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German Pages XII, 334 [347] Year 2020
Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen | Band 58
Sascha Hickert
Fabrik Formwork Entwicklung und Bewertung eines textilen Schalungssystems
Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen Band 58 Reihe herausgegeben von Ulrich Knaack, Darmstadt, Deutschland Jens Schneider, Darmstadt, Deutschland Johann-Dietrich Wörner, Darmstadt, Deutschland Stefan Kolling, Gießen, Deutschland
Institutsreihe zu Fortschritten bei Mechanik, Werkstoffen, Konstruktionen, Gebäudehüllen und Tragwerken. Das Institut für Statik und Konstruktion der TU Darmstadt sowie das Institut für Mechanik und Materialforschung der TH Mittelhessen in Gießen bündeln die Forschungs- und Lehraktivitäten in den Bereichen Mechanik, Werkstoffe im Bauwesen, Statik und Dynamik, Glasbau und Fassadentechnik, um einheitliche Grundlagen für werkstoffgerechtes Entwerfen und Konstruieren zu erreichen. Die Institute sind national und international sehr gut vernetzt und kooperieren bei grundlegenden theoretischen Arbeiten und angewandten Forschungsprojekten mit Partnern aus Wissenschaft, Industrie und Verwaltung. Die Forschungsaktivitäten finden sich im gesamten Ingenieurbereich wieder. Sie umfassen die Modellierung von Tragstrukturen zur Erfassung des statischen und dynamischen Verhaltens, die mechanische Modellierung und Computersimulation des Deformations-, Schädigungsund Versagensverhaltens von Werkstoffen, Bauteilen und Tragstrukturen, die Entwicklung neuer Materialien, Produktionsverfahren und Gebäudetechnologien sowie deren Anwendung im Bauwesen unter Berücksichtigung sicherheitstheoretischer Überlegungen und der Energieeffizienz, konstruktive Aspekte des Umweltschutzes sowie numerische Simulationen von komplexen Stoßvorgängen und Kontaktproblemen in Statik und Dynamik.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13824
Sascha Hickert
Fabrik Formwork Entwicklung und Bewertung eines textilen Schalungssystems
Sascha Hickert FB Bau-und Umweltingenieurwissenschaften TU Darmstadt, Darmstadt, Deutschland
Vom Fachbereich 13 – Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der Technischen Universität Darmstadt zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte Dissertation von Sascha Hickert aus Soest 1. Gutachten: Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack 2. Gutachten: Prof. Dr.-Ing. habil. Stefan Kolling Tag der Einreichung: 03.10.2019 Tag der mündlichen Prüfung: 19.12.2019 Darmstadt 2020 D17 ISSN 2512-3238 ISSN 2512-3246 (electronic) Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen ISBN 978-3-658-31923-6 ISBN 978-3-658-31924-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31924-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und erarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
„…Beton ist gegossener Fels. Er ist im wahrsten Sinn felsenfest […] Und nun das Wunder: Beton ist am Anfang flüssig! Nicht wie Magma nur bei einigen tausend Grad Hitze und großen Druck, nicht wie Metall nur im Hochofen. Nein bei normaler Raumtemperatur. […] Das wohl Faszinierendste aber ist: Er kann jede Form annehmen. Es ist mir heute noch ein völliges Rätsel, warum 99,9 % des Betons nur in Form von Balken, von Platten oder von anderen kubischen Gestalten verwendet werden. […] Obwohl wir in der Natur von ausschließlich organischen Formen umgeben sind, sind wir nicht oder nicht mehr in der Lage, uns der organischen Formen zu bedienen…“ Heinz Isler (1926 - 2009)
Isler, H.: Moderner Schalenbau. In: Arcus 18: Zum Werk von Felix Candela – Die Kunst der leichten Schalen. Köln : Verlagsgesellschaft Rudolph Müller, 1992, S. 50.
Danke
Kurzfassung Ziel dieser Arbeit ist es ein Schalungssystem zu entwickeln bzw. eine neuartige Schalungsmethode vorzustellen, die es erlaubt, auch geometrisch komplexere konstruktive Bauteile herzustellen, die bisher nicht bzw. nur mit erheblichem Material- und Ressourcenaufwand herzustellen waren. Etablierte Schalungssysteme weisen ein meist rigides, wenig duktiles Verformungsverhalten auf, was den Wunsch nach individuellen Bauteilkonturen stark einschränkt. Gleichermaßen steht aber auch das Ausgangsmaterial, Bewehrung und Frischbeton, im Verhältnis zur Ausführung der Schalung. In einer Grundlagenanalyse wurden etablierte Baustoffe beschrieben, um einzelne Materialparameter wie die Fließfähigkeit (Konsistenzbereiche des Frischbetons) ohne Heraufsetzen des Wasserzementwertes beeinflussen zu können. Weiter wurde eine umfängliche Untersuchung zu etablierten und experimentellen Schalungsmethoden durchgeführt, die aufzeigte, dass selbst nach einigen Rationalisierungsmaßnahmen an Systemschalungen das Schalen zwar vereinfacht, allerdings aufgrund systembedingter, eingeschränkter Anpassungsfähigkeit eine Kostensenkung durch Zeitersparnis und eine daraus resultierende Lohnsenkung (Lohnkosten pro Quadratmeter Schalung) nur bedingt erreicht wurde. Schalungsarbeiten sind nach wie vor handwerklich dominiert. Um ein neuartiges Schalungssystem zu entwickeln, galt es allgemeine Anforderungen an Schalungssysteme und Ergebnisse der Evaluation der Vor- und Nachteile bestehender etablierter Schalungsverfahren mit in die Entwicklung einfließen zu lassen. Als Ausgangspunkt zum Entwurf der einzelnen, textilgeschalten Bauteile stand die Grundlagenermittlung der konstruktiven Bauteile. Die Einflussparameter, die nach normativen Anforderungen der Bemessungsgrundlagen im direkten Verhältnis zur Schalung stehen, flossen in die Entwurfsphase mit ein und wurden verwendet, um eine möglichst hohe Effektivität des Betonbauteils zu gewährleisten. Um eine Vergleichbarkeit der textilen Schalung gegenüber etablierten Verfahren zu gewährleisten, wurden Parameter aus unterschiedlichen, am Bau beteiligten Disziplinen identifiziert. Mit diesen identifizierten und definierten Parametern wurden die entwickelten textilen Schalungen in einem weiteren Schritt mit den etablierten Schalungssystemen der jeweiligen Bauteile verglichen und bewertet. Zu einzelnen Bewertungsparametern wurde, je nach konstruktivem Bauteil, eine zusätzliche Gewichtung impliziert, um ein genähertes, anwendungsorientiertes Ergebnis zu gewährleisten. Dies liegt begründet in den Einsatzbedingungen der jeweiligen Bauteile. Das Ergebnis dieser Bewertung zeigt die Potenziale und möglichen Einsatzgebiete der textilen Schalung auf.
Abstract The aim of this work is to develop a formwork system or to present a new formwork method that allows the production of geometrically more complex structural components than could hitherto be produced or could only be produced with considerable material and resource input. Established formwork systems show a mostly rigid, less ductile deformation behaviour, which strongly limits the desire for individual component contours. However, the starting material, reinforcement and fresh concrete, are also in proportion to the design of the formwork. In a basic analysis, established building materials were described so that individual material parameters such as the flowability (consistency ranges of the fresh concrete) can be influenced without increasing the water/cement ratio. Furthermore, a comprehensive investigation of established and experimental formwork methods was carried out which showed that even after some rationalisation measures on system formwork, the formwork was simplified, but due to system-related, limited adaptability, a cost reduction through time savings and a resulting wage reduction (wage costs per square metre of formwork) was only achieved to a limited extent. Formwork work is still dominated by craftsmanship. In order to develop an innovative formwork system, general requirements for formwork systems and results of the evaluation of the advantages and disadvantages of existing established formwork methods had to be incorporated into the development. The starting point for the design of the individual, textile-switched components was the basic determination of the constructive components. The influencing parameters, which are directly related to the formwork according to the normative requirements of the design basis, flowed into the design phase and were used to ensure the highest possible effectiveness of the concrete component. In order to ensure comparability of the textile formwork with established methods, parameters from different disciplines involved in the construction were identified. With these identified and defined parameters, a further step was to compare and evaluate the developed textile formwork with established formwork systems of the respective components. Depending on the structural component, additional weighting was implied for individual evaluation parameters in order to guarantee an approximate, application-oriented result. This is due to the operating conditions of the respective components. The result of this evaluation shows the Potenzials and possible fields of application of the textile formwork.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1.1 Motivation 1.2 Problemstellung und Zielsetzung 1.3 Aufbau der Arbeit
1 1 3 7
2 Grundlagen 2.1 Betontechnologie 2.2 Auswahl moderner Betonsorten 2.3 Sichtbeton und Schalhaut 2.4 Sichtbeton als Gestaltungsmerkmal
11 11 21 28 36
3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden 3.1 Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor 3.2 Schalungssysteme 3.2.1 Einteilung der Schalungssysteme 3.2.2 Deckenschalungen 3.2.3 Wandschalungen 3.2.4 Stützenschalung, Säulenschalung 3.2.5 Unterzugschalungen 3.2.6 Pneumatische Schalung 3.2.7 Freiformschalungen 3.2.8 Experimentelle Schalungen
43 43 52 52 55 61 65 71 73 74 77
4 Textilien 4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus 4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde 4.3 Textilversuche
85 85 98 108
X
Inhaltsverzeichnis
5 Parameteridentifikation 5.1 Architektur 5.2 Material - Beton 5.3 Schalung 5.4 Ökonomie 5.5 Transportlogistik 5.6 Baubetrieb
115 116 121 127 133 137 141
6 Bauteilgeometrie 6.1 Knoten 6.2 Stütze 6.3 Träger 6.4 Wand 6.5 Decke
147 149 152 159 166 170
7 Mockups 7.1 Knoten 7.2 Stütze 7.2.1 Regelstütze 7.2.2 Zipper 7.2.3 Pilzkopfstütze 7.2.4 Bauchige Stütze 7.2.5 Freiformstütze 7.2.6 Hohlstütze 7.3 Träger 7.3.1 Momentenaffiner Träger 7.3.2 Fachwerkträger 7.3.3 Gelenkträger – Hybrid 7.4 Wand 7.4.1 Gerade Wand 7.4.2 Kerngedämmte Wand (-schalung) 7.4.3 Mehrschichtige Wand – Mono(-material) 7.4.4 Curved Wall 7.4.5 Aufgelöste Wand 7.4.6 Maschrabiyya Wand 7.5 Decke 7.5.1 Plattenbalkendecke 7.5.2 Rippendecke 7.5.3 Kassettendecke 7.5.4 Pneu-Kassettendecke
179 180 185 185 192 195 198 201 204 206 206 210 213 215 215 219 225 228 232 235 238 238 241 244 248
Inhaltsverzeichnis
XI
8 Bewertung 8.1 Knoten 8.2 Rundsäule 8.3 Träger 8.4 Wand 8.5 Decke
255 257 264 272 276 282
9 Zusammenfassung
291
10 Fazit
297
11 Potenziale
301
Abbildungsverzeichnis
308
Quellenverzeichnis
318
1
1 Einleitung 1.1 Motivation Während einer anfänglich Recherche zu dem Thema „Evaluation von alternativen Schalungsmethoden“, die Bestandteil der DFG Forschungsaktivität im Schwerpunktprogramm SPP 1542 „Leicht Bauen mit Beton - Grundlagen für das Bauen der Zukunft mit bionischen und mathematischen Entwurfsprinzipien“ war, kristallisierte sich, bedingt durch die Bearbeitbarkeit und eine größtmögliche Flexibilität in Bezug auf die Einsatzbereiche, die textile Schalung heraus. Textilien in der Konstruktion sind ein auf „Zug“ zu belastendes Material, das nach dem Einbringen und Aushärten des Betons ein auf „Druck“ ausgelegtes Bauteil wird und dem Kräftefluss optimal folgen kann. Dies wies zu Beginn dieser Arbeit ein großes Potenzial auf. Das Potenzial kann sowohl in der materialeffizienten Verwendung in Bezug auf das Schalungsmaterial wie auch der des Betonbauteils angenommen werden. Eine wesentliche Inspiration zu dieser Thematik, der textilen Schalung, war die Forschung und Anwendung der Hängemodelle, sprich dem Prinzip der Umkehrung der Kettenlinie.
Abbildung 1.1 Hängemodell Colonia Güell, Antoni Gaudí
Abbildung 1.2 Innenraum Colonia Güell, Antoni Gaudí
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hickert, Fabrik Formwork, Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen 58, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31924-3_1
2
1 Einleitung
Wiederendeckt wurde diese Technik unter anderem von dem katalanischen Architekten Antonio Gaudi (1852‐1926), dem Schweizer Ingenieur Heinz Isler (1926‐2009) sowie dem Architekt Frei Otto (1925-2015). Isler beobachtete ein durchnässtes Tuch, das über einem Armierungsgitter hing. Das Tuch (Jutegewebe) nahm eine gekrümmte Form an und das bei einem quadratischen Grundriss (Vergleich Buckelschale). Dies führte zu der Idee durchnässte Tücher gefrieren zu lassen und durch späteres Umdrehen die ideale Form einer Schale zu erhalten. Das durchhängende Tuch als Hängemodell erfährt durch Gravitationseinwirkung eine reine Zugbeanspruchung. Durch Drehen dieser Struktur um eine Achse erhält man eine rein druckbeanspruchte Schale. Isler optimierte diese Methode von Gipsmodellen bis hin zu isotropen, monolithischen Membranen, die Isler in schnell härtende Kunststoffe tauchte [1].
Abbildung 1.3 Funktionsprinzip von Islers Beobachtungen zu Hängemodellen
Ausgehend von dieser Beobachtungen, das bedingt der Gravitationseinwirkung sich die Form einstellt aber den grundsätzlichen Nachteil aufweist das, dass Hergestellte Betonbauteil erst durch drehen ihren konstruktiven Vorteil nutzbar macht führte dazu das Textil als Schalungsmaterial für massive Bauteile zu verwenden. Durch Fügen der Textilien zum Beispiel mit einer Längsnaht lassen sich einfache dreidimensionale Schläuche aus einem rechtwinkligen zweidimensionalen Textil herstellen, die sich dann als Schalung für Rundstützen eignen. Fixiert und gespannt in einer geeigneten Subkonstruktion stellt sich nach der Einwirkung des Frischbetondrucks während des Füllvorgangs ein Innendruck innerhalb des Bauteils ein. Bedingt durch die daraus resultierenden inneren Ringzugkräfte in der Ummantelung stellt sich eine nahezu ideale Ausformung eines Zylinders ein. Kurzum, ein auf Zug zu belastendes Material, das sich unter Einbringen des Frischbetondrucks selbstständig in „Form“ bringt, stellt das große Potenzial des textilen Schalungssystems dar.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
1.2
3
Problemstellung und Zielsetzung
Die Bauwirtschaft ist seit den 1990er Jahren einem längeren Wandel ausgesetzt. Der Preiswettbewerb zwingt die Bauunternehmen auch im Bereich Stahlbetonhochbau bis an ihre Deckungsgrenze zu kalkulieren, um Aufträge zu akquirieren [2]. Einen signifikanten Anteil an den Rohbaukosten im Stahlbeton-Hochbau betragen die Schalungskosten. Untersuchungen unter anderem von Müller, Rathfelder, Hoffmann, Motzko, Corsten und Reichle zeigen, dass von den Gesamtrohbaukosten eines Stahlbeton-Hochbau allein 30-40 % der Kosten auf die Schalungskosten anfallen [3,4,5,6]. Reichle „…interpretiert […] , dass der „Baustoff“ Stahlbeton, als Wand, Deckenscheibe oder Stütze an den Bauherrn nur dann kostengünstig abzuliefern ist, wenn vorher alle kostenverursachenden Leistungen erbracht wurden. Von diesen hat die Schalung mit Abstand den größten Anteil…“ [6a], siehe dazu Abbildung 1.4.
Beton
Schalung Materialkosten 22%
Lohnkosten 8% Materialkosten 9% Lohnkosten 8%
Lohnkosten 47% Materialkosten 6%
Bewehrung Abbildung 1.4 Gesamtkosten einer Stahlbetonwand (30cm) nach Reichle, 2002
Beobachtet man die Entwicklung des Stahlbeton-Hochbaus, fällt auf, dass es nach Ende des zweiten Weltkrieges eine Aufbauphase gab, in welcher Rationalisierungsmaßnahmen begannen. Das Rationalisieren beschränkte sich allerdings grundsätzlich auf die Themen Bewehrung und Beton. Sie erschöpften sich bald und man widmete sich dem kaum Betrachtung geschenkten Arbeitsprozess der Schalung. Erste Verbesserungen und Ansätze
4
1 Einleitung
gab es in der Vorplanung, Neuschaffung der Einsatzmittel (Fertigschalungselemente) und den Einsatzmöglichkeiten [7]. All diese Verbesserungen der Schalungssysteme seit den 1950er Jahren bis heute haben zwar das Schalen vereinfacht und zur Zeitersparnis und somit auch zur Lohnkostensenkung beigetragen, allerdings gehen diese Einsparungen oft mit systembedingter, eingeschränkter Flexibilität in Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit, siehe Abbildung 1.5, an die Bauwerksgeometrie einher.
Beton Restfläche
Schalungsecke Schalungstafel
Abbildung 1.5 Exemplarische Darstellung der Restfläche bei Systemschalungen
Betrachtet man jedoch die Geometrie und Komplexität moderner Gebäude, stellt man schnell fest, dass als Folge der Möglichkeiten der digitalen Planung die geometrischen Ansprüche als Resultat der architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten ständig wachsen. Ebenso bietet der Einsatz bionisch geprägter Formfindungsmethoden, Stichwort Topologieoptimierung, die Realisierung materialeffizienter Stahlbetontragwerke, deren Geometrie besondere Anforderungen an die Schalungstechnik stellt. Bisher übliche Schalungssysteme sind wenig flexibel und bilden die gefundene Form mit erheblichem Material- und Ressourcenaufwand ab. Sie schränken das mögliche Formenspektrum in weiten Bereichen ein und stehen im Widerspruch zu den Zielen der Formfindungsmethode sowie dem Wunsch nach individuellen Bauteilkonturen, die sich heutzutage mit Methode der diskreten Differentialgeometrie (Synthese von Analysis und Geometrie) auch mathematisch beschreiben lassen. Aktuell weisen Schalungssysteme zur Herstellung von gekrümmten Betonbauteilen ein sehr rigides, wenig duktiles Verformungsverhalten auf. Sofern die Krümmung der Oberfläche nicht abschnittsweise linearisiert bzw. approximiert wird, sind nur zwei Herstellungsverfahren zur Erzeugung gekrümmter Flächen etabliert. [8,9]. Eine Schalung für eine großflächige gerade Wand stellt heute grundsätzlich kaum eine Herausforderung dar, aber benutzt man dasselbe Schalungssystem beispielsweise für ei-
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
5
nen schiefwinkligen Grundriss, wie es Entwürfe von Architekten wie Zaha Hadid, Frank O. Gehry oder Coop Himmelb(l)au verlangen, wird schnell klar, dass diese Systeme nur mit Adaptionen bei entsprechendem Planungsaufwand und höheren Schalungskosten verwirklichen lassen.
Abbildung 1.6 BMW Welt, Coop Himmelb(l) au, München, 2007
Abbildung 1.7 Feuerwehrhaus, Zaha Hadid, Weil am Rhein, 1993
Geht man dem Anspruch moderner Architektur nach und denkt nicht an planbare Geometrie, sondern geht in den Bereich von freigeformten Baukörpern, so steigen die Kosten für die Schalungen exponentiell. Untersuchungen auf dem Gebiet der Freiformschalung im Betonbau in Bezug auf die Ausführung der Schalungen und somit die Reduktion der Produktions- und Baukosten sind zum jetzigen Zeitpunkt jedoch sehr begrenzt – vielmehr werden die Planung und Ausführung solcher Bauwerke mit hohem Aufwand und einer Konstruktionsentwicklung im Einzelfall realisiert [9]. Aus diesen Gründen ist das Ziel der vorliegenden Arbeit die Grundlagen eines nicht etablierten textilen Schalungssystems bzw. eine Schalungsmethode zu entwickeln, die es zum einen ermöglicht, ein Betonbauteil kostenreduzierend herzustellen, und zum anderen, Formen bzw. Bauteile herstellen zu önnen, die nach den allgemein anerkannten Regeln der (Bau-)Technik nur mit erheblichem Material- und Ressourcenaufwand ausführbar sind. Unter Textil wird in der vorliegenden Arbeit ein textiles Flächengebilde (Gewebe) definiert, das aus sich regelmäßig, üblicherweise rechtwinklig kreuzenden Schuss- und Kettfäden besteht. In Einzelfällen kommen auch Folien zur Verwendung. Diese Textilien können sowohl in einem weiteren Produktionsschritt imprägniert, beschichtet oder als Verbundstoff ausgeführt werden. Zur Verwendung kommen technische Textilien bzw. Geotextilien. Unter Geotextilien werden textile Flächengebilde definiert (zur Vervollständigung Gewebe, Vliesstoffe und Verbundstoffe), die erhöhte Anforderungen an die
6
1 Einleitung
Zugfestigkeiten stellen [10]. Vorteile dieser Schalhaut gegenüber den etablierten Schalhäuten wie Holzwerkstoffe, Stahl oder Kunststoff liegen neben der Bearbeitbarkeit (Trennen, Fügen) und dem Eigengewicht in der Drapierbarkeit, also einer bedingt sphärischen Verformbarkeit ohne Faltenbildung des Flächengebildes.
Abbildung 1.8 Geotextil aus PP/PE (HaTe C50.002 des Unternehmens Hüsker)
Ziel dieser Arbeit ist es, durch experimentelle Versuche in Form von Prototypen Schalungssysteme bzw. Schalungsmethoden für die im Bauwesen üblichen massiven Konstruktionsbauteile (Verbindungselemente wie Knotenpunkte, Stützen, Träger, Wände und Decken) zu erarbeiten. Eine Reproduzierbarkeit der Schalung bei gleichbleibender Qualität gilt als Prämisse bei der Entwicklung des Schalungssystems. Im Abschluss dieser vorliegenden Arbeit wird ein Resümee gezogen, das aufzeigen soll, welche konstruktiven Bauteile Potenzial aufweisen, um in weiteren Schritten bis zu einer möglichen Marktreife entwickelt zu werden.
1.3 Aufbau der Arbeit
1.3
Aufbau der Arbeit
Abbildung 1.9 Darstellung zum Ablauf und Aufbau der vorliegenden Arbeit
7
8
1 Einleitung
Der Aufbau der folgenden Arbeit gliedert sich in drei, in sich aufbauende, Teilbereiche. Zu einem in einer auf theoretischen Hintergrundwissen basierenden Phase der Grundlagen, einer auf praktische Versuche ausgelegten Phase der Experimente, sowie einer auf den gewonnenen Erkenntnissen basierenden Analyse. Die Grundlagen bilden die Basis dieser Arbeit. In Kapitel 2 und Kapitel 4.2 werden die für diese Arbeit relevanten Materialen untersucht bzw. Grundlagenwissen gefestigt, welches für die Bearbeitung dieser Arbeit essentiell ist. Behandelt werden die Themenbereiche Betontechnologie, moderne Betonsorten, Sichtbeton und Schalhaut, Sichtbeton als Gestaltungsmerkmal sowie Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde. Um einen späteren Vergleich der textilen Schalung gegenüber einer etablierten Schalung vornehmen zu können, werden in Kapitel 3 und Kapitel 4.1 Schalungsmethoden beschrieben. Diese Schalungsmethoden gliedern sich in etablierte, experimentelle Schalungssysteme sowie die Entwicklung des textilen Schalungsbaus. Die zur Bewertung erforderlichen Parameter werden in Kapitel 5 identifiziert. Ziel ist es, ein Schalungssystem zu entwickeln bzw. zu bewerten, welches aus verschieden Blickwinkeln der am Bau bzw. Schalungsplanung beteiligten Disziplinen erfolgt. In Kapitel 6 Bauteilgeometrie werden aus normativen Bemessungsgrundlagen Parameter identifiziert, die für die herzustellenden Bauteile der Experimente in Kapitel 7 im direkten Zusammenhang mit der Schalung stehen. Die nachfolgenden Experimente sind eine praktische Bauphase. Erste Textilversuche, um Materialien einzugrenzen und den Einfluss auf die Sichtbetonoberfläche zu untersuchen werden in Kapitel 4.3 beschrieben. Die direkten Einflussparameter aus Kapitel 6 fließen in den konstruktiven Entwurf für den Prototypenbau, der in Kapitel 7 beschrieben wird, mit ein. Die Prototypenserie der textilgeschalten Bauteile wird verwendet, um sie mit etabliert geschalten Bauteilen vergleichen bzw. bewerten zu können. Die letzte Phase die Analyse beinhaltet die Bewertung, die Zusammenfassung sowie das Fazit mit dem Ausblick zu weiteren Forschungsfeldern. Zur Bewertung werden die etablierten Schalungen aus Kapitel 3 mit den in Kapitel 7 hergestellten Schalungen verglichen und mit den im Kapitel 5 identifizierten Bewertungsparameter bewertet.
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2 Grundlagen 2.1 Betontechnologie Die Geschichte des Betons ist mit der Entwicklung des Schalungsbaus eng verwoben. Betrachtet und benennt man den ersten Formenbau zur Herstellung von Lehmziegeln als Schalungsbau, reichen die ersten Funde in die jüngere Steinzeit (3000 v. Chr.) zurück. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. begannen die Griechen mit einer zu derzeit neuen Art des Bauens: Sie entwickelten die Technik des Gussmauerwerks (griechisch: Emplekton) [1]. Dabei wurden zwei Wandschalen aus Werkstein oder Schalbrettern aus Holz verwendet. Bruchsteine unterschiedlicher Größe wurden eingebracht und mit Kalkmörtel als Bindemittel übergossen und vermengt. Nach Beendigung des Abbindeprozesses entstanden stabile und beständige Bauelemente [1]. Die Römer übernahmen die Bauweise der Griechen, entwickelten aber das erste dauerhafte Bindemittel, eine Art Zement, das „Opus Caementitium“ (siehe Abbildung 2.1). Es bestand aus gebranntem Kalk, Wasser, Sand und Bruchsteinen. Die Dauerhaftigkeit des Opus Caementitium ist so beträchtlich, dass Gebäude, die vor ca. 2000 Jahren entstanden, bis heute erhalten sind. Damit der Gussmörtel auch unter Wasser aushärtete, mischten die Römer Puzzolan (natürliche Gesteine - vorwiegend vulkanische Asche) und gemahlene Ziegel unter [2].
Abbildung 2.1 Opus Caementitium
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hickert, Fabrik Formwork, Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen 58, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31924-3_2
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2 Grundlagen
Durch die Weiterentwicklung des Gussmörtels der Römer und das erlangte Wissen über die Bautechnik entwickelten sie die bis dahin wenig ausgereifte Gewölbetechnik weiter. Zur Material- und Gewichtseinsparung verwendeten die Römer zu jener Zeit bereits Verdrängungskörper aus Tonkrügen [3]. In dieser Epoche entstanden unter Verwendung des Opus Caementitium bewundernswerte Bauwerke. Wie zum Beispiel das Kolosseum (Rom) und das Pantheon (Rom). Nach dem Zerfall des römischen Reiches verschwand auch das Wissen vom Opus Caementitium [3]. Erst zur Zeit der Renaissance und dem Übergang in den Barock im 17. Jahrhundert entdeckte man den Gussmörtel und damit die Schalungstechnik wieder. Es wurde erneut vermehrt am Baustoff Zement geforscht und der sogenannte Trass (Trasskalk) wurde entwickelt. Die Anwendung und Wiedergeburt der römischen Bauweise steht im Zusammenhang mit der Errichtung der Peterskirche in Rom, welche in den Abbildungen 2.2 und 2.3 zu sehen ist [3].
Abbildung 2.2 Außenansicht der Peterskirche, Rom, 1506 - 1626
Abbildung 2.3 Innenansicht der Hauptkuppel der Peterskirche, Rom, 1506 1626
Ende des 18. Jahrhundert fand der Engländer J. Smeaton heraus, dass eine Mischung aus Ton und Kalkstein nach dem Brennen und der Zugabe von Wasser an der Luft und sogar unter Wasser aushärtete. Dieses neue Bindemittel wurde „Romancement“ genannt. Aber erst im 19 Jahrhundert gelangte es dem Engländer Joseph Aspdin aus der Stadt Portland (England) durch Mischen, Brennen und Mahlen von Ton und Kalkstein aus Naturvorkommen den ersten künstlichen Zement herzustellen. Mit der Anmeldung des Portlandzementes zum Patent im Jahre 1824, siehe dazu Abbildung 2.4, wurde unter ständiger Weiterentwicklung, die Grundlage des heutigen Betons geschaffen.
2.1 Betontechnologie
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Abbildung 2.4 Joseph Aspdin Patentschrift (BP5022, 1824) Titel: An Improvement in the Mode of Producing an Artificial Stone
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2 Grundlagen
Beton ist ein idealer Baustoff zur Aufnahme hoher Druckkräfte, aber versagt bereits bei niedrigen Zugbeanspruchungen, Stahl hingegen ist ein idealer Baustoff, um Zugkräfte aufzunehmen. Die beiden Baustoffe zu kombinieren und zu einem neuen Werkstoff, dem Eisenbeton, zu vereinen, wurde von unterschiedlichen Aspiranten annähernd parallel vollzogen.
Abbildung 2.5 Kolosseum, Rom, 72 - 80 n.Chr.
Abbildung 2.6 Pantheon, Rom, 125 - 128 n.Chr.
Als Erfinder von Eisenbeton gilt aber der Franzose Joseph Monier. Der Gärtner und Unternehmer Monier hat ab dem Jahr 1849 Blumenkübel aus Beton mit Drahteinlage hergestellt. Monier stellte fest, dass diese Kübel wesentlich haltbarer wurden. Auf der zweiten Pariser Weltausstellung im Jahr 1867 stellte Monier seine „armierten“ Betonkübel vor und er erhielt im selben Jahr sein erstes Patent (Abbildung 2.7). Im Jahr 1877 formulierte Monier in einem weiteren Patent den wichtigsten Grundgedanken, Armierung dort anzuordnen, wo die Betonkonstruktion Zug aufnehmen muss. Ebenfalls wurde zum ersten Mal schriftlich festgehalten, dass Zement das Eisen vor Rost schützt [4]. Der Begriff Moniereisen (Bewehrungsstahl) findet heutzutage noch immer Verwendung.
Abbildung 2.7 Zeichnungen aus der Patentschrift von Monier
2.1 Betontechnologie
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Die Franzosen Joseph-Louis Lambot, François Martin Lebrun und François Coignet entdeckten ebenfalls, dass ihre Produkte durch die Verwendung von Beton in Kombination mit Eisen stabiler und haltbarer wurden, aber sie verfolgten diese Entdeckung nur für einen kurzen Zeitraum [4]. Im Jahr 1900 erhielt der Österreicher Ludwig Hatschek das Patent für Eternit. Dies war der Einzug von (mineralischen) Fasern in zementgebundenen Werkstoffen [5]. Zuvor wurde zwar schon im Jahr 1874 ein Patent des Amerikaners Achille Berard angemeldet, das durch Einmischen von metallischen Abfällen das Betonverhalten verbesserte, aber dieses Verfahren, heute Stahlfaser(-beton) genannt, wurde bis Ende der 60er Jahre nicht nennenswert eingesetzt [6]. Ab dieser Zeit nahm der Einsatz von Faserbewehrungen ständig zu. Erste Glasfasern (AR = Alkaline Resistant), die resistent gegen das alkalischen Milieus des Betons sind, wurden von dem Unternehmen Pilkington Brothers Ltd. (England) im Jahr 1971 erstmalig vertrieben [5]. Ab den 20er Jahren, mit Einführung von hochfestem Zement und der Möglichkeit, den Beton zu torkretieren (Spritzbeton), nahmen die Schalentragwerke an Bedeutung zu. Als Leitgebäude zählt das Zeiss-Planetarium, Jena (fertiggestellt 1926). Erst als technisch zu aufwendig und kaum umsetzbar eingestuft, wurde mit dem Unternehmen Dyckerhoff & Widmann im Jahr 1922 das Zeiss-Dywidag-System (Eisenbetonschalendächer) entwickelt [7].
Abbildung 2.8 Bau und Fertigstellung Planetarium in Jena
Diese Entwicklung eröffnete das Beton-Schalen-Zeitalter. Als wichtige Vertreter von Schalentragwerken sind Pier Luigi Nervi (ab 1925), Felix Candela (ab 1950), Heinz Isler (ab 1950) und Ulrich Müther (ab 1964) zu nennen [7]. Heutige Anwendungen von Spritzbeton sind vor allem Felskonsolidierungen, Ausbesserung bzw. Verstärkung von Betonbauteilen wie auch der temporäre Ausbau von Tunnelanlagen. Wesentliche Entwicklungen sowohl im Schalungsbau als auch in der Betontechnologie kamen nach dem zweiten Weltkrieg zum Tragen [3]. Direkt nach dem Ende des 2. Weltkrieges waren Baumaterialien knapp, Trümmerschutt jedoch reichlich vorhanden. Nachdem der Bauschutt aufbereitet wurde, wurden neue Häuser aus Schüttbeton errichtet [8]. Dies waren die Anfänge von dem, was wie wir heute ls Recyclingbeton (RC-Concrete) nennen würden.
16
2 Grundlagen
Schnell wurden Möglichkeiten entwickelt großflächige Bauteile vor Ort herstellen zu können [6]. Moderne Fahrmischer und der somit verbundene Einsatz von Transportbeton galten als Siegeszug der Zementindustrie. Ab dem Jahr 1954 wurden rund 50% der gesamten Zementproduktion von Transportbetonwerken abgenommen [9].
