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German Pages 272 [270] Year 2014
Yvonne Leonard (Hg.) (Bundesverband Deutscher Kinder- und Jugendmuseen) Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
Yvonne Leonard (Hg.)
Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
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Inhalt
Einleitung | 9
M ETHODEN Den Blick verändern Kuratorische Methoden in Kindermuseen Yvonne Leonard | 25
Rhetorik des Kreativen Beobachtungen zum Kindermuseum Karen van den Berg und Markus Rieger-Ladich | 39
Kreativität — Erläuterungen zu einem unscharfen Anforderungsprofil der Gegenwartskultur Ein Gespräch mit Andreas Reckwitz | 51
Learning by Doing Ein pragmatischer Blick auf Lernen, Erfahrung und Identität Jürgen Oelkers | 57
Sehen, Lernen, Wissen — TO SEE IS TO KNOW? Ausstellungen als Wissens- und Erfahrungsräume Gisela Staupe | 69
Reflexionen zur Entwicklung partizipativer Ausstellungen zum Thema Spiel Gretchen Jennings | 79
Partizipation in Ausstellungen für Kinder und Jugendliche Georg Frangenberg | 93
Sieben Fragen zur Gestaltung Beantwortet von Ursula Gillmann Gestellt von Cornelia Brüninghaus-Knubel und Yvonne Leonard | 103
Zwischen Wolkenkuckucksheim und Raumlabor Von Kindern und Räumen zum Lernen Helga Schmidt-Thomsen | 113
B EISPIELE AUS DER P RAXIS Der Kleinkinderbereich »Licht und Luft« im KL!CK Kindermuseum in Hamburg Margot Reinig | 129
Kindermuseum auch für Erwachsene? Kulturelle Vielfalt und Identität im Kindermuseum mondo mio! Elisabeth Limmer | 137
Nicht ohne einander Das kinder museum frankfurt und sein historisches museum frankfurt Susanne Gesser | 143
Erwachsenwerden ist nicht schwer … Das JuniorMuseum im Rautenstrauch-Joest-Museum — Kulturen der Welt, Köln Peter Mesenhöller | 153
Themen wagen im Kindermuseum — Sag, was war die DDR? Eine Ausstellung zur Zeitgeschichte für junge Menschen im Kindermuseum des FEZ-Berlin Stefan Ostermeyer und Claudia Lorenz | 161
Kinder- und Jugendmuseen — Orte für nachhaltige Bildungsarbeit? Praxisbeispiel: EnergieStadt in Leverkusen Ute Pfeiffer-Frohnert und Bert Gigas | 167
Wenn die Besucher ins Zentrum treten Kindermuseen in der gegenwärtigen Museumslandschaft Sabine Radl | 177
Neues Universum Berlin: Kinder willkommen! Maren Ziese | 187
Sammlungen im Kindermuseum Weshalb, was und wie Annette Beyer und Yvonne Richter | 195
miraculum — das kleine Wunder in Ostfriesland Entwicklung und Wirkung des Kindermuseums Aurich Rainer Strauß | 201
Zwischen Bildungsanspruch, Unterhaltungserwartung und der Suche nach einer besseren Welt Gedanken zum Selbstverständnis eines Kindermuseums Urs Rietmann | 209
G ESCHICHTE Kindermuseen in Deutschland Eine Geschichte mit vielen Wurzeln Wolfger Pöhlmann | 223
Initiative Kindermuseum Ein neuer Kulturort im Trend der Zeit? Wolfgang Zacharias | 231
Kinder und Museum Gabriele König | 243
A NHANG Autoren | 255 Kinder- und Jugendmuseen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Auswahl) | 263
Einleitung
Die Frage nach den Bildungsgehalten und Vermittlungspotenzialen, die Kindermuseen bieten, hat in den letzten Jahren, besonders aufgrund der intensiven Diskussion um die Wirkung kultureller Bildung für die Zukunftsgewinne von Kinder- und Jugendbiografien, zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit diesem Museumsmodell geführt. Dennoch fallen die Kindermuseen aus museologischen Diskursen bis heute weitgehend raus. Methoden und Praxis werden in Deutschland, wenn überhaupt, nur am Rande beforscht, anders als in den USA und England. Noch immer werden Kindermuseen als Zweig pädagogischer Lernveranstaltungen verstanden, für die kuratorische Fragen scheinbar nicht weiter von Bedeutung sind wie etwa die nach dem Erkenntnisgehalt von Objekten und der Visualisierung von Wissen, das ganz stark mit Handlungen verknüpft ist, oder nach deren Verräumlichung in Ausstellungsräumen. Auch wenn das junge Publikum heute weit mehr als je zuvor in den großen Museen mit eigenen Führungen, Audioguides, Kinderstrecken usw. berücksichtigt wird, hat der kindermuseale Raum ganz eigene Qualitäten, die sich in seinen Raum-, Zeit- und Rezeptionsstrukturen abbilden. Das Kindermuseum ist eben nicht nur ein Bildungs- und Lernort, sondern es ist als Museum ein Plädoyer für die Kindheit und für den Eigensinn der Kinder, die anders sind als die Erwachsenen. Mit der Aufsatzsammlung dieser Publikation soll zum ersten Mal dieser Museumstyp aus der Perspektive kuratorischer Methoden und Absichten befragt und anhand von Beispielen aus der Praxis dargestellt werden. Dass diese nicht ohne Probleme und Widersprüche sind, versteht sich fast von selbst. Im Hinblick auf die Qualifizierung kindermusealer Strategien und Modelle leistet die Publikation einen ersten Schritt zu einer methodischen Diskussion. Um jene Praktiken der Wissensvermittlung befragen zu können, liefert der erste Teil des vorliegenden Bandes Hintergrundmaterialien, die die Begriffsraster, mit denen die kuratorische Praxis vielfach begründet wird, ordnen und konturieren. Sie zielen auch darauf, Denkanstöße zu liefern, um verfestigte Kriterien, die zum Affirmativen neigen, neu zu denken und die Konstruktion Kind und Museum, die die Grundlage kindermusealer Selbstdefinition bilden, selbst zu überprüfen.
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Im Rückblick auf die Entwicklung der Kindermuseen in Deutschland seit ihren Gründungsjahren wird deutlich, wodurch sich dieser Museumstyp von anderen unterscheidet, wie verschieden Methoden und Arbeitsweisen sind und wieso die Koppelung von Museum und Lernort beim Rekurs auf das Interaktive durchaus ihre Tücken hat. Als vor 20 Jahren die ersten Kindermuseen in Deutschland gegründet wurden, orientierten sie sich noch an den nordamerikanischen Vorbildern, obwohl diese für ein deutsches Publikum schon damals eher ungewöhnlich anmuteten. Die Unbekümmertheit, mit der man in den USA künstliche Welten auf Kinderformat zuschnitt und ein Museum mit Feuerwehr, Zahnarztstuhl und bunten Plastikimitaten ausstattete, befremdete die museal geübten europäischen Seh- und Rezeptionsgewohnheiten doch. Und so übernahmen die deutschen Versionen vornehmlich die Interaktivität und das Lernmodell »Learning by Doing«. Allerdings sah sich das amerikanische Erfolgsmodell in seiner deutschen Ausführung sehr schnell mit einer Diskussion konfrontiert, die die Intention, ein Museum ausschließlich auf die Bedarfsstrukturen der Besucher hin zu öffnen, für lange Zeit immer wieder infrage stellen sollte. Die Zielpublikumsorientierung ging einher mit dem Ausschluss des Sammelns und Forschens aus dem tradierten musealen Kanon, und die Frage »Was ist ein Museum?« konnte mit der Zielgruppenfestlegung eigentlich nicht hinreichend beantwortet werden. Auch mit den möglichen epistemischen Ordnungen der Dinge, die eine Vielzahl von Anordnungen des Wissens, der Klassifikationen und ihrer Vermittlung repräsentieren, konnte das Kindermuseum schließlich nicht dienen. Diese musealen Dingwelten und Ordnungsstrukturen wurden hier durch populäre Hands-on-Formate ersetzt, die sich an ein breites, zumal besonders junges Publikum wendeten. So wurde der festgelegte museale Raum, in dem sich ein ausgewähltes Klientel wohl, sicher und aufgenommen fühlte, für marginalisierte Gruppen geöffnet: Kinder jeden Alters und jeder kulturellen und sozialen Herkunft und ihre Familien. Die Kindermuseen sammelten Ideen des Unkonventionellen und Inhalte des Banalen und schufen mit ihren räumlichen Anordnungen eine museale Handlungsplattform für heterogene soziale Gruppen. Darüber hinaus verlangten sie weder Kennerschaft noch setzten sie besonderes Wissen voraus. Im Wegfall der museal klar definierten Räume und ihrer Rezeptionsabfolgen, des organized walking1 , wurde schließlich auch der Bewegungskanon infrage gestellt zugunsten einer subjektiven Aneignungsformation, die allein von individuellen Interessen, Neugier und vor allem von der Lust 1 | Joachim Baur, Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2009, S. 30. Baur weist darauf hin, dass die konstruierten Objektserien im Rahmen des organized walking der Ausstellungsrundgänge sich als disziplinierende Ordnungen in die Köpfe und Körper der Museumsbesucher einschreiben. Sie sind so konditioniert worden, dass ein Ausbrechen zwangsläufig fast unmöglich ist.
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am Ausprobieren geleitet werden sollte. Insofern nahmen sie seit ihren ersten Gründungstagen einen Diskurs auf, der heute allenthalben in Museen geführt wird: Er betrifft die Frage nach Vermittlungs- und Präsentationsstrategien, die mehr Partizipation, mehr Interessen und individuelle Bedürfnisse der Besucher in das Zentrum kuratorischer Bemühungen rücken. Die Kindermuseen erhoben die kulturelle Teilhabe aller zu ihrem Programm, das sie mit unterschiedlichen Inhalten und erfundenen Ausstellungsdisplays ausgestalteten, die auf Sehen, Handeln und Ausprobieren gleichermaßen setzten und die vor allem darauf zielten, jene Alltagsfragen aus der Welt der Erwachsenen, die Kinder brennend interessieren, zu visualisieren. Kuratorische Methoden standen in diesen Anfangsjahren weniger zur Diskussion. Allein die Umnutzung des musealen Ausstellungsraumes in einen der Aktion und Interaktion bot genug Stoff, um die kindermusealen Vermittlungsstrategien zu entwickeln und zu begründen. Die gegenwärtige Diskussion stellt andere Ansprüche. Im ersten Beitrag (Yvonne Leonard) wird ein methodischer Abriss möglicher Anordnungen der Dinge im Kindermuseum thematisiert, der die Lernwelten in den Kontext museologischer Diskussion stellt und beispielhaft Modelle des Kuratierens umreißt, die vor allem der Verständigung, der schärferen Konturierung und nicht zuletzt der Begründung der Praxis dienen. Der museologische Diskurs, den die Kindermuseen produktiv nutzen können, wirft vor allem auch Fragen auf, die die Praxis des Ausstellens genauso betreffen wie die Vermittlungsstrategien und die Identität des Ortes – wie und was er sein will und kann. Gleichwohl zielen die kuratorischen Methoden hier in erster Linie auf den Blick, mit dem die Kinder die Welt sehen. Denn letztendlich arbeiten auch die Kindermuseen mit allen Hands-on-Formaten am Sehen-Lernen wie alle anderen Museen auch. Die Besucherscharen, die sich in den ersten Jahren in die Kindermuseen drängten, und zwar sowohl Kinder und ihre Familien als auch Schulklassen und Lehrer, waren ein Indiz dafür, dass das Modell ins Schwarze der Bedürfnisse und Interessen getroffen hatte, denn schon vor 20 Jahren zeichneten sich die ersten Symptome jener bildungspolitischen Krise ab, die mit dem lauten Knall des PISA-Schocks das gesamte Bildungsgefüge zur Disposition stellte. Damals waren die Kinder ausgeschlossen aus der Erwachsenenwelt, abgedrängt in Nischen, die genauso disparat zu den Lebenswelten der Kinder standen wie die Schulen. Ein Auseinanderdriften zwischen altbewährten Lernmodellen und den Welt- und Alltagserfahrungen der Kinder zeichnete sich schon ab. Die virtuellen Interaktionsmaschinen wie Spielkonsolen und Computer weckten neue Interaktionsformen und -bedarfe, deren Bedeutung und Wirkungsweisen weitgehend unterschätzt wurden. Das Credo der Kindermuseen, »Lernen mit allen Sinnen«, handlungsorientiert und experimentbasiert, zielte genau auf die sich wandelnden Lernbedürfnisse der heranwachsenden Kindergeneration, aber auch auf die Bildungsinteressen der Eltern und auf die Suche vieler Lehrer nach neuen Lernorten. Durch die Schaffung spezifischer Narrative und Visualisie-
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rungspraktiken weg vom abstrakt eingelernten Faktenwissen hin zum selbstbestimmten handlungsorientierten Begreifen durch Experimentieren, Forschen und Selbermachen machten die ersten Kindermuseen in Deutschland das Museum zu einem Lernort der Zukunft. Aus dieser Perspektive kann man aus der Rückschau die Gründung der Kindermuseen auch als Integrationsversuch verstehen, den Bildungsort Museum mit seinen ungeahnten Möglichkeiten der Wissenspräsentation zu nutzen, um Bildungsdefiziten der Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft und Sozialisation, genauso entgegenzuarbeiten wie ihrem Wissenshunger und Forscherdrang entgegenzukommen. Allerdings waren die gesellschaftlichen Verwerfungen und die Sozialisations- und Wissensunterschiede zwischen den Kindern noch nicht so signifikant wie heute. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts standen weder die Kinder noch die Bildung im Fokus gesellschaftspolitischer Diskussionen. Das Museum als Lernort festzulegen hat jedoch auch mit dem Widerspruch zu kämpfen, dass den Kindern einerseits selbstorganisierte Freiheiten von Zeit-, Raumnutzung und Interaktion versprochen werden, sie aber andererseits auf das Lernen festgelegt werden, das letztendlich jene selbstgesetzten Freiheiten mit vorkonnotierten Lernstrategien und Inhalten wieder zurücknimmt. Denn die kindermusealen Orte warten mit Ausstellungen auf, die a priori intentional in ihren Objektanordnungen, Rauminszenierungen und Präsentationsstrategien auf das Lernen zielen. Auch wenn die Lernvorstellungen, die in die kuratorische Praxis der Kindermuseen eingegangen sind, uneinheitlich sind, sie reichen von partizipativen bis zu festgelegten Führungs- und Betreuungskonzepten, haben sie immer die eindeutige inhaltliche Rezeption des Gezeigten im Blick. Karen van den Berg und Markus Rieger-Ladich problematisieren die Selbstdarstellungen der Kindermuseen als Orte handlungsorientierten, selbstbestimmten Lernens und deren scharfe Abgrenzung gegen die Schule in der Absicht, den komplexen Prozess des kindlichen Lernens zu vergegenwärtigen und für die kindermuseale Ausstellungspraxis mitzudenken. Hinter der Festschreibung des Museums als Lernort und der Festlegung auf das Zielpublikum verbirgt sich auch eine Bildungskonstruktion der Gegenwart, die nicht wertfrei im Raum steht. Beide sind Konstruktionen der Gegenwart, und zwar sowohl die Konstruktion Kind als auch die des Museums als Wissensort. Mit ihnen sind hohe Erwartungen und Zuweisungen verbunden, die die Kinder auf die Zukunft vorbereiten sollen. Das heißt, der Druck auf die Kinder hat sich erhöht, und es lässt sich unschwer ein Zusammenhang zwischen dem selbstbestimmten Lernen und der Verantwortung für die eigene Biografie herstellen. Der emanzipative Impetus der Gründungsphase hat eine andere Richtung genommen. Die Kindermuseen orientieren sich jetzt an den Bildungsanforderungen der Wissensgesellschaft. Damit stehen auch sie vor der Frage nach der Transformation von Wissen in Objekte und Raumgestaltungen, die nun
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nicht mehr allein durch das pädagogische Programm der Interaktivität bzw. das Hands-on-Prinzip zu begründen sind. Was und vor allem wie die Besuchenden tatsächlich lernen, ist eine der zentralen Fragen, die wie ein Damoklesschwert über den Kindermuseen hängt. Darüber hinaus weiß man, dass das dominierende Begreifen nicht identisch mit Behalten und Wissen ist. Zu den problematischsten Zuweisungen, die sich durch den Besuch des Kindermuseums in Workshops und anderen Aktionen materialisieren sollen, gehört die der Kreativitätsförderung. Die Grundidee, die dem Kreativen unterlegt wird, ist das spontane, freie Agieren, das Ausprobieren von Formen und Inhalten nach eigenen Vorstellungen. Der kreative Überschuss, der Kindern gemeinhin konzediert wird, der auf das Unmittelbare zielt, ist mit der Förderung von Kreativität nicht gleichzusetzen. Ihre Wirkungsweise ist kaum belegbar, da es keine validen Daten gibt, mit denen sich ein Zusammenhang von Workshopbesuchen und »Kreativitätsbildung« herstellen ließe. Auch auf die Ambiguität der kindlichen Kreativitätsförderung weisen van den Berg und Rieger-Ladich hin. Zudem benennt Andreas Reckwitz die Gründe, wie und warum das Kreative einen solchen Bedeutungszuwachs in der Gegenwart erfahren hat. Obwohl er einen deutlichen Unterschied zwischen den kreativen Potenzialen der Kinder und den gesellschaftlichen Anforderungen und Hoffnungen ans Kreative vermerkt, zeigt er, wie und mit welchen politisch-ökonomischen Absichten die Kreativität auch in die Lernwelten der Kinder eingezogen ist, mit der Intention, messbare Kriterien zu gewinnen, in deren Folge vor allem der Schulunterricht verändert werden sollte. Dass die Idee des Lernens durch Handeln bzw. die Identität von Handeln und Lernen, mit dem die Kindermuseen ihre Praxis begründen, praktische Wurzeln hat, die auf den US-amerikanischen Schulreformer Francis Wayland Parker im 19. Jahrhundert zurückgehen, nimmt Jürgen Oelkers zum Anlass, um den theoriegeschichtlichen Hintergrund und die Denkeinflüsse aufzuzeigen, die dafür ausschlaggebend waren, dass das Modell »Learning by Doing«, und damit das Lernen selbst, den Gegenstand eines Forschungszweiges, der Erziehungswissenschaften, mitbegründete. Dass der Lernort Museum heute nicht mehr nur die Kindermuseen betrifft, sondern die gesamte Museumslandschaft, davon handelt der Beitrag von Gisela Staupe, die kuratorische Bemühungen ins Zentrum des gezielten Wissenstransfers stellt und damit den Museumsdiskurs im Allgemeinen für Vermittlungsstrategien öffnet, die sich auf denkbare, durchaus heterogene Interessen der Besucher fokussieren, die damit in das Zentrum kuratorischer Bemühungen rücken, auch in dem Bewusstsein, die eigene Deutungshoheit einzuschränken. Das Museum der Zukunft setzt andere Prioritäten, die gesellschaftliche Veränderungen vom Anfang her berücksichtigen. Sowohl die Erfahrungen der Generation Facebook als auch der demografische Wandel werden nicht nur inhaltlich, sondern auch publikumszentriert in das Museum einbezogen. Damit
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wird die Vorstellung, wieder ein Forum zu werden, in dem Wissen verhandelbar ist und das Lernen einen bedeutenden Raum einnimmt, zu einer wesentlichen kuratorischen Aufgabe. Zu oft werden die Kindermuseen wegen nicht evidenter Lernerfolge mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Art gehobener Spielplatz mit der Lautstärke von Schwimmbädern zu sein, der ernsthafter Beschäftigung, Konzentration und Gewissenhaftigkeit entgegensteht. Man kann sich natürlich die Frage stellen, warum es nicht auch intelligente Spielplätze des Wissens geben soll, in denen das kindliche Spiel mit inhaltlichem Objekt-Know-how ausgestattet wird, welches ungewöhnliche Zugänge zum Wissen ermöglicht. Kindermuseen erleichtern nicht nur den Zugang zum Wissen, sondern sie demokratisieren ihn. Dass das Spielen nicht nur ganz eigene Effekte und Qualitäten besitzt und als kuratorische Methode neue museale Vermittlungsstrategien eröffnet, die Lerntechniken freisetzen, weist Gretchen Jennings am Beispiel der Ausstellung Invention at Play nach, die vom Smithsonian’s Museum in Washington D.C. entwickelt wurde. Sie zeigt, wie eine Methode selbst zum Gegenstand einer Ausstellung werden kann. Ihrem Plädoyer für das Spiel unterlegt sie Bezugssysteme zu den Vorstellungswelten und Denkweisen von Erfindern. Und obwohl der Zusammenhang nicht unmittelbar nachgewiesen werden kann, betont sie Ähnlichkeiten von Zugriff, Abfolge und Beherrschung, von Offenheit, Unvorhersehbarkeit und Zufall, die von den Kindermuseen noch gar nicht genug berücksichtigt worden sind. Auch wenn sich hier einwenden lässt, dass die Kinder im Museum kaum einen Unterschied machen, ob explizite Spielmodelle angeboten werden oder Objektwelten, die spielerisch erforscht werden, so ist er doch gravierender, als auf den ersten Blick deutlich wird. Partizipation hat gegenwärtig Konjunktur, auch im Museum. Die sozialen Netzwerke wie Facebook stehen hier Modell für die Einbindung der Besucherschaft in Ausstellungsprogramme und Gestaltungen. Dass sich hinter dem Schlagwort Partizipation eine ganze Reihe unterschiedlicher Vorstellungen versammeln, die mit verschiedenen Strategien, Erfolgen und auch Einschränkungen rechnen müssen, stellt Georg Frangenberg im Rückblick auf drei Ausstellungsbeispiele dar. Bei allen Gewinnhoffnungen, die sich mit der Partizipation der Besuchenden verbinden, wird auch deutlich, dass der Prozess partizipativer Interventionen nicht ohne schmerzhafte Erfahrungen für die Kuratoren sind, die mit ansehen müssen, wie etwa dramaturgisch ausgefeilte Ausstellungsdisplays durch die konträren Vorstellungswelten der Besucher verändert werden. Es bedarf auf beiden Seiten der Überzeugungskraft und der Akzeptanz, aushalten zu können, dass die Vorstellungswelten von Kuratoren und der Besucher nicht immer kongruent sind. Eine der zentralen Fragen ist die nach gelungener Gestaltung, nach der Verräumlichung von Ideen und den damit zugrunde gelegten Inhalten. Nicht jeder Inhalt ist abbildbar, und nicht jeder gestaltete Raum verstärkt die Intentionen
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der Kuratierenden. Gerade im Kindermuseum nimmt die Gestaltung eine ganz besondere Rolle ein, da die Mädchen und Jungen die vorgestellten Themenwelten so sehen, wie sie dargestellt werden. Die Kinder unterscheiden nicht zwischen Interpretation und Wirklichkeit. Aus der Perspektive der Gestalter versteht Ursula Gillmann den ausstellungsarchitektonischen Prozess immer auch als Vermittlung zwischen Besucherinteressen und kuratorischen Vorstellungen. In Bezug auf die Kindermuseen übersetzt sie charakteristisches Alltagsverhalten in Objekte und Räume und stellt die Interessen der Besuchenden in das Zentrum ihrer gestalterischen Konzepte. Neben der Gestaltung hat der kindermuseale Raum in Deutschland mit vielen Kompromissen und Einschränkungen zu kämpfen. An die großartigen Museumsarchitekturen konnten sie bis heute nicht anknüpfen, und abgesehen von der Kinderakademie Fulda gibt es kein Gebäude, das explizit als Kindermuseum gebaut worden ist. Die Besonderheiten der »Bauaufgabe« Kindermuseum rekonstruiert Helga Schmidt-Thomsen, indem sie an ausgewählten Beispielen zeigt, dass der architektonische Entwurf und die bauliche Umsetzung nicht nur ganz andere Erfahrungsmöglichkeiten für die Besucher freisetzen, sondern dass hier ein musealer Raum kreiert wird, der wie in den Gestaltungskonzepten von Gillmann Verhalten, Bedarfe und kulturelle Codes der Kinder übersetzt. Deutlich wird an diesen Beispielen, dass es offensichtlich sehr verschiedene Sichten auf die Bedarfslagen von Kindern und deren Umsetzung und Ausführung gibt, die kulturell geprägt sind. In ihnen manifestieren sich Bildungs-, Lern- und letztendlich auch Verteilungsvorstellungen, die offensichtlich von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent anders geregelt werden. Die kindermuseale Praxis wird im zweiten Teil des Buches exemplarisch dargestellt, um zum einen die Bandbreite der Arbeit der Kindermuseen einmal im Überblick darzustellen und um zum anderen zu zeigen, wie und mit welchen kuratorischen Modellen sie arbeiten. Die Ausstellungswelten, Arbeitsweisen und Ausrichtungen unterscheiden sich nicht nur in der jeweiligen Verortung zwischen Kindermuseen, Abteilungen in Museen oder anderen Zentren und temporären Projekten, sondern grundsätzlich. An den Bedarfslagen von Ort und Zielpublikum richten sie ihre Profile aus, ob als Raum erster Sozialisationserfahrungen für kleine Kinder (Margot Reinig), als Integrationsort (Elisabeth Limmer) oder als Kulturort in der Stadt (Sabine Radl sowie Anette Beyer und Yvonne Richter). Dass sie die gesellschaftlichen Verwerfungen aufnehmen, durch die heutige Kindergeneration in diejenigen eingeteilt werden, deren Bildungshaushalt stetig anwächst, und in diejenigen, die proportional dazu an Bildungsmöglichkeiten verlieren, ist ein besonderes Verdienst dieses niederschwelligen Kulturortes. Sie haben die gegenwärtig geführte Bildungsdiskussion um Bildungsgerechtigkeit, die Förderung von kleinen Kindern, die Integration von Kindern und Familien aus unterschiedlicher kultureller Herkunft schon lange aufgenommen und zum Ansatz der eigenen Arbeit gemacht.
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Die Potenziale, die der Ort Kindermuseum gerade für die und in der Gegenwart hat, Lernwelten zu entwickeln, die vor allem jenen Kindern Alternativen zur Schule anbieten, die kaum am kulturellen Leben teilnehmen und die nicht zuvorderst auf das Einlernen von Techniken und besonderen Begabungen und Interessen zielen, sind noch immer nicht im öffentlichen Diskurs etabliert. Die Kindermuseen sind in ihrer Verschiedenheit jedoch immer Orte, die die ganze Familie im Blick haben. Sie vermitteln die kulturellen Praktiken des Musealen und des Museumsbesuchs und öffnen den Kulturraum für alle Kinder und ihre Familien. Die besondere Gewichtung als Ort des Wissenstransfers für Familien, als Anregung zur Diskussion, für Spiel und Tun, aber auch als Ort der Freizeitgestaltung, das ist das Verdienst der Kindermuseen. In der Kleinstadt (Rainer Strauß) übernimmt das Kindermuseum als der Kulturort überhaupt die Funktion, ein kulturelles Zentrum in der Kulturlandschaft der Stadt, einen Treffpunkt und Innovationsort zu schaffen. Als Ort für Energieträger der Zukunft und die umfassende Bedeutung von Nachhaltigkeit (Ute Pfeiffer-Frohnert und Bert Gigas) ist das Kindermuseum auch durch seine intensive Vernetzung mit Schulen und Kitas Ressourcen-Spiel- und Lernort zugleich, und als Teil eines Kulturzentrums (Claudia Lorenz und Stefan Ostermeyer), das zu DDR-Zeiten der politischen Erziehung diente, kann die eigene Geschichte vor Ort aus einer ganz anderen Perspektive befragt werden, da der Ort selbst Zeugnis der Vergangenheit ist, die das Kindermuseum verhandelt. Als Teil eines Stadtmuseums (Susanne Gesser) oder Bereich eines ethnologischen Museums (Peter Mesenhöller) übernimmt es mit seinen Vermittlungsstrategien und Ausstellungen die Funktion, die musealen Angebote nicht nur zu erweitern, sondern sie besonders auf die Bedarfe einer bestimmten Klientel hin zu entwickeln. Diese Kindermuseen sind keine Rahmenprogramme mehr, sondern autonom in ihrer Struktur und ihren Präsentationspraktiken. Als temporäres Museum (Maren Ziese) müssen die eigenen Methoden und Arbeitsweisen immer wieder infrage gestellt und neu gedacht werden, denn der nicht feststehende museale Raum hat ganz andere Konditionen als der festgeschriebene. Im Kunstmuseum ein Kindermuseum zu installieren (Urs Rietmann) ist eher ungewöhnlich. Welche Möglichkeiten sich den jungen Besuchern hier bieten, sich mit Farben, Formen und Ordnungen auseinanderzusetzen, wird im letzten Beitrag dieses Teils nachgewiesen. Zwischen Lernwelt und Museum, das zeigen die Beispiele aus der Praxis, kann der museale Hybrid Kindermuseum eigentlich mehr Freiheiten für Neugier, Eigensinn und Interaktion gewinnen, wenn er sich mehr auf die Perspektive des musealen Raums konzentriert und die kulturellen Einflüsse mitdenkt, die Kindermuseen besitzen. Im letzten Kapitel werden die Wurzeln der Kindermuseen in Deutschland im gesellschaftlichen Kontext der 70er Jahre und ihrer kulturpädagogischen Visionen rekonstruiert und im Rückgriff auf Rousseau und Kleist ideengeschicht-
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lich begründet (Wolfger Pöhlmann). Die bildungspolitischen Konstellationen der 90er Jahre, in denen die erste Gründungswelle der Kindermuseen stattfand, werden atmosphärisch beschrieben (Wolfgang Zacharias). Zu dem Zeitpunkt sahen die Bildungslandschaften noch ganz anders aus, und die Kinder mussten mit Spielwelten zurechtkommen, aus denen sie lange herausgewachsen waren. In der langen Geschichte der europäischen Museen, die als öffentliche Orte mit ihren Zeigewelten unterschiedlichster Disziplinen zu den neuen Repräsentanten kultureller nationaler Identität geworden waren, ist das Kindermuseum auch Ausdruck eines vorläufigen Endes, mit dem das Museum als soziale Handlungsplattform und als neues Bildungsformat genutzt wird (Gabriele König). Die Realisierung dieser Publikation verdanken wir der großzügigen Förderung durch den Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann. Mein Dank gilt natürlich allen Autoren, die an der Publikation mitwirkten. Den Mitgliedern des Bundesverbandes danke ich für die Anregungen und Diskussionen, die zum Teil auch durchaus kontrovers geführt wurden, und für die Zeit, die sich sie genommen haben, damit dieses Buch geschrieben werden konnte. Zuletzt gilt mein besonderer Dank den beiden Redakteurinnen, Cornelia BrüninghausKnubel und Anna-Sophie Springer, für Vorschläge, Übersetzung und die redaktionelle Zusammenarbeit, die in langen Diskussionen und Abstimmungen, auch weit über die Grenzen Berlins hinaus, immer erfolgreich zum Ziel führte. Yvonne Leonard
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kek – Kindermuseum für Bremen: Ausstellung Kapier Papier (2011), Foto: Claudia Hoppens
MobilesMusikMuseum (Michael Bradke): music4kids, Musikmesse Frankfurt (2010), Foto: Bethke Kromann
Kunstmuseum Bonn: Ausstellung El Lissitzky – Über zwei Quadrate (2001), Übernahme vom Sprengel Museum Hannover, Foto: Reni Hansen
Kindermuseum im Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg: Miquel Navarro Rund um die Stadt (1999), Foto: Diemer
Neues Universum Berlin: Kinder bauten eine »Energiestadt« in der Ausstellung Here comes the Sun! (2011), Foto: Amin Akhtar
Methoden
Den Blick verändern Kuratorische Methoden in Kindermuseen Yvonne Leonard
Mit den Kindermuseen wurde ein Bildungsformat1 kreiert, dessen museales und evokatives Reservoir bisher noch gar nicht ausgeschöpft worden ist. Die Idee des intelligenten Zeitvertreibs2 , der auch der Erziehung und Bildung diente, ist nicht neu, aber er hat offensichtlich Konjunkturen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in Zeiten der Aufklärung, breitete sich explosionsartig eine neue, zumeist naturwissenschaftliche Wissenskultur aus, die mit intelligenten Objekten, optischen Apparaturen und allerlei wundersamen Gerätschaften ganz neue Visualisierungspraktiken zur unterhaltsamen Erziehung und Bildung hervorbrachte. Darin spiegelte sich, wie Barbara Maria Stafford in ihrer Analyse der »Kunstvollen Wissenschaft« zeigt, »das Bedürfnis von Kaufleuten, Händlern und Handwerkern nach Bildung wider«, das »Arbeit und interaktive Beteiligung« erforderte.3 Heute findet man diese rhetorischen Objekte in wissenschaftlichen Sammlungen und in Museen wieder. Parallel entstanden die ersten Versionen in der Art von »Was ist was?«-Buchreihen für Kinder. Die visuelle Bildung, experimentbasiert und auf das Machen konzentriert, hatte die Arena des Lernens im Zeitalter der Vernunft mit ausgetüftelten Unterhaltungsprogrammen betreten, um ihr Publikum zu verzaubern und den Blick auf die Welt im Sinn der Aufklärung zu verändern. 1 | Vgl.: Tony Bennett, The Birth of the Museum. History, Theory, Politics, London 1995, S. 89. Kein Museum ist ohne Absicht und Repräsentationsanspruch, in denen sich die Vorstellungen und Sichtweisen der jeweiligen Gegenwart und wie sie gesehen werden will, manifestieren. Das gilt auch und ganz besonders für edukative Formate, in denen sich die gesellschaftlichen Bildungskonstruktionen genauso darstellen wie in der jeweiligen Besucherkonstruktion. Beides sind schließlich Modelle, die im Museum einen hervorragenden Ort der Sozialisation finden. 2 | Vgl. Barbara Maria Stafford, Kunstvolle Wissenschaft. Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Bildung, Amsterdam/Dresden 1998. 3 | Ebd., S. 83.
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Das Vorhaben der Kindermuseen, mit bildlichen Darstellungen, unterhaltsamen Ausstellungsobjekten und Szenarien Wissen zu erzeugen, greift dieses Programm des intelligenten Zeitvertreibs wieder auf. Die Idee der Teilhabe durch Bildung und Erziehung ist, auch wenn sie heute anders begründet wird, aktueller denn je, und wieder werden die verschiedensten Visualisierungspraktiken entworfen, deren Ziel das Sichtbarmachen ist. Kindermuseen sind Familienorte, deren Kulturtransferleistungen sich nicht auf Techniken4 , sondern auf Kommunikation, Erfahrung und Anregung und vor allem auf Wissenspraktiken5 und deren Erkenntniseffekte konzentrieren. In ihnen wird Alltagswissen freigelegt und auf Zusammenhänge und Wissensbestände befragt, die sich nicht durch pure Beobachtung erschließen. In ihren Themenwelten stellen sie interdisziplinäre Zusammenhänge her, zeigen Kontexte auf und erzählen Geschichten, die die Kinder so noch nie gehört haben. Gleichwohl bilden sich in ihnen Konjunkturen gesellschaftlicher Entwicklung und Selbstsicht ab, in denen Bildung und Erziehung einen beträchtlichen Raum einnehmen. Die Kinder und ihre Bildung, die kulturelle zumal, steht im Fokus gegenwärtiger politischer Diskussionen. Ihr werden vor allem Zukunftshoffnungen und Identitätsgewinne appliziert, die in der Wissensgesellschaft nicht nur neu ausgewiesen werden, sondern Teil ihrer selbst sind. Der Lernort Kindermuseum muss sich den Anforderungen der Wissensgesellschaft und ihren Bildungsinteressen stellen. Anders als in den Anfängen in Deutschland vor rund 20 Jahren muss er sowohl den Freiraum für die Kinder verteidigen als auch die diversen heterogenen Bildungsinteressen seines sozial und kulturell verschiedenen Publikums in das Zentrum seiner Arbeit stellen. Noch nie waren Wissensleistungen und -bestände einer Kindergeneration so verschieden. Herkunft und kulturelle Sozialisation haben die Bildungsbiografien fest im Griff, und ihre Durchlässigkeit ist gering. Der Schlüssel zur Bildung und zu den Bildungsbiografien ist direkt in den Familien zu finden. Ihre Lebens- und Alltagswelten sind sozial und kulturell determiniert. Die Einflussnahme und Selbst4 | Howard Gardner, Intelligenzen. Die Vielfalt des menschlichen Geistes, Stuttgart 1999, S. 67ff. »Wie die meisten normal entwickelten Kinder schon früh mühelos sprechen lernen, zeigen sie im selben Alter auch schon eine Prädisposition ihrer Begabungen.« Gardner bezieht sich auf ein Konzept der vielfachen Intelligenz, zu der ganz verschiedene Begabungen und Kompetenzen gehören, und plädiert dafür, um den unterschiedlichen Begabungen gerecht zu werden und diese zu fördern, dass Kinder verschiedene Wissensformen miteinander zu verbinden lernen. Vgl. hierzu auch Aljoscha Neubauer/Elsbeth Stern, Lernen macht intelligent. Warum Begabung gefördert werden muss, München 2007. 5 | Yvonne Leonard, »Kindermuseen oder wie zeigt man Kindern das Wissen, das die Welt zusammenhält«, in: Museumskunde, Museum nachgefragt, Bd. 76, Berlin 2011, S. 54-55.
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organisation den Kindern zu überlassen, überfordert diese gänzlich. Daraus folgt auch, dass sich die Absichten und Ziele der Kindermuseen verschoben haben: Es sind nicht mehr primär nur die Kinder, sondern ihre Familien, für die die Ausstellungswelten entwickelt werden müssen. Die sozialen Verwerfungen werden Gegenstand der eigenen Aufgabenfelder. Die enge Bindung an den Lernort hat den musealen Kontext und die mit ihm verbundenen Potenziale und Möglichkeiten lange Zeit überschattet und zu einer eher einseitigen Bestimmung der Praxisfelder geführt, die vor allem pädagogisch motiviert wurden. Die kulturelle Prägekraft6 des Museums und seine Bildpraktiken wie auch der performative Charakter der Interaktionen wurden eher am Rande der eigenen Praxis quasi als Mitnahmeeffekt reflektiert. Während sich in den USA in den letzten 20 Jahren einige interdisziplinäre Forschungszweige etablieren konnten7, die sich vornehmlich mit Lern- und Vermittlungsstrategien von Ausstellungen für Kinder befassten und aus denen Anforderungsprofile hervorgingen, die die Bildungsbedarfe konkretisierten, sind Kindermuseen in Deutschland nur sehr am Rande Gegenstand der Forschung. Der Grund hierfür ist in den heftigen sozialen Verwerfungen US-amerikanischer Realität zu suchen. Dort übernahmen die Kindermuseen schon vor 20 Jahren Aufgaben elementarer Sozialisationspraktiken wie Zähneputzen, richtige Ernährung und das Erlernen des ABC. Allerdings hat die Bildpraxis in den US-amerikanischen Studien bis heute keine tragende Rolle übernommen, sondern es dominieren das Machen, Handeln und Interagieren. In Deutschland fallen die Kindermuseen sowohl aus dem kulturpädagogischen bzw. bildungswissenschaftlichen als auch aus dem kulturwissenschaftlichen Diskurs weitgehend heraus. Es existieren weder valide Daten, die Auskunft über Methoden und deren Besuchergewinne gäben. Noch gibt es welche, an denen sich Methoden überprüfen und verändern ließen, die auch der Qualifizierung eines Arbeitsfeldes, des Kuratierens von Ausstellungen für Kinder, zugute kämen. Das hat Gründe, die sich auch in der aktuellen Diskussion um die Qualität kultureller Bildung spiegeln. Erst jetzt wird diese zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Die Kriterien für die Praxis waren bisher vor allem von den jeweiligen Akteuren selbst, die zumeist aus pädagogischen Disziplinen kamen, entwickelt worden. In ihr artikulierten sich die jeweils aktuellen Bildungs- und Erziehungsvorstellungen, die vor allem in den 60er und 70er Jahren neu formuliert wurden. 6 | Joachim Baur, »Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerständigen Gegenstandes«, in: ders. (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 15-48, hier S.39. 7 | Vgl. George E. Hein, Learning in the Museum, London 2006.
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Durch ihre enge Bindung an den Lernort, der ausschließlich pädagogisch besetzt ist, passen die Kindermuseen nicht in kulturwissenschaftliche Diskurse, die das Museum zum Gegenstand haben. Die alte Kontroverse zwischen »Populärkultur« und »Elitekultur«, die sich nur langsam auflöst, ist sicher auch ein Grund hierfür. Es gibt wohl keinen anderen musealen Ort, der ausschließlich als Bildungsverpflichtung verstanden wird, in dem inhärente museale Fragestellungen scheinbar gar nicht zur Disposition stehen – obwohl die Bedeutung visueller Kulturen so dominant ist wie nie zuvor und ganze Generationen von ihnen »ausgebildet« und nachhaltig erzogen werden. Kinder haben mit YouTube und Facebook mittlerweile eine eigene Bildpraxis entwickelt, mit der sie kommunizieren. Hier soll ein erster Versuch unternommen werden, das Bildungsformat Kindermuseum in Bezug auf seine Lerneffekte zu benennen und beispielhaft kuratorische Fragen zu formulieren, die vor allem von der Objektseite und ihren Transferleistungen gestellt werden. Dabei soll das Spiel als kulturelles Modell in kuratorischer Absicht vorgestellt werden, um die Potenziale und Möglichkeiten aufzuzeigen, die es im Museum entfalten kann, und zwar in Bezug auf sein Handlungs- und Präsentationsreservoir. Daran schließen sich Überlegungen an, die sich mit der Transformation von Wissen in Objekte und Räume und den damit verbundenen Problemfeldern auseinandersetzen, an denen die interaktive Lernpraxis und ihre Absichten gemessen werden können. Beide, das Spiel einerseits sowie die Objektkonstruktionen und ihre Anordnungen andererseits, dienen dem Wissenstransfer und verweisen auf die Potenziale der Kindermuseen und ihre Arbeit.
» F ORSCHENDES L ERNEN « Die Idee des »forschenden Lernens« ist aktueller denn je. Sie holt die Kinder aus den kognitiv strukturierten Lernwelten der Schule heraus, um Eigeninitiative und Verantwortung zu stärken und Anregung und Impulse zu geben. In den Selbstdarstellungen der Kindermuseen wird es als Aufzählung ausgewiesen: »Lernen mit allen Sinnen«, forschen, experimentieren, entdecken und vor allem individuell und von eigenen Interessen und Neugier geleitet. Dieses Leitmotiv wird heute in die Nähe neoliberaler Bildungskonzepte gerückt, ganz anders, als es einmal intendiert war, indem die Bildung als Selbstbildung in die Verantwortung der Kinder und ihrer Familien übertragen wird. Gesellschaftliche Verwerfungen werden in dieser Konzeption ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass der Zugang zu Bildung und Ausbildung sozial und kulturell festgelegt ist. Die Kindermuseen werben damit, dass der museale Raum mit interaktiven Lernwelten ausgestaltet ist, die jeder verstehen kann, ohne Vorwissen. Das Verstehen wird verschiedensten Handlungsanweisungen unterlegt, und es
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ist dem Besucher selbst überlassen, wie und ob sie bzw. er sie nutzen wird. Im kulturpädagogischen Diskurs, der sich explizit auf die Kindermuseen bezieht, wird das Modell des Interaktiven auf »forschendes Lernen«8 und dessen Wirkungsweisen bezogen und an der Frage nach der Evidenz der Dinge gemessen, die mit den Verfahrensweisen wissenschaftlichen Forschens abgeglichen werden. Das »forschende Lernen« wird hier zu einer Handhabung, die der Übermacht der Dinge ausgeliefert ist. Die in ihnen intendierten Erkenntnisse werden nur dann freigelassen, wenn sie richtig genutzt werden. Es sind »nicht die Dinge, die verändert […] werden. Es ist das Subjekt, das der erdrückenden Last der faktischen Evidenz unterlegen ist und sich verändern muss.«9 In Bezug auf die Objektkonstruktionen und deren Anordnungen wie in der Frage nach den Wissensformationen und Lerntechniken im Kindermuseum greift die Überprüfung der Handlungsstruktur »forschendes Lernen« zu kurz. In der Ineinssetzung mit wissenschaftlichen Forschungsprozessen wird übersehen, dass der kindermuseale Raum als Ganzes gedacht wird, der die Projektionsfläche für Interaktionen unterschiedlichster Art abbildet und nicht das einzelne Objekt. Darüber hinaus ist dieser eben kein Wissenschaftsraum mit seinen je eigenen Forschungsfeldern und Prozessen, in denen schon die Exposition des Forschungsfeldes selbst immer auch eine Idee ist, die scheitern oder gelingen kann. Die Interaktivität konfiguriert ein Verhalten und Verhältnis zugleich, und »forschendes Lernen« bezieht sich auf Wissenspraktiken, die durch Partizipation, Performativität und soziale Kommunikation umgesetzt werden. Der museale Raum ist überdies ein gänzlich anderer, mit eigenen Grenzen und Zugriffen, in dem »forschendes Lernen« als eine visuelle Lesepraxis10 gedacht wird, die Aufmerksamkeitsmuster11 schult. Er ist ein Raum der Kulturtechniken12 , die den Tätigkeiten einen spezifischen Sinn verleihen, um den Kindern zu helfen, die Bilder von der Welt zu ordnen und zu entziffern. Er hat eine feste Erzählstruktur und Dramaturgie und reiht nicht Phänomen an Phänomen, sondern er erzählt eine Geschichte, die durch Inhalte bzw. Fragestellungen figuriert wird. Die Bildwelten und Modelle13 sind das Alphabet, das die musealen Erzähl- und Zeigewelten zu einem kontextuellen Ganzen verbindet. Der kin8 | Stephan Münte-Goussar, »Forschendes Lernen«, in: Torsten Meyer/Andrea Sabisch (Hg.), Kunst – Pädagogik – Forschung. Aktuelle Zugänge und Perspektiven, Bielefeld 2009, S. 149-164, hier S. 152ff. 9 | Ebd. 10 | Lorraine Daston/Peter Gallison, Objektivität, Frankfurt a.M. 2007, S. 148. 11 | Ebd., S. 389ff. 12 | Thomas Macho, »Körper der Zukunft. Vom Vor- und Nachleben der Bilder«, in: Hans Belting (Hg.), Bilderfragen. Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007, S. 181194, hier S. 181ff. 13 | Barbara Maria Stafford, a.a.O., S. 310.
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dermuseale Raum erzeugt darüber hinaus mit seinen interaktiven Objekten informelle Strukturen und Kommunikationsprozesse, die zwischen den Kindern selbst und zwischen ihnen und ihren erwachsenen Begleitern entstehen und verhandelt werden. Er ist als Ausstellungsraum ein Raum der Bilderzeugung und Bilderpraxis und deswegen viel mehr als nur ein forschender Lernraum. Er ist musealer Ausstellungsraum, Begegnungsraum14 und zugleich Handlungsplattform für Besuchergruppen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie zu einer Generationengruppe gehören. Kinder nehmen die Welt anders wahr als Erwachsene. Sie müssen sich immer wieder wegen ihrer nur kurzen Lebenserfahrungen einen neuen Überblick verschaffen, um sie zu ordnen und einzuordnen. Zum anderen haben sie noch nicht jene Domestizierungspraktiken durchlaufen, die das Regelwerk bilden, nach dem Handlungen in die »richtigen Bahnen« gelenkt werden. Ihr Weltwahrnehmungshandwerkszeug ist ihr Körper, mit allen Sinnen, mit aller je eigenen Unmittelbarkeit und Reaktion. Insofern ist der Körper im Kindermuseum die Instanz, die das Zentrum der Lernwelten bildet, in der »der Körper einen wesentlichen Anteil an der Erkenntnis […] hat«15 . In keinem anderen Museumstyp wird die Körperlichkeit sowohl als Bezugs- und Rezeptionssystem als auch als Objekt-, Raum- und Zeitkonfiguration so analog gedacht wie im Kindermuseum. Und diese Verknüpfungen spielen eine entscheidende Rolle, in der der kindermuseale Raum nicht nur als »Wirk-, sondern auch als Merkwelt figuriert«16. In ihm werden affektive Bezüge freigesetzt und Erfahrungen gemacht, die auf den »Blick auf die Welt« zielen. Bei aller Interaktivität ist das Museum zuallererst und zu guter Letzt Schauraum, der Bezüge und Kontexte des nicht anschaulichen Wissens zur Anschauung bringt. Hier liegen die Potenziale der Kindermuseen und ihrer Wissenspraktiken. Sie schärfen, wie alle anderen Museen auch, das Sehen als eine erkenntnisleitende Kraft. Nur diese Sehtechniken sind andere, die nicht nur die Augen im Sinn haben. Sie gehören zum performativen »forschenden Lernen«, das immer neue Erfahrungen generiert, und sie arbeiten an der Gedächtnisförderung und der Erinnerung. Vom schulischen Lernen unterscheiden sich die kindermusealen Interaktions- und Zeigewelten schon dadurch, dass Ort und Umgebung immer neue 14 | Maren Ziese, Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen, Bielefeld 2010, S. 15ff. Obwohl Ziese ihre Untersuchung ausschließlich auf Kunstausstellungen bezieht, konzentriert sie sich vor allem auf die Fragen nach den sozialen Images, die Ausstellungen nicht nur abbilden, sondern die sie stiften. 15 | Gottfried Korff, »Betörung durch Reflexion«, in: Anke ter Heesen/Petra Lutz (Hg.), Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort (= Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd. 4), Köln/Weimar/Wien 2005, S. 105. 16 | Ebd., S. 97.
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Inhalte abbilden und in Formationen und Gestaltungen übertragen, die neue Zugänge und Perspektiven freilegen. Sie bilden die Brücke zu Neugier und Interesse der Kinder. Sie legen Spuren in die Alltagswelten, um sie aufzuschlüsseln und zu befragen in der Absicht, die Wissensbestände, die im scheinbar banalen Alltäglichen geronnen sind, aufzudecken und in Visualisierungen zu übersetzen, die das auf den ersten Blick nicht Sichtbare veranschaulichen: Wenn man am Morgen am Himmel die Sonne sehen kann, sieht sie kleiner aus als die Erde. Weiß man einmal, dass die Sonne viel größer als die Erde ist und sie nur durch ihre schier unendlich weite Entfernung so erscheint, als wäre sie kleiner, hat sich der Blick verändert. Auch wenn sie kleiner erscheint, ist das Größenverhältnis im Denken festgeschrieben. In diese Wissenslücken springen die kindermusealen Räume. Oder sie legen die Bezugswelten zwischen Phänomenen, Behauptungen und Alltag durch Fragestellungen frei, die von Klischees, Schlagworten und eingeschliffenen Weltvorstellungen überlagert werden. In den Schauwelten des Museums bekommen die Alltagswelten dadurch eine andere, neue Qualität. Sie werden enthüllt und der Stein des Anstoßes bekommt eine vollkommen neue Bedeutung, indem er in eine Fragetopografie des Wieso, Weshalb, Warum eingebunden wird. Die Lernunterschiede von Kindern, die die Lernforscherin Elsbeth Stern17 diagnostiziert und in Beziehung zur Intelligenz von Kindern setzt, sind vor allem durch Wissensunterschiede begründet, die sich durch alle Bereiche ziehen, das heißt sowohl auf das Sprachwissen als auch auf das Bedeutungs-, Erfahrungs- und Alltagswissen. Hier setzen die Kindermuseen an und sozialisieren Kulturtechniken und -praktiken der Wissensaneignung. Im Einschluss des Sehenlernens überschneiden sich die Lernmodelle und -praktiken mit kuratorischen Methoden, da beide dasselbe Motiv haben: die Rezeption von Ausstellungsobjekten und ihren Räumen durch die Besucher.
M USE ALE S TR ATEGIEN DES S PIELS Das Spiel18 als Erziehungsmodell gehört mit Schiller zum Inventar der »ästhetischen Erziehung des Menschen« in transzendentaler und zivilisatorischer Absicht.19 Als museale Strategie ist es in der Gegenwart20, wenn überhaupt,
17 | Aljoscha Neubauer/Elsbeth Stern, Lernen macht intelligent. Warum Begabung gefördert werden muss, München 2007, S. 48ff. 18 | Vgl. auch in diesem Band den Beitrag von Gretchen Jennings zu »Invention at Play«. 19 | Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Stuttgart 1975. 20 | Barbara Maria Stafford, a.a.O., S. 97.
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vornehmlich von Künstlern eingesetzt worden21 . Der Einzug interaktiver Medien in das Museum dient vornehmlich als Zusatz, als Erklärungsmedium in thematischen Ausstellungen und nicht als Spiel, auch wenn vor allem Kinder immer wieder versuchen, sie umzunutzen und ihren Interessen anzupassen. Die Kindermuseen werben mit dem spielerischen Lernen. Dort beschreibt es einen Vorgang, in dem Eigensinn, Spontaneität und kreativer Überschuss von Kindern nicht nur mitgedacht, sondern be- und gefördert werden sollen. Dieser Ansatz hat für die Kinder einen Interaktionsfreiraum geschaffen, in dem Lernen, die Welterkundungen und das Spielen, in Anlehnung an Piaget, eine, zumal unbewusste, Einheit bildeten. Heute ist das spielerische Lernen durch das Experiment ersetzt worden, dessen Rahmen die Ernsthaftigkeit kindlichen Lernens sicherstellen soll. Die Komplexität von Spielen22 aber reicht weit über das Experiment hinaus. Ist das eine festgelegt in den engen Grenzen seines Vollzugs, verfügt das andere über eine Reihe unterschiedlichster Semantiken, die diese Grenzen immer wieder ausweiten und überschreiten. Schon aus diesem Grund ist das Spiel als kuratorisches Modell für die Kindermuseen kein Rückgriff, sondern eine Weiterentwicklung. Der spielerische Gehalt kindermusealer Ausstellungen wird hier nicht weiter infrage gestellt, sondern das Spiel als kulturelles Modell favorisiert.23 Sein Wesen und seine Geschichte finden sich im Kult, im Ritual und im Fest24 wie in den großen Erzählungen als Repräsentation von Welt, Weltverstehen sowie Werten und Normen wieder. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte aller Kulturen und Zeiten. Spiele sind mimetische Welten. Ihre Evidenz und Funktion sind heterogen, und sie können immer wieder modifiziert, uminterpretiert bzw. angepasst werden. Darüber hinaus strukturieren Spiele Erfahrungen, und zwar räumliche, zeitliche und soziale.25
21 | Das Spiel als Interaktion findet sich vornehmlich in künstlerischen Arbeiten wieder, wie etwa bei Erwin Wurms One Minutes Sculptures oder besonders in den computer- oder netzbasierten Arbeiten. Erst durch Interagieren entstehen die Arbeiten. Regeln, Haltungen, Verfahrensweisen werden durch den Besucher konfiguriert, der Künstler liefert das Material. 22 | Edgar Forster/Jörg Zirfas, »Endspiele. Dekonstruktive Einsätze in der pädagogischen Antropologie«, in: Johannes Bilstein/Matthias Winzen/Christoph Wulf (Hg.), Anthropologie und Pädagogik des Spiels, Weinheim/Basel 2005, S. 63-97, hier S. 64ff. 23 | Johan Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg 1987. 24 | Ebd., S. 77ff. 25 | Christoph Wulf, »Spiel, Mimesis und Imagination, Gesellschaft und Performativität«, in: Johannes Bilstein/Matthias Winzen/Christoph Wulf (Hg.), a.a.O., S. 15-22, hier S. 15.
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Wenn Spiel und Spielerfahrungen zu den elementaren Wirklichkeitsaneignungen von Kindern26 gehören, dann kann das Spiel in der Absicht der Erweiterung von Handlungsrepertoires, Erfahrungs- und Erkenntnisleistungen eingesetzt werden. Es ist in seiner Verschiedenheit »nicht nur Mimesis der sozialen Welt, sondern auch der inneren Welt […] Neben der Erfahrungsgewissheit entstehen im Spiel auch die Ordnungen und Strukturierungen der Erfahrung selbst, insbesondere räumliche, zeitliche und soziale Gliederungen. Dies sind praktische Interpretationen der Welt, die dem sozialen Handeln ein sicheres Fundament geben.« 27
Grundsätzlich also stiften Spiele Beziehungen und Bezugssysteme, die im Verfahren des Ungedeckten und Unentdeckten selbst liegen.28 Ein weiteres Element des Spiels ist, dass es multidisziplinär und vielperspektivisch genutzt werden kann. Es besteht nicht nur aus Regeln, festen Strukturen und Ordnungen, Imagination und Modifikationen, aus Wettkampf, Verhandlungen und Einsichten, sondern von seiner materiellen Seite aus Körpern, Materialien, Räumen, Interieurs, je nach Anlage und Beschaffenheit. In den kindermusealen Raum als kuratorische Methode übersetzt, bedeutet das: Inhalte und deren Entfaltung und Modellierung in je verschiedenen Spielen, die miteinander in Beziehung stehen, werden zur Topografie eines Gesamtspiels, das individuell oder zusammen gespielt werden kann – wobei es durch seine Offenheit und Figurationen immer auch umdefiniert, umgeformt und den eigenen Vorstellungen, Wünschen und Imaginationen angepasst werden kann. Und da im Spiel eben nicht nur die Rollen jederzeit vertauscht und verändert werden können, hebt es als museales Konzept jene Beschränkungen und Grenzen von statischen Objekten und ihren Interaktionen auf und erweitert sie. Es knüpft Verbindungen zwischen Sinnlichkeit und Denken. »Zu spielen heißt, spekulative Brücken zu schlagen zwischen Geist und Materie. Das Wahrnehmen, Sehen im Spiel ist immer auch ein Einsehen.«29 Der kindermuseale Raum kann zu einem Exkursionsraum werden, in dem die Spurensuche Orientierung über die Bedeutungszusammenhänge herstellt, die letztendlich auf den Blick zielen. Ästhetisch verräumlichte Spiele und Spielweisen veranschaulichen das Unsichtbare, Spielpraxis ist nicht nur Wissenspraxis, 26 | Edgar Forster/Jörg Zirfas, a.a.O., S. 83. 27 | Christoph Wulf, a.a.O., S. 20. 28 | Natascha Adamowsky, »Spiel und Wissenschaftskultur. Eine Anleitung«, in: dies. (Hg.), »Die Vernunft ist mir noch nicht begegnet«, Zum konstitutiven Verhältnis von Spiel und Erkenntnis, Bielefeld, 2005, S. 11-30, hier S. 15 29 | Ebd., S. 11.
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sondern auch Anschauungsmaterial. Es wird im Gedächtnis abgelagert und gerinnt zur Erinnerung. Sind sie einmal gespielt worden, setzen sich Ort, Spielformation und Regeln im Gedächtnis30 fest. So kann man Spiele auch als Mnemotechniken kultureller Praxis verstehen, die den Erfahrungsschatz und die Wissenswelten der Kinder anreichern und die abrufbar und übertragbar sind auf Situationen, in denen sie sich nützlich erweisen. Die enorme Speicherkraft des Spiels und sein performativer Charakter übernehmen im kindermusealen Raum die Funktion von Lern- und Wissenspraktiken, auch weil es als Form und Träger von Bedeutungen und Wissen über sich selbst hinausweist. Mit der Entwicklung von Spielen lassen sich Inhalte zu Formen mannigfaltigster Handlungen, Denk- und Erkenntnisleistungen konfigurieren und die Spielenden/ Ausstellungsbesuchenden haben im Ausstellungsraum die Gelegenheit, immer wieder neue Formationen, Regeln und Modifikationen, Als-ob-Situationen des Sich- und Etwasversuchens schaffen zu können. Das Spiel bzw. das Spielerleben ist also ein Prozess unterschiedlichster Interaktionen, in dem besonders Affekte, körperliche Techniken, Geschicklichkeit, Improvisationskraft, soziale Handlungen und Denkleistungen freigesetzt werden. Man muss mit Zufällen, Einfällen und Unvorhersehbarem rechnen, die über die eigentlichen Spielmodalitäten und Anordnungen hinausgehen und ganz eigene Spielsprachen und Interpretationen befördern, die Experimente nicht besitzen. Die Vielschichtigkeit des Spiels hat für den musealen Raum Kindermuseum eine schier unerschöpfliche Konstruktionskraft, die, in Objekte und Räume übersetzt, jene Besonderheit ausweisen, mit denen eben keine Techniken sozialisiert werden, sondern Anschauungsmaterial über die Welt entsteht, in der die Kinder leben. In der Anknüpfung an den unterhaltsamen Zeitvertreib des 19. Jahrhunderts kann das Spiel als kulturelles Modell des Sichtbarmachens, des sozialen Handelns, der Kommunikation, des Aneignens und Verhandelns unterschiedlicher Wissensbestände und Rollen neu entwickelt werden, in dem jedes Kind nur gewinnen kann.
O BJEK TE ALS TR ÄGER VON W ISSEN Was für das Spiel nicht nur in Bezug auf seine Erkenntnisleistungen als kuratorische Methode ausgewiesen ist, bezieht sich auch auf Objekte, die in den Kindermuseen entwickelt und ausgestellt werden. Sie aus dem musealen Kontext heraus zu befragen und damit die Lernanforderungen in Bezug auf mu30 | Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 158. Die Verbindung von Gedächtnis und Raum stellt Assman in ihrer Analyse als zentrale Konfiguration vor, indem sie Räume als mnemotechnische Medien beschreibt.
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seale Bilderzeugungen und Bildpraxis hin zu denken, zielt auf die Beziehung von Objekten zu ihren Gehalten, deren Visualisierungspraktiken und die damit verbundenen Wissensleistungen und Erkenntniseffekte. Da Kindermuseen nur selten auf Sammlungen zurückgreifen können, mit denen sich die Ausstellungswelten gestalten ließen, und sie zuvorderst an der Freilegung von Bedeutungswissen und dessen Zusammenhängen arbeiten, nimmt die Gestaltung von Objekten und Räumen eine zentrale Rolle ein. In den letzten Jahren entwickelte sich eine Unmenge neuer, immer komplexerer Visualisierungspraktiken für Museen, besonders mit Hilfe computerbasierter Verfahren, mit denen virtuelle Welten ausgestaltet werden. Sie bebildern modellhaft das Unsichtbare vor allem naturwissenschaftlicher Forschungsprozesse oder Vorhaben. Oder sie liefern historische Hintergrundmaterialien, um die in musealen Objekten geronnenen Welten und epistemischen Gehalte zu dekonstruieren und zu untermauern. Daneben hat sich eine eigene Profession der Objektentwickler etabliert, die vor allem technische Ausstellungsdisplays entwerfen, die in erster Linie naturwissenschaftliche Phänomene und deren Wirkungsweisen vorstellen sollen. Sie werden als Experimente gedacht, und zuweilen riegeln sie genau jenes Wissen ab, das sie visualisieren wollen. Auf einen Blick soll mit ihnen erfasst werden, wozu Wissenschaftler oft über Jahrzehnte geforscht haben. Sie verkörpern als Objekte eine materiale Objektivität in der Absicht, das Wissen über die Natur anhand von Phänomenen darzustellen. Wie die unterhaltsamen Apparaturen und rhetorischen Objekte des 19. Jahrhunderts sind sie Ausdruck für ein neues Verständnis der Popularisierung von Wissen und Teilhabe. Und sie konditionieren ein Verhalten und ein Verhältnis zur Welt, deren oberstes Credo das Machen ist. Analog dazu hat die Szenografie einen wesentlichen Anteil an der Interpretation von Ausstellungsräumen übernommen, mit deren Hilfe kuratorische Programme und Ideen in Räume übertragen werden. Diese Verfahren, die immer komplexer und subtiler werden, verändern nicht nur das Verständnis über die Wissenspraktiken und Strategien von Ausstellungen wesentlich, sondern auch die an sie geknüpften Erwartungen und Anforderungen. Sie greifen tief in die Sehwelten und Sichtweisen der Besucher von Ausstellungen ein und beeinflussen die sinnliche Wahrnehmung. Gleichwohl werden die Koordinaten neu justiert. Auf der Suche nach adäquaten Verfahren, die den Anspruch auf Visualisierung von Wissen einerseits umsetzen, die aber anderseits fähig sind, eigene Bildqualitäten und -welten zu modellieren, die mehr als nur modellhafte Reduzierungen komplexer Wissensformationen sind, rücken immer mehr Künstler in das Zentrum neuer Bildproduktionen. Die Übertragung von Wissenschaftsprozessen in Artefakte verleiht diesen nicht nur mehr Einzigartigkeit, sondern eine eigene ikonologi-
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sche Qualität und individuelle Formensprache, die die Phänoobjektwelten und computergenerierten Visualisierungen nicht haben. Der scheinbar mühelose Bezug zwischen Wissen und Bild, der eine So-ist-es-Objektivität vortäuscht, hält offenbar nicht, was er verspricht. Ihre Evidenz lässt keine Spekulationen zu, und nur selten gelingt die Brücke in den Alltag. Damit ist ein Inhalts- und Formproblem von Visualisierungspraktiken31 generell markiert, das sowohl für deren Entwicklung als auch für deren Lesbarkeit in Museen, Science Centern und auch für die Kindermuseen gilt. Die Entwicklung von Ausstellungsdisplays fokussiert sich fast ausnahmslos darauf, für den Inhalt eine Form zu finden, die den Transfer zwischen Wirkungs- und Funktionsweisen zeigt. Selbst hochkomplexe Verfahren werden extrem reduziert. Aber auch wenn das fast zwingend erscheint, ist es zugleich das Verhängnis vieler Visualisierungen. Sie werden abstrakt und berichten mehr, als dass sie erzählen. Sie zeigen nicht, was sie sein wollen, sondern was sie abbilden. Um diesem Dilemma zu entgehen, stellt sich für die Entwicklung von musealen Objekten nicht nur die Frage nach der Transformation von Wissen und dessen Gehalten, sondern auch die nach deren Rezeptionsleistungen. Und diese sind nicht nur Ausdruck von Visualisierungspraktiken. Sie verkörpern zugleich auch eine Richtung der Wissens- und Bildpraxis. Dabei geht es auch um eine Hermeneutik der Objekte und durch Objekte, und zwar sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch – oder kürzer gesagt, um das Objekt als Erzählung. Gerade deswegen ist die Frage nach Form und Inhalt in Bezug auf den musealen Raum eine komplexe: von Kontexten und Zusammenhängen. Sollen Objekte in ihren Anordnungen diese herstellen, unterliegen sie nicht nur der Veranschaulichung des nicht unmittelbar Sichtbaren. Sie haben mehr Tücken32 als Gewissheiten, welches Wissen sie eigentlich transportieren und vermitteln. Form und Inhalt bilden darüber hinaus eine Objekteinheit, und beide sind Bedeutungsträger. Oft leiden diese Transformationsleistungen daran, dass sich kein Zusammenhang zwischen Handlung bzw. Interaktion und Bedeutung herstellen lässt. Und der zum komplexen Wissen wird allemal verborgen. Das Überdenken von Objektkonstruktionen geht über die Abbildung hinaus. Es gilt, Visualisierungspraktiken zu entwerfen, die als Vermittlungsprozess verstanden werden, in dem die Inhalte in »größtmögliche Sinnfälligkeiten«33 31 | Wolfgang Schäffner, »The Design Turn«, in: Claudia Mareis/Gesche Joost/Kora Kimpel (Hg.), Entwerfen – Wissen – Produzieren. Designforschung im Anwendungskontext, Bielefeld 2010, S. 33-45, hier, S. 41ff. 32 | Anke ter Heesen: »Verkehrsformen der Objekte«, in: dies./Petra Lutz (Hg.), a.a.O., S 53-64, hier S. 55. 33 | Jochen Brüning, »Wissenschaft und Sammlung«, in: Sybille Krämer/Horst Bredekamp (Hg.), Bild – Schrift – Zahl, München 2003, S. 87-113, hier S. 110.
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zerlegt und inszenatorisch aufbereitet werden. Von der gegenwärtigen Designforschung34 ist die Gestaltung von Wissenspraktiken formuliert und auf ihre »konkreten Praktiken«, die zur »Erzeugung, Vermittlung und Archivierung«35 von Wissen beitragen, untersucht worden. Dieser Diskurs, der noch gar nicht in die Gestaltung von Ausstellungsobjekten eingeflossen ist, könnte auch für die kuratorische Praxis der Kindermuseen und die wachsenden Ansprüche der Besucher genutzt und angewendet werden. Er führt weg von der Aussage des Objekts zur Wissenspraxis von Objekten. Aus dieser Perspektive stellt sich die Gestaltungsfrage sowohl von der Objektseite als auch von der Seite der kindermusealen Räume nach ihren Wissensleistungen als Praxis des Zerlegens und Zusammenfügens abstrakten Wissens36 neu. Die Bezugspunkte sind die Objekte und Räume, ihre jeweiligen Vermittlungspotenziale und Wissensleistungen sowie deren Sinnfälligkeiten für die Besuchenden. Die Objekte und der kindermuseale Raum werden unter diesen Bedingungen zu einem gesamten Sichtbarkeitssystem, das als Zusammenhang des Sehenlernens gefasst wird. Die Strategie, die eine solche Konzeption verfolgt, ist es, einen narrativen Zusammenhang herzustellen, indem das zusammenhangslose Objekt als Narrativ einer Gesamterzählung verstanden wird, die mit unterschiedlichsten Verfahren und Techniken ausgestaltet wird. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe beliebter Ausstellungsdisplays, die als Träger von Information und Lesbarkeit entworfen worden sind und die offensichtlich auch inhaltsunabhängig funktionieren: Schubfächer und Kisten. Sie werden als Informationsboxen genutzt, deren Bedeutung sich als kontextbildende Leseanleitungen verallgemeinert hat, in die Dokumente, Experimente, Erinnerungsstücke, Bilder oder Erklärungswerkzeuge verbracht werden. Man findet sie in den verschiedensten Ausstellungsräumen und Museen wieder. Das Schubfach oder die Kiste fungieren offensichtlich als Gegenmodell zur Vitrine, mit der jene museale Distanz zwischen Besuchenden und Dingwelt hergestellt wurde. Ihre Wirkungsweisen verfolgen überdies die Interaktionen, weil sich ihre Inhalte erst im Aufziehen oder Aufklappen materialisieren. Doch die Kiste versammelt ein Bedeutungsreservoir in religiöser, kultureller und profaner Sicht, das sich durch die Geschichte der Menschheit zieht. Immer werden Traditionen und Geschichten mit ihr und durch sie überliefert. Sie ist der erste materiale Wissensspeicher, in dem sich die Sehnsucht manifestiert, das Wissen der Welt zu bergen, um es vor Katastrophen, Brand und Diebstahl zu schützen. Der Computer und das Smartphone sind die aktuellsten Versionen von Weltwissenskisten. Würde die Kiste mit dem Inhalt verkoppelt und selbst auch zum 34 | Claudia Mareis/Gesche Joost/Kora Kimpel, a.a.O. 35 | Ebd., S. 14 und S. 20. 36 | Barbara Maria Stafford, a.a.O., S. 326.
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Träger von Bedeutung werden, könnten die in ihr gespeicherten Informationen darüber erzählen, warum sie so präsentiert werden. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Die Semantiken von Objekten werden aber auf eine einzige ausgelegt. Doch gerade diese sind die besonderen Qualitäten, mit denen sich Lerneffekte und Wissen generieren ließen. In einer anderen Ausstellung über Farben wird u.a. das Farbspektrum des menschlichen Auges mit dem von Bienen abgeglichen und gegenübergestellt. Aber können wir dadurch wie Bienen sehen? Wir können es uns auch mit höchster Imaginationsanstrengung nicht vor Augen führen. Das Farbsehen ist keine ausschließlich optische, sondern eine komplexe Leistung zwischen Augen und Gehirn. Farben sind Träger von Bedeutungen, auch im Bienenleben. Die Zuordnungen von Rot und Blau oder dessen Fehlen wird als Tatsache übersetzt und dadurch das Sehen und seine eigentlichen Gehalte verstellt. Diese Beispiele könnten durch viele andere ersetzt und ausgetauscht werden. An ihnen lassen sich Wissens- und Bildpraxen von Kindermuseen aufzeigen, in denen das Abbild nicht als Visualisierung und Gestaltung von Objekten ausreicht. Sie sind ein subtiler und hoch komplexer Prozess ganz unterschiedlichster Ebenen und Bezüge, der in die Konstruktion von Ausstellungsobjekten und ihren Räumen eingehen muss: im Zerlegen, Zerteilen und Neuzusammenfügen von Bedeutung und Sinn. So kann man Objekte als Teil einer gesamten und zugleich als eigene Themenwelt verstehen, die ausschnitthaft zeigt, was im Verborgenen, im Nichtsichtbaren vorhanden ist. In kuratorischer Absicht erweitert dieser Ansatz das Programm und die Aufgaben von Ausstellungen im Kindermuseum: als Herausforderung für eine Praxis, in der das Sehen komplexer gedacht wird und die Objekte mehr erzählen können, um das Wissen für die Kinder zu einer spannenden und unterhaltsamen Erzählung zusammenzufügen, mit Hilfe einer Bildpraxis für den intelligenten Zeitvertreib.
Rhetorik des Kreativen Beobachtungen zum Kindermuseum Karen van den Berg und Markus Rieger-Ladich
D EMOKR ATISIERUNG UND E IGENSINN Als die Wochenzeitung Die Zeit im Sommer 2011 der sogenannten Hochkultur eine Titelgeschichte widmete und Jens Jessen das Feuilleton mit einem ganzseitigen Artikel eröffnete, der den Titel trug »Hoch die Hochkultur!«, wurde dieser mit einer Aufnahme der römischen Oper illustriert: in den Logen Angehörige der gesellschaftlichen Elite, welche festlich gewandet die 150-Jahrfeier der Republik Italien beging. Und auch wenn der Artikel im Untertitel die Hochkultur als den unaufgebbaren Maßstab unserer Zivilisation ausrief, verzichtete er doch weitgehend auf die larmoyante Klage darüber, dass die Gruppe derer immer kleiner würde, die eine Oper Puccinis, ein Streichquartett Beethovens oder eine Ausstellung mit Werken Vermeers noch zu schätzen wüssten. Nicht gänzlich frei von Ressentiment hält Jessen fest, dass der Staat zwar »Bildungschancen für alle« organisieren könne, aber eben nicht den »Bildungswillen aller«.1 Dabei erinnert er gegen Ende seiner Ausführungen an die Aufstiegshoffnungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der Arbeiterbewegung gehegt wurden. Er ruft den Hunger nach Teilhabe in das Gedächtnis sowie das Begehren danach, die Schranken der Privilegien einzureißen. Und er verweist darauf, dass die Erfahrung von Kunst zum Motor eines lang gestreckten Emanzipationsprozesses werden kann. Jessen beschließt seinen Beitrag mit einer überraschenden Pointe: Die Welt der Kultur gelte es vor allem deshalb vor den Gesetzen des Marktes zu schützen, weil ihr noch immer das Versprechen eingeschrieben sei, immer wieder neu zum Auslöser befreiender Bildungsprozesse werden zu können: »Darum werden die Subventionen keineswegs nur zum Bestandsschutz eines privilegierten Publikums bezahlt, sondern für die Freiheit eines jeden, aus seiner selten
1 | Jens Jessen, »Es lebe die Hochkultur!«, in: Die Zeit, 7. Juli 2011, S. 45.
