führerschaft in der hispanischen Welt.75 Gegenüber liberalen Meinungen, die traditionell die kulturell-sprachliche und gleichberechtigte Gemeinschaft mit Lateinamerika betont hatten, legte die Rechte den Schwerpunkt auf Religion und Geschichte und sah in den lateinamerikanischen Staaten ihrer Führung bedürftige „Kinder“.76 Aber nicht nur auf Lateinamerika zielte dieser Hispanitätsdiskurs: indem er Hispanität mit Kastilien gleichsetzte, wurde gleichzeitig allen peripheren Nationalismen, wie in Katalonien und im Baskenland, eine Abfuhr erteilt.77 Zentral war bei alledem die Zivilisierungsfunktion der katholischen, spanisch-kastilischen „Rasse“. Wie in Portugal ist der Rassebegriff vor allem kulturell zu verorten. Der Franquismus war zwar antijudäisch, aber kaum biologistisch-antisemitisch78 –

74 Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4), S. 141–146. Box Varela, Fundación (vgl. Anm. 4), S. 250. Zu Portugal vgl. Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S. 121–139. 75 Box Varela, Fundación (vgl. Anm. 4), S. 253–255. Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4), S. 166–169. González Calleja/Limón Nevado, Hispanidad (vgl. Anm. 24), S. 57–71. Payne, Fascism in Spain (vgl. Anm. 7), S. 330f. 76 Dazu grundlegend: Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24). Vgl. auch González Calleja/ Limón Nevado, Hispanidad (vgl. Anm. 24). 77 Cenarro, Reina de la Hispanidad (vgl. Anm. 4), S. 99. 78 Zur Entwicklung bis 1931, vgl. Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24), S. 17–323. Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4), S. 23–103.



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außer bei einigen Vertretern des Falangismus, der spanischen Variante des Faschismus, aber auch dort konnte sich diese Haltung nicht durchsetzen.79 Diese unterschiedlichen Positionen zeigten sich auch in der Ausgestaltung des 12. Oktober. Hierfür knüpfte der Franquismus an das zivil-religiöse Ritual der Vorkriegszeit an.80 Es bestand aus zwei Typen von Feierlichkeiten: der eine war für eine größere Zahl von Menschen gedacht, der andere Amtsträgern und Teilen der Eliten vorbehalten. Hier spielte die Trennung von offenen/öffentlichen und geschlossenen Räumen eine wichtige Rolle.81 Die Kirche als liturgischer Raum par exellence stand dazwischen, mit ihrem doppelten öffentlich-privaten Charakter. Ausgangspunkt war das Fest zu Ehren der Jungfrau von Pilar, das traditionell vor allem in Aragón gefeiert wurde: Es bestand üblicherweise aus Pontifikalamt, Prozession und vielfältigen Volksbelustigungen, wie Konzerten, Jahrmärkten, Stierkämpfen. Die kasernierte Polizei brachte mit Truppenabnahme und Aufmärschen das Militärische in die Festchoreographie ein. Die Hinzunahme des „Fests der Rasse“ veränderte nun den Charakter der Feierlichkeiten. Ein Bankett für die diplomatischen Vertreter Hispanoamerikas, eine zentrale kulturelle Zeremonie – oft mit literarischen Wettbewerben (juegos florales) – kamen hinzu. Dieser Teil vereinte die Spitzen der lokalen Gesellschaft – und zwar überwiegend in geschlossenen Räumen. Hingegen brachte der Festzug, der die korporative Gliederung der Gesellschaft widerspiegelte, die Masse der Bevölkerung ins Spiel, zumindest in Form von Abordnungen und von akklamierendem Publikum. Dahinter stand der Wille zu einer lediglich kontrollierten Mobilisierung, die auch der Franquismus im Grunde beibehielt. Der veränderte Charakter des Fests wurde auch dadurch unterstrichen, dass man weitere Akte mit patriotisch-nationaler Konnotation auf diesen Tag legte: Publikation von Dekreten, Einweihung öffentlicher Gebäude, Verkündung von Amnestien oder Benefizveranstaltungen. Schnell bildete sich eine bestimmte Abfolge heraus: Festliche Messe – mit kirchlichem Ornat, Standarten und Wappen; danach ein Umzug mit Abordnungen von Institutionen, Vereinen und Waffengattungen, der üblicherweise am Kolumbusdenkmal mit Blumenniederlegungen endete. All dies geschah unter großzügigem Einsatz der Nationalfarben – Flaggen, Bänder, Uniformen. Der städtische Raum war ebenfalls festlich geschmückt, die mu-

79 Etwa bei Onésimo Redondo und Ramiro Ledesma Ramos, vgl. Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4), S.  32–34. Zu nationalsozialistischen Einflüssen: González Calleja/ Limón Nevado, Hispanidad (vgl. Anm. 24), S. 47. 80 Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24), S. 325–542. 81 Vgl. dazu Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 129.

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sikalische Gestaltung genau auf Wirkung berechnet, Nationalhymne, Militärmusik und populäre Weisen hatten alle ihren Platz.82 Bereits wenige Wochen nach dem Ausbruchs des Bürgerkriegs wurde der 12. Oktober von den Aufständischen vereinnahmt.83 Nach militärischen Erfolgen in Aragón 1938 nahm der Propagandachef und Innenminister, Francos Schwager Ramón Serrano Suñer, die Ausgestaltung der Feiern in Zaragoza selbst in die Hand. Um die Leistungen der Nationalisten zu unterstreichen, ließ sich er sich Tag und Nacht öffentlichkeitswirksam von lokalen Amtsträgern, Parteifunktionären sowie ehemaligen Kriegsgefangenen begleiten; er ehrte, er weihte ein, enthüllte Denkmäler. Daneben vollzog er die üblichen religiösen Riten und schenkte der Jungfrau einen Umhang mit dem Wappen des neuen Spanien – und er führte die Prozession an. Die Akklamationen der Menge richteten sich sowohl an die Jungfrau, aber auch die typischen Rufe des Franquismus waren zu hören: der „Kriegsruf “ Arriba España, der „ewige Ruf “ Viva España und das dreifache „Franco, Franco, Franco“. Die Jungfrau wurde so für die Triumphrhetorik der Nationalisten vereinnahmt.84 Eigentlich waren bereits in diesem Jahr die Grundlinien der franquistischen Festkultur deutlich zu erkennen. Die Feste sollen bewegen, beeindrucken, faszinieren. Die kirchlichen und staatlichen Autoritäten feiern gemeinsam ihre Erfolge und beten gemeinsam für den nahen Sieg. Der Zivilbevölkerung bleibt wenig Raum, sie ist unter Kontrolle und darf applaudieren – dies entsprach genau der Rolle, die ihr im franquistischen Spanien zugedacht war.85

3.1. Im Jahr des Sieges: Der 12. Oktober 1939 Im Jahre 1939, im Jahre des Sieges, wurden die Feierlichkeiten besonders ausladend begangen. Franco reiste dazu nach Zaragoza, zur Basilika der Jungfrau von Pilar; üblicherweise hatte man den „Tag der Rasse“ am Kolumbusdenkmal in Madrid be­ gangen.86 82 Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24), S. 391–417. 83 Zu 1936, vgl. González Calleja/Limón Nevado, Hispanidad (vgl. Anm. 24), S. 91f. Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 128f. Box Varela, Fundacíon (vgl. Anm. 4), S. 249f. Zu 1937: ABC (Sevilla) vom 12.10.1937. 84 Cenarro, Días (vgl. Anm. 4), S. 124–126. ABC (Sevilla) vom 12. 10.1938, S. 8–13. ABC (Sevilla) vom 13.10.1938, S. 13–14. 85 Cenarro, Días (vgl. Anm. 4), S. 118f. Vgl. auch: Michael Richards: A Time of Silence. Civil War and the Culture of Repression in Franco´s Spain, 1936–1945, Cambridge 1998. 86 Cenarro, Reina de la Hispanidad (vgl. Anm. 4), S. 97. Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24), S. 576.



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Vor der Basilika erschien der Diktator mit seiner martialischen marokkanischen Leibwache, wurde vom Erzbischof gesegnet und küsste das Kreuz. Er trug die Militäruniform, mit dem roten Barett der Karlisten und dem blauen Hemd der Falangisten, Kleidungsstücke, die für einzelne Stützen seines Regimes standen. Während des Te Deums zog er mit dem Erzbischof unter dem Baldachin ein, ein Privileg, das üblicherweise Königen und kirchlichen Würdenträgern vorbehalten ist. Es zeigt die Verschmelzung kirchlicher und weltlicher Macht, aber auch die monarchengleiche Stellung, die Franco für sich beanspruchte.87 Die Jungfrau trug den Mantel mit eingesticktem Staatswappen aus dem Vorjahr. Nach der Messe trat der Diktator aus dem halb-öffentlichen Kirchenraum unter den Klängen der Nationalhymne auf die Straße, Akklamationen folgten. Auf dem Weg zur alten Kaufmannsbörse streuen ihm Mädchen in Trachten einen Blumenteppich, wie bei Fronleichnamsprozessionen üblich. Dort wurde eine Art Thron aufgebaut, wo Franco von Regierung und hohen Würdenträgern umrahmt eine Rede hielt. An den Wänden: Flaggen fast aller hispanoamerikanischen Länder.88 Seine Ausführungen riefen die glorreiche spanische Geschichte, die religiösen Traditionen, den Bürgerkrieg in Erinnerung. Die zentrale Botschaft: Religiöse Hingabe und patriotische Hingabe sollten eins werden.89 Nun erfolgte erneut ein Ortswechsel von einem geschlossenen Raum auf die Straße. Erneut kam das „Volk“ ins Spiel. Franco begab sich zum Gerichtshof, wo er mit Vertretern der Justiz, lokalen Amtsträgern und Diplomaten zusammentraf. Die übrigen Eingeladenen wurden auf einer Tribüne vor dem Gebäude platziert, an herausgehobener Stelle die Kriegsversehrten. An Häusern und an Masten ein Fahnenmeer. An verschiedenen Stellen der Stadt hatte man Holzmonolithen mit Pfeil- und Joch-Symbolen, dem spanischen Wappen und verschiedenen Inschriften aufgestellt. Eine davon verkündete, dass Gott für die Sieger gekämpft habe, die andere nahm das expansionistische Motto Karls V. „Plus Ultra“ – als Programm? – auf. Überall in der Stadt bestimmte eine starke Präsenz von Uniformen von Armee und Partei das Straßenbild, oft in Form von Ehrenwachen.90 Vom Balkon aus – umrahmt von hohen Militärs erwiderte der Diktator mit dem römischen Gruß die „Franco, Franco, Franco“-Rufe und nahm den Umzug ab, der – symbolisch eindeutig – in der Franco-Straße endete. Dieser gliederte sich in einen ersten regional orientierten Teil, danach schlug die Stunde der Einheitspartei: Arbeiter, 87 Paul Preston: Franco „Caudillo de España“, Madrid 1993, S. 432. Juan Pablo Fusi: Franco. Spanien unter der Diktatur 1936–1975, München 1992, S. 65f. Casanova, Iglesia (vgl. Anm. 6), S. 341. 88 ABC (Madrid) vom 13.10.1939, S. 7–9. 89 Cenarro, Días (vgl. Anm. 4), S. 128f. 90 ABC (Madrid) vom 13.10.1939, S. 8–10.

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Parteiabordnungen mit Fahnen, Schwadronen der faschistischen Miliz. Nach dem Bankett für die diplomatischen Vertreter verließ Franco die Stadt – die traditionelle Prozession zu Ehren Mariens führte der Innenminister an, was die Bedeutungsverschiebung zwischen religiösen und politisch-patriotischen Festbestandteilen zeigt.91 Wenige Wochen später wurde die Basilika der Jungfrau von Pilar zum Nationaltempel und „Heiligtum der Rasse“ erhoben.92 In Madrid – dem traditionellen Hauptort der Feiern der Fiesta de la Raza – wurde ein reduziertes Programm geboten, das seinen Akzent auf die Überwindung der drei „roten Jahre“ legte. Eine Rosenkranzprozession führte auf den Cerro de los Angeles, einen im Bürgerkrieg heftig umkämpften Hügel, wo die Republikaner eine überdimensionale Christusstatue zerstört hatten. Dort wurde eine Feldmesse abgehalten. Gleichzeitig sammelte man, um Bedürftigen eine Wallfahrt nach Zaragoza zu ermöglichen. Auf einem großen Platz wurde eine vielbesuchte Messe an einem Holzkreuz abgehalten, das von der spanischen Flagge umhüllt war. Sowohl in Madrid als auch an anderen Orten des Landes schritt man zur zeremoniellen Bergung von Erde an Kampfstätten des Bürgerkriegs und zu Gedenkfeiern für die franquistischen Gefallenen. Auch hier war einerseits die Kirche durch die Zelebration der Messen und die Segnung der Erde beteiligt; andererseits gehörten die Nationalhymne, die Rufe und die Hymne der Falange sowie ein Aufmarsch der Jugendorganisationen dazu.93 In den folgenden Jahren trennten sich die Schauplätze wieder – der zentrale Akt fand in der Hauptstadt statt, Zaragoza feierte vor allem die Virgen del Pilar –, die konstitutiven Elemente blieben aber bestehen. Auch wurden jeweils besondere Akzente gesetzt. 1940 beging man mit besonderer Intensität die 1900-Jahrfeier des Erscheinens der Jungfrau von Pilar.94 Nach Kriegsende nahmen Dankwallfahrten für den Sieg zu. Die regionale, ursprünglich aragonesische Jungfrau erfuhr nun eine immer stärkere Nationalisierung; die Feiern galten als treffliches Sozialisationsinstrument für die Jugend, um diese im nationalkatholischen Sinne einzubinden. Dazu diente auch der umfassende Rückgriff auf „barocke“ Frömmigkeitspraktiken, die besonders Sinne und Emotionen ansprachen.95

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ABC (Madrid) vom 13.10.1939, S. 10. Da Silva, Législation franquiste (vgl. Anm. 4), S. 142. ABC (Madrid) vom 13.10.1939, S. 11. Cenarro, Reina de la Hispanidad (vgl. Anm. 4), S. 93–95. Franco stand der Organisationskommission als Ehrenpräsident vor. 95 Cenarro, Días (vgl. Anm. 4), S. 129f. Zur Orientierung auf die Jugend, vgl. auch Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 131. Di Febo, La Santa de la Raza (vgl. Anm. 19), zum besonders geförderten Kult der Teresa de Ávila.



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Faschistische Elemente und Inhalte wurden mit der Ernennung Serrano Suñers zum Außenminister deutlicher, insbesondere in der Konzeption einer Ausstellung der Hispanität im Madrider Retiro-Park 1940.96 1941 pries die Presse die Ent­deckung Amerikas als wichtigsten Tag nach der Passion Jesu Christi. Zudem inszenierte man die Vereidigung des neu geschaffenen „Rats der Hispanität“ (Consejo de la Hispanidad), einer dem Außenministerium unterstehenden Propagandainstitution, auf pompöse Weise.97 Und im Jahr darauf standen die Feierlichkeiten ganz unter dem Eindruck des 450. Jahrestags der Entdeckung Amerikas.98 1943 schließlich konzentrierten sich die Feiern zum Día de la Raza auf die Einweihung einiger Teile des im Bürgerkrieg zerstörten Universitätscampus (Ciudad Universitaria). Hier zeigte sich in der Festchoreographie besonders eindrucksvoll die Verzahnung der religiösen und der politischen Sphäre. Während der Feldmesse wurde eine Art Himmelfahrt simuliert: Flugzeugstaffeln stiegen unter dem Klang der Nationalhymne auf. Die Ehrung für die Gefallenen vereinte das Gebet mit einen von Franco niedergelegten Lorbeerkranz, der Nationalhymne und dem römischen Gruß. Die Fahnen wehten auf Halbmast und die Flugzeuge warfen Blumen ab, bevor die militärische Parade begann.99 Zugleich erfolgte die Grundsteinlegung für das Museo de América.100 Die veränderte Großwetterlage nach dem Ende des Weltkriegs spiegelte sich in der Radiobotschaft des spanischen Außenministers im Jahre 1945 wider, der im Verhältnis zu Lateinamerika den gegenseitigen Respekt und die „geistig-kulturelle“ Gemeinschaft besonders herausstrich.101 Illustrierte Presse und Rundfunk wurden für die Popularisierung des neu definierten Feiertags intensiv in Dienst genommen. Die Zeitungen berichteten ausführlich und mit vielen Bildern, Radioübertragungen nach Südamerika gehörten ebenso dazu – hier eine Parallele zum Portugal Salazars – wie die Wochenschauen. Interessant ist auch, wie man das Fest auf eher subtile Weise im Alltag der Menschen zu verankern 96 Sowohl die Symbolik der Festarchitektur als auch die Festchoreographie unterstrich die Forderung nach einer aktiveren Rolle in Amerika, vgl. ABC (Madrid) vom 13.10.1940, S. 8. Box Varela, Fundación (vgl. Anm. 4), S. 255–257. 97 ABC (Madrid) vom 10.10.1941, S. 12. ABC (Madrid) vom 12.10.1941, S. 13. ABC (Madrid) vom 14.10.1941, S. 7. 98 ABC (Madrid) vom 10.10.1942, S. 23. ABC (Madrid) vom 11.10.1942. ABC (Madrid) vom 14.10.1942. Die Entmachtung der Falange spiegelte sich im Umgang mit den lateinamerikanischen Diplomaten. Obwohl man die 450-Jahr-Feier der Entdeckung beging, fehlte der triumphalistische Ton des Vorjahrs, vgl. Box Varela, Fundación (vgl. Anm. 4), S. 258f. 99 ABC (Madrid) vom 13.10.1943, S. 11. 100 ABC (Madrid) vom 12.10.1943, S. 17. 101 ABC (Madrid) vom 13.10.1945, S. 11.