Abbildung 2.9 Fahrmischer, Josef Vögele AG, Mannheim, 1934 (Heidelberg Cement - HC-Archiv 00129455)
Ab den 80er / 90er Jahren bis in die heutige Zeit wurde eine Vielzahl von unterschiedlichsten Betonmischungen entwickelt. Lange Zeit wurde der Beton als ein 3-Stoff-Gemisch, bestehend aus Zement + Zuschläge + Wasser hergestellt. Architektonische Ambitionen dahingehend, anspruchsvollere Konstruktionen mit steigenden statischen Anforderungen an Schlankheit und Bauhöhen zu ermöglichen, folgten zahlreiche betontechnologische Weiterentwicklungen. Das führte dazu, dass nicht weiter von einem Gemisch gesprochen wird, sondern von einem geschlossenen (und empfindlichen) System. Vorerst würde das 3-Stoff-Gemisch um einen Stoff, den Zusatzmitteln, erweitert [10]. Betonzusatzmittel sind meist flüssige Mittel, die dem Frischbeton während des Mischvorgangs beigemischt werden. Diese Mittel haben Einfluss auf betonspezifische Eigenschaften des Frisch- bzw. Festbetons wie Dauerhaftigkeit, Fließfähigkeit, Erhärtungszeit. Genormte Zusatzmittel sind unter anderem Fließmittel (FM), Stabilisierer (ST), Luftporenbildner (LP), Erstarrungsbeschleuniger (BE), Erhärtungsbeschleuniger (BE), Verzögerer (VZ), Dichtungsmittel (DM), Viskositätsmodifizierer (VMA), Chromatreduzierer (CR), Schaumbildner (SB) und Sedimentationsreduzierer (SR) [11]. Gegenwertig wird dem Frischbeton in modernen Betonsorten ein weiterer Zusatz beigemischt, die Betonzusatzstoffe. Betonzusatzstoffe sind Stoffe, die konkrete Eigenschaften des Frisch- und Festbetons beeinflussen. Zu nennen sind beispielweise Leichtbeton, Hochfester Beton oder Faserbeton. Diese Hochleistungsbetonsorten sind somit 5-Stoff-
2.1 Betontechnologie
17
Systeme (bzw. ein 6-Stoff-System unter Berücksichtigung der im Beton enthaltenden bzw. beigemischten Luft), bestehend aus Zement + Zuschläge + Wasser + Zusatzstoffen + Zusatzmittel [7]. Betonzusatzstoffe werden unterschieden in inaktive Zusatzstoffe (IZ), puzzolanische Zusatzstoffe (PZ), latent hydraulische Stoffe (LHS), organische Zusatzstoffe (OG) [11]. Zu nennen sind beispielsweise Gesteinsmehle (IZ), Farbpigmente (IZ), Trass (PZ), Flugasche (PZ), Silikastaub (PZ), Hüttensandmehl (LHS) und Wachsemulsionen (OG) [11].
Abbildung 2.10 Bestandteile eines Hochleistungsbetons - 5-Stoff-System
Diese Betonzusatzmittel und Betonzusatzstoffe bieten hohes Potenzial und ermöglichen weitere Anwendungsbereiche, sowohl in Bezug auf die Festigkeit des Festbetons wie auch der Verarbeitbarkeit des Frischbetons, macht aber den Beton empfindlich gegenüber Wassergehaltsschwankungen, Herstellungstemperaturen sowie in der Gleichmäßigkeit der einzelnen verwendeten Materialien [12]. Das bedeutet, dass großes Wissen und Erfahrungen des Betontechnologen vorausgesetzt werden, um eine gleichbleibende Qualität sowie ein gutes Verhältnis zwischen Fließ-, Blockier-, und Entmischungsverhältnis sicherzustellen. Hergestellt werden die neuen Betonsorten ausschließlich unter gleichbleibenden Bedingungen in Betonwerken oder sie werden als Transportbeton zu Fertigteilwerken bzw. auf die Baustelle geliefert [12]. Einem wesentlichen Einfluss auf die Qualität des herzustellenden Betons in Bezug auf die Festigkeit und die Qualität des Sichtbetons hat das Zugabewasser. Als uneingeschränkt geeignet gilt Trinkwasser. Grundwasser, Brauchwasser und natürliches Oberflächenwasser ist laut DIN EN 1008:2002 auf die Eignung zu prüfen [13]. Zugabewasser ist für den Abbindeprozess, die Hydration des Zementes, zwingend erforderlich. Das wirksame beizumengende Wasser zum Frischbeton wird in Abhängigkeit des Zementgehaltes bestimmt. Dieses Mengenverhältnis wird als w/z-Wert (Wasserzementwert) angegeben. Zu beachten ist, dass Betonzusatzstoffe (PZ) im Gegensatz zu Betonzusatzmitteln in der Mischungsberechnung mit berücksichtigt werden müssen. Als ausreichender w/z-Wert zur Hydration gilt 0,35 – 0,4, dies ist ausreichend um 100% des Bindemittels zu hydratisieren.
18
2 Grundlagen
Ein höherer w/z-Wert bewirkt ungebundes Wasser im Beton. Dies kann zu einer Festigkeitsabnahme, höherer Schwindneigung, höherer Wasserempfindlichkeit, Bluten oder zum Entmischen des Frischbetons führen [14]. Laut DIN EN 206 – Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität aus dem Jahr 2014 liegen die empfohlenen Grenzwerte des w/z-Wertes in Abhängigkeit der Beanspruchung (Expositionsklassen) und des Mindestzementgehalts zwischen 0,45 und 0,65 [15]. Um höhere Sichtbetonanforderungen zu erfüllen, sollte ein Wasserzementwert von 0,55 nicht überschritten werden. Schwankungen in unterschiedlichen Chargen sind bis auf ein Minimum zu reduzieren, bereits eine Abweichung von 0,02 führt, laut Bundesverband der Deutschen Zementindustrie, zu „…deutlich erkennbaren Abweichungen im Farbton…“ [16]. Anteil Zementgestein in %
0
Festbetoneigenschaften Dauerhaftigkeit
Dichtigkeit Entmischungsrisiko
Überschusswasser
0,9
Hydratisierter Zement
0,8
Wasserzementwert
0,7
Verformungsverhalten
0,6
Schwinden
Grenzbereich
Druckfestigkeit
Empfohlener
0,5
Kapillarporen im Verhältnis mit Überschusswasser
0,4
Frischbetoneigenschaften
Abbildung 2.11 Auswirkung des w/z-Wertes auf den Zementsteingehalt nach Zement-Merkblatt B4 „Frischbeton - Eigenschaften und Prüfungen“ Ausgabe 3, 2013
Die Verarbeitbarkeit von Frischbeton mit niedrigen w/z-Werten ist aufwendiger, mit Einbringen höher Rüttelenergie jedoch möglich. Durch die Verwendung von Betonzusatzmitteln wie Fließmittel (FM) ist es ausführbar, den Konsistenzbereich, das heißt die Fließfähigkeit des Frischbetons, ohne Heraufsetzten des w/z-Wertes positiv zu beeinflussen [14]. Wie in Abbildung 2.12 beschrieben, werden die Konsistenzbereiche aufgeteilt von steif (F1) bis sehr fließfähig (F6) [17]. Ein weiteres wichtiges Maß für die Verarbeitung von
2.1 Betontechnologie
19
Frischbeton ist die Verdichtungsmaßklasse, welche beschreibt, wie weit sich der Frischbeton verdichten lässt, was mit zunehmender Fließfähigkeit des Frischbetons abnimmt [17]. Die wichtigste Klassifizierung für die Eigenschaften von Festbeton ist hingegen die Druckfestigkeit, welche für Zylinder und Würfel klassifiziert wird. Ein Normalbeton der Druckfestigkeitsklasse C25/30 besitzt somit für Zylinder eine Druckfestigkeit von 25N/ mm² und für Würfel 30N/mm² [17]. Konsistenzbereich sehr steif steif plastisch weich sehr weich fließfähig sehr fließfähig SVB
Klasse
Ausbreitmaß [mm]
F1 F2 F3 F4 F5 F6
< 340 350 - 410 420 - 480 490 - 550 560 - 620 630 - 700 > 700
Klasse C0 C1 C2 C3
Verdichtungsmaß = 1,46 1,45 - 1,26 1,25 - 1,11 1,10 - 1,04
Abbildung 2.12 Frischbetoneinteilung nach DIN 1045-2
Im Hinblick auf die Kraftleitung ermöglicht unbewehrter Festbeton grundsätzlich nur die Aufnahme von Druckkräften. Die geringe Zugfestigkeit von Beton wird in der statischen Auslegung vernachlässigt. Somit ist Beton zur Aufnahme von Biegung nicht geeignet [18]. Abhilfe schafft ein Verbund mit anderen Materialien (Bewehrung), die geeignet sind, Zugkräfte aufzunehmen. Diese Bewehrung, die in der belastungsspezifischen Ausrichtung der Bauteile eingesetzt wird, ermöglicht einen effizienten Einsatz des Betons auch unter Zugbeanspruchungen. Etabliert haben sich für diesen Verbundbaustoff – Stahlbeton duktile, gerippte bzw. profilierte Stabstähle.
20
2 Grundlagen
Abbildung 2.13 Stabstahlbewehrung
Um den verwendeten Betonstahl durch Umwelteinflüsse gegen Korrosion zu schützen, ist in Abhängigkeit der Expositionsklassen (Art und Intensität der Schädigungseinflüsse auf den Beton) eine Mindestbetondeckung zu gewährleisten. Die Mindestbetondeckung des Betonstahls zur Sicherstellung des Verbunds bzw. des Korrosionsschutzes unabhängig der Expositionsklasse beträgt mindestens die Stärke des verwendeten Betonstahldurchmessers und unter Berücksichtigung der Expositionsklassen nach EC2 ist eine Mindestbetondeckung von 20 bis 55mm nötig. Eine Reduktion der Mindestbetondeckung (unter Einhaltung der jeweiligen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen) ist durch Verwendung von verzinkten- oder nichtrostenden Betonstählen möglich [19].
2.2 Auswahl moderner Betonsorten
2.2
21
Auswahl moderner Betonsorten
DUCON - Duktiler Beton Ducon ist eine Herstellerbezeichnung für mikrobewehrten Hochleistungsbeton und ist in seinem Ursprung für Explosion- und schussfeste Einsatzbereiche entwickelt worden. Dieser Beton besteht aus Sand, selbstverdichtendem Mörtel und einer Mirkoarmierung (feinmaschiges Stahlgitter), wodurch er seine duktilen und somit energieabsorbierenden Eigenschaften erhält und für diese Einsatzbereiche besonders geeignet ist. Die Druckfestigkeit kann bis zu 180 N/mm² und die zentrische Zugfestigkeit bis zu 20 N/mm² erreichen. Neben Explosionsschutzwänden wird dieser Beton vor allem als Aufbetonschicht als statische Unterstützung für Bauteile und zum Schutz vor Erdbeben eingesetzt. Beispielsweise kann DUCON an Stelle von Estrich zur Verstärkung von Decken eingesetzt werden [20].
Abbildung 2.14 DUCON - Duktiler Beton (Bildrechte: Stephan Hauser)
22
2 Grundlagen
Faserbeton Bei Faserbeton handelt es sich um einen Verbundbaustoff aus Beton und beigemischten alkaliresistenten Fasern. Bei Bauteilen mit geringem Gefährdungspotenzial (u.a. Kellerwände, Fassadenplatten, Böden) kann dem Beton durch die Beigabe von Fasermaterialien die Eigenschaft zur Aufnahme von Zugkräften zugesprochen werden. Unterschieden werden Fasern in Stahl-, Kunststoff- und Glasfasern. Kunststoff- und Glasfasern werden hauptsächlich zur Verbesserung der Gefügeeigenschaften, das heißt der Verhinderung von Mikrorissen in der Bauteiloberfläche durch Verbesserung des Schwindverhaltens und zur Erhöhung der Schlagfestigkeit, eingesetzt. Stahlfasern bieten zusätzlich zur Verbesserung der Gefügeeigenschaften die Möglichkeit die Betonzugfestigkeit sowie die Übertragbarkeit von Zugspannungen im Riss zu erhöhen. Stahlfaserbetone (Abbildung 2.15) können zumindest für bestimmte Belastungsarten bzw. Bauaufgaben als konstruktive Bewehrung eingesetzt werden und die meist aufwendig herzustellende Stabbewehrung für Sonderbauteile minimieren bzw. ersetzen. Bei Stahlfasern können aufgrund des geringen Querschnitts korrosionsbedingte Abplatzungen an der Oberfläche ausgeschlossen werden [10].
Abbildung 2.15 Faserbeton
Leichtbeton Unterschieden wird bei Leichtbetonen zwischen gefügedichtem Leichtbeton und haufwerkporigem Leichtbeton. Leichtbetone zeichnen sich insbesondere durch ihr geringes Gewicht und ihre geringe Wärmeleitfähigkeit und somit gutes Dämmvermögen im Vergleich zu Normalbeton aus. Bei dem gefügedichten Leichtbeton (Rohdichte 600 bis 2000 kg/m³), siehe Abbildung 2.16, besitzt der Gesteinszuschlag (Blähton, Bims) eine geringere Dichte als bei Normalbeton. Die erreichbaren Festigkeiten vom gefügedichten Leicht-
2.2 Auswahl moderner Betonsorten
23
beton sind mit Normalbeton vergleichbar. Bei dem haufwerkporigen Leichtbetonen werden die Gesteinszuschläge (Blähton, Bims) nur leicht umhüllt und punktuell an den Berührungspunkten mit Zementleim verkittet. Durch die entstandenen Hohlräume zwischen den porösen Gesteinskörnungen besitzt der haufwerkporige Leichtbeton (Abbildung 2.17) gute Dämmeigenschaften bei einer durchschnittlichen Rohdichte von etwa 400 kg/m³. Haufwerkporige Leichtbetone weisen eine Festigkeit von 2 bis 20 N/mm² auf. Zu beachten ist, dass der luftdurchlässige Aufbau des Betons den nötigen Betonstahl nicht vor Korrosion schützt [10].
Abbildung 2.16 Leichtbeton gefügedicht
Abbildung 2.17 Leichtbeton haufwerksporig
Ökobeton Als Ökobeton, wie in Abbildung 2.18 zu sehen, werden Betone bezeichnet, die die Umweltbelastung, die bei der Herstellung von Zement unausweichlich entsteht, möglichst gering zu halten. Da die Betonrezeptur von normativen Regeln abweicht, ist der Einsatz als ökologisch optimierter Konstruktionsbeton (>XC1) nur mit Zustimmung im Einzelfall möglich. Unter geringem Verlust der Fließfähigkeit, Verarbeitungsdauer, Dauerhaftigkeit und Festigkeit besteht durch den Einsatz von Ökobeton die Möglichkeit, die Ökobilanz von Beton zu verbessern und den Anteil von Portlandzement zu verringern, für dessen Herstellung ein energieintensiver Brennprozess notwendig ist. Hierbei soll ein zwischen 30 % und 60 % verringertes TreibhausPotenzial entstehen. Um den Anteil Portlandzement auszugleichen, werden umweltfreundlichere Zusatzstoffe wie Hüttensand, Flugasche und Kalksteinmehl eingesetzt [21].
24
2 Grundlagen
Abbildung 2.18 Ökobeton
Photokatalytischer Zement Dieser Zement ist ein Baustoff zur solarkatalytischen Luft- und Oberflächenreinigung. Die Basis des Baustoffes bilden Zement-Kalk und Nano- Photokatalysatoren, die hauptsächlich in die zu verwendende Betonoberfläche eingearbeitet werden. Dadurch entsteht auf der Oberfläche des Bauteils eine Reaktion zwischen dem Photokatalysator und Stickstoffoxiden [NOx] aus der Luft, das zu Nitrit/Nitrat [NO3] reagiert, das an der Oberfläche gebunden wird. Hierfür reicht Tageslicht aus, sodass keine zusätzliche Belichtung notwendig wird. Dies ist besonders in der Stadt von großem Vorteil, wo das NOx als saures Schadgas teilweise sogar gesundheitsschädliche Ausmaße angenommen hat. Bis zu 10 % können absorbiert werden. Das gebundene Nitrat wird in Form von Salzen durch Regen abgespült und durch die Kanalisation abgeführt. Zusätzlich wirkt sich diese Oberflächenbehandlung noch positiv auf Temperatur, relative Luftfeuchte und Intensität der UV-Strahlung aus [22].
Abbildung 2.19 Photokatalythischer Zement
2.2 Auswahl moderner Betonsorten
25
Selbstverdichtender Beton (SVB) SVB (Abbildung 2.20) ist besonders fließfähiger und selbstverdichtender Beton. Erreicht wird das durch einen erhöhten Mehlkorngehalt und spezielle Fließmittel auf Polycarboxylatether-Basis (PCE-Fließmittel). Außer der Tatsache, dass bei dieser Betonsorte keine zusätzliche Verdichtungsenergie aufgebracht werden muss und somit eine Verkürzung der Bauzeit zu erwarten ist und die hiermit verbundenen Kosten eingespart werden können, ergibt sich eine optisch deutlich ansprechendere Oberfläche als bei herkömmlichem Rüttelbeton. SVB fließt unter dem Einfluss der Schwerkraft und füllt kleinste Bewehrungszwischenräume aus. Durch die eigene Entlüftung (Verdichten) ist SVB insbesondere geeignet für Bauelemente mit verhältnismäßig hohem Bewehrungsanteil bzw. freigeformte Bauteilgeometrien. Nachteilig ist allerdings die Empfindlichkeit gegenüber Schwankungen in der Zusammensetzung, Beispielhaft zu nennen ist hier die Wassergehaltsschwankung. Ist der SVB zu steif, führt dies zu Nichtausfüllen der Schalung bzw. ist die Fließfähigkeit zu hoch, lässt die Gefügestabilität (Entmischen) nach. Die Richtlinien für SVB schreiben eine Druckfestigkeitsklasse bis C70/85 vor, in Verbindung mit hochfestem Beton der Festigkeitsklassen ≥C90/105 wird eine allgemeine bauamtliche Zulassung bzw. eine Zustimmung im Einzelfall gefordert [23].
Abbildung 2.20 Selbstverdichtender Beton
26
2 Grundlagen
Textilbeton Textilbeton ist ein Verbundwerkstoff bestehend aus einer Feinbetonmatrix in Kombination mit Hochleistungsfaserstoffen aus AR-Glas, Carbon oder Basalt. Diese textilen Strukturen werden als Gelege, das heißt in Form einer zweidimensionalen textilen Bewehrung in Kraftrichtung des Bauteils, eingebracht, siehe Abbildung 2.21. Der große Vorteil beim Einsatz von Textilien als Bewehrung liegt darin, dass nicht wie bei der Verwendung von Betonstahl auf eine notwendige Betonüberdeckungen der Bewehrung geachtet werden muss. Somit können, in Kombination mit hochfestem Feinbeton, die Bauteilstärke, typische Schichtdicken zwischen 10 bis 30mm, stark reduziert werden. Eingesetzt wird Textilbeton hauptsächlich zur Tragfähigkeitssteigerung und Ertüchtigung von Bestandsbauwerken wie auch zum Herstellen von Schalen, Fußgängerbrücken und Fassadenelementen [24].
Abbildung 2.21 Textilbeton / Textilbewehrter Beton
2.2 Auswahl moderner Betonsorten
27
UHPC (Ultra High Performance Concrete) Hochleistungsbetone besitzen eine besonders hohe Gefügedichte und somit eine extrem hohe Druckfestigkeit von über 200 MPa (Normalbeton: 25 MPa). Dies führt dazu, dass sie weitestgehend undurchlässig und beständig gegen physikalische oder chemische Einwirkungen sind. Versetzt man den UHPC zusätzlich mit Faser, kann eine Zugfestigkeit von 15MPa und eine Biegezugfestigkeit von bis zu 45 MPa erreicht werden. Durch diese besonders hohe Festigkeit wird der Beton allerdings auch spröde, sodass eine Zugabe von Fasern in vielen Anwendungen nahezu unerlässlich ist. UHPC ist dauerhafter als Normalbetone und ein wesentlicher Vorteil ist die erhöhte Tragfähigkeit bei geringerer Materialstärke. Um diese Eigenschaften zu erreichen wird, das Wasser-Bindemittel-Verhältnis auf ein Minimum (bis zu 0,2) gesenkt (vergleich Normalbeton 0,4 bis 0,7). Um die Verarbeitbarkeit in Bezug auf die Fließfähigkeit zu gewährleisten, werden Hochleistungsverflüssiger (PCE), sowie Zusatzstoffe wie Silika-Stäube und Flugasche hinzugegeben [23].
Abbildung 2.22 UHPC (Ultra High Performance Concrete)
28
2.3
2 Grundlagen
Sichtbeton und Schalhaut
Der Begriff Sichtbeton (oder auch Architekturbeton) ist kein normativer Begriff für die Qualität einer Betonoberfläche. Die Definition nach DIN 18217:1981 – „Betonflächen und Schalungshaut“ beschreibt, dass Betonoberflächen das Spiegelbild seiner Schalungshaut sind [25]. Um aber grundsätzliche Regelungen an die Qualität der Sichtbetonoberfläche und die Kommunikation zwischen Architekten, Planern und den Ausführenden Unternehmen zu ermöglichen, wurde vom Deutschen Beton- und Bautechnik-Verein (DBV) und dem Verein Deutscher Zementwerke (VDZ) ein Merkblatt „Sichtbeton“ herausgegeben. In diesem Merkblatt in der Fassung von 2015 sind die Änderungen und Einflüsse der Regelwerke DIN18217, DIN 1045, DIN EN 206-1 sowie die Ausführungsaspekte der VOB/B (2002) eingearbeitet und beachtet worden [26]. Das herausgegebene Merkblatt findet grundsätzlich Anwendung zur Planung, Ausschreibung, Ausführung und Beurteilung von glatten Sichtbetonoberflächen die in Ortbetonweise mit einer nicht- bzw. schwach saugenden, glatten Schalhaut hergestellt wurden. Keine Anwendung bzw. nur aus planerischer und baubetrieblicher Sicht ohne qualitative Anforderungen findet dieses Merkblatt bei Verwendung von behandelten Oberflächen (z.B. waschen, polieren, beschichten), Oberflächentextur, Strukturflächen oder gestalterische Einzelkriterien. Laut Merkblatt sind für die Herstellung und Beurteilung von Sichtbetonoberflächen mit Anforderungen an das Aussehen, Sichtbetonoberflächen oder Architekturbeton, keine allgemeinverbindlichen Vorschriften verfügbar [26].
Abbildung 2.23 Neue Gropius-Meisterhäuser, Bruno Fioretti Marquez Architekten, Dessau, 2014
Abbildung 2.24 Liebes Leben Museum, Acconci Architekten, Soest, 2017
2.3 Sichtbeton und Schalhaut
29
Das bedeutet, dass allgemeine Angaben wie Sichtbeton nach Klasse SB1 bis SB4 ohne im Vorfeld definierte Konkretisierungen nicht ausreichen, die Qualität und das Aussehen der Oberfläche müssen vor Baubeginn definiert und mit allen am Bau beteiligten eindeutig geklärt sein. Bereits ab einer Sichtbetonklasse 2 (SB2), nur für glatte, schwach- oder nicht saugende Schalhaut in Ortbetonbauweise, mit normalen gestalterischen Anforderungen (z.B. Treppenhäuser, Stützwände) wird eine Erprobungsfläche empfohlen und in der höchsten Sichtbetonklasse (SB4) für Betonflächen mit besonders hoher gestalterischer Bedeutung (z.B. repräsentative Bauteile im Hochbau) ist eine Erprobungsfläche zwingend erforderlich [25]. Für eine detaillierte Betrachtung der Sichtbetonklassen siehe Graphik 2.25 [26].
Abbildung 2.25 Übersicht der Sichtbetonklassen nach DBV (2015)
30
2 Grundlagen
Trotz aller Regeln unterliegen die optischen Anforderungen der Sichtbetonoberfläche auch dem Bauherrn bzw. Architekten. Nur in Eigenversuchen bzw. bei Hinzuziehen von Referenzflächen kann die gewünschte Optik erreicht werden. Zwingend, gerade im Bereich ab SB3, sind Vorversuche mit dem Material, sowohl Schalungsmaterial, Trennmittel als auch der zu verwendenden Betonmischung in Form von Erprobungsflächen in angemessener Größe. Wichtig ist hierbei, dass die Erprobungsfläche die als Besprechungsgrundlage dient, von dem später am Bau beteiligten Betonierteam unter realistischen Szenarien (angemessene Größe, Betonsorte, Trennmittel, Bewehrungsgrad, Anker usw.), durchgeführt wird. Referenzgebäude bzw. bestehende Referenzbauteile können als Vorlage bzw. zur Beschreibung einer Ausschreibung herangezogen werden, ersetzen aber nicht eine Erprobungsfläche [27]. Das auschlaggebende „Spiegelbild“ einer Schalung ist das Schalungsmaterial, deren Qualität und die verwendete Frischbetonrezeptur bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen. Wichtige materialspezifische Anforderungen des Schalungsmaterials für eine gewünschte Betonoberfläche sind neben der leichten Verarbeitbarkeit des Schalungsmaterials, unter anderem Kapillarwirkung (Porigkeit), Oberflächengüte (Rauigkeit und Ebenheit), Dimensionen (Schalungsstöße, Flächengliederung, Fugenstoßbild, Ankerabstände), Nachbearbeitbarkeit (Schalöl, Montagebeschädigungen beheben durch Schleifen, Polieren) und die chemische Verträglichkeit (Frischbeton – alkalischer PH-Wert 12, Trennmittelverträglichkeit) sowie die Einsatzdauer [28]. Die heute im Bauwesen etablierten Schalungsmaterialien gliedern sich nach Motzko und Löw in zwei Kategorien: reiner Werkstoff und Verbundwerkstoffe. Reine Werkstoffe sind Werkstoffe aus nur einem Ausgangsmaterial. Auf dem Bausektor haben sich reine Werkstoffe wie sägeraue, gebürstete und gehobelte Holzbretterschalung wie auch Stahl und Vollkunststoffplatten etabliert. Verbundwerkstoffe sind Werkstoffe, die mindestens aus zwei Materialien mit unterschiedlichen Werkstoffeigenschaften formschlüssig hergestellt sind. Zu nennen sind Phenolharz-, Melaminharz-, Folien-, Linoleum-, Elastomer- oder Polypropylenbeschichtete Trägerwerkstoffe wie Vollholz, Holzwerkstoffplatten oder Kunststoff [29].
Abbildung 2.26 Reiner Werkstoff – Gebürstete Holzbretterschalung
Abbildung 2.27 Verbundwerkstoff - Phenolharz beschichtete Furniersperrholzplatte
2.3 Sichtbeton und Schalhaut
31
Der entscheidendste materialspezifische Faktor mit der größten Auswirkung an die Sichtbetonoberfläche in Bezug auf die Textur und die Farbtongleichmäßigkeit bei der Auswahl eines geeigneten Schalhautmaterials ist die Porigkeit bzw. die Kapillarität, sprich das Saugverhalten des Schalungsmaterials. Die Art der Schalhaut wird in die Eigenschaften saugend, schwach saugend, nicht saugend und sonstige gegliedert.
Saugende Schalungsmaterialien Unter saugendem Schalungsmaterial werden Materialien verstanden, die aufgrund ihrer Eigenschaft Feuchtigkeit und Luftblasen des Frischbetons „aufsaugen“, d.h. den Wasserund Lufthaushalt an der Schalungshaut regulieren. Das bedeutet, dass das Schalungsmaterial Anmachwasser aus dem Frischbeton aufsaugt und zur Hydration wieder abgibt. Typische Materialien sind unter anderem Brettschalungen und unbehandelte Holzwerkstoffplatten (Abbildung 2.28). Dies führt zu einer rauen und dunkleren, aber gleichmäßigen Farbgebung der Oberfläche (Abbildung 2.29), hat aber den Vorteil, dass bedingt durch die saugende Wirkung wenig Poren bzw. Lunker an der Sichtoberfläche entstehen. Bedingt durch die gegebene Textur bei der Verwendung von z.B. Bretterschalung können Fehlstellen an den Schalungsstößen retuschiert werden. Saugende Schalungsmaterialien sind weitestgehend unempfindlich gegenüber Trennmitteln. Bei wiederholter Benutzung ist zu beachten, dass das Saugverhalten des Schalungsmaterials abnimmt. Dies führt dazu, dass nach mehreren Einsätzen die Betonoberfläche heller wird, was zu Farbunterschieden in den Ansichtsflächen führen kann. Bei der erstmaligen Verwendung von unbehandeltem Holz ist zu beachten, dass Holzzucker die Betonerhärtung teilweise verhindern kann (führt zu punktuellem Absanden) [26, 30, 31].
Abbildung 2.28 Beispiel einer saugenden Oberfläche - Sägeraue Holzbretterschalung
Abbildung 2.29 Sichtbetonoberfläche - sägeraue Holzbretterschalung
32
2 Grundlagen
Schwach saugende Schalungsmaterialien Unter schwach saugendem Schalungsmaterial werden Materialien verstanden, die aufgrund ihrer Eigenschaft minimal Feuchtigkeit und Luftblasen des Frischbetons aufsaugen. Typische Materialien sind unter anderem Schalrohre aus beschichteter hochverpresster Kartonage und teilweise unbeschichtete Holzwerkstoffe wie Dreischichtplatten (Abbildung 2.30). Dies führt zu einer glatten Oberfläche mit wenigen Poren bzw. Lunker (Abbildung 2.31). Die Farbgebung gegenüber der saugenden Oberfläche weist eine leicht hellere Oberflächenfärbung auf. Nach mehrmaligem Einsatz der Schalhaut reduziert sich nochmals das Saugverhalten, was dazu führt, dass die Ansichtsfläche nochmals aufhellt [26, 30,31].
Abbildung 2.30 Beispiel einer schwach saugend Oberfläche - Multiplexplatte
Abbildung 2.31 Sichtbetonoberfläche schwach saugend Oberfläche
Nicht saugende Schalungsmaterialien Unter nicht saugendem Schalungsmaterial werden Materialien verstanden, die den Wasser- und Lufthaushalt im Beton nicht regulieren können. Beispiele sind Harz- oder Kunststoffbeschichtete Holzwerkstoffe, Stahlbleche, Vollkunststoffplatten, Polystyrol, Polyester und Matrizen. Diese Schalmaterialien haben den Vorteil, dass die Oberfläche heller und eine glatte bis spiegelnde Sichtbetonoberfläche hergestellt werden kann. Die Gefahr von Poren und Lunker steigt, ebenso sind Farbunterschiede (Marmorierung und Wolkenbildung) auf der Oberfläche möglich. Zu achten ist auf die sorgfältige Ausbildung der Schalhautstöße, bedingt durch die glatte Oberfläche können Unebenheiten bzw. ein Versatz nicht „retuschiert“ werden. Ebenfalls kann es bedingt durch einen Feuchtigkeitsaustritt an einem unsauberen Schalhautstoß zu einer partiellen Dunkelfärbung auf der Sichtbetonfläche kommen. Betonierfehler sind sofort ersichtlich. Schnittkanten an Schalungstafeln müssen, um ein Aufquellen beim Einbringen des Frischbetons zu verhindern, versiegelt werden. Besonderes Augenmerk ist auf die sorgfältige Auswahl vom geeigneten Trennmittel zu legen. Zu dicker Trennmittelauftrag und unterschiedliche Trennmittel führen zu Verfärbungen und fördern die Porenbildung. Vorversuche sind empfehlenswert [26, 30,31].
2.3 Sichtbeton und Schalhaut
Abbildung 2.32 Sonderschalungsmaterial Nichtsaugende Acrylglasplatte
33
Abbildung 2.33 Sichtbetonoberfläche - Glas bzw. Acrylglas
Nicht geeignete Schalungsmaterialien Nicht zu empfehlen bzw. geeignet sind stark saugende Materialien wie MDF-Platten, unbehandelte Pappe, die mit dem Einbringen des Frischbetons aufquellen bzw. einen Teil ihrer Festigkeit verlieren. Ebenso ist auf die chemische Beständigkeit des Materials zu achten. Frischbeton weist einen PH-Wert von 12-14 auf und befindet sich somit im alkalischen Milieu. Dies kann bei der Verwendung von einigen Kunststoffen bzw. Metallen (z.B. Aluminium) zu einer Reaktion mit Blasenbildung und / oder Verfärbung führen. Siehe dazu Abbildung 2.37, diese Betonoberfläche zeigt eine Reaktion mit dem verwendeten Schalhautmaterial, Aluminium (roh), und dem Frischbeton auf.
Abbildung 2.34 Sehr stark saugendes Schalungsmaterial - Mitteldichte Holzfaserplatte)
Abbildung 2.35 Sichtbetonoberfläche MDF
34
Abbildung 2.36 Ungeeignetes Schalungsmaterial – Aluminium (Roh)
2 Grundlagen
Abbildung 2.37 Sichtbetonoberfläche - Aluminium
Sichtbetonflächen sind als Rohflächen anzusehen, was bedeutet, dass aus planerischer Sicht nach dem Arbeitsschritt „Ausschalen“ das Werk „Sichtbetonoberfläche“ als erfüllt anzusehen ist. Kosmetische Nachbehandlungen der Sichtbetonoberfläche, sofern nicht gesondert und explizit vereinbart, sind nur sehr begrenzt möglich. Ist Sichtbeton, egal in welcher Art und Weise, von einem Bauherren bzw. einem Architekten gefordert, muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Betonflächen mit Anforderungen an das Aussehen bzw. mit hohen Anforderungen an die Gestaltung (SB3, SB4) handelt. Erprobungsflächen mit dem verwendeten Schalhautmaterial werden dringend empfohlen [26]. Zur grundsätzlichen Vorauswahl eines Schalhautmaterials für Betonflächen mit Anforderungen an das Aussehen sind die Kriterien Oberflächenbeschaffenheit, Saugvermögen und Einsatzdauer ausschlaggebend. Die nachfolgende Abbildung 2.39 zeigt etablierte Schalhäute mit ihren Merkmalen und ihren möglichen Auswirkungen auf das Aussehen.