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selbst verschuldeten, sondern gesellschaftlich bedingten Unmündigkeit auszubrechen.«2
Thomas Struth: Museo del Prado 1, Madrid 2005, © Thomas Struth Diesem kultursoziologisch gewendeten Kant der Aufklärungsschrift3 korrespondiert in der Zeitung auf ganz eigentümliche Weise eine bekannte Arbeit des Fotografen Thomas Struth, welche auf der nächsten Seite abgedruckt ist. Sie zeigt eine Gruppe von Schulkindern im Madrider Prado: Sämtlich im Grundschulalter und ausgestattet mit ihrer einheitlichen Schuluniform, die Grün mit Bordeauxrot kombiniert, sitzen sie mehrheitlich zu Fuß von Velazquez’ großem Ölgemälde Die Übergabe von Breda (ca. 1635), die meisten von ihnen auf dem Marmorfußboden, einige auf einer hochpolierten Holzbank. Wieder andere wenden dem Gemälde den Rücken zu und blicken offensichtlich auf ein Gemälde, das an der gegenüberliegenden Wand angebracht ist. Eine Lehrperson ist den Kindern zugewandt; sie sitzt ebenfalls auf dem Boden und hat ihren Blick auf das Meisterwerk aus dem frühen 17. Jahrhundert gerichtet. Sie ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen: Auf Augenhöhe mit den Kindern scheint sie zwischen ihnen und dem Gemälde zu vermitteln. Der Fotograf hingegen blickt aus einer erhöhten Perspektive auf dieses pädagogische Setting; er wird nur von einem Jungen, der am Rande sitzt bei seiner Aufnahme beobachtet. Ganz ähnlich wie einer der Soldaten, der am rechten Rand von Velazquez’ Gemälde 2 | Ebd. 3 | Immanuel Kant, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, in: ders., Werke in sechs Bänden, hg. von W. Weischedel, Bd. VI, Darmstadt 1983, S. 53-61.
Rhetorik des Kreativen
dargestellt ist, und aus diesem heraus die Betrachterin bzw. den Betrachter aufmerksam anblickt. Thomas Struth, der mit seinen großformatigen Arbeiten raffinierte Beobachtungen zweiter Ordnung anstellt – er beobachtet immer wieder die Formen, in denen wir beobachten, und hält dies mit stummer Präzision fest –, lässt hier das Thema »Demokratisierung der Kultur« in zweierlei Varianten anklingen. Zunächst zeigt er, dass sich nun offensichtlich auch die renommiertesten Museen, welche mit der Aufgabe betraut sind, das kulturelle Gedächtnis zu stiften sowie die kanonisierten Werke zu archivieren und zu präsentieren4 , vermehrt Kindern öffnen. Auch wenn das Gemälde von Velazquez, das eine für die spanische Geschichte wichtige Begebenheit darstellt, sich nicht leicht erschließt und historisch informierte Betrachter voraussetzt, soll es doch Groß und Klein, Alt und Jung zugänglich gemacht werden. Der Prado ist dabei durchaus nicht allein mit seinen Bemühungen um den Nachwuchs: Unverkennbar werden derzeit in den Museen die Anstrengungen intensiviert, die kulturellen Schätze einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren – und dabei nicht zuletzt auch Kindern und Jugendlichen. Und so scheint es nicht ganz abwegig, in der Lehrkraft eine Mitarbeiterin des museumspädagogischen Dienstes zu vermuten, welcher nicht zuletzt das Ziel verfolgt, Wege zu erkunden, um gerade den jungen Museumsbesuchern einen Zugang zu den ausgestellten Kunstwerken zu verschaffen. Die soziale Herkunft soll dabei – dies legt schon die uniforme Schulkleidung nahe, welche diese als Medium von Distinktionspraktiken unter Gleichaltrigen weitgehend neutralisiert – ersichtlich keine besondere Rolle spielen: Die Angebote richten sich, so ist zu vermuten, mithin auch an Schüler und Schülerinnen, für welche die Welt der sogenannten Hochkultur bislang noch ein fremdes, weithin unbekanntes Terrain ist. Die Anfänge einer grundlegenden Demokratisierung der Bildungseinrichtungen, die gegenwärtig immer vernehmlicher gefordert wird – eine der profiliertesten Stimmen gehört dabei dem Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis, der unter dem Titel Interkultur unlängst eine scharfsinnige Streitschrift vorgelegt hat, die zu einem »Umbau der Institutionen« aufruft und den Abbau der strukturellen Benachteiligung großer Gruppen der Bevölkerung einklagt5 –, lässt sich freilich noch in einer anderen Variante beobachten: Obwohl die Schulkinder sich in einem Umfeld bewegen, das mit ihnen als Nutzer bislang kaum rechnet, zeigen sie sich gegenüber den stummen Adressierungspraktiken des Museums mit 4 | »Heute bilden die Kernaufgaben im Museum – Sammeln, Bewahren, Forschen sowie Ausstellen & Vermitteln – die Grundlage der Arbeit im Museum«, formuliert es der Deutsche Museumsbund auf seiner Website: http://www.museumsbund.de/de/ das_museum/geschichte_definition/. 5 | Vgl. Mark Terkessidis, Interkultur, Frankfurt a.M. 2010.
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seinen edlen Materialien, seiner räumlichen Gestalt und dem bürgerlichen Habitus, den es unausgesprochen voraussetzt6, doch offensichtlich wenig empfänglich. Ihre Aufmerksamkeit gilt keineswegs uneingeschränkt den Ausführungen der Lehrkraft: Obwohl sich eine ganze Reihe der Kinder dem Gemälde zuwendet (und dort auf den Blick der Pädagogin trifft), gibt es eben auch einen Schüler, welcher die hochpolierte Bank als Sportgerät nutzt und damit die Aufmerksamkeit eines anderen auf sich zieht; ein dritter erforscht aufmerksam den Bereich unterhalb der Bank; wieder andere wenden sich der gegenüberliegenden Wand zu oder sind in sich selbst vertieft. Die Schüler, die Thomas Struths Arbeit in einem (vermeintlich) unbeobachteten Moment einfängt, demonstrieren daher nicht nur eine fortschreitende Demokratisierung des kulturellen Feldes und seiner Einrichtungen; sie zeigen eben auch jenen bemerkenswerten »Eigensinn«, der im individuellen Gebrauch stets auch ein subversives Moment der Aneignung erkennen lässt.7
TEILHABE UND K RE ATIVITÄT Blickt man nun, ausgehend von Struths fast schon klassisch zu nennender Vermittlungssituation, auf die jüngsten Entwicklungen innerhalb der Museumspädagogik, lassen sich die Konturen eines Wandels erkennen, der in seiner Dimension kaum zu überschätzen ist: Für Kinder werden im Museum heute längst nicht mehr nur besondere pädagogische Programme und Führungen bereitgehalten; immer häufiger werden ihnen eigene Abteilungen gewidmet, die sich in ihren Zielsetzungen und den Möglichkeitsräumen, die sie eröffnen, immer stärker von den klassischen Formen der Präsentation zu verabschieden scheinen. So firmieren unter dem Begriff Kindermuseum nicht nur Abteilungen größerer Museen – wie etwa das JuniorMuseum im Kölner RautenstrauchJoest-Museum, das Creaviva im Berner Zentrum Paul Klee oder das Dresdner Kindermuseum im Deutschen Hygiene-Museum –, es haben sich darüber hinaus in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen gegründet, denen es gelang, vollkommen unabhängig von renommierten öffentlichen Häusern eigene Institutionen zu etablieren. Dieses überaus bemerkenswerte Phänomen lässt sich etwa seit den 1990er Jahren beobachten. Wie erfolgreich diese Gründungen zuweilen sind und welche Besuchermassen sie anlocken, zeigt etwa das 1997 in
6 | Tony Bennett, »Der bürgerliche Blick. Das Museum und die Organisation des Sehens«, in: Dorothea von Hantelmann/Carolin Meister (Hg.), Die Ausstellung. Politik eines Rituals, Zürich-Berlin. 2011, S. 47-77. 7 | Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988.
Rhetorik des Kreativen
Berlin als gemeinnützige GmbH gegründete Labyrinth, das seit seiner Öffnung bereits mehr als eine Million Besuchende zu verzeichnen hat.8 Ganz offenbar haben wir es hier mit einem Phänomen zu tun, das ein sich grundlegend wandelndes Selbstverständnis der Museen indiziert. Museen gelten längst nicht mehr uneingeschränkt als elitäre Tempel des Bildungsbürgertums, die nur einem kleinen Personenkreis offenstehen, der sich durch eine besondere Kennerschaft auszeichnet. So hielt bereits Mitte der 1990er Jahre der Literaturwissenschaftler Andreas Huyssen nüchtern und unaufgeregt fest: »The museum’s role as site of an elitist conversation, a bastion of tradition and high culture gave way to the museum as mass medium, as a site of mise-en-scène and operatic exuberance.«9 Bei Besuchen in den Metropolen reagieren wir auf die Folgen dieser Entwicklung (zumeist) mit einer gewissen Gelassenheit: Wir haben uns nicht allein an das damit verbundene Schlangestehen vor den Großausstellungen gewöhnt, wir sind auch mit den interaktiven Medien, die in die Museen Einzug gehalten haben, vertraut. Partizipation und Teilhabe zielen deshalb nicht allein darauf, dass neue Besucherschichten angezogen werden, sie führen auch zur Etablierung neuer Nutzungsformen, die noch vor wenigen Jahrzehnten deshalb undenkbar gewesen wären, weil sie lange mit dem hochkulturellen Imperativ völlig unverträglich schienen. Interaktive Bildschirme und benutzerfreundliche Audioguides in unterschiedlichen Sprachen zählen daher längst zum gängigen Repertoire jener Häuser, die den Anschluss an die neuesten technischen Entwicklungen und die sich rasant ändernden Kommunikationsformen suchen. Und so beobachten wir insbesondere in Kindermuseen heute immer häufiger ganz andere Situationen als jene, welche Struth exemplarisch festhält. In welche Richtung sich zwischenzeitlich das Selbstverständnis der Museumsmacher entwickelt hat, wird auf sehr schöne Weise in einer Arbeit der japanischen Künstlerin Yahoi Kusama deutlich, die den Titel The Obliteration Room trägt. Diesen Raum hatte sie 2002 für die Asia Pacific Triennal of Contemporary Art entwickelt und 2011 in der Kinderabteilung der Gallery of Modern Art in Brisbane erneut installiert. Dabei richtete Kusama eine rein weiße, im Stile gängiger bürgerlicher Wohnungen möblierte Abfolge von Räumen ein, deren Interieur, Wände, Böden und Decken von den Besuchern mit bunten, unterschiedlich großen Punkten beklebt werden konnten.10 Innerhalb nur weniger Wochen verwandelten sich die einst sauberen weißen Räume in ein psychedelisches, begehbares Bild. Hier sind es also die Besucher selbst, welche das zu erlebende Umfeld überhaupt erst entstehen lassen. 8 | Siehe http://www.labyrinth-kindermuseum.de/de/angebote/ausstellungen. 9 | Andreas Huyssen, Twilight Memories. Making Time in a Culture of Amnesia, London 1995, S. 14. 10 | Siehe http://interactive.qag.qld.gov.au/looknowseeforever/works/obliteration_ room/.
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Das erwähnte neue Selbstverständnis lässt sich auch in der aktuellen Ausstellung Blutsauger des kinder museums frankfurt erkennen. Neben dem aufwendigen Gesamtdesign, das den Ausstellungsraum in rotes Licht taucht und unterschiedliche Exponate bereithält, um Informationen über die aufregende Welt der Flöhe, Zecken und Blutegel zu präsentieren, sind die jungen Besucher hier eben auch zum eigenständigen Basteln eingeladen. Wertloser Metallschrott – Drähte, Schrauben und Muttern – wird bereitgehalten, damit die junge Besucherschaft nun ihre eigenen »Blutsauger-Insekten« entwerfen und bauen. Einige dieser Wesen sind ausgestellt; ihnen zur Seite treten eine Reihe von Aquarellen, welche ebenfalls auf die Kreativität der Besucher verweisen.
Kinder beim Insektenbasteln in der Blutsauger-Ausstellung, kinder museum frankfurt (2012), Foto: Uwe Dettmar Was heutige Kindermuseen – seien es nun Abteilungen, Vereine oder Initiativen – ganz offensichtlich unterscheidet von den tradierten Arrangements der Ausstellungshäuser mit ihren längst ideologiekritisch durchleuchteten, distanzierten Beobachtungsritualen, ist zunächst, dass die Exponate im Sinne vorgefertigter Zeigearrangements11 nicht mehr das einzige Angebot an die Besuchenden sind. Immer seltener wird das Publikum von Kindermuseen daher mit den bereits beschriebenen Verhaltenscodes des adorativen musealen Schauens konfrontiert. Vielmehr werben Kindermuseen immer häufiger mit »Hands-onPräsentationen« und einladenden »Mitmachangeboten«. Im Vordergrund steht 11 | Vgl. hierzu auch Karen van den Berg, »Zeigen, Forschen, Kuratieren. Überlegungen zur Epistemologie des Museums«, in: dies./Hans Ulrich Gumbrecht (Hg.), Politik des Zeigens, München 2010, S. 143-168.
Rhetorik des Kreativen
dabei zumeist das Versprechen, hier kreativ und eigenhändig tätig werden zu können. So annonciert etwa das Kindermuseum Creaviva im Berner Zentrum Paul Klee seine Ausrichtung wie folgt: »Das Kindermuseum Creaviva ist ein Ort lebendiger Kreativität. Vielfältige Angebote bieten inspirierende Ausflüge in die Welt der Kunst und weisen den Weg zum eigenen Gestalten. In der Begegnung mit den originalen Werken, mit Anliegen und Ansichten, mit unterschiedlichsten Themen und Techniken entsteht der Spielraum für den eigenen, unverwechselbaren Ausdruck.«12
Auch das kek-Kindermuseum Bremen e.V. beschreitet diesen neuen Weg der Vermittlung und präsentiert sich in seinem Internetauftritt entsprechend: »An Stationen, Hands-On-Objekten und Werkstätten können vielfältige Erfahrungen gesammelt werden. Fantasie und Kreativität werden nicht nur angeregt, sondern auch erprobt. Die eigene Wahrnehmung steht im Mittelpunkt und ist Ausgangspunkt für kommunikative Prozesse. Ausprobieren, Verändern und Gestalten ist in unseren Ausstellungen ausdrücklich erwünscht.«13
Es wäre nun ein Leichtes, weitere Beispiele von Kindermuseen aufzuführen und zu zeigen, dass sie fast durchgängig die gleiche Semantik pflegen. Sehr schnell wird deutlich: Der relativ junge Terminus Kindermuseum indiziert eine – auch international zu beobachtende – grundlegende Umdeutung des Museumsbegriffs. Als Stichworte für diese Entwicklung können Teilhabe und Kreativität gelten.
L ERNTHEORE TISCHE R EFLE XIONEN : E NT ZIFFERN UND A NFANGEN Stellt man diese Transformation des Museums in Rechnung und berücksichtigt weiterhin die zuvor erwähnten Bemühungen um eine Öffnung der Museen sowie jene um eine Demokratisierung des kulturellen Feldes, erschließt sich schnell, dass es dies auch lerntheoretisch zu reflektieren gilt. Sondiert man nun die er12 | Siehe http://www.culturall.de/kultur/bern/museen/paul.klee.zentrum/Kinder museum.Creaviva.html. 13 | Siehe http://www.kek-kindermuseum.de/das-ist-kek/; vgl. hierzu auch die Selbstbeschreibung des Kinder Museums im Edwin Scharff Museum in Neu-Ulm: »›Finger weg!‹ gibt’s nicht«; http://edwinscharffmuseum.de/kindermuseum.html. Ähnlich auch die Website des Hamburger Kl!ck Kindermuseum: »Bildnerisches Gestalten, handwerkliches Arbeiten, Tanz und Gesang, überall wird Kreativität und Motivation der Kinder gefördert.« www.philip-breuel-stiftung.de/praxis/12--klick-kindermuseum.
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ziehungswissenschaftliche Literatur zu Museen, kristallisiert sich ein Muster heraus, das zwar relativ schlicht ist, aber gleichwohl mit schöner Regelmäßigkeit bemüht wird: Während die Schule fast durchgängig als Ort des fremdbestimmten Lernens entworfen wird, das fortwährend kontrolliert und bewertet wird, verkörpert das Museum das exakte Gegenteil. Es gilt als Stätte selbstbestimmten Lernens, das sich frei entfaltet, spontan vollzieht und interessengeleitet ist. Das Museum wird daher zum symbolischen Gegenüber der Schule: Es verdankt seine Aura und seinen besonderen Glanz dem Vergleich mit der Schule.14 Diese Oppositionsbildung ist fatal, weil sie nicht nur den Blick auf die beobachtbare Wirklichkeit in den beiden Bildungseinrichtungen verstellt, sondern darüber hinaus mit einem geschönten Bild von Lernprozessen operiert. Erforscht man in der Erziehungswissenschaft Lernprozesse – etwa im Rückgriff auf phänomenologische Konzepte15 –, wird deutlich, dass hier durchaus mit schmerzhaften Erfahrungen gerechnet werden muss. Lernprozesse werden ausgelöst von einer Irritation, von dem Befremden darüber, dass eine Gewohnheit versagt, eine Praxis sich nicht länger bewährt. Das Versagen der Handlungsroutinen führt zu einer schmerzhaften Konfrontation mit der Negativität. Der oder die Lernende sieht sich unversehens in einen Raum des Zwischen versetzt, der von einer Logik des »Nicht-mehr« und des »Noch-nicht« organisiert ist: Die alten Handlungsmuster tragen »nicht mehr« und neue sind »noch nicht« gefunden. Der Erziehungswissenschaftler Dietrich Benner hat diesen eigentümlichen Raum treffend als ein »Niemandsland« beschrieben: »Wie vollzieht sich Lernen im Raum zwischen der Erfahrung der Negativität und ihrer bestimmten Negation, in jenem Niemandsland also, in dem die Enttäuschung eines Vorwissens manifest, die Umstrukturierung des Wissens und seines Gegenstandes aber noch nicht gelungen, die Negativität einer Irritation erlitten, die Not, in welche diese führt, aber noch nicht gewendet, das Alte zwar als problematisch erkannt, die Lösung aber noch nicht gefunden ist?« 16
So überzeugend diese Beschreibung zunächst erscheint, gilt sie doch nicht für alle Lebensalter. Für Erwachsene und Jugendliche, welche bereits verhältnismäßig stabile Grammatiken des Handelns und Urteilens ausgebildet haben, sind die Zumutungsqualitäten von Lernprozessen treffend festgehalten. Für all jene 14 | Markus Rieger-Ladich, »Schmerz und Scham. Lernprozesse im Museum«, in: Carla Aubry Kradolfer et al. (Hg.), Positionierungen. Festschrift für Jürgen Oelkers, Weinheim 2012, S. 82-96. 15 | Käte Meyer-Drawe, Diskurse des Lernens, Paderborn 2008. 16 | Dietrich Benner, »Einleitung. Über pädagogisch relevante und erziehungswissenschaftlich fruchtbare Aspekte der Negativität menschlicher Erfahrung«, in: Zeitschrift für Pädagogik, 49. Beiheft, 2005, S. 7-23, hier S. 10.
Rhetorik des Kreativen
freilich, welche über solche Routinen und Konventionen noch nicht verfügen – insbesondere für Kinder also –, nimmt das Museum eine andere Gestalt an. Beherzigt man die Lektion des Poststrukturalismus, dass das Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem durch und durch künstlich – eben: gestiftet – ist17, dann wird deutlich, dass die Herausforderung des Museums für Kinder in einer ganz anderen Dimension als der von Benner herausgestellten besteht: Für Kinder werden im Museum weniger Routinen irritiert, sondern zuallererst angebahnt. Die Welt der Dinge unterläuft daher nicht so sehr etablierte Muster der Weltbemächtigung, vielmehr wird sie selbst ausgestellt und (in manchen Fällen auch ganz praktisch) begreifbar. Kinder werden daher nicht allein durch die Schule in das hochkomplexe Universum der Dinge eingeführt – dies geschieht eben auch im Museum. Hier werden die verflochtenen Beziehungen und Konstellationen, denen sich Bedeutungen verdanken, ausgestellt; hier werden sie konfrontiert mit Ordnungen, Konventionen und Beziehungen, welche die Bedeutungen der einzelnen Dinge definieren, ihre Handhabungen festlegen sowie Gebrauchsweisen abstecken. Michael Parmentier, Museumsexperte und Zeichentheoretiker, hat in einem erhellenden Beitrag zu den unterschiedlichen Formen der Präsentation von Dingen im Museum an die Lernprozesse erinnert, welche diese gerade bei Kindern auszulösen vermögen. »Die Bedeutung der Dinge ist nicht einfach gegeben, sie […] muß immer – und gelegentlich sehr mühsam – entziffert werden. Vor allem den Heranwachsenden bleibt diese Entzifferungsarbeit nicht erspart. Die gesamte überlieferte Kultur tritt ihnen entgegen wie ein Buch mit sieben Siegeln. Jedes Ding ist darin ein Zeichen, das erst noch erkannt und verstanden werden will. Die Neuankömmlinge müssen sich […] den Text der Welt aneignen. Ihr Lernen ist eine semiologische Anstrengung, eine Lektüre von Worten und Buchstaben, aber auch von Dingzeiten und Produkthieroglyphen.«18
Interpretiert man das Museum freilich allein als eine »institutionalisierte Lesehilfe« (Parmentier), die sicherstellt, dass die Einführung in die Kultur gelingt und die Bedeutungen der Dinge fehlerfrei entschlüsselt werden können, würden beide – sowohl die Heranwachsenden als auch die Museen – in ihren Möglichkeiten eklatant unterschätzt. Parmentiers Rede von den »Neuankömmlingen«, die auf Hannah Arendts Sprachgebrauch verweist, gibt hier einen ersten wichtigen Hinweis: In ihrer Schrift Vita activa19 verweist sie auf die besondere 17 | Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt a.M. 1983. 18 | Michael Parmentier, »Der Bildungswert der Dinge oder: Die Chance des Museums«, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 4/2001/Heft 1, S. 39-50, hier S. 41. 19 | Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1994.
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Herausforderung, die mit der Ankunft jener, die als »Neuankömmlinge« gelten müssen, verbunden ist: Zum einen gilt es die Welt vor dem »Ansturm des Neuen« zu schützen, den jede neue Generation darstellt, zum anderen haben deren Angehörige ebenfalls Anspruch auf besonderen Schutz. Und dies aus einem einfachen Grund: Sie symbolisieren die Fähigkeit zum Neuanfang und demonstrieren mit ihrer bloßen Existenz schon die Möglichkeit, einen neuen Faden in das »Bezugsgewebe der menschlichen Angelegenheiten«20 zu weben und Spuren zu hinterlassen im geschäftigen Treiben der Welt. Objekte, welche in Museen ausgestellt und präsentiert werden, sollten daher – gerade mit Blick auf die Heranwachsenden – nicht allein als stumme Repräsentanten der etablierten »Ordnung der Dinge« (Foucault) betrachtet werden; nicht weniger wichtig ist es, sie als Gegenstände zu betrachten, an denen Kinder neue Gebrauchsweisen erproben und mit alternativen Verwendungen experimentieren. Die »Neuankömmlinge« (Arendt) würden dann im Museum auf eine Landschaft von Objekten und Dingen treffen, deren Elemente sie verrücken, rekontextualisieren und auf überraschende Weise miteinander kombinieren. Was im revolutionären Film die Montagetechnik war, kehrt hier in verwandelter Form wieder: Kinder stiften neue Bedeutungen und verweisen auf die Polyvalenz der Objekte; sie erinnern an die Kontingenz der etablierten Ordnungen des Wissens – und werden auf diese Weise unweigerlich auch zu kleinen Unruhestiftern, die nicht allein das Aufsichtspersonal in den Museen irritieren, sondern auch jene, welche ein Interesse daran haben, dass gestiftete Ordnungen nicht als gestiftete (und damit: veränderbare!) in den Blick geraten. Wenn daher fast sämtliche Kindermuseen das Hohe Lied der Kreativität anstimmen, gilt es zunächst zu fragen, welche Zwecke sie damit tatsächlich verfolgen: Spekulieren sie in erster Linie auf jene Gruppe von Eltern, die selbst mit kulturellem Kapital reichlich gesegnet sind und den eigenen Nachwuchs schon früh mit der sogenannten Hochkultur vertraut machen wollen? Bemühen sich die Verantwortlichen der Museen mithin darum, möglichst frühzeitig eine belastbare »Kundenbindung« anzubahnen, die sich später entsprechend auszahlt? Folgen sie damit den Strategien der großen, berühmten Museen, die sich als weltweite Marken zu etablieren suchen und immer neue Ableger gründen – wie etwa das Guggenheim in Dubai? Zuweilen jedenfalls wird eine solche Semantik durchaus bedient. Als Beispiel hierfür sei die Selbstbeschreibung des Wiener Kindermuseums ZOOM genannt, in welcher die Direktorin Elisabeth Menasse-Wiesbauer von einer »Marktlücke« spricht, die durch Kindermuseen geschlossen würde. Im selben Beitrag wird überdies die »Marktführerschaft« des ZOOM reklamiert.21 An solchen Äußerungen lässt sich ablesen, dass Kin20 | Ebd., S. 174. 21 | Elisabeth Menasse-Wiesbauer, »Kinder – rein ins Museum! Über Museumsarbeit für Kinder«, online: http://www.art-guide.at/index/einleitung/abschnitt/3.html.
Rhetorik des Kreativen
dermuseen sich längst als Akteure im Bildungsmarkt in Position gebracht haben.22 Und das häufigste Versprechen, mit dem sie dabei werben, ist eben jenes der Förderung von Kreativität. Nun hat aber die jüngere kulturwissenschaftliche Debatte aufgezeigt, dass auch der Begriff der Kreativität nicht ganz frei ist von einem unguten Beigeschmack. Denn Kreativität, so zeigt sich hier, ist zu einer Art neuem Imperativ avanciert.23 Deshalb meint die Rede davon keineswegs nur eine unschuldige, zweckfreie Förderung spielerischer Potenziale. Vielmehr sind mit diesem Schlagwort nicht selten auch jene Ambitionen mit angesprochen, die dazu führen, Kinder für den immer härter ausgetragenen Wettstreit um Bildungstitel zu präparieren. So gesehen läuft man gerade durch den inflationären Gebrauch des Kreativitätsbegriffs Gefahr, aus den Augen zu verlieren, was mit ihm in Kindermuseen im besten Falle gemeint sein könnte, nämlich die Fantasie von Kindern um ihrer selbst willen zu stimulieren. Jedenfalls spricht einiges dafür – um es mit Alexander Kluge zu formulieren –, den »Möglichkeitssinn« zu trainieren, damit dieser nicht vom »Realitätssinn« dominiert wird.24 Gleichzeitig geraten auf diese Weise Kinder als Wesen in den Blick, welche uns Erwachsene an andere Formen der Rationalität erinnern und als kritisches Gedächtnis für Varianten des Weltverhältnisses fungieren, die wir zwar »überwunden« haben, die aber gleichwohl doch ihre eigene Dignität besitzen. Sie stellen daher den »Stachel im Fleisch« einer Form der Rationalität dar, die wichtige Facetten tabuisiert.25 Museen, welche sich in erster Linie an Kinder richten, würden diese besondere Chance der Kritik verspielen, wenn sie ihre Klientel als »kleine Erwachsene« betrachten würden, als künftige Kunden oder gar als potenzielle Kreativsubjekte. Die Objekte, welche Kindermuseen zeigen, und die Displays, die sie entwickeln, sollten daher denn auch nicht darauf abzielen, »stellvertretendes Handeln« einzuüben bzw. den Eintritt in die Welt der Erwachsenen anzubahnen, sondern den »Neuankömmlingen« zu einem eigenen Recht auf Weltaneignungen verhelfen – und dies, ohne dass dabei die Zielbestimmung schon vorab festgelegt würde.
22 | Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie oft mit prekär Beschäftigten »Freien Mitarbeitern« operieren, auf private Initiativen zurückgehen und nicht über die gleiche Reputation verfügen wie ihre Mutterschiffe oder die großen Ausstellungshäuser. 23 | Vgl. hierzu etwa Andreas Reckwitz, Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie, Bielefeld 2008. 24 | Alexander Kluge, Chronik der Gefühle, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2000. 25 | Alfred Schäfer/Michael Wimmer, »Fremde Kinder«, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 74/1998/Heft 3, S. 307-319.
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Kreativität — Erläuterungen zu einem unscharfen Anforderungsprofil der Gegenwartskultur Ein Gespräch mit Andreas Reckwitz
Yvonne Leonard (Y.L.): Sie arbeiten ja gerade an Ihrem neuen Buch, Die Erfindung der Kreativität. Lassen Sie mich mit zwei grundlegenden Fragen beginnen: Was versteht man eigentlich unter Kreativität, und warum steht sie gegenwärtig so hoch im Kurs? Andreas Reckwitz (A.R.): Ich muss etwas ausholen. Der Begriff der Kreativität ist historisch gesehen ein Produkt des späten 18. Jahrhunderts. 1774 verfasste Alexander Gerard den Essay Versuch über das Genie, und hier wurde die Schöpfungsfähigkeit oder Kreativfähigkeit noch übergreifend, sowohl in Bezug auf den Künstler als auch auf den Erfinder, verstanden. Diese Auffassung änderte sich kurze Zeit später allerdings und galt nur noch für den Künstler als hochgradig emotionalisierte Gestalt, von dem man das Neue, das Schöpferische, aber auch das Unberechenbare erwartete. Die Genieästhetik, die um 1800 entstand und die eigentlich schon eine moderne Tradition begründete, war ganz entscheidend für das damit verbundene Künstlerbild. Für uns aber wird der Begriff der Kreativität seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erst wirklich interessant, der im Grunde ja ein Anglizismus – creativity – war. Wie kam es nun, dass sich dieses ursprünglich minoritäre Modell der Kreativität, des Schöpferischen, das als ein Produkt der Kunst zunächst nur auf wenige Individuen anwendbar war, so verbreiten konnte? Der eigentliche Durchbruch findet hier eben in den 1970er/1980er Jahren statt. Ich würde hier von der Entstehung eines »Kreativitätsdispositivs« sprechen, im Sinne eines ganzen gesellschaftlichen Komplexes, der systematisch an der Heranziehung von Kreativität orientiert ist. Im Grunde geht es um die Vorstellung, dass Kreativität nicht von einem Künstlergenie, sondern von bestimmten Techniken, von Prozeduren abhängt, in denen man das Neue, auch das ästhetisch Neue, kreieren bzw. herstellen kann.
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Ein Gespräch mit Andreas Reckwitz
Wieso aber konnte sich diese Vorstellung so grundlegend durchsetzen? Zum einen, wie Daniel Bell schon 1976 in seinem Buch Cultural Contradictions of Capitalism herausgearbeitet hat, erlebten ja gerade die höheren, akademischen Mittelschichten in den 1970er Jahren die Ausbreitung eines Ethos der Selbstverwirklichung – quasi der self-creation –, was bedeutete und bedeutet, dass es dem Einzelnen nicht nur darum ging, bestimmten Regeln zu folgen, nicht nur beruflich erfolgreich zu sein, sondern auch darum, sich selbst zu »entfalten« und zu »verwirklichen« und sich durch seinen gesamten Lebensstil selbst zu erschaffen. Es gibt viele Untersuchungen, die nachweisen, dass sich dieses alltagsfähige Selbstverwirklichungsethos – gewissermaßen als Kompensation für die Rationalisierung der Moderne – verbreitet hat. Der zweite Faktor liegt in der Ökonomisierung des Sozialen, die wir seit den 1980er Jahren zunehmend feststellen können: Der Markt wird hier als etwas modelliert, was nicht nur die Wirtschaft betrifft, sondern auch andere Bereiche der Gesellschaft, wie die Bildung, die Erziehung, die Politik. Dies passt nun sehr gut zur Orientierung an der Kreativität, denn die Ökonomisierung des Sozialen implementiert immer stärker etwas, das man als einen »Aufmerksamkeitsmarkt« verstehen kann, der für Güter und für Menschen gleichermaßen gilt. Und dieser »Aufmerksamkeitsmarkt« verlangt natürlich das Neue, das reizvoll und interessant ist, und insofern verlangt er auch eine Orientierung an Kreativität. Am Beispiel verschiedener Wirtschaftszweige lässt sich die Ausbreitung einer solchen radikalisierten Orientierung am Neuen, und zwar eben nicht nur des technisch, sondern auch des ästhetisch Innovativen, in den sogenannten Creative Economies und Creative Industries nachweisen: in Bereichen wie der Mode, der Werbung, dem Design, aber auch den Medien. Man kann auch von einer Kultivierung des Kreativen sprechen, die sich nicht nur auf den einen Akt, in dem Neues hergestellt wird, beschränkt, sondern auf die Herstellung von immer wieder neuen, bahnbrechenden, die Konventionen durchbrechenden Ereignissen und Objekten, die subjektiv einen Moment der Selbstverwirklichung und natürlich auch der Selbstinszenierung als »Kreativer« enthält. Y.L.: Bedeutet Kreativität dann so etwas wie ein Versprechen auf ständige Innovation? Auf immer Neues? A.R.: Ja, ich denke, das ist so. Die Orientierung an Kreativität als kulturellem Modell hat sich seit dem 18. Jahrhundert ganz eng an diesen modernen Mythos des Neuen gebunden – denken Sie an die Revolution, den Fortschritt usw. – Ideen, die in den verschiedensten Bereichen der modernen Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft, in Technik und Kunst, zentral sind. Dieses Streben nach der Überwindung des Alten zugunsten des Neuen war für die Kultur der Moderne von Anfang an grundlegend. Insofern ist Kreativität auch nichts Gegen-
Kreativität — Erläuterungen zu einem unscharfen Anforderungsprofil
kulturelles oder Antimodernes, sondern etwas durch und durch Modernes, aufs Engste verbunden mit diesem Mythos des Neuen. Doch andererseits stellt sich vor soziologischem Hintergrund natürlich die Frage, was zählt denn überhaupt gesellschaftlich als neu? Denn »neu« ist ja nichts Objektives, sondern folgt variablen Regeln der Zuschreibung. Wann also gilt etwas als neu, wann wird es als neu markiert? Diese Frage begleitet den Kreativitätsdiskurs wesentlich. Y.L.: Ist Kreativität Wissens- und Handlungspraxis oder Ausdruck von Eigensinn, Individualität und Bruch mit dem Konventionellen? A.R.: Es gibt sicher viele, die sagen würden, Kreativität ist etwas Natürliches, Eigensinniges, in dem Sinne Allgegenwärtiges. In mancher Hinsicht stimmt das sicher auch. Aber aus soziologischer Sicht interessiert mich noch etwas anderes: nämlich dass Kreativität selbst zu einem gesellschaftlichen »Handlungsprogramm« geworden ist, verbunden mit der Erwartung, nicht den Normen zu folgen, sondern die Normen zu brechen – und das ist dann eine neue Norm (»Norm der Abweichung«). Dazu passt es auch, dass Kreativität mittlerweile durchaus als erlernbar erscheint, wenn man sich etwa die Methoden der Kreativitätspsychologie vor Augen führt. Y.L.: Kann der Begriff Kreativität eine Art globaler Vision für die Zukunft sein? Eine Art Lösungsmodell größter Offenheit und Flexibilität? A.R.: Ich würde zu Skepsis gegenüber dem Kreativitätshype raten, denn das Interessante ist ja, dass Kreativität ein durch und durch positiver Begriff ohne ein »Außen« ist – was gerade Skepsis hervorrufen sollte. Wer will denn nicht kreativ sein? Aber lassen wir uns dadurch nicht in ein neues Korsett pressen? Der Wunsch nach Kreativität war ja einmal mit utopischen Hoffnungen verknüpft, schon in der Romantik und noch vor wenigen Jahrzehnten etwa bei Herbert Marcuse oder Joseph Beuys. Aber inmitten des Kreativitätsdispositivs ist deutlich geworden, dass die einseitige Orientierung an ihr uns auch eine Reihe von Problemen schafft, von denen ich hier nur zwei nennen will: Wenn Kreativität zu einer individuellen Leistungsanforderung geworden ist, wird das Individuum einem besonders durchdringenden sozialen Druck ausgesetzt. Denn was passiert eigentlich, wenn man an mangelnder Kreativität scheitert oder an mangelnden kreativen Leistungen und mangelndem kreativem Erfolg? Kreativitätsorientierung als gesellschaftliche Erwartung, die scheinbar die ureigensten Wünsche des Individuums spiegelt, lässt diesem keinen Rückzugsraum mehr, sollte der kreative Erfolg ausbleiben. Die gesellschaftlichen Schattenseiten manifestieren sich zudem im klassischen Steigerungsimperativ der Moderne, auf die sich auch die Kreativitätsanforderungen beziehen: der Produktion von im-
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mer mehr – und nun auch von immer Neuem, von immer neuen Reizen durch immer neue reizvolle Güter, Medienangebote, Kunstwerke – findet sich auch hier. Es stellt sich die Frage, ob dieser Steigerungsimperativ des innovativen und reizvollen Neuen nicht an ökologische Grenzen stößt, und zwar sowohl an die der natürlichen Ökologie als auch an die der psychischen Ökologie: »das erschöpfte Selbst«, wie es Alain Ehrenberg nennt. Y.L.: Lässt sich ein signifikanter Zusammenhang von Kreativität und Bildung herstellen? A.R.: Das ist eine komplizierte Diskussion, nicht ohne Paradoxien. Interessant ist hier die Entwicklung des psychologischen Diskurses im Laufe des 20. Jahrhunderts, seitdem Binet an seinem Beginn den Intelligenzquotienten »erfand«. Er wurde ja zunächst vor allem auf Kinder und Jugendliche bezogen, um formale Kompetenzen zu messen, wo es eindeutig ein »Richtig« oder »Falsch« gab. In den 1950er Jahren änderte sich dies in den USA auf sehr interessante Weise, als die Psychologie die Kreativität als einen eigenständigen Komplex entdeckte, der sich nicht formal eingrenzen ließ. Die Förderung der Fähigkeit, unkonventionell zu sein und neue Wege zu gehen – nach dem Vorbild des Erfinders oder des Künstlers –, wurde jetzt auch im Hinblick auf Bildung und Erziehung, also auch in der Schule, ein Thema. 1950 forderte J.P. Guilford in seiner berühmten Ansprache Creativity vor dem Kongress der American Psychological Association, indem er auf den Systemwettbewerb zwischen Ost und West während des Kalten Krieges verwies, dass die traditionelle Orientierung auf formale Bildung allein nicht mehr ausreiche. So hat man im Anschluss versucht, auch kreative Fähigkeiten zu testen, etwa 1966 E. Paul Torrance mit den Torrance Tests of Creative Thinking. Seit den 70er Jahren gab es dann diverse Tendenzen, die Kreativität selbst zum Erziehungs- und Bildungsziel zu machen. Dabei steht man natürlich immer vor dem Paradox: Erziehung und schulische Bildung arbeiten mit Ergebnissen und sind auf bestimmte festgelegte Ziele ausgerichtet, die bewertet werden können und sollen. Wie aber kann diese Bewertung in Bezug auf das Unkonventionelle oder gar auf den Regelbruch funktionieren? Kann es hier ein Besser oder Schlechter geben? Wie kann denn ein Lehrer/Erzieher etwas bewerten, was ihm selbst möglicherweise absurd vorkommt, wie es ja mit kreativen Ergebnissen häufig der Fall ist? Die neueste Entwicklung in der Kreativitätspsychologie, wie bei Robert Sternberg in seiner Investment Theory of Creativity, betont interessanterweise noch etwas ganz anderes: Erziehung zur Kreativität muss Erziehung zum kreativen Selbstunternehmer sein, der mit neuen Ideen kalkuliert und sie überzeugend und mit Selbstbewusstsein präsentieren und durchsetzen kann.
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Y.L.: Gibt es so etwas wie eine Überforderung des Begriffs der Kreativität? Und brauchen wir nicht auch Alternativmodelle? A.R.: Was Sie sagen mit der Überforderung des Begriffs, das sehe ich auch so. Dieser radikale Wandel ist ja das Interessante an diesem Begriff, der ehemals so etwas wie einen Gegenentwurf gebildet hat, auch zu einer versachlichten, rationalisierten Welt – denken wir an Herbert Marcuse im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung, wie sehr da das Schöpferische, das Kreative des Individuums eingefordert wurde – auch als Gegenmacht zur angeblich beherrschenden Rationalisierung und zur Kapitalisierung –; oder an Beuys und sein »Jeder ist ein Künstler.« Das Ganze ist im Grunde Teil eines neuen institutionellen Komplexes geworden und hat insofern dieses kritische Potenzial verloren. Trotzdem denke ich, dass Kreativität immer noch ein Begriff ist, der eben nicht nur eine Ideologie verkörpert, sondern auch eine Folie bildet, anhand der man untersuchen kann, wie eine bestimmte gesellschaftliche Formation – was ich eben Kreativitätsdispositiv nenne – funktioniert. Gleichzeitig stellt sich aber tatsächlich die Frage nach einem alternativen Konzept des Kreativen. Wir haben gesehen, dass Kreativität mittlerweile in einen gesamtgesellschaftlichen Komplex eingebunden ist, aber hieße das jetzt, sich vollkommen von der Kreativitätsvorstellung zu verabschieden, oder existieren nicht schon seit langem auch alternative Vorstellungen von Kreativität, die wir eher verfolgen sollten? Interessanterweise gibt es ähnliche Diskussionen mittlerweile gerade in der Stadtforschung. Tim Edensor hat vor zwei Jahren einen Begriff geprägt: Vernacular Creativity – eine vernakulare Kreativität gerade im Stadtraum als Beschreibung der Tendenzen, die sich eben nicht einordnen lassen in die von der Stadtverwaltung proklamierte creative city, sondern wo im städtischen Raum etwas einfach ungeplant entsteht und woran auch die verschiedensten Bewohner/Laien beteiligt sind. Ich würde sagen, dieses alternative Konzept von Kreativität wäre eines, wo es im Grunde nur Teilnehmer und Mitspieler gibt, kein Publikum mehr, ich würde das »profane Kreativität« nennen wie im Modell des Spiels: ein Spiel, in dem jeder nur mitspielen kann und niemand zuschaut, als ein selbstorganisiertes Spiel, ohne dass jemand dessen tatsächliche Neuheit bewertet. Y.L.: Gibt es Strategien, Kreativität zu fördern, von frühster Kindheit an? Und wenn ja, welche? A.R.: Wie gesagt: Die Frage wäre zunächst, ob es wünschenswert ist, hier »Strategien« einzusetzen. Vielleicht sollte man ja zurückfragen: Warum sollte Kreativität überhaupt gefördert werden? In meiner Beschäftigung mit der Geschichte des Kreativitätsdiskurses hatte ich ein Aha-Erlebnis, als ich auf das Buch Development of the Creative Individual (1972) von John C. Gowan stieß, aus der Krea-
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tivitäts- und Selbstentfaltungspsychologie. Gowan positioniert Kreativität als ein Entwicklungsmodell und eindeutig als die Spitze der Entwicklungsfähigkeit jedes Individuums. Das bekannte Stufenmodell von Erik Erikson aus der Moralpsychologie wurde hier auf die Kreativität übertragen. Jeder muss diese Leiter erklimmen. Wer das nicht erreicht, ist defizitär und therapiebedürftig. Und das stimmt doch sehr nachdenklich. Wenn sich Erziehung konsequent an diesem Modell ausrichten würde, wem würde dann ein Kreativitätsdefizit bescheinigt werden? Insofern denke ich, der Balanceakt besteht wirklich darin, Kreativität eher als etwas zu sehen, das für die Individuen selbst, für Kinder, Jugendliche ein Befriedigungspotenzial hat, ohne es sofort messen und bewerten zu wollen, also die gute von der schlechten – die nützliche von der unnützen – Kreativität trennen zu wollen. Das wäre genau die Balance und sicher für den Bildungsbereich nicht ganz einfach. Weil es ja auch immer darum geht, sie auf eine bestimmte, berufliche Laufbahn vorzubereiten, für die Kreativität wieder nützlich oder auch weniger nützlich sein kann. Also gewissermaßen die Zweckfreiheit der Kreativität zuzulassen und ihr einige der Ideale aus der Romantik zurückzugeben – das wäre sicher eine Herausforderung für den Bildungsbereich. Natürlich gibt es mittlerweile einen riesigen gesellschaftlichen Bedarf nach Kreativität und Innovationen, aber sollte Erziehung, wenn sie einen kritischen Anspruch hat, dem nicht widersprechen können? Gibt es nicht andere, ebenso wichtige Ziele? Wenn Kreativität zum Erziehungsgegenstand wird, dann, so scheint mir, in einer gelassenen, nicht ausschließlichen Form: nicht um einem Persönlichkeitsideal zu entsprechen, sondern um Raum für völlig zweckfreie (und nutzlose!), profane Kreativität zu schaffen.
L ITER ATUR Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, Berlin 2012. Alexander Gerard, Versuch über das Genie, Leipzig 1776. Neil Bell, Cultural Contradictions of Capitalism, London 1996. Hans Joas, Die Kreativität des Handelns, Frankfurt a.M. 1992. Ellis Paul Torrance, Torrance Tests of Creative Thinking, Lexington, Mass. 1974. J. P. Guilford, »Creativity«, in: American Psychologist 9/1950, S. 444-454. Robert Sternberg, Beyond IQ: A Triarchic Theory of Human Intelligence, New York 1985. Tim Edensor et al., Spaces of Vernacular Creativity, London 2005. John C. Gowan, Development of the Creative Individual, San Diego 1972.
Learning by Doing Ein pragmatischer Blick auf Lernen, Erfahrung und Identität Jürgen Oelkers
E IN PR AK TISCHER V ERSUCH Im pädagogischen Feld geht der Ausdruck »Learning by Doing« auf den amerikanischen Schulreformer Francis Wayland Parker zurück.1 Mit dem Ausdruck sollte die Quintessenz eines berühmten Schulversuchs zusammengefasst werden, den Parker zwischen 1875 und 1880 in den öffentlichen Schulen der Gemeinde von Quincy, Massachusetts, durchgeführt hat. Es handelt sich um einen der ersten größeren Versuche staatlicher Schulentwicklung in den Vereinigten Staaten. Der historische Fokus ist also die Schule und nicht das Museum. Parker war Lehrer und hatte vor dem amerikanischen Bürgerkrieg an verschiedenen Schulen unterrichtet. 1872 studierte er in Berlin, und drei Jahre später wurde er Superintendent der Schulen von Quincy. Er erhielt von der lokalen Schulkommission den Auftrag, die Schulen so zu entwickeln, dass eine deutliche Verbesserung des Lernstandes erreicht wird. Der Anlass, ihn zu berufen, war die schlechte Qualität der Schulen. Parkers2 Grundidee war, dass ein erfolgreiches Lernen nicht nur in schulischen Situationen mit dem Interesse der Schülerinnen und Schüler zu tun hat und umso mehr Interesse geweckt werden könne, je konkreter die Lernaufgaben und je mehr sich das Lernen mit eigenen Produkten verbinden lässt. Parker spricht später von der Konzentration des Lernens auf Probleme, die interessant genug sind, um Aufmerksamkeit zu finden, und zugleich stabil genug, um das Interesse über die Lernzeit zu binden.
1 | Nachweise zum Folgenden in Jürgen Oelkers, Reformpädagogik. Entstehungsgeschichten einer internationalen Bewegung, Seelze-Velber/Zug 2010. 2 | Francis Wayland Parker, Talks on Pedagogics. On Outline of the Theory of Concentration, New York/Chicago 1894.
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Unterricht bestand bis dahin wesentlich aus rote learning, also Auswendiglernen oder dem schematischen Üben von Aufgaben mit feststehenden Lösungen. Parker erkannte, dass Lehrbücher nicht unbedingt die beste Anleitung des Lernens darstellen, weil sie für alle Schüler gleich konzipiert sind. Die Bearbeitung von Aufgaben müsse sich mit Interessen verbinden und zu einem Ergebnis führen, das den Erfolg anzeigen kann. In diesem Sinne sind Lernen und Handeln nicht mehr zu unterscheiden, vielmehr lernt man, indem man handelt. Das war die theoretische Schlussfolgerung aus Parkers Erfahrungen in Quincy. Parker probierte verschiedene neue Methoden aus, die das beförderten, was er später Learning by Doing nannte. Dazu gehörte die Arbeit in Gruppen, das Bearbeiten freier Texte, ästhetisches Lernen und produktive Handarbeit. Die Ergebnisse übertrafen die Erwartungen. Die Schülerinnen und Schüler in den Schulen von Quincy lernten erfolgreicher und nachhaltiger als vergleichbare Gruppen in anderen Städten. Später wurde der Versuch als Quincy Method bezeichnet. Diese Methode war der Beginn der »progressiven« Pädagogik in den Vereinigten Staaten. Zeitgleich wurde im deutschen Sprachbereich das Konzept der »Arbeitsschule« diskutiert und zum Teil auch in ausgewählten Schulen implementiert. Eine ähnliche Breitenwirkung wie in den Vereinigten Staaten war damit aber zunächst nicht verbunden. Das ist leicht zu erklären, da unter »Arbeitsschule« in aller Regel nur die Erweiterung der Volksschulfächer um Handarbeit gemeint war. Ein umfassendes Konzept für die Reform des Unterrichts war damit nicht verbunden. Die Rezeption der »Quincy-Methode« in den Vereinigten Staaten muss vor dem Hintergrund der Entwicklung der amerikanischen Universitäten und der neuen Forschungsdisziplinen wie Pädagogik, Psychologie und Soziologie betrachtet werden. Ohne diese neuen Disziplinen hätte der Begriff des Lernens nicht die Karriere machen können, die er tatsächlich gemacht hat. »Lernen« wird um 1900 als grundlegende Kategorie des Verhaltens verstanden und gewinnt so die Dimension eines anthropologischen Grundbegriffs. In der zeitgenössischen deutschen Pädagogik war das nicht annähernd der Fall.
L ERNEN ALS P ROBLEMLÖSEN Die Karriere des Lernbegriffs verbindet sich vor allem mit dem Namen des amerikanischen Psychologen Edward Thorndike, der an der Columbia University lehrte, als John Dewey dort Philosophieprofessor war. Lernen ist nicht einfach zur psychologischen Kategorie gemacht worden, sondern muss vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Theorielage verstanden werden. Zu einer grundlegenden Kategorie wurde Lernen erst in der Folge von Darwins Evolutionstheorie.
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Die Theorie betont die Anpassung der Arten an die Veränderung der Umwelten. Wer erklären will, wie das möglich ist und geschehen kann, ist auf Lernprozesse verwiesen. »Anpassung« ist so grundlegend ein Lerngeschehen, das sich sowohl individuell wie auch kollektiv vollziehen kann. Unterschieden werden muss einfach die Reproduktion von Arten und das Lernen von Individuen, also die biologische und die psychologische Zeit. In der Philosophie war das »Denken« seit Descartes gebunden an Geist. Gilbert Ryle hat 1949 diese Konzeption bekanntlich als »ghost in the machine« bezeichnet.3 Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass ein dualistisches System wie das von Descartes keine Interaktionen kennt und so den Geist gleichsam einsperren muss. Zudem ist »Denken« eine Art Selbstsetzung oder Akt, aber kein Lernprozess. Erst John Locke hat »Lernen« in den Rang einer philosophischen Grundkategorie erhoben. Als er erklären wollte, wie Ideen in den Geist (mind) gelangen, war die naheliegende Antwort: durch Lernprozesse und so gebunden an kindliche Entwicklung. Der Geist ist nicht einfach gegeben, sondern baut sich selbst auf, was Lernen voraussetzt. Reflexion ist mit der Geburt möglich, aber Denken entsteht erst mit dem Aufbau des Geistes. Lockes Modell geht von einer Tabula rasa aus, die mit Lernprozessen gleichsam beschriftet wird. Die Metapher der »Wachstafel« ist älter und lässt sich schon in der Antike nachweisen. Das Problem dabei ist, dass Lernprozesse von außen angeregt werden, aber keine Rückwirkungen erlauben und die Umwelt systematisch vernachlässigen können. Bei Locke wirkt der Erzieher auf den Geist des Kindes, ein Modell, das dann Jean-Jacques Rousseau in seinem Erziehungsroman Emile (1762) in paradoxe Höhen treiben sollte. Nach Darwin musste die Theorie auf Interaktionen zwischen Organismus und Umwelt reagieren. Übertragen auf Psychologie und Soziologie stellte sich die Frage, wie Individuen in Umwelten lernen und wie sich damit beide Seiten verändern. Das klassische Modell von »Subjekt« und »Objekt« hatte damit eigentlich ausgedient. Im Dualismus von Subjekt und Objekt können weder Wechselwirkungen noch Prozesse gedacht werden. Das erklärt auch, warum Lernen hier keine große Rolle gespielt hat. Der amerikanische Pragmatismus hat als erste philosophische Richtung auf diese neue Theoriesituation reagiert.4 Einer ihrer in Deutschland weniger bekannten Vertreter, der Mathematiker Chauncey Wright, der den Metaphysical Club mitbegründete, sprach als erster vom Lernen als »Problemlösen«. Bereits hier ging es um die Frage, wie das Lernen im Unterricht am wirksamsten organisiert werden könne. Wright ging davon aus, dass mathematische Aufga3 | Gilbert Ryle, The Concept of Mind, London 1949. 4 | Verweise zum Folgenden in Jürgen Oelkers, John Dewey und die Pädagogik, Weinheim/Basel 2009.
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ben nicht einfach Beschreibungen von Wegen sind, die zu Standardlösungen führen, sondern als Probleme verstanden werden müssen, die grundsätzlich verschiedene Lösungen ermöglichen können und genau deswegen Lernen herausfordern. John Dewey hat in seinem psychologischen Hauptwerk How We Think5 gezeigt, dass zwischen Lernen und Denken nicht unterschieden werden kann, wenn die Kategorie des Problemlösens als grundlegend angenommen wird. Deweys Versuch, den Denkweg zu beschreiben, geht über das hinaus, was Wright postuliert hatte. Das Denken wird durch Probleme angeregt, Dewey spricht von einer »gefühlten Schwierigkeit«, die emotional akzeptiert werden muss, bevor ein Denkprozess ausgelöst wird. Es geht nicht wie in der klassischen Philosophie um einen Denkakt, sondern um den Einsatz des Denkens zum Lösen von Problemen. Nur so kann Lernen stattfinden. Hinter dieser Theorie steht ein Konflikt mit dem zeitgleichen Behaviorismus. Bei aller Anerkennung für Thorndikes bahnbrechende Forschungen über verstärkendes Lernen, war Dewey reserviert gegenüber einer Reduktion von Lernen auf die Steuerung von Verhalten. Wenn »Lernen« einfach nur als Veränderung von Verhalten zwischen zwei Zeitpunkten aufgefasst wird, dann sind kognitive Anforderungen gar nicht gestellt und ist Problemlösung nicht gefragt. Im Grunde genommen ist das die Position von Locke; Lernen ist einfach nur Aufbau von Gewohnheiten, ohne dabei Kognitionen ins Spiel bringen zu müssen. Dewey war Philosoph genug, um die Grenze des Behaviorismus erkennen zu können. Das Problem erwächst dort, wo die frühen Behavioristen das Inspektionsverbot aussprachen. Zwar ist richtig, dass in keiner experimentellen Situation das Innere eines Probanden irgendwie zugänglich ist, aber davon kann nicht abgeleitet werden, dass Denken nicht vorhanden ist und Lernen sich vom Denken unterscheiden lässt. Dewey macht die Intelligenz zu einem entscheidenden Faktor der Problemlösung. Die Entwicklung der Intelligenz ist sehr wohl steuerbar, nämlich durch gute oder weniger gute Problemlösungen. Der Handelnde erkennt an den Folgen, ob die Lösung besser oder schlechter war. Dazu benötigt man keine Inspektion, weil der Handelnde auf das Produkt und mindestens auf die Erwartungen reagiert. Handlungen haben auch dann Konsequenzen, wenn sie nichts bewirken. In diesem Sinne lernt man, in dem man etwas tut, wozu auch Unterlassen zählt. Als Dewey 1894 seine Universitätsschule in Chicago eröffnete, griff er auf die Erfahrungen von Parker zurück. Im Gegensatz zu Parker hatte er eine Theorie zur Verfügung, die erklären konnte, warum Learning by Doing grundlegend ist für eine erfolgreiche Schule. Die Schule selbst kannte altersdurchmischtes 5 | John Dewey, How We Think, Boston u.a. 1910.
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Lernen, Rückmeldungen zum Lernprozess für jeden einzelnen Schüler, den Einsatz maßgeschneiderter Aufgaben im Unterricht sowie die Orientierung am Produkt. Die Schülerinnen und Schüler präsentierten wöchentlich, was sie hergestellt und so gelernt hatten. Die entsprechenden Erfahrungen wurden ausprobiert und überprüft, ohne dass es zu Beginn der Schule in Chicago einen Masterplan gegeben hätte. Die Schule war so offen, dass sie sich selbst korrigieren konnte. Ziele wurden wie Hypothesen verstanden, die Überprüfung der Hypothesen erfolgte mit eigens erhobenen Daten, und für die Veröffentlichung stand eine eigene Zeitschrift zur Verfügung. Learning by Doing ist also nicht einfach ein Schlagwort, das seit Dewey durch die Methodendiskussionen geistert. Vielmehr steht im Hintergrund eine ausgearbeitete Theorie, die sich als sehr belastbar erwiesen hat. Die Theorie geht davon aus, dass Erfahrung einen öffentlichen Raum voraussetzt und so geteilt wird. Erfahrungen sind korrigierbar, weil Anpassung (adjustment) an neue Situationen unumgänglich ist. Die Frage ist nur, wie intelligent sie erfolgt. Die Idee der beständigen Rekonstruktion der Erfahrung trifft auf Personen wie auf Organisationen zu. Auch größere Organisationen bestehen aus Problemlösungen, die sich bei Bedarf oder im Einblick neuer Erfahrungen verändern lassen. Das viel zitierte Wort »Flexibilität« hat hier seinen Ursprung. Problemlösen in diesem Sinne ist also nicht nur eine psychologische, sondern zugleich eine soziologische Kategorie. Dieser Befund wird sowohl von der Entwicklungspsychologie als auch von der Neurophysiologie bestätigt. Ohne ständigen Anreiz durch neue Probleme würde kein Lernen stattfinden oder anders gesagt: Problemen kann man nur begrenzt ausweichen.
E RFAHRUNG UND I DENTITÄT Parallel dazu entwickelte Deweys Freund George Herbert Mead die Theorie der Sozialisation weiter. Dewey ging von einer Interaktion zwischen Umwelt und Organismus aus und sprach auch davon, dass sich Erfahrungen beständig rekonstruieren lassen müssten, wenn überhaupt Lernen stattfinden soll. Mead erklärte in diesem Zusammenhang, was dann noch »Identität« sein kann. Wenn es keinen »Geist in der Maschine« geben soll und eine Tabula rasa ausgeschlossen werden muss, wie kann dann noch von Identität gesprochen werden, und was kann Erziehung dazu beitragen, dass sie sich entwickelt? Dewey ging davon aus, dass Lernen Folgen habe und nicht einfach flüchtig sein kann. Die Folgen schlagen sich in Gewohnheiten der Erfahrung nieder, auf denen die Handlungssicherheit beruht. Man kann nicht in dauerhaft problematischen Situationen handeln. Aus diesem Grunde führte George Herbert Mead ein Prinzip ein, das er surrounding of the problematic nannte und das dann später
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in der Systemtheorie von Niklas Luhmann wieder auftaucht. Was als problematisch erscheint, muss begrenzt werden, wenn überhaupt gehandelt werden soll. Andererseits kann sich jeder Kranz von Gewohnheiten mit neuen Erfahrungen ändern, nur nicht zur gleichen Zeit, andernfalls würden die Sicherheiten zusammenbrechen. Bezogen auf das Problem der Identität trennt sich Mead6 von allen organologischen Metaphern und geht seinerseits von einem Modell der Interaktion aus. Personen haben keine Identität, als sei dies eine Eigenschaft, und sie entwickeln auch keine, als sei Identität ein organisches Objekt. Identität entsteht in dem, was Mead »meeting of minds« nannte, also in Interaktion und in Abhängigkeit von Wechselwirkungen. Damit ist Identität fragil und zugleich lernabhängig. Zu diesem Zweck unterscheidet Mead zwischen den beiden Instanzen I und me. Damit wird die Möglichkeit sowohl der Übereinstimmung als auch der Distanznahme in Interaktionen bezeichnet, die ihrerseits auf generalisierte Erwartungen reagieren müssen. Anders als bei Freud gibt es keine Instanz des Unbewussten, Identität entsteht in sichtbarer Gesellschaft. Mead unterscheidet auch grundlegend zwischen play und game. Damit soll die kindliche Sozialisation erfasst werden, die vom spielerischen Lernen zum Lernen im Spielen übergeht. Sozialisation heißt so einfach die Übernahme immer komplexerer Rollen, die nicht verinnerlicht werden, sondern die im Spiel mit anderen beherrscht werden müssen. John Dewey prägte den Begriff »lebenslanges Lernen« und Mead lieferte dafür die Theorie. Lernen führt zu keinen abschließenden Resultaten, jede Gewohnheit kann aufgebrochen werden, weil in sozialen Situationen immer neue Schwierigkeiten entstehen können, die keine Person einfach für sich löst. Es ist immer ein Beobachter da, anders könnten soziale Situationen gar nicht zustande kommen. Und der Witz bei Meads Theorie ist, dass der Beobachtete selbst beobachten muss, wenn er sich zurechtfinden will. Learning by Doing ist also nicht solipsistisch zu verstehen. Natürlich lernt das einzelne Kind in der Natur anders als im Museum, aber es lernt unter der Voraussetzung von Arrangements und Interaktionen mit anderen. Ohne Austausch wäre das Resultat wertlos, und ohne Vergleich mit anderen fehlte dem Lernen der Anreiz. Nur Rousseauisten bestreiten das, aber müssen dann auch in Kauf nehmen, dass mit künstlichen Kontrollen gearbeitet werden muss, die sich dem Lernen gerade entziehen. Mead und Dewey haben darin Recht, dass Lernen sich auf soziale Situationen bezieht und Wirkungen stets auf Wechselseitigkeit beruhen. Nicht nur Kinder lernen im Museum, das Museum lernt auch von den Kindern. Alles andere würde auf einen Individualismus hinauslaufen, von dem sich eine demokrati6 | George Herbert Mead, Mind, Self and Society from the Standpoint of a Social Behaviorist, Chicago 1934.
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sche Erziehungstheorie unterscheiden muss. Diese Theorie geht grundlegend davon aus, dass Erziehung weder als »Entwicklung« noch als »Einwirkung« richtig verstanden ist. Grundlegend entstehen Wechselwirkungen zwischen Personen von Geburt an. Die Erfahrung des Kindes kann sich nur aufbauen, wenn es genügend Lernanlässe gibt, die sich mit Personen in der unmittelbaren Umgebung verbinden, ohne dass diese Person einfach stellvertretend für die Kinder handeln könnte, wie manche Didaktik bis heute annimmt. Kein Erwachsener kann mit einem Kind umgehen, ohne durch dieses Kind beeinflusst zu werden, so wie auch niemand ein Lernsetting definieren kann, ohne Vorstellung, wer darin wie und mit wem lernen kann. Pädagogische Theorien sind demgegenüber immer noch von Idealen geprägt, die meistens romantischen Ursprungs sind und von einer unverbrüchlichen »Persönlichkeit« ausgehen. Erziehung wird dann danach bewertet, ob sie für die Persönlichkeit etwas Gutes tun kann. Aber jede Persönlichkeit formt sich im sozialen Prozess und keine ist einfach das »Produkt« der richtigen Erziehung. So hat man bis Mitte des 20. Jahrhunderts pädagogische Erwartungen hochgeschraubt, die sich dann nie erfüllt haben. Ideale sind gut für den Diskurs, man kann sich dafür oder dagegen aussprechen, aber sie sind nicht in dem Sinne erreichbar, dass die Erfahrung zu ihrem Ziel käme. Ein solcher Zustand muss ausgeschlossen werden und bestimmt doch immer noch die Vorstellungswelt. Das hängt wiederum mit der Identitätsvorstellung zusammen. Aber die Übereinstimmung von Ideal und Erfahrung ist alles andere als identitätsstiftend. Nicht nur können Ideale Täuschungen sein, auch würde man nicht von dem lernen können, was sie ausschließen. Das gilt gleichermaßen für die pädagogischen Ideale, und seien sie noch so überzeugend. Sie stellen nicht die Enden eines Weges dar, einfach weil die Erfahrung an kein Ende kommt. Die beiden Grenzen jeder Erfahrung sind Geburt und Tod. Die Erfahrung selbst geht weiter und konstituiert sich in jeder Situation neu, wenngleich nicht zwingend anders.
A NWENDBARKEIT UND N ACHFR AGE VON L E ARNING BY D OING Die Produktorientierung und das Lernen durch Handeln haben sich in vielen Didaktiken oder Lernfeldern heute durchgesetzt, ohne dass dabei ständig auf Dewey und Mead zurückgegriffen werden würde. Learning by Doing erscheint in unterschiedlichen Begrifflichkeiten, etwa als »praktisches Lernen« oder neuerdings auch als »selbstorganisiertes Lernen«, ohne damit größere Ansprüche einer allgemeinen Theorie zu verbinden. Andererseits hätte sich die Methode nicht ohne Theorie durchsetzen können.
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In schulischen Kontexten wird das praktische Lernen meistens auf eine Methode reduziert, die gegenüber den curricularen Inhalten wenig empfindlich ist. Das erklärt auch, warum von einem solchen Unterricht in vielen Schulen kaum die Rede ist: Unterricht hat Fachinhalte zur Voraussetzung, die nicht beliebig mit praktischem Lernen verbunden werden können, schon weil die Lehrmittel das gar nicht hergeben. Die Rhetorik ist hier erheblich weiter, als die Praxis es zulässt. Das hat Gründe, die vor allem mit der Zielsteuerung der Schulen zu tun haben. Jeder Schüler und jede Schülerin soll gemäß Lehrplan auf eigenem Wege und unabhängig von anderen Ziele erreichen. Entsprechend sind die Lehrmittel angelegt, die seit den Schulordnungen der Reformation auf den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin zugeschnitten sind. Diese Besonderheit der schulischen Lernordnung ist schwer aufzubrechen und sie hat wenig damit zu tun, wie das Lernen in natürlichen Situationen außerhalb der Schule verläuft. So gesehen ist die Schule mit Blick auf Lernen und Problemlösen ein historisch gewachsener Sonderfall. Schon in der Berufsbildung steht die selbsterarbeitete Lösung im Mittelpunkt. Der reine Fachunterricht wird zugunsten von Aufgaben und Problemen zurückgenommen, so wie auch in der Arbeitswelt von Problemen und Lösungen ausgegangen wird. In diesem Sinne hat sich das Prinzip Learning by Doing auf eine Weise durchgesetzt, von der weder Francis Wayland Parker noch John Dewey eine Vorstellung hatten. Wenn selbst das Leben als »Projekt« verstanden werden kann, dann lässt sich Lernen kaum anders verstehen als ständige Problemlösung. Damit ist natürlich nicht die Frage beantwortet, was heutige Kinder und Jugendliche in der Schule lernen sollen. Die Theorie des Problemlösens beantwortet nicht die Frage der Inhalte, so lange diese festgelegt werden in Form von Lehrplänen und Lehrmitteln. Schulische und außerschulische Curricula unterscheiden meistens Fächer oder Lernfelder, die sich irgendwie in Unterricht übersetzen lassen sollen. Unterricht selbst ist nichts weiter als das Arrangement von Lehr- und/oder Lernprozessen in bestimmten Situationen. Sehr oft wird dabei Parkers Einsicht, dass Interessen das Lernen leiten und am Ende des Prozesses ein Produkt stehen sollte, vernachlässigt oder nur künstlich betont. Tatsächlich gibt es keinen Grund anzunehmen, dass jeder Unterricht heute mit Problemlösen zu tun hat und Lernen auf ein Produkt führt. Lernfelder außerhalb der Schule nehmen auf diesen Grundsatz seit langem Rücksicht. Spielerisches Lernen ist in der Museumsdidaktik ebenso verankert wie in der Horterziehung. Das Lernen im Spiel gehört zur Grundlage der heutigen Sportausbildung, und Projektunterricht gibt es in jedem Studiengang. Letztlich bedeutet das, dass sich das Verhältnis von Theorie und Praxis verschiebt. Die didaktische Theorie schreibt nicht länger den Unterricht vor, denn wenn Praxis als Lernprozess verstanden wird, kann keine Theorie das Ende des
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Prozesses absehen. Das Produkt kann nur im Prozess entstehen, und weil das lernabhängig ist, gibt es keine vorausschauende Theorie mehr. In diesem Sinne bekommt George Herbert Mead Recht, der wie erwähnt von Hypothesen ausgeht und Theorien nicht an die Namen von Theoretikern bindet. Egal, wer die Theorie verfasst hat, sie ist nichts als eine Hypothese, die sich im Erfahrungsprozess bewährt oder nicht. Eine Hypothese, die sich mit Glaubenssätzen verbindet und scheitert, muss deswegen nicht verworfen werden, aber sie hat es im Lichte der Erfahrung schwerer. Mead hat diese Form des Learning by Doing für die Berufsbildung der Stadt Chicago beschrieben.7 Am Anfang des damit verbundenen Reformprozesses stand keine fertige Theorie, sondern tentative Annahmen und Überzeugungen, die anhand von Erfahrungen getestet wurden. Nur so kann man auch die Schwierigkeiten und Hindernisse im Prozess würdigen. Kein Prozess verläuft linear, und jeder ist von komplexen Wechselwirkungen abhängig. In diesem Sinne kann es auch keine politische Theorie geben, die Gesellschaft abschließend begründen könnte. Es gibt einfach keinen Zustand ohne Probleme. Das gilt für alle Lernfelder. Museen etwa sind heute, im Unterschied zu Deweys Zeiten, didaktische Orte mit eigenen Arrangements, mit historischen Quellen, Überlieferungen, Artefakten, und in Ausstellungen soll Lernen herausgefordert werden. Zwischen Erwachsenen und Kindern wird wohl unterschieden, aber in jedem Falle geht es darum, Interesse zu wecken und zum eigenen Tun anzuregen. Deswegen ist meistens von »praktischem Lernen« die Rede. Die Artefakte sollen sinnlich erlebt und praktisch erschlossen werden. Im Sinne der pragmatischen Theorie des Lernens ergibt das Angebot Sinn, wenn es auf Probleme verweist, deren Lösungen herausgefunden werden sollen, oder wenn es Lernende anregt, Probleme überhaupt erst zu entdecken. Der Lernende bewegt sich in eigenen Landschaften, die nicht wie Schulbücher arrangiert sind, sondern in denen mit allen Sinnen gelernt werden kann. Hinzu kommt der Einsatz Neuer Medien, die in vielen Ausstellungen heute wie selbstverständlich zur Anwendung kommen. Wenn damit nicht lediglich Anschauungsunterricht erteilt wird, kommt es auch hier darauf an, Probleme zu erkennen, die sich dann mit praktischem Lernen verbinden lassen. Lernlandschaften dieser Art gibt es auch in öffentlichen Räumen. Das Lernen wird nicht durch Personen gelenkt, sondern entsteht durch Wahrnehmung im Raum. Die Theorie des Problemlösens ist seinerzeit im Blick auf Schule entwickelt worden und erhält so ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten. Die enge Koppelung von Handeln mit Herstellen im handwerklichen Sinne entfällt. Learning by Doing kann sich auf Produkte der verschiedensten Art beziehen
7 | Ders., A Report on Vocational Training in Chicago and in Other Cities, Chicago 1912.
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und verlangt nur eine eigene Problemlösung, die individuell oder kollektiv gesucht wird. Museen heute sind nicht mehr einfach gleichzusetzen mit Ausstellungen, bei denen die jeweils gezeigten Exponate wechseln. Sie sind Lernlandschaften, die herausfordern sollen, ohne Zwang auszuüben. Die Zielsteuerung der Schule entfällt, stattdessen kann ausprobiert und weitergedacht werden. Reflexion verbindet sich zwanglos mit Handeln, immer eingedenk, dass das Problem herausfordern und die Arbeit sich lohnen muss, ohne dass Noten verteilt werden. Landschaft und Problembezug können sich ändern, spielerisches Lernen ist sinnvoll, und kreative Lösungen können belohnt werden. Ein Problem, das sich mit dieser pragmatischen Sichtweise verbindet, ist die Gleichsetzung von Erziehung und Erfahrung. Das geht wiederum auf Dewey zurück, der in Democracy and Education8 davon gesprochen hat, dass Erziehung nichts anderes sei als Erfahrung und dass so alles erzieht, was die Erfahrung beeinflusst. Zugleich geht er davon aus, dass nur kurzfristige Ziele die Erfahrung beeinflussen können, die sich ja auch gegen Ziele der Erziehung wenden kann. Aber diese Gleichsetzung von Erziehung und Erfahrung erlaubt letztlich nicht, von einem besonderen Prozess auszugehen, der »Erziehung« genannt wird und nicht einfach im Erfahrungsstrom aufgeht. Erziehende haben Intentionen, verfügen über Methoden und versuchen, die Erfahrung Dritter zu beeinflussen. Diese besondere Form der Beeinflussung ist von anderen zu unterscheiden, ohne darum wirkungslos zu sein. Die Wirkungen können, begrenzt auf Projekte, evaluativ erhoben und so unterschieden werden. Die Theorie des Pragmatismus wehrt sich auf der anderen Seite zu Recht gegen die Konstruktion von philosophischen Dualismen, die von Zwei-WeltenTheorien ausgingen. Gemäß Charles Sanders Peirce gibt es nur eine Erfahrungswelt und nicht zwei – wie etwa bei Rousseau –, und der Aufbau intellektueller Gewohnheiten, den wir »Bildung« nennen, vollzieht sich nicht in einer Gegenwelt, sondern in dem gemeinsam geteilten Erfahrungsraum. In diesem Sinne sind Schulen auch keine besonderen Erfahrungsräume, sondern Teil einer größeren Sozietät, die sich aus vielen Quellen speist, aber sich nicht in mehrere Erfahrungswelten aufteilt.9 Pädagogische Organisationen lernen, sich selbst beständig zu erneuern, ohne auf fernliegende Alternativen zurückgreifen zu müssen. Das bestimmt allein die pädagogische Rhetorik, die sich natürlich immer bessere Welten ausdenken kann. Aber Schulen müssen verstanden werden als historische Produkte, die sich wohl optimieren lassen, aber die nicht neu erfunden werden. Die 8 | John Dewey, Democracy and Education. An Introduction to the Philosophy of Education, New York 1916. 9 | Das führt zu einer Absage an jede Form von Rousseauismus. Wenn Alternativen ausprobiert werden, dann in der Welt, die dafür zur Verfügung steht.