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suchte: ein Kreuzworträtsel in Form einer Karavelle sollte dazu ebenso beitragen wie der gezielte Einsatz der Produktwerbung.102 Der 12. Oktober mit seinen multiplen symbolischen Bedeutungen blieb nach Barrachina im Franquismus „la seule solennité historique dont le rôle est de célébrer la continuité.“103 Und auch im demokratischen Spanien nach 1975 hat man – wenngleich nach äußerst kontroversen Debatten – sich für die Beibehaltung dieses Nationalfeiertags entschieden, dem gleichwohl der Verfassungstag zur Seite trat.104

4. Imperium und Legitimation im Fest Die beiden iberischen Länder wählten unter­schiedliche Feststrategien, um aus ihrer imperialen Vergangenheit die neuen Regime zu legitimieren. Portugal entschied sich für die Kombination von bedeutenden Jahrhundertfeiern mit einem gigantomanischen national und international ausgerichteten Ausstellungsprojekt. Im vom Bürgerkrieg erschöpften und tief gespaltenen Spanien verbot sich dies.105 Hier verschmolz man einen jährlich begangenen Gedenktag mit einem national konnotierten kirchlichen Fest. Während in Portugal die integrierende Zielsetzung im Vordergrund stand, ist der 12. Oktober in Spanien ein Fest des Sieges und der Sieger. Unterschiedliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen – und unterschiedliche Ziele und Interessen – legten also unterschiedliche Festoptionen nahe. Einzelne Elemente der faschistisch-nationalsozialistischen Festkultur wurden in die festpolitischen Strategien integriert, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunk102 Bereits seit 1938 wurde ein besonderes Radioprogramm ausgestrahlt, vgl. ABC (Sevilla) vom 12.10.1938, S.  13. 1939 schickte Franco eine Radiobotschaft in die lateinamerikanischen Staaten, vgl. ABC (Madrid) vom 10.10.1939, S. 3. Und zum 450. Jahrestag der Entdeckung Amerikas 1942 wurde ein ausgefeiltes kulturell-politisches Festprogramm nach Übersee übertragen, der argentinische Außenminister sprach im spanischen Rundfunk, vgl. ABC (Madrid) vom 10.10.1942, S.  23. Ab 1943 konnte man die Wochenschauen der NO-DO sehen. Beispiele für Produktwerbung, vor allem für alkoholische Getränke, vgl. ABC (Madrid) vom 12.10.1938 sowie vom 12. 10.1943, eine Tendenz, die nach 1945 weiter zunahm, vgl. ABC (Madrid) vom 12.10.1946, S. 3 und vom 12.10.1951, S. 23. Zum Kreuzworträtsel, ABC (Madrid) vom 12. 10.1944, S. 12. 103 Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 133. 104 Jaume Vernet: El debate parlamentario sobre el 12 de octubre, fiesta nacional de España, in: Ayer 51 (2003), S. 135–152. 105 Auch Spanien hatte 1929 in der Iberoamerikanischen Ausstellung in Sevilla die erneuerte Verbundenheit und den neuen Schulterschluss mit seinen ehemaligen Kolonien zu visualisieren versucht.



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ten.106 Und wie bei übernommenen Institutionen, so entfalteten auch die entliehenen Festelemente unter anderen Rahmenbedingungen andere Wirkungen. So ist nicht nur nach phänomenologischen Übereinstimmungen zu suchen, sondern vor allem auch der Funktion in spezifischen Kontexten nachzuspüren. Fragt man nach den Apparaten der Festproduktion und deren Einfluss auf Form und Inhalt, so wird das jeweils unterschiedliche Gewicht derjenigen Gruppen und Kräfte deutlich, auf die sich das jeweilige Regime in einer bestimmten Phase stützte. Daraus ergab sich eine charakteristische, teils bizarre Mischung von katholisch-traditionalistischen, faschistischen und modernistischen Stilelementen, eine Situation, die eine ständige Suche nach Konsens und Kompromiss erforderte. In Portugal wurde der Festkalender mehr als in Spanien von den Gedenktagen und Jahrhundertfeiern dominiert, wobei die Helden der Nation eine zunehmende Sakralisierung erfuhren, während im Nachbarland liturgisch-religiösen Elementen stärkeres Gewicht zukam – auch bei den neuen Feiertagen des Regimes. Die Repräsentation des korporativen Staats als Gesellschaftsideal wurde in diese Folien eingepasst. Das Ziel einer Legitimation aus der Geschichte und die Formulierung des Anspruchs auf erneute Weltgeltung spiegelten sich in der Anlage der Feiern. So hielt man sich – angesichts der bestehenden Gegebenheiten – mit offen expansionistischen Forderungen zurück: Spanien betonte die kulturell-spirituelle Einheit und Verbundenheit mit den ehemaligen Kolonien, Portugal den Lusotropikalismus. Dies mag auch erklären, warum Militärparaden bzw. Aufmärsche und martialische Reden – bei anderen Gelegenheiten durchaus üblich –, hier zurückhaltender eingesetzt wurden und man stattdessen bei der Festgestaltung auf historisierende Elemente zurückgriff.107 Für die einheitsstiftenden Zielsetzungen der Feste wurden intensiv moderne Massenmedien herangezogen;108 hervorzuheben ist neben dem Einsatz der illustrierten Presse und dem Radio im eigenen Land der besondere Wert, den man – vor allem durch Rundfunkübertragungen – auf eine zeitliche Synchronisation der Festchoreo106 In Portugal waren Propagandachef Ferro und der Architekt der Ausstellung Cottinelli Telmo klar von Deutschland und Italien beeinflusst, vgl. Almeida, Celebrar Portugal (vgl. Anm. 5), S. 117; die Zehnjahresfeier des Regimes orientierte sich am 10jährigen Jubiläum des Marsches auf Rom, vgl. Corkhill/Pina Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S. 391, in Spanien galt dies für u.a. für Serrano Suñer, vgl. Ignacio Merino: Serrano Suñer: Conciencia y poder, Madrid 2004. Vgl. Javier Tusell: Introducción al franquismo, in: Tusell u. a. (Hrsg.), Fascismo (vgl. Anm. 6), S. 25–42, bes. S. 27f. 107 Vgl. etwa die spanische Siegesparade 1939, Loff, Século (vgl. Anm. 10), S.  210f. Di Febo, Ritos de guerra (vgl. Anm. 4), S. 145–159. 108 Zu Portugal: Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 24. Paulo, Estado Novo (vgl. Anm. 5), S.  88–92. Zu Spanien bereits vor Franco, vgl. Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24), S. 340–44. ABC (Madrid), 1936–1945.

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graphie auf allen Kontinenten legte.109 Kino und Wochenschauen ergänzten das Medienspektrum. Die ge­lenkten Massenmedien wurden eingesetzt, um individuelle und kollektive Erinnerungen zu organisieren und zu kodifizieren – mit dem Ziel, eine sehr spezifische Sicht auf die Realität der Gegenwart zu schaffen. Sie offenbaren darüber hinaus deutlich die Erwartungen an die Menge, an das „Volk“; – über spezifische Aneignungsformen können sie aber kaum Aufschluss geben. Auch liegen hierzu noch kaum einschlägige Untersuchungen vor. Im Falle Spaniens deuten bislang lediglich vereinzelte Hinweise darauf hin, dass sich das „Volk“ die Fiesta de la Raza – abgesehen von Madrid und Zaragoza – in größerem Maße angeeignet hätte – eher im Gegenteil.110 Die Chroniken der Presse listen zwar alle einschlägigen Aktivitäten akribisch auf, doch scheinen sich die Feierlichkeiten überwiegend in reduzierten intellektuell-politischen Zirkeln abgespielt zu haben. Mehr Resonanz wird aus Städten berichtet, wo eine größere aragonesisch-stämmige Bevölkerung die Tradition des Patronatsfests der Jungfrau von Pilar pflegte. Aber auch dort überwogen der Volksfestcharakter und nicht die ideologisch-patriotische Orientierung. Wenn hinsichtlich der „Ausstellung der portugiesischen Welt“ Sapega feststellt, dass man aus den offiziellen Publikationen die Reaktionen und Eindrücke der Besu109 Salazar hatte bereits 1938 die außerordentliche Wichtigkeit ständiger Radioverbindungen mit allen Teilen des “Imperiums” herausgestrichen, vgl. Oliveira Salazar: Comemorações centenárias (27. März 1938), in: Discursos, Bd. 3 (vgl. Anm. 53), S. 41–58, hier: S. 51. Das Großereignis wurde darüber hinaus in Filmen festgehalten und popularisiert: António Lopes Ribeiro: „As festas do Duplo Centenário“ (1940). Vgl. allgemein: Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S. 130. 110 Leider enden die Untersuchungen zum Día de la Raza, die Marcilhacy, Raza Hispana (vgl. Anm. 24), S. 389–456, in seiner Dissertation unternommen hat, im Jahre 1930. Was die Fest­ inszenierungen des Franquismus anbelangt, so hat man neuerdings versucht, aus zeitgenössischen Fotografien von der Zahl derer, die die Straßen säumten, nähere Aufschlüsse über die Rezeption zu bekommen. Auffällig ist jedoch, dass die Presse wiederholt unterstrich, wie begeistert an diesem Tag die „Größe und Bedeutung Kastiliens“ in Katalonien gefeiert worden sei, eine Tatsache, die nur der Repression geschuldet sein konnte, vgl. ABC (Madrid) vom 13.10.1940, S. 9, vom 12.10.1941, S. 23 und vom 10.10.1943, S. 38. In Valencia scheint die Bedeutung des Festes für die breite Bevölkerung recht gering gewesen zu sein, vgl. Hernàndez i Martì, La festa reinventada (vgl. Anm. 4), S. 116. Auch im Ausland, in Botschaften, Konsulaten und Kultureinrichtungen, wurde der Feiertag offiziell begangen, vgl. für Deutschland: Dawid Danilo Bartelt: Rassismus als politische Inszenierung. Das Ibero-Amerikanische Institut und der Día de la Raza, in: Reinhard Liehr/Günther Maihold/Günter Vollmer (Hrsg.): Ein Institut und sein General. Wilhelm Faupel und das Ibero-Amerikanische Institut in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2003, S. 67–129.



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cher rekonstruieren könne, so muss dies mit Vorsicht betrachtet werden.111 So gibt es zahlreiche Hinweise, dass etwa bei ausgeschriebenen Wettbewerben (1938 wurde „das portugiesischste Dorf “ des Landes gesucht!) die Angesprochenen ihr Verhalten sehr an den Erwartungen der offiziellen Stellen ausrichteten.112 Egodokumente, die die Rezeptionsseite beleuchten könnten, sind noch kaum ausgewertet.113 Integration, Förderung des Nationalstolzes und des Gemeinschaftsbewusstseins: diese Zielsetzungen sind unbestritten, doch ist bei keinem der beiden Regime der Wunsch nach einer wirklich umfassenden Massenmobilisierung im Fest präsent.114 Dies spiegelt sich etwa in den häufig geschlossenen, einer kleinen Elite vorbehaltenen Festräumen115 und einer passiven, indirekten und eingeschränkten Einbeziehung des „Volkes“. Sowohl in Spanien als auch in Portugal kann man dieses Alternieren von offenen/öffentlichen und geschlossenen Festräumen in der Festchoreographie beobachten. Das „Volk“ fand sich meist nur in den Repräsentationen des korporativen Staates, in den Gliederungen von Partei und Gesellschaft wieder. Seine wichtigste Aktivität war es sichtbar zu sein und zu akklamieren. In diesem „Intimismus“ oder „Elitismus“ sieht die Forschung einen scharfen Kontrast zu den In-Szene-Setzungen von Nationalsozialisten und italienischen Faschisten. Und: Während Salazars Politik dezidiert erzieherisch angelegt war – wenngleich keineswegs frei von Repressionen! – , agierte Franco mit der Macht des Siegers, der seinen Willen rigoros durchsetzte.116 Was das Charisma des Führers anbelangt, so hatten beide Diktatoren keine besonders guten Karten.117 Der katholische Universitätsprofessor Salazar pflegte eher einen bildungsbürgerlichen Habitus und verabscheute große Reden und Auftritte. Das der Öffentlichkeit vermittelte Bild war das eines frommen, scheuen, asketischen und arbeitsamen Staatsdieners. Sein Redestil war eher trocken und wenig geeignet, die Mas111 Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 28f. 112 Sapega, Consensus (vgl. Anm. 31), S. 4, 14, 22f. 113 Hingegen gibt es einige Hinweise, wie dieses Lissabon als Oase des Friedens im 2. Weltkrieg, als Tor in die Freiheit für viele europäische Juden gewirkt hat, vgl. Léonard, Portugal (vgl. Anm. 31), S. 27, zu Antoine de Saint-Exupéry, sowie Corkill, Double Centenary (vgl. Anm. 21), S. 143–166. 114 Costa Pinto, Salazar’s dictatorship (vgl. Anm. 7), New York 1995, S. 204–207. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 53. Medina, Salazar, Hitler e Franco (vgl. Anm. 8), S. 147–149. Barrachina, Propagande et culture (vgl. Anm. 4), S. 216f. 115 Vgl. dazu Barrachina, 12 de octubre (vgl. Anm. 23), S. 129. 116 Richards, Time (vgl. Anm. 85); Casanova, Iglesia (vgl. Anm. 6), S. 275–344. 117 Zu den Unterschieden in Persönlichkeit, Berufsweg, Regierungsstil, Propagandakonzeptionen, Personenkult und Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit vgl. zusammenfassend Medina, Salazar, Hitler e Franco (vgl. Anm. 8), S. 225–246.

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sen zu entflammen.118 Zudem stand als Staatschef General Carmona protokollarisch über ihm. In Spanien hingegen strebte der kleine, dickliche und cholerische Franco durchaus nach einer monarchenähnlichen Position und setzte seine Person nach allen Regeln der Kunst in Szene.119 Beide sahen sich und gerierten sich als Retter des Vaterlands, Salazar durch kluge Finanz- und Gesellschaftspolitik, Franco als Sieger über die „Roten“. So war Salazar zwar während des gesamten Feierhalbjahres präsent, hatte aber nur wenige spektakuläre öffentlichkeitswirksame Auftritte. Bei Franco hingegen war die Tendenz zum Personenkult viel stärker ausgeprägt.120 Fragt man nach Elementen christlicher Religiosität und Liturgie im Fest, so zeigt der Vergleich zwischen beiden iberischen Ländern, dass diese mit den staatlich-nationalen unter­schiedliche und unterschiedlich enge Verbindungen eingingen. Wenngleich auch in Portugal die staatstragende Bedeutung der Religion bei allen größeren Festivitäten ihren Ausdruck fand, wenngleich man sich mit kirchlicher Zustimmung am liturgischen Arsenal bediente,121 wenngleich eine „Sakralisierung der Gründungsmythen der Nation“ (Catroga) den Katholizismus aufs Engste mit dem nation-building verknüpfte,122 so war doch die Symbiose und gegenseitige Durchdringung in Spanien sehr viel stärker. Auch war bei Salazar eine quasi Vergöttlichung der Führerfigur wie bei Franco nicht gegeben. Die Forschung zu Spanien debattiert die Frage, ob es eine Sakralisie­rung der Politik123 gegeben habe, wie dies Emilio Gentile124 für Italien herausge­arbeitet hat, oder ob vielmehr eine Politisierung der Religion, des Sakralen eingetreten sei, wie dies Gui118 Corkill/Pino Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S. 394. Adinolfi, Confini (vgl. Anm. 5), S. 54–57, 101. Vgl. Diário de Noticias vom 27. und vom 28. April 1941, jeweils S. 1. 119 Antonio Elorza: El franquismo, un proyecto de religión política, in: Tusell u.a. (Hrsg.), Fascismo (vgl. Anm. 6), S. 69–82, S. 76. 120 Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S. 134f., 139. Elorza, Franquismo (vgl. Anm. 119). Vgl. auch: Das Charisma der Caudillos: Cárdenas, Franco, Perón, Frankfurt a. M. 1999, S. 77–133. 121 Costa Pinto, Twentieth Century Portugal (vgl. Anm. 43), S. 36. Manuel Braga da Cruz: Der Estado Novo und die katholische Kirche, in: Fernando Rosas (Hrsg.): Vom Ständestaat zur Demokratie. Portugal im zwanzigsten Jahrhundert, München 1997, S. 49–63. 122 Im Geschichtsbild des Neuen Staates verschmolzen außerdem zunehmend nationale Helden mit nationalen Heiligen: die Heiligen wurden zu Nationalhelden, die Helden der Nation sakralisiert, vgl. Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S.  134. Monteiro/ Costa Pinto, Cultural Myths (vgl. Anm. 37), S. 213. Catroga, Ritualizações (vgl. Anm. 5), S. 274. 123 Vgl. auch: Elorza, Franquismo (vgl. Anm. 119), S. 69–82. 124 Gentile, Liktorenkult (vgl. Anm. 2), S. 247–261. Emilio Gentile: Il culto del littorio. La sacralizzazione della politica nell’Italia fascista, Rom 1993.



Spanien und portugal in den 1940er jahren

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liana di Febo vertritt.125 Die spanische Kirche setzte alle ihre Ressourcen für den Franquismus ein, der im Gegenzug ihre Interessen in fast jeder Hinsicht verteidigte. Mit Prozessionen und liturgischen Zeremonien besetzte sie den öffentlichen Raum. Der Staat wiederum instrumentalisierte Heiligen- und Marienfeste und versah diese mit einem neuen Sinn. Diese besondere Beziehung machte den Rückgriff auf die katholischen Traditionen viel nützlicher als die Erfindung neuer ziviler Feste, die man aus dem Nichts hätte schaffen müssen. Für Di Febo ist die Politisierung des Sakralen daher von anderer Qualität als die politische Religion. Die politische Religion bestehe aus dem Transfer von christlichen Riten, Glaubensinhalten, Liturgien und Symbolen in die Politik. Die Politisierung des Sakralen hingegen ermögliche – obwohl sie einen ähnlichen Endzweck verfolge, nämlich die Übertragung der absoluten Macht auf ein menschliches Wesen – ein ganz bestimmtes Führermodell: den unfehlbaren, von der göttlichen Vorsehung vorherbestimmten Retter des Vaterlands. Wegen der großen Bedeutung von Festen und Feiern im Propagandakonzept der iberischen Diktatoren ist das von Mabel Berezin für Italien geprägte Schlagwort vom „Festival State“ durchaus auch auf Spanien und Portugal anzuwenden.126 Insbesondere für den portugiesischen Estado Novo hat man in der Fülle von Jahrhundertfeiern, Gedenktagen und historischen Umzügen eine Strategie gesehen, das Fehlen einer Massenmobilisierung sowie einer starken politisch-ideologischen Bewegung zu maskieren. 127

125 Giuliana di Febo: La cruzada y la politización de lo sagrado. Un caudillo providencial, in: Tusell u.a. (Hrsg.), Fascismo (vgl. Anm. 6), S. 83–97. Di Febo, Ritos de guerra (vgl. Anm. 4), bes. S. 179–193. 126 Mabel Berezin: The Festival State: Celebration and Commemoration in Fascist Italy, in: Journal of Modern European History 4 (2006), S. 60–74. 127 Corkill/Pino Almeida, Commemoration (vgl. Anm. 31), S. 399. Vgl. auch: Caldeira, O poder e a memória nacional (vgl. Anm. 22), S. 129.