2.3 Sichtbeton und Schalhaut
Saugverhalten
35
Bretterschalung Holzwerkstoffe Aluminium
Stahl
saugend
nicht saugend
nicht saugend
saugend bis schwach saugend (Ausnahme N/S)
Oberflächen-
dunkel
dunkel
hell
hell
rau
rau / leicht rau
glatt
glatt
hoch
leicht erhöht
gering
gering
gering
leicht erhöht
hoch
hoch
Absanden
etwas erhöht
etwas erhöht
gering
gering
Textur
Holzmaserung
ggf. Holzmaserung
keine
keine
Porenbildung
gering
wenig
hoch
hoch
Lunkerbildung
gering
wenig
hoch
hoch
w/z Wert
niedrig
niedrig
höher
höher
Quellen /
hoch
mittel
klein
klein
Fügetechnik
Nägel, Schrauben
Nägel, Schrauben
Schrauben, Nieten
Schrauben, Nieten
Umgang (Bau-
robust
robust
kratzanfällig
robust
4-5
bis 50
> 500
> 500
Materialkosten
gering
mittel
mittel
mittel
Sonstiges
unkontrollierbare
unkontrollierbare
Verfärbungen
Rostanfällig
Saugfähigkeit
Saugfähigkeit
durch nicht versie-
färbung Oberflächenhaptik Grautonunterschiede Marmorierung / Wolkenbildung
Schwinden
stelleneinsatz) Einsatzhäufigkeit
gelte Schnittkanten Oberflächenfärbung
Oberflächenfär-
chemisch unbe-
hohes Schalungs-
heller je häufiger die
bung heller je häufi-
ständig gegenüber
gewicht
Nutzung
ger die Nutzung
Frischbeton
Holzzuckereinfluss
Verfärbung durch
Oberflächenversie-
unempflindliche
beachten
nicht versiegelte
gelung erforderlich
Oberfläche
Schnittkanten Holzfasern im Beton
Filmbeschichtun-
Kratzempfindlich-
Verfärbung der
möglich
gen empfindlich ge-
keit (Lack bzw.
Stoßdichtungen
gen Anstoßschaden
Pulverbeschich-
der Bewehrung
tung)
36
2.4
2 Grundlagen
Sichtbeton als Gestaltungsmerkmal
Die Wahl der Materialien ist ein einflussreicher Faktor im Verlauf des Entwurfsprozesses. Je mehr Informationen über einen Baustoff vorliegen, desto besser können seine Eigenschaften, sowohl bezogen auf die Dauerhaftigkeit, als auch auf die Gestaltung eingesetzt werden und desto mehr neue Felder der Gestaltungsvielfalt ergeben sich [32]. Im Betonbau können dabei die Eigenschaften des Betons, im flüssigen Zustand verarbeitet zu werden und anschließend zu erhärten und jede Form abzubilden, gestalterisch vielfältig eingesetzt werden. Das bezieht sich sowohl auf die Oberflächenbeschaffenheit, als auch auf die technisch notwendigen Fugen und Ankerstellen. Zunächst besaß Beton rein konstruktiven Nutzen und wurde als unästhetisch angesehen, bis erste Ansätze des Sichtbetons aufkamen [33]. In diesen ersten Anfängen des Sichtbetons ging es zunächst weniger um den gestalterischen Einsatz dessen, sondern vorwiegend um die Sichtbarkeit der Tragstruktur und das Darstellen der verwendeten Baustoffe [34,35]. In den Anfängen, etwa um 1900, bestand eine Betonschalung aus sägerauem oder gehobeltem Brettholz, was somit auch die Betonoberfläche widerspiegelte. Durch unterschiedliches Holz, verschiedene Lagerzeiten und andere Einsatzhäufigkeiten sowie die Unebenheiten des Materials ergibt sich eine sehr raue und strukturierte Oberfläche in unterschiedlichen Färbungen. Teilweise wird diese Optik gestalterisch wieder gewünscht, was aufgrund der Änderungen in den Ausbildungen zu Komplikationen führen kann, da nur noch wenige in der Lage sind, die alte Technik sauber auszuführen [34,35].
Abbildung 2.38 Kapelle Notre Dame du Haut, Ronchamp, Le Corbusier, 1955
2.4 Sichtbeton als Gestaltungsmerkmal
37
Als in den 60er Jahren beschichtete Holzplattenwerkstoffe auf den Markt kamen, änderte sich die Betonoberfläche beim Einsatz dieser als Betonschalung gravierend. Die neuen glatten Oberflächen schienen für den Betrachter attraktiver und Beton wurde als Baustoff mit GestaltungsPotenzial interessant. Lange Zeit waren die glatten Betonoberflächen, auf welchen ausschließlich die Elementstoßfugen und die Ankerlöcher zu sehen waren, das Sichtbetonbild, welches durch die glatte Oberfläche stark abhängig war ovm Zustand des Schalungsmaterials sowie den Fähigkeiten der Ausführenden auf der Baustelle. Lange Zeit bestand der Anspruch der völligen Makellosigkeit an eine Sichtbetonoberfläche, sodass aufgrund der hohen Anforderungen und dem vielen Einflussparametern auf die Betonbeschaffenheit oft Unzufriedenheit bei Planern und Auftraggebern entsteht. Wird eine Sichtbetonoberfläche in Auftrag gegeben, beziehen sich die Vorgaben an den Ausführenden auf die Anordnung der Fugen und auf den Farbton des Betons [34,35].
Abbildung 2.39 Habitat 67, Moshe Safdie, Montreal, 1967
Erst später erkannten Architekten das vielfältige GestaltungsPotenzial des Baustoffs Beton neben glatten Oberflächen, die anfällig sind für Fehlstellen, und eine Vielzahl neuer Techniken entstand aus dem neuen Anspruch heraus. Das strukturgebenste Beispiel dafür sind Matrizen oder auch Matrizenschalungen (Abbildung 2.40). Hierbei handelt es sich um elastische Formen, welche sowohl in Standardformen als auch individuell gestaltbar angeboten werden. Auf diese Weise können bis zu 80mm tiefe Strukturen und auch Hinterschneidungen hergestellt werden.
38
2 Grundlagen
Abbildung 2.40 Beispiele durch Matrizenschalung entstandene Betonoberflächen
Unterschieden wird hier als reine Einlage für ein Standardschalmaterial oder mit stützender Rückenschicht aus Hartschaum. Eingesetzt wurde diese Technik vor allem bis 1980, es gibt allerdings weiterhin Unternehmen, die dieses System anbieten. Im weiteren Verlauf wurden die dadurch entstandenen Betonstrukturen als zu künstlerisch angesehen, sodass der Trend in der Architektur leicht zurück ging [34,35]. Ein Beispiel für den Einsatz solcher Matrizen ist das Museum für Architekturzeichnung in Berlin (Abbildung 2.41). Der Anspruch an die Fassade lag darin, von außen zu erkennen, was das Gebäude für eine Nutzung beinhaltet. Dies ist ein Beispiel für individuell gefertigte Matrizen, in diesem Fall nach der Vorlage von historischen Handzeichnungen [36].
Abbildung 2.41 Museum für Architekturzeichnung, Tchoban Voss Architekten, Berlin, 2013 Deutlich geringere Texturtiefen, etwa 1mm bis 6mm, als bei Matrizen werden durch Waschbeton oder der Abwandlung hiervon, Fotobeton generiert. Zeitlich gesehen kann diese Art der Betonoberflächenherstellung allerdings in dieselbe Zeit wie die Matrizen, etwa bis 1980, eingeordnet werden. Durch verzögertes Erstarrens des oberflächennahen Zementmörtels kann die Oberfläche nach Erstarren des Betonkerns abgewaschen wer-
2.4 Sichtbeton als Gestaltungsmerkmal
39
den. Dadurch wurde im klassischen Waschbetonbau die grobe Gesteinskörnung sichtbar gemacht und galt als strukturelles Merkmal dieser. Bei späteren Einsätzen wurden geringere Auswaschtiefen ausgeführt, sodass eine Neuinterpretation des klassischen Waschbetons stattfand. Eine spezielle Form des Waschbetons ist der sogenannte Fotobeton. Hierbei wird ein Graustufen-Foto, das in Betonrauigkeiten übersetzt wird, auf einer Oberfläche ausgewaschen. Die Auswaschtiefe wird dabei durch unterschiedliche Schichtstärken von Oberflächenverzögerer generiert, welcher EDV-gesteuert aufgetragen wird. Beide Verfahren eignen sich vorwiegend nur für die werkseitige Fertigung, klassischer Waschbeton ist sehr bedingt auch in Ortbetonbauweise einsetzbar [34,35].
Abbildung 2.42 Bibliothek der Hochschule für nachhaltige Entwicklung, Herzog & de Meuron, Eberswalde, 1998 Weiterhin können Betonoberflächen durch Säurebehandlung, Sandstrahlen oder handwerkliche Steinmetzarbeiten beeinflusst werden. Eine Säurebehandlung findet aufgrund von Arbeits- und Umweltschutzgründen auf Basis von organischen Säuren, z.B. Zitronensäure, statt. Nach Fertigstellung des Betonbauteils können mit dieser Technik durch unterschiedliche Behandlungsintensität, Häufigkeit und Dauer die Abtragstiefen gesteuert werden. Ebenso nachträglich geschieht die Bearbeitung mittels Sandstrahlverfahren. Beide Verfahren eignen sich ausschließlich für Fertigteile, das Sandstrahlverfahren kann allerdings auch hier schwer gleichmäßige Oberflächen erzeugen [34,35] und wird häufig auch eingesetzt um Verschmutzungen, wie z.B. Graffitis, von Betonoberflächen zu entfernen. Steinmetzarbeiten hingegen sind ein Traditionsgewerbe, in welchem die Betonoberfläche durch handgeführte Werkzeuge bearbeitet wird, siehe dazu Abbildung 2.43. Auf diese Weise werden zum Teil witterungsbedingte Materialabträge simuliert und gestalterisch eingesetzt [34,35]. Dies ist ein sehr aufwändiges Verfahren, welches sowohl für Fertigteile, als auch für Ortbetonbauteile eingesetzt werden kann.
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2 Grundlagen
Abbildung 2.43 Behauene Sichtbetonoberfläche: Umweltbundesamt, Sauerbruch Hutton, Dessau, 2005 Einen Eingriff in die Gestaltung der Oberfläche, welche nicht durch das Generieren von Strukturen, ob durch Auftragen durch Matrizen oder Abtragen durch andere Verfahren, erzeugt wird, ist die Farbgestaltung von Beton. Dies kann sowohl gefärbter Beton (Abbildung 2.44), als auch eine nachträgliche Lasur sein. Das Färben von Beton erfolgt durch Pigmente und kann sowohl ein Aufhellen durch Titanoxid, als auch ein Abdunkeln durch Eisenoxid oder durch Pigmente, welche einen Baustoffuntypischen Farbton erzeugen, geschehen. Der Anteil der Farbpigmente sollte dabei zwischen 3% und 6% des Zementgehaltes nicht überschreiten, um die Betoneigenschaften nicht weiter zu beeinflussen. Für das nachträgliche Bearbeiten in Form einer Lasur werden die Pigmente nach Fertigstellung der Bauteile aufwändig in die Betonoberfläche eingearbeitet. Beide Verfahren eignen sich ebenso für Fertigteile wie für Ortbetonbauteile [34,35].
Abbildung 2.44 Mit Pigmenten eingefärbter Beton
2.4 Sichtbeton als Gestaltungsmerkmal
41
Neben der Oberfläche können die Fugen durch Elementstöße und die Schalungsanker beeinflusst werden. Die notwendigen Schalungsanker hat sich insbesondere der japanische Architekt Tadao Ando gestalterisch zu Nutze gemacht. Sowohl die Anordnung als auch die Art des Verschließens nach fertigem Ausschalen des Betonbauteils können in die Gestaltung eines Gebäudes mit aufgenommen werden. Seit 2004 ist in dem Merkblatt Sichtbeton des Deutschen Beton- und Bautechnikvereins e.V. und des Bundesverband der deutschen Zementindustrie mit aufgeführt, dass die Ankerlöcher in eine Beschreibung der Sichtbetongestaltung mit aufgenommen werden sollen. Klassische Varianten des Verschließens dieser Ankerlöcher sind das Zuspachteln mit Mörtel, was aufgrund großer Schwierigkeiten der sauberen Ausführung und Anpassung an den Farbton der Betonoberfläche nur noch selten eingesetzt wird, und das Verschließen mit Konen aus Kunststoff oder Faserzement. Die Ausführung, die Größe, die Tiefe und die Anordnung kann dabei variiert werden. Ein Beispiel für den gestalterischen Einsatz dieser Ankerlöcher ist die St. Canisius-Kirche in Berlin (Abbildung 2.45). Bei diesem Bauwerk wurden die Ankerlöcher durch zuvor auf der Schalung aufgebrachte Holzkeile in Kreuzform um die Ankerlöcher herum extra betont. Ein gegensätzliches Beispiel für die Unsichtbarkeit dieser Ankerlöcher ist das Liechtensteiner Kunstmuseum, bei welchem die Ankerlöcher durch entsprechend der Fassade eingefärbte Konen verschlossen und anschließend gemeinsam mit der Fassade geschliffen wurden [37].
Abbildung 2.45 Gestaltung der Ankerlöcher
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden 3.1
Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor
Das folgende Kapitel, Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor‘, ist eine überarbeitete Fassung der Artikel „Freigeformte Betonkonstruktionen − Formen, Schalungssysteme und technische Potenziale“ erschienen in „Leicht Bauen mit Beton – Forschung im Schwerpunktprogramm 1542“ [1] sowie dem Artikel „Evaluation of molding systems and heir technical Potenzials for freeform architecture“ erschienen in „Journal of Façade Design and Engineering“ [2]. Dieses Kapitel befasst sich mit der Analyse von angewandten Radien in der gebauten Architektur. Es werden die wechselnden Veränderungen moderner Architektur, von der rechtwinkligen „Box“ zum freigeformten „Blob“, im Hinblick auf die Geometrie beschrieben. Wenn ein Schalungssystem entwickelt werden soll, das aufgrund seiner Materialeigenschaften flexibel auf Bauaufgaben und insbesondere auf Bauaufgaben der sogenannten Blobarchitektur angepasst werden kann, muss zunächst geklärt werden, welche Radien vorzugsweise in der Baubranche eingesetzt werden und ab welchen Radien ein zusätzliches Einsatzgebiet erschlossen werden kann. Unter Blobarchitektur wird eine nicht standarisierte Freiform-Architektur verstanden mit geometrisch komplexen, individuellen Bauteilen [3] (Siehe Abbildungen 3.1, 3.2).
Abbildung 3.1 Eden Projekt: Nicholas Grimshaw, Cornwall, 2001
Abbildung 3.2 Museo Soumaya: Fernando Romero, Mexiko-Stadt, 2011
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hickert, Fabrik Formwork, Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen 58, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31924-3_3
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Dabei wird sich zunächst auf Gebäudegeometrien, das bedeutet auf die Formgebung, die im direktem Zusammenhang mit einer Freiformschalung in Ortbetonbauweise steht, und nicht auf Bauteilgeometrien wie Fassadentafeln beschränkt. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden etablierte Schalungssysteme vorgestellt, sodass herausgestellt werden kann, ob die analysierten Radien und die maximalen bzw. minimalen Krümmungen der etablierten Schalungssysteme in direktem Zusammenhang zueinander stehen. In den folgenden Analysen werden 160 realisierte Betonbauten, die mindestens eine einsinnige Krümmung aufweisen, nach ihren formgebenden Radien untersucht. Ziel dieser Untersuchungen soll es sein, ein Radienspektrum aufzuzeigen, welches in der architektonischen Formsprache vermehrt auftritt. Die Daten, die zugrunde gelegt werden, stammen aus den Architektenplänen, die teilweise im Original vorlagen, sowie aus Veröffentlichungen der jeweiligen Architekten und Architekturbüros. Ausschlaggebend für die Auswahl der Radien war die Dominanz des Radius im Bezug auf das gesamte Gebäude. Bei parabelförmigen Krümmungen wurde der Radius im Scheitelpunkt angenommen. Bei vertikalen, hyperboloiden Strukturen wie z. B. einem Kühlturm wurden die drei Radien betrachtet, die zur Formgenerierung benötigt werden. Ausgewertet wurden grundsätzlich die kleinsten und größten Radien und das begrenzt auf maximal vier Radien pro Gebäude. Ziel ist es, aus den gesamten Radien herauszufiltern, welche Radien für die jeweilige Bauaufgabe wie Dach, Wand oder Fassade von Relevanz sind. Eine erste Erkenntnis lässt sich bereits aus der Zusammenstellung der zu analysierenden Gebäuden ziehen. Die größte Anzahl stellen die Gebäude Kultur / Bildung mit 77 Bauwerken dar, gefolgt von Gewerbe / Industrie mit 43, Wohnen mit 27 und Sonderbauten mit 13 Bauwerken. Auffällig sind die entsprechend hohen Zahlen zum einen bei den Gebäuden für Kultur und Bildung und zum anderen bei den Gebäuden für Industrie und Gewerbe. Gebäude für Kultur und Bildung sind oftmals Gebäude mit repräsentativen Aufgaben. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass ein Mehraufwand für die „Blobarchitektur“ investiert wurde. Diese repräsentativen Aufgaben müssen Gebäude für Industrie und Gewerbe grundsätzlich nicht erfüllen. Weitere Analysen wiesen auf, dass gerade bei dieser Gebäudetypologie Radien als raumbildende Elemente, d. h. für Dachkonstruktionen (16%) bzw. Tonnengewölbe und Schalentragwerke (55%), verwendet wurden. Mit Hilfe dieser Schalentragwerke ist es möglich, große Räume weitgehend stützenfrei auszuführen, sodass diese für eine gewerbliche, großräumliche Nutzung prädestiniert sind. Die folgenden Radiendiagramme bilden auf der äußeren Skala die Radien in Meter ab und auf der innenliegenden Skala die Anzahl der auftretenden Radien. Bei der Betrachtung des Gesamtradiendiagramms wurden insgesamt 383 Radien analysiert. Das Diagramm beinhaltet sowohl die einsinnig gekrümmten (insgesamt 126 Radien) als auch die doppelt gekrümmten synklastischen (101 Radien) und antiklastischen Flächen (156 Radien). Auffällig bei der Auswertung sind die Peaks bei den Radien 0,5m und 1m (bei insgesamt 42 Radien), zwischen 2m und 3m (36 Stück), im Bereich von 5m bis 8m (Anzahl = 65) und bei ca. 15m (22 Radien). Fasst man diese Daten zusammen, sind für die weitere Bearbeitung und Analyse vier Gruppen von Radien von Bedeutung: kleiner als 1m, zwischen
3.1 Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor
45
2m und 3m, Radien von 5m bis 8m und als vierte Gruppe 15m-Radien. Diese Gruppen umfassen die am Bau bevorzugten Radien und werden in einer weiteren Analyse entsprechend der jeweilige Bauaufgabe spezifiziert. Die nachfolgenden Diagramme gliedern das Gesamtradiendiagramm weiter auf, um die Ergebnisse für eine jeweilige Anforderung wie zum Beispiel Dachfläche, Wand oder Fassade zu optimieren. Hierzu werden die folgenden Diagramme in die einzelnen gaußsche Krümmungen weiter aufgeteilt − einsinnig gekrümmte abwickelbare Flächen, gleichsinnig doppeltgekrümmte nichtabwickelbare synklastische Flächen und in die gegensinnig doppeltgekrümmte nichtabwickelbare antiklastische Flächen. In dem Gesamtradiendiagramm, Abbildung 3.3, sind alle evaluierten Radien erfasst.
Abbildung 3.3 Gesamtradiendiagramm
46
3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Einsinnig gekrümmte Flächen Die Analyse der insgesamt 126 Datensätze zeigt auf, dass auch bei diesen Daten einzelne Peaks hervortreten. Diese Radien befinden sich im Bereich von < 1m, 2,5m, 4m und 5m − 10 m. Das Radienspektrum < 1m zeigt bei näherer Untersuchung, dass es sich grundsätzlich um abgerundete Ecken handelt. Eingesetzt werden sie bei einem Richtungswechsel einer Wand. Je kleiner der Radius, desto größer der Winkel. Bei einem Radius von etwa 20cm (abhängig von der Wandstärke) sind Winkeländerungen von 90° möglich, wie folgende Beispiele zeigen:
Abbildung 3.4 Beispiele einsinnig gekrümmter Flächen - Radius ca. 20cm
• Ordrupgaard-Museum in Kopenhagen (2005) Fassadenplanung: PLH Arkitekter, Kopenhagen; Architekt: Zaha Hadid; Kategorie: Kultur (Abbildung links) • Multimedia-Pavillon in Jinhua (2007); Tragwerksplaner: Hou Xinhua, Peking; Architekten: Knowspace; Kategorie: Sonderbau (Abbildung mitte) • Hongluo Clubhouse in Beijing (2006); Ingenieurbüro: IDEA Design Studio, Florida; Architekten: MAD Office; Kategorie: Gewerbe / Industrie, 2006 (Abbildung rechts) Die Radien > 2m Meter werden eingesetzt bei Wandelementen. Ein Mindestradius von 2m ist nötig, damit sich eine nutzbare Fläche ergibt. Hierzu zählen beispielsweise:
Abbildung 3.5 Beispiele einsinnig gekrümmter Flächen mit einem Radius von > 2 m
3.1 Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor
47
• Besucherzentrum Fort Diemerdam, Amsterdam (2012); Architekten: Emma Architecten; Tragwerksplaner: BREED Integrated Design, Den Haag; Kategorie: Kultur (Abbildung links) • Biker-Wohnhaus in Tokio (2007); Architekten: nakae architects; Tragwerksplaner: fuzzy, co., Tokio; Kategorie: Wohngebäude (Abbildung Mitte) • BMW-Vierzylinder, München (1973); Architekt: Karl Schwanzer, Wien; Ingenieur: Helmut Bomhard; Kategorie: Gewerbe / Industrie (Abbildung rechts)
Wasser und Licht
Centro de Negocios
Multimedia-Pavillon
Parkhotel Ottensheim
Space Habitable Wheel
Urlauberkirche
Bibliothek TU Cottbus
Laufen-Forum
Abbildung 3.6 Radiendiagramm für einsinnig gekrümmte Flächen
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Synklastische Flächen Bei synklastischen Flächen fallen 63% der analysierten Radien in den Bereich der raumbildenden Radien, meist bei Schalentragwerken bzw. Kuppeln. Diese konvexen, gleichsinnig doppelt gekrümmten Tragwerke zeichnen sich durch die großen Spannweiten bei relativ schlanken Schalendicken aus. Bei diesen Bauwerken sind die Radien < 2,5m zu vernachlässigen, hierbei handelt es sich hauptsächlich um Add-ons für Gebäude, die keine tragende Funktion aufweisen, wie zum Beispiel Balkone. Erst ab einem Radius von > 2,5m ist es möglich, nutzbare Räume zu generieren. Die Radien > 2,5m und < 7m finden hauptsächlich in Gebäuden mit Wohn- bzw. kultureller Nutzung Anwendung. Radien > 7m kommen hauptsächlich im Bereich von gewerblich bzw. industriell genutzten Gebäuden zur Anwendung. Ein Großteil dieser Gebäude entstand ab den 1930er Jahren mit dem Boom der Schalentragwerke bis in die 1960er Jahre. Wichtige Vertreter sind – wie bereits erwähnt − unter anderem Nervi, Candela, Isler und Müther [4]. Ab den 1980er Jahren wurden Schalentragwerke nicht mehr hauptsächlich im gewerblichen Bereich errichtet, sondern auch für Wohngebäude bzw. Bauwerke mit repräsentativen Eigenschaften verwendet.
Chinesische Nationaloper
Les Choux, Frankreich
Opernhaus, Sydney
Einsteinturm
BMW-Salatschüssel
Steinkirche Cazis
Don-Bosco-Kirche
Abbildung 3.7 Radiendiagramm für synklastische Flächen
Futuro-Pavillon
3.1 Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor
49
Antiklastische Flächen Die ersten Bauwerke mit einer annähernd antiklastischen Fläche wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Form von Regelflächen erbaut, zum Beispiel Gitter-Wassertürme [5]. Bis in die heutige Zeit gilt es als äußerst aufwendig, Flächen mit doppelt gegensinnig gekrümmten Flächen herzustellen. Reine antiklastische Gebäude findet man heute als Funktionsgebäude wie Kühltürme, die grundsätzlich immer in Form von Regelflächen behandelt werden. Abgesehen von Funktionsgebäuden sind Betonbauwerke aufgrund der Schwierigkeit des Schalens eher seltener. Meist kommen antiklastische Betonformen als benötigtes Tragwerk in Form von aussteifenden Treppen oder Dachlandschaften vor (z. B. MoPOP Abbildung 3.8).
Abbildung 3.8 MoPOP - Museum of Pop Culture, Seattle, Frank Gehry, 2000
Abbildung 3.9 Hungerburgbahn, Zaha Hadid Architekten, Insbruck, 2007
Wegen der Komplexität in der Herstellung dienen Gebäude mit antiklastischen Radien bis auf wenige Ausnahmen einem repräsentativen Zweck. Die Einteilung der Radien in antiklastische Flächen dient an dieser Stelle der Auswertung, grundsätzlich würde man sie jedoch als Freiformflächen bezeichnen. Die große Streuung der Radien liegt begründet im häufig zahlreichen Auftreten von Änderungen der Krümmungsrichtungen, wie z. B. bei Fassadentafeln bzw. beim Projekt Neue Bergstation am Hermann-Buhl-Platz von Zaha Haidid (Abbildung 3.9). Bei diesen oder ähnlichen Fassadenflächen kommen Radien von wenigen Zentimetern bis Metern zur Anwendung. Betrachtet man jedoch die Dachlandschaft, siehe Abbildung 3.1.6, des Projektes Rolex Learning Center in Lausanne, befinden sich alle angewendeten Radien im Bereich > 15m. Analysiert man die Daten rein nach Radien zum Errichten eines Gebäudes, beispielsweise der Hüllfläche des Projektes Kaufhaus Selfridges in Birmingham oder des Kunsthauses Graz, kommen Radien > 5m zu tragen. Die meisten dieser Gebäude werden durch sukzessive Approximation − also der stufenweisen Annäherung – und im Folgenden durch Optimieren und Zerlegen in geeignete Flächen mittels Holztafeln, Stahlskeletten und Glasausfachungen errichtet.
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Rolex Learning Center
Ordos-Museum
Keramion, Frechen
Dalí-Museum
Martin-Luther-Kirche
Nordkettenbahn
Kokon-Haus
Kaufhaus Selfridges
Abbildung 3.10 Radiendiagramm für antiklastische Flächen
Die Ausgangsfrage dieser Untersuchung bezog sich auf den Bereich von massiven Konstruktionen bzw. Fassadentafeln. Entsprechend beschränken sich die folgenden Auswertungen auch auf diesen Bereich. Die eingangs untersuchten Radien weisen ein breites Spektrum von am Bau benutzten Radien auf. Den Hauptteil der untersuchten Radien stellen die abwickelbaren einsinnig gekrümmten Flächen mit einem Anteil von 52% dar, gefolgt von den antiklastischen Flächen mit 38% und den synklastischen Flächen mit 10%. Werden die Radien der einsinnig abwickelbaren Flächen betrachtet, finden sie in Bezug auf den Hochbau den Hauptanteil im Massivbau. Bei Fassadenplatten sind einsinnig gekrümmte Flächen nur mit sehr kleinen Radien, z.B. bei der Verwendung als Eckelemente zu finden. Wie in der Einleitung beschrieben, stellt die Errichtung von Schalungen für einsinnig gekrümmte Flächen mit planarem Material keine Probleme dar. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass der Hauptanteil der Krümmungen einsinnig ist. Für diese Bauaufgaben sind auf dem Markt systemoptimierte Fertigschalungen (Rundschalungen), siehe dazu das Kapitel 3.2.3, erhältlich. Synklastische Krümmungen bei vertikalen Bauteilen finden meist Anwendung an Übergängen von Wand zu Dach oder leicht bauchigen Gebäuden, wie beispielsweise die Pfosten-Riegel-Fassade am Projekt P&C Weltstadthaus Köln (Abbildung 3.11).
3.1 Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor
Abbildung 3.11 P&C Weltstadthaus, Renzo Piano, Köln, 2005
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Abbildung 3.12 Marta Museum, Frank O. Gehry, Herford, 2005 (Bildrechte: M. Bilow)
Grundsätzlich werden die Vorteile einer synklastischen Fläche bei Schalentragwerken genutzt. Hier ist die Abgrenzung von Wand, Decke oder ganzem Gebäude fließend. Werden aber rein vertikale Bauteile betrachtet, so sind Radien > 6m von Bedeutung. Bei antiklastischen Flächen muss unterschieden werden in Fassaden oder tragende Wände. Im Bereich von Fassadenelementen, wie z.B. der Hungerburgbahn von Zaha Hadid, siehe Abbildung 3.9, liegen die relevanten Radien im Bereich von < 0,5m im Randbereich, während im Übergang von horizontalen zu vertikalen Elemente, sowie für die flächenbildenden Elemente diese im Bereich von 2m - 3m liegen. Der nächst höhere Radienbereich für konstruktive Wände unterteilt sich in zwei Bereiche. Zu einem der Radienbereich von 6m - 8m sowie 15m. Daraus folglich wird für den weiteren Verlauf bei konstruktiven Bauteilen der Radiusbereich ab 6m von Bedeutung sein. Diese meist komplexen Formen finden oft bei repräsentativen Gebäuden Anwendung. Massiv aus Beton errichtete, antiklastisch geformte Gebäude sind allerdings aufgrund der aufwendigen Schalung seltener. Beispielhafte Projekte sind unter anderem der Neue Zollhof (Düsseldorf, 1999), das MARTa (Herford, 2005), beide von Frank O. Gehry entworfen. Wird nach der Betrachtung der Verteilung der in der modernen Architektur vorkommenden Radien auf die Herstellungsmethoden eingegangen, so ist festzustellen, dass aufbauend auf den eingangs beschriebenen Schalungstechnologien entsprechend der Forderung von freigeformten Betonkonstruktionen ein Entwicklungsdruck im Sinne der Formenvielfalt und Wirtschaftlichkeit entsteht [1,2].
52
3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
3.2 Schalungssysteme Als erste Schalung kann das griechische Gussmauerwerk aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. genannt werden. Hier wurde ein Hohlraum zwischen zwei Mauerwerksschichten mit Kalkmörtel als Bindemittel verfüllt. Mit der Entwicklung vom Gussmörtel zum Beton Anfang des 19. Jahrhunderts entstand später die erste Brett-Kantholzschalung [6]. Eine Brett-Kantholzschalung besteht aus einzelnen rauen Brettern, die durch Kanthölzer ausgesteift werden. Diese Technik blieb bis Ende des 19. Jahrhunderts bestehen und wurde erst durch steigende Lohnkosten weiterentwickelt. Daher wurden Einzelbretter zu einheitlichen sogenannten Holzschildern vorgefertigt [6]. Das Material der Schalung wurde erst aufgrund von vermehrt auftretenden komplexeren Geometrien mit deutlich höher auftretenden Frischbetondrücken geändert. Daher wurden zunächst Stahlträger und -profile statt Kanthölzer als Aussteifung der Schalhaut eingesetzt. Weiterhin wurden Versuche unternommen, auch die Schalhaut aus Holz durch Stahlplatten zu ersetzten. Die Verbindungen einzelner Schalungselemente wurden vom Rödeln über Ankerbolzen bis hin zu Schalungsschlössern weiterentwickelt. Aufgrund steigender Stahlkosten ist von der Entwicklung vollständiger Stahlschalungen wieder abgesehen worden und neue Holzkonstruktionen entstanden, bis sich Mitte der 20er Jahre Kletter- und Gleitschalungen entwickelten [6]. Weiterhin wurden die einzelnen Schalungselemente optimiert, sprich die Schalhaut wurde durch Beschichtungen widerstandsfähiger und die Stahl- und Holzträger durch Gitterund Fachwerkträger leichter gemacht. Dadurch wurde die Einsatzzahl der Schalungen erhöht und der Schalungsbau wirtschaftlich verbessert. Durch geringe finanzielle Mittel nach Ende des 2. Weltkrieges waren weitere Optimierungen nicht mehr möglich, sodass sich hier die Änderung im Schalungsbau durch verbesserte Vorplanung und Auslagerung dieser auszeichnete. Die größte Entwicklung der letzten Jahre lag in der Systemschalung [6]. Aktuelle Entwicklungen in der Schalungstechnik gehen hin zu leichten Kunststoffschalungen, welche kranunabhängig eingesetzt werden können und in Richtung Schnellverschlüsse, sodass bei der Montage Zeit gespart werden kann.
3.2.1
Einteilung der Schalungssysteme
Schalungssysteme können grob in Schalungen für vertikale und für horizontale Bauteile unterschieden werden. Weiterhin werden vertikale Schalungen für Wände nach Anzahl der Häupter, die Bauweise, Arbeitsfortschritt und Kranabhängigkeit unterschieden. Zum Einsatz kommen ein- oder doppelhäuptige Schalungen, Ort- oder Fertigbeton, quasi kontinuierliche oder diskontinuierliche Arbeitsfortschritte und kranabhängige oder kranunabhängige Schalungen. Stützenschalungen werden hingegen in einmaligen und mehrmaligen Einsatz unterschieden, siehe Abbildung 3.13 [7].
3.2 Schalungssysteme
53
Abbildung 3.13 Einteilung der Stützen und Säulenschalungen
Die Unterscheidung zwischen einhäuptigen Schalungen und zweihäuptigen Schalungen findet bei Wandschalungen Anwendung. Einhäuptige Schalungen kommen vor allem wenn kein zweites Schalungshaupt eingesetzt werden kann oder eine Durchankerung vermieden werden soll. Das Schalungshaupt wird dabei vor eine bestehende Wand oder beispielsweise Fels eingesetzt. Das Abtragen des Frischbetondrucks erfolgt über gesonderte Abstützvorrichtungen der Schalung, was sowohl zeitaufwändig als auch kostenintensiv ist. Bei doppelhäutigen Schalungen werden zwei Häupter gegenüberliegend gestellt und miteinander verankert. Diese Durchankerung nimmt den Frischbetondruck auf [7]. Im folgenden Kapitel werden die Ortbetonschalungssysteme erläutert. Alternativ hierzu können Fertigteile eingesetzt werden. Diese Elemente kommen in Standardmaßen auf die Baustelle und werden über Richtstützen ausgerichtet. Der Frischbetondruck wird von Gitterträgern aufgenommen, die die beiden Schalungsseiten miteinander verbinden [7]. Das vertikale Umsetzen von schweren Schalungssystemen erfordert Krankapazität. Sonderschalungen wie Selbstkletterschalung oder Gleitschalung bieten bereits Möglichkeiten auch große Flächen einzuschalen oder auf Krankapazität angewiesen zu sein. Kleinflächenschalungen werden eigens für den kranunabhängigen Einsatz hergestellt. Das horizontale Umsetzen erfolgt meist per Hand, mit Fahrwerk oder Umsetzwagen [7]. Die Einteilung der Wandschalungen ist in Abbildung 3.14 dargestellt.