Learning by Doing
Optimierung betrifft auch nie die Organisation als ganze, sondern immer nur Teile und auch nur dort, wo Probleme definiert werden.
G RENZEN Die Theorie des Problemlösens hat immanente Grenzen. Wenn Lernen und Denken nicht unterschieden werden können und mit Problemlösen zu tun haben, dann stellt sich die Frage, wann ein Problem gelöst ist und genauer: was eine »Problemlösung« genau kennzeichnet. Diese Frage beantwortet Dewey nicht, ausgenommen, dass er davon ausgeht, dass Lösungen sich in Gewohnheiten niederschlagen. Aber Gewohnheiten sind kein sicherer Grund, genau das ist ja die Voraussetzung dafür, dass Erfahrung beständig korrigiert werden kann. Es gibt Probleme, die sich nicht lösen lassen, auch wenn oder sogar weil man gelernt hat. Die Passung der Lösung zum Problem ist keineswegs selbstverständlich. Lernen kann am Problem scheitern, und Probleme können sich dem Lernen widersetzen. Das gilt etwa für komplexe politische Probleme, die zwar als solche erkannt werden, aber auch bei größten Anstrengungen keine Lösung finden. Gerade in soziologischer Hinsicht steht die Psychologie des Problemlösens oft vor unlösbaren Hindernissen, entweder weil die Probleme zu komplex sind oder weil sich die Lösungen nicht als durchsetzungsfähig erweisen. In psychologischer Hinsicht gehört das Widerständige des Problems zur Identitätsbildung. Das bearbeitete, aber ungelöste Problem wird zum Stachel des Lernens, der auch nicht gezogen werden kann. Auch die Erziehung kennt solche Fälle, etwa wenn sich Kinder und Jugendliche guten Lösungen für Probleme, die sie haben, entziehen und genau deswegen lernen müssen. Schließlich können auch aus Lösungen neue Probleme erwachsen. Eine »Lösung« muss das dazugehörige Problem nicht zum Verschwinden bringen, es kann in anderer Form zurückkehren und nach anderen Lösungen verlangen. Die Grenze der Theorie ist daher die Kurzfristigkeit der jeweiligen Problemlösung. Wird der Prozess betrachtet, wie vor allem der späte Dewey10 nahegelegt hat, dann treten nicht nur immer neue Probleme auf, vielmehr können, je nach Situation, auch tiefsitzende Gewohnheiten und so Problemlösungen fraglich werden. Damit ist immer eine Verunsicherung von Identitätsannahmen verbunden, die genau deswegen überprüft werden können. Letztlich läuft die Theorie darauf hinaus, dass Lernen falsche Sicherheiten verhindert, ohne zu einem Abschluss zu kommen. 10 | John Dewey, »The Quest for Certainty. A Study of the Relation of Knowledge and Action«, in: ders., Gifford Lectures 1929, New York 1929.
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Auch in einem didaktischen Setting, das die Probleme vorgibt und nur die Lösungen offenhält, gibt es Grenzen. Jede Museumslandschaft muss das Lernfeld begrenzen und kann die Lernzeit nicht beliebig ausdehnen. Lernende können die Lösungen verfehlen oder das Problem umdefinieren. Das Vorwissen kann sich als Hindernis erweisen und das eigene Tun kann das Lernen erschöpfen. Learning by Doing ist anfällig, gerade weil gehandelt wird und so mit Nebenwirkungen gerechnet werden muss.
Sehen, Lernen, Wissen — TO SEE IS TO KNOW ? Ausstellungen als Wissens- und Erfahrungsräume Gisela Staupe
Jedes Museum1 bis hin zum Kindermuseum ist immer auch eine Schaubühne2 . Es möchte mit dem Medium Ausstellung – über die Präsentation und Inszenierung von Dingen im Raum, über die Schaffung von neuen Bildwelten, eben über die Anschauung – kulturelles Wissen vermitteln. Im wissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahre ist in diesem Kontext der Transformationsbegriff zu einer wichtigen Kategorie der Theorie- und Praxisdiskussion geworden.3 Sie rückt im Hinblick auf das Museum verstärkt die museale Ausstellungsproduktion und -vermittlung ins Blickfeld.
1 | Nicht die Kunstmuseen, sondern die kulturhistorischen Museen stehen im Mittelpunkt meiner Überlegungen. 2 | So Gottfried Korff, »Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum«, in: Martina Eberspächer/Gudrun König/Bernhard Tschofen (Hg.), Museumsdinge, Köln/ Weimar/Wien 2002, S. 174. 3 | Vgl. dazu die Forschungsfelder in Bezug auf den »Wissensort Universität« des Departments Wissen – Kultur – Transformation der Universität Rostock unter der Leitung von Frau Professorin Stephanie Wodianka und Herrn Professor Martin Rösel (http:// www.inf.uni-rostock.de/departments/wissen-kultur-transformation/). Siehe auch das BMBF-Projekt wissen&museum. Archiv – Exponat – Evidenz: Generierung und Transformation von kulturellem Wissen im Literaturmuseum, 2009-2012, an dem folgende Partner beteiligt waren: das Deutsche Literaturarchiv Marbach sowie das Institut für Wissensmedien, das Kunsthistorische Institut und das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Ziel dieses Projektes: »Museen und Archive haben gegenwärtig einen hohen Bedarf an Reflexion, an konkreter sammlungsbezogener und ausstellungsbegleitender Forschung, die sich in die Ausstellungsentwicklung produktiv einspeisen lässt. Theoretisches Wissen soll in praktisches Orientierungs- und Handlungswissen überführt werden«.
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V ERMIT TLUNG UND TR ANSFORMATION VON W ISSEN IN A USSTELLUNGEN Die Begriffe Vermittlung und Transformation bezeichnen jeweils unterschiedliche Sachverhalte, die im Folgenden stark vereinfacht dargestellt werden. Vermittlung von Wissen in einer Ausstellung kann als ein normativer und normierender Vorgang begriffen werden. Er setzt die Festlegung dessen fest, was gewusst werden soll. Doch was die Besuchenden an Wissen für sich aus einer Ausstellung herausfiltern, kann nur bedingt beeinflusst werden, denn: Welches Wissen sich ein einzelner Besucher aneignet, hängt von seinem Vorwissen, seinen Interessen, der Lust und Unlust während des Ausstellungsbesuches und schließlich auch von seinen Gefühlen ab. Durch die Inszenierung der Dinge, Kontextualisierung und Gestaltung, Objektbeschriftungen, Ausstellungstexte und mit Hilfe von Führungen oder pädagogischen Aktionen, kann die intendierte Aussage der Ausstellung beeinflusst und so die Generierung eines bestimmten Wissens gelenkt werden. Transformation von Wissen hingegen meint, dass durch die Form der Ausstellung mit ihren Sichtbarkeits- und Sagbarkeitsregeln Wissen aktiviert, produziert oder erst ermöglicht werden kann. Diese Denkkategorie fordert mehr Reflexivität im Sinne von größerer Aufmerksamkeit gegenüber den Prozessen der Produktion und Verbreitung von Wissen. Unterschiedliche Informationen müssen durch die einzelnen Besuchenden erst zu Wissen konstruiert und interpretiert werden und werden somit Teil eines Prozesses, der sich nicht normativ steuern lässt. Stattdessen setzt dies eine große Kompetenz und Selbständigkeit des Besuchers voraus, Ausstellungen lesen zu können. Und so hängt es letztlich auch von ihm ab, welches Wissen er aus der Ausstellung mitnimmt. Meiner Ansicht nach haben beide Ansätze einen gemeinsamen Kern, der häufig übersehen wird. Er beinhaltet die zentralen Fragen: Wie entsteht Wissen, und wie wird Wissen in Ausstellungen erworben, erweitert und genutzt bzw. wie wird es vermittelt und geformt? Kann die subjektive Wissensaneignung gesteuert werden, oder ist sie ein offener Prozess? Jeder Kurator beschäftigt sich mit diesen Fragen und setzt sich daher immer auch – ob bewusst oder unbewusst – mit der Didaktisierung von Ausstellungen auseinander: Wie kann eine Ausstellung als »Schaubühne der Dinge« Wissen produzieren und vermitteln? Didaktik4 wird hier als eine allgemeine Wissen4 | In dem Projekt Lernen im Museum des Deutschen Hygiene-Museums, gefördert vom BKM und SMK, werden Lernprozesse im Museum beschrieben und untersucht sowie eine Museumsdidaktik entwickelt. Vgl. Gisela Staupe et al. (Hg.), Das Museum als Lern- und Erfahrungsraum. Lerntheoretische Grundlagen und Praxisbeispiele, Wien/ Köln/Weimar 2012.
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schaft vom Lehren und Lernen verstanden (nicht bezogen auf die Schule), als Methode der Wissensvermittlung sowie zur Steuerung von Lernprozessen. Sie wird zukünftig ein wichtiges Diskursfeld für die praxisnahen Reflexionen darüber sein, wie Wissen in Ausstellungen vermittelt bzw. transformiert werden kann. Die Begriffe Vermittlung und Transformation werden daher im Folgenden (fast) bedeutungsgleich verwendet. Wenn Ausstellungen Schaubühnen sind, so müssen sich die Geschichten, die auf diesen Bühnen »erzählt« werden, den großen und kleinen Besuchenden erschließen, die sich als deren aktive Interpreten versuchen. Ohne Bezug auf das Publikum – den Adressaten aller kuratorischen Bemühungen – kann heute aus meiner Sicht nur unzureichend über Ausstellungen als Orte der Vermittlung von Wissen reflektiert werden.
D IE M USEUMSÖFFENTLICHKEIT : D AS P UBLIKUM , B ESUCHER GENANNT Die bisherige klassische Zielgruppe der Museen, das sogenannte Bildungsbürgertum mit ausgeprägter Identität, hat sich zahlenmäßig seit 1945 kontinuierlich reduziert.5 Insgesamt ändern sich die Besucherschichten der Museen angesichts der heutigen sozialen und kulturellen Wandlungsprozesse unserer Gesellschaft nochmals gravierend. Als Stichworte dieser gesellschaftlichen Veränderungsprozesse seien hier nur genannt: Veränderung der Erwerbswelt, Globalisierung, Migration, Medialisierung, Verlust eines einheitlichen Bildungskanons (mit der Folge sehr unterschiedlich ausdifferenzierter Vorstellungen von Kultur), rapide Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft. Etwa jeder fünfte Bürger hat inzwischen einen Migrationshintergrund. Der von all diesen Stichworten beeinflusste demografische Wandel, dessen Bedeutung für die zukünftige Rezeption von Kultur immer noch radikal unterschätzt wird, hat zur Folge, dass unsere Gesellschaft kleiner, älter, ärmer sowie sozial und kulturell heterogener wird. Diese Veränderungen werden für die Arbeit der Museen und ihr Medium Ausstellung, für ihre Vermittlungsarbeit insgesamt, einschneidende Folgen haben – besonders in Bezug auf die Besuchergruppen. Es entsteht eine »neue« Öffentlichkeit, die als extrem plural bezeichnet werden kann und keine homogene oder passive Masse darstellt – das gilt besonders für die nachwachsende Generation. Diese wachsende kulturelle, soziale und religiöse Diversität wird das Verhältnis der Menschen zu dem, was eine Gesellschaft an Wissen vom Einzel5 | Vgl. Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a.M./Leipzig 1994, besonders S. 305ff.
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nen erwartet und einfordert, bis hin zur bisherigen Erinnerungskultur und zur Hochkultur verändern. Die kulturellen Interessen und Aktivitäten (insbesondere bildungsbenachteiligter) Kinder und Jugendlicher beziehen sich zunehmend auf ein äußerst breit gefächertes Spektrum an Kulturen – weniger auf die eine, das gesellschaftlich-kulturelle Leben prägende Hochkultur. Prognostiziert werden bei jungen, gerade auch gut ausgebildeten Menschen zunehmend neue Mentalitäten, die sich von allgemeingültigen Begriffen wie kulturelles Erbe, allgemeine Werte und Bildung immer mehr entfernen. Das hat zur Folge, dass immer mehr unterschiedliche Kulturverständnisse und -bedürfnisse entstehen. Besucherbefragungen helfen, den Blick auf die »neue« Öffentlichkeit zu schärfen: Teilhabe an (Hoch-)Kultur ist nach wie vor das Privileg der Bildungseliten, wie Studien belegen.6 Danach bekunden ca. fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung ein starkes persönliches Interesse an Kultur, davon sind allerdings nur drei bis vier Prozent regelmäßige Nutzer der Angebote der Hochkultur (und zwar fast ausschließlich diejenigen mit hohen Bildungsabschlüssen). Besucherbefragungen haben ergeben, dass das wichtigste Motiv für den Besuch von Kulturveranstaltungen – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Bildungsniveau – der Wunsch nach sozialen Aktivitäten ist. Erst danach werden Motive wie sich weiterbilden, etwas lernen, neue Kunstformen kennenlernen oder ästhetischer Genuss genannt. Das gilt insbesondere auch für die Nutzung von Museen. Eher soziale als inhaltliche Interessen bestimmen demnach den Museumsbesuch. Das Erleben scheint dem Bildungsinteresse den Rang abgelaufen zu haben. Obwohl kulturelle Bildung nun schon seit einigen Jahren in aller Munde ist, hat offenbar eine Generation von Kuratoren sowie Museumsleuten das Thema der Vermittlung des kulturellen Wissens an die nachwachsende Generation stark vernachlässigt. Immer noch wird kulturelle Bildung als bloßes Beiwerk verstanden und gleichgesetzt mit der Entwicklung von pädagogischen Angeboten, die quasi Übersetzungshilfen der Inhalte einer Ausstellung für das Publikum sein sollen. Doch zur kulturellen Bildung gehört ein Kerngeschäft des Museums: die Entwicklung und Umsetzung von Ausstellungen. Aus diesem Grund sollte daher zukünftig schon bei der Entwicklung von Ausstellungen die Perspektive der jeweils potenziellen Nutzer viel intensiver mitreflektiert
6 | Vgl. Birgit Mandel, »Kontemplativer Musentempel, Bildungsstätte oder populäres Entertainment-Center? Ansprüche an das Museum und neue Strategien der Museumsvermittlung«, in: Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.), Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008, S. 75-78. Auch: Susanne Keuchel, »Das Kulturpublikum in seiner gesellschaftlichen Dimension. Ergebnisse empirischer Studien«, in: Birgit Mandel (Hg.), Kulturvermittlung zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005, S. 53ff.
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werden. Der Anspruch eines »Museums für alle«7 aus den 1970er Jahren hat sich inzwischen überlebt. Ein »Museum für viele« muss als präzisere Form der Besucherorientierung zu einem neuen Denkansatz weiterentwickelt werden. Dieser Ansatz, in die Praxis umgesetzt, könnte dazu beitragen, einem Ziel der kulturellen Bildungsarbeit von Museen (über Ausstellungen und pädagogische Angebote) näher zu kommen, nämlich ein Publikum zu gewinnen, das repräsentativ für die Gesellschaft als Ganzes steht. Hier könnten Kindermuseen mit ihren besonderen Ausstellungen und Bildungsangeboten einen wichtigen und nachhaltigen Beitrag leisten: nämlich die Zielgruppe Kinder für das Medium Ausstellung und das Museum zu begeistern, das von ihnen oft als verstaubt und langweilig bezeichnet wird. Das Museum mit seinem Medium Ausstellung steht also vor einer großen Aufgabe. Wenn es zukünftig ein sehr differenziertes – großes und kleines – Publikum erreichen möchte, wird in diesem Zusammenhang zukünftig noch präziser über folgende Fragen nachgedacht werden müssen: Welches Wissen benötigt die Gesellschaft von heute und morgen? Welches Wissen vermittelt das Museum, mit welcher Intention, an wen? Und in welchem Verhältnis steht eigentlich Wissen zur Bildung?
Z WEI K OORDINATEN : W ISSEN UND B ILDUNG Gerade die Frage nach der Art des Wissens, das unsere Gesellschaft jetzt und in Zukunft braucht, drängt sich gegenwärtig mehr und mehr in den Vordergrund. Konnte früher Wissen in Erzählungen oder über Bücher weitergegeben werden, so werden heute die Depots, die vergangenes und gegenwärtiges Wissen speichern, immer gigantischer. Angesichts dieser wachsenden »Wissenslast« werden die Fragen – besonders für die Institutionen, die Wissen an die nachwachsende Generation vermitteln sollen – immer virulenter: Welches alte und neue Wissen ist für unsere Kultur heute angesichts seiner wachsenden Fülle und der zunehmenden Komplexität und Diversität der Gesellschaft erforderlich? Welche Wissensbereiche sind privilegiert und welche können marginalisiert werden? Wie kann Wissen erworben, nutzbar und verändert werden? Und: Wer entscheidet darüber, an welches Wissen wir uns morgen erinnern sollen? Fakt ist sicherlich, dass Wissen kein »Gegenstand an sich«, sondern ein sich immer wieder verändernder Prozess des Weltverstehens ist. Im Unterschied zum Wissen beinhaltet Bildung ein Programm, das auf Teilhabe zielt und sich durch den Wunsch nach Orientierung und Werteaneignung auszeichnet. Insofern ist Bildung nicht gleichzusetzen mit Wissen. 7 | Vgl. dazu Hilmar Hoffmann, Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt a.M. 1979.
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Garantieren die zunehmenden gigantischen Wissensspeicher, auch die immer noch wachsende Zahl von Archiven, Gedenkstätten und Museen, den Fortbestand eines lebendig verkörperten Wissens im Sinne eines kulturellen Gedächtnisses? Oder: Ist der Zugriff auf Wissen, wie Aleida Assmann sagt, heute fast wichtiger geworden als der Besitz von Wissen? Historisch gesehen war die Pflege und Weitergabe von gesellschaftlichem (kulturellem) Wissen nie dem Einzelnen überlassen worden. Bibliotheken, Schulen, Universitäten, Museen und andere Kultureinrichtungen fungieren auch heute noch als »Definitions- und Vermittlungsagenturen« und produzieren, vermitteln und repräsentieren Wissen via ausgebildeter »Wissensexperten« – Professoren, Lehrkräfte oder Museumsdirektoren. Bestimmte Inhalte werden so als mehr oder weniger verbindliches Wissen an die nachwachsende Generation weitergegeben. Viele Museen schöpfen ihre zu vermittelnden Wissensund Bildungsinhalte noch aus einem Bildungskanon aus dem 19. Jahrhundert. Schon deswegen stellt sich die Frage, welche Rolle die Museen, deren Bedeutung für die Wissens- und Bildungsgesellschaft bisher nur am Rande erwähnt8 wurde, heute angesichts veränderter Wissensansprüche und -erwartungen spielen könnten? Und: Was geschieht, wenn Museen verstärkt als relevante Orte nachhaltiger, zukunftsgerichteter kultureller Bildung wahrgenommen werden, wenn sie ihre Möglichkeiten als zukunftsgestaltende Bildungs- und Wissensorte deutlicher als bisher wahrnehmen? Hier können Ausstellungen eine ganz besondere Funktion übernehmen, denn sie haben das Potenzial, über den (kognitiven) Wissenserwerb hinaus auch soziales Handlungswissen zu vermitteln und einzuüben. Durch ästhetische Erfahrungen können sie Gefühle, Fantasie und Imagination nachhaltig berühren, Erinnerungen und Assoziationen hervorrufen, Interessen für bestimmte Themen wecken, Diskursfähigkeit, Denk-, Reflexions- und Austauschprozesse fördern. Diese »hochwertigen« Lernprozesse können in Ausstellungen über das gemeinsame Erlebnis, in der Kommunikation, über Eindrücke, im Erklären und Aushandeln unterschiedlicher Perspektiven und Interpretationen ausgelöst werden. Sie können somit wichtige Erfahrungsräume sein, um einen erweiterten und ergänzten, gesellschaftlichen Bildungsbegriff in der Praxis zu erproben; dass das möglich ist, zeigen aktuelle empirische Studien.9 8 | Immerhin scheint sich langsam eine verbesserte Wahrnehmung der Museen als wichtige außerschulische Lernorte abzuzeichnen. Vgl. Deutscher Lernatlas der Bertelsmann-Stiftung (http:www.deutscher-lernatlas.de). Dort werden Museen explizit als wichtiger Baustein des »persönlichen Lernens« einbezogen. 9 | Nick Merrman, »Museum Visiting as a Cultural Phenomenon«, in: Peter Vergo (Hg.), The New Museology, London 1989, S. 149-171. Auch: Doris Lewalter/Claudia Geyer, »Motivationale Aspekte von schulischen Besuchen in naturwissenschaftlichtechnischen Museen«, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 12/2009, S. 28-44;
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A USSTELLUNGEN VERSTÄRK T ALS W ISSENS - UND E RFAHRUNGSR ÄUME DENKEN Für das Museum sind Ausstellungen das zentrale Medium der Wissensproduktion und seiner Vermittlung. Sie sind vornehmlich Orte der Dinge – immer häufiger Orte von neuen Bildwelten –, die auch ohne die Präsentation von Dingen im Raum Wissen über Anschauung vermitteln wollen. Ausstellungen sind für kleine wie große Besucher Wissens- und Erfahrungsräume, deren Besonderheit darin liegt, dass – indem Objekte und Bilder zu immer neuen Bild- und Merkwelten im Raum arrangiert werden – die Begriffe zurücktreten und Gegenständliches hervortritt: Die Wahrnehmung steht im Zentrum, ihr wird Zeit und Raum eingeräumt; das Erkennen von Zusammenhängen und Widersprüchen wird über das Sehen herausgefordert; Erkenntnisse und Wissen werden zur Ansicht gebracht. Im Folgenden soll versucht werden, mittels dreier ausgewählter Blickrichtungen den äußerst komplexen Prozess der Entwicklung und Umsetzung einer Ausstellungskonzeption skizzenhaft vorzustellen.
Blickrichtung I: Handlungswissen und empirische Forschungszugänge In gewisser Weise liegt jeder Ausstellung ein Handlungswissen der Kuratoren zugrunde, das sich auf mehr oder weniger explizit reflektierte Vermutungen bezüglich ihrer Wirkung auf das Publikum stützt. Mit jeder Ausstellung verbindet sich die Hoffnung, Wissen und neue Einsichten über ein Thema zu befördern, die oben beschriebenen »hochwertigen Lernprozesse« auszulösen. Insofern können Ausstellungen und die ihnen zugrunde liegenden Konzepte auch aus einer didaktischen Perspektive betrachtet werden. Diese mehr oder weniger bewussten und ausformulierten Erwartungen über mögliche oder angestrebte Lerneffekte bzw. Bildungswirkungen beruhen zumeist auf der langjährigen Erfahrung von Kuratoren aus deren Arbeitsprozess, werden aber selten artikuliert. Für den Reflexionsprozess bei der Entwicklung von publikums- und zielgruppenorientierten Ausstellungen wäre es daher interessant, über noch zu entwickelnde empirische Forschungszugänge die Vermutungen und handlungsleitenden Prinzipien der Kuratierenden zu rekonstruieren. Auf diese Weise könnte erforscht werden, welche Annahmen über bildungsrelevante Wirkungen von Ausstellungen tatsächlich empirisch tragfähig sind und sich be-
Gun-Brit Thoma/Manfred Prenzel, »Was verbinden Museumsbesucher mit Lernen im Museum und in der Schule?«, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 12/2009, S. 64-81.
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währen.10 Wenn es gelingen könnte, in der Bundesrepublik Bildungsforschung mit der Museumspraxis zu verknüpfen, dann wäre dies für die Zukunft des Museums und auch für die Praxis des Ausstellungsmachens von großem Nutzen.
Blickrichtung II: Die Idee der Partizipation Die immer differenzierter werdende Besucherschaft verlangt zunehmend von Ausstellungsmachern eine verstärkte Reflexion über ihr anvisiertes Publikum. Wenn eine Ausstellung sich zum Ziel setzt, kognitives Wissen und soziales Handlungswissen zu vermitteln, dann werden sich Museen immer wieder folgende Fragen stellen müssen: Welches Wissen kann eine Ausstellung mit welcher Intention wie und vor allem an wen vermitteln? In diesem Zusammenhang wird seit einigen Jahren das Konzept der Interaktion zwischen Kurator, Objekt und Mensch erprobt, genauer: über die Idee der Partizipation diskutiert. Partizipation meint in diesem Zusammenhang vor allem Interaktion mit einem ausgewählten Publikum und beinhaltet das Versprechen einer Einbeziehung der Bürger in die kulturelle Bildungsarbeit. Dieses Modell entwickelt Museumspraxen, die zunehmend auf soziale Inklusion setzen, indem die potenziellen Ausstellungsbesucher u.a. in die Wissensvermittlung und in die Entwicklung von Ausstellungen einbezogen werden, ja sogar als Kuratoren mitwirken sollen. Diese Idee geht davon aus, dass Lernen keine Einbahnstraße von den Lehrenden zu den Lernenden ist, sondern als ein gegenseitiger Prozess des Lernens begriffen werden muss. Unter dem Label der Partizipation sollen insbesondere auch eher museumsferne Gruppen der Gesellschaft gewonnen werden. Dieses Modell ist zwar nicht so neu und revolutionär, wie es klingt, hat aber – insbesondere für Stadtmuseen – nichts von seinem Reiz verloren. Trotzdem gilt es hier, offene Fragen zu beantworten: Wer soll eigentlich in was inkludiert werden? Und warum sollte überhaupt irgendjemand Lust haben, bei aufwendigen Projekten der Partizipation mitzumachen, die er oder sie nicht erfunden hat? Was ist, wenn niemand mitmachen will? Wie relevant und nachhaltig dieses Modell für die museale Praxis sein wird, das wird die Praxis selbst zeigen.11
10 | Herr Professor Manfred Prenzel hat die Überlegungen zur Erforschung des kuratorischen Handlungswissens in einem Gespräch mit mir 2008 entwickelt. Ich weise darauf hin, dass die Autorenschaft dieser Überlegungen bei Herrn Professor Prenzel liegt. Ein geplantes Forschungsprojekt hierzu musste leider aus Zeitgründen abgesagt werden. 11 | Susanne Gesser/Martin Handschin/Angela Jannelli/Sibylle Lichtensteiger (Hg.), Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2011.
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Blickrichtung III: Neue Arbeitsstrukturen denken Abschließend soll bewusst betont werden: Wenn zukünftig intensiver über das Verhältnis von Ausstellung und Publikum nachgedacht werden soll, dann geht es mir hierbei nicht um die Einbeziehung von Marktforschung in den Museumsbetrieb. Kuratorinnen und Kuratoren, denen es gelingt, zum Nachdenken anregende, bewegende, beunruhigende und denkwürdige Ausstellungen zu entwickeln, bauen heute zumeist auf die umfassende Kenntnis und Analyse vielfältiger Ausstellungsbeispiele auf; sie sind geschult in der Reflexion von Fragen der Repräsentation, z.B. wie wer warum welche Bedeutungen in Dinge eingeschrieben hat. Sie erproben die neue interdisziplinäre Zusammenarbeit von sogenannten Thinktanks aus Wissenschaft, Kunst, digitalen Medien, Design, Gestaltung und museumspädagogischer Vermittlung und erarbeiten so innovative Denk- und Zeigestrukturen für die Präsentation kultureller Dinge im Raum. Diese Kuratoren kennen auch die Befunde einer differenzierten und innovativen Besucherforschung12 und interessieren sich für die Frage, wie Lernprozesse im Museum bei unterschiedlichen Zielgruppen ablaufen. Doch – last, but not least: Zum Gelingen einer guten Ausstellung gehören grundsätzlich immer auch Talent, Mut und künstlerische Freiheiten der Kuratoren.
S CHLUSSBEMERKUNG Georg Franck, Autor von Ökonomie der Aufmerksamkeit, schreibt in seinem Bestseller: »In der Kultur zählt, wie in der Ökonomie, das Ergebnis. Der höchste Anspruch nützt nichts, wenn die Rezeption ihn nicht aufnimmt.«13 Das ist nach wie vor eine große Herausforderung, der sich jedes Museum, jede Ausstellung, jede Kuratorin, jeder Kurator jeden Tag, immer wieder neu, mit großem Engagement, stellen muss.
12 | Eva M. Reussner, Publikumsforschung für Museen. Internationale Erfolgsbeispiele, Bielefeld 2010. 13 | Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, München 1998, S. 160.
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Reflexionen zur Entwicklung partizipativer Ausstellungen zum Thema Spiel Gretchen Jennings
Im November 2011 schloss die Ausstellung Invention at Play nach beinahe zehn Jahren ihre Tore im Smithsonian’s National Museum of American History (NMAH) in Washington, DC – vier Jahre davon war sie im Smithsonian selbst zu sehen gewesen, und den Rest der Zeit als Wanderausstellung durch die Vereinigten Staaten gereist. Die Intention der Ausstellung war es, den Prozess des Erfindens und die Denkweisen von Erfindern auf Spielformen für Kinder zu übertragen. Als Projektleiterin konnte ich meine kuratorischen Erfahrungen mit der Konzeption mehrerer Ausstellungen zur menschlichen Entwicklung einbringen. Dieser Aufsatz wird sich zum einen mit der Ausstellung Invention at Play beschäftigen, die auf zwei früheren Ausstellungen basierte, die das kindliche Spiel ins Zentrum des Museums gerückt hatten. Zum anderen wird er die wesentlichen Forschungsgrundlagen für den zugrunde gelegten Spielbegriff1 sowie seine Verbindung zu »Erfinden« und »Kreativität« beleuchten. Beispiele zur Ausstellungsgestaltung und -beschriftung zeigen ferner, wie dieses Verhältnis in einer interaktiven Ausstellung sichtbar und greifbar gemacht wurde.
1 | Das Lemelson Center stützte sich hierbei auf die folgende grundsätzlich akzeptierte Beschreibung von »Spielen« als einer aktiven Beschäftigung, die von innen heraus motiviert, frei gewählt, vergnüglich, nicht wörtlich und symbolisch ist; vgl. dazu F. Hughes, Children, Play, and Development, Boston 1999, zitiert in: Lemelson Center (Hg.), Proposal to the National Science Foundation, unveröffentlichter Antrag, 2001.
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D IE E NT WICKLUNG UND V ERBREITUNG VON I NVENTION AT P LAY – EINE KURZE E INFÜHRUNG Invention at Play war ein Gemeinschaftsprojekt unter der Leitung des Lemelson Center for the Study of Invention and Innovation am NMAH. Das Zentrum untersucht die historischen Bedingungen von Erfindungen mit der Intention, diese zu übertragen und den Erfindergeist und die Kreativität bei jungen Menschen zu fördern. Für die Gestaltung und den Bau der Ausstellung war das Science Museum of Minnesota zuständig.2 Nach etwa dreijähriger Vorbereitungszeit eröffnete die Ausstellung im Juli 2002. Zur selben Zeit startete auch die begleitende Webseite inventionsatplay.org.3 Nach sechs Monaten am NMAH reiste die Ausstellung dann durch neun Museen in den Vereinigten Staaten und kehrte erst im Herbst 2008 nach Washington, DC, zurück. Dank zusätzlicher finanzieller Unterstützung konnte eine kleinere Version ab 2003 durch 13 weitere Museen in den USA und Kanada reisen, bevor sie schließlich Dauerausstellung im Tech Museum of Innovation in San Jose, CA, wurde. Von Juli 2002 bis November 2011 sahen insgesamt mehr als fünf Millionen Menschen Invention at Play.4 Auf etwa 325 Quadratmeter Fläche war die Ausstellung in drei Bereiche gegliedert, in denen das konzeptionelle Ziel, Gemeinsamkeiten zwischen dem Spiel und dem Erfinden zu untersuchen, durch eine Vielzahl von Themenclustern umgesetzt wurde. Den größten Raum nahmen fünf Objektcluster ein, die sich jeweils einem wichtigen Erfinder exemplarisch widmeten. Über diesen Displays hingen Banner, auf denen die zentralen Ideen der unterschiedlichen Bereiche zusammengefasst waren: »Recognize the Unusual«, »Keep Making it Better« oder »Borrow from Nature«. In einer offen angelegten Konstruktion mit den vagen Umrissen eines Hauses – dem Invention Playhouse – gab es verschiedene Hands-on-Aktionen, die Besucher jeden Alters mit vier, dem Denken von 2 | Finanziert wurde das Projekt durch die Lemelson Stiftung sowie die National Science Foundation, einer Organisation zur Unterstützung von Forschung und Bildung in den Naturwissenschaften. 3 | Auch die anderen in diesem Aufsatz diskutierten Ausstellungen sind im Netz aufbereitet. Das Boston Children’s Museum betreibt seit 2004 eine Webseite, die wie ein Archiv der vielen innovativen Ansätze fungiert, die das Museum seit der Leitung durch Michael Spock in den 1960er und 1970er Jahren realisiert hat: http://bcmstories.com. Fallstudien sowie Bilder und relevante Quellen zur Entwicklung der Psychology Exhibition und Invention at Play befinden sich auf ExhibitFiles.org, einem sozialen Onlinenetzwerk für Ausstellungsmacher und -gestalter: http://www.exhibitfiles.org. 4 | 2003 wurde Invention at Play von dem amerikanischen Museumsverband American Association of Museums (AAM) mit dem Preis Excellence in Exhibition ausgezeichnet. Die begleitende Webseite gewann die Goldmedaille in der Kategorie »Geschichte und Kultur« von MUSE, der Abteilung für Medien und Technologie des AAM.
Reflexionen zur Entwicklung partizipativer Ausstellungen zum Thema Spiel
Erfindern verwandten Spielarten vertraut machten: Erforschen/Basteln; Fantasiewelten/visuelles Denken; soziales Spiel/Zusammenarbeiten; Puzzlespiele/ Problemlösungen. Auf einem großen Banner im Hintergrund stand der Slogan »Play a New Way with the Everyday«. In die Rückwand der Ausstellung waren Objekte, Texte und Videos eingelassen, anhand derer sich die Besucher mit Fragen beschäftigen konnten wie: Mit welcher Art von Spielsachen spielten Erfinder als Kinder? Verändern sich Qualität und Quantität des kindlichen Spiels im Lauf der Zeit? Wie wirken sich neue Technologien auf das Kinderspiel aus?
V ORBILDER FÜR DEN S PIEL ANSAT Z VON I NVENTION AT P LAY Bevor die Ähnlichkeiten, die Invention at Play zwischen dem Spielen, der Kreativität und dem Erfinden herstellte, diskutiert werden, sollen zwei vorausgehende Ausstellungskonzeptionen betrachtet werden, die Invention at Play maßgeblich beeinflussten. Der Playspace wurde in den frühen 1970er Jahren von der Kleinkindpädagogin Jeri Robinson gemeinsam mit Mitarbeitenden des Boston Children’s Museum (BCM) entwickelt. Er ist im Hinblick auf die vorliegende Diskussion aufgrund der damals neuen Idee relevant, das Kinderspiel selbst zum Thema einer Museumsausstellung zu machen: durch einen abgeteilten Bereich, der speziell für kleine Kinder und deren Begleitung entworfen war und eben nicht als eine family lounge oder Wartebereich verstanden wurde, sondern als eine richtige Ausstellung – gestaltet und gebaut von der Ausstellungsabteilung des Hauses, mit Inhalten, die sich auf die Erkenntnisse über die kindliche Entwicklung stützten.5 Die Idee für den Playspace erwuchs aus Robinsons Kenntnis von Pädagogik und kindlicher Entwicklung sowie aus ihren Beobachtungen zu den Bedürfnissen junger und erwachsener Besucher des BCM. Wie bei vielen Kindermuseen der Fall, richteten sich die meisten Ausstellungen und Aktivitäten an die Altersgruppe zwischen ca. sechs und zehn Jahren. Jüngere Kinder waren schnell müde und gelangweilt, was wiederum viele Familien veranlasste, ihren Museumsbesuch frühzeitig abzubrechen. Außerdem glaubte Robinson – nachdem sie viele Eltern dabei beobachtet hatte, wie sie mit ihren Kleinkindern bei den ersten Gehversuchen oder anderen wiederholten Handlungen umgingen –, dass Eltern den Wert dieser Beschäftigungen oft nicht wirklich verstanden. So fragte eine Mutter etwa, ob ihr Kind vielleicht »langsam« sei, weil es auf repetitive Weise spiele.
5 | Vgl. Elaine Gurian, Civilizing the Museum, New York 2006, S. 82.
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Warum also nicht einen Bereich im Museum schaffen, in dem sich die kleinsten Besucher sicher Räume und Handlungen aneignen können und wo die Eltern gemeinsam und durch Gespräche mit Museumsmitarbeitern besser nachvollziehen können, welche Fähigkeiten ihre Kinder durch vollkommen natürliche und spontane Spielprozesse erlernen? Mehrere Jahre lang arbeiteten BCM-Mitarbeiter an einem abgeschlossenen Areal mit geschützten Bereichen für Babys und Kleinkinder sowie an aktiveren Spielbereichen für Vorschulkinder. Holzrutschen, ein Spielzeugauto mit einer Tanksäule und Klettergerüste mit Ecken und Verstecken förderten den Aufbau körperlicher und anderer entwicklungsorientierter Fähigkeiten. Ich besuchte den Playspace zum ersten Mal in den späten 1980er Jahren, um gemeinsam mit Caryl Marsh (Projektleiterin der Psychology Exhibition), BCMMitarbeitern sowie Spezialisten für frühkindliche Entwicklung einen ähnlichen Bereich für die Ausstellung Psychology: Understanding Ourselves, Understanding Each Other zu entwerfen. Die Psychology Exhibition war eine 500 Quadratmeter große Ausstellung, entwickelt von der American Psychological Association und dem Ontario Science Center in Zusammenarbeit mit der Association of Science-Technology Centers. Sie bot über 40 interaktive Ausstellungsobjekte, die dem Publikum Forschungsergebnisse aus der Psychologie zu Themen wie Gehirn, Gedächtnis- und Wahrnehmungsfunktionen, menschliche Entwicklung, Emotionen und soziale Interaktion näher brachten.6 Ein zentrales Element der Ausstellung war der Bereich PlaySpace: A Window on Development für Kinder unter vier Jahren und deren Begleiter. Im Wesentlichen bestand die Grundidee für dieses »Fenster zur Entwicklung« in einer kleineren Ausführung des BCM-Playspace, allerdings mit zusätzlichen Aktivitäten. Auf Grafiken wurden aktuelle Forschungsergebnisse zum kindlichen Spiel und zur frühkindlichen Entwicklung präsentiert: Am Beispiel von zwei drehbaren Behältern, die mit farbigem Wasser gefüllt waren, konnten die Kinder lernen, dass ein bestimmtes Flüssigkeitsvolumen immer konstant bleibt, ganz unabhängig von der Form, in der es aufbewahrt wird. Diese Installation wurde mit Informationen zu Jean Piagets Experimenten mit Kindern zum sogenannten Massenerhaltungssatz ergänzt. An der Außenseite des Geländers, das den Ausstellungsbereich begrenzte, waren Grafiken angebracht, die außen stehende Besucher über die verschiedenen Spielweisen (motorisch, kognitiv, sozial und sprachlich) aus der Sicht der psychologischen Entwicklungsforschung informierten. Außerdem gab es Monitore mit kurzen Beiträgen zur Entwicklung der Geschlechteridentität und 6 | Vgl. Gretchen Jennings, »Psychology: Understanding Ourselves, Understanding Each Other«, in: Kathleen McLean/Catherine McEver (Hg.), Are We There Yet? Conversations About Best Practices in Science Exhibition Development, San Francisco 2004, S. 55-59.
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zum Spracherwerb von Kindern. Obgleich das Ausstellungsteam teilweise dafür kritisiert wurde, dass die Kinder hier »präsentiert« würden, war es offenkundig, dass die Eltern keinerlei Probleme mit dieser Situation hatten und die Kinder viel zu ernsthaft mit dem Spielen beschäftigt waren, als dass sie sich stören ließen.7
H ER AUSFORDERUNGEN BEI DER E NT WICKLUNG VON I NVENTION AT P LAY Als ich 1999 an das Lemelson Center kam, um Invention at Play8 mit einem Ausstellungsteam zu erarbeiten, gab es zwei wesentliche Aspekte, die bei der Entwicklung der Ausstellungskonzeption berücksichtigt werden mussten: Zum einen wollten wir eine Ausstellung machen, die sich dem Thema Erfinden aus einer gänzlich neuen Perspektive annäherte, zum anderen suchten wir nach Wegen, die Besucher durch die Ausstellung zu motivieren, Verbindungen zwischen den Denkweisen von Erfindern und den eigenen Fähigkeiten herzustellen. Zu Projektbeginn war nämlich eine Recherche in Auftrag gegeben worden, der zufolge es in den vergangenen 25 Jahren bereits über 25 Ausstellungen zu diesem Thema gegeben hatte, es aber in keiner gelungen war, einen aktiven Bezug zwischen den Erfindern und dem Ausstellungspublikum herzustellen – obwohl die Besucher sich sehr für die Geschichte von Erfindungen und die Biografien ihrer Erfinder interessierten. Als das Lemelson Center zum Symposium The Playful Mind lud, auf dem Historiker, Erfinder, Entwicklungspsychologen, Künstler, Primatologen und Pädagogen über die Rolle des Spiels in Bezug auf das Erfinden diskutierten, wirkte das wie ein Katalysator auf das Ausstellungsteam. Durch die Beschäftigung mit der Bedeutung des Spiels im Erfindungsprozess hatten wir einen neuen Zugang zu der Thematik gefunden, der aufregende Inhalte und ungewöhnliche Designs versprach, besonders, weil das Spiel eine universelle und allseits bekannte Kulturform ist. Wir durchforsteten historische Aufzeichnungen zu den Lebensgeschichten von Erfindern, deren Tagebücher, Skizzen und Modelle, genauso wie Fachlitera7 | Ich war zunächst leitende Mitarbeiterin/Pädagogin und wurde später die Projektleiterin der Ausstellung. 8 | Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den Mitarbeitern bedanken, mit denen ich über die Jahre an diesen Ausstellungen gearbeitet habe, insbesondere bei dem Lemelson Center und bei Monica Smith für ihre fachkundige Unterstützung und Recherche zu Invention at Play sowie ihre Beratung und wertvollen Kommentare im Vorfeld zu dem vorliegenden Artikel.
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tur zur kindlichen Entwicklung und zur Kreativität. Eine Quelle, die sich als besonders ergiebig erwies, waren unsere Interviews mit Erfindern: Die Befragten fanden Erkundigungen nach ihren alten Spielgewohnheiten überhaupt nicht befremdlich, sondern stellten sofort Verbindungen zu ihrer aktuellen Arbeit her. Auch konnten sie direkt etwas damit anfangen, spielerische Ansätze in ihrer eigenen Tätigkeit festzustellen: Basteln und »Herumspielen«; Simulation, Modell- und Prototypenbau; Brainstorming; konvergentes und divergentes Denken bei Problemlösungen. Für die Ausstellung kristallisierten sich vier unterschiedliche Spielarten und deren korrespondierende Modelle aus Erfindungsprozessen heraus. Sie lieferten den konzeptionellen Rahmen der Ausstellung, die in folgende Hauptabteilungen gegliedert war: soziales Spiel, erforschendes Spiel, Fantasiespiel und Puzzelspiel.9
E IN V ORBEHALT GEGEN V ERBINDUNGEN Z WISCHEN S PIELEN UND E RFINDEN Im Laufe unserer Recherchen fanden wir zwar viele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen Spielen und Erfinden, aber keine ursächlichen Zusammenhänge. Es gibt nur wenige Studien, die eine ursächliche Verbindung zwischen bestimmten Spielweisen aus der Kindheit und dem Erfindergeist von Erwachsenen unmittelbar nachweisen können. Trotzdem haben viele wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass Gemeinsamkeiten zwischen dem Spielen und verschiedenen Arten des kreativen Denkens sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen vorliegen.10 Wir konzentrierten uns für die Ausstellung auf Ähnlichkeiten zwischen bestimmten, universellen und scheinbar in der Evolution verhafteten Spielformen und den Denkgewohnheiten, die für Erfinder (und auch Wissenschaftler) nach eigenen Angaben üblich sind.11 Das damals gerade neu erschienene Buch The Scientist in the Crib bestätigte die Gemeinsamkeiten.12
9 | Vgl. Lemelson Center (Hg.), Proposal to the National Science Foundation, unveröffentlichter Antrag, 2001. 10 | Vgl. Bekoff, 1998; Pellegrini/Smith, 1998; Smith, 1982, zitiert in: ebd. 11 | Vgl. Robert Root-Bernstein/Michelle Root-Bernstein, »Correlations Between Avocations, Scientific Style, Work Habits and Professional Impact of Scientists«, in: Creativity Research Journal 8/1995, S. 115-137. 12 | Alison Gopnik/Andrew Meltzoff/Patricia Kuhl, The Scientist in the Crib, New York 1999, S. 156f.
Reflexionen zur Entwicklung partizipativer Ausstellungen zum Thema Spiel
D IE SPIELERISCHE S EITE DES E RFINDENS UND DIE ERFINDERISCHE S EITE DES S PIELENS Das Ausstellungsteam entwickelte die folgende Tabelle als Illustration für zentrale Analogien zwischen Spielen und Erfinden, und der Satz »Explore the Playful Side of Invention and the Inventive Side of Play« wurde zum Slogan der Ausstellung. Erfinderisches Kinderspiel mit allen Sinnen erforschen Fantasiespiel soziales Spiel, Kommunikation Spielen mit Puzzles und Mustern
Spielerische Ansätze bei Erfindern Basteln, Experimentieren Visualisieren, Modelle, Analogien ziehen Brainstorming, Rollenspiele, Teamwork Problemlösungen; bekannte und unbekannte Denkwege
N ARR ATIVE UND GESTALTERISCHE U MSE T ZUNG Im Folgenden werden Beispiele aufgeführt, wie wir diese Stichworte in der Ausstellung mit Leben füllten. Das »erforschende Spiel« wird in der Fachliteratur mit intensiver Neugier, Beharrlichkeit und Konzentration beschrieben.13 Durch unsere Interviews und während unserer Recherche über Erfinder aus der Vergangenheit, stießen wir auf ähnliche Herangehensweisen an die Welt.14 Auf dieser Grundlage entwickelte unser Designteam das Invention Playhouse mit einer Reihe von Hands-on-Elementen zum Basteln, Experimentieren und der Konzentration. »Rocky Blocks« beispielsweise bestand aus einem niedrigen, runden Tisch mit instabiler Oberfläche, auf dem man mit Klötzen bauen konnten, die aufgrund unterschiedlicher Größen und Gewichte auf der instabilen Oberfläche ständig neu platziert werden mussten. Oft machten sich ganze Familien daran, die Klötze auf der wackeligen Tischplatte durch sorgfältiges Austarieren von Größen, Gewicht und Platzierung zu einem Gebilde zu verbauen. Auf der »spielerischen« Seite des Erfindens machte die Ausstellung durch eine Fallstudie mit dem Titel Keep Making it Better auf die Bedeutung von Beharrlichkeit und Neugier in der Arbeit von Newman Darby aufmerksam: Artefakte, Fotografien, Zeichnungen und ein Video informierten über Darbys 13 | Vgl. ebd. 14 | Vgl. Robert Weber/David Perkins, Inventive Minds. Creativity in Technology, Oxford 1992.
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lebenslange Beschäftigung mit Segelbooten und seine zahlreichen, oft erfolglosen Versuche zur Herstellung eines neuen Segelmechanismus. Ausgestellt wurde auch das dreidimensionale Beweisstück seines Erfolges: das originale »Segelbrett« (später wurde daraus das erste Surfbrett) aus der Sammlung des NMAH. Das »Fantasiespiel« in allen seinen möglichen Ausformungen – So-tunals-ob-Spiele, Verkleiden, Geschichtenerzählen, Zeichnen – fördert besonders die emotionalen und kognitiven Fähigkeiten von Kindern. Laut Jerome und Dorothy Singer »leiten manche Forscher weitreichende Vorhersagen über die kreativen Fähigkeiten von Erwachsenen aus der Qualität des Fantasiespiels von Kindern ab«15 . Andere Forschungen über Erfinder haben nachgewiesen, dass sie viele »charakteristische Fähigkeiten [besitzen], etwa Ideen auf den Kopf zu stellen, Verbindungen zwischen disparaten Dingen zu ziehen, Grenzen zu überschreiten, Analogien zu bilden und sich in mehreren Denkwirklichkeiten gleichzeitig aufzuhalten«. Im Invention Playhouse lud die »Magnet Wall« zum ungewöhnlichen Gebrauch von Alltagsgegenständen ein. Die Besucher konnten aus mit Magneten versehenem Essbesteck und Kochgeschirr auf einer Platte Gesichter formen, ihren Namen schreiben oder aus den Löffeln, Messbechern usw. eine Bahn anlegen, um eine kleine Kugel in ein Loch zu rollen. Hier ging es um die fantasievollen Aspekte des Erfindens, die durch eine Fallstudie zu Alexander Graham Bell hervorgehoben wurden. In mehreren Briefen hatte Bell seinen »Traumort« an einer Klippe nahe seines Elternhauses erwähnt, wohin er oft zum Denken und Träumen ging. Dort kamen ihm einige seiner frühen Ideen, die ihn schließlich zur Entwicklung des Telefons führten.16 Andere Erfinder berichten von ähnlichen Vorgängen, einer Art visuellen und räumlichen Erkenntnis, bei der der Erfinder (Wissenschaftler) seine Idee als ein systemisches Ganzes vor sich sieht. Das System ist noch nicht in die Praxis umgesetzt, die spezifischen Materialien sind noch nicht gefunden, aber das Konzept steht schon.17 Auf dem Banner über diesem Bereich stand »Borrow from Nature« und neben der oben beschriebenen »Magnet Wall« gab es noch weitere Aktivitäten, die auf der genauen Beobachtung unterschiedlicher Prozesse und deren fantasievollen Anwendungsmöglichkeiten beruhten.
15 | Jerome Singer/Dorothy Singer, The House of Make-Believe: Children’s Play and the Developing Imagination, Cambridge 1990, zitiert in: Lemelson Center (Hg.), Proposal to the National Science Foundation, unveröffentlichter Antrag, 2001. 16 | Alexander Graham Bell, »Brief an FW Baldwin, 24. Dezember 1917«, in: Familienunterlagen Alexander Graham Bell, Library of Congress, online: http://memory.loc.gov/ cgi-bin/query/P?magbell:1:./temp/ ~ammem_qNe6::. 17 | Vgl. Brooke Hindle, Emulation and Invention, Washington 1981.
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»Magnet Wall« aus der Ausstellung Invention at Play, Smithsonian’s National Museum of American History in Washington, DC, Foto: The Smithsonian Institution Das »soziale Spiel«: Sehr kleine Kinder sind oft von ihren ganz eigenen Erforschungen und Spielen absorbiert und selbst in einer Gruppe Gleichaltriger spielen sie eher für sich als mit Anderen. Die Fachbegriffe hierfür lauten »parallel or solitary play«.18 Ab ca. drei oder vier Jahren beginnen Kinder gern gemeinsam zu spielen und beschäftigen sich mit So-tun-als-ob-Spielen (Tier oder Soldat spielen, kochen, für eine Puppe sorgen usw.), dem Ausdenken und Durchspielen fiktiver Geschichten oder sie spielen Verkleiden. Zu diesem Zeitpunkt lernen Kinder, wie man Dinge teilt, sich miteinander abwechselt und in der sozialen Welt verhandelt. Bei der Entwicklung all dieser Fähigkeiten nimmt das soziale Spiel eine große Rolle ein.19 Das »soziale Spiel« korrespondiert mit einem der spannendsten Aspekte im Erfindungsprozess – welcher sich der Vorstellung des einsamen Erfinders widersetzt: Zusammenarbeit und Teamwork. Selbst Erfinder oder Wissenschaftler, die fast nur allein arbeiten, berichten von intensiven Diskussionen mit Kol-
18 | Joe Frost/Sue Wortham/Stuart Reifel, Play and Child Development, New Jersey 2008, S. 142-146. Teilweise online: http://www.education.com/reference/article/ characteristics-social-play. 19 | Vgl. Vivian Gussin Paley, »Story and Play: The Original Learning Tools«, Vortrag vom 10. März 1997, Walferdange, Luxemburg, Transkript online: http://www.script.lu/documentation/archiv/decoprim/paley.htm.
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legen oder der Zusammenarbeit mit Studierenden.20 Thomas Edison betrieb wahre »invention factories« in Menlo Park und West Orange, NJ – Labore, in denen hunderte Maschinenarbeiter, Elektriker und andere Facharbeiter angestellt waren und die seine 1093 amerikanischen Patente überhaupt erst möglich machten. An dieser Stelle in der Ausstellung wurde das Publikum über eine Reihe von Projekten und Arbeitsweisen wie z.B. der Edison’schen ausführlich informiert. Besonderes Augenmerk galt hier dem kalifornischen Erfindungsund Designunternehmen IDEO – einer Firma, die viele Produktdesigns entwickelt hat, die zu unserem Alltag gehören (z.B. die erste Apple-Maus, die neat squeeze [auf dem Deckel stehende] Zahnpastatube und die konturierte Zahnbürste). Ein Ausstellungsdisplay stellte den Besuchern exemplarisch vor, wie bei IDEO ein neuer Kinderwagen entsteht: aufbauend auf einer Studie darüber, wie Kinderwagen gehandhabt werden, über Brainstorming und Visualisierungen wie Zeichnungen, Modelle und Prototypen bis zum Endprodukt. »Puzzles und Spiele«: Spielzeuge mit einer einzigen Lösungsmöglichkeit unterstützen die Entwicklung von Problemerkennung und konvergenten Problemlösefähigkeiten. Aktivitäten mit vielen verschiedenen Lösungsmöglichkeiten bieten hingegen Raum für Flexibilität, Originalität und andere Arten divergenten Denkens. Konvergentes und divergentes Denken, das z.B. durch Puzzeln trainiert werden kann, steht in enger Verbindung mit kreativen Fähigkeiten.21 Bei unseren Recherchen über Erfinder fanden wir beide Denktypen wieder. Gerade durch ihre genaue und umfassende Kenntnis von Werkzeugen und Materialien können Erfinder immer wieder neue Formen für schon Bekanntes finden. Detailwissen kann aber auch dazu führen, etwas Bekanntes auf den Kopf zu stellen. Der Ingenieur und Pilot Paul MacCready entwickelte das erste von einem Menschen erfolgreich geflogene Flugzeug – die Gossamer Condor –, indem er es »größer und leichter baute als die damals bisher gebauten Flugzeuge. Die Flügelbreite maß schließlich 29 Meter bei einem Gesamtgewicht von ca. 30 Kilogramm, was sehr wenig ist. Eine vollkommen neue Art Flugzeuge zu bauen.«22
20 | Michael Maccoby et al., »The Innovative Mind at Work«, in: IEEE Spectrum 28/1991, S. 23-35, hier S. 24. 21 | Vgl. Hughes, a.a.O.; Sandra Russ/Andrew Robins/Beth Christiano, »Pretend Play: Longitudinal Prediction of Creativity and Affect in Fantasy in Children«, Creativity Research Journal 12/1999, S. 129-139. 22 | »The World of Paul McCready«, online: http://inventionatplay.org/inventors_ mac2.html.
Reflexionen zur Entwicklung partizipativer Ausstellungen zum Thema Spiel
»Whirligigs« aus der Ausstellung Invention at Play, Smithsonian’s National Museum of American History in Washington, DC, Foto: The Smithsonian Institution
Z USAMMENARBEIT MIT DEM PIE N E T WORK Das Playful Invention and Exploration (PIE) Network war ein Zusammenschluss zwischen Science-Museen und dem Media Lab des Massachusetts Institute of Technology, das für seine wegweisenden Forschungen auf dem Feld der Kreativität, der Wahrnehmung und den Neuen Medien bekannt ist. Unter der Leitung des »Media Lab«-Professors Mitchel Resnick und in Zusammenarbeit mit der Designerin Diane Willow23 erarbeitete das Netzwerk gemeinsam mit dem »Invention at Play«-Team eine Reihe kleinerer Experimente. Anspruchslose Materialen wie Holz, Knete, Kreide, Stoff oder Legosteine wurden mit winzigen Computern verkoppelt, die diese Materialien auf Licht, Ton und Bewegung reagieren ließen. Diese Objekte erwiesen sich aber als zu empfindlich, um dem starken Zugriff durch das Museumspublikum standzuhalten, und wurden nicht in die Wanderausstellung aufgenommen. Die Partnerschaft mit dem PIE Net-
23 | Diane Willow war auch die leitende Designerin für das Invention Playhouse und es ist kein Zufall, dass sie darüber hinaus für viele Jahre Ausstellungsgestalterin am BCM war.
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work hat das Ausstellungsteam allerdings auf die Idee des Spielens mit digitalen Objekten gebracht.24
W IRKUNGEN Ein umfassendes Auswertungsprogramm zeigte, dass Invention at Play seine selbstgesetzten Ziele, ein generationenübergreifendes Publikum zu animieren, sich mit Prozessen von Erfindungen auseinanderzusetzen und Verbindungen zwischen Erfinden, Kreativität und Spielen zu erkennen und zu verstehen, erfolgreich umsetzen konnte.25 Aufgrund der Erfahrungen, die wir bei der Entwicklung von Playspace, der Psychology Exhibition und Invention at Play machten, konnten sowohl die ästhetische Gestaltung als auch die inhaltliche Konzeption von Spielmöglichkeiten in Museumsräumen weiter entwickelt und verfeinert werden. Für all diese Ausstellungsräume wurden Gesamtdesign und Besucheraktivitäten, Grafiken und Quellen sorgfältig mit der Intention konzipiert, entwicklungsfördernde/s Spiele und Spielen zu ermöglichen. Dank des grenzenlosen Erfindungsreichtums der Kinder und einem auf ihren Bedürfnissen beruhendem Gesamtkonzept, war das Spielen in diesen Räumen durchweg spontan und kreativ. Die Kinder hatten die Möglichkeit, sich mit den Ausstellungsobjekten, Spielzeugen und Workshops auf ihre ganz eigene Art zu beschäftigen. Sie liefen in der Regel direkt auf die Dinge zu, die sie interessierten, und legten sofort los. Für die Erwachsenen bot die Ausstellung zusätzliches Textmaterial. Das gesamte Ausstellungsdisplay mit seinem Schwerpunkt, erfahrungsbasiert und immersiv zu sein, machte deutlich, dass es nicht oder nicht nur darum ging, Inhalte zu vermitteln, sondern auch die körperlichen, emotionalen und kognitiven Prozesse zu fördern, die wichtige Lerngrundlagen bilden. Laut Jeanne Vergeront, einer erfahrenen Macherin von Kinderausstellungen und ehemalige Leiterin des Minnesota Children’s Museum, sind spielorientierte Ansätze in Museen seit der Eröffnung des Playspace am BCM »zielgerichteter« und forschungsbezogener geworden: »Invention und Psychology stützten sich nicht nur auf Theorien aus der Entwicklungsforschung, sondern illustrierten sie auch in der Ausstellung. […] Mittlerweile ist das Spielen selbst zu einer Vermittlungsstrategie in Ausstellungen geworden.«26 24 | Vgl. Diane Willow, »Exhibitions as a Context for Engaging Young Children and Families with the Ideas that Technology can Reveal«, in: Exhibitionist 27/2007, S. 78-86. 25 | Die Auswertungsergebnisse können auf ExhibitFiles.org heruntergeladen werden: S. Randi Korn, »Summative Report to Invention at Play«, 2004, online: http://www.exhi bitfiles.org/invention_at_play. 26 | Aus einem persönlichen Gespräch mit Jeanne Vergeront, 8. Februar 2012.
Reflexionen zur Entwicklung partizipativer Ausstellungen zum Thema Spiel
Zum Abschluss sollen in dieser Ära des »partizipativen Museums«27 noch die Kinder und Familien erwähnt werden, die für die Entwicklung dieser Ausstellungen über das Spielen so wichtig waren. Jeder Raum entstand überhaupt erst durch die langjährige Erprobung der Prototypen und der angebotenen Aktivitäten. Vor allem aber sind sie mit hunderten von Stunden verwoben, die daraus bestanden, den Kindern beim Spielen zuzusehen. Die Konzentration, Hingabe und Freude dieser Besucher bleiben das beste Argument dafür, in Museen Räume einzurichten, die dem profunden Wert und der Verheißung dienen, die im Spielen liegen. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Anna-Sophie Springer
27 | Nina Simon, The Participatory Museum, Santa Cruz 2010.
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Partizipation ist seit den 1990er Jahren nicht nur ein viel genutztes Modewort geworden, sondern der Begriff hat auch durchaus über Jahrzehnte hinweg die kulturelle Bildung beflügelt – und nicht nur sie, auch weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, von der Politik bis zur Kunst. Im Folgenden soll die aktuelle Diskussion über die Möglichkeiten von Partizipation mit der Arbeit in Kindermuseen in Beziehung gesetzt werden. Im Allgemeinen bedeutet Partizipation die Teilhabe – hier von Kindern und Jugendlichen in Ausstellungen – an Entscheidungsprozessen und Handlungsabläufen. Die damit verbundenen Ziele sind hoch gesteckt: Gewünscht ist immer eine Aktivierung des Gegenübers (des Publikums, der Zielgruppe, der Rezipienten usw.), dessen Emanzipation und, damit verbunden, die Abgabe der Kontrolle durch die Dominierenden.1 Letztlich geht es um die Zuweisung von Verantwortung für das Miteinander in der Gesellschaft an alle und um die Bereitschaft aller zur Übernahme von »Beteiligung, Mitwirkung, Mitbestimmung« oder »Mitgestaltung«.2 Im Museum von heute ist die Diskussion um die Beteiligung der Besucher im vollen Gange. Dort wird mitunter die Rezeption von Ausstellungen sogar schon deswegen als Partizipation ausgelegt, weil ein aktiver Betrachter immer auch einen Teil von sich in ein Bild oder einen Text hineinlegt.3 Die unterschiedlichen Auffassungen von Partizipation weisen darauf hin, dass es eine große Bandbreite an Möglichkeiten unterschiedlich weitgehender Einflussnahme auf das Geschehen gibt. Mit der zunehmenden Verwen1 | Maren Ziese, Kuratoren und Besucher: Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen, Bielefeld 2010, S. 75. 2 | Sozialgesetzbuch § 8, 11, in: Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, Kinder und Jugendhilfe. Achtes Buch Sozialgesetzbuch, Berlin 2012, S. 76; Birger Hartnuß/Stephan Maykus, Mitbestimmen, mitmachen, mitgestalten, Berlin 2006, S. 10. 3 | Maren Ziese, a.a.O., S. 71.
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dung des Begriffs der Partizipation seit den 1990er Jahren und der »Virulenz der Partizipationsdiskurse« ist das Wort allerdings längst zu einer Worthülse geworden.4 Deswegen scheint es mir nötig, im Konkreten nachzuvollziehen, wie Partizipation verstanden wird und welche Bedingungen zu gelungenen Beteiligungsprozessen – hier im Kontext von Ausstellungen für Kinder und Jugendliche – führen können. Ausstellungsbesucher zeigen insgesamt ein deutliches Interesse an Möglichkeiten zur Teilhabe und Intervention. Zunehmend wollen sie nicht mehr nur als reine Empfänger von Botschaften verstanden werden. Die veränderten Ansprüche des Publikums werden von Beobachtern u.a. damit erklärt, dass Ausstellungen in einer zunehmenden Konkurrenz zu anderen Angeboten der Freizeitnutzung (wie z.B. dem Internet) stehen. In Bezug auf Unterhaltung und Bildung, die eine zentrale Bedeutung in den Motiven des Publikums für einen Ausstellungsbesuch haben,5 kann das Internet mit den nutzerorientierten Foren dabei nicht nur als Konkurrenz, sondern auch als Modell dafür verstanden werden, dass und wie Partizipation in Gang kommen kann.6 Auch die Ergebnisse der Motivationsforschung sind in diesem Zusammenhang interessant, auf die sich Doris Lewalter bezieht. Danach gibt es verschiedene Erlebnisse, die Menschen besonders motivieren. Dazu gehört das Erlebnis von Autonomie, wenn sie »Ziele und Vorgehen des Tuns selbst bestimmen« können. Motivierend ist auch das Erlebnis von Kompetenz, wenn sie »Aufgaben aus eigener Kraft bewältigen« und sich vor Herausforderungen »als handlungsfähig erleben«. Schließlich ist auch das Erlebnis von sozialer Eingebundenheit und das der »Akzeptanz in einer als relevant erachteten Bezugsgruppe« motivationsfördernd.7 Ähnliches benennt auch Nina Simon mit Verweis auf die Spielforschung.8 Für den Erfolg von Partizipationsprozessen haben sich verschiedene Qualitätskriterien als grundlegend herausgestellt, die allgemein gelten: Soll eine aktive Teilhabe gelingen, muss sie freiwillig sein und nicht verordnet. Themen sollen gemeinsam gefunden werden, Ziele und Entscheidungen transparent bleiben. Entscheidungsspielräume müssen klar benannt werden. Das Angebot zur Beteiligung muss ernst gemeint sein, und die Mitwirkung aller Beteiligten 4 | Birger Hartnuß/Stephan Maykus, a.a.O.; Maren Ziese, a.a.O., S. 72f. 5 | Graham Black, The Engaging Museum. Developing Museum for Visitor Involvement, New York 2005, S. 72 und S. 145f. 6 | Nina Simon, The Participatory Museum, Santa Cruz 2010, S. 88. 7 | Doris Lewalter, »Bedingungen und Effekte von Museumsbesuchen«, in: Hannelore Kunz-Ott/Susanne Kudorfer/Traudel Weber (Hg.), Kulturelle Bildung im Museum, Bielefeld 2009, S. 45-56, hier S. 49f. 8 | Nina Simon, a.a.O., S. 18.
Partizipation in Ausstellungen für Kinder und Jugendliche
soll zeitnah zum Tragen kommen. Der Erfolg von Partizipationsangeboten wird auch maßgeblich von der Differenzierung des Angebots je nach Klientel und je nach Bezug zu deren Lebenslage bestimmt. Beteiligung sollte ferner nicht nur einmalig, sondern dauerhaft möglich sein, denn der Umgang mit Formen wie Wahl, Diskussion, gemeinsamer Planung und/oder Gestaltung muss erst gelernt werden.9 Diese grundsätzlichen Anforderungen an gelingende Partizipation haben auch in Ausstellungen für Kinder und Jugendliche ihre Gültigkeit. Sie müssen jedoch auf die besondere Situation eines oft nur einmaligen Ausstellungsbesuchs übertragen werden, bei dem die Besucher entgegen der Forderung nach dauerhafter Beteiligung oftmals nur kurz verweilen. Darüber hinaus sind die Besuchergruppen heterogen zusammengesetzt: Entwicklungsbedingt unterscheiden sie sich je nach Alter, aber auch durch Geschlecht, soziale Herkunft, unterschiedliches Vorwissen, Bildungstraditionen und, damit verbunden, unterschiedliche Lerngewohnheiten.10 Zu bedenken ist auch, dass nicht nur Kinder und Jugendliche zur Klientel der Kinder- und Jugendmuseen gehören, sondern auch deren Eltern, die als Erwachsene ernst genommen und mit in den Ausstellungsprozess integriert werden wollen. Um diesen Ansprüchen zu genügen, liefern konstruktivistische Lerntheorien nützliche Denkansätze, besonders in ihrer Ausprägung des interaktionistischen Konstruktivismus.11 Nach dieser Theorie ist jedes Verständnis des Realen letztlich auf persönliche Sinngebungen angewiesen. Die wesentliche Grundannahme ist die, dass »ein Individuum in einer Kultur, wenn es sich Wissen aneignet, dieses immer erst für sich neu erfinden muss«12 . Der interaktionistische Konstruktivismus betont jedoch, das sich diese Konstruktionen nicht im reinen Subjektivismus verlieren, sondern eingebettet sind in ökonomische, kulturelle und soziale Bezüge und dort immer wieder neu verhandelt werden. So entstehen Verständigungsgemeinschaften, die diese Sinngebungen, diese Modelle und Abbilder der Wirklichkeit immer wieder auf ihre Tragfähigkeit hin überprü9 | Birger Hartnuß/Stephan Maykus., a.a.O., S. 15; Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (Hg.), Für ein kindergerechtes Deutschland. Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, Berlin 2010, S. 8-10; Nina Simon, a.a.O., S. 19. 10 | Graham Black, a.a.O., S. 134-138. 11 | Ebd., S. 140; Kersten Reich, »Grundfehler des Konstruktivismus. Eine Einführung in das konstruktivistische Denken und Aufnahme von 10 häufig gehörten kritischen Einwänden«, in: Josef Fragner/Ulrike Greiner/Markus Vorauer (Hg.), Menschenbilder. Zur Auslöschung der anthropologischen Differenz (= Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes in Oberösterreich, Bd. 15), Linz 2002, S. 91-112, hier S. 98. 12 | Ebd., S. 96.
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fen.13 Diesem Ansatz folgend lässt sich jegliche Bildung als Selbstbildung verstehen. Aufgabe eines Bildungsortes ist es dann, den Rahmen bereitzustellen, um Selbstbildungsprozesse für die unterschiedlichsten Nutzer anzuregen und einen Austausch zwischen ihnen zu ermöglichen. Den Ansprüchen nach einer Teilhabe von mehr oder weniger zufälligen, heterogenen Besuchergruppen können Ausstellungen dann entsprechen, wenn sie und ihre Objekte idealerweise als nutzerorientiertes, mehrdimensionales, multiperspektivisches Netzwerk von Themenaspekten und inhaltlichen Bezügen verstanden werden. Unterschiedliche Zugänge für individuelle Interessen werden bereitgestellt und unterschiedliche Wege bei der Erschließung des vorgestellten Themas möglich. Der Alltagsbezug des Themas erleichtert das Anknüpfen an Vorwissen und Vorerfahrungen und auch dessen Transfer. Die Erkundung des Themas sollte auf verschiedenen Ebenen einen Sinnzusammenhang ergeben und verschiedene Nutzungs-, Bearbeitungs- und Aneignungsformen zwischen Kontemplation, Reflexion, Spiel, Gestaltung und Experiment ermöglichen. Die Objekte und Installationen stellen elementare Sachverhalte heraus und strukturieren das Thema, ohne die Zugriffsmöglichkeiten auf die immer gleiche Art und Weise festzulegen. Zugleich sind sie leicht zu handhaben, sprechen viele Sinne an und ermöglichen eine unmittelbare Interaktion im Sinne einer wechselseitigen Beeinflussung von Objekt und Nutzer. Die einzelnen Ausstellungsteile erschließen sich im übergeordneten Kontext – und umgekehrt erschließt sich das Ganze über seine Teile. Allerdings kann die selbständige Erschließung des Ausstellungsgeschehens vom Publikum auch als Zumutung wahrgenommen werden. Und so ist auch der Umgang mit »Mitmachausstellungen« nicht immer selbstverständlich.14 Es liegt in der Natur jeder Art von Beteiligung, dass, wer sich artikuliert, sichtbar, angreifbar und möglicherweise auch kontrollierbar wird.15 Für manche Besucher ist dies ein Grund für ihre Zurückhaltung, besonders wenn sie den vorgegebenen Rahmen nicht überschauen. Gerade wenn Ort und Objekte unterschiedliche Interpretationen und Nutzungen ermöglichen, sind möglicherweise zusätzliche Hilfestellungen notwendig und eine Begleitung der Ausstellung durch Moderatoren sinnvoll und wünschenswert. Durch Gespräche und/oder ihr Beispiel als Mitspielende helfen sie, die Beteiligung und Teilhabe im Sinne der Inszenierung zu entwickeln. Häufig ist der Kontakt zu Betreuern oder zu anderen Besuchern der Ausstellung sogar das, was am meisten erinnert wird.16 Nina Simon beschreibt, wie sich Besuchende, von anfänglicher Zurückhaltung ausgehend, zunehmend in Ausstellungen engagieren können. Internet13 | Ebd., S. 98ff. 14 | Graham Black, a.a.O., S. 141. 15 | Maren Ziese, a.a.O., S. 85. 16 | Graham Black, a.a.O., S. 149.
Partizipation in Ausstellungen für Kinder und Jugendliche
foren dienen ihr hier als Modell. Partizipation beginnt dort jeweils mit einer persönlichen Interaktion und deren weiterer Auswertung. Dem folgend wird ein Kontakt zwischen Gleich- oder Ähnlichgesinnten hergestellt, der im Forum sichtbar wird und auf dessen Inhalte alle Zugriff haben. Analog wird auch für Ausstellungen beschrieben, wie sich Partizipation in fünf aufeinanderfolgenden Stufen entwickelt: 1. 2. 3. 4. 5.