Die Veralltäglichung des Festes Bemerkungen zur Festkultur der Gegenwart

von Winfried Gebhardt Schon vor mehr als 40 Jahren hat die französische Soziologin Agnes Villadary in ihrer damals (jedenfalls in Frankreich) breit rezipierten Studie „Fête et vie quotidienne“1 die These von der ‚Veralltäglichung des Festes‘ aufgestellt. Gemeint war damit die damals schon zu beobachtende – nicht zuletzt im Gefolge der französischen Studentenrevolution erfolgte – Vervielfachung des festlichen Angebotes, die wachsende Zahl von Volks-, Bier-, Wein-, Schützen- und Musikfesten, von Stadt- und Stadtteilfesten, von Rock-, Jazz- und Popfestivals, von Happenings, Streiks und Barrikadenkämpfen, von Go-Ins und Love-Ins. Wie viele andere Sozial- und Geisteswissenschaftler dieser Zeit war auch Agnes Villadary in der Bewertung dieser Entwicklung gespalten. Zum einen sah sie – dabei in der Tradition der Durkheimschule2 stehend – durchaus die Gefahr, dass durch die Vervielfachung der festlichen Angebote das ‚Efferveszende‘, das ‚Geheimnisvoll-Verzaubernde‘ des festlichen Erlebnisses Schaden nehmen könnte.3 Zum anderen neigte auch sie, wie viele Intellektuelle dieser Zeit,4 dazu, den Traum vom festlichen Alltag zu träumen, war von der Vorstellung fasziniert, dass es der dem Fest innewohnenden ‚revolutionären‘ Kraft gelingen könnte, die Gesellschaft von dem die Menschen von sich selbst entfremdenden kapitalistischen Wirtschafts­system zu befreien. Und diese Befreiung sollte, wie es in vielen festtheoretischen Schriften der damaligen Zeit hieß, eine umfassende und vollständige sein. So formulierte der 1 2

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Agnes Villadary: Fête et vie quotidienne, Paris 1968. Zur Durkheimschule und zum Collège de Sociologie und deren Traditionen der Festforschung vgl. Stephan Moebius: Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie (1937–1939), Konstanz 2006. Emile Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt a.M. 1981; JeanJacques Wunenberger: La fête, le jeu et le sacré, Paris 1977. Vgl. zur befreienden Wirkung des Festes und zur Utopie des ‚festlichen Alltags‘: Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Band 2, Frankfurt a.M. 1979; Henri Lefebvre: La vie quotidienne dans le monde moderne, Paris 1968; Michail Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969; Gerhard M. Martin: Fest und Alltag. Bausteine zu einer Theorie des Festes, Stuttgart u.a. 1973; Harvey Cox: Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe, Gütersloh 1977.

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französische Philosoph Jean Baudrillard als Ziel der ‚festlichen Revolution‘: „Politische Befreiung, sexuelle Befreiung, Entfesselung der Produktivkräfte, Entfesselung der destruktiven Kräfte, Befreiung der Frau, des Kindes, der unbewussten Triebkräfte, Befreiung der Kunst“.5 Maßlosigkeit ist schon immer ein besonderes Kennzeichen des Festes gewesen. Inzwischen ist die Entwicklung weitergegangen. Der emanzipatorische Traum vom festlichen Alltag und dem hier zu gebärenden ‚Neuen Menschen‘6 ist verflogen. Die Vervielfachung der festlichen Angebote hat sich allerdings fortgesetzt und unter veränderten weltanschaulichen Vorzeichen – denen der Eventisierung und des EventMarketings – einen neuen, exemplarischen Höhepunkt erreicht. Events – als die ‚spätmodernen‘ Marktformen des Festlichen – sind heute allgegenwärtig, sie dominieren Hoch-, Populär- und Alltagskultur. Sie greifen selbst in Bereiche über, die ihnen eigentlich ‚wesensmäßig‘ fremd sind: Bildung, Wissenschaft, Religion und Kunst.7 Ihr globaler Siegeszug begann in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Dieser Prozess der Eventisierung, den man als die zweite Stufe der Veralltäglichung des Festes bezeichnen könnte, soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Und dies soll in drei Schritten geschehen. Zuerst werden die zentralen Dimensionen dieses Prozesses genannt und beschrieben. Anschließend wird danach gefragt, wie die in der philosophischen und soziologischen Festtheorie behaupteten Funktionen des Festes und des festlichen Erlebens durch diesen Wandel verändert werden. Abschließend soll in Anschluss an Helmuth Plessners Schrift „Grenzen der Gemeinschaft“8 eine These formuliert werden, die ein Schlaglicht auf die Ursachen dieser Entwicklung werfen kann.

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Jean Baudrillard: Transparenz des Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene, Berlin 1992, S. 9. Gottfried Küenzlen: Der Neue Mensch. Eine Untersuchung zur säkularen Religionsgeschichte, Frankfurt a.M. 1997.

Vgl. dazu insbesondere: Manfred Prisching: Bildungsideologien. Ein zeitdiagnostischer Essay an der Schwelle zur Wissensgesellschaft, Wiesbaden 2008; Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M./ New York 1992.

Helmuth Plessner: Die Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus, Frankfurt a.M. 2002.



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1. Dimensionen der Veralltäglichung Die Festkultur ‚spätmoderner‘ Gesellschaften ist durch fünf, eng miteinander korrespondierende Entwicklungen gekennzeichnet, die sich als Deinstitutionalisierung, Entstrukturierung und Profanisierung sowie als Multiplizierung und Ökonomisierung des Festlichen9 begrifflich fassen lassen. Deinstitutionalisierung heißt, dass die Feste und Feiern des Staates oder anderer ‚klassischer‘ politischer, ökonomischer oder kultureller Institutionen – wie die Institutionen selbst – zunehmend an Akzeptanz und Legitimation verlieren.10 Das heißt nicht, dass sie gänzlich verschwinden. Das heißt nur, dass sie an Aufmerksamkeitswert einbüßen. Der Besuch solcher Feiern entwickelt sich zur Pflichtübung von Amtsträgern ohne beobachtbare, innere Anteilnahme. In der Öffentlichkeit werden sie – selbst wenn sie im Fernsehen live übertragen werden – kaum mehr beachtet, die Einschaltquoten jedenfalls sinken kontinuierlich. Dies gilt für historische Gedenkveranstaltungen ebenso wie für parlamentarische Feierstunden. Nicht umsonst beklagte sich der Präsident des Deutschen Bundestages im Jahre 2009 bitter darüber, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten es nicht für notwendig erachteten, die Eröffnungszeremonie des neu gewählten Bundestages zu übertragen. Zudem müssen sich institutionelle Feste und Feiern zunehmend der Konkurrenz offenerer politischer Festformen wie Happenings, Demonstrationen, Flash Mobs und Paraden, Sit-Ins, Musik- und Kulturfestivals11 stellen, in denen sich nicht selten politisch diffuse und unverbindliche Ziele, Ideen und Sinnwelten mit einem lockeren und unverbindlichen Gemeinschaftserlebnis vermischen – eine Gemengelage, die unter 9

Vgl. dazu auch: Winfried Gebhardt/Klaus Zieschang: Fest, in: Ommo Gruppe/Dietmar Mieth (Hrsg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf 1998, S. 158–160; Winfried Gebhardt: Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen, in: Winfried Gebhardt/Ronald Hitzler/Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen 2000, S.17–32. 10 Deinstitutionalisierung beschreibt die andere Seite jenes von Ulrich Beck umfassend analysierten Individualisierungsprozesses, den ‚spätmoderne‘ Gesellschaften durchlaufen. Vgl. Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M. 1986; Winfried Gebhardt: Individualisierung, Pluralisierung und institutioneller Wandel. Für eine „kritische“ Theorie der Institutionen, in: Der Staat 31(1992), S.347–365; Manfred Prisching: Das Selbst. Die Maske. Der Bluff. Über die Inszenierung der eigenen Person, Wien/Graz/ Klagenfurt 2009. 11 Wolfgang Lipp: Feste heute. Animation, Partizipation und Happenings, in: Ders.: Drama Kultur, Berlin 1994, S. 523–547; Wolfgang Lipp: Event Ware, in: Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer, Events (vgl. Anm. 9), S. 413–438.

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bestimmten Bedingungen bis hin zum festlichen Exzess in Form von Straßenterror und Barrikadenkampf führen kann. Diese Konkurrenzsituation können Institutionen aber nur dann ‚erfolgreich‘ meistern, wenn sie sich der Logik der Eventisierung anpassen, das heißt, wenn sie die – wesentlich im 19. Jahrhundert entwickelten – wertzentrierten Inszenierungsmuster staatlicher Feiern ‚modernisieren‘, diese also auf ein Mindestmaß reduzieren und mit einem möglichst spektakulären und populären Unterhaltungsprogramm, getragen von prominenten ‚Stars‘ und ‚Sternchen‘ der Musik- und Filmindustrie, kombinieren. Deutlich wird dies zum Beispiel an den Veranstaltungen zum Jahrestag der Deutschen Einheit, die (jedenfalls was den zeitlichen Umfang der Bestandteile betrifft) eher als unterhaltsames Massenevent, denn als klassische demokratische Feierstunde inszeniert werden – und trotzdem kaum noch größeren Anklang finden. Entstrukturierung heißt, dass sich die für viele Feste und Feiern der Vergangenheit typische, relativ deutliche soziale Homogenität des Teilnehmerkreises zunehmend auflöst, Klassen-, Schicht-, ja selbst Milieugrenzen – von einigen wenigen, elitären Veranstaltungen einmal abgesehen – bei der Rekrutierung der Festgemeinde also kaum noch eine Rolle spielen. Viele Feste und Feiern der Vergangenheit wurden von sozial eindeutig klassifizierbaren Gemeinschaften, Assoziationen und Institutionen begangen, deren Mitgliedschaft in der Regel über feste Zugehörigkeitskriterien definiert war und die deshalb einen ‚exklusiven‘ Status für sich reklamierten und auch durchsetzten. Mit den für ‚spätmoderne‘ Gesellschaften typischen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen verlieren zum einen diese Zugehörigkeitskriterien an Bedeutung und werden ersetzt durch die – wie immer geartete – Kategorie der ‚Prominenz‘, zum anderen treten zunehmend offenere und unverbindlichere Vergemeinschaftungsformen12 an ihre Stelle, die den Anspruch stellen, unabhängig von Klasse und Stand, zugänglich für jeden zu sein. Auch deshalb verwischen sich die einstmals klar definierten Grenzen zwischen bürgerlicher Hochkultur und populärer Kultur im allgemeinen, zwischen hochkulturellen und volks- und jugendkulturellen Festen und Feiern im besonderen.13 Viele Feste und Feiern der Gegenwart folgen in 12 In der Soziologie werden diese neu entstehenden Vergemeinschaftungsformen entweder als ‚posttraditionale Gemeinschaften‘ oder als ‚Szenen‘ bezeichnet. Vgl. dazu: Ronald Hitzler/ Thomas Bucher/Arne Niederbacher: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute, Opladen 2001; Ronald Hitzler/Anne Honer/Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnografische Erkundungen, Wiesbaden 2008. 13 Vgl. dazu: Klaus von Beyme: Die Kunst der Macht und die Gegenmacht der Kunst. Studien zum Spannungsfeld von Kunst und Politik, Frankfurt a.M. 1998; Heinz Steinert: Kulturindustrie, Münster 1998; Winfried Gebhardt: Die Verszenung der Gesellschaft und die Eventisie-



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ihrem Anspruch, offen für alle zu sein, der Logik eines inkludierenden ‚kulturellen Synkretismus‘ – einer Logik, die heute gerne mit den kulturwissenschaftlichen Modeworten der ‚Hybridisierung‘14 und ‚Theatralisierung‘15 belegt wird. Sie kombinieren unterschiedlichste kulturelle Gestaltungselemente aus allen Kulturkreisen, mischen HipHop mit Klassik, romantische Lyrik mit Comedy, Kerzenschein mit Lasershows, brasilianischen Samba mit volkstümlichem Tanz in Lederhose und Dirndl, thüringischen Schweinebraten mit Gurken-Mango-Dip. Ziel ist es durchgehend, ein möglichst spektakuläres, exotisch angehauchtes, irgendwie ‚verzauberndes‘, populäres ‚Gesamtkunstwerk‘ zu schaffen, das als ‚schönes Erlebnis‘ in Erinnerung zu verbleiben vermag. Profanisierung heißt, dass sich die Erwartungen, die Menschen an ein gelungenes Fest richten, ändern.16 Im Gegensatz zu früher wird heute zunehmend alles Objektive, also alles Formelhafte, Rituelle, Vorgeschriebene und normativ Verbindliche im Fest abgelehnt, während die subjektive Freiheit im Festgeschehen, das NutzlosSpielerische und die Möglichkeit des Sich-Gehen-Lassen-Könnens zunehmend in den Vordergrund treten. Feste und Feiern wandeln sich immer mehr zu ideologiebeziehungsweise weltanschauungsarmen Veranstaltungen, in deren Mittelpunkt nicht mehr die wertrationale Sinnvermittlung steht, sondern das – höchstens noch in eine relativ unverbindliche, weil unpersönliche, liebesakosmistische Botschaft eingebundene – ‚schöne Erlebnis‘. Im Zentrum moderner Feste steht immer mehr die Suche nach dem individuellen Vergnügen, nach emotionaler Hochgestimmtheit in Form von Spaß, Sensation und Nervenkitzel. Dies gilt selbst für jene Feste und Feiern, denen ein expliziter politischer oder karitativer Zweck zugrundeliegt. Menschen zu einer Teilnahme an einer – in irgendeinem Sinn – politischen Aktion oder auch nur zu einem Solidaritätsbeweis in Form einer Geldspende zu bewegen, scheint nur noch dann zu gelingen, wenn die Initiatoren solcher Zwecksetzungen eine ‚unterhaltsame‘ rung der Kultur. Kulturanalyse jenseits traditioneller Kulturwissenschaften und Cultural Studies, in: Udo Göttlich/Clemens Albrecht/Winfried Gebhardt (Hrsg.): Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies, Köln 2002, S. 287–305. 14 Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne bis zur Postmoderne, Weilerswist 2006. 15 Vgl. dazu die Einleitung und mehrere Beiträge (so von Rainer Diaz-Bone, Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer, Jürgen Schwier und Thorsten Schauerte, Hans Ulrich Gumbrecht) in dem von Herbert Willems herausgegebenen zweibändigen Sammelwerk: Theatralisierung der Gesellschaft, Wiesbaden 2009. 16 Hans-Peter Thurn: Die Kunst der Gesellschaft. Zur Standortbestimmung der Kunstsoziologie, in: Ders.: Bildmacht und Sozialanspruch. Studien zur Kunstsoziologie, Opladen1997, S. 9–26.

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Gegenleistung anbieten, so dass Engagement oder Wohltätigkeit auch noch Spaß machen.17 Multiplizierung heißt, dass sich das Angebot an festlichen Ereignissen – rein quantitativ gesehen – akzelerierend vermehrt. Fast täglich wächst die Zahl der Festangebote, zwischen denen die Menschen wählen können, ob es nun Volks- oder Minderheitenfeste sind, Wein- oder Bierwochen, Stadt- oder Stadtteilfeste, Musik-, Theater- und Opernfestivals, Szene- und Marketing-Events, Kulturwochen oder Sportfeste und -spektakel. Feste und Feiern lösen sich immer mehr von biographisch oder historisch begründeten Anlässen und werden willkürlich – meist aus kommerziellen Gründen – gesetzt. Es fällt allerdings auf, dass auch diese ‚Setzungen‘ scheinbar immer einer Legitimation bedürfen: entweder, indem man, wie im 19. Jahrhundert, eine Tradition bewußt ‚erfindet‘, auf die das Fest dann bezogen wird, oder indem man an einem marketingstrategisch geadelten ‚Image‘ bastelt, das über die Konstruktion von ‚Alleinstellungsmerkmalen‘ die Unterscheidbarkeit des betreffenden Festes betont. Auf die Spitze getrieben wird diese Entwicklung in Weltausstellungen wie der Expo, in den Dauerevents der Europäischen Kulturhauptstädte oder des UNESCOKulturerbes, aber auch in Freizeit- und Erlebnisparks, die alle – wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise – versuchen, das den Alltag sprengende festliche Erlebnis als ein dauerhaftes und jederzeit abrufbares Angebot fest im Alltag zu institutionalisieren18. Ökonomisierung schließlich heißt, dass Feste und Feiern zunehmend dem Prinzip der Gewinnmaximierung unterliegen. Immer mehr – bereits bestehende oder auch neu ‚erfundene‘ Feste – werden veranstaltet, um mit ihnen direkt oder indirekt Geld zu verdienen. Die in der sozialwissenschaftlichen Festtheorie oftmals postu-

17 Vgl. dazu u.a.: Ronald Hitzler: Trivialhedonismus? Eine Gesellschaft auf dem Weg in die Spaßkultur, in: Udo Göttlich/Clemens Albrecht/Winfried Gebhardt (Hrsg.): Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies, Köln 2002, S.  244–258; Winfried Gebhardt: Spaß haben und niemanden weh tun. Über die Interpretation und Geltung der ‚Goldenen Regel‘ in pluralistischen Gesellschaften, in: Alfred Bellebaum/Heribert Niederschlag (Hrsg.): Was Du nicht willst, dass man Dir tu’ … Die Goldene Regel – ein Weg zu Glück?, Konstanz 1999, S. 159–178. 18 Vgl. dazu: Sharon Zukin: Landscapes of Power: From Detroit to Disney World, Berkeley 1992; Gottfried Korff: Euro-Disney und Disney-Diskurse. Bemerkungen zum Problem transkultureller Kontakt- und Kontrasterfahrungen, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 90(1994), S. 207–232; Regina Bormann: ‚Spaß ohne Grenzen‘. Kulturtheoretische Reflexionen über einen europäischen Themenpark, in: Sociologia Internationalis 36(1998), S. 33–59; Manfred Prisching: Die Kulturhauptstadt als Groß-Event, Manuskript Graz 2009.