54
3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Abbildung 3.14 Einteilung der Wandschalungen
Ebenso werden Schalungen für horizontale Bauteile entweder in Ortbetonbauweise oder in Fertigteilbauweise ausgeführt. Fertigteile können hier zum Lastableiten des Frischbetons genutzt werden. Des Weiteren wird zwischen Großflächen- und Kleinflächenschalungen und Raumschalungen unterschieden wie in Abbildung 3.15 zu sehen [7].
Abbildung 3.15 Einteilung der Deckenschalungen
3.2 Schalungssysteme
55
3.2.2 Deckenschalungen Konventionelle Schalung Die Elemente einer konventionellen Schalung sind lose Bretter oder Schaltafeln und Kant- und Rundhölzer. Aufgrund der kleinteiligen Einzelkomponenten handelt es sich um eine universelle Schalung, welche jede beliebige Form darstellen kann, wobei Rundungen lediglich angenähert werden können. Diese Schalungsart ist daher auf alle anderen Bauteile übertragbar. Eben diese Flexibilität und Kleinteiligkeit sorgt gleichzeitig für ein deutlich erhöhtes Lohnaufkommen bei der Herstellung der fertigen Schalung und wird daher in Hochlohnländern nur noch in Einzelfällen eingesetzt. Die Betonoberfläche zeichnet sich anschließend durch sichtbare Fugen der einzelnen Schalbretter aus. Des Weiteren ist für die Herstellung dieser Schalung eher Fachpersonal wie Zimmerer oder Tischler notwendig, allerdings wird die Arbeit heute meist vom Betonbauer vorgenommen und die Einsatzzahl der Schalhaut ist gering [7]. Zunächst wird aus Kanthölzern und Holzstützen ein Rost gebaut. Hierbei muss darauf geachtet werden, dass die spätere Schalungshaut ausreichend gestützt wird und jeweils ein Träger mittig unter den Stoßfugen verläuft. Das Ausrichten des nicht verstellbaren Rosts erfolgt mittels Keilen, welche anschließend gegen verrutschen gesichert werden müssen. Anschließend können die Schaltafeln verlegt und die Passflächen durch zugeschnittene Bretter verschlossen werden [7]. Heute werden statt Holzstützen herkömmliche Baustützen mit Gabelkopf eingesetzt, sodass aufwändiges Ausrichten mittels Keilen entfällt. Ebenso können Absenkköpfe auf den Stützen geplant werden, um den Ausschalvorgang zu beschleunigen. Hierbei wird von der konventionellen System-Schalung gesprochen [8].
Abbildung 3.16 Konventionelle Deckenschalung
56
3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Trägerschalung Bei etwa 50% der Deckenschalungen, die eingesetzt werden, handelt es sich um Trägerschalungen [7]. Sie ist unter den Systemschalungen zwar die zeitintensivste, aber auch die flexibelste und somit eine Weiterentwicklung der konventionellen Schalung [9]. Mit der Trägerschalung können Deckenstärken von mehr als einem Meter realisiert werden [7]. Durch eine aufliegende Schalhaut im Vergleich zu dem umlaufenden Rahmen der Rahmenschalung kann ein ebeneres Fugenbild und somit eine höhere Oberflächenqualität generiert werden [10]. Hauptbestandteile dieses Schalungstyps sind Schaltafeln, Schalungsträger und Stützen. Bei den Trägern handelt es sich in der Regel um leichte Holzträger und bei den Stützen um Stahlrohrstützen [10]. In den verschiedenen Ausführungen wird unterschieden zwischen mit und ohne Fallkopf und mit Stützen oder Gerüst als tragende Schicht. Nach einer Expertenbefragung von Bauleitern wird davon ausgegangen, dass sich der Einsatz von Stützgerüsten statt Stützen etwa ab einer Deckenhöhe von mehr als 4m lohnt [7].
Abbildung 3.17 Trägerschalung Decke - Multiflex, PERI (Bildrechte: PERI)
Das Einschalen beginnt mit dem Aufstellen von zwei Stützen mit Dreibein, zwischen die ein Längsträger eingelegt wird. Anschließend werden die Querträger montiert und die Schaltafeln oben aufgelegt. Die Passflächen müssen dabei entsprechend zurechtgeschnitten werden. Dabei ist darauf zu achten, dass es sich bei Sichtbetonanforderungen auch bei den Passflächen um die gleichen Schaltafeln handelt mit der gleichen Einsatzzahl wie bei der Regelfläche, um Unterschiede in der Betonoberfläche zu vermeiden. Mit dem Ausschalen wird im Randbereich bzw. im Bereich der Passflächen begonnen. Zwischenstützen werden entfernt und mittels Stellschrauben die Stützen etwas heruntergefahren. Durch einen Absenkmechanismus wird dann die gesamte Schalung abgesenkt, sodass mit dem Ausschalen begonnen werden kann [7].
3.2 Schalungssysteme
57
Sollte aufgrund außerordentlicher Deckenhöhen ein Stützgerüst erforderlich sein, wird hier je nach auftretender Last ein Aluminiumgerüst oder ein Stahlgerüst eingesetzt. Diese werden vorab montiert. Der weitere Einschalvorgang verläuft unverändert. Umgesetzt werden hier Gerüst und Schalhaut als Einheit [7]. Sollten die Stützen mit einem sogenannten Fallkopf versehen sein, kann der Ausschalvorgang ohne das vorher nötige Entspannen der Stützen begonnen werden. Nachdem die Zwischenstützen entfernt wurden, wird der Sicherungskeil der Fallköpfe entfernt und die Längsträger senken sich soweit ab, dass genug Platz entsteht um mit dem Ausschalen zu beginnen. Der Einsatz dieses Fallkopfes ist genau zu prüfen, da der Neuwert des Systems deutlich höher liegt [7].
Trägerrostschalung Bei der Trägerrostschalung handelt es sich um eine Kombination aus Träger- und Rahmenschalung. Hauptbestandteile sind Stützen, Trägerroste und Schalungsplatten. Dabei kommen die gleichen Stützen zum Einsatz wie bei anderen Schalungssystemen und werden lediglich durch einen speziellen Trägerrostkopf ergänzt. Zum Einschalen wird nach Aufstellen des ersten Feldes das jeweils nächste Trägerrost eingehängt und mit Hilfe der Stützen aufgerichtet. Anschließend wir die Schalhaut auf die Roste aufgelegt [7].
Abbildung 3.18 Trägerrostschalung Decke - Gridflex, PERI (Bildrechte: PERI)
Rahmenschalung Die Rahmenschalung wird auch Modulschalung genannt und funktioniert nach dem Baukastenprinzip [7]. Im Vergleich zur Trägerschalung ist dieses System kostenintensiver, besitzt dabei allerdings eine höhere Einsatzzahl und steht somit in direkter Konkurrenz zur Trägerschalung [10]. Auch dieses System ist mit und ohne Fallkopf erhältlich und wird ebenso mit Absenkmechanismus zum Frühausschalen angeboten. Die Rahmenschalung zeichnet sich durch vergleichsweise wenig Einzelbauteile aus und besteht aus den Hauptkomponenten Stützen und fertiger Rahmen mit Schalhaut [7]. Die Normgröße
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
dieser Rahmen beträgt etwa 150cm mal 75cm [9]. Für Passflächen stehen bereits Sonderelemente, beispielsweise in dreieckiger Form zur Verfügung, der Rest wird angepasst. In Sonderformen sind Deckenstärken bis ca. 95cm möglich [7]. Das System mit Fallkopf ist ebenso wie bei der Trägerschalung zum Frühausschalen entwickelt worden und kann durch das Lösen einige Zentimeter abgesenkt werden. Je nach Hersteller sind die Fallköpfe teilweise nicht fest mit den Stützen verbunden, sodass auch andere Kopfsysteme auf dieselben Stützen montiert werden können [7]. Das Einschalen beginnt mit dem Aufstellen der Dreibeinstütze. Bestimmte Abstände zu Wänden werden jeweils vom Hersteller angegeben. Wenn ein System mit Fallkopf zum Einsatz kommt, wird anschließend eine Stütze mit eben diesem aufgestellt und ein Längsträger in die beiden Stützen eingehängt. Anschließend geschieht dasselbe in Querrichtung, sodass das erste Feld generiert wird. In jedem so entstehendem Feld werden meist mehrere Rahmen (Paneele) eingehängt. Anschließend werden die Fugen verschlossen. Der Ausschalvorgang verläuft gleich der Trägerschalung mit dem Unterschied, dass ganze Paneele am Stück demontiert werden können [7,8].
Abbildung 3.19 Rahmenschalung Decke - Skydeck, PERI (Bildrechte: PERI)
Deckentische Deckenschaltische werden zu den Großflächenschalungen gezählt und können nur mittels Umsetzwagen bzw. Fahrwerk horizontal und mittels Hebezeuge vertikal umgesetzt werden. Die Schaltische werden fertig montiert geliefert, sodass die Montage entfällt und somit der Zeitaufwand bedeutend geringer wird, was gleichzeitig die Lohnkosten senkt. Der mögliche Einsatz dieser Deckenschaltische muss vorab sorgfältig auf seine Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Kriterien hierfür sind die platzbedingte Möglichkeit, die Tische ausfahren zu können, ein möglichst geringer Anteil von Passflächen, geeignete Umsetzgeräte, hohe Einsatzzahlen, möglichst gleichbleibende Bedingungen der Geometrie und der Belastung, möglichst gleiche benötigte Tischformate und geringe Transportkosten oder eine wirtschaftlich mögliche Montage auf der Baustelle [7]. Bei besonders hohen Geschosshöhen oder großen Deckenstärken kann ein Einsatz dieser
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Schaltische auch als wirtschaftlich eingeordnet werden, wenn andere Punkte nicht unbedingt erfüllt werden können [7]. Meist werden die Deckenschaltische bei Stahlbeton – Skelettbauweise eingesetzt [8]. Es sind Abmessungen von bis zu 5 mal 6 Meter möglich. Standardmaß bei einem LKW Transport liegen bei 2,5 m Breite. In Sonderfällen können die Schaltische bis zu 150 m² groß sein [9].
Abbildung 3.20 Deckentisch - Skytable von PERI (Bildrechte: PERI)
Der Aufbau der Deckenschaltische besteht ebenfalls aus einem Rost aus Längs- und Querträgern, welche in unterschiedlichen Ausführungen, je nach Belastung, ausgeführt werden. Die Schalungshaut wird auf den Querträgern und die Tischköpfe an dem Rost befestigt. Für letztere stehen auf dem Markt unterschiedliche Ausführungen zur Verfügung, starr und klappbar [7].
Abbildung 3.21 Tischmodul VT, PERI (Bildrechte: PERI)
Die vormontierten Stützen können für den Umsetzvorgang eingeklappt werden. Eine Sonderstellung haben so genannte Deckentische auf Rahmengerüst. Hier können die Stützen nicht eingeklappt werden und die Absenkhöhe reicht meist nicht, um unter Unterzüge hindurch zu gelangen. Zum Umsetzen müssen Hubwinden oder fahrbare Hubwinden genutzt werden, welche pro Vorgang neu montiert werden müssen [8].
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Rippendecken und Kassettendecken Sowohl für Rippen- als auch für Kassettendecken sind ganzheitliche Systeme, als auch Verdrängungskörper für bestehende Deckensysteme von unterschiedlichen Herstellen auf dem Markt erhältlich. Unterscheidungen gibt es weiterhin zwischen verlorenen und nicht verlorenen Schalungen. Als ganzheitliches System werden je nach Ausführung, Rippen- oder Kassettendecke, entsprechende Kunststoffformen auf einem auf Stützen gelagerten Schienensystem montiert. Hierfür ist keine weitere Deckenschalung notwendig und das System kann etwa 100 Mal eingesetzt werden. Durch die Materialwahl weist diese Schalung ein geringes Eigengewicht auf und kann händisch montiert werden. Dabei handelt es sich auch in der Ausführung der Rippendecke um kleinteilige Elemente, welche miteinander zu langen Rippen verbunden werden [11,12].
Abbildung 3.22 Schalung Rippendecke - Skyrail, Geoplast (Bildrechte: Geoplast)
Abbildung 3.23 Schalung Kassettendecke - Skydome, Geoplast (Bildrechte: Geoplast)
Verdrängungskörper werden beispielsweise aus glasfaserverstärktem Kunststoff oder Polystyrol angeboten. Eine Alternative ist das Erzeugen der gewünschten Aussparungen durch Ziegelsteine oder Holzkonstruktionen (siehe Abbildung 3.24). Handelt es sich um verlorene Schalungen, können diese in der Decke verbleiben und sollen die Schalldämmeigenschaft und Wärmeisolation verbessern. In diesem Fall handelt es sich um eine reine
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materialsparende Konstruktion, die nicht gestalterisch eingesetzt wird [13]. Eine weitere Lösung wird seitens des Unternehmens Max Frank angeboten, das die Aussparungen aus einer eigens konstruierten, verformbaren Schalhaut erzeugt (siehe Abbildung 3.25). Die Schalhaut besteht aus Baustahlmatten und einer aufgeschrumpften Polyethylenfolie. Diese Verdrängungskörper sind ebenso wie die aus Polystyrol oder Holzkonstruktionen an kein Raster gebunden und können stufenlos angepasst werden. Das kann sowohl bauseits geschehen, als auch werkseits [14].
Abbildung 3.24 Rippendeckensystem, Kiefer Schalungstechnik (Bildrechte: Kiefer)
Abbildung 3.25 Rippendeckensystem Pecafil, Max Frank (Bildrechte: Max Frank)
3.2.3 Wandschalungen Konventionelle Schalung Der Aufbau der konventionellen Schalung für Wände gleicht der für Decken. Die Unterschiede ergeben sich aus der notwendigen Zweihäuptigkeit und den veränderten Frischbetondruckbelastungen für Wände. Neben der Schalhaut und Kanthölzern werden zusätzlich Drängbretter und Schalungsanker benötigt. Die Drängbretter werden am Bodenabschluss der Schalung eingesetzt und die Anker verbinden beide Häupter miteinander und nehmen so den Frischbetondruck auf. Die vertikale Ausrichtung erfolgt mit Hilfe von Richtbrettern, die durch Laschen gegen Verrutschen gesichert werden [7]. Für den Schalungsbau runder Wände werden in der Regel kleinere Riemen von ca. 2cm - 4cm genutzt, um eine möglichst kleine polygonale Abbildung der Rundung zu erhalten. Um die Annäherung zu verfeinern, können im nächsten Schritt die Flächen geschliffen und gespachtelt werden. Alternative zu dieser zeitaufwändigen Variante ist eine Schalungsfolie als Vorsatzschalhaut. Aber auch mit Hilfe dieser kann keine perfekte Rundung generiert werden [8].
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Abbildung 3.26 Freiformschalung, PERI (Bildrechte: PERI)
Trägerschalung Neben Schalhaut und Feldträgern sind die Hauptbestandteile einer Trägerschalung für Wände Stahlprofile als Gurtung und Ankersysteme. Die für die Deckenschalung notwendigen Stützen werden durch so genannte Richtstützen ersetzt. Für Wände ist die Trägerschalung sowohl für eine bauseitige Grundmontage, als auch werkseitig vormontiert erhältlich [7]. Standardhöhen sind bis ca. 17,80m und Breiten bis 6m bei Druckaufnahmen von 40 - 60 kN/m² erhältlich [15]. Der Abstand der vertikalen Träger richtet sich nach der Höhe des Bauelementes und dem auftretendem Frischbetondruck. Auf diese wird die Schalhaut befestigt. Der Druck wird in die horizontalen Stahlgurte eingeleitet, aber von den Ankern aufgenommen. Die Bauhöhe der Gurte liegt meist bei 10cm - 12cm. Einzelbeispiele aus Holz werden als Fachwerk ausgeführt und besitzen eine Bauhöhe von etwa 24cm [7].
Abbildung 3.27 Trägerschalung für Wände - Vario, PERI (Bildrechte: PERI)
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Für die bauseitige Montage wird ein Schalboden mit Anschlagbrettern an den Kanten vormontiert. Innerhalb dieser Anschlagbretter werden zunächst die Stahlgurte ausgerichtet und anschließend die Feldträger und die Schalhaut befestigt. Wenn die Schalung fertig montiert wurde, werden die Ankerlöcher nach Plan vorgebohrt und zwei Anschlagstellen für den Kran montiert [7]. Hierdurch sind die Ankerstellen individueller platzierbar als bei der Rahmenschalung [8]. Damit beim Transport nichts zusammengezogen wird, wird zwischen diesen ein Druckstab eingeplant. Bei den Elementverbindungen handelt es sich um Stahlprofile und Verbindungsbolzen, welche an der Gurtung angeschlossen werden und die Schalung abdichten und gegen Verrutschen sichern. Das Ausrichten der Rahmenschalungselementen erfolgt mittels Richtstützen [7]. Um eine Rundung abzubilden, gibt es durch die Trägerschalung zwei verschiedene Möglichkeiten. Zum einen die exakte Nachbildung und zum anderen die polygonale Annäherung. Bei der polygonalen Annäherung wird zunächst immer die Genehmigung seitens des Auftraggebers benötigt. Hierbei werden die einzelnen Elemente mit Gelenklaschen verbunden [7]. Wie bei der konventionellen Schalung, gilt auch hier die Möglichkeit eine genauere Abbildung durch Schalungsfolien zu erhalten [8]. Mit spindelbaren Rundschalungen können Radien ab ca. 1m Radius exakt abgebildet werden. Diese werden anstelle der Stahlgurte eingesetzt. Bei größeren Radien beträgt die Schalhautstärke etwa 21mm und bei kleineren Radien runter bis auf 9mm [7].
Abbildung 3.28 Rundschalung für Wände - Rundflex, PERI (Bildrechte: PERI)
Rahmenschalung Rahmenschalungen können in schwere Rahmenschalungen, leichte Rahmenschalungen und Kleinflächenrahmenschalungen unterteilt werden. Schwere Rahmenschalungen sind bis 8m² Fläche bei bis zu 400kg erhältlich und können ca. bis zu 80 kN/m² aufnehmen. Je nach Hersteller betragen die Höhen etwa bis zu 2,65m – 3,30m und die Rahmenstärken 10cm - 14cm. Dabei wird von etwa zwei Ankerlagen auf 3,30m Höhe ausgegangen. Die leichten Rahmenschalungen liegen bei bis zu 2,50m² bei etwa 85kg und können etwa 60 kN/m² aufnehmen. Die Höhen liegen bei 2,50m – 2,70m und die Rahmenstärke bei
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ca. 10 cm. Auch hier werden zwei Ankerlagen auf eine Elementhöhe angenommen. Die händische Kleinflächenschalung kann bis zu 1,35 m² Fläche bei ca. 45 Kg betragen. Dabei werden ca. 40 kN/m² aufgenommen und die Elemente können bis auf Geschosshöhe aufgestockt werden, benötigen dabei allerdings drei Ankerlagen [10]. Die Elementhöhen der Kleinflächenschalung liegen je nach Hersteller bei 0,90 m, 1,20 m und 1,50 m. Die Breiten bei 5 cm bis 1 m [15].
Abbildung 3.29 TRIO Rahmenschalung, PERI (Bildrechte: PERI)
Abbildung 3.30 Domino Rahmenschalung aus Aluminium, PERI (Bildrechte: PERI)
Abbildung 3.31 DUO Schalung aus Kunststoff, PERI (Bildrechte: PERI)
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Neben Stahl und Aluminium werden auch Systeme aus Kunststoff angeboten, welche sich durch ein besonders geringes Gewicht auszeichnen [7]. Grundsätzlich gilt je größer die Elemente, desto geringer der Arbeitsaufwand. Die wesentlichen Vorteile liegen im geringen Lohnaufwand, der hohen Einsatzhäufigkeit und im einfachen Transport und Lagerung. Die wichtigsten Nachteile sind die geringe Anpassungsfähigkeit und die Tatsache, dass sich die Rahmen in der Betonoberfläche abzeichnen [10]. Neben den Rahmenelementen sind weitere Hauptbestandteile die Schalungsanker, Elementverbindungen und Richtstützen. Der Aufbau der Elemente gleicht der der Deckenschalung. Nachdem die erste Seite ausgerichtet wurde, werden Aussparungen eingebaut, die Wand bewehrt und die zweite Schalungsseite ausgerichtet. Final werden die beiden Schalungshäupter an vorgegebenen Stellen mit Ankern versehen. Verbunden werden die Elemente mit Hilfe von Richtschlössern. Wenn die Aufstandsfläche nicht planeben ist, muss die Fuge ggf. abgedichtet werden [7]. Die Herstellung runder Schalungen ist mit der Rahmenmethode nur polygonal möglich. Dafür gibt es die Möglichkeit, mit zugeschnittenen Kanthölzern oder mit verstellbaren Zwischenelementen zu arbeiten. Zugeschnittene Kanthölzer werden speziell für einen Radius hergestellt und können auch nur für diesen eingesetzt werden. Sie werden auf der Rückseite von Stahlprofilen gehalten, welche den Druck aufnehmen. Durchankert wird durch die Kanthölzer. Bei den Systemzwischenteilen werden verschiedene Radien über ein Gewindesystem eingestellt. Verbunden werden können diese über die herkömmlichen Verbindungselemente mit den Standardelementen. Zur Betonierseite befindet sich ein Blech und durchankert wird ebenfalls mittig durch die Zwischenelemente [7].
3.2.4 Stützenschalung, Säulenschalung Konventionelle Schalung Mit der konventionellen Schalmethode aus Einzelbrettern lassen sich ebenso Stützen und Säulen schalen. Der Frischbetondruck wird über Kanthölzer an den Außenseiten abgeleitet [7]. Die Betonoberfläche kann sowohl rau und mit Abzeichnungen einzelner Schalbretter als auch glatt durch die Verwendung von Schaltafeln gestalten. Der Bodenanschluss muss mit weiteren Brettern gegen Verrutschen gesichert werden. Bis zu 6,50m Höhe können je nach eingesetztem Material fugenlos geschalt werden [8]. Für Säulen werden die Bretter mit hohem Arbeitsaufwand trapezförmig zugeschnitten, sodass sie in ihrer Summe den gewünschten Radius erzielen [7].
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Abbildung 3.32 Konventionelle Stützenschalung
Trägerschalung Bei Trägerschalungen für eckige Stützen werden die einzelnen Schalseiten windmühlenartig miteinander verbunden, sodass verschiedene Radien mit einer Schalung ausführbar sind. Jeweils zwei Seiten werden miteinander verbunden und anschließend mittels Kran aufgerichtet und ausgerichtet. Um runde oder elliptische Querschnitte zu generieren, wird die Schalhaut innerhalb der Träger durch Profilhölzer in die gewünschte Form gebracht. Auf diese Weise sind ebenso polygonale Querschnitte denkbar [7].
Abbildung 3.33 Rapid Säulenschalung, PERI (Bildrechte: PERI)
Abbildung 3.34 Vario GT Säulenschalung, PERI (Bildrechte: PERI)
3.2 Schalungssysteme
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Rahmenschalung Grundsätzlich wird diese Schalung nur für eckige Querschnitte eingesetzt, ein Ausgleichen durch Profilhölzer ist aber möglich [7]. Die Anordnung der Elemente gleicht der Windflügelartigen der Trägerschalung für Stützen. Wenn abgefaste Kanten möglich sind, kann ohne vertikale Fugen ausgekommen werden [8]. Für Stützen bzw. Säulen werden die Rahmenschalungen in drei Kategorien eingeteilt, für den universellen Einsatz, den Einsatz zum Klappen und den flexiblen Einsatz [7]. Für den universellen Einsatz sind Rahmenelemente, die in Abhängigkeit von einem seitens des Herstellers vorgegebenem Lochrasters an verschiedene Querschnittmaße angepasst werden können. Zur Feinjustierung wird die Materialstärke der Schalhaut angepasst. Auch hier werden jeweils zwei Seiten montiert und aufgestellt und beide Hälften stehend zusammen gefügt. Alle Arbeits- und Schutzgerüste können an der Schalung direkt montiert und in einer Einheit mit umgesetzt werden, wobei allerdings jeweils zwei Kraneinheiten von Nöten sind. Das Aufstocken verhält sich identisch zu der Wandschalung. Oft können herstellerintern die Rahmenschalung der Stützen auch mit denen der Wand kombiniert werden. Für Stützenschalung sind bis ca. 90 kN/m² zugelassen [7]. Um die benötigte Kranzeit zu reduzieren, wurde das Klappsystem entwickelt. Hier werden alle Seiten vormontiert und mit eigens entwickelten Verbindungen als eine Einheit umgesetzt. Der weitere Aufbau und Einstellungsmöglichkeiten sind gleich der universellen Rahmenschalung. Teilweise können Räder montiert werden, sodass nach einmaligem Aufstellen durch den Kran die Schalung zumindest innerhalb einer Ebene ohne weiteren Kraneinsatz umgesetzt werden kann [7]. Um den Arbeitsaufwand zum Ausgleichen verschiedener Querschnitte zu reduzieren werden flexible Schalungssysteme ohne Schalungshaut angeboten. Diese kann individuell geplant und ebenso individuell montiert werden. Dabei besteht beispielsweise die Möglichkeit, eigens für ein Projekt zu entscheiden, ob diese von vorne oder von hinten verschraubt wird [7]. Für weitere Einsätze mit neuen Querschnitten wird die Schalhaut ausgetauscht [8].
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Abbildung 3.35 Trio Säulenschalung, PERI (Bildrechte: PERI)
Eine Material- und Montageausnahme bildet ein Produkt aus Kunststoff, welches unter die Serie Rahmenschalung fällt und auch direkt in runden Halbschalen erhältlich ist. Hierbei handelt es sich um besonders leichte und kleinteilige Elemente, wodurch eine Vielzahl von horizontalen Fugen entstehen und weniger Frischbetondruck aufgenommen werden kann [16].
Abbildung 3.36 Geotub Panel, Geoplast (Bildrechte: Geoplast)
Abbildung 3.37 Geotub, Geoplast (Bildrechte: Geoplast)
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Stahlschalung – rund Dieses System besteht aus zwei werkseitig gefertigten Stahlhalbschalen, welche den geplanten Querschnitt generieren sollen. Hierfür sind bereits einige Standarddurchmesser und -höhen auf dem Markt etabliert [7]. Durch die beiden Halbschalen sind die vertikalen Stoßfugen anschließend in der Betonoberfläche sichtbar und werden vor allem bei Sichtbetonanforderungen entsprechend unauffällig ausgerichtet [8]. Die Montage erfolgt nach dem Baukastenprinzip im Liegen. Das Aufstellen und Ausrichten kann nur mit Hilfe eines Krans erfolgen. Sicherheits- und Arbeitsgerüste werden bereits seitens der Hersteller systemintegriert mit angeboten. Diese Schalung wird vor allem bei besonders hohem auftretendem Frischbetondruck eingesetzt, angebotene Systeme können bis ca. 120kg/m² aufnehmen [7].
Abbildung 3.38 SRS Säulenrundschalung, PERI (Bildrechte: PERI)
Pappschalung Bei der Pappschalung handelt es sich um eine Einwegschalung. Sie besteht aus mehreren miteinander verleimten und gewickelten Pappschichten. Diese Wickelstruktur zeichnet sich anschließend ebenso auf der Betonoberfläche ab und kann wahlweise durch eine Inliner Beschichtung vermieden werden [8]. Durch das Wickeln der Pappe ist der Standardquerschnitt rund. Durch formgefräste Einlagen können allerdings auch andere Querschnitte generiert werden [7]. Die Pappschalung kommt als fertige Röhre auf die Baustelle und kann per Hand aufgestellt werden. Ausgerichtet und gegen Kippen und Verrutschen gesichert wird sie durch Richtstützen, welche an Kränzen um die Pappröhre befestigt werden. Zum Ausschalen ist
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eine Reißleine aus Metall- oder Kunststofffäden eingearbeitet. Aufstocken der Schalung erfolgt ebenfalls über die eben genannten Kränze. Ein Holzkranz wird ebenso zum Halten am Fußpunkt eingesetzt. Standardhöhen gehen zurzeit bis etwa 8 m, größte geschalte Höhe liegt bei 23m [7]. Die Anschaffung der Pappschalung ist vergleichsweise günstig, aber die Entsorgungskosten müssen mit kalkuliert werden und durch den einmaligen Einsatz eignet sie sich eher bei geringen Anzahlen gleicher Querschnitte [7].
Abbildung 3.39 Pappschalung Tubbox, Max Frank (Bildrechte: Max Frank)
Abbildung 3.40 Formgefräste Einlage für Tubbox (Bildrechte: Max Frank)
Kunststoffschalung Die Kunststoffschalung für Rundsäulen ist eine selten eingesetzte Schalung und weist einen sehr ähnlichen Aufbau wie die Stahlschalung auf. Sie besteht ebenfalls aus zwei Halbschalen, welche liegend montiert und anschließend aufgerichtet werden. Bei dem Schalungsmaterial handelt es sich genauer um glasfaserverstärkten Kunststoff. Durch das geringe Eigengewicht der Schalung ist sie gut geeignet für Einsätze bei denen kein Kraneinsatz möglich ist. Der Vorteil gegenüber der Pappschalung liegt in der Wiederverwendbarkeit. Des Weiteren kann dieses System vor Ort angepasst, sprich gekürzt werden [17].
3.2 Schalungssysteme
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Abbildung 3.41 Kunststoffschalung Tubbox Multi, Max Frank (Bildrechte: Max Frank)
3.2.5 Unterzugschalungen Konventionelle Schalung Heute werden Unterzüge im Vergleich zu anderen Bauteilen noch häufig mit der konventionellen Schalungsmethode hergestellt. Der Aufwand einer konventionellen Unterzugschalung ist bis zu fünf Mal höher als für eine konventionelle Deckenschalung [10]. Dabei wird die Schalung des Unterzuges identisch, durch Holzbretter und Kanthölzer, in den geplanten Maßen montiert. Grundsätzlich können Unterzüge gleichzeitig mit der Decke oder vor dem Einschalen der Decke betoniert werden. Wenn gleichzeitig, liegt die Schalhaut der Decke auf den Seitenschildern der Unterzugschalung auf oder kann seitlich davor geführt werden. Wenn geplant, ist die Decke zuerst auszuschalen und sollte die Deckenschalungshaut besser vorstoßen, um das Ausschalen zu erleichtern. Sollte es allerdings statisch erforderlich sein, dass ein Teil des auftretenden Frischbetondrucks über die Seitenschilder abgetragen wird, so sollte die Deckenschalungshaut auf den Seitenschildern aufliegen. Der horizontal auftretende Frischbetondruck, der ausschließlich in der Unterzugschalung vorkommt, wird über die außen liegenden Kanthölzer aufgenommen [8]. In der Regel kann ohne Durchankerungen ausgekommen werden und die beiden Seitenschilder werden durch eine sogenannte Sparschalung unterhalb der eigentlichen Schalung
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
miteinander verbunden. Sollten Höhen von etwa 75 cm bis 100 cm auftreten, wird die Unterzugschalung mit Ankern versehen. Dies geschieht auf Höhe der Kanthölzer. Bei noch höheren Aufbauten können auch mehrere Ankerlagen erforderlich sein. Der Schalboden des Unterzuges ist zwischen den Seitenschildern platziert und gewährleistet somit automatisch die Formhaltung [8].
Abbildung 3.42 Konventionelle Unterzugschalung
Unterzugsystemschalung Die Systemschalung für Unterzüge weist in der Regel einen ähnlichen Aufbau auf wie die konventionelle Schalung. Der Unterschied liegt in den Zubehörteilen, welche eigens entwickelt wurden, um Unterzüge vollständig ohne Durchankerungen schalen zu können. Bei mehreren benötigten Ankerlagen muss mindestens eine im unteren Drittel des Unterzuges angegliedert sein. Da dies auch die Position der meisten Bewehrungen ist, wird das Setzen der Anker stark erschwert. Um dies zu verhindern sind Abstandwinkel konstruiert worden. Sie werden entweder bei passendem Untergrund genagelt, oder aber durch eine Sparschalung miteinander verbunden. Auf Grund ihrer Form können sie deutlich mehr Kräfte aufnehmen als die herkömmlichen Kanthölzer einer konventionellen Schalung [8]. Ebenso dient die Entwicklung der Systemschalung der Material- und Zeiteinsparund und ist standardmäßig bis 0,8m Höhe und 1,35m Breite erhältlich [10].