Das Individuum konsumiert den Inhalt. Das Individuum interagiert mit dem Inhalt. Das Individuum interagiert und verortet sich in dem, was andere machen. Das Individuum nimmt Kontakt mit den anderen auf. Das Individuum arbeitet mit anderen zusammen.17
Folgende Ausstellungen, die von AKKI e.V. – Aktion und Kultur mit Kindern e.V., Düsseldorf – entwickelt und realisiert wurden, sollen Möglichkeiten und Grenzen von Partizipation und deren unterschiedliche Ansätze verdeutlichen.18 Dabei erweist sich, dass unterschiedliche Ausstellungsthemen zusammen mit unterschiedlichen Laufzeiten, Besucherzahlen und der Anzahl der jeweiligen Betreuer die Rahmenbedingungen für eine Teilhabe des Publikums immer wieder neu definieren. Das mehrwöchige Projekt Schöne Aussichten!?19 stellte die Herstellung der Ausstellung zum Thema Zukunft als Spielanlass ins Zentrum mit der Intention zu zeigen, dass Zukunft planbar und gestaltbar ist. Das Thema lässt viel Raum für subjektive Stellungnahmen. Entsprechend wurde mit der Konzeption ein besonders starker Akzent auf eine dynamische Ausgestaltung der Ausstellung durch die Kinder gelegt. Die Inszenierung war auf Wachstum und Veränderung angelegt und ließ bewusst viele Leerstellen offen. Grundsätzlich durfte mit allen Ausstellungsgegenständen hantiert und experimentiert werden, auch um eigene Ideen und die Entwicklung eigener Objekte anzuregen. Neu hergestellte Objekte wurden gleichberechtigt neben die schon vorhandenen gestellt und boten im Idealfall neue Anregungen. Die Veranstaltung wurde auf diese 17 | Nina Simon, a.a.O., S. 26f., auch S. 31 und S. 91. 18 | Das Format der Mitmachausstellungen gehört seit 1994 zum jährlich wiederkehrenden Angebot im eigenen Haus von Akki e.V., Düsseldorf. Es wurde vor dem Hintergrund lang jähriger Erfahrung mit mehrwöchigen kulturpädagogischen Projekten mit bis zu 250 gleichzeitig anwesenden Kindern entwickelt. Seit 1998 realisiert Akki e.V. diese Mitmachausstellungen auch an anderen Ausstellungsorten. 19 | Georg Frangenberg, »Ahnungen und Planungen zum Alltag in der Zukunft«, in: Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogische Dienste (Hg.), Kinder + Museum = Kindermuseum? (= Infodienst Nr. 40), 1996, S. 21-22 , hier S. 21f.
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Weise zum Forum für Zukunftspläne und Fantasien, für Befürchtungen und Wünsche der 50 dauerhaft beteiligten Kinder im Alter zwischen acht und 14 Jahren. Verschiedene Zugänge für unterschiedliche Interessen wurden von Anfang an berücksichtigt. Sie bildeten sich in verschiedenen Werkstätten ab, die von jeweils einer Person betreut wurden. Es gab z.B. ein »Stadtplanungsbüro« mit einer interaktiven Computersimulation, eine »Wetterstation« mit professionellen Messgeräten und einem Versuchslabor, eine »Erfinderwerkstatt« für Modelle wünschenswerter Alltagsgegenstände sowie ein »Kosmobil«, das zugleich Filmstudio, Raumschiffkulisse und Vorführraum für selbst hergestellte Science-Fiction-Filme war. Die Um- und Ausgestaltung der Ausstellung wurde zentral von einem »Ausstellungsbüro« koordiniert, mit dessen Hilfe sich auch die Neuankommenden in der Ausstellung orientieren konnten.
»Forum« aus der Ausstellung Schöne Aussichten!?, AKKI e.V., Düsseldorf (1994), Foto: Georg Frangenberg Obwohl der Ausstellungsort als »Zeittunnel« in die fiktiven Zeitzonen »Heute«, »Morgen« und »Übermorgen« gegliedert war, entstanden immer mehr Texte, mit denen die Kinder ihre Ideen und »das Zukünftige« der Objekte erläuterten. Für länger anwesende Kinder stellte dies kein Problem dar, weil sie das Anwachsen der Inszenierung mitverfolgt hatten. Besonders gegen Ende führte das für neue Besucher aber tendenziell zur Unlesbarkeit der Ausstellung. Das Ausstellungsbüro startete Initiativen, um diesen Zustand zu beenden. Objekte der Erfinderwerkstatt fanden ab jetzt beispielsweise Verwendung als Requisiten im Theaterspiel, wurden zu einer Bildgeschichte umsortiert oder Ausstattungsgegenstand in einem neu hergestellten begeh- und bewohnbaren Kinderzimmer der Zukunft. Diese Vorhaben wurden in den täglich abgehal-
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tenen Versammlungen leidenschaftlich diskutiert, da mit der Benutzung und dem Gebrauch der Kinderobjekte natürlich auch immer deren Gefährdung verbunden war. In der Ausstellung Schöne Aussichten!? realisierte sich das damit verbundene Partizipationsmodell im intensiven Diskurs einer kleinen Gruppe, begleitet und moderiert von vielen Betreuungspersonen. Die 50 ständig teilnehmenden Kinder hatten weitgehenden Einfluss auf das Endprodukt, arbeiteten jedoch vorwiegend auf sich selbst bezogen oder für die eigene Gruppe. Die im Folgenden dargestellten Ausstellungen wurden und werden noch heute immer wieder an unterschiedlichen Orten realisiert. Sie ermöglichen wesentlich mehr Kindern die Partizipation am Ausstellungsgeschehen für eine kürzere Verweildauer.20
Ausstellung Die Mitmach-Maschine, AKKI e.V., Düsseldorf (2010), Foto: Christoph Honig Zunächst zur Mitmach-Maschine21: Sie ist eine riesige Variation der alten Technikbaukästen, regt als interaktives Spiel-, Kunst- und Technikobjekt selbstbestimmtes, spielerisch-experimentelles Forschen zu Grundgesetzen der Mechanik ebenso an wie eine eigene künstlerische Gestaltung. Zu Beginn wird eine nackte, funktionierende Maschinerie bereitgestellt, die durch Muskelkraft be20 | Zuletzt nutzten pro Monat 3000 Kinder ab fünf Jahren diese Angebote für jeweils eineinhalb bis drei Stunden. 21 | Georg Frangenberg, »Die Mitmach-Maschine«, in: Ulrich Baer (Hg.), Gruppe und Spiel 1/02: Spielen und Lernen, Seelze 2002, S. 25-27.
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wegt werden kann. Als modulartige Skelettkonstruktion stellt sie einerseits eine begehbare Architektur dar und dient andererseits aller eingebauten Technik, die sichtbar und gut nachvollziehbar ist. Diese Konstruktion bietet gleichzeitig den Rahmen für Gestaltungsbeispiele. Sie weisen den Weg für alle später zu bauenden Objekte, die aus der Anfangskonstruktion ein großes, bewegtes, farbiges und detailreiches Objekt machen – mit drehenden Bildern, klickernden Kronkorken, selbstgestalteten Zeichentrickfilmen, bewegtem Puppentheater und vielen anderen mechanischen, visuellen und akustischen Sensationen. In Konstruktions- und Malwerkstätten werden technische mit ästhetischen Teilen kontrastiert und kombiniert. Für den Einstieg werden einfache, variierbare Angebote zur Ausgestaltung bereitgestellt. Mit größerem Zeitaufwand ist auch der ganz individuelle Bau von Maschinenteilen möglich. Standardisierte Bauteile vereinfachen die individuellen Konstruktionen der Kinder. Der Ausbau und die Veränderung der Anfangsinstallation wird von Moderatoren im Verhältnis eins zu zehn begleitet. Sie regen zu Gruppenarbeiten an, konfrontieren hochfliegende Pläne mit dem Machbaren, unterbreiten Kurzzeitangebote zur Auswahl, sorgen für einen zeitnahen Einbau in die bestehende Apparatur und fassen die neu entstandenen Objekte immer wieder zu thematischen Gruppen zusammen, um so die unzähligen Varianten des Themas deutlich zu zeigen und um es neuen Besuchern zu erleichtern, sich zu orientieren und zu positionieren. Auch Unerwartetes kann integriert werden: So entstanden einmal aus den Latten der Bauwerkstatt neben Objekten für die Maschine viele Holzschwerter. Mit den Beteiligten konnte aus diesen Requisiten ein attraktives Geisterbahnmodul mit Monstern, Waffenkammer und bedrohlich bewegtem Hackebeil gestaltet werden. Die Mitmach-Maschine bietet gleichzeitig Anlass und Rahmen für eine Form der Partizipation, bei der die jungen Besuchenden mit ihrer Arbeit das Vorgefundene nach eigenen Interessen nutzen, konkretisieren oder umgestalten, um ihr Ergebnis wiederum für alle sichtbar zu präsentieren und zur weiteren Nutzung zur Verfügung zu stellen. Die Mitmach-Maschine ebenso wie Schöne Aussichten!? sehen am Ende vollkommen anders aus als zu Beginn. Beide Konzepte verfolgen eine dynamische Ausgestaltung des Vorgefundenen durch die Besucher. In der Ausstellung Schon gehört?22 konkretisiert sich das Thema Klang mit seinen vier grundsätzlichen Aspekten Lautstärke, Tonhöhe, Klangfarbe und Zeit 22 | Georg Frangenberg, »Schon gehört? – Musik, Geräusche, Klang«, in: Ulrich Baer (HG.) Gruppe und Spiel 2/04: Musik, Spiel und Bewegung, Seelze 2004, S. 12-15; ders., »Schon gehört? Eine interaktive Ausstellung für Kinder ab 5 Jahren«, in: Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (Hg.), TPS 2/11. Von Klangsuchern und Musikerfindern, Velber 2011, S. 26-27.
Partizipation in Ausstellungen für Kinder und Jugendliche
nur im Hantieren mit den Objekten. Die Ausstellungsobjekte – zu entsprechenden Gruppen zusammengefasst – sind Instrumente im engen und weiteren Sinne des Wortes. Die Materialwahl der Objekte und die akustischen Beispiele erlauben Alltagsbezüge, die deutlich machen, dass die oben genannten Eigenschaften grundsätzlich gelten und sowohl zur Orientierung als auch dem persönlichen Ausdruck dienen.
»Geräuscheorgel« aus der Ausstellung Schon gehört, AKKI e.V., Düsseldorf (2009), Foto: Christoph Honig Die Betätigungsmöglichkeiten sind hier ganz verschieden: Sie reichen vom konzentrierten Nachhören am Klangfeld bis zum grobmotorischen Ausagieren an den Hüpftönen, vom spielerischen oder planvollen Programmieren der mechanischen Rhythmusmaschine bis zum Echo vom Tonfall der eigenen Stimme. Auch wenn alle Ausstellungsobjekte auf einen der genannten Aspekte fokussiert sind, ist doch jeder Klang immer grundsätzlich durch alle vier Parameter gekennzeichnet. So sind verschiedenste Wege durch die Ausstellung möglich. Ein Gong etwa kann nicht nur sehr laut werden, es lassen sich ihm auch sehr unterschiedliche helle und dunkle Klänge entlocken. Obwohl (auch wegen seiner Größe) im Bereich Lautstärke eingeordnet, führt diese Erfahrung in die Nähe der Objekte, die Klangfarben thematisieren. Auch in dieser Ausstellung ist es sehr hilfreich, das Interagieren zu moderieren. Im Dialog entwickelt sich – zusätzlich zum informellen, individuellen Hantieren – eine gemeinsame Begehung, die je nach Interesse bestimmte beispielhafte Klangaspekte in der Ausstellung aufsucht und erkundet. Da die Klangstationen inhaltlich sehr gut
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kombinierbar sind, kann sich die Moderation in starkem Maße auf die Entwicklung von Besucherinteressen einstellen. Das Verhältnis von Moderation zu Besuchenden ist eins zu 15. Teilhabe entwickelt sich in dieser Ausstellung, indem die Kinder Zugriff auf ein multidimensionales Instrumentarium haben, das ihnen individuelle Nutzungen und unterschiedliche Wege durch das Thema eröffnet. Diese Ausstellungen orientieren sich im hohen Maße an ihren Nutzern und fördern Partizipation, indem sie: • ein Thema im übertragenen und wortwörtlichen Sinne dem individuellen Zugriff öffnen; • unterschiedliche, einander ergänzende Zugänge zum Thema bereitstellen; • Gestaltungsspielräume offen lassen und zu Foren für die Kinder und deren Äußerungen werden; • die Öffentlichkeit und den Austausch zwischen den Besuchern fördern sowie • durch ihre Inszenierung und mit der Durchführung flexibel auf ein dynamisches Geschehen reagieren und das Angebot im Sinne der Nutzer gegebenenfalls kurzfristig ändern oder ergänzen. Letztlich bleibt Partizipation eine Verhandlungssache zwischen den verantwortlichen Mitarbeitenden der Institutionen und ihren Nutzern. Wie sehr Kinder eine besuchte Ausstellung zu ihrer eigenen Sache machen, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie, nachdem sie mit der Schulklasse oder der Kindertagesstätte kamen, am Wochenende ihre Eltern zum gemeinsamen Besuch bewegen.
Sieben Fragen zur Gestaltung Beantwortet von Ursula Gillmann Gestellt von Cornelia Brüninghaus-Knubel und Yvonne Leonard
1. Lassen Sie uns über die Besonderheiten der Gestaltung von Ausstellungen sprechen. Sie haben doch schon Kinderausstellungen gestaltet. Wo liegen hier die Unterschiede? Der Begriff Kinderausstellung evoziert sofort das Bild eines bestimmten Ausstellungstyps bei mir – im besten Fall eine Art musealer Spielplatz, hie und da durchsetzt mit Ausstellungsstücken und Informations- und Wissenshäppchen, die sich die Kinder eifrig und neugierig mit Schnitzeljagden, Rätseln, Sammelaktionen oder Arbeitsaufgaben spielend zusammensuchen. In diesem Sinn habe ich wahrscheinlich noch keine Kinderausstellung gestaltet. Ich versuche jedoch bei jeder Ausstellung den Aspekt der Besuchergruppe Kinder zu berücksichtigen, auch wenn diese weder ausdrücklich zur angesprochenen Zielgruppe gehören noch das Thema kindertauglich scheint. Das heißt zunächst einmal, dass Kinder, hier meine ich vor allem Kinder, die noch nicht lesen können, also unter sechs Jahren, sich in den Ausstellungen wohlfühlen müssen und etwas finden können, das sie interessiert oder unterhält. Das kann ein auf den Boden aufgemaltes Labyrinth in einer Ausstellung über Zeichen sein oder der ausgestopfte weiße Hase, der sich hinter den Fotos in einer Ausstellung über Naturkultur versteckt, das genüssliche Rülpsen des reichen Römers in einer Ausstellung über römische Alltagskultur, das die Kinder immer und immer wieder hören möchten, oder der geheimnisvolle Druse unter dem Matterhornmodell. In der Ausstellung Wege zur Welterkenntnis – wahrhaftig kein Kinderthema – haben wir die Objekte, von denen wir annahmen, dass Kinder eine besondere Freude daran haben, dort ausgestellt, wo sie vor allem gut gesehen werden konnten – eine kleine silberne Eidechse, das Drachenblut, die Seepferdchen, das Miniaturskelett, den Münzschatz oder die geschnitzten Löffel. Allerdings hat sich herausgestellt, dass die kleinen Kinder diese Ausstellung so oder so
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liebten, weil sie ganz auf die Schaulust setzte und dies ihrer ungezielten Neugier und Entdeckerlust entgegenkam.
Dauerausstellung Wege zur Welterkenntnis, Historisches Museum Basel, Gestaltung: atelier gillmann+co GmbH, Foto: Tom Bisig Und wenn sie merkten, dass es dort, wo eine Eule saß, auch noch besondere Geschichten gab, umso besser. In solchen Ausstellungen sind Kinder ja selten alleine unterwegs, sondern meist mit erwachsenen Personen. Deswegen haben wir Kindertexte entwickelt, die im Grunde zwei Funktionen hatten – sie richteten sich an die Erwachsenen, damit sie den Kindern etwas erzählen konnten, wenn diese sie mit Fragen löcherten, oder die Kinder konnten auf Informationen zugreifen, die die Erwachsenen eben nicht hatten – auf alle Fälle sollten sie darüber ins Gespräch kommen und gemeinsam vor den Texten auf dem Boden knien. Eine ganz andere Herausforderung stellt für mich die Gestaltung von Ausstellungen dar, die die Zielgruppe der Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren ansprechen sollen, Besucher also, die meist nicht in diese Ausstellungen gehen, weil sie möchten, sondern in erster Linie, weil sie mit ihren Schulklassen hingehen müssen – wie etwa in die Ausstellung Alltag – eine Gebrauchsanweisung im technischen Museum in Wien. Diese Besucher sind ja dem Museumsbesuch gegenüber eher negativ eingestellt und langweilen sich schon prophylaktisch. Neu waren für uns bei diesem Typ Ausstellung die hohen Anforderungen an die Robustheit und Sicherheit der Ausstellungselemente und dass wir damit rechnen mussten, dass alles, was man mit den Dingen anstellen kann, auch gemacht wurde. Das mit dem gestalterischen Anspruch und dem Kostenrahmen zu vereinbaren war nicht ganz einfach. Um die Jugendlichen für die Ausstellung zu interessieren, haben wir zusammen mit den Kuratorinnen versucht,
Sieben Fragen zur Gestaltung
aktive oder interaktive Zugangsweisen zu den unterschiedlichen Themen zu finden, die zum Machen, Mitmachen oder Zuschauen animierten und die an bekannte Rituale, erwartbare Handlungsmuster oder Verhaltensweisen anknüpften – sei es, dass die Medienstationen nicht im Stehen oder auf Hockern sitzend zu bedienen waren, sondern bäuchlings hingefläzt auf Loungesofas (Gestaltung Zone, Wien), sei es, dass die interaktiven Elemente den ganzen Körpereinsatz forderten und mit dem Wettbewerb spielten wie die »Schreikabine« beim Thema Messen: In einer gläsernen, schallgedämmten Kabine konnten die Besucher testen, wer am lautesten schreien kann. Wie beim »Hau den Lukas« zeigte eine Lichtsäule die Bestmarke an. Nicht nur das Schreien, sondern auch das Zuschauen von außen – ohne Ton natürlich – beim Luftholen, Schreien und Anstrengen war spannend, überraschend und vergnüglich. Wer traut es sich zu, sich so zu exponieren oder sich eventuell auch zu blamieren? Für die Vermittlung der Geschichte der Beleuchtung wurde eine Disco eingerichtet (Idee: Lisa Noggler) – Musik aus verschiedenen Epochen und Zeiten wurde mit der entsprechenden historischen Lichtinszenierung wie Kerzenlüster, Stroboskop oder Discokugel verknüpft, die Kids konnten sich durch die Jahrzehnte zappen und fingen an, sich in den moves zu bewegen, die zu den jeweils entsprechenden Zeiten gehörten. Lichtgeschichten wurden Körpergeschichten, die mit dem Handy aufgenommen am Schluss auf YouTube zu sehen waren. Heute – fast zehn Jahre später – ist diese Art, den Körper als Schnittstelle für die Vermittlung zu benutzen mit den vielen Möglichkeiten der bodyinterfaces bei medialen Interaktiva schon fast selbstverständlich geworden. Wichtig bei diesen Installationen ist mir, dass die Jugendlichen mindestens ein positives Erlebnis aus der Ausstellung mitnahmen, das sich ihnen einprägte, was sie weitererzählten und wodurch das Museum auch zu ihrem Ort wurde. Ganz wichtig und vielleicht daher auch besonders ist, dass wir auch in sogenannten Kinderausstellungen einen hohen ästhetischen und gestalterischen Anspruch haben und die Kinder in dieser Hinsicht sehr ernst nehmen. 2. Sind der Inhalt oder die Rezeptionsformen der jungen Besucher das leitende Motiv Ihrer Inszenierungen? Diese beiden Dinge lassen sich nicht wirklich trennen bzw. sind nicht mit »oder« verknüpft, sondern mit »und«, denn die Ideen für die Inszenierungen und die Entwicklung der Gestaltung leiten sich immer vom Inhalt ab, und bei der Ausarbeitung der Inszenierung kommen die Aspekte der zielgruppenspezifischen Vermittlung oder Rezeptionsformen hinzu – dies ist jedoch ein Prozess, der gleichzeitig verläuft. Ein Beispiel hierfür mag eine Inszenierung aus der Ausstellung Megagriechisch sein, die wir für das Kindermuseum ZOOM in Wien gestaltet haben. Ein Raum war dem Thema griechische Sagen, insbesondere den
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Geschichten über Verwandlungen – den Metamorphosen –, gewidmet. Schnell war die Idee geboren, dass sich der ganze Raum selbst ständig verwandeln sollte. Ein Raum zum Staunen sollte es werden! Genauso wichtig war jedoch die Überlegung, wie wir diese Geschichten am besten vermitteln konnten. Wir entschieden uns, sie einfach zu erzählen, denn dazu sind Geschichten ja da, und Kinder lassen sich gerne Geschichten erzählen – eine typische Rezeptionsform also. In den Kinderausstellungen im ZOOM herrscht immer viel Aktivität, es wird viel getobt. Wir mussten also erst einmal einen Raum, eine Stimmung, eine Situation schaffen, in der die Kinder ruhig wurden, und die so gemütlich war, dass sie gerne einige Minuten innehielten, um den Geschichten zu lauschen.
Ausstellung Megagriechisch!, ZOOM Kindermuseum Wien (2008), Gestaltung: arge gillmannschnegg, Foto: Matthias Schnegg Die erste, eher funktionale Maßnahme war, den Raum akustisch so zu dämmen, dass Lautsein keinen Spaß mehr machte. Zum Zweiten haben wir das Licht gedimmt und eine schöne sanfte, farbige Stimmung geschaffen, zum Dritten haben wir gemütliche Orte kreiert, kleine »Höhlen«, in denen fünf, sechs, zehn Kinder kuschelig eng auf Kissen bequem um eine Zauberkugel liegen und zuhören konnten. Fürs Staunen haben wir das Ganze aus merkwürdigen Stoffstrümpfen gebaut, die Beleuchtung hat sich ganz langsam verändert und den Raum in immer neue Farben – passend zu den Geschichten – getaucht. Beim Zuhören konnten die Kinder sich verwandelnden Schatten, die über die »Höhlen« streiften, zusehen. Und manche wollten gar nicht mehr hinausgehen. 3. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle zwischen den Ansprüchen der Kuratoren und den Bedürfnissen von Besuchern? Sind Sie Vermittlerin von divergenten Interessen, oder interpretieren Sie die Ideen der Kuratoren und übertragen sie in Szenarien?
Sieben Fragen zur Gestaltung
Als Gestalterin betrachte ich mich als Dienstleisterin der Museen und Agentin und Anwältin der Besucher. Für die Kuratoren leisten wir den Dienst, die Inhalte ausstellungsadäquat umzusetzen und zu prüfen, was sich von den Inhalten mit dem Medium Ausstellung am besten wie vermitteln lässt oder was besser mit einem Buch, einem Film oder mit anderen Veranstaltungen geleistet werden könnte. Wir verstehen uns als Experten der Möglichkeiten des Mediums mit all seinen Unschärfen, aber den großen Potenzialen, im Raum mit Dingen für Besucher Erfahrungen zu ermöglichen und Geschichten zu erzählen, die sowohl intellektuell wie emotional, sinnlich und physisch sein können – wir sind uns aber auch der Unmöglichkeit bewusst, präzise Informationen und Botschaften zu vermitteln. Wir sind Experten dafür, wie Raum zur Kommunikation, zur Vermittlung eingesetzt werden kann. Dazu gehört auch die Dramaturgie der Ausstellung, die Spannungsbögen, die Strukturierung, Gliederung und Orientierung, die wir für die Besucher schaffen. Wir gestalten für die Besucher nicht Ausstellungen, sondern versuchen, den ganzen Ausstellungsbesuch zu gestalten. Wie groß diese Umsetzungsleistung ist, hängt immer von der Aufgabenstellung und der Art der inhaltlichen Konzepte ab. Zum einen interpretieren wir keine Ideen und übertragen sie in Szenarien, sondern entwickeln Ausstellungskonzepte, die Interpretationsangebote für die Besucher sind. Zum anderen versuche ich vor allem die Objekte aus der Perspektive der Besucher zu sehen und mit den Kuratoren herauszufinden, was in dem Zwischenraum an Möglichkeiten oder Missverständnissen entsteht, zwischen dem, was sie in einem Objekt sehen oder für was dieses Objekt stehen soll, wie es interpretiert werden soll, und dem, was erstmal der Besucher in einem Objekt sehen könnte. Denn Objekte sind ja nie stumm, sie erzählen nur äußerst unterschiedliche Geschichten und die Gestaltung kann nicht allen Geschichten bzw. Interpretationen auf die Sprünge helfen. Es ist eher ein Vorgehen wie beim Judo – also zu versuchen, die Bewegungsenergie des »Gegners« auszunutzen oder, anders formuliert, die Mehrdeutigkeit der Objekte zur Qualität werden zu lassen. Dann folgt in der Zusammenarbeit der Prozess der Reduktion. Denn meist wollen die Kuratoren mehr – mehr Inhalt, mehr Objekte, mehr Informationen, mehr Texte, als wir es für die Besucher für zuträglich halten. Manchmal sind wir dabei nicht so erfolgreich, aber die Besucher sind ja selbständig genug, um sich so viel bzw. das anzuschauen, wie bzw. was sie gerade interessiert. 4. Können Rauminszenierungen Objekte erklären, unterstützen, oder haben sie einen eigenen Text, dem sich Objekte und Besucher aussetzen oder unterordnen? Der Raum ist in jedem Fall der übergeordnete Rahmen, dem die Dinge und die Besucher ausgesetzt sind. Es gibt keine Ausstellungsgestaltung ohne Rauminszenierung, auch wenn der Raum nicht bewusst gestaltet ist. Das heißt dann nur, dass die Wirkung nicht kontrollierbar ist – im besten Fall erzählt der Raum
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dann das, was er gerade ist, »Museum« zum Beispiel, nicht jedoch unbedingt das, was er sein soll. »Museumsrauminszenierungen« bieten Interpretationshilfen für die Objekte. Sie bilden den neuen Kontext, das Setting, in dem die Objekte gesehen werden sollen. Je nach »Raumbild« sind die Objekte etwas anderes. Für uns ist die Rauminszenierung ein wesentliches Medium der Vermittlung in den Ausstellungen. Allerdings setzen wir diese selten explizit ein, das heißt, wir schaffen keine Rekonstruktionen von Räumen, bauen keinen Supermarkt, keine Bibliothek, kein Museum, keine Amtsstube und keinen Wald, sondern probieren höchstens, die wesentlichen, essentiellen Merkmale zu benutzen – die Lichtstimmung im Wald, die Stille einer Bibliothek, die Rituale eines Supermarktes, die Materialien einer Amtsstube. Mit der Rauminszenierung gestalten wir Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Elementen der Ausstellung und mit diesen Montagen oder Collagen, in denen sich je nach Standort der Besucher Sinn und Bedeutung verschieben oder anders aussehen können. So können wir auch unterschiedliche Lesarten innerhalb einer Ausstellung erzeugen. 5. Welche Rolle spielen Farben für Sie? Sind sie Erkennungsmerkmale, Orientierung, unterstreichen oder verfremden sie die vorgegebenen Inhalte? Farben sind natürlich ein sehr wichtiges Gestaltungsmittel für uns. Zum einen setzen wir Farbe ein, um Stimmung und Atmosphäre zu schaffen, die ganz direkt auf die Stimmung der Besucher schlägt, um Emotionen auszulösen – ganz direkte Farbpsychologie also. Zum anderen benutzen wir Farbe als gestalterische, innenarchitektonische Maßnahme, um Räume klein oder groß erscheinen zu lassen, Decken zum Verschwinden zu bringen, Gänge unendlich lang werden zu lassen und Ähnliches mehr. Zur Orientierung und Gliederung setzen wir Farben ein – der blaue, der grüne, der rote Raum, das blaue und grüne und rote Kapitel. Wenn es Objekte in der Ausstellung gibt, geht es natürlich um Wahrnehmungsaspekte, um Kontrast und um Farbwahrnehmung. Oder wir setzen Farbe ein, um ganz ungewohnte Wirkungen und Räume zu erzeugen, wie z.B. poetische. Was die Arbeit mit Farben spannend und interessant macht, ist, dass sie gleichzeitig auch als Information dienen können – dass sie symbolische oder kulturelle Konnotationen und Codes haben, z.B. der rote Teppich, das katholische Lila, das Grün der Hoffnung. Mit Farben werden bestimmte Zeiten, Räume und Orte assoziiert – das Rot des Bordells, des 19. Jahrhunderts oder der Revolutionen, das Weiß des Kunstmuseums, der Reinheit oder der griechischen Inseln, das Grün des Operationssaals oder des Buchenwaldes im Frühling. Allerdings kommen diese Wirkungen und Codes ja nicht isoliert voneinander vor. Man muss sie schon gezielt und deutlich einsetzen und sich der Vielschichtigkeit der Interpretationen und Effekte bewusst sein.
Sieben Fragen zur Gestaltung
6. Wenn Sie von Erfahrungsräumen sprechen, heißt das dann, dass Sie versuchen, Erfahrungen der Besucher zu stimulieren oder sie zu steuern? Ausstellungen sind ein räumliches Medium und damit immer eine sinnliche, physische, leibliche Erfahrung. Als Ausstellungsgestalterin befasse ich mich nicht nur mit der Kommunikation im Raum, sondern damit, wie Raum zur Kommunikation, zur Vermittlung eingesetzt werden kann. Damit rückt die Auseinandersetzung mit den Besuchern – was sie in diesem Raum erfahren und erleben, vielleicht auch verstehen, sehen wie sie sich verhalten – ins Zentrum der gestalterischen Überlegungen. Wir gestalten die Bedingungen der Wahrnehmung und versuchen, die Möglichkeiten, die das Sehen beim Gehen, die Bewegung im Raum bietet, zu nutzen und mit der Szenografie die Dramaturgie des Ausstellungsbesuches zu gestalten: mit Blickachsen, Perspektiven und Sehdistanzen, mit Lauf- und Leserichtungen, mit der Choreographie der Besucher, mit Tempi und Beschleunigungen, mit Schlendern, Sitzen, Stillstehen, mit Ungeduld und Neugierde, mit Intros und Epilogen, Sackgassen und Höhepunkten, Enfiladen und Labyrinthen, mit den Erzählungen durch Raum. Mit der Gestaltung setze ich nicht nur Dinge und Themen in Szene, sondern versuche, durch die Atmosphäre die Besucher in die richtige Stimmung zu versetzen, nicht nur die Gesten des Zeigens zu gestalten, sondern die Haltungen des Betrachtens.
Sonderaustellung Der Zuschauer. Sehen und Gesehenwerden, Museum für Gestaltung Basel (1993), Gestaltung: Ursula Gillmann, Foto: Theo Scherrer Ich arbeite mit dem Erfahrungs- und Handlungswissen, das bestimmten Räumen zugeordnet wird. Und im Museum hat man es einfach, besondere und einprägsame Erfahrungen zu ermöglichen, denn unsere Museen sind immer
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noch stark ritualisierte Orte mit eindeutigen Regeln. Handlungen, die im Alltag ganz banal sind, werden im Museum zu einer denkwürdigen Erfahrung – das Schaukeln auf einer Schaukel, auf dem Boden zu liegen oder etwa ganz einfach Dinge berühren zu dürfen. Das ist im Museum immer noch ein ganz besonderes Erlebnis. Im Kontext des Museums habe ich die Möglichkeiten, genau wie Objekte auch Handlungen und Erfahrungen zu isolieren, auszustellen und damit neu zu kontextualisieren. Ich schaffe kommunikative Situationen, Begegnungen und Konstellationen für die Besucher. Die Besucher bleiben jedoch nicht Zuschauer, sondern werden Akteure der Inszenierung, nicht nur, indem sie – mit geringem oder ganzem Körpereinsatz – interagieren und die Ausstellung verändern, bereichern oder ihre Spuren hinterlassen, sondern indem sie durch ihre Aktionen notwendiger Teil der Szenografie werden. So wird der Besuch zur Performance – und die Wirkung der Besucher in und auf die Ausstellung wird Teil der Wirkung und Vermittlung der Ausstellung selbst. 7. Gibt es den nutzerfreundlichen Raum? Spielt dieser Aspekt eine Rolle in den Entwurfsprozessen? Sind Verweildauer und -art eine Bezugsgröße in Ihren Konzepten? Die Nutzerfreundlichkeit gehört zum Handwerk das Gestaltens. Als »Anwältin« der Besucher versuche ich zum einen erst mal ganz einfach die richtigen Bedingungen für die Wahrnehmung herzustellen, zu gewährleisten, dass sie sich wohlfühlen, dass sie alles sehen, hören, lesen, benutzen und begehen können, was sie sollen, nicht jedoch unbedingt immer das, was sie wollen. Denn es kann durchaus zum Konzept gehören, dass sich die Besucher ärgern, aufregen, laut oder leise werden. Ausstellungen müssen ja nicht nur unterhalten, informieren oder vergnügen, sie dürfen und sollen durchaus auch eine Herausforderung und Zumutung sein. Die Verweildauer spielt eine Rolle in den Überlegungen zur Gestaltung. Ich versuche, sowohl für die schnellen »windowshopper« wie auch die sorgfältigen »Studierer« etwas zu bieten und zu schauen, dass bei beiden Besuchsmodi etwas hängenbleibt. Und ich versuche natürlich die Zeit mit den Maßnahmen im Raum zu gestalten. Will ich die Besucher auf bestimmte Räume einstimmen oder überhaupt einen Übergang vom »Alltag« in den Ausstellungsraum schaffen? So entwerfe ich Räume, Zonen, Wege, die als Schleuse in die Ausstellung hinein dienen, durch die das Hindurchgehen mindestens so lange dauert wie die Gewöhnung an Dunkelheit oder Lautstärke oder das Wahrnehmen eines bestimmten Geruchs. Schön wäre es, mit gleicher Sorgfalt die Ausgänge, das Hinausgehen, zu gestalten – aber oft ist der Eingang der Ausgang – und der Ausgang kommt auch im Gestaltungsprozess häufig am Ende zu kurz.
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Da jedoch der Schluss immer ganz besonders in Erinnerung bleibt, würde ich gerne noch das Sortiment des Museumsshops mitbestimmen und die guten Kuchen im Museumscafé gestalten …
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Zwischen Wolkenkuckucksheim und Raumlabor Von Kindern und Räumen zum Lernen Helga Schmidt-Thomsen
Der Geist der Utopie beflügelt viele Jahre der Kindheit. Alles ist möglich, alles ist denkbar: Raum bleibt eine Frage der Definition, der Benennung, beherrscht von der Fantasie, bis er nach und nach durch körperliche Erfahrungen und systematischen Wissenserwerb besetzt wird. In Aristophanes’ Komödie übernehmen die Vögel die Weltherrschaft und bauen ihr »Wolkenkuckucksheim« als Stadt in den Wolken. Von Bedeutung sind hier nicht nur die Metapher und der Projektionsraum, sondern der unbegrenzte Denkraum, der den Eintritt in eine virtuelle Welt, ein fiktives Universum, eröffnet. Diese fiktive Welt kann ausgestattet werden mit allen Elementen der konkreten Welt. Raum und Zeit erscheinen manipulierbar. Die Frage nach der Realität wird sich unweigerlich anschließen und in der Folge das Interesse an wissenschaftlichen Experimenten, an Erfahrungen durch Versuch und Irrtum. Ein anderer Denkraum öffnet sich in der Welt der Märchen und Mythen: Mit ihren Metamorphosen, Zauberwelten und Gegenentwürfen spielen sie mit den Maßstäben, eröffnen unerforschte Räume und zeigen den Weg in die Menschheitsgeschichte. Wie das Wolkenkuckucksheim zum Reich der Fantasie so gehören die forschende Neugier und die Freude an neuen Erkenntnissen zum Begriff des Raumlabors. Das Kindermuseum kann einen freien Erfahrungsraum zwischen Raumlabor und Wolkenkuckucksheim kreieren. Es kann den gleitenden Übergang zwischen fiktionalen und realen Ebenen thematisieren und einbeziehen. Mit der Konstruktion von Situationen und als kurzfristige Lebensumgebung wird das Kindermuseum als Experimentierfeld, Ort der Eigeninitiative und sozialer Raum für die Stadt der Zukunft immer wichtiger. Das heißt zugleich, dass den Kindermuseen entsprechende Areale als Arbeits- und Erlebnisraum zur Verfügung stehen müssen. Der Raum unserer Städte wird immer stärker funktionalisiert, bestimmten Ansprüchen und Nutzungsarten zugeordnet, zum Nachteil der Kinder, denen kleinste, anregungsarme Reservate zugewiesen werden. Die Reformansätze der 1970er Jahre scheinen weithin vergessen. Damals formulierte Oskar Negt:
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»Kinderöffentlichkeit beginnt mit der Freisetzung der körperlichen Bewegungen und der Überwindung der gesellschaftlich festgeschriebenen Raumteilung. Kinder brauchen, wenn sie ihre spezifische Sinnlichkeit vergegenständlichen, eine deutlicher raumbetonte Öffentlichkeit als Erwachsene; sie brauchen Experimentiergelände, Plätze, ein offenes Aktionsfeld, in dem die Dinge nicht für allemal festgelegt, definiert, endgültig mit Namen versehen, unabänderlich durch Gebote und Verbote reglementiert sind. Und sie benötigen andere Zeiträume als Erwachsene, um sich entfalten und erproben zu können. Nicht das Reservat, das die Erwachsenen für sie bereithalten, und der permanente Wartestand, in dem sie von den Erwachsenen gehalten werden, befördern Selbstfindung und die Wirklichkeitsaneignung der Kinder, sondern allein die Entdeckung und der Gebrauch ihrer eigenen Ausdrucksmittel: Körper, Raum, Zeit, Bewegung, Sehen, Tasten, Sprechen, Schreien.«1 Ende der 1960er Jahre definierte man, ganz im Geist der Zeit, Autonomie, Kompetenz und Solidarität als Erziehungsziele. Über diese Ziele bestand Einigkeit, unklar jedoch war der Weg zu diesen Zielen. Die Fülle der Experimente reichte von psychoanalytisch gestützten Versuchen über die Begabungs- und Sozialisationsforschung, von der »Laienbewegung« in den Kinderläden bis zu Jürgen Zimmers »Situationsansatz« als Erfahrung konkreter Lebenssituationen. Inzwischen ist eine pragmatische Entzauberung festzustellen, und die heutigen Aufforderungen der Sport- und Bewegungswissenschaft zeigen Anwendungsgebiete: die Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen, Bewegungsfreude gegen Übergewicht, Trampolinspringen zur Schulung der Sinnesorgane und den Zusammenhang »gutes Gleichgewicht, gute Noten«. Die Zusammenhänge sind unbestritten, die Defizite jedoch eine Folge unserer Lebensweise und des Mangels an Bewegungsraum. Wir wissen, dass Bewegung die Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Körper, Geist und Sinnen ist.
K INDER BR AUCHEN DAS S PIEL IM R AUM Ausgehend vom eigenen Körper und allen seinen Möglichkeiten wird Raum erfahrbar, und alle Bewegungsformen – liegen, sitzen, kriechen, rollen, krabbeln, hocken, laufen, klettern, rennen, hüpfen, steigen, rutschen, schaukeln, schweben und fallen – werden genutzt zur Erforschung von Dingen und Räumen und damit zur Erweiterung eigener Kompetenz sowie zur Erlangung von Autonomie. Die Fähigkeit zu abstraktem Denken und philosophischer Fragestellung ist aufs Engste mit diesen Erlebnissen verknüpft. Die Möglichkeit, eigene Maß1 | Oskar Negt, »Kindheit und Kinder-Öffentlichkeit«, in: Gerd Harms/Christa Preissing (Hg.), Kinderalltag. Beiträge zur Analyse der Veränderung von Kindheit, Berlin 1988, S. 18-19, hier S. 18f.
Zwischen Wolkenkuckucksheim und Raumlabor
stäbe zu entwickeln, nach eigenem Ermessen zu handeln, hat ursprünglich und ursächlich mit Raumerfahrung zu tun. Jeder von uns erinnert sich, wie er als Kind die Welt Fuß vor Fuß und Schritt für Schritt vermessen und die Stufen bis zur Höhe von Aussichtsplattformen und Kirchtürmen gezählt hat. Standortwechsel sind wichtig: Sich in der Tiefe einer Kuhle oder Höhle zu verkriechen oder von der Höhe eines Baumes Übersicht zu gewinnen und Gefühle der Überlegenheit und Unerreichbarkeit zu empfinden, bereiten den eigenen Standpunkt vor. Die Wechsel zwischen Frosch- und Vogelperspektive gründen auf Erfahrungen. Maße und Distanzen stehen dabei in direktem Bezug zum eigenen Körper und den körperlichen Möglichkeiten. Der menschliche Maßstab entpuppt sich als Maß der Erwachsenen oder als relative Größe, die sich mit jedem Lebensjahr ändert. Renate Zimmer sagt:
»Mehr Bewegung in das Leben von Kindern zu bringen, ihr Bedürfnis nach Selbsttätigsein zufriedenzustellen und ihnen viele Gelegenheiten zur Auseinandersetzung mit der Umwelt über ihren Körper und all ihre Sinne zu geben, bedeutet auf der einen Seite, ihre Entwicklung zu fördern, zugleich aber auch zur Erfüllung ihrer Gegenwart beizutragen, denn bei allen Gedanken, die wir uns um die Zukunft unserer Kinder machen – sie haben auch – wie J. Korczak es formulierte – das Recht auf das Glück des heutigen Tages.« 2
D AS K INDERMUSEUM : L ABYRINTH ODER L ABOR ? Diese Frage stellt sich so nicht, denn es geht nicht um einen Gegensatz, sondern darum, wie beide Sphären in einer solchen Institution ihre Heimat finden und ihre Ansprüche realisieren. Kann das Kindermuseum der Ort sein, an dem ich mich verlaufe und etwas entdecke, oder ist es der Ort der gezielten Recherche? Neue Erkenntnisse, Versuch und Irrtum, Risiko und Scheitern, Freude und Vergnügen können auf beiden Wegen warten. Doch was heißt das für die Architektur? »Räume entstehen durch Division«, hat man uns gelehrt, also als klar gegliederte Organisation. Räume entstehen aber auch durch Addition, labyrinthisch, durch schrittweise Verwirklichung im Rahmen der Möglichkeiten oder ohne Zielbild. Welchen Weg man geht, ist eine kulturelle und soziokulturelle Frage. Beim Kindermuseum als Raumlabor und Ort der unerwarteten Entdeckungen könnten die Räume selbst Labor sein – Raumzellen, die durch ihr Material, durch haptische Impulse, durch die Raumakustik, durch Farbe, Licht, Schatten und Dunkelheit Eindrücke schaffen, Experimente ermöglichen, dabei die Vielzahl der im Alltag konkurrierenden und sich überlagernden Aspekte trennen, filtern und messen. Die Raumzellen, die als Einzelkörper Gruppen 2 | Renate Zimmer, »Kinder ohne Bewegungsraum«, in: Senatsverwaltung für Jugend und Familie, Berlin (Hg.), Stein auf Stein, Räume für Kinder, Berlin 1993, S. 47-62, hier S. 62.
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bilden oder zu labyrinthischen Ensembles zusammenwachsen, könnten im Dialog zu großräumigen Strukturen stehen, eingefügt in eine städtische Brache mit Konversionsgebäuden oder in ein weiträumiges Freigelände als Labor für Klima und Botanik. Zunächst scheint mir nicht der Stil der Architektur von Bedeutung zu sein, sondern der Raum als solcher, seine Erfahrbarkeit und seine Verfügbarkeit bis hin zur Möglichkeit und Aufforderung, in einzelnen Bereichen Hand anzulegen und weiterzubauen. Die Lust am Bauen, am Umgang mit Material und Werkzeug, können nur wenige Kinder heute ausleben. (Ein holländischer Architekt propagiert das Bauen als Menschenrecht.) In den Räumen für Kinder können Wege gegangen werden, die den Bewegungsmöglichkeiten der Kinder entsprechen, sie herausfordern. Wie standardisiert und variantenarm sind die Verbindungen zwischen Räumen und Geschossen in unseren herkömmlichen Bauten! Dennoch gibt es Möglichkeiten, bei der Verbindung und Trennung von Ebenen im Gebäude ergänzend mit Rampen, Rutschen, Kletterwänden oder Netzen zu ungewohnten Lösungen zu kommen, die Wände durch Schlitze, Gucklöcher, Klappen und Öffnungen zu bespielbaren Elementen zu formen und mit harten, weichen und federnden Materialien die Fußböden zum Teil eines stimulierenden und körperlich erfahrbaren Erlebnisraumes zu machen. Gegenwärtig finden wir im Bereich der didaktischen Materialien oder in besonderen Sporträumen Surrogate solcher Angebote. Die Nutzung liegt dann jedoch selten im eigenen Ermessen oder in der eigenen Initiative der Kinder, sie ist besonderen Programmen und Zeiten vorbehalten und dem spontanen Zugriff entzogen. Der besondere Ansatz des Pädagogen Loris Malaguzzi (1920-1994) und seine »Reggio-Pädagogik« soll hier erwähnt werden, weil dort die Stadt als Gesamtheit ein Lebensraum der Kinder sein soll, der über die Spezialeinrichtungen hinausreicht. Das Kind wird als autonomes, forschendes Individuum begriffen, als Dialogpartner. Bei Malaguzzi artikulieren Kinder ihre Bedürfnisse auch durch eine eigene »Kinderkonferenz«. Die gesamte Stadt wird als Erfahrungsraum einbezogen. Die Kinder lernen die Geschichte kennen, die historischen Gebäude, das Rathaus und besuchen die Händler und Handwerker in ihren Läden und Werkstätten. Bei Malaguzzis Modell ist denn auch der wichtigste Raum im Kindergarten selbst ebenfalls als Werkstatt und Atelier konzipiert. Künstler arbeiten hier als feste Mitarbeiter, vermitteln den Umgang mit Werkzeug und Material und erproben Gestaltungsmöglichkeiten. Die allen Kindern eigene Kreativität und die Poesie ihrer Weltsicht begeistern den Pädagogen Malaguzzi, der mit dem Gedicht Hundert Sprachen hat das Kind auf die unbegrenzten Ausdrucksmöglichkeiten in der Kindheit aufmerksam macht und sich selbst als »Provokateur in Sachen Kindheit« begreift. Seine Anregungen sind auch hierzulande begeistert aufgenommen worden und haben Spuren hinterlassen. Zu erkennbar neuen Raumkonzepten haben sie nicht geführt. Umso mehr könnten Kindermuseen eine besondere Aufgabe erfüllen und ungewöhnliche Räume nutzen oder gestalten.
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A RCHITEK TUR FÜR DAS K INDERMUSEUM In ihrer hundertjährigen Geschichte haben sich Kindermuseen meist in vorhandenen Bauten installiert und in der Adaption von Bestandsgebäuden eine eigene Geschichte und unerschöpfliche Vielfalt der Inhaltsprofile demonstriert – auch im Kontext nationaler Kultur und örtlicher Besonderheiten. So wurde das historisch erste Kindermuseum in Brooklyn in einem kleinen Stadthaus gegründet und inzwischen durch neue Bauten der Architekten Hardy, Holzman, Pfeiffer ergänzt. Boston hat ein Kindermuseum in einer ehemaligen Molkerei, in Washington wurden mehrere Stadthäuser eines Straßenblocks umfunktioniert. In den Vereinigten Staaten gibt es aber auch Neubauten: von Architekt Antoine Predock 1987 in dekonstruktivistischer Manier am Strip in Las Vegas geplant oder von Robert Venturi zu Beginn der 1990er Jahre in postmodernem Stil in Houston. Besonders das Beispiel Houston zeigt das Bemühen, mit einer narrativen Architektur den Kindern gerecht zu werden. Die Hauptfassade mit vier gewaltigen Säulen und bekrönendem Giebelfeld zeigt Venturis Freude an klassischen Zitaten, auch in Anspielung auf das nahe Kunstmuseum. Die große Wandelhalle als Rückgrat und Haupterschließung zeigt eine Halbkolonnade mit hohen Bögen, bunt und theatralisch bemalt. Die seitlich anschließenden Bauteile sind als einfache Werkstattbauten behandelt, ein Vordach wird getragen von bunten Stützen in Gestalt von Kindern mit erhobenen Armen, den caryakids. Es mag sein, dass den Kindern diese fröhliche Architektur und das Spiel mit dem gigantischen und dem kleinen Maßstab sogar gefällt. Mindestens zeigt dieses Projekt schon durch die Wahl eines »Stararchitekten« (das Büro Venturi, ScottBrown, Associates war dem örtlichen Büro Jackson & Ryan assoziiert) Respekt vor der besonderen Aufgabe und räumt ihr einen entsprechenden Stellenwert ein. Das 1992 fertiggestellte Gebäude erhielt verschiedene Auszeichnungen und ist insgesamt ein Riesenerfolg. Die ursprünglich ca. 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche wurden zwischen 2005 und 2009 um 1300 Quadratmeter erweitert. Das auf Themen des technischen Fortschritts, auf Roboter, Nanotechnologie und Cyberchase ausgerichtete Museum mit jährlich 850.000 Besuchern rühmt sich als »5-Sterne Kindermuseum« und »Amerikas No. 1«. In größtem Kontrast zu dieser extrovertierten Einrichtung steht ein Kindermuseum in Japan. Dort hat man Tadao Ando, den besten Architekten des Landes, schon 1987 mit dem Bau eines Kindermuseums beauftragt und trotz der Flächenknappheit im Inselreich ein riesiges bewaldetes Naturgelände (87.222 Quadratmeter) an einem Stausee in der Präfektur Hyogo für das Kindermuseum unweit der Stadt Himeji zur Verfügung gestellt. Tadao Ando hat ein Ensemble aus drei Teilen komponiert und in die Landschaft eingefügt: vom Hauptgebäude mit Bibliothek, Theatersaal, offenem Amphitheater, Hallen, Treppen, Restaurant und Wasserbecken führt der Weg zum ummauerten »Platz der Säulen« und weiter zum
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Ateliergebäude mit vorgelagerter Beobachtungsplattform (Gebäudeflächen: 3576 Quadratmeter, Bruttogeschossfläche: 7488 Quadratmeter). Der Weg, der den See anbindet und durch den Wald schneidet, wird von Ando wie ein eigenes architektonisches Element behandelt. Die Gegensätze von Natur und Architektur werden so in ein subtiles Gleichgewicht gebracht und Teil eines Dialoges, den die Besucher auf ihrem Weg verfolgen können. Ando zeigt, dass das Kindermuseum eine wirkliche Aufgabe für die Architektur sein kann: Ästhetik und Raumkunst, ganz ohne »Kindertümelei«. Im Spiel der Durchblicke, Raumhöhen und Perspektivwechsel ist es ganz auf Bewegung im Raum ausgerichtet. Seine Treppen und Stufen – einige sind breit und groß, andere schmal und eng, gerade, abgewinkelt oder im Bogen geführt – laden ein zum Schreiten, Steigen, Springen und Herumsausen. Ein Treppenpaar legt sich an die Rundung des kreisförmigen Theaterraumes mit der von Stufen umgebenen Manege, das darüber liegende Amphitheater bietet seine Sitzstufen unter freiem Himmel, und im Außenbereich sind es die breiten Treppenanlagen, auf denen man sich niederlassen kann und die auch manchmal direkt in einem Wasserbecken enden und auffordern, ins Wasser einzutreten.
Tadao Ando, Kindermuseum Himeji, Hyogo (1987/88): Wasserbecken und Stufen, Foto: Büro Ando
Zwischen Wolkenkuckucksheim und Raumlabor
Das Angebot der Treppen und Stufen kommt dem Bewegungsdrang der Kinder entgegen und kann sie ermutigen, das Gebäude zu erkunden und seine Angebote zu nutzen. Gleichzeitig bieten die Stufen überall Möglichkeiten zum Sitzen, zum Innehalten, zur Ruhe. Das Stahlbetongebäude ist undekoriert, es ist eine Architektur des Wesentlichen, die Ruhe und Bewegung gleichermaßen vermittelt und in innerer Balance hält. Die Sensibilisierung für die Natur, für Wasser, Himmel und Erde als Grundlage japanischer Kultur und Spiritualität werden hier immer wieder angesprochen, variiert, erfahrbar.
Tadao Ando, Kindermuseum Himeji, Hyogo (1987/88): Hauptgeschoss mit Einbindung im Gelände, Grundriss, Foto: Büro Ando Tadao Ando sagt: »Weil dieses Museum in der Natur liegt und nicht in der Stadt, hoffen wir, dass es sein Ziel erreichen wird: die künstlerische Erziehung der Kinder.«3 Diese Aussage definiert ein Ziel, einen klaren, aber auch weit gefassten inhaltlichen Anspruch. Und man darf erwarten, dass ein Besuch in Tadao Andos Kindermuseum einen bleibenden Eindruck hinterlässt, ein einzigartiges Erlebnis von Natur und Architektur.
3 | Das Zitat von Tadao Ando ist der Schlusssatz der von ihm unterzeichneten längeren Erläuterung »L’Éducation du Paysage, Musée des enfants«, in: L’Architecture d’aujourd’hui 279/1992, S. 11-17, hier S. 16. Dort heißt es: »C’est parce que ce musée est dans la nature, et non en ville, que nous espérons qu’il atteindra son but: l’éducation artistique des enfants.« Vgl. dazu auch »Due opere recenti di Tadao Ando«, in: Casabella 582/1991, S. 4-8, hier S. 7.
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Einen ähnlich klaren inhaltlichen Auftrag gibt es bei den meisten Kindermuseen nicht. Sie wollen alles bieten, alles leisten, geeignet sein für Experimente, forschende Kinder, konzentrierte Arbeit. Sie sollen Ausstellungen zeigen und spezielle Sammlungen einrichten, Erlebnisräume sein, Theater und Zirkus, geeignet für Kindergeburtstage und Teil der Eventkultur. Das Kindermuseum, das diesen vielfältigen und wechselnden Ansprüchen mit einer einprägsamen architektonischen Form zur Seite steht, ist eine Seltenheit. Ein europäisches Beispiel findet sich in Österreich mit dem Kindermuseum FRida & freD in Graz. Der Planungsablauf scheint mustergültig: Eine städtebauliche Studie klärt den Standort, danach wird ein Grundstück in zentraler Lage am Nordrand des Augartens bereitgestellt und 2002 ein eingeladener Architektenwettbewerb durchgeführt. Es wird ein kindgerechtes Gebäude gefordert, das dem Erleben und Erforschen der Welt mit allen Sinnen entgegenkommt. Der Entwurf des Wiener Büros Fasch & Fuchs (Hemma Fasch, Jakob Fuchs) wird zur Ausführung bestimmt und 2003 mit nur einjähriger Bauzeit realisiert. Mit einer Bruttogeschossfläche von 1543 Quadratmeter (Baukosten 3,5 Millionen Euro) bietet das Gebäude 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche, einen Theaterraum (150 Quadratmeter), ein Atelier (60 Quadratmeter) und einen Cafébereich (60 Quadratmeter). Dazu kommen Foyer, Verwaltung, Nebenräume und Haustechnik. Die Konzeption des Hauses sieht ein offenes Raumkontinuum mit einer Vielfalt an Sicht- und Blickbezügen vor, wobei geneigte Flächen die verschiedenen Ausstellungsebenen verbinden und eine innere Landschaft mit vielen Sitz- und Liegemöglichkeiten eröffnen. Da das zweieinhalbgeschossige Gebäude etwa zwei Meter in die Erde eingesenkt wurde, gibt es auch interessante Ein- und Ausblicke. Die Konstruktion aus Holz und Stahl, Beton, vielen Glasflächen und Schiebeelementen ist deutlich sichtbar und verständlich. Dabei haben die Architekten Wert gelegt auf Tageslicht in verschiedenen Formen: durch Lichtbänder, raumhohe Verglasungen und Dachsheds, bei Bedarf durch Vorhänge variierbar oder abzudunkeln. Die Lage im Park ermöglicht ebenfalls verschiedene Nutzungen im Freien. Die ungezwungene Atmosphäre im Haus ist auch dem Betrieb als »Sockenmuseum« mit Straßenschuhverbot zu danken sowie dem Angebot einer »Lümmelzone« als weiche, bespielbare Treppe, die gleich im Foyer ansetzt, die Kinder ins Haus führt, sie zum Austoben und Ausruhen einlädt. Das langgestreckte Gebäude mit dem großen dunklen Dach bezieht durchaus selbstbewusst Position und erinnert an eine leicht geöffnete Schatulle, in deren buntes Innenleben der Parkbesucher hineinspähen kann. In Deutschland ist festzustellen, dass Kindermuseen bisher so gut wie nie mit einem für diesen Zweck geplanten Neubau ausgestattet worden sind. Sie richten sich ein und finden sich zurecht in vorhandenen Gehäusen. Es ist schon als Glücksfall zu betrachten, dass in Berlin, Prenzlauer Berg, die Elias-Kirche für das MACHmit! – Museum für Kinder umgenutzt werden konnte. Durch neue Strukturen in Holz und mit kräftigen Farbakzenten hat der Architekt
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Klaus Block dort in das Baudenkmal bespielbare Großregale eingestellt (Bauzeit: 2001-2003, Baukosten: 1,6 Millionen Euro). Von einer eigenen Architektur für das Kindermuseum lässt sich jedoch auch hier nicht sprechen. Grundsätzlich sind es in Deutschland vor allem die Angebote, die Programme, die besonderen Themenausstellungen, manchmal auch die Kurse, für die sich der Besuch in Kindermuseen lohnt. Es sind die engagierten Akteure und Mitarbeiter, die sich Räume erkämpft haben und sie mit Leben füllen – trotz aller Anpassungszwänge bei der Umnutzung von Bestandsgebäuden. Umnutzung mag aber auch ihre Chance und ihr Profil sein: absolute Individualität!
Architekten Fasch & Fuchs, Kindermuseum FRIda & freD, Graz (2002/03), Foto: Hannes Loske Die Kindermuseen in ihrer Vielfalt sind zum Glück bisher nicht beherrscht von Standardprogrammen und Typenbau. Die unterschiedlichen Spielorte zeigen, dass jedweder Raum, jedweder Bau, verwandelt werden kann zu Werkstatt und Bühne, Fluchtburg und Marktplatz, Forschungs- und Entdeckungsstätte. Daran knüpft sich auch der Wunsch, dass Kinder und Jugendliche diejenigen sein werden, die Ideen entwickeln, die Experimente organisieren, Spielregeln aufstellen und ihren Erlebnisraum zwischen Wolkenkuckucksheim und Raumlabor verwirklichen.
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Kinder-Akademie Fulda: »Nest« in der Ausstellung Vom Ei zum Küken (2011), Foto: Karsten Moll
KLIPP KLAPP Kindermuseum Oelde: Historische Kramer Mühle, Foto: Forum Oelde, 2001
ZOOM Kindermuseum Wien: Ausstellung Es fliegt, es fliegt (2009), Foto: Lukas Schaller
Kinder- und Jugendmuseum München: Einblick in die Ausstellung Iss was?! (2008), Foto: Kinder- und Jugendmuseum München
Junges Museum im Historischen Museum der Pfalz: Ausstellung Burg Drachenfels – Reisen ins Mittelalter (2011), Foto: Dominik Jan Geis
klingenmuseum für kinder im Deutschen Klingenmuseum Solingen: Dauerausstellung Klingen machen Leute. Drehwürfel-Spiel für die kleinsten Besucher, Foto: Deutsches Klingenmuseum, 2004
Beispiele aus der Praxis
Der Kleinkinderbereich »Licht und Luft« im KL!CK Kindermuseum in Hamburg Margot Reinig
Als das KL!CK Kindermuseum in Hamburg seinen Kleinkinderbereich »Licht und Luft« nannte, wollte es an die deutschen Reformpädagogen der 1920er Jahre erinnern, die zu Unrecht größtenteils vergessen sind. Sie hatten sich dafür eingesetzt, in die muffigen Schulstuben und »Bewahranstalten« Licht und Luft hereinzulassen und die Kinder in der Natur und in Freiheit lernen zu lassen. Diesem Leitgedanken fühlt sich das Kindermuseum auch in seiner pädagogischen Arbeit verpflichtet. Schon bei der Planung des Kindermuseums war uns klar, dass ein Bereich für Kleinkinder im Gesamtkonzept nicht fehlen durfte. Dazu beigetragen haben sicher die aktuellen Diskussionen und zahllose Studien über die Bedeutung frühkindlicher Bildung und Förderung heute. Die EPPE-Studie1 ergab, dass sich der Besuch einer vorschulischen Einrichtung positiv auf die soziale und kognitive Entwicklung von (Klein-)Kindern auswirkt. Für Kindermuseen sind über diese allgemeine Aussage hinaus einige Ergebnisse im Detail interessant: • Ein ganztägiger Besuch einer Kindertageseinrichtung hatte im Vergleich zu einem kürzeren Aufenthalt weder Vor- noch Nachteile. • Auch hat sich gezeigt, dass der Spruch der antiautoritären Jugend der 1970er Jahre »Ich will andere Eltern!« nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, denn die Einflüsse des Kitabesuches sind nur ein Drittel bis halb so stark wie die Bedeutung von Familienfaktoren (Bildungsabschluss der Eltern, Beruf, Schichtzugehörigkeit usw.). • Wenn es um Chancengleichheit geht, zeigt die Studie, dass zwar insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien von der Fremdbetreuung pro1 | Die EPPE-Studie (Effective Provision of Preschool Education) wurde zwischen 1997 und 2008 in England durchgeführt und verglich Wirkungen der frühen Förderung bei rund 2800 Kindern, die in Kindertageseinrichtungen, und mehr als 300 Kindern, die zu Hause betreut wurden.
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fitieren, sie aber weiterhin anderen Kindern gegenüber benachteiligt sind, weil selbst die beste Krippe oder Kita schlechte familiäre Bedingungen nicht vollständig kompensieren kann. Diese Ergebnisse rücken die Arbeit der Kindermuseen in ein besonderes Licht: Auch ein verhältnismäßig kurzer Aufenthalt im Kindermuseum lohnt sich für die Kinder, und Angebote für Familien sind für sie eine ernsthafte Aufgabe, um an der gerechteren Verteilung von Bildung mitzuwirken. Wenn die Kinder von und mit ihren Eltern erfahren, dass Lernen eine erfüllende Beschäftigung ist, hat dies eine große Auswirkung auf ihre Lernbereitschaft. Speziell im Kleinkinderbereich führen wir den Eltern vor Augen, was ihre Kinder schon alles können, wir machen sie stolz auf ihre Kinder und neugierig auf weitere Fortschritte. Wir zeigen, dass die hohe Bereitschaft der Kinder, alles können zu wollen, was auch Erwachsene können, zur Freude beider Teile entwickelt werden kann. Dabei geht es weder darum, sich in die unendliche Reihe der Elternratgeber einzureihen, noch die Eltern zu »Trainern« ihrer Kinder zu machen. Babys sind ständig bemüht, etwas zu lernen. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort bemüht. Sie geben sich Mühe, sie lassen sich von Misserfolgen nicht entmutigen, sie nehmen immer wieder Anlauf, sie üben so lange, bis sie zum Erfolg kommen. Sie lernen keineswegs »spielend«, wenn das bedeuten soll: einfach und leicht. Es frustriert sie, es erschöpft sie, aber es macht sie auch glücklich. Sie wollen etwas können, und sie wollen etwas wissen. »Babyeierleicht« sind nur die Dinge, die man schon kann, und ein fünfjähriges Kind benutzt dieses Wort zu Recht mit Verachtung. Spannend ist nur, was Anforderungen stellt. Rund 22 Prozent der Besucher des KL!CK Kindermuseums in Hamburg kommen aus der Unterschicht. Dies entspricht nicht ganz ihrem Bevölkerungsanteil, ist aber eine Quote, von der andere freiwillige Bildungs- und Kultureinrichtungen nur träumen können. Um diese Niedrigschwelligkeit und Akzeptanz zu erreichen, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: Einmal kommt es auf qualifizierte, stetige und zuverlässige Arbeit an. Dann ist die Lage in einem Quartier der sozialen Stadtentwicklung entscheidend, wenn Eltern keine langen Wege auf sich nehmen können und über die Angebote der Stadt nicht informiert sind. Auch Anmeldungen und Vorbereitungen, die längerfristiges Planen bedeuten, sind eine zu hohe Hürde. Hingegen gewinnt ein offenes und freundliches Haus, das im Bewusstsein der Eltern weit weg von Schule und Jugendamt agiert, am ehesten ihr Vertrauen. Gute Mundpropaganda ist hier das wirksamste Mittel. Auf dem Gebiet der frühkindlichen Erziehung kann sich das Kindermuseum als Experimentierfeld bewähren. Aufgrund der hohen Qualifikation der Mitarbeiterinnen, der regelmäßigen Supervision und des ständigen Erfahrungsaustausches der Kolleginnen untereinander und mit den umliegenden Kitas können hier Formen der frühen Förderung (einschließlich der Einbezie-
Der Kleinkinderbereich »Licht und Luft« im KL!CK Kindermuseum in Hamburg
hung der Eltern) erprobt und vorgeschlagen werden. Wir haben feste Kooperationen mit den Kitas der Umgebung, die neben den regelmäßigen Besuchen der Kinder auch Schulungen der Teams beinhalten, gemeinsame Planung von Projektwochen in den einzelnen Kitas mit Verleih von Gegenständen, eine große gemeinsame Kunstaktion aller Kitas des Quartiers pro Jahr mit Ausstellung der Ergebnisse im Kindermuseum und gemeinsam organisierten Festen zu Ostern, Sommer, Erntedank, Nikolaus usw. Neben der Zielgruppe Eltern und Erzieherinnen im Stadtteil sind wir als Kindermuseum für den Großbereich Hamburg und darüber hinaus bestrebt, ein Angebot für alle zu machen. Besonders für den Kleinkinderbereich gilt, dass ein zweistündiger Besuch zwar förderlich für die Kinder ist, aber wir fragten uns, wie es gelingen kann, den jeweils verantwortlichen Begleitpersonen während ihres Besuches Erkenntnisse zu vermitteln, die den Kindern langfristig nützen. Da sind zunächst die Erzieherinnen, die für den Krippenbereich zuständig sind. Diese Gruppe sucht nach praktischen Anregungen und Ideen, denn an sie wird seit einigen Jahren ein hoher Anspruch gestellt: Sie sollen die Kleinsten fördern, ohne dafür eine entsprechende Ausbildung genossen zu haben und ohne angemessen bezahlt zu werden. In rein theoretischen Fortbildungen werden oftmals Ansprüche an sie formuliert, die eher zu einem Gefühl der Überforderung als zu einem fröhlichen und anregenden Alltag führen. Neben der Ausstattung des Kleinkinderbereiches für alle Besucher haben wir »Zusatzmaterial für Gruppen«. Darin sind Dinge enthalten, die man in jedem Kaufhaus einfach und günstig erstehen kann. Dazu gehören neben Töpfen, Rührbesen und anderen »echten« Küchenutensilien auch Lockenwickler und Massagetiere, Sammlungen von Knöpfen und Schlüsseln, Klempnerrohre aus dem Baumarkt, glitzernde CDs und mit allerlei verschiedenen Dinge gefüllte alte Filmdosen. Wir ermutigen die Erzieherinnen auch zum zweckentfremdeten Einsatz von Dingen, die in der Kita bereits vorhanden sind. Die Anschaffung von oftmals überteuerten Materialien (Montessori, Waldorfpädagogik usw.) ist unnötig, wenn man das Prinzip verstanden hat. Während des Besuches erläutern wir den Erziehenden unsere Überlegungen zu den jeweiligen Materialien und machen Vorschläge, was die Kinder lernen können. Der große Vorteil dieser Art der Weiterbildung besteht darin, dass genau die Kinder dabei sind, um die es geht. Wer hat nicht schon auf Fortbildungen bei konkreten Spielvorschlägen den Einwand gehört »Das geht mit meinen Kindern nicht!«? Hier kann es gleich ausprobiert und können Schwierigkeiten oder Widerstände im Praktischen überwunden werden. Da die Erzieherinnen einerseits stark mit Betreuung (Windeln, An- und Ausziehen, Füttern, Trösten) beschäftigt sind und andererseits neuerdings auf Beobachtung und Berichterstattung verpflichtet werden, bleibt für gemeinsames Spielen, Singen und Tanzen immer weniger Zeit. Es geht aber darum, dass
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sie nicht nur etwas für die Kinder tun, sondern mit ihnen zusammen agieren. Dafür bietet das Kindermuseum Raum, Zeit und Material, die allen Freude machen und ein ebenso entspanntes wie anregendes Spielen ermöglichen. Des Weiteren beobachten wir das Verhalten der Erzieherinnen während des Besuches (z.B. auch während des gemeinsamen Essens) und geben ihnen – soweit sie es hören wollen – dazu eine Rückmeldung. Wir ermutigen sie zum Ausprobieren neuer Sicht- und Verhaltensweisen, zum Spielen mit Methoden und Herangehensweisen. Aus diesem Grund setzen wir im Kleinkinderbereich insbesondere bei Gruppenbesuchen unser bestqualifiziertes Personal ein (Kunsttherapeutin, Diplompädagogin mit Zusatzqualifikation für Supervision u.Ä.). Die Verbindung von praktischer Arbeit mit theoretischer Schulung ist ein idealer Ansatz, um die Krippenerzieherinnen zu erreichen. Sie kommen mit den Kindern, und es gibt keine Betreuungsausfälle. Die gemeinsame Beobachtung der Kinder, ihres Verhaltens und ihrer Vorlieben, ihre Reaktionen auf gezielte dingliche Angebote und die durchdachten Interventionen des Kindermuseumspersonals geben viele Anlässe zum Gespräch. Diese Form der Weiterbildung ähnelt eher einer Supervision, allerdings mit dem Unterschied, dass auch das Kindermuseum seine Vorgehensweise begründen und erklären muss. Dies ist eine Begegnung auf Augenhöhe, was die Bereitschaft zu ehrlichen und fruchtbaren Gesprächen erhöht. Auch die Erzieherinnen sollen Freude am Lernen haben! Eine weitere, zahlenmäßig wichtige Besuchergruppe sind die Eltern, die mit ihren Kindern jedwedes Angebot nutzen. Sie kennen sogar die Ergebnisse der sogenannten Baby-Labs, die in den letzten Jahren in aller Welt aus dem Boden schießen. Dort erforschen Wissenschaftler die emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten von Babys. Dieses Wissen bedeutet für diese Eltern eine hohe Verantwortung und sehr viel schlechtes Gewissen. Sie machen einen sehr anstrengenden Job, sie wollen einerseits das Beste für ihr Kind, verstehen andererseits Kindererziehung als eine Bewährungsprobe ihrer eigenen Person. Diese Eltern muss man im Wesentlichen beruhigen. Wir bemühen uns, sowohl durch die Einrichtung als auch durch das Personal eine besonders entspannte Atmosphäre zu schaffen. Der Kleinkinderbereich liegt direkt neben der Cafeteria und ist von dort aus einsehbar. Auch die Cafeteria selbst ist krabbelkindgeeignet (sie wird ständig gereinigt), weil kleine Kinder sehr gerne unter Tischen herumwuseln. Da die Tische und Stühle durch Schüler, die bei uns ein Praktikum absolvieren, gestaltet werden, gibt es an den Beinen Kamelfüße zu entdecken, Schlangen und dicke Taue, vielerlei Farben, Glitzersteine und Schwämme. Selbstverständlich haben wir einen Wickelbereich, und die Eltern dürfen generell Selbstmitgebrachtes in der Cafeteria verzehren.
Der Kleinkinderbereich »Licht und Luft« im KL!CK Kindermuseum in Hamburg
Im Kindermuseum haben sie eine Funktion, die sie nicht bewusst wahrnehmen: Sie können in ihrem Umgang mit den Kindern ein Vorbild für andere sein. Sie spielen und sprechen mit den Kleinen, sie scheuen sich nicht, auch in der »Öffentlichkeit« mit den Kindern zu singen und Fingerspiele zu machen. Es gibt eine gut begründete Forderung aus der Erziehungswissenschaft, die besagt, dass Förderung am besten gelingt, wenn die Kinder der Kita durchmischt sind in dem Sinne, dass es ein Drittel sehr gut begabte Kinder darin gibt, ein Drittel sozial benachteiligte Kinder und ein Drittel Kinder aus dem Mittelfeld. Im Kindermuseum geschieht dies fast »wie von selbst«, auch wenn dies nicht ohne Konflikte abläuft. Es gibt ein paar einfache Regeln für die Eltern während des Aufenthaltes: Schlagen, Beißen, Kratzen und Spucken der Kinder ist nicht erlaubt. Wir wissen, dass alle kleinen Kinder dies tun, wir ächten kein Kind deswegen, aber wir lassen es auch nicht kommentarlos durchgehen, und wir entschuldigen uns bei dem geschädigten Kind. Schreien und Weinen, Wut- und Trotzanfälle sind normale Verhaltensweisen, die kommentarlos von anderen Kindern hinzunehmen sind, und wir werten sie nicht als Versagen der Erziehungsberechtigten. In keinem Fall akzeptieren wir, wenn Kinder von Erwachsenen geschlagen oder angeschrien werden. Besonders am Herzen liegen uns die Eltern, die stark mit ihren eigenen Problemen befasst sind und wenig Hintergrundwissen über die Entwicklung ihrer Babys mitbringen. Diese Zielgruppe wohnt im direkten Umfeld des Kindermuseums. In der Hochhaussiedlung »Osdorfer Born« leben 14.000 Menschen, davon sind fast 30 Prozent Kinder (im Hamburger Durchschnitt sind es 17 Prozent). Unser Ehrgeiz besteht darin, dass kein Kind des Borns ohne Bekanntschaft mit unserem Haus bleibt. Um sie und ihre Eltern zu erreichen, bedarf es einer geduldigen und langfristigen Vorarbeit, wobei Vertrauen die Basis jeden Fortschritts ist. Der Vorteil unserer zehnjährigen Präsenz: Etliche der jungen Mütter waren schon als Kinder bei uns. Ihnen sind der Ort und teilweise sogar die Mitarbeiter vertraut. Außerdem arbeiten wir mit vielen Engagierten im Quartier zusammen: Die Stillgruppe der Elternschule trifft sich in unserem Kleinkindbereich, das Eltern-Kind-Zentrum ist regelmäßig bei uns zu Gast, öffentliche Sprechstunden von Hebammen und Kinderärzten finden hier statt, Eltern werden gebeten, ihre Kinder nach einem Kitanachmittagsprogramm abzuholen. Dadurch lernen sie uns und das Museum kennen und haben weniger Hemmungen, es zu besuchen. Bei diesen Eltern geht es vorrangig darum, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu stärken. Außerdem wollen wir ihnen helfen, ein Gefühl für die Bedürfnisse ihrer Kinder zu entwickeln und ihre Fortschritte gebührend zu beachten. Unser Angebot hat also unterstützenden und kompensatorischen Charakter. Da wir davon ausgehen, dass zu Hause ständig der Fernseher oder das Radio dudelt, ist im Kleinkinderbereich alles ausgeschlossen, was mechanisch Töne erzeugt, knistert, klappert und quietscht. Wir lehren durch Vormachen,
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wie man mit Säuglingen spricht, wie man ihre Äußerungen wiederholt und so einen wirklichen Dialog zustande bringt. Unsere »Gedichte für Wichte« (ein Hamburger Programm für Fingerspiele, Lieder und Reime für Babys) finden auch regelmäßig auf Russisch und auf Türkisch statt. Im Kleinkinderbereich müssen alle ihre Schuhe ausziehen. Er ist mit einem festen, aber doch weichen Fußboden ausgestattet (der regelmäßig desinfiziert wird), so dass die Besucher auf einer Ebene bequem sitzen können. Für Erwachsene, denen das schwerfällt, gibt es große, weiche, formbare Kissen, auf denen man auch liegen und kuscheln kann. Kleine Babys können geschaukelt werden, größere krabbeln. Der Bereich ist geteilt, um einen intimen Charakter und Schallschutz zu gewährleisten. Hier darf alles genutzt, ausgeräumt, angelutscht und durch die Gegend geschleudert werden. Fragen wie »Will das Kind die Eltern ärgern, wenn es die DVDs aus dem Regal räumt?« können hier entspannt besprochen werden. Wichtig ist es uns, die Eigeninitiative der Eltern zu fördern. Zu diesem Zweck schlagen wir »kleine Experimente mit kleinen Kindern« vor, die sich in einem Korb mit den entsprechenden Materialien befinden. Einige Beispiele zeigen, um welche Themen es sich dreht:
Kann Ihr Kind Gut und Böse unterscheiden? Kleine Kinder sind darauf angewiesen, dass sich möglichst freundliche Menschen um sie kümmern. Von daher hat die Natur sie mit der Fähigkeit ausgestattet, zwischen sozial umgänglichem und sozial schädlichem Verhalten zu unterscheiden. Machen Sie dazu folgendes Experiment: Nehmen Sie die Pyramide und stellen Sie sie auf einen Berg (z.B. auf eines der großen roten Kissen). Dann lassen Sie die Kugel versuchen, den Berg heraufzuklettern. Die wird aber von der Pyramide immer wieder heruntergeschubst. Benutzen Sie den Würfel, um der Kugel zu »helfen«, z.B. von hinten festzuhalten, wenn die Pyramide von oben schubst. Schließlich sind Kugel und Würfel oben. Sprechen Sie dazu. Jetzt nehmen Sie die drei Formen und lassen Sie das Kind eine aussuchen zum Spielen. In der Regel greifen Kinder schon mit einem halben Jahr zu dem »lieben« Würfel oder zu der neutralen Kugel und hüten sich wohlweislich vor der »bösen« Pyramide.