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lierte ‚Zweckfreiheit‘ des festlichen Erlebnisses19 löst sich auf. Das Fest selbst wird zum Zweck. Dies beginnt schon bei kleinen Vereinsfesten, die von der Vereinsführung ganz gezielt dazu eingesetzt werden, um den Jahresetat des Vereins auszugleichen und deshalb auf ‚hinzugekaufte‘ Attraktionen setzen, die mit dem eigentlichen Vereinszweck nicht das Geringste zu tun haben. Noch deutlicher wird es bei jenen als Fest deklarierten Verkaufsveranstaltungen, in denen Firmen direkt oder indirekt für ein von ihnen hergestelltes oder vertriebenes Produkt werben20 und sich dafür professioneller Event-Agenturen bedienen, die für die Bereitstellung des ‚Bisher-NochNie-Dagewesenen‘ garantieren, wie zum Beispiel dadurch, dass sie die Präsentation eines neuen Automodells der Luxusklasse in einer abgelegenen, fast unzugänglichen, aber mit allen notwendigen Accessoires ausgestatteten Eishöhle vollziehen, zu der die geladenen Gäste mit Hubschraubern eingeflogen werden müssen. Am deutlichsten jedoch lässt sich das rein kommerzielle Motiv dort finden, wo – wie in Erlebnisparks, Szene- oder Musikfestivals – eigens private oder öffentlich-rechtliche Gesellschaften gegründet werden, um das scheinbar universale Bedürfnis der Menschen nach einem außeralltäglichen Erlebnis professionell und konstant auszubeuten.

2. Die Transformation des Festlichen Die genannten Entwicklungen bewirken nun eine Transformation des festlichen Erlebens und der damit verbundenen Funktionen. Feste und Feiern galten bisher immer als spezifisch außeralltägliche, weil zum einen seltene, zum anderen zeitlich begrenzte und deshalb die Handlungsroutinen des Alltags sprengende Formen menschlicher Vergemeinschaftung, die in der Lage sind, Zeit als soziale Zeit erfahrbar zu machen und damit dem träge dahinfließenden Alltag Struktur und Ordnung zu verleihen. Feste und Feiern galten bisher als jene Sozialformen, die soziale Gruppen und Institutionen ‚lebendig‘ erhalten, entweder durch das bloße ‚zweckfreie‘ verbindende Zusammensein oder dadurch, dass sie in einem wertrationalen Akt deren Aufgabe und Zwecke darstellen, reflektieren und begründen. Feste und Feiern galten als besondere Kommunikationsformen, die gemeinsame Selbstverständlichkeiten erneuern und so 19 Josef Pieper: Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes. München 1963; Karl Kerényi: Vom Wesen des Festes, in: Karl Kerényi: Antike Religion. München/Wien 1971, S. 43–61. 20 Zur Logik des Marketingevents und des Eventmarketings vgl. Frank Sistenich/Cornelia Zanger: Eventmarketing. Das Marketing-Event als metakommunikativer Baustein zur Etablierung von Kundenbeziehungen, in: Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer, Events (vgl. Anm. 9), S. 365–381; Frank Sistenich: Eventmarketing. Ein innovatives Instrument zur Metakommunikation in Unternehmen, Wiesbaden 1999.

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Gemeinsamkeit, Solidarität und Verlässlichkeit stiften, die in den Alltag nachwirken. Als solche betrachtete man sie als notwendige Voraussetzung für die Ausbildung individueller Identität und als Garanten der Legitimität bestehender oder auch neu zu errichtender sozialer Ordnungen.21 Mit der Veralltäglichung des Festlichen, insbesondere aber mit der zweiten Stufe der Veralltäglichung, der akzelerierenden Eventisierung, ändern sich nun diese Funktionen des Festlichen. Zwar gehen sie mit der zunehmenden Eventisierung nicht gänzlich verloren, sie werden aber transformiert und in ihrer Wirkungsweise verändert. Diese Transformation, dieser Gestaltwandel des Festlichen hin zum Event, vollzieht sich auf drei, eng miteinander verbundenen Ebenen: 1. Ein festliches Erlebnis, das massenhaft und ohne biographische oder historische Verortung angeboten wird und jederzeit abrufbar ist, verliert schnell an Reiz. Dieser Reizverlust muss dadurch kompensiert werden, dass die Erlebnisangebote immer reizintensiver, immer sensationeller, immer aufsehenerregender gestaltet werden. Das Sich-Freuen auf das Fest wird ersetzt durch die Lust aufs Spektakel. Jeder Event muss größer, schneller, ‚geiler‘ sein als sein Vorgänger. Sonst drohen Langeweile und Misserfolg. Nur die bloße Wiederholung des psychisch-emotionellen Erregungsspiegels genügt allein nicht, „diese Erregung muss von Event zu Event vermehrt und intensiviert, es muss also ‚zugelegt‘ werden. Aus den Großartigkeiten müssen Sensationen werden, aus den Sensationen Mega-Sensationen“.22 Dieses, den Regeln der ‚Aufmerksamkeitsökonomie‘23 folgende ‚Steigerungsspiel‘,24 das sich exemplarisch am Veranstaltungsarrangement der Europäischen Kulturhauptstädte25 oder auch an den Weltjugendtagen der katholischen Kirche26 empirisch nachweisen lässt, führt dann oftmals auch zu ‚rufschädigenden‘ Entgleisungen. Bestes Beispiel dafür ist der sogenannte ‚Kunstskandal‘, der sich vor wenigen Jahren ereignete und weltweit durch die Presse ging: eine Ausstellung mit gefälschten Terrakotta-Kriegern im Hamburger Völkerkundemuseum. Die Kuratoren erlagen den Versprechungen eines Leipziger Event-Unternehmens, das ihnen mit dem Versprechen, etwas ganz Besonderes, Publikumsträchtiges bieten zu 21 Vgl. zu diesen ‚Leistungen‘ des Festes ausführlich die differenziert aufgeführten Funktionen von ‚Fest‘ und ‚Feier‘ in: Winfried Gebhardt, Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt a.M. u.a 1987. 22 Prisching, Kulturhauptstadt (vgl. Anm. 18), S. 12. 23 Vgl. Georg Frank: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München/Wien 1998. 24 Vgl. Gerhard Schulze: Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert? Frankfurt a.M. 2004. 25 Vgl. Prisching, Kulturhauptstadt (vgl. Anm. 18). 26 Vgl. Forschungskonsortium WJT: Megaparty Glaubensfest. Weltjugendtag: Erlebnis – Medien – Organisation, Wiesbaden 2007.



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können, Kopien der zweitausendjährigen Kriegerfiguren andrehte. Viele schüttelten den Kopf über die Gutgläubigkeit der Kuratoren. Aber diese folgten eben nur der Logik der Eventisierung. Auch Ausstellungen müssen heute Events sein, noch nie Dagewesenes bieten oder mindestens versprechen, müssen Besucherrekorde brechen und Umsatzexplosionen in den Museumsshops verzeichnen. Und dafür – so scheint es – ist jedes Mittel recht und seriöse Qualitätsstandards müssen in den Hintergrund treten. 2. Ein festliches Erlebnis, das allein von ökonomischen Interessen getragen wird und ideologisch oder weltanschaulich heimatlos ist, vermittelt kaum mehr dauerhaften sinn- und identitätsstiftenden Halt. Gleichwohl scheint das Bedürfnis, im festlichen Erleben einen ‚Sinn‘ zu finden, der dem eigenen Leben Orientierung bietet, bestehen zu bleiben. Da es aber im Event nur noch bedingt einen Handlungssicherheit garantierenden institutionellen Bezug findet, gestaltet sich die Sehnsucht nach ‚Sinn‘ zum einen als Bekenntnis zu einem universalistisch orientierten und deshalb notwendig diffusen Humanitarismus (wie zum Beispiel auf Klimaschutz- oder AntiRassismus-Konzert-Events) oder zu einem zumeist esoterisch angehauchten Liebesakosmismus (wie zum Beispiel auf religiösen Events wie dem Weltjugendtag), zum anderen als die permanente Suche nach dem Außergewöhnlichen, dem Besonderen, dem Ganz-Anderen (wie auf Hochkulturevents wie den Bayreuther- oder Salzburger Festspielen oder auch den jugendkulturellen Szene-Events wie der Love- oder StreetParade). Die Form – gleich welcher Art, als Apotheose der künstlerischen Perfektion oder als Verklärung der Location – wird, wie Gerhard Schulze sagt, wichtiger als der Inhalt27. 3. Ein festliches Ereignis wie der Event, der die Menschen nur noch zur Befriedigung partikulärer Freizeitinteressen zusammenführt, ist nicht mehr in der Lage, Gemeinsamkeit zu stiften, die im Alltag dauerhaft anhält. Events beschränken das Erleben von Gemeinschaft auf die Dauer des Ereignisses. Umsomehr aber scheinen die Erwartungen zu steigen, die Menschen an das Fest als Gemeinschaftserlebnis richten. Wenn sich Gemeinschaft nur noch im Event erleben lässt, dann muss dieses Gemeinschaftserlebnis auch besonders intensiv sein, d.h. Gemeinschaft zu erleben, wird im 27 Schulze, Erlebnisgesellschaft, S.  145ff. Vgl. dazu auch: Stephan Enser: Soziales Ex-

tremverhalten: ‚Maske‘ und ‚Rausch‘, ‚Chocks‘ und ‚Events‘. Vom Initiationsritus zur Freizeitindustrie. Würzburg 2001. – Wie richtig Gerhard Schulze mit dieser These liegt, lässt sich deutlich an der Entwicklung der Bayreuther Richard Wagner-Festspiele nachweisen, die von Beginn an weltanschaulich hoch aufgeladen waren, diesen Weltanschauungsorientierung aber zunehmend einbüßen. Vgl. dazu: Winfried Gebhardt/ Arnold Zingerle: Pilgerfahrt ins Ich. Die Bayreuther Richard Wagner-Festspiele und ihr Publikum. Eine kultursoziologische Studie, Konstanz 1998.

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Event von Organisatoren und Teilnehmern als explizites Ziel formuliert. Beispiele für diese situative Gemeinschaftshysterie waren und sind die Weltjugendtage der Katholischen Kirche, die gerade explodierenden Flash Mobs oder auch die Public ViewingVeranstaltungen anlässlich von großen Sportereignissen. Es ist beim Event eben nicht mehr die Gemeinschaft, die ein Fest feiert, sondern das Fest als Event konstituiert – für den Moment – eine ausgelassene Gemeinschaft,28 die sich nach dem Ende des Events in der Regel ‚folgenlos‘ wieder auflöst.

3. Die Dominanz des Festlichen in neuen Formen: Vororganisierte kollektive Ekstase Man kann diese Transformation des Festlichen nun deuten als charakteristische Verschiebung der beiden idealtypischen, weil von ihrer Funktion her differierenden Formen des Festes: dem festlichen und dem feierlichen Element. Im Zuge der Veralltäglichung und Eventisierung des Festlichen tritt das feierliche Element mit seiner, wesentlich wertrational bestimmten Sinnzuschreibungs- und Wertesetzungsfunktion in seiner Bedeutung immer mehr zurück, das festliche Element mit seinem ihm immanenten, weitgehend rein emotional geprägten Flucht- oder Ausstiegscharakter nimmt an Bedeutung für den ‚spätmodernen‘ Menschen immer mehr zu. An der von Otto Friedrich Bollnow theoretisch fundierten ‚Zweiteilung‘29 des Festlichen, an der analytischen Unterscheidung von Fest und Feier als zwei grundsätzlich eigenständigen Formen des Festlichen, ist immer wieder Kritik geübt worden, zuletzt von Michael Maurer.30 Obwohl er dieser Unterscheidung einen gewissen heuristischen Wert nicht abspricht, wendet er sich doch dagegen, „,Fest‘ und ‚Feier‘ grundsätzlich zu trennen“.31 Sein Argument, dass auch ‚Feste‘ zum ‚Gedächtnis-Stiften‘ tendieren und ‚Feiern‘ immer auch ein Element des ‚Efferveszenden‘ anhaftet, leuchtet auf den

28 Vgl. dazu: Winfried Gebhardt: Gemeinschaften ohne Gemeinschaft. Über situative EventVergemeinschaftungen, in: Ronald Hitzler/Anne Honer/Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnografische Erkundungen, Wiesbaden 2008, S. 202–213. 29 Otto Friedrich Bollnow: Neue Geborgenheit. Das Problem einer Überwindung des Existenzialismus. Stuttgart u.a. 1995. 30 Michael Maurer: Feste in Geschichte und Gegenwart. Aspekte, Beispiele, Perspektiven, in: Erwägen. Wissen. Ethik 19 (2008), S.211–222. 31 Maurer, Feste in Geschichte (vgl. Anm. 30), S. 4.



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ersten Blick durchaus ein, verkennt aber den idealtypischen Charakter32 der begrifflichen Unterscheidung von ‚Fest‘ und ‚Feier‘. Dass im konkreten Festgeschehen immer ‚festliche‘ und ‚feierliche‘ Elemente – wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Qualität – zusammenspielen und letztendlich eine nicht zu trennende Einheit bilden, wird durch die Unterscheidung von ‚Fest‘ und ‚Feier‘ ja nicht geleugnet. Sie dient lediglich dazu zu erkennen, dass dem Fest zwei unterschiedliche Funktionen zu eigen sind: die situative, weitgehend emotional bestimmte Aufhebung des Alltags und die symbolisch überhöhte, überwiegend wertrational bestimmte Sinnzuschreibung des Alltags. Gerade für eine treffgenaue Analyse der Geschichte des Festes scheint mir eine solche idealtypische Unterscheidung von Vorteil zu sein,33 weil sie funktionale Verschiebungen zu identifizieren und in ihrer Bedeutung zu erkennen vermag – Verschiebungen, die es in der Geschichte immer gegeben hat und die oftmals historische Umbruchstellen, wenn nicht sogar Epochenschwellen, markierten. So war die radikale Festkritik der Aufklärung, die sich aus der Ablehnung des ausufernden höfischen Festwesens des Absolutismus speiste, mit die Geburtsstunde der typisch ‚bürgerlichen Feier‘, die durch ihre bewusst inszenierte ‚Seriosität‘ ihren von den Aufklärungsphilosophen in Frage gestellten ‚Nutzen‘ unter Beweis stellen wollte.34 Die Verschiebungen, die sich heute beobachten lassen, sind deutlich zu erkennen. Unter den Bedingungen der Deinstituionalisierung, Entstrukturierung und Profanisierung des Festlichen, wächst die Bedeutung des Emotionalen, des Ekstatischen bis hin zum Exzessiven kontinuierlich an. Das Emotionale und das Ekstatische ermöglichen, wie schon Arnold Gehlen wusste, nicht nur den zeitlich begrenzten Ausbruch oder die Flucht aus dem Alltag, sie ermöglichen dem Menschen auch die Selbststei32 Max Weber: Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkennntnis, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 4. Aufl., Tübingen 1972, S.  146–214. Zur Bedeutung der idealtypischen Begriffsbildung und zu den Unterschieden in ihrer Anwendung in Geschichtswissenschaft und Soziologie vgl. Winfried Gebhardt: Der Splitter im Auge des Nachbarn. Historische, systematische und methodologische Überlegungen zum Verhältnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft, in: Amalie Fößel/Christoph Kampmann (Hrsg.): Wozu Historie heute? Beiträge zu einer Standortbestimmung im fachübergreifenden Gespräch, Köln u.a. 1996, S.97–122. 33 Welche enorme Bedeutung Webers Idealtypen für die historische Forschung haben können, zeigt überzeugend Gerhard Otto Oexle am Beispiel des Weberschen Idealtypus der ‚mittelalterlichen Stadt‘. Otto Gerhard Oexle: Kulturwissenschaftliche Reflexionen über soziale Gruppen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Tönnies, Simmel, Durkheim und Max Weber, in: Christian Meier (Hrsg.): Die okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, München 1994, S. 135ff. 34 Vgl. dazu: Gebhardt, Fest, Feier und Alltag (vgl. Anm. 21), S. 98ff.

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Winfried gebhardt

gerungserfahrungen der Entdifferenzierung und Entspezialisierung.35 Helmuth Pless­ ner36 hat in seiner Schrift Grenzen der Gemeinschaft zudem betont, dass die affektuelle Aufladung des Gemeinschaftlichen, insbesondere im Fest, auf der „unmittelbaren Lebendigkeit letzter Entschleierung“ beruht: „Nicht die Teilnahme an einem den anderen Menschen vorenthaltenen Geheimnis, sondern das Bewusstsein, keine Geheimnisse voreinander haben zu müssen, ergibt die emotionale Bindung aller“.37 Zwar gelten diese Aussagen für alle Feste, für die sogenannten Events gelten sie aber in ganz besonderer Art und Weise. Hier, wo niemand den anderen kennt, kann die ‚letzte Entschleierung‘ bis ins Extrem getrieben werden, oder umgangssprachlich formuliert: Hier darf man endlich einmal ungestraft ‚die Sau rauslassen!‘. In dieser Extremisierung der ‚letzten Entschleierung‘ liegt nun auch der Unterschied zwischen traditionalen (und teilweise auch noch modernen) Festen und den unstrukturierten, flüchtigen Formen ‚spätmoderner Events‘. Dort, wo niemand den anderen kennt, muss auch niemand damit rechnen, mit seinen Handlungen später wieder konfrontiert, geschweige denn hinterher über sein Handeln Rechenschaft ablegen zu müssen. Gibt es in den traditionalen und modernen Formen des Festes noch so etwas wie deutlich markierte ‚Peinlichkeitsschwellen‘, so schwinden diese in dem Maße, in dem der Grad der Fremdheit unter den Beteiligten wächst. Erst unter den Bedingungen des Sichnicht-Kennens und damit des Niemanden-verpflichtet-Seins entfaltet die Emotionalität des gemeinschaftlichen Handelns ihre volle anarchische Kraft. Nur dann sind die Menschen bereit, ihr Innerstes nach außen zu kehren und sich im wahrsten Sinne des Wortes zu ‚entschleiern‘. Und diese im ‚Kollektiv‘ oder auch nur unter den Augen des ‚Kollektivs‘ vollzogenen Entschleierungs-Akte bleiben dann – im Nachhinein verklärt – als ‚ultimatives festliches Gemeinschaftserlebnis‘ in nostalgischer Erinnerung. So gesehen sind Events sicher nicht die einzig mögliche, fraglos aber eine äußerst attraktive Art, unter ‚spätmodernen‘ Bedingungen Gemeinschaftsgefühle extensiv zu erleben und auszuleben. Die gemeinschaftlichen Erfahrungen von Wärme, Nähe, Direktheit, Unmittelbarkeit und Authentizität, ja von Enthusiasmus und Ekstase scheinen heute – jenseits des pianissimos einer ‚echten‘ Liebesbeziehung – fast nur noch auf jene flüchtigen Veranstaltungen beschränkt zu sein, die hier als Events bezeichnet werden. Als in aller Regel professionell vorproduzierte und hergestellte, alltägliche ‚Ausnahmesituationen‘ stellen sie – je nach Sichtweise – entweder Fluchtpunkte oder außeralltägliche Sicherheitszonen oder eben auch beides gemeinsam dar, in denen das im Alltag zunehmend als spezialisierter ‚Einzelkämpfer‘ auftretende Individuum al35 Arnold Gehlen: Urmensch und Spätkultur, Wiesbaden 1977, S. 241. 36 Plessner, Grenzen (vgl. Anm. 8). 37 Plessner, Grenzen (vgl. Anm. 8), S.45.