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Abbildung 3.43 Unterzugsystemschalung, Layher Bautechnik (Bildrechte: Layher Bautechnik)
3.2.6 Pneumatische Schalung Unter pneumatischen Schalungen versteht man allgemein mittels Druck in Form gehaltene Membrankonstruktionen, welche als Schalkonstruktion und Schalhaut gleichermaßen dienen. Als Materialien für die Membrane werden hauptsächlich PVC-beschichtete Polyester- oder Polyamidgewebe eingesetzt. Die Vorteile dieser Konstruktion liegen in der Wiederverwendbarkeit des Schalmaterials, dem schnellen Auf- und Abbau der Schalung und der vielseitigen Formen, die möglich sind [18]. Je nach gewünschter Form werden einzelne Streifen des Gewebes zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Die Membran ist im Durchschnitt etwa 1,2 mm dick und wiegt etwa 1,0 kg/m² [19]. Um das weiche und formlose Material unter Zugspannung zu setzten, um die gewünschte Form zu erhalten, wird in den meisten Fällen ein Luftüberdruck, von ca. 300 mBar, im Inneren der Membran erzeugt. Alternative Systeme nutzen auch den Flüssigkeitsdruck. Die Höhe des ausgeübten Druckes beeinflusst maßgeblich die Steifigkeit des Systems. Dabei muss aber immer die Wirtschaftlichkeit im Hinblick des Fundamentes der Membran berücksichtigt werden. Es kann beim Betonieren oder durch andere Einflüsse (z.B. Windlasten) leicht zu Formänderungen der Schalung kommen. Um dies zu verhindern, bzw. das Risiko zu minimieren, gibt es verschiedene Ansätze [18]. Als erstes ist hier das Hochdrucksystem zu nennen. Dies wird vor allem eingesetzt, wenn die Krümmungsradien besonders klein sind. Hier ist der Druck so hoch, das beim Betonieren ein Vorgang reicht. Hier kommen z.B. auch mit Flüssigkeit gefüllte Schalungen zum Einsatz. Ein anderer Ansatz bei zu kleinen Radien liegt darin, Rippen zu bilden. Durch Seile kann die Membranschalung in einzelne Segmente mit stärkeren Krümmungsradien geformt werden. Eine weitere Möglichkeit ist, den Druck nachträglich gegen die Bewehrung zu erhöhen und den Beton in mehreren Schichten aufzubringen. Hierbei sind Spannweiten von bis zu 65 m bei Höhen von bis zu 35 m möglich. Das Betonieren findet bei diesem Verfahren von außen statt. Rekordspannweiten von 105 m wurden allerdings beim Stabilisieren der Schalungsmembran durch Kunststoffschäume erreicht. Bei diesem
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Verfahren werden drei bis vier ca. 2 cm - 4 cm dicke Schichten aufschäumendes Polyurethan auf die Schalhaut aufgebracht. Hierbei wird vor allem von innen und in bis zu drei Lagen betoniert. Aus diesem Grund kann hierbei auch wetterunabhängig gearbeitet werden. Eine noch nicht angewendete Methode legt einzelne Fertigteile als Stütze an. [19] Ein weiteres System, das bei pneumatischen Schalungen genannt werden muss, ist von Dante Bini. Hier wird die Schalung flach auf die Erde gelegt. Nun wird eine spiralförmige Bewehrung eingelegt, welche im Fundament verankert wird, sodass sie nachher auf Spannung gebracht werden kann und in der Außenhaut nicht sichtbar wird. Anschließend wird angefangen zu betonieren, wobei dem Beton ein Verzögerer hinzugegeben wird. Zum Schluss wird auf dieses Paket eine zweite Membran aufgelegt. So ist der frische Beton vor Witterung geschützt, kann beim anschließendem Aufstellen der Form nicht abrutschen und Außenrütteln wird möglich. Erst anschließend wird alles zusammen durch Luftdruck in Form gebracht. Die Konstruktionszeit dauert ca. 30 bis 40 Minuten, nach 36 Stunden wird der Druck wieder aufgelöst. Öffnungen können bei diesem Verfahren allerdings nur nachträglich herausgebrochen werden. Eine Weiterentwicklung des Verfahrens nutzt statt der aufwändigen Spezialbewehrung Stahlfaserbeton [20].
Abbildung 3.44 Pneumatische Betonschalung und das Herausschneiden von Öffnungen (v.l.n.r.) (Bildrechte: State Library of New South Wales)
3.2.7 Freiformschalungen Betrachtet man den stetig steigenden Anspruch der (Blob-) Architektur an schiefwinklige, freigeformte Bauwerksgeometrie bzw. die Erstellung gekrümmter Betonbauteile, kann die Herstellung dieser nicht mit den zuvor beschriebenen etablierten Schalungssystemen vollständig durchgeführt werden. Für Bauteilgeometrien, die von den Standardmaßen abweichen oder für welche keine Systemlösungen auf dem Markt erhältlich sind, muss in der Planung genau geprüft werden, welches Schalverfahren am wirtschaftlichsten ist. Somit ergibt sich, dass bereits eine schräg gestellte Stützenschalung unter Freiformschalungen fällt. Liegt in der Regel der
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Anteil der Schalungskosten an den gesamten Bauteilkosten bei etwa 30%, kann er für Sonderschallösungen bei bis zu 60% liegen [21]. Etablierte Schalungssysteme zur Erstellung gekrümmter Betonbauteile weisen ein steifes Verformungsverhalten auf. Sofern die Krümmung der Oberfläche nicht abschnittsweise linearisiert werden kann, werden zwei Verfahren zur Erzeugung gekrümmter Flächen angewandt. Zum einen erfolgt eine Reduzierung allgemeiner Flächen abschnittsweise in abwickelbare Regelflächen, was bedeutet, dass die Schalung mittels einer eigens zugeschnittenen Schar von Brettern(hölzerne Konsole) hergestellt wird und eine Geometrie in Hartschaumblöcke gefräst wird. Je kleiner die Bretter der konventionelle Methode, desto besser kann die geforderte Fläche abgebildet werden. Grenzen liegen etwa in Radien unter 60 cm oder Hinterschneidungen [2, 22]. Auf Grund einer immer weiter steigenden Anzahl an Systemlösungen kann auch für Sonderschalungen auf immer mehr Standardlösungen zurückgegriffen werden, welche durch Sonderschalelemente ergänzt werden. Je höher der Anteil der Standardelemente, desto geringer die Kosten. Vor allem Stützsysteme können weitestgehend eingesetzt werden. Die Ergänzungen bestehen zumeist aus formgebenden Holzspanten, welche je nach Komplexität auch gefräst werden, und Schalhaut [2]. Alternative Lösung zu Holzbrettern als Schalhaut sind Alkus-Vollkunststoffplatten. Diese können großformatig auf Spanten gelegt und vernagelt werden, während Verbindungen der einzelnen Platten durch Schweißen möglich ist. Die Alkus-Vollkunststoffplatte bietet eine Alternative zwischen Steifigkeit zur Formhaltung und Flexibilität zur Formanpassung. Ein weiterer Vorteil ist der mehrmalige Einsatz bei gleichbleibender Oberflächenqualität im Vergleich zu einer Holzschalhaut [23].
Abbildung 3.45 Alkus Vollkunststoffplatte - Sonderelemente mit GM6 Schalhaut
Eine andere Variante für die Herstellung doppelt gekrümmter Flächen ist das Fräsen von Hartschaumelementen. Mit dieser Methode können nahezu alle Geometrien hergestellt werden. Beispielhafter Materialeinsatz wäre Polystyrol, welcher anschließend als Trennschicht und für den mehrmaligen Einsatz mit Kunstharz beschichtet wird. Weiterhin kann durch die Laminierung mit Epoxidharz eine Sichtbetonoberfläche mit erhöhten
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Anforderungen generiert werden. Die digitalen Daten der Planung werden an eine CNC Fräsmaschine weitergegeben, welche aus einem Schaumblock die gewünschte Geometrie herausfräst, ein subtraktives Verfahren. Um die Schalung mehrmals einsetzen zu können, muss neben der Beschichtung beispielsweise auf Kantenverstärkung geachtet werden. Teilweise werden Holzleisten zwischen den Elementen eingesetzt, über welche diese ausgesteift werden und gleichzeitig Befestigungspunkte für Anschlüsse an weitere Schalungselemente bieten. Vorteil dieses Verfahrens ist das geringe Eigengewicht [24].
Abbildung 3.46 Gefräste Schalung aus EPS, Doka (Bildrechte: Doka)
Bei hohen auftretenden Frischbetondrücken oder besonders hoher Einsatzhäufigkeit kann auf Stahlsonderlösungen zurückgegriffen werden. Diese sind in ihrer Formgebung eingeschränkter, meist handelt es sich um besondere Stützenformen und -querschnitte und abgewandelten Wandgeometrien. Bei jeder Sonderanfertigung wird darauf geachtet, Anschlüsse an Standardsysteme vorzusehen [25].
Abbildung 3.47 Stützensonderschalung, Robusta Gaukel (Bildrechte: Robusta Gaukel)
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3.2.8 Experimentelle Schalungen Neben den etablierten Schalungssystemen befassen sich unterschiedlichste Protagonisten aus Forschung, Ingenieurbüros und der Industrie damit, vereinfachte Verfahren zur Herstellung von Schalungen zur Erzeugung von gekrümmten bzw. freigeformten Bauteilen herstellen zu können. A. Pronk beschreibt und untersucht in seiner Dissertation „Flexible moulding“ alternative Schalungsmethoden. Er beschreibt diese Schalungsmethoden als formaktive Systeme. Unter formaktiv wird die Möglichkeit verstanden, aus flexiblen Systemen nicht starrer Materialien durch unterschiedliche Techniken eine Formstabilisierung zu erzielen [26]. Diese Verfahren unterscheiden sich in experimentelle wie auch anwendungsorientierte Methoden. Anwendungsorientierte Methoden sind Methoden, die teilweise Einzug in baufremde Fertigungsverfahren gehalten haben und Potenzial zur Herstellung von Schalungen für den Hochbau bieten könnten. Diese Auswahl von alternativen Schalungssystemen soll aufzeigen, das für bestimmte Bauaufgaben Lösungsansätze zur Verfügung stehen.
Sandform An der ETH Zürich haben Studenten unter der Leitung von Gramazio & Kohler die Eigenschaften und Formationsprozesse von Sand analysiert. Aus den Ergebnissen sollten Rückschlüsse auf eine abfallfreie Betonschalung entstehen. Je nachdem, ob der Sand mit Hilfe eines Roboterarms auf einmal in einen Kasten gegeben wird oder erst nach und nach, wird er von einem Roboterarm verteilt, geschichtet oder komprimiert [27]. Bei dem Verfahren den Sand erst „nach und nach“ in die Form zu bringen wurde mit Hilfe eines Industrieroboters und einem Vorratsbehälter, der mit losem Sand gefüllt ist, eine definierte Bahn abgefahren [28]. An ebenfalls definierten Stellen wurde mit einem gesteuerten Ventil die Durchlaufmenge des losen Sandes geregelt [27]. Anders sieht das bei dem Verfahren aus, in dem der Sand sich schon in der Form befindet. Hier wird der lose Sand mit Hilfe eines Werkzeuges (ähnlich einem Holzlöffel) verdrängt bzw. durch eine Rotationsbewegung geformt. Die stark saugende Oberfläche des Sandes stellt ein Problem dar, ebenso wie das Aufbringen des Frischbetons, durch welchen der Sand aus der Form gebracht wird [29]. Um das zu verhindern, wurde der Sand mittels Lack bzw. einer Latexhaut fixiert, analog wurde auch das Saugverhalten reduziert. Anders sieht das beim Verfahren des Komprimierens aus. Hier wurde kein „loser“ Sand, sondern Ton verwendet. Komprimiert ist Ton formstabil. Mechanisch verdichtet wird der Ton mit lokal wirkenden Verdichtungs- und Modellierwerkzeugen. Sichtspuren der Stempel verbleiben aber in der Form [30]. Ton weist je nach Bearbeitung eine weistestgehend glatte Oberfläche auf und komprimiert kann die Saugeigenschaft als „saugend“ eingestuft werden. Das Unternehmen EEW-PROTEC, Kiel befasst sich ebenfalls mit dem Material Sand. Hier
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wird ein Wasserglas-Sandgemisch zu einem Block verdichtet und anschließend mittels eines computergesteuerten Bearbeitungszentrums mit unterschiedlichen Fräsköpfen ein zuvor generiertes (CAD-) Formstück aus dem Block heraus gefräst. Durch das bereits erprobte Verfahren ist es möglich, Nut und Feder mit einzuarbeiten, so dass mehrere Teile passgenau zusammengefügt werden können. Dieses Verfahren, entwickelt zur Herstellung von Metallgussprodukten, bietet Potenzial zur Erstellung von Betonelementen in einem Betonfertigteilwerk. Vorteil dieses Verfahrens ist die mögliche Wiederverwertung des Wasserglas-Sandgemisches [31].
Abbildung 3.48 Lehmschalung - ETH Zürich, Gramazio & Kohler
Inkrementelle Blechumformung Der Lehrstuhl für Tragkonstruktionen und das IBF (Institute of Metal Forming IBF) an der RWTH Aachen hat ein Umformverfahren namens „Roboterbasierte inkrementelle Blechumformung“ entwickelt das Metallbleche mit Hilfe von zwei Roboterarmen in die gewünschte Form bringen kann. Dieses Verfahren wird im Schalungsbau nicht eingesetzt, bietet aber Potenzial für weitere Forschungen. Ein Roboter bearbeitet das Blech von oben mit Hilfe eines sehr kleinen halbkugelförmigen Werkstückes, während von der anderen Seite der nötige Gegendruck ausgeübt wird. Auf Grund der Tatsache, dass das Blech fest eingespannt ist, behält es seine äußere Ursprungsform und die neue Form wird aus der Stärke des Bleches gedrückt und gestreckt. Abgeleitet wird dieses Verfahren aus der handwerklichen Technik des Dengelns, bei dem ein Blech durch Hammerschläge in Form gebracht wird. Dieses Verfahren weist Potenzial für die Erzeugung von wiederkehrenden Schalungselementen auf [32].
3.2 Schalungssysteme
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Abbildung 3.49 Roboterbasierte inkrementelle Blechumformung - RWTH Aachen (Bildrechte: David Bailly, RWTH Aachen)
Thermoforming - Warmverformen Liegt ein Positiv vor, das in dem Werkstoff Beton abgegossen werden soll, zeigt sich das Vacuum-Thermoforming als geeignete Methode, um eine Schalungsform herzustellen. In einem Projekt der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur haben Studenten ein Fassadenelement entwickelt, in dem sich mit diesem Verfahren eine dreidimensionale Struktur ausbilden lässt. Beim Thermoformen in Kombination mit Vakuumformen werden vor allem thermoplastische Kunststoffe in eine neue und dreidimensionale Form gebracht, aber auch Glas ist denkbar. Das Material muss für dieses Verfahren entweder als Folienrollware oder als Plattenmaterial vorliegen. Das grundsätzliche Prinzip sieht vor, dass das Material eingespannt, erwärmt und im erwärmten Zustand per Vakuum umgeformt wird. Nach dem Umformprozess wird die erzeugte Form abgekühlt und gegebenenfalls nachgearbeitet. In diesem Projekt kamen zwei Schalungsmaterialien zur Verwendung. Beim ersten Ansatz wurde der verwendete Latex „kaltverformt“. Unter Vakuum wurde ein „Negativ“ aus Gips erstellt, das als Schalung für das Betonieren diente. Vorteil dieser Methode war, dass das Material nicht bis an die Streckgrenze belastet worden ist und somit wiederverwertbar war. Bei der zweiten Variante wurde das Ausgangsmaterial PE-Folie „warmverformt“. Nach einem flächigen Erhitzen der PE-Folie bis kurz unter die Schmelztemperatur wurde ein Vakuum erzeugt. Nach dem Abkühlen wurde die PE-Folie als Schalungsmaterial genutzt, den Schritt ein Negativ zu formen konnte somit übergangen werden. Die PESchalung wurde lediglich während des Betoniervorgangs in einem Sandbett abgestützt, um mögliche Deformationen zu vermeiden.
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Abbildung 3.50 Vakuum tiefziehen
Alternativ kann ein „Negativ“ auch mit der etablierten Abformtechnik hergestellt werden. Bei diesem Verfahren wird von einem bereits bestehenden Modell ein Abdruck genommen. Dies geschieht entweder mit Polyurethan-Elastomeren (PUR) oder mit SilikonElastomeren (SI). Die besonderen elastischen Eigenschaften dieser Materialien lassen es zu, dass ein Abdruck für eine Vielzahl an Replikaten verwendet werden kann. Die Form ist ähnlich der einer Strukturmatrize.
Elastomere Schalung mit Stützmedium Ein weiteres, eigens betreutes Projekt an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur befasste sich mit dem Themenschwerpunkt der Elastomeren Schalung. Die Herausforderung, der sich die Studenten gestellt haben, lag darin, ein Schalungskonzept zu entwickeln, bei der die Schalung mehrfach wiederverwendbar und für wechselnde Freiformen geeignet ist, sprich, sich leicht verstellen ließ und eine gleichmäßige Stärke des Produktes gewährleistet. Diese Art der Betonschalung ist auf Grund der Flexibilität einerseits interessant, da viele Formenvariationen möglich sind, andererseits birgt sie aber auch noch einige Probleme. Bedingt durch das Eigengewicht und den Frischbetondruck ergeben sich im Fußpunkt der Schalung stärkere Auswölbungen als im oberen Randbereich. Mit diesem physikalischen Problem lässt sich grundsätzlich nicht die gewünschte Form einstellen. Um diesem physikalischen Problem entgegen zu wirken, wurde ein Stützmedium gesucht, die den Frischbetondruck aufnimmt und somit ein Auswölben der Schalung im Fußpunkt entgegenwirken soll. Die Idee war, ein Schalungssystem zu entwerfen, das aus einer flexiblen
3.2 Schalungssysteme
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Schalhaut und einem „Druckausgleichsraum“ besteht. Zwei dieser Systeme voreinander gestellt ergibt ein komplettes Wand-Schalungssystem für ein freigeformtes Wandelement. Die Funktionsweise dieses auf drei Kammern basierenden Systems ermöglicht ein nahezu gleich starkes, freigeformtes Wandelement herzustellen. Während des Betonierens der mittleren Kammer wird zeitgleich in den beiden äußeren „Ausgleichskammern“ ein Stützmedium, in diesem Fall trockener Sand, eingefüllt. Dieses Stützmedium reduziert die Deformation um ein vielfaches.
Adjustable Mould - Einstellbarer Schaltisch Exemplarisch für die CAM Fertigungsverfahren ist die Adjustable Mould, ein einstellbarer Schaltisch, zu nennen. Eine Methode, die eine flexible Oberfläche als Schalhaut auf einem höhenverstellbaren Schalungstisch einsetzt. Die Entwicklung und ein erster Prototyp für die Herstellung bzw. Umformung liegender Faserbeton-Halbzeuge entstanden an der TU Delft [33,34,35]. Parallel wurde ein weiterer Prototyp eines liegenden Schaltischs von der dänischen Firma Adapa in Zusammenarbeit mit T. Henriksen entwickelt. Der wesentliche Unterschied dieser Varianten liegt darin das, dass Unternehmen Adapa den Schaltisch zur Erzeugung von Hartschaumblöcken (PU-Schaum,) verwendet, die in einem weiteren Schritt als Schalkasten genutzt werden. So soll erreicht werden, dass die Standzeit des Schalungstischs, bedingt durch die kürzere Aushärtezeit des PU-Schaums, reduziert werden kann [36,37]. Die Entwicklung soll genutzt werden, um dünnwandige, freigeformte Faserbetonpaneele für den Fassadenbau zu realisieren. Zunächst werden ausfahrbare Aktuatoren per Computersteuerung einzeln angesteuert und somit die elastisch verformbare Schalhaut in Form gebracht. Anschließend wird faserverstärkter Beton bzw. PU-Schaum auf die Schaloberfläche aufgebracht. Nach dem Aushärten kann das fertige Betonelement bzw. der PU-Hartschaumblock von der Mould gelöst werden und wieder in Ausgangsposition zurück fahren. Große Flächen werden in auf das System passende Formen aufgeteilt [37,38]. In dem DFG-Vorhaben SPP 1542 der TU Darmstadt wurden formaktive aufrechte Wandschalungssysteme erforscht und entwickelt, bei denen sich annähernd vertikale Schalungsoberflächen durch ein Raster von Aktuatoren elastisch auf die geometrisch vorgegebene Form einstellen lassen. Hier müssen die Aktuatoren nicht nur die Form einprägen, sondern auch eine stützende Funktion durch den auftretenden Frischbetondruck bei der geneigten Schalung [39] leisten und daher fest mit der Schalhaut verbunden sein, was für die konstruktive Ausbildung und Steuerung von essentieller Bedeutung ist [22]. Aktuell wird eine Schalhaut entwickelt, an die in axialer Richtung hohes Umformvermögen in Kombination mit gutem Biegewiderstand gegenüber einwirkendem Betondruck erwartet wird. Hierzu werden in Parameterstudien Perforationen hinsichtlich ihrer Aufnahme von Umformenergie untersucht und deren mechanische Eigenschaften ermittelt [22].
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3 Bauwerksgeometrie und deren Schalungsmethoden
Abbildung 3.51 Prototyp Adjustable Mould, DFG SPP1542, Teilprojekt Graubner/Knaack
Digitales Gleitbauverfahren für nicht-standardisierte Betonelemente Gramazio & Kohler vom Lehrstuhl Architektur und Digitale Fabrikation in Zusammenarbeit mit dem Institut für Baustoffe (IfB), beide ETH Zürich, untersuchen in dem Forschungsvorhaben „Smart Dynamic Casting“ ein digitales Gleitbauverfahren für nicht-standardisierte Betonelemente. Der Unterschied zum etablierten Gleitschalungsverfahren, welches nur für große Wandflächen eingesetzt werden kann, liegt in der Filigranität und zusätzlichen Rotation, welche individuell pro Bauauftrag eingestellt werden kann. Hierzu wird untersucht, wie geometrisch differenzierte Betonelemente aus plastisch formbarem Beton digital hergestellt werden können. Zentral steht die Verknüpfung von digitalen Fabrikationsprozessen und Erkenntnissen aus den Materialwissenschaften. Dies erlaubt die Entwicklung eines roboterbasierten Gleitbauverfahrens, das auf die Verwendung von zusätzlichen Schalungen verzichtet [40].
Abbildung 3.52 Smart Dynamic Casting - ETH Zürich, Gramazio & Kohler
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4 Textilien 4.1
Entwicklung des textilen Schalungsbaus
Betrachtet man die Geschichte des textilen Schalungsbaus, so fällt auf, dass es erste Untersuchungen und Patente bereits seit über einem Jahrhundert gibt, der Durchbruch in der breiten Anwendung im Baugewerbe allerdings nie erfolgte. Die einzige regelmäßige Anwendung findet sich im geotechnischen Bereich. Es gibt einige Pioniere auf diesem Gebiet, welche mit unterschiedlichen Intentionen an die Technik herangetreten sind, sowohl konstruktiv, als auch gestalterisch. Doch in den letzten Jahren sind keine weiteren bahnbrechenden Erfindungen auf diesem Gebiet erfolgt. Dies lässt sich vielleicht in der Trägheit des Bausektors begründen, wo es langwierig ist, Akzeptanz für eine solch individuelle und ungewohnte Technik zu gewinnen. Als Vorgänger der textilen Schalung können bereits Arbeiten des römischen Architekten Marcus Vitruvius Pollio (1. Jahrhundert v.Chr.) genannt werden. Seine Idee war es, eine Stützmauer durch das Füllen von Schilfkörben mit Lehm zu errichten [1]. Für die Anwendung dieser Technik existieren zwei Beispiele, ein Aquädukt in Algerien und die Villa Medici in Rom. In beiden Fällen wurde ein Gewölbe mit Hilfe von gefüllten Schilfkörben errichtet [2]. Bei ersterem ist das Schilf abgenommen worden, im Gegensatz zu der Villa Medici in Rom, bei der das Schilf offensichtlich nachträglich nicht entfernt wurde. Daher wird davon ausgegangen, dass für den Bau des Gewölbes im Aquädukt das Schilf die Stützstruktur verdeckt, sodass dies entfernt werden konnte, wohingegen in der Villa Medici das Schilf selbst als Stützgerüst dient (siehe Abbildung 4.1) [3]. Aufgrund seiner Leichtigkeit, Flexibilität und des reichen Vorkommens bot es sich wahrscheinlich an, Schilf für unzugängliche Baubereiche zu nutzen [4]. Ebenso bestehen bereits von Vitruvius Aufzeichnungen über gefüllte Gewebe im Einsatz bei Wasserbauarbeiten [5].
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hickert, Fabrik Formwork, Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen 58, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31924-3_4
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4 Textilien
Abbildung 4.1 Villa Medici, Rom (Bildrechte: Matthew Bronski)
Das erste Patent erhielt der im damaligen Preußen geborene Architekt und Ingenieur Ludwig Wilhelm Gustav Lilienthal (1849-1933). Sein jüngerer Bruder war Otto Lilienthal, der erste Mensch, der erfolgreich einen Gleitflug absolvierte. Das erste Patent im Bereich der textilen Schalung wurde 1897 für eine feuerfeste Decke übertragen (siehe Abbildung 4.2). Hier wird beschrieben, dass ein Gewebe bzw. Papier über parallel verlaufende Holzträger gelegt wird. Dies wird mit einem Drahtnetz auf der Unterseite unterstützt und von oben mit Estrich gefüllt. Das Gewebe wird dabei nicht gespannt, sondern locker über die Holzbalken gelegt, sodass sich zwischen zwei Trägern eine stärkere Schichtdicke Estrich ergibt [6]. Lilienthals Technik wurde später bekannt als „Terrast Decke“ und er setze dies und weitere seiner Erfindungen ein, als er sein eigenes Haus baute [7].
Abbildung 4.2 Patentzeichnung Lilienthal - feuerfeste Decke
Immer wieder wurden weitere Patente eingereicht, welche an das Patent von Lilienthal anknüpften. Matthews Fletcher, motiviert durch die Gestaltungsmöglichkeiten und die mögliche Effizienzsteigerung des Materialverbrauchs, entwickelte neben Decken auch Pilzkopfsäulen und textil geschalte Träger, wie in seinen Patentzeichnungen in Abbildung 4.3 dargestellt. Er erkannte das Potenzial, die Formgebung der tatsächlichen Belastung anzupassen, ohne nennenswerten Mehraufwand bei dem Erstellen der Schalung zu investieren [8].
4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus
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Abbildung 4.3 Patentzeichnung Matthews Fletcher, 1917, Method and means for forming concrete structural members
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4 Textilien
Nach weiteren Patenten, welche nahezu identisch zu dem von Lilienthal waren, fing Sidney Parker an, aufbauend auf Lilienthals Ergebnissen weiter an dem Materialeinsparpotenzial zu forschen und formulierte, dass durch die parabelförmige Form 20% Beton eingespart werden können [5]. Aufgrund der Unzugänglichkeit sind parallel zum Bausektor Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in der Wassertechnik verschiedene Forschungen unternommen worden. Hierbei ging es beispielsweise um mit Beton gefüllte Leinensäcke als Küstenschutz oder wasserdichte, gefüllte Säcke als Fundament unter Wasser [9,10]. Mit dem Aufkommen von Polymergeweben entstand eine Vielzahl neuer Patente mit geotechnischer Anwendung in den 1960er Jahren. Die Serie „Fabriform“ wird heute noch angewendet. Mittlerweile sind viele dieser Patente ausgelaufen und es existieren viele Unternehmen, die mit der geotechnischen Anwendung von textilen Schalungen erfolgreich sind. In Sydney entstand um 1990 eine zehn Meter hohe Wand, die aus PVC-beschichteten Polyestergeweben für eine Marineanwendung hergestellt wurde. Dies geschah in Zusammenarbeit von Asaddollah Redjvani und Rob Wheen, die in diesem Zusammenhang bereits formulierten, dass die textile Schalung sowohl als Schutz auf der Betonoberfläche verbleiben, als auch entfernt werden kann [11,12,13]. Auch heute noch ist eine Vielzahl von geotechnischen Anwendungen auf dem Markt erhältlich. So gibt es Produkte, die aus zwei hochzugfesten Gewebelagen bestehen, welche stegweise miteinander verbunden sind und deren Hohlraum mit Beton gefüllt wird, sodass die entstehende flexibel angepasste Betonschicht als Erosionsschutz oder als Oberflächenabdichtung fungiert wie in Abbildung 4.4. dargestellt [14]. Weiterhin werden rundgewebte Materialien als pfahlähnliches Gründungssystem für wenig tragfähigen Boden eingesetzt (siehe Abbildung 4.5) [15].
Abbildung 4.4 Textiler Erosionsschutz - Incomat, Hüsker (Bildrechte: Hüsker)
Abbildung 4.5 Textile pfahlähnliche Gründung - Ringtrac, Hüsker (Bildrechte: Hüsker)
Eine Vielzahl der Patente stammen von James Hardress de Warrenne Waller (1884-1968). Dieser wurde in Tasmanien geboren und studierte Bauingenieurwesen. Einige seiner Forschungsideen kamen ihm während des Einsatzes im zweiten Weltkrieg [16]. Während eines Kriegseinsatzes beobachtete er, wie ein Zelt zur Tarnung mit einer Mischung aus Schlamm, Zement und Wasser bedeckt wurde. Für ihn erstaunlich, bemerkte er, dass das
4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus
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Zelt dadurch vollständig ausgesteift wurde, woraufhin er die zuvor stützende Struktur des Zeltes entfernte. Die hieraus entstandene und patentierte Erfindung ist das Nofrango System, bei welchem ein Jutegewebe zunächst über eine Holzstruktur gespannt und anschließend mit Zementmörtel verputzt wird [17]. Der größte Unterschied Wallers zu dem bis dahin bekanntesten Erfinder der textilen Betonschalungen, Lilienthal, lag darin, dass das Gewebe nicht ausschließlich als verlorene Schalung genutzt wird, sondern direkt als Tragwerk wirkt. Daraus resultiert eine besonders wirtschaftliche Bautechnik, die gleichzeitig leicht und stabil war [18]. Ein heute erhältliches Produkt mit Parallelen zu dieser Technik ist das „Concrete Canvas“ (CC), hergestellt vom gleichnamigen britischen Unternehmen (siehe Abbildung 4.6). Bei dem Material handelt es sich um ein dreidimensionales Gewebe, welches mit einer Zementmischung gefüllt ist. Im trockenem Zustand kann Concrete Canvas in die gewünschte Form gebracht und anschließend mit Wasser benetzt und ausgehärtet werden. Das Produkt findet Anwendung im militärischen und im geotechnischen Bereich, sowie in künstlerischen Projekten [19].
Abbildung 4.6 Concrete Canvas
Diese Technik entwickelte Waller weiter, als er im zweiten Weltkrieg dazu aufgefordert wird, Hütten, Lagerhallen und Flugzeughallen zu errichten, an welche genau diese Anforderungen gestellt wurden. Die daraus resultierende Bautechnik nannte er Ctesiphon System, wie in Abbildung 4.7 dargestellt [16,17,20]. Die Namensgebung entstand durch den Ort der Inspiration, dem Taq-i-Kisra Bogen in Ctesiphon (siehe Abbildung 4.8), der ihn davon überzeugte, dass es möglich ist ,vollständig auf Stützstrukturen zu verzichten [4,21]. Während des Krieges gab es eine große Nachfrage nach stützfreien, großflächigen Lagerhallen. Zusätzlich erschwerend hinzu kam der damalige Stahlmangel. Die Lösung Wallers für diese Problematik lag in Holzspanten, über welche ein Gewebe gelegt wird, um eine Schalenkonstruktion entstehen zu lassen. Die natürlichen Bögen im Gewebe die dabei entstehen, bilden später aussteifende Bögen der Konstruktion. Die Tiefe dieser Bögen wird dabei von dem Abstand der Holzspanten, der Vorspannung des Gewebes
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4 Textilien
und der Position, in der das Gewebe zunächst durch eine dünne Zementschicht gehärtet wird, beeinflusst. Mit dieser Bauweise sind über 50 Schalen entstanden mit Spannweiten zwischen sechs und zwölf Metern. Der enorme Erfolg liegt in den geschichtlichen Anforderungen an Bauwerke zu der Zeit und der enormen Effizienz, mit welcher diese erfüllt worden sind, begründet [4,21,22]. Auch nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte Waller sein System weiter, sodass er 1955 in der Lage war, Spannweiten von bis zu 150 m mit Hilfe einer zusätzlichen Stützkonstruktion zu realisieren. Weiterhin kam eine Zementpistole zum Einsatz, die als erste Form des heute bekannten Spritzbetons gezählt werden kann [23].
Abbildung 4.7 Ctesiphon-System
Abbildung 4.8 Taq-i-Kisra Bogen in Ctesiphon
Durch den Verlust des allgemeinen Interesses an Schalentragwerken, den mit der Zeit entstehenden Rissen durch entstehende Spannungen im Gewebe durch den Auftrag des Zementes und den schlechten thermischen Eigenschaften des Ctesiphon Systems ist dieses später nicht mehr angewendet worden [24]. Dennoch beeinflusste das Ctesiphon System weitere Ingenieure für Schalenbauten. Unter anderem Kurt Billig und Guruvayur Ramaswamy, aber vor allem wurde der Ansatz von Isler bekannt. Dieser publizierte seine Theorie der hängenden Membranmodelle, welche in ausgehärteter und umgekehrter Form ein optimales Schalentragwerk bilden [25]. Weiterhin wurde ebenfalls Joseph Kersavage von diesem System inspiriert und entwickelte eine textile Schalung für hyperbolische Paraboloide. Herkömmlich wurden diese aus Holzstreifen angenähert, welche Kersavage durch Textilstreifen ersetze, die die angestrebte Form näherungsweise perfekt abbilden konnten [26]. Wenn der textile Schalungsbau betrachtet wird, müssen pneumatische Schalungen und deren Vorgänger der Vollständigkeit halber ebenfalls mit aufgeführt werden. Die erste Art dieser Schalungstechnik geht bereits auf James Boyle (1907) zurück. Da die damals vorhandenen Gewebe noch nicht vollständig luftdicht waren, wurde dieses mit Hilfe von Flüssigkeitsdruck in eine Kuppelform gebracht, um dem Betondruck bis zum vollständigen Aushärten standzuhalten. Die erste Anwendung für ganze Bauwerke findet sich 1940 in einem Patent von Karl Billner wieder, welcher aufgrund neuer zugänglicher Gewebe in der Lage war, neben Flüssigkeitsdruck auch luftgefüllte Schalungen zu nutzen [27].
4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus
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Im Jahr 1942 wurden die Betonblasenhäuser von Wallace Neff mit Hilfe dieser Technik gebaut. Ein luftdichtes Gewebe wurde pneumatisch in Form gebracht und mit Spritzbeton die Schale hergestellt. Dies ist eine material- und zeitsparende Methode, um Schalenkonstruktionen zu bauen, die dabei ebenfalls kostengünstig bleiben [28]. Bedeutend weiterentwickelt wurde das Schalen von Betonschalen durch pneumatische Konstruktionen im Jahr 1964 von Architekt Dante Bini. Er versuchte die Vorteile des planaren Betonierens und Pneumatik zum Herstellen von Betonschalen zu kombinieren, wie in Abbildung 4.9 dargestellt. Hierfür betonierte er eine näherungsweise Abwicklung einer Schale auf einem luftdichten Gewebe auf dem Boden. Das Gewebe wird anschließend mit Luft gefüllt, während der Beton noch nicht vollständig ausgehärtet ist, sodass durch das weiterhin leichte Fließverhalten eine Kuppelform abgebildet werden kann [29]. Eine weitere Variation setzt bei diesem Vorgang Betonfertigteile ein.