Ist Ihr Kind schon sicher mit Begriffen? Ihr Kind hat gerade erst gelernt, dass ein Bild oder ein Wort für einen realen Gegenstand stehen können. Wir vergessen leicht, dass das Bild von einem Apfel nur ein Symbol ist, ein wenig Farbe auf einem flachen Blatt Papier. Auch das Wort Apfel ist weit davon entfernt, ein Apfel zu sein, aber durch feste Ver-
Der Kleinkinderbereich »Licht und Luft« im KL!CK Kindermuseum in Hamburg
knüpfungen in unserem Gehirn haben wir beim Ertönen dieses Wortes nicht nur ein Bild vor Augen, wir erinnern uns auch an Farbe, Geruch, Tastgefühl, Geschmack, kurz: an die gesamte (subjektive) Realität dieses Begriffes. Machen Sie dazu folgendes Experiment: Bezeichnen Sie ein Bild im Bilderbuch mit einem falschen Namen, z.B. sagen Sie zu der Ente: »Oh, ein Apfel, wie lecker, den möchte ich essen!« Wenn Ihr Kind das überhaupt nicht witzig findet, ist es noch zu früh für solche »Lügen«. Das Kind ist in der Welt der Symbole noch zu neu und zu unsicher, um sich Spielereien damit erlauben zu können. Lacht Ihr Kind über diesen Unsinn, können Sie das Spiel weitertreiben, indem Sie z.B. während einer Autofahrt von den Kühen auf der Wiese behaupten, es seien Pferde: hat vier Beine, frisst Gras usw. Dann muss das Kind die Unterschiede benennen. Bald wird es selber solche »falschen Behauptungen« aufstellen und viel Spaß daran haben.
Kann Ihr Kind sich selber erkennen? Ein Baby hat noch keine Vorstellung vom eigenen Ich. Es hält das Kind im Spiegel für ein anderes Baby. Machen Sie dazu folgendes Experiment: Kennzeichnen Sie Ihr Kind auffällig, aber ohne, dass es das bemerkt, im Gesicht, z.B. mit einem Klecks weißer Creme auf der Nase. Sie können ihm auch eine unserer Libellen auf die Wange kleben (hält mit Spucke). Lenken Sie das Kind während der Kennzeichnung so ab, dass es sich dessen nicht bewusst ist und auch nichts wegwischt. Dann setzen Sie das Kind vor den Spiegel und fordern es zum Hinsehen auf. Fasst das Kind sich dann selber an die Nase oder Wange zu der Kennzeichnung hin, wissen Sie, dass es sich bereits als die Person wahrnimmt, die da im Spiegel zu sehen ist. Das Kindermuseum erreicht mit seinem Kleinkindbereich nicht nur die Jüngsten, sondern darüber hinaus alle Erwachsenen, die mit ihnen leben. Sie können bei ihrem Besuch im Museum die Entwicklungen ihrer Kinder wahrnehmen und lernen ihre Fortschritte zu schätzen. Wir stärken den Optimismus der Erwachsenen, die eigenen Schritte des Kindes in die Welt mit Gelassenheit und Vertrauen zu begleiten und zu unterstützen. Kinder bedürfen der Zuwendung und des Spielraumes. Zu Letzterem können wir beitragen. Der Reformpädagoge Heinrich Lhotzky sagte schon in den 1920er Jahren: »Wenn die Kinder so werden dürfen, wird man sie vielleicht nie zu den Großen dieser Erde zählen können, […] aber ganz gewiss zu den Freien.«2
2 | Heinrich Lhotzky, Die Seele deines Kindes, Leipzig 1921, S. 156.
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Kindermuseum auch für Erwachsene? Kulturelle Vielfalt und Identität im Kindermuseum mondo mio! Elisabeth Limmer
Das Kindermuseum mondo mio! im Westfalenpark Dortmund wurde 2007 gegründet. Anlass war die Ausstellung basic needs, die der indische Künstler Rajeev Sethi für die EXPO 2000 in Hannover konzipiert hatte und die im Sinne der nachhaltigen Nutzung in den Besitz der Stadt Dortmund gelangt war. Diese Zusammenstellung von Alltagsgegenständen aus verschiedenen Kulturräumen, die kulturelle, soziale und ökologische Aspekte des menschlichen Zusammenlebens veranschaulicht, wurde durch interaktive Spielstationen über kulturelle Identität und Kommunikation, über Energienutzung, Konsumverhalten und den Umgang mit Ressourcen ergänzt; das daraus hervorgegangene Kindermuseum mondo mio! lädt Kinder und erwachsene Besucher auf eine Reise ein, auf der sie sich spielend und gestaltend mit den eigenen Bedürfnissen und denen anderer Menschen auseinandersetzen können, um mehr darüber zu erfahren, wie »eine Welt für alle« aussehen könnte. Anhand von exemplarisch ausgewählten Kinderbiografien zeigen wir, wie Kinder in Schwellenländern leben, was sie tun müssen, wie ihr Alltag aussieht. Wir stellen etwa die Frage, wie es sich anfühlt, Wasser aus einem Brunnen zu holen, oder wie man ohne Stromversorgung lebt und wie der Kinderalltag aussieht, wenn es kein Spielzeug zu kaufen gibt. Die Besuchenden können kleine Ausschnitte aus der Lebenswelt von Kindern in Afrika, Asien oder Südamerika erforschen und deren Alltag mit ihrem eigenen vergleichen. Die Themen werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln behandelt, und durch verschiedene Zugangsmöglichkeiten ergeben sich Anknüpfungspunkte und Querbezüge für entdeckendes Lernen. Die ursprüngliche Idee bei der Planung des Kindermuseums mondo mio!, Kinder auf andere Kulturen neugierig zu machen, stellte sich jedoch mit Beginn des Museumsbetriebs angesichts der demografischen Situation in Dortmund völlig neu. Hier leben mittlerweile Menschen aus 170 Nationen, ein Drittel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund und jedes zweite Kind eine Zuwanderungs-
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Elisabeth Limmer
geschichte. Ein gelingendes Miteinander der verschiedenen Kulturen stellt eine ständige Herausforderung dar. Vor diesem Hintergrund fragten wir uns, ob es nicht sinnvoll wäre, den Blick nicht nur auf ferne Länder zu richten, sondern auf die Realität der kulturellen Vielfalt vor Ort: Wie kann das Dortmunder Kindermuseum dazu beitragen, die Potenziale und Chancen dieser kulturellen Vielfalt hervorzuheben und weiterzuentwickeln, die interkulturellen Kompetenzen seines Publikums zu fördern und die kulturelle Vielfalt überhaupt als Bereicherung zu vermitteln? So wurde es zum erklärten Ziel, das Kindermuseum mondo mio! zu einem Ort der Begegnung zu machen, an dem nicht nur Kinder aller Altersstufen willkommen sind, sondern an dem sich auch Eltern mit sehr kleinen Kindern aus allen sozialen und kulturellen Gruppen der Stadt wertgeschätzt und wohl fühlen können. Es ging um die Profilierung des Miteinanders, das schon im Kleinkindalter beginnen sollte.
»Wolkenzimmer« in der Dauerausstellung Weltenkinder, mondo mio!, Dortmund (2011), Foto: StandOut Wie aber kann dieses Miteinander selbstverständlich werden und dauerhaft gelingen? Da Wertebildung und die Entstehung von Vorurteilsstrukturen schon im Vorschulalter geprägt werden und die Erwachsenen – Eltern und Erziehende – dafür verantwortlich sind, erschien es vordringlich, eine interkulturelle Ausstellung für Familien mit Kindern von drei bis sechs Jahren zu entwerfen: Denn entscheidend für die Entwicklung interkultureller Kompetenz im Elementar-
Kindermuseum auch für Erwachsene?
bereich sind neben entsprechenden Programmen besonders die Bewusstseinsbildung von Eltern und Erziehern. Das neue Ausstellungsangebot musste also auch Erwachsene ansprechen und sie als Schlüssel für die Vermittlung von Werten und Wissen miteinbeziehen. »Wer sich frühzeitig und auf kreative Weise mit den vielen Formen des Andersseins auseinandersetzen kann, lernt spielend Einfühlungsvermögen und Respekt.« So lautete die Präambel des Konzeptpapiers, das eine Ausstellung beschrieb, die sich auf spielerische Weise mit den Themen kulturelle Vielfalt und kulturelle Identität beschäftigen würde.
E NTSTEHUNGSPROZESS Interkultur, Migration, Integration – sind das wirklich Themen für Drei- bis Sechsjährige? Diese Frage wurde immer wieder aufs Neue von unterschiedlicher Seite gestellt und begleitete den Entstehungsprozess der Ausstellung von Anfang an. Es galt, eine kindgerechte Sprache und geeignete Ausdrucksformen zu finden, doch zunächst mussten die an der Realisierung beteiligten Erwachsenen, Kuratoren, Kunstschaffenden und der Architekt einen gemeinsamen Zugang finden, der über die herkömmlichen Ansätze der interkulturellen Kulturarbeit hinausging. Im Februar 2011 entstand nach zweijähriger Entwicklungszeit mit der Ausstellung Weltenkinder der erste interkulturelle Erfahrungsbereich für Familien mit Kindern im Vorschulalter. An seiner Entstehung waren acht Künstler und fünf Kindertageseinrichtungen, die einen hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund betreuen, beteiligt. Eingeladen waren auch alle interessierten Familien einer anderen Partnerkita. Schließlich wirkten 18 Familien an dem Projekt mit. Die Zusammenarbeit von Künstlern und Familien war eine Herausforderung für alle Beteiligten, und der Entstehungsprozess des Ausstellungsbereichs verlief wie ein gemeinsames, offenes Experiment. Jeder Kunstschaffende arbeitete mit einer Projektgruppe zusammen und näherte sich der Aufgabe auf individuelle Weise. Die einzelnen Gruppen trafen sich über ein halbes Jahr lang regelmäßig und diskutierten über die Bedeutung von »Heimat« und über ihr Leben »zwischen den Kulturen«. Die eigenen Wurzeln wurden erforscht, Fotos und Gegenstände, Erzählungen und Biografien zusammengetragen und dann für die Ausstellung aufbereitet. Gemeinsamer Ausgangspunkt waren einführende Workshops, in denen sich folgende Themen als besonders wichtig herauskristallisierten: Heimat – »Haus/Zuhause«, Selbst- und Fremdbild – »Ich und Du«, Gemeinschaft – »Alleine und Zusammen«, materielle und immaterielle Bedürfnisse – »Was wir brauchen« sowie Bekanntes/Unbekanntes – »Angst oder Neugierde«.
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Die zentralen Fragen, die die Teams immer wieder bewegten, waren: Warum verlassen Menschen ihre Heimat, um sich woanders ein neues Zuhause aufzubauen? Mit welchen Hoffnungen, Träumen und Erwartungen machen sich Menschen auf die Suche nach einem neuen Zuhause und nach einem besseren Leben? Was zeichnet ein Zuhause aus? Ist es ein Ort, ein Gefühl oder sind es Menschen? Diese Fragen wurden auf unterschiedlichen Ebenen bearbeitet, immer in Bezug auf die zukünftigen Besucher: Wie kann eine kindgerechte Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und der Wahrnehmung von Unterschieden aussehen. Und vor allem: Woran lassen sich kulturelle Unterschiede festmachen? Der Titel der für die Ausstellung realisierten Videoarbeit des Künstlers Patrick Borchers – ein Zitat aus einem Interview – bringt die ganze Komplexität dieser Frage auf den Punkt: Der Unterschied ist, dass man sich nicht kennt. Genau hier setzt die Ausstellung Weltenkinder an und verweist auf die vielen Gemeinsamkeiten, die trotz aller Unterschiede bestehen. Die klassische Ausgangsfrage »Wo kommst du her und warum bist du anders?« wird nicht mehr gestellt, sondern ersetzt durch »Was brauchen wir, um uns überall auf der Welt zu Hause zu fühlen?«. In der Ausstellung Weltenkinder geht es weder um Vergleiche, die womöglich als wertend wahrgenommen werden, noch um Folklore. In unserer multikulturellen Gesellschaft sehen die Kinderzimmer mittlerweile ziemlich ähnlich aus – junge Familien richten sich bei Ikea ein. Und auch an den Kleidern kann man schon lange nicht mehr erkennen, woher jemand stammt – gleich, ob türkischstämmig oder russlanddeutsch – alle tragen Jeans. Die Heimattracht wie Kimono, Sari oder Lederhose bleibt im Schrank und wird nur noch bei besonderen Gelegenheiten getragen. Und trotzdem prägt eine kulturelle Vielfalt unseren Alltag. Statt vermeintliche Unterschiede klischeehaft vorzuführen, wird der Versuch unternommen, deutsche und zugewanderte Familien in einen Dialog über Gemeinsamkeiten zu bringen und so die Entwicklung von Haltungen und Fähigkeiten wie Empathie und Respekt zu unterstützen.
R E ALISATION Um auch die Erwachsenen als Besucher anzusprechen, mussten Lösungen gefunden werden, sie in das Ausstellungsgeschehen miteinzubeziehen. Wie man diesem Anspruch gerecht werden und in einem Ausstellungsraum ohne Texttafeln die Erfahrungsräume für Kinder mit integrierten Angeboten für Erwachsene verbinden konnte, dafür gab es zunächst kein Rezept. Nachdem von den beteiligten Eltern eine Fülle biografischen Materials zusammengetragen wurde, lag es nahe, daraus Exponate nur für Erwachsene zu entwickeln. Auf dieser Grundlage wurde ein Gestaltungskonzept erdacht, das in ein und derselben
Kindermuseum auch für Erwachsene?
Ausstellungslandschaft sowohl Erfahrungsräume für Kinder als auch Exponate und Installationen für Erwachsene präsentiert. Für eine Kinderausstellung ist es ein Novum, dass erwachsene Besucher parallel zu den Spielräumen für Kinder durch eigens für sie zusammengestellte Texte und Videos angesprochen werden, die in den Ausstellungskontext integriert sind. Unaufdringlich fügen sie sich in eine bunte, gemütliche Inszenierung und laden Erwachsene ohne pädagogischen Zeigefinger zum Perspektivwechsel ein. Über die persönlichen Biografien werden sie angeregt, sich darauf einzulassen, was es für den Einzelnen bedeutet, wenn man seine Heimat verlassen und sich woanders ein neues Zuhause aufbauen muss. So werden abstrakte Gemeinplätze wie Zuwanderung und Integration mit Leben gefüllt und Impulse für den Umgang mit eigenen Haltungen und Wertvorstellungen gegeben. Erwachsene, die auf diese Weise eingestimmt sind, können die implizite Frage der Ausstellung: »Kann man in dieser Welt überall zu Hause sein und welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt werden?« in das gemeinsame Spiel mit ihren Kindern einfließen lassen, auch über den Ausstellungsbesuch hinaus. Um die besuchenden Familien unabhängig von einer vermittelnden museumspädagogischen Betreuung zu machen, wurde ein Reiseführer zusammengestellt, der beschreibt, was und wie in der Ausstellung gemeinsam entdeckt werden kann. Ausgestattet mit dem Nötigsten beginnt der Besuch von Weltenkinder als Reise an einen unbekannten Ort. Neuland wird betreten, vorbei an gefährlich wirkenden Wesen, die sich als freundlich und harmlos entpuppen, wenn man mutig genug ist, sich ihnen zu nähern. Das Zentrum der Ausstellung ist ein Marktplatz mit einer großen offenen Küche. Von dort aus führen Türen und Fenster, Spalten und Öffnungen in unterschiedliche Innenräume. Schwellen müssen überschritten, Grenzen können gezogen werden. Spiegelräume, ein begehbares Familienalbum, Wolkenzimmer, Kleiderkammer, Höhlen und ein riesiges Nest bieten Platz für Spiele, Gespräche, Beobachtungen und Begegnungen. Mit diesem innovativen Ansatz gelingt es der Ausstellung Weltenkinder, ein polarisierendes Thema so umzusetzen, dass es von unterschiedlichen Besuchergruppen positiv aufgenommen wird und diese auch miteinander in Berührung kommen – im geschützten Raum des Kindermuseums.
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Nicht ohne einander Das kinder museum frankfurt und sein historisches museum frankfurt Susanne Gesser
»Neu ist die Konzeption eines Kindermuseums […]. Ein vordergründiges, wenn auch nicht zu unterschätzendes Ziel des Kindermuseums ist es, dass Kinder aller Schichten sich im Museum wohlfühlen, dass es ihnen Spaß macht, ins Museum zu gehen. Deswegen kann das Angebot des Kindermuseums auch nicht einen borniert lehrhaften Charakter haben; es muss vielmehr den Kindern einen größtmöglichen Freiheitsspielraum gewähren.«1
Als das Frankfurter Kindermuseum 1972 als Teil des stadtgeschichtlichen Museums eröffnet wurde, geschah dies aus einer bestimmten Geisteshaltung heraus, vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Umbruchs infolge der 68er und mit einem ganz besonderen Anspruch. Im Zusammenhang mit seiner Neukonzeption und Neueröffnung vollzog das Historische Museum einen bedeutenden Wandel »vom Musentempel zum Lernort«2 und löste einen kontroversen Diskurs über Geschichtsmuseen aus. Das kinder museum war ein wichtiger Bestandteil der Idee eines Museums für eine demokratische Gesellschaft. Es war ein erklärtes Ziel, mit dem Kindermuseum und den Kindern als Zielgruppe dem »Kulturtempel« die Unantastbarkeit zu nehmen.3 Hans Stubenvoll, damaliger Direktor des Historischen Museums Frankfurt, formulierte den Gedanken in der Dokumentation zur Neueinrich1 | Hans Stubenvoll, »Ein Museum der demokratischen Gesellschaft«, in: Kulturdezernat (Hg.), Historisches Museum in Frankfurt a.M. Eine Dokumentation zur Neueinrichtung des Historischen Museums, Frankfurt a.M. o.J., o.S. 2 | Ellen Spickernagel/Brigitte Walbe, Das Museum, Lernort contra Musentempel, Gießen 1979. 3 | Vgl. Claudia Michels, Spaß beim Basteln — aber kein Kontakt zur Historie, Frankfurter Rundschau, 5. Dezember 1972.
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tung seines Museums 1972 wie folgt: »Eine so verstandene pädagogische Arbeit im Museum wird notwendig das Museum verändern; es wird zu einer Bildungsstätte für alle Schichten. Das Historische Museum versteht sich also als eine Institution des städtischen Bildungswesens.«4 Kinder und Jugendliche sollten als Besucher von morgen ihren eigenen Kulturort im Historischen Museum erhalten. Vorbilder für ein Kindermuseum gab es kaum, die großen amerikanischen Kindermuseen waren zwar bekannt, aber nicht aus eigener Anschauung. Museumspädagogische Angebote auch für Kinder waren in den Museen der Republik bereits eingeführt, das Historische Museum Frankfurt aber ging einen neuen Weg. Wichtig war den Initiatoren Almut Junker und Detlef Hoffmann, das Museum noch intensiver in die Angebote für Kinder einzubeziehen. In zwei kleinen, eigens für diesen Zweck bereitgestellten Ausstellungsräumen – einer »Kindergalerie« – wurde von nun an eine Ausstellung speziell für Kinder entwickelt und eingerichtet. Die konzeptionelle Grundidee für die Ausstellung – und damals ein absolutes Novum – bestand darin, von der Erfahrungswelt des jungen Publikums auszugehen. Mit Hilfe der kulturgeschichtlichen Sammlung des Museums sollte »die Gegenwart, in der sich der Besucher befindet, mit einer vergangenen Situation konfrontiert werden«5 . Dieser Ansatz ist bis heute sehr bewährt und hat als methodologische Selbstverständlichkeit Eingang in die museumspädagogische Arbeit und die Ausstellungskonzeptionen von Kindermuseen gefunden. Auch das pädagogische Ziel der »Förderung der Kreativität, der Fähigkeit zu kritischer Auseinandersetzung mit der Umwelt und damit die Emanzipation«6 ist bis heute unverändert anerkannt und für uns eine der Leitlinien des kinder museums. Bereits in seinen Anfängen war das Frankfurter Kindermuseum ein Experimentierfeld und musste neu »erfunden« werden. Durch die Innovationskraft der jeweiligen verantwortlich handelnden Personen und pädagogischen Mitarbeiter konnte es immer weiter entwickelt werden. Unter Dr. Heike Kraft entwickelten sich die Ausstellungen des Kindermuseums zu eigenständigen Formaten, die sich formal und inhaltlich von denen der üblichen Museumsausstellungen unterschieden und abhoben. Die Ausstellungen Robinson im Main (1978) und Anno Kindermal (1979/80) waren inszenierte Ausstellungen, die ihre Besucher aufforderten, selbst aktiv zu werden. Nur durch die Aktion der Besucher und ihr Mitdenken und -erleben vermittelten sich die Inhalte.7 4 | Hans Stubenvoll, a.a.O. 5 | Detlef Hoffmann/Almut Junker, unveröffentlichtes Konzeptpapier, Frankfurt a.M., 1973. 6 | Hans Stubenvoll, a.a.O. 7 | Vgl. Susanne Gesser/Heike Kraft, Anschauen, Vergleichen, Ausprobieren. Historisches Lernen in Kinder- und Jugendmuseen, Schwalbach/Ts. 2006, S. 31f; Susanne Gesser, Ein Museum für Kinder im Museum. Dokumentation zum 30. Jubiläum des Kin-
Nicht ohne einander — Das kinder museum frankfurt
Die interaktiven Ausstellungen waren geboren. Nach einer vierjährigen Unterbrechung (1982 bis 1986) organisierte Ursula Kern den Ausstellungs- und Vermittlungsbetrieb des Kindermuseums neu. Sie legte den Schwerpunkt auf historische Themen und weitete die Vermittlungsarbeit des Kindermuseums auf kultur- und stadtgeschichtliche Themen in den Dauerausstellungen des Historischen Museums aus. Besonderer Wert wurde auch hier auf die Partizipation der jungen Besucher gelegt. So entstand beispielsweise 1988 die Ausstellung Gesammelte Schätze von Kindern, Künstlern und Kunstliebhabern in Zusammenarbeit mit dem jungen Publikum. Auch die aktive Implikation der Besucher in die Ausstellungen und die Möglichkeiten, direkt in den Ausstellungen agieren zu können, baute Ursula Kern weiter aus. In den 40 Jahren seines Bestehens hat sich das kinder museum frankfurt beständig weiter entwickelt und professionalisiert. Heute ist es nicht mehr aus der Kulturszene seiner Stadt wegzudenken. Es ist sozusagen erwachsen geworden. Es hat sich räumlich und programmatisch enorm vergrößert und verstetigt. Von ursprünglich 100 Quadratmetern Ausstellungsfläche wuchs das kinder museum auf heute 800 Quadratmeter Fläche. Die Ausstellungen, die es zeigt, sind in der Regel Eigenproduktionen, die mit den Sammlungen des Hauses arbeiten.8 Die Ausstellungen knüpfen an die lebensweltlichen Erfahrungen der Besucher an und entfalten davon ausgehend ihr thematisches Spektrum. Die Bandbreite ist so groß wie die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Mit wechselnden Ausstellungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten aus Kunst, Kultur, Natur und Wissenschaft kann das kinder museum auf deren Wünsche und Bedürfnisse eingehen sowie aktuelle Themen aufgreifen. Obwohl inzwischen »erwachsen« geworden, geht dem Team des kinder museums die Lust am Experimentieren nicht aus. Wir erproben neue Formate, verwenden unterschiedliche Methoden und entwickeln die Ausstellungskonzeptionen immer weiter. Dies tun wir im Austausch mit den Besuchergruppen – Kinder üben ehrliche und unerbittliche Kritik. Hilfreich sind nicht nur Evaluationen und teilnehmende Beobachtungen, sondern auch der stetige Austausch mit Lehrern und Erziehern. Einen ganz wichtigen Part übernehmen dabei die Publikumsbetreuer. Das sind die zahlreichen pädagogischen Mitarbeiter, die die Besucher bei ihrem Ausstellungsbesuch begleiten und gegebenenfalls auch anleiten. Die ständigen Modifikationen der Ausstellungsdidaktik und -architektur, aber auch der methodischen Herangehensweisen sind notwendig, denn das Publikum verändert sich über die Zeit – und mit ihm auch seine Anforderungen und Bedürfnisse bezüglich der Institution und seiner Angebote. dermuseums (= Kleine Schriften des Historischen Museums Frankfurt a.M., Bd. 53), Frankfurt a.M. 2003, S. 10f. 8 | Das historische museum frankfurt verfügt über eine Sammlung von ca. 630.000 kulturhistorischen Objekten.
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Zudem haben sich die Aktivitäten des kinder museums in den letzten 15 Jahren ausgeweitet. Am Beispiel des kinder museums unterwegs lässt sich aufzeigen, dass kulturelle Programme des Museums auch in den Stadtraum übertragen werden können, um bis heute bestehende Schwellenängste gegenüber Museen zu überwinden. Seit 1999 ist das kinder museum unterwegs mit einem kostenlosen soziokulturellen Programm in Frankfurter Stadtteilen zu Gast. Als Erweiterung des musealen Raumes erreicht dieses mobile Angebot Kinder unterschiedlichster Nationalitäten und Bildungsschichten. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen, die nicht in unmittelbarer Umgebung des Museums leben oder nicht durch Eltern und Schule an dieses herangeführt werden, den ersten Kontakt mit der Institution zu ermöglichen. Gerade in Stadtteilen, in denen das kulturelle Angebot gering ist, kann auf diese Weise eine Lücke gefüllt werden. Das Museum wird selbst zum »Besucher«, indem es in die Stadtteile geht und die Kinder »zu Hause« besucht. Zudem arbeiten wir kontinuierlich an der Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten für die Zielgruppe. Die Vorzüge des partizipativen Ansatzes sehen wir darin, unserem Zielpublikum selbst die Möglichkeit zu bieten, seinen Kulturort mitzugestalten. Wir nehmen die Jugendlichen dadurch nicht mehr nur als Nutzende des Museums, sondern auch als dessen Mitgestaltende wahr, die über spezielles Wissen verfügen sowie Ideen, Wünsche und Meinungen zu Ausstellungsinhalten äußern und einbringen können. Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 31, erhalten die beteiligten Schüler somit die Möglichkeit kultureller Teilhabe – und zwar durch Mitbestimmung der Inhalte ihres Museums und die Integration der eigenen Perspektive. So werden sie zu begeisterten Multiplikatoren für »ihr« Museum. Bereits im Jahr 2004 erarbeiteten wir mit 300 Schülern zwischen zehn und 16 Jahren im projektorientierten Beteiligungsverfahren die Ausstellung Herzknistern – (D)eine Reise durch Liebe, Freundschaft, Liebeskummer. Die Schülerperspektive ließ sie zu einer ausgesprochen interessanten und vielfältigen Ausstellung werden, denn durch ihre Teilnahme wurden Ideen und Aspekte miteinbezogen, die Erwachsene als weniger relevant eingestuft und wohl nicht realisiert hätten. Für die kommende Ausstellung des kinder museums, die Ende 2012/Anfang 2013 eröffnet wird, werden wir erneut Schulkinder in die Konzeption einbinden. Dafür haben wir ein Schülerkuratorium einberufen. Es setzt sich aus Jugendlichen der neunten Jahrgangsstufe eines Gymnasiums und der zehnten Jahrgangsstufe einer Berufsfachschule zusammen und wurde in den Wahlpflicht- bzw. den regulären Unterricht aufgenommen. Neben der Ausstellungskonzeption ist es ein weiteres Ziel des Schülerkuratoriums, Schüler für das Museum als Institution zu interessieren und ihnen die Möglichkeiten zu geben, hinter die Kulissen des Museums zu schauen. Durch eigene Aktivitäten, Vergleich und Diskussion lernen die Teilnehmenden, begründete Qualitätsurteile über das Museum und seine Ausstellungen zu formulieren sowie einen
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kompetenten Umgang mit dem Medium Ausstellung. Im Museum werden die Heranwachsenden von Fachwissenschaftlern, Kuratoren, Restauratoren, Museumspädagogen und Museologen betreut, erhalten Einblick in die Objektdepots und arbeiten mit den Museumsmachern zusammen. So erhält das Museum für die Teilnehmenden ein Gesicht und bekommt eine konkrete, ja mitunter auch persönliche Dimension. Zudem ist das Museum ein geeigneter Ort, um gesellschaftlich und politisch relevante Themen miteinander zu erörtern oder sich mit Fragen der eigenen Identität und Herkunft zu befassen. Was hat eine Ausstellung mit mir zu tun? Was macht aus meiner Sicht eine gute, interessante Ausstellung aus? Was wünsche ich mir von einer Ausstellung? Dies sind zentrale Fragen, mit denen sich die Schüler auseinandersetzen und die sie gemeinsam diskutieren. Aufgrund von umfänglichen Sanierungs- und Neubaumaßnahmen an den Gebäuden des historischen museums bezog das kinder museum 2008 einen neuen, externen Standort im kommerziellen Zentrum der Mainmetropole. Es befindet sich heute an einem unmusealen, unterirdischen, aber dennoch sehr attraktiven Standort: Auf einer Zwischenebene der U- und S-Bahnstation Hauptwache, einem der Drehkreuze des Frankfurter öffentlichen Nahverkehrs, und am Beginn der Fußgängerzone Zeil. Tag für Tag trifft sich hier eine bunte Gesellschaft aus Geschäftsleuten der angrenzenden Firmen, Jugendlichen und Passanten aus der Einkaufszone. Die attraktive Gestaltung des Ortes und der schwellenlose Zugang ziehen viele zufällige Passanten herein. So fühlt sich nicht nur die übliche Museumsklientel angesprochen, sondern es kommen auch solche, die mit Museum eigentlich gar nichts »am Hut« haben. Wie in ein Kaufhaus geht man durch eine Glasschiebetür in das Museumsfoyer hinein. In aller Ruhe kann man sich umschauen – ohne eine Eintrittskarte kaufen zu müssen – und mit seinen Kindern beraten, welches der Angebote beim heutigen Museumsbesuch an der Reihe ist.9 Auch Berufstätige kommen in ihrer Mittagspause schnell herein, um sich über die Angebote zu informieren und dann am Wochenende mit der Familie wiederzukommen. Dieser besondere Standort trägt zu einem erheblichen Besucherzuwachs bei. Das kinder museum erreichte hier in seinem ersten Jahr mehr als 130 % mehr Besucher. In den folgenden Jahren konnte dies noch weiter gesteigert werden. Dieses neu durchmischte Publikum verhält sich spürbar anders in den Ausstellungen – eine Beobachtung, die auch die Art der Ausstellungen und ihre Vermittlungsformen verändern wird. Wurde in den Jahren im historischen museum vor allem ein bildungsbürgerliches und kulturinteressiertes Publikum angesprochen, folgen nun – auch aufgrund der »unmusealen« Lage im Shop9 | Dieser Standort wurde von den Medien vielfach ausgezeichnet, u.a. vom HR3 als hervorragende location, und von Journal Frankfurt in »Feste feiern in Frankfurt und Rhein-Main« empfohlen.
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pingzentrum der Stadt – solche Familien, die sonst eher keine Museen besuchen. Fröhlich plappernd, neugierig, motorisch agil sind die Familien in den Ausstellungen unterwegs. Dabei nimmt nicht nur die Lesekompetenz – auch der Eltern – merklich ab, sondern auch die Bereitschaft, sich mit den Kindern gemeinsam etwas zu erschließen oder »Forschungsaufträge« als roten Faden durch die Ausstellung anzunehmen. Für das Machen der Ausstellung bedeutet dies immer wieder, die Balance zu finden zwischen den Ansprüchen, Inhalte vermitteln zu wollen und gleichzeitig Spiel- und Erfahrungsraum zu sein. Auch wir sind bei jeder neuen Ausstellung mit Überlegungen konfrontiert, die jeden Kurator von Kinderausstellungen beschäftigen: Wie komplex darf ein Thema sein und wie weit darf es aufgespannt werden? Wie viele verschiedene Ebenen sind den Besuchern vermittelbar, wie hoch kann der intellektuelle Anspruch sein und wie wenig Text ist möglich, um sein Publikum nicht zu über-, aber auch nicht zu unterfordern? Da in den Ausstellungen des Frankfurter kinder museums normalerweise mit originalen Museumsexponaten gearbeitet wird und diese in unmittelbarer Nachbarschaft von Hands-on-Stationen stehen, sind hier zusätzlich konservatorische Bedingungen wie Lichtstärke, Luftfeuchtigkeit, Klima, Griffschutz und anderes zu bedenken. Sind hingegen originale Objekte aus der pädagogischen Sammlung im Einsatz (oder sogar selbst in die handlungsorientierten Aktivitäten integriert), sind diese Anforderungen weniger ausschlaggebend, aber nicht obsolet. Die Verschränkung der beiden Museen ist eine notwendige Voraussetzung für dieses Konzept: kinder museum frankfurt und historisches museum frankfurt bilden eine organisatorische Einheit. Das kinder museum ist eine Abteilung des historischen museums, das wiederum als »Amt« innerhalb der kommunalen Verwaltungsstruktur agiert. Dennoch handelt es sehr selbständig und mit größtmöglicher Handlungsfreiheit, was die inhaltliche Ausrichtung betrifft. Die Museumsleiterin ist zugleich Mitglied des Leitungsteams des historischen museums. Dadurch sind der direkte Kontakt und der Austausch mit allen anderen Kuratoren gegeben. Es bedeutet auch, dass für die Ausstellungen des kinder museums auf die großen, sehr heterogenen Sammlungen (und die personelle Struktur) des historischen museums zugegriffen werden kann. Gleichzeitig fließen die Erfahrungen des kinder museums sowie die konzeptionellen und didaktischen Erfahrungen und Überlegungen zu Ausstellungen für Kinder in die Arbeit des historischen museums mit ein. Die Kuratoren und Restauratoren nehmen Anteil an der Arbeit des kinder museums und umgekehrt. Auch inhaltlich nimmt das kinder museum immer wieder Bezug auf das historische museum – die Stadtgeschichte ist ein wichtiges Standbein und unerschöpfliches Thema für alle Aktivitäten des kinder museums. Bis zum Ende der Bautätigkeiten am historischen museum wird das kinder museum noch den externen Standort an der Hauptwache nutzen. Danach wird es auch räumlich wieder im historischen museum frankfurt residieren und dort
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hineinwirken, wie schon in dessen Gründung angelegt und seitdem praktiziert worden war.10 Im Gebäudekomplex des historischen museums wird das kinder museum im Bernusbau drei Stockwerke beziehen. Die neu hergerichteten attraktiveren Räumlichkeiten bieten dem kinder museum sehr gute Möglichkeiten, und es wird dort über einen eigenen Zugang besser zu finden sein als noch vor der Sanierung des Gebäudes. Im Zusammenhang mit der Neukonzeption des historischen museums ist eine insgesamt stärkere Verschränkung beider Häuser unter einem Dach geplant. Wie bisher wird das kinder museum seine eigenen Ausstellungen für dessen Zielgruppe zeigen. Ergänzt werden diese durch das mini museum, ein Erfahrungsfeld für Kinder unter sechs Jahren, und die Kreativwerkstätten, die mittlerweile bereits an der Hauptwache zu einem zweiten Schwerpunkt ausgeweitet wurden. Auch heute noch – wie schon bei der vielbeachteten Neueröffnung 1972 – ist das kinder museum ein elementarer Bestandteil der Konzeption des historischen museums. Das historische museum möchte noch stärker als zuvor Familien ansprechen. Deshalb bietet es in Zukunft familiengerechte Präsentationen in allen Ausstellungsbereichen an. Im neuen Haus wird das kinder museum also nicht auf seine Räumlichkeiten begrenzt sein. Vielmehr wird sich die Arbeit des kinder museums auf das gesamte Haus erstrecken. Durch alle Dauerausstellungen wird sich eine »Kinderspur« ziehen. Das heißt, dass in die Ausstellungen in unmittelbarer Nachbarschaft der originalen Exponate für Kinder unterschiedliche interaktive Stationen – auch solche mit analogen Aktionsmöglichkeiten – mit spezifischen Anregungen zu den inhaltlichen Schwerpunkten integriert werden. Das neue historische museum wandelt sich von einem Fachmuseum für Geschichte zu einem Stadtmuseum für alle Frankfurter und deren Gäste. Mit seiner Neukonzeption als »Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts« reagiert es auf die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Mit der zunehmenden Urbanisierung, der fundamentalen Wandlung der Stadtgesellschaften, der Nivellierung historisch gewachsener Stadtkulturen durch die Globalisierung und einem gleichzeitig immer offensiver betriebenen Standortmarketing sind Stadtmuseen vor eine große Herausforderung gestellt.11 Die aktuellen Themen der Stadt Frankfurt und ihrer Region sollen hier präsentiert und diskutiert wer10 | Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Verhältnis zwischen beiden Institutionen nicht immer einvernehmlich war: Es gab wie in jeder Familie auch in der Museumsfamilie museum frankfurt durchaus Spannungen und Zerwürfnisse. 11 | Vgl. Jan Gerchow/Susanne Gesser/Angela, Jannelli, »Nicht von gestern! Das historische museum frankfurt wird zum Stadtmuseum für das 21. Jahrhundert«, in: Susanne Gesser/Martin Handschin/Angela Jannelli/Sybille Lichtensteiger (Hg.), Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content, Bielefeld 2012, S. 22-32.
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den: Nicht nur »Tiefenbohrungen« in die reiche Geschichte der Stadt, sondern auch Zukunftsperspektiven sollen hier für jedermann erfahrbar sein.
Ausstellung Unter der Stadt, kinder museum frankfurt (2008), Foto: Uwe Dettmar Als ein lebendiger Ort der Stadtgeschichte will das Museum die Aktivität seiner Besucher stärken. Sie werden ermutigt, Fragen zu stellen und über historische Prozesse, gesellschaftliche Zusammenhänge und eigene Perspektiven nachzudenken. Junge und alte Besucher, solche mit und ohne Vorwissen, Fremde und Einheimische werden angeregt, sich selbständig und tiefergehend mit den in den Ausstellungen präsentierten Thematiken zu befassen, aktiv zu werden, auf Fragen und Antworten zu stoßen. Dafür sind direkt in der Dauerausstellung Frankfurt Einst? Geschichtslabore vorgesehen. Das sind Räume, in denen die eigene Aktivität der Besucher im Vordergrund steht. Dort können sie mit Hilfe einer pädagogischen Sammlung selbständig zu Hintergrund- und Grundlagenthemen der Dauerausstellung forschen. Anknüpfend an die Lebenswirklichkeit der Besucher wird außerdem ein Ausstellungsbereich in das Haus integriert, der sich mit der Gegenwart und Zukunft der Stadt und ihrer Bewohner beschäftigt. Unter Anwendung partizipativer Methoden wollen wir für diesen Bereich mit allen Altersstufen und Besucherschichten gemeinsam Ausstellungen entwickeln. Bei der Umsetzung dieser didaktischen Ansätze ist die über die letzten 40 Jahre gesammelte Expertise des kinder museums gefragt und vorgesehen. Aufgrund seiner erfolgreichen Präsentationen und des großen Besucherzuspruchs bemüht sich die Frankfurter Kulturpolitik derzeit einvernehmlich darum, den Standort an der Hauptwache nach dem Wiedereinzug des kinder
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museums in das historische museum am Römerberg als Dependance zu erhalten – zumindest solange die Räume dort mietfrei und ohne hohen Sanierungsaufwand zur Verfügung stehen. Somit würde das kinder museum frankfurt zukünftig zwei Standorte betreiben und möglicherweise an der Hauptwache einen eigenen Ausstellungsort eigens für Jugendliche aufbauen können.12
12 | Vgl. Hans Riebsamen, SPD für Dependance des Kindermuseums, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. September 2011, S. 42 und red, Kindermuseum: mehr Raum für Teenies, Höchster Kreisblatt, 20. September 2011, sowie den Onlinekommentar der Kulturausschussvorsitzenden Dr. Heike Hambrock dazu am gleichen Tag. Siehe auch leg, Kindermuseum kann vorerst bleiben, Frankfurter Rundschau, 28. Januar 2012, S. F7.
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Erwachsenwerden ist nicht schwer … Das JuniorMuseum im Rautenstrauch-Joest-Museum — Kulturen der Welt, Köln Peter Mesenhöller
Nach fast 15-jähriger Planungs- und Realisierungszeit eröffnete im Oktober 2010 das neue Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt am Kölner Neumarkt mit einem innovativen Ausstellungskonzept, das nicht mehr der Gliederung in geografische Einheiten verpflichtet ist, sondern von Themen bestimmt wird – Themen, »die Menschen überall auf der Welt verbinden und bewegen, denen sie aber je nach regionaler und kultureller Prägung auf jeweils eigene Weise begegnen. Universale Aspekte der Lebensgestaltung verschiedener Kulturen werden dabei nebeneinander oder gegenübergestellt; der Kulturen vergleichende Ansatz betont das gleichberechtigte Dasein und die Ebenbürtigkeit aller Kulturen und vermittelt Denkanstöße und Dialogansätze.«1
Toleranz und Respekt sind Grundlagen interkultureller Kompetenz, deren Erlernen im Zeichen der zunehmenden Interkulturalisierung unserer Gesellschaft wichtiger ist denn je. Allein in Köln und seinem Umland leben heute Menschen aus mehr als 180 Nationen – die Fremde wirkt also unmittelbar in unsere Nähe hinein, beeinflusst unsere Alltagserfahrung und -praxis. Unser Wissen über den Nachbarn, seine Kultur und Lebensweise, ist gleichwohl oft rudimentär und von Vorurteilen belastet. Museumsethnologen und -pädagogen sind daher verstärkt aufgerufen, ihr Wissen um die Kultur der »anderen« sowie den Kontakt zu denselben in die Vermittlungsarbeit einzubringen. Bereits in den 1990er Jahren entstand so die Idee, dem neuen RautenstrauchJoest-Museum ein multifunktionales Juniormuseum unter Federführung des 1 | Jutta Engelhard/Klaus Schneider (Hg.), Der Mensch in seinen Welten. Das neue Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, Köln 2010, S. 12.
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Museumsdienstes Köln anzugliedern. Als »Museum im Museum« für Kinder und Jugendliche von acht bis 14 Jahren sollte es autonom bespielbar sein, den Parcours des Hauses jedoch thematisch ergänzen. Nach verschiedenen inhaltlichen und gestalterischen Vorüberlegungen u.a. zum Thema »Miteinander leben« am Beispiel Kölner Stadtteilkulturen,2 kristallisierten sich schließlich die Arbeitsfelder Sozialisation und Enkulturation im globalen Kontext heraus, wobei folgende Schwerpunkte zu berücksichtigen waren: Identitätsstiftung und Konstruktion von Geschlechterbeziehungen durch rites de passage (hier: Initiation), spielerische Vermittlung von geschlechterspezifischen Anforderungen und Tugenden sowie Institutionalisierung von Normen und Werten durch Glaubensgemeinschaften. Als formale »Klammer« galten dabei medial zu belegende, rezente Festbräuche, deren Objektivationen im Museumsbestand zu finden waren oder über Leihgaben und/oder Ankäufe in die Gestaltung einbezogen werden konnten. Überdies sollten Möglichkeiten für den Gruppenunterricht sowie das Kuratieren von Ausstellungen durch Jugendliche selbst gegeben sein.
E IN »H AUS IM H AUS « Und all das auf (nur) 195 Quadratmetern, deren Verteilung zudem auf zwei Räume vorgegeben war? Den entscheidenden Lösungsansatz boten die Szenografen des Ateliers Brückner, Stuttgart, denen auch die Gestaltung des Hauptparcours oblag.3 Ein »Haus im Haus«, bestehend aus fünf miteinander verbundenen Zimmern, bietet die Möglichkeit, fünf Kinder und Jugendliche aus fünf verschiedenen Ländern zu besuchen und deren spezifische Feste auf dem Weg zum Erwachsenwerden kennenzulernen. Vertreten sind: Deutschland bzw. das Rheinland mit der Heiligen Kommunion, die Türkei mit dem Beschneidungsfest, Japan mit dem alljährlich stattfindenden Mädchen- oder Puppenfest, die Nordwestküste Kanadas mit der Aufnahme eines Jungen in den Hamat’sa-Geheimbund sowie Sierra Leone mit der Initiation der Mädchen in den Sande- oder
2 | Peter Mesenhöller, »Zur Konzeption des Juniormuseums im Neubau des Rautenstrauch-Joest-Museums für Völkerkunde«, in: Kölner Museums-Bulletin 3/2005, S. 3944. Vgl. hierzu auch Udo Gößwald/Kerstin Schmiedeknecht (Hg.), Wie zusammen leben – Perspektiven aus Neu-Kölln, Berlin 2009. 3 | An dieser Stelle sei für die gute Zusammenarbeit herzlich gedankt: René Walkenhorst, Ulrike Mumm, Carmen Utz, Jutta Stüber und Alexandra Vassilakou. Mein besonderer Dank gilt – last, but not least – Rita Böller von der Museumsschule Köln für ungezählte Diskussionen und ihre Geduld.
Erwachsenwerden ist nicht schwer … — Das JuniorMuseum im RJM Köln
Bundu-Maskenbund.4 Jedem Zimmer ist ein Kind oder Jugendlicher zugeordnet, dessen Porträt und Kurzbiografie sich auf einer »herausgezogenen« vierten Zimmerwand befinden. Hier erhält der Besucher zudem Informationen über Bedeutung und Ablauf des jeweiligen Brauchs bzw. Rituals. Das Haus ist somit von allen Seiten betretbar, womit das Problem eines Besuchs der jeweils nur ca. zwölf Quadratmeter großen Zimmer auch durch kleine Gruppen gelöst wurde. Die Räume entsprechen in ihrer Einrichtung dem persönlichen Wohnumfeld der Kinder und Jugendlichen und nehmen, wo möglich, mit ihrer Einrichtung Bezug auf das jeweilige Fest. Während so etwa die neunjährige Anna-Lena aus Bergisch-Gladbach ihre Lernmaterialien für den Kommunionunterricht zusammen mit ihren Spielsachen in der Kommode ihres Kinderzimmers aufbewahrt und den Messdienerplan an eine Pinnwand heftet, empfängt der türkische Junge zusammen mit seinem Vater die Gäste zum Beschneidungsfest im Wohnzimmer, das als zeitgenössisches Äquivalent zu dem Männern vorbehaltenen Empfangsraum selamlik gelten darf.5 Über die Einrichtung hinaus vermitteln zwei weitere Gestaltungselemente Zugang zu den »fremden« Welten: Ein jedem Zimmer zugeordnetes »Kabinett« – einsehbar durch verglaste Schlitze, als Bilderrahmen gestaltete Fenster u.Ä. – birgt museale Objekte, die u.a. diachrone Aspekte des Brauchs bzw. Rituals veranschaulichen. Ferner kommen die Protagonisten selbst via separat geschalteter Filmprojektionen zu Wort und sind somit im Zimmer virtuell anwesend. In den Filmen entwickeln sie ein persönliches Narrativ zum Festablauf, das – aus dem Off gesprochen – ihrem jeweiligen Alter entspricht.6 Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen.
4 | Während die Heilige Kommunion und das Beschneidungsfest als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, folgen Erläuterungen zum japanischen Puppenfest sowie zur Initiation in den Sande-Bund im weiteren Verlauf des Textes. Zur Bedeutung des indianischen Hamat’sa-Geheimbundes und der entsprechenden Initiationsrituale vgl. Jim McDowell, Hamatsa: The Enigma of Cannibalism on the Pacific Northwest Coast, Vancouver 1997. 5 | Parallelen zum »Haupthaus« sind durchaus beabsichtigt, und so findet sich in der Abteilung »Wohnformen« der selamlik eines wohlhabenden anatolischen Kaufmanns aus dem 19. Jahrhundert. 6 | Leider war es nicht möglich, alle Länder persönlich zu besuchen und entsprechende Feldforschungen durchzuführen, weshalb einige Protagonisten und deren Narrative notgedrungen fiktiv bleiben mussten. Für die hervorragende Gestaltung der zwei- bis vierminütigen Filmclips sei Gesina Geiger und Jürgen Haas von Jangled Nerves, Stuttgart, herzlich gedankt.
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»W EIL ICH ’N M ÄDCHEN BIN « — N AOKO UND DAS JAPANISCHE P UPPENFEST
Japan-Zimmer, Junior Museum im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, Köln (2010), Foto: Anna-Silvia Bins Naoko, zehn Jahre alt, geht in die vierte Klasse der Futabagrundschule im Tokioter Stadtteil Yotsuya. Sie möchte einmal Lehrerin werden, doch bis dahin ist es noch ein harter (Schul-)Weg. Ihr Vater ist Bankangestellter und kommt meist erst spät nach Hause. Bezugspersonen sind daher neben der Mutter vor allem eine Schulkameradin und ihre Großmutter. Diese kommt alljährlich von der im Süden des Landes gelegenen Insel Kyushu zu Besuch in die Hauptstadt, um am 3. März mit der Familie das Mädchen- oder Puppenfest (hina matsuri) zu feiern. Bereits Tage zuvor bauen Mutter und Tochter ein kostbares, über Generationen vererbtes Stufengestell mit Puppen (hina dan) auf, die Kaiser und Kaiserin sowie deren Entourage darstellen.7 Auf der untersten Stufe des Gestells steht ein Miniaturpfirsichbaum, dessen Blüte als Symbol weiblicher Eigenschaften wie Anmut, Zärtlichkeit und Milde gilt. Durch seine Positionierung in der (staatstragenden) Hierarchie wird jedoch auch die Stellung der Frau in der traditionellen Gesellschaft verdeutlicht. Bis zum Alter von etwa 14 Jahren bekommen die Mädchen so spielerisch ein spezifisches Rollenverständnis beigebracht, das erst in jüngerer Zeit, und dies vornehmlich in den Metropolen des Landes, dem Wandel unterworfen ist. 7 | Zu Hintergrund und Verlauf des Festes vgl. ausführlich Saskia Sellnau, Hina Matsuri: Ein japanisches Puppenfest, unveröffentlichte Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin 2009.
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Da Naokos Familie sehr beengt lebt – eine vierköpfige Familie wohnt in Tokio auf durchschnittlich 60 Quadratmetern –, gibt es keine eindeutige Trennung von Wohn-, Ess- und Arbeitsbereich. Im JuniorMuseum ist daher das »Kabinett« mit dem fünfstufigen hina dan mittels einer großen Glasscheibe vom eigentlichen Zimmer abgetrennt und von innen mit der gleichen Tapete und dem gleichen Bodenbelag wie der übrige Raum ausgestattet. Möbliert ist dieser Multifunktionsraum mit einem (benutzbaren) Schülerschreibtisch samt dazugehörigem Inventar wie Schuluniform, Ranzen, Lese- und Rechenbüchern usw. und verweist damit auf das auch noch abends zu absolvierende Lernpensum japanischer Kinder bereits im Grundschulalter. Im Film liest Naoko einen Brief an ihre Großmutter vor, die in diesem Jahr aus Krankheitsgründen nicht zum Fest kommen konnte, und schildert darin dessen Ablauf. Sie benennt Gäste und Festspeisen, die korrespondierend zu sehen sind, und erwähnt schließlich, dass sie sich mit ihrer Freundin das neueste Musikvideo der Gruppe Minimoni mit dem Titel »Hina matsuri« angeschaut hat. Die u.a. im Animestil gehaltene Choreografie interpretiert hierin das traditionelle Thema mit den Mitteln zeitgenössischer japanischer Jugendkultur.
V OM M ÄDCHEN ZUR F R AU — A MINATA UND DIE I NITIATION IN DEN S ANDE -B UND Ein wesentlich bescheideneres Leben führt dagegen die 13-jährige Aminata aus Sierra Leone. Im Jahre 2000 floh sie mit ihren Eltern und Geschwistern vor dem Bürgerkrieg aus dem Süden des Landes nach Guinea in ein Flüchtlingslager. Erst 2006 kehrte die Familie zurück, ließ sich jedoch am Rande der Hauptstadt Freetown nieder. Aminata geht in die Secondary School und möchte einmal Ärztin werden. Ein Besuch anlässlich der Initiationsfeiern ihrer Cousine Maya führt sie zu den Verwandten in ihre alte Heimat zurück. Hier erlebt sie, wie plötzlich die ausschließlich von Frauen getragenen Masken des Sandebzw. Bundu-Geheimbundes im Dorf auftauchen, um die etwa acht bis zwölfjährigen Mädchen des Dorfes in ein abgelegenes Buschlager zu geleiten, wo sie Tanz- und Gesangsunterricht und eine Einweisung in die gesellschaftlichen und familiären Aufgaben der Frau erhalten. Als wichtigster Akt dieser Unterweisung, die früher mehrere Jahre, heute meist nur wenige Tage dauert, sowie als äußeres Zeichen der Initiation in den Bund findet die Beschneidung der Mädchen statt. Nur eine beschnittene Frau ist nach Ansicht der im Süden und Südosten Sierra Leones lebenden Mende eine heiratsfähige Frau. Nichtinitiierte gelten – unabhängig vom Alter – nicht als Erwachsene; sie haben entsprechend keine Erwachsenenrechte und sind vom sozialen, politischen, religiösen und ökonomischen Leben weitgehend ausgeschlossen. Bedingt durch die Flucht der Familie vor dem Bürgerkrieg, aber auch durch die aufgeklärte Haltung ihrer Mutter gegenüber dem Ritual, wurde Aminata
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nicht in den Bund initiiert und somit auch nicht beschnitten.8 Im Film, der ihre Reise, das Zusammentreffen mit den Verwandten nach langer Zeit und die für sie beobachtbaren Ereignisse im Dorf dokumentiert, verweist Aminata aus der Sicht der Tagebuchschreiberin auf die Folgen der Genitalverstümmelung. Die Bedeutung der Masken erschließt sich ihr jedoch nur partiell und im Gespräch mit ihrer Tante, die vor allem die darin vermittelten weiblichen Schönheitsideale erläutert. Als Ort der Kommunikation zwischen den Generationen wurde eine einfache Küche gewählt, aus deren Fenster das Publikum in das »Kabinett« mit Originalmasken aus dem Bestand des Museums schaut. Diese wurden vor eine rezente In-situ-Fotografie positioniert, die eine Maskenträgerin inmitten einer dörflichen Frauengruppe zeigt.
F R AGEN DER R EPR ÄSENTATIVITÄT UND V ERMIT TLUNG Wie sich aus dem letzten Beispiel erahnen lässt, blieb das Konzept des Kölner JuniorMuseums nicht ohne kritische Resonanz. Warum, so die wichtigsten Fragen, wird hier etwa ein negatives Bild von Afrika mit Bürgerkriegsfolgen, Genitalverstümmelung und gar Kinderarbeit entworfen (Aminata hilft laut Kurzbiograpfie nach der Schule ihrer Mutter im Haushalt und versorgt ihre Geschwister)? Werden da nicht Klischees perpetuiert? Warum feiert Anna-Lena die Heilige Kommunion im Kreise ihrer gutbürgerlichen und nicht mit einer Hartz-IV-Familie? Ist die Einrichtung des »türkischen« Wohnzimmers repräsentativ für die Wohnverhältnisse im modernen Istanbul oder eher für ein traditionsverwurzeltes Migrantenmilieu9 – obwohl oder gerade weil dieses im Fokus des Films steht? Diese und ähnliche Fragen berühren das grundsätzliche Problem inszenierter Lebenswelten (nicht nur) in ethnologischen Museen. Nur als Ausschnitte, als Fragmente, können hier komplexe, sich ständig wandelnde gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeiten widergespiegelt werden, die zudem noch dem Diktat einer historisch geprägten Objektlage unterworfen sind. (Auch wir bekennen uns zur Institution Museum, indem wir bewusst Objekte in die Inszenierung einbeziehen.) Die Ein8 | Aminata stellt mithin eine Ausnahme in der Gesellschaft Sierra Leones dar. Außerhalb Freetowns werden bis heute über 90 Prozent der Bevölkerung in einen Geheimbund initiiert, wobei für Männer die Mitgliedschaft im sogenannten Poro-Bund entscheidend ist, der ähnliche Rituale praktiziert. Für Freetown schwanken die Angaben zu den Frauen zwischen 70 und 80 Prozent. Zur Thematik vgl. Rebekka Rust, Beschneidung im Geheimbund. Weibliche Genitalbeschneidung in Sierra Leone aus kulturwissenschaftlicher Sicht, Marburg/Lahn 2007. 9 | Zur Definition des letztgenannten Begriffs vgl. die von Sinus Sociovision zwischen 2006 und 2008 durchgeführte Studie Lebenswelten der Menschen mit Migrationshintergrund, aktualisierte Versionen online: http://www.sinus-institut.de.
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sicht in diese Bedingungen muss indessen keine Kapitulation bedeuten, indem wir »die Welt nur interpretieren und nicht verändern«. Sie ist Herausforderung und Anreiz zugleich, emanzipatorisch im Sinne des Aufzeigens der jeweiligen gesellschaftlichen Brüche zu wirken. Diese werden aber eben oft erst nur in der Inszenierung als solche wahrgenommen. Irritationen im Sinne der vorgenannten Fragen sind also durchaus erwünscht. Gleichwohl sollen und dürfen dabei vor allem Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 14 Jahren mit ihrem sehr heterogenen Erfahrungshorizont nicht allein gelassen werden, weshalb der Vermittlungsarbeit besondere Bedeutung zukommt. Ausgangspunkt unserer zum Teil noch in der Evaluation befindlichen Touren durch das JuniorMuseum vor allem von und mit Schulklassen sind die Themen Wohnen und Mobilität, zu denen jedes Kind und jeder Jugendliche seine persönlichen Erfahrungen und Geschichte(n) in einem anfänglichen Plenumsgespräch beitragen kann. Je nach Gruppengröße werden Kleingruppen von vier bis sechs Personen gebildet, die, versehen mit einem Koffer und einem »Ticket«, jeweils einen Raum des JuniorMuseums erkunden und somit zu »Experten« für das dort thematisierte Ritual bzw. die Lebenswelt des dargestellten Kindes oder Jugendlichen werden. Die Koffer tragen dem Ritual zugeordnete Icons, die auch auf einer Weltkarte im Plenumsraum verortet sind. Im Koffer selbst finden sich ein Arbeitsheft mit Informationen über die Herkunft, Kultur und Lebensweise der Protagonisten, Ablauf und Hintergrund des Rituals sowie Aufgaben, deren Bearbeitung in der Gruppe und mit Hilfe zweier Museumspädagogen etwa 40 Minuten in Anspruch nimmt. Die Gruppe stellt sodann ihre Eindrücke und die Ergebnisse ihrer »Feldforschungen« vor. Dabei trägt ein Kind ein dem Ritual zugehöriges Gewand – einen Kimono, eine indianische Knopfdecke, ein »Prinzenornat« usw. –, begrüßt die Anwesenden in der jeweiligen Landessprache, erzählt, wo das eben besuchte Land liegt, wie lange man dorthin gereist ist, wen man »getroffen« und an welchem Fest man »teilgenommen« hat. Kleine performative Elemente, etwa das formvollendete Einschenken von Reiswein oder die Schritte eines Rabentanzes zu entsprechender Musik, runden die Darbietung ab. In dieser letzten Plenumsrunde werden schließlich Fragen der Schüler diskutiert, die sich erfahrungsgemäß vor allem mit der Differenz des anderen zum Eigenen beschäftigen. In den meisten Fällen gelingt es, hier gemeinsam Antworten zu erarbeiten. Darf der vorskizzierte Ablauf einer Unterrichtseinheit als idealtypisch für Grundschulen gelten, so muss das Angebot für Sekundarstufen notwendig differenzierter sein. Dies gilt vor allem für ein so hochsensibles Thema wie die Genitalverstümmelung. In diesem Falle werden die einschlägigen, von Terre des Femmes erarbeiteten Lernmaterialien eingesetzt.10 Zugleich wird das Thema 10 | Terre des Femmes (Hg.), Unterrichtsmappe Weibliche Genitalverstümmelung, Tübingen 2007.
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in nach Geschlechtern getrennten Gruppen erörtert. Doch auch Themen wie Textsorten (Brief, Tagebuch, Blog usw.), wie sie sich an den Texten der Filme exemplifizieren lassen, bieten sinnvolle Ergänzungen z.B. zum Deutschunterricht in der Sekundarstufe.
PARTIZIPATION Wie eingangs erwähnt, bietet das Kölner JuniorMuseum die Möglichkeit für Schulklassen, einem breiten Publikum die Ergebnisse von Projektwochen in Form von Ausstellungen vorzustellen. Ein Zusammenhang mit den im Rautenstrauch-Joest-Museum behandelten Themen ist dabei ausdrücklich erwünscht, ohne dass es sich jedoch um spezifisch ethnologische Inhalte handeln muss. Hintergrund war und ist der Gedanke, Jugendliche an die Arbeit im Museum heranzuführen und neue Horizonte, wenn nicht gar Berufsperspektiven, zu vermitteln. Neben der Entwicklung eines Ausstellungskonzepts stehen zunächst Wandabwicklung, Vitrinengestaltung und -bestückung, Erstellen von Texten und Grafiken sowie Lichtführung im Fokus. Dabei stehen ihnen Restauratoren und Handwerker zur Seite. Hiernach lernen die Schüler die PR-Arbeit kennen: Sie gestalten Einladungen und Plakate, bereiten eine Pressenotiz und -konferenz vor, stehen Reportern Rede und Antwort. Schließlich naht die Eröffnung, für die es Ansprachen und ein kleines Catering zu organisieren gilt; gerne vermittelt hier das Veranstaltungsmanagement sein Wissen und seine Routine. Damit all dies in einem für die Schulen zeitlich überschaubaren Rahmen und nicht zulasten des Unterrichts geht, arbeiten wir mit fertigen Modulen, etwa einem festgelegten, vorgefertigten Rahmen- und Vitrinensystem, das leicht zu bestücken ist und viele Arbeiten auch außerhalb des Museums ermöglicht.
Themen wagen im Kindermuseum – Sag, was war die DDR? Eine Ausstellung zur Zeitgeschichte für junge Menschen im Kindermuseum des FEZ-Berlin Stefan Ostermeyer und Claudia Lorenz
Fragt man Kinder und Jugendliche – in Ost und West – heute nach jenem deutschen Land, das auf keiner Karte mehr verzeichnet ist, bekommt man nur ungenaue Antworten. Kinder und Jugendliche in Ost und West kennen den SED-Staat nur noch vom Hörensagen, aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern, über die Jahreszahlen aus dem Geschichtsunterricht oder aus den Medien. Durch Witz und Ironie, Betroffenheit, Glorifizierung oder Gleichgültigkeit zeichnen sich die Erzählungen und Beschreibungen aus – den Wessi und Ossi gibt es weiter in den Köpfen. 2009 ist die friedliche Revolution des Jahres 1989 20 Jahre alt geworden. Das Kindermuseum im FEZ-Berlin wollte den Kindern und ihren Eltern heute erzählen, wie es war, damals in der DDR, wie Kinder diese Zeit erlebt haben und wie sie in der Diktatur erzogen wurden. Dazu bestand nicht nur Anlass angesichts des 20-jährigen Jubiläums der Ereignisse des Mauerfalls. Auch der geschichtsträchtige Ort FEZ, heute Standort des Kindermuseums im FEZ-Berlin, feierte sein Jubiläum. Zu diesem Anlass kuratierten wir die Ausstellung Sag, was war die DDR? (2009). Der Pionierpalast als größte außerschulische Einrichtung der DDR war zehn Jahre lang das Aushängeschild der DDR-Volksbildung. Als Flaggschiff der Pionierorganisation Ernst Thälmann, der politischen Jugendmassenorganisation der DDR für sechs- bis 13-jährige Kinder, sollte er dafür sorgen, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Freizeitbereich auf der Basis sozialistischer Ideale zu lenken und zu leiten. Nach dem Fall der Mauer stand der »Palast« fast vor dem Aus und wurde nach langem Ringen 1995 in eine gemeinnützige GmbH überführt. Das FEZ-Berlin ist heute ein anerkannter Ort in der Kinderund Jugendkulturarbeit Berlins und Europas größtes gemeinnütziges Kinder-, Jugend- und Familienzentrum.
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Sich der eigenen Geschichte zu stellen und zugleich einen fairen Weg zu finden, der weder verharmlost noch durch Einseitigkeit brüskiert, war kein leichtes Projekt. Den Pionierpalast und die DDR gibt es nicht mehr, doch sind beide weiter in den Köpfen präsent. Die Augenzeugen dieser Zeit – in Ost und West – leben noch. Bisherige Ausstellungen zur DDR-Geschichte hatten oft das Manko, dass sie Erwartungen und Klischees eher bestätigten, einen ausschließlich herrschaftsgeschichtlichen oder parteien- und institutionskritischen Ansatz verfolgten, der jungen Menschen aber wenig Zugänge bietet. Das Projektteam des Kindermuseums hat die Zeit der DDR als Kind oder Jugendlicher miterlebt und brachte die entsprechende Skepsis mit: Ist es überhaupt leistbar, das Thema DDR dort, wo so viel Geschichte und Klischees herumgeistern, umzusetzen? Wie kann das FEZ-Berlin mit seinem ostdeutschen Hintergrund möglichen Vorwürfen entgegensteuern, es betreibe Nostalgie (Ostalgie) oder Verdrängung der eigenen Geschichte? Diese und viele andere Fragen türmten sich vor dem Kindermuseum auf.
PAPIERENE Z EIT ZEUGEN Wie lässt sich die DDR für Kinder real und zum Anfassen begreifbar machen? Kinder brauchen zum Verständnis komplexer Sachverhalte konkrete Geschichten, die Bezüge zu ihrer heutigen Lebenswelt herstellen. Deswegen wollten wir uns der DDR aus Sicht damaliger Kinder und Jugendlicher als Zeitzeugen in Form von Tagebüchern nähern. Tagebücher sind lebendige Momentaufnahmen eines Tages. In ihnen werden Erinnerungen und Assoziationen, Alltägliches und Bedeutsames notiert, und zwischen den Zeilen ahnt man Unausgesprochenes. Die DDR-Forschung der letzten beiden Jahrzehnte setzte mit der »Geschichtsschreibung von unten« neue Akzente. Dieser Forschungsansatz zielt auf eine vorsichtig detaillierte Rekonstruktion der Geschichte durch Oral-history-Dokumente, wie die Einbeziehung biografischer und autobiografischer Quellen, mentalitätsgeschichtlicher Zeugnisse, erlebter Alltagsgeschichte, die die historischen Analysen ergänzen. Dazu gehören: Gerüche, Geräusche, Bilder, aber auch Sprache, Erziehungsmuster und schriftliche Quellen aus dem Alltagsleben. Die Rekonstruktion aus der Kinder- und Jugendperspektive ist bisher weder allgemein in die Alltagsgeschichtsforschung »von unten« noch besonders in die Aufarbeitung der DDR-Geschichte einbezogen worden. Wie Kinder ihren Alltag und ihr Leben in der DDR beschrieben haben (Schule, Familie, Arbeit, Freizeit), wie sie dachten und fühlten, worüber sie sich freuten oder wogegen sie sich auflehnten, macht die Struktur eines Staates und seine Widersprüche zwischen autoritärer Überwachung und Kontrolle sowie den Erfahrungen und
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Lebensansprüchen des Einzelnen sichtbar. Die Beschreibung der DDR durch Tagebucheinträge von Kindern erscheint zunächst problematisch, weil sie die Gefahr birgt, diesen Staat verniedlichend und verharmlosend darzustellen. Die Befürchtung erwies sich als unbegründet. Geht man davon aus, dass die Bildungspolitik der DDR ihre Kinder bereits im vorschulischen Bereich ideologisch beeinflusste, kann man folgende These aufstellen: Es ist zu erwarten, dass sich in Tagebüchern Hinweise auf die Allgegenwart des Systems wiederfinden. In ihrer Summe gewähren Tagebuchtexte einen unmittelbareren Einblick in das Leben der Menschen, als es jeder Geschichtsschreibung möglich ist, und sie stellen in all ihren Facetten erstaunlich historische Dokumente dar.
S CHLUMMERNDE S CHÄT ZE — DIE S UCHE NACH DEM M ATERIAL Wir haben bei der Suche nach geeigneten Tagebüchern zunächst bei den Experten für diese Gattung angefragt. Das Deutsche Tagebucharchiv in Emmendingen sammelt seit 1998 Tagebücher, Schriftwechsel und andere persönliche Aufzeichnungen aus dem deutschsprachigen Raum. Von den bis dato rund 12.000 vorhandenen Dokumenten sind nur ca. 14 Prozent von unter 20-Jährigen verfasst. Leider fanden sich darunter gar keine ostdeutschen Texte. Deshalb haben wir Anfang 2008 in Tageszeitungen, über Aushänge in Bibliotheken sowie über Handzettel in Geschäften usw. im Raum Berlin und in Halle dazu aufgerufen, uns Tagebücher, Notizen, Aufzeichnungen aller Art, aber auch materielle Erinnerungsstücke zur Verfügung zu stellen. Teilweise waren es die heute erwachsenen Tagebuchschreiber selbst, die uns ihre Tagebücher geschickt haben. Zunächst bekamen wir die Aufzeichnungen der damals 16-jährigen Angela, ein Beispiel für Unangepasstheit und die Suche nach eigener Identität. Nachdem Angela ein Gedicht über ihre Situation als Ostberliner Punkerin verfasst und dieses als Flugblatt verteilt hatte, wird sie verhaftet und verbringt sieben Wochen im Untersuchungsgefängnis. Ihre Stasiakte – zum Nachlesen in der Ausstellung – ist zwei Finger dick. Dann kamen wir mit Matthias in Kontakt, der uns sein umfangreiches Material zuschickte. Der gelernte Autoelektriker, nun Mitte 40, war nach 1989 lange Zeit ohne Anstellung. Für ihn war und ist das Schreiben bis heute ein wichtiger Lebensantrieb. Dass sein »Frühwerk« in einer Ausstellung für Kinder über die DDR für sich selbst sprechen kann, macht ihn stolz und ermöglicht ihm die versagt gebliebene gesellschaftliche Teilhabe. Das Kind Matthias war ein Junge aus einem Dorf am Rande Berlins. Zur Jugendweihe bekommt er eine Reise nach Moskau geschenkt. Dort will er auch seine vom Russischlehrer vermittelte Brieffreundin treffen. Da aber weder er, noch seine Eltern ein besonders enges Verhältnis zum Russischen haben, verläuft die Begegnung mit Lena wortlos und kurz. Knapp gehalten sind auch Matthias’ Reisebeschreibungen (»nach Erfrischen runter mit Lift zum Roten Platz, Lenin
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schon zu, dann in GUM«), aber in ihrer Fülle imposant. Einen anderen Aspekt bringt die Dresdnerin Katrin, damals 15 Jahre alt, in die Ausstellung: Als gute Sportlerin wird sie auf eine Sportschule nach Berlin geschickt, ist erfolgreich und darf mit ihrer Mannschaft in den Westen reisen. Dort erfährt sie, dass ihr Sport als Aushängeschild des Sozialismus benutzt wird. Ann, damals 14-jährig, ist in einen griechischen Jungen verliebt, kann ihn aber nicht besuchen. Eine andere Katrin war bereits mit 16 Jahren eine glühende Sozialistin und beschreibt das Gefühl von Verrat und Enttäuschung, als sie erfährt, dass ein zuvor geschätzter Lehrer einen Ausreiseantrag gestellt hat.