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lein noch die Chance zu haben glaubt, sich für den Moment als Teil eines ‚größeren Ganzen‘ zu fühlen – und zwar ohne sich auf Dauer binden zu müssen. Das macht sie attraktiv und auf unabsehbare Zeit unverzichtbar.

Personenregister Aaland, Kurt 68 Acciaiouli, Margarida 303f. Ackermann, Volker 246 Adenauer, Konrad 250 Adinolfi, Goffredo 292, 294, 296, 298, 299, 300, 301, 306, 307, 317, 318 Ailly, Pierre d’ 67 Alberti, Ulrike 224 Albrecht, Christian 62 Albrecht, Clemens 122, 325f. Aleithozetetes 208 Aleixandre, Valentim 298 Aleksandra Pavlovna 139 Alewyn, Richard 127, 135 Alexander I., Zar von Russland 142 Almeida, José Carlos 293, 295, 297, 298, 299, 300, 303, 304, 305, 315, 318, 319 Altenburg, Detlef 13, 121 Althoff, Gerd 121, 128, 135 Alvermann, Dirk 164f., 167 Ammon, Friedrich Wilhelm Philipp von 197 Ammon, Friedrich Wilhelm Philipp von 197, 207f., 213, 215 Andrade, Luís Miguel de Oliveira 293–300 Andres, Jan 134 Anguera, Pere 292, 295 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-WeimarEisenach 93 Anna Pavlovna 139 Ariès, Philippe 132 Armangué i Herrero, Joan 295 Arndt, Andreas 202 Arndt, Ernst Moritz 165, 169- 173, 178f., 183, 230 Arndt, Friedrich 165, 169 Arndt, Heinz Wolfgang 127 Arnim-Kröchlendorff, Detlev von 270 Asche, Matthias 71 Assmann, Aleida 133 Auel, Hans-Helmar 82

Bach, Johann Sebastian 66 Bachtin, Michail 321 Bader, Karl 50 Balz, Horst 200 Bange, Petronella 121 Barclay, David E. 150 Barrachina, Marie-Aline 292, 294, 297f., 307– 310, 312, 314, 317 Bartelt, Dawid Danilo 316 Barth, Ulrich 202 Bassignana, Pier Luigi 286f. Baudrillard, Jean 322 Bauer, Dörte 245 Bauer, Joachim 49, 54, 180 Bauer, Volker 28, 129 Baumeister, Martin 295 Bäumel, Jutta 23 Baumert, Susan 119–138 Baumgärtner, Ingrid 262 Baumotte, Manfred 197 Baur, Wilhelm 227, 238 Bausinger, Hermann 120 Beardsley, Elisabeth 127 Beberhold, Norman 74, 85–105, 160 Bechstein, Ludwig 184 Beck, Ulrich 323 Becker, Hans-Jürgen 19 Becker, Jürgen 195 Beger, Katrin 206 Behrenbeck, Sabine 81, 275 Bell, Catherine 17 Bellebaum, Alfred 326 Belliger, Andrea 17 Benedict, Hans-Jürgen 221, 227 Benker, Gertrud 128 Benthien, Claudia 133 Berbig, Hans Joachim 14, 25, 40 Berezin, Mabel 291, 319 Berger, Erna 20, 24f., 27, 29, 31–34, 36–38, 42 Berger, Joachim 141, 150



personenregister

Bergerhausen, Hans-Wolfgang 14 Bergholz, Thomas 68 Berlepsch, Hermann Alexander 189 Berlin, Isaiah 174 Berndhardi, Horst 177 Bernecker, Walther L. 292, 294 Bernhertz, Michael 21 Berns, Jörg Jochen 129 Bertram, Adolf, Kardinal 265 Bertuch, Friedrich Justin 131 Best, Heinrich 163 Beuther, Michael 26 Beyer, Franz-Heinrich 64 Beyme, Klaus von 324 Bilstein, Johannes 133 Blaschke, Olaf 72, 199 Bleier, August 270 Blessing, Werner K. 50, 56f., 74 Blickle, Peter 72 Bloch, Ernst 321 Bloch, Marc 276 Bock, Sabine 53 Bodelschwingh, Friedrich von 74 Boehm, E. 248 Boehm, Fritz 120f., 131f. Boehm, Laetitia 43–45, 48, 56, 59 Böhme, Hartmut 134 Bojcov, Michail 22 Bolin, Göran 169 Bollnow, Otto Friedrich 96, 330 Bormann, Regina 326 Box Varela, Zira 292, 297, 308, 310, 313 Bradshaw, Paul Frederick 65 Brandt, Peter 161, 180 Braun, Otto 271 Braune, Gudrun 236 Brendel, Thomas 183 Bretschneider, Karl Gottlieb 197f., 211 Breuer, Dieter 246, 250 Brinkmann, Sören 292, 294 Brittan, Arthur 127 Brockhoff, Evelyn 14 Brockhusen-Justin, Hans-Joachim von 265 Brüggemann, Karl Heinrich 181

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Brühl, Carlrichard 15 Bruning, Jens 50 Brunner, Otto 77, 87 Bubner, Rüdiger 115 Bucer, Martin 68 Bucher, Thomas 324 Buchholz, Werner 164f., 169 Budde, Gunilla-Friederike 120f., 124, 130, 133, 276 Buddeus, Theobald 188 Bullinger, Heinrich 68 Bund, Konrad 20, 24f., 27, 29, 31–34, 36–38, 42 Bünz, Enno 180 Burkert, Walter 13 Burkhardt, Falk 189 Burkhardt, Johannes 71f., 86, 160, 233 Burkhardt, Martin 213 Busch-Salmen, Gabriele 225 Bussemer, Thymian 291 Caldeira, Arlindo Manuel 297, 300f., 316, 318f. Calvin, Johannes 75, 77 Camões, Luís de 295, 297, 304 Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 154 Carl August, Herzog bzw. Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 95, 141, 143, 145, 148, 150, 231 Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, 143, 145, 147–151, 154–157 Carl, Horst 54, 56 Casanova, Julián 293, 295, 311, 317 Castro, Augusto de 305 Catroga, Fernando 292, 294, 298–301, 303f., 306, 318 Cenarro, Ángela 292, 294, 307f., 310–312 Cepl-Kaufmann, Gertrude 246–248, 250f. Chapman, John William 127 Cheal, David 18 Coblenz, Hermann (= Paul Wentzcke) 253 Coelho, Teresa Pinto 297 Collinson, Patrick 65 Conrad, Christoph 278

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personenregister

Conrad, Sebastian 276, 278 Conze, Werner 53, 77, 87, 137 Cordes, Harm 56 Corkill, David 297, 299–301, 304, 306, 315, 317–319 Cornehl, Peter 195 Coudray, Clemens Wenzeslaus 152 Cox, Harvey 82, 321 Cressy, David 73 Cruz, Manuel Braga da 318 Da Silva, Irène 292, 294, 296, 312 Dalgren, Lars 168 Damm, Veit 87, 98 Danz, Johann Traugott Leberecht 214 De Felice, Renzo 287 De Grand, Alexander J. 282 Dehn, Günther 267 Deile, Lars 43, 70, 90, 108, 111, 159–175, 193, 195, 220, 224, 230 Deinhardt, Katja 160f. Demandt, Johannes 218 Di Febo, Giuliana 292f., 296, 298, 307, 312, 319 Diaz-Bone, Rainer 325 Dickhaut, Kirsten 58, 129 Dietrich, Julius Reinhard 50 Dietsch, Ingrid 218 Dietz, Alexander 25 Dilthey, Wilhelm 220 Dipper, Christoph 70, 291 Dirlmeier, Ulf 67 Dittmar, Siegismund Gottfried 78 Dmitrievna, Katja 145, 150 Dölemeyer, Barbara 26 Doran, Susan 65 Dotzauer, Winfried 14, 50 Douglas, Mary 128 Driesner, Jörg 169 Droege, Georg 46 Drüge, Kurt 245 Duch Plana, Montserrat 292, 296, 307 Duchhardt, Heinz 14f., 18, 24, 85f., 88 Dücker, Burckhard 126

Düding, Dieter 27, 71, 74, 78, 159–161, 163, 177–180, 186, 233, 245 Düfel, Hans 195 Dülmen, Richard van 191 Dürig, Walter 120 Durkheim, Emile 321 Durston, Christopher 65 Ebersbach, Volker 145 Ebert, Friedrich 246 Ebertz, Michael N. 125 Echternkamp, Jörg 245 Egloffstein, Hermann von 149 Ehrenpreis, Stefan 69 Ehrensperger, Alfred 66 Ehrlich, Lothar 140 Eich, Ulrike 141 Eichmann, Eduard 18 Eisner, Kurt 269 Ekaterina Pavlovna 139 Elena Pavlovna 139 Elias, Norbert 125 Elisabeth I., Königin von England 73 Elorza, Antonio 318 Elsner, Tobias von 74, 245 Elze, Reinhard 19 Enders, Armelle 305 Endruweit, Günter 130 Engelhard, Manfred 246 Enser, Stephan 329 Erffa, Hans Martin von 33, 51 Erhart, Walter 173 Erler, Adalbert 19 Erler, Georg 46 Erman, Wilhelm 54 Ernst August Constantin, Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 93 Ernstberger, Anton 50 Erzberger, Matthias 261 Erzmann, Hubert 126, 228 Faber, Richard 227 Fahlbusch, Erwin 234 Fahlbusch, Michael 249



personenregister

Falasca-Zamponi, Simonetta 291 Falk, Caroline 225 Falk, Johannes Daniel 217–241 Falk, Rosalie 222 Faulhaber, Michael von 265 Fehrenbach, Elisabeth 177 Fendt, Leonhard 65 Ferdinand I, Kaiser 17, 23, 25 Ferro, António 299, 304 Fincardi, Marco 281 Finger, Friedrich August 34 Fink, Fritz 236 Fink, Gonthier-Louis 199 Fischer, Balthasar 46 Fischer, Gottlob Eusebius 209 Fischer, Hermann 201 Fitschen, Klaus 79f., 97, 259–273 Fix, Karl-Heinz 71, 196 Fläschendräger, Werner 52, 54, 59 Fleig, Anne 133 Flemming, Jens 281 Flügel, Wolfgang 87, 98, 195f., 199, 243 Foerster, Cornelia 161 Foerster, Erich 203 Fößel, Amalie 331 Franco, Francisco 292, 294–296, 308, 310f., 313, 318 François, Etienne 69, 160, 183 Frank, Georg 328 Frank, Gustav 207 Frank, Manfred 115 Franz II., Kaiser 16 Freitag, Werner 51, 246 Frey, Manuel 201 Freyer, Stefanie 218 Freytag, Nils 74 Frie, Ewald 137 Friedemann, Peter 27, 71, 159, 161, 177, 233, 245 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 72 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 202 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 193 Friedrich, Caspar David 170f. Fries, Jakob Friedrich 186

Frühsorge, Gotthardt 128, 129 Fuchs, Anne 134 Fuchs, Stephan 277 Fühner, Jochen 15 Fuhrmann, Horst 77 Funck, Marcus 138 Fusi, Juan Pablo 311 Füssel, Marian 43–60, 129 Gadamer, Hans-Georg 131 Gailus, Manfred 234 Gall, Ernst 33, 51 Gall, Lothar 180 Gamm, Hans Jochen 81 Ganteführer-Trier, Anne 251 Gantet, Claire 86f., 90 Garber, Jörn 108 Garve, Christian 78 Gause, Ute 221, 226f. Gebauer, Gunter 119, 133 Gebhardt, Winfried 76, 115, 125, 130, 222, 240, 291, 321–333 Gehlen, Arnold 332 Gelderen, Martin van 180 Gellerstam, Göran 76 Gennep, Arnold van 17 Gentile, Emilio 281, 287, 291, 293, 318 Georg II., König von Hannover 56f. Gerber, Stefan 195–216, 231, 234 Gerhardt, Martin 217, 222 Gerhardt, Paul 233 Gerlach, Ernst Ludwig von 200 Gerlach, Melchior 21 Gerlich, Alois 192 Gersdorff, Ernst Christian August von 232 Gesky, Franz David 126, 228, 236 Gibson, William 65 Glaser, Friedrich 21 Gleixner, Ulrike 50, 224 Gluckmann, Max 37 Goertz, Hans-Jürgen 277 Goeters, Johann F. Gerhard 204 Goethe, August 123f., 132

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Goethe, Johann Wolfgang von 15f., 41, 119, 130–132, 145, 148f., 152, 154, 156f., 225 Gohde, Jürgen 221 Göhler, Gerhard 243 Goldinger, Walter 14 González Calleja, Eduardo 297, 308–310 Göttlich, Udo 325f. Gräb, Wilhelm 202 Graf, Friedrich Wilhelm 197 Gräf, Hans 131f. Graff, Paul 65f., 82 Graun, Carl Heinrich 232 Greenhalgh, Paul 303 Greiling, Werner 121, 189, 206f. Gries, Rainer 180 Grochowina, Nicole 218 Gröger, Helmuth 253 Grünberg, Wolfgang 195 Gumbrecht, Hans Ullrich 325 Günther, Christoph Wilhelm 232 Günzel, Klaus 151 Gutmann, Hans-Martin 227 Haar, Ingo 249 Haberer, Stephanie 71, 86, 160 Häberlein, Mark 18 Hagemann, Karen 179 Hägrad ( Joseph Richter) 132 Hahn, Hans-Werner 121, 138, 148, 151, 161, 163, 177–194, 245 Hain, Christian 217–241 Hamann, Brigitte 287 Hamann, Johann Heinrich Gottlieb 34, 36 Hamberger, Wilhelm 38 Händel, Georg Friedrich 232 Hannig, Jürgen 191 Hardenberg, Friedrich von (Novalis) 114–117 Hartmann, Wolfgang 247, 253 Hattenhauer, Christian 15, 24, 31f., 34, 36 Haude, Rüdiger 246, 249 Haug, Walter 13, 78, 109, 115, 130, 133 Haupt, Heinz-Gerhard 72, 276 Haydn, Joseph 61 Heers, Jacques 13, 75

Heidenreich, Bernd 15, 17 Heiland, Janine 90, 96 Heimann, Siegfried 270, 273 Hein, Dieter 121, 138, 161, 184 Heindl, Johann Baptist 209 Heinig, Paul-Joachim 15 Heinse, Wilhelm 112–114, 116 Heinz, Jutta 108 Held, Heinz G. 15 Hellmann, Birgitt 54, 166 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 200 Henke-Bockschatz, Gerhard 262 Henrich, Franz 83 Henze, Hannelore 218 Herbst, Ludolf 275 Herder, Johann Gottfried 70 Hermann, Hans Joachim 172 Hermsdorff, Wolfgang 244 Hernàndez i Martì, Gil-Manuel 292, 294, 316 Herold-Schmidt, Hedwig 291–319 Herr, Richard 296 Herrmann, Volker 217, 220–222, 234f., 241 Herzog, Markwart 18 Hessler, Karl 244 Hettling, Manfred 177f., 192, 220, 230, 244f. Heufert, Gerhard 218f. Heydenreich, Ludwig. H. 33, 51 Hinterkeuser, Guido 52 Hirschbiegel, Jan 18, 22 Hirschfelder, Gunther 131f. Hitler, Adolf 283f., 287 Hitzler, Ronald 115, 323–327, 330 Hochmuth, Christian 49 Höfer, Ernst 90 Hoffbauer, Johann Christoph 55 Hoffmann, C. A. 86 Hoffmann, Karl 159, 162, 171, 179 Hoffmann, Stefan-Ludwig 160 Hofmann, Hanns Hubert 137 Hölscher, Lucian 234 Hölscher, Steffen 57 Holtz, Bärbel 202 Hommel, Rudolf 24 Honecker, Martin 77, 202, 214



personenregister

Honer, Anne 324, 330 Hopf-Droste, Marie-Luise 120 Horn, Ewald 54 Horn, Karl Friedrich 237 Horn, Katrin 218 Houben, Hubert Heinrich 129 Hudemann, Rainer 291 Hudtwalcker, Martin Hieronymus 221 Hugger, Paul 13, 40 Huizinga, Johan 67 Hüls, Elisabeth 182 Hundt, Michael 141 Hunger, Ulrich 52 Hüttenberger, Peter 250 Hyde, Lewis 18 Ibsen, Henrik 245 Iffland, August Wilhelm 31 Ignasiak, Detlef 229 Ilg, Matthias 71 Illgen, Christian Friedrich 208 Inachin, Kyra T. 164f., 169, 171, 175 Ingram, Robert G. 65 Iserloh, Erwin 64 Iskjul, Sergej N. 141 Isnenghi, Mario 281 Jacob, Stefan 173 Jäger, Friedrich 277 Jahn, Friedrich Ludwig 187 Jakob I./VI., König von England bzw. Schottland 73 Jannasch, Wilhelm 61f. Jannidis, Fotis 136 Janssen, Wilhelm 87 Janz, Oliver 276 Jarnut, Jörg 13, 121 Jarres, Karl 250 Jasper, Gotthard 262, 267, 271 Jeggle, Christof 18 Jelen, Ted Gerard 293 Johanek, Peter 50 Johann Friedrich I., Herzog von Sachsen 92 Johanning, Antje 251 Johanns, Markus 86