Abbildung 4.9 Binieshell. Eingangsbereich der Killarney Heights Public School, Australien, 1970 (Bildrechte Bob Meade, Lizenz CC BY 2.0)
Eine weitere Entwicklung im Bereich der Betonschalen mittels Herstellung mit pneumatischer Stützstruktur fand im Jahr 1884 mit der Dissertation von Prof. Dr. Dr. E.h. Dr. h.c. Werner Sobek statt. Diese Arbeit beschäftigt sich neben rotationssymetrischen Schalen zusätzlich mit freien Schalenkonstruktionen und entwickelte Algorithmen zur Formfindung und Bildbarkeit einer vorgegebenen pneumatischen Konstruktion. Weiterhin wurden die baupraktischen Probleme wie z.B. Drucksteuerung und Temperaturschwankungen gelöst und ein Rechenmodell für rotationssymetrische Schalungen erstellt [30]. Ebenfalls pneumatisch, allerdings nicht für die Konstruktion von Schalen eingesetzt,
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4 Textilien
nutzt Raul Mora 1968 Gewebe für Wandstrukturen. Er entwickelte ein Wandsystem mit luftgefüllten Kammern und füllte den übrigen Raum mit Beton aus. Auf diese Art und Weise entsteht eine Hohlkörperwand. Vorgänger dieser Methode lassen sich bei Charles Ford (1951) [31] oder Toichi Nose (1926) [32] finden. Die gestalterischen Aspekte der textilen Schalung griff der spanische Architekt Miguel Fisac (1913 – 2006) zuerst umfassend auf. Er erkannte den großen Vorteil von Beton gegenüber vielen weiteren Baumaterialien, nämlich dass Beton in flüssiger Form jede Geometrie annehmen kann und nach Erhärten besonders druckfest ist. Diesen flüssigen Zustand wollte Fisac in seiner Arbeit für den Beobachter des Bauwerks sichtbar reflektieren [33]. Über zehn Jahre forschte Fisac an textilen Schalungen, bis er schließlich das Centro de Rehabilitacion MUPAG baute (siehe Abbildung 4.12). Um die vorfabrizierten Fassadenpaneele zu schalen, ist ein Gewebe über Spanten gelegt worden [34]. Weiterhin bekannt wurde Fisac durch sein Patent, aufgrund dessen er Hohlkörperträger und Decken effizient herstellen konnte (siehe Abbildung 4.14). Diese sollten bei identischen Eigenschaften des Trägers mit weniger Betonmaterial auskommen [35]. In Abbildung 4.12 ist ein Krankenhaus in Madrid zu sehen, das von Miguel Fisac erbaut wurde. Die Fassade besteht, ebenso wie bei dem in Abbildung 4.13 zu sehenden Sozialzentrum, aus textil geschalten, nicht tragenden Vorhangelementen. Bei beiden Gebäuden ist die Segmentierung durch die Fertigteilproduktion deutlich zu sehen, auch wenn diese mit unterschiedlichen Methoden hergestellt wurden, sodass sich ein sich unterscheidendes Muster in der typischen Kissenstruktur ergibt. Die gleiche Ausprägung der Kissenstruktur wie bei dem Krankenhaus ist in Abbildung 4.10 bei einem privaten Wohngebäude eines Bauingenieurs in Madrid zu sehen. Auch hier zeichnen sich die unregelmäßigen, gitterartigen Strukturen ab. Ein regelmäßigeres, sternförmiges Muster lässt sich bei der in Abbildung 4.11 gezeigten Kirche ausmachen.
Abbildung 4.10 Casa Pascual de Juan en la Moraleja, Madrid
Abbildung 4.11 Parroquia de Nuestra Senora de Altamira, Madrid
4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus
Abbildung 4.12 Centro de Rehabilitation MUPAG Hospitalaris, Madrid
Abbildung 4.13 Centro social de las Hermanas, Madrid
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Abbildung 4.14 Hohlkörperträger, Madrid
Später gab es zu nahezu identischer Zeit drei verschiedene Personen, welche unabhängig und ohne Wissen von einander im Bereich textiler Schalungen Forschungen unternahmen und Patente entwickelten. Dies sind Rick Fearn, Kenzo Unno und Mark West. Rick Fearn begann seine Arbeit damit, eine neue, effiziente Methode zum Schalen von Fundamenten zu entwickeln. Dieses vermarktete er unter dem Namen „Fast-Foot“. Mittlerweile heißt das Aktienunternehmen Fab-Form und führt neben dem „Fast-Foot“ auch eine Säulenschalung „Fast-Tube“ und das Produkt Fab-Form ICF Monopour [36], bei dem es sich um einen Gewebesack handelt, der unter eine herkömmliche Wandschalung gehängt wird und nach dem Ausbetonieren als Fundament dient. Des Weiteren wurde eine neue Stahlfaserbewehrung entwickelt, welche ausgelagert wurde. Bei der „Fast-Tube“ handelt es sich um einen Gewebeschlauch, der vor Ort auf die passende Länge zurechtgeschnitten und an einer zuvor aufgestellten Holzstruktur aufgehängt wird. Dafür wird der Gewebeschlauch an der gesamten Länge zwischen zwei Holzlatten eingeklemmt. Einen ausgebildeten Fuß- oder Kopfpunktanschluss gibt es nicht. Kenzo Unno suchte nach einem zerstörerischen Erdbeben nach einer schnellen und effektiven Variante der Betonschalung mit der es auf einfache Art und Weise möglich wurde, ohne besondere Vorkenntnisse verstärkte Betonwände zu bauen. Seine Methode wurde, und ist weiterhin, bekannt unter dem Namen „URC-Wall“ (Unno Reinforced Concrete). Diese erstellt er in zwei verschiedenen Varianten. Zum einen die Rahmenmethode (siehe Abbildung 4.15), bei welcher das Gewebe mit Hilfe von vertikalen Holzlatten in Form gehalten wird, und zum anderen die „Quilt-Point-Methode“ bei welcher der Bewehrungsstahl gleichzeitig als punktuelle Anker genutzt wird, wie in Abbildung 4.16 dargestellt.
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4 Textilien
Ein weiteres Projekt Unnos ist die „Zero-Waste“ Schalung (siehe Abbildung 4.17). Hier werden alle Bestandteile der Schalung weiterhin genutzt. Eine harte Dämmung wird als Schalhaut genutzt und zur Befestigung an einem Holzgerüst befestigt. Diese Struktur wird nach vollständigem Erhärten des Betons nicht ausgeschalt, sondern direkt als Unterkonstruktion für die Innenraumverkleidung genutzt. Die zweite Schalhaut bildet das Gewebe was wiederum punktuell an der Bewehrung befestigt wird [37]. Das erste Projekt, das er mit dieser Methode realisierte, war die Mitsushi-Turu-Residenz in Kawasaki City (JPN) im Jahr 1997. Weitere Beispiele sind ein Privathaus in Kamogawa von 2003, welches zwar nicht von ihm, aber in seiner Bauweise errichtet wurde [38], und das bekannteste Bauwerk Unnos, das „Stone house“ in Fukuoka Hoshima, ebenfalls ein Privathaus von 2003 [39].
Abbildung 4.15 Rahmenmethode
Abbildung 4.16 Quilt-Point Methode
Abbildung 4.17 Zero-Waste Schalung nach Kenzo Unno
4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus
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Mark West begann seine Arbeit mit Textilien als Schalungsmaterial zunächst im skulpturalen Bereich. Seine Prototypen hatten einen künstlerischen Ansatz und wurden mit der Zeit immer technischer und konstruktiver. Viele seiner Ideen und Arbeiten hat er als Professor an der University of Manitoba (CAN) unter Anderem in Studentenworkshops entwickelt und getestet. In dieser Funktion hat er das „Centre for architectural structures and technology“ (C.A.S.T.) gegründet. 2008 initiierte er die erste internationale Konferenz zum Thema Textile Betonschalungen, auf der die „International Society of Fabric Forming“ (ISOFF) gegründet wurde, um die universitäre Forschungsarbeit mit Herstellern von Geweben und Betonschalungen zu vereinen. Die ISOFF ist nicht mehr aktiv. Seit Beginn seiner Arbeit 1989 entwickelte Mark West Säulen, Decken, Wände und Träger aus textilen Schalungen (siehe Abbildungen 4.18 - 4.21). Dabei hat er von gestalterischen bis konstruktiven Methoden und vom Erstellen der Form direkt, als auch durch Abformen sowie besonders dehnbare und steife Materialien alles untersucht [40]. Ebenso erkannte er die entstehende Effizienz bei Trägern, die dem Biegemoment angepasst sind, und vertiefte und optimierte diese Bauteilanwendung. Doch trotz der konstruktiven Vertiefung und Erkenntnissen, legte er immer einen Fokus auf das Gestalterische und experimentierte auf diesem Gebiet unter anderem mit extra eingearbeiteten Falten weiter. Im Jahr 2017 veröffentlichte er sein Buch „The fabric formwork book“ [5].
Abbildung 4.18 Bulge Wall Technologie, Mark West
Abbildung 4.19 Deckensystem, Mark West
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Abbildung 4.20 Dekorative Säule durch textile Schalung, Mark West
4 Textilien
Abbildung 4.21 Textil geschalter Träger, Mark West
Weitere Forschungseinrichtungen, die an dem Thema arbeiten, sind die University of Bath, die Edinburgh School of Architecture and Landscape Architecture, die technische Universität Eindhoven, die ETH Zürich und die University of East London. Des Weiteren ist 2012 eine Dissertation von Anne-Mette Manelius von „The Royal Danish Academy of Fine Arts“ mit dem Titel „Fabric formwork for concrete“ entstanden [41]. Professor Alan Chandler leitet die Forschungen an der University of East London und veröffentlichte 2007 das erste Buch zu der Thematik mit dem Titel „Fabric formwork“ zusammen mit Remo Pedreschi, [42]. Dieser zielt mit seiner Arbeit auf die Anwendung in Entwicklungsländern und somit dem leichten Handling und besonderer Nachhaltigkeit ab. Durch den Einsatz von textilen Schalungsmaterialien kann Schalungsmaterial eingespart und ebenso wie der Transport und die Lagerung nachhaltig verbessert werden. Um diesen Aspekt weiter zu vertiefen, setzt er in diesem Zusammenhang statt Beton gestampfte Erde ein [4].
Abbildung 4.22 Textile Wandschalung, AnneMette Manelius
Abbildung 4.23 Textile Säulenschalung, Anne-Mette Manelius
4.1 Entwicklung des textilen Schalungsbaus
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An der ETH Zürich leitet Philippe Block Forschungen zur Entwicklung von computergestützten Verfahren und Simulationen von textil geschalten Betonstrukturen, insbesondere Schalenstrukturen. Die Schalung besteht hier aus einem Holzrahmen, in den ein Stahlnetz eingespannt und ein Gewebe oben aufgelegt wird. Der Beton wird anschließend auflaminiert [43]. Moderne Architekturbeispiele für die Anwendung textiler Schalungen sind das Haus Rohner in Lauterach (A) aus dem Jahr 2005 von Georg Bechter Architektur + Design und das Hanil Visitor Center and Guest House in Seoul (KR) aus dem Jahr 2009 von Bcho Architects (Abbildung 4.25). In beiden Fällen handelt es sich um horizontal betonierte Fertigteile, die durch ein auf Spanten bzw. Rohren gelegtes Textil entstanden sind [44,45]. Eine erste Ortbetonbauweise wurde von dem Architekten Alexander „Sandy“ Lawton (Arro Design) 2004 in Vermont (USA) gebaut. Hierbei handelt es sich um eine Gartenhütte, weiterhin vermarktet als „Baumhaus“, für die Familie Black (Abbildung 4.26). Das Textil wird hierbei auf horizontal verlaufende, anschließend formgebende Holzlatten gespannt, die wiederrum von vertikalen Holzstützen getragen werden [46]. Ein weiteres Anwendungsbeispiel ist die Crushed Wall von Walter Jack in Cornwall (GBR), welche 2012 entstand, siehe Abbildung (4.27). Um diese aufwändige Geometrie herzustellen, ist zunächst eine EPDM-Bahn in gewünschter Gestaltung auf ein Holz befestigt worden. Diese wurde anschließend mit Polyurethanschaum gehärtet, sodass einzelne Negativschalungsblöcke entstanden, welche final betoniert wurden [47].
Abbildung 4.24 Haus Rohner, Lauterach (Bildrechte: (Georg Bechter Architektur + Design)
Abbildung 4.25 Hanil Visitor Center and Guest House (Bildrechte: BCHO Architects)
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Abbildung 4.26 Treehouse, Alexander Lawton in Vermont (Bildrechte: Alexander Lawton)
4 Textilien
Abbildung 4.27 Crushed Wall, Walter Jack in Cornwall (Bildrechte: Walter Jack Studio)
4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde Für die Herstellung textiler Flächengebilde werden Garne bzw. Rovings benötigt, welche wiederum aus einzelnen Fasern bestehen. Diese Fasern können übergeordnet unterteilt werden in Naturfasern und Chemiefasern. Zu den Naturfasern gehören sowohl pflanzliche, als auch tierische und mineralische Fasern, wobei die pflanzlichen aus Zellulose und die tierischen aus Eiweiß bestehen. Innerhalb der Chemiefasern wird unterschieden zwischen Fasern, die aus natürlichen Polymeren, aus synthetischen Polymeren oder aus anorganischen Polymeren hergestellt werden. Welche Fasern den Kategorien zugeordnet werden, kann Abbildung 4.28 entnommen werden [48].
4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde
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Abbildung 4.28 Gruppierung der Faserstoffe
Mit eine der bekanntesten Naturfasern ist die Baumwollfaser, die den pflanzlichen zugeordnet ist. Pflanzliche Fasern sind temperaturresistenter als tierische und zeichnen sich durch eine geringe Elastizität aus, wodurch sie zum starken knittern neigen. Bei einer dampfförmigen Feuchtigkeitsaufnahme von bis zu 20% fühlt sich Baumwolle vollständig trocken an. Insgesamt kann sie Feuchtigkeit bis zu 65% ihres Eigengewichtes speichern und ist im nassen Zustand reißfester als im trockenen. Analog dazu trocknen Naturfasern allerdings recht langsam. Ebenso zeichnen sie sich durch eine geringe Dehnbarkeit auf, bei Leinenfasern liegt diese bei nur 2% [48]. Chemiefasern aus natürlichen Polymeren, wie beispielsweise Viskose oder Modal, können vereinzelt mehr Wasser aufnehmen als Baumwolle, etwa bis zu 120% des Eigengewichtes. Allerdings liegt die Nassreißfestigkeit hier unter der Trockenreißfestigkeit und diese wiederum ebenfalls unter dem Wert von Baumwolle, insbesondere bei Polyamid. Die Dehnbarkeit hingegen ist nahezu doppelt so hoch wie bei Baumwolle. Chemiefasern aus synthetischen oder anorganischen Polymeren nehmen sehr wenig bis gar keine Feuchtigkeit auf und transportieren diese ausschließlich. Die aus synthetischen Polymeren weisen meist eine hohe Reiß- und Scheuerfestigkeit, die höchste aller Faserstoffe besitzen Polyester und Polyamid, und eine höhere Elastizität auf, wodurch sie weniger zum Knittern
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4 Textilien
neigen. Aus anorganischen Polymeren bestehen vor allem Glas- und Kohlenstofffasern. Um Fasern zu erhalten, deren Kohlenstoffgehalt bei über 80% liegt, werden kohlenstoffhaltigen Stoffen in einem speziellen Verfahren unter Hitzeeinwirkung möglichst viele andere Stoffe entzogen. Diese Fasern zeichnen sich durch eine besonders hohe Festigkeit und Steifigkeit aus [48]. Der größte Unterschied zwischen Naturfasern und Chemiefasern liegt in der biologischen Beständigkeit, Zellulosefasern und Eiweißfasern verrotten sehr schnell im Gegensatz zu synthetischen Chemiefasern [49]. Der Ausgangspunkt für den Aufbau von Fasern sind Molekülketten aus unterschiedlichen Materialien, die Fibrillen bilden. Diese sind gebündelt und bilden so eine Faser. Die Herstellung von Chemiefasern beginnt mit der Bildung von Molekülketten auf Basis von Erdöl [48]. Damit aus Fasern ein textiles Flächengebilde entstehen kann, müssen zunächst aus den Fasern Garne, oder auch Rovings genannt, hergestellt werden. Im Gegensatz zu Chemiefasern liegen Naturfasern nach der Gewinnung als einzelne Faserstücke vor, die im ersten Schritt fest miteinander verbunden werden müssen. Dies geschieht durch Verdrehen. Anschließend liegen Endlosfasern vor, die auch Filamente genannt werden. Diese werden im weiteren Verlauf gelockert, gereinigt, geordnet, gestreckt und dann über verschiedene Verfahren versponnen [49]. Der Begriff Zwirn bezeichnet zwei oder mehrere Garne die ineinander verdreht sind. Dies kann in einer oder mehreren Stufen geschehen (siehe Abbildung 4.30). Bei einem einstufigen Zwirn wird weiterhin unterschieden ob er aus zwei oder mehreren Garnen verdreht wurde. So entsteht eine Einteilung der Zwirne nach Anzahl der Garne und Stufen der Verdrehung. Weitere Besonderheit ist das Verdrehen der Garne um einen Kern herum. Beim Verdrehen der Garne kann zwischen Z- und S-Richtung unterschieden werden. Verläuft die Drehungsspirale von links unten nach rechts oben handelt es sich um die Z-Richtung, wohingegen bei der S-Richtung die Drehungsspirale von rechts unten nach links oben verläuft. Dies geschieht in der Regel in entgegengesetzter Richtung zum Spinnprozess des Garns [48]. Mit dieser Methode können höhere Zugfestigkeiten erzielt werden. Außerdem zeichnen sich durch das mehrmalige Verdrehen weniger Faserenden an den Außenseiten ab und ein Zwirn nimmt weniger Schmutz auf. Standardfaser für Zwirne zum Nähen sind Leinen, Baumwolle, Polyamid oder Polyester [49].
4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde
101
Abbildung 4.29 Aufbau eines Zwirns
Um Fasern zu klassifizieren, sind die wichtigsten Kenngrößen die Länge, die Feinheitsfestigkeit, die Höchstzugkraftdehnung und die Dichte. Durch die Faserlänge wird beeinflusst, wie viele Faserenden innerhalb eines Garnes abstehen. Die Bestimmung der Feinheitsfestigkeit geht auf die Höchstzugkraft zurück, welche in tex oder dtex angegeben wird. Tex bestimmt die Fasermasse [g] auf einer Faserlänge von 1 km, dtex hingegen auf 10 km. Die Feinheitsfestigkeit wird in cN/tex (cN = 1/100 Newton) angegeben und die Höchstzugkraftdehnung in % bezogen auf die Länge. Die Faserdichte beeinflusst maßgeblich das Gewicht von Textilien, je dichter das Fasermaterial, desto schwerer das Textil. Die Angabe der Elastizität zeigt an, welche Fasern sich nach einer Belastung wieder zusammenziehen, wobei dies nie in die Ursprungslänge geschehen kann [48]. Wichtigste Kennzeichnung für den technischen Einsatz von Textilien ist der Elastizitätsmodul und der Schmelzpunkt [49] und je nach Anwendung die Zugfestigkeit und die Weiterreißfestigkeit. Textile Flächengebilde können in Matten, Filze, Vliese, Gelege, Geflechte, Gewebe, Gestricke und Kettengewirke unterteilt werden, wie in Abbildung 4.32 dargestellt.
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4 Textilien
Abbildung 4.30 Einteilung textiler Flächengebilde
Filze und Vliese Filze bestehen aus Wollfasern, dem weichen Haar des Tierfells, oder Tierhaaren, dem Deckhaar von Tieren, [49]. Sie nutzen die Eigenschaften dieser unter Einwirkung von Lauge, Wärme, Bewegung und Druck zu verfilzen. Dies sind die sogenannten „echten“ Filze, bei denen der Faserflor durch Walken und Lauge verfilzt wird [48]. Alternativ können auch Nadelfilze hergestellt werden, bei denen das Verfilzen durch Filznadeln mit Widerhaken erzeugt wird [49]. Vliese können hingegen sowohl aus Naturfasern, als auch aus Chemiefasern bestehen, die Anordnung ist dabei teilweise ebenso ungeordnet wie bei Filzen oder aber mit prozentual ausgerichteten Fasern [49]. Die Herstellung wird unterschieden in die trockene oder die nasse Herstellung. Bei dem trockenen Verfahren werden die Fasern umgestülpt oder aufgesaugt, wobei letzteres zu einer gewissen Orientierung der Fasern führt. In dem nassen Verfahren werden die Fasern auf ein Sieb angeschwemmt, sodass ein sogenannter Faserflor entsteht. Kommen Chemiefasern zum Einsatz, können diese ebenso als Endlosfaser direkt auf ein Laufband gesponnen werden [48]. Dieser so entstandene Faserflor kann nun thermisch, chemisch, mechanisch, durch Bindefasern oder mittels Wasserstrahl verfestigt werden. Thermisch verfestigt bedeutet punktförmig verschweißt und ist nur mit thermoplastischen Fasern wie beispielsweise Po-
4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde
103
lyester möglich. Der chemische Vorgang ist ähnlich dem der Herstellung von Matten und sieht das Besprühen mit Bindemittel und anschließendes Erhärten im Durchlaufofen vor, wohingegen sich der mechanische Vorgang dem zur Herstellung von Nadelfilzen ähnelt. Hier wird der Faserflor von Nadeln mit Widerhaken durchstoßen, sodass sich die Fasern durch das vereinzelte mitziehen dieser miteinander verschlingen. Sollte der Faserflor aus zwei verschiedenen Chemiefasern mit unterschiedlichen Schmelzpunkten (Bikomponentenfasern) bestehen, können diese durch Hitze aufgeschmolzen und anschließend wieder abgekühlt werden, um eine Verfestigung des Flors zu schaffen. Eher selten eingesetzt wird ein Verfahren, bei dem die Fasern mit Hilfe eines feinen Wasserstrahls mit hohem Druck verwirbelt werden [48].
Abbildung 4.31 Vlies unter dem Mikroskop
Gelege Gelege können in unidirektionale (UD-Gelege) und multiaxiale Gelege unterschieden werden. Bei UD-Gelegen sind die Garne parallel in eine Richtung angeordnet, sodass aufgrund der nicht vorhandenen Faserumlenkung die Eigenschaften der Fasern im Verbund optimal genutzt werden können [50]. Dadurch können hohe Festigkeiten und Steifigkeiten erreicht werden [51]. Verbunden werden die einzelnen Garne durch einzelne Schussfäden in größeren Abständen oder dünne Klebstreifen in Querrichtung [50]. Multiaxialgewebe entstehen durch das Stapeln von mehreren dieser Faserlagen mit unterschiedlichen Orientierungen, sodass sie als Laminat bezeichnet werden. Um einer Delamination entgegen zu wirken, werden die einzelnen Lagen miteinander vernäht [50].
104
4 Textilien
Abbildung 4.32 Gelege
Geflechte Geflechte werden durch das über- und untereinander Herführen von mindestens drei Fäden hergestellt [49]. Unterschieden wird dabei in bandförmige und in schlauchförmige Geflechte [50], was bedeutet, dass eher Halbzeuge als Flächenwaren hergestellt werden. Geflechte weisen meist eine hohe Elastizität wie auch eine gute Drapierbarkeit auf und zeichnen sich durch eine hohe Weiterreißfestigkeit aus [51].
Abbildung 4.33 Geflecht
Gewebe Weben im Allgemeinen bezeichnet ein Verfahren bei dem zwei oder mehr Fadensysteme miteinander gekreuzt werden, die Kett- und Schussfäden. Als Kettfäden werden dabei die Fäden in Längsrichtung bezeichnet und als Schussfäden die in Querrichtung. Un-
4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde
105
terschieden wird hier in Gewebe mit zwei Fadensystemen, Gewebe mit drei und mehr Fadensystemen und Gewebe mit besonderer Optik. Genauer eingegangen wird auf die Gewebe mit zwei Fadensystemen, die vor allem in Leinwandbindung (auch Taftbindung), Köperbindung und Atlasbindung (auch Satinbindung) unterscheiden werden. Als Bindung wird dabei die Ordnung bezeichnet, in der sich die Kett- und Schussfäden kreuzen, während die Zeichnung hiervon Patrone genannt wird. Der genaue Kreuzungspunkt wird als Bindungspunkt bezeichnet. Weitere Fachbegriffe sind Rapport, kleinste Einheit von Fäden die für eine Bindung benötigt wird, Gewebeschnitt, zeichnerische Darstellung der Verkreuzung von Kett- und Schussfaden aus der Schnittperspektive, und Flottierung, was ein Fadenstück bezeichnet, das ohne Kreuzungspunkt über eine größere Menge Fäden hinweg verläuft [48]. Leinwandbindung: Bei dieser Bindungsart verläuft ein Schussfaden immer abwechselnd über und unter den Kettfäden hindurch. Dadurch grenzt ein Bindungspunkt zu allen Seiten hin an weitere Bindungspunkte und die Fäden werden maximal häufig umgelenkt. Das führt zwar zu einer hohen Scheuer- und Schubfestigkeit [48], verringert allerdings ebenso die Festigkeit und das E-Modul [50]. Bei dieser Bindung besteht der kleinste Rapport, aus zwei Kettund zwei Schussfäden und beide Warenseiten sehen identisch aus. Ableitungen dieser Bindungsart sind beispielsweise Querrips, Längsrips oder die Panamabindung [48].
Abbildung 4.34 Leinwandbindung unter dem Mikroskop
Köperbindung: Die Köperbindung zeichnet sich durch einen diagonalen Köpergrad aus, welcher dadurch entsteht, dass ein Schussfaden immer abwechselnd unter einer bestimmten Anzahl Kettfäden hindurch und über eine weitere Anzahl drüber hinweg verläuft, wodurch Flottun-
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4 Textilien
gen entstehen. Dadurch entstehen zwei unterschiedliche Warenseiten. Je nachdem ob auf der rechten Warenseite mehr Kett- oder Schussfäden zu sehen sind, wird das Gewebe als Kettköper oder als Schussköper bezeichnet. Die Bindungspunkte liegen zwar seitlich versetzt, berühren sich aber. Diese sogenannte Gratlinie wird wie die Einteilung der Zwirne in Z-Köper und S-Köper unterteilt und ein Rapport besteht aus mindestens drei Kett- und drei Schussfäden [48]. Die Schiebefestigkeit dieser Bindung ist deutlich geringer als die der Leinwandbindung, was die weitere Verarbeitung erschwert. Allerdings liegen die Festigkeit und das E-Modul durch die geringere Fadenumlenkung etwas höher [50]. Atlasbindung: Von einer Atlasbindung wird im Allgemeinen gesprochen, wenn der Schussfaden über mehr als sieben Kettfäden hinwegläuft, wodurch große Flottungen entstehen [50]. Die Bindungspunkte sind zwar gleich verteilt, berühren sich allerdings nicht mehr. Ein Rapport besteht aus mindestens fünf Kett- und fünf Schussfäden, wobei jeder Kettfaden nur einmal pro Rapport bindet. Auch hier kann zwischen Kett- und Schussatlas unterschieden werden, je nach rechter Warenseite, allerdings kommt ein Schussatlas sehr selten vor [48]. Wegen der langen Flottungen und somit der langen Strecken, in denen der Faden nicht umgelenkt wird, liegen die mechanischen Eigenschaften, wie Festigkeit und E-Modul, der Atlasbindung am höchsten. Die Schiebefestigkeit hingegen ist sehr gering [50].
Abbildung 4.35 Gewebebindungen
Um die besten Eigenschaften verschiedener Fasertypen zu vereinen, werden vermehrt Mischgewebe eingesetzt. Gründe hierfür sind Qualitätsverbesserung, Optik oder auch Rentabilität. Dabei können sowohl Garne direkt aus unterschiedlichen Fasern hergestellt,
4.2 Einteilung und Herstellung textiler Flächengebilde
107
als auch Flächengebilde aus unterschiedlichen Garnen produziert werden. Besonders häufig kommen hier Mischungen von Natur- und Chemiefasern vor. Die Chemiefasern sorgen beispielsweise für eine gute Elastizität und leichte Pflege, wohingegen die Naturfasern vorteilige bekleidungsphysiologische Eigenschaften, wie zum Beispiel Wärmeisolation, mit einbringen. Weit verbreitet ist beispielsweise die Kombination aus Wolle und Polyester [48]. Im technischen Bereich hat sich hier die Kombination von schlagzähen Aramidfasern und steifen Kohlefasern durchgesetzt, ebenso wie eine Verbindung von Kohlefasern und duktilen Polyesterfasern, um im Automobilbereich das Crash-Verhalten der Werkstoffe zu verbessern [50]. Weiterhin müssen der Vollständigkeit halber Gittergewebe erwähnt werden. Hierbei handelt es sich um Gewebe mit größeren Lücken. In diese Kategorie fallen auch nicht gewebte, sondern verklebte Gitter. Einsatzgebiet ist bisher vor allem die Armierung von Beton [50].
Maschenwaren Zu den Maschenwaren werden Gestricke und Einfadengewirke, sowie Kettengewirke gefasst. Dabei bezeichnet „Masche“ eine Fadenschlaufe, welche wiederum mit weiteren Maschen verbunden ist. Eine Masche besteht aus einem Kopf und jeweils zwei Schenkeln und Füßen [48]. Die Faserkrümmung in den Schlaufen führt dazu, dass vor allem spröde Fasern an diesen Punkten versagen. Je kleiner der Radius, desto eher kommt es zum Versagen der Fasern, dies kann bei kleinen Radien sogar bei Aramidfasern beobachtet werden [52]. Um die Verschiebestabilität zu erhöhen, versuchten einige Fachpersonen allerdings zunächst die Maschen so eng und klein wie möglich zu generieren [50]. Gestricke: In der Kleidungsindustrie wird das sogenannte Weft stricken angewendet. Hierfür gibt es verschiedene Grundbindungen, welche jeweils ein anderes Maschenmuster hervorrufen. Technische Strukturen werden mit der Warp Stricktechnik hergestellt, das weiter in sechs Klassen eingeteilt wird: Herkömmliche, flächige Gestricke, solche mit eingestrickten Verstärkungsfasern in einer Richtung, biaxial oder multiaxial orientierten Verstärkungsfasern, gestrickte Netzstrukturen oder dreidimensionale Strickgebilde. Strickwaren zeichnen sich vor allem durch eine sehr hohe Drapierbarkeit aus, wodurch auch komplexe bzw. nicht abwickelbare Flächen von diesen belegt werden können. Aufgrund des Maschenmusters ist die Verschiebestabilität allerdings sehr gering, da sich der Faden innerhalb der Maschen frei verschieben kann. Der Zusammenhalt ergibt sich durch die kontinuierliche Verbundenheit aller Maschen. Wegen der Fadenschlaufen muss darauf geachtet werden, auf spröde Fasermaterialien zu verzichten. Um Strickwaren für technische Anwendungen interessanter zu machen, finden sowohl Forschungen, als auch Mar-
108
4 Textilien
keting statt. Die Bezeichnung wurde unter anderem von dem englischen „knitting“ für Stricken in D.O.S. (directional oriented structures) geändert [50].
Abbildung 4.36 Gestricke
Abbildung 4.37 Kettengewirk
Kettengewirke: Diese bestehen aus mindestens einem Kettfadensystem. Im Gegensatz zu Gestricken, bei denen der Fadenverlauf in Warenquerrichtung liegt, verläuft er beim Kettengewirk der Länge nach im Zickzack. Im Herstellungsprozess werden die Kettfäden einzeln um Nadeln herum gelegt, welche sich anschließend gleichzeitig bewegen und Maschenreihen in der Ware bilden. Anschließend geschieht dieser Vorgang versetzt wiederholt. Die Art des Versatzes legt die Legungsart fest, welche in Fransenlegung, Trikotlegung, Tuchlegung oder Atlaslegung unterschieden werden. Weiterhin können zur Verstärkung sowohl in Quer- als auch in Längsrichtung Fäden eingearbeitet werden. Im Querverlauf handelt es sich um einen Schussfaden und im Längsverlauf um einen Stehfaden [48]. In Abbildung 4.37 ist ein Kettengewirk schematisch dargestellt. Eine wichtige Unterscheidung für textile Flächengebilde ist weiterhin der Einsatz in der Bekleidungsindustrie oder für technische Anwendungen. Die Anwendungsbereiche für technische Textilien sind dabei beispielsweise Schutzbekleidung (Feuerschutz), medizinische Textilien, Bautechnik in Form von Überdachungen, Verschattungen oder Bewehrung, der Fahrzeugbau, die Agrartechnik, Geotechnik in Form von Bewässerungssystemen, Drainagen oder Böschungsschutz oder auch Verpackungstextilien [48].