Lese- und Hörkabine in der Ausstellung Sag, was war die DDR?, FEZ-Berlin (2009), Foto: FEZ-Berlin
S PRUNG ZURÜCK IN DIE V ERGANGENHEIT — U MSE T ZUNG IN DER A USSTELLUNG Im Vorbereitungsprozess der Ausstellung Sag, was war die DDR? haben wir diese Tagebücher thematisch sortiert und acht Autoren ausgewählt, deren Tagebücher in einer »natürlichen Umgebung« ihrer Entstehungszeit ausgestellt wurden: in einer dem Kinderzimmer der Protagonisten nachempfundenen Lesekabine. Dort können die Besucher die privaten Notizen ihrer damaligen Altersgenossen ungestört lesen (im Original und als Transkription) bzw. anhören; Auszüge – teilweise in Dialogform übertragen – wurden hierfür von Kindern passenden Alters eingesprochen. Eine detailreiche Inneneinrichtung (mit Pun-
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kinsignien, Sporttrophäen oder rosarotem Mädchenzimmer) katapultiert die Ausstellungsbesucher in eine irgendwie vertraute Umgebung, aber trotz allem auch sehr fremde Zeit. Sie können sich dort konzentrieren und ganz tief in das Thema eintauchen. Jedem Autorenzimmerchen wird ein allgemeiner Themenschwerpunkt zugeordnet. Die Moskaureise von Matthias wird so beispielsweise zum Aufhänger für eine räumliche Inszenierung des Schulsystems der DDR mit seiner Betonung der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Die fehlende Reisefreiheit der DDR-Bevölkerung kann man bei einer Reise im Miniaturjet erleben: Beim Anwählen westeuropäischer Reiseziele verkündet eine strenge Stimme das Westreiseverbot ohne Vorlage einer staatlichen Reisegenehmigung. So gruppieren sich rundum die Lesekabinen: eine Gefängniszelle mit Stasischreibstube, ein Ufo für Flüge in die geträumte Zukunft, ein Zeitungskiosk, ein Kleiderstand der Jungen Pioniere, eine Verkaufsstelle der Konsum Genossenschaft (wichtig: Konsum mit Betonung auf o) und eine kleine Baustelle, an der man ein ganzes DDR-Neubauviertel in den Himmel wachsen lassen kann.
»Wohnungen nach Plan: ein Plattenbaugebiet zum Selbermachen« in der Ausstellung Sag, was war die DDR?, FEZ-Berlin (2009), Foto: FEZ-Berlin Die Ausstellung hat eine zusätzliche, Orientierung gebende Textebene. Ohne auf Vorkenntnisse zu setzen, erklärt ein unsichtbarer Ausstellungsbegleiter (Texte von David Ensikat) auf thematisch zugeordneten Standtafeln, was Sozialismus ist oder warum es in der DDR nur selten Südfrüchte wie Bananen oder Apfelsinen zu kaufen gab. Eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR wird während des Ausstellungsbesuchs durch Diskussionen der Kinder untereinander oder im gemein-
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samen Gespräch während der Abschlussrunde befördert. Das junge Publikum vergleicht das Leben seiner Altersgenossen mit seiner heutigen Lebenswirklichkeit: Komplexe Fragen (Was macht Freiheit aus? Wann hat man es mit einer Diktatur zu tun?) werden anhand der lebendigen Fallbeispiele dargestellt. Den jungen Besuchern wird keine fertige historisch-politische Deutung vorgesetzt – sie arbeiten selbst daran. Um die Kinder noch mehr für das Thema zu sensibilisieren und einen dramaturgischen Spannungsbogen aufzubauen, haben wir einen separaten Einführungsraum inszeniert, in dem eine Art Archiv aufgebaut ist mit einer Unzahl von Schränken, angefüllt mit Alltagsgegenständen, kleinen Erinnerungsstücken, Briefen und Dokumenten von etwa 20 Personen, darunter auch unsere Tagebuchkinder. Hier wird anschaulich erlebbar, wie sich Lebenszeiten überschneiden und Generationen miteinander verwoben sind, und dass die ostund westdeutsche Geschichte gemeinsame Wurzeln hat, die sich immer auch in den Geschichten der Menschen niederschlagen. Wir wollten gerne wissen, welche Vorkenntnisse wir erwarten konnten und wie die Schüler mit der Sprache der 1970er und 1980er Jahre aus der DDR umgehen würden. Deswegen haben wir im Vorfeld der Ausstellung eine dritte Schulklasse gebeten, Passagen aus ausgewählten Tagebüchern zu bearbeiten. Das wache Interesse der Drittklässler hat uns ermutigt, mit den Tagebüchern weiter zu arbeiten. In einer für die Ausstellung produzierten Videoarbeit erklären sie Begriffe wie z.B. Broiler oder Roter Platz, die in den Tagebüchern vorkommen, mit ihren eigenen Worten. Das wiederum ermutigt gleichaltrige Ausstellungsbesuchende, sich in die Texte zu vertiefen. Unerwartet groß war das Interesse von anderen Museen in den alten Bundesländern, Sag, was war die DDR? zu übernehmen, obwohl grundsätzlich der persönliche Bezug und damit das Interesse an der deutsch-deutschen Geschichte mit zunehmender Entfernung zur ehemaligen innerdeutschen Grenze eher abnimmt. In Erlangen, Hannover und Hofheim a.T. haben zwischen 2010 und 2012 viele Lehrer mit ihren Klassen und auch Privatbesucher die Chance genutzt, die Ausstellung anzuschauen.
Kinder- und Jugendmuseen — Orte für nachhaltige Bildungsarbeit? Praxisbeispiel: EnergieStadt in Leverkusen Ute Pfeiffer-Frohnert und Bert Gigas
Auf einem denkmalgeschützten Gutshof inmitten einer 60.000 Quadratmeter großen naturnahen Parkanlage betreiben die Stadt Leverkusen und der Förderverein NaturGut Ophoven das Umweltbildungszentrum.1 Dazu gehören die spätmittelalterliche Wasserburg, das Biotopgelände mit Wald, Wiesen, Bach und Teich und das Kinder- und Jugendmuseum EnergieStadt. Seit dem Jahr 2000 vermitteln hier qualifizierte Pädagogen Natur- und Umweltthemen in jährlich mehr als 250 handlungsorientierten Programmen für Schulklassen und Kindergartengruppen, Kinder, Familien sowie Senioren. Die aktuelle interaktive Ausstellung des Kinder- und Jugendmuseums widmet sich den Themenbereichen Energiebewusstsein und Stadtökologie, Anfang 2013 eröffnet ein neuer Ausstellungsteil zum Thema Klimawandel bzw. Klimaschutz. Die pädagogische Arbeit des Gesamtkomplexes beruht auf den Grundlagen des Lern- und Handlungskonzeptes »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (BNE) und zielt damit nicht nur auf die Förderung eines Bewusstseins für den Umgang mit Energie und knapper werdenden Ressourcen, sondern auch auf den Erwerb von »Gestaltungskompetenz«.2 Thematische Schwerpunkte werden oft über mehrere Jahre in Projekten mit vielen Partnern aus Politik, Verwaltung, Ministerien oder Stiftungen bearbeitet, 1 | Das NaturGut Ophoven war ein dezentrales Projekt der Weltausstellung EXPO 2000, es ist »Kompetenzzentrum der Bildung für Nachhaltigkeit in der Stadt« und 2010 zum dritten Mal als offizielles Projekt der aktuellen UN-Dekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« anerkannt worden. 2 | Vgl. Gerhard de Haan, Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung, Operationalisierung und Messung von Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung, unveröffentlichter Vortrag, Berlin 2007.
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wie etwa das zweijährige Pilotprojekt zum bewussten Energie erleben im Kindergarten3, die Entwicklung von Unterrichtseinheiten zum Thema Klimawandel und erneuerbare Energien4 oder die Kampagne Klimaschutz – Jeder, jeden Tag! in Zusammenarbeit mit dem BUND und dem NABU Leverkusen, die die Stadt und die nähere Region bis heute mittels vieler öffentlichkeitswirksamer Aktionen als Impulsgeber dauerhaft prägen und gestalten. Das umweltpolitische Engagement des NaturGuts Ophoven und seines Kinder- und Jugendmuseums EnergieStadt kann nur durch ein gutes Vorbild glaubwürdig sein. Dazu wurde der CO2-Fußabdruck des gesamten Bildungszentrums berechnet. Teil der Bestandsaufnahme der Treibhausgasemissionen waren u.a. die Verwaltungsaktivitäten von Verein und Kindermuseum, der NABU-Naturschutzstation sowie die Verpflegung der Gäste im BioBistro. Die noch vorhandenen CO2-Emissionen kompensiert das NaturGut durch Ausgleichszahlungen. Die Kompensationsbeträge (24 Euro pro Tonne CO2) fließen in ein Klimaschutzprojekt in Madagaskar. Auf dem NaturGut Ophoven befindet sich daher seit 2010 das erste klimaneutrale Kinder- und Jugendmuseum. Die weitere Reduzierung der CO2-Emissionen wird täglich neu geprüft, denn nie fordern wir von unseren Besuchern mehr als das, was wir auch selber täglich einlösen können. Der »Wegweiser« Kindermuseum geht auch immer in die Richtung, in die er zeigt.
M E THODISCHE V ORÜBERLEGUNGEN FÜR EIN K INDER UND J UGENDMUSEUM ZUM THEMA N ACHHALTIGKEIT Als das Kindermuseum EnergieStadt im Jahr 1997 geplant wurde, gab es bereits zahlreiche Umweltausstellungen, in denen meist lange Texte mit umfangreichen Detailinformationen auf Tafeln oder in Infoterminals dominierten. Das NaturGut Ophoven wollte hingegen eine moderne Präsentation mit ansprechendem Design, inszenierten Environments oder auch Computern und Bildschirmen für seine geplante Ausstellungseinheit realisieren. Ein Pilotprojekt evaluierte im Vorfeld Bedürfnisse und Interessen potentieller Besucher, ermittelte ein geeignetes Thema (ökologische Umweltgestaltung) und gestaltete eine Ausstellung für Kinder und Familien. Die beauftragte Projektleiterin Monika 3 | Der Förderverein NaturGut Ophoven, 1984 gegründet, ist Herausgeber des Handbuchs für den Kindergarten. Ein Königreich für die Zukunft – Energie erleben durch das Jahr, Leverkusen 2007. 4 | Im Rahmen des EU-Projektes Inspire school education by non-formal learning, 2009. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.), Materialien für Bildung und Information. Handreichung für Lehrkräfte, Bildungsmaterialien für die Grundschule, online: http://www.inspire-project.eu.
Kinder- und Jugendmuseen — Orte für nachhaltige Bildungsarbeit?
Weyer entwickelte eine modellhafte Konzeption mit dem Ziel, Kriterien für die Gestaltung von Umweltausstellungen zu formulieren, die förderlich für Lernprozesse sein können und insofern »effektivere Ausstellungen« erwarten lassen.5 Die daraus resultierenden Postulate waren die Grundlage für die Konzeption und Umsetzung des Ausstellungsprojekts EnergieStadt. Sie formulieren, dass Besucher mehr in Ausstellungen lernen können, wenn
» diese Freude und Spaß machen, eine Beziehung zum Besucher herstellen, alle Sinne und Bewusstseinskomponenten ansprechen, Mut statt Angst machen, zu sozialer Interaktion anregen, einen Rollen- und Perspektivwechsel ermöglichen, Botschaften durch die Art der Gestaltung transportieren, Orientierung bieten, das Prinzip ›weniger ist mehr‹ verfolgen, Besucher am Erkenntnisprozess beteiligen, komplexe Sachverhalte auf einfache Weise vermitteln, Konkretes statt Abstraktes vermitteln, eigenes Entdecken möglich machen, Botschaften auf spielerische Weise vermitteln und Erlebnisse schaffen«.6
Für ein Kindermuseum bedeutet dies, dass die Exponate die Besucher zu freiwilligen, aktiven Handlungen animieren, die sie in ihrer ganzen Person beanspruchen. Die Tätigkeiten sollen alle Sinne anregen und der Besucher soll die Möglichkeit haben, kreativ und gestaltend zu wirken. Allzu oft bekommen Kinder in Bildungssituationen Antworten auf Fragen, die sie nie gestellt haben. Lässt man hingegen Kinder eigene Fragen stellen, sind diese oft höchst anspruchsvoll, beispielsweise: Warum ist der Himmel blau? Warum heißen Eisbären »Eisbären«, wenn sie auch im warmen Zoo leben können? Warum kommen Regenwürmer bei Regen nach oben? Warum jucken Mückenstiche? Was ist Luftfeuchtigkeit? Wie entsteht Schnee?7 Diese Fragen greifen wir im Kindermuseum auf. Oft versuchen Exponate, komplexe Zusammenhänge der Welt mit Hilfe von Modellvorstellungen zu erklären. Aber auch die besten Exponate und Aktionen, die den Transfer von gedanklichen Konstruktionen zum realen Leben bewältigen, können für sich allein noch keine BNE garantieren. Wir begreifen Bildung 5 | Monika Weyer, »Ausstellungen zur Umweltbildung. Ein Forschungsprojekt des Umweltbundesamtes«, Vortrag im Rahmen der Tagung Auf dem Weg zu effektiven Ausstellungen: (Umwelt-)Ausstellungen und ihre Wirkung vom 29. bis 31. Januar 1998 in Oldenburg, online: http://www.ausstellungsmacherin.de/down/Ausstellung_Umweltbildung. pdf. 6 | Ebd., S. 7-13. Vgl. dazu auch den didaktischen Leitfaden zur Veränderung des Unterrichts in der Primarschule: Christine Künzli/David Bertschy/Franziska Bertschy/ Gerhard de Haan, Zukunft gestalten lernen durch Bildung für nachhaltige Entwicklung, Berlin 2006. 7 | Die ist eine kleine Auswahl von Kinderfragen aus dem Kindergarten Wunderwelt in Wermelskirchen, Januar 2012.
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als einen sozialen Prozess in mindestens drei Schritten mit dem Ziel, zentrale Fragestellungen auf vielen Wegen zu bearbeiten und neue Lösungen zu finden. Die lebendige, sinnliche Aufnahme und Übernahme kultureller und ökologischer Werte und Vorstellungen ist nur der erste Schritt. Dabei bietet die BNE nicht nur eine Methode des Lernens, sondern eine grundsätzliche Haltung zum Sinn der Bildung, einen didaktischen Ansatz an. Das Ziel des Kinder- und Jugendmuseums EnergieStadt ist es daher, die Komplexität des »echten Lebens« im Systemischen und die Subjektivität der eigenen Persönlichkeit miteinander zu verbinden. Das Beschreiben, Benennen, Deuten und Unterscheiden von komplexen ökologischen Sachverhalten muss, soll es nachhaltig sein, also dazu führen, dass die Besucher ihren eigenen zweiten Schritt machen können, nämlich ihre individuellen, an ihre eigene Lebenswelt angepassten Schlussfolgerungen zu entwickeln, zu realisieren, zu variieren und zu präsentieren. So knüpfen wir an die prinzipielle Bereitschaft und die vielfältigen Möglichkeiten aller Menschen an, die Bewältigung ihrer spezifischen Herausforderungen in die eigenen Hände, Herzen und Köpfe zu nehmen. Damit ist notwendigerweise verbunden, dass jeder einzelne Mensch als Subjekt und wichtiger Akteur seiner eigenen Entwicklung anerkannt wird. Im letzten und dritten Schritt müssen die selbstentwickelten Schlussfolgerungen in der Reflexionsphase von den Besuchern immer wieder verglichen, begründet, bewertet, vielleicht sogar gerechtfertigt werden. Denn Bildung ist mehr als die Ansammlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Bildungsprozesse, und das unterscheidet sie von reinen Lernprozessen, sind nämlich immer eingebunden in einen sozialen Zusammenhang. Es geht eben nicht nur darum, möglichst viel zu wissen oder zu können. Es geht darum, mit dem eigenen Wissen und Können etwas anzufangen und in kleinen wie großen Lebenswelten etwas zu bewirken.
E IN K INDERMUSEUM IM N E T Z WERK Ein Kinder- und Jugendmuseum, das sich nachhaltiger Bildung verpflichtet fühlt, muss Partner im Netzwerk »Lernen« in der kommunalen Lernlandschaft sein und darf nicht als Gegenbild zum bestehenden »übrigen« Bildungssystem auftreten. Deshalb sucht die EnergieStadt den offenen Dialog und die Kooperation mit Familien, Kitas, Schulen und Jugendzentren, um immer neue Chancen und Anlässe für Kinder und Jugendliche zu finden, aktiv und vielfältig eigene Bildungsprozesse zu gestalten. Wir sind der Meinung: Nachhaltige Bildung kann nur dort realisiert werden, wo alle beteiligten Partner aktiv aufeinander zugehen. Nur vernetzt und moderiert können Strukturen gestärkt werden und die vielen individuellen Bildungsimpulse nachhaltig wirken.
Kinder- und Jugendmuseen — Orte für nachhaltige Bildungsarbeit?
Modell »Außerschulische Kulturund Bildungseinrichtungen« Im Jahr 2011 fand der erste »Leverkusener Kinder-Klimagipfel« im Kinder- und Jugendmuseum EnergieStadt statt. Fünf Leverkusener Jugendzentren präsentierten dort die Ergebnisse des gemeinsam mit dem Förderverein NaturGut Ophoven durchgeführten Modellprojekts Jugendszene Lev: Klima kreativ!. Das Projekt wollte Kinder und Jugendliche motivieren, aktiv für den Klimaschutz einzutreten. Um den vielfältigen Interessen der Kinder und Einrichtungen gerecht zu werden, wurde mit unterschiedlichen Medien und Materialien gearbeitet. Die Projekte der einzelnen Jugendzentren behandelten Themen wie Ressourcenschutz, Energiesparen, Müllvermeidung und Konsum.
Modell »Kindermuseum geht in die Schule« Das Kinder- und Jugendmuseum EnergieStadt hat in den Jahren 2010 und 2011 jeweils zehn handlungsorientierte Unterrichtseinheiten zum Thema Klimawandel für die Grundschule und für die Sekundarstufe I erarbeitet, die in der Schule und im Kindermuseum durchgeführt werden können. Bei der Erarbeitung der pädagogischen Programme und in den Testphasen haben Museum und Schule eng verzahnt an der Optimierung der Programme gearbeitet, sodass nun Ergebnisse vorliegen, die erfolgreiches nachhaltiges Lernen der Zielgruppe möglich machen. Auf internationaler Ebene konnten im Rahmen des EU-Projekts Inspire8 zusammen mit Projektpartnern in Hamburg, Lettland und Polen 15 Unterrichtsprogramme zum Thema erneuerbare Energien und Klimawandel entwickelt werden, die jeweils im Rahmen zahlreicher Lehrerfortbildungen in den verschiedenen Ländern verbreitet und diskutiert wurden.
Modell »Kontaktpädagogen – E xperten für außerschulische Lernorte« Durch eine spezifische Ansprache und ein Fortbildungsprogramm haben wir für Leverkusen und die Region (in einem Radius von 50 Kilometern) ein Netzwerk von Kontaktlehren aufgebaut. Diese Kollegen fungieren als Experten wie ein Bindeglied zwischen dem NaturGut und der Schule. Sie erhalten regelmäßig Informationen über unsere pädagogischen Angebote, unsere Veranstaltungen und aktuellen Projekte und haben die Möglichkeit, kostenfrei an einem pädagogischen Programm teilzunehmen, wenn neue Angebote vom Museum
8 | Siehe Anm. 4
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getestet werden. Sie sind gleichfalls Ansprechpartner, wenn wir im Rahmen von Projekten Klassen für die Beteiligung suchen.
Modell »Abgeordnete Lehrer« Von Anfang an konnten in der Bildungseinrichtung NaturGut Ophoven vom Ministerium abgeordnete Lehrer die pädagogische Arbeit des Zentrums sichern und gestalten. Sie konzipieren pädagogische Leitlinien und Konzepte, leiten neue Mitarbeitende an und überarbeiten regelmäßig die pädagogischen Programme mit dem Team des Kindermuseums. Auf diese Weise kann das Museum sensibel auch auf Veränderungen in der Schule reagieren, aber auch situationsorientiert gesellschaftspolitische Veränderungen in die Schule hineintragen und in den Unterricht integrieren. Darüber hinaus beraten die abgeordneten Lehrer ihre Kollegen und andere Schulen in Leverkusen und Umgebung. Sie tragen so die Bildungsziele und -anlässe des Kindermusems EnergieStadt zum Austausch und zur Überprüfung auch in Fachtagungen und Konferenzen.
W IE K ANN EIN K INDERMUSEUM ERKL ÄREN , WAS U MWELTPROBLEME BEDEUTEN ? Die Themen Energiesparen, Umweltschutz und Treibhauseffekt begegnen den Kindern über Medien und Schule schon sehr früh, ohne dass sie mit den Begriffen konkret etwas verbinden können. Die Auswirkungen von Ressourcenverschwendung oder Klimawandel können sie in ihrem eigenen Lebensumfeld nicht erkennen und nur schwer einschätzen. Damit Kinder begreifen und erleben, was es sich lohnt zu schützen, was z.B. Ressourcenknappheit bedeutet und welche konkreten Auswirkungen aktuelle Umweltprobleme haben können, erzählt das Kinder- und Jugendmuseum EnergieStadt eine Geschichte der Energienutzung. Um dieser Geschichte folgen zu können, erhält jedes Kind zum Eintritt in das Museum einen Stecker mit einem Energieguthaben von 2000 Powerpoints. Die Kinder erleben nun Strom und Elektrizität gefahrenfrei, wenn sie durch die große Steckdose klettern. Sie erfahren, dass die Ressourcen zur Erzeugung von Energie endlich sind, indem sie die elektrischen Geräte benutzen und ihr Energieguthaben nach und nach schwindet. Aber an Sportgeräten können sie mit viel Anstrengung ihr Energieguthaben wieder aufladen. Nun gelangen sie in die große Batterie, in der sie mittels eines Computerspiels erfahren, welche fossilen Energieträger es gibt, wie kostbar diese eigentlich sind, unter welchen Umständen sie entstanden und wie schnell sie heute verbraucht werden bzw. schwinden. Danach bietet das Solarlabor zahlreiche Anknüpfungspunkte zum Thema erneuerbare Energie: Hier können die Besucher mit Solarzellen experimentie-
Kinder- und Jugendmuseen — Orte für nachhaltige Bildungsarbeit?
»Steckdose« in der Dauerausstellung des Kinder- und Jugendmuseums EnergieStadt, NaturGut Ophoven, Foto: EnergieStadt, NaturGut Ophoven ren und lernen dabei, wie Sonnenenergie »eingefangen« wird, wie aber z.B. der Ertrag von Einfallswinkel und Intensität des Lichts sowie der Größe der Zellen abhängig ist. Als letzte Station in diesem Teil des Rundgangs betreten die Besucher die Zeitmaschine, die in filmischer Form zwei Optionen anbietet: einen Flug in die Zukunft, um eine Welt zu erleben, in der alle ökologischen Idealvorstellungen unserer Zeit umgesetzt wurden. Diese Fiktion vermittelt den Besuchern augenzwinkernd, dass es sich in einer solchen Welt noch in vielen Jahren zu leben lohnt. Die zweite Filmoption bleibt in der Gegenwart und beschreibt den Tag des Kindes Conny, das sich – anfänglich eigentlich nur als Ausrede ausgedacht – vornimmt, die Welt zu retten. Mit Fantasie, aber auch durch aufmerksames Beobachten und mit vielen guten Ideen macht sich Conny mal mehr, mal weniger erfolgreich auf den Weg. Sie erkennt, dass sie schon viel erreicht hat, aber allein die Welt nicht retten kann. Daher ruft Conny alle Freunde zusammen. Es entsteht nun eine ungeheure Dynamik, die darin mündet, dass Conny am Ende des Films die Museumsbesucher auffordert, gleichfalls beim »Weltretten« mitzumachen. Beide Filmgeschichten sind hervorragende Beispiele, wie man durch Partizipation und Empathie in die Lage versetzt wird, an der Umgestaltung unserer Welt mitzuwirken.
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»Solar-Raum« in der Dauerausstellung des Kinder- und Jugendmuseums EnergieStadt, NaturGut Ophoven, Foto: EnergieStadt, NaturGut Ophoven
W ERDEN DIE B ILDUNGSERWARTUNGEN ERFÜLLT , UND ERREICHT DAS K INDERMUSEUM SEINE Z IELGRUPPE NACHHALTIG ? Fundierte methodische Grundlagen und Vorüberlegungen sind kein Garant für erfolgreiches pädagogisches Arbeiten. Ein Museum muss sich immer wieder fragen, ob es seine Ziele auch erreicht hat oder erreichen konnte, und wie diese überhaupt messbar sind. Mit dieser Fragestellung befasste sich ein Forschungsprojekt, in dem das Team des Kindermuseums die Entwicklung von pädagogischen Programmen begleitete und evaluierte.9 »Klimaschutz im Dialog« stellt Grundschulen und außerschulischen Lernorten in NRW zehn Unterrichtseinheiten zum Thema Klimawandel und Klimaschutz zur Verfügung mit dem Ziel, dieses Thema in der Primarstufe zu verankern. Die zentralen Fragestellungen waren, inwieweit den Kindern der Begriff Klimawandel transparenter wird, inwieweit es gelingt, Lebensweltbezug herzustellen und konkrete Handlungen bei den Schülern anzuregen, wenn das Konzept der BNE umgesetzt wird. Die Ergebnisse der Evaluation können in drei Bereichen deutlich aufgezeigt werden.
9 | Forschungsprojekt Klimaschutz im Dialog, Unterrichtseinheiten 2010. Das Forschungsprojekt wurde vom KlimaKreis Köln gefördert. Programme und Glossar, erarbeitet und evaluiert von e-fect dialog evaluation consulting eG. PDF online: http://www. naturgut-ophoven.de/index.php?id=368#c569.
Kinder- und Jugendmuseen — Orte für nachhaltige Bildungsarbeit?
1. Die Programme werden von den Kindern sehr positiv erlebt: Zwischen 85 und 100 Prozent stimmen zu, viel Spaß mit dem Thema bzw. mit den Spielen und Aktionen zu haben. Über 70 Prozent finden die Programmleitenden verständlich, nehmen genug Möglichkeiten wahr, selbst etwas zu sagen und an einer Aktion mitzumachen, und können zusammen mit anderen oder selbst etwas ausprobieren. Einem Drittel macht die Beschäftigung mit dem Thema Klimawandel Sorgen. 2. Vier Fünftel der Kinder erfahren eine Begriffsklärung, sodass nach den Programmen 30 Prozent mehr Kinder zustimmen zu wissen, was mit Klimawandel gemeint ist. 3. Lebensweltbezug und Teilkompetenzen der BNE: Das hohe Interesse der Kinder am Thema bleibt über alle Zeitpunkte bestehen. Nach dem Programm sehen rund 50 Prozent der Kinder mehr als vorher einen Bezug des eigenen Verhaltens zum Klimawandel. Hingegen sieht ein Drittel der Kinder bei einer Fragestellung, die auf die »Klimaverträglichkeit unterschiedlicher Lebensstile« abzielt, keine Zusammenhänge zur eigenen Lebenswirklichkeit. Diese Ergebnisse zeigen, dass Kinder in der dritten und vierten Klasse zu anspruchsvolle Perspektiven nicht ohne weiteres umsetzen konnten. Die offenen Antworten zeigen aber auch, dass die Kinder aus den Programmen konkrete Handlungsmöglichkeiten mitnehmen, die zu ihrer Lebenswelt passen und von einem Drittel der Kinder umgesetzt werden, z.B. weniger Computer spielen und Fernsehen, Licht ausmachen oder Blumen pflanzen. Vereinzelt machen die Kinder sogar Aussagen über ihr späteres Handeln als Erwachsene.
Z USAMMENFASSUNG Das Kindermuseum EnergieStadt im NaturGut Ophoven ist sowohl ein Ort nachhaltiger Lebensweise als auch ein Ort, an dem nachhaltige Bildungsarbeit stattfindet. Alles, was das Museum seinen Besuchern vermittelt, können diese bereits vorbildhaft umgesetzt hier erleben. Die Gründe für den Erfolg der Bildungsprozesse und die große Akzeptanz der Einrichtung liegen in unseren Augen darin, dass das Kindermuseum in einem großen Netzwerk funktioniert. Es erarbeitet und präsentiert nichts isoliert im akademischen Musentempel, sondern es findet ein ständiger Austausch zwischen der Zielgruppe, den Multiplikatoren und dem Museumsteam statt, wobei eine solche vertraute Interaktion lebendiges, zeitgemäßes Ausstellen und Lernen bewirkt und sperrige Begriffe wie Energie, Ressourcenknappheit und Solartechnik Kindern und Erwachsenen mit Freude vermittelt werden können.
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Selbstverständlich stellt sich immer wieder die Frage, ob der Erfolg der angestrebten Bildungsprozesse tatsächlich einer Prüfung standhält, daher sind Forschung und Evaluation zu einem unabdingbaren Bestandteil der eigenen Arbeit geworden. Wenn Kinder- und Jugendmuseen einen solchen Weg der Professionalisierung einschlagen und gleichzeitig einladend und spannend sind, wird ihre Bildungsarbeit nachhaltige Wirkung zeigen. Je mehr junge Menschen wir jeden Tag auf diesem Weg erreichen, umso größer ist die Chance, dass Bildung für Nachhaltigkeit ihr Ziel erreicht, dass jeder Mensch begreift, dass »mein heutiges Handeln Einfluss hat auf das Leben meiner Kinder und auf das Leben von Menschen in anderen Weltregionen«10.
10 | Leitsatz der UN-Dekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (2005-2014), online: http://www.bne-portal.de.
Wenn die Besucher ins Zentrum treten Kindermuseen in der gegenwärtigen Museumslandschaft Sabine Radl
Der Hauptbahnhof einer Großstadt ist einer der lebendigsten Orte des Stadtraums. Er ist ein Durchgangsort, der zwar täglich von sehr vielen Menschen aufgesucht, jedoch selten gezielt besucht wird. Im reizvollen Gegensatz dazu bildet das Kinder- und Jugendmuseum München, das sich seit 1995 im nördlichen Seitenflügel des Münchner Hauptbahnhofs befindet, eine Ausnahme: Genauso lebendig wie die Umgebung lädt es zum Verweilen ein und ergänzt mit seinen Ausstellungen und Aktionen den Bahnhof um einen ungewöhnlichen Kulturort für Kinder. Dabei hat das Kinder- und Jugendmuseum selbst seit seiner Gründung 1991 eine weite Reise zurückgelegt: vom Start mit einem Ausstellungsbus, dem »Museomobil«, über die ersten eigenen Räume in der ehemaligen Bahnhofswirtschaft bis zu einem sich stetig erweiternden und weiter qualifizierenden Museum. Aus den anfangs kurzzeitigen Programmen und Projekten wurden große Themenausstellungen im jährlichen Wechsel. Diese bilden heute den jeweils thematischen, konzeptuellen und methodischen Schwerpunkt des Museums, flankiert von unterschiedlichsten Begleitprogrammen, Kooperationen und zahlreichen mobilen und dezentralen Projekten. Das Haus profitiert von seiner Lage im Zentrum der Stadt und der optimalen Verkehrsanbindung des Hauptbahnhofs. Unterstützt von einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit, die sich um Besucherbindung sowohl von Familien als auch von verschiedenen Bildungs- und Freizeiteinrichtungen bemüht, steht das Museum von Anfang an bis heute im Dialog mit den zahlreichen in München angesiedelten spiel- und kulturpädagogischen Projekten und Netzwerken und ist zunehmend auch in der Museumslandschaft der Stadt verankert.
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V OR O RT : S AMMELSURIUM UND DER »U MGANG MIT D INGEN « Zwar ohne eigene Sammlung hatte sich das Kindermuseum in den Anfangsjahren dennoch den klassischen Aufgaben eines Museums verschrieben. Die Sammlungsstrategien der Museen, der Umgang mit Objekten und die Erforschung ihrer Kontexte oder das Kuratieren und Gestalten von Ausstellungen sind Aufgaben, die den Möglichkeiten und Interessen der Zielgruppe des Kindermuseums entgegenkamen: Jedes Kind sammelt gerne1 , es hortet und hütet eigene Schätze, jedes Kind erforscht Zusammenhänge und ist im Umgang mit Objekten in vielfältiger Weise kreativ. Mit Sammelleidenschaft und Neugier entstand so in den ersten Jahren des Museums eine Vielzahl von wunderbaren Projekten durch Kinder und für sie, temporäre Sammlungen und experimentelle Ausstellungen. Ausgezeichnet durch Kreativität und Spontaneität im Zeigen mehrdimensionaler Zusammenhänge und offener oder wechselnder Bedeutungen, dienten sie als sinnstiftende Orte, die auch den Hintersinn oder Unsinn nicht aussparten.2 Der Schwerpunkt bei diesen Projekten lag dabei nie nur beim gesammelten oder sammelwürdigen Objekt, sondern bei den Sammelnden selbst und ihrem spielerischen, innovativen Zugang. Nicht die Dinge, sondern »der Umgang mit Dingen«3 definiert »Kindermuseen als Orte, in denen Gegenständlichkeit, die sinnlich-materielle Beschaffenheit der Welt und ihre Bearbeitung, Interpretation das zentrale Thema sind – in aller inhaltlichen Vielfalt«4 . Mit zahlreichen mobilen Programmen eroberte das Kinder- und Jugendmuseum München den öffentlichen Raum. Mit Sammelspielen, musealen Projekten und mit zeitgleich entwickelten Hands-on-Ausstellungen war das Kinderund Jugendmuseum auch zu Gast in verschiedenen Münchner Museen.5
1 | Vgl. Yvonne Salewski, Kindermuseum – Museum von, für und mit Kindern?!, Diplomarbeit TU Braunschweig 2005, S. 76f. 2 | Die Ausstellungstitel waren Programm, z.B.: Münchner Panoptikum, Sammelsurium, 2000 Dinge 2000. 3 | Vgl. Haimo Liebich/Wolfgang Zacharias (Hg.), Der Umgang mit Dingen. Reader zur Museumspädagogik heute. Auf dem Weg zum Kinder- und Jugendmuseum, München 1987. 4 | Wolfgang Zacharias, »Von Dingen, Sinnen und Dinosauriern«, in: Dagmar von Kathen/Wolfgang Zacharias (Hg.), Initiative Kinder- und Jugendmuseum, Unna 1993, S. 63-70, hier S. 68. 5 | Z.B.: Alles dreht sich im Deutschen Museum 1999; Tick, Trick und Troja in der Prähistorischen Staatssammlung 1992; Himmelwärts in der Flugwerft Schleißheim 1991.
Wenn die Besucher ins Zentrum treten
E IN FESTER O RT : E RWEITERTE M ITMACHKONZEP TE Das Kinder- und Jugendmuseum hat sich seit seinen Anfängen stetig zu einer stabilen und festen Größe im Bildungsangebot der Stadt weiterentwickelt. Dabei ist es bei steigenden Besucherzahlen ein Haus für alle Kinder und Familien und ein »Kulturort zum Anfassen«6 geblieben, dessen Gesamtkonzept von Anfang an bis heute gewisse Konstanten beinhaltet: Die praktische Ausformulierung des Museums als außerschulischer Lernort, der differenzierte Angebote für Kindergärten, alle Schularten sowie Kinderhorte bereithält, um allen Kindern einen Zugang zu ermöglichen. Den Schwerpunkt der Bildungs- und Vermittlungsarbeit bilden handlungsorientierte Angebote und die personale Vermittlung, die dem Ziel des freien, spielerischen, informellen Lernens dienen. Waren die Anfangsjahre in den Bahnhofsräumen eher von einer lockeren Themenfolge der Ausstellungen sowie experimentellen Konzepten und Vermittlungsformen geprägt, führte die jüngste Phase der Professionalisierung zu einem Museumsprofil, das nun Themenausstellungen im jährlichen Wechsel präsentiert, aktuell, abwechslungsreich und im Sinne der Leitkriterien der Kindermuseen7 aufbereitet. Dementsprechend wurden die Ausstellungsräume im Bahnhof stetig erweitert und den Erfordernissen eines Museums besser angepasst. Die Ausstellungskonzepte zeugen von einem wachsenden kuratorischen Anspruch, die Gestaltung ist durchgängig und von einer eigenen Handschrift geprägt.8 Erfahrungen mit einem großen Repertoire an Vermittlungsmethoden, Lernspielen und Kreativangeboten stehen ebenso zur Verfügung wie Inszenierungsformen und Raummodule, die neugierig machen, Spaß bereiten und interessante Inhalte bieten. In der Regel sind umfangreichere Eigenproduktionen als Wanderausstellungen konzipiert, die nach der Präsentation im eigenen Haus für andere Orte zur Verfügung stehen. Zusätzlich werden aus den Jahresausstellungen meist kleinere, mobile Themeneinheiten entwickelt, die mit entsprechender Vermittlungsmethodik wieder »vor Ort« – an Kindergärten, Schulen, Freizeiteinrichtungen oder bei Sonderveranstaltungen – eingesetzt werden. 6 | Wolfgang Zacharias, »Kindermuseum – Kulturort zum Anfassen«, in: Dagmar von Kathen/Wolfgang Zacharias (Hg.), a.a.O., S. 31-42, hier S. 31f. 7 | Diese Kriterien museumspädagogischer Arbeit für Kinder sowie ihre theoretischen Wurzeln sind hinlänglich beschrieben. Vgl. z.B. Marijke K. Brodel, Museumspädagogik in Kindermuseen und Jugendmuseen, Hamburg 2005, S. 20ff. und S. 82f. Siehe auch Nicola Hericks, Das Kindermuseum – Spielplatz oder Lernort?, Berlin 2006, S. 64f. 8 | Unser herzlicher Dank an dieser Stelle für viele kuratorische Überlegungen sowie zahlreiche kreative Ideen und Impulse gilt Christine Kummer (freie Künstlerin, Ausstellungsgestaltung).
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All dieses hat in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse nicht nur bei Pädagogen, sondern auch bei anderen Museen und Kulturveranstaltern geweckt. Im fachlichen Austausch lassen sich die zugrunde liegenden Intentionen heraushören: Zunächst besteht Interesse an der Zielgruppe Kinder und Familien und den Voraussetzungen, mit denen man diese verstärkt als Besuchergruppe gewinnen kann – meist getragen vom Wunsch, das eigene Museum lebendiger zu gestalten. Die Aufmerksamkeit gilt dabei den besonderen Eigenheiten und Bedürfnissen dieser Zielgruppe, sowie – damit eng verwoben – der besonderen Vermittlungsmethodik der Kindermuseen mit ihren speziellen Präsentationsformen. Erstaunen löst dabei oft noch die in allen Belangen uneingeschränkte Ausrichtung auf die Zielgruppe aus, die in einem Kindermuseum möglich und nötig ist. Die Ausstellungen der Kinder- und Jugendmuseen scheinen kompatibel zu werden und ihre Methoden teilweise oder temporär übertragbar, was zu Gedanken über ein neu definiertes Verhältnis zwischen Kindermuseen und den »richtigen« Museen Anlass gibt und dabei den Fokus erfreulicherweise auf die Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten lenkt.
D AS NEUE L EITBILD DER M USEEN Die zunehmende Etablierung der Kinder- und Jugendmuseen mag ein Grund für diese neue Anziehungskraft sein. Allerdings findet die Annäherung von beiden Seiten statt. Das Leitbild der Museen scheint sich umfassend zu verändern, was den Kindermuseen neuen Rücken- oder sogar Aufwind verspricht und eine Neupositionierung erlaubt: »Die Gesellschaft und damit die Museen stehen angesichts der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Veränderungen der letzten Jahre vor neuen Herausforderungen. Die gegenwärtige Bildungsdiskussion verstärkt den Druck auf die Museen und betont ihre wichtige Rolle in der Gesellschaft. Im Kanon der klassischen Museumsaufgaben – Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln – erhält die Bildungs- und Vermittlungsarbeit einen immer bedeutenderen Stellenwert. Besucherorientierung ist das erklärte Leitziel der Museumsarbeit geworden. […] Auf den beiden Tagungen des Deutschen Museumsbundes 2006 in Leipzig und 2007 in Frankfurt a.M. wurde der Bildungsauftrag als zukunftsweisende Aufgabe der Museen bezeichnet. Dabei geht es nicht um kurzfristige, punktuell das Publikum mobilisierende Events oder den alleinigen Blick auf steigende Besuchszahlen, sondern um qualitative, nachhaltige Erlebnisse, um abwechslungsreiche und individuelle Aneignungsprozesse.« 9 9 | Deutscher Museumsbund e.V. und Bundesverband Museumspädagogik e.V. (Hg.), Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit Berlin 2008, o. S.
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Um dieses Leitziel der Besucherorientierung verfolgen zu können, ist die Besucherforschung in das Zentrum gerückt und vielfach als eigener Bereich innerhalb des Forschungsfelds der Museologie angesiedelt. Besucherforschung hat neben der Erhebung soziografischer Daten die Zielsetzung, ein Profil der Besucher und ihrer jeweiligen Interessen und Vorkenntnisse zu erstellen, um ihre Erfahrungen und Fähigkeiten sowie ihre Erwartungen besser kennenzulernen.10 Besucherforschung dient als Konzeptionsgrundlage besucherorientierter Ausstellungen und Programme. Evaluationen der Besucherstruktur und Wirkungsanalysen aller musealen Angebote helfen, den Erfolg einer Ausstellung hinsichtlich ihres Bildungsauftrags zu reflektieren und deren Qualität zu sichern. Die Ausrichtung auf das Publikum hat zur Folge, dass diesem selbst eine aktivere Rolle zugewiesen wird – ein unhierarchischer Dialog zwischen Besuchenden und Museen kann beginnen. Besucherorientierung ist in diesem Sinne sehr viel weitreichender zu sehen als die museumspädagogischen Programme oder Vermittlungsangebote, die per se durch die häufige Form der personalen Vermittlung und die unerlässliche Kommunikation besuchernah sind. Sie bedeutet vielmehr eine grundlegende Veränderung in der Einstellung der Museen: »From being about something to being for somebody«11, vom Objekt zum Subjekt und zu einer subjektorientierten Museumsarbeit. »Folgerichtig steht in den aktuellen museumstheoretischen Ansätzen auch weniger das authentische Objekt im Mittelpunkt als das authentische Erlebnis des Besuchers.«12 Diese Erlebnisse, die differenziert beschrieben wurden in den Kategorien »objektbezogene, kognitive, introspektive und soziale Erlebnisse«, werden durch eine »Lernumgebung«13 Museum ermöglicht, die den Voraussetzungen und Bedingungen des für den Lernerfolg notwendigen Zusammenspiels von individuellen, sozialen und physischen Prozessen Rechnung trägt. Insgesamt bildet diese Ausrichtung die Grundlage, um den Anspruch und Auftrag der Museen als Lern- und Bildungsort, der einen Zugang für alle sowie die Bedingungen und Voraussetzungen für ein lebenslanges Lernen14 bereithält, besser erfüllen zu können. 10 | Dieser »persönliche Kontext« bestimmt neben dem soziokulturellen und dem physischen Kontext Lernprozesse und Lernsituationen im Museum. Siehe: Doris Lewalter, »Bedingungen und Effekte von Museumsbesuchen«, in: Hannelore Kunz-Ott/Susanne Kudorfer/Traudel Weber (Hg.), Kulturelle Bildung im Museum, Bielefeld 2009, S. 45-56. 11 | Stephen E. Weil (1999) zitiert in: Gisela Weiß, »Was Museumspädagogen können müssen«, in: Standbein, Spielbein 91/2011, S. 11-15, hier S. 15. 12 | Ebd., S. 13. 13 | Doris Lewalter, a.a.O., S. 47. 14 | Vgl. Kirsten Gibbs/Margherita Sani et al. (Hg.), Museen und Lebenslanges Lernen. Ein europäisches Handbuch, deutsche Version hg. von Deutscher Museumsbund e.V, Berlin 2010.
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D IE E INHEIT VON G ESTALTUNG UND V ERMIT TLUNG IM K INDER - UND J UGENDMUSEUM Besucherorientiertes Arbeiten ist mit der Zielgruppe Kinder und Jugendliche unerlässlich, da diese auf sie abgestimmte Präsentationsformen und Vermittlungsstrategien erforderlich machen. Da sich Kinder- und Jugendmuseen über ihre Zielgruppe definieren, diese jedoch keineswegs homogen ist und sich zudem die Bezugswelten der Kinder und Jugendlichen ständig und schnell verändern, ist eine kontinuierliche Besucherforschung unerlässlich. In letzter Konsequenz führt diese zur aktiven Beteiligung: Die Besucher eines Museums gestalten ihr Museum selbst mit. Es ist kein Zufall, dass Kindermuseen vielfach Partizipationsprojekte anbieten und in ihrem Konzept verankert haben. Mit diesem Blick auf die Besuchergruppe sind Ausstellungskonzepte im Kinder- und Jugendmuseum immer auch Vermittlungskonzepte, die sowohl das Spektrum der Besucher zu berücksichtigen haben als auch die angestrebte Vielfalt und Vielschichtigkeit der möglichen Erlebnisse und Erfahrungen, die bei einem Museumsbesuch gemacht werden können. Der kuratorische Anspruch muss sich dabei an der Rezeption durch die Kinder messen lassen. Schließlich erfahren interaktive Objekte, Mitmachstationen, Werkstätten und Inszenierungen ihre Vollendung und ihre Sinnhaftigkeit erst in der Aneignung durch ihr Publikum. Als Sinnbild dient hier die beliebte Ausstellung SeifenblasenTräume, deren Lebendigkeit sich der unermüdlichen Aktivität der Besucher verdankt. Die Objekte der Ausstellung sind – wenn man so will – ohne sie gar nicht vorhanden, sie entstehen erst durch Aktion und Interaktion. Die Ausstellung stellt nur geeignete Geräte und Mittel sowie personale Hilfestellungen zur Verfügung, damit diese flüchtigen Objekte in vielfältiger Weise entstehen, ausprobiert und untersucht werden können. In der Wahl seiner Themen ist das Kinder- und Jugendmuseum »nur« auf seine Zielgruppe festgelegt. Auch Themen, die auf den ersten Blick ungewöhnlich sind15 , können – entsprechend aufbereitet – zu erfolgreichen Ausstellungen werden. Dabei ist die Nähe zur Lebenswelt der Kinder entscheidend, dann die gesellschaftliche Relevanz und die Vielschichtigkeit des Themas, die unterschiedliche Annäherungen und Zugangsweisen nahelegt. Die inhaltliche Ausarbeitung kann historische, gesellschaftliche, wissenschaftliche oder künstlerische Sichtweisen aufnehmen und dabei interessante Schnittpunkte und Querverweise betonen. Nicht zu allgemeine, sondern klar umrissene und gut abgegrenzte Themen lassen das Verfolgen unterschiedlicher inhaltlicher Linien zu, die sich wiederum durch das Aufzeigen von Zusammenhängen und genügend Raum für die mitgebrachte Erfahrungswelt der Besucher vernetzen lassen. 15 | Wie z.B. Erzähl mir was vom Tod (Kindermuseum im FEZ-Berlin), Dunkelerlebnis (K JM München und andere), Mathematik zum Anfassen (Mathematikum Gießen).
Wenn die Besucher ins Zentrum treten
Seifenblasenträume, Kinder- und Jugendmuseum München (2010), Foto: Kinder- und Jugendmuseum München Ein Ausstellungsprojekt zum Thema Papier16 beispielsweise hat einen unmittelbaren und umfassenden Alltagsbezug. Der Werkstoff Papier ist vielseitig und lädt zu einem kreativen Umgang ein. Das Material hat eine lange Geschichte, die mit vielen Kulturleistungen zusammenhängt. Nicht weniger interessant ist seine Zukunft, mit Blick auf die Entwicklung digitaler Medien und in einer Zeit knapp werdender Ressourcen.
16 | Papier la Papp – geschöpft, gedruckt, gelesen, Kinder- und Jugendmuseum München 2002/03 und 2005/06 (mit Ergänzungen des Grazer Kindermuseums FRida & freD).
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Jeder Vermittlungsansatz mündet in eine entsprechende Präsentationsform. Der für Kindermuseen naheliegende, weil tätige Zugang zum Thema mag der handwerklich-praktische sein: Es entstehen Werkstätten, in denen Papier geschöpft wird oder verschiedene Drucktechniken geübt werden können. Bei einer kreativ-künstlerischen Ausrichtung dieser Angebote bedarf es eines größeren Spektrums an Materialien und Möglichkeiten, die einen gestalterischen, individuellen Zugang fördern. Die entstandenen Werke auszustellen und Papierprodukte zu sammeln spricht die musealen Tätigkeitsfelder an. Die Geschichte des Papiers als Träger von Schrift und Bild, der Herstellungsweg der verschiedenen Papierarten, die wirtschaftliche und ökologische Bedeutung sind weitere Themen, die sich mit interaktiven Objekten und inszenierten Erfahrungsstationen anschaulich machen lassen. Folgt die Ausstellungsgestaltung konsequent dieser Struktur, entstehen Raumeinheiten, die einerseits so geschlossen sind, dass sie die einzelnen Themenbereiche voneinander abgrenzen können und Konzentration ermöglichen. Andererseits sind sie so durchlässig gestaltet, dass sie jederzeit Orientierung und Kommunikation sowie Querverbindungen und ungewöhnliche Blickwinkel erlauben. Schließlich bieten solche Gesamtinszenierungen ungewöhnliche Erfahrungen, Raumerlebnisse und ein Eintauchen in Ausstellungslandschaften, die nur im Museum realisiert werden können. Jede Ausstellung im Kindermuseum lädt dazu ein, die Themen inhaltlich und räumlich zu erfahren und zu erforschen, zu beobachten sowie zu spielen, auszuprobieren und zu verstehen – ohne Zeitdruck, ohne Zwang und ohne Kontrolle. Den eigenen Interessen folgend, in einer ansprechenden Umgebung und jederzeit – aber nur wenn gewünscht – unterstützt von Museumsmitarbeitern, die Fragen stellen, Spiele anleiten und mitspielen, immer neue Impulse geben und gemeinsam mit den Kindern Ideen entwickeln können. Fragt man junge Erwachsene, die als Kind im Museum waren, an was sie sich noch erinnern, ist es fast immer die Rauminszenierung, die sich eingeprägt hat. Das vielleicht eindrücklichste Raumerlebnis evozierte die Ausstellung Dunkelerlebnis, deren Leitthema die Raumvorstellung und Raumorientierung in völliger Dunkelheit war. Angeleitet durch blinde und sehbehinderte Mitarbeitende waren Wohnräume, eine Straßenkreuzung und ein Naturraum zu ertasten und zu erfühlen. Bei der Verköstigung im Café Lichtlos konnte eine Alltagssituation gemeistert werden. Die Vorstellung von dieser Umgebung musste man sich erst erarbeiten, was ohne visuelle Hilfe eine große Herausforderung ist und viel Konzentration erfordert, aber gerade deshalb auch bleibende Eindrücke hinterlassen hat. Neben der Gesamtinszenierung des Ausstellungsthemas sind die einzelnen Stationen und Angebote einer Mitmachausstellung ausschlaggebend für deren Erfolg. Von den Rezipienten ausgehend bestimmen die jeweiligen Vermittlungsziele die kuratorische Suche nach geeigneten interaktiven, motivierenden und interessanten Objekten.
Wenn die Besucher ins Zentrum treten
Unterschiedliche Vermittlungsziele erfordern entsprechende mediale Formen. Nicht alle Inhalte lassen sich durch Hands-on-Stationen darstellen, manche Aussagen nur in Text oder Bild verdeutlichen, und andere komplexe Inhalte legen den Einsatz von digitalen Medien nahe. Werkstätten und Atelierbereiche benötigen meist eine dauerhafte Betreuung durch Mitarbeitende ebenso wie vertiefende, temporäre Angebote an einzelnen Objekten oder stationsübergreifende Forscheraufgaben und -spiele. Insgesamt ergibt sich dabei fast zwangsläufig eine Vielfalt an Angeboten und Medien, die verschiedene Aneignungsformen herausfordern und zu vielschichtiger Interaktion einladen: dinglich und sinnlich, konkret oder fiktiv, direkt oder medial vermittelt, technisch-experimentell oder künstlerisch. Die Stationen sind teilweise selbsttätig erfahrbar, andere können oder müssen personell unterstützt werden. Einige Objekte sind allein zu bedienen, andere nur zu zweit oder in der Gruppe, manche erfordern Bewegung, andere Konzentration. Im Idealfall bieten die Ausstellungen und sogar die einzelnen Stationen und Objekte verschiedene Wege, um sich einem Thema individuell anzunähern, und lassen zusätzlich Raum für eine gemeinsame und generationenübergreifende Aneignung. Dabei können nicht alle Angebote für Besucher jeden Alters gleich attraktiv sein. Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren mit unterschiedlichsten Erfahrungen, begleitenden Erwachsenen und kleineren Geschwistern gemeinsam einen erlebnisreichen und sinnvollen Ausstellungsbesuch zu ermöglichen, ist – den unterschiedlichen Interessenlagen geschuldet – keine leicht umzusetzende Aufgabe. Kindermuseen konzipieren und fertigen Ausstellungsobjekte vielfach selbst, da sie – bedingt durch ihre spezielle Besuchergruppe – zusätzliche Ansprüche an absolute Sicherheit und Belastbarkeit stellen. Damit ist ein gewisses Risiko verbunden, da bei aller Konzentration und Erfahrung in der Planung manchmal im kreativen Gebrauch durch Kinder überraschend andere Nutzungen entstehen. Das Abenteuer einer neu konzipierten Mitmachausstellung für Kinder beginnt am Tag der Eröffnung, die Ausstellungsstationen erfordern ab diesem Zeitpunkt eine dauerhafte Beobachtung und Reflexion und nicht selten Veränderungen und Optimierungen. Das ideale Ausstellungsobjekt ist eine Einheit von Inhalt, Präsentationsform und Aktion. Es kann unmittelbar bedient und intuitiv verstanden werden, macht Spaß und fördert die Kommunikation. Wenn es zudem für eine möglichst große Altersspanne attraktiv ist und auch andere Nutzungen zulässt, ist die Engführung von Objekt, Vermittlung und Rezeption gelungen. Die Ausstellung Fair Play17 hatte zum Ziel, die Grundlagen eines Spiels zu hinterfragen und an einzelnen Stationen die verschiedenen Voraussetzungen, 17 | Fair Play – mehr als Fußball, Kinder- und Jugendmuseum München (2006).
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die jedes Spiel benötigt, zu zeigen. Das Lieblingsobjekt der Kuratoren, der Mitarbeitenden und der Besucherkinder gleichermaßen wurde eine große, auf Federn gelagerte und deshalb schwankende Scheibe, auf der bis zu zehn Kinder Platz fanden. In der Mitte der Scheibe befand sich ein Labyrinth, durch das man einen Ball ins Tor befördern konnte. Dies war jedoch nur im Team, mit gegenseitigen Absprachen und entsprechenden Bewegungen zu schaffen. Genau damit waren die wichtigsten Vermittlungsziele schon erreicht, diese Bedingungen eines Spiels zu verstehen. Als Kernbereich und beliebtes Herzstück vieler Ausstellungen des Münchner Kindermuseums haben sich Workshopbereiche erwiesen, die in einem zeitlich abgegrenzten Rahmen für einen festen Teilnehmerkreis angeboten werden. Diese Workshops vertiefen die Auseinandersetzung mit dem Thema, sie werden als Teil der Ausstellung verstanden und sind für jeden Besucher zugänglich. Angeleitet von pädagogischen Mitarbeitern und gemeinsam mit anderen Kindern bestand in den letzten Jahren u.a. die Möglichkeit, in einem Labor chemische Versuche durchzuführen, in einer Werkstatt Papiere selbst herzustellen, Orchesterinstrumente auszuprobieren oder in einer großen Ausstellungsküche zu kochen.18 Jede Ausstellung bietet andere Angebote. Das Ausstellungsthema und der Museumsraum bilden den Rahmen für unterschiedliche und vielschichtige Vermittlungsebenen und die entsprechenden Präsentationsformen, die eine differenzierte Rezeption durch die Besucher ermöglichen. Aus der Sicht eines Kindermuseums ist bei diesen Anforderungen die enge Zusammenarbeit zwischen Vermittelnden, Museumspädagogen, Kuratoren und Gestaltern einer Ausstellung selbstverständlich und bei der Zielgruppe Kinder gar nicht anders möglich. Kindermuseen genießen sicher eine unvergleichliche Freiheit bei Themenwahl und Ausgestaltung in Bezug auf nur eine Zielgruppe, die Kinder. Dennoch kann für andere Museen der Dialog mit Kindermuseen hinsichtlich ihrer spezifischen Ansätze bei Vermittlung, Gestaltung und Besucherorientierung aufschlussreich sein, auch wenn die Methoden und Konzepte nur in Teilen übertragbar sind. Vor dem Hintergrund eines sich verändernden Museumsleitbildes eröffnet sich nun jedoch die Möglichkeit, dass Kinder- und Jugendmuseen und »richtige« Museen gemeinsame Berührungspunkte ausloten, verstärkt voneinander lernen und enger zusammenarbeiten.
18 | HaZweiOh! Erforsche die Welt der Chemie (2003); Papier la Papp (2005/06), Vom Krach zu Bach –Töne erforschen, Klang entdecken, Musik erleben (2007/08), Iss was?! Die Ausstellung zum Entdecken und Schmecken (2008/09).
Neues Universum Berlin: Kinder willkommen! Maren Ziese
Das Neue Universum ist ein Kindermuseum ohne festes Haus, das sich auf temporäre Ausstellungen spezialisiert hat. In den Projekten des Vereins geht es darum, spielend und assoziativ zu lernen: Lust, Vergnügen und Erkenntnis sollen konvergieren. Die Idee, Ausstellungen speziell für Kinder zu realisieren, entwickelte sich 1987 in Anlehnung an das Werkbundkonzept in Berlin. Die Initiatorinnen, die Kunsthistorikerin Yvonne Leonard und die Architektin Helga Schmidt-Thomsen, stellten damals fest, dass sich Kindheit und Jugend in erster Linie an ausgesuchten, meist pädagogisch oder kommerziell geprägten Orten vollzog. Diese spezialisierten Lokalitäten waren zudem von den Normalitäten des städtischen Lebens eher abgedrängt und boten in ihrer Durchgeplantheit dem Raum- und Zeitbedürfnis der Kinder keine Entfaltungsmöglichkeiten. Auch waren negative Erfahrungen bei Museumsbesuchen mit den eigenen Kindern prägend. Es herrschte der Eindruck vor, Kinder seien in Museen nicht willkommen.1 Schon damals zeigte sich, dass es nicht nur eine Frage der finanziellen Mittel, sondern eine der politischen Haltung ist, Kindern Möglichkeiten der kulturellen Entfaltung und Teilhabe zur Verfügung zu stellen.2 Das hat sich heute vielfach geändert. Ziel des Neuen Universums war und ist es, eine eigene kulturelle Öffentlichkeit für Kinder herzustellen und dort Formen und Strukturen zu kreieren, 1 | Vgl. Anita Wünschmann, »Noch lauter als gedacht. Kinder rennen durch ›Schall und Rauch‹«, in: Neues Deutschland, 13. März 1997, o.S. 2 | Vgl. Yvonne Leonard/Helga Schmidt-Thomsen: »Das Neue Universum. Ein Museum für Kinder und Jugendliche in Berlin«, in: dies. (Hg.), Kinder ins Spiel bringen. Braucht Berlin ein Museum für Kinder und Jugendliche?, Berlin 1990, S. 41. Die Publikation erschien im Zusammenhang mit der Tagung Kinder ins Spiel bringen, die am 23. November 1990 im Kreuzberger Stadttor stattfand. Siehe auch zur Einordnung des Neuen Universums: »Hands on ist nicht genug – Zur Zukunft der Gegenwart der Kindermuseen«, Beitrag zur Tagung Action, Interaction and Reflection, Children’s Museums in the 21st Century, Berlin 2007, http://www.neuesuniversum.de/publikationen.html.
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welche nicht – wie in vielen Museen üblich – die Bilder der Erwachsenen lediglich in Miniaturausgabe in die Realität der Kleinen übertragen. In den Ausstellungen des Neuen Universums werden die Räume den Kindern und ihrer eigenen Motorik angepasst, statt zu erwarten, dass sich Kinder etwa den architektonischen Vorgaben und Maßstäben der Erwachsenen unterordnen. Denn typisch für die Ausstellungen der Organisation ist auch, dass Ausstellungsbetreuer zur Verfügung stehen, die die Fragen jener beantworten, welche mehr erfahren möchten. Ergänzende Workshops ermöglichen ebenfalls eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Materie, und fast alle der Projekte wurden von einem speziell für Kinder konzipierten Katalog begleitet.3 Neben dem spielerischen und assoziativen Ansatz des Weltzugangs, den das Neue Universum vertritt, zeichnen sich die weltweit vertriebenen Ausstellungsprojekte des Vereins insbesondere durch einen interdisziplinären Ansatz aus, der auch mit originalen Exponaten arbeitet. Wie bereits im Namen »Universum« verdeutlicht, umfasst das Themenspektrum ganz universell die Felder Kunst und Kultur, Wissenschaft, Natur und Technik. Hierzu arbeiten die Kuratoren mit einer Bandbreite von anderen Akteuren zusammen: Je nach Thema werden die Ausstellungen für ungewöhnliches Lernen in Kooperation mit Künstlern, Architekten, Wissenschaftlern und Informatikern, Designern und Grafikern entwickelt. Die Projekte des Vereins werden von Anfang bis Ende konzipiert und durchgeführt. Für die Kinderausstellungen sollen dabei die Themen so aufbereitet werden, dass die Komplexität eines Wissenskorpus die Leitidee bildet, von der aus immer neue methodische Dispositionen und Raumkonstruktionen entwickelt werden. Merkmal des Neuen Universums sind daher die ungewöhnlichen Fragestellungen, welche die Leitideen der Ausstellungen formieren. Beispielsweise führte das anlässlich der Fußball-WM 2006 realisierte Ausstellungsprojekt Ist der Ball rund? den Werbeslogan der WM »Das Runde muss ins Eckige« weiter und fragte, ob der Ball wirklich rund sei. Wie noch ausgeführt wird, zeigte die Ausstellung die Wirkkräfte der Physik und Mathematik hinter dem Ball und seinen Spielern, präsentierte die Sicht auf das Spiel aus einer ganz anderen Perspektive und implementierte diese in einen naturwissenschaftlichen Kontext.
3 | Der fliegende Koffer – eine Reise nach Ghana, Katalog zur Ausstellung, im Karton mit Utensilien aus Ghana, Berlin 1994. Schall und Rauch, Katalog zur Ausstellung, mit Bastelbögen, Ohrläppchen und Transparentpapier, Berlin 1996. ZeitReise, Katalog zur Ausstellung mit Samen der indischen Telegraphenpflanze, Berlin 2000. Alle Kataloge hg. von Neues Universum e.V.
Neues Universum Berlin: Kinder willkommen!
»Archimedische Körper« in der Ausstellung Ist der Ball rund?, Neues Universum Berlin, Technische Sammlungen Dresden (2006), Foto: Juliane Großheim Vom thematischen Gegenstand ausgehend stellt das Kuratorenteam eine Topografie des Wissens zusammen, die in Objekte, Installationen und Gestaltung übersetzt wird. Wesentlicher Topos ist hierbei die Konzentration auf eine Ausgangsfrage, die den Gegenstand in immer kleinere Teile zerlegt, um Zusammenhänge, Hintergründe, Verdichtungen sichtbar, hörbar und fühlbar zu machen, welche nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Die Ausstellungen sind eine Spurensuche, die Auskunft über den Gegenstand gibt und zu immer weiteren Fragen führt. Der Verein versteht seine Ausstellungen als eine Szenografie der Fragen, die Schritt für Schritt in Experimenten und Installationen Antworten präsentieren, zeigen und abbilden. Daher gibt es bei den Ausstellungsprojekten auch keinen festgelegten Parcours, die jungen Besucher können frei wählen, was ihnen gefällt, was sie fasziniert und welchem Exponat oder Themenaspekt sie während der Besuchszeit von zwei Stunden ihre Aufmerksamkeit schenken möchten. Objekte, Raum und Publikum können so – nach Auffassung der Kuratoren – in der Offenheit des musealen Ausstellungsraumes immer wieder neue Konstellationen eingehen. Es verlangt allerdings von den Kindern auch, dass sie in der Lage sind, mit dieser Offenheit umzugehen. In den ersten Ausstellungen stellte dieses Konzept die Besucher – sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen – vor große Herausforderungen. Sie konnten mit der verlangten »Selbstbestimmtheit« nicht umgehen. Der sogenannte Butterflyeffekt – hingehen, anfassen, weiterlaufen, rennen – zieht sich bis heute durch die Hands-on-Ausstellungen allgemein, und auch die Kuratoren des Neuen Universums suchen nach immer neuen Lösungsmöglichkeiten,
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um den Besuchern jenes Wissen zu vermitteln, das mit Hilfe der Objekte freigelegt werden soll. Auch die rollen- und geschlechtsspezifischen Zugriffe und Differenzen werden in die Ausstellungskonzeptionen und in die gesamte Dramaturgie der jeweiligen Ausstellungen eingearbeitet und soweit wie möglich umgesetzt. Damit entsteht ein subtiles Netzwerk an Aktionen und Interaktionen, das sowohl dem Inhalt als auch verschiedensten Rezeptionsmustern gerecht werden will. Die Ausstellungen offerieren darüber hinaus viele Variationen medialer Zugriffe und Vermittlungsstrategien durch unterschiedlich definierte Objekte, Installationen und Experimente. Wenn einige Installationen kinderleicht wirken, stecken in ihnen jedoch hoch komplexe Systeme, die ihnen nicht anzusehen sind. Ein markantes Merkmal des Vereins ist ferner seine flexible, temporäre Ausrichtung. So werden die Ausstellungsprojekte für unterschiedlich definierte Orte entwickelt, was ein Eingehen auf die jeweiligen Bildungsbedürfnisse des Standorts nötig macht. Gerade in diesem Zusammenhang ist die Gestaltung der Schauräume wichtig, was die den vorliegenden Aufsatz illustrierenden Fotos der Inszenierungen zeigen. Im Folgenden sollen ausgewählte Ausstellungsprojekte vorgestellt werden, um die Prinzipien und Arbeitsweisen noch konkreter zu verdeutlichen. Das Konzept des Neuen Universums nimmt das Begreifen wörtlich, verbindet also Erkenntnis mit sinnlicher Wahrnehmung und will kulturelle Techniken ganz unterschiedlicher Art fördern. Der fliegende Koffer. Eine Reise nach Ghana war eine ethnologische Lehrschau, die 1994 im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, mit fast 50.000 Besuchern Einblick in die Alltagskultur der westafrikanischen Ashanti bot. Sie war für Kinder ab fünf Jahren konzipiert und bot einen hautnahen Eindruck des Alltagslebens der Ashanti zwischen Coca Cola und Kochstellen. Die Kuratoren waren selbst sechs Wochen vor Ort, um zu recherchieren und alle Objekte, die ausgestellt wurden, zu sammeln. Die Ausstellung begann mit einer Zoll- und Passstelle, wo Einreiseformulare und Stempel ausgegeben wurden, und setzte sich in der Begegnung mit Gerüchen, Geräuschen und originalen Objekten wie Königsstühlen und Schirmen des Ashantivolkes und einem originalen »Mammy-Lorry«, den die Kinder mit Kakaosäcken voll packen konnten, fort. Zu entdecken gab es außerdem eine tiefdunkle Raum- und Klanginstallation, mit der ein tropischer Regenwald simuliert wurde, mit Gruben, Kletterseilen und Anhöhen. Das Zentrum der Ausstellung war ein riesiger Markplatz mit Mode, Schuluniformen, Holzkoffern und anderem. Die Ausstellung bot zudem Trommelworkshops und Kurse zum Blechspielzeug- und Lehmhüttenbau, zur Herstellung von Perlenschmuck und Fertigung afrikanischer Muster mit Adinkrastempeln und zu Haarfrisuren an. Der begleitende Ausstellungskatalog mit zahlreichen Beigaben, wie einer Zahnbürste bzw. einem Kauholz, einer Muschel vom Strand von Accra, einem Adinkrastempel und einer Kakaobohne, führte komplexere
Neues Universum Berlin: Kinder willkommen!
Themenstränge zusammen mit der Intention, ein anderes Afrikabild vorzustellen: gegen Klischees und alltäglichen Rassismus. Absicht des Projektes war es, den Kindern einen aktiven Zugang zu einer für sie unbekannten Lebenswelt zu ermöglichen und dadurch den Blick auf diese Kultur, der von Bildern aus dem Fernsehen und Vorurteilen geprägt war, zu verändern. Die Ausstellung Schall und Rauch lud junge Besucher im Alter von fünf bis 14 Jahren auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Naturwissenschaften und Klangkunst ein. In vier Abteilungen wurde mit über 40 Installationen, die gemeinsam mit Naturwissenschaftlern und Künstlern entwickelt worden waren, der Frage nachgegangen, warum und wie wir eigentlich hören, wie aus Geräuschen Töne werden, wie Rhythmen entstehen und was passiert, wenn wir nicht mehr gut hören können. Die Ausstellung versuchte sich diesen Fragen aus der Perspektive der Physik und Biologie, Anatomie und Musik zu nähern und diese in Installationen und Objekte zu übersetzen, die die Kinder selbst erforschen konnten. Die Sektionen auf mehr als 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigten beispielsweise ein begehbares menschliches Ohr und die Hörwerkzeuge von Grillen, deren Ohren in den Beinen sitzen, Torsionswellen und Rauch, eine Instrumentenkunde, Klang- und Geräuschinstallationen, eine begehbare Flöte und anderes mehr. Zudem wurde eine große »Hörwerkstatt« zum Forschen und Experimentieren eingerichtet, in deren Zentrum die elementaren Erfahrungen der Kinder standen: Warum höre ich, wie höre ich, und was höre ich? Die jeweiligen Abteilungen, Szenarien und Installationen waren begehund bespielbar, sodass die Kinder nach Lust und Laune, Neugier und Interesse selbst forschen, mitmachen, zusehen und zuhören konnten. Schall und Rauch war auf besondere Weise eine sehr geräuschvolle Präsentation im Gegensatz zu den sonst eher geräuscharmen Museen. Auch das komplexe und eher immaterielle Thema Energie der Zukunft wurde in Here comes the sun nach innovativen statt tradierten Mustern untersucht, das heißt auf den Energielieferanten überhaupt, die Sonne, konzentriert. Mit dieser thematischen Fokussierung verband sich die Idee, den jungen Besuchern zu zeigen, dass die Sonne im Zentrum unseres Planetensystems steht, ohne die die Erde ein kalter, toter Planet wäre, auf dem kein Leben, keine Natur und auch keine Farben existierten. Die Sonne wurde als »Energiekraftwerk« aller Energieträger gezeigt, denn auch in fossilen Energieträgern wird letztendlich die Sonne genutzt, die für ihre Entstehung die Voraussetzung ist. Die Ausstellung visualisierte das oben genannte Thema in unterschiedlichen Modellen wie in einer Multi-User-Installationen zur Kernfusion, mit Experimenten zum Licht oder zu Farben und interaktiven Installationen zur Wärmegenerierung; außerdem ergänzten Hörstationen die Ausstellung, in denen Geschichten über die Sonne und das Licht erzählt wurden, z.B. über den lichtscheuen Nacktmull und darüber, dass der Eisbär gar nicht weiß ist. Filme über das Innerste der Sonne und die Lichtabsorption verschiedenster Bodenoberflächen, Animationen
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des japanischen Künstlers Akinori Oishi über die Sunpicker und ein Workshop zur Energiestadt der Zukunft wurden außerdem angeboten. Vier thematische Abteilungen zeigten über 30 Installationen.
Christa Sommerer & Laurent Mignonneau: »Phototropy« (1997) in der Ausstellung Here comes the Sun, Neues Universum Berlin, Berlin (2010), Foto: Patrick Meinhold Erneut waren wie bei den anderen Projekten alle Stationen betreut. Als besonderes Merkmal kam hier noch die Zweisprachigkeit hinzu: deutsch und türkisch. Bildungsferne Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund und ihre Familien sollten somit verstärkt in die gegenwärtige Bildungslandschaft integriert werden. Die Ausstellung zielte auf die Vermittlung von naturwissen-
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schaftlichem Wissen über die Sonne und Nutzungs- und Anwendungsmöglichkeiten der Sonnenenergie heute, morgen und in der Zukunft. Sie strebte eine Sensibilisierung des Bewusstseins auch für die globalen Zusammenhänge des Energieverbrauchs und der Energienutzung als nachhaltiges Wissen an. Bezüglich der Methoden des Neuen Universums ist zusammenfassend zu betonen, dass sich der Verein um die Entwicklung modularer Wissensräume bemüht, in denen eigenständige Erkenntniswege eingeschlagen werden können, die für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Vorwissen, individuell lesbar und nutzbar sind. Ziel ist es, den Kindern jenes Wissen zu vermitteln, das nicht unbedingt zum schulischen Alltag gehört. Durch aktives Forschen und Experimentieren, Fragen und Ausprobieren soll das Wissen freigelegt werden. Es geht dem Neuen Universum um ungewöhnliche Fragen und Präsentationsformen, die nicht zielorientiert eingelernt werden sollen. Wissen und Inhalte sollen die Kinder durch die Präsentation emotional berühren und einen Eindruck davon vermitteln, dass ihre Alltagswelt viel mehr Informationen enthält, als auf den ersten Blick sichtbar sind. Dennoch steht als stets ungelöste Frage im Raum, wie Objekte in Interaktionen übersetzt werden können und wie die für die Ausstellungen entwickelten Objekte das Wissen mitteilen, das mit ihnen intendiert ist. Der Ansatz des Neuen Universums lässt sich mit der einfachen Formel konkretisieren, dass es gilt, den Blick der Kinder auf die Welt, in der sie leben, zu verändern. So werden Lernprozesse im besten Fall stimuliert: wenn Kinder z.B. aus der Ballausstellung nach Hause gehen und wissen, dass das Runde gar nicht rund, sondern eigentlich eckig ist. Ausstellungen für Kinder sind Orte, welche die Sinne herausfordern und schulen. Nicht nur das Sehen ist gefragt, auch das Hören, Fühlen, Riechen, Greifen, Tasten. Hier soll jene Sinnlichkeit entdeckt und entwickelt werden, die überhaupt erst die Begegnung mit Kultur ermöglicht.
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Sammlungen im Kindermuseum Weshalb, was und wie Annette Beyer und Yvonne Richter
S AMMLUNGEN IN K INDERMUSEEN DIENEN DER V ERMIT TLUNG Die Exponate in Kindermuseen sind in erster Linie Werkzeuge zum Zwecke der Wissensvermittlung. Die Begegnung mit originalen Objekten ist nur ein Teil des Konzeptes interaktiver Ausstellungen. In inszenierten Räumen stehen die Originale in einem strukturierten Zusammenhang mit interaktiven Modellen, Experimenten und Spielen. Das erfordert bei der Anlage einer Sammlung spezifische Eigenschaften: Die Objekte werden klassifiziert in benutzbare oder in Ausnahmefällen in nicht benutzbare. Das gilt für alle Themen, die in Kindermuseen behandelt werden, sei es zur Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Im Gegensatz zu traditionellen Museen konzentriert sich die Auswahl der Sammlungsobjekte auf ihre methodisch-didaktische Nutzung. Folgende Fragen1 müssen bei der Arbeit mit Sammlungsobjekten bedacht werden: Knüpft das Objekt an Bekanntes aus der Lebenswelt an? Macht es neugierig? Regt es zum Fragen an? Entspricht es der Altersgruppe, und kann sie damit umgehen? Hält das Objekt der intensiven Nutzung durch sehr viele Kinder stand?