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Johannsen, Johann Christian Gottberg 210f. Jordan, Sylvester 186 Jorissen, Hans 63 Joseph II., Kaiser 30, 69 Julius, Nikolaus Heinrich 221 Kabisius, Nicole 218 Kaelble, Hartmut 221, 277 Kaesler, Dirk 76 Kahl, Wilhelm 263, 268 Kaiser, Alexandra 73 Kaiser, Jochen-Christoph 222 Kaiser, Jürgen 68 Kammerhofer-Aggermann, Ulrike 277, 281 Kampmann, Christoph 331 Kampmann, Jürgen 203 Kapler, Hermann 260, 268 Karl III./IV, König von Spanien bzw. NeapelSizilien 23 Karl, Prinz von Preußen 149 Karow, Emil 269 Kaschuba, Wolfgang 277 Kasper, Walter 63 Kasten, Ingrid 133 Kaufmann, Ekkehard 19 Keller, Hagen 18 Kemp, Friedhelm 52 Kerényi, Karl 327 Kermann, Joachim 181 Kern, Bärbel 47 Kern, Horst 47 Kershaw, Ian 287 Keßler, Martin 120 Kiehm, Peter 172 Kinzig, Wolfram 83 Kirwan, Richard 50 Klein, Viola 145, 150 Klenke, Dietmar 230 Klewitz, Hans Walter 15 Klimó, Árpád von 286 Klinger, Andreas 87, 90, 92, 98, 160, 199 Klötzer, Wolfgang 249 Kobler, Friedrich 18 Koch, Arne 173

340

personenregister

Koch, Rainer 14, 37 Koch, Traugott 64 Kocka, Heinz-Gerhard 276, 277 Kocka, Jürgen 277 Koelbl, Herlinde 128 Kohl, Gerald 26 Kohler, Erika 68, 75 Köhler, Ernst 227 Köhler, Henning 250 Komorowski, Manfred 46 König, Denise 224 Könighaus, Jan 51f. Koops, Tilman 246, 250 Kopperschmidt, Josef 135 Korff, Gottfried 73, 81, 326 Kosegarten, Gotthard 167 Koselleck, Reinhart 77, 87 Köser, Silke 221, 226f. Köster, Adolf 261 Köstering, Johann Friedrich 212 Kötzschke, Rudolf 255 Kramer, Fritz 37 Kramer, Wolfgang 200 Kramp, Mario 14, 17, 24 Kranz, Annette 86 Krause, Gerhard 200, 203 Kretschmann, Carsten 72, 199, 201 Kreutzmann, Marko 166, 184 Krieger, David 17 Kriegk, Georg Ludwig 36 Krüger, Nina 247 Krug-Richter, Barbara 44 Krumeich, Gerd 195 Krzymianowska, Justyna 196 Küchenhoff, Joachim 109, 113, 130 Küenzlen, Gottfried 322 Kugler, Bernhard 53f. Kühberger, Christoph 134, 246, 275–289, 291 Kühme, Dorothea 133 Kuhn, Bernhard Friedrich Rudolph 225 Kuhn, Thomas K. 222, 235 Kunisch, Johannes 22, 126 Kunze, Peter 228

Lampen, Angelika 50 Lancelotti, Arturo 282 Lang, Bernhard 63 Lang, Carl 133 Lang, Karl Heinrich von 26 Lang, Peter 69 Lange, Axel 197 Langewiesche, Dieter 72, 162, 173, 179, 185, 187, 189, 191 Lansemann, Robert 69 Lantermari, Vittorio 277 Laube, Stefan 71, 195–197, 200, 204f., 215 Laud, William 65 Laux, Stephan 249 Ledesma Ramos, Ramiro 309 Lehmann, Hartmut 74, 195, 234 Lenger, Friedrich 54 Lenhardt, Heinz 20 Léonard, Yves 299, 304f., 317 Leopold I., Kaiser 30 Leopold II., Kaiser 16, 23, 25, 30–32 Lepp, Claudia 74 Lepper, Marcel 109 Leppin, Volker 77, 120 Levebvre, Henri 321 Levison, Wilhelm 249 Levy, Max 75 Ley, Michael 291 Lichtenhahn, Ernst 13 Lieb, Norbert 244 Liehr, Reinhard 316 Lieven, Dominic 137 Limón Nevado, Fredes 297, 308–310 Lind, Carsten 54 Lindmeier, Bettina 219, 221, 226f. Lindner, Andreas 233 Lipp, Wolfgang 323 Lippert, Woldemar 24, 255f. Löber, Gotthold Heinrich 212 Loesch, Heinz von 64 Loff, Manuel 294, 315 Löffler, Katrin 49 Lotz-Heumann, Ute 69



personenregister

Louise, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 129, 144, 236, 239 Louro, Ilídio M. Pereira 303 Löwe, Matthias 107–117 Luhmann, Niklas 136 Luidold, Lucia 277, 281 Lünig, Johann Christian 45, 50, 54, 56 Luther, Martin 64, 67f., 70, 73, 76, 195, 231– 233, 235 Luttenberger, Albrecht Pius 23 Machilek, Franz 50f. Macho, Thomas 120 Maier, Hans 69 Maihold, Günther 316 Malinowski, Stephan 138 Manger, Klaus 110 Mann, Thomas 107 Manuel, Paul C. 293 Marburg, Silke 130, 137 Marcilhacy, David 297f., 308–310, 315f. Margenat, Josep María 293 Maria Amalia, Prinzessin von Sachsen 23 Maria Fedorovna 139, 142 Maria Ludovika, Gemahlin Kaiser Leopolds II. 23 Maria Pavlovna, Großherzogin von SachsenWeimar-Eisenach 139–158, 237 Marquard, Odo 78, 109 Marquard, Reiner 216 Marques, João Filipe 305 Martin, Gerhard M. 82, 321 Marwinski, Felicitas 209 Maßmann, Ferdinand 167 Matheus, Michael 14 Mathy, Helmut 192 Matthias, Kaiser 30 Matzerath, Josef 130, 137 Mau, Rudolf 202, 204 Maurer, Michael 9–12, 13f., 28, 37, 43, 61–83, 108, 120–122, 124, 133, 136, 159, 161, 178, 199, 220, 222, 225, 231, 240, 276, 291, 330 Mauss, Marcel 18

341

Maximilian II., Kaiser 16, 23, 25, 30 Medina, João 294, 301, 317 Meding, Wichmann von 195 Mehlhausen, Joachim 200, 204, 206, 211, 216 Mehnert, Gottfried 200 Meier, Christian 331 Meinhold, Peter 217, 223 Meinzer, Michael 69 Melanchthon, Philipp 68 Melville, Gert 18, 43, 244 Mende, Bernd 142 Mendes, José Amado 292 Mergen, Simone 245, 254 Merino, Ignacio 315 Metternich-Winneburg, Klemens Wenzel Nepomuk Lothar Fürst von 26 Metzner, Heinrich 46 Meusel, Johann Georg 32 Michaels, Axel 119 Michel, Christoph 225 Middell, Matthias 276 Minner, Katrin 51 Mittler, Elmar 52 Moebius, Stephan 321 Moeller, Reinhard 260, 263–265 Mohn, Jürgen 125 Mohrmann, Ruth A. 44 Molitor, Hansgeorg 69, 250 Möller, Bernd 202 Möller, Frank 180 Monteiro, Nuni G. 299, 304, 318 Moraw, Peter 21 Moreno Luzón, Javier 292, 295, 307 Moret Messerli, Francisco 297 Mosebach, Martin 83 Möseneder, Karl 22 Mosse, George L. 81 Mößner, Johann 69 Mozart, Wolfgang Amadeus 61, 232 Müller, Gerhard 64, 147, 166, 200, 203f., 217 Müller, Guido 247, 249f., 252 Müller, Johann Christian 49 Müller, Peter 66 Müller, Rainer A. 43

342

personenregister

Müller, Winfried 43, 53, 174, 243f., 247 Müller, Wolfgang Erich 195, 207 Müller-Harang, Ulrike 149 Müller-Krumbach, Renate 157 Münch, Paul 27, 69, 71, 76f., 159, 161, 177, 233, 245 Mussolini, Benito 283, 303 Nagy, Sigrid 98 Napoleon Bonaparte 167f., 174f., 179f., 184 Naumann, Günter 254 Nestler, Gerhard 181 Neuhaus, Helmut 22 Neumann, Josef N. 227 Niebergall, Alfred 203 Niederbacher, Ronald 324 Niederschlag, Heribert 326 Niemeyer, Christian 219 Niemöller, Klaus Wolfgang 251 Nipperdey, Thomas 70, 80 Nissen, Walter 249 Noël, Jean-François 22 Nolte, Paul 177f., 192, 220, 230, 244f. Nolzen, Armin 275 North, Michael 164f., 167, 169 Notaro, Anna 304 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 114–117 Nowak, Kurt 201, 267f. Nützenadel, Alexander 275 Ò, Jorge Ramos de la 292, 299 O’Connell, Daniel 81 O’Connell, Maurice R. 81 Oechslin, Werner 51 Önnerfors, Andreas 164 Oexle, Gerhard Otto 331 Ogarkova, Natalja 140 Ohst, Martin 201–203 Olesen, Jens E. 164f. Osterhammel, Jürgen 276f., 288 Ottomeyer, Hans 22 Ozouf, Mona 70, 160 Pahl, Henning 72, 199, 201

Pahl, Johann Gottfried 211 Palme, Gesine 227 Paravicini, Werner 18, 22 Patze, Hans 145 Pauli, Ulf 164 Paulmann, Johannes 141, 288f. Paulo, Heloísa 292, 315 Payne, Stanley 294 Pennock, James Roland 127 Pereira, D. Nuno Álvares 298 Pergolesi, Giovanni Battista 232f. Pestalozzi, Johann Heinrich 133 Petersdorff, Dirk von 111, 115 Petersen, Jens 291 Petrick, Fritz 164 Pfadenhauer, Michaela 115, 323–325, 327, 330 Pfeiffer, Albrecht Heinrich 221f. Pfeiffer, August 21 Pfeiffer-Belli, Wolfgang 36 Pfoser, Alfred 287 Philipp, Prinz von Bayern 48 Piechowski, Paul 269f., 273 Pieper, Josef 62, 327 Pikulik, Lothar 115 Pinto, António Costa 293f., 296, 299, 301, 304, 317f. Piskorski, Jan M. 164 Pius IX., Papst 80 Planert, Ute 161, 162f., 174 Plessner, Helmut 322, 332 Pohl, Karl-Heinrich 250 Pohl, Reinhard 165 Porrmann, Maria 251 Postnikowa, Olga 286 Pöthe, Angelika 156 Preston, Paul 311 Prisching, Manfred 322f., 326, 328 Pütter, Johann Stephan 31, 43 Puttkammer, Joachim von 141, 150 Radbruch, Gustav 261 Rade, Martin 272 Rahn, Thomas 28, 53, 129 Rasche, Ulrich 47, 53



Rathenau, Walter 246, 261 Rau, Susanne 49 Rautenberg, Johann Wilhelm 217 Reck, Hartmut 149, 157 Reckow, Fritz 51 Reckwitz, Andreas 325 Redondo, Onésimo 309 Redslob, Edwin 262 Reemtsma, Jan Philipp 110 Reese, Hans-Jörg 216 Rehberg, Karl-Siegbert 243 Reichel, Peter 182, 246 Reichhardt, Sven 275 Reis, Trude 218f., 237 Relaño Pastor, Eugenia 293 Rettner, Johann Georg 224, 235 Reuter-Pettenberg, Helga 15 Rezola, Maria Inácia 293 Ribeiro, António Lopes 316 Richards, Michael 310, 317 Richarz, Monika 46 Richter, Joseph (Hägrad) 132 Riedel, Wolfgang 108 Riemer, Robert 164f., 167, 169 Riemer, Friedrich Wilhelm 149, 151 Ries, Klaus 121, 180, 182, 224 Ritter, Gerhard A. 74 Roden, Günter von 51 Roeck, Bernd 69, 85, 89 Röhling, Johann Christoph 26 Rohr, Christian 121, 135 Röhr, Johann Friedrich 206f., 210 Röhr, Johann Friedrich 208 Rolf, Malte 286, 288, 291f. Römmelt, Stefan W. 244 Rosas, Fernando 294, 298, 300, 318 Rosenbaum, Heidi 124 Rosenberg, Alfred 282 Rosseaux, Ulrich 87, 98, 243–257 Rössler, Beate 127 Rössler, Emil Franz 53 Rotteck, Karl von 186 Roy, Rainer 18 Ruddat, Günter 220

personenregister

343

Rudolph, Harriet 13–42, 162 Rüegg, Walter 44 Ruhbach, Gerhard 202f. Rühs, Christian Friedrich 174f. Runde, Christian Gottlieb August 55 Safranski, Rüdiger 115 Salani, Ettore 284 Salazar, António de Oliveira 292, 294, 296, 300, 302f., 306, 313, 316–318 Salmen, Walter 225 Sammler, Steffen 276 Samuel, Richard 114 Sanford, Gerlinde 123, 124 Sänger, Johanna 87, 90, 98, 160f., 193, 195, 224, 231 Sapega, Ellen W. 299f., 304f., 315, 317 Sarafatti, Margherita 286 Sartori, Paul 131 Sartorius, Ernst Wilhelm Christian 212 Satori-Neumann, Bruno Th. 130 Saupe, Paul 236 Schaepler, Ernst 47 Schäfer, Gerhard K. 220 Schanze, Helmut 135 Scharf, Alexander 249 Scharping, Karl 164, 169 Schauerte, Thorsten 325 Schedewie, Franziska 139–158 Scheidler, Carl Hermann 184, 210, 214 Schellack, Fritz 74, 246, 281 Schembs, Hans-Otto 17 Schenk, Gerrit Jasper 18 Scherf, Lutz 128 Scherpner, Hans 220 Scheuer, Georg 286 Schieder, Wolfgang 70, 80, 191, 275 Schieffer, Theodor 249 Schiffmann, Dieter 181 Schiller, Charlotte von 232 Schilling, Heinz 22 Schilson, Arno 62 Schindling, Anton 24, 71 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 82, 201

344

personenregister

Schlesinger, Walter 145 Schlingensiepen-Pogge, Alexandra 77 Schlögl, Rudolf 44, 72, 128 Schlözer, Dorothea 47 Schmeer, Karl-Heinz 282 Schmid, Karl Adolf 227 Schmidt, Georg 140, 162, 179f. Schmidt, Hans M. 251f. Schmidt, Heinz 221 Schmidt, Patrick 56 Schmidt, Roderich 165 Schmidt, Thomas 97, 100, 124 Schmitt, Otto 33 Schmitthenner, Friedrich Jakob 185 Schmugge, Ludwig 40 Schmuhlt, Hans-Walter 244 Schnaubert, Guido 236 Schneider, Ute 162, 177, 245 Schneidmüller, Bernd 21 Schoeps, Julius 291 Schönburg-Waldenburg, Fürst Otto Viktor von 229 Schopenhauer, Johanna 129 Schöpsdau, Walter 216 Schott, Christian-Erdmann 208 Schott, Heinrich August 207f. Schramm-Häder, Ulrike 233 Schröder, Dorothea 21 Schröer, Karl Julius 119 Schubart, Christian Friedrich Daniel 28f., 33f., 38, 42 Schuchhardt, Günter 157 Schuderhoff, Georg Jonathan 206f., 210 Schüler-Springorum, Stefanie 295 Schulin, Johann P. 24 Schultz, Uwe 13, 15, 109, 281 Schulz, Andreas 161, 184 Schulz, Hartmut H. R. 207 Schulze, Gerhard 322, 328f. Schulze, Hagen 183 Schulze-Wessel, Martin 199 Schundenius, Karl Heinrich 54, 58 Schunk, Erich 182 Schüpbach-Guggenbühl, Samuel 48

Schwab, Ulrich 219 Schwabe, Johann Friedrich Heinrich 222 Schwier, Jürgen 325 Schwinges, Rainer Christoph 45f. Sciurie, Helga 66 Seibt, Ferdinand 21 Seier, Helmut 186 Seifert, Siegfried 207 Sellert, Wolfgang 15, 40 Sellner, Albert Christian 67 Sengle, Friedrich 148 Serrano Suñer, Ramón 310 Serrano, Carlos 297 Seth, Ivar 165 Siebe, Daniela 48 Siebert, Siegfried 15, 31 Siegrist, Hannes 160 Sigrist, Christian 37 Simson, Gerhard 172 Sistenich, Frank 327 Slipchenko, Sergei 287 Smend, Julius 82 Smolinski, Heribert 69 Snigula, Christoph 180 Sobirai, Nadine 49 Sobral, José Manuel 305 Speer, Albert 284 Spies, Carola 251 Spieß, Karl-Heinz 165 Spitta, Friedrich 82 Spoerhase, Carlos 109 Spörl, Johannes 48 Stahl, Patricia 14, 35, 37 Stambolis, Barbara 80 Stamm-Kuhlmann, Thomas 169, 173 Staubach, Nikolaus 18 Staudinger, Ulrike 22 Steegmanns, Christoph 250 Steffens, Martin 71, 156 Steiger, Günter 180, 186 Steiger, Reinhard 88 Steigerwald, Jörn 58, 129 Stein, Charlotte von 232 Steinert, Heinz 324



personenregister

Steinhoff, Anthony J. 199 Steinhoff, Hans-Hugo 13, 121 Steinicke, Marion 15, 23 Stephenson, Gunther 81 Stephenson, Kurt 249 Stiewe, Martin 204 Stockhorst, Stephanie 130 Stockinger, Ludwig 115 Stollberg-Rilinger, Barbara 19, 22, 39, 44–46, 126f. Stolle, Gottlieb 49 Storch, Ludwig 185 Sträter, Udo 227 Stresemann, Gustav 246 Strömholm, Stig 168 Strong, Roy 73 Strümper-Krobb, Sabine 134 Stuhrmann, Sonja 261, 267, 271 Stuiber, Alfred 120 Stupperisch, Robert 76 Szejnmann, Claus-Christian W. 256 Tabor, Jan 286 Taegert, Werner 50, 52 Talazko, Helmut 222, 234 Tappe, Imke 245 Tateishi, Hirotaka 295 Tenbruck, Friedrich H. 122 Tenfelde, Klaus 18, 50 Thoma, Heinz 108 Thurn, Hans-Peter 325 Tietz, Karl Ewald 164f., 168 Tittel, Lutz 171 Todd, Marco 64 Torgal, Luís Reis 292 Traulsen, Hans-Friedrich 201 Trauth, Michael 46 Trepp, Anne-Charlott 127 Tretjakov, N. S. 140 Tröbs, Fritz 140 Troeltsch, Ernst 76f. Trommsdorff, Gisela 130 Tschirch, Otto 244 Tucholsky, Kurt 262