4.3 Textilversuche Um den Einfluss verschiedener textilen Materialien auf die Betonoberfläche in der Anfangsphase dieser vorliegenden Arbeit zu verifizieren, sind vor den Prototypen Material-
4.3 Textilversuche
109
versuche durchgeführt worden. Für diese Vorversuche wurde eine Probewürfelschalung mit einer Kantenlänge von 300 mm, nach DIN EN 12390-1, aus einer Holzwerkstoffplatte gefertigt, welche auf der Unterseite mit verschiedenen Textilien bespannt wurde. Zum Betonieren wurde die Probewürfelschalung über seitlich angeschraubte Auflagehölzer schwebend aufgehängt. Unter jeden Versuchsaufbau wurde ein Behälter aufgestellt bzw. gehängt um evtl. austretendes Anmachwasser bzw. Zementleim des Frischbetons aufzufangen. Betoniert wurde mit 40 kg Trockengewicht einer C25/30 Fertigmischung je Probewürfel, sodass 20 cm hohe Probewürfel entstanden. Alle Probekörper sind mit einem Innenrüttler unter gleichbleibenden Bedingungen verdichtet worden. Auf Grundlage des Materials und dessen Gewicht wurden der Flüssigkeitsaustritt unter Einbringung des Frischbetons und das Stichmaß und die Oberfläche des Festbeton Probekörper ausgewertet (Abbildung 4.38). Aus den Versuchen geht hervor, dass gegossene Materialien in Form von Folien bzw. EPDM-Bahnen am dehnbarsten sind und das größte Stichmaß der Probekörper aufweisen, allerdings zusammen mit beidseitig kunststoffbeschichteten Textilien auch die einzigen sind, welche vollständig dicht sind und keinerlei Anmachwasser bzw. Zementleim hindurch lassen. Je dichter ein Material ist, desto mehr Poren zeichnen sich anschließend auf der Oberfläche ab. Nahezu alle getesteten gewebten und Vliesstrukturen zeigen keine Poren auf, was auf die Permeabilität der Textilien zurück zu führen ist, aufgrund welcher nicht nur Anmachwasser sondern vor allem auch eingeschlossen Luft unter Einfluss des Frischbetondrucks durch die Schalhaut entweichen kann. Neben den Beschichtungen haben vor allem Imprägnierungen einen Einfluss auf das Ausflussverhalten der Versuche. Der imprägnierte Outdoorstoff ist das einzige Textil der Versuchsreihe, welcher statt Zementleim ausschließlich Anmachwasser hindurch lässt. Welchen Einfluss das genau hat, ist weiterhin zu untersuchen. Weiterhin auffällige Ergebnisse zeigen Jute und das Vlies „Terram“, die derart stark Aussanden, dass eine Bewertung der Oberfläche nicht vorgenommen werden kann. Die Strukturen dieser Materialien sind so offen, dass der Beton ausblutet, bevor er ansetzen kann, was sich auch in der aufgefangenen Flüssigkeitsmenge widerspiegelt. Weiterhin haften die Fasern dieser Materialien anschließend in der Betonoberfläche, sodass Jute und Vlies für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit vollständig ausgeschlossen werden. Bei gröberen Geweben bzw. Bändchengeweben wie in diesem Versuchsaufbau das Stabilenka, Basetrac Woven und HaTe muss ebenso darauf geachtet werden, dass dieser Punkt nicht überschritten wird und keine Aussandungen aufgrund der groben Struktur und dem daraus resultierenden Austritt von Zementleim entstehen. Weiterhin sind Absandungen nur bei dem einzigen Material aus reinen Naturfasern, dem Bauwollstoff, zu erkennen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Naturfasern Feuchtigkeit aktiv entziehen und somit nicht nur überschüssiges Anmachwasser des Betons hindurchlassen sondern noch mehr entziehen.
110
4 Textilien
Bezeichnung
Material
Gewicht
PE-Folie
100% Polyethylen
615g/m²
EPDM
100% Ethylen-Propylen-DienKautschuk (Folie)
1250g/m² 5,8cm
Covertec
100% Polyethylenterephthalat 680g/m² Beschichtung Polyvinylchlorid
1,0cm
-
Baumwollstoff
100% Baumwolle
300g/m²
2,3cm
174,8g
Polyesterstoff
100% Polyester
150g/m²
3,5cm
114,1g
Outdoorstoff
172g/m²
4,2cm
(181,9g)
Jute
60% Baumwolle 35% Polyester 5% Polyurethan 100% Jute
185g/m²
3,0cm
596,1g
Terram
100% Polypropylen (Vlies)
125g/m²
3,5cm
355,2g
Stabilenka
50% Polyester 50% Polyamid
400g/m²
2,3cm
217,4g
Basetrac Woven
100% Polypropylen (Bändchengewebe)
380g/m²
1,8cm
134,4g
HaTe
Polypropylen, Polyethylen
210g/m²
2,5cm
227,0g
Abbildung 4.38 Tabellarische Auswertung der Textilversuche
Stichmaß Zementleim (Wasser) 5,0cm -
-
4.3 Textilversuche
111
Oberflächenbeschaffenheit sehr glatt
Oberflächenfarbe
Poren und Sand
sehr hell - gleichmäßig
leichte Poren - keine Absandung
sehr glatt
mittel - gleichmäßig
leichte Poren - keine Absandung
sehr glatt
hell - gleichmäßig
leichte Poren - keine Absandung
sehr rau
mittel - dunkles Rechteck in Mitte
keine Poren - leichte Absandung am Rand
eher glatt
hell und dunkel gescheckt
leichte Poren - keine Absandung
glatt
sehr dunkel - helle Fleckenbildung
leichte Poren - keine Absandung
extrem rau - Struk- dunkel tur
Poren durch starke Absandung nicht erkennbar
extrem rau
hell - gleichmäßig
Poren durch starke Absandung nicht erkennbar
Struktur
mittel - gleichmäßig
leichte Poren - keine Absandung
Struktur
helle und dunkle Bereiche
leichte Poren - keine Absandung
Struktur
hell - leichte Fleckenbildung
leichte Poren - sehr leichte Absandung
112
4 Textilien
In den vorangegangenen Textilversuchen ist bereits erkennbar, dass sich die Strukturen der textilen Flächengebilde auf der späteren Betonoberfläche abzeichnen. Sowohl leichte und starke Gewebestrukturen zeichnen sich ab, wie auch eingewebte Muster. In Abbildung 4.39 sind Sichtbetonoberflächen aufgeführt, in Form von Mustertafeln, um das breite Spektrum der Oberflächendiversifikation textilgeschalter Bauteile aufzuzeigen. Beton zeichnet die kleinsten Unebenheiten und Strukturen der Schalhaut auf ihrer Oberfläche ab. Aus architektonischer Perspektive ergibt sich aus dieser Eigenschaft ein enormes Potenzial an gestalterischer Vielfalt für Sichtbetonoberflächen. Die Textilbranche biete ein breites Spektrum von strukturierten und texturierten Geweben an. Diese Vielzahl von handelsüblichen Geweben biete großes Potenzial für eine Oberflächendiversifikation von Sichtbetonoberflächen durch textil geschalte Bauteile, sodass hier eine weitere Versuchsreihe angelegt wurde.
Abbildung 4.39 Betonoberflächen durch textile Schalungsmaterialien
115
5
Parameteridentifikation
Es soll abgeschätzt werden, wie groß das Potenzial der textilen Schalung ist, auf dem Bausektor konkurrenzfähig aufzutreten, bzw. in welchen Einsatzbereichen das Potenzial der textilen Schalung liegt. Hierfür muss eine Bewertung zwischen den etablierten, in Kapitel 3.2 evaluierten Schalungssystemen und den Erkenntnissen aus der praktischen Arbeit mit der textilen Betonschalung vorgenommen werden. Die Parameter, an welchen dieser Vergleich vollzogen wird, werden zuvor eruiert. Wesentlicher Bestandteil hierbei ist es, die verschiedenen am Bau, insbesondere bezogen auf den Betonbau, beteiligten Disziplinen und somit verschiedenen Perspektiven gleichberechtigt zu berücksichtigen. Begonnen wird hierbei mit der Sicht des Architekten und des Bauherrn. Beide Parteien sind daran interessiert, dass das Gebäude ihren optischen Anforderungen entspricht und dies sowohl geometrisch, als auch materiell. In diesem Prozess bringt der Architekt seine kreativen Ideen ein, sodass hier vorwiegend von der Perspektive des Architekten ausgegangen wird. Weiterhin ist vor allem der Bauherr daran interessiert die Kosten im eigenen geplanten Budget zu halten, sodass die Ökonomie einen weiteren wichtiger Punkt in den Parametern bildet. In der Bauausführung gilt ein besonderes Interesse einem planmäßigen Bauablauf. Um dies zu gewährleisten, sind vor allem logistische Punkte, sowohl vor der Baustelle, als auch auf der Baustelle zu berücksichtigen. Somit werden hier die beiden Perspektiven der Transportlogistik und des Baubetriebs mit aufgenommen, um Parameter für einen Vergleich der Schalungssysteme zu eruieren. Final am Betonbau einer Baustelle beteiligt sind die ausführenden Gewerke und somit die Handwerker, welche direkt für den Schalungsbau verantwortlich sind. Da diese in direktem Kontakt mit den Schalungssystemen stehen und sie verarbeiten müssen, ist es von großer Bedeutung, wie groß der Arbeits und somit der Zeitaufwand ist, ein Schalungssystem aufzustellen. Zudem beschäftigt sich die Gesellschaft aktuell sehr intensiv mit ökologischen Themen, der Energiewende, Treibhausemmissionen, nachwachsenden Rohstoffen etc.. Diese Punkte können in dieser Arbeit nicht angemessen berücksichtigt werden. Es wird allerdings versucht, soweit möglich zumindest auf das Thema Materialverbrauch einzugehen. Dies sowohl in Hinsicht auf das Schalungsmaterial, als auch auf den verbauten Beton. Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit allen am (Beton-)Bau beteiligten Perspektiven können hieraus Parameter identifiziert werden, welche die Grundlage für eine Gegenüberstellung und somit Bewertung der etablierten und der textilen Schalungen bildet.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hickert, Fabrik Formwork, Mechanik, Werkstoffe und Konstruktion im Bauwesen 58, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31924-3_5
116
5 Parameteridentifikation
5.1 Architektur Mit dem Baustoff Beton werden schnell die nüchterne und kubische Architektur der 70er Jahre verbunden. Lange wurde er hauptsächlich für öffentliche Nutzgebäude wie Schulen und Sozialbauten ohne große Berücksichtigung der gestalterischen Möglichkeiten eingesetzt. Beton ist der einzige Baustoff, der in flüssiger Form in jede Form gebracht werden kann und anschließend aushärtet. Die Formdiversifikation des Betons hat ihre Grenzen im formgebenden Schalungsbau und nicht in den Eigenschaften des Baustoffes. Seit Beginn der digitalen Revolution in den 80er Jahren und somit der Weiterentwicklung des architektonischen Formenspektrums werden die Potenziale des Betons vermehrt ausgenutzt. [1] Für den Flugzeugbau wurden die ersten Software Programme entwickelt, zu denen auch CATIA gehört. Hiermit konnten bereits einfache 2D Zeichnungen am Computer erstellt werden. Eines der ersten Software Programme für Ingenieure war AutoCAD, das allerdings erst 1990 für Bauingenieure und Architekten weiterentwickelt wurde, sodass vor allem Architekten bis dahin SPIRIT verwendeten. Als Vorreiter in der Architektur gilt der Architekt Frank O. Gehry, der bereits 1992 mit CATIA die Fisch-Skulptur im Eingangsbereich des Geschäftskomplexes Vila Olimpica in Barcelona plante und baute.
Abbildung 5.1 Fisch Skulptur, Frank O. Gehry, Barcelona, 1992
Erstmals war es durch die Software möglich, ein Projekt nicht nur beschreibbar darzustellen, sondern präzise vorfabrizieren zu können und allen am Bau beteiligten Unternehmen einheitliche Pläne zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls konnten aus dem 3D-Modell Daten
5.1 Architektur
117
zur Bemessung der statischen Konstruktion ausgelesen werden. Gehrys Entwürfe sind die ersten realisierten Bauwerke einer „neuen“ rechnerunterstützten Architektur [2].
Abbildung 5.2 Plattenbau
Abbildung 5.3 Art Science Museum, Mosche Safdie, Singapur, 2011
Die Fortschritte der digitalen Revolution führen zu einer neuen Architektur, der digitalen Architektur. Manifestiert haben sich Begriffe von der rechtwinkligen „Box“ zum freigeformten „Blob“. Das Selfridges Kaufhaus Birmingham (Abbildung 5.5) von Future Systems, Kunsthaus Graz von Peter Cook (Abbildung 5.4), Colin Fourniers (Fertigstellung 2003) und das Phaeno Wolfsburg (Abbildung 5.6) von Zaha Hadid gelten als Vorreiter einer neuen Formsprache in der Architektur. Zunächst im Stahlbau und wenig später im Stahlbetonbau [3] durch Projekte wie dem neuen Zollhof in Düsseldorf (Abbildung 5.7) von 1999 und dem Museum Marta in Herford von Frank O. Gehry. Bezeichnungen für die „neue Architektur“ sind Freiform-Architektur bzw. Blob-Architektur.
Abbildung 5.4 Kunsthaus, Peter Cook, Graz, 2003
Abbildung 5.5 Selfridges Kaufhaus, Future Systems, Birmingham, 2003
118
Abbildung 5.6 Phaeno, Zaha Hadid, Wolfsburg, 2005
5 Parameteridentifikation
Abbildung 5.7 Neuer Zollhof, Frank O. Gehry, Düsseldorf, 1999
Die Planung und Ausführung der rechnerunterstützten bzw. Blob-Architektur ist bedingt durch die komplexen Formen als sehr aufwendig einzustufen. Für die Ausführung solcher Projekte wird in Zukunft die Einbindung des CAM (Computer Aided Manufacturing) bis hin zur File-to-Factory-Fertigung unabdinglich sein, um überhaupt kosteneffizient planen zu können, [1]. Um dem Beton die geplante Optik zu verleihen, ist der entscheidende Faktor die Schalung. Da herkömmliche Schalungssysteme aus grundsätzlich planaren Elementen bestehen gilt; je komplexer die Form, desto teurer die Ausführung. Ausnahmen bilden hierbei Säulen und runde Wände mit relativ großen Radien. Für diese nicht planaren Geometrien gibt es bereits Systemlösungen. Dabei steigern sich die Kosten schon bei leichten Individualisierungen deutlich [4]. Für die „Pilzkopf“-Stütze, welche ein eventuelles Durchstanzen durch die Deckenplatte verhindern soll, ist das Herstellen der Schalung z.B. deutlich teurer, als die Säule insgesamt gerade, aber mit größerem Durchmesser auszuführen. Meist wird zunächst die gerade Säule betoniert, bevor der Pilzkopf additiv hinzugefügt und anschließend die Decke betoniert wird. Resultat sind neben den steigenden Schalungskosten für die Geometrie ebenfalls steigender Zeitaufwand und somit steigende Lohnkosten. Die auf dem Markt etablierten Schalungssysteme können diese Geometriediversifikation noch nicht bei gleichbleibenden Preisen bieten [4]. Unter Geometriediversifikation werden Bauteile verstanden, welche auf mindestens eine statische bzw. konstruktive oder gestalterische Anforderung hin optimiert worden sind.
5.1 Architektur
119
Um Entwürfe von Architekten wie Frank O. Gehry, Sanna oder Zaha Hadid zu realisieren, wäre Beton aufgrund seiner Eigenschaften eigentlich ein idealer und günstiger Baustoff. Das aufwändige Einschalen der Bauteilformen macht diese Blob-Architektur allerdings so kostenintensiv, dass nur wenige Bauherren den Kostenaufwand tragen. Nach den Ergebnissen aus der Geometriestudie angewandter Radien auf dem Bausektor, Kapitel 3.1, konnte nachgewiesen werden, dass meist nur aufwendige und kostenintensive Konstruktionen für Bauwerke mit repräsentativen Aufgaben wie Museumsbau geduldet werden. Für derartige Beton-Freiformen müssen aufwändige Holzkonstruktionen aus einzelnen Brettern und Spanten in Handarbeit hergestellt und die Oberfläche laminiert werden, wie bei dem Rolex Learning Center in Lausanne von Sanaa. Eine Alternative dazu ist beispielsweise das Fräsen einer Negativform [1].
Abbildung 5.8 Rolex Learning Center, Sanaa, Lausanne, 2010 (Bildrechte: Ingenieure Bollinger und Grohmann)
Ein gestalterisch kritischer Punkt im Betonbau auch bei kubischen Gebäuden sind die Stoßfugen der Schalelemente und die Schalungsanker. Einzelne Schalungselemente werden durch Produktionsbedingungen, Transportbedingungen und auch Montagemöglichkeiten begrenzt. Werden größere Flächen eingeschalt, müssen mehrere Schaltafeln miteinander verbunden werden. Diese Verbindungen zeichnen sich anschließend auf der Betonoberfläche genauso ab wie die wegen des Schalungsdrucks benötigten Schalungsanker [5]. Die Wunschvorstellung vieler Architekten liegt allerdings bei fugenlosen und „schadstellenfreien“ Oberflächen, welche möglichst homogen aussehen. Der Avantgardist, der bekannt ist für seinen gestalterischen Umgang mit diesen unvermeidlichen Abzeichnungen bei Betonbauten, ist der japanische Architekt Tadao Ando. Abgesehen von den Abmessungen der gewählten Schaltafeln und der Schalungsanker experimentiert er auch mit dem anschließenden Verschließen der Ankerlöcher [1]. In dem Projekt Steinskulpturenmuseum in Bad Münster werden die Ankerlöcher mit dunkler gefärbten
120
5 Parameteridentifikation
und leicht nach hinten versetzten Konen verschlossen, wodurch eine Schattenwirkung entsteht. Werden neue Möglichkeiten, die Stoßfugen zu verringern, oder weitere Möglichkeiten der Ankermaterialien oder Ankereinsätze generiert, kann eine neue Architektursprache entstehen.
Abbildung 5.9 Steinskulpturenmuseum Tadao Ando, Bad Münster am Stein, 2010
Abbildung 5.10 Ankerdetail von Tadao Ando
Eine weitere wichtige Rolle spielt die Betonoberfläche. In diesem Zusammenhang wird häufig von Sichtbetonklassen gesprochen. In dem DBV Merkblatt Sichtbeton werden vier Sichtbetonklassen aufgeführt. Von Sichtbetonklasse eins – Betonoberflächen mit geringen gestalterischen Anforderungen bis Sichtbetonklasse vier – Betonoberflächen mit besonders hoher gestalterischer Bedeutung. Mit höherer Anforderung steigen ebenfalls die Kosten. Um Sichtbetonklasse 4 zu erreichen, werden allerdings nur glatte Oberflächen berücksichtigt, sodass die Oberflächendiversifikation der textilen Schalung nicht nach DBV Merkblatt Sichtbeton beurteilt werden kann. Durch gestalterischen Einsatz der Schalung, vor allem der Schalhaut, kann eine nahezu unbegrenzte Anzahl verschiedener Oberflächen generiert werden [5]. Auch hier liegen die Grenzen nicht im Baustoff Beton, sondern in der Schalung. Der Beton bildet detailliert die Oberfläche der genutzten Schalhaut ab. So können durch beschichtetes Holz oder sägeraues Holz bereits große gestalterische Unterschiede generiert werden. Mittlerweile gibt es bereits Schalungsunternehmen, die sich auf Strukturschalungen spezialisiert haben.
5.2 Material - Beton
Abbildung 5.11 Beispiel Strukturmatrize
121
Abbildung 5.12 Betonoberfläche Schalungsmaterial sägeraues Holz
Aus gestalterischer Sicht braucht die Schalung mehr Individualisierbarkeit, um den Freiheiten, die der Baustoff Beton bietet, gerechter zu werden. Dabei geht es um Bauteilgeometrie, Fugen, „Schadstellen“ durch Anker und Oberflächen. Es wird davon ausgegangen, dass ein Schalungssystem zunächst eine statische bzw. konstruktive Optimierungsmöglichkeit erfüllen muss, bevor ausschließlich gestalterisch notwendige Formgebungen realisiert werden. Daher wird als Parameter für eine spätere Bewertung der Schalungssysteme neben der Oberflächendiversifikation die Geometriediversifikation festgelegt. Die Oberflächendiversifikation wurde bereits in Kapitel 4.2 Textilversuche näher erläutert.
5.2
Material - Beton
Beton ist einer der bedeutendsten und zugleich energieintensivsten Baustoffe. Im Jahr 2014 wurden weltweit 4,3 Mrd. t Zement produziert, von welchen 32 Mio. t in Deutschland produziert wurden, was ca. 0,7% ausmacht. Verbraucht wurden davon in Deutschland ca. 27 Mio. t [7], wovon ca. 55% an Transportbetonhersteller und 24% an Betonfertigteilhersteller gingen. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt dabei in Deutschland bei ca. 328,7 kg, was weltweit ein Mittelwert ist. Innerhalb Europas führt Zypern mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 1.300 kg. Weltweit führend in der Zementproduktion ist China mit 56,5% [7] der Gesamtproduktion. Der Bedarf liegt bei 220 Mio. t, was einem ProKopf-Verbrauch von ca. 1.600 kg entspricht (siehe Abbildung 5.13) [7].
122
5 Parameteridentifikation
China
1.626
Zypern
1.243
Luxemburg
866
Türkei
795
Schweiz
659
Österreich
596
Belgien
549
Norwegen
390
Polen
375
Japan
369
Italien
364
Slowenien
351
Deutschland
328
Frankreich USA (ohne Puerto Rico) Indien
301 259 188
Abbildung 5.13 Pro-Kopf-Zementverbrauch nach ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2013 (nach Statista)
Mit ca. 65% des gesamten Zementverbrauchs in Deutschland werden ca. 17,5 Mio. t im Hochbau eingesetzt. Im Jahr 2013 sind 26% der Neubauten im Mehrfamilienhausbau in Beton ausgeführt worden. Diese Zahl hat sich 2004 verdoppelt und zeigt das steigende Interesse an dem Baustoff. Im Nichtwohnungsbau werden im gleichen Jahr etwa 52% der Neubauten aus Beton konstruiert [8]. Aufgrund der Wirtschaftlichkeit siedeln sich Zementhersteller in der Nähe von Kalksteinvorkommen an. In Deutschland gibt es 22 Unternehmen mit insgesamt 55 Werken. Zur Produktion von Zement werden überwiegend Portlandzementklinker und Calciumsulfat benötigt. Weitere Hauptbestandteile sind Hüttensand, natürliche Puzzolane, Flugasche und einiges mehr. Wichtigster Ausgangsstoff von Portlandzementklinker ist dabei Kalkstein. Im Jahr 2014 lag der Rohstoffeinsatz der deutschen Zementindustrie bei ca. 50 Mio. t, wobei alleine der Kalksteineinsatz bei ca. 38 Mio. t lag, was etwa 76% des gesamten Rohstoffeinsatzes ausmacht. Im Vergleich dazu liegt der Einsatz von Hüttensand bei knapp 7 Mio. t und Ton bei 1,3 Mio. t. [8]. Die Zementindustrie gilt als besonders brennstoff- und stromintensives Gewerbe (siehe Abbildung 5.13) und macht ca. 50% Energiekostenanteil an der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes aus. Um eine Tonne Zement herzustellen wurde in Deutschland 2014 durchschnittlich 2.849 MJ Brennstoffenergie und 110,0 kWh elektrische Energie benötigt. Dabei wird die Brennstoffenergie vorwiegend für Brennöfen für den Klinker und die elektrische Energie für Rohmaterialaufbereitung und das Mahlen des Zementes benötigt [9]. Insgesamt lagen der Brennstoffeinsatz der deutschen Zementindustrie 2014
5.2 Material - Beton
123
bei 92,5 Mio. GJ und der Einsatz an elektrischer Energie bei 3,5 TWh. Die Kosten für den Einsatz elektrischer Energie entsprechen innerhalb der Branche ca. 25% der Bruttowertschöpfung [8]. 1.691.217 1.678.544
Chemische Industrie 1.001.923 938.879
Metalle Luftfahrt Glasgewerbe, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erde Papierindustrie Nahrungsmittelindustrie
436.716 407.947 339.038 349.771
2005 2012
449.702 347.996 346.721 333.889
Abbildung 5.14 Energieintensivste Produktionsbereiche nach Energieverbrauch in Deutschland im Jahresvergleich 2005 und 2012 in Terajoule (nach Statista)
Das Klimaprogramm in Deutschland sieht vor, das zwischen 1990 und 2020 das Global Warming Potenzial (GWP) um 40 % gesenkt wird. Hochrechnungen zu Folge werden bei aktuellen Maßnahmen bis 2020 33% erreicht, weshalb Ende 2014 neue Maßnahmen beschlossen werden müssen. Die deutsche Zementindustrie hat 1995 freiwillig zugesagt den spezifischen Brennstoffenergieverbrauch signifikant zu verringern. Erweiternd dazu wurde zugesagt 2000 die spezifischen energiebedingten CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2012 um 28 % zu senken. Alle Ziele sind laut deutscher Zementindustrie eingehalten worden [8]. In Abbildung 5.15 kann abgelesen werden, wie groß der Anteil der Treibhausgasemissionen in Deutschland für die verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2013 war. Den größten Anteil besitzt zwar die Energiewirtschaft, allerdings wird ebenso deutlich, wie groß das Potenzial ist, im verarbeitendem Gewerbe Treibhausgasemissionen einzusparen.
124
5 Parameteridentifikation
400 350
362
300 250 200 159
150
126
151
100 50 0
1 Energiewirtschaft
Verkehr
Verarbeitendes Übrige Militär und Gewerbe Feuerungsanlagen weitere Quellen
Abbildung 5.15 Energiebedingte Treibhausgasemissionen in Deutschland nach Sektor im Jahr 2013 (nach Statista)
Das GWP wird in der Zementindustrie nahezu ausschließlich durch CO2-Emissionen aus der Kalksteinsäuerung und dem Einsatz von thermischer und elektrischer Energie (energiebedingte Emissionen) verursacht. Weitere Gase, die zum GWP zählen, sind beispielsweise Distickstoffmonoxid (N2O) und Methan (CH4), die in der Zementindustrie nahezu gar nicht entstehen [9]. Die aus der Kalksteinsäuerung entstehenden CO2-Emissionen sind sogenannte rohstoffbedingte Emissionen und die aus dem thermischen und elektrischen Energieeinsatz entstehenden CO2-Emissionen werden energiebedingte Emissionen genannt. Da der Hauptausgangsstoff für die Zementherstellung Kalkstein ist und dieser bei der Entsäuerung einen Hauptanteil an den entstehenden CO2-Emissionen hat, wird vermehrt versucht Kalkstein durch Hüttensand zu ersetzten. Bei reduziertem Klinkeranteil wird anstatt von Portlandzementklinker von Portlandkompositzement gesprochen. Die technischen Verbesserungen bei der Kalksteinentsäuerung sind vorerst ausgereizt, sodass eine Reduktion der rohstoffbedingten CO2-Emissionen nur durch eine Verschiebung der Bestandteile erreicht werden kann [8]. Die rohstoffbedingten CO2-Emissionen machen ca. 60% der gesamten CO2-Emissionen aus [9]. Die energiebedingten CO2-Emissionen setzen sich zusammen aus den brennstoffbedingten CO2-Emissionen und den elektrisch bedingten CO2-Emissionen. Die brennstoffbedingten CO2-Emissionen entstehen hauptsächlich durch das Erzeugen der benötigten Prozesswärme in Öfen zum Klinkerbrennen und das Trocknen anderer Hauptbestandteile wie Hüttensand. Von 2011 bis 2014 sanken die brennstoffbedingten CO2-Emissionen
5.2 Material - Beton
125
der Branche von 0,103 tCO2/t Zement auf 0,096 tCO2/t Zement. Statt 3,41 Mio. t CO2/a entstanden nur noch 3,13 Mio. t CO2/a. Die CO2-Emissionen aus dem Einsatz von Sekundärbrennstoffen sind in dieser Berechnung nicht berücksichtigt worden. Ca. 14% des gesamten Energieeinsatzes der Branche macht der Einsatz von elektrischer Energie. Zwischen 2011 und 2014 lagen die elektrisch bedingten CO2-Emissionen zwischen 0,073 t CO2/t Zement und 0,074 t CO2/t Zement [8]. Um die spezifischen brennstoffbedingten CO2-Emissionen zu senken, wird auf das Ersetzen traditioneller fossiler Brennstoffe durch Sekundärbrennstoffe gesetzt (siehe Abbildung 5.16). Der biogene Anteil der eingesetzten Sekundärbrennstoffe wird zu null berechnet. Argumentiert wird damit, dass die so genutzten Abfälle wenn nicht in der Zementindustrie dann beim Verbrennen anderswo ebenfalls ihre CO2-Emissionen freigesetzt hätten, da sie entsorgt werden müssen. Der Anteil der Sekundärbrennstoffe stieg von 1999 bis 2014 von 23% auf 63,4% und substituiert vorwiegend Braunkohle als fossilen Brennstoff [9]. 70 60 50
43,3
52,2
52,1
51,5
2007
2008
2009
53,7
57,7
57,3
56,6
2011
2012
2013
58,6
46,1
40 30 20 10 0
2005
2006
2010
2014
Abbildung 5.16 Entwicklung des Einsatzes alternativer Brennstoffe von 2005 bis 2014 [8]
Eingesetzt werden beispielsweise Altreifen, Gewerbeabfälle, Siedlungsabfälle und Klärschlamm (Abbildung 5.17). Der Anteil von Altreifen sinkt dabei, weil es sich nicht um biogene Anteile handelt, welche zu null berechnet werden können. Der Anteil von Tierfetten sinkt vor allem durch Konkurrenz von Kraftwerken. Deutlich steigt der Anteil von Gewerbeabfällen. Fossile Brennstoffe werden fast ausschließlich noch zum Anfahren der Ofen genutzt [8]. Durch den Einsatz dieser Sekundärbrennstoffe wurden so 2014 2,2 Mio. t weniger Kohle benötigt, was einer Einsparung von ca. 2,1 Mio. t CO2 entspricht [9].
126
5 Parameteridentifikation
Altreifen
217
Altöl
52
Zellstoffe (GA)*
92
Kunststoffabfälle (GA)*
665
Sonstiger (GA)*
1138
Tiermehle und -fette
151
Siedlungsabfälle Altholz Lösungsmittel
308 3 96
Klärschlamm Sonstige
348 60
*Gewerbeabfall Abbildung 5.17 Einsatz und durchschnittliche Heizwerte alternativer Brennstoffe 2014 in 1.000 t/a [8]
Die in der Ökobaudat (Datenbasis für die Ökobilanzierung von Bauwerken) festgehaltenen aktuellen Daten für C20/25 Transportbeton betragen ca. 0,423 MJ/kg Graue Energie und 0,105 kg CO2-Äqv./kg GWP. Bei der Grauen Energie splittet sich der Wert in 0,416 MJ/kg für die Herstellung und 0,008 MJ/kg für den Transport und bei GWP in 0,104 kg CO2-Äqv./kg für die Herstellung und 0,001 kg CO2-Äqv./kg für den Transport. Für den Transport wird von einer Strecke von 11 km ausgegangen. Das Referenzjahr ist 2015 und gültig sind die Daten bis 2018 [10]. Für diese Arbeit soll festgehalten werden, wie viel von dem Baustoff Beton durch effizienten Einsatz von textilen Schalungsmaterialien egebenenfalls eingespart werden kann und in wie weit dadurch CO2-Emissionen reduziert werden können. Durch das Reduzieren des Materialeinsatzes mit Hilfe von neuen Schalungssystemen können die CO2Emissionen insgesamt reduziert werden, ersetzen weitere technologische Maßnahmen zur Reduktion dieser in der Kette von der Herstellung des Zementes bis zum Transport des Betons auf die Baustelle allerdings nicht.
5.3 Schalung
127
5.3 Schalung Der grundsätzliche Aufbau einer Schalung kann in drei Bereiche aufgeteilt werden. Die Schalhaut zur Formgebung und Oberflächengestaltung, eine stützende Unterkonstruktion aus Trägern und Gurten und die Abstützung und Verankerung. Die Anforderungen, die an eine Schalung gestellt werden, sind Formgebung des Betons, Sicherstellung der geplanten Oberfläche des Betons, Aufnahme und Ableitung des Frischbetondrucks, Standsicherheit gegenüber Wind- und Betriebslasten, Möglichkeit der Vorfertigung von Schalungseinheiten, geringer Arbeitsaufwand, möglichst geringe Anzahl von Verbindungselementen, einheitliches Werkzeug zur Montage, möglichst geringes Eigengewicht bzw. Nutzungsmöglichkeiten von Transportgeräten, sicheres Arbeiten und geringe Investitionskosten [11]. In der Ausschreibung werden nur die Anforderungen an das Endprodukt und nicht die Fertigungsmethode festgelegt. Das geeignetste Schalverfahren wird von den ausführenden Unternehmen selektiert. Dieses geschieht anhand der vorgegebenen Schalpläne, aus welchen das Unternehmen den zur Ausführung notwendigen Schalungsplan generiert. Im Schalplan wird ausschließlich die äußere Form der zu schalenden Fläche dargestellt, während im Schalungsplan detaillierte Informationen zu den gewählten Schalelementen festgehalten wird. Die Sichtbetonanforderungen sind im Schalplan und in der Leistungsbeschreibung zu finden. Zunächst werden die Schalpläne kontrolliert, anschließend werden die Schalabschnitte, die Einsatzfolge und der Ablauf der Schalungsarbeiten definiert. Wenn danach die Schal- und Rüstungsmethode ausgewählt wurde, wird die Schalung und das Traggerüst berechnet und bemessen und anschließend zeichnerisch im Schalungsplan festgehalten. Den Abschluss bildet eine Stückliste der benötigten Teile [12]. Die Qualität einer Schalung wird vom ausführendem Baugewerk bzw. vom Sichtbetonteam anhand von leichter Bedienung, geringer Aufwandswert, Reduzierung der Teile und Verbindungsstellen, baustellengerechte Konstruktion, widerstandsfähige Schalhaut, ergonomische Gestaltung und geringem Gewicht ausgemacht [13]. Selektionskriterien für die Schalhaut sind beispielsweise Qualität und Art der Betonoberfläche, Einsatzbedingungen im Sinne von Häufigkeit und Vorhaltedauer und die Kosten, welche einen wesentlichen Faktor für die Gesamtkosten einer Schalung darstellen [11]. Die Auswahl des geeignetsten Schalverfahrens unterliegt immer dem Anspruch, die Produktivität durch Senkung des Lohnaufwands zu steigern. Mit heutigen Schalverfahren kann dieses Ziel nicht immer zufriedenstellend erreicht werden. Daher sind Innovationen im Schalungsbau sowohl in konstruktiver, als auch in baubetrieblicher Sicht erforderlich [14]. Im Betonbau sind die Schalarbeiten die zeitintensivsten Arbeiten, da bis heute der manuelle Arbeitsaufwand vergleichsweise hoch ist. Verringerungen des Arbeitsaufwands durch technologische Innovationen wie beispielsweise der Automatisierung des Betonierens sind aufgrund von vielfältigen Bedingungen vor Ort und den meist bedingt vorhandenen Arbeitsraum sehr begrenzt. Rationalisierungspotenzial wird in der Fließfertigung
128
5 Parameteridentifikation
und der Verbesserung der Bauverfahren gesehen. Die gesamte Schalzeit wird von Anzahl der Ankerstellen, der geplanten Raum- bzw. Wandhöhe, der Geometrie, dem Anteil an Passflächen, der Arbeitsvorbereitung (AV), der Krankapazität, der Nutzung von Transportgeräten, dem vorhandenen Werkzeug, Witterungseinflüssen und der Leistung des Personals maßgeblich beeinflusst. Witterungseinflüsse können dabei durch Fertigteile eliminiert werden. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hat die Qualifikation des Personals, insbesondere der Führungskräfte [11]. Doch gerade hier sind in der Vergangenheit Einsparungen der Unternehmen durch Ersetzen des Baufachpersonals durch ausländische Subunternehmer unternommen worden. Diese wiederum haben Probleme mit der modernen Schalungstechnik [15]. Diese Maßnahme ist dem Konkurrenzkampf und den hohen Löhnen in Deutschland geschuldet [11]. Ziel ist es, den Lohnaufwand durch einen möglichst geringen Schalungsaufwand zu reduzieren. Daher geht die Entwicklung hin zur vorgefertigten Systemschalung, die den Arbeitsaufwand minimieren soll. „Je größer ein Schalelement ist, desto niedriger wird der spezifische Stundenaufwand je m² Schalung“ [16]. Andersherum gilt: „Je mehr Teile es sind, desto höher ist der Zeitaufwand. Zeit kostet Geld, viel Geld!“ [17]. Durch den erhöhten Vorfertigungsgrad sind Systemschalungen insgesamt kostengünstiger [4]. Die Arbeitszeit, die die Lohnkosten maßgeblich beeinflusst (siehe folgende Abbildung), wird unterteilt in Basiszeit, sprich Ein- und Ausschalen und Transport innerhalb der Baustelle (1), Zuschlag falls keine AV vorhanden ist (2), Verteilzeit sprich Wegezeit, Wartezeit und Erholungszeit (3), Zusatzarbeiten wie Anbringen von Einbauteilen, sprich Aussparungen (4) und Nebenarbeiten wie Flächen Freiräumen, Auf- und Abladen und das Einmessen (5) [15]. Die Arbeitstätigkeiten werden mit 70% als Grundzeit angegeben, die Erholungszeit macht etwa 10% und die Verteilzeit etwa 20% aus [4]. Nach Berner beträgt der Zeitaufwand für die Materialsuche etwa 10 % im Rohbau [18].