S AMMLUNG E XEMPL ARISCHER O BJEK TE Einer der wenigen Träger eines Kindermuseums in Deutschland, der sich bewusst für die Anlage einer Sammlung entschieden hat, ist der Verein Museum im Koffer e.V. Nürnberg, der seit 1980 das mobile Museum im Koffer und seit 2001 das Kinder- und Jugendmuseum Nürnberg betreibt. Als 1980 die Kunstpädagogin Kristine Popp das Museum im Koffer gründete, legte sie 1 | Bundesverband Deutscher Kinder- und Jugendmuseen e.V. (Hg.), Die Bunten Seiten, 2005, S. 87.
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eine Sammlung an und finanzierte sie zum größten Teil aus privaten Mitteln. Sie verknüpfte ihre Sammelleidenschaft mit ihren pädagogischen Interessen, verbunden mit dem Wunsch, diese Objekte den Kindern zur Verfügung zu stellen, um mit ihnen zu hantieren und vor allem Einblicke in ihre Funktionen und historischen Eigenheiten gewinnen zu können. Sie begann mit »Urgroßmutters Waschtag« und ging mit dieser Sammlung auf Tour.2 »Urgroßmutters Küche«, »Uropas Kaufladen« und »Uropas Bäckerei« komplettierten später diesen Themenkomplex zur Dauerausstellung Alltag der Urgroßeltern. Heute ist die historische Sammlung durch eine naturwissenschaftliche erweitert und den gegenwärtigen Bildungs- und Lernformaten auch der Schule angepasst worden. Mit seinen Sammlungen arrangiert das Kinder- und Jugendmuseum Nürnberg thematische Lernlandschaften, in denen sich Kinder selbsttätig oder unter Anleitung vor allem mit der Geschichte ihrer eigenen Vorfahren auseinandersetzen können. Bei der Auswahl der Exponate wird berücksichtigt, ob Kinder auch in der Lage sein werden, sich über die exemplarischen Gegenstände Sachverhalte und Situationen aus zeitlich oder räumlich weit entfernten Lebenswirklichkeiten weitgehend selbst zu erschließen. Dazu ist es nötig, ganze Ensembles zusammenzustellen. Denn ein aus seiner Umgebung herausgenommenes Objekt erzählt allein über sich selbst und nicht, in welchen Zusammenhängen es seine Funktion erfüllte, wer es wie herstellte und von wem es in welcher Situation verwendet wurde.
B EISPIELE DER S AMMLUNGEN IM K INDERMUSEUM N ÜRNBERG Das älteste Ensemble ist »Urgroßmutters Waschtag«. Hier wird ein Waschplatz aufgebaut, wie er in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich war. Die Kinder steigen in ein Rollenspiel ein, in dem sie einen Waschtag aus der Welt der Urgroßmutter nacherleben können. Sie schleppen das Wasser in alten Emailleeimern, schüren das Feuer für den Waschkessel an, raspeln Kernseife, schrubben Wäsche auf Waschbrettern. Jedes Kind bekommt seine eigene originale Ausstattung: einen Emailleeimer, eine Zinkwanne, ein Waschbrett, eine Wurzelbürste, eine Kernseife, ein historisches Wäschestück. Anschließend wird die trockene Wäsche gemangelt bzw. mit historischen Kohle- und Bolzenbügeleisen gebügelt und ordentlich zusammengelegt.
2 | Kristine Popp/Annette Beyer, »Zukunft braucht Herkunft. Historisches Lernen – praktisch mit dem Museum im Koffer«, in: Klaus Bergmann/Rita Rohrbach (Hg.), Kinder entdecken Geschichte, Schwalbach/Ts. 2001, S. 144-153.
Sammlungen im Kindermuseum
»Ur-Urgroßmutters Waschtag«, Dauerausstellung im Kinderund Jugendmuseum Nürnberg, Foto: Annette Beyer, 2012 Um zu gewährleisten, dass alle Kinder einer Gruppe gleichzeitig beschäftigt sind, müssen die Sammlungsobjekte in ausreichender Zahl vorhanden sein. Sie gleichen sich allerdings oftmals nur in ihrer Funktion, während Gestaltung und Materialzusammensetzung verschieden sind. Der Verschleiß der Sammlungsobjekte ist marginal. Die Kinder wissen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen zu schätzen und gehen ausgesprochen vorsichtig mit den Sammlungsstücken um. Bei Sammlungsstücken anderer historischer Epochen greift das Kindermuseen auch auf Repliken zurück, so wie in den drei Werkstätten des Museums zur Kulturgeschichte des Buchs im Mittelalter und der Frühen Neuzeit: Eine Schreibpapier- und Druckwerkstatt nimmt Bezug auf die bedeutsamen kulturellen Entwicklungen in Europa vom Jahr 550 bis in das 19. Jahrhundert. In der Werkstattausstellung können die Kinder in die Rollen der Büttgesellen schlüpfen und Papierbögen schöpfen, sie können sich als Setzer und Drucker in der Schwarzen Kunst üben oder am romanischen Schreibpult mit der Gänsefeder die mittelalterliche Minuskel ausprobieren. Wachstafeln, Federbüchse, Radiermesser und vieles mehr liegen bereit. Alles darf erforscht und ausprobiert werden. Ebenso befinden sich hier getrocknete Kermesläuse, Drachenblut (Saft des Drachenbaumes), Lapislazuli und andere Materialien, die mit der historischen Farbherstellung im Zusammenhang stehen. Die Bilder der Begleitausstellung informieren über die Herstellung von Büchern im Mittelalter. Für die Vertiefung stehen außerdem Kinder- und Fachbücher, Faksimiles, Videos, Musikkassetten sowie themenspezifische Infoblätter für die Lehrkräfte und Erzieher zur Verfügung. Bevor es an das Kopieren einer mittelalterlichen Dichtung geht, werden
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die Gänsekiele mit der selbst gebrauten Tinte ausprobiert. Der allgemeine Spaß an den ungewohnten Utensilien ruft bei den Kindern eine bisher unbekannte Begeisterung für sorgfältiges Schreiben hervor und für das Ausgestalten ihrer Buchseiten mit Mineralfarbe, die sich jeder selbst auf Reibsteinen zubereitet. Viele Kinder können es kaum glauben, dass zum Schluss echtes Blattgold zur Verzierung ihrer Buchmalerei aufgelegt wird. Im gesamten Handlungsablauf wird mit Hilfe der Sammlungsobjekte der langwierige Vorgang zur Herstellung eines einzigen Manuskriptes durchlaufen. Bei der Zusammenstellung des Materials wurde darauf Rücksicht genommen, den unterschiedlichen Begabungen der Kinder gerecht zu werden.
»Mittelalterliches Skriptorium«, eine kulturgeschichtliche Werkstatt im Kinder- und Jugendmuseum Nürnberg, Foto: Annette Beyer, 2012 Sowohl bei allen mobilen Projekten als auch bei den stationären Ausstellungen des Kindermuseums wird die Zusammenstellung der thematischen Sammlungen davon geleitet, dass Kopf und Hand zusammenarbeiten. Komplexe Sachverhalte werden mit Hilfe exemplarischer, weitgehend authentischer und originaler Gegenstände begreifbar gemacht. So können geschlossene Handlungsabläufe nachvollzogen werden.
D IE S AMMLUNGSSTR ATEGIE — W UNSCH UND W IRKLICHKEIT Die Beispiele zeigen, dass das Sammeln in Kindermuseen auf das Ziel gerichtet ist, Interaktion zu ermöglichen. Die Objekte brauchen eine besondere räumliche Inszenierung und müssen didaktisch aufbereitet werden, damit Zu-
Sammlungen im Kindermuseum
sammenhänge sichtbar und erfahrbar werden. Eine eigene Sammlung bietet Kindermuseen die Möglichkeit, Objekte immer wieder in unterschiedliche Kontexte zu stellen und zu präsentieren. Aus der Sammlungsstruktur ergeben sich verschiedene Bestandsgruppen mit eigenen Schwerpunkten. Deswegen muss immer wieder neu entschieden werden, welche Sammlungsgegenstände unverzichtbar oder wichtig für das Profil des Kindermuseums sind und ob der Aufwand für Anschaffung und konservatorische Erhaltung eines Objektes angemessen ist im Hinblick auf die damit vermittelbaren Inhalte. Dieses Konzept geht allerdings nur auf, wenn das Kindermuseum so ausgestattet ist, dass die Sammlung in angemessener Form auch immer wieder sinnvoll erweitert und gepflegt werden kann. Dazu gehören geeignete Depots, fachgerechte Dokumentation, konservatorische und wissenschaftliche Betreuung. Voraussetzung für die Anlage und Pflege einer Sammlung sind neben didaktischer und pädagogischer Qualifikation der Mitarbeiter auch deren fachwissenschaftliche Kenntnisse über das Sammlungsgebiet, um Auskunft über die kulturellen, gesellschaftlichen, geschichtlichen, geografischen und technischen Hintergründe der gesammelten Gegenstände geben zu können. Erst durch eine konsequente Dokumentation qualifiziert sich eine Museumssammlung und erleichtert Austausch und Ausleihe. Um Museumsobjekte zu inventarisieren, ist ein umfangreiches Fachvokabular erforderlich. Zur Vereinheitlichung von Begriffen, Datenkategorien und der ihnen zugewiesenen Dokumentationssprachen gibt es inzwischen Systematiken, Ordnungssysteme und Leitlinien für die korrekte Erfassung von Sammlungsobjekten.3 Die Herkunft von Originalobjekten in der Sammlung des Museums im Koffer ist äußerst vielfältig. Teilweise handelt es sich um Geschenke oder Leihgaben. Da Ausstellungsstücke generell häufig von begeisterten Besuchern gespendet werden, gibt es klare Regeln zur Annahme von Objekten. Das Personal muss Informationen zu den Vorbesitzern und Nutzern dokumentieren und interessante Vorgeschichten erfassen: »Wer hat wann, wozu und wie den Gegenstand benutzt?«. Es sind ja gerade die Geschichten der Exponate, ihre Bedeutungen und Eigenheiten, die für Kinder interessant sind. Die Sammlungen in Nürnberg wurden bislang leider kaum dokumentiert. Bis jetzt standen immer die Inszenierung eines möglichst reizvollen Ambientes sowie die Vermittlung im Vordergrund. Für eine umfassende Katalogisierung und Dokumentierung fehlte es bisher an finanziellen Mitteln und Personal. An dieser Stelle besteht eindeutig Nachbesserungsbedarf, damit die Sammlungs3 | Bettina Burkhardt, »Inventarisation – Dokumentation«, in: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), museum 39. Fakten, Tendenzen, Hilfen, München 2010, S. 64-66; Deutscher Museumsbund (Hg.), Leitfaden für die Dokumentation von Museumsobjekten, o.O. 2011; siehe auch online: http://www.museumsvokabular.de.
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dokumentation auch im Kindermuseum den Standards entspricht, die in jahrzehntelanger Arbeit von nationalen und internationalen Museologen entwickelt wurden.
D AS K INDERMUSEUM — AUCH EIN F ORUM FÜR DIE S AMMELLEIDENSCHAF T VON K INDERN Bislang haben nur wenige Kindermuseen, wie beispielsweise die Kinderakademie Fulda oder das Kindermuseum München, Kindersammlungen ein Forum geboten. Wie Museen begeistern sich gerade Kinder und Jugendliche für das Sammeln. Sie sind häufig wahre Schatzsammler. In Schuhkartons, Regalen, Hosentaschen und Setzkästen finden sich allerlei Dinge wie z.B. Schneckenhäuser oder Figuren aus Überraschungseiern, die Kinder faszinieren. Die Sammelleidenschaft zeigt auch, wie Kinder sich aus ureigenen Motiven Wissen aneignen, um die für sie komplexe Welt zu durchschauen und einen Zugang zu ihr zu finden. Im Unterschied zu Museen sammeln die meisten Kinder eher beiläufig. Die Aktivität spielt hier oftmals eine größere Rolle als der Gegenstand. So entstehen flexible, unsystematische Sammlungen, die immer wieder neu geordnet, ergänzt, aufgelöst und dadurch neu geschaffen werden. Das sammelnde Kind muss vielfältige Entscheidungen treffen, ob es z.B. die Vollständigkeit seiner Sammlung anstrebt oder gezielt nach außergewöhnlichen Gegenständen sucht, die es selbst zum Sammelobjekt erklärt, es muss sich Ordnungsgesichtspunkte überlegen, muss unterscheiden, vergleichen, beurteilen und seine Schlüsse ziehen. Sammeln und Ordnen der Objekte kann aber nicht nur forschendes Handeln und den Beginn einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung meinen, sondern schließt vor allem ästhetische Gesichtspunkte ein.4 Das Bedürfnis zu sammeln, ist Teil unserer Entwicklungsgeschichte. Es steckt in jedem von uns und existiert generationenüberschreitend bis heute unverändert. Im idealen Kindermuseum sollten die Kinder auch die Möglichkeit haben, ihr Museum mitzugestalten und die Objekte nach ihren Vorstellungen auswählen und ordnen zu können. Es ist eine weitere Aufgabe der Kindermuseen, in Zukunft die Kinder stärker am Planungsprozess und am Aufbau ihrer Sammlungen partizipieren zu lassen und ihrer kindlichen Sammelleidenschaft mehr Raum zu geben.
4 | Vgl. Corinna Kremling, »Sammeln im Kindesalter«, in: Olaf Hartung (Hg.), Lernen und Kultur, Wiesbaden 2010, S. 219-231.
miraculum — das kleine Wunder in Ostfriesland Entwicklung und Wirkung des Kindermuseums Aurich Rainer Strauss
Ostfriesland hat ein kleines Wunder – das Auricher miraculum ist zwar eines der kleinsten Kindermuseen in Deutschland, aber das einzige im ländlichen Nordwesten. Mit jährlich über 20.000 Besuchenden ist es quicklebendig und erfolgreich, und das schon seit über zehn Jahren, was erst recht einem Wunder gleichkommt in dieser strukturschwachen Region im platten Land am Meer, denn die Kreisstadt Aurich hat nur eine Bevölkerung von 42.000. Dafür hat die Stadt aber mutige Menschen im Stadtrat und eine weitsichtige Stadtverwaltung, die seit 2000 gemeinsam die Kunstschule und das angeschlossene MachMitMuseum in »freiwilliger Leistung« unterhalten – was genau genommen ein weiteres Wunder ist, denn dass eine so kleine Stadt in die kulturelle Bildung ihrer Kinder und Jugendlichen investiert, findet man nicht oft in Deutschland.
V ON DER J UGENDKUNSTSCHULE ZUM K INDERMUSEUM Eine Jugendkunstschule gibt es in Aurich schon seit 1982 als »Fachabteilung Bildende Kunst« mit Fertigkeitskursen für Kinder und Jugendliche an der Kreismusikschule. Mit einem eher akademisch orientierten Kunstunterricht bemühte man sich von Anfang an um ein eigenes Profil und kämpfte hart ums Überleben im außerschulischen Bildungsbereich. 1986 öffnete sich das Konzept unter neuer Leitung für alle Künste, um Kreativität und Fantasie einen größeren Raum zu schaffen und auch kleinere Kinder anzusprechen. Bald gewann man öffentliche Anerkennung durch die Inszenierung von Musiktheaterprojekten, die mit der Musikschule zusammen entwickelt wurden, wie z.B. Der Traumzauberbaum (1988) oder Der Wolkenstein (1989), ein Kooperationsprojekt mit weiterführenden Schulen. Schüler zwischen fünf und 18 Jahren arbeiteten hier über einen langen Zeitraum auf ein gemeinsames Ziel hin und fanden unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten in Kunst, Tanz, Musik und Theater. Aus diesen Erfahrungen entwickelten die Mitarbeiter der (Jugend-)Kunstschule
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eine besondere Form der thematisch orientierten kunstpädagogischen Arbeit: Inszenierte Spielsituationen wechselten sich mit Arbeits- und Gestaltungsphasen ab, und alle Künste wurden einbezogen. Am Ende dieser Projekte stand immer eine öffentliche Präsentation mit den Kindern in Form einer Ausstellung (Mit dem Luftschiff um die Welt, 1990) – oder einer Aufführung (Traumzirkus Phantasia, 1992). Schließlich entstand daraus ein eigenständiges, ganzjähriges Angebot – das sogenannte Kursprojekt –, mit dem man sich selbstbewusst unter dem Namen Kunst & Co an Kinder im Grundschulalter wandte. Und da auch der Projektraum als inszenierter Erlebnisort einbezogen wurde, konnten selbst komplexe Inhalte spielerisch umgesetzt werden (z.B. Sternenreise, 1993). Drei Jahre später kamen das Kursprojekt und die Ausstellung Im Land der Pharaonen so gut an, dass Kinder, Eltern und Ausstellungsbesuchende daraus mehr machen wollten: Bilder, Objekte, Wandgestaltungen und Kostüme seien zu schade, um einfach wieder auf dem Dachboden zu verschwinden. Es müsste gelingen, diese besondere Art eines »inszenierten Themas« auch anderen Kindern, Familien oder Schulklassen zugänglich zu machen. Parallel zu dieser regionalen Entwicklung gelangten die Ideen der Kindermuseumsbewegung aus den USA über den Bundesverband der Jugendkunstschulen schließlich auch nach Ostfriesland und in die Auricher Kunstschule. In Deutschland hatten sich längst schon Kindermuseen gegründet, die Handson-Ausstellungen zu den unterschiedlichsten Themen für Kinder und Familien entwickelten. Hier setzten die Kunstpädagogen an und suchten nach einer Möglichkeit, ihre praktischen Erfahrungen im themenorientierten Projektunterricht mit dem Prinzip interaktiver Ausstellungen zu verbinden. 1998 konnte man dem Bürgermeister der Stadt ein Konzept vorlegen, das erstmals die Idee von Kunstschule plus Kindermuseum als neuem Bildungsort für Aurich und Ostfriesland formulierte. Mit der Übernahme der Kunstschule in städtische Trägerschaft sollte sichergestellt werden, dass das Kindermuseum jedes Jahr eine neue thematische Ausstellung zeigen konnte. »Die Zielgruppe dieses Museumstyps sind Kinder und Familien. Für sie und zum Teil mit ihnen werden Ausstellungen gestaltet, in denen die Objekte und damit auch die sich dahinter verbergenden naturwissenschaftlichen, historischen und sozialen Phänomene in doppelter Hinsicht be-griffen werden können. […] Das MachMitMuseum ist ein generationsübergreifender Kommunikations- und Erfahrungsort, der Unterhaltung, Freude am eigenen Tun und Bildung miteinander verbindet und damit für das Familienferienland Ostfriesland eine große Bedeutung erlangen kann.«1
1 | Rainer Strauß/Hanni Pfeiffer-Mühlhan, Konzept MachMitMuseum & Kunstschule Aurich, Aurich 1998, o. S.
miraculum – das kleine Wunder in Ostfriesland
Die Stadtverwaltung war interessiert, der Auricher Stadtrat eher skeptisch. Kaum jemand aus der Politik kannte ein Kindermuseum und niemand traute den kalkulierten Zahlen für dieses Konzept. Es galt also, den Skeptischen zu beweisen, dass es überhaupt einen Bedarf für einen solchen außerschulischen Lernort für Kinder in Ostfriesland gab. Mit Unterstützung der Stadt und des niedersächsischen Landesverbandes der Kunstschulen startete Kunst & Co noch im gleichen Jahr die erste Mitmachausstellung im alten Wasserwerk, um der Öffentlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes be-greifbar zu machen, was in diesem Konzept steckte. Die Ausstellung Schon gehört? – Musik, Geräusche, Klang – von AKKI Düsseldorf e.V. ausgeliehen – brachte auf Anhieb die erhoffte Menge an Besuchern und löste nach einer Woche sogar einen wahren Besucheransturm aus. Das überzeugte schließlich auch die Politik. Ende 1999 beschloss der Stadtrat, die Kunstschule ab Januar 2000 vom Landkreis zu übernehmen, das Kindermuseum zu bauen und entsprechend auszustatten. Der Landkreis Aurich verpflichtete sich, die neue Einrichtung mit einem Sockelbetrag weiterhin zu unterstützen. Über einen Wettbewerb fanden Grundschulkinder einen Namen für den neuen kulturellen Bildungsort: miraculum – Kunstschule & MachMitMuseum der Stadt Aurich. Im Mai 2000 bezog die Kunstschule ihre neuen Räume in der Innenstadt und die Umbauarbeiten für das Auricher Kindermuseum begannen. Im Januar 2001 eröffnete das MachMitMuseum in den neuen Räumen im Historischen Museum der Stadt mit der Ausstellung Wir machen BLAU.
D AS K ONZEP T MIR ACULUM Im ersten Programmheft 2000 präsentierten sich MachMitMuseum und Kunstschule gemeinsam als städtische Einrichtung für kulturelle Bildung unter dem Motto »lernen & gestalten mit allen Sinnen«. Das Mitarbeiterteam wirkte an zwei verschiedenen Orten, aber mitten in der Stadt. In der Kunstschule arbeitete man in Kursen, Projekten und Workshops und bereitete mit dem themenorientierten Kursprojekt die nächste Ausstellung im MachMitMuseum vor.2 Damit wird auch die Kunstschule als Ort der ästhetischen und kulturellen Bildung zum Experimentierfeld für die Ausstellungen des Kindermuseums. Hier werden Konzepte und Themen von den Künstlern und Pädagogen gemeinsam mit der Zielgruppe ausgedacht, entwickelt, erprobt. Hier werden die Erfahrungen gesammelt, um Inhalte so zu gestalten, dass sie bei Kindern ankommen. Und dafür ist hier im Laufe der Jahre nicht nur ein untrügliches Gespür, sondern auch eine professionelle Expertise herangewachsen. 2 | Für dieses Gesamtkonzept miraculum bekam das Team den Kinderkulturpreis 2001, den das Deutsche Kinderhilfswerk jährlich an innovative Projekte vergibt.
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Wenn im MachMitMuseum am Ende dieses Prozesses interaktive Ausstellungen gezeigt werden, ist der Name Programm: Kinder und Familien lernen hier durch eigenes Erleben und Erfahren in inszenierten Räumen sowie an speziellen Objekten, wobei das Kindermuseum auch Bezug nimmt auf die Bedürfnisse der Menschen in der Region. So orientieren sich die Themen der Ausstellungen an den Curricula der Grundschulen und den immer wieder abgefragten Interessen der Kinder. Nach Möglichkeit werden die Ausstellungskonzepte so angelegt, dass die Bürger der Stadt mitmachen und sich einbringen können. Besonderer Wert wird auf die künstlerische Inszenierung von Räumen gelegt. Sie sollen Unerwartetes bieten, staunen machen, die Fantasie anregen und können manchmal auch ein wenig unheimlich wirken. Z.B. gab es in der Labyrinthe-Ausstellung einen dunklen Maulwurfsgang, der über drei Stockwerke führte und den man nur krabbelnd erkunden konnte, um schließlich oben als kleiner Maulwurf auf einer Wiese mit riesigen Grashalmen zu landen. In der WasserAusstellung bauten wir einen mit Steinen und Sand ausgelegten, gewundenen Gang, der von kleinen blubbernden Aquarien beleuchtet wurde und den man barfuß begehen musste, um am Ende in einer »Unterwasserhöhle« auf einem Wasserbett liegend durch eine bewegte Wasserfläche den Himmel zu erblicken. Jedes Jahr wird eine neue thematische Ausstellung entwickelt und von Februar bis November auf einer Fläche von 150 Quadratmetern gezeigt. Ein 80 Quadratmeter großer Innenhof wird thematisch immer einbezogen. Beim Umbau der Räumlichkeiten sowie beim Bau der Ausstellungsobjekte und Installationen sind der städtische Betriebshof, die Ausbildungswerkstätten eines örtlichen Windanlagenherstellers, die Projektwerkstätten der Kreisvolkshochschule Aurich sowie die Jugendwerkstätten von AllerHand wichtige Partner. Im Netzwerk für Kultur und Bildung findet eine rege Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek und dem Historischen Museum statt. In allen diesen Kooperationen zeigt sich die Akzeptanz innerhalb der örtlichen Gesellschaft und die Unterstützung von Politik und Verwaltung für das miraculum. Seit der ersten Ausstellung 2001 sind die Besucherzahlen kontinuierlich gestiegen. Sie liegen jährlich zwischen 18.000 und 24.000. Zwei Drittel der Besuchenden sind Familien, die nachmittags und am Wochenende zum gemeinsamen Erleben und Spielen – vor allem in den Schulferien – aus der ganzen Region nach Aurich kommen – darunter auch viele Familien aus anderen Bundesländern, die ihre Ferien in Ostfriesland verbringen und teilweise jedes Jahr wiederkommen. Vor allem im Sommer ist der Andrang oft so groß, dass die Ausstellungen vorübergehend geschlossen werden müssen: Die räumliche Kapazität reicht nur für 60 Personen gleichzeitig. Offenbar hat ein solcher kulturell orientierter Freizeitort auch auf Eltern-Kind-Touristen eine große Anziehungskraft und entspricht mit seinem Konzept einem Bedürfnis nach anspruchsvoller und zugleich origineller Unterhaltung mit Bildungsanspruch. Das weitere Drittel sind Besuchergruppen, Schulklassen und Kindergartenkin-
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der aus Aurich und der Region, die am Vormittag betreute Programme buchen, wobei sie die Ausstellung möglichst selbständig entdecken und zum Teil durch einen Workshop ergänzen. Als weitere Besonderheit wird jedes tausendste Besucherkind interviewt, fotografiert, auf unserer Website und in einer Besuchergalerie präsentiert. Und die Frage nach einem Thema für eine künftige Ausstellung wird von den Ausstellungsmachern oftmals auch beherzigt: So kommt es im nächsten Jahr zu einer Mittelalterausstellung in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum, weil Ritter und Prinzessin häufig als Wunschthemen genannt wurden.
I NTER AK TIVE A USSTELLUNGEN Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere mich. Lass es mich tun und ich verstehe. (Konfuzius)
Wie viele andere Kindermuseen ist auch das MachMitMuseum diesem Motto verpflichtet. Es zielt darauf ab, dass das Publikum handelnd involviert wird. Deshalb werden die Ausstellungen in Aurich immer so vorbereitet, dass sich möglichst viele Menschen schon im Vorfeld beteiligen können. So wurden beispielsweise 2009 zum Thema Zeit die Bürger gebeten, alte Uhren und 50erJahre-Möbel auszuleihen oder sich als Fotomodelle zur Darstellung bestimmter Lebensalter zur Verfügung zu stellen. Die Ausstellung Tick Tack und das Geheimnis der ZEIT (2009) soll hier als exemplarisches Beispiel unserer Arbeit dienen. Wir entwickelten die Figur des kleinen »Zeitforschers« Tick Tack, der die Kinder ansprechen und sie durch fünf Zeitdimensionen begleiten sollte. Es gab ihn als Handpuppe für die Begrüßung der Gruppen und als aufgemalte Comicfigur in Kindergröße mit Sprechblasen. Für Vorschulkinder bauten wir Infosäulen mit Kopfhörern, damit sie sich Texte anhören konnten. Am Eingang konnte man auf einem kleinen Monitor verfolgen, wie Kinder Erwachsene fragten, was Zeit bedeutet. Im Museum gab es fünf Themenbereiche, die ausgewählte Aspekte der Zeit erfahrbar machten: 1. Die gezählte Zeit durch das »Uhrenmuseum« – In einem kleinen Raum waren rund 50 verschiedene Uhren angebracht – Pendeluhren, Wecker, Taschenuhren, Kuckucksuhren usw., die alle anders tickten und eine ganz besondere Atmosphäre erzeugten. 2. Die gefühlte Zeit, z.B. von »Drei Minuten« – In einer Art Warteraum mit Stühlen betätigte man eine Zeitschaltuhr und musste bis zum Klingeln warten. Im Aktionsraum gegenüber gab es die gleiche Uhr, doch hier konnte man bis zum Klingeln eine Kissenschlacht veranstalten.
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3. Die Naturzeit durch den Bereich »Feld & Garten« – Im Hof konnte man Blumen, Sträucher, Gemüse und Getreide anfassen und riechen und zur jeweiligen Tageszeit und im jahreszeitlichen Wandel ihr verändertes Wachstum beobachten. 4. Die vergangene Zeit, dargestellt durch die »Zeitmaschine« – In der gestifteten Kappe einer Windkraftanlage war eine Spielapparatur eingebaut mit Knöpfen und blinkenden Lichtern. Auf einem Monitor sah man in eine nachgebaute Wohnküche von 1959 und konnte dort anrufen. 5. Die eigene Zeit, übersetzt in einen »Zeitteppich« – In einem orientalisch anmutenden Raum saß man auf dem Boden und konnte die vergehende Zeit in einen Teppich »verknüpfen«, der im Laufe der Ausstellung immer länger wurde. Wie zu jedem anderen Thema wurde auch hierfür ein kleines Computerspiel (CD-ROM) produziert.
»Zeitteppich« in der Ausstellung Tick Tack und das Geheimnis der Zeit, miraculum MachMitMuseum Aurich (2009), Foto: miraculum Ein Überblick über die Ausstellungen im MachMitMuseum zeigt bei einer großen Themenvielfalt doch auch inhaltliche Schwerpunkte, wobei die Grenzen zu anderen Themenbereichen nie allzu scharf gezogen werden und sich teilweise überschneiden. Drei Ausstellungen kreisten um die sinnliche Wahrnehmung und Kunst: Wir machen BLAU (2001) zur Farbe Blau, entwickelt aus einem Kursprojekt der Kunstschule heraus zu den Farben des Regenbogens. Das Spektrum der Installationen reichte vom Schubladenlexikon mit Redewendungen über Lügengeschichten von Käpt’n Blaubart bis zur Unterwasserwelt der Blauen Lagune. Im Labyrinth der Sinne (2003) ging es um das Erleben von Verwirrung und
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Erkenntnis, um Kulturgeschichtliches und Philosophisches mit »Sinnessäulen« zum Experimentieren, Dunkelräumen zum Erleben und einem riesigen Irrgarten im Hof. Schmetterlinge im Kopf? (2006) ging der Frage nach, was Kunst eigentlich sei, indem das Publikum sich selbst die Antworten gab. Es konnte mit Farbräumen experimentieren, in der Galerie »Kunstwerke« bewerten, im Spiegelraum seinen Augen nicht trauen und als Figur in riesige Bilder einsteigen.
»H2O-(Bälle-)Bad« in der Ausstellung Wunderstoff Wasser, miraculum MachMitMuseum Aurich (2007), Foto: miraculum Naturwissenschaft und Technik wurden in vier Ausstellungen behandelt: Sonne, Mond & Sterne (2002) zeigte naturwissenschaftliche wie fantastische Inszenierungen zum Thema Weltraum und Planeten. Hier konnte man unterm Sternenzelt träumen, im Weltraumtunnel schweben, in der Raumstation experimentieren oder das Sternenbilderbuch des Himmels enträtseln. Vom Höhlenmensch ins Internet (2004) behandelte das Thema Kommunikation und Medien und zeigte beispielsweise Höhlenmalerei in einer »echten« Höhle, ermöglichte das Abschreiben des Pater Noster in einem stimmungsvollen »Scriptorium«, und einmal im Monat wurde eine Mitmachzeitung als Beilage in den Ostfriesischen Nachrichten herausgebracht. In Wunderstoff Wasser (2007/2008) gingen wir dem Phänomen Wasser bis auf den Grund. Es gab eine Auricher Wassersammlung, eine Wasserbaustelle zum Spielen im Hof, ein Wasserlabor zum Experimentieren und auch ein tiefes H2O-(Bälle-)Bad, in dem man untertauchen konnte, ohne nass zu werden. Tick Tack und das Geheimnis der Zeit (2009) wurde oben beschrieben. Historische Themen und die Darstellung besonderer Lebensformen anhand von Leitfiguren kindlichen Interesses bilden die letzte Themengruppe:
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In der Ausstellung Schätze (2005) konnten die Besucher im Grabungsfeld nach Scherben graben und sie archäologisch bestimmen, in der Schatzkammer ihren »liebsten Schatz« finden oder in der Ruinenstadt im Dschungel einen geheimnisvollen Goldschatz suchen. Die Ausstellung Piraten und ihre wahren Taten! (2010/2011, in Kooperation mit dem Jungen Museum Speyer) zeigte, wie das Piratenleben wirklich war. Unterdeck in Hängematten konnten die Besucher Geschichten anhören, in der Spelunke mit Hehlern verhandeln, die vom Gouverneur verurteilt worden waren, im Gefängnis schmorend durfte man Bücher anschauen und draußen auf dem Piratenschiff spielen. In Zirkusträume (2012) kann das Publikum erleben, wie schön das Treiben in der Manege anzuschauen und wie schwer der Zirkusalltag in Wirklichkeit ist. Und die geplante Mittelalterausstellung wird die märchenhaften Vorstellungen vom Prinzessinnenund Ritterleben mit historischen Informationen bereichern.
A USBLICK : D AS Z ENTRUM FÜR K UNST & K ULTUR Die zentrale Bedeutung frühkindlicher Bildung ist seit einigen Jahren immer stärker ins Bewusstsein gerückt. Wie in vielen anderen Museen ist auch im miraculum die Anzahl der Besuche von Kitas ständig gestiegen. Dieser Tatsache soll in einem nächsten Schritt Rechnung getragen werden, in dem für Vorschulkinder ein eigenes Haus, das Entdeckerhaus, eingerichtet wird. Dort sollen in einer Dauerausstellung mit interaktiven Inszenierungen kleinen Kindern und ihren Eltern sowie Krippen- und Vorschulgruppen Spiel- und Erlebnisbereiche geboten werden, die ihnen im familiären Alltag so nicht begegnen. Arbeits- und Schulungsräume für Kindergartengruppen und für die Fortbildung von Erziehern oder Eltern sollen integriert werden. Bildungsräume für das erfahrungsorientierte Lernen kleiner Kinder werden dringend gebraucht, da viele Eltern verunsichert sind und pädagogische Anregungen oder Hilfestellungen suchen. Ein fertiges Konzept für eine komplette Ausstellung mit dem Titel KinderHöhlen liegt vor und kann kurzfristig umgesetzt werden. Das Konzept miraculum ist aufgegangen und hat sich nachhaltig bewährt. Die Stadt steht zu ihrer »freiwilligen« Einrichtung. Resonanz und Akzeptanz der Öffentlichkeit in Aurich und Ostfriesland sind äußerst positiv. Das MachMitMuseum hat sich auch bundesweit einen Namen gemacht und ist zu einem Aushängeschild Aurichs geworden. Die Kunstschule feiert 2012 ihr 30-jähriges Bestehen und hat zu diesem Anlass ein Gesamtkonzept kulturelle Bildung in Aurich herausgebracht, mit dem sich beide Einrichtungen auf die kommunale Bildungslandschaft beziehen. Wir glauben an ein weiteres Wunder und sehen unsere Zukunft vereint in einem neuen Haus mit Kunstschule, Entdeckerhaus und MachMitMuseum als Zentrum für Kunst & Kultur.
Zwischen Bildungsanspruch, Unterhaltungserwartung und der Suche nach einer besseren Welt Gedanken zum Selbstverständnis eines Kindermuseums Urs Rietmann
E INLEITUNG »Bildung und Kultur«, so eine Kernbotschaft der Erziehungsdirektion des Kantons Bern1, »ergeben zusammen nicht nur eine Summe, sondern ein Ganzes.«2 Vor dem Hintergrund dieser Überzeugung können seit Januar 2012 die Lehrkräfte und Leiter von Tagesschulen des Kantons Bern sogenannte Kulturgutscheine beziehen, die ihnen einen unkomplizierten Zugang zu einer breiten Palette von über 300 Kulturangeboten unterschiedlichster Sparten, Schulstufen und Regionen erlauben. Zu diesen Angeboten gehört auch das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee. Für das Creaviva sind diese Gutscheine aus dreierlei Gründen bemerkenswert: Zum einen liefert die für Erziehung zuständige Direktion des Kantons Bern den Beweis für die Wichtigkeit kultureller Bildung in den Schulen. Zum anderen fokussiert das Angebot auf Bildung als Kerngeschäft musealen Alltags, obwohl – oder gerade weil – sich dieser Anspruch in den letzten Jahren stark aufzuweichen und in Richtung konsumorientierte Unterhaltung zu verschieben begann. Und drittens ist es nicht untypisch, dass es der 2009 entworfenen Bildungsstrategie nur bedingt gelingt, den unscharfen Begriff »Bildung« überhaupt zu fassen.
1 | Die 26 sogenannten Kantone der Schweiz entsprechen mit Blick auf die föderale Verfassungsordnung der Bundesrepublik den 16 Bundesländern Deutschlands, wobei die Schweizer Kantone hinsichtlich Größe und Bevölkerung bedeutend kleiner sind als ihre bundesdeutschen Pendants. 2 | Siehe online: http://www.erz.be.ch/erz/de/index/kultur/bildung_kultur.html.
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Dabei müsste letzteres ein wichtiges Anliegen auch von Museen sein. Obwohl kontextabhängig, wären eine pointierte Definition und damit verbunden die Formulierung konkreter Anliegen und Aufgaben hilfreich. Die angesprochene Konkretheit spiegelt die Hoffnung auf Diskurs und Reibungsfläche und nicht das Bedürfnis, dass definitionsmächtige Institutionen ihren Bildungsbegriff festlegen und daraus verbindliche Weisungen ableiten. Ein sich veränderndes Verständnis von Bildung und eine zunehmende Unterhaltungserwartung des Publikums haben auf die strategische Ausrichtung und das Tagesgeschäft von Einrichtungen in der Schweizer Bildungs- und Freizeitlandschaft beträchtlichen Einfluss. Im Spannungsfeld dieser beiden Anliegen – beeinflusst von der Dynamik der Diskussion über die Disziplin »Vermittlung« und vom Wunsch nach einer besseren Welt – ist das Creaviva auf der Suche nach dem eigenen Selbstverständnis. Davon handelt dieser Artikel. Er beschreibt nicht die erreichten Ziele, sondern beleuchtet Gedanken und Überlegungen auf dem Weg dorthin.
D AS M USEUM ALS Z ENTRUM Das im Juni 2005 eröffnete Zentrum Paul Klee (ZPK) wurde ermöglicht dank Stifter und Gründer Professor Maurice E. Müller. Den von Renzo Piano entworfenen Bau verstand Müller, der als einer der herausragenden orthopädischen Chirurgen des 20. Jahrhunderts zu beachtlichem Vermögen gekommen war, als einzigartige Möglichkeit, der Gesellschaft einen Teil seines Reichtums zurückzugeben. Als wichtigen Pfeiler des von Anfang an als Zentrum konzipierten Hauses betrachtete Müller den Bereich der Vermittlung. Seine Überzeugung führte zur Gründung einer eigenständigen Stiftung für das Kindermuseum Creaviva. Als Beleg für sein vehement vertretenes Anliegen ließ Müller den Grundstein des ZPK unter die Creaviva-Ateliers legen. Das Herzstück des ZPK bilden die 4000 Arbeiten Paul Klees, die sich in Bern befinden, und all die Programme im Zusammenhang mit dem Werk dieses Künstlers. Müller war klar, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine für den Museumsbetrieb einschneidende Dynamik einsetzte, welche er beim Entwurf einer neuen Einrichtung nicht außer Acht lassen wollte. Überlebensfähig ist heute nur, wem die Verschränkung von Selbstanspruch, den von Subventionsgebern formulierten Bildungsanliegen und einer gegenüber verschiedensten Anspruchsgruppen verantwortbaren Kommerzialisierung gelingt. Je nach Zeitgeist und ökonomischen Rahmenbedingungen bedeutet die Selbstverortung einer Institution ein Pendeln zwischen Polen, welche seit jeher die Innen- und Außensicht von Museen determinierte: Bildung und Unterhaltung; Belehrung und erlebnisorientiertes Entertainment.
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D AS K ERNGESCHÄF T DES C RE AVIVA Im Zentrum des Creaviva als Kindermuseum in einem Haus für bildende Kunst standen von Anfang an drei Basisangebote: die Durchführung von täglich drei offenen Ateliers für Spontanbesuche, die interaktiven Ausstellungen für ein Mehrgenerationenpublikum und insbesondere die Ausrichtung auf Workshops für Schulklassen. Letztere werden jährlich von rund 10.000 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren wahrgenommen. Für die meist dreistündigen Workshops ausgehend vom Werk Paul Klees in den drei hellen, großzügigen Ateliers des Creaviva ist ein Team von zwölf freischaffenden Workshopleitenden, die meisten von ihnen Künstler, verantwortlich.
Welten bauen: Architektur aus Einwegverpackungen und Plastikobjekten aus der Brockenstube (Gebrauchtwarenladen) im Creaviva Zentrum Paul Klee Bern, Foto: Creaviva Ein Kindermuseum im klassischen Sinn ist das Creaviva nicht. Im engeren Verständnis ausgestellt, gesammelt und dokumentiert wird hier nichts. Vielmehr handelt es sich beim Creaviva um einen Werkstatt- und Atelierbetrieb. Dies gilt auch für die interaktiven Ausstellungen, welche mit Blick auf die Inhalte und Leitmotive der Ausstellungen im ZPK in erster Linie aus spielerischen Angeboten bestehen. Die Produktpalette des Creaviva hat sich in den vergangenen sieben Jahren stark erweitert. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen sollen durch die Ansprache neuer Publikumskreise belegungsschwächere Zeiten überbrückt werden. Weiter erscheint es sinnvoll, den Schwerpunkt der Kunstvermittlungsworkshops für Schulklassen durch neue und innovative Angebote zu ergänzen.
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Schließlich spielt es auch eine Rolle, dass sich das Creaviva vor dem Hintergrund der ab 2015 unsicheren Finanzierungssituation als überregional bedeutsames Kompetenzzentrum für praktische Kunstvermittlung unverzichtbar machen will. Zu den neuen Angeboten zählen beispielsweise: • Angebote für Menschen mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen unter dem Namen Klee ohne Barrieren, • die Verbindung von Kunst und Neuen Medien unter der Bezeichnung creaTiV! oder • die auf die Visualisierung von Leitbildern oder Geschäftsstrategien fokussierte Ausrichtung von Workshops für interessierte Teams aus Wirtschaft, Lehre und Verwaltung unter dem Namen Kunst Unternehmen. Bei der Kommunikation einzelner Angebote zeigte sich, dass sich der Name Kindermuseum als nicht ganz unproblematisch erweist: Dies betrifft einerseits Menschen mit einer Behinderung, die ausdrücklich nicht bei den Kleinen landen, sondern durch den Haupteingang und auf Augenhöhe mit den Erwachsenen ins ZPK gelangen wollen. Andererseits sind es auch die CEOs und Personalverantwortlichen von Konzernen oder kleinen und mittleren Unternehmen3, die eine gewisse Zurückhaltung überwinden müssen, bevor sie für sich und ihre Kader ein Angebot in einem Kindermuseum wahrnehmen. Das Creaviva arbeitet selten außer Haus. Der Grund dafür liegt in der Überzeugung, dass die Begegnung mit den Originalen von Klee und der Besuch des architektonisch außergewöhnlichen Bauwerks von Renzo Piano für die Gäste einen unverzichtbaren Mehrwert darstellen. Dass die museumstypische Kontemplation in den Ausstellungssälen durch die unüberhörbare Anwesenheit von Kindern strapaziert wird, betrachten Creaviva und ZPK als Gewinn.
D AS C RE AVIVA ALS G LÜCKSFALL Auf mehr als 700 Quadratmetern wird versucht, vor allem einem jüngeren Publikum den Zugang zur Kunst zu erleichtern. Dies geschieht ausgesprochen praxisorientiert und handfest: Die hauptsächlichen Materialien in den Ateliers sind Pinsel, Farbe, Papier, Jute, Gips, Holz. Dies birgt die Gefahr, dass sich die Mitarbeitenden des Creaviva beim Arbeiten in der Werkstatt vergessen und die theoretische Auseinandersetzung zu Fachthemen der Disziplin »Kunstvermittlung« verpassen. Eine tägliche Herausforderung für das Creaviva besteht deshalb in der Beobachtung, Auswertung und Verschränkung von herkömmlichen Konzepten, dem Stifterwillen und aktuellen kunstpädagogischen Diskussionen 3 | Siehe auch online: http://www.kmu.admin.ch.
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zum Zweck einer zielführenden Bestimmung von Möglichkeiten und Grenzen im Vermittlungsalltag. Dies bedeutet, dass das Creaviva vor dem Hintergrund seines Anspruchs als Kompetenzzentrum für praktische Kunstvermittlung grundsätzliche Fragen diskutieren und aus deren Beantwortung unmissverständliche Positionen ableiten will und muss. Wo und wie können implizite Werte und Normen formuliert und daraus eine Unternehmensphilosophie abgeleitet werden? Wie lassen sich Kopf, Herz und Hand gleichermaßen involvieren und als gleichwertige Qualitäten erleben? Welches sind übergeordnete Ziele, die bei der konkreten und gedanklichen Möblierung des Creaviva ablesbar zu sein haben? Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen bilden die Basis für Leitgedanken und Visionen. Diese sollen sich nahe an den Mitarbeitenden, am Publikum und am Tagesgeschäft in den Ateliers wiederfinden. Sie müssen in der Werkstattpraxis erlebbar, in der Produktpalette erkennbar und in der Arbeit mit dem Publikum überprüfbar sein.
»Dschungel«, Gemeinschaftwerk aus Kabelbindern im Creaviva Zentrum Paul Klee Bern, Foto: Creaviva
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G RUNDGEDANKEN Die Weitergabe reproduzierbaren Wissens als zentrales Element musealer Bildungsarbeit darf nicht die einzige Aufgabe von Kunstvermittlung sein. Vermittlung kann mehr: Im besten Fall gelingt es, Kompetenzerfahrungen zu vermitteln und in der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit Kunst den Blick auf sich selbst und auf die Welt zu weiten. Unter Bildung versteht das Creaviva deshalb auch: • die Entwicklung von Methoden zur Ausbildung möglichst differenzierter Wahrnehmung und damit zur Intensivierung der Erlebnisfähigkeit, • das gemeinsame Nachdenken über das Wesen der Welt als Beitrag zum Selbst- und Weltverständnis einer Gesellschaft, • die Unterstützung beim Abbau von Angst vor dem Unbekannten durch die Begegnung mit dem vermeintlich Fremden, • eine an der Lebensrealität des Publikums orientierte Lesehilfe von Bedeutungen mit dem Ziel der Förderung von Interpretations- und Decodierungskompetenz, • die Arbeit am Bewusstsein der Bedeutung von ästhetischen Konzepten und Strategien und deren Wirkung sowie • das Verständnis der Widersprüchlichkeit von Kunst als Chance und als Modell für die Entwicklung von Lösungen. Hinsichtlich der erwähnten Bildungsziele erscheint die Möglichkeit, mit Schulklassen in den Ateliers arbeiten zu können, als besonders spannend und lohnend. 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen, das zeigen Untersuchungen, hätten ohne den Klassenausflug ins Creaviva die Möglichkeit nicht wahrgenommen, das Museum als Ort für lebendige Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit zu erleben.
F R AGE NACH DEM S ELBST VERSTÄNDNIS Das konkrete Tagesgeschäft in den Ateliers des Creaviva bindet die vorhandenen Ressourcen gänzlich. Obwohl die Wichtigkeit der Reflexion über das eigene Tun erkannt ist, gelingt es oft nicht im gewünschten Umfang, Fragen über die in diesem Artikel erwähnten Aspekte von Selbstverständnis in der nötigen Ruhe und Tiefe zu stellen. Bei der Überprüfung vorhandener Konzepte wurden in einem 2009 begonnenen Leitbildentwicklungsprozess beträchtliche Unterschiede zwischen dem, was man zu sein glaubt, und dem, was tatsächlich praktiziert wird, festgestellt.
Gedanken zum Selbstverständnis eines Kindermuseums
Die Ergebnisse dieser Analyse lassen sich zwar zunehmend in der täglichen Arbeit wiederfinden. Die Integration entwickelter Ansichten und Einsichten braucht allerdings Zeit. Sie ist kompliziert und erfordert Konzentration. Zudem ist der Weg zwischen den als richtig und wichtig erkannten Thesen und deren Übersetzung in die tägliche Praxis bisweilen weit und anstrengend. Kinder und ihre Familien haben dem Creaviva gegenüber eine von Akzeptanz und Neugier bestimmte Haltung. Diese Offenheit ist ein großes Kapital: Sie macht die Gäste empfänglich für Botschaften und Begegnungen. Das Creaviva betrachtet es als eine seiner Aufgaben, über die primär auf Spiel und Spaß hoffende Unterhaltungserwartung des Publikums hinauszugehen. Dieser Vorsatz bestimmt die Arbeit an den einzelnen Angeboten bis ins Detail. Wenn eine Station in der interaktiven Ausstellung zum Thema Orient aus farbigen Holzklötzen besteht, welche zum Legen von Ornamenten einladen, so kann und soll das konkrete Setting und die Gestaltung der Umgebung bewusst über das reine Spielangebot hinauszielen. Maßgeblich für die Wahl von Materialien, Farben, Formen, Piktogrammen, Bildern und anderen Botschaften ist das oben geschilderte Bildungsverständnis des Creaviva: Wie können 400 Holzklötzchen die Erlebnisfähigkeit steigern? Wie lässt sich durch die Beschäftigung mit farbigen Würfeln der Blick auf die Welt weiten, die Angst vor dem Unbekannten abbauen? Wie kann das Verhältnis zur Kunst differenziert, wie die Wahrnehmung geschult, die Interpretationskompetenz gefördert werden? Dass Vieles aus ökonomischen Gründen im besten Fall selbsterklärend und unbetreut funktionieren soll, erschwert die Suche nach Lösungen zusätzlich. Kunstvermittlung soll nicht schlaue Antworten dozieren. Vielmehr geht es darum, gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern kluge Fragen zu stellen. Konkret bedeutet das für die Begegnung mit den Originalen Klees in den Ausstellungen, dass nicht das kunstgeschichtlich abgestützte Rapportieren von biografischen Details der ausgestellten Künstler im Zentrum steht. Es soll im Gegenteil versucht werden, durch an der Lebensrealität der Gäste orientierte Fragen diese in die Lage zu versetzen, die Antworten selbst zu geben. Dies macht einerseits klar, dass auch Publikum ohne Vorbildung in der Lage ist, Kunst – oder besser: durch Kunst sich selbst – zu verstehen. Andererseits wird das Publikum befähigt und ermutigt, in Erinnerung an die gemeinsam an ein Kunstwerk gestellten Fragen, sich ein nächstes Mal auch ohne Führung über die Schwelle eines Kunstmuseums zu wagen. In diesem Sinne ist es Vorsatz: Angebote im Creaviva richten sich nicht an ein vorgebildetes Publikum. Andernfalls würden all jene ausgeschlossen, für welche die im musealen Kontext verwendeten Codes eine Fremdsprache sind. Und das sind gerade Kinder. Gleichzeitig ist es aber auch nicht angezeigt, jungen Menschen mit einer seltsamen Schonhaltung zu begegnen. Das
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Creaviva betrachtet es durchaus als vertretbar, in Kindern ein Gegenüber zu erkennen, welches mit altersgerechter Behutsamkeit zu einem konstruktiv-kritischen Blick auf die Welt befähigt werden kann. Zu dieser Welt gehören auch die Kunst und der Ort und die Zeit, in der sie stattfindet. Ein so verstandenes Kindermuseum ist deshalb mehr als ein Spielplatz und schon gar kein Kinderhort. Es wird im besten Sinn des Wortes zu einer Veränderungsinstanz4 , die zu Wachheit, Selbstbewusstsein und Souveränität beitragen kann.
4 | Siehe dazu ausführlicher Carmen Mörsch: »Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen«, in: dies./Forschungsteam der documenta 12 (Hg.), KUNSTVERMITTLUNG 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Berlin 2009.
Technoseum Mannheim: Flaschenzug in der Dauerausstellung Elementa 1 (seit 2004), Foto: Technoseum Mannheim
Zinnober – Museum für Kinder in Hannover: Bleib am Ball (2011), Foto: Christoph Bartolosch
Kinder-Museum Unsere fünf Sinne im Deutschen Hygiene Museum Dresden, Tierohrenfries zum Thema Hören (2005), Foto: Oliver Killig
Glasmuseum Wertheim: Spielfeld in der Abteilung Licht und Messen mit Glas der Dauerausstellung (seit 2008), Foto: Archivbild
Kindermuseum im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen: Spieltisch in der Dauerausstellung Das grüne Zimmer – In der Stadt und auf dem Land, Foto: Kindermuseum im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen
Geschichte
Kindermuseen in Deutschland Eine Geschichte mit vielen Wurzeln Wolfger Pöhlmann
1899 wurde in New York das Brooklyn Children’s Museum gegründet, und längst gehören Kindermuseen zum festen Repertoire der kulturellen Infrastruktur von allen Metropolen und Ballungszentren der USA. Fast 100 Jahre hat es gedauert, bis auch in Deutschland erste ähnliche Einrichtungen an den Start gingen, und erst seit etwa 20 Jahren etablieren sich im deutschsprachigen Raum und weiten Teilen Europas Kindermuseen als ein neuer Museumstyp. Bevor es aber dazu kam, gab es in Deutschland insbesondere in Folge der reformpädagogischen Bewegungen seit den späten 60er Jahren die verschiedensten Experimentierfelder, mit denen die formalen wie inhaltlich-konzeptionellen Grundlagen für die Institution Kindermuseum geschaffen wurden. Die Begriffe dafür waren anfangs allerdings noch offen. Je nach Orientierung der Betreibenden gab es eine fast verwirrende Fülle von Namen der unterschiedlichsten Initiativen, die eher zum Spielerischen oder mehr zum Aktionistischen, zum Pädagogischen oder Musealen tendierten. Sie operierten mit einem engen oder erweiterten Kulturbegriff, der sich auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche bezog. In Anlehnung an den bereits international etablierten Begriff children’s museum setzte sich dann im deutschsprachigen Raum doch der dem englischen children’s museum entsprechende Terminus Kindermuseum durch, obwohl das zentrale Anliegen von Museen, nämlich das Sammeln, Bewahren und Forschen, sich grundlegend von der Praxis der Kindermuseen unterscheidet. Im Kindermuseum steht im radikalen Gegensatz zur üblichen Museumspraxis nicht das Objekt, sondern der Prozess im Mittelpunkt. Allerdings hat der Kontext »Museum« einen fest definierten hohen gesellschaftlichen Stellenwert, welcher sowohl der angestrebten kultur- und bildungspolitischen Bedeutung wie auch der allgemeinen Wertschätzung der neuen Institution Kindermuseum entgegenkommt. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass mit der Bezeichnung Museum die Vorstellung und der Anspruch auf einen festen und topografisch unveränderbaren Ort einhergeht und ein einmal gegründetes Museum sich nicht ohne
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weiteres wieder abschaffen lässt. Der Museumsbegriff verbunden mit dem inzwischen allgemein akzeptierten sogenannten »erweiterten Kunstbegriff«, unter dem sich mühelos auch die so elementar kreativen Handlungsformen von Kindern einbeziehen lassen, ist daher Herausforderung und Schutzraum zugleich. Das Kindermuseum repräsentiert innerhalb des Erziehungssystems einen der letzten Freiräume. Hier können und sollten noch außerhalb von all den auf messbare Leistung konzentrierten schulischen Zwängen Experimente stattfinden, und das Affektive darf sogar einen höheren Stellenwert einnehmen als das sonst alles so beherrschende Kognitive. Mit der Bildungsreform der späten 60er und 70er Jahre wurde das überkommene Modell der »Erziehung zum Gehorsam« durch die neue Leitidee der »Erziehung zur Mündigkeit« ersetzt und die noch »unverbildeten« Kinder wurden, wie es das Beispiel der neuen antiautoritär orientierten Kinderladenbewegung zeigte, zur zentralen Zielgruppe für die Umsetzung der notwendigen Gesellschaftsveränderungen. Allerdings führte diese Umwertung bis heute zu keinerlei Konsequenzen auf dem selbst in seinen Vergütungsstrukturen immer noch nach Alters- und Bildungsstufen hierarchisch nach oben orientierten Bildungssektor. Diese herrschende Praxis hat m.E. weitreichende negative Auswirkungen, was hier allerdings als ein noch offenes Problemfeld nur am Rande bemerkt sei. Der Geist jener formativen Phase ab den späten 60er Jahren basiert auf folgenden Grundlagen: Es ist einerseits die Wiederanknüpfung an den ästhetischen Diskurs der Moderne der Vorkriegszeit und andererseits die Rückbesinnung auf die Epoche der Aufklärung. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Bildungsreform, wo die Notwendigkeit erkannt wurde, dass man für die neuen Erziehungsideale, nämlich die Erziehung zur Demokratie, zur Emanzipation bzw. zu mündigen, selbstbestimmten Bürgern, schon früh in der Kindheit ansetzen muss. In meinen folgenden Ausführungen will ich neben einem kurzen Exkurs zu den historisch konzeptionellen Wurzeln vor allem auf diese Zeit vor der Etablierung von Kindermuseen in Deutschland näher eingehen, weil in dieser Phase der Anfänge, als die verschiedenen Wege und Möglichkeiten noch ausgelotet und erprobt wurden, manche Ansätze radikaler und progressiver waren als die heute gängige Praxis.
R OUSSE AU , K LEIST UND K LEE ALS V ORDENKER Nach Jean-Jacques Rousseau ist der Mensch bei seiner Geburt in einem paradiesischen Naturzustand und jeder mit den besten nur denkbaren Anlagen ausgestattet. »Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles ent-
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artet unter den Händen des Menschen.«1 Schon dieser erste Satz seines großen Erziehungsromans Emile oder Über die Erziehung könnte als Motto für das Gesamtwerk dieses radikalen französischen Philosophen gelten, der als Vordenker bis in die Terminologie hinein die Epoche der Aufklärung, die Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts, insbesondere die auf A. S. Neills Summerhill-Projekt basierende Konzeption der antiautoritären bzw. selbstbestimmten Erziehung und damit nicht zuletzt die Propädeutik der Kindermuseumsidee beeinflusst hat. Auch jener kurze gleichnishafte Aufsatz Über das Marionettentheater, den Heinrich von Kleist 1810, ein Jahr vor seinem Freitod, in drei aufeinanderfolgenden Ausgaben der Berliner Abendblätter veröffentlichte, basiert auf diesem Rousseau’schen Grundgedanken und ist eine Allegorie über Kunst und Ästhetik von essentieller Bedeutung. Geradezu modellhaft für eine gelungene didaktische Methode zur anschaulichen Vermittlung und zum leichteren Verständnis von komplexen Problemstellungen entwickelt Kleist mit assoziativen, oft durch wilde Kommasetzungen stockend erscheinenden Gedankengängen, entsprechend den von ihm schon 1805 in einem Aufsatz postulierten Überlegungen Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, einen Dialog in Form von Fragen und Antworten, Rede und Gegenrede sowie eingestreuten Gleichnissen. Anders als bei dem klassisch-platonischen Lehrer-Schüler-Dialog berichtet ein Erzähler aus der Ich-Perspektive in konjunktivischer Form über ein neun Jahre zurückliegendes Gespräch, das er anlässlich der Vorführung eines Marionettentheaters mit einem anderen Besucher, Herrn C., geführt hatte. Dieser, ein bekannter Solotänzer der lokalen Oper, beschreibt aus der Perspektive des Experten seine Beobachtungen der nur den Gesetzen der Schwerkraft folgenden Bewegungen der Marionetten und betont ihre Überlegenheit gegenüber noch so begnadeten menschlichen Tänzern: »›Jede Bewegung‹, sagte er, ›hätte einen Schwerpunkt; es wäre genug, diesen, in dem Inneren der Figur zu regieren; die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgend ein Zutun, auf eine mechanische Weise von selbst. […]‹ ›Und der Vorteil, den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraus haben würde? […]‹ ›Der Vorteil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, dass sie sich niemals zierte. – Denn Ziererei erscheint, wie sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgendeinem anderen Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung.‹ […] Ich sagte, dass, so geschickt er auch die Sache seiner Paradoxe führe, er mich nimmermehr glauben machen würde, dass in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmut enthalten sein könne, als in dem Bau des menschlichen Körpers. 1 | Jean-Jacques Rousseau, Emile oder Über die Erziehung, Stuttgart 2009, S. 107.
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Er versetzte, dass es dem Menschen schlechthin unmöglich wäre, den Gliedermann darin auch nur zu erreichen. Nur ein Gott könne sich, auf diesem Felde, mit der Materie messen; und hier sei der Punkt, wo die beiden Enden der ringförmigen Welt ineinander griffen.« 2
Diese zentrale Botschaft von Rousseau wie von Kleist zur Gefährdung aller guten Anlagen (»Anmut und Grazie«) durch das Bewusstsein steht in krassem Gegensatz und Widerspruch zu jener bis heute allgemein gängigen Konzeption einer als Schule des Bewusstseins verstandenen Erziehung. Sie entspricht auch dem Kerngedanken, den später die Expressionisten aufgriffen. So propagierten vor allem Klee, Kandinsky und Marc in ihrem Manifest Der Blaue Reiter die Überlegenheit und Vorbildhaftigkeit der Kunst von Kindern, von Geisteskranken, von volks- wie völkerkundlichen Artefakten, weil sie fern von jedem Kunstwollen noch ungebrochen authentisch und schöpferisch sei. Beispielsweise schreibt Paul Klee 1920 in seinen Tagebucheintragungen: »Diesseitig bin ich gar nicht faßbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.«3 Und an anderer Stelle verdeutlicht er diesen Gedanken noch weiter und stellt gängige Qualitätskriterien geradezu auf den Kopf: »Die Herren Kritiker sagen oft, dass meine Bilder Kritzeleien oder Schmierereien von Kindern gleichen. Mögen sie ihnen gleich sein. Die Bilder, die mein Sohn Felix gemalt hat, sind bessere Bilder als die meinen.«4 Übrigens hatte Klee mit seinem Sohn ein Marionettentheater gebaut und damit leidenschaftlich und viel mit ihm zusammen gespielt, was ihm offensichtlich sehr wichtig war, da er es an mehreren Stellen erwähnt. Was passieren kann, wenn diese konzeptionellen Grundlagen unbeachtet bleiben, möchte ich an einem kurzen Beispiel erläutern: Eines der beiden Athener Kindermuseen lud mich als Vertreter des lokalen Goethe-Instituts zur Eröffnung einer in ihren Augen sehr wichtigen und lokal auch sehr erfolgreichen Ausstellung Malen nach Klee ein. In völliger Umkehrung von Klees Intension wurden die Kinder angehalten, Klee-Bilder abzumalen, und nur diejenigen Arbeiten, die unter kräftiger Einwirkung der Pädagogen den Vorlagen am meisten entsprachen, wurden ausgestellt. Zudem gab es auch noch eine Preisverleihung mit dem Ergebnis, dass viele der offensichtlich unter ungeheuren Leistungsdruck gestellten Kinder, welche leer ausgingen oder keine ersten Preise erhielten, verzweifelt waren, oft sogar weinten. Dazu passend Kandinsky:
2 | Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, Berlin 1967, S. 322 ff. 3 | Paul Klee, Tagebücher, Köln 1995, S. 77. 4 | Ebd., S. 102.
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»Die Erwachsenen, besonders die Lehrer, bemühen sich dem Kinde das PraktischZweckmäßige aufzudrängen und kritisieren dem Kinde seine Zeichnung gerade von diesem flachen Standpunkte aus. […] Das Kind lacht sich selbst aus. Es sollte aber weinen. […] Wie so oft der Fall ist: man belehrt die, die belehren sollten. Und später wundert man sich, daß aus den begabten Kindern nichts wird.« 5
S UMMERHILL UND DIE F OLGEN Diese schon seit Rousseau angelegte »Antipädagogik« war eine der Grundlagen der mit den 60er Jahren einhergehenden Bildungsreformen. Alexander Sutherland Neills 1969 bei rororo erschienene Schrift Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung – Das Beispiel Summerhill wurde zum teils falsch verstandenen Leitbild für das Bemühen um neue demokratische Erziehungsmodelle. In Neills Reformschule war das Klassensystem aufgelöst, und es herrschte das Prinzip der »selbstregulativen Erziehung«, um auch wieder im Rousseau’schen Sinn den schädlichen Einfluss der Erwachsenen und Pädagogen auf den im Prinzip guten Kern des Kindes und seine natürliche Lernwilligkeit so weit wie möglich einzudämmen. Zwar wurde die Erziehung zum Gehorsam als historischer Irrweg an den Pranger gestellt, aber es gab durchaus Regeln und sogar Bestrafungen, die allerdings nicht vorgegeben, sondern auf basisdemokratische Weise von den Kindern in den sogenannten Meetings selbstbestimmt waren. Es waren der deutsche Verlag und die Übersetzerin, die aus dem Terminus »selbstregulativ« mit weitreichenden Folgen das neue, den Zeitgeist prägende Schlagwort »antiautoritär« formten. Natürlich gab es noch viele andere wichtige Faktoren, welche diesen Zeitgeist prägten. Auf allen Ebenen von Kultur, Politik und Gesellschaft wurde jede tradierte Form von Theorie und Praxis einer kritischen Revision unterzogen und grundlegend revidiert. Alles war offen, noch nicht einmal die Begriffe und Namensgebungen für diese neuen Einrichtungen und Initiativen waren einheitlich. Ein Rückblick ist immer lohnend, denn sobald Experten quasi berufsmäßig ein Fachgebiet in Besitz nehmen, herrscht immer die Gefahr, dass sich unmerklich Uniformität und Routine einschleichen. Die Eingrenzung einer Disziplin wie auch einer neuen Institution beginnt erst, wenn sie einen Namen hat bzw. sich ein Name oder Begriff durchsetzt. All die der heutigen Praxis der Kindermuseen vorausgehenden Aktivitäten liefen unter den verschiedensten Begriffen, die entweder das Spielerische und
5 | Wassily Kandinsky/Franz Marc (Hg.), Der Blaue Reiter, Dokumentarische Neuauflage München 1967, S. 168.
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Aktionistische, die Zielgruppe, die Disziplin, die Funktion oder eine Kombination von mehreren Bedeutungsebenen betonten. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass wichtige Impulse für die Entwicklung mit Orten in Verbindung zu bringen sind, wo einzelne visionär-progressive und ideologisch eher linksliberal dem Zeitgeist der 68er Jahre verbundene Kulturpolitiker tätig waren. Allen voran zu nennen sind hier die Kulturdezernenten von Nürnberg, Frankfurt, Köln und München Hermann Glaser, Hilmar Hoffmann, Kurt Hackenberg und Jürgen Kolbe. Unter ihrer Regie sind die ersten größeren Institutionen gegründet worden, die unter unterschiedlichen Namen und auf ganz unterschiedliche Art und Weise das Bildungspotenzial von Museen und Ausstellungen Kindern und Jugendlichen erschließen sollten. In Nürnberg und München formierte sich 1968 jene inzwischen fast schon legendäre aus kritischen Kunsterziehungsstudierenden, Pädagogen, Künstlern und Theoretikern zusammengesetzte Initiativgruppe, die sich nach den Initialen der Begriffe Kunst, Erziehung, Kybernetik, Soziologie »KEKS« nannte, wobei das S für die Soziologie manchmal auch mit dem S für Spiel ergänzt wurde. Michael Popp, Fridhelm Klein, Peter Buchholz, Gerd Grüneisl, Wolfgang Zacharias, Haimo Liebich, Hans Mayrhofer, Wolfgang Kehr und Pino Poggi, die allesamt auf unterschiedliche Weise als Pioniere und Theoretiker die weitere Entwicklung begleiteten und ihr wichtige Impulse gaben, zählten schon damals zum Kern jener eher informell lockeren Vereinigung. Hermann Glaser, der Nürnberger Schul- und Kulturreferent, unterstützte KEKS aktiv, machte die Initiative zum Kernstück seines »Nürnberger Kunsterzieher-Modells« und ermöglichte die feste Einrichtung eines von KEKS betriebenen, explizit außerhalb der Kontrolle und Einflussnahme des Schulbetriebs stehenden Aktionsraumes in der Nürnberger Kunsthalle. Dietrich Mahlow, der damalige Kunsthallenchef, erreichte es 1970 sogar, dass KEKS gegen den Unwillen von weiten Kreisen der deutschen Künstlerschaft auf der 35. Biennale in Venedig einen eigenen Pavillon und ein weiträumiges Freigelände zugewiesen bekam. Dazu ein Auszug aus einem Flugblatt, mit explizitem Bezug auf Rousseau: »KEKS erklärt und charakterisiert, daß es Amüsement und richtiges Spiel bietet: Kreativität, die befreiend und sozialisierend ist. Die Aktionen der Erwachsenen lassen sich in KEKS wie Rousseau’sche Aktion betrachten. Die Aktivität steht im Vordergrund, die den Kindern neue Möglichkeiten bietet. Das ist kein neuer Zwang, denn jedes Kind kann für sich unter der großen Anzahl der Angebote wählen.«
Der aktionistische Ansatz, der die pädagogischen Experimente von den 60er bis in die 80er Jahre prägte, hatte sein Äquivalent in der damals so aufwühlenden postdadaistischen Happening- und Fluxusbewegung auf dem Gebiet der Kunst. Sie unterschied sich von der heute gängigen Praxis der künstlerischen Performance vor allem dadurch, dass das Publikum in die Aktion aktiv einbezogen,
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der Ablauf damit unberechenbar war und die Grenze zwischen Künstler und Betrachter, letztlich intentional auch zwischen Kunst und Leben, aufgehoben wurde. Daneben gab es aber auch schon sogenannte Aktionskünstler, die politische oder themenzentrierte Störungen im öffentlichen Raum inszenierten. Wie sehr die künstlerische Avantgarde und die progressiven Pädagogen miteinander verwoben und verbunden waren, zeigt sich z.B. daran, wie in den frühen 70er Jahren der Münchner Kunstverein unter seinem damaligen Leiter Haimo Liebich zum Diskussionsforum und regelrecht zur Spielstätte für kritische Kunsterziehende umfunktioniert wurde und sich dabei Künstler wie Pino Poggi, welcher der italienischen Arte Povera Bewegung entstammte und eine pädagogische Aktionskunst »Arte utile« begründete, aber auch einige Schauspieler, Musiker, Architekten und Techniker aktiv beteiligten. All die frühen spielpädagogischen Aktivitäten hatten oft aktionistische oder aufwühlend provokative Elemente. In dem vom Kunstpädagogischen Zentrum in Nürnberg betriebenen Kindermalstudio im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und im Malhaus des Düsseldorfer Kunstmuseums durften die Kinder sich so richtig austoben und ohne Themenvorgabe mit Fingerfarben auch die Wände, Böden und Fenster bemalen. In der Kunsthalle Karlsruhe entstand schon Mitte der 60er Jahre ein erster Museumsbereich, bei dem ausgewählte Bilder eines Teils der Sammlung einfach tiefer, auf Augenhöhe der Kinder gehängt wurden. Seit 1973 betreibt die Museumspädagogik dort das erste in einem Kunstmuseum integrierte Kindermuseum. Ganz anders war dagegen der 1973 im Münchner Lenbachhaus geschaffene Aktionsraum Karussell: Hier wurde mit dem Projekt Kinder lernen das Museum kennen der Versuch gemacht, das Museum nicht nur von seinem Angebot, sondern auch in seiner komplexen Organisationsstruktur spielerisch erfahrbar zu machen und zugleich eine Verbindung zwischen dem Kulturort Museum und Stadtteilen an sozialen Brennpunkten herzustellen. Konzipiert und realisiert wurde diese über einen längeren Zeitraum angelegte pädagogische Aktion von ehemaligen Protagonisten der KEKS-Gruppe und war Modell für die unter das Leitmotiv »Umwelt als Lernraum« gestellten spezifisch Münchner spielpädagogischen Aktivitäten. Im sogenannten Mini-München wird jährlich zur Ferienzeit die komplizierte Funktionsstruktur eines Stadtgebildes und unserer Zivilisation mit Arbeitsamt, Geld, Geschäften und Handel, Polizei, Presse, Politik und Wahlen bis hin zur Müllabfuhr realitätsgetreu auf spielerische Weise erfahrbar. Es war immer spannend zu erleben, wie sehr diese künstliche Lebenswelt der Wirklichkeit entspricht und mit welchem Engagement und welcher Wissbegier Kinder sich in dieses Abenteuer Leben begeben. Die hier nur beispielhaft skizzierten Theorien und Vorlaufinitiativen der noch so jungen Institution Kindermuseum waren alle geprägt von dem Bemühen, Kindern einen Entwicklungsraum zu geben, sie in ihrer Selbständigkeit
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zu respektieren und vor schädlichen Einflüssen zu bewahren.6 Es gilt, diesen Freiraum zu verteidigen und darauf zu achten, dass Kindermuseen nicht für Zwecke instrumentalisiert werden, welche der natürlichen Neugier und dem großen kreativen Potenzial von Kindern entgegenstehen.
6 | Dazu im Besonderen die folgende Literatur: Peter Buchholz/Fridhelm Klein/Michael Popp/Wolfgang Zacharias (Hg.), Das Element bei der bildnerischen Klärung funktionaler Zusammenhänge, Nürnberg 1968; Peter Buchholz/Fridhelm Klein/Michael Popp/ Wolfgang Zacharias (Hg.), Manyfold Paed-Action, Nürnberg 1969; Fridhelm Klein/ Hans Mayrhofer/Michael Popp/Wolfgang Zacharias, Wahrnehmungstheorien und ästhetische Erziehung, Nürnberg 1971; Horst Henschel/Wulf Schadendorf (Hg.), Kunstpädagogisches Zentrum – Angebot, Nürnberg 1971; Ellen Spickernagel/Brigitte Walbe (Hg.), Das Museum – Lernort contra Musentempel, Gießen 1976; Gert Grüneisl/Hans Mayrhofer/Fridhelm Klein/Michael Popp/Wolfgang Zacharias (Hg.), Kinder spielen Geschichte, Nürnberg 1977; Hans Mayrhofer/Wolfgang Zacharias, Projektbuch ästhetisches Lernen, Reinbek bei Hamburg 1977; Yvonne Leonard/Helga Schmidt-Thomsen (Hg.), Kinder ins Spiel bringen – Braucht Berlin ein Museum für Kinder und Jugendliche, Berlin 1990; Dagmar von Kathen/Wolfgang Zacharias (Hg.), Initiative Kinder- und Jugendmuseum – Ein neuer Ort kultureller Bildung in der Stadt, Unna 1993; Gert Grüneisl/ Hans Mayrhofer/Michael Popp/Wolfgang Zacharias (Hg.), hands on! Kindermuseen in den USA – Einrichtungen und Initiativen, Nürnberg 1993; Gerd Grüneisl/Wolfgang Zacharias (Hg.), Von KEKS zu KIKS, 1969-2009, München 2009.