Turner, Victor 37 Tusell, Javier 293, 315, 319 Tzschirner, Heinrich Gottlieb 199 Uerlings, Herbert 116 Uhland, Robert 140 Urban, Markus 291 Utz, Raphael 139–158 Vernet, Jaume 314 Viertel, Gabriele 247 Villadary, Agnes 321 Vilmar, August Friedrich Christian 211 Vincent, Mary 295 Vogel, Jakob 160 Vollmer, Günter 316 Vondung, Klaus 81 Vontobel, Klara 77 Wackernagel, Rudolf 53 Wagner, Birgit 58, 129 Wagner, Rainer 126, 228 Walter, Franz 270, 273 Walther, Helmut G. 21 Wandruszka, Adam 23 Wanger, Bernd Herbert 14f. Warnbrunn, Paul 69 Warning, Rainer 13, 78, 109, 115, 130, 133 Watts, Michael R. 65 Wawrzyn, Georg 267 Weber, Klaus-Dieter 261f., 267, 269 Weber, Max 76, 331 Weber, Rolf 173 Weber-Kellermann, Ingeborg 124, 126, 132 Wegert, Karl H. 191 Wehler, Hans-Ulrich 181, 289 Wehrmann, Martin 164, 168 Wein, Franziska 246f., 249f. Weinfurter, Stefan 15, 23 Weinhold, Bianca 134 Weinrich, Lorenz 17, 19 Weißenborn, Bernhard 55 Welcker, Karl Theodor 186 Wellenreuther, Hermann 51

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personenregister

Weller, Thomas 44, 50, 56 Welskopp, Thomas 289 Welzbacher, Christian 262 Wendehorst, Stephan 40 Wendt, Wolf Rainer 218 Weniger, Katja 236 Wentzcke, Paul 248f., 253 Werle, Dirk 109 Westphal, Siegrid 40, 87 Wettengel, Michael 187 Wettlaufer, Jörg 18, 22 Whaley, Joachim 21 Wichern, Johann Hinrich 217–241 Wichert, Sven 164f., 168 Widmann, Hans 254 Wieland, Christoph Martin 110–113, 116, 218 Wien, Bernhard 177 Wilcox, Clyde 293 Wilhelm IX., Landgraf von Hessen-Kassel 30 Wilhelm, Ernst 177 Willems, Herbert 325 Wingens, Matthias 277 Winkler, Lutz 195 Winter, J. 229 Wirth, Johann Georg August 181–183, 192 Wirth, Joseph 261 Wirth, Uwe 120 Wispert, Rainer 70

Wissell, Rudolf 47 Wißuwa, Renate 247 Wittenborn, Erich 226, 238 Woelke, Sven 249 Wohlfahrt, Johann Friedrich Theodor 209–211, 213, 215 Wolf, Irmgard 246 Wolgast, Eike 177, 181 Wolter, Hans 195 Wortmann, Richard S. 150 Wrangel, Karl Gustav 164 Wright, Jonathan R. C. 268 Wulf, Christoph 119, 129, 133f. Wulfmeyer, Hans 200 Wunenberger, Jean-Jacques 321 Wuthenow, Ralf-Rainer 15 Wydenbrugk, Oskar von 188 Zanger, Cornelia 327 Zedler, Johann Heinrich 44 Zeeden, Ernst Walter 77 Zieschang, Klaus 323 Zimmermann, Karl 208 Zingerle, Arnold 125, 329 Zschunke, Peter 69 Zukun, Sharon 326 Zur Mühlen, Karl-Heinz 76 Zwingli, Ulrich 68

Sachregister Adel, adlig, Ad(e)liger 10, 48, 66, 78, 121–123, 125f., 130–133, 135, 137f., 148, 162, 169, 225, 296, 326 Adventus 42, 50 Ästhetik, Ästhetisierung 115, 285, 291, 299, 305 Alkohol (s. auch Rausch) 37, 109 Alltag 9, 13, 43, 75f., 88, 109, 112, 114f., 117, 222, 228, 240, 281, 292, 301, 303, 313, 321f., 326–329, 331f. Anglikanismus, anglikanisch, Anglikaner 65, 75 Anordnungskompetenz 89, 97, 125f. Anthropologie, anthropologisch, Anthropinon 9, 107–112, 219, 276f. Arbeit, Arbeitsethik, Arbeiter(schaft) 11, 15, 43, 67, 76–78, 80, 82, 101, 117, 121, 126, 217–219, 221–223, 226, 229, 234f., 237f., 241, 254, 260, 262, 273, 281f., 284, 287, 306, 311, 317 Armenfürsorge, Fürsorge 11, 76, 217–241 Aufklärung 43, 48, 55, 58, 66, 77, 79, 81, 107f., 111f., 198, 214, 331 Augsburger Religionsfrieden 86f., 99, 101–103, 105 Bacchus, bacchantisch, Bacchanal 110–114, 116f. Ball, Bälle s. Tanz, Tänze Ballett 135 Bankett, Mahl, Tischgemeinschaft, Tafel, (Fest-) Essen, Schmaus 10, 16, 18f., 29, 31, 34f., 37, 39, 44, 46- 48, 50, 52, 55, 57, 63f., 94–96, 104, 109, 113, 117, 126f., 149, 157, 166, 228, 240, 309, 312 Beflaggung s. Fahnen Brauch, Bräuche, Brauchtum 9, 52, 63, 75, 101, 111, 134 Bürger, bürgerlich, Bürgertum 10f., 16, 19, 21f., 28, 41, 44, 48, 52, 59, 66, 78–83, 89, 92, 95, 119–138, 161, 166, 169, 178–182, 184–193, 199, 219, 223, 225, 231, 240f., 250–252, 254–256, 262, 288, 295, 317, 324, 331

Calvinismus, calvinistisch, Calvinist 28, 64–66, 68, 75, 233 Casualcarmina 19 Confessio Augustana 11, 72, 90, 195–216, 232, 243 Denkmal 31, 55, 212, 304, 309f. Drogen (s. auch Rausch) 109 Ehrenpforte 33, 51, 57 Erinnerungskultur s. Memoria Erlebnis 139, 181, 197, 321, 323, 325–329, 332 Erster Mai, 1. Mai 261, 281–283, 287 Event 12, 115, 124, 322–334 Exzess 37f., 75, 101f., 103, 109, 111, 114, 130, 191, 196, 222, 225, 240, 324, 331 Fackelzug 10, 49, 52, 303 Fahnen, Flaggen, Beflaggung 95, 182, 185, 192, 230, 262, 267, 272, 284–286, 302, 305, 309, 311–313 Familie 9, 11, 13, 66, 92, 94, 116, 120f., 123– 128, 130, 132–138, 140f., 143f., 147f., 151, 187, 192, 209, 217f., 222, 226f., 229f., 236, 239f., 296, 300 Feier, Feiern, feierlich, Feierlichkeit 14, 18f., 21f., 25, 27, 31f., 39f., 42f., 47–57, 61–63, 65, 72, 76, 78f., 81, 83, 87, 89–91, 93–99, 102, 104, 108, 116, 119–138, 142f., 146, 149, 151, 161, 166, 171, 184, 193, 195– 197, 199f., 203–207, 210f., 213–216, 217– 241, 243–253, 259–273, 287, 291–293, 295–298, 300f., 303, 306f., 309f., 312–317, 323–328, 330f. Feiertag 43–45, 62, 67–74, 82f., 100, 115, 142, 279–283, 286, 294–297, 313–315 Festbeschreibung, Festbericht 28, 52, 59, 96f., 103, 162, 171, 174, 178 (Fest-)Essen s. Bankett Festival, Festivalisierung 82, 319, 321, 323, 326f. Festkalender (s. auch Feiertag) 43, 56, 67, 73, 97f., 134, 143, 234f., 279f., 286, 294, 296, 315

348

sachregister

Festrede 55, 57, 167, 186, 192, 305 Festzug (s. auch Prozession, Adventus) 57, 135, 143, 196, 215, 236, 253–255, 309 Feuer, Flamme (s. a. Feuerwerk, Illumination) 73, 98, 159f., 164, 167, 178f., 197, 285, 302 Feuerwerk 19, 25, 29, 52, 135, 284, 303 Flaggen s. Fahnen Friedensfest 11, 85–105, 159–175, 180 Fronleichnam 56, 68, 311 Fürsorge s. Armenfürsorge Geburtstag 10, 73, 119–137, 142–145, 147– 149, 151–157, 167, 171, 174, 227, 236, 239, 245, 269, 280, 282 Gedächtnis 9, 11, 53, 63f., 70, 97, 100, 117, 217, 226, 228, 330 Gedenktag 68, 236, 262, 280, 295, 306, 314f., 319 Geläut s. Glocken Gemeinschaft, Vergemeinschaftung 9, 11f., 25, 35, 39, 44, 47, 52, 55, 58, 68, 70–72, 79, 87f., 94, 96, 104, 108, 113, 125, 128–130, 138, 161, 172, 174, 179, 181, 220, 222, 228–230, 234f., 238, 240, 252, 269, 282, 298, 302f., 307f., 313, 317, 322–324, 327, 329f., 332 Geschichte 9, 11, 44, 92, 98f., 102, 226, 245, 247f., 252, 293, 300f., 304, 306, 308, 311, 315 Glocken, Geläut, Läuten 90f., 95, 98, 103, 166, 205, 215, 264, 267, 302 Glückwunsch 123, 127, 134f. Gottesdienst, Messe 10, 16, 18f., 21, 29, 32, 39, 46, 48, 50, 58f., 61–83, 91, 93f., 98, 103, 160, 162, 166, 203, 205, 215f., 226, 237, 264–270, 273, 302, 309, 311–313 Halloween 9 Heilige, Heiligenverehrung 48, 56, 62–64, 67– 69, 71f., 77, 80, 86, 93, 189, 193, 296–300, 302, 312, 319 Hochzeit, Heirat 29, 47, 141 Hof, höfisch 10f., 13, 20, 27f., 32, 50, 59, 66, 92, 94, 109, 119, 125–129, 130, 132, 134f., 139f., 147–149, 151, 156–159, 171, 203, 331

Huldigung 16, 21f., 42, 127, 133–135, 161, 166f., 171, 174, 193 Hymne, Nationalhymne 63, 230, 262, 302, 310–313 Identität 9, 11, 59f., 67, 70–72, 74, 79f., 86, 93, 97, 100, 105, 111, 117, 124, 127, 148, 161, 164, 166, 168–171, 173–175, 185, 196, 227, 240, 298, 301, 305, 328f. Illumination 19, 29, 32f., 39, 42, 57, 135, 166f., 231, 303 Inauguration 45, 50–53, 57 Individuum, individuell, Individualität, Individualisierung 9f., 66, 79, 112–114, 117, 119–121, 123, 125, 134–136, 174, 220, 282, 316, 324–326, 332 Innerlichkeit 62, 79, 268, 272 Institution, institutionell, Institutionalisierung 10, 41f., 44, 58f., 85, 97, 99, 104, 109, 125, 202, 207, 223, 239, 243, 245, 247f., 252, 271, 276, 309, 313, 315, 323f., 326f., 329, 331 Inszenieren, Inszenierung 9, 11f., 20, 27, 30, 37, 81, 85, 90, 92, 97f., 108f., 111f., 119f., 125, 129, 131, 138, 140, 146, 148f., 178, 190, 215, 223, 233, 235, 237f., 241, 246f., 251, 253, 256f., 259, 261, 263, 283, 286f., 289, 291, 296, 299–301, 313, 324, 331 Jagd 19, 29f. Jahrhundertfeier 295, 297f., 301, 314f., 319 Jahrtausendfeier s. Millennium Jubel 35, 213 Jubiläum 54, 101f., 105, 199, 249 Kalender s. Festkalender Katholizismus, katholisch, Katholik 10, 23, 32, 48, 52, 56, 61–83, 86, 198–201, 205f., 210f., 213–216, 233, 235, 243f., 259f., 265, 267f., 270f., 279, 298, 307f., 312, 315, 317–319, 328, 330 Kirche 11, 17f., 46–48, 51, 61–83, 89, 91f., 94f., 103f., 121f., 127, 142, 186, 195, 198, 200, 201f., 204–216, 226, 232, 235f., 240, 244, 259–273, 279, 295f., 309, 311f., 318f., 328, 330 Kirchenjahr 63, 68



sachregister

Kirchweih, Kirmes 75, 225 Konfession, Konfessionalisierung, Konfessionskultur 10f., 23, 28, 32, 43, 45f., 48, 52, 56, 59, 61–83, 87, 98, 97, 102, 104, 197–216, 231, 233–235, 240f., 243 Konzert 24, 29, 31, 135, 232, 241, 250, 309, 329 Krönung 10, 13–42 Läuten s. Glocken Liturgie, liturgisch 62f., 82f., 89, 91, 96, 99, 103f., 109, 203, 269, 303, 309, 315, 318f. Luthertum, lutherisch, Lutheraner 11, 56, 64, 66–68, 70, 72–76, 81f., 86f., 89, 98, 104f., 145, 197, 199f., 203–205, 210–213, 216, 228, 231–235, 272 Mahl s. Bankett Manöver 19, 29–31 Maskenaufzug, Maskenball 29–31, 129f., 135, 149, 156–158 Medium, Medien, Medialisierung 25f., 28, 41, 59, 104, 109, 111, 122, 138, 162, 178, 226, 292, 299, 315f. Memoria, Memorialkultur, Memorialpolitik, Erinnerungskultur 30, 82, 86f., 97, 103f., 137, 150, 154, 158, 197, 205, 226, 239 Messe s. Gottesdienst Millennium, Tausendjahrfeier, Jahrtausendfeier 243–257 Mittelalter 18, 43, 64, 67, 71, 75, 97, 121, 135, 149, 154, 181, 252, 254, 301f. Musik 10, 32, 35f., 46, 55, 64–66, 95f., 109, 116, 126, 160, 164, 166, 231f., 240, 251, 253, 302, 310, 321, 323f., 326f. Namenstag 22, 142 Nationalfest, Nationalfeiertag 27, 42, 74, 98, 159–163, 168, 174, 177–180, 190, 267, 286, 297, 305, 309, 314 Nationalhymne s. Hymne Öffentlichkeit 20, 25, 28, 33, 35, 41, 44f., 78, 80, 126, 130, 134, 192, 228, 237, 246, 248f., 261f., 282, 304, 310, 317f., 323 Oper 29, 31, 135, 326 Ordnung 11, 13, 19, 36–40, 44–47, 58f., 63, 70, 87, 89f., 94f., 128–130, 135, 141, 157, 166,

349

178f., 181, 183, 189, 191f., 198f., 203, 205, 208, 220, 224, 266, 277, 281, 292, 327f. Ostern 9,67 Parade 120, 135, 160, 251, 262, 313, 315, 323, 329 Partizipation 36, 41, 126, 218 Pauken und Trompeten 51, 90, 95f. Politisieren, Politisierung 11, 177–194, 196, 199, 203, 296f., 318 Predigt, Prediger 21, 61f., 64f., 81, 91f., 96, 99, 102–104, 166, 197f., 201, 203, 206–209, 213, 215, 226, 237, 269, 273 Preisgabe 18, 34–39, 41 Privat, Privatheit, Privatisierung 10, 20, 46, 55, 66, 73, 79, 109, 120, 123–128, 131, 133– 136, 138, 199, 238, 282, 309, 323 Promotion 45–47, 58 Protestantismus, protestantisch, Protestant 10f., 43, 48, 52, 56, 61–83, 86, 89, 92, 98, 183, 195–216, 229f., 233–235, 240f., 243f., 260, 265, 269–272 Prozession 46, 48, 50f., 56, 58f., 63, 68, 70, 76, 91f., 94f., 102–104, 160, 162, 166, 205, 309–312, 319 Rationalisierung 48, 58f., 211 Rausch 107, 109f., 114–116 Rede (Fest-, Huldigungs-, Tischrede) 46, 48, 55, 57, 104, 125, 135, 166f., 171, 174, 178, 180–182, 184, 186, 188, 192, 215, 228, 249, 252, 261, 302, 305, 311, 315, 317 Reformation 10, 56, 63–65, 67, 69f., 75f., 83, 90, 92, 98, 102f., 122, 196, 199f., 204, 206, 213f., 216, 223, 231–235, 240f. Rektoratswechsel 45, 47–50, 57f. Repräsentation, repräsentativ, Repräsentant 9f., 13, 23, 44, 47f., 50, 56, 62, 68, 72, 77–79, 94–96, 104, 110, 125f., 130f., 134, 139, 144, 151, 161, 181, 199, 206, 221, 230, 260, 266, 292, 317 Resakralisierung s. Sakralisierung rite de passage, Übergangsritual 10, 40, 47, 89 Ritus, rituell, Ritual 17, 19, 31, 37, 39f., 45–48, 50, 57–59, 62, 66, 70, 82f., 89f., 96–98,

350

sachregister

104, 109, 119f., 123f., 126, 131, 135, 138, 178, 221, 226, 287, 291, 302, 309, 315, 325 Säkularisierung 11, 81, 97, 101–103, 122, 135 Sänger 51, 116, 149, 151, 153f., 177, 183–190, 193f., 230 Sakralisierung, Resakralisierung 40, 81f., 183, 215, 296f., 303, 315, 318f. Schauspiel, Schauspieler (s. auch Theater) 29,31, 110, 126f., 135, 251, 263 Schmaus s. Bankett Schwarz-Rot-Gold 181f., 261f., 267, 269 Solennität 23, 40, 43–45, 51, 56, 314 Sonntag 43, 67f., 72, 75, 91, 93, 95, 99, 101f., 114, 116, 144, 203–205, 217, 234, 264, 267–269, 273 Spiel, Spielregel 19, 30, 57, 94, 109, 114, 120, 132, 194, 238, 240, 284, 325, 328 Ständchen (s. auch Musik, Konzert) 49 Stil, Stilisierung 10, 65f., 77, 81, 133f., 137, 162, 166, 174, 226, 230, 237, 246, 283, 287–289, 296, 305, 315, 317 Symbol, symbolisch 9, 11, 13, 17, 35, 37, 40, 44, 57–60, 62–64, 67–69, 97, 117, 129, 131, 134, 136, 138, 140, 144, 147, 150, 159, 170, 178f., 183, 186, 195, 201f., 204, 206, 210f., 220, 230, 240, 257, 277, 282, 285, 291, 298, 304–307, 311, 314, 319, 331 Tafel s. Bankett Tanz, Tänze, Ball, Bälle 19, 29, 31, 55, 75, 94–96, 104, 109f., 113, 116, 127, 130, 135, 140, 143, 147–149, 156f., 164, 166, 224f., 240, 325

Tausendjahrfeier s. Millennium Theater, Theatralisierung 24, 29–31, 37, 40, 52, 113, 129, 149, 152, 246, 250, 291, 299, 325f. Tischgemeinschaft s. Bankett Trompeten s. Pauken Tumult 36–38, 161 Turner 160, 164, 177, 180, 182, 186f. Turnier 19, 30 Übergangsritual s. rite de passage Uniform 196, 284, 306, 309, 311 Universität 10, 43–60, 104, 164, 166–168, 171, 182, 196f., 208, 213, 215, 243 Valentinstag 9 Verfassungsfeiern, Verfassungsfeste 11, 19, 22, 39–42, 119, 259–273 Vergemeinschaftung s. Gemeinschaft Vogelschießen 224 Volksfest 20, 316 Volkstrauertag 267 Westfälischer Frieden 86, 90, 94, 98, 101, 103, 105 Zeit, Zeitkultur 9–12, 53, 119, 154, 156 Zeremonie, Zeremoniell 9f., 16f., 19, 25, 29, 31f., 39f., 45f., 49, 51, 53f., 57–59, 64, 70, 83, 126, 128, 143, 296, 302, 309, 312, 319, 323

Publikationen des Sonderforschungsbereichs 482 Literaturliste SFB 482

2010 Werner Greiling, Franziska Schulz (Hrsg.): Vom Autor zum Publikum. Kommunikation und Ideenzirkulation um 1800. Bremen 2010. Friedemann Pestel: Weimar als Exil. Erfahrungsräume französischer Revolutionsemigranten 17921803 (TRANSFER – Deutsch-Französische Kulturbibliothek, 28). Leipzig 2010.