1 Basiszeit
20% Verteilzeit 2 Zuschlag
5 Nebenarbeiten
3 Wartezeit
4 Aussparungen
Abbildung 5.18 Arbeitszeiteinteilung [15]
10% Erholungszeit 70% Grundzeit
Abbildung 5.19 Zeiteinteilung nach Grund-, Erholungs- und Verteilzeit [4]
5.3 Schalung
129
Nach Hoffmann, Motzko und Corsten werden Bauwerke in vier Kategorien ähnlich denen der Sichtbetonklassen von Kategorie eins, Bauwerke mit geringem Aufwand, bis Kategorie vier, Bauwerke mit außergewöhnlich hohem Aufwand, eingeteilt. Es wird ein Stundenanteil über alle Anwendungsbereiche im Mittel nach Bauwerkskategorie angegeben. Für Kategorie eins beträgt der Stundenaufwand 0,75 – 1,15 Std./m², für Bauwerkskategorie zwei 1,20 – 1,50 Std./m², Kategorie drei 1,50 – 2,50 Std./m² und für Bauwerkskategorie vier mehr als 2,50 Std./m². Außerdem werden die Schalarbeiten in Haupt-, Neben- und besondere Leistungen und Leistungen zur Baustelleneinrichtung und AV separiert [4]. Hauptleistungen: - Vorbereiten, Einmessen und Ausrichten - Ein- und Ausschalen - Trennmittel aufbringen - Zwischentransporte - Grobreinigung Nebenleistungen: - Auf- und Abladen - Einrichtung Abbundplatz - Montage und Demontage - Arbeits- und Schutzgerüste aufstellen - Schlussreinigung Besondere Leistungen: - Aussparungen und Nischen - Einbauteile - Besondere Nachbehandlungen - Fugenausbildung Der Stundenanteil der Hauptleistungen umfasst hiernach ca. 50 - 70%, für Nebenleistungen 10 - 20%, für besondere Leistungen 10 - 25 % und für Sonstige Leistungen 10 - 20% [4].
130
5 Parameteridentifikation
Vorbereiten
0,10
Arbeits- und Schutzgerüst
0,10
Baustelle einrichten
0,03
Montage und Demontage
0,13
Aus- und Abladen Schlussreinigung
0,10 0,03
Sicherheitsmaßnahmen Betonnachbehandlung (alle)
0,10 0,07
Betonnachbehandlung (Wände) Einbauteile
0,40 0,05
Abbildung 5.20 Aufwandswerte einzelner Leistungen [4]
Detaillierte Aufwandswerte für Schalarbeiten [4]: Vorbereitung der Schalung Auf-, Ab- und Umbau Arbeits- und Schutzgerüste Einrichten der Baustelle Montage und Demontage Auf- und Abladen Schlussreinigung Schalungsgerüste und Sicherheitsmaßnahmen Betonnachbehandlung (alle Bauteile) Bei 5m² Schalung / m³ Beton Betonnachbehandlung Wände Bei 5m² Schalung / m³ Beton Einbauteile
0,05 – 0,10 h/m² 0,05 – 0,10 h/m² 0,02 – 0,03 h/m² 0,07 – 0,13 h/m² 0,04 – 0,10 h/m² 0,01 – 0,03 h/m² 0,05 – 0,10 h/m² 0,03 – 0,07 h/m² 0,15 – 0,35 h/m² bis zu 0,40 h/m² bis zu 2,00 h/m² 0,02 – 0,05 h/m²
Es gibt Arbeitszeitrichtwerte, die in entsprechenden Tabellen festgehalten werden. Unter Arbeitszeit-Richtwerte Hochbau werden unter Schalung die einzelnen Richtwerte je nach Bauteil und Schalungsart aufgeführt. Weitere Unterscheidungskriterien sind beispielsweise einmaliger oder mehrmaliger Einsatz, Spannstellen und Komplexität der Aufgabe, beispielsweise gerade Wände ohne Ecken und Anschlüsse oder Wände im Grundriss. Des Weiteren werden herstellerbezogen einzelne Systeme aufgeführt. Ein Beispiel ist
5.3 Schalung
131
Rahmenschalung für Wände mit Kran und zwei Spannstellen. Für eine gerade Wand und Wände im Grundriss werden Arbeitsrichtwerte für Transport, Einschalen, Ausschalen, Reinigen und Schalöl auftragen im Mittel von insgesamt 0,35 Std./m² angegeben. Je nach Schalungshöhe und weiteren Randbedingungen entstehen für spezielle Systeme auch Richtwerte von 0,19 Std./m². Für eine Stützenschalung mit aufklappbaren Flügeln und Querschnitten von 20x20 bis 60x60 bei einer Höhe von 275 + 50 wird ein Gesamtwert von 1,34 Std. pro Stütze angegeben. Die Richtwerte einer Deckenschalung schwanken bei Raumhöhen von 2,5 m und Mengen bis 25 m² etwa von 0,28 Std./m² bis 0,43 Std./m². Weniger benötigte Arbeitszeit wird hier beispielsweise durch den Einsatz von Fallköpfen erreicht. Alle Werte werden auch tiefergehend aufgesplittet nach Materialien und Materialkombinationen. Ebenso werden Richtwerte für das Montieren jedes einzelnen Teil wie Verbindungsbolzen in min./Einheit aufgezeigt [19]. Auswahl von für diese Arbeit relevanten Aufwandswerten für Schalarbeiten nach Bauarbeitsschlüssel (BAS) [20]. Wände schalen (Höhe ≤ 3,0m) Konventionelle Schalung Rahmenschalung Großflächenschalung Zulage für Höhen > 3,0m Decken (Höhe ≤ 3,0m, Dicke ≤ 25cm) Konventionelle Schalung Holzträgersystemschalung Rahmentafeln und Fallkopf Zulage für Höhen > 3,0m Unterzüge und Balken schalen (Querschnitt > 0,15m²) Konventionelle Schalung Systemschalung Zulage für Querschnitte 0,05 – 0,15m² Stützen schalen (Querschnitt > 0,25m²) Konventionelle Schalung Rechteckig Systemschalung Zulage für Querschnitte 0,25 – 0,10m²
0,70 – 1,20 h/m² 0,30 – 0,60 h/m² 0,20 – 0,50 h/m² 0,20 – 0,40 h/m² 0,80 – 1,00 h/m² 0,45 – 0,65 h/m² 0,40 – 0,60 h/m² 0,10 – 0,30 h/m² 1,50 – 2,00 h/m² 0,90 – 1,30 h/m² 0,10 – 0,20 h/m² 1,30 – 1,80 h/m² 0,90 – 1,40 h/m² 0,20 – 0,30 h/m²
Beeinflusst werden die Aufwandswerte von dem Schwierigkeitsgrad des Gebäudes, der Baustellenausstattung, der Baustellenorganisation und den gewerblichen Arbeitskräften, der AV und Steuerung und den Rahmenbedingungen wie Jahreszeiten (siehe Abbildung 5.21) [21]:
132
5 Parameteridentifikation
7% 30%
13%
Schwierigkeitsgrad Baustellenausstattung Arbeitskräfte AV und Steuerung
25%
Rahmenbedingungen 25%
Abbildung 5.21 Einflussfaktoren für Aufwandswerte [21]
Ein wichtiger Punkt ist das Gewicht der Schalung. Grundsätzlich variiert dieses je nach Größe und Materialien des Elementes. Für Rahmenschalungen für Wände werden im Handbuch Arbeitsorganisation Bau (HAB) für Elemente von ca. 2,75 m Höhe und 45cm Breite zwischen 50,7 kg und 92,2 kg je nach Hersteller angegeben. Das Gewicht für Einzelelemente geht hoch bis auf 355 kg bei entsprechender Größe. Selbst Innenecken können von 39 kg bis 80 kg wiegen [22,23]. Nach einer Tabelle von Hermann Bauer, in welcher Rahmenschalungen der führenden Unternehmen auf dem Schalungsmarkt verglichen werden, liegt für Elemente mit ca. 2,7 m Höhe und ca. 1,25 m Breite das Gewicht pro Quadratmeter zwischen 48,0 kg und 60,7 kg, was ein mittleres Gewicht von 68,8 kg/ m² bedeutet [16]. Grundsätzlich wird die Geometrie der Bauwerke oft komplexer und die dafür gegebene Bauzeit kürzer, wodurch ein enormer Termindruck entsteht [16]. Um Termine einhalten zu können, sind die notwendigen Passflächen von enormer Bedeutung, sodass möglichst flexible Schalungssysteme benötigt werden. Moderne Schalungssysteme funktionieren in der Regel nur auf 5 cm Raster. Ein Säulendurchmesser ist als System etwa in 20x20 oder 25x25 cm Durchmesser erhältlich. Grundsätzlich gilt hier je größer die Elemente, desto größer die Rasterabstände dazwischen. Anhand des Beispiels MAXIMO Rahmenschalung des Unternehmens PERI bedeutet dies Elementbreiten von 0,3 m, 0,45 m, 0,6 m, 0,9 m, 1,2 m und 2,4 m [24,25]. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Wiederverwendung von Schalungssystemen. Neben den ökologischen Folgen ist bei immer weiter steigenden Lohn- und Betriebskosten ein Schalungssystem als wirtschaftlich anzusehen, wenn es einen mehrmaligen Einsatz unter Berücksichtigung der Nachbehandlung gewährleistet [16]. Die wichtigsten Kriterien bzw. Problemstellen einer wirtschaftlichen Schalung sind die
5.4 Ökonomie
133
Rüst- bzw. Montagezeit, der Vorfertigungsgrad, das Schalungsgewicht, die Adaptivität und die Wiederverwendbarkeit.
5.4 Ökonomie Der Anteil der Schalungskosten an den Gesamtrohbaukosten beträgt ca. 30% und besitzt somit erheblichen Einfluss auf die Gesamtkosten eines Bauwerkes [26]. Werden die Stahlbetonarbeiten separiert angesehen, machen ca. 53% der Kosten die Schalung, 30% die Betonarbeiten und 18% die Bewehrungsarbeiten aus [24,25,27]. Die Schalungskosten teilen sich in ca. 20% Materialkosten und 80% Lohnkosten auf [4,11]. Wird dies zurückverfolgt auf die Gesamtlohnkosten, so machen alleine die Lohnkosten für die Schalarbeiten ca. 50% der Gesamtkosten aus. Maßgeblich beeinflusst werden die Lohnkosten von der Gebäudegeometrie, der Anzahl der Einsätze einer Schalung und den Bauteilmaßen. Um das für ein bestimmtes Bauvorhaben am besten geeignetste und kostengünstigste Schalungssystem zu ermitteln, ist ein Hauptfaktor die Produktivität durch Reduzierung des Lohnaufwandes [11]. Prozesse
Anteil an Gesamtkosten
davon Lohnkosten
davon Kostenanteil Stoffkosten Gesamtlöhne
Kostenanteil Gesamtstoffe
Schalung
35 % 25 % 14 % 25 % 100 %
28 % 8% 5% 9% 50 %
7% 17 % 10 % 16 % 50 %
14 % 34 % 20 % 32 % 100 %
Bewehrung Beton diverses Summe
56 % 16 % 10 % 18 % 100 %
Abbildung 5.22 Gliederung der Rohbaukosten im Betonhochbau [28]
Bei den Kosten wird unterschieden in Lohn-/ Gehaltskosten, Baustoffe und Fertigungsmaterial, Gerätekosten, Rüst-, Schal- und Verbaumaterialien, Hilfs- und Betriebsstoffe, Sonstige und Fremdleistungen. Um die Lohnkosten zu ermitteln wird der Aufwandswert mal die Kosten der Lohnstunde gerechnet [26]:
Leistung: geschalte Fläche (m²) / verbrauchte Stunden (h) Aufwandswert: verbrauchte Stunden (h) / geschalte Fläche (m²) Lohnkosten: Aufwandswert (h/m²) * Kosten Lohnstunde (€/h)
134
5 Parameteridentifikation
Laut Hoffmann werden jährlich ca. 150 Mio. m² Betonoberfläche in Deutschland eingeschalt. Wird angenommen, dass 1 m² 25 € Kosten verursacht, entspricht dies 3,75 Mrd. €/Jahr Schalungskosten und einem Rohbauvolumen von ca. 30 Mrd. im Jahr [26]. Die wichtigsten einflussnehmenden Faktoren für die Schalungskosten sind die Wiederholung gleichbleibender Elemente und eine möglichst hohe Einsatzzahl dieser. Ebenso maßgebend sind die Bauwerksart und die Tragstruktur. Aufgrund des erhöhten Arbeitsaufwands tragen besondere Bauteilgeometrien wie beispielsweise Höhen- und Seitenversprünge, Querschnittsveränderungen oder enge Raumquerschnitte deutlich zur Steigerung der Schalungskosten bei [4]. Für die Entscheidungsfindung für ein Schalungssystem sind die Stückkosten und die benötigte Menge von größter Bedeutung. Die Stückkosten wiederum setzen sich aus Material- und Lohnkosten zusammen, während die benötigte Menge vorwiegend von der Einsatzhäufigkeit und diese wiederum von den Schalzeiten abhängt [11]. Dominierender Faktor für die Schalungskosten ist grundsätzlich der Zeit- und somit Lohnaufwand. Die Stückkosten und die benötigten Mengen werden im Rahmen der Arbeitsvorbereitung (AV) ermittelt [11]. Die Kosten für eine AV für Betonschalungen liegen je nach Aufwand im Mittel bei ca. 0,75 €/m². Das macht bei 150 Mio. m² deutschlandweit ca. 112,5 Mio. € für eine gründliche Arbeitsvorbereitung der Schalungsleistung [26]. Allein eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und Maßnahmen für die AV-kosten in Bauwerkskategorie 1 und 2 bei 0,50 – 1,75 €/m². Je häufiger der Einsatz eines Elementes desto günstiger. Für Brücken steigen die Kosten auf bis zu 3,00 €/m² und für Freiformbauten auf 5,00 €/m² und deutlich höher. Besonders aufwändige Bauwerksgeometrien ermöglichen es allerdings trotz guter AV nicht, eine wirtschaftliche Schalungsmethode zu selektieren. Um die Wahl für ein wirtschaftliches Schalungssystem zu gewährleisten, sollte bereits in der Planung darauf geachtet werden, einzelne Bauelemente nicht unbedingt auf ihre statischen Anforderungen hin zu optimieren, sondern die Vielfalt der Bauteile zu minimieren. Dabei sollte eine Stützenschalung beispielsweise minimal fünf Mal pro Baustelle eingesetzt werden [4]. Die Rationalisierungsreserve wird auf urchschnittlich ca. 15 % geschätzt. Übertragen auf einen m² Schalung bei einem angenommenem Kostenfaktor von 25 €/m² bedeutet dies ein Rationalisierungspotenzial von 3,75 €/m² [26]. Nach weiteren Schätzungen können die Investitionskosten bei gesteuerten Projekten im Vergleich zu ungesteuerten Projekten um 15 – 29 % reduziert werden [29]. Aufgrund der steigenden Kosten lagern immer mehr Bauunternehmen Schalgeräte aus und mieten diese wiederum je nach Bedarf an [26]. Der Mietanteil beträgt mittlerweile 75-85 % bei steigender Tendenz [11]. Dadurch können die Bauunternehmen auf ein größeres Angebot zurückgreifen und die Instandsetzungskosten beispielsweise werden übertragen [26]. Grundsätzlich gilt je größer das Schalungselement, desto geringer der Lohnaufwand pro Quadratmeter. Aus diesem Grund wurden die Systemschalungen entwickelt, die seit über 30 Jahren den Markt dominieren. Dadurch konnten enorme Lohnkosten eingespart werden. Immer größere Bedeutung finden allerdings Bauaufgaben im Bestand, für die neue
5.4 Ökonomie
135
Anforderungen an die Schalungselemente gestellt werden. Die Systeme müssen leichter, flexibler und oft per Hand transportabel sein. Hierfür werden teils kleinstteilige Schalungssysteme mit Aluminiumrahmen angeboten [4]. Neben den Hauptleistungen, welche maßgeblich vom Schalungssystem abhängen, können detailliertere Werte für Neben- und besondere Leistungen bauteilübergreifend angegeben werden. So kostete die Schalungsplanung ca. 0,50-2,00 €/m². Eine etwaige Betonnachbehandlung wird mit 0,25-0,60 €/m² und das Aufstellen von Arbeits- und Schutzgerüsten bzw. das Absperren von Bereichen mit 0,50-1,50 €/m² angegeben. Die Endreinigung und Wartung der Schalungselemente kostet 2,00-3,00 €/m² und Transporte auf der Baustelle 0,40-1,00 €/m². Das bedeutet, die Umlage pro m² beträgt im Mittel 6,50 €/m² und zeigt deutlich den Einfluss von Neben- und besonderen Leistungen [4] Pos.
Gegenstand
1
Hauptleistungen (je m² - abrechenbare Betonfläche) Einschalen, Trennmittel aufbringen Ausschalen, Zwischentransporte Reinigen, Entnageln, Grobreinigung
2
EinzelAnteile je anteil der Pos. 1-4 Pos. 1 50 - 60 % 30 - 25 % 20 - 15 % ca. 50 - 70 %
Nebenleistungen (h/m²) Auf- und Abladen Schal- und Rüstmaterial Montage und Demontage Schlussreinigung
3
ca. 10 - 20 %
Besondere Leistungen (je m² - abrechenbare Betonfläche) Betonnachbehandlung Aussparungen und Nischen Arbeits- und Schutzgerüste, Traggerüste außerhalb Nebenleistungen Abdeckungen Fugenbänder Einbauteile (Ankerschienen, Anschlusseisen usw.)
4
Randstunden, Leistungen im Rahmen der Baustelleneinrichtung und Gemeinkosten. Alles nicht unter 1-3 erfasste
Abbildung 5.23 Gliederung der Lohnleistungen [28]
ca. 15 - 25 % ca. 15 - 20 %
136
5 Parameteridentifikation
Wird der Lohn- und Materialanteil pro Stundenaufwand aufgeteilt nach Bauwerkskategorien bauteilübergreifend berechnet, ergibt sich für Bauwerkskategorie eins beispielsweise ein Lohnanteil von 32-50 € und ein Materialanteil von 8,00-12,50 €. Zu Grunde gelegt wird dabei ein Mittellohn von 43,00 €/Std. (2012) und ein Verhältnis von 80 % Lohnkostenanteil und 20 % Materialkostenanteil. Für Bauwerkskategorie zwei liegen die Werte bei 52-65€ Lohnkosten und 13,00-16,30 € Materialkosten und für Kategorie drei bei 6586 € Lohn- und 16,30-21,50 € Materialkosten. Bei besonderen Anforderungen, sprich Bauwerkskategorie vier, machen die Lohnkosten mehr als 108 € und die Materialkosten mehr als 27 € aus [4]. Auch für Schalungsgeräte und -material inklusive Transport- und Werkzeug können detaillierte Kosten bezogen auf einen Quadratmeter und in Bauwerkskategorien angegeben werden. Insgesamt machen diese Faktoren in Kategorie eins ca. 10,50 €/m², in Kategorie zwei 14,50 €/m², in Bauwerkskategorie drei 21,00 €/m² und für besonders aufwändige Bauwerke 35,00 €/m² aus. Prozentual liegen dabei die Mietkosten der Schalungsgeräte im Mittel bei 57,5 %, der Materialeinsatz bei 19,00 %, Verbrauchsstoffe bei 7,00 %, Transporte bei 12 % und Kleingeräte und Werkzeuge bei 4,50 % [4]. Die Material- und Schalungsgerätekosten für eine Universalwandschalung ohne Montagekosten und Transportkosten betragen beispielsweise ca. 41,18 €/m² Anschaffungskosten für einen Holzschalungsträger bei einer Höhe von 20 cm. Die Stahlgurte liegen bei 66,50 €/m², Richtstützen bei 55,50 €/m² und für Verbindungselemente bei 15,00 €/m². Weiterhin kosten Dreischicht Schalungsplatten bei 21 mm etwa 13,65 €/m², Spannstahl ca. 3,50 €/m², Spannschlösser ca. 10,90 €/m² und das Trennmittel etc. 1,80 €/m². Insgesamt ergibt das ca.208 €/m² Anschaffungskosten [4]. Kostenkennwerte für einzelne Teile können detailliert im BKI (Baukosteninformationszentrum, Deutsche Architektenkammer) nachgeschlagen werden. Teil 1 befasst sich mit Kostenkennwerten für Gebäude, Teil 2 für Kostenkennwerte für Bauelemente und Teil 3 für Positionen. In Teil 3 wird nach Leistungsbereichen unterteilt (Betonarbeiten, Kennziffer 013). Hieraus lassen sich folgende beispielhafte Bruttokosten ermitteln [30]: Statistische Kostenkennwerte für Positionen 2014 [30]: Wandschalung als glatte Schalung Wandschalung, Aussparung für Türen Wandschalung, Aussparung für Fenster Schalung für Unterzüge, Stürze Schalung für Stützen, rechteckig, glatt Schalung für Stützen, rund, glatt Schalung für Decken und Flachdächer
von 29 €/m² von 73 €/St von 64 €/St von 58 €/m² von 57 €/m² von 64 €/m² von 36 €/m²
bis 47 €/m² bis 131 €/St bis 104 €/St bis 73 €/m² bis 77 €/m² bis 103 €/m² bis 52 €/m²
Ø 35 €/m² Ø 86 €/St Ø 83 €/St Ø 66 €/m² Ø 63 €/m² Ø 77 €/m² Ø 43 €/m²
5.5 Transportogistik
137
Folgend werden die Kosten für Rahmenschalungen der führenden sechs Schalungsunternehmen gegenübergestellt. Da die Herstellen nicht immer identische Elementgrößen anbieten, werden ähnliche Größen miteinander verglichen. Bei einer Elementgröße von ca. 0,30 m x 1,25 m ergeben sich Kosten zwischen 441,98 €/m² und 719,87 €/m². Bei Elementgrößen von ca. 1,25 m x 2,7 m ergeben sich Kosten zwischen 305,76 €/m² und 451,81 €/m² [11]. Für die Bestimmung der Transportkosten sind nicht immer nur das Gewicht und die Entfernung des Transportes von großer Bedeutung, sondern immer mehr auch das Volumen durch die dominierenden großflächigen Systemlösungen. Bei großen Bauteilhöhen, bei denen häufig auf genau diese zurückgegriffen wird, wird die zulässige Tragfähigkeit eines LKWs selten erreicht [15]. Ab zweimaligem Transport liegen die Kosten hierfür im Mittel bei ca. 0,75-2,00 €/m² Schalfläche [4]. Als Parameter für weitere Untersuchungen werden sowohl Lohnkosten, als auch Materialkosten mit aufgenommen. Bisher wird das Rationalisierungspotenzial einzig bei den Lohnkosten gesehen und aufgezeigt, dass allgemeine Optimierungen bereits ihre Grenzen erreicht haben.
5.5 Transportlogistik In der Logistikplanung für Stahlbetonarbeiten wird unterschieden zwischen Beschaffungs-, Produktions- und Entsorgungslogistik. Beschaffungslogistik entspricht der Transportlogistik und die Produktionslogistik der Baustellenlogistik. Unter Beschaffungslogistik wird dabei der Antransport von benötigten Baustoffen verstanden, während die Baustellenlogistik die räumliche Verteilung dieser Baustoffe auf der Baustelle und die Entsorgungslogistik den Abtransport umfasst [31]. Die Transport- bzw. Beschaffungslogistik wird an der Baustelle nach Übergabe der Güter abgeschlossen und geht über in die Baustellen- bzw. Produktionslogistik, welche zum Bereich Baubetrieb zählt. Dafür ist eine entsprechende Planung der Transportmittelkette, der Lagerfläche und der Anbindung an den öffentlichen Verkehr zwingend notwendig, um einen reibungslosen Ablauf an der Übergabestelle zwischen Transportlogistik und Baustellenlogistik zu gewährleisten [32]. Ist dies nicht ausreichend vorgeplant, steigt die Transportdauer und die Zuverlässigkeit sinkt, was steigende Produktionskosten zur Folge hat [33]. Eingeschränkte Anfahrtmöglichkeiten an die Baustelle und nicht vorhandene Wendemöglichkeiten erschweren die Transportlogistik. Dies führt oft dazu, dass Solofahrzeuge eingesetzt werden müssen. Wenn ausschließlich Lastkraftfahrzeuge ohne entsprechenden Anhänger die Baustelle anfahren können, erhöht dies die benötigten Transporte bedingt durch die eingeschränkte Transportkapazität [34]. Auftrag der Beschaffungslogistik ist es, die richtigen Baustoffe bei geforderter Qualität, in richtiger Menge zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu transportieren. Dies sollte zu minimalen
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5 Parameteridentifikation
Kosten unter Berücksichtigung ökologischer Einflussgrößen geschehen [34]. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die Umsetzung eines reibungslosen Ablauf an der Übergabestelle zwischen Beschaffungs- und Produktionslogistik gehören ausreichend Personal und Baumaschinen unter der Voraussetzung, dass Zeitpunkt und Ort der Beschaffungslogistik stimmen. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe der Baustelleneinrichtungsplanung. Besonders aufwändig wird die Planung bei zu geringen Platzverhältnissen, zum Beispiel bei Bauaufgaben im Bestand und innerhalb von Städten. Gerade hier muss bei der Wahl der Transportmittel beispielsweise auf möglichst geringe Lärmbelastungen für Anwohner oder ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu Stoßzeiten geachtet werden [35]. Für das Abladen der gelieferten Baustoffe haben die Fahrzeuge in den wenigsten Fällen einen Autokran. Meist wird mit Hilfe des Baustellenkrans oder einem Stapler abgeladen, wodurch es noch substanzieller ist, die geplanten Zeiten einzuhalten, um die Verfügbarkeit zu gewährleisten [36]. Um Transporte möglichst effizient zu gestalten, gibt es nach Boenert und Blömeke sechs wichtige Einflussgrößen. Neben der Lage des Start- und Zielortes und der vorhandenen Infrastrukturanbindung sind dies vor allem die örtlichen Rahmenbedingungen der Baustelle, die Transportmenge und die zur Verfügung stehenden Lagerflächen. Um diese Punkte vorab zu optimieren, müssen die möglichst leichte Erreichbarkeit der Anlieferungsfläche, die Wahl der Transportmittel, eine ausführliche Wege- und Flächenplanung und die Verkehrssicherung in der Logistikplanung geklärt werden. Die Vorteile, die sich beim Umsetzen dieses Konzeptes ergeben, sind die Gewährleistung der abgestimmten Anlieferung, frühzeitige Erkenntnis über mögliche Engpässe, eine gute gewerkeübergreifende Koordination der Transporte und somit die Optimierung der Baustofftransporte und Kosten hierfür [37]. Um den Unternehmen eine termin- und bedarfsgerechte Anlieferung zu ermöglichen, sollte auf einfache Erreichbarkeit der Anlieferungsflächen, Abstimmungen mit zur Abladung benötigten Geräten und Planung der Verkehrswege geachtet werden, damit Arbeiten und Transporte sich nicht gegenseitig behindern. Für Störungsfälle können ggf. Warteflächen außerhalb der Baustelle eingerichtet werden, auf welchen die Transporte bis zur Freigabe der Anlieferung stehen können [31]. Die Anzahl der benötigten Transporte hängt im Wesentlichen vom Vorhalteplatz, den Maßen der Schalung, der Transportkapazität, dem Gewicht der Schalung und der Verkehrsanbindung ab [34]. Bei vormontierten Schalunssystemen ist die transportierbare Schalungsmenge aufgrund des Volumens dabei geringer als bei Systemen, deren Vorarbeiten auf der Baustelle vorgenommen werden [31]. Für die Planung und zum Minimieren von Fehlerquellen ist es von essentieller Bedeutung, die genaue Anzahl der benötigten Transporte zu ermitteln. Eine Verzögerung der Betonlieferung kann sich eventuell negativ auf die geforderte Sichtbetonoberfläche uswirken. Für die Grobplanung kann die Anzahl der Transporte durch Multiplikation der Schalungsfläche und des Transportgrads bestimmt werden. Der Transportgrad liegt dabei innerhalb von Deutschland zwischen 0,00125 und 0,00083. Je kleiner die Baustelle, desto geringer kann der Transportgrad i.d.R. sein. Je nach vor-
5.5 Transportogistik
139
handenen Einflussgrößen kann die Anzahl der Transporte auch durch Vorhaltemenge und durchschnittliche Schalungsmenge bzw. Gesamtschalungsmenge oder über die Schalungsmenge für die durchschnittliche, angelieferte Schalungsfläche ermittelt werden. Die Schalungsmenge pro Transport ist die durchschnittlich benötigte Vorhaltemenge [31]. Im Rahmen der Entsorgungslogistik werden alle anfallenden Baurestmassen von der Baustelle entfernt. Unterschieden wird dabei zwischen Abfall, Baustoffen zur Wiederverwertung oder zur Deponie [32]. Aber auch der Abtransport der Schalungselemente zählt zu der Entsorgungslogistik. Sind die Schalungselemente wieder beim Anbieter angelangt, werden sie zunächst identifiziert, quantifiziert und klassifiziert. Anschließend folgt der sogenannte Prozess der Schalungsrevitalisierung, in der die Elemente beispielsweise gereinigt und ggf. repariert werden. Der Entsorgungslogistik wird in der Vorplanung meist nur eine geringe Bedeutung beigemessen. Aufgrund der werkseitigen Anlieferung, verpackt auf Paletten, kommt es teilweise vor, dass für den Abtransport mehr LKWs benötigt werden als für den Antransport. Je nach Schalungsunternehmer variiert das Volumen von Schalungsmietgeräten zwischen ca. 12 Mio. € und 1,5 Mrd. € [13]. Innerhalb der Transportlogistik dominieren die Betontransporte mit über 90%. Neben der Schalungslogistik gibt es noch die Bewehrungslogistik. Für die Stahlbetonarbeiten aus Ortbeton sind etwa 0,15 – 0,25 Transporte pro m³ notwendig. Die Anzahl der Transporte kann in der Grobplanung durch Multiplikation des Transportgrades und der Betonmenge ermittelt werden [31]. Bei Ortbetonbauweise wird unterschieden zwischen Baustellenbeton und Transportbeton. Unter Baustellenbeton wird der Beton verstanden, der auf der Baustelle gemischt wird, während der Transportbeton fertig gemischt auf die Baustelle angeliefert wird. Der Transportbeton wird dabei entweder im Werk gemischt oder im Fahrzeug selber, Bezeichnungen sind werkgemischter und fahrgemischter Beton. Zur Förderung des Betons vom Fahrzeug zum Bauteil werden standardmäßig Autobetonpumpen eingesetzt. Die Reichweite dieser Betonpumpen kann bis 62 m Höhe, 48 m Weite und 38 m Tiefe ausgelegt sein [28]. Insgesamt gab es 2014 laut Verbandsstatistik über alle bestehenden Unternehmen 540 Transportbetonunternehmen mit insgesamt 1.890 Werken in Deutschland. Die durchschnittliche Entfernung zur Baustelle in der Transportbetonindustrie liegt 2014 bei 16,9 km (BTB). Werden davon ausgehend die Werte für Entfernungen unter 50km betrachtet, ergeben sich insgesamt 28,8 Mrd. tkm von welchen 20,6 Mrd. tkm gewerblicher Verkehr und 8,1 Werkverkehr sind [38]. Die Bezeichnung Straßengüterverkehr umfasst sämtliche Transporte von Gütern, die mit einem Kraftfahrzeug auf Straßen durchgeführt werden. Die Verkehrsleistung der Landverkehrsträger Straße, Schiene und Binnenschifffahrt hat zwischen 2003 und 2008 um 23% auf 481 Mrd. tkm zugelegt. Dabei stieg die Beförderungsleistung des Straßengüterverkehrs um 18% auf 301 Mrd. tkm und umfasst etwa 62% der Gesamtverkehrsleistung [33]. Von diesen verteilen sich 26.598 Mio. tkm auf sonstige Mineralerzeugnisse wie Glas, Zement und Gips. Im Vergleich dazu liegen die Nahrungs- und Genussmittel bei
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5 Parameteridentifikation
52.079 Mio. tkm und Post und Pakete bei 7.909 Mio. tkm. Dies verdeutlicht die enorme Bedeutung von Zement für die Transportindustrie [39]. Dominierende Transportart ist die über Straßen, was vor allem an dem ausgeprägten Straßennetz in Deutschland liegt. Zulässige Maße für die keine Ausnahmeregelung benötigt wird sind