Initiative Kindermuseum Ein neuer Kulturort im Trend der Zeit? 1 Wolfgang Zacharias
U NERWARTE T Antizyklisch zum eher resignativ-rezessiven Zeitgeist in öffentlicher Kultur und Bildung tut sich Überraschendes an der Peripherie: Ein neues Interesse für besondere kultur- und museumspädagogische Konzepte und Projekte. Hoffnungsträger? Ideale Projektionen vom tristen Hier und Jetzt aus? In einer unübersichtlichen Talsohle mit wenig schönen Aussichten kommt Lust auf neue Praxis, Hunger nach anschaulicher Information und erfolgreichen, erfolgversprechenden Antworten auf. So und ähnlich die Wahrnehmung des Ereignisses, das im November 1993 unter der Schirmherrschaft der Präsidentin des Deutschen Bundestags Rita Süßmuth im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand. Vordergründig ging es um eine bisher marginale, hierzulande nur von einigen wenigen Initiativen betriebene Innovation: das Kinder- und Jugendmuseum. In der Bundesrepublik gibt es einige kleine, in große Museen integrierte (wie Karlsruhe, Frankfurt, Duisburg) und einige mehr oder weniger um ihre Existenz ringende oder gerade startende Projekte (Nürnberg, Frankfurt, West1 | Dieser leicht gekürzte und überarbeitete Artikel wurde 1993 anlässlich der 1. Internationalen Hands on!-Tagung veröffentlicht, als sich in Berlin zum ersten Mal die internationale Kindermuseumsszene traf, um über die Realisierungschancen von Kindermuseen in Deutschland zu diskutieren. Er dokumentiert noch heute in der Rückschau die Anfangsjahre der Kindermuseen in Deutschland, sowohl methodisch als auch atmosphärisch. Wolfgang Zacharias gehörte zu den Promotoren der Kindermuseumsbewegung in Deutschland und zu den theoretischen Vordenkern. Der Artikel erschien als Einleitung zur Tagungsdokumentation: Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen e.V. (BJKE)/Nel Worm (Hg.), Hands on! Kinder und Jugendmuseum – Kulturort mit Zukunft. Konzepte und Modelle im internationalen Spektrum, Unna 1994, S. 12-20.
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und Ost-Berlin, Hamburg, Fulda, Leipzig, Weimar, Düsseldorf, München und andere) – eine Szene einiger Dutzend Engagierter, die sich seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig trifft und einen Trend zu formulieren versucht, durch experimentelle Praxis wie durch Einmischen in kultur- und museumspädagogische Diskurse zu den kultur- und bildungspolitischen Möglich- und Notwendigkeiten der 90er Jahre. Zu der internationalen Tagung Hands on! Kinder- und Jugendmuseum, Kulturort mit Zukunft2 kamen über 400 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus aller Welt und aus allen Bereichen des Museumswesens, aus kultureller Bildung und entsprechenden Politikfeldern. Ein so unerwartetes Echo gibt zunächst Rätsel auf – ein Insiderthema, bisher eher randständig, trifft offenbar einen Nerv der Zeit.
M ÖGLICHE P OTENZIALE EINES P ROJEK TS K INDERMUSEUM Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass das Thema im Überschneidungsbereich verschiedener Bedarfslagen und Problemfelder liegt, die hier zu kumulieren scheinen und zu denen einige Antworten – allerdings keine Patentlösung – aufblitzen: • Die Kunst- und Kulturpädagogik ist auf der Suche nach Orten, nach Organisationsmustern, die ästhetische Erfahrung und ästhetisches Lernen in ihrer Eigenart eher ermöglichen als die existenten Makrostrukturen des Bildungswesens. Es geht um Differenzierung und die Konsequenzen einer neuen Prominenz des Ästhetischen. • Die Kommunale Umwelt- und Stadtentwicklung hat das Ziel, die Stadt zu öffnen, Kultur- und Bildungslandschaften weiterzuentwickeln, eigenständige Felder der Kinder- und Jugendkultur als Netz urbaner Qualität auszudifferenzieren und sucht praktische Modelle dafür. • Das Museumswesen wird, analog z.B. zum Theater, weiter entsprechend seines öffentlichen Auftrags, seiner derzeit auch ökonomischen Begründbarkeit auf neue Vermittlungsformen und Besucherschichten, auf kommunale und touristisch-freizeitorientierte Akzeptanz angewiesen sein und die Angebotspalette zu erweitern haben. • Der Bedarf und die Suche nach konstruktiven Bildungsformen, nach interaktiven und auch generationsübergreifenden Lern- und Erfahrungsmilieus, die auch Selbstbildungsqualitäten haben, scheint sich zu intensivieren, auch um die medialen und kommerziellen Konkurrenzen in Kindheit und Jugend zu 2 | Organisiert vom Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen (BJKE) und vielen Partnern, unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und dem Berliner Senat.
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kompensieren. Der Kampf um Inhalte in den Kinderköpfen läuft auf Hochtouren, subversiv. Ratlos ist Kultur und Bildung, wie die Forderung nach Sinnstiftung, Orientierung und Erziehung vor dem Hintergrund von Fremdenfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft usw. neu und praktisch einzulösen sei. Multikulturelle Gesellschaften brauchen Austausch und Vermittlung – von Kindheit an. Aber wo und wie? Idee und Konzept des Kindermuseums signalisiert: Das kann es, das könnte es. Der offene Umgang mit den Dingen und ihren Bedeutungen, die Qualifizierung urbaner Umwelt, die soziale Orientierung auch an bisher eher kultur- und bildungsfernen Bevölkerungsschichten, die Akzeptanz des Lernens in eigener Regie und die Verpflichtung sowie die Chance, gesellschaftliche Zeitaktualitäten flexibel aufgreifen und thematisieren zu können, ist prinzipiell im Kindermuseum als Möglichkeit angelegt. Vielleicht kommt daher das projektive Interesse einer breiten Öffentlichkeit unterschiedlicher Professionen.
I NTERNATIONAL Über 200 Kinder- und Jugendmuseen sind in den USA bekannt, vor 100 Jahren wurde dort das erste als »Schulsammlung« gegründet. Die »Großen« dort haben heute bis zu 100 Mitarbeiter und Gebäudekomplexe mit vielen 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Jedes Jahr kommen mehrere neue Kindermuseen dazu, mit Millionenneubauten, im Stadtzentrum oder als örtliche Initiative von Eltern und Lehrern mühsam von Jahr zu Jahr in ausrangierten Räumlichkeiten weiterentwickelt. Das nun ist sowohl Hintergrund wie auch Herausforderung einer besonderen deutschen, europäischen Entwicklung, die jetzt erst zu beginnen scheint. Von den amerikanisch-kanadischen Kindermuseen lernen, und dann vielleicht darüber hinausgehen, einiges anders machen – das war wohl die Chance und Faszination der Berliner Tagung. Referenten aus New York, Chicago, Miami, Hawaii, San Francisco, Toronto, Winnipeg, Mesa/Arizona berichteten aus der Praxis und von der Aktualität ihrer Kindermuseumslandschaft: voller Pragmatik effizienten Machens, überraschenderweise geprägt von einem geradezu pädagogisch-missionarischen Selbstbewusstsein und einer so selbstverständlichen und dominanten sozial-kulturellen Orientierung, die einen hierzulande im neuen Streit um Soziokultur und Allgemeinbildung um deren Sinn und Berechtigung nur wundern lässt: Soziale Verpflichtung und allgemeiner Bildungsauftrag im kommunalen Gewebe der Stadt sind in den amerikanischen Kindermuseen eine Voraussetzung und auch ein Grundpfeiler der ökonomischen Konstruktion, die in guten Teilen auf der Tradition des Fundraising beruht – was allerdings mehr und auch anderes meint als riskante Hoffnung
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hierzulande auf Kulturfinanzierung durch Sponsoring im Bereich von Bildung und Soziokultur. Referenten und Teilnehmende aus über 30 europäischen und außereuropäischen Ländern waren nach Berlin gekommen, von Armenien über Norwegen, von Israel bis Portugal. Der große Ratschlag zum Trend »Kindermuseen auch für Deutschland« wurde unversehens zur bisher größten und vielseitigsten internationalen Veranstaltung in dieser Angelegenheit. Die Amerikaner wiederum staunten. Und sie kommentierten es als eine neue, alte Sache: Europa produziert Ideen, Konzepte, denkt Vieles und grundsätzlich durch, schafft Theorie und plant lange und ausführlich, aber auch ineffizient. Die Amerikaner setzen um, probieren etwas aus, organisieren clever und erfolgreich, auch auf der Basis und mit ausdrücklichem Bezug auf importiertes europäisches Gedankengut: Sie nannten ausdrücklich Herbart, Montessori, Piaget. Und fanden die Berliner Diskurse ziemlich tiefgründig, die Praxismodelle hervorragend, die Organisationsstrukturen und Durchsetzungsstrategien der deutschen Initiative eher harmlos, insbesondere bezogen auf das politische Geschäft und die Öffentlichkeitsarbeit. Es fehlt an professionellem Kulturmanagement.
W AS IST EIN K INDERMUSEUM ? Eine griffig-konsensfähige Definition, ein klares Einrichtungsprofil gibt es derzeit nicht. Allerdings hatten weder die Tagung noch die aktuelle Szene ein verschärftes Bedürfnis danach. Es ist die Chance von Suchbewegungen mit Tendenz und Interesse, dass sich innovative Profile erst im Umgang mit den Themen und Gegenständen herausbilden, zunächst durchaus auch offen gehalten werden – insgesamt, nicht unbedingt im Einzelfall und bei der kommunalen Projektdurchsetzung. Da gilt es klarer zu sagen, was man will und macht – auch wenn dies in Teilen nur taktische Antragslyrik ist, argumentativ für die Beschlussfassung und variantenreich interpretierbar in den folgenden praktischen Setzungen. In Rita Süßmuths Grußwort tauchen solche Tendenzdefinitionen auf, und damit kann man kultur- und bildungspolitisch arbeiten: »Kinder- und Jugendmuseen als eigenständige, innovative Kulturorte leisten einen besonders wertvollen Beitrag in der Jugendbildung, indem sie spielerisch und leicht verständlich soziale, politische und kulturelle Werte vermitteln und zum Nachdenken anregen. Durch die Verknüpfung von Ausstellungen mit Aktivitätsangeboten sowie die Einbindung der Kinder in die Arbeit ›ihrer‹ Museen, lernen Kinder und Jugendliche, dass Kultur kein passives statisches Aneignungsprodukt, sondern ein lebendiger Prozess ist, den es – auch selbst – zu gestalten gilt.« 3 3 | BJKE/Nel Worm (Hg.), a.a.O., S. 22.
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Die Berliner Journalistin Lore Dietzen präzisierte im Rundfunkbericht ihre Beobachtungen: »Kindermuseen sind grundsätzlich anders: Sie sind nicht an bestimmte Sammlungsgebiete gebunden, sie verstehen Artefakte als Zeugnisse von Lebenszusammenhängen, die es wiederzubeleben gilt, sie sind gerichtet auf ganzheitliche Erfahrungen, die von sinnenhaftem Begreifen ausgehen, sind eine Mischung aus Abenteuerspielplatz, Labor und Werkstatt, Bühne für Alltags- und Lebensgeschichte, oder wie Walter Benjamin kindlichen Erlebnisraum schilderte: ›Zeughaus und Zoo, Kriminalmuseum und Krypten‹.«
Auch damit kann man definitorisch gut leben. Der Museumspädagoge und Museologe mit Kindermuseumserfahrung im Experimentierstadium sieht es so: »Das ist ein neuer museologischer Fall. Dieses Museum wird von methodischen oder auch soziopädagogischen Gesichtspunkten ausgehen, wo sonst die Sachgruppe, die besondere Taxonomie – Bild oder Objekt mit Geschichte – das Thema und die Rezeption des Museums bestimmen […] Die Besucherordnung schreibt in vielen Museen vor, Kinder bis zum 12. Lebensjahr oder mehr dürften es nur in Begleitung Erwachsener betreten. Das Kindermuseum bearbeitet diesen Unterschied anders als herkömmliche Museen, es überspielt ihn nicht, es hält sich nicht in ihm auf, etwa dabei, Kinder zu sich heranzubilden. Sondern es versucht tatsächlich, den Unterschied aufzuheben, bewegt sich auf die Kinder zu und adressiert sich an die Kinder. Ohne das ist es nicht erfolgreich und kann auch keine Kinderöffentlichkeit herstellen. Es ordnet sich also in einer bestimmten aktiven Weise der kulturellen Kompetenz von Kindern zu und macht sich diese Bewegung zum Programm. Nicht die Thematik, aber der Grund für ein Kindermuseum ist die Interaktion, in der kommunikative Brücken möglich sind. Das aber nicht in der Weise, dass ein Betreuer seine eigenen kulturellen Bezüge aufgibt, sondern dass diese als Material in der Auseinandersetzung mit Kindern wichtig werden.« 4
Also: Das Kindermuseum und was dort passiert wird zum aktivierenden und qualifizierenden Anlass von Bildungsprozessen, zu Teilen einer persönlichen Bildungsbiografie in unüblichen pädagogischen Bezugsverhältnissen und materialen Arrangements mit Zu- und Eingriffschancen. Dinge und Themen dafür gibt es jede Menge, auch Partner und komplementäre Strukturen von städtischem Umfeld über Familie zum Kindergarten und zur Schule.
4 | Frank Jürgensen, »Das Kinder- und Jugendmuseum – etwas Besonderes?«, in: BJKE/Nel Worm (Hg.), a.a.O., S. 30-32, hier S. 30f.
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A GIEREN UND V ERSTEHEN Der Philosoph und Naturwissenschaftler Gerhard Frank begründet das Kindermuseum als »Ort des Verstehens«.5 Seine Konsequenz ist, die gleichberechtigte Parallelität von zwei Wirklichkeiten, einer Wirklichkeit der Ereignisse und Dinge sowie einer Wirklichkeit der Wörter über Ereignisse und Dinge, zu akzeptieren und Vermittlung sozusagen als entsprechende doppelte Konstruktion, in engster Verzahnung dieser beiden Wirklichkeiten zu betreiben. Es tauchen die alten kunst- und kulturpädagogisch vertrauten Formeln auf: Körper und Kopf, Denken und Machen, Sinn und Sinnlichkeit, Theorie und Praxis, Produkt und Prozess in Balance zu halten. Und das haben die herrschenden pädagogischen Institutionalisierungen eben organisatorisch, im zeiträumlichen Arrangement und entsprechend ihrer gesellschaftspolitischen Rolle (z.B. Qualifikationserwerb) so nie recht geschafft. »Verstehen ist so gewissermaßen ein zweifaches Einordnen, das sowohl dem sensomotorischen wie dem linguistischen Bereich Kreativität abverlangt. Echtes Verstehen eines Problems oder einer bisher unbekannten Erfahrung erfolgt daher stets in einem lebendigen Wechselspiel zwischen Experiment und gedanklicher Konstruktion.« 6
Klar, die Hoffnung wird auf den neuen Kinderkulturort und seine interaktive, seine materielle und immaterielle Struktur (die Dinge und ihre Bedeutungen) und ein innovatives zeiträumliches Nutzungsarrangement mit durchaus pädagogischer Legitimation projiziert. Gerhard Frank: »Ich glaube, dass wir uns damit genau an jener Stelle befinden, an der hands-onMuseen, und im speziellen, interaktive Kindermuseen, gesellschaftlich greifen. Sie erscheinen gewissermaßen als ›pädagogische missing links‹, als längst fällige pädagogische Ergänzungen in einer Zeit, die dem Verstehen eine allzu rationalisierte Note verliehen hat. Indem sie den kognitiven Prozess von seinen körperlichen Wurzeln her inszenieren, ergänzen sie die traditionellen intellektualisierten Formen der Vermittlung. Sie ergänzen sie mit jenem basalen sensomotorischen Anteil, der uns ein Leben lang an Kindheit bindet.«7
Vielleicht ist genau dies ein Teil der Faszination, hinter dem vordergründigen Thema Kindermuseum: Die Chance der experimentellen Konstruktion eines anderen Lern- und Bildungsortes, die Verheißung eines insbesondere ästhe5 | Gerhard Frank, »Das Bild dahinter. Zur Philosophie des Hands on«, in: BJKE/Nel Worm (Hg.), a.a.O., S. 48-57. 6 | Ebd., S. 56. 7 | Ebd., S. 57.
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tisch strukturierten Ortes für Sinneserfahrung und rationales Verstehen gleichermaßen.
N EUTR ALER O RT FÜR MULTIKULTURELLES E NGAGEMENT Es sind die Amerikaner, die mit dem selbstverständlichen Bekenntnis zur soziokulturellen, interkulturellen Qualität als besonderer Inhaltlichkeit des Kindermuseums überraschen. Zunächst sind amerikanische Kindermuseen, von außen gesehen und für den einmaligen Besuch, attraktive Orte des Spielens und Experimentierens, kleinere und größere Erlebnislandschaften physikalischer, naturwissenschaftlicher, historischer und künstlerischer Phänomene sowie alltäglicher Umweltereignisse (Verkehr, Stadt, Zusammenleben) gerade auch für kleine Kinder und in den großen Kindermuseen für die ganze Familie. Gemäß ihrem Selbstverständnis aber haben amerikanische Kindermuseen wesentlich weitere Aufgaben. Beispielsweise schreibt Marjorie LefcowitzSchwarzer8, pädagogische Leiterin des Chicago Children’s Museum – das einer der wenigen »sicheren« Orte der Begegnung der verschiedenen Kulturen und ethnischen Milieus ist –, von schwarzen Kindern und von weißen Kindern, die dort erstmals den jeweils anderen leibhaftig und im gemeinsamen Lernen und Spielen begegnet sind: Ersterfahrungen realer multikultureller Vielfalt, Akzeptanzversuche über Begegnungen und Gemeinsamkeiten an einem besonderen Ort. »In den USA helfen Museen, das neue Paradigma der multikulturellen Gesellschaft zu formen. Verschiedene Faktoren haben den Eintritt der Museen in die multikulturelle Debatte beeinflusst«, sagt Marjorie Lefcowitz-Schwarzer, weiße, jüdische Vertreterin des herrschenden Establishments, das derzeit etwa in Chicago demografisch in die Minderheit gerät. Sie fragt: »Was lehrt uns das Museum? Zu wem spricht das Museum?«, und sie zitiert als Antwort zwei Museologen: »Die Museen übernehmen neue Rollen in dieser multikulturellen Gesellschaft: Die herrschende Theorie der Museumspädagogik, dass Hochkultur zu den Massen heruntertröpfelt, wird nicht mehr gedankenlos akzeptiert […] Museen werden aufgefordert, ihre Sammlungen und Ausstellungen für bisher marginalisierte Gruppen zu öffnen. Wie die Museen sich selbst für neue Besucherschichten öffnen, so müssen wir selbst uns auch öffnen für Interpretationen vom Standpunkt derer aus, denen wir dienen wollen.« 9 8 | Marjorie Lefcowitz-Schwarzer, »Zur multikulturellen Vielfalt in amerikanischen Kindermuseen«, in: BJKE/Nel Worm (Hg.), a.a.O., S. 89-93, hier S. 89ff. 9 | Ivan Karp/Steven Levine, »Museums Take on New Roles in This Multicultural Society«, in: The Chronicle of Higher Education /1993, S. B3 , zitiert in: Marjorie LefcowitzSchwarzer, a.a.O., S. 90.
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Sie begründet diese Position sowohl soziokulturell als auch moralisch und auch als ökonomische Notwendigkeit für das Überleben der Museen in der kommunalen Gesellschaft. Für die BRD klingt das wie eine Renaissance von Argumentationsfiguren der 1970er Jahre, die heute einerseits etwas obsolet wirken, andererseits aber weder analytisch-methodisch noch politisch überholt, in der Sache gelöst sind. In den USA gelten Kindermuseen als eine pragmatisch-pädagogische Antwort auf die Dynamik multikultureller Gesellschaften und ihrer Irrationalismen und Gefährdungen. Und deshalb boomt die Bewegung. Lefcowitz-Schwarzer: »Meiner Meinung nach realisieren Kindermuseen ihr größtes Potential dann, wenn sie eine flexible Lernumgebung schaffen, die mit dem Zeitgeist verknüpft ist und die dauerhafte Neuverhandlungen gerade ihrer fundamentalen Versprechungen erlaubt.«
G RÜNDE FÜR EINEN K INDERMUSEUMSBOOM Gail Dexter Lord aus Toronto10 begründet, warum Kindermuseen eine große Zukunft haben werden, mit der Doppelqualität der Kindermuseumsprojekte, die einerseits Bedürfnisse und Interessen der Kinder und Jugendlichen ziemlich genau treffen und andererseits fähig sind, solide kommunale Unterstützung wie auch weitere Gelder zu erhalten, auch in sich ökonomisch verändernden Zeiten (bleibt allerdings abzuwarten, ob sich das auch für die bundesdeutsche Sondersituation der 1990er Jahre bewahrheitet). Sie nennt sechs generelle Trends, die die Kindermuseumsbewegung begünstigen, und meint, diese Faktorenkonstellation sei erfolgsrelevant bei engagierter und professioneller Initiative: • Die Zahl der Kinder steigt, wir haben in Europa derzeit das »Babyboomecho« des ersten Babybooms zwischen 1961 und 1969. • Die Eltern haben heute insgesamt einen höheren Bildungsstandard als früher, insbesondere Eltern kleinerer Kinder. • Die Kindermuseen treffen auf ein reales Bedürfnis nach sowohl unterhaltsamen wie lehrreichen Erfahrungen sowohl für Eltern wie für kleinere Kinder. • Kindermuseen sind kosteneffektive kulturelle Investitionen. Sie haben höhere durchschnittliche Besucherzahlen bezogen auf die Kosten als alle anderen Typen von Museen. Kindermuseen decken einen höheren Kostenanteil als andere Museen durch Eintrittspreise ab. • Kindermuseen sind erfolgreich in der Revitalisierung nicht mehr gebrauchter Gebäude (vom Geschäftshaus über den historischen Ort zur Fabrik). 10 | Gail Dexter Lord, »Kindermuseen – kulturelle Orte mit großer Zukunft«, in: BJKE/ Nel Worm (Hg.), a.a.O., S. 41-46, hier S. 41ff.
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• Eine steigende Aufmerksamkeit für Kinderrechte und die Forderung, dass Kultureinrichtungen für Leute verschiedenster sozialer und ökonomischer Hintergründe zugänglicher sein sollten, unterstützt die Gründung und den Ausbau von Kindermuseen. Sie werden erfahrungsgemäß weit mehr von Familien aller sozialer Schichten und unterschiedlicher ethnischer Herkunft besucht als andere Museumstypen.
E IN EIGENER EUROPÄISCHER W EG , EINE BESONDERE DEUTSCHE F ORM ? Es sind zwei Tendenzen, die eine besondere deutsche und vielleicht europäische Kindermuseumsbewegung von der amerikanischen Erfolgsvorgabe unterscheiden könnten bzw. diese weiterentwickeln würden – sozusagen eine Art modernisierter, vor allem organisatorisch-methodisch veränderter Chromosomensatz für neue Initiativen. Es entsteht eine Begründungsgemengelage aus ambitionierter, soziokultureller und inhaltlicher Legitimation, pragmatischer Finanzierungs- und Managementeffizienz und dem Folgenden: Die deutsche Museumspädagogik der letzten zwei Jahrzehnte hat sich von der Dienstleistungsabteilung für das jeweilige Museum konzeptionell zu einem eigenständigen Arbeitsfeld weiterentwickelt, das zwischen dem Museumswesen und einer kommunalen Umwelt, der Stadt mit ihrer Infrastruktur, generell vermittelt: Die vor allem jugendlichen Besucher werden mit dem Prinzip des Museums und dem Gebrauch von Museen vertraut, das Museum und sein besonderes Vermögen der Musealisierung entfaltet sich auch lebensweltlich in die urbanen Räume selbst hinein. Museumspädagogik veranschaulicht nicht nur die Dinge und Inszenierungen des einzelnen Museums selbst, sondern auch die Tätigkeiten des Museums, das Suchen, Sammeln, Bewahren, Ordnen und Erforschen, Präsentieren und Vermitteln. Dies ist gleichermaßen Inhalt wie Methode einer erweiterten Museumspädagogik, auch eine Art Museumspropädeutik, die insbesondere Kinder und Jugendliche im Anspruch allgemeiner Bildung für den aktiven Gebrauch der Museumslandschaft insgesamt motivieren und qualifizieren soll. Für diese erweiterte museologische Vermittlungsaufgabe ist Ort und Prinzip eines Kindermuseums eine ideale Gelegenheit. In der 1990 von der UN verabschiedeten Kinderrechtskonvention wird das Recht der Kinder auf eigene Kulturen, auf Bildung, Freizeit und Spiel festgeschrieben: Dafür braucht es auch Infrastrukturen, etwa analog zur Kulturlandschaft für Erwachsene. Kinder- und Jugendkultur in öffentlicher Förderung ist nun mehr – und anders als Schule und Aufsicht – Entlastung der Erwachsenen. Partizipation ist das aktuelle Stichwort dafür. Kinder sollen über ihre Belange mitbestimmen – in ausreichend repräsentativen Formen und Verläufen.
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Das Kindermuseum versteht sich als Teil dieser Kinderrechtsdiskussion: Kinder sind aktiver Teil des Kindermuseums selbst, nicht nur Besucher, sondern auch hinter den Kulissen, als Mitmacher, als Gestalter ihrer Kulturen und deren Präsentation. Insofern können Kindermuseen auch besondere Labors kinderkultureller Experimente und Aktions- sowie Ausdrucksformen (etwa Spiel) sein, auch deren Vermittler zu den Erwachsenen. Kindermuseen sind dann Agenten für Kinderinteressen sowohl in der historischen Bearbeitung wie in der aktuellen Produktion und Reflexion von Kinderkultur.
D IE B E WEGLICHKEIT DER O BJEK TE UND DAS S PIEL MIT DEM S CHRECKEN Kinder wollen ihre inneren Welten und ihre äußeren Erfahrungen insbesondere da, wo es um Ängste, um Unsichtbares wie auch Faszinierendes, um Geheimnisvolles und Unbegreifliches geht, in ihrem Museum veranschaulicht und gespiegelt bekommen und sich dies dann in Tätigkeiten, in Bewegung und Dramatisierung, erschließen können, je nach eigenen Aneignungsrhythmen. So jedenfalls lauteten einige Aussagen und Plädoyers für ein gar nicht so schönes, sauberes, widerspruchsfreies Kindermuseum. Ausgehend von der kulturellen Realität von Horrorfilmen, bezieht sich Monika Schwärzler auf das »Böse« im Kinder- und Jugendmuseum: »Horrorfilme befreien Dinge aus ihrer Artigkeit. Die Frage ist nun, wie Museen ihre Objekte vorführen. Im Museum sind die Dinge beständige. Ihr Wille zum Streich, Witz, Schrecken liegt tief verschüttet. Während sie in den Horrorfilmen unversehens andere sind, kann man sich im Museum probeweise wegdrehen und wenn man wieder hinsieht, hat sich absolut nichts geändert und die Dinge halten gleichmütig und träge stand […] Objekte – rührt euch! So könnte der neue Appell, die neue Losung heißen und in den an sich wohldefinierten Verhältnissen des Museums ein Element der Bewegung einführen.«11 Das ist dann doch mehr als einfach Hands on!, auch wenn dies als Voraussetzung erst einmal zu akzeptieren ist: »Ein gut sortiertes Kinder- und Jugendmuseum braucht heute eine Schreckenswerkstatt, um nur annähernd jenes Maß an Adrenalinoutput zu garantieren, das die Kinder haben, wenn sie beispielsweise zuhause am Computer ›mortal combat‹ spielen.«12 Das wirksame Unbekannte, Unsichtbare, Fremde, Ängstigende zwischen Wirklichkeit und Kinderköpfen zur Bearbeitung inszenieren und freigeben, die 11 | Monika Schwärzler, »Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann? Zur möglichen Sensation des Bösen in Kinder- und Jugendmuseen«, in: BJKE/Nel Worm (Hg.), a.a.O., S. 63-69, hier S. 64f. 12 | Ebd., S. 68.
Initiative Kindermuseum
Wege und Wechselspiele zwischen Innen und Außen öffnen und ermöglichen – hier scheint eine neue durchaus kunst- und kulturpädagogische Dimension auf, vielleicht über das Kindermuseum hinausweisend – aber eben auch dort, wie Monika Schwärzler es als »ein Plädoyer des Schreckens und Anschluss der Hinterzimmer« formuliert: »Im Museum drängt sich alles auf ein paar Quadratmeter Beletage. Die Festbeleuchtung brennt erbarmungslos herunter. Das könnte noch böse enden.« Das ausgesprochen produktive Berliner Kindermuseumstreffen hatte auch seine vorder- und hintergründigen Verläufe, einen üppigen Projektmarkt und ein heftiges Presseecho. Die taz betitelte ihren Bericht »Kleine Monster im Museum« und schrieb: »Die Idee, die dahinter steht, ist ebenso einfach wie schlüssig: Die traditionellen Museen nehmen Kinder als BesucherInnen nicht ernst genug, also müssen neue Museen speziell für Kinder geschaffen werden. Räume, in denen sie nach Herzenslust spielen, doktern, laborieren dürfen. Wo alles berührt, verrückt, verschoben werden darf. Orte, die nach den Wünschen der Kinder entstehen, sich täglich wandeln, angereichert sind mit allem, was Kinder mitbringen, aufheben, sammeln wollen: Abziehbildchen, Dinosaurier aus Gummi, Küchenmaschinen oder Weltkriegsorden.« 13
Für die nächsten Jahre und eine Zukunft für das Prinzip Kindermuseum gilt es nun, einerseits die kulturellen und pädagogischen Definitionen im Dauerdiskurs offenzuhalten, und andererseits die zeiträumlichen Organisationsmuster als flexible zu professionalisieren, mit Finanzierungskonzepten, Arbeitsformen, die so kreativ wie nur möglich zu entwickeln und dann zu sichern sind. Die Berliner Tagung war dafür ein unüberhörbarer Startschuss.
13 | N.N., »Kleine Monster im Museum«, in: die tageszeitung, 15. November 1993, o.S.
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Kinder und Museum – das ist kein Widerspruch mehr. Weltweit gehören Kinder und Jugendliche zu einer der großen Besuchergruppen von Museen. Sie kommen – zweifelsfrei nicht immer aus freien Stücken, sondern vielfach im Rahmen von Ausflügen im Klassenverband –, aber sie kommen und bevölkern eine unserer schönsten Kultureinrichtungen. Das war nicht immer so. Museen sind Orte des Transfers – ihre Ausstellungen schlagen Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Deshalb sind sie wie kaum ein anderer Ort dazu geeignet, Menschen über den eigenen Tellerrand blicken zu lassen. Auf synchrone wie diachrone Weise ermöglichen sie Einblicke in andere Kulturen, andere Zeiten – kurzum in andere Welten, andere Sichtweisen. Das war schon immer so, aber Museen waren keinesfalls zugänglich für alle Bürgerinnen und Bürger und schon gar nicht für Kinder.
D IE E NT WICKLUNG EUROPÄISCHER M USEEN Europäische Museen haben ihre Wurzeln in den fürstlichen Sammlungen des 16./17. Jahrhunderts. Diese Sammlungen enthielten Kostbarkeiten, Kuriositäten, Raritäten, und versammelten die persönlichen Interessen bzw. Obsessionen ihrer Gründer. Erst durch die französische Revolution im 18. Jahrhundert und die damit einhergehenden gesellschaftspolitischen Veränderungen entstand das moderne europäische Museum, dessen Zielsetzung mit den Begriffen Öffnung und Bildung umrissen werden kann.1 Großen Einfluss auf die Ent1 | Den ersten Museumsbau des europäischen Kontinents, das Fridericianum in Kassel, ließ der hessische Landgraf Friedrich II. 1779 nach klassischem Vorbild von seinem Baumeister du Ry errichten. Das Museum nahm das Kunst- und Kuriositätenkabinett, die Antikensammlung, das astronomische Kabinett und die Bibliothek der landgräflichen Sammlung auf und machte sie im neu errichten Museum erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Vgl. Dirk Schwarze, »Fridericianum bleibt Kunsthalle«, in: Kunstforum international, Bd. 136, 1997, S. 476f.
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wicklung der Museen hatten auch die Gewerbeschauen und Weltausstellungen mit ihren »Präsentations- und Inszenierungskünsten«2 , die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts populär wurden. Die in Gang gesetzten Demokratisierungsprozesse offenbarten den desperaten Bildungsstand mittlerer und unterer Gesellschaftsschichten. Aus dem Bestreben, das Bildungsniveau dieser benachteiligten Bevölkerungsschichten anzuheben, entstand die Volksbildungsbewegung, die zwischen 1890 und 1900 ihren Höhepunkt erlebte. Einer der ersten Museumsdirektoren in Deutschland, der sich diesem Bildungsauftrag widmete, war Alfred Lichtwark (1852-1914), Direktor der Hamburger Kunsthalle. Innerhalb der Museumswelt engagierte er sich auf Kongressen und Tagungen verstärkt für den Bildungsauftrag der Museen, konkret führte er in der Kunsthalle Hamburg Vorträge und Führungen für Laien sowie die Beschriftung der ausgestellten Objekte ein. Die strukturelle Öffnung des Museums gelang ihm durch die Erweiterung der Öffnungszeiten an Wochenenden und Abenden und ermöglichte so auch Werktätigen den Museumsbesuch. Um die Jahrhundertwende richteten sich die europäischen Museen vor allem an erwachsene Besucher. Zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit von Museen und Schulen kam es in den 1930er Jahren, für die besonders der Pädagoge Adolf Reichwein (1898-1944) im Museum für Deutsche Volkskunde in Berlin Maßstäbe setzte. Als Leiter der Abteilung »Schule und Museum«3 konzipierte er Schauausstellungen mit Bezug zur Lebenswelt jugendlicher Besucher aus der Überzeugung, mit diesen Mitteln das Interesse dieser Besuchergruppe zu wecken und zu treffen.4 Auf internationaler Ebene wurden schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg der Ausbau des Bildungsauftrages und damit die Einbeziehung von Kindern als Zielgruppe zu Arbeitsschwerpunkten des Fachverbandes der Museen, dem International Council of Museums. 1946, im Jahr seiner Gründung in Paris, wurden die Fachgruppen »Educational Work in Museums« und »Children’s Museums and Activities Concerning Children in Museums« eingerichtet. Die Mitglieder der zweiten Fachgruppe kamen überwiegend aus den USA, dem Gründerland der Kinder- und Jugendmuseen. In anderen Ländern blieben Kin2 | Gottfried Korff, »Die Eigenart der Museumsdinge. Zur Materialität und Medialität des Museums«, in: Kirsten Fast (Hg.), Handbuch der museumspädagogischen Ansätze, Opladen 1995, S. 17-28, hier S. 21. 3 | Ulrich Amlung, »Das Museum als lebendige Anschauungs-, Lern- und Arbeitsstätte für eine erzieherisch gelenkte Schularbeit. Zur Museumspädagogik des Leiters der Abteilung ›Schule und Museum‹ am Staatlichen Museum für Deutsche Volkskunde in Berlin, Adolf Reichwein (1939-1944)«, in: Standbein Spielbein 44/1996, S. 11-15, hier S. 11. 4 | Vgl. Adolf Reichwein, »Schule und Museum«, in: Deutsches Schulverwaltungsarchiv, 38/1941, S. 3-11.
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dermuseen zu diesem Zeitpunkt noch bedeutungslos – anders in den USA, wo es nach dem Zweiten Weltkrieg bereits zur zweiten Kindermuseumsgründungswelle seit der Jahrhundertwende kam.5
D IE A NFÄNGE DER K INDERMUSEEN IN DEN USA Das älteste Kindermuseum der Welt, das Brooklyn Children’s Museum in New York6, konnte vor wenigen Jahren bereits sein 100-jähriges Bestehen feiern. Die Initiative zur Gründung dieses ersten Kindermuseums ging von Willy Goodyear, dem Direktor der Kunstsammlungen des Brooklyn Institute of Art and Science, aus. Aufbereitung und Präsentation der Sammlungen im traditionellen Museum schienen ihm zu komplex und zu wenig ansprechend für Kinder, stattdessen nahm er das Rezeptionsverhalten und den Wissensstand von Kindern als Ausgangspunkt für seine Ausstellungskonzeptionen. In der expliziten Besucherorientierung auf eine Zielgruppe bestimmten Alters liegt die eigentliche Innovation seines Ansatzes. Dieser Gedanke wurde das Credo aller Kindermuseen. In den Gründerjahren der Kinder- und Jugendmuseen um die Jahrhundertwende wurden diese neuartigen Anforderungen an eine kindgerechte Museumsarbeit mit aus heutiger Sicht relativ einfachen, jedoch durchaus wirkungsvollen Mitteln umgesetzt: Beispielsweise präsentierte man die Bilder und Objekte schlichtweg tiefer, in Sichthöhe von Kindern, und Texte wurden nicht im Fachjargon geschrieben, sondern dem kindlichen Sprachschatz und Sprachverständnis angepasst. Dass das Konzept des Brooklyn Children’s Museum den Bedürfnissen und Erwartungen des Publikums entsprach, zeigte bereits die Besucherresonanz der ersten sieben Monate, als über 28.000 Gäste gezählt werden konnten. Der Erfolg dieses neuartigen Museumskonzeptes fand Nachahmung, und in der Folge entstanden im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in den Großstädten im Osten der USA weitere Kindermuseen, in Boston 1913, in Detroit 1917. Das 1927 gegründete Children’s Museum of Indianapolis ist heute mit über 380 Mitarbeitern, einer Million Besuchern pro Jahr, rund 30.000 Quadratmetern Fläche und 140.000 Objekten das größte Kindermuseum der Welt und zählt zu den besucherstärksten Kindermuseen überhaupt.
5 | Vgl. Peter Leo Kolb, Das Kindermuseum in den USA. Tatsachen, Deutungen, Vermittlungsmethoden, Frankfurt a.M. 1983. 6 | Es wurde am 16. Dezember 1899 gegründet.
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Historisches Foto einer naturkundlichen Ausstellung im Boston Children’s Museum, Foto: Boston Children’s Museum Seit Anfang der 1960er Jahre verdoppelte sich in den USA alle zehn Jahre die Zahl der Kindermuseen.7 Entscheidenden Anteil daran hatte das Boston Children’s Museum mit seiner bahnbrechenden Ausstellung What’s Inside? aus dem Jahr 1963. Diese Ausstellung entstand unter der Regie des damaligen Direktors Michael Spock und war der Auftakt einer neuen Kindermuseumsdidaktik, die auf die Interaktion der Kinder mit den Objekten setzte. Das bedeutete, dass zu 7 | Bis zum heutigen Tag gibt es nach Angaben der Association of Youth Museums über 200 Kindermuseen in den USA und weltweit über 300.
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diesem Zwecke eigens berührbare Exponate hergestellt werden mussten; für wertvolle Sammlungsobjekte wurden andere Formen der Präsentation erdacht.8 Die Ausstellung sollte dem Wissens- und Forscherdrang der jungen Besucher und ihren Eltern entgegenkommen, indem das Innere alltäglicher Gegenstände offengelegt wurde: ein Baseball, ein Volkswagen oder ein Stück Straße in Originalgröße inklusive Kabel- und Kanalschichten, welches von den Besuchern betreten, angefasst und untersucht werden konnte. Die dadurch für die Besucher möglich gemachte »direct-experienced interactivity«, wie Michael Spock seine Vorgehensweise nannte, wurde als Vorbild von vielen Kindermuseen übernommen und als Methode unter dem Schlagwort »hands on learning« bekannt.9
M E THODIK Die Methodik des Kindermuseums hat sich seit der Gründung des ersten Kindermuseums in Brooklyn immer wieder verändert. Jede Epoche zeigt deutliche Prägungen der jeweiligen zeitgenössischen pädagogischen Strömungen und Ansichten. Um die Jahrhundertwende stützten sich die Initiatoren auf die Theorien des amerikanischen Pädagogen John Dewey (1859-1952), der darauf setzte, Lernprozesse gänzlich auf Erfahrung aufzubauen. Sein pädagogischer Ansatz erlangte unter dem Begriff Learning by Doing in der Reformpädagogik und insbesondere in den Kindermuseen hohe Popularität. Später wurden die Untersuchungen der italienischen Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori (1870-1952) wichtig, deren pädagogischer Ansatz auf dem Bild des Kindes als »Baumeister seiner Selbst« beruht. In ähnlicher Weise fanden die Forschungsergebnisse des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget (1896-1980) Eingang, die zeigen, dass Kinder durch Spiel und Nachahmung ihre Umwelt wahrnehmen, verstehen und verinnerlichen. In den 1990er Jahren war es vor allem die Idee des Kreativitätskapitals des amerikanischen Psychologen Howard Gardner10, welche die Kindermuseen prägte. Er plädierte dafür, dass die Entwicklung und Förderung von Kreativität die wichtigste Fähigkeit ist, die ein Mensch in heutiger Zeit braucht, um den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.
8 | Das Boston Children’s Museum hat im Laufe der Jahre für seine ethnologischen und naturhistorischen Sammlungen ausgeklügelte Aufbewahrungs- und Präsentationsformen entwickelt, die sowohl konservatorisch einwandfrei sind, als auch dem Bildungsinteresse der Besucher dienen. 9 | Siehe Michael Spock, »Looking back on 23 years«, in: Hand to Hand 2/1988, S. 1-6. 10 | Siehe Howard Gardner, »Psychology and Youth Museums«, in: Hand to Hand 3/1992, S. 1-6.
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Historisches Foto aus dem Exploratorium San Francisco, 1970er Jahre, Foto: Exploratorium
Historisches Foto aus dem Exploratorium San Francisco, Foto: Exploratorium
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K ULTUR , B ILDUNG UND M USEEN IN D EUTSCHL AND Der Bildungsauftrag der Museen war nach 1945 nahezu gänzlich hinter Forschungs- und Konservierungstätigkeiten zurückgetreten.11 In der Folge sanken die Besucherzahlen und die gesellschaftliche Relevanz der Institution Museum wurde vermehrt in Frage gestellt. Zur Reaktivierung der Museen als Bildungseinrichtung erarbeitete die »Ständige Konferenz der Kultusminister« 1969 die Empfehlung, »dass das Museum seine Bildungsarbeit gleichgewichtig neben die anderen Aufgaben, nämlich das Sammeln und Konservieren sowie die Forschungsarbeit, zu stellen habe«.12 Übergeordnetes Ziel war es, Museen publikumsnäher zu gestalten, bestehende Schwellenängste abzubauen und so den Kreis der potenziellen Museumsgäste zu erweitern. Nach dem Vorbild der Berliner Abteilung »Schule und Museen« entstanden so in verschiedenen deutschen Großstädten ambulante museumspädagogische Zentren: in Berlin 1961 das Außenamt der Museen, in Köln 1965 das Außenreferat der Museen, 1969 folgte das in Kooperation mit dem Germanischen Nationalmuseum und der Stadt Nürnberg initiierte Kunstpädagogische Zentrum. In München wurde 1973 das Museumspädagogische Zentrum gegründet, und in Hamburg startete das Amt für Wissenschaft und Kunst 1974 das Projekt Museumsgespräche mit Schülern. Innerhalb der Museen wurden die Revitalisierung der Museumspädagogik und die Gründung ambulanter museumspädagogischer Zentren nicht als Errungenschaft betrachtet. Die interne Museumskrise der 1960er Jahre ging in den 1970er Jahren über in eine Phase öffentlicher Kritik, bei der der tradierte elitäre Kunst- und Kulturbegriff in Frage gestellt wurde. Zu den bekanntesten Verfechtern der Forderung, »jedem Bürger die schrankenlose Teilhabe an kulturellen Inhalten zu ermöglichen«, gehörten Hilmar Hoffmann und Hermann Glaser. Die Kulturdezernenten der Städte Frankfurt a.M. und Nürnberg trugen wesentlich und nachhaltig zur Diskussion um die Erweiterung des Kulturbegriffes bei.13 In dieser Diskussion rückten nun auch Kinder und Jugendliche ins Blickfeld: Sie sollten stärker in kulturelle Prozesse integriert werden, von denen man sich eine Art »Langzeitwirkung« erhoffte. Einerseits verstand man Kultur als identitätsbildend und maß ihr kompensatorische Wirkung zu. Andererseits hoffte man, dass Menschen, die in jungen Jahren mit Kultur in Berührung kommen, lebenslängliche Nutzer von Kultureinrichtungen würden. So ist die 11 | Heidi Hense, Das Museum als gesellschaftlicher Lernort. Aspekte einer pädagogischen Neubestimmung, Frankfurt a.M. 1990, S. 72. 12 | Andreas Grote, »Museen als Volksbildungsstätten«, in: Klausewitz, Wolfgang (Hg.), Museen als Volksbildungsstätten, Frankfurt 1975, S. 31-63, hier S. 51. 13 | Hilmar Hoffmann, »Museen in kommunalpolitischer Verantwortung«, in: ders., Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt a.M. 1981, S. 120-128.
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Intention zu verstehen, in der Fläche eigenständige Kulturräume für Kinder zu schaffen. Übergreifendes Ziel dieser eigenen Kulturorte für Kinder und Jugendliche ist und war es, Freiräume außerhalb der Schule zum musischen Schaffen anzubieten und Kinder und Jugendliche zur aktiven Auseinandersetzung mit Musik, Theater oder Literatur zu animieren. Die Mehrzahl dieser Einrichtungen fand schnell außerordentlich guten Zuspruch und wurde fester Bestandteil kommunaler Kulturlandschaften.
K INDERMUSEEN IN D EUTSCHL AND Vor diesem Hintergrund sind die ersten Kindermuseen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Westeuropa in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts innerhalb traditioneller Museen entstanden.14 Der konzeptionelle Ansatz aller Kindermuseen war und ist es, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass es sich lohnt, neugierig zu sein und Fragen zu stellen. Die konsequente Orientierung an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder, ihre Teilhabe bei Gestaltungsund Planungsprozessen, das Lernen durch Experimentieren und kreatives eigenes Schaffen sind die unverzichtbaren Bestandteile und gleichzeitig der Grund für den wachsenden Erfolg des Konzepts »Kinder- und Jugendmuseum«. Die ersten Gründungen waren Kindermuseumsabteilungen innerhalb traditioneller Museen und standen in engem Zusammenhang mit dem Aufbau der Museumspädagogik in Deutschland. Die Vorreiter waren das Juniormuseum im Ethnologischen Museum in Berlin15 (1970), das kinder museum im historischen museum frankfurt (1972) und das Kindermuseum der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (1975). Obwohl die Ausstellungen dieser Kindermuseen bereits in ihren Gründerjahren eine sehr positive Besucherresonanz hatten, brauchten diese neuen Ideen Zeit, um sich in der ehrwürdigen Institution Museum durchzusetzen.
14 | 1975 werden in drei europäischen Städten weitere Kindermuseen gegründet: in Amsterdam das Het Kindermuseum im Tropenmuseum, in Paris das Musée en Herbe, in Brüssel das Musée des Enfants. Siehe Gabriele König, Kinder- und Jugendmuseen. Genese und Entwicklung einer Museumsgattung. Impulse für besucherorientierte Museumskonzepte, Opladen 2002. 15 | Johanna Agthe, »Das Junior-Museum im Museum für Völkerkunde«, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 8/1970, S. 213-220.
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Im Innern des Begehbaren Herzens, Kinder-Akademie Fulda (2009), Foto: Andreas Reeg Der Wunsch, Kinder- und Jugendmuseen zu gründen, wurde deshalb nicht aufgegeben, aber es erklärt, warum Kindermuseen in den 90er Jahren zunächst vermehrt außerhalb der traditionellen Museen entstanden. Überwiegend geht diese Initiative von engagierten Privatpersonen aus; nahezu überall liegt die Umsetzung, das tägliche Handling, in den Händen und auf den Schultern von Frauen, die vielfach gerade in den Anfangsjahren auf ehrenamtlicher Basis tätig waren. Die Profile dieser Kinder- und Jugendmuseen sind dabei so unterschiedlich wie ihre Gründer. In den 1980er Jahren überwog die Idee mobiler Kindermuseen, wie z.B. in Nürnberg das Museum im Koffer, in München das mobile Museum der Pädagogischen Aktion oder das Augusteenager Museum in Freiburg. Von der Mobilität versprach man sich den großen Vorteil, dass das Museum zu den Menschen kommen konnte und nicht die Menschen zum Museum kommen mussten. Sie entsprach dem kulturpolitischen Anspruch, breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen, »die Partizipation aller Gesellschaftsschichten an der kulturellen Praxis zu ermöglichen und in der Folge, die Entwicklung neuer kultureller Ausdrucksformen zu fördern«16. Die Gründung eigenständiger, nicht mobiler Kindermuseen außerhalb traditioneller Museen prägten die 1990er Jahre. In Frankfurt entstand 1987 das Werkstattmuseum 16 | Barbara Eppensteiner, »Die Initiative für Kulturpädagogik. Dezentrale Aktionen. Mobilität und Arbeit im öffentlichen Raum. Ein Nachruf auf die achtziger Jahre«, in: Margarete Erber-Groiß/Severin Heinisch/Hubert Ehalt/Helmut Konrad (Hg.), Kult und Kultur des Ausstellens. Beiträge zur Praxis, Theorie und Didaktik des Museums, Wien 1992, S. 167-177.
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Kaleidoskop, 1988 in Berlin das Neue Universum. Die Initiatoren konzipierten zunächst als Pilotprojekte Ausstellungen an ausgewählten Standorten. Das erste eigenständige Kindermuseum mit eigenem Haus und ganzjährigem Ausstellungsbetrieb entstand 1991 mit der Kinder-Akademie Fulda, ihr folgten 1997 das Kindermuseum Labyrinth in Berlin und viele andere.
U ND HEUTE Unter welchem Einfluss auch immer Kindermuseen standen und stehen, ihr großes Ziel ist es, außerschulische Bildungsorte zu schaffen, die Kindern und Jugendlichen positive Lernerfahrungen ermöglichen. Kindermuseen mit ihrer 100-jährigen Geschichte kommt das große Verdienst zu, die Besucherorientierung nachhaltig und konsequent in die Museumsentwicklung eingebracht zu haben. Mittlerweile gibt es weltweit Kindermuseen unterschiedlichster thematischer Ausrichtung in allen möglichen Ausprägungen: als Institution mit eigenem Haus, als Abteilung traditioneller Museen, als temporäres Ausstellungshaus oder als mobile Einrichtung. Kinder und Museum: Das ist wahrlich eine Erfolgsgeschichte.
Anhang
Autoren
Beyer, Annette Annette Beyer studierte Kunstgeschichte, Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte, Ur- und Frühgeschichte. Seit 1991 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Museum im Koffer e.V., Nürnberg, und seit 2006 leitet Beyer das Kindermuseum Nürnberg. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins Museum im Koffer e.V. Frangenberg, Georg Seit 1994 leitet Georg Frangenberg den Ausstellungsbereich in dem Düsseldorfer Verein Akki – Aktion und Kultur mit Kindern e.V. und ist zuständig für Entwicklung, Produktion, Betrieb und Vertrieb von Mitmachausstellungen. Davor war er freier Mitarbeiter in den pädagogischen Abteilungen verschiedener Kunstmuseen. Frangenberg studierte Kunst und Geschichte auf Lehramt mit 2. Staatsexamen. Gesser, Susanne Susanne Gesser ist seit 1992 Kuratorin für das kinder museum frankfurt, das sie seit 1998 leitet und welches dem historischen museum frankfurt angehört. Sie hat zahlreiche Ausstellungen für Kinder sowie in Zusammenarbeit mit ihnen kuratiert und ist Projektleiterin der Dauerausstellung Frankfurt Jetzt! mit dem Stadtlabor für die Neukonzeption des historischen museums frankfurt. Gesser ist Gründungsmitglied des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. sowie des Bundesverbandes der Deutschen Kinder- und Jugendmuseen e.V. (Vorstandsmitglied von 1997 bis 2000). Sie veröffentlichte zu museumspädagogischer Praxis und Kindermuseen sowie zu museologischen Fragestellungen. Sie absolvierte diverse Lehraufträge an den Universitäten Frankfurt a.M. und Gießen und tritt mit internationalen Vorträgen in Erscheinung. Gigas, Bert Bert Gigas ist Erzieher und studierter Sozialpädagoge mit Schwerpunkt Spielund Erlebnispädagogik und war zunächst in der Kultur- und Bildungsarbeit,
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dann im Kontext von Kinder- und Jugendmuseen (z.B. bei PA/SPIELkultur München) tätig. Gigas schreibt Beiträge für Fachzeitschriften und Fachbücher. Seit 2010 arbeitet er am Kinder- und Jugendmuseum EnergieStadt, Leverkusen. Gillmann, Ursula Ursula Gillmann ist Ausstellungsgestalterin, Innenarchitektin und Museumswissenschaftlerin. Ihre Erfahrungen als Szenografin hat sie zunächst im Museum für Gestaltung Basel gesammelt. 1995 gründete sie das atelier gillmann, welches bisher rund 100 Ausstellungen für Museen und kulturelle Institutionen im deutschsprachigen Raum realisiert hat. Tätigkeitsschwerpunkte sind Konzeptentwicklung, Szenografie, Gestaltung, Planung und Realisierung von Ausstellungen und Museumseinrichtungen sowie Beratung für kulturelle Projekte. Seit 2003 arbeitet das atelier gillmann in der arge gillmannschnegg für internationale Projekte mit dem Büro groenlandbasel zusammen. Seit 2009 ist sie Professorin für Ausstellungsdesign an der Hochschule Darmstadt. Jennings, Gretchen Gretchen Jennings ist Museumspädagogin und Leiterin zahlreicher Ausstellungsprojekte, darunter Wanderausstellungen wie Invention at Play (Lemelson Center, Smithsonian’s National Museum of American History [NMAH], Washington DC, 2002-2011), und Psychology (The Children’s Museum, Boston; The Exploratorium, San Francisco u.a., 1992-2004). Von 2005 bis 2007 war Jennings Director of Education, Interpretation and Visitor Experience am NMAH in Washington, DC. Neben zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen lehrt sie regelmäßig Museumspädagogik für das National Council of Science Museums in Kolkata, Indien. Seit 2007 ist Jennings Chefredakteurin der amerikanischen Fachzeitschrift Exhibitionist (National Association of Museum Exhibition). König, Gabriele Gabriele König ist seit 1995 die Geschäftsführerin der Kinder-Akademie Fulda. Zuvor war sie von 1991 bis 1994 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Hygiene-Museum, Dresden. Mit einem Hintergrund in Empirischer Kulturwissenschaft und Linguistik des Englischen promovierte sie 1999 zum Thema Kinder- und Jugendmuseen. König ist Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Kinder- und Jugendmuseen e.V. sowie des Landesverbandes der hessischen Jugendkunstschulen. Zu ihrem Tätigkeitsprofil gehören Lehraufträge zu Kulturmanagement an der Universität Tübingen und der Hochschule Fulda.
Autoren
Leonard, Yvonne Yvonne Leonard studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Politik. Als Gründungsmitglied und Leiterin des Berliner Vereins Das Neue Universum e.V. plant, entwickelt und realisiert sie seit 1987 Ausstellungen für Kinder und Jugendliche zu meist naturwissenschaftlichen Themen als verantwortliche Kuratorin: u.a. Ist der Ball rund?, Schall und Rauch, ZeitReise. Aktuell tourt Here Comes the Sun, eine Ausstellung über die Sonne und Nutzungsmöglichkeiten von Energie – von Münster nach Istanbul. Leonard ist derzeit verantwortliche Kuratorin am Institut der Physik der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war künstlerische Leiterin des Einsteinjahres am Einsteinforum Potsdam (2006). Zuletzt veröffentlichte sie »Kindermuseen – oder wie zeigt man Kindern das Wissen, das die Welt zusammenhält«. Limmer, Elisabeth Seit Dezember 2007 ist Elisabeth Limmer Direktorin des Kindermuseums mondo mio! im Westfalenpark Dortmund. Von 2002 bis 2005 leitete sie das Museum turmdersinne für Menschen ab 14 Jahren in Nürnberg. Davor war sie von 1994 bis 2002 Ausstellungsleiterin des ZOOM Kindermuseums in Wien und konzipierte dort den ersten permanenten Ausstellungsbereich für Kleinkinder OZEAN, der 2001 als erste Einrichtung dieser Art im deutschsprachigen Raum eröffnet wurde. Sie studierte an der Hochschule für Gestaltung, Linz. Lorenz, Claudia Claudia Lorenz ist Diplompädagogin und studierte Soziologie und Erziehungswissenschaften. Als freie Mitarbeiterin arbeitete sie u.a. im Kindermuseum Leipzig sowie für das Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege Sachsen mit den Schwerpunkten archäologische Ausgrabungen und deren Dokumentation und Präsentation. Ab 1998 war sie als freie Mitarbeiterin in verschiedenen Kindermuseen beschäftigt und übernahm ab 2002 die Leitung des Kindermuseums im FEZ-Berlin. Mesenhöller, Peter Peter Mesenhöller ist Referent des Museumsdienstes Köln, seit 2001 Leiter der Museumspädagogik im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt sowie seit 2010 Kurator des dazugehörigen JuniorMuseums. Mesenhöller studierte Europäische Ethnologie und Kulturanthropologie mit den Arbeitsschwerpunkten Museologie, Migrationsforschung und Visuelle Anthropologie. Von 1984 bis 2006 war er als freier Mitarbeiter für Ausstellungen und Medien in der BRD, Großbritannien und den USA tätig.
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Kindermuseen. Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
Oelkers, Jürgen Jürgen Oelkers ist Erziehungswissenschaftler und Professor an der Universität Zürich (Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik). Zuvor lehrte er an den Universitäten Lüneburg (1979-87) und Bern (1987-99). Seine Forschungsgebiete sind Geschichte der Pädagogik (18. und 19. Jahrhundert), Reformpädagogik, Bildungstheorie, Lehrerbildung, analytische Erziehungsphilosophie. Oelkers ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Pädagogik. Er war von 1999 bis 2011 Bildungsrat im Kanton Zürich und ist Mitglied im Vorstand des zivilgesellschaftlichen »Forum Bildung«. Ostermeyer, Stefan Stefan Ostermeyer studierte Architektur in Hannover und Dublin und arbeitete mehrere Jahre als Architekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Architektur und Entwerfen an der Bauhaus-Universität Weimar, bevor er 2003 Theater- und Kulturmanagement in Frankfurt a.M. studierte. Er arbeitete u.a. für die Kammerakademie Berlin und das Kunstfest Weimar als Konzertdramaturg, Kulturmanager und Ausstellungsgestalter sowie als Dozent. Seit 2005 gehört er zum Team des Kindermuseums im FEZ-Berlin. Hier organisiert er den Ausstellungsverleih und arbeitet an Neuproduktionen mit. Pfeiffer-Frohnert, Ute Ute Pfeiffer-Frohnert studierte Vor- und Frühgeschichte, Ethnologie und Skandinavistik in Berlin und Kopenhagen. Seither beschäftigt sie sich mit der Vermittlung von Experten- und Detailwissen im Rahmen öffentlicher Ausstellung im Themenfeld Umwelt, Energie und Klima. Seit 1997 koordiniert PfeifferFrohnert die Abteilung »Konzept, Weiterentwicklung und Pädagogik« im Kinder- und Jugendmuseum EnergieStadt, Leverkusen. Pöhlmann, Wolfger Wolfger Pöhlmann studierte Grafikdesign, Kunstgeschichte, Archäologie und Pädagogik. Ab 1968 war er freier Mitarbeiter an der Kunsthalle und am Kunstpädagogischen Zentrum im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Von 1972 bis 1974 war er maßgeblich am Aufbau des Museumspädagogischen Zentrums in München beteiligt. Viele Jahre war er danach als Kurator und Kunstkritiker tätig. Von 1984 bis 1988 war er im Kulturreferat der Stadt München zuständig für Ausstellungen. Von 1989 bis 1994 ging er als Leiter der Abteilung Bildende Kunst, Film und Medien an das neu gegründete Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Von 1994 bis 1999 leitete er den Ausstellungsbereich in der Zentralverwaltung des Goethe-Instituts in München, wo er heute, nach zehn Auslandsjahren in Madrid und Athen, wieder im Bereich Bildende Kunst für Sonderaufgaben tätig ist.
Autoren
Radl, Sabine Sabine Radl studierte Kunstgeschichte, Psychologie und Philosophie. Von 1993 bis 2001 leitete Radl das Theater im Forum Technik am Deutschen Museum, München. Seit 2001 arbeitet sie im Kinder- und Jugendmuseum München mit dem Schwerpunkt Ausstellungskonzeption und -vermittlung sowie Ausstellungsverleih. Reckwitz, Andreas Andreas Reckwitz ist seit 2010 Professor für Kultursoziologie an der EuropaUniversität Viadrina, Frankfurt/Oder, von 2005 bis 2010 an der Universität Konstanz. Er ist Mitglied des Beirats »Wissenschaft und Zeitgeschehen« des Goethe-Instituts. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kultursoziologie, Kultur-, Gesellschafts- und Sozialtheorie, Soziologien des Ästhetischen, der Stadt, des Subjekts und der Visualität, historische Soziologie. Zu seinen Buchveröffentlichungen gehören Die Transformation der Kulturtheorien (2000), Das hybride Subjekt (2006), Subjekt (2008), Unscharfe Grenzen (2008), Die Erfindung der Kreativität (2012). Reinig, Margot Margot Reinig ist gelernte Elektromechanikerin und Diplompädagogin. Nachdem sie zunächst den Verein Kindermuseum Hamburg e.V. gründete und eine Reihe mobiler Ausstellungen kuratierte, leitet sie seit 2004 das KL!CK, Hamburg, das sie selbst auch mit aufbaute. Zu früheren Tätigkeiten gehört die Arbeit als Unternehmensberaterin und Betriebsrätin bei Airbus, die Gründung eines Kindergartens sowie einer Genossenschaft für Wohnprojekte und die Leitung einer Sozialstation. Richter, Yvonne Yvonne Richter studierte Kunsterziehung und ist seit 1984 Mitarbeiterin des Museum im Koffer e.V. in Nürnberg. Heute leitet sie für das Kinder- und Jugendmuseum und das Museum im Koffer das Ressort Grafik und Öffentlichkeitsarbeit. Rieger-Ladich, Markus Markus Rieger-Ladich ist Professor für Erziehungswissenschaft, insbesondere Bildungs- und Erziehungstheorie, sowie philosophische Grundlagen an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg. 2011 habilitierte sich Rieger-Ladich an der Universität Zürich. Er absolvierte Lehraufträge in Dortmund, Köln, Frankfurt, Tübingen, St. Gallen und Zürich und vertrat Lehrstühle an der PH Freiburg und der Universität Fribourg, Schweiz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bildungsphilosophie, Sozialtheorie, Poststrukturalismus. Seinen zahlreichen Veröffentlichungen fügt er in diesem Jahr Vom Scheitern. Pädagogische Lektüren zeitgenössischer Romane III, hg. mit H.-Ch. Koller, hinzu.
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Kindermuseen. Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
Rietmann, Urs Urs Rietmann leitet seit Januar 2009 das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee in Bern. Zuvor beschäftigte er sich in verschiedenen Funktionen weitere 25 Jahre mit praktischen kulturellen und kulturpolitischen Fragestellungen, so u.a. als Gründer des soziokulturellen Kinder- und Jugendprojekts Theaterzirkus Wunderplunder, als Theaterregisseur an Stadttheatern und mit freien Gruppen in der Schweiz und in Deutschland, als Leiter des Berner Schlachthaus Theaters und als Mitarbeiter der Präsidialdirektion der Stadt Bern. Urs Rietmann, MSA und Executive MBA BFH, ist Vater dreier Kinder. Schmidt-Thomsen, Helga Helga Schmidt-Thomsen ist freischaffende Architektin. Gemeinsam mit Jörn Peter Schmidt-Thomsen sowie in anderen Konstellationen führte sie zahlreiche Planungs- und Bauprojekte für Kinder und Jugendliche, Schulen, Kindergärten, Wohnungsbau, Umnutzungen und Bauen im Bestand sowie Wettbewerbe und Ausstellungen durch. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen gehören Kinder ins Spiel bringen (hg. mit Yvonne Leonard, 1992) und »Drunter und drüber« (in: Nel Worm (Hg.), Kinder- und Jugendmuseum, 1994). Schmidt-Thomsen war Vorsitzende des Deutschen Werkbund Berlin (1994-2005) und Mitglied im Landesdenkmalrat Berlin (2000-2009). Staupe, Gisela Gisela Staupe ist Historikerin und stellvertretende Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden (DHMD). Als Kuratorin hat sie zahlreiche Ausstellungen organisiert, darunter Die Pille – Von der Lust und von der Liebe (DHMD, 1996) und Der (im-)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit (DHMD, 2000/2001, und Martin-Gropius-Bau, 2002). Staupe hat zahlreiche Texte veröffentlicht u.a. zu Szenografie in Ausstellungen, kultureller Bildung und zur Zukunft der Museen. Sie war in der Lehre an diversen Universitäten tätig, u.a. an der TU-Dresden und der Universität Paderborn. Strauß, Rainer Rainer Strauß studierte Grafikdesign und Kunstpädagogik. Er war als freier Grafiker und in der offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig. Seit Mitte der 1980er Jahre gibt Strauß Kurse an der Malschule Emden und der Kreisvolkshochschule Aurich, wo er seit 1986 die Fachabteilung Bildende Kunst leitet. Im Januar 2000 wurde er Leiter des miraculum – Kunstschule & MachMitMuseum der Stadt Aurich.
Autoren
van den Berg, Karen Karen van den Berg ist seit 2003 Professorin für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Zuvor arbeitete sie als Dozentin an der Privaten Universität Witten/Herdecke, wo sie von 1999 bis 2003 den Arbeitsbereich »art in dialog« mitinitiierte und leitete. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorie des Inszenierens und Ausstellens, Kunst und Öffentlichkeit, Kunstproduktion und Produktionsästhetik. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zur Gegenwartskunst und zur Museumsforschung gehört u.a. Politik des Zeigens mit Hans Ulrich Gumbrecht herausgegeben, München 2010. Zacharias, Wolfgang Wolfgang Zacharias lehrt als Honorarprofessor an der Hochschule Merseburg. Er studierte Kunst- und Kulturpädagogik in Stuttgart, München und Paris. Nach einigen Jahren Schuldienst war er seit 1970 in der kommunalen Kinder- und Jugendkulturarbeit tätig. Zacharias ist Mitbegründer der Initiative KEKS und Pädagogische Aktion, Mitbegründer des Münchner Kinder- und Jugendmuseums sowie seit 1983 Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen. Von 1996 bis 2006 war er auch Vorstandsmitglied der Kulturpolitischen Gesellschaft und von 1993 bis 2009 der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung BKJ. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen gehören u.a. mit Klaus Weschenfelder Handbuch Museumspädagogik (1983), Kulturpädagogik – eine Einführung (2001) oder Kulturell-ästhetische Medienbildung (2010). Seit 2006 ist Zacharias Reihenherausgeber von Kulturelle Bildung Vol. 1-X, BKJ und KOPAED-Verlag. Ziese, Maren Maren Ziese arbeitet als Kuratorin der Sammlung im Willy-Brandt-Haus, Berlin. Sie hat Kunstgeschichte und Museum Studies in Berlin, London und New York studiert und über Curating, Kunstvermittlung und Partizipation promoviert. Sie war Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin und an der Universität Leipzig sowie Dozentin im beruflichen Weiterbildungslehrgang »Museumsmanagement«. Ferner arbeitete sie als Projektleiterin für Kunst- und Kulturvermittlung in Europa bei der Stiftung Genshagen. Museumspädagogische Erfahrungen sammelte sie u.a. in Ausstellungsprojekten des Neuen Universums e.V. sowie als wissenschaftliche Museumsassistentin bei den Staatlichen Museen zu Berlin.
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Kinder- und Jugendmuseen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Auswahl)
AHA–ERLEBNISmuseum für Kinder und Jugendliche 38300 Wolfenbüttel www.AHA-KIMU.de.vu AKKI – Aktion und Kultur mit Kindern e.V. 40591 Düsseldorf www.akki-ev.de Bielefelder Kindermuseum e.V. – Kindermuseum 33613 Bielefeld Deutsches Klingenmuseum Klingenmuseum für Kinder 42653 Solingen www.klingenmuseum.de Deutsches Museum – Kinderreich 80538 München www.deutsches-museum.de/ausstellungen/kinderreich/ Edwin Scharff Museum 89231 Neu-Ulm www.edwinscharffmuseum.de exploratorium – Kindermuseum Stuttgart und Region e.V. 70176 Stuttgart www.kindermuseum-stuttgart.de Forum Oelde – Kindermuseum KLIPP KLAPP 59302 Oelde www.kindermuseum-klipp-klapp.de
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Kindermuseen. Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
FRida & freD – KIMUS Kindermuseum Graz GmbH A-8010 Graz www.fridaundfred.at Glasmuseum Wertheim e.V. 97877 Wertheim www.glasmuseum-wertheim.de Gustav Lübcke Museum – Kinder- und Jugendmuseum 59065 Hamm www.hamm.de/gustav-luebcke-museum Historisches Museum der Pfalz Speyer Junges Museum Speyer 67346 Speyer www.museum.speyer.de/jumus/tag.html Jugend Museum Schöneberg 10827 Berlin www.jugendmuseum.de JuniorMuseum im Ethnologischen Museum Staatliche Museen zu Berlin/Preußischer Kulturbeaitz 14195 Berlin www.smb.museum/smb/bildung/junmus Kaleidoskop Kulturelle Bildung e.V. 60318 Frankfurt a.M. www.mitmach-projekte.de kek – Kindermuseum für Bremen e.V. 28209 Bremen www.kek-kindermuseum.de Kik e.V. – Werkstatt-Museum für Kinder 84377 Schönau www.freilichtmuseum.de Kinder-Akademie Fulda 36043 Fulda www.kaf.de
Kinder- und Jugendmuseen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
kinder museum frankfurt 60313 Frankfurt a.M. www.kindermuseum-frankfurt.de Kinder- und Jugendmuseum München e.V. 80335 München www.kindermuseum-muenchen.de Kinder- und Jugendmuseum – Museum im Koffer e.V. 90439 Nürnberg www.kindermuseum-nuernberg.de www.museum-im-koffer.de Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee CH-3006 Bern www.creaviva-zpk.org/de Kindermuseum EnergieStadt im NaturGut Ophoven 51379 Leverkusen www.naturgut-ophoven.de Kindermuseum im FEZ-Berlin 12459 Berlin www.fez-berlin.de Kindermuseum im Historischen und Völkerkundemuseum CH-9000 St. Gallen www.hmsg.ch Kindermuseum Schaufenster Schule & Kinderkunst 42389 Wuppertal www.kindermuseum-wuppertal.de KL!CK Kindermuseum Hamburg 22549 Hamburg www.klick-kindermuseum.de Kreative Kinderwerkstatt – Kindermuseum Halle e.V. 06110 Halle
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Kindermuseen. Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
Labyrinth Kindermuseum Berlin in der Fabrik Osloer Straße gGmbH 13359 Berlin www.labyrinth-kindermuseum.de Löwenstarke Stöberkiste e.V. 99425 Weimar MACHmit! Museum für Kinder gGmbH 10437 Berlin www.machmitmuseum.de miraculum – MachMit Museum & Kunstschule 26603 Aurich www.miraculum-aurich.de mondo mio! Kindermuseum im Westfalenpark 44139 Dortmund www.mondomio.de Müritzeum 17192 Waren www.mueritzeum.de Museum unterwegs Meißen e. V. 01662 Meißen www.museumunterwegs.de Musik Aktionen – MobilesMusikMuseum 40474 Düsseldorf www.musikaktion.de Neues Universum e.V. 10707 Berlin www.neuesuniversum.de Ochsenfurter Spielbaustelle e.V. 97279 Kist Staatliche Kunsthalle Karlsruhe – Junge Kunsthalle 76133 Karlsruhe www.kunsthalle-karlsruhe.de
Kinder- und Jugendmuseen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Stiftung Deutsches Hygiene-Museum 01069 Dresden www.dhmd.de Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum 47049 Duisburg www.duisburg.de/micro2/lehmbruck Technoseum/Landesmuseum für Technik und Arbeit 68165 Mannheim www.technoseum.de Weltkulturerbe Völklinger Hütte 66302 Völklingen/Saarbrücken www.voelklinger-huette.org Zinnober – Ein Museum für Kinder in Hannover e.V. 30165 Hannover www.kindermuseum-hannover.de ZOOM Kindermuseum A-1070 Wien www.kindermuseum.at
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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen August 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3
Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis Dezember 2012, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9
Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive November 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1291-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Andrea Rohrberg, Alexander Schug Die Ideenmacher Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide 2010, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1390-2
Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Ein Leitfaden für dialogische Besucherführungen Februar 2013, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7
Gernot Wolfram (Hg.) Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld November 2012, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1781-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Joachim Baur (Hg.) Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes 2010, 292 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-814-8
Claudia Gemmeke, Franziska Nentwig (Hg.) Die Stadt und ihr Gedächtnis Zur Zukunft der Stadtmuseen 2011, 172 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1597-5
Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen Juni 2012, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9
Hartmut John, Hans-Helmut Schild, Katrin Hieke (Hg.) Museen und Tourismus Wie man Tourismusmarketing wirkungsvoll in die Museumsarbeit integriert. Ein Handbuch 2010, 238 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1126-7
Peter Leimgruber, Hartmut John Museumsshop-Management Einnahmen, Marketing und kulturelle Vermittlung wirkungsvoll steuern. Ein Praxis-Guide 2011, 348 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1296-7
Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.) Die Praxis der Ausstellung Über museale Konzepte auf Zeit und auf Dauer Februar 2012, 258 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1862-4
Martina Padberg, Martin Schmidt (Hg.) Die Magie der Geschichte Geschichtskultur und Museum (Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 3) 2010, 208 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1101-4
Hans Scheurer, Ralf Spiller (Hg.) Kultur 2.0 Neue Web-Strategien für das Kulturmanagement im Zeitalter von Social Media 2010, 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1352-0
Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage) April 2012, 384 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de