2009 Stefan Blechschmidt: Goethes lebendiges Archiv. Mensch – Morphologie – Geschichte. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 25). Heidelberg 2009. Cornelia Brockmann: Instrumentalmusik in Weimar-Jena um 1800. Aufführungskontexte – Repertoire – Eigenkompositionen. (Musik und Theater, 7). Sinzig 2009. Stefanie Freyer, Katrin Horn, Nicole Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten. Weimar-Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 22). Heidelberg 2009. Nicole Grochowina: Das Eigentum der Frauen. Konflikte vor dem Jenaer Schöppenstuhl im ausgehenden 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2009. Steffen Kublik: Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800. (Geschichtswissenschaft, 6). Marburg 2009. Sabine Schimma, Joseph Vogl (Hrsg.): Versuchsanordnungen 1800. Zürich: diaphanes, 2009. S. 1-12, 199-205. Stefan Wallentin: Fürstliche Normen und akademische »Observanzen«. Die Verfassung der Universität Jena 1630-1730. Köln 2009. Harald Wentzlaff-Eggebert: Weimars Mann in Leipzig. Johann Georg Keil (1781-1857) und sein Anteil am kulturellen Leben der Epoche. Eine dokumentierte Rekonstruktion. (Ereignis WeimarJena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 26). Heidelberg 2009. Temilo van Zantwijk: Heuristik und Wahrscheinlichkeit in der logischen Methodenlehre. Paderborn 2009.

2008 Thomas Bach, Jonas Maatsch, Ulrich Rasche (Hrsg.): ‚Gelehrte‘ Wissenschaft. Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800. (Pallas Athene. Beiträge zur Universitätsund Wissenschaftsgeschichte, 26). Stuttgart 2008. Barbara Becker-Cantarino: Meine Liebe zu Büchern. Sophie von La Roche als professionelle Schriftstellerin. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 20). Heidelberg 2008. Stefan Blechschmidt: Homunculus. Ein Antikosmos auf evolutionärer Reise. Saarbrücken 2008. Edoardo Costadura (Hrsg.): Frankreich oder Italien? Konkurrierende Paradigmen des Kulturaustausches in Weimar und Jena um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 21). Heidelberg 2008.

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Literaturliste SFB 482 Julia Di Bartolo: Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 17). Heidelberg 2008. Lothar Ehrlich, Georg Schmidt (Hrsg.): Ereignis Weimar-Jena. Gesellschaft und Kultur um 1800 im internationalen Kontext. Köln, Weimar, Wien 2008. Jochen Golz, Manfred Koltes (Hrsg.): Autoren und Redaktoren als Editoren. (Beihefte zu editio, hrsg. von Winfried Woesler, 29). Tübingen 2008. Ernst-Gerhard Güse, Stefan Blechschmidt, Helmut Hühn, Jochen Klauß (Hrsg.): „Eine unbeschreibliche, fast magische Anziehungskraft“. Goethes „Wahlverwandtschaften“. Ausstellungskatalog. Weimar 2008. Hans-Werner Hahn, Andreas Klinger, Georg Schmidt (Hrsg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen. Köln, Weimar 2008. Katharina von Hammerstein, Katrin Horn (Hrsg.): Sophie Mereau. Verbindungslinien in Zeit und Raum. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 19). Heidelberg 2008. Jutta Heinz (Hrsg.): Wieland Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar 2008. Gerhard R. Kaiser, Olaf Müller (Hrsg.): Germaine de Staël und ihr erstes deutsches Publikum. Literaturpolitik und Kulturtransfer um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 18). Heidelberg 2008. Andre Karliczek: Emil Huschke (1797-1858). Jenaer Anatom und Physiologe. Jena 2008. Marko Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-WeimarEisenach 1770 bis 1830. Köln, Weimar, Wien 2008. Jonas Maatsch: „Naturgeschichte der Philosopheme“. Frühromantische Wissensordnungen im Kontext. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 24). Heidelberg 2008. Nicolas Robin (Hrsg.): Designing Botanical Gardens: Science, Culture and Sociability. Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes. Special Issue. Volume 28, Number 3-4 (2008). Susanne Zimmermann, Horst Neuper (Hrsg.): Professoren und Dozenten der Medizinischen Fakultät Jena und ihre Lehrveranstaltungen zwischen 1770 und 1820. Jena 2008.

2007 Thomas Bach, Olaf Breidbach, Dietrich von Engelhardt (Hrsg.): Lorenz Oken – Gesammelte Werke. Gesamtwerk in vier Bänden. Weimar 2007. Stefan Blechschmidt, Andrea Heinz (Hrsg.): Dilettantismus um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 16). Heidelberg 2007. Johannes Grave, Hubert Locher, Reinhard Wegner (Hrsg.): Der Körper der Kunst. Konstruktionen der Totalität im Kunstdiskurs um 1800. Göttingen 2007 (Ästhetik um 1800, Band 5). Wiebke von Häfen: Ludwig Friedrich Froriep (1779-1847). Ein Weimarer Verleger zwischen Ämtern, Geschäften und Politik. Köln, Weimar 2007. Klassik Stiftung Weimar, Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ (Hrsg.): Ereignis Weimar. Anna Amalia, Carl August und das Entstehen der Klassik 1757-1807. Ausstellungskatalog. Weimar 2007.

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Literaturliste SFB 482 Mark Napierala: Archive der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung und das Athenaeum. (Jenaer germanistische Forschungen N.F., 22). Heidelberg 2007. Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert. (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 20). Stuttgart 2007. Klaus Ries (Hrsg.): Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800. Weimar 2007.

2006 Ralf Beuthan (Hrsg.): Geschichtlichkeit der Vernunft beim Jenaer Hegel. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 9). Heidelberg 2006. Brady Bowman, Klaus Vieweg (Hrsg.): Die freie Seite der Philosophie. Skeptizismus in Hegelscher Perspektive. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie 2005, 10). Würzburg 2006. Olaf Breidbach: Goethes Metamorphosenlehre. München 2006. Gerd Breitfelder: Johann Carl Wilhelm Voigt – seine wissenschaftliche Anschauung, Kommunikation und Kooperation als Mineraloge des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Aachen 2006. Johannes Grave: Der „ideale Kunstkörper“. Johann Wolfgang Goethe als Sammler von Druckgraphiken und Zeichnungen. (Ästhetik um 1800, 4). Göttingen 2006. Jutta Heinz: Narrative Kulturkonzepte. Wielands Aristipp und Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 13). Heidelberg 2006. Klaus Manger (Hrsg.), Nikolas Immer (Mitarb.): Der ganze Schiller – Programm ästhetischer Erziehung. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 15). Heidelberg 2006. Klaus Manger, Ute Pott (Hrsg.): Rituale der Freundschaft. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 7). Heidelberg 2006. Klaus Manger: Wielands Erfindung Weimars. (Oßmannstedter Blätter, 1). Jena 2006. Katharina Middell: „Dann wird es wieder ein Popanz für Otto.“ Das Weimarer Landes-IndustrieComptoir im Übergang zum Familienunternehmen (1800-1830). Leipzig 2006. Gerhard Müller: Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena. (Ereignis WeimarJena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 6). Heidelberg 2006. Beate Schmidt: Musik zu Goethes Faust. Dramaturgie, Rezeption und Aufführungspraxis. (Musik und Theater, 5). Sinzig 2006. Julia A. Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760-1835). Weltmann und Gelehrter. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 14). Heidelberg 2006. Axel Schröter: Musik zu den Schauspielen August von Kotzebues unter besonderer Berücksichtigung der unter Goethes Leitung in Weimar aufgeführten Bühnenwerke. (Musik und Theater, 4). Sinzig 2006.

2005 Thomas Bach, Olaf Breidbach (Hrsg.): Naturphilosophie nach Schelling. (Schellingiana, 17). Stuttgart-Bad Cannstatt 2005.

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Literaturliste SFB 482 Thomas Bach: Schelling in Rußland. Die frühen naturphilosophischen Schriften von Daniil Michajloviè Vellanskij (1774-1847). Marburg (Lahn) 2005. Markus Bertsch, Johannes Grave (Hrsg.): Räume der Kunst. Blicke auf Goethes Sammlungen. (Ästhetik um 1800, 3). Göttingen 2005. Brady Bowman, Klaus Vieweg (Hrsg.): Johann Friedrich Ernst Kirsten. Grundzüge des neuesten Skepticismus and related writings. Paderborn, München 2005. Lars Deile, Johanna Sänger (Hrsg.), Ulrike Alberti (Mitarb.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800. Köln, Weimar, Wien 2005. Julia Frindte, Siegrid Westphal (Hrsg.): Handlungsspielräume von Frauen um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 10). Heidelberg 2005. Werner Greiling, Andreas Klinger, Christoph Köhler (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-GothaAltenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 15). Köln, Weimar, Wien 2005. Hans-Werner Hahn, Dieter Hein (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption. Köln, Weimar, Wien 2005. Andrea Heinz, Jutta Heinz, Nikolas Immer (Hrsg.): Ungesellige Geselligkeit. Festschrift für Klaus Manger. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 12). Heidelberg 2005. Martin Keßler, Volker Leppin (Hrsg.): Johann Gottfried Herder. Aspekte seines Lebenswerks. (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 92). Berlin, New York 2005. Klaus Manger: Das Ereignis Weimar-Jena. um 1800 aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologischhistorische Klasse. Bd. 139, H. 5., Stuttgart/Leipzig 2005. Klaus Manger, Gottfried Willems (Hrsg.): Schiller im Gespräch der Wissenschaften. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 11). Heidelberg 2005. Katja Regenspurger, Temilo van Zantwijk (Hrsg.): Wissenschaftliche Anthropologie um 1800? Stuttgart 2005. Julia A. Schmidt-Funke: Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft. Die politische Publizistik des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, Bd. 16). Köln, Weimar, Wien 2005. Reinhard Wegner (Hrsg.): Kunst als Wissenschaft. Carl Ludwig Fernow – ein Begründer der Kunstgeschichte. (Ästhetik um 1800, 2). Göttingen 2005.

2004 Angela Borchert, Ralf Dressel (Hrsg.): Das Journal des Luxus und der Moden: Kultur um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 8). Heidelberg 2004. Gonthier-Louis Fink, Andreas Klinger (Hrsg.): Identitäten – Erfahrungen und Fiktionen um 1800. (Jenaer Beiträge zur Geschichte, 6). Frankfurt am Main [u. a.] 2004. Werner Greiling, Siegfried Seifert (Hrsg.): „Der entfesselte Markt“. Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800. Leipzig 2004. Stefan Matuschek (Hrsg.): Organisation der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung in Jena 17851803. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 5). Heidelberg 2004.

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Literaturliste SFB 482 Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik. Köln, Weimar, Wien 2004. Igor J. Polianski: Die Kunst, die Natur vorzustellen. Die Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 und Goethes Gründung des Botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit. (Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte, 14). Köln 2004. Klaus Ries (Hrsg.): Zwischen Universität und Stadt. Aspekte demographischer Entwicklung in Jena um 1800. Jena 2004. Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen (Hrsg.): „Ihre Kaiserliche Hoheit“ Maria Pawlowna – Zarentochter am Weimarer Hof. [Eine Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen im Schloßmuseum Weimar, 20. Juni bis 26. September 2004]. Weimar 2004. Astrid Urban: Kunst der Kritik. Die Gattungsgeschichte der Rezension von der Spätaufklärung bis zur Romantik. (Jenaer Germanistische Forschungen, N.F. 18). Heidelberg 2004. Marcus Ventzke: Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (1775-1783). Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft? (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 10). Köln, Weimar, Wien 2004. Reinhard Wegner (Hrsg.): Kunst – die andere Natur. (Ästhetik um 1800, 1). Göttingen 2004.

2003 Joachim Berger: Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807). Denk- und Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 4). Heidelberg 2003. Dietrich Briesemeister, Harald Wentzlaff-Eggebert (Hrsg.): Von Spanien nach Deutschland und Weimar-Jena. Verdichtung der Kulturbeziehungen in der Goethezeit. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 3). Heidelberg 2003. Andrea Heinz (Hrsg.): Der Teutsche Merkur – die erste deutsche Kulturzeitschrift? (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 2). Heidelberg 2003. Klaus Manger (Hrsg.): Goethe und die Weltkultur. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 1). Heidelberg 2003. Horst Neuper (Hrsg.), Katarina Kühn, Matthias Müller (Mitarb.): Das Vorlesungsangebot an der Universität Jena von 1749 bis 1854. 2 Bände. Weimar 2003. Klaus Vieweg, Brady Bowman (Hrsg.): Wissen und Begründung. Die Skeptizismus-Debatte um 1800 im Kontext neuzeitlicher Wissenskonzeptionen. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie, 8). Würzburg 2003.

2002 Katharina Middell: „Die Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben“. Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-Industrie-Comptoir um 1800. Leipzig 2002. Marcus Ventzke (Hrsg.): Hofkultur und aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeutung des Hofes im späten 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2002. Klaus Vieweg (Hrsg.): Gegen das „unphilosophische Unwesen“. Das „Kritische Journal der Philosophie“ von Schelling und Hegel. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie, 7). Würzburg 2002.

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2001 Joachim Berger (Hrsg.): Der ‚Musenhof‘ Anna Amalias. Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar. Köln, Weimar, Wien 2001. Olaf Breidbach, Hans-Joachim Fliedner, Klaus Ries (Hrsg.): Lorenz Oken (1779-1851). Ein politischer Naturphilosoph. Weimar 2001. Olaf Breidbach, Paul Ziche (Hrsg.): Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in JenaWeimar. Weimar 2001. Georg Eckardt, Matthias John, Temilo van Zantwijk, Paul Ziche (Hrsg.): Anthropologie und empirische Psychologie um 1800. Ansätze einer Entwicklung zur Wissenschaft. Köln, Weimar, Wien 2001. Hans-Werner Hahn, Werner Greiling, Klaus Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert. Rudolstadt 2001. Gerhard Müller, Klaus Ries, Paul Ziche (Hrsg.): Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. (Pallas Athene, 2). Stuttgart 2001.

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Michael Maurer (hg.)

Das Fest Beitr äge zu seiner theorie unD systeMatik

Der Band ermöglicht vielfältige Einblicke in den Phänomenbereich des Festes, indem er Ansätze verschiedener Forschungsdisziplinen bündelt und systematisiert. Besondere Aufmerksamkeit gilt einer Definition, die über den bloßen Gegensatz von Fest und Alltag hinausreicht. Neben der Situierung des Festes im Rahmen der Zeitkultur wird die Aufspaltung in Ritus und Spiel ebenso diskutiert wie Gemeinschaftsaspekte und Überschneidungen von Festanlässen, beispielsweise zwischen Politik und Religion. Als besonderes Desiderat erweist sich die Erstellung einer Formenlehre von Festen. In systematischem Zugriff werden sie eingeteilt in Feste des Lebenslaufes, des Jahreslaufes und in öffentliche Feste. Weitere Beiträge widmen sich der Annäherung verschiedener Wissenschaftsbereiche an das Phänomen. Dabei kommen theologische Ansätze einer Theorie des Festes ebenso zur Sprache wie soziologische, psychoanalytische und kulturwissenschaftliche. 2004. VII, 150 SeIten. BroSchur. ISBn 978-3-412-08004-4

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Michael Maurer

Kulturgeschichte eine einführung (utB für Wissenschaft 3060 s)

Das breite Spektrum der Kulturgeschichte wird hier in 15 Schritten vorgestellt: Kulturtheorie, Erinnerungskultur, Namenkultur, Sprachkultur und Kultursprachen, Schreib- und Lesekultur, Überlieferungskultur und Medienkultur sowie Zeitkultur und Raumkultur. Auch die Bereiche Kirche und Kultur, Konfessionskulturen, Hofkultur und Bürgerkultur werden erschlossen. Schließlich geht es um den Aufbau der Europäischen Kulturgeschichte sowie um Nationalkulturen und Kulturaustausch. Die knapp und übersichtlich gestalteten und aufeinander aufbauenden Kapitel enthalten jeweils eine Zusammenfassung sowie Anregungen zur Weiterarbeit. Das aus der Lehre hervorgegangene Studienbuch richtet sich an Lehrende und Studierende in allen kulturwissenschaftlichen Disziplinen. 2008. 318 S. Br. 120 x 185 mm. ISBN 978-3-8252-3060-9

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